Werke. Band 13.1 Text: Liebe um Liebe / Bonifaz Schleicher / Geron, der Adelich / Das Sommer-Mährchen / Gedanken über die Ideale der Alten / Über das göttliche Recht der Obrigkeit / Rosamund. Essays. Gedichte. Rezensionen. Anzeigen. Zusätze. Juni 1776 – Januar 1778 [225 – 250] 9783110253658, 9783110258400

Band 13 der Oßmannstedter Wieland-Ausgabe zeigt das immense Pensum, das der Dichter bei seiner redaktionellen Arbeit als

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German Pages 663 [664] Year 2011

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Table of contents :
Liebe um Liebe
Bonifaz Schleicher
Geron, der Adelich
Das Sommer-Mährchen
Gedanken über die Ideale der Alten
Über das göttliche Recht der Obrigkeit
Rosamund
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Werke. Band 13.1 Text: Liebe um Liebe / Bonifaz Schleicher / Geron, der Adelich / Das Sommer-Mährchen / Gedanken über die Ideale der Alten / Über das göttliche Recht der Obrigkeit / Rosamund. Essays. Gedichte. Rezensionen. Anzeigen. Zusätze. Juni 1776 – Januar 1778 [225 – 250]
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Christoph Martin Wieland Oßmannstedter Ausgabe

Wielands Werke Historisch-kritische Ausgabe Herausgegeben von Klaus Manger und Jan Philipp Reemtsma

Wielands Werke Band 13.1

Text

Bearbeitet von Peter-Henning Haischer und Tina Hartmann Liebe um Liebe / Bonifaz Schleicher / Geron, der Adelich / Das Sommer-Mährchen / Gedanken über die Ideale der Alten / Über das göttliche Recht der Obrigkeit / Rosamund / Essays / Gedichte / Rezensionen / Anzeigen / Zusätze Juni 1776 — Januar 1778 [225 — 250]

De Gruyter Berlin · Boston

Herausgegeben mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.

Gestaltung: Friedrich Forssman. Schrift: Prillwitz von Ingo Preuß. Satz: pagina, Tübingen. Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen. Printed in Germany. ¯ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. © Copyright 2011 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-11-025365-8

e-ISBN 978-3-11-025840-0

Inhaltsübersicht Liebe um Liebe 2 Bonifaz Schleicher 120 Geron, der Adelich 248 Das Sommer-Mährchen 420 Gedanken über die Ideale der Alten 470 Über das göttliche Recht der Obrigkeit 554 Rosamund 575 Essays / Gedichte / Rezensionen / Anzeigen / Zusätze Inhaltsverzeichnis 647

Der Teutsche Merkur. May 1776.

Liebe um Liebe. Das erste Buch. „Schon wieder Liebe! und ewig Liebe! Und nichts als Liebe!“ — Närrchen, wovon denn sonst? und was ist unterm Mond denn wohl der Rede werth als Liebe? Und unterm Mond und überm Mond was anders ists als ewige Liebe, was überall athmet, würkt und webt, und alles bildet und alles belebt?

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Der Geist der Natur! Was sonst als Liebe ist dieser schöne Zusammenklang der Wesen? Dieser allmächtige Drang der Gleiches an Gleiches drückt? Wo bliebe ein Sonnenstäubchen ohne Liebe beym andern? — Und auch die Macht der Kunst, die Hand des Bildners, die höchste Gunst der Musen, was sind sie ohne Liebe? Mit Liebe sang H o m e r ; mit Liebe schuf R a f a e l seine G a l a t h e e !

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Du selbst, o Tugend, du höchste Höh der Menschenseele, was bist du als Liebe, du Gott in uns? — Doch stille, Gesang! Verletze nicht das heilige Schweigen! Wohl uns, so viele von uns das Anschaun von diesem Geheimnis empfangen haben! Wohl uns! Uns leuchtet allein die Sonne, Uns scheint das seelerfreuende Licht; Wir leben das wahre Leben! Athmen in reinen Lüften mit freyer Brust,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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und sehn was ist, mit unbefangnen Augen, und hören Götterstimmen, und durch die tiefe Nacht der Wesen den Schwung der allesbewegenden Räder, und fürchten nichts! — und schwimmen und wälzen durch Stille und Sturm uns immer getrost die ewigen Wogen der Zeit hinab — Nichts mehr! Ich schweige! — Da wackeln Ohren die nicht verstehn. — Nun, wieder dahin 10

zu kommen, wovon wir uns verlohren — Brüder und Schwestern, die Hand ans Kinn, und fragt euch: ist es nicht die Liebe der ihr in dieser Zeitlichkeit die besten Minuten schuldig seyd? Und floß mit unter auch manche trübe, seyd billig! Zieht mir von der Liebe das alles was n i c h t L i e b e ist rein ab, und dann sprecht was ihr wißt! „Ja, sagt ihr, zwischen Lieb und Liebe

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ist doch ein mächtiger Unterscheid! Wie viele Thorheit, Eitelkeit und Selbstbetrug mischt sich mit unter? Wie oft ist sie des Lasters Zunder? Der Lüste Sclavin, und“ — Haltet ein! Verdorben Gefäß, wir wissens alle, verfälscht den reinsten besten Wein; Allein, wer schmählt in solchem Falle auf seinen Wein? Und würd’ er zu Gift; glaubt ihr, es würden drum die Weisen

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ihn, weil er Unheil angestift, aus ihrer Republik verweisen? Was eure übrigen Klagen betrift, so sagt mir: was haben Dunkel und Helle, Jedes für sich, denn wohl gemein? Kann eine Feindschaft größer seyn?

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Und doch, vermischt, sind sie die Quelle der ganzen Magie der M a h l e r i n N a t u r ! — Weh dem, der keinen Sinn für dies empfieng! — Und also rieth’ ich, wenn euch zu rathen ist, ihr Herrn Weltbeß’rer mit und ohne Stern, nach Standes Gebühr, — Ihr wäret so gütig und ließt es gehn wie’s immer gieng seit Chaos den ersten Funken fieng; Gucktet, anstatt zu widersprechen,

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wenn’s Euch nicht ansteht, anders wohin, und ließet die große Mahlerin fein ruhig ihre Farben brechen, und Licht und Schatten, nach ihrem Sinn, gatten, verstärken oder schwächen; und so — zumal ihr doch daran nichts beßern werdet — mit eignen Händen ihr göttlich Liebes-Gemählde vollenden, und gönntet uns unsre Freude dran. Und weil denn also Liebe und Liebe

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das ewige Mährchen der ganzen Natur, das Sehnen aller Creatur, das Glück der Menschen und der Engel, Kurz, Freunde, weil Liebe — Liebe ist; Wie sollte sie nicht, trotz ihrer Mängel, uns lieber seyn als — Hader und Zwist, und Neid und Haß, und Blutvergießen, und Mord und Aufruhr, Stechen und Schießen, Sengen und Brennen; auch, Trug und List, und Ränke schmieden und cabalieren, pralen, verläumden, heucheln, hofieren, den K u t z e n streichen *), und scharren im Mist, *)

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d. i. e i n e s L e i d e n s c h a f t e n s c h m e i c h e l n . G e i l e r s von Kaysersb. P o s t i l l Fol. 147.

D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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kurz, lieber als all das saubre Betriebe womit die Antichristen der Liebe, um gleichwohl auch nicht müßig zu seyn, dem lieben Gott sein Werk v e r h e y n ? *) Lassen wir dem Geschichteklittrer **) den leidigen Stoff! Die Balgereyn und Heldenthaten der Erderschüttrer, wozu wir Armen die Haare leyhn! Der Held, von dem wir singen und sagen 10

wollen, ist keiner von dieser Zunft. Kein Mensch hat über ihn zu klagen. Ist einer von unsern Freunden und M a g e n , die, selten einig mit ihrer Vernunft, ihr Herz im Busen offen tragen; immer das Beste was sie t h u n durch etwas verderben was sie s a g e n ; Den Hasen oft zur Unzeit jagen, und dann wenn’s Zeit ist sitzen und ruhn; immer sich selbst für Andre plagen,

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alles mit Liebesaugen sehn; immer ihr Herz zu wohlfeil geben, sich selber ewig Nasen drehn, und nur wo k l u g e Leute s c h w e b e n , so fest wie eine Mauer stehn. Für einen Helden, ich muß gestehn, ein seltsam Mann! Doch laßt ihn kommen

„Der Buben sind viel am Hofe, die den Sünder loben und den Kutzen streichen.“ und Fol. 148. „Wer zu Ehren kommen will, der muß jedermann den Kutzen streichen und die Federn vom Ermel lesen, und den Stob blasen wo weder Federn noch Stob ist.“ K u t z e oder K o t z e hieß eine 30

Art Oberrock von grobem unbeschohrnem Wollenzeug. *)

Ve r h e y e n , ein alt Schwäbisches Wort von ähnlicher Bedeutung mit v e r d e r b e n ; eigent-

lich, unnütz machen was ein andrer gut gemacht hat. **)

K l i t t e r n , soviel als s u d e l n . Der alte Übersetzer des G a r g a n t u a nennt sein Werk

Geschichtsklitterung.

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weil er nun da ist! Wir haben den Wicht nun in Affection genommen, und glücklich — eher lassen wir nicht von ihm — und glücklich soll er werden, oder es müßte kein Glück auf Erden zu finden seyn! — Zwar etwas schwehr soll’s ihm doch werden! Erkauffen, und theuer erkauffen soll ers; Dies ist nicht mehr als billig! Und stieße von ungefehr uns einer auf, der wackrer, treuer,

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und biderherziger wär’ als er: so soll ihm alles Vergangne nichts nützen; wir lassen ihn auf der Stelle sitzen; und schlagen uns — unbesorgt ob man uns Wankelmuths bezüchten kann — Stracks auf des bessern Mannes Seite. Und nun zur Sache, lieben Leute! * * * Vor alten Zeiten ein Fräulein war das hatte seinesgleichen wenig.

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Sie machte mit ihrem Äuglein Paar sich alle Herzen unterthänig. Sie anzusehen war große Fahr! *) Wohl thats den Knaben im Herzen zwar, Allein das Schwere dabey das war die Augen wieder wegzuwenden. Noch kamen Maler von allen Enden zu konterfeyen die edle Maid, **) *) **)

Gefahr. M a i d , M a g d , heißt eigentlich eine junge Weibsperson, die von keinem Manne weiß; und

kann also statt des heutigen Worts J u n g f r a u gebraucht werden; welches vor Alters unserm F r ä u l e i n gleich kam. Weil nach alter teutscher Sitte die Töchter im Hause alle Dienste versahen, die ihrem Geschlechte zustunden; so bekam das Wort Magd nach und nach die itzo gewöhnliche Bedeutung.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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mit Pinsel und Palett in Händen; lehnten zu ihrem Werk bereit in allen Ecken, an allen Mauern, und wo sie stund und gieng und saß, in Mette und Vesper, dies und das von ihrer Schönheit abzulauern; und wenn sich ihr Rock ein wenig hob oder ihr Goller *) sich verschob, meynten sie, hätten wieviel gewonnen; zogen dann wohlgemuth nach Haus,

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und machten E v e n und M a d o n n e n , S u s a n n e n und M a g d a l e n e n draus. Das Fräulein, S o n n e m o n genannt, war Tochter des Grafen von Brabant. Der hatte viel Knappen **) und edele Herren an seinem Hofe. Auch kam von ferren manch blonder schmucker Muttersohn von rothem Blut und adlichen Sitten, zu werben um Fräulein Sonnemon. Die guten Junkern buhlten, stritten,

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liebten und liebelten, tanzten und ritten, umschwärmten die holde Zauberin wie Bienen ihre Königin bey Tag und Nacht auf allen Tritten; versuchten’s jeder nach seinem Sinn mit Lachen und Weinen, mit Trutzen und Bitten, //

doch alles, leider! mit wenig Gewinn.

*) **) 30

eine Art von Brustlatz (mammillare) auch, ein Leibchen ohne Ermel. Knapen oder Knappen hießen die jungen Edelleute, die noch nicht Ritter waren. Davon

kam das Wort, einen e i n k n a p e n , d. i. in den Ritterorden aufnehmen, „der edel Fürst geheure der ward do eingeknapt.“ H e l d e n b . Fol. 188.

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Die Schelmin hatte so ihre Freude mit ihnen zu spielen wie mit der Maus das junge Kätzchen. Gieng sie aus so flattert’ in reichem bunten Kleide der Liebesritter ein ganzes Heer zur Seite, voran und hinterher. Das schmeichelte dann dem Mägdlein sehr so viel gewärtige Diener zu sehen, wie Puppen die am Drate gehen, nach ihrer kleinsten Bewegung sich drehen.

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Da fehlt’ ihr, um ohn Unterlaß den kleinen dienstbaren Geistern allen zu thun zu geben, bald dies bald das; bald ließ sie einen Handschuh fallen, bald war an ihrem Kopfe was zurecht zu stecken; oder saß etwan ein Schmetterling im Gras, so fand sie, der schönste von allen Trieben sey Schnecken und Schmetterlinge zu lieben, und eilends liefen ihrer sieben,

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selbst, mehr als jener, Schmetterling, und haschten gaukelnd das arme Ding. War sie zu Hause, so wimmelts immer von schönen Herren in ihrem Zimmer; Der sang ihr vor, der hüpfte dazu, der fütterte ihren kleinen D u d u , der zopfte Gold , ein Andrer stickte ein Blümchen in ihre Stickerey. So schlenderte sich der Tag vorbey; und wenn sie die Herren nach Hause schickte, und zur Belohnung ihrer Treu dem einen freundlich ins Auge blickte, den andern mit einem Lächeln beglückte, dem dritten gar die Pfote drückte: Gieng jeder wonneselig davon,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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glaubte sein Hofnungsschiff geborgen, schlief sanft und träumte den ganzen Morgen von nichts als Venus und Adon. Allein den nächsten Mittag fanden die Herren ihr Schifchen mächtig weit von seiner Rechnung, die Rosenzeit vorbey, und keine Spur vorhanden von’s lezten Abends Heiterkeit. Das Fräulein, zu allgemeinem Leid, 10

war finster und unwürs *) aufgestanden. Nichts lag ihr recht, nichts hatte das Glück ihr zu gefallen, was einer sagte, was einer that; kein liebelnder Blick, kein Spaß, kein neues Lied behagte. Sie hatte nicht wohl geschlafen, klagte sich über Kopf und Magen, jagte den kleinen D u d u zur Thür hinaus, schmählte die Kammerjungfern aus, fand ihren Kopfputz ungeheuer,

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und ihre Augen ohne Feuer, und ihre besten Spitzen schlecht, und nichts als ihre Laune recht. Kam einer mit etwas angestochen, als etwa vom Wetter (das offenbar das schönste Sommerwetter war) so ward ihm schlechtweg widersprochen; Sagt er was kluges, so war es dumm; Schwieg er, „seitwenn, mein Herr, so stumm?“ Seufzt’ er, so wußt’ er nicht warum;

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Lacht’ er, was war denn da zu lachen? Kurz, lieber hätte sich einer mit Drachen

*)

S c h l i m m e n H u m o r s . Daher auch die Substantiva: U n w ü r s e und U n w ü r s i g k e i t .

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176—241

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und Haselwürmen *) herumgezaußt, als, wenn’s ihr die Tyrannin zu machen einfiel, mit S o n n e m o n gehaußt. Und doch, — was für die guten Jungen das schlimmste war — nie fühlten sie sich in ihre Reize mehr verschlungen, als wenn sie der schönen M e d u s e glich. Nie war ihr Blick so mörderlich als wenn sie spöttisch die Nase rümpfte, ihr Mündchen nie so küsserlich

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als wenn sie Mäuler zog und schimpfte; Was jeder andern übel stand an ihr man liebenswürdig fand. Und wenn auch einer in die Kette vor Ungeduld zuweilen biß, sie noch so gerne zerrißen hätte, ja würklich im Ingrimm sie zerriß, und lauffen wollte, so weit der Himmel blau ist, oder sein guter Schimmel ihn trüge: so zog sie mit Einem Blick

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(aber das war dann auch ein Blick!) den armen Flüchtling wieder zurück, sich willig zu ihren Füßen zu schmiegen und ewig an der Kette zu liegen. In diesem kläglichen Zustand lag Herr G a n d a l i n schon Jahr und Tag. Der war ein feiner hübscher Ritter als jemals einer um M i n n e s o l d gedienet hatte; treu wie Gold, blauaugicht, zärtlich, lieb und hold, *)

Eine Art ungeheurer Schlangen, deren in unsern alten Dichtern, Chroniken, u. s. w. öfters

Meldung geschieht. Nach B ü n t i n g s B r a u n s c h w . C h r o n i k soll ums Jahr 1597 aufm Harz ein solcher Haselwurm gesehen worden seyn, achtzehn Schuh lang, und Mannsdick, mit einem Katzenkopf, und Füßen am Bauch etc.

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und doch in Kampfesungewitter so muthig wie ein junger Widder; wiewohl noch seinem weissen Kinn die Hofnung des künftigen Barts so dünn entkeimte, daß ihn, bey einer Wette, im langen Rock, mit Spangen und Kette, die allererfahrenste Kennerin aus Mädchen kaum erwittert hätte. Vor allen, die um das Fräulein sich 10

bewarben, war der giftige Stich des Liebeswurms dem armen Jungen am tiefsten in die Leber gedrungen. Die andern Junkern insgesammt waren mit einem leichten Hiebe davongekommen; ein wenig geschrammt wenn’s hoch kam. Aber die Art von Liebe die tief im Eingeweyd brennt und nagt, die alle Lust zu Spiel und Scherzen die Schlaf und Eßlust uns versagt,

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und ohne Rast, den Pfeil im Herzen, durch Berg und Thal euch treibt und jagt, bis ihr, erschöpft von Angst und Schmerzen, verblutet, lechzend, athemlos der schönen Feindin vor die Füße hinsinkt, das Köpfchen in ihren Schoos verbergt, und sterbt, und glaubt wie süße der Tod euch schmecke, wenn allenfalls ihr glattes Händchen um Brust und Hals euch noch zur Letze freundlich krabbelt,

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und euer gebrochnes Herzchen wohl gar an ihrem Busen sich verzabbelt: das nenn’ ich lieben! Allein ’s ist rar; in Flandern und in Brabant war dergleichen nie gesehen worden.

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Der erste daselbst von diesem Orden war unser Infant. Schade nur, daß er dabey nicht besser fuhr! Denn S o n n e m o n , unangefochten von allem Spuck und Ungemach das ihre Augen stiften mochten, ließ alle seine Och und Ach sich wenig in ihrem Schlummer stören; und wenn er Winternächte lang vor ihrem Fenster frohr und sang

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hielt sie ihn nicht soviel in Ehren ihm durch die Scheiben zuzuhören. Er hätte ganze Seen geweint und Mühlen mit seinen Seufzern getrieben, Sie wäre so ruhig dabey geblieben als wär’ es nicht auf sie gemeint. Kurz, den der seinem ärgsten Feind ein solches Leben konnte gönnen den würd’ ich einen N e r o nennen. Doch trug er Alles mit Jobs Geduld,

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hofte noch immer an ihre Huld durch Leiden ein Recht sich zu erwerben. Das schlimmste was mir begegnen kann (dacht er) ist doch zuletzt nur sterben; und besser gestorben, als unterm Bann der Liebe aus diesen Zauberaugen ewig nur Stärke zum Leiden zu saugen! In diesem Muthe hielt G a n d a l i n ein ganzes unendliches Jahr sich hin, wo immer das Schicksal seines Lebens an einem ihrer Blicke hieng; hofte, verzweifelte, gleich vergebens! der einzige Trost, der noch verfieng, war, daß es den andern nicht besser gieng.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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Allein als itzt der Frühling wieder gekommen war, durch alle Glieder der guten alten Mutter Natur ein neuer Jugendschauer fuhr, und mildere Lüfte und wärmere Sonnen das süße Gefühl zu leben, zu streben, und Leben aus ihrer Fülle zu geben in allen Wesen zu wecken begonnen; die Auen ergrünten, die Vögelein aus sichbelaubenden Zweigen sangen,

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und Alles was ist sich freute zu seyn; um Mayens verjüngte Blumenwangen der wiederverliebte Westwind spielt, und selbst das Mädchen, das nie gefühlt wie Amor verwundet, ein wundersam Bangen, Drücken und Sehnen in sich fühlt, etwas zu lieben und zu umfangen: Da wußte der arme G a n d a l i n sein Leiden nicht länger zu bestehen. Er warf sich ihr zu Füssen hin

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und schwur, nicht eher aufzustehen bis sie ihm sage, sie brenne für ihn wie er für sie. „So laß mich doch gehen!“ rief S o n n e m o n und wollt’ entfliehn: Allein er hielt sie bey beyden Knie’n, und bat so kläglich! In seiner Stimme war Etwas das so zu Herzen drang! Er wurde so schön, Ihr wurde so bang! Doch riß sie sich loß. „Wie? Welch ein Zwang? (schrie sie in magetlichem *) Grimme)

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Wer bist du? Was hab ich zu schaffen mit dir? Du liebst mich, sagst du? — Meinetwegen! Liebe! Hab’ ich denn was dagegen? //

Nur meine Freyheit laß du mir!“ *)

m a g e t l i c h , jüngferlich, mädchenhaft (puellaris.)

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306—373

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O Sonnemon, dies kannst du sagen ? Du ? — Du, die allem Liebe giebt w a s d i r s i c h n ä h e r t ? I n d i e s e n Ta g e n , da Alles Gefühl ist, Alles liebt ? N e i n , F a l s c h e ! d i r s i n d d i e s ü ß e n Tr i e b e n i c h t f r e m d e ; d e i n g a n z e s We s e n i s t L i e b e , du athmest, stralest, zauberst Liebe und Liebeswonne rings um dich, und Haß — den hast du allein für mich ! „Ich? (spricht das Fräulein, spöttiglich

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ihr Näschen rümpfend) ich haße dich? Muß man, um nicht zu haßen, lieben? Mein schöner Herr, wo stehts geschrieben, daß wir, wenn einen die Liebessucht befällt, für seine Narrheit büßen und flugs ihn wiederlieben müßen? Warum ergreift ihr nicht die Flucht, wenn’s euch in unsrer Atmospähre nicht wohl ist?“ — Fragst du, Zauberin ?

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Als ob es in meiner Willkühr wäre zu lauffen wenn ich gefesselt bin ! D i e F l u c h t e r g r e i f f e n ! We n n s m i r , u m s L e b e n , nicht möglich ist einen Fuß zu heben. Die Flucht ergreiffen ! — Und wohin ? Könnt ich auch wie ein Adler fliegen, w ü r d’ i c h n i c h t e w i g d e i n e m B i l d w o h i n i c h f l ö g’ e n t g e g e n f l i e g e n ? „Die Schwärmer! wie sie sich selbst betrügen! Wie würde sobald mit meinem Bild sogar mein Angedenken verfliegen? Ich kenn’ ein wenig der Männer Art.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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Bey euch thut Alles die Gegenwart. Weh der abwesenden Geliebten! Die möcht ich sehen, die aus Treu die Grausamkeit an sich verübten und ließen ein gutes Glück vorbey!“ O Sonnemon, wie wenig, wie wenig kennst du dies Herz und deine Macht ! Und sollte mir eine einzige Nacht, mit einer Göttin zugebracht 10

das Glück erkauffen, der erste König d e r We l t z u s e y n — „Halt! Schon zuviel in Einem Athem. Das Alles ist Spiel der Phantasey. Wir kennen euch besser! die Welt ist in der Nähe größer als du izt denkest.“ — W i l l t d u (schrie der Ritter entzückt) d i e P r o b e m a c h e n ? Ve r s p r i c h m i r s ; i c h b e s t e h e s i e !

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„Bald sollt’ ich (versezte sie mit Lachen) zur Strafe deiner Vermessenheit beym Worte dich fassen!“ — O f a ß e , f a ß e m i c h g l e i c h b e y m Wo r t e ! — „Es hat noch Zeit.“ Noch Zeit, wenn ich mein Leben lasse b e y m k l e i n s t e n Ve r z u g ? — „Herr G a n d a l i n , ich glaubte dich nie so waglich kühn. Doch, der Erfolg?“ — D e n ü b e r l a ß e d e r L i e b e ! — „Du wagest alles, Freund! denn Sonnemon, so flattrig sie scheint,

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ist schwehrer zu täuschen als man meynt. drey Jahre sind lang!“ — U n d w ä r e n s s i e b e n , u m d i c h s i n d s s i e b e n Ta g e n u r !

L i e b e u m L i e b e ¼1.½ B u c h

374—434

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„Und keine andre Creatur noch Göttin in dieser Zeit zu lieben? Und mir zu schwören den heiligsten Schwur, kömmst du zurück, mir nichts zu schweigen, dein ganzes Herz mir offen zu zeigen, um keine Sylbe die Wahrheit zu beugen? Getraust du dirs?“ — U n d S o n n e m o n verspricht mir dafür der Minne Lohn ? „Ihr Herz mit allen Zubehören!“ Hier bin ich bereit dir zuzuschwören

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w a s d u v e r l a n g s t ! — D r e y Ta g a l l e i n vergönne mir noch bey dir zu seyn, von deinen Blicken meine Seele d u r c h s t r a l e n z u l a s s e n ! — „Herzlich gern! doch merke was ich dir befehle! Man muß sich vorsehn mit euch Herr’n. Du könntest dich in eine Höle Drey Jahre verkriechen. Dies wäre List Herr G a n d a l i n ! Die Meynung ist auf Abentheuer auszuziehen,

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und während aller dieser Frist vor keiner Liebesgefahr zu fliehen!“ I c h s c h w ö r e s ! — „Und hier ist meine Hand, des Gegenschwures Unterpfand!“ Der Ritter küßt auf seinen Knieen die kleine Lilienweiße Hand, ist außer sich vor Freud und Wonne; ihm däucht es schein’ eine andre Sonne, die Erde sey neugeschaffen ringsum und Alles tanz’ um ihn herum.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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Liebe um Liebe. Zweytes Buch. Zwey lieben Augen gegenüber wie fliegen drey Tage so schnell vorüber! Der dritte Abend war vorbey und G a n d a l i n hätte geschworen, es sey noch immer der erste; hätte lieber Minuten zu so viel Tagen gemacht: Wiewohl das Fräulein wenig Acht 10

auf ihn zu haben schien, und selten die Blicke, womit er sie beschoß, mit einem Gegenblick zu vergelten würdigte. Aber die Hexe goß dafür auch so viel Nektar in diesen verstohlnen einzigen Gegenblick! Ihm wurde so viel zukünftig Glück in lieblicher Dämmerung drinn gewiesen! Er hätte so einen einzigen Blick um zwanzig Algarben und Sobradisen

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nicht ausgetauscht. Indessen kam die lezte Nacht. Der Ritter nahm den Urlaub mit einem unendlichen Kuße auf ihre hingegebene Hand; lief dann als stünd ihm der Kopf in Brand, um einem gewaltigen Regenguße aus seinen Augen zuvorzukommen eh’s einer vom Hofgesind wahrgenommen. Er schwang sich auf sein edles Roß und ritt mit schwehrem Herzen von dannen;

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1—27

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sah oft zurücke nach dem Schloß woraus ihn Stolz und Liebe bannen: trabt langsam fort, verstürzt und stumm, die Welt so eng um ihn herum als könnt’ er sie mit der Hand umspannen. Die Sonne bey Tag, bey Nacht der Mon schien heiter und mild zu seiner Reise, ihm kürzte der Goldfink und die Meise mit Singen den Weg: doch weder der Mon bey Nacht, noch Tages die helle Sonne,

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noch Vogelsang noch Mayenwonne ihm Freude gab. Nichts war ihm nah, er sah und wußte nicht was er sah, kam immer weiter und war nie da, hatte sein Herz zurückgelaßen bey Sonnemon , und mit dem blaßen entgeisterten Schatten lief sein Roß wohin es wollte. Der Tag verfloß, es wurde Nacht und wieder Morgen ohne daß Ritter G a n d a l i n

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aus seinem Traum zu erwachen schien; ließ seinen Knappen für Alles sorgen, und wußte von Allem just so viel als einer der im Fieber tobet. Allmählich (und Gott sey drum gelobet!) spielte ihr altes wohlthätiges Spiel die Phantasie; taucht’ ins Gefühl des Gegenwärtigen die Bilder der schmerzlichsüßen Vergangenheit; Alles wird dumpfer, dämmernder, milder, und schwimmt in lieblicher Ungewisheit: bis aus den sanftverworrnen Schatten sich jene magische Welt erhebt, wo Würklichkeit und Traum sich gatten,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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und Geist der Liebe um alles webt. Statt wo er hinsah, sie n i c h t zu sehen, sieht er izt, durch dies Zauberglas sein Fräulein überall vor ihm stehen; aus jedem Tropfen an Laub und Gras glänzt ihm ihr sonnichter Blick entgegen; Sie sieht er ruhen an diesem Bach, Sie stellt er in diesen Blühten-Regen, Ihr weyht er dieses grüne Dach 10

zur Laube; aus diesem alten Gemäure wo Eulen brüten, baut er ihr ein Feenschloß. — O daß ich nicht hier, in diesem einsamen Thale, von dir allein gekannt, geliebt, du Theure, von dir , o Wonne! geliebt von dir, das ewige Leben der Liebe feyre! So ruft er dann mit schwellender Brust, und findet selbst im Seufzen Lust. Denn seufzend zieht er mit Frühlingsdüften

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den Athem seiner Lieben ein; glaubt alle Windchen, die ihn lüften, von S o n n e m o n geschickt zu seyn, durchwandelt mit ihr den stillen Hayn, und schlummert sogar in Felsengrüften träumend an ihrem Busen ein. Nun stimmte sich unvermerkt und immer schneller sein innerer Farbenton herunter. Fräulein S o n n e m o n blieb zwar der Inhalt; allein der Schimmer,

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das Lichtgewölke, der Nektardunst, worinn sie als eine Göttin sunst *) *)

Die Alten schrieben gewöhnlich s u n s t statt sonst, und so muß dies Wort geschrieben

werden, wenn es als Reim brauchbar seyn soll.

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ihm dar sich stellte, ward immer fahler und schwächer, ihr Lichtsaum immer schmaler und schmaler, bis er beynahe gar verschienen war. Dagegen gewannen die Dinge vor ihm an Glanz und Var *) was iene zu verliehren begannen. Die Sinnen (ein widerspänstig Geschlecht!) sezten sich wieder in ihr Recht; und seinem Biderherzen dräuten schöne Gefahren von allen Seiten.

10

Es gieng nun weit ins dritte Jahr, daß G a n d a l i n auf der Wallfarth war, hatte in teutschen und welschen Landen viel Abentheuer überstanden, und seine Treu aus mancher Schlacht so ziemlich glücklich davongebracht; höchstens mit solchen leichten Wunden die wie man weiß sich bey Gesunden von selber heilen: als zu Paris der Prüfungen schwehrste auf ihn stieß.

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Es war in König Philipps Tagen von denen die Dichter uns Wunder sagen. Kein Fürstenhof derselben Zeit glich seinem Hof an Herrlichkeit. Da waren Ritter ohne Zahl, da waren auch Frauen und Jungfrauen von allen Farben, nach der Wahl, stattlich geschmückt, und lieblich (zumal bey Licht) von weitem anzuschauen, wie Tulpen im Flor. Die hatten nun, *)

F a r oder Va r , wurde ehmals für Farbe gesagt: im Heldenbuch und andern Dichtern aus

diesen Zeiten kommt r o s e n f a r , e r d f a r , b l u t f a r , öfters vor.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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wie leicht zu erachten, nichts zu thun als Männerherzen aufzupaßen, und ihre Augen spat und früh nach allen Ecken spielen zu lassen. Der fremde Ritter dünkte sie beym ersten Anblick gute Beute. Da solltet ihr nun die Jagd auf ihn Gesehen haben. Allein er schien gar nicht zu wissen was das bedeute. Mit solcher Gewisheit im Liebesstreite

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stets obzusiegen, — so wenig kühn, hatte man keinen noch gesehen. Was war zu thun? Gleich abzustehen? Da hatten unsre Penthesileen zu hohen Muth! Je blöder er war, je minder lieffen sie Gefahr im Approschieren zu weit zu gehen. Sie ließen sich also in Gnaden herab durch Blicke seinen Muth zu stärken, denen, aus Furcht er möchte nicht merken,

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man alle mögliche Klarheit gab. Mein Ritter, immer ehrerbietig, spielte gelassen den Combab, fand immer die Damen allzugütig, verstund kein Lächeln, keinen Blick, zog immer weiter sich zurück, je näher man ihm zu Leibe rückte, sprach ewig von nichts als Politik Moral und Wetter, Metaphysik und Moden, und jeder andern Rubrik

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als der, wo’s unsre Schönen drückte: Kurz, machte so lange, bis es ihm glückte, daß man den Herrn mit seinem Verstand und seiner spitzigen Adlersnase, und seinen Augen von blauem Glase //

ganz unerträglich maussade fand. L i e b e u m L i e b e ¼2.½ B u c h

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Vermuthlich leitet ihr dies Betragen des Ritters von seiner Treue her? Gewiß ist, er liebte sie noch so sehr als jemals, und immer destomehr je näher von seinen Prüfungstagen das Ende rückte. Doch (alles zu sagen) ein kleiner fremder Umstand kam hinzu, der seiner Tugend ein wenig von ihrem reinen Verdienste nahm. Hört an! — Als G a n d a l i n einst vom König

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(der von der Jagd zurücke kam) nach Hause trabte, dem Roß den Zügel laßend, die Augen auf den Stern der Liebe gesenkt; da kam nicht fern von einem mit Bäumen besezten Hügel ihm eine Jungfrau (dem Ansehn nach) auf einem Zelter entgegengeritten. Die hielt auf einmal, stellte sich mitten in seinen Weg, und grüßt’ ihn und sprach: Herr Ritter, nach euers Ordens Sitten

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darf ich um eine Gab’ euch bitten; und was ein Mädchen bitten kann versagt gewiß kein Bidermann. Herr G a n d a l i n hält mit seinem Pferde, sieht spähend (so scharf bey Sternenlicht möglich) der Jungfrau ins Gesicht, und findet sie an Gestalt und Behrde so züchtig, daß er, ohne Gefährde, ihr viel versprechen zu können glaubt. Jungfrau, versezt er, könnt frey begehren!

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Alles was Lieb und Ehr erlaubt deß will ich sträcklich euch gewähren.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

//

„So sagt mir, Herr Ritter, in allen Ehren, ist euer Nahme Gandalin?“ Ich muß es (erwiedert er) verjähen. *) „Was frag ich auch? Närrin, die ich bin! War ja genug euch anzusehen ! (versezt die Jungfrau.) Man sagte mir gleich ich könnt’ unmöglich irre gehen.“ Gut (spricht der Ritter) Ihr schadet euch so lange da in der Nachtluft zu stehen; Was wollt ihr meiner?

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Die Jungfrau spricht: „Erst schwöret mir bey Ritterspflicht Alles was ich euch sagen werde zu thun!“ Ich schwör’s bey Ritterspflicht, und müßt ich ins Eingeweyd der Erde heruntersteigen, im Angesicht der Höllengeister, und Weg mir machen durch Riesenkolben und Löwenrachen, ich schwör’s!

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„So arg ists nicht, (versezt die Jungfrau) werdet unverlezt, hoff ich, das Abenthür bestehen. ’S ist nichts, Herr Ritter, als — mitzugehen //

wohin ich euch geleiten will.“

*)

Bejahen.

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Der Wigant hält ein wenig still und staunt. — „Nu? heißt das sein Versprechen halten? Sollt es dem Herrn an Muth mit einem Mädchen zu gehn gebrechen? Für Riesen und Drachen bin ich gut! Was zögern wir?“ — Mit diesem Worte spornt sie ihr Gäulchen, und G a n d a l i n folgt ohne zu wissen wozu und wohin der unbekannten Führerin, bis sie vor einer verschloßnen Pforte

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stillhält. — „Hier endet unser Lauf!“ Knack, Knack! — Die Pforte thut sich auf und schließt sich hinter ihnen wieder. „Da sind wir nun! Herr Ritter, frisch! Was hängt ihr so das Köpfchen nieder? So kleinlaut! So verdrossen! Risch vom Pferde herab, mir nachgegangen! Man wartet Euer mit Verlangen.“ Er, immer schweigend steigt vom Roß, sieht vor sich stehn ein altes Schloß,

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mit Pfeilern dick wie Himmelsstützen, und hundert Ecken, Thürmen und Spitzen, kurz, so daß einem ungesäumt von s c h ö n e n M e l u s i n e n träumt so wie man’s anblickt. — „Nu! Herr Degen *) die Augen zu, und mir die Hand! (spricht lachend die Magd) in euerm Stand geht man oft größrer Fahr entgegen. ’S ist finster hier; nur mir die Hand! Hier steigen wir eine Windeltreppe.“ Der Ritter folgt, so träg und schwehr, *)

D e g e n ist im Heldenbuch und den gleichzeitigen Dichtern immer ein Synonym von H e l d ,

W i g a n t , t a p f r e r K r i e g s m a n n ; und in diesem Sinn wird es auch hier genommen.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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ihr ists als ob sie hinter sich her die Stuffen hinauf ein’n Wollsack schleppe. „Ey, ey, Herr Ritter, so blank und bar an Mannheit! Ist mir, ich höre gar, wie euch das Herz im Leibe schweppe? Die Wahrheit von der Sache war, mit allem seinem Heldenblute war Gandalinen nicht wohl zu Muthe. Es war ein schwanendes dumpfes Gefühl 10

das ihm zickzack bald heiß bald kühl den Rücken hinablief, bald in Flammen ihn tauchte und bald in Alpeneiß. Doch raft er so gut er kann und weiß sich oben an der Treppe zusammen, und folgt der Jungfrau, sonder Zwang durch einen langen dunkeln Gang; Dann links, und dann ein Treppchen hinauf, dann kam ein Vorsaal, und ein Zimmer, erhellt durch matten Lampenschimmer;

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und nun that eine Thüre sich auf. „Hier! (raunt die Magd und schiebt ihn sachte zur Thür hinein) Ihr seht, ich brachte euch glücklich an Ort und Stelle. Nu, was weiter zu thun, da seht Ihr zu!“ W.

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Liebe um Liebe. Drittes Buch. Da steht nun mächtiglich betroffen mein Ritter, wie einer, der, eben izt den Flammen in einem Traum entloffen, halbaufgefahren im Bette sizt, noch zweifelnd, wiewohl die Augen offen, ob Wahrheit oder Phantasey ihn aufgeschreckt. — Zwar, daß er wache war eine ausgemachte Sache;

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nur schmeckte so Alles nach Feerey um ihn herum! Man kann nicht wissen! Nu, (dacht er) wir werden’s wagen müssen; ich bin auf alle Fälle dabey! Die Wahrheit zu sagen, man brauchte nun eben kein großer Eisenfresser zu seyn sich muthig in diese Gefahr zu begeben; denn alles sah ganz freundlich drein. Es kurz zu machen — denkt euch beliebig ein großes Gemach, altfränkisch verziert, die Decke von Schnitzwerk, sehr ergiebig mit goldnen Blumenkörben staffiert, die Wände stattlich tapeziert mit schönen biblischen Geschichten, als — M o s e i m K ä s t l e i n , und Fräulein viel in steiffen Miedern, entblößt mit Züchten bis über die Kniee, um aus dem Nil das Knäblein an den Strand zu lichten; dann S a m s o n der Delila im Schoos,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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und B a t h s e b a in der Badewanne, und, zwischen den Greisen, blutt und bloß mit brennenden Wangen die k e u s c h e S u s a n n e , und einem Busen, dessen Pracht die gute Frau, mit Armen und Händen den Augen der Sünder zu entwenden bemüht, nur desto herrlicher macht. Dann seht auf einem kleinen Tische zwoo Kerzen und einen Schirm davor, 10

und in der Mauer eine Nische wie ein Gezelt, von reichem Moor; und in der Nisch’ ein türkisch Bette von gelbem silberbeblümten Damast, und nun — und nun wie weiter? — Ich wette zu rathen worauf ihr Herren paßt? Da, denkt ihr, soll zu euerm Vergnügen so eine s c h l a f e n d e Ve n u s liegen, in Titianischem Nachtgewand, die obere Hälfte mit Luft umwoben,

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und, wo die Decke sich verschoben, ein rundes Knie hervorgehoben, ein Knie — die Sieben aus Griechenland zu Narren zu machen! — und was des Dinges mehr ist, so freylich ein Geringes zu mahlen wäre. Allein, verzeyht wenn diesmal eure Erwartung betrogen sich findet. Alles hat seine Zeit! Die D a m e war völlig angezogen die auf dem Ruhebettlein lag,

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und in der That so angezogen als keine bis auf diesen Tag. So steif! So voller D ü r e r s c h e r Falten! Alles so recht drauf angelegt selbst den Gedanken aufzuhalten

L i e b e u m L i e b e ¼3.½ B u c h

1—61

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der weiter als hundert Augen trägt! Unmöglich war’s von ihrer schönen Gestalt das Mindeste nur zu wöhnen. *) Die Arme, die Hände, — sie mochte, wer weiß? sie wohl so schön als Juno haben; Allein sie lagen mit allem Fleiß in weiten Ärmeln, nach türkischer Weis, bis über die Fingerspitzen begraben. So heimlich zu thun mit Gottes Gaben däucht unserm Ritter sonderbar.

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Sonst sind die Damen doch nicht so gar mißgünstig, die was zu zeigen haben! Und (was hier noch das Bedenklichste war) ein dichtgewebter doppelter Schleyer verbirgt sogar ihr Angesicht; läßt auch das Wenige nicht ans Licht was, durch die zarte weiße Hülle, von ihres Busens Jugendfülle wie eine berstende Knospe bricht. Kurz, undurchdringlicher kann sich nicht

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die Schönheit gegen den Feind verschanzen. So gar nichts, das zu Gunsten des Ganzen die zweifelnde Phantasie besticht! Und doch — wie nenn’ ichs geschwinde? — bricht so ein geheimer Gottheitsschimmer durch alle die Wolken, daß G a n d a l i n sich kaum enthält auf seinen Knien Sie anzubeten. „Desto schlimmer! (denkt Ihr) das fängt verdächtig an! Und seine Treu?“ — Darüber entscheide *)

Unsre Alten sagten und schrieben Wahn oder Wo h n , wähnen oder w ö h n e n . Daher noch

izt: A r g w o h n , a r g w ö h n e n .

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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die Zeit; die werde was sie kann! Genug, die D a m e im Maskenkleide hieß unsern Mann (der ehrfurchtsvoll noch immer weiter als man soll zurückstund) etwas näher treten. Herr Ritter, sprach sie, daß ich euch so außer der Zeit zu mir gebeten, sieht ziemlich den Abentheuren gleich die euers gleichens jungen Degen wohl häuffig aufzustoßen pflegen.

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Doch, darf ich bitten, mein Herr — so sey’s fürs Erste, bis wir uns besser kennen, mich weder schwarz zu glauben noch weiß, und eh die Lerchen uns wieder trennen mir bloß ein günstig Ohr zu gönnen. Der Klang von ihrer Stimme, wiewohl gedämpft durch ihren doppelten Schleyer, tönt ihm als wirbelte hoch vom Pol der Nachklang einer Engelsleyer in seine Seele. „Welch Angesicht

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wenn’s dieser Syrenenstimm entspricht!“ denkt er, und weiß ein Weilchen nicht wie ihm geschieht; faßt doch sich wieder sobald als möglich, läßt vor ihr züchtiglich auf ein Knie sich nieder und: Dame (spricht er) glaubet mir auf mein Gesicht! Mein Herz ist bieder, und Arges zu denken von der Zier der Schöpfung war immer mir zuwider. Drum heget keine Bedenklichkeit

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mich euers Anschauns zu gewähren. Ich wollte, so eingesponnen ihr seyd, auf eure bloße Stimme schwören, //

Ihr könntet des Schleyers wohl entbehren.

L i e b e u m L i e b e ¼3.½ B u c h

62—125

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Die D a m e bittet ihn aufzustehn, und, ohne Schmeichelreden zu drehn die ihre Sittsamkeit beschämen, von einem Schemel Besitz zu nehmen der neben ihm steht. Herr G a n d a l i n gehorsam sezt sich gegenüber, und Sie beginnt: „Ich lasse vorüber von welchem Haus und Stand ich bin. Mein Blut fließt weder heller noch trüber

10

darum. So was, in meinem Sinn, kömmt gar nicht in Anschlag. Genug, ich bin; da giebts nichts drunter und nichts drüber. Ich weiß nicht welche Gevatterin gab mir den Namen J e l ä n g e r j e l i e b e r bey meiner Geburt —“ Jelängerjelieber ? rief G a n d a l i n . — J e l ä n g e r j e l i e b e r ? ruft (wie ich bereits verständigt bin) einhellig Hörer und Hörerin. *)

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„Nicht anders, mein Herr! J e l ä n g e r j e l i e b e r ! und, was ich nicht bergen kann, man fand ganz deutlich in meiner rechten Hand: *)

Man beliebe sich diese Stelle zu merken, weil sie zu einem Beweise dienen kann, daß im

achtzehnten Jahrhundert (wenigstens unter der Regierung J o s e p h s I I . in deren 12ten Jahr dieses Gedicht geschrieben ist) dergleichen Gedichte bey den Teutschen in Gesellschaften vorgelesen wurden, und vermuthlich ein gewöhnliches Unterhaltungsmittel ausmachten; woraus sich auch wahrscheinlich schließen läßt, daß d i e K u n s t G e d i c h t e v o r z u l e s e n (die heutiges Tages leider so sehr vernachläßigt wird) damals ganz gemein gewesen und ohne Zweifel auf einen hohen Grad der Vollkommenheit getrieben worden. Anmerk. eines zukünftigen Commentators. Wie sich die Commentatoren nach etlichen hundert Jahren betrügen werden!

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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von allen Helenen aus Griechenland und allen Julien an der Tyber würde nun, neben J e l ä n g e r j e l i e b e r , künftig nicht mehr die Rede seyn als von den Sternen bey Sonnenschein. Kaum war die kleine J e l ä n g e r j e l i e b e r über ihr zwölftes Jahr hinüber, so kriegte wer ihr ein wenig zu nah und lang ins Augenkindlein sah, 10

gleich auf der Stelle das Liebesfieber. Da half nichts, weder graues Haar noch gelbes; je klüger einer war je bälder schnappte der Witz ihm über. Ein Blick, so wars um ihn gethan! Doch gieng die rechte Noth erst an als nun mit sechzehn Jahren ihr Busen in seiner vollen Blühte stund, aus ihren Augen alle neun Musen sprachen, um ihren Rosenmund

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die Grazien tanzten, und — wie es weiter lautete, wenn der Liebesdrang die armen Narren zum — reimen zwang. Der Jude sah Jacobs Himmelsleiter in ihrem Antlitz; der Heyde schwur mit ihr verglichen sey Venus — nur ein Weib. So gieng kein Tag vorüber daß nicht die gute J e l ä n g e r j e l i e b e r (wiewohl sie sich immer nur leidend dabey verhielt) zween Narren oder drey

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ins Tollhaus schickte. Ein eignes Gebäu mußte dazu gestiftet werden. Bald sezte man einen Flügel, und dann in kurzer Frist — noch einen dran. Doch sah man ganze Narrenheerden

L i e b e u m L i e b e ¼3.½ B u c h

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aus Mangel an Platz in Wäldern ziehn, in Felsenklüften und holen Weyden hauren, und Reimen in Bäume schneiden, im Märzenfrost vor Liebe glühn, in Hundstagsglut vor Liebe frieren, durch Büsch und Hecken auf allen Vieren kriechen, und Eicheln fressen und Gras, und drohen, ließ’ ich nicht bald mich rühren so würden sie gar — den Verstand verliehren, und was des Unsinns mehr noch waß.

10

Mir, Gott verzeyh mirs, machte das Wesen zween bis drey Sommer vielen Spas. Ich brauchte keinen Roman zu lesen, hatte den ganzen Amadis in meinem Narren-Paradies, und alle Tage geschahen Sachen um einen neuen draus zu machen. Doch immer das nehmliche Fastnachtsspiel wird endlich ungeschmackt und kühl. Zwar gabs mit unter auch Trauerspiel:

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Bald stieß sich einer vor die Stirne, bald ließ ein andrer das bischen Gehirne das ihm die Liebe nicht ausgebrannt auf einer Felsenspitze sitzen; ein dritter kam, den Dolch in der Hand, mit feurigen Augen angerannt sein Blut mir ins Gesicht zu sprützen. Tagtäglich gabs so eine Scen! Allein, sie mochte zu weinen, zu lachen, oder auch beydes auf einmal machen, so wars nicht länger auszustehn. Nun fand sich endlich daß eine Fee, mit der mein Vater Tändeley

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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vor Zeiten getrieben, an allen dem Wehe mehr als mein Schnäuzchen Ursach sey. Mein Vater (einer der besten Califen die jemals aßen, tranken und schliefen) schickte zur Stunde Gesandten aus gen Morgen und Abend, um aller Enden zu suchen, ob sie ein Mittel fänden dies Unheil von uns abzuwenden. Allein da wurde nichts daraus; 10

sie kamen alle mit leeren Händen und großen Rechnungen wieder nach Haus. Zulezt erfuhr er, auf einem Berge, nah bey der Wüste am Bache Krit, da wohn ein alter Eremit, ein Mann dem Geister, Elfen und Zwerge gehorsam wären allzumal; der kenne genau der Sterne Zahl und alle Kraft in Kräutern und Bäumen, er mache Wetter, Regen und Wind,

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lasse bey Nacht die Sonne scheinen wenn’s ihm beliebe; sey taub und blind vor hohem Alter, und hör und sehe doch Alles was auf der Welt geschehe. Da sandte mein Vater Boten geschwind zum Eremiten dem Geister, Elfen und Zwerge gehorchten am Bache Krit. Die kamen, und brachten die Antwort mit: „Dem Fräulein wäre nicht zu helfen, sie müßte dann sich keinem Mann

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von Stund an unverschleyert weisen, und immer von Ost gen Westen reisen, so lange, bis sie den Bidermann fände, dem sie je länger je lieber

L i e b e u m L i e b e ¼3.½ B u c h

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würde, wiewohl er sie unverhüllt nie, weder leibhaft noch im Bild, gesehen hätte.“ — Mein Vater (der über kein Ding in seinem Leben sich je besonnen) befahl, flugs ohne Säumen des Fräuleins Leib-Cameel zu zäumen, warf selbst den Schleyer über sie und schickte sie mit seinem Seegen dem unwahrscheinlichen Mann entgegen.

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Drey Jahre reis’ ich nun westwärts fort, und zeige mich und meinen Schleyer in jedem lustigen Meeresport, bey Ritterspielen, bey jeder Feyer, an Fürstenhöfen, und da und dort: Alles vergebens! Man sieht sein Wunder an meiner Figur, hätts gern entdeckt was hinter dieser Vermummung steckt, und das ist alles!“ — Ists möglich? rief

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Herr G a n d a l i n , und erseufzte tief. Nun müßt ihr wissen, ein schöner, runder blühweißer Arm, den immer bisher der lange Ärmel dem Aug entzogen, enthüllte sich hier von ungefehr indem das Fräulein einen Bogen mit beyden Armen beym Ausruf zog. Herr G a n d a l i n (wie bey ihm die Empfindung sehr leicht die Klugheit überflog) rief aus: Ists möglich? — Nun hatte die Ründung und blendende Weiße, die eben izt so unverhoft ins Aug ihm blizt,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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vermuthlich an dieser Ideenverbindung mehr Antheil, als er im Allarm des Herzens und der Sinnen dachte. Allein die Dame — die ihren Arm so schnell als wie sie ihn sichtbar machte in seine vorige Lage brachte, und beydes ohn’ es zu wissen — dachte ihm mach’ Ihr d a s i s t a l l e s ! so warm: und also schien ihr Sein i s t s m ö g l i c h ? 10

in tragischem Tone so herzbeweglich geseufzt, ein wenig lächerlich. „So finden Sie das so seltsam? Mich, mich nimmt die Möglichkeit nicht Wunder, erwiedert Sie. Die Neugier schlägt den Funken vielleicht: allein der Zunder der ihn ernährt und hegt und pflegt (was auch ihr Männer sagen mögt) bleibt ewig Schönheit, Blume der Jugend —“ U n d S e e l e n s c h ö n h e i t , G e i s t u n d Tu g e n d

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k ä m’ a l l e s n i c h t i n A n s c h l a g ? spricht der Ritter mit Eifer — „Wenigstens nicht (versezt Sie) gegen ein Maskengesicht das, weil es so ernstlich sich verstecket, natürlicherweise Verdacht erwecket. Gesichter, die, sorglos, wie sie sind sich zeigen, auch wenn sie häßlich sind, sieht man zuweilen, so hinter der Seelen geduckt, ganz sachte ins Herz sich stehlen;

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das ihnen um so leichter geräth, weil ihr sie ohne Anspruch seht. Just, weil man ihnen nichts dergleichen zutraute, nie auf seiner Hut

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mit ihnen ist, sind sie so gut euch unversehens zu überschleichen. Man weiß wie viel Gewohnheit thut. Das Auge versöhnt sich mit den Mängeln die es so unverhohlen sieht: erst seht ihr nur ihr schön Gemüth, zulezt ist Alles behängt mit Engeln. Just umgekehrt in meinem Fall, wenn eine immer und überall in Hüllen und Häuten wie eine Zwiebel

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gewickelt erscheint. Wer dächte nicht übel von einer Schönheit, die das Licht, das Element der Schönheit, fliehet? das Herz glaubt was das Auge siehet. und wagt sich so leicht im Dunkeln nicht; und soll es ja verliehren müssen, so will es genau die Summe wissen.“ Und doch (fällt G a n d a l i n ihr ein) möchte, wenn ich nicht irrig wöhne, in euerm Falle die Ausnahm seyn.

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Es ist so etwas in wahrer Schöne, ein geistiger alldurchdringender Schein, den keine Schleyer verbergen können. Man kann es besser fühlen als nennen; es stellt sich, wie unmittelbar, den innern Schönheitssinnen dar; man fühlt es, wie man — im Seelengrunde die unsichtbare Gottheit fühlt. Von alledem hab ich keine Kunde, versetzt d i e D a m e ; zuweilen spielt

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die Phantasie uns heimliche Tücke wo mans am wenigsten sich versieht.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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Der R i t t e r mit gesenktem Blicke erseufzt und schweigt. Ob Sie errieth was dieser Seufzer sagen sollte, ist nicht bekannt. Mag seyn, sie w o l l t e nichts wissen. Sie ließ es an seinen Ort gestellt, und fuhr, nach einer kleinen Pause, gelassen also fort: Es wird Euch etwas seltsam scheinen, 10

Herr Ritter, daß ich nicht anfangs gleich so klug gewesen als izt. Was kann ich sagen? — Wir fehlen alle mannichfaltig! — War freylich kein weiser Streich drey Jahre vermummt herumzuschlendern den Mann im Mond zu suchen! — Genug, es ist geschehn und nicht zu ändern. Der Eremit, so alt und klug er war, mein Vater, seine Räthe, sein Seneschall, alles war dabey,

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besorgten nur, ich möchte zu späte kommen, und — kurz, es ist vorbey; und übermorgen, so wie es taget reis’ ich mit Gott und meinem Glück geraden Zuges nach Hause zurück. Und nun, Herr G a n d a l i n , rathschlaget mit euerm Herzen: wofern Euch hier nichts Liebes fesselt, wolltet Ihr mir auf meiner Reise zum Schirmer dienen? Kein andrer Ritter in diesem Revier

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hat des Vertrauens mir werth geschienen. Mit diesen Worten erhebt sie sich und steht auf einmal so königlich und groß und hehr vor G a n d a l i n e n

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wie eine Göttin. Der edle Knecht gleich nieder auf beyde Kniee, wie Recht, und schwört Ihr, bey allem was ihr Schleyer anbetenswürdiges deckt, ihm sey sein liebes Leben nicht halb so theuer als solches Dienstes in aller Treu bey ihr zu pflegen. Doch unverhohlen müß’ er Ihr lassen, ihm sey befohlen unfehlbar an einem gewissen Ort in Sechzig Tagen zurückzukehren;

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ihn binde dazu sein Ehrenwort. Doch sollte nichts in der Welt ihm wehren Sie zu begleiten, so lang und weit als ihm die vorgeschriebne Zeit erlaube. Auch schwur er beym heilgen Grabe, Sie nicht zu verlassen, bis und dann er einen bidern Rittersmann statt seiner für Sie gefunden habe. Die Dame willigte sonder Zwang in sein Beding. Und nun begannen die Lerchen ihren Frühgesang, und sangen den guten Ritter von dannen. Sie reicht mit hoher Majestät die Hand ihm dar indem er geht. Er nahm sie, küßte sie ehrfurchtsvoll, ein süßer Schauer fuhr ihm über den Rücken dabey, sein Busen schwoll, und seufzend verließ er J e l ä n g e r j e l i e b e r . W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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Liebe um Liebe. Viertes Buch. Es war just um die Dämmerungs-Zeit, kurz eh den Weg der Sonnen-Pferde der junge Morgen mit Rosen bestreut, als unser Ritter, allein und still, wie einer der nicht bemerkt seyn will, durch Seitenwege nach Hause kehrte. Der Fluß, das Thal um ihn herum, 10

die Hügel, Alles um und um liegt noch in ungewissem Schatten; verworren Erdreich, Wasser und Luft, und tausend Formen auf Angern und Matten schwimmend, die sich im grauen Duft in wunderbare Gestalten gatten. Der Ritter hatte deß wenig Acht, so gut es zu seinem Zustand paßte. Das Abentheuer dieser Nacht (wovon er immer je minder faßte

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je mehr er sann) stund wie’n Gesicht vor seiner Stirn, und blieb da stehen; er mochte sich wie er wollte drehen, die Augen schließen oder nicht, immer mußt’ er es vor sich sehen. Allein als izt das siegende Licht, aus Osten herab ein Meer von Klarheit schüttend, auf einmal die ganze Natur entzaubert, wieder das Reich der Wahrheit herstellt, und Hügeln, Thal und Flur,

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1—27

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Flüßen und angestralten Haynen in ihrer wahren Gestalt zu erscheinen gebeut: da wurde dem Ritter, als ob ein Traum vor seinen Augen zerplazte. „Wars nur ein Nachtgeist, der ihn fazte, aus Mohnduft alle die Täuschungen wob und ihm für Wahrheit unterschob? Was soll er glauben? — So unwahrscheinlich, so traumhaft Alles von Anbeginn! Und gleichwohl! seinem eigenen Sinn

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nicht trauen dürfen ist gar zu peinlich!“ Drum fängt er wieder von vornen an, mahlt Alles vom ersten Augenblicke sich wieder vor von Stück zu Stücke: Die Jungfrau, die ihn seiner Bahn entführte, das Gothenschloß, die enge Wendeltreppe, die langen Gänge, das Zimmer das sich ihm aufgethan und wieder sich hinter ihm zugeschloßen, die Decke von der sich Blumen ergoßen

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aus goldnen Körben, die keusche S u s a n n mit ihrem Busen, das Ruhebette, und wie es von zwoer Kerzen Schein beleuchtet gewesen, — nichts so klein worauf er sich nicht besonnen hätte; und wie, so wie er ins Zimmer hineingetreten, beym Anblick der Unsichtbaren ein Schauer ihm übern Rücken gefahren, und wie ihm’s bey ihren ersten Worten auf einmal wieder so heimlich und warm und lieblich bang ums Herz geworden, und Alles das; — (den schönen Arm nicht zu vergessen, an dessen Ründung und Lilienglanz er ohne Entzündung

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte August 1776)

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nicht denken konnte). Kurz, was er sah und nicht sah, was er gehört und gesprochen, stund Alles vor seiner Stirne da, so rein als wär’s in Kupfer gestochen. Das träumt sich nicht, so viel ist klar! Allein, ob’s sonst so richtig war? Er hatte doch, seines Wissens, an Feen sich nie vergangen? — Wir werden sehen, denkt er; immer ists wunderbar! 10

Er war nun mittlerweile wieder nach Hause gekommen, und hatte sich kaum, um etwas Ruhe zu pflegen, niedergelegt, als S o n n e m o n im Traum ihm dar sich stellt, mit strafenden Blicken ihm seine Untreu vorzurücken. Sie ists! Wie wonneschön ! So ganz wie Sie nur ist! In allem Glanz der reinsten Jugend, in aller Fülle von Lieblichkeit! Und über ihr

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der blauste Himmel, und unter ihr das frischeste Grün; und alles so stille, wie in Entzückung, um sie her, als ob es in sie verschlungen wär. Der Traumgott, um ihn baß zu quälen, zeigte sie ihm im Morgenkleid, wo tausend Kleinigkeiten fehlen, die, nach der strengern Sittsamkeit, gerade das Reitzendste verheelen. In freyen Locken spielt ihr Haar

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um einen schwanenweißen Nacken; die Brust beschattet ein Zwillingspaar vollblühender Rosen — von ihren Backen an Röthe beschämt. So nymphenhaft

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schwebt sie in ihrem Röckchen von Taft im Grase daher, als schwämme sie oben, oder würde vom sanften Hauch der Amoretten emporgehoben. O Reim! den werd ich nimmer loben der dich erfand! Zum Henker auch! da muß nun hinter einem S t r a u c h bloß dir zu gefallen mein Träumer stehen, um seine Prinzeßin kommen zu sehen! Und wenn er (wie’s doch möglich war)

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auch würklich hinter einer Lauben verborgen stund, wer wird mir’ s glauben? „Der Reim, spricht jeder, hat offenbar den Strauch gepflanzt; und wenn es Ranken von Reben oder Geißblat sind, so haben wir’s wieder dem Reim zu danken.“ Seys! wollen uns nicht darüber zanken. Genug, wie oft der Zufall, so blind er seyn soll, die beste Auster findt, so hat auch diesmal, wider Hoffen,

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der Reim sich mit der Wahrheit getroffen. Herr G a n d a l i n , in seinem Traum, stand würklich hinter wilden Ranken, als über den ebnen grünen Raum in stillen jungfräulichen Gedanken sein holdes Mädchen vorübergieng. Vor Freuden wär’ er fast eingesunken, wie er sie sah; stand wonnetrunken im Boden eingewurzelt, hieng ganz Aug’ an jedem ihrer Reize, schlürfte sie ein mit wollüstigem Geize. Je näher, in ihrer einsamen Ruh ihn nicht gewahrend, sie kam, je enger ward ihm sein Busen; bis er nicht länger

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sich halten kann, und auf sie zu mit ofnen Armen stürzt. Das Rauschen der Blätter weckt sie, sie zittert auf, wie Rehe mitten im sorglosen Lauf auf einmal stutzen und witternd lauschen: und als sie Gandalinen erblickt, wird einer von den schrecklichsten Blitzen, die Amor jemals abgedrückt, aus ihren Augen auf ihn gezückt. 10

Er fühlt ihn bis in den Fingerspitzen; will Vieles sagen, doch jeder Ton bleibt stecken im Hals; sie will entfliehen; er hält sie bittend bey den Knieen, und — weg ist Traum und Sonnemon! Träume (das Sprüchwort sagts) sind Schäume. Freydenkerey! — Von Alters her fühlte man’s anders. Im Vater Homer und weiter hinauf sind immer Träume der Götter Werk, nicht Gaukelspiel

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der Phantasie. So war’s am Nil, so war’s am Ganges; ist so gewesen bey allen die nie im H u m e gelesen; mit einem Wort, ist Menschengefühl. Kein Wunder also, daß unserm Ritter, der noch den Kopf voll Urgroßmütter hatte, die Deutung des Traumgesichts zu schaffen machte. „Er hatte doch nichts sich vorzuwerfen! Zärtlicher, treuer, gewissenhafter (dies Zeugnis giebt

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sein Herz ihm) hatte noch keiner geliebt. Anlangend die Dame im Doppel-Schleyer, die hatt’ er gesehn als säh er sie nicht; ihr eine Gabe zu versagen, verbot bekanntlich die Ritterpflicht;

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und wenn er nun in sechzig Tagen vor S o n n e m o n sich wieder stellt, und bringt von seiner Reis’ um die Welt sein Herz ihr unversehrt zurücke; verdient er mit diesem zürnenden Blicke empfangen zu werden? — Doch wie, wenn mich mein Schutzgeist warnte? (fuhr er mit sich zu reden fort) In sechzig Tagen kann viel begegnen; und offenbar vermehrt der Schleyer nur die Gefahr,

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wenn eine ist. Im lezten Jahr, noch in den lezten sechzig Tagen, am Rande des Ziels, noch Alles zu wagen! Verlöhr’ ich? — Aber dies denken nur ist Frevel! Was hat der Mann zu wagen, der S o n n e m o n davonzutragen gewiß ist? — Und bindt mich nicht mein Schwur, und was noch heiligers, Lieb und Ehre, keiner Gefahr, so groß sie wäre, nicht auszuweichen? — o S o n n e m o n ,

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ich sollt’ auf deinen Lippen den Lohn der Treu als Sieger mich erkühnen zu nehmen, und ihn nicht verdienen? Würde dein erster Liebesblick sich nicht in tödtenden Blitz verkehren? mich nicht in deinen Armen verzehren? Nein! nimmer siehst du mich wiederkehren als deiner würdig! — Doch, zurück mit solchen Gedanken! Wer wird sich über Gefahren ängsten, wo keine sind? Wir reisen ohnehin geschwind, und sieben Wochen sind bald vorüber.“ Indem er so mit sich selber spricht, erscheint mit fröhlichem Angesicht

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die I r i s der Dame J e l ä n g e r j e l i e b e r , zu fragen wie er geruht, und ihn auf diesen Abend zu ihrer Frauen zu bitten. „Sie wissen, Herr G a n d a l i n , den Weg nun selbst; und, im Vertrauen, die Reise wird sich wohl noch verziehn. Dem Fräulein bekam das Teˆte a ` Teˆte nicht gar zu wohl. Auch, nehmen Sie mir nicht übel, bis zur Morgenröthe, das geht ein wenig über Gebühr!“

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Wie? Sollte Sie sich nicht wohl befinden? (fragt G a n d a l i n ) — „Ein wenig blaß, und Kopfweh — was bedeutet das? wird bis zum Abend schon verschwinden!“ Nun, weil wir hier allein sind (spricht d e r R i t t e r ) sage mir, unterm Siegel der Freundschaft — ist denn ihr Gesicht so gar gefährlich, wie man spricht? Ich zweifle an ihrer Schönheit nicht; doch, unter uns, es giebt so S p i e g e l ,

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die manchmal — du verstehst mich schon! „Wie? (ruft d a s M ä d c h e n ) nach einer so langen Beichte noch Fragen aus diesem Ton? die Zweifel wären Ihnen vergangen dächt ich?“ — Wie so? (spricht G a n d a l i n ) du kannst mir sicher glauben, ich bin nach allem was ich von ihr gesehen um nichts gelehrter als vorhin. Ich habe Schleyer und Röcke gesehen, sonst nichts — (hier wurd’ er feuerroth

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so zärtlich war er von Gewissen!)

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„Um soviel besser! Danken sie Gott M e h r hätten Sie theuer bezahlen müssen; Sie können mirs glauben, ungestraft Hat sie kein Mann noch angegaft; Schwör Ihnen bey meiner Jungferschaft, Es ist noch keinem wohl bekommen, Der sie in Augenschein genommen!“ Wenn’s so ist, sollte michs fast gereun zum Schirmer mich ihr erboten zu haben, versetzt mein Held. Stets um sie zu seyn,

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und eine Dame von solchen Gaben nie anders als in Decken begraben sehen, wird doch zuletzt zur Pein. Die Augen wollen doch auch was haben! „In ihrem Anschaun glücklich zu seyn, ist E i n e m Einzigen aufgehaben, Herr Ritter. Das Vorrecht ist nicht klein! Es lohnt sich der Müh, der Eine zu seyn! Wer weiß — vielleicht — die Zeit wirds lehren, (Hier macht die Iris einen Knicks)

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Doch, ich verspäte mich — Viel Glücks! Bin Ihre Dienerin in Ehren!“ Der übrige Theil des Tages verstrich sich auf den Abend anzuschicken; und mit den lezten Sonneblicken wallte mein Ritter, endelich, wohin ihn Pflicht und — Neugier führten. Denn diese, so sehr er seiner Begierden sonst Herr war, plagt ihn doch fürbaß. Zwar, daß die Dame sogar ein Drache von Schönheit wäre, nahm er für Spas; doch, etwas mußte doch an der Sache

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seyn, und just, zu wissen w a s , das war’s! — Auch warf ihm Satanas ganz leise den Einfall in die Queere, es diene schlechterdings zur Ehre der unvergleichlichen S o n n e m o n , gewiß zu wissen, welche von ihnen beyden die Schönste wäre. Bey ihm war’s keine Frage zwar; allein die Welt! — ’S ist immer besser 10

wenn solche Puncte ganz und gar im Klaren sind! — Ein wenig größer als S o n n e m o n , mochte d i e F r e m d e seyn, das gab unläugbar der Augenschein; es mochte wohl fast die Hand betragen; und für das was man Majestät, Dianenschaft, Junoität nennt, hat d a s schon was zu sagen. Doch bleibt der andern, wär auch dies, der Preis der G r a z i e gewiß!

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Und alle die tausend Charitinnen, die einem so unvermerkt das Herz, wie im Vorbeygehn abgewinnen, der schimmernde Witz, der kitzelnde Scherz, die Laune, womit sie an Einem Tage in tausend Gestalten dar sich stellt, stets überrascht und immer gefällt, stets Liebe giebt in jeder Lage, in jedem Licht — in allem dem, da ist doch keine Frage, wem

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der Preiß gebühre? — „Ich bin der J u n o n e n gehorsamer Knecht! Respect so viel Sie wollen; ich find’ es nie zuviel: Allein — e s l e b e n d i e S o n n e m o n e n ! “

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Liebe um Liebe. Fünftes Buch. In solchen Gedanken erreichte mein Held das Schloßthor ohn’ es zu gewahren. Das haben Verliebte von zwanzig Jahren voraus! Sie könnten die weite Welt umgehn, umtrotten und umfahren: an guter Gesellschaft leiden sie, (zumal in Wüsten) niemals Mangel; sie kämen, mit ihrer Phantasie allein, von Goa nach Archangel und Lissabon, und wüßten nicht wie.

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Die I r i s that hier wieder das Beste. Das Thor gieng auf. Mein Paladin, geputzt als wie zu einem Feste, geht ein, durchwandert wie letzthin viel Gäng’ und Säle, und findet — (ich wette, ohne den Reim da, hättet Ihrs nie errathen) — das Fräulein — schon im Bette. Im Bette! daß heißt die Galanterie denkt Ihr, ein wenig weit getrieben. Dem Ritter selbst beym ersten Blick wollte der Umstand nicht gelieben. Er zückte einen Schritt zurück, wiewohl der Vorhang auf allen Seiten gezogen war. — „Wie soll er das deuten? Was kann sie meynen?“ — Kurz, ihm war nicht heimlich dabey. — Doch hätt’ er den Staar an beyden Augen haben mögen,

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er hätte nicht minder als izt gesehn, so richtig schloß der Vorhang, so schön war alles in Ordnung. — Ungesehn und ohne sich, wie es schien, zu regen, entschuldigte sich die Dame, wegen der Freyheit so sie sich genommen sich etwas früh zu Bette zu legen, mit ihrer Migräne; hieß ihn willkommen, bat, neben dem Bette ungescheut in eine B e r s c h e r e sich zu pflanzen,

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läßt drauf, trotz ihrer Unpäßlichkeit, gar weidlich ihre Zunge tanzen; Erzählt mit Laune, satyrisirt, mahlt Portraits, die M a r i v a u x nicht feiner schattierte und macht, wie sich’s gebührt, damit die Erzählung intreßiret, das kleine größer, das große kleiner. Das gieng wie ein Wetter! Blitz auf Blitz, Einfall auf Einfall! — Empfindung und Witz, In ewigem Wechsel! und solch ein Leben

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in ihrem Ausdruck! Die Farben so warm! Die Schatten so sanft, man sah sie schweben! Alles so leicht, so ohne Bestreben zu schimmern, und doch so fein gegeben! und selbst ihr Spott so ohne Harm! Herr G a n d a l i n , mit verschränktem Arm, und Augen, die seinen Ohren hören helfen möchten (was war auch sunst zu thun?) sizt, wie — in Nektardunst ein Gott beym Lustgesang der Sphären;

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wünscht nur es möchte so ewig währen. Und gleichwohl, Freunde, wollt ich schwören, es daurte keine Stunde lang, //

so war ihm — vor lauter Wohlseyn bang.

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Wie sollt’s auch anders? Natur bleibt immer Natur! — Ein junges Frauenzimmer i m B e t t e — Da denkt sich die Phantasey gleich allerley Nebensachen dabey; und Er, so nah in seiner B e r s c h e r e ! Dem Zug der magischen Atmosphäre so ausgesezt! — Wir wissen zwar wie gut der Vorhang gezogen war: Doch, wär’ er auch mit Glufen verriegelt, mit Distelköpfen garniert, ja gar

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mit Salomons großem Sigel versigelt: Dies beßert die Sache nicht um ein Haar. In solcher Verfaßung ist eine Schöne, wäre sie gleich bis an die Zähne wie eine Mumie einballiert, dem innern Auge nicht mehr drappiert als Ve n u s A n a d y o m e n e ; und also — nicht allzugut verwahrt! Wenn dann noch, wie bey G a n d a l i n e n , die Neugier mit dem Instinkt sich paart;

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die Dame hinter den Gardinen, ein Wesen gar von höherer Art, ein Wunder der Welt, die zehnte Muse, die vierte Charis, die zweyte Meduse, kurz etwas ist, woran die Natur sich ungewöhnliche Müh gegeben, und ihren Schleyer aufzuheben von allen Sterblichen Einem nur vergönnt ist; und dem Manne neben dem Bette flüstert Satan ein: „er könnte vielleicht der Einzige seyn“ — Gesteht, bey so bewandten Sachen hätt es Euch selbst, so klug Ihr seyd, begegnen können, aus Menschlichkeit wohl einen dummen Streich zu machen!

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Dem Ritter wurde zum schwitzen warm. Er streckt bald dieses Bein, bald jenes, stemmt sich auf diesen und jenen Arm, und hört von allem was Sie ihm Schönes und Witziges sagt, wie zwischen Traum und Wachen, wohl die Hälfte kaum; hat immer auf Einfäll’ oder Fragen nichts — oder was ungeschicktes zu sagen, scheint viel zu denken, an seinem Daum nagend, und immer sich selbst zu fragen:

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Was dacht ich da? — Man will gar sagen, er hätte des Vorhangs äußersten Saum, zun Häupten, mit Zeigefinger und Daum ganz sachte ein wenig weggeschoben. Allein zu einer Beschuldigung von solcher Schwehre gehören Proben! Herr G a n d a l i n freylich war noch jung; und alles erwogen was wir oben in Rechnung gebracht — Genug, zum Glück erzählte im nehmlichen Augenblick,

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da die Gefahr sich zu vergessen aufs höchste stieg, die Dame just „wie ein Französchen sich einst vermessen wollen, und wie sie ihm die Lust dazu vertrieben“ — Nicht anders als zücke ein Blitz gerade an ihm vorbey, schnappten beym ersten Worte die drey schon ausgestreckten Finger zurücke. Und so ersparte ihm diesesmal der gütige Zufall eine Quaal —

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wovon die mächtig große Zahl der Leutchen, die s i c h nichts übel nehmen, nie was begreiffen konnten — die Quaal //

sich seiner vor — s i c h s e l b s t zu schämen!

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Was konnte der gute Ritter nun für seine Sicherheit klügers thun, als stracks wie F r ä u l e i n im Erzählen pausierte, nach der Uhr zu sehn, sich ihr zu Gnaden zu empfehlen, und sachte seiner Wege zu gehn? Nun ließ ers zwar daran nicht fehlen; Er gieng. Allein ich weis nicht was gieng mit, so bald er den Rücken wandte, das ihn wie Feuer im Busen brannte.

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Es war nicht L i e b e — es war nicht H a ß — Denn, wenn er sie liebte, warum denn nannte er i h r e n N a h m e n sich selber nie? Die U n s i c h t b a r e , die U n b e k a n n t e , das Fräulein w i e h e i ß t s i e s c h o n ? — und nie J e l ä n g e r j e l i e b e r ! — Haßt er sie: woher die tödliche Langeweile, wo Sie nicht ist? — und ewig: „ w a s m a g d i e G l o c k e s e y n ? “ den ganzen Tag, und immer geklagt: die Sonne theile

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so ungleich mit der Nacht! Und dann, so bald sie untergeht, die Eile, die Ungeduld! — und die Gesichter, wann der König ihn ungefehr bey Hofe zurückhält, oder die Kammerzofe des Fräuleins (wie sichs dann und wann begab) die leidige Nachricht brachte, sie sey aufs Land, sie übernachte bey einer Freundin, oder so was das seine Hofnung zu Wasser machte. Ich weiß nicht — aber alles das macht seinen Zustand schier verdächtig. Doch muß man sagen (so wenig der Schein ihm schmeichelt) er blieb doch seiner mächtig;

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blieb immer standhaft bey seinem N e i n , wenn Fragen an sein Gewissen pochten, die ihm verfänglich scheinen mochten. Die Schwüre, die er von Zeit zu Zeit in dieser versuchungsvollen Lage der holden S o n n e m o n erneut, gewannen nun mit jedem Tage um so viel mehr Verdienstlichkeit, weil eine kleine Begebenheit die vorbesagte Lage ziemlich

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verschlimmert hatte. Die Sache ist zwar der Klugheit des Ritters nicht allzurühmlich; allein, was thut das? Wahr ist wahr! Gewohnheit, Vorsatz, oder beyde hatten die oberwähnte Begier nach unerlaubter Augenweyde, (wovon er mehr als einmal schier das Opfer geworden) unmerklicher Weise eingeschläfert; doch freylich so leise, daß auch der leichteste Mückenstich

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sie weckte. Nun hatte des Fräuleins Z o f e die Art von vielen Mädchen bey Hofe, die gern in Alles, sonderlich in Herzenssachen, ihr Schnäuzchen stecken, und, wär’s auch nur für Andre, sich mit Amorn gar zu gerne necken. Besonders nahm sie die schönen Knaben gelegenheitlich in ihren Schutz, die über Kaltsinn oder Trutz ihrer Göttinnen zu klagen haben.

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Sie hörte sie voller Mitleid an, that was sie konnte, die armen Herzen zu trösten in ihren Liebesschmerzen, //

und hätt oft gerne noch mehr gethan.

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Mit solcher Neigung zu Liebeswerken fiel es ihr eben nicht schwer zu merken, daß unsern Ritter der ewige Zwang, das Fräulein nur hinter Wolken zu sehen, zu manchem stillen Seufzer drang. Das ließ sie sich so zu Herzen gehen, daß sie zu etwas sich entschloß, das unter allen Zofen auf Erden nicht z w o o — der d r i t t e n verzeyhen werden. Urtheilet selbst! — Des Fräuleins Schloß

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stieß hinten an einen großen Garten, und durch den Garten ein Bächlein floß, mit blühenden Büschen von allen Arten umgeben, Hollunder, wildem Schasmin, Rosen, Acacia, und so weiter — Auf glatten Kieseln, still und heiter rieselt’ es zwischen den Büschen hin, sich schlängelnd, blinkte wie ein Spiegel bald da bald dort durch wankendes Rohr und dünngewebte Zweige; verlohr

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allmählich sich hinter einem Hügel voll Bäume; kam seitwärts wieder hervor; machte bald kleine Wasserfälle, bald unter Felsen und wildem Gesträuch zum Baden eine sichre Stelle, so heimlich, und still und dunkel, daß euch so wie ihr den Ort betratet gleich die Lust zu baden ergriff. — — „Herr Ritter, (sagte die Zofe) Sie dauren mich! Mein Fräulein macht ihnen das Leben bitter. Sie ist auch gar zu wunderlich! — Auf ihre Gefahr! — Zum wenigsten, ich,

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ich habe kein Herz, den armen Nächsten so leiden zu sehn! Ich diene gern, und denke, schöne junge Herrn sind drum nicht weniger unsre Nächsten als andre Leute — kurz und gut, sie sind doch unser Fleisch und Blut! Und, Gott verzeih mirs! die armen Seelen so heidnisch zu plagen und zu quälen, ist wahrlich Sünde. Ich legte dafür 10

die Hand ins Feuer! — Wohlan, Herr Ritter, ich schaffe Rath. Was geben Sie mir, wofern ich ihre Neubegier — so viel als hinter einem Gitter von Laub und Buschwerk möglich ist — noch diesen nehmlichen Abend stille?“ Der gute Ritter in der Fülle der trunknen Freude, herzt und küßt das Mädchen, leert alle seine Säcke in ihre Schürze! — Kurz, noch heut

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verspricht die Zofe ihm o h n e D e c k e ihr Fräulein zu zeigen. Ort und Zeit, Mittel und Weg, Gelegenheit des Bades, und Alles lang und breit wird ihm aufs klärste vorgespiegelt; anbey, zu mehrerer Zierlichkeit, der Handel mit einem Kuß versigelt. „O Ritter, Ritter G a n d a l i n ! Wo kommts mit eurer Treu noch hin? Wer hätte sich deß zu euch versehen?“ —

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Es ist, ich muß es selbst gestehen, abscheulich! — „So gehts! — Wie oft ists euch seit Adam und Eva bewiesen worden! — So gehts, wenn Menschen — die doch zum Orden

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vernünftiger Wesen gehören — sich gleich bey jeder Versuchung von ihren Begierden hinreißen laßen! Moralisierten die Leute, nur sieben Minuten lang, m i t k a l t e m B l u t erst über die Sachen, sie würden solche Streiche nicht machen! Allein da läßt man sich vom Hang der sinnlichen Lüste“ — H e r r S i t t e n l e h r e r , so dankt dem Himmel doch dafür daß es s o ist! Was wolltet denn Ihr

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beginnen, ihr andern Weltbekehrer, wenn’s anders würde? — Ich wette, dann wär’s wieder nicht Recht! An A b e r und Wa n n wird’s Euersgleichen nimmer fehlen. Izt da wir nicht klüger sind — (piano) als Ihr, ist ewiger Hader: würden wir Weiser — (wiewohl die Natur dafür gesorgt hat!) — so gieng’ es an ein Schmälen auf unsre Weisheit. — Ich sag es auch, es ist ein garstiger böser Brauch

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daß sich die Leute so leicht vergaffen, so sorglos in jede Grube hineinstolpern, und wie die wahren Laffen erst räsonnieren hinter drein! Die ersten Menschen die w i r erschaffen sollen ganz andre Menschen seyn! Inzwischen sparen wir unsre Lunge! Was hilft das alberne Hadern und Schreyn? Wir schreyen am Ende doch nichts hinein und nichts heraus! —

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Der gute Junge (um wieder nach diesem Seitensprunge auf ihn zu kommen) hatte kaum nach Zofens Abschied ein wenig Raum

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sich zu besinnen , flugs erwachte d i e b e s s e r e S e e l e aus ihrem Schlaf, und sah was ihre Rivalin machte. Anfangs guckte sie wie ein Schaf, bestürzt und mächtiglich verlegen. Der Streich war gleichwohl gar zu verwegen! Doch stritt sie, nach ihrer guten Art, erst nur gelassen mit Gründen dagegen. Allein, da jene, nach i h r e r Art, 10

statt Gründe bey Gränen abzuwägen, nur platt auf ihrem Sinn beharrt, so kam’s von Worten zuletzt zu Schlägen. Die Heldin kämpfte ritterlich, auf Leben und Tod, auf Hieb und Stich; nur für den Erfolg kan niemand stehen, zumal in diesem Seelen-Krieg! Die b l o n d e S e e l e verdiente Tropheen: Allein — was Ihr vorhergesehen geschah — die B r a u n e behielt den Sieg.

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Die Fortsetzung nächstens.

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Liebe um Liebe. Sechstes Buch. Sie nahte nun, die furchtbare Stunde, da G a n d a l i n eine größere Fahr, als alle Ritter der Tafelrunde je untergangen, bestehen war. Ein säuselnd Abendlüftchen kühlte die lechzende Au; und durchs Gebüsch und um die schlanken Pappeln spielte die sinkende Sonne zauberisch.

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Die Schatten wuchsen, wurden immer nächtlicher um das stille Bad; nur einzeln funkeln am Gestad vergüldete Rosen im warmen Schimmer des Abendstrahls. — In sich hineingeschmiegt, umlauschend, und über und über jungfräulich erröthend, wiewohl allein, sitzt schon auf weichbemoostem Stein die neue Diana J e l ä n g e r j e l i e b e r , die Füße, weißer als Elfenbein

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im Wasser. Und nun — O flieh, wenn fliehen noch möglich ist! Wo schaust du hin, verirrter, armer Gandalin? — Zu spät! Da blinzt er, auf den Knieen, in Rosen, wo sie am dicksten blühen, versteckt, so unbeweglich hin, als hatt er Medusens Haupt gesehen und müßte nun ewig zum Denkmal stehen.

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Das Schauspiel freylich war gar zu schön! So schön, daß von benachbarten Zweigen mitten in ihrem Lustgetön die kleinen Vögelein plötzlich schweigen, bis auf die dünnsten Äste steigen, und mit gestrecktem Hälschen sich es anzuschauen herunterbeugen. Die grüne Nacht, so schauerlich, die Luft, wie Athem der Liebe, die Sonne in Gold zerfließend, — alles mehrt erhebt, vollendet des Anblicks Wonne, und macht ihn eines Gottes wehrt. Dergleichen Scenen auszuhalten ist einem Jeden nicht beschehrt. Ich laß es gelten von alten, kalten Heilgen R o b e r t e n v o n A r b r i s s e l ! Die durften, den Satan baß zu plagen, sich wohl in größre Gefahren wagen. Allein ein armer Junggesell, wie unser Ritter, ist zu beklagen, der, durch sein eigen Fleisch und Blut und einer Zofe Schlangenzunge verführt, in unbesonnenem Muth mitten in eine solche Glut gefallen ist. Der arme Junge! Nun, da er nicht entfliehen kann, werden die Augen ihm aufgethan! „Und konnt er (denkt Ihr) gegen über so einem Schauspiel noch an fliehn gedenken? Er ist nun einmal über den Rubicon. Die That war kühn! Allein, jetzt ist je länger je lieber das Wort!“ — So denk ich selbst; gewiß fühlt’s auch der Ritter; und eben dies

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drang ihn zur Flucht. — Er war verlohren, hätt ihn nicht S o n n e m o n noch beym OhrenLäppchen gezupft. „ F l i e h , G a n d a l i n ! “ Hört’ er sie flüstern. Und eilig fliehn wollt’ er. Allein wie kann er weichen? Das kleinste Rauschen in den Sträuchen entdeckt ihn. — Gott! Eh stürze ihn ein Donnerkeil zu ihren Füßen! Eh hätt’ er mit eigner wüthender Hand sich beyde Augen ausgerissen!

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Gut, daß sich noch ein Mittel fand, das, wenigstens ohne Blutvergießen, ihn noch im Sinken oben hält. D a s w a r ? — das simpelste von der Welt; nichts, als die Augen zuzuschließen. „ D a s k o n n t e r t h u n ? “ — Er thats. — „ D a s k a n n nicht möglich seyn ! ’S ist nicht zu glauben !“ Genug, er thats. Und welcher Mann in seiner Lage das n i c h t kann, ist allenfalls ein Bidermann

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(ich will ihm seinen Ruhm nicht rauben) ein frommer, orthodoxer Mann, ein guter, unbescholtner Philister, und Alles was ihr wollt, — nur ist er kein Held. Und freylich ein Held zu seyn ist keine Sache zum Erzwingen. Es würde manchem nicht gelingen der es versuchen wollte. Allein ein Held bleibt Mensch. (Von Wundergaben ist nicht die Rede) Der unsre hier

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mochte wohl einmal oder zwier, nur durch den Daumen, geblinzelt haben. Doch drückt’ er die Augen, im nemlichen Nu, nach jedem male fester zu.

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Die Dame hatte nun ausgebadet, und, ihrer Jungfräulichkeit unbeschadet, dem guten Ritter viel Augenlust um einen theuren Preis gewähret. Denn ach! Der Unglückselige kehret mit brennendem Pfeil tief in der Brust zurück nach Hause. Immer und immer steht sie, im goldnen Abendschimmer, so lieblich erröthend, vor seinem Gesicht! Immer in diesem magischen Licht,

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das zwischen Rosen und grünen Büschen sich in die zärtlichsten Farben bricht. Vergebens strebt er, es auszuwischen, das unauslöschliche Zauberbild! Vergebens, in seiner Seele das Bild der schönen S o n n e m o n aufzufrischen. Dies sieht er schwinden mit jedem Tag, und seufzt, und ängstigt sich, und mag nicht helfen! Kann weder sich selbst belügen, noch über J e l ä n g e r j e l i e b e r siegen.

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Sie meiden, darf er nicht; Ihm fehlt ein Vorwand den er ihr gestehen könnte; und täglich sie zu sehen, und zu verbergen was ihn quält; mit keinem Wörtchen sich zu vergehen; verheelen des Feuers Ungestüm das ihn verzehrt, indem vor ihm sich täglich das Badgesicht erneuert, — das ist zuviel! — Denn, Drapperie und Mäntel und Schleyer, was können die

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nun helfen? Ein Augenblick hat Sie auf ewig und immer für ihn entschleyert. Die Damen in der Tapisserie //

stunden nicht nakter vor ihm als Sie.

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Und sollt ich erst die Quaalen beschreiben, die, wie die Furien den Orest, mit Schlangenpeitschen herum ihn treiben, wenn ihn das Liebesgötter-Nest in seinem Busen auf nächtlichem Lager nicht eine Minute ruhen läßt; und wie gesunken, wie blaß und hager er aussieht, wie ewige Reu ihn zwickt, und Gram, der auf den Lippen erstickt, aus hohlen Augen verräthrisch blickt:

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Gewiß, ihr könntet euch kaum erwehren, sein Leiden, wiewohl die bittre Frucht der Sünde! — mit einem Thränchen zu ehren. Denn, ach! wer wurde nie versucht? Oft wenn er das brennende Gewissen, die Qual, sich selbst verachten zu müssen, nicht länger mehr ertragen kann, fällt wüthend der Gedank ihn an, sein treulos Herz sich aus dem Leibe zu reißen, und dem geliebten Weibe,

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dem’s angehört, an seiner statt es zuzuschicken — um ihr zu zeigen wie Sie die Liebe gerochen hat. „O Sonnemon, dir nichts zu schweigen gelobt’ ich? — Sieh, dies Herz, das D i c h nur lieben sollte! — In wenig Wochen warst du gewonnen — o Götter! und ich, ich Schwacher — hatte zu viel versprochen! Dies Herz verrieth, verführte mich; allein, s o hab ich dich gerochen!“ Sein w e i ß e r D ä m o n zu gutem Glück war wachsam, hielt ihm die Hand zurück. Wozu dich selbst so quälen (flüstert

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der Engel ihm zu) du bist aus Thon gebildet wie jeder Erdensohn, bist mit den Thieren des Feldes verschwistert, und unterworfen dem Getäusch der Leidenschaften, wie alles Fleisch. Nur laß den Kampf dich nicht ermüden! Der Sieg ist zwar noch unentschieden; doch, w o l l e n u r , so ist er dein! Kurz (denn Euch kann nichts fremdes seyn 10

wie Engel in solchen Fällen sprechen) so wie der Ritter sein Verbrechen in einem mildern Lichte sieht, legt sich der Sturm in seinem Geblüt. Er fühlt sich noch nicht ganz verlassen, beginnet wieder Muth zu fassen; dem Muthe folgt Entschlossenheit, und nun wirds auch im Vorhaupt heller. „Was ist zu thun? Die furchtbare Zeit der Wiederkehr rückt täglich schneller

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ihm auf den Leib: er muß noch heut das Fräulein nöthen, Pariß zu verlassen; und dann den ersten Rittersmann zwingen, den er bezwingen kann, statt seiner mit Ihr sich zu befassen.“ Unstreitig war kein andrer Rath; zumal bey Hof und in der Stadt, und, wenig fehlte, auf allen Gassen von nichts als Gandalins Abenthür gesprochen würde. — Ich bitte, die Zofe

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nicht in Verdacht zu ziehn. Von ihr entwischte nichts. Allein bey Hofe waren auf unsern Helden zu viel Augen gespannt, um ihnen sein Spiel lange verheimlichen zu können;

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zumal Verschwendung in Fürsicht nie sein Fehler war. Es gieng ihm, wie dem Straus; er meynte, weil er sie nicht sah, sie könnten ihn auch nicht sehen: und dachte wenig, wie große Müh die rachedürstenden bösen Feen sich gaben, überall spat und früh Spionen auf jeden seiner Tritte ihm nachzuschicken. Nun denkt, wenn ihn die F a n f e r l ü s c h e n in die Mitte

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kriegten (ihr kennt ja Hofessitte?) wie’s da dem guten Paladin ergehen mochte! Zehntausend Bienen hätten ihn nicht so arg bedienen können: Alles war über ihn; so daß zulezt das Feld zu räumen das einzge Rettungsmittel schien. Noch einen Grund, sich nicht zu säumen, darf ich nicht schweigen, so gern ichs thät, um nicht der b e l e i d i g t e n M a j e s t ä t

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d e s s c h ö n e n G e s c h l e c h t s verdächtig zu werden. Zwar ist es gegen den Respekt, aus Ton der Stimme, Blicken, Gebehrden, auf das was Eine im Herzen versteckt zu schließen. Allein von einer Schönen nicht eher d a ß s i e l i e b e zu wöhnen, als b i s s i e e s v o r N o t a r i u s und Zeugen förmlich eingestanden, das machte, durch einen simpeln Schluß, alle Philosophie zu Schanden;

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und (unter uns) das schöne Geschlecht käm immer am schlimmsten dabey zurecht.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

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Es bleib euch also unverholen: daß auch in unsers Fräuleins Herz die Liebe sich endlich eingestolen; die Liebe, mit der sie immer nur Scherz getrieben hatte. Nun that sie Alles was ehrbare Mädchen solchen Falles pflegen, damit der Ritter ja nichts von der Sache merken sollte; und was dann immer geschieht, geschah 10

auch hier; ein Blinder nehmlich sah, Sie trug was, das sie verbergen wollte; und daß es die lautre Liebe sey errieth sich ohne Zauberey. Sagt, Einer habe Feuer im Busen heimlich getragen; ich stells’ dahin, wiewohl ichs zu glauben nicht schuldig bin. Allein daß einer Liebe im Busen heimlich getragen — sagt mir nichts davon! Da sieht man Angesichts

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daß es nicht wahr ist. Am allermindsten verbirgt sich das vor dem dem’s gilt. Ah, Mädchen, just mit deinen Künsten verräthst du was du verbergen willt! Es ist nicht ohne, daß kleine Meister der Liebeskunst sich oft und gern hierinn betrügen. Den jungen Herrn steigen sogleich die Lebensgeister, wenn etwan in ihrer Gegenwart ein Seufzer (oft nichts bey unsern Schönen

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als eine höfliche Art zu gähnen) ein Halstuch hebt. Doch dieser Art war unser Ritter nicht. Beweise von großer Stärke gehörten dazu, damit der Gedank in ihm nur leise

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entstehen konnt’, er sey der Ruh von einer schönen Dame gefährlich. Alle Beweise, die Ihr davon entwischten, und jedem andern es klärlich bewiesen hätten, — der kränkelnde Ton, der wellenwerfende Busen, das Feuer in ihren Augen, durch alle Schleyer unaufgehalten, und daß sie sich mitten in einem zärtlichen Blicke schnell von ihm wandte, und oft und dicke

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ihr ganz zur Unzeit ein Seufzer entschlich, der, wie zwey Tropfen Wassers, einem neuausgekrochnen Amor glich, und hundert solche Zeichen, die keinem Erfahrnen unverständlich sind, hätt’ er so wenig als ein Kind verstanden, wenn eigne Liebesschmerzen ihm nicht den Schlüssel zu ihrem Herzen gegeben hätten. Indessen bin ich doch nicht Bürge für seine Schlüße:

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Ihn könnte doch sein sechster Sinn betrogen haben. Allein darinn daß er durch fliehn sich retten müße in jedem Falle, betrog er sich gewiß nicht! Die Flucht ist sicherlich (das Unterliegen ausgenommen) der einzige Weg, aus einem Streit mit Amorn leidlich davonzukommen. Nunmehr verlohr er keine Zeit das Fräulein, von der Nothwendigkeit ihr Leib-Cameel flugs zu besteigen, durch viele Gründe zu überzeugen; oder, was einerley Würkung that, Sie wenigstens zum Gehorchen und Schweigen

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

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zu bringen. Auf seinen guten Rath reiste sie nur mit wenig Staat, den Laurern möglichst vorzubeugen. Vorsicht, wiewohl sie zuweilen sich verrechnet, ist immer löbelich. So zogen nun, in tiefer Stille, den Kopf vorhängend, Sie und Er im Morgenrothe gemach daher, gedruckt von ihrer Gedankenfülle. Sie waren noch nicht zwoo Stunden gereißt,

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als ihnen aus einem nahen Holze den Speer gefällt, mit großem Stolze ein b l a u e r R i t t e r entgegen sich spreißt. Er hatte hinter seinem Rücken ein altes Weiblein aufgepackt, eins von den seltsamsten Hausrathsstücken womit sich jemals ein Ritter geplackt: ein Weibchen von solchem Schrot und Korne, daß die berühmte M a r i t o r n e *) mit ihrem feuerfarben Haar

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und allen übrigen Zugehören den Magen ganz sanft euch umzukehren, an ihrer Seite — Venus war. Warum mit einer solchen Megäre der blaue Ritter seine Mähre beladen mögen, wundert Euch? Es war ein angelegter Streich, dem Gandalin eine Gegen-Ehre im Nahmen der Schönen von Pariß für seine Galanterie zu erweisen,

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daß er sie sämtlich sitzen ließ, //

mit einer — M a s k e davonzureisen. *)

im D o n Q u i s c h o t t e .

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Der Ritter, ein junger Damenknecht, der zwischen Nägel- und Lanzen-Gefecht den Unterschied, in den vierzehn Jahren seit er die ersten Hosen trug, vermuthlich noch nicht sehr erfahren, hatte sich Tapferkeit genug gefühlt, mit seinem ersten Speere, mit dem er lief, gewaltige Ehre einzulegen an Gandalin; und (wie er den Damen vorausverkündigt) das Bürschgen ein wenig überzuziehn das sich an ihren Reitzen versündigt. In solchem Vorsatz stellt er sich, so wohlgemuth als giengs zum Tanze, dem kommenden Ritter trotziglich in Weg, mit eingelegter Lanze, und schrie von ferne schon: „halt ein! hier ist der Weg gesperrt, Herr Reuter! und so ihr etwan Lust habt weiter zu reisen mit euern Jüngferlein, so nehmt den Helm ab und bekennet: daß diese Princeßin, für die ihr brennet und die mit euch die Welt durchstreicht, der Meinen da, hinten auf meinem Schimmel, an Schönheit nicht das Wasser reicht: Bekennt es laut, vor Erd und Himmel, und zieht dann meinetwegen wohin ihr wollt mit eurer Königin!“ Mein Ritter sieht mit kaltem Blicke ihn seitwärts an, und: Herr Pennal, tragt eure Dame nur ins Spital, woher ihr sie gehohlt, zurücke ; (spricht er) i c h h a b e k e i n e Z e i t mich aufzuhalten —

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

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„Das ist mir leid, (erwiedert Jener) desto schlimmer! denn ohne zu fechten kommt ihr nimmer von hier: es sey dann ihr bekennt wie obsteht.“ — D a s m ö c h t e v o r m e i n e m E n d s c h w e h r l i c h g e s c h e h e n , m e i n H e r r ! — „So sprechen wir mit einander.“ — N u n , (versetzt mein Ritter) w e n n e t l i c h e R i p p e n z u b r e c h e n euch denn so übermäßig ergötzt, 10

so kommt ! Euch aus dem Sattel zu stechen brauchts eben keine große Zeit. N u r h e r ! — Und so begann der Streit. Die Alte sprang in großer Eile vom Pferd, und kroch auf ihrem Bauch vor Angst in einen Brombeerstrauch; und beyde Ritter, ohne Weile, spornten die Rosse, hohlten aus, stießen zusammen in hartem Strauß, und krak! da liegt auf allen Vieren

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mein Prahler, ohne sich zu rühren. Herr Gandalin, an dessen Schild der schwächere Stoß leicht abgeglitten, springt ab vom Roß, hebt freundlich und mild den Gegner auf nach Rittersitten. Der Fall war unsanft ! Thut mir leid ! a l l e i n I h r wolltets — „Kleinigkeit! Mein Gaul ist nicht zum Ritter geschlagen, (erwiedert Jener etwas scheel) doch wenn ihr noch einen Gang zu wagen

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Lust habt, so hängt zu euerm Befehl hier ein Geschmeide an meiner Linken —“ Vo n H e r z e n g e r n (spricht unser Held) ich seh euch zwar ein wenig hinken,

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u n d z i e m l i c h s t a r k ; w e n n’ s e u c h g e f ä l l t s o w a r t e n w i r n o c h — „Nicht eine Minute! Ich fühle mich an Arm und Muthe für jeden Amadis stark genug.“ Ta n t m i e u x ! E s f r e u t m i c h z u v e r n e h m e n ; doch werdet Ihr, vor dem Degenzug, zu einer Bedingung Euch bequemen — „Die ist?“ — w e n n i c h (spricht Gandalin) euch zu entwafnen so glücklich bin, die Dame in euern Schutz zu nehmen,

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die bey mir ist. „Die Dame? (spricht rings um sich schauend der blaue Ritter) Ich sehe keine Dame nicht. Wo ist sie? — ha! die wird ein Dritter, indessen das kleine Lustgestech uns aufhielt, weggeblasen haben! Der Streich, Herr Bruder, ist etwas frech, ich muß gestehn! — Ich hörte was traben, däuchte mir, aber hatte nicht Zeit

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mich umzusehen. Es scheint ihr seyd in ihren Gunsten noch nicht gar weit vorgerückt, daß sie, euch so zu grämen und nur nicht einmal Abschied zu nehmen, über ihr Herz erhalten kann?“ W i e ? S i e i s t f o r t ? (ruft unser Mann bestürzt) Ve r s c h w u n d e n , o d e r e s k a n n n i c h t m ö g l i c h s e y n ! — We l c h A b e n t h e u e r ! Ich muß ihr nach ! Ein andermal H e r r R i t t e r ! I z t i s t k e i n e Wa h l ! Die alte Freundschaft geht vor neuer !

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

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Indem springt er auf Einen Sprung in seinen Sattel, und, wie er den Schwung nehmen will, glänzt im Gras ein Schleyer ihm in die Augen. Sein Herz erkennt den Schleyer, eh ihm sein Aug’ ihn nennt; e r i s t d e s F r ä u l e i n s ! — Und ohne vom Pferde zu steigen, raft er im Flug ihn auf — küßt ihn und drückt ihn — giebt dem Pferde die Sporen — und unter seinem Lauf 10

verschwindet rings um ihn die Erde. W. Die Fortsetzung nächstens.

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Liebe um Liebe. Siebentes Buch. Vier lange Tage sind nun vorüber, seit G a n d a l i n die verlohrne Spur der wundervollen J e l ä n g e r j e l i e b e r Berg auf Berg ab im hitzigsten Fieber der Ungeduld sucht, durch Wald und Flur bey Tag und Nacht J e l ä n g e r j e l i e b e r rufet, sie von der ganzen Natur vergebens fordert, und gleich von Sinnen

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kommen möchte, daß überall die Leute so ruhig sitzen, spinnen, ihr Feld bestellen, Haus und Stall in trägem angewohntem Trabe beschicken, und wenn er keuchend fragt ob niemand die Dame gesehen habe ? Der rohe Knecht, die dicke Magd mit klotzenden Augen und ofnem Maule den tollen Herrn auf seinem Gaule begaffen, und was er da gesagt so wenig verstehn als wär’ es Böhmisch. Bey solchem Erfolg vergeht der Drang zum Suchen endlich. Müd und grämisch wirft er nach Sonnenuntergang am fünften Abend sich vom Pferde, legt sich an eines Hügels Hang der Länge nach auf Gottes Erde, und bleibt wohl eine Stunde lang so liegen, indeß sein treuer Schimmel

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende November /Anfang Dezember 1776)

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im Grase geht! Und wie am Himmel in stiller Pracht die Cherubin, jeder in seine Stralensphäre gehüllt, beginnen aufzuziehn, denkt er: ach, wer da droben wäre! Zuletzt erbarmt der Schlaf sich sein und riegelt alle seine Sinnen dem Unmuth zu von aussen und innen. Er schläft, wiewohl ein bloßer Stein 10

sein Küßen ist, gar lieblich ein, schläft ruhig bis zum Sonnenschein, und hätte den Tag dazu verschlafen, wenn nicht ein Schäfer, nah dabey vorüberziehend mit seinen Schafen, den schönen Morgen auf seiner Schalmey aus voller Brust bewillkommt hätte. Itzt wacht von seinem steinernen Bette mein Ritter auf, schaut um sich her, und sieht als wie ein grünes Meer

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von Auen und Wiesen vor ihm verbreitet; mit Gruppen von Bäumen gar mahlerisch erhoben, alles lebend und frisch im Morgenlicht, das drüber gleitet, und zwischen Schilf und krausem Gebüsch ein schimmernd Flüßchen in sanften Schlangen sich längs die Ebne hinunterziehn. Wie nennt ihr den Fluß, fragt G a n d a l i n : Die S e n n’ , antwortet unbefangen der Schäfer. — Und, wie wenn hart am Baum,

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in dessen Schatten ein Wandrer kaum entschlummert war, mit schmetterndem Krachen der Donner aus einem schweren Traum den Schläfer weckt, und im Erwachen

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der Schrecken, der ihm durchs Gebein noch schaudert, die Freude gerettet zu seyn erst übertäubt, doch beym Besinnen bald Dank und Freude den Sieg gewinnen: nicht anders trift des Schäfers Wort auf G a n d a l i n s Herz. — „Die S e n n’ ! o Götter!“ denkt er, und schaudert, wie dürre Blätter in herbstlicher Luft — erkennt den Ort, den S o n n e m o n s Blicke zum Himmel machen; Und o! was für Gefühle erwachen

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auf einmal drängend in seiner Brust! So nah! O Überschwang von Lust! Auf einmal ist der Zauber zerbrochen; Was ihn in diesen letzten Wochen gefangen hielt, war nur ein Traum, ein Feenspiel, ein magischer Traum! Allein sein Zauber ist zerbrochen, wie Wolkengemählde im Sonnenglanz zerronnen! — Er ist zum vorigen Leben erwacht, sich wieder gegeben!

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Sein Herz, sein Wesen wieder ganz in S o n n e m o n ! ganz, ganz verschlungen von wonnevollen Erinnerungen und Ahndungen! — O! so nahe! (ruft er freudetrunken) so nahe! die Zinnen von ihrer Burg sind’s, was im Duft dort schimmert; ihr Athem ist in der Luft die an mich weht! Auf, auf, von hinnen! Was säum’ ich? diese Wellen rinnen zu ihr hinunter, kommen vor mir

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hinab zu jenen Schlangenbüschen wo Sie, in diesem Nu vielleicht, einsam durch junge Rosen schleicht, im Morgenduft sich aufzufrischen.

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Dies denken, und auf sein wiehernd Roß sich schwingen, und mit verhängtem Zügel schnell wie ein Vogel herunter den Hügel schießen, war Eins. Kurz, S o n n e m o n s Schloß ist würklich erreicht, eh Titans Pferde von ihrer Tagreis’ um die Erde den sechsten Theil zurückgelegt. Nun denkt, ob, wie er über die Brücke hinreitet, sein armes Herz ihm schlägt! „Die Stunde, die seinem Liebesglücke

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das Urtheil sprechen sollte, sie war nun da! Sein dreyfach Prüfungsjahr vorüber! Er hatte in fernen Landen, vom Abgott seiner Seele verbannt, manch schweres Abentheuer bestanden! Doch Sie — die ihm mit Mund und Hand, wofern er nie die Treu gebrochen, sich Selbst zum Minnesold versprochen; Hatte Sie auch, in all der Zeit, nie Seiner und ihres Schwurs vergessen?

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Ihr Leichtsinn! Ihre Flüchtigkeit! Gott! hätt’ ein Andrer sich indessen in ihre Gunst zu stehlen gewußt! Drey Jahre, belagert von allen Seiten, es auszuhalten hat Schwierigkeiten! Die Narben an seiner eignen Brust sind, leider! Zeugen“ — Tausend solche A b e r und We n n durchkreuzen sich und wühlen und nagen, wie tausend Molche, in seinem Busen jämmerlich,

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so wie sich ihm die Pforte zum Himmel aufthat. Sogar sein treuer Schimmel nahm Theil an seines Herren Pein, und senkte, so munter er kaum geflogen, die Ohren wie ein Eselein, //

indem sie übern Schloßhof zogen. L i e b e u m L i e b e ¼7.½ B u c h

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Indessen, sobald vom Thurm herab das übliche Zeichen, wenn ein Ritter sich einfand vor dem ersten Gitter, der Zwerg mit seinem Waldhorn gab, kamen drey Knaben aus dem Schloße hervor, drey Knaben wie Milch und Blut, mit Federbüschen auf dem Hut, den Ritter auf ihres Fräuleins Schloße willkommen zu heißen. Sie bückten sich zur Erde, halfen ihm hurtig vom Roße,

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und führten ihn dann gar sittiglich in einen mit großen Hirschgeweyhen gezierten Saal. Da traten im Reyhen drey schöne Jungfrau’n in den Saal, die neigten sich vor ihm zumal, schnallten ihm, ohn’ ein Wort zu sagen, die Rüstung ab mit zarter Hand, warfen ein Scharlachroth Gewand ihm an, das bis zum Boden nieder wallte, und zogen, nachdem sie sich

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vor ihm verneigt, gar züchtiglich und still, in voriger Ordnung wieder zur Thür hinaus. Die schloß sich kaum, so kommen vier andre Ganymeden, ihn, gleichfalls ohn’ ein Wort zu reden, ins Bad zu führen. — Ein schöner Traum scheint alles, was mit ihm geschiehet, dem staunenden Ritter, und doch ein Traum, worinn ihm gute Hofnung blühet. Im Bade ließen die Knäbelein ihn sechs Minuten kaum allein, so kamen sie alle beladen wieder mit goldnen Büchsen und feinem Tuch, trocknen ihn, reiben ihm sanft die Glieder mit Salben von köstlichem Wohlgeruch,

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und wie itzt alle die heilgen Gebräuche des Bades vollbracht sind, helfen sie ihn von Fuß auf anziehn, legen reiche Kleider ihm an, und G a n d a l i n geht nun (mit Vater Homer zu reden) gleich einem Gott hervor, und wer ihn ansieht, zischelt den Ganymeden, voll süssen Wunders, w e r i s t d e r ? und schaut ihm nach. — So stattlich gezieret, schön wie ein Stern im Morgengrau,

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und frischer als eine Rose im Thau, tritt er, von seinen Knaben geführet, den Saal hinein, wo S o n n e m o n , wie Venus auf ihrem Rosenthron, auf einem Sopha, rings umgeben von Liebessclaven, Tod und Leben aus ihren Augen austheilt. Kaum läßt sie — und o! mit welchen süssen Blicken, die Augen auf ihn schießen; so sieht sie ihn schon zu ihren Füßen,

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die Lippen an ihres Rockes Saum drückend, in Reden sich ergießen, die ohne Zusammenhang ohne Sinn nur desto stärker sein Entzücken mahlen. Sie reicht mit freundlichem Nicken, wie billig, die schöne Hand ihm hin, und sagt, indem sie ihm aufzustehen befiehlt und seinem berauschten Mund die Hand entzieht mit sanftem Drehen, es sey ihr lieb so frisch und gesund

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nach so viel Zeit ihn wiederzusehen. „Däucht ihnen (spricht sie zu zween bis drey umstehenden Herren vom seufzenden Orden) däucht ihnen nicht auch, Herr G a n d a l i n sey //

auf seinen Reisen fetter worden?“

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Es war ein wenig Schelmerey in dieser Frage: doch freudetrunken wie G a n d a l i n war, empfand er nichts davon; so ganz hineingesunken in jeden Reiz des Wonnegesichts war sein Gefühl, so lauter Augen sein ganzes Wesen, es einzusaugen! Das Fräulein, als er zum leztenmal sie sah, glich einer Rosenknospe, die eben im warmen Sonnenstral

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sich schamhaft öffnet: Izt war die Knospe zur wollustathmenden, reiffen, vollen Blume Cytherens aufgequollen! Stand vor ihm da, so Engelgleich und zog sein Seelchen so ganz hinüber auf Einen Zug ins Himmelreich! War jemals eine J e l ä n g e r j e l i e b e r gewesen? — E r wußte nichts davon; Die hatte sich in S o n n e m o n verlohren! Der Lethe selber hätte

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mit allem Wasser in seinem Bette sie reiner aus seinem Gedächtnis nicht ausspülen können. — Indeßen spricht das Fräulein, frey und unbefangen, von tausend Dingen; wirft dann und wann wohl einen Blick auf unsern Mann, den er gefällig deuten kann, doch ohne daß ihre Rosenwangen sich höher färben; fragt, w i e i h m R o m gefallen habe — wie hoch der Dohm z u M a y l a n d s e y , und zwanzig Fragen in diesem Geschmack, die offenbar ihr eben so wenig als ihm verschlagen;

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Doch nur ein Wort von dem zu sagen was seinem Herzen so wichtig war — nicht eine Sylbe! Die redendsten Blicke gab sie ihm ohne Antwort zurücke; vergebens seufzt’ er etlichemal als wollte das Herz im Leib ihm brechen; und da er endlich den Augenblick stahl sie ganz von ferne an ihr Versprechen zu mahnen, wußte Sie wie ein Aal 10

ihm durch die Finger zu entwischen. Sogar das Lächeln und heimliche Zischen ins Ohr des Nachbars — der jungen Herrn um S o n n e m o n , war G a n d a l i n e n ein Zeichen, es habe kein günstiger Stern zu seiner Wiederkunft geschienen. Unmuthig, und seinen Gram in sich verschlingend, ergriff er endlich das beste Mittel in solchen Fällen — schlich (ohne das Ende von einem Feste

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das S o n n e m o n ihrem Hofe gab auszuwarten) die Treppen hinab, und eilends hinaus zur Schloßespforte, wie schaudernd aus einem verpesteten Orte ein Wandrer flieht — wankt hin und her, kömmt endlich, vom Instinct geleitet, in seine alte Wohnung, die leer und auf sein Wiederkommen bereitet geblieben war. Kaum hatt’ er hier

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sich hingeworfen, der Ungebühr die ihm geschehen, der Liebe, dem Hofe fluchend — so klopft was an die Thür. Er läßts wohl dreymal oder vier

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klopfen, und wie er endlich, der Thür zu schonen, öfnet — so steht die Zofe — (denkt ob ihm nicht die Sinne schier vergangen?) — J e l ä n g e r j e l i e b e r ’ s Zofe steht vor ihm da! — Er fährt zurück; Doch, um ihn keinen Augenblick im Zweifel zu lassen, läuft sie mit warmen aus Fleisch und Bein gedrehten Armen ihm an den Hals, erfreut sich sehr, nach langem hin- und wiedertraben

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und Suchen im ganzen Land umher, ihn endlich wiedergefunden zu haben. „Mein Fräulein“ — W i e , ruft G a n d a l i n , d i e i s t a u c h h i e r ? — „Zu dienen.“ — I c h b i n verwirrt ! Ihr müßet hexen können ! „Ein wenig, so was man ins Haus gebraucht, ich muß gestehn.“ — B e y G o t t , m i r r a u c h t der Kopf ! Wie soll ich das alles nennen was mir begegnet ! — Dein Fräulein, hier ! — Gut ! Und was will sie denn von mir ?

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„Wie? Was sie will? Hm! ich erstaune! Sie sind wohl nicht bey guter Laune, Herr Ritter? — Was sie will? — Schon gut behalten Sie immer Ihr kaltes Blut wofern Sie können! Wir wollen sehen!“ U n d w a s d a n n ? Wa s d a n n s o l l e n w i r s e h e n ? „So hören Sie dann! — Was, noch vor Jahr und Tag, vor Menschen unmöglich war, ich sage, unmöglich — das ist geschehen. Ich meines Orts ich hätte mir klar eher des Himmels Einfall versehen. Mein Fräulein, die Alles was Liebe heißt

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nicht ausstehn konnte, die lauter Geist und Göttin war, vom Frauenzimmer nichts hatte als bloß den äußern Schein, der Herren, die um sie buhlten, immer nur spottete, und bey ihrer Pein so wenig als ein Kieselstein fühlte — Mein Fräulein — ich kann ermessen, Herr Ritter, Sie kennen mein Fräulein noch, Sie haben den Abend noch nicht vergessen, 10

den schönen Abend —“ So mache doch Ein Ende ! — „Nur nicht so hitzig! Sie hören ja nicht! — Mein Fräulein alsodann — hat endlich — den wundervollen Mann gefunden, der sie zur Liebe bekehren sollte, und kurz — Sie sind der Mann! Mein Fräulein liebt sie — in allen Ehren versteht sich — was man lieben kann,

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und bittet, wofern Sie noch an sie denken, heut’ Abends um gewöhnliche Zeit ihr Ihre werthe Gesellschaft zu schenken. Um zehn Uhr halten Sie sich bereit, ich komme Sie abzuholen —“ Verlegen, bestürzt, verwirrt, unschlüßig schien bey diesem Antrag G a n d a l i n ; saß lange da, den Kopf zurücke gelehnt, die Augen geschloßen, den Mund

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zusammengedrückt. Auf einmal stund er auf, schoß unruhvolle Blicke umher, und knirscht’ in sich hinein:

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Nein, nimmermehr ! Es kann nicht seyn ! „Nun, reden Sie! Soll ich meiner Dame sagen, Sie kommen?“ — Es kann nicht seyn ! „ S i e sagen mir das? Es kann nicht seyn? Sie s i n d s doch? oder ist Ihr Nahme nicht Gandalin? — und, e s k a n n n i c h t s e y n , das wäre die Antwort? — Die arme Dame! Sie hälts nicht aus, es ist zuviel! Herr Ritter! wie konnten Sie alles Gefühl

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alles Gedächtnis so schnell verliehren?“ We g , S a t a n ! I c h w i l l m i c h n i c h t v e r f ü h r e n l a s s e n ! ruft Gandalin wüthend — h i n a u s ! Die Zofe lächelt seiner Hitze, denkt, es sind doch nur Schauspielsblitze; verneigt sich, und eilet aus dem Haus. Kaum hört er auf den untersten Stuffen noch ihren Absatz, so wandelt ihn der Einfall an, zurück sie zu ruffen. Weg war sie! — Armer G a n d a l i n !

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Unglücklicher! Mit dir selbst schon wieder im Krieg! — Kaum sieht er sich allein, so fährts ihm kalt durch alle Glieder. Er sinkt auf seinen Schragen nieder, und: Sollt es (denkt er) möglich seyn? Wie trifft denn das Orakel ein? Sie sollte ja nicht eher lieben, als bis sie einen aufgetrieben, dem Sie, wiewohl er unverhüllt Sie nie erblickt, je länger je lieber — „Elender! und zweifelst du noch? und willt dirs läugnen, wie oft dein Gewissen dich über

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende November /Anfang Dezember 1776)

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der brennenden That ertappte? willt dirs läugnen, daß Sie dir immer lieber und lieber wurde, auch eh du im Bad verstohlnerweise sie erblicktest, und bebend vor jedem rauschenden Blat doch nichts von ihrem Gesicht erblicktest? Ach! nur zu möglich, nur zu wahr ist das Orackel; bey den Ohren halt ich den Wolf — ’s ist offenbar, 10

seh ich sie wieder so bin ich verlohren! Ihr, deren bloßer Nahme mich schon zum Kinde macht, zu widerstehen? Unmöglich! — Und käm ich auch davon mit halbem Herzen — o S o n n e m o n , wie dürft ich, könnt ich dir’s gestehen? Wie dir nur wieder ins Auge sehen? In deiner Gegenwart nur stehen nach solcher That? — Nein, nimmermehr! Nein, Engel, Abgott meines Herzens,

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und hättest du mich noch so sehr beleidigt, gespottet meines Schmerzens und meiner Liebe — du herschest doch in meiner Brust! Ich trage dein Joch so schwehr es ist, und will es tragen Bis Würmer an diesem Herzen nagen!“ So spricht er zu sich selbst, und stärkt zur Treue sich durch tausend Schwüre. Darüber beschleicht ihn unvermerkt die Nacht; und plötzlich thut die Thüre

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sich auf, und siehe, im Vollmonds-Schein tritt Fräulein J e l ä n g e r j e l i e b e r herein.

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Liebe um Liebe. Leztes Buch. Nun sezt den Fall, ihr läget, allein, um Mitternacht, auf eurem Lager, und wiegtet euch bey Mondesschein mit schlafbefördernden Bildern ein; auf einmal träte bleich und hager ein langer weisser Geist herein, mit Leichentüchern über und über behangen, sezte sich gegenüber,

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und starrte aus holen Augen voll Gluth, die Zähne fletschend, zu euch herüber: Wie wär’ euch wohl dabey zu Muth? Ich wett’ euch würde mächtig bange ums Herz! Allein gewißlich lange so bang als unserm Helden nicht, wie er auf einmal, sich nichts versehend, J e l ä n g e r j e l i e b e r vor seinem Gesicht in ihrer ganzen Größe stehend erblickt. — Und gleichwohl zeigte sie sich

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nichts weniger als gespensterlich. Kein Engel hätt’ in einer mildern holdern, gefälligern Gestalt erscheinen können. Sie war — „F. Halt! halt! Nur keine Beschreibung — das ewige Schildern! Es macht den Dichter und Hörer kalt!“ — (pp. Ich schweige) — Genug, Ihr kennt die Dame, und mögt sie Selber nach Herzensgier euch mahlen in eurer eignen Manier, gefaßt in eine so schöne Rahme

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Dezember 1776)

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als euch behaget — allenfalls in fliegendem weissem Attlaskleide; nur, bitt ich, nicht zuviel Geschmeide! Bloß eine Perlenschnur um Hals und Arme — den Schleyer nicht zu vergessen, (denn noch ist ihr verboten, dessen sich abzuthun) doch deck’ er bloß das Antliz, und durch doppeltes Leinen mag gleichwohl einer Erbse groß 10

von ihrem steigenden Busen scheinen! Des Ritters Lage bey allem dem war weder sicher noch bequem. Im plözlichen Aufruhr aller Sinnen was kan er sagen, was beginnen? Vermeiden wollt’ er die Zaubergestalt, aus seinem Herzen mit Gewalt sie reissen, und sollt’ es dran verbluten! Dies hatt’ er geschworen vor wenig Minuten. Was Schrecklichers könnt’ ihm nun geschehn,

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als dieser Nothzwang, sie zu sehn? Sein erster Gedank’ auch izt war — f l i e h e n , fliehn, wie der keusche Joseph dort der Sünd’ entfloh — allein Ein Wort, Ein Ton, den Mond vom Himmel zu ziehen fähig, hemmt seinen Fuß. Erschlafft steht er und lahm, und ohne Kraft nur Athem zu hohlen. — „Du kanst mich fliehen ?“ War alles, was Sie Selbst vor Schmerz

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zu sagen vermocht’. — Ein Dolch ins Herz ist ihm der Ton womit Sie’s sagte;

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ihm brechen die Knie, er sinkt betäubt an einem Stuhl zu Boden — bleibt wohl eine halbe Viertelstunde so liegen — hebet dann und wann den Kopf nach ihr, will reden, und kann nicht reden, ihm stokt die Luft im Munde; indeß die Dame, ihr Haupt gestüzt auf beyde Arme, und über die Stirne die Hände verschränkt, am Fenster sizt und schweigt. — Sein einzig Hoffen izt

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ist, daß sie grimmig auf ihn zürne. Allein er hört sie von Zeit zu Zeit erseufzen, mit solcher Zärtlichkeit, daß tausend Nadeln sein Herz durchstechen. Zulezt, — um es ihm gar zu brechen — scheint, wie im Drang der Liebe dahingezogen, sich eine von ihren Händen, als suchte sie ihn, nach ihm zu wenden. Dies war zuviel für Gandalin! Auf raft er sich, im heftigsten Sturme

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der Leidenschaft, wirft neben Sie sich nieder, verbirgt auf ihrem Knie sein weinend Antliz, hätte zum Wurme verschrumpfen mögen, um sein Vergehn und was Sie durch ihn leiden müßen, im Staube zertreten, abzubüßen. Die Dame schien zu ihren Füßen mit Wonnegefühl ihn liegen zu sehn, und seine Zähren sich ergießen auf ihre, mit Seeleschmelzendem Brand, an seine Lippen gedrückte Hand. I s t s m ö g l i c h ? rief Sie in Entzücken, Er liebt mich ? Seine Lippen drücken

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Dezember 1776)

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d e n S c h w u r d e r Tr e u a u f m e i n e H a n d ! Mein ist das Recht ihn zu beglücken, sein Herz mein Königreich, mein Thron, mein Himmel ! und keine Sonnemon soll mirs entreißen ! — Mit was für Blicken der Ritter beym Nahmen Sonnemon zusammenfuhr, das ängstliche Zücken, nicht anders als ob ein Scorpion aus ihren Lippen in seinen Busen

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gefahren wäre — das sollt’ ein Mann wie Rubens ganz anders als ich’s kan euch mahlen, und wenn auch alle Musen mir mahlen hälfen! — Ha, welch ein Wort „Unglückliche, (ruft er mit Ergrimmen und schleudert die Hand weit von sich fort auf der noch seine Thränen schwimmen) Welch einen Nahmen wagtest du zu nennen! — O, daß der nehmliche Nu, da ich in deine Atmosphäre

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gerieth, mein lezter gewesen wäre! O! Zauberin, laß ab von mir! Was hilft es dir Gewalt zu üben? Mein Wille schwört sich loß von dir, Warum mich zwingen dich zu lieben? — Gut! Triumphiere! du siegst — doch klein soll deines Sieges Freude seyn! Ich will zu S o n n e m o n dich führen, in deiner Gegenwart Alles ihr bekennen, und dann, vor deinen und ihren

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Augen, die Liebe an ihr und dir rächend, dies schwache Herz durchbohren //

das Dich verrieth, Ihr falsch geschworen!“

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Die Dame, statt vor Gift und Wuth (wie Ihr vermuthet) zu Boden zu sinken, schien Alles dies mit frohem Muth wie Nektar in sich hinein zu trinken: und wie sie glaubte der erste Jast sey ausgeschäumt, sprach sie mit süßen Gebehrden: „ G l e i c h ! z u m e i n e n F ü ß e n nieder, und was du gelästert hast m i r a b g e b e t e n ! Das muß i c h wissen ob Du mich liebst! Dein innerster Sinn

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liegt vor mir aufgeschlossen; ich bin zufrieden, ich bin geliebt und liebe! Unglücklicher Mensch, was quälest du dich selbst und die du liebst? Wozu entgegenkämpfen dem süßen Triebe? Gieb dich gefangen! L i e b u m L i e b e ! und Freuden ohne Maas! —“ „O du — antwortet er ihr mit zitterndem Munde, die Hände ringend — „Du hast mich zu Grunde

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gerichtet! Weg ist meine Ruh auf ewig, und Schande und Verderben mein Antheil. Laß mich, laß mich sterben! Ich kan in deinem Zauberbann nicht dauren, du unnennbares Wesen! Wer bist du? Flieh, verschwind, ich kan dich nicht ertragen, nicht genesen wo D u bist! Meine Lieb ist Haß, nicht Liebe; sie brennt wie Höllenfeuer in meinem Busen. Laß mich, laß

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mich sterben! — Oder reiß den Schleyer von diesen Zauberaugen weg, und laß dich anschaun, und im ersten Blicke verzehre mich!“

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Dezember 1776)

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Aus Furcht, er zücke den Arm nach ihrem Schleyer, wich das Fräulein ein wenig erschreckt zurücke; Indeßen sah man sichtbarlich es kämpfe was in ihrem Herzen. Doch faßte sie sich, und: G a n d a l i n , (sprach sie) ich müßte was ich bin nicht seyn, um kalt bey deinen Schmerzen zu bleiben. Allein, sprich selber, sprich, 10

was könnte Sonnemon und ich, jede, mit einem h a l b e n Herzen machen? Es muß zum lezten Entschluß, zum W ä h l e n z w i s c h e n u n s , kommen — es muß! und bald! Izt schwebst du zwischen beyden und wankst: nimm diese Nacht dazu, bring erst dein tobendes Blut zur Ruh, und Morgen — laß dein Herz entscheiden! Dies sagen, und ohne daß er das W i e wahrnahm, aus seinen Augen schwinden,

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war Eins. Er suchte mit eifriger Müh oben und unten, vorn und hinten im Hause — sie war nicht mehr zu finden. Nun denket was für eine Nacht der gute Ritter in solcher Lage, so trostlos einsam, zugebracht! Es war die längste bitterste Nacht die je vor seinem Todestage ein armer Sünder durchgewacht. Dem Manne, der mir Schaf’ und Rinder

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und Haus und Hof und Weib und Kinder geraubt, geschändet und umgebracht hätte — ich wünscht’ ihm weder Acht noch Kirchenbann, auch nicht von Mäusen

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gegessen zu werden im Mäusethurm wie Bischoff H a t t o , noch von Läusen wie König H e r o d e s , noch im Sturm von Tausend grinsenden Toden umgeben sechs Tage in einer mastlosen Jacht auf Wogenspitzen im Meer zu schweben: ich wünscht ihm e i n e s o l c h e N a c h t ! Als nun die liebe Sonne wieder zu scheinen begann, sprang G a n d a l i n von seinem Lager, so bleich und grün

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wie liebessieche Mädchen, und müder als hätt’ er in einer Novembernacht in Regen und Sturm, durch tieffe Felder und Sumpf und Moor und träuffelnde Wälder, sechs Meilen in Einem Zug gemacht. Er öfnet ein Fenster, und schlürft und sauget den Sonnengeist in sich hinein, der alle Leibes und Seelen Pein unendlich mehr zu lindern tauget als P a r a c e l s e n s Laudanum,

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und alle Essenzen, Elixiere und Schmerzbetäubende Clystiere im g r o ß e n D i s p e n s a t o r i u m . Ihm ist als weh’ im jungen Morgen ein Gott ihn an, und seine Sorgen verliehren im Ocean des Lichts die Hälfte des drückenden Gewichts; und, wie er da steht, im Überrocke, mit ofner Brust und fliegender Locke, greift er mechanisch nach Stock und Hut und eilt hinaus in dumpfem Muth ins Freye — läuft mit grossen Schritten den Lindengang hinab, dann mitten die Wiesen durch, dann übern Steg,

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den Rain hinauf, dann linker Seite queer über’s holprichte Brachfeld weg, in solcher Hast, daß alle Leute, an denen er so vorüberschwirrt, stillstehend gaffen, und denken müßen: „Der läuft, wie K a i n , vor seinem Gewissen!“ So war er lange herumgeirrt, als er zulezt, wie einem Traume entwachend, in S o n n e m o n s Park sich fand. 10

Da warf er neben einem Baume sich nieder, streckte Fuß und Hand, und lechzte wie ein Fisch im Sand. Doch macht ihm das Gefühl Vergnügen auf S o n n e m o n s Grund und Boden zu liegen. Allmählich — (so wie des Morgens früh halbgeistige leichte Duftgestalten am röthlichen Himmel sich entfalten) — dämmern in seiner Phantasie die Bilder auf von jenen Tagen

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und Stunden der ersten süßen Plagen der Liebe, da er in diesem Hayn so manchen Abend bey Mondesschein den stillen Bäumen sein Leid zu klagen verweilte, so manchen halben Tag in einer Hecke verborgen lag, um S o n n e m o n im Vorübergehen durchs Laub verstohlen nachzusehen; und unter diesen Träumereyn schläft er in süßer Ermattung ein.

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Ihm hatten die freundlichen Waldesgötter zwoo Stunden, sein gesenktes Haubt auf ihrem Schooße, zu ruhen erlaubt, als — eine Handvoll Rosenblätter,

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an seine Wangen mit leichter Hand geworfen, ihn weckt — und sein Erstaunen, da S o n n e m o n , im Morgengewand, reizend wie Flora, die langen braunen Locken halb mit einem Band gefesselt, halb am weissen Nacken hinwallend, mit holderröthenden Backen und lieblichen Blicken, vor ihm stand — Sein süßes Schrecken, und was er empfand als Sie ihm ihre Grazienhand

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zum Aufstehn reichte, und sein Entzücken und seine Angst — o Mutter Natur, wie könnt’ ich das Alles in Worte drücken? So eine Scene fühlt sich nur. Mit ungewöhnlicher Huld und Milde in ihrem Wesen, Blick und Ton, führt ihn die schöne S o n n e m o n zu einem Sitz, wo Epheu und wilde Reben, zum selbstgewachsnen Dach verwebt, der Sonne den Paß versagen.

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Im gehen bat Sie ihn, ihr Betragen bey seinem Empfang im Vorgemach dem leidigen Zwang der Etikette und dem beschwerlichen Mückenschwarm der Höflinge beyzumessen — „Sie hätte so gerne sich ihm mit ofnem Arm entgegen gestürzt, den lieben Getreuen so gern an ihren Busen gedrückt! allein vor soviel Zeugen-Reyhen hätte sichs freylich nicht wohl geschickt. Doch nun, da keine Laurer uns stören, izt höre, und laß von Dir mich hören was nach so langer Trennung das Herz uns eingiebt! — Nichts von altem Schmerz,

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nichts das den süßen Augenblick trüben könnte! Von Zweifeln und Fragen nichts, ob Du auch immer getreu geblieben? Die Antwort steht mit Zügen des Lichts auf deiner ofnen Stirne geschrieben.“ Dies war zu viel! Mit jedem Blick, mit jedem Wort ein feuriger Zwick in seine Schuldbewußte Seele! Es war zuviel! — Wie grauer Duft 10

schwamm’s ihm um’s Aug; er schnappte nach Luft, ihm schlug das Herz bis an die Kehle, und wär ihm der gute Genius der Liebe mit einem Thränenguß nicht eilends noch zu Hülfe gekommen, es hätt’ ein trauriges Ende genommen. Wa s i s t d i r , rief sie: — G a n d a l i n ? Du weinst ? Du ächzest ? — Gandalin, w a s i s t d i r ? R e d e ! Wo h e r d i e s Z a g e n ? „O! Nichts mehr, S o n n e m o n ! — Ich kan

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du Engel, ich kan dich nicht ertragen, nicht diesen Blick, nicht diesen Ton! O daß ich leben muß, zu sagen, Es d i r zu sagen: — S o n n e m o n , du irrst dich, ich bin deiner Liebe n i c h t w e r t h — Und doch — O Gott der Liebe, du weißst, wie bis ins dritte Jahr jeder auch meiner geheimsten Triebe, mein Wachen und Schlaf, I h r heilig war! Wie alle Reitze der schönsten Gestalten

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zurück von diesem Herzen prallten, worinn sie unverrückt gethront! Und wie ich bis zum zehnten Mond

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des dritten Jahres ausgehalten. Armselger Ruhm! was hilfst du mir? E i n Augenblick hat dich vernichtet! Und w i e ? — Du hieltests für erdichtet, wenn jeder andre als i c h , es dir erzählte. —“ Und nun begann er treulich Ihr Alles zu beichten, Stück vor Stück, Wies mit J e l ä n g e r j e l i e b e r ihm neulich ergangen, vom ersten Augenblick

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bis zu der unverhofften Erscheinung der gestrigen Nacht. Mit großer Ruh Hört Sie ihm bis zum Ende zu, und: S o l l i c h d i r (spricht sie) m e i n e M e y n u n g sagen? — d u w a r s t n i e u n g e t r e u und bist es noch nicht, hast mich immer geliebt, und alles ist Feerey was dir mit diesem Frauenzimmer begegnet ist.

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„Ach! könnt ich hievon mich überzeugen, ruft der Ritter. Oft dacht ichs auch — und täuschte mich damit; zumal, wenn sie zur Cither so lieblich sang. Dann glaubt’ ich d i c h zu hören, und ach! Ihr gegenüber empfand ich Alles was ich für d i c h empfinde — quälte mich selbst darüber, verbannte sobald ich von ihr gieng ihr Bild aus meinem Herzen, — und fieng

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gleich wieder Feuer, so wie ich wieder in ihre Atmosphäre trat.“

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Sehr abentheurlich in der That ! (rief S o n n e m o n , erröthend, und nieder die Augen schlagend) d o c h , s a g e m i r f r e y , wenn ich die kleine Schwärmerey n u n ü b e r s e h e , (denn Hexerey that augenscheinlich das Meiste dabey) u n d w e n n i c h , z u f r i e d e n v o n d e i n e r Tr e u , mit diesem Kuße dir verzeihe : was sagst du ? — „Daß ich zu elend bin

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das Leben länger zu ertragen! Du Engel von Güte! was kan ich sagen? Noch schwebt sie mir zu stark im Sinn die gestrige Nacht — ach! I h r zu Füßen lag ich, wie zu den d e i n e n hier, wünschte die Liebe, die ich ihr bekannte, mit meinem Blute zu büßen, und liebte sie doch! — und fühlte mich mit Allmacht zu ihr hingezogen! — Ach, S o n n e m o n ! — Ich habe dich,

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und ach! — m i c h hat mein Herz betrogen! Und nun, was bleibt mir übrig, als zu sterben?“ Das gute Fräulein konnte sich kaum enthalten, ihm um den Hals zu fallen, so mächtiglich begonnte die Liebe für ihn in ihrer Brust zu sprechen; doch hielt sie noch mit Müh zurück, und: H ö r e m i c h , sagte Sie; die Dame wird dich wiederzusehen

30 //

wünschen —

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„O! — (unterbricht er) Nie soll dies mit meinem Willen geschehen!“ E s s o l l ! i c h w i l l s ! (erwiedert Sie) das Zauberwesen muß vergehen ! Ja, Gandalin, du sollst sie sehen und mich dazu ! — und wenn alsdann dein Herz sich nicht entscheiden kann, s o m ü ß t’ i c h — n i c h t s d a v o n v e r s t e h e n . Mit diesem Worte verließ sie ihn verräthrisch lächelnd, und — war verschwunden

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eh unser Mann von seinen Knie’n sich zu erheben Kraft gefunden. Ihr Lächeln, und ihre Mäßigung beym ganzen Handel, war Lichts genung: allein, ihm blieben die Augen gebunden. Verwirrter als nie in seinem Sinn kömmt er nach Hause — geht von einem Zimmer ins andre — weiß in keinem was er gewollt — steht auf, sizt hin, wird aufgekämmt und angezogen,

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sezt sich zu Tische, ißt, und — weißt so wenig davon, als wäre sein Geist zum Mann im Mond hinaufgeflogen. Nie wurd’ ihm, seit er Luft gesogen, ein Abend so unerträglich lang. Bald hoft er von der Katastrophe alles, dann wird ihm wieder so bang als naht’ er seinem Untergang mit jeder Secunde. — Wo bleibt die Zofe, Was säumt sie, fragt er wohl hundertmal in Einer Stunde, wie wartende Kinder am Niklasabend, und schaudert nicht minder so oft ein Fußtritt auf dem Saal sich hören läßt — und wie sie endlich,

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ein Blendlaternchen in der Hand, sich einstellt, wurd er wie die Wand so weiß, und zitterte so schändlich wie D o k t o r F a u s t im Fastnachtsspiel, da seine letzte Viertelstunde zu Ende läuft, sein schreckliches Ziel nun da ist, und zum Höllenschlunde ihn unter Blitz und Donnergeroll der böse Feind nun hohlen soll. 10

„So machen Sie doch? was soll das Zaudern? Herr Ritter! Ich glaube gar sie schaudern? Ha, ha! Ich merke! Sie wissens schon? — Man möcht uns gern die Volte schlagen. — Die gnädige Gräfin S o n n e m o n — Sie komme nur! ’s hat nichts zu sagen! Sie wird an unserm Siegeswagen gar stattlich ziehn! — Nur frisch gewagt, Herr Ritter, und sprecht: ich habs gesagt; sobald mein Fräulein J e l ä n g e r j e l i e b e r

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den Schleyer fallen laßen wird, so ist auf einmal der Streit vorüber, oder — ich hätte mich sehr geirrt!“ Der Ritter, ohne der Klappermühle ein Ohr zu leyhn, steht wie beym Spiele ein Mann, der viel verlohren hat, und nun versucht ist auf ein Blat sein ganzes Haab und Gut zu wagen. Tiefsinnig, in sich hineingekehrt steht er im Zweifel — Plözlich fährt

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er auf und denkt: „ i c h w i l l e s w a g e n ! Ein einzger Augenblick voll Muth macht Alles Geschehene wieder gut. Ja, S o n n e m o n , ich will dich rächen!

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Die Stolze, die dir Hohn zu sprechen vermeynt — entschleyert soll sie stehn, und im Moment, wo sie zu siegen gewiß ist — sich verworfen sehn!“ Ein schnellaufloderndes Vergnügen blizt über seine Wangen hin, indem er Muth und festen Sinn sich zutraut, diesen Sieg zu siegen. Er folget nun im großen Trab der führenden I r i s , auf und ab

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durch unbekannte Winkelgaßen, die wenig gutes vermuthen laßen; auch half das Blendlaternchen mehr zum dunkelmachen als zum leuchten. So giengs nun lange hin und her, bis sie ein Hinterpförtchen erreichten. Die Zofe klopft — es thut sich auf und schließt sich wieder. — Der Ritter tappet die lange Wendeltreppe hinauf, und dumpfe Ahnungen hemmen den Lauf

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von seinem Blut, er hustet, schnappet nach Athem, und bleibt wohl dreymal stehen indem sie durch die lange Reyh’ von schwachbeleuchteten Zimmern gehen. „Viel Glücks! Die Reis’ ist nun vorbey,“ spricht I r i s , indem sie ein großes Zimmer ihm öfnet, und hinter ihm wieder schließt. Nun denket, — da ein Strom von Schimmer aus hundert Kerzen entgegen ihm schießt, und vor ihm steht das nehmliche Zimmer worinn sich, nahe bey Paris J e l ä n g e r j e l i e b e r zuerst ihm wies,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Dezember 1776)

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die Decke mit goldnen Körben, Früchten und Blumen just wie dort staffiert, und mit den nehmlichen Bibelgeschichten die Wände ringsum tapeziert, und neben einem kleinen Tische das nehmliche Ruhbett in der Nische und drauf im nehmlichen Überzug J e l ä n g e r j e l i e b e r mit ihrem Schleyer; Nun, bitt’ ich, denkt ob unserm Freyer 10

das Herz im Busen höher schlug? Er wurde so überrascht von allen den Wunderdingen, so überhäuft, daß er, um nicht zu Boden zu fallen, kaum einen Lehnstuhl noch ergreift. Die Dame, nachdem sie ihm, sich zu faßen, ein Paar Minuten Zeit gelassen, dankt ihm im sanftesten Liebeston für diesen lezten Beweis von Achtung, und daß er aus Liebe zu S o n n e m o n

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doch wenigstens nicht mit kalter Verachtung ein Herz, das ihm zu widerstehn nicht Kraft gehabt, bestrafen wollen. „Ich will nicht klagen — nicht mein Vergehn durch Bitten um Mitleid noch erhöhn; Du hättest in dein Herz zu sehn mir eher vielleicht gestatten sollen; Mir sagen sollen mit guter Art: E s s e y v e r g e b e n — Wer weiß, wir hätten uns beyde vielleicht viel Schmerz erspart!

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Ich hätte mich — vielleicht — noch retten können! — Doch all dies, G a n d a l i n , ist Schicksal — wir konnten ihm nicht entfliehn;

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Ich weiche — (Sie sagte dies mit immer gerührterer Stimme) ich weiche der Noth, ich täusche mich nicht! Ich seh’s, kein Schimmer von Hoffnung bleibt mir — als vom Tod. Du scheinst gerührt? — Dich zu betrüben war nicht mein Wille — doch, laß noch dies mich sagen — den Trost dich ewig zu lieben, den süßen Trost, raubt mir gewiß kein Schicksal! — Und auch der Wahn ist süß (laß S o n n e m o n den Wahn mir gönnen!) Den Traum der schmeichelnden Phantasey, du hättest, wäre dein Herz noch frey gewesen, vielleicht mich lieben können!“

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Hier schien sie so von Empfindung gedrückt daß ihr die Rede im Mund erstickt. Ich hätte vielleicht dich lieben können ! (ruft G a n d a l i n ängstlich, als ob sein Herz zerspringen wollte vor Lieb und Schmerz) O könnt’ ich diese Brust zerreissen und in mein Herz dich schauen heissen! Ob ich dich liebe? Wie ängstigt mich dies grausame Zweifeln! Wohlan, so höre, was ich zu deinen Füßen schwöre — Wiewohl ich weniger izt als je begreiffe was du bist, und wie, dies alles möglich ist, und wie, durch welch allmächtige Sympathie, du mich bezaubert hältst — doch, höre was ich bey dieser Hand, die ich hier faße, bey jeder brennenden Zähre die auf sie fällt, gelob und schwöre: Ich liebe Sonnemon und Dich, und jede herrscht in meiner Seelen als hätt’ ich nur für sie allein

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ein Herz, und zwischen Euch zu wählen wird ewig mir unmöglich seyn! O laßt mich! — Unwerth Euch zu lieben, unwerth von Euch geliebt zu seyn, unfähig mit getheilten Trieben Euch glücklich zu machen, zu m e i n e r Pein und zu der Eurigen, Euch zu lieben verdammt — O laßt mich, laßt mich fliehn, mich fern von euch in Gram verzehren, und möchte der Nahme Gandalin nie wieder eure Ruhe stören! So spricht er liegend auf seinen Knie’n, und Thränen, wie glühende Tropfen, stürzen auf ihre Hand. — Das Fräulein kann nicht länger seine Quaal zu kürzen sich säumen. — „ D u w u n d e r b a r e r M a n n , u n d h ä t t e s t D u v o r S o n n e m o n’ s O h r e n uns beyden all dies auch geschworen ?“ O! ruft er, wäre Sie doch hier!

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„Da ist Sie ! Siehe sie vor Dir !“ Und siehe! Mantel und Schleyer wallen von ihren Schultern — und — S o n n e m o n (O L i e b u m L i e b e ! O süßer Lohn der schwersten Prüfung!) S o n n e m o n läßt sich in seine Arme fallen !

N. S. Der Leser wird ersucht, im ersten Buche dieses Gedichts, ( T . M . No. 5. Seite 127. Vers 2.) statt Tochter E r b i n zu lesen, und in den beyden folgenden Versen, S i e statt der, und i h r e m statt seinem. Denn es erhellt aus dem ganzen Gedichte, daß S o n n e m o n zur Zeit ihres Abentheuers mit dem Ritter G a n d a l i n , bereits ihr eigner Herr war. W. L i e b e u m L i e b e ¼8.½ B u c h

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¼Authentische Nachricht von der zu D e s s a u auf dem P h i l a n t h r o p i n den 13 bis 15ten May 1776 angestellten ö f f e n t l i c h e n Prüfung. *) Ew. etc. begehren von mir, eine u n b e f a n g e n e Nachricht von dem, was in den drey Prüfungstagen des Philanthropins zu Dessau sich begeben hat. Ich wünschte diesen Auftrag, so ehrenvoll er mir ist, nicht erhalten zu haben. Denn wird meine Erzählung wohl Glauben finden? Bin ich nicht als ein erklärter Freund des Guten, was in B a s e d o w und seiner Anstalt ist, bekannt? Und werd’ ich u n b e f a n g e n , das ist, ohne Wärme, ** ) beschreiben können, was noch nach 4 langen Tagen, mit der Glut der ersten Empfindung mir sich darstellt, so oft ich will?

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Doch Sie wollen es, und ich folge. Am 13ten May und in einem Privathause, bis izt dem Unterricht der Philanthropisten geweyht, früh, etwa um 10 Uhr, versammleten sich eine ungezählte Gesellschaft von angekommenen Fremden, allermeist aus dem G e i s t l i c h e n S t a n d e . Ihre Namen wird Hr. Basedow vielleicht bekannt machen, denn die meisten zeichneten sich in ein zu diesem Zweck bestimmtes Buch. Genung für mich, wenn ich sage, daß von diesem Stande k e i n e W ü r d e fehlte. Herr Prof. B a s e d o w las mit der ihm eignen Energie diejenige gedruckte Rede, welche das gedruckte Büchlein (welches Ew. etc. von ihm selbst schon werden erhalten haben) enthält. *)

Ich bitte den edeln Menschenfreund, der auf mein Ansuchen diese Ge-

schichtserzählung aufgesetzt und mir die Erlaubnis gegeben, solche bekannt zu machen, hier meinen öffentlichen wärmesten Dank dafür anzunehmen. Ich bin gewiß, daß niemand unter meinen Lesern ist, der die Verdienste des verehrenswürdigen D o h m h e r r n v o n R o c h o w nicht schon lange kennen, und seinen Dank mit dem Meinigen vereinigen sollte. W. **)

U n b e f a n g e n nenn’ ich nicht den, der k a l t , sondern den, der s e i n e r

s e l b s t M e i s t e r bleibt. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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Darauf, oder vielmehr mitten in dieser Rede, ward die Gewissens-Übung mit der Jugend (Lit. B.) gehalten, und nach deren Endigung schloß er erst diese sowohl von Seiten ihrer Beredsamkeit, als ihres Inhalts, sehr merkwürdige Rede. Die rührende Situation des verdienstvollen Alten, wie vor seinen Richtern stehend, sich wegen edler Thaten, entschuldigen, und das Publicum wie bitten zu müssen, daß es ihm noch ferner erlaube Seegen über die Nachwelt zu verbreiten, intereßirte selbst die abgeneigtesten unter den Zuschauern. Der übrige Theil des Vormittages verging diesesmal tumultuarischer als er sollte. Die Kinder und das Auditorium vermengten sich; doch zeigten sie lateinisch sprechend in der nächstgelegnen Kammer und Stube, den Neubegierigsten unter den Fremden, daß der sie, über aufgehängte Kupfer, 10

lateinisch fragende Lehrer ihnen hierinn sehr nützlich geworden war. Die andern Fremden sprachen, theils über den Innhalt der Rede, theils über die Freude sich wieder zu sehen. Denn es waren aus entfernten Orten noch während der Rede Fremde eingetroffen. Der Nachmittag sollte bey einem Spatziergang der Lehrer und Schüler den Fremden Gelegenheit geben, besser als in dem engen Raum der Zimmer, über das was die Kinder wüßten und w ä r e n , und über die Methode w i e sie das wüßten und w ä r e n , Prüfungen anzustellen. Aber es fiel unfreundlich Wetter ein, und dieses wichtigste Stück der Prüfung unterblieb. Mittags hatten alle Fremde, die man kannte, und die sich kennen lassen wollten, an des liebenswürdigsten L a n d e s F ü r s t e n Tafel gespeiset, und am Abend wurden sie alle in einem Gasthofe bewirthet. Am 14ten früh um 10 Uhr eröfnete der eine von den neuen Lehrern, Herr Schweighäuser,

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die Handlung mit einer wohlgesetzten teutschen Rede, deren Innhalt ihre Verbrüderung zum Lehramte der Jugend etc. betraf. Darauf ward der allgemeine Gottesdienst (im angezognen kleinen Buch lit. A.) gehalten. Nach der Endigung dieses vortreflichen Gottesdienstes, ward mit den Kindern eine Socratische Übung vorgenommen; nehmlich, man wählte die so beschrieene Materie von der Geburt des Menschen zum Gegenstand. Ein Gemählde zeigte den Kindern den Innhalt der Kupfertafel im Elementar-Werk, wo die die ersten Wehen empfindende Frau von ihrem Manne getröstet wird. Herr Wolke bereitete in einer anständigen Rede Kinder und Zuhörer auf die nöthige Ernsthaftigkeit bey dieser Verhandlung. Als aber auf die Frage des Lehrers, warum dort auf dem Tische zweyerley (nehmlich Knaben- und Mägdlein-) Mützen lägen? die kleine E m i l i a B a s e d o w mit großer Naı¨vete´ antwortete: „Sie wissen ja

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nicht, w a s es seyn wird“ da lachte laut ein großer Theil des Publici. Aber Herr Wolke erhielt den guten Ton sogleich wieder, da er die Versammlung o h n g e f e h r also anredete:

„ A n s e h n l i c h e Ve r s a m m l u n g ! Wir erwarten von Kindern kindische Antworten, aber nicht, daß Erwachsene sich wie Kinder betragen —“

¼Anmerkung: Rochow½ P h i l a n t h r o p i n

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und er setzte die Unterredung ungestört, und mit allgemeinem Beyfall fort. Nun trat Herr P. Basedow hervor, und setzte die Wichtigkeit dieses Unterrichts und dieser Methode noch mehr ins Licht, wobey er sich aufs Zeugnis gegenwärtiger und abwesender Eltern dieser Kinder berief, die da bezeugten, daß seitdem die Kinder ihre wahren Verhältniße zu den Eltern kennen gelernt, auch die Zärtlichkeit dieser Kinder gegen Sie weit mehr zugenommen hätte. Einige Proben im Rechnen mit den Kleinsten bewiesen überflüßig, wie wahr und probehaltend die Angaben im Archiv, dieses Punktes wegen, gewesen waren. Doch ein einziges Kind wußte nicht gleich wie viel Thaler 51 Groschen wären? ob es gleich viel schwerere Proben seiner Übung in dieser Kunst gegeben hatte. Einige unter den Zuhörern wollten daraus folgern, daß das übrige abgeredet gewesen, welches aber durch die Folge wi-

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derlegt wurde. So verging der 2te Morgen, der Mittag und Abend war wie der vorige. Der Nachmittag aber ward dadurch feyerlich, daß der Tod Abels, ein vortrefliches Musicale von Herrn Dir. R o l l e in Magdeburg gesetzt, der Text nach Geßner von Hrn. Prediger Patzke in die setzbare Form gebracht, durch die dortige trefliche Fürstliche Kapelle und die geschickten Liebhaber aufgeführt wurde. Die Kinder schienen mir auch dabey sich von andern Kindern zu unterscheiden. Sie waren, doch nach ihren Charaktern, a n t h e i l n e h m e n d e r als die gewöhnlich erzogenen Kinder. Am 15ten früh um halb acht Uhr versammlete sich eine weit größere Gesellschaft im Philanthropin; zu welchen noch viele aus B e r l i n , L e i p z i g , H e l m s t ä d t etc. sich gesellten, die die ersten Tage versäumt hatten. Das erste war, der auf eine kurze Anrede des Herrn

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Professors folgende allgemeine c h r i s t l i c h e Gottesdienst (wie das Büchlein sub lit. C. besagt). Wie an den vorigen Tagen, sprachen die Augen der meisten in ungeheuchelten Thränen, und bezeugten auch zum Theil mündlich nach dessen Endigung, ihren aufrichtigen Beyfall. Was man auch sagen will, so ist es wohl die herrlichste Sammlung religiöser Wahrheit, die sich lehren singen und beten läßt. — Nehmen Ew. etc. hierzu die Wirkung wohlgewählter Melodien von einem sanften Positiv begleitet, die nicht abreißende Handlung der Zuhörer, den Reitz der Neuheit für die, deren Herz der Natur und der kunstlosen Empfindung sich vielleicht hier zum erstenmal öfnen und überlassen konnte: und gestehn Sie, daß solch eine Scene etwas hat, was sie über die Beschreibung erhebt. Nun hielt Hr. Basedow, unvorbereitet, eine Rede, deren zuversichtlichem Ton man es anmerkte, wie viel er für seine Sache gewonnen zu haben fühlte. Er redete über den eigentlichen Werth der Sprachen oft launigt, immer intereßant. Und nachdem er die ältern Schüler herbeygerufen, wendete er sich an der LandesFürstin Königl. Hoheit, und bat, aus der Hochderselben unbekandten lateinischen Bibel ein Capitel in dem überreichten Castellionischen Texte zu wählen. Sie warf, ohne zu suchen, das zuerst auffallende Blatt um. Hr. Basedow nahm es hin, las im vorigen Capitel den Context vor,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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und nun übersetzten die 4 ältesten aufs bloße Vorlesen des Lehrers, der eine zwar fertiger als der andere, das Vorgelesene ins Teutsche. Darauf nahm er einen Band alter Autoren und bat gleichfalls um die Wahl einer Stelle. Es traf eben so ungesucht den Curtius, und die Kinder übersetzten auch dieses mit vieler Fertigkeit. Nun lößte Herr Basedow in einer Anrede seinem Publiko einige Besorgnis und Zweifel auf: wegen Küchen-Latein und der Unmöglichkeit bey dem Lateinischreden der Kinder, die gramatikalische Richtigkeit zu erlangen. Zum Beweis mußte ein Kind nach der alten Methode die vorgelesene Stelle im Curtius gramatikalisch behandeln, und that es mit großer Fertigkeit. Damit auch die Geschichte nicht vergessen würde, so bat Hr. P. Basedow, den zunächstsit10

zenden, und kurz vorher aus Berlin angelangten Hrn. B a r o n v o n S t o s c h ein Thema aus der alten oder neuen Geschichte zu wählen — und dieser wählte den Feldzug Alexanders in Indien. Der sehr geschickte Magister M a n g e l s d o r f , den man auch zum ordentlichen Lehrer des Philanthropins aufnehmen wird, trat vor, und das Kind (es war, dünkt mich, der Stief-Sohn des Hrn. Hofrath D e i n e t aus F r a n k f u r t am M a y n , ) beantwortete alle lateinischen Fragen, in gutem Latein, und bis auf alle Kleinigkeiten richtig, und wuste vielmehr als man erwarten und fordern konnte. Herr S i m o n hatte vorher schon eine französische Übung gehalten, deren Innhalt den Nutzen und Gebrauch einiger vorgezeigten Instrumente beym Landbau betraf, welche dem Lehrer und den Kindern Ehre machte. Man beschloß mit einer trigonometrischen Aufgabe, welche die 7 ältesten, mit Hülfe der Logarithmen, deren Ge-

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brauch sie völlig kannten, fertig auflöseten, und nur an wenigen Stellen der Zurechtweisung des Lehrers Hrn. Wo l k e bedurften. Vorher hatten die jüngeren das Pythagoräische Problem demonstriret, und schwere Bruch-Rechnungen theils ohne Tafel, theils auf der Tafel, fertig gerechnet. Und man beschloß, wegen Mangel der Zeit zu mehrerer Prüfung, nachdem Hr. Pr. Basedow für die 3 ältesten Lehrer Hr. Wo l k e , S i m o n und S c h w e i g h ä u ß e r den ProfessorTitul bey dem Fürsten erbeten hatte, mit einem vom Fürstl. ersten Violinisten und KammerMusiko Hr. R u s t in herrliche Musik gebrachten Herr Gott dich loben wir ! Die Anwesenheit des guten Landesfürsten bey allen und jeden Handlungen; Sein und Seiner vortreflichen Gemahlin edles Betragen dabey; Ihr Theilnehmen am Gottesdienst; das rührende

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des Ganzen; die schönen, gesunden, viel versprechenden Kinder; der Ausdruck auf dem Gesichte der Eltern, dazu ich keinen Namen weiß; die allgemeine Freude über den Sieg der Wahrheit über Verläumdung und Schaden-Freude — Alles — denn ich könnte hier zum Redner werden — ließ einen ausnehmend lieblichen Nachgeschmack, den mancher der Anwesenden nie ganz vergessen wird.

¼Anmerkung: Rochow½ P h i l a n t h r o p i n

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Am 15ten Nachmittags machte nun noch eine von einem Fürstlichen Hofmeister derer Kinder, die am Hofe zur Gesellschaft des Erbprinzen erzogen werden, vom Herrn R o t h e , geschaffne eigentliche Kinder-Comödie das Ende der ganzen Feyerlichkeit. (Sie war einzig in ihrer Art, und that eine ganz gleiche Wirkung auf alle für ungekünstelte, freye Gefühle gestimmte Seelen.) Die Acteurs waren, die Schwester des Verfassers, Hr. S i m o n , und viele Kinder aus dem Philanthropin. Am Abend wurden die Fremden (die auch den Mittag bey Hofe gespeist, und sich dort, voll von mehr als Verehrung für den Fürsten und die Fürstin, beurlaubt hatten) in dem Garten des großen Gasthofes wieder bewirthet, und bey einer Illumination und allerley Verzierungen zu Ehren des Philantropins endigte sich die Prüfung der Sache in Gesundheiten für sein Auf- und Fortkommen. Doch hat ein jeder versprochen in seinem Kreise Wohlthäter zu werden, und an

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Dessau, seine unvergleichlichen Gebieter, und das Philanthropin, lebenslang mit Freuden und Dankbarkeit zu gedenken. Nun, noch Reflexionen von mir? Sie sind überflüßig. S i e kleidet es beßer zu reflectiren; *) ich habe die Phryne gesehen, und das täuscht; Sie aber lesen Acta und bleiben gehörig kalt. Sammeln Sie lieber mehr dergleichen. Vielleicht tadelt ein besserer und weiserer als ich, das was ich lobte. Auch gut und löblich — Ich habe wahrlich Federn zerbissen, so flüchtig ich auch schrieb, um, doch wenigstens des Schattens halber, meiner Erzählung Tadel zu geben. Aber es ist mir gegangen wie dem Bileam. — Leben Sie wohl! Halberstadt,

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den 18ten May 1776. E. F. Rochow.

N. S. Doch nun fällt mir etwas ein: Basedow hätte weniger (ob er gleich ganz vortreflich redete) reden, und m e h r die Kinder in allem was sie wußten, prüfen lassen sollen. Denn er ist dem Publico wohl sechserley schuldig geblieben, was er, zu seiner großen Ehre, hätte zeigen können.½

*)

Keine Reflexionen, weder warme noch kalte; wo die Sache selbst so laut

spricht! W.

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E d w i n und E m m a . Nach dem Englischen. Euch, die Ihr Eure Thränen nie Versaget fremdem Leid, Freundinnen! Euren Herzen sey Dies Lied von mir geweiht. * * * Im fernen Thal, beschützt vom Wald, Durchströmt vom Silberbach, Wo Ruh und Unschuld, unbemerkt,

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Wohnt unterm Hüttendach, Dort blühte Emma voller Reitz, Der Mutter Liebling, auf; „O Himmel! segne nur mein Kind, Dann, bat sie: nimm mich auf.“ Die reinste Farbe der Natur Mahlt’ ihrer Wangen Roth — So lacht im jugendlichen May Das frühe Morgenroth. Verlacht, Ihr Töchter aus der Stadt,

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Nur meine Emma nicht: Die Sonne, die im Demant strahlt, //

Leiht auch der Lilie Licht.

¼Übersetzung: Mallet½ E d w i n u n d E m m a

1—20

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Voll Sehnsucht sah der Jüngling sie, Voll Neid der Mädgen Schaar, Nur Emma war sichs nie bewust, Wie liebenswerth sie war; Bis Edwin kam, aus dessen Blick Erhabne Tugend strahlt Und sich mit Zärtlichkeit vermischt, In sanften Zügen mahlt. Sie fühlten bald der Liebe Zug, Den jedes leicht gestand;

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Denn keines hegte einen Wunsch Dem Tugend widerstand. Entzückt empfanden sie das Glück Das reine Liebe schafft — Doch, leider! ihre Freude war Nur wenig dauerhaft. Denn Edwins Schwester — häßlich sie Und boshaft, wie der Neid, Bereitete mit tückscher Kunst Den beyden herbes Leid;

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Der Vater auch, ein harter Mann In dem kein Mitleid schlug, War fühllos, wie der Leimen war Der seine Garben trug. Mit Kaltsinn sah er lange schon Die Liebenden sich freun, Sprach dann mit eines Vaters Ernst Zuletzt ein zornig „Nein.“

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//

Wie schmerzlich war der Kampf, der jetzt In Edwins Brust entstand! Hier fesselte Gehorsam ihn, Dort holder Liebe Band; Verboten war ihm, sie zu sehn, An der sein Herze hieng, Doch blickt er oft, voll Sehnsucht, hin Da, wo sie weinend gieng; Versteckte hinter Hecken sich, Von fern sie auszuspähn —

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Dort hat ihn, einsam klagend, oft Der Mond noch spät gesehn. Sein Antlitz, das sonst Liebreitz färbt, Deckt schnell ein tödlich Blaß — So welkt die junge Rose, vor Dem Hauch des Boreas. Zu spät hängt nun der Ältern Blick Am Sterbbett über ihn, Und sucht mit Thränen ihn der Hand Des Todes zu entziehn.

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„Ach! seufzt er: Hülfe ist zu spät, Um mich ists bald geschehn, Doch, könnt Ihr, o! so laßt mich noch Sie, die ich liebe, sehn.“ Sie kommt, drückt sanft die kalte Hand, Und nezt mit Thränen ihn — So tröpfelt noch der Morgenthau //

Auf Lilien, die verblühn.

¼Übersetzung: Mallet½ E d w i n u n d E m m a

21—76

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Doch, grausam! auch noch jezt verwehrt Die falsche Schwester ihr, Zu sagen, was ihr Herz laut ruft: „Mein Edwin! lebe mir.“ Vom Schmerz beklemmt wankt sie zurück, Bey Gräbern hart vorbey; Die Luft wird kalt; die Eul erhebt Ihr nächtlich Klaggeschrey. Die fürchterliche Nacht erfüllt Mit schwarzen Bildern sie,

10

In jedem Busch zeigt Edwins Geist Sich ihrer Phantasie. Für Schmerz und Schrecken bebend, irrt Sie einsam hin durchs Thal, Und plötzlich trifft ihr horchend Ohr Der Sterbeglocke Schall. — Entnervt, erreichte kaum ihr Fuß Der alten Mutter Thür. „Ach! er ist hin, mein Edwin! todt Sind alle Freuden mir; Ich fühls, ich fühls, mein Herze bricht — Des Todes Schauer faßt Mich mächtig — Edwin! ja, ich komm.“ So ruft sie — — und erblaßt.

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Nachricht von J o h a n n F i c h a r d . (gebohr. 1511. gest. 1581.) Unter den vortreflichen Männern von allen Classen, welche die Reichsstadt F r a n k f u r t seit mehrern Jahrhunderten hervorgebracht, ist der Rechtsgelehrte, dessen Bildniß das gegenwärtige Stück des T. M. ziert, einer der hervorstechendsten. Er war ein Schüler des damaligen großen Rechtslehrers, U l r i c h Z a s i u s , der in der ersten Hälfte des 16ten Jahrhunderts die Zierde der hohen Schule zu Freyburg war, und (wie F i c h a r d von ihm zu rühmen pflegte) noch als ein 70jähriger Greis so viel Feuer des Geistes und Lebhaftig10

keit im Vortrag besaß, daß kein andrer seines Ordens in Teutschland und Italien ihm hierinn den Vorzug streitig machen konnte. F i c h a r d , der in der Schule zu Frankfurt einen guten Grund in den gelehrten Sprachen und philologischen Kenntnißen gelegt hatte, erwarb sich zu Freyburg die vorzügliche Liebe und Fürsorge des alten Z a s i u s , und machte sich derselben so gut zu Nutz, daß nachdem er etliche Jahre dem Canonischen und Römischen bürgerlichen Recht (auf welche sich in diesen Zeiten die Rechtsgelehrtheit einschränkte) unter einem so geübten Anführer mit großem Fleiß obgelegen, er nebst seinem Mitschüler, J o h a n n S i c h a r d , von Bischofsheim (in der Folge ebenfalls einem der verdienstvollen Männer seiner Zeit) im Jahr 1531 als ein

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Jüngling von 19 Jahren den Doctorhut aus desselben Hand zu empfangen würdig war, und durch seine Geschicklichkeit und besondere Wohlredenheit schon in solcher Jugend aller Augen auf sich zog. Er übte sich hierauf eine Zeitlang in der Praxis an dem damals zu Speyer befindlichen höchsten Reichsgerichte; besuchte sodann die berühmtesten Rechtsschulen in I t a l i e n , besonders die zu Padua und Bologna, welche damals vorzüglich blühten; erweiterte daselbst seine Kenntniße in allen Theilen der Gelehrsamkeit, und kehrte hierauf in seine Vaterstadt zurück, welche nicht säumte sich die Geschicklichkeiten eines so vorzüglichen Mitbürgers zuzueignen, indem sie ihm die Würde eines Stadtschreibers und Syndici im Jahr 1537 anvertraute. Er verwaltete

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dieses in Reichsstädten so wichtige Amt 44 Jahre mit größtem Ruhm; machte

Nachricht von Johann Fichard

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sich während dieser Zeit unvergeßliche Verdienste um seine Vaterstadt durch die Geschicklichkeit, Klugheit und Thätigkeit, womit er, in den damals so außerordentlich verwickelten, gefahr- und arbeitsvollen Zeitläuften, die wichtigsten Geschäfte (besonders auch die durch die Reformation veranlaßten neuen Einrichtungen) zu Stande bringen half, und starb endlich mit dem Nachruhm, eine Zierde seiner Stadt und einer der ersten Männer seines Jahrhunderts in seinem Fache gewesen zu seyn, im Jahr 1581. im siebenzigsten Jahre seines Alters. Unter seinen vielen juristischen Schriften wird sein Tractatus Cautelarum vorzüglich geschäzt. Er schrieb auch eine Biographie der neuern Rechtsgelehrten von I r n e r i u s an bis zu seinem Lehrer Z a s i u s , und

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andre zur Rechtsgeschichte gehörige Werke. Zu bemerken ists, daß er auch seine Stärke in der griechischen Sprache durch lateinische Übersetzung einiger Schriften des G a l e n u s zeigte. Denn schon damals, und v o r z ü g l i c h damals, war das Studium der griechischen Sprache und Litteratur eine wesentliche Erforderniß, um den Namen eines Gelehrten zu verdienen, und selbst unter den großen G e s c h ä f t s - M ä n n e r n des 16ten Jahrhunderts wird man wenige nennen können, die der Sprache Homers und Platons unkundig gewesen wären. Ich hätte sehr gewünscht, etwas umständlicheres und specialeres von dem Leben und Charakter eines solchen Mannes mittheilen zu können; muß es aber aus Mangel der Materialien hiezu (womit ich von Frankfurt aus vielleicht hätte versehen werden können) bey dieser kurzen Nachricht bewenden lassen. Das Bildnis, das ich von ihm liefre, soll denen, die man daselbst noch von ihm hat, ziemlich ähnlich seyn, und scheint mir einen Mann von hellem Sinn, unbefangnem Verstand, großer Festigkeit, Feinheit, Mäßigung und Bonhommie, wiewohl bey vielem Feuer, anzukünden; und ich bemerke daran vorzüglich eine Art von scharfem, sichern und feinem Blick, der die großen Rechtsgelehrten ganz eigen characterisiert, aber unter der Radiernadel ziemlich verlohren hat. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Juni 1776)

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Bekanntmachung, im Betreff des im Teutschen Merkur, III. B. S. 94. ausgesetzten Preises. Die Gesellschaft, welche einen Preis von 60 Ducaten auf ein L e h r b u c h f ü r L a n d u n d A c k e r s c h u l e n ausgesetzt, machte zur a u s d r ü c k l i c h e n B e d i n g u n g , daß solches, nach dem von dem (nunmehrigen) Hrn. Abt R e s e w i t z zu Kloster Berge, in seiner E r z i e h u n g d e s B ü r g e r s , entworfnen Plan, verfertigt werden sollte; und bloß um die Einlangung eines diese Bedingung gehörig erfüllenden Versuches abzuwarten, hat sie (zumal auf zweymal 10

erfolgtes Ansuchen von ungenannten Mitbewerbern um den Preiß) ihr Endurtheil so lange aufgeschoben. Sie ist zwar weit entfernt, den Werth einiger von den eingekommenen Preißschriften zu mißkennen: gleichwohl aber kann sie, nach hinlänglicher Prüfung derselben, keinen Entscheidungsgrund finden, einer davon den Vorzug öffentlich vor den andern zu geben; da selbst die vorzüglichsten darunter weder die verlangte Bedingung erfüllt, noch denjenigen Grad der zweckmäßigen Vortreflichkeit zu haben scheinen, den die Gesellschaft erwarten zu können glaubte. Sie erklärt also hiermit, daß sie den unbekannten Verfassern überlasse, ihre eingesandten Manuscripte wieder zurückzufodern, und darüber nach Gefallen zu disponieren: Die 60 Ducaten

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aber, welche Sie nun einmal zu Beförderung des öffentlichen Erziehungswesens gewidmet hatte, glaubt sie, nach vorliegenden Umständen, nicht besser anwenden zu können, als indem Sie solchen (wie hiemit öffentlich angezeigt wird) d e m B a s e d o w i s c h e n P h i l a n t h r o p i n o z u D e s s a u als einen zwar geringen, aber aus Überzeugung von der wahren Gemeinnützlichkeit dieses Instituts mit herzlich gutem Willen dargereichten Beytrag zu dessen gewünschter Befestigung und Fortdauer zu übermachen entschlossen ist. W.

Bekanntmachung

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Anzeige einer neuen Erfindung. Ein Ungenannter hat ersucht, im T. M. bekannt zu machen, daß er eine gar nicht kostbare Maschine erfunden habe, vermittelst welcher mit jeder Haubitz oder Canone auf einem Schiff, auch bey starkem Wind, eben so accurat geworffen oder geschossen werden könne, als auf dem festen Lande. Er ist erbötig vor hohen Herrschaften, auf Verlangen, die Probe zu machen.

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Der Teutsche Merkur. Junius 1776.

Was ist Wahrheit? *) (Die Scene ist ein Putzzimmer. Lady F a n c y f u l , M a d e m o i s e l l e , eine französische und C o r n e t eine englische Kammerjungfer, (jene ziemlich häßlich, d i e s e jung und hübsch) sind an der Toilette beschäftigt.)

La d y . Wie seh ich diesen Morgen aus, C o r n e t ? Co r n e t. Eur. Gnaden sehen ziemlich übel aus, wahrhaftig! La d y . Was du für ein unartiges Ding bist, C o r n e t , mir so was zu sagen — wenn’s auch wahr wäre! Weißt du nicht, daß ich ohnehin schon zu viel Demuth habe, und nur gar zu leicht unzufrieden mit mir selber bin? Halt den Spiegel! Ich wollte schwören er hat mehr Lebensart als du. — M a d e -

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m o i s e l l e , sage Sie mir doch ihre Meynung auch. Ma d e m o i s e l l e . Mein Meenunk seyn, Madam, Ihr Knad aben nie so kut hausseh in Ihr kanze Leb. La d y . Das muß man gestehn, die Franzosen sind das artigste, oblischanteste Volk in der Welt. Sie haben einem immer was angenehmes, was höfliches zu sagen, und — schmeicheln nicht. Ma d e m o i s e l l e . Ihr Knad sag groß Reckt, en verite´. La d y . Nein, alles in meinem Haus ist recht, außer dieser C o r n e t . Sogar der Spiegel giebt ihr ein De´menti. — Aber — beynahe fürcht ich er schmeichelt; er macht mich gar zu einnehmend aussehen.

(Sie schneidet affectierte Gesichter

in den Spiegel.)

Ma d e m o i s e l l e . En verite´, Madam, wenn Spiegel seyn der Brennglaß, ik klauben, mein Drey, Ihr Knad Auck stecken die Aus in Brand. La d y . Sie kann diesen Nachtrock nehmen, M a d e m o i s e l l e — Geht mir aus den Augen, C o r n e t ! Ich kann euch nicht ausstehen! — Das Mensch sieht ganz widerlich häßlich aus, nicht wahr? Ma d e m o i s e l l e . Aller Thing seh äßlik, Madam, wenn stehen bey Ihr Knad. La d y . Nein, gewiß, M a d e m o i s e l l e , mir däucht, Sie sieht überaus gut aus. *)

Scene aus S i r J o h n Va n b r u g h s Provoked Wife.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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Mad e m o is e lle . Ah, Madam, die Mond aben kein Klanz wenn der Sonn scheint. La d y . Wie artig das gegeben ist! — Ist Sie jemals verliebt gewesen, M a d e moiselle ? Madem o is elle

(macht einen kleinen Mund)

Oui, Madame.

La d y . Und liebte man Sie wieder? Madem.

(Mit einem Seufzer.)

Non Madame.

La d y . O ihr Götter! was für ein unglückliches Geschöpfe würd’ ich seyn, wenn m i r so was begegnete! Aber die Natur hat dafür gesorgt, daß dies 10

wohl nie mein Fall seyn kann. Sie hat mich mit einer D e l i c a t e s s e begabt! O M a d e m o i s e l l e , Sie hat gar keinen Begriff davon, wieviel ich D e l i c a t e s s e habe! Ich glaube wahrhaftig, wenn die Vollkommenheiten des ganzen männlichen Geschlechts in einem einzigen Mann aufgehäuft wären, ich dächte noch immer, es mangele dem Bürschgen was, damit sichs der Müh verlohnte mich nach ihm umzusehen. Und doch k ö n n t’ ich lieben! Ja, und ä u ß e r s t z ä r t l i c h lieben, — wenn’s nur möglich wäre ein Ding zu finden, das so recht ausdrücklich für mich gemacht wäre! Denn g r a u s a m bin ich nicht, M a d e m o i s e l l e , ich bin nur d e l i c a t . Madem. O, Madam, ik wünschen su seyn un beau Cavalier, blos aus Lieb von

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Ihr Knad. Ik thun alle Ding in die Welt, su mack en kleen Weeg in Ihr Ärtz. Ik macken Schansong, ik macken der Vers, ik Sie geben der Serenad; ick makken der viel kroß Present an M a d e m o i s e l l e ; ik aben kein Appetit, ik aben kein Schlaf, ik werden mager, ik werden doll, ik ängen mir, ik ersäuffen mir! ah, ma chere Dame, que je Vous aimerois!

(läuft auf sie zu, und

umarmt sie.)

La d y . Das ist wahr, die Franzosen haben doch was außerordentlich oblischantes an sich! Sie kann diese zwey Paar Handschuh nehmen. Madem. Ik tanken Ihr Knad underdänigst. * * * 30

Hoffentlich ist niemand, dem es, nachdem er diese höchst lehrreiche Scene gelesen hat, wunderlich vorkommen sollte, daß wir sie w a s i s t Wa h r h e i t ? überschrieben haben. Denn da sieht man nicht nur, was für ein himmelweiter Unterscheid zwischen Wa h r h e i t und Wa h r h e i t ist: sondern man kann auch das, was ei-

¼Übersetzung und Kommentar: Vanbrugh½ Wa s i s t Wa h r h e i t ?

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gentlich diesen Unterschied ausmacht, vermittelst dieses einzigen Beyspiels in allen vorkommenden Fällen mit solcher Gewißheit ausspüren und anwenden lernen, daß es beynah unmöglich seyn wird, jemals ein qui proquo zu machen. Besagter Unterschied ist wichtiger, als leichtsinniges unerfahrnes junges Volk vielleicht denken mag. Aber unser Autor hat ihn auch in ein ganz Rembrandisches Licht gesetzt! Denn C o r n e t , wiewohl sie d i e Wa h r h e i t sagt; m u ß a u s d e m Z i m m e r , i s t h ä ß l i c h und k r i e g t n i c h t s : M a d e m o i s e l l e hingegen, die auch lauter Wa h r h e i t sagt und n i c h t s c h m e i c h e l t , wird a n g e l ä c h e l t , bekömmt C o m p l i m e n t e , H a n d s c h u h e und N a c h t -

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r ö c k e . Der Unterschied fällt in die Augen. Übrigens kann wohl, meines Erachtens, nichts unbilliger seyn, als wenn manche Leute überlaut sagen, oder wenigstens bey aller Gelegenheit z u v e r s t e h e n geben, „als ob die Könige und ihres Gleichen sich die Art von Wahrheit, womit M a d e m o i s e l l e bey Lady F ä n c y f u l ihr Glück macht, lieber sagen ließen als wir andern kleine Herren.“ — Ich bitte sehr, mir das nicht etwan so aufzunehmen, als ob ich es nur so sage, u m M a d e m o i s e l l e n a c h z u a h m e n . Aufrichtig zu reden, ich habe nie auch nur den leisesten Beruf in mir gefühlt, die Partey der Könige, u. s. w. gegen irgend einen Ehrenmann zu nehmen, der Ihren Majestäten, Hoheiten, u. s. f. ins Angesicht beweisen wür-

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de, daß sie n u r M e n s c h e n sind; aber ich kann auch unmöglich gelassen anhören, wenn man ihnen Schuld giebt, sie seyn m e h r M e n s c h e n , als wir Andern seyn würden w e n n w i r d ü r f t e n . Will euch erzählen ein Mährlein : AIs S o l o n v o n A t h e n dem König Krösus gewisse Wa h r h e i t e n a ` la Cornet sagte, die freylich kein König und kein andrer Mann in der Welt an König Krösus Stelle sogar gerne gehört hätte, sagte Ä s o p u s zu ihm: „Solon, entweder man muß den Königen aus den Augen bleiben, oder ihnen nichts als a n g e n e h m e Dinge sagen.“ „Sprich lieber, versetzte S o l o n : Man muß sie entweder meiden; oder ihnen nichts sagen als was ihnen n ü t z l i c h ist.“ We r v o n b e y d e n h a t t e R e c h t ? —

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Solon — Äsopus — Geben Sie sich keine Mühe, Meßieurs; B e y d e hatten Recht. Denn wer den Großen g e f a l l e n will, muß sich ihnen a n g e n e h m machen können; und wer ihnen w i c h t i g werden will, muß ihnen n ü t z l i c h seyn. Ohne das eine oder Andre, w a s s o l l e n s i e m i t e u c h a n f a n g e n ? Nun frag ich einen jeden der bey seinen fünf Sinnen ist: „Sind die Großen hierinn um ein Haar anders gemacht als alle andre Menschenkinder?“ D e r Ta l e n t e s i n d z w e y e r l e y , sagte der Überwinder Persiens, T h e mistokles. Einer kann schön pfeiffen ; ein Andrer kann aus einer k l e i n e n S t a d t e i n e G r o ß e m a c h e n . — *) Zuweilen trägt die Natur auch 10

wohl Belieben einen D r i t t e n hervorzubringen, d e r b e y d e s k a n n . — A b e r w e r k e i n e s v o n b e y d e n k a n n , (setzt D . S c h w i f t hinzu) d e r v e r d i e n t m i t e i n e m Tr i t t v o r d e n H i n t e r n a u s d e r S c h ö p f u n g h i n a u s geschupft zu werden. Und das muß wahr seyn! W.

*)

Zu Verhütung alles besorglichen Mißverstandes unter meinen lieben Landsleuten, ist zu

merken, daß diese Worte f i g ü r l i c h gesprochen sind, und soviel sagen wollen, als: einer kann sich a n g e n e h m machen, ein andrer n ü t z l i c h . Schulmeister von Abdera.

¼Übersetzung und Kommentar: Vanbrugh½ Wa s i s t Wa h r h e i t ?

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Prolog zur Geschichte Herrn Bonifacius Schleicher. Eine Conversation. An den Herausgeber des T. Merkurs. Ihre, im October des verwichenen Jahres unter uns geneigte Leser des T. Merkurs hingeworfene Frage: O b m a n e i n H e u c h l e r s e y n k ö n n e o h n e e s s e l b s t z u w i s s e n ? — ist vielen (mit Ihrer Erlaubniß) ein wenig seltsam — um nichts härters zu sagen — vorgekommen. Das ist ja gerade, sagten sie, als wenn man fragte: Kann einer ein Falschmünzer seyn ohne es selbst zu wissen? Da hätten die Schelme gut Schelme seyn, wenn es noch problematisch wäre:

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ob man wohl gar mit gutem Gewissen ein Schelm seyn könne? Ich befand mich dieser Tagen in einer hübschen Gesellschaft, wo diese Materie, mit aller Seichtigkeit, womit dergleichen speculativische Dinge in gesellschaftlichen Conversationen behandelt zu werden pflegen, durchgebeutelt wurde. Einer der ausgemachtesten Ta r t ü f f e n , die jemals von Sonne und Mond beschienen worden, (wiewohl nicht eigentlich von der a n d ä c h t l e n d e n C l a s s e ) führte das große Wort. Er fand die Frage sehr überflüßig, und bewies uns, gelehrter als es nöthig war, daß man kein Heuchler seyn könne ohne sich dessen recht wohl bewußt zu seyn. Der Mann war, wie Sie sehen, desto unpartheyischer, da er w i d e r s i c h s e l b s t zeugte; wiewohl dies freylich eben nicht seine Absicht seyn mochte. Man sieht doch, — sagte eine gewisse F r a u v o n A . die vor fünfundzwanzig Jahren für das schönste Mädchen unsres Orts gehalten wurde, und seitdem in einer Art von Besitz vel quasi geblieben war, sich für die Ve n u s der Stadt und Landschaft ** zu halten — Man sieht doch — sagte sie, indem sie ihre großen Augen mit einer anmuthsvollen Verdrehung über den gegenüberhängenden Spiegel wegstreifen ließ, und sich ein wenig in die Oberlippe biß — wunderbare Exempel, wie die Menschen sich selbst betrügen können! Hält sich die kleine R . ihrer Stumpfnase und ihrer großen Unterlippe zu trotz, nicht für

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die niedlichste kleine Person unter der Sonne? Kennen wir nicht Alle die dicke Frau v o n B . , die zu Kayser Carl des VII. Zeiten sich so gern sagen ließ, sie sehe der berühmten Montespan wie zween Tropfen Wassers gleich? Thut sie nicht noch immer als ob sich jedermann, der sie ansieht, zum sterben in sie verlieben müßte? Warum sollt’ es einem Heuchler nicht eben so gehen können? Sich für schön oder wenigstens für liebenswürdig zu halten, sagte Herr D . ist ein sehr natürlicher, und, wie ich vermuthe, allgemeiner Glaube junger Frauenzimmer. Diejenigen, die es nur in einigem Grade sind, hören es überdies so viel und oft, daß ihre Bescheidenheit selbst endlich gezwungen ist, sich 10

auf die Seite der Eigenliebe zu schlagen. Indessen überschleicht ein Tag den andern. Unvermerkt werden Jahre daraus. Man wird dreyßig, man wird vierzig, ohne es gewahr zu werden. Der Übergang von einem Augenblick zum nächsten ist so unmerklich, daß man sich natürlicherweise in jedem noch immer für das hält, was man im vorgehenden war; und so geht es ganz begreiflich zu, daß eine Ve n u s v o n z w a n z i g , die so nach und nach, von Augenblick zu Augenblick v i e r z i g worden ist, noch immer die n e h m l i c h e Ve n u s zu seyn glaubt. — Was ihre Runzeln auch dagegen einwenden mögen — sagte die junge Madam C . indem sie einen anspielenden Seitenblick auf die Frau von A . warf.

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Die Einwendungen junger Runzeln kommen gegen das beglaubte Zeugniß von mehr als zwanzig Jahren in keine Betrachtung, erwiederte Hr. D . mit dem Tone, womit gewisse Personen das Glück haben, oft den plattesten oder impertinentsten Einfall so geschickt hinzuwerfen, daß er wie Witz klingt, und ohne weitere Prüfung dafür genommen wird. Ich bin vollkommen ihrer Meynung, sagte der Ta r t ü f f e . Aber das von Mad. A . angezogne Beyspiel, wovon Sie uns so guten Grund angegeben haben, beweiset, anstatt w i d e r , vollkommen f ü r meine Meynung. Der Heuchler muß nothwendig vom ersten Augenblick an, da er seine Kunst zu treiben anfängt, durch alle folgende sich eben so gut bewußt seyn, daß er ein Heuchler

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ist, als die F r a u v o n B . sich von der Wiege an ihrer Schönheit bewußt war. Die Folge ist bey beyden die nehmliche. Je älter Sie wird, je tiefere Wurzeln schlägt bey ihr das Bewußtseyn ihrer Reizungen; je länger Er heuchelt, je mehr Stärke gewinnt das innerliche Bewußtseyn, daß er ein ganz andrer Mann ist als er scheinen will. Sollten wir nicht lieber sagen, versezte Hr. D. es gienge dem Heuchler wie

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einem in seiner Profeßion graugewordnen Lügner, der seine Lügen so oft für wahr erzählt, bis er sie endlich selbst glaubt? Richtig, he, he, he, getroffen, Herr D . getroffen! rief ein ältlicher Herr, der vor kurzem zu R a t h e erwählt worden war, weil ihn die gute Mutter Natur mit einem herrlichen Vollmondsgesicht und einem stattlichen Bauch begünstiget hatte, und weil er auf alles was man sagte ein Kopfnicken, ein He, he, he, und ein Exempelchen bereit hatte. Erinnern sie sich noch, fuhr er fort, indem er sich unhöflicherweise an die Frau von A . wandte, des magern lungensüchtigen Schlossers Jacob, den man gemeiniglich nur den G a d r i g a hieß? Sein Sohn, bey dessen ältestem Buben ich Gevatter war, (der arme Mann ist

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nun auch todt!) erbte die Schmiede, und den Namen G a d r i g a ; aber eigentlich schrieb sich dieser Name vom Großvater her, den sich mein seliger Vater oft erinnerte in seinem schmutzigen Lederwamms und mit seiner hohen schwarzsamtnen Pelzmütze, die er mitten in den Hundstagen nicht ablegte, als ein Knabe gesehn zu haben. Dieser alte G a d r i g a hatte in seinen jungen Jahren lange gewandert, und war in Frankreich, und in Holland, und sogar in England gewesen; wie er dann würklich ein so guter Schlosser war, als wir keinen wieder gehabt haben, seitdem wir alle unsre Bürgerssöhne, so bald sie sich die Nase am Ermel schneuzen können, d i s p e n s a n d o ins Heyrathen pfuschen lassen. Aber wieder auf den alten G a d r i g a zu kommen, so pflegte

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der, wenn er an Sonn- und Feyertagen Abends mit andern Bürgern bey einem Krug Bier im Wirthshause saß, gemeiniglich von seiner Wanderschaft zu erzählen: und wie er in Colmar, und zu Cölln und in Middelburg, und in Delft und Rotterdam gearbeitet, und sich da in frischem Hering und Lachs und Austern dick gefressen, und Englisch Bier dazu getrunken, und wie er in einem großen Boot nach Harwich in England überfahren wollen, und wie das Boot mit allen darauf befindlichen Personen in einem schrecklichen Sturm jämmerlich zu Grunde gegangen. Zu gutem Glücke, fuhr dann G a d r i g a fort, wurd’ ich, just da ich vor Mattigkeit nicht einen Augenblick länger hätte schwimmen können, von einem ungeheuergroßen Wallfisch verschluckt. Soll mich dieser und jener, wenn nicht unsre große Pfarrkirche mit samt dem Thurm und den Neben-Capellen in seinem Bauch Platz gehabt hätte. Ich wollt’ ihn Schritt vor Schritt ausgemessen haben, wenn ich vor den vielen Mastbäumen und Kabeltauen, die er im Leibe hatte, hätte fortkommen können. Nun stellt euch einmal vor, Brüder, sagt’ er, wie einem ehrlichen Chri-

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stenmenschen so mutterseelallein in so einem Sarrazenischen Wallfischbauch zu muth seyn muß! Wasser hatt’ ich da genug für mein Lebenlang; aber der Henker hätte trinken mögen; es war lauter Salz, Pech, Schwefel und Colofonium! Ich hatte wohl noch ein Endchen Knaster und einen Fingerhut voll Brandtwein in der Ficke; aber das reichte nicht weit, wie ihr seht; und mich hungerte wie sechshundert Wölfe. Da war guter Rath theuer, nicht wahr? Möcht wohl sehen, was so Bursche wie ihr da hättet anfangen wollen, wenn ihr so in einem Gewölbe von Wallfischrippen, jede dicker als ein eichner Zimmerbalken, gesteckt hättet! Aber, Potz herrich, wozu hälf einem ehrlichen 10

Kerl auch der Verstand, wenn einem in solchen Umständen nichts einfiele? Der Wallfisch hatte eine Leber, wohl so groß wie fünf oder sechs von den größten Elsaßer Mastschweinen, die ihr in euerm Leben gesehen habt. ’S war eine schöne frische Leber, mein Seel! das Wasser lief mir ins Maul, wenn ich sie ansah. Ha, denk’ ich, wer da eine gute Schüssel voll Leberklöße von dieser Wallfischleber hätte! Ihr hättet ihm Stücke Centnerweis wegschneiden können, ohne daß ers gewahr worden wäre. Zu gutem Glück find ich eine B a u r e n g a n s *) in meinem Hosensacke! Ein Maltersack voll Ducaten und Doublonen hätte mich nicht so gefreut. — In diesem Ton erzählte nun Gadriga fort, wie er Feuer in des Wallfisches Bauch angemacht, und sich Leberklöße dabey

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gekocht hätte, besser als er sie je in seinem Leben gegessen; und auf jede (boshaft zweifelnde, oder noch boshafter glaubige) **) Frage, die seine Zuhörer an ihn thaten, wo er dies und das dazu hergenommen, und wie es ihm weiter im Wallfischbauch ergangen, und wie er den Weg wieder herausgefunden, hatte er eine Antwort in Bereitschaft; und wenn ihm dann die ältern Bürger ins Gesicht lachten, schwur er Himmel und Hölle zusammen, daß alles Punkt für Punkt so wahr wäre wie Amen. — Nun hören sie nur weiter; denn izt kömmt erst der rechte Spas von der Sache, he, he, he! weswegen ich Ihnen nehmlich die ganze Historie erzählt habe. Denn da der ehrliche Gadriga über achtzig Jahr alt wurde, und alle Sonn- und Feyertage Jahr aus Jahr ein ins

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Wirthshaus gieng, wo es sehr oft Gelegenheit gab, von seiner Wanderschaft zu reden: so erzählte Gadriga seine Lüge von des Wallfisches Bauch, und von den

*) **)

Name einer Art von Taschenmesser mit hölzernen Griff, in der Gegend wo Gadriga lebte. Die eingeklammerte Worte rühren nicht von dem dicken Rathsherrn, sondern dem Ver-

fasser dieses Schreibens her, wie man leicht einsehen wird.

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Leberklößen, die er sich darinn gekocht, so viel und oft, daß er sie zulezt im Schlaf hätte erzählen können; und weil die Leute, die indessen nachwuchsen, immer unglaubiger wurden: so log er binnen funfzig Jahren nach und nach so viel Umstände hinzu, und bekräftigte die Wahrheit davon bey jedem Worte mit so vielen Strafmichgotten, Sappermenten und Legionen Teufeln, daß er sie endlich selbst zu glauben anfieng, und in den lezten Jahren seines Lebens sich darauf hätte sengen und brennen lassen, daß ihm Alles von Wort zu Wort würklich so begegnet sey. He, he, he! — Woraus dann zu ersehen ist — Ihre Erzählung hätte nicht passender kommen können, Herr E . (unterbrach zu unserm Glücke Herr D . den dicken Rathsherrn, der sich in die

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Laune zu schwatzen hinein erzählt hatte) Friede sey mit dem alten Gadriga, wo sich seine Seele auch befinden mag! Nichts könnte geschickter seyn als sein Exempel, um uns begreiflich zu machen, wie ein Mann dazu kommen kann, nicht nur wider seinen eigentlichen Vorsatz ein bloß zur Lust ersonnenes Mährchen für Wahrheit zu geben, sondern es zuletzt selbst dafür zu halten. Ich bin gewiß, daß er anfänglich weiter nichts als Spas machen wollte. Da er aber unter der Menge die ihm zuhörte immer einige, mehr oder weniger, geneigt fand, seine Lüge zu glauben, oder wenigstens sich daran zu belustigen: so war nichts natürlicher, als daß ihn die Begierde z u i n t e r e ß i e r e n und z u ü b e r r e d e n unvermerkt weiter führte als er eigentlich zu gehen im

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Sinne hatte. Diese allen Erzählern so natürliche Begierde erwärmt seine Einbildungskraft; der Widerspruch erhitzt sie immer mehr; die Begierde recht zu behalten schürt nach; man überzeugt andre nur nach dem Maaße wie man selbst überzeugt scheint; er spricht also immer aus einem stärkern Tone; erdichtet immer neue Umstände, um seine Erzählung wahrscheinlicher zu machen; sie wird es endlich für ihn selbst, wird’s mit jeder Wiederhohlung mehr; und zuletzt kömmt heraus, daß er der Narr von Sich selbst geworden, und der einzige ist den er mit seiner Lüge betrogen hat. Nun dünkt mich (um wieder auf unsern vorigen Discours zu kommen) gerade so wie es dem ehrlichen Gadriga mit seinem Mährchen ergieng, könnt’ es einem Menschen ergehen, der sich einige Jahre lang viel Mühe gegeben hätte, weiser und tugendhafter zu scheinen als er würcklich wäre. Je größern Vortheil er davon hätte, die Welt durch diesen angenommenen Schein zu hintergehen, und je mehr es ihn Mühe und Aufmerksamkeit kostete den Tugendhaften zu machen: um so natürlicher wär’ es, wenn sich seine Einbildungskraft endlich ins Spiel misch-

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te, und ihn, wenigstens in gewissen Augenblicken, beredete, daß er es würklich sey. Mir däucht, sagte Madam F . (die nicht gern eine Gelegenheit vorbeygehen läßt, wo sie ihre Belesenheit in englischen Dichtern, Wochenschriften und Schauspielen anbringen kann) man könnte auf Ihren Heuchler sehr schicklich eine feine Stelle anwenden, die ich heute in Congrevs L a u f d e r We l t gelesen habe. Die Rede ist von einer gewissen Lady W i s h f o r t , die in einem Alter, wo Ansprüche doppelt lächerlich sind, und mit einer Figur, die niemals welche zu machen gehabt hatte, sich noch einfallen ließ, auf Eroberungen auszugehen. 10

Würklich erwartet sie einen Liebhaber, oder eigentlicher zu reden, einen Heyrather, den die Reitzungen ihres Vermögens herbeygelockt haben, und der sie noch nicht anders als aus ihrem Bildnis kennt. Aber unglücklicher Weise hat ein heftiger Unwillen, in den sie eben über einen ehmahligen Ungetreuen ausgebrochen, ihre Morgenarbeit am Putztisch so übel zugerichtet, daß ihr vor sich selbst graut, wie sie die schreckliche Verwüstung im Spiegel gewahr wird. „ D u m u ß t m i c h w i e d e r z u r e c h t e m a c h e n e h S i r R o l a n d k o m m t , “ sagt sie zu ihrer Kammerjungfer, „ o d e r i c h w e r d e m e i n e m B i l d n i s s c h l e c h t Wo r t h a l t e n , “ — Sorgen Sie nicht, gnädige Frau, (spricht die Jungfer) ein Bischen Kunst machte daß Ihr Bild I h n e n ähnlich

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sah; nun muß ein Bischen von der nehmlichen Kunst machen, daß Sie I h r e m B i l d e ähnlich sehen. Wir waren so gerecht oder so höflich die Anwendung sinnreich und passend zu finden; und ungefehr in diesem Tone wurde das Gespräch noch eine Weile fortgesetzt, bis jemand bemerkte, daß ich der einzige in der Gesellschaft wäre, der seine Meynung noch nicht gesagt hätte. Man wollte sich nicht damit abspeisen lassen, daß ich versicherte, ich fände, es wäre bereits viel Gutes über die Frage gesagt worden. Ich sollte mich schlechterdings erklären, ob ich sie mit Ja oder Nein beantwortete. Ich gestund: daß ich kein Bedenken trüge, mich auf die Seite der Wahrheit

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zu stellen, die in dieser Gesellschaft sich für Bejahung der Frage zu erklären scheine. Der Tartüffe sagte: er hoffe, daß ich schärfere Beweise würde zu geben haben, als die bisher auf die Bahn gekommen wären. Ich halte es für etwas ganz ausgemachtes, erwiederte ich, daß — (nur sehr wenige schneeweiße Seelen, die ich für große S e l t e n h e i t e n in der mensch-

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lichen Natur ansehe — vielleicht — d o c h n u r v i e l l e i c h t — ausgenommen) — die allermeisten von einem geheimen Bestreben, weniger unvollkommen s c h e i n e n zu wollen als sie sind, nicht frey gesprochen werden können. Ich sehe dies geheime Bestreben als eine Art von Instinkt an, wodurch die Natur in einem jeden unter uns arbeitet, uns mit den übrigen, von welchen wir entweder würklich übertroffen, oder unbilliger Weise übervortheilt werden, so viel möglich in wagerechten Stand zu setzen. Doch, was auch die Ursache seyn mag, das Faktum hat unstreitig seinen Grund; und in so ferne möchte sich das bekannte omnis homo mendax ganz richtig übersetzen lassen: alle Menschen sind Heuchler. M e h r oder w e n i g e r macht wohl auch hierinn,

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wie in allem Andern, den Unterschied. Da man aber in diesem Sinne von jedem Menschen Alles, was sich von irgend einem Menschen sagen läßt, sagen könnte (denn aus dem nehmlichen Grunde, warum alle Menschen Heuchler sind, sind auch alle Menschen Narren, Wollüstige, Geitzhälse, Diebe, Mörder, u. s. w.) so enthält man sich dieser Assertionen, die nach dem gemeinen Sprachgebrauch z u v i e l sagen, lieber gänzlich, und läßt es dabey bewenden, daß — wiewohl alle Menschen mehr oder weniger zum H e u c h e l n geneigt sind — doch nur derjenige ein H e u c h l e r heißt, der es in einem so hohen Grade ist, daß wir andern mit ihm verglichen a u f r i c h t i g e Leute sind; oder, der aus dem, was bey uns andern ein bloßer ziemlich unschuldiger N a t u r -

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t r i e b — u n s r e B l ö ß e z u v e r b e r g e n , oder z u s c h e i n e n was wir z u s e y n w ü n s c h e n — ist, eine K u n s t gemacht hat, die er in der unedeln Absicht treibt, Andre zu seinem Vortheil und fast immer zu ihrem oder eines dritten Schaden, zu hintergehen. Indessen scheint mir die vorerwähnte Erfahrungs-Wahrheit hier doch zu Etwas gut zu seyn; nemlich uns einigermaßen begreiflich zu machen, w i e m a n e i n H e u c h l e r w e r d e n k ö n n e o h n e e s z u w i s s e n . Wir brauchen darüber niemand zu fragen als — uns selbst. Nichts ist heimlicher und leiser als die in unserm Innersten nie ruhenden Würkungen der Eigenliebe. Es ist als ob sie erröthe über der That ertappt zu werden, und sich deswegen in die dunkelsten Winkel des Herzens verberge, um da ihr Wesen ungestört treiben zu können. Da nun wenige Menschen Zeit und Gelegenheit haben, sie bis dahin zu verfolgen, und noch Wenigere mit ihren Geistesaugen i m d u n k e l n s e h e n können: was wunder, daß die Meisten unzählichemal von ihr hintergangen werden, und sich ganz treuherzig bereden lassen: daß es bald diese,

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bald jene Tugend oder edle und schöne Gesinnung sey, die dies oder jenes in ihnen thue oder nicht thue; da es doch, beym Lichte besehen, immer nur die ewige Eigenliebe ist, die bald unter dieser bald unter jener Maske alles thut; und eben darum desto besser Spiel dabey hat, weil wir sie immer maskiert, nie in ihrer eignen Gestalt sehen. Es sollte mir vielleicht nicht unmöglich seyn, (setzte ich hinzu) aus diesen und einigen andern sehr bekannten Bemerkungen, durch gehörige Entwicklung, deutlich zu machen, wie sogar ein Mensch, d e s s e n g a n z e s L e b e n e i n e i m m e r w ä h r e n d e L ü g e w ä r e , es endlich dahin bringen könnte, sich 10

selbst für einen ehrlichen Mann zu halten. Aber werden Sie nicht unruhig; ich weiß zu wohl, was ich einer so guten Gesellschaft schuldig bin, um Sie mit Metaphysisch-moralischen Deduktionen — dem langweiligsten unter allen Schlafmachenden Mitteln — einzuschläfern. Die Damen, welche glaubten, daß ich ihrem Verstand ein schlechtes Compliment gemacht hätte, waren die ersten, die darauf drangen, daß ich meine Deduktion, auf Gefahr was daraus entstehen könnte, führen sollte. Die Herren, besonders der Tartüff, (der sich einbilden mochte ich suche nur eine Ausflucht, um nicht beym Worte genommen zu werden) machten Chorus mit ihnen; den dicken Rathsherrn ausgenommen, der im Friede seine Pfeife

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rauchte, und die Sache Gott befahl. Lassen Sie sich einen Vorschlag zur Güte thun, sagte ich endlich: ich hasse die Deduktionen in solchen Materien wie die Hölle. Aber ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die sich ganz vortreflich zu unserm Discurs schickt, und woran Sie wenigstens viel sanfter sollen einschlummern können, als an einer akademischen Abhandlung. Eine Geschichte? rief der Rathsherr aus seinem Lehnstuhl, indem er mit der einen Hand die Pfeiffe aus dem Munde nahm, und mit der andern auf seinen Bauch klopfte; — gut, die sollen Sie uns erzählen! Ich liebe die Historie. Ein schönes Studium! Und, man sage mir was man will, es lassen sich wahr-

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lich r e c h t g u t e M o r a l e n daraus ziehen, wenn man sie mit Bedacht ließt! Erzählen Sie immer, junger Herr, erzählen Sie! Und wenn auch hier und da ein Schwänkchen mit unterlieffe — Sie verstehen mich? He, he, he! ’S hat nichts zu sagen! bleibt alles unter uns! Und die Damen — die können ja die Augen zumachen, he, he, he! Wir ergeben uns dem Herrn P . auf Discretion, sagte die Frau von A .

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Alle übrigen stimmten ein. Nur vergessen Sie nicht (raunte mir der Tartüff mit einem zweydeutigem Lächeln zu, wobey er gewöhnlich seine spitzige Nase ein wenig zu rümpfen pflegte) daß es schwer seyn wird, uns auf den G a d r i g a etwas zu geben, das sich noch hören lasse. Ich stehe für nichts als für die Wahrheit meiner Geschichte, versezte ich. Ich habe den B o n i f a c i u s S c h l e i c h e r , der, in der Romansprache zu reden, mein Held seyn wird, während meines Aufenthalts zu R*** sehr genau kennen gelernt. Die meisten Umstände hab ich von ihm selbst; und das übrige theils von meinen Augen, theils von einem in jeder Betrachtung höchstglaubwürdigen Manne, der viele Jahre mit Schleichern gelebt hat, und ihn völlig

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auswendig weiß. Auf meine Unpartheylichkeit können Sie Sich vollkommen verlassen: Denn er hat mir meines Wissens nie kein Übel zugefügt. O, zur Sache, rief Madame C . und nicht so viel Vorredens, oder wir denken gerade das Gegentheil. Wie Sie befehlen. Und so fieng ich dann die Erzählung an, die ich Ihnen, mein Herr, zu willkührlichem Gebrauch überlasse; nehmlich sie in den Merkur aufzunehmen, wenn Sie finden, daß sie eine leidliche Beantwortung Ihrer Frage enthält; oder sie in die Hölle zu werfen, wenn Sie etwan — über dem Lesen derselben eben so bald einschlafen sollten als der ehrliche dicke Rathsherr unterm Hören; welches in der That seine Schuld nicht war. Denn der gute Mann hatte sich vorgenommen, recht viel dabey zu lachen, wenn’s Gelegenheit gäbe. Die Fortsetzung folgt.

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Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment. B o n i f a z S c h l e i c h e r ist der jüngste von eilf Söhnen eines ritterschaftlichen Beamten zu T. im Canton **. Von seinen Eltern ist, außer ihrem Verhältnis gegen ihn, eben nicht viel merkwürdiges zu sagen. Es waren ganz alltägliche Leute, deren Begriffe sich niemals über den engen Kreis ihrer eignen Existenz ausgedehnt hatten; und denen in ihrem ganzen Leben nicht das geringste davon ahnete, daß außer dem, was sie selbst unmittelbar betraf, noch etwas ihrer Theilnehmung würdiges seyn oder vorgehen könnte. Der sittliche Zu10

stand unsers lieben teutschen Vaterlandes und des ganzen Europa gieng während ihrer Zeit durch viele merkliche Verbesserungen und Verschlimmerungen; große Entdeckungen in Wissenschaften und Künsten wurden gemacht; neue Systeme und Hypothesen in der Philosophie auf und abgebracht; große Geister in allen Arten, thaten sich zugleich und nach einander hervor, rangen miteinander, verdrängten einander, würkten mancherley gute und schlimme Veränderungen in der Denkart und dem Geschmack ihrer Zeitgenossen; alte Vorurtheile und Thorheiten wurden abgeschaft und neue kamen an deren Stelle: Kurz, der Schauplatz der Welt veränderte sich alle Augenblicke, ohne daß der Herr O b e r a m t m a n n S c h l e i c h e r , zu T . im Canton **. das min-

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deste von allem diesem gewahr wurde. Er wartete mit großer Regelmäßigkeit seine Gerichtstage ab, stellte seine Rechnungen, bezog mit der äußersten Genauigkeit seine Gefälle und Accidenzien, hielt streng über Observanz und altem Herkommen, schor mit aller gebührenden Legalität seine Bauren, plagte seinen Pfarrer, und sah seinen gnädigen Herrn für einen von den G r o ß e n d i e s e r We l t an, an dessen Daseyn, hohem Wohlbefinden, und hochfreyherrlichen Rechten und Gerechtsamen dem ganzen Erdenkreis mächtig viel gelegen sey. Wohnte übrigens seiner Frau als ein guter Christ ordentlich und regelmäßig bey; that alle Sonn- und Feyertage seinen guten Schlaf in der Predigt; ließ zwanzig Jahre hinter einander jährlich ein bis zwey Kinder tauffen;

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begrub die meisten davon wieder; schmauchte den ganzen Tag seine Pfeiffe,

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und brachte alle Wochen zween Abende in Gesellschaft einiger Nachbarn damit zu, über den Korn- und Viehpreis, die Balance von Europa, die Grenzstreitigkeiten von Pohlen, und die Mark- und Jurisdictions-Streitigkeiten des Hrn. von Z . mit der Stadt Y . oder andere solche Welthändel zu sprechen — hernach den Pagad zu jagen — und endlich, bey Wildbraten und Salat, in gutem alten Landwein alle in seiner Gegend seit undenklichen Zeiten hergebrachte und observanzmäßige politische, patriotische, ökonomische, gesellschaftliche, freundschaftliche, ernsthafte, lustige und zweydeutige Gesundheiten aufzubringen und mitzutrinken: bis gegen Mitternacht seine Gäste, sämtlich wohlbezecht, ihren Abschied nahmen; und er selbst von seiner ge-

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treuen Penelope, mit Hülfe der Stubenmagd und des Hausknechts, zu seiner Ruhestätte gebracht wurde. Was die F r a u O b e r a m t m ä n n i n betrift, die war eine große, dicke, kupfernasige Frau; die eine sehr krächzende aber durchdringende Stimme hatte; immer in Bewegung war; den ganzen Tag mit ihrem Gesinde und den Kindern schalt; scharf über ihrem Rang hielt; sich, mit einer höchstlächerlichen Mischung von Eitelkeit und Sparsamkeit, aber immer, wie sie glaubte, nach der neuesten Mode kleidete, und darüber mit zwoo oder drey Kammerjungfern benachbarter Damen in Correspondenz stund; sich gern von jungen Offizieren schön thun ließ; gar züchtiglich schmunzelte, wenn sie ihr g a l a n t e

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Zweydeutigkeiten sagten; sich piquierte, eine Frau von Lebensart und Verstand zu seyn; alle Haus-Anekdoten und ärgerliche Histörchen, von mehr als hundert Familien in der Runde, sammelte und im Kreislauf erhielt; und übrigens gar keinen Begriff davon hatte, daß außer der Bibel, ihrem Gesang-und Communionbuch, dem Calender, dem klugen Beamten, der Insel Felsenburg, und den Gesprächen im Reich der Todten (welche die Bibliothek ihres Mannes ausmachten) noch irgend ein andres gedrucktes Buch in der Welt seyn könnte. Es ist nicht sehr zu vermuthen, daß die Natur einen Menschen, mit dem sie etwas großes vorhätte, gerade solchen Leutchen, wie der Herr Amtmann Schleicher und seine Gemahlin, zu verfertigen geben sollte. Aber bey unserm B o n i f a z kam noch dazu, daß er unter den dreyundzwanzig Kindern, die seine Eltern in rechtmäßigem Ehebette mit einander erzeugt hatten, das lezte war. Ein Umstand, der zwooer Ursachen wegen merkwürdig ist: erstlich, weil wahrscheinlicher Weise bey solcher Bewandniß der Sache weder Stoff, noch

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Form, noch Arbeit viel an ihm taugen konnte *); und zweytens weil er demungeachtet der L i e b l i n g seiner Eltern war, und daher von der Wiege an so vollständig verzärtelt wurde, als nur immer hätte geschehen können, wenn er zum Erben von Cilicia, Paphlagonia, Phrygia und Pamphilia wäre gebohren gewesen. Der kleine B o n i f a z war bey allem dem ein ganz hübsches blondes kraushaarichtes Bübchen; lernte bald gehen und reden, plapperte den ganzen Tag, hatte Einfälle, neckte gern seine Brüder und Schwestern; war aber dabey ein greulicher Heularsch, und schrie und winselte gleich gottserbärmlich, wenn 10

ihm eines von seinen Geschwistern, die ihm an Alter die nächsten waren, etwan für die ewigen Plagen so er ihnen anthat einen kleinen Schlag gab, oder auch nur eine Faust gegen ihn machte. Alle diese Eigenschaften rechtfertigten in den Augen der Frau Oberamtmännin ihre unmäßige Liebe zu dem holden B o n i f a z c h e n , welcher (wie sie alle Augenblicke bemerkte) der artigste, gescheideste, drollichste und sinnreichste Junge wäre, der jemals Kindsbrey gegessen und an einem Schnuller gesuckelt hätte. Besonders rühmte man an ihm sein g u t e s H e r z ; weil er sich nie wehrte, wenn er Händel mit seinen Brüdern oder Schwestern bekam, (wozu freylich er selbst fast immer die Ursache gab) sondern sich begnügte,

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ihnen entweder durch sein Geheul und Wehklagen Schläge von der Mutter zuzuziehen; oder eine Gelegenheit abzulauren, wo er ihnen, ohne daß sie wußten wer’s gethan hatte, einen Possen spielen konnte. Außerdem hatte seine zärtliche Mama den Trost, zu sehen, daß sich ihr lieber kleiner B o n i f a z nie in einige Gefahr begeben würde, die ihr mütterliches Herz durch Besorgniß für sein theures Leben ängstigen könnte. Denn der Bube war so hasenherzig, daß er sich noch im sechsten Jahre vor seinem eignen Schatten fürchtete; und die Furcht, zu fallen oder sich wehzuthun, hielt ihn immer von allen seinem Geschlecht zuständigen Übungen ab. Über einen Graben zu springen, auf einen Baum zu klettern, oder nur über einen Zaun zu steigen, waren Herkulesar-

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beiten in seinen Augen, vor deren, bloßen Anblick er an allen Gliedern zitterte. Natürlicher Weise flößte diese Feigheit seinen Brüdern und den übrigen Knaben im Dorfe herzliche Verachtung gegen Bonifazen ein, der sich immer *)

Man giebt gerne zu, daß dies, sonderlich bey Eltern aus dem vorigen Jahrhundert, seine

Ausnahmen leiden mag.

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von ihnen absonderte, und dafür mit den kleinen Mädchen Ve r s t e c k e n s , F r a u S o n n , G r a d o d e r U n g r a d , und dergleichen Spielchen spielte; oder, wenn er auch mit den Jungen lief, zu nichts in der Welt gut war, als den Spion zu machen, und Vater und Mutter alles was man getrieben hatte, und oft mehr dazu, wiederzusagen. Allein auch diese Eigenschaften wurden ihm von seiner albernen Frau Mama als eben so viel Verdienste angerechnet; anstatt daß eine kluge Mutter darinn den Keim des künftigen Schurken entdeckt, und an dessen möglichster Erstickung gearbeitet hätte. Seine Brüder verlohren immer bey der Vergleichung mit ihm; immer wurde ihnen B o n i f a z c h e n als ein Muster vorgestellt, dessen Tugenden ihre Unarten und Laster beschämten. Sie

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waren so leichtfertig, so wild! lieffen immer im Feld herum, stellten immer etwas an, worüber Klage einlief, rauften und balgten sich immer bald aus Muthwillen bald im Ernst mit den andern Buben, u. s. w. Er hingegen war so sittsam, so wacker, so unschuldig, so folgsam! ließ sich nie von ihnen verführen, an ihren Bosheiten (wie man’s zu nennen beliebte) Antheil zu nehmen, und bewies sein gerechtes Mißfallen daran, indem er sie aus purer Liebe und Wohlmeynung den Eltern oder dem Hofmeister verrieth. Kurz, Bonifazchen hörte sich immer wegen solcher Handlungen loben, für die er von rechtswegen hätte die Ruthe kriegen oder ans Katzentischchen gesezt werden sollen. Bey einem Jungen, den die Natur selbst schon so angelegt hatte, daß, auch

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im glücklichsten Falle, höchstens ein leidlicher — Schneider aus ihm werden konnte, mußte eine so sinnlose Art von moralischer Erziehung nothwendig mancherley schlimme Folgen haben. Bey seinen Brüdern, die um seinetwillen so oft leiden mußten, verwandelte sich die Verachtung gegen den, der nichts mitmachen konnte, endlich in Haß gegen den Verräther. Sie schlossen ihn von allen ihren Spielen, Anschlägen und Unternehmungen gänzlich aus, jagten ihn fort, wenn er sich etwan hinzuschleichen wollte, und brauchten immer alle mögliche Vorsicht, damit er nie erführe was sie vorhätten. Dieses Verfahren reitzte den Buben, auf Mittel zu denken, wie er demungeachtet hinter ihre kleinen Geheimnisse kommen könnte. Sein Instinkt ließ ihn nicht lange unberathen. Bonifazchen hatte sich durch seine Furchtsamkeit einen schleichenden Gang angewöhnt, und war dabey von Natur mit sehr feinen Ohren begabt. Durch die Gelegenheiten, die ihm seine Brüder gaben diese Talente zu entwickeln, bracht’ er es in Kurzem in d e r K u n s t a u f d e n Z e h e n z u schleichen, durch Schlüssellöcher zu gucken, und vor den Thü-

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r e n oder in einem W i n k e l , wo ihn niemand vermuthete, z u h o r c h e n , zu einer bewundernswürdigen Fertigkeit: Und da Gewohnheit endlich zur andern Natur wird, so blieb ihm auch diese so lang er lebte. Er behielt immer den schleichenden Gang, spitzte und reckte immer die Ohren auf alle Seiten, und konnte unmöglich ein Paar Leute miteinander reden sehen, ohne daß er einen unüberwindlichen Trieb in sich fühlte, zu wissen was sie redeten. In solchen Fällen wußte er, nach der Lage des Orts und Beschaffenheit der Umstände, entweder in Spirallinien oder Asymptoten, ihnen unvermerkt mit einem seiner lauschenden Ohren nahe genug zu kommen, um wenigstens soviel einzel10

ne Worte zu erschnappen, daß er durch muthmaßliche Combinationen (worinn er ein großer Meister war) herausbringen konnte, wovon wohl die Rede seyn, oder was sie im Schilde führen möchten. Die natürliche Schwäche des kleinen Bonifaz; die überschwängliche Sorgfalt womit er von der Wiegen an verzärtelt worden war; und das unverständige Mitleiden, so er immer über dem geringsten Zufall oder Wehklagen bey seiner Mutter fand: alles dies gab ihm eine unartige Reitzbarkeit, die so weit gieng, daß man ihn nicht schief ansehen, noch mit dem Ellenbogen anrühren durfte, ohne daß er gleich ein Jammergesicht zu machen und zu heulen anfieng. So wie er nun heranwuchs, und die Mißhelligkeiten zwischen ihm und seinen

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Brüdern zunahmen, häuften sich auch die vorgeblichen oder würklichen Beleidigungen, die ihm die letztern zufügten; und wenn er dann zu Vater oder Mutter lief, und ihnen durch sein Klagen und Weinen Strafe zuzog, so war der ganze Vortheil, den er davon hatte, dieser, daß sie ihm alle Ohrfeigen, Schläge und Rippenstöße, die sie um seinetwillen empfiengen, bey der ersten Gelegenheit doppelt wieder gaben. Wie er nun merkte, daß er auf diesem Wege mehr verlohr als gewann, so sann er auf Mittel, seine Rachbegierde durch H i n t e r l i s t , und so, daß man ihm nicht zu Leibe gehen könnte, an ihnen auszulassen. Er lernte seinen Groll meisterlich verbergen; aber wenn sie glaubten, sie stünden am besten mit ihm: so spielte er ihnen irgend einen

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tückischen Streich, und wußte es dabey immer so fein anzugeben, daß der Verdacht auf einen andern fiel. Diese Art sich die Wollust der Rache zu verschaffen hatte einen dreyfachen Vortheil: sie war mit Sicherheit für seine kleine Person, die er über alles liebte, verknüpft; sie gab ihm häufige Gelegenheit, sich selbst zu seinen Erfindungen Glück zu wünschen, und sich für einen sinnreichen verschmitzten Kopf in

Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment

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Vergleichung mit den Kalbsköpfen seinen Brüdern zu halten, die eh sie sichs versahen, wieder eins auf die Nase kriegten, ohne zu sehen, wo der Schlag herkam; und er erhielt sich dabey im Besitz des Ruhms eines gutartigen friedliebenden Knabens, und aller damit verbundnen Nutz und Nießungen; wenigstens so lange seine Mutter lebte. Es war also sehr natürlich, daß er auch in dieser Kunst nach und nach ein eben so großer Meister wurde, als in der Kunst zu schleichen und zu horchen. B o n i f a z c h e n war nun ein Knabe von eilf bis zwölf Jahren geworden, und, wie wir sehen, ein hofnungsvoller Knabe: Weichlich, feigherzig, einbildisch, selbstisch, rachgierig, falsch und tückisch; und dünkte sich mit allen diesen

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schönen Qualitäten nicht um ein Haar schlimmer. Im Gegentheil, da er von Kindheit an seinen Brüdern vorgezogen, und unzähliche mal um eben dieser besagten Eigenschaften willen angelächelt, geküßt, gelobt und belohnt worden war: so hatte dadurch, nicht nur überhaupt das n a t ü r l i c h e Wo h l g e f a l l e n e i n e s M e n s c h e n a n s i c h s e l b s t bey ihm unendlich viele Nahrung bekommen; sondern es verband sich auch nothwendig mit den niederträchtigen und strafbaren Handlungen, die an ihm gelobt wurden, der Begriff der Ehre und des Verdiensts i n s e i n e m G e h i r n e ; er gewöhnte sich an, seine s i n n l i c h e We i c h h e r z i g k e i t für G ü t e , seine F e i g h e i t für B e h u t s a m k e i t , seinen H o c h m u t h für E h r l i e b e , seine R ä n k e s u c h t und A r g l i s t

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für W i t z und K l u g h e i t zu halten. Kurz B o n i f a z c h e n war in seinem zwölften Jahre bereits e i n a u s g e m a c h t e r k l e i n e r S c h u r k e , o h n e d a ß ihm nur der mindeste Argwohn darüber in den Sinn kam. Noch eine böse Folge der unverständigen Liebe seiner Mutter zu ihm war diese: daß der Junge, weil ihm in allen Händeln mit seinen Geschwistern fast immer R e c h t g e g e b e n w u r d e , sich unvermerkt eine mechanische Fertigkeit zuzog, z u g l a u b e n d a ß e r i m m e r R e c h t h a b e , und folglich bey allen Gelegenheiten immer Recht haben zu w o l l e n . Bey der ungemeinen Lebhaftigkeit seiner Eigenliebe, und der wenigen Stärke seines Kopfes war dies die schlimmste aller Unarten, die er sich in seiner Kindheit angewöhnt hatte; sie machte nicht nur alle seine übrigen Untugenden u n h e i l b a r : sondern gab ihm auch eine so verzweifelte S c h i e f h e i t , und versperrte der Wahrheit alle Zugänge zu seiner Seele so sehr, daß er zuletzt gegen w a h r u n d f a l s c h v ö l l i g g l e i c h g ü l t i g wurde; oder vielmehr, daß es ihm zur Natur wurde, mit gänzlicher Beruhigung seiner Seele zu glauben, eine Sache sey

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alsbald wahr oder falsch, und müsse schlechterdings so seyn, so bald E r sie dafür halte. Aus diesem ganz simpeln Grunde wird auf einmal begreiflich, wie es möglich war, daß B o n i f a z S c h l e i c h e r , sein ganzes Leben durch, sich selbst, Trotz allen seinen verächtlichen Eigenschaften, für einen sehr edeln, moralischen und untadelichen Mann, und jeden, der seinen eigensüchtigen Entwürfen und Ränken im Wege stund, mit der innigsten Überzeugung seines Herzens für einen sehr schlimmen Menschen ansah. Es war seinem Eigendünkel, und seinen übrigen selbstischen Leidenschaften gemäß, so zu glauben; er 10

glaubte es also; und weil er’s glaubte, so war’s so; wenigstens war’s f ü r i h n so, und sein Interesse foderte, soviel möglich j e d e r m a n a u c h g l a u b e n z u m a c h e n , d a ß e s s o s e y . Und wer dann nicht so denken und glauben wollte oder konnte, h a t t e U n r e c h t , war sein F e i n d und W i d e r s a c h e r , und wurde, als ein böser, gefährlicher Mensch aus allen Kräften, bey aller Gelegenheit, mit Worten und Werken von ihm verfolgt. Denn B o n i f a z i u s war ein t u g e n d h a f t e r M a n n und g u t e r C h r i s t , der alle böse Menschen haßte, als Leute, denen er, wie dem Teufel und allen seinen Werken und Wesen, in seinem Taufbund entsagt hatte. — Doch wieder zur Geschichte seiner ersten Jugend!

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Weil Herr Amtmann Schleicher auf dem Lande wohnte und von der nächsten Stadt (die ohnehin nur eine schlechte Trivialschule hatte) über drey Stunden weit entfernt war, so hielt er seinen Kindern einen Hauslehrer, oder sogenannten Hofmeister. Es war ein C a n d i d a t u s T h e o l o g i ä , wie man’s nennt; ein ziemlich wohlgewachsner, gesunder, starker Bengel, der in T. und J. Logik und Metaphysik, Dogmatik, Polemik, Moral, Kirchenhistorie, und, weil es damals Mode zu werden anfieng, auch ein C o l l e g i u m ü b e r d i e s c h ö n e n W i s s e n s c h a f t e n gehört — von allem diesem, vielleicht zu seinem Glück, soviel als nichts gelernt — der Tochter in dem Bürgerhause, wo er wohnte, ein Kind gemacht — und sich übrigens für einen Studiosum Theologiä

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so ziemlich ehrbar aufgeführt hatte. Weil er nun, nachdem er a b s o l v i e r t und in patriam zurückgekommen, bey seinem Vater (einem ehrlichen aber mit vielen Kindern beladnen Schuhflicker in R.) nichts zu essen kriegte, hatte er sich, in Erwartung eines Bessern, bey Hrn. Amtmann Schleichern als Hauslehrer verdungen, mit der Hofnung durch Vorschub des Letztern den Pfarrdienst zu B*** nach dem Ableben des alten Pastors Loci zu erhalten. Der

Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment

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Candidat hieß T h o m a s S c h r a g e r ; gieng fleißig mit seinem Herrn Patron, oder allein mit seinem Hund, auf die Hühner- und Entenjagd: schäckerte gern mit den Mädchen und jungen Weibern im Dorfe, wenn sie Heu und Flachs dörrten; und wurde von jedermann (den Herrn Amtmann selbst ausgenommen) wie die Welt böse ist, in Verdacht gehalten, daß er mit der Frau Amtmännin etwas vertrauter lebte, als seine Schuldigkeit war; und wohl gar an der Fruchtbarkeit ihrer letzten Jahre einigen Antheil gehabt haben könnte. Unter diesem Hofmeister gieng es nun dem kleinen Bonifaz (der etwan sechs bis sieben Jahr alt war, da er unter seine Aufsicht kam) so gut als er sichs nur wünschen konnte. Denn weil Bonifazchen der Liebling seiner Mutter, und

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überdies ein sehr schmeichlerisches Bübchen war, und die kleinen Botschaften zwischen Mama und Herrn Thomas, wozu man ihn brauchte, mit großer Schlauheit auszurichten wußte: so war er sicher, daß er ungestraft faullenzen, den ganzen Tag in der Küche herumnistern, mit dem Gänsemädchen Possen treiben, seine Geschwister plagen, lügen, naschen, schleichen, horchen, kurz so unartig seyn durfte als ihm beliebte. Indessen, weil der Junge in seiner Kindheit ein gutes Gedächtnis hatte und eine Sache leicht faßte, so bracht’ er es demungeachtet so weit, daß er in seinem zwölften Jahre teutsch und lateinisch lesen, leidlich schreiben, und in E r a s m i C o l l o q u i i s die leichtesten ganz fertig exponiren konnte; — welches alles ihm dann bey seinen hochwerthen Eltern und ganzer hochansehnlicher Verwandtschaft, wie leicht zu erachten, bey jeder Gelegenheit nachgerühmt und zu großem Verdienst angerechnet wurde. Unglücklicher Weise für Bonifazen, starb um diese Zeit seine liebe Mutter, und Thomas Schrager wurde wenige Monate darauf zum Pfarrerdienst in B***. befördert. Die Fortsetzung nächstens. W.

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Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment. Fortsetzung von S. 136. in No. 8. Herr Amtmann Schleicher befand sich nun in seinem acht und funfzigsten Jahre, mit einem sehr großen Wanst und sehr wenig Thätigkeit, ohne Frau und mit fünf noch unerzognen Kindern, an der Spitze einer ziemlich weitläuftigen Wirthschaft. Nun hatte er zwar, außer den fünfen, noch eine Tochter zu Hause, die bereits das achtzehnte Jahr zurückgelegt hatte, und sowohl Alters als Verstandes halben seiner Haushaltung, unter väterlicher Obsicht, ganz wohl 10

hätte vorstehen können. Allein des Mädchens Jugend und seine Amtsgeschäfte, die ihm (wie er seit 30 Jahren zu glauben und zu sagen gewohnt war, ohne die Sache jemals genau untersucht zu haben) nicht erlaubten sich mit seiner eigenen Ökonomie zu placken, hatten ihm zum Vorwand gedient, eine Art von Basen zu sich zu nehmen, Frau Garmundin genannt; eine Person, die zwar bereits über funfzig Frühlinge gesehen hatte, aber doch bey einer starken und gesunden Leibesbeschaffenheit und einer Gemüthsart, die durch Theilnehmung an irgend einem Wesen außer ihr selbst niemals angegriffen worden war, noch frisch genug aussah, um ohne große Unschicklichkeit nur zwey und vierzig zu gestehen. Diese Person erlangte in kurzem unumschränkte Gewalt

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über das ganze Haus. Der Herr Amtmann, der seines Lebens Rest soviel möglich in Ruhe zubringen wollte, nahm sich, gleich Epikurs Göttern, keines Dinges an; aß, trank und schlief; rauchte, in einem wohlgepolsterten Großvaterstuhle flackend seine Pfeiffe, las die Zeitungen oder die Geschichte der Insel Felsenburg, und wieß jedermann an seinen Schreiber und an Frau Garmundin. Weil er nun, nach Abgang des Hrn. Thomas Schragers einen andern Hofmeister für seine Söhne brauchte: so nahm er, auf Empfehlung der Dame Garmund, einen Bruder ihres vor einigen Jahren verstorbenen Mannes dazu an; einen alten Candidaten des H. Predigtamts, der aus mancherley Ursachen bisher immer ohne Dienst geblieben war, wiewohl er in der Gegend umher für

B o n i f a z S c h l e i c h e r ¼Fortsetzung½

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einen gelehrten Mann, und für einen der besten Disputierer im ganzen Lande passierte. Er hieß Magister Samuel Lebrecht S p i t z e l i u s : war ein Mann von mittler Größe, etwas hager, hatte ein sehr langes schmales Gesicht, eine kurze flache Stirne, dicke Augbrauen, deren Zug so ziemlich einem griechischen Circumflex ähnlich sah, eine über die Lippen herabwinkende Nase, grünliche, weithervorstehende und ein wenig schielende Augen, einen Mund der gar nicht wuste was Lächeln war — kurz, sein Gesicht hatte alles was zu einem Gesichte gehört, dem man gerne aus dem Wege geht. Böse Leute sagten: Frau Garmundin, weil ihr der Ruf, worinn die wohlselige Frau Amtmännin mit dem vorigen Informator gestanden nicht unbekannt gewesen, hätte mit gu-

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tem Bedacht ein Subjekt ausersehen, dessen erster Anblick den Lästerzungen sogleich allen Gift benehme; und hätte es um so leichter thun können, sagten sie, weil der Schreiber ein hübscher rüstiger Mensch wäre auch des alten Rentmeisters Substitut — und was dergleichen Reden mehr waren. Wie dem auch seyn mochte, genug Magister S p i t z e l i u s war in diesem und allen andern Punkten der vollkommne Gegenfüßler von Thomas Schrager. Ein ernsthafter, nüchterner, förmlicher, strenger Mann, der alles sehr genau nahm, alles nach Regeln that, und den Kopf voller Definitionen, Lehrsätze, Heischesätze und Corollarien hatte, nach denen er alles was ihm vorkam, ohne Verschonen und Ausnahme, claßificirte, benahmsete, billigte, oder verwarf. Daher kam es

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nun, daß der ehrliche Mann beynahe nichts in der Welt nach seinem Sinne fand. Alles, sonderlich die Menschen und all ihr Thun und Lassen, Dichten und Trachten, hätte nach seinem System anders seyn sollen als es von jeher war. Von der unendlichen Mannichfaltigkeit der innern Anlage, vom Einfluß der äußern Umstände, von den unzählichen Mitteltinten und Schattierungen, in welchen Wahres und Falsches, Gutes und Böses ewig bey einzelnen Menschen zusammenfließt, von der Magie der Einbildungskraft und der Leidenschaften, und von der großen Wahrheit, „ d a ß a l l e s w a s i s t , g e r a d e s o i s t w i e e s z u r Z e i t d a e s i s t s e y n k a n n“ — hatte Meister Samuel Lebrecht Spizelius nicht den mindesten Begriff. Für ihn war alles wahr oder falsch, gut oder böse, so wie ein m e t a p h y s i s c h e s D i n g entweder A oder N i c h t A ist. Wa h r nannte er Alles, w a s e r n a c h s e i n e m S y s t e m b e w e i s e n k o n n t e ; f a l s c h , a l l e s w a s n i c h t i n s e i n S y s t e m p a ß t e : B ö s e , alles was durch p o s i t i v e s Gesetz im ausgedehntesten Sinne bey Strafe v e r b o t e n ; g u t , alles was g e b o t e n und worauf eine B e l o h n u n g gesezt war. Daher die un-

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biegsamste H a r t n ä c k i g k e i t und I n t o l e r a n z in seinen M e y n u n g e n , und eine mehr als mönchische A u s t e r i t ä t in seiner M o r a l . Den Stoischen Satz, a l l e S ü n d e n s i n d g l e i c h , führte er immer im Munde. Gegen d i e N a t u r hatte er einen unendlichen Widerwillen. Er hielt sie für grundverderbt, zumal im Menschen, in dessen Herzen, seiner Meynung nach, alles Böse war; so daß die Hälfte der Erziehung in ewigem Jätten und Ausrotten, Abschneiden und Ausbrennen des verdammten Unkrauts von Trieben, Neigungen und Leidenschaften, die wir unseliger Weise aus Mutterleibe mitbringen, bestehen müßte. Dies mag genug seyn, Ihnen einen Begriff von der Denkart 10

dieses Mannes zu machen; der übrigens ein guter Lateiner, und ein furchtbarer Kämpfer gegen alle D i s s e n t e r s , Ketzer, Naturalisten und Deisten war, anbey viel von Verstopfungen im Unterleibe litt, und mit einigem Schein beschuldiget wurde, ein We i b e r h a ß e r zu seyn. B o n i f a z c h e n spürte bald den Unterschied zwischen diesem und seinem vorigen Informator; und es war ihm gar nicht heimlich dabey. Denn zum Unglück fand er in Frau Garmundin die zärtliche Beschützerin und sichre Zuflucht nicht, die er immer in seiner lieben Mama gefunden hatte. Sich unter seinen Vater zu verkriechen, daran war gar nicht zu gedenken; der hatte ihn, ohne Vorbehalt, der Zuchtruthe des Hrn. M. Spitzelius untergeben. „Es ist ein

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verzärtelter Junge, pflegte der Hr. Amtmann öfters zu sagen: er war immer das Muttersöhnchen; ich mochte reden was ich wollte, alles was Bonifazchen that, war wohl gethan . ’S ist hohe Zeit, daß dem Buben der Kopf gebrochen wird!“ Hierzu war nun Magister Spitzelius gerade der rechte Mann. Aber B o n i f a z c h e n war schlau, und ließ es nicht so weit kommen. Die Furcht vor der Spitzelischen Zuchtruthe, die er etlichemal reichlich gekostet hatte, brachte ihn plötzlich zu einer völligen Änderung seines Lebenswandels. Er übertraf alle seine Geschwister an Fleiß, Biegsamkeit und Gehorsam; wußte immer seine Lection am bäldesten auswendig; lernte bald seines Meisters Sprache,

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Manieren und Sittenregeln; bildete sich nach ihm, vermied ängstlich alles, was ihm Verweis und Züchtigung hätte zuziehen können; war ehrbar, ernsthaft und still in seinem Betragen; und brachte es denn auch, wie natürlich, auf diesem guten Wege dahin, daß Spitzelius sehr wohl mit ihm zufrieden war, und ihm von Zeit zu Zeit vor dem Vater und andern Verwandten oder fremden Personen, die ins Haus kamen, Lobsprüche ertheilte, an denen sich die Eitel-

B o n i f a z S c h l e i c h e r ¼Fortsetzung½

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keit des kleinen Bonifaz nicht wenig kützelte. Im Grunde aber blieb er nicht nur ein so böser Bube als zuvor, sondern wurde täglich schlimmer und schlimmer. Denn nun hatte er die schönste Gelegenheit, sich vollends zum H e u c h l e r auszubilden, indem er sich d i e m o r a l i s c h e u n d r e l i g i ö s e P h r a s e o l o g i e seines Lehrmeisters angewöhnte; dessen herbe Sitten in seinem Äußerlichen copierte; mit unverständiger Strenge über Alles, was nicht nach seinem Leisten zugeschnitten war, urtheilen lernte; in der Geschicklichkeit s e i n e L a s t e r m i t d e m N a h m e n u n d S c h e i n d e r Tu g e n d z u s c h m i n k e n , täglich zunahm, und überdies noch eine große Fertigkeit erlangte, M o r a l u n d R e l i g i o n z u s c h w a t z e n , ohne das geringste dabey zu f ü h l e n

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noch zu d e n k e n . Auch sein Talent im S c h l e i c h e n und H o r c h e n vergrub er unter diesem neuen Mentor nicht. Denn da seine beyden Brüder wilde Jungen waren, und mit den übrigen zum Theil ältern Buben im Dorfe, auch wohl mit den größern Mädchen, allerley Muthwillen und Kälberey vorhatten; Spitzelius aber alle diese Ausbrüche der Natur für Satanische Bosheit und schreckliche Sünden hielt, die er, ohne sich deren theilhaft zu machen, nicht ungestraft lassen könnte, sondern mit Einsperren, Hungern, Ruthe, Stecken und Karbatsche unermüdet bekämpfen müsse: so wurde es dem tugendhaften B o n i f a z c h e n zum Verdienst angerechnet, wenn er, durch welche Mittel es geschehen möchte, alle ihre Anschläge und Unternehmungen auskundschaf-

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tete, und seinem Meister von allem was ihnen Strafe zuziehen konnte getreulich Nachricht gab. Der fromme Knabe, wie er ein kleiner Schlaukopf war, merkte bald, daß er sich sein Spionen-Amt auf mehr als eine Art zu Nutze machen könne. Denn, ausserdem daß Spitzelius, durch das Mißfallen welches B o n i f a z bey solchen Gelegenheiten über den U n g e h o r s a m und die Untugenden seiner Brüder und ihrer Cameraden äußerte, in der guten Meynung von der Frömmigkeit seines Günstlings bestärkt wurde: so hatte B o n i f a z c h e n immer in seiner Gewalt, die Sachen ärger oder besser als sie waren vorzutragen, je nachdem ihm die Verbrecher mehr oder weniger Ursache zu B o s h e i t und R a c h b e g i e r d e gegeben hatten. Ja, er konnte sich dessen sogar zu einem Mittel bedienen, seine eignen kleinen Leidenschaften ungestraft zu befriedigen; und wenn er entweder etwas von ihnen haben wollte, oder selbst von einem unter ihnen bey einer strafbaren That ertappt worden war: so war die Drohung — „ich sage dies und das dem Herrn Magister“ oder das Versprechen es nicht zu sagen — immer ein kräftiges Mittel, alles von ihnen zu

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erhalten was er wollte. Denn sie hattens aus vielfältiger Erfahrung, daß sie mit Gegenklagen nichts wider B o n i f a z c h e n ausrichteten; weil dieser nun einmal ein günstiges Vorurtheil seines Meisters für sich hatte, und Spitzelius seine Delationen niemals unpartheyisch untersuchte, sondern immer als etwas Ausgemachtes voraussezte, daß B o n i f a z , als ein sehr frommes Kind, immer Recht, seine Brüder hingegen, als Belials Buben, immer Unrecht hätten. * * * So weit war Herr ** in seiner Erzählung gekommen, als der Gesellschaft an10

gesagt wurde, daß das Abendessen auf sie warte — eine Unterbrechung, die sowohl dem Erzähler als seinen Zuhörern (und, wie ich nicht zweifle, unsern Lesern auch) nicht anders als angenehm seyn konnte. Indessen hatte doch diese kleine Gesellschaft so viel Unterhaltung in der Art, wie Herr ** sein Mährchen vortrug, gefunden, daß bey Tische nichts auf die Bahn gebracht werden konnte, wovon man nicht immer wieder auf Bonifazchen zurückgekommen wäre; und sobald das Essen abgetragen war, vereinigten sich Alle, Herrn ** zu bitten, daß er ihnen die Fortsetzung seiner Erzählung zum Nachtische geben möchte. Hier müssen wir vor allen Dingen, und um den Verfasser dieses Aufsatzes

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gegen einen gerechten Verdacht unsrer Leser aus der feinern Welt zu verwahren, die Anmerkung machen: daß die Scene dieser ganzen Gesellschaftlichen Unterredung in einer kleinen Reichsstadt in Oberteutschland war, wo das was man L e b e n s a r t nennt noch unbekannt ist, hingegen seit wenigen Jahren ein gewisser Geschmack am L e s e n , und mit diesem (da er noch so neu ist) eine gewisse Sucht in guten Gesellschaften von Litteratur und Moral, oder (wie mans in solchen kleinen Orten noch zu nennen pflegt) von i n t e r e s s a n t e n Gegenständen zu schwatzen, sich eingeschlichen hat. Dieser Umstand macht es einigermaaßen begreiflich, wie eine Gesellschaft von Herren und Frauenzimmern, worunter einige sogar ein v o n vor ihrem Nahmen führten (es wa-

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ren aber freylich nur N o b i l i t i e r t e ) fähig seyn konnte, sich so lange mit e i n e r l e y G e g e n s t a n d , und (was noch das ärgste ist) mit einer m o r a l i s c h e n A u f g a b e , zu beschäftigen, und noch gar U n t e r h a l t u n g dabey zu finden. In einer Gesellschaft, wo es wider allen guten Ton ist, länger als drey Mi-

B o n i f a z S c h l e i c h e r ¼Epilog½

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nuten von irgend einer Sache zu sprechen; wo es lächerlich wäre eine speculative Aufgabe — es müßte nur einen neuen Kopfputz oder ein eben von Paris angelangtes Deshabille´, oder sonst etwas von dieser Wichtigkeit betreffen — zum Gegenstand der Conversation zu machen; und wo Einer, der von einer nur halbweg ernsthaften Sache zu reden angefangen hätte, und wenn er mit Engelszungen redete, nicht eine einzige Seele findet die ihm zuhört, sobald jemand etwas anders, so nichtsbedeutend es immer seyn mag, auf die Bahn bringt: in einer solchen Gesellschaft würde allerdings Herr ** in seiner Erzählung nicht weit gekommen seyn. Aber in so guter Gesellschaft würde auch von der Frage, die dazu Anlaß gab, nimmermehr, oder höchstens nur etliche

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Augenblicke, und in dem leichten persiflirenden Tone, der alles was einer Untersuchung oder einem Sokratischen Gespräche ähnlich sieht schlechterdings ausschließt, die Rede gewesen seyn. Wir machen diese Anmerkung nicht, als ob wir uns über den vorbesagten guten Ton, und die respectabeln Gesellschaften, wo er herrscht, aufzuhalten gedächten. — Wir aben kelernt von M a d e m o i s e l l e su viel Lebensart, um su nehm ein solk Freyheit — Und in der That sehen wir auch vollkommen ein, daß, so wie die Welt itzt beschaffen ist, in vornehmen und großen Gesellschaften, oder in dem was man d i e g r o ß e We l t nennt, o r d e n t l i c h e r We i s e die Gewohnheit von n i c h t s zu reden, alles zu persiffliren, alle Au-

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genblicke was anders auf die Bahn zubringen, über alles nur obenhin wegzuschlüpfen, — mit einem Worte, eine Art von Conversation, wozu der m ö g l i c h s t w e n i g s t e A u f w a n d v o n Ve r s t a n d , W i t z , G e s c h m a c k und E m p f i n d u n g erfodert wird — ein eben so n o t h w e n d i g e s Übel ist, als — die Kartenspiele, ohne deren wohlthätige Hülfe mehr besagte Gesellschaften, wie jedermann gesteht, sich nicht lange bey einer leidlichen Art von Existenz erhalten könnten. — Unsre Absicht ist bloß, den Verfasser von der Beschuldigung einer unverzeihlichen Ungereimtheit zu retten, wenn man geglaubt hätte, er wolle uns bereden, daß diese Conversation, die er uns mittheilt, unter Personen von einem gewissen Rang gehalten worden sey. — Und hiemit wieder zu unsrem k l e i n s t ä d t i s c h e n K r ä n z c h e n ! * * * Sie erinnern sich doch allerseits, sagte Herr **, daß diesen Abend die Rede davon war: o b m a n e i n H e u c h l e r s e y n k ö n n e , o h n e e s s e l b s t z u

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w i s s e n ? — Ich gieng in Bejahung dieser Frage so weit, daß ich mich zu behaupten vermaß: es könnte wohl einen Menschen geben, d e s s e n g a n z e s L e b e n e i n e i m m e r w ä h r e n d e L ü g e w ä r e , und der sich gleichwohl selbst für den ehrlichsten Mann von der Welt hielte. Weil ich einen solchen Menschen persönlich kannte, so konnt’ ich dies um so zuversichtlicher behaupten. Ich versprach Ihnen also, als den überzeugendsten Beweis meines Satzes, die Geschichte des Herrn B o n i f a z i u s S c h l e i c h e r . Nun sehen Sie leicht, daß ich, um zu beweisen, w i e sein ganzes Leben eine immerwährende Lüge sey, mich in keine umständliche Erzählung aller seiner Lebensumstände 10

und Begebenheiten und seines Betragens in denselben einlassen konnte, wenn mein Mährchen nicht wenigstens so lange währen sollte als eine chinesische Tragödie. Denn auf diese Weise sollte mirs nicht schwer fallen, auch bey einer ziemlich gedrungenen Erzählung, sieben bis acht Octavbände mit der Lebensbeschreibung des Hrn. Schleichers anzufüllen. Ich glaubte also, der kürzeste Weg aus der Sache zu kommen, wäre, wenn ich Ihnen bloß die Geschichte seiner ersten Jugend erzählte. Denn so könnten sie der E n t s t e h u n g und B i l d u n g des künftigen S e l b s t b e t r ü g e r s gleichsam unmittelbar zusehen, und lernten die Grundlage seines Charakters so gut kennen, daß sie in jedem Verhältniß, in welches sie sich mit ihm denken wollten, ganz genau voraus-

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wissen könnten, wessen sie sich zu ihm zu versehen hätten. Kurz, ich glaube Ihnen gerade so soviel von Schleichern gesagt zu haben, als zu Auflösung unsers Problems nöthig ist, und so, denk ich, hätt’ ich mein Versprechen erfüllt. Man mußte gestehen, daß Herr ** Recht hatte. Denn nach allem, was, erzähltermaßen, die Natur, die Frau Amtmännin, Thomas Schrager, und Magister Spitzelius an Bonifazchen gethan hatten, konnte man nun kühnlich allen Bildnern, Schnitzlern, Anstreichern, Verzierern, Lackierern, Verguldern, Frisirern und Parfumirern der Menschheit, kurz, allen P h i l o s o p h e n der ganzen Welt Trotz bieten, einen bessern Mann aus B o n i f a z S c h l e i c h e r zu machen, als der er war, und noch ist, nemlich einen schwachköpfigen,

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hasenherzigen, schleichenden, spielenden, listigen, eigennützigen, kalten, selbstischen Sch—n; der, bey allen diesen Tugenden, keinen bessern Mann, als er selbst ist, denken kann; und — weil er sich die Sprache und Maximen der Sittenlehrer sehr geläuffig gemacht, und sich angewöhnt hat, seinen eigensüchtigsten, kleinsten und schlechtesten Handlungen, Leidenschaften und Schwachheiten einen A n s t r i c h von Rechtschaffenheit, Edelmuth und Güte

B o n i f a z S c h l e i c h e r ¼Epilog½

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zu geben — ein tugendhafter, frommer Mann zu seyn wähnt, ohne den mindesten Begriff davon zu haben, wie es demjenigen zu Muth ist, dessen Religion und Tugend würkliche Gesinnung des Herzens, Erfahrung, Wahrheit und Leben ist. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Oktober 1776)

¼Nachricht von Berlinischen Künstlern und Kunstsachen.½ Der folgende Aufsatz hat einen berühmten Künstler in B. zum Verfasser, der geübter ist den Crayon zu führen als die Feder, und mein Ansuchen, um einige Nachricht von den vorzüglichsten Berlinischen Künstlern unsrer Zeit, aus bloßer Gefälligkeit statt finden ließ. Da es hier nicht um S c h ö n s c h r e i b e r e y und We n d u n g e n und D i c t i o n zu thun ist (und wollte Gott! jedermann schriebe immer, ohne alle Prätension scharfsinniger, oder eleganter, oder empfindsamer, oder aufgeräumter, oder größer, weiser und besser s c h e i 10

n e n zu wollen als er würklich ist!) sondern bloß um Wahrheit und Unbefangenheit des Erzählers: so ist mir nur nicht in den Sinn gekommen, seinen Aufsatz in eine andre Form gießen, oder an der ungeschmückten Simplicität seiner Schreibart künsteln zu wollen. Nur die Freyheit w e g z u s t r e i c h e n was mir zu unerheblich schien, hab’ ich mir einigemal erlaubt; und hoffe, daß Er sie entschuldigen wird. Ähnliche Nachrichten aus andern ansehnlichen Städten Teutschlands, wo die Künste blühen, werden, insofern Leidenschaften keinen vorsezlichen, und Unwissenheit und Dummheit gar keinen Antheil daran haben, mir, und vermuthlich auch vielen Lesern des Merkurs, immer angenehm seyn.

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W.

¼… Von D a n i e l C h o d o w i e c k i * ) ist auch in diesem Jahr verschiedenes ans Licht gekommen. …½

*) Ein großer Mann lobt sich selbst durch seine Werke; und wer kann ihn würdiger loben? Gleichwohl ist öfters vonnöthen, daß das Publikum auf zu wenig erkannte und gefühlte Verdienste aufmerksamer gemacht werde. Dies möchte wohl auch bey Chodowiecki der Fall seyn; und ich freue mich daher, daß ich Hofnung habe, die Gedanken eines Mannes, der diesem herrlichen

¼Vorwort und Anmerkungen: Chodowiecki½ N a c h r i c h t

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Genie völlige Gerechtigkeit wiederfahren lassen kann, von ihm und seinen Werken, vielleicht bald mittheilen zu können. W.

¼… Von dem Medailleur H e r r n A b r a h a m und von s e i n e m S o h n sind auch zwey Medaillen mit den Bildnissen des Prof. S u l z e r s und des Prof. R a m l e r s gemacht worden. Vorher auch eine auf die Wohlthaten die der turinische Theatermahler C a g l i a r i der neuerbauten catholischen Kirche gethan hatte; und die auf den berühmten M o s e s M e n d e l s o h n , zeigen alle von dem Fleiß und von der Geschicklichkeit dieser beyden Männer. Bald werden sie auch die Medaille vom Probst S p a l d i n g , und die von E u l e r n in Petersburg schlagen lassen;* ) und so sind sie willens nach und nach die berühmtesten Gelehrten in- und außerhalb Berlin zu liefern. …½

*) Dies ist seit Abfassung dieses Aufsatzes bereits geschehen. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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Eine Psychologisch-poetische Anekdote. Inspicere tanquam in speculum iubeo. Te r e n t .

Unter der Menge von Briefen, die mir zukommen, läuft von Zeit zu Zeit einer ein, der auch den abgehärtetsten Demokritus stutzen machen könnte. Vielleicht giebt es unter meinen Lesern den einen oder andern, der sich ein m o r a l i s c h e s R a r i t ä t e n c a b i n e t sammelt, und manches seltne Stück mit Bedauren unter meinen verworfnen Pappieren vermodern sehen würde. Solchen möchte wohl folgender A u s z u g a u s e i n e m k ü r z l i c h e i n g e l a u f e n e n B r i e f , als eines der sonderbarsten N a t u r s p i e l e dieser Art, sehr willkom10

men seyn. Allein dies ist gleichwohl nicht die Bewegursache, warum ich ihn bekannt mache. Ich habe dazu, wie man sehen wird, einen wichtigern und menschlichern Grund. Die Sache selbst mag davon sprechen! Mein Briefsteller, vermuthlich um mir sogleich beym Eintritt eine vortheilhafte Meynung von seinem b e l l e t r i s t i s c h e n Wit and Humour zu geben, beginnt folgendermaßen: „Nach Ihrem A g a t h o n , nach Ihrer v o l l k o m m e n s t e n We l t , nach Ihren B e y t r ä g e n , und den e r b a u l i c h e n S e n t e n z e n Ihres D a n i s c h m e n d e sollten Sie wohl ein ziemlich gelaßner und k a l t b l ü t i g e r Philosoph seyn, der sich ganz ruhig auf seinem Drehstuhle herumwirbelt, der in seiner lichten

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Sphäre Narren und Marionetten, Dumköpfe und Windbeutel mit einem S a r d o n i s c h e n L ä c h e l n unter seinem Hintern daherrutschen sieht, und den keine unvermuthete Donnerschläge so leicht von der g e l i e b t e n B r a t e n s c h ü s s e l hinwegjagen. A b e r in Ihren k o m i s c h e n E r z ä h l u n g e n , in Ihrem D i o g e n e s , C o m b a b u s und A m a d i s lassen Sie d o c h z u w e i l e n I h r e P a u k e n h ö r e n . Alle Welt klatscht alsdann in die Hände, und lacht über die a r m s e l i g e n v e r z w e i f l u n g s v o l l e n S c h u r k e n , welche nun einmal so häuffig zum Besten der g e l e h r t e n F u c h s j ä g e r in dem Gehäge des Parnasses herumwackeln. D e n n o c h müssen Sie nach Ihren P h a n t a s i e n , auch ein ü b e r a u s g ü t i g e r , e d l e r M a n n , und ein Menschenfreund

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seyn, q u e m D e u s e t m e n s a e t D e a d i g n a t a cubili est. A l l e s d i e s e s zur Einleitung !“ Eine Psychologisch-poetische Anekdote

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Vielleicht denken einige, nach diesem Präludio, der witzige Briefsteller habe mich zum Besten haben wollen; aber das ist es nicht. Die vier folgenden Quartseiten seiner Epistel beweisen nur zu sehr, daß alles sein bittrer Ernst war. Seine Lage ist nichts weniger als komisch. Kurz, die arme Seele h u n g e r t ; das ist der ganze Knoten des Stückes. Seine innern und äußern Umstände sind, seiner Beschreibung nach, so beschaffen, daß es unmenschlich wäre seiner deswegen zu spotten. „Ich bin (fährt er fort) einer der z w a n z i g j ä h r i g e n Jünglinge, die von ihrem sechsten Jahre an um der heiligen neun Musen willen von ihren Schulrectoren gegeißelt, von Tartüffen verfolgt, und von Schelmen unglücklich ge-

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macht worden sind. — Noch vor einem Jahre l e b t e m e i n — f ü r m i c h . — Aber der ist m e i n e n U m a r m u n g e n a u f e w i g e n t r i s s e n . U n d n u n ? D i e We l t i s t e i n e s c h r e c k l i c h e E i n ö d e f ü r m i c h ! Und **? O Himmel! nicht einmal A b d e r a ! ( d a s w ä r e w e n i g ! ) Wo soll ich einen Demokrit in dieser ungeheuren Trödelbude finden? — A b e r d o c h e n d l i c h e i n e M u s a r i o n ? G o t t , eine M u s a r i o n ! Entzückt von deinem Götter-Reizze, Entzückt als Knabe sucht ich schon Dein Bild, um das ich schmachtend geizze, Dein himmlisch Bild, M u s a r i o n !

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Dort, an dem blumichten Gestade Der **, weiht’ ich einen Thron; Und flehte weinend, bath um Gnade, Um deine Huld, Musarion! Wie oft riß ich von muntern Tänzen, Von Liebe, Wein und Kuß mich los! Ließ Schmetterling und Mädchen glänzen, Und floh zurück in deinen Schoos! Du, die mir im Genuß der Freuden Stets mehr als jede Göttin ist;

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Die mir den kranken Schmerz der Leiden, Die Quaal ein Mensch zu seyn, versüßt. —

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

//

Du, die im heißen Wetterstrahle Des Donnergottes sicher steht, Und gleich dem Felsen übern Thale Ihr unerschüttert Haupt erhöht! Wirst du, wenn diese matten Blicke Die Morgensonne nicht mehr sehn, Wirst du von meinem ganzen Glücke, Musarion! nur vor mir stehn: Dann schwillt mein starres Aug’ in Thränen 10

Noch einmahl auf und seegnet dich: Bekennt dir still mein heißes Sehnen, Mein zärtlich Herz und schließet sich.“ Ein ahndender Schauer scheint den armen Dichter, während daß er diese Verse abschrieb, überfallen zu haben; denn er sezt dieses bedenkliche Epiphonema hinzu: „Da sehen Sie nun, Hochedelgebohrner Herr, ob ich nicht ganz gewiß ins Hospital kommen werde?“ Freylich seh ich, daß es eben nicht so ganz sicher damit ist! — „Zwar nach K r ü g e r s P a t h o l o g i e zu urtheilen (fährt er fort) finde ich

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mein Gehirn in ganz leidlichen Umständen. A b e r i c h m a c h e n u n s o g e r n e Ve r s e ! “ — D a s ists eben, guter Mann! Da sizt das Übel! — Zwar spricht er im folgenden vom Ve r b r e n n e n , wenn er seine Verse mit — andern vergleiche; von etlichen Büchern Pappiers, die er solchergestalt bereits unnatürlicherweise dem Moloch aufgeopfert habe, u. s. w. Aber diese Sprache kennen wir! Pure Complimente! — Und wenn auch was dran wäre: so ist doch aus dem ganzen Briefe klar, daß die poetische Lustseuche eine Krankheit ist, die der unglückliche junge Mensch zu gerne hat, um sich so bald davon heilen zu lassen.

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Aber nun, mitleidiger Leser, kömmt das Traurigste! — Der gute Musensohn ist arm; seinem Geständniß nach, s e h r a r m : weiß nicht wo er sein Haupt hinlegen, und vermuthlich nur zu oft nicht, wie er seine dringendsten Bedürf-

Eine Psychologisch-poetische Anekdote

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nisse stillen soll. Ich gestehe, dieser Brief, so vielen Stoff zum Lachen er auch enthält, hat bey mir sehr melancholische Betrachtungen erregt. Der Jüngling ist, wie man sieht, nicht ohne alle Fähigkeiten. Wäre zu seiner Zeit schon e i n P h i l a n t h r o p i n u m gewesen, und hätt’ ein begüterter Menschenfreund das gute Werk an ihm gethan, ihn als Knaben dahin zu bringen, und dort zu unterhalten, so hätte ein brauchbarer und glücklicher Mensch aus ihm werden können. Nun haben ihn f a t a l e U m s t ä n d e , und die n o c h f a t a l e r e B u h l e r e y mit seiner M u s e (die im Grunde doch nur eine E m p u s e scheint) aus dem rechten Wege geworfen, und der Himmel weiß, wie ihm zu helfen ist! Er beschwört meine Menschenliebe, ihn z u e m p f e h l e n . Aber was hilft fremde

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Empfehlung dem der sich selbst nicht besser empfiehlt? Wer wird einen jungen Menschen empfehlen, der, in seinem ersten Briefe, so debütiert wie dieser? Der gleich die ersten drey Perioden mit geliebten Bratenschüsseln, aufm Hintern daherrutschenden Dummköpfen und Windbeuteln, und verzweiflungsvollen Schurken, die im Gehäge des Parnasses herumwackeln, besezt? Der sich ä r m e r a l s C o d r u s u n d I r u s angiebt, und gleichwohl e i n e M u s a r i o n zu seinem Zeitvertreib haben möchte? — Ich habe nach langem Nachsinnen nichts finden können, so ich zu seinem Besten thun könnte, a l s w a s i c h i z t t h u e . Ich thu es ö f f e n t l i c h , weil es ihm nichts schaden kann; denn, w e n n e r s i c h n i c h t , wie die Spitzmaus, s e l b s t v e r r ä t h , so wird keine

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Seele erfahren, wer der Briefsteller ist. Hingegen kann diese Art ihm zu antworten zugleich vielen andern, die sich in ähnlichem Falle befinden, oder Gefahr lauffen, in kurzem darein zu kommen, zur Antwort oder Warnung dienen. Die Anzahl der h u n g e r n d e n P o e t e n nimmt unter uns täglich überhand; das Buhlen und Schäkern mit den sogenannten Musen hat etwas gar zu verführisches für junge Leutchen! Zumal seitdem man so viele öffentliche Plätze eröfnet hat, wo jeder poetische Knabe sich nach Herzenslust auf seinem Hottepferdchen, von dem B r a v o seiner Mitschüler ermuntert, herumtummeln kann! Tagtäglich vermehrt sich die Anzahl der Dichterlinge, die sich unter einander mit der Laurea Apollinari oder wenigstens mit Eichenlaub krönen; so daß es in kurzem mehr zudringliche Sänger als geneigte Zuhörer in Teutschland geben dürfte. Was soll aus solchem Unwesen endlich werden? Gewöhnlich haben die Herren nichts gelernt, als ein bischen sehr wenig Französisch und Englisch. Gründliche Philologie und die philosophischen Wissenschaften sehen sie als pedantische Fesseln ihres vermeynten Ge-

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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nies mit Verachtung an. Sich auf die sogenannten Brodwissenschaften zu legen, ist ihnen zu kleinfügig. Auch ist’s freylich leichter sich an irgend einen berühmten Dichter anzuhängen, seinen Ton nachzuleyren, seine Sprache zu lallen, seine Manier nachzuäffen, und, ohne Gelehrsamkeit und Weltkenntniß, sentimentalischen oder launischen, dramatischen oder lyrischen Unsinn zu excerniren, sich dabey Airs von Genie und Originalheit zu geben, und, wie der Esel vor den wilden Eber in Phäders Fabel, vor einen Dichter hinzutreten, sein Gewehr zu präsentiren und zu sagen: G o t t g r ü ß d i c h , B r u d e r . Aber am Ende läufts doch gewöhnlich mit dergleichen fahrenden Schülern des Par10

nassus aufs Hungern hinaus; dann werden sie mißmuthig, machen P a s q u i l l e auf die F ü r s t e n , die sich nicht die Ehre geben wollen, A u g u s t e für sie zu seyn, oder auf die Dichter, die ihr gewöhnlich Mittagessen zu hause haben, schreiben s e c h s t e A c t e oder sonst was tolles, das ihnen Wuth und Verzweiflung eingiebt. Wenn dies noch lange so fort geht, so werden zulezt eigene Poeten-Spitäler gestiftet werden müssen! Aber wer soll sie stiften? Etwan die Dichter, die noch zuweilen eine B r a t e n s c h ü s s e l auf ihrem Tische stehen haben? Ich besorge, deren sind so wenige, daß wenn sie alle zusammenlegen was sie selbst entbehren können, schwerlich genug herauskommen wird, um drey oder vier Plätze für die allerbenöthigsten ihrer Bastartbrüder zu fundi-

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ren. Verhüte der Himmel, daß ich jemals fähig werde, des Elendes meiner Mitgeschöpfe zu spotten, oder zu vergessen, daß u n v e r s c h u l d e t e Dürftigkeit zuweilen auch e d l e aufmuntrungswürdige junge Geister drückt, — wiewohl ohne sie u n t e r d r ü c k e n zu können. Aber hier ist die Rede nicht von jungen Geistern, nicht von den seltnen Sterblichen, die von Natur und Schicksal zu Dichtern geweyht werden: sondern von poetischem Ungeziefer, After-Genien, und jungen Pennalen, die aus Kitzel, Muthwillen und Müßiggang mit WolkenMusen Ungebühr treiben, und sich darüber unglücklich machen. Dies Geschlecht ausrotten helfen, ist ein wahres Werk der Barmherzigkeit.

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Es ist freylich etwas ganz natürliches, daß ein junger Bursche, wenn er so in seinen Schuljahren ließt, wie H o r a z bey seinem Somno et inertibus horis ducere sollicitae jucunda oblivia vitae

Eine Psychologisch-poetische Anekdote

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sich an M a n d e l e n s g e s c h w ä t z i g e m B a c h e so wohl seyn läßt, oder wenn er sich vorstellt, wie behaglich dem Herrn P h a n i a s bey seiner M u s a r i o n ist — daß sich ein armer junger Schelm auch so ein Leben wünscht, und sich dann träumen läßt, es brauche nun weiter nichts als witzige Schriften zu lesen und Verse zu machen, und dem H o m e ein Bischen von Kunst und Geschmack nachschwatzen zu lernen (d. i. wie sie’s nennen, sich auf die schönen Wissenschaften zu legen) um sich ein Recht an Belohnung, Ruhm und glückliches Schlaraffenleben zu erwerben. Solche Knaben können freylich keinen Begriff davon haben, auf welchem steilen und mühsamen Pfade, durch wie viele Arbeit, Hindernisse, Gefahren, Aufopferungen, kurz, um welchen Preiß die We-

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nigen, denen es jemals gelungen ist, jene glückliche H o r a t z i s c h e M u ß e erobert haben, die sich, eben so wenig als die S o k r a t i s c h e U n w i s s e n h e i t , anticipando genießen läßt. Mein Briefsteller versichert mich zwar heilig (und i h m glaub ichs) daß ihn der A u t o r - K i t z e l nicht steche; und so scheint ihn das Meiste, was ich hier überhaupt von den bösen Folgen der poetischen Seuche gesagt habe, nichts anzugehen. Und desto besser für ihn! Aber, wiewohl dergleichen Protestationen in dem Munde junger B e l l e t t r i s t e n fast immer facto contrariae sind: was hälf es, wenn sie auch zuweilen sich ihrer Schwäche würklich bewußt wären? Endlich zwingt sie doch die Noth, Skribler zu werden. Denn quid non

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mortalia pectora cogis, — sacra fames? — Daher augenscheinlich die täglich zunehmende Menge u n r e i f f e r und m i ß g e s t a l t e t e r p o e t i s c h e r M i ß g e b u r t e n in Prosa und Versen! daher die Menge unverständiger, unwissender, aber aus Verzweiflung nichts scheuender k r i t i s c h e r Highway-Men! daher die unendliche Brut e l e n d e r Ü b e r s e t z e r , durch die fast täglich Publikum und Verleger betrogen wird! Es mag wohl seyn, daß mancher mehr aus Ü p p i g k e i t , und um der Welt zu zeigen, daß er auch da sey, zum S c h m i e r e r wird: Aber gewiß, der Meisten ihr Beruf ist von einer dringenden und Mitleiden verdienenden Art. Und wie kann man ihnen das Mitleiden, so sie verdienen, besser angedeyhen lassen, als wenn man sie nöthigt, sich auf irgend eine ehrlichere, der Welt und ihnen selbst nützlichere Weise, als die vorgebliche Schöngeisterey, durch dies Jammerthal durch zu helfen? W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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Nachricht von Wilibald Pirckhaimer. Wir haben uns weder zu L e b e n s b e s c h r e i b u n g e n noch zu dem was die Franzosen Eloges nennen, anheischig gemacht, da wir dem Bilde jedes denkwürdigen Mannes, das der T. Merkur liefern würde, einige Nachrichten von dessen Leben und Verdiensten beyzufügen versprachen; und es würde daher unbillig seyn, diese Nachrichten — die nicht für die Gelehrten, sondern bloß für den beträchtlichen Theil unsrer Leser, denen der Mann, von dem die Rede ist, ganz unbekannt war, bestimmt sind — nach G e s e t z e n zu richten, denen sie nicht unterworfen sind, oder mit M u s t e r n zu vergleichen, mit welchen 10

sie nichts gemein haben. Wir wünschten aber, und nichts wäre billiger, als daß jedem in einem hohen Grade vortreflichen Teutschen Mann, dessen Andenken wir im Merkur erneuern und allgemeiner zu machen suchen, von einem unsrer Zeitgenossen, der dazu i n n e r n B e r u f fühlte, ein so edles D e n k m a l gesezt würde, wie dasjenige ist, das uns vor wenigen Tagen, zum Gedächtniß U l r i c h s v o n H u t t e n , von einem der ersten Schriftsteller unsers Jahrhunderts zugeschickt worden, und wir unsern Lesern im nächsten Stück des Merkurs mitzutheilen das Vergnügen haben werden. Auch Wilibald Pirckhaimer verdiente ein solches Denkmal !

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Seine von M e l c h i o r G o l d a s t e n gesammlete S c h r i f t e n , besonders seine B r i e f e , und die Briefe der größten, gelehrtesten und besten Männer seiner Zeit, die den 3ten Theil derselben ausmachen, nebst Seiner von C o n r a d R i t t e r s h u s e n verfaßten L e b e n s b e s c h r e i b u n g , bieten dazu einen Stoff dar, der der Bearbeitung eines Meisters würdig wäre. Auch folgende kurze Nachricht wird hinlänglich seyn, unsre Leser hievon zu überzeugen, und ihnen wenigstens das Andenken dieses vortreflichen Mannes werth zu machen. Wilibald (oder B i l i b a l d ) P i r c k h a i m e r stammte aus einem alten edlen Patrizischen Geschlecht der Republik N ü r n b e r g ab, und wurde im Jahr

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1470 zu Eichstädt gebohren, wo sein Vater, Johann Pirckhaimer, damals als Bischöflicher Rath lebte. Dieser kam in der Folge bey Herzog A l b e r t v o n

Nachricht von Wilibald Pirckhaimer

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B e y e r n , und zulezt bey Erzherzog S i e g m u n d v o n Ö s t e r r e i c h in gleichmäßige Dienste, wurde häufig in Geschäften verschickt, und nahm überall seinen Sohn mit sich, um ihn von der ersten Jugend an zu praktischer Kenntniß der Welt und der Geschäfte anzuführen, und ihm den Geschmack an den leztern (wozu ihn Geburt und Naturgaben bestimmten) unvermerkt zur mechanischen Fertigkeit zu machen. Wilibald that sich in seiner Jugend vorzüglich in allen ersinnlichen Leibesübungen so hervor, daß er darinn wenige seines gleichen hatte. Seiner ersten jugendlichen Neigung nach würde er sich dem Soldatenstand gewidmet haben, wozu er bey Gelegenheit einiger Fehden des Bischofs von Eichstädt mit seinen Nachbarn, ungemeine Fähigkeiten zeig-

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te. Aber der Gehorsam gegen seinen Vater nöthigte ihn, sich auf die Rechtsgelahrtheit zu legen, und sich dadurch zu den bürgerlichen Staatsgeschäften tüchtig zu machen. Wilibald wurde zu diesem Ende nach P a d u a geschickt. Weil er aber da Gelegenheit fand, die griechische Sprache zu lernen, und durch sie mit Schriftstellern bekannt zu werden, welche freylich für einen jungen Mann von Genie eine ganz andre Gesellschaft sind als die B a r t o l e n und B a l d e n , — so mußte er nach einem dreyjährigen Aufenthalt zu Padua, der für die Entwicklung und Übung seiner Geisteskräfte gewiß nicht besser hätte angewandt werden können, nach Pisa gehen, um unter den berühmten Rechtsgelehrten, M a y n u s , L a n c e l o t und D e c i u s z w e c k m ä ß i g e r zu

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studieren. Dies that er nun zwar mit vielem Fleiß; aber sein Geist war zu groß, um sich in den engen Kreis einer einzelnen Wissenschaft hineinbeschwören zu lassen; und er erkannte zu wohl, daß ein wahrer Staatsmann den g a n z e n C i r k e l d e r M e n s c h h e i t umfassen muß, und von allem, was irgend eine Beziehung zum menschlichen Leben hat, nie zu gut unterrichtet seyn kann. Er übte sich also auch zugleich in allen übrigen Theilen der Gelehrsamkeit; immer aber blieb die griechische Litteratur sein Lieblingsstudium; und er bracht es darinn so weit, daß er eben so fertig Griechisch als Italiänisch sprach. Im Jahr 1498, nachdem er die Würde eines Doctors der Rechte erlangt, berief ihn sein Vater (der sich nach Nürnberg in die Ruhe des Privatlebens zurückgezogen hatte) wieder nach Hause. W i l i b a l d vermählte sich, wurde in den Rath zu Nürnberg erwählt, that sich bald in den Geschäften der Stadt, und in wichtigen Verschickungen hervor: und weil er schon in den kriegerischen Spielen und Vorübungen seiner ersten Jugend, oberwähntermaßen,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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besondere Fähigkeiten zum Militarstand gezeigt hatte, wurd’ er zum Obersten über die ansehnlichen Hülfsvölker gesezt, welche die Stadt N ü r n b e r g dem Kayser M a x i m i l i a n I . zu seinem Zuge gegen die H e l v e t i e r (i. J. 1499 und 1500) zu Hülfe schickte. In diesem, von Pirckhaimern selbst mit X e n o p h o n t i s c h e r Simplicität beschriebnen, Kriegszuge gewann er durch seinen lebhaften Geist, seinen Muth, seine Kenntniße, und seine besondere Gutherzigkeit und Jovialität, (Hauptzüge seines Charakters) die Liebe und das Vertrauen dieses herrlichen Kaysers, der nothwendig einen ihm selbst so ähnlichen jungen Mann liebgewinnen mußte. 10

Wilibald kam aus dieser (verunglückten) Expedition mit großen Empfehlungen vom Kayser an die Republik Nürnberg zurück, trat wieder in sein voriges Civilleben ein, machte sich in verschiedenen Gesandtschaften an den Kayser (der ihn zu seinem Rath erhob) Verdienste, und wurde dafür belohnt, — wie die Ciceronen, Aristiden, Epaminondas, und ihres gleichen immer belohnt worden sind. P i r c k h a i m e r , der jovialisch genug war, sogar auf das P o d a g r a (das ihn bey zunehmenden Jahren plagte) eine scherzhafte L o b s c h r i f t zu machen, ließ sich zwar durch alle die Pfetzereyen und Tribulationen seiner Neider, und der wackern Leute, denen er zu viel Verstand, zu viel Geschmack an Sachen

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wovon sie nichts begriffen, zu viel Ruhm, zu viel Credit bey großen Fürsten, kurz zu viel Vo r z ü g e hatte, nicht irre machen. Doch trug es nicht wenig zu seinem Entschluß bey, nach seines Vaters Tode, da ihm auch die Verwaltung eines sehr ansehnlichen Vermögens und weitläufigen Hauswesens zufiel, seine Ämter niederzulegen, um sich selbst, seinen Freunden und den Musen, die er über alles liebte, zu leben. Doch ließ er sich einige Jahre darauf bereden, in die vorige Laufbahn wieder einzutreten; wo er dann ferner unter Maximil. I. und Carl V. zu vielen Gesandtschaften, besonders auf Reichs- und Kreißtäge, gebraucht wurde, sich durch seine Talente, Geschäftsklugheit und Beredsamkeit im ganzen Reich ein großes Ansehen erwarb, und viele Jahre lang, der

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Republik wichtige Dienste leistete, die auch, allen Cabalen und Schicanen seiner Abderitischen Gegen-Partey zu trotz, von der Republik bey vielen Gelegenheiten anerkannt und belohnt wurden; bis ihn endlich einige Jahre vor seinem Tode die zunehmenden Beschwerden seines Körpers (von dem er ungeachtet seiner großen Mäßigkeit und Nüchternheit viel leiden mußte) nöthigten, abermals um seine Entlassung zu bitten, und den Rest seines Lebens

Nachricht von Wilibald Pirckhaimer

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in der edeln Muße eines verdienstvollen Alters auszuleben; wiewohl auch da sein Haus immer das Ansehen einer Curia behielt, und seine weitausgebreitete Würksamkeit zum gemeinen Besten des Staats, der Kirche und der gelehrten Republik nur mit seinem Leben aufhörte. P i r c k h a i m e r hinterließ eine ansehnliche Bibliothek, viel schöne Manuscripte, alte Münzen und andre Überbleibsel der alten Kunst, wovon er viel Kenntniße hatte. Dieser gelehrte Schatz kam durch eine seiner Töchter in die I m h o f i s c h e Familie. Er liebte auch die Musik, und vorzüglich die Mahlerey; und der große A l b e r t D ü r e r fand in ihm seinen vertrautesten Freund, und eifrigsten Beförderer seiner Unternehmungen. Doch eben dies war er für a l l e vortrefliche Geister und wahre Gelehrte seiner Zeit. Er liebte, förderte, schüzte und vertheidigte sie nach allen Kräften so lang er athmete. Dieser edle wahrhaft große Staatsmann, Freund alles Schönen und Guten, und herzliche Feind aller Barbarey, Gleißnerey und Schurkerey, unter waserley Masken sie sich auch verbergen mögen, — starb im J. 1530 den 22 Dec. und das Schicksal war so gerecht, und l i e ß i h n d e n l e z t e n s e i n e s G e schlechts seyn. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Juli 1776)

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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1776. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnäd. Privilegio.

Drittes Vierteljahr. Weimar.

Der Teutsche Merkur. Julius 1776.

¼Hutten. …½

Zusatz des Herausgebers. Als ich H u t t e n s A n d e n k e n unter meinen Zeitgenossen wieder zu erneuern unternahm *), erinnerte ich mich, in w e l c h e r Z e i t , und f ü r w e n ich schrieb; daß Friede im Lande war; und ein Journal, wie der T. Merkur ist, von a l l e n Teutschen, o h n e B e l e i d i g u n g soll gelesen werden können. Dies mäßigte an verschiednen Stellen meinen Ausdruck. Ich wollte, daß auch c a t h o l i s c h e L e s e r in Ulrich von Hutten, dem, i h r e r Überzeugung nach, v e r i r r t e n Hutten, doch den verdienstvollen, rechtschafnen, für Wahrheit

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und Recht, nach s e i n e r Überzeugung, sich mit Freuden aufopfernden, edeln Mann, den Mann mit wahrem teutschen Blut und Heldenherzen, nicht verkennen sollten. Wollt’ ich diese Absicht auch nur einigermaßen erreichen, so mußt’ ich die Vorurtheile d e r H ä l f t e Te u t s c h l a n d s , die L u t h e r n für keinen E v a n g e l i s t e n noch H e i l i g e n erkennt, wenigstens so viel schonen, als nöthig war, damit sie gelassen anhören könnten und möchten, was ich für unsern edeln Landsmann Hutten zu sagen hätte. Ich kenne keinen teutschen Schriftsteller, der diesem vergeßnen teutschen Helden ein Denkmal zu setzen w ü r d i g e r war, als der Verfasser des vorstehenden Aufsatzes. Und ein Huttens würdiges Denkmal ist es, und öffentlich danke ich ihm dafür, und d i e g a n z e N a t i o n würde ihm dafür danken, wenn er nicht vergessen hätte, daß wenigstens die Hälfte der Teutschen, die er anredet, entweder mehr als M e n s c h e n seyn müßten, oder in dem G e s i c h t s p u n k t , in den er sich gestellt als er seinen Hutten schrieb, und in dem To n d e r B e g e i s t r u n g , womit er alles sagt was er dacht und fühlte, einen P a r t e y g e i s t finden m ü s s e n , und finden w e r d e n , der sie beleidiget, und Huttens Andenken selbst nachtheilig wird. *)

T . M e r k u r 1776. No. 2. S. 174 – 185.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte August 1776)

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Wie er dies vergessen konnte, oder warum ers vergessen w o l l t e , ist meine Sache nicht zu fragen. Aber öffentlich zu erklären, daß ich in den Ton seines Aufsatzes nicht durchaus einstimmen kann, dies bin ich mir selbst schuldig. Immer mögens die Eiferer E r a s m i s c h e n Kleinmuth, Menschenfurcht, und was sie wollen nennen. Ein jeder s e y was er seyn k a n n , und niemand schelte und verachte den andern darum, weil er anders überzeugt oder gesinnt ist als er. Man m u ß t e , um gegen Ulrichen von Hutten g e r e c h t zu seyn, sich in Ulrichs eigenen Geist, Herz, Zeit, Verhältniße und Umstände setzen. Dies hat der ungenannte Verfasser gethan, und wer wird dies nicht gut heißen? Warum 10

sollten wir, dritthalb hundert Jahre nach Huttens Tod, seinem Leben, seinem Charakter nicht eben das Recht wiederfahren lassen, das wir einem C a t o , einem B r u t u s anthun? Aber dritthalb Jahrhunderte nach Hutten, mit Huttens E i f e r von den Gegenständen, die den seinigen erregten, sprechen; mit Huttens Eifer und Zorn die Teutschen unsrer Zeit beschelten; aus Eifer für Hutten das Andenken des sanftern, schwächern, aber wahrlich, in seiner Art und in seinem Würkungskreise, nicht minder guten, edeln, verdienstvollen, und von den Besten seiner Zeit geliebten E r a s m u s , anschmitzen, — thue dies, wer daran Recht zu thun meynt! — ich kann’s weder thun noch gut heißen. Ich will und kann gerecht gegen B r u t u s seyn, der Cäsarn aus Tugend

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ermordete; und gegen C ä s a r , der ewig zu leben verdiente; und gegen A t t i c u s , der von gar keiner Parthey war, den Partheygeist haßte, und allen Gutes that, so bald sie seiner Hülfe bedurften. Wem dies S c h ö n g e i s t e r i s c h e K l e i n m u t h , F e i g h e i t , L a u l i c h k e i t ist, der nenn’ es so! Ich nenn’ es G e r e c h t i g k e i t — w e i l i c h s s o f ü h l e u n d e r k e n n e . Daß man in Zeiten einer allgemeinen äussersten Gährung, in Zeiten einer allgemeinen Empörung der Geister gegen nicht länger zu duldende Unterdrückung — unfähig ist, so gerecht und billig gegen einander zu seyn, ist n a t ü r l i c h : aber warum sollten w i r , in Zeiten der Ruhe und des durch geheiligte Grundgesetze befestigten Gleichgewichts, nicht gerecht und billig seyn? — Daß E r a s m u s

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n i c h t i m m e r gerecht gegen Hutten und Luthern, H u t t e n und L u t h e r nicht immer gerecht gegen Erasmus waren, ist n a t ü r l i c h : aber, was gehen U n s i h r e Verbitterungen an? Dies ist m e i n e Meynung; und sagen was man für recht hält, kömmt jedem zu. Ich mußte es h i e r thun, weil ich einen Aufsatz, an dem ich n i c h t a l l e s billigen kann, seiner übrigen Vortreflichkeit und seines edeln Zweckes wegen,

¼Zusatz: Herder½ H u t t e n

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drucken lasse; und ich thue es, nicht aus Furcht, sondern gerade darum, weil ich mir n i c h t f ü r c h t e . W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte August 1776)

¼Druckfehler in A l l w i l l s P a p i e r e n in No. 4. des T. M. …½

(Ein Buch ohne Druckfehler ist, auch bey der sorgfältigsten Correctur, nur durch einen glücklichen Zufall möglich. Die Druckfehler im Merkur sind wohl meistens unerheblich. Zuweilen lauffen freylich auch lustige qui pro quo’s mit unter; wie z. E. O v i d e n statt A o i d e n . (No. 5. Seite 207. L. 5.) Aber diese bereiten wenigstens einigen G e l e h r t e n Lesern ein Lachen auf Unkosten des Herausgebers, da sie, natürlicher Weise, auf Rechnung seiner Unwis10

senheit geschrieben werden; Und das ist ein Freudchen, das man ihnen ja wohl gönnen kann.)

¼Zusatz: Jacobi½ D r u c k f e h l e r i n A l l w i l l s P a p i e r e n

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¼Situation aus Fausts Leben von Mahler Müller. … S h a k e s p e a r s G e i s t , * ) an den das Stück gerichtet ist, hätte ihn erinnern sollen, wie eben Sh. seinen Helden bey jedem Menschen Interesse zu verschaffen weiß; wie sie alle, unter dem tollsten Gewühl von Laster und Schwachheit, entweder einen edlen Hauptzug in ihrem Charakter, oder doch glückliche Organisation, Anlage, edel und gut zu werden, verrathen. Die Flüche Timons gegen die Menschen, wer würde sie anhören können, wenn sie nicht die große Seele athmeten! — …½

* ) S h a k e s p e a r s G e i s t ! — Unsre jungen Herren geben sich die Mine, als ob sie auf sehr vertrautem Fuße mit diesem Geiste lebten, und ihn citiren könnten so oft es ihnen einfiele. Ich möchte wohl sehen, wie ihnen zu Muthe würde, wenn ihnen Shakespears Geist einmahl würklich die Ehre anthäte, und in seiner Heldengröße vor sie hinträte! Es möchten wohl wenige von ihnen seine Gegenwart ertragen können! W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte August 1776)

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Einige Nachrichten von Theophrastus Paracelsus. P a r a c e l s u s verdient aus zwoo Ursachen einen Platz unter den Worthies des 16ten Jahrhundert: als ein Mann von außerordentlichem Genie, und weil er in der Artzneykunst Epoche gemacht. Heutigs Tages mögen freylich fast Wenige seyn, die ihn durch sich selbst kennen und mit dem Geist, der in seinen Schriften webt, in Gemeinschaft stehen. Aber doch giebt es solche, und sie alle lade ich ein, ihm ein Denkmal im T. M. zu errichten, das seiner würdig sey. Alles an diesem Manne war ungewöhnlich und paradox, bis auf den Namen. 10

Er nannte sich P h i l i p p u s A u r e o l u s T h e o p h r a s t u s B o m b a s t v o n H o h e n h e i m , oder, statt dieses Geschlechtsnahmens, P a r a c e l s u s . Sein Recht an den Nahmen Bombast von Hohenheim soll sich bloß darauf gegründet haben, daß sein Vater ein unehlicher Sohn eines Teutschen Herrn aus diesem ehmaligen edeln Schwäbischen Geschlecht gewesen. P a r a c e l s u s wurde im Jahr 1493 zu Einsiedeln im Canton Schweiz gebohren, wo sein Vater damals die Arzneykunst trieb. Einige Jahre darauf zog er nach Cärnthen, und lebte dort bis gegen das Jahr 1525 in vielen Ansehen. G a l e n u s war damals den Ä r z t e n was A r i s t o t e l e s den M ö n c h e n — ein unbekannter Gott, aber nur desto abergläubischer verehrt. Paracelsus

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wurde von seinem Vater von Jugend an zur damaligen gemeinen Galenischen Heil-Methode angeführt. Aber sein Geist war nicht dazu gemacht, auf der Heerstraße mit dem großen Hauffen einherzutraben; und die Bücher, woraus er Wahrheit schöpfen sollte, schienen ihm löchrichte Cisternen die kein Wasser geben. Er sah das große Buch der Natur aufgeschlagen vor sich, er fühlte daß ihm das geheime Alphabet, worinn es geschrieben ist, nicht unverständlich war, warf seine Bücher weg, und zog aus in die weite Welt, um zu schauen und zu forschen; wallfahrtete per varios casus durch ganz Europa und vielleicht noch weiter, und suchte überall alles auf, was ihn auf die Spur der Geheimniße der Natur und Kunst leiten konnte. Er glaubte von jedem, der

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sich auf E r f a h r u n g und T h a t berief, etwas lernen zu können; Bergleute, Wurzelmänner, Zigäuner, Juden, Marktschreyer, und alte Weiber selbst, wa-

Einige Nachrichten von Theophrastus Paracelsus

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ren ihm nicht zu schlecht dazu. Daß er aber sogar nach A r a b i e n und E g y p t e n gekommen, und dort in den Mysterien der H e r m e t i s c h e n We i s h e i t initiirt worden, wie v a n H e l m o n t glaubt, scheint ohne Grund zu seyn; und wiewohl Paracelsus selbst sagt: „ e r h a b e a l l e W i n k e l v o n A s i e n u n d A f r i c a d u r c h k r o c h e n “ so hat das doch schwerlich mehr auf sich, als wenn G a d r i g a versicherte, daß er in Wallfisches Bauch Leberklöße gekocht habe. Denn es begegnete ihm ziemlich oft, wenn er in seiner Marktschreyerischen Laune war, d a s D i n g d a s n i c h t i s t , zu sagen. Mit diesen Reisen brachte er, anstatt die beste Zeit des Lebens auf Schulen zu verderben, seine Jugend zu; sammelte sich eine unendliche Menge A r c a -

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n e n , worunter freylich (wie in des großen B a c o n s Sylva Sylvarum) unächtes Zeug genug seyn mochte; und erwarb, was das Wichtigste war, in der Chemie, einer damals in Teutschland noch wenig bekannten Wissenschaft, große Kentniß und Erfahrenheit etc. etc. Dafür wußte er aber auch sehr wenig Latein und Griechisch, laß nichts was andre vor ihm geschrieben hatten, und erfüllte sich mit dieser unbegrenzten Verachtung der Galenischen Ärzte, wovon alle Blätter seiner Schriften überfließen. Man kan sich vorstellen, was für Aufsehens er machen mußte, als er nach seinen zehnjährigen Ulyßischen Wanderungen in die Schweiz zurück kam, und die Arzneykunst, auf bisher unbetretnen Wegen, mit einer ganz neuen

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Kunstsprache, mit neuen oder doch den Meisten ganz unbekannten Heilmitteln, und mit öffentlichster Verschmähung und Verpfuyung der Galenischen Methode, und derjenigen, die außer ihr kein Heil kannten, zu treiben anfieng. Glückliche Curen zum theil verzweifelter und für unheilbar gehaltener Krankheiten sezten ihn in kurzer Zeit in großen Ruf, und sein berühmtes L a u d a n u m that Wunder, wenn man Helmonten und andern seiner Verehrer glauben will. Eine seiner ersten Curen von dieser Art verrichtete er an dem gelehrten Baselischen Buchdrucker J o h a n n F r o b e n , der an einem bösen Fuß so krank lag, daß ihn die Ärzte nicht anders als durch Amputation retten zu können glaubten. Paracelsus stillte die Wuth der Schmerzen durch sein Laudanum, und stellte den Patienten so weit wieder her, daß er zweymal wieder zu Pferde nach Frankfurt reisen konnte. Doch ist nicht zu verschweigen, daß Froben ein Jahr darauf an einem Schlagfluß starb, und daß viele, wo nicht die meisten Wundercuren unsers medicinischen H e r k u l e s (wie ihn Helmont nennt) nur Palliative, von keiner langen Dauer und oft von schlim-

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men Folgen waren. Indessen bahnte ihm doch die besagte Cur den Weg zu einem öffentlichen Lehrstuhl und zum Physicat in Basel, dem er ums Jahr 1526 und einige Zeit drüber vorstund. Die Feinde und Neider die er sich durch seine Lehrart, Curen und Intoleranz gegen die übrigen Ärzte zuzog; die Undankbarkeit seiner Patienten, die seine Belohnung nicht nach dem Werth einer in kurzer Zeit und mit der wenigsten Unlust wieder erlangten Gesundheit, sondern nach der wenigen Mühe, so sie ihn kostete, und nach der Kleinheit der Gläschen die er ihnen zu schlucken gab, abmaaßen; ohne Zweifel auch sein Hang zum herumschweiffenden Leben, trieben ihn bald wieder von Basel 10

weg. Er hielt sich erst ein paar Jahre im Elsaß auf, lebte unter dem dasigen Adel in grossem Ansehen, erwarb viel Geld, und gewöhnte sich an eine Lebensart, die einen gewöhnlichen Menschen gar bald zum Viehe machen würde, ihm aber in dem Geschäfte seines Geistes nicht hinderlich gewesen zu seyn scheint. Von da zog er über 10 Jahre in der Schweiz, in Schwaben, Bayern, Österreich, Mähren und Cärnthen umher; und starb endlich im Jahr 1541 zu Salzburg, wo er auf dem Gottesacker des Hospitals S. Sebastian begraben liegt. Auf seinem Grabstein wird ihm nachgerühmt, daß er die dira illa vulnera, den (venerischen) Aussaz, das Podagra, die Wassersucht und andre unheilbare Krankheiten durch seine wundervolle Kunst geheilet; und all’ sein

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Vermögen den Armen vermacht habe. Was allen außerordentlichen Menschen begegnet, dumm gelobt und dumm getadelt zu werden, war auch P a r a c e l s e n s Schicksal. Seine F e i n d e begnügten sich nicht, ihn nur für einen unwissenden, verwegnen, heillosen Marktschreyer und Saalbader auszugeben; sie sagten, er sey ein Zauberer, und Atheist, habe den Teufel, und treibe die Krankheiten aus durch Beelzebub den obersten der Teufel. Seine F r e u n d e priesen ihn als den größten Arzt und Wundermann seit Adam, nennten ihn den teutschen Tr i s m e g i s t , und versicherten, daß er d e n S t e i n d e r We i s e n gefunden habe, welches, nach ihrer Meynung, nichts geringers war, als den Hauptschlüssel

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zur ganzen Geister- und Körperwelt in der Tasche zu tragen. Er selbst und seine Anhänger giengen unstreitig zu weit, da sie die Heilkunst zu sehr simplificierten, ihre chymische Arzneyen zu sehr universalisierten, und den menschlichen Körper zu einer völligen chymischen Werkstatt machten, worinn ewig nichts als destilliert, sublimiert, aufgelößt, niedergeschlagen und cohobiert wurde.

Einige Nachrichten von Theophrastus Paracelsus

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Auf der andern Seite erkennen alle, die seine Werke gelesen haben und verstehen, daß er tiefe Einsichten in die Metallurgische Chymie gehabt, und diese vornehmlich in seinem Tractat de Sulphure bewiesen; daß er, mancher mißlungnen Versuche ungeachtet, die meisten damals als unheilbar angesehene Krankheiten, und unter diesen besonders die im ganzen Europa so schreckliche Verwüstungen anrichtende v e n e r i s c h e S e u c h e , viel geschwinder als seine galenischen Kollegen durch seine aus dem Metallreiche gezogene viel würksamere Mittel geheilt habe; und daß es Verdiensts genug wäre, wenn er auch kein anders um die Nachwelt hätte, als die Chemie in die Apothecken eingeführt und so viele herrliche Arzneymittel, als man in seinen

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Worten zerstreut findet, erfunden zu haben. Der berühmte C o n r i n g in seinem Werke de Hermetica Medicina ist einer von denen, die dem Paracelsus die meiste Gerechtigkeit haben wiederfahren lassen. S e i n e Z e i t konnte das nicht, da er eine Welt voll Gegner wider sich hatte, die er durch seine Unverträglichkeit, seine anomalische Lebensart, und selbst durch Einmischung in die theologischen Händel seiner Zeit, und die besondern Meynungen, die ein Mann wie Er über die Religion nothwendig haben mußte, immer im Athem erhielt. Noch einen Umstand müssen wir berühren. P a r a c e l s u s war ein We i b e r f e i n d , und sein Famulus J o h a n n O p e r i n , der seinen Sitten sonst nicht

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das beste Zeugnis giebt, versichert heilig von ihm, daß er der Venus in seinem Leben nie geopfert habe. E r a s t u s und v a n H e l m o n t geben eine Ursache davon an, die, wenn sie Grund hätte, diese Abweichung von der Natur hinlänglich rechtfertigte: nehmlich, er sey, da er als ein Knabe in Cärnthen Gänse gehütet, durch einen Zufall combabisiert worden. C o n r i n g rechnet dies unter die boshaften Verläumdungen seiner Feinde; gleich als ob es mehr Schande für ihn wäre, seine Zeugungskraft in der Kindheit verlohren zu haben, als, ohne eine so triftige Ursache ein Weiberfeind gewesen zu seyn. * * * Da sich keine einzige von des P a r a c e l s u s Schriften findet, welche vor seinem Sterbejahre 1541 erschienen, so ist sehr wahrscheinlich, daß er bey seinem Leben nichts davon hat drucken laßen. Dieß ist um so mehr zu bedauren, da seine Schüler und Anhänger, B o d e n s t e i n , A l e x a n d e r v o n S u c h t e n , D o r n ä u s , T h u r n h ä u s e r , P e t e r S e v e r i n , C r o l l , S c h e u n e m a n n , und

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einige andere, welche sich rühmen daß Paracelsus ihr Meister gewesen, seine hinterlaßenen Papiere in einer solchen Unordnung zum Drucke befördert haben, daß es unsägliche Mühe kostet, die Spreu von den Körnern zu scheiden, noch mehr die Formuln recht zu verstehen; denn unmöglich kan Theophrast bey seinen glücklichen Kuren solche ungeheure Dosen von Arzneymitteln angewandt haben, als seine Nachfolger in seinen Schriften angeben. Unter diesen ragt besonders der Peter Severin hervor, welcher vieles aus seinem Gehirn zu den Theophrastischen Schriften hinzugefügt hat; wie davon folgendes zum Beyspiel dienen kan: „Dem Arzte ist nöthig zu wißen daß im Menschen ist der 10

Drachenschwanz, der Widder, die Polaraxe, die Mittagslinie, der Auf- und Untergang der Sonne,“ u. s. w. Dieser Meynung von der Unordnung und Zusätzen in Theophrasts Schriften, ist auch der schon genannte Gefährte des Theophrasts, J o h a n n e s O p o r i n u s , wenn er in einigen Briefen an die Ärzte S o l e n a n d e r und J o h a n n W i e r u s sich mit folgenden Worten darüber heraus läßt: „ich muß mich in der That wundern, daß so viele Schriften zum Vorschein kommen, welche alle dem T h e o p h r a s t zugeschrieben werden, und aus deßen Verlaßenschaft seyn sollen; denn ich bin überzeugt, daß er dem Innhalt einiger dieser Schriften nie geträumt, geschweige denn wachend dergleichen gedacht habe.“

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Die beste Ausgabe seiner Werke ist die Genffer vom Jahr 1658 in 3 Bänden in Folio.

Einige Nachrichten von Theophrastus Paracelsus

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Druckfehler in No. 6 des T. Merkur. (die ich so eben gewahr werde.) S. 287. Z. 4. von unten, leset: s e i n e n statt feinen. S. 288. Z. 14. M u ß e statt Muse. Die übrigen empfehlen wir der Milde unsrer Leser.

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Der Teutsche Merkur. August 1776.

¼Eines Ungenannten Antwort auf die Frage : „W i r d d u r c h d i e B e m ü h u n g e n k a l t b l ü t i g e r Philosophen und Lucianischer Geister gegen das, was sie Enthusiasmus und Schwärmerey nennen, mehr Böses als Gutes gestiftet ? und in welchen Schranken müßten sich die Antiplatoniker und Luciane halten, um nützlich zu seyn ?“ T. Merkur. Jan. 1776. S. 82. Gut und b ö s e — wie wunderbar und weit, und auf welchen H ö h e n und T i e f e n laufen die

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Linien in- aus- und durcheinander! Wer will’s s o n d e r n und f i x i r e n ! M e h r und We n i g e r bestimmen, in dem unabsehbaren Meere, auf dem unser Blick in Dämmerung und Schatten, wie enge! bezirkt ist. — E n t h u s i a s m u s , S c h w ä r m e r e y — Wes Geistes Kind? und des Kindes untrügliche s i c h t b a r e Z e i c h e n und S i e g e l ?— Die Bemühungen kaltblütiger Philosophen und Lucianischer Geister — wonach zu messen und zu wägen? wo und wie ihr G r u n d und A u s - und F o r t g a n g ? — — — Ich versuche Etwas zur Antwort zugeben für — U n p a r t h e y i s c h e und S e h e n d e . Weiß jemand was richtigers — um so besser! und dies sey vergessen. Die Frage hat zween Theile: 1) „Wird durch die Bemühungen kaltblütiger Philosophen und Lucianischer Geister gegen das, was sie E n t h u s i a s m u s und S c h w ä r m e r e y nennen, mehr B ö s e s oder G u t e s gestiftet?“ M e h r B ö s e s als G u t e s ! So weit meine Augen in die Mischung des Guten und Bösen sieht; wie ich die, zumal a l l e r m e i s t e n , Bemühungen (und von diesen wird auch nur Frag und Antwort seyn) der kaltblütigen Philosophen und Lucianischen Geister kenne — mehr B ö s e s als Gutes! antwort ich: B ö s e s am meisten für die — kaltblütigen Philosophen und Lucianischen Geister selbst. Zum Beweis muß ich tiefer ins B e s o n d r e gehen. Vo l l s t ä n d i g e Untersuchung indeß

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erwarte man jetzt nicht. Die mag andrer Zeit und Ort aufbehalten seyn. Ich lege hier einige Fäden hin zum w e i t e n G e w e b e . E n t h u s i a s m u s , S c h w ä r m e r e y — wes Geistes Kind? und des Kindes untrügliche Z e i c h e n und S i e g e l ? Wunderbar, daß bey aller Definitionslust und Gabe der kaltblütigen Philosophen noch keine b e s t i m m t e , f e s t e , s i c h e r e , a n w e n d b a r e Definition da ist, von der man ausgehe und so die Bemühungen erst recht k a l t b l ü t i g , u n v e r w i r r e n d , t r e f f e n d und n ü t z e n d werden. Dagegen sie nun wie s c h i e f , l e e r und m i ß t r e f f e n d ausfallen müssen, oft v e r w u n d e n wo sie heilen sollten; K r i e g anrichten wo Friede war. Ein Strohgebäude ohne Fundament. Den sich bemühenden Herren schwebt ein dunkel Bild vor, ein 10

wandelnder P r o t e u s , auf dessen Stirn alle Schrecken der ausgelassensten Schwärmerey sich drängen, deren Schall sie je von I n d u s und G a n g e s hersummen gehört haben, wogegen sie dann anziehen und — in die L u f t s t r e i c h e n . Was nennen sie E n t h u s i a s m u s ? was nennen sie S c h w ä r m e r e y ? „ S c h i e f abgezogene R e g e l n nicht zum H e r r n d e s G e n i e s hinaufsetzen; der Mutter N a t u r kindlich e i n f ä l t i g und f r o h , im Schooß sitzen; nicht geometrisirend im Land der Kunst reisen; nicht alle Künste durch E i n N a d e l ö h r zwängen; in duftenden Jesmingängen nicht über die N a s e w ä r z g e n philosophiren; nicht zum Ziele k r i e c h e n , wo’s mit kühnem Flug e r s c h w u n g e n und u m f a ß t werden soll!“ S c h w ä r m e r e y ? „In verschrienen Schwärmern nicht von a bis v U n s i n n finden; behaupten, was etwa auch einer behauptet; Christenthum nicht zum m o r a l i s c h e n C a t a l o g u s hinabniedrigen; nicht

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in das B u b e n g e l ä c h t e r über Wunder hineinschallen —“ Mehr als gnug, um in der Herren n i c h t a l l z u b a r m h e r z i g e s Gericht zufallen. Der k a l t b l ü t i g e , g e m e s s e n e , p h i l o s o p h i s c h e Gang liegt auf!! Und die Lucianischen Geister — die z w i s c h e n d e n B ü s c h e n r u f e n u n d u n t e r d e n D i s t e l n s a m m e l n — doch von diesen reden wir nachher ein Wort. Schon aus dem b o d e n l o s e n Grund, auf dem all die Bemühungen schweben, aus dem u n s i c h e r n , q u a c k e l n d e n G a n g den sie nehmen — wie viel G u t e s ist da zu hoffen? Aber was ist denn nun E n t h u s i a s m u s ? was ist S c h w ä r m e r e y ? Es ist an den streitenden Herren, ihren Feind zu n e n n e n und z u z e i c h n e n . Indeß gebe ich meine z w e e n P f e n n i g e zur Definition.

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E n t h u s i a s m u s — wehe dem, den keine Nerven dazu schwingen! — ist h e i ß e s R i n g e n und D r i n g e n nach einem Gegenstand der g r o ß und h e h r dem Geiste vorschwebt, alle K r ä f t e , alle S i n n e gefangen genommen hat — n i c h t r u h e n , n i c h t s t i l l e s t e h e n — immer f o r t d r i n g e n , f o r t r i n g e n , bis er e r r u n g e n , u m f a ß t , in all seiner Herrlichkeit v o l l Wo n n e g e n u ß v e r s c h l u n g e n ist. „Wie ein Hirsch schreyet nach frischem Wasser, so schreyet meine Seele, Gott! zu dir.

¼Anmerkungen und Zusatz: Häfeli?½ E i n e s U n g e n a n n t e n A n t w o r t

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Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott; wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue!“ Das ist E n t h u s i a s m u s ! oder G r u n d l a g e zum Enthusiasmus. Aber n i c h t S c h w ä r m e r e y . Denn S c h w ä r m e r e y ist der Z a u b e r z u s t a n d einer Menschenseele, wo sie, verirret in u n e r m e ß l i c h e n H i m m e l - u n d H ö l l e n w ü s t e n , ihre e i g n e n u n g e h e u r s t e n E i n b i l d u n g e n (Fantasmata) für w i r k l i c h e E m p f i n d u n g e n hält; gar als f e s t e , g ö t t l i c h e O f f e n b a r u n g e n verehret und als solche verehrt wissen will. Was sollen nun der kaltblütigen Philosophen Bemühungen gegen E n t h u s i a s m u s ! Soll alles in der Welt Z e r g l i e d e r e r , k a l t b l ü t i g e r P h i l o s o p h seyn? oder muß mans i m m e r seyn? ists m ö g l i c h ? n ü t z l i c h ? Mich däucht k e i n s v o n b e y d e n ! Enthusiasmus ist Kind

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i n d i v i d u e l l e r M e n s c h e n o r g a n i s a t i o n ; und das Kind ist so s c h ö n , so l i e b l i c h ! Wo in den Jahrbüchern der Menschheit ist eine M e n s c h e n b e g l ü c k e n d e , g r o ß e , e d l e , e r h a b e n e That? wo ein w e i t e s , t i e f e s , e r h a b e n e s System? wo e i n h o h e s We r k , welcher Kunst es sey? wo ein w a h r e r , i n n i g e r , v o l l e r Genuß, welcher Freude er sey? ohne E n t h u s i a s m u s — wo wirds je seyn? Gerade daß die kaltblütigen Philosophen mit ihren Bemühungen die Nerven l ä h m e n , wo Enthusiasmus seinen Sitz hat, nur die Thräne auf der Wange der leidenden Unschuld mit Ve r g r ö ß e r u n g s g l a s zeigen, stiften sie wie v i e l B ö s e s ! Zapfen eine Quelle ab der s c h ö n s t e n , r e i c h s t e n , m e n s c h l i c h s t e n , g ö t t l i c h s t e n Freuden und Thaten. „Aber wo ist auch je eine merkwürdige böse Handlung ohne Enthusiasmus — —?“ Freylich!

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Auch d e r Te u f e l hat seinen Enthusiasmus. Da, kaltblütige Philosophen! ist’s euer Amt zu u n t e r s c h e i d e n und um der f a u l e n Ä s t e willen nicht S t a m m m i t Wu r z e l auszureißen. Könnt ihr das b e g r e i f e n ? Aus den e d e l s t e n Menschentrieben und Kräften kann durch M i ß b r a u c h , durch v e r k e h r t e R i c h t u n g tausendfach Böses entstehen. Kalte Berechner im Winkel sehens, eifern, bemühen sich dagegen. Aber so bald kehren sich (zumal wenn der N e i d t e u f e l ins kalte Blut fährt) die Bemühungen, statt n u r auf die v e r k e h r t e R i c h t u n g , auf Tr i e b und K r a f t selber, und t ö d e n . D a s ist der Fall mit unsern kaltblütigen Philosophen, und so s c h l i m m , als u n p h i l o s o p h i s c h . Kaltblütige U n t e r s u c h u n g , B e s t i m m u n g , U n t e r s c h e i d u n g ist da so u n e n t b e h r l i c h , so h e i l s a m — so g a n z v e r n a c h l ä ß i g t . Sie seufzen izt inniglich über ein gewißes F e u e r , das in Teutschlands Jünglingen wüthe, selbst M ä n n e r zu Jünglingen schaffe; — über die S c h n e l l k r a f t und den E m p f i n d u n g s s t r o m , von dem sich alles hinreißen laße! — Wo h i n ? Da bestimmt G r ä n z e und sezt W ä c h t e r ! — Ihr Seufzen mag indeß n i c h t g a n z ohne Grund seyn. Je tiefer man sich in den Empfindungsstrom taucht, um so mehr verliert vielleicht die H e l l e d e s K o p f s und die K ä l t e

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d e r Ü b e r l e g u n g ; Schnellkraft zersprengt das F ü h r b a n d und reißt unterweilen h e i l l o s i n I r r e . Indeß ist F e u e r , S c h n e l l k r a f t und E m p f i n d u n g s s t r o m eine g u t e s e l i g e Sache im Jüngling, und, im K ü n s t l e r zumal, der w a h r e , e i n z i g e Weg zum W i p f e l , zum v o l l e n , s t r ö m e n d e n G e n u ß seiner Kunst. Es ist Liebe einer S t i e f m u t t e r , dem Kind die Füße z u s a m m e n b i n d e n , daß es — nicht f a l l e . Die M u t t e r läßts l a u f e n , geht milde n e b e n h e r , und wenns in P f ü t z e n springen will, steht sie v o r ; und das Kind d a n k t und f o l g t . Philosophen seyd M u t t e r ! In den G ä n g e l w a g e n euerer Regeln, dieser a u s d e r M u t t e r g e r i ß n e n s a f t l o s e n K i n d e r , den Jüngling immer z w ä n g e n wollen, macht ihn noch r a s c h e r . Habt ihr ihm Wa r n u n g zu geben, gebt sie mit L i e b’ und W ä r m e , daß er 10

nicht bey eurem Frost s c h a u r e und d a v o n l a u f e , eh’ ihr ausgewarnt habt. Wo l f s Philosophie, die k a l t e , b e d ä c h t l i c h e Dame — sie ist nicht R i c h t e r i n des blühenden Mädchens, das an der sprudelnden Quelle der Dichter umschlingt. Laßt diesen im Genuß der Wonne auch allenfalls s t e r b e n ; die L e i c h e n k o s t e n fallen nicht auf euch; und eurer Dame küßt ihr indeß die H a n d . Immer E n t h u s i a s t seyn ist nicht gut; und nicht gut immer k a l t b l ü t i g e r P h i l o s o p h seyn. Jedes an O r t und S t e l l e zu seyn, das ist g u t . Dieß lehrt der K o p f , jenes das H e r z . Reißt nicht E i n s weg, sondern zeigt m i t b e y d e n , wie sie zum großen Zweck des Lebens harmoniren. Wirft der Enthusiast immer und a l l e Regeln weg, er thut U n r e c h t . Aber ihr nicht m i n -

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d e r , wenn ihr immer n u r R e g e l n zum u n b e w e g l i c h e n M e r i d i a n Himmels und Erde macht, und dem heißdurstenden das Wasser wegnehmt, obs e u r e P r o b e halte. B e s t i m m t e , e r k e n n b a r e Unterscheidungen (und die wären so der kaltblütigen Philosophen e i g n e S a c h e ) d a s m i ß ich in ihren Bemühungen so sehr. Um der F i n g e r s p i t z e willen, in die sich der verdorbene Saft hingesammelt und schwürt, hauen sie mit mörderischem Messer die g a n z e H a n d a b ; töden dem Jüngling, der nach Lebenstrost schmachtet, sein G e f ü h l , löschen ihm alle sein Feuer mit dem Wa s s e r r e f l e c t i r e n d e n R a i s o n n e m e n s ; scheuchen mit E u l e n g e s c h r e y die H i m m l i s c h e , d i e i h n i n s t i l l e r M i t t e r n a c h t b e s u c h t , a n e i n s a m e n Q u e l l e n v e r s c h w i e g e n e Wo r t e i h m h a u c h t . Oder — er e r g r i m m t und läuft auf f a l s c h e r Bahn, in welche S ü m p f e , in welche W ü s t e n ohne

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Q u e l l e n und S c h a t t e n ! Ü b e l , das ihre Bemühungen von dieser E i n e n Seite gestiftet h a b e n und s t i f t e n ! Wie gegen E n t h u s i a s m u s , so auch gegen S c h w ä r m e r e y . Beydes liegt den Herren in Einem Topf. Keine f e s t e Data, keine U n t e r s c h e i d u n g e n , kein b e s t i m m t e r , s i c h r e r , m ä n n l i c h e r Gang. Immer nur, und meistens sehr u n k a l t b l ü t i g e r Zug gegen ein v e r z e r r t e s S c h r e c k b i l d , das sich der Phantasie, diesem D i e n s t m ä d c h e n d e s k a l t e n

¼Anmerkungen und Zusatz: Häfeli?½ E i n e s U n g e n a n n t e n A n t w o r t

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U r t h e i l s , mahlet. Wie u n p h i l o s o p h i s c h ! welche S c h a n d e auf den kalten Schädel der Herren! Eine S c h a n z e i m F r i e d e n ; der Feind, der sie besteigen soll, ist ferne. Gewiß! kommt er nicht d a h e r , von wo sie ihn erwarten. Christenthum ist — kreuzt euch!! E m p f i n d u n g , die sich nicht g e b e n , nur d e n k e n läßt. R a i s o n n e m e n t drüber soll aus Empfindung a u s g e h e n , in Empfindung z u r ü c k k e h r e n ; sonst ists l e e r , ö d , u n f r u c h t b a r Raisonnement. Am u n r e c h t e n O r t , zu u n r e c h t e r Z e i t , wo’s die Empfindung k ä l t e t , die reine Erfassung t r ü b e t , die feinen zitternden Saiten des inwendigen Menschen a b s p a n n t — führts das l a n g b e i n i g t e , h u n d m a g r e Thier D e i s m u s ins Land: das f r i ß t , u m n i c h t s f e t t e r , Kohl und Rüben, und der arme Besitzer v e r h u n g e r t .

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Wie nun aus Empfindung, zumal wenn sie im U n k r a u t erwächst und mit Imagination v e r m i s c h t wird, allerley Unheil entstehen kann und entstanden ist: wie aus der einladenden Traube am Weinstock, die einer euerer Dichter so lieblich besungen: so wird durch einen s e h r r a s c h e n Sprung des Urtheils den kaltblütigen Philosophen Empfindung die g r o ß e U n h e i l s q u e l l e , wo sie mit S c h ö p f e n , D ä m m e n und A b l e i t e n nicht fertig werden können. Eine Religion, wo alles auf H e l l e d e s K o p f s , und a u f g e z ä h l t e n , g e r a d b r e c h t e n Pflichtgen herumtreibt: wovon der größte Theil der Menschheit kaum was h e l l e k r i e g t , oder das ihm die tausendfachen R i n g u n g e n und S c h w i n g u n g e n des Lebens so bald v e r w ö l k e n — eine Religion ohne G o t t , ohne n a h e n , h e l f e n d e n , s c h ü t z e n d e n Freund, unter dessen S c h i l d sich der arme erlegene in der Noth des Lebens b e r g e und a t h m e —

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welche Religion! Und Christenthum o h n e Christus, so ganz ohne den mindsten N a c h h a l l seines Geistes, so ganz von der Sündfluth ihrer To d e s s c h w ä c h e , N a s e w e i s h e i t , H e r z l o s i g k e i t und B u c h s t a b e n k r i t i k verschlungen, eine h o h l e v o n A f f e n h e r u m g e k o l l e r t e N u ß , schöngefächerte M o r a l (und auch d a s Wort verliert in ihrem Munde all seine K r a f t und W ü r d e ) dazu voll heilloser T ü c k e n und schwankender U n b e s t i m m t h e i t — wer im H i m m e l und E r d e soll denn das a n n e h m e n ? wem das in seinen um und umliegenden Bedürfnissen g n u g seyn? Mags ihnen! dem größten beßten Menschentheil, der unter Kopf noch H e r z fühlt, dem auf g e p r e ß t e Brust s a u r e r Schweiß tropft, ists n i c h t ! Wenn der im Evangelio von Christus, dem H e r r n a l l e r D i n g e , dem A d a m z u m g e i s t l i c h e n L e b e n , dem nahen, sichtbaren helfenden, vertraulichen M e n s c h e n g o t t , dem Führer durch D o r n e auf hohe P f a d e v o l l A u s s i c h t — lieset; seine Seele frohloket, sein Herz aufwallt in Wonne, fühlet den Balsam von oben in die schmerzende Wunde, entgegen wallt dem himmlischen Bruder: — und da kommt ihm ein kaltblütiger Philosoph, dem Aufwallen des Herzens als b r e n n e n d e N e s s e l im S t r a u c h gilt, und spricht von Gefahr der S c h w ä r m e r e y , und in welchen a u f g e k l ä r t e n Zeiten (ob Gott will!) wir leben, und wie

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

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nun e n d l i c h die Lehren des s o g e n a n n t e n Sohns Gottes — und die M o r a l — — und ein lucianischer Geist fährt mit H e n k e r s g e i s e l über Christusglaubige her und flicht K r o n e v o n D o r n e n — was kann da werden! Ihr wollt den Gewissen F r e y h e i t geben, und Niemand hat noch die Gewissen ärger v e r w i r r e t , Niemand so viel b l u t e n d e Herzen a b g e s c h l a c h t e t ! Ihr ritzet in den i n n e r s t e n E i n g e w e i d e n die Menschheit, l ö s e t Sehnen und Adern, jocht den Armen, der in eure Hände fällt, in s i b i r i s c h e W ü s t e n , und stopft wie die P h i lister alle Brunnen im Land. Christenthum soll offenbar a l l w ü r k e n d e Tr i e b f e d e r der Welt seyn; und mich dünkt sein Geist i s t s , auch wo der Ve h i k e l das Wa p e n nicht hat. Darum ists auch E m p f i n 10

d u n g . Und euere Philosophie kann n i e solche Triebfeder seyn, denn sie ist nur b i l d e r l o ses, symbolisches Gemächt droben im Kopf. Wähnen gegen S c h w ä r m e r e y zu streiten und streiten gegen den b e ß t e n S c h a t z des Lebens — gegen T h a t s a c h e , i n d i v i d u e l l e E r f a h r u n g , E m p f i n d u n g , G l a u b e , L i e b e , H o f n u n g u n d Tr o s t v o m A n t l i t z G o t t e s ! Wähnen dem v e r n ü n f t i g e n Christenthum (izt ein s e h r b e l i e b t e s Epithet) aufzuhelfen, und füllen das Gefäß, worinns allein haften kann, mit S c h l a m m und M o d e r ! Dagegen ihres kaltblütigen Amts wäre, das Gefäß zu p f l e g e n und zu r e i n i g e n ; zu erforschen, w i e ? und w i e w e i t ? und w o h i n g e t r i e b e n und w o m i t vermischt die Empfindung schade; Z e i t , P l a t z , G r a d zu bestimmen, und mit Bemühen m i l d e , v ä t e r l i c h und f e s t anzuziehen. Nun ich bey j e d e r n e u e n Bemü-

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hung wiederholen muß, die kaltblütigen Philosophen vergessen a l l e Kaltblütigkeit, gerade wo sie am n ö t h i g s t e n und e r s p r i e ß l i c h s t e n wäre. Wozu dieß ewige F e c h t e n i n s B l a u e , dieß u n g e m e ß n e , u n g e s o n d e r t e Gemisch? — diese H i t z e i m A n t l i t z ? Und dieß R o l l e n der Augen? Und dieser z i t t e r n d e M u n d voll Z e r s c h m e t t r u n g s s u c h t ohne K r a f t ? Und schon b l ü h e t d e r M a n d e l b a u m , u n d d i e H e u s c h r e c k e i s t b e l a den, bald kommt der silberne Strick weg, und verlauft die goldene Quelle, der E i m e r z e r l e c h z t a m B o r n , u n d a m B o r n z e r b r i c h t d a s R a d ! Ist denn ihr Herz zur Linken ? Gewiß bin ich ihnen auch S c h w ä r m e r , daß ich Christenthum in E m p f i n d u n g setze, und sie werden nicht umhin können, vor dem gar U n b e s t i m m t e n zumal f ü r c h t e r l i c h -

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s c h ä d l i c h e n dieser Behauptung Söhne und Enkel zu warnen. Hätten sie Christenthum, vermögte ihnen durch e r s c h l a f f e n d e n Nebel ein f e r n e r H a l l seines Geistes zu werden! — aber kaltblütige Philosophie ist — n i c h t Christenthum. Würden sie sich s c h e i d e n , wo sie im Grunde geschieden g e n u g sind: so wärs F r i e d , und ihnen Z e i t , P a p i e r , We h k l a g e n und G r i m m erspart. Seh’n sie nicht, daß ihre Bemühungen nicht f r o m m e n ? daß sie sich von Schädel zur Sole l ä c h e r l i c h machen? und das nicht nur: wenn einst der Feind

¼Anmerkungen und Zusatz: Häfeli?½ E i n e s U n g e n a n n t e n A n t w o r t

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uns überfällt, dem sie so emsig wehren e h’ e r d a i s t — Gewiß sind sie seines Kommens n i c h t k l e i n e Schuld! Wer der sogenannten Hypothese „ f o r t d a u r e n d e G l a u b e n s - u n d G e b e t s k r a f t “ zugethan ist — Wer ist m e h r Schwärmer? Und beynah’ ists unsern kaltblütigen Philosophen das e i n z i g e Mahlzeichen des Thieres. Aus den Bemühungen dagegen sieht man, wie b e s t i m m t und t i e f g r ü n d l i c h sie die Hypothese zu fassen wissen. Ihr Streiten ist das e l e n d e s t e , u n w ü r d i g s t e seit C a i n s Zeit. Mahlen sich ein G e s p e n s t an die Wand, und rufen alle L a h m e , B l i n d e , K r ü p p e l und Tr i e f ä u g i g t e zum allgemeinen Gelächter. Ich mögt ihnen rathen um We i s h e i t zu bitten, wenn — Bitten nicht S c h w ä r m e r e y wär. Die ganze Sache, wie sie noch im P u b l i k u m steht — wär doch die P e r l e nie vor die

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S c h w e i n e geworfen worden! — ist S a c h e d e r U n t e r s u c h u n g ; l o g i s c h - e x e g e t i s c h e r , p h i l o s o p h i s c h - m e n s c h l i c h e r Untersuchung. Hat je i n a l l e r We l t e i n S c h w ä r m e r z u r U n t e r s u c h u n g g e r u f e n ? ? Das sind die G r u n d s ä t z e der Herren! das ihre K o n s e q u e n t e n Bemühungen! Und w i e s i e b i s h i e h e r untersucht haben, wird ihnen S c h a n d e seyn bis ans Ende der Tage. Wer von der L e e r h e i t , G e i s t l o s i g k e i t , K r ü m m e n und We i b e r e y e n unsrer philosophischen Theologen noch nicht Begriff hat, lese was von B e r l i n , Z ü r c h , B r e m e n , und woher nicht? zur P r ü f u n g und Ve r s p o t t u n g dieser Hypothese geschrieben worden und er wird erstaunen. Sind allzumal dahingegeben i n v e r k e h r t e n Sinn, L ä s t e r u n g zu reden. Hat so jeglicher seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine S t u n d e , wie S a l o m o n spricht.

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Das mit ihren g e d r e h t e n h e r m e n e v t i s c h e n R e g e l n , die Glaubenskraft auf 1700 Jahr zurückweisen, alles im Testament zurückgewiesen sey — ist aus d e r H e r r e n L o g i k bewiesen. Daß die b e s t r i t t e n e , g e l ä u g n e t e Allgemeinheit der Verheißungen w i r k l i c h e A l l g e m e i n h e i t sey, gesteht nun jeder ehrliche Mensch, der z w e y A u g e n hat, ohne daß er sich dann um den ganzen weiten D e t a i l zu bekümmern nöthig finde. Daß die M e i s t e n , die n o c h l äugnen, auch im Herzen g e s t e h e n , weiß man. Was ihres Entgegenredens G r u n d sey, w e i ß m a n . R e g e n t e n ! Errichtet doch d e i s t i s c h e P f r ü n d e n , daß die Herren aus d e r N o t h kommen; denn siehe! ihre Noth ist g r o ß worden. Was man izt bestreitet, ist indeß nichts als Ein Blatt eines g r o ß e n , a l l w e i t e n S y s t e m s m e n s c h l i c h e r N a t u r , K r a f t u n d L e b e n d i g k e i t . Man spottet e i n z e l n e r Blätter, weil We i t e und T i e f e des Blicks fehlt zu Umfassung des G a n z e n . So spotteten t h ö r i c h t e K n a b e n und We i c h l i n g e vom Anfange der Welt. — Einer der d e k l a r i r t e s t e n Gegner der Glaubens- und Gebetskraft gestand mir: die Verheißungen seyen würklich a l l g e m e i n , aus der Bibel lasse sich da nicht entgegenreden. Aber — über so viel B i b l i s c h e s seyen wir mit S e m l e r s , Te l l e r s , E b e r h a r d s , und der

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

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B i b l i o t h e k a r e in B e r l i n e w i g e m Ö l l ä m p c h e n hinweg, warum nicht auch — ! Ich gab dem Mann die Hand. Wollte Gott! sie wären alle so e h r l i c h , dann wär des Zankens ein E n d . Denn zum G e z ä n k ists fast gediehen. Das u n b r ü d e r l i c h e Stürmen, die e r b ä r m l i c h e n Ausfälle erbittern: und in der Hitze lauft wie viel M e n s c h l i c h e s mit unter. * ) Der S c h a d e n also, den die Bemühungen der kaltblütigen Philosophen stiften — doch was brauchts W i e d e r h o l u n g ! Schädlicher als die kaltblütigen Philosophen sind, ihre S p ü r - und J a g d h u n d e , die Lucianischen Geister. Wärs L u c i a n s Geist! Aber ein G e s p e n s t mit k l a p p e r n d e n Zähnen und in der M o d e r h a n d die P e i t s c h e . 10

Das B ü n d e l g e n Witz, den ihnen im Zorn der Himmel gegeben, in S c h l a m m gewälzt, misbrauchen sie zur S c h a n d e d e r M e n s c h h e i t , zur K r ä n k u n g e d l e r S e e l e n , zur B e s t ü r m u n g d e r R e l i g i o n , die sie heißen F a n a t i s m e , zur Ä r g e r n i ß j e d e s R e c h t s c h a f f n e n , zur Ve r w i r r u n g d e s Vo l k s , und zu S c h a n d e i h r e r s e l b s t . Auch ohne G e b r a u c h und M i ß b r a u c h ist ihr Gebäude das l e i c h t e s t e , l o k e r s t e , w i n d i g s t e , das je ein Thor der Thoren auf S a n d gebaut hat: ihr Lämpgen das l e e r s t e , e r l ö s c h e n d s t e , mit dem je eine t h ö r i c h t e J u n g f e r entschlafen ist. Ich erinnere mich hier d r e y allerneustberühmter Lucianischer Geister und ihrer Bemühungen, die sich K ü r z e und Wa h r h e i t halber unter Einem Titel bringen ließen — N a c h h e l f e i n e s V — — i v s ! ** )

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In C h a r a k t e r z e i c h n u n g die s c h i e l e n d s t e E i n s e i t i g k e i t und Ve r d ä m m e r u n g ; d e t e r m i n i e r t e a u f s p r i n g e n d e B o s h e i t und N e i d s u c h t : für W i t z die f a d e s t e n , a b g e d r o s c h e n s t e n S c h w ä n k e , wie sie je in S c h u s t e r h e r b e r g e n herumgeboten werden. In p h i l o s o p h i s c h e n U n t e r s u c h u n g e n die e r b ä r m l i c h s t e A b g e s c h l a p p t h e i t , Schwindelwanken eines Berauschten, Leerheit, Unverstand, Übersprung, neidischer Rückblick — nervenlose Dünnleibigkeit. Im R o m a n , dessen h o h e r Zweck erst in einer R e c e n s i o n hat angegeben werden müssen, weil ihn sonst Niemand g e a h n d e t hätte — k e i n e e i n z i g e gut angelegte, wohlausgeführte Scene; n i c h t z w e e n l e i d l i c h g e z e i c h n e t e , u n t e r h a l t e n e Charakter, — eine f l a -

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c h e f r a n z ö s i s c h e L a n d s t r a ß e a u f d e r m a n v o r l a n g e r We i l e e r l i e g t . Und gar *)

Das sehen wir an Ihnen, lieber Herr! W.

**)

Warum nicht herausgesagt, Vomitivs? W.

¼Anmerkungen und Zusatz: Häfeli?½ E i n e s U n g e n a n n t e n A n t w o r t

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p h i l o s o p h i s c h - t h e o l o g i s c h e r B e g r i f f u n d A n g r i f f — wie u n g e d a c h t , wie l e e r , wie s t o l p e r n d , wie s c h i e l e n d — wie g a n z o h n e M e n s c h e n - und S e k t e n k e n n t n i ß — das ganze Buch — C h a r f r e y t a g s b u ß f ü r C a p u z i n e r ! „Welches alles des aufrichtigen Danks, aller aufgeklärten und billigdenkenden Geistlichen wohl werth ist.“ Ich habe nicht die Ehre des Ordens zu seyn; hätte aber auch als ein schlichter Weltmann gewünscht, die W ü r d e des Standes von a n d r e r Hand gerächt zusehen. Das S a l z i s t d u m m ! womit soll man s a l z e n ? Ist zu nichts hinfort nütze, denn daß man es h i n a u s s c h ü t t e und läßt es die Leute z e r t r e t e n ! — oder versend es nach H o l l a n d in H o f s t e e d e n s Küche. Und dann, G e b r a u c h und M i ß b r a u c h — Was haben dergleichen Bemühungen schon

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g e s c h a d e t ! helfen noch g a n z alle Augen v e r b l e n d e n , alle Nerven z e r r e i ß e n : machen das Feld unsrer teutschen Litteratur, auf dem schon lange Ve r l e g e r g e i t z p f l ü g t , noch g a n z zum S t o p p e l a k e r , worauf s t i n k e n d e r W i n d trift und l a u Wa s s e r fault; verbreiten e g y p t i s c h e F i n s t e r n i ß und F r ö s c h e und L ä u s e — b i t t e r n manchem treflichen Manne seinen Tag, e r s c h w e r e n ihm seinen Abend: hindern die e d e l s t e n Bemühungen zu F e s t n u n g der Wa h r h e i t und M e n s c h e n f r e u d e ; zeugen der Religion Ve r a c h t u n g u n d E c k e l , und stutzen für s c h m a l e N a c h b e t e r das entkräftete Gerippe Deismus zu G o t t und — To d . Sind denn nicht K r ü m m e n , F a l t e n , N a r r h e i t e n , C a p r i c e n , M a n i e r e n gnug in ihrer e i g n e n Verwandschaft und Freundschaft? Was nahen sich h e r z l o s e Spötter ins H e i -

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ligthum leidender Menschheit ! Aber ihre Werke f o l g e n i h n e n n a c h . Auch über sie schwingen n e r v i g t r e Hände L u c i a n s Geisel: Sie werden in ihre S t ä l l e zurückgejagt, und w i d e r k ä u e n zum Trost das l e t z t e Futter des Lobes, das ihnen ihre Bewundrer vorgeworfen: und man geht so ziemlich vorüber, als ob die Thiergen auf der Weyde wären. Aus der großen Gährung, die durchweg b r a u ß t , muß bald S c h e i d u n g L i c h t s v o n F i n s t e r n i s werden. Lange können sich die kaltblütigen Philosophen und Lucianischen Geister so s c h w e b e n d nicht mehr halten. Sie müssen erwählen, w e m sie dienen wollen. Dann weiß man, wohin man sehen m u ß , und jeder sieht, wohin er w i l l . F ü r c h t e r l i c h K r a c h e n mag immer draus werden. Es kommt der A b e n d , wo Wind und Wetter vorbey ist; lieblich duftet die Erde vom e r f r i s c h e n d e n Regen, und m i l d e letzt sich dem Auge die Sonne. Mehr B ö s e s als G u t e s , ergiebt sich, wird durch die Bemühungen der kaltblütigen Philosophen und Lucianischen Geister, gegen das, was sie E n t h u s i a s m u s und S c h w ä r m e r e y nennen, gestiftet.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

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Oder auch mehr G u t e s als B ö s e s , wenn ihr wollt! Mehr G u t e s — daß sie, w i d e r s t e h e n d dem, was sie schädlichen E n t h u s i a s m u s und S c h w ä r m e r e y nennen, o h n e Wissen und Willen das C h r i s t u s - l e e r e Christenthum verdrängen; Unvorsichtige b e h u t s a m machen; Christen in G e d u l t und F e i n d e s l i e b e üben; schlafende Kräfte a u f w e c k e n ; — und durch K r ü m m e und E r s c h l a f f u n g und B o s h e i t und P a r t h e y s u c h t , und E i n s e i t i g k e i t , und Tr o c k n e , und F a d h e i t , vor alle dem w a r n e n . Kraft hebt sich durch W i d e r s t a n d , neben Finsternis scheints Licht heller, und dem mans Ziel e n t r e i ß e n will, hälts um so f e s t e r . * ) „Religion, Vernunft und Tugend müssen durch die tollesten Angriffe ihrer Gegner unfehlbar einmal gewinnen.“ — 10

Am meisten aber schaden wohl die Herren s i c h s e l b s t . Ihr Herz e n g t sich zusammen; ihr Auge v e r l i e r t H e l l e und E i n f a l t , sieht nichts mehr w i e e s i s t ; ihre Kraft s c h r u m p f t e i n ; in ihrer Seele herrscht D ü r r e ; sie schließen sich eine Quelle von S ü ß i g k e i t und F ü l l e , G l a n z u n d Wo n n e , um in M i s t l a c h e n zu baden; und reiten auf H y p o t h e s e n , Z u f a l l , U n d i n g , A b s t r a k t i o n e n in Abgrund des Meers. Dies wäre die Antwort, wie ich sie in dem engen Thal meiner Pilgerschaft geben kann. Der Weg führt aber w e i t e r , die Linien gehen h ö h e r h i n a u s , und was wir jetzt n i c h t sehen, n i c h t fassen — d a s B ö s e h i l f t z u m G u t e n , w i r d G u t e s , i s t n u r i n d i e s e m e n g e n Thale böse.½

(Der zweyte Theil d. A. künftig.)

Nachricht des Herausgebers.

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Ich hatte eine sehr reine, harmlose, unpartheyische Absicht, als, ich die A u f g a b e — von welcher hier die e i n s e i t i g e Auflösung eines Ungenannten dem Publico z u r P r ü f u n g mitgetheilt wird — im 1 Stück des T. Merkurs dieses Jahrs den Freunden der Wahrheit zu beliebiger Untersuchung und Beantwortung ausstellte. Da ich selbst unter die Leute gehöre, die weder i m m e r b e g e i s t e r t , noch *)

zu Te u t s c h : scheint d a s Licht etc. d e r , dem man d a s Ziel entreißen

will, d e r hält e s etc. S c h e i n t s L i c h t ist unteutsch, und giebt dem Styl nicht um den zehntausendsten Theil eines F l i e g e n - H a u c h s mehr K r a f t . 30

W.

N a c h r i c h t d e s H e r a u s g e b e r s ¼zu: Eines Ungenannten Antwort½

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i m m e r k a l t b l ü t i g sind, weder immer raisonniren, noch immer schwärmen, weder immer lachen, noch immer weinen, u. s. w. und da ich, weltkündigermaaßen, auf k e i n e s M e i s t e r s Wo r t e und in keines Menschen Seele g e s c h w o r e n habe: so glaubte ich, für meine eigne Person, unter dieser Aufgabe in keinerley Weise betroffen zu seyn. Ob Tr o s oder R u t u l u s bey einer unpartheyischen Auflösung derselben zu gewinnen oder zu verliehren habe, bekümmerte mich gar nichts: Mir genügte daran, daß wahrheitliebende, belehrungsfähige und belehrungwünschende Leser (deren doch in dem weiten Umfang der teutschen Sprache sehr viele seyn möchten) nothwendig dabey gewinnen müßten. M i r war es um die S a c h e , nicht um P e r s o n e n — um

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reine A u f k l ä r u n g und B e r i c h t i g u n g einer eben so wichtigen als verwikkelten p r a k t i s c h e n F r a g e , nicht um B e h a u p t u n g e i n e r s c h o n v o r a u s g e n o m m e n e n P a r t i e — um F r i e d e n , den ich mir als die natürliche Folge einer unbefangenen k a l t b l ü t i g e n Untersuchung und Ausgleichung vorstellte, nicht um R e i t z und Z u n d e r zu neuer Ve r b i t t e r u n g zu thun. — — Denn mit kalten Blute muß freylich j e d e Untersuchung angestellt werden; und so sollt’ es also auch bey d i e s e r seyn. Daß meine F r a g e sehr v e r w i c k e l t sey, wußt’ ich; und eben darum: damit ein weiser Mann sie a u f l ö s e n möchte, o h n e e t w a s z u z e r s c h n e i d e n oder z u z e r r e i ß e n : warf ich sie auf. Indessen glaubt ich doch, jedem hellen

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und nicht ganz ungelehrten Kopfe v e r s t ä n d l i c h zu seyn, wenn ich k a l t b l ü t i g e P h i l o s o p h e n und L u c i a n i s c h e G e i s t e r nennte. Meine Meynung war, mit diesen beyden Nahmen gewisse C l a s s e n von Erdebewohnern zu b e z e i c h n e n : nicht, diejenige, denen dies Zeichen zukommt, dadurch zu b e s c h i m p f e n und zu b r a n d m a r k e n . Auch wußt’ ich sehr wohl, daß Aufgaben dieser Art keiner g a n z r e i n e n Auflösung fähig sind; glaubte aber, daß durch eine Auflösung, wo die k l e i n s t e n B r ü c h e übrig blieben, immer genug, für den Gebrauch meiner Leser, gewonnen würde. Der Ungenannte Verfaßer hat nicht kaltes Blut genug gehabt, in diese meine Denkart und Absichten einzugehen. Er spricht durchaus in einem Ton, der bey jedem ruhigen Leser die Vermuthung erregen muß, daß man einen Cicero pro domo sprechen höre. Er hat einen gewaltigen Groll gegen die kaltblütigen Philosophen und Lucianischen Geister; und man merkt ihm deutlich an, daß er, wenn er Groß-Sultan über den Erdkreis wäre, von diesen ihm sehr fatalen

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

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Herren nicht einen übrig ließe, der an die Wand p**te. Er kann, scheint es, nicht von der Sache selbst sprechen, ohne an C a j u s , T i t i u s , P o n t i u s , H a n n a s und C a j a p h a s zu dencken; mit d i e s e n , nicht mit der ganzen Classe, hat ers zu thun; und, da es also Individua sind, auf die er seine Pfeile losdrückt: so ist natürlich, daß er es mit einer gewissen B i t t e r k e i t thut, die s e i n e r g u t e n S a c h e , d e r Wa h r h e i t d i e e r s a g t , bey ruhigen aber noch ungewissen und bloß Belehrung suchenden Lesern, Schaden thun muß. Denn so ists nun einmal: die Präsumtion ist immer wider den, der mit Heftigkeit und Bitterkeit spricht, und durch die Art, wie er seinen Widerpart behandelt, 10

Unmuth oder Verachtung gegen ihn blicken läßt. Vor dem A r e o p a g u s des ruhigprüfenden Menschenverstandes gilt auch nicht der kleinste Anschein von Leidenschaft. Alles dieses mußte mir nothwendig auffallen, da ich das Manuscript des Unbekannten (denn ich versichre hiemit feyerlich, d a ß i c h s e i n e n N a h m e n n i c h t w e i ß ) zum erstenmal überlaß. Meine F r a g e war durch seine Antwort nicht n a c h m e i n e r A b s i c h t beantwortet; den ich hatte keine e i n s e i t i g e , keine mit der stärksten Affektion für die Eine, und dem lebhaftesten Widerwillen gegen die andre Partey — — weil doch ja Partey seyn muß! — geschriebene Antwort g e w ü n s c h t . Noch mehr: der bitterspottende Ton, der

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in dem ganzen Absatz von 124 bis 128. und weiter fort herrscht — die verächtliche Einmischung der Nahmen würdiger und verdienstvoller Männer, wie S e m l e r , T ö l l n e r , u. a. — die Benennung der Örter, B e r l i n , Z ü r i c h , B r e m e n , u. s. w. war mir von Herzen mißfällig: weil ich aus dem teutschen Merkur weder einen Fechtplatz noch ein Schlachtfeld zu machen gesonnen bin. Allein, dem allen ungeachtet, glaube ich, ein Mann, der so viel W i c h t i g e s , Wa h r e s , oder wenigstens so viel P r ü f e n s w ü r d i g e s sagt, wie dieser Ungenannte, v e r d i e n e g e h ö r t z u w e r d e n . Ich lege also seinen Aufsatz meinen Lesern vor, ohne unbefugte Anmaßung, weder in den Sachen, noch im S t y l — an welchem gewiße Affectationen, die der Verfasser vermuthlich

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nicht dafür erkennt, mir herzlich zuwider sind — etwas zu verändern. Weil aber dieser Aufsatz zwar e i n e B e a n t w o r t u n g , aber nicht d i e A u f l ö s u n g meines Problems liefert: So lade ich von neuem alle Liebhaber der Wahrheit, qui sapiunt et fari possunt quae sentiunt, ein, den Wunsch des Ungenannten — weiß jemand etwas bessers so rede er! — zu erfüllen. Ich halte mich sogar verbunden, einen Aufsatz, worinn die Sache eben so e i n s e i t i g

N a c h r i c h t d e s H e r a u s g e b e r s ¼zu: Eines Ungenannten Antwort½

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wie der gegenwärtige, nur v o n d e r a n d e r n S e i t e , betrachtet wäre, mit gleicher Unpartheylichkeit mitzutheilen: wiewohl ich wünsche, daß der Verfasser Weisheit genug haben möchte, ohne Hitze und Anzüglichkeiten zu sagen, was er glaubt, das der Wahrheit förderlich sey. Aber dies erklär ich voraus: daß ich sodann die Sache für b e s c h l o s s e n annehmen, und keiner weitern Duplik, Triplik noch Quadruplik im Merkur Platz geben werde. Denn durch Streitigkeiten dieser Art wird die Welt, so lange sie noch stehen mag, niemals weder ergözt noch gebessert werden. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

¼Anzeige* ) von den Zeitungen aus der alten Welt, die einige Gelehrte, vom 1 October a. c. an, nebst den nöthigen L a n d c h a r t e n , wöchentlich zu 4 Stück, a` 1/2 Bogen, herauszugeben gesonnen sind. …½

*) Auf besonderes Ansuchen wird diese Anzeige hier vollständig eingerückt, zumal das Vorhaben selbst aller Aufmunterung würdig scheint. 10

W.

¼Anmerkung½ A n z e i g e

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¼An die Freunde der Naturgeschichte.*) …½

*) Auf Ersuchen des Hrn. V. eingerückt.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

Fragen. Ein Ungenannter sendet mir nachstehende Fragen zu, mit diesen wenigen Zeilen begleitet: „Hier sind einige Fragen, — — die ein Mensch, der sich innigst nach Wahrheit sehnt, und keinen andern Wunsch hat, als daß die Erde voll von Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe seyn möchte — in Ihrem teutschen Merkur zur Beantwortung vorgelegt zu werden wünschet. O wenn doch — w a h r e We i s e diese Fragen bald einer gründlichen naturgemäßen Auflösung würdigen wollten!“ 1. Welches sind die entscheidende Merkmahle eines g e s u n d e n oder g e r a 10

d e n M e n s c h e n v e r s t a n d e s , und woran zeigt sichs dem Menschenbeobachter gewiß, ob ein Mann g e r a d e oder k r u m m , r e c h t oder s c h i e f denkt? 2. Welches ist die untrügliche Characteristick der r e i n e n t h ä t i g e n M e n schenliebe ? 3. Kann Derjenige Gott aus reinem Herzen wahrhaftig lieben, der durch seine Lehren und sein Leben dies zur Absicht macht, daß die Fähigkeit der menschlichen Seele, Wahrheit zu erkennen, nicht in ihrer ganzen Größe, und nach allen ihren Organen genützet werden kann? 4. Kann ein guter Mensch aus blos politischen Rücksichten den Schein eines

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Bösen annehmen? 5. Giebt nicht eine jede Idee, und so auch eine jede Empfindung, den Fibern des menschlichen Organismus eine besondere Modification ihrer Spannung und Richtung?

Fragen

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Nachrichten von Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim. Ein Mann von ungewöhnlichem Geist und Muth verdient immer unsre Aufmerksamkeit, und wenn er beydes zu Bekämpfung des Aberglaubens und der Vorurtheile — in einer Zeit, wo die Reiche des Lichts und der Finsternis mit großer Macht um die Oberherrschaft stritten — angewandt hat: So verdient er im Andenken der Nachwelt zu leben, und seine Manes erwarten von ihr die Gerechtigkeit, die ihm seine Zeitgenoßen versagten, oder zu erweisen unfähig waren. An A u f k l ä r u n g s e i n e r Z e i t Antheil gehabt zu haben, wird vielleicht

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dermalen von Manchem als ein ziemlich zweydeutiges Verdienst angesehen. Man hat so lang und viel an Aufklärung der u n s r i g e n gearbeitet; daß Männer von Einsicht endlich auf den Gedanken gekommen sind: es sey der Sache zu viel gethan worden, und es möchte wohl Noth seyn, es wieder ein wenig dunkel um uns her zu machen. Wir lassen’s für diesmal dahin gestellt seyn, wie viel hieran wahr seyn mag oder nicht. — Aber, wenn sich auch behaupten ließe: daß eine gewisse Quantität Licht für das innre Auge des Menschen z u v i e l sey, und daß es schattichte Thäler und sacri orrori in unserm Mikrokosmus gebe, in welche mit der Fackel der Untersuchung einzudringen — Nefas sey: So wird doch schwerlich jemand behaupten wollen, oder vielen

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Glauben finden, wenn er behaupten wollte, „es sey überhaupt besser im Finstern zu wandeln als im Licht.“ Denn so weit sind wir wenigstens gekommen, daß wir gewahr worden sind: daß man z. Ex. bey Taglicht den Vortheil hat, v o r s i c h h i n und u m s i c h h e r z u s c h a u e n , und also entweder seinen Weg o h n e F ü h r e r zu gehen, oder wenigstens sehen zu können, w o h i n m a n g e f ü h r t w i r d ; ein Umstand, der vielleicht den Führern nicht allezeit zu ihren politischen oder ökonomischen Geheim-Absichten dienlich seyn mag, aber dem Geführten wenigstens (es wäre denn, daß der Weg an den Galgen gienge) nicht leicht nachtheilig seyn kann. Dies vorausgesezt, möchte dann einsweilen, und bis A r i m a n i u s , der Gott der Finsterniß, seine schwarze Reichsfahne wieder mitten unter uns aufgesteckt haben wird, als eine hin-

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

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länglich begründete Maxime angenommen werden dürfen: daß Männer, die vor zweyhundert und mehr Jahren zur Aufklärung der menschlichen Köpfe etwas beygetragen haben — und also nunmehr todt sind, und keinem von uns mit ihrer Fackel zur Unzeit unter die Nase leuchten, oder ihm etwan sein eigen Laternchen aus der Hand schlagen können — mit allem Fug unter die Zahl der guten Geister, die sich ums Menschengeschlecht verdient gemacht, gerechnet werden mögen. Und so wiederfahre denn auch dem ehrlichen C o r n e l i u s A g r i p p a sein Recht! Dieser Mann, dessen Bild dem gegenwärtigen Stücke des T. M. vorgesezt ist, 10

und von dessen Charakter, Leben, Schicksalen und Verrichtungen wir denjenigen von unsern Lesern, die ihn nicht schon selbst eben so gut oder noch besser kennen als wir, einige Nachrichten geben wollen, wurde in der Reichsstadt C ö l n im Jahr 1486 gebohren. Weil das alte und edle Geschlecht derer v o n N e t t e s h e i m , woraus er abstammte, sich schon seit etlichen Generationen dem Erzherzogl. Hause Österreich gewidmet hatte; so trat auch unser A g r i p p a frühzeitig in Kayser Maximilian I. Dienste; anfangs als Sekretär. Weil aber dies sein natürlicher Beruf wohl nicht war, so verwechselte er bald die Feder mit dem Degen, den er eben so gut zu führen gelernt hatte, und diente diesem Kayser einige Jahre bey der Armee in Italien. Hier that er sich

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bey verschiednen Gelegenheiten so hervor, daß er zur Belohnung seiner männlichen Thaten die Würde eines Ritters (Equitis Aurati) empfieng. Da er aber mitten unter dem Geräusche der Waffen nie aufgehört hatte, den Wissenschaften, zu denen ihn ein überwiegender Hang hinzog, obzuliegen: so wollte er mit jenem militarischen Ehrenzeichen auch die akademischen verbinden, und nahm die Würde eines Doctors der Rechte und der Arzneykunst an. A g r i p p a hatte einen allumfassenden, freyen, feurigen, unruhigen Geist, der keine Fesseln duldete, und sich in keinen engen Bezirk eindämmen lassen konnte. Er legte sich (was damals die allgemeine Gewohnheit vorzüglicher Köpfe war) nicht auf Eine, sondern auf den ganzen Cyclus der Wissenschaften,

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die h e r m e t i s c h e und c a b b a l i s t i s c h e P h i l o s o p h i e mit eingeschlossen, die durch den berühmten R e u c h l i n wieder in großes Ansehen gesezt worden war; verstund auch acht Sprachen, und darunter sechs so gut, daß er darinn fertig und zierlich redete und schrieb. Sein Wissenstrieb und unsteter Geist trieb ihn, in den Jahren 1507 und 8 in Frankreich und Spanien herum. Im Jahr 1509 hielt er sich zu D o l e in Burgund auf, wurde unter die Lehrer der

Nachrichten von Heinrich Cornelius Agrippa

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T h e o l o g i e bey der hohen Schule daselbst aufgenommen; las’ öffentlich mit großem Beyfall und Zulauf über R e u c h l i n s wunderbares Buch de Verbo Mirifico (ein Werk, worinn R . darzuthun bemüht ist, daß der Nahme J e s u s der wahre Schlüssel zu allen Geheimnißen der ä c h t e n C a b b a l a , oder heiligen Philosophie der Hebräer, sey) kam aber darüber, wie natürlich, in große Spänn und Irrungen mit den M ö n c h e n , die Alles was von Reuchlin herkam, für höchstgefährliches, seelenverderbliches Gift, und die h e b r ä i s c h e n Buchstaben und Wörter für Z a u b e r - C h a r a k t e r e und B e s c h w ö r u n g s F o r m e l n ansahen. Agrippa, vermuthlich um sich Eingang und Unterstützung bey der berühmten Erzherzogin M a r g a r e t h e v o n Ö s t e r r e i c h , Gou-

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vernantin der Niederlande, zu verschaffen, schrieb seine Abhandlung: Vo n d e r Vo r t r e f l i c h k e i t d e s w e i b l i c h e n G e s c h l e c h t s ; konnte aber damals nicht dazu kommen, sie gedruckt zu sehen. Denn die Hand der Mönche wurde so schwehr über ihm: daß er zulezt weislich die Parthey der Sicherheit ergriff, an einem schönen Morgen davongieng, und sich nach England flüchtete; wo er (außer einer geheimen Negociation, über deren Gegenstand er sich nirgends erklärt) im Lauf des Jahres 1510 über die B r i e f e d e s h . P a u l u s arbeitete. Von da gieng er, mit neuem theologischen Vorrath befrachtet, nach seiner Vaterstadt Cöln zurück; hielt daselbst theologische Vorlesungen über die sogenannten Quaestiones Quodlibetales; konnte sich aber vermuthlich

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mit den Mönchen zu Cöln nicht besser vertragen, als mit denen zu Dole. Denn er wurde des Quodlibetalischen Theologisirens bald wieder so überdrüßig, daß er seine verrosteten Wehr und Waffen wieder hervorsuchte, und sich abermals nach Italien unter die Truppen Maximilians I. begab. Seltsam genug, aber vermuthlich eine Würkung der Reputation, worinn er stund, über Religions- und Kirchensachen heller und freyer zu denken, als die Magistri nostri seiner Zeit, war es, daß er um diese Zeit von dem Cardinal de St. Croix den Ruf erhielt, der Kirchenversammlung von P i s a , als T h e o l o g u s beyzuwohnen. Es ist bekannt, daß dieses Concilium, auf Frankreichs Anstiften, wider Pabst Julius II. Willen, wiewohl in Kraft eines Versprechens, das er bey seiner Erhebung auf den h. Stuhl zu Rom hatte von sich geben müssen, von den Cardinälen, unter der vorgegebnen Absicht, den Gebrechen und Mißbräuchen der allgemeinen Kirche abzuhelfen, ausgeschrieben wurde. Weil es aber durch die Bemühungen des Pabsts nicht zu Stande kam: so entgieng auch unserm militarischen Theologen diese Gelegenheit, neue Lorbeern auf Unkosten sei-

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende August 1776)

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ner Ruhe einzusammlen. Indessen muß er gleichwohl Mittel gefunden haben, sich am Römischen Hofe in guten Geruch zu setzen; denn bald nachdem Leo X. den päbstlichen Thron bestiegen hatte, wußte sich Agrippa ein B r e v e von diesem Pabste auszuwürken, worinn ihm w e g e n s e i n e r D e v o t i o n g e g e n d e n h . a p o s t o l i s c h e n S t u h l , und wegen seines t r e u f l e i ß i g e n E i f e r s , d i e U n a b h ä n g i g k e i t d e s s e l b e n zu befördern, viel Lobes in Domino ertheilt wird; — welches wohl schwehrlich geschehen wäre, wenn L e o , oder der Cardinal B e m b o , der das Breve unterschrieben, gewußt hätten, daß Agrippa zu einem Verfechter der Rechte der Kirche gegen den Römischen Hof auf dem 10

Concilio zu Pisa bestimmt gewesen war. (Wegen Mangel des Raums muß die Fortsetzung dieses Artikels auf künftigen Monat ausgestellt bleiben.) W.

Nachrichten von Heinrich Cornelius Agrippa

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Fortsetzung der Nachricht von C o r n e l i u s A g r i p p a . (Sieh. T. M. No. 7. S. 188.) Vermuthlich machte das Päbstliche Breve unserm gelehrten irrenden Ritter neuen Muth, auf theologische Abentheuer auszugehen; so übel ihm solche auch bisher bekommen waren. Er lehrte nun zu Turin öffentlich Theologie, und las zu Pavia über den angeblichen H e r m e s Tr i s m e g i s t u s . Aber seine Existenz blieb unstät, flüchtig und ungewiß. Endlich verschaften ihm seine Freunde ums Jahr 1518 die Stelle eines Advocaten und Syndicus der Stadt M e t z , wo er sich bald durch seine Wohlredenheit hervorthat, und vielleicht

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ein stilles, geruhiges Leben hätte führen mögen, wenn ihm sein böser Dämon nicht eingegeben hätte, die Parthey seines Freundes, des berühmten L e F e v r e d’ E t a p l e s (Faber Stapulensis) gegen d i e d r e y E h m ä n n e r d e r H . A n n a zu nehmen. Die M ö n c h e , die sich verbunden hielten dieses Triumvirat der H. Anna bey seiner längstverjährten Existenz in der L e g e n d e zu schützen und zu schirmen, nahmen ihm diese Ritterthat sehr übel auf. Aber was sie ihm gar nicht verzeihen konnten, war die Gottlosigkeit die er hatte, eine arme der Hexerey sehr unschuldiger weise angeklagte Bauersfrau gegen ihre Ankläger und den Dominicanermönch N i k l a s S a v i n i gerichtlich zu vertheidigen. Zu seinem Unglück gewann er den Proceß, und dies war freylich

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mehr als die Mönche leiden konnten. A g r i p p a glaubte nicht an die drey Männer der H. Anna, glaubte nicht einmal Hexen, — konnt’ ein solcher Mann geduldet werden? Aus Furcht, daß es den Inquisitoribus haereticae prauitatis gar leicht einfallen könnte ihn selbst zum Gegenstand des Feuerwerks zu machen, das sie den Metzern hatten geben wollen, floh er im Jahr 1520 abermals nach C ö l n ; von da im J. 1521 in die Schweiz. Hier machte er anfangs zu G e n f , hernach zu F r y b u r g den A r z t , bis er endlich im J. 1524 zu L i o n in der nehmlichen Qualität bey der Herzogin von A n g o u l e s m e Mutter Königs Franz I. in Dienste trat. Aber auch hier giengs ihm nicht beßer. Die Herzogin, mißvergnügt darüber, daß er ihrem Glauben an die Astrologie und ihrem

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Oktober 1776)

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Vorwitz mittelst derselben künftige Dinge voraus zu wissen, nicht hatte Futter streuen wollen, ließ ihn zu Lion sitzen; seine Pension wurde zurückgehalten, und nachdem er Jahr und Tage Freund und Mag angestellt hatte, sie bezahlt zu kriegen, erfuhr er endlich, daß er aus der Pensionsliste ausgestrichen sey. Sein Hauptverbrechen war, daß ihn die Herzogin für einen B o u r b o n i s t e n hielt, weil er dem ihr tödlich verhaßten C o n n e t a b l e v o n B o u r b o n ein sehr günstiges Prognosticon gestellt hatte. Diese Begegnung reizte die Galle unsers Abentheurers. Er murrte, schimpfte, drohte, und declarirte öffentlich, daß er die H. nicht mehr für seine Fürstin, sondern für eine g r a u s a m e u n d t r e u 10

l o s e J e s a b e l erkenne. B a y l e bemerkt sehr wohl, daß es der Princeßin übel ergangen seyn würde, wenn Agrippa der große Zauberer und Teufelsbanner gewesen wäre, wofür er in der Folge ausgeschrien wurde. All dies diente nicht seine Sache besser zu machen; vielmehr verwickelte er sich dadurch in Schwierigkeiten, die ihm das Leben sehr verbitterten. Im Jahr 1529 schien ihm endlich das Schicksal günstiger werden zu wollen. Er erhielt zu gleicher Zeit einen Ruf von K. Heinrich dem VIII. in England, von dem Kaiserlichen Canzler G a t i n a r a , von einem Italienischen Marchese, und von der Gouvernantin der Niederlande, Margrethe von Österreich. Er begab sich in den Schutz der leztern mit dem Charakter eines K a i s e r l i c h e n

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H i s t o r i o g r a p h e n , und einer Pension die — ihm nie bezahlt wurde. Seine Feinde fanden Mittel ihm bey dieser Erzherzogin, und nach ihrem Tode am Kaiserlichen Hofe, eben so schlimme Dienste zu thun als bisher; und was ihm seine Feinde nicht Leides thaten, that er sich selbst. Denn sein Werk de Vanitate Scientiarium, das er im Jahr 1530 publicierte, und worinn er die falsche Gelehrsamkeit seiner Zeit mit unerträglicher Freymüthigkeit demaskierte, erbitterte von neuem alle Arten von gelehrten Zünften und Innungen, am meisten aber die Mönche und Magistros nostros. Man redete und schrieb, ja man predigte sogar von den Kanzeln gegen ihn; und übel möcht es ihm bekommen seyn, wenn nicht der Kardinal Legat C a m p e g i u s und der Car-

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dinal d e l a M a r c , Bischof von Lüttich, sich seiner noch angenommen hätten. Agrippas Umstände waren um diese Zeit kläglich genug — denn zu allem was er von den Hofleuten und Mönchen ausstund, kamen noch die Verfolgungen seiner Glaubiger. Allem dem Elend zu entgehen verbarg er sich einige Zeit unter den Flügeln des Kurfürsten von Cöln, H e r m a n n v o n W i e d , der die Zueignung der ersten Ausgabe seines berüchtigten Werks de Philosophia Oc-

Fortsetzung der Nachricht von Cornelius Agrippa

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culta sehr gütig aufgenommen hatte. Aber Agrippa war nicht dazu gemacht, lange ruhig zu bleiben. Eine neue Ausgabe des besagten Werks, mit zween Büchern vermehrt, die er bey der ersten Ausgabe aus billiger Furcht zurückgehalten, machte daß neue Ungewitter über ihn ausbrachen. Die Mönche bewegten Himmel und Hölle, den Druck zu verhindern: Agrippa hingegen schrieb eine Apologie an den Magistrat zu Cöln, worinn er auf die Unwißenheit und Bosheit seiner weiß und schwarzen Gegner mit weniger Schonung als jemals loßgieng; hingegen seine eigene Bemühungen in der geheimen und tiefern Philosophie mit den Beyspielen einer Menge großer und berühmter Männer unter Alten und Neuern rechtfertigte. Mit unendlicher Mühe erhielt

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er endlich die Satisfaction, daß sein Werk die Erzbischöfliche Censur paßierte, und so im J. 1533 mit Kaiserl. Privilegio zu Cöln ans Licht kam. Die Mönche hatten ihm über diese Sache soviel böses Blut gemacht, daß er, um ihnen auch wieder Weh zu thun wo sie am empfindlichsten waren, eine neue mit den bittersten Spöttereyen vermehrte Ausgabe seiner Apologie f ü r d i e M o n o g a m i e d e r H . A n n a besorgte. Nun erhielt er zwar dadurch seinen Zweck; aber der Unterschied war, daß die Mönche, bey allem was er Ihnen zu Leide that, immer röther und fetter wurden, und sich Essen, Trinken und Schlaf so gut schmecken ließen, als ob kein Agrippa in der Welt wäre; er hingegen, bey dem was sie Ihm thaten, um Schlaf und Eßlust kam, und wenn ihn diese auch

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noch ankam, nichts zu Essen h a t t e ; ein unstetes, kummervolles, herumirrendes Leben führen mußte, und nirgends sicher war. Im Jahr 1535, (nachdem er sich bis dahin zu B o n n aufgehalten) wollte er sein Glück wieder in Lion versuchen. Er wurde aber, wegen ungebührlicher Dinge die er über die Mutter des Königs Franz I. geschrieben, unter Wegs eingekerkert; und da er seine Freyheit mit Mühe wieder erhalten, begab er sich nach G r e n o b l e , wo er im nemlichen Jahre seinen Gönnern die erste Freude dadurch machte, daß er — starb. Agrippa scheint, wie Erasmus, anfangs den Unternehmungen des T h e o l o g i s c h e n H e r k u l e s dieser Zeiten mehr günstig als abgeneigt gewesen zu seyn. Aber in seinem Buche de Vanitate Scient. schonet er Luthers eben so wenig als der Römischen Clerisey; und es ist unläugbar, daß er sich von der Gemeinschaft der R. Katholischen Kirche nie getrennt. Die Meynung, daß Agrippa ein Zauberer gewesen, und mit den bösen Geistern in Bündniß gestanden, hat so tiefe Wurzeln gefaßt, daß es vielleicht

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Oktober 1776)

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izt noch Leute (ohne Caputz) giebt, denen diese Sache wenigstens problematisch ist. Außer seiner Neigung unschuldige Hexen in seinen Schutz zu nehmen (die freylich verdächtig ist) und seinem Buche de occulta Philosophia, worinn gleichwohl, so wie in seinen vertraulichen Briefen an seine Freunde, mehr Religion und Glaube ans Christenthum herrscht, als man von einem Bundsgenoßen der Hölle präsumiren sollte — scheint ein s c h w a r z e r H u n d , der sein Begleiter in allen seinen Abendtheuern und vielleicht der treueste Freund war, den der ehrliche Mann jemals gehabt, den stärksten Beweis seines Verständnisses mit dem Teufel auszumachen. J o h a n n W i e r , 10

Agrippas getreuer S a n c h o , versichert zwar, daß dieser schwarze Hund — ein Hund gewesen wie andre, Monsieur geheißen, und von seinem Herrn selbst mit einer ähnlichen Hündin, Mademoiselle genannt, vermählt worden sey. Aber der große P a u l u s J o v i u s will gewisse Nachricht haben, daß dieser Hund ein Teufel gewesen sey. Auch der theure Pater M a r t i n d e l R i o weiß einige hübsche Histörchen in diesem Gusto von unserm Helden zu erzählen, z. E. daß er auf seinen Reisen in den Wirthshäusern zwar immer mit schönem blankem Gelde ausbezahlt habe, nach einem Paar Tagen aber habe sich solches allemal in Muschelschaalen oder Bucheckern verwandelt. — Es ist kläglich zu lesen, was für armseliges Zeug eine Menge sogenannter Gelehrten über

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diese angebliche Magie des Agrippa geschwazt haben. Die Finanziers Königs Franz I. und Kaysers Carl V. wußten am besten (sagt Bayle) wie Unrecht man dem guten Manne that. Wenigstens müßte der Teufel, dem er sich ergeben, der ärmste unter allen Teufeln gewesen seyn. A g r i p p a war unstreitig ein herrliches Genie; aber man konnte nicht weniger Gewalt über seine Gemüthsbewegungen haben als er. In der ersten Hitze seiner Empfindlichkeit sagte und schrieb er alles was ihm Zorn und Rachgier eingab, schonte keiner Seele, und vergaß gänzlich, daß er eben die Personen, die er dadurch beleidigte, alle Augenblicke wieder nöthig hatte. Niemals hat ein Gelehrter mehr Gelegenheit gehabt die Welt kennen zu ler-

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nen, und sich seine Erfahrungen schlechter zu Nutze gemacht, als Agrippa. Indessen kann man doch sagen, daß er sich die schwersten Drangsale und Leiden seines Lebens durch seinen Eifer für die Ehre der H . A n n a zugezogen. Hätte er doch, anstatt zu beweisen, daß sie nur E i n e n M a n n und E i n e To c h t e r gehabt (welches Ihr freylich rühmlicher war) es bey ihren hergebrachten d r e y M ä n n e r n und d r e y T ö c h t e r n bewenden lassen kön-

Fortsetzung der Nachricht von Cornelius Agrippa

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nen! — Alles Unglück seines Lebens vom Jahr 1520 an bis an seinen Tod war gewissermaßen die Folge dieser einzigen unglücklichen D o n Q u i s c h o t t e r i e — Und nun denke man einen Augenblick, wovon das Schicksal eines Mannes in dieser Zeitlichkeit abhängt! Agrippa, der d i e Vo r z ü g e d e s w e i b l i c h e n G e s c h l e c h t s v o r d e m M ä n n l i c h e n in einem eignen Tractat mit großer Beredsamkeit behauptet hat, lebte in diesem Punct seiner Theorie so gemäß, daß er sich, seinem Schicksal zu Trotz, dreymal verheyrathete. Seine erste Frau, von der er in einem seiner Briefe alles gute sagt, was man von den b e s t e n We i b e sagen kann, verlohr er schon im Jahre 1521. Die zweyte, die ihn in einem andern

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Briefe zweifelhaft macht, ob sie nicht noch gar besser sey als die erste, legte er sich im Jahr 1522 zu G e n f bey. Ihre Fruchtbarkeit war, in Betrachtung seiner immer armseligen und ungewissen Umstände, eine gute Eigenschaft zu viel. Sie starb im J. 1529 zu A n t w e r p e n , nachdem sie ihm fünf Söhne und eine Tochter gebohren hatte. Seine dritte Frau war aus M e c h e l n , und reichte nicht an die zwoo; denn er ließ sich im J. 1535 zu B o n n wieder von ihr scheiden. Wegen vieler anderer besonderer Umstände, sein Leben, seinen Charakter und seine Schriften betreffend, müssen wir unsre Leser an B a y l e (der ihm einen großen Artickel gewidmet) und an den N i c e r o n , oder wenn sie lieber aus der Quelle schöpfen, an die B r i e f e d e s A g r i p p a s e l b s t verweisen. Beym N i c e r o n (Tom. XI. seiner N a c h r i c h t e n etc.) kan man auch ein ausführliches Verzeichnis seiner Schriften finden. Die vornehmsten derselben sind mehrmals einzeln, und alle zu Lion apud Beringos fratres in 8 vo. zusammengedruckt worden. W.

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Druckfehler. In No. 7. Seite 89. Zeil. 23. leset S u l p h u r e statt Sulphere. In No. 8. Seite 134. Zeil. 7. l. L u c i a n i s c h statt Lucinianisch.

Druckfehler

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Der Teutsche Merkur. September 1776.

¼Fortsetzung der in No. 8. S. 111. angefangenen Antwort eines Ungenannten etc. Nun der zweite Theil der Frage: 2) „ I n w e l c h e n S c h r a n k e n m ü ß t e n s i c h d i e A n t i p l a t o n i k e r u n d L u c i a n e h a l ten um nützlich zu seyn ?“ Ve r l o r n e Arbeit mag’s seyn, den Antiplatonikern und Lucianen zumal aus meinem engen T h a l e auf ihre H ö h e hinauf Lehre zu geben. In ihrem Sinn a l l w e i s e , sind sie dahin gegeben in U n s i n n , „sie haßen alle Lehre und wollen des Herrn Furcht nicht haben, wollen keines Rathes und lästern alle Strafe. — So sollen sie eßen von den Früchten ihres Wesens und ihres Rathes satt werden!“

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Für U n p a r t h e y i s c h e und S e h e n d e *) ein Wort. 1. Die Antiplatoniker müßen, eh sie weiter gegen E n t h u s i a s m u s und S c h w ä r m e r e y zu Felde ziehen, erst h e l l und k l a r bestimmen, w a s sie e i g e n t l i c h durch den Feind v e r s t e h e n ; seine u n t r ü g l i c h e n , sichtbaren Z e i c h e n und S i e g e l öffentlich in E x e m p e l n und G l e i c h n i ß e n angeben. 2. Bey j e d e m n e u e n Phänomen sollen sie denn alles t r e u l i c h und o h n G e f ä h r d auf ihre Definition z u r ü c k f ü h r e n , a b z i e h e n und u n t e r s c h e i d e n was a b z u z i e h e n und zu u n t e r s c h e i d e n ist. 3. Sie müßen e k l a t a n t e u n w i e d e r s p r e c h l i c h e Proben geben, daß es ihnen a l l e i n um G o t t e s E h r und M e n s c h e n l i e b e — gar n i c h t um E r h ö h u n g ihres sinkenden Ansehens, gar n i c h t um E r n i e d r i g u n g und Z e r m a l m u n g eines Beneideten zu thun sey. 4. Sie müssen immer zwischen Tr i e b und K r a f t und zwischen G e b r a u c h und R i c h t u n g des Triebs und der Kraft p h i l o s o p h i s c h - k a l t b l ü t i g u n t e r s c h e i d e n , und nur g e g e n d e n k l a r a n g e g e b e n e n b e w i e ß n e n M i ß b r a u c h sich bemühen; Kraft und Trieb aber j e d e s m a h l i n E h r e h a l t e n . *)

d. i. (nach dem Wörterbuche des U n g e n a n n t e n ) für die von seiner Par-

they, und die alles s o wie E r sehen.

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5. Zu dem Ende wär’s s e h r g u t , wenn sie einmal in einer b e s o n d e r n von ihrem g a n z e n C o r p u s a p p r o b i r t e n Schrift von der M i s c h u n g und dem S p i e l m e n s c h l i c h e r K r ä f t e handelten, und e i g e n t l i c h angäben, wie d i e s e Kräfte zum g r o ß e n Z w e c k d e s L e b e n s , davon sie auch in einem eignen Paragraph reden sollten, ohne U n - und Ü b e r m u t h , ohne S c h a n d und S c h a d e n , e i n s c h l a g e n und g e b r a u c h t w e r d e n m ü s s e n . Insonderheit müssen sie das w a h r e Ve r h ä l t n i ß und den e i g e n t l i c h e n We r t h ihrer R e g e l n zu E m p f i n d u n g und G e n i e genau bestimmen. 6. Sie müssen k e i n e Unterredungen zur A u f h e l l u n g etwaniger M i ß v e r s t ä n d n i ß e abschlagen oder ausweichen. Sonst sollen sie heißen F e i n d e b r ü d e r l i c h e r E i n t r a c h t 10

und F r i e d e n s ; und in ihrem Testamente sollen sie, m e h r e r e r S i c h e r h e i t w e g e n , die Stellen von P f l e g u n g d e s F r i e d e n s unter die Rubrik der b e s o n d e r n Ve r h e i ß u n g e n setzen. 7. Sie müssen A n g r i f f e der Lucianischen Geister n i c h t b e g ü n s t i g e n und Ve r t h e i d i g u n g e n dagegen u n t e r d r ü c k e n . 8. Müßens auch j e d e m Menschen f r e y s t e l l e n an den g e s u n d e n M e n s c h e n v e r stand zu appelliren. 9. Nicht o f f e n b a r e Ungerechtigkeiten mit dem Schein des A u f h e l f s d e r Wa h r h e i t weißbrennen. Kein e h r l i c h e r Mann hilft durch U n g e r e c h t i g k e i t der Wa h r h e i t auf; sondern der e h r l i c h e Mann h o f f t , daß S c h u r k e n durch U n g e r e c h t i g k e i t die Wa h r -

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h e i t nicht v e r d r ä n g e n werden. 10. Wenn ein Mann von einem Lucianischen Geiste v e r l ä u m d e t worden, so müssen sie n i c h t von dem Manne Ve r t h e i d i g u n g , sondern e r s t von dem Lucianischen Geiste B e w e i ß fordern. Zu dem Ende wären ein paar juristische Collegia u. s. f. 11. Sie müssen nicht ihre Bemühungen mit der augenscheinlichsten P a r t h e y s u c h t stempeln. Dadurch schaden die Herren N i e m a n d a l s s i c h s e l b s t . Ich will hier eine b e w e i s e n d e G e s c h i c h t e verschweigen. So bald aber in Zukunft wieder so etwas zum Vorschein kommt, soll der Herren Schande o f f e n b a r werden. 12. Es soll kein kaltblütiger Philosoph, zu s e i n e r E h r e b e ß t e r Ve r w a h r u n g , weder auf dem L e h r s t u h l noch in G e s e l l s c h a f t , über schwärmerische Schriften a b s p r e c h e n ,

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die er n i c h t gelesen, bis er s i c h e r ist, daß a l l e die Leute, die den Mann etwa k e n n e n möchten, e i n g e s c h l a f e n sind. 13. Endlich sollen sie auch nicht die T h ü r v e r r a m m e l n , damit sie nicht gezüchtiget werden. Das thun K i n d e r , und werden dann d o p p e l t e S t r e i c h e empfangen.

¼Anmerkungen und Zusatz: Häfeli?½ F o r t s e t z u n g d e r A n t w o r t

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Die Lucianischen Geister 1. müssen ein paar Jahre zur reifen und tiefen Untersuchung ihrer A n l a g e n , N e i g u n g e n , K r ä f t e , H i r n s und B l u t s anwenden, um e i g e n t l i c h zu erfahren, ob sie zu n i c h t s b e s s e r m , in Gottes Welt taugen, als zum H e n k e r s g e s c h ä f t e i n e s S a t i r i k e r s . *) 2. Und wenn ihnen etwas an der E r f ü l l u n g ihres Namens, der in unsrer Frage noch ziemlich s a t i r i s c h aussieht, gelegen ist, sollen sie den g r i e c h i s c h e n L u c i a n mit B e d a c h t studiren, und in seinen Geist b e s s e r g e s c h n i t t n e Federn tauchen. 3. Sie müssen vor allen weitern Bemühungen den w a h r e n B e g r i f f d e s L ä c h e r l i c h e n f e s t s e t z e n , und gehörig drauf reduciren, damit sie nicht S a r d i s c h e n Muthwillen mit H e i l i g t h u m treiben.

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4. Sie müssen nicht durch Satyre den n o t o r i s c h n u t z b a r e n Bemühungen eines Mannes A b b r u c h thun; — nicht durch G e l ä c h t e r r e g u n g seinen Würkungskreis b e s c h r ä n k e n , mit D o r n und D i s t e l n besäen. 5. Sie müssen nicht eher zur Satire ihre Zuflucht nehmen, bis a l l e kaltblütigen Bemühungen der Antiplatoniker v e r g e b l i c h erfunden worden. Henker haben aller Orten das lezte Geschäft, daher sie auch N a c h r i c h t e r genennt werden. 6. Sie müssen sich hüten, daß sie nicht etwa eine M e i n u n g , einen G r u n d s a t z , eine B e h a u p t u n g l ä c h e r l i c h machen, was sie n i c h t v e r s t e h e n , n i c h t f a s s e n . 7. Sie müssen g r a d w ü r k e n d e — und nur v e r a n l a s s e n d e Folgen, die nur in solchem und solchem gegebenen Fall statt haben, in j e d e m Satz, j e d e r Behauptung s o r g f ä l t i g unter-

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scheiden; und in S e i t e n b l i c k e n und A b w i n k e n sehr behutsam verfahren. 8. Sie müssen mit Liebe ihrem Gegner in der Denkart die H a n d d r ü c k e n , mit ihm noch eine T h r ä n e weinen können über den Ve r f a l l , dies H i n s i e c h e n der Menschheit. 9. Ihre Bemühungen müssen n i c h t m e h r das Gepräge der N e i d s u c h t , p e r s ö n l i c h e n H a s s e s und M ö n c h s g r o b h e i t haben, was sie b i s d a h i n gehabt haben. 10. Wenn sie ein Glied eines Standes lächerlich machen, müssen sie sich wohl in A c h t n e h m e n , daß nicht der g a n z e Stand in einem l ä c h e r l i c h e n e n t e h r e n d e n Licht erscheine durch i h r e S c h u l d . Daher ihnen das Studium i n d i v i d u e l l e r M e n s c h e n k e n n t n i ß h ö c h s t e n s z u e m p f e h l e n i s t ; auch wenn sie bey m e h r e r e m Fortgang in d e m Studium ihr b i s h e r i g e s H a n d w e r k aufgeben würden. 11. Wenn sich ein Mann V i e r m a l lächerlich gemacht hat, so müssen sie sich nicht geberden, als ob er sich V i e r u n d z w a n z i g m a l lächerlich gemacht habe. *)

Der kleine Mann hat, wie wir sehen, einen feinen Begriff von der Satyre. W.

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12. Sie müssen in Bereitschaft stehen, R e c h n u n g a b z u l e g e n ihres etwannigen Verfahrens halber; müssen G r ü n d e angeben können, die v o n M e n s c h e n v e r s t a n d und M e n s c h e n h e r z e n b e w ä h r t erfunden werden. 13. G e r e c h t i g k e i t , Wa h r h e i t und M e n s c h e n l i e b e muß in ihrem G e s i c h t zu lesen, in ihren S c h r i f t e n zu finden, in ihren Wo r t e n und We r k e n a u f f a l l e n d seyn. 14. Da endlich die l e h r r e i c h e A n w e i s u n g des großen Lehrers J e s u s C h r i s t u s von N a z a r e t h , Matth. 7. panta osa an uelhte ina poivsin ymin etc. *) noch nicht a l l g e m e i n auf die a p o s t o l i s c h e n Zeiten z u r ü c k e r k e n n t ist, auch die Regel sich für s i c h s e l b s t an der Ve r n u n f t und m o r a l i s c h e n G e f ü h l r e c h t f e r t i g e t , so ist ihnen auch zu empfehlen, daß sie 10

etwa alle M o n a t h , wenns ohne A b b r u c h dringender A m t s g e s c h ä f t e geschehen kann, ihr Ve r f a h r e n gegen die G e g n e r nach dieser Anweisung p r ü f e n . Auf s o l c h e m Wege, in s o l c h e n Schranken allein können die Bemühungen der Antiplatoniker und Luciane, s i c h e r , t r e f f e n d , f r u c h t b a r und m e n s c h l i c h werden. So a l l e i n werden sie vor S c h a n d e und S c h m a c h behütet, auf daß sie nicht in ihren eignen f a l s c h e n Wo r ten gefangen werden, und nicht mehr entgehen mögen der Angst, die sonst über s i e k o m m e n s o l l , z u e i n e r S t u n d e , d a s i e s n i c h t m e i n e n . Denn man muß dem Bösen wehren mit h a r t e r S t r a f und mit e r n s t e n S c h l ä g e n , die man f ü h l e t . O Zeit! da man dieß n i c h t sagen, vielweniger u m s o n s t sagen mußte, wo alle E i n s waren, und j e d e s in dem N a h e n den F e r n e n umfaßte, und alle nur gegen die E i n e F i n s t e r n i ß mit

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E i n e r H a n d stritten, in der Gottes K r a f t wohnten, und L i c h t und Wa h r h e i t und Tr e u und G ü t e Allen A l l e s war. — Zeit, wohin bist du g e f l o h e n ? Welche S p a l t u n g im L e i b ! Wer wird den Riß h e i l e n !

Mißkannte, bestrittene, gedruckte — e m p o r s t r e b e n d e E n t h u s i a s t e n u n d S c h w ä r m e r , an denen ich s o v i e l G u t e s still und laut ehre und liebe — auch Euch ein Wort! Untersuchet h e l l e , w o und w a s ihr untersuchen müßt! Höret k a l t , was ihr zu hören habt, Auf jeder Seele liegt die L a s t d i e s e r Z e i t : j e n e wird nicht zurückkehren. G i p f e l wird nicht Stamm. Sucht niemand in eure E m p f i n d u n g e n , in eure F r e u d e n und — L e i d e n hineinzuziehen! Die Euch verstehen und ahnden, geben Euch ohnehin H a n d und H e r z . 30

Bittet täglich den Vater der Weisheit, daß Er euch Weisheit gebe, nie E i n b i l d u n g mit E m p f i n d u n g , nie U r t h e i l mit E r f a h r u n g , S c h e i n mit We s e n , e u r e Gedanken mit s e i n e n Gedanken zu verwechseln. *)

Wa s i h r w o l l t , d a ß e u c h d i e L e u t e etc.

¼Anmerkungen und Zusatz: Häfeli?½ F o r t s e t z u n g d e r A n t w o r t

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Und an euren g i f t i g s t e n Gegnern ehret das Gute. Was ihr Böses a u f d e c k e n müßt, thuts mit F e s t i g k e i t , mit R u h e , mit L i e b e . Ihr zumal f e u e r v o l l e J ü n g l i n g e ! sehet zu, daß nicht ein v e r z e h r e n d e r B r a n d euer Feuer werde. Achtet nicht allen a l t e n und k a l t e n Rath für D u m m h e i t und e i n g e s c h r ä n k t e s Vo r u r t h e i l . Seyd s e l b s t s t ä n d i g . Hütet euch vor N a c h ä f f u n g , die verderbt eure g a n z e Natur, ist To d a l l eurer Kraft. Tr ü b t nicht eure r e i n e U r k r a f t mit z u f r ü h e r Schriftstellerey; daß nicht der in der J u g e n d entsaftete Baum in der M i t t e s e i n e s L e b e n s v e r d o r r e t dastehe und t r a u r e n d . Werdet M ä n n e r , dann schreibt k r a f t v o l l , h e i l i g , t i e f und e w i g , wie das i n n e r e L e b e n eures Erstgebohrnen! Vor eingepflanzten Denkmalen der D u m m h e i t , B o s h e i t und U n t e r d r ü c k u n g s l u s t

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geht s t i l l s c h w e i g e n d vorbey. Man sagt v i e l Gutes von euch; laßt euch nicht z u h o c h e r h ö h e n ! V i e l Böses; laßt euch nicht z u t i e f e r n i e d e r n . Haltet die Wa a g e d e s H e r r n in der Hand, und legt in Stille das E u r e auf die Schale — am Sabbath. Das Gute nennt g u t ! das Schlechte nennt s c h l e c h t ! auch wenn dies vom F r e u n d e und jenes vom F e i n d e kommt. Ihr habt euer We c h s e l l i c h t wie der M o n d . Sehet zu, daß die Lucianischen Geister unter Euch d i e L i e b e J e s u C h r i s t i nicht vergessen. Ich wünschte, ihr würdet euch n i e Spott erlauben; n i e am Gegner lächerliche Seite aufdecken; n i e Geisel gegen Geisel setzen. Dieser B l i c k d e s A u g e s , dieses E n t g e g e n -

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k o m m e n d e r L i p p e , dieser s i c h r e , f e s t e Tr i t t mitten durch S c h u r k e n , sey euer Spieß und euer Schild. Ach! daß einigen aus euch ihr inniges, heißströmendes Gefühl n i c h t — ihr versteht mich. Ihr lebet unter u n g e s c h l a c h t e m Menschengeschlecht; unter h ä m i s c h e n , g i f t i g e n Belauschern — engt euch immer in i n n i g e n g e r n K r e i s zusammen, euere Gemeinschaft sey des G e i s t e s , meidet allen S c h e i n des Bösen. Und in euren Schriften alle S o n d e r b a r k e i t ; sie e r b i t t e r t , und sezt’s Licht unterm S c h e f f e l . Redet h e l l e und g e m e i n f a ß l i c h , und darum nicht w e n i g e r für Nachwelt. Denn euer Jahrhundert wird euch freylich n i e f a s s e n . Ein großer Mann ist euch vorgegangen. A c h ! d a ß i h r d e n K e l c h g e t r u n k e n h ä t t e t — und mit der Taufe getauft wäret — Durch welche To d e s n ä c h t e geht’s zu L i c h t und L e b e n ! —

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Endlich — Wer a l l e i n gehen k a n n , gehe a l l e i n muthig und still, ohne Rückblick auf die Z u s c h a u e r , L a c h e r , N a s r ü m p f e r , P h i l i s t e r , R o ß und M ä u l e r . Und wer n i c h t a l l e i n gehen kann, halte sich an d e n , der ihm S p e i s e g i e b t z u s e i n e r Z e i t , und ihn nicht v e r d u r s t e n läßt. Wer v o r a u s geht, trage Sorge bey der B r ü c k e o h n e L e h n e n ! Und wer b ö s e ist, sey i m m e r h i n b ö s e ; u n r e i n , i m m e r h i n u n r e i n ! Aber wer f r o m m ist, der sey i m m e r h i n f r o m m , und wer h e i l i g ist, der sey i m m e r h i n h e i l i g ! St. den 10 Jul. 1776. 10

Ungenannter.½

* * * Der Verfasser dieses seltsamen Aufsatzes gehört unstreitig selbst unter die G e i s t e r a r t , die keinen Scherz ertragen kann, wiewohl sie sich selber, nicht selten, den bittersten Spott über ihre Gegner und Gegenfüßler erlaubt. Kein Wunder also, daß die armen L u c i a n e ihren Proceß bey ihm schon zum voraus verlohren haben, wie ein der Hexerey beschuldigtes altes Mütterlein vor einem Inquisitor, der an seinen D e l R i o glaubt. Überhaupt scheint er noch mit seinem ersten Spieß zu lauffen, und die Dinge dieser Welt nicht zu sehen, wie sie sich dem natürlichen gemeinen Menschensinne darstellen, sondern 20

wie sie in der Zauberlaterne seiner begeisterten Phantasie erscheinen. Bey allem dem macht ihn (wie alle aufrichtigen Enthusiasten) sein gutes Herz l i e b e n s w ü r d i g . Seine Intoleranz und Bekehrsucht ist lauter herzliches Wohlmeynen mit der Menschheit. Er möchte gern alles glücklich machen, alle S c h w e i n s b o r s t e n zu L ä m m l e i n s w o l l e kämmen, alle Menschen, wenn’s doch nur möglich wäre! in heilige Engel verwandeln. Denn da wär’ uns doch um ein gut theil besser als itzt, denkt er. Und weil ihm nun alle seine Ideen so e v i d e n t sind, als sein eigen Daseyn: so ist natürlich, daß er unmöglich ohne sich herzlich zu ereifern von den abgekühlten oder gar kalten Leuten sprechen kann, denen alles ganz anders als ihm vorkömmt. Scherz und Ironie

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wird nichts gegen ihn verfangen; ich zweifle sogar, daß es auf irgend eine Art möglich seyn möchte, in dem Seelenzustande worinn er itzt ist, seine Vorstellungen zu berichtigen. Ich wünsche daher, daß diejenigen, welche die F r a g e

¼Anmerkungen und Zusatz: Häfeli?½ F o r t s e t z u n g d e r A n t w o r t

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von einer andern Seite und in einem andern Lichte betrachten, und mir ihre Auflösung mitzutheilen belieben tragen werden, für gut befinden möchten, sich lieber allein mit der Sache selbst als mit diesem Ungenannten zu thun zu machen. W.

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¼Empfindungen eines Jüngers in der Kunst vor Ritter Glucks Bildniße. Alle Kunst der Natur aufgeopfert. Anrede.* ) …½

*) Der Verfasser dieser S e l b s t g e s p r ä c h e und H e r z e n s e r g i e s s u n g e n vor Ritter Glucks Bildniße hat die Bekanntmachung derselben im Merkur gewünscht — und nicht nur, weil es angenehm ist, zu lesen was ein junger Mann von so zartem und innigem Gefühl wie dieser, aus Drang und Fülle 10

seines Herzens, ohne andre Absicht als sich Luft zu machen, aufs Pappier gießt — sondern auch, um in den Freunden der Musenkünste eine Ahnung zu erwecken, was sich von diesem (wiewohl zur Zeit noch Ungenannten und dem R. Gluck selbst noch unbekannten) musikalischen Jüngling erwarten läßt — mache ich mir ein Vergnügen daraus, seinem Aufsatze (wiewohl es kein Gerichte für Jedermann ist) den gewünschten Platz einzuräumen. Einige Fehler im Ausdruck — z. E. gleich in der Anrede den We y h r a u c h , den die S a y t e n seines Instruments bringen, — die zu sehr gehäuften P a r t i c i p i a , u. d. gl. wollen wir an einem Jüngling übersehen, der kein geübter Schriftsteller ist, von dieser Seite keine Prätension macht, und da er schrieb,

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zu voll von Empfindungen war, um immer den reinsten Ausdruck derselben s u c h e n zu können, wenn er sich nicht gleich von selbst anbot. Das Bildnis des R . G l u c k , vor dem er hier seine Andacht verrichtet, ist mir nicht bekannt. Ich erwähne aber bey dieser Gelegenheit mit Vergnügen einer B ü s t e dieses grossen Mannes, die den berühmten Künstler H o u d o n in Paris zum Urheber hat, und ein wahres Meisterstück ist. Das Original davon befindet sich, meines Wissens, in der Königl. Bibliothek. Hr. Houdon macht aber für die Liebhaber Abgüsse in Erzt und in Gyps. Die Letztern sind sehr schön nach anticker Art b r o n z i e r t , und einer davon kostet vier neue Louisd’or. W. ¼Anmerkungen: Kayser½ E m p f i n d u n g e n ¼…½ v o r R i t t e r G l u c k s B i l d n i ß e

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¼… So aber — vor diesem Bildnisse schwindet alles: wem der nichts ist, wem kann ich was seyn?* )½

*) Ein junger Verliebter, in der süßen Trunkenheit seiner Seele, sieht, hört, fühlt, spricht und thut seltsame Dinge. Alles Schöne und Gute, Große und Herrliche ist in dem Gegenstande seiner Liebe zusammengeschlossen; N i c h t s a n d e r s g e f ä l l t n e b e n d i e s e m — oder, wenn es ja noch gefällt, was ist G e f a l l e n gegen E n t z ü c k e n ? Die übrigen N i c h t v e r l i e b t e n Menschenkinder zücken die Achseln über den S c h w ä r m e r ; E r sieht mit Verachtung oder Mitleiden auf die P r o f a n e n herab. — Was ist darüber zu sagen? E r i s t v e r l i e b t . Wenn er’s nur in einen sehr vortreflichen Gegenstand ist! Dies ist unstreitig hier der Fall unsers Amoroso, und so gönnen wir ihm dann sein Glück! Wie, wenn er erst denn O r p h e u s und E u r y d i c e seines A p o l l o gekannt hätte? W.

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Nachrichten von Andreas Vesalius. (Aus dem N i c e r o n . ) Das Geschlecht der Ve s a l e leitet seinen Ursprung aus der Stadt We s e l , im Herzogthum C l e v e , her, und ist allezeit fruchtbar an Ärzten gewesen. J o h a n n Ve s a l i u s , der Eltervater dessen, von dem alhier gehandelt wird, war Leibarzt bey der M a r i a v o n B u r g u n d , einziger Erbin dieses Hauses, und ersten Gemahlin M a x i m i l i a n s des ersten. In seinem Alter lies sich derselbe zu L ö w e n nieder, die Arzneykunst mit mehrerer Ruhe zu üben. E b e r h a r d Ve s a l i u s , sein Großvater, hat Ausle10

gungen über die Bücher des R h a s i s und über die ersten vier Abschnitte der A p h o r i s m e n des H i p p o c r a t e s geschrieben, und ist in der M a t h e m a t i k sehr geschickt gewesen. A n d r e a s Ve s a l i u s , sein Vater, war Apothecker des Kaysers C a r l s des Fünften. A n d r e a s Ve s a l i u s , von dem allhier die Rede ist, ist zu B r ü s s e l im Jahr 1512 geboren worden. In Absicht des Tages seiner Geburt ist man nicht einig. Denn einige setzen denselben auf den 19 oder 31 December; andere aber, als C a s t e l l a n u s und S w e r t i u s , auf den 30 April. Sein Vater spürte an ihm viel Fähigkeit zum Studiren, und trug daher große Sorgfalt für seine Erziehung. Seine Schulwissenschaften und seine Weltweisheit erlernte er zu L ö w e n ,

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und machte schon von der Zeit an die Hofnung von sich, daß er es in der Kenntniß des menschlichen Körpers weit bringen werde. Denn er stellte zu seinem Vergnügen öftere Zergliederungen mit Ratzen, Maulwürfen, Katzen und Hunden an, und untersuchte ihre Eingeweide. Nach der Zeit kam er nach P a r i s , die Arzney-Gelehrsamkeit unter dem J a c o b S y l v i u s zu erlernen. Er legte sich daselbst hauptsächlich auf die A n a t o m i e , welche damals eine beynahe ganz unbekannte Wissenschaft geworden war. Denn ob man gleich sonst auch Körper zergliedert hatte, so hatte man doch den Gebrauch davon verlohren; ja man sahe solche Zergliederung als einen Kirchen-Raub an; und es ist noch ein Gutachten vorhanden, welches

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der Kayser C a r l der Fünfte von den Gottesgelehrten in S a l a m a n c a ausfer-

N a c h r i c h t e n v o n A n d r e a s Ve s a l i u s

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tigen lassen, um zu wissen: ob man mit gutem Gewissen einen menschlichen Körper zergliedern könne, den Bau desselben kennen zu lernen? Nachdem er sich in dieser Wissenschaft festgesetzt hatte, ertheilte er andern darinn Unterricht, und begab sich in dieser Absicht nach L ö w e n . Indessen glaubte er, er müsse sich nicht blos auf diese Stadt einschränken; daher hielt er seine anatomischen Vorlesungen in mehreren Städten von I t a l i e n , als zu B o l o g n a und P i s a . Gegen das Jahr 1537 gab ihm die Republik Ve n e d i g auf der Universität zu P a d u a eine Professorstelle, allwo er sieben Jahre lang die Anatomie lehrete. Als darauf C a r l der Fünfte von ihm reden hörte, ernannte er ihn zu seinem

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Leibarzt, welche Würde er auch bey P h i l i p p dem Zweyten, Könige in S p a n i e n , bekleidet hat. Seine Geschicklichkeit und die bewundernswürdigen Heilungen, die er am Hofe that, zogen ihm sehr bald einen grossen Ruhm zu. Der Herr von T h o u erzählt bey dieser Gelegenheit folgende sonderbare Begebenheit. Als M a x i m i l i a n von E g m o n t , Graf von B u r e n , ein großer Feldherr und Liebling des Kaysers, krank wurde, eröfnete ihm Ve s a l i u s , er könne nicht davon kommen, und nicht länger leben, als bis auf eine gewisse Stunde, die er ihm bestimmte. Der Graf hielt diesen gethanen Ausspruch für richtig, und da er den vorgemeldeten Augenblick heranrücken sahe, lies er seine guten Freunde

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zu einem großen Gastmahl einladen; er setzte sich mit ihnen an die Tafel, überreichte nach dem Essen einem jeden von ihnen kostbare Geschenke, und nahm von ihnen seinen letzten Abschied mit einem ruhigem Gemüthe, und darauf legte er sich wieder ins Bette, und starb gerade in dem Augenblick, den Ve s a l i u s angezeiget hatte. Sein Ruhm wuchs von Tage zu Tage, als er mit einmal den Entschluß faste, eine Reise nach P a l ä s t i n a zu thun. Man hat über die Ursachen, die ihn dazu bewogen, viel Urtheile gefället. H u b e r t L a n g u e t sagt in einem Briefe an C a s p a r P e u c e r n , Ve s a l i u s habe einen spanischen Edelmann, den er in der Cur gehabt, für todt gehalten, und habe daher desselben Anverwandten um Erlaubnis gebeten, seinen Körper zu eröfnen; das sey ihm auch bewilliget worden: er habe aber kaum das Messer in den Leib gesteckt, als er noch Kennzeichen des Lebens wahrgenommen, und nachdem er die Brust geöfnet, das Herz darin schlagen gesehen. Da die Verwandten des Verstorbenen solches erfahren, haben sie ihn nicht nur als einen Mörder belanget, sondern ihn auch

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Oktober 1776)

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so gar bey der Inquisition der Gottlosigkeit beschuldiget: weil sie sich die Hofnung gemacht, Ve s a l i u s werde vor diesem Richterstuhl mit einer nachdrücklichern Strafe belegt werden. Weil nun der Fehler des Ve s a l i u s unleugbar gewesen, so habe ihn die Inquisition deshalb strafen wollen. Allein der König von Spanien habe ihn durch sein Ansehen, oder vielmehr durch seine Fürbitte, aus dieser Gefahr gerettet, doch mit der Bedingung, eine Wahlfarth in das heilige Land zu thun, und dadurch sein Verbrechen auszusöhnen. Allein dies ist ein bloße Fabel, die andere anders erzählet haben. So sagt zum Exempel L a c i s i in seinem Werke v o n s c h l e u n i g e n To d e s f ä l l e n , man habe 10

den Ve s a l i u s geruffen den Körper einer Frau zu eröfnen, von welcher man geglaubt, daß sie plötzlich gestorben sey. Ve s a l i u s habe den Irthum auch nicht eher gemerkt, als durch das Geschrey, welches sie gethan, als er ihr das Messer in den Leib stach. Seine Schaam und Verdrus darüber sey so gros gewesen, daß er aus Schwermüthigkeit darüber verstorben. J o h a n n M e t e l behauptet, er habe diese Reise blos in der Absicht unternommen, sich zu bereichern, und seiner unersättlichen Begierde nach Reichthum ein Genüge zu thun; gerade als wenn eine Reise nach Jerusalem ein so bequemes Mittel dazu gewesen wäre. Dies sind alles Lästerungen, die von seinen Feinden erdacht worden. Es ist wahrscheinlicher, daß die Verdrüßlichkeiten und Widerwärtig-

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keiten, die ihm sowohl seine Neider verursachten, die seine Verdienste und die Hochachtung, die man gegen ihn hegte, nicht vertragen konnten, als auch die Vertheidiger der Lehre des G a l e n u s , welche er ohne alles Verschonen tadelte, nebst den Bemühungen, die sie bey dem Könige anwandten, ihn zu stürzen, ihn des Hoflebens überdrüßig gemacht, und zu einem so ungewöhnlichen Entschluß gebracht. Wenigstens ist J o h a n n I m p e r i a l i s dieser Meynung. S w e r t i u s trift noch eine andere Ursach davon in seinem eigenen Hause an; welches ihm durch die herrschsüchtige und zänkische Gemüthsart seiner Frau unerträglich geworden. Noch andere schreiben diese Reise einem Gelübde zu, welches er vor langer Zeit gethan: welches wenigstens ein Vorwand

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seyn können, dessen er sich bedienet, die wahren Ursachen dieser Handlung zu verbergen. Er trat die Reise mit J a c o b M a l a t e s t a von R i m i n i , General der venetianischen Kriegsvölker, an, und gieng mit ihm nach C y p e r n , und von da nach J e r u s a l e m . Als er aber auf die Einladung des Raths zu Ve n e d i g zurück kam, welcher ihn ernannt hatte, die durch das im Jahr 1563 erfolgte

N a c h r i c h t e n v o n A n d r e a s Ve s a l i u s

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Absterben des F a l l o p e , öffentlichen Lehrers zu P a d u a , erledigte Stelle wieder zu besetzen, ward er durch widrige Winde auf die Insel Z a n t e verschlagen, wo er Schifbruch litte. Nachdem er daselbst einige Zeit in wüsten Örtern herumgewandert, und den äußersten Hunger ausgestanden: endigte er, von aller Hülfe verlassen, auf eine klägliche Art sein Leben, am 15ten October 1564. in einem Alter von 52 und nicht von 58 Jahren, wie in seiner Grabschrift stehet, welcher M o r e r i in seinem Wörterbuch gefolget ist. Sein Körper wurde einige Zeit nachher von einem Goldschmidt, der daselbst von ohngefähr anlandete, erkannt, und durch desselben Besorgung in der Marienkirche auf dieser Insel beerdiget.

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Ve s a l i u s ist mit allem Recht für den Wiederhersteller der Zergliederungskunst gehalten worden. Der Herr von T h o u erzählt, daß er bey seinem Aufenthalt zu P a r i s einen sehr sonderbaren Versuch seiner Geschicklichkeit in dieser Art gemacht habe: denn er lies sich die Augen zubinden, und that eine Wette, ob man ihn mit den Knochen eines Menschen betriegen könne; mit der Versicherung, daß, was man ihm auch für einen Knochen vorlegen möge, er ihn sogleich nennen wolle, welches er auch wirklich that. Als er sich im Jahr 1542 zu B a s e l befand, schenkte er der Akademie dieser Stadt ein menschliches Gerippe, welches er selbst zubereitet hatte; man siehet es noch in dem medicinischen Hörsal, mit einer langen Aufschrift. Der große B o e r h a v e hat eine vollständige Ausgabe aller anatomischen und chirurgischen Werke des Vesalius zu Leiden in 2 Theilen in Fol. 1725 veranstaltet.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Oktober 1776)

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Entschuldigung des Herausgebers an die Abonenten und Leser des Merkurs. Schwerlich kann Jemand von Ihnen Allen den zehnten Theil des Verdrusses, den ich selbst empfunden, darüber haben, daß dieses Stück des Merkurs o h n e d a s B i l d n i s d e s A n d r e a s Ve s a l i u s , welches ich dazu bestimmt hatte, erscheinen muß. Wäre ich auch noch ein Kupferstecher, so sollte das nicht begegnet seyn! Was ich thun konnte, hatte ich gethan. Ich schloß schon vor vier Monaten einen Accord mit Hrn. Director N i l s o n in Augsspurg wegen der Bildnisse für die vier letzten Monate dieses Jahres. Seinem ausdrück10

lichen Versprechen nach hätte die Platte schon Anfangs dieses Monats in meinen Händen seyn sollen, und so wäre alles in seiner Ordnung gegangen. Statt dessen aber warte ich nun bereits 14 Tage von einem Posttag zum andern mit Schmerzen, und noch ist weder Kupferplatte noch Nachricht da, warum solche nicht erfolgt. Ich weiß zur Ehre des Hrn. Nilson nur e i n e gültige Entschuldigung — nehmlich, daß er etwan gar gestorben ist. Es wird sich bald zeigen müssen. Indessen bitte ich alle meine Gönner und Freunde um Geduld, und verspreche — sobald als es in meiner Macht seyn kann — diesen Abgang zu ersetzen. Weimar den 17ten Sept. 1776.

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W.

Entschuldigung des Herausgebers

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Berichtigungen und Antworten. 1. Der ungenannte Gelehrte, der mir schon vor geraumer Zeit seine S t r i c t u r e n über meine (im 2ten Stücke des M e r k u r s 1776 befindliche) Nachricht von U l r i c h v o n H u t t e n durch einen Freund in O l d e n b u r g zusenden ließ, wird, nachdem Er das vortrefliche Denkmal, das ein glücklicher Weise dazwischen gekommener D r i t t e r dem edeln Hutten im 7ten Stück des Merkurs gesezt, gelesen haben wird, mich ohne Zweifel alles Gebrauchs, den ich sonst von seinen gelehrten Anmerkungen hätte machen können, nunmehr gerne überheben. 2. Von dem berühmten Nürnbergischen Polyhistor, Herrn v o n M u r r , habe

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ich zu Berichtigung der Nachricht von T h e o p h r a s t u s P a r a c e l s u s (in No. 7. des Merkurs) folgendes erhalten. „S. 86. Er war aus dem Flecken G a i ß gebürtig, und der Sohn eines t e u t s c h e n R i t t e r s . Dies versichert ausdrücklich H a l l e r in Biblioth. Chirurg. I. p. 183. Seine drey Bücher von der Wundarzney kamen schon 1536 zu Ulm, und 1537 zu Augsburg heraus; folglich ist das, was S. 90. unten steht, unrichtig.“ 3. Ich habe zu meiner Verwunderung wahrgenommen, daß einige Leser des Merkurs in Gedanken gestanden, die Bildniße in gegenwärtigem Jahrgang wären bloße I d e a l e , oder p h y s i o g n o m i s c h e M u t h m a ß u n g e n , wie

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etwan die Männer, deren Nahme dabey steht, ihrem Charakter nach ausgesehen haben k ö n n t e n . Um solchen diese seltsame Meynung zu benehmen, berichte ich sie, daß diese Bildniße alle (den einzigen H a n s S a c h s ausgenommen) aus der bekannten B o i s s a r d i s c h e n Sammlung von B i l d n i ß e n b e r ü h m t e r M ä n n e r genommen sind. B o i s s a r d , welcher ein geschickter Zeichner war, verfertigte die Zeichnungen selbst nach zuverläßigen Originalbildnißen, und der berühmte Kupferstecher T h e o d o r d e B r y , aus Lüttich, äzte sie in Kupfer, und gab das ganze Werk in verschiednen Suiten zu Frankfurt heraus. Die erste ist vom Jahr 1597. Die meisten dieser Boissardischen Bildniße tragen, wie mich däucht, einen Charakter von physiognomischer Wahrheit, der beynah nicht zweifeln läßt,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Oktober 1776)

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daß der Mann würklich so ausgesehen habe. Die Abzeichnungen habe ich von Hrn. K r a u s , einem geübten und feinempfindenden Zeichner, verfertigen lassen — und wenn (wie nicht zu läugnen ist) einige in der Ausführung ziemlich verunglückt sind — z. B. G a i l e r von Kaisersberg, und F i c h a r d — so lag die Schuld nicht an der Zeichnung. H a n s S a c h s e n s Bild ist nach dem bekannten J o s t A m m o n i s c h e n H o l z s c h n i t t verfertiget. Hier könnte vielleicht dem Zeichner der Vorwurf gemacht werden, daß er die Mine ein wenig zu lächelnd gemacht, und ihr dadurch etwas von dem Geist des Originals genommen. Doch lag auch 10

hier — wie ich durch Vorlegung der Zeichnung jedem ad oculum beweisen könnte — der Fehler größtentheils wieder an der Ausführung des Kupferstechers — und auch dieser wird von Jedem Verzeihung erhalten, der in Betrachtung zieht, was die kleinste Abweichung von einer haarscharfen Linie, was ein fast unmerklicher Strich, ein kaum sichtbarer Schatten mehr oder weniger u. s. w. im Ganzen schon für Effect und Veränderung hervorbringt. 4. Verschiedenen zeither eingesandten G e d i c h t e n bleibt ihr Platz im Merkur noch aufbehalten. Manches muß bloß darum ausgeschlossen bleiben, weil es sich nicht in den M e r k u r schickt. Manches ist als Ü b u n g s -

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s t ü c k aufmunternswürdig: manches als z u f ä l l i g e G e s e l l s c h a f t s p o e s i e leidlich: aber durch den Druck würden beyde Arten sehr verlieren. Manches endlich ist so augenscheinlich M a k u l a t u r , daß ich mich nicht genug über die glückliche Dumpfheit der Verfaßer verwundern kann, die mir die Excremente ihrer Seele, mit so vieler Bonhommie, als herrliche Niedlichkeiten zuschicken mögen. 5. In der N a c h r i c h t v o n B e r l i n i s c h e n K ü n s t l e r n (No. 6. S. 280) ist Herr R o s e n b e r g , durch ein Versehen, wozu die unleserliche Handschrift Anlaß gab, B o d e n b e r g genennt worden. Ich bitte diese Irrung dem Hrn. Rosenberg ab, und eile, auf den ersten Wink, ihm seinen eignen ruhmwer-

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then Nahmen zu restituiren. W.

Berichtigungen und Antworten

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Merkwürdige Probe einer neuen Übersetzung des Luc. Annäus Seneca. Da der bisherige Besorger des Zeitungs-Artickels im Merkur (der zum Unglück über 40 Meilen vom Herausgeber entfernt ist) seinen Beytrag, aus unbekannten Ursachen, einzusenden unterlassen hat, und ich eben darauf denke, womit der noch übrige Raum schicklich ausgefüllt werden könnte: So erhalte ich einen seltsam stylisierten Brief eines U n g e n a n n t e n , mit einer Probe einer Übersetzung aus dem Tractat des S e n e c a , de Providentia, oder wie es der Ubersetzer nennt, v o m G e s c h i c k e d e r R e c h t s c h a f f e n e n , die mich auf einmal aus der Verlegenheit zieht. Der U n g e n a n n t e sagt in seinem

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B r i e f e : „Wiewohl man schon lange bemüht sey a u s d e n S c h a c h t e n d e r G r i e c h i s c h e n u n d R ö m i s c h e n G e l e h r s a m k e i t d e n Te u t s c h e n E r t z e z u l i e f e r n , so fehle es doch noch immer an G o l d s t u f f e n . Er hätte geglaubt auf einen G a n g zu kommen, wenn Er die Werke des Seneca d e r t e u t s c h e n We l t e , da sie ohnehin im Lateinischen schwer zu lesen seyen, mit o f f e n b a r e r D e u t l i c h k e i t v o r l e g t e . Zur Probe habe er mir ein Stück aus dem Buche de Providentia, schicken wollen. Ich würde Ihn u n d d i e g e l e h r t e R e p u b l i k verbinden, wenn ich sie im Merkur bekannt machen wollte. Sollte sie gut aufgenommen werden, so sollte seine goldne Übersetzung i n i h r e m v ö l l i g e n P r a c h t e a n d e n Ta g e t r e t e n : im G e g e n -

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satze, könne sie in ihrer Dunkelheit, mit ihrem Erdestriche, d e n s i e z u b e g ü n s t i g e n d e s We l t t h ä t i g e n Vo r h a b e n s w a r , o h n e jemalige Auferstehung begraben liegen bleiben.“ Die Probe selbst beträgt zwar etliche Bogen in Folio: Die gelehrte Republik aber wird aus einem kleinern Stücke schon berechnen können, was sie sich von den Goldstuffen unsers gelehrten Bergmanns für Ausbeute zu versprechen hat. Hier ist also der Anfang seiner Übersetzung, mit gewissenhafter Beybehaltung der O r i g i n a l - U n r e c h t s c h r e i b u n g . „Du hast mich Gefragt, Lucill, Warum die Rechtschaffene so vile Ubel Ertragen müssen, da doch die Welt Von der Vorsehung beherrscht würde. Diese Frage wird gemächlicher in dem Verfolge des Werkes Erörtert wer-

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Oktober 1776)

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den können: Wenn Bewisen ist, das allen die Vorsehung Beiwone und uns immer ein gote zugegen sei. Weil es aber Anständig ist, von dem ganzen nur einen Teile vorzunemen und also auch nur einen schlupf, wärend dem die hauptsache in irem Wesen verbleibt, zu Entwickeln, werde ich mein Vorhaben Erleichteren, ich werde die Sache der Göter verteidigen. Es ist überflüßig zu zeigen, das dises grose Weltgebäude nicht one einigen Beschützer bestehe; den sichern Umlaufe der Sterne kein ungefärer Druck verursache; was der Zufalle Erweckt, oft gestört werde, und den Widern gleich Stose. Dise ungehinderte schnellkraft dem gebote des ewigen Gesezes Folge, 10

die nemliche, welche vile Laste über Erde und Mere, so viele der hellesten Lichter in irer Verfassung leichtend trägt. Das das irrend-zusamen geflossene weder dergleichen Ordnung habe, noch dasjenige, welches geschwind sich vereinbart hat, auf solche Arte schwebe, wordurch der Erde wichtigste schwere unbeweglich darlige und den um sich eilenden Dunstkreise in der Fluchte Anschaue, wodurch die in die Täler gestürzte Mere die Erde Erweichen, und dennoch die Ströme nicht den mindesten Aufschwall Empfinden, wodurch aus den kleinsten Samenkörngen die Gröste hervorgebracht werden. Auch jene Dinge, welche dunkel und unbestimmt zu sein scheinen, gleichwie sind die Regen, Wolken, Wetterstralen, aus den Steilen Gipfel der Berge ausgetri-

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bene Feuerströme, Erdeerschüterungen, und andere, die der brausende Teile der Dinge um die Erde in Bewegung Sezt, diese, sage ich, Geschehen, obgleich sie plözlich sich Erreignen, nicht ohne Ursache, Sondern sie haben eben so iren Grunde wie jene, welche Anderswo dem Wunder ir Dasein zu verdanken haben, als die in der Mite der Wellen warm sprudelnde Wasser; die im weiten Mere neu entstehende Eiländer von zimlicher Gröse; u. s. w.“ Unsre Leser mögen nun selbst von dieser höchst außerordentlichen Erscheinung denken und sagen was ihnen beliebt! Ich kann dabey nichts anders thun, als die Allmacht der Natur, die uns immer durch neue Wunder überrascht, stillschweigend anzubeten, und die glückliche Organisation des Unge-

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nannten zu beneiden, der den Seneca m i t s o o f f e n b a r e r D e u t l i c h k e i t übersetzt zu haben s i c h b e w u ß t i s t . W.

M e r k w ü r d i g e P r o b e e i n e r n e u e n Ü b e r s e t z u n g d e s ¼…½ S e n e c a

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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1776. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnäd. Privilegio.

Viertes Vierteljahr. Weimar.

Der Teutsche Merkur. October 1776.

Zusatz zur Nachricht von Andreas Vesalius. In einem ausgetheilten Plan kündiget der Herr Rath L e v e l i n g , der Zergliederungskunde und Wundarzneykunst Professor zu Ingolstadt, eine neue Ausgabe des anatomischen Werkes des Ve s a l i u s an. Glücklicherweise geriethen die sämtlichen Originalholzschnitte in die Hände des Herrn Ritter v o n Wo l t t e r , ersten Churbayerischen Leibarztes, und diese werden nun von neuem auf Postregalpapier abgezogen. Mit teutschen Erklärungen und Beschreibungen versieht sie der Herr Rath L e v e l i n g ; Druck und alles wird mit anständiger Pracht veranstaltet. Was im Ve s a l i u s fehlt, wird der Herausgeber aus H a l l e r s und W i n s l o w s Schriften ergänzen, um ein vollständiges Ganzes zu liefern. Bis zum ersten

Oktober *)

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dieses Jahres wird Subscription angenom-

men, die nicht mehr als zwey Dukaten, oder zehn Gulden Rheinisch beträgt, und wofür die Käufer 300 Figuren erhalten. Es wird kein Exemplar über die Zahl der Subscribenten besorgt. Wer auf zehn Exemplare subscribirt, bekommt das elfte frey. W i n s l o w , welcher den Ve s a l zum Grund legte, wird hier vornemlich wieder genutzet werden. Wegen der Subscription kann man sich an den Herausgeber selbst, in Halle an Herrn D. A c k e r m a n n , in Jena an Herrn Hofrath N e u b a u e r , in Göttingen an Herrn Professor B a l d i n g e r wenden. Das Werk kann erst 1777 fertig geliefert werden. Daß es Künstlern eben so wichtig seyn werde, als Ärzten, brauchen wir keinem wahren Künstler erst zu sagen.

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Verhoffentlich auch noch bis zu Ende dieses Jahrs.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang November 1776)

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Der Teutsche Merkur. November 1776.

Ein Pulver wider die Schlaflosigkeit, in einer dramatischen Erzehlung. (Aus dem Universal Magazin.) Nicht weit von Cadix lebte seit einigen Jahren, in einer angenehmen Einsamkeit, ein Edelmann, von einer alten Spanischen Familie, mit Namen D o n F e l i x . Sein Bruder, D o n P e d r o , war vom Hofe zu Madrid in einer öffentlichen Bedienung gebraucht worden, und besaß eines von den besten Gouvernements in Südamerika. F e l i x war seit einigen Jahren verheyrathet; und der Himmel beglückte ihn mit einer Tochter, die er A n g e l i n a nannte, und die sich eben so sehr durch ihre Schönheit und Tugend, als durch die Lebhaftig-

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keit ihres Geistes auszeichnete. Des F e l i x Gattin befand sich wieder schwanger, als sein Bruder von Amerika zurückkam; und D o n P e d r o , der aus einer besondern Grille entschlossen war, unverheyrathet zu leben, erklärte sich: wenn das Kind, welches seine Schwägerinn bekommen würde, ein Sohn wäre, so wollte er ihm sein ganzes Vermögen vermachen. Die Frau kam bald darauf nieder, aber, zu ihrem großen Leidwesen, mit einem Mädchen. Eine von ihren Freundinnen aber, welche D o n P e d r o’ s Absicht wußte, hielt es für einen frommen Betrug, ihn zu hintergehen, und meldete, mit Einstimmung der Mutter, das Kind wäre ein Sohn; und als ein solcher ward es auch mit aller Sorgfalt auferzogen. Einige Jahre hernach starb D o n P e d r o , und bey Eröffnung seines Willens sah man, daß er sein ganzes Vermögen dem vorgeblichen Sohn des F e l i x hinterlassen, wodurch ein andrer Verwandter, F e r d i n a n d , gänzlich ausgeschlossen war. Die Situation dieses jungen Mannes intereßirte Jedermann zu seinem Vortheil; denn er war vom D o n P e d r o erzogen worden, und seine liebenswürdige Eigenschaften ließen allgemein vermuthen, er würde von jenem mit einem ansehnlichen Vermächtnis bedacht worden seyn. Indessen daurte seine Verbindung mit des F e l i x Familie, ohngeachtet seiner fehlgeschlagnen Hoff-

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende November /Anfang Dezember 1776)

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nung, immer fort, und er wurde beständig darinn als eines von ihren eignen Kindern aufgenommen. Die Reitze der A n g e l i n a waren für F e r d i n a n d zu groß, um sie mit Gleichgültigkeit anzusehn, und er bezeugte oft seine Bewundrung derselben ihrem vorgeblichen Bruder, den sie, nach seinem Oheim, P e d r o genannt hatten. A n g e l i n a’ s Neigungen aber waren von einem jungen Englischen Herrn, mit Namen M a n l y , frühzeitig gefesselt worden, der ihrem Vater empfohlen war, da er auf seiner Reise durch Spanien über Cadix gieng. F e r d i n a n d , der auf dem freundschaftlichsten Fuß mit dem vorgeblichen 10

P e d r o lebte, hatte ihm seine Leidenschaft für A n g e l i n a in so feurigen Ausdrücken geschildert, daß die junge Schöne selbst in ihn verliebt wurde. Weil sie aber besorgte, daß er, sobald sie ihm ihr Geschlecht entdeckte, wahrscheinlicher Weise, sein Recht an ihre Erbschaft behaupten würde: war sie genöthiget, in einer so kützlichen Lage mit der äussersten Vorsicht zu handeln. Nach einiger Überlegung gab sie vor, eine Mittelsperson zwischen ihm und Angelina zu seyn, und sagte ihm: ihre Schwester, wie kalt sie sich auch äusserlich stellen möchte, wäre sterblich in ihn verliebt, fürchtete sich aber es merken zu lassen, um sich nicht dem Unwillen ihres Vaters auszusetzen, welcher beschlossen hätte, sie an einen Grand von Spanien zu verheyrathen, von

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dem ihr kürzlich sehr vortheilhafte Vorschläge gethan worden wären. F e r d i n a n d s Leidenschaft für A n g e l i n a wurde durch diese Nachricht nur angeschürt, und ihre Schwester sah mit Verdruß, sie hätte ein sehr gewagtes Spiel zu spielen, oder müßte ihn auf ewig verlieren. Um ihren Entwurf auszuführen, bestimmte sie die folgende Nacht zu einer Zusammenkunft zwischen ihm und Angelina im Garten. Sie kleidete sich ihrem Geschlecht gemäß an, fand sich anstatt ihrer Schwester ein, und spielte ihre Rolle so künstlich, daß sich F e r d i n a n d für den glücklichsten Menschen in der Welt hielt, da sie in seinen Vorschlag einwilligte, den nächsten Abend einen Priester mit sich zu bringen, um sie auf ewig zu vereinigen. Kurz, die Eheverbindung wurde voll-

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zogen, nachdem der weibliche P e d r o mit F e r d i n a n d übereingekommen, daß sie, als ein tiefes Geheimniß, sollte verschwiegen werden. Während dieses vorgieng, wurde M a n l y durch die vertraute Aufführung des F e r d i n a n d gegen A n g e l i n a äusserst beunruhiget. Er setzte das Fräulein darüber öfters zur Rede, erhielt aber wenig Befriedigung, da sie eben so wenig, als er, diese Freyheiten erklären konnte.

Ein Pulver wider die Schlaflosigkeit

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Die Ruhe des F e r d i n a n d , nachdem er glaubte, von A n g e l i n a glücklich gemacht worden zu seyn, war für M a n l y eine neue Quelle der Eyfersucht, welche noch durch eine Nachricht vermehrt wurde, die er von seinem Bedienten erhielt, der in der Nacht, da Ferdinand seine heimliche Heyrath vollzogen, zufälliger Weise im Garten gewesen war. Nach vielen Kämpfen beschloß M a n l y , sich auf ewig von einem Gegenstande zu trennen, der ihn so unglücklich machte. Er meldete der A n g e l i n a sein Vorhaben, welches ihren Stolz so sehr beleidigte, daß sie beschloß, seinem Beyspiel nachzuahmen, ihn aus ihrem Herzen zu vertreiben, und einen würdigern Gegenstand an seiner Stelle zu setzen. Sie befahl ihrer Kammerjungfer,

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seine Briefe und alle Geschenke, die er ihr gemacht hätte, zu sammlen, um sie ihm zurückzugeben. Sie kamen bald darauf zusammen, von ihren Bedienten begleitet; M a n l y sagte ihr, mit großen Anschein von Entschlossenheit: daß er sie niemals wieder zu sehen willens wäre. Sie lächelte bey dieser Rede, und versicherte: es wäre ihr sehr gleichgültig, ob sie, von diesem Augenblick an, jemals wieder ein Wort oder einen Blick mit ihm wechselte, oder nicht; darauf riß er ihr Portrait von seiner Brust, und übergab es ihr mit einem verächtlichen Blick. Dies wurde von ihrer Seite durch ein Armband erwiedert, das sie ihm zurückgab; und nun schien ihr beyderseitiger Unwille aufs Höchste gestiegen zu seyn, als M a n l y , der aus dem Zimmer forteilen wollte, plötzlich

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stille stand, und mit einem Blick der größten Reue, ihren Namen im zärtlichsten Ton wiederhohlte. Er sagte ihr: „ein Herz, wie das seinige, sollte nicht so behandelt werden.“ Sie erwiederte in einem stammelnden Tone: „sie hätte seine üble Meynung nicht verdient, und ein Herz, wo die Liebe herrschte, könnte keinen Gedanken gegen die Ehre seines Beherrschers erlauben.“ Kurz, — denn wer sieht nicht, wie das enden muß? — der Handel endigte sich, wie alle Händel zwischen Verliebten, die sich noch im ersten Theil des Romans befinden, in einer wechselseitigen Vergebung. Wenige Tage hernach ereignete sich ein Umstand, der den Kummer der beyden Liebhaber erneuerte; denn der vorgebliche P e d r o , der sich des F e r d i n a n d s durch die heimliche Heyrath im Garten versichert hatte, war besorgt, daß, wenn sie öfters da zusammen kämen, der Betrug entdeckt werden möchte, und deshalb schenkte sie ihm ihre Gesellschaft so selten, als möglich. Darüber wurde der junge Mann höchst unwillig; und beschloß, was auch daraus erfolgen möchte, seine Heyrath mit der vermeynten A n g e l i n a be-

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende November /Anfang Dezember 1776)

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kannt zu machen, die, wie er besorgte, ihm mit Verachtung und Kaltsinnigkeit begegnete. Mit diesem Entschluß gieng er in ihr Zimmer, und sagte ihr mit großer Wärme, daß er nicht länger leben könnte, ohne ihre Heyrath öffentlich zu erklären, und lieber jede Gefahr laufen, als ohne den Genuß ihrer Gesellschaft leben wollte. Das erstaunte Fräulein hielte ihn für verrückt, und sagte es ihm gerade heraus. In diesem Augenblick trat M a n l y ins Zimmer, und eine Scene der Verwirrung erfolgte, welche man sich leichter vorstellen, als beschreiben kann. Das Fräulein, das ihre Unschuld behauptete, und F e r d i n a n d , der 10

eben so zuversichtlich darauf bestand, brachte einen Streit zwischen ihm und M a n l y hervor, der sich in eine Ausforderung endigte. Die Schwester der A n g e l i n a wurde in die äusserste Verwirrung gestürzt, da sie vom F e r d i n a n d ersucht wurde, sein Sekondant bey diesem Handel zu seyn, welcher, wie letzterer mit den feyerlichsten Verwünschungen erklärte, aus der Treulosigkeit der A n g e l i n a entspränge. Sie versprach, ihn zu dem Kampfplatz zu begleiten, wenn die Sache nicht vor dem nächsten Morgen könnte beygelegt werden; und floh zu ihrer Schwester und M a n l y , denen sie das ganze Geheimniß erklärte. Nachdem die ersten Bewegungen des Erstaunens vorüber waren; kamen sie

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überein, dem D o n F e l i x die Wahrheit zu entdecken. Der alte Herr wurde bald mit dem Schritte ausgesöhnt, den seine Tochter gethan hatte; aber er war eben so sehr, als sie, für die schlimmen Folgen besorgt, die daraus entspringen möchten, wenn man dem F e r d i n a n d den listigen Streich entdeckte, der ihm war gespielt worden. Doch war keine Zeit zu verlieren, und F e l i x , nachdem er seiner Tochter befohlen, in ihrem weiblichen Charakter zu erscheinen, gieng dem F e r d i n a n d nach, den er in den bittersten Ausdrücken anklagte, er habe seiner A n g e l i n a Ehre durch eine boshaffte Falschheit vernichtet. „Weit entfernt, sagte D o n F e l i x , daß sie eure Frau seyn sollte, so ist jezt ein Frauenzimmer in meinem Hause, welches erkläret, daß es seit einiger Zeit

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gesetzmäßig mit euch verheyrathet worden, und der Priester, der euch zusammengab, ist bereit, ihr Zeugniß zu bekräftigen.“ Nach diesen Worten, führte er den erstaunten Jüngling in das Zimmer, wo M a n l y , A n g e l i n a , und ihre Schwester, die mit weiblichem Schmucke reich geziert war, saßen. „Da, mein Herr, fuhr D o n F e l i x fort, sitzt das Frauenzimmer, das Anspruch an euch macht. Wir alle bitten euch um Vergebung, daß wir euch so lange

Ein Pulver wider die Schlaflosigkeit

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hintergangen haben. In eurem Freunde P e d r o sehet jezt eure Gemahlin, und empfangt mit ihr ein wichtiges Gut, das der Gerechtigkeit nach euch zuvor schon gehörte, und in dessen Besitz euch der Gott der Liebe, ohne euer Vermuthen, wieder eingesetzt hat.“ Das Erstaunen des F e r d i n a n d ist nicht auszudrücken, aber, da seine Gemahlin vor ihm auf ihre Kniee fiel, umarmte er sie zärtlich, bezeugte, die Beweise, die sie ihm von ihrer Liebe gegeben hätte, verdienten die größte Erkenntlichkeit, und — „kurz, ergab sich in sein Schicksal wie — einem artigen wohlgezognen Liebhaber in einer d r a m a t i s c h e n E r z ä h l u n g zusteht. Daß Master M a n l y sich dieses Augenblicks der allgemeinen Freude ge-

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schwinde zu Nutze gemacht, und die Einwilligung des D o n F e l i x zu seiner Vermählung mit der holden A n g e l i n a erhalten haben werde, läßt sich auch vorhersehen. Und so bliebe dann dem gutherzigen Leser nichts übrig, als diesem zweyfachen glücklichen Paar eine gute Nacht zuzugähnen, und — vollends einzuschlafen. Unsre allzeit fertigen D r a m a t i f e x e aber werden sichs, hoffentlich, nicht zweymal sagen lassen, was für ein schönes, romantisches, aktionvolles, tragicomicononsensicalisches Drama in fünf Aufzügen aus dieser schönen Erzählung zu fabricieren wäre. Das meiste ist ihnen, wie Sie sehen, schon vorgearbeitet; und es braucht würklich nichts als das Ding in Akte

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und Scenen zu zerschneiden, und die einzelnen Scenen mit Lieux-communs oder Non-Sense, wie es dem Herrn Verfasser am gelegensten ist, auszufüllen: so wird in wenig Tagen ein Drama fertig seyn, das sich so gut spielen lassen wird, und wobey ein geneigtes Parterre in Wien, Berlin, Dresden, Hannover, Mannheim, Hamburg, Leipzig etc. so gut wird zusehen und zuhören, mit den Aktricen liebäugeln, husten, gähnen, sich die Nase schneuzen, einschlafen, oder die Feinheit seines Geschmacks in Kritiken über das Stück und die Schauspieler sehen lassen können, als bey hundert andern solchen Händewerken, womit wir aus so vielen dramatischen Fabriken von einer Messe zur andern reichlich versorgt werden.“

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Frage und Antwort. Ein U n g e n a n n t e r aus H-lmst-dt ersucht mich, aus Veranlassung eines Gespräches, das zwischen ihm und einem seiner Freunde über die M a s k e r a d e n vorgefallen, die Frage aufzuwerfen: „ L a s s e n s i c h d i e M a s k e r a d e n gar nicht vertheidigen ?“ Sein Freund (schreibt Er mir) „obgleich kein Geistlicher, habe sie bis in den tiefsten Abgrund verdammt; auf einer Maskerade, habe er gesagt, sey gleichsam angeschlagen: H i e r i s t e i n P r i v i l e g i u m , f r e y z u s ü n d i g e n . Ich wandte ihm ein, (fährt er fort) wer Ausschweiffung liebt, sucht und findet sie 10

gewiß aller Orten; wer sie nicht liebt, wird sie vermeiden, wenn auch schon Gelegenheit dazu da ist. Hiermit aber ward ich gar nicht einmal gehört.“ Das ist freylich hart. Ich möchte wohl die Ehre haben, d e n F r e u n d näher zu kennen. Es mag ein merkwürdiger Mann seyn. Dürft ich mir nicht etwann s e i n e S i l h o u e t t e ausbitten? — mit einer kleinen Nachricht, wie alt er ungefehr ist, ob er Weib und Kinder hat, wie viel er Mahlzeiten des Tages thut, ob er wohl verdaut, nicht an Verstopfungen des Unterleibes leidet, den Blähungen nicht sehr unterworfen ist u. s. w. Der Ungenannte, der die Frage gethan hat, erwartet wohl keine Antwort im Ernste, wiewohl er in einem so ängstlichen Tone fragt. Ich merke wohl, der

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Herr gienge gern auf die Redutte, (er bekennt, daß er noch auf keiner gewesen) besorgt aber gleichwohl der Teufel möchte, seiner Gewohnheit nach, ein Schelm seyn, et ce qui suit. Da ist nun freylich küzlicht, ihm einen guten Rath zu geben. — Mancher hat schon auf ebenem Boden ein Bein gebrochen! Doch, damit ich ihn nicht ganz ungetröstet von mir lasse, so wollt’ ich ihm rathen, sich fördersamst von seinem weisen Freund eine Antwort auf die Frage auszubitten: Wa s e r u n t e r e i n e m P r i v i l e g i u m z u s ü n d i g e n v e r s t e h e ? denn, wie i c h s verstehe, haben entweder a l l e Menschen dies Privilegium, oder k e i n e r hat es. — Wenn du so fortmachst, sagte der Pfarrer zu einem jungen Appenzeller, der ein sehr wilder roher Bube war, so wirst du ganz

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gewiß in die Hölle fahren! — „Und wenn ich nun in die Hölle will, antwortete der Appenzeller; bin ich nicht ein freyer Landmann? Will den sehen, der mirs

Frage und Antwort

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wehren soll!“ Mich dünkt dies freye Landmanns-Privilegium, auf seine Gefahr zu sündigen, hat jedermann, in der Kirche, wie auf dem Tanzsaal, in seinem Kämmerlein wie auf dem Jahrmarkt — Und dabey werden wirs wohl belassen müssen — bis beßre Zeiten kommen. W.

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Nachrichten. Die teutsche Übersetzung vom Z e n d - Av e s t a , nebst der Darstellung desselben ist von Hrn. Prorektor K l e u k e r in Lemgo, dem Verfasser des Buchs: M e n s c h l i c h e r Ve r s u c h ü b e r d e n S o h n G o t t e s u n d d e r M e n s c h e n . Bremen, 1776. Aus Ursachen, welche in dem nächsten d r i t t e n Stücke des Philanthropischen Archivs dargelegt werden sollen, erklärt das D e s s a u i s c h e P h i l a n t h r o p i n , daß es von allen, nach dem ersten December dieses Jahres einlauffenden Beyträgen, sogleich zu seiner bestmöglichsten Vervollkommnung 10

Gebrauch machen werde; welches allen denen Menschenfreunden, die von nun an sich um dieses Institut verdient machen wollen, zur Nachricht bekannt gemacht wird. Herr K a u f m a n n aus der Schweiz ist nicht, wie irgendwo angekündigt worden, als Lehrer des Philanthropins nach Dessau gereiset, sondern zu anderer Absicht. Diejenigen, welche sich auf den t e u t s c h e n M e r k u r f ü r d a s J a h r 1777. zu abonnieren gedenken, werden ersucht, sich noch vor dem Schluß des itzigen bey ihren nächsten Postämtern, oder den Orten, wo sie sich bisher abonniert haben, zu melden.

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W.

N a c h r i c h t e n ¼1 bis 4½

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Der Teutsche Merkur. December 1776.

Ein Fragment über den Charakter des E r a s m u s v o n R o t t e r d a m . Zwo Ursachen haben mich bewogen, dem E r a s m u s , wiewohl er, seinem Bildnis und seinen Schriften nach, einer der allgemein bekanntesten Gelehrten des XVI. Jahrhunderts ist, einen Platz in dieser Sammlung zu geben. Die eine ist, weil ich Lust hatte, unsern Lesern eines von den Holbeinischen Bildnissen des Erasmus im Nachbilde zu liefern, welches (meines Wissens) nicht so bekannt, als das im Boissard und in der Academie des Arts et des Sciences befindliche, und einige Hauptzüge seines Charakters, besonders Scharfsinn, leises Gefühl, Behutsamkeit und ruhigen Prüfungsgeist, weit feiner auszu-

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drücken scheint als dieses. Die andre ist: der Wunsch etwas beyzutragen, daß dem Charakter dieses vortrefflichen Mannes mehr Gerechtigkeit wiederfahre, als noch immer geschieht, und geschehen kann, so lang er von den beyden Partheyen, die sich durch sein Betragen in den Reformationshändeln beleidigt glauben, in einem z u s t r e n g e n L i c h t e gesehen wird. Beyde finden, daß er zu viel für die Gegenparthie, und zu wenig für die ihrige gethan habe; und bloß weil er g e r e c h t gegen beyde seyn wollte, rechnet ihm keine das was er würklich für sie that zum Verdienst an. Die Katholischen (ich rede von dem größten Theile) machen ihm alle die ruhmwürdigen Bemühungen seiner jüngern Jahre; seine Freymüthigkeit in Aufdeckung der Mißbräuche und Gebrechen des

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damaligen Kirchenzustandes; seine mit dem größten Erfolg gewagte Angriffe auf den Barbarismus der theologischen und philosophischen Schulen, und auf den groben Aberglauben, worinn die Mönche schändlichen Gewinns halben das Christliche Volk gefangen hielten; seine lachenden, aber nur desto würksamern, Satyren auf die Unwissenheit, den Weltsinn, die Cynischen Sitten und den Haß gegen das Licht der Wissenschaften, womit damals die meisten Ordensgeistliche zum Ärgerniß aller ehrlichen Leute angesteckt waren — ich sage, alles dies, wofür ihm, als einem um Sein Zeitalter, um die Menschheit verdienten Manne, eine ewige Ehrensäule unter den Edelsten und Besten gebührte, wird ihm — weil die Sache der Protestanten nothwendig dabey gewinnen mußte — von dem größten Theil der Katholischen noch immer mehr zum

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Vorwurf als zum Verdienst angerechnet. Die Protestanten auf der andern Seite, bringen alles in Anschlag, was er, wie sie glauben, für die gute Sache hätte t h u n k ö n n e n und n i c h t g e t h a n h a t ; und halten sich dadurch berechtigt, ihm wenig Dank für alles Gute zu wissen, was er am Ende doch n i c h t u m i h r e n t w i l l e n that, wiewohl sie die größten Vortheile davon zogen; ja, was er, um der ihm mißfälligen Folgen willen, gethan zu haben sich zuweilen reuen ließ. Beyde Partheyen vereinigten sich, ihm seine Tugenden selbst, — seine Unpartheylichkeit, seine Klugheit, seine Begierde den Frieden zu erhalten, und den schrecklichen Übeln eines öffentlichen Bruchs vorzubeugen, 10

seine Billigkeit und Mäßigung, auch nachdem die Sachen endlich zu dieser gewaltsamen Krisis gekommen waren, seine unverletzt fortdaurende und unterhaltne Freundschaft mit den Gelehrtesten und Weisesten beyder Hauptpartheyen, u. s. w. — zu Verbrechen zu machen. Und was soll ich endlich von denen sagen, welche, ohne der Partheylichkeit des großen Haufens schuldig oder fähig zu seyn, den E r a s m u s gleichwohl tiefer als billig ist herabsetzen, weil sie den Contrast, den sein Charakter und Betragen mit demjenigen eines U l r i c h v o n H u t t e n , eines L u t h e r s , eines Z w i n g l i macht, lebhafter als andre fühlen, und darüber zu vergessen scheinen, daß Geister von so verschiedner Art einander gar nicht gegenüber gestellt werden sollten; indem es

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würklich nicht billig ist, einen Mann, dessen Vorzüge, Verdienste, und eigentlicher Würkungskreis von j e n e r H e l d e n ihren so verschieden war, so nahe zu ihnen zu stellen, daß er durch ihren Glanz nothwendig verdunkelt werden muß; da er doch unter den Geistern s e i n e r Classe und in s e i n e m Würkungskreise, Glanz, Licht und Wärme genug hatte, um einen Platz unter den h e r r l i c h s t e n K ö p f e n , und (wenn ich nicht sehr irre) auch unter den b e s t e n M e n s c h e n seiner Zeit, und jeder andern Zeit zu verdienen. Man müßte partheyischer für E r a s m u s als für die Wahrheit seyn, wenn man läugnen wollte, daß er einen Theil der Vorwürfe, die ihm von L u t h e r n und seinen übrigen Freunden gemacht worden (die Bitterkeit, womit sie gemacht wur-

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den, abgerechnet) ziemlich verdient habe; daß er für seinen R u h m , und (was ihm noch näher anlag) für seine S i c h e r h e i t und R u h e , kurz, für sein liebes otium cum dignitate vielleicht mehr besorgt gewesen, und also in den stürmischen Zeiten der L u t h e r i s c h e n Tr a g ö d i e (wie er die Reformation, ein wenig zu L u c i a n i s c h , zu nennen pflegte) mehr t e m p o r i s i e r t habe, als ein Mann, dem Wahrheit und Recht, also, die Sache der Menschheit, welche

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zugleich und hienieden ganz allein Causa Dei ist, über alles gilt, zu thun fähig wäre. Von dieser Seite betrachtet, muß er freylich klein gegen einen H u t t e n scheinen, d e r s e i n A l l e s f ü r s i e h i n g a b . Aber, um gerecht zu seyn, müssen wir auch bedenken, daß weder Ü b e r z e u g u n g noch H e l d e n t h u m Dinge sind, die nur bloß von dem W i l l e n eines Mannes abhangen. E r a s m u s begünstigte und beförderte die gute Sache, so weit seine Überzeugung reichte, so lang er sie für rein, für Sache der Menschheit und Sache Gottes hielt: und zog seine Hand erst dann zurück, wie er sah, oder zu sehen glaubte, das Menschliche gewinne zu sehr die Oberhand über das Göttliche; wie er sah, daß persönliche Leidenschaften, Politik und Cameralabsichten der Großen u. s. w.

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sich zu stark ins Spiel mischten, und daß es durch die ungestüme Hitze, womit man zu Werke gieng, und die seiner natürlich sanften Gemüthsart so wesentlich zuwider war, zu einem Schisma — dessen Verhütung ihm immer so sehr am Herzen gelegen — kommen müsse. Ist es denn so ausgemacht, daß ein rechtschaffner Mann in einem solchen turbulenten Zustand der Republik n o t h w e n d i g P a r t h e y n e h m e n m u ß ? Ist es nicht genug, wenn er immer auf die Seite sich neigt, wo er die meiste Billigkeit, Mäßigung und Lauterkeit sieht? ist es nicht We i s h e i t , sich in einer freyen Würksamkeit zu erhalten, so lange man hoffen kan, (und wer kann gleich sagen, w i e l a n g e dies zu hoffen ist?) daß Ruhe und Ordnung, unter gemeinnützlichen Bedingungen,

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noch ohne Bürgerkrieg und Auflösung aller Bande des gemeinen Wesens, wieder hergestellt werden könnten? Und ist es nicht, aufs wenigste, erlaubte Klugheit und Selbsterhaltung, zumal bey einem bloßen Reisenden, der keinen verpflichtenden Beruf weder zum Steuerruder noch zur Pumpe hat, sich zurückzuziehen, wenn es so weit gekommen ist, daß wir zwar wohl mit zu Grunde gehen können, aber das Schiff zu erhalten keine Hoffnung mehr haben? Jedoch, wenn sich auch E r a s m u s von dem Vorwurf einer zu großen Sorge für sein liebes Ich in diesen Zeiten der heftigsten Stürme, deren Ausgang damals noch kein menschliches Auge voraussehen konnte, nicht ganz rechtfertigen ließe: so verdient ein Mann von solchen Verdiensten — wenigstens m i t N a c h s i c h t beurtheilt zu werden. Er war nicht zum H e l d e n gebohren, nicht zum Helden erzogen; brachte seine Jünglingsjahre nicht in ritterlichen Übungen, und unterm Geräusche der Waffen im Feldlager eines M a x i m i l i a n , zu; hatte nicht das kochende Blut und den feurigen Geist eines H u t t e n ; war nicht, wie dieser, durch Bosheit der Menschen und unablässige

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Streiche des widrigsten Schicksals aufgereizt, erbittert, und zum Verzweiflungs-Spiel, Alles gegen Alles zu setzen, gebracht worden. Es ist nicht alles Tu g e n d , was uns an Hutten groß scheint! nicht alles unedel und verachtenswerth, was an Erasmus klein ist, oder uns in Vergleichung mit den H e r o e n seiner Zeit klein vorkommen muß. Das goldne Tu si hic esses aliter sentias! legt uns als Pflicht auf, uns so viel nur immer möglich an den Platz und in den ganzen Zusammenhang der Person hineinzudenken und hineinzufühlen, über die wir urtheilen wollen. Und da, bey aller Bemühung, die wir uns hiezu geben können, doch immer noch 10

sehr viel daran fehlen muß, daß wir alles so klar sehen, so lebendig und gegenwärtig fühlen, wie diese Person: was ist billiger, als daß wir unserm Zwischenurtheil soviel an G e l i n d i g k e i t zulegen, als uns an Information zum Ausspruch eines vollkommen gerechten Endurtheils abgeht? Beydes sind freylich unbestimmbare Größen; aber eben darum ist billige Nachsicht gegen die menschliche Gebrechlichkeit die erste Tugend eines g e r e c h t e n Sittenrichters. E r a s m u s war, nach Beschreibung seines Freundes, B e a t u s R h e n a n u s , von einer zarten und schwächlichen Leibesbeschaffenheit, so sehr, daß die kleinsten Veränderungen der Witterung und Diät empfindlich auf ihn würk-

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ten. Wieviel von dem, was an seinen Talenten das glänzendste, und an seiner Gemüthsart das schwächste war, hängt nur an diesem einzigen Umstand seiner physischen Anlage? Seine Kindheit scheint unglücklich und gedruckt gewesen zu seyn; schon von seinem fünften Jahre an wurde er zur Schule geschickt und mit dem damaligen Lyripipio fürbaß gequält. Wie er aber nachmals in der Schule zu Deventer von einigen ältern Mitschülern einen Vorgeschmak der bessern Litteratur bekommen hatte, faßte er eine unglaubliche Liebe zum Studieren; und diese wurde und blieb die herrschende Neigung seines ganzen Lebens. H o r a z und Te r e n z wurden, sobald er sie kennen lernte, seine Lieblings-Autoren; er durfte sie nur an Feyertagen verstohlner-

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weise lesen, aber desto lieber wurden sie ihm: und da diese Beyden (und bald kam auch L u c i a n dazu, das Triumvirat voll zu machen) seinem Geiste die e r s t e B i l d u n g gaben, da das Vergnügen, so er aus ihnen schöpfte, damals sein e i n z i g e s war ( er las sie so fleißig, daß er sie endlich ganz auswendig wußte; sagt B e a t u s ) — was Wunder, daß bey einem Subject von so zarten Sinnen, die Formen, so sie ihm eindruckten, unauslöschlich blieben? daß die

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H o r a z i s c h e aurea mediocritas (die mit der S o k r a t i s c h e n sofrosynh Eins ist) d. i. Liebe zu allem Gemäßigten, Ruhigen und sanften Schönen i n d e r N a t u r und i m L e b e n , und die so nahe damit verwandte M e n a n d r i s c h e G r a z i e und U r b a n i t ä t , und die L u c i a n i s c h e Feindschaft gegen alle falsche Prätension, alles Überspannte, gegen P l a t o n i s c h e Praestigias und S t o i s c h e s Supercilium *) charakteristische Grundzüge seines Geistes, seiner Sitten, seiner Sinnes- und Lebensart, und somit auch seiner Schriften wurden? Und wie natürlich also, daß E r a s m u s , s o organisiert, s o gebildet, mit dieser Lebhaftigkeit und Feinheit des Gefühls und Witzes, mit dieser Jovialischen Gemüthsart, die ihn auch in seinem Umgang zum liebenswürdig-

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sten Gesellschafter machte, mehr Lust hatte — Komödie als Tr a g ö d i e zu spielen? Zwar sind X e n o p h o n , S i r P h i l i p p S y d n e y , und vielleicht einige andre unter Alten und Neuern, Beyspiele, daß d i e G r a z i e n d e s G e i s t e s , so wie ein hoher Grad körperlicher Schönheit, sich mit den Vollkommenheiten, die den H e l d e n bilden, gar wohl in Einem Subject zusammentreffen können. Aber, wie höchstselten ists, daß N a t u r und G l ü c k zu Hervorbringung eines v o l l k o m m n e n M e n s c h e n in einen solchen Bund treten? — Und dennoch zeigt sich sogar bey diesen ächten kaloi kai agauoi dieser (auch unserm E r a s m u s eigene) charakteristische Hang zu p e r s ö n l i c h e r F r e y h e i t , R u h e ,

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und einem unter die M u s e n und die F r e u d e n d e s g e s e l l i g e n L e b e n s getheilten Leben! Man braucht nur Leben und Tod X e n o p h o n s mit Leben und Tod P h o c i o n s zu vergleichen, um den ganz einleuchtenden Unterschied zu fühlen. E r a s m u s wurde von seinen tyrannischen Vormündern wider seine entschiedene Neigung dem clericalischen Stande gewidmet, und (was ihm am unerträglichsten war) dem Zwang einer Ordensregel unterworfen. Von dem leztern hatte er zwar den Muth und das Glück sich wieder loß zu machen: da er aber doch ein Clericus bleiben mußte, was konnte billiger seyn, als, daß er seine unbegränzte Liebe zum Studieren und zur Freyheit des Geistes und Lebens mit den wesentlichsten Pflichten seines Standes zu vereinigen suchte? Schon auf seiner ersten Reise nach England, die er nach Vollendung seiner akademischen Jahre zu Löwen und Paris vornahm, erwarb er sich die Liebe *)

S. E r a s m i E p i s t o l . L. XXIX. ep. 5.

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und Hochachtung der Gelehrtesten und Aufgeklärtesten — und dies hieß damals meist so viel als der vornehmsten Männer in Kirche und Staat; seine seltnen Gaben, seine Wissenschaft und Wohlredenheit, sein Witz und seine angenehmen Sitten dienten ihm überall für die beste Empfehlung. Er gieng nach Italien, und vermehrte wo er hinkam und sich aufhielt, zu Bologna, Venedig, Padua und Rom die Zahl seiner Freunde; es war ein Wunder für die Welschen einen jungen Belgier zu sehen, der die Wissenschaft zu ihnen brachte, die Andre bey ihnen hohlten. Seine litterarischen Verbindungen mit dem berühmten A l d u s und dessen gelehrten Freunden — die erste Ausgabe seiner 10

mit Belesenheit, Kritik und Philosophie vollgestopften Adagia, sein P l a u t u s , Te r e n z , u. s. w. machten ihm schon einen weitverbreiteten Ruhm; und schon damals hatte man am Römischen Hofe eine so große Meynung von ihm, daß man ihn durch Antragung der Stelle eines P ö n i t e n t i a r i u s zu Rom festzuhalten suchte. In der Folge erwarben ihm seine Anmerkungen zum neuen Testament, seine Paraphrasen, und andre Werke in diesem Fache, (wozu ihn die ehmals zu Turin angenommene Doktorwürde der Theologie berechtigte) den Ruf eines eben so eminenten Theologen, als ihm seine grammatischen und kritischen Arbeiten eine der obersten Stellen unter den Philologen seiner Zeit, und seine Adagia, Colloquia und Encomium Moriae unter den

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Sokratischen Weisen verschafft hatten. Sein Ansehen stieg nun von Jahr zu Jahr; die größten Fürsten ehrten ihn, schützten ihn, und eyferten in die Wette, ihn bey sich zu fixieren; seine Widersacher selbst, die Mönche und einige Doctores obscurissimi vom Schlag eines E c k , Stunica,*) Bedda, u. dergl. dienten seinem Glanze nur zur Folie. Es lag blos an ihm sich durch ansehnliche Ehrenstellen einen Weg zu machen, der ihn endlich zu den höchsten Würden in der Kirche geführt haben könnte. Aber er zog seine Freyheit allen andern Vortheilen vor, und erwählte sich endlich, theils um in diesem Elemente seines Geistes desto ungestörter leben zu können, theils wegen seiner Verbindungen mit F r o b e n und A m e r b a c h , die Stadt Basel zu seinem gewöhn-

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lichsten Aufenthalt, wo er auch im Jahre 1536. in seinem 70. Jahre verstarb. Ist nicht dieser blos flüchtig auf sein Leben hingeworfne Blick schon hinlänglich, uns begreiffen zu machen, wie gewichtig für ihn die persönlichen Beweggründe waren, sich nicht in die Unruhen der Reformation hineinziehen *)

Epist. L. XXX. ep. 82.

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zu lassen? *) Es war nicht Feigheit der Seele: oder hatte etwa kein Muth dazu gehört, die Mönche und Pedanten, deren Zorn damals noch wie das Brüllen eines jungen Löwen war, ja selbst die heilige Schultheologie, die Decretalen, und die sämtlichen Gebrechen der Kirchen-Disciplin so anzugreiffen wie er gethan hat? — Es war nicht Begierde oder Hoffnung sich beym Römischen Hof einzuschmeicheln, und Pfründen oder Dignitäten zu erschnappen: denn wenn er das gewollt hätte, warum hätte er die Einladung des Pabsts H a d r i a n V I . , seines Landsmanns und alten Freundes, und die glänzenden Aussichten, die sich ihm damals in Rom öffneten, so gerade zu von sich abgewiesen? — Ich bin sehr geneigt zu glauben, daß Erasmus, wenn sein Schicksal

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gewesen wäre zwanzig Jahre später in die Welt zu kommen, gar leicht ein eben so warmer Anhänger von L u t h e r n hätte werden können als immer — sein Freund M e l a n c h t h o n . Allein man denke sich ihn als einen Mann gegen sechzig Jahren, wie er um die Zeit des zweyten Akts der Tragoedia Lutherana war, auf einer Seite mit einer von vielen Krankheiten und Alter geschwächten Gesundheit, auf der andern in allen den Vortheilen des entschiedensten Ruhms, Ansehens und Einflußes in die Gelehrten-Republik, im Besitz der Freundschaft so vieler großen und vortrefflichen Männer, denen er von der Weisheit seines Betragens gewissermaßen Rechenschaft geben mußte, und was, für ihn so wichtig war, im Besitz einer Ruhe, die er mit Aufopferung alles

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dessen was ihm die Fürsten der Kirche und weltliche Prinzen so oft angeboten, erkauft hatte: und nun frage man sich, ob er das alles hätte dran geben sollen, um irgend eine A l t e n m a n n s - R o l l e in besagter Tragödie zu spielen? Wahrlich er konnte keinen solchen Gedanken haben, wenn er auch weniger scheinbare Vorurtheile gegen die Güte der Sache gehabt hätte. *)

Eine Stelle aus seinem im Jahre 1519. an D. Luthern geschriebenen Briefe ist zu merkwür-

dig, um hier nicht angeführt zu werden. Ego me quod licet i n t e g r u m servo (sagt Erasmus) quo magis prosim litteris reflorescentibus. (dies war s e i n e Sparta; L u t h e r hatte eine ganz andre; w a s h a b i c h m i t d i r z u s c h a f f e n , konnte einer zum andern sagen) Et mihi videtur plus profici c i v i l i m o d e s t i a quam i m p e t u . Sic Christus orbem in suam ditionem perduxit. Sic Paulus Iudaicam legem abrogavit, o m n i a t r a h e n s a d a l l e g o r i a m . Magis expedit clamare in eos qui Pontificum autoritate abutuntur quam in ipsos Pontifices: idem de Regibus faciundum censeo — Quorundam virulentas contentiones magis conducit c o n t e m n e r e quam r e f e l l e r e . Ubique cavendum est, ne quid a r r o g a n t e r aut f a c t i o s e l o q u a m u r , f a c i a m u s v e ; sic arbitror gratum esse Spiritui Christi — Hatte Erasmus nicht Recht? — und doch, wo wären wir, wenn L u t h e r auch so gedacht hätte?

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Ich wiederhohl es, ich wünsche mit diesem, wiewohl sehr mangelhaften, apologetischen Fragment (denn wie viel wäre noch für Erasmus zu sagen gewesen, wenn ich gewisse unangenehme Sayten hätte berühren wollen! wer Lust hat, lese seine Briefe an Bilibald P i r k h a i m e r ) nichts zu erhalten, als ein billiges Urtheil von einem in seiner Art und in seinem Würkungskreise vortreflichen Manne — der so viel zur Aufklärung und Besserung seiner Zeit beygetragen, dessen Werke großenteils noch immer ihren fortdaurenden Werth haben; dessen satyrische und launenhafte Schriften dem Aberglauben, der Heucheley, der Möncherey und dem ganzen Reich der Göttin D u m m 10

h e i t mehr Abbruch gethan haben als vielleicht alle ernsthaftere Bekämpfer desselben durch alle ihre langweilige Deductionen zusammen genommen; dessen Fehler endlich durch eine Menge Verdienste, Tugenden und Liebenswürdigkeit weit überwogen wurden, und, alles gehörig berechnet, so unerheblich waren, daß sich ein warmer Bewunderer kaum enthalten könnte, sie (wie Alcaeus die naevos in puero suo) für Lumina anzusehen. W.

E i n F r a g m e n t ü b e r ¼…½ E r a s m u s v o n R o t t e r d a m

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¼ D . G o t t f r i e d S c h ü t z e n s L o b s c h r i f t a u f d i e We i b e r d e r a l t e n t e u t s c h e n u n d n o r d i s c h e n V ö l k e r Hamb. 1776. 16 Bogen. 8. Eine Menge Materialien aus der alten Geschichte. Der V. hat nach seiner in diesem Felde bekannten Gelehrsamkeit, unter gewisse Hauptsätze alles zusammengetragen, was sich, von Etymologie der Namen an, bis auf That und Geschichte, zum Lobe der Mütter Teutschlands und Nordens, sagen ließ. Hier erscheinen Schöne und Tapfre, H o l d i n n e n und U n h o l d e , D r u i d i n n e n , die den Altar schmücken und das heilige Feuer im Herzen ihrer läßigern Männer brennend erhalten, und Vielforscherinnen, A l l r u n e n ; eine Ve l l e d a , die als Orakel zu Kriegs- und Friedenszeiten weit umher gilt; und Vo l e n , d. i. Wahrsagerinnen, die S. 83. über der Wiege eines Kindes, bey angezündeten Lichtern, völlig nach Feenart weissagen; eine

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Reyhe von Prophetinnen: F i n n a , H e i d a , T h o r b i o r g a , G u d r i g a ; Ä r z t e und R u n e n m e i s t e r i n n e n ; F r o g e r t h a , die Traumauslegerin; E s a und S w a n h i l d a , Gesichtsdeuterinnen; eine sanfte beredte H i l d i g u n e , die den Seeräuber bekehren soll, und A l l w i l d a , eine Seeräuberin selbst; die Rednerin G o t t v a r a und die Kriegskönigin B u n d v i k a ; A m a l a s v e n t h a , die Muse der Gothen in Italien und L a d g e r t h a , die Ausfordrerinn zu Gefahren; Heldinnen und Huldinnen; Keusche und Spröde; Bräute und Mütter, alle erscheinen hier, unter gewisse Hauptstücke geordnet, und durch eine Reyhe von Citationen bewähret. — Schade aber, daß alle Anführungen, und also die Thatsachen des Buchs, latein sind, und also von denen, die sie zur Bildung, zur Nacheifrung und allenfalls zum Vergnügen lesen würden, nicht gelesen werden können! Schade ferner, daß diese Sammlung zerstreuter Züge aus der Ge-

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schichte s o v e r s c h i e d n e r L ä n d e r u n d Z e i t e n ohne Urtheil da stehet, nur durch die Weidenruthe des Worts L o b s c h r i f t zusammengeheget; da eine Behandlung so großer und interessanter Materien mit U r t h e i l ein Zeitgemälde von Mosaischer Arbeit und Vestigkeit würde geliefert haben. Schade endlich, daß die Anwendung davon auf unsre so veränderte Zeiten ganz fehlt, da doch der V. es selbst so oft anführen muß, wie schon die christliche Religion Sitten, Gebräuche, Züge des Charakters, Werth und Schätzung des Geschlechts, Alles, Alles verändert. Und wie weit das nun mit dem Lauf der Jahrhunderte hinab geflossen sey? wo unsre Vo l e n und Ve l l e d e n stehen? wie das G e h e i m e und G ö t t l i c h e in ihnen, das die alten Teutschen erkannten, nun würke? Was die F r a u (das Wort bedeutete ursprüngliche eine H e r r i n , so wie das Wort F r o Herr hieß: Der Herr ist ausgegangen und die Herrin ist blieben!) und das We i b (das Wort soll vom We b e n kommen und der alte Angelsachse wußte den Spruch: „Gott schuf sie ein M ä n n l e i n und F r ä u l e i n “ nicht besser zu geben, als:

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Dezember 1776)

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„He worhte W ä p m a n n und W i f m a n n , “ einen Wa f f e n m a n n und einen We b m a n n . Seit die Waffen den Männern aus den Händen gefallen sind, hat es sich mit den Webmänninnen, den Weibern, auch geändert) kurz, was F r a u und We i b , die Ur-Ur-Enkelinnen jener teutschen Frauen und Weiber nun allenfalls an dem Exempel ihrer Urmütter lernen könnten. Doch jeder Künstler ist nach seiner Absicht zu beurtheilen und von keinem muß man mehr und etwas anders fodern, als Er liefern wollte, gesetzt daß wir auch etwas anders lieber hätten. Auch als roher ungeschmelzter Stof ist das Werk Danks werth, und der künftige G e s c h i c h t s c h r e i b e r des We i b e s , wie es zu allen Zeiten, und hie und dort gewesen? wird diese Materialien als einen Beytrag zu seiner G e s c h i c h t e neu schmelzen, von Unrath reinigen und 10

läutern. Erschiene er bald, dieser Geschriftschreiber, dem M i l l a r und T h o m a s noch völligen Platz gelassen haben, geschweige unser Autor! —½

N a c h r i c h t . Auch dienet zu wissen, daß unsre Neumodischen Barden und Skalden wenn sie des Tyrannenbluts nun einmal gnug haben, allhier im benannten Buch ein großes Verzeichniß von Nordischen und Altteutschen We i b e r n a m e n und We i b e r g e s c h i c h t e n finden, können, um auch L i e b e s und We i b e r d i c h t e r in Altteutschem Styl zu werden, wie sie bisher Tyrannenwürger und Heldensänger waren. S. 153. 54. steht würklich ein artiger Liebesantrag in Versen, der aber eben so artig in Versen verworfen wird, wie es den meisten Poetischen Deklarationen dann zu ergehen pfleget, V. R. W.

¼Zusatz zur Rezension: Schütze½ L o b s c h r i f t

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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1777. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.

Erstes Vierteljahr. Weimar.

Der Teutsche Merkur. Jänner 1777.

Geron, der Adelich. Eine Erzählung aus König Artus Zeit. Als K ö n i g A r t u s einst, vor seiner Burg zu K r a m a l o t , von dreissig edeln Rittern umgeben, unter einem offenen Gezelt von goldgewürktem Sammit hofete, *) und neben ihm, in Sommers-Schönheit, saß F r a u G e n i e v r a , seine Königin; zwölf Jungfraun, die den süßen Sold der Minne, dem der deß um sie verdiente, wohl zu geben

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vermochten, standen züchtiglich zur Seiten der schönen Königin; und ums Gezelt an hohen Eichen hiengen Schild’ und Speer’ im Sonnenglanz, und dreissig Knaben hielten im Schatten jeder an der rechten Hand ein aufgeschmücktes Roß: — und siehe da, ein s c h w a r z e r R i t t e r kam vom Walde her, er ganz allein, und ritt dem Zelte zu; und wie er schier herangekommen, stieg er ab, ließ vor der Königin aufs rechte Knie

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sich nieder, stund dann wieder auf, und stund um eines Hauptes länger als die Ritter alle vor König Artus, neigte sich und sprach: „Herr König, wollet einer Gabe mich gewähren um die ich bitte, sam ein Rittersmann an einen Ritter wohl begehren mag.“

*)

H o f e n ist das altteutsche Wort für H o f h a l t e n (tenir cour)

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Februar 1777)

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Der König Artus sah den Fremden an, und alle die zugegen waren sahn ihn an, verwunderten sich seiner stattlichen Gestalt und seiner Red’, und warteten der Gabe schweigend die er bitten würde. Und Artus sprach: Herr Ritter, heischet frey, ich sag es zu. Der Ritter neigte sich zum zweytenmal und sprach: durchlauchter Herr, 10

so mög es Euch, und diesen wackern Rittern an Eurer Seite, nicht entgegen seyn, zu Ehren aller minniglichen Frauen und holden Jungfraun, hier und überall, und zu bewähren, wem in Ritterschaft der Preis gebühre, ob den Alten, o’r den Jungen Rittern, einer nach dem andern im Grünen einen Ritt mit mir zu thun. Der König Artus, und die dreissig Ritter die um ihn stunden, allesamt Genossen

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der Ta f e l r u n d e , waren nicht die Männer die sich um solche Gabe zweymal bitten liessen; und statt der Antwort lieffen alle stracks den Bäumen zu, wo ihre Lanzen hiengen, und die Knaben bey den hohen Rossen standen. Und Artus und die Ritter alle schwangen auf ihre Rosse sich, den Schild am Arm, den Speer gefällt, und ritten nach dem Plan wo seinen Stand der fremde Ritter schon genommen hatte. König Artus ritt

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zuerst. Und beyde legten ihre Lanzen ein, bedeckten mit dem Schilde sich, und rennten

Geron, der Adelich

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die Roße spornend auf einander loß so mächtig daß die Erde unter ihrem Stampfen erbidmete; und, wie sie nun im Sturm zusammentreffen sollten — hielt der Fremde seinen Speer hoch in die Luft, und fieng den Stoß des Königs auf mit seinen festen Schilde, daß die Lanz vom Gegenschlag in tausend Splitter brach, und König Artus kaum mit Arbeit sich im Bügel festhielt. Aber unerschüttert saß

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der schwarze Ritter, und, sobald sein Roß sich ausgelauffen, schwenckt’ er, ritt zum König hinan, und sprach gar ehrbar: Edler Herr, Das wolle Gott nicht, daß ich meine Lanze je gebrauche gegen Euch! Gebietet mir als einem, der zu Euerm Dienst aus Pflicht und gutem Willen sich gewidmet hat. Der König Artus sieht ihn staunend an und wendet nach dem Zelt. Und G a l h e r i c h , sein Neffe, K ö n i g L o t h’ s v o n O r k a n zweyter Sohn,

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tritt rasch hervor, kampflustig und gewiß des leichten Siegs, faßt er mit starker Faust den Speer, wirft vor die Brust den breiten Schild auf dem ein goldner Adler Blitze wirft, und sprengt im Sturm auf seinen Gegner an. Fest war sein Stoß und kraftvoll; aber, mit behender Beugung wich ihm jener aus; der Speer fuhr unterm lincken Arme durch, unschädlich, und im gleichen Augenblick rührt ihn des Schwarzen Speer mit solcher Macht

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daß ihm die Sinne schwinden und die Kniee brechen; er stürzt, und deckt so lang er ist den Boden.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Februar 1777)

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Des Bruders Fall zu rächen drängte sich H e r r G a l b a n , Loths von Orkan Erstgebohrner, vor. Man nennte Galbans Nahmen allezeit wenn von den Unbezwinglichen die Rede war. Doch diesesmal vergaß er seiner Dame sich zu empfehlen, oder treulos ward das Glück an ihm: der schwarze Ritter thät Ihm, wie er Galherich zuvor gethan. Das gleiche Loos fiel auf die andern Neffen 10

des Königs, E g e r w i n , und G a l h e r e t , und auf B l i o m b e r i s und L i o n e l , des K ö n i g B o o r t v o n G a n n e s edle Söhne, und auf H e r r D i n a d e l v o n E s t r a n g o r , den Unverzagten, immerlustigen; sie hatten manchen braven Mann wohl eher ins Gras gestreckt, izt kam die Reyh an sie. Ha! rief H e r r G r i e s , des Königs S e n e s c h a l l , der Höflingsart mit Rittersitten paarte, das soll, bey Gott! von Artus Rittern nicht

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gesungen werden noch gesagt im fremden Land, daß einer nach dem andern, Kegeln gleich, vom ersten den der Wind herbeygeweht, sich so zu Boden habe legen lassen! Der fremde Ritter ist doch wohl so sehr nicht Teufel als er schwarz ist! Laßt ihn kommen! Mit diesen Worten, halb im Schimpf gesprochen und halb im Unmuth, spornte seinen Klepper H e r r G r i e s d e r S e n e s c h a l l . Er hatte wohlbesonnen aus einem großen Haufen Speere, der

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beym Zelte lag, den schwersten ausgewogen. Allein, nichts mocht ihm seine Vorsicht frommen, nichts sein hoher Muth und seiner spitzen Zunge

Geron, der Adelich

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Behendigkeit: der schwarze Ritter hob ihn hoch empor, und ließ ihn unsanft fallen. Ihm half sein Schildknapp wieder auf die Beine und brummend hinkt’ er nach dem Zelte hin. Die andren folgten nun der Reyhe nach; muthvolle Kämpfer, die den Besten nicht zu weichen pflegten, und kein Abentheuer noch so schlimm es aussah von der Hand gewiesen. Ein Spiel war ihnen Lanzenbrechen nur; sie hätten die Wälder arm an Holz damit gemacht.

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Doch unter ihnen allen keiner hielt den strengen Stoß des Unbekannten aus: sie räumten alle nach der Reyh den Sattel. So zuzusehn der Tafelrunde Schmach verdroß den edeln L a n z e l o t v o m S e e , den einzigen der von den dreissig noch zu überwinden war. Der eigne Ritter der schönen Königin war Lanzelot; viel Thaten hatt’ er ihr zu Ehren schon gethan, und manchen süßen Kuß, und manche

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Umhalsung ingeheim zum Sold empfangen. Kein anderer Genoß der Tafelrunde thats ihm zuvor an Mannheit und an Schöne: In seiner holden Dame Gegenwart däuchts ihm ein leichtes, alle Lanzenbrecher und Praler auf dem weiten Erdenrund herabzustechen. Gleichwohl wundert ihn des schwarzen Ritters . Denn was izt geschah, war, seit die Tafelrunde stund, noch nie geschehn. „Ists schwarze Kunst was diesen Heyden schüzt, (verjäht Herr Lanzelot mit leiser Stimme zur Königin) so bitt ich, schönste Frau, entstehet euerm treuen Ritter nicht;

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Februar 1777)

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die ganze Hölle steh dem Schwarzen bey, lacht euer Auge mir, so ist der Himmel auf meiner Seite.“ Wie er dies gesagt läßt ihn die Königin in ihren Augen (den süßen Mund versiegelte die Zucht vor soviel Zeugen) eine Antwort lesen, die ihm das Herz im Busen schwellen macht. Und mit verhängtem Zügel, hoch den Schild, 10

die Lanz’ an seine Seite festgedrückt, rennt er dahin; und beyde Ritter stoßen so kräftig auf einander, Roß und Mann, daß sie die Stange vor der Faust zersprengen, und Helm und Schilde laut zusammenschlagen. Doch wenig halfen izt die Augen seiner Dame dem edeln Lanzelot: ihn überwiegt des schwarzen Ritters stürzendes Gewicht; er schwankt, verliehrt den Zügel, taumelt, sinkt, und liegt wo seine Spießgesellen lagen.

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Der Unbekannte steigt gelassen ab von seinem Pferde, streichelt freundlich ihm den feuchten Rücken und die heiße Brust, nimmt ihm den Sattel ab und das beschäumte Gebiß, und läßt mit einem sanften Schlag es gehn ins Grüne, wo es ihm beliebt; kehrt dann, als wär’s von einem Lustritt, wohlgemuth und unbefangen, seinen ältlichen gewohnten Schritt zum goldnen Zelt zurück. Mit scheelen düstern Blicken weichen ihm

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die Ritter aus; sie sehn einander an, als fragten sie sich mit den Augen, k a n n s t D u’ s l e i d e n ? — Aber K ö n i g A r t u s tritt

Geron, der Adelich

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aus dem Gezelt, und reicht dem Kommenden die Hand mit Anstand, sprechend: edler Ritter, wir haben, däucht mich, theuer gnug das Recht erkauft, des Mannes Angesicht zu sehen, und zu wissen, wer es ist, der so behend an Einem Abend dreissig Schildgenossen der Tafelrunde aus dem Sattel hob. Und alsbald, wie der König dieses Wort gesprochen, lößt der Fremde seinen Helm: und siehe! wie er ab ihn nimmt, so kraußt

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schneeweisses Haar sich rings um seine Scheitel, und offenbar in aller Herrlichkeit des ungeschwächten hohen Alters steht der Edle da, ein schöner alter Mann, wiewohl die Zeit der Furchen viel auf seine breite Stirn gegraben, stark und ungekrümmt, wiewohl die Last von hundert arbeitvollen Jahren auf seinem Nacken lag. Dem König Artus und den Rittern wirds

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bey seinem Anblick wieder warm ums Herz; sie drängen wundernd sich hinzu, sie faßen bey der Hand ihn, schaun ihn an, und ruhn auf seinem Antliz, liebevoll, wie Söhne, die unverhoft den alten Vater wiedersehn. Mein Nahm ist B r a n o r , sprach der alte Ritter; B r a n o r , d e r B r a u n . Dein Vater, K ö n i g A r t u s ! der edle Degen, U t h e r P a n d r a g o n war noch ein Knabe, der sein Steckenpferd im Hofe tummelte, da Branor schon durch Berg und Thal nach Abentheuern ritt. Die alten moosbedeckten Eichen dort, ich sah sie alle einer Lanze hoch.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Februar 1777)

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Dein Vater, K ö n i g A r t u s ! war mein guter Herr und Freund, wir haben manchen Ritt zusammen gethan, und manchen Speer in Schimpf und Ernst gebrochen. Segen sey mit seinem edlen Sohn, und wohl mir Alten, daß ich junge Männer seh, die noch nicht völlig aus der Väter Art geschlagen! Indem sie also sich besprachen, gieng die Sonne unter. K ö n i g A r t u s und die K ö n i g i n und ihre J u n g f r a u n und die d r e i s s i g R i t t e r den alten B r a n o r in der Mitten, kehrten nach

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der Burg zu K r a m a l o t zurück. Da stand ein köstlich Mahl bereitet in der Halle. Ein reicher Baldachin bezeichnete den Sitz des Königs und der Königin; und zwischen ihnen ward dem guten Branor ein Stuhl von Elfenbein gesetzt; und als sie Platz genommen, setzten sich die übrigen in ihrer Ordnung um die Tafel her. In Schüsseln aus getriebnem Golde ward das Maal von zwanzig Knaben aufgetragen;

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zur Seite glänzte hochemporgethürmt der reiche Schenktisch; zwanzig Knaben pflegten des Diensts dabey, und zwanzig dienten bey der Tafel. Und Paucken schallten und Trompeten klangen so oft der große funkelnde Pocal herumgieng. Als sie nun die Essenslust gestillt, ward ritterlichen höflichen Gespräches viel gepflogen bis um Mitternacht. Und Aller Augen waren auf den Alten geheftet, wenn er seinen Mund zum Reden aufthat.

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So eine Stille ward alsdann, man hätt im Saal //

das Weben einer Spinne hören mögen.

Geron, der Adelich

183—247

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Und K ö n i g A r t u s nahm des Alten Hand und sprach: H e r r B r a n o r , einen Mann von eurem Schrot und Korn gesehen hab ich nie vor diesem Tag. So helf mir Gott, als ich die Väter möchte gesehen ha’n, die solche Söhne zeugten! Ihm gab der alte Ritter diese Antwort: Herr König, hundert Jahre schon und drüber hab ich erlebt, hab manchen guten Mann auf seiner Amme Schoos gesehen, manchen bessern begraben helfen. Noch gebricht es nicht an wackern Rittern, und an schönen Frauen, die ihres Dienstes werth sind. Aber Männer wie zu meinen Zeiten waren werd’ ich nimmer sehn! Von solcher Mannheit, solchem festen Sinn, so über Ehr und Recht und Wahrheit haltend, so biderherzig, so dem Freunde treu, so ofnen Angesichts und ofnen Herzens und ohne Falsch, wie K ö n i g M e l i a d , und H e c t o r d e r B r a u n , und D a n a y n d e r R o t h und G e r o n d e r A d e l i c h e — Nein, bey meinem Gott! nie werd ich solche Männer wieder sehn! Hier brach dem edeln Greis die Stimm; er senkte sein weißes Haupt und schwieg. Und alles schwieg, und niemand wagt’ es eine gute Weile die heil’ge Stille zu entweyhn. Zuletzt winkt G e n i e v r a heimlich ihrem Ritter: und Lanzelot verstund den Wink, und sprach zu B r a n o r n : Alter Herr, wir alle sind zu jung, der Ritter, die ihr nanntet, einen gesehn zu haben: nur in Euch noch leben sie, der sie gekannt, dem Einzigen ihres gleichen, der unsre Zeit erreichte. Wolltet Ihr von ihren Thaten uns erzählen, was Ihr wißt, wir alle würden Euch die Gabe danken.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Februar 1777)

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Der König Artus und die Königin und alle Ritter stimmten laut zur Bitte des schönen L a n z e l o t . Die Jungfraun schwiegen, doch bat ihr züchtiglich gesenktes Aug, und ihrer Wangen Röthe, die Verrätherin des magetlichen schüchternen Verlangens. Und B r a n o r sah sie freundlich nickend an und sagte: was ihr bittet ist Gefälligkeit; das Alter ist geschwätzig, wie ihr wißt, 10

es liebt zu reden von den guten Zeiten die nicht mehr sind, in denen es, als wie in einem seelgen Traum, allein noch lebt. Ich will von G e r o n , von dem edelsten der Männer, die ich sah, euch was erzählen. Wohl sechzig Jahre mögens seyn und mehr, seit ihn und mich ein wunderbarer Zufall zusammenbracht! Ich zog im Land umher auf Abentheuer. Eines Tages überfällt ein Sturm mich tief im Holz. Ich suche Schirm

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in einer Felsenhöl’. Ein enger Gang der in den Berg hinein sich windet, lockt mich an zu sehn, wohin er führe. Immer abwärts, immer dunkler, tiefer gehts hinab. Auf einmal wendet sich der Gang, und nun steht offen eine Höle vor mir da, von Menschenhand gehauen und gewölbt, gleich einer Todtengruft — und in der Gruft, beym schwachen Glimmer einer Lampe vom Gewölb herunter, seh ich, wie zween Heilge Leiber

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einander gegenüber, still und hehr zween alte Ritter sitzen. Jezund noch nach sechzig Jahren, da ich euch davon erzähle, fährt mirs kalt durchs Rückenmark hinauf. Es war als weckete mein Anblick sie

Geron, der Adelich

248—315

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aus einem sanften Schlummer. Unbefremdet, mild und freundlich sahen sie mich an, und wohl zu thun schiens ihnen wieder einen Menschen zu sehn. Sie hießen mich willkommen, sagten mir: Sie wären beyde, nachdem sie auf dem Lebensmeere lang herumgetrieben, alt und ruhesehnend in diese stille Gruft herabgestiegen, da in ihrem Grab des Todes zu erwarten; sie würden in der Welt, wo man sie suchte

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und nirgends fand, schonlängst für todt gehalten; Erdgeister pflegten ihrer, brächten ihnen auch zuweilen Kundschaft was die Lebenden auf Erden machten. B r e h u s war der Nahme des einen, G e r o n , der Alte, hieß der Andere. Vor Zeiten hatte der in Gallien geherrscht, drauf seinem ältsten Sohn das Reich gelassen, um der Ritterschaft sich ganz zu widmen. Bald ergriff den Sohn der gleiche Trieb. Er übergab sein Reich

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dem jüngern Bruder, zog auf Abentheuer viel Jahre lang, kam endlich auch in diese Gruft, sein mühvoll Leben hier mit seinem alten Vater in strenger Buße zu beschließen. Hier, — sprach der Alte, der mir dies erzählt — Hier ist sein Grab! Wo meines Zweyten seines ist, weiß Gott. Ihm raubte P h a r a m u n d , d e r F r a n k e , Thron und Leben. Noch ein Einziger ist übrig von meinem Blut und Stamm, mein Enkel, G e r o n d e r A d e l i c h . Was mir von Zeit zu Zeit

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die Geister von ihm melden, ist die Nahrung, glaub ich, die mich nicht sterben läßt. Er ist ein Mann! Und Gott vergelts ihm, daß er meinem Blut und Nahmen Ehre macht! —

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Februar 1777)

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In diesem Augenblick entschloß ich mich den Ritter Geron aufzusuchen. Und ich zog an Uthers Hof. Da hört ich Rühmens viel von Gerons Tugenden. Er selbst war nicht zugegen. Und ich zog ihm nach, fand ihn, und wunderte mich seiner Schönheit, der Stärke seines Arms, und seines Muths, doch mehr der Treue seines Herzens; — und er ward mir hold, und ich begleitet’ ihn auf mancher Fahrt 10

und war der Zeuge seiner letzten Thaten. Noch Knabe war er als sein Vater Kron und Leben gegen Pharamund verlohr. Ein alter Freund von Geron seinem Anherrn, H e k t o r d e r B r a u n e , rettete den Knaben, floh nach Brittannien mit ihm, und ward der Führer seiner Jugend, und sein Meister in der Ritterschaft; und G e r o n war ihm wie sein eigner Sohn. Und als in einer großen Schlacht der Alte schwehr verwundet fiel, empfieng ihn Geron

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in seine Arme, schlug mit Löwengrimm zu Boden jeden der an seinen Freund Hand legen wollt’, und trug ihn auf dem Rücken in sein Gezelt. Allein das Leben ihm zu fristen vermocht er nicht. Und sterbend reichte Hektor sein gutes Schwerdt ihm hin: da, sprach er, Nimm! ich kenne keinen Andern, der’s nach mir zu führen werth ist. — Groß und selten war des Schwerdtes Tugend, reich der goldne Griff, und reicher viel die festgestählte Klinge;

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und auf der Klinge stand in goldner Schrift: Ve r m e ß s i c h K e i n e r , u n t u g e n d l i c h Dies Schwerdtes anzumuthen sich ! Tr e u g e h t ü b e r A l l e s , Untreu schändet Alles ;

Geron, der Adelich

316—383

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Hohn dem Mann der seinen Schalk verbergen will in Löwenbalg ! Geron der Adelich empfieng das heil’ge Schwerdt mit naßem Aug, aus seines sterbenden Pflegvaters Hand, und hielt sich reicher drumm als wär’ ein Königreich ihm angefallen. Wie ers verwaltete, deß will ich euch ein Beyspiel geben — wenn ihr zuzuhören nicht müde seyd. — W.

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(Die Fortsetzung nächstens.)

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Februar 1777)

Geron, der Adelich. Eine Erzählung aus König Artus Zeit. (Fortgesezt von S. 16 No. 1. T. M. 1777.) Und L a n z e l o t v o m S e e und s e i n e D a m e d i e K ö n i g i n , betheuerten, sie würden nicht ermüden ihm die ganze Nacht so zuzuhören. D e r A l t e unter seinen grauen Augenwimpern hervor, schießt einen scharfgespizten Blick auf Lanzelot und auf die Königin, und beyder Augen sincken vor dem Blick

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des Edeln. Eine kurze Stille folgt, und fort fuhr B r a n o r : „In denselben Tagen lebt’ im Brittenland ein edler Ritter, D a n a y n d e r R o t h e , Herr der Burg zu M a l o a n c . G e r o n d e r A d e l i c h e ward sein Spießgesell und Freund; sie schwuren sich den Todesbund, und ihrer beyder Liebe wurd’ im Land umher zum Sprüchwort. Und die F r a u z u M a l o a n c , Herr Danayns Gemahel, war das schönste Weib

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im ganzen Brittenland, das schöne Weiber zu nähren sich vor allen Landen rühmt. Sie ohne Liebesregung anzuschauen war unmöglich. G e r o n , wie er sie zum erstenmal erblickte, dacht’ in seinem Herzen: „Nun, der thäte wahrlich keinen theuren Kauff, der eine Nacht in dieses Weibes Arm zu liegen, //

mit seinem Leben kauffte!“ —

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

1—25

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Und von dem Augenblick vermied er streng sie anzusehn, wich ihren Blicken aus, sprach selten bey ihr an, und nie allein noch anders als in seines Freundes Gegenwart, in deßen treues Herz und Biederauge kein Argwohn kam. Oft zogen beyde Mondenlang und länger mit einander aus, auf Abentheur in fremden Landen, oder an die Höfe der Könige, und wo in Ritterspielen Ehre zu winnen war: und wenn nach Maloanc

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sie wiederkamen, blieb H e r r G e r o n fest bey seiner Weise, haltend ob dem Bund den er gemacht mit seinen Augen; so, daß wer ihn sah geschworen hätt’, ihm sey die schöne Frau zu Maloanc nicht mehr noch weniger als seines Freundes Weib. Zum Unglück war das Herz der schönen Frau so nicht verwahrt wie Sein’s. Auch ihr erschien beym ersten Anblick G e r o n als der Mann aus allen Männern, dem ein edles Weib

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den Sold der Minne nicht versagen könnte; und ungewahrsam ließ ihr lüstern Aug Sie schweiffen auf und ab an seiner stattlichen Gestalt, und schaut ihn an und wieder an wie schön er ist, berauscht ihr Aug und Herz an ihm, nichts böses ahnend; nennt es Freundschaft, Höflichkeit, und täuschet sich mit Namen so lange bis sie sich nicht länger täuschen kan, und nun zu heiß die Wunde brennt, sie dem zu bergen, der allein sie heilen mag. Des Weibes Liebe hat ein Falkenaug. Wie sehr sich Geron ihr verbergen will, sobald sein Auge mit dem ihrigen

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1777)

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zusammentrift, so sieht sie, oder glaubt zu sehn, es glimm’ in seinem trüben Feuer — Liebe. In dieser Hofnung laurt sie auf Gelegenheit allein mit ihm zu seyn, und wie es ihr gelingt, bekennt sie ihm ihr Liebesweh. Nun denkt euch eine Frau, in aller Glorie der Schönheit und der Jugend und der Liebe, dem Mann der für sie brennt sich in die Arme werfend, und dencket, was es ist, ihr w i d e r s t e h n ! 10

Wie wenige selbst von den Besten deß sich mögen rühmen können! — G e r o n konnts: Denn Freundschaft, Treue, Hektor, Danayn, wie Engel Gottes mit dem Flammenschwerdt, stehn zwischen ihm und seines Freundes Weib; und sie zu sehen, öfnet er auch Ihr die Augen. — „Dencke, was du bist? Was ich bin? Was wir würden, wär’ ich klein genug den Augenblick von Schwachheit zu mißbrauchen der meines Freundes Ehr’ und dich, sein Weib,

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mir anvertraut?“ — In Schaam zerglühend steht die Schuld’ge da, und G e r o n flieht. Vor Schmerz und Schaam gestorben wäre sie, wärs auch nur Einen Augenblick ihr zweifelhaft gewesen, ob er aus Verachtung sie so abgewiesen. Aber ihre Augen hatten ihr zu wohl gedient; auch trügt das Menschenherz sich selbst zu gern in solchen Fällen, um nicht mehr zu glauben als die Augen sehn.

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„Er liebt mich, denkt sie; sah ich nicht den Kampf in seiner Seele? O gewiß, sein Herz hat keine Schuld!“ — Und nun erscheint ihr G e r o n d e r A d e l i c h um seiner Treue willen nur

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

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noch herrlicher; gerechter ihre Liebe zu solchem Mann! „Wer kann ihm widerstehn?“ Sie rühmt sogar sich ihrer Schwachheit in sich selbst, und zeigt sie immer unverhohlner ihm in ihren Blicken. Geron wurde dies ein Wink, sich der gefährlichen Versucherin nicht länger auszusetzen. Und er zog hinweg von Maloanc und kam nach B r a u n e n t h a l , zu einem Ritter, dessen Burg daselbst gelegen war. Da giengen viele Tage

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mit Jagen, Lanzenbrechen, Sang und Tanz und Spiel vorüber. Aber G e r o n wurde deß bald überdrüßig — „Wäre D a n a y n doch auch da, dacht’ er; ohne meinen Freund zu leben unter diesem fremden kalten Volk, ich duld’ es länger nicht!“ — Wie viel die F r a u v o n M a l o a n c an seinem Überdruß Theil haben könnte, mocht er so genau sich selbst nicht fragen; kurz, er ließ sich wafnen, bestieg sein Roß und zog zurück nach Maloanc.

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Groß war die Freude seiner Wiederkunft bey D a n a y n d e m R o t h e n , seinem Freund; der so ihn liebte, Zwillingsbrüder könnten sich nicht besser lieben. Und wiewohl sie schon so lange Spiesgesellen waren und sich selten trennten: noch war weder Ritter noch Jungfrau in der Burg, die G e r o n s Namen zu nennen wußten, außer Danayn und seiner Dame, sondern nannten ihn d e n g u t e n R i t t e r ; andern Namen wußten die Leute in der Burg ihm nicht zu geben. Begab sich nun, daß während G e r o n sich zu Maloanc enthielt, ein Schildknapp kam,

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und gieng zu D a n a y n , und meldet ihm: in sieben Tagen vor d e r z w o e n S c h w e s t e r n B u r g ein groß Turnier gehalten werden sollt. So helf mir Gott, spricht D a n a y n , als ich dabey bin, wenn ich anders kommen kan! Und stracks gieng D a n a y n d e r R o t h e seinen Freund zu suchen; und sie wurden eins, zusammen hin zu reiten nach der z w o e n S c h w e s t e r n B u r g , doch unbekannt und nur in schlechten Waffen. 10

Und das Gerücht davon gieng in der Burg, und kam bald vor die F r a u v o n M a l o a n c . Und wie die Dame das vernahm, gefiel ihrs sehr. Denn weil d e r S c h w e s t e r n B u r g nur eines halben Tages Weg von Maloanc entfernt lag, hofte Sie, Herr Danayn der Rothe würde (wie es Sitte war in solchem Fall) sie zum Turniere führen. Denn in denselben Tagen war an Schönheit wohl kein Weib in allen Landen wie die F r a u

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z u M a l o a n c — „Und G e r o n (dachte Sie) wird mit uns ziehn, und mir die Freude werden, zu sehen, wie er unter allen Königen und Rittern aus der ganzen Welt der Wackerste und Schönste ist.“ — Denn immer hieng ihr Herz an G e r o n noch, wiewohl er ihre Liebe so zurückgewiesen. G e r o n war und blieb der Einz’ge Mann in ihren Augen. Ihn allein, Ihn lieben nur allein kann Sie; mag Tag und Nacht an Nichts als seine Schönheit und sein adelich

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Gemüth und seine Tapferkeit und treuen Sinn gedenken; wollte lieber seine Dame seyn als Frau der ganzen Welt; gelobt sich heilig, nie ihr Herz von ihm zu wenden; sollte sie

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

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ihr Leben für ihn lassen, wollt’ es gern zu Lieb ihm thun, sich’s noch zur hohen Ehre schätzen. So war der F r a u v o n M a l o a n c zu Muth als nach der Burg zu gehen sie beschloß. Denselben Abend noch sprach sie mit ihrem Mann davon; der lächelt deß, und gab ihr zum Bescheid: Frau, weil ihr’s wollt, so bin ich’s wohl zufrieden; ich will zur Schwesternburg mit solchem Staat euch führen lassen, wie für eine Frau von eurem Stand und Wesen ziemlich ist;

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will Jungfraun viel euch zur Gesellschaft geben und Ritter, die euch sicher hin und her geleiten sollen; nur ich selber kann es nicht für diesmal; denn wir beyde, ich und Geron, nur in schlechten Waffen zum Turnier zu kommen und unerkannt zu bleiben willens sind. Als nun die Zeit herankam, machten sich die beyden Ritter, jeder nur mit einem Knappen, der Schild und Schwerdt ihm nachtrug, auf die Fahrt, und kamen, durch viel Nebenwege, unerkannt

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zur Schwesternburg: indeß die F r a u z u M a l o a n c in großem Staat von sechsundzwanzig Ritter geleitet, den geraden Heerweg zog. Und nahe bey der Burg begegnete den beyden Freunden auf dem Plan H e r r F l a u n z , ein junger Schalk und Praler, der in Ritterschaft kein kleiner Wicht zu seyn sich dünken ließ, und gerne necken und hochmuthen thät zur Zeit und Unzeit männiglich, der ihm in Wurf kam und es von ihm leiden mocht. Wie der die beyden Ritter so daher gelassen traben sah, in schwarzen Waffen, schwarz

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die Schild und Speer’, und ihren ganzen Aufzug schlecht und scheinlos, sprengt er auf sie zu, und fodert sie heraus, gleich auf der Stelle einen Speer mit ihm zu brechen. Und die Ritter wehrten deß gar höflich sich, als solche, die auf Morgen sich sparen wollten; aber all’ umsonst: je ehrlicher sie sprachen, desto gröber ward Herr Flaunz der Schalk; und da sie, ohne sein zu achten, ihres Weges zogen, spottet’ er 10

zu einem Ritter von der Tafelrunde, der zur Seite stand, der beyden schwarzen Knechte, und sprach so laut, daß sie es hören mochten. Darob entbrannte Danayn in Zorn und sprach zu Geron: Bruder hörst du da die Ritter, die vermeynen ungestraft uns hochzumuthen, was bedünckt dich? — „Machs wie ich, verjäht Herr G e r o n , laß sie klaffen. Ihr Geschwäz macht uns nicht schlechter und nicht beßer. Uns zu höhnen muthet’s ihnen heut; mag seyn

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es reut sie morgen, halten dann sich selbst für Gecken drum, und wollten gern ihr Maul gehalten haben. Ihrer lauffen viel herum im L a n d e L o g r e s , die sich groß damit bedüncken, strenge Späßlinge zu seyn, und alles kurz und klein herauszugayfern was ihnen in die Zähne schießt. Ich, meines Orts, nehm keine Kundschaft dessen was sie sagen, und wenn sie reden, ist mir’s eben als sie sagten nichts.“ — „Bey Gott, Herr Bruder, du hast Recht,

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erwiedert D a n a y n ; von Stund an mögen sie was ihnen lüstet gackeln, bis sie’s müde sind, sey eine Memme, der sich dessen kümmert!“ H e r r I r w i n , einer von den Adelichsten Rittern der Tafelrunde, hörte mit Verdries die Reden

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

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des jungen Knechts, der also ohne Sach die unbekannten Ritter gäckte; und er straft ihn deß mit harten Worten. Aber F l a u n z d e r S c h a l k , zu zeigen, daß er Niemand fürchte, fieng von neuem an. Deß hätt’ er wenig Frucht: denn beyde Ritter zogen ihre Straße, sein nicht achtend; dachten, Morgen wird sich’s zeigen. Und wie das Herz es ihnen vorgesagt, ergiengs am Tag des Turneys. D a n a y n und G e r o n warfen alle Ritter aus dem Sattel,

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und keiner war, der ihnen wehren mocht den Dank davonzutragen. — Und es war des Fragens viel von einem Mund zum andern, wer die Ritter wären: aber niemand kannte sie denn nur allein die F r a u z u M a l o a n c , die ihres Herzens Lust an G e r o n sah und seinen Thaten. Denn wiewohl er nur in schlechten Waffen aufzog, dennoch war der Andern keiner ihm an Anstand gleich; und sah sie ihn, den schwarzen Schild am Hals,

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das blanke Schwerdt gezückt in seiner Faust, im Trupp der Ritter, die in hellen Farben und Goldgestickten Wappenröcken flimmerten, bey ihr vorüberziehn; dann dünket ihr, sie sehe niemand auf dem Plan als ihn. Der schönen Frau’n und Jungfrau’n waren viel die zu der Schwestern Burg auf diesen Tag gekommen waren, um zu sehen und gesehn zu werden. Aber alle stunden um die F r a u z u M a l o a n c wie Wiesenblumen um den vollen aufgeblühten Rosenbusch. Und allen Rittern die so schön sie sahn schlug hoch das Herz; doch höher keinem als

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H e r r n L a c des K ö n i g s M e l i a d u s Freund, der wie durch einem Zauberspruch gebunden, sein Gesicht nicht von ihr wenden konnt, und stand und sah als wär sein ganzer Leib zum Auge worden. Der ist gefangen, sprach der König zu sich selbst: und zu erforschen wie ihm wäre, hub er an von ihrem Staat und ihrem fürstlichen Geschmeid’ und von den sechsundzwanzig Rittern die zum Geleit ihr dienten. Und H e r r L a c erwiedert ihm, die sechsundzwanzig Ritter,

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so mannhaft als sie wesen möchten, wären nur ein schwacher Schirm für so ein schönes Weib. „So helf mir Gott, H e r r K ö n i g M e l i a d u s , wo diese Frau in einem Walde mir begegnete, und hätte zum Geleit nur diese sechs und zwanzig, als ich mir getraute, Sie von ihnen zu gewinnen!“ Herr Danayn, den Spielen zuzusehn erpicht, vernahm von dieser Rede nichts. Allein von ungefehr stand G e r o n nah genug

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um Wort für Wort zu hören was H e r r L a c zum König sprach. Und ob sein Herz ihm schon entbrannte, daß ein Mann so sprechen sollt von seines Freundes Weib; noch däucht es ihm, der Ritter, deßen Seele solcher That sich werthen dürfte, müßte wohl von Noth der Besten einer seyn. Und G e r o n trat zu ihm, und redet ihn mit höflichen Gebehrden an, ihm zu erkennen gebend, daß er alles wohl verstanden was H e r r L a c

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zum Könige gesprochen. Ich bekenne mich dazu, verjähte L a c , und dessen mich zu unterstehen, sollte mich nicht hindern, wenn //

Ihr selbst der Sechs und zwanzig Einer wärt.

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

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Wenn dies ist, sagte G e r o n , und Ihr traut euch zu bloß einer Frau zu Lieb mit Sechs und zwanzig Rittern es aufzunehmen; sollt Euch wohl, den Danck des Turneys zu gewinnen über uns ein leichtes seyn? Das ist ein Wort, sprach L a c , ich bin dabey. Und K ö n i g M e l i a d u s und D a n a y n , der auch dazu kam, nahmen Theil an ihrer Wette, und sie wurden Eins dreymal zu rennen, G e r o n gegen L a c ,

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und K ö n i g M e l i a d u s gegen D a n a y n . Zum erstenmale rennten D a n a y n und G e r o n jeder seinen Gegner nieder; beym zweyten Rennen drehte sich das Glück, die beyden Freunde wurden aus dem Sattel geworfen: doch im dritten trugen sie mit hohem Lob des Turneys Danck davon. Und als die Nacht hereinbrach, kam in Hast zu D a n a y n ein Schildknapp, meldend: daß die Mörder seines Neffen, die er überall

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aufsuchen ließ, sich wenig Stunden weit von dannen sehen laßen. Alsbald machte sich der Ritter auf, sie zu verfolgen. Und er sprach zu G e r o n : Bruder, ein Geschäfte ruft mich ab das keinen Aufschub leidet; ziehe du nach Maloanc zurück, und bis ich wieder komme warte mein daselbst. Das ließ er auch der F r a u z u M a l o a n c entbieten; und so kehrte sie mit ihrem Zug des Morgens drauf nach ihrer Burg zurück. H e r r G e r o n hatte nicht des Worts vergessen das L a c gesprochen; und, sobald die Frau

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zu Maloanc der zwoen Schwestern Burg verlassen, folgt er ihrem Zug von ferne nach. Allein H e r r L a c , der schönen Beute nicht zu fehlen, hatte früh sich aufgemacht, und tief in einem Holz, wodurch sie ziehen mußte, sich in Hinterhalt gelegt; und als der Zug herankam, fiel er über die sechsundzwanzig Ritter, wie ein Blitz aus hellem Himmel, trieb sie in die Flucht, 10

und nahm die Frau und ritt mit ihr davon. H e r r G e r o n hatte durch ein Abentheuer von Ungeschicht den Weg verlohren, den die Dame zog. Und wie er, ihre Spur zu suchen, wieder seitwärts lenkte, ließ sein gutes Glück ihn auf den Räuber stoßen, der wohlgemuth einher mit seiner Beute trabte. Was G e r o n that, versteht sich. Solch ein Dank war eines Kampfs um Tod und Leben werth. Und ängstlich ringend ihre schönen Arme, that

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die Frau zu allen Heiligen im Himmelreich Gelübde, mehr für ihren Freund als sich. Doch bald entriß der Tapfre sie der Furcht des Ausgangs; denn mit Löwengrimm umschlang er seinen Gegner, warf zu Boden ihn, und zwang ihn von der Milde der Frau zu Maloanc sein Leben anzunehmen. Wie groß die Freude war der schönen Frau als sie befreyt sich sah, und durch die Hand des Mannes, den sie über Alles liebt!

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Wie groß des Ritters Freude, seine Dame ersiegt zu haben, und bestraft den Trutz des Nebenbulers! — Beyde sehn einander an, und bleiben sprachlos; ihre ganze Seele ist

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

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in ihren Augen — Alles um sie her ist Wald, und still und einsam; Sie und Er die einz’gen in der Welt — Welch Augenblick des Freundes zu vergessen? — Aber G e r o n kam bald wieder zu sich selber, trat zurück und sprach zur Frauen: Dame, ledig seyd ihr nun des Ritters, möget nun nach Maloanc in Frieden ziehn, nach euerm eignen Willen. Ihm giebt die Frau zur Antwort: Edler Herr, daß ich befreyt bin, deß sey Gott gedankt

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und euerm Arm; denn ich gehöhnt auf ewig geblieben wär und aller Ehren baar, hätt’ euer Muth die Schmach mir nicht vergaumt. Allein, was nun beginnen? Meine Reisigen und Knappen sind entflohn, desselbengleichen auch meine Jungfraun alle; Todesfurcht ergriff sie, und sie flohn, und haben mich allein gelassen. Spricht zu ihr der Ritter: Dame, seyd unbekümmert. Eure Leute können nicht so ferren seyn; sie werden wieder sich

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zu euch versammeln. Reiten wir indeß in diesem Pfade fort, der ohne Fehl uns wieder in den Heerweg bringen wird. Und mit dem Worte ritten sie von dannen. Als nun d i e s c h ö n e F r a u z u M a l o a n c , all ihres Schreckens quitt, sich so allein mit ihrem Ritter sah, der über Alles lieb ihr war, und dacht’ an seine Mannheit, und wie er im Turney Allen es zuvorgethan, und wie so adelich und schön und hold er war in allen Dingen über alle Männer, die ihr jemals vorgekommen: da bewegte sich ihr Herz so stark in ihr, sie wußte nicht

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wie ihr geschah, und was sie sagen oder wie sie schweigen sollte. — Noth ist ihr zu reden; aber Furcht, noch einmal abgewiesen zu werden, schreckt sie. Liebe setzt ihr zu ihm frey zu offenbaren, was ihr Herz gelüstet: aber Schaam hält ihren Mund, sobald sie reden will. Auf einer Seite spricht Liebe: „Dame, redet ohne Scheu, er weiset euch gewiß nicht wieder ab. 10

Ihr seyd so wohlgethan von Leib und Angesicht, der wäre nicht des Ritternamens werth, der eine Frau wie ihr zum drittenmal abweisen könnte; wagets nur getrost!“ Und Schaam spricht auf der andern: „Dame, hütet euch zu reden! Geron liebet Danayn so stät und treu, er würd’ um Alles in der Welt an ihm nicht fehlen. Rechnet sicher drauf, Ihr werdet abgewiesen.“ — So verstummte dann die Dame zwischen beyden, und sie ritten

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noch eine gute Weile beyde schweigend fort. Indessen hatt’ auf seiner Seite G e r o n in seinem Herzen keinen leichtern Kampf zu kämpfen. Denn als oft er auf die schöne Frau die Augen warf, war ihm so weh nach ihr, und dachte: sollt’ er nur Ein einzigs volles mal sein Herz an ihres drücken, seine Seele gäb’ er drum! — Zu kämpfen länger däucht ihn weder möglich noch ehrlich gegen ein so schönes Weib, das ihm so hold ist. Alles schicket sich

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zu ihrer beyder Wünschen. Zeit und Ort, so still, so einsam — werden nimmermehr so wiederkommen! — „Aber — deines Freundes Weib! des Waffenbruders, der dich höher liebt, als seiner Augen eines! Das verhüte Gott,

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

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daß so ein wackrer Ritter durch den Mann geschändet werde, gegen dessen Treu er sich den kleinsten Zweifel nie verzeyhen würde! Wie wolltest du in deinem Leben wieder ihm in die Augen schauen? welchem andern, der auf Ehre hält? und wie dich selbst ertragen, nach solcher That? —“ In diesen wechselnden Gedanken ritt’ er schweigend hinter seiner Dame her, doch konnt’ er sich nicht wehren, dann und wann

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sie anzusehen, und je öfter er sie ansah’, desto schöner däucht sie ihm. Zwey oder dreymal war ihm’s auf der Zung’ es ihr zu sagen, wenn die Schaam ihm nicht den Mund verschlossen hätte. Endlich hub d i e F r a u z u M a l o a n c (Der Noth war ihrem Herzen Luft zu schaffen) an, und sprach zu G e r o n : lieber Herr, so gebe Gott euch gutes Abentheuer; sagt mir, was ist in aller Welt das Ding

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das einen Ritter, Kühnheit zu beweisen und hohen Muth, am stärksten treiben kann? Erwiedert G e r o n : „Dame, zweifelt nicht, es ist die Minne. Rechte Minne hat so hohe wundersame Kraft, sie könnte wohl aus einem feigen Menschen einen waglichen beherzten Ritter machen.“ Gott behüte mich! versezt d i e D a m e : wenn dem also ist, welch ein gewaltig Wesen dann von Noth die Minne wäre!

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„ D a m e , (widert ihr H e r r G e r o n ) wahrlich, dem ist also wie ihr sagt. Und wisset, nie und nimmermehr in meinem Leben wär ich das gewesen was diesen Tag H e r r L a c erfahren, hätte mich die Minne nicht gestärkt; noch, glaubt mir, hätte der, obschon der besten Ritter einer, nimmermehr hätt’ er die sechsundzwanzig Reisigen von Maloanc zur Flucht gebracht, wo nicht 10

die Minne, die zu Euch er trug, ihm Kraft zu solcher That gegeben.“ Wie? (versezt d i e s c h ö n e F r a u ) aus euern Reden scheints Ihr selber liebt von rechter Minne. „Dame, ganz gewiß sagt ihr die Wahrheit, war des Ritters Antwort: und zwar mit solcher Minne, wie ich glaube, daß kein andrer Ritter baß als ich geminnen möge. Auch acht ich deßen mich für hochbeglückt,

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als ich mich kühnlich rühmen mag, daß an die schönste Frau die in der Welt ist ich mein Herz gesezt; und drum allein vermag ich Dinge, die ich andrer Weise nie bestehen könnte. Denn das glaubt mir, Dame, wär’s nicht in dieser übergroßen Minnekraft, ich hätt’ in diesem Turney nicht gethan was Ihr gesehen habt; und hab ich Lob und Danck damit verdient, so bin ichs lediglich der Lieb und meiner Dame schuldig; ihnen ganz

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allein gebührt der Danck.“ Die e d l e F r a u v o n M a l o a n c , wie ihren Ritter Sie

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

422—478

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so reden hört, erfreut sich ohne Maas. Denn wohl sagt ihr das Herz: wenn Geron liebt, so liebt er dich und keine Andre in der Welt. Und wie er aufgehört zu reden, nahm sie wieder das Wort und sprach: Mein Herr, so gebe Gott euch gutes Abentheuer! sagt mir ohne Scherz, wer ist die Dame, die so lieb euch ist und über alle andre Frauen in der Welt euch schön zu seyn bedünkt? „So helf mir Gott,

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versetzt er, als die Schönste aller Frauen in der Welt, kein’ andre ist als ihr; und wohl versichert müßt ihr dessen selbst in euerm Herzen seyn. Ja, liebe Frau, Ihr seyd es, die ich minne, so, wie baß kein Ritter seine Dame minnen mag.“ „Herr (spricht zu ihm die Frau) was soll ich denken von euren Reden? Sicher ist’s nicht euer Ernst; ich seh’, ihr harret meiner Antwort nur, um meiner dann zu spotten. Denn es ist

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so lange nicht, und ich erinnre mich’s sehr wohl, wie ich das Alles, was ihr mir da sagtet, E u c h gesagt, und wie ihr härtiglich mich abgewiesen. Jetzo wollt ihr mich bereden, ihr liebtet mich so mächtig. Guter Herr, was wollt ihr, daß ich glaube?“ „Liebste Frau, ( erwiedert G e r o n ) pflegt, um Gotteswillen, nicht solcher Reden mehr. Daß damals ich bethört und blind war, laßt mich dessen jezund nicht entgelten. Nehmet mich zu euerm Ritter an, und seyd versichert, Herzens-Königin,

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daß keine Liebe in der Welt aufrichtiger als meine ist.“ Die F r a u v o n M a l o a n c hat solche Freude ihren Ritter also reden zu hören, daß ihr ist, sie hör’ ihn immer noch, auch da er wieder schweigt. Sie zweifelt nun nicht mehr an seiner Lieb, und weidet sich daran so inniglich — ihr ist, sie athme, schwimme in lauter Liebe; ist so voll von ihm 10

und ihrem Glück, und kann doch nichts zu Worten bringen, horchet nur und schweigt, als ob sie fürchte, sie verliehre was davon durch reden. Wie sie eine Weile nun so fortgeritten, zeigte sich ein kleiner Pfad, der mitten durch den Wald geradenwegs zu einem Brunnen führte. G e r o n lenkt dahin, und spricht zu seiner Lieben: Dame, Müdigkeit vom Turney und der Arbeit dieses Morgens

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befällt mich; hieltet Ihrs genehm, so möcht’ ich wohl ein wenig Ruhens pflegen an dem Brunnen dort, der vor uns liegt. „Mein Herr (versetzt die Frau erröthend) thut nach euerm Willen.“ Und er nahm den Weg zum Brunnen, und die Dame ritt ihm schweigend nach. Und als sie nun dahin gekommen waren, stieg H e r r G e r o n ab, und band sein Roß an einen Baum, gieng dann der Frau von Maloanc herabzuhelfen.

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Ein frischer Rasen, lustig überschattet von Bäumen, war daselbst, umschlossen rund mit Büschen, still und lieb und heimlich, wie sie sich

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

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zum Ruhen einen Platz nur wünschen mochten. Hier setzt er seine Dame, wie er sie vom Pferd herab in seinen Arm empfangen, im Schatten hin; beginnt dann Stück vor Stück sich zu entwafnen, nimmt das Helmlin ab, und schnallt den Harnisch von den Schultern und den schwarzen Schild, und legt es alles auf den Brunnen hin; und oben drauf sein gutes Schwerdt, das einst der unbescholtne Ritter H e c t o r B r a u n geführt und sterbend ihm zum Erb verlassen,

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und das, um seines ersten Herren willen, ihm so lieb war, daß er nicht das beste Schloß des König Uters drum genommen hätte. Allein in diesem Augenblick der Trunkenheit itzt dacht’ er wenig an sein Schwerdt, und an die Ritterspflicht, wozu es den verband, der nach dem wackern Hector es zu führen sich vermaß. Verlassen hatten ihn zum erstenmal in seinem Leben Ehr und Biedertreu, und heisser Hunger nach der süßen Frucht

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der Minne jedes edlere Gefühl in seiner Brust verdrungen. Geron ist nicht Geron mehr, hat seines Danayns vergessen, seiner selbst vergessen, eilt mit Ungeduld sich vollends zu entwafnen; während daß die s c h ö n e F r a u , in süßer Schaam, die Augen gesenkt auf ihren Schoos, verstummt und kaum zu athmen sich getraut. Und siehe da, Wie G e r o n eben ihr sich nähern wollt, begab sichs, daß vom Rand des Brunnens, wo er seine Waffen auf einander hingelegt, sein gutes Schwerdt herab ins Wasser fiel. Und wie ers platschen hört, verläßt er stracks

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die schöne Frau, und läuft sein liebes Schwerdt zu retten, ziehts heraus, und trocknets ab, wischt’s fleißig wieder blanck; und als ers um und um betrachtet, ob es unbeschädigt ist, fällt ihm die goldne Aufschrift ins Gesicht, die H e k t o r in die Klinge graben lassen. Er bebt und ließt: Ve r m e ß s i c h k e i n e r u n t u g e n d l i c h dies Schwerdtes anzumuthen sich ! Tr e u g e h t ü b e r A l l e s ,

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Untreu schändet Alles, Hohn dem Mann der seinen Schalk verbergen will in Löwenbalg. Und G e r o n ließt, und ließt es wieder und zum drittenmal, als ob er nie zuvor die Worte gesehen, und auf einmal ists, es fall’ ein Zauber von ihm ab. Er steht, das gute Schwerdt in seiner Hand, und sinckt tief in sich selbst. „Wo bin ich? — Gott im Himmel! welche That zu thun, kam ich hieher?“ — Die Kniee erschlaffen ihm

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von dem Gedancken. Und, sein Schwerdt noch immer in der Hand, sezt auf den Brunnen er sich hin, der Frau den Rücken kehrend, kummervoll, und sinckt aus einem traurigen Gedancken in den andern. Und wie die Dame, die noch kaum zuvor ihn froh und wacker sah, so plötzlich ihn in solche wunderbare Schwehrmuth fallen sieht, erschrickt sie deß, und weiß nicht was davon sie dencken soll. Und um zu sehen, was ihm ist, geht Sie mit leisen Schritten furchtsam hin

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und spricht zu ihm: Mein Herr, was sinnet ihr?

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

538—601

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Und G e r o n , ohne ihr zu achten, blickt mit starren Augen auf sein Schwerdt, und giebt ihr keine Antwort. Lange harret deren die holde Frau, und da er keine giebt, tritt sie noch näher hin und wiederhohlt mit sanfter Stimme: Lieber Herr, was sinnet ihr? Und tieferseufzend: Was ich sinne? (spricht der Ritter:) So erbarme Gott sich meiner Seele, Frau, als ich nach solcher Untreu, die an meinem Freund

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und Bruder D a n a y n d e m R o t h e n ich begangen, länger nicht zu leben würdig bin! Und als er dies gesagt, begann sein Schwerdt er wieder anzuschaun und sprach mit tieffem Schmerz: Du gutes Schwerdt, in wessen Hand bist du gefallen! Wie so gar ein andrer Mann war der, der ehmals dich geführt! Verrath noch Untreu kam sein Lebenlang nicht in sein Herz — Vergieb mir! — Führen darf ich dich nicht länger, aber rächen will ich dich

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und Ihn — der beßers von mir hofte, da er dich mir anvertraut! Und mit dem Worte zückt’ er seinen Arm, und eh’s die Frau, vor Schrecken starr, verhindern mocht, durchstieß er mit dem Schwerdt sich durch und durch, zog’s mit Gewalt dann wieder heraus, und hätte sich noch einen Stoß gegeben, wär ihm die schöne Frau von Maloanc mit aller Stärcke der Verzweiflung und der Liebe nicht in den Arm gefallen. Guter Ritter, um Gottes willen, schonet euer selbst, (rief sie ihm weinend zu) ermordet nicht

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so grausamlich euch selbst und mich in Euch — um Nichts! — O, rief er, Dame, laßt mir meinen Willen. Ich verdiene nicht zu leben, und so will ich sterben, lieber als in Schande leben! Aber lauter weinend hielt die Frau mit aller ihrer Stärcke ihm den Arm. In diesem Augenblick kam D a n a y n 10

zurück von seiner Farth. Gefunden und bestraft hatt’ er die Mörder seines Neffen; beyde waren sie gefallen unter seinem Schwerdt. Nun eilet er zurück nach Maloanc zu seinem Freund; und wie, nicht fern vom Brunnen, er im Wald daherzieht, trift ein Klaggetön sein Ohr vom Brunnen her; und alsbald lencket er dahin, und Siehe! G e r o n liegt in seinem Blut, und blutig überall, in stummer Angst, die Frau von Maloanc bey ihm, allein,

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die Hände ringend. — D a n a y n , anstatt zu fragen, springt vom Roß und eilt dem Freund zu Hülfe. Aber G e r o n weigert sich sie anzunehmen, will nicht Leben, klagt sich selber an vor seinem Freund, verbirgt ihm nichts als seines Weibes Schwachheit, nimmt auf sich allein die ganze Schuld. Und wie er alles ihm bekannt hat, reicht er ihm die Hand und spricht: vergieb mir, Bruder, wenn du kannst, und laß

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mich sterben; aber hasse nicht mein Angedenken — denn die Reue kam der That zuvor. In meinem Herzen war

¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

602—662

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die Untreu, und mein Herzensblut laß aus sie löschen! Aber D a n a y n der Edle, fühlt in diesem Augenblick die Herrlichkeit der Tugend seines Freunds und seiner Biedertreue mehr als je zuvor er sie gefühlt; so klar und offenbar liegt Gerons Herz und Wesen, wie sein eignes, vor ihm da. Er fleht ihm dringentlich, sich selber zu verzeyhn,

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beschwört bey ihrer heilgen Freundschaft ihn zu leben, schwört ihm, daß er mehr als je ihn ehr’ und liebe! Überwältiget von s o l c h e r Liebe, willigt G e r o n endlich ein für seinen Freund zu leben, überläßt sich seiner Pfleg’, und wird auf einer Baare nach dem nächsten Schloß getragen, wo ein guter alter Ritter sich enthielt, ein alter Freund von Danayn. Der lebte da

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mit einer Nichte, die an Schönheit kaum der Frau zu Maloanc den Vorzug ließ, und viel verborgner Mittel kundig war, die schwersten Wunden bald und wohl zu heilen. Die edle Jungfrau liebte heimlich G e r o n d e n A d e l i c h e n , und durch ihre Kunst und Pflege wurd’ er heil in wenig Wochen von seiner Wunde. Aber tödlich war die Wunde, die das Abentheur beym Brunnen der Frau zu Maloanc geschlagen. Solchen Wechsel, so plötzlich, so gewaltsam, zu ertragen, war ihr weiches Herz zu schwach. In schwerer Angst lag sie die ganze Nacht als wie in Feuer;

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und gleich am andern Morgen brach die Wuth des Fiebers aus und wuchs mit solcher Macht, daß keine Rettung war! Sie starb am dritten Tag, und G e r o n s Name war ihr letzter Laut. * * * Hier schwieg der alte Ritter. Und mit ernstem Blick sah er die Frauen und die Ritter alle, die um die Tafel saßen, schweigend an; und allen Jungfrau’n schlichen stille Thränen 10

die glühnde Wang’ herab, und alle Ritter schlugen die Augen nieder. Und F r a u G e n i e v r a die Königin, die, während er erzählte, bald todtblaß worden war, bald feuerroth, rief, ihre Unruh zu verbergen, seufzend aus: „’S ist eine traurige Geschichte!“ — Und wie giengs nun euerm Geron weiter? — fragte L a n z e l o t . Nach d e r Geschichte, spricht der alte B r a n o r , hab ich nichts mehr zu erzählen. — Und d e r K ö n i g A r t u s

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stund von der Tafel auf, und alle stunden auf, und A r t u s sprach zu B r a n o r n : Ritter, ein Gemach ist euch bereitet in der Burg, für diese Nacht und alle Tage, die ihr bey uns bleiben wollt. Herr König, gab der alte Mann zur Antwort, so gebe Gott Euch Ruhm und guten Muth, als ich gelobet hab’, an keinem Hof in meinem Leben über Nacht zu bleiben. Die Ritter sahn einander schweigend an — und Branor neigte vor dem König sich

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und vor der Königin, nahm seine Waffen, bestieg sein Roß, und ritt bey Sternenlicht in seinen Wald zurück. W. ¼Fortsetzung½ G e r o n , d e r A d e l i c h

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Einige Erläuterungen zu besserm Verständnis des vorstehenden Gedichts. Die Geschichte, die den Inhalt dieser Erzählung ausmacht, ist aus einem alten französischen Ritterbuch, Le Roman de Gyron le Courtois genannt, genommen. Ich kenne dies Ritterbuch nur durch den Auszug, den die Bibliotheque Universelle des Romans im 1sten Theile vom O c t o b e r 1776 davon liefert: dieser Auszug aber ist so vollständig, daß er den Mangel des Ganzen hinlänglich ersetzt, zumal das Interessanteste immer in der Sprache und mit den eignen Worten des Romanciers erzählt wird. Außer der Begebenheit des Ritters G y r o n (den ich G e r o n nenne) mit der D a m e v o n M a l o a n c , seines

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Freundes Weib, enthält jener Roman noch viel andre Abentheuer und Thaten dieses Ritters und Andrer. Das Ganze macht, nach meinem Gefühl, eines der schätzbarsten Überbleibsel aus den fabelhaften Zeiten der Ritterschaft. Der bekannte toscanische Dichter L u d w i g A l e m a n n i hat ein großes heroisches Gedicht, in Stanzen und 24 Gesängen, Girone il Cortese genannt, daraus verfertigt, wovon ich vielleicht künftig nähere Nachricht werde geben können. Die Geschichte zwischen Geron und der Dame zu Maloanc, wo d a s g u t e S c h w e r d t H e k t o r s d e s B r a u n e n auf eine so herrliche Art den Ausschlag giebt, machte eine Würkung auf mich, die ich so vielen andern als immer möglich mitzutheilen wünschte. Von der Art, w i e ich dies zu bewerkstelligen

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gesucht, w a r u m ich’s s o und nicht anders gemacht, und besonders, warum ich (seiner ziemlich auffallenden Unbequemlichkeiten ungeachtet) den Weg, diese Geschichte durch den alten B r a n o r an K . A r t u s Ta f e l erzählen zu lassen, erwählt — den Lesern Rechenschaft zu geben, würde zu nichts helfen. Nur dies sey mir erlaubt davon zu sagen: diese Geschichte war zu heilig in meinen Augen, um sie v e r s c h ö n e r n zu wollen; und das einzige, was ich bedaure, ist, daß ich sie nicht noch einfältiger, noch gothischer und holzschnittmäßiger, habe vortragen können, als geschehen ist. Es mag wohl seyn, daß sie in einer minder altfränkischen Gestalt vielen modernen Lesern und Leserinnen besser gefallen würde. Auch steht nun jedem frey, damit zu machen, was er kann und will; ich, meines Orts, mußte m e i n e m Gefühl folgen.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1777)

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Eine Sprache, die der Täuschung, als ob man den alten Branor selbst reden höre, so wenig als möglich hinderlich wäre, war zu meinem Zweck eben so nothwendig, als eine Apologie deßwegen in unsern Tagen überflüßig seyn würde. Aber dafür glaube ich dem größern Theil der Leser einige kurze Erläuterungen über die in dieser Erzählung vorkommende v e r a l t e t e W ö r t e r und R e d e n s a r t e n schuldig zu seyn, die entweder ganz außer Gebrauch gekommen sind, oder wenigstens ihre alte Bedeutung verlohren haben. Ich füge sie hier, in alphabetischer Ordnung, bey, weil ich die Erzählung selbst nicht durch Noten unter den Text unterbrechen wollte. Um denen, die mit der Ge10

schichte der alten Ritterzeit — zumal der fabelhaften (die vermuthlich, aus alten Sagen und verlohrengegangnen Heldengesängen, sich in viel spätern Zeiten zu einer Art von heroischer Mythologie gebildet hat) wenig bekannt sind, behülflich zu seyn, sind auch einige h i s t o r i s c h e Noten eingeschaltet worden. * * * A d e l i c h — G e r o n , d e r A d e l i c h . — Ich gebrauche dieses Wort als ein Äquivalent für das Altfranzösische Courtois. In unsern Zeiten wird e d e l mehr gebraucht, den Adel d e s G e m ü t h s und d e r S i t t e n , a d e l i c h hingegen mehr den Adel d e r G e b u r t , zu bezeichnen. Bey unsern Alten war’s

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just umgekehrt; Sie sagten: edel von Geburt, und adelich von Sitten. In der alten Übersetzung des Amadis de Gaule wird adelich häuffig gebraucht, wo im Original Courtois steht. Ich habe also a d e l i c h in dieser alten Bedeutung dem Worte h ö f l i c h vorgezogen, welches zwar ursprünglich mit Courtois einerley ist, aber durch die Länge der Zeit zuviel verlohren hat, als daß es, ohne einen ganz falschen Begriff zu erwecken, für Courtois gesetzt werden konnte. Der Ritter, der wie Geron Vorzugsweise der Adeliche heißt, ist in seiner Art das, was die Sokratiker im Sinn ihres Meisters Kalow kai agauow nannten; ein Mann, der alle Vorzüge und Tugenden des Leibes und Gemüths in sich vereiniget. Ist also klar, daß die Absicht keinesweges war, dem Adelstand

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unsrer Zeit durch den Gebrauch dieses Worts ein schaales Compliment zu machen. Au contraire &c. A r t u s , König in Brittanien, wird von den alten Chronikern ins fünfte Jahrhundert nach Christi Geburt gesetzt. Der Theil von England, über den er

Einige Erläuterungen

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herrschte, heißt in den Romanen der Tafelrunde das Land oder Reich L o g r e s . Seine Geschichte ist der Hauptinhalt des alten französischen Romans: du Roi Artus et des Compagnons de la Table Ronde ( P a r i s 1488. Vol. III. Fol.) Der fruchtbare Englische Dichter, Sir Richard B l a c k m o r e , hat diesen K. Artus zum Helden eines großen Epischen Gedichts gemacht, das nicht ohne Werth ist, wiewohl der grämliche P o p e den guten Blackmore in seiner Dunciad garstig figuriren läßt. B a a r , soviel als nackt, entblößt, ausgezogen: A l l e r E h r e n b a a r , war eine sehr gewöhnliche Redensart, und wird durch unser b e r a u b t nicht völlig ersetzt.

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D a n k war das eigentliche Wort für den Preiß, der dem Sieger in einem Turnier zuerkannt wurde. Man sagte nie Preiß des Turniers, sondern Dank — e r hat den Dank gewonnen. E h r l i c h — j e e h r l i c h e r s i e s p r a c h e n , d e s t o g r ö b e r etc. ist in der alten Bedeutung, worinn es hier genommen wird, mit dem französischen Wort honneˆte in den Redensarten, des Manieres honneˆtes, une reponse honneˆte u. a. völlig gleichbedeutend, und also mit höflich beynahe einerley. Gleichwohl ist zwischen diesen beyden Synonymen noch ein feiner Unterschied. H ö f l i c h s p r e c h e n kann auch ein Schalk: e h r l i c h s p r e c h e n ist Höflichkeit eines Bidermanns. In diesem Sinn find ich das Wort ehrlich im Alten Amadis und andern Werken dieser Art vom XV. und XVI. Jahrh. immer gebraucht. F r o m m e n — für eintragen, nutzen. E r f r o m m t d i r i n e i’ m J a h r e wol hundert tusend Marck. Heldenbuch.

F r u c h t — d e ß h ä t t e r w e n i g F r u c h t , ist die gewöhnliche alte Redensart für: er hatte wenig Vortheil davon. Uberhaupt sind die Constructionen mit dem Genitivus in der altteutschen Sprache die gewöhnlichsten, und soll-

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ten, wegen ihrer Bequemlichkeit für die Poesie, billig wieder hergestellt werden. G e n i e v r a , Gemahlin des Königs Artus, und Tochter des Königs L a o d a g a n t v o n C a r m e l i d e . Ihre Liebeshändel mit L a n z e l o t v o m S e e ( Lancelot du Lac, Sohn des Königs B a n v o n B e n o i t ) einem der berühmtesten Ritter der Tafelrunde, machen den interessantesten Theil des besondern Romans aus, der seinen Namen führt, und von welchem die Bibliotheque Universelle des Romans aus einer kostbaren alten Handschrift einen weitläuftigen Auszug giebt. Diese Liebeshändel waren eine lange Zeit jedermann 10

bekannt, den König Artus, den sie am nächsten angiengen, ausgenommen. Als er aber endlich die Untreue seiner Gemalin und dieses Lanzelots, den er immer für seinen besten Freund und treusten Ritter gehalten hatte, erkundigte, verursachte dies böse Händel, die endlich in einen großen Krieg ausbrachen, worinn beynah alle Ritter der Tafelrunde und König Artus selbst um’s Leben kamen. Die schöne Genievra gieng in ein Kloster, um Buße zu thun; und Lanzelot, mit seinem Bruder H e c t o r d e M a r e s , wurden Einsidler. Diese kurze Nachricht von Lanzelot und Genievra ist genug, um das gehörige Licht auf die Erzählung des alten Branors überhaupt, und auf einige besondre Stellen des Gedichten, zu werfen.

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H o c h m u t h e n , e i n e n h o c h m u t h e n , ein treffliches Wort, das wieder Cours zu bekommen verdient, wie es ehmals gewöhnlich war. Sein Sinn bedarf keiner Erklärung. Jedermann sieht, daß die Redensarten, deren wir uns bisher als mit dieser gleichgeltend bedient haben, z. Ex. einem hochmüthig begegnen, einem trutzen, u. dergl. das Wort hochmuthen keineswegs ersetzen. J u n g f r a u — in der alten Bedeutung, worinn es in diesem Gedichte gebraucht wird, ist mit unserm heutigen F r ä u l e i n gleichgeltend. Was wir jezt Jungfrau nennen (vierge) hieß vor Alters bekanntlich M a g d , M a g e t (daher m a g e t l i c h , jungfräulich) oder M a i d . Im R o s e n g a r t e n z u Wo r m s (oder dem dritten Theil des sogenannten H e l d e n b u c h s ) heißt die Königin C r i m -

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h i l d e , K ö n i g G i b i c h s Tochter, weil sie noch unvermählt ist, immer die k ö n i g l i c h e M a g d . Daher, M a r i a die r e i n e M a g d , in unsern alten Kirchenliedern.

Einige Erläuterungen

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K n a p p e n , K n a b e n , S c h i l d k n a p p e n , K n e c h t e , ist in der Sprache unsrer alten Ritterzeiten gleichgeltend mit dem Altfranzösischen Varlet, Damoiseau und Ecuyer. Es war die Benennung der jungen Edelleute oder Söhne von Dienstmännern, die an den Höfen der Könige und Fürsten und der großen Besitzer unmittelbarer Lehen Hofdienste thaten, dabey ritterlicher Übungen pflegten, auch mit den Rittern als ihre Waffenträger auf Abentheuer zogen, und diesen Nahmen so lange behielten, bis sie sich würdig machten, selbst zu Rittern geschlagen zu werden. F l a u n z d e r S c h a l k nannte die beyden unbekannten Ritter schimpfsweise K n e c h t e , weil er sie ihres schlechten Aufzugs wegen nicht für voll ansah.

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M a n n h e i t , sagte bey unsern Alten soviel als M ä n n l i c h e Tu g e n d u n d K r a f t mit ihrem äußerlichen Glanz und Anstand: so wie We i b h e i t (Wibheit) We i b l i c h e S i n n e s a r t und S i t t e mit ihrem äußerlichen sanften Reitz. — Beydes Wörter voll Bedeutung, eh Üppigkeit und Neufranzösische Lebensart beyde Geschlechter so untereinander gemengt, und eine so wundersame wechselseitige Mittheilung der Eigenschaften unter ihnen bewürkt hat, daß daraus eine Zwitterart von Menschen entstanden, die (mit Erlaubniß zu sagen) weder als Mann noch Weib recht zu gebrauchen sind. M i n n e , für L i e b e , m i n n e n für l i e b e n , ist durch unsre alten M i n n e s ä n g e r aus dem XIIIten Jahrhundert und durch unsern G l e i m , der uns

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einige ihrer lieblichsten Lieder in einer vernehmlichern Sprache vorgesungen, bekannt genug, oder sollt’ es wenigstens seyn, wenn Gleichgültigkeit gegen Alles was unsre Nation einst w a r und t h a t , nicht ein so tief eingewurzeltes National-Laster unter uns wäre. Unsre Alten sagten auch g e m i n n e n für minnen, wie sie w i n n e n für gewinnen sagten. R e c h t e M i n n e , ist soviel als parfait amour in den Altfranzösischen Gedichten und Romanen, und wurde ehmals so gebraucht. Vo n r e c h t e r M i n n e m i n n e n , ist also in ganzem Ernste lieben, aimer de parfait amour, oder a i m e r p a r a m o u r s , wie sich die Dame de Maloanc im Gyron le Courtois ausdrückt. M e r l i n . Die Geschichte dieses Wundermannes macht den Inhalt des ältesten unter den Romanen der Tafelrunde aus. Merlin spielt darinn ungefehr die Role, die in Homers Gedichten die Götter spielen. Er ist der Erfinder und

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Urheber der Tafelrunde, und der immer (auch unsichtbarer weise) gegenwärtige Rathgeber und Beschützer des Königs A r t u s und seines Ritterordens. Alles ist an ihm wunderbar, seine Geburt, sein ganzes Leben, und sein Ende. Er war der Sohn einer tugendhaften Jungfrau und eines bösen Geistes der sich ohne ihr Wissen im Schlafe zu ihr gethan hatte. Von seinem Vater empfieng er die Gabe übernatürliche Dinge zu thun, sich in allerley Gestalten zu verwandeln, und das Künftige vorherzusehen. Von der Mutter hatte er vermuthlich die Neigung von diesen Wunderkräften einen ziemlich menschenfreundlichen Gebrauch zu machen, ohne es gleichwohl in Absicht der Sittlichkeit seiner 10

guten Dienste sehr genau zu nehmen; worinn er dann wieder seinem Vater nachartete. Merlin faßte eine besondere Neigung zu dem König Uter P a n d r a g o n , und war ihm, unter anderm, in seiner Liebesangelegenheit mit der schönen Yg e r n e , Gemahlin des Herzogs von Tintadiel so dienstlich, daß Ygerne, weil ihre Treue sonst nicht zu erschüttern war, von K. Utern, auf eben die Weise wie Alcmena von Jupitern, betrogen, und zur Mutter des nachmaligen Königs A r t u s gemacht wurde. Merlin, der diesem Artus solchergestalt zur Existenz verholfen, hielt sich verbunden, nun auch alles übrige für ihn zu thun, was ihn zum größten Könige seiner Zeit machen könnte. Er sorgte für seine Erhaltung und Erziehung, verhalf ihm zu dem fatalen Zauberschwerdt

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E s c a l i b o r und zur Brittischen Krone, leistete ihm in seinen ersten Kriegen gegen seine Vasallen, bald in Gestalt eines Bauerknechts, bald eines Hirsches mit fünf Gewichten, bald eines häßlichen Zwergs, bald eines Harfenspielers u. s. w. großen Beystand, sezte ihn in den ruhigen Besitz seines Reiches, und krönte endlich alle diese Verdienste dadurch, daß er die seit König Uters Tode verlohrne Tafelrunde nach Kramalot zauberte, und dadurch den König Artus zum zweyten Stifter eines Ordens machte, der, unter Merlins Schutze, der Vereinigungspunkt der Brittischen Helden wurde, besonders derjenigen, von denen König Artus am meisten zu besorgen gehabt hätte. Einige Zeit hernach verschwand Merlin gänzlich in Brittanien, und es blieb nichts von ihm übrig

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als seine Stimme, die sich im Walde von B r o z e l i a n d aus einer mit Weißdorn bewachsenen Grotte hören ließ, und denen, die sich der Zukunft wegen bey ihr Raths erhohlten, Antwort gab. Die Zauberin oder Fee, V i v i a n e , seine Freundin, sonst in den Romanen der Table Ronde La Dame du Lac genannt, war, wider ihren Willen, Ursache an dieser Bezauberung. Merlin hatte ihr das geheime Mittel, wodurch solche bewürkt werden könnte, in einem von den

Einige Erläuterungen

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Augenblicken, wo man nichts Geheimes für eine Freundin hat, geoffenbart. Viviane, die es unglaublich fand, und von Merlins Macht, wie es scheint, eine zu große Meynung hatte, kam auf den Einfall, es in aller Stille an ihm selbst zu probiren; aber der Zauber würkte, zu ihrem großen Leidwesen, so gut, daß er weder von Merlin selbst noch irgend einer andern Macht wieder gehoben werden konnte. So wie an der ganzen Geschichte des Königs Artus und der Tafelrunde, so ist auch an der Geschichte dieses Merlins unstreitig etwas wahres; aber was daran wahr ist von dem Fabelhaften scheiden zu wollen, möchte wohl vergebliche Mühe seyn. Die Vermuthung, daß er ein geschickter Naturund Mathematikverständiger gewesen, und dadurch zu der Meynung der spä-

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tern Zeiten von seinen Wundergaben und zu den Dichtungen der Romanschreiber des 12ten und 13ten Jahrhunderts Anlaß gegeben, mag wohl der Wahrheit am nächsten kommen. Die Prophezeyungen, womit man sich unter Merlins Nahmen trägt, und über welche ein Maleferiatus in England im Jahr 1641 einen großen Commentar in 4t. herausgegeben, sind, aller Wahrscheinlichkeit nach, untergeschoben. Doch müßen sie ziemlich alt seyn, weil schon der große Doctor Universalis (wie man ihn nannte) Alanus ab Insulis, ein Mönch von C l a i r v a u x , und ein großer Schriftsteller seiner Zeit (d. i. der andern Hälfte des 12ten Jahrhunderts) Sieben Libros Explicationum über diese Weissagungen geschrieben, welche im Jahr 1649 zu F r a n k f u r t a m

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M a y n , unter dem Titel Ambrosii Merlini Britanni Vaticinia &c. gedruckt worden sind. Die berühmte Königin C a r o l i n a hat Belieben getragen, Merlins Andenken durch Wiederherstellung seiner Grotte im Parc von Richmond, und ein Brustbild, so Sie ihm daselbst setzen lassen, zu erneuern. Die Beschreibung davon findet sich in den R a r i t i e s o f R i c h m o n d , oder exact description of the Royal Hermitage and M e r l i n’ s C a v e , with his Life and Prophecies. Vol. I —IV. L o n d o n 1736. 8. S c h w e r d t — Nun freylich ja als Wort und Schall bekannt genug: Aber welcher Commentar kan uns das G e f ü h l geben, das ein Ritter in den Zeiten Kayser Heinrich VI. ja nur noch in den guten Zeiten Kayser Maximilians, bey diesem Wort hatte? — Doch Ich erwähne dessen hier nur, um denen, die das Beywort, g u t , bey dem Worte Schwerdt, für müßig oder platt halten möchten, mit den Worten des H e l d e n b u c h s zu sagen, was in den alten Romanen und Rittergedichten (auch im A r i o s t ) unter einem g u t e n S c h w e r d t ver-

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standen wird. Z u d e m G e s c h m e i d (spricht der kleine König E l b e r i c h der Gezwerg zu Kayser O t t n i t ) geb ich Euch ein gut Schwerdt das schneidet auf das Beste ; es schrotet Gold und Stahl es ward kein Helm so feste es thät ihm Schadens Mahl. Ein solch Schwerdt hieß ein G u t S c h w e r d t , und der Ritter der’s besaß, hielt es werther als sein Leben. Die berühmtesten solcher Schwerdter hatten auch 10

ihre eigne Nahmen, wie z. E. die D u r i n d a n a des Orlando. König Artus seines hieß E s c a l i b o r . Es war ein Werk von Merlins Zauberkunst. Als die Baronen des Reichs L o g r e s nach König Uters Tode wegen seines Nachfolgers uneins waren, fand man dies Wunderschwerdt auf einem Amboß liegend, der durch Zauberey mitten unter sie versezt wurde. Derjenige der es vom Ambos wegnehmen könnte, sollte König seyn. Keiner unter allen Königen und Rittern, die es versuchten, konnt es: bis Artus kam, der es ohne die geringste Mühe aufhub und sich zueignete. Artus hielt es, wie billig, so hoch, daß sein Schildknapp G o i f l e d es, auf des Königs Befehl, nach seinem Tod in einen See werfen mußte, worinn es noch liegt; damit kein Ritter nach ihm des Schwerdtes, das

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König Artus geführt, sich anmuthen könnte. S p a r e n für s c h o n e n — We r s e i n e F e i n d e s p a r t , u n d a u c h e r z ü r n t s e i n’ F r e u n d e , der ist nicht wohl verwahrt. Heldenbuch.

Ta f e l r u n d e , La Table Ronde, eine runde Tafel, verfertigt von dem Zauberer Merlin für den Brittischen König U t e r P a n d r a g o n (Vorfahrer und heimlichen Vater des K. A r t u s ) als das Symbol eines besondern und in der Folge hochberühmten Ritterordens, der von ihr seinen Namen erhielt. Die 30

alten Romanen der Ritter von der Tafelrunde sprechen so verschiedentlich von dieser Wundertafel, daß es schwehr ist sich einen rechten Begriff davon zu

Einige Erläuterungen

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machen. Sie hatte, wie es scheint, die Eigenschaft, daß sie immer für so viele Ritter, als an ihr zu sitzen berechtigt waren, groß genug war. Wem diese Ehre zukommen sollte, dessen Name zeigte sich, wunderbarer Weise, in goldner Schrift, auf dem Stuhl, der für ihn an die Tafel gesetzt wurde: dieser Name blieb alsdann, und verschwand nicht eher, als mit dem Tode des Ritters, oder wenn er sich der Würde eines Genossen der Tafelrunde, durch Verletzung der Ordensgesetze, verlustig gemacht. Solchergestalt hatte dieser Orden vor allen andern bis auf diesen Tag das Vorrecht, daß er weder gekauft, noch nach Gunst und Willkühr ausgetheilt, sondern, von Noth und Schicksals wegen, nur den Wa c k e r s t e n u n d B e s t e n zu theil werden konnte. Als einsmals ein

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Ritter, dem es nicht zukam, sich eines leeren Stuhls an der Tafelrunde bemächtigen wollte, versank plötzlich der Stuhl mit samt dem Ritter in die Erde, und beyde wurden nicht wiedergesehen. Von dem Tage an versuchte es keiner mehr, dessen Name nicht auf dem Stuhle, worauf er sitzen wollte, deutlich zu lesen war. Bald nachdem Artus sich mit Genievra vermählt hatte, wurde die Tafelrunde (die vorher zu C a r d e u i l in Wa l e s gestanden) durch Zauberey nach K r a m a l o t , dem gewöhnlichen Sitz dieses Königs, versetzt. Nach dessen Tode aber scheint sie wieder verschwunden zu seyn, und so dieser berühmte Ritterorden mit Artus, seinem Wiederhersteller, aufgehört zu haben. Dieser Orden hatte seine eigne bestallte Sires-Clercs oder Annalisten, welchen

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oblag, über die Thaten und Abentheuer der Ritter Protocoll zu führen. Der Oberste unter ihnen, oder der Kanzler und Geschichtschreiber des Ordens, hieß A r r o d i a n v o n C ö l n . Die Verfasser der Biblioth. Univers. des Romans vermuthen, daß dieses Arrodians Chronik von König Artus und seinen Rittern und der Roman gleiches Namens das nemliche Werk, und also Arrodian der wahre Verfasser dieses letztern sey. Ich finde aber vor der Hand keinen hinlänglichen Grund zu dieser Vermuthung. Denn wenn auch das am Schlusse besagten Romans beygefügte Verzeichnis von 32 Rittern dieses Ordens mit ihren Wappenschildern und Devisen von Arrodian herrührt, welches doch selbst noch bezweifelt werden kann: so beweiset sich damit noch lange nicht, daß der ganze Roman von K. Artus, wie man ihn gegenwärtig hat, das wahre unveränderte und von keinem spätern Romancier nach der Mode seiner Zeit zugeschnittne und brodirte Original dieses Ordens-Canzlers sey. Zu wünschen wäre, daß man sich mehr Mühe geben möchte, so viele Handschriften dieser alten Rittergeschichten als nur immer möglich aufzutreiben; weil de-

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ren Untersuchung und Vergleichung doch vermuthlich mehr Licht geben würde als man itzt hat, das Historische vom Fabelhaften, oder doch wenigstens das Alte und Ächte von spätern Zusätzen, sicherer zu unterscheiden. Tu r n e y für Tu r n i e r , kommt im Heldenbuch u. a. häufig vor. U n g e s c h i c h t , v o n U n g e s c h i c h t , soviel als d u r c h e i n e n u n g l ü c k l i c h e n Z u f a l l . Ich erinnre mich, diese Redensart im F r o s c h m ä u s e l e r gefunden zu haben (von welchem eine gute neue Ausgabe um so mehr zu wünschen wäre, da er ganz gewiß unter die besten Poetischen Werke, die unsre Nation aufzuweisen hat, gehört, und in Absicht der Sprache billig ein claßi10

sches Buch seyn sollte.) We s e n für s e y n , vor Alters sehr gewöhnlich. Alle Nacht, uf myn Ehre, müssen sie Wächter wesen. H e l d e n b . Fol. 133. a.

W i c h t (Englisch Wight) für P e r s o n , M e n s c h , oder was die Engländer itzt a Fellow, ein Bursche, ein Kerl, nennen, ist uralt und kommt im Heldenbuch häufig, aber immer in einer verächtlichen Bedeutung und meistens mit den Beywörtern a r m e r , f a l s c h e r Wicht, vor. Wie hast du mich erschrecket, 20

du kleines Wichtelein, sagt (Fol. 92.) der Riese We l l e zu Kayser O t t n i t , um ihm seine selbsteigne Größe mit der gehörigen Verachtung zu Gemüthe zu führen. Noch itzt sagt man in Niedersachsen von einem kranken Kinde: d a t a r m e W i c h t k e n . Den Oberteutschen ist davon nur noch B ö s e w i c h t geblieben. Wo h l g e t h a n , wohlgebildet, schön, Crimhild die wohlgethone und königliche Magd. im R o s e n g a r t e n z . W . Einige Erläuterungen

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S i c h e i n e r S a c h e w e r t h e n , statt, fähig achten, und e s m u t h e t i h n e n , statt, sie sind in der Laune — sind ein paar von mir selbst gewagte Redensarten, für die ich keine Autorität anführen kann; wiewohl die Wörter m u t h e n und w e r t h e n , so wie die Redensart: s i c h e i n e s D i n g s a n m u t h e n , affectare aliquid, altteutsch sind. Auch das Wort S p ä ß l i n g , für Spaßvogel, un Plaisant, nach der Analogie von W i z l i n g u. a. ist, meines Wissens, neugestempelt. Ob man ihm Cours geben will, steht nun dahin. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1777)

¼Gebet eines noch unbekannten* ) Dichters, an seinem Geburtstage, den 3. Aug. 1776. …½

*) Auch dem Herausgeber Unbekannten. Man hat seinem Wunsche, sein Daseyn durch dies Lied im T. M. (auf seine Gefahr) zu manifestiren nicht entgegen seyn wollen.

¼Anmerkung: Anonymus½ G e b e t e i n e s n o c h u n b e k a n n t e n D i c h t e r s

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Über eine Stelle in Shakespears Macbeth. In der schrecklichen dritten Scene des zweyten Acts, kommt L a d y M a c b e t h , von der Unruhe der Erwartung umhergetrieben, heraus, um zu sehen, ob Macbeth die That vollbracht hat. Sie hört jemand im Dunkeln aus des Königs Schlafzimmer herabschleichen. Es ist der Mörder Macbeth selbst, der, indem er gleichfalls jemand zu hören glaubt, in der Angst seines Gewissens mit halbstockender Stimme ruft: wer ist da? He! — Darüber erschrickt die Lady, aus Furcht er möchte in Verübung der That gestört worden seyn. Und nun macht sich das entsezliche Weib einen Vorwurf, daß S i e die That nicht selbst gethan habe, als sie sich in die Schlafkammer geschlichen, und die Dol-

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che neben die durch einen Schlaftrunk betäubten Kämmerlinge gelegt. Und da sagt sie, zur Entschuldigung gegen sich selbst: „Hätt er nicht, wie ich ihn so schlafen sah, m e i n e m Va t e r g l e i c h g e s e h e n , ich hätt es selbst gethan.“ Jedermann fühlt, daß dies einer von den sublimen Zügen ist, wovon, wenn so einer hier und da in dem Werk eines andern Meisters vorkommt, man glauben möchte, die Natur hab’ ihm den Pinsel aus der Hand gerissen und den Zug selbst geführt: die aber bey Shakespearn, und nur bey ihm, so gewöhnlich sind, daß er eben dadurch der erste aller S e e l e n m a h l e r ist, die je gelebt haben.

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Wa r b ü r t o n macht dabey eine Anmerkung, die Hr. E s c h e n b u r g ohne Widerspruch unter seine Noten aufgenommen hat. Anstatt den Zug von N a t u r in diesen Worten zu sehen, sieht der Engländische Philolog darinn s e h r v i e l K u n s t . Er meynt, so wie der Dichter Macbethen und sein Weib charakterisirt habe, hätte man eher erwarten sollen, d a ß L a d y M a c b e t h d i e T h a t a u s f ü h r e n w ü r d e ; und in dieser Stelle liege eine E n t s c h u l d i g u n g , warum er’s nicht gethan. Die R i c h t i g k e i t derselben will uns der kalte Metaphysiker durch eine sehr subtile psychologische Bemerkung begreiflich machen. „Wiewohl, sagt Warbürton, der Ehrgeiz a l l e s n a t ü r l i c h e G e f ü h l für g e g e n w ä r t i g e Gegenstände bey ihr verdrängt hat: so macht doch die Ä h n l i c h k e i t m i t e i n e m e h m a l i g e n , den sie mit Ehrerbietung anzusehen

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Februar 1777)

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gewohnt war, daß sie a u f e i n e n A u g e n b l i c k den Empfindungen des Instincts und der Menschlichkeit Raum giebt.“ — Ich gesteh, ich sehe das Treffende dieses angegebnen Grundes nicht ein, und mich dünkt, Shakespear habe bey diesem großen Zuge weder s o raisonnirt noch anders, sondern bloß hingeschrieben, was ihm der Genius der Natur, s e i n D ä m o n , eingab — das ist, Etwas, wobey der Dichter selbst nur s i e h t u n d f ü h l t , indem ers schreibt; und das just deswegen so herrlich ist, daß allen Kunstrichtern der Welt, wenn sie sich an der Wahrheit und Schönheit, Höhe und Tieffe des darinn liegenden Sinnes müde analysiert haben, am Ende doch nichts übrig bleibt als zu schwei10

gen und anzubeten. Wenn Shakespear aber ja r ä s o n n i e r t hätte, so däucht mich, er hätte doch nicht s o räsonniert. Es bedurfte keiner Entschuldigung gegen den Leser warum er die That nicht durch Lady Macbeth vollbringen lassen. D i e N a t u r n i m m t d i e R e c h t f e r t i g u n g a u f s i c h . Lady Macbeth ist ein We i b . Sie kann also wohl, da sie ein h ö c h s t e h r g e i z i g e s Weib ist, ihren Mann, der ein H e l d ist, zu einer blutigen That an der eine Krone hängt anreitzen, und der Mann, um die That zu thun, dieser Anreitzung nöthig haben; aber sie verrichtet sie nicht selbst, so lang sie einen M a n n dazu gebrauchen kann. Denn Lady Macbet ist ein We i b , wiewohl dies Weib L a d y M a c b e t h ist. Der Dichter konnte, mußte sogar, um sie als das, was sie ist,

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darzustellen, ihr nicht den Vo r s a t z , aber doch einen zufälligen augenblicklichen Anfall von Ve r s u c h u n g , den König selbst zu ermorden, und nachher, da sie glaubt Macbeth habe seinen Streich verfehlt, einen Augenblick R e u e , es nicht gethan zu haben, geben. Nur zur A u s f ü h r u n g konnt’ es, durft’ es nicht kommen. Denn Lady Macbeth, so schlimm sie ist, durfte kein Ungeheuer, keine Te u f e l i n seyn; mußte doch noch immer ein Weib bleiben — wie hätten wir sonst an ihr theilnehmen können? wie hätte sonst ihr so schrecklichrührender, so schrecklichlehrreicher Wahnsinn im fünften Act nur möglich seyn können? Also, da sie mit gezücktem Dolch sich dem schlafenden König nähert, einen Blick auf den guten alten Mann, den wohlthätigen Herrn,

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den freundlichen und unter seinen geglaubten Freunden sicher ruhenden Gast, wirft, — glaubt sie ihren alten Vater zu sehen, und schaudert zurück. H ä t t’ e r n i c h t , w i e i c h i h n s c h l a f e n s a h , m e i n e m Va t e r ä h n l i c h g e s e h e n — Welch ein Zug! welch ein Schlag an unser Herz, um es zugleich für den guten König aufs zärtlichste zu rühren, und uns, selbst in diesem von Ehrsucht entweibten Weibe, noch eine Nerve von Menschlichkeit zu zeigen,

Über eine Stelle in Shakespears Macbeth

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die beym Anschlagen der Natur noch rein erklingt; noch kindliches, töchterliches Gefühl beym Anblick — eines Vaters. Menschenmord ist entsetzlich — Fürstenmord, noch entsetzlicher! aber Vatermord! das allerentsetzlichste, was menschliche Natur denken — kaum in Gedanken ertragen kann — was kein menschliches Wesen, eh’ es ganz aufgehört hatte Mensch zu seyn, je vollführen konnte! — L a d y M a c b e t h hat noch, selbst in diesem gräßlichen Augenblick der Leidenschaft, des heißen Dursts nach der höchsten Befriedigung ihres ungedultigsten Wunsches, noch e i n e n R e s t v o n M e n s c h e n g e f ü h l . Sie sieht in dem guten schuldlosen schlafenden König i h r e n Va t e r und kann die That nicht thun! — Shakespear, der alles was Natur ist, in jedem Falle, für jedes Geschlecht und Alter, für jeden Stand und Personal-Charakter, nach allen Verhältnißen und Bestimmungen, so rein, so stark, so vollständig f ü h l t und e r k e n n t , sah und fühlte, daß dies so seyn mußte — sah seine Lady Macbeth da sie mit dem Dolch in der Hand vor den schlafenden König hintrat — fühlte was sie in diesem Augenblick fühlen mußte — schriebs hin, und grub sich, ohne daran zu denken, mit diesem einzigen Zug auf ewig in jedes Menschenherz. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Februar 1777)

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¼Einige der neuesten politischen Gerüchte, gesammelt von C h r i s t . W i l h e l m Dohm. …½

(Kann künftig von Zeit zu Zeit fortgesezt werden, wenn es die Leser wollen; welche auch ersucht werden, die Wörter: — es s c h e i n t — s o l l — etc. an allen Stellen dieser Sammlung zu suppliren, wo sie ihnen noch zu fehlen scheinen.)

¼Zusatz: Dohm½ E i n i g e d e r n e u e s t e n p o l i t i s c h e n G e r ü c h t e

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Der Teutsche Merkur. Februar. 1777.

Eine lehrreiche Conversation (aus des Riviere Dufresny Wa h r h e i t s b r u n n e n . ) (Die redenden Personen sind Prinz H e r o d a t e s , ein freyer runder offenherziger Altfranke, und P h o r b a s , ein hohler Staatsminister. Die Rede ist von der bevorstehenden Königswahl, nehmlich, welcher von den beyden Töchtern des verstorbenen Königs die Krone aufgetragen werden solle. Die Wahl steht bey den gesammten Ständen der Nation. H e r o d a t e s ist für die Liebenswürdigste unter den beyden Prinzeßinnen, P h o r b a s für die andre, die ohne ihn wenig Hofnung hätte, und durch die er selbst zu regieren hoft.)

He r o d a t e s . Nun, hey da, Herr Geheimer Rath, reden wir einmal offenherzig mit einander —

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(Dieser Eingang gefiel P h o r b a ß e n , und um den Vortheil von der Offenherzigkeit des Prinzen ganz auf s e i n e r Seite zu behalten, schickte der wackere Mann sich alsbald an, ihm in lauter Doppelsinn und soviel möglich nur mit den Augen und Achseln zu antworten.)

He r o d a t e s . Wir haben zwo Prinzeßinnen: sagt mir aufrichtig, welche von beyden findet ihr würdig Königin zu seyn? Ph o r b a s —

(sehr ernsthaft und im Ton der wärmsten Cordialität)

Sie verdienten

beyde sich in die Herrschaft über die Welt zu theilen; sie sind so liebenswürdig, so klug, so … He r o d a t e s

(ihm in die Rede fallend)

Das ist alles nichts gesagt, Herr; Ein Wort

für Tausend — welcher von beyden gebt Ihr Eure Stimme? Ph o r b a s

(mit großer Bescheidenheit)

Meine Stimme, Gnädiger Herr — Meine

Stimme, — hat so wenig zu bedeuten … He r o d a t e s . Nu, viel oder wenig, genug, welcher von beyden gebt Ihr sie? Ph o r b a s.

(die Achseln zuckend)

Lieber Gott! darüber ist soviel zu sagen! Es ist

so schwehr zu einer Entschließung zu kommen, wo die Rede ist, so vielerley Interessen zu vereinigen, das Interesse der Großen, das Interesse des Volks, das Interesse des …

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1777)

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He r o d a t e s.

(ihm abermal ins Wort fallend)

Zum Hencker, von allen den Inter-

essen, seh ich wohl, liegt euch keines am Herzen als euer eigenes; aber basta! aus allem, was Ihr mir n i c h t sagt, seh ich klar genug was ihr denkt, und was ich zu thun habe — Sein Diener, Herr Geheimer Rath! und damit gieng Herodates seiner Wege.

¼Übersetzung: Dufresny½ E i n e l e h r r e i c h e C o n v e r s a t i o n

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Urtheil des Cardinal du Perron von dem berühmten Fra Paolo Sarpi. Der Cardinal d u P e r r o n , Bischof zu Evreux, nachmals Erzbischoff von Sens und Grand-Aumonier von Frankreich unter K. Heinrich IV. war unstreitig ein Mann von Talenten, und großer Gelehrsamkeit, ein geschickter Geschäftsmann und Negociateur, der alles sagen und schreiben konnte was er wollte, kurz alles was man seyn muß, um aus einem Menschen v o n N i c h t s , (wie die Franzosen sich ausdrücken) ein großer Mann in der Welt zu werden. Und wie urtheilte dieser große Staats- und Weltmann, Theologe, Philosoph, Poet, (denn d ü P e r r o n war das alles) von F r a P a o l o S a r p i , der zwar nur Serviten-

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Mönch in Venedig und Theologus der Serenissima Republica, aber mit und unter dieser äußerlichen Specie einer der treflichsten Menschen war, die jemals auf Erden gewandelt haben? „Ich sah’ ihn auf meiner zweyten Reise nach Venedig ( s a g t d e r C a r d i n a l ) Mr. de Messe zeigte mir ihn: Ich bemerkte n i c h t s E m i n e n t e s an diesem Manne. Er hat eine gute Urtheilskraft, guten Menschenverstand, a b e r s e i n e G e l e h r s a m k e i t i s t n i c h t w e i t h e r . Ich sah’ einen g a n z g e m e i n e n Menschen an ihm, e i n k l e i n B i ß c h e n m e h r a l s M ö n c h . “ *) So konnte also S e i n e E m i n e n z nichts E m i n e n t e s an diesem F r a P a o l o sehen — ein Bißchen mehr als einen alltäglichen Mönchen und das war

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Alles! — Und doch kannten Se. Eminenz unstreitig die Welt, und verstunden sich vortreflich auf den C o u r a n t e n Werth der Menschen in Handel und Wandel. Vermuthlich gehört um den innern Gehalt eines Menschen auszufinden, ein gewisser innrer Geistessinn, den ein Mann wie der Cardinal du Perron weder hat noch haben kann. Und gleichwohl finde ich in diesem beym ersten Anblick lächerlichen Urtheil eine Art von Zeugniß der Wahrheit, das dieser Weltmensch, so wie dort von Christus der Hohepriester C a i p h a s , ohne es *)

Je le vis a ` mon second Voyage de Venise, et Mr. de Messe me le fit voir. Je ne remarquai rien

d’eminent en cet homme. Il a un bon jugement et bon Sens, mais de grand Sc¸avoir, point; je ne vis rien que de commun, et un peu plus que de Moine. P e r r o n i a n a , edit. de 1601. p. 218.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1777)

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selbst zu wissen, von dem Mann Gottes ablegt. Er sah an Fra Paolo nichts von allem dem, was er an einem Mann, den er nach seinem Maasstab für groß halten sollte, suchte: er spricht also geringschätzig von ihm. Ich konnte nichts an ihm sehen, als einen gemeinen Menschen, einen Mann von gutem ehrlichen Menschenverstand — spricht er, und glaubt damit sehr wenig gesagt zu haben; merkt nicht, daß er was sehr großes gesagt hat. Die vollkommensten Menschen haben selten etwas in ihrem äusserlichen, das sie sehr über andre hervorragen machen sollte. Die innere Einfalt und Lauterkeit ihrer Natur bildet sich auch in ihrem Gesicht und ganzen äusserlichen Wesen; sie s i n d bloß d a , 10

ohne etwas a n z u k ü n d e n , zu f o d e r n , oder zu e r w a r t e n . Ohne eine besondere Veranlassung, die ihr Inneres in äusserliche Würksamkeit sezt, sieht der feinste Kennerblick des Weltmanns nichts an ihnen als gewöhnliche Menschen, und guter hausgesponnener Menschensinn ist alles was er ihnen zutraut. Gerade das wars, Herr Cardinal, was den ehrlichen Serviten-Mönch Sarpi, zu einem soviel weisern, wärmern, edlern, kurz, zu einem soviel bessern Menschen machte, als Ew. Eminenz waren. Aber freylich, hätte du Perron nicht du Perron seyn müssen, um so von der Sache zu denken — Übrigens gäbe ich was drum, zu wissen was Fra Paolo zu irgend einem seiner guten Freunde davon gesagt haben mag, wie i h m beym Anblick des C a r d i n a l s zu

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Muthe gewesen.

Urtheil des Cardinal du Perron

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Rüge gegen einen Engländischen Kunstrichter. „Die Schreibart der griechischen Schriftsteller unter der Regierung des Kaysers H a d r i a n ist ungleich, steiff, dunkel, und affectiert; L u c i a n ist die einzige Ausnahme die ich kenne“ — sagt der mit K. unterzeichnete Verfasser der History of the Origin, and Progress of the usefull and Polite Arts in a Series of Lettres (die im Universal-Magazin von 1776. nach und nach erschien) im 6ten seiner Briefe, und verräth dadurch eine Unwissenheit, die an einem Manne, der als Kenner von Zeiten und Sitten und Künsten und Schriftstellern spricht, nicht zu entschuldigen ist; — wiewohl diese Art auf die flüchtigsten

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und unvollständigsten Kenntniße oder auf Treu und Glauben eines andern unwissenden Sprechers in den Tag hinein zu entscheiden, in Frankreich, England und auch unter uns je länger je gewöhnlicher wird. Der Schwätzer K. (wer er auch seyn mag) kennt keinen griechischen Autor aus Hadrians Zeiten, der eine gute Schreibart habe als Lucian. A l c i n o u s , der Platoniker, D i o n C h r y s o s t o m u s , an dessen Styl nichts als etwann die zu große Fülle seiner Perioden zu tadeln ist, A r r i a n u s , dem seine Werke, ihres Geistes sowohl als der Schreibart wegen, den Namen eines zweyten X e n o p h o n s erworben haben, sind ihm also unbekannte Namen, — und er unterwindet sich über die Schriftsteller ihrer Zeit abzusprechen!

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1777)

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Etwas, aus den Anecdotes des Beaux-Arts. 1. R e m b r a n d t hatte eine sehr geschwätzige Magd. Um sich einen Spaß zu machen, machte er ihr Porträt, und stellte das Bild an ein ofnes Fenster, aus dem sie mit den Nachbarsleuten oft lange Conferenzen zu halten pflegte. Die Nachbarn sahen das Bild für die Magd selbst an, kamen sogleich herzu, um sich in Gespräch mit ihr einzulassen, und schwatzten lange, bis sie endlich gewahr wurden, daß das Mädchen noch kein Wort gesagt hätte; da dies nicht mit natürlichen Dingen zugehen konnte, so machten sie die Augen besser auf, und wurden endlich ihres Irthums gewahr. 10

(Man erinnert sich hierbey der Trauben des Zeuxes, der die herzufliegenden Vögel, und des Vorhangs, den P a r r h a s i u s darüber mahlte, der den Zeuxes selbst betrog. Rembrandts Nachbarn (so wie ohne Zweifel ehmals die Nachbarn Zeuxes und Parrhasius) mögen sich wohl nach solchen Wu n d e r n einen großen Begriff von ihrem Hrn. Nachbar dem Mahler gemacht haben: Aber daß Zeuxes, Parrhasius und Rembrand sich viel darauf sollten eingebildet haben, ist mir nicht wahrscheinlich.) 2. R i g a u d (einer der berühmtesten Französischen Porträtmahler) während daß ihm eine gewisse Dame saß, wurde, indem er am Mund arbeitete, gewahr, daß sie gewaltige Grimaßen machte, um durch Zusammenziehung der Lippen

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sich einen kleinen Mund zu machen. Der Mahler ward des Geziers endlich überdrüßig. Geben Sie Sich nicht so viel Mühe, Gn. Frau, sagt’ er; Sie haben mit mir gar nicht nöthig ihrem Mund so viel Gewalt anzuthun; wenn ich Ihnen einen Gefallen damit erweisen kann, so mach’ ich Ihnen gleich gar keinen. (Man erzählt dies Bon Mot auch von dem Mahler V i g n e . ) 3. M i g n a r d s (ersten Mahlers des Königs Ludwig XIV. in Frankreich, der durch die Zeit einen großen Theil des übertriebnen Ruhms verlohren, dessen er in seinem Leben sich zu bemächtigen das Glück und die Addresse hatte) Mignards größtes Talent war, die Manier einiger berühmten Italienischen Mahler so gut zu erhaschen, daß es beynah unmöglich war, seine Copien von

¼Übersetzung: Nougaret½ E t w a s , a u s d e n A n e c d o t e s d e s B e a u x - A r t s

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Originalen zu unterscheiden. Einsmals mahlte er eine Magdalena in G u i d o R e n i’ s Manier, und verkaufte sie, als ein ganz frisch aus Italien angekommenes Stück von Guido, an einen sogenannten Amateur um 2000 Livres. Bald darauf ließ er dem Käufer durch die dritte Hand stecken: er sey betrogen worden; das Stück sey nicht von Guido, sondern von Mignard. Der Amateur wußte sich nicht besser zu helfen, als daß er sich an Mignard selbst wandte. Dieser versicherte, er hätte die Magdalena nicht gemahlt, und berief sich auf L e B r ü n , der damals erster Königlicher Mahler war, und für ein Orakel in seiner Kunst galt. Der Amateur lud beyde Mahler zur Tafel ein, und legte dem ersten den Casus zur Entscheidung vor. Le Brün, nachdem er die Magdalena

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lang und scharf untersucht hatte, that den Ausspruch, sie sey von G u i d o . Nun hatte Mignard was er wollte. Izt will ich gestehen, daß ich das Stück selbst gemacht habe, sagte er; und damit kein Zweifel bliebe, versicherte er, man werde unter den Haaren der schönen Bußfertigen einen Cardinalshut finden. Da dies nicht anders als durch den Augenschein bewiesen werden konnte, so hohlte er flugs was vonnöthen war, wischte die Haare weg, und das Cardinalsbaret wurde sichtbar. Hier ist ihr Geld wieder, sagte er zum Käufer; und das Gemähld ist mein; wer’s gemahlt hat, wird’s auch wieder herzustellen wissen. Und Mignard gieng von dannen, und dachte, was für ein großer Mann er wäre, und wie er den ehrlichen L e B r ü n erwischt hätte.

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4. Ludwig XIV. wollte einsmals vom D ü c d e M o n t a u s i e r wissen, was er von L e B r ü n und M i g n a r d als Mahlern hielte. Sire, (antwortete dieser Herr, der sich durch eine Freymüthigkeit, die noch ein Rest aus Heinrich des IV. Zeiten war, von den Höflingen Ludwigs unterschied) ich verstehe mich nicht auf die Mahlerey; aber mich dünkt, die beyden Leute mahlen wie ihr Name lautet. Und so war es auch. L e B r ü n affectirte, um den großen Meistern der Römischen Schule auch in diesem Stücke zu gleichen, sehr ins B r a u n e zu mahlen; und alles was M i g n a r d mahlte, hatte ein air de mignardise. 5. L e S ü e u r — (dessen ungleich mächtigerm Genius die Nachwelt endlich die Gerechtigkeit erwiesen hat, die ihm seine Zeitgenossen, und Ludwig der Große, der so wenig Gefühl fürs wahre Große, welcher Art es seyn mochte, hatte, zu erweisen unfähig waren) — dieser L e S ü e u r , der izt der f r a n z ö s i s c h e R a p h a e l heißt, wurde zur Zeit, da L e B r ü n der große Mann war,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1777)

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wenig geachtet. Als Le Brün die Galerie des Herrn Lambert de Thorigny ausmahlte, arbeitete Le Süeur in einem daranstoßenden Cabinet an einigen kleinen Figuren von schlechtem Belang. Der damalige Päbstliche Nuncius kam die Galerie zu sehen. Le Brün, der dem Prälaten von Person unbekannt war, eilte ihm sogleich mit allem empressement eines Galant-Homme, der die Honneurs seiner Gallerie machen wollte, entgegen, und führte ihm die Schönheiten derselben gehörig zu Gemüthe. Der Nuncius wollte nun auch sehen, was in dem Cabinet gemahlt würde. L e S ü e u r , der da in ziemlich armer Gestalt saß und arbeitete, begnügte sich seine schmutzige Kappe vor dem 10

Prälaten abzunehmen, und fuhr fort zu arbeiten, ohne sich dessen zu kümmern was neben und um ihn vorgieng. Der Prälat, nachdem er einen Blick auf Le Süeurs Figuren geworfen, sagte zu Le Brün, den er für einen Monsieur vom Hause hielt: M a n h ä t t e d i e g r o ß e n S t ü c k e , d i e w i r d o r t g e s e h e n h a b e n , d u r c h d i e s e n M a n n d a (auf Le Süeur deutend) a u s f ü h r e n l a s sen sollen, und diese kleinere Figuren hier dem Andern überl a s s e n , d e r d i e G a l e r i e g e m a h l t h a t . Jugez, comme Mr. L. B. etoit capot!

¼Übersetzung: Nougaret½ E t w a s , a u s d e n A n e c d o t e s d e s B e a u x - A r t s

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Der Blitz, ein Heilmittel in einer verzweifelten Krankheit. Folgende Begebenheit ist merkwürdig genug, um zu verdienen, daß ihre Wahrheit außer allen Zweifel gesetzt werde. Ich habe für izt keine andere Gewähr derselben als das Journal Encyclopedique (Janvier 1777) wo sie unter der Rubrik Phenomenes singuliers de Pathologie et de Therapeutique, tire´s d’ouvrages Anglois zu lesen ist. Der Herausgeber hätte wohl gethan, wenn er diese Werke genennt, und uns gesagt hätte, w o z. E. Herr A l e x a n d e r E a s t o n , Medicus in Dublin, auf den er sich beruft, die wunderbare Geschichte der Madame Wynne erzählt habe. Doctor Easton ist zwar selbst kein Augen-

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zeuge dieser Begebenheit: er hat sie aber aus dem Munde zweyer Zeugen, welche alle Präsumtion von Glaubwürdigkeit vor sich haben, nehmlich des Herrn Wy n n e von Abracken, in der Grafschaft Meath in Irland (nicht E n g l a n d , wie der Herausgeber des Iourn. Encycl. sagt) Gemahls der Dame von der die Rede ist, und des Doctor H i c k s , ihres Arztes. Die F r a u Wy n n e war nach einem Wochenbette mit einem harten Knoten an der linken Brust behaftet, gegen welchen alle in solchen Fällen gewöhnliche Mittel nichts vermochten. Die Gefahr, daß endlich ein Krebsschaden daraus werden möchte, bewog den Doctor Hicks der Dame eine Reise nach Dublin vorzuschlagen, um sich des Raths dortiger Ärzte zu bedienen. Die HH. D a u n t und L i s t e r , an

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die Sie sich wandte, wußten ihr keinen bessern Trost zu geben, als daß man mit den nehmlichen Mitteln noch einige Zeit fortfahren, und, wofern sie ohne Würkung blieben, zur Amputation schreiten müßte. Lange Zeit hernach, da Mad. Wy n n e — die nun alle Hofnung zur Genesung aufgegeben hatte — am Fenster stund, um einem fürchterlichen Gewitter zuzusehen, fiel der Blitz auf das Dach und sezte es in Flammen, fuhr dann in das Zimmer, wo Frau Winne war, beschädigte die Mauer, verzehrte den Teppich des Fußbodens, traf die Dame an der linken Schulter, fuhr über die linke Brust hin und dann der Länge nach den Rücken herunter. Die seidene Robe, womit die Frau bekleidet war, hatte an zwey Orten ihre Farbe gänzlich verlohren, und der Flanell, der ihre Brust bedeckte, sah aus, als ob man mit einem zu heissen Eisen darüber

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1777)

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gefahren wäre. Frau Wynne fiel von dem Schlag zu Boden, und blieb bis an den Abend des Gebrauchs ihrer Gliedmaßen beraubt, welcher jedoch durch spirituöse Mittel und Reibungen mit Senf-Mehl (Farine de Se´nevis) wieder hergestellt wurde. Zween Tage nach diesem Zufall wurde D. Hicks mit Verwunderung gewahr, daß der Knoten an der linken Brust beträchtlich kleiner war; die Zertheilung desselben gieng nun glücklich von statten, und in kurzer Zeit befand sich Mad. Wy n n e , ohne weitere Beyhülfe der Facultät, völlig wieder hergestellt. Die Wichtigkeit dieser Begebenheit braucht wohl keines Beweises, und uns10

re Ärzte werden (falls ihnen solche nicht schon bekannt ist) sich ohne meine Aufforderung die genaueste Verification derselben nach allen besondern Umständen angelegen seyn lassen. Nicht eben, als ob ich hofte, sie würden es nächstens so weit bringen, sich von den Blitzen des Donnerers Meister zu machen, um in Fällen, wo sie’s für diensam halten würden, den Patienten quantum satis davon zu administrieren. Aber da der Blitz (wie man nun ganz gewiß wissen will) und das electrische Feuer völlig einerley, und wir also insofern, wenigstens im Kleinen, Herren des Blitzes sind: so ist zu hoffen, daß diese Erfahrung der Madame Wynne Gelegenheit geben werde, in dergleichen verzweifelten Fällen (mit gehöriger Vorsicht) Versuche anzustellen, ob die

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electrische Maschine nicht, auf eine minder gefährliche Weise, eben die wohlthätige Würkung thun möchte, die hier, durch den glücklichsten Fall von der Welt, der Blitz hervorgebracht. W.

Der Blitz, ein Heilmittel

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Der Teutsche Merkur. März. 1777.

Betrachtung über die Abnahme des menschlichen Geschlechts. Jede verfeinerte Nation hat ihre h e r o i s c h e Z e i t , ihr Tempus mythicum gehabt, aus welchem ihre spätern Dichter den Stoff zu wundervollen Gesängen, Erzählungen und Dramen hergenommen haben; eine Zeit von H a l b g ö t t e r n und H e l d e n , gegen die wir arme Wichtken der h i s t o r i s c h e n Zeit eine so demüthige Figur machen, daß wir, um so kurz als möglich aus der Verlegenheit zu kommen, uns nicht besser zu helfen wissen als die ganze Geschichte dieser Wundermenschen für — M ä h r l e i n zu erklären. Gleichwohl finden sich auf der andern Seite starcke Gründe zu glauben:

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daß die H e r o e n jeder Nation würklich existiert haben; daß sie würklich große Menschen gewesen, würklich Dinge gethan, die wir, weil sie über u n s r e Kräfte gehen, erstaunlich finden, wiewohl sie ihnen selbst sehr natürlich vorkamen; ja, daß sie in der That größer gewesen und größere Dinge gethan haben, als wohl die meisten spätern Poeten und Romanschreiber in ihrem größten Paroxysmus sich einzubilden fähig waren, — und mit allem dem doch weder Götter noch Halbgötter, sondern b l o ß e M e n s c h e n gewesen sind. Das ganze Geheimnis liegt darinn, daß sie noch unerdrückte und ungekünstelte, noch g e s u n d e , u n g e s c h w ä c h t e , g a n z e Menschen waren. Wo die N a t u r frey und ungestört würken kann, da macht sie keine andre

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als solche; und wenn für jede polizierte und verfeinerte Nation einmal eine Zeit da gewesen ist, wo sie noch unpoliziert und unverfeinert war: so steigt die Geschichte jeder solchen Nation (ihre ältesten Urkunden mögen verlohren gegangen seyn oder nicht) bis zu einem Zeitalter hinauf, wo die Nation aus einer Art Menschen bestand, deren Existenz nach einer langen Reyhe von Jahrhunderten endlich f a b e l h a f t scheinen muß. Ein freystehender Mensch k a n n sich ausdehnen und wachsen, k a n n zu dem Grade von Größe, Stärcke und Tauglichkeit gelangen, wozu er die Anlage auf die Welt gebracht hat. Damit dies w ü r k l i c h g e s c h e h e , müssen freylich mancherley äussere Ursachen mitwürken. Er muß, z. B. weder an dem, was zur Unterhaltung und Entwicklung seiner Kräfte nöthig ist, Mangel leiden,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende März /Anfang April 1777)

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noch muß es ihm zu leicht werden, sich diese Nothwendigkeiten zu verschaffen. — Der armselige Zustand der Bewohner von Te r r a d e l F u e g o , der ewige Druck gegenwärtiger Noth ohne Hofnung es jemals besser zu haben, ist dem Wachsthum des Menschen zu seiner natürlichen Vollkommenheit eben so nachtheilig und mehr, als das allzufreygebige wollüstige Klima von O t a h e i t e , das seine Einwohner in ewiger Kindheit erhält, oder als die üppige Lebensart einer großen Königsstadt. — Der Mensch, der alles seyn soll, wozu ihn die Natur machen wollte, muß alles erdulden können, was ihm Natur und Nothwendigkeit auflegen; aber sein gewöhnlicher Zustand muß überhaupt 10

glücklich, und sein Gefühl für die Freuden des Lebens, und das Vergnügen D a z u s e y n offen und unabgestumpft seyn. Sein Nacken muß sich nie unter die Willkühr eines andern gebeugt haben: er muß immer unter s e i n e s g l e i c h e n , d. i. unter Menschen, die nichts sind als was er auch ist oder werden kann, gelebt haben: aber auch mit Bessern als er ist, damit der Vorzug, den diesen ihre größere Tauglichkeit giebt, ihn immer zu Nacheyferung und Wettstreit auffodere. Alles dies sezt eine Epoche von N a t i o n a l v e r f a s s u n g voraus, wo die S i c h e r h e i t mehr das Werk unsrer eignen Stärke und persönlicher Verbindungen als der G e s e t z e ist; wo Fürsten und Könige nur Primi inter Pares sind; wo jeder g i l t was er w e r t h ist; jeder wagt was er sich

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auszuführen getraut; jeder so Gut oder Böse seyn darf als ihn lüstet; und wo also das Leben eines Mannes das Leben eines K ä m p f e r s ist, eine fortgehende Kette von Abentheuern, ein ewiges Drama, gedrungenvoll von Handlung, und Zufällen, und Wagstücken, und wider einander rennenden oder sich an einander reibenden Leidenschaften, wo der Knoten meistens mit dem Schwerdt aufgelößt wird, und die Katastrophe immer die Wurzel neuer Verwirrungen ist. Eine solche Epoche findet sich in den ältesten Jahrbüchern jeder polizierten Nation: und könnten wir heutige Europäer, oder vielmehr unsre Abkömmlinge (das endlich eine feine Brut werden mag!) könnten wir, wie es denn gar

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nichts unmögliches ist, vor lauter gränzenloser Verfeinerung und Philosophie und Geschmack, und Verachtung der Vorurtheile unsrer Großmütter, und Weichlichkeit, und Übermuth und Narrheit, es endlich wieder so weit bringen, einzeln und gewandlos in Wäldern (wenn es anders bis dahin noch Wälder giebt) auf allen Vieren herumzukriechen, und Eicheln zu fressen: so wird dann auch, über lang oder kurz, die Zeit wieder kommen, wo die Nachkom-

Betrachtung über die Abnahme des menschlichen Geschlechts

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men dieser neuen europäischen Wilden gerade wieder die freyen, wackern, kühnen, biederherzigen Leute seyn werden, deren Sitten und Lebensart Ta c i t u s , seinen nervenlosen Römern zum Verdruß, und zur Demüthigung ihrer kleinen flattrichten, gauckelnden, niedlichen Puppenseelchen, in einem so prächtigen Gemählde darstellte. In einer s o l c h e n Z e i t , unter einem s o l c h e n Vo l k e ungeschlifner aber freyer, edler, starker, gefühl- und muthvoller Menschenkinder, müssen freylich die S t ä r k s t e n , die E d e l s t e n , die Ta u g l i c h s t e n , mit einem Wort, die B e s t e n , gar herrliche Menschen seyn. Ganz natürlich, daß das Andenken dessen, was sie waren und thaten, sich Jahrhunderte lang unter ihrem Volke

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lebendig erhält; daß der Großvater mit verjüngernder Wärme seinen horchenden Enkeln Geschichten davon erzählt; daß diese Geschichten in Gesängen und Liedern von einer Generation zur andern übergehen; und daß man desto mehr davon singt und sagt, je weiter sich die Nation von jener Zeit entfernt, je näher sie dem Zeitlauf der Polizierung und Verfeinerung kömmt, und je weiter sie darinn fortschreitet. Natürlich, daß endlich eine Zeit kommen muß, wo man sich diesen großmächtigen Menschen so ungleich fühlt, daß man an ihrem ehmaligen Daseyn zu zweifeln anfängt, und aller seiner Einbildungskraft aufbieten muß, sich eine Vorstellung von ihnen zu machen; daß eben deßwegen diese Vorstellungen unwahr, übertrieben und romanhaft,

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kurz, daß aus den w a h r e n g r o ß e n M e n s c h e n d e r Vo r w e l t fabelhafte G ö t t e r und G ö t t e r s ö h n e , R i e s e n und R e c k e n , A m a d i s e und R o l a n d e werden. Allein diese Zeit kömmt nicht auf einmal; die Ausartung kann nicht anders erfolgen als stuffenweise. Die nächsten zwoo oder drey Generationen auf jene H e r o e n müssen natürlicherweise, in Vergleichung mit viel spätern noch weit mehr ausgearteten Nachkömmlingen, noch sehr große Menschen hervorbringen. Aber wer in solchen Zeiten etliche Generationen überlebt hat, muß den Unterschied schon merklich finden. Die Ritter der Tafelrunde zu König Artus Zeit waren gewaltige Männer in Ritterschaft, hatten noch viel von dem hohen Muth, ja selbst noch einen Rest von der Treue und Biederherzigkeit ihrer Vorfahren. Aber was für eine Figur machen sie mit allem dem gegen den alten B r a n o r , der in einem Alter von mehr als hundert Jahren noch Stärke genug hatte, sie alle aus dem Sattel zu werfen? Und wie noch armseliger stehen sie vor ihm da, nachdem er ihnen an

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seinem Freunde, G e r o n d e m A d e l i c h e n , ein Muster von Treue und Aufrichtigkeit und Großherzigkeit vor die Stirne gestellt hat, dessen Anblick und stille Vergleichung mit sich selbst (die er, wie billig, ihrem eigenen Gewissen überläßt) ihnen das beschämendste Gefühl, wie klein sie gegen ihn sind, geben muß! Eine ganz ähnliche Bewandniß hat es mit den Helden und Menschen, die uns H o m e r in seiner Ilias und Odyssee schildert. Was für Männer gegen die spätern, durch ihre geschwätzige Philosophie, schöne Künste, Handelschaft und Reichthümer verfeinerte Griechen! Keiner, bis auf den g ö t t l i c h e n 10

S c h w e i n h i r t e n , inclusive, keiner, den der Dichter nicht durch dies hohe Beywort (der Göttliche) über die Menschen von gemeinem Schlag seiner Zeit erheben mußte, um ihm sein volles Recht anzuthun. Aber wie mit ganz andern Augen sieht die Helden der Ilias der alte Nestor an, dem seine hohen Jahre das Recht geben, den Agamemnonen und Achillen und Diomeden und Ajaxen ins Gesicht zu sagen: „ich habe mit andern und bessern Männern gelebt als ihr seyd — Nein, solche Männer hab’ ich nie wiedergesehen, und werde keine solche wiedersehen, wie Peirithous und Dryas, der Hirt der Völker, und Käneus, und Exadius, und der göttliche Polyphemus, und Theseus der Ägeide, der wie der Unsterblichen einer war.“ —

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Man sieht, H o m e r und N e s t o r hatten schon einen sehr verschiedenen Maasstab. Die Männer, die Homer göttlich nennt, sind in Nestors Augen, gegen jene, die e r dieses Beynahmens würdig hält, nur gewöhnliche Menschen. Und ganz natürlich, da sie zu den Helden des Jahrhunderts vor dem Trojanischen Kriege sich ungefähr eben so verhielten, wie die Griechen zu Homers Zeiten gegen die Zerstörer von Troja. Dieser selbst so große Mensch hatte in einer Epoche, die in unsern Augen noch heroisch genug ist, schon ein starkes Gefühl von der A b n a h m e d e r M e n s c h h e i t i n s e i n e n Ta g e n . Diomedes hebt (im V. B. der I.) einen Stein auf, und schleudert ihn unter die Feinde, der so schwehr war (sagt Homer)

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„daß ihn zween Männer, wie die Menschen izt sind, nicht tragen könnten.“ V i r g i l — der ungefehr neun Jahrhunderte nach Homer lebte, in einer Zeit, da der Luxus und die Ausartung in Rom der höchsten Stufe schon nahe waren — Virgil fühlte die Menschen seiner Zeit gegen die Helden der Trojanischen so klein und schwach, daß er, um im gehörigen Verhältnis zu bleiben,

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aus Homers Zween z w ö l f solcher Männerchen, wie man sie im goldnen Siecle d’Auguste sah, machen mußte. Freylich mag er wohl daran zu viel gethan haben, da hier bloß von der körperlichen Kraft eine gewisse Last aufzuheben die Rede ist: aber wenn seine Absicht war, das Verhältnis jener Helden gegen die gewöhnlichen Menschen seiner Zeit, überhaupt, oder nach der ganzen Summe der Naturkräfte soweit sie in einem Menschen gehen können, anzudeuten: so möchte sich wohl behaupten lassen, daß er nicht zuviel gesagt habe; und daß z. E. ein Mann wie Diomedes, nackend und ohne Waffen gegen zwölf junge Herren vom Hof Augusts, ebenfalls in Naturalibus, kämpfend, die artigen Herren mit eben so weniger Mühe nach einander ins Gras hingestreckt

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hätte, als es ihm leicht war den Stein aufzuheben und fortzuschleudern, den wenigstens keiner von ihnen von der Stelle hätte rücken können. Man erlaube mir hier eine kleine Abschweiffung, die uns nicht weit von der Hauptsache führen soll. In den Zeiten der Entnervung der Menschheit durch Üppigkeit und alle übrigen Folgen des Reichthums, und der höchsten Verfeinerung oder Überspannung *) ist es weniger die körperliche Schwäche als die Abwürdigung und Entkräftung der Seelen, die Stumpfheit ihres innern Sinnes für das wahre Große, was sie gegen die herrlichen Naturmenschen der Vorwelt so klein erscheinen macht. Wie sollten sie das Vermögen haben zu thun was diese

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vermochten, da sie nicht einmal fähig sind das Große in den edelsten Gesinnungen oder Handlungen derselben zu fühlen? — P l u t a r c h hat uns in seinem Leben des Pompejus ein sehr auffallendes Beyspiel hievon aufbehalten, das einen Zug von A c h i l l s Betragen in der großen entscheidenden Scene der Ilias betrift. Um meine Leser darüber selbst urtheilen zu lassen, muß ich diese Scene mit zwey Worten in ihr Gedächtniß zurückrufen. Die Trojaner alle haben sich vor der Wuth des Achilles hinter die Mauern ihrer Stadt geflüchtet; die Thore sind verschlossen; nur der einzige H e k t o r ist ausser den Mauren zurückgeblieben, entschlossen zu sterben oder dem Zerstörer seines Volkes das Leben zu nehmen; das Griechische Heer steht in einiger Entfernung gegen über, und die Götter schauen schweigend vom Olymp herab.

*)

Dies Lezte war eigentlich der Casus der Römer; aber die Folgen von Beyden sind am Ende

ziemlich ähnlich, nur daß E r s c h l a f f u n g aus Überspannung bey weitem ein schlimmerer Zustand ist als S c h w ä c h e aus Verfeinerung.

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Hektor, unerbittlich dem Flehen seines Vaters und seiner Mutter, steht und erwartet den kommenden Feind. Aber indem Achilles, „dem Gott der Schlachten gleich, in seinem Harnisch, der wie lodernd Feuer oder wie eine Morgensonne Stralen wirft, den furchtbaren Speer in seiner Rechten schwingend, auf ihn zugeht,“ überfällt ein ungewohnt Entsetzen Hektorn, ihm entsinkt der Muth, der ihn zur letzten Hoffnung seines unglückseelgen Volks und Hauses machte; er kann den Anblick des Starken, der über ihn gekommen, nicht ertragen, und flieht. Dreymal jagt ihn Achilles rund um die Mauren von Troja, und so oft der verstürzte Hektor, Hülfe von den Seinigen zu 10

erhalten, sich innert eines Pfeilschusses den Thürmen nähern will, treibt ihn Achilles wieder ins offne Feld gegen die Stirne des Griechischen Heeres zurück — winkt aber zugleich den Seinigen mit dem Kopfe und wehrt ihnen, mit Pfeilen nach Hektorn zu schießen, d a m i t n i c h t e i n a n d r e r i h m d e n Ruhm wegnähme, Hektorn erlegt zu haben, und er nur der Zweyte wäre. Wer die Ilias auch nur mit dem mäßigsten Antheil von Menschensinn gelesen hat, muß fühlen, daß Achilles nicht Achilles hätte seyn müssen, wenn es ihm in diesem glorreichen entscheidenden Augenblick hätte gleichgültig sein sollen, ob die Seele seines Freundes Patroklus und aller übrigen Griechen,

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welche Hektor zum Orkus gesendet hatte, durch ihn oder einen andern gerochen würde, und Troja durch seine oder eines andern Hand fiele. Gleichwohl (spricht Plutarch) fanden sich Leute *) die in diesem Gefühl und Betragen des Achills etwas unendlich kleines fanden. „Achilles, sagten die G r ä c u l i , thut hier nicht die That eines Mannes, sondern eines thörichten nach Ruhm schnappenden Knabens.“ — Die feinen Moralisten! Nach dem hohen Ideal dieser Schulmeister hätt’ es Achillen gleichviel seyn sollen, wer Hektorn erlegte, er oder T h e r s i t e s , wenn die That nur gethan würde; denn „ d e m We i s e n ists ja nie um sich, sondern immer nur um die Sache selbst zu thun! “ — O die Gräculi, die Gräculi! Wie sehr Achill zu beklagen ist, daß er

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kein We i s e r war! daß er zu früh in die Welt kam, um bey einem Chrysippus oder Posidonius in die Schule zu gehn, und zu lernen was für eine kindische *)

Er sagt uns nicht, wer sie waren; die Rede ist aber von denen, die den Pompejus wegen eines

gewissen würklich unedlen Verfahrens in dem Kriege mit den Seeräubern tadelten. Wahrscheinlich waren es nicht weise Römer, wie D a c i e r meynt, sondern Graeculi, Moralisten von Profeßion, von den scharfsichtigen Herren die den Wald vor den Bäumen nicht sehen können.

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Sache es um die Leidenschaften ist! Freylich, in den w i l d e n Zeiten, worinn er das Unglück hatte gebohren zu werden, wußten die Leute noch wenig von guter Lebensart. Da zankten Könige und Feldmarschälle sich noch im bittersten Ernst um eine hübsche Dirne, geriethen um so einer Kleinigkeit willen in solche Wuth, daß sie mit Hintansetzung aller Wohlanständigkeit einander schimpften, wie die Karrenschieber — Da setzte sich der göttliche Achill ans Ufer hin und weinte wie ein kleines Mädchen, daß ihm Agamemnon seine Puppe genommen, oder (was in den Augen eines stoischen Schulmeisters auf eines hinauslief) daß ihm die Griechen seinen verdienten Antheil an der Beute, an deren Gewinnung er sein Leben gesetzt, wieder weggenommen und ihn

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dadurch beschimpft hatten u. s. w. Welche Thorheiten! welche Kindereyen! Und der einfältige Homer, der selbst Kinds genug war aus solchen Kindern seine Helden zu machen, ließ sich so wenig davon träumen, wie irgend eine große Natur ohne Leidenschaft seyn könnte, daß er auch sogar seine Götter mit eben so läppischen Leidenschaften begabte — (wofür ihm dann auch Plato, Cicero, und soviel andre große Männer — die zwar weder Iliaden g e t h a n noch Iliaden g e d i c h t e t haben — nach Verdienen den Text gelesen haben) Doch freylich, was können am Ende Homer und seine Helden dafür? Quisque suos patimur Manes. Sie trugen die Last ihrer Zeiten, wo die Menschen noch waren wie sie die bloße Natur macht, wie sie in dem groben ungeschliffnen

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Zustand eines Volkes, d a s n o c h N e r v e n h a t , seyn können. Ach! die Nerven, die Nerven! die sind immer (wie Herr P i n t o weislich bemerkt hat) an allem Übel Schuld. Man kann daher nicht genug eilen, sie ihrer unbändigen, so viel Unheil in der Welt stifftenden Schnellkraft zu berauben! denn haben wir nur diese erst einmal weggeschwelgt, oder wegphilosophirt, oder weggetändelt, oder auf welche Art es sey ausser Activität gesetzt: dann räckeln wir uns hin, und, weil wir keine Nerven mehr haben um zu lieben oder zu hassen, philosophiren wir über die Herrlichkeit der Wesen ohne Sinnen und Leidenschaften; und, weil wir keine Nerven mehr haben etwas zu unternehmen und auszuführen, beweisen wir, daß der Weise weder Hand noch Fuß regen, sondern bloß zuschauen müsse; und, weil wir keine Nerven mehr haben, und in dem Staat, worinn wir zu leben die Ehre haben, nichts thun können oder dörfen, sondern nervis alienis mobilia ligna sind, schwingen wir uns über die partheyischen kleinfügigen Bürgertugenden hinweg, und — s c h w a t z e n von allgemeiner Weltbürgerschaft; — Kurz, je mehr wir durch die Abschälungen

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und Abstreifungen, die man mit uns vorgenommen, verlohren haben, je spitzfündiger werden wir uns zu beweisen, daß ein Mensch desto vollkommner sey, je abstrakter er ist; d. i. je weniger er zu verliehren hat; so daß einer also erst dann ganz vollkommen wäre, wenn er gar nichts mehr zu verlieren hätte, d. i. wenn er gar Nichts mehr wäre, — welches bekanntermaaßen das höchste Gut gewisser Fakirn und F o e - Schüler in Indien und allerdings ultima linea rerum, die unterste Stuffe der Abnahme des menschlichen Geschlechts ist, der wir, leider! zwar immer näher und näher kommen, sie selbst aber vermuthlich doch niemals völlig erreichen werden. 10

Nach dieser Abschweifung, so es eine ist, nun wieder in unsern Weg, wenn wir ihn anders wieder finden können! In dem Kreise, worinn uns die Natur ewig herumzudrehen s c h e i n t , lassen sich gleichsam z w e e n P o l e angeben, wovon der eine d e n h ö c h s t e n Punct der natürlichen Gesundheit, Größe und Stärke des Mens c h e n , und der andre d e n t i e f s t e n P u n c t d e r K l e i n h e i t , S c h w ä c h e , E r s c h l a f f u n g u n d Ve r d e r b n i ß bezeichnet. Jedes Volk in der Welt (dünkt mich) ist dazu gekommen, oder wird dazu kommen, sich erst auf dem einen und dann wieder auf dem andern dieser Puncte zu befinden. Und wo suchen wir nun den ersten dieser Zeitpuncte, den Zenith der n a -

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t ü r l i c h e n Vollkommenheit des Menschen? — Wahrlich nicht in den gepriesenen g o l d n e n A l t e r n d e r P h i l o s o p h i e u n d d e s G e s c h m a c k s , nicht in den Jahrhunderten Alexanders, Augusts, Leons X. und Ludwig XIV. Das kann wohl niemanden mehr einfallen, der diese goldne Zeiten ein wenig genauer angesehen, und nur einigen Begriff davon hat, was Mensch ist und seyn kann. Auszierung, Einfassung, Schminke und Flitterstaat machts nicht aus; und etliche gute Mahler, Bildhauer, Poeten und Kupferstecher machens auch nicht aus! Man zeige mir in einem von diesen Jahrhunderten den Mann, der sich nicht vor K a r l d e n G r o ß e n , dem Sohn eines barbarischen Zeitalters (wie wirs, den Griechen nachplappernd, zu nennen pflegen) zur Erde bücken

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müsse! Man meße (alle Umstände compensirt) die A l c i b i a d e n , A l e x a n d e r n , C ä s a r n (für die ich selbst, meines Orts, allen Respect habe) und neben Ihm werden sie kleiner scheinen, wie L a n z e l o t v o m S e e und seine Genossen neben dem alten Branor, der eines ganzen Hauptes länger war als sie alle, wie die alte Geschichte sagt. Ich vergesse nicht, daß es unbillig wäre, Karln die Tugenden seiner Zeit, und jenen Griechen und Römern die Untugenden der

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ihrigen ohne Abzug anzurechnen. Aber es ist auch hier nicht vom persönlichem Vorzug dieser großen Menschen (wiewohl ich glaube, daß Karl auch von dieser Seite der gewinnende Theil seyn würde) sondern von dem Vo r z u g d e r Z e i t e n die Rede — und dieser gebührt gewiß derjenigen, wo man der künstlichern Ausbildung und Aufstützung eben darum nicht bedarf, weil die Natur noch Alles thut. Ich weiß ungefehr alles, was sich zum Vortheil der Verfeinerung in Sitten und Lebensart, die wir den großen Monarchien und Städten, dem Luxus, der Nachahmung der alten Griechen und Römer, dem Handel, der Schiffarth, u. s. w. zu danken haben, — und zum Nachtheil der rauhern Lebensart und

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gröbern Sitten der Patriarchen- Helden- und Ritterzeit sagen und nichtsagen läßt. Es ist eine ausgedroschne, erschöpfte Materie, an der ich weder mehr zu dreschen noch zu saugen Lust habe. Aber hier ist die Frage: in welcher von beyden die Menschheit lautrer, gesunder, stärker und sogar g e f ü h l v o l l e r gewesen sey? (denn unsre alcoholisierte und oft nur affectierte E m p f i n d s a m k e i t die wir voraus zu haben glauben, ist nur ein schwaches Surrogatum für die lebendigen, starken, vollströmenden Gefühle der Natur) oder vielmehr es ist k e i n e F r a g e : die Sache spricht für sich selbst; und niemand, so sehr ihn auch die Last unsrer Zeit zusammengedrückt oder der Taumel unsrer vermeynten Vorzüge verdumpft haben mag, kann nur einen Augenblick an-

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stehen auf welche Seite er entscheiden soll. Wir sind also leider! nicht mehr was unsre Vorväter waren, fuimus Troe¨s; wir gewinnen im Kleinen, und verliehren im Großen; unsre Abnahme, unser Verfall ist schon seit Jahrhunderten die allgemeine Klage. Alles dies ist ausgemacht. Aber, liegt die Ursache dieser Abnahme in der Natur selbst, die, wie Lucrez meynt, als eine durch viele Geburten geschwächte Mutter nicht mehr Kräfte genug hat, so große Körper und gewaltige Thiere hervorzubringen wie vormals? Oder liegt sie in äußern Ursachen, und ist eine nothwendige Folge des ewigen Wechsels der menschlichen Dinge? — Erstreckt sie sich auf die Menschheit überhaupt, oder trift sie nur besondere Völker und Zeiten? Und giebt es irgend einen Punkt, wo sie still steht; einen Kreislauf der uns wieder dahin zurückbringt, wo wir schon gewesen sind? Oder hat diese fatale Abnahme keine Grenzen; haben wir von Adam und Even an abgenommen, und werden so lange von Generation zu Generation immer kleiner, schwächer, kröplichter werden, bis (wie es einst der Nymfe E c c h o und dem Zauberer

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M e r l i n ergieng) nichts als eine b l o ß e S t i m m e , und zulezt, wenn auch diese ausgetönt haben wird, gar nichts mehr von uns übrig ist? Eine kurze Fortsetzung meiner bisherigen Betrachtungen wird uns eine, wie mirs scheint, sehr natürliche Auflösung dieser Fragen an die Hand geben. Wie alle Meynungen der Menschen, selbst die ungereimtesten sich immer auf irgend eine Thatsache stützen; und, wie wir Sterbliche fast immer nicht durch das was wir s e h e n , sondern durch das was wir d a r a u s s c h l i e ß e n , betrogen werden: So scheint es auch hier ergangen zu seyn. Man bemerkte von 10

einem gewissen Punct bis zu einem andern eine stuffenweise Abnahme; und nun schloß man: die Menschen h a b e n also i m m e r abgenommen, und werden immer abnehmen; haben schon zu Homers, ja schon zu des Patriarchen Jacob Zeiten abgenommen; sind folglich desto größer und vollkommner gewesen, je näher sie dem Ursprung der Menschheit waren, und werden desto armseligere Geschöpfe, je weiter sie sich davon entfernen. Und nun ließ man die Einbildungskraft ausrennen! Ich will — um meine Leser für die Langeweile die ich ihnen vielleicht (wiewohl nicht mit Fleiß) bisher gemacht habe, ein wenig zu entschädigen — mich nur bey einen einzigen Vorzug verweilen, den ein fast allgemeiner Glaube den

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Menschen der ältesten Welt einräumt — nehmlich, d e n einer ungeheuern körperlichen Größe. Wir wollen sehen, was wohl an der Sache seyn mag, und mit welchem Grunde sich daher auf die Abnahme der menschlichen G a t t u n g schließen läßt. Nach dem Bericht der Ta l m u d i s t e n war Adam, selbst nach dem Fall (durch den er auch in diesem Stück unendlich viel verlohren hatte) noch immer 900 Ellen hoch, so daß ein Swiftischer B r o b d i g n a k gegen ihn nur ein L i l l i p u t t e r gewesen wäre. Die A r a b e r (nach der Erzählung des Wanderers M o n c o n y s ) machen sich keinen viel kleinern Begriff von der Größe unsrer ersten Stammeltern; denn Sie zeigen bis auf diesen Tag drey Berge oder Hügel

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in der Ebne von Mecca, auf deren einen E v a ihren Kopf, und auf die beyden andern (so zween Musketenschüsse weit von jenem abstehen) ihre Kniee bey einer gewissen Gelegenheit gestüzt haben soll. *) — Doch man weiß, daß die Morgenländer starke Liebhaber vom Vergrößern sind. Wir wollen uns also an *)

v. B a y l e D i c t i o n . Article A d a m .

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einen neuern Abendländischen Gelehrten halten, der sich Mühe gegeben hat, auf den Grund der Sache zu kommen. Herr Nicolaus H e n r i o n , Mitglied der Academie des Inscriptions zu Paris im ersten Viertel dieses Jahrhunderts, ein Mann, der eine große Stärke in den Morgenländischen Sprachen besessen haben soll, arbeitete viele Jahre Tag und Nacht an einem großen Werk über M a a ß e u n d G e w i c h t a l l e r Z e i t e n u n d V ö l k e r d e s E r d b o d e n s . Es war seine Lieblingsbeschäftigung; aber je mehr er Entdeckungen machte, und je tiefer er sich in die alte Welt hineingrub, je mehr wuchs seine Arbeit ins Unermeßliche, und so überraschte ihn der Tod, eh er damit zu Stande kommen konnte. Der Umstand, daß alle Völker

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von je her mit Fußen gemessen haben, brachte ihn auf Untersuchung der verschiedenen Größe des menschlichen Fußes, und diese auf Ausmessung der ganzen Größe der Menschen in verschiedenen Zeitaltern. Im Jahr 1718 brachte er der Akademie eine chronologische Tabelle der Verschiedenheiten der Länge des menschlichen Körpers, von Erschaffung der Welt an, bis zur Christlichen Zeitrechnung, so wie er sie nach seinen vermeynten Entdeckungen calculiert hatte. Vermöge derselben hätten sich zwar die Rabbinen etwas verrechnet; jedoch bliebe unsern Stammeltern immer noch eine sehr respectable Länge. A d a m war, nach Hrn. Henrions Tabelle, 123 Fuß, 9 Zoll, Pariser Maas, und E v a 118 Fuß, 9¾ Zoll lang. Allein bey der Neunten Generation zeigte sich

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bereits eine merkliche Abnahme; N o a h hatte schon 20 Fuß weniger als Adam; und bey der Neunzehnten schrumpfte das Menschengeschlecht vollends zu wahren Gezwergen ein; denn Vater A b r a h a m maaß nur noch 27 bis 28 Fuß. Nun wurden die Zeiten immer schlechter, so daß für M o s e nur 13 und für den Thebanischen Herkules *) kaum 10 Fuß blieben. A l e x a n d e r der Große mußte sich an Sechs Fuß begnügen lassen; und C ä s a r (zu dessen Zeiten man die Größe eines Mannes schon lange nicht mehr nach Füßen ausmaaß) Cäsar konnte ein großer Mann mit Fünfen seyn. — Schade daß die A k a d e m i e d e r A u f s c h r i f t e n uns nicht wenigstens einen Theil der Gründe und Pieces justificatives hat mittheilen wollen, womit Mr. H e n r i o n diesen merkwürdigen Maasstab der Menschheit ohne Zweifel zu belegen im Stande war. Man hätte sie doch wohl in seinen nachgelaßnen Pappieren finden *)

Der nach F r e r e t s Berechnung (Memoir. de l’Acad. des Inscr. Tom. VII. p. m. 485.) unge-

fehr 200 Jahre später ist als M o s e s .

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müssen. Insonderheit hätt’ ich sehen mögen, aus was für Gründen er uns hätte begreiflich machen wollen, wie, zu einer Zeit, da die menschliche Gattung schon auf 12 bis 13 Fuß heruntergekommen war, die Kinder Enaks noch so ungeheure Popanze seyn konnten, daß die Israelitischen Kundschafter sich selbst gegen jene nur wie H e u s c h r e c k e n vorkamen. *) Der Abbe T i l l a d e t hatte der Akademie schon lange zuvor im Jahr 1704 eine Abhandlung über die Riesen vorgelesen, worinn er aus heiligen und Profan-Scribenten bewies, daß es in den ersten zwey Jahrtausenden Riesenvölker gegeben habe, und daß nicht nur Adam und die ersten Patriarchen, sondern 10

auch die Anführer der morgenländischen Kolonien, die nach und nach den Occident bevölkert haben, insgesammt Riesen gewesen. Einige Jahre darauf nahm Herr M a h ü d e l die Frage wieder auf, und weil ihn däuchte, daß Tilladet die Sache ein wenig zu leichtgläubig und seichte behandelt habe, so untersuchte er sie, in der ächten S h a n d e i s c h e n Manier, als ein Physicus, Anatomist, Mechanicus, Geschichtsforscher, Kunstrichter, Staatsmann, Moralist, Ökonomist, u. s. w. und so fand sich dann freylich, daß die Männer, die mit einer Fichte statt des Stabs in der Hand über Berg und Thal daherschritten, und denen, wenn sie ins Meer hineingiengen, das Wasser kaum bis an die Kniekehlen reichte, bey genauerer Ausmessung zu ganz leidlichen Ungeheu-

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ern wurden; so wie das fürchterliche weiße Gespenst, das uns die Haare zu Berge stehen machte, beym Lichte besehen und mit Händen betastet, zu einem unschuldigen Hemde wird. Dies gilt nicht nur den Mährlein solcher Geschichtschreiber wie z. E. der Mönch H e l i n a n d **) und sein leichtgläubiger Nachschreiber To s t a t ; nicht nur der Höle des Polyphemus, dieses berühmten Cyklopen, der nach F a s e l s Versicherung 200 Ellen lang war, und zu Dre*) **)

4. B. Mose XIII. Ein Chronikschreiber aus dem Anfang des 13ten Jahrhunderts, auf dessen Glaubwürdig-

keit die schöne Erzählung beruht, von der Entdeckung des Grabes des vom Virgil besungenen Prinzen P a l l a s , Evanders Sohn, und wie man dessen Leichnam 2300 Jahre nach seiner Beerdi30

gung noch unversehrt gefunden, und wie er, da man ihn an die Stadtmauer zu Rom angelehnt, um den ganzen Kopf über die Mauer emporgeraget habe, etc. etc. Welches alles ihm der ehrliche A l p h o n s To s t a t , Bischof von Avila, umständlich und getreulich nachgesagt. Dieser Tostat ist der große Polygraph, dem man nachgerechnet hat, daß er, um die XXVII dicke Folianten, woraus seine Werke bestehen, bey Leibesleben zu Stande zu bringen, seine Kindheit abgerechnet, jeden Tag wenigstens 5 Bogen schreiben mußte. Wer einen so dringenden Beruf zum Schreiben hat, dem bleibt freylich keine Zeit zum Denken übrig.

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pano in einer Höle wohnte, die der P. K i r c h e r , der sie gemessen, — sieben bis acht Fuß hoch befunden; nicht nur dem 46 Ellen langen Skelet des O r i o n in Kreta (beym P l i n i u s ) das die Kritik mit gutem Fug auf 6 heruntersetzt, und das auch dann noch immer für eine Reisebeschreibers-Lüge groß genug ist: — Selbst G o l i a t h und König O g v o n B a s a n , für deren ungeheure Statur wir das ehrwürdigste Zeugnis haben, sinken, ohne Nachtheil der Autorität desselben, nach Herrn M. Berechnung, zu einer unsre Einbildungskraft weniger ermüdenden Länge herab. Kurz, seiner bescheidenen Meynung nach, sind z w ö l f F u ß die höchste Länge, die man irgend einem Riesen zuzugestehen schuldig ist, und die beglaubte Geschichte stellt keinen einzigen auf, der die-

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ses Maas überschritten hätte. So wenig dies auch denen vorkommen mag, die von einem Zweyhundert-Ellen-langen Kerl wie von der alltäglichsten Sache von der Welt sprechen: so dünkt mich doch Hr. Mahüdel habe den festen Punct der höchsten kolossalischen Größe des Menschen noch viel zu hoch gesetzt, und man habe, um der Mythologie und Geschichte alle Billigkeit zu erweisen, nicht nöthig, solche über S i e b e n F u ß anzunehmen; denn die höchst seltnen Ungeheuer, die dies Maas überschritten haben möchten, verdienen hier, wo die Frage von höchster natürlicher Vollkommenheit ist, eben so wenig in Betracht zu kommen, als die zwey- oder dreyköpfigen Mißgeburten. Was in unsern Zeiten wegen der P a t a g o n e n vorgegangen, giebt uns ein

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klares Beyspiel, wie es, sehr natürlicherweise, mit den historischen und kosmographischen Vergrösserungen zuzugehen pflegt. Vielen ältern Reisebeschreibern zufolge waren diese Bewohner der westlichen Küste des Magellanischen Landes noch einmal so hoch als Europäer von gewöhnlicher Statur; und dies bestättigte Hr. F r e z i e r in seiner Reisebeschreibung von 1732. aus dem Munde verschiedener S p a n i e r , die als A u g e n z e u g e n sprachen. Zwey und dreyßig Jahre hernach befuhr (bekanntermaßen) der Commodor B y r o n die Küste, wo diese Titanen zu Hause seyn sollten; er sah sie, und, wiewohl sie ihm noch immer groß genug vorkamen um mit allem Respect, den man s e i n e n H ö h e r n schuldig ist, von ihnen zu sprechen, *) so fand er sie doch we*)

Wie leicht die Überraschung und das Erstaunen auch den verständigsten Mann zu unmä-

ßigen Hyperbolen bringen kann, davon kann uns Hr. Byron selbst zum Beyspiel dienen, da er sagt: Sein Lieutenant, Hr. Cumming, der doch selbst 6 Fuß 2 Zoll maaß, wäre diesen R i e s e n gegenüber so klein wie ein Z w e r g worden — und doch betrug der Unterschied höchstens nur 3 bis 4 Zoll!

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nigstens um 3 bis 4 Fuß kleiner, als die Spanier (die das Große lieben) sie gemacht hatten. Der Größte, den Er unter etlichen Hunderten sah, schien ihm, dem Augenmaas nach, n i c h t v i e l k l e i n e r a l s S i e b e n F u ß . Endlich lernte Capitain Wa l l i s zwey Jahre drauf die nehmliche R i e s e n kennen, die man, weil sie fast immer zu Pferde sind, eben sowohl hätte zu neuen C e n t a u r e n machen mögen. Zu gutem Glücke hatte er just zwo Meßruthen bey sich. In solchen Fällen ist nichts über eine Meßruthe, um hinter die eigentliche Wahrheit zu kommen. Man maaß die l ä n g s t e n unter ihnen, und Siehe! es fand sich nur einer der 6 Fuß 7 Zoll maaß, und etliche wenige von 6 Fuß 5 bis 6 10

Zoll; die meisten hingegen hatten nur 5 Fuß 10 Zoll bis 6 Fuß. Und so schmolz eine Länge, die nach S p a n i s c h e n A u g e n m a a s 10 bis 11 Fuß betrug, in einem E n g l ä n d i s c h e n A u g e auf Sieben, und durch die M e ß r u t h e auf Sechs bis Siebenthalb herunter. Man muß gestehen, dies ist immer noch viel, und eine ganze Nation solcher stattlicher Männer, mit Weibern nach Proportion, muß für einen armen Europäer allerdings ein sonderbarer und schauerlicher Anblick seyn. Aber sehr vermuthlich ist die Größe dieser Patagonen auch das Non plus ultra der menschlichen Statur; und wenn wir von der angeblichen Größe der Menschen in den Patriarchen und Heldenzeiten alles abziehen, was davon auf Rechnung der verschiednen Maaße, und des Betrugs

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der Augen, und der Lügenhaftigkeit der Wanderer, Seefahrer, und Dichter, und der Vergrößerung, die jede Sache durch das Fortwälzen aus einem Mund in den andern erhält, zu setzen ist: so wird wohl eine Länge von Siebenthalb bis Sieben Fuß das höchste seyn, was die Riesengeschlechter der ältesten Zeit, und die stattlichsten Männer der Heroischen und Ritterlichen zu fodern haben. H e r k u l e s hatte, nach der Ausrechnung des Pythagoras, S i e b e n F u ß ; eben soviel hatte K a r l d e r G r o ß e — wiewohl er diesen Beynamen einer andern Größe zu danken hat. Ich kenne aus der Geschichte keinen dritten Mann zu diesen Beyden. Ihre Stärke war in Verhältnis mit ihrer Größe; sie waren unermüdet in Thätigkeit, tapfer in Duldung, mächtig im Streit und mächtig in

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Frauenliebe. Wie sollten wir also nicht sicher annehmen können, daß die Statur dieser zween gewaltigsten Söhne des Himmels und der Erde das wahre Maas heroischer Größe und Majestät sey, welches, verbunden (wie bey ihnen Beyden) mit Stärke und Schönheit, diejenige äusserliche Gestalt giebt, die eines Mannes würdig ist, vor dem (nach Shakespears Ausdruck) die Natur aufstehen und sagen soll: d a s i s t e i n M a n n .

Betrachtung über die Abnahme des menschlichen Geschlechts

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Gesetzt nun, die Natur habe, in den ersten Zeiten der Menschheit, lauter Menschen von diesem Schlag, oder wenigstens viele dergleichen hervorgebracht — mit welchem Grunde kann man sagen, sie habe in der Folge die Kraft verlohren, ihres gleichen hervorzubringen? Wie sehr weit sind Herkules und Karl der Große der Zeit nach voneinander! Oder, wollte man einwenden, dies wären einzelne ausserordentliche Männer gewesen: Hatte Herkules nicht seinen T h e s e u s und P e i r i t h o u s ? Waren die A r g o n a u t e n nicht seine Spießgesellen? Hatte Karl nicht seine P a i r s , seinen R o l a n d , u. s. w. Sie waren Primi inter Pares, wie Achill unter den Helden der Griechen; aber ihre Pares waren keine gemeine Menschen. Und finden wir nicht, noch bis auf diesen

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Tag, bey den noch ungebändigten Völkern Asiens und der Neuen Welt, die ganze Anlage, ja selbst einen großen Theil der Eigenschaften und Tugenden der heroischen Zeiten? Die großen Körper, die Stärcke und Behendigkeit, die Duldsamkeit, den hohen Muth, die Treuherzigkeit, die zu Tacitus Zeiten das Eigenthum der Germanen und andrer Nordischen Völker waren? Die edelsten unter den Westindianischen Horden und Stämmen sind uns noch wenig bekannt. Aber was für eine Anlage entdeckt sich z. B. schon in dem Wenigen was uns C o o k e von den N e u s e e l ä n d e r n erzählen kann! Ihre Zeit ist noch nicht gekommen — Denn, nach der Analogie zu urtheilen, geht ein unvollkommnerer Stand der Wildheit vor dem heroischen Zeitalter eines Volkes

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vorher — weil zu diesem schon ein gewisser höherer Grad von Entwicklung und Ausbildung, ein gewisser Fortgang der Kriegskünste, und eine weniger dürftige Lebensart gehört. Ihre Zeit ist also noch nicht gekommen; aber warum sollte sie nicht endlich eben sowohl kommen als der alten Pelasger, Iberier, Germanen und Britten ihre — und, auf einer andern Seite des Erdbodens, der Saracenen, der Türken, der Mogoln, u. s. w. ihre gekommen ist? Wie dem auch sey, nichts bedarf wohl weniger einer ernsthaften Widerlegung als die Meynung von immer zunehmender Entkräftung der Natur und stetem Abnehmen der Menschheit. Wo man jemals Abnahme gesehen hat, da hat man sie bey e i n z e l n e n V ö l k e r n gesehen — und immer waren’s die s i t t l i c h e n U r s a c h e n , immer war’s stuffenweise Entnervung und Verderbniß durch Tyrannie, übermäßige Ungleichheit, Hoffarth, Üppigkeit und zügellose Sitten, was endlich im ganzen Staatskörper diese K a c h e x i e hervorbrachte, die sich mit seinem Tode endigte. Die Verderbniß und Schwäche gieng nie ins Unendliche; sie hatte immer ihr gewisses Maas, wie Gesundheit

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und Stärke auch. Als es mit den Römern dahin gekommen war, daß der Nahme R ö m e r , der vormals Königen Ehrfurcht eindrückte, bey den Gothen zu einem Schimpfnamen wurde, den kein ehrlicher Kerl auf sich sitzen lassen konnte — so war es auch aus mit ihnen. Diese ausschweiffendsten, raubgierigsten, niederträchtigsten aller Menschen, die das Schändlichste zu thun und zu leiden fähig waren, wurden zulezt auch die feigesten und wehrlosesten des Erdbodens. — Tiefer ist nie kein anders Volk gesunken. Aber ihr Verderben war, gleich einer Seuche die nicht über einen gewissen Kreis hinaus kann, in die Grenzen ihrer Sitten eingeschlossen. Die Gothen, Wandalen, Longobar10

den, Franken, Sueven, u. s. w. die ihre Herren wurden, waren unangesteckt geblieben. Das große ungeheure Aas lag und moderte; aber was noch von gesunden Bestandtheilen übrig war, verlohr sich in einer neuen Schöpfung. Neue Völker, neue Namen, neue Reiche, Verfassungen, Sitten und Sprachen, giengen aus den Trümmern der alten Welt hervor; und nun fieng sich der Cirkel wieder an. Die Römer, denen Horaz soviel Böses weissagte, waren den Römern aus den Zeiten der Coriolanus, Curius, Cincinnatus, u. s. w. nicht unähnlicher, als wir heutigen Europäer unsern Stiftern und Altvordern sind. Unser Fortgang ins Schlechtere wird, truz aller unsrer Palliative und Betäubungsmittel, immer sichtlicher. Eine Kraft, die mächtiger ist als wir, stößt

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uns immer näher gegen jenen Punct, der noch allen Völkern, die ihn berührt haben, fatal gewesen ist. Werden wir vielleicht allein die Ausnahme machen? — Aber, was daraus auch werden mag, die menschliche G a t t u n g ü b e r h a u p t wird nichts dabey verliehren. Andre Völker, die izt noch in der Wildheit ihres kindischen Alters herumlauffen, werden ihre Jugendstuffe besteigen; unverdorbne, kraftvolle, gutartige Menschen, — wenn anders unsre kosmopolitische Neigung auf dem ganzen Erdenrund herumzuschwärmen, und allen Völkern, von Grönland bis in die Südseeinseln unsre Künste zu zeigen und unsre häßlichen Krankheiten mitzutheilen, bis dahin noch unangesteckte Menschen übrig läßt — werden die Patriarchen neuer Zeitalter wer-

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den; neue Helden, neue Argonauten, neue Orpheen und Ossiane, neue Ritter von der Tafelrunde — kurz die ganze Geschichte, wie sie Virgil in seiner vierten Idylle in so schönen Versen weissagt, wird unter andern Formen und in andern Gegenden wieder kommen; und in dieser Ordnung der Natur wird sich die Menschheit vielleicht noch lange fortdrehen, und von Zeit zu Zeit neugebohren werden, wachsen, blühen, reiffen, abnehmen, verderben, und

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dann wieder auferstehen, und wieder blühen, und wieder verderben: bis die Erde endlich ihre Zeit erfüllt hat, und eine Begebenheit, die alle übrigen verschlingt, die Scene schließen wird. Ich will damit nicht sagen, daß diese Kreisförmige Bewegung, womit sich die menschlichen Dinge umwälzen, ein w a h r e r C i r k e l sey. Man hat vielmehr alle Ursache, wie mich däucht, zu glauben, daß es keiner sey. Kein Volk hat jemals die Stuffe wieder betreten, von der es einmal herabgefallen, noch durch irgend ein Wunder der Kunst die natürlichen Kräfte wieder bekommen, die es einmal verlohren hatte. Die Perser sind nie wieder worden was sie unter Cyrus waren; die Athenienser haben sich nie von ihrem A l c i b i a d e s , die

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Spartaner nie von ihrem L y s a n d e r wieder erholen können u. s. f. Es scheint, die Reihe des Steigens und Fallens müsse nach und nach an alle Völker kommen — die nicht, wie die Grönländer, Lappen, Kamtschadalen und ihres gleichen, mit eisernen Banden des Klima’s gefesselt, ihr Daseyn im starren Nebel der Dumpfheit, wie halberfrohrnen Menschen zukömmt, hinträumen. Aber hier ist es hohe Zeit zu schweigen! — Denn der Natur heiligen Schleyer aufzudecken, und in ihr inneres Räderwerk zu schauen und zu zeigen wie eins ins andre greift, und wie, durch den ewigen Streit und die scheinbare Verwirrung der Theile, das Ganze im Gang erhalten wird, und wie alles Übel gut, aller Tod Leben ist, und alle die tausendfachen Bewegungen der Dinge auf und

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nieder, vorwärts und rückwärts, in Concentrischen und Excentrischen Kreisen u. s. w. am Ende doch nur Eine stille unmerklich fortrückende Spirallinie machen, die alles ewig dem allgemeinen Mittelpunct nähert — ist ein Abentheuer das — wofern es anders von einem Sterblichen bestanden werden kann — wenigstens einem andern als mir aufgehoben ist. Nur eine oder zwo Anmerkungen mögen mir noch vergönnt seyn, um (wo möglich) Mißverstand zu vergaumen — wiewohl ich je länger je mehr lerne, daß man dazu ganz besonders von den Feen b e g a b t seyn müßte. Meine Absicht ist so wenig gewesen, unserm Jahrhundert Hohn zu sprechen, als ihm zu schmeicheln. Ich halte es für keines der würksamsten Mittel seine Zeitgenossen zu bessern, wenn man ihnen, wie S w i f t , ewig Grobheiten und Sottisen sagt. Aber sie immer zu streicheln und zu hätscheln und liebzukosen, und einzuwiegen, und in Schlaf zu singen, taugt auch nicht viel. Es ist natürlich, wenn ein Mann, der dem Spiel schon eine ziemliche Weile zusieht, immer mit den Vorzügen unsrer Zeit, und den Vortheilen unsrer Aufklärung,

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unsrer Verfeinerung, unsrer Weltbürgerey u. s. w. klappern hört, und sieht doch nirgends, daß es drum besser, wohl aber, daß es immer desto schlechter geht — daß man dann einmal des Klapperns überdrüßig wird, und ein Wort sagt, das man (weil es doch zu nichts helfen wird) eben sowohl hätte ungesagt lassen können — Wenn dann aber gleichwohl (wie das niemand wissen kann) hier oder dort jemand — Tros, Rutulusve fuat — dadurch veranlaßt würde, der Sache weiter nachzudencken, und Porismata zu ziehen, und auf die nächsten Mittel zu denken, wie Er’s, wenigstens für seine Person, zu machen hätte, um das bischen Menschensinn und Menschenkraft, und Seele und Herz, und Freu10

de an seinen Mitgeschöpfen und sich selbst, und Glauben und Liebe, und Wahrheit und Treue, womit ihn Gott in die Welt ausgesteuert, soviel er noch davon übrig hätte, aus diesem großen Getümmel, Zusammenlauf und Jahrmarkt der Welt glücklich und ohne weitern Verlust davonzubringen, und in der Stille seines häuslichen Lebens, zu sein und der Seinigen Nutzen und Frommen, anzulegen: — das wäre denn gleichwohl auch so übel nicht! Ich geniesse dankbarlich alles Gute was uns Künste und Wissenschaften gewähren; wärme mich zuweilen an ihrem Feuer, wenn mir vielleicht besser wäre ins Freye hinaus zu gehen, und mir durch tüchtige Bewegung warm zu machen; und lasse mir oft ihre Laterne leuchten, ohne gewahr zu werden —

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daß es heller Tag ist — wie es vielen unter euch, lieben Freunde, wohl auch gegangen seyn wird. Insonderheit hab ich immer alle gebührende Hochachtung vor den g o l d n e n J a h r h u n d e r t e n der Musen und Künste gehabt (wie ihr wißt) zumal vor dem ersten, — vielleicht deßwegen, weil wirs doch meistens nur von H ö r e n s a g e n kennen. Mich dünkt auf der ganzen Leiter, worauf ich die Menschenkinder, wie Jacob dort die Engel in seinem Traum, ewig auf und nieder steigen sehe, sind nur zwoo Stufen, wo sie sehr zu ihrem Vortheil in die Augen fallen. Die eine ist der Zeitpunkt, wo ein Volk viel freye, edle, gute Menschen, und die besten unter ihnen an seiner Spitze hat: — die andre d e r , wo es Künstler hat, die den Geist der heiligen Götter empfangen haben,

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um die Bilder der großen Menschen, die nicht mehr sind, aus Marmor und Elfenbein zu schnitzen, und den Göttern, an die man nicht mehr glaubt, schöne Tempel aufzubauen, und die Thaten der Helden, die niemand mehr thun k a n n , oder, wenn er könnte, nicht d a r f , in schönen Schauspielen, zu großer Leibes- und Gemüthsergötzung ihrer Mitbürger und hoher Herrschaften, vorzustellen. Es ließe sich, wenn’s nöthig wäre, der XXVIIIste Theil zu den XXVII

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Folianten des Alphons Tostat darüber schreiben, wie viel artige Vortheile, Zeitvertreib, Stoff zu Gesprächen in Gesellschaften und im Vorzimmer, Stoff zu Theorien, Kritiken, Recensionen, Epigrammen, Parodien, u. s. w. Gelegenheit zu tausenderley neuen Beschäftigungen, Gewerben, Charaktern, Narrheiten, und folglich wieder zu neuen Schauspielen, neuen Kritiken, Apologien etc. etc. die verfeinerte Welt diesen schönen Künsten lediglich zu danken hat. Ich sehe es alles ein, und bin weit entfernt, die ganze Summe aller dieser Vortheile nicht just für soviel gelten zu lassen als sie beträgt: aber gleichwohl wird es erlaubt seyn zu sagen, daß ein Held mehr werth ist als sein Bild, eine große That mehr als ein Schauspiel, oder als eine Abhandlung über ihre Moralität

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und Verdienstlichkeit; kurz, daß die Zeit des S e y n s vor der Zeit des N a c h a h m e n s , d. i. die Z e i t d e r N a t u r vor der Z e i t d e r K u n s t — einen gewissen Vorzug hat, den man ihr nicht absprechen kann. Noch wird es nicht schaden, mich über den Vorzug, den ich der S t ä r k e und R e a l i t ä t vor F e i n h e i t und A n s t r i c h gebe, mit etlichen Worten zu erklären. Mein Glaubensbekenntnis über Materie und Form ist dieses: wenn ein roher Klumpen — Gold ist, so benimmt ihm freylich seine Ungestalt nichts von seinem Werth; doch ist der Klumpen nicht eher brauchbar bis er eine Form hat. Ein goldnes Gefäß ist desto mehr werth, je mehr es Masse hat; und da die Form bey gleichviel Masse, schön oder häßlich seyn kann, so sehe ich

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nicht, was eine schöne Form seinem innern Werth schaden könnte: indessen ist richtig, daß es auch mit der schlechtesten Form immer seinen innern Werth behält. Ein Stück Thon hingegen, oder ein Klümpchen gekäut Pappier, da es nur durch Form und Faßon einigen Werth bekommt, kann nicht schön genug gearbeitet, gemahlt, geschmelzt und gefirnißt seyn. — Ein großer, edler, verdienstvoller Mann kann einer gewissen Politur entbehren, und verlöhre vielleicht durch sie: aber ein Bengel, der keinen andern Titel als seine Knochen und seine Grobheit hat um Anspruch an Verdienst zu machen, muß sich in der Sphäre der Lastträger halten, wenn sein Verdienst erkannt werden soll. — Eine Schöne und eine Häßliche haben beyde gleichviel Ursache gekleidet zu seyn, jene ihre Reitzungen, diese ihre Mängel zu verbergen. Die Naktheit einer Schönen würde eine Weile Augenweide seyn, aber bald sättigen und ermüden; mit Lumpen behangen und mit Schmuz bedeckt, würde sie eckelhaft werden. Venus selbst mußte von den Grazien angekleidet und geschmückt werden — ein Bild, worein die Griechen eine große Wahrheit hüll-

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ten. Auch die kunstlosesten Töchter der rohen Natur fühlen dies, und haben ihre Grazien. Wer nichts darnach fragt, ob er gefällt oder mißfällt, kann es halten wie er will; aber wer g e f a l l e n m ö c h t e , und empfindlich ist, wenn es ihm fehlschlägt, hat Unrecht wenn er das verachtet, was eine nothwendige Bedingung zum Gefallen ist. — Kurz, indem ich Natur und Einfalt und Wahrheit über Künsteley, Flitterstaat und Schminke setze, verlange ich der Ungeschliffenheit und dem C y n i s m u s , wodurch viele heutigs Tags S e n s a t i o n zu machen hoffen, das Wort eben so wenig zu reden: als es meine Absicht war, durch den Gegensatz unsrer Schwäche mit der Stärcke unsrer Altvordern, den 10

heutigen Modeton mitzuleyren. Die Prätension an Genie, Größe, Stärke, Kühnheit und Freyheit läuft gegenwärtig wie eine große Epidemie durch halb Europa; und, was das lustigste dabey ist, niemand ist mehr davon angesteckt als — die armen F r a n z o s e n . Ob Sie u n s , oder Wir s i e inficiert haben, oder ob nur gleiche Ursache gleiche Würkung hervorbringt, weiß ich nicht: genug, die Sache selbst hat ihre Richtigkeit. Es ist ein poßierliches Spectackel dem Gewimmel und Gelärme in den Sümpfen da unten zuzusehen, und was sich die armen Frösche aufblasen, um auch groß zu seyn; während der majestätische Stier ruhig und sorglos auf seiner Aue dahergeht, und nicht weiß ob er groß ist, und die Stärke seiner Stirne nicht fühlt bis er ihr vonnöthen hat. Denn

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alle wahrhaft große tapfere Männer, die ich noch gesehen habe, waren bescheiden und sanft, und sprachen am wenigsten von den Eigenschaften, worinn man ihnen den Vorzug zugestand. Ein H e r k u l e s kann nur sehr selten in den Fall kommen, von seinen Schultern und Armen sprechen zu müssen. Wer aber noch immer der einzige ist, der um das Geheimnis seiner hohen Vorzüge weiß, der ziehe seine Nebelkappe um sich, und rede durch Thaten. W.

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¼Wahre Geschichte* ) der Nachtmahl-Vergiftung in Zürich. …½

*) Das Publikum kann sich darauf verlassen, daß dieser Bericht von sehr guter Hand kömmt. Die Begebenheit selbst ist so erstaunlich, daß man sich nicht enthalten kann zu wünschen, es möchte der hohen Regierung zu Zürich gefallen, die Geschichte der ganzen Untersuchung dieses unbegreiflichen Handels, mit allen Akten und Urkunden, durch öffentlichen Druck bekannt machen zu lassen. Eine gerichtliche Untersuchung von solcher Wichtigkeit verdient die ganze Christenheit zu Zuschauern zu haben.

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W.

¼… Unterdeß verbreitete sich das Gerüchte, daß am Donnerstag und Freytag, und auch noch am Samstag einige Personen Übelkeiten empfunden, und besonders des Herrn Verwalters Magd heftige Kolik gelitten. Dies befand sich wahr: doch litt niemand beträchtlichen Schaden: und es ist erwiesen, daß zwo Personen, die auch beym Münster communicirt hatten und wenige Tage nachher starben, Vater und Tochter, schlechterdings nicht daher, sondern an hitzigen Fiebern gestorben,* ) welches freylich in der Ferne zu übertriebenen Gerüchten von den Folgen dieser Vergiftung Anlaß gab.½

*) Beyde Leichname sind also ohne allen Zweifel von Ärzten geöfnet und untersucht worden. W.

* * * Sollte einer oder der andere Rechtsgelehrte von Einsicht und Erfahrenheit, die Gedanken, die ihm bey Lesung der gegenwärtigen Geschichtserzählung etwan aufgestoßen, dem Herausgeber des T. Merkurs zur Einrückung mit-

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theilen wollen: so ist kein Zweifel, daß solches dem Publico sehr angenehm seyn würde. Vielleicht würd’ es auch nicht ohne Nutzen seyn. Denn daß Höllenthaten wie diese unentdeckt und also auch unbestraft bleiben sollten, wäre beynahe unnatürlich. Wenigstens zweifle ich sehr, ob die ganze Geschichte ein solches Beyspiel aufzuweisen hätte. W.

¼Anmerkungen und Zusatz: Lavater½ N a c h t m a h l - Ve r g i f t u n g

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Einige Charakterzüge zum Bildniß des Thomas Morus. Der Mann, dessen Bild der T. M. diesmal (aus der B ü l l a r t i s c h e n Academie des Sc. et des A.) liefert, ist, sowohl seiner Lebensgeschichte als seinem Charakter nach, so bekannt, daß es ganz überflüßig scheint, noch etwas davon zu sagen. Wer weiß nicht, daß S i r T h o m a s M o r e einer der vortreflichsten, geschicktesten, rechtschaffensten Männer seiner und jeder andern Zeit gewesen — daß er, ohne andre Schwingfedern als seine persönlichen Verdienste, von der niedern Stuffe eines Privatadvocaten nach und nach (und sehr wider seine Neigung, die mit dem Hofleben fast sehr unverträglich war) bis zur

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Würde eines Großcanzlers von England unter dem König Heinrich VIII. gestiegen; daß er auf diesem Platz, wo ein Jahrhundert später ein andrer großer Mann (wiewohl von ganz andern Seiten groß) der Lord B a c o n v o n Ve r u l a m , seinem Charakter unauslöschliche Flecken zugezogen, die veralteten und kaum noch glaublichen Tugenden der A r i s t i d e n und P h o c i o n e wieder lebendig dargestellt; daß er in einer so großen Würde, an einem sehr verderbten Hofe, unter einem ausschweiffenden, launischen, eigenmächtigen, und tyrannischen Fürsten, die größte Einfalt der Sitten, und die höchste Lauterkeit, Wahrheit, Stärke und Freyheit der Seele immer beybehalten; daß er endlich sein Amt, aus geheimen Ursachen, die, was sich auch sonst dagegen

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einwenden läßt, ihren Grund in seiner Gewissenhaftigkeit, Frömmigkeit und reinen Hausvaterliebe zu den Seinigen hatten, in einer Zeit, wo es beynahe unmöglich war, einer höchst fatalen Collision von Pflichten auf andre Weise auszuweichen, freywillig niedergelegt, und daß er drey Jahre drauf (im Jahr 1535.) seine unbiegsame Treue gegen innre Überzeugung von Wahrheit und Recht mit seinem Blute versiegelt hat? — Indessen, da ich noch einigen Raum habe, glaube ich, solchen nicht besser ausfüllen zu können, als mit einem paar Anekdoten (aus den von D. Ferdinand Wa r n e r vor mehrern Jahren herausgegebnen Memoires of the Life of Sir Thomas More) die das Individuelle in seinem Charakter — in welchem die strenge Tugend eines Stoikers mit dem zärtlichsten Menschen- und Hausvatergefühl, und die aufrichtige Frömmig-

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keit des Christen mit der glücklichsten Jovialität und Gutlaunigkeit vereinigt waren — besser zu fühlen geben, als alles was ich in einer studierten Charakterschilderung davon sagen könnte. * * * Den Tag, nachdem er das Siegel übergeben hatte, (wovon seine eigene Familie kein Wort wußte) gieng er, wie gewöhnlich, da es ein Feyertag war, in die Chelsea-Kirche mit seiner Frau und Töchtern; und als die Messe vorüber war — da sonsten einer von den Kammerdienern seiner Gemahlin zu sagen pflegte, der Kanzler wäre aus der Kirche — gieng er selbst an die Kirchstuhl10

thür, und sagte mit einer tiefen Verbeugung: „Madam, Mylord ist fort. *)“ Da sie seine Scherzhafftigkeit kannte, und dieß für einen Spaß hielt, achtete sie nicht weiter darauf, bis er sie unterm Heimgehen ernsthafft versicherte, was er gesagt habe sey im Wortverstande wahr, indem er den Tag zuvor sein Amt als Lord-Canzler dem Könige zurückgegeben. Wie sie nun sahe, daß es sein Ernst sey, und als eine ziemlich weltlichgesinnte Frau den äußersten Verdruß darüber empfand, antwortete sie nach ihrer gewohnten Art: „Tilly Welly, was wollt ihr nun anfangen, Herr More? Wollt ihr euch nun hinsetzen und Gänschen in der Asche machen? **) Was, ist befehlen nicht besser, als gehorchen?“ M o r e , um die üble Laune, worinnen er seine Frau sah, zu zerstreuen, fieng

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an, an ihrem Putze was auszusetzen; und da sie ihre Töchter darüber schalt, daß sie es nicht bemerkt hätten, und diese versicherten, es fehle nichts: erwiederte er mit großer Lustigkeit; „Seht ihr nicht, daß eurer Mutter Nase ein wenig schief steht?“ — Man muß gestehen (sagt der Englische Autor, aus dem dies genommen ist) daß dieß ein geringfügiger Umstand in dem Leben eines so großen Mannes ist. Aber der Leser muß bemerken, daß die Charakter der Menschen am besten aus Kleinigkeit erlernt werden. Es wird hier angeführt, zu zeigen, daß seine scherzhaffte Laune ihm natürlich und ungezwungen war, und daß Macht, Ehre und große Einkünfte wenig Reiz für den Mann haben *)

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Milord is gone. Der Scherz liegt in dem Doppelsinn der Redensart, welche beydes sagt:

M i l o r d i s t g e g a n g e n , (nemlich aus der Kirche) und d e r M i l o r d h a t (bey mir) e i n E n d e ; ich bin kein Milord mehr. Denn da er nur ein Ritter war, so hieß er nur Milord so lang er würklicher Lord-Canzler war. **)

Will you sit and make Goslings in the Ashes — Ich gestehe daß ich diese triviale Redensart

nicht verstehe; vermuthlich wird irgend ein Kinderspiel dadurch bezeichnet.

E i n i g e C h a r a k t e r z ü g e ¼…½ d e s T h o m a s M o r u s

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mußten, der sie mit einem so leichten und frölichen Herzen weggeben konnte. — Die erste Sache, die er nach der Übergabe seines Amtes vornahm, war, allen seinen Leuten Bedienstungen unter dem Adel und den Bischöffen zu verschaffen; damit sie auf keine Weise durch ihn leiden möchten. Nachdem dieses zu seiner Zufriedenheit geschehen war, rief er alle seine Kinder und ihre Ehegatten zusammen, (denn sie wohnten alle in Einem Hause) und sagte ihnen: er könnte jezt nicht mehr, wie er zeither gewohnt gewesen, und gerne ferner thun wollte, allen ihren Aufwand allein bestreiten; was sie also thun wolten, damit sie ferner bey einander bleiben könnten, wie er sehr wünschte? Da sie alle stille schwiegen, sagte er ihnen: „ob er gleich von der niedrigsten bis

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zu der höchsten Civilstufe wäre erhoben worden, so hätte er doch jetzo wenig über hundert Pfund jährliche Einkünfte; so daß, wenn sie bey einander bleiben sollten, sie sich künftig gefallen lassen müßten, ihren Antheil beyzutragen.“ — Ohngeachtet der König ihn in den wichtigsten Diensten für sich selbst und das Königreich, während dem besten Theil seines Lebens gebraucht: hatte er sich doch die Gelegenheiten sich zu bereichern so wenig zu Nutz gemacht, daß alles liegende Gut, daß er jemals gekauft, (und er kaufte es, eh er Lord Canzler wurde,) nicht über den Werth von zwanzig Mark betrug. Und als nach der Übergabe dieses Amtes, alle seine Schulden bezahlt waren, so behielt er an Gold und Silber, (seine Kette ausgenommen,) nicht den Werth von hundert

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Pfund übrig. — Und dieß alles (was wohl zu merken) bey der simpelsten und beynahe bäurischen Lebensart, die er auch in seinem höchsten Glücke beybehielt. Die Scene zwischen ihm und seiner Tochter, nach seiner Verurtheilung zum Tod, zeigt ihn von einer andern nicht weniger interessanten Seite. Als er auf eine feyerliche Art von dem Gerichtshofe Abschied genommen, wurde er nach dem Tower zurückgeführt, und das Beil vor ihm hergetragen, wie in solchem Falle gewöhnlich ist. Da er an die Pforte des Tower kam, so wartete da seine Lieblingstochter, M i s t r i s R o p e r , weil sie glaubte, dies würde die letzte Gelegenheit seyn, die sie jemals haben würde, ihn zu sehen. Sobald sie ihn erblickte, brach sie durch das Gedränge und die Wache, die ihn umgab; und nachdem sie auf ihren Knien seinen Seegen erhalten, umarmte sie ihn inbrünstig vor ihnen allen; und unter einem Strom von Thränen und tausend Küssen der Zärtlichkeit und Zuneigung, da ihr Herz vor Schmerz brechen wollte, waren die einzigen Worte, die sie hervorbringen konnte: „ M e i n Va -

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t e r ! o m e i n Va t e r ! — “ Wenn irgend etwas seine Standhafftigkeit erschüttern konnte, so mußte es dieses seyn. Aber er faßte sie nur in seine Arme, und sagte ihr: „was er auch immer, obgleich unschuldig, leiden würde, geschähe doch nicht ohne den Willen Gottes, dessen heiligem Verhängniß sie sich unterwerfen müßte; sie kennte alle Triebfedern seines Herzens gut genug, und sie müßte ihren Verlust gedultig ertragen.“ Sie schied nun von ihm. Aber kaum hatte sie sich auf die Seite gewandt, als sie im Drang des Schmerzens und der Liebe ihrer selbst nicht mehr mächtig blieb. Sie brach wieder plötzlich durch die Menge, lief zum zweytenmale hitzig auf ihn zu, fiel ihm um den 10

Hals, hieng an ihm mit ihren Umarmungen, und weinte als eine die vor Jammer hätte vergehen mögen. Dies war fast mehr als ein Mann zu ertragen vermochte, (sagt der ehrliche Doctor Warner) Morus sprach kein Wort; aber die Thränen flossen ihm in großer Menge von seinen ehrwürdigen Wangen herab; bis sie endlich den letzten Kuß nahm, und sich von ihm wegriß. Dies war in seiner ganzen Todesscene der einzige Augenblick, wo sein Muth ihn zu verlassen schien — und was wäre der Stoiker — der nicht in einem solchen Augenblick — ganz Mensch, ganz Vater wäre? * * * Von seiner U t o p i a , dem berühmtesten und merkwürdigsten seiner Werke,

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und worinn der Charakter seines Geistes und Herzens sich am lebendigsten abgedrückt hat, gedenke ich in einem der nächsten Stücke mich mit meinen Lesern zu unterhalten. So bekannt sie dem Namen nach ist, und so oft und in so mancherley Sprachen sie übersetzt worden, so sind doch wenige die das Original gelesen, und noch wenigere, die es als einen Abdruck seines Urhebers gelesen haben. W.

E i n i g e C h a r a k t e r z ü g e ¼…½ d e s T h o m a s M o r u s

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An einige anonyme Correspondenten. Ich habe seit einigen Monaten wieder von vielen Orten her allerley kleinere und größere poetische Aufsätze, ohne Namen der Verfasser, erhalten. Wenn ich nicht von allem, oder (richtiger zu sagen) wenn ich nur von dem wenigsten, was mir so zugeschickt wird, Gebrauch machen kann, so ist die Ursache davon nicht Verachtung, sondern oft bloß, daß Manches, das anderswo vielleicht eine gute Figur machen könnte, im T. Merkur nicht an seiner Stelle seyn würde. — Zuweilen werden mir freylich auch unzeitige Geburten vor die Thüre gelegt, zu denen ich eben so wenig Pflegvater seyn, als dem Publico damit zur Last fallen mag. Von einer schon vor geraumer Zeit eingelaufnen Probe eines k o m i s c h e n H e l d e n g e d i c h t s , in der Manier eines berühmten Dichters der uns kürzlich entrissen worden, gedenke ich nächstens die Leser des Merkurs zum Richter zu machen — da sich’s für mich nicht schickt, über dergleichen Werke meine Stimme zu geben. Bisher hat sich immer kein Platz dazu gefunden. Einige andre mir kürzlich zugekommene Stücke sollen gleichfalls in den nächsten Monaten den ihrigen erhalten. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende März /Anfang April 1777)

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¼Anzeige einer Monatschrift von pädagogischem Inhalte, welche mit dem nächsten Osterquartal ihren Anfang nehmen soll. … Da wir nicht Zeit haben, lange über unwichtigere Nebendinge nachzusinnen; so wählen wir denjenigen Titel zu unserer Monatsschrift, der uns zuerst aufstößt, unbekümmert, ob nicht etwa ein anderer hätte erdacht werden können, welcher vielleicht neumodischer, wohlklingender und passender gewesen wäre. T i t e l , sagt L e s s i n g , irgendwo, s i n d k e i n e K ü c h e n z e t t e l . Und so haben wir dann, ohne weiteres Kopfbrechen die Benennung: p ä d a g o 10

g i s c h e U n t e r h a n d l u n g e n , gewählt. …½

* * * Dürft ich eine Kleinigkeit erinnern, so wär’ es auf dem Titel Ve r h a n d l u n g e n , zu setzen. Denn vermuthlich soll das gebrauchte Wort soviel als Transactions sagen. U n t e r h a n d l u n g e n aber ist meines Wissens, immer für Negociations gebraucht worden. W.

¼Zusatz: Basedow und Campe½ A n z e i g e e i n e r M o n a t s c h r i f t

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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1777. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.

Zweytes Vierteljahr. Weimar.

Der Teutsche Merkur. April 1777.

¼Ariosts Zwietracht. Probe von H e i n s e n s Übersetzung des wüthenden Roland. … Es stürmt mit den Glocken in häufigen Stößen, und schrecklichen Stimmen. Sieht sich in dieser Kirche und in jener viel Handgenhimmelhebens und Mäulergewackle. Wenn Kostbarkeiten Gott so schön vorkämen, als unsern albernen Meynungen so war das der Tag, wo das heilige Consistorium jede Bildsäule von ihm auf Erden würd aus Gold gemacht haben. Es läßt sich die Wehklage hören der gerechten Alten: die zu diesem Elend sich aufgespart, und die heiligen ohne Arm und Bein auf dem Wahlplatz Gebliebenen glücklich preißen, die

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schon vor vielen und vielen Jahren in der Erde beygesetzt. Aber die kecken starken jungen, die wenig ihr nahes Unglück sehen, verachten die Gründe der reifern, und laufen von da und dort zu den Mauern. Hier waren Baronen und Paladinen, Könige, Herzoge, Ritter, Marchesen, und Grafen, ausländische und einheimische Soldaten, für Christum und ihm zu Ehren zu sterben bereit, die, um den Sarazenen auf die Haut zu kommen, den Kaiser bitten, daß er die Brücken niederlasse. Thut ihm gütlich, das kühne Gemüth zu sehen; willigt ihnen aber nicht ein, sie ausfallen zu lassen. Und stellt sie an gelegne Örter, um den Barbaren den Weg zu verwehren. Begnügt sich da, daß wenige hingehn; dort ist eine starke Compagnie nicht genug. Einige haben Sorge, die Bränder zu handhaben, die Maschienen andre, wo’s nöthig sey. Karl steht da und dort nimmer fest, eilt überall zu Hülfe, und ordnet Schutz und Schirm. Liegt in einer großen Ebene Paris, u. s. w.½

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— Aber ohe! iam satis est.

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Die Griechen hatten auch ihre Teniers und Ostaden. Dies wird vielleicht manchem wie eine Lästerung klingen. Denn es ist, seit W i n k e l m a n n den Ton bey uns angab, soviel von dem s c h ö n e n I d e a l der griechischen Kunst, und von dem g r o ß e n G e s e t z d e r S c h ö n h e i t , welches sie in allen ihren Werken aufs heiligste beobachtet haben sollen, gesprochen und geschrieben worden: daß Viele daher einen allzueingeschränkten Begriff von d e m U m f a n g der Mahlerey bey den Griechen fassen, und sich nicht vorstellen, daß schwerlich aus irgend einer neuern Mahlerschule, seit 10

den Zeiten des Cimabue und van Eik, ein Meister von einigem Ruf hervorgegangen, der unter den Griechen nicht seinesgleichen gehabt hätte. Gleichwohl ist dies so gewiß, daß sie, wie gesagt, sogar ihren O s t a d e hatten. Dieser griechische Ostade, oder Teniers, oder Brower, (denn wem von diesen er am ähnlichsten gewesen, läßt sich eben so genau nicht bestimmen) lebte — man weiß nicht eigentlich wann, *) und Plinius ist, soviel ich weiß, der einzige Autor der seiner erwähnt. Er spricht von ihm mit eben der Wärme und aus eben dem Ton, wie ein neuerer Kunstliebhaber, der, unbestochen von einem besondern Lieblingsgeschmack, Genie und Kunst allenthalben und in allen Arten von Auswürkungen zu schätzen weiß. „Pyreikus, sagt er, schadete

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sich vielleicht durch die Wahl seines Faches; aber in der Kunst hatte er nur wenige über sich. Er mahlte niedrige Gegenstände, in diesen aber erwarb er sich den größten Ruhm. Er mahlte Barbierstuben, Schusterswerkstätte, Küchenstücke und dergleichen, und bekam daher den Beynamen rëyparografow“ — ein Wort, das ich nicht teutsch zu machen weiß, es müßte denn durch L u m p e r e y e n - M a h l e r seyn. Mr. d e l a N a u z e (in seinen Memoires de la Maniere dont Pline a ˆ traite´ de la Peinture) übersezts, noch weniger glücklich, durch Peintre de vile´nies. Vermuthlich brachten ihm seine Feinde und Neider unter seinen Kunstverwandten diesen verächtlichen Namen auf, der sich so übel zu dem hohen Werth schickt, den das Publicum auf seine Arbeiten legte.

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*)

Daß er ziemlich lange nach dem Apelles gelebt habe, läßt sich aus dem Plinius schließen.

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Diese waren consummatae voluptatis, sagt P l i n i u s : ein Ausdruck, der die äußerste Schönheit des Pinsels und Vollkommenheit der Ausführung anzudeuten scheint, die zu allen Zeiten das gewesen sind, was den Liebhabern am meisten Vergnügen gemacht hat. Daher, setzt er hinzu, wurden seine Stücke auch theurer bezahlt als die größten Werke vieler andrer. Der Vorerwähnte La Nauze — weil es ihm unbegreiflich vorkam, daß Plinius der einzige seyn sollte, der dieses P y r e i k u s gedacht hätte, und daß er hingegen in einem Werke, worinn er die ganze Geschichte der Kunst umfaßt, des Mahlers P a u s o n , dessen doch Aristophanes, Aristoteles, Plutarch, Lucian *) und Aelian als eines bekannten Meisters erwähnen, gar keine Meldung

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hätte thun sollen — glaubt und behauptet ganz positiv, Pyreikus habe seine Existenz vel quasi bloß der Unachtsamkeit der Kopisten zu danken, und Plinius habe alles, was vorhin angeführt worden, von diesem P a u s o n gesagt und sagen wollen. Es ist nicht wohl möglich, eine solche Sache anders als durch Vermuthungen auszufechten. Des Hrn. de la Nauze Gründe sind nichts mehr als Vermuthungen. Die meinigen, warum ich ihm nicht beypflichten kann, sind auch nichts mehr. Welche von beyden mehr wiegen, mögen diejenigen Leser, die an dergleichen litterarischen Erörterungen einiges Vergnügen finden, entscheiden. Ich entsage zum voraus aller weitern Apellation. Der französische Akademikus bemerkt, daß nicht alle Mscpte des Plinia-

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nischen Werkes Pyreicus, sondern einige P r a c i u s , andre Preicus lesen. Gut! Wie aber aus P a u s o n — Pracius, Preicus oder Pyreicus werden könne, gesetzt auch der Copist schreibe halb im Schlaf, begreiff ich nicht; und noch weniger, wie es zugehen sollte, daß nicht ein einziger Codex P a u s o n hätte. Dies ist eins. Sodann dünkt mich was der göttliche A r i s t o t e l e s (auf den Hr. L. N. sich hauptsächlich stützt) von P a u s o n sagt, stimme weit weniger zu dem was Plinius von seinem Pyreikus sagt, als Hr. L. N. vermeynt. Aristoteles, da er im zweyten Absatz seines Tractats v o n d e r p o e t i s c h e n K u n s t zeigt, daß nur drey Arten von Nachahmung der Menschen und ihrer Sitten möglich sey, nehmlich: Sie entweder b e ß e r vorzustellen als sie sind, oder s c h l e c h t e r als sie sind, oder g e r a d e s o w i e s i e s i n d — setzt Erläuterungsweise *)

Dieser muß abgerechnet werden; denn das Encomium Demosthenis, worinn das nehmliche

Histörchen von diesem Pauson erzählt wird, das man auch im Aelian findet, ist wohl so wenig von Lucian, als das elende Ding, Amores genannt, wiewohl die Abschreiber beydes an seine Werke angeschmiert haben.

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hinzu: so hätten z. E. unter den Mahlern, P o l y g n o t u s die Menschen vollkommner, P a u s o n schlechter, und D i o n y s i u s wie sie sind, geschildert — oder, nach unsrer heutigen Art zu reden, Polygnotus habe sie i d e a l i s i e r t , Pauson C a r i c a t u r e n gemacht, und Dionysius sich an die g e m e i n e N a t u r gehalten, und sie getreulich c o p i e r t wie er sie vor sich gesehen. Daß ich den Sinn des Aristoteles recht gefaßt und daß unter dem xeiroyw nichts anders als Caricaturen zu verstehen seyen, beweißt nicht nur der ganze Zusammenhang des Texts, sondern auch die Stelle aus den Politicis des Philosophen, welche Hr. L. N. ebenfalls citiert, ohne zu merken, wie viel sie wider ihn beweißt. 10

Aristoteles philosophiert nemlich im 5. Kapitel des 8ten Buchs seines Werks von der Polizey, über den Einfluß der schönen Künste, besonders der Musik, auf die Erziehung der Jugend. Da erwähnt er nun im Vorbeygehen der Mahlerey sehr kaltsinnig, als einer Kunst, die mit Nachahmung und Darstellung der Sitten sehr wenig zu thun habe, und solche durch ihre Figuren und Farben nur auf eine sehr unvollkommne Art bewerkstelligen könne; und setzt dann hinzu: „insofern aber gleichwohl auch im Anschauen dieser Dinge ein Unterschied ist, so ziemt sich, daß man jungen Leuten nicht die Stücke des P a u s o n , sondern die Werke des P o l y g n o t u s , oder irgend eines andern m o r a l i s c h e n Mahlers, wenn es noch welche giebt, anzusehen gebe“ — Mit allem

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Respect sey es gesagt, den ein Homuncio diesem größten Denker, der vielleicht je gelebt hat, schuldig ist! — aber wahrlich kein Schulmeister und Pedant, vom Baltischen Meer bis zu den Säulen des Herkules, könnte mit höheraufgezogenen Augenbraunen und weniger Gefühl der Kunst von der Mahlerey gesprochen haben. Doch davon ist hier die Rede nicht. Genug, die Stelle beweißt was ich mit ihr beweisen will: daß der P a u s o n des Aristoteles und der P e r e i k u s des Plinius zween ganz verschiedne Menschen sind. Plinius sagt nicht ein Wort, woraus man nur argwöhnen könnte, daß Pyreikus ein Carricaturmahler gewesen. Er mahlte Barbierstuben, Schusterswerkstädte, Küchenstücke, d. i. gemeine, niedrige Natur, aber doch Natur; Natur, wie man sie

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alle Tage sehen kann, und die jeder junger Mensch vom Prinzen bis zum Bauerjungen eben so gut sehen darf als der weiseste Graubart. Kurz der Pyreikus, von dem Plinius spricht, gehörte in die Aristotelische d r i t t e K l a s s e , welche die Menschen abbildet wie sie sind. Pauson hingegen machte Profeßion davon, sie s c h l e c h t e r darzustellen, und darum nennt ihn Aristoteles, nach seinen scharfabgezogenen Begriffen, u n m o r a l i s c h , und glaubt, daß das Anschau-

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en seiner Carricaturen einem jungen Menschen falsche und verächtliche Begriffe von der menschlichen Natur geben und seinen moralischen Sinn beschädigen könnte. Ja eben daraus, weil Aristoteles der Jugend das Anschauen seiner Gemählde so scharf untersagt, läßt sich mit gutem Fug muthmaßen, daß auch die Sujets, wenigstens von vielen seiner Carricaturen, anstößig und unsittlich gewesen; da hingegen nichts in der Welt unschuldiger seyn kann als die Tonstrinae und Aselli und Obsonia des Plinianischen Pyreikus. Mich dünkt, dies allein wäre schon genug, die Meynung des Hrn. L. N. in den Grund zu bohren. Aber ich habe noch eine Vermuthung, die von seiner Art zu mahlen hergenommen ist, und der meinigen ein neues nicht geringes Gewicht giebt.

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Plinius spricht von den Werken des Pyreikus als von Meisterstücken der Kunst, die durch die Feinheit des Pinsels und das Vollendete der Ausführung die Augen entzückten; kurz er spricht davon, wie Einer von den besten Werken eines G e r a r d D o w sprechen könnte. Dies konnte aber wohl schwerlich der Fall von Pausons Carricaturen seyn, der ein Zeitgenoß des Polygnotus war, und also noch vor der 90sten Olympiade blühte; zu einer Zeit, wo die Mahlerey bekanntermaßen noch weit von dem Grad der Verfeinerung und Vollkommenheit in Absicht des Kolorits, der Mitteltinten, des Helldunkeln u. s. w. entfernt war, dem sie sich bald hernach, vom Zeuxes und Parrhasius an bis zum Apelles, mit schnellen Schritten näherte. Also auch von dieser Seite betrachtet

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kann Pyreikus und Pauson nicht der nemliche Mann seyn. Wie kömmt es denn aber, daß Plinius kein Wort von Pauson, und außer ihm sonst niemand ein Wort von Pyreikus spricht? Beynahe möchte ich, um so kurz als möglich aus der Sache zu kommen, gestehen, daß ich überfragt sey? — Aber vielleicht läßt sich doch noch etwas antworten, daß besser als gar nichts ist. Es ist eine bloße Hypothese, die aber das Factum so ziemlich zu erklären scheint. Ich nehme an, Pauson sey nichts weniger als ein sehr vorzüglicher Mahler gewesen; er habe im Anfang seinen Succeß mehr der Neuheit und Bisarrerie seiner Stücke, dem rohen schlechten Geschmack des großen Haufens, und dem Umstand, daß auch mittelmäßige Gemählde, zumal kleine Stücke wie die seinigen gewesen zu seyn scheinen, noch etwas seltnes waren, zu danken gehabt: so wie aber die Kunst gestiegen, sey Pausons Name und der Werth seiner Carricaturen gefallen; bis sie, wie es allen mittelmäßigen Werken zu ergehen pflegt, sich zuletzt aus lauter Unwerth rar gemacht, so daß zu Plinius Zeit entweder gar nicht mehr die Rede davon gewesen, oder dieser große Litterator, in welchem

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der Liebhaber und Kenner auf eine so seltne Art vereiniget war, so wenig Geschmack daran gefunden, daß ihm, über der großen Menge von schätzbaren Meistern und Werken wovon er zu reden hatte, der Sinn gar nicht an diesen Pauson gekommen. Meine Vermuthung, daß er höchstens nur ein sehr mittelmäßiger Künstler gewesen, wird durch das wenige was A r i s t o p h a n e s , A e l i a n , S u i d a s , von ihm sagen, mehr bestätiget als geschwächt. A r i s t o p h a n e s erwähnt seiner nur, um sich über seine Bettelhaftigkeit lustig zu machen; denn er war so arm, sagt S u i d a s , daß man Sprüchwortweise zu sagen pflegte, e r i s t ä r m e r a l s 10

d e r M a h l e r P a u s o n . Für sich allein bewiese dieser Umstand nichts gegen seine Geschicklichkeit; denn war C o r r e g g i o nicht auch arm? Aber wenigstens beweißt es, daß seine Arbeiten schon damals wenig geschätzt wurden. Das Geschichtgen, das P l u t a r c h , A e l i a n *) und der Verfasser des Encom. Demosth. von ihm erzählen, (und das ist alles was sie von ihm sagen) gereicht ihm noch weniger zur Ehre; denn es zeigt ihn zu gleicher Zeit als einen schlechten Künstler, und als einen mauvais Plaisant, — was kein guter Kopf nie gewesen ist. Jemand verlangte von ihm, er sollte ihm ein Pferd mahlen, das sich im Staube wälzte. Pauson mahlte einen Gaul in vollem Sprung und viel Staub um ihn her. Der Liebhaber, der das Stück bestellt hatte, beschwerte

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sich, daß es nicht das wäre was er verlangt hätte, und wollt’ es nicht bezahlen. Narre, sagte Pauson, kehr das Gemählde um, so hast du ein Pferd das sich im Staube wälzt. — Ist sich nun noch darüber zu verwundern, daß Plinius einen Künstler von dieser Stärke vergessen konnte? Aber wenn ein Pyreikus existiert hat, und ein so beliebter Mahler gewesen ist, wie Plinius sagt: wie ists möglich, daß außer ihm nicht Einer von so vielen griechischen und römischen Schriftstellern dessen Erwähnung thut? — Dies ist freylich nicht so leicht zu sagen. Wiewol — was ist in dieser Art unmöglich? Pyreikus ist nicht der einzige, den wir ohne Plinius nicht kennen würden. Gesetzt aber, er wär’ es, ist sich am Ende so sehr darüber zu verwundern? Die

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meisten alten Schriftsteller erwähnen der Mahler und der Mahlerey nur zufälligerweise, oder reden, wie z. E. Properz **) und Quintilian ***) nur von denen *)

Var. Hist. L. XIV. c. 15.

**) ***)

Eleg. L. III. 7. Instit. Or. L. XII. c. 10.

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von der ersten Größe. Pyreikus war aus einer Zeit, wo die Zeuxes und Timanthes und Protogenes und Apelles schon die höchsten Preise gewonnen hatten. Er mahlte nur kleine Stücke, die sich in den Cabinetten der Reichen verlohren. Wie leicht geschah es da, daß er den meisten Gelehrten von Profeßion, deren Schriften und Compilationen auf uns gekommen sind, unbekannt seyn konnte? Immer ist das was Plinius von ihm sagt hinreichend, ihm unter den vorzüglichsten alten Künstlern seinen Rang zu erhalten. Pauson hingegen möchte eben sowol ganz ungenannt geblieben seyn, da die Aristophanes, Plutarch, Aelian u. s. w. nichts rühmlichers von ihm zu sagen hatten als was wir gesehen haben.

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Die Alten hatten auch ihre Wa t t e a u s — wenigstens scheinen mir K a l a d e s und A n t i p h i l u s und L u d i u s in diese Klasse zu gehören. Die beyden ersten mahlten comicas tabellas, Stücke mit k o m i s c h e n P e r s o n e n , oder (wie Graf Caylus meynt) kleine Vorstellungen des Inhalts der neuen Stücke die gespielt werden sollten, und ein paar Tage vorher, um das Publicum herbeyzulocken, ausgestellt wurden, wie in Italien noch gebräuchlich seyn soll. Der Charakter des A n t i p h i l u s war L e i c h t i g k e i t , sagt Q u i n c t i l i a n , der ihn unter den berühmtesten Mahlern, nach der Epoche des Apelles, nennt; und Plinius zählt ihn zu denen, die ihren Ruhm der Schönheit ihres Pinsels und der Lebhaftigkeit ihres Kolorits zu danken hatten. Er war auch der Erfinder einer

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Art von Grotesken; denn er mahlte einen gewissen Gryllus in einer solchen Maske und Stellung, daß er (wie sein Name lautete) eine Grille vorzustellen schien. Dieser Einfall fand, wie man denken kann, bald Nachahmer, und man nennte diese Art von Grotesken G r i l l e n , (grylloi.) L u d i u s , ein Mahler aus Aetolien, zu Augusts Zeiten, war der erste, der den Einfall hatte, die Wände in Zimmern mit Landschaften und Vorstellungen ländlicher Geschäfte und Belustigungen aus der würklichen Natur, zu bemahlen. Diese Art von Tapezerey fand soviel Beyfall, daß sie bald zur allgemeinen Mode wurde. Es gieng den Alten hierinn wie es uns Neuern auch gegangen. Man kriegte der idealischen, mythologischen und heroischen Stücke so genug, daß man sich endlich von Herzen nach solchen sehnte, wo man die Natur wiederfand wie man sie immer gesehen hatte, oder wenigstens etwas das ihr ähnlich genug war, um von Leuten, die sie doch nur vom Hörensagen kannten, für Natur genommen zu werden. Die schönen Künste haben bey allen Völkern einerley Gang gehabt. Zuerst

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kam eine Reihe von großen Meistern, die die Schöpfer ihrer Kunst wurden, und wovon der erste, wiewol er das schwehrste gethan hatte, natürlicherweise vergessen wurde, oder sich wenigstens nur in einer n o m i n a l e n Hochachtung erhielt, weil er von seinen immer höher steigenden Nachfolgern ausgelöscht wurde. Durch diese lernte das Publicum die Kunst kennen, und nahm also, der Natur der Sache gemäß, Gesetze v o n i h n e n a n , anstatt ihnen Gesetze geben zu wollen. Aber so wie die Kunst einmal in einer gewissen allgemeinen Achtung stund, die Zahl der Liebhaber (oder kaufmännisch zu reden) die Nachfrage sich vermehrte, und es endlich Mode, Ton, Decenz wurde, eine 10

Galerie, oder doch ein Cabinet zu haben, oder wenigstens sein Haus, seine V i l l a , mit Gemählden zu meublieren: so wurde unvermerkt das Publicum Meister über die Kunst. Die Künstler wurden nun als Leute angesehen, die man dafür bezahlte, daß sie unsern Leidenschaften dienten; sie mußten sich dem Eigensinn und den Launen der Großen und Reichen, dem Unbestand des unwesentlichen Dings was die Weltleute G e s c h m a c k nennen, und der Eitelkeit der Eitelkeiten — etwas aufweisen zu können, das sonst niemand hat, oder das Wir wenigstens zuerst haben — allem dem mußten sie sich unterwerfen, oder sich gefallen lassen zu hungern. Anfangs gewann die Kunst dadurch; der Wetteifer so vieler Nebenbuhler entwickelte alle Talente, machte

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daß die Natur von allen Seiten studiert, alle Kräfte der Kunst geprüft und angestrengt, alle ihre Theile zur Vollkommenheit gebracht wurden: aber endlich mußte sie doch unter der Menge der Concurrenten, und noch mehr unter den Bestrebungen immer etwas Neues für den eckeln Geschmack abgestumpfter Liebhaber hervorzubringen, erliegen. Sie sank vom Idealischen und Großen zur gemeinen Natur, von dieser endlich zur Carricatur herab. Sie versuchte wohl von Zeit zu Zeit sich wieder zu erheben. Aber der Sinn für das Wahre, Edle und Große war verlohren; man verwechselte das Schöne mit dem Schimmernden, das Große mit dem Ungeheuren, das Sinnreiche mit dem Grotesken. Die Kunst fiel so lange bis sie nicht mehr tiefer fallen konnte, bis

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sie bloßes Handwerk wurde, und mit den zerstörten Werken der alten großen Meister sogar ihr Name und Andenken für ganze Jahrhunderte untergieng. W.

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¼Auszug aus einem Briefe eines Reisenden an den Herausgeber, den dermaligen Zustand des Vesuvs betreffend. Neapel 7. März 1777. — „Ich habe nun die zwoote Reise auf den Vesuv gethan, und diesesmal bin ich bis zur B o c c a gestiegen. Es erinnert sich hier niemand den Berg in dem Zustande gesehen zu haben, worinn er sich jezt befindet. Viele Jahre her war der Schlund durch eine Krust von Lava auf der man gehen konnte, verschlossen. Bey dem lezten Ausbruch (10ten Decembr. 76.) öfnete sich der Berg zur Seite, und wurde so stark erschüttert, daß diese Krust einstürzte. Seitdem ist die Bocca ganz offen. Keine Beschreibung die ich gelesen, und keine Abbildung die ich gesehen,

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geben eine Vorstellung, die dem was ich vor mir fand, nur einigermaßen nahe käme. Nachdem ich den Aschenkegel, der den Gipfel des Berges ausmacht, hinaufgekrochen, geschoben, und gezogen war, befand ich mich auf einer kleinen Fläche, die ganz mit abgerißnen Stücken von Lava bedeckt ist. Hin und wieder sind Spalten und Höhlen, aus denen ein heisser Dampf hervorkommt, der sauer von Geschmack, aber der Gesundheit nicht schädlich, vielmehr für die Brust heilsam ist, und das Eisen angreift. Ein paar stählerne Knieschnallen, die ich anhatte, wurden ganz davon zerfressen. In der Mitte dieser Fläche ist der Schlund. Man kann ganz bis an den innern Rand gehen, und dann sieht man senkrecht in die Tieffe hinab, wo man selbst den Brennpunkt erblicken würde, wenn nicht einige hervorragende Ecken es verhinderten. Die Wände des Schlundes scheinen schrofe Felsen zu seyn, sind aber in der That nichts als verhärtete Asche, an der überall der Schwefel in allen Schattierungen der gelben und rothen Farbe dick angeschossen ist. — Ich stand über eine Stunde da, dieses schrecklichschönen Anblicks zu genießen, und in dieser ganzen Zeit hörte der Berg nicht auf zu toben; die Explosionen folgten schnell auf einander, und viele davon glichen starken Donnerschlägen. Wenige Secunden auf den Schall folgte ein Wirbel von Asche, Rauch und rother Flamme, und von Steinen, die zum Theil bis zu mir in die Höhe flogen. Groß sind die Werke unsers Herrn Gottes, sagte ich und wiederholte das schon oft gethane Gelübde, künftig nichts als was Er gemacht hat, meiner Aufmerksamkeit zu würdigen* ). Fröhlich ließ ich mich den Aschenkegel wieder hinunter glitschen, und nun sah ich eine weit lachendere Scene vor mir. Neapel, das mit seinen

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Vorstädten, Landhäusern, Castellen, und Häfen als ein großes Amphitheater das Meer einschloß; weiter hinten Buzzol und Bajä, Ufer, deren Wunder ich schon gesehen hatte; das Cap Misenum, die Inseln Procida und Ischia, und in der Ferne die Berge von Gaeta. — Die Lava hat noch nicht aufgehört zu fliessen. Ich sehe sie alle Abende aus meinem Fenster als eine große Feuersbrunst, und die niedern Wolken werden von ihr erleuchtet. etc. —“½

*) U n d w a s h a t E r n i c h t g e m a c h t ? — möcht ich meinen reisenden Freund fragen: Ist der M e n s c h mit allen Phänomenen und Explosionen seiner Leidenschaften etc. nicht eben so wohl ein Werk Gottes als der Vesuv? — W.

¼Anmerkung½ A u s z u g a u s e i n e m B r i e f e

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Ein sonderbarer Charakterzug. Der G r a f v o n P e t e r b o r o u g h — ein englischer Herr, der sich durch seine militarischen Talente, seine persönliche Tapferkeit und seine Liebe zu den Künsten, so wie durch sein Ansehen unter den Torys, in der Regierung König W i l h e l m s I I I . und der Königin A n n a auszeichnete — war in seiner Jugend, um die Zeit der sogenannten R e v o l u t i o n *) in eine Dame verliebt, die ihrerseits eine Inamorata von schönen Vögeln war. Diese Dame hatte zufälligerweise in einem Caffehause zu C h a r i n g - C r o ß einen sehr schönen Canarienvogel gesehen und singen gehört, der ihr so wohl gefiel, daß sie keine Ruhe haben konnte, bis er ihr eigen wäre. Sie lag also ihrem Liebhaber an, ihr den

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Vogel zu schaffen. Die Eigenthümerin des Hauses und Vogels war eine Wittwe. Milord Peterborough bot ihr einen ungewöhnlich hohen Preiß für ihren Canarienvogel; sie weigerte sich aber schlechterdings, ihn wegzugeben, so daß der junge Liebhaber sich endlich nicht anders zu helfen wußte, als daß er den Vogel heimlich wegpractizierte, und einen andern von gleicher Farbe an dessen Stelle unterschob — der aber zum Unglück eine Henne war. Der Streich gieng gleichwol glücklich von statten. Milord Peterboroug schickte der Wittwe nach einiger Zeit, um sie wegen des Verlusts zu entschädigen, zehn Guineen in einem Brief ohne Unterschrift; auch fuhr er fort zu Vermeidung alles Verdachts öfters in das Haus zu kommen, erwähnte aber des Canarienvogels mit

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keinem Wort, bis ungefehr zwey Jahre hernach, da er Gelegenheit nahm davon zu sprechen, und zu der Wittwe sagte: Ich hätte Ihnen diesen Vogel so gerne abgekauft, und sie schlugen mein Geld aus; izt wollt ich wohl wetten, daß es ihnen leid ist. „Ganz und gar nicht, Sir,“ antwortete die Wittwe: „er ist mir um keinen Preis feil, und izt weniger als vormals. Denn, sollten Sie es wohl glauben? Von der Zeit an, da unser guter König genöthigt worden ist ausser Lands zu gehen, hat das holde Geschöpf nicht eine Note mehr gesungen!“

*)

Bekanntermaßen wird in England die Epoke so genannt, als Jacob II. vom Parlament des

Throns verlustig erklärt wurde, weil er ihn v e r l a s s e n habe. — Als ob man so leicht einen Thron verließe, wenn man nicht muß!

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Ich zweifle, ob die gute Wittwe König Jacoben irgend einen Beweis ihrer Treue und Ergebenheit hätte geben können, der schmeichelhafter gewesen wäre als dieser.

¼Übersetzung½ E i n s o n d e r b a r e r C h a r a k t e r z u g

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Anekdote vom Abbe d e B o i s R o b e r t , einem Günstling des Cardinal von Richelieu. Der Abbe´ von B o i s R o b e r t hatte einen Neffen, den er dem Cardinal gerne vorgestellt hätte. Die Königliche Eminenz lustwandelte damals eben in dem Garten ihres Palasts, der jezt der Palais-Royal heißt, um ein großes B a s s i n , umgeben von einer so großen Menge von Höflingen und Hofschranzen, daß der Abbe sich vergebens durch die Presse drängte, und endlich alle Hofnung aufgab, sich und seinen Neffen auf eine andre Art als durch einen coup d’e´clat bemerken zu machen. Auf einmal ergreift er den jungen Burschen,

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der am Rand des Bassins neben ihm stund, und wirft ihn ins Wasser. Es war dessen nicht soviel, daß es Gefahr gehabt hätte; aber doch genug, um tüchtig eingenetzt und besudelt zu werden. Dieser Vorfall machte natürlicherweise Lerm unter dem Gefolge der Eminenz; einige schrien, andre lachten. Der Cardinal dreht sich um und will wissen, was es ist? — Es ist mein Neffe, sagt B o i s - R o b e r t , den ich Ew. Eminenz präsentire, und zu Gnaden empfehle; er hat deren sehr vonnöthen. Diese neue Art jemand vorzustellen, kam dem Cardinal sehr lustig vor. Des Abends, bey Schlafengehen, sagte er zu B o i s R o b e r t : Bist du närrisch, Abbe´, daß du mir deinen Neffen in dem Aufzug vorstelltest, worinn er diesen Morgen war? — Ich weiß was ich thue, Gnädiger

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Herr, sagte der Abbe´ : Hätt ich ihn Ew. Eminenz so wie einen andern seinesgleichen vorgestellt, so würden Sie ihm keine Acht gegeben haben: aber mittelst dieser kleinen We n d u n g hoffe ich, Ew. Eminenz werden Sich seiner erinnern, und nicht vergessen, etwas für einen Menschen zu thun, der sein Leben dran gewagt hat, um das Glück zu haben, Ihnen vor Augen zu kommen. — B o i s - R o b e r t verstund sich, wie man sieht, auf die rechte Art, den Eminenzen, Excellenzen und ihresgleichen beyzukommen. Der Cardinal erinnerte sich würklich des Neffen gleich am folgenden Morgen, und gab ihm eine gute Pfründe; — auf die das Pfäffchen, wenn er sie seinen Verdiensten hätte zu danken haben sollen, vermuthlich noch lange hätte warten können.

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Zum Bildniß der Anna Maria von Schurmann. Da ich einmal auf den Gedanken gekommen war, den T. M. unterweilen auch mit Bildnissen vortreflicher Frauen und Jungfrauen der beyden letzten Jahrhunderte zu zieren: so verdiente die Dame, deren Bild dem gegenwärtigen Stücke vorgesetzt ist, ganz gewiß einen der ersten Plätze. Nicht eben als eine gelehrte Dame — denn wenn sie nichts als das gewesen wäre, so möchte sie an den unermeßlichen Lobsprüchen, womit sie in ihrem Leben von den S a u m a i s e , N a u d e , H e i n s i u s , H u y g e n s , G r u t e r , C a e t s , B a l z a c , und 10

Tausend andern, durch ganz Europa, in Prosa und Versen, bis zur Abgötterey beräuchert worden, ihren Lohn dahin haben! Sondern, weil sie nach dem ganzen Umfang Ihrer Naturgaben, Talente, Kenntnisse, und, was mehr als dies Alles ist, durch die hohe Einfalt, Lauterkeit und Tugend ihrer Seele und den ganzen Gang ihres innerlichen Lebens, würklich eine der vollkommensten und ausserordentlichsten Personen war, die ihr Geschlecht in irgend einer Zeit aufzuweisen gehabt hat. Als ich mich hinsezte, denjenigen von meinen Lesern und Leserinnen, die etwan noch gar nichts oder soviel als nichts von ihr wissen möchten, einige Nachricht von diesem Phönix der Jungfrauen mitzutheilen, kannte ich selbst

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Sie bloß aus ihren von F r i e d r i c h S p a n h e i m i. J. 1648 zuerst und von T . C . D . L ö b e r i n i. J. 1749 zulezt herausgegebnen Opusculis (welche meistens aus lateinischen und französischen Briefen bestehen, die pour la rarete´ du fait mit etlichen hebräischen und griechischen verbrämt sind) und aus den Nachrichten, die ich in B u l a r t s Academie des Sc. et des A. und einigen andern litterarischen Compilationen fand. Ich klaubte daraus, was ich für das dienlichste hielt, heraus, meinen vorbesagten Lesern von diesem a c h t e n Wu n d e r d e r We l t , dieser z w o o t e n M i n e r v a und z e h n t e n M u s e (wie die Viri Eruditissimi et Clarissimi ihrer Zeit sie nannten, eh sie das unverzeyhliche Verbrechen begieng eine — S e p a r a t i s t i n zu werden) einigen Be-

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griff zu geben; ich erzählte ihnen was von ihren seltnen und frühzeitigen Naturgaben, von ihrem Geschicke für die schönen Künste, und wie sie so schön

Zum Bildniß der Anna Maria von Schurmann

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habe zeichnen und Mignaturmahlen, und aus Papier schneiden, und in Wachs bossieren, und in Kupfer ätzen können; und wie sie Latein, Griechisch, Hebräisch, Syrisch, Chaldäisch, Arabisch und Äthyopisch gelernt, und in der ganzen philologischen Polyhistorey, worinn man damals das non plus ultra der Gelahrtheit setzte, erstaunliche Profectus gemacht; und wie ihr die Herren Curatoren der Universität zu Leiden in jedem Auditorio eine eigne geheime Loge bauen lassen, damit sie allen öffentlichen Lectionen, Disputationen, Doctor-Promotionen, etc. ungesehen beywohnen könnte; und wie sie gerne Spinnen gegessen habe; und wie sie nach und nach so berühmt worden, daß die hochwürdigen und hochberühmten Herrn, die R i v e t e und die S p a n -

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h e i m e und die S a l m a s i e n , und sogar der ehrliche C a r m e l i t e r - M ö n c h , Ludwig Jacob a ` S a n c t o C a r o l o , in seiner B i b l i o t h e k b e r ü h m t e r S c h r i f t s t e l l e r i n n e n , und der wohlberedte M i n o r i t e n - M ö n c h , Bruder H i l a r i o n d e C o s t e , in der Vorrede zu seinen Eloges des Dames Illustres, nicht genug von ihren Wundergaben singen und sagen können; und zwanzig solcher schönen Sächelgen mehr. — Ich war beynahe damit fertig, als es mir glückte, das Einzige Buch, woraus man würklich kennen lernen kann, was Anna Maria von Schurmann war, nemlich ihre in lateinischer Sprache geschriebne Eyklhria, oder E r w ä h l u n g d e s b e s t e n T h e i l s ; Tr a c t a t , w o r i n n e i n k u r z e r A b r i ß i h r e s L e b e n s e n t h a l t e n ist. E i n s i s t N o t h .

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M a r i a h a t d a s b e s t e T h e i l e r w ä h l t — zu handen zu bekommen (ein Buch, das sich sehr rar gemacht) und als ich hineinguckte, und nur etliche Blätter davon gelesen hatte, siehe, da fand sich, daß ich nun nichts zu thun hätte als alles was ich geschrieben, und, wo möglich, auch alles was die sämtlichen vorbesagten Viri plurimum Reverendi, Amplissimi, Doctissimi etc. von ihr geschrieben, als dummes schändliches Zeug, Caricatur und Verunstaltung eines der herrlichsten Werke Gottes, ins Feuer zu werfen; und statt dessen aus diesem besagten Buch, worinn eine wahrhaft Englische Reinigkeit, Unschuld, Wahrheit, Einfalt, Liebe und Demuth aus allen Zeilen athmet, und worinn sie, ohne alle Prätension, in der unzweydeutigsten Sprache des Gefühls und der Innigkeit, die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend, und ihrer litterarischen Nachtwandlungen, und ihrer zufälligen Verhältniße mit den Viris Clarissimis die gerade das, was allein an ihr schätzbar war, n i c h t z u s c h ä t z e n w u ß t e n , und ihrer Bekanntschaft und Vereinigung mit den (nach ihrer Überzeugung wenigstens) Apostolischen Menschen, J o h a n n d e l a B a d i e , Yv o n und

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d u L i g n o n , u. s. w. erzählt — einen bloßen reinen Auszug zu machen, an dem gewiß alle guten Menschen Freude haben müßen, und auch solche, die das erwählte Theil dieser Maria für Schwärmerey halten mögen, wenigstens von der h e r r l i c h e n N a t u r dieses liebenswürdigen Geschöpfs einen ganz andern Begriff bekommen würden, als aus ihren Opusculis, die größtentheils gerade die schlechtesten Excretionen ihres Gehirns, oder blosses Spielwerk eines gelehrten Gedächtnisses sind; oder aus den Lobreden und Lobgedichten solcher Leute, die so wenig Sinn für d a s Wa h r e hatten, daß sie gerade von dem Augenblick an Böses über den Engel blasphemirten, da sie alle die Kru10

sten, womit eine falschberühmte Gelehrsamkeit sie überzogen hatte, von sich warf, und sich in ihrer eignen natürlichen Gestalt darstellte. Diesen Auszug noch in diesem Monat zu geben, mangelt mir Raum und Zeit. Ich verspare ihn also auf das nächste Stück, und melde izt nur noch nothdürftiglich, daß — „des Frl. von Schurmann Vater, Friedrich von Schurmann, ein Mann von vorzüglichen Eigenschaften, und ihre Mutter aus dem edeln Geschlecht von Herst im Jülichischen gewesen; daß ihr Großvater Antwerpen, wo seine Voreltern über hundert Jahre in den ansehnlichsten Würden gestanden, der Reform. Religion wegen verlassen müssen, und sich nach Teutschland gezogen habe; daß unsre Maria zu Cöln im Jahr 1607 gebohren

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worden, den größten Theil ihres Lebens zu Utrecht, ihre lezten Jahre aber in der Gemeinschaft der kleinen Labadistischen Ecclesiola zu Middelburg, Herford und Altona, und zwar (wie billig alle außerordentliche Personen ihres Geschlechts thun sollten) in dem Stand einer freywilligen und unbemackelten Jungfrauschaft gelebt habe, und endlich im Jahr 1678 in eine bessere Welt gegangen sey.“ Das Bildniß, das wir liefern, ist eine Copey desjenigen in der Bulartischen Sammlung, das nach einem von dem Frl. von Schurmann im 33sten Jahr ihres Alters selbst gemahlten Original, aber (wie der Augenschein zeigt) von einem sehr mittelmäßigen Künstler verfertigt worden.

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Die Zeichnung, die ich davon durch Hrn. Kraus machen ließ, verbesserte die Fehler desselben so glücklich, daß mich dünkte, wofern das Gesicht einer Person ein Bild und Abglanz ihres Innwendigen seyn soll, so müßte die Schurmann so ausgesehen haben. Aber unglücklicherweise sind beynahe alle diese feinen charakteristischen Züge unter der Radiernadel verlohren gegangen. Die Nase ist zu gebogen, und dadurch vielleicht schöner aber unbedeutender

Zum Bildniß der Anna Maria von Schurmann

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worden; der Mund hat von seiner Liebe, und das Auge von seiner Lauterkeit und Tiefe verlohren. — Sprechen wir nicht davon! dies ist eine Marter, die sich alle vier Wochen bey mir erneuert — *) Ich weiß nur noch einen einzigen Ausweg; — da er aber in diesem Jahre nicht mehr statt finden kann, so bleibt vor izt kein ander Mittel als — den Himmel um Geduld zu bitten. W.

*)

Wie, nach dem Sprüchwort, ein Unglück selten allein kömmt, so muß sichs nun auch just

fügen, daß das Kupfer bey dieser Platte so weich ist, daß nur wenige Hundert gute Abdrücke davon haben gemacht werden können. Ich leide siebenfach für Jeden, dem ein schlechtes zu Theil wird; und welcher unter ihnen sezt sich an m e i n e n Platz?

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D e r A b e n t h e u r e r . E i n A u s z u g a u s d e m E n g l i s c h e n . Zwey Bändchen in 8. Berlin, bey Himburg, 1776. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich es so lange habe anstehen lassen, diesen Auszug aus einem der beliebtesten und schätzbarsten moralischen Wochenblättern, die seit dem Spectator in London herausgekommen sind, allen denen aus vollem Herzen anzupreisen, die eine Lectüre lieben, die zugleich nützlich und angenehm ist. Bey der unendlichen Menge von Büchern und Broschüren, welche Prätension machen, dies zu leisten, ist die Anzahl derjenigen doch fast sehr klein, in welchen würklich gesunde Seelennahrung, ge10

sund und wohlschmeckend zubereitet, aufgetragen würde; besonders wo die Absicht ist, eine Tafel zu decken, an die sich auch Unmündige und Schwache ohne Gefahr und Bedenken setzen dürfen. Der Aventurer, oder A b e n t h e u r e r gehört unstreitig unter diese kleine Zahl, besonders, unter die wenigen, wofür jede Mutter, die ihren Töchtern (weil doch in unsern Tagen das Lesen leider! auch für das weibliche Geschlecht zum Mode-Bedürfniß worden ist) eine ganz unbedenkliche, in jedem Betracht nützlichangenehme und den Zweck der Erziehung befördernde Lectür zu verschaffen oft in Verlegenheit ist, dem Verf. und Übersetzer danken sollte. Die Moral, die in diesen Blättern herrscht, hat vor so vielen andern moralisirenden Schriften den Vorzug, daß

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sie ganz reine Christliche Moral ist, auf die Verhältnisse und Bedürfnisse des Lebens, besonders in unserm gegenwärtigen Zeitalter, mit Sokratischem Verstand angewandt. Die Einkleidung, wofür der Verfasser ein sehr vorstechendes Talent hat, ist E r z ä h l u n g , zuweilen auch A l l e g o r i e ; beydes unstreitig die beste Art, moralischen Unterricht faßlich, einleuchtend und herzrührend zu machen. Dem Übersetzer gebührt verdientes Lob, sowol wegen der Wahl des Buchs als wegen des Geschmacks und Fleißes, womit die Übersetzung ausgearbeitet ist, auch dafür, daß er alle die Blätter, die ausser England und London wenig interessant seyn konnten, weggelassen, und also aus den vier Bändchen des Originals zwey gemacht hat. Dies ist einer von den

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Fällen, wo, wie H e s i o d u s sagt, die Hälfte besser als das Ganze ist. Doch sind dadurch auch manche von den witzigsten Stücken verlohren gegangen; wie z. E. die Abentheuer eines Halbpfennings, für welche wir gerne die abge-

¼Rezension: Bode oder Hölty½ D e r A b e n t h e u r e r

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droschne Vergleichung Alexanders mit einem Strassenräuber gegeben haben möchten. W.

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Der Teutsche Merkur. May. 1777.

Auszüge aus des E. P. A n g e l i n u s G a z e y , S. I. G e i s t l i c h e n R e c r e a t i o n e n . Der Jesuit A n g e l i n G a z e y (oder Gaze´e) ein Niederländer aus der Graffschaft Artois, lebte zwischen den Jahren 1568 und 1630, in welchen letztern er als Präfect der Classen im ehmaligen Jesuiter-Collegium zu Lüttich verstarb. Er hatte zween Brüder, wovon der eine ein Benediktiner und der andere ein Franciskaner war. Alle drey haben sich unter den Religiosen ihres Ordens und ihrer Zeit hervorgethan; der Benediktiner als ein Mystiker, der Franciskaner als ein berühmter Prediger, der Jesuit als lateinischer Dichter und geistlicher Spaßmacher. In dieser letztern Qualität schrieb er das Buch, mit dessen F a -

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z e z i e n ich meine Leser eine Viertelstunde zu r e c r e i r e n willens bin. Es war im vorigen Jahrhundert, und ist in manchen Gegenden vielleicht noch itzt, das allgemeine Lesebuch zur Gemüthsbelustigung in den Niederländischen, Teutschen und Französischen Klöstern; und wenn derjenige, der seinen Nebenmenschen, besonders solchen die wenig Freude in der Welt haben, ein unschuldiges Vergnügen verschafft, als ihr wahrer Wohlthäter anzusehen ist, so ist gewiß das Verdienst des ehrlichen Pater Angelin nicht verächtlich. Die wenigsten von den Lesern des T. M. gehören zwar in die Rubrik, für die er eigentlich geschrieben hat: aber ich bin gewiß, daß auch Weltleute, wiewohl es ihnen an andrer Kurzweil nicht fehlt, mir’s Dank wissen werden, daß ich

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Ihnen die lieblichsten Blümlein aus diesem Buch (das ohne Zweifel den Meisten von ihnen unbekannt war) zu genießen gebe. Ich kenn’ es zwar selbst nur aus der Französischen Übersetzung, die zum Titel hat: L e s p i e u s e s R e c r e a t i o n s d u P e r e A n g e l i n G a z e e , de la Compagnie de Iesus: Oeuvre remplie de s a i n t e s j o y e u s e t e´s et divertissement pour les a m e s d e v o t e s , mis en Franc¸ois par le Sieur Remy, a Rouen 1647. Es ist aber auch daran zu meinem Vorhaben genug. Diese heiligen Joyeusete´s, womit der gute Mann, in beneidenswürdiger Einfalt des Herzens, die andächtigen Seelen seiner Zeit belustigte, bestehen in einem Halbhundert Erzählungen, (die wiewohl meistens aus Quellen geschöpft, welche bey den R. K. Ordensleuten in Ansehen stehen) ich will nicht sagen soviel als Kindermährchen, aber doch, wie man

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sehen wird, gewiß so kurzweilig sind, und zum Theil noch kurzweiliger als irgend ein Conte in den Hundert Contes der Königin von Navarra. Was sie vor vielen komischen Erzählungen voraus haben, ist, daß sie sehr unschuldig, und, was sie mit a l l e n a n d e r n gemein haben, daß sie s e h r e r b a u l i c h sind, insofern sich die Leser in der Verfassung befinden, die der gutherzige Dichter voraussetzt. Ist dies nicht, so kann P. Angelin und sein Buch nichts dafür, und es geht ihm dann bloß wie allen andern recreirenden Schriftstellern in der Welt. Die Helden seiner Erzählungen sind berühmte Heilige, oder wenigstens fromme Mönche, und der Teufel macht die lustige Person. Man 10

weiß, daß dieser böse Feind, der uns andern Weltkindern so gefährlich ist, über Personen, zumal vom religiosen Stande, die zu einem gewissen Grade der Heiligkeit gekommen sind, so wenig Gewalt hat, daß er vielmehr ihr Sclave wird, mit dem sie anfangen können was sie wollen. *) Zur Bestättigung dieser Wahrheit erzählt P. Angelin folgende Historie: Ein unbesonnener junger Teufel vermaß sich (wie die Jugend übermüthig ist) mit einem alten wohlerfahrnen und weltklugen Teufel um hundert Prügel zu wetten, daß er dem H e i l . D o m i n i k u s einen Streich spielen wolle. Als die Wette angenommen war, schlich sich unser Naseweis in Gestalt eines Affen bey dem Heiligen ein, und bemühte sich ihn durch tausend närrische Posi-

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turen und Gauckeleyen in seiner Beschäftigung zu zerstreuen. Der Heil. Dominikus schrieb immer fort, und sagte kein Wort. Der kleine Teufel erschöpft alle mögliche Grimaßen und Affenstreiche; doch alles umsonst. Endlich wird er ungeduldig, vergißt allen Respect, der ihn vorher noch einigermaaßen zurückgehalten hatte, und springt auf den Tisch. Der Heilige Vater wirft einen furchtbaren Blick auf ihn … „Da steh’, spricht er, und halt mir diese Kerze!“ Der arme Teufel steht ganz vertattert da, hat das Herz nicht sich zu rühren, und unterwirft sich demüthiglich dem Amt eines Kerzenstocks. Es verdrießt ihn gräulich, daß er sich so in seiner eignen Schlinge gefangen haben soll; er seufzt in sich hinein, schneidt ein Fratzenmaul, beißt sich in die Zunge; in-

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zwischen brennt die Kerze herab, und es ist nur noch ein klein Stümpfchen *)

Weil der P. Angelin sich an verschiednen Orten gegen den Spott der unglaubigen Hugenot-

ten und andrer häretischer Menschen bestens verwahrt, so bediene ich mich hier (zu Vermeidung alles bösen Verdachts) der eignen Worte der Bibliotheque Universelle des Romans, eines Werkes, welches mit Königlicher Approbation zu Paris herauskommt, und dessen Verfasser von aller Mackel der Häresie so rein sind als ein Kind in Mutterleibe.

Auszüge

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übrig. „Hola ho! Herr Teufel (ruft P. Angelin) die Finger in Acht genommen!“ — Der Teufel will die Kerze ausblasen, aber sie erlöscht nicht; das Feuer packt an und hat ihm bereits die Klauen weggebrennt; er heult abscheulich, ruft die ganze Hölle zu Hülfe, aber alles vergebens. Der H. Vater hält die höllischen Mächte in Respekt, und der junge Teufel ist dahingebracht, daß er um Gnade bitten muß. Endlich (da der Heilige vermuthlich des Gestanks genug hatte) wird ihm erlaubt sich zu entfernen; er flieht, kommt mit verbrennten Pfoten in die Hölle zurück, und kriegt noch die verwetteten Hundert Prügel oben drein; zur Warnung für ihn und alle junge Geelschnäbel seinesgleichen, sich nicht an den Gewaltigen, die über die Geister Macht haben,

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reiben zu wollen! Hier ist eine andre Historie, an der sich die Damen spiegeln mögen. Der Pfarrer in einer Kirche zu Maynz hielt an einem Sonntage das Hochamt vor seinen Pfarrgenossen. Indem tritt mit großem Geräusch eine sehr prächtig geputzte Dame in die Kirche, und stört alle Anwesende in ihrer Andacht; der eine bewundert ihren Kopfputz, ein andrer den reichen Stoff ihres Kleides, und alle zusammen finden nichts prächtigers als den langen Schweif den sie hinter sich herschleppt. Der Seelenhirt erseufzt über den Leichtsinn seiner Heerde, faßt aber sogleich den Entschluß, sie durch ein auffallendes Beyspiel zu ihrer Schuldigkeit zurückzubringen. Er verrichtet ein kurzes Gebet. Als-

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bald sieht man unter dem Rock der Dame eine unendliche Menge von Mäusen, Ratten und kleinen Teufelchen hervorwimmeln, die, wie die jungen Katzen, auf dem langen Schweif herum gauckeln, sich überpürzeln, am Kleid hinauf kriechen, bis auf die Spitze ihres Federbusches (es war damals just, wie izt, die Mode hohe Federbüsche zu tragen) emporsteigen, und da wie auf einem Schauplatz tausend poßierliche Affenstreiche machen. Die Dame erschrickt, wie man leicht denken kann, schüttelt ihre Robe und ihren Kopf, — schreyt wie eine Besessene; alles umsonst! die kleinen Teufelchen glitschen auf ihrer Robe und auf ihren Federbüschen auf und ab wie die Holländer auf dem Eise — sagt P. Angelin, der (wie man sieht) wenigstens so lebhaft erzählt als Mr. G a l l a n d in der Tausend und Einen Nacht. Endlich erhebt der Pfarrer seine Stimme: lieben Brüder, spricht er, ihr seht, wie unser Herre Gott die greuliche Sünde der Hoffarth straft; nun sollt ihr auch die Kraft des Weyhwassers sehen. Mit diesen Worten besprengt er die Robe und den Kopfputz der Dame reichlich mit seinem Weyhwedel, und siehe! der höllische Bienen-

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schwarm verschwindet augenblicks, jedoch mit Zurücklassung des gewöhnlichen Wohlgeruchs. Die Dame bekannte ihre Sünden, versprach ihr Leben zu bessern, und beschnitt ihre Robe und ihren Kopfzeug so knapp, daß der Teufel beyden nichts mehr anhaben konnte. Lieber Gott (ruft hier P. Angelin seufzend aus) wenn ein bloßer Schweif so viel Teufel faßte, wie viele müssen ihrer nicht in dem Gehirnkasten solcher Weibsbilder stecken, die keinen andern Gott haben als ihre Hoffarth! Die armen Unglücklichen! Sie tragen soviel Schlangen auf ihrem Kopf als falsche Haare, ihre Augbrauen sind, statt der fabelhaften Liebesgötter leichtfertiger 10

Poeten, mit lauter jungen Teufeln besetzt, und die geschwätzigen Geister aller Pappagayen von Peru und Mexico schwärmen auf ihrer Zunge! Wie würden die Mannsleute stutzen, wenn der liebe Gott zuließe, daß sie alle diese Abscheulichkeit sehen könnten! Wie schnell würden sich ihre vermeynten Venußen und Grazien in Medusen und Furien verwandeln! Indessen bitte ich zu Gott (sezt der gute Mann hinzu) daß es nie geschehen möge! — und dies ist in der That weislich und wohlmeynend von ihm gebetet! Noch ein hübsches Exempelchen von der entsetzlichen Kraft der Exkommunikation. Die Abtey zu Korvey hatte vorzeiten (ob noch izt, weiß ich nicht) die Gewohnheit, zum Andenken ihres Namens (Corbeia, oder Corbia) einige

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Raben zu unterhalten. Einer von diesen Vögeln, sagt P. Angelin, that sich vor seinen Brüdern durch seine böse Gemüthsart und Neigung zum stehlen hervor. Er pickte die hochwürdigen Herren in die Waden, biß die Klosterkatzen in die Schwänze, stahl seinen Kameraden ihr Mittagessen, und machte daß sie wider Willen mitfasten mußten, wenn die Mönche Fasten hatten; sein größtes Vergnügen aber war, den Pfauen, wenn sie ein Rad schlugen, ihre schimmernden Federn aus dem Schweif zu rupfen. Nun geschah es eines Tages, da des Herrn Abbts Hochfürstl. Gnaden ins Refectorium kamen, und, nach Gewohnheit, beym Händewaschen, ihren Ring vom Finger zogen, daß dieser Rabe den Ring unvermerkt wegschnappte und mit ihm davonflog. Der Abbt will seinen

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Ring wieder anstecken und findet ihn nicht; er fragt die Mönche, niemand will wissen wo er hingekommen! Endlich ergreift ihn ein heiliger Eyfer, und er schleudert den furchtbaren Blitz der Exkommunikation über den unbekannten Thäter. Bald darauf wird der Rabe traurig, verliehrt alle seine Laune, seufzt und klagt ohne Unterlaß, wird mager und zehrt zusehends ab; die Federn fallen ihm von jedem Lüftchen aus, er schleppt seine Flügel, sein ganzer

Auszüge

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Leib vertrocknet, kurz er befindet sich in einem Zustand, daß man ihn nicht ohne Mitleiden ansehen kann. Das ganze Kloster wird begierig die Ursache einer so seltsamen Veränderung zu erforschen: man sucht in seinem Neste, ob etwan etwas Giftiges da zu finden seyn möchte, und findet den Ring darinn, den der Abbt verlohren und schon lange wieder vergessen hatte. Man kann sich das heilige Erstaunen der Ehrw. Herren leichter einbilden, als ich es dem P. Angelin nacherzählen könnte. Nun war die Ursache klar, warum der arme Rabe in solchen Verfall gerathen war. An diesen drey Stücken mags für diesmal genug seyn. Nichts ist drolligter dabey, als das wunderbare Gemisch von Devotion und Spaßhaftigkeit womit

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der Mann das alles erzählt, und wie ihm sogar kein Argwohn noch Zweifel an der Wahrheit seiner Geschichtlein zu Sinne steigt. „Die Hugenotten, sagt er, werden freylich darüber lachen und spotten, und sagen es seyen AltweiberMährlein: aber laß sie lachen! Die Ketzerey wird vergehen, und Wahrheit wird ihr zu Trotz Wahrheit bleiben ewiglich.“ Was übrigens für das Glück der Menschen besser sey: die Zeiten, wo Pater Angelin seine Mährchen erzählte und Glauben fand, und seine Leser, zwar ein wenig auf Unkosten ihrer Vernunft, aber ohne allen Nachtheil an ihrem Herzen und an ihrem Glauben, belustigte — oder eine Zeit, wo wir alle, Katholikken und Hugenotten, mit dem einfältigen Glauben unsrer Alten auch die selige Einfalt ihrer Sitten verlohren, und uns alle die Gefühle (auf Einbildungen und Vorurtheile gestützt oder nicht) wegräsonniret haben, die in tausend Fällen dieses Erdenlebens des Menschen Labsal, Trost und letzte Zuflucht sind: ist eine Frage, die — für mich schon lange k e i n e Frage mehr ist. Mag doch der Stab, woran das wankende Kind sich zu halten glaubt, ein Strohhalm seyn: immer besser für das Kind, an einem Strohhalm zu gehen, als ohne ihn alle Augenblicke auf die Nase zu fallen.

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Sprüche aus einem Sokratischen Dichter. (Diese aus den Fragmenten des Euripides ausgehobenen S p r ü c h e (wie ich sie aus Mangel eines schicklichern Wortes nenne) bedürfen keiner Auslegung für die Verständigen. Einige sind von tiefem Sinn. Was diesen uns aufschließen kann, ist mehr Ahndung als Vernunftschluß. Ich habe sie erst gefühlt, eh ich sie übersetzte. Bey einigen war eine Wendung nöthig, um den Gedanken aus der Sprache der Urschrift in die unsrige überzutragen. — Ich theile sie mit denen, welche eine Freude daran haben werden wie ich. Es däuchte mich unbillig, daß so reine Goldkörner immerfort wie in einem Misthaufen ver10

steckt liegen sollten, wo sie nur dann und wann ein Hahn herauspickt, der sie wieder fallen läßt.) Was willst du lieber, süße Lügen, oder herbe Wahrheit? Du hast die Wahl! Der einz’ge Fall, wo einem Narren dünkt, er habe was Dumm’s gesagt, ist, wenn es ihm begegnet was Klug’s zu sagen. Daran erkenn den weisen Mann: er zürnt auch wenn’s ihm übel geht den Göttern nicht. Was Göttern ansteht, ziemt d’rum Menschen nicht.

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Den Sterblichen heißt der ein Glücklicher, der minder leidet. Durch tausendfält’ge Truggestalten täuschen die höhern Mächte uns — uns Kinder! — Warum sind wir auch nicht Ihresgleichen?

¼Euripides½ S p r ü c h e a u s e i n e m S o k r a t i s c h e n D i c h t e r

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Die armen Erdenklöße! sich mit ihrer Klugheit noch viel zu wissen! Sind doch was sie sind allein durch D i c h , und können doch nichts thun als was D u willst. Wer willig unter die Nothwendigkeit den Nacken beugt, den nennet weise, und saget, er versteh’ — Theologie. — Das h ö c h s t e S c h ö n e f ü r d e n M e n s c h e n ist die Tugend. Der Geist in unser jedem ist sein Gott.

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Für schlimme Menschen giebt es keinen Adel, und Gute können nicht unedel seyn. Wohl dem Sohn des Glücks, der weise g e b o h r e n ward! Der Fürst wird weise, der mit Weisen lebt. Ein köstlich Ding die Freyheit! — Wer von ihr auch noch so wenig hat, glaubt Viel zu haben. O weh! — Und doch, warum o w e h ? Wir leiden ja nur was Menschliches! In Hofnungen zu leben ziemt dem Weisen. Der ist in meinem Sinn kein Bidermann, der, seines eignen Vaterlands Verächter, ein fremdes lobt, und fremde Sitten liebt.

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Willt du gedeyhen bey der Welt? Mach, daß sie glaubt, du seyst ein frommer Mann, und dann — thu was du willst. Ein Thor macht Jedermann zum Zeugen seines Unglücks: der Weise trägts und schweigt. Was ist ein alter Mann? Ein Schatten und eine Stimme. Das Werk der Götter kommt den Sterblichen Stets unverhoft. Sag etwas Besseres als Schweigen, oder — schweig!

¼Euripides½ S p r ü c h e a u s e i n e m S o k r a t i s c h e n D i c h t e r

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Eine kritische Kleinigkeit. Als ich die in dieser Leipz. Messe herausgekommne Sammlung Alt-Englischer und Schottischer Balladen und Lieder zu Gesicht bekam, konnt’ ich nicht errathen, was auf der Titel-Vignette der nackte Schwarze und das Negermädchen, das aus dem Taglicht eines Thurms herab auf seine Klagen zu horchen scheint, bedeuten könnte. Aber bald gab mir die Anmerkung des Herausgebers (S. 307.) zu der Maurischen Romanze, A l k a n z o r u n d Z a i d e , den Schlüssel dazu, da sie mich belehrte, daß der Neger und sein Mädchen eben diesen Alkanzor und diese Zaide vorstellen sollte. Allem Ansehn nach hat der Künstler sich durch den Namen Mohr und Mohrenland verführen lassen, sich

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diese zärtliche G r e n a d i n i s c h e Liebhaber als Schwarze oder Negern vorzustellen; wenigstens fällt es jedem in die Augen, daß er sie so abgebildet hat. Wir Teutschen sind gewohnt, wenn wir M o h r e n hören, uns e i g e n t l i c h e S c h w a r z e , A b y ß i n i e r , Einwohner der Küste von G u i n e a und dergl. zu denken. Die G r e n a d i n i s c h e n M a u r e n aber waren nichts weniger als solche Mohren; sie waren an Farbe (besonders ihre Damen) wenig von den Spaniern verschieden; waren an Sitten, Lebensart, Kleidung, u. s. w. in den mittlern Zeiten, bis ins 15te Jahrhundert, die Muster von Pracht, Zierlichkeit und Geschmack, und gaben den übrigen Europäern den ersten Begriff von dieser wunderbaren Verbindung von Tapferkeit und Galanterie, die sich bey der

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Französischen Nation am längsten erhalten hat. Alkanzor war (wie die Ballade selbst besagt) ein edler Grenadinischer Ritter, und Zaide ein Mädchen aus edlem Hause; Beyde hätten also ganz anders aussehen müssen, wenn das Costume hätte beobachtet werden sollen. Ein nakter Neger, mit einer Binde oder Schürze um den Leib (wie man gewöhnlich die Negersclaven zu bilden pflegt) giebt uns keinen Begriff von einem Z e g r i s oder A b e n c e r r a g e n , so wenig als das auch halbnackte krausköpfigte Negermädchen einer Grenadinischen Dame ähnlich sieht; Es wäre nicht unschicklicher, wenn man P y r a m u s u n d T h i s b e so bildete, und sie uns dann für Babylonier gäbe. Aber auch der Übersetzer hätte den Titel, a Moorish Ballad, nicht e i n e B a l l a d e a u s d e m M o h r e n l a n d , sondern eine M a u r i s c h e B a l l a d e , übersetzen sollen, zu-

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mal da ihm bekannt war, daß diese Ballade eine freye Nachahmung einer in dem h i s t o r i s c h e n R o m a n , Historia de las civiles guerras de Grenada, vorkommenden Spanischen R o m a n z e , und die Scene derselben zu G r e n a d a war; wie dies auch aus dem ganzen Inhalt deutlich genug ist. Da man nun einmal in Teutschland überall gewohnt ist, sich unter M o h r e n ganz andre Geschöpfe zu denken, als die Mauren in Spanien waren: so ist das natürlichste Mittel, Mißverstand zu verhüten, daß man diese Letztere M a u r e n nennt, die Abyßinier und Negern hingegen im Besitz des Namens der M o h r e n läßt, wiewohl u r s p r ü n g l i c h Maur und Mohr einerley ist. 10

W.

Eine kritische Kleinigkeit

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Auszüge aus dem Buche der A n n a M a r i a v o n S c h u r m a n n , Eucleria, oder Erwählung des besten Theils betitelt. Dies ziemlich seltne Buch, aus welchem ich im letzten Stücke einen Auszug versprochen habe, war, seiner Veranlaßung nach, eine Apologie des Frl. von Schurmann gegen die strengen Urtheile ihrer vormaligen gelehrten Verehrer und Bewundrer, deren Orthodoxie es sehr übel fand, daß eine Dame, von welcher großen Gaben, Kunstfertigkeit, Gelehrsamkeit und übrigen Tugenden die Herren viel Aufhebens gemacht hatten, gerade in den Jahren, wo man ihr am meisten We i s h e i t hätte zutrauen sollen, der ganzen reformirten

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Christenheit ein so gräuliches Ärgernis gab, und eine L a b a d i s t i n — oder, wie man’s in der Folge nannte (denn die Namen ändern sich wie andre Moden) eine Pietistin, Methodistin, Herrnhuterin etc. kurz, eine Person wurde, die, mit dem gegenwärtigen Zustande der christlichen Republik nicht zufrieden, sich in eine nach dem Muster der ersten apostolischen Kirche zu Jerusalem gebildete kleine Gemeine begab, und bis an ihren Tod das Hauptgeschäft ihres Lebens daraus machte, eine C h r i s t i n zu seyn, in der obsoleten Bedeutung, die dies Wort vor 1700 Jahren zu den Zeiten eines gewissen Petrus, Paulus, Johannes, u. s. w. hatte, von denen Sie glaubte, daß sie den Sinn und Geist ihres Herrn und Meisters gehabt, und ihn überhaupt besser verstanden, herzlicher

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geliebt, und mehr um seinetwillen gethan und gelidten hätten, als die ganze Synode zu Dordrecht, und alle Provinzial-Synoden in Geldern, Holland und Westfriesland, Seeland, Utrecht u. s. w. zusammengenommen. In wie fern Sie hierinn recht oder unrecht gehabt, ist eine Untersuchung die sich nicht für den Merkur schickt. Ich werde mich daher in diesen Auszügen, mit Vorbeygehung alles Dogmatischen in der Schurmannischen Apologie, bloß auf dasjenige einschränken, was uns von dem E i g e n e n und U n t e r s c h e i d e n d e n dieser außerordentlichen Person einigen Begriff geben kann. Jedoch kann ich nicht umhin, all das Gute, was ich neulich schon von dem G e i s t e dieses Buchs gesagt, zu wiederholen, und zu bekennen, daß ich nicht begreiffe, mit

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welchem H e r z e n , ja nur mit welcher S t i r n e , der Baccalaureus J o h a n n G a b r i e l D r e c h s l e r mit zwanzig Andern seines Gleichens, den einfältigen reinen Sinn dieser von Liebe alles Guten überfließenden Seele durchaus immer mißverstehen, und seelenverderbliches Gifft da finden konnte, wo jeder aufrichtige Mensch (zu welcher äußerlichen Gemeinschaft er auch immer gehören mag) nichts als die Gesinnungen und frommen Wünsche einer unschuldigen Seele finden wird, die all das Gute, wovon Andre nur schwatzen, disputiren, philosophiren, poetisieren, rhetorisieren, u. s. w. würklich in ihrem eignen Herzen lebendig heegt, in ihrem Leben thätig erweißt, und in 10

andern Menschen auch lebendig machen zu können wünscht. Als der A b b e e v o n S a i n t P i e r r e seine gutherzigen Projecte für E h r e G o t t i n d e n H ö h e n , F r i e d e a u f E r d e n und H e i l u n d Wo h l f a r t h a l l e n M e n s c h e n zur Welt gebahr, sagte der Premierminister F l e u r y : es sind Tr ä u m e e i n e s g u t e n e h r l i c h e n M a n n e s — und ließ den guten Mann ruhig fortträumen. Wenn nun die Schurmann auch würklich damit umgegangen wäre, alle Catholiken, Augsp. Confeßions-Verwandte, Calvinisten, Mennonisten, Quacker, Socinianer, u. s. w. zu A l t - C h r i s t e n umschaffen, zu Christen von der Art, wovon geschrieben steht: „daß sie des Heil. Geistes voll waren, und Gott lobeten mit Freuden und einfältigem Herzen; und waren Ein Herz und Eine

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Seele; und niemand sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein, und war keiner unter ihnen der Mangel hatte, denn man gab jeglichem was ihm Noth war.“ *) — Wenn, sag’ ich, die Schurmann auch mit so einem Entwurf umgegangen wäre: so hätte immerhin ein M a n d e v i l l beweisen mögen; daß dessen Ausführung so wie die Sachen stehen weder möglich noch vorträglich wäre; daß die Lyonner-Fabriken und die Pariser Putzmacherinnen dabey zu Grunde gehen müßten; daß die großen Herren keine Kriege mehr führen könnten; daß die Schiffarth und der Handel in beyden Indien sehr drunter leiden dürften, etc. etc. etc. — Aber Mandevill selbst hätte doch bekennen müssen, daß es Tr ä u m e e i n e r C h r i s t i n seyen,

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daß die damaligen Baccalauren (die itzigen sind hoffentlich billiger) unrecht gehabt, Ketzereyen und Scandale daraus zu machen, und daß eine Jungfrau von sechzig Jahren unmöglich unschuldigere Träume haben könne. Da die ehmaligen Freunde der Schurmann so übel damit zufrieden waren, *)

G e s c h i c h t e d e r A p o s t e l , Cap. 2 und 4.

A u s z ü g e a u s d e m B u c h e d e r ¼…½ S c h u r m a n n

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daß Sie in ihren alten Tagen die lebendige Quelle der — Schul- und Büchergelehrsamkeit verlassen, und (was die Herren ohne Schaamröthe kaum denken konnten) eine Schwärmerin, eine Labadistin, geworden war; so ist der Schurmann Hauptgedanke in ihrer Apologie zu zeigen: wie es zugegangen, daß sie, in ihrer Jugend, unvermerkt und beynahe ohne ihr Zuthun, dahingekommen, in der gelehrten Republik Aufsehen zu machen: wie aber ein angebohrnes Sehnen nach dem was der Seele wahren Genuß und Befriedigung in ihrem innersten Grunde giebt, sie bey den Eitelkeiten der damaligen Modegelehrsamkeit, womit sie einen Theil ihres Lebens hingebracht, niemals habe ruhig seyn lassen, sondern sie von allem was bloßer Schein und Schattenwerk

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und Wortkram und Dunst der Eigenliebe ist, immer abgeruffen, und von Stuffe zu Stuffe endlich zu Erwählung dessen, was nach ihrer Überzeugung der beste Theil war, gezogen habe. Dieses zu entwickeln, und, indem sie von ihrer Sinnesänderung Rechenschaft giebt, zu zeigen, „daß solche kein Werk einer fiebrischen Schwärmerey, sondern in der e r s t e n A n l a g e ihres Charakters und in dem v o r g e h e n d e n Zustand ihrer Seele g e g r ü n d e t gewesen, und durch vorherige Gesinnungen und Erfahrungen v o r b e r e i t e t worden“ — und daß eine s o gesinnte, s o vorbereitete (auch selbst durch einen Zusammenfluß unwillkührlicher äußerer Umstände vorbereitete) Seele sich nothwendig dahin habe lenken müssen, wo sie die R e a l i t ä t von all dem gefunden,

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wovon sie vorher a u s s e r s i c h nur die P r ä t e n s i o n oder leeres H ö r e n s a g e n , und i n s i c h s e l b s t nur eine schwache D ä m m e r u n g gesehen, bey welcher sie jedoch dem wachsenden Licht immer unverwandt entgegen gegangen; — und endlich zu zeigen, wie sie diese Realität bey Labadie und seinen Gehülfen und im Schoos ihrer kleinen (in ihrem Sinn) ächt-apostolischen Gemeine würklich gefunden; dies, mit den dahin einschlagenden historischen Umständen, macht den Inhalt der 9 Capitel aus, in welche der erste Theil ihrer E u c l e r i a *) abgetheilt ist. Die interessantesten Züge für meinen gegenwärtigen Zweck sind im 2. Ca*)

Zu Altona, bey Cornel. van der Meulen gedruckt, und aus 207 Seiten in klein Octav beste-

hend. Den zweeten Theil, der zwölf Jahre nach dem ersten, kurz vor ihrem Tode, zu Amsterdam, bey Jacob van de Velde, auch in kl. 8. herausgekommen, habe ich bis itzt nicht auftreiben können, und kann also von dessen Inhalt nichts weiter sagen, als daß er die Fortsetzung der Geschichte der Labadischen Gemeine und ihres eignen Antheils an derselben und vermuthlich fernere Apologien gegen ihre Widersacher enthält.

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pitel der Eukleria enthalten, welches zur Aufschrift hat: „kurze und besondere Darstellung meines vergangnen Lebens von meinen zarten Kinderjahren an, da ich mich in der Gottseligkeit zu üben und die Anfangsgründe der Sprachen, Künste und Wissenschaften zu excoliren angefangen.“ Gottesfurcht und Eyfer für die Religion scheint ein gemeines Erbgut ihrer Familie vom Großvater her gewesen zu seyn. Sie sagt in dieser Rücksicht viel Gutes von ihren Eltern und von deren besondern Sorgfalt, sie nach den Grundsätzen des Christenthums zu erziehen, und vor allem, was die Unschuld und Reinheit der Seele trüben kann, zu bewahren. Ihre besondre Disposition zur 10

Frömmigkeit äußerte sich schon in ihrem zartesten Alter. „Ich erinnere mich noch unter andern (sagt sie) daß ich, als ein Kind von vier Jahren — da ich mit meiner Kindermagd gegangen war Wiesenblumen zu pflücken, und wir uns dann am Rand eines kleinen Baches hinsetzten, und die Magd mich die Antwort auf die erste Frage des Heidelberger-Catechismus hersagen ließ — bey den Worten: d a ß i c h n i c h t m e i n , s o n d e r n m e i n e s g e t r e u e s t e n H e i l a n d e s J e s u C h r i s t i e i g e n s e y : eine so herzliche Freude und ein so süßes inniges Gefühl von Liebe zu Christo in meinem Herzen empfunden, daß alle folgende Jahre meines Lebens das lebendige Andenken dieses Augenblicks nicht haben auslöschen können.“ Sie setzt diesem noch als ein Beyspiel hinzu:

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in ihrem eilften Jahre sey ihr beym Lesen eines M ä r t y r e r - B u c h s , das ihr zufällig in die Hände gekommen, ein dermaaßen brennendes Verlangen nach dem Marterthum angekommen, daß sie das allerangenehmste Leben um einen solchen glorreichen Tod mit Freuden hätte vertauschen mögen. Und es sey ihr hernach, ihr ganzes Leben durch, nichts unerträglichers und des christlichen Namens unwürdigers vorgekommen, als die Gesinnung des E r a s m u s , da er in seinen Schriften an den D . E c k zu erkennen gegeben: die Ehre für die Wahrheit Märtyrer zu werden, übersteige die Sphäre s e i n e s E h r g e i z e s , und es werde ihm nie zu Sinne kommen, weder selbst nach ihr zu trachten, noch sie andern zu mißgönnen.

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„Immer, mein ganzes Leben durch (setzt Sie hinzu) hatte ich ein herzliches Verlangen, so weit meine Begriffe reichten, aufrichtig und ungeheuchelt fromm zu leben. Aber was ich nicht unbemerkt lassen kann, ist, daß es damals niemanden eingefallen, meine Frömmigkeit, so ungewöhnlich sie bey den meisten jungen Personen meines Standes ist, als das Vornehmste, was an mir zu loben wäre, anzusehen,“ u. s. w.

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Unsre M a r i a genoß des Vortheils, auf dem Lande und unter der Aufsicht eines (wie sie sagt) vortreflichen Pädagogen erzogen zu werden. Mit drey Jahren konnte sie schon sehr fertig teutsch lesen, ohne daß sie sich erinnerte, daß es ihr im mindesten sauer geworden. Fast eben so früh zeigte sich an ihr ein ganz sonderbares Geschick zu allerley künstlichen Handarbeiten, so daß sie als ein Mädchen von kaum sechs Jahren, ohne einigen Unterricht noch Beyspiel, allerley Figuren so zierlich aus den Papierchen, die ihr in die Hände fielen, auszuschneiden wußte, daß keine von ihren erwachsenen Freundinnen es ihr nachzuthun vermochte; und vier Jahre drauf ergriff sie die Kunst Tapisserie-Arbeit zu sticken (artem Phrygiam) in drey Stunden, nachdem sie

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sich vorher nur etwan sieben Wochen geübt hatte, Blumen mit Reißbley zu zeichnen. Die gute Dame, indem sie sich in ihrem 66ten Jahre dieser ihrer ersten Jugendzeit fernher erinnert, bemerkt dabey: „wenn sie so gesessen und Blumen oder Insecten mit Wasserfarben gemahlt habe (das dann doch noch immer die u n s c h u l d i g s t e Art von Mahlerey sey) hätte sie zwar nicht selten, während daß ihre Hand mit dieser irdischen Übung beschäftigt gewesen, sich in ihrem Geiste mit himmlischen Gedanken unterhalten; aber s i e m ü ß t e d o c h g e s t e h e n , daß sie manchmal so erpicht auf ihrer Arbeit gewesen und ihren ganzen Kopf und ihr Herz selbst so voll davon gehabt, daß sie Gott

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darüber wo nicht völlig aus dem Gesichte verlohren, doch wenigstens nicht so leicht und anhaltend weder in sich selbst noch in dem Spiegel seiner Geschöpfe habe anschauen können als sonst.“ Sie spricht von allen ihren Kunstfertigkeiten nur wie man von den Spielen seiner Kindheit spricht; setzt aber scherzend hinzu: weil sie itzt doch einmal daran sey, sich mit ihren Spielwerken in den Augen der Welt geltend zu machen, und, um nichts von ihren ehmaligen Glückseligkeiten zu verschweigen, wolle sie noch einiger Beyspiele ihrer so hoch und weltgeprießnen Kunst Erwähnung thun. Und darauf spricht sie von drey Bildnißen, die sie, ohne jemands Hülfe noch Anweisung, mit einem bloßen Taschenmesser aus Buxbaumholz geschnitten, wovon eines ihre Mutter, eines sich selbst, und das dritte ihren Bruder (von dem sie in dem ganzen Buch häufig mit wärmster Liebe und Hochachtung spricht) vorgestellt, und welches leztere von dem berühmten Mahler H o n t h o r s t , dem es ihr Bruder gewiesen, in ganzem Ernst über 1000 Fl. geschätzt worden. „Sodann (fährt sie fort) muß ich eines andern Bildnisses von mir selbst erwähnen, so ich, ver-

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mittelst eines Spiegels, aus Wachs verfertigt, und worauf ich nicht 30 Jahre wie Albertus Magnus auf seine redende Bildsäule, aber doch wenigstens 30 Tage verwendet, weil ich in dieser Kunst vieles selbst erfinden mußte, da ichs von niemand lernen konnte.“ — Weil ich mir nicht getraue der Beschreibung, die sie von diesem ihrem Meisterstück macht, in der Geschwindigkeit durch eine Übersetzung genug zu thun, so möge mir erlaubt seyn, ihre eignen Worte herzusetzen: *) Oculi meos non solum in minori forma imitabantur, sed ob vividum pupillae nitorem ac rotunditatem, cum celeriter capsa vertebatur, ipsi soli se vertere videbantur. Crines cerei non nisi suis extremitatibus sub10

tilissimis capiti inhaerebant; ita vt illud corollis libere, vt videbatur, volaturis exornarent. Et quod omnium erat difficillimum, palpebras pilorum tenuissimorum quasi erecto vallo cum pertinaci labore muniveram; atque (vt hoc unum tantum de vano eius ornatu addam) gemmulae, quae collum cingebant, ita artificiose (novo sc. meo invento) naturam mentiebantur, vt mihi contrarium verum asserenti, vix adhiberetur fides; nec alia ratione artem a ` natura discernendam exhibui, (cum id a me peteret ingeniosa Nassoviae Comitissa) quam unam earum acicula transfigendo. Es ist (in meinen Augen wenigstens) liebenswürdige Menschlichkeit, daß unsre Maria, da sie gelegenheitlich von diesem ihrem Lieblingswerk aus den

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Zeiten, wo sie noch M a r t h a war, mit vielem Kaltsinn zu sprechen angefangen, daß sie (sage ich) unvermerkt warm darüber wird, und sich nicht ohne Schmerz der unglücklichen Zerstörung derselben erinnern kann. — „Aber *)

Der Inhalt ist dieser: „Die Augen dieses Wachsbildes hätten nicht nur den ihrigen im Kleinen

sehr geglichen, sondern wegen des lebhaften Glanzes und der Rundung des Augapfels, hätt’ es, wenn man die Kapsel schnell gedreht, geschienen, als ob sich auch die Augen von selbst drehten. Die wächsernen Haare wären so fein gearbeitet gewesen, daß sie nur mit ihren subtilsten Spitzen im Kopfe gesteckt, und also wie natürliches Haar ausgesehen, und dem Ansehen nach frey wallende Locken formiret hätten. Eben so unendlich fein hätte sie auch die Augenwimpern mit hartnäckigem Fleiß herausgebracht; und die Perlen um den Hals hätten, durch einen von ihr 30

erfundenen besondern Kunstvortheil, so vollkommen wie Natürliche ausgesehen, daß ihr niemand glauben wollen sie seyen von Wachs, bis sie auf Verlangen einer Gräfin von Nassau, eine davon mit einer kleinen Nadel durchstochen.“ — Einigen wird vielleicht der Bildhauer aus dem Horaz einfallen, qui et ungues exprimet, et molles imitabitur aere capillos, i n f e l i x o p e r i s s u m m a . Ob unsre Künstlerin in diesem Stücke glücklicher gewesen, davon sagt sie nichts; ich zweifle aber um so weniger daran als diese höchste Feinheit und fleißige Behandlung des Details, die in großen Bildern dem Ganzen nachtheilig ist, in Mignatur-Werken, wie dieses war, gerade das ist, was dem Ganzen Leben und Wahrheit giebt.

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(fährt sie fort) was hatte ich dessen für Frucht? als diese, daß ich mit Verlust meiner kostbaren Zeit mir unwissenderweise selbst die Reue gekauft, die hernach auf die Zerstörung desselben folgte, da eine meiner Tanten (nicht lange nachdem es fertig war) indem sie es recht genau besichtigen wollte, es aus ihrer unbehutsamen Hand fallen ließ und dadurch zernichtete.“ Sie gesteht, als sie folgende Verse unter das Bild gesetzt: Non mihi propositum est humanam illudere fortem, aut vultus solido sculpere in aere meos; En nostram effigiem quam cera expressimus! atque materiae fragili mox peritura damus.

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habe sie sich dieses Bild ihres Lebens (so wie wir alle mit dem Leben selbst zu thun pflegten) zwar als z e r b r e c h l i c h , vorgestellt, aber doch nicht gedacht, daß es s o b a l d würde würklich zerbrochen werden; und sie wäre daher durch seine Zerbrechung, tanquam graviusculo atque improviso aliquo casu, in einigen Mißmuth gesetzt worden; da es ihr hingegen bey späterer Erinnerung desselben lächerlich vorkomme, daß sie (sind ihre Worte) an etwas, das doch

Äw onar (wie der Dichter *) nur ein Schatten von ihr gewesen, die selbst nur skia von dem Menschen sage) nur der Traum eines Schattens, oder ein Schatten in einem Traume sey, ihr Herz habe hängen und sich über dessen Verlust habe betrüben können. — Wie groß oder klein aber auch ihre erste Empfindung

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davon mag gewesen seyn, soviel ist gewiß, daß die Tante nichts dadurch von ihrer Liebe verlohr. Denn sie ist ohne allen Zweifel eine von den zwoen Mutterschwestern, von denen Sie im VI. Capitel mit so vieler Liebe spricht, und Gott dafür preiset: „daß er ihr Gelegenheit gegeben, diesen guten Damen (deren die eine 89 und die andre 91 Jahre alt worden, beyde aber über 20 Jahre vor ihrem Tode den Gebrauch der Augen verlohren) in ihrem hülfebenöthigten Alter nützlich zu seyn, und daß er sie mit diesen ihren Mutterschwestern und dem einzigen Bruder, der ihr von ihren Geschwistern übrig geblieben, durch ein so enges und süßes Band der Liebe zusammengebunden, daß die zwanzig Jahre die sie mit einander Eine Familie ausgemacht, ihr in der That nur wenig Tage gedäucht hätten.“ *)

Euripides.

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Sie bricht das Wenige, was sie bisher von ihrer Geschicklichkeit zu den bildenden Künsten gesagt, auf einmal mit einer Idee ab, die ich, so schwärmerisch sie vielleicht manchen vorkommen mag, mich nicht entbrechen kann, hieherzusetzen, weil sie einen der stärksten Züge des Charakters dieser Englischen Seele enthält. Ich übergehe, sagt sie, andre Dinge dieser Art, weil ich die Neigung zu dergleichen und das Andenken davon zu verliehren angefangen, so wie sich das göttliche Bild des Lebens Jesu meiner Seele darstellte; und da ich von diesem Augenblick an kein Andres als dies der Nachahmung würdig schätzte, und es gleichwohl nicht immer hell und lebendig genug in 10

meinem Gemüth erhalten konnte, so gieng ich damit um, eine soviel mir möglich wäre vollkommne Abbildung desselben, zu meinem und andrer Nutzen, schriftlich zu verfassen. — Aber, die Wahrheit zu gestehen, ich habe mir bey diesem Werke nie selber genug thun können, theils weil meine Augen oft durch den Glanz dieses göttlichen Gegenstandes geblendet wurden, theils weil es mir immer vorkam, ich mahle die Sonne nur mit einer Kohle ab. Ich fand also, das Leben der Christen sey das beste Bild des Lebens Christi, aber wie selten in diesen unsern Zeiten zu finden! Da ich nun in der Folge dessen lebhafteste Züge an unsern Hirten (Labadie und seinen Gehülfen nemlich) wahrnahm, glaubte ich, mit diesen lebendigen Bildern alle Werke todter Kunst

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vertauschen zu müssen. Sie schließt diese Betrachtung endlich mit folgenden Gedanken: Wahrlich, wir würden alle Kunstgemählde wenig schätzen, wenn wir in allen Geschöpfen, denen ihr Urheber etwas von seinem Bilde eingedrückt hat, nach dem bekannten Vers u n d j e d e s G r ä s c h e n s t r a h l t d e n g e g e n w ä r t g e n G o t t *) Ihn selbst mit Geistesaugen sähen, und mit wahrem Gottessinn als gegenwärtig schmeckten und fühlten. Alles was sie, diesen Gedanken auszuführen, hinzusezt, ist sehr schön — so wie an dem Gedanken selbst etwas sehr wahres ist. Und gewiß, kein Mahler noch andrer Bildner wird jemals ein herrliches und immer lebendes Werk hervorbringen, der d a s G ö t t l i c h e in der Natur zu

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fühlen keinen Sinn hat. Dieses hohe Gefühl allein hat in den Phidias und Praxiteles der Griechen Ideen göttlicher Schönheit gezeugt, und ihre Hand *)

Praesentemque Deum quaelibet herba docet.

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gestärkt, wenigstens die Schatten davon in Marmor und Helfenbein nachzubilden; dieses Gefühl allein hat, in neuern Zeiten, einen Buonarotti, einen Raphael, Corregio, und (um noch einen in seiner Art gewiß nicht geringern Liebling und Schoosjünger der Natur zu nennen) einen Claudius von Lothringen hervorgebracht. Ein h o h e r G r a d dieses tiefen Sinns für das Göttliche in der Natur würkte bey dem leztern dieses m ü h s a m e A r b e i t e n , diese U n z u f r i e d e n h e i t m i t s e i n e m P i n s e l , welche machte daß er acht Tage immer verbesserte und wieder auslöschte, und die nur ein Mensch, wie d e P i l e s , fähig seyn konnte für pesanteur d’esprit zu halten. Aber der h ö c h s t e Grad dieses Gefühls bringt keine Künstler noch Kunstwerke mehr hervor,

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sondern verschlingt die Seele, und giebt ihr Verachtung und Eckel gegen allen künstlichen Versuch es in Worten oder irgend einem andern kalten und leblosen Stoffe nachzubilden. Dies war der Fall, worinn sich die Schurmann in den leztern Jahren ihres Lebens befand; und es kann in diesem Erdenleben nur mit wenigen ausserordentlichen Menschen so weit kommen. Es ist A n t i c i p a t i o n eines zukünftigen Standes; die vielleicht wenig guten Menschen aus A u g e n b l i c k e n eigner Erfahrung unbekannt ist; die aber, so lange die Menschen nicht wie die Engel Gottes sind noch seyn können, in dem Leben eines jeden andern als eines Einsiedlers oder Abgesonderten immer einen wunderbaren hiatus macht. Wär’ es aber möglich, daß alle Menschen diesen hohen Grad von Gottesgefühl haben und immer in sich erhalten könnten; so möchten alsdann Künste und Wissenschaften, und die lieben Belles-Lettres, und aller der ernsthafte und kurzweilige Tand, womit wir uns izt aus Mangel oder Unfähigkeit bessern Genußes oder Geschäftes abgeben, immer dahinfahren; der Verlust würde nicht groß seyn. W. (Die Fortsetzung künftig.)

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Der zum Bildniß des J o h a n n e s P i c u s , ehmaligen Fürsten von Mirandola, gehörige Aufsatz, kann wegen eines sehr ehehaften Hindernißes, in diesem Stücke nicht gegeben werden.

¼Nachricht: Aufsatz zu Pico della Mirandola½

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Der Teutsche Merkur. Jun. 1777.

¼Gedichte. …½

* * *

Epilogus des Herausgebers. Eine Menge Versuche, die mir zeither von jungen Musensöhnen zugeschickt worden, sind zu unreif, zu schwach, zu wenig correct, (ein Fehler, der nur dann zu übersehen ist, wo das Feuer des Genies, oder der Drang des Gefühls Schuld daran hat, und also den Fehler reichlich vergütet) kurz, sind zu wenig, was Stücke dieser Art seyn müßten, um öffentlich ausgestellt zu werden. Eines davon, d i e b e l e b t e R o s e , e i n Tr a u m a n D a p h n e , hätte mich bey-

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nahe verführt; aber da ichs wieder überlas — was soll ich sagen? Wie bald verführt einen Jüngling von 18 Jahren eine gewisse S t i m m u n g , worein ihn dies Alter und das Lesen der Musen-Almanache und Taschenbücher für Dichterfreunde und das erste Mädchen, das ihn angelächelt, sezt, — oder eine gewisse Leichtigkeit aus Reminiscenzen poetischer Bilder und Blümchen, und aus halben und ganzen Versen anderer Dichter, die ihm unvermerkt im Gehirn sitzen geblieben, so was zusammenzusetzen, das wie ein Gedicht aussieht, — sich Talent und poetischen Beruf zuzutrauen? Aber was sind Verse, wie z. Ex. folgende: Als ich jüngst, von Grazien umgeben, Daphne, deiner Götterbildung nah Lächelnd dich auf Purpurwölkchen schweben und im Götterglanze schwimmen sah. Traurend sank ich an den M y r t e n h ü g e l , u. s. w. Blumen l a c h t e n an der nahen Quelle, wo dich Liebesgötter oft belauscht,

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spiegelten sich in der Silberwelle, die geschwätzig über Kiesel rauscht. u. s. w.

Was ist das Alles in dem Mund eines jungen Menschen, der dies und dergleichen 1000mal in Andern gelesen, als W i e d e r k ä u u n g ! Und wenn’s auch Blumen wären, das Publicum ist ihrer längst satt; sie haben weder Geruch noch Farbe mehr. — Also, widerstehet dem Teufel, so fleucht er von euch! — Alle jungen Leute, Mädchen und Bübchen bey M y r i a d e n , können sehr leicht dazu kommen Verse zu machen, und recht hübsche Verse voll Myrtenhügel und Silberwellen, Liebesgötter und Purpurwölkchen; und das soll ihnen auch 10

unverwehrt seyn: nur wollen wir sie nicht gleich drucken lassen. — Kurz, es kann den K u n s t j ü n g e r l e i n mit den Worten M e i s t e r J o c o s u s H i l a r i u s nicht oft genug zugeruffen werden: B e h e r z i g t d o c h d a s Dictum: Cacatvm non est pictvm. Sollt’ indessen dieser oder andre Jünglinge, deren poetische Geburten ich, aus wahrer (vielleicht zuweilen irriger) Wohlmeynung unterdrückt habe, mein Urtheil von ihnen künftig durch Meisterstücke beschämen: so versichre ich, daß ich mich auf solche Weise gern beschämen lassen will. Genie und wahres Talent läßt sich nicht unterdrucken, wiewohl ihm zuweilen wohl bekommt

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niedergedruckt zu werden. Aber freylich ist es auch eine Eigenschaft der Stümper sich nicht abschrecken zu lassen. Und so treibe dann am Ende jeder was er kann und will; und wenn ihn ein Irrwisch, den er für einen Salamander gehalten hat, in Sümpfe und Froschgräben führt, so seh’ er zu, wie er wieder herauskommt; je m’en lave les mains.

¼Gedichte½ E p i l o g u s d e s H e r a u s g e b e r s

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Auszug aus einem Brief an einen Freund. Sie haben Recht, man soll von großen Männern auch dann, wenn man von ihren Fehlern spricht, mit Ehrerbietung reden, wenn es auch nur des Beyspiels wegen wäre; zumal in unsern Tagen, da jedes der Schule entlaufne Bübchen sich anmaßt, über die zu urtheilen, denen es, in Zeiten wo Schamhaftigkeit noch eine Eigenschaft der Jugend war, nicht ins Gesicht zu sehen gewagt hätte. Freylich sollte der Name eines Aristoteles eben so wie der Name eines Galilei, Kepler, Descartes, Newton, Leibniz, nie ohne ein sichtbares Zeichen, daß man von der Herrlichkeit dieser so hoch über der gemeinen Menschheit daher schwebenden Geister durchdrungen sey, ausgesprochen werden. Aber

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gleichwohl, lieber Freund, hat auch diese moralische Pflicht, wie alle andere, ihre Grenzlinie. Am Ende sind wir doch immer — Menschen die von — Menschen reden; und eben darum, weil das Ansehen großer Männer so viel imposantes hat, giebt es Fälle, wo es ziemlich seyn mag, ihre Mängel und Bresten in stärkern Ausdrücken zu rügen, als man thun würde, wenn sie nur gemeine Menschen wären. Einer von diesen Fällen — und der, wo man sich am schwersten enthalten kann, ein wenig aus dem gewöhnlichen Respect zu treten — ist wohl dieser: wenn der große Mann einen andern, wohl gar einen bessern als er ist, geringschätzig von der Seite ansieht — oder: wenn er von ganzen Klassen, die er recht zu kennen sich nie die Mühe gegeben, und überhaupt von Gegen-

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ständen, die ihm nur obenhin, vielleicht nur a priori bekannt sind, in einem zu positiven und entscheidenden Ton — u n r i c h t i g urtheilt. Wenn Ihnen diese allgemeine Sätze nicht hinreichend scheinen sollten, meine (Ihrer Empfindung nach) an dem göttlichen A r i s t o t e l e s und an dem großen L e B r ü n begangene Sünden *) zu entschuldigen — so hören Sie wenigstens, was ich noch im besondern zu meiner Rechtfertigung zu sagen habe. Den L e B r ü n betreffend, so gesteh ich Ihnen reumüthig, daß ich in dem Augenblick, da ich in einem etwas spöttischen Ton, wie nicht zu läugnen ist, von ihm sprach, nicht a n d i e G a l e r i e v o n L u x e m b u r g , sondern nur an seine große Spanische *)

In den Miscellanien im 2ten und 4ten Stück des Merkurs dieses Jahres.

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Perucke und seinen schamarierten Rock mit den Tressen auf allen Näthen dachte, im Gegensatz mit dem armen Teufel L e S ü e u r , der in einem schmutzigen halbzerrißnen Camisol, wie ein bloßer banaysow dasitzen, und im Taglohn Nebenzimmerchen bemahlen mußte, und doch wenigstens ein eben so großes Genie war als der große L e B r ü n . Hätte, dacht ich, L e B r ü n nur die Hälfte von Apellens Großherzigkeit gehabt, unmöglich hätt’ er den Geist und die Fähigkeiten dieses Mannes mißkennen, oder zugeben können, daß er von andern mißkannt würde. Dieser Gedanke (ich gesteh es) gab mir ein wenig Laune gegen den großen L e B r ü n . Nehmen Sie nun noch dazu, daß das 10

Geschichtchen, das ich da erzählte, (und wobey Sie nicht zu vergessen belieben werden, daß ichs nicht erfunden, sondern nur einem andern nacherzählt habe) an sich selbst so spöttisch ist, daß man es unmöglich in einem andern als komischen Ton erzählen kann — und sagen Sie nun, ob ich mich würklich an den Diis Manibus des großen Mannes so sehr versündiget habe, daß ich ihnen ein Versöhnopfer schuldig seyn sollte? Was aber den göttlichen A r i s t o t e l e s betrift — so wissen Sie selbst, oder wissen es vielleicht auch nicht, daß eine Zeit war, wo ich lang und viel in seinen Werken studiert, und durch das heilige Dunkel, womit sie bedeckt sind, bis zu seinem Licht durchzudringen mich bemüht habe; und daß seit

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dieser Zeit schwerlich jemand lebt, der, aus dem was er davon verstanden, eine größere Meynung von dem, was ihm dunkel geblieben, gefaßt haben mag, als meine Wenigkeit. Demungeachtet, und mit allem Respect wiederhole ich, und beurkunde öffentlich mit diesem Briefe: daß ich noch immer der Meynung sey, die Art wie der große Mann in dem neulich von mir angezognen 8ten Buch seiner Politik von der Mahlerey und den Mahlern gesprochen, sey seiner keinesweges würdig; ja, daß ich mir sogar die Ausdrücke, die ich damals gebrauchte, um eben dies zu sagen, so hart sie Ihnen auch aufgefallen sind, zu rechtfertigen getraute, in so fern Sie bedenken, daß man darum noch kein Pedant ist, wenn man gleich ein oder zweymal in seinem Leben, oder

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auch wohl noch öfter, wie ein Pedant von einer Sache spricht. — Damals, als ich mir, dem widrigen Eindruck gemäß, den die Stelle wovon die Rede ist im Lesen auf mich machte, diese Ausdrücke entfallen ließ, war die Frage von etwas anders; und ich brach also plötzlich wieder ab. Nun aber, M. Fr. da Sie mich des Verbrechens beschuldigen — gegen das große Gesetz des Pythagoras, u n e h r e r b i e t i g v o n e i n e m H e r o e n gesprochen zu haben, liegt mir ob,

Auszug aus einem Brief

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Ihnen meine Gründe zu sagen. Hören Sie also an, und sprechen Sie dann mein Endurtheil. Setzen Sie den Fall, ein Philosoph aus den Zeiten Leons X. hätte in einem moralischen Werke die Materie von dem sittlichen Werth und Einfluß einiger schönen Künste, besonders in Rücksicht auf die Jugend und deren Erziehung, berührt, und hätte da, nachdem er ziemlich viel, wiewohl in sehr allgemeinen Formuln, über die Musik geschwazt, endlich auch beyläufig der Mahlerey erwähnt, und ungefähr auf folgenden Schlag davon gesprochen: „Der Mahlerey kann allenfalls einige Fähigkeit sittliche Dinge nachzuahmen zugestanden werden. Denn das Äußerliche des sittlichen Menschen, Stellungen, Gebehr-

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den, Minen, sind von ihrer Competenz. Es ist aber was sehr weniges, was sie damit ausrichten kann, — und im Grunde läßt sich nicht sagen, daß man durch Formen und Farben S i t t e n n a c h a h m e n könne, sondern es sind höchstens nur Z e i c h e n und zwar zweydeutige Zeichen, da das was sie darstellen an sich bloß körperliche Affectionen sind. Indessen, s o f e r n g l e i c h w o h l i m A n s c h a u e n d i e s e r D i n g e e i n U n t e r s c h i e d ist, ziemt sichs, daß man jungen Leuten nicht die Werke eines Galandrin *), sondern eines M a s o l i n o , und wenn es sonst noch unter den Mahlern oder Bildhauern einen oder andern giebt, der moralisch ist, anzuschauen gebe.“ Nun, bitte ich Sie, wenn ein Philosoph, der einige Jahre am Hofe Leons X.

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gelebt hätte, ein Zeitgenosse von M i c h e l - A n g e l o , R a f a e l , C o r r e g g i o , T i z i a n — ein Mann also, dessen Leben in die Zeit der größten Meister und der höchsten Blüthe der Kunst gefallen wäre, in diesem Ton von Mahlerey und Mahlern gesprochen hätte: was würden Sie von ihm denken? Und wenn der Mann dann gleichwohl der größte Gelehrte und der tiefste Denker seiner Zeit gewesen wäre, was würden Sie sagen? Nun lesen Sie die Stelle wovon die Rede ist, im Original **), und Sie werden *)

Ich nenne diesen mittelmäsigen Mahler aus dem 15ten Jahrhundert hier nur, um die Lücke

auszufüllen; denn keinen Pauson aus dieser Zeit find ich nicht. **)

Symbebhke de tv Ä n aiÆsuhtv Ä n en men toiÄw alloiw mhden yëparxein oëmoivma toiÄw huesin, all en toiÄw oëratoiÄw hrema. Sxhmata gar esti toiayta. All’ epi mikron, kai pantew thÄw toiaythw aisuhseow koinvnoyÄsin. Eti de oyk esti tayta oëmoivmata tv Ä n huv Än, alla shmeia maÄllon ta gignomena sxhmata kai xrvmata tv Ä n huv Än. Kai tayt’ estin epi toy svmatow en toiÄw pauesin. Oy mhn all’ oëson diaferei kaiÁ peri thn toytvn uevrian, dei mh ta Paysvnow uevrein toyw neoyw, alla ta Polygnvtoy, kaiÁ ei tiw allow tv Än grafev Ä n h tv Ä n agalmatopoiv Än estin huikow. Po l i t i c . VIII. 5.

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finden, daß, wenn anders aus der unsäglichen Dunkelheit desselben ein Sinn herauszukriegen ist, diese Stelle im Hauptwerk gerad eben das sage, was ich meinen erdichteten Philosophen aus Leons X. Zeiten sagen ließ. D i e Z e i t A l e x a n d e r d e s G r o ß e n , in welcher Aristoteles lebte, war bekannter maaßen d i e g o l d n e Z e i t — nicht der schönen Künste überhaupt, denn P h i d i a s , P o l y k l e t u s , A l k a m e n e s und M y r o n waren nicht mehr; — aber d e r M a h l e r e y bey den Griechen. A p e l l e s , P r o t o g e n e s , A r i s t i d e s , N i k o m a c h u s , A s k l e p i o d o r u s , lauter Meister vom ersten Rang, brachten binnen 25 bis 30 Jahren diese Kunst zu der höchsten Vollkom10

menheit, die sie bey den Alten erreicht hat und zu erreichen fähig war. Keiner von den Vorbenannten, dem nicht der Name eines e t h i s c h e n Mahlers so gut und besser angestanden hätte, als dem Polygnotus. Und (vom Apelles im besondern nichts zu sagen) wer konnte diese Qualification mehr verdienen als A r i s t i d e s , von welchem Plinius sagt: „er sey unter allen der erste gewesen, der d i e S e e l e zu mahlen, und die sittlichen Empfindungen und Gemüthsregungen, welche die Griechen huh nennen, auszudrucken, zu seinem Hauptzweck gemacht?“ *) Wie lächerlich also, so von der Sache zu sprechen, als ob Pauson, der ein armseliger Carricaturschmierer, und Polygnot, dessen größtes Verdienst ist, daß er der erste, oder wenigstens unter den ersten war, wel-

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che die Mahlerey aus der Kindheit gezogen, — als ob diese beyden die einzigen wären, deren Namen einem beyfielen, wenn von Mahlerey die Rede wäre! Meine Meynung ist gar nicht, dem Polygnotus irgend eines seiner Verdienste absprechen zu wollen. Aber es bleibt doch gewiß, daß er den Ruhm, dessen er bey seinem Leben genoß, zur Hälfte der damaligen Unvollkommenheit der Kunst — und den Werth, den noch zu Quintilians Zeiten die Liebhaber auf seine Stücke sezten, mehr ihrem Alterthum und ihrer Seltenheit, als ihrer Vollkommenheit zu danken hatte. Denn an sich selbst waren es doch (wie dieser vortrefliche Kunstrichter davon urtheilt) noch beynahe rohe Werke, die so zu sagen nur errathen ließen, was die Kunst nun bald werden würde. **)

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Und gesezt auch, Aristoteles hätte seine politischen Discurse geschrieben, eh Apelles, Aristides, und die andern, die ich oben nannte, berühmt genug *)

Aristides Thebanus omnium primus a n i m u m p i n x i t et sensus hominis expressit, quae

vocant Graeci e t h e . Das omnium primus soll doch wohl nur so viel sagen, daß er der erste gewesen, der sein Hauptwerk darinn gesezt: sonst sagte es unstreitig zu viel. **)

prope rudia ac velut futurae mox artis primordia Quintilian. Institut. L. XII. c. 10.

Auszug aus einem Brief

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geworden, daß ihr Name und Werth bis zu einem Mann wie er hätte durchdringen können; wie konnten ihm E u p h r a n o r , P a r h a s i u s , der HeroenMahler, T i m a n t h e s , in dessen Werken man immer m e h r z u d e n k e n a l s z u s e h e n fand, P a m p h i l u s , der Stifter einer berühmten Mahlerschule und Lehrmeister des Apelles, u. a. unbekannt geblieben seyn, welche gewiß Alle seinen Polygnotus weit hinter sich gelassen, und alle theils kurz vor seiner eignen Zeit theils in seiner Jugend blühten? Was läßt sich also anders denken, als daß Aristoteles — Doch Nein! — lassen Sie uns demungeachtet nichts zum Nachtheil des großen Mannes denken! Es ist, zu allem Glück, noch ein Ausweg übrig. Diesen Augenblick erinnert mich

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ein guter Dämon an einen Umstand, der mir ganz aus dem Sinne gekommen war, und den man beym Lesen des Stagyriten, besonders einiger seiner Werke worunter auch die Politica sind, nie vergessen darf. Sie wissen ja, m. Fr. die Geschichte der Aristotelischen Handschriften, wovon der größte Theil (denn er machte nur weniges bey seinem Leben bekannt) über 130 Jahre in einem alten dumpfichten Keller den Motten, Würmern und Mäusen Preiß gegeben lag, bis endlich ein gewisser Halbgelehrter, Namens Apellicon — ein großer Verehrer des Aristotelischen Namens, aber zum Unglück ein — Schöps, den so lange verborgnen Schatz von ungefähr entdeckte, die von Moder, Ungeziefern und Ratten übel zugerichteten, kaum leserlichen, an unzählichen Orten er-

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loschnen oder durchgefreßnen Handschriften ans Tageslicht hervorzog, mit unendlicher Müh abschrieb, die Lücken ausfüllte und stopfte, so gut und womit er konnte, oder sie auch unausgefüllt ließ, und die Sache Gott und des Lesers gutem Genius anheim stellte, u. s. w. Und wie es also solchergestalt nicht fehlen konnte, daß, ungeachtet der spätern Bemühungen des Sophisten Tyrannion, die Werke des Aristoteles größern Theils in einem so mangelhaften, delabrierten und vermoderten Zustande auf uns kommen mußten, daß es die höchste Ungerechtigkeit wäre, den großen Mann wegen irgend einer Stelle, die seiner unwürdig ist, zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Wenn irgendwo, so ist dies hier bey der vorhabenden Stelle der Fall. Offenbar haben die Mäuse, Motten und Kellerwürmer alle Schuld; mir ist, ich sehe recht eigentlich die Verwüstung, die diese gebohrne Feinde der Wissenschaften in dem ganzen Capitel angerichtet, und die häßlichen Lücken in den Begriffen und Schlüssen, die unmöglich anders als durch ihre Zähne verursacht werden konnten. In dieser Überzeugung also, m. Fr. nehme ich die unziemlichen Aus-

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drücke reuvoll zurück, die Ihnen neulich so hart aufs Herz gefallen waren, und unterwerfe mich jeder nicht allzustrengen Buße, die Sie mir deswegen aufzulegen für gut finden mögen. Ehre sey dem göttlichen Aristoteles! und übel mög’ es den Motten, Mäusen und Kellerwürmern bekommen haben, die sich nicht gescheuet, den Sinn eines Mannes, der die Welt zu erleuchten gekommen war, so oft in platten und unheilbaren Unsinn zu verkehren!

Auszug aus einem Brief

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Eine Handlung des Apelles, die sein bestes Gemählde werth war. Man hat immer vom Neid der Künstler, oder, wie mans verächtlicher Weise nennt, vom Handwerksneid so gesprochen, als ob es eine Art von moralischem Wunder wäre, wenn zween Nebenbuler in einer Kunst, die zu Ruhm, Ansehen und Reichthum führt, einander Gerechtigkeit wiederfahren ließen, oder gar Freunde wären. Man pflegt immer als etwas ganz natürliches vorauszusetzen, sie müßten einander herzlich gram seyn, und dies Vorurtheil ist zum Sprüchwort geworden, weil es immer und überall durch die gemeine Erfahrung bestättiget zu werden geschienen hat. Nun möcht ich zwar nicht läugnen, daß

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wohl auch dann und wann große Männer (die vor Satans Macht und List nicht sichrer sind als wir andern) Anfälle von dieser garstigen Leidenschaft erfahren könnten: aber gleichwohl scheint sie mir an edeln Seelen überhaupt, und besonders an großen Künstlern (die ich mir eben so wenig ohne enthusiastische Liebe ihrer Kunst als ohne bescheidne Meynung von sich selbst gedenken kann) etwas so u n n a t ü r l i c h e s zu seyn: daß ich sehr geneigt bin, gerad im Gegensatz mit der gemeinen Meynung, die Fälle, wo ein großer Künstler gegen den andern ungerecht und mißgünstig gehandelt, unter die A u s n a h m e n zu rechnen, und alle Erzählungen dieser Art für eben so verdächtig zu halten, als sie dem großen Hauffen wahrscheinlich dünken, und begierig von

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ihm angenommen werden. Und würklich, wenn sich jemand die Mühe nähme, die hieher gehörigen Beyspiele zu sammeln, so würden sich vielleicht zehn finden, wo Männer, die in der nemlichen Kunst vortreflich waren, einander wenigstens völlige Gerechtigkeit bewiesen, gegen eines, wo ein solcher sich jenes kleinherzigen Neides, oder einer — es sey nun würklich gefühlten oder nur affectirten — Verachtung fremder Talente und Vorzüge schuldig gemacht. Wie viel oder wenig solcher Beyspiele aber auch zu finden seyn mögen, kein edleres wenigstens und das mehr zum Vorbild aufgestellt zu werden verdiente, kenne ich nicht, als das Betragen des größten Mahlers seiner Zeit, des A p e l l e s , gegen einen seiner vorzüglichsten Kunstgenoßen, den P r o t o g e n e s . Dieser leztere lebte, seiner großen Geschicklichkeit ungeachtet, schon

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seit vielen Jahren (so wie C o r r e g g i o sein ganzes Leben durch) in größter Armuth. Ein kleiner Garten vor der Stadt Rhodus mit einer schlechten Hütte war sein ganzer Reichthum. Die Rhodier machten nichts aus ihm: Sordebat ille suis, sagt P l i n i u s , v t p l e r u m q u e d o m e s t i c a . Ein Fremder mußte kommen, und ihm einen Werth in ihren Augen geben; vielleicht — in gewissem Sinn — auch in seinen eignen (denn Armuth und Verachtung, wenn sie zu einem fortdaurenden Zustand werden, sind genug, endlich auch die edelsten Geister niederzudrücken und kleinmüthig zu machen) und dieser Fremde war — Apelles. Er kam nach Rhodus, besuchte seinen mißkannten Mitbruder 10

in der Kunst, sah einige seiner Werke, fragte ihn, wie hoch er sie verkauffe? und da ihm Protogenes eine Kleinigkeit nannte, erhandelte er auf der Stelle die besagten Gemählde für sich selbst, und bezahlte sie, zu großem Erstaunen der Rhodier, mit 50 attischen Talenten, die nach unserm Geld über 30000 Thaler machen. E r k a u f f e d i e s e S t ü c k e (sagte er den Rhodiern ins Ohr) u m s i e a l s s e i n e e i g n e A r b e i t w i e d e r z u v e r k a u f f e n . Dieser Zug war die 30000 Thaler doppelt werth. Nun wurden die Augen der Rhodier aufgethan: sie schlossen (wie dann immer die dümmsten Leute die besten Schlußfolgerer sind) der Mann, dessen Arbeit ein Apelles so theuer bezahle, um sie wieder — mit Profit, das versteht sich doch — als seine eigene zu verkauffen,

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müsse nothfolglichen ein großer Mann seyn; und nun wollten die Herren alle von seinen Stücken in ihren Galerien oder Cabinettern haben; der Preiß seiner Arbeit stieg mit seinem Ruf; und wenn Protogenes dem ungeachtet, wie es scheint, kein sonderliches Glück machte, so kam es wohl blos daher, weil er den Eigensinn hatte langsam zu arbeiten, oder, richtiger zu sprechen, weil er seine Werke mit solcher Liebe arbeitete, daß er nie mit seiner Ausführung völlig zufrieden war, und sich nur mit Mühe entschließen konnte, ein Stück für vollendet anzusehen. Die Rhodier wußten sich in der Folge den Umstand, den Protogenes bey sich zu haben, sehr gut zu Nutze zu machen, als D e m e t r i u s P o l i o r k e t e s

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ihre Stadt belagerte, und eben Anstalten machte, eine ihrer Vorstädte in den Brand zu stecken, weil dies der einzige Weg war, sich der Stadt selbst zu bemächtigen. Glücklicher Weise für sie, war das berühmteste Werk des Protogenes (sein I a l y s u s ) in einem öffentlichen Gebäude dieser Vorstadt aufgestellt, und, zu noch größerm Glück, war Demetrius ein Liebhaber der Kunst. Die Rhodier schickten eilends Deputirte an ihn, ihm vorzustellen, wenn er die

Eine Handlung des Apelles

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Vorstadt anzünden ließe, würde er den Ialysus des Protogenes vernichten; und dieser Umstand würkte so stark auf den Helden, daß er die Belagerung lieber aufheben und den Rhodiern verzeyhen, als ein so herrliches Werk zerstören wollte. *) Aber — um wieder auf den Apelles, von dessen Großmuth gegen den Protogenes die Rede war, zurück zu kommen — beweiset das angeführte Beyspiel auch wohl alles was ich damit beweisen wollte? — Ich denke, ja! — „Aber, (wendet mir jemand ein) würde Apelles auch so gerecht und edel gegen Protogenes gehandelt haben, wenn er ihn würklich für einen Mann angesehen hätte, der ihm selbst i m L i c h t e s t e h e ? “ — Vielleicht — nicht; wenigstens

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möchte ich nicht für das Gegentheil Bürge seyn. Es ist schwehr in die innersten Falten des menschlichen Herzens zu sehen; und immer ists verwegen, allgemeine Grenzen ziehen zu wollen, wie weit die Schönheit und Güte einer schönen und guten Seele gehen könne. Indessen gesteh ich gerne, daß in allen Fällen, wo ein großer Künstler, oder überhaupt ein großer Mann dem andern auf eine so edle Art Gerechtigkeit erweiset, die Eigenliebe immer etwas in petto hat, wodurch sie sich wenigstens im Gleichgewicht erhält; und wenn Helvetius gleich zu weit gegangen ist, da er behauptet: jeder Mensch sey in seinen eignen Augen der erste aller Menschen; so möchte sich doch wohl mit gutem Grund vermuthen lassen, Jedermann habe etwas, (was es nun auch

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seyn mag) worinn er sich selbst vor allen, die er als Rivalen betrachtet, den Vorzug giebt, und dem er (wenigstens in den täuschenden Augenblicken, wo er am besten mit sich selbst zufrieden ist) Werth genug beylegt, um sich selbst sagen zu können: so groß und vortreflich dieser Mann ist, so ist doch etwas, worinn er dir nicht gleichkommt, und, wenn er auch w o l l t e , nicht gleichkommen k a n n . Was den Apelles betrift, so wollen wir unsern Lesern nicht verbergen, daß dies just sein Fall mit dem Protogenes war. Der leztere hatte an seinem I a l y s u s sieben Jahre lang gearbeitet, und dieses Gemählde war in einem so hohen Grade schön und in allen seinen Theilen so vollendet, daß es unter die vollkommensten Meisterstücke gerechnet wurde, welche Griechenland aufzuweisen hatte. Cicero nennt es, in diesem Sinn, neben der berühmten

*)

So erzählt A . G e l l i u s diese Anekdote. P l u t a r c h (im Leben des Demetrius) erzählt sie

auch, aber warlich nicht (wie P. H a r d u i n in seinen Noten zum Plinius sagt) totidem fere verbis, sondern mit ganz andern Umständen.

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Venus (Anadyomene) des Apelles — und, was mehr als dies alles sagt, Apelles selbst fand, daß es ein herrliches Werk sey. Beym ersten Anblick stund er wie erstaunt davor, und nachdem ers lange stillschweigend betrachtet hatte, sagte er zu den Umstehenden: es ist ein Werk von erstaunlichem Fleis, und die Arbeit eines großen Künstlers; a b e r — sezte er hinzu, d i e G r a z i e f e h l t ihm; hätt es d i e s e noch, so würde es das erste Stück in der Welt seyn. So erzählt’s A e l i a n . Nun wissen wir aus dem Plinius, daß es gerade diese xariw, diese Grazie die sich besser fühlen als erklären läßt war, worauf sich Apelles am meisten zu gut that, und was er, wenn er von den Werken der andern 10

berühmten Mahler seiner Zeit sprach, vor ihnen allen voraus zu haben sich rühmte. Vor dem Protogenes (sezt Plinius hinzu) legte er sich noch einen andern Vorzug bey, da er seinen Ialysus, ein Werk von unermeßlicher Arbeit und von einem über alle maßen ängstlichen Fleiß, bewunderte. Denn er sagte: Protogenes sey ihm in allen andern Stücken gleich, ja in einigen gar überlegen: aber in dem einzigen bleibe ihm (dem Apelles) der Vorzug, daß jener n i c h t a u f z u h ö r e n w i s s e , oder, wie es C i c e r o ausdruckt, daß er nicht fühle, was genug sey. Ich glaube nicht daß Apelles sich hierinn noch einen a n d e r n Vorzug habe beylegen wollen, sondern daß er das nemliche nur mit einer andern Formul ausgedruckt habe. Denn eben durch den ängstlichen Fleiß, der nicht

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aufzuhören weiß, geht jene G r a z i e verlohren, die den Apelles auszeichnete, und die dem Protogenes fehlte; oder, richtiger zu sprechen, sie ist unverträglich mit ihm. Und so hätten wir dann gefunden, was die Großmuth des Apelles in den Augen derer, die nicht gerne moralische Wunder glauben, unverdächtig machen kann. Im Vorbeygehen sey mir noch erlaubt eine doppelte Unrichtigkeit des d e P i l e s zu rügen. Die Art, wie er (in seinem Abrege` de la vie des Peintres) die Würkung die der Anblick des Ialysus auf den Apelles gethan erzählt, giebt seinen Lesern einen ganz falschen Begriff von der Sache. „Er stund sprachlos da (spricht de Piles) als einer der keine Worte finden konnte, um die Idee von Schönheit, die dieses Gemählde in ihm erweckte, auszudruk-

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ken.“ Von dem wichtigen Mangel, den Apelles daran fand, sagt er kein Wort. — Und dann ist unrichtig, daß Apelles für e i n e i n z i g e s Gemählde des Protogenes 50 Talente bezahlt habe; Plinius, aus dem er gleichwohl die Anekdote genommen, sagt sehr deutlich das Gegentheil. W.

Eine Handlung des Apelles

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H e r r n M a t t h ä u s v o n P a p p e n h e i m , des H. R. R. Erbmarschalls, Domherrn zu Augsburg, beeder Rechte Doctors, C h r o n i k d e r Tr u c h s e s s e n v o n Wa l d b u r g , d u r c h A n m e r k u n g e n , Z u s ä t z e , A b h a n d l u n g e n u n d g e n e a l o g i s c h e Ta b e l l e n e r l ä u t e r t . Mit einer Kupfertafel. Fol. Memmingen 1777. bey Mayer. Die Chronik dieses altherrlichen Hauses verdiente dem historischen Forscher mitgetheilt zu werden. Der Text ist Pappenheims. Die starken Zusätze, Abhandlungen und Geschlechtsregister haben wir der gelehrten Feder des regierenden Reichsgrafen Truchses zu Zeil und Trauchburg zu danken. Viele Erläuterungen, besonders zur Schwäbischen Geschichte; manche bekannte

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Begebenheit berichtigt und bestätigt; nicht wenig brauchbare und unterhaltende Anekdoten; endlich, viele noch ungedruckte schätzbare Archivalurkunden, bestimmen den vorzüglichen Werth dieses Geschenks. — Der äußere Schmuck des Werks entspricht dem innern Werth. Ihr Edeln Germaniens, Grafen und Herren, und ihr Archivare alter Klöster, alter Häuser, die ihr, zum Theil, gleich den Feuerdrachen die bey verborgnen Schätzen unter der Erde die Wache haben, die Reichthümer nicht zu brauchen wißt, oft nicht einmal kennt, die ihr hütet — sehet da ein würdiges Beyspiel zur Nachahmung! Wie viel würde die besondre und allgemeine Geschichte durch solche Beyträge gewinnen! K. W.

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Lebensbeschreibung des berühmten Ritters, S e b a s t i a n S c h e r t l i n s v o n B u r t e n b a c h , aus dessen e i g e n e n und Geschlechts-Nachrichten vollständig herausgegeben, und mit Anmerkungen und Beylagen versehen. Frankfurt und Leipzig 1777. Herr Christoph Siegmund v o n H o l z s c h u h e r , ein gelehrter Nürnbergischer Patrizier, macht hier mit einem der merkwürdigsten Teutschen Männer des XVIten Jahrhunderts den Anfang einer Folge von mehrern solchen Biographien, wozu Er uns Hoffnung macht, sofern Er die nöthigen Beyträge von andern Patriotischgesinnten Edeln und Gelehrten, besonders aus denen noch 10

viel zu wenig benuzten Hausarchiven unsrer edeln Geschlechter, erhalten werde. Gegenwärtiges Buch ist um so interessanter, da Ritter S c h ä r t l i n , so wie G ö t z v o n B e r l i c h i n g e n , sein eigner Biograph ist. Schärtlin reicht zwar, meinem Gefühl nach, nicht ganz an Götze, aber immer war er (wie ihn die drey Fürsten in ihrem Vorschreiben an Herzog Christopher zu Würtemberg ( B e y l a g e F. ) characterisiren) ein r e d l i c h e r w e i d l i c h e r G e s e l l , ein strenger mannhafter Ritter und Feldhauptmann, und, was ihm die meiste Ehre macht, der Sohn und Erbe seines eignen Verdiensts. Denn er war ein nouus homo, der sich seinen Weeg mit seinen eignen Armen machen mußte. Davon, daß er sich (wie der H. v. H. in dem kurzen Abriß der ganzen Geschich-

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te sagt) in seiner Jugend m i t b e s t e m E r f o l g auf die Wissenschaften gelegt und M a g i s t e r in Tübingen worden, seh ich in seinem ganzen Leben keine Spur; nicht ein einziger M a g i s t e r - Z u g ! überall spricht und handelt ein braver, aus einem ganzen Stück geschnittner, aber h ö c h s t r o h e r knolligter Schwabe, an dem von dem scharfen Gepräge der Natur nichts abgeschliffen worden — und das war — in seiner Zeit wenigstens — nicht desto schlimmer, dächte ich! Nichts geht über die Naivität und Unbefangenheit seiner Erzählung, und nichts über die edle, kunstlose, rittermäßige Einfalt, womit er, recht wie ein alter Ritter der Tafelrunde, von großen Thaten, großen Gefahren, großen Wunden u. dergl. als von ganz alltäglichen Dingen spricht, ohne

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den kleinsten Zug von Ruhmräthigkeit oder Eigendünkel oder Geringschätzung Andrer, und immer mit einem herzlichen G o t t s e y L o b u n d D a n k ! wenn er aus großen Fährlichkeiten mit einem wohlgespickten Beutel wieder

¼Rezension: Burtenbach½ L e b e n s b e s c h r e i b u n g

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nach Hause kommt, und mit einem G o t t g e n a d s e i n e r S e e l e ! wenn er einen Feind zu Boden geschlagen hat. Ein Zug, der durchs ganze durchgeht und, wie mich dünkt, den Mann, der sein Glück erst machen muß, bezeichnet, ist die genaue Ausrechnung, was er mit jeder seiner Thaten g e w o n n e n oder v e r l o h r e n ; aber angenehm ist dabey wieder die Treuherzigkeit, womit er das alles erzählt, und daß es ihm gar nicht einfällt, seinen Thaten e d l e r e Motive als sie würklich hatten, unterzuschieben; sondern daß er gerade so von der Sache spricht, als ob er sich durch so und so viel hundert oder tausend Gulden, die er in diesem oder jenen Feldzug erobert, und womit er von Zeit zu Zeit zu We i b u n d K i n d e r n nach Hause kommt, für alles ausgestandne

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Ungemach, Wunden, Lebensgefahren, etc. reichlich belohnt halte. All dies, und das ebenfalls durchaus durch sein ganzes Leben ziehende H a u s v a t e r g e f ü h l — und die Treue und Dankbarkeit gegen Jeden, der etwas zu seinem Glück beygetragen, und noch mehr andrer Züge der altteutschen Redlichkeit, Weidlichkeit, und Biderherzigkeit würden dies Buch lieb und köstlich machen, wenn auch der Inhalt, wegen der merkwürdigsten Begebenheiten des XVIten Jahrh. womit Schärtlins ganzes Leben verflochten war, für den Geschichtsliebhaber und Forscher weniger interessant wäre. Dem letztern überlassen wir, von dem historischen Werth dieses Buchs, und besonders von dem was der gelehrte und unermüdete Fleiß des Hrn. von Holzschuher bey dieser

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Ausgabe sowohl am Text als in den Anmerkungen etc. geleistet, genauer zu urtheilen, und begnügen uns, dem leztern für dieses allen guten Teutschen und ehrlichen Schwaben gewiß willkommne Geschenk hier öffentlich unsern Dank zu erstatten und ihn zur Fortsetzung einer so verdienstlichen Anwendung seiner Muse, so viel an uns ist, aufzumuntern. — Eins hätt’ ich beynahe vergessen — und das ist, Schärtlins gewöhnlicher L e i b f l u c h : P o t z b l a u F e u e r ! — welchen wir unsern jungen Kriegsmännern, statt der hunderttausend blauen T… Donnerwetter, Kreuzbataillons u. s. w. zur Abwechslung hiermit bestens empfohlen haben wollen. W.

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Zum Bilde des Ludwig Vives. Auch dieser für sein Zeitalter große und wichtige Mann ist nun vergessen! wie es denn, nach dem natürlichen Laufe der menschlichen Dinge nicht anders seyn kann, und denen die itzt groß und wichtig sind, oder zu seyn sich dünken lassen, in etlichen Generationen, längstens, nicht anders ergehen wird. Denn die Zeugungen der Menschenkinder sind wie der Blätter auf den Bäumen, sagt Vater H o m e r (und sagte vor ihm der S e h e r M u s ä u s ) die eine fällt ab, und die andre kömmt, — und die nicht mehr da sind werden vergessen und bald nicht mehr vermißt, denn ihr Platz ist (besser oder schlechter) ausgefüllt, und 10

die Folgen dessen was sie gethan haben werden nicht mehr gesehen, weil die ehmals würkende Ursache nicht mehr gesehen wird. — Und wozu wärs auch nöthig, da sie doch immer nur durch Veranlassung würkte, und ohne Mitwürkung andrer Ursachen niemals würksam geworden wäre? — Indessen da man nun einmal in diesem Zeitalter des Schwatzens, Grüblens, Deklamierens, Radodierens, Schwärmens, in die Luft Fechtens, u. s. w. von unzähligen Dingen schwatzt, ohne daß es weiter zu was hilft als daß — davon geschwatzt worden — so lasse man uns immerhin etliche Blätter Papier — denen es gleichviel ist, womit sie bemahlt werden — dazu anwenden, das Andenken trefflicher Männer zu erneuern, wenn gleich, ausser den Litteratoren, niemand mehr was

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von ihnen weiß noch zu wissen verlangt, ihre Thaten nicht mehr intereßieren, nicht mehr groß s c h e i n e n , so groß sie zu ihrer Zeit w a r e n , und ihr Beyspiel selbst nichts mehr würkt — da die einen von uns, unter der Last ihrer Zeit erdrückt, nicht zu ihnen hinauf sehen können, und die andre, sich selbst genugsam, keiner Beyspiele zu bedürfen glauben — auch s o l c h e r Beyspiele würklich nicht bedürfen, die auf unsre Umstände gerade so passen, wie die Helden Homers oder die Ritter vor König Artusens Hofe sich schickten, unsern jungen Kriegsleuten — wovon der geringste Manns genug wäre, einen B r a n o r oder L a n z e l o t von der Mähre herabzuschießen — zu Mustern vorgestellt zu werden. Ich sehe so gut als jemand, daß ein paar Blätter, worinn

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etwas von dem Charakter oder den Verdiensten eines Mannes gesagt wird, der vor 200 Jahren unter einer gewissen Classe seiner Zeitgenossen Sensation

Zum Bilde des Ludwig Vives

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machte, nicht viel mehr zu bedeuten haben, als wenn wir sein Bild, im Geschmack derjenigen womit dieser Merkur prangt gearbeitet, in einer schönen Laterna magica vor den Augen unsrer geneigten Leser vorbeyführten — Aber — wer guckt nicht, im Vorbeygehen, oder wenn er just nichts anders zu thun weiß, einen Augenblick in einen Guckkasten? — und wenn am Ende auch nichts dadurch gefruchtet würde, als daß unter 10000 jungen Leuten vielleicht einer oder zween veranlaßt würden, sich mit den vergeßnen, im Bibliothekenstaub modernden Werken solcher Männer bekannt zu machen, und klüger dadurch zu werden als er sonst bey seinem Brodhandwerk, oder gar bey dem müßiggängerischen Treiben dessen was man itzt schöne Wissenschaften

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nennt, geworden wäre — immer Nutzens genug! — wenn wir doch ja von N u t z e n schwatzen wollen; wir, die immer und ewig radodieren werden, wenn wir d i e s als eine Sache von herrlichen Nutzen anpreisen, j e n e s als unnütz und frivol verachten, blos weil wir Kinder sind, und von Göttersachen (wie Euripides sagt) nichts verstehen, und nichts wissen, oder alle Augenblicke vergessen — daß Simson mit einem Eselskinnbacken 1000 Philister schlug, und Xerxes mit einer Million — Philister sich von einer handvoll Griechen, die keine Simsonen waren, nach Susa zurückjagen ließ — oder, unverdeckt zu reden, daß in dieser sublunarischen Welt, und vermuthlich auch in einem großen Stück der s u p r a l u n a r i s c h e n (en depit aller Anti-Popiaden) alles Kleine groß und

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alles Große klein, alles Böse gut und alles Gute böse ist, und daß es so bleiben muß und wird — b i s e s g a r k e i n e S c h a t t e n m e h r g i e b t — sondern Alles L i c h t ist; eine Epoche, die, wie ich gewiß versichert bin, kein einziger Mahler noch Mahlereyliebhaber in der Welt jemals wünschen wird, oder sich wird vorstellen können, daß es so was Herrliches darum sey, als diejenigen glauben, die — das Vorrecht haben, ohne blinzeln in die Sonne zu sehen. Nach dieser Ausschweiffung wieder zu unserm ehrlichen V i v e s , — der im Grunde so unschuldig daran ist als ein Kind. Dieser Vives war einer von dem einst berühmten Litterarischen Triumvirat seiner Zeit; B u d e u s und E r a s m u s (hieß es) wären seine Mitregenten. Er selbst, (so wie die beyden andern) war wohl zu klug, sich solcher Würde anzumaßen, wenigstens zu klug, sich’s anmerken zu lassen — Aber solche Männer haben immer, (wie dort J u l . C ä s a r , ) ihre Schmeichler und C a u d a t a r i e n , serua pecora, die ihnen vor den Augen des gaffenden Volks das Diadem anbieten, und ruffen: lang lebe der König! —

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Ich könnte, wenn ich den Baillet abschreiben wollte, eine feine olla potrida von Urtheilen über die Verdienste des Vives und seiner Schriften, zusammen schütten, Urtheilen, wo zum Theil der eine schwarz nennt, was dem andern sehr weiß vorkömmt, und wo doch immer beyde e i n w e n i g recht haben, so ausgemacht es auch ist, daß ein Ding nicht schwarz seyn kann, w o und w e n n es weiß ist. Aber wozu der Unrath? Darinn stimmen alle, deren Urtheil einiges Gewicht haben, überein, ihm gebühre einer der obersten Plätze unter den tapfern Männern, die zur Verjagung der mönchischen Barbarey, Wiederherstellung des bessern Geschmacks in der Art zu studiren und zu schreiben, und 10

Verbreitung des Lichts einer gesundern Philosophie, besonders über den ganzen Umfang der Schulwissenschaften und des Erziehungswerks, die so lange mit Finsterniß umhüllet gelegen, am meisten beygetragen haben. Sein Werk de Causis corruptarum Artium, der Tractat de Initiis, Sectis et Laudibus Philosophiae, die Introductio ad Sapientiam, hauptsächlich aber das Buch d e t r a d e n d i s d i s c i p l i n i s (welches M o r h o f mit Recht ein goldnes Büchlein nennt) verdienen noch immer das Lob, so ihnen der vortrefliche C o n r a d G e ß n e r (in seiner B i b l i o t h e k unter der Rubrik J o h a n n L u d w i g V i v e s ) ertheilt, „daß Gelehrte selbst daraus weiser werden könnten.“ Man kann sich also leicht vorstellen, was sie in einer Zeit würken mußten, wo die Sprache des

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gesunden Verstandes so neu, und das Licht (dessen wir izt so gewohnt sind, daß wir — nichts mehr dabey sehen) wiederkehrender Tag zu denen, die in Finsterniß und Schatten des Todes saßen, und gleichsam himmlische Erscheinung und Glorie war. Die Schriften des V i v e s (und das nehmliche gilt auch von denen der übrigen Reformatoren der Philosophie und Litteratur im Anfang des XVIten Jahrh.) sind nicht bloßer N a c h h a l l der Griechen und Römer, die man damals wieder zu studiren anfieng. Es sind nicht zusammengestoppelte Gedanken der Alten, und Kruditäten einer gefräßigen Polyhistorie; sondern Produkte eines durch die Alten genährten, geübten und gestärkten, eines durch ihren vertrauten Umgang erweckten, weiser gewordenen, aber selbst

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arbeitenden, und sich selbst ausbildenden Geistes; eines Geistes, der sich über die dumpfe Region der Vorurtheile erhoben hat, eine freye Luft athmet, um sich herschaut, sich aller seiner Kräfte bewußt ist, und mit Macht in seine eigne Zeit einwürkt. Und wenn sie auch nichts enthielten, was Studirende heutiges Tages nicht aus unsern Zeitgenossen eben so gut, oder zum Theil besser lernen könnten; so wären sie dennoch aus eben dem Grunde zu empfehlen, warum es

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nothwendig höchst nützlich seyn müßte, mit Männern von solcher Geistesstärke, Weisheit, Wahrheitliebe, Freyheit und Richtigkeit des Geschmacks, umzugehen — oder noch eigentlicher, warum man von einem geschickten Manne, in welchem Fach es sey, der das, was er ist, durch sich selbst wurde, und sich durch unendliche Schwierigkeiten durcharbeiten mußte, allemal mehr lernen kann, als von einem, der in der dritten oder vierten Generation auf ihn folgt, und auf dem schon gebahnten Weege mit weniger Mühe und Kraft weiter als jener gekommen ist. Ich kann mich daher nicht enthalten, bey dieser Gelegenheit den Wunsch zu äußern, daß einige Gelehrte und Buchhändler zusammen stehen, und uns eine Auswahl d e r b e s t e n S c h r i f t e n (wozu auch die

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B r i e f e gehören) d e r b e s t e n K ö p f e aus der 2ten Hälfte des XVten und ersten Hälfte des XVIten Jahrh. in einer F o l g e von Bänden, in einer bequemen und netten Ausgabe, allenfalls auf Subscription, zu liefern sich entschließen möchten — da die Werke dieser Männer sich meistens so vergriffen haben, und großentheils auch so unbequem für uns homunciones des XVIIIten Jahrhunderts gedruckt sind, daß es beynahe von keinem Nutzen seyn kann, sie den Studirenden zu empfehlen, da die Wenigsten Gelegenheit finden, derselben habhaft zu werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß nicht alle gutdenkende Gelehrte in und außer Teutschland ein solches Unternehmen auf alle mögliche Weise zu fördern und aufzumuntern willig seyn sollten.

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Izt noch ein paar Worte von der Lebensgeschichte unsers V i v e s . Er wurde zu Va l e n c i a in Spanien gebohren; sezte seine daselbst angefangnen Studien zu Paris fort, gieng sodann nach L ö w e n , lehrte da mit großem Beyfall (in einem Alter von 25–26 Jahren) Philosophie und Humaniora, erwarb sich die Freundschaft des E r a s m u s (der in einem Briefe an den Leibarzt und Instructor des Erzherzogs Ferdinand, Bruders von Carl Vten, den 13ten Hornung 1519. geschrieben, außerordentlich günstig von ihm spricht) wurde da Lehrer und Hofmeister (wie man’s izt nennt) von dem jungen Wilhelm de Croi, nachmaligem Erzbischof von Toledo, und schrieb unter anderm seinen Commentar über des H. Augustins S t a d t G o t t e s *), ein Buch das ihm mit *)

Ich kann von diesem Werke, da ichs nie gesehen, nicht als Augenzeuge sprechen. Es wird

unter seine besten gerechnet, und hat schon darum das günstigste Vorurtheil für sich, weil die Theologi von Löwen die darinn herrschende Geistesfreyheit höchlich mißbilligt haben, und weil es sich in dem Indice derer von der H. Synode zu T— verbotnen Bücher befindet — wo fast alle gute Bücher dieser Zeit verboten sind.

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der theologischen Facultät zu Löwen Händel machte, ihn hingegen bey Heinrich VIII. in England, dem ers zugeeignet hatte, so gut empfahl, daß er nach England berufen und zum Lehrer der Prinzeßin Maria bestellt wurde. Da er aber, einige Jahre hernach, durch seine öffentliche Mißbilligung der berüchtigten Ehescheidung dieses Königs von seiner ersten Gemahlin, Catharina von Arragon, sich die Ungnade seiner Königlichen Excellenz (wie man damals noch sagte) zugezogen: verließ er England, zog nach Brugg, brachte da sein übriges Leben ohne Amt mit Studiren und Verfertigung verschiedener Bücher zu, und starb im J. 1537. oder nach Andern im J. 1541. im 48sten seines Alters. 10

Seine Schriften hat der berühmte Buchhändler F r o b e n in Basel in Folio zusammengedruckt; doch ist das Werk über Augustins Ciu. Dei nicht dabey. — Eine Anekdote, dieses leztere betreffend, verdient hier Platz. V i v e s selbst erzählt sie in einem Briefe an den Erasmus. Als Froben mit diesem Buche auf die Messe nach Frankfurt kam, machte es so gar keine Sensation, daß er nicht ein einziges Exemplar davon absetzen konnte. Verleger und Autor fanden sich beyde gewaltig weit von ihrer Rechnung. Vides, schreibt ihm Erasmus zurück, etiam in Musarum rebus regnare fortunam. In unsern Tagen wäre manch ähnliches Beyspiel aufzuweisen. Ein Buch kann auch relative z u g u t seyn, um seinem Verfasser viel Leser zu verschaffen, und es ist sehr möglich,

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daß ein Verleger mit den Werken eines sehr großen Geistes Bankrutt mache. — Aber man muß doch gestehen, daß es ärgerlich ist! W.

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Die Zusage, die ich meinen Lesern im lezten St. des M. wegen des P i c u s v o n M i r a n d o l a gethan, gründete sich auf eine andere, die mir selbst von einem Freunde gegeben worden war. Bey solchen Zusagen versteht sich die Clausel unsrer lieben Alten — G o t t’ s G’ w a l t v o r b e h a l t e n ! — allemal von selbst. Hinderniße, die weder ohne die Gabe der Prophezey vorherzusehen, noch ohne Allmacht wegzuräumen sind, gelten vor jedem Gerichte. Ich wäre zwar als Cavent zur Selbstzahlung verbunden; da aber meine Leser allein dabey verlöhren, so werden sie besser fahren, wenn sie noch Frist geben, als wenn sie die Zahlung allenfalls — in leichtem Geld annehmen wollten. W.

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Probe einer komischen Epopee, genannt Belline stirbt. Es ist schon lange, daß mir ein Ungenannter die zwey ersten Bücher eines komischen Gedichts über den Tod eines Schooshunds, z u r P r o b e zuschickte. In dem beygelegten Briefe ließ sich der Verfasser mit den gewöhnlichen Bescheidenheits-Grimassen deutlich anmerken, daß er mit seinem Werke zufrieden genug sey, um dessen Einrückung in den Merkur zu erwarten. Eine kleine Probe aus dem ersten Buch wird mich überheben, die Ursachen zu specificieren, warum ich nicht seiner Meynung seyn kann. 10

Aus dem ersten Buche (und das Beste daraus.) Die Sonne prangte schon im mittäglichen Glanze, des Landmanns braune Hand ergriff die Ährenlanze nach einer Mittagskost von Milch und schwarzem Brod, gewürzet mit dem Kuß auf Änchens Wangenroth. Poeten saßen schon die Feder in der Rechten für ihres Kopfs Geburt mit Kritikern zu fechten. Gesättiget, erfrischt, mit schon bestäubtem Schuh, macht sich der Wandrer auf voll Wunsch nach süßer Ruh. Der große Schwelger saß bey fürstlichen Gerichten

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noch lang’ in träger Ruh, und überdenkt die Pflichten, die ihm sein schweres Amt auf seinen Rücken legt, und die er immer hin gedultig schmachtend trägt. In Süßheims Schlosse war die Küche schon verschlossen. Hier lebt man der Natur des Adelstands zum Possen. A m a l c h e n s zarte Hand, voll wahrer Grazie, wie einst Urania, strickt niedlichen Filee. Sie lebt hier unbesucht vom Schwarm der jungen Gecken, die Städtenymphen süß das weiße Pfötchen lecken. Ihr Herz ist unbestrickt, die Lieb’ ihr unbekannt,

Probe einer komischen Epopee

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Nach Amazonenart liebt sie den freyen Stand. Ihr Hofstaat wimmelt nicht von müßigen Lakayen, die dickgemästet sich des Großen Thorheit freuen. Voll feiner Fühlbarkeit, ein — Herz nach ihrem Sinn, wählt zur Gesellschaft sie sich eine Bürgerin; ein Mädchen, voller Feur, mit wahrem edlen Herzen, gebohren für den Geist, nicht für der Wollust Scherzen. A m a l i a liebt sie, theilt mit ihr jede Lust, gießt ihres Herzens Gram in C h r i s t i a n e n s Brust. Ihr zweeter Günstling ist, der Stolz von Königinnen,

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B e l l i n e , sie der Ruhm der Bologneserinnen. Sie nimmt den ersten Kuß beym frühen Sonnenblick, geht mit ihr in den Wald, und kehrt mit ihr zurück. Sie kennt A m a l c h e n s Ruf, und liest in ihren Blicken des Herzens Ruhgefühl und wedelt ihr Entzücken, weint, wenn ihr Fräulein weint, als hätte sie Verstand, bangt um sie her und küßt trostgebend ihr die Hand, bis selbst A m a l c h e n s Herz, durch ihren Schmerz erweichet, getröstet scheint, und ihr zum Kuß die Lippen reichet. Sie sizt in ihrem Schooß, wenn kühle Abendluft

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nach schwülen Tagen sie zur Gartengrotte ruft. So liebt’ ein Mädchenherz in jenen goldnen Zeiten den Jüngling, so genoß in ihm sie Seligkeiten. Der Nachtschlaf trennt sie nur zum heitrern Morgenblick, der erste Sonnenstrahl ruft sie zu sich zurück. — B e l l i n e ruhte sanft nach frohem Mittagsmahle in C h r i s t i a n e n s Schooß mit ihr im Sommersaale, wo süßer Blüthe Duft belaubte Linden streun und Schattenkühle würzt des Mittags Sonnenschein. Ein angenehmer Traum, vom Liebesgott gedichtet, womit der Listige sich manches Kind verpflichtet, und unvermerkt und leicht den Pfeil ins Herzchen spielt, das sich zum Streite mannt und schon die Wunde fühlt — Ein angenehmer Hain, wo lieblich Amoretten

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dem Liebesgott mit ihr auf Rosenblätter betten; Ihr eigen Bild so schön, so süß des Gottes Kuß, so voller Lust ihr Herz beym völligen Genuß. — Denkt euch den süßten Traum, ihr guten Splitterrichter, das Herz empfindungsvoll, versucht es denn als Dichter! Durchforscht das Mädchenherz, dringt in die Winkel ein, wohin Empfindung schleicht. — Ihr werdet uns verzeihn, wenn uns in diesem Schwung der Malerpinsel sinket, und nur das zarte Herz Wollust begierig trinket, 10

die Hand den Zug verfehlt, die Farben kunstlos mischt, und Farb’ und Malerey von Blatt und Leinwand wischt.

Das Zöfchen schläft also, und zwar (wie uns der Autor entdeckt) ohne Halstuch. „Ein g u t e r G e n i u s f ü h r t des Lakayen F r i e d r i c h s N e u b e g i e r d e z u i h r . “ Er sieht die schöne Schläferin, und „ s e i n F e u e r b l i c k d u r c h f ä h r t d i e F l u r d e r u n v e r h ü l l t e n h e i l i g e n N a t u r . “ Aber itzt erwacht Belline die in Christianchens Arm geschlummert hatte, „ u n d d r o h t m i t W ä c h t e r m i n e n d e n F r i e d e n s t ö r e r z u v e r r a t h e n . “ In dieser Noth sucht Friedrich eilfertig in allen Taschen, findet endlich ich weiß nicht ob Bonbons oder was, und wirfts Bellinen vor. Dies thut die gewünschte Wür20

kung. Belline hüpft mit jugendlicher Freude zu Christianens schönen Füßchen hin, ach! und verschluckt den Tod im Silberpillenkleide und wähnt es sey ein köstlicher Gewinn! Der Vorwiz — aller Weiber ewiger Regierer — war auch Bellinens leidiger Verführer! Es spiegle hier sich jeder Menschensohn, und jedes Mädchen nehme sich die Lection: Mit unbekannten Dingen nicht zu manövriren,

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man weis nicht w i e , und w a n n , und w a s sie produciren.

Sollte man nicht glauben, der Autor habe in diesen beyden lezten Versen s e i n e r M u s e eine Lection geben wollen? — Belline ist also pro tempore todt,

Probe einer komischen Epopee

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und ich denke, wir bitten den Herrn Autor, sie nicht wieder zu erwecken. — Sollte ein ehrsames Publicum andrer Meynung seyn — so bilde man sich ein, ich habe nichts gesagt. W.

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Anzeigen. für Litteratur- und Kunst-Liebhaber. Das in dem dritten Theile der Lavaterischen Physiognomik befindliche Portrait Sr. Königl. Majestät von Preußen zu Pferde, wie solches nach der Zeichnung des Herrn Daniel Chodowiecki, von Herrn Lips in Kupfer gestochen ist, hat bey vielen das Verlangen erregt, dieses Stück besonders zu besitzen. Herr C h r i s t i a n F r i e d r i c h H i m b u r g , Buchhändler in B e r l i n , hat sich entschlossen, diesen Wunsch, der gewiß der Wunsch aller Kunstliebhaber ist, zu befriedigen; und kündiget an: wie Hr. Chodowiecki sehr geneigt sey, selbst 10

Hand an dieses Stück zu legen, und es nach seiner Zeichnung in Kupfer zu graben. Das Publikum hat also von diesem Künstler binnen 8 Wochen das Bildniß Sr. Majestät zu erwarten, dessen Ähnlichkeit unter dem Grabstichel des Schweizer-Künstlers größtentheils entflohen ist, die aber durch Hrn. Chodowiecki hergestellt werden soll. Dieser Kupferstich wird die Größe von 8 Zoll Höhe und 9 Zoll Breite haben, und sich vor andern, die etwan durch anderer Künstler erscheinen dürften, dadurch auszeichnen: daß Se. Majestät von Sr. Königl. Hoheit dem Prinzen von Preußen, den Herren Generals von Ziethen und Ramin begleitet, einen Theil der Parade in Augenschein nehmen. Auch auf die möglichste Ähnlichkeit des hohen Gefolges wird Rücksicht genommen

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werden. Wer von den Ersten Abdrücken, die Einen Thaler verkauft werden sollen, besitzen will, beliebe sich bey Zeiten an Hrn. Himburg zu wenden. Hier in Weimar nimmt der Hofrath Wieland Subscription auf die besten Abdrücke an. * * * Eben dieser Buchhändler macht folgendes bekannt: ¼Einige Provinzen Teutschlands haben mein Vorhaben, welches ich dem Publikum schon vor einiger Zeit in Ansehung der zwölf zu liefernden Kupfer zur Tristramschandiade, bekannt gemacht, thätig unterstützt. Aber ein großer Theil scheinet davon noch nicht unterrichtet zu

¼Anzeigen und Zusatz½

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seyn. Der Anfang zu dieser Sache ist schon gemacht, und lege ich hiermit das erste Blat den Freunden dieses englischen Meisterstücks, das einer unserer besten Vordeutschern der Nation geschenkt hat, vor Augen, um davon urtheilen zu können. Beyde Künstler, Herr Chodowiecki sowohl, als Herr Berger sind uns als große Künstler bekannt, die ihrem Vaterlande und dem jetzigen Zeitalter Ehre machen. Sie haben mir ihr Wort gegeben, diese zwölf Blätter binnen itzt und Michaelis d. J. zu vollenden. Das Publikum hat also nicht zu fürchten, daß diese Sache weder verlängert werde, noch daß sie ins Stecken gerathe. Liebhabern stehet die Pränumeration, die zwey Thaler Conventionsgeld ist, bis Ausgangs Julii d. J. offen, nach der Zeit ist der Preis 2 Rthlr. 12 gl. oder auch 3 Rthlr. je nachdem sich viele und wenigere Liebhaber finden. Ausserdem haben die Pränumeranten die ersten und besten Abdrücke zu erwarten. In

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nachstehenden Städten und Buchhandlungen kann das erste Blatt vorgezeiget werden: In Hamburg, im Kayserl. Adreß-Contoir und in der Bohnischen Buchhandlung. In Frankfurt am Mayn in der Brönnerischen Buchhandlung. In Braunschweig in der Buchandlung des Fürstl. Waisenhauses und bey Hrn. Kupferhändler Brenner. In Ulm bey Hrn. Stettin, Buchhändler. In Presburg bey Hrn. Löwe. In Breslau, bey Hrn. Wilhelm Gottl. Korn und Hrn. Gottlieb Löbe. In Göttingen in der Vandenhöckischen Buchhandlung. In Nürnberg in der Felseckerischen Buchhandlung, wie auch bey Hrn. Raspe. In Leipzig bey Hrn. Carl Friedrich Müller und in der Dyckischen, wie auch in der Breitkopfischen Buchhandlung. In Weimar bey Hrn. Hoffmann. In Hannover beym Königl. Adreß-Contoir. In der Schweiz bey Hrn. Steiner, Buchhändler in Winterthur, desgl. bey der typographischen Gesellschaft in Bern. In Gotha, bey Hrn. Ettinger.

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Die Gelder werden an mich sowohl, als an die Herren Collecteurs postfrey eingesandt. Berlin, den 24ten May, 1777. C h . F r . H i m b u r g , Buchhändler in Berlin.½

Der Herausgeber des M. könnte von der Vortreflichkeit des ersten Kupfers dieser hier angekündigten Suite auch als Augenzeuge reden, wenn die Präsumtion für einen Künstler wie C h o d o w i e c k i nicht zu stark wäre, um irgend eines andern günstigen Vorurtheils vonnöthen zu haben.

Schließliche Anzeige. Noch muß ich — damit niemand unverdienter Weise gekränkt werde — anzeigen, daß sich dieser Tagen zufälliger Weise verschiedene Gesänge, kleine Lieder, und andere poetische Aufsätze vorgefunden haben, die ich seit geraumer

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Juni /Anfang Juli 1777)

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Zeit unter dem täglich sich aufhäuffenden Schwall von Poetereyen, die für den Merkur eingeschickt werden, ganz aus dem Gesicht verlohren hatte, die aber keinesweges unter den Unrath gehören, wovon ich S.... gesprochen habe. Ich kann hier nicht alle diese Stücke nahmhaft machen; die vorzüglichsten sind — P r o b e n e i n i g e r P s a l m e n f ü r d a s Vo l k , — eine freye Nachahmung des Lieds My Mind to me a Kingdom is &c. eine Romanze R o g e r u n d A l c i n d e , die ein zwar noch etwas rohes Talent, aber doch ein Talent für die k o m i s c h e Romanze verräth, — verschiedene artige Kleinigkeiten, worunter d e r F l a t t e r h a f t e und der G ä r t n e r von einem Verfasser, der sich hieraus 10

erkennen wird, und noch andre mehr, die alle (wenigstens so gut als manches andre was aufgenommen worden) längst ihr Plätzgen verdient hätten, wenn nicht (wie E r a s m u s sagt) auch in Musen-Sachen Fortuna regierte. Alle diese Stücke, oder doch die meisten davon, sollen im nächsten Quartal untergebracht werden. — Vielleicht ist auch im übrigen Plunder noch dies und jenes, was ein Anthologist, dem’s an Blumen gebricht, brauchen könnte. Es ist schwehr unter Dingen, auf die der Natur-Genius seinen Stempel entweder gar nicht oder nur sehr schwach aufgedrückt hat, immer die besten zu wählen; und man verwirft oft in gewissen Stunden, was man bey besserer Laune passabel gefunden hätte — so wie manchem lose Speise ist, was hundert Andre

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con gran gusto hinunter schlürfen. Wenn bey dieser Gelegenheit an Tag kommt, daß mein merkurialisches Archiv (wie so viele andre, an denen mehr gelegen ist) eben nicht in der besten Ordnung gehalten wird, so hoffe ich, daß man dießfalls einige Nachsicht billig finden wird. Der Merkur trägt nicht so viel, daß ich einen eignen Registrator halten könnte; und ich selbst habe, wie ich unverhohlen bekennen will, nie Talent genug gehabt, mich in diesem Amt über das mittelmäßige zu erheben. W.

Schließliche Anzeige

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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1777. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.

Drittes Vierteljahr. Weimar.

Der Teutsche Merkur. Jul. 1777.

Das Sommer-Mährchen, oder des Maulthiers Zaum. Eine Erzählung aus der Tafelrunde-Zeit. Als einst zur Morgenstunde Fürst Artus lobesam an seiner Tafelrunde sein Frühstück nahm: da stand mit ihren Frauen die Königin im Erker, auszuschauen ins Grüne hin, und sich zu freuen des lieben Mayen.

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Sie stunden da und sogen mit ofner Brust, halbangezogen, den frischen Balsamduft der Morgenluft, und sahn so ihre Lust daran, wie Zweig an Zweig gebogen voll Blüthen hieng, und wie sie flogen so oft ein Lüftchen gieng. Da war noch gute Zeit, ihr lieben Leute, Da man bey Hof sich noch an so was freute!

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte August 1777)

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Auf einmal rief der Jungfrau’n eine: O seht die feine gepuzte Reuterin (sie wies dahin mit ihrem Zeigefinger) vom Anger dort herab kommt sie in vollem Trab. Die muntern Jünger von Artus Ritterthum, um ihren Herrn herum

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gelagert in der Halle, dies hörend sprangen auf aus ihrer Ruh, und lieffen alle dem Erker zu. Auf einem Maul geritten die schöne Reutrin kam, und (was die edlen Britten viel wundernahm) ritt ohne Zaum und Zügel mit solchem Schuß

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als hätt’ ihr Maulthier Flügel wie Pegasus. Und als sie nun im Hofe des Schlosses hielt, kam Ritter, Knapp und Zofe herbeygewühlt, die Fremde zu empfangen, die in der Näh’ so glänzend war von Wangen 30

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wie eine Fee.

Das Sommer-Mährchen

1—54

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Man führt auf ihr Verlangen sie in den Saal, wo Artus, sein Gemahl, und Frau’n- und Ritterschaaren beysammen waren. Da wirft die Schöne sich auf ihre Knie, und weinet bitterlich; Mir ist, spricht sie, genommen worden,

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was lieber mir als dieses Augenpaar ja als mein Leben war: und find ich hier in eurem edeln Orden, gepriesen weit und breit, nicht Jemand, dem mein Leid zu Herzen dringt, und der mir’s wiederbringt: so ist, dem Himmel sey’s geklagt!

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auf Erden keine ärmre Magd. Nennt uns (erwiedert ihr der Fürst) die Ungebühr die Euch geschehen: Wir alle stehen für einen Mann. Ists wieder zu bekommen, was wie man denken kann kein Biedermann Euch weggenommen,

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so komm’, als lang Ihr dessen harr’t, kein Messer über meinen Bart!

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte August 1777)

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Sie spricht: Ihr werdet denken ich red’ im Traum, und es verlohne kaum die Müh, sich so zu kränken um einen — Zaum; doch, liebe Herren, mir liegt an dem Zaum mehr als ihr glaubt. Der Zaum von meinem Thier ward mir geraubt,

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und krieg ich ihn nicht wieder, so ist, dem Himmel seys geklagt! auf Erden keine ärmre Magd. Der fromme König sagt: Laßt eure Augenlieder vom Weinen ruhn; Ihr habt so schöne Augen, ’s möcht ihnen Schaden thun sie so zu laugen. Traun! wär ich nicht zu alt

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zum abentheuren, ich selber wollte bald dem Unheil steuren! Doch fasset Muth, ich bin Euch gut für euern Zaum. Mein Neffe G a w i n zwar ritt kaum zwoo Stunden lang von hier; Allein, in dieser Heldenschaar

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wird, glaubet mir, sich Jeder glücklich schätzen, //

Euch wieder in Besitz des Zaums zu setzen.

Das Sommer-Mährchen

55—119

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Ihm, spricht sie, der den Zaum mir wiedergiebt, gelob ich feyerlich, wie’s ihm beliebt, entweder — abzutreten das Maul das mich in meinen Nöthen hieher trug, oder — ich will all mein Lebenlang allein zum Dank sein treues Liebchen seyn. Die Jungfrau stund

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bey diesen Worten wie eine Rose da, und wer sie sah dem wässerte der Mund. Allein der ganze Orden der Tafelrund war, ausser zween, mit Liebchen schon versehn; und einer von den zween, der G a w i n hieß,

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zog damals auf der Fahr; Der andre war, der Seneschall H e r r G r i e s . Herr Gries, der Seneschall, ist euch bekannt. So war kein Springinsfeld im ganzen Land; auch hieß er überall der Mädchenheld. Denn wenn er bey den Zofen saß im Vorgemach, war Staat darauf zu machen, daß Junker G r i e ß

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die Zähne wies, und zwischen Ernst und Lachen von seinen Heldenthaten sprach; Da saß kein Ritter baß als er zu Pferd; im Tanze blieb ihm der Beste nach, und keiner brach so zierlich eine Lanze; Sanct Görge, der den Lindwurm stach

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mit seiner Gabel, war gegen ihn, Parbleu nur ein Monsieur! Auch bildte sich der Gauch auf seinen Schnabel und seinen Bauch und seine glatte Hand nicht wenig ein, und wo ein Spiegel stand gukt’ er hinein.

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Daneben war bey Hofe sein Tagewerk daß er von Frau und Zofe von Ritter und Gezwerg euch immer was erdachte das wenig Ehre brachte. Stadt-Anekdoten zu brodieren, mit fremden Pfoten in jedem Quark zu rühren,

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und jeden zu vexieren der nicht beschlagen war im replicieren: in solchen freyen Künsten wies //

als einen Helden sich Herr G r i e s .

Das Sommer-Mährchen

120—186

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Indessen hatte doch mit allen seinen Künsten Herr G r i e s es noch in Diensten des schönen Volks nicht hoch gebracht. Wohin der Hase sein Herzchen trug, da schlug man vor der Nase die Thür ihm zu.

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Nun dacht er: nähmest du des Dings dich an, das wären zween Würfe, wie man spricht, mit Einem Stein. Der Zaum wird doch wohl keinem Bären nicht abzujagen seyn! A bottle o’ Wine! — ich will, wie aus der Taschen, in eins, zwey, drey, euch ohne Zauberey ein Liebchen haschen;

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und traun! ihr Eselein noch oben drein! Herr G r i e s kräht wie ein Gockelhahn die Thaten, die er thun will an. „Der Zaum ist euer, mein Fräulein! Nehmt mein Wort auf alle Fälle. Das ist ein Abentheuer für mich ganz eigentlich. Bringt mich nur flugs an Ort und Stelle: und wärs der Mann im Mon

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der ihn gestolen, ich will ihn wiederholen; es ist Ihr habt ihn schon! G r i e s ist kein Freund vom Pralen. Drum, Liebchen, dächt ich schier, du könntst an meinem Lohn ein Küßchen mir vorausbezahlen?“ Herr Ritter, spricht die Meyd, 10

an Ort und Stell wird Eure Herrlichkeit mein Maulthier tragen. Kein Feen-Wagen geht halb so sanft und schnell. Nur unverzagt, und Alles dran gewagt! Den Kuß — den spar ich euch aufs Wiedersehn: er soll ganz frisch sogleich

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zu Diensten stehn. Der Junker zieht (wie Bruder L.) sich aus der ersten Impertinenz durch — eine zweyte. Doch, weil er heute noch etlich tausend Wersten zurückzulegen denkt, verbeugt er vor der Jungfrau sich

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und rings herum gar erbarlich, macht dann linksum, und schwenkt

Das Sommer-Mährchen

187—252

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nicht faul sich auf des Fräuleins Maul. Das Fräulein blieb indessen beym Frauenzimmer der Königin; doch steckt ihr immer der Zaum im Sinn; kann seiner nie vergessen! Bis sie ihn wiederhat, schmeckt ihr kein Essen

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und kein Muscat. Nun höret Alle, wie’s dem Seneschall, Herr G r i e s , ergieng auf seiner Fahrt. Sein Thier, ein Eselein von Feen-Art, bracht ihn in Ja und Nein an einen Wald. Kaum riecht Herr G r i e s hinein, so schallt

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und wiederhallt aus tausend Felsenhöhen ein fürchterlich Gebrüll von tausend Löwen ihm um die Ohren ’rum, und prallt ans Tympanum. Erschrocken hält er still, fängt wie ein Laub euch an zu beben, und ist im Geist

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bereits der Löwen Raub; denkt: o! ich lobe mir das Leben! Ein solcher Löwe weißt nichts von Manier; er braucht nur einen Schluck und einen Druck, so ist ein Mann gespeißt sam wärs ein Bübchen! 10

Was hälfen dann mir alle Liebchen der ganzen Welt, von Cardigan bis an den großen Belt? Er war im Fliehn, da kamen große Hauffen von Löwen gegen ihn mit ofnem Schlund gelauffen. Der arme Herr

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testiert mentaliter. Das Maulthier ohne Zaum war izt sein Glück; die Löwen sehn es kaum, so werden sie zu Hasen und fliehn zurück; in einem Augenblick ist alles weggeblasen. Herr G r i e s bekam nun wieder frischen Muth;

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denkt: so gehts gut! die wurden ja so zahm wie Turteltauben!

Das Sommer-Mährchen

253—315

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das Maulthier, wie ich seh, ist eine Fee. Indem mit diesem Glauben sich Junker stärkt, gehts immer fort im großen Trab berg-ab, berg-ab, bis sie sich unvermerkt in einem tiefen dunkeln Thal verfangen sehen, so eingezwängt

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in Himmelhohe Pyrenäen, daß kaum ein Sonnenstral hindurch sich drängt. Von tausend Drachen ist dieses Thal bewacht, die Tag und Nacht aus immer ofnen Rachen braunrothe Flammen sprühn. O weh! wohin nun fliehn Herr Seneschall?

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In einen dicken Schwall von Rauch und Funken eingehüllt sieht er der Hölle wahres Bild rings um sich her. Das war ein Zischen aus Felsenkluft und dürren Büschen! All’ Augenblicke schnaubt ein Lindwurm, dicker als sein Arm, bald rechts bald links ihn an. „Ach! (schreyt er was er schreyen kann) daß Gott erbarm!“

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und glaubt nun sey’s um ihn gethan.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte August 1777)

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Indeß war unbefangen und unverlezt sein Maulthier mitten durch Würm und Schlangen hindurchgeschritten, und hatt’ in eine ofne Au ihn schon versezt, eh noch Herr G r i e s , dem’s grün und blau vorn Augen hieng,

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sie aufzuthun sich unterfieng. Ein zweytes Paradies schien diese Au; die ganze Fläche so weit sie sich erstreckt, mit Blumen überdeckt, und kleine Bäche, die himmelblau aus ihrer grünen Einfassung schienen,

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und Gruppen hier und dort von schlanken Bäumen; ein holdrer Ort läßt kaum sich träumen. Herr G r i e s trabt hohen Muths das Thal hinab, denkt: nun ists überstanden! Daß ich für meinen Hals gezittert hab’, was thuts?

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Ist doch kein Zeug vorhanden! Dem Maulthier allenfalls //

dem läugn’ ichs ab.

Das Sommer-Mährchen

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Und als er nun so fürder ritt, da ragt ein schönes Schloß kaum tausend Schritt’ (vielleicht auch hundert drüber) ihm gegenüber hervor aus hohen Büschen. Deß ward er kaum gewahr, so schoß ihm’s in den Sinn, der Zaum sey dort. Nun gieng’s Troß Troß, allein es floß ein tiefer Strom dazwischen. G r i e s sieht sich um nach einer Brücke, trabt auf und ab, da zeigt ein schmaler Eisenstab sich seinem Blicke. Mein Junker steht ein wenig dumm an dieser Brücke; ihm schwindelt schon beym Anblick; sie paßieren ist eine That, wovon er nichts versteht. Man kann da, wie ihn weislich däucht, so leicht das Gleichgewicht verliehren. Kurz, Junker sagt kein Wörtchen, dreht sich um, und denkt: ein Narre erkauff ein Liebchen sich auf diesen Fuß! Und brächte sie mir Bearn und Navarre zum Brautschatz — einen schönen Gruß! Sie ist für mich zu theuer! Madam such einen andern Freyer, mich sticht der Haber nicht!

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Und also, um es kurz zu machen, kehrt unverrichter Sachen Herr G r i e s zurück woher er kam. Das Maulthier nahm den kürzern Weeg, und trug den tapfern Mann frisch und gesund zurück nach Cardigan . G e n e v r a stund am Fenster just, da er 10

beym großen Lindenbaum vorbey den Weeg zum Schloß daher geritten kam. Ey, ey, da kommt Herr G r i e s schon wieder, (rief sie) der, däucht mich, kaum noch Abschied nahm; nun sag mir einer mehr er sey nicht bieder!

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Die fremde Jungfrau schaut und spricht: ja, leider! er kommt mit heiler Haut doch ohne Zaum. Der beste Schneider in Cardigan hätt traun! nicht mehr gethan. Inzwischen langt im großen Trab Herr G r i e s der Seneschall im Schloßhof an, steigt ab,

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wird feyerlich empfangen wie sichs gebührt, und in den Saal geführt mit großem Prangen.

Das Sommer-Mährchen

381—448

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Ihm machen wie er einherstolziert, mit kaum verbißnem Lachen die Knappen Raum. Die ganze ritterliche Zunft erfreut sich seiner Wiederkunft, allein — d e r Z a u m ? Wo b l e i b t d e r Z a u m , H e r r G r i e s , fragt jedermann

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der ihn willkommen hieß. Der Zaum (spricht eine von den Frauen, die ihn von Fuß zu Kopf beschauen) der Zaum bleibt — wo er kann. Wie bald ist eine Kleinigkeit wie d i e vergessen? Allein aus solcher Fährlichkeit, noch eh wir recht vernommen daß er gegangen sey, zurückzukommen mit ganzer Haut, und just zu rechter Zeit

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zum Abendessen, das nenn ich eine Ritterthat die sich gewaschen hat! Der hohe Saal erscholl von lautem Lachen. „Nur nicht so toll gethan, schrie Junker G r i e s ; Versuchts nun auch! Ich wette meinen Spies, daß euch das Lachen vergehen soll. Ja, was die Löwen und die Drachen und solch Geschmeiß betrift, die — machten mir nicht heiß;

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wiewohl der kleinste meiner Drachen euch, ohne Raillerie, aus seinem kleinen Rachen mehr Rauch und Flammen spie als Ätna und Vesuvius in ihrem größtem Feuerguß. Doch, übern Themsefluß auf einem Drat zu traben, 10

und das — pardonnez — moy — um einen Kuß: das sollte sich der große Mithridat ma foy verbeten haben so gut als ich!“ Indessen daß in seinem Dünkel Herr G r i e s so gasconnierte, saß die schöne Magd in einem Winckel

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und weinte ohne Maas. Der Zaum um den sie kläglich thut ist ach! ihr ganzes Erb und Gut, und sich noch an der Nasen mit solchem Übermuth herumgeführt zu sehn von diesem Hasen, ich muß gestehn, es war zum rasen! Zu allem Glück

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kam Ritter G a w i n eben von seiner Fahrt zurück, als sie ihr Mißgeschick nicht überleben

Das Sommer-Mährchen

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zu können schwur, und schon mit wildem Blick sich in die Locken fuhr. Er kam gerade noch früh genug, um Gnade zu bitten für ihr gelbes Haar, das in Gefahr ein Raub der Winde zu werden war. Er fiel geschwinde ihr in die Hand, und sprach so adelich, und schien so ganz der Mann der helfen will und kann: daß sie beym ersten Anblick sich ihm gleich gewogen fand, und ohne Widerstand sich und ihr liebstes in der Welt, den Zaum, in seine Hände stellt.

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Herr G a w i n spricht: von vielen Worten bin ich nicht; doch, holdes Mädchen, schau mir ins Gesicht! da steht es wie mit einer Kohle gezeichnet da: ich geh und hohle dir deinen Zaum, und du bist meine Frau! Verschämt mit halbgeschloßnem Blick nickt ihm’s das Mädchen zu; Geh, spricht sie, meines Lebens Ruh steht nun bey dir. Und Alle Frauen wünschen ihr zu solchem Ritter Glück!

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte August 1777)

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Und G a w i n eilt von dar, wiewohl’s schon dunkel war, besteigt das Maulthier ohne Zügel, und ist, indem die Mädchen gehn ihm hoch vom Söller nachzusehn, schon über alle Hügel. W. (Die Fortsetzung nächstens.)

Das Sommer-Mährchen

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Fortsetzung des Sommer-Mährchens etc. (s. voriges Stück, S. 21.) Der Mond schien hell zu seiner Reise; sein Maul nach Feen-Weise lief vogelschnell. Der Löwenwald, das Schlangenthal wird ohne Furcht paßiert; und wie der erste Morgenstral die Welt illuminiert,

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entdeckt das Schloß sich seinem Blicke, das Schloß, der Strom, und auch die Brücke von glattgeschliffnem Stahl, so schmahl daß, wie Ihr wißt, Herr G r i e s (der doch sich Ritter schelten ließ) vom Ansehn schon das kalte Fieber bekam. Herr G a w i n war dem Zaudern gram. Er denkt: „wer sich den Teufel zu verschlucken entschlossen hat, muß ihn nicht lang begucken. Und wär’s ein Pferdehaar, nur frisch hinüber! Wenn wir erst drüben sind, ists Zeit genug zu sehn, wie’s möglich war.“ Das nennt Ihr K l u g gedacht, nicht wahr? und denkt: i c h h ä t t e

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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es eben so gemacht. In euerm Cabinette, da laß ichs gelten, Herr! doch an der Stätte — da gieng’s wohl langsamer! Genug, Herr G a w i n ritt hinüber — Sprecht wenn ihr wollt: i h n t r u g sein Maul hinüber, so was zu thun durch Feengunst,

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ist keine Kunst — Und dennoch setz ich zwanzig Mark an einen Stüber, auf eben diesem Maul wär’t Ihr zurückgeblieben. In solchen Fällen, meine Lieben, macht nur der G l a u b e stark. Selbst Mahomeds berühmtes Maul ist ohne ihn nur ein gemeiner Gaul; und Glauben, wo nur Glauben helfen kann,

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den hat nicht jedermann. Herr G a w i n also war nun drüben, und ritt getrost in vollem Lauf bis an das Schloß hinan. Auf einmal that ein Thor sich auf, und ihrer Sieben zu Pferd und wohl bewehrt, die sprengten ihn mit ihren Speeren an. Mein Ritter stellt

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sich stracks vor einen Baum, und ruft: „ihr Herrn, von allem was dies Schloß enthält verlang ich nichts, nichts in der Welt, //

als meines Maulthiers Zaum.“ Fortsetzung des Sommer-Mährchens

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Der Zaum ist dein, so fern d u i h n v o n u n s g e w i n n s t , erwiedern die Ritter ihm zugleich. — „Von euch und allen euren Brüdern, (ruft G a w i n ) nur herbey, zween oder drey, ja alle Sieben meinetwegen gleich auf einmal! Der Schaafe Zahl

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macht nie den Wolf verlegen.“ Mit Hohngelächter erwiedert ihm der sieben Wächter des Zaumes einer: „Glaubet mir, Herr Isegrim, nehmt einen guten Rath; kehrt ohne Zaum zurück auf euerm Thier, und sprecht von Glück,

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daß ihr mit euern Ohren weggekommen von solcher That. Schon mancher arme Tropf, der’s unternommen, ist ohne Kopf zurückgeschwommen.“ „Da, nimm die Antwort!“ — schreyt im Grimm der Ritter, sezt sein Maul in Flug, holt aus und spaltet auf Einen Zug des Prahlers Kopf

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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bis an den Sattelknopf; und eh der Streich erkaltet fliegt hier ein Arm und dort ein Schopf, und, auf mein Wort, so giengs in Einem fort, Köpf’, Arm’ und Bein’ und Schulterblätter fliegen, bis alle Sieben kurz und klein auf einem Häufchen liegen. 10

Wie nun nach solchem schweren Kampf der Ritter sich die Stirne wischt, und sich erfrischt mit einem Mund voll Luft, wird aus der Leichen blutgen Duft ein dicker schwarzer Dampf, und — was geschah? Flugs stehn, mit ungeheuren Rachen voll blauer Flammen, sieben Drachen anstatt der Sieben Ritter da.

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Herr G a w i n stuzt, allein verliehrt darum die Lust zur Sache nicht; er haut und sticht um sich herum, und truzt dem ganzen Höllenheer; auch ist sein Maul in diesem Strauß nicht faul, sprengt muthig durch dies Feuermeer,

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und stößt und schlägt mit Kopf und Füßen. Vergebens gießen die Drachen Fluth auf Fluth von Rauch und Glut; ihr Feuer ist zum Glück nur kalt,

Fortsetzung des Sommer-Mährchens

62—128

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und bald erstickts in ihrem Blut; in drey bis vier Secunden ist alles rein verschwunden. Was wehrt dem Ritter nun, die Burg sich aufzuthun? Ein Wunderding wie ihr noch kein’s gesehn! Die ganze Burg auf einmal fieng sich an herumzudrehn,

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und so geschwind als drehte sie ein Wirbel-Wind. Hineinzukommen stund eine Pforte offen zwar; doch da sie so im Drehen war, was mochts dem Ritter frommen? So wie er sie erblickt ist sie entrückt. Das Vorderhaupt sich zu zerschellen war hier Gefahr.

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In solchen Fällen gieng G a w i n nicht zu rath mit Fleisch und Blut. Der Mann, der über die Brücke ritt, hat Muth für jede That. Er stellt dem Schloß sich gegenüber, und im Moment wie er die Pfort erkennt, sprengt er hinein.

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Drinn ist er, und wird drinnen seyn, Trutz allen Feen!

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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Das Zauberschloß hört auf zu drehen. Und G a w i n schaut empor, da steht auf einem Elephanten ein himmellanger Mohr mit einer Keule vor ihm da, so dick als wie der große Rhaa des größten Schifs — Man muß gestehen so ein GigantenGesicht beym Einzug in ein Schloß zu sehen

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wünscht man sich eben nicht. Dem Ritter galt’s gleichviel. Er grüßt den Enacks Sohn und spricht, im sanftsten Ton: „Was mich zu dieser Pfalz zu reisen trieb, Herr Thorwart, däucht euch eine Kleinigkeit vielleicht: Ich komme gar nicht große Beute zu machen; langet mir

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den Zaum von meinem Thier, so sind wir gleich geschiedne Leute?“ Wie? was? was wilt du? — fährt der Mohr ihn schnaubend an: ein Kerlchen mit getünchten Wangen, ein Ding von Marzipan, kommt und begehrt ich soll den Zaum ihm langen? Wenn ward so was erhört? Nichts als den Zaum? Narr! bitt die Welt von mir,

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mag leicht, ich schenk sie dir; allein den Zaum, mein gutes Kind, verschenkt man hier //

nicht so geschwind. Fortsetzung des Sommer-Mährchens

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„So werd ich mir ihn selber holen, versezt der Paladin; Ich bin blos darum hier, Herr Zwerg; Und müßt ich ihn aus einem Berg von glühnden Kohlen mit meinen Fingern holen! Vor deinem Weberbaum fürcht ich mich nicht.

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Nur nicht viel Zauderns! M e i n e n Z a u m , und kein Gesicht !“ Das ist ein anders — spricht so höflich wie ein Hochzeitbitter der Goliath — wenn’s d i e Bewandniß hat, Herr Ritter, so muß er Euer seyn, das merk ich schon: doch freylich ohn

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ein wenig Arm’ und Beine brechen läufts wohl nicht ab, mein Sohn! Indessen bemühn Sie sich herein! das Essen wird angerichtet seyn; nach Tisch ists immer Zeit, davon ein Wort zu sprechen. Sie gehn hinein, und setzen sich in einem goldnen Saal zum Mittagsmahl. Der Wirth legt dienstbereit von Allem vor, schenkt immer ein,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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schwazt lang und breit, und sucht nach Möglichkeit mit plattem Scherz und gutem Wein den Gast f i d e l zu machen. Allein, der bleibt bey Ja und Nein, ißt mäßig, trinkt von Einem Wein, läßt seinen Wirth auf eigne Kosten lachen so viel als ihm behagt, 10

und kaum ist abgetischt, so steht er auf und fragt: Wo i s t m e i n Z a u m ? „Geduldet euch (versezt der S c h a u m i g r e m mit schiefem Mund) nach Tafel gleich zum Werk zu schreiten, ist nicht gesund. Was hat der Aufschub zu bedeuten? Ihr seyd hier gern gesehn;

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die Kleinigkeit, auf die ihr so versessen seyd, die — wird euch nicht entgehn.“ Der Ritter sieht ein wenig stier und schweigt. — „Es ist ein Garten hier am Schlosse, spricht der Mohr: Gehn wir spazieren! Der Himmel ist mit einem Flor von Duft bedeckt; ins Gras gestreckt

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läßt’s da sich herrlich — digeriren.“ Herr G a w i n schlendert mit, und seiner loß zu werden, wirft er bald

Fortsetzung des Sommer-Mährchens

195—259

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sich hin auf Mutter Erden Schoos und thut als schlief’ er ein. Ein kleiner Wald mit SchlangenAlleen war nicht weit, da sangen viel tausend Vögelein. Die Luft war warm, und — unterm Zischen und Sumsen überall im Gras und aus den Büschen,

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und beym Unisono von einem Wasserfall, der aus dem Hayn von ferne plätschert, — schlief er würklich ein. Die Sonne stand schon tief als er erwacht. Sein erstes war, er rief: Wo i s t m e i n Z a u m ? Der Mohr, nicht weit davon im Grünen gelagert, lacht;

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das nenn ich, sprach er, einen Zaum! ich glaub er ist Euch gar im Traum erschienen? Indem ließ aus dem Garten-Saal ein liebliches Konzert sich hören. „Herr Ritter, alles dies geschieht bloß Euch zu Ehren! Auf, wenn’s Euch nicht zu viel bemüht, und folgt mir in den Saal!“ Dem Paladin bleibt keine Wahl als mitzugehn. Und wie die Musika zu End ist, steht schon wieder

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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ein Abend-Essen da. Man sezt sich nieder; Herr G a w i n , der den Goliath und seinen dicken Witz in allen Gliedern hat, sizt taub und stumm auf seinem Sitz, und, weil er sich nicht anders helfen kann, so frißt der gute Mann

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vor Angst und Langerweile ganz jämmerlich, und nagt so lang an einer Hammelskeule bis nur der Knochen übrig ist. Noth wars, zu so viel S o l i d i s die Gurgel oft und stark zu netzen. An unserm Wirth war mindstens dies für was zu schätzen: sein Wein war alt und rein.

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Nun (spricht Herr G a w i n ) dächt ich doch es wäre Zeit den Zaum zum Nachtisch aufzusetzen? Wenn Eure Herrlichkeit nur noch bis Morgen sich gedulden mag! (wird ihm zur Antwort) Morgen ist auch ein Tag; und einem Mann wie ich dem läßt sichs (ohne mich

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zu rühmen) sicher borgen.

Fortsetzung des Sommer-Mährchens

260—322

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Nicht ohne Pein muß unser Ritter schon sich zwingen die Nacht hier zuzubringen. Man räumt das schönste Zimmer vom Schloß ihm ein. Da glänzt im reichen Schimmer ein Bette, wie ein Thron. Herr G a w i n schickt die Knaben, die ihn geleitet haben,

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und bleibt allein. Flugs trippeln euch Drey oder Vier — Sylphiden durch eine Seitenthür zu ihm herein, in Anzug und Gestalt verschieden, doch alle jung und frisch. Die erste sezt in goldner Schaale den Schlaftrunk auf den Tisch; die zwote hält ihm ein Lavor

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von Silber und ein Handtuch vor; drauf schürzen sich die andern beyden ihn auszukleiden. Ins Ohr gesagt — die Dirnen waren zum Mahlen schön, von schwarzen Augen, gelben Haaren und Arm und Fuß so fein — Man kann’s aus Elfenbein nicht schöner drehn. Die Absicht leuchtet ein warum der Mohr sie schickte; und nehmt dazu, daß sie ein Nachtkleid schmückte, wodurch man ohne Müh

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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bald dies bald das erblickte, wornach man gerne schielt; und dann das große seidne Bette stets im Prospekt — Ihr fühlt was alles dies bey manchem Ehrenmann für Folgen hätte.— Herr G a w i n war ein eigner Mann; er sagte nichts; ließ sich, so lang es ihnen gefällig war, mit großem Ernst bedienen, und öfnet drauf die Thür.

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„Die Jungfern (spricht er) werden mir zu meinem Zaum wohl nicht verhelfen können; die Hitze war heut scharf — ich will die Ruh euch länger nicht mißgönnen — Bon soir! — und, wenn ich bitten darf, die Thüre zu!“ Als nun der Tag gekommen, steht G a w i n auf und wapnet sich; der Ries’ erscheint; das Frühstück wird genommen,

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„und nun, Herr Schloßvogt, laß ich mich nicht länger gecken; D e n Z a u m , mit einem Wort, und wieder fort!“ Von Herzen gern, (erwiedert ihm der schwarze Holofern) nur muß ich Euch entdecken, die Sache hängt an einer Kleinigkeit, zu der Ihr, wenn’s beliebt, vorher

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gehalten seyd.“

Fortsetzung des Sommer-Mährchens

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„Wa s i s t s ? H e r a u s damit ! nur kurz und klar !“ Nichts, als — um einen Kopf mich kürzer als ich bin zu machen. Nun macht bey unser einem zwar ein Kopf so viel nicht aus: Allein — Ihr werdet meiner lachen — wie jeder Potentat so seine Grillen hat —

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der Schopf, mein Herr, der Schopf der ginge mit, und den zu missen, kann ich mich dato nit entschließen. „Herr Schäcker (ruft voll Ungeduld der Degen) weil nun doch für meine Sündenschuld mit einem Thier wie du herum mich zu scharmützeln mein Schicksal ist, hör’ auf mich zu bewitzeln,

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und sieh dich für!“ Der Heyde schreyt: „Nun, wenn’s denn gelten soll, so nimm!“ — Es war ein Streich, so ungestümm, daß, traf er voll, den ganzen Streit zu enden kein zweyter nöthig war. Doch G a w i n wußte sich aufs Haar so schnell zu wenden, daß ihm die Keule nur

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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ein wenig grob am Schulterblatt herunter fuhr; und eh der Goliath den Arm zurückzieht, faßt mein Ritter kräftiglich mit beyden Händen sein gutes Schwerdt, und haut, wie einen Ast vom Baum, die Hand zusammt der Keule auf Einen Hieb dem Pocher ab. Das Unthier flieht mit gräßlichem Geheule, 10

ihm wird für seinen Schädel bang, und, ihn so lang er kann zu sparen, versucht er’s wie vor Jahren der Fluß Achelous, der (wie aus euerm H e d e r i c h Euch noch erinnerlich) einst mit Alciden um Dejanira rang.

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Er hoft den Gegner zu ermüden, indem der Streit in tausendfalten stets schrecklichern Gestalten sich ohne Rast erneut. Drey lange Morgenstunden kämpft Herr G a w i n so; zwar immer Sieger, doch nie des Sieges froh. Denn, ist sein Feind als Einhorn oder Tyger

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beynah gedämpft, flugs steht er als Hyäne schon wieder da, und blökt drey Reyhen Zähne wie B ü f f o n keine sah.

Fortsetzung des Sommer-Mährchens

388—453

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Bey allem dem behielt der Ritter Muth, zielt immer seinem Feind nur nach dem Kopf, und zielt zulezt so gut, daß, wie der Unhold eben zum Greiff sich log, sein Kopf zusamt dem Schopf auf dreyßig Schritte flog.

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Man hört den Grund von seinem Fall erbeben, als stürzt’ ein Berg in einen tiefen Schlund; und wie Herr G a w i n um sich sah, weg waren Ries’ und Greiff, und ein Gezwerg stund vor ihm da, der bückte sich und sprach: „Gott geb Euch langes Leben Herr Ritter, folgt mir nach;

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die Frau vom Schloß läßt Euer Gnaden zur Tafel laden.“ Dem Ritter räth nach solcher Motion sein leerer Magen die Invitation nicht auszuschlagen. Er folgt dem Ganymed in einen Saal, wo schon ein köstlich Mahl für Zwey gerüstet steht; und eh’ er’s recht in Augenschein genommen, tritt eine schöne Frau herein,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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macht ihren Knicks und heißt den Herrn willkommen. Mein Paladin, wiewohl er sonst so leicht nicht Feuer fieng, blieb sprachlos vor ihr stehen; Ihm däucht gleich ersten Blicks, was schöners hab er nie gesehen. Beschreiben läßt sich, wie Ihr wißt, kein Ding das — unbeschreiblich ist; drum sag ich nichts als — alles was er sah

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war hoch zu loben, und noch zum Überfluß durch jede schlaue Kunst erhoben, die sonst den Reiz ersetzen muß; Kurzum, die Dame stund so ganz wie eine Göttin da, daß unser Mann, vor so viel Glanz sogleich nicht wußte wie ihm geschah, und bis er seine Anred’ fand

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wohl dreymal husten mußte. Doch faßt er sich zulezt, küßt eine Hand so weich als Pflaum, und weißer als der Schnee; und spricht: Ve r z e i h t m i r , s c h ö n e F e e , ich bitt — in Unterthänigkeit — um meinen Zaum. „Davon zu sprechen hat’s noch Zeit“ versezt die Dam’ — Es ist nur fürs Vergessen erwiedert G a w i n ihr —

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Sie spricht: „sezt euch zu mir mein Herr, ihr habt das Mittagessen //

heut wohl verdient.“

Fortsetzung des Sommer-Mährchens

454—519

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Für diesesmal erkühnt der Biedermann sich nicht noch stärker anzuhalten, doch legt er sein Gesicht in weise Falten, und nimmt sich vor, wiewohl er gegenüber der Schönen sizt, sein schwarzes Augenpaar so selten aufzuheben als möglich war. Die Dame schien vom bloßen Duft zu leben,

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nach Götterart. Zusehens ward ihr Ansehn trüber, die Rosenwange blaß, das Auge naß, und unterm leichtgewebtem Flor schlug sichtbarlich ihr Herz hervor. Allein, Herr G a w i n — aß und merkte Nichts. Nach einer Weile verändert sie

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die Batterie, wird lebhaft, reizend — kurz, verbraucht auf einmal alle Pfeile die Amors Hinterlist in Nektar taucht. „Und G a w i n ? “ — Gut! der ißt und trinkt für Zwey, läßt sichs recht wohl behagen, vergißt jedoch das Hauptwerk nicht dabey,

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denn kaum daß man den Nachtisch aufgetragen, so stimmt er schon sein altes Liedchen an: Madam, der Zaum !

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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Mit unverhaltnem Schmerz fährt jene wild heraus: „Grausamer Mann! was hab ich dir gethan? Du siehst so fromm und bieder aus, und hast ein Herz das meinen Tod verlangen kann?“ „W i e , D a m e ? e u e r n To d ? — I h r s p r e c h t i m Tr a u m ! 10

Ich will ja nichts, bey Gott ! als meinen Zaum !“ „Ihr wißt, versezt sie, wie ich seh, nicht was Ihr wollt — Wohlan, so hört mich an! Ich bin die Fee von diesem Schloß, und meine Macht ist groß. Ringsum sind all die schönen Hügel und Auen mein; und geht

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noch etwas ab, so schaffts mein Zauberstab; Jung bin ich, wie ihr seht, und, wenn mein Spiegel mich nicht belügt, nicht ohne Grund mit meiner Gestalt vergnügt; Kurz, Herr, ich weiche keiner in allem was ein Mann bey einem Weib zu finden wünschen kann!

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und eine Gabe die ich voraus vor andern habe, ist diese: Wie ich bin so werd ich immer seyn —

Fortsetzung des Sommer-Mährchens

520—586

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Und doch — so will’s des Schicksals Eigensinn — ist, wenn Ihr drauf besteht, nichts mein von allem was ich bin; Kurz (sezte sie hinzu, mit einem Blick der einen Stein zu rühren fähig war) mein Glück, mein Leben selbst steht nun bey Euch allein.“ E r k l ä r t m i r d i e s e s R ä t h s e l (spricht der Ritter) i c h v e r s t e h E u c h n i c h t . „So hört! Mein Vater, ein Druid,

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und großer Zaubrer, als er schied ließ keinen Erben hinter sich als meine Schwester nur und mich. Das Schwesterchen war schön gebohren; aber — ich — Herr, die Natur empöret sich so etwas zu gestehn — Errathet’s selbst! — Der Alte, mich

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nach Möglichkeit zu trösten, gab mir dieses Schloß, mit allen seinen Schätzen, und seinen Zauberstab, vermeinte jenen Mangel mir dadurch gar reichlich zu ersetzen: Hingegen ihr vermacht’ er nichts von aller seiner Haabe als nur das Feenthier das Euch hieher gebracht, und seinen Zaum. Allein an diesem Zaum hängt eine Gabe von größerm Werth als eine ganze Welt. Der Zaum erhält

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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die ihn besizt bey ewigschöner Jugend, und ist sie nicht schon wohlgestalt so macht er sie dazu. Und nun, ermesset selbst — in einem Nu ists calculirt, Herr Ritter — ew’ge Jugend und ew’ger Reiz! — Was ist die Allgewalt des Zauberstabs, verglichen mit der Tugend des Wunderzaums? Was nüzt mir sonder ihn 10

dies Schloß und alles Gold, wovon es blizt? Die Folgerung, mein Herr, ist leicht zu ziehn. Ich war so klug — und that was alle Weiber thäten an meinem Platz — Die Jungfer Schwester ist für sich schon hübsch genug, sie hat des Zaumes nicht vonnöthen; und fodert sie Ersatz? Hier ist mein ganzer Schatz! ich will ihr Alles geben,

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den Zaum nur laß sie mir; wer den mir nimmt, nimmt mir das Leben! Und ihr, Herr Ritter, könntet Ihr Euch selber solchen Mord vergeben? O, lieber bleibet hier! Ihr habt der Abentheuer genug bestanden — bleibet hier, und theilt des Zaumes Frucht mit mir, was ich besitz und bin — ist Euer!“ Herr G a w i n küßt der Dame dankbarlich

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die Hand und spricht: „Auf welche Seite die Billigkeit sich neig’ in diesem Schwestern-Streite, das ist ein Punkt, womit ich mich nicht gern befasse;

Fortsetzung des Sommer-Mährchens

587—653

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ich lasse die Frag in statu quo; und habt Ihr Unrecht nach der Schärfe, so werfe die Frau, die um den Zaum nicht eben so zu freflen fähig wäre, den ersten Stein auf euch! Allein dies alles gilt mir gleich; Der große Punkt ist — G a w i n s Ehre steht auf dem Spiel!

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Den Zaum zu holen ward mir befohlen, ich gab mein Wort — das ist so viel als hätt ich tausend Leben zum Pfand gegeben. Des Zaumes wegen kam ich an, und was ich that, ward um den Zaum gethan. Ist Jemand, der ihn mir an Eurer Stelle noch streitig machen will, Ries’ oder Krokodill

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und Teufel aus der Hölle, so komm er her! — Wo nicht so küß’ ich eures Rockes Saum, und — f o d r e m e i n e n Z a u m . “ Die Dame ruft mit glühendem Gesicht und einem lauten Schrey: So bringt ihm seinen Zaum herbey ! Ab geht der Zwerg — Die Dame wendet sich und weinet bitterlich — Der Zwerg kommt wieder, beladen mit der goldnen Last, und wirft sie vor dem Ritter nieder. Der faßt mit beyden Händen stracks die wohlverdiente Beute,

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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kehrt drauf sich nach der Frau — allein die hatte sich indessen auf die Seite gemacht. Von ihm gesehn zu seyn wär’ ärger jezt als Todespein; Denn ach! verschwunden ist bereits, fataler Zaum, mit dir — ihr ganzer Reiz! Mein Ritter, ohn’ ein Wort zu sagen, eilt nach dem Stalle, zäumt sein Thier, (das, närrisch schier vor Freude seinen Schmuck zu tragen,

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bis an die Decke springt) und schwingt sich auf, und fliegt mit seinem Zaum so leicht davon, daß auf der grünen Erden des Grases Spitzen kaum gebogen werden. Der Dame wird nach ihres Zaums Verlust die weite Welt zum dumpfen Kerker; sie rauft ihr Haar, zerkrazt sich Wang und Brust, lauft hin und her, kommt endlich in den Erker

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und sieht, entsetzliches Gesicht! den Mann, der ihren Reiz entführt, sieht wie er flieht — erträgt den Anblick nicht. Das arme Weib verliehrt vor Wuth und Schmerz die Sinnen ganz, und — was sie that, nachdem’s der Reim euch schon verrathen hat, verdrießt mich euch zu sagen:

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Denn, macht nicht, ohne was zu wagen, der Dummste stracks ein witziges Gesicht, und wettet was man will, es folg: u n d s t i c h t //

sich einen Dolch ins Herz.

Fortsetzung des Sommer-Mährchens

654—721

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Herr G a w i n auf dem Rückweg fand nichts bis nach Artus Hof als schönes ebnes Land; Von Fluß und Brücke, Schlangenthal und Löwenwald kein Wort! Die waren allzumal verschwunden! Kurz, ruhig trabt er fort und langt in wenig Stunden zu Cardigan bey seinem — Liebchen an.

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Die hatte kaum aus seiner tapfern Hand, im Angesicht des Hofs, der rings um beyde stand, den Zaum empfangen, so glänzt’ um ihre Wangen ein neues Licht. Sie war vorher schon hübsch zu nennen, doch izt vor lauter Schönheit kaum noch zu erkennen. Die Damen und die Ritter sahn Sie neidisch — Ihn mit Mißgunst an. Herr G a w i n dessen lacht; K o m m , L i e b c h e n , spricht er, l a ß u n s w a n d e r n , nimmt flugs mit einer Hand den Zaum, das Mädchen mit der andern, und gute Nacht ! W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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Zum Bilde der Juliana Morell. Unter allen gelehrten Damen, deren das Siebzehnte Jahrhundert eine ziemliche Anzahl aufweisen kann, scheint mir keine mehr Anspruch zu haben, das G e g e n b i l d der A n n a M a r i a S c h u r m a n n zu seyn, als die Nonne, deren Bild ich diesesmal — so gut ichs habe — liefere, und die, vermuthlich, für die meisten Leser des T. M. eine ganz neue Bekanntschaft ist. Ich muß aber gleich voraus offenherzig gestehen, daß ich Schwester J u l i a n e n bloß von Hörensagen, und (damit meine Beichte vollständig sey) bloß aus dem Eloge, das von ihr in meinem Cheval de Bataille, der Bullardischen 10

Academie des Sciences et des Arts, befindlich ist, kenne. Ihre Schriften mögen dermalen in Teutschland unter die sehr seltnen gehören; ich wenigstens habe nie etwas davon zu sehen bekommen. Gleichwohl wären mir izt, da ich mich in dem Falle befinde meinen Lesern Etwas von ihr zu sagen, ein paar Blätter aus ihren Exercices Spirituels sur l’Eternite´ lieber, als alle die pompösen Dinge, welche Herr J a c o b I g n a z i u s B u l l a r d , der Sohn, in seinem Eloge von ihr sagt. Denn ich bin fest überzeugt, daß eine Person nicht leicht ein paar Blätter schreiben kann, ohne daß man die s u b s t a n z i e l l e F o r m ihrer Seele wenigstens eben so gut darinn sollte wahrnehmen können, als — i n d e m b e s t e n S c h a t t e n r i ß . Da ich aber, wie gesagt, dieses Vortheils er-

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mangle, so ist das Wenige, was ich durch meinen vorbenannten Gewährsmann von ihr erfahren habe, Alles was ich mittheilen kann. J u l i a n a M o r e l l wurde im Jahr 1592. zu B a r c e l o n a gebohren. Ihr Vater, der ein Mann von Condition und — ein halber Gelehrter war, hatte sich, wie der Vater der Schurmannin, in den Kopf gesezt: daß es eine große Herrlichkeit sey, der Vater einer gelehrten Tochter zu seyn. Er hatte also, sobald er Proben eines lebhaften Geistes an dem Mädchen wahrgenommen, nichts gespart, um sie dazu zu machen. Seine Mühe und Kosten schlugen bey J u l c h e n so gut an, daß sie bereits in ihrem dreyzehnten Jahre ein Wunder von Gelehrsamkeit war. Denn sie verstund Hebräisch, Griechisch und Latein, auch die ganze

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Philosophie oben drein, in solcher Perfection (sagt B u l l a r d ) „daß sie in diesem zarten Alter Muth und Stärke genug in sich fühlte, die gelehrtesten Män-

Zum Bilde der Juliana Morell

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ner zu einem öffentlichen Kampf über die schwersten Probleme der Philosophie herauszufodern.“ Sie sezte also im Jahre 1606. zu Lyon (wo sich damals ihr Vater aufhielt) einen öffentlichen Tag, und zwar den 16. Februar, als den Tag ihrer Nahmens-Patronin, der H. Juliane, zu einem Actus Disputatorius an; und der Herr Papa — der, wie man deutlich sieht, an diesem ganzen schändlichen Fastnachtsspiel die meiste Schuld hatte, sparte nichts, die Farce vollständig zu machen. Das gute kaum dreyzehnjährige Mädchen bestieg mit Trompetenschall, in einem C a p u z i n e r -Habit, die Katheder, und disputirte, in Gegenwart einer großen Menge ehrwürdiger Prälaten, Philosophen, und andern gelehrten und ungelehrten Volkes — mit Hülfe der damals noch im

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Schwange gehenden Scholastischen Terminologie — über Dinge, wovon sie nichts verstund, mit Bartreichen Männern mit und ohne Capuz, die noch weniger davon verstunden; disputirte sie alle zu Boden, und erhielt von M e i s t e r A n t o n i F o r m e l , der heil. Gottesgelahrtheit Doctor, auf der Stelle das Zeugniß, daß seit den Tagen Noä kein Mädchen wie J u l i a n e M o r e l l von einem Weibe gebohren worden sey. Die Sache machte damals groß Aufsehens im ganzen gelehrten Europa, und es regnete von allen Seiten Congratulationen in Prosa und Ligata. Was mich in der Meynung bestärkt, daß die gute J u l i a n e die unschuldigste Person bey diesem gelehrten Possenspiel gewesen — ist der Umstand, daß sie — nicht, weil die Welt nicht würdig war sie zu besitzen (wie

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I g n a z i u s B u l l a r d meynt) sondern vermuthlich in Kraft einer Sinnesart, die der liebenswürdigen Schurmannin ihrer ähnlich war, bald darauf zu Avignon in ein reformirtes Kloster der heil. Praxeda, Dominicaner-Ordens, gieng, und ihr übriges Leben mit Gedanken und Beschäftigungen zubrachte, die sich für diesen von ihr erwählten Stand schickten. Hier publicierte sie ihre obgemeldte G e i s t l i c h e Ü b u n g e n , und eine französische Übersetzung und Auslegung der Vita Spiritualis des heil. V i n z e n z F e r r i e r , eines 50 Jahre zuvor canonisierten Predigers ihres Ordens, von welchem, unter andern Wunderwerken, erzählt wird, daß er 35,000 J u d e n , 8000 M u h a m m e d a n e r , und 100,000 b ö s e C h r i s t e n , in Summa H u n d e r t u n d d r e y u n d v i e r z i g Ta u s e n d a r m e S e e l e n durch seine Predigten b e k e h r t habe, und (was das Wunder noch glänzender macht) ohne in seinem Leben eine andere als die C a t a l a n i s c h e L a n d s p r a c h e gesprochen zu haben. Dieß, L. L. ist ungefähr alles was ich euch von Schwester J u l i a n e n sagen kann. Demjenigen, der mir mit guter Gelegenheit eines von ihren angezeigten

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Büchlein mittheilen wollte, würde ich’s großen Dank wissen, weil ich gewiß zu werden wünschte, ob und in wie fern meine Vermuthung, über ihre SeelenÄhnlichkeit mit der Schurmannin, gegründet seyn möchte. — Von ihrem Bilde, das ich gebe, wollen wir lieber nichts sagen. Die Götter selbst verlangen nichts mehr, als daß man ihnen n a c h Ve r m ö g e n gebe, s a g t H e s i o d u s . Die Physiognomie des guten Nönnchens mag wohl schon in dem OriginalGemählde, das B u l l a r d von ihr besaß, manches verlohren gehabt haben. Nun kam die Reyhe an die Kupferstecher, nahmentlich an Hrn. A s m u s v o n B o u l o n n o i s , und ungefähr 100 Jahre drauf an Hrn. E . E i c h e l . Ordentli10

cher Weise gewinnt man nicht viel beym Durchgang durch solche media. Und so kommt es dann, daß unsers Herrn Gottes Werke unter Menschen-Händen verpfuscht werden — es sey nun, daß wir sie verderben, weil wir’s nicht besser verstehn, oder daß wir sie einbildischer Weise verschönern wollen. Dieß ist ein so gemeines Loos, daß es eitel Mühe wäre, Jeremiaden darüber anzustimmen. Pater B a l d e w e i n C a b i l l a u , Jesuit, ein lateinischer Versifex des vorigen Jahrhunderts, um auch seines Orts etwas zur Verpfuschung der armen J u l i a n e M o r e l l beyzutragen, hat ein Epigramm, oder Sinngedicht, wie sie’s nennen, (als ob in Epigrammen a l l e i n oder m e h r Sinn seyn müßte als in andern Versen) auf sie gemacht, worinn er sagt: „Sie spreche Latein wie C i -

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c e r o , Griechisch wie D e m o s t h e n e s , und wenn sie vollends gar Hebräisch rede, so fließ es ihr vom Munde w i e B a l s a m m i t S a f r a n . “ — „Was zum Daus sind die Weiber für Geschöpfe“ — fährt P . B a l d e w e i n fort: „Wer sollte denken, daß es möglich wäre? Drey gedoppelte Männer verschließt eine Jungfrau in ihrer einzigen Brust!“ — Das nenn’ ich doch ein Sinngedicht und ein Lob! Noch will ich beyläuffig zu bemerken ohnermangeln, daß, lange vor unsrer Juliane, bereits d r e y S c h w e s t e r n M o r e l l auf einmal unter den gelehrten Damen des sechzehnten Jahrhunderts figuriert haben; deren Vater J e a n M o r e l S i e u r d e G r i g n y war, ein Zeitgenoß und Freund des Erasmus, wiewohl

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er diesen um mehr als 50 Jahre überlebt hat. Da diese Mädchen G r i e c h i s c h e und L a t e i n i s c h e Ve r s e machten, überdies ihrer D r e y , und S c h w e s t e r n waren, auch g a r o m i n ö s e p o e t i s c h e N a h m e n führten (denn die älteste hieß C a m i l l a , die zwoote L u c r e t i a und die dritte D i a n a ) so kann man sich vorstellen, was die S i n n g e d i c h t m a c h e r ihrer Zeit für gutes Spiel gehabt haben. — Der Nahme M o r e l l scheint mir so glücklich zu seyn, daß ich

Zum Bilde der Juliana Morell

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kaum zweifle, es werden sich, bey genauerm Nachforschen, noch mehr gelehrte, witzige und kunstreiche Damen dieses Nahmens vorfinden, und irgend ein Litterateur werde uns bald mit einer förmlichen D i s p u t a t i o n v o n g e l e h r t e n M o r e l l i n n e n beschenken können — wenn’s nicht etwan gar schon geschehen ist. W.

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Anzeige. Hr. Friedrich Nicolai, Buchhändler in Berlin, hat in einem gedruckten halben Bogen folgendes Werk, welches in seinem Verlag heraus kommen soll, angekündiget: Leben Johann Bunkels, nebst den Leben verschiedener merkwürdiger Frauenzimmer, aus dem Engländischen übersetzt. Vier Bände, mit Kupferstichen von D a n i e l C h o d o w i e c k i . Nach dem Begriffe den uns der gelehrte Herr Verleger davon giebt, ist es allerdings unbegreiflich, wie ein so sonderbares und interessantes Werk unsern auf alle ausländische, besonders Engländische Litterarische Erscheinungen so aufmerksamen Teutschen, zu10

mal der so gierig nach Neuigkeiten schnappenden Übersetzerzunft hat entgehen können, da es doch schon vor geraumer Zeit erschienen ist, und fünf bis sechs Ausgaben davon in England gemacht worden sind. Dieses Buch (fährt Herr N. fort) ist ein Roman, wenn man will. Auffallende zuweilen sehr romantische Charaktere, Begebenheiten die im gemeinen Laufe der Welt selten vorfallen, ein durchscheinender Zweck des Ganzen, scheinen dieser Geschichte, unter den Werken der Einbildungskraft einen Platz zu geben. Hingegen hat diese Geschichte gar nicht den Zuschnitt eines förmlichen Romans, der eine einzige Haupthandlung nach einem künstlich ausgedachten Plane durchführen soll. Die Erzählung gehet durchaus den ruhigen

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und natürlichen Gang, einer eignen Lebensbeschreibung, die ein funfzigjähriger Mann schreibt, indem er auf sein wohlgelebtes Leben, mit gutem Gewissen, und völligem Bewußtseyn unbescholten und nützlich gewesen zu seyn, zurücksiehet, u. s. w. „Außer dem L e b e n v e r s c h i e d e n e r F r a u e n z i m m e r , welche in dieses Werk selbst verwebt sind, hat eben dieser Verfasser noch N a c h r i c h t e n v o n d e m L e b e n v e r s c h i e d e n e r F r a u e n z i m m e r i n G r o ß b r i t a n n i e n , in zween Bänden, herausgegeben, auf welche er sich oft bezieht. Dieser Beziehung wegen, und weil sie ganz im Geiste des L e b e n B u n k e l s geschrieben sind, werden sie mit demselben zugleich übersetzt geliefert.“

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Da unser Raum keinen grössern Auszug aus der Nicolaischen Anzeige gestattet, so mag das von diesem J o h n B u n k l e im Monthly Review vom

¼Nicolai: Leben Johann Bunkels½ A n z e i g e

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Jul. 1766. gefällte Urtheil demselben hier statt aller weitern Empfehlung dienen. „Ich kann nicht umhin, (sagt der Reviewer) die sonderbare Manier und Fähigkeit dieses Schriftstellers zu bewundern, — welcher, wenn er über die Gränzen des gemeinen Verstandes empor steigt, gemeiniglich sich zu einer so schönen Fantasey erhebt, daß wir uns sehr gern mit ihm nach Theben, nach Athen, und Gott weiß wohin, fortreißen lassen. — Er ist v o l l k o m m e n e i n z i g für sich, und in seiner Art so original, als S h a k e s p e a r e oder S a m u e l R i c h a r d s o n , obgleich mit diesem Unterschiede, daß ihre Vortreflichkeiten bloß aus angebohrnem unkultivirtem Genie herrühren, dahingegen B u n -

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k e l s erhabene Sonderbarkeit, die Frucht eines Genies und einer Einbildungskraft zu seyn scheint, die durch romantisches Wesen und durch religiösen Eifer, wie in einem Treibhause erhizt und zum Sproßen getrieben worden. Bey aller seiner Seltsamkeit, zeigt er beständig den Charakter eines ehrlichen Mannes, voll Ernst, das Wohl seiner Nebenmenschen zu befördern, und im höchsten Grade eifernd, für das was er für die Sache der Wahrheit hält. — J o h a n n B u n k e l , ist der sonderbarste, der launigste, der angenehmst-seltsamste Schriftsteller, der je die Feder geführt hat. In seinem Leben ist mehr Verstand, mehr Gelehrsamkeit, auch mehr Unsinn und mehr Unterhaltung, als man je in einem Buche zusammenvereinigt glauben könnte. — Ich lese

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seine Werke immer mit Vergnügen, da es mir scheint, daß ihre Schönheiten bey weitem ihre Fehler übersteigen.“ — u. s. w. Das ganze Werk wird in vier Bänden in Octav, auf feinem Schreibpapiere (in eben dem Formate, und mit eben der Schrift wie das Leben M . S e b a l d u s N o t h a n k e r s ) in der Ostermesse 1778. gedruckt erscheinen, und so viel man bisher überschlagen können, ohngefähr f ü n f u n d e i n h a l b e s A l p h a b e t stark werden. Der berühmte Hr. D a n i e l C h o d o w i e c k i wird es mit einer Anzahl Kupferstiche von seiner Hand zieren. Wer auf dieses Werk d r e y T h a l e r z w ö l f G r o s c h e n Conventionsmünze, in Louisd’or a 5 Thlr., oder in Brandenburgischen Silbergelde d r e y T h a l e r s e c h z e h n G r o s c h e n vorauszahlet, bekommt dafür in der Ostermesse 1778. ein vollständiges Exemplar, welches nachher ohngefähr für einen Louisd’or verkauft werden wird. In allen Buchhandlungen Teutschlands wird Pränumeration angenommen.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang / Mitte August 1777)

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Hier in Weimar nimmt Hr. Hofbuchhändler Hoffmann Vorschuß auf dies Werk an.

¼Nicolai: Leben Johann Bunkels½ A n z e i g e

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Der Teutsche Merkur. August 1777.

Gedanken über die Ideale der Alten. (Veranlaßt durch das V i e r t e Fragment im 3ten Bande der L a v a t e r i s c h e n Physiognom. Fragm.) I. Sobald ein Menschensohn über einen speculativen Gegenstand, der sich weder a u s r e c h n e n noch a u s m e s s e n läßt, spricht — so kann er weiter nichts thun, als s e i n e M e y n u n g davon sagen; sagen, w i e die Sache i h m v o r k ö m m t , und (wofern er’s kann) w a r u m sie ihm so vorkömmt. Diese seine Meynung ist dann das Resultat seiner individuellen Art zu denken, seiner

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Empfindungen, Erfahrungen, Wahrnehmungen, meistens auch (er mag sich dessen nun bewußt seyn, oder nicht) andrer vorgefaßten Meynungen, Lieblings-Ideen, und unfreywilliger Neigung und Tendenz der Seele nach einem gewissen Punkt, auf den sich, mehr oder weniger, alle seine Vorstellungen beziehen. Alles kömmt dann darauf an — wie gut er den Gegenstand kennt — ob er ihn auch nah und lange und oft genug — von mehr als einer Seite — in mehr als einem Lichte — erhizter und flüchtiger, oder kälter und gelassener — mit mehr oder weniger zur Sache erfoderlicher Hülfkenntniße — mit mehr oder weniger Scharfsinn — Behutsamkeit — Überlegung — betrachtet hat. Es kann ihm begegnen — aus sehr richtigen Grundsätzen z u v i e l zu schließen — oder es kann ihm, bey dem größten Scharfsinn, bey den nettesten Begriffen, an einem einzigen D a t o fehlen, wodurch seine ganze Gedankenrechnung unrichtig wird. — Kurz, er kann auf unzählige Art der Wahrheit verfehlen — wie beynahe immer und in allen Dingen das Loos aller Sterblichen ist. Genug, er hat s e i n e M e y n u n g gesagt, er g l a u b t (wie natürlich) Recht zu haben, und das übrige soll ihn nichts kümmern. Denn es ist nicht halbsoviel daran gelegen, als Viele sich einbilden, ob Scaramutz, ob Scapin besser tanze ?

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Und wenn wir auch, indem wir selbst irre gehn, Andre mit uns irre führen — sind wir nur bona fide zu Werke gegangen, was thuts? Warum giengen die Leute nicht ihrer eignen Nase nach? Wer heißt sie sich um andrer Leute Meynungen bekümmern? Was kann ein Mann unschuldigers thun als seine Meynung sagen? Folget denn gleich daraus, daß ihr ihm Recht geben müßt? — Aber gewöhnlich hat es mit dem Rechtgeben auch nicht soviel auf sich, als man denkt. Denn meistens sind unter hundert, die einem Autor Recht geben, funfzehn bis zwanzig, die es bloß darum thun, weil sie finden, daß der Autor I h r e r Meynung ist; und die übrigen achtzig intereßiert die ganze Sache so 10

wenig, daß es ihnen ganz gleichviel ist, was darüber gesagt wird, und ob Hans oder Heinz Recht hat; und so halten sie es dann, Bequemlichkeit halber, immer mit dem der am lautsten schreyt, oder den stärksten Trumpf drauf sezt, oder zulezt gesprochen hat. Es giebt zwar auch eine Art von Lesern, die einem Autor zuweilen das Compliment machen: sie seyen klüger durch ihn geworden — und damit Wahrheit zu sagen glauben. Das ganze Geheimniß aber ist: daß er ihnen die Mühe erspart hat, aus bloßer eigner Kraft von einem Gedanken entbunden zu werden, der schon in ihrer Seele lag, und vielleicht über kurz oder lang auch ohne ihre Hülfe zum Vorschein gekommen wäre. Daß er ihnen nun, mit so wenig Müh

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und Schmerzen auf ihrer Seite, den Hebammendienst gethan, sie einer Seelenbürde zu entledigen, wovon sie sich öfters, ohne recht zu wissen w a s e s w a r , gedrückt gefühlt hatten — und die sie nun gleichwohl, da sie neugebohren auf ihrem Schoos liegt, als ihr eigen Fleisch und Blut betrachten — das muß ihnen nothwendig angenehm seyn. Und so erkennen es denn auch die Gutherzigen unter ihnen mit allem Dank, wenigstens u n t e r v i e r A u g e n : im Grund aber könnten sie sich den Dank mit gutem Gewissen ersparen. Denn der Mann, der ihnen besagten Dienst gethan, hat seinen Lohn dahin, da er das Vergnügen hat, d a ß s i e s e i n e r Meynung sind; welches etwas ist, das Niemanden — der nicht wie Robinson Crusoe allein in einer Insel lebt — ganz

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gleichgültig seyn kann. Ich bin also im Begriff die Gefahr auch zu lauffen, und über eine Sache — die zwar nicht ganz unerheblich ist — aber doch mit dem Besten der Kirche und des Staats, den guten Sitten, und dem Flor und Aufnahm unsers lieben Vaterlandes, auch gemeiner Menschheit überhaupt, nur in einer gar entfernten Beziehung steht — meine Meynung hören zu lassen.

Gedanken über die Ideale der Alten. I.

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Ehmals mußte man in solchen Fällen, um seine Bescheidenheit zu manifestiren, sagen, — meine w e n i g e — oder meine u n m a ß g e b l i c h e Meynung. Nachdem aber heutigstags Gottlob! nun jedermann weiß, daß ein Mann nicht leicht etwas thun kann, das w e n i g e r wäre, als seine Meynung über etwas zu sagen; und nachdem es mit dem Vorurtheil des Ansehens dahin gediehen ist, daß selbst Kinder und Säuglinge sich aus der Autorität und Maasgabe ihrer Ältern und Bessern gerade so viel machen als aus einer hohlen Nuß: so braucht es keiner solchen Beywörter mehr, und man sagt, ohne ein dergleichen Salua venia vorauszuschicken, seine Meynung worüber man will — und so gut man’s versteht; ohne daß es eben viel zu bedeuten hätte, oder die

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Welt nur halb so viel Notiz davon nähme, als die Herren Autoren sich gemeiniglich einbilden. Ich habe gleich auf der Überschrift dieses Aufsatzes bekannt, daß er durch das 4te Fragment in dem 3ten Theil des Physiognomischen Werkes veranlaßt worden. Hr. L . hat in diesem Fragment eine Meynung über die Ideale der Alten vorgetragen, die mir das Problem weder ganz noch richtig aufzulösen scheint; und der Recensent des besagten Buches (in gegenwärtigem Stücke des T. M.) hat, ohne ihm hierinn völlig beyzupflichten, sich doch in der Kürze nicht völlig so erklärt, daß ich seine Berichtigung dessen, was mir in jenem Fragment irrig scheint, für hinlänglich halten könnte. — Ich fühle die Schwie-

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rigkeit über so verwickelte Fragen etwas Bestimmtes und Wahres zu sagen; ich verspreche aber auch nichts als die Ursachen anzugeben, warum ich mir von den Idealen der Alten und ihren Ursachen einen andern Begriff mache. Da ich alles was wie Disputiren aussieht tödtlich hasse, so wird hier immer nur von den Sätzen, habe sie gesagt wer will, nie von dem Manne der sie vorgetragen, die Rede seyn. Niemand kann die Vorzüglichkeit der Gaben des Hrn. L . stärker fühlen als ich — Aber dies darf hier keinen Einfluß haben. — Öffentliche Komplimente von Schriftstellern gegen einander sind dem Publico anstößig, und machen immer einen fatalen Effekt. Also nichts dergleichen, so sehr ich den wunderbaren Mann liebe, und, in tausend andern und wichtigern Dingen, seinen tiefern Blick, sein innigeres Gefühl, und überhaupt sein höheres Maas von Kräften ehre. Ich sage — nichts von Komplimenten! — Denn auch die gefühltesten und wärmesten Ergießungen der Freundschaft und Liebe bekommen, so bald sie durch die Druckerpresse gegangen sind, in den Augen der Welt, die daran weder Theil nehmen kann noch will, diesen häßli-

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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chen Schein; und es ist besser, däucht mich, auch hierinn bösen Schein meiden, als sich heroisch über die widrige Würkung hinaussetzen, die so etwas (wie man mit der größten Gewißheit vorhersehen kann) auf die Welt machen wird. Kurz, wenn es seit einiger Zeit aus der Mode gekommen seyn sollte — so muß es wieder Mode werden — daß einer des andern Begriffe und Meynungen bestritten, oder das Gegentheil behaupten dürfe, ohne sich zu bekümmern, ob dieser Andre ein großer oder kleiner Mann, Freund oder Feind, ein Teutscher oder ein Wahle ist; und dies freylich ohne Unbescheidenheit und Sarkasmen, Nasenrümpfen, Trotz und Übermuth, aber auch ohne alle Augenblicke die 10

Eigenliebe des Andern zu tätscheln, zu streicheln und zu krabbeln, und just so eine Miene zu machen, als ob sich ein Mann nothwendig für beleidigt halten müsse, wenn wir voraussetzen, daß er — nicht unfehlbar sey.

II. Ich bin nicht belesen genug, um zu wissen, ob unter den unzähligen weisen Leuten, die seit viertausend Jahren über göttliche und menschliche Dinge — radottiert haben, nicht schon einer gewesen ist, der a ˆ priori bewiesen hat: „daß die menschliche Gestalt unter allen m ö g l i c h e n Gestalten die s c h ö n s t e sey.“ 20

Sollt’ es aber schon geschehen seyn, oder noch künftig geschehen, so hätte der Mann, der sich dieses Verdienst um die Menschheit gemacht hat, oder dereinst noch machen wird, meines Erachtens weiter nichts damit gethan, als — was S w i f t den edeln H u y n h n h n m thun läßt, der dem armen gedemüthigten Tropf Gulliver in die Zähne beweißt: „daß die P f e r d e g e s t a l t unendlichmal schöner und vollkommner sey als die menschliche.“ Was indessen niemand zu läugnen begehren wird, ist dies: daß es uns Menschen, vor der Hand, noch immer unmöglich geblieben ist, eine schönere Ge-

Gedanken über die Ideale der Alten. II.

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stalt — wenigstens eine die u n s schöner vorkäme — zu erfinden als die Gestalt unsrer eignen Gattung. Und das ist für unsern Hausbrauch genug. Aber so ausgemacht dies ist, so wenig kann, glaube ich, auf der andern Seite geläugnet werden: daß schwehrlich jemals ein einzelner Mensch, Mann oder Weib, in so hohem Grade schön gewesen sey, daß seine Gestalt, Stückweise oder im Ganzen, nicht immer noch schöner als sie war hätte g e d a c h t werden können; oder, daß er nicht immer Ursache gehabt hätte, zu befürchten, es könnte unversehens ein Schönerer kommen und ihn im Besitz seines vermeynten Vorzugs stören. Mir däucht dieser Satz so äußerst wahrscheinlich, daß ich beynahe versucht

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werden könnte, mich hier eines Ausdrucks des Hrn. L . zu bemächtigen, und zu fragen: „eine Wahrheit von so Millionenfachen Beweisen — d a r f s i e o h n e Umverschämtheit — darf sie im Ernst in Zweifel gezogen werd e n ? “ — wofern ich dergleichen Lebhaftigkeiten in Untersuchungen, wo es immer ein Unglück ist gar zu warm zu werden, für anständig hielte. In der That, was kann man von dem Zusammenfluß aller dieser unzählichen physischen und sittlichen Ursachen, die vom Augenblick der Zeugung an bis zum Augenblick der Zerstörung von allen Seiten auf jeden Menschen loßstürmen, anders erwarten, als daß die Anlage zur Schönheit in jedem Individuo mehr oder weniger dadurch angefochten werden müsse? Von diesen wid-

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rigen Einflüssen ist kein Klima, so wohlgemäßigt es sey, ist kein Sterblicher, so wohl gebohren und glücklich erzogen er sey, ausgenommen. Oder, wo ist das Land, worinn nur in zehn Jahren die Witterung nie unmäßig, die Luft nie mit schädlichen Dünsten und Saamen ansteckender Krankheiten angefüllt gewesen wäre? Wo ist der Mensch, dessen Organisation, Gesichtsbildung, Gesundheit und Stärke, von Mutterleibe an, nichts von auswärtigen Erschütterungen, nichts von der Ungnade der Elemente, nichts von ungesunder oder übermäßiger Nahrung, nichts von Krankheiten und zufälligen Beschädigungen, nichts von Zwang, Druck, Übertreibung und Überspannung, nichts von eignen und fremden Leidenschaften gelidten habe? Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist zu erwarten, daß die unzählbaren Ursachen, wovon a l l e A u g e n b l i c k e immer einige bereit sind, zum Nachtheil der Schönheit auf jeden einzelnen Menschen zu würken, sich jemals nur bey einem Einzigen, wie durch Abrede oder vorbestimmte Harmonie, zum Vortheil derselben vereiniget haben sollten? — Ein vollkommen schöner Mensch ist also — was alle vollkomm-

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ne Dinge, außer dem der allein gut ist, sind — ein A b s t r a c t u m , das nie existirt hat, nie existiren wird, und nie existiren kann. Gesezt also auch, die alten Griechen wären zur Zeit, da die bildenden Künste unter ihnen blüheten, das schönste Volk unter der Sonne gewesen: so konnte ihnen doch kein A l c i b i a d e s , noch P h ä d r u s , keine L a i s , P h r y n e noch G l y c e r a das Urbild vollkommner Schönheit darstellen. Aber was für Ursache haben wir, von der Schönheit und Güte, von der K a l o k a g a t h i e , der besagten Griechen eine so hohe Meynung zu hegen, um zu behaupten, sie seyen s c h ö n e r e und b e s s e r e Menschen gewesen als die 10

heutigen Europäer? Dies ist, was Hr. L . thut, um die Entstehung der sogenannten Griechischen I d e a l e begreiflich zu machen, und seine Schlußfolge ist diese: „Wir wollen vor der Hand als unstreitig annehmen: die Kunst habe nichts höhers, reiners, edlers erfunden und ausgearbeitet, als die alten Griechischen Bildsäulen aus der besten Zeit. Nun fragt sich: Woher kam das? Antwort: entweder — sie hatten höhere Ideale — imaginierten sich vollkommnere Menschen — ihre Kunstwerke waren b l o ß (man merke sich dies bloß!) neue Geschöpfe ihrer edeln Dichterkraft — oder — sie hatten eine höhere Natur um sich, und dadurch ward es ihnen

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möglich ihre Imagination so hoch zu stimmen — und solche Bilder darzustellen. Nun kann ein Mensch überall nichts g a n z e r s c h a f f e n ; und jeder Künstler copiert seine Meister — die um ihn lebende Natur seines Zeitalters — sich selbst — kann aber doch die Natur selbst n i e v ö l l i g e r r e i chen ? Schöne Werke der bildenden Kunst sind also immer ganz zuverläßig Siegel und Pfand — schönerer Natur. Weil also die alten Griechischen Künstler schönere Werke machten als die unsrigen,

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so waren die Griechen s c h ö n e r e Menschen, b e s s e r e Menschen, und das itzige Menschengeschlecht ist sehr gesunken.“ Diesem entgegen sage ich: Das itzige Menschengeschlecht mag wohl sehr gesunken seyn (wiewohl

Gedanken über die Ideale der Alten. II.

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dies, was S c h ö n h e i t und G ü t e betrift, noch lange nichts ausgemachtes ist) aber das muß aus andern Gründen bewiesen werden. Die alten Griechen, besonders im Jahrhundert Alexanders, waren w e d e r s c h ö n e r e n o c h b e s s e r e M e n s c h e n als die heutigen Italiäner, Franzosen, Engländer, Teutschen, u. s. w. Der Grund also, warum die Phidias, Alkamenes, Praxiteles, Lysippus, u. s. w. so schöne Bilder machten, war n i c h t w e i l s i e v o n e i n e r s c h ö nern Natur umgeben waren ; sondern es finden sich einige andre in facto gegründete Ursachen, welche diesen Effect sattsam begreiflich machen;

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auch i m a g i n i r t e n sie sich n i c h t v o l l k o m m n e r e M e n s c h e n — sondern H e r o e n und G ö t t e r in Hülle menschlicher Gestalt; und dies sind eigentlich die h o c h g e p r i e s n e n I d e a l e , in der edelsten Bedeutung dieses Wortes darum so genannt, weil der Künstler, der z. E. die N i o b e , oder den Va t i c a n i s c h e n A p o l l o hervorbrachte, nicht nach einem vor ihm stehenden lebendigen Original, sondern nach einer in seinem Geist erzeugten, in seiner Phantasie schwebenden, I d e e arbeitete; und i n s o f e r n , und weil nie ein Jüngling oder Weib sich anmaßen konnte, so schön, geschweige noch schöner seyn zu wollen als dieser marmorne

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Apollo, diese marmorne Niobe, könnte man sagen, daß es n e u e G e s c h ö p f e ihrer edeln Dichterkraft gewesen, wiewohl zu glauben ist, daß es auch dem s e i c h t e s t e n K o p f e nie eingefallen sey, zu behaupten, daß sie von dem Künstler a u s N i c h t s e r s c h a f f e n worden; sondern freylich eine ewige Wahrheit bleibt: daß die Natur, wo nicht die Q u e l l e , doch gewiß die Ve r a n l a s s u n g — und überhaupt in allen Fällen das Vo r b i l d (Typus) der menschlichen I d e e n , obgleich nicht in jedem Falle das U r b i l d (Archetypon) der menschlichen We r k e ist. Wenn ich also von den sogenannten Idealen der gr. Künstler als dichterischen Werken oder Geschöpfen ihrer Imagination spreche, so ist die Meynung: daß einige ihrer Werke w e d e r K o p i e n n o c h K a r i k a t u r e n d e r i m E i n z e l n e n s i e u m g e b e n d e n N a t u r gewesen, sondern Nachbildungen von Urbildern, die außer ihrer Imagination (oder doch außer der Imagination des ersten Erfinders) nirgends in der Natur s o dagewesen;

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und von diesen allein behaupte ich, daß sie einen Grad von Schönheit, oder Größe und Majestät gehabt haben, dessen nie kein einzelnes menschliches Wesen sich rühmen können; behaupte aber auch, daß, wie in allen menschlichen Dingen, so auch hier, e i n M e h r u n d We n i g e r statt gefunden, und die Kunstwerke, die man gewöhnlich, mit zu weniger Unterscheidung, unter der Rubrik I d e a l e in Eine Masse zusammenwirft, von so verschiedener Beschaffenheit gewesen, daß diese Benennung nicht allen i n e i n e r l e y B e d e u t u n g zukommen könne; und glaube schließlich — als das Resultat von allem diesem — daß sich 10

schwerlich ein Grund erdenken lasse, warum nicht auch neuere Künstler (ohne überhaupt eine schönere Natur um sich zu haben) eben so schöne — vielleicht noch schönere — Werke als die Alten sollten hervorbringen können, wenn sie nicht nur die nehmliche Gelegenheit und Freyheit hätten, die schönsten einzelnen Naturen ihrer Zeit zu beschauen, sondern — was eben so nöthig ist — auch die nehmlichen großen Bewegursachen und Antriebe, kurz, den ganzen Zusammenfluß von befördernden Umständen, von welchen die Imagination jener Alten emporgetragen und öfters zu einer Höhe aufgeschwungen worden, die sich unter weniger günstigen Umständen nicht erreichen läßt. — Denn m a n k a n n n i c h t a l l e s w a s m a n w i l l ,

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und thut daher wohl, w e n n m a n n i c h t m e h r w i l l a l s m a n k a n n . — Dies sind ungefehr die Hauptsätze, in welche die Folge meiner Gedanken über die Ideale der Alten eingeschlossen ist, und worüber ich nun denen, die fortzulesen Lust haben, genauere Rechenschaft geben werde.

III. Ich habe einen so großen Begriff von den Vorzügen der alten Griechen, als nur irgend einer haben kann, der sich nicht gemeine Mühe gegeben hat, sie kennen zu lernen. Zu jener Zeit, da meine Imagination über Musarion und Agathon brütete, schwärmt’ ich wohl selbst ein wenig über diesen Punkt. Allein, da die Einbildung, daß es Tugend sey sich in seinen Meynungen und Behaup30

tungen immer gleich zu bleiben, mich nie verhindert hat, noch jemals verhindern soll, meine Begriffe von Menschen und menschlichen Dingen immer

Gedanken über die Ideale der Alten. III.

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richtiger zu machen: warum sollt’ ich nicht bekennen, daß die Griechen durch längere und genauere Bekanntschaft Vieles von ihren Vorzügen vor andern ältern und neuern Völkern in meinen Augen verlohren haben? Wenn ich Griechen sage, so ist die Rede weder von Homer noch Sophokles, weder von Sokrates noch Epaminondas — Diese und einige andre Griechen, die wir aus der Geschichte oder aus ihren Werken kennen, gewinnen freylich (wie alle in hohem Grade vortrefliche Menschen) je genauer man sie kennt, je länger man mit ihnen umgeht, je mehr man Gelegenheit hat sie mit andern zu vergleichen. — Aber hier ist die Rede von der Nation — von Atheniensern, Spartanern, Thebanern, Korinthiern, Phocäern u. s. w. und dies macht einen gro-

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ßen Unterschied. Der Begriff von einem ganzen Volke ist ein unendlich zusammengesezter, unendlich verwickelter Begriff, wo man sich vor betrüglichen Abstractionen, falschen Inductionen, Verwirrungen der Zeiten und Orte, Schlüsse vom Einzelnen und Besondern aufs Allgemeine, und zwanzig andern Wegen die Wahrheit zu verfehlen, nicht genug hüten kann. Ich sehe die überspannte Meynung von der höhern körperlichen und sittlichen Vollkommenheit der Griechen bey Vielen als die zusammengesezte Würkung ganz verschiedner Ursachen an. Unter diesen leztern ist freylich die Vortreflichkeit der großen Männer, die dieses Volk einst gehabt, wiewohl meistens verkannt und übel belohnt hat *), und die Herrlichkeit der Genie- und Kunstwer-

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ke, die sie uns hinterlassen haben, auch E i n e . Aber — die Autorität großer Männer, die mit Enthusiasmus von ihnen gesprochen haben, — eine Autorität, die vielleicht nur in unsern Knaben-Jahren auf uns würkte, aber eben damals Eindrücke machte, die so leicht nicht wieder erlöschen — eine zu große, aus flüchtiger unvollständiger Kenntniß ihrer glänzenden Seite entsprungne Bewunderung — der Mangel eines besondern Studiums dessen, was sie von Homer an bis zu ihrem Rückfall in die Barbarey durch so mancherley Veränderungen und Stuffen der Abartung, gewesen sind — zuweilen auch die unvermerkt immer zunehmende Erhitzung eines feurigen Kopfs beym Vortrag einer Lieblingsmeynung, oder irgend eines Resultats einer solchen, da man fast immer mehr sagt als man sagen wollte, oder bey kälterm Blute

*)

Und auch bey diesen muß man nicht vergessen, daß wir sie, wie verklärte Geister und

höhere Wesen, in einer Art von G l o r i e sehen, und in der Nähe, zumal wenn wir in allerley bürgerlichen Verhältnißen mit ihnen gestanden wären, ganz anders gesehen haben würden.

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gesagt zu haben wünschen möchte: Diese und andre Ursachen (die hier nicht entwickelt werden können) tragen wohl zuweilen auch das ihrige bey, wenn von den Griechen als Menschen von einer höhern Natur gesprochen wird. Ich wünschte aber wohl vor allen Dingen belehrt zu werden, welchem unter den griechischen Völklein es eigentlich gilt? ob B ö o t i e r , A r k a d i e r , M e g a r e r , K r e t e r , (aei ceydew, kaka uhria etc.) auch darunter gemeynt sind? hauptsächlich aber, z u w e l c h e r Z e i t die Griechen schönere und bessere Menschen waren, als die Menschen, von denen sich Michel-Angelo, Raphael, Rubens, Vandyk, u. s. w. umgeben sahen? Doch diese Frage beantwortet sich 10

aus der Sache selbst. Die Künstler, von deren herrlichen Werken dieser Schluß auf die Herrlichkeit der sie umgebenden Natur gemacht wird, lebten alle kurz vor und bald nach den Peloponesischen Fehden, in der Zeit z w i s c h e n P e r i k l e s u n d A l e x a n d e r . Die Menschen, die v o r ihrer Zeit gelebt haben, und wenn sie auch Halbgötter gewesen wären, konnten auf die Phidias, Praxiteles, Lysippus u. s. w. keinen sonderlichen Einfluß haben — denn mit diesen hatten sie nicht gelebt, hatten sie nicht einmal in Bildnissen gesehen. Also müssen es denn ihre Zeitgenossen, d. i. die Zeitgenossen des S o k r a t e s , X e n o p h o n s , D i o g e n e s , gewesen seyn! — Wir wollen sehen. Daß die Griechen überhaupt ein wohlgebildetes Volk, und schöne Personen

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unter ihnen nichts seltnes gewesen, läßt sich allerdings beweisen, und es läugnen zu wollen wäre würklich unverschämt. Aber womit man den historischen Beweis führen wollte, daß sie zu des Phidias oder irgend einer andern Zeit s c h ö n e r gewesen als die Perser, Tscherkassen, Georgier, oder als die Römer, Gallier, Germanen, Britten, Normannen, ja selbst als die heutigen Italiäner, Engländer, Franzosen, Teutschen u. s. w. — davon weiß ich zur Zeit nichts. Selbst unter wohlgebildeten Völkern sind große Schönheiten immer selten. So mag es wohl bey den Griechen auch gewesen seyn; oder würden sie sonst über die Schönheit eines A l c i b i a d e s und P h ä d r u s , einer L a i s und P h r y n e so viel Lerms gemacht haben? Würde, wenn die Schönheit unter den Griechi-

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schen Weibern etwas so gar gemeines gewesen wäre, A l e x a n d e r von dem Glanz der Persischen Frauen so geblendet worden seyn, daß er sie alghdonaw

ofualmvn, A u g e n s c h m e r z e n , genennt hätte? *) — Oder würde L u c i a n in seinen B i l d e r n , wo er alle Bildhauer, Mahler und Dichter zu Hülfe ruft, um *)

Plutarch. in Alexandro.

Gedanken über die Ideale der Alten. III.

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die Schönheit der S m y r n i s c h e n P a n t h e a zu beschreiben, von dieser Frau als von einem Wu n d e r reden? da sie doch am Ende, selbst in seiner eckstatischen Beschreibung, nichts mehr ist, als ein s c h ö n e s We i b , wie man deren auch wohl dann und wann in Teutschland zu sehen bekommt. — Als ich zu Athen war (sagt C o t t a in C i c e r o n s Dialogen von der Natur der Götter *)) fand sich unter ganzen Heerden von Jünglingen kaum einer und d e r a n d e r e , d e r s c h ö n g e n e n n t w e r d e n k o n n t e . — Die schönsten Gestalten, und das schönste Blut sah man unter den Ionischen Griechen; also nicht im Eigentlichen Gräcien, sondern in Asien. Smyrna, eine der Hauptstädte Ioniens, war ihrer schönen Weiber wegen berühmt. Daher sagt der

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Smyrner, welchen Lucian bey dem Aufzug der schönen Panthea unter den gaffenden Zuschauern stehen läßt, mit patriotischer Jactanz zu seinem Nachbar: S i e h d a , s o l c h e S c h ö n h e i t e n g i e b t s n u r z u S m y r n a ! — Ein gewisser N y m p h o d o r u s (der eine R e i s e b e s c h r e i b u n g d u r c h A s i e n geschrieben, die nicht auf uns gekommen ist) versichert (nach einer Allegation beym Athenäus **)) daß er in der ganzen Welt nirgends schönere Weiber angetroffen als zu Te n e d o s , einer kleinen Insel nahe bey Troja. Aber weder zu Smyrna noch zu Tenedos war jemals eine Mahlerschule. — Doch, es wäre Überfluß, den Satz, daß die Griechen überhaupt nicht schöner gewesen als eine Menge andrer Bewohner des gemäßigten Theils der Erdkugel, durch

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mehr Instanzen und Zeugnisse zu bestätigen. Die Sache spricht, däucht mich, von sich selbst. Woher sollt ihnen wohl diese hohe Schönheit gekommen seyn? Gesunde Luft, oder Leibesübungen und Bäder machen es doch allein nicht aus. — War ihre Sonne etwan wärmer und geistiger, oder ihre Luft milder als in den schönsten Provinzen von Frankreich, Italien und Spanien? War nicht ein ziemlicher Theil von Griechenland rauher wenig fruchtbarer Boden? Waren ihre ersten Eichelnfressenden Vorfahren etwan Menschen von edlerer Art als die unsrigen? oder genossen die Griechen zu Perikles Zeiten etwan reinere und gesundere Nahrungsmittel als wir? Lebten sie von Ambrosia und Nektar? ***) Verderbte sich ihre Jugend nicht, wenigstens so sehr als die heutige, durch alle Arten von Ausschweiffungen? Bey welchem Volke wurden die von *)

Lib. I. cap. 20.

**) ***)

D e i p n o s o p h . Libr. XIII. p. 609. E. Schweinfleisch, gesalzne Fische, Schaalfische, und allerley Arten von Kuchen waren die

gemeinste Nahrung zu Athen.

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der schändlichsten und verderblichsten Gattung weiter getrieben? *) Auch die Excesse der Tafel und das Trinken über Bedürfniß und Vermögen, das unsern biderben Vorfahren von den nüchternern Ultramontanen ehedem so sehr vorgewurfen wurde, gieng zu Sokrates Zeiten bey den eleganten Atheniensern so sehr im Schwange, daß der Weiseste unter den Weisen selbst einmal (und wer weiß ob nur dies einzigemal?) sich nicht erwehren konnte mit den Wölfen zu heulen, und über seine Mitzecher keinen andern Vortheil erhalten konnte, als daß er, während daß die übrigen weggetragen werden mußten, auf seinen eignen Füßen nach Hause taumelte. — Und können wir uns nicht aus dem 10

Hippokrates belehren, daß (die Pocken ausgenommen) beynahe alle Krankheiten der heutigen Europäer, auch unter diesen angeblich schönern Menschen regiert, und den Ärzten so viel zu schaffen gemacht haben als bey uns? Man könnte vielleicht sagen: die Griechen hätten diesen Vorzug der Schönheit wenigstens in der Zeit, da ihre Sitten und Lebensart noch reiner und einfältiger gewesen, behauptet. Aber es ist wider die Erfahrung, daß die Schönheit mit der Einfalt der Lebensart und Sitten in gleichem Verhältniß gehe. Wäre dies, so müßt’ es nirgends schönere Menschen geben, als in den kleinern Schwäbischen Reichsstädten, wo beydes sich noch bis diesen Tag in hohem Grade erhalten hat. Ü b e r l i n g e n , Wa n g e n , B u c h h o r n , B o p f i n -

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g e n , P f u l l e n d o r f , u. s. w. müßten die großen Tempel der Schönheit und die Akademien seyn, wohin unsre Künstler, um die schöne Natur zu studiren, wallfahrten müßten. Ich berufe mich aber auf die wackern Einwohner dieser kleinen Republiken selber, ob sie von dieser Seite auf einigen Vorzug Anspruch machen? — Wenn es sich aber auch so verhielte, was bewiese dies für den Satz: daß die Ideale der Griechischen Künstler nur Kopien der sie umgebenden schönen Natur gewesen? — Als die größten Bildner und Mahler sich in Griechenland hervorthaten, wo war da die Einfalt und Reinheit ihrer alten Sitten? Eine Zeitlang machte Sparta noch eine Ausnahme; und gerade zu Sparta gab es ja keine Künstler als — Harnischmacher und Waffenschmidte.

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Aber nicht nur s c h ö n e r e — auch b e s s e r e M e n s c h e n als das heutige Menschengeschlecht sollen die Griechen in dem goldnen Jahrhundert ihrer Kunst gewesen seyn? — Bessere Menschen? Und wer sagt uns das? Etwan Platon, Xenophon, Thucydides, Demosthenes, Plutarch? Männer vom ersten *)

Wer daran zweifelt, kann sich vom A r i s t o p h a n e s belehren lassen.

Gedanken über die Ideale der Alten. III.

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Rang, die ihre Nation gewiß besser kannten als wir, und Patrioten genug waren, um ihr kein Unrecht zu thun. — Wahrlich der Begriff, den wir von der sittlichen K a l o k a g a t h i e der Griechen aus d i e s e n , und überhaupt aus allen ihren Schriftstellern nach der großen Epoke des Medischen Krieges, bekommen, sagt ganz was anders. — Nach den Sitten, die uns im H o m e r so wohlgefallen — oder, nach einer kleinen Anzahl durch Jahrhunderte zerstreuter sehr vortreflicher Menschen — oder nach einigen guten politischen Gebräuchen, Gesetzen und Instituten — wird man doch nicht die ganze Nation günstiger beurtheilen wollen als Andre? Wo ist ein civilisiertes Volk im heutigen Europa, das seit drey- oder vierhundert Jahren nicht eine beträchtliche

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Anzahl sehr vortreflicher Menschen hervorgebracht hätte? Wie fruchtbar war an solchen nur allein die Zeit von Ferdinand und Isabella in Spanien? die Zeit Ludwig des XI. und Franz I. in Frankreich? die Zeit Heinrich VIII. und der K. Elisabeth in England? die Zeit Maximilians I. und Karl V. in Teutschland? — Oder mangelts etwan in unsern monarchischen sowohl als freyen Staaten an Gesetzen, Einrichtungen und Anstalten, die wir der Griechen ihren kühnlich entgegensetzen dürfen? Es ist, denke ich, gar keine Frage, daß die Polizey in den meisten Griechischen Städten unvollkommener war, und bey ihrem ewigen Schwanken zwischen Monarchie, Oligarchie und Demokratie, schlechter seyn m u ß t e , als heutigstages in jeder mittelmäßigen Stadt in

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Teutschland. Und was die Sitten der Homerischen Zeiten betrift, diese waren, bekanntlich, in gewissen Zeitpunkten die Sitten jedes Volkes in der Welt. — Von diesen Seiten also kann man, däucht mich, den Griechen keinen beträchtlichen Vorzug eingestehen — Aber, vielleicht war das, was man den Urstoff und die Grundanlage der Menschheit nennen kann, besser bey ihnen als bey andern? — Es wäre der Mühe werth, wenn jemand dies erweisen wollte. Bis dahin halte ich mich an das, was ich weiß. Die Griechen waren als sittliche Menschen betrachtet, ein noch sehr rohes und allen Excessen der wildesten Leidenschaften überlassenes Volk, als die Geschichte ihrer kleinen Könige den spätern Theaterdichtern zu Athen Stoff zu so vielen hundert Tragödien gab. Und als, in der Folge, nach ihren Siegen über den Xerxes, Handelschaft und Reichthum ihre Lebensart verfeinerte, die Ungleichheit vergrößerte, die Begierden erhizte u. s. w. wurden sie (wie alle Völker der Welt unter gleichen Ursachen) an Denkart und Sitten, Seele und Leib, nach und nach in sehr kurzer Zeit ein so heilloses Volk, als irgend ein Europäisches es itzo ist. Ich berufe

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mich, wegen des Beweises dieser Beschuldigung — nicht auf den A r i s t o p h a n e s , (wiewohl seine Komödien als historische Urkunden von der schändlichen Verdorbenheit der damaligen Griechen, besonders der Athenienser, gewiß nicht zu verwerfen sind) sondern auf alle übrigen, weniger unreinen Quellen unsrer Kenntniße von diesem so übermäßig erhobenen Volke. Ich ersuche zu bemerken, daß ich hier nicht von a l l e n Griechen — sondern eigentlich und besonders von denen spreche, die sich durch Liebe der Künste und Verfeinerung des Geschmacks und der Sitten am meisten hervorgethan haben. Bleiben wir nur bey den Atheniensern stehen, die den Ton angaben! 10

Eine feine Zucht b e s s e r e r M e n s c h e n zu den Zeiten, da sie sich bald von dem G e r b e r K l e o n , bald von dem W i l d f a n g A l c i b i a d e s mißregieren, bald von den S p a r t a n e r n und ihren d r e y ß i g Ty r a n n e n wie ein Pack feiger, nervenloser, sich nicht zu helfen wissender Memmen m i ß h a n d e l n ließen! — Und was braucht es weitern Zeugnißes dessen was sie waren, als die Art wie sie sich ihre besten Männer, vom M i l t i a d e s bis zum P h o c i o n , vom Halse geschaft haben? — Kann man nach so oft wiederholten Proben in der nehmlichen Art noch zweifeln, daß der Charakter dieses Volkes nicht weniger leichtsinnig, auffahrend, wankelmüthig, ungerecht, undankbar, gewaltthätig, und also wenigstens nicht besser gewesen als der Charakter irgend eines

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Pöbels in der Welt: so erwäge man nur die schändliche Art, wie sie die Reste ihrer Freyheit endlich gegen den Philippus verlohren; und die noch zehnmal schändlichere Art, wie sie sich, nach Alexanders Tod, gegen einen A n t i g o n u s , D e m e t r i u s P o l i o r c e t e s u. s. w. betragen haben *). Man hat keinen Begriff von einem tieffern Grad der Niederträchtigkeit. — Aber so mußte ein Volk seyn, das den edelsten und besten Mann seiner Zeit ( P h o c i o n ) mit dem kältesten Blute hinrichten ließ, um sich etliche Jahre drauf von dem sittenlosesten schändlichsten Kerl seiner Zeit, einem S t r a t o k l e s , und von andern Sykophanten seines gleichens, beherrschen zu lassen! Ich sage nicht, daß das Volk zu Athen um dieser und aller seiner übrigen unzähligen Mißthaten, Thor-

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heiten, Bübereyen und Brutalitäten willen s c h l i m m e r gewesen sey als andrer Pöbel — aber ich sehe auch nicht, warum sie mit solchen Eigenschaften und bey einem solchen Betragen besser sollten gewesen seyn als andrer Pö*)

Man lese den P l u t a r c h im Leben des D e m e t r i u s , und vergesse nicht, daß Plutarch einer

von den Alten ist, die am meisten Gutes von den Atheniensern gesagt haben.

Gedanken über die Ideale der Alten. III.

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bel — oder warum wir, in Vergleichung mit ihnen, verdienen sollten, H e f e d e r Z e i t , genannt zu werden — Und von wem? — Von einem bessern Menschen, als vielleicht im ganzen Gräcien, selbst in der Epoche seiner besten Menschen, je einer gewesen ist! — Doch genug, und vielleicht schon zu viel, um zu zeigen, warum ich mich nicht überreden kann, daß die großen Bildner der Griechen bloß dadurch fähig gemacht worden, ihre sogenannten Ideale hervorzubringen, weil sie von einer höhern, vollkommnern Natur, von schönern und bessern Menschen umgeben gewesen.

IV. Was war es denn also — da doch kein Mensch nichts überall ganz e r s c h a f f e n

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kann — das sie fähig machte schönere Werke hervorzubringen, als, nach der gemeinen Meynung, irgend einer von den neuern Künstlern vermögend gewesen ist, oder gewesen seyn soll? — — Ehe ich meine Gedanken über diese Aufgabe sage, muß ich die Frage selbst ein wenig anders wenden. Ich weiß zu wenig davon, in wie fern die Werke der alten Griechischen und der neuern Europäischen Kunst so genau und unbefangen haben verglichen werden können, und würklich verglichen worden sind, daß man mit Gewißheit sagen könnte: die Kunst habe nie etwas reiners und vollkommners hervorgebracht als die Griechischen Ideale. Ich wenigstens kann darüber nichts aus eignem Gefühl sagen. Die Mediceische Venus, der Vaticanische Apollo, der Ganymed,

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u. s. w. stehen hier, wenigstens in schönen Gipsabgüssen, vor mir — und dies ist, in Ermanglung der Originale, doch etwas: Aber von den herrlichsten Werken der neuern Bildhauer hab ich gar nichts, das mir zur Vergleichung dienen könnte — Und überdem finden sich verschiedene Ursachen, warum eine solche Vergleichung immer zum Nachtheil der Neuern ausfallen muß, und gleichwohl zum Vortheil der Alten nichts entscheidet — wie man in der Folge sehen wird. — Ich stelle also die Frage lieber so: Woher mag es wohl gekommen seyn, daß Griechische Künstler diese schönen Werke, die man I d e a l e zu nennen pflegt, hervorbringen konnten, und was ist es eigentlich, weswegen ihnen dieser Nahme zukömmt? Mir däucht, man hat Unrecht, bey Effecten von so sehr zusammengesetzten Ursachen, als die Werke der Götter und der Menschen sind, Alles immer nur

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auf Ein Prinzipium reduzieren und aus Einer Ursache erklären zu wollen, was immer das Resultat von vielen ist. Es ist freylich die kürzeste Art sich aus der Sache zu ziehen. Aber man verfehlt auch die Wahrheit fast immer auf diesem Wege. Mehrere Ursachen, mehrere Umstände kamen zusammen, diesen Idealen, wovon die Rede ist, das Daseyn zu geben — zu machen, daß sie gerade so und nicht anders wurden. Die Natur thats nicht allein — die Gelegenheit sie zu studieren thats nicht allein — der Genie des Künstlers — die Liebe womit er arbeitete — das Aufstreben nach mehr als menschlicher Schönheit und Größe — der stolze Gedanke etwas der öffentlichen Anbetung würdiges hervor10

zubringen — thats nicht allein: Aber alle diese Ursachen zusammen genommen thatens. — So werden M e n s c h e n ; und so werden auch S t a t u e n !

V. Fürs erste also: — Die Griechischen Künstler hatten unstreitig S c h ö n e Natur vor und um sich — Ob eine s c h ö n e r e a l s d i e U n s r i g e ? — Wer kann dies mit Gewißheit bejahen? oder, mit Gewißheit verneinen? Wie könnten wir die Vergleichung anstellen, daß keinem Theil Unrecht geschähe? — Wenigstens scheint es, aus allen vorangeführten Gründen, ganz und gar nicht wahrscheinlich. Aber was wir mit Gewißheit sagen können, ist dies: Sie hatten mehr Gele20

genheit, mehr Freyheit, die Schönheiten die ihnen die Natur und ihre Zeit darstellte, zu beschauen, zu studieren, zu kopieren — als es die neuern Künstler je gehabt haben — und dies macht einen sehr wesentlichen Punkt aus. Die Gymnasien, die öffentlichen National-Kampfspiele, die Wettstreite um den Preis der Schönheit zu L e s b o s , zu Te n e d o s , im Tempel der Ceres zu Basilis *) in Arkadien; die Ringspiele zwischen nackenden Knaben und Mädchen zu *)

Nach dem Athenäus war ohnweit einer von dem Arkadischen König Kypselos vor Alters am

Alpheus erbauten Stadt ein Tempel und heiliger Hayn der Eleusinischen Ceres, den einige Parrhasische Familien gestiftet hatten. Und von eben diesen rührte auch der Wettstreit um den Preis der Schönheit her, welcher alle Jahre am Feste dieser Göttin daselbst angestellt wurde. Athenäus 30

versichert, dies Institut habe zu seiner Zeit noch gedauret, und man nenne die Frauenzimmer, die um den Preis stritten, Chrysophoros. Aus einer Stelle des P a u s a n i a s (in Arcadicis) schließe ich, daß dieser vom Athenäus nicht benannte Ort, Basilis geheissen. Pausanias sagt, zu seiner Zeit

Gedanken über die Ideale der Alten. V.

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Sparta, in Kreta, u. s. w. — Der berüchtigte Venustempel zu Korinth (dessen junge Priesterinnen zu besingen selbst Pindarus nicht erröthete) die Thessalischen Tänzerinnen, die an den Gastmahlen der Großen nackend tanzten *) — Alle diese Gelegenheiten, die schönsten Gestalten, unverhüllt in der lebendigsten Bewegung, vom Wetteyfer verschönert, in den mannichfaltigsten Stellungen und Gruppierungen zu sehen — mußten die Imagination der Künstler mit einer Menge schöner Formen (denn auch in einerley Art ist das Schöne mannichfaltig) anfüllen, und durch Vergleichung des Schönen mit dem S c h ö n e r n sie desto fähiger machen, sich zur einfachern Idee des S c h ö n s t e n zu erheben. — Außerdem hatte Griechenland, besonders kalai

hëmv Ä n Auhnai, seit dem Institut des weisen

S o l o n **)

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einen Überfluß an Frau-

enzimmern, die von den Renten ihrer Schönheit lebten, und bereit waren, auch zur Beförderung der Kunst das Ihrige beyzutragen. Ein gewisser Aristophanes von Bisanz (der einen Catalogue raisonne´ dieser holden Dienstmädchen der Venus geschrieben) brachte ihrer nur allein aus Athen hundert und dreyßig zusammen, die einen Nahmen hatten; und Athenäus vermehrt diese Anzahl noch durch eine starke Nachlese. Alle diese Nymfen blühten in dem nehmlichen Jahrhundert da die Kunst blühte. Lais, die schönste und berühmteste unter ihnen allen, machte sich eine Ehre daraus (wie uns eben dieser Autor versichert) ihren Hals und Busen den Mahlern zum Modell zu

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leyhen. Daß die schöne T h e o d o t a , die Lieblingsmaitresse des Alcibiades, ehe sie zu diesem Vorzug gelangte, kein Bedenken getragen, „ a l l e s w a s s i e S c h ö n e s h a t t e “ sowohl Mahlern als andern Dilettanten, die von der Gelegenheit profitiren wollten, zu zeigen — erzählt uns X e n o p h o n , ein Augenzeuge; denn ohne Zweifel war er einer von denen, die Sokrates mit sich nahm, als er hingieng diese Schönheit (die Jemand in seiner Gegenwart unbeschreiblich genannt hatte) in Augenschein zu nehmen. Dies oësa kalvw exoi des Xenophon ist in der Thiemischen Ausgabe gar zu ehrbarlich übersezt: „was sie sey nichts mehr davon übrig gewesen als der Tempel und Hayn der Ceres. Des Instituts aber erwähnt er gar nicht. Es muß also nichts sehr berühmtes gewesen seyn. Vielleicht war es eine Art von R o s e n f e s t , woran nur die umliegenden Landmädchen Theil nahmen. Indessen scheint doch das Stillschweigen des Pausanias (wiewohl er ein Zeitgenosse des Athenäus war) nichts gegen die positive Versicherung des leztern, was die Existenz dieses Instituts betrift, zu beweisen. *) **)

Athen. L. XIII. c. 9. S. ebendenselben l c. c. 3.

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mit Anständigkeit zeigen konnte.“ Denn Xenophon sagt dies nicht; so was versteht sich von selbst. Allein damals herrschten in den reichsten und üppigsten Städten Griechenlandes ganz andre, und ungleich losere Begriffe vom Anständigen als bey uns *). So würd’ es, zum Exempel, höchstunanständig und gegen den Respekt des Gerichts befunden werden, wenn ein heutiger Advocat den schönen Busen seiner Klientin entblößen wollte, um die Richter zu einem milden Urtheil zu verführen. Er möchte sich noch so laut auf das Beyspiel des berühmten Atheniensischen Advocaten H y p e r i d e s beruffen, der sich dieses Behelfs bey der 10

schönen P h r y n e mit bestem Erfolg bedient hätte; man würde dies Präjudiz nicht gelten lassen, und er selbst sowohl als seine Klientin würden sich sehr übel dabey befinden, so geneigt auch die Herren des Gerichts ingeheim seyn möchten, sich in einem Tete a Tete von der Gültigkeit der produzierten Evidenz überzeugen zu lassen. In Athen hingegen ärgerte sich kein Mensch an diesem wiewohl ungewöhnlichen Advocatenstreich, und die Dame wurde ohne weitere Untersuchung absolviret. — Im Vorbeygehen kann diese Geschichte auch zum Beweis dienen, daß ein schöner Busen nichts alltägliches zu Athen gewesen seyn muß. — Die Richter (sagt Athenäus) wurden bey dessen Anblick so frappiert, daß sie, v o n e i n e r h e i l i g e n S c h e u (Deisidaimonia)

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ergriffen, es nicht über ihr Herz und Gewissen bringen konnten, eine so schöne Priesterin der Venus zu tödten, u. s. w. *)

Ich finde beym Plinius eine Anekdote, die eine starke Ausnahme hievon zu machen scheint.

Praxiteles, sagt er, hatte zwey Statuen der Venus gemacht; die eine nackend ( und dies war eben die nachmals so berühmte Ve n u s K n i d i a ) die andere bekleidet: er ließ denen von K o s , die eine Venus bey ihm bestellt hatten, die Wahl, und sie wählten die bekleidete, wiewohl der Preis einerley war; s e u e r u m id ac p u d i c u m arbitrantes. Allein dies ist wahrscheinlich nur eine Vermuthung des Plinius. Es ist eben so möglich, daß sie die bekleidete bloß gewählt, weil sie solche s c h ö n e r gefunden. Eine bekleidete Venus, deren schöne Formen unter dem Gewand nichts verliehren, sondern wie dadurch hervorleuchten, ist vielleicht ein grösseres Kunstwerk als eine nackte. Wenn 30

die nachmals so berühmten Seidenfabriken der Inseln Kos und Keos, wo diese feinen Stoffe gearbeitet wurden, die den Damen (nach dem Ausdruck des Plinius) die Bequemlichkeit verschaften, nackendgekleidet zu seyn, damals schon vorhanden waren, so würde meine Vermuthung desto wahrscheinlicher. Wie dem aber auch seyn mochte, die K n i d i e r nahmen herzlich gerne mit der nakten Venus fürlieb, die ihnen die K o e r gelassen hatten, und befanden sich so wohl dabey, daß, als der König Nikomedes sich erbot, alle Schulden ihrer Stadt (die sehr groß waren) zu bezahlen, wenn sie ihm ihre Venus dafür geben wollten: sie sich erklärten, sie wollten es lieber aufs äusserste ankommen lassen.

Gedanken über die Ideale der Alten. V.

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Da die Rede hier von Phryne ist, erinnere ich mich einer andern Anekdote, die von ihr erzählt wird, und aus welcher ein historischer Beweis für die Meynung, die ich bestreite, gezogen werden könnte. „ P h r y n e war (wie der angezogene Autor versichert) vorzüglich an denen Theilen schön, welche bedeckt werden; auch war es nichts leichtes, etwas von ihr entblößt zu sehen; denn sie pflegte sich so knapp zu kleiden, und so stark einzuhüllen, daß nicht das mindeste von der bloßen Haut sichtbar werden konnte, badete sich auch niemals in öffentlichen Bädern *)“ — Indessen fand sie doch einst für gut, eine Ausnahme von dieser Regel zu machen, und an einem Feste des Neptuns zu Eleusis den mystischen Schleyer von sich zu werfen, um eine unendliche Menge Au-

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gen auf einmal zum Anschauen dieser geheimen Schönheiten, die sie sonst so sorgfältig vor profanen Blicken zu verbergen pflegte, zuzulassen. Unverblümt von der Sache zu sprechen — die Nymfe stieg vor allem Volk nackend ins Meer, und nackend wieder heraus; und nach dem Modell, das sie bey dieser Gelegenheit den Griechischen Künstlern gab, arbeitete P r a x i t e l e s , einer von ihren begünstigten Liebhabern, die nachmals so berühmte K n i d i s c h e Ve n u s . Dies sagt A t h e n ä u s ausdrücklich; aber wenn er etwas anders damit sagen wollte, als d a ß P h r y n e d a s M o d e l l w a r , v o n d e m s i c h P r a x i t e l e s z u s e i n e m I d e a l d e r L i e b e s g ö t t i n e r h o b ; wenn seine Meynung war, Praxiteles habe e i n B i l d d e r P h r y n e f ü r e i n e Ve n u s a u s g e g e -

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b e n : so behaupt’ ich, diese Anekdote verdiene nicht um ein Haar mehr Aufmerksamkeit, als so viel tausend andre verdächtige Histörchen, womit man sich zu allen Zeiten, und in dem l ü g e n h a f t e n G r ä c i e n mehr als sonst irgendwo, über berühmte Personen und ihre Werke, Handlungen, oder geheime Geschichte, zu tragen gewohnt gewesen ist. Die Verderbnis der Sitten war damals noch nicht so groß, daß die Welt so etwas als eine m a h l e r i s c h e L i c e n z hätte paßieren lassen. Wenn gleich (nach dem Ausdruck eines Römischen Dichters) ganz Griechenland vor der Thüre einer Lais oder Phryne *)

Dies ist, treulich und ohne Gefährde, der Sinn des Athenäus, beynahe wörtlich übersezt.

Wer sollte sich nun als möglich vorstellen, daß Herr G e o r g O g l e , E s q u . diese Stelle so wie folget hätte verfälschen können? — „Auch war es nicht leicht, sie o h n e E m o t i o n nackend zu sehen; und i n R ü c k s i c h t d e s s e n war ihr von Obrigkeits wegen verboten, sich eines öffentlichen Bades zu bedienen.“ S. dessen C o l l e c t i o n o f G e m s , p. 76. O des weisen Mannes, der sich keine andere Ursache denken konnte, warum Phryne nicht öffentlich badete, als weil es ihr von löblicher Polizeydirection verboten worden!

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lag, so hatte man doch noch die gehörige Empfindung von der Vermailigung, die solchen Kreaturen anklebt; und eben diese D e i s i d ä m o n i a der Griechen, die sich ein Gewissen daraus machte, den schönen Busen der Phryne zu zerstören, und sich dadurch an der Venus, in deren Diensten sie gleichsam war, zu versündigen, würde es noch weniger haben ertragen können, die Werkzeuge ihrer Unenthaltsamkeit auf Altäre gestellt und in Gegenstände der öffentlichen Andacht verwandelt zu sehen. Doch, wir brauchen uns hier nicht mit Vermuthungen aufzuhalten, da wir ein Zeugnis eines Augenzeugen haben, das dem Vorgeben des Athenäus — der nur von Hörensagen schrieb — 10

deutlich genug widerspricht. P a u s a n i a s erzählt ausdrücklich, *) „man sehe zu Thespiä eine Ve n u s und e i n e P h r y n e von Marmor, beyde von der Arbeit des P r a x i t e l e s . “ — Diese beyden Statuen waren also verschieden genug, um — die eine für ein Bild der Schönheitsgöttin — die andre für das Bild der Phryne erkannt zu werden. Hätte Praxiteles je im Sinne gehabt, seiner Geliebten die Ehre der religiösen Anbetung zu verschaffen, so hätte er sie gewiß nicht den Knidiern für eine Ve n u s , und den Thespiern für das was sie war, für P h r y n e , verkauft. Viele Fremden, die nach Knidos reiseten um seine Venus zu sehen, hätten wohl auch schon seine Phryne zu Thespien gesehen, und das Qui pro quo wäre folglich nicht lange unentdeckt geblieben. Ganz

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Griechenland hätte bald gewußt, daß diese Knidische Göttin, die man unter die höchsten Wunder der Kunst zählte, weiter nichts als ein Bildnis der Courtisane Phryne sey; die Thespier hätten sich rühmen können, d a s w a h r e O r i g i n a l dieser vorgeblichen Venus zu besitzen; die Knidier würden sich haben schämen müssen, ihre Kopie in einem der berühmtesten Tempel der Liebesgöttin aufzustellen, und die Andacht der guten Griechen mit der profanen Nudität einer öffentlichen Metze zu betrügen; und, als in der Folge der König Nikomedes ihnen eine ungeheure Summe um ihre Venus anbieten ließ, würden sie gewiß keine Thoren gewesen seyn, Nein zu sagen. Ich weiß wohl, daß eben diese Phryne auch dem Apelles gesessen haben soll,

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da er seine berühmte Venus A n a d y o m e n e mahlte; wiewohl andre sagen, daß die schöne Perserin C a m p a s p e (von der bey dieser Gelegenheit ein bekanntes Histörchen erzählt wird) zum Modell dabey gedient habe. Gesezt aber auch, daß dies im strengsten Sinn der Worte zu nehmen wäre, so ließe sich *)

in B o e o t i c i s cap. 27.

Gedanken über die Ideale der Alten. V.

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davon kein Schluß auf die Götterbilder der Bildhauer machen. Denn es ist (wie W i n k e l m a n n bemerkt hat) nicht zu erweisen, daß Gemählde jemals zu Gegenständen der Religion und öffentlichen Andacht bey den Griechen gedient haben. Was ich für die Knidische Venus gegen das Vorgeben des Athenäus angeführt habe, kann also mit gutem Fug für alle berühmten Bilder der Götter und Götterkinder gelten. Wenn irgend etwas Evident ist, so ists dies: daß Künstler, die sich vermessen hätten, G ö t t e r darzustellen, und nichts bessers als K o p i e n und K a r i k a t u r e n (wie Hr. L . sagt) e i n z e l n e r M e n s c h e n , also, unvollkommener Individual-Naturen, hervorgebracht hätten, den Nahmen

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großer Meister nie erlangt haben könnten; und daß die Griechen, die sich ihre Zeitgenossen und Landsleute, wohlberühmte Kriegsmänner, Athleten, oder — Cinäden, Alcibiaden, Phrynen, u. s. w. für Götter und Göttinnen hätten aufbinden lassen, entweder keine Augen gehabt haben müßten, oder — Doch wir wollen uns nicht ereyfern! Die Wahrheit spricht so stark für sich selbst, daß wir, ohne ihren mindesten Nachtheil, ganz gelassen bleiben können.

VI. Man sieht daß ich — bevor ich glaube etwas positiveres über die Idealischen Werke der Griechischen Künstler sagen zu können — die Frage, um deren Beantwortung es zu thun ist, durch zwoo Einschränkungen näher bestimme.

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Die Rede nehmlich ist nur von Bildern der Götter und Heroen — und auch unter diesen nur von solchen, die das Alterthum mit vorzüglicher Bewunderung aus der unendlichen Menge ihrer Kunstwerke ausgehoben hat; nicht von a l l e n , die auf unsre Zeiten gekommen sind — nicht von den Werken a l l e r g u t e n M e i s t e r , am allerwenigsten von solchen, die würklich B i l d n i s s e e i n z e l n e r Menschen seyn s o l l t e n — wie z. Ex. der P e r i k l e s des Phidias, der A l e x a n d e r des Lysippus, die P h r y n e des Praxiteles, die Statuen der Sieger in den Kampfspielen u. s. w. — Von diesen mag, ohne Zweifel, mehr oder weniger gegolten haben, was Hr. L . von allen Abbildungen einzelner Natur sehr richtig sagt: daß sie immer u n w a h r , eine Art von K a r i k a t u r , höchstens A p p r o x i m a t i o n sind. — Bilder der Götter und Halbgötter hingegen — derer Urbilder kein Mensch mit Augen gesehen hatte — mußten nach

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einer ganz andern Regel gemacht und beurtheilt werden. Diese sind, in Rücksicht auf den Gegenstand, ihrer Natur nach unwahr — werden aber desto u n w a h r e r , je mehr sie sich der einzelnen Menschheit nähern. Bey ihnen hat keine Approximation statt — weil keine Vergleichung des Bildes mit dem Urbild statt findet. Alles kömmt bloß auf d e n E i n d r u c k an, den sie auf den Menschen der sie anschaut, besonders auf den der sie mit r e l i g i ö s e n D i s p o s i t i o n e n anschaut, beym ersten Anblick machen. Wird dieser so dadurch getroffen, daß ihn ein heiliger Schauder befällt, daß er unter der menschlichen Hülle — etwas mehr als m e n s c h l i c h e s , mehr als h e r o i s c h e s — daß 10

er den g e g e n w ä r t i g e n G o t t zu fühlen glaubt — was kann die strengste Forderung des Kunstliebhabers mehr verlangen? Der Priester wenigstens fodert nicht mehr. Der Künstler selbst hat seine stolzeste Absicht erreicht — er hat das Äusserste gethan, was der menschlichen Natur erlaubt war. Allein, daß dies der Fall a l l e r oder nur der m e i s t e n Künstler, welche Götter bildeten, gewesen sey, ist mehr als ich jemals behaupten möchte. Der einzige vielleicht, von dem wir mit dem höchsten Grade von Gewißheit, der in solchen Dingen statt findet, sagen können, daß seine Götterbilder aus der erhabensten Begeisterung, aus einer wahren oërmh epi thn toy kalloyw axranton

idean, *) entstanden seyen, war P h i d i a s — der Freund und Liebling des Pe20

rikles, und der Ausführer seines großen Entwurfs — Athen zur schönsten Stadt der Welt zu machen. Sein J u p i t e r O l y m p i u s , das vollkommenste und bewundernswürdigste was jemals Menschenhände geschaffen haben (wie C i c e r o aus dem Mund einer ganzen Welt sagt) erschien unter den Griechen, wie eine auf einmal vor ihren Augen stehende Gottheit, durch nichts vorgehendes angekündigt, durch nichts folgendes erreicht, — in einer Vollkommenheit, von der uns keine Beschreibung eines Pausanias, keine aus den Trümmern des zerstörten Alterthums hervorgegrabne Bilder nur den Schatten einer Vorstellung geben können. Nur aus den W ü r k u n g e n , die der Anblick dieses herrlichen Werkes auf alle Menschen machte, können wir auf die Vor-

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treflichkeit desselben s c h l i e ß e n — Aber was ist Schließen gegen Schauen? — Alle alten Schriftsteller, auch die weisesten und kaltblütigsten, reden mit Entzücken davon. D i e R e l i g i o n s e l b s t , sagt Quintilian, s c h e i n t d a durch ein neues Gewicht bekommen zu haben, so ganz stellte *)

L u c . in C h a r i d e m o .

Gedanken über die Ideale der Alten. VI.

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d i e M a j e s t ä t d i e s e s We r k e s d e n G o t t d a r . *) — Und noch zu E p i k t e t s Zeiten reisete man nach Olympia, um den Jupiter des Phidias zu sehen, und zu sterben ohne es in seinem Leben gesehen zu haben, wurde für ein Unglück gerechnet — sind die eignen Worte dieses weisen Mannes, auf den kein Verdacht einer Vergrößerung fällt. Ich weiß nicht ob man von dem Werk eines Menschen was größers als diese beyden Züge sagen kann. Aber mich däucht, es ist genug um uns zu überzeugen, daß C i c e r o , **) der es selbst gesehen, nicht zu viel gesagt habe, wenn er mit dem Ton der Gewißheit von dem Werkmeister desselben sagt: Auch hatte dieser Künstler, da er den Jupiter oder die Minerva bildete, niemand vor sich, den er anschaute, und nachbildete; son-

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dern in seiner Seele saß irgend eine herrliche Idee von Schönheit, auf die sein inneres Auge geheftet war, und nach deren Zügen seine Hand arbeitete. ***) Was diese I d e e war, ob ein G e s p e n s t , eine E r s c h e i n u n g a u s d e r i d e a l i s c h e n We l t — oder eine n e u e S c h ö p f u n g s e i n e r e d l e n D i c h t e r k r a f t — oder eine Z u s a m m e n s c h m e l z u n g v o n g e s e h e n e n W ü r k l i c h k e i t e n , von den schönern und bessern Menschen, die er vor sich hatte, oder was es sonst etwa seyn mochte — davon unten, so viel ich davon sagen kann. Genug, es war weder K o p i e noch K a r i k a t u r i n d i v i d u e l l e r N a t u r , und konnt’ es nicht seyn, oder diese schönern und edlern Menschen, die mit Schaudern den Vater der Götter darinn erkannten, hatten nicht einmal

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gemeinen Menschensinn.

VII. Nach den Begriffen, die ich aus den Nachrichten und Urtheilen der Alten von ihren berühmtesten Bildhauern bekomme, denke ich mir viererley Arten von *)

Daß es nicht nur auf den großen Hauffen, sondern selbst auf die größten Menschen diesen

Effekt gemacht, sehen wir auch aus dem Beyspiel des Römischen Feldherrn P a u l u s A e m i l i u s , von dem uns Livius sagt: Olympiae et alia spectanda visa, et I o u e m , v e l u t p r a e s e n t e m intuens a n i m o m o t u s e s t . Lib. XLV. c. 20. **)

Nec vero ille Artifex cum faceret Iouis formam aut Mineruae contemplabatur aliquem, e

quo similitudinem duceret: sed ipsius in mente insidebat species pulchritudinis eximia quaedam, quam intuens in eaque defixus ad illius similitudinem artem et manum dirigebat. C i c . Orat. c. 2. ***)

Das nehmliche sagt auch Plotinus. Enead. V. l. 8.

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Werke, die in der w e i t e s t e n Bedeutung des Worts, i d e a l i s c h heissen können, und die man, um etwas richtiges über die Idealen der Alten zu sagen, genau unterscheiden muß. Die e r s t e war eben diese animo insidens species eximia pulchritudinis, diese von der Natur selbst, auf eben die geheimnißvolle unerklärbare Weise wie sie alles zeugt, gebohrne, oder wie von einem Gott eingehauchte Idee, nach welcher P h i d i a s seine Minerva zu Athen, seinen Jupiter zu Elis arbeitete. — Da so wenig von den Meisterstücken des ältern Griechenlands auf uns gekommen, und diejenigen, die noch vorhanden und deren Urheber meistens unbe10

kannt sind, uns wenig helfen können, über jene die längst zerstört worden oder vielleicht noch izt tief begraben liegen, etwas zuverläßiges zu sagen: so würde es Verwegenheit seyn, die Künstler nennen zu wollen, die vielleicht in dieser ersten Klasse einen Platz zunächst an Phidias fodern konnten. Gehörte ein Alkamenes, ein Myron, ein Skopas unter diese? — Ich weiß nichts davon. Vielleicht waren es nur einzelne Werke, die in dieser höchsten Begeisterung auch des höchsten Grades der Schönheit theilhaftig wurden. *) — Vielleicht gehörten sogar manche Werke des Phidias selbst nicht in diese Klasse. — Vielleicht — doch wozu helfen uns alle diese vielleicht? Vielleicht war nur Ein Phidias, wie nur Ein Homer, Ein Shakespear — und vielleicht nur Ein Jupiter

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Olympius wie nur Eine Ilias, nur Ein Hamlet. —

VIII. Ungleich zahlreicher an Künstlern und fruchtbarer an Werken war die z w o o t e Classe, an deren Spitze ich den P o l y k l e t u s von Sicyon setze, einen Bildhauer, der bekanntermaßen wenige Olympiaden nach dem Phidias blühte. Dieser Künstler war der Erfinder des berühmten K a n o n s , einer Statue die diesen Namen deswegen erhielt, weil sie seinen Schülern, und vermuthlich auch ihm selbst, zur Regel des wahren Ebenmaaßes und der vollkommnen Schönheit menschlicher Gestalt diente, und um dessentwillen Plinius von ihm sagt: solus hominum a r t e m i p s a m fecisse a r t i s opere judicatur — ein 30

Ausspruch, in welchem mehr Sinn liegt als die witzelnde Wendung beym er*)

Wie z. Ex. die A l k m e n a und S o s a n d r a des Kalamis, die N e m e s i s des Agorakritus, u. a.

Gedanken über die Ideale der Alten. VIII.

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sten Anblick vermuthen läßt. — War dieser Kanon selbst ein Ideal von der ersten Klasse? oder war es nur ein A b s t r a c t u m , aus Vergleichung vieler einzelnen schönen Gestalten mit verständiger Wahl des Schönsten von der Natur abgezogen, und nach eignem Urtheil und Gefühl wieder zusammengesetzt, wie Zeuxes seine Helena aus den zusammengegatteten schönsten Theilen vieler einzelner schöner Mädchen, die vor ihm saßen, herausbrachte *) ? Höchst wahrscheinlicher Weise das lezte. Polykletus, so ein großer Künstler er war, scheint kein G e n i e gewesen zu seyn, der sich mit einem Phidias messen konnte. Das irrige Vorgeben, das so manche einander auf Treu und Glauben nachgeschrieben haben, als ob die von Phidias angefangne Kunst

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durch ihn zum höchsten Gipfel der Vollkommenheit gebracht worden, ist aus dem Mißverstande einer Stelle des Plinius und aus Verwirrung der griechischen Wörter Torneutice und Toreutice entstanden. **) Q u i n c t i l i a n , ein Mann von Gewicht in allen Sachen des Geschmacks, macht den F l e i ß und die E l e g a n z zum unterscheidenden Vorzug des Polykletus, und dies zeugt immer mehr von Kunst und Geschmack als von Genie. Er bildete fast lauter jugendliche Formen, und seine Werke hatten, außer der Schönheit des Ebenmaaßes, noch das Glatte und Vollendete, das dem ungelehrten Auge so wohl gefällt. Daher kam es vermuthlich, daß seine A m a z o n e n lange Zeit hernach in einem Bildhauer-Convent der Amazone des Phidias selbst vorgezogen wurde. ***)

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Die gemeine Meynung setzte ihn über alle seine Vorgänger, aber man

tadelte den Mangel der Stärke an ihm — deesse p o n d u s putant — und aus dem Sinn der ganzen Stelle des Quinctilians ist ziemlich klar, daß dies mehr sagen wollte als nur e i n e e m p f i n d l i c h e r e A n d e u t u n g d e r T h e i l e — wie W i n k e l m a n n ****) meynt; von dem ich mich hier, nicht ohne Schüchternheit, entfernen muß, da im Grunde alles das Große was er vom Polyklet als einem e r h a b e n e n D i c h t e r in seiner Kunst sagt, bloß H y p o t h e s e ist. Denn, spricht er als Geschichtschreiber — wo sind seine Zeugniße? — oder als Augenzeuge — wo sind die Werke des Polykletus? Seine Colossalische Juno zu Argos war weltberühmt, und dem Q u i n c t i l i a n gewiß unverborgen. Dennoch, sagt dieser, man hätte gefunden, d a ß e r d i e g ö t t l i c h e W ü r d e u n d *)

Von dieser Art von Idealen, die meine v i e r t e ist, wird weiter unten mehr die Rede seyn.

**)

V. S a l m a s . in Solin. p. 735. C.

***) ****)

Plin. L. 34. c. 8. S. G e s c h . d e r K u n s t . S. 652. u. f. nach der Wiener-Ausgabe.

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G r ö ß e n i c h t z u e r r e i c h e n g e w u ß t h a b e — Deorum autoritatem non expleuisse — da hingegen Phidias glücklicher in Göttern gewesen als in Menschen — Phidias Diis quam hominibus efficiendis melior artifex — Selbst die Wahl seiner Subjecte zeigt einen Genie von minderer Kühnheit und Stärke. Denn es bleibt doch immer wahr, daß es weit weniger über die gewöhnliche Menschenkraft ist, schöne, jugendliche, schwebende Formen, einen Diadumenum m o l l i t e r j u u e n e m , und einen Doryphorum v i r i l i t e r p u e r u m , — als den Vater der Götter und Menschen in seiner ganzen Majestät darzustellen. Man sieht häuffig Jünglinge von beyderley Art, und sie zu ver10

schönern, braucht man nur das i n d i v i d u e l l e w e g z u l a s s e n ; aber man sieht nirgends kein Original zu einem Jupiter Olympius. — Schon aus diesem Grunde scheint es mir nicht sehr wahrscheinlich, daß der K a n o n , oder Doryphorus des Polykletus ein Ideal vom ersten Rang, oder von derjenigen Art, die ich aus I n s p i r a t i o n entstanden nennen möchte, gewesen sey. Er stellte einen Jüngling just in der Grenze vom Knaben zum Manne vor — so schön als ihr wollt — aber weder einen Göttersohn, noch einen Gott. Wozu hier die höchste Begeisterung? oder wie war diese bey einem solchem Werke nur möglich? Also vielmehr ein Werk der Abstraction und Wiederzusammensetzung — aus dem schönsten in einzelnen schönen Formen entstanden, mit dem

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Zirkel in der Hand abgemessen, mit architektonischem Auge und fester Künstlerhand vollendet. — Wie dem aber auch war, genug dieser selbst idealische Doryphorus wurde das Urbild, wornach eine Menge folgender Künstler Götter und Menschen machten. Was den Neuern vorgeworfen wird, daß sie Bildsäulen n a c h B i l d s ä u l e n kopierten — Schatten von Schatten — traf also schon viele alte griechische Künstler in vollem Maas — und es ist leicht zu begreiffen, daß die Kunst bey dieser Methode mehr verlohren als gewonnen habe. Polykletus selbst scheint sich bey seinen übrigen Werken zu sehr an seinen Kanon gehalten zu haben. Daher die Einförmigkeit die ihm Va r r o *) vorwarf, daß sie fast alle nach einerley Modell, paene ad u n u m e x e m p l u m ,

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gemacht seyen — sogar bis auf die s c h w e b e n d e S t e l l u n g , woraus die Furcht sich von seinem Modell zu entfernen ziemlich stark hervorscheint — Daher auch der Vorzug, den man dem M y r o n gab, weil er mehr Manchfaltigkeit in seine Werke gebracht — n u m e r o s i o r in arte quam Polycletus. — *)

Plin. l. c.

Gedanken über die Ideale der Alten. VIII.

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Die nach dem Kanon des Polykletus gebildete Werke also machen das aus, was ich meine zwoote Klasse von Idealen nenne — und ich brauche nicht hinzuzusetzen, die unbedeutendste unter allen. W. Das übrige nächstens.

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Fortsetzung der Gedanken über die Ideale der Alten. (S. voriges Stück, S. 169.)

IX. Unter den Künstlern, welche, nach dem P h i d i a s und P o l y k l e t u s , über alle ihre Zeitgenossen und Nachfolger sich erhoben haben, stehen P r a x i t e l e s und L y s i p p u s oben an, von denen der Erste ungefehr um die 104te, der Andre um die 114te Olympiade geblüht hat. Beyden giebt Q u i n c t i l i a n zum gemeinschaftlichen Unterscheidungszeichen von ihren Vorgängern, daß sie 10

sich der Wa h r h e i t , oder (wie wir zu sagen pflegen) d e r N a t u r , mehr genähert als ihre Vorgänger — ad Veritatem Lysippum et Praxitelem accessisse optime affirmant. Dies optime bezieht sich auf accessisse, wie aus dem gleich folgenden deutlich wird. Denn (sezt Q . hinzu) D e m e t r i u s wird deswegen getadelt, weil er d i e Wa h r h e i t z u w e i t g e t r i e b e n (tanquam nimius in ea reprehenditur) oder, w e i l e r d i e S c h ö n h e i t d e r Wa h r h e i t a u f g e o p f e r t , — d. i. wie man die Worte „Similitudinis quam pulchritudinis amantior “ auch übersetzen kann, w e i l e r s i c h m e h r d e r Ä h n l i c h k e i t a l s d e r S c h ö n h e i t b e f l i s s e n — welches (im Vorbeygehen gesagt) abermals bezeugt, daß die Alten weit entfernt waren, mit H r n . L . zu glauben, ein Kunst-

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werk werde b l o ß d a d u r c h schön, daß es die würkliche individuelle schöne Natur darstelle, und also d e s t o s c h ö n e r , je genauer es sich an die Natur halte. Das optime accessisse will also sagen: Praxiteles und Lysippus hätten sich so nahe an die Natur gedrückt, a l s e s d a s g r o ß e G e s e t z d e r S c h ö n h e i t e r l a u b e n w o l l e n . Ihre Werke waren folglich eine Art von Idealen, die sich von denen ihrer Vorgänger dadurch unterschieden, daß sie mehr Wa h r h e i t d e r N a t u r , mehr L e b e n a t h m e n d e s hatten, einen höhern Grad von T ä u s c h u n g hervorbrachten, mehr m e n s c h l i c h e E m p f i n d u n g einflößten, als jene. Ich glaube aber bey dieser Ähnlichkeit einen sehr beträchtlichen Unterschied zwischen diesen beyden Meistern zu finden, worüber ich mich

Fortsetzung der Gedanken über die Ideale der Alten. IX.

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hier so gut als möglich zu erklären suchen werde. Überhaupt scheint mir, P r a x i t e l e s habe sich mehr dem P h i d i a s genähert, und L y s i p p u s dem Polykletus. Von Jenem besaßen die Thespier einen L i e b e s g o t t , den er selbst für sein vollkommenstes Werk erklärt haben soll. *) Ein S a t y r , der zu Pausanias Zeiten noch in Athen zu sehen war, war nach eben dieser Anekdote, was er selbst, nach jenem, für sein bestes Werk hielt. Der Satyr war von Erzt, der Kupido von dem schönen Marmor, der auf dem Berge Pantelikus in Attika gebrochen wurde. Sehr wahrscheinlich gehörte dieser t h e s p i s c h e A m o r — um dessentwillen allein (wie Cicero sagt) die Fremden Thespien zu besuchen pfleg-

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ten — unter die kleine Anzahl der I d e a l e v o n d e r h ö c h s t e n K l a s s e . Dieser Meynung scheint auch der Dichter S i m o n i d e s **) gewesen zu seyn, von dem die Vier schönen Verse herrühren, die uns die Anthologie aufbehalten ***) und G r o t i u s in vier fast eben so schöne lateinische ****) übersezt hat. Aber eben diese Verse — zumal, wenn sie (wie Athenäus versichert) an dem Fuße der Bildsäule eingegraben stunden — scheinen das Histörchen des Pau*)

P a u s a n i a s erzählt davon folgende Anekdote: „Praxiteles hatte der schönen Phryne die er

liebte versprochen, ihr sein bestes Werk zu schenken. Sie sollte aber selbst auswählen. Phryne, die (wie es scheint) ihrem eigenen Geschmack nicht traute, und gerne gewiß gewußt hätte, welches unter seinen Werken in seinen eignen Augen das beste wäre, redete mit einem Bedienten des

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Künstlers ab, daß er einsmals, da sein Herr den Abend bey ihr zubrachte, in größter Bestürzung angelauffen kam, und die Nachricht brachte, es sey Feuer in seinem Hause ausgekommen, und die meisten seiner Werke seyen schon von den Flammen theils verzehrt, theils sehr beschädiget. O! ich bin verlohren, schrie Praxiteles, wenn mein S a t y r und mein A m o r verdorben sind. Nun hatte Phryne was sie wollte, und Praxiteles gestund ihr d’rauf selbst, sein Amor sey das Schönste seiner Werke.“ A t h e n ä u s erzählt die Sache kürzer, und ist, wie ich glaube, näher an der Wahrheit. Er sagt bloß: Praxiteles habe ihr zwischen seinem Kupido und seinem Satyr die Wahl gelassen, und Phryne habe, wie billig, den Liebesgott gewählt, und ihn nach Thespien, woher sie ge-

Ä n te kanurvpvn Ervw einen Tempel hatte, gestiftet. An bürtig war und woselbst der Tyrannow uev Anekdoten ist immer etwas wahr und etwas falsch. Der Leser mag urtheilen, ob wir so glücklich gewesen, in dieser das Wahre aufzuspüren. **)

Ein Enkel vermuthlich des berühmten Dichters dieses Nahmens; denn dieser war lange vor

der Geburt des Praxiteles schon gestorben. ***) ****)

Athenäus schreibt sie, ohne hinlänglichen Grund, dem Praxiteles selbst zu. Quam bene Praxiteles finxit quem sensit Amorem! De corde exemplum sumserat ille suo ; Meque, mei precium, Phrynae dedit: inde sagittis nil opus est: videar si modo, sat ferio.

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sanias sehr verdächtig zu machen, und diesem Amor einen ganz andern Ursprung zu geben. „Wa s Wu n d e r (sagt der Griechische Dichter) d a ß P r a xiteles den Amor so schön gebildet hat ? er fühlte ihn, und zog d a s U r b i l d (arxetypon) a u s s e i n e m H e r z e n . “ — Wie wahr! wo hätte er auch sonst ein U r b i l d zum Bilde des Liebesgottes finden können? — Man nehme nun noch an, er habe diesen Amor ausdrücklich f ü r s e i n e G e l i e b t e gemacht, und denke dann, daß diese Geliebte d i e s c h ö n e P h r y n e war, und daß es e i n e w i g e s D e n k m a l s e i n e r L i e b e seyn sollte — Wie groß mußte da die B e g e i s t e r u n g seyn, in der seine Seele die I d e e davon e m p f i e n g , 10

und die L i e b e womit er sie a u s f ü h r t e ! Nun ist auf einmal begreiflich warum dieser Amor ein so herrliches Werk wurde; so herrlich, daß man bloß um ihn zu sehen, nach dem Städtlein T h e s p i e n reisete, wie man, um die Majestät des Olympischen Vaters anzubeten, nach Elis — und, im Anschauen der liebehauchenden Schönheits-Göttin hinzuschmelzen, nach Knidus reisete. Und nun ist auch begreiflich, warum dieses Bild der schönen Phryne so h e i l i g war, daß sie es, als ein von dem Gott der Liebe erschaffnes Werk, ihm selbst w i e d e r g e b e n wollte, und jeden andern Ort als seinen ältesten Tempel für dessen unwürdig hielt. — Alle diese Gründe, den Thespischen Amor für ein Ideal der ersten Klasse zu halten, bekommen ein neues Gewicht dadurch —

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daß, wenn Praxiteles irgend einen schönen Knaben seiner Zeit zum Modell genommen hätte, die Griechen viel zu große — Knabenliebhaber waren, als daß sich der Name desselben nicht durch Tradition und Schriften erhalten hätte. Man zeigte zu Plinius Zeiten einen Amor mit einem Blitz in der Hand, von welchem versichert wurde, daß er den A l c i b i a d e s in seinem Knabenalter *) vorstelle. Wäre der Thespische Amor nicht ein völliges Ideal gewesen, so würde man gewiß den schönen Knaben auch genannt haben, der sich hätte rühmen können, das Modell zu einem so bewunderten Werke gewesen zu seyn. Seine Familie und seine Vaterstadt hätten sich gewiß soviel auf ihn eingebildet als auf einen Pentathlischen Sieger in den Olympischen Spielen.

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Eine andre Beschaffenheit aber hatte es mit der K n i d i s c h e n Ve n u s , bey *)

Alcibiades führte in seiner Jugend, wenn er zu Felde zog, einen goldnen Schild, auf dem ein

Blitzewerfender Amor zu sehen war — sagt Plutarch im Leben dieses holden Taugenichts. Dies gab ohne Zweifel einem spätern Bildhauer die Idee von jenem Amor in Gestalt des Alcibiades als Knabe. Der Meister war unbekannt, man muthmaßte aber, daß es S k o p a s oder P r a x i t e l e s seyn müßte. P l i n . XXXVI. S. IV. n. 9.

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welcher Phryne — wie nicht geläugnet werden kann — auf gewisse Weise zum Modell diente; es sey nun, daß Sie den Praxiteles dadurch für seinen Amor, oder der Künstler Sie durch diesen für seine Venus, die er ihr schuldig zu seyn glaubte, belohnen wollen. Ich widerspreche durch dieses Eingeständniß demjenigen nicht, was ich oben gegen den Athenäus oder das Vorgeben „diese Venus sey ein Bild der Phryne gewesen“ behauptet habe; noch räume ich dadurch der Meynung etwas ein, die ich in diesem ganzen Aufsatz bestreite: — aber freylich nicht bestreite — um zu widersprechen, sondern nur insofern ich sie für irrig halte; denn was daran wahr ist, soll ohne Rechthaberey ehrlich zugestanden wer-

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den. — Ich habe oben schon den Unterschied bemerkt, den ich zwischen Vo r b i l d und U r b i l d mache. Die Knidische Venus war keine K o p i e , keine B i l d s ä u l e der Phryne — Praxiteles hatte der leztern mehr als eine gemacht; ausser der, die Pausanias zu Thespien sah, befand sich eine zu Rom, an der die Kenner sowohl den Charakter ihrer Profeßion, als die Liebe, womit der Künstler sie gearbeitet, zu bemerken glaubten *) — auch nicht eigentlich eine i d e a l i s i e r t e Phryne — denn so wär es doch noch immer P h r y n e gewesen, und es sollte eine G ö t t i n seyn, und in einem Tempel aufgestellt die Ehre der Anbetung mit ihr theilen — zwar das Bild einer Ve n u s , aber nicht der Venus P a n d e m o s , sondern der H i m m l i s c h e n Venus (wie L u c i a n in der Apo-

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logie seiner B i l d e r ausdrücklich sagt) und dazu hätte sich doch wohl Phryne selbst ein Gewissen gemacht, das Original zu seyn. — Aber was war es denn, und wozu konnt’ ihm Phryne dabey helfen, wenn es ihr nicht ähnlich sehen durfte? — Ich kann mir noch ein D r i t t e s denken. Phryne, die schönste Figur ihrer Zeit — und seine Geliebte — sollte ihm nur zum M i t t e l dienen, sich vollkommner zu b e g e i s t e r n ; nur zur S t u f f e , von der sich seine Einbildungskraft z u r I d e e d e r G ö t t i n d e r S c h ö n h e i t u n d L i e b e h i n a u f s c h w i n g e n w o l l t e . — Dies war wenigstens s e i n e A b s i c h t ; und wenn er sie (wie es scheint) nicht völlig erreichte, so lag der Fehler — a n d e r L i e b e — an Phrynens Schönheit, die durch die Begierde seiner Imagination und Kunst ein Dementi zu geben ohne Zweifel neue Reitze erhielt — an der Schwachheit und den Schranken der menschlichen Natur. — Daher, däucht mich, erklärt sich auf eine sehr natürliche Art all das Wunderbare, und zum Theil Paradoxe, *)

Plin.XXXIV. p. 654. der Harduin. Ausgabe, die ich hier immer citire.

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was die Alten von den Würkungen dieser Knidischen Venus erzählen. Sie war, wie Plinius sagt, nicht nur das Schönste unter allen Werken des Praxiteles, sondern u n t e r a l l e m w a s m a n a u f d e m g a n z e n E r d e n k r e i s e s e h e n k o n n t e . *) Aber sie flößte nicht nur Erstaunen und Bewunderung, nicht nur Liebe — sie flößte auch B e g i e r d e n ein. A r i s t e n ä t , oder wer der Verfasser der unter L u c i a n s Nahmen fälschlich gehenden L i e b e s g ö t t e r ist, läßt die beyden Jünglinge, deren Reise nach Knidos er in diesem Dialog beschreibt, beym Anblick dieses Bildes beynah von Sinnen kommen, und den einen (sonst einen hartnäckigen Ketzer in Liebessachen) schier zum Stein erstarren, wie er 10

die Göttin von derjenigen Seite beschaut, von welcher auch die M e d i c e i s c h e Venus vor Herrn S m o l l e t s Augen **) Gnade fand. Ja die Küsterin des Tempels erzählte ihnen sogar, mit vielen Umständen, die tragische Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit allen Symptomen der rasendsten Leidenschaft in die marmorne Göttin verliebt, und endlich — noch einen Beweis davon, der sich nur auf Lateinisch ***) erzählen läßt — sich aus Verzweiflung ins Meer gestürzt habe. Mit weniger Wuth, aber in einem der Göttin würdigern Entzücken, bricht der Epigrammen-Dichter A n t i p a t e r (im vierten Buche der Anthologie) in die ekstatischen Fragen aus:

*) 20

Diesem widerspricht, was er bald darauf von einer andern unbekleideten Venus des S k o -

p a s sagt, die zu Rom im Tempel des Brutus Kallaikus stund, Praxiteliam illam antecedens et quemcunque alium locum nobilitatura. — Plinius ist von dergleichen Widersprüchen nicht immer frey. Wenn er Recht hatte, ihr diesen Vorzug zu geben, und der Grund, warum sie nicht mehr Aufsehens machte, darinn lag, daß (wie er sagt) zu Rom d i e G r ö ß e d e r We r k e , die da zu sehen waren, s i e a u s l ö s c h t e : warum machte sie nicht mehr Aufsehens unter den Griechen, eh sie nach Rom gebracht wurde? — Doch, vielleicht war sie in einem höhern Styl gearbeitet, oder (nach unsrer Classification) ein Ideal von der e r s t e n K l a s s e — und eben darum, weil sie weniger s i n n l i c h e n R e i z hatte als die Venus des Praxiteles, weniger geschickt, ihr beym großen Hauffen den Vorzug streitig zu machen? **)

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***)

S. den 28. Brief seiner Reise durch Frankreich u. Italien. Ferunt amore captum quemdam, cum delituisset noctu simulacro cohaesisse, eiusque

cupiditatis indicem esse maculam. P l i n . L. XXXVI. p. 726. Es ist sehr erlaubt an Wundern dieser Art zu zweifeln, wenn sie uns auch schon von Küstern und Küsterinnen erzählt werden. Indessen bestättigt doch C l e m e n s A l e x a n d r i n u s (in der löblichen Absicht das Heydenthum dadurch schamroth zu machen) die Wahrheit dieser Begebenheit durch das Zeugniß eines gewissen P o s i d i p p u s , der ein Buch von den Merkwürdigkeiten von Knidos geschrieben. Ob sie dadurch glaubwürdiger werde, ist eine andre Frage — genug, daß die Begebenheit an sich selbst nichts unmögliches ist.

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Tiw liuon emcyxvse; tiw en xuoni Kyprin eseiden ; ëImeron en petrhì tiw toson eirgaseto ; We r b e s e e l t e d e n F e l s ? w e r s a h d i c h , C y p r i s , a u f E r d e n ? gab dem fühllosen Stein diesen allmächtigen Reiz ? Diese Beyspiele und Augenzeugnisse von dem E f f e k t , den die Knidische Venus machte, — wenn wir auch abrechnen was die Imagination der Zeugen dabey gethan haben mag — beweisen noch immer, was wir damit beweisen wollen — daß sie, zu all der Schönheit, die sie über sterbliche Weiber erhob, einen Grad von L e b h a f t i g k e i t , R e i z und Z a u b e r gehabt habe, den andre Venusbilder, auch die schönsten — die L e m n i a eines Phidias — die Ve n u s

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H o r t e n s i s (en Khpoiw) des Alkamenes (wiewohl L u c i a n einzelne Theile von diesen beyden den nehmlichen Theilen an der Knidischen Venus vorzieht *) — nicht gehabt haben. Ist sich darüber zu verwundern, da so besondere Umstände zusammenkamen, sie zu dem zu machen was sie war? Eine Phryne zum Modell —Ein Praxiteles zum Werkmeister — die Liebe mit der er arbeitete — das beynahe unmögliche Bestreben etwas noch schöners zu denken als — w a s m a n l i e b t — und dennoch das Ringen der enthusiastischen Einbildungskraft, diese Unmöglichkeit zu überwinden — mir däucht all dies m u ß t e e i n s o l c h e s Werk hervorbringen. Seine Venus verlohr etwas dabey an G ö t t l i c h k e i t — aber nur so viel als sie (vielleicht gegen seine Absicht) an

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m e n s c h l i c h e r m R e i z gewann; und gerade dies, wodurch sie w e n i g e r G ö t t i n war, gab ihr dies Herzenschmelzende, dies unwiderstehlich Anziehende, dies Unnennbare, was bey ihrem Anblick Liebesbegierden entzündete, und durch die Unmöglichkeit der Gegenliebe und des Genußes wollüstig peinigte — vielleicht auch bey irgend einem blutreichen, glühenden, sinnlosen, jungen Menschen, der sie täglich zu sehen Gelegenheit hatte, endlich gar wohl die Würkung thun konnte, welche die Küsterin des Knidischen Tempels, mit allgeziemender Devotion, zu Preis und Ehren ihrer Göttin den Fremden zu erzählen pflegte. Diese Knidische Venus ist es also, von der ich den Begriff derjenigen Art von Idealen nehme, die ich zur dritten Klasse mache — wiewohl diese Venus unter *)

In I m a g i n . c. 6.

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so besondern Umständen zur Welt kam, daß sie, nach der Schärfe zu reden, vielleicht die einzige in ihrer Art war. Ich rechne nehmlich darunter alle Bilder von Göttern und Heroen, wobey sich der Künstler durch den Anblick schöner I n d i v i d u a l e geholfen, um ihnen einen höhern Grad von Leben, Reiz und Illusion zu geben, als sie bekommen hätten, wenn er b l o ß n a c h s e i n e r I d e e oder dem e i n m a l a n g e n o m m e n e n G ö t t e r - I d e a l gearbeitet hätte. Der Vortheil den er dadurch erhielt, fällt, wie der Nachtheil, sogleich in die Augen. Sie verlohren unfehlbar dadurch etwas vom Göttlichen und Heroischen: aber sie waren desto mehr ad hominem, weil sie die göttli10

chen und heroischen Naturen, jede in ihrer Art, näher zu den M e n s c h l e i n ihrer Zeit herabzogen; hatten eben darum mehr L e b e n , mehr s i n n l i c h e n R e i z ; — g e f i e l e n also m e h r — und m e h r e r n — verschaften ihren Meistern a l l g e m e i n e r n R u h m — w u r d e n b e s s e r b e z a h l t u. s. w. und all dies war sowohl auf Seiten der Meister als der Liebhaber sehr natürlich. Denn im großen eigentlichsten Ideal war doch nur Ein Jupiter Olympius — quem nemo æmulatur, sagt P l i n i u s — Wer sich a u c h emporheben wollte, mußte also einen andern Weg einschlagen.

X. Phidias, Polykletus und Praxiteles hatten — wie alle Meister in welcher Kunst 20

es sey — ihre Schüler und Nachahmer, unter deren Händen gar bald M a n i e r , H a n d g r i f f und L o c u s k o m m u n i s wurde, was bey Jenen Genie, Gefühl, Erfindung, Eingebung des Augenblicks oder Werk der höchsten Anstrengung des Geistes gewesen war. Nicht nur der Kanon des Polykletus wurde zum Modell; alle berühmten Bilder berühmter Meister wurden auf tausendfältige Art n a c h g e b i l d e t ; die Werke dieser Nachahmer und Kopisten wurden kalt und kraftlos; man entfernte sich von der Natur, ohne sich über sie aufschwingen zu können; kurz, die Kunst war im Abnehmen: als L y s i p p u s erschien, eine neue Bahn betrat, und Mittel fand, ohne mit einem seiner Vorgänger in Collision zu kommen, sich den Vorzug über seine Zeitgenossen, die Gunst

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Alexanders des Großen, und einen Ruhm zu erwerben, den keiner von seinen Nachfolgern zu verdunkeln vermochte. Ich habe schon bemerkt, daß der Charakter, der ihm, nach Quinctilians Zeugnis, mit dem P r a x i t e l e s gemein war

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(nehmlich d a ß s i e s i c h d e r Wa h r h e i t , oder der Natur, m e h r g e n ä h e r t als ihre Vorgänger) dem Lysippus auf eine ganz besondere Weise zukam. Dieser Künstler scheint weder durch seinen Genie noch durch den Zeitpunkt worinn er blühte, und die Umstände worinn er die Kunst fand, aufgelegt oder aufgemuntert gewesen seyn, sich in die Sphäre der H e r o e n und G ö t t e r zu wagen, die schon mit den Werken so mancher herrlichen Meister erfüllt war. Seine Fähigkeit und Neigung trieb ihn zu Gegenständen, wozu er die Originale alle Tage vor sich sehen konnte, — ein A p o x y o m e n o s (ein Mann, der sich selbst im Bade striegelte) eine b e t r u n k n e F l ö t e n s p i e l e r i n , haben ihn berühmter gemacht als sein J u p i t e r zu Argos, oder sein K u p i d o zu The-

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spien; und sein größter e i g e n t l i c h e r H e l d war A l e x a n d e r , den er in verschiednen Altern und Stellungen sehr oft und so sehr zum Vergnügen dieses gernseynwollenden Göttersohns gearbeitet, daß er (wie man sagt) von keinem andern Bildgießer noch Bildhauer gemacht seyn wollte. Lysippus bildete auch den Hephästion, Alexanders Liebling, und seine übrigen Freunde ab, alle (wie Plinius sagt) mit vollkommenster Ähnlichkeit. In seinen Werken überhaupt entfernte er sich von der Manier der Alten. Er machte die Köpfe kleiner, arbeitete die Haare fleißiger, hielt sich in den einzelnen Theilen genauer an die Natur, machte seine Figuren schlanker, und nicht so viereckigt, u. s. w. Als er anfieng aus eignem Trieb sich auf die Bildnerey zu legen (er sollte, vermuth-

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lich nach der Bestimmung seines Vaters, ein Grobschmidt werden) war der Kanon des Polykletus das Modell, wornach er studierte. Dies ist wenigstens der Sinn der Antwort, die er Jemanden gegeben haben soll, der ihn fragte: wer denn sein Lehrmeister in der Kunst gewesen? D e r D o r y p h o r u s — antwortete L y s i p p u s . *) Und vermuthlich war dies Studium, wodurch ihm die genaueste Beobachtung des schönsten Ebenmaaßes mechanisch geworden, die Ursache, warum die sehr fleißige Beobachtung der S y m m e t r i e (wie Plinius bemerkt) eine der vorzüglichsten Schönheiten seiner Bilder war. — In der Folge aber ermunterte ihn der Mahler E u p o m p u s , sein Landsmann (beyde waren von Sicyon) den ängstlichen Weg zu verlassen, auf dem er ewig ein bloßer mechanischer Arbeiter geblieben wäre. Dieser Eupompus war einer der berühmtesten Mahler seiner Zeit, ein Rival des Timanthes, und Lehrmeister des Pamphilus, der durch seinen Schüler Apelles berühmter worden *)

C i c e r o de C l a r . O r a t o r . 86.

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als durch seine eigne Werke. Der junge Lysippus fragte ihn *) welchen unter seinen Vorgängern er sich eigentlich zum Muster genommen? Eupompus wies a u f e i n e M e n g e Vo l k s , die eben auf einen Marktplatz vor ihren Augen wimmelte — H i e r s i n d m e i n e M o d e l l e , sagte der alte Mahler; d i e N a t u r s e l b s t , n i c h t d e n M e i s t e r muß der Künstler nachahmen, der es verdienen will, dereinst selbst unter die Meister gezählt zu werden. Lysippus ließ sichs gesagt seyn — aber die Nachbildung der Natur war es doch nicht allein, was ihn in der Folge so berühmt und b e l i e b t machte. Wenn ich alles, was uns von ihm gesagt wird, zusammennehme und vergleiche, so däucht 10

mich es komme so viel heraus: daß er in seinen B i l d n i ß e n die S c h ö n h e i t mit der Ä h n l i c h k e i t zu v e r e i n i g e n gewußt, und in seinen übrigen freyern Werken die individuelle Natur mehr in e i n z e l n e n s c h ö n e n T h e i l e n als im G a n z e n zum Modell genommen. Er studierte die Natur, ahmte sie nach, stellte sie dar — aber nicht wie sie war, sondern w i e E r s i e s a h und sehen w o l l t e ; ließ bey Nachahmung individueller Natur das Fehlerhafte weg, oder wußt es zu verbergen; zeigte was an jedem das Schönste war, auf die Weise, die dem Ganzen die vortheilhafteste schien, kurz, v e r s c h ö n e r t e seine Originale, und gab ihnen doch so viel von Wahrheit und Leben, daß sie im Ganzen T ä u s c h u n g hervorbrachten, und also von jedem beym ersten An-

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blick e r k a n n t wurden. Dies war ohne Zweifel der wahre Grund, warum er so viel Statuen nach der Natur zu machen bekam, und warum sich Alexander von niemand als von Lysippus bilden, so wie er sich allein vom Apelles, dem Mahler der Grazie, mahlen lassen wollte. Seine Werke waren also mit aller ihrer Natur dennoch e i n e A r t v o n I d e a l e n ; seine Bildniße verschönerte, einzelne Natur, durch Weglassung oder Versteckung des Tadelhaften und Unvollkommnen idealisiert; seine andern Stücke — symmetrische Zusammensetzungen schöner Theile, z u e i n e m h o m o g e n e n G a n z e n z u s a m m e n g e s c h m e l z t , wie H r . L . von d i e s e r A r t der Idealen, sehr richtig sagt. Dieser Kunst also, das Individuelle zu i d e a l i s i e r e n , einer Kunst, wozu

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mehr G e s c h m a c k und U r t h e i l , als Hoheit und Feuer des Geistes und productive Kraft erfodert wird — hatte er eigentlich seinen großen Succeß zu

*)

Es finden sich bey dieser Anekdote chronologische Schwierigkeiten, auf die, meines Wis-

sens, noch niemand acht gehabt. Wenigstens muß Eupompus, als er dem Lysipp diese Antwort gegeben, ein sehr alter Mann gewesen seyn.

Fortsetzung der Gedanken über die Ideale der Alten. X.

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danken. Denn D e m e t r i u s , der sich b l o ß a n d i e N a t u r hielt, wurde gerade deßwegen getadelt — nicht etwan weil seine Werke F l i c k w e r k e oder K a r i k a t u r e n waren, sondern weil sie z u w a h r , zu getreu nach dem Leben abgeformt waren — tanquam nimius in Veritate. So gewiß ist es, daß die Alten sich nichts davon träumen ließen, daß Kunstwerke desto schöner würden, je mehr sie individuellen Naturen ähnlich wären. Überhaupt ist nichts natürlicher, als daß H r . L . von der Schönheit andere Begriffe hat als die Künstler — Wie sollt’ es bey seiner aufs äußerste getriebnen Idee von der menschlichen Natur, bey dem sonderbaren physiognomischen Sinn, der ihm eigen ist, und bey dem Enthusiasmus, womit er dies Studium

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treibt, anders seyn können? Ihm ist jedes Gesicht, von Raphaels Angelico Sembiante bis auf den Silenenkopf des Sokrates, p h y s i o g n o m i s c h s c h ö n . Je eckichter, je besser! — Aber davon hatten die Griechen keinen Begriff. Unter den Freunden des Sokrates war es eine eben so ausgemachte Sache, daß Sokrates e i n e r d e r h ä ß l i c h s t e n , als daß er einer der w e i s e s t e n und b e s t e n Menschen sey. Immer mag sich H r . L . ereyfern, (wir haben nur zu oft Gelegenheit Chorus mit ihm zu machen) wenn ihm seine Mahler, Zeichner und Silhouettenschneider „so manches Gesicht verdorben haben, das i h m , trotz aller ihrer factizen Kunstregeln, mit seinen k e c k e n Z ü g e n , s c h ä r f e r n E i n s c h n i t t e n und a l l d e m U n w e s e n , dem sie zu steuren suchen,

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v i e l a n z i e h e n d e r und h ö h e r s p r e c h e n d war als ihr feinpoliertes Nachbild mit all seiner Idealschminke“ — Er hat nur zu sehr Recht! Aber wenn ihn dieser gerechte Eifer ins Allgemeine fortreißt, wenn er den guten P h i d i a s s e n , A l k a m e n e n , P r a x i t e l e s s e n und A p e l l e n unter den Bart sagt: „ O d a o d e r d o r t e i n e Wa r z e w e g l a s s e n , e i n e n s t a r k e n Z u g z i e h e n , einen scharfen Einschnitt abstümpfen, eine weit vorhangende N a s e a b k ü r z e n , d a s k ö n n t i h r “ — oder, wenn Er meynt: „das was u n s (armen Kröpeln und Ungeziefern aus der Hefe der Zeit) an den A l t e n I d e a l scheine, sey i h n e n n i c h t ideal, sondern v e r m u t h l i c h u n b e f r i e d i g e n d e s N a t u r - N a c h h i n k e n d e r K u n s t gewesen“ — Dann spricht er wohl — nicht wie einer der die Alten gelesen hat, und — wenn mans sagen darf — nicht mit allem Respekt, den die Dii manes der besagten Phidiassen, Praxitelessen u. s. w. von einem Jeden fodern können, der — keinen J u p i t e r O l y m p i u s und keine Ve n u s K n i d i a gemacht hat. — Doch, um Verzeyhung, wenn dies ein Absprung war!

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XI. Ich habe also — beym Schein des schwachen Lämpchens, das uns die unvollständigen Nachrichten der alten Schriftsteller von ihren Künstlern und Kunstwerken vortragen — vier Arten von Werken unterschieden, denen man insoferne als sie alle — nicht etwan a u s U n v e r m ö g e n , sondern a u s Vo r s a t z ihrer Meister — e t w a s a n d e r s a l s b l o ß e A b b i l d u n g e n e i n z e l n e r N a t u r waren, den gemeinsamen Nahmen der I d e a l e beylegen kann, und die man, wie mich dünkt, mit Unrecht unter diesem Geschlechtsnahmen mit einander zu vermengen pflegt. Wenn wir jedoch auf der andern Seite den 10

großen Unterschied sowohl zwischen diesen verschiednen Arten selbst — als zwischen dem Grad des Genies, welcher einen J u p i t e r O l y m p i u s des Phidias, oder einen D o r y p h o r u s des Polykletus, oder eine b l o ß e N a c h a h m u n g d i e s e s D o r y p h o r u s hervorzubringen erfodert war, erwägen: so werden wir finden, daß jener Nahme, in seiner edelsten und e i g e n t l i c h e n Bedeutung, nur den Bildern i d e a l i s c h e r We s e n und auch unter diesen nur denjenigen mit Recht zukomme, welche aus dem h ö c h s t e n G r a d e k ü n s t l e r i s c h e r B e g e i s t r u n g , aus der angestrengtesten Bestrebung sich über die schönste und erhabenste s i c h t b a r e Natur emporzuschwingen, entstanden und — wie der Römische Plato in der obenangezognen Stelle sagt — nach

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einem in der Seele des Künstlers erzeugten Urbild mehr als menschlicher Vollkommenheit gebildet worden. Nach diesem Begriff ist noch immer ein großer Unterschied zwischen dem was in Bildung der Griechischen Götter und andern fabelhaften Naturen c o n v e n t i o n e l l , d. i. dem, was, nach den einmal angenommenen Begriffen, jeder Gottheit e i g e n und allen Göttern g e m e i n war, *) und zwischen der Idee, nach welcher ein Phidias unmittelbar seine Minerva oder seinen Jupiter bildete. Eine Statue des Jupiters, der Venus, des Apollo, u. s. w. konnte sehr gewissenhaft nach der Vorschrift dessen, was man das G ö t t e r - I d e a l nennen *)

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Dies allgemeine und besondere G ö t t e r - I d e a l , welches ich, ungeachtet es sich auf sehr

richtige und feine Objective Begriffe gründete, von darum weil es für die Künstler vermög einer stillschweigenden Übereinkunft Gesetz war, conventionell nenne, hat W i n k e l m a n n , bekanntermaßen, in der G e s c h . d e r K u n s t eben so ausführlich als gelehrt und scharfsinnig abgehandelt.

Fortsetzung der Gedanken über die Ideale der Alten. XI.

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kann, gearbeitet seyn, und dem ungeachtet unter den großen Meisterstücken, die ich vorzugsweise Ideale nenne, keinen Platz verdienen. Dies bedarf keines weitern Zeugnisses als des Augenscheins mancher antiker Apollo’s und Bacchus und Dianen und Grazien und Venusbilder, welche, bey aller ihrer conventionellen D e i t ä t , sehr wenig geschickt sind, unsre Einbildungskraft in den Homerischen Olympus zu versetzen. „Aber — höre ich sagen — auch Ihr, mit allem was ihr uns schon in etlichen Bogen von Idealen und Urbildern vorgeschwazt, habt uns noch immer keinen deutlichen Begriff davon gegeben, was ihr unter dieser Idee, diesem Urbild, dieser eximia quadam specie pulchritudinis, die z. E. in der Seele des Phidias

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saß als er seinen Jupiter bildete, verstanden wissen wollt. Gebt der Wahrheit die Ehre und bekennt: daß es entweder ein G e s p e n s t ist, das gerade so viel Grund in der Natur hat als alle andere Gespenster — teutsch zu reden, daß ihr und euer Cicero selbst nicht recht wißt was ihr sagt — oder daß dieser so hochgepriesne Jupiter Olympius — von dem ihr ohnehin gut reden habt, da niemand hingehen und sehen kann was an der Sache ist — weder mehr oder weniger war, als eine Z u s a m m e n s c h m e l z u n g v o n g e s e h e n e n W ü r k l i c h k e i t e n , und im Grunde doch nichts besser als K a r i k a t u r und u n b e f r i e d i g e n d e s N a c h h i n k e n d e r K u n s t , der e w i g u n n a t ü r l i c h e n Kunst, nach der unendlichmal schönern Natur der s c h ö n e r n und b e s s e r n

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M e n s c h e n , mit denen das Land der Pelasger in den goldnen Zeiten des Perikles geziert war.“ Nun, ja dann! Wir wollen bekennen was zu bekennen ist. Am Ende — behalte auch Recht wer da will — bleibt doch immer Soli Deo Gloria; und niemand in der Welt kann ein Interesse darunter haben, die Kunst mit der Natur zusammenzuhetzen, oder die eine auf Kosten der andern zu erheben: Denn — wohl zu merken! — auch die Natur, von der diese ganze Zeit über die Rede war, ist ja wahrlich nicht die Natur selbst, sondern bloß die Natur, wie sie sich in unsern Augen abspiegelt — und dies rückt Natur und Kunst um ein beträchtliches näher zusammen. Es wäre freylich ein lächerlich Beginnen, wenn ein Erdenklos sich hinsetzen und aus Thon oder Stein — mit unserm Herrn Gott in die Wette Menschen machen wollte. Aber der Versuch ein S c h a t t e n b i l d (und das sind doch wohl alle unsre Sinnenbilder?) nachzuzeichnen oder nachzubilden, hat nichts das die Kräfte der Menschheit übersteigt? Und daß der menschliche Geist — devs in nobis! fähig sey sich etwas schöneres, reineres

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und vollkommeneres zu denken, als die durch den ersten Fluch des Schöpfers und die Sünde unsrer Stammeltern und die Peccata Mundi von mehr als hundert Generationen gedrückte, angesteckte, verpfuschte und verhunzte Menschengesichter und Menschenleichname — wie sie nun bereits einige tausend Jahre auf diesem garstigen Erdklumpen herumkriechen — ist a prima vista weder eine ungereimte noch gottlose und dem S c h ö p f e r d e r N a t u r — der (so viel ich weiß) auch d e r S c h ö p f e r d e r K u n s t ist — zu nahe tretende Behauptung. Ich bekenne also fördersamst und läugne nicht — daß es allerdings, wenn 10

man von dem Jupiter Olympius des Phidias spricht, ein schlimmer Umstand ist, ihn nicht selbst gesehen zu haben. Da nun aber diesem Übel nicht zu helfen steht, so kömmt es izt nur darauf an, wie viel wir die Zeugnisse und Urtheile derjenigen, die das Glück hatten ihn gesehen zu haben, gelten lassen wollen oder nicht; und hierinn läßt sich freylich Niemanden etwas vorschreiben. Aber dies wenigstens ist gewiß, daß unter allen, die von diesem Wunder der Kunst als E p o p t e n reden, keiner sich so ausdruckt, daß man nur auf die Vermuthung kommen kann, er habe es für ein aus Nachbildung lebender Originale entstandnes Werk gehalten. Wäre dies hier der Fall gewesen, welcher unter allen Griechen, mit denen Phidias lebte, hätte mehr Anspruch haben

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können, zum Modell eines J u p i t e r O l y m p i u s zu dienen, als eben dieser P e r i k l e s O l y m p i u s , den die Theaterdichter seiner Zeit so gerne — nicht zum Spott, sondern aus Demokratischer Eyfersucht — mit dem Beherrscher des Olympus zu vergleichen pflegten? Und bedenken wir noch, daß Perikles der Gönner, der Beschützer, der Freund unsers Künstlers war: wie g l a u b l i c h , daß Phidias diese Gelegenheit ergriffen haben werde, ihm auf diejenige Art, die seinem Stolz am meisten schmeicheln mußte, die Cour zu machen? — Allein so glaublich es immer seyn mag, so gewiß können wir uns darauf verlassen, daß Phidias der Mann nicht war, dem so ein Gedanke nur im Traum einfallen konnte — Und daß die Griechen, der Colossalischen Vergrößerung

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ungeachtet, den Donnerer von Athen ersten Blicks erkannt haben würden, wenn ihm der Olympische nur einigermaßen ähnlich gesehen hätte, dürfen wir gleichfalls kecklich glauben. Hätten sie ihn aber erkannt, traun! sie würden die Entdeckung nicht verheimlicht haben. Jeder Komödienschreiber hätte geeilt der erste zu seyn, der seinen lieben Landsleuten ins Ohr sagte: sie möchten vor der Majestät dieses vermeynten Jupiters nicht zu sehr erschrek-

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ken; es sey nur Perikles, des Xantippus Sohn, Schinokäphalos oder der Z w i e b e l k o p f zubenahmset, neun oder zehnmal größer und dicker als er unter seinem eignen Nahmen zu seyn pflegte, und um die Griechischen Ganshäupter zum Besten zu haben, in einen Jupiter travestiret. Man sieht klärlich, es konnte das nicht seyn. Es bleibt also nichts weiter übrig, was uns die Erzeugung dieses Jupiters erklären kann, als — daß wir annehmen, er sey entweder aus Z u s a m m e n s c h m e l z u n g entstanden, oder — nach einem G e s p e n s t gebildet worden. Was die Zusammenschmelzung betrift, so kan ich mir eine zwiefache Art derselben denken. Es ists nehmlich entweder d e r K ü n s t l e r , der die Ope-

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ration vornimmt, oder Mutter N a t u r verrichtet sie eigenhändig. — In jenem Falle kann wohl so etwas wie der D o r y p h o r u s des Polykletus oder ein L y s i p p i s c h e r J u p i t e r draus werden: aber daß ein solches F l i c k w e r k , aus Fragmenten einzelner Griechenköpfe und Griechenkörper, so symmetrisch als man immer will, zusammengesezt, die große Würkung hätte thun können, die der Jupiter des Phidias (obenbemeldtermaßen) würklich gethan hat, scheint mir so wenig glaublich, daß ich, wenn kein ander Mittel ist, lieber annehmen will, die Natur selbst, in so fern sie in der Imagination der Menschenkinder ihr verborgnes Werk und Wesen hat, habe die Zusammenschmelzung vorgenommen. Daß sie eine solche Schmelzerin ist, wird nie-

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mand läugnen: allein w i e s i e e s d a b e y a n f a n g e , ist ein Geheimnis, das uns, meines Wissens noch kein Psychologus begreiflich gemacht hat. Die Sache bleibt also noch immer so dunkel als zuvor, und wir mögen uns wenden und winden wie wir wollen, so werden wir genöthigt seyn zu bekennen: daß Phidias nach einer in seiner Seele schwebenden I d e e gearbeitet habe. W i e e r z u d i e s e r I d e e g e k o m m e n , wird dadurch nicht deutlicher, wenn wir sagen: sie sey eine Zusammenschmelzung gesehner Würklichkeiten — Im Grunde verliehren wir nichts dabey wenn wir sie ein Gespenst schelten lassen, und gestehen daß wir von der Erscheinung dieser Art von Gespenstern in den Köpfen der Dichter, Bildner und Mahler eben so wenig verstehen, als von dem Gespenst das dem Brutus zu Philippi erschien, oder von irgend einem andern Gespenst, Geist, Kobolt und Einwohner der unsichtbaren Welt, wes Nahmens, Standes und Würden er seyn mag, der jemals einem Sterblichen erschienen ist von Anbeginn der Dinge bis auf diesen Tag. Ich trage allen Respekt vor Herrn Johann L o c k e und seinen grossen Grundsatz Nihil est in intellectu &c. Die

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende September 1777)

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Epikuräer und viel andrer ehrlicher Leute haben ein Paar Tausend Jahre vor ihm eben so viel davon gewußt als er. Aber Trotz diesem grossen Axioma, womit man, wie mit dem Escalibor des Königs Artus, auf einmal so große Stücken herunter hauen kann, wird auch von dem M i k r o s k o s m o s in unserm Hirnkasten ewig wahr bleiben, was Shakespears Hamlet von H i m m e l u n d E r d e sagt: „es giebt gar viele Dinge da, wovon sich unsre Philosophie nichts träumen läßt.“ Es ist eitle und vielleicht verwegene Mühe, alles was in dem geheimnißvollen A b y s s u s unsrer sich selbst so wenig bekannten Seele vorgeht, so mechanisch erklären und handgreiflich machen zu wollen, wie 10

man die Bewegung eines Bratenwenders erklären kann. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft, daß ich als ein Knabe von vierzehn Jahren, und auch schon lange zuvor, bey äussern Veranlassungen die auf tausend andre nichts dergleichen würkten, Gespenster und Erscheinungen aus der idealischen Welt in meiner Seele sah, die ich mir selbst weder aus Zusammenschmelzung oder Association meiner damaligen Sensationen noch aus irgend einer andern Ursache erklären kann. Denn Kunstwörter, alte oder neugeschmiedete, erklären nichts. Aber m ü s s e n wir denn alles erklären wollen? und ist es nicht genug, wenn wir wissen: s o ist die Sache! — Man sage mir nicht, das heiße ohne Noth die weislich verbannten Qualitates occultas zurückberufen wollen; denn ich

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will nichts damit e r k l ä r e n ; ich will nur, daß man nicht durch unzulängliche Data und Heischesätze, denen man mehr Ausdehnung giebt als sie haben, zu erklären meyne, was sich nicht erklären läßt. Der Weg des Genies ist der fünfte zu den vier Wegen, die dem König S a l o m o zu wunderlich vorkamen (Sprüchw. Sal. Cap. 30 v. 18. 19.) Aristoteles und zwanzig Andre konnten wohl über die Werke Homers philosophiren; aber keiner von ihnen hat uns noch ein Rezipe geschrieben, wie man eine Ilias machen kann, oder uns erklärt, w i e die Ilias in Homers Schädel entstanden ist. Warum sollt es mit Werken, wie der Jupiter des Phidias, nicht eben so seyn? — H r . L . wenn er uns, mit der Gewißheit eines Augenzeugen, sagt: „ D i e G r i e c h i s c h e n K ü n s t l e r h a t t e n

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schönere Menschen um und an sich wo sie stunden und gieng e n “ — verweißt uns — auf die vorhergesehene Frage: S c h ö n e r ? Wo h e r ? — an den lieben Gott: „ F r a g e d e n d e r s i e s c h u f “ sagt er. Warum sollte nun ich dem der mich fragte: „ Wo h e r k a m e n d e n P h i d i a s s e n d i e I d e e n , n a c h d e n e n s i e a r b e i t e t e n ? “ — nicht auch antworten dürfen: frage den der sie schuf! Diese Antwort, wiewohl sie von der Art derjenigen ist,

Fortsetzung der Gedanken über die Ideale der Alten. XI.

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die man Cavalierisch zu nennen pflegt, würde mir hier gleichwohl besser ziemen. Denn ob die Menschen, welche Phidias um und an sich hatte wo er stund und gieng, schönere Menschen waren als die welche M i c h e l - A n g e l o um und an sich hatte, ist res facti, und soll erst noch, si Diis placet, historisch erwiesen werden; es wäre also nicht sehr manierlich, wenn wir unsern Herrn Gott fragen wollten: wie und warum er die Griechen schöner geschaffen? eh wir noch wissen, o b er sie schöner geschaffen: aber daß Phidias, als er seinen Jupiter machte, eine Idee von ihm in seiner Seele hatte, ist so gewiß res facti, als — daß er sich bewußt war was er machen wollte. Ich habe oben schon, wie billig, anerkannt, daß die schöne ( wiewohl nicht

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eben s c h ö n e r e ) Natur, und die Gelegenheiten sie mehr zu ihrem Vortheil zu sehen, nothwendig das Ihrige zu den s c h ö n e n I d e e n der Griechischen Künstler beygetragen haben müsse. Was ich läugne ist nur, daß dieser Umstand s o v i e l , daß er A l l e s (wie H r . L . behauptet) dabey gethan habe. Denn that er Alles, warum machten die andern Künstler nicht auch so herrliche Werke wie Phidias? Warum gab es unter den Griechischen Bildnern und Mahlern, die doch alle die nehmliche Natur um sich hatten, nur einige Wenige, deren Werke große Würkung thaten? Man wird antworten: es verstehe sich von selbst, daß der Mann, der etwas großes hervorbringen wolle, auch die Fähigkeit, die Natur zu empfinden, aufzufassen, ihre mannichfaltigen Schön-

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heiten in seiner Seele zu concentriren und wieder in seinen Werken auszustralen, in einem hohen Grade haben müsse. Aber da sind wir wieder in der Region der dunkeln Begriffe, und wissen vom Quomodo des Phönomens, das erklärt werden soll, just so viel als zuvor. Soll ich, mit aller Bescheidenheit, meine Meynung von der Sache sagen? — Die I m a g i n a t i o n eines jeden Menschenkindes, und die Imagination der Dichter und Künstler insonderheit, ist e i n e d u n k l e We r k s t a t t g e h e i m e r K r ä f t e , von denen das armselige Abcbuch, das man Psychologie nennt, gerade so viel erklären kann als die Monadologie von den Ursachen der Vegetation und der Fortpflanzung. Wir sehen E r s c h e i n u n g e n — Veranlassungen — Mittel — aber die wahren Ursachen, die Kräfte selbst, und wie sie im Verborgnen würken, — über diesem allen hängt der heilige Schleyer der Natur, den kein Sterblicher nie aufgedeckt hat. — „Hättens nicht die beyden kleinen hitzigen Hengste gethan und der Tollbrägen vom Postillion, der sie noch dazu antrieb, der Gedanke wäre mir nicht in den Kopf gekommen — E r

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s c h n a u b t e d a h e r w i e e i n B l i t z “ — sagt Tr i s t r a m S h a n d y . *) Dies ist die allgemeine Geschichte, wie Dichter, bildende Künstler, Komponisten, und alle das Volk von scharfen behenden Sinnen und feuerfangender Imagination zu ihren schönsten Ideen, ihren glücklichsten Erfindungen kommen. — Eine Veranlassung von innen oder außen ist freylich immer da; aber in neunzig Fällen unter hundert möcht ich den sehen, der mir erklärte, w i e just d i e s e W ü r k u n g aus d i e s e r Ve r a n l a s s u n g , d i e s e r vermeynten U r s a c h e entstehen k o n n t e ! — entstehen m u ß t e ! — Indessen läßt sich zuweilen doch wenigstens so viel h i s t o r i s c h begreif10

lich machen, wie es zugegangen, daß die Seele des Mannes, der ein außerordentliches Werk hervorgebracht, in diese ungewöhnliche B e g e i s t e r u n g , E r h i t z u n g und E r h ö h u n g ihrer Kräfte gesezt worden, worinn sie fähig seyn konnte, die I d e e zu empfangen, wovon sein Werk die N a c h a h m u n g ist. — Dies ist der Fall beym Jupiter Olympius des Phidias. — Aber, ich sehe daß mirs am Raum gebricht — also das Übrige künftig. W.

*)

S. 5 Th. 1 Cap. von Anfang. Nach der Bodischen Übersetzung.

Fortsetzung der Gedanken über die Ideale der Alten. XI.

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Beschluß der Gedanken über die Ideale der Alten. (Fortgesezt von No. 9. S. 228.)

XII. Ich sagte: — wiewohl das eigentliche Spiel der Kräfte, die in der Imagination des Menschen überhaupt und des Dichters oder Künstlers insonderheit geschäftig sind, in einem für unsre Sinne — und also auch für unsern Verstand — unzugangbaren Dunkel vorgehe: so lasse sich doch zuweilen historisch angeben, wie es zugegangen, daß die Seele eines Menschen der ein außerordentliches Werk hervorgebracht in diese ungewöhnliche B e g e i s t e r u n g und E r -

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h ö h u n g i h r e r K r ä f t e gesezt worden, worinn sie fähig seyn konnte, die I d e e z u e m p f a n g e n wovon sein Werk die Nachahmung oder das N a c h b i l d war — und dies sey würcklich der Fall b e y m J u p i t e r O l y m p i u s d e s P h i d i a s . — Daß sich auch P r a x i t e l e s bey seinem T h e s p i s c h e n A m o r und bey seiner K n i d i s c h e n Ve n u s in diesem Falle befunden, habe ich bereits oben (No. 9. S. 200–209.) zu zeigen Gelegenheit gehabt. Ehe ich mich in die Erzählung dieser Umstände einlasse, muß ich meine Leser bitten, bey dem Namen P h i d i a s sich so lebendig als ihnen möglich ist einen Mann zu denken, der mit dem Genie der Kunst gebohren war — einen Mann, der in Vergleichung mit seinen Lehrmeistern ein Gott scheinen mußte — der nicht etwann ganz gemächlich von der neunzehnten Stuffe zur zwanzigsten hinaufstieg — wozu es freylich nicht viel mehr braucht als daß man den einen Fuß lüpfe und den andern nachziehe — sondern der den gewaltigen Raum zwischen seinen Vorgängern und dem Gipfel der Kunst mit zween oder drey Riesenschritten verschlang — einen Mann der ein eben so großer A r c h i t e k t als B i l d h a u e r war — der immer nichts als große Werke unternommen und ausgeführt hatte, und dem es also von Natur und Gewohnheits wegen zulezt wie mechanisch werden mußte, alles was er dachte und machte g r o ß zu denken und zu machen — kurz, den Mann, dem es (wie Q u i n t i l i a n

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang November 1777)

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in der oben angezognen Stelle sagt) leichter war Götter zu bilden als Menschen, und der zu allen den Wundern, womit er unter der Staatsverwaltung des Perikles die Stadt Athen verherrlicht hatte, keinen außerordentlichen Effort zu machen, und um selbst seine Minerva, den Stolz der Athenienser, hervorzubringen, nur seine gewöhnliche Stärke anzuwenden brauchte. Und nun — wenn s o l c h e i n M a n n , von der edelsten Art von R a c h e angeflammt, und in der angestrengtesten E y f e r s u c h t m i t s i c h s e l b s t , a l l e s e i n e K r ä f t e z u s a m m e n n i m m t , ein Werk zu schaffen, daß alle seine vorherigen a u s l ö s c h e , — nun denke man, welch ein Werk das werden 10

mußte? Die Athenienser hatten dem Phidias, für alle Verdienste die er sich um ihre Stadt gemacht, d e r We l t L o h n gegeben. Ein großer Mann, ein Freund des Perikles, ein Mann, neben dem wenige stehen konnten, ohne um die Hälfte kleiner zu werden als sie waren wenn sie unter ihresgleichen stunden — das alles zu seyn, war freylich in einer schwankenden D e m o k r a t i e Verbrechens genug. Man mußte aber doch einen Vorwand haben. Man stiftete also einen gewissen Menon, der unter ihm gearbeitet hatte, auf, ihn öffentlich anzuklagen, daß er von dem Golde, so zu der Kolossalischen Statue der Minerva gebraucht worden, etwas unterschlagen habe. Allein bey der Untersuchung zeig-

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te sich, daß Phidias die Präkaution genommen hatte — unschuldig zu seyn, und daß gerade so viel Gold an der Statue war, als er den Atheniensern verrechnet hatte. Dies setzte seine Feinde in die Verlegenheit, ihm zu einem großen Staatsverbrecher zu machen, „daß einer von den Kriegsmännern in der Amazonen-Schlacht, die er in halberhobener Arbeit auf den Schild der Minerva gearbeitet hatte, dem Perikles, und ein alter kahlköpfiger Mann, der einen großen Stein mit beyden Händen aufhebt, ihm selbst ähnlich sehe“ — und weil es ihm hier nicht so leicht war das Gegentheil ad oculum zu demonstriren: so wurde er ohne weiters verurtheilt, ins Gefängniß geworfen, und vermuthlich einige Zeit darauf — ungefähr aus eben dem Grunde, warum Plato die Dichter

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aus seiner Republik verbannt — des Landes verwiesen; oder er fand Mittel aus dem Gefängnisse zu entwischen. *) Kurz, Phidias begab sich nach Elis, und wurde Werkmeister des J u p i t e r O l y m p i u s . *)

Dies sagt ein ungenannter Scholiast des Aristophanes. Plutarch sagt, er sey im Gefängniß

gestorben. Das ist aber, aus verschiedenen Gründen, nicht glaublich.

Beschluß der Gedanken über die Ideale der Alten. XII.

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R o l l i n’ s Behauptung, daß er bey diesem erstaunlichen Werke die Absicht gehabt habe, Rache an den Atheniensern ausüben, und ihre Minerva um den Ruhm zu bringen, daß sie das Größte sey was die Kunst jemals hervorgebracht — ist zwar eine bloße Vermuthung; denn sie beruht, meines Wissens, auf k e i n e m Z e u g n i ß ; aber sie gehört unter die Vermuthungen, die man für so gewiß nehmen kann, als ob sie gerichtlich erwiesen wären; denn sie beruht a u f d e r m e n s c h l i c h e n N a t u r . S o beleidigt wie Phidias von den Atheniensern war, rächt man sich ganz gewiß wenn man kann; und welche Rache hätte er nehmen können, die zugleich für ihn selbst ehrenvoller, und für die herrschende Leidenschaft der Athenienser, ihre E i t e l k e i t , empfindlicher

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hätte seyn können? Phidias entwarf also den Plan eines Werkes, wodurch er alle Meisterstücke seiner Nebenbuler in der Kunst und seine eigne zu verdunkeln hoffen konnte — d e n Va t e r d e r G ö t t e r u n d d e r M e n s c h e n i n s e i n e r H e r r l i c h k e i t . Es war ein wahres P o e m a , und n u r d e n G e d a n k e n d a v o n z u f a s s e n brauchte es schon eines so kühnen und solcher Kräfte sich bewußten Geistes wie der Seinige. Aber da er seine Hand zur Ausführung ausstreckte, erschrack er vor seinem eignen Gedanken — fühlte daß er nur ein Mensch war, er der es wagen wollte den König des Himmels darzustellen — und sein Muth verließ ihn einen Augenblick. In welcher Gestalt, mit welchen Zügen, in wel-

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cher Stellung? — daß jeder der ihn sähe, schaudernd den gegenwärtigen Gott, den Vater und König der Götter, fühlen und erkennen müßte! — Seine Seele arbeitete Tag und Nacht an der großen Geburt; stieg vom Größten der Menschen zum Halbgott — vom Halbgott zum Gott auf — strebte noch höher empor — aber hier — hier sank sie immer wieder. Die Idee des Olympischen Vaters konnte nicht durch Abstraktion noch Zusammensetzung gebildet werden; e r s c h e i n e n mußte sie ihm — und sie erschien ihm, da er sich’s am wenigsten versah — da er einst, indem er über den Markt gieng, einen Rhapsodisten das erste Buch der Ilias singen hörte. Im Vorübergehen trafen die

Ä , kai kyanehsin ep’ ofrysi neyse Kronivn, u. s. w. auf drey berühmten Verse: H sein Ohr, oder vielmehr in sein Innerstes, und siehe! auf einmal stund die himmlische Erscheinung vor seinem Geist — und man schließe auf die Vollkommenheit dieser I d e e von der Würkung die sie, nach allem was sie durch ihre Einsenkung in die Materie verliehren mußte, selbst in dem unvollkommnen Nachbilde noch immer auf alle Anschauenden machte!

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Der große H y p e r - K r i t i k u s , J u l i u s C ä s a r — S c a l i g e r ist mir nirgends kleiner, und in seiner windigten Aufgeblaßenheit verächtlicher, als wenn er diese Anektode *) l ä c h e r l i c h findt. „Entweder Phidias hat u n s , oder die Herren die es von ihm erzählen, haben i h n zum Narren, sagt er; ich dächte doch P h i d i a s h ä t t e d e n H o m e r n i c h t d a z u g e b r a u c h t , u m z u w i s s e n d a ß J u p i t e r A u g b r a u e n u n d H a a r l o c k e n h a b e . “ — Ain tu? — Was ist einem Menschen zu antworten, der alles innern Sinnes für Geist und Leben so ganz ermangelt? — Von d e m kann man wohl im eigentlichsten Verstand, mit Euripides, sagen, e r v e r s t e h e n i c h t s v o n G ö t t e r s a 10

c h e n . — Freylich hatten zehntausend und zehntausendmal zehntausend Leute diese nemlichen Verse des Homers singen gehört oder selbst gesungen, ohne in Kraft derselben hinzugehen und — einen Jupiter Olympius zu machen. Aber von allen diesen Myriaden war auch keiner ein Phidias — und ein Phidias, der sich just in diesen eigensten Umständen, in diesem mächtigen Drang der Seele, dieser höchsten Empfänglichkeit der Imagination befand, wie E r , in dem Momente, da eine solche Wunderkraft aus Homers Genie in den seinigen übergieng. Denn jawohl gilt auch hier das große Axiom: Wa s s e r t h u t s f r e y lich nicht allein.

XIII. 20

Indessen kann ich doch zur Steuer der Wahrheit nicht umhin, zu erinnern, daß die große Würkung, welche dieses in der alten Welt so berühmte Bild des Olympischen Jupiters auf alle, die es — nicht mit Stieraugen ansahen, machte, nicht ganz allein der hohen Vollkommenheit des g e i s t i g e n U r b i l d e s , von welchem es abgeformt worden, beygemessen werden könne. Wenn die Religion selbst (wie Quinctilian sagt) durch die Majestät dieses Werks gewann: so ist nicht weniger zu glauben, daß das r e l i g i o s e G e f ü h l womit es von den Meisten angesehen wurde hinwider dem Werke Vortheil gebracht, und einen Nimbus von Göttlichkeit darüber hergezogen habe, den es, wofern es noch izt *)

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Sie gründet sich zwar nur auf die Erzählung des S t r a b o , des Va l e r i u s M a x i m u s und

des M a k r o b i u s — aber, wenn sie auch schlechtere Gewährsmänner hätte, so ist, däucht mich, der innere Character indelebilis der Wa h r h e i t in ihr, der diejenigen, welche Augen zu sehen haben, stärker überzeugt als alles Ansehen fremder Zeugen.

Beschluß der Gedanken über die Ideale der Alten. XIII.

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stünde, für uns Unglaubige nicht haben würde. Es kommt soviel darauf an, in was für einer Stimmung der Imagination man ein Ding ansieht! — Auch die K o l o s s a l i s c h e G r ö ß e dieses Jupiters und daß (wenn es erlaubt ist den Ausdruck eines Sehers des Gottes der Götter hier anzuwenden) sein Saum den ganzen Tempel füllte — trug unfehlbar nicht wenig bey, den Anschauenden diesen schauervollen Eindruck als wie von der unmittelbaren Gegenwart des Gottes zu geben. Aber was diesen Eindruck nothwendig bis auf den höchsten Grad der Möglichkeit treiben muste, war dies: daß der Olympische Jupiter nicht etwan wie die gewöhnlichen Bilder der Götter, a l l e i n dastund, sondern daß er, wie mitten im Olympus, hoch auf seinem Thron sitzend und umgeben

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von den übrigen himmlischen Gottheiten (deren Subordination unter ihn durch ihre Stellung und verhältnismäßige Größe sichtbar wurde) dargestellt war. Auch sogar die trockne Beschreibung die uns P a u s a n i a s (der Kälteste unter allen die je ihren Mund aufgethan von Kunstwerken zu sprechen,) in seiner platten hölzernen Reisebeschreibers Manier davon hinterlassen hat, ist hinlänglich einem jeden Leser, dessen Imagination nicht eben so frostig ist, einige Ahnung von dem erstaunlichen Effekt, zu geben, den das Ganze dieser gewaltigen Komposition auf den ersten Blick machen mußte. *) * * *

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Doch — so wenig ich auch vielleicht mit dem Vielen was ich bisher über die Ideale der Alten vorgebracht, gesagt haben mag — so viel ich selbst noch darüber zu sagen hätte, oder ein Andrer, der des Alterthums und seiner Überbleibsel kundiger ist und tiefer sieht, als ich, darüber sagen könnte — es ist Zeit aufzuhören. Alles läuft am Ende doch in diesen Dingen auf Hypothese, und die besondere Art wie jeder sie sieht, faßt und zusammenstellt, hinaus. Drey *)

Die dumme Art, wie dieser äusserst unpoetische Mensch von all den Herrlichkeiten des

Olympischen Tempels spricht, ist darum kein Beweis, daß er nicht davon gerührt worden. Im Gegentheil, ich stelle mir ihn vor, wie er mit weit ofnen Augen und Maul, seine Schreibtafel in der Hand, dastund und gaffte, und vor lauter Erstaunen nicht wußte wo er anfangen sollte, und seinem Leibe endlich keinen Rath fand, als alles, Stück für Stück, in der nehmlichen Verwirrung die in seiner Seele herrschte, aufzuschreiben. Was ihn am meisten am ganzen Werk gerührt zu haben scheint, war die Kostbarkeit der Materialien, die Verschwendung von Gold, Elfenbein, Ebenholz und Edelsteinen, der schimmernde Thron u. s. w.

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oder vier Statuen von denen man gewiß wüßte, sie seyen aus der Epoche des Perikles, — blos die N e m e s i s des A g o r a k r i t u s , *) die S o s a n d r a des K a l a m i s , **) und der A m o r und die Ve n u s des P r a x i t e l e s , mit einem einzigen von den vielen Wunderwerken des P h i d i a s , würden uns ganz andre Aufschlüsse geben, als alles was man izt a ˆ priori, oder aus den noch vorhandnen alten Kunstwerken und aus dem was uns die Autoren davon sagen, schließen und vermuthen kann. — Meine Absicht ist erreicht, wenn ich einige meiner Leser selbst über die Sache zu denken veranlaßt habe; und auch eine gründliche Widerlegung derjenigen von meinen Behauptungen, die ich selbst 10

als problematisch ansehe, würde mir Freude machen. Denn was für ein näheres Interesse haben wir, als unsrer Unwissenheit und Irrthümer entbunden zu werden, und Götter und Menschen in ihren Werken zu sehen wie sie sind? W. *)

Die Geschichte dieser N e m e s i s hat etwas merkwürdiges. Die Athenienser wollten ein Bild

der Venus haben, um es in den sogenannten G ä r t e n in einen Tempel der Venus Urania aufzustellen. Zween Schüler des Phidias, Alkamenes und Agorakritus, wovon der lezte sein Liebling war, arbeiteten in die Wette um diesen Preis; die Venus des Agorakritus verdiente ihn; aber die Athenienser, die einem Ausländer diese Ehre nicht gönnten, erkannten ihn dem Alkamenes, ihrem Mitbürger, zu. Agorakritus empfand diese Ungerechtigkeit so hoch, daß er sogar nicht 20

mehr leiden konnte, daß sein Werk eine Venus heißen sollte. Er nannte sie also N e m e s i s , und verkaufte sie mit der ausdrücklichen Bedingung, daß sie nie nach Athen gebracht werden sollte. Va r r o , der gewiß ein Kenner war, hielt diese Nemesis für das vollkommenste Werk der Griechischen Kunst. — Der Umstand, daß Phidias die lezte Hand an die Venus des Alkamenes gelegt habe, ist entweder ein Versehen des Plinius oder seiner Kopisten; Es ist wider alle Wahrscheinlichkeit. Wenn Phidias einem von beyden geholfen, so war’s gewiß dem, der ihm am liebsten war. **)

Zwoo Stellen des Lucian geben von dieser S o s a n d r a eine ausserordentlich große Mey-

nung. Die eine (im 3ten der Dialog. Meretric.) wo die eyfersüchtige Philinna sich gegen ihre Mutter über die Aufführung ihres Liebhabers beklagt, der in ihrer Gegenwart und um sie zu ärgern, die Thais wegen der Zierlichkeit ihres Tanzes, und wegen ihres geschickten Fußes, und 30

ihrer schönen Knöchel und wegen tausend andrer Schönheiten ganz ausschweiffend erhoben hatte. — „ N i c h t a n d e r s (sagt sie) a l s o b d i e R e d e v o n d e r S o s a n d r a d e s K a l a m i s g e w e s e n w ä r e , und nicht von dieser Thais, von der wir ja beyde wissen was dran ist, da wir mit ihr baden.“ — Die andre Stelle findet sich in den B i l d e r n , wo er nebst etlichen andern Statuen eben diese S o s a n d r a auswählt, um aus Zusammensetzung dessen was an jeder das Schönste war das Bild seiner Panthea, oder der vollkommnen Schönheit, zu entwerfen. Lucian nimmt von ihr den Ausdruck von h o l d e r S c h a a m , das l e i s e v e r b o r g e n e L ä c h e l n , und die A n s t ä n d i g k e i t und u n g e s u c h t e Z i e r d e i n d e m Wu r f i h r e r K l e i d u n g . (S. W i n k e l m a n n Gesch. der Kunst. S. 482. nach der Wiener Ausgabe.)

Beschluß der Gedanken über die Ideale der Alten. XIII.

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Zum Bildniß des Jacob le Fevre von Etaples. (Faber Stapulensis.) Wir haben das Bild dieses izt selten mehr genannten Mannes gegeben, weil auch er einen der obersten Plätze unter den ehmaligen Bekämpfern der mönchischen und scholastischen Barbarey in Frankreich behauptet, und in so ferne also mit dem R e u c h l i n , E r a s m u s , A g r i p p a , V i v e s , u. s. w. in Eine Klasse gehört. Er war ein heller Kopf, der sich viel Mühe gab den bessern Sinn und Geschmak im Studieren auszubreiten, und die Jugend zu den Quellen wahrer Gelehrsamkeit anzuführen; aber eben dadurch, und weil er bey Gelegenheit weder der Dummheit in Kutten, noch der Unwissenheit unter Doc-

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torhüten schonte, dem Pöbel der damaligen Philosophastern und Theologastern sich schlecht empfahl. In desto grösserm Ansehen stund er bey allem was in und außer Frankreich gesunder dachte, und dem aufgehenden Tag mit Sehnsucht entgegen sah; vornemlich bey König F r a n z d e m e r s t e n selbst — dem der Beyname le Pere des Lettres mehr Ehre macht, als Ludwig dem 14ten der Beyname des Großen — und bey dessen Schwester, der berühmten Königin M a r g a r e t h a v o n N a v a r r a . Seine hauptsächlichsten Verdienste waren, daß er den Aristoteles und die heilige Schrift besser verstund und auslegte, als es zu seiner Zeit auf der Universität zu Paris Mode war. Seine lateinische Übersetzung der Briefe der Apostel mit kritischen Anmerkungen machte viel Aufsehens; doch wurde er hierinn bald vom E r a s m u s verdunkelt, der ein noch hellerer Kopf war, und ungleich schöner schrieb. Wir haben schon bey einer ehmaligen Gelegenheit *) des großen Lermens erwähnt, der sich Anfangs des 14ten Jahrhunderts in Frankreich wegen der d r e y E h e m ä n n e r d e r H e i l . A n n a erhob. A g r i p p a war in diesem Streite nur der Secundant unsers Le Fevre, seines Freundes; denn dieser war es eigentlich, der die Entdeckung gemacht hatte, daß die Heil. Anna nur Einen Mann gehabt. Damals brauchte es nichts, als daß ein gelehrter Mann sich *)

S. No. 6. des T . M e r k . 1776. Seite 267. in den Nachrichten von C o r n e l i u s A g r i p p a .

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irgend eine solche kleine Historico-Kritische Freyheit herausnahm, um sich alle schwarzen und braunen Kaputze der Christenheit übern Hals zu ziehen. Allein L e F e v r e ließ es nicht dabey bewenden. Nicht zufrieden die drey Männer der h. Anna auf E i n e n reduzirt zu haben, unternahm er nun auch im Gegentheil aus der einzigen Maria Magdalena drey ganz verschiedne Personen zu machen. Die gemeine herrschende Meynung war bisher gewesen, Maria, die Schwester der Martha und des Lazarus, die Maria aus welcher Christus sieben Teufel ausgetrieben, und die ungenannte S ü n d e r i n im 7ten Kapitel des Evangelisten Lukas seyen nur Eine Person gewesen, nemlich die H e i l . 10

M a r i a M a g d a l e n a , die (sonderlich als s c h ö n e B ü ß e r i n ) seit der Wiederherstellung der Künste immer ein Lieblingssujet der christlichen Mahler gewesen ist. L e F e v r e unterfieng sich diese Meynung zu bekämpfen, ungeachtet sie die Autorität des R ö m i s c h e n B r e v i e r s auf ihrer Seite hatte. Seine Gründe sind ein paar hundert Jahre später so gewichtig befunden worden, daß viele gelehrte Geistliche unter den Katholischen kein Bedenken getragen, sie öffentlich als wahr zu behaupten. Aber damals wurde L e F e v e r n ein großes Verbrechen daraus gemacht, und die Sache für wichtig genug gehalten, daß einer der ersten Theologen derselben Zeit, der berühmte Doktor F i s c h e r , Bischof von Rochester, sich in eigner Person an die Spitze der Mön-

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che und Doktoren stellte, und ein mächtiges Buch für d i e E i n h e i t d e r d r e y M a r i e n schrieb, worinn er mit dem kleinen L e F e v r e wie mit einem Renegaten zu Werke gieng. In der That, wenn man die Vorurtheile seiner Zeit bedenkt, war das Unterfangen des kleinen L e F e v r e höchst verwegen. Aber was die Sache vollends verderbte war, daß er sein Büchlein gerade um die Zeit publizierte, da L u t h e r im Herzen Teutschlands sich gegen den Ablas-Handel, einen der einträglichsten Zweige des damaligen Römischen Commercii, auflehnte. Solche Neuerungen waren pessimi exempli, und man konnte sie, wie die Umstände lagen, unmöglich mit der untheilnehmenden Gelassenheit ansehen, womit man in unsern Tagen kritische Fragen von ungleich höherm

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Belang anzusehen pflegt. L e F e v r e war damals schon ein Mann von achtzig Jahren; aber dieses hohen Alters und seiner sehr kleinen Statur ungeachtet noch ein rüstiger Mann, und — ohne sich gleichwohl öffentlich von der katholischen Kirche zu trennen — der damals, unter dem Schutz der nachmaligen Königin von Navarra, in Frankreich sehr überhandnehmenden Parthey der Reformatoren nicht wenig förderlich. Im Jahre 1523. vermehrte er die

Zum Bildniß des Jacob le Fevre

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großen Klagen, welche die Sorbonne bereits über ihn zu führen hatte, durch eine französische Übersetzung der Vier Evangelien, die von den Layen begierigst aufgenommen und häufig gedruckt wurde. Nun wüthete nicht nur der große Klopffechter N a t a l i s B e d a oder B e d d a , ein P i c a r d e r und ein Doktor der Sorbonne, der sich oft dem König Franz I. selbst furchtbar machte, in Centnerschwehren Streitschriften wieder ihn: sondern die hochgedachte Facultät selbst schritt endlich zu seiner öffentlichen D e g r a d a t i o n (denn L e F e v r e hatte die Ehre, ein Doktor der Sorbonne zu seyn) und da auf derselben Anstiften auch das Parlament seinen w e l t l i c h e n A r m gegen den guten alten Mann erhob, möcht’ es ihm übel ergangen seyn, wenn König Franz nicht

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selbst (aus der Gefangenschaft, worinn ihn Carl V. damals hielt) an das Parlament geschrieben, und diese Sache seiner eigenen Erkenntniß vorbehalten hätte. Bey alle dem war für einen Mann von beynahe 90 Jahren, der sein Leben noch liebte und (wie E r a s m u s , ) nicht nach der Märtyrer-Krone strebte, das rathsamste, sich zurückzuziehen, und die gute Sache von jüngern und muthigern Kämpfern ausfechten zu lassen. Dies war es auch was L e F e v r e that. Er verließ Paris, zog nach Meaux, zu dem gelehrten Bischoff W i l h e l m B r i s s o n e t , der die Reformierten eine Zeitlang sehr begünstigte; da ihn die Franciscaner auch von da vertrieben, nach Blois, und zulezt in Güyenne, wo er zu N e r a c , unter dem unmittelbaren Schutz der Königin Margaretha, seiner großen Gönnerin, und im vertrauten Umgang mit den frommen und gelehrten Männern von der Hugenottischen Parthey, welche diese Fürstin um sich hatte, den Rest seines Lebens in Frieden zubrachte, und im Jahr 1537. beynahe hundert Jahre alt beschloß, nachdem er in einem mündlichen Testament seinen Freund G e r a r d R o u s s e l zum Erben seiner Bücher, und die Armen zu Erben aller seiner übrigen Verlassenschaft eingesetzt hatte. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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Auszug eines Schreibens des Hrn. Prof. E s c h e n b u r g s in Braunschweig an den Herausgeber. Der Hr. Prof. E s c h e n b u r g hat für gut befunden, in einem Schreiben vom 21. Jul. sich bey mir zu beklagen, daß ihm in einer neulichen Recension im T. M. Unrecht geschehen, und zu verlangen, daß die Übereilung, derer sich der Recensent schuldig gemacht haben soll, im nächsten Stücke des Merkurs mit zwey Worten zurückgenommen werde. Ich glaube nicht unpartheyischer verfahren zu können, als wenn ich den Lesern die Beschwerde und die Rechtfer10

tigung des Hrn. E. mit dessen eignen Worten vorlege, und ihnen überlasse, selbst auf der Wage des Gerichts abzuwägen, wie viel Unrecht begangen worden, und wie groß die Sünde des Recensenten sey, daß er sich um d i e G e s c h i c h t e d e r Ü b e r s e t z u n g e n quaestionis nicht genauer bekümmert hat. „P. P. Mit vielem Befremden finde ich im Junius des Teutschen Merkurs (S. 260.) die Seichtigkeit der zweyten Abhandlung, die vor der Balladensammlung des Herrn Ursinus steht, mir, als ihrem vermeynten Verfasser, aufgebürdet. Mag doch der Recensent Recht haben, wenn er sie für die Susporte einer jeden beliebigen Thür hält; nur hatte er durchaus kein Recht, sie vor der

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meinigen aufzuhängen. Freylich war es sonderbar, daß Hr. Ursinus am Schluße dieser Abhandlung meinen Namen hinsezte; ich bemerkte dies gleich mit Mißvergnügen als einen Übelstand, der mir noch oben drein zur Eitelkeit ausgelegt werden, und einen flüchtigen Recensenten irre führen könnte. Daß sie nun wirklich einen Mann, dessen Urtheil mir im geringsten nicht gleichgültig seyn darf, irre geführt hat, und noch dazu einen Mann, der offenbar nicht flüchtig recensirte, der auch die angehängten Anmerkungen über die in der Sammlung enthaltnen Stücke, und die G e s c h i c h t e i h r e r Ü b e r s e t z u n g gelesen hat, ist mir höchst empfindlich. In diesen Anmerkungen steht (S. 300.) ausdrücklich, daß die gedachte Abhandlung nicht von mir, sondern

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vom Hrn. A i c k i n ist, auf den also aller Tadel — gerecht oder ungerecht —

A u s z u g e i n e s S c h r e i b e n s ¼…½ E s c h e n b u r g s

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zurückfallen muß. Die Geschichte meiner Übersetzung dieser und der vorhergehenden Abhandlung muß ich hier ergänzen. Herr Ursinus wünschte vor seiner Sammlung eine Einleitung dieser Art. Da es ihm an den dazu nöthigen englischen Schriften fehlte, so bat er mich, ihm damit auszuhelfen, und das zum öftern, und so dringend, daß ich ihm diese Gefälligkeit nicht versagen konnte, ob ich gleich damals mit andern Arbeiten, besonders an der Vollendung des teutschen Shakespare, sehr überhäuft war. Ich besorgte und überschickte ihm also diese Übersetzungen, denen ich selbst Anmerkungen und Erinnerungen für nöthig hielt, die ich aber damals hinzuzusetzen nicht Muße hatte. Zugleich bat ich ihn, meinen Namen dabey zu verschweigen; oder, wenn

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er ihn nennte, meine Entschuldigung beyzufügen. Ich wünschte, er möchte das erste thun; aber er fand das leztre für gut, ohne doch die ganze Veranlassung zu erzählen. Aber auch das, was er darüber sagte, hat mein Recensent im Merkur übersehen; und so bin ich seinem spottenden Tadel unschuldiger Weise zur Beute worden.“ — Soll ich dieser Erzählung, wodurch Hr. Prof. E. sich zu völliger Zufriedenheit des ohnehin wenig um solche Dinge sich bekümmernden Publikums gerechtfertigt haben wird, noch etwas zur Apologie des R e c e n s e n t e n beyfügen, so ists dies: daß dessen Absicht ganz gewiß nicht war, den H r n . E . oder sonst irgend eine lebendige Seele zu vermailigen noch zu betrüben, und daß würklich der ganze Fehler bloß daran liegt, daß er, wie gesagt, d i e G e s c h i c h t e d e r Ü b e r s e t z u n g e n (oder, so zu sagen, Historiam morbi) nicht mit der gehörigen Aufmerksamkeit gelesen. Die Ü b e r s e t z u n g e n s e l b s t scheint er recht gelesen und beurtheilt zu haben. W.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1777)

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¼ D e r D e u t s c h e S p r a c h f o r s c h e r , * ) allen Liebhabern ihrer Muttersprache zur Prüfung vorgelegt. Erster Theil. Stutgart bey Mezler, 1777. …½

*) Wo die aller Ehrenwerthen Patrioten, die Verfasser dieser sprachforschenden Abhandlungen, e r f o r s c h t haben, daß man nicht T eutsch sondern D eutsch schreiben müsse, wünschte ich, bey Gelegenheit, von ihnen belehrt zu werden. W.

¼Anmerkungen zur Anzeige½ D e r D e u t s c h e S p r a c h f o r s c h e r

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Der Teutsche Merkur. September 1777.

¼Fortsetzung der neuesten politischen Gerüchte. … Der Ausdruck dieses Rechts in dem Manifest von 1641. macht von den Einsichten und dem edlen Freyheitsgefühl, das die Portugiesischen Stände belebte als sie das verhaßte Spanische Joch abwarfen, sehr vortheilhafte Begriffe. Sie sagen in diesem Manifest ausdrücklich, d a ß d a s R e c h t d e r h ö c h s t e n G e w a l t i h n e n a l s R e p r ä s e n t a n t e n d e s Vo l k s g e h ö r e . Sie sehen es als eine unzweifelhafte Rechtswahrheit an, que le Royaume et les trois Etats sont en droit de juger et de prononcer sur la succession legitime du meme Royaume, toutes les fois qu’il nait quelques difficulte´s et quelques doutes entre les Pretendans, au Sujet du defaut de descendant du dernier Roi, qui en a ete´ Possesseur; et encore lors qu’ils ont resolu de s’affranchir de la

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domination des Rois, qui par leur mauvais Gouvernement se rendent indignes de la Royaute´. Dieses Recht des Volks und seiner Repräsentanten ist unstreitig in dem Wesen jedes Staats gegründet, und die deutliche Anerkennung desselben muß dem, der die Geschichte mit Menschheitsgefühl studiert, allemahl angenehm seyn; desto mehr wird es ihm gefallen, auch in dem Reiche, das sich besonders unter das J o c h d e s R ö m i s c h e n H o f s begeben hat, und in welchem Aufklärung und gesunde Vernunft nur sehr langsame Fortschritte gemacht haben, — auch in diesem Reiche doch dies Gefühl vom Menschenrecht zu finden. Sollte man sich nicht schämen noch zuweilen in aufgeklärten Ländern sich so auszudrücken, als wenn das Volk um des Monarchen, nicht dieser um jenes willen da wäre, und als verkennte man die große Wahrheit, daß in einem Staat keine Gewalt von oben herab dem Volk aufgedrückt, sondern allemahl von unten herauf durch das Volk (dem sie nutzen und frommen soll) geschaffen sey* ) — Wahrheiten, die schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts und in Portugall gekannt worden!* ) …½

*) Ich bin selbst einer von den Ketzern, die diese Wahrheit verkennen. d. H.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende September 1777)

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¼ Te m p e l d e r U n s t e r b l i c h k e i t , o d e r A n a l o g i e n u n d A p o l o g i e n g r o ß e r M ä n n e r , a u s d e r a l t e n u n d d e r n e u e n We l t . In 3 Th. Münster und Leipzig, bey Perrenon. 1777. … Gewiß ist es ein trauriger Vorbote für den ganzen Zustand unsrer Litteratur, daß man beynahe nichts als solche ungewaschene Produkte anzukündigen hat. Alle Männer, die schreiben sollten und dürfen, schweigen, und nur die Kinder und Unmündige — lallen nicht, sondern lärmen fort. Unter der Maske der Anonymität erscheint ein Knabe so herzhaft im Angesicht des ganzen Publikums, der sich nicht trauen würde ohne Maske vor sechs braven Männern, die seine Richter seyn könnten, den Mund aufzuthun. Allein unsre Pflicht wirds nächstens seyn, den Verfasser mit Namen zu nennen, um den gefaßten Unwillen so manches 10

incommodirten Lesers einigermaaßen zu besänftigen. Auch ist dies ein höchst ahndungswürdiger Kunstgriff, berühmte lebende Männer so schülerhaft ins Angesicht zu loben, Dinge von ihnen zu prädicieren, die man gar nicht oder nur halb weiß, und das alles mit der großmüthigen Mine, als ob’s bey uns gestanden hätte, ihnen zu geben oder zu nehmen. Bald sollte jeder ehrliche Mann die Celebrität wie eine Schlange fliehen, weil sie einem jeden Knaben, der einen Verleger sucht und findet, Gelegenheit giebt, seinen Namen zum Text seiner Betrachtungen zu wählen.* )½

*) Ich gestehe, das ich den Ton von Heftigkeit und Bitterkeit, womit dies gesagt ist, nicht liebe. Indessen bin ich überzeugt, daß mein Freund, der Verfasser der Recension, in der Sache selbst Recht hat, und durch keine Leiden20

schaft getrieben wird, als den gerechten Unwillen, den jeder wohldenkende Mann, dem der Zustand der Wissenschaften und Litteratur in seinem Vaterlande nicht gleichgültig ist, über das Unwesen, gegen welches der Recensent eyfert, fühlen muß. Ich hab es also für Pflicht gehalten, ihm freyen Lauf zu lassen, und dies um so mehr, da die Leser des T. M. mit bestem Fug und Recht erwarten, daß wir bey unsern Urtheilen unsre wahre Meynung frey von der Brust weg sagen. Der Herausgeber.

¼Anmerkung zur Rezension: Behrisch½ Te m p e l d e r U n s t e r b l i c h k e i t

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Aus Mangel an Raum bleibt unsre Beylage zum Bilde des P e i r e s c auf künft. St. aufbehalten.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende September 1777)

An Olympia. Den 24sten October 1777.

I.

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„Der Götterstand (sprach einst, zu seinem P i m p Merkur, der Sultan im Olymp) der Götterstand, Herr Sohn, um ihm sein Recht zu geben, ist, unter uns, beym Styx! ein fades Leben. Ja, wer dazu nicht just gebohren wär, und allenfalls auf acht bis vierzehn Tage, Da ließ’ ichs gelten! — Aber mehr wird u n s r e r D e i t ä t am Ende sehr zur Plage. Man kriegt zulezt des Weyhrauchs so genug! Und für und für zum Dudeldum der Sphären die Grazien tanzen sehn, die Musen singen hören, und immer Ganymed mit seinem Nektarkrug — ich sage dir’s, man kriegt’s genug! Dann noch dazu den ew’gen Litaneyen des Erdenvolks die Ohren herzuleyhen, „Zevs gieb mir dies ! Zevs gieb mir das !“ ein höllisch Galimathias von Bitten ohne Sinn und Maas, um Nichts und wieder Nichts, oft um Unmöglichkeiten — „ E s s i n d j a (sagen sie) D i r l a u t e r K l e i n i g k e i t e n ! S c h ö n We t t e r n u r f ü r m e i n e W ä s c h e ! “ — „ N u r Zween Regentage, Zevs, für meine durstge Flur !“ ruft Mann und Weib aus Einem Munde In Einem Haus, zu Einer Stunde. Der D e d s c h i a l hör’ alle das Gebrüll! Thät’ ich ein einzigmal was jeder haben will, es richtete, beym Styx! die Welt und mich zu Grunde. Kurz, Freund Merkur, schnür deine Stiefeln an, und steig, eh ich des Gähnens müde werde, ein wenig nieder auf die Erde und sieh dich um — vielleicht giebt’s was zu fah’n.“

An Olympia. I. „Der Götterstand (sprach einst …“

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Der Maja Sohn gehorcht, und — ohne anzufragen, ob Juno nach dem Erdenplan was zu befehlen hat, und ohne Donnerwagen — schleicht Jupiter sich (wie die Alten sagen) en masque weg, und wird bey L e d a — Schwan.

II. Von feinerem Gefühl getrieben, vertauschte mit dem Hirtenstand Apollo den Olymp. Er stieg herab, und fand die Menschen, die man ihm a ` son petit Lever

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sehr oft zu schlimm, oft auch zu gut, beschrieben, erträglich erst, lernt’ endlich gar sie lieben. „Die Leutchen (sprach er) wie ich seh’, sind in der Näh’ und wenn man nur auf gleichen Fuß mit ihnen sich setzt, doch ganz was anders als sie schienen, da ich aus meiner Wolkenhöh, Gott weis, wie schief! auf sie herunter schielte.“ Apoll, sobald er Mensch sich fühlte, fand, was er nie zuvor gewußt,

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ein Etwas, H e r z genannt, in seiner linken Brust; und unvermerkt, mit lauter Scherz und Spielen, lernt S e . G o t t h e i t auch für — andre Menschen fühlen, nimmt fröhlich Theil an ihrer Lust, entdeckt sogar zulezt, auch d a s sey würklich Lust und von der besten Art — für Andre sich betrüben; kurz, schmeckt die Wollust D a z u s e y n zum erstenmale ganz und rein, und findt (was ihm so lang geheim geblieben) die Kunst von alle dem sey — L i e b e n .

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A n O l y m p i a (Ende Oktober 1777)

//

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Was unterm Hirtenvolk Apoll nicht alles lernte! — Tausend Sachen, wovon euch Göttern nie ein Wörtchen träumen soll! Den freyen Scherz, das wohlgemuthe Lachen gedrückt von keinem Zwanggesez, und, ohne Absicht, ohne Schraube, das traute freundliche Geschwäz beym Abendstern in angestralter Laube; und o! den großen Talisman 10

die Herzen alle zu gewinnen, den Zauber, den die Charitinnen Cytherens Gürtel eingewebt, was jeden Mangel deckt und jeden Reiz erhebt, G e f ä l l i g k e i t . — „Sey einer von uns Allen, begehre nichts voraus, wir werden D i r gefallen, so wie du u n s gefällst!“ — Die erste Schäferin die, ohne daß sie auf ihn zielte, in frohem Muth und dumpfem Sinn, das Herz ihm aus dem Busen spielte,

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ward seine Sittenlehrerin. „Ein schlechter Hirt — ists möglich ? — vorgezogen d e m s c h ö n s t e n G o t t ? “ — Das schrie um Rache! — Schon griff er in hohem Zorn nach seinem Pythonsbogen; zum Glück entfloh der Sehn’ — ein sanfter Ton. Er stuzt — „Wohin, Hyperion? Halt! bist du nicht ein Hirt, und unter deinesgleichen? Hier muß der Gott dem Hirten weichen, das Herz ist frey! — Versuchs, gewinne sie, verdien den Preis, allein erzwing ihn nie!“

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Stracks geht er hin, und macht aus seinem Bogen das Werkzeug sanfter Lust, den Dolmetsch süßer Pein; Die neue Leyer liegt, mit Sayten straff bezogen in seinem Arm und tönet in den Hayn. Herbeygelockt von ihren Zaubertönen

A n O l y m p i a . I I . „Vo n f e i n e r e m G e f ü h l g e t r i e b e n … “

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versammeln sich die Hirten und die Schönen in frohem Taumel um ihn her; die Harmonie ergreift sie, Arme schlingen in Arme sich, den Füßen wachsen Schwingen, der ungelehrte Tanz dreht rasch sich um ihn her, und wer war glücklicher als Er? Wie lieben Alle nun den Schöpfer ihrer Freuden? Er ist, wiewohl in Hirtentracht, ein Gott für sie — er hat sie glücklicher gemacht! Wie freundlich ihm izt jede Hirtin lacht,

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wie drängt man sich, recht nah an ihm zu weyden? Und wenn am warmen Abendglanz im Rosenbusch zu Chloens Füßen, indeß die Holde manchen süßen verstohlnen Blick am halbgeflochtnen Kranz herunterschlüpfen läßt, wenn dann die sanfte Leyer so lieblich klagt, stets näher sein Gesang ans Herz sich drückt, stets wärmer jeder Klang, und nun, wie sich das allgewalt’ge Feuer in Harmonienström’ ergießt,

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vor Lust ihr Athem stockt, in Lieb’ ihr Herz zerfließt: O welche Wonn’ in diesem Augenblicke des Mitgefühls, ein Mensch, und nur ein Mensch zu seyn? Wie wenig ist Genuß in ungetheiltem Glücke! In ihren Freuden selbst sind Götter stets — allein. Apoll behielt in seinem Hirtenstande vom Gott allein des Wohlthuns edle Macht. Mit jedem Tag erwacht das Hirtenvolk am Peneusstrande zu neugebohrner Lust; ein feineres Gefühl entwickelt sich ganz leise in jeder Brust; Man sieht und hört nicht mehr nach alter Weise; der Nebel fällt vom Antlitz der Natur,

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A n O l y m p i a (Ende Oktober 1777)

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und o! wie schön, wie neu, ist Wald und Flur! Man fühlt sich selbst in allen Wesen leben, vom Blümchen, das der Erd’ entspringt, zum Vogel der in Wipfeln singt, fühlt sich verwebt ins allgemeine Weben durch Erd und Luft — der Geist der Eintracht schlingt sein goldnes Band um Alle, stimmt die Herzen zu sanften Freuden, süßen Schmerzen; die Langeweile flieht, und nur zu leicht beschwingt 10

entfliehen izt, man weiß nicht wie, die Stunden, die man vordem so lang, so drückend schwehr gefunden.

III. Dies alte Wunder zu erneu’n, O l y m p i a , der seltne Ruhm sey Dein! Der schönste aller Deiner Preise! Wohl Dir, die in dem Weyhrauchkreise der Erdengötter nicht den hohen Sinn verlohr für Freyheit und Natur — nach alter teutscher Sitte Sich einen Wald zum Ruhesitz erkohr, 20

und in der Moosbedeckten Hütte, wenn tief im nächtlichstummen Hayn auf ofnem Heerd die heilge Flamme lodert, Sich glücklich fühlt und nichts vom Schicksal fodert. Des Waldes Geister sehn den ungewohnten Schein ringsum die hohen Buchen weissen, und nähern freundlich sich, und heissen willkommen Dich in ihrem stillen Reich. Wir spüren sie, bald leichten Nebeln gleich um halbbestralte Erlen lauschen,

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bald über uns daher durch hohe Wipfel rauschen; ein leises Grau’n schleicht sich in unsre Brust, doch stört es nicht, erhöht nur unsre Lust.

A n O l y m p i a . I I I . „ D i e s a l t e Wu n d e r z u e r n e u’ n … “

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Wir singen, um Dich her im Kreise gelagert, nach der holden Weise die Dir, O l y m p i a , die Musen eingehaucht, „ Z a y d e n s Schmerz bey ihres M o h r e n Klagen “ und fühlen unser Herz im Busen höher schlagen; bis izt der Heerd mit trüberm Feuer raucht, und späte Sterne, die durch hohe Wipfel blincken, uns in die Burg zurück nach unsern Zellen winken. O l y m p i a , was ists das Deinen Wald zum Zaubergarten macht, zum Tempel stiller Freuden,

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zu dem man immer eilt, um ungern draus zu scheiden? O! würdest Du zum Auffenthalt der rauhsten Alpe Gipfel wählen, der rauhsten Alpe würde bald kein Reiz der schönsten Berge fehlen. Und zögest Du bis an den Anadir, wohin Du gehst, die Musen folgen Dir, Dir einen Pindus zu bereiten. Sie die Du stets geliebt, gepflegt, geschüzt belohnen Dich durch ihre Gaben izt.

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Sie schweben Dir in Deinen Einsamkeiten, wenn Du im Morgenthau die Pfade der Natur besuchest, ungesehn zur Seiten; sie leiten Dich auf ihre schönste Spur, und wenn Du sanft verlohren in Entzücken an einen Stamm gelehnt, mit liebender Begier was Du erblickst und fühlst Dich sehnest auszudrücken, so reichen sie den Crayon Dir. Sie sinds, die am harmonischen Clavier der schönen Finger Flug beleben; und wer als sie vermöchte Dir die M e l o d i e n einzugeben, wo das Gefühl als wie von selbst in Töne fließt die tief im Herzen wiederklingen,

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A n O l y m p i a (Ende Oktober 1777)

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die man beym erstenmal erhascht und nie vergißt, und niemals müde wird zu hören und zu singen? O fahre fort, aus Deinem schönen Hayn Dir ein Elysium zu schaffen! Was hold den Musen ist soll da willkommen seyn. Doch allen, die in Deine Wildnis gaffen und nichts darinn als Bäume sehn, dem ganzen Midasstamm, der frost’gen Langeweile mit ihrem Troß, dem Uhu und der Eule, 10

und ihrer Schwesterschaft von Gänschen und von Kräh’n, sey Deine Luft zu rein! Das traur’ge Völkchen weile stets an des Berges Fuß zurück, und banne selber sich aus Deiner Republick. Und so, N a t u r , und ihr, o P i e r i d e n , pflegt eurer großen Priesterin! Ihr sey das beste Loos des Erdenglücks beschieden! Zur Lust an euch ein immer ofner Sinn, ein immer fühlend Herz, und eine Quelle drinn, die nie versiegt, von süßem innern Frieden!

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Was sonst die Sterblichen zu wünschen sich ermüden, ist gleich dem Faß der Danaiden: Wir schöpfen ewiglich, und haben’s kein’n Gewinn! W.

A n O l y m p i a . I I I . „ D i e s a l t e Wu n d e r z u e r n e u’ n … “

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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1777. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.

Viertes Vierteljahr. Weimar.

Der Teutsche Merkur. October 1777.

¼Bemerkungen über einige Regeln für den Geschichtschreiber philosophischer Systeme; über Dutens Untersuchungen ; — und über die a n g e b o h r n e n Begriffe des P l a t o , D e s k a r t e s und L e i b n i t z . … Es ist gewiß, daß die alten Weisen, vorzüglich bey den Griechen, ungleich größer waren, als sie sich uns in den wenigen Monumenten ihrer Gelehrsamkeit zeigen, die auf uns gekommen sind; und ich schätze den P l a t o , A r i s t o t e l e s , Z e n o , E p i k u r ungleich mehr deswegen, weil sie P l a t o , A r i s t o t e l e s , Z e n o , E p i k u r waren, als weil noch einige Reste auf uns gekommen

sind,* )

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durch deren Hülfe wir in das Heiligthum ihrer Theologie und Philosophie

eindringen können.½

*) P l a t o n s und des S t a g y r i t e n noch vorhandne Werke machen wenigstens einen dicken Folioband — das sind doch wohl mehr als einige Reste? H.

¼Ihre schriftlichen Aufsätze sollten blos Lockspeisen und Fingerzeige seyn, über welche man den ausführlichen Aufschluß und Unterricht von ihnen selbst zu hohlen hatte. Eben deswegen hüllten sie ihre Lehren in das Dunkel einer unverständlichen, allegorischen,* ) apokalyptischen Sprache ein, die sie nur in ihren Hörsälen entzifferten.½

*) Dies scheint auf den A r i s t o t e l e s , Z e n o und E p i k u r nicht zu passen. H.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang November 1777)

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¼Am frohen Geburtstage des Prinzen F e r d i n a n d von Preussen. von Mad. K a r s c h i n . * ) …½

*) Wiewohl eine Bitte, die die Kraft eines Befehls hat, die Einrückung gegenwärtiger Strophen der Madam K a r s c h i n veranlaßt: so ergreiffe ich doch diese Gelegenheit mit Vergnügen, dieser ausserordentlichen Tochter der Natur und ihrem wunderbaren Talent hier öffentlich meine Hochachtung zu bezeugen. Die Ergießungen ihrer poetischen Ader und ihres gefühlvollen Her10

zens, wodurch sie einst in ihren glücklichern Tagen die Liebe und Theilnehmung der Nation gewann, sind es wahrlich wohl werth, daß wir für die vergänglichern Produkte ihrer vielleicht allzugroßen Fruchtbarkeit und ihrer in Teutschland so ungewöhnlichen Gabe zum I m p r o v i s i e r e n Nachsicht tragen. Ich, dem bekannt ist, daß die schönsten Eruptionen ihres ehmaligen Feuers — Lieder, die ihr einst bey der Nachwelt den Namen der w i e d e r e r s t a n d n e n S a p p h o verdienen werden — noch in dem verschwiegenen Pult eines Freundes verborgen liegen, ich wenigstens würde mir’s zur Sünde machen, auch das späteste Blümchen einer so schönen Natur, wenn es auch aus Mangel an Wärme nicht mehr zu seiner Reiffe gekommen, mit Füßen zu treten.

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W.

¼Anmerkung: Karschin½ A m f r o h e n G e b u r t s t a g e

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Logogryph. Mich zu errathen laßt euch nicht verdrießen, ich kann unmöglich dunkel seyn. Drey Sylben, lieber Leser, schließen mich selber, und was folget ein: den zarten weißen Pelz, worein im Winter die Natur sich hüllt. (1) Der Muttertreu bekanntstes Bild. (2) Ein Zubehör von jedem Bogen (3) ohn’ welches selbst Alzidens Pfeil euch wenig hilft. Was stets die Welt betrogen und stets betrügen wird. (4) Ein Theil von unserm Kleiderschmuck, nach welchem zu gelüsten den Weibern nicht geziemt; (5) nicht weniger ein Theil des Waffenschmucks worinn sich Tasso’s Helden brüsten. (6) Ein Wort, das nie bey Tag noch Nacht aus seines Liebchens Mund ein Bule gern gehöret; (7) und eine Art von Band, die (wie ein Sprüchwort lehret) man nirgends als — im Himmel macht. (8) Was H e r o oft gesagt, wenn ihren geliebten liebenden Leander zu entführen Aurora gar zu früh erschien. (9) Was ich für Einen Mann nur bin; (10) und ein Naturgeschäft, wozu, wiewohl’s behagt, nach altem Brauch man Helfgott! sagt. (11)

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Wollt Ihr ein Mehrers von mir wissen? Ich störe (unter uns) fast aller Wesen Ruh; und bey verstohlnen Küssen läßt man mich selten zu. (12) J. S.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang November 1777)

Zu den Bildnißen des P e i r e s k und F r a c a s t o r im vorgehenden und gegenwärtigen Stück des T. M. Nikolas Claudius F a b r i , Herr von P e i r e s k (oder Peyresc, wie es auch geschrieben wird) Parlamentsrath zu A i x in der Provence (gebohren den 1. Decembr. des Jahrs 1580. gestorben den 24. Jun. 1637.) war, durch die Vereinigung

einer

unbegrenzten

Begierde

nach

Erkenntniß

mit

einem

ausserordentlichen Grad von allen Tugenden des Herzens, die den edeln und guten Menschen machen, eine von den denkwürdigsten Personen, die der 10

Menschheit im vorigen Jahrhundert Ehre gemacht haben. Peter G a s s e n d i , selbst einer der verdienstvollesten besten Männer seiner Zeit, und sein vertrautester Freund, hat das Leben dieses seltnen Mannes ausführlich und mit Liebe, aber doch so beschrieben, daß die Wärme des Freundes der Rechtsinnigkeit des Philosophen keinen Eintrag thut. Wir gedenken in einem der noch übrigen Monate dieses Jahres einen Auszug des interessantesten aus diesem schätzbaren Buche zu liefern, und hoffen dadurch allen unsern Lesern, denen es Freude macht mit vortreflichen Menschen näher bekannt zu werden, einen angenehmen Dienst zu thun. Für izt mag es also genug seyn, wenn wir denen unter ihnen, für welche unser P e i r e s k eine ganz neue Bekanntschaft ist, mit

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den Worten des B a y l e sagen: daß wenig einzelne Privatpersonen jemals der gelehrten Republik so viele und wichtige Dienste geleistet haben als er. „Er war, so zu sagen, ihr General-Prokurator; er munterte fähige Köpfe auf und unterstützte sie in ihren Unternehmungen auf alle mögliche Weise; theilte ihnen Ideen und Materialien mit; verwendete einen großen Theil seiner Einkünfte die seltensten und nützlichsten Denkmäler des Alterthums zu kaufen oder kopieren zu lassen, und unterhielt zu all diesen Zwecken einen ungeheuren Briefwechsel mit Männern von Genie, Wissenschaft und Talenten im ganzen Europa. Alterthümer, Sprachen, Geschichte, Kritik, philosophische Experimente, Seltenheiten der Natur und Kunst — seine Wissensbegierde

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umspannte alle diese Kreise, und sein Haus konnte mit Recht eine Akademie

Zu den Bildnißen des Peiresk und Fracastor

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der Wissenschaften und Künste genennt werden. „Bey allem diesem lebte und würkte P e i r e s k mit einer Uneigennützigkeit und Freygebigkeit, die eines Fürsten würdig war — und was einen Zug in seinem Charakter macht, der ihm vielleicht ganz eigen ist — dieser Mann, der so viel für die Wissenschaften gethan, der, mit einer unendlichen Menge von Gelehrten und Schriftstellern (worunter manche gar mächtige Prätensionen führten) in Verbindung stund, den Meisten von ihnen mancherley Verbindlichkeiten aufgelegt hatte, und über all dies selbst ein Schriftsteller von Wichtigkeit war — dieser Mann gieng aus der Welt, ohne unter ihnen allen sich jemals einen Feind gemacht zu haben. „Alle Tugenden der heroischen Zeiten“ (sagt der Schönsprecher B a l z a c ,

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der auch hier gern zu viel gesagt hätte, wenn’s möglich gewesen wäre) „waren in dieser schönen Seele vereiniget. Die allgemeine Verderbniß der unsrigen vermochte nichts über seine gute Konstitution, und nichts Böses, das ihn berührte, konnt’ an ihm haften. Seiner großmüthigen Wohlthätigkeit konnten weder das Meer noch die Alpen Grenzen setzen — und er empfieng Danksagungen aus den äussersten Enden von Syrien und sogar von der Spitze des Libanus. In mäßigen Glücksumständen hatte er die Sinnesart eines großen Herrn, und er war ein Mäzen ohne einen August zum Freunde zu haben.“ — Sollte dies nicht mehr als genug seyn, unsre Leser nach der genauern Bekanntschaft mit einem solchen Charakter lüstern zu machen?

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Hieronymus F r a c a s t o r , ein edler Veroneser (gebohren i. J. 1483. gestorben auf seinem Landgut, ohnweit Padua i. J. 1553.) ist unter den Ärzten, die zugleich Dichter waren, von Seiten des poetischen Talents unstreitig der erste — und der einzige der ihm diesen Lorbeer vielleicht streitig machen könnte, würde schwerlich günstig von der Beurtheilungskraft desjenigen denken der die Alpen über die S i p h y l i s setzen wollte. F r a c a s t o r widmete sich den beyden Künsten, die ehmals unter Apollo’s Schutze stunden, aus Neigung. Er war ein Mann von Kontemplativer Gemüthsart, ohne Ehrgeitz, ohne Projekte, mit wenigem vergnügt; ein Feind des Geräusches und der Zerstreuungen der großen Welt, aber ein muntrer angenehmer Gesellschafter im vertraulichen Zirkel seiner Freunde. Da er die Unabhänglichkeit liebte, für keine Familie zu sorgen hatte und sein Erbgut für die Mäßigkeit seiner Bedürfnisse und Wünsche hinreichend fand, so übte er die Arzneykunst ohnentgeltlich aus, um dies edle Vergnügen Gutes zu thun so rein als möglich zu genießen. Aber während

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang November 1777)

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der Kirchenversammlung zu Trident, wo er sich (nach S l e i d a n s Bericht) als bestellter Arzt der heiligen Väter aufhielt, empfieng er aus der päbstlichen Kammer einen monatlichen Gehalt von 60. Goldgülden. Er beschäftigte sich hauptsächlich mit Erforschung der Beschaffenheit und Heilungsart der verzweifelten, wenigstens den meisten Ärzten seiner Zeit unheilbaren Krankheiten, der ansteckenden Fieber, und des Neapolitanischen Übels, welches im 16ten Jahrhundert so grausame Verwüstungen besonders im südlichen und westlichen Europa anrichtete, und so bösartig war, daß es sich, wie die Kinderpocken, sogar durch die bloße Ausdünstung einer damit angesteckten Per10

son, Berührung ihrer Kleider, u. dergl. mittheilte. Sein aus langwierigem Studium und großer Erfahrenheit entstandnes Werk ü b e r d i e a n s t e c k e n d e n K r a n k h e i t e n u n d i h r e H e i l a r t , *) und die Erfindung des unter dem Namen Electuarium Diascordii bekannten Arzneymittels haben ihm eine Stelle unter den Ärzten die zur Vervollkommnung der wichtigsten aller Künste beygetragen — so wie sein berühmtes Gedicht, S i p h y l i s oder Poema de Morbo Gallico Libri III. den ersten Platz unter den neuern lateinischen Dichtern, erworben. So urtheilen wenigstens die größten Kenner, ein Vo s s i u s , ein R a p i n , ein G r a v i n a , u. andere davon, und selbst Julius Cäsar S c a l i g e r **) kann sich nicht entbrechen es ein göttliches Gedicht zu nennen. M e i n

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Gefühl wenigstens stimmt völlig mit dem Urtheil des G r a v i n a ***) überein, der es V i r g i l s vollkommenstem Werke, den Georgicis, an die Seite setzt; und mit R a p i n , der es in seinen Reflex. sur la Poetique allen andern Gedichten der neuern lateinischen Dichter Italiens vorzieht. Ich begreiffe nicht in welcher Laune der Verf. der Nouvell. de la Republ. des Lettres gewesen seyn mag, als er meynte: man hätte Mühe dem F r a c a s t o r zu verzeyhen, daß er über eine so garstige Krankheit, und die er blos als Arzt hätte traktieren sollen, ein so schönes Gedicht gemacht habe. ****) Ich sehe nichts was da zu verzeyhen seyn soll, wenn man bedenkt: daß dies Süjet damals für ganz Europa, und besonders für Italien unendlich wichtig war — daß der Dichter selbst solches

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mit desto größerer Wärme bearbeitete, da er in weiser und glücklicher Heilungsart dieser Krankheit vielleicht der Erste seiner Zeit war, und den Bey*)

De Contagione et contagiosis morbis eorumque Curatione Libri III.

**)

Poetica L. VI. p. 754.

***) **** )

della Ragione poetica. c. 36. Mois de Fevrier 1687.

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namen des G l ü c k l i c h e n deswegen erhalten hatte — daß überdem nichts schwerers war, als ein so eckel- und grauenhaftes Süjet mit so viel poetischem Talent, Geschmack und Delicatesse, wie er gethan hat, zu behandeln, und es dadurch zu einer Quelle der feinsten Ergötzung des Geistes zu machen; daß eben diese S c h w i e r i g k e i t und die N e u h e i t der Materie, die eine solche Menge noch unberührter Gedanken, Bilder und Schilderungen darbot, einen besondern Reiz für ein wahres Dichter-Genie haben mußte; — und endlich, daß es wahres Verdienst um die Menschheit war, in einer Zeit wo die Erhaltung unzähliger Familien und ganzer Nationen bey diesem verhaßten und scheußlichen Gegenstande intereßirt war, die nöthigsten und gemeinnütz-

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lichsten Kenntnisse über denselben durch die darüber ausgegossene Grazien der Poesie und unter einem so angenehmen Vehiculum einer desto größern Anzahl von Personen beyzubringen. Auch gereicht es gewiß dem F r a c a s t o r zum höchsten Lobe, daß er dieses mit den schlüpfrigsten Gegenständen so nah verwandte Süjet mit einer so jungfräulichen Sittsamkeit zu behandeln gewußt, daß die keuscheste der Musen es der Diana selbst mitten im Chor ihrer Jungfrauen hätte vorlesen dürfen. Übrigens verdient noch als ein sonderbarer Zufall in F r a c a s t o r s Leben bemerkt zu werden: daß seine Mutter, da sie ihn als ein noch kleines Kind, auf den Armen trug, vom Blitz getroffen und auf der Stelle getödtet worden, *) ohne daß er selbst den mindesten Schaden dabey genommen; ein Fall der gewiß unter die seltensten gehört, und vielleicht ohne Beyspiel ist. W.

*)

Popeblount zieht den G h i l i n i in Theatro Viror. Eruditor. zum Gewährsmann dieser

Anekdote an.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang November 1777)

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Zur Nachricht. Von dem in No. 169. der H a m b u r g i s c h e n N e u e n Z e i t u n g angepriesenen Buche (wovon nur eine kleine Anzahl Exemplarien gedruckt worden seyn sollen) genannt: K l o p s t o c k , i n F r a g m e n t e n a u s B r i e f e n v o n Te l l o a n E l i s a , H a m b u r g 1 7 7 3 , sind bey mir Exemplarien in Commißion zu haben. Der Preiß des Buchs ist Ein Rthaler. Hofrath Wieland.

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We i m a r i s c h e W ö c h e n t l i c h e A n z e i g e n (Anfang November 1777)

Der Teutsche Merkur. November 1777.

Über das göttliche Recht der Obrigkeit oder: Über den Lehrsatz: „Daß die höchste Gewalt in einem Staat durch das Volk geschaffen sey.“ an Herrn P. D. in C. Schon lange, mein l. Freund, hab’ ich es bey tausend Gelegenheiten erfahren, daß ich für den Herausgeber eines Journals ein viel zu zartes Gewissen habe. Daher allein kommen die kleinen Anmerkungen, die ich mich zuweilen verbunden glaube unter den Text der Aufsätze, die mir von bekannten oder un-

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bekannten Gelehrten eingeschickt worden, zu setzen. Der Augenschein lehrt zwar, daß ich mich seit geraumer Zeit über diesen Punkt mit großer Bescheidenheit und Selbstverläugnung betrage. Indessen begegnet es doch zuweilen, daß ich — wenn ein Verfasser sich entweder auf eine angebliche T h a t s a c h e stützt, von deren Ungrund ich gewiß bin, oder einen Lehrsatz für eine geheiligte Wahrheit ausgiebt, der nach meiner Überzeugung entweder geradezu falsch, oder wenigstens eines von diesen unauflößlichen Problemen ist, über die man ewig Pro und Contra streiten kann ohne jemals an’s Ende zu kommen — in beyderley Fällen es nicht leicht von mir erhalten kann, eine solche Stelle ohne einen kleinen Avis au Lecteur paßieren zu lassen. So gieng’s mir neulich bey der Stelle Ihrer lesenswürdigen Nachrichten von Portugall ( Te u t s c h . M e r k u r S e p t . 1 7 7 7 . ) wo Sie ( S e i t e 265. und 66.) nachdem Sie eine Art von herzlichem kosmopolitischem Jubel darüber angestimmt: daß die Portugiesischen Reichsstände in ihrem Manifest vom Jahr 1641. soviel G e f ü h l v o m M e n s c h e n r e c h t geäussert, und unter anderm darinn ausdrücklich behauptet: „das Volk habe ein Recht durch seine Repräsentanten über die Aufführung seines Königs zu erkennen, und sich von dessen Herrschaft loßzumachen, wofern er sich durch eine schlimme Staatsverwaltung des königlichen Amts unwürdig mache“ — endlich in folgende

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Dezember 1777)

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N u t z a n w e n d u n g ausbrechen: „Sollte man sich nicht s c h ä m e n , noch zuweilen in a u f g e k l ä r t e n Ländern sich so a u s z u d r ü c k e n , als wenn das Volk um des Monarchen nicht dieser um jenes willen da wäre; und als verkennte man d i e g r o ß e Wa h r h e i t , daß in einem Staat keine Gewalt von oben herab dem Volk aufgedrückt, sondern a l l e m a l von unten herauf d u r c h d a s Vo l k (dem sie nutzen und frommen soll) g e s c h a f f e n sey — Wa h r h e i t e n , die schon im vorigen Jahrhundert und (sogar) in P o r t u g a l l anerkannt worden.“ Ich konnte diese Stelle, die mir gleich beym ersten Lesen wider die Stirne 10

fuhr, aus zwoo Ursachen unmöglich, ohne meines Orts Salvanda zu salviren, vorbeygehen lassen — Erstens, weil ich den Satz, den Sie (mit der Gewißheit eines Mathematikers der von einem demonstrirten geometrischen Lehrsatz spricht) für eine g r o ß e Wa h r h e i t geben, für k e i n e Wahrheit halte: und zweytens, weil Sie Sich so auszudrücken scheinen, als ob er mit dem vorgehenden: „ d a ß d a s Vo l k n i c h t u m d e s M o n a r c h e n w i l l e n d a s e y “ völlig von Einem Schlage sey, da doch, meiner Überzeugung nach, zwischen diesen beyden Sätzen ganz und gar keine nothwendige Verbindung ist. — Weil ich aber damals weder Raum noch Zeit hatte, den Grund meines von dem ihrigen (vielleicht n u r d e m S c h e i n e n a c h ) so verschiedenen politischen

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Glaubens anzugeben, und Sie den Ihrigen mit einer so heroischen Zuversicht für Wahrheit gaben: so hielt ichs für anständig und bescheiden, mir den Nahmen selbst zu geben, den Sie mir als einem (nach ihrem System) vom wahren politischen Glauben abweichenden geben müßten, und mich einstweilen bis zum Austrag der Sache demüthiglich für den K e t z e r zu erklären; wiewohl ich, nach der Schärfe zu reden, mich selbst für den R e c h t g l ä u b i g e n und Sie — mit Ihrer Erlaubniß — für den Ketzer hielt. Schon damals war ich entschlossen, mich nächstens über die Gründe meiner Meynung zu erklären: Und nun, nachdem Sie mich in ihrem lezten Briefe so ernstlich dazu auffordern, will ich ohne weitere Vorrede zur Sache schreiten. — „Im Ernste (sagen

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Sie) ich wüßte nicht wie man die große Wahrheit, so wie ich sie ausgedrückt habe, verkennen könnte, und ich wäre sehr begierig zu sehen, wie d e r Ve r f a s s e r d e s g o l d n e n S p i e g e l s , der Lehrer der Könige, das g ö t t l i c h e R e c h t seiner Schüler vertheidigen könnte — u. s. w.“ Die Könige bedürfen weder meines Unterrichts ( denn die S t a r k e n bedürfen des Arzts nicht ) noch meiner Vertheidigung, — oder es stünde übel um

Über das göttliche Recht der Obrigkeit

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ihre Sicherheit. Aber da ich ein Mensch bin, und nichts Menschliches als fremd ansehe, ist mirs ja wohl auch erlaubt über m e n s c h l i c h e — und, so weit meine Divinationskraft reicht — auch über g ö t t l i c h e Dinge, zu sagen was mich recht dünkt. Und so lassen Sie uns dann, wofern Sie just nichts nöthigers oder angenehmers zu thun haben, hören, wie ich das g ö t t l i c h e R e c h t — nicht der Könige oder Monarchen a u s s c h l i e ß u n g s w e i s e , sondern der Obrigkeit überhaupt, oder derjenigen, die (nach S t . P a u l s weisem Ausdruck) G e w a l t ü b e r u n s h a b e n — für den ersten Anlauf behaupten werde. Das g ö t t l i c h e R e c h t d e r O b r i g k e i t ? — Winke mir nicht so furchtbar,

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ehrwürdiger Schatten A l g e r n o n S i d n e y s ! Ich verkenne das g ö t t l i c h e R e c h t d e r M e n s c h h e i t nicht. Beyde Rechte in meinem Sinn, auf gleiche weise heilig, auf gleiche weise in dem höhern Rechte der Natur der Dinge und der Nothwendigkeit (dem wahren göttlichen Rechte) gegründet. Ich werde schreckliche Wahrheiten sagen — wiewohl sich deren nicht Eine sagen läßt, die nicht schon lange vor uns gesagt worden wäre? Denn welche Frage ist von Alten und Neuern mehr untersucht, mehr in alle Arten von Licht gestellt, mehr unter allen möglichen Gesichtspunkten betrachtet, mehr mit allem möglichen Eifer und Interesse f ü r und w i d e r debattirt worden, als die Frage: ob die obrigkeitliche Gewalt G o t t e s O r d n u n g oder bloße M e n -

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s c h e n s a t z u n g sey? Mir ist, denke ich, alles wohl bekannt, was die Vorfechter der würklichen und vermeynten Rechte der Menschheit für ihre Behauptung „ d a ß a l l e r e c h t m ä ß i g e O b r i g k e i t l i c h e G e w a l t v o m Vo l k h e r rühre“ jemals vorgebracht haben. Ich zweifle sehr ob A l g e r n o n S i d n e y , in seinem ausführlichen und vortreflichen Werke Discourses concerning Government irgend einem der bisher auf ihn gefolgt und künftig folgen wird, etwas würklich Neues zur Befestigung dieses Grundsteins seines ganzen Systems aufzubringen, übrig gelassen habe. Sein Buch enthält, neben viel goldnen Wahrheiten, viele höchstverwickelte Probleme, an denen, so wie E r sie behauptet, eben soviel falsch als wahr ist. Diese nach der Schärfe zu prüfen, und das Wahre darinn vom Falschen zu scheiden, würde ein ewiges Werk seyn; und

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Dezember 1777)

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wozu könnt’ es helfen? — Wir werden, hoff’ ich, einen kürzern Weg finden, um aus diesem Labyrinth ins Freye zu kommen. Fürs erste etliche Präliminar-Fragen: 1) Was würde ohne Regierung und bürgerliche Verfassung aus dem Menschengeschlechte werden, oder vielmehr längst geworden seyn? „ B a r b a r e n ? “ — Nein, denn alle Völker, die man so zu nennen pflegt, leben unter einer Art von Regierung. „W i l d e ? “ — Auch diese haben ihre Oberhäupter. Wir wollen also nicht weiter fragen. Das einzige Volk das, soviel man weiß, 10

in v ö l l i g e r F r e y h e i t l e b t , sind die liebenswürdigen, gefühlvollen, geistreichen, glücklichen Einwohner von Te r r a d e l F u e g o ; im Ernste, eine Art von Menschenähnlichen Wesen, die so elend ist, daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach in weniger als funfzig Jahren, zur Ehre der Natur, völlig erloschen seyn wird. 2) Wie lange gab es (allen Urkunden aus den ältern Zeiten unsers Planeten, seit seiner lezten Umschaffung, zufolge) Völkerschaften und große und kleine Staaten, die von Königen und einzelnen Oberhäuptern regiert wurden; bis sich endlich das Volk in etlichen kleinen griechischen Städten einfallen ließ, anstatt eines einzelnen Regulus sich von i h r e r v i e l e n unter einem andern

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Nahmen, und zuletzt (so kurze Zeit es auch dauren konnte) sich g a r n i c h t m e h r regieren zu lassen? 3) Wo ist der Beweis, daß die ersten Könige und Obrigkeiten unter den Menschen e r w ä h l t worden? 4) Wie sollt’ es wohl ein Volk anfangen, um s i c h s e l b s t z u r e g i e r e n ? — Und wenn es, von Natur und Nothwendigkeitswegen, unvermögend ist sich selbst zu regieren, wie kann man sagen: es habe ein natürliches Recht zu etwas, wozu es von Natur unvermögend ist? Und wenn es also kein solches Recht hat, wie kann es ein Recht, das es n i c h t hat, einem andern übertragen? Ich denke, wir haben uns bereits durchs Dickste und Gröbste durchgehau-

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en — Es fängt schon an in dieser Sylva Sylvarum heller vor uns zu werden — Setzen wir uns denn zusammen hin, und sehen in aller Gelassenheit, ob die Wahrheit, von der uns die Begierde sie zu suchen oft so weit wegführt, nicht vielleicht dichte neben uns steht? * * * Über das göttliche Recht der Obrigkeit

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Eine Menge Volks ist — eine Menge g r o ß e r K i n d e r , eben so unfähig ohne Obrigkeit sich selbst in einem leidlichen Zustande zu erhalten, als unsre kleinen Kinder leben und gedeyhen könnten, wenn man sie der lieben natürlichen Freyheit überlassen wollte. Und warum hat die Natur diese leztern so lange bis sie sich selbst regieren können, der E l t e r l i c h e n G e w a l t unterworfen? — als w e i l s i e s i c h e i n e Z e i t l a n g n i c h t s e l b s t r e g i e r e n k ö n n e n . Und hier zeigt sich ein sehr wesentlicher Unterschied zwischen dem Kind, und einem jeden großen Haufen Menschen die sich zusammenhalten, und (es sey nun aus blossem Zufall und Instinkt, nur auf k u r z e Z e i t , oder mit Vorsatz und Überlegung auf i m m e r ) für Einen Mann zu stehen

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gesonnen sind — und die man, in beyden Fällen, Vo l k nennt. Für das Kind kommt eine Zeit wo es sich selbst regieren kann, und sofort hört die väterliche Gewalt auf. Für ein Volk giebts keine solche Zeit in der Natur; je größer, je älter, je aufgeklärter es wird: je unfähiger wird es sich selbst zu regieren. Ich berufe mich über diesen und alle andre Sätze, die ich bloß ihrer Evidenz wegen nicht beweise, auf die allgemeine und besondere Geschichte der ganzen menschlichen Gattung, von soviel Jahrtausenden als man zurückzählen will, bis auf diesen heutigen 31. October 1777. Der Urheber der Natur hat also, durch eben den Akt, durch den er Menschen machte, das e w i g e G e s e t z d e r N o t h w e n d i g k e i t promulgiert: d a ß s i e r e g i e r t w e r d e n

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m ü s s e n : und — so ist alle obrigkeitliche Gewalt, an sich betrachtet, g ö t t lichen Rechts. Wenn sich ein Auflauf unter dem Volk einer Stadt begiebt — wird nicht der erste der beste, der Muth oder Verwegenheit genug hat sich an ihre Spitze zu stellen, ihr Anführer, dem sie blindlings folgen? Erinnern Sie Sich nur der Geschichte des M a s a n i e l l o — sie ist, nach ihren Grundzügen, die Geschichte aller andern Aufrühre, Empörungen und Bürgerkriege. Wenn ein Volk in Gährung geräth und zu schwärmen anfängt, s o m u ß e s — diese Nothwendigkeit f ü h l t gar bald ein jedes einzelnes Glied desselben — e i n e n A n f ü h r e r h a b e n — Und diesen Anführer hat immer die N a t u r gemacht. Es ist der, der die meiste K r a f t hat, der die übrigen in seinen Wirbel hineinziehen und mit sich fortreißen kann, der den meisten Muth, die festeste Entschlossenheit, den feurigsten und anhaltendsten Enthusiasmus äußert. — Unter gewissen Umständen ists wohl auch der, der am besten s c h w a t z e n kann; aber allemal wo gegenwärtige Noth oder Gefahr gefühlt wird, ists sicherlich

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der, der am entschlossensten h a n d e l t . Also — sobald ein vermischter Hauffen Menschen, so klein oder groß er sey, sich, durch irgend einen Zufall, in dem wilden ordnungslosen Zustande, den man vulgo den S t a n d d e r N a t u r nennt, befindet, oder mit Gewalt sich selbst hineinwirft: so wird d e r S t ä r k s t e das Oberhaupt der übrigen — nicht durch eine f r e y e Wa h l , sondern i n K r a f t d e r N a t u r s e l b s t — weil er den Muth hat, sich dazu aufzuwerfen, und die Kraft in sich fühlt, seinen Platz zu behaupten. — Indem ich d e r S t ä r k s t e sage, ist, wie Sie sehen, die Rede nicht vom Stärksten an Knochen und Sehnen, (wiewohl es Fälle giebt, wo ein Sänftenträger mehr zu bedeuten 10

hat als ein Julius Cäsar) sondern vom stärksten an Sinn, Einbildung, Verstand und Muth — von dem, dessen Genius die übrigen im Zwang hält und wie Wasserbäche leitet — und um d i e s e r Stärke willen wurde Julius Cäsar am Ende doch Meister von allen Sänftenträgern in Rom, so gut als von allen Rednern und Schwätzern und kleinen Raubsichtigen Patriziern, parfümierten C i n ä d e n , und aimables Debauche´s, wovon’s im Lager des alten Pompejus wimmelte — und er hätte entweder zuvor das Leben verliehren müssen, oder er m u ß t e , von n a t ü r l i c h e n Z w a n g s r e c h t s wegen, Herr über sie werden. Denn was kann der Obergewalt der Natur widerstehen? Zehntausendmal tausend schwache Menschen sind z u s a m m e n g e z ä h l t nicht stärker gegen

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Einen überwiegend starken, als es jeder von ihnen einzeln ist. Ich dächte nach diesen so unmittelbar auf die Konstitution der menschlichen Natur, und (eben darum!) auf die Geschichte aller Völker von Anbeginn der Welt sich stützenden Prämissen, sollt’ es nun nicht mehr so schrecklich in Ihren Ohren klingen, wenn ich gerade heraussage: d a s R e c h t d e s S t ä r k e r n sey Jure Diuino die wahre Quelle aller obrigkeitlichen Gewalt. Es versteht sich, daß ich mir bey einem Satze, der, so ewig wahr er auch ist, doch ersten Anblicks so gefährlich aussieht, alle Mißdeutungen, Sophismen und verhaßte Folgerungen verbitten muß. Die Rede ist nicht vom M i ß b r a u c h der Stärke und Gewalt — wiewohl d i e N a t u r auch dafür schon gesorgt hat,

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daß gemißbrauchte und tyrannische Gewalt sich selbst zerstören m u ß . Ich betrachte für izt alles bloß i n d e r O r d n u n g d e r N a t u r — und vermöge dieser ist der Stärkste überall im ganzen All der Schöpfung Meister und Herr; und die Schwächern beugen sich vor ihm, lassen sich von ihm anziehen, bewegen sich um ihn her, vertrauen ihm, und erfreuen und trösten sich seines Schutzes: — um so mehr, da, gewöhnlicher Weise, die größte Stärke der wür-

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kenden Kräfte mit verhältnißmäßiger Großmuth, Aufrichtigkeit, Treue und Gutherzigkeit gesellet zu seyn pflegt. Es ist also dem Wesen der Sache gemäß, es ist Facti, ist immer so gewesen, und wird immer so bleiben: unter einem Volk von J ä g e r n ist der kühnste, unverdrossenste, scharfäugigste, duldsamste und dauerhafteste, mit Einem Wort, der beste Jäger, K ö n i g ; unter einem Volke von H i r t e n ists der, der den furchtbarsten Wolf erlegt hat; unter einem w i l d e n Volke das von Krieg und Raub lebt, ists der, der die meisten Feinde erschlagen hat — und so sind, ohne allen Zweifel, die ersten Könige entstanden. Die Natur giebt den Schwächern im Stärkern einen Beschützer, einen Vater. Dies ist ihr großes Gesetz.

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Sie hat es nirgends unter Trompetenschall ausrufen oder durch ihren Kanzler niederschreiben lassen, denn sie hat keine Trompeter und keinen Kanzler, und braucht auch keine — sie s p r i c h t durch W ü r k u n g und T h a t . Sie sagt nicht: „Ihr Planeten sollt die Sonne für euern König erkennen!“ sondern setzt die Sonne mitten unter sie hin; und nun entziehe sich einer ihrer Herrschaft wenn er kann! So stellte sie zu verschiednen Zeiten einen S e s o s t r i s — einen C y r u s — einen A l e x a n d e r — einen C ä s a r — einen A t t i l a — einen C a r l den Franken — einen M u h a m m e d — einen T i m u r b e g — einen G u s t a v Va s a — einen C r o m w e l l auf — —

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Wie? Was? e i n e n C r o m w e l l ? — Ja, m. Fr. einen C r o m w e l l ! — und ich fechte dadurch nicht gegen mich selbst; denn der Plan der Natur ist so unermeßlich groß, daß sie oft und alle Augenblicke uns Kurzsichtigen nach widersprechenden Gesetzen und Zwecken zu handeln scheint. — Ja, dieser C r o m w e l l , der Zerstörer der Staatsverfassung seines Vaterlandes, der Mörder seines Königs, der tapferste, der tugendhafteste, devoteste B ö s e w i c h t , der vielleicht jemals gelebt hat, — war zu seiner Zeit d e r S t ä r k s t e u n t e r s e i n e m Vo l k e , und so folgte daraus, was unter damaligen Umständen folgen mußte. Und — was brauchen wir weitern Zeugnisses? — Die ehrwürdigsten Mächte erkannten, laut oder stillschweigend, sein Recht; Könige neigten sich vor dem Manne, der ihren Bruder öffentlich durch Nachrichters Hand zum Tode gebracht hatte, schickten ihre Gesandte, nahmen die seinigen an, schlossen Bündnisse mit ihm, und suchten seine Freundschaft — Wenn Könige nicht wissen sollten, was i n i h r e r e i g n e n S a c h e recht ist, wer soll’s wissen?

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Doch, dies im Vorbeygehen — denn auf diesem Seitenwege würden wir zu weit von unsrer Hauptfrage verirren. Alles was ich bisher gesagt habe, zweckt dahin ab, als einen Grundsatz aufzustellen: es liege in der menschlichen Natur ein angebohrner Instinkt, denjenigen für unsern n a t ü r l i c h e n O b e r n , Führer und Regenten z u e r k e n n e n , und uns willig von ihm leiten und meistern zu lassen, d e s s e n O b e r m a c h t w i r f ü h l e n : und dies sey die erste Quelle der obrigkeitlichen Gewalt unter den Menschen gewesen. Und nun behaupte ich, eben dieser Instinkt sey auch in der Folge auf Seiten 10

der Völker, die Hauptursache gewesen, warum sie sich bey allen den mannichfaltigen Veränderungen beruhiget haben, die nach und nach, per varios casus et tot discrimina rerum mit der politischen Form und Verfassung der Staaten vorgegangen. Immer verhielt sich d a s Vo l k , d. i. der größeste Theil der Nation l e i d e n d dabey. Denn auch dann, wenn es a n m a ß l i c h e oder erwählte R e p r ä s e n t a n t e n hatte, waren gemeiniglich die R e c h t e d e s Vo l k s nur der Schild und Deckmantel, unter welchem die Mächtigsten unter dem Adel und der Klerisey, und die Ehrgeizigsten, Verschmiztesten und Beredtesten unter dem Volke ihre P r i v a t a b s i c h t e n desto sichrer durchzusetzen wußten. — Wenn etwa noch

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jemand wäre, der nicht wüßte, w a s R e p r ä s e n t a n t e n e i n e r N a t i o n s i n d ; so kann er sich aus der neuern und neuesten Geschichte einer gewissen Ile flottante so treflich davon belehren, daß es ihm, alles zusammengerechnet, (wenigstens) eben so s i c h e r dünken wird, seine M e n s c h h e i t s r e c h t e in unsers lieben Herrn Gottes unmittelbarem Schutz zu wissen, als in den Händen solcher Repräsentanten, die alle Augenblicke die Rolle vergessen, die man ihnen zu spielen gegeben hat, und auch, wenn sie’s am besten zu machen scheinen, doch immer nur s i c h s e l b s t repräsentiren. Man durchgehe die Geschichte aller Wa h l r e i c h e und aller erwählten Regenten, und sehe — wieviel die Nation dabey gewinnt, daß etliche aus ihrem

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Mittel das Recht haben, denjenigen zum König zu setzen, der ihrem besondern Interesse am zuträglichsten ist! — Und eben weil in einem Wahlreiche der gemeine Mann, der doch den zahlreichsten und wichtigsten Theil der Nation ausmacht, gar wohl fühlt, wie wenig es ihm verschlägt, w e r ihn beherrsche,

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indem sein Schicksal im Ganzen genommen unter d i e s e m und j e n e m immer das Nehmliche bleiben wird: so sehen wir ihn so ruhig und gleichgültig abwarten, was die Götter dießfalls beschliessen; oder wenn er sich ja für Einen Kandidaten mehr als für den andern intereßiert, so ist es entweder aus irgend einer dumpfsinnigen Partheylichkeit für dessen Haus oder Person, oder aus vermeyntem Religionsinteresse, oder weil er unter dem einen mehr in Ruh und Frieden zu leben hoft als unter dem andern. Allein, da auf seine Theilnehmung so ganz und gar nichts ankömmt — so ists im Grunde für ihn auch einerley, ob der Oberherr, der ihm gegeben wird, dazu g e b o h r e n oder e r w ä h l t sey. Sobald er nur einen Reuter auf seinem Rücken fühlt, der seiner

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m ä c h t i g ist, so giebt er sich zufrieden, folgt dem Zügel, und duldet den Sporn. Überhaupt sehen wir, daß die Völker sich gerne unter eine e r b l i c h e Regierung schmiegen, gerne einem gewissen H a u s e , einer festgesetzten Folge von Prinzen, unterthan sind; sich gar bald angewöhnen, diese ihre H e r r e n für eine höhere Art von Wesen anzusehen, und vor einem neugebohrnen Kronoder Erbprinzen kaum mit weniger Andacht, Glauben, Liebe und Hofnung die Kniee beugen, als die heil. Drey Könige vor dem Christkindlein. All dies, lieber Herr und Freund, ist in der menschlichen Natur; und Wohl dem gemeinen Manne, dem kein S t e p h a n u s J u n i u s B r u t u s , kein M i l t o n , kein

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A l g e r n o n S i d n e y , keine C a t o’ s B r i e f e , dies treuherzige Gefühl wegphilosophiert haben! Er nimmt seine Regenten, gut oder schlimm, als ihm v o n G o t t g e g e b e n , an, und ein b ö s e r H e r r müßte beynahe der D e d g i a l selbst seyn, bis dem Volk einfiele, die Frage aufzuwerfen: ob es auch wohl schuldig sey, alles von ihm zu leiden? — So tief sitzt im Menschen das Gefühl, daß die bürgerliche Gesellschaft, eben so wie die ganze Natur, von einer höhern, alles umfassenden, unabhängigen, und unwiderstehlichen Macht zusammengedrückt und dadurch in ihrer Form erhalten werden müsse *) — und sofern ihm nur erlaubt ist, über die eine und andre dieser regierenden Mächte zu m u r r e n , wenn sie’s ihm nicht nach seinem Sinn und Bedürfniß machen: so fällt ihm nicht ein, sich gegen sie a u f z u l e h n e n , und ein einziger Sonnenblick ist wieder hinlänglich ihn zufrieden und gutes Muths zu machen. *)

Die Instanzen die ich hievon aus den sogenannten F r e y s t a a t e n selbst herhohlen könnte,

wenn es hier Raum und Absicht gestatteten, würden diese Wahrheit auf die frappanteste Weise bestättigen.

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In ältern Zeiten hatten die Menschen einen grossen Glauben an das L o o s , oder was wir den ohngefähren Zufall nennen. Sie sahen es als eine Art von Orakel an, als einen unmittelbaren Ausspruch der Götter, auf den sie mehr Vertrauen setzten als auf ihre eigne Klugheit. Und so wurde auch zuweilen, bey Erledigungsfällen die Ernennung des neuen Regenten dem Loos oder Zufall überlassen — wie in vielen Republiken noch heutiges Tages geschieht. Die E r b f o l g e ist eine Art von Loos, die in den Augen der Völker eben dadurch eine ganz eigene Heiligkeit erhält, daß man (und dies mit bestem Grunde) den Prinzen, der vermöge des Erbfolge-Rechts zum Thron gebohren wird, gerade 10

so ansieht und aufnimmt, als ob ihn ein Engel Gottes sichtbarlich aus den Wolken herab gebracht, und mit einer durchs ganze Land hinschallenden Stimme gerufen hätte: S e h e t , d a s i s t e u e r H e r r ! Und man braucht nur die Menschen, anstatt sie in abstrakten Theorien studiert zu haben, aus dem gemeinen Leben kennen gelernt, und ihre Art zu empfinden und sich die Sachen vorzustellen in vielen besondern Fällen beobachtet zu haben, so wird man (glaube ich) so überzeugt seyn als ich es bin: daß ein Volk zu einem Prinzen, der ihm solchergestalt aus dem Himmel in den Schoos gefallen ist, mehr Vertrauen hat als zu einem den es selbst erwählt hätte. Daß freylich die Herren P h i l o s o p h e n , und S t a a t s g e l e h r t e n , und all das ehrsüchtige Völk-

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lein, das auch gerne am Ruder sitzen und die Welt regieren helfen möchte, anders gesinnt ist, wollen wir ihnen nicht verdenken; es ist sehr natürlich; nur sollen sie auch bedenken, daß sie nicht das Volk, vielleicht nicht einmal der zehentausendste Theil des Volks sind, zu dessen ungebetnen Vertretern sie sich aufwerfen. Die Natur hat jedem ihrer Geschöpfe die Triebe und innern Anlagen gegeben, ohne die es nicht das werden könnte, was es seyn soll. Da die menschliche Gattung ohne Regierung nicht glücklich seyn, nicht einmal erhalten werden konnte; so ist der Mensch von Natur das gelehrigste und lenksamste aller Wesen — man müßte ihn denn nur gar nicht zu behandeln wissen. Was ihn aber

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am meisten geschickt macht, sich regieren zu lassen — und s o r e g i e r e n z u l a s s e n , wie es gewöhnlich geschieht — sind drey oder vier charakteristische Züge, um derentwillen er sich von seinesgleichen schon oft hat den Görgen singen lassen müssen — Zum Exempel, daß Tausend Menschen, die man einzeln nicht vom Flecke bringen könnte, alle zusammen hinter drein ziehen werden, sollt es auch durch die Pforte der Höllen seyn, sobald Einer vorangeht

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und ruft: ein braver Kerl geht mit! — Sodann: daß sie es einem Jedem herzlich Dank wissen, der ihnen die Mühe erspart, sich über eine Sache, die gleichwohl besorgt werden m u ß , den Kopf zu zerbrechen; ferner: daß sie sich sehr leicht an etwas g e w ö h n e n , daß nichts so albern, widersinnisch, unlustig, mühselig und beschwerlich ist, das ihnen die Gewohnheit nicht erträglich, und zum Theil so leicht macht, daß sie es zuletzt gar nicht mehr fühlen — und endlich: daß sie größtentheils und in den meisten Augenblicken ihres Lebens in einem Nebel wandeln, der sie nicht viel weiter als vor ihre Füße hin sehen läßt; so daß sie sich um alles Gegenwärtige, was ein wenig weit von ihnen liegt, wenig, und um die Zukunft oder die entferntern Folgen des Gegenwärtigen gar nicht

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bekümmern — Vier Qualitäten, die (unter uns gesagt) der weltberühmten menschlichen Ve r n u n f t eben nicht die größte Ehre machen. Aber — o h n e s i e , wie sollten auch Menschen von ihresgleichen regiert werden können? — Denn nachdem Regierung und bürgerliche Ordnung einmal bey den verschiednen Völkern Platz genommen und Wurzeln geschlagen: so wird freylich der Fall, daß d i e R e g e n t e n würklich auch die B e s t e n unter ihrem Volke sind, immer seltner. Aber es bedarf auch dessen nicht schlechterdings. Denn, wenn das Werk nur einmal eingerichtet und im Gange ist, so braucht es eben keiner so starken Hand, es darinn zu erhalten; die G e w a l t und Kraft, die den Staat zusammenhält, liegt dann in der ganzen politischen Maschinerie; und es

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ist zur Noth genug, wenn derjenige, der dafür angesehen wird als ob er den Olympus trage, nur untersteht und repräsentiert. Wäre das nicht, so müßte von zween der größten Reiche in Europa schon längst keine Fuge mehr in die andre passen. — Freylich kommen dann auch Fälle — aber darum giebts auch keine Maschine und keinen Staat, der ewig dauert. Ich habe behauptet: daß die Völker, aus eben dem Grunde n a t ü r l i c h e r N o t h w e n d i g k e i t , der obrigkeitlichen Gewalt unterworfen sind, um dessentwillen die Kinder n a t ü r l i c h e U n t e r t h a n e n i h r e r E l t e r n sind. Es wäre leicht die Ähnlichkeit zwischen einem Volke und einem Kinde ausführlich darzuthun wenn es, nach dem was ich eben über die Ursachen der sonderbaren L e n k s a m k e i t der menschlichen Gattung gesagt habe, noch nöthig wäre. Das bekannte: I h r G r i e c h e n b l e i b t e w i g K i n d e r ! ist ein Compliment, das man, ohne sich an ihrer angeblichen M a j e s t ä t zu versündigen, allen Nationen in der Welt machen kann. Und wie sollt’ es auch anders

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seyn können, da jedes Volk, statt der täglich abgehenden, täglich wieder mit K i n d e r n rekrutiert wird, und das eigentliche Alter der Vernunft bey jedem Menschen nur ein s c h m a h l e r I s t h m u s zwischen einer z w i e f a c h e n K i n d h e i t ist? — Ja selbst in diesem Alter der Vernunft, welch ein Unterschied zwischen tausend Menschen, jeder einzeln und für sich in seinem eigenen Würkungskreise genommen, und eben dieser tausend Menschen, wenn sie in Einen Hauffen versammelt sind? Ists nicht uralte, millionenmal bestätigte Wahrheit, daß die Menschen, sobald sie sich in eine Masse zusammendrängen, einzeln den größten Theil ihrer Kraft verliehren? Wie oft hat man 10

gesehen, daß die gescheidtesten Leute, einer oder vieler Nationen, sobald sie in großer Anzahl feyerlich und in Ceremonien-Röcken versammlet sind, um über die wichtigsten Gegenstände der Menschheit in Corpore zu deliberieren, — sich just in Corpore so albern betragen, so wenig wissen was sie wollen, einander so wenig verstehen, soviel Zeit mit Nebendingen verderben, über die klärsten Dinge so viel schwatzen, punktieren, grübeln, zanken und sophistisieren, als ob sie die ausgemachtesten — A b d e r i t e n wären; und endlich — nach Gott weiß! wieviel Seßionen — zulezt doch entweder gar nichts zu Stande bringen, oder von einem Einzigen, der durch List oder Gewalt Meister über sie wird, sich bemaulkorben, und (gern oder ungern) ganz anderswohin führen

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lassen müssen, als wohin sie anfangs gehen wollten? Und wenn es denn eine so große Wahrheit ist und bleibt, daß Kinder und Völker aus dem nehmlichen Grunde regiert werden m ü s s e n : wie auffallend ist nicht das Widersinnische in der Meynung derjenigen, die zu einem M e n s c h h e i t s r e c h t e machen: „das Volk habe ein unverlierbares Recht über die Regierung seiner Obrigkeit zu urtheilen, und sich z. E. der Herrschaft seines Königs zu entziehen, wenn er durch eine schlimme Regierung sich der Krone unwürdig gemacht.“ Wie? K i n d e r — die eben darum, weil sie sich nicht selbst regieren können, unter Väterlicher Gewalt stehen — sollen ein Recht haben, ihren Vater zu controlieren? Entscheidend zu urtheilen, ob seine

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Befehle vernünftig und zu ihrem Besten zweckmäßig seyen? Ob er ihnen nicht mehr Spielzeug und Naschwerk geben sollte? Ob er ihnen in diesem oder jenem Fall die Ruthe auch wohl mit Recht, oder nicht zu stark, oder keinen Streich zu viel gegeben habe? Ob er auch Weisheit und Tugend genug habe, so liebe, artige, gescheidte, und im Grunde doch alles besser wissende Kinder, wie sie sind, zu regieren? Ob er nicht zuweilen selbst thue was er ihnen ver-

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beut? Und ob sie also nicht gar wohl befugt seyen, sich mit gesamter Hand über ihn her zu machen und i h m die Ruthe auch zu geben, die er sie so oft unbilliger weise empfinden lassen? u. s. w. Feine, weise, wohl überlegte Grundsätze — deren Einführung in die Kinderzucht und in die bürgerliche Regierung herrliche Folgen haben würde! — Es mag, wenn Sie wollen, eine ganz löbliche Beschäftigung der Herren Philosophen seyn, immer und ewig darüber zu raffiniren, wie den Gebrechen und Schäden der Menschheit und ihren Einrichtungen geholfen werden könnte: Nur müssen die Mittel, die sie uns dazu anpreisen, nicht (wie leider! fast immer der Fall ist) ärger seyn als das Übel selbst, wovon sie uns heilen oder dem sie zuvorkommen wollen.

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* * * Ich sehe wohl, daß ich noch gar viel zu sagen hätte, wenn ich ins Detail gehen, die Verbindung meines Grundsatzes mit den ächten und allgemein anerkannten Grundmaximen einer jeden guten bürgerlichen Regierung zeigen, und auf alle Einwürfe, die ich voraussehe, auch voraus antworten wollte? — Aber,

mhden agan ! — Nur dies lassen Sie mich itzt noch sagen: Wenn wir die Weltgeschichte von Jahrhundert zu Jahrhundert, und die besondern Völkergeschichten von Generation zu Generation übersehen und vergleichen, und sehen dann, wie wunderbar die unermeßliche Kette von Ursachen und Würkungen sich fortschlingt; wie immer ganz andre Effekte herauskommen als man von

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den vermeynten Ursachen erwartet hätte; wie ein Reich, dem von seinen eignen Staatsärzten der gewisse Untergang als eine Folge jeder angeblichen Sottise, so die Regierung gemacht, zwanzig und mehr Jahre hintereinander angedroht worden, dem ungeachtet sich in seinem Stand und Wesen erhält, und die Weissagungen seiner Propheten zu Schanden macht; wie oft die klügsten Maasregeln nichts, und dagegen ein dummer Streich wider Wissen und Hoffen dessen der ihn gemacht, den besten Effekt hervorgebracht; wie mitten unter allen anscheinenden Ursachen einer allgemeinen Zerrüttung sich das Ganze doch immer im Gleichgewichte, und jede Nation wenigstens in einem leidlichen Zustande erhält — kurz — wenn wir sehen, durch was für ein M i n i m u m v o n We i s h e i t die Welt regiert und wahrlich wenigstens so regiert wird, daß es schwehrlich einer von uns besser machen würde: so däucht mich, es leuchte stark in die Augen: daß es bloß die in allen Regierungen hinter der Scene spielende T h e o k r a t i e sey, welche macht, daß es, trotz un-

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sern eiteln Besorgnissen — nicht schlimmer, und oft gegen alle unsre Deduktionen, Theorien, und Demonstrationen soviel besser in der Welt geht, als es, unsrer einfältigen Meynung nach, gehen sollte. Übrigens hoffe ich, Sie werden mit mir überzeugt seyn, daß die Auflösung des politischen Problems, worüber ich Ihnen hier meine geringe Meynung en gros mitgetheilt, auf welche Weise sie auch geschehe, in die Praxin wenig oder keinen Einfluß habe. Dergleichen Dinge sind gut per la predica: Im Leben selbst aber bleibts doch immer beym Alten. Es gab eine Zeit, wo die Monarchenfresser — gefährlich waren; dermalen braucht C l a u s Z e t t e l seinen 10

Kopf nicht aus der Löwenhaut hervorzustecken, um uns zu sagen, daß er kein Löwe im Ernste sey. Der C y n i s m u s , der je länger je mehr Mode zu werden scheint, und unter Dessen mancherley komischen Symptomen auch dies ist, daß wir so stolze Blicke aus unsern Tonnen hervor auf die Könige werfen — wird wie alle unsre Moden vorübergehen, und schwehrlich mehr Spur hinter sich lassen, als die Ellenlangen Haaraufsätze und die dreyfingerbreiten Haarbeutel. Und so lassen Sie mich mit einer Wahrheit schließen, die gewiß von uns Beyden, so verschieden wir auch über den Grund der obrigkeitlichen Macht denken mögen, mit gleichstarker Überzeugung für eine g r o ß e Wa h r h e i t anerkannt wird, — und die ich nicht besser noch kürzer auszudrücken weiß,

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als wie sie auf dem Grabmal der berühmten Mistris M a c a u l a y eingegraben steht: Government is a Power delegated for the H a p p i n e s s of M a n k i n d when conducted by Wisdom, Jvstice and M e r c y . Und — um dieser theoretischen Wahrheit auch noch eine Nutzanwendung

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beyzufügen — möchten O b r i g k e i t e n und U n t e r t h a n e n der Ermahnung P a u l s des Apostels — der auch bloß als Mensch einer der Weisesten und Größten war die je gewesen sind — ewig treu bleiben:

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Ihr Kinder, seyd gehorsam den Eltern in a l l e n Dingen, denn dies ist dem Herrn gefällig ! Ihr Väter, e r b i t t e r t eure K i n d e r n i c h t , auf daß sie nicht s c h e u werden! W.

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Zum Bilde des Justus Lipsius. Ein Mann, der unter den Philologen und Philosophen des XVI. Jahrhunderts einen der ersten Plätze behauptet hat, und im Tempel des gelehrten Nachruhms noch immer einnimmt, weil itzt niemanden mehr daran gelegen ist, sein und vieler andern seines gleichen Recht und Titel n a c h d e r S c h ä r f e zu untersuchen. Das Bildniß, das wir von ihm diesem Stücke vorgesetzt haben, hat das Verdienst einer ziemlich genauen Gleichheit mit demjenigen in B u l l a r d s A k a d e m i e , das für ein Original gelten kann, und nach welchem wir’s haben 10

kopieren lassen. Wir empfehlen es den P h y s i o g n o m i k e r n sowohl als den P a t h o g n o m i k e r n — als für welche beyde Arten von Gnomikern oder G n o s t i k e r n , wir unsers Ortes, unter gehörigem Vorbehalt und certa ratione modoque, allen gebührenden Respekt tragen — um zu sehen und zu forschen, ob und in wiefern aus diesem Kopfe, dieser Stirne, dieser Augen, dieser Nase, diesem Munde, diesem Umriß des Gesichts, diesen Zügen, Runzeln u. s. w. sich a ` posteriori verificieren und bestätigen lasse, daß dieser nehmliche J u s t u s L i p s i u s : *) 1) Einer von den Glücklichen gewesen, die man ihres G e d ä c h t n i s s e s wegen unter die Prodigia zählt **), so daß er z. E. sich einst, in Gegenwart

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des durch seine P i n a k o t h e k bekannten R o ß i oder E r y t h r ä u s , bey einem großen Herrn gerühmt, er habe den ganzen Tacitus so völlig inne, daß er ihn auswendig hersagen könnte, und bereit sey, einen Mann mit blossem Schwerdte neben sich stellen zu lassen, der ihm den Kopf spalten dürfte, wenn ihm nur ein einziges Wort fehle; 2) daß er ein leicht zu erschütternder, furchtsamer, Geschäfte fliehender, die Ruhe und den gelehrten Müßiggang liebender Mann gewesen, und mit allen diesen Qualitäten sich in den Kopf gesetzt, d i e S t o i s c h e P h i l o s o phie wiederherzustellen ; *)

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Gebohren ohnweit Brüssel, im Jahr 1547. gestorben zu Löwen, im Jahr 1606.

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Aus genauerer Vergleichung seiner P h y s i o n o m i e , seines L e b e n s und seiner S c h r i f t e n , möchte sich wohl ergeben, daß dieses Wundergedächtniß die Hauptquelle seiner Verdienste und seines in der gelehrten Welt erlangten Ruhms gewesen. Zum Bilde des Justus Lipsius

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3) daß er aber doch mit aller seiner Prätension an die hohe Stoische Weisheit und mit allen seinen Bemühungen, die Moral-Philosophie dieser Sekte wiederherzustellen, nicht einen einzigen Jünger gebildet, der irgend eine denkwürdige That gethan, oder nur soviel vom ächten Stoiker in sich gehabt hätte, als ehmals der Römische Senator F a v o n i u s vom C a t o in sich hatte, dessen ewiger Affe er war. 4) Daß er in seinen jüngern Jahren in der R e l i g i o n , über alles Beyspiel, u n b e s t ä n d i g , *) im Alter hingegen, in einem Grade der seiner Urgroßmutter Ehre gemacht hätte, d e v o t gewesen, und seine arme Vernunft gänzlich unter den Gehorsam seiner damals schon großmächtigen Gönner, d e r J e -

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s u i t e n , gegeben, bey denen er ehmals erzogen worden, und für die er immer die größte Verehrung profitirte; auch es endlich soweit gebracht, daß er 5) zwey schöne Bücher, eines von den Gnaden und Wundern u n s e r e r l i e b e n F r a u z u H a l l , und das andre von den Wu n d e r n u n d G n a d e n u n s r e r l i e b e n F r a u z u S i c h e m geschrieben, worinn ein Wunderglaube, und ein Ton von Devotion herrscht, der den glaubseligsten aller Karmeliter und Kapuziner beschämen könnte. **) 6) Daß er, ungeachtet der großen Humanität, die seine Freunde an ihm rühmen, mitten in einer Republik, die ihn als einen armen Flüchtling liebreich aufgenommen und mit Ehre und Wohlthaten überhäuft hatte, und mit-

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ten in den Zeiten, wo die Religion, wozu die Republik sich bekannte, und zu der e r s e l b s t sich bekannte, von den Spaniern aufs grausamste verfolgt wurde, den Muth gehabt zu behaupten: m a n m ü s s e i n E i n e m S t a a t n u r E i n e R e l i g i o n d u l d e n , und es sey e r l a u b t , m i t F e u e r u n d S c h w e r d t *)

Er war R ö m . K a t h o l i s c h gebohren und erzogen. In seinem 25sten Jahre machte er zu

Jena, wo er einige Zeit Professor war, den überzeugten L u t h e r a n e r ; gieng darauf nach Cöln und von da in sein Vaterland zurück, und war w i e d e r Röm. K a t h o l i s c h ; flüchtete hierauf der Kriegsunruhen wegen nach Leiden, nahm eine Professorstelle mit ansehnlicher Besoldung an und machte den C a l v i n i s t e n , bis er (um den bösen Händeln, die er sich durch öffentliche Vertheidigung der Zwangsmittel und körperlichen Strafen gegen Religionsdissentienten zugezogen, auszuweichen) ums Jahr 1592 sich wieder in den Schutz des Königs von Spanien begab, und sein übriges Leben durch der R ö m . K i r c h e eifrigst beygethan blieb. Das erbaulichste ist, daß der Mann, der in der Religion so unbeständig war, ein Buch de Constantia schrieb. **)

In diesem einzigen Punkte wenigstens war Lipsius ein ä c h t e r S t o i k e r . Vid. C i c e r o de

Natura Deor. wo Ve l l e j u s den Stoikern verschiedne Komplimente wegen ihrer supererogatorischen Verdienste in diesem Artikel macht.

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gegen die öffentlichen Bekenner einer a n d e r n z u w ü t h e n *) — und endlich 7) daß er, bey aller von ihm gerühmten ungemeinen Bescheidenheit, gleichwohl e i n s o h o h e s G e f ü h l s e i n e s w e r t h e n S e l b s t s und eine so ungeheure Meynung von seinen Verdiensten und Thaten geheget, um d e r h e i l . J u n g f r a u die S c h r e i b f e d e r , womit er die vorgedachten beyden Bücher geschrieben, mit folgender ungemein modesten Unterschrift, zu widmen: H a n c , D i v a , pennam, interpretem mentis meae, per alta spacia quae volavit aetheris, per ima quae volavit et terrae et maris,

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Scientiae, Prudentiae, Sapientiae operata semper, ausa **) quae C o n s t a n t i a m describere et vulgare; quae C i v i l i a , quae M i l i t a r i a atque P o l i o r c e t i c a , quae, R o m a , magnitudinem adstruxit tuam, variaque luce scripta prisci saeculi affecit et perfudit: hanc Pennam tibi nunc, D i v a , merito consecravi L i p s i v s ; nam numine istaec inchoata sunt tuo, et numine istaec absoluta sunt tuo, etc.

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Diese Feder, G ö t t i n , meiner Seele Dolmetsch, sie, die durch des Ethers hohe Räume flog, durch die Tieffen flog der Erden und der Meere, die, der Wissenschaft, der Klug- und Weisheit immer dienstbar, die B e s t ä n d i g k e i t zu schildern s i c h e r k ü h n t e , die des F r i e d e n s - und des K r i e g s R e g i e r u n g s k ü n s t e schrieb, und deine Größe kund that, altes R o m , und mit mannichfaltgem Licht des Alterthumes Nachlaß überstralte; d i e s e F e d e r , Göttin, 30

*)

U r e , s e c a , ut membrorum potius aliquod quam totum corpus intereat, sind die eignen

erbaulichen Worte unsers c h r i s t l i c h e n S e n e c a in seiner C i v i l i D o c t r i n a L. IV. c. 3. einem seiner elendesten Bücher. **)

Da steht einmal das Wort am rechten Orte!

Zum Bilde des Justus Lipsius

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weihet izt, wie billig, dir dein L i p s i u s ; denn durch deinen hohen Beystand ward dies alles einst begonnen, und zu Stande kams durch deinen Beystand u. s. w.

Als eine Z u g a b e zu all diesem wünschten wir besonders von den P h y s i o g n o m i k e r n zu vernehmen, ob sie aus diesem Gesichte nicht auch sehen könnten, d a ß L i p s i u s d i e M u s i k n i c h t l e i d e n k o n n t e , hingegen ein großer B l u m i s t , und so sehr ein Liebhaber von Hunden war, daß er einst ihrer drey (das für einen Gelehrten und Stoiker immer genug ist) auf einmal hatte, M o p s u s , M o p s u l u s , und S a p h i r genannt, von deren Weisheit, Tugend und großen Verdiensten er in einem seiner Briefe (Centur. I. 44.) nicht

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genug Rühmens machen kann. Die P a t h o g n o m i k e r aber möchten wir fragen: ob sie es dem Manne, dessen Stirne so voll weiser F a l t e n ist, wohl ansehen, daß er in seiner ersten Jugend einer von denen gewesen qui Curios simulant et Bachanalia vivunt, und hernach, zumal bey einer so zahlreichen Nachkommenschaft von Kindern, seines Gedächtnisses und seiner Schreibfinger, nicht soviel prokreative Kraft habe zusammenbringen können, um in einem vieljährigen Ehestande auch nur ein einzigmal den Vaternahmen zu verdienen. Dieser gedoppelte Umstand mag nun in seiner Physiognomie geschrieben stehen oder nicht, wahr ist er auf jeden Fall. Mit allen diesen Eigenschaften nur, machte J u s t u s L i p s i u s , nebst C a -

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s a u b o n u s und S c a l i g e r , das G e l e h r t e Triumvirat seiner Zeit aus, und — wie nun die Welt einmal dazu gemacht ist, betrogen zu werden, weil sie betrogen werden will — der Senat von Antwerpen ehrte sein Gedächtniß mit einer ehernen Bildsäule und folgender Aufschrift: Si simplex a n i m i c a n d o r , si nescia fuci I n t e g r i t a s , similes nos facit esse Diis, Nemo te propius, Lipsi, se aequabit Olympo, nam te candidior nemo nec integrior.

Als einen Commentar zu dieser A p o t h e o s e kan wer Zeit und Lust hat den Lipsius Proteus des T h o m a s S a g i t t a r i u s nachschlagen, wo einige nahmhafte A n o m a l i e n und grobe Menschlichkeiten dieses Halbgotts sattsam verificiert sind. — Wir sind weit entfernt einem guten Menschen übel zu neh-

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men, daß er auch an Schwachheit ein Mensch ist — Nur dies scheint uns billig, daß, wer sich selbst erhöhet, erniedriget werde; und daß überhaupt die Zeitgenossen es der Nachwelt überlassen, den Werth eines Jeden aus dem was von ihm übrig ist zu bestimmen. W.

Zum Bilde des Justus Lipsius

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Rosamund. Ein Singspiel in drey Aufzügen, von Wieland und Schweizer. Weimar, bey C. L. Hoffmann. 1778.

Personen des Singspiels. König Hei n r i c h II. von England. Kö n igin El i n o r . Ro s a m u n d. Belm o n t. Em m a Lucia

Freundinnen der R o s a m u n d .

Ritter des Thurms. Chor von Jungfrauen. Chor von Rittern. Chor von Schildknappen. Der Schauplatz ist zu Wo o d s t o k - P a r c .

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R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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Vorbericht. H e i n r i c h P l a n t a g e n e t , erster König von England aus dem Hause A n j o u , — den uns die Geschichte als einen Herrn beschreibt, der alle Vollkommenheiten des Leibes und Gemüths in sich vereinigte, die den liebenswürdigen Mann und den großen Fürsten machen — und seine Vermählung mit E l i n o r (Eleanor) Erbin von Güyenne und Poitou, vormaligen Gemahlin Ludewigs VII. von Frankreich — und die Händel die ihm der herrschsüchtige und unbändige Charakter dieser Frau gemacht — und seine Liebe zu der s c h ö n e n R o s a m u n d , mit dem unglücklichen Ausgang den sie durch die 10

Eyfersucht der K. E l i n o r genommen: all dies ist theils aus der Geschichte theils aus der schönen Alt-Englischen B a l l a d e , wozu sie den Stoff gegeben, so bekannt, daß es Überfluß wäre sich hier darüber auszubreiten. Von der leztern wird die artige (wiewohl ziemlich modernisierte) Übersetzung aus der I r i s den Lesern vermuthlich noch in frischem Andenken seyn. Auch findet sich in der Bibliotheque Univers. des Romans (Octobre 1776. Tom. I. p. 14. s.) und im 36. Stück des B e r l i n . L i t e r a r i s c h e n Wo c h e n b l a t s 1 7 7 7 . eine umständliche historisch-romanische Erzählung dieser durch Tradition und Poesie in die Wette verschönerten Liebesgeschichte, auf welche wir die Liebhaber allenfalls verweisen. Die alten Englischen Chronikschreiber scheinen

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(sagt der Herausgeber der Reliques of Anc. English Poetry) dem Mönch H i g d e n gefolgt zu seyn, aus welchem S t o w diese Nachricht giebt: „Rosamond, die schöne Tochter Walthers, Lords Clifford, und K. Heinrichs II. Beyschläferin, starb (wie einige sagen, vergiftet von K. Elianor) i. J. 1177. zu Woodstok, wo K. Heinrich ein Haus von wunderbarer Bauart für sie hatte bauen lassen. Es wurde, nach einigen, L a b y r i n t h u s oder D ä d a l u s - We r k genannt, weil es wie ein Irrgarten gebaut war, so daß niemand, ohne vom König unterrichtet zu seyn, zu Rosamunden kommen konnte. Gleichwohl gieng die Sage, die Königin habe vermittelst eines Knäuels Zwirn oder Seide (den der König ohn’ es gewahr zu werden, da er aus ihrem Zimmer zu Rosamunden gegangen, nach-

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geschleppt) den Weg zu ihr gefunden, und sey so übel mit ihr umgegangen, daß sie nicht lange mehr gelebt habe.“ Rosamund wurde in einem Frauen-

Vo r b e r i c h t

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kloster zu G o d s t o w begraben, bey dessen Secularisirung man ihre Gebeine noch in einem bleyernen Sarg fand, und wie er geöfnet wurde ( sagt der Englische Alterthumsforscher L e l a n d ) gieng ein gar lieblicher Geruch daraus hervor. Von ihrem Labyrinth sollen noch um ’s Jahr 1718 Überbleibsel zu Woodstok gefunden worden seyn. Man hat in gegenwärtigem Singspiel den Umstand, d a ß K . E l i n o r m i t G i f t u n d D o l c h z u R o s a m u n d k o m m t — und den, d a ß s i e n i c h t w ü r k l i c h v e r g i f t e t w i r d , aus dem Singspiel gleiches Nahmens entlehnt, welches der berühmte A d d i s o n i. J. 1706. auf die Englische Schaubühne gebracht; wiewohl von dem letztern Umstand hier ein ganz andrer Gebrauch gemacht wird. Überhaupt hat man sich mit einer Geschichte, die sich aus der Geburtszeit der alten Ritter-Romane herschreibt und so nah an die Fabel gränzt, alle Freyheiten erlaubt, welche theils das Interesse des Stücks, als M u s i k a l i s c h e s Drama betrachtet, theils andre Rücksichten zu erfodern schienen.

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R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

10

Erster Aufzug. 1. Scene. (Ein Saal im Königlichen Palast. Aussicht in dessen Gärten, die in der Ferne vom Thurm, der in den Labyrinth führt, geschlossen wird. Sonnen Untergang.)

Königin

tritt auf.

Nein! — in dieser Unruh schweben will ich länger nicht! Ich will das Ärgste wissen! Will ihn kennen den Feind, mit dem ich kämpfen soll. 10

Wie? bin ich Königin, und dieser Labyrinth soll ein Geheimnis mir verschließen? — seine Eisenpforte sich nur dem König öfnen? — O! zu lange fühl ichs, daß er sich vor mir verbirgt — daß E l i n o r nicht mehr in seinem Herzen herrscht! — Verräther! und du hofst mich zu betrügen, mich? So kennst du mich? Ha! zittre! zittre für dich und deine Mitverschworne! Denn,

20

bey allem was im Himmel furchtbar ist und in der Hölle! kein Schlummer soll in meine Augen kommen, bis ichs ergründet habe, das unselige Geheimnis! —

Erster Aufzug. 1. Scene

1—19

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2. Scene. B e l m o n t zur K ö n i g i n .

Be l m o n t. Königin, es ist entdeckt. Kö n igin . Entdeckt? — Ah! Belmont, meine Seele weißagt es mir! — Ich seh’s, ein schändliches Geheimnis schwebt auf deinen Lippen — Aber dennoch muß ich alles wissen! Sprich, was ist entdeckt?

10

Be l m o n t. Der Labyrinth ist einer Nymphe Sitz, die unter Zauberschatten da, wie eine zwoote Armida, ihren Hof von Liebesgöttern hält, und Rosamund — ihr Name. Kö n igin . Nicht weiter! — Halte dich bereit auf jeden Wink! Vergrabe was du weißt in deiner Brust, und zähl’ auf meinen Dank!

3. Scene. Kö n igin

allein.

So lohnst du meiner Liebe? — Alles hab ich dir geopfert, Alles, und so lohnst du mir? Treuloser! — Mein Geschenk sind die Provinzen

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R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

(Belmont geht ab.)

20

woher du siegreich eilst — und, o! des schmählichen Gedankens! Heinrich eilt um zu den Füßen einer Bulerin die Lorbeern hinzulegen, die Ich ihm brach! — und ich — ich sollt es sehn? ich sollt es dulden? Beym Himmel, nein! Du sollst erfahren, Verräther, wer ich bin!

10

Weg! kein Erbarmen! Bey ihren Haaren, vor deinen Augen, aus deinen Armen reiß ich die Schuldige zur Rache hin! Du sollst erfahren, Verräther, wer ich bin!

(geht ab.)

4. Scene. (Der Schauplatz verwandelt sich in einen prächtigen Garten im Innern des Labyrinths. 20

Neben einer mit Epheu und Rosen umschlungnen Urne eine Rasenbank. Im Grunde die Vorderseite eines prächtigen Pavillons. Tiefer hinter auf der einen Seite ein Grottenwerk, auf der andern ein natürlicher Wasserfall. Es ist Nacht, mit Mondschein, bey bewölktem Himmel.)

Ro s a m u n d

tritt auf.

Wie öd ist Alles um mich her! wie kalt! Wie fremd und fern von meinem Herzen alles! Und war so lieblich einst — Mit dir, Geliebter,

Erster Aufzug. 4. Scene

20—58

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ist aller Reiz von diesen Zauberfluren verschwunden — ohne dich, was wär Elysium selbst dem Herzen das dich liebt? Dich sucht es — ohne dich ist keine Ruh, kein Glück für deine Rosamund! Oft, am Rande stiller Fluthen sitz ich einsam da und zähle — Zähl’ an ihrem trägen Lauf, ach! die schleichenden Minuten unsrer langen Trennung auf.

10

Dann geh ich hin und wanke durch Hayn und Thal und Flur; Mein einziger Gedanke bist du, Geliebter, nur. Bey jedem Lispeln aus dunklem Laube, bey jedem Flügelschlag der Turteltaube, wie lauscht mein sehnend Ohr, wie klopft mein Herz!

20

Und wenn ich Tagelang gelauscht, gesucht — wie bang ist dann mein Schmerz! (Sie lehnt sich an die Urne, und sinkt in stumme Traurigkeit.)

Bald wieder auf der Liebe Fittigen zurück zu deiner Rosamund zu eilen versprachst du mir — Und schon zum zwölftenmal sieht Luna mich, ach! ohne dich, in diesem traur’gen Hayn allein

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R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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durch öde Lauben irren, ein liebender Schatten, der seinen Gatten an Lethes Ufern sucht — Ach! Heinrich! was ist Ruhm? Was ist der Nachwelt eitles ungenoßnes Los? Du kämpfst um Lorbeern, und die Rosen welken, die dir die Lieb erzog! (Sie wirft sich neben der Urne auf die Rasenbank, und fällt in ihr voriges Staunen.) 10

(Die Musik sinkt aus der zärtlichsten Schwermuth stuffenweise zu einschlummernder Ruhe herab. Plötzlich gebietet sie wieder Aufmerksamkeit. Der Pavillon, die Grotte, und ein Theil der Gärten stehen herrlich erleuchtet da, und der Chor der Jungfrauen tritt auf. Rosamund wird von dem allem nichts gewahr, bis der Chor zu singen anfängt.)

5. Scene. Der C h o r d e r J u n g f r a u e n , von E m m a und L u c i a geführt, nähert sich R o s a m u n d e n .

Ch o r . Still’ deine Klage, geliebte Holde! Gieb deinen Sorgen nicht länger Raum!

20

Em m a. Getrost! dir spinnen die Glücksgöttinnen Tage von Golde, all deine Plage ist dann ein Traum.

Ch o r . Still’ deine Klage, geliebte Holde! Erster Aufzug. 5. Scene

59—108

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Gieb deinen Sorgen nicht länger Raum!

Ro s a m u n d. Ihr ruft zur Freude mich, geliebte Schwestern? Ach! alle Freude wich mit Ihm von hier. Seufz’ ich in banger Nacht hinauf zum Morgen — der Morgen kommt — wofür? —

10

Er ist wie gestern! Bringt meines Lebens Licht nicht näher mir!

Ch o r. Still’ deine Sorgen, geliebte Holde! Tage von Golde entspinnen sich dir;

Lucia . Bald weicht die Nacht dem schönen Morgen der frey dich macht.

Ch o r. O seel’ge Stunde des Wiedersehns!

Lucia . Er eilt, der Sieger — wie schön, wie warm! —

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R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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O Rosamunde in deinen Arm.

Ch o r . O seel’ge Stunde!

Em m a. Er kommt, von Siegesarbeit heiß an deinem Blick sich aufzufrischen: Du wirst den Heldenschweiß ihm von der Stirne wischen, 10

dem goldnen Helm sein lockicht Haar entbinden, und um sein Lorberreis der Liebe Rosen winden.

Ch o r . Still’ deinen Kummer, geliebte Holde! Entwach, entwache dem Zauberschlummer, dem bangen Traum!

Ro s a m u n d. 20

Ists möglich? ist mein Glück so nah? (Ein Chor von Tänzerinnen, als Nymphen, tritt auf.)

Em m a

und

Lucia .

Sieh, es nähern sich im Reyhen dir die Nymphen dieser Hayne, deinen Kummer zu zerstreuen, dich zur Freude einzuweihen, gieb der süßen Ahnung Raum! (Tänze der Nymphen.)

Erster Aufzug. 5. Scene

109—152

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Emma . Gleich ihnen umtanzen die Stunden der Wonne in frohem Getümmel die kommende Sonne: schon wallet am Himmel ihr glänzender Saum.

Ch o r. In süßem Getümmel umtanzen die Stunden der Liebe, der Wonne die kommende Sonne: entwache, Geliebte, dem ängstlichen Traum! (Die Nymphen beginnen einen neuen Reyhentanz, und mitten in demselben fällt der Vorhang.)

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R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

10

Zweyter Aufzug. 1. Scene. (Galerie im Königlichen Palast mit einer andern Aussicht in die Gärten.)

Königin ,

dann B e l m o n t .

Zween Tage noch, so ist er wieder hier, und schmiegt sich wieder in die schnöden Fesseln der Zauberin! — Sie triumphiert — und ich — kann wenn ich will in einen Winkel mich verbergen, meine Schmach und sein verlohrnes Herz 10

beweinend. — Nein, beym Himmel! Elinor hat andre Waffen an Verräthern sich zu rächen, als Weiberthränen! Belmo n t

tritt auf.

Diesen Augenblick, Gebieterin, bringt uns ein Bote keuchend die Nachricht, daß der König näher ist als wir geglaubt. Er eilt die ganze Nacht, um mit der Sonne Woodstock zu erreichen. 20

Köni gin

vor sich.

Wie ungedultig! — wohl! so ist es Zeit! zu B e l m .

Geh, Belmont, nach dem Thurm, und fodre den Rittersmann der ihn bewacht, in meinem Namen auf, die Pforte des Labyrinths zu öfnen.

Zweyter Aufzug. 1. Scene

1—19

587

Be l m o n t. Er wird sich weigern — Kö n igin . Sag ihm den Befehl von seiner Königin — und zaudert er, so zwing ihn!

(Belmont geht ab.)

2. Scene. Kö n igin

allein.

Ha! die ganze Nacht durch! — Mit der Sonne hier zu seyn —

10

und diese Eile, diese Hitze nicht für mich, für seine Rosamund! — In ihre Arme eilst du — Elinor ist nicht mehr — Kann am Namen einer Königin sich gnügen lassen — und, auch diesen leeren Namen, wie lange wird ihr noch erlaubt seyn ihn zu tragen? Verruchter Gedanke, nein, dich ertrag ich nicht! Nichts mehr zu schonen machst du zur Pflicht!

20

(Sie staunt.)

Habt Dank, ihr Plaggöttinnen! dies soll mich befreyn! Ich eile von hinnen — o! stärkt meine Sinnen, und weihet zur Rache, zur Rache mich ein!

588

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

(ab.)

3. Scene. (Der Schauplatz verwandelt sich in den Vorhof des Thurms, der den Labyrinth verschließt. Nacht mit Mondschein.)

Belmo n t

kommt und klopft an der eisernen Pforte.

Er soll mich hören, läg’ er im Todtesschlaf!

(klopft stärker.)

Der Ritte r d es Thurms

von oben herab.

Wer klopft so spät an dieser Pforte? Belmo n t. 10

Ritter, steigt herab und öfnet mir. Ritt er de s Thurms . Wer bist du? Belm o n t. Belmont, von der Königin gesandt. Ihr sollst du stracks die Eisenpforte öfnen, ist ihr Befehl. Ritt er de s Thurms . Ich öfne nicht. Belm o n t.

20

Wie? du verachtest das Geboth von deiner Königin? Rit ter de s Thurms . Ich öfne nicht.

Zweyter Aufzug. 3. Scene

20—53

589

Be l m o n t. So komm herab wenn du ein Ritter bist, und wehre mit dem Schwerdt in deiner Faust den Eingang mir! (Die Pforte öfnet sich, und der Ritter des Thurms kommt heraus.)

Ritter de s Th u r m s . Weg von der Pforte, Verwegner, oder bezahl den Frevel mit deinem Blut.

Be l m o n t.

10

Was sollen Worte? Sie öfnen soll mir mein Stahl Troz deiner Wuth!

Ri t t e r

des Thurms.

Weg von der Pforte!

Be l m o n t. Was sollen Worte?

Bey d e . Sie schützen Sie öfnen

soll mein Stahl

Troz deiner Wuth! (Die Ritter fechten.)

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R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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4. Scene. Die K ö n i g i n zu den Vo r i g e n . Edelknaben mit Fackeln vor ihr her; etliche Schildknappen folgen ihr.

Königin

auf den R i t t e r d e s T h u r m s zugehend.

Verräther, du erfrechst dich meinem Willen zu widerstehn? Rit ter de s Thurms

sich vor die Pforte stellend.

Des Königs Auftrag — meine Pflicht — Köni gin . 10

Weg! hier ist keine Pforte die mir sich schliessen darf — (zu den Schildknappen)

Bemächtigt euch des Frevelhaften! Belmo n t

(Sie geht hinein.)

zum R i t t e r d e s T h u r m s .

Ergieb dich — folg uns! Rit ter de s Thurms . Unseel’ge Nacht! — Verräther, s o betrogst du mich 20

aus meiner Pflicht? Ich bin verlohren; Aber euch wird bald die Rache treffen — Zittert alle vor des Königs Zorn! — Mit mir macht was ihr wollt. (Er giebt sein Schwerdt von sich und geht mit ihnen ab.)

Zweyter Aufzug. 4. Scene

54—78

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5. Scene. (Das Innere des Labyrinths. Alles zeigt sich wieder, wie es zu Ende des ersten Aufzugs war. R o s a m u n d unter einer Laube sitzend, das Gesicht halb in E m m a’ s Arm verborgen; L u c i a neben ihr; die J u n g f r a u e n und N y m p h e n in verschiednen Gruppen verstreut. Eine der N y m p h e n ist in einem Solotanz begriffen; nach dessen Endigung schicken sich die übrigen zu einem neuen Reyhen an. In diesem Augenblick tritt die K ö n i g i n auf. B e l m o n t folgt ihr, und verliert sich gleich wieder im Gebüsch.)

Kö n igin

stutzt über den Anblick und bleibt stehen. für sich.

Wie? was bedeutet dieses Fest? Ha! sollt er heimlich schon gekommen seyn?

10

(Der Reyhentanz beginnt.) (Die Königin geht einige Schritte vorwärts, und wird erblickt. Ein allgemeines Schrecken verbreitet sich. Die Nymphen bleiben mitten im Tanz in Stellungen des Schreckens wie versteinert schweben.)

Cho r de r Ju n g f r a u e n . O Himmel! was nähert sich da! Ro s a m u n d

von ihrem Sitz auffahrend.

Gott! ich bin verlohren! (Alle fliehen in Verwirrung, bis auf Emma und Lucia, die bey Rosamund stehen bleiben.)

Kö n igin ,

auf sie zugehend.

Was fürchtest du? Ro s a m u n d. Erhabne Frau, wenn eine Sterbliche du bist, wer bist du, und wie fandest du den Weg hieher?

592

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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Königin . Sag erst, wer d u bist, und wie d u hieher kömmst? Ro s a m u n d. Dein Blick verwirrt mich, schreckt mich — Königin . Kenntest du mich erst! Ro s a m u n d. Weh mir! Mir ahnet was! Königin . 10

Dir ahnet wahr! Ich bin’s!

(Rosamund fällt ihr zu Füssen.)

Dein Nahm’ ist Rosamund? Ro s a m u n d. O Gott! — Was kann ich sagen? — Ach wenn nichts für mich in deinem Herzen spricht — O! läg ich tief in meinem Grab! Köni gin . Elende! weg aus meinen Augen, weg! z. E. u. L. 20

Führt sie in ihr Gemach! Mit eurem Leben steht ihr mir für sie! (Rosamund richtet sich auf, wirft einen edlen Blick auf die Königin, und geht mit Emma und Lucia ab.)

Zweyter Aufzug. 5. Scene

79—99

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6. Scene. Kö n igin

allein.

Beynah entwafnete ihr Anblick meinen Grimm. Die Unglücksel’ge! wie sie zitterte! — Weh dir, Verführer! — Ganz gewiß, sie lebte in Unschuld eh sie dich erblickte; eh dein liebelügend Aug und deine Schlangenzunge sie bethörte! — Aber nichts soll ihr die Unschuld helfen, die sie nicht bewahren konnte,

10

fallen soll sie, deines Verbrechens Opfer! — So bestraf ich dich Treuloser, in der Thörin, die der Liebesrausch sich selbst vergessen macht! — Mit welchem Blick sie von mir gieng! als dächte sie, noch immer bald genug mich im Triumph zu führen, die Unverschämte! — Belmont! — Belmont!

7. Scene. K ö n i g i n . Belmont herbeyeilend.

Be l m o n t. Hier, Gebieterin! Kö n igin ,

giebt ihm einen Schlüssel.

Nimm diesen Schlüßel; eil in mein Gemach, da steht ein goldener Pokal, den nimm und bring ihn mir hieher! Trag ihn behutsam! — Er enthält — was — bald mir Ruhe schaffen soll.

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R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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Belmo n t

erschrocken.

Gebieterin! — Köni gin . Gehorch! Belmo n t. Bedenke, Königin, die Folgen einer zu raschen That! Sie wird zu grenzenloser Wuth den König treiben — und er ist so nah! Köni gin . 10

So minder darf ich Zeit verliehren! Belmo n t. Bey deinem Leben, große Königin, beschwör’ ich dich! — Verzeih! Nur Treue gegen dich zwingt mich zum Ungehorsam. Köni gin . Feigherziger! du hast sie mir verrathen, und nun — nun bist du muthlos, meiner Rache die Hand zu bieten? Belm o n t.

20

Gehorchend that ich meine Pflicht; Izt thu ich sie mit Nichtgehorchen. Köni gin . Den Schlüssel mir zurück! Belmo n t. Du rennst in dein Verderben!

Zweyter Aufzug. 7. Scene

100—136

595

Kö n igin

heftig.

Ich will gerochen seyn! — Den Schlüssel! Be l m o n t,

nach einigem Zögern.

Königin, du willst’s. — So muß ich dann!

(geht ab.)

8. Scene. Kö n igin

allein.

Der Schlange Kopf, die mich gestochen, ist unter meinem Fuß, und nicht zertreten sollt’ ich ihn?

10

Wen soll ich scheuen? Furcht geziemt dem Schuldbewußten, nicht dem Beleidigten, der Recht sich schafft!

(Sie zieht einen Dolch aus

ihrem Busen.)

Wie süß wird dir die Rache seyn stolze, gekränkte Seele! Sie wähle nun zu schärfrer Pein Gifft, oder diesen Stahl! Sie, die zu ihren Füßen liegen dich sah, verräthrischer Gemahl, Jezt soll sie sich zu meinen schmiegen. und jedes strafbare Vergnügen Büß’ eine Todesquaal!

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R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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9. Scene. (Ein Zimmer im Pavillon der R o s a m u n d . R o s a m u n d auf einem Ruhebette, in großer Niedergeschlagenheit. E m m a neben ihr.)

Em m a. Sey ruhig, holde Liebe! In wenig Stunden sind wir wieder frey. Der König naht — Ro s a m u n d. O Emma, welch ein Wechsel! 10

O laß mich weinen, weinen bis die Augen mir erlöschen! Ich fühl’s — tief fühl ichs hier! es ist geschehn um deine Rosamund! — Gott! von wie vielen dunkeln traurgen Tagen und thränenvollen Nächten ist der traurigste, die thränenvollste — dies! vielleicht die letzte! Em m a.

20

Bald ist sie vorüber die Wolke, die dich schreckt, und alles, Rosamund, ist wieder hell und wonnevoll — Er eilt in deinen Arm, dein Schützer, und dein Rächer! — Gewiß er wird nicht ungerochen lassen was dir begegnet ist. Ro s a m u n d

aufstehend.

O, nichts von Rache! Alle Schuld ist mein! Ach! daß der Zauberschleyer eher nicht

Zweyter Aufzug. 9. Scene

137—176

597

von meinen Augen fiel! Ach, daß er jemals mich umnebelte! O! Emma, fühlen müssen: „All diese Liebe, dies beym ersten Blick so ganz gewonnene, so ganz dahingegebne Herz, dies stete Sehnen nur nach Ihm, o! dies für Ihn nur leben, für Ihn nur athmen, was noch kaum der Stolz von meinem Herzen war —

10

Ach, Emma, Emma, soll dies Herz nicht bersten, da ich fühl — es ist Ve r b r e c h e n ! — Er, den ich allein geliebt, allein, aus allem in der Schöpfung, kann mir niemals, niemals angehören! Nie darf ich wieder nur die Augen auf zu ihm erheben! —“ Emma, fühlest du den ganzen Umfang meines Elends! Emma

(Sie sinkt wieder auf das Ruhebette.)

mit höchster Zärtlichkeit.

20

Liebste Rosamund! Laß ab! Entflieh den ängstlichen Gedanken! Flieh aus dir selbst! — Komm, lege deine Stirne an meine Brust, und ruhe!

(Sie sezt sich neben Rosamund.)

Wie ein Kind, in Mutterarmen eingewieget, schlummre, schlummre ein, an deiner Freundin Brust! Unsers Kummers sich erbarmen wird der Himmel! Lohnt uns Armen jede Angst mit süßrer Lust!

598

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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(Man hört ein Geräusch.)

Ro s a m u n d

auffahrend.

Weh mir! Was hör’ ich — Em m a. Fürchte nichts! Es ist nur Lucia — vielleicht dein Heinrich selbst; Ich will — Ro s a m u n d

(Sie geht auf die Thüre zu.)

sie beym Arme haltend.

O gute Emma — verlaß mich nicht! 10

(In diesem Augenblick öfnet sich die Thüre; zween Schildknappen bemächtigen sich der E m m a und schleppen sie hinweg. Man hört hinter der Scene:)

Em m a. Laßt mich! ich muß, ich will hinein! Köni gin . Bring sie in Sicherheit! Em m a. Hülfe! Hülfe!

( R o s a m u n d eilt bestürzt der Thüre zu. — Indem tritt

10. Scene. die K ö n i g i n herein, in der rechten Hand einen Dolch in der linken den Giftbecher haltend.)

20

Ro s a m u n d

zurückfahrend.

O Hülfe! Emma! Hülfe! rette mich!

Zweyter Aufzug. 10. Scene

177—214

599

Kö n igin . Verworfene! du rufst umsonst nach Hülfe! Erkenne mich — und zittre! Ro s a m u n d

angstvoll.

O Gnade, Gnade, große Königin! Kö n igin .

vor sich.

Sie rührt mich wider Willen — Stark, mein Herz! In wenig Stunden wär’ ich so in ihrer Gewalt, wie sie in meiner jezt —

10

zu Rosam.

Mich zu erweichen hoffe nicht! Du bist zur Strafe reif! Ro s a m u n d. Laß meine Jugend — ach ich wag es nicht zu sagen, meine Unschuld — dich erbarmen! Und doch — du Himmel, weißt’s! Kö n igin . Der mag sich dein erbarmen, Verbrecherin! — Ich bringe dir — den Tod. Hier! wähle! hier ist Gift, und hier ein Dolch! Ro s a m u n d. Entsetzlich! — Königin, ich bin in deiner Macht — Sey groß und königlich — Verzeih der Armen in Staub gedrückten! Sag, was kann ich thun dich zu versöhnen? Kö n igin . Stirb!

600

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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Ro s a m u n d. Verstatte mir, in heilge Mauren mich vor allen Menschen zu verbergen! Schenke mir die kurze Frist! Mein Gram wird diesem armen Leben bald genug ein Ende machen. Königin . Thörin, weg mit deinen Künsten! Denkest du 10

auch mich damit zu fangen? Hier — Nimm und stirb! Ro s a m u n d

weinend.

Laß diese Zeichen der herzlichen Reu, O! laß sie dich erweichen! Verzeih der Sünderin, verzeih, verzeih.

Königin . Vergebens krümmst du dich 20

Mich zu erweichen, Falle, Verbrecherin, Zum Opfer beleidigter Treu!

Ro s a m u n d

ihre Knie umfassend.

Sieh, mit gerungnen Armen fleht Rosamunde! Auch deine Stunde wird kommen, Königin! Auch du wirst um Erbarmen zum Himmel flehn, wie ich 30

Dir flehe — Königin, erbarme dich! Laß dich erweichen! Zweyter Aufzug. 10. Scene

215—261

601

Kö n igin . Du flehst vergebens!

Ro s a m u n d. Erbarme dich, verzeih!

Kö n igin . Falle, Verbrecherin, zum Opfer beleidigter Treu!

Ro s a m u n d

steht auf und greift nach dem Becher.

So gieb, Tyrannin! und der Richter dort verzeih dir meinen Tod.

10

(Sie trinkt den Becher aus. Die Königin wendet sich plötzlich weg, wirft sich in einen Lehn-Stuhl neben einem Tisch, und verbirgt ihr Gesicht.)

Ro s a m u n d. So ists geschehn! — Ich sterb — und sterbend, göttliche Gerechtigkeit, bet’ ich dich an! — Vor dir ist Rosamund nicht schuldlos! — Nimm, die Schwachheit eines zärtlichen, nichts böses ahnenden, in seiner ersten Liebe verirrten Herzens abzubüßen,

20

mein Leben an! — zu Elinor.

Doch wisse, du, durch deren Hand das Schicksal mich bestraft, mein Herz betrog mich, aber rein und unbefleckt war meine Liebe, und groß, ach! allzugroß — ihr Gegenstand! Sein allzublendendes Verdienst wird Mitleid mir bey allen guten Herzen erwerben! — Und auch dieses wisse, Grausame,

602

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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Er ehrte meine Unschuld — liebte mehr als sein Vergnügen mich — Wohl mir! ich fall’ ein reines Opfer! — und (o gönne mir, du, der für Ihn zu leben mir nicht erlaubt, o Himmel, gönne mir den süßen Trost!) — ich sterb um Seinetwillen!

(Sie ermattet, und wankt dem

Ruhbette zu.)

Königin

vor sich.

Ich war zu rasch! — 10

Ro s a m u n d. Wie wird mir! — Welches Schaudern! — Welch ein Flor um meine Augen? — Wie schwehr! wie kalt! —

(Sie sinkt auf das Ruhbette.)

Nur deine Liebe — fühl ich — noch warm — in diesem — Eis’ umfangnen Herzen! — Emma! — bring ihm — dies lezte, lezte — (Sie sinkt mit dem Kopf aufs Küssen, und schließt die Augen. Die Königin steht nach einer Weile auf, nähert sich ihr, ergreift eine ihrer herabgesunknen Hände und läßt 20

sie plötzlich wieder fallen.)

11. Scene. Belmo n t,

hastig hereintretend, zur K ö n i g i n :

Gebieterin, man hört von ferne schon den Jubelschrey der Königlichen Schaar — Kein Augenblick ist zu verliehren — Fliehe, rette dich! Köni gin . Sind meine Ritter all versammelt?

Zweyter Aufzug. 11. Scene

262—302

603

Be l m o n t. Ja, und fest in ihrer Treu. Doch, was vermag der kleine Hauffe? Kö n igin . Fürchte nichts! Bald soll er furchtbar werden! — Izt eile, schaffe diesen Rest der Unglückseligen hinweg, dann folge mir!

12. Scene. Be l m o n t

(Sie geht ab.)

10

allein.

Ein wilder Sturm zieht gegen uns daher — Was wird der Ausgang seyn? Jezt, Schicksal, gieb mir Muth und festen Blick auf deinen Wink! In nächtlichen Wettern, wenn rasende Stürme den Wald entblättern, die Pole krachen, und uns bey jedem Blitz der Hölle sich öfnender Rachen den quaalvollen Sitz verdammter Seelen entdeckt: Wohl dem alsdann, den — ungeschreckt wo Frevler tief erzittern müssen, — sein schirmendes Gewissen mit Engelsflügeln deckt!

604

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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Dritter Aufzug. 1. Scene. (Ein ofner Platz vor dem Palast, der mit den Gärten zusammenhängt. Sonnen Aufgang. Ein Feldmarsch von ferne.) C h o r d e r S c h i l d k n a p p e n , dann K ö n i g H e i n r i c h vom C h o r d e r R i t t e r begleitet, ziehen auf.

Chor de r Ri t t e r. Triumph dem Sieger vom Gallischen Strand!

10

Chor de r Sc h i l d k n a p p e n . Willkommen, Vater, dem Vaterland!

König Hein r ich . Willkommen hier, ihr edeln Schaaren! Ihr theiltet Arbeit und Gefahren — theilt Lust und Ruhe nun — mit mir!

Be y d e Ch ö r e . Triumph dem Sieger 20

vom Gallischen Strand! Willkommen, Vater, dem Vaterland!

König Hein r ich . Dank, Freunde, Dank euch allen! Eure Treu ist tief in Heinrichs Herz gegraben — Izt,

Dritter Aufzug. 1. Scene

1—14

605

entfernet euch, und gebt den müden Sinnen die wohlverdiente Ruh!

(Beyde Chöre gehen ab.)

2. Scene. König Hein ri c h

allein.

So athm’ ich wieder dich, du süße Luft, die mir von Ihr, von Ihr, entgegen weht! Bin ich so nahe Dir? Kaum kann ichs glauben!

10

Ihr holden Lauben, in deren Morgenduft Sie geht, empfanget mich! Wie gierig athm’ ich dich, du süße Luft, die mir von Ihr, von Ihr entgegen weht! (Er eilt dem Garten zu.)

3. Scene. (Ein Blumengarten im Labyrinth, mit Rosenbüschen, und Vasen mit Schasminen, Myrten, Orangen u. s. w. geziert.) E m m a und L u c i a , mit dem C h o r d e r J u n g f r a u e n , kommen hervor.

Ch o r. Schwarze Stunde, herber Fall! Klaget, Klaget, der schönsten Blume Fall.

606

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

20

Em m a. Kommt, Schwestern, an die traur’ge Pflicht! kommt, laßt uns Blüthen pflücken! Schont, ihren Sarg zu schmücken, des Frühlings schönste Kinder nicht! (Sie vertheilen sich und pflücken Blüthen und Blumen. Nach einer Weile finden sie sich unvermerkt wieder beysammen, sehen einander traurig an, und brechen in die erste Klage aus.)

Ch o r . 10

Schwarze Stunde! herber Fall!

Em m a. Sie sind erstorben die Rosen all auf ihrem Munde: o klaget, klaget —

Ch o r . Klaget, Klaget der schönsten Blume Fall. (Indem sie die lezten Worte singen, erscheint der König.)

20

4. Scene. K ö n i g H e i n r i c h . Die Vo r i g e n .

König Hein r ich

im Hervorgehen.

Die Pforte offen — und Klagetöne von innenher! — Mir schaudert —

(Er erblickt den Chor.)

Himmel! was erblick ich? Töchter, wo ist Rosamund?

Dritter Aufzug. 4. Scene

15—51

607

Emma

angstvoll.

Ach Herr! — Sie ist — König Hein ri c h . Was ist sie? Rede! Emma . Gott! Wie kann ich’s sagen? K. He i n r i c h , Wie? Sie ist —

hastig. (Er fährt vor seinem eignen Gedanken zurück.)

Emma . Das schreckliche Geheimnis

10

erstarrt in meinem Munde — K. He i n r i c h . Sag alles! Das Entsetzlichste ist schon gesagt! Emma . Die Königin, mit Gift und Dolch in Händen, drang zu uns herein, und — ohne Leben fanden wir das Opfer ihrer Wuth. König Hein ri c h

mit Wehmuth.

Unglückliche! Euch war sie anvertraut — Ihr liebtet sie — und ließt sie tödten? Emma . Wollte Gott! ich hätt’ Ihr Leben mit dem meinigen erkauffen können! — Gerissen wurd’ ich mit Gewalt von ihrer Seite —

608

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

20

K. He i n r i c h . Eilet! ruft die Ritter alle die mit mir gekommen sind, laßt sie die Burg umringen; daß nichts entrinne! Eilt im Flug!

(Der Chor geht ab.)

5. Scene. K. He i n r i c h

allein.

Ermordet? — Todt? — Ah tausend Dolche sind in dir, unseliger Gedank’ und tausend Furienfackeln, 10

Alles anzuzünden, Alles zu zerstören was Leben hat — O Rache! Rache! Was säum’ ich —

(Er will abgehen — Indem eilt

6. Scene. B e l m o n t herbey und wirft sich dem K ö n i g e zu Füssen.)

Belmo n t. Herr, erheitre dich — Sie lebt! K. He i n r i c h . Sie lebt? und ihre Schwestern, all in Thränen, beweinen ihren Tod? 20

Belmo n t. Bey deinem eignen Leben, Herr, Sie ist gerettet! K. He i n r i c h . Zittre, wenn du mich betrügst!

Dritter Aufzug. 6. Scene

52—83

609

Be l m o n t. Die Königin ist die Betrogne — Rosamund zu retten, wechselt’ ich das ihr bestimmte Gift mit einem Trank, der, schnellbetäubend, wie in Todesschlaf die Sinnen senkt — doch schadlos, durch ein Gegengift von gleichbehender Kraft — König Hein ri c h . Sie lebt? — O Belmont, rede wahr und nimm die Hälfte meines Reichs!

10

Be l m o n t. In diesem Augenblick vielleicht erwacht sie wieder — K. He i n r i c h. Vielleicht? Du zweifelst noch? Elender! hüte dich vor meinem Grimm! Be l m o n t. Ich bin der Kraft des Gegengifts gewiß. K. He i n r i c h. So führe eilends mich zu ihr.

(Sie eilen ab.)

7. Scene. (Das Zimmer der R o s a m u n d . R o s a m u n d auf einem Ruhebette. Die Musik bereitet eine Zeitlang zu dem was folget. Während solcher macht R o s a m u n d einige Bewegungen, als eine Person, die allmählich aus einem tiefen Schlaf erwacht.)

Ro s a m u n d. Wo bin ich? —

610

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

20

Wie glänzend alles um mich her? Wie wohl ist mir! — Erwacht ins beßre Leben! — Aber — welch ein Nebel fällt von meinen Augen? Ich bin ja — wo ich war? Find’ Alles wieder, erkenne Alles —

(Sie fühlt sich selbst an.)

O Wunder! Ich lebe noch! — Verwirrung! War es nur ein schwerer Traum? — Ich sah’ die Königin, 10

Wuth in den Augen — Gift und Dolch in ihren Händen, drang sie auf mich zu — ich fleht’ ihr angstvoll — unerbittlich blieb die Schreckliche — Ich nahm den Todeskelch und trank, und starb — u n d l e b e n o c h ? und finde hier mich wieder — O Emma, Lucia, wo seyd ihr? Hat Alles mich verlassen? Wars nur ein grausam Spiel das meine Feindin mit mir trieb? — Erwartet

20

mich ärgers noch? O Heinrich! Eile deiner Rosamund zu Hülfe! — Ach! Ein Augenblick zu spät kann uns auf ewig trennen!

8. Scene. K . H e i n r i c h u. B e l m o n t zu R o s a m u n d .

K. He i n r i c h ,

mit ofnen Armen auf sie zueilend.

Nein, holde Rosamund, uns trennen soll kein Schicksal mehr!

Dritter Aufzug. 8. Scene

84—123

611

Ro s a m u n d,

in frohem Schrecken.

O Himmel! Du? Mein König, Du? — Du noch in meinem Arm? O Wonnetod! N u n laß mich sterben! König Hein ri c h . Theure Rosamund, du lebst! ein Wunder hat dich mir erhalten! Gott! noch schaudern alle Gebeine mir! So nah dem Elend ohne Grenzen dich todt zu finden! — Sieh den Mann,

10

dem ich dein Leben schuldig bin! Be l m o n t. Wer hätte nicht sein eignes dran gewagt, um solch ein Leben zu retten? König He in r i c h . Ah! Wo war mein Sinn? Ich konnte dich verlassen? Fern von mir dich sicher glauben? — Dachte nicht, daß eine Schlang’ ich hinter mir

20

zurückließ, deren Athem dich vergiften würde! Ro s a m u n d. Dieser Augenblick vergütet Alles! — Aber, o Geliebter, laß mich! laß zu mir Selbst mich kommen! Der Freuden Überschwang erdrückt mein Herz. Der Wechsel ist zu schnell, zu unverhoft, zu groß mein Glück als — daß es dauren könnte. K. He i n r i c h . Sey ohne Furcht! Ist Heinrich nicht bey dir?

612

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

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Vorüber ist der Sturm, der Donner schweigt, des Himmels Auge zeigt sich allerheiternd wieder, und sanfte Stille läßt sich nieder auf Wald und Flur: O! zage nicht du holde Rose! Entfalte prangend dich 10

im Sonnenlicht; Sey deines Heinrichs Wonne wieder, und blüh die Zierde der Natur!

(geht ab.)

9. Scene. Rosamund. Belmont.

Ro s a m u n d. Noch immer ists ein Wunder meinen Augen daß ich athme? — Ich, die vor wenig Stunden aus einer Furie Hand den Todeskelch empfieng, und seine ganze Bitterkeit 20

hinunterschlang, — ich leb’, und deine Wohlthat ists, du Edler? Belmo n t. Nenn, o Schönste, nicht mit diesem Nahmen was ein Barbar, ein Wilder selbst, sobald er Dich erblickt, zu thun nicht unterlassen konnte! Ro s a m u n d. Wie kann ich dir vergelten? — Ach! noch schlägt mein Herz zu furchtsam, um den Werth der Wohlthat ganz zu fühlen, die ich dir danke! Dritter Aufzug. 9. Scene

124—171

613

10. Scene. E m m a , in Eile, zu den Vo r i g e n . (Sie stürzt sich in Rosamundens Arme — reißt sich aber schnell wieder loß und spricht:)

Emma . O! fliehe, Rosamund! Die Königin ist nah, sie drang sich durch die Ritter, so die Burg erfüllen, und stürmt hieher. — Ro s a m u n d. Weh mir! Wo flieh ich hin? Be l m o n t.

10

Besorge nichts! Des Königs Gegenwart hat ihren Grimm entwafnet. Ro s a m u n d. Sie kömmt —

zu Belm.

O halte sie zurück!

(Indem die Königin hereintritt, flieht Rosamund in ein Cabinet, das an ihr Zimmer stößt. Emma folgt ihr.)

11. Scene. Die K ö n i g i n . B e l m o n t .

Kö n igin . Was seh’ ich? —

zu Belm.

Ha! Verräther! S o betrogst du mich?

Be l m o n t. Zu deinem Besten, Königin, wofern du Selbst nicht deine Feindin bist.

614

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

20

Königin . Du drohest noch?

12. Scene. Der K ö n i g . Die Vo r i g e n .

König Hein r ich . Verwegne! Wie? Du wagst dich einzudringen, wo die stummen Wände selbst dir deine That laut in die Seele ruffen? Entferne dich! —

(zu Belm.)

Geh, wache für des Engels Sicherheit! (Belmont geht ab.)

10

Königin . E i n Wort nur, Heinrich! — Nicht was ich gethan entschuldigen — nicht Rechte geltend machen, die einst, in bessern Zeiten, mir die Liebe gab! Ich weiß — verlohren ist für mich dein Herz, und ich — verschmäh es, Dir, wie eine arme Verlaßne, Klagen vorzuwinseln! veracht ein schnödes Herz, das Fliegen gleich sich von der königlichen Lilie 20

auf einen Erdschwamm sezt — König Hein r ich

sie unterbrechend.

Wie? Kommst du, mir ins Antlitz noch zu trotzen? Geh, reitze meine Rache nicht zum Grimm, und nie vergifte mehr dein Anblick meine Augen! Köni gin . Laß mich vollenden und dann wähle, nach Gefallen, Schmach oder Ruhm! Ich les’ in deinem Innern, was du selber noch erröthest deiner eignen Seele zu gestehn:

Dritter Aufzug. 12. Scene

172—202

615

Es sey! Vergessen sey es, daß mein Herz gewonnen zu haben einst dein Stolz war — daß ich dich, aus allen Königen der Welt allein, einst meiner würdig hielt — es ist vorbey! Nur daß ich allem Theil an deiner Ehre so schnell entsage, das erwarte nicht! Ist dies ein Rest von Liebe, so verzeyh ihn mir, und o! um deinetwillen nur bedenke was du bist, und was du warst! was deines Lebens Frühling einst der Welt versprach, und was in seiner üppigsten Verschwendung das Glück für dich gethan! Zu welcher Glorie du den edeln Nahmen P l a n t a g e n e t erhöhen konntest? — Heinrich, bedenk es, und — erröthe vor dir selbst!

10

König Hein ri c h . Und du — besudelt mit der frischen Schande des Meuchelmordes — Du erfrechest dich der Ehre heilgen Nahmen auszusprechen? — Wirfst zum Vormund dich für m e i n e Ehre auf? — Verlaß mich! Herrsche wo du Recht zu herrschen hast — Nimm sie zurück die Länder Galliens, dein Erbgut — Geh, und wenn du kannst, verbirg im Glanz des Throns die Schwärze deiner Seele.

20

Kö n igin . Und solch ein Opfer deiner niedrigen sinnlosen Leidenschaft zu bringen, wärst du fähig? K. He i n r i c h. Besser, als noch länger meines Lebens Ruh und Glück den Deinigen zu opfern!

616

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

30

Königin . Bethörter, du verdienst nicht daß ein Herz wie Meines, sich um deinetwillen kränke! Ha! Nur zu wanken zwischen Elinor und — einer, deren Nahmen nur zu nennen meinen Mund befleckte! K. He i n r i c h . Mörderin! Aus meinen Augen! D u entehrst die Krone, die du trägst — S i e würde 10

den Thron der Erde zieren! Königin . Ha! ists dahin gekommen? — Wohl! So eile nur, Was hält dich? Habe sie! Ergötze Welt und Nachwelt mit dem Schauspiel deiner Thorheit! Unwürdiger, du sollst sie haben! Sie triumphier! folg ihrem Wagen in Fesseln nach, Du sollst sie haben, und meine Seel soll

20

sich laben an deiner Schmach! Entehre dich mit ihr vor allen Zeiten, setz auf den Thron sie dir zur Seiten, sey Selbst das Werkzeug meiner Rache, mache das Maas der Schande voll!

V. A. (geht ab.)

Dritter Aufzug. 12. Scene

203—257

617

13. Scene. K. He i n r i c h

allein.

Unsinnige, dein Toben beschleunigt deinen Fall. Weg! keinen Augenblick verbittern sollst du mir die Wonne, den Triumph — zu krönen was ich liebe. Holde Schönheit, deinem Rechte huldigt alles, Erd und Himmel! stolz zu tragen deine Fesseln,

10

folgen Helden deinem Wagen: selbst des Orkus finstre Mächte bändiget dein Zauberblick! Eile, Göttin des Gerüchtes, Ihren Sieg der Welt zu melden, Ihren Sieg und Heinrichs Glück.

V. A.

(Indem er abgehen will, kommt Rosamund.)

14. Scene. Rosamund. König Heinrich.

Ro s a m u n d,

sich ihm zu Füssen werfend.

Mein König, eine einzige, die lezte Bitte versage nicht der armen Rosamund! K. He i n r i c h .

Sie aufrichtend.

Sprich, meines Herzens Königin, dein Wink ist mein Gesetz.

618

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

20

Ro s a m u n d.

bey Seite.

O Himmel, stärke mich! zum K.

Die Rede stockt in meinem Munde — doch, ich muß! — O höre meine lezte Bitte! Laß mich fliehn, und meines Lebens Rest dem Himmel weyhn! K. He i n r i c h . Wie? Rosamund? was ist dir? Grausame, 10

welch eine Bitte? Du, du willt mich fliehn? Ro s a m u n d. O wenn ich je Dir theuer war, so höre mich! Du kennst dies Herz! Es war vom ersten Anblick Dein! Es überließ so willig sich dem süßen Irthum! War so glücklich im Gedanken für Dich allein zu schlagen! — Himmel! daß es nur ein Irthum war! ein süßer Traum! Ach Heinrich, diese schreckenvolle Nacht hat mich erweckt, im Donner mich erweckt

20

aus meinem Traum! K. He i n r i c h . Hat nur aus einem Traume zum süßeren Genuß der Wahrheit dich erweckt! Ro s a m u n d. Ach! kann ich länger mir verbergen, daß mein Glück ein Blendwerk war? daß meine Liebe zwischen Dir und deiner Königin, und deiner Ruhe steht? Daß sie — o schrecklicher Gedanke! Daß sie — Verbrechen ist?

30

K. He i n r i c h . O lästre nicht den seligsten der Triebe, lästre nicht dein eigen Herz. Dritter Aufzug. 14. Scene

258—300

619

Verbann’ die grämlichen Gedanken, und überlaß dich ganz der Wonne unsers Wiedersehns! Ro s a m u n d. Wie kann ich? — O mein König! eine Kluft — ist zwischen Dir und Mir, die uns auf ewig trennt! O suche nicht durch deine Liebe mich hinabzuziehn! K. He i n r i c h . Sey ruhig! Deine Feindin selbst

10

hat diese Kluft erfüllt. Mit jener Hand, die Dir den Giftkelch bot, zerriß die Wüthende die Fesseln die mich drückten; Leer ist ihr Platz auf meinem Thron, und ihn zu füllen winkt die Liebe D i r ! Ro s a m u n d. Ach! eine Hütte, Heinrich, nicht ein Thron! Wie glücklich hätte sie mit deiner Liebe mein Herz gemacht! O Liebe, warum machtest du uns nicht zu Hirten dieser Matten? Dann wär ich deine Schäferin! Dann lebten wir, Ein Herz, Ein Sinn, die frohsten Hirten dieser Matten! Und drückt’ ich einst Dein Auge zu, so stiegen wir in Einem Nu umarmt hinab ins Land der Schatten: O Liebe, warum machtest du uns nicht zu Hirten dieser Matten?

620

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

20

K. He i n r i c h . Auch dieses Glück, Geliebte, wird unser seyn. Des Thrones Sorge wird nicht alle Ruh mir rauben. Oft heruntersteigen werd ich, hier im Frieden dieser stillen Hayne des Lebens reinste Wonn’ in deinem Arm zu suchen! Nicht König mehr! Dein Schäfer! Alles Alles dir wie du mir Alles! —

10

15. Scene. B e l m o n t zu den Vo r i g e n .

Belmo n t. Herr, die Königin mit ihrer kleinen Schaar hat von der Burg mit Dräuen sich entfernt. Ihr folgt der allgemeine Haß; und alle deine Ritter stehn, o Herr, und warten deines Winks! K. He i n r i c h . 20

Wohl! daß die Mörderin sich selbst verbannt! Izt lach’ ich Ihrer Wuth! — Geh, Belmont, ruffe meine Ritter in den Saal; ich kann nicht bald genug von allem was mir dient gehuldigt sehn der Göttin meines Herzens. Ro s a m u n d. Mein König! O was willt du thun? Verzieh! Verschieb — K. He i n r i c h . Nicht einen Augenblick! Geh, Freund, vollende deines Königs Glück!

Dritter Aufzug. 15. Scene

301—348

621

Be l m o n t. Willkommener Befehl!

(geht ab.)

16. Scene. König Heinrich. Rosamund.

K. He i n r i c h. Und du, Geliebte, quäle länger nicht dich selbst und mich mit wesenlosen Sorgen! Schau über diesen Thron hinweg auf den ich dich versetze: In meinem Herzen ist dein wahrer Thron!

10

Da liegt gefesselt mit der Liebe Ketten zu deinen Füssen jeder meiner Wünsche. Du, Du bist mir mehr als Thron und Reich! O zeig’ in deinen holden Augen, daß mein Glück auch Deines ist! Ro s a m u n d. Mein König und mein Herr, wie kann dies Herz, das Du allein erfüllst, Dir länger widerstehn? Du hast gesiegt! Gebiete! Hier ist deine Rosamund, bereit für Dich zu leben und — zu sterben! Dir hingegeben hab ich mein Alles! Mein Glück, mein Leben, und was ich bin!

König Hein ri c h . Wär ich Beherrscher des Erdenballes,

622

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

20

Dich zu erhalten Gäb ich ihn hin!

Ro s a m u n d. Für dich nur leben, für dich erkalten,

K. He i n r i c h . ihn hinzugeben, dich zu erhalten,

Be y d e. 10

O seliger Gewinn!

K. He i n r i c h . So komm und gieb mir den Triumph, mit lautem Jauchzen meines Herzens Wahl gebilliget zu sehn von meinem ganzen Reich! Ro s a m u n d. Ich folge dir!

(Sie gehen ab.)

17. Scene. (Der Schauplatz verwandelt sich in einen großen Rittersaal, mit erhöhtem Königlichen Throne. Schildknappen und Ritter versammeln sich. Zuletzt tritt K ö n i g H e i n r i c h auf, 20

von B e l m o n t begleitet. Der König besteigt den Thron. Indem erscheint R o s a m u n d mit E m m a und dem C h o r d e r J u n g f r a u e n , und bleibt seitwärts in einiger Entfernung vom Throne stehn.)

König Hein r ich . Ihr Edeln Albions, Ihr, deren Muth und Treu ich oft geprüft, die alle die Gefahren des Kriegs, und blutgen Ruhm, und schwehrerkämpfte Siege

Dritter Aufzug. 17. Scene

349—384

623

mit mir getheilt! Ihr eilet, Freunde, nun am väterlichen Heerd’ des Friedens Früchte zu genießen, Ruh und häuslich Glück! Und unter goldnen Decken sollt’ indeß geheimer Gram, des Lebens gift’ger Wurm, an eures Königs Ruhe nagen? Nein! — ich will sie von mir werfen, diese Schlange, die ich allzulange duldend in meinem Busen heegte! — Elinor

10

hat Alles Recht verlohren an mein Herz, hat durch Verbrechen sich die Ehre, meinen Thron zu theilen, selbst geraubt — Hier, vor euch Allen, verstoß ich sie, und gebe Rosamund mein Herz und meine Hand — Ihr seht Sie hier! Laßt eure Augen reden für Heinrichs Herz! Ein Wunder hat sie uns erhalten! Des Himmels Wink, und meine Wahl und eure Liebe stimmen in Eins, und ruffen sie zum Thron.

20

Cho r de r Ri t t e r . Leb und herrsche, Preis der Schönen,

Cho r de r Sc h i l d k n a p p e n u n d Ju n g f r a u e n . Schönste Tochter Albions!

Bey d e Ch ö r e. Laß dich Heinrichs Liebe krönen! Sey die Zierde seines Throns!

K. He i n r i c h

zu R o s a m u n d e n .

So komm, Geliebte, komm, und nimm den Plaz wozu Dich unsre Liebe ruft!

(Rosamund nähert sich dem Thron mit zitterndem

Schritte.)

624

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

30

18. Scene. (Auf einmal werden die Thüren des Saales aufgesprengt und die K ö n i g i n , von ihren Rittern gefolgt, dringt herein. Die Bestürzung über ihre Erscheinung macht eine allgemeine Pause.)

Königin ,

im Hereintreten mit lächelndem Grimm.

Ich ward wohl nicht erwartet bey diesem Fest? (Während sie dies spricht, fährt der König mit Zeichen der Unruh und des Zorns auf und ruft Belmont zu:)

König Hein r ich . 10

Ha! Belmont, was ist dies? (In eben diesem Augenblicke stürmt die K ö n i g i n auf R o s a m u n d ein, und stößt ihr, eh Emma, Lucia, Belmont und der König, welche alle herbeyeilen, es verhindern können, einen Dolch ins Herz.)

Königin ,

indem sie den Stoß führt.

Elende! stirb — — Ich bin gerochen! Nun macht was ihr wollt! ( R o s a m u n d sinkt der E m m a und L u c i a in die Arme. Man legt sie auf die Stuffen des Throns.)

König Hein r ich 20

sinnlos.

O rettet, rettet! — faßt die Mörderin! Ro s a m u n d. Es ist umsonst! K. He i n r i c h ,

in Todesangst, zu ihren Füssen gestürzt.

O meine Rosamund!

Dritter Aufzug. 18. Scene

385—418

625

Ro s a m u n d. Mein Schiksal ist erfüllt! — Ich sterb’ — in Deinen Armen. (Der Vorhang fällt.)

626

R o s a m u n d (Anfang Dezember 1777)

Der Teutsche Merkur. December 1777.

Richard Coeur de Lion und Blondel. Eine Anekdote aus der Geschichte der Provenzalischen Dichter. R i c h a r d , genannt C o e u r d e L i o n , dritter König von England aus dem Hause Plantagenet oder Anjou, und zweyter Sohn K. Heinrichs II. bestieg den Englischen Thron i. J. 1189. Kurz zuvor hatte der edelmüthige Sultan S a l a d i n Jerusalem und das Heilige Grab (das durch den wunderreichen Fanatismus der Ritterzeit das Grab etlicher hundert tausend Europäischer Christen geworden ist) nach der berühmten Schlacht bey Tiberias wieder eingenommen; und dadurch Europa von neuem mit einem allgemeinen Eyfer entflammt, die

10

durch diesen Verlust nach ihren Begriffen auf die ganze Christenheit gefallne Schmach wieder zu tilgen und zu rächen. K. R i c h a r d , der tapferste und ritterlichste Fürst seiner Zeit, war auch der, bey dem dieser Eifer zur heftigsten Leidenschaft aufloderte. Um die zu seinem vorhabenden Kreuzzuge nothwendigen Geldsummen aufzubringen, veräußerte er von den Domainen, Einkünften und Regalien der Krone soviel er nur konnte. Ich wollte London selbst verkauffen, sagte er, wenn ich nur einen Käuffer dazu finden könnte. König Philipp-August von Frankreich, vereinigte sich mit ihm zu diesem Abentheuer; aber, so wie der erste, seinem persönlichen Charakter und seinem Rang nach, ein Recht zu haben glaubte, den A g a m e m n o n unter dem vereinigten Heer der Kruziaten vorzustellen, so hatte Richard hingegen alle persönlichen Tugenden und Fehler, die Rolle des A c h i l l s zu spielen. Seine bis zum Romantischen getriebne Unerschrockenheit und Liebe zu persönlichen Abentheuern erwarb ihm den Beynahmen L ö w e n h e r z und machte ihn zum Helden eines der berühmtesten Ritterbücher des dreyzehnten Jahrhunderts. *) Sein Nahme wurde so furchtbar unter den Sarazenen und Türken, daß die Mütter um ihre kleinen Kinder zum Schweigen zu bringen, sie m i t d e m K ö n i g R i c h a r d bedräuten. J o i n v i l l e , der in seinem Leben des heil. Lud*)

S. Wa r t o n’ s History of English Poetry Vol. I. 3. und 4.

628

D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Januar 1778)

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wigs diesen Umstand erzählt, setzt noch einen andern hinzu: wenn die Araber ritten und ihre Pferde wurden vor irgend einen ungewöhnlichen Gegenstand stutzig, so pflegten sie, indem sie ihnen den Sporn gaben, zu sagen: w i e , m e y n s t d u d u s e h e s t d e n K ö n i g R i c h a r d ? Ich weiß nicht ob sich ein stärker zeichnender Zug denken läßt. Die Romanziers dieser Zeiten fanden etwas so wundervolles in den ritterlichen Thaten dieses Prinzen, daß sie sich nicht anders zu helfen wußten, als vorzugeben, er sey im Besitz des in der fabelhaften Geschichte des König Artus so berühmten Magischen Schwerdtes, C a l i b u r n oder E s c a l i b o r genannt, gewesen; wiewohl der R o m a n v o n 10

K ö n i g A r t u s sagt, sein Schildknapp habe solches auf Befehl seines Herrn nach dessen Tod in einen See geworfen. Indessen blieben doch alle große Thaten dieses Helden und seiner Mitverbundenen ohne den abgezielten Erfolg. Eine fatale Eyfersucht trennte die christlichen Fürsten, und entkräftete eine Macht die durch Eintracht den Sarazenen hätte verderblich seyn können. K. R i c h a r d selbst war zu stolz und zu heftig in seinen Leidenschaften, um die übrigen seine persönliche Überlegenheit nicht zuweilen stärker fühlen zu lassen, als die Klugheit erlaubte. Der König von Frankreich, der Herzog von Burgund, Leopold Herzog von Österreich, der nach dem unglücklichen Tode des Kaysers Friedrich des Rothbarts

20

und seines Sohnes, an der Spitze der teutschen Kruziaten geblieben war, trennten sich von ihm gerade zu einer Zeit da man die größte Hofnung hatte, Jerusalem den Händen der Ungläubigen wieder zu entreißen. R i c h a r d blieb allein; und die Frucht aller seiner Heldenthaten war die Eroberung von Askalon, und ein Waffenstillstand, wodurch den Christen der Besitz des wenigen was sie mit so großem Aufwand wieder gewonnen hatten, und die Freyheit das heil. Grab zu Jerusalem ungehindert zu besuchen, auf d r e y Monate, d r e y Wochen, d r e y Tage und d r e y Stunden versichert wurde. Unternehmungen, wie diese, wo große Monarchen ihre Erbländer verlassen und an Menschen und Geld erschöpfen, um in einem entlegenen Welttheil

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ohne Plan und festen Zweck Abentheuer zu bestehen; wo mit ungeheuren Kräften am Ende — Nichts geschaft, und die ganze Unternehmung, sogar im Moment der Gewißheit eines vollständigen Erfolgs, mit eben dem Schwindelgeist, womit sie begonnen worden, wieder aufgegeben wird: eine solche Art zu verfahren, muß uns, nach den Grundsätzen einer gesundern Politik beurtheilt, unsinnig vorkommen. Aber die Kreuzzüge, und besonders K. R i -

Richard Coeur de Lion und Blondel

629

c h a r d s seiner, müssen aus dem damals in ganz Europa herrschenden Taumel der irrenden Ritterschaft erklärt werden. Richarden war es bloß darum zu thun in die entlegensten Länder auf A b e n t h e u e r z u z i e h e n , sich mit Sarazenen und Riesen und Löwen herumzuschlagen, und den M i n s t r e l s , die ihn begleiteten, Stoff zu Romanzen und Ritterbüchern zu geben. Diesen Zweck hatte er erreicht, und das Übrige bekümmerte ihn wenig. Entwürfe auf bleibende Eroberungen, Unternehmungen, von welchen eine dauerhafte Ruhe die Frucht wäre, kamen damals gar nicht in die Köpfe der Helden. Man taumelte und trieb sich herum, ohne einen andern Zweck dabey zu haben, als sich herumzutreiben; man lebte, so zu sagen, von den Abentheuern des Tages;

10

und man wollte sich selbst und Andern immer noch Arbeit für den folgenden übrig lassen. Dies war der Geist der Ritterzeit! R i c h a r d hatte bey der Belagerung von Askalon und bey andern Gelegenheiten den Herzog oder Markgrafen von Östreich, Leopold, auf eine sehr empfindliche Art beleidigt, und Leopold, dem es an Muth fehlte, sich die Genugthuung eines Ritters zu verschaffen, (die ihm Richard nicht verweigert haben würde) hatte sich mit dem verschlossenen Grimm einer unmächtigen Rachbegierde nach Hause begeben. Aber, was er wahrscheinlicher Weise nicht hoffen konnte, eine Gelegenheit Rache an seinem Feinde zu nehmen ohne seine eigne Person in Gefahr zu setzen, spielte ihm das Schicksal und Richards

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Unvorsichtigkeit ganz unvermuthet in die Hände. K. Richard, durch die einheimischen Unruhen seines Reichs und den niederträchtigen Einfall des König Philipps in seine französischen Erbländer zur Rückkehr gezwungen, hatte bey Aquileja Schiffbruch erlitten, und an diesem Orte die Kleidung eines Pilgrims angelegt, um unerkannt seinen Weg durch Teutschland zu nehmen, weil er in Frankreich nicht sicher zu seyn glaubte. Um den Nachstellungen des Gouverneurs von Istrien zu entgehen, nahm er einen Umweg über Wien; und hier verrieth er sich durch einen Aufwand und Freygebigkeiten, die an einem Pilgrim um so mehr Aufmerksamkeit erregten, da er zu sehr das Air eines Helden hatte, um für das angesehen zu werden, was seine schlechte Kleidung ankündigte. Kurz R i c h a r d ward entdeckt, angehalten, und nach Linz in ein enges der königlichen Würde höchst unanständiges Gefängniß gebracht. Und hier soll ihm die Avantüre begegnet seyn, welche eigentlich das Süjet der gegenwärtigen Erzählung ist. K . R i c h a r d hatte seine Jugend meistens in seinen französischen Erblän-

630

D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Januar 1778)

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dern, und einen ziemlichen Theil derselben in der P r o v e n c e gelebt, wo die Kunst des Gesangs um diese Zeit in der höchsten Blüthe stund, und nicht nur eine von gemeinsten Ergötzlichkeiten der Großen bey Gastmälern und Festivitäten ausmachte, sondern auch von vielen unter ihnen selbst mit Succeß getrieben wurde — wie es, im zwölften und dreyzehnten Jahrhundert bey uns Teutschen auch war. Hier sog R i c h a r d die sonderbare Liebe zu der Kunst der Tr o u b a d o u r s oder M i n s t r e l s ein, die ihn sein ganzes Leben durch nie verließ. Ja die Liebe, welche von jeher so viel Sänger gemacht hat, machte auch ihn zum Provenzalischen Dichter. Denn das Provenzalische wurde damals für 10

angenehmer und singbarer als das Französische, und für die eigentliche Sprache der zärtlichen Leidenschaften gehalten. In der Folge war sein Hof, wie der des Landgrafen H e r m a n n v o n T h ü r i n g e n , ein Sammelplatz der berühmtesten M i n s t r e l s seiner Zeit, unter welchen F o u q u e t v o n M a r s e i l l e , A n s e l m F a y d i t und B l o n d e l d e N e s l e als seine Favoriten genennt werden. Der letzte hatte auf dem vorerwähnten Kreuzzug (wohin dem französischen Adel, nach M a s s i e u s Ausdruck, ganze L e g i o n e n D i c h t e r folgten) sich besonders dem K. Richard gewidmet, und war ein Augenzeuge, ohne Zweifel auch ein Sänger, seiner vornehmsten Thaten gewesen — wiewohl um diese Zeit die Bestimmung der Dichter von der Würde, die sie in den ältern

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Zeiten der B a r d e n und S k a l d e r behauptet hatte, schon ziemlich herab gesunken war. Denn ehmals wurden die Barden als von den Göttern begeisterte Männer angesehen, und ihr Amt war ein h e i l i g e s und ö f f e n t l i c h e s Amt. Es war für sie P f l i c h t , die Kriegsmänner ihres Volkes auf ihren Heerzügen zu begleiten, ihnen den Schlachtgesang zu singen, Beobachter und Richter ihrer Heldenthaten zu seyn, und nach geendigter Schlacht den Tapfern durch Siegesgesänge zu belohnen, den Feigen hingegen durch Verachtung und Spott zu brandmarken. Diese Bestimmung bezog sich unmittelbar auf die Verfassung der alten Celtischen, Germanischen und Nordischen Völker — roher, wenig zahlreicher, von Jagd, Raub und Krieg lebender Hauffen, in denen

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das Gefühl der Freyheit mit dem Drang der gemeinsamen Noth verbunden diesen G e m e i n h e i t s g e i s t (Public Spirit) dieses f ü r E i n e n M a n n S t e h e n hervorbrachte, wovon große policierte Nationen vermöge ihrer bürgerlichen und militärischen Verfassung keinen Begriff mehr haben; wo Jeder Allen und Alle Jedem angehörten; wo eines Mannes persönliche Tugend als ein Eigenthum und gemeines Gut seiner C a s t e oder seines G a u’ s angesehen

Richard Coeur de Lion und Blondel

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wurde, und Verachtung seines Lebens wann’s die g e m e i n e S a c h e galt, die erste aller Tugenden war, und es, wofern die kleine Nation sollte bestehen können, seyn m u ß t e . — Aber all dies fand, bey so sehr veränderten Umständen, unter den Nachkommen eben dieser Völker in den Z e i t e n d e r R i t t e r s c h a f t u n d d e r K r e u z z ü g e nicht mehr statt. Die Feudalverfassung hatte, durch ganz natürliche Folgen, jenen Gemeinheitsgeist beynahe ganz ausgelöscht. Die Vasallen waren mehr oder minder mächtige, und die mächtigsten unter ihnen beynahe ganz unabhängige Herren geworden. Jeder bekümmerte sich nur um sich selbst, dachte nur auf seine eigne Erhaltung und Vergrößerung, und hielt seinen eigenen Hof. Die zufälligen Verbindungen der Noth

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oder des Eigennutzes, die der M o m e n t knüpfte, lößte der Moment wieder auf; persönliche Freundschaften unter den Rittern und (wiewohl höchstselten) persönliche Treue gegen den Souverain, waren noch die einzigen Bande, welche Stärke genug hatten, Proben zu halten, und wohl gar das ganze Leben auszudauern. In solchen Umständen konnten die Musenkünste nicht mehr die Wunder thun, die sie ehmals gewürkt hatten. Sie waren nicht mehr u n e n t b e h r l i c h e Triebfedern, nicht mehr Zunder und Nahrung des Gemeingeistes; der Dichter und Sänger war nicht mehr ein D i e n e r d e s S t a a t s . Stuffenweise, so wie die Verfassung Umstände und Sitten der Staaten selbst sich änderten, sanken sie zu bloßen Künsten des Vergnügens herab, und mach-

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ten einen Theil des L u x u s ihrer Zeit aus. Die Tr u b a d u r s und M i n s t r e l s wurden eine Art von Hofdienern, die man zur Pracht und zum Zeitvertreib hielt; man liebte, man ehrte sie sogar noch: aber weniger um ihrer würklichen Verdienste willen, als weil sie sich zur Belustigung der Großen unentbehrlich zu machen wußten; weil man ihre Lays und Fabliaux liebte, und weil P o e s i e , M u s i k und P a n t o m i m i s c h e K u n s t , die sich in der Folge wieder von einander trennten, damals nur Eine einzige Profeßion ausmachten und von einerley Meistern getrieben wurden. Die Großen mochten’s zwar noch immer (wie natürlich) wohl leiden, wenn sie von ihren Dichtern besungen wurden: aber das Lob so sie erhielten war weniger verdienter Preiß ihrer Tugenden als Kitzelung ihrer Eitelkeit, und konnte auch nicht wohl m e h r seyn, da doch am Ende der am meisten gelobt wurde der am besten bewirthete und die reichsten Geschenke gab. — Doch dies ist ein Nebenpfad, dessen Verfolg uns zu weit von unserm Süjet führen würde.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Januar 1778)

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B l o n d e l hatte den König R i c h a r d auf seiner Rückreise aus dem heiligen Lande begleitet; aber durch den Sturm, der den König an die Küste von Istrien warf, war das Schiff worauf dieser Minstrel sich befand in die Lagunen von Venedig getrieben worden. B l o n d e l verfolgte seine Reise durch Teutschland und die Niederlande, und forschte allenthalben fruchtlos nach dem König seinem Herrn und Freunde. Er kam endlich nach England, aber auch da wußte man nicht was aus Richarden geworden seyn könnte. Denn seine Gefangenschaft blieb ein ganzes Jahrlang Geheimniß. Der Minstrel beschloß seinen geliebten Herrn auszufinden, und wenn er ihn auch in der ganzen Welt suchen 10

müßte. Er reisete lange vergebens, bis endlich ein dumpfes Gerüchte, oder eine Vermuthung, die durch die ihm wohlbekannte Verbitterung zwischen Richard und Leopold wahrscheinlich gemacht wurde, ihn in die Staaten des letztern leitete. Nachdem er sie viele Tage lang durchwandert hatte, ohne auf eine nähere Spur zu kommen, langte er zuletzt bey einem alten Schloß an, in dessen Thurm ein Gefangener (wie er ausforschte,) scharf bewacht wurde. Wiewohl ihm niemand etwas nährers sagen konnte, so schlug ihm doch gleich das Herz, daß es sein Herr seyn könnte. Da es aber unmöglich war, sich auf irgend eine gewöhnliche Art, ohne verdächtig zu werden, davon gewiß zu machen: so versuchte ers folgendermaßen. Er fand Mittel, spät in der Nacht, so

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nahe an den Thurm und unter das Fenster des Gefangenen zu kommen, daß seine Stimme von diesem gehört werden konnte; und nun, nachdem er auf seiner Zitther eine Weile präludiert hatte, fieng er ein Lied an, welches R i c h a r d selbst in Palestina zu einer Zeit gemacht hatte, da er seiner Liebe zu der schönen M a r g e r i t h e G r ä f i n v o n H e n n e g a u am stärksten nachzuhangen Gelegenheit gehabt. Denn die Gräfin hatte, nach dem Beyspiel der meisten Damen dieser Zeit, sich auch mit dem Kreuz bezeichnen lassen, und war ihrem Gemahl nach dem heiligen Lande gefolgt. Da es unsern Lesern wenig Trost geben möchte, wenn wir ihnen, falls wirs auch könnten, dieß Lay in Provenzalischer Sprache, worinn Richard es gesetzt, vorsingen liessen; so

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haben wir versucht, es, so gut’s gelingen wollte, in unsre Muttersprache überzutragen — herzlich wünschend, daß es wenigstens mehr von der Kraft und Treuherzigkeit des Originals in sich haben möchte als die galantisierte Übersetzung der M s e l l e l’ H e r i t i e r . B l o n d e l also fieng zu singen an, wie folget:

Richard Coeur de Lion und Blondel

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Brennend tobt’ in mir das Fieber, sengte jedes Lebensband, meiner Augen Licht ward trüber und herüber aus dem finstern Schattenland streckte schon der Tod nach mir die kalte Hand. Da kam mein Lieb mit holdem Blick und Tod und Fieber wich zurück.

Hier hielt der Minstrel inne; denn das Lied hatte bey jeder Stanze einen R e f r e i n ; und er zweifelte nicht, wenn der Gefangene derjenige wäre, den er

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suchte, so würde er sich bey dieser Gelegenheit verrathen. Seine Erwartung betrog ihn nicht. Eine dumpfe aber, wie er wohl hörte, des Gesangs gewohnte Stimme aus dem Innern des Thurms hervor, vollendete die Stanze mit folgendem Refrein: Ich sag es ohn Erröthen, das süsse werthe Weib es hilft in allen Nöthen und tröstet Seel und Leib.

B l o n d e l fuhr fort: Ringsum mit Gefahr umfangen focht’ ich in der wilden Schlacht; dicht, wie Gottes Hagel, drangen Spieß und Stangen auf mich ein mit aller Macht; schon ersank mein Arm und um mich her wards Nacht: da rief ich meine Dame an, und Sieger blieb ich auf dem Plan.

Die nehmliche Stimme antwortete:

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Januar 1778)

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Ich sag es ohn Erröthen, das süße werthe Weib es hilft in allen Nöthen und tröstet Seel und Leib.

B l o n d e l beschloß mit der lezten Stanze des Liedes: Laßt das Feldgeschrey erschallen, wie im ungestümen Meer Winde brausen, Donner knallen, alles fallen 10

alles splittern um mich her, hohes Muthes wird mein Herz doch nimmer leer: kein Schiksal mich zu Boden fällt, so lang die Lieb empor mich hält.

Die Stimme antwortete abermal: Ich sag es ohn Erröthen, das süsse werthe Weib es hilft in allen Nöthen und tröstet Seel und Leib.

Groß war B l o n d e l s Freude; denn er konnte nun kaum zweifeln, daß es 20

K . R i c h a r d sey, der ihm geantwortet: aber um sich gleichwohl noch völliger zu überzeugen, setzte er aus dem Steegreif die vierte Stanze in der nehmlichen Weise hinzu: Neid und feige Rachgier lauren Nachts im Wald dem Löwen auf, zwingen ihn in finstern Mauern auszudauern; Treue leitet Blondels Lauf: harre, Löwenherz! bald springt dein Kerker auf!

Richard Coeur de Lion und Blondel

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und alsobald antwortete die Stimme, gleichfalls aus dem Steegreif: O wäre M a r g o t nur bey mir, der Himmel, spräch ich, wäre hier! Denn, sollt’ ich deß Erröthen? das süsse werthe Weib es hilft in allen Nöthen, und tröstet Seel und Leib.

Nun glaubte der getreue B l o n d e l seiner Sache völlig gewiß zu seyn; aber seinem Herrn unmittelbare Hülfe zu leisten, war keine Möglichkeit. R i c h a r d hatte wenigstens die Stimme seines geliebten M i n s t r e l s erkannt,

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und er mochte nun glauben, daß es Blondel selbst oder sein Geist gewesen, so mußt es ihm immer Trost und Muth geben, nach einer so langen Todesstille und Verlassenheit von allem was ihm lieb war, eine Freundesstimme gehört zu haben, die ihm Befreyung versprach. B l o n d e l flog nach England zurück, machte den Baronen des Reichs den Ort bekannt, wo ihr König gefangen gehalten würde, und beförderte dadurch dessen Befreyung, welche einige Monate darauf — wiewohl mit vieler Mühe und Umständen die dem Kayser H e i n r i c h VI. und dem Herzog Leopold wenig Ehre machen — auch würklich erfolgte. Conf. F a u c h e t Recueil de l’origine de la Langue et Poe¨sie Franc¸oise p. 93.

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Die vorgedachte M s e l l e L’Heritier de Villadon, welche sich dieser Geschichte als eines Fadens zu einem kleinen wenig bekannten Roman bedient hat, der den Titel führt; L a To u r Te n e b r e u s e e t l e s j o u r s l u m i n e u x , Contes Anglois, tire´s d’anciens Manuscrits, contenant la Chronique, les Fabliaux et autres Poe¨sies de R i c h a r d I. surnomme´ C o e u r - d e - L i o n etc. Paris 1705. 12. läßt den Meistersänger B l o n d e l nicht so schnell wegreisen als die Chronikschreiber, denen man diese Anekdote zu danken hat. Sie findet Mittel ihn in das Schloß selbst hinein zu bringen, und ihn dem alten Burgvogt, den sie D i e t r i k nennt, durch seine Lieder und Mährchen beliebt, ja zuletzt mit Hülfe der zärtlichen D e m o i s e l l e H e d w i g , Dietrichs Tochter, zum unmittelbaren Befreyer des Königs zu machen. Wir spüren aber keine Versuchung in uns, ihr in allen diesen Verschönerungen der Hauptbegebenheit zu folgen; zumal da wir unsre Leser für das Mährchen von R i c d i n - R i c d o n ,

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womit Sie Blondeln den alten Dietrich einschläfern läßt, gelegenheitlich durch andre aus alten Troubadours und Minstrels gezogene E r z ä h l u n g e n reichlich zu entschädigen gedenken. W.

Richard Coeur de Lion und Blondel

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Der Herausgeber an das Publikum. Der teutsche Merkur — wie man nun einmal die monatliche Sammlung, zu welcher ich mich als Herausgeber und zum Theil als Verfasser bekenne, zu nennen gewohnt ist — hat nun bereits fünf Jahre gedaurt, ohne daß weder die große Anzahl von Concurrenten, die seit einigen Jahren unter allerley Namen, und beynah in allen teutschen und deutschen Landen hervorgetreten sind, noch die öffentlichen oder geheimen Bemühungen derer, die dem Herausgeber übel wollen, den Succeß des ersten Jahrgangs in der Folge beträchtlich vermindert hätten: und, allem Anschein nach, trifft der Wunsch des Publikums, daß dieses Journal fortdauren möge, mit meinem Vorsatz zusammen,

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die Fortsetzung desselben, die ich hiermit ankündige, des bisherigen Beyfalls, soviel von mir abhängt, immer würdiger zu machen. Indessen kann und soll mich die Erkänntlichkeit, die ich einer nicht unbeträchtlichen Anzahl geneigter Leser schuldig bin, nicht abhalten zu sagen, daß es nicht an mir liegt, wenn der teutsche Merkur das noch nicht hat werden k ö n n e n , was er, meinem ersten Plan und der Erwartung oder Foderung des strengern Theils der Leser zufolge, unter günstigern Umständen und bey einer stärkern Aufmunterung von Seiten des Publikums hätte werden sollen. Es ist vielleicht unnöthig, mich hierüber deutlicher zu erklären. Wer nur einigermaßen billig denkt und einigen Begriff von einer solchen litterarischen

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Unternehmung hat, weiß ohne mich, daß solche nicht das Werk eines oder zweyer Männer seyn kann; daß sie desto vollkommner seyn würde, je mehr v o r t r e f l i c h e Mitarbeiter in v e r s c h i e d n e n Fächern der Herausgeber sich associiren könnte; daß aber dieses letztere, bey der gegenwärtigen unglücklichen Verfassung der sogenannten gelehrten Republik Teutschlands, und bey dem v e r h ä l t n i s m ä ß i g sehr geringen Absatz, den auch die beliebtesten Sammlungen dieser Art sich in Teutschland versprechen dürfen, geradezu unmöglich ist. Nach der Kenntniß, die ich aus Erfahrung von der Sache bekommen habe, besteht noch immer der g r ö ß t e Theil der L e s e r aller teutschen LitteraturWerke überhaupt, aus solchen Liebhabern, denen ihre Umstände nicht zulas-

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sen, (so sehr sie es auch wünschten) K ä u f e r zu seyn. Unter den Begüterten, und besonders unter dem hohen und niedern Adel unsrer Nation kann man kaum auf Fünfe unter Hunderten zählen, die bey ganz unläugbaren Vermögen es zu thun, den Willen haben, die Aufnahme unsrer Litteratur dadurch zu befördern, daß sie das Buch, so sie gleichwohl gerne lesen möchten, selbst kauffen. Ich verlange hiermit, eben niemanden einen Vorwurf zu machen: jeder hat das Recht mit seinem Gelde zu schalten wies ihm gut dünkt; und — „wozu am Ende auch alle die Litteratur und Journale und Laternen zur Aufklärung, und Feuerwerke zum Angaffen, und Bonbons und Spielsachen zum 10

Zeitvertreib? Unsre Großväter und Urgroßväter haben sich ohne all den Plunder beholfen; und im Ganzen stunds noch besser um die Nation, als jeder Mann seinem Beruf und Handwerk nachgieng, die Weiber sich um nichts als ihre Wirthschaft bekümmerten, und die Mädchen von der Existenz irgend eines Buches außer Bibel, Bet- und Gesangbuch so wenig a l s v o n e i n e m M a n n e wußten:“ — Allerdings! Allerdings! Ich trage allen Respekt vor dieser Art zu denken, und weiß so ziemlich genau, was daran wahr ist; wir wollen itzt nicht darüber streiten: nur muß man auch nicht fodern, daß unter einer Nation, wo die Vornehmsten und Reichsten so wenig für die Litteratur thun als in Teutschland, litterarische Unternehmungen, im Innern und Äussern, zu ei-

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nem Grad der Vollkommenheit gebracht werden, der nur durch einen gewissen Nationaleyfer für Wissenschaften und Künste überhaupt, und durch reelle Aufmunterung möglich ist. „So! höre ich manchen Nasenrümpfer, (und gerade unter denen, denen’s am wenigsten Ernst damit ist) ruffen! — ihr bekennt uns also teutsch genug heraus, daß ihr ums Geld schreibt, und daß ihr euch einbildet, die besten Köpfe zu eurer Fabrik intereßiren zu können, wenn ihr sie b e z a h l e n könntet? Welche Denkart! Welche Niederträchtigkeit!“ — Nicht so niederträchtig als die Herren, aus sehr verdächtigen Nebenabsichten, zu glauben vorgeben. Der Unterschied, der hier zu machen, und der wahre Gesichtspunkt, aus dem

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die Sache anzusehen ist, ist so leicht zu finden, daß man sich schämen muß davon zu reden. Der größte und beste Theil der Menschen, vom Kayser bis zum Taglöhner, lebt von seinem Beruf, oder seinem Talent, und dem was er mit seinem Kopf oder seinen Händen, oder mit beyden f ü r a n d r e arbeitet, und zur Masse der allgemeinen Erfodernisse beyträgt. Wer hat sich dessen zu schämen, was eine nothwendige Folge der Einrichtung der bürgerlichen Ge-

Der Herausgeber an das Publikum

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sellschaft ist? Wenn sich jemand zu schämen hat, so ists der, der bloß andre für sich arbeiten läßt, und nichts als seine Consumtion und seine Excretion zum allgemeinen Besten beyträgt. Und doch ist man auch mit diesem zufrieden, wenn er nur für das, was die Andern für ihn arbeiten, bezahlt. Denn wie e i n S c h a c h auf sein Faulbette hinflacken, und sich aufwarten lassen, und prätendieren, daß Alles sich umsonst für ihn beschäftigen und keinen Dank dazu haben soll, ist doch wohl kein Vorrecht, das irgend einem Menschen zugestanden werden kann? — Es ist freylich eine herrlichere Sache, sein Licht, gleich der Sonne, umsonst scheinen zu lassen, und Gutes zu thun, ohne was anders als ein warmes oder kaltes Ve r g e l t’ s G o t t ! dafür zurückzuempfan-

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gen. Aber wer in den Umständen ist, von seiner Arbeit oder seinem Talent leben zu m ü s s e n , der soll auch davon leben k ö n n e n , so lange man findet oder wenigstens glaubt, daß Er des Lebens und seine Arbeit des Lohnes werth sey. Ich wollte nicht, daß dies auf die A r b e i t e n d e s G e i s t e s , und die Ta l e n t e des wahren G e l e h r t e n und K ü n s t l e r s , ohne die billige Unterscheidung welche die Natur der Sache fodert, angewendet würde. Das kleinste Werk des Genies und der Kunst, das in seiner Art vortreflich ist, ist freylich seinem innern Werth nach unbezahlbar. Aber daß man dies zum Vorwand gebrauchen sollte, Künstler und andre Männer von Genie verhungern zu lassen, wäre doch wohl nicht billig? —

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Also, um wieder zu dem zu kommen, was ich eigentlich sagen wollte — taugt der Grundsatz: daß ein Schriftsteller, deswegen weil kein Mann von Genie und kein wahrer Gelehrter u m s B r o d t schreibt noch schreiben soll, von seiner Arbeit, von seinen Nachtwachen, von Verzehrung seiner besten Kräfte, von der Aufopferung andrer Vortheile, die er für sich und diejenigen, deren Erhaltung und Versorgung ihm obliegt, durch eine andre Anwendung seiner Thätigkeit hätte gewinnen können, Nichts oder soviel als Nichts haben soll: dieser Grundsatz, sage ich, taugt nichts; denn er ist ungerecht, und streitet wider alle Verhältnisse und Einrichtungen in der menschlichen Gesellschaft, welche zu reformieren nicht die Sache eines oder etlicher Männer ist. — Freylich soll kein wahrer Gelehrter u m s B r o d t schreiben. Indessen besorg’ ich doch, schon mancher wahre Gelehrte hat in Teutschland ums Brodt schreiben m ü s s e n ; und desto schlimmer für ihn und für das Land worinn er das muß! — Wehe der Nation, die einen K e p l e r den Vo r l ä u f f e r N e w t o n s , den Mann, ohne den vielleicht Newton nie geworden wäre, hun-

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gern, — aus Mangel, und Gram über das Unvermögen seinen nach Brodt weinenden Kindern B r o d t zu geben, verschmachten ließ! — Ein großer Theil, vielleicht der B e s t e , unsrer Gelehrten, die am meisten wahre Geschicklichkeit hätten, sich a l s S c h r i f t s t e l l e r um die Welt verdient zu machen, ist — eben darum weil diese Männer n i c h t u m s B r o d t s c h r e i b e n w o l l e n — genöthigt, von Bedienstungen zu leben, und ihre beste Zeit mit einträglichern, vielleicht ihrer nicht würdigen Arbeiten zuzubringen, und Talente darüber schlafen und verrosten zu lassen, die der Nation in einem ungleich größern Umfange hätten nützlich werden können. Sind sie deswegen zu verden10

ken? — Und wenn nun der Unternehmer eines litterarischen Instituts, das seiner g e r a d e n Absicht nach dem Publiko wenigstens eben so nützlich als den Theilhabern an demselben zuträglich seyn sollte, Männer von dieser Art einladen will, gemeinschaftlich mit ihm zum Unterricht oder zum Vergnügen des Geistes und Herzens des lesenden Publikums zu arbeiten: ists unbillig oder niederträchtig, wenn sie verlangen dabey wenigstens für die Aufopferung einer Zeit, so sie nützlicher für sich anwenden könnten, schadlos gehalten zu werden? Ich bitte meine Leser um Vergebung, wenn ich mich über diesen Umstand zu weitläufig expectorirt habe. Ich mußte es thun, weil ich einigen unter ihnen

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in etwas begreiflich machen wollte, warum der T. Merkur, (sein bisheriger Werth sey nun so groß oder klein als man will) zu dem Grad von G e m e i n n ü t z i g k e i t , und U m f a n g , und G ü t e eines j e d e n Artickels in seiner Art, nicht gelangen konnte, den ich gleich anfangs abzweckte, und den vielleicht das Publikum aus geneigter Partheylichkeit für den Nahmen des Herausgebers erwartete. — Indessen werde ich alles anwenden was nur immer in meinen Mächten ist, jenem Ziel immer näher zu kommen; und wiewohl ich, durch Erfahrung behutsam im Versprechen gemacht worden bin, so kann ich doch getrost versprechen, daß der Merkur inskünftige an M a n c h f a l t i g k e i t und interessanter Beschaffenheit a l l e r Artikel die beyden letzten Jahrgänge

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merklich übertreffen werde. Und ich kann dies um so mehr, da (ausser einigen Freunden, die ich nicht nennen darf, und deren zufällige Beyträge jederzeit eine Zierde meiner Sammlung seyn werden,) der Herr Canonikus J a c o b i (der die I r i s nicht weiter fortzusetzen gedenkt) wieder in das ehmalige Verhältniß eines Gehülfen und ordentlichen Mitarbeiters mit mir treten wird. Mit trocknen Abhandlungen im Schulton und Kompendien-Styl sollen unsre

Der Herausgeber an das Publikum

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Leser künftig verschont bleiben, ohne sich darum über Mangel an Aufsätzen, die den Geist nähren und zum D e n k e n reitzen werden, beklagen zu können. Der Menge von Lesern und Leserinnen (und ich muß sagen, daß sie meistens zu der schätzbarsten Klasse gehören) die mich zeither so oft um m e h r M ä h r c h e n angegangen sind, kann ich Hoffnung machen, daß man sie nicht darben lassen wird; und dem wackern Ungenannten, der mich vor einiger Zeit sehr dringend bat, statt d e r l e i d i g e n M ä h r c h e n schöne g r ü n d l i c h e A b h a n d l u n g e n über das liebe E r z i e h u n g s w e s e n zu liefern ( d. i. N a c h t e u l e n n a c h A t h e n zu tragen) verspreche ich wenigstens (damit beyden Theilen zugleich geholfen sey) ein hübsches M ä h r c h e n v o m E r z i e h u n g s -

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w e s e n — wenn es anders an der alten F a b e l vom jungen K r e b s und s e i n e m Va t e r nicht schon genug seyn sollte. Endlich werde ich mir angelegen seyn lassen, dem kritischen Artikel, nach dem Wunsche so vieler Leser, einen größern Umfang zu geben; wiewohl dies, da ich nicht selbst recensire, am wenigsten von meinem Willen abhängt, und überdies die Menge der elenden, impertinenten, hirnlosen, pasquillantischen, nonsensikalischen, und die Narrheit ihrer Verfasser in allen möglichen Gestalten schautragender Büchlein so überhand nimmt, daß es einem Manne von Verstande eckeln muß, sich die Hände mit diesem Unrath zu beschmitzen. Um so mehr aber wünsch’ ich und werd’ es dahin zu bringen suchen, daß alles was im Fach der teutschen Litteratur herauskommt und ein Recht an Beurtheilung hat, eine freymüthige Beurtheilung, und überhaupt jede Schrift, die der Nation Ehre macht, oder den Bedürfnissen der Zeit vorzüglich zu statten kommt, wenigstens eine Anzeige im Merkur finde. Wieland.

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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Januar 1778)

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¼Incerta½

¼Politische Nachrichten. …½

(Die Artikel S p a n i e n und I t a l i e n , die diesmal keinen Platz mehr bekommen konnten, sollen, damit gleichwohl der Zusammenhang nicht leide, im künftigen Monat nachgehohlt werden.)

¼Redaktionelle Notiz zur Rubrik½ P o l i t i s c h e N a c h r i c h t e n

645

Inhaltsverzeichnis [225]

Der Teutsche Merkur. May 1776

.................................

1

[225.1]

Nachricht [  219.1]

[225.2]

Liebe um Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

[225.2.1]

Das erste Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

[225.2.2]

Zweytes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

[225.2.3]

Drittes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

[225.2.4]

Viertes Buch

[225.2.5]

Fünftes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

[225.2.6]

Sechstes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

[225.2.7]

Siebentes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

[225.2.8]

Leztes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

[225.3]

....................................................

39

¼Anmerkungen: Friedrich Eberhard von Rochow½ Authentische Nachricht von der zu Dessau auf dem Philanthropin den 13 bis 15ten May 1776 angestellten öffentlichen Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

[225.3.1]

¼Anmerkung 1½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

[225.3.2]

¼Anmerkung 2½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

[225.3.3]

¼Anmerkung 3½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

[225.4]

¼Übersetzung: David Mallet½ Edwin und Emma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

[225.5]

Nachricht von Johann Fichard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

[225.6]

Bekanntmachung, im Betreff des im Teutschen Merkur, III. B. S. 94. ausgesetzten Preises

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

[225.7]

Anzeige einer neuen Erfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

[225.8]

¼Redaktionelle Notiz zur Rubrik½ Politische Nachrichten [  Incerta]

[226]

Der Teutsche Merkur. Junius 1776

[226.1]

Nachricht [  219.1]

[226.2]

Liebe um Liebe

[226.2.1] [226.3]

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Liebe um Liebe. Drittes Buch [  225.2.3] ¼Übersetzung und Kommentar: John Vanbrugh½ Was ist Wahrheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Inhaltsverzeichnis

647

[226.4]

¼Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment½ . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

[226.4.1]

Prolog zur Geschichte Herrn Bonifacius Schleicher . . . . . . . . . . . . . . 120

[226.4.2]

Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment . . . . . . . . . . . . . . . 129

[226.4.3]

Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment. Fortsetzung . . 137

[226.4.4]

¼Epilog½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

[226.5]

¼Vorwort und Anmerkungen: Daniel Nikolaus Chodowiecki½ Nachricht von Berlinischen Künstlern und Kunstsachen . . . . . . . . . . . . 145

[226.5.1]

¼Vorwort½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

[226.5.2]

¼Anmerkung 1½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

[226.5.3]

¼Anmerkung 2½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

[226.6]

Eine Psychologisch-poetische Anekdote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

[226.7]

Nachricht von Wilibald Pirckhaimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

Der Teutsche Merkur vom Jahr 1776. Drittes Vierteljahr [227]

Der Teutsche Merkur. Julius 1776

. . . . 157

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

[227.1]

Nachricht [  219.1]

[227.2]

Zusatz des Herausgebers ¼zu: Johann Gottfried Herder½ Hutten . . . . 160

[227.3]

Liebe um Liebe

[227.3.1] [227.3.2] [227.4]

Liebe um Liebe. Viertes Buch [  225.2.4] Liebe um Liebe. Fünftes Buch [  225.2.5] ¼Zusatz: Friedrich Heinrich Jacobi½ Druckfehler in Allwills Papieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

[227.5]

¼Anmerkung zur Rezension: Friedrich (gen. Maler) Müller½ Situation aus Fausts Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

[227.6]

Einige Nachrichten von Theophrastus Paracelsus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Druckfehler in No. 6 des T. Merkur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

[228]

Der Teutsche Merkur. August 1776

[228.1]

Nachricht [  219.1]

[228.2]

Liebe um Liebe

[228.2.1] [228.3]

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Liebe um Liebe. Sechstes Buch [  225.2.6] ¼Anmerkungen und Nachricht: Johann Kaspar Häfeli?½ Eines Ungenannten Antwort ¼über Enthusiasmus und Schwärmerey½ . . . . . 172

[228.3.1]

648

¼Anmerkung 1½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Inhaltsverzeichnis

[228.3.2]

¼Anmerkung 2½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

[228.3.3]

¼Anmerkung 3½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

[228.3.4]

Nachricht des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

[228.4] [228.4.1] [228.5]

Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment [  226.4.2] ¼Anmerkung: Karl Christoph Reiche½ Anzeige von den Zeitungen aus der alten Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

[228.6]

¼Anmerkung: Johann Samuel Schröter½ An die Freunde der Naturgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

[228.7]

¼Einleitung: Anonymus½ Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

[228.8]

Nachrichten von Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim . . . . . . 188

[228.8.1] [228.8.2]

Nachrichten von Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim . . . 188 Fortsetzung der Nachricht von Cornelius Agrippa . . . . . . . . . . . . . . . 192 Druckfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

[229]

An Mylord Chesterfield [ ¤ 229]13.2

[230]

Der Teutsche Merkur. September 1776

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

[230.1]

Nachricht [  219.1]

[230.2]

¼Anmerkungen und Zusatz: Johann Kaspar Häfeli?½ Fortsetzung der in No. 8. S. 111 angefangenen Antwort eines Ungenannten [  228.3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

[230.2.1]

¼Anmerkung 4½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

[230.2.2]

¼Anmerkung 5½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

[230.2.3]

¼Anmerkung 6½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

[230.2.4]

¼Zusatz½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

[230.3] [230.3.1]

Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment [  226.4] Bonifaz Schleicher. Ein Biographisches Fragment. Fortsetzung [  226.4.3]

[230.3.2] [230.4]

[Epilog] [  226.4.4] ¼Anmerkungen: Philipp Christoph Kayser½ Empfindungen eines Jüngers in der Kunst vor Ritter Glucks Bildniße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

[230.5] [230.5.1] [230.6]

Nachrichten von Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim Fortsetzung der Nachricht von Cornelius Agrippa [  228.8.2] Nachrichten von Andreas Vesalius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Inhaltsverzeichnis

649

[230.7]

Entschuldigung des Herausgebers an die Abonenten und Leser des Merkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

[230.8] [230.9]

Berichtigungen und Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Merkwürdige Probe einer neuen Übersetzung des Luc. Annäus Seneca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

[231]

Wielands Neueste Gedichte vom Jahre 1770 bis 1777. I. Theil. Neue, verbesserte Auflage

[231.0]

Vorbericht ¼des Verlegers½ [ ¤ 231.0]13.2

[231.1]

Liebe um Liebe. ¼Buch 1–6½ [  225.2]

[231.1.1]

Liebe um Liebe. Erstes Buch [  225.2.1]

[231.1.2]

Liebe um Liebe. Zweytes Buch [  225.2.2]

[231.1.3]

Liebe um Liebe. Drittes Buch [  225.2.3]

[231.1.4]

Liebe um Liebe. Viertes Buch [  225.2.4]

[231.1.5]

Liebe um Liebe. Fünftes Buch [  225.2.5]

[231.1.6]

Liebe um Liebe. Sechstes Buch [  225.2.6]

[231.2]

Der Mönch und die Nonne, auf dem Mittelstein. [  205.III.1]

[231.2.0]

¼Vorwort½ [  205.III.1: Anmerkung zum Prolog]

[231.2.1]

Prolog [  205.III.1.0]

[231.2.2]

Der Mönch und die Nonne. Erster Gesang [  205.III.1.1]

[231.2.3]

Der Mönch und die Nonne. Zweeter Gesang [  205.III.1.2]

[231.3]

Aspasia [  179.II.2]

[231.4]

An Psyche. I [  193]

[231.5]

II. An Psychen [  219.3]

[231.6]

Gedanken bey einem schlafenden Endymion

[231.6.1]

Gedanken bey einem schlafenden Endymion [  173]

[231.6.2]

Nachricht von der Entstehung und dem Plan des vorstehenden Fragments [  182.II.1]

Der Teutsche Merkur vom Jahr 1776. Viertes Vierteljahr [232]

Der Teutsche Merkur. October 1776

. . . . 219

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

[232.1]

Nachricht [  219.1]

[232.2]

Zusatz zur Nachricht von Andreas Vesalius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

650

Inhaltsverzeichnis

[233]

Der Teutsche Merkur. November 1776

[233.1]

Nachricht [  219.1]

[233.2]

Liebe um Liebe

[233.2.1] [233.3]

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Liebe um Liebe. Siebentes Buch [  225.2.7] Ein Pulver wider die Schlaflosigkeit, in einer dramatischen Erzehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

[233.4]

Frage und Antwort ¼zu: Lassen sich die Maskeraden gar nicht vertheidigen?½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

[233.5]

Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 ¼Nachricht 1: Johann Friedrich Kleucker½ Zend-Avesta . . . . . . . . . . . 231 ¼Nachricht 2: über das Philanthropische Archiv des Dessauischen Philanthropin½

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

¼Nachricht 3: über Christoph Kaufmanns Reise nach Dessau½ . . . . 231 ¼Nachricht 4: an die Abonnenten des Teutschen Merkur½

[234]

Der Teutsche Merkur. December 1776

[234.1]

Nachricht [  219.1]

[234.2]

Liebe um Liebe

[234.2.1]

. . . . . . . . 231

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Liebe um Liebe. Leztes Buch [  225.2.8]

[234.3]

Ein Fragment über den Charakter des Erasmus von Rotterdam

[234.4]

¼Nachricht zur Rezension: Gottfried Schütze½ Lobschrift auf die

. . . . 234

Weiber der alten teutschen und nordischen Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

Der Teutsche Merkur vom Jahr 1777. Erstes Vierteljahr [235]

Der Teutsche Merkur. Jänner 1777

. . . . . 245

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

[235.1]

Nachricht [  219.1]

[235.2]

Geron, der Adelich. Eine Erzählung aus König Artus Zeit . . . . . . . . . . . 248

[235.2.1]

Geron, der Adelich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

[235.2.2]

Geron, der Adelich ¼Fortsetzung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

[235.2.2.1]

Geron, der Adelich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

[235.2.2.2]

Einige Erläuterungen zu besserm Verständnis des vorstehenden Gedichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

[235.3]

¼Anmerkung: Anonymus½ Gebet eines noch unbekannten Dichters . . 295

[235.4]

Über eine Stelle in Shakespears Macbeth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

Inhaltsverzeichnis

651

[235.5]

¼Nachschrift: Christian Wilhelm Konrad Dohm½ Einige der neuesten politischen Gerüchte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

[236]

Der Teutsche Merkur. Februar. 1777

[236.1]

Nachricht [  219.1]

[236.2]

Geron, der Adelich ¼Fortsetzung½

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

[236.2.1]

Geron, der Adelich [  235.2.2.1]

[236.2.2]

Einige Erläuterungen zu besserm Verständnis des vorstehenden Gedichts [  235.2.2.2]

[236.3]

¼Übersetzung: Charles Rivie`re Dufresny½ Eine lehrreiche Conversation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

[236.4]

Urtheil des Cardinal du Perron von dem berühmten Fra Paolo Sarpi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

[236.5] [236.6]

Rüge gegen einen Engländischen Kunstrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 ¼Übersetzung: Pierre Jean Baptiste Nougaret½ Etwas, aus den Anecdotes des Beaux-Arts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 ¼1½ „Rembrandt hatte eine sehr geschwätzige Magd …“ . . . . . . . . . . . 307 ¼2½ „Rigaud (einer der berühmtesten Französischen Porträtmahler …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 ¼3½ „Mignards (ersten Mahlers des Königs Ludwig XIV. …“ . . . . . . . 307 ¼4½ „Ludwig XIV. wollte einsmals vom Düc de Montausier wissen …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 ¼5½ „Le Süeur — (dessen ungleich mächtigerm Genius …“ . . . . . . . . 308

[236.7]

[237]

Der Blitz, ein Heilmittel in einer verzweifelten Krankheit . . . . . . . . . . 310

Der Teutsche Merkur. März 1777

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

[237.1]

Nachricht [  219.1]

[237.2]

Betrachtung über die Abnahme des menschlichen Geschlechts . . . . . 314

[237.3]

¼Anmerkungen und Zusatz: Johann Kaspar Lavater½ Wahre Geschichte der Nachtmahl-Vergiftung in Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

[237.3.1]

¼Anmerkung 1½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

[237.3.2]

¼Anmerkung 2½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

[237.3.3]

¼Zusatz½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

[237.4]

¼Übersetzung: Ferdinand Warner½ Einige Charakterzüge zum Bildniß des Thomas Morus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

652

Inhaltsverzeichnis

[237.5]

An einige anonyme Correspondenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

[237.6]

¼Zusatz: Johann Bernhard Basedow und Johann Heinrich Campe½ Anzeige einer Monatschrift von pädagogischem Inhalte . . . . . . . . . . . . . 341

Der Teutsche Merkur vom Jahr 1777. Zweytes Vierteljahr [238]

Der Teutsche Merkur. April 1777

. . . 343

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

[238.1]

Nachricht [  219.1]

[238.2]

¼Schlußbemerkung: Wilhelm Heinse½ Ariosts Zwietracht . . . . . . . . . . . 346

[238.3]

Die Griechen hatten auch ihre Teniers und Ostaden . . . . . . . . . . . . . . . . 347

[238.4]

¼Anmerkung½ Auszug aus einem Briefe eines Reisenden an den Herausgeber, den dermaligen Zustand des Vesuvs betreffend . . . . . . . 354

[238.5]

¼Übersetzung½ Ein sonderbarer Charakterzug ¼des Grafen von Peterborough½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

[238.6]

Anekdote vom Abbe de Bois Robert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

[238.7]

Zum Bildniß der Anna Maria von Schurmann

[238.8]

¼Rezension: Johann Joachim Christoph Bode oder Ludwig

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

Christoph Heinrich Hölty½ Der Abentheurer. Ein Auszug aus dem Englischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

[239] [239.1] [239.2]

Der Teutsche Merkur. May. 1777

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

Nachricht [  219.1] Auszüge aus des E. P. Angelinus Gazey, S. I. Geistlichen Recreationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

[239.3]

¼Euripides½ Sprüche aus einem Sokratischen Dichter . . . . . . . . . . . . . . . 371

[239.4]

Eine kritische Kleinigkeit ¼zu: August Friedrich Ursinus: Balladen

[239.5]

Auszüge aus dem Buche der Anna Maria von Schurmann, Eucleria,

und Lieder altenglischer und altschottischer Dichtart½ . . . . . . . . . . . . . 374

oder Erwählung des besten Theils betitelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 [239.6]

[240]

¼Nachricht 1: Aufsatz zu Pico della Mirandola½

Der Teutsche Merkur. Jun. 1777

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

[240.1]

Nachricht [  219.1]

[240.2]

¼Gedichte½ Epilogus des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388

[240.3]

Auszug aus einem Brief an einen Freund

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390

Inhaltsverzeichnis

653

[240.4]

Eine Handlung des Apelles, die sein bestes Gemählde werth war . . . . 396

[240.5]

¼Rezension: Matthäus von Pappenheim½ Chronik der Truchsessen von Waldburg

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400

¼Rezension: Christoph Siegmund von Holzschuher½

[240.6]

Lebensbeschreibung des berühmten Ritters, Sebastian Schertlins von Burtenbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 [240.7]

Zum Bilde des Ludwig Vives . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

[240.8]

¼Nachricht 2: Aufsatz zu Pico della Mirandola½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408

[240.9]

Probe einer komischen Epopee, genannt Belline stirbt

[240.10]

¼Anzeigen und Zusatz zu Kupferstichen David Nikolaus

. . . . . . . . . . . . . 409

Chodowieckis½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Schließliche Anzeige ¼über verschiedene Gesänge, kleine Lieder,

[240.11]

und andere poetische Aufsätze½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

Der Teutsche Merkur vom Jahr 1777. Drittes Vierteljahr Der Teutsche Merkur. Jul. 1777

[241]

. . . . 417

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

[241.1]

Nachricht [  219.1]

[241.2]

Das Sommer-Mährchen oder des Maulthiers Zaum . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 Das Sommer-Mährchen, oder des Maulthiers Zaum . . . . . . . . . . . . . . 420

[241.2.1]

Fortsetzung des Sommer-Mährchens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

[241.2.2] [241.3]

Zum Bilde der Juliana Morell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

[241.4]

Anzeige ¼Friedrich Nicolai: Leben Johann Bunkels, nebst den Leben verschiedener merkwürdiger Frauenzimmer½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

Der Teutsche Merkur. August 1777

[242]

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469

[242.1]

Nachricht [  219.1]

[242.2]

Das Sommer-Mährchen oder des Maulthiers Zaum Fortsetzung des Sommer-Mährchens [  241.2.2]

[242.2.1]

Gedanken über die Ideale der Alten (Veranlaßt durch das Vierte

[242.3]

Fragment im 3ten Bande der Lavaterischen Physiognom. Fragm.) . . 470 Gedanken über die Ideale der Alten

[242.3.1]

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470

[242.3.1.1]

I. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470

[242.3.1.2]

II. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

[242.3.1.3]

III. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477

654

Inhaltsverzeichnis

[242.3.1.4]

IV. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484

[242.3.1.5]

V. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485

[242.3.1.6]

VI. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490

[242.3.1.7]

VII. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492

[242.3.1.8]

VIII. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493

[242.3.2]

Fortsetzung der Gedanken über die Ideale der Alten . . . . . . . . . . . . . 497

[242.3.2.1]

IX. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497

[242.3.2.2]

X. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

[242.3.2.3]

XI. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507

[242.3.3]

Beschluß der Gedanken über die Ideale der Alten . . . . . . . . . . . . . . . . 514

[242.3.3.1]

XII. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514

[242.3.3.2]

XIII. ¼Kapitel½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

[242.4]

Zum Bildniß des Jacob le Fevre von Etaples (Faber Stapulensis.) . . . . . 520

[242.5]

¼Auszug eines Schreibens des Hrn. Prof. Eschenburgs in

[242.6]

¼Anmerkung: Johann Nast½ Der Deutsche Sprachforscher . . . . . . . . . . . 525

Braunschweig an den Herausgeber½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523

[243]

Der Teutsche Merkur. September 1777

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527

[243.1]

Nachricht [  219.1]

[243.2]

Fortsetzung der Gedanken über die Ideale der Alten. [  242.3.2]

[243.2.1]

IX. ¼Kapitel½ [  242.3.2.1]

[243.2.2]

X. ¼Kapitel½ [  242.3.2.2]

[243.2.3]

XI. ¼Kapitel½ [  242.3.2.3]

[243.3]

¼Anmerkung: Christian Wilhelm Konrad Dohm½ Fortsetzung der

[243.4]

¼Anmerkung zur Rezension: Heinrich Wolfgang Behrisch½ Tempel

[243.5]

¼Nachricht zu einer Beilage zu Nicolas Claude Fabri de Peirescs

neuesten politischen Gerüchte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528

der Unsterblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

Bildnis½

[244]

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530

Wielands Neueste Gedichte vom Jahre 1770 bis 1777. II. Theil. Neue, verbesserte Auflage

[244.1]

Liebe um Liebe ¼Buch 7–8½ [  225.2]

[244.1.1]

Liebe um Liebe. Siebentes Buch [  225.2.7]

[244.1.2]

Liebe um Liebe. Leztes Buch [  225.2.8]

Inhaltsverzeichnis

655

[244.2]

Ein Wintermährchen [  219.8]

[244.2.0]

¼Prolog½ [  219.8.0]

[244.2.1]

Das Wintermährchen. Erster Theil [  219.8.1]

[244.2.2]

Das Wintermährchen. Zweeter Theil [  221.2]

[244.3.1]

Geron, der Adelich [  235.2.1]

[244.3.2] [244.4]

[245] [245.1]

Einige Erläuterungen [  235.2.2.2] Das SommerMährchen, oder der Maulthiers-Zaum [  241.2.1, 242.2]

An Olympia. Den 24. October 1777

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531

I. ¼„Der Götterstand (sprach einst …“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533

[245.2]

II. ¼„Von feinerem Gefühl getrieben …“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534

[245.3]

III. ¼„Dies alte Wunder zu erneu’n …“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537

Der Teutsche Merkur vom Jahr 1777. Viertes Vierteljahr [246]

Der Teutsche Merkur. October 1777

. . . . 541

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543

[246.1]

Nachricht [  219.1]

[246.2]

¼Anmerkungen: Michael Hißmann½ Bemerkungen über einige Regeln für den Geschichtschreiber philosophischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . 544

[246.2.1] [246.2.2] [246.3]

¼Anmerkung 1½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 ¼Anmerkung 2½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 Beschluß der Gedanken über die Ideale der Alten [  242.3.3]

[246.3.1]

XII. ¼Kapitel½ [  242.3.3.1]

[246.3.2]

XIII. ¼Kapitel½ [  242.3.3.2]

[246.4]

¼Anmerkung: Anna Luise Karschin½ Am frohen Geburtstage des Prinzen Ferdinand von Preussen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545

[246.5]

Logogryph: „Mich zu errathen laßt euch nicht verdrießen …“ . . . . . . . 546

[246.6]

Zu den Bildnißen des Peiresk und Fracastor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547

[247]

Zur Nachricht ¼Kommissionsanzeige zu: Karl Friedrich Cramer: Klopstock. In Fragmenten aus Briefen von Tellow an Elisa½

[248] [248.1]

656

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552

Der Teutsche Merkur. November 1777 Nachricht [  219.1]

Inhaltsverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553

[248.2]

An Olympia [  245]

[248.3]

Über das göttliche Recht der Obrigkeit oder: Über den Lehrsatz: „Daß die höchste Gewalt in einem Staat durch das Volk geschaffen sey.“ an Herrn P. D. in C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554

[248.4]

[249]

Zum Bilde des Justus Lipsius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569

Rosamund. Ein Singspiel in drey Aufzügen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575

[249.0]

Vorbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577

[249.1]

Erster Aufzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579

[249.2]

Zweyter Aufzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587

[249.3]

Dritter Aufzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605

[250]

Der Teutsche Merkur. December 1777

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627

[250.1]

Nachricht [  219.1]

[250.2]

Richard Coeur de Lion und Blondel. Eine Anekdote aus der Geschichte der Provenzalischen Dichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628

[250.3]

Der Herausgeber an das Publikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638

Incerta [225.8]

¼Redaktionelle Notiz zur Rubrik½ Politische Nachrichten . . . . . . . . . . . 645

Inhaltsverzeichnis

657