Weltreiche und Wahrheitszeugen: Geschichtsbilder der protestantischen Erweckungsbewegung in Deutschland 1815-1848 9783666550140, 9783525550144, 9783647550145


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German Pages [464] Year 2011

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Weltreiche und Wahrheitszeugen: Geschichtsbilder der protestantischen Erweckungsbewegung in Deutschland 1815-1848
 9783666550140, 9783525550144, 9783647550145

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-55014-4 — ISBN E-Book: 978-3-647-55014-5

Arbeiten zur Geschichte des Pietismus Im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus

Herausgegeben von Hans Schneider, Christian Bunners und Hans-Jürgen Schrader

Band 57

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-55014-4 — ISBN E-Book: 978-3-647-55014-5

Jan Carsten Schnurr

Weltreiche und Wahrheitszeugen Geschichtsbilder der protestantischen Erweckungsbewegung in Deutschland 1815–1848

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-55014-4 — ISBN E-Book: 978-3-647-55014-5

Meinen Eltern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. ISBN 978-3-525-55014-4 ISBN 978-3-647-55014-5 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und des Forschungsfonds der Freien Theologischen Hochschule Gießen. Umschlagabbildung: Kaiserkrönung Karls des Großen. Aus: J. C. Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte für Schulen und Familien, Calw/Stuttgart 1843, 122 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen. Druck und Bindung: D Hubert & Co, Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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„Aus einem solchen Meer von Materialien lauter Perlen zu fischen, und nicht manchmal auch Seetang zu erwischen, ist ohne große historische Kunst oder großes Glück fast nicht möglich. Ich verlasse mich auf letzteres, und hoffe, mit der Hilfe des HErrn doch etwas zu Stande zu bringen, das Seiner Kirche nützlich werden kann.“ Christian Gottlob Barth in einem Brief vom März 1834 über das Schreiben der Christlichen Kirchengeschichte, zitiert in Werner, Barth, Bd. II (1866), 282

„An einen Krebsgang der Kirche und der Menschheit hat noch niemand geglaubt, der an Gott und Christum glaubte.“ Heinrich Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. II (1836), 477

„I am come from the City of Destruction, and am going to Mount Zion; but because the Sun is now set, I desire, if I may, to lodge here to-night.“ John Bunyan, The Pilgrim’s Progress, Part I (1678)

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Die Erweckungsbewegung – Diskurs- und Deutungsgemeinschaft im Vormärz . . . . . . . . . . . .

14

2. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

3. Erkenntnisziel, Quellen und Methode . . . . . . . . . . .

26

I.

Literatur- und Diskursgeschichte der erwecklichen Historiographie 35 1. „In dem Fach der Geschichtschreibung die christlichere Richtung der neueren Wissenschaft“ – Weltgeschichten und Nationalgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die historiographische Aufgabenstellung . . . . . . . . 1.2 Welt- und Nationalgeschichten . . . . . . . . . . . .

35 37 39

2. „Das Reich Gottes ist einem Sauerteige gleich“ – Kirchengeschichten und Missionsgeschichten . . . . . . 2.1 Die Wertschätzung der Kirchengeschichtsschreibung 2.2 Kirchengeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Missionsgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

72 72 74 88

3. „Belehrend, erwecklich und unterhaltend zugleich“ – Die Biographik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Bedeutung und Grundzüge der erwecklichen Biographik 3.2 Sammelbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Kirchengeschichtliche „Väter“-Biographien . . . . . . 3.4 Herrscherbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Historisch-biographische Romane . . . . . . . . . . . 3.6 Autobiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Missionsbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104 104 110 117 123 124 127 129

4. „Unsere Beweisführung wird eine historische seyn“ – Schriften zur historisch-kritischen, paläontologischen und prophetiegeschichtlichen Verteidigung der Bibel . . . . . 4.1 Pentateuchkritik und Urgeschichte . . . . . . . . . . 4.2 Das Buch Daniel und biblische Zukunftsprophetie . . 4.3 Die Evangelien und das Leben Jesu . . . . . . . . . .

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Inhalt

5. „Das predigt uns diese Geschichte laut“ – Zur Theorie der erwecklichen Historiographie 5.1 Historische Sinnbildung jenseits von Auf klärungshistorie und Historismus 5.2 Geschichtspredigt . . . . . . . . . . . . 5.3 Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Metaphorik . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Stellung zu Romantik und Idealismus . . 5.6 Objektivität und historische Gerechtigkeit 5.7 Wissenschaftlichkeit . . . . . . . . . . . 5.8 Historiographie und Erinnerungsmilieu .

. . . . . . .

157

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158 164 171 175 178 183 187 190

II. C. G. Barths „Die allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen bearbeitet für nachdenksame Leser“ (1837) – Detailanalyse eines Geschichtsbildes . . . . .

197

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1. Hintergrund des Werkes . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Entstehung und zeitgenössische Rezeption . . . 1.2 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Christliche Geschichtsprämissen . . . . . . . . . . 3. Historiographische Gewichtungen . . . . . . . . . 4. Periodisierung, Chronologie und danielische Vier-Weltreiche-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bengelsche Offenbarungsrezeption und Endzeitlehre 6. National gefärbter Eurozentrismus . . . . . . . . . 7. Eckpfeiler einer protestantisch-pietistischen Religions- und Kirchengeschichte . . . . . . . . . 8. Konservativ-christliche politische Ordnungsvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . 9. Gesellschafts- und Gegenwartsanalysen . . . . . .

. . . . . . . .

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. 200 . 200 . 203 . 209 . 218

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220 226 231

. .

237

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247 257

III. Geschichtsbilder der Erweckungsbewegung – Schwerpunktthemen und Deutungsmuster . . . . . . . . . .

263

1. „Fortschreitende Entwickelung des göttlichen Erziehungsplans“ – Heilsgeschichte in der Weltgeschichte 1.1 Göttliche Vorsehung und Theodizee . . . . . . . . 1.2 Die klassische Antike . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Weltreiche und das Reich Gottes . . . . . . . 1.4 Paulinische Religionsgeschichte . . . . . . . . . . 1.5 Israel und die Juden . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Geschichtsvölker, Kaukasier und Jafetiten . . . . .

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Inhalt

2. „Ein Spiegel unserer Herzen“ – Geschichte als Identitätsspenderin . . . . . . . . . . . 2.1 Nationalität und Transnationalität . . . . . . . . . 2.2 Der christliche Herrscher . . . . . . . . . . . . . 2.3 Vorgängerbewegungen – Reformation und Pietismus 2.4 Historische Gegner – Katholizismus und Auf klärung 2.5 Die Urerfahrung 1789 bis 1815 . . . . . . . . . . . 2.6 Gegenwart und Modernität . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

306 306 323 333 344 356 365

Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

379

Anhang

391

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1. Abkürzungsverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

391

2. Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Selbständige Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Zeitschriftenartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . .

393 393 407

3. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

418

4. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

445

5. Themenverzeichnis

460

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Vorwort Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2009 von der Fakultät für Philosophie und Geschichte der Eberhard Karls Universität Tübingen angenommen wurde. Es dokumentiert einen mehrjährigen gedanklichen Weg, dessen Ziel zu Beginn noch nicht abzusehen war. Für gelegentliche Durststrecken haben mich die vielfältigen Dinge am Wegrand entschädigt, die meine Neugier erregten und mich zum Nachdenken brachten; aber auch die Ermutigung derer, die mich auf verschiedenen Etappen begleitet haben. Von den vielen Menschen und Institutionen, die mir geholfen haben, möchte ich gerne einige nennen. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Langewiesche. Er hat vor Jahren durch ein Seminar über „Geschichtsbilder in Umbruchszeiten“ mein Interesse für Erinnerungsgeschichte geweckt und diese Arbeit mit großem Engagement betreut – mit einer „langen Leine“, die mir die Möglichkeit gab, meinen eigenen Vorstellungen und Zeitplänen zu folgen, und der Bereitschaft, bei Bedarf jederzeit zeitnah und effektiv zu helfen. Fachlich wie persönlich kann ich mir keinen besseren Betreuer vorstellen. Auch ohne Prof. Dr. Bernhard Mann wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Er war es, der mich im Rahmen eines Seminars über Leopold Ranke auf Christian Gottlob Barths Allgemeine Weltgeschichte stieß, meine Magisterarbeit und als Zweitgutachter die entstehende Dissertation engagiert begleitete und mir in zahllosen unvergessenen Oberseminar-Treffen im heimatlichen Mössingen-Belsen ein Forum für Diskussionen bot. Das dritte Gutachten erstellte Prof. Dr. Hans-Jürgen Schrader von der Universität Genf. Er steuerte weiterführende Hinweise aus germanistischer Perspektive bei und nahm freiwillig zwei achtstündige Bahnfahrten auf sich, um an meinem Rigorosum teilzunehmen. Gemeinsam mit Prof. Dr. Hans Schneider aus Marburg hat er sich zudem für die Aufnahme der Untersuchung in die „Arbeiten zur Geschichte des Pietismus“ eingesetzt. Die Drucklegung der Arbeit im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht haben Christoph Spill und Maike Linne betreut. Sehr bereichernd war für mich die Gelegenheit, meine Ergebnisse in den Tübinger Kolloquien für Neuere Geschichte und für Zeitgeschichte und gastweise im evangelisch-theologischen Doktorandenkolloquium von Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf an der LMU München diskutieren zu lassen. Manche Rückfragen, Einwände und Ideen der beteiligten Dozenten und Doktoranden haben mich inspiriert, korrigiert und weiterden-

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Vorwort

ken lassen. Fachlichen Rat erhielt ich darüber hinaus auf die eine oder andere Weise von den Professoren Wolfgang Breul, Erich Geldbach, Sabine Holtz, Martin Jung, Klaus Koch, Thomas K. Kuhn, Gabriele Metzler, Lutz von Padberg, Anton Schindling und Helge Stadelmann sowie den Doktoren Stephan Holthaus, Dieter Ising, Michael Kannenberg, Wilfried Lagler, Werner Raupp und Eberhard Zwink. Einen Orden haben sich die Mitarbeiter der Universitätsbibliothek Tübingen verdient, die mir in (erschreckend kurzen) Abständen Dutzende von Büchern aus ihren schier unerschöpf lichen Magazinen zusammentrugen. Daneben habe ich auch von anderen Bibliotheken und ihren Mitarbeitern – besonders der Bibliothèque Royale in Brüssel – profitiert. Für das Korrekturlesen verschiedener Abschnitte des Textes danke ich herzlich meinen Freunden Lutz Ackermann, Markus Bobzin, Henning Bühmann, Christoph Fangohr, Julia Kahrl, Claudius Kienzle und Wilfried Lagler. Selbstverständlich liegt die Verantwortung für verbleibende Fehler allein bei mir. Die Konrad-Adenauer-Stiftung gewährte mir ein knapp dreijähriges Graduiertenstipendium, das die Anfertigung der Arbeit finanziell ermöglichte. Ihre Veröffentlichung förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft durch die Übernahme eines gewichtigen Teils der Druckkosten. Namhafte Druckkostenzuschüsse erhielt ich zudem von der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern, der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und der Freien Theologischen Hochschule Gießen. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Gewidmet ist das Buch meinen Eltern Hartwig und Heidemarie Schnurr. Sie haben mir nicht nur, meinen Neigungen entsprechend, ein ausführliches Studium ermöglicht, sondern mich auch von jeher mit Wohlwollen, Rat und Gebet begleitet. Ihnen verdankt dieses Buch daher sehr viel. Gießen, im Oktober 2010

Jan Carsten Schnurr

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Einleitung „Vor Alters“, schrieb der greise Leopold von Ranke im Jahr 1881 im Vorwort zum ersten Band seiner Weltgeschichte, „hat man sich mit der aus prophetischen Sprüchen überkommenen Vorstellung von den vier Weltmonarchien begnügt. Noch im siebzehnten Jahrhundert herrschte dieselbe vor; im achtzehnten aber wurde sie durch den Fortgang des allgemeinen Lebens zersprengt. Der Begriff der Weltgeschichte wurde durch den Umschwung der Ideen gleichsam säkularisiert.“1

Hundert Jahre später konstatierte der Geschichtsdidaktiker Joachim Rohlfes: „Die Zeit der großen Geschichtsphilosophie dürfte vorbei sein. Sieht man vom Historischen Materialismus ab, […] finden sich heute keine ernstzunehmenden Versuche mehr, den Gang der Geschichte, ihren Ursprung und ihr Ziel zu konstruieren und für die Zukunft zu prognostizieren.“2

Nachdem auch der Historische Materialismus wenige Jahre nach Rohlfes’ Votum mit dem Untergang des Sowjetimperiums einen wesentlichen Teil seiner Anhängerschaft eingebüßt hat, könnte man zu der Auffassung gelangen, der von Ranke beschriebene, wenn auch von ihm selbst nur zum Teil betriebene,3 und von Rohlfes vorausgesetzte Prozess sei bis in unsere Gegenwart hinein konsequent weitergeführt: Die empirisch arbeitende kritische Geschichtsforschung habe in den letzten drei Jahrhunderten sukzessive die christliche und schließlich jede metaphysische Gesamtdeutung der Weltgeschichte ersetzt. Der Gegenstand der vorliegenden Arbeit passt nicht in dieses Schema. Die Geschichtsliteratur der protestantischen Erweckungsbewegung, die in den Jahrzehnten nach den Befreiungskriegen entstand und die hier erstmals in der Zusammenschau untersucht und dargestellt werden soll, zielte auf das Gegenteil einer wesenhaft innerweltlichen Geschichtsauffassung. Ihr Zweck war nicht Säkularisierung, sondern Sakralisierung der Ge1 Leopold von Ranke, Weltgeschichte, Bd. I.1: Die älteste historische Völkergruppe und die Griechen, Leipzig: Duncker & Humblot 1881, VI f. 2 Joachim Rohlfes, Geschichte und ihre Didaktik, Göttingen 1986, 94. Der Satz findet sich noch in der (von einem neuen Schlusskapitel abgesehen) unveränderten Neuausgabe des Werkes (32005, 94). 3 Zu Rankes Geschichtsphilosophie vgl. die nach wie vor maßgebliche Untersuchung von Carl Hinrichs, Ranke und die Geschichtstheologie der Goethezeit, Göttingen/Frankfurt a. M./Berlin 1954.

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Einleitung

schichte. Der danielischen Lehre von den vier Weltreichen, auf die Ranke in dem Einleitungszitat anspielt, wird man dort ebenso begegnen wie der Suche nach Ursprung, Gang und Ziel der Geschichte, von der Rohlfes spricht. Im Zeichen eines religiösen Auf bruchs stellte die Geschichtsschreibung der Erweckungsbewegung den Versuch dar, in vielfältiger literarischer Form einem breiten Publikum ein entschieden christliches Geschichtsbild zu vermitteln. Dass dies mehr als ein bloßer Versuch war und im Geschichtsdenken des Vormärz spürbare Akzente setzen konnte, wird im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden.

1. Die Erweckungsbewegung – Diskurs- und Deutungsgemeinschaft im Vormärz Die Epoche, in der die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung entstand, war von einer intensiven Auseinandersetzung um den christlichen Glauben gekennzeichnet. Diese Tatsache ist in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend ins Bewusstsein getreten. Nach jahrelanger Vernachlässigung des Faktors „Religion“ ist sich die Sozialgeschichte der grundlegenden Bedeutung von Religion und Konfession im 19. Jahrhundert mittlerweile bewusst und zeigt ein bemerkenswertes Interesse an religionsgeschichtlichen Fragen.4 „Die Religion wie die Kirchen ragen nicht als ein Relikt der Tradition in das 19. Jahrhundert hinein“, schreibt Thomas Nipperdey, einer der Pioniere der neueren Religionsgeschichtsschreibung, „sondern sie sind Produkte und gestaltende Mächte dieses Jahrhunderts zugleich.“5 Ähnlich urteilt Jürgen Osterhammel in seiner jüngst erschienenen Globalgeschichte des 19. Jahrhunderts.6 Insbesondere Hartmut Lehmann hat sich 4

Vgl. Wolfgang Schieder, „Sozialgeschichte der Religion im 19. Jahrhundert. Bemerkungen zur Forschungslage“, in: ders., Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1993, 11–28; Jonathan Sperber, „Kirchengeschichte or the Social and Cultural History of Religion?“, in: Neue Politische Literatur 43 (1998), 13–35; Olaf Blaschke (Hg.), Konfessionen im Konf likt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2001; Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt a. M./New York 2001; dies. (Hg.), Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York 2004; Monika Neugebauer-Wölk, „Zur Konstituierung historischer Religionsforschung 1974 bis 2004“, Zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1, Publikation im Internet: http://www.zeitenblicke.de/2006/1/Einleitung/index_html (14.8.2008); Friedrich Wilhelm Graf, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, München 2007, 102–110. 5 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 61993, 403. 6 Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 32009, 1239: „Es gibt gute Gründe dafür, Religiosität, Religion und Religionen in den Mittelpunkt einer Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts zu stellen.“

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Die Erweckungsbewegung

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dafür eingesetzt, dem Säkularisierungsbegriff den Begriff der „Rechristianisierung“ an die Seite zu stellen, um den zum Teil tiefgreifenden religiösen Erneuerungsbewegungen innerhalb der Moderne sozialgeschichtlich gerecht zu werden.7 Der wichtigste Träger der Rechristianisierung war auf evangelischer Seite die Erweckungsbewegung.8 Mit ihrem Anliegen, die biblische Botschaft in das Alltagsleben der Menschen zurückzuholen und die Zeitgenossen – gemäß der Metapher – aus einem geistigen Schlaf zu reißen,9 erfasste sie den gesamten Protestantismus in Europa und Nordamerika und hinterließ auch in Deutschland deutliche Spuren im gesellschaftlichen Leben. Die deutsche Erweckungsbewegung besaß keine einzelne einigende Führungsgestalt und hatte daher unterschiedliche Zentren. An der Spitze der Erweckungen standen zumeist charismatische Prediger und Seelsorger, teilweise auch Universitätsprofessoren, die durch Lehre und persön7 Hartmut Lehmann, „Von der Erforschung der Säkularisierung zur Erforschung von Prozessen der Dechristianisierung und der Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa“, in: ders. (Hg.), Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 1997, 9–16; ders./William R. Hutchison, „Concluding Ref lections – and a Glance Forward“, in: dies. (Hg.), Many Are Chosen: Divine Election and Western Nationalism, Minneapolis, MN 1994, (285–298) 288. 8 Zur deutschen bzw. gesamteuropäischen Erweckungsbewegung vgl. Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Die Erweckungsbewegung. Studien zur Geschichte ihrer Entstehung und ersten Ausbreitung in Deutschland, Neuendettelsau 1957; Max Geiger, „Das Problem der Erweckungstheologie“, ThZ 14 (1958), 430–450; Erich Beyreuther, Die Erweckungsbewegung, Göttingen 21977; Ulrich Gäbler, „Erweckung im europäischen und amerikanischen Protestantismus. Cornelis Augustijn zum 60. Geburtstag“, PuN 15 (1989), 24–39; Gerhard Ruhbach, „Erweckungsbewegung“, ELThG, Bd. 1 (1992), 531–536; Friedrich Wilhelm Graf, „Erweckung/Erweckungsbewegungen. I. Erweckungsbewegungen in Europa“, RGG 4, Bd. 2 (1999), 1490–1495; Gustav Adolf Benrath, „Die Erweckung innerhalb der deutschen Landeskirchen 1815–1888. Ein Überblick“, in: Ulrich Gäbler (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 3, Göttingen 2000, 150–271; Martin H. Jung, Der Protestantismus in Deutschland von 1815 bis 1870, Leipzig 2000, 42–45; 48–51; 64–74; Martin Brecht, „Pietismus und Erweckungsbewegung“, PuN 30 (2004), 30–47; Wolf-Dieter Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 2: Reformation und Neuzeit, Gütersloh 32005, 765–782; Johannes Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation, Tübingen 62006, 188–198; 212–216; Thomas K. Kuhn, „Erweckungsbewegungen“, Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 3 (2006), 509–516. 9 Der Begriff „Erweckung“ wurde oft synonym für „Bekehrung“ verwendet; als Erweckungszeiten galten Phasen, in denen das christliche Leben in einem bestimmten Territorium neu erwachte. Dabei standen der deutschen Begriffsbildung die schon früher verwendeten amerikanischen Entsprechungen „Awakening“ und „Revival“ bzw. das französische „Réveil“ vor Augen. „Erweckungsbewegung“ als übergreifende Bezeichnung für den Frömmigkeitsauf bruch der ganzen Epoche ist seit dem frühen 20. Jahrhundert gebräuchlich. Vgl. hierzu Jung, Protestantismus in Deutschland, 64; Kuhn, Erweckungsbewegungen, 510; Hartmut Lehmann, „Zur Charakterisierung der entschiedenen Christen im Zeitalter der Säkularisierung“, PuN 30 (2004), (13–29) 19 f.

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Einleitung

liche Begleitung einen bleibenden Einf luss auf ihre Studenten ausübten und als Multiplikatoren wirkten.10 Erweckungen fanden in Deutschland vor allem innerhalb der evangelischen Landeskirchen statt. Sie riefen zwar auch Freikirchen ins Leben, so 1834 die erste deutsche Baptistengemeinde in Hamburg, in größerem Ausmaß jedoch erst nach der Jahrhundertmitte, so dass Freikirchen für die vormärzliche Erweckungsbewegung – und damit für diese Arbeit – eine untergeordnete Rolle spielen.11 Zu den Zentren der Erweckungsbewegung zählten Württemberg, Berlin, Pommern, das Siegerland, der Niederrhein, Bremen, Minden-Ravensberg, Franken und Hamburg, während andere Landeskirchen, etwa in Braunschweig, Thüringen und Mecklenburg, von der Erweckung weitgehend unberührt blieben. Soziologisch gesehen erfasste sie vorwiegend das Kleinbürgertum und zählte Volksschullehrer, Kauf leute, Handwerker, mittlere Beamte, Adlige und Unternehmer, weniger jedoch Gymnasiallehrer, Ärzte, Rechtsanwälte und Arbeiter zu den eigenen Reihen.12 Trotz ihrer mitunter beträchtlichen 10 Die Überblicksdarstellungen spiegeln diesen Zug wider, indem sie sich häufig an den jeweiligen Führungsfiguren orientieren. Viele der Untersuchungen zur Erweckungsbewegung wählen zudem einen biographischen Zugriff, unter den jüngeren Monographien etwa Peter Maser, Hans Ernst von Kottwitz. Studien zur Erweckungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts in Schlesien und Berlin, Göttingen 1990; Ulrich Gäbler, „Auferstehungszeit“: Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts. Sechs Porträts, München 1991; Klaus vom Orde, Carl Mez. Ein Unternehmer in Industrie, Politik und Kirche, Gießen/Basel/Karlsruhe 1992; Eckhard Hagedorn, Erweckung und Konversion. Der Weg des katholischen Priesters Aloys Henhöfer (1789–1862) in die evangelische Kirche, Gießen/Basel/Karlsruhe 1993; Karsten Ernst, Auferstehungsmorgen. Heinrich A. Chr. Hävernick. Erweckung zwischen Reformation, Reaktion und Revolution, Gießen/Basel 1997; Werner Raupp, Christian Gottlob Barth. Studien zu Leben und Werk, Stuttgart 1998; Detlef Klahr, Glaubensheiterkeit. Carl Johann Philipp Spitta (1801–1859). Theologe und Dichter der Erweckung, Göttingen 1999; Hans-Martin Kirn, Ludwig Hofacker 1798–1828. Reformatorische Predigt und Erweckungsbewegung, Metzingen 1999; Dieter Ising, Johann Christoph Blumhardt. Leben und Werk, Göttingen 2002; Nicholas M. Railton, Transnational Evangelicalism: The Case of Friedrich Bialloblotzky (1799–1869), Göttingen 2002; Friedemann Burkhardt, Christoph Gottlob Müller und die Anfänge des Methodismus in Deutschland, Göttingen 2003. 11 Zur Geschichte der Freikirchen in Deutschland vgl. Karl Heinz Voigt, Freikirchen in Deutschland (19. und 20. Jahrhundert), Leipzig 2004. Seit 1834 entwickelte sich der Baptismus um Johann Gerhard Oncken in Hamburg und Gottfried Wilhelm Lehmann in Berlin (54–59); die Anfänge der Freien evangelischen Gemeinden liegen in den 1850er Jahren (61–63), die der deutschen Brüderbewegung ebenfalls um die Jahrhundertmitte (59–61). Bereits ab 1830 entwickelte sich eine methodistische Erweckung im württembergischen Winnenden mit Verbindung zu vielen anderen Teilen der Erweckungsbewegung (vgl. Burkhardt, Christoph Gottlob Müller, 262). 12 Vgl. Beyreuther, Erweckungsbewegung, 3; Hartmut Lehmann, „Die neue Lage“, in: Ulrich Gäbler (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 3, Göttingen 2000, (1–26) 6; Ruhbach, Erweckungsbewegung, 533. Zweifelsfreie soziologische Angaben sind allerdings mangels statistischer Quellen nicht möglich, was auch die teilweise uneinheitlichen Aussagen in der Literatur erklärt.

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Die Erweckungsbewegung

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Ausstrahlungskraft blieb die Erweckungsbewegung allerdings überall auf eine Minderheit des Kirchenvolkes beschränkt.13 Theologiegeschichtlich verbanden sich in der Erweckungsbewegung zwei ältere Traditionen: der Pietismus mit seiner Betonung der praxis pietatis und die protestantische Orthodoxie mit ihrem Drängen auf dem reformatorischen Bekenntnis.14 Als Hauptlehren der Erweckungsbewegung nennt Gustav Adolf Benrath die totale Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, die Gottessohnschaft Christi und die Versöhnung durch dessen stellvertretenden Tod.15 Neben der biblisch-reformatorischen Lehre ging es der Erweckungsbewegung aber um den existentiellen Bezug der Frömmigkeit und um die Erfahrung des christlichen Lebens. Dies zeigte sich etwa in der Konfrontation mit sozialer Not, wo die Erweckten, am älteren Pietismus oder an angelsächsischen Vorbildern anknüpfend, nach neuen Formen sozialdiakonischer Arbeit suchten. Bernd Moeller führt „nahezu alle karitativen und sozialreformerischen Impulse, Ideen und Einrichtungen […], die im Zeitalter der Industrialisierung im evangelischen Raum wirksam werden sollten“, auf die Erweckungsbewegung zurück.16 Insbesondere trieb sie die Weltmission voran, die darum das „Lieblingskind“ der Erweckung genannt worden ist.17 Zu diesem Zweck schufen die Erweckten Vereine und andere Gemeinschaftsformen zum gemeinsamen Engagement, in denen Standesschranken sowie nationale und konfessionelle Grenzen zugunsten christlicher Verbindungen und Kommunikationsnetze in den Hintergrund traten.18 Neben Glaubenspraxis und Vereinsbildung einte die Erweckten schließlich eine eschatologische Sichtweise ihrer Gegenwart. Für Ulrich Gäbler sind daher „Erfahrungsreligion“, „Sozietätsgedanke“ und „endzeitliches Bewusstsein“ die drei wichtigsten Charakteristika der Erweckungsbewegung.19 Die Epocheneingrenzung der deutschen Erweckungsbewegung ist aufgrund zahlreicher Kontinuitäten und der heterogenen Gestalt der Bewegung komplex und muss, wie Lehmann zu Recht bemerkt, beim gegenwärtigen Forschungsstand als nicht eindeutig geklärt gelten.20 Die 13 Vgl. Beyreuther, Erweckungsbewegung, 27; Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, 349. 14 Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 424; Kurt Dietrich Schmidt, Grundriss der Kirchengeschichte, Göttingen 91990, 462 f. Einschränkend allerdings Johannes Wallmann, „Pietismus – ein Epochenbegriff oder ein typologischer Begriff ? Antwort auf Hartmut Lehmann“, PuN 30 (2004), (191–224) 217–219. 15 Vgl. Benrath, Erweckung, 191. 16 Bernd Moeller, Geschichte des Christentums in Grundzügen, Göttingen 92008, 341. 17 Julius Richter, Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft 1824–1924, Berlin 1924, 45; Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands, 197. 18 Vgl. etwa Graf, Erweckung, 1490; Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 350. 19 Gäbler, Erweckung, 39. 20 Lehmann, Neue Lage, 2.

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neueste, von Benrath verfasste Gesamtdarstellung behandelt den Zeitraum von 1815 bis 1888,21 andere setzen bereits in der napoleonischen Zeit eine Frühphase der Erweckung an.22 Im Kern wird die deutsche Erweckungsbewegung jedoch zumeist als ein vormärzliches Phänomen betrachtet.23 Die epochale Bedeutung der Zäsuren 1815 und 1848 für Selbstverständnis und Wirkung der Bewegung ist jedenfalls unumstritten. Diese Eckdaten, die für das Ende der Befreiungskriege, den Wiener Kongress und die Neubildung der Landeskirchen bzw. für die Märzrevolution stehen, geben daher den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit vor. Um der Vielfalt der Erweckungsbewegung Rechnung zu tragen, werden dabei – wie in vielen Überblicksdarstellungen – auch diejenigen erweckten Kreise berücksichtigt, die im Verlauf des Vormärz eine konfessionelle Richtung einschlugen.24 Eine scharfe Grenze lässt sich hier nicht ziehen, und in manchen Fällen ist eine angemessene Zuordnung schwierig. Die meisten Quellen legen jedoch nahe, dass die empfundenen Gemeinsamkeiten die Unterschiede überwogen und dass man in der Historiographie und Publizistik im Wesentlichen ein gemeinsames Ziel verfolgte. Den Hintergrund der publizistischen Tätigkeit der Erweckungsbewegung bildet ein gesamtgesellschaftlicher Prozess von großer Tragweite: die explosionsartige Zunahme der Lesefähigkeit der Bevölkerung, die sich von 1800 bis 1870 verdreifachte25 und mit der die ebenso explosionsartig zunehmende Buchproduktion weitgehend korrelierte. Angebot und Nachfrage stiegen in ungekannten Ausmaßen. Zwischen 1837 und 1847 verzeichnete der deutsche Buchhandel über zehntausend Neuerscheinungen jährlich.26 Im Zuge der Industrialisierung gaben technische Neuerungen 21

Benrath, Erweckung. Beyreuther, Erweckungsbewegung, 22; Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands, 190 f. 23 Vgl. etwa Beyreuther, Erweckungsbewegung, 23; Hartmut Lehmann, „Neupietismus und Säkularisierung. Beobachtungen zum sozialen Umfeld und politischen Hintergrund von Erweckungsbewegung und Gemeinschaftsbewegung“, PuN 15 (1989), (40–58) 42 f. Ruhbach, Erweckungsbewegung, 531 argumentiert für die Zeit von 1820 bis 1850, Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, 765 für ca. 1810–1840. 24 Zum Verhältnis von Erweckungsbewegung und Neuluthertum vgl. etwa Jung, Protestantismus in Deutschland, 50 f. 25 Vgl. Kurt Nowak, Geschichte des Christentums in Deutschland. Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Auf klärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, München 1995, 104: „Die Lesefähigkeit der Deutschen wird für das Jahr 1800 auf etwa 25 %, für das Jahr 1830 auf etwa 40 % und für das Jahr 1870 auf etwa 75 % veranschlagt.“ 26 Zur Entwicklung des deutschen Buchmarktes vgl. Ilsedore Rarisch, Industrialisierung und Literatur. Buchproduktion, Verlagswesen und Buchhandel in Deutschland im 19. Jahrhundert in ihrem statistischen Zusammenhang, Berlin 1976; Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, München 21999, 218–256. Nach Wittmann erreichte 1805 der deutsche Buchverkehr auf den Messen die Titelzahl von 4181 Novitäten. Nach einem durch die napoleonischen Kriege hervorgerufenen Einbruch erhöhte sich die 22

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Die Erweckungsbewegung

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wie die Erfindung der Schnellpresse und der Papiermühle mit Dampfbetrieb, die die Produktionskapazität herkömmlicher Papiermühlen zehnfach übertraf, dem Buchhandel erstmals in seiner Geschichte die Möglichkeit, billig und in großen Auf lagen Bücher zu drucken und abzusetzen.27 Auch das Zeitungswesen verzeichnete einen eindrucksvollen Aufschwung: In Deutschland stieg die Zahl der Zeitungen und Zeitschriften allein zwischen 1833 und 1848 von rund 780 auf 2233.28 Reinhard Wittmann bezeichnet die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts als eine „Konsolidierungsphase“ der ersten und „Inkubationsphase“ der zweiten „Leserevolution“.29 Vor diesem mediengeschichtlichen Hintergrund brachte die Erweckungsbewegung ein eigenes christliches Schrifttum hervor, das an Auf lagenstärke und Breitenwirkung den Vergleich mit nicht-religiöser Literatur nicht scheuen musste.30 Die vom angelsächsischen Vorbild inspirierten Bibel- und Traktatgesellschaften, die Vereins- und Anstaltsbuchhandlungen sowie die Verlage der Erweckten nahmen an dem Aufschwung des Buchmarktes uneingeschränkt teil, die periodische Erweckungspublizistik umfasste zahlreiche Gemeinde- und Missionsblätter sowie einige allgemeine Kirchenzeitungen.31 Entsprechend freute sich 1831 der Erweckungstheologe August Tholuck über „so viele Federn auf allen Gebieten des Wissens“, die sich gerade zu Gottes Ehre in Bewegung setzen würden.32

Zahl der Neuerscheinungen seit Ende der zwanziger Jahre sprunghaft, überschritt 1837 die Zehntausendermarke und erzielte im Jahr 1843 mit 14.039 ihren (allerdings bis 1878 nicht mehr erreichten) Höchststand (218 f ). 27 Vgl. Reinhard Wittmann, Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880, Tübingen 1982, 111 f; ders., Geschichte des deutschen Buchhandels, 222. 28 Vgl. Jung, Protestantismus in Deutschland, 56. 29 Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, 250. 30 Vgl. die interessante Gegenüberstellung bei Nowak, Geschichte des Christentums, 104: „Wie bedeutend der religiöse Literaturmarkt war, mag man am Vergleich der Verkaufsziffern von Gottfried Kellers ‚Grünem Heinrich‘ (1854/55) mit den Schriften des 1811 gegründeten ‚Christlichen Vereins im nördlichen Deutschland‘ ermessen. Kellers opus magnum erschien in 1000 Exemplaren, die erst nach dreißig Jahren vergriffen waren, während der ‚Christliche Verein‘ bereits 1839 fünfzehn Schriften in 50.000 Exemplaren verkaufte. Im Jahr 1880 waren es nahezu fünf Millionen.“ 31 Vgl. Wilhelm Gundert, Geschichte der deutschen Bibelgesellschaften im 19. Jahrhundert, Bielefeld 1987; Gottfried Mehnert (Hg.), Programme evangelischer Kirchenzeitungen im 19. Jahrhundert, Witten 1972, 11–38; 44–72; ders., Evangelische Presse. Geschichte und Erscheinungsbild von der Reformation bis zur Gegenwart, Bielefeld 1983, 113–140, insb. 122–130; Axel Schwanebeck, Evangelische Kirche und Massenmedien. Eine historische Analyse der Intentionen und Realisationen evangelischer Publizistik, München 1990, 123–127; Jung, Protestantismus in Deutschland, 56 f. 32 August Tholuck, „Vorwort“, in: Franz Ludwig Zahn, Biblische Geschichte nebst Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der christlichen Kirche, Bd. I, Dresden: Walther 1831, (III–VIII) VIII.

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Im Schrifttum der Erweckungsbewegung kam dem Geschichtsthema eine besondere Bedeutung zu. Der fundamentale Geschichtsbezug des biblisch-christlichen Glaubens und das tiefe historische Bewusstsein des 19. Jahrhunderts wirkten hier zusammen und verstärkten einander. Die Forschungsliteratur attestiert der Erweckungsbewegung daher ein besonders ausgeprägtes, heils- und frömmigkeitsgeschichtlich ausgerichtetes Geschichtsbewusstsein.33 Dieses christliche Geschichtsbewusstsein wirkte neben anderen Faktoren als eine Klammer, die die Bewegung zusammenhielt. Die Erweckungsbewegung lässt sich daher trotz ihrer Vielgestaltigkeit als eine historische Diskurs- und Deutungsgemeinschaft verstehen. Vokabeln wie „Erinnerungsgemeinschaft“, „Erinnerungsmilieu“ oder „Erinnerungssubkultur“, die in der neueren Theoriediskussion verwendet werden, um das Geschichtsdenken einer gesellschaftlichen Gruppe zu bezeichnen,34 sind hier anwendbar. Zumindest im weiteren Sinne war die Erweckungsbewegung eine Erinnerungsgemeinschaft. Welche Formen der Geschichtsschreibung brachte sie hervor? Wer waren die Autoren, für wen schrieben sie und welches Geschichtsbild vermittelten sie ihren Lesern? Aus welchen Themen und Deutungsmustern bezog die Erweckungsbewegung ihre geschichtliche Identität und ihr Selbstverständnis? In welchem Verhältnis standen dabei allgemeine zeitgenössische und spezifisch christliche Faktoren? Es ist das Ziel dieser Arbeit, auf diese Fragen Antworten zu finden. Damit soll ein bislang wenig beachtetes Stück Historiographie- und Erinnerungsgeschichte des deutschen Vormärz offen gelegt und zugleich ein Beitrag zur Erforschung der Erweckungsbewegung geleistet werden.

33 Vgl. Martin Schmidt, „Kirche und öffentliches Leben im Urteil der lutherischen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts“, Theologia Viatorum 2 (1950), (48–71) 62; Geiger, Problem der Erweckungstheologie, 447; Lehmann, Neue Lage, 7; ders., „Einführung“, in: ders. (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 4, Göttingen 2004, (1–18) 2 f; Gäbler, Erweckung, 39; ders., „Geschichte, Gegenwart, Zukunft“, in: Lehmann (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 4, Göttingen 2004, (19–48) 19; Ulrike Gleixner, Pietismus und Bürgertum. Eine historische Anthropologie der Frömmigkeit, Württemberg 17.–19. Jahrhundert, Göttingen 2005, 165. 34 Hartmut Bergenthum, „Geschichtswissenschaft und Erinnerungskulturen. Bemerkungen zur neueren Theoriedebatte“, in: Günter Oesterle (Hg.), Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung, Göttingen 2005, (121–162) 128; Günther Lottes, „Erinnerungskulturen zwischen Psychologie und Kulturwissenschaft“, in: Oesterle (Hg.), Erinnerung, Gedächtnis, Wissen, Göttingen 2005, (163–184) 177.

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Forschungsstand

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2. Forschungsstand Die Historisierung der Ideengeschichte der letzten Jahre im Sinne einer Kontextualisierung der Quellen und einer Einbeziehung der „mittleren“ Texte neben der so genannten „Höhenkammliteratur“ hat zu einer sozialgeschichtlich fundierten neueren Geistesgeschichte geführt.35 Unter inhaltlich nur unwesentlich divergierenden Bezeichnungen wie „Mentalitätsgeschichte“, „Intellectual History“, „Bewusstseinsgeschichte“ oder „Sozialgeschichte der Ideen“ sucht dieser Ansatz kollektive – explizit auch religiöse – Einstellungen und Diskurse breiter Bevölkerungsschichten zu erforschen und so dem Werte- und Vorstellungsspektrum historischer Epochen gerecht zu werden.36 In diesem Zusammenhang werden auch Zeitvorstellungen und Geschichtsbilder zunehmend Gegenstand ideengeschichtlicher Studien. „Seit einigen Jahren erleben wir die Virulenz des Themas Gedächtnis und Erinnerung“, konstatierte Jan Assmann, selbst Vordenker des Sujets, bereits in den 1990er Jahren.37 Auch Dieter Langewiesche zog vor kurzem die eindeutige Bilanz: „Erinnerungsgeschichte hat Konjunktur.“38 Für die Erforschung des 19. Jahrhunderts stehen das von Monika Flacke herausgegebene Kompendium Mythen der Nationen 39 und das von Etienne François und Hagen Schulze herausgegebene, an Pierre Noras Konzept der lieux de mémoire angelehnte Werk Deutsche Erinnerungsorte40 stellvertretend für zwei einf lussreiche neuere Ansätze der Erinnerungsgeschichte. Beide betonen die Bedeutung des Geschichtsthemas für die modernen Nationsbildungsprozesse. Angesichts des großen Interesses an nationalen Geschichtserzählungen und Gründungsmythen bemerkt Friedrich Lenger in einem Berichtsband des Gießener Sonderforschungsbereichs „Erinnerungskulturen“, 35 Vgl. Günther Lottes, „‚The State of the Art‘. Stand und Perspektiven der ‚intellectual history‘“, in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Neue Wege der Ideengeschichte. Festschrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag, Paderborn et al. 1996, (27–45) 27; 32; 39. 36 Vgl. Frank-Michael Kuhlemann, „Mentalitätsgeschichte. Theoretische und methodische Überlegungen am Beispiel der Religion im 19. und 20. Jahrhundert“, in: Wolfgang Hardtwig/Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Kulturgeschichte Heute, Göttingen 1996, (182–211) 182; 192; Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die Historische Diskursanalyse, Tübingen 2001. 37 Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 21997, 11. 38 Dieter Langewiesche, „Erinnerungsgeschichte. Ihr Ort in der Gesellschaft und in der Historiographie“, SZRKG 100 (2006), (13–30) 15. 39 Monika Flacke (Hg.), Mythen der Nationen: Ein europäisches Panorama, München/ Berlin 22001. Darauf auf bauend: Nikolaus Buschmann/Dieter Langewiesche (Hg.), Der Krieg in den Gründungsmythen europäischer Nationen und der USA, Frankfurt a. M./New York 2003. 40 Etienne François/Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bd., München 2001. Wegweisend hierfür war Pierre Nora (Hg.), Les lieux de mémoire, 7 Bd., Paris 1984–1992 (eine Auswahl in: ders. [Hg.], Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005).

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die Nationalismusforschung habe seit der konstruktivistischen Wende großteils einen erinnerungsgeschichtlichen Zuschnitt angenommen.41 Einen weiteren aktuellen Zugang zu den kollektiven Zeit- und Geschichtsauffassungen des frühen 19. Jahrhunderts liefern Reinhart Kosellecks bahnbrechende Arbeiten über Historik und Begriffsgeschichte,42 an denen die Geschichtsbildforschung anknüpfen kann.43 Zu den wichtigsten Themen der Geschichtsbildforschung gehört die Rezeptionsgeschichte historischer Gestalten wie Bonifatius’, Luthers, Friedrichs des Großen und Napoleons 44 sowie herausragender Ereignisse wie der Schlacht bei den Thermopylen, des Bauernkriegs, der Französischen Revolution oder der Befreiungskriege.45 41 Friedrich Lenger, „Geschichte und Erinnerung im Zeichen der Nation. Einige Beobachtungen zur jüngsten Entwicklung“, in: Oesterle (Hg.), Erinnerung, Gedächtnis, Wissen, Göttingen 2005, (521–535) 521 f. 42 Vgl. insb. Reinhart Koselleck, „Fortschritt“ (I, III–VI), GGB, Bd. 2 (1975), 351–423; ders., „Geschichte“ (I, V–VII), GGB, Bd. 2 (1975), 593–717; ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1989; ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt a. M. 2000; ders., Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt a. M. 2006. 43 Z. B. Ernst Wolfgang Becker, Zeit der Revolution! – Revolution der Zeit? Zeiterfahrungen in Deutschland in der Ära der Revolutionen 1789–1848/49, Göttingen 1999; Lucian Hölscher, Die Entdeckung der Zukunft, Frankfurt a. M. 1999. 44 Z. B. Hartmut Lehmann, „Martin Luther als deutscher Nationalheld im 19. Jahrhundert“, Luther 55 (1984), 53–65; Winfried Becker, „Luthers Wirkungsgeschichte im konfessionellen Dissens des 19. Jahrhunderts“, Rheinische Vierteljahrsblätter 49 (1985), 219–248; Hans Schmidt, „Napoleon in der deutschen Geschichtsschreibung“, Francia 14 (1986), 530–560; Wulf Wülfing, „‚Heiland‘ und ‚Höllensohn‘. Zum Napoleon-Mythos im Deutschland des 19. Jahrhunderts“, in: Helmut Berding (Hg.), Mythos und Nation, Frankfurt a. M. 1996, 164–184; Bernhard R. Kroener, „‚Nun danket alle Gott‘. Der Choral von Leuthen und Friedrich der Große als protestantischer Held. Die Produktion politischer Mythen im 19. und 20. Jahrhundert“, in: Gerd Krumeich/Hartmut Lehmann (Hg.), „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, 105–134; Frank-Lothar Kroll, „Friedrich der Große“, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 3, München 2001, 620–635; Siegfried Weichlein, „Der Apostel der Deutschen. Die konfessionspolitische Konstruktion des Bonifatius im 19. Jahrhundert“, in: Blaschke (Hg.), Konfessionen im Konf likt, Göttingen 2001, 155–179; Armin Kohnle, „Luther vor Karl V. Die Wormser Szene in Text und Bild des 19. Jahrhunderts“, in: Stefan Laube/Karl-Heinz Fix (Hg.), Lutherinszenierung und Reformationserinnerung, Leipzig 2002, 35–62. 45 Z. B. Monika Völker, Die Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution in der Geschichtsschreibung der „kleindeutschen“ Schule, Frankfurt a. M., Univ., Diss., 1978; Klaus Siblewski, Ritterlicher Patriotismus und romantischer Nationalismus in der deutschen Literatur 1770–1830. Zur konservativen Rezeption der Reformation, des Bauernkriegs und der Aufstandsbewegung des niederen Adels, München 1981; Ferdi Akaltin, Die Befreiungskriege im Geschichtsbild der Deutschen im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1997; Anuschka Albertz, Exemplarisches Heldentum. Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von der Antike bis zur Gegenwart, München 2006; Ines Mayer, Sprachspiele der Revolution. Zur Geschichte der Historiographie in Deutschland zwischen Revolution und „Realpolitik“ 1789 bis 1848/50, Hamburg 2007.

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Forschungsstand

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Andere in neueren Arbeiten behandelte Untersuchungsfelder für die Zeit des deutschen Vormärz sind die Ursprungsdebatte in der Geschichtsschreibung und die Geschichtspolitik und -pädagogik einiger deutscher Staaten.46 In der Historiographiegeschichte gibt es neben wissenschaftsgeschichtlichen Beiträgen47 auch Ansätze, die auf die „Offenlegung eines kollektiven Geschichtsbewusstseins“ mit Hilfe einer Analyse der „verschiedenen Niveaus von Geschichtsschreibung“ abzielen.48 Es wird jedoch bedauert, dass gerade dieser Teil der Historiographiegeschichte noch vernachlässigt sei.49 Auch werden Geschichtsbilder selten als ganze jenseits einzelner herausgelöster Motive und Fragestellungen untersucht. Dies soll hier für die im Laufe des Vormärz entstandene Geschichtsliteratur der Erweckten versucht werden. Das Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung ist bislang nur bruchstückhaft erforscht. Obwohl die Pietismusgeschichte, in deren Bereich auch die Erforschung der Erweckungsbewegung fällt, derzeit „zu den bestorganisierten Forschungsfeldern in Deutschland“ zählt,50 liegen insbesondere für das 19. und 20. Jahrhundert, wie Lehmann vor wenigen Jahren beklagte, noch kaum sozial- und mentalitätsgeschichtliche Untersuchungen vor.51 An erinnerungsgeschichtlichen Veröffentlichungen sind neben Unterkapiteln in Biographien vor allem Aufsätze zu nennen, die sich mit der Geschichtsschreibung je eines Vertreters der Erweckungsbewegung, 46 Stephan Cartier, Licht ins Dunkel des Anfangs. Studien zur Rezeption der Prähistorik in der deutschen Welt- und Kulturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, Herdecke 2000; Hans-Michael Körner, Staat und Geschichte in Bayern im 19. Jahrhundert, München 1992; Lucardo de Vries, Studien zur Vorgeschichte und Geschichte des Geschichtsunterrichts an den Volksschulen in Bayern. Vom Ende des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung des Unterrichts in der mittelalterlichen Geschichte, München 1991. 47 Z. B. Friedrich Jaeger/Jörn Rüsen, Geschichte des Historismus. Eine Einführung, München 1992; Otto Gerhard Oexle, Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus. Studien zu Problemgeschichten der Moderne, Göttingen 1996; ders./Jörn Rüsen (Hg.), Historismus in den Kulturwissenschaften. Geschichtskonzepte, historische Einschätzungen, Grundlagenprobleme, Köln/Weimar/Wien 1996; Daniel Fulda, Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen deutschen Geschichtswissenschaft 1760–1860, Berlin/New York 1996; Stefan Jordan, Geschichtstheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Schwellenzeit zwischen Pragmatismus und Klassischem Historismus, Frankfurt a. M./New York 1999; Ulrich Muhlack (Hg.), Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert, Berlin 2003. 48 So mit besonderem Bezug auf die französische Nouvelle Histoire Jürgen Gude, Geschichtsschreibung und Romantik. Geschichtsbilder und Theoriebewusstsein der konservativen Geschichtsschreibung in Frankreich 1800–1840, Hannover, Univ., Diss., 1993, 9 f. 49 Vgl. Bergenthum, Geschichtswissenschaft und Erinnerungskulturen, 158 f. 50 So ihr Kritiker Martin Gierl, „Im Netz der Theologen – Die Wiedergeburt der Geschichte findet nicht statt. Von Pietismusforschung, protestantischer Identität und historischer Ethik 2003/04“, Zeitschrift für Historische Forschung 32 (2005), (463–487) 463. 51 Lehmann, Neue Lage, 1; ders., Einführung, 13. Ähnlich Sperber, Kirchengeschichte, 27; Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 17.

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Einleitung

namentlich Grundtvigs, Hofmanns, Neanders, Barths, Tholucks und Ledderhoses, befassen.52 Die von Ulrich Gäbler und Manfred JakubowskiTiessen verfassten erinnerungsgeschichtlichen Kapitel des (thematisch gegliederten) vierten Bandes der Geschichte des Pietismus sind lesenswert, legen ihren Schwerpunkt jedoch nicht auf die Erweckungsbewegung.53 Andere Publikationen behandeln eine kleine Zahl einschlägiger Geschichtsschriften bzw. -autoren in einem größeren historiographie- oder theologiegeschichtlichen Kontext54 oder untersuchen die politischen und literarischen 52

Sigurd Aa. Aarnes, „Grundtvig als Historiker“, in: Christian Thodberg/Pontoppidan Thyssen (Hg.), N. F. S. Grundtvig, Kopenhagen 1983, 57–77; Uwe Swarat, „Die heilsgeschichtliche Konzeption Johannes Chr. K. von Hofmanns“, in: Helge Stadelmann (Hg.), Glaube und Geschichte. Heilsgeschichte als Thema der Theologie, Gießen/Basel/Wuppertal 1986, 211–239; Kurt-Victor Selge, „August Neander – ein getaufter Hamburger Jude der Emanzipations- und Restaurationszeit als erster Berliner Kirchenhistoriker (1830–1850)“, in: Gerhard Besier/Christof Gestrich (Hg.), 450 Jahre Evangelische Theologie in Berlin, Göttingen 1989, 233–276; Hartmut Lehmann, „‚Es gibt zwei gelobte Länder in der Welt, das eine ist das Land Canaan oder Palästina, das andere ist Württemberg‘. Christian Gottlob Barths württembergische Geschichte aus dem Jahre 1843“, PuN 24 (1998), 271–285; Hans-Martin Kirn, „Umkämpfter Glaube – umkämpfte Geschichte: August Tholuck als Kirchenhistoriker“, PuN 27 (2001), 118–146; Thomas Kaufmann, „Tholucks Sicht auf den Rationalismus und seine ‚Vorgeschichte‘“, in: Manfred Jakubowski-Tiessen (Hg.), Religion zwischen Kunst und Politik. Aspekte der Säkularisierung im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004, 146–177; Thomas K. Kuhn, „Karl Friedrich Ledderhose (1806–1890). Erwecklicher Pfarrer und biographischer Schriftsteller“, in: Gerhard Schwinge (Hg.), Lebensbilder aus der evangelischen Kirche in Baden im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. V: Kultur und Bildung, Heidelberg et al. 2007, 45–75. 53 Ulrich Gäbler, „Geschichte, Gegenwart, Zukunft“, in: Lehmann (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 4, Göttingen 2004, 19–48; Manfred Jakubowski-Tiessen, „Eigenkultur und Traditionsbildung“, in: Lehmann (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 4, Göttingen 2004, 195–210. 54 Gustav Weth, Die Heilsgeschichte. Ihr universeller und ihr individueller Sinn in der offenbarungsgeschichtlichen Theologie des 19. Jahrhunderts, München 1931; Ernst Weymar, Das Selbstverständnis der Deutschen. Ein Bericht über den Geist des Geschichtsunterrichts der höheren Schulen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1961; Hartmut Lehmann, „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Geschichtsdenken des Württembergischen Pietismus“, in: Heinz Löwe (Hg.), Geschichte und Zukunft. Fünf Vorträge, hg. im Auftrag des Fachbereichs Geschichte der Universität Tübingen, Berlin 1978, 57–73; Stephan Holthaus, „Prämillenniarismus in Deutschland. Historische Anmerkungen zur Eschatologie der Erweckten im 19. und 20. Jahrhundert“, PuN 20 (1994), 191–211; ders., Fundamentalismus in Deutschland. Der Kampf um die Bibel im Protestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Bonn 22003; Martin Brecht, „Die Anfänge der historischen Darstellung des württembergischen Pietismus“ (1967), in: ders., Ausgewählte Aufsätze, Bd. 2: Pietismus, Stuttgart 1997, 656–663; Martin Hirzel, Lebensgeschichte als Verkündigung. Johann Heinrich Jung-Stilling – Ami Bost – Johann Arnold Kanne, Göttingen 1998; Klaus Koch, „Europabewusstsein und Danielrezeption zwischen 1648 und 1848“, in: ders./Mariano Delgado/Edgar Marsch (Hg.), Europa, Tausendjähriges Reich und Neue Welt. Zwei Jahrtausende Geschichte und Utopie in der Rezeption des Danielbuches, Freiburg CH/Stuttgart 2003, 326–384; Ulrike Gleixner/Erika Hebeisen (Hg.), Gendering Tradition. Erinnerungskultur und Geschlecht im Pietismus, Korb 2007 (meistens nicht zur Erweckungsbewegung des Vormärz); Dieter

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Forschungsstand

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Vorstellungen einer Gruppe von Erweckten.55 Sie werden daher in dieser Arbeit berücksichtigt. Vornehmlich auf Zeitschriftenanalysen baut Matthias Klugs Dissertation über die Geschichtsbilder im politischen Katholizismus des Vormärz auf und geht insbesondere dem konfessionspolitischen Rekurs auf das Mittelalter nach.56 Ein protestantismusgeschichtliches Pendant zu Klugs Untersuchung liegt nicht vor, seine Studie ist aber zu Vergleichszwecken wichtig. Einige neuere Studien werfen zudem Licht auf die jüdische Geschichtsschreibung der Epoche und belegen, dass auch dort neue historiographische Gattungen entstanden, die zu einer Neudefinition jüdischer Identität in Deutschland beitrugen.57 Bedeutende Untersuchungen aus jüngster Zeit sind schließlich Ulrike Gleixners Habilitationsschrift über die Frömmigkeitskultur (einschließlich Biographik und Gedächtnis) des württembergischen Pietismus vom 17. bis zum 19. Jahrhundert,58 Michael Kannenbergs kommunikationsgeschichtliche Studie über pietistische Endzeiterwartungen im vormärzlichen Württemberg59 sowie Gisela Metteles gleichermaßen global-, kommunikations- und erinnerungsgeschichtlich ausgerichtete Habilitationsschrift über die Herrnhuter Langewiesche, „Die Geschichtsschreibung und ihr Publikum. Zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Geschichtsmarkt“ (2006), in: ders., Zeitwende. Geschichtsdenken heute, hg. von Nikolaus Buschmann und Ute Planert, Göttingen 2008, 85–100. 55 Hartmut Draeger, Vom Kulturasketismus zum geistlichen Biedermeier. Protestantisch-konservative Literaturkritik im preußischen Vormärz, Berlin, FU, Diss., 1980; Stefan J. Dietrich, Christentum und Revolution. Die christlichen Kirchen in Württemberg 1848– 1852, Paderborn et al. 1996 (unter Einbeziehung der württembergischen Erweckungsbewegung); Nikolaus Buschmann, „Krise und Untergang der politischen Theologie. Zum Verhältnis von Religion und Politik im Umfeld der Evangelischen Kirchenzeitung“, PuN 27 (2001), 165–184. 56 Matthias Klug, Rückwendung zum Mittelalter? Geschichtsbilder und historische Argumentation im politischen Katholizismus des Vormärz, Paderborn/München/Wien/Zürich 1995. 57 Andreas Gotzmann, Eigenheit und Einheit. Modernisierungsdiskurse des deutschen Judentums der Emanzipationszeit, Leiden/Boston/Köln 2002, 114–211; ders., „Jüdische Theologie im Taumel der Geschichte: Religion und historisches Denken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in: Ulrich Wyrwa (Hg.), Judentum und Historismus. Zur Entstehung der jüdischen Geschichtswissenschaft in Europa, Frankfurt a. M./New York 2003, 173–202; Gabriele von Glasenapp, „Identitätssuche ohne Modell: Geschichte und Erinnerung im jüdisch-historischen Roman des frühen 19. Jahrhunderts“, in: Wyrwa (Hg.), Judentum und Historismus, Frankfurt a. M./New York 2003, 203–231. Gotzmann nennt Werke zur biblischen Geschichte, Gesamtdarstellungen einer allgemeinen jüdischen Geschichte sowie Charakterbilder, biographische Monographien – besonders von Gelehrten und Künstlern – und historische Romane (Eigenheit und Einheit, 123 f; 127). Viele der angeführten Beispiele entstanden allerdings nach 1848. 58 Ulrike Gleixner, Pietismus und Bürgertum. Eine historische Anthropologie der Frömmigkeit, Württemberg 17.–19. Jahrhundert, Göttingen 2005, 119–208; 349–391. 59 Michael Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln. Endzeiterwartungen im württembergischen Pietismus zwischen 1818 und 1848, Göttingen 2007. Vgl. hierzu meine Rezension in: JETh 22 (2008), 343–345.

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Einleitung

Brüdergemeine.60 Auf viele ihrer Ergebnisse wird an Ort und Stelle einzugehen sein. Umfassendere Untersuchungen zum Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung fehlen dagegen. Weder wurde bislang der Versuch unternommen, die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung als Gesamtkorpus zu erfassen, zu gliedern und historiographiegeschichtlich einzuordnen, noch liegt eine systematische inhaltliche oder diskursgeschichtliche Analyse des Geschichtsbildes der Erweckten vor. Hier liegt der Ansatzpunkt für die vorliegende Arbeit.

3. Erkenntnisziel, Quellen und Methode Die Untersuchung hat ein doppeltes Ziel, das sich in ihrer Struktur niederschlägt. Sie soll zum einen (I) eine Literaturgeschichte der erwecklichen Geschichtsschreibung sein. Nach den Gattungen Weltgeschichte und Nationalgeschichte (I.1), Kirchengeschichte und Missionsgeschichte (I.2), Biographie (I.3) und historisch-apologetische Literatur zur biblischen Geschichte (I.4) gegliedert, soll ein heute weitgehend unbekanntes, aber in seiner Eigenart faszinierendes Stück Historiographiegeschichte des Vormärz vorgestellt werden. Das Kapitel I.5 dient seiner näheren historiographischen Einordnung und Interpretation. Die vorgestellten Werke stecken den diskursiven Raum der Erweckungsbewegung bezüglich des Geschichtsthemas ab. Sie zeigen, inwiefern und wie sich führende Erweckte um die Entwicklung einer spezifisch christlichen Behandlung und Präsentation von Geschichte bemühten. Zum anderen geht es in der Dissertation darum, zuerst durch die ausführliche Interpretation einer repräsentativen Quelle (II), danach mit Bezug auf das Schrifttum der Erweckungsbewegung insgesamt (III), die zentralen Inhalte des Geschichtsdenkens der Erweckten herauszuarbeiten und zueinander in Beziehung zu setzen. Als übergeordnete Leitthemen dienen hier die Frage nach dem Ineinander von Weltgeschichte und christlicher Heilsgeschichte (III.1) und die Suche der Erweckungsbewegung nach ihrer eigenen geschichtlichen Identität (III.2). Die Zusammenschau zentraler Geschichtsvorstellungen dient dem Zweck, einen erinnerungsgeschichtlichen Beitrag zur Ideengeschichte der Erweckungsbewegung zu leisten. In diesem Sinne ist sie zugleich Teil der allgemeinen mentalitätsgeschichtlichen Forschung zur deutschen Gesellschaft im Vormärz.

60 Gisela Mettele, Weltbürgertum oder Gottesreich. Die Herrnhuter Brüdergemeine als globale Gemeinschaft 1727–1857, Göttingen 2009. Vgl. hierzu meine Rezension in: JETh 24 (2010), 345–347.

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Erkenntnisziel, Quellen und Methode

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Dem doppelten Erkenntnisziel der Arbeit entspricht auch die Auswahl der Quellen. Der erste Hauptteil zeichnet die Literaturproduktion der Erweckungsbewegung als Erinnerungsgemeinschaft nach. Vorgestellt werden überwiegend Ganzschriften, darunter etliche mehrbändige Werke. Die periodische Erweckungspublizistik kommt mit Rezensionen und Ref lexionen über die Geschichtsliteratur, daneben auch mit eigenen historiographischen Artikeln in den Blick, steht jedoch insgesamt im Hintergrund der Darstellung. Quellen sind hier hauptsächlich die Geschichtsbücher der Erweckten, die gesichtet, einzeln vorgestellt und historiographiegeschichtlich bestimmt werden. Viele von ihnen sind heute unbekannt und mussten, ausgehend von Querverweisen in zeitgenössischen Texten, zuerst ermittelt und ausfindig gemacht werden; andere sind zumindest Fachleuten nach wie vor ein Begriff.61 Die besprochenen Werke erschienen in verschiedenen Verlagen, darunter christlichen und allgemeinen Verlagen, namhaften und Selbstverlagen. Mit jeweils etwa zwanzig Titeln am stärksten vertreten sind der Stuttgarter Steinkopf-Verlag, der im Vormärz schwerpunktmäßig christliche Erbauungsliteratur herausgab,62 sowie der stärker wissenschaftlich orientierte Perthes-Verlag in Hamburg bzw. Gotha, der ein breites Spektrum von Veröffentlichungen zur Geschichte, Theologie und Politik aufwies.63 Zehn der in der Untersuchung berücksichtigten Werke erschienen bei Winter in Heidelberg, zwischen drei und sieben brachten die Vereinsbuchhandlung in Calw, Schneider in Basel, Heyder in Erlangen, die Buchhandlung des Waisenhauses in Halle, Orell & Füßli in Zürich, Raw in Nürnberg, Brockhaus in Leipzig, Beck in Nördlingen, Cotta in Tübingen/Stuttgart und die Rheinische Schul-Buchhandlung in Moers heraus. Hinzu kommt eine Reihe weiterer, die mit nur einem oder zwei Titeln vertreten sind. Steinkopf und Perthes können also als zentrale Verlage der erwecklichen Geschichtsschreibung gelten, aber auch etliche weitere Verlage trugen entscheidend zu deren Entstehung und Verbreitung bei. Auf Zielpublika, Auf lagenzahlen, Rezeption und weitere Merkmale gehen die betreffenden Kapitel selbst ein. Im zweiten und dritten Hauptteil kommt die Erweckungsbewegung als Deutungsgemeinschaft in den Blick. Gestützt auf die besprochenen Geschichtswerke sollen darin die grundlegenden Geschichtsvorstellungen und historischen Argumentationsmuster der Erweckten herausgearbeitet werden. Zusätzlich zu den Geschichtsbüchern werden jedoch noch weitere 61 Die Recherche wurde durch die für die Themenstellung hervorragend ausgestattete Tübinger Universitätsbibliothek erleichtert. Andere Schriften konnten per Fernleihe besorgt werden; neuestens sind etliche auch im Internet zugänglich. 62 Vgl. Karl Gutzmer, „Steinkopf, J. F.“, LGB 2, Bd. VII, 2007, 235. 63 Vgl. G. Schulz, „Perthes, Friedrich Christoph“, LGB 2, Bd. V, 1999, 601; Inge Grolle, Friedrich Christoph Perthes, Hamburg 2004, 123.

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Einleitung

Quellen hinzugezogen: einzelne aufgrund ihrer Themenstellung bisher nicht berücksichtigte Monographien, einige gedruckte Predigten, Liedsammlungen und Erbauungsschriften sowie vor allem Zeitschriften. Hinter dieser Entscheidung steht die Überzeugung, dass sich Geschichtsbilder nicht nur in spezifischen Geschichtswerken, sondern auch in Texten zu anderen, beispielsweise tagesaktuellen Themen und in dem gewöhnlichen Schrifttum einer gesellschaftlichen Gruppe äußern, ja dass gerade dort sichtbar wird, welche Geschichtsthemen und -auffassungen tatsächlich in deren Bewusstsein verankert sind. Insbesondere im Kapitel über Geschichte als Identitätsspenderin (III.2) werden daher neben den Monographien auch solche Quellen herangezogen, die die betreffenden Geschichtsdiskurse im allgemeinen Geistesleben der Erweckten verorten. Angesichts der großen Materialfülle des erwecklichen Schrifttums war hier eine Auswahl erforderlich. Dabei wurde versucht, eine Bandbreite von Schriften auszuwerten, die verschiedene Teile der deutschen Erweckungsbewegung repräsentieren. Abgesehen von einzelnen Predigten von Erweckungspredigern wie Ludwig Hofacker, Friedrich Wilhelm Krummacher oder Claus Harms und einigen weiteren Erbauungsschriften handelt es sich bei diesen Quellen um Zeitschriften, die oft über die Region ihres Erscheinens hinaus gelesen wurden und einen wesentlichen Beitrag zur Konstituierung der erwecklichen Diskursgemeinschaft leisteten. Sie sollen hier kurz genannt werden. Das führende Organ des norddeutschen Konservativismus, für das erweckte Autoren aus verschiedenen Gebieten Deutschlands schrieben, war die 1827 als Gegenspielerin zur rationalistischen Allgemeinen Kirchenzeitung gegründete Evangelische Kirchen-Zeitung aus Berlin. Trotz ihrer moderaten Auf lage von etwa 1000 Stück hatte sie großen Einf luss und wurde von Entscheidungsträgern der Kirche, aber auch bis hinein ins preußische Königshaus gelesen.64 Die 1838 gegründete, von Adolf Harleß herausgegebene Zeitschrift für Protestantismus und Kirche war das Sprachrohr der Erlanger neulutherischen Theologie, einer für die bayerische Erweckungsbewegung prägenden Gruppe evangelischer Theologen.65 In Stuttgart erschien der Christen-Bote, der bereits ein Jahr nach seiner Gründung 1831 in 1500 Exemplaren gedruckt wurde und schnell zu einem Hauptorgan des württembergischen Pietismus avancierte.66 Der Herausgeber des Christen-Boten, 64 Vgl. Hans-Christof Kraus, „Evangelische Kirchenzeitung“, in: Caspar von SchrenckNotzing (Hg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, 163 f; Mehnert, Evangelische Presse, 126–129. 65 Vgl. Ulrich Schindler-Joppien, Das Neuluthertum und die Macht. Ideologiekritische Analysen zur Entstehungsgeschichte des lutherischen Konfessionalismus in Bayern (1825–1838), Stuttgart 1998, 11. 66 Vgl. Hartmut Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung in Württemberg vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1969, 193.

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Erkenntnisziel, Quellen und Methode

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Johann Christian Friedrich Burk, unterstützte als Mitherausgeber auch den Süddeutschen Schul-Boten, der in christlichem Geist fachdidaktische und pädagogische Aufsätze, Nachrichtenartikel und Rezensionen von Schulbüchern bot und daher auch die entstehende erweckliche Historiographie aufmerksam verfolgte. Von vergleichsweise wissenschaftlichem Zuschnitt war das 1816 begründete Magazin für die neueste Geschichte der protestantischen (seit 1818 evangelischen) Missions- und Bibelgesellschaften, das den weltweiten Gang der evangelischen Mission dokumentieren wollte. Das Magazin erschien in Basel, verstand sich aber als Organ der deutschen Missionsbewegung und wurde von ihr auch stark rezipiert; es hatte zeitweise 4000 Abonnenten.67 Auch dem ab 1833 erscheinenden Christlichen Volksboten aus Basel ist eine – wenn auch schwächere – Nähe zur deutschen Erweckungsbewegung abzuspüren. Gottfried Mehnert zählt ihn wie auch den Christen-Boten zur wachsenden „volkstümlichen Gemeindepresse“ und weist auf Verbindungen beider Blätter zur Basler Mission hin.68 Neben diesen schwerpunktmäßig untersuchten Zeitschriften wurden noch einige weitere berücksichtigt, darunter die in Hamburg seit 1844 erscheinenden Fliegenden Blätter als zunehmend überregional orientiertes Nachrichtenblatt der Inneren Mission und die 1828 begründete Tübinger Zeitschrift für Theologie, die unter anderem Artikel von Erweckten brachte. Auch das seit 1833 jährlich von dem Liederdichter Albert Knapp herausgegebene biedermeierliche „Taschenbuch“ Christoterpe, das nach seinem Start gut 800 Abonnenten besaß,69 das mit 18.000 bis 20.000 Exemplaren in den dreißiger und vierziger Jahren ungewöhnlich auf lagenstarke Barmer MissionsBlatt70 und einige weitere Missionsperiodika wurden in Teilen in die Untersuchung einbezogen. Vergleichszwecken dienen schließlich die 1818 begründeten Pariser Archives du christianisme au dix-neuvième siècle, die britischen Evangelical Magazine (ab 1793) und Evangelical Christendom (ab 1847) sowie die ultramontanen, in München seit 1838 erscheinenden Historischpolitischen Blätter für das katholische Deutschland.71 67 Vgl. Wilhelm Schlatter, Geschichte der Basler Mission 1815–1915. Mit besonderer Berücksichtigung der ungedruckten Quellen, Bd. 1: Die Heimatgeschichte der Basler Mission, Basel 1916, 192. 68 Vgl. Mehnert, Evangelische Presse, 125. 69 Vgl. Irmgard Scheitler, „Biedermeierlicher Pietismus in Württemberg. Albert Knapps Christoterpe“, in: Udo Sträter (Hg.), Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2001, Tübingen 2005, (509–520) 511. 70 Vgl. Eduard Kriele, Geschichte der Rheinischen Mission, Bd. 1: Die Rheinische Mission in der Heimat (Zugleich ein Stück westdeutscher Kirchengeschichte), Barmen 1928, 36. 71 Nach Klug, Rückwendung zum Mittelalter, 127 wurden die HPB bald zum „bedeutendsten katholischen Presseorgan des Vormärz“. Zu ihrem Hintergrund und Geschichtsbild vgl. ausführlich ebd., 277–334.

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Einleitung

Geschichtsthemen wurden in den Zeitschriften der Erweckungsbewegung unterschiedlich stark und mit unterschiedlichem intellektuellem Anspruch aufgegriffen. Auch die historiographische Literatur der Erweckungsbewegung ist keineswegs homogen. Die Suche nach kollektiven Deutungsmustern der Erweckungsbewegung birgt insofern die Gefahr, individuelle Unterschiede einzuebnen. Undifferenziert wäre es beispielsweise, Geschichtsdeutungen einzelner erweckter Theologieprofessoren einfach für das Geschichtsverständnis der gesamten Bewegung zu erklären und die nach Bildungsgrad, Lebensalter und Herkunft unterschiedlichen Autoren und Leser der erwecklichen Historiographie aus dem Blick zu verlieren. Diese Gefahr lässt sich dennoch nicht vollständig vermeiden, äußerten sich doch nicht alle Teile der Erweckungsbewegung in gleichem Maße systematisch zu Geschichtsfragen. Gebildete Vertreter einer Gesellschaftsgruppe werden bei einem weitgehend historiographiegeschichtlichen Zugang zu deren Geschichtsbildern zwangsläufig überproportional stark gewichtet. Die Untersuchung ist jedoch so angelegt, dass die Gefahr einer einseitigen Sichtweise so gering wie möglich gehalten wird. Die individuelle Beschreibung und Klassifikation der erwecklichen Geschichtswerke mit Berücksichtigung ihrer Autoren und Lesergruppen (I), die Detailanalyse eines populären Werkes (II) und die auf möglichst breiter Quellenbasis beruhende systematische Darstellung (III.1 und III.2) wurden mit dem Ziel verfasst, der Vielfalt des erwecklichen Geschichtsdiskurses gerecht zu werden. Gleichzeitig belegen sie auch seine innere Einheit. Wegen der komplementären Darstellungsweise kommen einige Geschichtsthemen mehrfach zur Sprache. Besonders die Analyse von Barths Allgemeiner Weltgeschichte nimmt einzelne Themen des dritten Hauptteils vorweg, präsentiert sie jedoch nicht wie diese als Diskurse einer vielstimmigen Erinnerungsgemeinschaft, sondern als Bestandteile eines einzelnen exemplarischen Geschichtsbildes. Barths Weltgeschichte wird hier, im Gegensatz zur nur skizzenhaften Präsentation der einzelnen Werke im literaturgeschichtlichen Hauptteil, systematisch auf Inhalte und Hintergründe hin untersucht. Hinter dem multiperspektivischen Auf bau der Arbeit steht die Hoffnung, dass sich für den Leser so ein differenziertes und zugleich kohärentes Gesamtbild des Geschichtsdenkens der Erweckungsbewegung ergibt. Dass bei einem so umfassenden Thema dennoch nicht der Anspruch erhoben werden kann, sämtliche Aspekte des Geschichtsdenkens und alle Teile der Erweckungsbewegung zu erfassen, versteht sich von selbst; in der vorsichtigen Formulierung des Untertitels – „Geschichtsbilder“ statt „die Geschichtsbilder“ oder gar „das Geschichtsbild“ der Erweckungsbewegung – wird hierauf noch einmal hingewiesen. Auf den Aspekt der Deutungsgemeinschaft verweist die Wahl des Präsens als Darstellungsform in den systematischen, nicht-narrativen Partien der Untersuchung.

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Erkenntnisziel, Quellen und Methode

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Gedruckte Texte finden naturgemäß stärkere Verbreitung und haben damit größere geschichtsbildprägende Wirkung als handschriftliche Aufzeichnungen. Daher konnte darauf verzichtet werden, das bereits kaum zu bewältigende Quellenkorpus noch um die verschiedenen Gattungen ungedruckter Quellen zu erweitern. Auch die Konzentration auf Textquellen hat – neben einem historiographiegeschichtlichen Interesse – inhaltliche Gründe. Wurde in den letzten Jahren mit Recht darauf hingewiesen, dass Andachtsbilder die Frömmigkeit der Erweckten mitbeeinf lussten,72 und zugleich angemahnt, die Ergebnisse der historischen Bildforschung in die Erinnerungsgeschichte einzubeziehen,73 so scheint ein visueller Zugang zur Geschichtskultur der vormärzlichen Erweckungsbewegung doch nur begrenzt möglich. Bei den vorhandenen Quellen handelt es sich mit weitem Abstand um Texte. Stärker noch als auf die traditionell protestantische Vorliebe für das „Wort“ gegenüber dem Bild wird dies auf mediengeschichtliche Faktoren zurückzuführen sein: Die Fotografie, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfunden wurde, spielte noch keine Rolle, und Geschichtsbücher und Zeitschriften kamen, im Erweckungsmilieu und darüber hinaus, noch weitgehend ohne Illustrationen aus.74 Abgesehen von einzelnen Konterfeis in biographischen Darstellungen gibt es nur in einer kleinen Minderheit von Geschichtsbüchern Bildillustrationen, denen jedoch in Bezug auf das Werk nie die Bedeutung zukommt, wie sie beispielsweise Adolph Menzels Friedrich-Holzschnitte für Franz Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen von 1840 bis 1842 haben.75 Die Erweckten werden solche oder andere Formen der Geschichtsmalerei zur Kenntnis genommen und vielleicht auch selbst eingesetzt haben, sie nehmen darauf jedoch fast nie Bezug. Insofern spricht vieles dafür, dass das Geschichtsbild der Erweckungsbewegung stärker durch Geschichten als durch Bilder ge-

72 Das wohl eindrücklichste Beispiel sind die „Zwei-Wege-Bilder“ über den „schmalen Weg“ des Christen zur himmlischen Herrlichkeit und den „breiten Weg“ ins Verderben (vgl. Matthäus 7,13 f ), die 1867 mit dem Entwurf der Stuttgarter Pietistin Charlotte Reihlen ihre dann über Jahrzehnte gültige Form fanden. Vgl. Martin Scharfe, „Zwei-Wege-Bilder. Volkskundliche Aspekte evangelischer Bilderfrömmigkeit“, BWKG 90 (1990), 123–144; Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 334 f. 73 Vgl. Gerhard Paul, „Von der Historischen Bildkunde zur Visual History. Eine Einführung“, in: ders. (Hg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, (7–36) 18 f. Das Thema des 46. Deutschen Historikertages im September 2006 in Konstanz, „Geschichts Bilder“, war ein Spiegel dieses neuen Augenmerks. 74 Vgl. auch die interessante Bemerkung von Heinrich Wuttke, Die deutschen Zeitschriften und die Entstehung der öffentlichen Meinung. Ein Beitrag zur Geschichte des Zeitungswesens, Hamburg 1866, 48 über die 1843 erstmals erschienene Illustrirte Zeitung: „Seit dieser Zeit verlangt nun die Lesewelt in den Blättern Bilder.“ 75 Vgl. hierzu Wolfgang Hardtwig, „Kugler, Menzel und das Bild Friedrichs des Großen“, in: ders., Hochkultur des bürgerlichen Zeitalters, Göttingen 2005, 303–322.

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Einleitung

prägt und vermittelt wurde. Zumindest in dieser Arbeit stehen daher Textdokumente im Vordergrund. In Anlehnung an eine Forderung Friedrich Wilhelm Grafs, die „wechselseitigen Kommunikationsblockaden“ zwischen Kulturgeschichtsschreibung und Theologie zu überwinden, weil religiöse Lebenswelten nicht ohne ihre Symbole und Ideen verstanden werden könnten,76 werden in der Arbeit die geschichtstheologischen und theologiegeschichtlichen Aspekte der Geschichtsbilder einbezogen. Sie unterscheidet sich hierin von anderen religions- und erinnerungsgeschichtlichen Untersuchungen, die diese Aspekte bewusst ausklammern.77 Bei der Erweckungsbewegung würde eine Ausgrenzung spezifisch theologischer Fragestellungen bedeuten, am Kern des untersuchten Selbst-, Welt- und Geschichtsverständnisses vorbeizugehen. Ihre Behandlung ist daher unumgänglich; sie ist aber auch von kulturgeschichtlichem Ertrag, etwa indem sie indirekt zur Erforschung der historisch-politischen Wirkungsgeschichte der Bibel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beiträgt. Diese Wirkungsgeschichte dürfte erstaunlich vielfältig sein. Die auch in neueren Publikationen vertretene Auffassung, mit dem Ausgang der Vormoderne sei das Thema „‚Bibel als politisches Argument‘ weitgehend ans Ende gelangt“,78 lässt sich, zumindest in dieser Schärfe, durchaus in Frage stellen. Die vorliegende Arbeit ist allerdings keine Geschichte der erweck lichen Bibelauslegung. Diese Aufgabe, die eine andere Herangehensweise und Quellenauswahl erfordert hätte, muss genuin theologiegeschichtlichen Forschungen vorbehalten bleiben. Hier wird die biblische Historie nur dort berücksichtigt, wo sie von den Erweckten in den Kontext der allgemeinen Geschichte gestellt oder zu deren Illustration herangezogen wurde. Die im Kapitel I.4 untersuchte Literatur zur Verteidigung der biblischen Geschichte fällt hierunter, weil sie unmittelbare Auswirkung auf die Weltgeschichtsdeutung der Erweckten hatte. Dieser Teil der Untersuchung dient zudem dazu, den kollektiven Deutungskampf der Erweckungsbewegung in der Konfrontation mit konträren Geschichtsansätzen ihrer Zeit zu dokumentieren. Das Kapitel ersetzt jedoch keine eigenen auslegungsgeschichtlichen Studien und lässt auch die in der Erweckungsbewegung immense lebensgeschichtliche Wirkung der alt- und neutestamentlichen Geschichte unberücksichtigt. Auch die nicht immer einheitlichen eschatologischen Überzeugungen werden in der Arbeit nicht schwerpunkt76

Graf, Wiederkehr der Götter, 107 f. Z. B. Klug, Rückwendung zum Mittelalter, 17 Fn. 9. 78 So Andreas Pe č ar/Kai Trampedach, „Der ‚Biblizismus‘ – eine politische Sprache der Vormoderne?“, in: dies. (Hg.), Die Bibel als politisches Argument. Voraussetzungen und Folgen biblizistischer Herrschaftslegitimation in der Vormoderne, München 2007, (1–18) 3. 77

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Erkenntnisziel, Quellen und Methode

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mäßig – vor allem nicht systematisch – behandelt. Die Beschränkung entspringt der Notwendigkeit zur Eingrenzung des Quellenkorpus, das durch das exegetische und erbauliche Schrifttum zur biblischen Geschichte und Eschatologie ins Uferlose angewachsen wäre. Solche Themen sind in der vorliegenden Untersuchung zwar vielfach präsent, es hätte jedoch den Rahmen gesprengt, etwa die Rezeption des Exodusberichts, der Königsbücher, der Evangelien oder der Johannesoffenbarung im Erweckungsmilieu nachzuzeichnen. Gleichwohl ist festzuhalten, dass die biblische Historie für die Erweckungsbewegung genauso reale Geschichte darstellt wie alle übrige Geschichte auch; sie gilt ihr sogar als schlechterdings grundlegend. „Die biblische Geschichte ist […] das Anschauungsfundament der Gottes- und Menschenkenntniß, wie es keine andere Geschichte in der Welt also ist“, heißt es bei einem der bedeutendsten Pädagogen der Erweckungsbewegung.79 Insofern enthält die Schwerpunktsetzung dieser Arbeit kein Urteil über das relative Gewicht biblischer Geschichtserzählungen im Geschichtsdenken der Erweckten. Die Schreibweise von Quellenzitaten richtet sich grundsätzlich nach dem Original. Hervorhebungen durch Sperrsatz werden, wo inhaltlich relevant, durch Kursivschreibung wiedergegeben. Bibelzitate sind, sofern sie nicht erkennbar Teil eines Quellenzitats sind, der Einheitsübersetzung entnommen. Quellen und Literatur werden im Anhang gesondert aufgeführt. Ein untergliedertes Verzeichnis der zitierten Zeitschriftenartikel macht die relative Gewichtung der Zeitschriften transparent. Für die am häufigsten zitierten Lexika und Zeitschriften werden die im Abkürzungsverzeichnis genannten Kurzformen verwendet.

79 Christian Heinrich Zeller, Lehren der Erfahrung für christliche Land- und ArmenSchullehrer. Eine Anleitung zunächst für die Zöglinge und Lehrschüler der freiwilligen Armen-Schullehrer-Anstalt in Beuggen, Bd. II, Basel: Verein der Schul-Anstalt 1827, 73.

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I. Literatur- und Diskursgeschichte der erwecklichen Historiographie 1. „In dem Fach der Geschichtschreibung die christlichere Richtung der neueren Wissenschaft“ – Weltgeschichten und Nationalgeschichten Die geschichtsinteressierte Öffentlichkeit des deutschen Vormärz besaß einen Sinn für universalgeschichtliche Entwürfe. Wenn auch die Gattung Weltgeschichte bzw. Universalgeschichte – die beiden Begriffe wurden synonym verwendet1 – fachwissenschaftlich im Laufe des 19. Jahrhunderts an Prestige einbüßte,2 war die „Methodisierungsverliererin“ (Osterhammel) auf dem deutschen Geschichtsmarkt doch keineswegs eine Randerscheinung. Im Gegenteil: Nicht nur einzelne Vertreter des Faches, sondern auch Laienhistoriker unterschiedlicher Couleur, die sich der zunehmenden nationalen Begrenzung der Universitätshistorie – noch verstärkt dann in der zweiten Jahrhunderthälfte – nicht unterwerfen wollten, trieben mit Weltgeschichten den Prozess der Wissenspopularisierung voran. 3 Im 18. Jahrhundert hatte besonders die Göttinger Schule um die Historiker Gatterer und Schlözer neue Akzente in der Universalgeschichtsschreibung gesetzt, die nachwirkten.4 Im frühen 19. Jahrhundert gehörten die großen Weltgeschichten der Liberalen Karl von Rotteck und Friedrich Christoph Schlosser zu den Bestsellern.5 Auch die Erweckungsbewegung partizipierte an dieser Popularisierung von Weltgeschichten in einem bislang kaum beachteten Maße. Zum einen tat sie dies indirekt. Die gefühlte Rechristianisierung des gesellschaft1

Vgl. Jordan, Geschichtstheorie, 110; Cartier, Licht ins Dunkel, 127 f. Vgl. Jürgen Osterhammel, „Weltgeschichte“, in: Stefan Jordan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, (320–325) 322. 3 Vgl. Langewiesche, Geschichtsschreibung und ihr Publikum, 91; 93. 4 Vgl. hierzu Felix Günther, „Das Lehrbuch der Universalgeschichte im XVIII. Jahrhundert“, Deutsche Geschichtsblätter. Monatsschrift zur Förderung der landesgeschichtlichen Forschung 8 (1907), 263–278. 5 Vgl. Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 3: Erfahrungswissenschaften und Technik, Freiburg i. Br. 1934, 105–107; Hans Fenske, „Karl von Rotteck. Jurist, Historiker, Politiker“, Freiburger Universitätsblätter 158 (2002), (31–51) 50; Dagmar Stegmüller, „Friedrich Christoph Schlosser und die Berliner Schule“, in: Ulrich Muhlack (Hg.), Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert, Berlin 2003, 49–60. 2

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Literatur- und Diskursgeschichte

lichen Klimas machte sich auch in den gängigen Weltgeschichten bemerkbar. Dies belegt ein interessantes Detail über die erfolgreiche 14-bändige Weltgeschichte von Karl Friedrich Becker aus der Zeit des Empire: Ihr Neubearbeiter Johann Wilhelm Loebell sah sich, wie er im Vorwort von 1824 schreibt, genötigt, „Alles hinwegzuräumen, was Denen, welche die heiligen Schriften nicht bloß als Geschichtsdenkmäler, sondern auch als Grund des christlichen Glaubens betrachten, Anstoß erregen, oder jüngere Leser verwirren könnte“.6

Eine solche Rücksichtnahme kam der Erweckungsbewegung, die das rationalistisch-moralistische Jesusbild von Beckers Geschichtswerk als äußerst schädlich empfunden hatte,7 zweifellos entgegen; sie belegt den veränderten Geist der Zeit. Auch war der chronologische Gesamtrahmen der Weltgeschichten nach wie vor stark von den biblischen Berichten bestimmt. Die vor wenigen Jahren vorgebrachte These, am Ende des 18. Jahrhunderts hätte „die Euthanasie der biblischen Chronologie ihre letzte Stufe schon erreicht“, der chronologische Rahmen der biblischen Historie hätte „im 19. Jahrhundert nur dogmatisch und realitätsfremd wirken“ können,8 kann spätestens seit Stephan Cartiers Dissertation als widerlegt gelten.9 Der universalgeschichtliche Beitrag der Erweckungsbewegung beschränkte sich jedoch nicht auf einen indirekten Einf luss. Von einer „historiographischen Interesselosigkeit“ des Pietismus im 19. Jahrhundert10 kann nicht gesprochen werden. Die Erweckungsbewegung brachte vielmehr etliche Weltgeschichten und, wenn auch zahlenmäßig seltener, National- und Regionalgeschichten auf den Markt. Letztere waren teilweise von denselben Personen verfasst und trugen trotz des naturgemäß stärker patriotischen Zuschnitts eine ebenso betont christliche Handschrift. Das Gros dieser im Vormärz entstandenen Werke soll im Folgenden erstmals systematisch vorgestellt und – so eine Kernthese des Kapitels – als Erzeugnis einer eigenen, wenn auch heterogenen historiographischen Schule in den Blick genommen werden. 6 Karl Friedrich Becker, Weltgeschichte, hg. von Johann Wilhelm Loebell, Bd. I, Berlin: Duncker & Humblot 71844, VIII. 7 Vgl. „Litterarische Anzeige“, EKZ 1827, (147–151) 149 f. 8 Edoardo Tortarola, „Die Angst des Auf klärers vor der Tiefenzeit. Oder: Die Euthanasie der biblischen Chronologie“, in: Gangolf Hübinger/Jürgen Osterhammel/Erich Pelzer (Hg.), Universalgeschichte und Nationalgeschichten, Freiburg i.B. 1994, (31–50) 49. 9 Vgl. Cartier, Licht ins Dunkel. 10 So Axel Schwaiger, Christliche Geschichtsdeutung in der Moderne. Eine Untersuchung zum Geschichtsdenken von Juan Donoso Cortés, Ernst von Lasaulx und Vladimir Solov’ev in der Zusammenschau christlicher Historiographieentwicklung, Berlin 2001, 156 im Rahmen seiner ansonsten vorzüglichen Überblicksdarstellung christlicher Historiographieentwicklung.

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Weltgeschichten und Nationalgeschichten

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1.1 Die historiographische Aufgabenstellung Auch wenn dies in den Quellen so nur selten geäußert wird, passt die Gattung Weltgeschichte harmonischer noch als Nationalgeschichte in das Weltbild der Erweckten.11 Denn die neutestamentliche Geschichtsschau, auf die sie ihr Geschichtsbild zu gründen suchten, war ebenso wie ihr weltmissionarisches Engagement konsequent überstaatlich und international. Insofern besaßen Christentum und Weltgeschichte schon immer, auch gattungsgeschichtlich, eine besondere Beziehung: „Universalgeschichte als Gattung verdankt ihre Entstehung wesentlich dem Christentum.“12 Die große Herausforderung bestand nun allerdings darin, den aktuellen Kanon des universalhistorischen Wissens im Vormärz mit dem weltgeschichtlichen Ertrag von Bibel und Christentumsgeschichte zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden. Gerade dies war nach Auffassung der Erweckungsbewegung noch terra incognita. Man sah sich zwar nicht gänzlich ohne Vorreiter: Der Zürcher Antistes Johann Jakob Heß (1741–1828) hatte, wenn auch keine eigentliche Weltgeschichte, so doch heils- und kirchengeschichtliche Werke verfasst, durch die, wie man fand, „auch dieser Faden der Wissenschaft nicht gar abgerissen wurde in der neueren Zeit“.13 Heß wurde entsprechend hoch geschätzt. Insgesamt jedoch sah man sich mit der Aufgabe einer modernen christlichen Weltgeschichtsschreibung erst am Anfang. Vor diesem Hintergrund schickten sich mehrere prominente Vertreter der deutschen Erweckungsbewegung, die gängige Universalgeschichten als zu säkular empfanden, an, „in dem Fach der Geschichtschreibung die christlichere Richtung der neueren Wissenschaft“14 zu etablieren. Charakteristisch an diesen Autoren ist, dass sie sich, wie insbesondere die Vorworte belegen, gegenseitig als Mitstreiter sahen, denen eine gemeinsame historiographische Pionieraufgabe gestellt sei. Ihr Ziel war, „das christliche Prinzip […] auch für die Universalgeschichte“ zur Geltung zu bringen.15 11 Der mit der deutschen Erweckungsbewegung verbundene Kirchenhistoriker des Réveil Jean H. Merle D’Aubigné, Discours sur l’étude de l’histoire du christianisme et son utilité pour l’époque actuelle; prononcé à Genève, dans la séance d’ouverture d’un cours sur l’histoire de la réformation et des réformateurs de l’Allemagne, au seizième siècle, Paris: Risler/Genf: Cherbuliez 1832, 25 argumentiert, aufgrund der wachsenden weltweiten Bedeutung des Christentums müsse sich die Historiographie von der traditionellen Geschichte einzelner Völker verstärkt einer „grande histoire de l’humanité“ zuwenden. 12 Wolfgang Mommsen, „Universalgeschichte“, in: Waldemar Besson (Hg.), Das Fischer Lexikon Geschichte, Frankfurt a. M. 1961, 323. 13 Karl Heinrich Sack, „Ueber Werth und Gebrauch der historischen Bücher des Alten Testaments“, Christoterpe 3 (1835), (70–88) 87. 14 So Christian Gottlob Barth (anon.), Die allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen bearbeitet für nachdenksame Leser, Calw/Stuttgart 1837, III. 15 Heinrich Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte zum Gebrauche in höheren Unterrichtsanstalten, Bd. II, Halle: Anton 1836, 3.

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Literatur- und Diskursgeschichte

„Derjenige nämlich, welcher auf die Universalgeschichte das christliche Prinzip in Anwendung bringt, hat die Aufgabe, dem im Offenbarungswort aufgezeichneten Weltplane Gottes nachzugehen und ihn, nach Maaßgabe der sichern Resultate wissenschaftlicher Forschung, in dem Entwicklungsgange der Menschheit nachzuweisen“,

wie es in einem anderen Werk heißt.16 Man erinnert in diesen Vorreden daran – und bittet deshalb um die Nachsicht der Leser –, dass diese Aufgabe „nicht eines Menschen Werk“ sei,17 dass „wenigstens einmal ein Anfang“ habe gemacht werden müssen18 und dass es trotz der eigenen Grenzen an Zeit und Kompetenz ein Unrecht sei „zurückzuhalten, was in unsern Tagen gesagt werden“ müsse.19 In den späteren Jahren des Vormärz heißt es dann mit Hinweis auf die bereits entstandenen Werke, es sei „bereits ein schöner und hoffnungsvoller Anfang gemacht“.20 Solche einführenden Aussagen in den Weltgeschichten untermauern die These, dass man trotz bedeutender Unterschiede von einer Schulbildung erweckungschristlicher Universalgeschichtsschreibung (ohne offensichtliches Schulhaupt) sprechen kann. Der gemeinsame Ansatzpunkt dieses Geschichtszugangs ist eine mehrfach zitierte Aussage des Schweizer Historikers Johannes von Müller (1752–1809), die allerdings, wie bedauert wird, erst nach seinen 24 Büchern allgemeiner Geschichten zu dessen Überzeugung geworden sei:21 „Christus ist der Schlüssel der Weltgeschichte!“22 In diesem Sinne und vor dem Hintergrund ihrer eigenen Gegenwartsdeutung wollte die Erweckungsbewegung das universalhistorische Wissen ihrer Zeit neu ordnen und zeitgemäß darbieten. Dabei bediente man bewusst unterschiedliche Zielgruppen und Leserniveaus. Die Erweckungspresse, eine Kritikerin herkömmlicher Weltgeschichten wegen deren mangelnder „Klarheit und Entschiedenheit in der Auffassung und Darstellung des eigenthümlichen Wesens des Christenthums“23 oder gar wegen eines 16 Heinrich Dittmar, Die Geschichte der Welt vor und nach Christus, mit Rücksicht auf die Entwicklung des Lebens in Religion und Politik, Kunst und Wissenschaft, Handel und Industrie der welthistorischen Völker. Für das allgemeine Bildungsbedürfniß dargestellt, Bd. I, Heidelberg: Winter 1846, XII. 17 Johann Daniel von Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte der Völker. Für Staats- und Geschäftsmänner in Grundzügen entworfen, Leipzig: Lehnhold 1833, VI. 18 Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837, III. 19 Andreas Bräm, Blicke in die Weltgeschichte und ihren Plan, Straßburg: Scheurer 1835, 3. 20 Eduard Eyth, „Biographie en gros“, Christoterpe 15 (1847), (105–174) 108. 21 Ebd., 108 f. 22 Zu Müllers religiöser Wende im Geschichtsdenken vgl. Michael Gottlob, Geschichtsschreibung zwischen Auf klärung und Historismus. Johannes von Müller und Friedrich Christoph Schlosser, Frankfurt a. M. et al. 1989, 121–130, der das entscheidende religiöse Erlebnis allerdings schon um 1781 ansetzt. 23 Daniel Völter, „Literarischer Bericht: Weltgeschichte“, SSB 9 (1845), (126–136) 134 f u.ö.

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Weltgeschichten und Nationalgeschichten

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rationalistischen Jesusbildes, hat das Entstehen dieser Weltgeschichten wohlwollend begleitet. Wenn auch die Meinungen darüber auseinander gingen, ob weltgeschichtlicher Unterricht den höheren Schulen vorbehalten sein oder auch Volksschülern geboten werden sollte,24 suchte die Erweckungsbewegung mit ihren Weltgeschichten doch die ganze Palette an pädagogischen Lehrbüchern abzudecken und darüber hinaus auch Werke auf wissenschaftlichem Niveau zu verfassen. Eine Folge davon ist, dass die Weltgeschichten der Erweckungsbewegung sehr vielgestaltig sind. Generell kommt es ihr weniger auf einen eigenen Forschungsbeitrag als auf eine didaktisch ansprechende Syntheseleistung unter dezidiert biblisch-christlichen Vorzeichen an. Dabei wird jedoch die Nähe zu aktuellen Forschungsergebnissen angestrebt und auch, mit unterschiedlichem Erfolg, erreicht. 1.2 Welt- und Nationalgeschichten Die Weltgeschichten der deutschen Erweckungsbewegung erschienen ab den 1830er Jahren. Die erste, Umrisse einer allgemeinen Geschichte der Völker von 1833,25 wurde von dem Oberlehrer, stellvertretenden Gouvernements-Schulen-Direktor und Historiker Johann Daniel von Braunschweig (1786–1857) 26 aus dem russisch-kurländischen Mitau verfasst. Das 750 Seiten starke Werk, das dem Thronfolger und späteren Zaren Alexander II. Nikolajewitsch gewidmet ist, bietet einen ersten umfassenden Versuch, Weltgeschichte im Lichte der „göttlichen Offenbarung“ (VII) bzw. der „Heiligen Sage“ (27) zu schreiben. Die zum Teil sehr dichte, fast lexikonartige Darstellung bietet ein breites Faktengerüst in der politischen, der Kirchen-, Literatur- und Geistesgeschichte, wobei die Neuere Geschichte auffallend knapp (Seite 612 verweilt noch beim Jahr 1487), die chinesische Geschichte dagegen auffallend ausführlich behandelt wird. In den so gestalteten Erzählfaden versucht Braunschweig nun, eine breite Darstellung 24 Ludwig Völter, „Allgemeine Weltgeschichte“, SSB 6 (1842), (30–38) 30; ders., „Was hat die christliche Volksschule in den sogenannten Realien zu leisten?“, SSB 6 (1842), (41– 47) 43 verneint die Frage, während andere im Folgenden vorgestellte Autoren gerade für Volksschulen schreiben. 25 Johann Daniel von Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte der Völker. Für Staats- und Geschäftsmänner in Grundzügen entworfen, Leipzig: Lehnhold 1833. 26 Zu Braunschweig vgl. Ingrid Bigler, „Braunschweig, Johann Daniel von“, Deutsches Literatur-Lexikon, 3. Auf l., Erg.-Bd. 2, Bern/München 1994, 363. Andere, jedoch für den christlichen Geschichtsdiskurs weniger interessante Titel Braunschweigs sind: Die allgemeine Geschichte zunächst für Realschulen in Tabellen dargestellt, 1. Heft: Alte Geschichte, Mitau: Steffenhagen 1828; Geschichte des allgemeinen politischen Lebens der Völker im Alterthume. Für Staats- und Geschäftsmänner in Grundzügen entworfen, Bd. I, Hamburg: Perthes 1830. Bereits 1825 war von Braunschweig Organisation der Gymnasien nach christlichem Princip erschienen.

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Literatur- und Diskursgeschichte

der biblischen Geschichte und Prophetie ab Adam und Eva zu integrieren. Biblische Bücher werden wie der Prophet Jesaja ausführlich wörtlich zitiert (z. B. 245 f ) oder referiert: „In diesen historischen Kreis gehört auch noch das Buch über die Geschichte der Esther […]“, heißt es etwa (355). Die Geschichte und Geschichtsprophetie des „heiligen Sehers Daniel“ wird neben der neutestamentlichen Geschichte besonders stark gewichtet (217 ff ). Gott wird von Braunschweig nicht als handelnder Akteur ins Feld geführt, die biblischen Geschichtsberichte, die sein Eingreifen voraussetzen, gelten jedoch durchweg als zuverlässig. Grund für Braunschweigs starke Einbeziehung biblischer Texte ist seine Überzeugung, dass die „Geschichte des göttlichen Weltreichs auf Erden […] der Kern der Geschichte aller Völker auf Erden [ist], um den sich Alles lagert“ (VI). Braunschweig, der „als Laie und Historiker“ (VIII) um die besondere Nachsicht der Theologen bittet, teilt die Weltgeschichte in vier Perioden ein: (1) „Von der Schöpfung bis zur Fluth, Vor christlicher Aera von 5413 bis 3250“, (2) „Von der Fluth bis zur Gründung des göttlichen Weltreichs“, (3) „Alter Bund“ und (4) „Neuer Bund“. Das eigentliche Proprium des Braunschweigschen Entwurfes ist die Parallelisierung der zwei letzten Perioden. Beide werden in sieben Epochen aufgeteilt, die einander vollkommen entsprächen.27 So korrespondiere die sechste Epoche „Von der Errichtung des Königthums bis zum Untergange desselben“ im alttestamentlichen Israel (1099 bis 586 v. Chr.) mit der sechsten Epoche „Kaiser- und Papstthum“ (1064 bis 1577 n. Chr.) von ebenfalls 513 Jahren im Neuen Bund. Dem alttestamentlichen Bundesvolk Israel stünden nun die christlich-europäischen Nationen gegenüber. Braunschweig postuliert neben den zeitlichen eine Reihe inhaltlicher Parallelen: Der mittelalterliche Konf likt von Papst und Kaiser entspreche dem Konf likt zwischen Samuel und Saul, dem alttestamentlichen Tempelbau entspreche die gotische Baukunst, das Auf kommen der europäischen Universitäten entspreche der Bildung alttestamentlicher Prophetenschulen (523). Im neuen „christlich-europäischen“ Bundesvolk nehme Spanien den Platz des israelitischen Stammes Simeon ein, England den des ebenfalls an der Küste gelegenen Stammes Dan und das gewichtige Frankreich den des messianischen Schlüsselstammes Juda (445 f ). Alle diese Korrespondenzen sind für Braunschweig Hinweise auf das „Dasein eines und desselben Fadens, der sich durch die Geschichte der Menschheit zieht“ (450). Per Analogie27 Im frühen Luthertum hatte es bereits vom Ansatz her ähnliche Überlegungen gegeben. 1577 und 1583 versuchte der „kryptocalvinistische“ Hofprediger Leonhard Krentzheim in Geschichtswerken zahlensymbolische Symmetrien zwischen dem Alten und dem Neuen Bund nachzuweisen; vgl. Matthias Pohlig, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617, Tübingen 2007, 216–224.

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Weltgeschichten und Nationalgeschichten

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schluss kommt Braunschweig dann auch, wenn auch aufgrund der theologischen Delikatesse mit einigem Zögern, zu einer Bestimmung der zukünftigen Epochengrenzen 1965 und 2158. Auch das soeben verstrichene Jahr 1830 sieht er als Zäsur – zweifellos auch ein Ref lex gegen die von ihm bedauerten „Greuel“ der Julirevolution (747). Statt Revolution und Repräsentativverfassung plädiert er für eine „Wiedererweckung des wahrhaftigen Adelsgeistes“ als „nothwendiges Lebenselement der europäischchristlichen Staaten“, um unbestechliche, unabhängige Staatsbeamte zu erhalten, und fordert die Wiederherstellung des Malteserstaates als unparteiische, überkonfessionelle und internationale Vollstreckungsinstanz des „christlichen Völkerrechts“ (703 f ). So f leißig und originell Braunschweigs Entwurf der Weltgeschichte ist, so wirkungslos blieb er für das Geschichtsbild der Erweckungsbewegung. Man nennt ihn kommentarlos als Vorgänger oder übergeht ihn vollständig. Das liegt nicht allein an einigen unorthodoxen kirchenhistorischen und politischen Einschätzungen, von denen die eben genannte Forderung einer internationalen Adelsherrschaft ein treffendes Beispiel darstellt. Es liegt mehr noch an seiner parallelen Chronologie von Altem und Neuem Bund, die seinem Werk den Rahmen gibt und die der Süddeutsche SchulBote – hier Sprachrohr der ganzen Erweckungsbewegung – als von einer „gezwungenen Künstlichkeit“ empfindet, so dass das Werk „geistreich“, aber „nicht glücklich“ geraten sei.28 Von einer zweiten Auf lage ist nichts bekannt, und heute ist das Buch in fast keiner deutschen Bibliothek mehr vorhanden. Braunschweigs Grundgedanke einer providentiellen Parallelisierung der vor- und nachchristlichen Weltgeschichte wurde als Entwurf christlicher Geschichtsschreibung hinfort nicht weiter verfolgt. Von ganz anderer Bedeutung war dagegen das sechsbändige Lehrbuch der Universalgeschichte,29 das der Hallenser Geschichtsprofessor Heinrich Leo (1799–1878) 30 von 1835 bis 1844 herausbrachte und das Lord Acton noch ein halbes Jahrhundert später als „the most thoughtful of the books that bear that ambitious title“ bezeichnen sollte.31 Leo war erst kurz zuvor als Gelehrter durch die Bekanntschaft mit Ernst Ludwig von Gerlach und August Tholuck zum christlichen Glauben gekommen 32 und daher „dem 28

Ludwig Völter, „Allgemeine Weltgeschichte“, SSB 6 (1842), (30–38) 30. Heinrich Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte zum Gebrauche in höheren Unterrichtsanstalten, 6 Bd., Halle: Anton 1835–1844. 30 Zu Leo vgl. Christoph Freiherr von Maltzahn, Heinrich Leo (1799–1878). Ein politisches Gelehrtenleben zwischen romantischem Konservatismus und Realpolitik, Göttingen 1979. 31 John Emerich Edward Dalberg-Acton, „German Schools of History“ (1886), in: ders., Historical Essays & Studies, hg. von John Nevil Figgis/Reginald Vere Laurence, London 1907, (344–392) 359. 32 Vgl. Maltzahn, Heinrich Leo, 43. 29

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Vernehmen nach ein Bekehrter“, wie die (liberale) Allgemeine Kirchenzeitung 1837 bemerkte.33 Seine Universalgeschichte wurde insofern zu Recht von den Zeitgenossen als „ein thatsächlicher Widerruf “ seiner früheren bibelkritischen Schriften verstanden.34 Bezeichnend für Leos Kämpfernatur, der auch polemische Züge nicht fremd waren, ist die Auswahl von Jesaja 5,20 als Motto, das er sämtlichen Bänden voranstellt: „Wehe denen, die das Böse gut nennen und das Gute böse; die Finsternis zu Licht machen und Licht zu Finsternis; die Bitteres zu Süßem machen und Süßes zu Bitterem!“ Kompromisse mit dem Zeitgeist will Leo also nicht eingehen. Dies bedeutet freilich nicht, dass Leo seine Universalgeschichte ohne wissenschaftlichen Anspruch verfasst: Er behandelt zunächst die Prolegomena wie in einer wissenschaftlichen Weltgeschichte seiner Zeit und nennt dann durchgehend die einschlägige Sekundärliteratur über den jeweiligen Abschnitten. Auch steht die politische Geschichte nach wie vor im Vordergrund, wenn sie auch nicht die interpretatorische Grundlage abgibt: „Die Universalgeschichte hat […] zu ihrem Inhalt die Darstellung dessen, was auf die gesellschaftlichen, was auf die Staats-Verhältnisse bestimmend eingewirkt hat, was diese entwickelt hat.“ (I: 3) „Man erwarte […] in folgendem nicht etwa eine bloße Religionsgeschichte, aber man erwarte die Hinweisung auf die religiöse Beziehung der Zeit in allen Perioden.“ (I: 25)

Insofern ist Leos Werk kein vornehmlich theologisches Unterfangen. Es gründet erkenntnistheoretisch vielmehr auf dem expandierenden Geschichtswissen der eigenen Epoche, wenn es auch vor Vertretern des „seichtliberalen [Räsonnements] unserer Zeit“ unter den Geschichtsbüchern warnt (I: 34 f ). In zeittypischer Manier rechnet Leo nur die Völker zur Geschichte, die es „zu öffentlichen Verhältnissen gebracht“ hätten (I: 4). In der so bezeichneten Entwicklungsgeschichte von Staat und Kirche erkennt Leo einen göttlich gewiesenen „nothwendigen Gang“ (I: 6). Der theologische Standpunkt ermöglicht ihm somit den Glauben an die Einheit der Geschichte, ohne dass dies den Primat der Politik grundsätzlich in Frage stellen müsste. Auffällig an dem sechsbändigen Werk ist der deutliche Schwerpunkt auf der Neueren Geschichte. Während Einleitungsfragen und Antike (Bd. I, 1835, 600 S.) sowie Mittelalter (Bd. II, 1836, 477 S.) vergleichsweise schnell abgehandelt sind, werden die Bände für die Neuere Geschichte zugleich umfangreicher und zahlreicher: Es gibt zwei Bände für die „neuere Geschichte“ ab der Reformation und zwei für die „neueste Geschichte“ ab der Französischen Revolution. Zumindest in Bezug auf das Altertum entspricht diese Gewichtung auch den von Leo vertretenen Wertungen. 33 34

„Die Herren Diesterweg und Leo“, Allgemeine Kirchenzeitung 1837, (41–45) 41. „Vorwort“, EKZ 1836, (1–45) 29 f.

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Von einer neuhumanistischen Verklärung der Antike ist er trotz Anerkennung der griechisch-römischen Kulturleistungen weit entfernt: „So war also auch das Suchen des griechischen Geistes nach Gott in Wahrheit ein vergebliches“, schreibt er in einem Zwischenresümee und betrachtet folgerichtig auch die seiner Meinung nach exzessive Aneignung griechischer Denkart in der christlichen Spätantike mit Skepsis (I: 380). Auch der Ertrag Roms war nach Leo „bei aller äußeren Herrlichkeit in sich trostlos, und ließ das Gemüth ganz leer“ (I: 558), wenn er auch konzediert: „in seiner Leerheit war dennoch das römische Reich zu hohen, welthistorischen Ehren bestimmt.“ (I: 559) Der Band über das Mittelalter beschreibt, wie die „deutschen Stämme“ das Christentum gemeinsam mit den „Völkern römischer Mischung“, von denen sie es empfangen hätten, bewahrten und weitertrugen. Bei der Christianisierung unterscheidet Leo „die Richtung der äußeren Erweiterung und der äußeren Gestaltung“ und „die Richtung der inneren Durchbildung und Läuterung der Sitte und Lehre“. Während diese beiden Prozesse in der frühen Kirche kongruent verlaufen seien, hätte im Mittelalter der erste, in der Neuzeit der zweite vorgeherrscht (II: 475). Für Leo ist dieser Sachverhalt von welthistorischer Relevanz, denn: „Die Geschichte der christlichen Kirche ist seit Constantin dem Großen durchaus der Kern, die Seele und das eigentlich Lebendige der Universalgeschichte.“ (II: 476)

Für Leos Sicht der Neueren Geschichte ist die Grundthese seines vierten Bandes wichtig, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert hätten sich einem ethisch verwerf lichen Machiavellismus zugewandt, dem wirtschaftspolitisch das ebenso verwerf liche Merkantilsystem entsprochen hätte. Zwar scheint Leo der ganz freie Markt noch weniger lieb zu sein (IV: 8); aber bereits die merkantilistische Wirtschaftsform habe mit dem traditionellen Wirtschaftszyklus ein gewachsenes Gesellschaftssystem unterminiert: „Durch die Bestrebungen des Merkantilsystems wurden die Unterthanen moralisch gefangen, die Regierung mit Hülfe der Interessen bis dahin untergeordneter Bestandtheile der Bevölkerung moralisch frei und der ganze germanisch-christliche Staat, wie er bis dahin bestanden hatte, aus Angeln und Fugen gehoben.“ (IV: 7)

Leo kritisiert zugleich den fürstlichen „Weteifer der Eitelkeit in beiden Dingen, im Philosophen-sein und Philosophen-haben“ (IV: 367). Er hätte letztlich dazu geführt, der „Scheu und Achtung vor dem historisch-hergebrachten als solchem – also auch vor der fürstlichen Gewalt als solcher“ verlustig zu gehen (IV: 367 f ). Was diese jahrzehntelangen Entwicklungen und auch die (ausführlich behandelte) Französische Revolution im

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18. Jahrhundert zerstörten, wurde nach Leo auf dem Wiener Kongress nur unzureichend wiederhergestellt. Regungen wie die des „unbefridigten Rachegelüstes“ und der „Unempfindlichkeit gegen strenge Rechtsübung und Rechtsbildung“ hätten viele Staatsmänner gekennzeichnet: Die französische Revolution und ihre Nachwirkungen, jenes rücksichtslose Länderteilen, Ländertauschen, Unterdrücken des Schwächern, Misachten des kleinen Rechts – jene ganze Gesinnung, die mehr das momentan zweckmäßige als die Ehre Gottes und des Rechtes sucht, – jene in ihrer tiefsten Wurzel rein-revolutionäre Gesinnung der Staatsmänner, sie war im Ganzen noch die herschende gebliben.“ (VI: 230; 232)

Zugleich vertritt Leo die preußische Position, etwa, wenn er den preußischen Kongressansprüchen auf Sachsen Verständnis entgegenbringt (VI: 242), und verteidigt bei aller Kritik am Mechanismus des Absolutismus den preußischen Weg. Freunde aus der Erweckungsbewegung hat dies abgeschreckt.35 Leos Werk kann jedoch auch klassisch-erwecklich argumentieren und etwa dem von Leo hochgeschätzten Grafen Zinzendorf ein „welthistorisches Verdienst“ zusprechen (VI: 803). Es gelte jedenfalls, in Politik und Wissenschaft für den christlichen Staat einzutreten: „Eine Statslehre im Geiste des Christentums zu entwerfen, ist daher die Aufgabe der Wißenschaft, sie in diesem Geiste mit praktischem Genie zu verwirklichen, die Aufgabe der Statskunst in unseren Tagen.“ (VI: 785 Fn.) „[A]uch darin hatte das Mittelalter eine tiefere Anschauung daß es allen nicht christlichen Staten die ware Legitimität absprach […].“ (VI: 786)

Die letzten beiden Zitate unterstreichen nicht nur die eigentümliche, für die Zeit untypische Orthographie in Leos Werken, sondern auch seine für die Erweckungsbewegung übergroße Wertschätzung des Mittelalters aus staatstheoretischen Gründen, die eine liberal-protestantische Rezension zur vernichtenden Kritik herausforderte.36 Dem Werk war gleichwohl Erfolg beschieden: Von dem Lehrbuch wurden schon in den ersten Jahren über 1500 Exemplare verkauft, es erschien in insgesamt drei Auf lagen und wurde als Auszug in der Form des Leitfadens für den Unterricht in der Universalgeschichte 1838 als „ausschließliches Lehrbuch“ für die protestantischen Gymnasien in Bayern befohlen, wenn es sich auch anscheinend nicht wirklich durchsetzte und zudem für preußische Gymnasien abgelehnt wurde.37 Leos Universalgeschichte galt jedenfalls auch über die Erweckungsbewegung hinaus als wissenschaftlich ernstzunehmender Entwurf. 35

Vgl. Maltzahn, Heinrich Leo, 70. Vgl. ebd., 69 f. 37 Vgl. ebd., 69; Weymar, Selbstverständnis der Deutschen, 126; Körner, Staat und Geschichte in Bayern, München 1992, 500. 36

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Letzteres kann man von dem 164 Seiten schmalen Band Blicke in die Weltgeschichte und ihren Plan38 des 1818 in Basel erweckten, sozialdiakonisch engagierten Pfarrers Andreas Bräm (1797–1882) 39 nicht behaupten. Bräm, der zu einem der Väter der Erweckungsbewegung am linken Niederrhein werden sollte, schreibt weder wissenschaftlich noch handbuchartig, auch keine Weltgeschichte im strengen Sinne, sondern er versucht, in selbständigen Aufsätzen „seine“ Wissenschaft, die „Umrisse der Weltgeschichte“ sowie Überlegungen zur Urgeschichte einschließlich der Sintf lut und des Turmbaus zu Babel vorzustellen. Sein Stil ist dabei essayistisch und homiletisch-erbaulich, sein besonderes Anliegen die Wahrung der Autorität der Heiligen Schrift. Die Geschichte ist für Bräm vor allem „eine Offenbarung Gottes, eine Theologie im Leben und durch Leben […] Er ist’s, der die Völker und die Einzelnen segnet; Er führt und trägt, Er warnt und straft, Er rettet und führet Seinen Rath mit den Menschenkindern durch alle Hindernisse hindurch, Er offenbaret sich mannigfach der Erkenntniß der Völker und ihrem Leben.“ (20)

Diese Offenbarung vollziehe sich in den Bahnen der biblischen Heilsgeschichte oder doch nach deren ethisch-moralischen Prinzipien; die Geschichte sei daher „ein Kommentar zum Worte Gottes“ (21). Bräm unterteilt die Weltgeschichte in die vier Hauptepochen „Urgeschichte“, „Vorbereitungszeit“ („alte Geschichte“), „Entwicklungszeit“ („neue Geschichte“) und „Zeit des Sieges“ (die noch ausstehende Zeit eines irdischen Millenniums) (25 f ). Sein heilsgeschichtlicher Aufriss basiert auf den danielischen vier Weltreichen Babylon, Medo-Persien, Griechenland und Rom (77–83), die jeweils als „Weltmacht […] etwas der Sache Gottes Feindseliges“ und doch von ihm souverän Eingesetztes bezeichnen (72). Mittels translatio imperii schlägt Bräm den Bogen von den vier Weltreichen zur abendländischen Geschichte und bis ins erwartete Millennium, in dem laut Bräm das erneuerte Volk Israel eine entscheidende Rolle spielen werde: „Rom ist das letzte der Weltreiche, und wird dauern bis Israel wiederkehrt, bis die biblischen Sprachen unsere Gemeinsprachen werden (statt des bisherigen Latein), bis wir von Jugend auf gelehrt werden, biblisch anzuschauen und zu denken, bis Gottes Worte unsere Theologie sind, bis die Bibel unser Rechts-Codex und der Codex aller Lebensverhältnisse wird. Auf das letzte Weltreich kann nur das ewige Reich Jesu Christi folgen.“ (82 f ) 38 Andreas Bräm, Blicke in die Weltgeschichte und ihren Plan, Straßburg: Scheurer 1835. 39 Zu Bräm vgl. Rudolf Weth (Hg.), Andreas Bräm. Prediger, Seelsorger, Pädagoge und Gründer des Erziehungsvereins 1797–1882. Eine Auswahl aus seinen Schriften, eingeleitet, Neukirchen-Vluyn 1982; Friedrich Wilhelm Bautz, „Bräm, Andreas“, BBKL, Bd. I (1990), 725 f. Durch den 1845 von Bräm gegründeten Neukirchener Erziehungsverein wurden fast tausend Pf legekinder in Familien untergebracht.

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Bräms Bereitschaft, sich ohne Nennung Johann Albrecht Bengels vorsichtig hinter dessen umstrittene Berechnung des anbrechenden ersten Millenniums auf das Jahr 1836 zu stellen und zur Untermauerung der These auf Zahlenverhältnisse von Jahreszahlen zu verweisen (58), ist aus dem Lager der Erweckungsbewegung kritisiert worden.40 Die Blicke in die Weltgeschichte wurden andererseits selbst über die hier beschriebene deutschsprachige Diskursgemeinschaft hinaus im erweckten Ausland wahrgenommen.41 Bräm verfolgte in seinem späteren Leben viele der Gedanken des Büchleins weiter. „Nur der spekulative, ‚planerische‘ Charakter, den schon der Titel des Büchleins andeutet“, trat allmählich zurück.42 Nach eigener Aussage (III) von Bräm inspiriert, den er seit Studienzeiten von der pietistischen Erbauungsstunde (Pia) im Tübinger Evangelischen Stift her kannte,43 war die 1837 erschienene Allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen bearbeitet für nachdenksame Leser44 von Christian Gottlob Barth (1799–1862).45 Barth, zugleich württembergischer Pfarrer und Erweckungsprediger, Liederdichter, Kinderschriftsteller, Missions förderer, Verlagsgründer, Erweckungspublizist und Führungsgestalt der deutschen Erweckungsbewegung mit einem weltweiten Kontaktnetz, hatte in dem 1833 von ihm begründeten Calwer Verlagsverein (heute: Calwer Verlag) die Herausgabe eines groß angelegten Schulbuchprogramms begonnen. Ziel dieses Programms war es, „eine ganze Masse von wohlfeilen, echt christlichen Schulbüchern durch Deutschland zu verbreiten, um so die schlechten nach und nach zu verdrängen“,

40 Wilhelm Bötticher, Prophetische Stimmen aus Rom, oder das Christliche im Tacitus und der typisch prophetische Charakter seiner Werke in Beziehung auf Rom’s Verhältniß zu Deutschland. Ein Beitrag zur Philosophie der Geschichte und zur tieferen Würdigung des römischen Geschichtschreibers, Bd. I, Hamburg/Gotha: Perthes 1840, XXXVIII Fn. Bräms Überlegung, ob das „Verhältniß der Perioden-Dauer“ der antiken Epochen dem Zahlenverhältnis von Mittelalter und Neuzeit entsprechen könnte (1500 : 500 = 1000 : 333⅓) (58), kommt Braunschweigs Parallelisierung von Altem und Neuem Bund von allen noch am nächsten. 41 Vgl. „Bräm, Blicke in die Weltgeschichte“, Archives 3 IIe série (1835), 56, wo der Rezensent die Positionen des Buches zwar nicht in jeder Hinsicht teilt, Bräm jedoch als „un écrivain aussi pieux que savant“ bezeichnet. 42 Weth, Andreas Bräm, 48. 43 Vgl. Raupp, Barth, 94 f. 44 Christian Gottlob Barth (anon.), Die allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen bearbeitet für nachdenksame Leser, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 1837. 45 Zu Barth vgl. Werner Raupp, Christian Gottlob Barth. Studien zu Leben und Werk, Stuttgart 1998; ders., „Barth, Christian Gottlob“, BBKL, Bd. XVIII (2001), 125–152 sowie die klassische Biographie des Barth-Freundes Karl Werner, Christian Gottlob Barth, Doktor der Theologie, nach seinem Leben und Wirken gezeichnet, 3 Bd., Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 1865–1869.

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wie er an einen befreundeten Pfarrer schrieb.46 Historische Schriften waren ein integraler Bestandteil des Programms, das Titel wie die Zweymal zwey und fünfzig biblischen Geschichten für Schulen und Familien (1832), seine Christliche Kirchengeschichte (1835), die Biblische Geographie (1836), das Calwer Gebetbüchlein für christliche Schulen (1836), das ABC-Buch (1838), das Calwer Rechenbuch (1840), die Geschichte von Württemberg (1842), das Handbüchlein der Weltgeschichte (1843), das Handbüchlein der Missionsgeschichte und Missionsgeographie (1844) und die Biblische Naturgeschichte (1847) umfasste. Schon innerhalb der ersten zehn Jahre des Verlagsvereins wurden 700.000 Traktate und 432.500 Schulbücher abgesetzt, bis zu Barths Tod 1862 dann über anderthalb Millionen Traktate und fast ebenso viele Bücher.47 Barths Allgemeine Weltgeschichte, die ihm nach eigenem Bedauern zu theoretisch und interpretierend für das ursprünglich geplante Volksschulbuch geriet, eignet sich aus eben diesem Grund besonders gut für eine eingehende Geschichtsbildanalyse; das Werk wird daher im Teil II en détail vorgestellt. Zu dem Calwer Verlagsprogramm gehörte auch die ebenfalls von Barth verfasste, 278 Seiten starke Geschichte von Württemberg, neu erzählt für den Bürger und Landmann aus dem Jahr 1842.48 Das Buch erreichte bis 1898 sechs Auf lagen und immerhin 1986 eine Neuauf lage, zu deren Anlass Martin Brecht das Werk als „Exempel der Geschichtsschau der Erweckungsbewegung“ empfahl.49 Barth beabsichtigte eine populäre, zuverlässige und preislich erschwingliche Behandlung der württembergischen Geschichte (III). Das Buch gliedert sich in die älteste Zeit, die Grafenzeit, die Herzogszeit und die Königszeit, wobei sich die Kapiteleinteilung nach den wechselnden Herrschern richtet. Barths Ziel ist es, „die vaterländische Geschichte im Licht des Wortes Gottes und der evangelischen Wahrheit zu betrachten“; dabei stützt er sich auf eine Reihe aktueller Überblicksdarstellungen und Monographien (III f ). Hartmut Lehmann hat in einem Aufsatz den geistesgeschichtlichen Hintergrund und Aufriss von Barths Geschichte von Württemberg analysiert und diese als „kühne Projektion“ einer jungen Theologengeneration zwischen dem eschatologischen Stichjahr 1836 und der pietistischen Nationalisierung nach 1848 interpretiert.50 Er zeigt, wie Barth (38 f ) die württembergischen 46

Zitiert bei Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 190. Vgl. Raupp, Christian Gottlob Barth, 147. 48 Christian Gottlob Barth (anon.), Geschichte von Württemberg, neu erzählt für den Bürger und Landmann, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 1842. 49 Martin Brecht, „Christian Gottlob Barth: Geschichte von Württemberg, neu erzählt für den Bürger und Landmann. Hgg. und mit einem Nachwort versehen von Hansmartin Decker-Hauff “, PuN 14 (1988), 249 f. 50 Hartmut Lehmann, „‚Es gibt zwei gelobte Länder in der Welt, das eine ist das Land Canaan oder Palästina, das andere ist Württemberg‘. Christian Gottlob Barths württembergische Geschichte aus dem Jahre 1843“, PuN 24 (1998), 271–285. 47

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Fürsten ähnlich den alttestamentlichen Königen als „Stellvertreter und Statthalter“ Gottes darstellt, die den Charakter der jeweiligen Zeit geformt und zugleich widergespiegelt hätten: „Was Wirtemberg ist“, schreibt Barth, „das ist es durch seine Fürsten geworden.“ (39) Mit diesem Blick widmet sich Barth ihnen auch gleichermaßen in Lob und in Kritik. So meint Barth nach der positiven Besprechung des Herzogs Christoph (1550–1568), für dessen Nachfolger Ludwig (1568–1593) sei er in Verlegenheit, „gleich den heiligen Schriftstellern in den Büchern der Könige und der Chronika über jeden der Fürsten ein zusammenfassendes Urtheil [zu] geben und nach Abwägung seiner guten und schlimmen Eigenschaften und Handlungen das Facit in kurzen Worten aus[zu]sprechen“, da über Ludwig „so Widersprechendes“ überliefert sei (179).51 Dessen Nachfolger, Friedrich I. (1593–1608), sei dagegen wieder einfacher zu bewerten, nämlich negativ: „Großmannssucht“ habe ihn ausgezeichnet, so dass er mit seinen blendenden Anlagen umging „wie ein thörichter Mann, der auf den Gipfel eines Baumes klettern wollte, und den Ast abhieb, auf dem er stand“ (187). Barth merkt man bei der Beschreibung seines Landes den auf Württemberg bezogenen Nationalstolz an, der ein deutsches Nationalgefühl gleichwohl nicht ausschließt und der in der Literatur jüngst die Bezeichnung „föderativer Nationalismus“ erhalten hat.52 Das belegt nicht nur die vorteilhafte Beschreibung des eigenen Landes und Wilhelms I. als Landesvaters (274), sondern insbesondere der Vergleich Württembergs mit Palästina, weil die beiden nicht nur ähnlich klein, sondern auch ähnlich fruchtbar in der Geschichte des Reiches Gottes gewesen seien (3 f ). In der Bemerkung, in Württemberg f lössen allerdings nicht, wie im gelobten Land Israel, Milch und Honig, denn hier würde man sie auf heben (2), macht sich Barths Humor bemerkbar – kein besonders typischer Zug des erwecklichen Schrifttums –, der auch von einem Zeitgenossen als „Reichthum an echt schwäbischem Mutterwitz“ lobend hervorgehoben wird.53 Die von Lehmann vertretene These, Barth übertrage in theologischer Hinsicht die Lehre vom Bund Gottes mit dem Volk Israel auf Württemberg,54 erscheint 51

Vgl. auch Lehmann, Zwei gelobte Länder, 275 ff. Vgl. Dieter Langewiesche, „Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation. Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte“, in: ders./Georg Schmidt, Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, 215–242; ders., „Zentralstaat – Föderativstaat. National staatsmodelle in Europa im 19. und 20. Jahrhundert“, in: ders., Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008, 180–193. 53 „Literarischer Bericht: Geschichte von Württemberg“, SSB 7 (1843), 78 f. 54 Lehmann, Zwei gelobte Länder, 278: „Auch wenn er dies nicht auf jeder Seite seines Buches ausdrücklich sagte, waren die Württemberger für ihn das Volk eines neuen Bundes. Damit unterlagen sie allen Regeln, nach denen Gott sein erstes auserwähltes Volk regiert hatte. […] Für den Barth von 1843 war die württembergische Geschichte […] unzwei deutig ein Teil der Heilsgeschichte.“ 52

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trotz des Vergleichs der beiden „gelobten Länder“ als zu weit gegriffen. Barths heilsgeschichtliche Sicht konterkariert nicht das biblische Bild des supranationalen neutestamentlichen Bundesvolkes, sondern ergänzt es durch die Vorstellung eines besonders intensiven Geschichtshandelns Gottes mit den am stärksten christlichen Völkern.55 Von einem ausgeprägten württembergischen Selbstbewusstsein zeugt sie gleichwohl. Ein ähnlich partikularpatriotischer Grundzug findet sich in der 1839 erstmals erschienenen und von Barth als Vorarbeit verwendeten Landeskunde Württemberg. Das Land und seine Geschichte56 des Pfarrers und Pädagogen Johann Ludwig Völter (1809–1888).57 Völter, eine führende Figur der württembergischen Rettungshaus-Bewegung der Inneren Mission und seit 1842 Herausgeber des Süddeutschen Schul-Boten, wollte mit seinem Buch die „Kenntniß in der vaterländischen Geschichte und Geographie“ in den Volksschulen fördern (IV) und „die merkwürdigen und wunderbaren Führungen Gottes mit unserem Vaterland und namentlich seine auffallende speziellste Fürsorge für die Erhaltung unseres geliebten Regentenhauses“

bekannt machen (V). Die Zusammenführung von Geschichte und Geographie in der Konzeption des Buches (mit der Geschichte als Leitfaden) war der notwendigen „Zeitersparniß“ bei zusammengenommen nur zwei bis drei wöchentlichen Unterrichtsstunden geschuldet (III; V). Auch Völter blickt mit besonderem Interesse auf die Fürsten. Wie das angeführte Zitat von dem „geliebten Regentenhaus“ vermuten lässt, kann 55 Barths provokanter von Lehmann im Titel zitierter Einstiegssatz, „Der geneigte Leser muß vor allen Dingen wissen, daß es zwei gelobte Länder in der Welt gibt, das eine ist das Land Canaan oder Palästina, das andere ist Württemberg“, muss mit dem augenzwinkernden Schuss Humor gelesen werden, den Barth ihm ohne Zweifel beigibt, denn er fährt fort: „Das glauben wenigstens viele ehrliche Württemberger, besonders solche, die von andern Ländern außer dem Namen nicht viel mehr wissen als irgendeinen abschreckenden Umstand […].“ (1) Wenn Barth im Anschluss daran den Vergleich ausführlich verteidigt („wer kann’s dem württembergischen Patrioten verdenken, wenn er meint, es sey mit dem württembergischen Volke doch auch etwas Aehnliches“ [3]), dann als Folge der aus Erweckungsperspektive herausragenden Bedeutung des kleinen Württemberg für die Missionsgeschichte (vgl. unter III.2.1) und aufgrund eines gewichtigen Partikularpatriotismus, aber nicht wegen der Annahme einer auf Württemberg zentrierten Heilsgeschichte oder eines besonderen Gottesbundes mit dem jungen Königreich (vgl. auch Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 36; dazu unter II.6). Dass Barth Prinzipien der alttestamentlichen Geschichtsschreibung über die israelitische Königszeit auf die spätere Geschichte zu übertragen sucht, beschränkt sich vielmehr, wie die Analyse der Allgemeinen Weltgeschichte zeigen wird, nicht auf Württemberg. Noch eher ließe sich die privilegierte Stellung Württembergs aus Barths Perspektive mit dessen christlich-zivilisatorischer Auffassung vom „Geschichtskreis“ erklären, zu dem nicht alle Völker gehören. 56 Ludwig Völter, Württemberg. Das Land und seine Geschichte. Ein Lese- und Lehrbuch für Volk und Jugend, Stuttgart: Metzler 21847 (1839). 57 Zu Völter vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 369; Ising, Blumhardt, 412.

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er sie loben – wie Eberhard im Barte, dem er für seine Umsicht und Beharrlichkeit wie für seine Bildungs-, Kirchen- und Rechtspolitik den Titel „zweiter Gründer Württembergs“ gibt (136). Er kann sie aber auch hart kritisieren – so Eberhards Nachfolger Herzog Eberhard II., dem er ein loses und verschwenderisches Leben vorwirft und dessen kurzentschlossene Absetzung durch den Landtag er gut heißt (137). Auch historische Helden wie der Herzog Christoph, dessen „weise, wahrhaft landesväterliche Hand“ (182) das „Werk der Widergeburt seines Landes“ (184) bewältigt habe, werden nicht gänzlich vom Tadel verschont – er sei, schreibt Völter, „nicht ganz frei von einer gewissen Neigung zum Aufwand“ gewesen. Dennoch: „Durch viele Leiden und Prüfungen, durch das schwere Loos einer harten Jugend hat die göttliche Vorsehung in ihm einen ebenso milden, als hohen männlichen Charakter ausgezeitiget, dessen innerster Kern ungeheuchelte Gottesfurcht und Frömmigkeit war, Eigenschaften, durch welche er der größte Wohlthäter unseres Vaterlandes geworden ist.“ (185)

Als Muster eines gegenwärtigen Königs erscheint der aktuelle Landesherr Wilhelm I.: Er verbinde „würdevolle Einfachheit“ mit Nähe zu seinen Untertanen und dem Willen, „sein Volk in den Genuß seiner alten Rechte und Freiheiten zu setzen und ihm eine der gegenwärtigen Zeit angemessene Verfassung zu geben“ (249). Völters patriotische, aber auch selbstkritische Einschätzung der Weltstellung Württembergs wird auch in seinem bereits 1836 erschienenen Geographiebuch Geographische Beschreibung von Württemberg, hinsichtlich der Gestalt seiner Oberfläche, seiner Erzeugnisse und Bewohner 58 deutlich. Dort zeigt er sich einerseits mit „Volkscharakter“ und laxem Lebensstil der Württemberger äußerst unzufrieden (96), rühmt dann aber ihre „Gemüthlichkeit“ und ihre „Anhänglichkeit“ an den Regenten (101). Diese ungetrübte Herrscher-Volk-Beziehung wird durch die berühmte Anekdote illustriert, Herzog Eberhard habe sich seinen Fürstenkollegen gegenüber gerühmt, „er getraue sich bei stockfinsterer Nacht im dichtesten Walde ruhig und sicher im Schooß eines jeden seiner Unterthanen zu schlafen“ (102).

Völters württembergischer Nationalstolz bezieht sich schließlich auf die erreichten allgemeinen Bildungsstandards und wissenschaftlichen Spitzenleistungen der Schwaben (104), vor allem aber auf ihr „ungemein reiches religiöses Leben“, in dem sie „vor allen Völkern der Erde auszeichnet“ seien (106). 58 Ludwig Völter, Geographische Beschreibung von Württemberg, hinsichtlich der Gestalt seiner Oberf läche, seiner Erzeugnisse und Bewohner. Als Grundlage des ersten geographischen Unterrichts, so wie zur Selbstbelehrung, Stuttgart: Metzler 1836.

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1837 erschien bei Raw die deutsche Übersetzung der bereits zwei Jahrzehnte zuvor auf Dänisch veröffentlichten Uebersicht der Welt-Chronik vornämlich des Lutherischen Zeitraums.59 Das knapp 500 Seiten starke Werk stammte aus der Feder von Nicolai Frederik Severin Grundtvig (1783–1872),60 dem bedeutenden Prediger, Gelehrten und späteren Begründer der „grundtvigianischen“ Reformbewegung in der dänischen Kirche.61 Die dänische Ausgabe war 1817 als letzte von drei verschiedenen Welt-Chroniken Grundtvigs (1812, 1814, 1817) erschienen.62 In Dänemark waren die Welt-Chroniken in Fachkreisen abgelehnt worden und hatten ihren Autor zum wissenschaftlichen Außenseiter gemacht, so dass seine Bewerbungen um Geschichtsprofessuren scheiterten. Dort hatte sich das Werk auch schlecht verkauft; dennoch blieb es langfristig nicht einf lusslos.63 Der lutherische Theologe und Grundtvig-Vertraute Andreas Gottlob Rudelbach (1792–1862) hatte es nun für die deutsche Ausgabe leicht bearbeitet und ein Vorwort dazu geschrieben, in dem er Grundtvigs Geschichtsbetrachtung attestiert, „weder auf teutscher, noch französischer, noch irgend welcher individuell volksthümlichen, sondern auf biblischer Bildung“ zu beruhen (III f ). Rudelbach informiert zugleich über einzelne Auslassungen im Vergleich mit dem dänischen Originaltext, wo „das Nordische Colorit zu mächtig“ gewesen sei (V). Grundtvig selbst schreibt in seinem Vorwort, er wolle sich mit dem Buch der vergessenen „Betrachtung der Geschichte aus dem Gesichtspunkte der Bibel“ widmen (IX) und insbesondere aus dem „Lutherischen Zeitraum“ beweisen, dass der christliche Glaube keine bloße Fiktion sei 59 Nicolai Frederik Severin Grundtvig, Uebersicht der Welt-Chronik vornämlich des Lutherischen Zeitraums. Aus dem Dänischen, nach der Ausgabe von 1817, übertragen von Dr. Volkmann, durchgesehen und mit einigen Anmerkungen begleitet von Dr. A. G. Rudelbach, Nürnberg: Raw 1837. 60 Zu Grundtvig vgl. Friedrich Wilhelm Bautz, „Grundtvig, Nikolai Frederik Severin“, BBKL, Bd. II (1990), 373–375; Christian Thodberg/Anders Pontoppidan Thyssen, „Kurze Biographie“, in: dies. (Hg.), N. F. S. Grundtvig. Tradition und Erneuerung. Grundtvigs Visionen von Mensch, Volk, Erziehung und Kirche, und ihre Bedeutung für die Gegenwart, Kopenhagen 1983, 9–17. 61 Zu Grundtvigs Geschichtsschreibung vgl. Sigurd Aa. Aarnes, „Grundtvig als Historiker“, in: Thodberg/Pontoppidan Thyssen (Hg.), N. F. S. Grundtvig, Kopenhagen 1983, 57–77; Inga Meincke, Vox viva. Die „wahre Auf klärung“ des Dänen Nikolaj Frederik Severin Grundtvig, Heidelberg 2000, bes. 90–96; 189–253. Aarnes sieht die Originalität von Grundtvigs Geschichtsdenken in der „eigentümlichen Mischung“ einer bis auf Augustin zurückgehenden christlichen Historikertradition mit Impulsen aus der zeitgenössischen deutschen Romantik (57). Romantische Einf lüsse beobachtet er in Grundtvigs Betonung von Wissenschaft und Kunst, Dichtung und Nationalitäten (67 f ). Meincke betont den Nationalismus Grundtvigs, nach dem „Geschichte […] vor allem dänische Geschichte“ sei und sich der „nordische Heldengeist […] im christlichen“ erfülle (253; 220). 62 Vgl. Aarnes, Grundtvig als Historiker, 59 f. 63 Vgl. ebd., 57; 63; 77.

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(XI). Für das Werk sind Deutschland seit der Reformation „unstreitig in literarischer Hinsicht das wichtigste Land“ und die Deutschen „wegen ihrer natürlichen Ueberlegenheit im Denken“ Schwerpunktthema (XII). Von dem von Rudelbach beanstandeten „Danismus“ ist also, auch wenn die Dänen als nordisches „Hauptvolk“ bezeichnet (56) und wiederholt behandelt werden, nicht mehr viel zu erkennen. Hier liegt ein Unterschied zu Grundtvigs zahlreichen auf Dänisch erschienenen Geschichtsschriften, die das Dänentum („Danskhed“) teilweise deutlich idealisieren.64 Was den inhaltlichen Geschichtszugriff betrifft, so möchte Grundtvig auf „Mathematik, Astronomie und Physik, und vollends gar […] Cameralistik und Oekonomie“ verzichten, denen er eher wenig Bedeutung beimisst. „Wer freilich ein den Maschinen analoges Leben als das Höchste ansieht, wer das Schießpulver noch über die Buchdruckerpresse setzt, oder die Cubik-Wurzel über die Menschen-Wurzel, die arithmetischen über die religiösen Verhältnise, die Electricität über die Poesie, Magnetismus über die Moral, oder die Chemie über die Bibel: der wird mit mir höchst uneinig über das Wichtigste in der Welt sein; aber ein solcher wird auch eben so wenig eins mit der Geschichte sein; und diese wird doch ohne Zweifel am Ende den Sieg behalten.“ (XII)

Da die politische Geschichte für Grundtvig zwar mehr Beachtung verdient, aber ebenfalls aus religiöser Perspektive betrachtet werden soll (XIII), gleicht sein Werk stark einer Kirchengeschichte. Grundtvig hatte es „Dem segensreichen Andenken Martin Luthers geweihet im dritten Jubeljahre 1817“, und die Wertschätzung Luthers macht sich in dem Buch auch bemerkbar. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Einteilung der Weltgeschichte in fünf „Zeiträume“ mit den Wendepunkten „Sprachenverwirrung“, „Christi Geburt“, „Gregor VII.“ und „Luther“. Allerdings zeichnet Grundtvig, nach einer illusionslos-nüchternen Schilderung der Antike, trotz entschieden protestantischer Ansichten das Bild Gregors VII. als katholischem „Reformator“ ambivalent (65) und beschreibt auch Luther („seine Hitze brachte zuweilen einen Flecken auf seinen heiligen Eifer“, 110) und vor allem Melanchthon als nicht fehlerlos (100). Dennoch ist Luther Maßstab der christlichen Botschaft: „Nur da ist Christi Geist, wo Luthers Geist wahrhaft fortlebt.“ (456) Die Schweizer Reformatoren Zwingli, Oekolampad und Calvin werden dagegen unüblich scharf kritisiert. Grundtvig bringt sie mit der späteren Auf klärung in Verbindung, wenn er schreibt, dass, abgesehen von den bekannten Faux pas wie der Schlachtteilnahme Zwinglis und der Hinrichtung des Ketzers Servet, 64 Nach Auffassung von Meincke, Vox viva, 37; 40 lag der Kern von Grundtvigs Vorstellungswelt in der „erwählten Danität“, die er einer „deutschen Vernunft“ und einem „unheilvollen, Tod und Verderben repräsentierenden“ (!) deutschen Volksgeist entgegenstellte.

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„diese ganze Parthei sich durch einen unruhigen Eigenwillen, den sie bürgerliche und kirchliche Freiheit nannten, auszeichnete, und die Wahrheit ausbrütete, welche im 18ten Jahrhunderte das Christenthum zu Grunde zu richten drohte“ (109).

Es wird nicht nur an dem veralteten Forschungsstand, sondern auch an dieser lutherisch verengten Sichtweise gelegen haben, dass die deutsche Erweckungsbewegung Grundtvigs Welt-Chronik wenig rezipierte. Grundtvig habe ein interessantes Buch verfasst, aber er richte andere Zeiten zu streng, schrieb das lutherische (!) Homiletisch-liturgische Correspondenzblatt: „Um Luther zu erheben, wird alles andere erniedrigt, was man sonst hoch gehalten“ – der Pietismus etwa.65 Der Christen-Bote sprach von einer „Einseitigkeit und Schroff heit“.66 Eine zweite deutsche Auf lage wurde daher nicht erforderlich. 1839 erschien ein weiteres universalgeschichtliches Schulbuch von einem führenden Theologen aus dem Umkreis der Erweckungsbewegung, das zweibändige, zusammen über 500 Seiten umfassende Lehrbuch der Weltgeschichte für Gymnasien 67 von Johann Christian Konrad von Hofmann (1810– 1877).68 Hofmann war ein „der Erlanger ‚Erfahrungstheologie‘ verpf lichteter Geschichtstheologe“ mit einer großen Nachwirkung69 und ist von der Forschung sogar als „zweifellos der größte lutherische Theologe des 19. Jahrhunderts“, auf Augenhöhe mit Schleiermacher, Baur und Ritschl, bezeichnet worden.70 Bereits 1838, ein Jahr nach Erscheinen einer von ihm verfassten Darstellung des Cevennenaufstandes der französischen Hugenotten,71 hatte der 27 Jahre junge Privatdozent auf der ersten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Nürnberg die theoretischen Grundlinien eines gymnasialen Geschichtsbuches erörtert. Das Buch sollte „dem gegenwärtigen Stande historischer Wissenschaft angemessen, geschickt für den Unterricht, und wenigstens nicht unter dem Einf lusse von Ansichten abgefasst [sein], die den Grundwahrheiten christlicher Religion und evangelischer Kirche zuwiderliefen“.72 65

Homiletisch-liturgisches Correspondenzblatt 14 (1838), 187. „Bücherbericht“, ChB 16 (1846), 159. 67 Johann Christian Konrad Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte für Gymnasien, 2 Bd., Nördlingen: Beck 1839. 68 Zu Hofmann vgl. Friedrich Mildenberger, „Hofmann, Johann Christian Konrad v. (1810–1877)“, TRE, Bd. XV (1986), 477–479. 69 Notger Slenczka, „Hofmann, Johann Christian Konrad v.“, RGG 4, Bd. 3 (2000), 1829 f. 70 Swarat, Die heilsgeschichtliche Konzeption Johannes Chr. K. von Hofmanns, 211. 71 Johann Christian Konrad Hofmann, Geschichte des Aufruhrs in den Sevennen unter Ludwig XIV. Nach den Quellen erzählt, Nördlingen: Beck 1839. 72 Johann Christian Konrad Hofmann, „Ueber die bei Verabfassung eines historischen Lehrbuchs für die protestantischen Gymnasien Bayerns zu befolgenden Grundsätze“, in: Verhandlungen der ersten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Nürnberg 1838, Nürnberg: Riegel & Wießner 1838, (44–49) 45. 66

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Hofmann schlug vor, politische Geschichte, Bildungsgeschichte und Religionsgeschichte gleichermaßen zu berücksichtigen und die Geschichte nicht nach Perioden, sondern nur in die beiden Hälften „vorchristliche und nachchristliche Geschichte“ zu unterteilen – eine Forderung, die der singulären Bedeutung Jesu Rechnung tragen sollte und der Hofmann dann selbst, als er im Folgejahr sein eigenes Geschichtslehrbuch veröffentlichte, durch die Aufteilung in zwei Bände ohne weitere Periodisierung nachgekommen ist. Wichtig war ihm ferner, dass man es in der Geschichte „mit Gottes Gedanken und Thaten“ zu tun habe; aus diesem Grund sei eine auf den ersten Blick vielleicht unnötige „Betrachtungsweise nach Confessionen“, d. h. die Einführung konfessioneller Geschichtsbücher, zu empfehlen.73 An Hofmanns Werk fällt die starke Gewichtung der Antike auf,74 bei der neben griechisch-römischer Politik- und Kulturgeschichte die biblische Historie zur Geltung kommt. Gott wird als Handelnder zwar wenig erwähnt, das Übernatürliche der biblischen Berichte wird aber ohne Abstriche wiedergegeben. Die weltgeschichtlichen Völker teilen sich nach Hofmann in „morgenländische und abendländische“ (I: 54). Hofmanns Erzählfaden ist schlicht ohne Hervorhebungen und mit wenig Exkursen und kommentierenden Ref lexionen. Werturteilsfrei will das Buch gleichwohl nicht sein, wie schon eine Kapitelüberschrift wie „Ludwig’s XIV. Uebermuth“ (II: 231–234) belegt. Im Gegensatz zu anderen Weltgeschichten beendet Hofmann seine Erzählung vor der Französischen Revolution, weil es „nicht möglich“ sei, „was seit 1789 geschehen, in derselben Weise, wie das Frühere, zu behandeln: es hat sich noch nicht abgeschlossen“ (II: I). Hofmann behielt diese Reserve in Bezug auf die jüngste Vergangenheit, die auch dem offiziellen Regierungswunsch für die Themenauswahl im Geschichtsunterricht entsprach, in der fünf Jahre später erschienenen zweiten Auf lage bei. Er behandelt dort aber zumindest den Zeitraum von 1789 bis 1815 in einem Anhang.75 Von der schulpädagogischen Erweckungspresse wurde der „echt christliche Glaube, welcher sich im ganzen Buche ausspricht“, hervorgehoben und das Werk nach Form und Inhalt empfohlen: „Eine schönere Erzählung von der Schöpfung des Menschen u.s.w., von der Entstehung des Heidenthums, eine gediegenere Darstellung von Jesu Christo, als dem 73

Ebd., 45; 46 f; 48. Weymar, Selbstverständnis der Deutschen, 150 attestiert den Erlanger Schulbuchautoren, insbesondere Hofmann, aufgrund ihrer „Liebe zum Altertum“ einen „ästhetischhumanen Zug“. 75 Vgl. L. Schiller, „Bemerkungen über den Geschichtsunterricht mit besonderer Beziehung auf die bayrischen Schulverordnungen“, Zeitschrift für das Gymnasialwesen 3:1 (1849) (503–528) 519. 74

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Sohne Davids, als Propheten, Hohepriester und König, eine großartigere Schilderung der römischen Kirche, des englischen Volkes u.s.w. habe ich noch nie in einem derartigen Lehrbuche der Geschichte gelesen“,

schrieb der Professor am Esslinger Lehrerseminar Daniel Völter.76 Seit seinem Erscheinen wurde das Werk nach Aussage eines betroffenen Erlanger Geschichtslehrers „an allen protestantischen Gymnasien [Bayerns] gebraucht“ und hielt sich dort knapp zehn Jahre lang, stieß jedoch auch wegen seiner knappen und für Schüler eher unübersichtlichen Darstellungsweise auf Kritik.77 Im doppelten Sinne populärer als Hofmanns Weltgeschichte (d. h. verbreiteter und für ein weniger gebildetes Publikum verfasst) waren die Geschichten aus der Geschichte, das ist: Denkwürdigkeiten aus der Weltgeschichte78 des rheinischen Lehrers Ernst Kappe.79 Das von der Rheinischen Buchhandlung herausgegebene, etwa hundert Seiten schmale Büchlein bietet in kleinen Erzähleinheiten – zumeist Kapiteln von einer Buchseite – ohne großen Erzählfaden, aber mit der klassischen universalhistorischen Themenfolge allgemeinverständliche Geschichtserzählungen und Anekdoten mit viel wörtlicher Rede und dem Versuch eines Bogenschlags zu biblischen Bezügen oder Lehren. Bei der Erläuterung seines Themas verwendet Kappe einen in dem Werk dann vielfach wiederholten Schreibstil, der darauf verweist, dass Kinder sein eigentliches Zielpublikum sind: „Ich aber will euch erzählen, was nicht in Gottes Wort geschrieben steht, sondern was man in andern glaubwürdigen, wenn auch bloß menschlichen Büchern, erzählt findet, – und was euch Ein und das Andere erklären mag, das in Gottes Wort nur eben angedeutet ist.“ (7)

Zu solchen Geschichtsthemen gehören das Leben des Sokrates ebenso wie die römische Ursprungserzählung von Romulus und Remus oder die Persönlichkeit Karls des Großen, die Kreuzzüge ebenso wie Ludwig der Heilige, die Luthersche Reformation (besonders ausführlich), der Prager Fenstersturz, Friedrich der Große, die Französische Revolution und die Befreiungskriege. Einige Kapitel wie „Gott straft die Römer durch böse Kaiser“ (41) tragen schon im Titel Kappes Anliegen, anhand des historischen Materials ethisch-theologische Grundeinsichten zu vermitteln. „Die Unglücklichen!“, heißt es über die Kreuzritter, „sie meinten Gott zu die76

Daniel Völter, „Literarischer Bericht: Weltgeschichte“, SSB 9 (1845), (126–136) 134. Schiller, Bemerkungen über den Geschichtsunterricht, 1849, 519; 525–527. 78 Ernst Kappe, Geschichten aus der Geschichte, das ist: Denkwürdigkeiten aus der Weltgeschichte. Ein Lesebuch für’s Volk und seine Jugend, Moers: Rheinische Schulbuchhandlung 31840 (1837/38?). 79 Kappe wird kurz erwähnt von Wilhelm Rogge, Die Gemeinde Wupperfeld. Ein Bild aus der Geschichte der evangelischen Kirche des Rheinlands, Barmen: Wiemann 1877, 103. 77

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nen; aber sie kannten seinen Willen und seine Liebe nicht und bef leckten ihre Hände mit Blutschulden“ (57). Auch die durch den Mord an Jan Hus erzürnten Hussiten hätten zu Unrecht zu den Waffen gegriffen; letztlich aber seien aus der umkämpften Bewegung die böhmischen Brüder entstanden: „So weiß Gott es doch gut zu machen, wenn auch die Menschen es nicht gut machen.“ (62) Die „Hauptsumme aller Geschichte“ sieht Kappe in der Geschichtsmächtigkeit von Sünde und Gerechtigkeit im Leben der Völker (106). Kappes schmaler Band wurde zu einem Verkaufserfolg und erreichte zahlreiche Auf lagen. Ludwig Völter empfand es als „ein gar liebliches Büchlein, das Kindern nicht unwillkommen sein wird, die gerne Erzählungen hören und dabei fragen: ‚Ist’s auch wahr?‘“ Ob seine Empfehlung, das Buch daher für „Diktirübungen“ in der Volksschule zu verwenden, 80 Kappes Intention entsprach, muss offen bleiben. In den württembergischen Pietistengemeinden Korntal und Wilhelmsdorf bestand der Geschichtsunterricht der untersten Klassen jedenfalls im „Lesen, Erklären und Abfragen des treff lichen Büchleins von Kappe“.81 Ein verlegerischer Erfolg wurde auch das 1843 veröffentlichte Handbüchlein der Weltgeschichte für Schulen und Familien des Calwer Verlagsvereins,82 für das Barth nach seinem eigenen unbefriedigenden Versuch fast sieben Jahre vergeblich einen Autor gesucht hatte: Seit dem unerwarteten Tod des eigentlich vorgesehenen Pfarrers Schalch von Merishausen hatten mehrere Anläufe nicht Barths Erwartungen für ein kindgerechtes Volksschulbuch entsprochen.83 Auch der Versuch, es notgedrungen doch noch einmal selbst zu versuchen, scheiterte nach einigen Wochen an seiner schwachen gesundheitlichen Verfassung.84 Schließlich fand er den passenden Autor in seinem langjährigen Freund und Nachfolger als Möttlinger Pfarrer, dem bis heute namhaften Erweckungsprediger Johann Christoph Blumhardt (1805–1880).85 Dass es auch bei einer Weltgeschichte möglich sei, „den Kammerton zu treffen“, habe „Kappe bewiesen“, schreibt Barth in seinem Vorwort für den Verlagsverein; nun müsse aber, anders als bei 80

Ludwig Völter, „Allgemeine Weltgeschichte“, SSB 6 (1842), (30–38) 34. Sixt Carl Kapff, Die Württembergischen Brüdergemeinden Kornthal und Wilhelmsdorf, ihre Geschichte, Einrichtung und Erziehungs-Anstalten. Geschrieben und zum Besten der Gemeinde Kornthal, Kornthal/Stuttgart: Liesching 1839, 182. 82 Johann Christoph Blumhardt (anon.), Handbüchlein der Weltgeschichte für Schulen und Familien. Mit Abbildungen, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 1843. 83 Vgl. Werner, Barth, Bd. II, 1866, 344. 84 Vgl. Werner, Barth, Bd. III, 1869, 53. 85 Zu Blumhardt vgl. Dieter Ising, Johann Christoph Blumhardt. Leben und Werk, Göttingen 2002 sowie Karl Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte. Bd. 2: Geschichte, Hamburg 31975, 555–564, der ihn als durch und durch praxisbezogenen Theologen versteht. 81

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Kappe, auch für die historischen Einzelstücke der „Zusammenhang nachgewiesen“ werden (III). Blumhardts Weltgeschichte richtet sich also ebenfalls an Kinder und kann auch als ausgesprochen kindgerecht beschrieben werden: Nicht nur die keineswegs selbstverständlichen über vierzig Illustrationen, sondern auch die bildhafte Sprache, der geschickte Einsatz leicht zu erinnernder Geschichten etwa um Wilhelm Tell (158) und Arnold von Winkelried (160), die persönliche, aber weniger penetrante Leseransprache als bei Kappe und das Bemühen, grundsätzliche, etwa geographische Zusammenhänge verständlich zu erklären, belegen Blumhardts praktische Erfahrung im Umgang mit Kindern. Das 321 Seiten starke Werk bestimmt die Weltgeschichte als die Geschichte der „Veränderungen, die mit der Menschheit vorgegangen sind“ (1). Um diesen Veränderungen nachzuspüren, verwendet er auf die alte, mittlere und neuere Geschichte etwa gleich breiten Raum. Dieter Langewiesche hat Blumhardts Weltgeschichte jüngst als Geschichtsschreibung „auf den Spuren der christlichen Mission“ bezeichnet.86 In der Tat ist die Missionsperspektive für Blumhardts Geschichtsdeutung entscheidend. Gottes providentielle „Leitung der Weltgeschichte“ (86) zielte nach Blumhardt, etwa zur Zeit der pax Augusta (86), der frühneuzeitlichen Länderentdeckungen (186) oder der aktuellen Öffnung Chinas (308), auf die Ausbreitung der christlichen Heilsbotschaft. Dabei verkenne der Einsatz gewaltsamer Mittel das Wesen des Evangeliums, wie auch die Kreuzzüge nur als tragischer „Schwindel“ verstanden werden könnten (142). Blumhardt beschreibt in gängiger Manier die politische Geschichte der letzten Jahrzehnte – Fürstenauf klärung, Französische Revolution, Napoleon, Befreiungskriege –, stellt dann aber mit seinem Schlusskapitel „Die Missionen“ (311–321) noch einmal die Bedeutung der christlichen Missionsbewegung heraus. Hier sieht Blumhardt, mehr noch als in der europäischen Geschichte, Grund zum Optimismus. Sein Fazit zu Afrika illustriert dies: „[A]llmählig sind nach allen Richtungen auf den ungeheuren Steppen, unter Hottentotten, Namaqua’s, Buschmännern, Koranna’s, Betschuanen, Tambuki’s, Kaffern, und wie die wilden Horden alle heißen, bis zu den Zulah’s an der Natalküste im Osten zahllose Dorfschaften gebildet worden, die von denen in christlichen Ländern in nichts sich unterscheiden, als daß man in ihnen mehr Ordnung, mehr Zucht, mehr Frieden, mehr Gottesfurcht antrifft, als irgendwo in der Christenwelt.“ (319)

Blumhardts Auf lagenzahlen – zehn bis zum Jahr 1899 – belegen den Erfolg des Bandes. Die größte Anerkennung unter den für Schulen verfassten Weltgeschichten der Erweckungsbewegung erlangte jedoch ein anderer 86

Langewiesche, Geschichtsschreibung und ihr Publikum, 92.

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Autor. Der aus Ansbach stammende Pädagoge und ehemalige Mitarbeiter Pestalozzis Heinrich Dittmar (1792–1866),87 Subrektor der Studienanstalt zu Grünstadt in der bayerischen Pfalz und späterer Rektor des Gymnasiums in Zweibrücken, verfasste unter Anlehnung an das umfangreiche und schlechter gegliederte Werk Leos eine Weltgeschichte und eine Deutsche Geschichte für höhere Schulen sowie eine vielbändige Geschichte der Welt. Diese Werke waren didaktisch hervorragend aufgebaut und fanden in Form und Inhalt Anklang. Durch die Benutzung neuester Literatur, die komprimierte Darstellung und die mit Fett- bzw. gesperrtem Druck und unterschiedlichen Schriftgrößen erreichte Übersichtlichkeit fanden sie ihren Weg auch in die Schulen. Nach Ernst Weymar zählten die Lehrbücher Dittmars zwischen 1845 und 1875 zu den meistbenutzten an den protestantischen Gymnasien.88 1841 erschien der etwa 350-seitige, schon im Folgejahr neuaufgelegte Band Die Weltgeschichte in einem leicht überschaulichen, in sich zusammenhängenden Grundrisse.89 Aus Sicht des Süddeutschen Schul-Boten mit einem „entschiedenen Vorrang“ vor anderen Vertretern der „neueren geschichtlichen Lehrbücher-Literatur“ ausgestattet,90 erwarb es sich bald eine „Aufnahme […] in weitere Schulkreise“, wie Dittmar im Vorwort zur vierten Auflage von 1849 schreibt,91 und erlebte erst 1898 seine letzte – die 13. – Auflage.92 Das Werk unterteilt die Weltgeschichte in zwei „Abtheilungen“: Die „Geschichte der Welt vor Christus“ behandelt „Die Urzeit und die 87 Zu Dittmar vgl. „Dittmar, Heinrich“, Deutsches Literatur-Lexikon. Biographischbibliographisches Handbuch, 3. Auf l., Bd. 3, Bern/München 1971, 330 f (das für die Weltgeschichte angegebene Erscheinungsdatum bezieht sich auf eine späte Auf lage); Benrath, Erweckung, 242. 88 Weymar, Selbstverständnis der Deutschen, 129. 89 Heinrich Dittmar, Die Weltgeschichte in einem leicht überschaulichen, in sich zusammenhängenden Grundrisse. Ein Leitfaden für den Unterricht in untern Gymnasien und lateinischen Schulen (Progymnasien, Pädagogien), in Schullehrer-Seminarien und in Realund höhern Bürgerschulen, so wie auch zum Gebrauch beim Selbstunterrichte, Karlsruhe: Holtzmann 21842 (1841). 90 Ludwig Völter, „Allgemeine Weltgeschichte“, SSB 6 (1842), (30–38) 30. Völter nennt als Vorzüge des Werkes, dass es „in entschieden christlichem Geiste“ verfasst sei, auch wenn damit die „Idee einer christlichen Weltgeschichte“ noch nicht vollkommen realisiert sei (30 f ), die „ebenso wissenschaftlich, als gemeinverständlich“ gehaltene Darstellungsweise und den „streng-methodischen Charakter“ des Buches (32). Ein Jahr später brachte der Süddeutsche Schul-Bote zudem einen (sonst unüblichen) Hinweis auf das Erscheinen einer zweiten, überarbeiteten Auf lage des Werkes (SSB 7 [1843], 32). 91 Dittmar, Weltgeschichte, Heidelberg: Winter 41849 (1841), III. Nach Schiller, Bemerkungen über den Geschichtsunterricht, 1849, 526–528 ersetzte das Werk in Bayern seit dem Schuljahr 1847/48 bzw. 1848/49 Hofmanns Lehrbuch der Weltgeschichte, obwohl es ursprünglich nicht für Gymnasien, sondern für den progymnasialen Unterricht an lateinischen Schulen geschrieben worden war. Dies stieß in einigen Gymnasien auf Unverständnis und führte dazu, dass Dittmar das Buch 1849 für die vierte Auf lage erweiterte. 92 Vgl. Weymar, Selbstverständnis der Deutschen, 131.

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ältesten Völker“, „Das ‚auserwählte‘ Volk“, „Die griechische Welt“ und „Die römische Welt“. Die „Geschichte der Welt nach Christus“ behandelt sodann „Die frühere Zeit der christlichen Welt“, „Das Mittelalter“, „Die Geschichte der neueren Welt“ und „Die neueste Zeit“. Für die Antike kommen also, neben der biblischen Historie, Griechenland und Rom zur Geltung – ein Ref lex einerseits der danielischen Weltreichelehre, andererseits und vor allem des klassischen Bildungskanons. Die „klassische Bildung“ um Horaz, Vergil, Ovid, Cicero und Tacitus hat nach Dittmar dort, „wo sie sich in das rechte Verhältniß zum Christenthum gesetzt hat und mit dem Lichte desselben zur Betrachtung jener Klassiker anleitet, nicht aber dieses ersetzen oder gar sich ihm entgegensetzen will, – nicht nur als das kräftigste Schutzmittel wider alle Barbarei, sondern auch als das Hauptmittel zur Befestigung der christlichen Wahrheit selbst sich bewährt“ (155 f ).

Dennoch sei das „Verlangen nach Erlösung und Erneurung“ (158) ungestillt geblieben, und auch das Kommen Christi habe das alte Weltreich nicht vollständig retten können. „[D]ie römische Welt war sittlich schon zu versunken, als daß das Evangelium in ihr hätte lebendig werden können. Dasselbe bedurfte einen frischeren, unverdorbeneren Boden, um recht tiefe Wurzeln schlagen zu können. Und diesen fand es in der germanischen Welt.“ (176)

Dittmars zweite „Abtheilung“ des Buches erzählt von dieser germanischen Welt entlang dem universalhistorischen Wissenskanon unter besonderer Beachtung der Frömmigkeitsgeschichte, etwa des Pietismus und Methodismus (363). Bei Friedrich dem Großen kommt neben den staatsmännischen Aspekten seine „Geringschätzung der deutschen Sprache und des Offenbarungsglaubens“ zur Sprache (310), bei der Französischen Revolution der „sogenannte Vernunftgottesdienst“ und die „Herrschaft des Unglaubens“ (324). Napoleon war nach Dittmar „Meister und Erbe der Revolution“ (328), der schließlich durch die „wunderbare Hilfe“ Gottes und mit dem Ziel überwunden wurde, „dem Geiste des Evangeliums auch in der Politik Raum zu geben“ (335). In Bezug auf Deutschland zeigt Dittmar einen für die Erweckungsbewegung überdurchschnittlichen Optimismus: „[N]ie seit Armin’s Tagen sah Deutschland seine Fürsten und Völker einiger und inniger untereinander verbunden als jetzt, so daß, wenn es in dieser Einigkeit verharrt und die angemessenen Bürgschaften derselben vollends erringt, alsdann an der Wiederherstellung seiner ehemaligen Größe, und zwar in geläuterter, verklärter Weise, nicht zu zweifeln seyn dürfte.“ (338)

Es passt daher in das Bild von Dittmar, dass gerade er auch eine Deutsche Geschichte verfasste. Die deutsche Geschichte in ihren wesentlichen Grundzügen

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und in einem übersichtlichen Zusammenhange,93 1840 erschienen, möchte „zur echten Vaterlandsliebe“ anregen (VI) und beschreibt in fortlaufender Darstellung auf 377 Seiten die Geschichte vom ersten Auftreten der „alten Deutschen“ bis zum Deutschen Bund. Die großen Zäsuren sind nach der Darstellung die „Stiftung des fränkischen Reichs“, die „Aufrichtung des deutschen Reichs“, das „Übergewicht der geistlichen Macht über die weltliche“, die Reformation, der Westfälische Friede und die Auf lösung des römisch-deutschen Reiches. Das charakteristische Merkmal von Dittmars Deutscher Geschichte ist ihre für die Erweckungsbewegung unüblich (deutsch-)nationale Stoßrichtung, die sich durch das ganze Werk zieht, aber mit einem pietistischen Glaubensverständnis verbunden wird.94 Sie ist zugleich obrigkeitstreu konservativ und national-fortschrittlich, erwecklich und seriös darstellend, wenig konfessionalistisch, aber dafür umso deutlicher national. So sieht Dittmar bereits in den Germanen denjenigen europäischen Völkerstamm, „den sich Gott, seit er sein Heil den Heiden zuzuwenden für gut fand, vorzugsweise zum Werkzeuge seiner das Wohl der Menschheit bezweckenden Absichten ausersehen hatte“ (23 f ).

Nach dem Kapitel „Deutschlands Unterjochung durch die Römer“ kann Dittmar ein weiteres Kapitel mit „Deutschlands Rettung durch Armin“ überschreiben, wenn darin auch die Plattheiten eines Hermannkultes fehlen. Armins Standbild auf dem Teutberg bei Detmold werde, so Dittmar, „den Feinden Deutschlands in West und Ost von der beständigen Einigkeit seiner Stämme hoffentlich bis in die fernsten Zeiten Zeugniß geben!“ (45) Karl dem Großen wird die Vision einer „Einheit aller deutschen Völker“ attestiert (91). Mit dem Vertrag von Verdun 843 habe dann „Deutschland als ein von der fränkischen Monarchie unabhängiges Reich“ bestanden (92). Die Reformation habe nicht zuletzt den „deutschen Geist“ für die Wissenschaften angeregt (303). Im Dreißigjährigen Krieg sei Deutschland „betäubt und von der arglistigen Politik Frankreichs“, insbesondere den Sitten des französischen Hofes geschwächt worden (320). Viele Fürsten hätten sich diesen Sitten zum Schaden ihrer Völker angepasst, nur wenige hätten, wie der brandenburgische Große Kurfürst, „deutsche Sitte und Ehre“ aufrecht erhalten (322). Zwar steht das Attribut „deutsch“ bei Dittmar nicht grundsätzlich für das schlechthin Wünschenswerte, wie das ambivalente 93 Heinrich Dittmar, Die deutsche Geschichte in ihren wesentlichen Grundzügen und in einem übersichtlichen Zusammenhange. Ein Leitfaden für die mittlere historische Lehrstufe in Schulen, wie im Selbstunterrichte, Karlsruhe: Holtzmann 21843 (1840). 94 Die bei der Schilderung der karolingischen Sachsenbekehrung gebrauchte Unterscheidung von äußerlichen und wahren Christen (92 f ), die Betonung des „durch die wahre Herzensbuße hindurchgegangenen Glaubens an Christi stellvertretendes Verdienst“ (209) und das positive Bild der Pietistenväter sind Herzensanliegen der Erweckungsbewegung.

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Wort von dem „guten, wenn auch rau-deutschen und ernstkirchlichen Sinn“ des Soldatenkönigs zeigt (327), aber es ist dennoch positiv konnotiert. Die Auf klärung gilt als vornehmlich französisch und wird, wie auch Revolution und napoleonische Herrschaft, kritisch gesehen. Über den Mainstream der Erweckungsbewegung hinaus geht Dittmar dort, wo er mit der Hochachtung Deutschlands auch politische Ziele verbindet und diese offen äußert. Die Völkerschlacht bei Leipzig habe, so Dittmar, „die deutschen Völker wieder zu einem Brüdervolke“ vereinigt (357). Der Deutsche Bund, von Dittmar als „Bundesstaat“ interpretiert, habe die „Theile des großen deutschen Vaterlandes“ „einst weilen nur äußerlich“ verbunden; Zollverein und Rheinkrise hätten aber die weitergehende Tendenz der Zeit gezeigt (366). „Deutschlands Staatseinheit im vorigen Jahrhundert“ sei beispielsweise „nur ein Schein ohne Wesen“ gewesen (368). Dittmar ist ohne Zweifel an der politischen Einigung Deutschlands interessiert. Trotz kritischer Erwähnung von „Fanatismus“ und „demagogischen Umtrieben“ vor den Karlsbader Beschlüssen (366) sowie lobender Worte für Ludwig I. von Bayern, seinen Landesherrn (374), die beschwichtigend gewirkt haben mögen, waren solche Worte für ein Schulbuch politisch an der Grenze des Möglichen, wenn auch offensichtlich für die Zensur noch akzeptabel. Der Süddeutsche Schul-Bote besprach das Werk als „wohl das gediegenste und brauchbarste Lehrbuch für die deutsche Geschichte“, weil es „mit einem schönen und gefälligen Aeußern und einem für den Unterricht sehr practisch eingerichteten Druck, einen ernsten wissenschaftlichen Geist, gesunden deutschen Patriotismus, [… und zwar von einem] ächt evangelischen Standpunkte aus“ verbinde.95 Auch der liberale Reformpädagoge Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg (1790–1866) rechnete das Buch aus „mehr als einem Grunde […] zu den ausgezeichnetsten Leitfäden […], die wir für einen gründlichen, gediegenen Geschichtsunterricht besitzen“.96 Dittmar war es dann auch, der nach Leo die zweite größere Weltgeschichte nach den Prinzipien der Erweckungsbewegung vorlegte. Die zwischen 1846 und 1856 erschienenen sechs, zum Teil über tausend Seiten umfassenden Teilbände von Dittmars Geschichte der Welt vor und nach Christus, mit Rücksicht auf die Entwicklung des Lebens in Religion und Politik, Kunst und Wissenschaft, Handel und Industrie der welthistorischen Völker 97 führen den multi95 Daniel Völter, „Literarischer Bericht: Deutsche Geschichte“, SSB 9 (1845), 141–144; 150 f. 96 So zitiert ihn in einem kurzen Werbetext Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. IV.1, 1853, XXVI. 97 Heinrich Dittmar, Die Geschichte der Welt vor und nach Christus, mit Rücksicht auf die Entwicklung des Lebens in Religion und Politik, Kunst und Wissenschaft, Handel und Industrie der welthistorischen Völker. Für das allgemeine Bildungsbedürfniß dargestellt, 4 Bd., Heidelberg: Winter 1846–1856.

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perspektivischen Zugriff zur Geschichte schon im Titel. Dittmar möchte Universalgeschichtsschreibung nicht auf der Grundlage des „politischen“ (I: V), noch des nur allgemein „religiösen“ (I: VIII), sondern des „christlichen“ Prinzips (I: IX) betreiben. Obwohl diese „Grundansicht […] Vielen so fremd geworden“ sei (I: XXI), gebe es mittlerweile einzelne Vorarbeiten. „Erst in neuerer Zeit trat das christliche Prinzip über die bloße Geschichtseinleitung hinaus in die Geschichtsdarstellung selber ein, und diejenigen, welche hierin auf dem universalhistorischen Felde, sey’s in größerem Umfange (wie H. Leo), sey’s in kleinerem (wie J. D. v. Braunschweig, A. Bräm, Chr. Barth, J. Chr. K. Hofmann) den Vorgang machten, sind in dankenswerther Weise einem vollgegründeten Bedürfniß entgegengekommen, abgesehen freilich von der verschiedenen Methode, deren sich jeder für sich dabei bediente, so wie von dem verschiedenen Bildungskreise, den jeder für sich dabei vor Augen hatte.“ (I: X)

Mit dem besonderen Zielpublikum begründet Dittmar auch sein Unterfangen, dieser Liste, in der er seine eigene Weltgeschichte anstandsvoll verschweigt, durch ein neues größeres Werk zu ergänzen, das „ein mehr allgemeines Bildungsbedürfniß zu befriedigen“ suche. Er hat dabei Beamte, Geschäftsleute, Pfarrer, Lehrer und begabte Schüler im Blick: „Es gibt nämlich eine große Anzahl solcher Freunde der Weltgeschichte, welche in ihr einerseits jenen innern organischen Zusammenhang aufgezeigt zu finden wünschen, ohne gerade allzu schwierigen, durch die Schulsprache erschwerten Deductionen zu begegnen, andererseits dabei die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungen kennen lernen möchten, ohne gerade die Zeit oder die Mittel zu haben, selbst sie sich herbeizuschaffen oder den ausführlichen Nachweisungen jener Forschungen selbst nachzugehen.“ (I: Xf )

Getreu seinem Versprechen, nicht gelehrt, aber wissenschaftlich fundiert zu erzählen, hält sich Dittmar durch breite Rezeption aktueller Geschichtsforschung von dem Vorwurf eines „veralteten Standpuncts“ frei (I: XVII). Der erste Band behandelt die biblisch gedeutete „Urzeit“, die „Culturvölker des heidnischen Alterthums im Orient“, Israel, das babylonische und das persische Weltreich sowie das antike Griechenland. Biblische Angaben wie etwa die Völkertafel aus Genesis 10 würden „durch die neuesten Forschungen immer mehr“ bestätigt (I: 43), wie Dittmar mit Verweis auf paläontologische, archäologische und historische Argumente schreibt. Geistesgeschichtliche Größen wie Sokrates und Platon werden ausführlich und sehr wohlwollend vorgestellt. Band II von 1847 behandelt Griechenlands Spätzeit bis zu Augustus und endet mit einer „unbestimmte[n] Erwartung einer allgemeinen Verbesserung der Dinge“ in der heidnischen Welt (II: 827) und der Hoffnung auf einen „weltlichen König“ unter den Juden (II: 831).

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In Band III.1 von 1848 werden die römische Kaiserzeit, der „Sieg des Christen- und Germanenthums“ und das Frankenreich bis zum Vertrag von Verdun dargestellt. In den Zeitraum fällt zugleich das (neutestamentlich interpretierte) Auftreten Jesu, die (ambivalent gezeichnete) Konstantinische Wende und das Wirken des als „der größte Wohlthäter des deutschen Volkes“ (III.1: 488) gerühmten Bonifatius. Das am 24. März 1848 verfasste Vorwort verrät die Verunsicherung des Verfassers angesichts des „donnernden Gedröhne[s] eines zusammenbrechenden Weltalters“ (III.1: III), bei dem man die letzten unhaltbaren Reste des Feudalsystems, dessen Auf bau der Band beschreibe, „eben vor unsern Augen untergehen“ sehe (III.1: IV). Umso fester sei aber seine Zuversicht, dass „die Vollendung des Reiches“ näher rücke (III.1: III). 1850 veröffentlichte Dittmar Band III.2 über das hohe und späte Mittelalter. Band IV.1 von 1853 behandelt die frühe Neuzeit bis zum Absolutismus. 1856 schließlich schloss Dittmar das Werk mit Band IV.2 über das 18. und 19. Jahrhundert bis zur eigenen Gegenwart ab. In dem Band werden geistes- und kulturgeschichtliche Bewegungen wie die Romantik ausführlich und sehr faktenreich dargestellt. Literaturgeschichtlich hält Dittmar seine Zeit für ein „Epigonenzeitalter“. Seine Beschreibungen von deren Kulturträgern, darunter heute vergessene „Volksschriftsteller“ aus dem Umkreis der Erweckungsbewegung, sind als Sekundärquelle noch heute lesenswert (z. B. IV.2: 1127). Die Erweckungspresse nahm Dittmars Werk vom ersten Band an dankbar auf. Der Christen-Bote meinte, Dittmar habe „alle seine Vorgänger in glücklicher Lösung seiner schwierigen Aufgabe übertroffen“, und vermerkte „neben besonnenem Ernst eine ächt evangelische Milde, wobei zwar Alles von christlichem Standpunkte aus beleuchtet und abgewogen wird, aber doch auch allem Wahren, Schönen und Guten, welchem Boden es auch entsprossen seyn möge, sein Recht widerfährt, namentlich auch der Kunst, Wissenschaft und Gewerbthätigkeit die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet wird“.98

Der Süddeutsche Schul-Bote freute sich, „einmal wieder ein Buch aus voller Ueberzeugung empfehlen zu können“.99 Gleichwohl entwickelte sich um das Buch eine kleine Kontroverse zwischen Dittmar und Heinrich Leo, dessen Universalgeschichte er ausgiebig verwendet hatte. Dittmar hatte sich dabei nach Leos Empfinden über Gebühr an die Konzeption seines Werkes gehalten und schrieb darauf hin 1847 in einer Rezension der Evangelischen Kirchen-Zeitung,100 die Beschei98

„Bücherbericht“, ChB 16 (1846), 159. Ludwig Völter, „Literarischer Bericht: Weltgeschichte“, SSB 10 (1846), (70 f ) 70. 100 Heinrich Leo, „Die Betrachtung der Weltgeschichte vom christlichen Standpunkte“, EKZ 1847, 505–509; 513–518. 99

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denheit gebiete es, den „Grundplan“ des Werkes unkommentiert zu lassen, denn es stehe niemandem an, seine eigenen Ideen positiv zu rezensieren (515). Nach dieser etwas sarkastischen Einführung gesteht Leo Dittmars Darstellung mehrere Vorzüge zu. „[D]ie Urgeschichte der Menschen, die Literatur- und Kunstgeschichte, ein großer Theil der Alterthümer, Sittenschilderungen bis auf einzelne Aussprüche und Anekdoten sind herangezogen, und für viele Leser hat gewiß Dittmar nicht bloß ein verständlicheres, sondern auch ein an dem Material, dessen ihre Bildungsstufe bedarf, weit reichhaltigeres, also in jeder Hinsicht verdienstlicheres Buch geliefert. Ref. wünscht demselben die größtmöglichste Verbreitung […].“ (516)

Selbstverständlich folgt auf diese konziliante Aussage noch ein Aber. Leo bringt abgesehen von dem Zielpublikum der „s. g. Allgemeingebildeten“, das ihm als Leserschicht suspekt ist, zwei Kritikpunkte vor. Zum einen kritisiert er Dittmars „Pragmatisierung“ der Urgeschichte, d. h. den aus Leos Sicht unnötigen und mitunter lächerlichen Versuch, „Nothbehelfe“ wie die Annahme von „abgesperrten Raubthieren“ in Noahs Arche zur rationalen Erklärung schwieriger Genesisstellen zu Hilfe zu nehmen. Zum anderen geißelt er ein übermäßiges Entgegenkommen gegen den „Respekt vor der Klassicität formeller Bildung, der unsere Zeit noch wie ein böser Krankheitsstoff in allen Adern inficirt, es so weit davonträgt, daß man auch hinter dieser Babylonischen Reiterin mit dem Schulscepter herläuft und ihr gegenüber den Muth verliert, den Herrn zu bekennen, statt zu sagen: Weib! was habe ich mit dir zu schaffen?“ (516 f )

Dittmar habe, meint Leo, dem Publikum zuliebe die heidnische Antike zu positiv gezeichnet. Er fordert hier mutiger aufzutreten und wünscht seinem Gegenüber ansonsten Gottes Segen für die Weiterführung des Werkes (517 f ). Dittmar antwortete auf Leos Rezension im Vorwort zum dritten Band seiner Geschichte der Welt von 1848. Er habe, schreibt er, Leo, „einer höhern Instanz der Geschichtsforschung“, viel zu verdanken. Er habe auch keine originelle Architektonik einer Weltgeschichte entwickeln wollen, sondern das historische „Gemeingut der Menschheit“ verständlich und niveauvoll darzubieten versucht. Dennoch sei seine universalhistorische Konzeption „nicht so unselbständig“, dass ein anderer sie für sich reklamieren könne, zumal „die Beiziehung der Vorgeschichte, der Sittengeschichte, der Mythologie, der Philosophie, der Kirchengeschichte, der Literatur, der Kunst und Archäologie und anderer wesentlichen Innenverhältnisse des Völkerlebens nicht so gering anzuschlagen seyn dürfte, daß sie zu den Grundlinien einer Darstellung der Weltgeschichte nicht Bedeutendes beitrüge“. (III.1: VI)

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Versöhnlich fährt Dittmar dann fort, „von derselben Instanz“ sei ihm ja eingeräumt worden, einen „Missionsdienst“ übernommen zu haben, und erläutert nochmals seine Konzeption „zwischen der populären und reinwissenschaftlichen Mittheilung“ (III.1: VI f ). In der Tat geht Dittmars große Weltgeschichte über Leos Werk hinaus und ist ihm in Materialfülle und Darstellungskraft überlegen. So ist nicht unverständlich, dass einige Bände in den 1860er Jahren ihre vierte Auf lage erlebten. Im Jahr 1847 schließlich veröffentlichte auch Eduard Eyth (1809–1884),101 der Lyriker und Geschichtsprofessor am evangelisch-theologischen Seminar in Schöntal, eine christliche Darstellung der Weltgeschichte, die unter dem Titel Biographie en gros in Albert Knapps Jahrbuch Christoterpe erschien.102 Eyth skizziert hier auf siebzig Seiten in einem Zwischending von weltgeschichtlicher Darstellung und Essay seine konservativ-christliche Sicht der Weltgeschichte und reiht sich bewusst in die Linie von Leo, Barth und Dittmar ein (108). „Wie […] die Weltgeschichte nicht zur Allerweltsgeschichte ausarten darf “, schreibt Eyth, „so ist sie andererseits auch keine weltliche Geschichte. […] Somit wird die Weltgeschichte, ohne ihren natürlichen Charakter zu verlieren, wesentlich religiös.“ (107) Dabei ist Eyths Titel sehr bewusst gewählt: Wie die „kleine Biographie einzelner Individuen“ – er erwähnt den schwäbischen Erweckungsprediger Ludwig Hofacker – ein kraftvolles Argument für die Wirklichkeit Christi abgebe, so könne dies nicht weniger „eine Biographie en gros, die Biographie der Menschheit, die Weltgeschichte in ihrer ganzen Entwicklung“ tun (106). In dieser originellen Formulierung, die die geschichtliche Menschheit mit einem Menschenleben vergleicht, spiegelt sich das ausgeprägte Bewusstsein einer – theozentrisch begründeten – Einheit der Geschichte. Auch Eyth beginnt bei der Schöpfung103 und arbeitet vor allem mit der Zweiteilung „vor Christus“ und „nach Christus“. Die Zweiteilung der Epoche „nach Christus“ in die Perioden der Jahre 1 bis 1517 und 1517 bis 1817 illustriert die weltgeschichtliche Bedeutung, die dem Reformator Martin Luther beigemessen wird. Wie üblich, kulminiert die Darstellung in Französischer Revolution, Napoleon und Befreiungskriegen, aber auch in der „Neugeburt“ durch die Erweckungsbewegung und die protestantische Mission, die eine „welthistorische Bedeutung“ gewonnen habe (173). Heinrich Leo kommentierte Eyths Aufsatz mit der Aussage, man könne „für solche Popularisirungen guter Richtungen nicht dankbar genug seyn; es sind die Festprogramme, welche einladen, sich den Eindrücken 101

Zu Eyth vgl. „Eyth, Eduard“, DBE, Bd. 3 (1996), 206. Eduard Eyth, „Biographie en gros“, Christoterpe 15 (1847), 105–174. 103 Bei der Jahreszahl 2384 v. Chr. für die Schöpfung kann es sich angesichts der Datierung der Sintf lut auf 2349 v. Chr. nur um einen Druckfehler handeln (111). 102

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des Festes an- und aufzuschließen […].“104 Eyth identifizierte sich mit dieser Klassifizierung durch Leo und las sie, vermutlich zu Recht, als Kompliment, denn er zitiert Leos Sätze in seinem 1853 erschienenen ausführlicheren Ueberblick der Weltgeschichte vom christlichen Standpunkte105 in der Einleitung, um seine Absicht zu erläutern.106 Die 250 Seiten umfassende Darstellung verwendet dieselbe Epocheneinteilung wie der sechs Jahre frühere Christoterpe-Aufsatz und ist auch inhaltlich in demselben Geist verfasst. „Trost“ gewinnt der Verfasser am Ende seines Buches durch die im Laufe des weltgeschichtlichen Überblicks gewachsene Überzeugung, „daß die Geschicke der Menschheit in guten Händen sind“ (250). In demselben Jahr wie Eyths Christoterpe-Aufsatz erschien ein für die Erweckungsbewegung ungewöhnliches Werk, das die universalgeschichtlichen Denkmöglichkeiten im Umkreis der Missionsbewegung illustriert. Der international berühmte Chinamissionar und Vermittler während des Opiumkrieges Karl Gützlaff (1803–1851) 107 hatte in langjähriger Arbeit eine Geschichte des chinesischen Reiches von den ältesten Zeiten bis auf den Frieden von Nanking verfasst und das Manuskript seinem Freund, dem Sinologen Karl Friedrich Neumann, übersandt, der sie im Cotta-Verlag herausbrachte.108 Das fast tausend Seiten starke Werk, das auf früheren Publikationen auf baute,109 war als ein „Volksbuch“ mit dem Ziel konzipiert, „in meinem Vaterlande ein bleibendes Interesse für China“ hervorzubringen (III). Die Geschichte des „an Althertum und Würde vor allen Staaten der Welt“ hervorragenden Reiches sei nämlich größter Aufmerksamkeit wert (1). Da das Buch keinen großen Leserkreis vermuten ließ, hatte der Verlag entgegen Gützlaffs Wunsch, nur als „Chinesenfreund“ aufzutreten, auf der Nennung des prominenten Verfassers bestanden (IV) – ein Indiz für Gützlaffs Bekanntheitsgrad. Das Werk bietet einen faktenreichen Durchgang durch die chinesische Geschichte vom „mythologischen Zeitalter“ bis zur Gegenwart und behandelt dabei vornehmlich die politische Ereignisgeschichte, die nach Dynastien eingeteilt wird, sowie etwas Kultur- und Geistesgeschichte. Bot sich die chinesische Geschichte schlecht 104

Leo, Betrachtung der Weltgeschichte, 1847, 515. Eduard Eyth, Ueberblick der Weltgeschichte vom christlichen Standpunkte, Heidelberg: Winter 1853. 106 Ebd., 2 f. 107 Zu Gützlaff vgl. Friedrich Wilhelm Bautz, „Gützlaff, Karl“, BBKL, Bd. II (1990), 389 f; neuerdings Jessie G. Lutz, Opening China: Karl F. A. Gützlaff and Sino-Western Relations, 1827–1852, Grand Rapids 2008. 108 Karl Gützlaff, Geschichte des chinesischen Reiches von den ältesten Zeiten bis auf den Frieden von Nanking, hg. von Karl Friedrich Neumann, Stuttgart/Tübingen: Cotta 1847. 109 Bereits 1834 war in zwei Bänden Gützlaffs A Sketch of Chinese History, Ancient and Modern erschienen und 1836 vom Basse-Verlag unter dem Titel Geschichte des chinesischen Reiches in Übersetzung herausgebracht worden. 105

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für eine geschichtstheologische Vergangenheitsdeutung an, so doch zumindest für einen solchen Ausblick: „Das christliche China wird mächtig und hehr dastehen, wie die feurigsten Erwartungen es sich nie im voraus vorstellen konnten; das zahlreiche Volk wird einst großmächtig auf den Zustand der Erde wirken; dieß leidet nicht den geringsten Zweifel“ (911 f ),

schreibt Gützlaff am Ende eines ansonsten nüchtern darstellenden Geschichtswerkes. Wie erhofft, trug das Buch tatsächlich zur Verbesserung der Kenntnisse über China bei, wie die jüngere sinologische Forschung angemerkt hat, wenn Gützlaffs Resultate aufgrund seiner hastigen Arbeitsweise auch mehrfach unzuverlässig waren.110 War Gützlaffs Werk auch eine Besonderheit, so stand es doch nicht völlig allein. Auch der pietistische Arzt und Philanthrop Georg Friedrich Müller (1804–1892),111 der in den 1840er Jahren auf Anregung von Gützlaff und Barth das weltweit erste „Medicinische Missions-Institut“ in seinem Tübinger Haus unterhielt, beschäftigte sich mit asiatischer Geschichte. 1841 erschien das 455-seitige Werk Ostindien. Ein Gesammtbild der Geographie, Geschichte, Cultur, und der religiösen Zustände,112 das erstmals einem allgemeinen Publikum nicht nur Einzelaspekte, sondern „die gesammte Geographie und Geschichte des Orients oder wenigstens des wichtigsten Gebiets desselben, Ostindiens“ vorführen wollte (III). Müller hatte an der Tübinger Universität Quellenstudien betrieben und auch die einschlägige Literatur verwendet, die er im Vorwort aufführt (III f ). Neben geographischen, ethnologischen und politischen Kapiteln enthält das Buch ein ausführliches Kapitel über „Die Geschichte Indiens“ (182–247) und, gemäß dem angekündigten Schwerpunkt auf „Einführung und Ausbreitung des Christenthums“ (IV), über „Die Missionen in Indien“ (365–445). Das Geschichtskapitel beklagt zwar die „fabelhaften“ Überlieferungen aus der indischen Frühzeit, gesteht den Hindus jedoch eine uralte Kultur zu (182 f ). Die eigentliche Darstellung setzt mit den Eroberungszügen Alexanders des Großen ein (185) und beschreibt den „geschlossenen Priesterstaat“ (189) der Folgejahrhunderte, die „Leiden und Verwüstungen Hindustans“ (190) 110 Vgl. Hartmut Walravens, „Karl Gützlaffs Werke. Bemerkungen zu Rezeption und Wissenstransfer aufgrund der nichtmissionarischen Schriften“, in: Thoralf Klein/Reinhard Zöllner (Hg.), Karl Gützlaff (1803–1851) und das Christentum in Ostasien. Ein Missionar zwischen den Kulturen, Sankt Augustin [2005], (77–103) 98. Zur Geschichte des chinesischen Reiches vgl. auch Lutz, Opening China, 143–145. 111 Zu Müller vgl. Christoffer Grundmann, „Müller, Georg Friedrich“, BBKL, Bd. VI (1993), 245–250. 112 Georg Friedrich Müller, Ostindien. Ein Gesammtbild der Geographie, Geschichte, Cultur, und der religiösen Zustände dieses großen Länder- und Völker-Gebietes, nach den zuverläßigsten Quellen und mit besonderer Rücksicht auf die christlichen Missionen dargestellt, Bd. I (= einziger Bd.): Vorder-Indien, Stuttgart: Steinkopf 1841.

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in der Zeit der islamischen Eroberungen und die indischen Dynastien bis ins 19. Jahrhundert. Die sich anschließenden Unterkapitel „Die Portugiesen in Indien“ (206–210), „Die Holländer in Indien“ (210–214), „Die Franzosen in Indien“ (215–217), „Die Dänen“, „Oestreicher“, „Schweden“, „Preußen“, „Spanier“, „Russen in Indien“ (217–219) und „Die Engländer in Indien“ (219–246) beschreiben, teilweise kritisch, die historischen Etappen des Kolonialismus. Sie offenbaren in der Anlage den europäischen Verfasser, sind aber faktenreich und nüchtern gehalten. Auch das ausführliche Missionskapitel ist faktenreich und arbeitet neben Ausschnitten aus Missionsberichten mit vielen Statistiken. Dass Müller in den Werken der evangelischen Mission die „stille Kraft des Evangeliums“ (420) ausmacht, ist dabei unverkennbar. Neben den in diesem Kapitel genannten Weltgeschichten gab es weitere, die weniger deutlich der Erweckungsbewegung und damit deren Universalgeschichtsschreibung zuzurechnen sind, die ihr aber doch nicht fern standen oder von ihr beeinf lusst waren. Drei Beispiele sollen hier erwähnt werden. Die Weltgeschichte, nach Pestalozzis Elementargrundsätzen, und von christlicher Lebensanschauung aus bearbeitet113 wurde von dem hessischen Theologen und stellvertretenden Direktor des Zürcher Schullehrerseminars Friedrich Haupt (1805–1891)114 verfasst. Sein Ziel war es, von den „drei Arten der Geschichtschreibung“, der „chronistischen“, der „pragmatischen“ und der „christlichen“ (I), die Ergebnisse der Letzteren „in die weiteren Kreise des Volks- und Jugendlebens hinüberzuleiten“ (IV). Wie diese Ansicht ist auch das verhandelte Themenspektrum mit den Weltgeschichten der Erweckungsbewegung vergleichbar. Auf den zweiten Blick werden jedoch Differenzen deutlich: Zu den Vertretern der christlichen Historikerschule zählt der Autor so weltanschaulich unterschiedliche Gelehrte wie „Schlosser, Dahlmann, Ranke, Varnhagen, Leo und Gervinus“ (V). Jesus wird nicht so unzweideutig wie in der Erweckungsbewegung üblich als Gottessohn gezeichnet. Und die Schlussaussage des Buches, es sei die „große Aufgabe des Evangeliums, alle Völker des Erdballs in eine große Familie durch Liebe zu vereinen“ (266), klingt für die Erweckungsbewegung zu unspezifisch universalistisch. In der Tat wurde das Werk im Süddeutschen Schul-Boten kritisch besprochen und nicht nur dessen politische Grundsätze als „allzu republicanisch“, sondern auch sein Begriff von „christlicher Geschichtschreibung“ als allzu weit qualifiziert: 113 Friedrich Haupt, Die Weltgeschichte, nach Pestalozzis Elementargrundsätzen, und von christlicher Lebensanschauung aus bearbeitet. Für die Schule und das Haus, Hildburghausen: Bibliographisches Institut 1840. 114 Zu Haupt vgl. ADB, Bd. 50, 71–74, wo er, besonders nach seiner Rückkehr nach Hessen und ins Pfarramt im Jahr 1845, durchaus als Konservativer und Rationalismusgegner beschrieben wird.

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„[W]ir sehen wenigstens nicht ein, warum nicht auch ein jüdischer, ein mohamedanischer, ja gewissermaßen selbst ein heidnischer Geschichtschreiber uns auf ‚die höhere Leitung der menschlichen Dinge,‘ auf ‚die Plane der Weltregierung‘ sollte hinweisen können.“115

Gleichwohl war Haupts Werk erfolgreich, was seinen Verfasser dazu bewog, wenig später in Zürich eine „Volksausgabe“ nach denselben Prinzipien zu veröffentlichen.116 Aus anderen Gründen nur an der Peripherie erweckungschristlicher Universalgeschichtsschreibung stand das bayerische Lehr- und Lesebuch, dessen dritter Band auch die „Geschichte der Völker“ umfasste.117 Sein Autor, Gotthilf Heinrich Schubert (1780–1860),118 war ein herausragender Vertreter der romantischen Naturphilosophie wie auch der bayerischen Erweckungsbewegung. Er hatte sich als Pädagoge in Nürnberg der Erweckung zugewandt und diese dann als Erlanger (ab 1819) und Münchner (ab 1827) Professor für Naturgeschichte vielfältig gefördert. Das Buch und somit auch der knapp 150 Seiten umfassende universalhistorische Abschnitt waren freilich eine Auftragsarbeit für die bayerische Regierung und darum zwangsläufig um konfessionelle Überparteilichkeit bemüht. Schuberts Manuskript war zudem von dem Vorsitzenden der Ministerialkommission aus katholischer Sicht kritisiert worden, so dass Schubert Veränderungen einarbeitete, was jedoch nichts daran änderte, dass das Werk im katholischen Lager umstritten blieb, wie Hans-Michael Körner im Detail gezeigt hat.119 Tatsächlich lässt das Buch kein protestantisches Geschichtsbild mehr erkennen; die positive bzw. milde Behandlung der Konstantinischen Wende (247 ff ), der karolingischen Sachsenbekehrung (259 f ) und der Kreuzzüge (279) und die überaus kurze, werturteilsfreie Thematisierung der Reformation (301 f ) belegen, dass es sich bei dieser Weltgeschichte um einen historiographischen Kompromiss handelt, der bewusst nicht das spezifische Geschichtsbild der Erweckungsbewegung vertritt. 115

Ludwig Völter, „Allgemeine Weltgeschichte“, SSB 6 (1842), (30–38) 36 f. Friedrich Haupt, Die Weltgeschichte. Ein Elementarwerk für das Volk und seine Schulen, Zürich: Orell & Füßli 1843. 117 Gotthilf Heinrich Schubert (anon.), Lehr- und Lesebuch für die mittlern und obern Klassen der deutschen Schulen im Königreiche Bayern, Bd. III: Abriß der Sternkunde, Länder- und Völkerkunde, so wie der Geschichte der Völker, München: Königlicher CentralSchulbuchverlag 1844. 118 Zu Schubert vgl. Dieter Wölfel, „Schubert (seit 1853 von), Gotthilf Heinrich“, BBKL, Bd. IX (1995), 1030–1040; Alice Rössler, „Einleitung“, in: dies. (Hg.), Gotthilf Heinrich Schubert. Gedenkschrift zum 200. Geburtstag des romantischen Naturforschers, Erlangen 1980, 5–10. Schubert, einem Freund Schellings, waren auch die Aufsicht über die zoologische Sammlung in München und teilweise die schulische Erziehung der Prinzen Maximilian und Otto anvertraut (vgl. ebd., 9). 119 Hans-Michael Körner, Staat und Geschichte in Bayern im 19. Jahrhundert, München 1992, 482–489. 116

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1845 schließlich veröffentlichte der Vermittlungstheologe (also zwischen Rationalismus und Orthodoxie stehende) und seit demselben Jahr amtierende Göttinger Professor Friedrich Ehrenfeuchter (1814–1878)120 eine etwa 250 Seiten schmale Entwicklungsgeschichte der Menschheit besonders in ethischer Beziehung.121 Von Eyth sehr empfohlen,122 lebt das mehr theoretisch-essayistische als darstellende Werk jedoch nicht nur von der biblischen Überlieferung, sondern auch von hegelscher Philosophie. So meint Ehrenfeuchter, dass sich „das geschichtliche Leben […] in Gegensätzen“ offenbare (40), und nennt Napoleon „eine geschichtliche Nothwendigkeit“ (223). Nicht nur mit solchen Positionen, sondern vor allem mit dem stärker abstrakten Ansatz gehört der Band daher nicht eigentlich in die hier beschriebene historiographische Tradition. Diese Tradition war facettenreich. Sie kam auch 1848 nicht zum Abschluss.123 Aber so divers sie auch war, es einte sie das Bemühen, die Weltgeschichte von dem biblischen Christus als Mittelpunkt her zu erzählen. Bei diesen Weltgeschichten sollte der „göttliche Erlösungsplan die allgemeinste Unterlage auch für die Profangeschichte“ abgeben, wie Dittmar in seiner Geschichte der Welt formuliert (I: XV). Der mitunter verwendete Begriff „Profangeschichte“ markiert dabei ihre kategoriale Unterscheidung von weltlicher Geschichte und Heilsgeschichte und zugleich deren Untrennbarkeit: Beide sind für die Autoren gleichermaßen real, und beide, auch die profane, Geschichte ist Gottes Geschichte. Dies rückt, stärker als in der Historiographie des frühen Luthertums,124 die Kirchen-, Missionsund Frömmigkeitsgeschichte auch in der Weltgeschichtsschreibung ins 120 Zu Ehrenfeuchter vgl. Friedrich Wilhelm Bautz, „Ehrenfeuchter, Friedrich“, BBKL, Bd. I (1990), 1471. 121 Friedrich Ehrenfeuchter, Entwicklungsgeschichte der Menschheit besonders in ethischer Beziehung. In Umrissen dargestellt, Heidelberg: Winter 1845. 122 Eyth, Biographie en gros, 1847, 110. 123 Unter der Überschrift „Christliche Grundanschauung der Geschichte“ erwähnt Wilhelm Prange, „Geschichte“, in: August Lüben (Hg.), Pädagogischer Jahresbericht für die Volksschullehrer Deutschlands und der Schweiz, Leipzig: Brandstetter 1859, (180–279) 185– 203 nicht nur einige der hier dargestellten Werke, sondern auch Geschichtsbücher aus den 1850er Jahren, darunter Friedrich von Maltzahns Umriß einer christlichen Weltgeschichte, deren zweite Auf lage 1853 in der Agentur des Rauhen Hauses erschien, und Jan de Liefdes aus dem Holländischen übertragene Allgemeine Geschichte für das Volk. Vom Standpunkt des christlichen Glaubens. 124 Pohlig, Gelehrsamkeit, 146 f; 269; 498 f beobachtet dort in bestimmten Fällen sogar Unwillen, die Reformation in die universalhistorische Erzählung einzubeziehen, und spricht von einer „historiographischen Applikation der Zweireichelehre“ – einer (relativen) Autonomisierung des Politischen innerhalb des religiös bestimmten Geschichtsdenkens. Auch die erwecklichen Geschichtsschreiber erkennen dem Politischen ein gewisses Eigenrecht zu und sind damit ebenfalls Anhänger einer lutherischen Zweireichelehre. Eine strikte Trennung der Bereiche lehnen sie jedoch zugunsten einer Gesamtschau der Geschichte unter der Perspektive des Reiches Gottes ab.

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Zentrum des Interesses. Die Darstellungen eint zudem ihr Zugehörigkeitsgefühl zur christlichen Geschichtsschreibung, die heilsgeschichtliche Teleologie und der Reich-Gottes-Gedanke, die häufig paränetisch-erbauliche Darstellungsform und der ausgeprägte Vorsehungsglaube. Davon abgesehen haben diese Weltgeschichten „mit andern, wenn auch nicht auf dem gleichen Prinzip ruhenden, das Wesentliche gemein“, wie Dittmar in dem zitierten Abschnitt unterstreicht (I: XVI). Ein Vergleich mit anderen Weltgeschichten würde dies bestätigen. Gleichwohl gibt es einen Fundus an charakteristischen Darstellungsformen, Argumentationsfiguren und Wertungen, auf die im Laufe der Untersuchung noch genauer einzugehen sein wird.

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2. „Das Reich Gottes ist einem Sauerteige gleich“ – Kirchengeschichten und Missionsgeschichten Auch die Gattung Kirchengeschichte war im 18. Jahrhundert durch die Tendenz zur Verwissenschaftlichung und durch die Ideenwelt der Aufklärung geprägt worden. Johann Lorenz von Mosheim, nach Ferdinand Christian Baur der „Vater der modernen Kirchengeschichtsschreibung“, hatte in den Institutiones Historiae ecclesiasticae antiquae et recentioris von 1755 die Geschichte der Kirche als einer soziologischen Größe pragmatisch-psychologisch dargestellt. In den zwischen 1768 und 1803 entstandenen 35 Bänden der Christlichen Kirchengeschichte seines Schülers Johann Matthias Schröckh erschien diese als Teil einer umfassenden Geschichte der Religionen. Die großen kirchengeschichtlichen Darstellungen der folgenden Jahrzehnte – etwa von Ernst Ludwig Theodor Henke (9 Bd., 1788–1823), Gottlieb Jacob Planck (5 Bd., 1803–1809) und Johann Carl Ludwig Gieseler (5 Bd., 1824–1857) – waren von diesem weit mehr aufgeklärten als orthodoxen Geist mitgeprägt.1 Der von Romantik und Idealismus gekennzeichnete Vormärz brachte jedoch eine „deutliche Verzögerung beim Prozess der Enttheologisierung der Kirchengeschichte“.2 2.1 Die Wertschätzung der Kirchengeschichtsschreibung Die Erweckungsbewegung nahm an diesem Prozess wiederum regen Anteil. Der Grund hierfür lag auf der Hand: Eine Revitalisierung des christlichen Lebens musste das Interesse an der Geschichte des Christentums verstärken, und ihr Biblizismus leitete die Erweckungsbewegung notwendigerweise zu einer besonderen Wertschätzung der biblischen Heilsgeschichte. Weil diese Heilsgeschichte aber mit dem biblischen Kanon keinen Abschluss gefunden hatte, betrachtete die Erweckungsbewegung die Kirchengeschichte als deren genuine Fortsetzung. Wie der Sauerteig in dem berühmten Himmelreichsgleichnis breite sich die Gemeinde Jesu Christi geschichtlich aus und wirke dabei auf ihre Umwelt. Ohne die Sonderstellung der biblischen Historie aufzuheben, rechnete man daher mit einer grundsätzlichen Einheit von biblischer Geschichte und Kirchengeschichte. 1

Vgl. Albrecht Beutel, „Kirchengeschichte/Kirchengeschichtsschreibung. II. 3. Entwicklung: Mittelalter und Neuzeit“, RGG 4, Bd. 4 (2001), 1183–1191; Eckehart Stöve, „Kirchengeschichtsschreibung“, TRE, Bd. XVIII (1989), 535–560. 2 Christoph Markschies, „Kirchengeschichte/Kirchengeschichtsschreibung. I. Begrifflichkeit und Voraussetzungen“, RGG 4, Bd. 4 (2001), (1170–1179) 1175.

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„Schon seit langer Zeit wurde von vielen theuern Mitgliedern unsers Vereins der Wunsch dringend ausgesprochen, die bisher in demselben erschienenen geschichtlichen Werke, die Offenbarungen Gottes im alten Testament, die Lebensgeschichte Jesu etc. durch eine Geschichte der christlichen Kirche zu vermehren, so daß eine vollständige Geschichte des Reiches Gottes auf Erden vorläge“, 3

formulierte Franz Bogislav Westermeier für den Christlichen Verein im nördlichen Deutschland. Der sich hier aussprechende Glaube an eine durchgehende „Geschichte des Reiches Gottes“ bedeutete umgekehrt, dass die Erweckten mitunter sogar die biblische Historie als eine „Kirchengeschichte“ bezeichnen konnten.4 Kirchengeschichte war also nach übereinstimmender Meinung wichtig und wurde, zusammen mit der biblischen Geschichte, nicht zuletzt für den Unterricht an Volksschulen eingefordert. Johann Hinrich Wichern schrieb aus dem Rauhen Haus über die „heilbringende“ Wirkung solchen Unterrichts selbst an Kindern, die nicht wüssten, ob Jesus oder Martin Luther der Frühere gewesen sei. 5 Und der Süddeutsche Schul-Bote meinte kernig: „Wenn manche Schullehrer Zeit finden, Unterricht in der Geographie, Naturgeschichte, württembergischen Geschichte, auch in der Obstbaumzucht und Landwirthschaft, was füglich außer der Schule gelernt werden kann, zu ertheilen; so sollte sich auch noch Zeit für die christliche Kirchengeschichte finden.“6

Die Erweckten konnten kirchengeschichtliche Darstellungen daher auch in fachfremden Kontexten wie Katechismen, biblischen Geschichten oder neutestamentlichen Kommentaren abdrucken. Eine Streitschrift im Umfeld der Zürcher Kontroverse um die Berufung von David Friedrich Strauß zum Theologieprofessor wurde mit dem bemerkenswert allgemein gehaltenen Kapitel „Die Geschichte der christlichen Kirche“ eingeleitet; es stützte sich auf zwei Geschichtsdarstellungen der deutschen Erweckungsbewegung (Barth und Leipoldt). Das kurze Kapitel sei nötig, meinte der Verfasser, weil die Berufung des christentumskritischen Strauß „besser im Zusammenhange mit der Geschichte der christlichen Kirche im Allgemeinen und der neuern Zeit insbesondere“ verstanden werden 3 Franz A. Bogislav Westermeier, Der Anfang der christlichen Kirche. Oder: Geschichte der christlichen Kirche in den drei ersten Jahrhunderten, Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1837, III. 4 Wilhelm Leipoldt, Die Geschichte der christlichen Kirche, zunächst für Schulen und Katechesationen bearbeitet, Schwelm: Scherz 1834, 2. Vgl. auch die Bemerkung des britischen Evangelical Magazine aus dem Jahr 1833, die 22 Geschichtsbücher der Bibel seien „inspired church history“ (564). 5 „Nachrichten aus dem Rauhen Hause. Aus dem innern Leben der Anstalt (Fortsetzung des Briefs in Nr. 5)“, FB 1 (1845), 154–158. 6 „Ueber den Unterricht in der christlichen Kirchengeschichte und ihre Behandlung in der Volksschule“, SSB 9 (1845), (185–197) 188.

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könne.7 Man zielte somit auf eine adäquate historische Einordnung der eigenen kirchlichen Gegenwart. Gute kirchen- und missionsgeschichtliche Literatur war aus Sicht der Erweckungsbewegung ein zentrales Desiderat, dem es sich anzunehmen galt. Ähnlich wie bei der christlichen Weltgeschichtsschreibung ging es ihr darum, eine breite Palette von Darstellungen für unterschiedliche Zielpublika aus einem entschieden christlichen Geist auf den Markt zu bringen. Auch hier fühlte man einen schmerzlichen Mangel an aktuellen volkstümlichen und wissenschaftlichen Werken und beobachtete erfreut, wie die weißen Flecken auf dem christlichen Kirchengeschichtsmarkt allmählich verschwanden. Wie bei der Universalhistorie verstand man sich als Gesinnungsgemeinschaft mit einem gemeinsamen Bildungsauftrag und nahm voneinander Notiz. Die Gattung der Missionsgeschichte wurde dabei von der Erweckungsbewegung erst in größerem Stil begründet. Ziel des Kapitels ist es, die entstandenen Werke vor dem Hintergrund dieses Schulbildungsprozesses zuerst für die Kirchengeschichte, dann für die Missionsgeschichte vorzustellen. 2.2 Kirchengeschichten Am Anfang einer längeren Reihe steht ein Werk, das vor der Zeit des Vormärz verfasst wurde und nicht aus der deutschen, sondern der – schon früher einsetzenden – englischen Erweckungsbewegung stammt: die fünfbändige, zwischen 1794 und 1809 veröffentlichte History of the Church of Christ des anglikanischen Geistlichen und Pädagogen Joseph Milner (1745–1797).8 Sie war von dessen jüngerem Bruder, dem Cambridger Mathematiker und Freund des Abolitionisten William Wilberforce Isaac Milner (1750–1820),9 zu Ende geführt worden. Die deutsche Ausgabe des Werkes erschien in den Jahren 1801 bis 1813 und erlebte ab 1819 eine zweite Auf lage.10 Milners Unterscheidung der „so genannten Christenheit“ und der „wahren Kirche Christi“ (IV: 2) macht den frömmigkeitsgeschichtlichen Ansatz deutlich, dem auch die deutsche Erweckungsbewegung folgen sollte. Das Werk wurde viel gelesen und von mehreren Autoren 7 Johann Caspar Grob, Die Zürcherische Kirche und Schule und ihr Verhältniß zu Dr. Strauß im Jahr 1839. Eine Darstellung für die Urtheilsfähigen im Volke, hg. von der evangelischen Gesellschaft in Zürich, Zürich: Wichelhausen 1839, (2–8) 2. 8 Zu Joseph Milner vgl. D. Bruce Hindmarsh, „Milner, Joseph (1745–1797)“, ODNB, Bd. 38 (2004), 319 f. 9 Zu Isaac Milner vgl. Kevin C. Knox, „Milner, Isaac (1750–1820)“, ODNB, Bd. 38 (2004), 310–313. 10 Joseph Milner, Geschichte der Kirche Christi, 5 Bd., hg. von Isaac Milner, aus dem Engl. von Peter Mortimer, Barby: Schilling/Leipzig: Kummer 1801–1813.

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späterer Kirchengeschichten als Informationsquelle verwendet. Man schätzte an Milner den „frommen Geist und Sinn“11 eines christlichen Geschichtsschreibers und die „vorherrschend praktisch christliche Tendenz“,12 war sich aber auch seiner Schwächen bewusst, besonders des „Mangels wissenschaftlicher Schärfe, Gründlichkeit und Einheit“13 und der Tatsache, dass Milners Kirchengeschichte „nicht auf deutschem Boden erwachsen“ war und daher „manche uns fremde Beziehungen“ enthielt.14 Es war daher notwendig, dass die deutsche Erweckungsbewegung sich ihre eigenen Kirchengeschichten schuf. Noch ein zweites Werk steht an der Schwelle der vormärzlichen Kirchengeschichtsschreibung der Erweckungsbewegung:15 das 1819 erstmals erschienene, knapp 400 Seiten umfassende Spätwerk des Zürcher Kirchenvorstehers Johann Jakob Heß (1741–1828),16 Kern der Lehre vom Reiche Gottes. Nach Anleitung des biblischen Geschichtinhalts.17 Das Buch, nach Gustav Weth „tüchtigstes und vollendetestes Werk“ des „heilgeschichtlichen Systematikers“ Heß,18 ist keine Kirchengeschichte im eigentlichen Sinne, sondern eine vielfach theoretisch-essayistisch gehaltene „biblische Offenbarungsgeschichte“ (XVII), die aber dann in die Kirchengeschichte ausgezogen wird und schließlich in eine biblische Eschatologie einmündet. Die drei Hauptteile „Vorbereitende Anstalten“ (Abrahams Berufung bis zur Ankunft des Messias), „Hauptanstalten“ (das Auftreten Christi und die Entwicklung der Messiasgemeinde) und „Resultat der vorbereitenden sowohl als der Hauptanstalten“ (ein chiliastisch-eschatologischer Ausblick) umschließen die ganze Menschheitsgeschichte. Heß legt Wert darauf, biblisch belegte Zukunftsprophetie und „eigentlich-göttliche Dazwischenkunft“ in der Geschichte für historisch zu halten (VII f ). Wie in der Geschichte Israels erkennt Heß auch in der Geschichte der christlichen Gemeinde gra11

Christian Gottlieb Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte der Kirche Christi, Bd. I, Basel: Neukirch 1828, 11. 12 Heinrich Ernst Ferdinand Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. I, Halle: Gebauer 1833, 16. 13 „Neander, der Kirchenhistoriker“, TZTh 1830:1, (90–113) 94. 14 Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, V. 15 Ich übergehe das kurze Werk des Breslauer Professors und späteren Begründers der altlutherischen Kirche Johann Gottfried Scheibel, Uebersicht der Kirchengeschichte, in Angaben von Namen und Jahreszahlen, zum Gebrauch bey seinen Vorlesungen, Breslau: Graß & Barth 21820 (1812). Die Übersicht war lediglich als Unterstützung von Scheibels kirchengeschichtlichen Vorlesungen gedacht und besteht mehrheitlich aus Stichworten, bleibt aber auch in den ausformulierten Passagen verblüffend dunkel und hat trotz der Zielsetzung, den „ersten genaueren allgemeineren Versuch“ einer Geschichte des christlichen Lebens bereitzustellen (XV), in der Historiographie der Erweckungsbewegung nicht weiter nachgewirkt. 16 Zu Heß vgl. ADB, Bd. 12, 284–289. 17 Johann Jakob Hess, Kern der Lehre vom Reiche Gottes. Nach Anleitung des biblischen Geschichtinhalts, Zürich: Orell & Füßli 21826 (1819). 18 Weth, Heilsgeschichte, 26.

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vierende Verfallsperioden, aber auch eine „seliges Entzücken“ weckende „höchste Planmäßigkeit“ des geschichtlichen Ganzen (XX f ). Stärker als im Bereich der Universalgeschichte besaß die Erweckungsbewegung für die Kirchengeschichte eine herausragende Figur mit Einf luss innerhalb und jenseits der Erweckungsbewegung: den konvertierten Juden und Professor für Kirchengeschichte an der Berliner Universität August Neander (1789–1850).19 Neander, nach Peter Meinhold „unter den Historikern der eigentliche Repräsentant der Erweckungsbewegung“,20 trat seit den 1810er Jahren mit wissenschaftlichen Monographien über Julian Apostata (1812), Bernhard von Clairvaux (1813), Johannes Chrysostomus (1821 f ) und Tertullian (1825) und mit kirchengeschichtlichen Überblicksdarstellungen hervor. Auch wenn viele populäre Kirchengeschichten des Erweckungspietismus nicht auf Neander gründen sollten, hatte er als neuer Typus des wissenschaftlich versierten und gleichzeitig erbaulich-frommen Kirchenhistorikers nationale und internationale Ausstrahlungskraft. Sein Schüler Jean-Henri Merle d’Aubigné, als Kirchenhistoriker selbst von großer Bedeutung für den französischsprachigen Protestantismus, nannte ihn bereits 1832 den Vater der modernen („nouvelle“) Christentumsgeschichte.21 Neanders Opus Magnum war seine in sechs Bänden und elf Teilbänden erschienene, unvollendet gebliebene Allgemeine Geschichte der christlichen Religion und Kirche,22 die er auf Anregung seines Freundes und Verlegers Friedrich Perthes begann 23 und an der er seit den 1820er Jahren bis zu seinem Tod arbeitete. Sie umfasst den Zeitraum von der frühen Kirche bis zum Konstanzer Konzil. Das apostolische Zeitalter gliederte Neander aus und behandelte es in einer gesonderten zweibändigen Schrift.24 19 Zu Neander vgl. Joachim Mehlhausen, „Neander, Johann August Wilhelm (1789– 1850)“, TRE, Bd. XXIV (1994), 238–242; Kurt-Victor Selge, „August Neander – ein getaufter Hamburger Jude der Emanzipations- und Restaurationszeit als erster Berliner Kirchenhistoriker (1830–1850)“, in: Gerhard Besier/Christof Gestrich (Hg.), 450 Jahre Evangelische Theologie in Berlin, Göttingen 1989, 233–276; Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Theismus und biblische Überlieferung. Beobachtungen zur Theologie der Erweckung, Stuttgart 1965, 26–36. 20 Peter Meinhold, Geschichte der kirchlichen Historiographie, Bd. 2, Freiburg/München 1967, 151. 21 Merle D’Aubigné, Discours, 1832, 40. 22 August Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion und Kirche, 6 Bd. (11 Abt.), Hamburg: Perthes 1826–1852. Bd. VI wurde postum von Neanders Schüler Karl Friedrich Theodor Schneider herausgegeben. Neanders Werk erschien 1863–1865 in vierter Auf lage. 23 Vgl. Clemens Theodor Perthes, Friedrich Perthes’ Leben nach dessen schriftlichen und mündlichen Mittheilungen aufgezeichnet, Bd. III, Gotha: Perthes 61872 (1855), 135 f. 24 August Neander, Geschichte der Pf lanzung und Leitung der christlichen Kirche durch die Apostel, als selbständiger Nachtrag zu der allgemeinen Geschichte der christlichen Religion und Kirche, 2 Bd., Hamburg: Perthes 1832–1833. Das Werk erlebte bis 1862 fünf Auf lagen.

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In der Allgemeinen Geschichte der christlichen Religion und Kirche verwendet Neander das viergliedrige Schema von „Verhältnis zur Welt“ (auch „Ausbreitung“ oder „Beschränkung“), „Verfassung“, „Leben“ (bzw. „Kultus“) und „Lehre“ zur Analyse der jeweiligen Zeitabschnitte. In einem präzisen, nüchternen Erzählstil, der eigene Überzeugungen dennoch nicht verleugnet, und mit einem breiten Fußnotenapparat für originalsprachliche Quellenbelege arbeitet Neander für die behandelten Epochen insbesondere die „Beziehung auf das christliche Leben“ heraus, die er „zu dem eigenthümlichen Standpunkte“ seiner Geschichtsschreibung rechnet (V.1: VIII). Politik und Institutionen werden dagegen weniger stark gewichtet. Neander ist kritisch gegen leichtfertige „Ausmalung in’s Uebernatürliche“ in seinen Quellen (II.1: 12), rechnet aber mit der „unsichtbaren Hand“ Gottes in der Geschichte (I.1: 2). Neander erweist sich als ein Mann der Erweckungsbewegung, wenn er sein Werk der Herzenstheologie weiht („Pectus est, quod theologum facit“) und dann in der Vorrede dem Ziel verschreibt, die „Geschichte der Kirche Christi darzustellen –, als einen sprechenden Erweis von der göttlichen Kraft des Christenthums, als eine Schule christlicher Erfahrung, eine durch alle Jahrhunderte hindurch ertönende Stimme der Erbauung, der Lehre und der Warnung für Alle, welche hören wollen […]“ (I.1: VII).

Fünf Jahre nach diesem berühmten Satz schreibt Neander, er habe seinen „Gesichtspunkt“ beibehalten: „Einen Gegensatz zwischen erbauender und belehrender Kirchengeschichte werde ich nie anerkennen.“ (II.3: X) Obgleich sein theologischer Gegner Ferdinand Christian Baur diesen subjektiven Zug ebenso wie Neanders Verzicht auf eine philosophische Gesamtdeutung und auf eine „Gliederung der Perioden“ kritisiert, attestiert er Neander doch eine außerordentliche „Fähigkeit, […] sich in die Eigenthümlichkeit der verschiedensten Zeiten und Personen zu versetzen“. Nicht weniger als 31 Seiten seiner 1852 publizierten Geschichte der kirchlichen Historiographie sind dem Neanderschen Werk gewidmet.25 Ein Thema, das sich durch Neanders Kirchengeschichte zieht, ist dessen Überzeugung von der „wahrhaft katholischen unsichtbaren Kirche“ in allen Konfessionen und Frömmigkeitsausprägungen (II.1: VII). Sie werde häufig von einer „gottgeweihten Priesterkaste“ (II.1: 207) und der „Einmischung einer fremdartigen Staatsmacht“ (II.2: 496) geschwächt. Das Mittelalter sei hiervon stark betroffen, dennoch beurteilt Neander es ambivalent: Die Völker, so folgert er aus dem providentiellen Gang, hätten „erst durch ein gesetzliches Christenthum […] zur Mündigkeit der evangelischen Freyheit erzogen werden“ müssen (III: 68). Nach Neander konnte „nur aus den 25 Ferdinand Christian Baur, Die Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung, Tübingen: Fues 1852, (201–232) 206; 212.

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Gegensätzen heraus die harmonische Auffassung des Christenthums hervorgehen“ (II.2: 495). Diese organische Geschichtsschau hat einen leichten vermittlungstheologischen Einschlag. Er zeigt sich auch in der Widmung des dritten Bandes (an den Professorenkollegen August Twesten), in der er den Weg der „rechten Mitte“ empfiehlt. Wenngleich andere Erweckte diese theologische Offenheit26 oder auch Neanders „theilweise Abneigung gegen den kirchlichen Lehrbegriff “27 kritisieren konnten, erhielt das Werk doch aus dem In- und Ausland höchste Anerkennung.28 Unmittelbar von Neander inspiriert war das zweibändige Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte29 des Hallenser Theologieprofessors Heinrich Ernst Ferdinand Guerike (1803–1878).30 Im Vorwort des 1833 veröffentlichten erfolgreichen Handbuches – 1866 bis 1868 erschien es, nunmehr dreibändig, in neunter Auf lage – beschreibt Guerike sich als „Schüler des von mir innigst dankbar verehrten Herrn Dr. Neander“ (V). Das zusammen etwa 1050 Seiten und die gesamte Kirchengeschichte bis zur Gegenwart umfassende Werk ist naturgemäß weniger detailliert als das Neandersche Vorbild, ähnelt ihm aber von der Anlage her stark. So verwendet auch Guerike die Einteilung des Stoffs in die vier Bereiche „Ausbreitung oder Beschränkung, Verfassung, christliches Leben und Cultus, und Lehre der Kirche“ (3) und verzichtet auf eine prononcierte inhaltlich-thematische Periodisierung. Auch einzelne inhaltliche Wertungen wie die modernisierende Interpretation der frühjüdischen Pharisäer, Sadduzäer und Essener als Vertreter von „Orthodoxie, Auf klärerei und Mysticismus“ (21) stammen von Neander. Baur macht in Guerikes Werk nicht zu Unrecht die Verbindung „der Neander’schen Grundanschauung“ mit dem „Rigorismus des altlutherischen Bekenntnisses“ aus.31 Die Formulierung suggeriert allerdings eine starke lutherische Polemik, die sich dort nicht findet. Guerikes Ziel ist es, ein „gedrängtes Handbuch der christlichen Kirchengeschichte“ für Theologiestudenten und wissenschaftlich interessierte Laien vorzulegen, das in ein „lebendiges Verständniß“ der Kirchengeschichte einführt (III). Dabei, schreibt Guerike, habe er für „die christ liche Kirche überhaupt, und für die jederzeit reinste unter den christlichen Gemeinden insbesondere, liebevoll Parthei genommen“; parteiisch habe er 26 Vgl. Kantzenbach, Theismus und biblische Überlieferung, 27 sowie die kritische französische Rezension in Archives 4 IIe série (1836), 97 f. 27 „Ueber die Aufgabe und die Behandlung der Dogmen-Geschichte“, ZPK 3 N. F. (1842), (65–101) 68. 28 Etwa „Ueber Dr. Neander’s Schriften. (Schreiben an den Herausgeber aus Kopenhagen.)“, EKZ 2 (1828), 345–352; Rezension in Archives 13 (1830), 109–120. 29 Heinrich Ernst Ferdinand Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, 2 Bd., Halle: Gebauer 1833. 30 Zu Guerike (auch: Guericke) vgl. G. Sprengler, RGG 3, Bd. 2 (1958), 1904. 31 Baur, Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung, 1852, 245 Fn. 1.

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dagegen nirgends sein wollen (Vf ). Guerikes wissenschaftlicher Anspruch zeigt sich darin, dass er Aussagen mit originalsprachlichen, neben lateinischen etwa auch griechischen (590), Zitaten und aktuellen Literaturhinweisen belegt und sein Werk mit einem historiographiegeschichtlichen Überblick (10–17) einleitet. Kirchengeschichtsschreibung könne jedoch zugleich, meint Guerike, „ohne eignen christlichen Geist“ nicht angemessen betrieben werden (3). Letzterer zeigt sich in zwei ausführlichen Jesuskapiteln (26–33), die Christus als „Erlöser“ und „nicht bloß Lehrer und Vorbild“ darstellen (29). Er spricht sich jedoch auch schon im Vorwort aus, welche das Buch – für die Erweckungsbewegung typisch – Gottes „allerheiligstem Namen allein“ zueignet und in seinen Dienst stellt (VI). Der Vergleich mit einem kirchengeschichtlichen Werk ohne Erweckungshintergrund, beispielsweise dem Standardwerk des Rationalisten Johann Carl Ludwig Gieseler (1792–1854), der statt einer doxologischen Zueignung oder Fürbitte nur den Wunsch nach „wohlwollender Aufnahme“ des Buches und einer Beförderung des kirchenhistorischen Studiums äußert,32 verdeutlicht die spezifische Erweckungsfrömmigkeit. Die Reformation ist für Guerike das Ereignis, durch das „das Ganze der Glaubenslehre, das Ganze des kirchlichen Lebens aus dem Worte Gottes von Grund aus erneuert ward“ (578). Das „wahre Gesammtbild“ der katholischen Kirche enthalte jedoch sowohl positive als auch destruktive Seiten (769 Fn. 45). Die weitgehend pietismusfreundliche und auf klärungskritische Darstellung mündet, wiederum typisch für die Er weckungsbewegung, in das ausführliche Schlusskapitel „Christliches Missionswesen“ (1007–1024) ein. Bereits 1831 war die Biblische Geschichte des Direktors des Lehrerseminars in Moers und Vaters des Neutestamentlers Theodor Zahn Franz Ludwig Zahn (1798–1890) 33 erschienen.34 Zahn behandelt im ersten Band den Alten, im zweiten den Neuen Bund, indem er biblische Geschichtstexte chronologisch ordnet und im ursprünglichen Wortlaut, d. h. mit der „unübertreff lichen Erzählkunst der heiligen Schrift selbst“,35 wiedergibt. Er 32 Johann Carl Ludwig Gieseler, Lehrbuch der Kirchengeschichte, Bd. I, Bonn: Marcus 1827, IV. 33 Zu Zahn vgl. Hugo Gotthard Bloth, „Der Pädagoge Franz Ludwig Zahn (1798–1890) und seine Amtsenthebung durch Ferdinand Stiehl (1812–1878)“, Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 24 (1975), 163–202, v. a. 169–173. Zahn, seit 1832 Nachfolger Diesterwegs in Moers und als Schulpolitiker ein leidenschaftlicher Verfechter der pädagogischen Autonomie des Lehrers, war als Student durch den Berliner Erwecktenkreis um den schlesischen Baron von Kottwitz geprägt worden. 34 Franz Ludwig Zahn, Biblische Geschichte nebst Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der christlichen Kirche, 2 Bd., Dresden: Walther 1831. Spätere Auf lagen des Werkes erschienen in einem einzigen Band. 35 So formuliert „Ein Wort über Zahns biblische Historien und über bibl. Geschichtsunterricht überhaupt“, SSB 2 (1837/38), (6 ff ) 7. 2

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möchte mit den Bänden jedoch nicht nur eine ansprechende Zusammenstellung der biblischen Historie, sondern eine Geschichte des Reiches Gottes insgesamt liefern. Folglich schreibt er ein historisches Zusatzkapitel für die intertestamentarische Zeit zwischen Maleachi und Johannes dem Täufer, um die geschichtliche Brücke zwischen Altem und Neuem Testament zu schlagen (I: 353–374). Vor allem gibt er dem zweiten Band neben neutestamentlichen Geschichtstexten zusätzliche Kapitel über die „Geschichte der Kirche Christi“ bei. In diesen Kapiteln finden auch mehrere eingängige Quellentexte wie der Pliniusbrief (II: 154 f ), die Justinus-Dialoge (II: 160–162), August Hermann Franckes Bekehrungsbericht (II: 248 f ) und der Brief König Pomares von Tahiti an die Londoner Missionsgesellschaft (II: 263 f ) Platz. Schon vor seiner Allgemeinen Weltgeschichte hatte sich auch Christian Gottlob Barth (1799–1862) 36 anonym als Kirchenhistoriker betätigt. 1831 verfasste er einen Kurzen Abriß der Geschichte der christlichen Kirche als Beigabe zu dem Offenbarungskommentar seines Freundes Karl August Osiander in der von dem fränkischen Pfarrer Brandt herausgegebenen „Schullehrerbibel“.37 Eine Kirchengeschichte schien als Verständnishilfe für das letzte Buch der Bibel angemessen, weil Osiander und Barth als Vertreter einer kirchengeschichtlichen Auslegung des Buches Schlüsselereignisse der Christentumsgeschichte in den apokalyptischen Bildern der Offenbarung wiederfanden.38 Barths zwanzigseitige Abhandlung ist dennoch eine kirchengeschichtliche Darstellung im klassischen Stil. Sie unterteilt die Kirchengeschichte in die vier Perioden „Der Kirche Pf lanzung. Vom ersten Pfingstfest bis Constantin (33 bis 324 n.Chr.)“, „Der Kirche Wachstum und Auswüchse. Von Constantin dem Großen bis auf Gregor VII. (324 bis 1073 n.Chr.)“, „Der Kirche dürre Zeit. Von Gregor VII. bis zur Reformation (1073 bis 1517 n.Chr.)“ und „Der Kirche neuer Flor. Von der Reformation (1517) bis auf unsre Zeit“. Barth sieht in der Kirchengeschichte eine Geschichte des Verfalls und Wiederaufstiegs, die er in der etwas plakativen Feststellung zusammenfasst: „Von der apostolischen Zeit an begann das Christenthum zu sinken [, … bis die Kirche] endlich im 13ten und 14ten Jahrhundert in dieser Beziehung fast auf Null stand. Von da an ging es wieder etwas hinauf, und sie ist seit der Reformation, besonders aber in unsern Tagen, im Steigen begriffen.“ (150) 36

Zu Barth vgl. Raupp, Barth. Christian Gottlob Barth (anon.), „Kurzer Abriß der Geschichte der christlichen Kirche“, in: August Osiander, Erklärung der Offenbarung Johannis. Eine Zugabe zum dritten Teile der von Christian Philipp Heinrich Brandt herausgegebenen evangelischen Schullehrerbibel, Sulzbach: Seidel 1831, 147–166. Zu Barths Verfasserschaft vgl. Werner, Barth, Bd. II, 1866, 241; Raupp, Barth, 206. 38 Zu Osianders Eschatologie vgl. auch Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 158–172. 37

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Die mittelalterlichen Scholastiker werden im Vergleich zu den Patristikern ausnehmend kritisch als Spezialisten für die „spitzfindige Beantwortung unzähliger, zum großen Theile nutzloser Fragen“ (159) dargestellt. Dies ist auch ein Ref lex der von Barth verurteilten Expansionsmethoden des mittelalterlichen Christentums: „Wie gesunken mußte die Kirche seyn, welche mit saracenischen Mitteln bekehrte!“ (156) Die in dem „Abriß“ angekündigte „ausführlichere Bearbeitung der Kirchengeschichte für Schule und Volk“ (147) verwirklichte Barth vier Jahre später in der Christlichen Kirchengeschichte für Schulen und Familien,39 die der Einteilung in die vier genannten Epochen und denselben Grundlinien folgt. Das etwa 250-seitige Werk ist durch die Wahl einer lebendigen Erzählform auf Kinder als Rezipienten zugeschnitten. Dieser Zweck erklärt auch die knapp vierzig Illustrationen, von denen viele dramatische Schlacht- oder Märtyrerszenen zeigen. Als Ziel gibt Barth im Vorwort in seiner charakteristischen bildhaften Sprache an, er habe Kindern „eine Reihe von Anekdoten an einem historischen Faden, eine Perlenschnur, oder einen Faden, mit Candiszuckercrystallen überzogen“ bieten wollen (III). Obwohl dem Buch die Empfehlung für den Schulgebrauch durch das württembergische Konsistorium versagt blieb,40 erzielte es mit 24 deutschen Auf lagen und 37 (!) Übersetzungen eine erstaunliche Breitenwirkung. Barths Freund und erster Biograph gab an, 1845 sei das Buch in Ungarn verboten worden, nachdem dort 25.000 Exemplare verbreitet worden seien, und 1850 habe Barth in Schottland erfahren, dass „alle Kirchenbibliotheken der established church“ es bereits angeschafft hätten.41 Erweckungsblätter wie der Christliche Volksbote aus Basel nahmen es als lange erwartete „in ächtem evangelischem Sinne geschriebene populäre Kirchengeschichte“ dankbar auf.42 Von ähnlicher Bedeutung für die Erweckungsbewegung wie Barths Calwer Kirchengeschichte war die 222-seitige Geschichte der christlichen Kirche43 des Wuppertaler Pfarrers und maßgeblichen Mitbegründers der 39 Christian Gottlob Barth (anon.), Christliche Kirchengeschichte für Schulen und Familien. Mit Abbildungen, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 31836 (1835). 40 Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 190 f. 41 Werner, Barth, Bd. III, 1869, 132; 215. 42 „Literarische Anzeige: Christliche Kirchengeschichte für Schulen und Familien“, CVB 3 (1835), 140. Vgl. auch „Calwer Schulschriften-Verein. (Zugleich Anzeige dieser Schriften.)“, SSB 2 (1837/38), 140 f. Der von Barth verfasste Artikel „Der Calwer Verlagsverein“, ChB 18 (1848), 607–609 beinhaltet den Bericht des Ostindienmissionars Lacey über die Verwendung von Barths Kirchengeschichte in der Orissa-Sprache. Die französische Rezension in Archives 12 IIe série (1844), 206 f lobt das – für die französische Ausgabe stark umgearbeitete – Buch als „un livre plein de solide instruction, très-édifiant et trèsintéressant“. 43 Wilhelm Leipoldt, Die Geschichte der christlichen Kirche, zunächst für Schulen und Katechesationen bearbeitet, Schwelm: Scherz 1834.

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Rheinischen Missionsgesellschaft Johann Wilhelm Leipoldt (1794–1842).44 Das schmale Buch, dessen Erlös für eine „Lehrer-Wittwen-Kasse“ bestimmt war und das 1898 seine 13. Auf lage erreichen sollte, stützt sich „vorzugsweise“ auf Milners Kirchengeschichte (IV) und reiht sich damit in die mehr erbaulichen als wissenschaftlichen Kirchengeschichten ein – auch wenn bei der Erweckungsbewegung die Grenze f ließend war, wie nicht nur das Beispiel Neanders zeigt. Leipoldt kommt darauf explizit zu sprechen: „[A]ußer der erfreulichen Bereicherung unserer Erkenntniß bietet uns die christliche Kirchengeschichte manchen Segen für unser Herz dar. 1) Sie ist mehr, als jede andre Geschichte, ein Denkmahl der wunderbaren Führungen Gottes […] 2) Sie ist eine fortgehende Verherrlichung Jesu Christi […] 3) Sie ist ein augenscheinlicher Beweis von der Göttlichkeit des Christenthums. […] 4) Die Geschichte der christlichen Kirche macht uns mit vielen ehrwürdigen Männern Gottes bekannt, deren Glaubenskraft und heiliges Leben uns noch heute ein erweckendes Beispiel gibt. 5) Endlich hält uns die Kirchengeschichte auch warnende Beispiele der mannigfachsten Abirrungen von der lautern Wahrheit und die traurigen Folgen desselben vor, und ermahnt uns, treu und einfältig bei dem Worte Gottes zu bleiben, damit wir nicht in Aberglauben und Unglauben fallen.“ (3 f )

Leipoldt gliedert die Kirchengeschichte in acht Perioden, nämlich „Die apostolische Zeit“, „Die Zeit der Verfolgung“, „Die Zeit der äußern Ruhe“ (ab Konstantin), „Die Zeit des allmähligen Verfalls“, „Die Nacht und die Morgenröthe“, „Der neue Tag“ (angebrochen mit der Reformation), „Der Kampf um die Wahrheit“ (v. a. in der Auf klärungsepoche) und „Unsere Zeit“. Die Darstellung ist, wenn auch nicht katholizismusfreundlich, so doch nicht-konfessionalistisch. Sie unterscheidet vielmehr zwischen „äußern Bekennern“ und denen, die „in der That und Wahrheit Christen“ seien, was mit der äußeren Kirchenzugehörigkeit keineswegs identisch sei (1). Leipoldt beschreibt das „dunkle Mittelalter“ (115) als die „Frucht eines langen und beharrlichen Abweichens von Gottes Wort“ (117), das, vorbereitet von dem Morgenrot der Vorreformatoren, dann mit der „Kirchenverbesserung im 16ten Jahrhundert“ (135) von einem neuen Tag abgelöst worden sei (135): „Die Reformation ist recht sichtbar Gottes Werk.“ (162) Der orthodoxen Erstarrung habe wiederum Spener, Vater des Pietismus und „ein brennend und scheinend Licht“, neue christliche Lebenskraft entgegengesetzt (179). Die englisch-europäische Weltmission habe der von französischer Auf klärung und Revolution entstellten Christenheit 44

Zu Leipoldt vgl. Benrath, Erweckung, 186; Eduard Kriele, Geschichte der Rheinischen Mission, Bd. 1: Die Rheinische Mission in der Heimat (Zugleich ein Stück westdeutscher Kirchengeschichte), Barmen 1928, 28 f. Nach Ludwig von Rohden, Geschichte der Rheinischen Missions-Gesellschaft. Aus den Quellen mitgeteilt, Barmen 31888, 52 war Leipoldt „von allen als Mittelpunkt und Hauptträger des ganzen Werkes anerkannt“.

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eine Zukunftsperspektive eröffnet. Leipoldt schließt mit einem ambivalenten Ausblick auf die eigene Zeit. Das Werk wurde im Süddeutschen SchulBoten gleich mehrere Male thematisiert und als hervorragende Ergänzung der Calwer Kirchengeschichte begrüßt, mit der es gemeinsam eine wesentliche Lücke auf dem Geschichtsmarkt schließe. Allerdings sei Leipoldt schwerer zu lesen als Barth und daher „nur der geweckteren und mehr herangereiften Jugend“ mit einer „seßhaften Natur“ zu empfehlen.45 In zwei der Zeitschriftenempfehlungen wird den Kirchengeschichten von Barth und Leipoldt der Katechismus der christlichen Kirchengeschichte46 des rheinischen reformierten Pfarrers Emil Wilhelm Krummacher (1798–1886) 47 an die Seite gestellt. Aus einer Familie von Erweckungspredigern stammend, hatte sich Krummacher zur Aufgabe gesetzt, den Bibelkatechismus seines Vaters Friedrich Adolf Krummacher für die Kirchengeschichte fortzusetzen. Auf der Grundlage von Leipoldts Geschichte der christlichen Kirche, deren Darstellung bis in die Kapiteleinteilung, Periodisierung, Wertung und sprachliche Formulierung hinein übernommen und mit einigen Bibelversen ergänzt wurde,48 entstand so ein Frage-Antwort-Katalog, der die gesamte Kirchengeschichte in leicht memorierbare Einzelstücke zerlegte. Über den Kaiser Konstantin heißt es beispielsweise: „Fr.: Bewies er sich auch in seinem Leben als ein Christ? A. Leider nicht, er ließ sich nicht selten zur Herrschsucht, Prachtliebe und Grausamkeit verleiten. So ließ er z. B. seinen eigenen Sohn Crispus, weil er ihn ohne Grund in Verdacht hatte, als trachte er nach der Krone, hinrichten.“ (24) „Fr. Wie starb er? A. Seine letzten Aeußerungen lassen hoffen, daß er bußfertig und mit gläubiger Zuversicht zu Gottes Gnade verschieden sei.“ (26)

Krummacher wollte mit dieser originellen Behandlung der Kirchengeschichte der „Unbekanntschaft des Christenvolkes und der christlichen Jugend mit der Geschichte der Kirche“ abhelfen (III) und verteidigte die ungewöhnliche Form gegen kritische Einwände (IV). Die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung ließ sich offenbar überzeugen und empfahl Krummachers „Geschichtskatechismus“ als eine „würdige Fortsetzung“ des 45 Christian Palmer, „Literarischer Bericht: Kirchengeschichte“, SSB 4 (1840), (124–127; 134–136) 127. Vgl. auch „Literarischer Bericht: Berufsbildung des Schullehrers“, SSB 2 (1837/38), (132–136) 134; „Ueber den Unterricht in der christlichen Kirchengeschichte“, SSB 9 (1845), (185–197) 186. 46 Emil Wilhelm Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte für die evangelische Jugend, Essen: Bädeker 1833. 47 Zu Krummacher vgl. Uwe Eckardt, „Krummacher, Emil Wilhelm“, BBKL, Bd. IV (1992), 713 f. 48 Da Krummachers Katechismus (1833) zumindest offiziell vor Leipoldts Kirchengeschichte (1834) erschien, lag ihm möglicherweise eine noch unveröffentlichte Fassung der Kirchengeschichte vor.

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von Friedrich Adolf Krummacher herausgegebenen „Bibelkatechismus“.49 Krummacher war nicht der Einzige, der kirchengeschichtliches Grundwissen im Kontext des katechetischen Unterrichts vermitteln wollte. Auch der bedeutende Prediger und spätere evangelische Bischof der Provinz Sachsen Johann Heinrich Bernhard Dräseke (1774–1849) 50 gab seinem für Konfirmanden bestimmten Handbuch für junge Freunde und Freundinnen Jesus einen Anhang zur „Geschichte der Kirche“ bei, in dem er die aus evangelischer Sicht wichtigsten Fakten in einfachen, wenn auch für Kinder wohl nicht immer verständlichen Sätzen schildert.51 Die Einbeziehung der Kirchengeschichte in die Katechese unterstreicht erneut ihre aus Sicht der Erweckungsbewegung beträchtliche Bedeutung. Besonders mehrbändige populär-erbauliche Kirchengeschichten waren jedoch noch kaum vorhanden. Aus diesem Grund entschloss sich Franz A. Bogislav Westermeier († 1870),52 Pastor in Biere (bei Magdeburg) und langjähriger Geschäftsführer des mit der Verbreitung erbaulicher Kleinschriften befassten Christlichen Vereins im nördlichen Deutschland, ab 1837 eine ausführliche Geschichte der christlichen Kirche herauszubringen.53 Zahn, Leipoldt und der Calwer Verlagsverein, schreibt Westermeier im Vorwort zu dem ersten Band, hätten den Bedarf an kürzeren Kirchengeschichten auf „vortreff liche Weise“ gedeckt (I: IV). „Dagegen schien es noch an einem Werke zu fehlen, welches einfachen christlichen Lesern, die durch eine genauere und mehr ins Einzelne gehende Darstellung der christlichen Kirchengeschichte belehrt und erbauet sein wollen, die gewünschte Befriedigung gewähre.“ (I: V)

Milners Arbeit sei verdienstvoll, aber zu schlecht strukturiert und zu wenig auf deutschem Boden verankert, um die Lücke wirklich zu schließen. Vor diesem Hintergrund entstand Westermeiers eigenes Werk, das bis 1851 sieben Bände (teilweise in zwei „Abtheilungen“) von zumeist 300 bis 400 Seiten umfasste; einige Bände erlebten in den 1850er Jahren ihre zweite oder dritte Auf lage. Der erste Band behandelt die ersten drei Jahrhunderte mit einem Schwerpunkt auf den altkirchlichen Märtyrern. Deren Geschichte scheint Westermeier als das „für den Kreis der Leser, für 49 „Kurze Anzeigen“, Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1835, 175 f (fälschlich als „143“/„144“ angegeben). 50 Zu Dräseke vgl. Wolfgang Nixdorf, Bernhard Dräseke (1774–1849). Stationen eines preußischen Bischofs zwischen Auf klärung und Restauration, Bielefeld 1981. 51 Johann Heinrich Bernhard Dräseke, Glaube, Liebe, Hoffnung. Ein Handbuch für junge Freunde und Freundinnen Jesus, neue Auf l., Reutlingen: Mäcken 1817, 169–189. 52 Zu Westermeier vgl. Benrath, Erweckung, 183. 53 Franz A. Bogislav Westermeier, Geschichte der christlichen Kirche, hg. von dem christlichen Vereine im nördlichen Deutschland, 7 Bd., Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1837–1851.

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welche das Buch bestimmt ist, Anziehendste“ zu sein (I: V). Die folgenden Bände haben die Zeit bis zum Ende des 8. Jahrhunderts, das hohe Mittelalter, die Epoche bis zum frühen 16. Jahrhundert und schließlich das Leben Luthers, Zwinglis und Calvins zum Thema. Die Bände V bis VII behandeln die deutsche evangelische Kirchengeschichte seit Luthers Tod, die „Evangelische Kirche des Auslandes und die Secten“ sowie die „Römischund griechisch-katholische Kirche seit der Reformation“. Neben kompletten Kirchengeschichten verfassten erweckte Christen auch kirchengeschichtliche Einzeluntersuchungen. Der Hallenser Theologieprofessor Friedrich August Gotttreu Tholuck (1799–1877),54 nach Karl Barth „reiner Erweckungstheologe“ wie kein anderer,55 befasste sich intensiv mit der neuzeitlichen Kirchengeschichte und machte das Neandersche Programm einer Frömmigkeitsgeschichte für die von Neander nicht behandelten Epochen von Orthodoxie, Pietismus und Auf klärung fruchtbar.56 Während sein wissenschaftliches Hauptwerk, die Vorgeschichte des Rationalismus, die einen Meilenstein in der Erforschung der Geistesund Theologiegeschichte des 17. Jahrhunderts darstellt, erst zwischen 1853 und 1862 in vier Einzelabteilungen erschien, fällt der Abriß einer Geschichte der Umwälzung, welche seit 1750 auf dem Gebiete der Theologie in Deutschland statt gefunden57 in die Zeit des Vormärz. Differenziert und mit großer Quellenkenntnis stellt Tholuck die verschiedenen Strömungen der Auf klärungsperiode dar und interpretiert sie als eine „religiöse Umwälzung […], welche in ihrer Art ohne Beispiel ist“ (1). Thomas Kaufmann hat Tholucks Beschäftigung mit dem Rationalismus in einem neueren Beitrag das „Projekt einer Überwindung des Rationalismus mittels seiner Historisierung“ genannt, wobei Tholuck der Auf klärung teilweise auch ein legitimes Wissenschaftsbedürfnis attestiert habe.58 Zeitlich und lokal eingegrenzt waren die 1847 erschienenen Erinnerungen aus der Reformationsgeschichte von Franken 59 des Pfarrers, Kirchenpolitikers und späteren Begründers der diakonischen Neuendettelsauer Anstalten 54 Zu Tholuck vgl. Klaus-Gunther Wesseling, „Tholuck, Friedrich August Gott[t]reu“, BBKL, Bd. XI (1996), 1251–1266. 55 Barth, Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, Bd. 2, 434. 56 Vgl. Hans-Martin Kirn, „Umkämpfter Glaube – umkämpfte Geschichte: August Tholuck als Kirchenhistoriker“, PuN 27 (2001), (118–146) 128. 57 August Tholuck, „Abriß einer Geschichte der Umwälzung, welche seit 1750 auf dem Gebiete der Theologie in Deutschland statt gefunden“, in: ders., Vermischte Schriften größtentheils apologetischen Inhalts, Bd. II, Hamburg: Perthes 1839, 1–147. 58 Thomas Kaufmann, „Tholucks Sicht auf den Rationalismus und seine ‚Vorgeschichte‘“, in: Manfred Jakubowski-Tiessen (Hg.), Religion zwischen Kunst und Politik. Aspekte der Säkularisierung im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004, (146–177) 176; 161. 59 Wilhelm Löhe, Erinnerungen aus der Reformationsgeschichte von Franken, insonderheit der Stadt und dem Burggraftum Nürnberg ober- und unterhalb des Gebirgs, Nürnberg: Raw 1847.

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Wilhelm Löhe (1808–1872).60 Die Schrift war aus der Praxis der pfarramtlichen „Reformationschristenlehre“ entstanden, wo sich Löhe einen Motivationsschub bei den Kindern erhoffte, wenn „einmal etwas von der lieben Heimat“ behandelt werde (V). Insofern erhebt Löhe keinen Anspruch auf „Gelehrsamkeit“ (VIII). Das Buch zerfällt nach einer politikgeschichtlichen Einleitung (1–44) in die Unterkapitel „Anfänge der Reformation in Franken“ (Ansätze im 15. und frühen 16. Jahrhundert [45–57]), „Der Kampf “ (die frühen 1520er Jahre [58–90]), „Der Sieg“ (die späten 1520er Jahre [91–122]), „Kirchenordnung“ (Meilensteine ihrer Entstehung [123– 136]), „Die Versuchung“ (das Augsburger Interim [137–165]) und „Die Befestigung“ (die Konkordienformel [166–189]). Löhes Ziel ist es, „zugleich Liebe zur Reformation und zur Heimat“ zu wecken (VI). Die lutherisch und fränkisch-lokalpatriotisch geprägte Erzählung, von dem schwäbischen Christen-Boten 61 und der fränkischen Zeitschrift für Protestantismus und Kirche gleichermaßen als „treff liche“ Schrift begrüßt,62 bietet auch einen Brückenschlag zwischen den Jahrhunderten: „Der Gott unsrer Väter, der unser Land im 16. Jahrhundert gnädig heimgesucht hat, segne uns auch, die wir im 19. Jahrhundert leben, der Vollendung der Kirche und seiner Zukunft harren.“ (189)

Zu den gemeinsamen Merkmalen der kirchengeschichtlichen Literatur der Erweckungsbewegung gehört die Schlüsselstellung des Zeugenbegriffs. Der permanente Verweis auf „Zeugen“, „Glaubenszeugen“, „Blutzeugen“ und insbesondere „Wahrheitszeugen“ (bzw. „Zeugen der Wahrheit“) in der Geschichte entspricht einem praktisch-pietistischen Glaubensverständnis: Das Christenleben ist nicht passive Kirchenzugehörigkeit, sondern aktive Zeugenschaft, die es nicht selten gegen eine feindselige Umwelt oder ein verweltlichtes kirchliches Establishment auszurichten gilt. Während der Begriff der „Blutzeugen“ generell Märtyrer bezeichnet (in den meisten Fällen bezogen auf die antiken Christenverfolgungen), sind „Wahrheitszeugen“ dem Evangelium treue Christen aller Epochen. So beschreibt ein 1844/45 in der Schweiz erschienenes zweibändiges Buch der Wahrheitszeugen Gestalten und Bewegungen aus der gesamten Kirchengeschichte.63

60 Zu Löhe vgl. Erika Geiger, Wilhelm Löhe (1808–1872). Leben – Werk – Wirkung, Neuendettelsau 2003. 61 „Die Reformation von Franken“, ChB 17 (1847), (29–34) 29. 62 „Literarische Anzeige“, ZPK 13 N. F. (1847), (255–260) 256. Die ZPK hält das Werk allerdings, anders als Löhe, für „mehr nur für Gelehrte“ geeignet und bittet um eine weitere Umarbeitung zu einem „wahren Volksbuche“ (260). 63 Christoph Möhrlen, Das Buch der Wahrheitszeugen, oder der theuern protestantischevangelischen Kirche ununterbrochene Fortdauer in allen Jahrhunderten. Geschichtserzählungen für Schule und Haus, 2 Bd., Basel: Bahnmaier 1844–1845.

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Die Erweckten können Reformatoren,64 den Methodisten George Whitefield,65 aber auch engagierte christliche Zeitgenossen66 Zeugen der Wahrheit nennen. August Tholuck verwendet den Begriff als Synonym für entschiedene Christen und fordert einen „catalogus testium veritatis aus der Klasse der Großhändler unter den Menschengeistern“, in den er Figuren wie Dante, Milton, Klopstock, Newton, Kopernikus und Kepler aufnehmen würde.67 In den häufigsten Fällen wird die Bezeichnung jedoch für die Christen des Mittelalters verwendet, die in Opposition zur offiziellen Papstkirche evangelische Prinzipien vertreten hätten, allen voran die Waldenser, John Wycliffe und Jan Hus. Der Satz „Es standen immer mehrere, immer beherztere Wahrheitszeugen auf “68 ist typisch für die Einschätzung der als zunehmend veräußerlicht geschilderten mittelalterlichen Christenheit, die von Gott bis zu ihrer Reformation im 16. Jahrhundert doch nicht ohne Vorbilder gelassen worden sei. Mit dem Zeugentopos griff die Erweckungsbewegung auf eine alte Argumentationsfigur zurück. Bereits das Neue Testament hatte von den Glaubensvorbildern der Vergangenheit als einer „Wolke von Zeugen“ gesprochen (Hebräer 12,1; vgl. Apostelgeschichte 1,8). Die von der ultramontanen Publizistik des Vormärz heftig kritisierte 69 Vorstellung, das Mittelalter habe vorreformatorische Wahrheitszeugen hervorgebracht, war ebenfalls nicht neu. Nachdem bereits Luther in dem Häretiker Hus einen „heiligen Märtyrer“ gesehen hatte, gab der lutherische Theologe Matthias Flacius Illyricus in den 1559 bis 1574 entstandenen Magdeburger Zenturien eine Geschichte der zunehmenden Entstellung biblischer Wahrheit im Mittelalter heraus. Flacius stellte dieser Verfallsgeschichte in seinem Catalogus testium veritatis von 1556 die Traditionsgeschichte einer schmalen, aber ununterbrochenen Linie gottgefälliger Wahrheitszeugen inmitten der kirchlichen Finsternis zur Seite.70 Diese Geschichtsvorstellung, ein evangelisches Gegenbild zur katholischen successio episcoporum, war bereits 64

Löhe, Erinnerungen aus der Reformationsgeschichte, 1847, 48. „Aus dem Leben des Predigers Whitefield“, CVB 7 (1839), (293–296) 295. 66 Karl Mann, „Vorwort des Uebersetzers“, in: Louis Gaussen, Die Juden und die Hoffnung ihrer baldigen Wiederherstellung vermittelst des Evangeliums. Ein Vortrag, gehalten am 12. März 1843 im Museum zu Genf. Aus dem Frz., Karlsruhe: Macklot 21843, (V–VIII) V in einem Abschnitt über den Autor. 67 August Tholuck, „Pascal“, in: ders., Vermischte Schriften, Bd. I, 1839, (224–247) 224 f. 68 Hess, Kern der Lehre, 21826, 244. 69 „Bemerkungen über neuere Geschichtschreibung“, HPB 2 (1838), (51–56) 51 f spricht von „sogenannte[n] Geschichten der Vorläufer der Reformation“, die dazu bestimmt seien, den „noch so jungen und in sich zerrissenen“ protestantischen Konfessionen den Anstrich von Kontinuität und Alter zu geben. 70 Vgl. Gustav Adolf Benrath, „Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie. VII.1. 16. bis 18. Jahrhundert“, TRE, Bd. XII (1984), (630–643) 630–633. 65

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von Philipp Melanchthon skizziert worden, als er Luther 1546 in seiner berühmten Trauerrede in eine Kette gottgesandter Lehrer des wahren Glaubens einreihte. Georg Major hatte das Konzept 1550 weiterentwickelt, doch erst seit Flacius war der Begriff testis veritatis einschlägig. Sein etwa 400 Artikel zählender, viel gelesener Catalogus umfasste insbesondere Gegner des Papsttums und seiner weltlichen und geistlichen Machtansprüche.71 Anderthalb Jahrhunderte später weitete der Radikalpietist Gottfried Arnold in seiner bahnbrechenden Unpartheyischen Kirchen- und Ketzerhistorie von 1699/1700 die Theorie von der Verweltlichung auf den Hauptstrom der Reformation selbst aus: Am 16. und 17. Jahrhundert, die drei Viertel seines Werkes ausmachen, kritisierte Arnold eine Erstarrung der Konfessionen, auch des Luthertums, und stellte ihr sein Ideal einer über den Religionsparteien stehenden Reihe einfacher, frommer und friedlicher Christen gegenüber.72 Arnolds Kirchengeschichte, bereits als solche ein „antiinstitutionell gewendeter Catalogus testium veritatis“, enthielt zusätzlich einen von seinem Freund Friedrich Breckling stammenden Catalogus testimonium veritatis post Lutherum continuatus huc usque.73 Der reformatorische Zeugendiskurs wurde also fortgeführt, er verlor allerdings im 17. und vor allem 18. Jahrhundert deutlich an Akzeptanz.74 Die Kirchengeschichten der Erweckungsbewegung trugen zu seiner Wiederbelebung bei. Sie nahmen damit kirchengeschichtliche Grundpositionen der Reformation und des Pietismus auf und verbanden sie mit dem neueren historischen Wissenskanon des bürgerlichen 19. Jahrhunderts, einem in der Revolutionsepoche geschärften eschatologischen Bewusstsein und einem durch die jüngere Missionsbewegung inspirierten missionsgeschichtlichen Akzent. 2.3 Missionsgeschichten Die Erweckten beließen es nicht dabei, die Kirchengeschichte als „eine große Missionsgeschichte“ darzustellen.75 Sie verfassten auch regelrechte Missionsgeschichten und schufen damit ein eigenes historiographisches Subgenre. Der Aufschwung der Missionsgeschichtsschreibung ging mit 71

Vgl. Pohlig, Gelehrsamkeit, 108 f; 296 f; 305; 312 sowie insgesamt 294–341. Vgl. Gäbler, Geschichte, Gegenwart, Zukunft, 30–33; Jürgen Büchsel, Gottfried Arnold. Sein Verständnis von Kirche und Wiedergeburt, Witten 1970, 76–105; Frank Carl Roberts, Gottfried Arnold as a Historian of Christianity: A Reappraisal of the Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie, Nashville, Tennessee, Univ., Diss., 1973. 73 Pohlig, Gelehrsamkeit, 340. 74 Pohlig, Gelehrsamkeit, 338–341; 503 spricht von einer „argumentativen Implosion dieses Deutungsmusters“. 75 So der Vater der süddeutschen Rettungshaus-Bewegung C. H. Zeller, Lehren der Erfahrung, Bd. II, 1827, 80. 72

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dem Auf kommen der jüngeren Missionsbewegung seit den 1790er Jahren in England und seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auf dem europäischen Festland einher. Sie war daher primär Zeitgeschichtsschreibung, die dem „Arbeiten der Kirchengeschichte vor unsern Augen“76 nachspürte. Zugleich suchte man dieses Geschehen jedoch tief in der Geschichte zu verorten. Das Genre war zwar nicht auf die Erweckungsbewegung beschränkt, wie liberale77 und katholische78 Missionsgeschichten belegen. Es dürfte jedoch keine Übertreibung sein, der Erweckungsbewegung den überwältigenden Anteil an der Entstehung dieser Literatur einzuräumen. Ihre Verfasser waren missionsinteressierte Theologen oder Mitarbeiter einer Missionsgesellschaft, die im Stile der armchair travellers Missionsberichte aus aller Welt kompilierten oder das Material aus Missionszeitschriften synthetisierten und meist nach Weltregionen geordnet präsentierten. Dass sie in selteneren Fällen auch selbst Missionare waren, zeigen die Lebensbilder aus der Geschichte der Brüdermission, deren Verfasser Heinrich Rudolf Wullschlägel noch während der Arbeit an dem Buch „einem erhaltenen Rufe zufolge“ mit seiner Familie auf die Karibikinsel Antigua zog und von einem anonymen Ersatz-Herausgeber vertreten werden musste.79 Aufgrund der breiten Beschäftigung mit der Missionsthematik scheint es das von Jürgen Osterhammel für das allgemeine deutsche Geistesleben beobachtete „Verschwinden […einer] kulturvergleichenden Selbst76

Wilhelm Hoffmann, Die Evangelische Missionsgesellschaft zu Basel im Jahre 1842. Eine Bekanntmachung an alle Evangelischen Christen. Geschrieben im Auftrage der Evangelischen Missions-Committee, Basel: Schneider 1842, 108. 77 Heinrich Zschokke, Darstellung gegenwärtiger Ausbreitung des Christenthums auf dem Erdball. Ein geschichtlicher Umriß, Aarau: Sauerländer 1819. Der liberale Politiker und Volksauf klärer Johann Heinrich David Zschokke (1771–1848) begrüßt in diesem Überblick die v. a. von den britischen Erweckten erzielten internationalen Missionserfolge durchaus und stimmt auch in der Verurteilung der gewaltsamen Mission früherer Jahrhunderte mit ihnen überein (7). Er interpretiert Mission allerdings im Unterschied zur Erweckungsbewegung primär als „Ausbreitung der Auf klärung, der Gesittung, der Geistesfreiheit“ (2) und die neuere Missionsgeschichte als eine „Geschichte der Gesittung aller Nationen; Geschichte der Geistesfreiheit, der ächten Veredlung des menschlichen Geschlechts“ (1). 78 Geschichte der katholischen Missionen im Kaiserreiche China von ihrem Ursprunge an bis auf unsre Zeit, 2 Bd., Wien: Mechitaristen-Congregations-Buchhandlung 1845, die wie ihre evangelischen Pendants ethnologische und politische Informationen und den Bezug auf „die göttliche Vorsehung“ (I: III) und „die besonderen Führungen des Herrn“ (I: V) enthält. Ebenfalls in Wien erschienen 1829 eine Neuauf lage von Pater Florian Pauke’s Reise in die Missionen nach Paraquay und Geschichte der Missionen St. Xaver und St. Peter und 1834 die Geschichte der chinesischen Mission unter der Leitung des Pater Johann Adam Schall. 79 Heinrich Rudolf Wullschlägel, Lebensbilder aus der Geschichte der Brüdermission. Ein Beitrag zur allgemeineren Kenntniß und Förderung der evangelischen Missionssache überhaupt und der Missionen der Brüdergemeine insbesondere, Bd. II, Stuttgart: Steinkopf 1846, III.

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verständlichkeit nach Wilhelm und Alexander von Humboldt“80 in der Erweckungsbewegung nicht gegeben zu haben. Denn diese sah in der Missionsgeschichte einen „Theil der Culturgeschichte der Menschheit“, aus der Interessierte „manchen nicht unerheblichen Gewinn ziehen“ könnten, und zwar „wie für Anregung des Gemüthslebens in innigerer, zarterer Menschen- und Christus-Liebe, so auch für Erweiterung ihrer Kenntnisse in der Weltkunde“.81 Der Grundton der Missionsgeschichtsschreibung ist aber nicht Neugier, sondern ein dankbares Staunen. Pessimistische oder düsterapokalyptische Töne sind seltener als in anderen historiographischen Genres. „[W]ie Großes ist seitdem geschehen!“82 – Dieses Gefühl begleitet den Rückblick der Erweckungsbewegung auf die Anfänge der Mission in etlichen Weltgegenden. Ludwig Hofacker, trotz seines frühen Todes der wohl wirkmächtigste Prediger der deutschen Erweckungsbewegung, entspricht ganz dem Geist der Missionsgeschichten, wenn er in einer Predigt ausruft: „Ach, leset doch die Berichte, und freuet euch, und fallet nieder auf euer Antlitz und sprechet: der HErr ist Gott! der HErr ist Gott!“83 Angesichts der weltweiten Zahlenverhältnisse und des bis dato vornehmlich ausbeuterischen europäisch-überseeischen Kulturkontakts mischt sich unter die Freude aber auch Scheu vor der Größe der Aufgabe und eine illusionslose Zustandsanalyse: „Die Finsterniß und das Halbdunkel überwiegt leider bei weitem den vollen, hellen Tag […].“84 Wenigstens die Morgenröte sehen aber alle Missionsgeschichten am Horizont. Die 1815 gegründete Basler Mission, die in erheblichem Maße die Gründung weiterer deutscher Missionsgesellschaften inspirierte, wirkte auch auf dem Gebiet der Missionsgeschichtsschreibung wegweisend. Das Basler Magazin für die neueste Geschichte der evangelischen Missions- und Bibelgesellschaften verfolgte ohne Beschränkung auf die eigene Missionsgesellschaft den Fortgang der weltweiten Missionsarbeit und brachte daneben ethnologische (z. B. „Afrikanische Sprach-Proben“, 1817, 582), landeskundliche („Das Königreich Birmah“, 1837, 2. QH) und biographische („Lebensgeschichte des vollendeten Missionars Dr. W. Carey“, 1838, 2. QH) Artikel. Durch Aufteilung der Missionsgebiete in verschiedene Weltregionen, die jeweils 80 Jürgen Osterhammel, Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 22003, 100. 81 „Ueber Missionsgeschichte, zugleich Bücherbericht“, SSB 4 (1840), (65–68) 66. 82 Karl Friedrich Ledderhose, Das Büchlein von den Hottentotten und ihrem ersten Apostel, Georg Schmidt. Für Jung und Alt, Basel: Schneider 1849, 54. 83 Ludwig Hofacker, Predigten für alle Sonn-, Fest- und Feiertage, Bd. I, Stuttgart: Steinkopf 1831, 865. Hofacker spielt hier auf die Reaktion des Volkes Israel auf das Feuerwunder auf dem Berg Karmel nach dem Gebet des Propheten Elija an (1. Könige 18,39). 84 Carl Christian Gottlieb Schmidt, Kurzgefaßte Lebensbeschreibungen der merkwürdigsten evangelischen Missionare, nebst einer Uebersicht der Ausbreitung des Christenthums durch die Missionen, Bd. I, Leipzig: Hinrichs 1836, VII; vgl. Müller, Ostindien, 1841, 445.

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in einem Heft dargestellt wurden, kam es so zu einer zyklisch wiederkehrenden „Missionsreise um die Welt“ (1820, Vorwort). Der Herausgeber des Magazins, Christian Gottlieb Blumhardt (1779– 1838),85 zugleich erster Inspektor der Basler Missionsgesellschaft und Cousin des Vaters von Johann Christoph Blumhardt,86 stellte der Zeitgeschichtsschreibung seines Periodikums in der ersten Nummer zwei missionsgeschichtliche Überblicksdarstellungen zur historischen Grundlegung voran. Der Kurze historische Umriß der Fortschritte des Evangeliums unter den verschiedenen Völkern 87 des anglikanischen Geistlichen Hugh Nicholas Pearson (1776–1856) 88 behandelt die Ausbreitungsgeschichte des Christentums seit Christus für jedes Jahrhundert gesondert in einem kurzen Kapitel. Ein wiederkehrendes Motiv ist Pearsons Klage über gewaltsame Christianisierung, die ihm in der Spätantike, dem Mittelalter und den Kolonialisierungszügen der Frühen Neuzeit begegnet und die er eine „blos politische“ und schließlich „hierarchische“ Missionsgeschichte nennt (83). Die durch die evangelische Mission seit dem 18. Jahrhundert bewirkten Konversionen seien dagegen „zwar nicht so zahlreich, aber im Allgemeinen weit gründlicher und dem Geiste des Christenthums gemäßer“ gewesen (77). Dasselbe Heft des Basler Magazins druckte eine Kurze Geschichte der Bibelverbreitung und der Bibelübersetzungen ab,89 bei der es sich ebenfalls um eine Übersetzung aus dem Englischen handelte. Die beiden schottischen Pastoren William Orme (1787–1830) 90 und William Aird Thomson 91 beschreiben hier die vorchristliche Verbreitung des Alten Testaments, die Bibelverbreitung im Mittelalter, die neuen Möglichkeiten seit Erfindung des Buchdrucks und die Geschichte der Bibelverbreitung von der Reformation bis 85 Zu Blumhardt vgl. Heinz-Horst Schrey, „Blumhardt, ev. Theologen“, NDB, Bd. 2 (1955), (334 f ) 334. 86 Vgl. Ising, Blumhardt, 388. Die Verwandtschaftsbeziehung wird in der Literatur häufig unscharf mit „Onkel“ oder „Großonkel“ wiedergegeben. 87 Hugh Pearson, „Kurzer historischer Umriß der Fortschritte des Evangeliums unter den verschiedenen Völkern seit der ersten Bekanntmachung desselben bis zur Stiftung der neuesten protestantischen Missionen. Aus einer englischen Preisschrift“, MGMB 1:1 (1816), 1–84. 88 Zu Pearson vgl. Thomas Seccombe/H. C. G. Matthew, „Pearson, Hugh Nicholas (1776–1856)“, ODNB, Bd. 43 (2004), 320 f. 89 „Kurze Geschichte der Bibelverbreitung und der Bibelübersetzungen von ihrem ersten Entstehen an bis zur Stiftung der brittischen und ausländischen Bibelgesellschaft im Jahr 1803. Nach der lehrreichen Schrift a historical Sketch of the translation and circulation of the Scriptures, by W. A. Thomson and W. Orme Perth, 1815 bearbeitet“, MGMB 1:1 (1816), 85–145. 90 Zu Orme vgl. Alexander Gordon/Anne Pimlott Baker, „Orme, William (1787– 1830)“, ODNB, Bd. 41 (2004), 940 f. 91 Nach Thomas Hay Marshall, The History of Perth: From the Earliest Period to the Present Time, Perth: Fisher 1849, 390; 394 war Thomson, dessen Lebensdaten mir nicht vorliegen, zwischen 1808 und 1843 Geistlicher an der Middle Church und zwischen 1843 und 1845 Geistlicher an der Free Middle Church in Perth.

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zur British and Foreign Bible Society. Dass man die im Zuge von religiöser Erweckung und neuer Drucktechnik drastisch gestiegene Zirkulation der Heiligen Schrift für bemerkenswert hielt, belegt auch eine im Folgejahr erschienene 126-seitige Schrift von Johann Jakob Heß über Das Vorsehungsvolle der immer weitern Bibelverbreitung in unsern Tagen.92 Als im Jahr 1820 der Vogtländer Pfarrer Karl Gottfried Leonhardt (1777– 1838) 93 im Namen des Dresdner Hilfsvereins für die Basler Mission seinen 254-seitigen Überblick Die gesegnete Ausbreitung des Christenthums unter Heyden, Mahomedanern und Juden in der neuesten Zeit veröffentlichte,94 stützte er sich nach eigenen Angaben vornehmlich auf die Informationen des Basler Magazins (IV). Einer knappen Darstellung der „früheren Ausbreitung des Christenthums“ bis zum Ende des 18. Jahrhundert schließt sich die „Fortsetzung derselben durch die neuern Missionen“ – quantitativ zwei Drittel und Kern des Buches – an. Kapitel über die Bibelverbreitung, die Wichtigkeit der Teilnahme am Missionswerk und die Basler Missionsschule sowie ein eindringliches Missionslied schließen den Band ab. Dessen Ziel war die Stärkung des Glaubens seiner Leser und, ohne dadurch Spenden von Halle, Berlin oder Herrnhut abzuwerben (252), die Förderung der Basler Missionshilfsvereine (III f ). Der Basler Missionsinspektor Blumhardt war es dann auch, der als Erster überhaupt das Projekt einer großangelegten modernen Missionsgeschichte in Angriff nahm. Sein Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte der Kirche Christi,95 der aus dem missionsgeschichtlichen Unterricht am Basler Missionsseminar erwachsen war (I: IX) und seit 1828 in fünf Teilbänden von durchschnittlich 600 Seiten erschien, behandelt ausgiebig das apostolische Zeitalter, die Alte Kirche und das Mittelalter. Blumhardts Tod im Jahr 1838 verhinderte, wie später bei Neanders Kirchengeschichte, eine Weiterführung des Werkes bis zur Neuzeit. Blumhardt schreibt ohne akademischen Duktus und gelehrten Apparat, aber wissenschaftlich belesen und differenziert. Die Zueignung des zweiten Bandes an „seine geliebten Zöglinge […] in der weiten Zerstreuung des heidnischen Auslandes“ (II.1 [1829]: Widmung) belegt zugleich die persönliche Anteilnahme. Eine Missionsgeschichte verfolgt nach Blumhardt ein doppeltes Ziel. Sie versucht einerseits (negativ) das Vorurteil zu zerstreuen, die neuere Mis92 Johann Jakob Hess, Das Vorsehungsvolle der immer weitern Bibelverbreitung in unsern Tagen, Zürich: Orell & Füßli 1817. 93 Zu Leonhardt vgl. Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung 1839, 138; Ernst Gotthelf Gersdorf (Hg.), Repertorium der gesammten Deutschen Literatur 19 (1839), 2. 94 Karl Gottfried Leonhardt, Die gesegnete Ausbreitung des Christenthums unter Heyden, Mahomedanern und Juden in der neuesten Zeit. Zur Beförderung des Missionswerks in einer kurzen Uebersicht dargestellt, Dresden: Missions-Verein 1820. 95 Christian Gottlieb Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte der Kirche Christi, 3 Bd. (5 Abt.), Basel: Neukirch 1828–1837.

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sionstätigkeit sei eine „ganz neue und fremdartige Erscheinung“ oder ein „Erzeugniß frommer Verirrung und Schwärmerei“: Mission gehört zum historischen Christentum. Andererseits gehe es ihr (positiv) darum, dem Missionsunternehmen „aus der Schule alter Erfahrung geschichtlich die Richtung und die probehaltigen Geleise nachzuweisen, in denen es mit göttlicher Kraft und Selbstverläugnung wandeln muß, wenn seine Arbeit in dem Herrn nicht eitel und vergeblich seyn soll“ (I: VI f ).

Die Missionsgeschichte taugt also als Lehrerin für die Missionspraxis. Umso erstaunter zeigt sich Blumhardt, dass das Feld trotz einzelner Vorarbeiten – unter anderem werden Milner, Heß und Neander genannt (I: XI; 11 f ) – bislang unbearbeitet sei. „Der Forscher der christlichen Missionsgeschichte muß es in der That befremdlich finden wahrzunehmen, daß man in den verf lossenen 18 Jahrhunderten der Kirchengeschichte noch nie ernstlich daran gedacht hat, den fortlaufenden und vielumfassenden Faden der Ausbreitungsgeschichte des Christenthumes in der Welt auf ihrem eigenen Grund und Boden aufzusuchen, und quellenmäßig als ein Ganzes zu bearbeiten.“ (I: 9)

Obwohl er die Aufgabe am liebsten „in den Händen eines kenntnißreichen, frommen und geübten Kirchenhistorikers“ gesehen hätte (I: VIII), nahm sich Blumhardt daher selbst der Missionsgeschichte mit einer grundlegenden Darstellung an. Blumhardt unterscheidet sechs Perioden der Missionsgeschichte: das apostolische Zeitalter („Apostolische“), die blutigen Kämpfe des zweiten und dritten Jahrhunderts bis Konstantin („Evangelische“) und die Ausbreitungsgeschichte in den Abendländern bis zu Karl dem Großen („Politische“ Periode), sodann die „sieben dunklen Jahrhunderte“ des Mittelalters („Hierarchische“), die Epoche von der Reformation bis zum Ende des 18. Jahrhunderts („Kirchliche“) und das 19. Jahrhundert („Universale“ Periode) (I: 74). Wie bereits die Epochennamen andeuten, sieht auch Blumhardt nicht nur in der Missionsträgheit, sondern auch in ihrer staatlichen oder gar militärischen Durchsetzung ein Grundübel der abendländischen Geschichte. Während für ihn die „apostolische Missionsgeschichte […] immerfort ein unerreichbares Ideal der evangelischen Missionsthätigkeit“ bleibt (I: XII), sieht er im hohen und späten Mittelalter „die bange Mitternachtsstunde ihrer tiefsten Erniedrigung“ gekommen (III.1 [1833]: III f ). Die göttliche Vorsehung habe aber selbst dies benutzen können. Blumhardts Missionsgeschichte wurde in der Erweckungsbewegung stark rezipiert. Obwohl die Evangelische Kirchen-Zeitung den Wunsch nach einer stärkeren Anlehnung an biblische Aussagen äußerte, begrüßte sie den ersten Band als „ein theures Geschenk“ an das christliche Lesepublikum

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und wies ihm auf dem Geschichtsmarkt einen prominenten Platz „nach und neben eines Neander’s Werken“ zu.96 1838 erschien eine vierbändige, von dem Französischschweizer Erweckungsprediger Ami Bost besorgte französische Übersetzung.97 Der Christliche Volksbote sprach nach Blumhardts Tod von einem „Werk, dessen Bedeutung wohl erst noch recht anerkannt werden wird“.98 Dass Blumhardt in einer Mitteilung des Tübinger „Missionshülfsvereins“ als „ein neuerer, oder vielmehr der erste MissionsGeschichtschreiber“ Erwähnung fand,99 spricht dafür, dass Blumhardts Anschauungen auch in der missionsinteressierten „Basis“ der Erweckungsbewegung ernst genommen wurden. Ab Ende der 1830er Jahre erschienen dann mehrere Missionsgeschichten. Der fränkische Pfarrer Benedict Stefan Steger100 veröffentlichte 1838 eine 150-seitige Abhandlung über Die protestantischen Missionen und deren gesegnetes Wirken,101 um „durch die nähere Bekanntschaft mit den großen Thaten Gottes, welche unter den Heidenvölkern durch die Predigt des Evangeliums geschehen sind, den Glauben zu stärken, andererseits aber auch dadurch eine noch regere Theilnahme für diese so einf lußreiche Angelegenheit zu fördern“ (IV).

Die christliche Mission wird von der apostolischen Zeit bis zur Gegenwart vorgestellt, wobei der eindeutige Schwerpunkt auf den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte liegt. Nach Jahrhunderten einer zweifelhaft motivierten oder gänzlich unterlassenen Missionstätigkeit, meint Steger, habe das 18. Jahrhundert „allmählig für die Mission die Morgenröthe einer besseren Zeit“ gebracht (23). Besonders in den letzten fünfzig Jahren hätten die neu entstandenen Missionsgesellschaften Missionare ausgesandt, die „den apostolischen Männern der frühern Jahrhunderte ohne Uebertreibung an die Seite gesetzt“ werden könnten (10). Die Predigt des Evangeliums sei „noch nie […] mit solchem Erfolge gekrönt gewesen, wie in unserer Zeit“. Dennoch sei erst ein kleiner Anfang gemacht (25). Steger geht 96

„Litterarische Anzeige“, EKZ 1828, (745–749; 753–757) 748; 753; 755 f. Histoire générale de l’établissement du Christianisme dans toutes les contrées où il a pénétré depuis le temps de Jésus-Christ, d’après l’allemand de C. G. Blumhardt, par A. Bost, Valence/Genf 1838. 98 „Christian Gottlieb Blumhardt“, CVB 6 (1838), (439–441) 441. 99 Eilfte Anzeige, den Missions-Hülfsverein zu Tübingen betreffend, sammt der Rechnung über Einnahme und Ausgabe, Tübingen: Fues 1830, 3. In diesem Hilfsverein für die Basler Mission gab es zwar Universitätsangehörige (vgl. Raupp, Barth, 112–114), sicherlich jedoch auch viele andere Mitglieder. 100 Der heute unbekannte Steger war nach Angabe seiner Bücher 1838 zweiter Pfarrer in Hof, 1847 dritter Pfarrer von St. Egidien in Nürnberg. 101 Benedict Stefan Steger, Die protestantischen Missionen und deren gesegnetes Wirken. Für Alle, welche sich über die segensreiche Ausbreitung des Christenthums unter den Heiden durch die protestantischen Missionen belehren wollen, Hof/Wunsiedel: Grau 1838. 97

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das bereits Erreichte und den jeweiligen historisch-geographischen Kontext Kontinent für Kontinent durch. Der dennoch geäußerten Kritik an der Unvollständigkeit von Stegers Darstellung102 kam dieser entgegen, indem er die Missionsgeschichte bis 1850 mit drei zusätzlichen Teilbänden weiterführte. 1842 gab der Nachfolger Blumhardts als Inspektor der Basler Mission, Sohn des Gründers der pietistischen Gemeinde Korntal und spätere Berliner Hofprediger Wilhelm Hoffmann (1806–1873)103 die 128 Seiten starke Informationsschrift Die Evangelische Missionsgesellschaft zu Basel im Jahre 1842 heraus.104 Die Schrift wurde in 40.000 Exemplaren gedruckt, unentgeltlich verteilt und mehrfach übersetzt und erzielte mit ihrem Plädoyer für die evangelische Mission eine außergewöhnliche Wirkung.105 Das zweite Kapitel, „Der Gang der Mission seit den Aposteln“ (7–12), beschreibt die Ausbreitung des Christentums in den ersten christlichen Jahrhunderten und in der Neuzeit und konstatiert dann: „In den jetzt abgelaufenen 42 Jahren unseres Jahrhunderts sind erstaunliche Dinge geschehen. In Amerika haben sich fünf Missionsgesellschaften gebildet, in Deutschland und der Schweiz eben so viele, die älteste 1816 zu Basel, dann folgten die zu Berlin, zu Barmen, zu Hamburg und Dresden, eine in Frankreich; zwei Gesellschaften beschäftigen sich mit der Bekehrung der Juden, die Bibel ist in der Christenheit zu vielen Millionen verbreitet. Sie wurde in 136 Sprachen gedruckt, 106 ganz neue Uebersetzungen wurden gemacht und herausgegeben und 22 sind jetzt unter der Presse. Jetzt stehen in allen Theilen der Erde 5000 evangelische Missionsarbeiter, Männer und Frauen, auf 900 Stationen. – Die Zahl der durch ihre Arbeit bekehrten Heiden beläuft sich auf etwa 400,000.“ (11 f )

Dennoch sei große Eile geboten, wie etwa das Beispiel China zeige: „Hier ist eine Menschenwelt, von welcher jeden Monat Eine Million unsterblicher Seelen ohne Unterricht, ohne Besserung und – so weit wir wissen – ohne Rettung der Ewigkeit in die Arme fällt.“ (15)

Auch der Professor am Stuttgarter Ober-Gymnasium und bekannte Verfechter des Turnunterrichts Friedrich Wilhelm Klumpp (1790–1868) 106 kon102

„Ueber Missionsgeschichte, zugleich Bücherbericht“, SSB 4 (1840), (65–68) 65. Zu Hoffmann vgl. Michael Hanst, „Hoffmann, Ludwig Friedrich Wilhelm“, BBKL, Bd. II (1990), 966–968. 104 Wilhelm Hoffmann, Die Evangelische Missionsgesellschaft zu Basel im Jahre 1842. Eine Bekanntmachung an alle Evangelischen Christen. Geschrieben im Auftrage der Evangelischen Missions-Committee, Basel: Schneider 1842. 105 Wilhelm Schlatter, Geschichte der Basler Mission 1815–1915. Mit besonderer Berücksichtigung der ungedruckten Quellen, Bd. 1: Die Heimatgeschichte der Basler Mission, Basel 1916, 180. 106 Zu Klumpp vgl. ADB, Bd. 16, 253–255. 103

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statiert in seinem knapp 70-seitigen Überblick über Das evangelische Missionswesen dessen erstaunlichen Aufschwung.107 1841 in erster und 1844 in zweiter Auf lage erschienen, beschreibt das Buch sogar einen öffentlichen Reputationsgewinn der Missionssache in der kurzen Zeit zwischen den beiden Auf lagen (Vorrede zur zweiten Auf lage). Hierzu habe Hoffmanns Schrift „einen nicht unbedeutenden Beitrag“ geleistet; das Spendenaufkommen etwa sei signifikant gestiegen (19 f ). Die Weltmissionsbewegung, meint Klumpp, sei umso erstaunlicher, als sie „einzig aus Privatkräften hervorgegangen“ sei und ausschließlich auf ihnen ruhe (11). Ohne die Reformatoren selbst zu kritisieren, hält er der Reformation ihre missionarische Passivität vor, die erst mit dem Pietismus und dann seit Ende des 18. Jahrhunderts gebrochen worden sei (16 f ). Christliche Mission mit einer wertschätzenden Grundhaltung gegenüber ihren Adressaten bedeutet für ihn die dringende Abtragung einer „schweren Schuld“ der Europäer an Völkern wie den nordamerikanischen Indianern (22) und den europäischen Juden (45 f ), die vielfach unterdrückt worden seien. Klumpp widmet sich nach dem geschichtlichen Überblick sukzessive Amerika, Afrika, Asien und der Südsee und bespricht dann die Judenmission sowie Grundsätze und Geist des Missionswerkes. Dem knapp 500 Seiten starken Calwer Handbüchlein der Missionsgeschichte und Missionsgeographie,108 das 1844 erschien und wie schon das Handbüchlein der Weltgeschichte aus Johann Christoph Blumhardts (1805–1880)109 Feder stammte, dient ebenfalls die europäisch-abendländische Missionsgeschichte als Vorspann. Während es unter Konstantin vielleicht 8 bis 10 Millionen, im 8. Jahrhundert 30 und im 16. 100 Millionen Christen gegeben habe (IX), habe sich, schreibt er, die Zahl seitdem lediglich verdoppelt (2). Eine evangelische Mission im Stil der ersten Jahrhunderte habe es nämlich erst wieder seit den „unruhvollen“ 1790er Jahren gegeben (3). Die Ergebnisse dieser Anstrengung werden von Blumhardt vornehmlich beschrieben. Das Gros seines Buches machen die fünf Hauptteile „Das heidnische Afrika“, „Die Länder Muhameds und der alten Kirchen“, „Das heidnische Asien“, „Australien“ und „Amerika“ aus. Die „Missionen für Israel“ werden in einem Anhang behandelt. Blumhardt beschreibt, wie das Evangelium immer wieder eine „nur auf Befriedigung der Triebe des Irdischen“ ausgerichtete Kultur erreicht und positiv umgestaltet habe (255). 107 Friedrich Wilhelm Klumpp, Das evangelische Missionswesen. Ein Ueberblick über seine Wirksamkeit und seine weltgeschichtliche und nationale Bedeutung, Stuttgart/Tübingen: Cotta 21844 (1841). 108 Johann Christoph Blumhardt, Handbüchlein der Missionsgeschichte und Missionsgeographie, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 1844. 109 Zu Blumhardt vgl. Ising, Blumhardt.

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Im Gegensatz zur Calwer Darstellung legt die im Folgejahr verfasste Missionsgeschichte Der Sieg des Christenthums110 des Konrektors und Lehrers am Naumburger Domgymnasium Karl Christian Gottlieb Schmidt111 keinen Schwerpunkt auf die Zeitgeschichte. Das volkstümliche Werk, das 1857 seine dritte Auf lage erreichte, stellt vielmehr in zwei ähnlich umfangreichen Teilen die christliche Missionsarbeit von ihren Anfängen bis zur Reformation (1–152) und von der Reformation bis zur Gegenwart (153–364) vor. Dabei gilt ihm der im Titel genannte Sieg des Christentums über das Heidentum als „das merkwürdigste und wichtigste“ Ereignis der Weltgeschichte (III). Auch für Schmidt, der katholische Missionsbemühungen einbezieht, bildet die evangelische Mission seit dem 18. Jahrhundert den Höhepunkt dieser Entwicklung und stellt in besonderer Weise „ein Werk Gottes“ dar (IV f; 163). Schmidt benutzt für seine Darstellung neben verschiedenen Missionszeitschriften und Reisebeschreibungen die Missionsgeschichten von Leonhardt, Steger und Johann Christoph Blumhardt, für die ältere Missionsgeschichte das Werk Christian Gottlieb Blumhardts, das er für das einschlägige Standardwerk hält (Vf ). Gestützt auf eine akademische Vorlesung, legte der Rostocker Theologieprofessor und spätere 1848er-Revolutionär Julius Wiggers (1811–1901)112 1845/46 mit seiner dreiteiligen, knapp 850-seitigen Geschichte der Evangelischen Mission113 dann eine erste „wissenschaftliche Gesammtdarstellung dieses Zweiges der neueren Kirchengeschichte“ (I: III f ) vor. Etwas Vergleichbares sei „in unserer Literatur noch nicht vorhanden“, schreibt Wiggers. Stegers „vorwiegend erbauliche“ Missionsgeschichte habe ihm aber als willkommene Vorarbeit gedient (I: 16). Dem wissenschaftlichen Zweck dient die systematisch geordnete Auf listung vorhandener missionsgeschichtlicher Literatur und Quellen (I: 12–16). In der Hoffnung, bestehende Kommunikationsgräben zwischen Universitätstheologie und Missionspraxis zu überwinden, richtet Wiggers an in- und ausländische 110 Karl Christian Gottlieb Schmidt, Der Sieg des Christenthums. Geschichte der Pf lanzung und Verbreitung des Evangeliums durch die Missionen, Leipzig: Hinrichs 1845. 111 Diese biographische Information zu dem heute unbekannten Schmidt findet sich in dem Werk selbst. 112 Dieser für einen der Missionsbewegung nahestehenden Theologen untypische politische Werdegang brachte Wiggers später mehrjährige Festungshaft ein. Zu Wiggers vgl. „Wiggers, Julius (Otto August)“, DBE, Bd. 10 (1999), 493; Gert Haendler, „Julius Wiggers – ein Rostocker Theologe und Widerstandskämpfer des 19. Jahrhunderts“, in: Wolfgang Sommer (Hg.), Antwort aus der Geschichte. Beobachtungen und Erwägungen zum geschichtlichen Bild der Kirche. Walter Dress zum 65. Geburtstag, Berlin [1969], 213–226. Wiggers hatte 1840 bereits eine erfolgreiche Kirchengeschichte Mecklenburgs verfasst. Haendler ordnet den Sohn aus einem rationalistischen Theologenhaus und späteren liberalen Abgeordneten „um und nach 1840“ in die „neulutherische Erneuerungsbewegung“ ein (220). 113 Julius Wiggers, Geschichte der Evangelischen Mission, 2 Bd., Hamburg/Gotha: Perthes 1845–1846.

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Missionsgesellschaften die Bitte, Informationsschriften den Universitätsbibliotheken zukommen zu lassen und so auch zur Fortführung seines Werkes beizutragen (I: VI–VIII). Wiggers unterscheidet historisch zwischen der Zeit vor und der Zeit nach „der mit dem Ende des 18ten Jahrhunderts erwachenden und in der Bildung zahlreicher Missionsgesellschaften sich kund gebenden allgemeineren Regsamkeit für die Mission“ (I: 12). Systematisch unterscheidet er zwischen der Heiden- und der Judenmission (I: 4 f ) sowie zwischen der Geschichte des Missionswesens, d. h. der Missionsanstalten in der christlichen Heimat, mit denen sich der erste Band beschäftigt, und der Geschichte des Missionswerkes, d. h. der Verbreitung des Christentums auf dem Missionsfeld, dem der ausführlichere zweite Band gewidmet ist (I: 11 f ). Wiggers trägt sich allerdings mit dem Zweifel, „ob diese Missionsgeschichte sich wirklich zu dem Anspruch erheben könne, eigentliche Geschichte zu seyn, und nicht vielmehr nur aus einem Aggregat von Geschichten bestehe“ (I: 9). Die „Einheit der Entwickelung“ und den „geschichtlichen Zusammenhang“ im weltweiten Missionsgeschehen auszumachen, sei wohl einer späteren Zeit vorbehalten (I: 10). Dabei betrachtet er das weltweit Erreichte nach Qualität und Quantität nüchtern (II.1: 8 f ) und doch optimistisch: „Nicht das schon Vorhandene, wohl aber das im Werden Begriffene ist es, was die Evangelische Mission als ein starkes und gewaltiges Rüstzeug in Gottes allmächtiger Hand erscheinen läßt.“ (II.1: 10)

Neben den allgemeinen Missionsgeschichten gab es spezielle, die einzelne Arbeitsfelder oder Epochen im Detail behandelten. 1832 und 1833 erschien eine dreibändige, etwa 400 Seiten umfassende Uebersicht der MissionsGeschichte der evangelischen Brüderkirche in ihrem ersten Jahrhundert.114 Die Herrnhuter Missionsarbeit, die im Gegensatz zu den zeitgenössischen Missionsgesellschaften tief ins 18. Jahrhundert zurückreicht, wird hier chronologisch von ihrem Beginn 1732/33 auf den Westindischen Inseln und Grönland über den Tod des Grafen Zinzendorf 1760 und das weltweite Wirken seiner Nachfolger und der Herrnhuter Missionare bis zum Jahr 1832 nachgezeichnet. Jesus Christus wird dabei als Auftraggeber verstanden, der mit den Missionaren gewesen sei und „das Wort ihres Zeugnisses, ihre Gebete und Thränen, ihre Mühe und Arbeit durch reiche Frucht gesegnet“ habe (I: 1). Missionsgeschichtsschreibung dieser Art ergänzte in der Brüdergemeine die Erinnerungspf lege durch jährliche Fest- und Gedenktage sowie die Veröffentlichung – gelegentlich auch Neuveröffentlichung – von Lebensläufen ihrer Mitglieder.115 114 Uebersicht der Missions-Geschichte der evangelischen Brüderkirche in ihrem ersten Jahrhundert, 3 Bd., Gnadau: Burkhard 1832–1833. 115 Vgl. Mettele, Weltbürgertum, 62 f; 151 f.

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Ebenfalls 1833 erschien Das Missionswesen in der Südsee116 des heute unbekannten Friedrich Krohn. Der 128-seitige Band beschreibt den „verwilderten“ Zustand der Insulaner bei ihrer Entdeckung durch die britischen Seefahrer im 18. Jahrhundert, prangert aber deren abschätzige Behandlung der Einheimischen als „ein andres todtes Naturproduct, als interessante Erscheinung auf dem Gebiete der Ethnographie“ an (15). Nach einem Überblick über die „Profangeschichte“ Tahitis wird dann der Hergang der christlichen Missionsarbeit erzählt, der von einem anderen Geist geleitet worden sei. Von diskursgeschichtlichem Interesse ist, dass Krohn, offensichtlich als Folge missionskritischer Angriffe aus dem Bildungsbürgertum, in sein Einleitungskapitel eine rudimentäre Wahrnehmungsgeschichte der modernen evangelischen Mission integriert. Krohn beschreibt das wohlwollende öffentliche Interesse für die Hallesche Pionierarbeit im frühen 18. Jahrhundert (1) und die dann teils durch Übertreibungen der Missionsförderer, teils durch manipulative Negativberichterstattung hervorgerufene „Mode, auf die Missionen zu schimpfen“ (2). In der zweiten Jahrhunderthälfte habe sich trotz einzelner Missionserfolge das öffentliche Interesse zum „Stillschweigen“ gewandelt (2). Mit dem religiösen Aufschwung zu Anfang des 19. Jahrhunderts sei in Gestalt von Verfassern wie dem Abbé Dubois und dem Entdecker Otto von Kotzebue aber auch „die alte Feindschaft“ zurückgekehrt (4). Die Missionskritiker hätten die Widerlegung ihrer Angriffe durch den Indienreisenden und Bischof Reginald Heber dadurch pariert, dass sie ihn entstellend zitiert und fälschlich als Missionsskeptiker dargestellt hätten (6 f ). Daher sei die öffentliche Meinung nach wie vor ablehnend und „der Name Missionär allein schon hinreichend, seinen Träger zum Gegenstande der Verfolgung zu machen“ (9). Krohns Ausführungen belegen, dass die Missionsfreunde der Erweckungsbewegung durchaus medialen Gegenwind verspürten.117 1844 erschien das knapp 300-seitige Buch Die protestantischen Missionen in Indien mit besonderer Rücksicht auf Bengalen,118 das mit dem Indienmissionar Johann Jacob Weitbrecht (1802–1852) 119 einen Akteur zum Autor hatte. Weitbrecht hatte seit seiner Aussendung 1830 in Nordindien gewirkt und stand – trotz Erwartung kommender Verfolgungen – unmittelbar vor einer Wiederausreise (293 f ). In dem Buch beschränkt er sich, wie er be116 Friedrich Krohn, Das Missionswesen in der Südsee. Ein Beitrag zur Geschichte von Polynesien, Hamburg: Perthes 1833. 117 Klumpp, Das evangelische Missionswesen, 21844, 43 Fn. teilt den Eindruck Krohns und verweist auf dessen Schrift, wo die Kontroverse mit den erbitterten Missionsgegnern geistreich und wahrheitsgemäß dargestellt sei. 118 Johann Jacob Weitbrecht, Die protestantischen Missionen in Indien mit besonderer Rücksicht auf Bengalen, in einer Reihe von Vorträgen, Heidelberg: Winter 1844. 119 Zu Weitbrecht vgl. Karl Heinz Voigt, „Weitbrecht, Johann Jakob (in England: John James)“, BBKL, Bd. XIII (1998), 695–697.

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tont, „hauptsächlich auf Thatsachen, die ich und einige meiner Mitarbeiter selber gesehen, und Nachrichten, welche wir von den Hindus gesammelt haben“. Zwei Fünftel seines Buches widmet er allerdings einer Beschreibung des Landes, der Bewohner und der Religion Indiens, wobei an historischen Ereignissen vor allem die außerindische – besonders europäische – Interaktion mit dem Subkontinent dargestellt wird (1–5); die restlichen drei Fünftel beschreiben die dortige Missionsarbeit. Der Basler Missionsinspektor Wilhelm Hoffmann verfasste zu dem Werk des ehemaligen Basler Missionsschülers ein Vorwort (I–VIII), in dem er vermutet, es werde „mit anderen ähnlichen der englischen Literatur dereinst eine Lücke in der Kirchengeschichte Indiens füllen, die in der Kirchengeschichte Europa’s für den Forscher nach den Anfängen des Christenthums noch so wehtuend offen steht. Noch einige Jahrhunderte und eine morgenländische Christenkirche steht wieder da, größer und mächtiger, als je eine bestand […]“ (VII).

Ebenfalls 1844 veröffentlichte der bayerische Pfarrer A. F. C. Mengert eine etwa 100-seitige volkstümliche Abhandlung über Die ersten christlichen Missionäre unter den Teutschen oder die Einführung und Ausbreitung des Christenthums in Teutschland.120 Mit dem Anliegen, „zur Belebung des MissionsEifers“ beizutragen, wählt Mengert einen biographischen Zugriff zur frühmittelalterlichen Christianisierung und beschreibt, zumeist in einem eigenen Unterkapitel, das Wirken von Missionaren wie Columban, Gallus und Bonifatius. 1847 erschien die kleine Schrift Die Mission unter den freien Buschnegern in Surinam und Rasmus Schmidt121 des von den Erweckungspredigern Ludwig Hofacker und Aloysius Henhöfer geprägten badischen Pfarrers Karl Friedrich Ledderhose (1806–1890).122 Der Erzählfaden von Ledderhoses Buch setzt in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein und berichtet vom geschichtlichen Ertrag der Missionsarbeit unter den Buschnegern, um „der leselustigen Jugend unter dem Volke Thatsachen Gottes vorzuführen und ihr dadurch den Geschmack an erdichteten Erzählungen zu verleiden, andern Theils aber auch an diesem Bruchstücke aus der Missionsgeschichte der Brüdergemeine zu zeigen, wie unter den Heiden gearbeitet werden soll“ (V). 120 A. F. C. Mengert, Die ersten christlichen Missionäre unter den Teutschen oder die Einführung und Ausbreitung des Christenthums in Teutschland. Eine geschichtliche Zusammenstellung als Grundlage der Belehrungen über die Mission in den Missionsstunden und zur Belebung des Missions-Eifers in der evangelischen Kirche, Bayreuth: Buchner 1844. 121 Karl Friedrich Ledderhose, Die Mission unter den freien Buschnegern in Surinam und Rasmus Schmidt. Ein Gemälde aus der Missionsgeschichte der Brüdergemeine für Jung und Alt, Heidelberg: Winter 1847. 122 Zu Ledderhose vgl. Thomas K. Kuhn, „Karl Friedrich Ledderhose (1806–1890). Erwecklicher Pfarrer und biographischer Schriftsteller“, in: Gerhard Schwinge (Hg.), Lebensbilder aus der evangelischen Kirche in Baden im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. V: Kultur und Bildung, Heidelberg et al. 2007, 45–75.

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Benedict Stefan Steger schließlich veröffentlichte in demselben Jahr mit der etwa hundertseitigen Schrift Die evangelische Juden-Mission123 ein weiteres missionsgeschichtliches Buch. Im Gegensatz zum sprunghaft gestiegenen Interesse an der Heidenmission, schreibt Steger, habe die evangelische Judenmission erst „wenig Freunde und Beförderer“ gefunden (1). Dabei habe sie zwar nicht die spektakulären Erfolge der Heidenmission vorzuweisen. Früchte habe sie aber in den letzten Jahrzehnten „häufiger als je vorher“ getragen (10). Stegers Buch zeichnet sie nach. Analog zu dem Begriff des „Zeugen“ in den Kirchengeschichten, verwendet die Erweckungsbewegung für ihre missionsgeschichtlichen Darstellungen „Bote“ als Schlüsselbegriff. Die wörtliche Übersetzung von „Missionar“ tritt wie der Zeugenbegriff meist als Kompositum auf und findet sich in der hier behandelten Literatur als „Sendbote“, „Heidenbote“, „Heilsbote“, „Friedensbote“ und „Christenbote“. Die griechische Originalform „Apostel“ wird für die großen Pioniermissionare verwendet und pro Volk oder Volksstamm meist nur einer Person als Ehrentitel verliehen. Der Begriff „Heidenbekehrer“ ist dagegen wieder allgemein anwendbar. Das 1800 Jahre umspannende Wirken dieser Träger der Frohen Botschaft entzieht sich aus Sicht der erweckten Missionshistoriographen einer eindeutigen Periodisierung. Die neuere Missionsgeschichte besitzt für sie jedoch zwei erkennbare Gründungsschübe: die Hallesch-Herrnhutische Mission im frühen 18. Jahrhundert und, umfassender und wirkmächtiger, die von England in den 1790er Jahren ausgehende und weiterwirkende Weltmissionsbewegung. Weit seltener als die Äußere Mission wurde die Innere Mission, die Antwort der Erweckungsbewegung auf Pauperismus, Soziale Frage und Entchristlichung in der europäischen Heimat, historisch-phänomenologisch beschrieben. Zwar wurden in Broschüren, Jahresberichten oder den Fliegenden Blättern aus dem Rauhen Hause massenweise Nachrichten über neueste Entwicklungen zusammengetragen. Es kam aber selten zu einer monographischen Auswertung des Materials. Noch 1849 klagte Johann Hinrich Wichern (1808–1881)124 in seiner berühmten Denkschrift an die deutsche Nation,125 die Innere Mission habe ihren Geschichtsschreiber noch nicht gefunden (19). Angesichts der schwierigen Quellenerfassung zollt Wichern den bereits vorhandenen „einzelnen Versuchen“ jedoch Anerkennung (27). Weil Barmherzigkeit „keine hellenische“ und „auch keine römische 123 Benedict Stefan Steger, Die evangelische Juden-Mission, in ihrer Wichtigkeit und ihrem gesegneten Fortgange dargestellt, Hof: Grau 1847. 124 Zu Wichern vgl. Volker Herrmann, „Wichern, Johann Hinrich (1808–1881)“, TRE, Bd. XXXV (2003), 733–739. 125 Johann Hinrich Wichern, Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche. Eine Denkschrift an die deutsche Nation, im Auftrage des Centralausschusses für die innere Mission, Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses 1849.

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Tugend“ gewesen sei, lässt er in seinem eigenen Kurzüberblick die eigentliche Geschichte der rettenden Liebe mit der Christianisierung des römischen Reiches beginnen (20). Im engeren, aktuellen Sinne habe sie mit dem christlichen Auf bruch in England gegen Ende des 18. Jahrhunderts eingesetzt (22 f ). Einer der von Wichern genannten „einzelnen Versuche“ war die 1841 von dem Hannoveraner Pastor Johann Heinrich Böttcher 126 verfasste Geschichte der Mäßigkeits-Gesellschaften in den norddeutschen Bundes-Staaten,127 die auf erstaunlichen 688 eng bedruckten Seiten nationales und internationales Material über den Kampf gegen den Alkoholmissbrauch zusammentrug. Gemäß seiner Überzeugung, dass sich das bloße Drängen auf Mäßigung als ineffektiv erwiesen habe (XXIII) und ein genereller Verzicht auf Branntweintrinken geboten sei (III), unterteilt Böttcher seine Geschichtsdarstellung in zwei Teile. Die im 17. Jahrhundert einsetzende „Geschichte der älteren aber erfolglosen Kämpfe gegen die Branntwein-Völlerei. (Man fordert ‚Mäßigung‘ im Branntwein-Genusse.)“ (1–52) kontrastiert mit der ungleich umfangreicheren „Darstellung der neueren Bemühungen. (Man fordert gänzliche Enthaltsamkeit vom Branntwein-Genusse.)“ (52–647). Ein zweiter substanzieller Beitrag zur Geschichte der Inneren Mission war Johann Ludwig Völters (1809–1888) 128 262-seitige Geschichte und Statistik der Rettungs-Anstalten für arme verwahrloste Kinder in Württemberg von 1845.129 Als Inspektor der württembergischen Rettungshaus-Bewegung war Völter für das Verfassen ihrer Geschichte hervorragend qualifiziert. Seine Darstellung liefert eine Fülle von Daten über die soziale Not, den Auf bau der Vereine, federführende Mitarbeiter und die Anzahl und Versorgung der Kinder. Sie unterbreitet auch Vorschläge für die weitere Arbeit und zeichnet in dem Kapitel „Entstehungsgeschichte der Rettungsanstalten“ (77–113) die Geschichte der 22 Rettungshäuser einzeln nach. Das Buch widmet sich ausschließlich diesen aus christlicher Initiative und dem besonderen Einf luss des Pädagogen Christian Hein126 Böttcher war 1841 Pastor in Imsen bei Ahlfeld. Dieter Brosius, „1803–1918“, in: Klaus Mlynek/Waldemar Röhrbein (Hg.), Hannover Chronik: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Zahlen, Daten, Fakten, Hannover 1991, (108–151) 122 nennt ihn den „Mäßigkeitsapostel“. 127 Johann Heinrich Böttcher, Geschichte der Mäßigkeits-Gesellschaften in den norddeutschen Bundes-Staaten, oder General-Bericht über den Zustand der Mäßigkeits-Reform bis zum Jahre 1840. Erster Jahres-Bericht über Deutschland. Mit juridischen und medicinischen Gutachten und anderen Documenten, statistischen und tabellarischen Zugaben und einem litterarischen Anhange, Hannover: Hahn 1841. 128 Zu Völter vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 369. 129 Ludwig Völter, Geschichte und Statistik der Rettungs-Anstalten für arme verwahrloste Kinder in Württemberg. Mit Erörterungen und Vorschlägen. Ein Beitrag zur Lösung der Frage des Pauperismus, Stuttgart: Steinkopf 1845.

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Kirchengeschichten und Missionsgeschichten

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rich Zeller hervorgegangenen Kinderheimen und unterscheidet davon die städtischen Erziehungshäuser, die „nicht freiwilliger Liebesthätigkeit von Privatpersonen, sondern offiziellen Behörden“ ihren Ursprung verdankten (12). Bei Letzteren gehe es meist mehr um die rein äußerliche „Verwahrung, Versorgung und Schulbildung der Kinder“ als um das Anliegen der „retten wollenden Liebe“ (12). Wie die Erweckungsbewegung selbst waren sich auch ihre Historiographen ihrer spezifisch christlichen Berufung bewusst.

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3. „Belehrend, erwecklich und unterhaltend zugleich“ – Die Biographik Wie die von der Erweckungsbewegung angestrebte Revitalisierung des Glaubens primär nicht auf ein gesellschaftlich-politisches Kollektiv, sondern auf die persönliche Frömmigkeit des Einzelnen zielte, so war auch im Geschichtsbild der Erweckten Platz für den einzelnen Christen. „[W]as ist der, neue Menschen schaffende, Glaube der Christen anders, als die Verwirklichung dieser Heilsgeschichte in der Person des Einzelnen, so daß die im Heiland culminirende Geschichte göttlicher Liebe und Gnade nun auch meine und deine Geschichte wird“,

schrieb Wichern aus dem Rauhen Haus.1 Die Botschaft von der Bekehrung und Erlösung des einzelnen Menschen stellte der globalen Heilsgeschichte somit eine individuelle Heilsgeschichte, einen „individuellen Mikrokosmos im universalen Makrokosmos der geschichtlichen Wirkung Gottes“,2 an die Seite. Es überrascht daher nicht, dass neben die historischen Überblicksdarstellungen die Biographie als vorrangige historiographische Gattung der Erweckungsbewegung trat. 3.1 Bedeutung und Grundzüge der erwecklichen Biographik Wenn auch bislang kein Überblick über die Biographik der Erweckungsbewegung vorgelegt wurde, so hat die Forschung der letzten Jahre doch profunde Analysen geliefert und dabei die Wichtigkeit biographischer Literatur für die Erweckungsbewegung unterstrichen. Ulrike Gleixner spricht in ihrer Untersuchung der pietistischen Frömmigkeit in Württemberg von einem „mittels Biographien und Sterbebeschreibungen“ geschaffenen „frommen Gedächtnis“ mit seinem schriftstellerischen Höhepunkt im 19. Jahrhundert. Besonders für Kinder und Jugendliche hätten Biographien „zum festen Lese- und Vorlesestoff “ gehört.3 Manfred JakubowskiTiessen nennt die „in Biographiensammlungen vereinten ‚paränetischen Lebens- und Seelenführungsberichte‘“ einen Teil der „pietistischen Eigentradition“ und zählt das Gedächtnis an die großen Patriarchen des Pietismus zu den Säulen der pietistischen Erinnerungskultur.4 Nach Martin 1 „Nachrichten aus dem Rauhen Hause. Aus dem innern Leben der Anstalt (Fortsetzung des Briefs in Nr. 5)“, FB 1 (1845), (154–158) 155. 2 So formuliert für die heilsgeschichtlichen Denker der Erweckungsbewegung Weth, Die Heilsgeschichte, 191. 3 Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 165; 169. 4 Jakubowski-Tiessen, Eigenkultur und Traditionsbildung, 206.

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Die Biographik

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Hirzel reichen die Wurzeln der „christlichen Biographie“ zwar bis in die Alte Kirche, ihre Blüte habe die Gattung aber im Pietismus und auch noch in der Erweckungsbewegung erlebt.5 In der Tat wurde die Biographik von der Erweckungsbewegung bewusst und in sehr unterschiedlicher literarischer Form gepf legt. Durchgängig war bei aller Verschiedenartigkeit das praktische Anliegen, über die Herausbildung einer gemeinsamen Memoria hinaus Vorbilder aufzuzeigen, an denen sich Gläubige orientieren, durch deren Fehler sie sich warnen lassen und an deren Lebenslauf sie die Vorsehung und Gnade Gottes erkennen sollten. Der Titel eines kurzen Artikels im Christlichen Volksboten, „Wie Oekolampad von Gott zum Reformator erzogen wurde“,6 repräsentiert in diesem Sinne den biographischen Ansatz der Erweckungsbewegung. Weil die erbauliche Biographie am unmittelbarsten dem genuin erwecklichen Impetus der Erweckungsbewegung Rechnung tragen konnte, war sie in gewisser Weise deren historiographische Gattung par excellence. Mehr noch als die bloße Anzahl der erschienenen Biographien spricht die lebensgeschichtliche Wirkung einiger Lebensbilder für diese Einschätzung. Beispielhaft für die Wertschätzung ist ein Vorwort, das August Tholuck 1844 als bereits renommierter Universitätslehrer für eine Biographiensammlung schrieb.7 Zu einer Zeit, wo sich „die Aufmerksamkeit hie und da wieder einseitig auf das Dogma“ richte, so Tholuck, seien kirchengeschichtliche Biographien an Bedeutung kaum zu überschätzen (III). „Während die englische Literatur an solchen Lebensbeschreibungen überaus reich ist und diesem Umstande vielleicht das religiöse Leben Englands nicht wenig von seinen Anregungen verdankt, sind wir Deutschen verhältnißmäßig arm daran. Dennoch wird man sagen dürfen, daß selbst unter uns von Lebensbeschreibungen mehr Erweckungen ausgegangen sind, als von Erbauungsbüchern und gelesenen Predigten.“ (II)

Tholuck fährt mit einem bemerkenswert persönlichen Bekenntnis fort: „So darf Schreiber dieses von sich bekennen – und er weiß, daß in Europa, Amerika und Asien gerade in Bezug auf das zu nennende Buch nicht Wenige ein gleiches Zeugniß ablegen werden – daß die Lebensbeschreibung des Missionärs Martyn – des Mannes, der selbst unter persischen Muhamedanern nur der Heilige hieß – auch in seinem eignen Leben eine Entwicklungsperiode begründet hat.“ (III) 5 Martin Hirzel, Lebensgeschichte als Verkündigung. Johann Heinrich Jung-Stilling – Ami Bost – Johann Arnold Kanne, Göttingen 1998, 15; 17. 6 CVB 8 (1840), 410–415. 7 August Tholuck, „Vorwort“ (1844), in: Sonntags-Bibliothek. Lebensbeschreibungen christlich-frommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde, Bd. I (Hefte 1–6), Bielefeld 1846, I–VI.

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Eine Biographie über den früh verstorbenen, durch seine Opferbereitschaft nachwirkenden Sprachforscher und Bibelübersetzer Henry Martyn (1781–1812) hatte also Tholucks eigenen Glaubensweg entscheidend geprägt.8 Dem entsprach auch seine private Beschäftigung mit biographischer Literatur.9 In dem zitierten Vorwort wünscht sich Tholuck für christliche Biographien eine Verbindung von gründlicher historischer Forschung und narrativem Geschick. Der deutschsprachige Bereich habe hier traditionell weniger an einer wissenschaftlichen Schwäche als an einem „Mangel des Talentes für belebte Darstellung“ gelitten (V). Im Zentrum der exemplarischen Biographie der Erweckungsbewegung steht zumeist weniger die Bekehrungsgeschichte des Beschriebenen als die Darstellung seines Lebens als Christ.10 Ein besonderes Augenmerk liegt dabei interessanterweise neben herausgehobenen Stationen des Lebens auf der Sterbephase. Das Interesse der Erweckungsbewegung für das Lebensende eines Menschen zeigt sich etwa darin, dass der Christen-Bote im Lutherjahr 1846 nicht weniger als sieben Buchtitel über Luthers Lebensende empfiehlt11 und daneben den „Christlichen Abschied einiger gottesfürchtiger Männer“ beschreibt.12 Die Missionszeitschrift der Gossner-Mission, Die Biene auf dem Missionsfelde, bringt Artikel mit den Titeln „Schöner Heimgang des Miss. Turnball“ und „Die letzten Tage des Miss. J. Williams“.13 Tholuck hält 1846 bei der „Trauerfeier“ (!) der Universität Halle-Wittenberg zu Luthers dreihundertstem Todestag eine Leichenpredigt, als stünde die Bahre des Verstorbenen vor dem Altar.14 Und Karl Friedrich Ledderhose schreibt in einem Aufsatz über „Philipp Melanchthons Tod“: „An einem Sterbelager zu stehen, welches an dem Fuße des Kreuzes Christi gebettet ist, und wobei das hinscheidende Herz in dem Frieden ruht, welcher von dem gesprengten Grabe in Josephs Garten ausgeht, gehört bei allem Schmerze, der die Augen feuchtet, doch zu den erquicklichsten Standorten.“15

In den letzten Worten und Handlungen eines Menschen wird nach Auffassung der Erweckten oft dessen Innerstes offenbar. „Sein Kranken- und 8 Es handelt sich um John Sargents A Memoir of the Rev. Henry Martyn, das 1844 gerade seine 15. Auf lage erlebte und seit 1825 auch auf Deutsch vorlag (s. u.). 9 Brigitte Klosterberg, „Die Bibliothek August Tholucks“, PuN 27 (2001), (147–164) 162 weist auf eine „erstaunlich große Sammlung der Biographien“ in Tholucks Bibliothek hin. 10 Vgl. auch Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 167. 11 „Bücherbericht“, ChB 16 (1846), 136. 12 „Christlicher Abschied einiger gottesfürchtiger Männer“, ChB 16 (1846), 611 f. 13 Die Biene auf dem Missionsfelde 7 (1840), 7 f; Die Biene auf dem Missionsfelde 8 (1841), 10 ff. 14 August Tholuck, Predigt gehalten bei der Trauerfeier der Universität Halle-Wittenberg am Todestage Luthers, Halle: Mühlmann 1846. 15 Karl Friedrich Ledderhose, „Philipp Melanchthons Tod“, Christoterpe 15 (1847), (315–339) 315.

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Die Biographik

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Sterbebett war ein Spiegel seines Lebens“, heißt es in der Evangelischen Kirchen-Zeitung über Johann Albrecht Bengel.16 Der Blick auf das Lebensende von Gläubigen spiegelt zugleich die Überzeugung wider, dass Christus als der Überwinder des Todes gerade diesen schwersten Teil der menschlichen Lebensgeschichte in einen zeugnishaften Abschied vom diesseitigen und Übergang ins zukünftige Leben verwandeln könne. Vom Lebensende her zu denken und vom Lebensende bereits „vollendeter“ Glaubensgeschwister zu lernen, war deshalb ein Motiv der Erweckungsbewegung, das zugleich als Antriebskraft sozialer und missionarischer Aktivität wirkte. Es zeigt sich in den im württembergischen pietistischen Bürgertum fast durchgängig verbreiteten Sterbestundenberichten,17 nicht zuletzt aber auch in den Biographien der Erweckungsbewegung. Den von Erweckten verfassten Biographien wird in der Literatur häufig eine stereotype und idealisierende Charakterbeschreibung attestiert. Man habe mit der „Idealisierung und Verklärung der Gründungsväter“18 einen „neuen pietistischen Heiligenkult“ geschaffen, bei dem die Darstellung meist nur eine „leblose Schablone und beklemmende Erfolgsskizze“ abgebe.19 Dabei habe die Lebendigkeit der Charakterzeichnung gelitten.20 Die Kritik wurde bereits in den 1850er Jahren von Befürwortern einer neuen realistischen Biographik, etwa von Heinrich von Sybel, mit Blick auf den Vormärz insgesamt geäußert.21 „Die Biedermeierzeit erfasste die historische Persönlichkeit noch nicht unbegrenzt in ihrer Individualität“, urteilt der Germanist Friedrich Sengle etwas vorsichtiger im Hinblick auf die biographische Literatur der Epoche.22 In der Tat weisen auch die erbaulichen Biographien der Erweckungsbewegung stereotype Muster und Elemente auf, die man hagiographisch nennen kann, wenn man den Begriff, in reformatorischer Tradition, auf „nicht mehr adorative, sondern imitative Heiligenverehrung“ bezieht.23 Allerdings weiß die Erweckungsbewegung nach eigenen Aussagen auch um die Gefahr, einen geschichtlichen Helden „aus einer historischen Person in eine mythische“ zu verwandeln,24 und will sich die „Wiederholung mancher anziehender Le16

„Johann Albrecht Bengel“, EKZ 1829, (553–559) 553. Vgl. Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 195. 18 Jakubowski-Tiessen, Eigenkultur und Traditionsbildung, 206. 19 Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 185; 167. 20 Vgl. Hirzel, Lebensgeschichte als Verkündigung, 207. 21 Vgl. Friedrich Sengle, Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848, Bd. II: Die Formenwelt, Stuttgart 1972, 307. 22 Ebd., 321. 23 So Pohlig, Gelehrsamkeit, 503 über den Märtyrer- und Zeugendiskurs im frühen Luthertum. 24 „Vorwort“, EKZ 1841, (1–10) 4, wo sich der Ausdruck freilich auf einen von Auf klärung und Rationalismus vereinnahmten Johannes Gutenberg bezieht. 17

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genden“ versagen.25 Im Rahmen des christlich-erbaulichen Gesamtrahmens gibt es sowohl idealisierende Lebensbilder als auch „Ansätze einer mehr wissenschaftlichen Verarbeitung des Gegenstandes“.26 Auch mit Blick auf die Vielseitigkeit der biographischen Literatur der Erweckungsbewegung, die in einzelnen Fällen auf aufwändigen Quellenforschungen beruht, lässt sich daher kein einheitlich reserviertes Urteil über sie fällen. Vielmehr variiert die inhaltliche und darstellerische Qualität von Werk zu Werk. Gegenstand der Biographien sind einzelne Herrscher und Zeitgenossen, in der großen Mehrheit aber Gestalten der Kirchen- und Missionsgeschichte. Es überwiegen Personen der Neuzeit, neben den großen Reformatoren insbesondere die Väter des Pietismus und einzelne Pioniermissionare aus dem In- und Ausland. Auch das späte 18. Jahrhundert, im kollektiven Gedächtnis der Erweckungsbewegung eigentlich eine unrühmliche Epoche, ist in biographischen Artikeln und Monographien mit der schmalen, aber hochgeschätzten Linie der „Väter und Großväter“ der Erweckungsbewegung, mit Männern wie Dann, Hamann, Heß, JungStilling, Lavater und Oberlin oder der katholischen Fürstin von Gallitzin, vertreten. Die Lebensläufe der Schlüsselfiguren von Reformation, Pietismus und Missionsbewegung sind für das Selbstverständnis und die eigene historische Verortung der Erweckungsbewegung kaum zu überschätzen. Gleichwohl verdrängen sie die biblischen Hauptgestalten nicht aus dem Erinnerungsfokus. Ein Erweckungslied in der einf lussreichen Liedersammlung Psalter und Harfe des niedersächsischen Dichters Philipp Spitta (1801– 1859) kann sich daher unter dem Titel „Der Geist der Väter“ in jeder Strophe auf eine biblische Person beziehen, kirchengeschichtliche Gestalten aber unerwähnt lassen.27 Ein biographisches Nebeninteresse vor allem der periodischen Erweckungspublizistik sind Anekdoten und Berichte über die Frömmigkeit zeitgenössischer oder erst kürzlich verstorbener Herrscher und Geistesgrößen. Die Berichterstattung verbindet hier christliche Anteilnahme und konser25 „Die heilige Elisabeth von Ungarn, Landgräfin von Thüringen und Hessen. (geb. 1207, † 1231.). Skizze aus dem christlichen Leben des dreizehnten Jahrhunderts“, EKZ 1842, (241–247 et al.) 278. 26 So zu Recht Ulrich van der Heyden, „Das Schrifttum der deutschen Missionsgesellschaften als Quelle für die Geschichtsschreibung Südafrikas. Dargestellt vornehmlich anhand der Berliner Missionsgesellschaft“, in: ders./Heike Liebau (Hg.), Missionsgeschichte, Kirchengeschichte, Weltgeschichte. Christliche Missionen im Kontext nationaler Entwicklungen in Afrika, Asien und Ozeanien, Stuttgart 1996, (123–138) 134, der sich allerdings auf missionsbiographische Beispiele aus späteren Epochen als dem Vormärz bezieht. 27 Carl Johann Philipp Spitta, Psalter und Harfe. Eine Sammlung christlicher Lieder zur häuslichen Erbauung, Leipzig: Friese 101841 (1833), 15–18. Zur Bedeutung biblischer Personen im privaten Leben einer Pietistin der Zeit vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 91 f; 94.

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vative Obrigkeitstreue mit einer boulevardesquen Neugier für das Private. Der Christliche Volksbote weiß von einem tränenreichen Dankgebet Friedrichs des Großen nach dem Frieden von Hubertusburg zu berichten, das viele Leser von dem „Freund Voltaires“ sicher nicht erwartet hätten.28 Von Napoleon wird in mehreren Journalen unter Berufung auf Augenzeugen mitgeteilt, er habe auf St. Helena sein Interesse dem Evangelium zugewandt, auf seinem Sterbebett in der Heiligen Schrift gelesen und von Jesus Christus als dem wahren König gesprochen.29 Auch „Ueber den religiösen Charakter des verstorbenen Kaisers Alexander von Rußland“ wird berichtet. Der Christen-Bote erzählt die „Geschichte der Erweckung des Kaisers“ durch Erlebnisse mit der Bibel und eine Begegnung mit Juliane von Krüdener, tadelt „manches Irren und Fallen“ vor und nach der Bekehrung, schließt aber mit der erfreulichen Nachricht, „daß er in seinen letzten Augenblicken als redlicher Jünger Jesu Christi sich erwiesen habe“.30 Andere Zeitschriften berichten dasselbe.31 Von der messianischen Überhöhung Alexanders durch einige Erweckte zu Beginn des Jahrhunderts und unmittelbar nach den Befreiungskriegen 32 ist in solchen Artikeln nichts zu finden. Frauen sind im biographischen Gedächtnis der Erweckungsbewegung nicht prominent vertreten. Von einigen wichtigen Ausnahmen abgesehen,33 zeichnen sich die erweckten Historiographen des 19. Jahrhunderts hier, einer Zeittendenz entsprechend, gegenüber denen der beiden Vorjahrhunderte durch eine stärkere Engführung auf eine „männliche Genealogie pietistischer Frömmigkeit“ aus.34 Historische Frauengestalten werden nur 28

„Friedrich der Große am 30. März 1763“, CVB 8 (1840), 235. Z. B. „Aus Napoleons letzten Tagen“, CVB 4 (1836), 149 f; „Kaiser Napoleon und seine Katechismusschülerin“, ChB 18 (1848), 412; „Napoléon“, Archives 10 IIe série (1842), 46 f. 30 „Ueber den religiösen Charakter des verstorbenen Kaisers Alexander von Rußland“, ChB 4 (1834), 172–175. 31 „Ueber den religiösen Charakter des verstorbenen Kaisers von Rußland“, CVB 2 (1834), 33–35; 50 f; „Notice sur: Alexandre Empereur de Russie, par H. L. E., ministre du saint Evangile“, Archives 11 (1828), 515 f. 32 Vgl. Ernst Benz, Die Ostkirche im Lichte der protestantischen Geschichtsschreibung von der Reformation bis zur Gegenwart, Freiburg/München 1952, 137. 33 So nahmen Frauen etwa nach Mettele, Weltbürgertum, 195; 254 f in der Erinnerungskultur der Herrnhuter Brüdergemeine auch im 19. Jahrhundert einen festen Platz ein. 34 Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 376; vgl. dies., „Erinnerungskultur, Traditionsbildung und Geschlecht im Pietismus. Einleitung“, in: dies./Erika Hebeisen (Hg.), Gendering Tradition. Erinnerungskultur und Geschlecht im Pietismus, Korb 2007, 7–19. Hans-Jürgen Schrader, „Die Literatur des Pietismus – Pietistische Impulse zur Literaturgeschichte. Ein Überblick“, in: Hartmut Lehmann (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 4: Glaubenswelt und Lebenswelten, Göttingen 2004, (386–403) 397 weist darauf hin, dass im älteren Pietismus erstaunlich viele erweckte Frauen (Anna Maria von Schurmann, Johanna Eleonora Petersen, Sophie Charlotte zu Stolberg-Wernigerode, Margret Zeerleder u. a.) introspektive Autobiographien bzw. „Autopsychographien“ verfassten. Die epoche29

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in besonderen Fällen ausführlich vorgestellt. So spielen die Königinnen Maria Theresia und Elisabeth I. sowie einzelne herausragende Christinnen von der mittelalterlichen Elisabeth von Thüringen bis zur zeitgenössischen Sozialreformerin Elizabeth Fry eine positive Rolle und werden wiederholt besprochen. Auch rechnen viele Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung im Unterschied zu Karl von Rotteck, dessen Allgemeine Geschichte „für gebildete und denkende Geschichtsfreunde, also für Männer und Jünglinge“ geschrieben worden war,35 durchaus mit weiblichen Lesern. Es taucht sogar das gendersensible „Leser und Leserinnen“ auf.36 Erweckte prangern die „Knechtschaft des weiblichen Geschlechts“ an, wenn sie in anderen Zeiten und Kulturen einen aggressiven männlichen Chauvinismus beobachten.37 Die Hauptgestalten der Welt-, Geistes- und Kirchengeschichte sind für sie aber weit überwiegend Männer. 3.2 Sammelbiographien Fred van Lieburg zählt „fromme Lebensgeschichten“ zu den Jahrhunderte überlebenden pietistischen Erzähltraditionen.38 Besonders mit ihren Sammelbiographien stehen die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung in einer solchen historiographischen Tradition. Zu ihr zählen aus der Reformationszeit Matthias Flacius Illyricus’ Catalogus testium veritatis von 1556, John Foxes Book of Martyrs von 1563 und Hieronymus Wellers 1580 auf Deutsch erschienenes Marter-Buch. Die wichtigsten Vorbilder aus dem Pietismus sind Johann Henrich Reitz’ 1698 bis 1745 publizierte Histomachende vierbändige Historie Der Wiedergebohrnen (1698–1745) verhieß schon in ihrem Untertitel „Exempel gottseliger / so bekandt- und benant- als unbekandt- und unbenanter Christen / Männlichen und Weiblichen Geschlechts / In Allerley Ständen […]“ und bezog Lebensbeschreibungen von Frauen auch tatsächlich in großem Umfang ein. Vgl. Johann Henrich Reitz, Historie Der Wiedergebohrnen. Vollständige Ausgabe der Erstdrucke aller sieben Teile der pietistischen Sammelbiographie (1698–1745) mit einem werkgeschichtlichen Anhang der Varianten und Ergänzungen aus den späteren Auf lagen, hg. von Hans-Jürgen Schrader, 4 Bd., Tübingen 1982. 35 Karl von Rotteck, Allgemeine Geschichte, vom Anfang der historischen Kenntniß bis auf unsere Zeiten für denkende Geschichtsfreunde bearbeitet, Teil I: Alte Welt, Bd. I, Freiburg/Konstanz: Herder 1813, V. 36 Ledderhose, Mission unter den freien Buschnegern, 1847, VI. 37 Hoffmann, Evangelische Missionsgesellschaft, 1842, 8; Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, 21; Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.2, 1837, 695; „Sechster Brief. Zustand des weiblichen Geschlechtes in Indien. An Miß Hope in Liverpool. Schiff Herkules, auf dem Meer den 31. März 1821“, MGMB 8:3 (1823), 365 ff. 38 Fred A. van Lieburg, „Internationale pietistische Erzähltraditionen vom 17. bis zum 21. Jahrhundert“, in: Udo Sträter (Hg.), Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2001, Tübingen 2005, (733–743) 738–740.

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rie der Wiedergebohrnen, die im Laufe des 18. Jahrhunderts eine außerordentliche Wirkungsgeschichte entfaltete,39 sowie Gottfried Arnolds Biographiensammlung Das Leben Der Gläubigen von 1701. Sehr bekannt wurden auch die Außerlesenen Lebens-Beschreibungen Heiliger Seelen (1733–1753) des reformierten Mystikers Gerhard Tersteegen, die dieser auf der Grundlage von Erbauungstraktaten des französischen Theologen Pierre Poiret verfasst hatte, um das Reitzsche Werk um Viten von Katholiken aus dem Umfeld der romanischen Mystik und des Quietismus zu ergänzen.40 Daneben gab es im Pietismus Sammelthanatographien, die in der jahrhundertealten Tradition der Ars-moriendi-Literatur standen.41 In der Forschung wird besonders die Historie der Wiedergebohrnen als bis in die Erweckungsbewegung hinein gattungsbildend angesehen.42 Wichtig für das biographische Gedächtnis der Erweckungsbewegung war zunächst deren vielfältige Berücksichtigung in der Erweckungspresse. Die Zeitschriftenartikel waren von unterschiedlichem Format, zielten jedoch alle darauf, einem breiten Publikum Lebensläufe aus geschichtspädagogischen und praktisch-christlichen Motiven vor Augen zu führen. In dieser Hinsicht federführend war der Christen-Bote, der unter der Rubrik „Christlicher Kalender“ jede Woche in Erinnerung an den Geburts- oder Todestag eines Christen der Vergangenheit ein ausführliches historisches Porträt veröffentlichte. Das Spektrum der besprochenen Personen reicht von Gestalten der Alten Kirche und des Mittelalters sowie allen wichtigen Reformatoren und pietistischen Vätern über einzelne Monarchen bis zu so unterschiedlichen Figuren wie Kepler, William Penn, Pascal, Quesnel, Sailer und Charlotte Schleiermacher und weist damit eine durchaus ökumenische Weite auf. Die Reihe bezeugt die breite historische Basis, die die Erweckungsbewegung nach ihrem eigenen Selbstverständnis besaß.43 Auch 39

Sie wird detailliert dargestellt in Hans-Jürgen Schrader, Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus. Johann Henrich Reitz’ „Historie Der Wiedergebohrnen“ und ihr geschichtlicher Kontext, Göttingen 1989, 239–339. 40 Vgl. ders., „Nachwort des Herausgebers“, in: Reitz, Historie Der Wiedergebohrnen, Bd. 4, (127*–203*) 136*–138*. 41 Vgl. ebd., 135*f; 144*; Mettele, Weltbürgertum, 200; 221. 42 Vgl. Schrader, Nachwort, 136*; 175*; ders., Literaturproduktion, 305; Rudolf Mohr, „Erbauungsliteratur. III. Reformations- und Neuzeit“, TRE, Bd. X (1982), (51–80) 68 f; Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 169. 43 Vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 222: „Auf lange Sicht gelang es [dem Herausgeber des Christen-Boten] Burk, den Pietismus als den legitimen Erben der Reformation und als Herzstück der neueren württembergischen Kirchengeschichte darzustellen.“ Vgl. auch Martin Brecht, „Die Anfänge der historischen Darstellung des württembergischen Pietismus“ (1967), in: ders., Ausgewählte Aufsätze, Bd. 2: Pietismus, Stuttgart 1997, 656– 663, der im „Christlichen Kalender“ das Bemühen am Werk sieht, „den Pietismus in die kirchliche Geschichte Württembergs zu integrieren“: „Es stehen jetzt Pietisten und Reformatoren nebeneinander auf dem gleichen Podest und scheinbar in bester Harmonie […].“ (660)

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an weniger bekannte oder gerade verstorbene Christen wird im „Christlichen Kalender“ erinnert. Dies geschah sogar in zunehmendem Maße, weil im Laufe der Jahre die wichtigsten kirchengeschichtlichen Persönlichkeiten bereits abgearbeitet und Mehrfachbehandlungen nicht vorgesehen waren (die doppelte Lutherdarstellung 1832 und 1846 ist eine Ausnahme). Die Personen werden in den gewöhnlich vierspaltigen Artikeln als Vorbilder eines aufrechten Glaubenslebens beschrieben. Es werden aber auch Fehler und Niederlagen wie etwa Klopstocks anfängliches Vertrauen auf die Französische Revolution genannt, dessen spätere Enttäuschung eine „heilsame Demüthigung“ durch den himmlischen Erzieher gewesen sei.44 Auch die anderen Gemeindeblätter der Erweckungsbewegung brachten sporadische „biographische Skizzen“, „Lebensbeschreibungen“ und „Erinnerungen“ an Christen verschiedener Epochen und Länder, in seltenen Fällen ebenfalls eine regelmäßige biographische Kolumne.45 Neben den Zeitschriftenartikeln standen eigenständige Sammelbiographien. Bereits in den Jahren 1816 und 1817, nicht lange nach seiner religiösen Erweckung 1814, veröffentlichte der Philologe Johann Arnold Kanne (1773–1824)46 das Werk Leben und aus dem Leben merkwürdiger und erweckter Christen aus der protestantischen Kirche, das 1842 seine zweite Auf lage erlebte.47 Kanne reagierte damit auf die im Umkreis der katholischen bayerischen Erweckungsbewegung initiierte Neuherausgabe von Tersteegens Sammelbiographie frommer Katholiken. Kanne, der Tersteegens Werk schätzte, zielte auf eine ähnliche „Beyspiel-Sammlung“ ab, die als protestantisches Pendant zu ihr „nur Lebensbeschreibungen evangelischer Christen“ aufnehmen sollte (I: X). Kanne ist sich seiner Vorgänger bewusst, wenn er schreibt, er hätte den Biographien auch „wie Reitz und Gerber“48 den Titel „Leben der Wiedergebornen“ geben können (I: XI). Es handelt sich um biographisches und neu abgedrucktes autobiographisches Material unter anderem über die Pietistin Johanna Eleonora Petersen, den Bedforder 44

„Christlicher Kalender“, ChB 16 (1846), (317–320) 318. Die Pariser Archives du christianisme au dix-neuvième siècle etwa führten die Rubrik „Biographie religieuse“, die sich vor allem Gestalten der protestantischen Frömmigkeitsgeschichte widmete. Auch die während des ganzen 19. Jahrhunderts erscheinenden Basler Sammlungen für Liebhaber christlicher Wahrheit und Gottseligkeit setzten die pietistische Tradition biographiensammelnder Zeitschriften mit Entschiedenheit fort (vgl. Schrader, Nachwort, 152*f ). 46 Zu Kanne vgl. Adalbert Elschenbroich, NDB, Bd. 11, 105–107. 47 Johann Arnold Kanne, Leben und aus dem Leben merkwürdiger und erweckter Christen aus der protestantischen Kirche, 2 Bd., Leipzig: Brockhaus 21842 (1816/17). 48 Der von Spener inspirierte sächsische Pfarrer und Erbauungsschriftsteller Christian Gerber (1660–1731) hatte ca. 1725/26 unter dem Titel Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen eine vierbändige, das Reitzsche Werk nachahmende Biographiensammlung herausgegeben. Vgl. Friedrich Wilhelm Bautz, „Gerber, Christian“, BBKL, Bd. II (1990), 212; Schrader, Nachwort, 140*. 45

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Baptistenprediger John Bunyan, den Hallenser Pietisten August Hermann Francke und die Mystiker Johann Georg Gichtel und Christian Hoburg. Dabei erscheinen gerade die schwierigen Lebenswege als providentielle Fügungen: Die Glaubenshelden, so heißt es, „mußten geschmähet und verfolget werden, damit sie der Ehre theilhaftig würden, die vor Gott gilt“ (II: 245).49 Sammelbiographischen Charakter besitzen auch großenteils Gotthilf Heinrich Schuberts (1780–1860) 50 mit mehrjährigem Abstand erschienenen Bände Altes und Neues aus dem Gebiet der innren Seelenkunde.51 Neben Erzählungen, Anekdoten und frommen Meditationen finden sich hier Biographien von Theologen, erweckten Laien und Missionaren. Auch Schubert bezieht sich auf die biographischen Werke von Reitz (III [21838]: VI; IV.1 [21841]: 177), Arnold (III [21838]: VI) und Tersteegen (IV.1 [21841]: 123) und deutet damit die Gattungsverwandtschaft an. Nach Meinung Hans-Jürgen Schraders wurde die „barockgeborene Tradition biographisch-psychographischer Exempelsammlungen“, die bis heute lebendig sei, bei Kanne und Schubert zum letzten Mal geistesgeschichtlich bedeutsam.52 Der 76jährige Johann Heinrich Jung-Stilling jedenfalls las deren Sammelbiographien im Frühjahr 1817 auf seinem Sterbebett.53 Während die 1817/18 erschienene deutsche Übersetzung des überarbeiteten Märtyrerbuches von John Foxe, Das christliche Märtyrerthum oder Geschichte von dem Leben, den Leiden und dem Tode der christlichen Märtyrer in allen Theilen der Erde,54 wohl nicht der Erweckungsbewegung zuzuschreiben ist,55 stammten die zwischen 1828 und 1836 herausgegebenen vier Hefte Süddeutsche Originalien56 mit Christian Gottlob Barth (1799–1862) 57 von einem Erweckten. Es handelt sich bei dem Werk um Tagebuchauszüge, Briefe und andere Zitate von Vätern des schwäbischen Pietismus im 18. Jahrhundert. Unter den von Barth als „Originale“ eingestuften Personen 49

Zu Kannes Sammelbiographie vgl. ausführlich Hirzel, Lebensgeschichte als Verkündigung, 153–202. 50 Zu Schubert vgl. Wölfel, Schubert. 51 Gotthilf Heinrich Schubert, Altes und Neues aus dem Gebiet der innren Seelenkunde, 7 Bd., Leipzig: Reclam (1–2)/Erlangen: Heyder (3–5)/Frankfurt a. M. (6–7) 1817– 1859. 52 Schrader, Nachwort, 134*f. 53 Schrader, Literaturproduktion, 305. 54 John Fox/John Milner, Das christliche Märtyrerthum oder Geschichte von dem Leben, den Leiden und dem Tode der christlichen Märtyrer in allen Theilen der Erde. Nach dem Englischen bearbeitet, 2 Bd., Leipzig: Baumgärtner 1817–1818. 55 Das Vorwort zur deutschen Ausgabe, das in der Diktion auf klärerische Züge trägt und beispielsweise den irdischen Zweck des Lebens eines Menschen in der „Ausbildung aller seiner Anlagen und Kräfte zur Selbstthätigkeit“ verortet (III), deutet auf einen anderen geistigen Ursprung hin. 56 Christian Gottlob Barth (Hg.), Süddeutsche Originalien. In Fragmenten gezeichnet von ihnen selbst, 4 Hefte, Stuttgart: Löf lund 1828–1836. 57 Zu Barth vgl. Raupp, Barth.

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befinden sich Johann Albrecht Bengel, sein Schüler Friedrich Christoph Oetinger, den Barth als süddeutsches Pendant zu Johann Georg Hamann den „Magus im Süden“ nennt (I: 4), der Pfarrer und Erfinder Philipp Matthäus Hahn und der Erzieher Johann Friedrich Flattich. Barth lag bei der Herausgabe der Auszüge und Fragmente „hauptsächlich daran, zu zeigen, daß nicht alle, die an einen lebendigen Gott und an Christus, den Gekreuzigten, glauben, nothwendig bornirt seyn müssen, wie die hohnsprechenden Philister meinen“ (II [1829]: 5).

Insofern war Barths Idee, einige „vielleicht“ nicht immer „ganz rechtgläubige […,] aber doch recht gläubige“ süddeutsche Pietisten des vorausgegangenen Jahrhunderts zu Wort kommen zu lassen (IV [1836]: Vorrede), selbst ein originelles Unterfangen. Es unterstrich die Verankerung der württembergischen Erweckungsbewegung im älteren schwäbischen Pietismus, dessen Andenken sie pf legte. Die im zweiten Band angekündigte Oetingerbiographie hatte Barth indes 1832, als der dritte Band erschien, bereits auf unbegrenzte Zeit verschoben. Sie sollte nie verwirklicht werden. 1829 brachte die Neuauf lage einzelner biographischer Zeitschriftenaufsätze des Hallenser Spätpietisten Georg Christian Knapp (1753–1825) 58 durch den Pädagogen August Hermann Niemeyer eine weitere Sammelbiographie auf den Markt. Unter dem Titel Leben und Charactere einiger gelehrter und frommer Männer des vorigen Jahrhunderts stellte das Werk eine Handvoll Persönlichkeiten, darunter Spener und Franckes Schwiegersohn Freylinghausen, vor.59 Der Vermittlungstheologe Carl Christian Ullmann (1796–1865) 60 veröffentlichte 1841/42 Lebensbeschreibungen von Reformatoren vor der Reformation,61 die auch von Erweckten rezipiert wurden.62 Die Darstellung konzentriert sich auf die „mindest bekannten Reformatoren vor Luther“ (I: V), so Johann von Goch, Johann von Wesel, Hans Böheim von Niklashausen, Thomas von Kempen und Johann Wessel Gansfort. Diese würden nämlich gegenüber den bekannteren Vorreformatoren unterschätzt. Ullman meint, 58 Zu Knapp vgl. Klaus-Gunther Wesseling, „Knapp, Georg Christian“, BBKL, Bd. IV (1992), 116–119. 59 Georg Christian Knapp, Leben und Charactere einiger gelehrter und frommer Männer des vorigen Jahrhunderts. Nebst zwey kleinen theologischen Aufsätzen, Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1829. 60 Zu Ullmann vgl. Klaus-Gunther Wesseling, „Ullmann, Carl Christian“, BBKL, Bd. XII (1997), 864–876. 61 Carl Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, vornehmlich in Deutschland und den Niederlanden, 2 Bd., Hamburg: Perthes 1841–1842. 62 Bernhard Bähring, „Das Leben Johann Wessel’s“, Sonntags-Bibliothek. Lebensbeschreibungen christlich-frommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde, Bd. I, Heft 6, Bielefeld: Velhagen & Klasing 1846, Vorwort.

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„daß für die christliche Erleuchtung und Erziehung des Volkes von einem Gerhard Groot und den Brüdern des gemeinsamen Lebens, für die Verinnerlichung und Vergeistigung des christlichen Glaubens und Lebens von den nieder- und oberdeutschen Mystikern, für die reinere, schriftgemäße Ausbildung der Theologie von einem Goch, Johann von Wesel und Joh. Wessel weit mehr geschehen ist, als nach der Natur der Sache von den Männern des Kampfes und der That geschehen konnte“ (I: IX).

Eine Biographiensammlung besonderer Art stellt die Geschichte der Pädagogik 63 des erweckten Erlanger Professors für Naturgeschichte und Mineralogie Karl von Raumer (1783–1865) 64 dar. Sie geht auf Vorlesungen zurück, die dieser in Erlangen zwischen 1838 und 1842 mit großem Hörererfolg hielt.65 Das Werk gilt als Raumers Opus Magnum und wurde auch ins Englische übersetzt und bis ins frühe 20. Jahrhundert aufgelegt. In den ersten beiden, jeweils 1843 erschienenen Bänden wählt Raumer einen biographischen Zugriff und beschreibt auf zusammen knapp 1000 Seiten Pädagogen wie Petrarca, Reuchlin, Luther, Melanchthon, Bacon, Montaigne, Locke, Francke, Rousseau, Hamann, Herder und Pestalozzi. Er widmet diesen Figuren jeweils ein eigenes Kapitel unterschiedlichen Umfangs, in dem biographische und theoretische Aspekte, aber auch Raumers protestantisch-christliche Perspektive zum Tragen kommen. Gegner einer von Raumer befürworteten reformatorisch-pietistischen Pädagogik werden dabei ebenso ausführlich behandelt wie deren Vertreter. Ausschließlich gläubige Persönlichkeiten behandelt dagegen die biographische Sonntags-Bibliothek, in der unterschiedliche Autoren „zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde“, wie bereits der Untertitel unterstreicht, jeweils eine Gestalt beschreiben. Die 1846 erschienenen ersten sechs Hefte behandeln das Leben von Johann Heinrich Jung-Stilling, Paul Gerhardt, Philipp Jakob Spener, Johann Wessel und dem pietistischen Liederdichter Karl Heinrich von Bogatzky.66 Bis 1861 erschienen acht Bände, später noch weitere Auf lagen.67 63 Karl von Raumer, Geschichte der Pädagogik vom Wiederauf blühen klassischer Studien bis auf unsere Zeit, 4 Bd., Stuttgart: Liesching 1843–1854. 64 Zu Raumer vgl. Horst Weigelt, „Karl von Raumer. Seine Bedeutung für das Kultur- und Geistesleben des 19. Jahrhunderts“ (1965), in: ders., Von Schwenckfeld bis Löhe. Aspekte aus der Geschichte evangelischer Theologie und Frömmigkeit in Bayern. Gesammelte Aufsätze, hg. von Wolfgang Layh/Ulrich Löff ler/Hans-Martin Weiss, Neustadt a.d. Aisch 1999, 165–181; ders., Erweckungsbewegung und konfessionelles Luthertum im 19. Jahrhundert. Untersucht an Karl v. Raumer, Stuttgart 1968. 65 Vgl. Weigelt, Karl von Raumer, 174. 66 Sonntags-Bibliothek. Lebensbeschreibungen christlich-frommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde, hg. von Freunden des Reiches Gottes, Bd. I (Hefte 1–6), Bielefeld: Velhagen & Klasing 1846. 67 Vgl. Mohr, Erbauungsliteratur, 76. Nach Wolfgang Heinrichs, „Rische, August Dietrich“, BBKL, Bd. VIII (1994), 386–388 stammten mehrere Teile von dem Liederdichter August Dietrich Rische (1819–1906).

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Wie die Lebensbeschreibungen der Zeugen der christlichen Kirche 68 des Lutheraners Andreas Gottlob Rudelbach (1792–1862),69 die als „Brocken kirchengeschichtlicher Betrachtung“ (Widmung) Cyprian, Ambrosius, die niederländischen Märtyrer, den schwedischen Bischof Jesper Swedberg, den Grönland-Missionar Hans Egede und Jung-Stilling beschreiben, gehört auch das von Theodor Fliedner (1800–1864) 70 herausgegebene vierbändige Buch der Märtyrer bereits in die 1850er Jahre.71 Fliedner, der einf lussreiche Erneuerer des Diakonissenamtes, hatte das umfangreiche Werk unter Mithilfe des (jedoch bald verstorbenen) Wilhelm Leipoldt seit 1839 konzipiert. Nach mehreren Verzögerungen, die unter anderem die Absage ursprünglich eingeplanter Mitarbeiter wie Barth und Schubert hervorrief, brachte Fliedner es ab 1851 im Verlag der Kaiserswerther Diakonissenanstalt heraus.72 Die großenteils von jüngeren Mitarbeitern verfassten Beiträge stützen sich auf die kirchengeschichtlichen Darstellungen von Neander, Leipoldt und Westermeier.73 Die vier Bände umfassen auf etwa 3000 Seiten mehrere hundert Artikel zwischen einer Seite (Dionysius Areopagita) und 97 Seiten (Calvin) Länge. Besprochen wird eine große Bandbreite kirchengeschichtlicher Männer und Frauen vom ersten bis zum 19. Jahrhundert, die als „Heilige“ im ausdrücklich nicht-katholischen, neutestamentlichen Sinne eines jeden echten Christen (I: 2 f ) bezeichnet und, gleich welchen Zeitalters, schon im Titel der „evangelischen Kirche“ zugeschlagen werden. Obwohl sich viele vorreformatorische Gestalten auch in einer vergleichbaren katholischen Sammelbiographie gefunden hätten, kann das Werk als ein Gegenentwurf zum katholischen Heiligenkalender gelten. Es sollte als „ein rechter Kirchenkalender“ für jeden Tag des Jahres eine evangelische Lebensbeschreibung anbieten (I: 5). Das Märtyrerbuch ergänzte den jährlich herausgegebenen Kaiserswerther Kalender. Es kann auch als ein Beitrag zur Entwicklung eines eigenständigen evangelischen Kalenders gelesen werden. Dieses Projekt, das nach dem konfessionellen Zeitalter brach gelegen hatte, stand spätestens seit 1844 auf der Tagesordnung, als 68 Andreas Gottlob Rudelbach, Christliche Biographie. Lebensbeschreibungen der Zeugen der christlichen Kirche als Bruchstücke zur Geschichte derselben, Bd. I, Leipzig: Dörffling & Franke 1850. Der erste Band sollte keine Fortsetzung finden. 69 Zu Rudelbach vgl. Martin Schmidt, „Rudelbach, Andreas Gottlob (1792–1862)“, RGG 3, Bd. 5 (1961), 1208. 70 Zu Fliedner vgl. Martin Gerhard, Theodor Fliedner. Ein Lebensbild, 2 Bd., Kaiserswerth 1933–1937. 71 Theodor Fliedner (Hg.), Buch der Märtyrer und andrer Glaubenszeugen der evangelischen Kirche, von den Aposteln bis auf unsre Zeit. Zur Stärkung des Glaubens und der Liebe unsrer evangelischen Christenheit, 4 Bd., Kaiserswerth: Diakonissen-Anstalt 1851/52–1860. 72 Zur Entstehung des Märtyrerbuchs vgl. Gerhard, Fliedner, Bd. 2, 429–441 und Fliedners Vorwort zum vierten Band. 73 Vgl. Gerhard, Fliedner, Bd. 2, 434 f; 439.

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der preußische König Friedrich Wilhelm IV. den Kirchenhistoriker Ferdinand Piper damit betraute.74 3.3 Kirchengeschichtliche „Väter“-Biographien Die selbständigen Biographien der Erweckungsbewegung waren vor allem dem Gedächtnis der geistlichen „Väter“ gewidmet. Darunter verstand man in besonderem Maße, aber nicht ausschließlich die Führungsgestalten des Pietismus. Die von August Neander (1789–1850) 75 1825 veröffentlichte, über 500 Seiten starke Abhandlung Antignostikus 76 über den Kirchenvater Tertullian ist aufgrund ihres primär wissenschaftlichen, historistisch verstehenden Charakters keine erbauliche Biographie im engeren Sinne. Gleichwohl verfolgt Neander damit das Ziel, wie er 1849 anlässlich der Neuherausgabe der „vor 24 Jahren unternommenen Lieblingsarbeit“ resümiert, das „göttliche Gepräge in der Erscheinung zu erkennen“ (21849, XI). Neander verdient hier auch deshalb Erwähnung, weil weitere der Erweckungsbewegung nahestehende Theologen wie Johann Ernst Osiander ihn als „erweckenden Meister“ der neueren kirchengeschichtlichen Biographik ansahen.77 Auch Andreas Rudelbachs ähnlich umfangreiches Werk Hieronymus Savonarola und seine Zeit78 von 1835 ist sorgfältig aus den Quellen gearbeitet und will seinen Protagonisten mit dem Blick des Historikers aus seiner Zeit heraus begreifen (V). Zugleich weist Rudelbach dem Florentiner Bußprediger jedoch einen herausgehobenen Platz in der „Klasse der Zeugen der Wahrheit“ zu (IV) und will mit der Biographie über ihn „die gute Sache unsers heiligen Glaubens fördern“ (X). Ein reformationsgeschichtliches Lebensbild mit regionalem Zuschnitt ist Das Leben und Wirken des Reformators Johannes Brentz 79 aus der Feder 74 Vgl. Frieder Schulz, „Heilige/Heiligenverehrung. VII. Die protestantischen Kirchen“, TRE, Bd. XIV (1985), (664–672) 668 f. Piper legte 1850 einen Entwurf vor, dem allerdings auf der Eisenacher Kirchenkonferenz 1870 die offizielle Rezeption versagt blieb. Zum Hintergrund evangelischer Geschichtskalender im Luthertum und ihrer Bedeutung als „eigentlichen Träger[n] der Reformationsmemoria vor 1617“ vgl. Pohlig, Gelehrsamkeit, 418–461; 504. 75 Zu Neander vgl. Mehlhausen, Neander. 76 August Neander, Antignostikus. Geist des Tertullianus und Einleitung in dessen Schriften mit archäologischen und dogmenhistorischen Untersuchungen, Berlin: Dümmler 1825. 77 Johann Ernst Osiander, „Zum Andenken Dr. G. Menken’s. Ein Beitrag zur neuesten Geschichte der Theologie“, TZTh 2/1832, (153–188) 154 Fn. 78 Andreas Gottlob Rudelbach, Hieronymus Savonarola und seine Zeit. Aus den Quellen dargestellt, Hamburg: Perthes 1835. 79 Johann Georg Vaihinger, Das Leben und Wirken des Reformators Johannes Brentz in Verbindung mit Nachrichten über die ersten Herolde der evangelischen Kirche in Franken und Schwaben aus den zuverlässigsten Quellen dargestellt, Stuttgart: Steinkopf 1841.

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des württembergischen Pfarrers Johann Georg Vaihinger (1802–1879) 80 von 1841. Vaihinger, der gründlich recherchiert und Teile der Sekundärliteratur „wegen ihres durchgängigen Mangels an Quellenstudium“ zugunsten eigener Quellenarbeit übergeht (IV), hält den schwäbischen Reformator für Luther und Melanchthon ebenbürtig: „Waren jene neben ihrem allgemeinen Berufe mehr die Reformatoren des Nordens, so war er der Reformator des Südens von Teutschland.“ (237) Vaihinger empfiehlt sein eigenes Werk ohne nähere Wertung im Süddeutschen Schul-Boten und äußert bei der Gelegenheit die Hoffnung, dass es zusammen mit anderen Schriften „etwas von dem Geiste wieder einhauche, der in der Reformation die Gemüther so wohlthätig bewegte“.81 Über den Protagonisten des zwei Jahrhunderte nach der Reformation aufgekommenen englischen Methodismus, John Wesley, brachte Friedrich Adolph Krummacher, der Vater Friedrich Wilhelm und Emil Wilhelm Krummachers, 1828 eine umfangreiche, von dem englischen Dichter Robert Southey (1774–1843) 82 verfasste Biographie in deutscher Sprache heraus.83 Besonders die Hauptfiguren des Pietismus erhielten im Vormärz eine größere wissenschaftliche Biographie, die oft aus der Feder eines Erweckten stammte. Der Berliner Pfarrer und spätere Superintendent Peter Wilhelm Hoßbach (1784–1846) 84 beschrieb bereits 1819 auf 339 Seiten Johann Valentin Andreä und sein Zeitalter.85 Hoßbach verortet sich selbst theologisch zwischen der „kalten, verständigen, glaubensleeren Richtung“ des alten Rationalismus und einer neuen „Glut eines religiösen Gefühls“, das „in sich selber kein Maaß“ habe und „einer falschen Mystik zur Beute“ werde (VII), steht also nicht vorbehaltlos auf Seiten der Erweckungsbewegung. Dennoch schlägt er sich ihr zu, wenn er den lutherischen Theologen Andreä als einen „Träger des göttlichen Geistes […] in seiner Zeit“ vorstellt und hofft, dass seine „innigen, tief ergreifenden Worte recht viele unserer Geistlichen erwecken, daß sie die Würde ihres Berufes fühlend, sich aufrissen aus dem geistigen Schlafe“ (XIV). Neun Jahre später erschien Hoßbachs zweibändige „kirchenhistorische Darstellung“ Philipp Jakob Spener und seine Zeit.86 Das bis 1861 dreimal aufgelegte, etwa 80

Zu Vaihinger vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 369. „Volksschriften. I. Ueber den Reformator Brenz“, SSB 5 (1841), (181–184) 183. 82 Zu Southey vgl. William Arthur Speck, Robert Southey: Entire Man of Letters, New Haven/London 2006. 83 Robert Southey, John Wesley’s Leben, die Entstehung und Verbreitung des Methodismus. Nach dem Engl. bearbeitet, hg. von Friedrich Adolph Krummacher, 2 Bd., Hamburg: Herold’sche Buchhandlung 1828 (engl. 1820). 84 Zu Hoßbach vgl. ADB, Bd. 13, 185–188. 85 Wilhelm Hossbach, Johann Valentin Andreä und sein Zeitalter, Berlin: Reimer 1819. 86 Wilhelm Hossbach, Philipp Jakob Spener und seine Zeit. Eine kirchenhistorische Darstellung, 2 Bd., Berlin: Dümmler 1828. 81

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600-seitige Werk, für das ihm die Göttinger Universität 1830 die theologische Doktorwürde verlieh, verwendet ausführliche Zitate aus Speners Predigten und Schriften und bezieht auch, allerdings auf nur einem halben Dutzend Seiten, den „Privatcharakter des würdigen Mannes“ (II: 144; 144–150) in seine Erzählung ein. Der Verfasser der Pia Desideria erscheint als f leißig, bescheiden, lebensfroh und von „inniger Frömmigkeit, Liebe und Weisheit“ (I: 100) geprägt, eine Gestalt, die „den Edelsten zugezählt werden muß, die jemals in dem Weinberge des Herrn gearbeitet haben“ (II: 150). Trotz Kritik an Speners Eschatologie (II: 297 f ) sieht Hoßbach in seinem Protagonisten also ein Glaubensvorbild und ordnet sich auch dadurch in die biographische Literatur der Erweckungsbewegung ein. Nach Aussage des Christlichen Volksboten hatte die Biographie bereits 1836 zur Wiederbelebung von Speners Andenken „unstreitig viel […] beigetragen“.87 Vier Jahre später stellte auch die Evangelische Kirchen-Zeitung Hoßbach das Zeugnis aus, Spener zu allgemeiner Anerkennung gebracht zu haben.88 Noch vor seiner Kirchengeschichte, in dessen hundertstem Todesjahr 1827, verfasste der 24 Jahre junge Heinrich Ernst Ferdinand Guerike (1803–1878) 89 eine großangelegte Biographie von Speners bedeutendstem Schüler, August Hermann Francke.90 Guerike dachte dabei nicht an eine „theologische Monographie“ (VI), sondern ein Buch „für einen größeren Kreis von Lesern“ (VII). Dennoch richtet sich die Schwerpunktsetzung nur teilweise nach den wahrscheinlichen Vorlieben der Masse: Im Vergleich mit den übrigen Kapiteln über den Vater des Halleschen Pietismus, etwa „Im Kampfe mit Widersachern“ (309–358) und „Als Gründer des Waisenhauses“ (359–420), erscheint auch bei Guerike das Kapitel über das Zwischenmenschlich-Private – „Francke in seinem Familien leben“ (450–452) – mit zweieinhalb Seiten äußerst schmal. Wenn diese Diskrepanz auch plausibel mit der mangelhaften Quellenlage begründet wird (451), zeigt sich hier doch eine für die Biographik der Erweckungsbewegung typische Betonung des missionarisch-diakonischen Wirkens einerseits und des christlich-spirituellen Lebens andererseits, die für das Alltägliche und Allzumenschliche nicht immer ein Auge hat. „Franckens letzte Tage und sein Tod“ werden ausführlich dargestellt (453–467). Dass Guerike mit seiner Darstellung des Hallenser Professors und Waisenvaters christliches Leben befördern möchte, stellt schon das Vorwort klar: 87 88

„Das Spenerfest in Straßburg und Rappoltsweiler“, CVB 4 (1836), (127–129) 127 Fn. „Der evangelische Fürst im siebzehnten Jahrhundert“, EKZ 1840, (577–592; 595–600)

600. 89

Zu Guerike vgl. RGG 3, Bd. 2 (1958), 1904. Heinrich Ernst Ferdinand Guerike, August Hermann Francke. Eine Denkschrift zur Säcularfeier seines Todes, Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1827. 90

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„Das schönste, würdigste, unzweideutigste Denkmal errichtet ihm jeder in seinem eignen Herzen, dadurch, daß er wie Francke glaubt und liebt. Zur Errichtung eines solchen Denkmals wollte auch ich mein Scherf lein geben.“ (IV)

Nach Francke und Spener erhielt auch der Pietistenvater Württembergs, Johann Albrecht Bengel, seinen Biographen. Der evangelische Pfarrer Johann Christian Friedrich Burk (1800–1880),91 Urenkel Bengels und zwischen 1830 und 1869 Herausgeber des Christen-Boten, fühlte sich als Nachfahre Bengels und Besitzer etlicher Handschriften (III) in der Pf licht, die noch ausstehende Biographie zu schreiben. Dr. Johann Albrecht Bengels Leben und Wirken92 erschien 1831 im Stuttgarter Steinkopfverlag und bot auf knapp 600 Seiten eine aus gedruckten und ungedruckten Quellen erarbeitete Darstellung von Bengels Leben und Schrifttum. Weil Burk Interesse an dem Werk mehr bei der „Klasse der ungelehrten Leser“ als unter den Intellektuellen vermutete und dies durch die Subskribentenliste auch bestätigt fand, bemühte er sich um eine „populäre Darstellung“ des Stoffes und übersetzte fremdsprachige Zitate. Ein Anhang mit Auszügen aus Bengeltexten fügt „des Erbaulichen ein Mehreres bey, als in dem entgegengesetzten Falle geschehen seyn dürfte“ (V). Burk bietet dennoch eine wissenschaftliche Analyse, die auch theologisch komplexe Themen wie Bengels Eschatologie detailliert behandelt. So destilliert eine von Burk erstellte ausführliche Zeittafel das heilsgeschichtliche Zahlenmodell Bengels aus seinen verschiedenen apokalyptischen Schriften (273–278). Burks Bemühen um Bengels Andenken, das sich auch 1834 in einer Neuauf lage von dessen Erklärter Offenbarung Johannis und 1836 in der Herausgabe von Bengels Briefwechsel äußerte, trug auch apologetische Züge: Während sich 1831 bereits das Scheitern von Bengels Berechnung des Millenniumsbeginns auf 1836 abzeichnete, beschrieb Burk den Prälaten als großen, wenn auch fehlbaren Theologen.93 Die Biographie, die im Folgejahr ihre zweite Auf lage erlebte, wurde zu einem einf lussreichen Werk. Nach Meinung Gleixners geht sogar das „Bild von Bengel als pietistischem Urvater Württembergs“ auf das Buch zurück.94 Im Unterschied zu den – in der Erweckungsbewegung geschätzten – Biographien der großen pietistischen Väter Spener, Francke und Bengel stammte die etwa zur selben Zeit verfasste Biographie des Grafen Ludwig von Zinzendorf von keinem Freund der Erweckungsbewegung. Der Schriftsteller und Diplomat Karl August Varnhagen von Ense (1785–1858) 95 schrieb sein 91

Zu Burk vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 355. Johann Christian Friedrich Burk, Dr. Johann Albrecht Bengel’s Leben und Wirken meist nach handschriftlichen Materialien bearbeitet, Stuttgart: Steinkopf 1831. 93 Vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 208 f. 94 Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 188. 95 Zu Varnhagen von Ense vgl. Werner Greiling, DBE, Bd. 10 (1999), 183. 92

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Leben des Grafen von Zinzendorf 96 in der Überzeugung, keine „zustimmende Konfession des Autors zu der seines Helden“ geben und „weder einen Beitrag zur Kirchengeschichte, noch ein Erbauungsbuch für bestimmte Glaubensfreunde“ liefern zu können (V). Varnhagen von Ense beteuert jedoch, dass er Zinzendorf – für ihn „ein religiöser Staatsmann“ (5) – „mit Billigkeit, ja mit Liebe gefolgt“ sei (VI), und schließt sein umfangreiches Werk „in ganz weltlicher Betrachtungsweise […] mit der Bemerkung […], daß überall solcher Segen waltet, wo der Mensch in den Kämpfen der Welt nicht ihr selbst, sondern einem höheren Leben sich vertrauensvoll zuwendet“ (507).

Die Rezeption des Buches im Erweckungsmilieu gab seinem guten Willen Recht. Tholuck etwa nannte die Biographie „ein interessantes Zeichen der Zeit“ – „ein idiolatrischer Jünger Goethe’s macht den Stifter der Herrnhuthischen Gemeinde zu seinem Heros“ – und attestierte dem Autor ein gutes Quellenstudium.97 Weniger erfreut war indes Heinrich Heine, dem Varnhagen von Ense das Buch in freundschaftlicher Verbundenheit übersandt hatte und der ihm mit sichtlichem Missfallen zurückschrieb: „Ich kann den süßlich vermufften Betgrafen nun ein für allemahl nicht ausstehen, und daß Sie ihn so gut equipirt haben verdrießt mich noch am meisten. […] Warum sollen wir den Pietisten nicht die Schilderung ihrer Heroen selbst überlassen?“98

Das Verfassen einer Biographie über eine kirchengeschichtliche Identifikationsfigur stellte einen Autor, wie die Zitate belegen, in ein weltanschauliches Kräftefeld von Sympathien, Abneigungen und Erwartungen. Die Kommunikation zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Erinnerungsmilieus war daher schwierig – aber sie war möglich. Populäre, zumeist kürzere Biographien über sehr unterschiedliche Figuren aus der Zeit von Reformation und Pietismus schrieb der Pfarrer und Volksschriftsteller Karl Friedrich Ledderhose (1806–1890).99 Unter diesen zum Teil mehrfach aufgelegten Werken waren Lebensbilder über Martin Luther (1836), den Bengel-Schüler Johann Friedrich Flattich (1836), den pietistisch beeinf lussten Staatsrechtslehrer Johann Jacob Moser (1843), den pietistischen 96 Karl August Varnhagen von Ense, Leben des Grafen von Zinzendorf ( ders., Bio= graphische Denkmale, Bd. V), Berlin: Reimer 1830. 97 August Tholuck, „Zinzendorf. Mit besonderer Rücksicht auf das Werk: Leben des Grafen von Zinzendorf, von Varnhagen von Ense. Berlin 1830“ (1831), in: ders., Vermischte Schriften, Bd. I, 1839, (433–464) 433; 437. 98 Zitiert bei Helmuth Mojem, „Der Ungläubige. Zu Heinrich Heines Umgang mit der Bibel, nebst einem Seitenblick auf Zinzendorf “, in: Bettina Knauer (Hg.), Das Buch und die Bücher. Beiträge zum Verhältnis von Bibel, Religion und Literatur, Würzburg 1997, (89– 114) 104. 99 Zu Ledderhose vgl. Kuhn, Ledderhose.

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Literatur- und Diskursgeschichte

Liederdichter Carl Heinrich von Bogatzky (1846), Zinzendorfs Nachfolger August Gottlieb Spangenberg (1846) und Philipp Melanchthon (1847). Bis zu seinem späten Tod 1890 verfasste Ledderhose noch etliche weitere christliche Biographien.100 Große Verbreitung fanden auch die Kurzbiographien Gotthilf Heinrich Schuberts (1780–1860).101 Eine reformationsgeschichtliche Biographie aus seiner Feder beschreibt das Leben des schottischen Reformators John Knox und würdigt es als das eines „großen Kämpfers und treuen Knechtes Gottes […], welcher im Geist und in der Kraft der Propheten des alten Bundes sprach und wirkte“.102 Sie erlebte 1851 eine zweite Auflage. Wichtiger noch waren das 1824 erschienene Buch Schuberts über den im selben Jahr verstorbenen erweckten Nürnberger Kaufmann und Bibelkolporteur Johann Tobias Kießling103 und die 1827 publizierte Biographie des im Vorjahr verstorbenen Elsässer Pfarrers und Sozialreformers Johann Friedrich Oberlin.104 Die 88-seitige Lebensbeschreibung Oberlins, die stark auf eine französische Publikation zurückgriff (III), fand unmittelbaren Anklang105 und sollte 1890 ihre elfte Auf lage erleben. Werke wie diese zeigen, dass auch die zeitgeschichtliche Biographie für das biographische Gedächtnis der Erweckungsbewegung von Bedeutung war. Ein weiteres Beispiel ist die 1852 von dem erweckten Pfarrer und Dichter Albert Knapp (1798– 1864)106 verfasste Lebensbeschreibung Ludwig Hofackers,107 die in Aufsätzen wie Das Jugendleben Ludwig Hofackers von 1844 vorbereitet worden war.108 Knapps beliebtes Werk über seinen Jugendfreund ist ein klassisches Beispiel für die in jenen Jahren sehr populäre „Freundesbiographie“.109 100

Eine Auf listung der Schriften findet sich ebd., 71 f. Zu Schubert vgl. Wölfel, Schubert. 102 Gotthilf Heinrich Schubert (anon.), Kurze Geschichte der Reformation und des Reformators in Schottland Johannes Knox, Augsburg: Geiger/Nürnberg: Raw 1831. Das Zitat findet sich in der Vorrede. 103 Gotthilf Heinrich Schubert, Züge aus dem Leben des seeligen Johann Tobias Kießling senior in Nürnberg, Nürnberg: Raw 1824. 104 Gotthilf Heinrich Schubert, Züge aus dem Leben des Johann Friedrich Oberlin, gewesenen Pfarrers im Steinthal bei Straßburg, Nürnberg: Raw 1827. 105 Vgl. etwa Geiger, Löhe, 56: „Löhe schreibt nach der Lektüre begeistert an Gustav Ritter: ‚Oberlin ist ein köstlicher Spiegel für uns. Der Herr mache uns zu so tüchtigen Werkzeugen in seiner Hand.‘ Er bestellt gleich sechs Exemplare des Buches, um sie auch anderen weiterzugeben.“ 106 Zu Knapp vgl. Gerhard Schäfer, NDB, Bd. 12, 153 f. 107 Albert Knapp, Leben von Ludwig Hofacker, weil. Pfarrer zu Rielingshausen, mit Nachrichten über seine Familie und einer Auswahl aus seinen Briefen und Circularschreiben, Heidelberg: Winter 31860 (1852). 108 Albert Knapp, „Das Jugendleben Ludwig Hofackers, weiland Pfarrers in Rielingshausen. Eine Skizze“, Christoterpe 12 (1844), 191–227. Vgl. auch Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 184: „Der Monographie von Knapp war eine kürzere Fassung in drei Jahrgängen im ‚Christoterpe‘ (1844, 1845, 1846) vorausgegangen.“ 109 Vgl. Sengle, Biedermeierzeit, 318. Knapp spricht in der Vorrede zur ersten Ausgabe von einer „meinem Herzen so nahe liegenden Biographie“ (III). 101

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Die Biographik

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3.4 Herrscherbiographien In Buchform nicht häufig, fand doch auch die christliche Herrscherbiographie in der Erweckungsbewegung einen Platz. 1817 schrieb der württembergische Pfarrer und Bußprediger Christian Adam Dann (1758–1837)110 unter dem Titel Durch Leiden zur Herrlichkeit! eine thematisch-erbauliche Biographie Herzog Christophs von Württemberg.111 In dem 72 Seiten schmalen Büchlein wechseln sich geschichtlich-biographische Passagen und Bibelauslegungen ab. Dann ist sich seiner mangelnden historischen Expertise bewusst und beschränkt sich daher auf bekannte Fakten der Lebensgeschichte, die die im Titel ausgesprochene theologische Wahrheit illustrieren (9). Herzog Christoph gilt Dann als Gründervater der evangelischen Lehre in Württemberg (24), dem eine „lange Reihe der empfindlichsten Prüfungen“ (25) – etwa die Verstoßung durch den Vater, Herzog Ulrich – zur Charakterschule geworden sei: „Er gieng ohne Widerrede und ohne Bitterkeit“ (35). Als „Hauptzug“ im Charakterbild Christophs habe „ächte Gottes- und Christusverehrung“ (56) zu dessen politischem Geschick und zu Glück und Wohlstand des württembergischen Volkes beigetragen. Nur hagiographisch kann man den 324-seitigen Band Gustav Adolph, König von Schweden112 des Tacitusübersetzers und Oberlehrers am Berliner Friedrich-Wilhelms-Gymnasium Johann Friedrich Wilhelm Bötticher (1798– 1850)113 nennen. Bötticher, der Vater des späteren Orientalisten Paul de Lagarde, hatte auf Bitten der Kaiserswerther Diakonissenanstalt die Gustav-Adolf-Biographie des Schweden Andreas Fryrell in ein „Buch für Fürst und Volk“ (XI) umgearbeitet. Der Schwedenkönig erscheint darin nicht nur als providentieller Retter des Protestantismus, sondern auch als leuchtender Staatsmann und Christ. Gustav Adolf sei ein „Glaubensheld“ neben Martin Luther zu nennen (VII). Als König von „Großmuth, Milde und Menschenfreundlichkeit“ geprägt (39), sei er ein „großer, schöner Mann“ (42) von erstaunlichen Talenten und unangreif barer persönlicher Frömmigkeit (30), eine durchweg integre Führungsgestalt (43) und sogar der „größeste Redner seiner Zeit“ (42) gewesen. Seine Charakterschwäche, den Jähzorn, habe er musterhaft bekämpft (28). Neben diesen mit einigen Anekdoten belegten Eigenschaften besaß Gustav Adolf nach

110 Zu Dann vgl. Friedrich Wilhelm Bautz, „Dann, Christian Adam“, BBKL, Bd. I (1990), 1209. 111 Christian Adam Dann, Durch Leiden zur Herrlichkeit! Ein evangelisches, geschichtliches, vaterländisches Andachts-Blatt, Stuttgart: Steinkopf 1817. 112 Wilhelm Bötticher, Gustav Adolph, König von Schweden. Ein Buch für Fürst und Volk, Kaiserswerth am Rhein: Diakonissen-Anstalt 1845. 113 Zu Bötticher vgl. DBE, Bd. 1 (1995), 639.

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Literatur- und Diskursgeschichte

Bötticher in seinem „tiefen, ahnungsreichen Gemüthe ein Vermögen der Weissagung“ (67 f ). „Es möchte nicht leicht einen zweiten König und Kriegshelden geben, in welchem Kraft und Milde, Natur und Gnade, Talent und Bildung so in inniger Harmonie verbunden und so in stets lebendiger Entwicklung zu immer größerer Vollkommenheit fortschreitend zu erkennen wäre.“ (27)

Weitere deutsche Auf lagen gab es keine, der Christen-Bote empfand die plakative Darstellung jedoch als eine „empfehlenswerthe Biographie“.114 3.5 Historisch-biographische Romane So, wie sich der „historische Tendenzroman“ zur Zeit des Vormärz generell einer großen Beliebtheit erfreute, obwohl er von Seiten der offiziellen Ästhetik einer Vermischung von Geschichte und Dichtung geziehen wurde,115 fand sich auch in der Erweckungsbewegung sowohl der (erbauliche) historische Roman als auch Kritik an seiner Form. Die wenigen erweckten Vertreter des Genres gehörten in den Kreis von „Volksschriftstellern“, die Heinrich Dittmar im letzten Band seiner Geschichte der Welt als Vertreter des gegenwärtigen „Epigonenzeitalters“ aufführt, weil ihre Werke von „sittlich-religiösem“ stärker als von „eigentlich künstlerischem“ Wert seien.116 Erneut ließe sich Christian Gottlob Barth nennen, der zwischen 1828 und 1861 erfolgreich als Kinder- und Jugendbuchautor wirkte. Die Erzählungen für Christenkinder enthalten die (fiktive) historische Autobiographie eines jungen französischen Protestanten zur Zeit von Hugenottenverfolgung und Cevennenkrieg.117 Auch etliche weitere von Barths Erzählungen, die Themen wie Bekehrung, christliches Leben, Standhaftigkeit im Leid und Gottes Fürsorge behandeln, spielen in der – meist jüngeren – Vergangenheit und nehmen auch kirchengeschichtliche Stoffe auf.118 114

„Christlicher Kalender: Gustav Adolph“, ChB 15 (1845), (561–564; 569–572) 572. Sengle, Biedermeierzeit, 844; 846. 116 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. IV.2, 1856, 1127. Zur historischen und biographischen Erzählliteratur christlich-konservativer Volksschriftsteller (schwerpunktmäßig nach 1848) vgl. Klaus Müller-Salget, Erzählungen für das Volk. Evangelische Pfarrer als Volksschriftsteller im Deutschland des 19. Jahrhunderts, Berlin 1984, bes. 199–204. 117 Christian Gottlob Barth, „Die Flucht des Camisarden“, in: ders., Erzählungen für Christenkinder, Stuttgart: Steinkopf 1838 (1828), 1–62. 118 Inhaltsangaben und Kurzinterpretationen von 14 Novellen und zehn kleineren Erzählungen Barths bietet Klaus Dieter Füller, Erfolgreiche Kinderbuchautoren des Biedermeier: Christoph von Schmid, Leopold Chimani, Gustav Nieritz, Christian Gottlob Barth. Von der Erbauung zur Unterhaltung, Frankfurt a. M. 2006, 139–162; 199–201; 217–221. Einen historischen Hintergrund haben etwa auch die Erzählungen Setma und das türkische 115

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Die Biographik

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Der wohl wichtigste erweckte Autor historisch-biographischer Belletristik war der sächsische lutherische Pfarrer und Schriftsteller Karl August Wildenhahn (1805–1868).119 1842 publizierte er eine zweibändige Spenerdarstellung,120 die, mehrfach übersetzt, 1847 in veränderter und 1861 in dritter Auf lage erschien und von ihrem Verfasser als „kirchengeschichtliche Novelle“ bezeichnet wird (21847, I: V). Bei der Absicht, „eine in möglichst anziehender Form dargestellte Geschichte eines wahren Pietisten“ zu schreiben, war dessen Wahl eines geeigneten Protagonisten auf den „ehrwürdigen, wahrhaft frommen“ Spener gefallen (1842, I: IX; VII). Wildenhahn ist mit der einschlägigen historischen Literatur vertraut und hat Speners Schriften für die Dialoge zahlreiche direkte und indirekte Zitate entnommen (1842, I: VIII f ). In dem Anliegen, „seinen Helden nicht in romanhafter Stellung, sondern in wirklicher Lebensgestalt“ vorzuführen (21847, I: V), zeigt sich neben dem historischen Interesse auch eine zeittypische Tendenz zur Abschwächung des Fiktionalen innerhalb des belletristischen Genres.121 Gleichwohl ist die knapp 600 Seiten umfassende Erzählung ein spannender Roman mit einer Liebesgeschichte, in der ein arroganter Pfarramtsanwärter, Magister Nullenbrecher, eine Witzfigur und Karikatur des abgehobenen orthodoxen Theologen, um die Hand einer Spener-Schülerin, der gläubigen Jungfer Elisabeth Güldenmeyer, anhält. Statt seiner erhält sie am Ende aber ihren wahren Geliebten. In diesen Plot sind per literarischer Mauerschau Schilderungen Speners als Dresdner Oberhofprediger sowie Begegnungen mit Spener selbst eingef lochten. Ein Gegenbild des affektierten Nullenbrecher, wird er als bescheiden, authentisch und gutmütig dargestellt. In der Liebe von Georg und Elisabeth wird zugleich das Idealbild eines christlich-konservativen Beziehungs- und Eheentwurfs gezeichnet, der Tugend, Frömmigkeit und Emotionalität gleichermaßen umfasst. Das Buch wurde von der Evangelischen Kirchen-Zeitung als „anerkennenswerther Versuch“ gewürdigt, die Form des christlichen historischen Romans aber in Frage gestellt:

Mädchen (1831) über ein Lebensschicksal zur Zeit der Türkenkriege gegen Ende des 17. Jahrhunderts, Liudger und die Glaubensboten (1835) über die Missionierung der Friesen und Die Altväter (1836) über die Geschichte der Mährischen Brüder (vgl. 145; 200). Füller behandelt Barth weiterführend als pietistischen Vertreter der biedermeierlichen Kinderliteratur, geht mit seiner Klassifizierung der Geschichten als „weltentrückte Gottsuchererzählungen“ (204) und „Fluchtliteratur“ ohne Realitätsbezug (142; 215) allerdings an der durchaus realen Glaubenserfahrung der Erweckten vorbei, die sich in solchen Geschichten widerspiegelt. 119 Zu Wildenhahn vgl. Matthias Wolfes, „Wildenhahn, Karl August“, BBKL, Bd. XVII (2000), 1551–1555. 120 August Wildenhahn, Philipp Jacob Spener. Eine Geschichte vergangener Zeit für die unsere, 2 Bd., Leipzig: Gebhardt & Reisland 1842. 121 Vgl. Sengle, Biedermeierzeit, 853.

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Literatur- und Diskursgeschichte

„Wird […] die Poesie als Mittel gebraucht, d. h. werden die Gesetze der Schönheit verletzt, um den Zweck der Geschichtschreibung oder der Erbauung zu erreichen, so ist das in Wahrheit zugleich eine Störung und Verminderung der historischen Einsicht wie der Erbauung selbst.“122

Die Kombination von Novellistik, Geschichtsschreibung und Erbauung erscheint dem Rezensenten hier als eine Überfrachtung des Textes. Die EKZ kann allerdings an anderer Stelle christliche Romane und Novellen befürworten, ohne damit die Skepsis gegenüber dem Genre ganz abzulegen.123 Wenigstens die Kritik des Süddeutschen Schul-Boten an „Ritter-, Räuber- und Mörderromanen“124 hätte sie zweifelsohne geteilt. Wildenhahns historische Schriftstellerei ist als literarische Reaktion auf zeitgenössische antipietistische Romane von Autoren wie dem freireligiösen Theologen Heribert Rau gelesen worden.125 Wildenhahn bediente sich jedenfalls auch weiterhin des Genres und veröffentlichte 1845 eine zweibändige Paul-Gerhardt-Erzählung, die bis 1877 vier Auf lagen erreichte, sowie 1847 ein ebenfalls zweibändiges „Zeitbild“ über Johann Arndt.126 Aufgrund des Mangels an Quellen zu Arndt127 sei, schreibt Wildenhahn, eine „auf rein geschichtlicher Grundlage ruhende Schilderung“ kaum durchführbar (V). Er nimmt sich daher die Freiheit zur Ausmalung und versetzt den Leser, etwa in der Szene der Familie am Spinnrad, die ein anziehendes Bild einer vorindustriellen Arbeits- und Lebenswelt zeichnet und kommentiert (73 ff ), plastisch in die Vergangenheit zurück. Nach 1848 veröffentlichte Wildenhahn noch eine fünf bändige Luther-Biographie (1851–1853, 31861), Werke über den Meistersänger Hans Sachs (1865) und über Johann Sebastian Bach (postum 1909) sowie kurze Lebensbilder des Grönlandmissionars Hans Egede (1860) und des Liederdichters Georg Neumark (1860). 122 „Der Roman und das Christenthum. (Mit Beziehung auf: ‚Philipp Jakob Spener. Eine Geschichte vergangener Zeit für die unsere. Von C. A. Wildenhahn, Pastor sec. zu St. Petri in Bautzen. Leipzig, 1842‘)“, EKZ 1842, (527–536) 534 f. 123 Vgl. Draeger, Kulturasketismus, 192–195; 191. Dass man insbesondere den Begriff „Roman“ wegen seiner naturalistischen Konnotationen im Umfeld der konservativ-christlichen Erzählliteratur mied, zeigt Müller-Salget, Erzählungen für das Volk, 197–199. 124 „Preußen“, SSB 5 (1841), 159. Vgl. auch „Literarischer Bericht. Berufsbildung des Schullehrers“, SSB 2 (1837/38), (132–136) 134. 125 Vgl. Rudolf von Gottschall, Die deutsche Nationallitteratur des neunzehnten Jahrhunderts. Litterarhistorisch und kritisch dargestellt, Bd. 4, Breslau 61892, 559 f. Gottschall spricht von einer „hin und her gehenden Romanpolemik“. 126 August Wildenhahn, Johannes Arndt. Ein Zeitbild aus Braunschweig’s Kirchen- und Stadtgeschichte in den ersten Jahren des siebzehnten Jahrhunderts, 2 Bd., Leipzig: Gebhardt & Reisland 1847. 127 Wie Guerike in seiner Francke-Biographie (Francke, 1827, 19 Fn.: „nicht Franke“) legt Wildenhahn Wert auf eine historisch korrekte Schreibweise seines Protagonisten: „Arndt und nicht Arnd“ (I: IX).

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Die Biographik

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3.6 Autobiographien Zur Biographik der Erweckungsbewegung gehört auch die christliche Autobiographie.128 Bereits führende Figuren des älteren Pietismus wie Spener, Francke und Johanna Eleonora Petersen hatten Autobiographien verfasst und damit große Resonanz gefunden.129 War die erweckliche Autobiographie auch in monographischer Form seltener als andere Arten der Biographie, besaß doch auch sie Faszination und Prägekraft. Die zwischen 1777 und 1817 in sechs Teilbänden erschienene Lebensgeschichte des Arztes und Schriftstellers Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817),130 eines unmittelbaren Vorläufers der Erweckungsbewegung, war weitgehend im 18. Jahrhundert, dem großen Jahrhundert der Autobiographie, entstanden. In einigen Neuauf lagen prägte sie aber auch die vormärzliche Erweckungsbewegung mit.131 Jung erzählt darin von sich in der dritten Person. Ihn leitet das Anliegen, an seinem „Romanhelden“ Stilling „das Wirken der Vorsehung zu exemplifizieren“, wie Martin Hirzel formuliert. Die Hauptfigur der Autobiographie fungiert dabei als „prototypischer Christ“.132 Zur Einsetzung als Pfarrer in Rielingshausen schrieb der Erweckungsprediger Ludwig Hofacker (1798–1828) 133 1826 einen Lebenslauf, der drei Jahre nach seinem Tod im Jahr 1828 von seinem Bruder Wilhelm zu Ende geführt und Hofackers ungemein erfolgreicher Predigtsammlung (121847, 52 2007) vorangestellt wurde.134 Neben dem Verzweifeln an den Grenzen der Vernunft und dem Studium der Bibel hatte das Vorbild Jung-Stillings Hofacker zur Erweckung geführt (IX f ). Stärker als dieser empfindet er das 128 Hier liegen bereits einige Beiträge vor. Vgl. Hirzel, Lebensgeschichte als Verkündigung; Christine Lost, Das Leben als Lehrtext. Lebensläufe aus der Herrnhuter Brüdergemeine, Herrnhut 2007; Ulrike Gleixner, „Warum sie soviel schrieben. Sinn und Zweck des (auto-)biographischen Schreibens im württembergischen Pietismus (1700–1830)“, in: Udo Sträter (Hg.), Interdisziplinäre Pietismusforschungen, Tübingen 2005, 521–526. 129 Vgl. Mettele, Weltbürgertum, 199. 130 Zu Jung-Stilling vgl. Max Geiger, Auf klärung und Erweckung. Beiträge zur Erforschung Johann Heinrich Jung-Stillings und der Erweckungstheologie, Zürich 1963; Gustav Adolf Benrath, „Jung-Stilling, Johann Heinrich (1740–1817)“, TRE, Bd. XVII (1988), 467–470. 131 In einem Band z. B. Johann Heinrich Jung-Stilling, Johann Heinrich Jung’s, genannt Stilling, Lebensgeschichte, oder dessen Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft, Lehrjahre, häusliches Leben und Alter (= Johann Heinrich Jung’s, genannt Stilling, sämmtliche Schriften, hg. von J. N. Grollmann, Bd. I), Stuttgart: Henne 1835. 132 Hirzel, Lebensgeschichte als Verkündigung, 63 f. 133 Zu Hofacker vgl. Gerhard Schäfer, „Hofacker, Ludwig (1798–1828)“, TRE, Bd. XV (1986), 467–469; Hans-Martin Kirn, Ludwig Hofacker, 1798–1828. Reformatorische Predigt und Erweckungsbewegung, Metzingen 1999. 134 Ludwig Hofacker, Predigten für alle Sonn-, Fest- und Feiertage, Bd. I, Stuttgart: Steinkopf 1831, VII–XXIII („Lebensumstände des Verewigten“).

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Literatur- und Diskursgeschichte

autobiographische Schreiben jedoch als eine schmerzliche Erinnerung an gottferne Zeiten seines Lebens (IX) und als eine Versuchung zur Eitelkeit: „Ich schreibe nicht gerne meinen Lebenslauf. Ob er gleich ein fortlaufender Beweis der Treue und der besondersten Aufsicht Gottes ist, so sucht die Eigenliebe doch auch ihre Nahrung dabey. Es wäre mir dem Geiste nach lieber, wenn mein armes Leben ganz vergessen würde. Indessen kann meine Gemeinde verlangen, zu wissen, wer ihr Pfarrer und Seelsorger ist […].“ (VII)

Johann Arnold Kannes bereits erwähnte Sammelbiographie enthält im Anhang den autobiographischen Abriss Aus meinem Leben,135 der von einer ähnlichen Scheu zeugt. Die verschlungenen Lebenswege des Philologen, die über wissenschaftliche Versuche, schriftstellerische Netzwerkbildung, Kriegsdienst und materielle Not schließlich zu einer Professur am Nürnberger Realinstitut (später an der Universität Erlangen) führten, sind für Kanne sekundär: „[H]ier, wo mein Lebenslauf für die Meisten das meiste Interesse hätte, geht meine Geschichte die Leser dieses Buches gar nichts an; denn was ich erlebte und that, erlebte und that ich außer und ohne Gott, und solche Lebensläufe müssen meinen Lesern nicht besser als Kriegsgeschichten vorkommen.“ (278 f )

Entscheidend ist für Kanne vielmehr seine innere Entwicklung, die nach dem Verlust seines Glaubens in den ersten Wochen des Studiums und einer langen Gegnerschaft zum orthodoxen Christentum über große äußere Schwierigkeiten – „eine so harte Schule war mir durchaus nothwendig“ (279) – zur Erweckung führte. „Von Stund an“, schreibt er, „ward ich ein ganz anderer Mensch, und das so auffallend, daß es jeder bemerkte, dem ich zu Gesicht kam.“ (291) Eine spezielle, hier nicht eigens untersuchte Form der Autobiographie war der „Lebenslauf “, den seit Mitte des 18. Jahrhunderts jedes Mitglied der Herrnhuter Brüdergemeine im Laufe seines Lebens, oft in mehreren Etappen, verfasste.136 Der Lebenslauf wurde, von Angehörigen überarbeitet und um eine Sterbeszene ergänzt, beim Begräbnis der betreffenden Person verlesen. Er wies somit Elemente von Sterbestundenberichten und Leichenpredigten auf, stand jedoch noch weit stärker in der pietistisch-puritanischen Tradition des Berichts von der eigenen „Seelenführung“ und „Erweckung“. Die im 19. Jahrhundert durchschnittlich sechs bis fünfzehn Seiten umfassenden, in Tausenden von Exemplaren überlieferten Lebensläufe berücksichtigen gleichermaßen den äußeren Lebensgang und den inneren Glaubensweg. Neben dem Bekehrungserlebnis kommen auch 135 Kanne, Leben und aus dem Leben merkwürdiger und erweckter Christen, Bd. I, 21842 (1816), 263–296. 136 Vgl. hierzu Mettele, Weltbürgertum, 208–255.

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Die Biographik

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Schattenseiten und Irrwege des Lebens zur Sprache und werden in den theologischen Gesamtrahmen der individuellen Erlösungsgeschichte eingeordnet. In den monatlichen Gemeinnachrichten, die man weltweit an den „Gemeintagen“ vorlas, wurden regelmäßig exemplarische Lebensläufe von Brüdern und Schwestern veröffentlicht. Sie verliehen den Gemeinnachrichten den Charakter einer periodischen Sammelbiographie. Die Brüdergemeine entwickelte sich so zu einer „Erzählgemeinschaft“ mit einem spezifischen kulturellen Gedächtnis und einer – jedenfalls in bestimmten Bereichen – „narrativen Theologie“.137 3.7 Missionsbiographien Eine letzte, weniger historisch verwurzelte, aber sehr wirkmächtige Subgattung der erweckungschristlichen Biographik war die Missionsbiographie. Im Vergleich mit der allgemeinen kirchengeschichtlichen Biographie war die Ahnengalerie der Missionstätigkeit stärker zeitgeschichtlich und noch ausgeprägter supranational ausgerichtet. Figuren wie Bartholomäus Ziegenbalg, Christian Friedrich Schwartz, Henry Martyn, Joseph Wolff, William Carey oder Karl Gützlaff waren über die Ländergrenzen hinaus Identifikationspunkte, deren nationale Identität mit dem Exodus aus der europäischen Heimat in den Hintergrund getreten war, um eine eigene „kosmopolitische Gruppe“ zu bilden.138 So, wie das Londoner Evangelical Magazine die Deutschen Ziegenbalg und Schwartz neben Eliot, Mayhew, Brainerd, van der Kemp und Martyn zu den „venerable names“ der Missionsgeschichte zählte,139 konnte der Süddeutsche Schul-Bote fragen: „Aus der Weltgeschichte prägt man unsern Kindern die Namen mancher Eroberer und Erfinder ein: warum sollen ihnen die Namen eines Elliot, Ziegenbalg, Schwarz, Rhenius, oder eines Gützlaff, Ewald, Gobat, Judson nicht immerhin in gleichem Glanze gezeigt werden, versteht sich zum Preise der göttlichen Gnade, die auch in den Schwachen also mächtig ist!“140 137

Ebd., 193; 241 f. Den von Osterhammel, Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats, 39 so bezeichneten transkulturellen Gemeinschaften der Neuzeit lassen sich die protestantischen Missionare der Erweckungsbewegung umstandslos beizählen. Vgl. auch selbst bei Osterhammel, Verwandlung der Welt, 1264: „[Z]umindest während der ersten drei Quartale des 19. Jahrhunderts spielte die eigene nationale Identität für Missionare keine primäre Rolle.“ Nach Rebekka Habermas, „Mission im 19. Jahrhundert. Globale Netze des Religiösen“, HZ 287 (2008), (629–679) 641 gehörten Missionare im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert „zu den wahrscheinlich am besten vernetzten (‚most entangled‘) Berufsgruppen“. 139 „Memoir of the Rev. Henry Martyn, BD. Late Chaplain to the Hon. East India Company, and Missionary to India and Persia“, The Evangelical Magazine and Missionary Chronicle 28 (1820), (1–5) 1. 140 „Ueber Missionsgeschichte, zugleich Bücherbericht“, SSB 4 (1840), (65–68) 67. 138

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Literatur- und Diskursgeschichte

Auch internationale Vertreter der Inneren Mission wie die Reformerin des britischen Gefängniswesens Elisabeth Fry141 und der evangelikale Sklavenbefreier William Wilberforce, dem Heinrich Leo im letzten Band seiner Universalgeschichte einen 24-seitigen biographischen Exkurs widmet,142 waren Teil des biographischen Gedächtnisses der Erweckungsbewegung. Wie in der Missionsgeschichtsschreibung, war der Inspektor der Basler Mission Christian Gottlieb Blumhardt (1779–1838)143 auch auf dem Gebiet der deutschen Missionsbiographik ein Vorreiter. Einige Nummern seines Magazins für die neueste Geschichte der evangelischen Missions- und Bibelgesellschaften beschäftigen sich ausschließlich mit Leben und Wirken eines Missionars, das erste Quartalheft von 1821 beispielsweise mit dem 1812 nur 31-jährig verstorbenen Henry Martyn. Unter dem Titel Leben des Missionars Henry Martyn in Persien gab Blumhardt auch die deutsche Übersetzung eines 500-seitigen englischen Bestsellers über den ungewöhnlich produktiven Bibelübersetzer und anglikanischen Missionar heraus.144 Der britische Geistliche John Sargent hatte nur vier Jahre nach Martyns Tod Tagebucheinträge, Briefe und andere Aufzeichnungen des Verstorbenen zusammengetragen und so zu einem Narrativ verbunden, dass Martyn über weite Strecken des Buches selbst zu Wort kommt; es erzielte eine lange Wirkungsgeschichte.145 Die Übersetzung von Teilen einer Biographie des Hallenser Indienmissionars Christian Friedrich Schwartz besorgte Blumhardt 1835 selbst.146 Der Verfasser des englischen Originals war wieder Hugh Nicholas Pearson (1776–1856),147 der mit Hilfe des deutsch-britischen Grenzgängers Karl Friedrich Adolf Steinkopf an die einschlägigen Quellen aus Halle gelangt war (7 f ). Die umfangreiche Biographie über Schwartz war in dem Wunsch verfasst, „Viele seiner Nachfolger“ möchten „beseelt von demselben Geiste, und mit denselben glücklichen Erfolgen gekrönet, hinausziehen in die Welt, um den Heiden das Evangelium zu verkündigen“ (12). Nachdem die deutsche Ausgabe nur mäßigen Anklang fand, gab Blumhardts Nachfolger Wilhelm Hoffmann 1846 eine neubearbeitete Version des Werkes heraus.148 141

Etwa „Lebens-Abriß von Elisabeth Fry“, FB 2 (1845), 177–182. Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 825–848. 143 Zu Blumhardt vgl. Heinz-Horst Schrey, „Blumhardt, ev. Theologen“, NDB, Bd. 2 (1955), (334 f ) 334. 144 John Sargent (anon.), Leben des Missionars Henry Martyn in Persien, aus dem Engl., Basel: Neukirch 1825. 145 Ders., A Memoir of the Rev. Henry Martyn, London: Seeley & Burnside 101830 (1816). 1855 erschien die 18. Auf lage des Werkes. 2010 wurde es von der Cambridge University Press neu aufgelegt! 146 Hugh Pearson, Leben des vollendeten deutschen Missionars, Chr. Fried. Schwartz im südlichen Indien, aus dem Engl. von Chr. G. Blumhardt, Bd. I, Basel: Schneider 1835. 147 Zu Pearson vgl. Seccombe/Matthew, Pearson. 148 Hugh Pearson, Christian Friedrich Schwartz der deutsche Missionar in Südindien, aus dem Engl. von C. G. Blumhardt, vollendet und hg. von W. Hoffmann, Basel: Schneider 1846. 142

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Die Biographik

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In demselben Jahr wie Pearsons Lebensbild von Schwartz erschien eine weitere Übersetzung einer wichtigen Missionsbiographie, das knapp 500 Seiten lange Buch des Geistlichen Alvan Bond (1793–1882)149 über den amerikanischen Sprachforscher und Palästinamissionar Pliny Fisk, der 1825 mit nur 33 Jahren verstorben war.150 Aus Sicht dieser in England und den USA sehr verbreiten Biographie (VI) ist auch ihr Protagonist nachahmenswert: „Wir sind weit davon entfernt, ihn ungebührlich zu erheben, womit wir sein Andenken beleidigen würden. Aber daß er ‚ein brennendes und scheinendes Licht‘ war, das wird Jedermann zugestehen“,

schreibt Bond über Fisk unter Anspielung auf das Christuszeugnis Johannes des Täufers (vgl. Johannes 5,35) (471 f ). Den Missionsschauplatz Palästina behandelt auch der ins Deutsche übersetzte englische Reisebericht Besuch in meinem Vaterland151 des konvertierten jüdischen Rabbinenschülers und christlichen Missionars Ridley Haim Herschell (1807–1864).152 Herschell beschreibt seine Begegnungen mit Juden, die von dem Bewusstsein getragen sind, dass diese „durch eine mehr als tausendjährige bittere Verfolgung von Namenchristen, und durch die Lasterhaftigkeit und Gott losigkeit, die sie täglich unter ihnen sehen“, dem christlichen Glauben mit einem tiefen Vorurteil gegenüberstünden (198). Ein weiterer Reisebericht eines Missionars in Tagebuchform ist das knapp 450-seitige zweibändige Werk Abessinien und die evangelische Mission153 des deutschen Äthiopienmissionars der englischen Church Missionary Society Carl Wilhelm Isenberg (1806–1864).154 Isenberg wollte seinen Lesern durch die Tagebuchform das „innere und äussere Leben eines Missionars“ authentisch nahe bringen. Die Form kam zugleich seinem gedrängten Zeitplan entgegen, da der langjährige Nordafrikamissionar von seiner Missionsgesellschaft kurzfristig nach Ostindien entsandt werden sollte und eine Umarbeitung von bereits turnusmäßig angefertigten 149 Zu Bond vgl. Autobiographical Reminiscences of Rev. Alvan Bond, D. D. 1793–1882: Funeral Sermons and Notices, Ancestry and Descendants, Pedigree Charts, Alvan Bond and Sarah Richardson his Wife, with Sketches of Ancestral Early Settlers, New York 1896. 150 Alvan Bond, Plinius Fisk. Aus dem Engl. ( Leben evangelischer Heidenboten, hg. = von G. P. Heller, Bd. I), Erlangen: Heyder 1835. 151 Ridley H. Herschell, Besuch in meinem Vaterland. Notizen, gesammelt auf einer Reise nach Syrien und Palästina im Jahr 1843, Basel: Schneider 1846 (engl. 1845). 152 Zu Herschell vgl. Timothy C. F. Stunt, „Herschell, Ridley Haim (1807–1864)“, ODNB, Bd. 26 (2004), 840 f. 153 Carl Wilhelm Isenberg, Abessinien und die evangelische Mission. Erlebnisse in Aegypten, auf und an dem rothen Meere, dem Meerbusen von Aden, und besonders in Abessinien. Tagebuch meiner dritten Missionsreise vom Mai 1842 bis December 1843. Nebst einer geographischen, ethnographischen und historischen Einleitung, 2 Bd., Bonn: Marcus 1844. 154 Zu Isenberg vgl. Reinhard Tenberg, „Isenberg, Karl Wilhelm“, BBKL, Bd. II (1990), 1367 f.

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Literatur- und Diskursgeschichte

Berichten an die Gesellschaft am leichtesten zu realisieren war (I: Vf ). Schon ein Jahrzehnt zuvor war ein chinesischer Reisebericht Karl Gützlaffs (1803– 1851)155 auf Englisch sowie auch in deutscher Übersetzung erschienen.156 Zwischen 1836 und 1842 verfasste der als Autor einer Missionsgeschichte bereits genannte Naumburger Domschullehrer und produktive Biograph157 Karl Christian Gottlieb Schmidt sechs Bände Kurzgefaßte Lebensbeschreibungen der merkwürdigsten evangelischen Missionare.158 Dem starken Geschichtsbewusstsein der Zeitgenossen entsprechend, hält es Schmidt für „zweckmäßig“, den einzelnen Biographien im ersten Band „eine etwas ausführlichere Darstellung der allmähligen Ausbreitung des Christenthums durch die Missionen vorausgehen zu lassen“ (I [1836]: VI; 1–70). Die Liste der dann besprochenen Personen – in den drei ersten Bänden die Indienmissionare Bartholomäus Ziegenbalg, Johann Ernst Gründler, Ewald Rhenius, Christian Friedrich Schwartz, William Carey, Henry Martyn und Deocar Schmid sowie der Afrikamissionar Theodosius van der Kemp und der Judenmissionar Stephan Schultz – spiegelt den erinnerungsgeschichtlichen Kanon evangelischer Missionare aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert wider. Schmidts Darstellung möchte „belehrend, erwecklich und unterhaltend zugleich“ sein (II [1838]: 17). Autobiographische Aufzeichnungen, Tagebücher und Privatbriefe erscheinen ihm als „die reinsten Quellen“ einer Biographie (I: III). Schmidt gibt sie häufig im Wortlaut wieder, um, „was bei Lebensbeschreibungen immer das Beste“ sei, „den Mann selbst sprechen“ zu lassen (III [1839]: IV). Tatsächlich sind die Originalzitate die interessantesten Partien der Lebensbilder, die ansonsten das Leben der Besprochenen als „ein Vorbild jeglicher christlicher Tugend“ (I: V) rühmen und über dem moralischen Exemplum eine differenzierte Charakterstudie vermissen lassen. Noch weitere Missionsbiographien gelangten auf den Markt: 1845 veröffentlichte der altlutherische Theologe Wilhelm Friedrich Besser (1816–1884)159 155

Zu Gützlaff vgl. Bautz, Gützlaff. Charles Gützlaff, Journal of Three Voyages along the Coast of China in 1831, 1832, & 1833, with Notices of Siam, Corea, and the Loo-Choo Islands, London: Westley & Davis 1834. Die deutsche Übersetzung erschien 1835 beim Basler Missionsinstitut unter dem Titel Dreijähriger Aufenthalt im Königreich Siam. Nebst einer kurzen Beschreibung seiner drei Reisen in den Seeprovinzen Chinas in den Jahren 1831–1833. 157 Schmidt schrieb Biographien über Klopstock (1824), Richard Baxter (1843), Christian Friedrich Schwartz (1843), den englischen Nonkonformistenführer Philip Doddridge (1844), William Penn (1848), John Wesley (1849) und George Whitefield (1853). 158 Carl Christian Gottlieb Schmidt, Kurzgefaßte Lebensbeschreibungen der merkwürdigsten evangelischen Missionare, nebst einer Uebersicht der Ausbreitung des Christenthums durch die Missionen, 6 Bd., Leipzig: Hinrichs 1836–1842. Um 1846 erschienen unter demselben Titel noch zwei Zusatzbände. 159 Zu Besser vgl. DBE, Bd. 1 (1995), 494. 156

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Die Biographik

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das knapp 250-seitige „Volksbuch“ John Williams, der Apostel der Südsee.160 Das Leben des 1839 ermordeten Südseemissionars hatte nach Besser bei vielen „Lust und Liebe zur Missionssache“ geweckt (V). Besser möchte diese verstärken, versichert aber, sein Buch übertreibe Erfolge nicht und ziere seinen „Missionshelden nicht mit unächtem Schmucke“ (V). Der Süddeutsche Schul-Bote jedenfalls nannte es „meisterhaft“.161 Der Missionar und spätere Bischof der Herrnhuter Brüdergemeine Heinrich Rudolf Wullschlägel (1805–1864)162 schrieb 1846, seinem persönlichen Werdegang entsprechend, zwei Bände Lebensbilder aus der Geschichte der Brüdermission.163 1849 schließlich erschien neben Karl Friedrich Ledderhoses knapper Lebensbeschreibung des „Hottentotten-Apostels“ Georg Schmidt164 das erste von 25 „Heften“ der Reihe Evangelische Missionsgeschichte in Biographieen,165 in denen der Kaiserswerther Pfarrer Reinhold Vormbaum jeweils auf durchschnittlich 80 Seiten eine Lebensgeschichte erzählt. Für alle dargestellten Missionare gilt, was Schmidt mit besonderem Recht über Henry Martyn schreibt und was in erster Linie der vielfältigen Biographik der Erweckungsbewegung zuzuschreiben ist: Der „Vollendete“ habe „durch sein erweckliches Beispiel gewirkt“ (I: 175).

160 Wilhelm Friedrich Besser, John Williams, der Apostel der Südsee. Ein Volksbuch. Mit einer Karte von den Südsee-Inseln, Berlin: Besser 21847 (1845). 161 „Mission“, SSB 11 (1847), (174 ff ) 175. 162 Zu Wullschlägel vgl. Jan Peter Frahm/Jens Eggers, „Wullschlägel, Heinrich Rudolf (1805–1864)“, in: dies., Lexikon deutschsprachiger Bryologen, Bonn 2001, 537. 163 Heinrich Rudolf Wullschlägel, Lebensbilder aus der Geschichte der Brüdermission. Ein Beitrag zur allgemeineren Kenntniß und Förderung der evangelischen Missionssache überhaupt und der Missionen der Brüdergemeine insbesondere, 2 Bd., Stuttgart: Steinkopf 1846. 164 Karl Friedrich Ledderhose, Das Büchlein von den Hottentotten und ihrem ersten Apostel, Georg Schmidt. Für Jung und Alt, Basel: Schneider 1849. 165 Reinhold Vormbaum, John Eliot, der Apostel der Indianer Nordamerikas. Nach seinem Leben und Wirken (= ders., Evangelische Missionsgeschichte in Biographieen, Bd. I, Heft 1), Düsseldorf: Schaub 1849.

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4. „Unsere Beweisführung wird eine historische seyn“ – Schriften zur historisch-kritischen, paläontologischen und prophetiegeschichtlichen Verteidigung der Bibel War das neunzehnte Jahrhundert das Jahrhundert der Geschichte, so brachte es mit der neuen historischen Wissenschaft auch das methodische Instrumentarium der historischen Kritik in ihrem Gefolge. Im deutschen Protestantismus des Vormärz rief dies von Theologen wie Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780–1849), Ferdinand Christian Baur (1792–1860), Johann Karl Wilhelm Vatke (1806–1882) und David Friedrich Strauß (1808–1874) auch neue Ansätze einer weitreichenden historischen Bibelkritik hervor.1 Zwar waren auch Einf lüsse zeitgenössischer Philosophen, besonders Hegels, richtungsweisend für die Ergebnisse dieser jüngeren Bibelwissenschaftler.2 Gleichwohl eröffnete sich nun, nach Ansätzen im 18. Jahrhundert, eine breite wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Bibel auf historischem Terrain. Nach Thomas Nipperdey wurde die Auseinandersetzung um das Christentum spätestens seit den 1830er Jahren „nicht mehr systematisch-philosophisch, sondern historisch und philologisch – also mit den Waffen ‚positiver‘ Wissenschaften“ geführt. Das Problem Glaube und Verstand wurde durch das Problem Glaube und Geschichte abgelöst.3 Diese Entwicklung musste einen Widerhall in der Erweckungsbewegung finden, die wie keine zweite religiöse Gruppierung versuchte, ihr Geschichtsdenken auf biblische Grundlagen zu stellen. Zwar vertraten die Erweckten kein einheitliches Inspirationsverständnis: Viele hielten an der orthodoxen Lehre von der Irrtumslosigkeit der Bibel fest, andere distanzierten sich von einer Verbalinspirationslehre.4 Diese schrifttheologischen Unterschiede taten jedoch dem gemeinsamen Eintreten für die grund-

1 Zur Entwicklung der Bibelwissenschaft im 19. Jahrhundert vgl. John William Rogerson, „Bibelwissenschaft I/2. Altes Testament: Geschichte und Methoden“, TRE, Bd. VI (1980), (346–361) 350–361; Otto Merk, „Bibelwissenschaft II. Neues Testament“, TRE, Bd. VI (1980), (375–409) 382–385; Hans-Joachim Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 31982, 152–241; Gerald Bray, Biblical Interpretation: Past and Present, Downers Grove 1996, 270–375. 2 Vgl. etwa Rudolf Smend, „De Wette und das Verhältnis zwischen historischer Bibelkritik und philosophischem System im 19. Jahrhundert“, ThZ 14 (1958), 107–119, der Vatke und Baur in ihrer historischen Rekonstruktion als Hegelianer einstuft (115). 3 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 431. 4 So vertraten etwa Andreas Gottlob Rudelbach, Ernst Wilhelm Hengstenberg und Ludwig Hofacker die orthodoxe Verbalinspirationslehre, während Johann Christian Konrad Hofmann, Franz Delitzsch und August Tholuck historische Irrtümer in der Bibel für möglich hielten (vgl. Holthaus, Fundamentalismus in Deutschland, 140–189; 218–227).

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Schriften zur Verteidigung der Bibel

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legende Zuverlässigkeit der biblischen Geschichte keinen Abbruch. Die intel lektuellen Wortführer der Erweckungsbewegung sahen sich zu einer grundlegenden historisch-philologischen Verteidigung der Bibel herausgefordert und nahmen die Herausforderung an: Zu keinem Thema entstanden im Umfeld der Erweckungsbewegung akribischer erarbeitete Untersuchungen als zur Untermauerung einer „positiven“ Sicht der Entstehung und Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift. Die Universalgeschichtsschreibung der Erweckungsbewegung berief sich bei ihrer Verwendung biblischer Informationen wiederholt auf die dort vorgelegten Ergebnisse. Im Folgenden soll die im Vormärz entstandene Literatur der Erweckungsbewegung für die bedeutendsten Bereiche der Kontroverse um Bibel und Geschichte in groben Zügen vorgestellt werden. Dabei kann das Kapitel keine allgemeine Darstellung der bibelwissenschaftlichen Kontroversen im Vormärz sein. Insbesondere ist keinerlei inhaltliche Erörterung oder Bewertung der angesprochenen Fragen intendiert, die außerhalb des Kompetenzbereichs eines Neuzeithistorikers liegen. Das Kapitel zielt lediglich darauf ab, den literarischen Beitrag der Erweckungsbewegung zu diesen weit über innertheologische Richtungskämpfe hinaus bedeutsamen Kontroversen nachzuzeichnen. Es geht der Frage nach, mit welchen Überlegungen und Argumentationsmustern die Erweckten auf die Infragestellung der biblischen Historie reagierten und wo dies auf andere Bereiche ihres Geschichtsdenkens zurückwirkte. Dabei wird deutlich werden, dass sich das in den vorigen Kapiteln beobachtete Bewusstsein führender Gestalten der Erweckungsbewegung, einen christlichen Auf bruch im Bereich der Geschichtsschreibung mitzuerleben und mitzugestalten, auch bei ihrem Umgang mit der biblischen Geschichte zeigte. 4.1 Pentateuchkritik und Urgeschichte Ein erstes Feld der Kontroverse war die biblische Ursprungserzählung in den Kapiteln 1 bis 11 des Buches Genesis. Historiker des Vormärz mussten zwar nicht zur Erweckungsbewegung gehören, um für den Anfang der Geschichte auf den biblischen Text zu rekurrieren: Mit Friedrich Christoph Schlosser sahen viele Verfasser von Weltgeschichten – ob aus Überzeugung oder um einer Kontroverse zu entgehen – in den „heiligen Schriften der Juden die einzigen vollständig erhaltenen Dokumente der ältesten Geschichte“.5 In der jüngeren Forschung ist sogar insgesamt für 5 Friedrich Christoph Schlosser, Weltgeschichte in zusammenhängender Erzählung, Bd. I: Alte Geschichte bis zum Untergang des Weströmischen Reichs, Frankfurt a. M.: Varrentrapp 1815, 1. Eine pragmatische Begründung des Bibelbezugs liefert Becker, Weltgeschichte, Bd. 1, 71844, 64 f: „Das Festhalten dieses Gesichtspunkts gibt der Darstellung

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die Historiker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine mehr als fünfzig Jahre währende „‚Delle‘ in der Rezeptionslinie“ der prähistorischen Forschung konstatiert worden, die zu einer Beibehaltung der traditionellen biblischen Chronologie geführt habe.6 Dennoch besteht kein Zweifel, dass die ersten Genesiskapitel der Erläuterung und Verteidigung auf dem Marktplatz der Ideen bedurften, wenn sie nicht früher oder später dem intellektuellen Ansturm weichen sollten, dem sie von Seiten der paläontologischen Forschung wie der historisch-kritischen Exegese ausgesetzt waren. Die Konservativen, darunter viele Erweckte, begaben sich daher an beide wissenschaftliche Fronten. Auf exegetischer Seite ging es um ein größeres Thema, welches das der Schöpfungs- und Sintf lutberichte per Implikation einschloss: die Einheit und mosaische Verfasserschaft des Pentateuch. Bereits ein Jahrhundert vor Julius Wellhausen hatte Johann Gottfried Eichhorn 1781 mit Rückgriff auf frühere Arbeiten die Zusammensetzung des Pentateuchs aus mehr als einer Quelle erklärt. Die These hatte in den Arbeiten von Carl David Ilgen 1798 und Johann Severin Vater 1802–1805 Nachfolger gefunden. Wilhelm Leberecht de Wette hatte schließlich 1806/07 die fünf Bücher Mose für eine Sammlung von vielfach dichterischen Fragmenten aus einer späteren Zeit erklärt, die in Teilen ein nationales Epos darstellten. Die Jahrzehnte des Vormärz brachten eine vielfältige Umarbeitung und Weiterentwicklung dieser Thesen.7 Die Grundlage der alttestamentlichen Geschichte stand somit zur Disposition. Unter den Erweckten meldete sich Friedrich Heinrich Ranke (1798–1876),8 der Bruder Leopold Rankes, Schwiegersohn Gotthilf Heinrich Schuberts und spätere Münchner Oberkonsistorialrat, mit seinen 1834 und 1840 veröffentlichten Untersuchungen über den Pentateuch zu Wort.9 Das Werk versteht sich als „Frucht apologetischer Studien“ (I: Widmung) zur „Authentie des Pentateuch’s“, der nach Ranke zu seiner Zeit interessantesten Fragestellung der biblischen Kritik, bei der der Ausgang noch offen sei (I: 3). Ranke betont, dass die Wahrheit des christlichen Glauben nicht Prämisse seiner Zusammenhang, Einheit und eine sich überall gleich bleibende Consequenz. Aus diesem Grunde […] entfernen wir uns auch in der folgenden Darstellung von dieser Ansicht nicht; obschon neuere Bearbeiter sie zum Theil verlassen, und die aufgelösten Bestandtheile der Jüdischen Geschichte nach ihrer Weise wieder zusammengesetzt haben, wobei denn an die Stelle des festen Bodens, auf welchem das alte, ehrwürdige Gebäude ruht, oft schwankende Ungewißheit und vielfache Zweifel getreten sind.“ 6 Cartier, Licht ins Dunkel, 225. 7 Vgl. Cornelis Houtman, Der Pentateuch. Die Geschichte seiner Erforschung neben einer Auswertung, Kampen 1994, 72–95. 8 Zu Ranke vgl. Ulrich Schwab, „Ranke, Philipp Friedrich Heinrich“, BBKL, Bd. VII (1994), 1355 f. 9 Friedrich Heinrich Ranke, Untersuchungen über den Pentateuch, aus dem Gebiete der höheren Kritik, 2 Bd., Erlangen: Heyder 1834/40.

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Schriften zur Verteidigung der Bibel

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Studien sei. Vielmehr wolle er sich seinem Gegenstand als unvoreingenommener Beobachter wie einem anderen Geschichtsdokument der Weltgeschichte nähern (I: 8). Er untersucht ausführlich die Struktur des Pentateuchs und argumentiert für deren literarische Einheit. Dabei macht er auf Probleme der Fragmentenhypothese aufmerksam, die in sich stimmige Texte künstlich auseinanderreiße und inhaltlich entstelle: „Das Buch hat sich an seinen Gegnern gerächt; vor diesem endlosen Argwohn hat der alte, ernste Autor die Thür des Verständnisses zürnend verschlossen.“ (I: 278) Das Quellenscheidungsverfahren Vaters, de Wettes und ihrer Mitstreiter sei unwissenschaftlich (II: VI). Gerade in neuester Zeit habe eine jüngere Generation seriöser Forscher einen anderen Weg beschritten (II: XII). Zu dieser jüngeren Generation gehörte neben Ranke auch Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802–1869),10 der Berliner Professor für Altes Testament und Herausgeber der Evangelischen Kirchen-Zeitung. Ranke bezog sich in seiner Bemerkung unter anderem auf Hengstenbergs umfangreiches Werk Die Authentie des Pentateuches, das 1836 und 1839 in zwei Bänden erschienen war.11 Auch Hengstenberg fordert eine unvoreingenommene Prüfung der Texte (I: LXXVII f ) und schreibt selbst auf wissenschaftlichem Niveau. Er weist jedoch darauf hin, dass ihm – wie seinen Gegnern – „das Resultat der Untersuchung vor der Führung des wissenschaftlichen Beweises“ bereits feststehe: Ein Christ werde letztlich aufgrund der Aussagen Jesu und des Neuen Testaments an der Autorität der fünf Bücher Mose festhalten, während ein Rationalist dies aufgrund seiner naturalistischen Prämissen gar nicht könne (I: LXXVI f ). Hengstenberg führte die Diskussion fort und argumentierte 1841 in Die Bücher Mose’s und Aegypten vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Ägyptologie für die These, dass der Pentateuch, etwa bei der Priesterkleidung, den Losen Urim und Thummim, den Speisegesetzen und der Stiftshütte, zahllose Parallelen zur altägyptischen Kultur aufweise und daher mit einer mosaischen Verfasserschaft bestens vereinbar sei.12 Auf naturwissenschaftlicher Seite konzentrierte sich der Kampf um den Pentateuch auf die Urgeschichte.13 Hier kam vor allem die auch von der 10 Zu Hengstenberg vgl. Wolfgang Kramer, Ernst Wilhelm Hengstenberg, die Evangelische Kirchenzeitung und der theologische Rationalismus, Erlangen-Nürnberg, Univ., Diss., 1972; Joachim Mehlhausen, „Hengstenberg, Ernst Wilhelm (1802–1869)“, TRE, Bd. XV (1986), 39–42. 11 Ernst Wilhelm Hengstenberg, Die Authentie des Pentateuches, 2 Bd. ( ders., Bei= träge zur Einleitung ins Alte Testament, Bd. II), Berlin: Oehmigke 1836–1839. 12 Vgl. Holthaus, Fundamentalismus in Deutschland, 158. 13 Zur zeitgenössischen Geologie und Paläontologie mit Schwerpunkt auf der angelsächsischen und französischen Diskussion vgl. Nicolaas A. Rupke, „Geology and Paleontology from 1700 to 1900“, in: Gary B. Ferngren et al. (Hg.), The History of Science and Religion in the Western Tradition: An Encyclopedia, New York/London 2000, 401–408.

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Literatur- und Diskursgeschichte

Erweckungsbewegung gepf legte „Naturgeschichte“ mit den Genesisberichten in Berührung. Der von der historia naturalis hergeleitete, seit dem 18. Jahrhundert für eine naturkundliche Darstellung verwendete Begriff konnte, seiner semantischen Zusammensetzung entsprechend, auch einen temporalen Aspekt – die zeitliche Entwicklung der Natur – beinhalten.14 Wolf Lepenies stellt begriffsgeschichtlich gerade für den Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert eine „Temporalisierungstendenz“ des Terminus’ fest.15 Bei einigen Naturgeschichten der Erweckungsbewegung lässt sich diese Verzeitlichung nachweisen. Gotthilf Heinrich Schuberts (1780–1860)16 über 1100-seitige Allgemeine Naturgeschichte,17 die einen wissenschaftlichen Durchgang durch Astronomie, Geologie, Botanik und Zoologie bietet, behandelt auch die Geschichte der Naturwissenschaft (5–26) und die Prähistorie (250–362), darunter die kulturübergreifende Sintf lutüberlieferung. Laut „Ref lex des Titels“ (1–4) ist für den Erlanger Naturgeschichtsprofessor die „Geschichte der Natur […] in einer vorweltlichen Tiefe gewurzelt“. Diese liege bei Lichtstrahlen Millionen von Jahren in der Vergangenheit: „was sind auch die Zeiten der Geschichte meines Geschlechts, gegen die Zeiten der Geschichte der Natur!“ (1 f ) In Schuberts romantisch geprägter holistischer Naturphilosophie steht Gott als Schöpfer und Erhalter des Universums im Zentrum. Naturgeschichte wird damit „eine hehre Theodicee“ (4).18 Die synchron-diachron definierte Naturgeschichte berührte auch die biblische Historie. Der Süddeutsche Schul-Bote empfahl für die schulische Behandlung der Abrahamgeschichte parallel die „Beschreibung des Zeitlebens und Naturgeschichte der patriarchalischen Culturthiere“ und begleitend zur Erarbeitung der Zehn Plagen aus dem Buch Exodus eine „Naturgeschichte der Heuschrecken“.19 Nicht überall war das Verhältnis der beiden Sphären so konf liktfrei. Die Paläontologie, die ebenfalls unter die Naturgeschichte fiel, befand sich mit ihrer geo-, bio- und anthropologischen Frage nach den Ursprüngen in einem Epizentrum des Erdbebens, das die biblische Urgeschichte in Frage stellte. Das wichtigste Werk, das aus dem Umkreis der Erweckungsbewegung auf diesen Angriff antwortete, war von einem Schüler und Kollegen 14

Vgl. Gernot Böhme, „Geschichte der Natur“, HWPh, Bd. 3 (1974), 399–401. Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München/Wien 1976, 37. 16 Zu Schubert vgl. Wölfel, Schubert. 17 Gotthilf Heinrich Schubert, Allgemeine Naturgeschichte oder Andeutungen zur Geschichte und Physiognomik der Natur, Erlangen: Palm & Enke 1826. 18 Zu Schuberts Naturphilosophie vgl. auch Dietrich von Engelhardt, „Schuberts Stellung in der romantischen Naturforschung“, in: Alice Rössler (Hg.), Gotthilf Heinrich Schubert, Erlangen 1980, 11–36. 19 Ludwig Völter, „Entwurf eines Planes zur Verbindung der biblischen Geographie mit biblischer Geschichte“, SSB 8 (1844), 169–172. 15

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Schuberts verfasst. Der Münchner Professor für Zoologie und Spezialist für Säugetierkunde und Ornithologie Johann Andreas Wagner (1797–1861) 20 veröffentlichte 1845 eine knapp 600-seitige Geschichte der Urwelt,21 die sich speziell mit den naturkundlichen Fragen der biblischen Ursprungserzählung befasste. Wagner gesteht ein, dass seine Thesen „in vielen Stücken der herrschenden Meinung diametral gegenüber“ stünden (III). Neuere Tendenzen seien darauf aus, „die Naturwissenschaften zum Umsturze der Grundlagen des Christenthums zu mißbrauchen“ (XII). Gerade jüngere Philosophen und Theologen der Hegelschule hätten, obwohl selbst in den Naturwissenschaften unbewandert, deren angebliche Ergebnisse gegen die biblischen Texte gewendet (XII f; 468).22 Dabei spreche die Forschung eine andere Sprache: Während Exegeten unlängst „die Einheit und Aechtheit der Genesis, sowie des Pentateuches überhaupt“ belegt hätten – Wagner nennt Hengstenberg, Ranke sowie die Theologen Heinrich Hävernick und Moritz Drechsler (462) –, bestätige auch die paläontologische Forschung die biblischen Aussagen. Wagner zitiert die Geologen Marcel de Serres und William Buckland, überhaupt „alle bedeutenden englischen Geologen“ und aus Deutschland Schubert, Karl von Raumer, den Naturforscher und Philosophen Henrich Steffens und den Mineralogen Johann Nepomuk Fuchs (468 f ). Wagner untersucht unter Beachtung der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur und zum Teil eigener geologischer Feldforschungen (243) in vier Hauptkapiteln die „Geschichte der Erdbildung“, das „Thier- und Pf lanzenreich der Urwelt“, das „Menschengeschlecht der Urwelt“ und die „Traditionen der Völker“ mit Schwerpunkt auf dem mosaischen Schöpfungsbericht. In diesem letzten Kapitel ist er bemüht, „Angaben der heiligen Urkunde“ und „naturwissenschaftliche Betrachtung“ als zwei komplementäre Erkenntnisquellen zusammenzubringen (454 f ). Für Wagner ist die Schöpfung des Menschen „von weit späterem Datum“ als die der Tierund Pf lanzenwelt, für die er paläontologischen Frühdatierungen folgt (241 f ). Er geht also für Genesis 1 nicht von einer buchstäblichen SiebenTage-Woche aus. Anthropologisch vertritt er wie die Erweckungsbewegung insgesamt die These, dass die Menschheit trotz Rassenunterschieden nur eine einzige Art mit gemeinsamen Vorfahren bilde (246).

20 Zu Wagner vgl. DBE, Bd. 10 (1999), 282, wo allerdings fälschlich 1841 als Erscheinungsdatum des Werkes angegeben wird. 21 Andreas Wagner, Geschichte der Urwelt, mit besonderer Berücksichtigung der Menschenrassen und des mosaischen Schöpfungsberichtes, Leipzig: Voß 1845. 22 David Friedrich Strauß etwa hatte in seiner Christlichen Glaubenslehre von 1840 mit biologischen und geologischen Argumenten den Genesisbericht in Frage gestellt (vgl. Richard G. Olson, Science and Religion, 1450–1900: From Copernicus to Darwin, Westport/London 2004, 155 f ).

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Die Evangelische Kirchen-Zeitung besprach Wagners Opus zweifach. Eine Rezension 1845 geht wohlwollend auf seine Theorie der Gebirgsbildung (Widerlegung der Feuerhypothese) und der Versteinerungen (Interpretation als Diluvialablagerungen) ein und zeigt sich besonders für die „Rechtfertigung des Mosaischen Schöpfungsberichtes vor den Angriffen einer modernen Afterweisheit“ dankbar.23 Ein zweiter, siebenteiliger Artikel des Folgejahres wertet Wagners Werk innerhalb der „geologischen und theologischen Literatur der Engländer, Franzosen und Deutschen“ als bisher ersten wirklich gelungenen Versuch, eine „Allianz“ von biblischer Entstehungslehre und wissenschaftlicher Geologie herzustellen. Die vertretene Auffassung finde wie in der neueren Theologie, so auch unter seriösen Naturwissenschaftlern zunehmend Beachtung: „Schon steht der Verf. auf geologischer Seite nicht mehr vereinzelt […].“24 1846 widmete auch die Zeitschrift für Protestantismus und Kirche dem Werk eine ausführliche Darstellung und begrüßte, dass in dem Konf likt zwischen „neuerer Naturwissenschaft“ und den „Ueberlieferungen der Offenbarung […] aus der Mitte der Naturforscher selbst ein Widerspruch“ gegen die behauptete Unvereinbarkeit der beiden entstanden sei.25 Die Bedeutung dieser Forschungen für die erweckliche Historiographie lässt sich besonders bei Heinrich Dittmar zeigen. Dieser weist im Ursprungskapitel seiner Geschichte der Welt auf die zunehmend positiven Ergebnisse der Natur- und Altertumswissenschaften in Bezug auf die Genesisberichte und auch namentlich auf Wagner als „neuesten Paläontologen“ hin (I [1846]: 3 f ). Es ist nicht untypisch für die Universalhistorie der Erweckungsbewegung, wenn er sich auch in der Darstellung selbst um eine weitere Plausibilisierung bemüht. Er argumentiert beispielsweise, das hebräische Wort jom (Tag) in Genesis 1 könne wie das etymologisch verwandte griechische αἰών als „Zeitraum von unbestimmter, oft sehr großer Länge“ interpretiert werden (I: 6), das ursprünglich höhere Lebensalter der Menschen sei in allen Völkersagen der Antike bezeugt (I: 28) und in der Völkertafel in Genesis 10 dürfe man nur die „ursprünglichen Grundvölker“ (I: 43) erwarten. Allerdings findet sich bei Dittmar auch der schlichte Verweis auf die Allmacht Gottes und das Eingeständnis ungelöster Fragen, etwa der mangelhaften geologischen Belege des „ältern, vorsündf luthlichen Menschengeschlechts“ (I: 34). 23 „Dr. Andreas Wagner’s Geschichte der Urwelt, mit besonderer Berücksichtigung der Menschenraçen und des Mosaischen Schöpfungsberichts“, EKZ 1845, 405–408. 24 J. H. Kurtz, „Zur Geschichte der Urwelt, mit Anschluß an Dr. Andr. Wagner’s Geschichte der Urwelt, mit besonderer Berücksichtigung der Menschenracen und des Mosaischen Schöpfungsberichts. Leipzig, 1845“, EKZ 1846, (305 ff ) 305 f. 25 „Die Geschichte der Urwelt mit besonderer Berücksichtigung der Menschenrassen und des mosaischen Schöpfungsberichts von Andr. Wagner, Prof. an der Univers. München. Leipzig, Voß 1845 S. 578“, ZPK 11 N. F. (1846), (97–116) 97 f.

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4.2 Das Buch Daniel und biblische Zukunftsprophetie Richtungsweisend war neben dem Pentateuchproblem auch die Diskussion um das alttestamentliche Buch Daniel, dessen Echtheit 1783 von Johann Salomo Semlers Schüler Heinrich Corrodi rundweg bestritten worden war26 und das von der deutschsprachigen Bibelwissenschaft etwa seit der Jahrhundertwende weitgehend als eine pseudepigraphe Schrift der Makkabäerzeit betrachtet, also statt in das 6. ins 2. vorchristliche Jahrhundert datiert wurde.27 Die Folgen, die diese Neudatierung des Prophetenbuches für die Glaubwürdigkeit der im Neuen Testament vielfach zitierten danielischen Geschichtstexte und vor allem Geschichtsprophetien hatte, war den Erweckten bewusst und animierte zur Stellungnahme.28 1831 veröffentlichte Ernst Wilhelm Hengstenberg die Untersuchung Die Authentie des Daniel,29 in der er einräumte, gegen wenige biblische Bücher sei „der Angriff durch so gewandte Streiter und mit solchem Scheine der Gründlichkeit geführt worden“ wie gegen dieses (VI). Es habe sich die Ansicht etabliert, die Echtheit des Buches sei „unrettbar, und selbst von den rechtgläubigen Theologen preisgegeben“ (1). Mit Hengstenbergs Publikation sollte sich allerdings ein Umschwung abzeichnen.30 Hengstenberg, der auf zweihundert Seiten die literarischen, theologischen, linguistischen und historischen Argumente gegen die danielische Verfasserschaft prüft, bevor er ähnlich ausführlich seine Gründe für die traditionelle Datierung vorstellt, sollte Mitstreiter finden. Einen prominenten Platz unter diesen Mitstreitern nahm der im Kontakt mit Tholuck erweckte und durch Hengstenberg geprägte Heinrich Andreas Christoph Hävernick (1810–1845) 31 ein. Als ganz junger Lehrer an der Genfer Ecole de théologie schrieb Hävernick 1832 einen 570-seitigen Danielkommentar,32 der auf der „festen Ueberzeugung“ gründet, dass das Buch Daniel „ein Werk des Propheten“ sei (VI). An wissenschaftlichem 26

Vgl. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung, 100. Vgl. Klaus Koch, Europa, Rom und der Kaiser vor dem Hintergrund von zwei Jahrtausenden Rezeption des Buches Daniel, Hamburg 1997, 159 f. 28 Bereits 1821 verfasste etwa Christian Gottlob Barth, vermutlich als Examensarbeit, die nicht mehr erhaltene Abhandlung De authentia Danielis, für die er im Frühjahr 1838 auf seinen Antrag hin von der evangelisch-theologischen Fakultät Greifswald das EhrendoktorDiplom erhielt (vgl. Raupp, Barth, 108 f; 152). 29 Ernst Wilhelm Hengstenberg, Die Authentie des Daniel und die Integrität des Sacharjah (= ders., Beiträge zur Einleitung ins Alte Testament, Bd. I), Berlin: Oehmigke 1831. Die Behandlung Sacharjas macht nur etwa ein Zehntel des Werkes aus. 30 Vgl. Koch, Europa, Rom und der Kaiser, 159 f. 31 Zu Hävernick vgl. Karsten Ernst, Auferstehungsmorgen. Heinrich A. Chr. Hävernick. Erweckung zwischen Reformation, Reaktion und Revolution, Gießen/Basel 1997. 32 Heinrich Andreas Christoph Hävernick, Commentar über das Buch Daniel, Hamburg: Perthes 1832. 27

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Anspruch stand er Kritikern wie de Wette oder Leonhard Bertholdt nicht nach: Hävernick führt eine hochtechnische Diskussion philologischer Einzelfragen mit typographisch korrekt wiedergegebenen griechischen, lateinischen, syrischen, arabischen, hebräischen und aramäischen Quellenzitaten (z. B. 82). Nachdem mehrere kritische Entgegnungen, darunter der Danielkommentar des Königsberger Professors Caesar von Lengerke, Hävernicks Ergebnisse bestritten hatten, sah dieser sich 1838 – mittlerweile außerplanmäßiger Theologieprofessor in Rostock – herausgefordert, seinem Opus den Band Neue kritische Untersuchungen über das Buch Daniel33 folgen zu lassen. Dem Argument Lengerkes, die Verwendung eines berühmten Pseudonyms, das Abfassen fiktiver Berichte und die nachträg liche Formulierung angeblicher Weissagungen seien kein Betrug, sondern allgemein akzeptierte Konvention gewesen, setzt Hävernick Beispiele aus klassischer Antike, neutestamentlichen Briefen und Früher Kirche ent gegen, in denen solche literarischen Praktiken gerügt oder geahndet wurden (8 ff ). Die Deutung Lengerkes komme also faktisch einem Täuschungsvorwurf an den Verfasser des Danielbuches gleich. Auch Johann Christian Konrad Hofmann (1810–1877),34 seit 1838 Privatdozent und seit 1841 Professor für Bibelwissenschaften, rechnet in seinem einf lussreichen zweibändigen Werk Weissagung und Erfüllung im alten und im neuen Testamente35 mit dem Erstarken der Konservativen innerhalb der historischen Bibelforschung unter Einschluss der Danielexegese: „Nachdem die Einheit des Buchs Daniel’s, welches Bertholdt aus neun verschiedenen Aufsätzen bestehen ließ, so anerkannt ist, daß von Lengerke sich der Mühe, sie zu beweisen, überhoben glaubt; nachdem sein Verfasser, über dessen Beschränktheit und Gedankenlosigkeit man sich früher nicht stark genug ausdrücken konnte, von einem philosophischen Theologen ein gewaltiger Mann genannt wird: so ist es vielleicht gar keine zu große Versündigung gegen die Bildung unserer Zeit, wenn man auch die Anerkennung der Aechtheit dieses Buches noch zu erleben hofft.“ (I: 328)

Hofmann setzt vor diesem Hintergrund die Zuverlässigkeit der alttestamentlichen (I: 62) wie der neutestamentlichen Schriften (II: 1) voraus bzw. überspringt die Frage um aufzuzeigen, „[d]aß jene Geschichte, so wie dieselbe in diesen Schriften vorliegt, ein in sich geschlossenes und dabei der Weissagung alten Testaments entsprechendes Ganze sey“ (II: 1). Hofmann erläutert in seinem ersten Band von 1841 geschichtstheologische Grund33 Heinrich Hävernick, Neue kritische Untersuchungen über das Buch Daniel, Hamburg: Perthes 1838. Bereits 1836 hatte Hävernick mit der Herausgabe seines 5-teiligen Handbuches der historisch-kritischen Einleitung in das Alte Testament (1836–1849) begonnen, in dem er für die Zuverlässigkeit der alttestamentlichen Schriften eintrat. 34 Zu Hofmann vgl. Mildenberger, Hofmann. 35 Johann Christian Konrad Hofmann, Weissagung und Erfüllung im alten und im neuen Testamente. Ein theologischer Versuch, 2 Bd., Nördlingen: Beck 1841–1844.

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kategorien wie Inspiration, Geschichte und das Wechselverhältnis der beiden Testamente und behandelt dann die verschiedenen messianischen Weissagungen des Alten Testaments. Der zweite, 1844 veröffentlichte Band beschreibt als Komplement „Die neutestamentliche Erfüllung“ und stellt schließlich unter dem Stichwort „Die neutestamentliche Weissagung“ die Zukunftsschau des Neuen Testaments vor. Hofmann, der mit seiner offenbarungsgeschichtlichen Darstellung auch den Begriff „Heilsgeschichte“ (I: 8 u. a.) in die theologische Diskussion einführte oder zumindest zu Bedeutung brachte,36 sieht die Geschichte als Schauplatz von Gottes fortschreitender Offenbarung entlang der biblischen Linien. Jesus Christus sei „Schluß, aber auch Mitte der Geschichte“ (I: 68). Hofmann rekurriert dabei auch auf die danielische Geschichtsprophetie einschließlich der Vier-Weltreiche-Lehre (I: 276–316), deren Erfüllung er, ohne sich festlegen zu wollen, auch noch in der mittelalterlichen Geschichte wahrnimmt (I: 281 f ). Hofmanns Kritik an Hengstenbergs Prophetieverständnis einer mehrfachen Erfüllung zu unterschiedlichen Zeiten, das den Weissagungen ihre raumzeitliche Konkretion nehme (I: 4 f ), illustriert die geschichtstheologische Bandbreite, die es auch innerhalb der Erweckungsbewegung gab.37 Hofmann ist nicht zuletzt wegen Weissagung und Erfüllung als wichtigster „Vertreter heilsgeschichtlicher Denkart“ neben Johann Tobias Beck und Carl August Auberlen in die Theologiegeschichte eingegangen.38 Die Literatur zur biblischen Endzeitprophetie, die in der deutschen Erweckungsbewegung entstand und gelesen wurde, gehört nicht in den Rahmen dieses Kapitels und ist auch schon eingehender untersucht worden.39 36 Vgl. Reinhart Koselleck, „Geschichte“ (I, V–VII), GGB, Bd. 2 (1975), (593–717) 685. Der Begriff scheint im geprägten Sinne erst in den Jahren nach 1841 in Gebrauch gekommen zu sein. So spricht etwa Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. I.1, 21842 (1826/28) 506 von den „großen Thatsachen der Heilsgeschichte“, während der Ausdruck im entsprechenden Absatz der ersten Auf lage noch fehlt. Allerdings finden sich auch schon einzelne frühere Verwendungen. So redet bereits Christian Gottlieb Blumhardt in dem Jahresbericht „Unsere evangelische Missionsschule“ MGMB 21:3 (1836), (353–376) 374 von Christus „und seiner Heilsgeschichte“. Noch eindeutiger im geschichtstheologischen Sinne findet sich „Heilsgeschichte“ (kontrastiert mit „Heilslehre“) im Erscheinungsjahr von Hofmanns Werk bei Wilhelm Hoffmann, Die Erziehung des weiblichen Geschlechts in Indien. Ein Aufruf an die christlichen Frauen Deutschlands und der Schweiz, Stuttgart: Liesching 1841, 55. 37 Zu Hengstenbergs und Hofmanns heilsgeschichtlichen Entwürfen vgl. Klaus Beckmann, Die fremde Wurzel. Altes Testament und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2002, 239–311. 38 Vgl. Weth, Heilsgeschichte, 55. 39 Vgl. Holthaus, Prämillenniarismus; Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 162 f, der für Württemberg in der zweiten Hälfte der 1820er Jahre von einem „apokalyptischen Buchmarkt“ wegen einer „Häufung von Veröffentlichungen zur Johannesoffenbarung“ spricht. Nach Kannenberg standen Erweckte außerhalb Württembergs der dortigen endzeitlichen Kommunikation vielfach skeptisch gegenüber (54).

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Biblische Prophetie wurde in der Erweckungsbewegung jedoch nicht nur in heilsgeschichtlichen und eschatologischen Kontexten ausgelegt, sondern auch offensiv als Argument für die historische Stimmigkeit der Bibel eingesetzt. Dies gilt besonders für die messianischen Voraussagen auf Jesus, die man angesichts der verbreiteten Auffassung, „es gebe keine eigentliche Weissagungen auf ihn und seine Geschichte“,40 mit Nachdruck zur Sprache bringt.41 Aber auch in anderen Ereignissträngen erblickt man erfüllte Prophetie. Hinweise finden sich mitunter in den Geschichtswerken selbst: Barths Allgemeine Weltgeschichte erkennt in der babylonischen Eroberung Ninives (48), dem Auftreten des Perserkönigs Kyrus (52) und der Zerstörung von Tyrus durch Alexander den Großen (70) die Erfüllung von Voraussagen der Propheten Nahum, Jesaja und Ezechiel. Nach Dittmars Geschichte der Welt wurden neben der Zerstörung Ninives (I: 232 f ) auch die Einnahme Jerusalems (I: 238) und eine frühere Eroberung von Tyrus (I: 239 f ) durch Jeremia und Jesaja geweissagt. Auf den antiken jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus stützt sich die in mehreren Geschichtsbüchern berichtete Anekdote,42 Alexander der Große habe bei seinem Jerusalembesuch mit Verblüffung die ihn selbst betreffenden Weissagungen aus Daniel 7–8 und 11 gelesen.43 Einige Israel-Schriften der Erweckungsbewegung, darunter der in deutscher Übersetzung viel gelesene44 Vortrag Die Juden und die Hoffnung ihrer baldigen Wiederherstellung45 des Genfer Dogmatikers Louis Gaussen (1790–1863),46 sehen in der singulären historischen Kontinuität des jüdischen Volkes trotz vieler Jahrhunderte der Verbannung und Verfolgung ein in biblischer Verheißung gegründetes „Wunder“.47 Wenigstens ein umfangreiches Werk der Erweckungsbewegung war ausschließlich den eingetroffenen biblischen Weissagungen gewidmet. Der 40

So formuliert Hess, Kern der Lehre, 21826, XXIX die Auffassung seiner Gegner. Etwa „Ueber Dr. Schleiermacher’s Behauptung der Unkräftigkeit und Entbehrlichkeit der messianischen Weissagungen“, EKZ 1830, 17–21; 25–31. 42 Zu der Josephus-Stelle aus Antiquitates Judaicae 11,337 vgl. Peter Höffken, Josephus Flavius und das prophetische Erbe Israels, Berlin 2006, 70 Fn. 22. 43 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. I, 1831, 354; Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 74; Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837, 71; Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 26. 44 Nach Christopher M. Clark, The Politics of Conversion: Missionary Protestantism and the Jews in Prussia 1728–1941, Oxford 1995, 155 wurde die Schrift durch die Rheinische Missionsgesellschaft verbreitet und von etlichen Missionszeitschriften zitiert. 45 Louis Gaussen, Die Juden und die Hoffnung ihrer baldigen Wiederherstellung vermittelst des Evangeliums. Ein Vortrag, gehalten am 12. März 1843 im Museum zu Genf. Aus dem Frz., Karlsruhe: Macklot 21843. 46 Zu Gaussen vgl. LeRoy Edwin Froom, The Prophetic Faith of Our Fathers: The Historical Development of Prophetic Interpretation, Bd. III, Washington, D. C. 1946, 687 ff. 47 Gaussen, Die Juden, 21843, 18; Christian Heinrich Zeller, Israels Zukunft. Eine Abhandlung, Straßburg: Berger-Levrault 1844, 5. 41

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schottische presbyterianische Prediger und Theologe Alexander Keith (1791– 1880)48 hatte 1823 unter dem Titel Evidence of the Truth of the Christian Religion Derived from the Literal Fulfilment of Prophecy einen auch für Nichttheologen verständlichen Bestseller geschrieben, den der Stuttgarter Steinkopf-Verlag 1844, nachdem bereits deutschsprachige Teile zirkulierten, als Gesamtwerk in Übersetzung herausbrachte.49 Das knapp 400 Seiten lange, mit Stichen illustrierte Buch mit dem deutschen Titel Die Erfüllung der biblischen Weissagungen basierte auf der 25. englischen Auf lage, war aber für die deutsche Ausgabe bearbeitet und gekürzt worden. Behandelt werden jeweils in Hauptkapiteln „Weissagungen auf Christum und die christliche Religion“ (8–45), „Weissagungen von der Zerstörung Jerusalems“ (45–66), „Weissagungen, die sich auf die Juden beziehen“ (67–91), „Weissagungen über das Land Judäa und die umliegenden Länder“ (92–258), „Ninive“, „Babylon“, „Das gefallene Babylon“, „Aegypten“ (258–370) sowie „Die sieben Gemeinden in Kleinasien“ (371–386). In allen diesen Bereichen findet der Autor eine Vielzahl erfüllter Voraussagen und damit Indizien für die göttliche Inspiration der Bibel: „[E]s kann keinen gültigeren Beweis für die unmittelbare Einwirkung des Allerhöchsten geben, als den der Weissagung. […W]enn also die Geschichte mit der Weissagung zusammenstimmt, dann ist die Ueberzeugung, welche die Weissagungen geben, ein Wunder und Zeichen für jedes Geschlecht […].“ (2 f )

Hinter dem Eintreffen biblischer Voraussagen „durch menschliche Werkzeuge und durch natürliche Mittel“ steht nach Keith Gottes souveräne Allwissenheit (89). Sie habe in der heiligen Geschichte immer wieder – etwa in der mit „Jahrwochen“ terminierten Ankündigung des „Gesalbten“ in Daniel 9 – zukünftige Ereignisse offenbart. „[K]ann man es vernünftigerweise einem Zufall zuschreiben“, fragt Keith, „daß vom siebenten Regierungsjahr des Königs Artaxerxes an […] bis zum Tod Christi gerade 490 Jahre, oder siebenzig Jahrwochen verf loßen?“ (16) Insbesondere erfüllte Prophezeiungen über das Leben, die Lehre und den Tod Jesu seien „wie mit eisernem Griffel in die Tafeln der Geschichte eingegraben“ (43 f ). Neben den biblischen Texten werden gelegentlich auch andere Stimmen wie das „Zeugniß der Profangeschichtschreiber“ Tacitus und Sueton und jüdische Stellungnahmen über das Ausbleiben des Messias angeführt (17). Das apologetische Geschichtsinteresse des Autors schließt den christlichen Zukunftsblick mit ein: „[S]o lernen wir, wenn wir glauben, von der Vergangenheit auf die Gewißheit der zukünftigen Dinge schließen.“ (390) 48

Zu Keith vgl. „The Rev. Alexander Keith Dead“, The New York Times, 13. Februar 1880, 2. 49 Alexander Keith, Die Erfüllung der biblischen Weissagungen, aus der Völkergeschichte und den Mittheilungen neuerer Reisenden überzeugend dargethan, nach der 25. engl. Auf l., Stuttgart: Steinkopf 1844 (engl. 11823).

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4.3 Die Evangelien und das Leben Jesu Im Zentrum der vormärzlichen Auseinandersetzung um das Christentum standen schließlich und vornehmlich die neutestamentlichen Schriften und die Frage nach dem historischen Jesus. Wie stark auch hier mit der Neologie des 18. Jahrhunderts der kritische Geist Einzug in die theologischen Fakultäten gehalten hatte und im 19. Jahrhundert seine Wirkung entfaltete, veranschaulicht eine im Christen-Boten abgedruckte kritische Reminiszenz eines kürzlich zum biblischen Christentum zurückgekehrten Theologen. Der Württemberger Heinrich Merz beschreibt dort den „biblisch-theologischen Schulsack“, den er aus seinem Theologiestudium 1835 bis 1839 an der von Ferdinand Christian Baur geprägten Tübinger Fakultät mitgenommen habe: „Matthäus, Markus, Lukas? (Die sind, hieß es) Sagenpoesie. – Johannes? Didaktische Poesie! – Apostelgeschichte? Kirchlich-politischer Roman. – Römerbrief? Diplomatisches Aktenstück zwischen Juden- und Heidenchristenthum! – Die zwei letzten Kapitel? Unächt. – Epheserbrief? Unächt. – Philipper? Unächt. – Kolosser? Unächt. – Thessalonicher? Der zweite wenigstens unächt. – Timotheus, Titus, Philemon? Alles unächt. – Erste, zweite Epistel Petri? Unächt. – Die Briefe Johannis? Unächt, wenn die Offenbarung ächt ist. – Hebräerbrief? Unächt. – Judä? Unächt. – Offenbarung Johannis? Aecht, ächt jüdisch, ächt bionitisch, ächt unevangelisch!“50

Doch auch im Neuen Testament hatte es, erleichtert durch die Förderung „positiv“ gläubiger Theologieprofessoren an den preußischen Universitäten,51 einen Aufschwung konservativer Bibelwissenschaft gegeben. Der beste Beleg hierfür ist eine Bemerkung aus dem Vorwort von David Friedrich Strauß’ Leben Jesu, das die Evangelien als theologische Mythen interpretierte und mit seinem Erscheinen 1835 die Diskussion wie kein anderes theologisches Buch des 19. Jahrhunderts beeinf lusste. Strauß, der gleichermaßen gegen die auf klärerisch-rationalistische wie die erwecklich-supranaturalistische Lesart des Neuen Testaments zu Felde zog, sah nämlich einen Unterschied in der Vitalität seiner Gegner: „[W]ährend das Interesse an den Wundererklärungen und dem Pragmatismus der Rationalisten längst erkaltet ist, sind die gelesensten Evangeliencommentare jetzt 50 Heinrich Merz, „Bekenntnisse eines ehemaligen Hegelianers“, ChB 15 (1845), (331– 336) 333. Zu Merz’ Auseinandersetzung mit der Baurschule vgl. Horton Harris, The Tübingen School: A Historical and Theological Investigation of the School of F. C. Baur, Grand Rapids 21990, 6 f; 82 f. 51 Vgl. hierzu Robert M. Bigler, The Politics of German Protestantism: The Rise of the Protestant Church Elite in Prussia, 1815–1848, Berkeley/Los Angeles/London 1972, 76–124.

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diejenigen, welche die supranaturalistische Auffassung der heiligen Geschichte für den neueren Geschmack zuzubereiten wissen.“52

Als wichtigsten Gegner auf supranaturalistischer, „wundergläubiger“ Seite (I: IX) nennt Strauß den ehemals Königsberger und seit 1834 Erlanger Theologieprofessor Hermann Olshausen (1796–1839).53 Olshausen war in Berlin von der Erweckungsbewegung erfasst worden und hatte sich nach kirchengeschichtlichen Studien unter Neander der neutestamentlichen Bibelauslegung zugewandt. Bereits 1823 erschien die Abhandlung Die Aechtheit der vier kanonischen Evangelien, aus der Geschichte der ersten zwei Jahrhunderte erwiesen. Nach Schriften zur Bibelexegese setzte Olshausen seine historisch-apologetischen Studien fort und veröffentlichte 1832 „für gebildete Leser aller Stände“ einen Nachweis der Echtheit sämmtlicher Schriften des Neuen Testaments.54 Er sah einen Bedarf für das Buch, weil „gewisse Voraussetzungen von vermeintlicher Unechtheit oder wenigstens Verdächtigkeit“ der neutestamentlichen Schriften aus Theologenkreisen „nun auch unter die Menge der Layen gerathen“ seien (VI). Für Olshausen sind historische Untersuchungen zur Authentizität der Bibel nicht als solche verwerf lich (VII) und müssen sich auch nicht destruktiv auf den Glauben auswirken. Nach der „ersten Hitze“ der Kritik sei die historische Forschung zum Neuen Testament vielmehr zu dem Urteil gelangt, „daß bei weitem die meisten Schriften desselben auf so gutem historischen Boden ruhen, wie wenige des Alterthums, die doch alle Welt für echte Werke hält“ (10). Grund zur Beunruhigung bestehe also nicht, selbst wenn man der Kritik etwa zugestehen müsse, dass sich die historischen Argumente für und wider den 2. Petrusbrief die Waage hielten (113–115). Insgesamt stehe das Neue Testament auf bemerkenswert solidem historischen Fundament. Bereits 1830 hatte Olshausen einen später mehrfach aufgelegten Biblischen Commentar über sämmtliche Schriften des Neuen Testaments begonnen, von dem bis 1840 vier Bände erschienen und der später von anderer Hand weitergeführt wurde. Der zweite, Tholuck gewidmete Band setzt sich bei der Behandlung des Johannesevangeliums auch mit neueren Anfragen an das vierte Evangelium auseinander.55 Im Jahr 1820 hatte der rationalistische Theologe und Generalsuperintendent in Gotha Karl Gottlieb 52 David Friedrich Strauss, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, Bd. I, Tübingen: Osiander 1835, III f. 53 Zu Olshausen vgl. ADB, Bd. 24, 323–328; Benrath, Erweckung, 173. 54 Hermann Olshausen, Nachweis der Echtheit sämmtlicher Schriften des Neuen Testaments. Für gebildete Leser aller Stände, Hamburg: Perthes 1832. 55 Hermann Olshausen, Biblischer Commentar über sämmtliche Schriften des Neuen Testaments zunächst für Prediger und Studirende, Bd. II: Das Evangelium des Johannes, die Leidensgeschichte und die Apostelgeschichte enthaltend, Reutlingen: Enßlin 21834 (1832), 9–15.

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Bretschneider mit der kleinen Schrift Probabilia de Evangelii et Epistolarum Joannis Apostoli indole et origine die synoptische und die johanneische Jesuslehre für unvereinbar erklärt und eine Kontroverse um die Verfasserschaft des Johannesevangeliums hervorgerufen.56 Olshausen hielt Bretschneiders Schrift für „die scharfsinnigste unter denen […], welche gegen die Aechtheit des Evangeliums Johannes geschrieben sind“ (11 f ). Er hält ihr aber entgegen, gerade die apostolische Verfasserschaft des Johannesevangeliums sei durch frühchristliche Zeugnisse ungewöhnlich gut belegt und in den ersten Jahrhunderten auch nie ernsthaft bestritten worden (9–11). Die Unterschiede in der Christusdarstellung der drei Synoptiker und Johannes’ hält auch Olshausen für signifikant, erklärt sie aber mit der introvertierten Persönlichkeit und der anvisierten Leserschaft von Johannes (12 f ). Auch die johanneischen Reden Jesu seien in ihrem historischen Kontext plausibel, wenn man nicht immer von einer wortwörtlichen, sondern sinngemäßen Wiedergabe durch den Evangelisten ausgehe. Der Vorwurf der historischen Ungenauigkeit und Unkenntnis Palästinas sei mittlerweile widerlegt (14). Olshausen bezog sich mit diesem Hinweis auf zwei Bretschneider-Repliken des Jahres 1823. Die etwa 100-seitige lateinische Commentatio critica 57 des nicht eigentlich der Erweckungsbewegung zugehörigen Schweizer Neutestamentlers Leonhard Usteri (1799–1833) 58 argumentiert aus dem Vergleich der Passionsberichte für die größere historische Stimmigkeit und Ereignisnähe des Johannesevangeliums. Auch die deutlich umfangreichere Abhandlung Die Authentie der Schriften des Evangelisten Johannes,59 die der erweckte dänische Privatdozent und ab 1825 Professor an der Universität Göttingen Johann Tychsen Hemsen (1792–1830) 60 vorlegte, vertritt die johanneische Verfasserschaft des vierten Evangeliums, welches „durch wiederholte Untersuchung und Prüfung“ „nur gewinnen“ könne (380 f ). Seit 1835 stand der Diskurs über das Neue Testament – und den christlichen Glauben schlechthin – im Zeichen der Diskussion um David Friedrich Strauß. Der junge Tübinger Stiftsrepetent ruinierte durch sein Leben Jesu nicht nur die eigene akademische Karriere, sondern provozierte auch 56 Vgl. Axel Lange, Von der fortschreitenden Freiheit eines Christenmenschen. Glaube und moderne Welt bei Karl Gottlieb Bretschneider, Frankfurt a. M. 1994, 40. 57 Leonhard Usteri, Commentatio critica in qua Evangelium Joannis genuinum esse ex comparatis IV. Evangeliorum narrationibus de coena ultima et passione Iesu Christi ostenditur, Zürich: Orell & Füßli 1823. 58 Zu Usteri vgl. ADB, Bd. 39, 397 f. 59 Johann Tychsen Hemsen, Die Authentie der Schriften des Evangelisten Johannes, Schleswig: Königl. Taubstummen-Institut 1823. 60 Zu Hemsen vgl. ADB, Bd. 11, 729 f. Hemsens Zugehörigkeit zu einer kleinen Gruppe Erweckter an der Göttinger Universität erwähnt Karl Heinz Voigt, „Bialloblotzky, Christoph Heinrich Friedrich“, BBKL, Bd. XV (1999), 132–142.

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mehrere Dutzend Gegenschriften.61 1837 erschien in Zürich eine knapp 200-seitige Abhandlung allein über die verschiedenen Reaktionen auf das Buch, die sich als ein „Beitrag zur theologischen Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts“ verstand.62 Die Tatsache, dass sich fast alle Schriften kritisch mit dem Straußschen Werk auseinander setzten und sich auch sonst wenige öffentlich zu dem jungen Theologen stellten, darf nicht über dessen Einf luss hinwegtäuschen. Tholuck notierte in einem privaten Brief des Jahres 1836, Hunderte von Pfarrern, Professoren und Laien hätten die Behauptungen vollständig übernommen.63 Auf wissenschaftsgeschichtlicher Seite ist Albert Schweitzers Urteil wohl haltbar, mit Strauß habe langfristig „die Periode der wunderlosen Betrachtung des Lebens Jesu“ begonnen.64 Inspiriert von Hegel und Vatke, hatte Strauß in dem zweibändigen Werk auf über 1400 Seiten die These entfaltet, die Evangeliendeutung benötige einen Neuanfang. Das mit Wundern durchsetzte Jesusbild der Evangelien sei weder, wie die Erweckten glaubten, historisch glaubwürdig, noch, wie die Rationalisten meinten, Folge eines Missverständnisses, nach dem beispielsweise Jesus nicht auf dem Wasser, sondern – optisch verwechselbar – am Strand gelaufen sei, die Wunder also eine natürliche Erklärung besäßen. Im Gegensatz zu beiden Positionen hielt Strauß die Evangelien für Produkte eines Mythisierungsprozesses, bei dem die berichteten Ereignisse lediglich eine theologische Wertschätzung der Person Jesu ausdrückten. Die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers durch den Engel Gabriel etwa (Lukas 1,11–20) deutet Strauß, der den Glauben an Engel ablehnt, als eine aus alttestamentlichen Vorbildern gestaltete Geschichte, die entstanden sei, weil die christliche Gemeinde dem Vorläufer Jesu eine besondere Bedeutung beigemessen habe.65 Das Buch von Strauß entfachte eine häufig polemisch geführte Kontroverse, für die die 1836 und 1837 im Christen-Boten veröffentlichte Artikelserie „Straußischer Unglaube“ ein wichtiges Beispiel ist.66 Sie kulminierte 61 Zu Strauß’ Biographie, dem Leben Jesu und der sich anschließenden Schriftenkontroverse vgl. Horton Harris, David Friedrich Strauss and His Theology, Cambridge 1973, bes. 41–84; Albert Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 91984 (1906, Nachdr. der 7. Auf l. 1966), 106–154; 632–635. 62 Johannes Zeller, Stimmen der Deutschen Kirche über das Leben Jesu von Doctor Strauss. Ein Beitrag zur theologischen Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts für Theologen und Nichttheologen, Zürich: Bürkli 1837. 63 Zitiert in Ludwig Rott, Die englischen Beziehungen der Erweckungsbewegung und die Anfänge des wesleyanischen Methodismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Erweckungsbewegung und des Freikirchentums in Deutschland in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1968, 102 f. 64 Schweitzer, Leben-Jesu-Forschung, 145. 65 Strauss, Das Leben Jesu, Bd. I, 1835, 85 f; 104. 66 Vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 267–269.

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in den Auseinandersetzungen um Strauß’ 1839 ausgesprochene und nach Massenprotesten wieder zurückgezogene Berufung an die Zürcher Universität, den „Straußenhandel“. Das umkämpfte Buch forderte seine Gegner in allen theologischen Lagern heraus, sich zu dem historischen Jesus zu äußern. Die Erweckungsbewegung beteiligte sich mit etlichen ausführlichen Beiträgen an dieser Diskussion und nahm darin mit ihrer supranaturalistischen Position eine bedeutende Stellung ein.67 Die „positiv christliche Theologie“ sei „in sich wieder kräftig“, schrieb ein Beobachter der Debatte.68 Die Publikationen waren von unterschiedlichem wissenschaftlichen Wert und für verschiedene Zielpublika verfasst. Bereits im Erscheinungsjahr des ersten Bandes 1835 reagierte der Tübinger Theologieprofessor Johann Christian Friedrich Steudel (1779–1837) 69 mit der „zur Beruhigung der Gemüther“ verfassten 88-seitigen Schrift Vorläufig zu Beherzigendes bei Würdigung der Frage über die historische und mythische Grundlage des Lebens Jesu.70 Steudel, der pietistischen Erbauungsstunde im Evangelischen Stift (Pia) freundschaftlich verbunden,71 arbeitete als Teil des dreiköpfigen Inspektorats des Stifts auf die Absetzung von Strauß als Stiftsrepetent hin und wurde deshalb 1837 Zielscheibe einer Streitschrift des Gemaßregelten.72 In der Schrift, die Steudel mit „Theilnahme des tiefsten Gemüthes“ schrieb (4), definiert er den Supranaturalismus – dem Inhalt, nicht dem Namen nach – als den christlichen Glauben schlechthin, denn das Christentum habe, mit oder ohne wissenschaftliche Begründung, von jeher mit tatsächlich geschehenen Heilstatsachen gerechnet (8 f ). Mit dem pragmatischen Blick des Seelsorgers argumentierte 1836 der Grözinger Stadtpfarrer Johann Georg Vaihinger (1802–1879)73 in seinem

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So Schweitzer, Leben-Jesu-Forschung, 134. Schweitzers Referat der Gegenschriften (132–154), denen er „Ratlosigkeit“, „kokette Resignation“ und „Unwahrhaftigkeit“ vorwirft (134), ist hilfreich in der Zusammenstellung, allerdings in der Bewertung polemisch und undifferenziert. 68 Zeller, Stimmen der Deutschen Kirche, 1837, 173. 69 Zu Steudel vgl. Klaus-Gunther Wesseling, „Steudel, Johann Christian Friedrich“, BBKL, Bd. X (1995), 1434–1438; ADB, Bd. 36, 152–155. 70 Johann Christian Friedrich Steudel, Vorläufig zu Beherzigendes bei Würdigung der Frage über die historische und mythische Grundlage des Lebens Jesu, wie die canonischen Evangelien dieses darstellen, vorgehalten aus dem Bewußtseyn eines Glaubigen, der den Supra naturalisten beigezählt wird, zur Beruhigung der Gemüther, Tübingen: Fues 1835. 71 Zu dieser Gruppierung vgl. Martin Leube, Das Tübinger Stift 1770–1950, Stuttgart 1954 (1936), 549–570. 72 Vgl. Schweitzer, Leben-Jesu-Forschung, 109; 132; Joachim Mehlhausen, „Spekulative Christologie. Ferdinand Christian Baur im Gespräch mit David Friedrich Strauß und Julius Schaller“ (1994), in: ders., Vestigia Verbi. Aufsätze zur Geschichte der evangelischen Theologie, Berlin/New York 1999, (221–246) 227. 73 Zu Vaihinger vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 369.

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Sendschreiben an Herrn David Friedrich Strauß.74 „Wir wissen jetzt“, schreibt Vaihinger mit Blick auf die fortschreitende Mythenkritik in der Bibelwissenschaft der letzten Jahrzehnte, „wohin diese Richtung, wenn sie durchgreifen sollte, führen wird, nämlich wie Sie selbst in der Schlußabhandlung zu verstehen geben, zur Auf lösung des gesammten jetzigen Christenthums; ein Gedanke, der freilich für den schmerzlich ist, welcher in der bisherigen Auffassung desselben Trost und Beruhigung in den Stürmen des Herzens und Lebens gefunden hat.“ (5)

Der von Strauß geäußerte Gedanke, Geburt, Auferstehung und Himmelfahrt Christi blieben „ewige Wahrheiten“, wenn auch „ihre Wirklichkeit als geschichtliche Thatsachen“ bestritten werden müsse, ist für Vaihinger eine inhaltsleere Abstraktion: Die Wenigsten seien in der Lage, „sich an bloße Ideen zu halten“ (6). Vaihinger schlägt daher vor, bis auf Weiteres bei der bisherigen Auffassung des Christentums zu bleiben, „von der wir wissen, wie viel Segen und Heil, wie viel Trost und Licht sie zu verbreiten vermag, und wie sich ihre Wahrheit am Herzen als eine Gotteskraft bewährt“ (90 f ). Der Erlanger lutherische Theologieprofessor Gottlieb Christoph Adolph Harleß (1806–1879),75 ein späterer Mitbegründer der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche, schrieb eine 126-seitige Schrift über Die kritische Bearbeitung des Lebens Jesu von Dr. Dav. Friedr. Strauß.76 Als Anlass seiner Entgegnung gibt Harleß Strauß’ Beliebtheit als Sensationsautor und seine enthusiastische Aufnahme „in verbreiteten politischen Tagesblättern“ an (IV). Harleß hält einen wissenschaftlich-historischen Zugang zu den Evangelien für sinnvoll und meint, Strauß habe diesem Ansatz „durch Aufdeckung mancher Blößen der herkömmlichen kritischen und synoptischen Betrachtungsweise“ indirekt einen Dienst erwiesen (VII). Strauß sei jedoch in seiner Herangehensweise durch „unwissenschaftliche“ Grundsätze fehlgegangen. Ziel des Büchleins von Harleß ist somit eine kritische Auseinandersetzung mit den Prämissen der neuen Ansicht (Vf ). Über 400 Seiten umfasst die Strauß-Replik, die 1836 Wilhelm Hoffmann (1806–1873) 77 als Diakonus in Winnenden, drei Jahre vor Beginn seiner Tätigkeit als Basler Missionsinspektor, veröffentlichte.78 Hoffmann 74 Johann Georg Vaihinger, Ueber die Widersprüche in welche sich die mythische Auffassung der Evangelien verwickelt. Ein Sendschreiben an Herrn David Friedrich Strauß, Dr. der Philosophie, Stuttgart: Köhler 1836. 75 Zu Harleß vgl. Friedrich Wilhelm Bautz, „Harleß, Adolf von“, BBKL, Bd. II (1990), 536–540. 76 G. C. Adolph Harless, Die kritische Bearbeitung des Lebens Jesu von Dr. Dav. Friedr. Strauß nach ihrem wissenschaftlichen Werthe beleuchtet, Erlangen: Heyder 1836. 77 Zu Hoffmann vgl. Hanst, Hoffmann. 78 Wilhelm Hoffmann, Das Leben Jesu kritisch bearbeitet von Dr. D. F. Strauss. Geprüft für Theologen und Nichttheologen, Stuttgart: Balz 1836.

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war als Student mit dem zwei Jahre jüngeren Strauß befreundet gewesen und hatte dessen Leidenschaft für Hegel geteilt und gefördert.79 Während seiner Vikariatszeit hatte er allerdings eine Erweckung erlebt und sah sich jetzt genötigt, gegen die radikale Infragestellung des traditionellen Jesusbildes durch Strauß Stellung zu beziehen. Es ging nach Hoffmann um nicht weniger als darum, der Christenheit „ihr Kleinod, das historische Evangelium“ zu erhalten (VIII). Hoffmann beabsichtigte „für gebildete Nichttheologen verständlich“ zu schreiben, da gerade diese vielfach verunsichert worden seien (IV f ). Um die bildungsferneren Schichten war Hoffmann dagegen weniger besorgt: „Das christliche Volk freilich, wie es der Wissenschaft ferne steht, bleibt nicht blos durch seine Ungelehrtheit, sondern (ich hoffe zu Gott!) auch durch seinen einfachen Glauben, ungefährdet durch die Erscheinungen der Literatur.“ (VII f )

Hoffmans Werk bietet eine eingehende, wenn auch schlecht strukturierte Auseinandersetzung mit Strauß. Dessen revisionistische Christologie, nach der der Menschheit (als Kollektiv) die ehemals Jesus zugeschriebenen Eigenschaften zukämen, führt nach Hoffmann „aus dem klaren Gebiete historischer Bestimmtheit in ein nebelhaft unsicheres“ (435 f ). Neben dem Hoffmannschen Werk stammte auch die 1836/37 in der Tübinger Zeitschrift für Theologie und 1837 als Monographie erschienene Apologie des Lebens Jesu 80 von einem Württemberger, dem Professor am Maulbronner Seminar Johann Ernst Osiander (1792–1870).81 Gemeinsam mit dem Vermittlungstheologen Carl Christian Ullmann (1796–1865),82 dem er 1839 durch Einf lussnahme Tholucks auf den Hallenser Lehrstuhl folgen sollte, verfasste der in Breslauer und Berliner Studienjahren erwecklich geprägte Dogmatiker Julius Müller (1801–1878) 83 1836 die Schrift Das Leben Jesu von Dav. Fr. Strauß.84 Müller machte in der von ihm verfassten Hälfte des Buches (52–126) durch eine scharfsinnige Analyse des Mythosbegriffs auf Fachkollegen Eindruck.85 Er hält in der Schrift etwa an der apostolischen Verfasserschaft des Johannesevangeliums fest (123), äußert aber Respekt für Strauß’ Herausarbeitung einiger historischer Schwierigkeiten in den Evangelien, in denen es „wirkliche Enantiophonieen“ (Widersprüche) gebe, auch wenn dies die Evangelien damit nicht 79

Vgl. Harris, Strauss, 69. Johann Ernst Osiander, Apologie des Lebens Jesu gegen den neuesten Versuch, es in Mythen aufzulösen, Tübingen: Fues 1837. 81 Zu Osiander vgl. ADB, Bd. 24, 492 f. 82 Zu Ullmann vgl. Wesseling, Ullmann. 83 Zu Julius Müller vgl. Joachim Mehlhausen, „Müller, Julius (1801–1878)“, TRE, Bd. XXIII (1994), 394–399. 84 Julius Müller/Carl Ullmann, Das Leben Jesu von Dav. Fr. Strauß, [s.l.] 1836. 85 Vgl. Mehlhausen, Müller, 395. 80

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zu „dichterischen Sagen“ mache (121). Vor dem Hintergrund der Geistesgeschichte „dieses und des vorigen Jahrhunderts“ seien tiefe Zweifel auch des ehrlich Forschenden verständlich. Den offenkundig „heiteren, leichten, ja scherzenden“ Ton, mit dem Strauß an dem Abriss des Glaubensgebäudes von Millionen arbeite, könne er dagegen nicht begreifen (125 f ). Einf lussreich waren die Diskussionsbeiträge August Neanders (1789– 1850).86 Die erste Veröffentlichung hatte er nicht beabsichtigt: Neander war als Berliner Theologieprofessor von dem Staatsminister Freiherr von Altenstein um ein internes Gutachten zu dem umstrittenen Werk gebeten worden. Das von Neander im November 1835 verfasste Gutachten war allerdings ohne sein Wissen und sinnentstellend in der Allgemeinen Zeitung veröffentlicht worden, so dass sich Neander seinerseits zu einer originalgetreuen Veröffentlichung mit eigenem Kommentar durchrang.87 In dem Gutachten (15–19) hatte Neander der Regierung von einem Verbot des Werkes abgeraten, auch wenn eine allgemeine Verbreitung von dessen Thesen seiner Ansicht nach zur Zerstörung der Kirche führe. In der Wissenschaft müssten jedoch „Gründe durch Gründe widerlegt“ und nicht politisch entschieden werden. Im Übrigen billigte er Strauß intellektuelle Begabung und Offenherzigkeit zu. In seiner Einleitung erläutert Neander den von ihm vertretenen Glauben an den „historischen Christus“, den die „Idee der Menschheit“ nicht ersetzen könne; diese Idee sei vielmehr in dem geschichtlichen Christus verwirklicht worden (7 f ). Ein Jahr später verfasste Neander selbst eine 675 Seiten umfassende Darstellung des Lebens Jesu.88 Sie erreichte nicht nur bis 1874 sieben Auf lagen, sondern bewegte auch David Friedrich Strauß zu einer vorübergehenden Revision seiner Kritik am Johannesevangelium.89 Neander versteht das Werk als historische Grundlegung seines kirchenhistorischen Œuvres (VII), nicht primär als eine Strauß-Replik. Auch wenn er sich im Anmerkungsapparat permanent mit Strauß auseinandersetzt, schließt er sich diesbezüglich ausdrücklich der Widerlegung von Müller und Ullmann an (XIV). Neander möchte zur historischen Jesusüberlieferung „rücksichtslos“ schreiben, was sich ihm „nach unbefangener, ernster und von der Ehrfurcht vor dem Heiligen getragener Forschung als wahr oder als das 86

Zu Neander vgl. Mehlhausen, Neander. August Neander, Erklärung in Beziehung auf einen ihn betreffenden Artikel der Allgemeinen Zeitung nebst dem auf höhere Veranlassung von ihm verfaßten Gutachten über das Buch des Dr. Strauß: „Leben Jesu“, Berlin: Haude & Spener 1836. 88 August Neander, Das Leben Jesu Christi in seinem geschichtlichen Zusammenhange und seiner geschichtlichen Entwickelung, Hamburg: Perthes 1837. 89 Vgl. Schweitzer, Leben-Jesu-Forschung, 109. Neander sah in dem Entgegenkommen von Strauß ein Zeichen von dessen Geistesgröße und „Wahrheitsliebe“ (Leben Jesu Christi, Gotha: Perthes 71874, XVI f [= Vorrede von 1839]). Die vierte Auf lage des Leben Jesu von Strauß nahm die in der dritten gemachten Zugeständnisse jedoch wieder zurück. 87

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Wahrscheinlichste“ darstelle (XI). Er rechnet sich dabei weder den bibelskeptischen „Hyperkritikern“ noch den Gegnern jedweder historisch-kritischen Forschung zu (XII). Kern der Neanderschen Darstellung ist, nach hinführenden Kapiteln über Geburt und Kindheit, Bildungsgang und Vorbereitung Jesu auf seine Wirksamkeit (7–102), die Zweiteilung der Jesusgeschichte in eine mehr systematische „Darstellung der öffentlichen Thätigkeit Jesu nach einem sachlichen Zusammenhange“ (102–379) und eine chronologische „Darstellung der öffentlichen Würksamkeit Jesu nach der Zeitfolge“ (379–656). Das Gros des Buches ist narrativ bzw. deskriptiv darstellend. Neander argumentiert aber auch für seine Position. Die Historizität der Auferstehung Jesu verteidigt er mit dem Hinweis auf die Lebenswende der desillusionierten Jünger (644 f ), den nicht-visionären Charakter der Erscheinungen (645 f ), das Zeugnis des Paulus (646) und die mangelnde Plausibilität der Scheintodhypothese (646–648). Wie Neander griff auch August Tholuck (1799–1877) 90 mit einem 1837 im Perthes-Verlag erschienenen Jesusbuch in die Diskussion ein. Die 462 Seiten von Tholucks Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte 91 sind sehr spezifisch als eine „Apologetik“ gedacht (IX). Den Hauptteil des Werkes bildet sein „Geschichtlicher Beweis für die Glaubwürdigkeit der evangelischen Wundergeschichte“ (85–429), der die Evangelien und weitere neutestamentliche und (zu Vergleichszwecken) außerbiblische Schriften auf ihre geschichtliche Grundlage hin untersucht: „Unsere Beweisführung wird eine historische seyn […].“ (86) Tholuck geht die von Strauß besonders in Frage gestellten Angaben der Evangelien, etwa den Bericht über den unter Quirinius zur Geburtszeit Jesu durchgeführten Census (Lukas 2,2) (177–198), in Auseinandersetzung mit außerbiblischen Quellen wie Tacitus und Josephus und mit der einschlägigen Forschungsliteratur durch und argumentiert für ihre weitreichende historische Zuverlässigkeit. Im Gegensatz zu manchen Erweckten ist Tholuck in der Lage, historische Argumente gegen die eigene Position präzise darzustellen und seinerseits mit Gegeneinwänden zu beantworten (z. B. 332 ff ). Der eigentliche Grund für die Infragestellung des traditionellen Jesusbildes liegt für Tholuck allerdings nicht auf historischem, sondern auf philosophischem Gebiet: „Das Wunderbare ist undenkbar: dieser Satz ist der Obersatz, aus welchem alle Entscheidungen über diejenigen Erzählungen hervorgehn, in welchen wunderbare Elemente eingemischt sind.“ (87)

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Zu Tholuck vgl. Wesseling, Tholuck. August Tholuck, Die Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte, zugleich eine Kritik des Lebens Jesu von Strauß, für theologische und nicht theologische Leser dargestellt, Hamburg: Perthes 1837. 91

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Tholuck plädiert demgegenüber für eine Offenheit gegenüber der Geschichte, wie sie sich dem Betrachter empirisch darbiete, einschließlich möglicher Wunder (90). Einen originellen Beitrag zur Diskussion lieferte schließlich Christian Gottlob Barth (1799–1862) 92 mit der Veröffentlichung der kleinen Schrift Die Mythen des Lebens Jesu.93 Hintergrund der Publikation war, dass der Staatswissenschaftler und Osteuropamissionar Felician Martin von Zaremba ihm ein Manuskript mit muslimischen Jesuslegenden zugesandt hatte.94 Barth wollte durch die Herausgabe der Legenden (als Kontrast zu den biblischen Jesusberichten) illustrieren, dass der Mythosbegriff für das Neue Testament am wenigsten geeignet sei. Den elf Geschichten (5–26), in denen Maria beim Anspucken durch den Engel Gabriel schwanger wird und Jesus „fünfzigtausend“ Kranke heilt, den Noahsohn Sem auferweckt oder im Alter von sieben Monaten eine theologische Diskussion führt, fehlt augenscheinlich ein historisch-kritisches Bewusstsein. Barth weist auf ihre märchenhaften Züge, die Anhäufung wunderbarer Umstände, ihre folkloristische Auffüllung von Informationslücken und ihre Anachronismen hin (27–44). Er wendet sich an das „kritische Gefühl jedes unbefangenen Lesers der Evangelien“ (27), deren nüchterne Jesusberichte im Hinblick auf die Straußsche Mythentheorie mit dieser apokryphen Jesusliteratur zu vergleichen. Zweifellos erreichte ein Großteil der in diesem Kapitel besprochenen apologetischen Literatur nur einen Ausschnitt der Erweckten. Dafür spricht auch die Auf lagenzahl von selten mehr als zwei pro Titel, die unter der der populären Geschichtswerke liegt. Dennoch trug auch die historische Verteidigung der Bibel wesentlich zum Geschichtsverständnis der Erweckungsbewegung bei. Dass die Geschichtlichkeit der Evangelien nicht nur die „Intelligenzija“ der Erweckungsbewegung bewegte, zeigt die Bemerkung des Rettungshaus-Pädagogen Christian Heinrich Zeller, der biblische Unterricht müsse die Kinder „mit allen den geschichtlichen Thatsachen, Führungen und Entwicklungen [der biblischen Historie] bekannt, ja vertraut“ machen, welche „den geschichtlichen, unerschütterlichen Grund unsers Glaubens an den Heiland Jesum Christum und seine Person“ ausmachten. Zeller verweist hierzu auf den Prolog des Lukasevangeliums, der die Überlieferungsfrage thematisiert.95 Der Süddeutsche Schul-Bote schrieb 1838, es dürfe 92

Zu Barth vgl. Raupp, Barth. Christian Gottlob Barth, Die Mythen des Lebens Jesu. Auszüge aus „Haiat ul Kulub, oder Geschichte Muhameds, beschrieben nach der Schiitischen Tradition von Muhamed Bachir“. Nebst einem das „Leben Jesu von Dr. Strauss“ betreffenden Anhang, Stuttgart: Steinkopf 1837. 94 Vgl. Werner, Barth, Bd. II, 1866, 337. 95 Zeller, Lehren der Erfahrung, Bd. II, 1827, 60. 93

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„auch dem Volksschullehrer nicht unbekannt bleiben, wie man in neuerer Zeit angefangen hat, das Leben des Weltheilandes anzusehen und darzustellen, was der Unglaube unserer Zeit auch hierüber ausgekramt hat und was bereits unter dem nicht gerade gelehrten Publikum cursirt, was aber auch glaubige Schriftforscher über diesen Gegenstand gedacht und geschrieben haben“.96

Ein Missionsbericht erwähnte, selbst die Schüler indischer Missionsschulen würden Fragen stellen wie: „woher weiß doch Moses Geschichten, die 2000 Jahre vor ihm geschehen sind?“97 Die Erweckungsbewegung suchte Antworten auf solche Fragen und nahm auch von kritischen Gegenentwürfen Notiz. Die Auseinandersetzung konnte einerseits außerordentlich kenntnisreich und höf lich, andererseits auch undifferenziert und polemisch geführt werden. Aber man steckte, zumindest zur Zeit des Vormärz, den Kopf nicht in den Sand, sondern bot dem historisch-kritischen Gegner Paroli. Es dürfte kaum übertrieben sein, von einem konzertierten Eintreten der Erweckungsbewegung für die Geschichtlichkeit des biblischen Christentums zu sprechen, das auch die Partizipation am fachwissenschaftlichen Diskurs einschloss. Insofern bedarf Nipperdeys Urteil über die Erweckungsbewegung, „die Frommen wie ihre Theologen“ hätten „in der Vernunftwidrigkeit geradezu das ausgezeichnete Element der Offenbarung“ gesehen, der Revision.98 Das Kernanliegen der Erweckungsbewegung war zwar nicht ein besonderes Bildungserlebnis. Sie stritt aber mit den ihr zur Verfügung stehenden intellektuellen und publizistischen Waffen für die Geschichtlichkeit der biblischen Historie, auf der ihr Geschichtsbild ruhte.

96 „Ueber das Leben Jesu Christi, unsers Herrn, und das Lesen des Neuen Testaments in den Schulen. (Zugleich Bücherbericht.)“, SSB 2 (1837/38), (105–111) 105. 97 „Die Basler Missionsgesellschaft“, Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 1846, (134– 155) 154. 98 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 425. Korrekturbedürftig ist auch seine These, die Bibel sei in der Erweckungsfrömmigkeit als „Grundlage des Lebens – nicht als Urkunde von Gottes Taten, sondern als persönlich gesprochenes, erfahrenes, als konkretes und buchstäblich zu nehmendes Wort“ verstanden worden (ebd.). Angesichts der heilsgeschichtlichen Ausrichtung der Erweckungsbewegung handelt es sich hier um eine falsche Alternative.

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Theorie der erwecklichen Historiographie

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5. „Das predigt uns diese Geschichte laut“ – Zur Theorie der erwecklichen Historiographie „Essen muß der Mensch und daß er schlecht esse, wenn er nicht muß, wäre sogar gegen das Interesse der gesunden Leibespf lege, aber daß Jemand über die Forderungen der letzteren hinaus einen Werth auf das Essen lege, entwürdigt seine menschliche Natur. So bedarf der Historiker der Richtigkeit des äußeren Faktums, und dies Bedürfniß macht sich täglich neu geltend, und es muß täglich dafür gesorgt werden, wie für die Stillung des Hungers; aber es ist nicht die Lebensaufgabe, sondern die Lebensbedingung des Historikers, daß diesem Bedürfniß genügt werde; wer aber nie darüber hinausgreift, wirft sich nur Zeitlebens in den beiden Rollen des Kochs und des Feinschmeckers herum, und lebt um zu essen, ißt aber nicht, um zu leben.“1

So illustrierte Heinrich Leo 1847 sein Ideal des Historikers, der – weder Koch noch Feinschmecker – die Kompilation gesicherter Fakten zwar ernst nehme, aber nicht zum historiographischen Endzweck mache, dem vielmehr, wie der Abschnitt fortfährt, zugleich an „höheren Interessen“ gelegen sei. Die beispiellose Entwicklung der historischen Wissenschaften seiner Zeit stand Leo dabei durchaus vor Augen. Bereits 1835, als er sein sechsbändiges Lehrbuch der Universalgeschichte eröffnete, hatte er auf die „unaufgehaltenen, fast riesenmäßig zu nennenden Fortschritte der Wissenschaft der Geschichte in den letzten Jahrzehnden“ hingewiesen.2 Mit dem Faktenwissen war jedoch noch nicht garantiert, dass der Geschichtsschreiber diejenige Sprache und literarische Form, den Standpunkt und die Perspektive wählen würde, die den Lesern einen wahrhaft ertragreichen Geschichtszugang ermöglichte – mit dem sie essen konnten, um zu leben. Die Untersuchung der Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung in den letzten Kapiteln hat die Vielfalt der Versuche vor Augen geführt, der Zielvorgabe gerecht zu werden. Nicht nur richteten sich die Werke an verschiedene Schichten und Altersgruppen: Sie repräsentieren auch unterschiedliche literarische Gattungen und variieren dabei stark in ihrem analytischen und sprachlichen Niveau. Eine monolithische Behandlung oder einförmige historiographische Einordnung ist daher nicht möglich. Auch gingen dafür zu viele Geschichtstraditionen in einzelne Werke ein und ließen andere unberührt. Einige dieser Traditionen – die reformatorische Kirchengeschichtsschreibung, die pietistische Sammelbiographie – wurden bereits in den jeweiligen Kapiteln angesprochen. Die im Kapitel I.4 dargestellte Literatur fällt zusätzlich durch den bibelexegetischen Fokus aus dem Rahmen. Bereits die Herausbildung oder Verfestigung historiographischer 1 2

Leo, „Betrachtung der Weltgeschichte“, EKZ 1847, (505–509; 513–518) 505. Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. I, 1835, 34.

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Subgenres wirkte einer Uniformisierung entgegen. Die Schwierigkeit, die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung auf eine Form zu bringen, darf jedoch andererseits nicht den Blick für ihre Einheit verstellen. Die persönlichen Verbindungen und theologischen Gemeinsamkeiten der Autoren, vor allem aber die Aussagen und Präsentationsformen der Geschichtswerke selbst sprechen für eine trotz großer Differenzen ähnliche Herangehensund Darstellungsweise. Das folgende Kapitel soll daher, ohne die deutlichen Unterschiede einzuebnen, einen generalisierenden Blick auf die erweckungschristliche Geschichtsliteratur des Vormärz werfen und nach ihrer historiographiegeschichtlichen Bedeutung fragen. 5.1 Historische Sinnbildung jenseits von Aufklärungshistorie und Historismus Die historiographiegeschichtliche Forschung zum 18. und 19. Jahrhundert hat sich in den letzten Jahren verstärkt mit den Innovationsschüben von Aufklärungshistorie und Historismus beschäftigt.3 Auch wenn deren „dichotomische Gegenüberstellung“ mittlerweile „keine entscheidende Rolle mehr“ spielt,4 ist man um eine präzise Typologisierung der beiden Traditionen bemüht: Bereits die Geschichtsschreiber der späten Auf klärung, insbesondere die Göttinger Johann Christoph Gatterer (1727–1799), August Ludwig Schlözer (1735–1809) und Arnold Hermann Ludwig Heeren (1760–1842), verfolgten das zukunftsweisende Ideal methodisch geregelter Objektivität und ersetzten zugleich die exemplarische durch eine genetische Erzählweise. Die Geschichte wurde dabei von einem Gegenstand der moralischen Erbauung zu einem bürgerlichen „Instrument der politischen Belehrung“. 5 Darauf auf bauend, setzte mit Wilhelm von Humboldt (1767–1835), Barthold Georg Niebuhr (1776–1831) und Leopold Ranke (1795–1886) dann der Historismus ein. Otto Gerhard Oexle versteht ihn, Ernst Troeltsch folgend, als „Vorgang der ‚grundsätzlichen Historisierung unseres Wissens und 3 Vgl. etwa Gottlob, Geschichtsschreibung zwischen Auf klärung und Historismus, 1989; Jaeger/Rüsen, Geschichte des Historismus, 1992; Oexle, Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus, 1996; ders./Rüsen (Hg.), Historismus in den Kulturwissenschaften, 1996; Fulda, Wissenschaft aus Kunst, 1996; Jordan, Geschichtstheorie, 1999; Muhlack (Hg.), Historisierung, 2003. 4 So zumindest Horst Walter Blanke, „Auf klärungshistorie“, in: Jordan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2002, (34–37) 36, der sich für eine Aufwertung der Aufklärungshistorie einsetzt. 5 Horst Walter Blanke/Dirk Fleischer, „Artikulation bürgerlichen Emanzipationsstrebens und der Verwissenschaftlichungsprozess der Historie. Grundzüge der deutschen Auf klärungshistorie und die Auf klärungshistorik“, in: dies. (Hg.), Theoretiker der deutschen Auf klärungshistorie, Bd. 1: Die theoretische Begründung der Geschichte als Fachwissenschaft, Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, (19–102) 71; 94 f; 101.

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Denkens‘“.6 Ulrich Muhlack bevorzugt sogar generell den Prozessbegriff „Historisierung“.7 Es ging dem Historismus neben dem Prinzip der Wissenschaftlichkeit also um eine neue zeitlich-dynamische Sicht von Mensch und Welt, die auch „quasi religiöse Elemente“ enthielt.8 Wolfgang Hardtwig macht diesen „geschichtsreligiösen Charakter“ des deutschen Historismus an dessen Ideenlehre, also an der von Humboldt und seinen Nachfolgern vertretenen Schlüsselstellung der „Idee“ fest.9 Hardtwig seinerseits nennt die „ästhetische“ gegenüber der „enzyklopädischen“ Organisation des historischen Wissens als Grundzüge von Historismus bzw. Auf klärungshistorie.10 Der Suche des Historismus nach einer „ästhetischen Ganzheit“ statt bloßer Wissensverwaltung11 entsprach der neue „Selbstzweckcharakter“ der Geschichte nach 1800.12 Ob der Historismus weniger moralistisch als die Aufklärungshistorie war, ist in der Forschung umstritten.13 Trotz unterschiedlicher Definitionen scheint sich die Forschung darin einig zu sein, dass die Historie in der Spätauf klärung und verstärkt im Historismus ihre Verfangenheit im alten Topos der „Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens“ abschüttelte. „[A]n die Stelle der ‚historia magistra vitae‘ tritt ein genetisches Wissen, das uns über unsere Herkunft belehrt, ohne uns die Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft abzunehmen“, schreibt Muhlack. „Die ‚historia magistra vitae‘ gehört einer weithin traditionalen Gesellschaft an […].“14 Ähnlich urteilen Blanke und Fleischer über die Auf klärungshistorie15 und schließen sich damit der einf lussreichen These Reinhart Kosellecks an, man habe sich in der „Sattelzeit“16 ange6

Oexle, Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus, 17. Vgl. Muhlack, „Einleitung“, in: ders. (Hg.), Historisierung, (7–17) 15. 8 Vgl. Jaeger/Rüsen, Geschichte des Historismus, 8; 78. 9 Wolfgang Hardtwig, „Geschichtsreligion – Wissenschaft als Arbeit – Objektivität: Der Historismus in neuer Sicht“, in: ders., Hochkultur des bürgerlichen Zeitalters, Göttingen 2005, (51–76) 52. 10 Wolfgang Hardtwig, „Die Geschichtserfahrung der Moderne und die Ästhetisierung der Geschichtsschreibung: Leopold von Ranke“, in: ders., Hochkultur des bürgerlichen Zeitalters, (35–50) 48. 11 Ebd. 12 Jordan, Geschichtstheorie, 64 f; 71. Jordan sieht darin ein Indiz für sein Konzept der „Schwellenzeit“ zwischen „Pragmatismus“ und „Klassischem Historismus“. 13 Vgl. Georg G. Iggers, „Historismus – Geschichte und Bedeutung. Eine kritische Übersicht der neuesten Literatur“, in: Gunter Scholtz (Hg.), Historismus am Ende des 20. Jahrhunderts. Eine internationale Diskussion, Berlin 1997, (102–126) 122. 14 Muhlack, Einleitung, 8 f. 15 Vgl. Blanke/Fleischer, Artikulation bürgerlichen Emanzipationsstrebens, 101. 16 Später gab Koselleck den von ihm geprägten Begriff wieder auf, ohne damit seine inhaltlichen Thesen in Frage zu stellen. Vgl. Reinhart Koselleck, „A Response to Comments on the Geschichtliche Grundbegriffe“, in: Hartmut Lehmann/Melvin Richter (Hg.), The Meaning of Historical Terms and Concepts. New Studies on Begriffsgeschichte, Washington 1996, (59–70) 69. 7

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sichts universaler Veränderungs- und Beschleunigungserfahrungen in ein „indirektes Verhältnis“ zur Geschichte gesetzt: „Die je einzelne Belehrung geht in der pädagogischen Gesamtveranstaltung [der Erziehung des Menschengeschlechtes] auf. […] Der Einzelfall entbehrt darin seines politisch-didaktischen Charakters. Aber die Geschichte als Ganzes versetzt den, der sie sich verstehend anverwandelt, in einen Zustand der Bildung, der mittelbar auf die Zukunft einwirken soll.“17

Die Vergangenheit erschien also jeder Ref lexion wert, doch wegen ihrer nun empfundenen Differenz zur eigenen Gegenwart weniger geeignet, übertragbare Lehren und Erkenntnisse zu liefern. Allerdings vollzog sich diese Entwicklung keineswegs überall. In der Zeitgeschichtsschreibung und der katholischen Geschichtspublizistik etwa lässt sich das Bemühen, unmittelbar aus der Geschichte zu lernen, nach wie vor nachweisen,18 und auch die Geschichtsschreibung der Erweckungsbewegung entsprach nur partiell dem neuen historiographischen Paradigma. Zwar teilte sie weitgehend deren historisierenden Blick auf die Gegenwart: „In der Gegenwart liegt die ganze Vergangenheit als mitwirkender Faktor“, schreibt Völter. Theologie, Medizin, Jura und Pädagogik seien wie die Gegenwart als solche ohne die Kenntnis ihrer Geschichte nicht zu verstehen.19 Die Erweckungsbewegung vollzog andere Entwicklungen jedoch nicht mit und verfolgte insbesondere dort eigene Ansätze, wo mit der christlichen Botschaft das genuine Anliegen der Erweckten zur Diskussion stand. Wie vielgestaltig dieses Anliegen in der Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung zur Sprache kommt, lässt sich anhand von Jörn Rüsens Typologie der Geschichtsschreibung darstellen, die zwischen traditionaler, exemplarischer, kritischer und genetischer Sinnbildung unterscheidet.20 Für die Erweckungsbewegung lässt sich eine ungebrochene Bedeutung der ersten beiden eher traditionellen Typen konstatieren, was aber die ebenfalls vertretene kritische und genetische Sinnbildung nicht ausschließt. Alle vier Zugangsweisen lassen sich nämlich christlich interpretieren. Traditionale Sinnbildung, die Rüsen mit „Affirmation“ und der „Vorstellung der Dauer im Wandel“ umschreibt,21 leistet die erweckliche Historiographie 17 Reinhart Koselleck, „Historia Magistra Vitae. Über die Auf lösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte“, in: Hermann Braun/Manfred Riedel (Hg.), Natur und Geschichte. Karl Löwith zum 70. Geburtstag. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1967, (196–219) 207; 211. 18 Vgl. Mayer, Sprachspiele der Revolution, 219 f; Klug, Rückwendung zum Mittelalter, 406. 19 Ludwig Völter, „Literarischer Bericht. Geschichte der Pädagogik“, SSB 8 (1844), (158–168) 160. 20 Vgl. Jörn Rüsen, Lebendige Geschichte. Grundzüge einer Historik III: Formen und Funktionen des historischen Wissens, Göttingen 1989. 21 Ebd., 40; 44.

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insbesondere durch ihre Verortung der eigenen Zeit und Bewegung in der Heilsgeschichte. Auch wenn Zäsur- und Beschleunigungserfahrungen einen integralen Bestandteil des Geschichtsbildes der Erweckten bilden, wie noch zu zeigen sein wird, integriert der christliche Geschichtszugriff die eigene Gegenwart in eine Jahrtausende umfassende Gesamtentwicklung, deren Grundpfeiler die Unveränderlichkeit Gottes und die wesensmäßige Gleichheit des Menschen sind. Die exemplarische Sinnbildung, die aus der Fülle von Geschehnissen allgemeine Handlungslehren ableitet und nach Rüsen das Prinzip der historia vitae magistra repräsentiert,22 schließt sich in der Erweckungsbewegung an diesen – christlich verstandenen – traditionalen Geschichtszugang an, denn Kontinuität schafft Vergleichbarkeit und damit Verallgemeinerbarkeit. Einer kritischen Sinnbildung als „Distanzierung von angesonnenen Mustern historischer Zeitdeutungen und Identitätsbildungen“23 dient die Historiographie der Erweckungsbewegung insofern, als sie sich in Konkurrenz zu anderen, gesellschaftlich dominierenden Geschichtsbildern wahrnimmt und diese überwinden möchte. Den genetischen Typ schließlich, der nach Rüsen seit dem späten 18. Jahrhundert die Geschichtsschreibung beherrscht und die zeitliche Veränderung sowie die Andersartigkeit des Vergangenen ins Blickfeld rückt,24 kultivieren erweckte Geschichtsschreiber in den stärker wissenschaftlichen Darstellungen. Die theologische Einordnung des Geschichtsverlaufes ist hier nicht nur mit der Einbeziehung des geschichtswissenschaftlichen Forschungsstandes, sondern auch mit dem historistischen Postulat des Eigenwertes – oder zumindest der Gerechtigkeit gegenüber – jeder Epoche vereinbar. Allerdings setzt die angestrebte biblische Gesamtschau einer Historisierung, die immer auch Relativierung bedeutet, inhaltliche Grenzen. Einem radikalen Historismus kann kein Erweckter das Wort reden. Das Geschichtsinteresse der Erweckten, das sich in ihrer vielfältigen historiographischen Literatur niederschlägt, ist also mit dem zeittypischen Aufschwung des geschichtlichen Denkens verbunden, hat aber in dem revitalisierten Glauben an die biblische Botschaft eine noch tiefer liegende zweite Wurzel. Denn die biblische Botschaft enthält ja eine von der Genesis bis zur Johannesapokalypse reichende offenbarungsgeschichtliche Schau und liegt zudem mehrheitlich in der Form von Geschichtsbüchern vor. Die literarische Form der Bibel ist aus Sicht der Erweckten kein Zufall, sondern bewusste göttliche Pädagogik: „Bei jedem einzelnen Menschen ist, was er über göttliche Dinge denkt viel weniger was ihn zum lebendigen Glauben führt, als was er davon erlebt in sich und um sich. […] So darf es uns auch nicht Wunder nehmen, wenn das Lebensbuch, was 22 23 24

Ebd., 46. Ebd., 51. Ebd., 52 f.

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der himmlische Vater seinen Kindern in die Hand gegeben, vorzugsweise die Geschichte dessen enthält, was er für die Menschen gethan, und wenn seine Lehren eben in den Geschichten gegeben sind“,

schreibt August Tholuck im Vorwort zur Biblischen Geschichte seines Freundes Franz Ludwig Zahn.25 Insofern hat die Erweckungsbewegung allen Grund, aus aktuellen zeitgeschichtlichen wie aus grundsätzlichen theologischen Motiven heraus ein historisches Bewusstsein zu pf legen. Auch die vitale Überzeugung der Erweckungsbewegung, dass man aus der Geschichte lernen könne, gründet, ungeachtet indirekter Einf lüsse etwa aus humanistischen Geschichtstraditionen, in ihrem christlichen Menschenbild. Die Erweckten teilen mit ihren Zeitgenossen zwar gelegentlich den modernen Zweifel an der Vergleichbarkeit der eigenen mit früheren Zeiten. Der Primat des Christlichen in ihrem Geschichtsbild verhindert jedoch, dass dies ihre anthropologischen Grundüberzeugungen, die sehr wohl von einer Konstanz ausgehen, an die Peripherie drängt. Der anthropologischen Kontinuität entspricht die Überzeugung, dass auch Gottes Umgangsweise mit den Menschen trotz Fortschreitens der Heilsgeschichte im Wesentlichen gleich geblieben sei. Wenn mitunter der Einwand erhoben wird, „daß die Regierungsweise Gottes gegenwärtig nicht mehr so sei, wie sie sich in der H. Schrift darstelle, auch die dort geschilderten Männer Gottes, wie Abraham, Joseph, David, Paulus, Johannes unter besondern Verhältnissen gelebt haben und wir ihnen im Glauben und Lieben, im Hoffen und Dulden, im Leben und Sterben nicht nachfolgen können“,26

so stellt dies lediglich die Kontinuität des nachbiblischen mit dem biblischen Geschichtshandeln Gottes in Frage. Die 1750 Jahre christlich-abendländischer Geschichte würden also in dieser Hinsicht eine einheitliche Größe bilden. Doch auch diesen Zweifel hält der Süddeutsche Schul-Bote für unbegründet und insistiert, Gott habe vielmehr „zu allen Zeiten dieselben Regierungsgrundsätze“ befolgt.27 Ganz im Sinne des Augsburger Bekenntnisses von 1530, das im Artikel XXI exemplum als erinnerungsgeschichtlichen Schlüsselbegriff verwendet,28 befragt die Erweckungsbewegung daher die Geschichte nach guten und schlechten Beispielen. Die Geschichte kann dabei als „Religionslehrerin der Jugend“29 und „die große Lehrerinn der Menschen“30 be25 26 27 28 29 30

Tholuck, Vorwort, 1831, III. „Ueber den Unterricht in der christlichen Kirchengeschichte“, SSB 9 (1845), 185. Ebd. Vgl. Schulz, Heilige, 665. „Literarischer Bericht: Geschichte von Württemberg“, SSB 7 (1843), (78 f ) 78. „Rückblick auf die Straußische Angelegenheit“, CVB 7 (1839), (111 f; 129–132) 130.

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zeichnet werden. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass man die Gegenwart als eine herausgehobene Zeit ansieht. Im Gegenteil: Nach Neander ist es gerade die krisenhafte Gegenwart, „welche der historia, vitae magistra, so sehr bedarf, um unter mannichfachen Stürmen einen sichern Compaß zu finden“.31 Der alte Topos ist auch darum relevant, weil manche Erweckte in bestimmten Perioden, etwa dem Vorabend der Reformation 32 oder der Zeit Speners,33 eine der eigenen Zeit besonders ähnliche Epoche sehen. Besonders mit der Gegenwart vergleichbar scheint ihnen auch die Missionsgeschichte zu sein. Nach Christian Gottlieb Blumhardt gibt ihre Kenntnis dem Missionar „einen kostbaren Faden in die Hand, an dem er sichern Schrittes durch die Labyrinthe der heidnischen Welt hindurch wandern“ könne.34 Blumhardt denkt hier nicht an eine stereotype Übertragung historischer Erfahrungen auf neue Missionssituationen, denn er verspricht sich ausdrücklich Horizonterweiterung durch Einblick in die missionsgeschichtliche Vielfalt.35 Doch hält er die Aufgabe der Missionare aller Jahrhunderte für so ähnlich, dass keine prinzipielle Vergleichbarkeitsschranke den Prozess des Lernens aus der Geschichte beeinträchtigt. Dass die Erweckungsbewegung auf unterschiedliche Weise aus der Geschichte lernen möchte, zeigt Christian Gottlob Barth, indem er Verhaltensweisen von Hannibal, Cäsar und Karl dem Kühnen als „Beispiele“ für ethische Prinzipien interpretieren,36 aber auch einer deutlich indirekteren Lehrmethode der Historie das Wort reden kann: „In der That, wir müssen es, je mehr wir uns in den Antheil an der Geschichte der Menschheit und des Waltens Gottes unter ihr hineinleben, immer besser lernen, unsere Kleinigkeiten gering zu achten, und uns auf einen höheren Standpunkt zu stellen, wo wir selbst in unsern Augen kleiner werden, die Welt um uns her aber in weiteren Kreisen sich vor uns aufthut.“37

Nicht die Übertragung des einzelnen Falles auf die Gegenwart, sondern die geschichtliche Gesamtschau bewirkt hier die intendierte ethisch-theologische Gesinnungsänderung. Die Vorstellung ist dem neuen historistischen Bildungsgedanken verwandt, aber christlich imprägniert. 31

Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. I.1, 1826, VIII. „Was war die Seele der Reformation“, CVB 3 (1835), (278 f ) 278. 33 Hossbach, Philipp Jakob Spener, Bd. I, 1828, III f. 34 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. I, 1828, 5. 35 Ebd., 6. 36 Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837, 96; 103; 232. 37 So Barth 1834 im Calwer Missionsblatt, zitiert nach Michael Kannenberg, „Die Notwendigkeit einer sachlichen Beschäftigung mit den Quellen. Kritische Anmerkungen und Ergänzungen zu Werner Raupp: Christian Gottlob Barth. Studien zu Leben und Werk, Stuttgart 1998“, BWKG 101 (2001), (321–335) 334. 32

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5.2 Geschichtspredigt Es ist dieses pädagogische Anliegen der christlichen Persönlichkeitsbildung beim einzelnen Leser, das die Geschichtsschreibung der Erweckungsbewegung insgesamt auszeichnet. Mit diesem Anliegen kann ein genuin historisches und wissenschaftliches Interesse durchaus verbunden sein. Das für die frühe lutherische Geschichtsschreibung beobachtete „Spannungsfeld von Gruppengedächtnis und relativ uninstrumenteller Gelehrsamkeit“38 findet sich auch in der Historiographie der Erweckungsbewegung, die die beiden Aspekte allerdings nicht als spannungsvoll empfindet. Neander ist, wenn er von seiner geplanten Kirchengeschichte als „einer mir seit langer Zeit vorschwebenden Lieblingsidee“ spricht,39 nicht der einzige Erweckte, der Freude an der Geschichte durchscheinen lässt. Geschichtsdarstellungen der Erweckungsbewegung enthalten auch immer ein politisches Bekenntnis, wie dies im Fall von Dittmars deutschen Einheitsvorstellungen, aber auch für die Loyalität der Erweckungsbewegung gegenüber der Monarchie bereits angedeutet wurde. Das Kernanliegen der erweckten Geschichtsschreiber liegt jedoch jenseits des Politischen, und von einer „Geschichtsreligion“ trennen sie Welten. Wenn Barth sogar Spendensammlungen durchführt, um seine Geschichtsbücher preisgünstig vertreiben zu können,40 spricht dies für ein Sendungsbewusstsein, das die durchaus präsenten Motive der Geschichtsliebe, des Unterhaltungsdrangs, der Beförderung historischer Bildung und der politischen Einf lussnahme übersteigt. Es ist das Sendungsbewusstsein der Erweckungsbewegung selbst, das sich hier wie in anderen Lebensbereichen äußert und der Geschichtsschreibung nicht nur ihr grundlegendes Deutungsgerüst, sondern auch ihre Zweckbestimmung gibt. Nicht der Topos von der historia magistra an sich, sondern seine christlich-erweckliche Interpretation und Verwendung ist das Proprium der Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung. Indem Geschichte erzählt wird, ist sie unweigerlich ein Stück Literatur und bedient sich narrativer Techniken – dies trifft auch auf die Geschichtsschreibung der Erweckungsbewegung zu. Auf die Verwendung biedermeierlicher Erzähltraditionen wurde für die Biographik bereits hingewiesen. Doch auch die Weltgeschichten, Kirchengeschichten und Missionsgeschichten sind Narrative und weisen mehr oder weniger deutlich literarische Stilmittel auf. Barths Allgemeine Weltgeschichte etwa offen38

Pohlig, Gelehrsamkeit, 497; vgl. 506. Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. I.1, 1826, VIII. 40 Werner, Barth, Bd. II, 1866, 240 f; 282 f. Vgl. auch „The German and Foreign SchoolBook Association at Calu [sic], Wurtemberg“, Evangelical Christendom 1 (1847), 142, wo Barth „our brethren in Great Britain“ um Hilfe bittet, da in Deutschland nicht genügend Unterstützung zu erwarten sei. 39

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bart in der romanähnlichen Eröffnung des Stauferkapitels,41 der dramatisierenden Schilderung von Oliver Cromwells Gewissenskämpfen42 und dem Stakkato der parataktischen Sätze über den scheiternden Russlandfeldzug Napoleons43 die belletristische Erzählpraxis ihres Autors. Die Erzählprosa von Hofmanns Lehrbuch der Weltgeschichte ist nüchterner, aber ebenso gekonnt und lässt, beispielsweise in der sprachlich behutsam verdichteten Schilderung von Luthers Auftritt vor Cajetan,44 ebenfalls rhetorische Stilmittel erkennen. Das Talent klarer Formulierung oder packender Erzählweise ist naturgemäß ungleich verteilt. Im Ganzen erreichen die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung kein herausragendes literarisches Niveau. Mangelnde stilistische und darstellerische Exzellenz mag in etlichen Fällen ein Tribut an den populären Zuschnitt der Werke sein, mit denen möglichst viele erreicht werden sollen. Andererseits sind Autoren wie Neander, J. C. Blumhardt, Dittmar und Barth auf ihre Art durchaus begabte Erzähler. Eine innovative narrative Form wie den von den jungen Historisten geprägten „gedrungenen Stil“ entwickelte die Erweckungsbewegung allerdings nicht.45 Die narrative Vermittlung des geschichtlichen Stoffes ist also von Bedeutung. Zur literarischen Bestimmung der Historiographie der Erweckungsbewegung dürften Hayden Whites vier Kategorien historischer Narrative im 19. Jahrhundert – Tragödie, Komödie, Satire und Romanze – dennoch nicht entscheidend beitragen.46 Selbst wenn sich die Linie der Heilsgeschichte, wie sie die erweckten Geschichtsschreiber stets voraussetzen 41

Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837, 185: „Am nordwestlichen Abhang der Alb im jetzigen Königreich Württemberg, auf einem abgesonderten weithin sichtbaren und weite Aussicht gewährenden Bergkegel, steht noch ein kleines Stück Gemäuer, der einzige kleine Ueberrest der alten Burg, in welcher im eilften und zwölften Jahrhundert das mächtige Geschlecht der Hohenstaufen seinen Sitz hatte.“ 42 Ebd., 306: „Die Furcht vor einer rächenden Hand trieb ihn um, und der Schrecken Gottes verbitterte seine Stunden.“ 43 Ebd., 355: „Aber da hatte ihm Gott sein Ziel gesetzt. Die Stadt wurde angezündet; die Lebensmittel fehlten; die russischen Heere, noch nicht entmuthigt, rückten heran; und Napoleon sah sich in der ungünstigsten Zeit, da eben der Winter anbrach, genöthigt, den Rückzug anzutreten.“ 44 Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. II, 1839, 168: „Demüthig trat der arme und kranke Mönch vor ihn: unerschrocken und siegreich behauptete er aus der Schrift die Wahrheit seines Glaubens.“ 45 Vgl. Gerrit Walther, „Der ‚gedrungene‘ Stil. Zum Wandel der historiographischen Sprache zwischen Auf klärung und Historismus“, in: Oexle/Rüsen (Hg.), Historismus, 99–116. 46 Vgl. Hayden White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, Frankfurt a. M. 1991 (engl. 1973). Zur Kritik an White vgl. Georg G. Iggers, „Historiographie zwischen Forschung und Dichtung. Gedanken über Hayden Whites Behandlung der Historiographie“, GG 27 (2001), 327–340; Wolfgang Hardtwig, „Formen der Geschichtsschreibung: Varianten des historischen Erzählens“, in: ders., Hochkultur des bürgerlichen Zeitalters, Göttingen 2005, 19–34. Hardtwig selbst regt eine von „anthropolo-

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und vielfach nacherzählen, oder der Ablauf einer exemplarischen Biographie ansatzweise mit Hilfe dieser literaturwissenschaftlichen Kategorien beschreiben lässt,47 bleibt so die paränetisch-erbauliche Intention und der häufig homiletische Charakter der Darstellungen unberücksichtigt. Beides lässt sich dagegen wiedergeben, wenn man die Historiographie der Erweckungsbewegung von der literarischen Form her liest, von der die Bewegung selbst ausging: der Predigt.48 Nicht nur die Tatsache, dass viele der besprochenen Autoren Pfarrer und Erweckungsprediger waren, sondern auch die Werke selbst favorisieren in vielen Fällen diesen Deutungsansatz. Die Nähe zur Predigt macht sich in der Verwendung biblischer und pietistischer Sprache bemerkbar, sie zeigt sich aber auch in dem Bestreben etlicher Geschichtsschreiber, das berichtete historische Geschehen im Hinblick auf die Lebenswirklichkeit der Leser anzuwenden und mit Verweis auf christliche Grundpositionen oder biblische Zitate zu kommentieren. Ernst Kappe beendet seine Geschichten aus der Geschichte mit dem biblischen Fazit (Sprüche 14,34): „Indeß lasset uns die Hauptsumme aller Geschichte hören: Gerechtigkeit erhöhet ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben.“49

Ein Beispiel für solches Verderben ist der Kaiser Julian Apostata, der Kappe zu der paulinischen Mahnung, „Kinder, Gott läßt sich nicht spotten“ (vgl. Galater 6,7), animiert.50 Auch in Wilhelm Leipoldts Geschichte der christlichen Kirche dient Julian als warnendes Exempel: „Nun konnten die Christen erkennen, wie treu und wahr die göttliche Warnung sei: Verlasset Euch nicht auf Fürsten, denn sie sind Menschen!“ (vgl. Psalm 146,3)51

Die beispielhaft angeführte Feindesliebe eines westindischen Neger sklaven gegenüber dem Mann, der ihn in die Sklaverei verkaufte, dient Leipoldts Darstellung dagegen als Vorbild: „Gehe hin, der Du dieses liesest, und

gischen Faszinationstypen“ ausgehende Gattungstypologie an, die etwa Heldengeschichte, Heiligengeschichte und dramatische Ereigniserzählung unterscheidet (27). Eine solche Typologie wäre auch für die erweckliche Historiographie nicht uninteressant. 47 Mettele, Weltbürgertum, 236 nennt den Typus eines Herrnhuter Lebenslaufes im Sinne Whites eine „religiöse ‚Romanze‘, d. h. eine Erlösungsgeschichte“. 48 So Friedrich Hauss, Erweckungspredigt. Eine Untersuchung über die Erweckungspredigt des 19. Jahrhunderts in Baden und Württemberg, insbesondere über die Ursache ihrer Fruchtbarkeit, als Hilfe in der Predigtnot heute, Bad Liebenzell 21967 (1924/25), 12. Vgl. auch Ulrich Gäbler, „Auferstehungszeit“: Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts. Sechs Porträts, München 1991. 49 Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 106. 50 Ebd., 45. 51 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 72.

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thue desgleichen!“52 „Der Hochmuth legt sich immer seine Schlingen selbst“, schreibt Johann Christoph Blumhardt in seinem Handbüchlein der Weltgeschichte, „So auch bei Napoleon, dessen Ländergier, wie jeder Geiz, ein Nimmersatt war.“53 Die ungebrochene Verführbarkeit des Menschen führt Blumhardt auch mitten in seiner Darstellung der Gegenreformation zu dem Ausruf: „Wahrlich, es ist kein Spielwerk, von den Sklavenketten der Sünde frei zu werden! Wie das die Menschheit im Großen erfährt, so könnet ihr es an eurer eigenen Seele erfahren.“54 Ähnliche Sätze wie diese an Kinder gerichteten Mahnungen finden sich auch in Büchern für erwachsene Leser. „[E]s ist in dem Menschenherzen eine unauslöschliche Sehnsucht, die nur durch eine ewige Befriedigung gestillt werden kann“, schreibt Barth in seiner Allgemeinen Weltgeschichte bei der Darstellung der Eroberungszüge Alexanders des Großen und kehrt erst nach einigen Ref lexionen über diesen Tatbestand wieder zu seinem historischen Gegenstand zurück: „Alexander suchte den Durst seines Innern mit Eroberung der Welt zu stillen […].“55 In seinem Kirchengeschichtsband über die frühe Christenheit bemerkt Westermeier: „Und wenn wir das Verhalten der heutigen Christen mit dem der damaligen vergleichen, so haben wir freilich wohl große Ursach, uns zu schämen, und Gott zu bitten, daß er im Ernst uns erneuere, damit wir tüchtig werden, dieselben schönen Früchte des Glaubens zu bringen.“56

Eine biographische Darstellung Speners nimmt die Gewissenhaftigkeit seiner Patin zum Anlass für einen Appell an die eigene Zeit, die das „leibliche und geistige Wohl“ der anvertrauten Patenkinder oft vernachlässige: „Wenn Gott einst von jedem Worte Rechenschaft von uns fordern wird, so ganz besonders von dem Ja, mit welchem wir Gott zu dienen und Andere zu Gott zu führen geschworen haben! Unser Philipp Jacob Spener war besser daran […].“57

Ein besonders augenfälliges Beispiel der Verbindung von Geschichtsdarstellung und Predigt ist Christian Adam Danns erwähntes Büchlein Durch Leiden zur Herrlichkeit!, das anhand der Biographie des württembergischen Herzogs Christoph das im Titel bezeichnete biblische Prinzip veranschaulicht. Es trägt den treffenden Untertitel „Ein evangelisches, geschichtliches, vaterländisches Andachts-Blatt“. 52

Ebd., 213. Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 301. 54 Ebd., 206. 55 Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837, 68 f. 56 Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, 296 f. 57 C. August Wildenhahn, Leben des Dr. Philipp Jacob Spener ( Sonntags-Bibliothek. = Lebensbeschreibungen christlich-frommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde, Bd. I, Heft 4/5), Bielefeld 1846, 2. 53

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Speziell für die Autobiographik ist der Predigtcharakter der erwecklichen Historiographie in der Forschung bereits thematisiert worden. Martin Hirzel spricht für die Autobiographien Jung-Stillings, Ami Bosts und Johann Arnold Kannes von „Lebensgeschichte als Verkündigung“ und attestiert den Autoren eine „kerygmatische Absicht“.58 Christine Lost stellt die von den Mitgliedern der Herrnhuter Brüdergemeine verfassten autobiographischen „Lebensläufe“ unter die Überschrift „Das Leben als Lehrtext“.59 Das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte ist für die Vermittlung einer Glaubensbotschaft besonders geeignet. Wie oben dargelegt, findet sich eine predigtähnliche Zugangsweise aber auch in anderen historiographischen Gattungen der Erweckungsbewegung. Obwohl diese natürlich nicht im engeren Sinne Predigten, sondern Geschichtserzählungen sind, vermitteln die Verfasser zwischen ihrem Geschichtsthema und dem Lesepublikum in ähnlicher Weise, wie sie auch als Prediger erklärend, belehrend, illustrierend und appellierend zwischen auszulegendem Bibeltext und Predigthörern vermittelten. Der grundsätzliche Unterschied, dass die Bibel für die Erweckten eine autoritative Informations- und Deutungsquelle darstellt, die Geschichte aber nicht, wird dadurch ausgeglichen, dass man die Geschichte im Lichte biblischer Aussagen betrachtet. Neben Stellen über das christliche Glaubensleben steht hier naturgemäß die biblische Historie und Geschichtstheologie im Vordergrund. Das biblische Wort soll nach Emil Wilhelm Krummacher „auch bei dem Studium der Geschichte […] allewege ‚unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege‘ sein“ (vgl. Psalm 119,105).60 Umgekehrt gilt die Geschichte als, mit den Worten Bräms, „ein Kommentar zum Worte Gottes, welcher dessen Verständniß uns vielfältig erleichtert und einen Schatz von Bewährungen und Beispielen für dasselbe enthält“.61 Der Biblizismus der Erweckungsbewegung spiegelt sich somit auch in ihrer Geschichtsliteratur wider.62 Praktisch kann dies bedeuten, Ereignisse mit biblischen Begebenheiten zu parallelisieren. Leipoldt etwa vergleicht den von der Herzogsgemahlin Geilana verantworteten Märtyrertod des irischen Frankenmissionars Kilian 58 Hirzel, Lebensgeschichte als Verkündigung, 205. Bei Kanne sind neben seinem Lebensbericht auch Biographien anderer Personen mitgemeint. 59 Christine Lost, Das Leben als Lehrtext. Lebensläufe aus der Herrnhuter Brüdergemeine, Herrnhut 2007, 7 f. 60 Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, 1833, V. 61 Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 21. 62 Vgl. Martin Brecht, „Die Bedeutung der Bibel im deutschen Pietismus“, in: Lehmann (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 4, Göttingen 2004, 102–120, der meint, der Pietismus (in weiter Definition, d. h. unter Einschluss der Erweckungsbewegung) habe „in Theorie und Praxis der Bibel als Offenbarungsquelle und normativer Autorität großenteils eine Hochschätzung entgegen[gebracht], die bei aller gesamtprotestantischen Gemeinsamkeit die der Reformation und Orthodoxie noch übertraf “ (102).

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mit der Ermordung Johannes des Täufers auf Betreiben der Herodias (vgl. Matthäus 14,1–13) und stellt Bonifatius’ Fällen der Donareiche neben Elijas Glaubenskampf auf dem Karmel (vgl. 1. Könige 18,21–40).63 Als Speners Eltern ihren Sohn dem Dienst Gottes weihten, glich dies nach Zahn dem, was „einst die fromme Hanna mit ihrem Samuel that“.64 Häufiger als solche unmittelbaren Vergleiche sind Bibelzitate, die allgemeine Prinzipien wiedergeben. So erklärt etwa Leonhardt das Ethos der ersten Christen im römischen Reich mit Hilfe von 2. Korinther 5,17: „Nicht mehr Eigennutz, mächtige Begierden und Leidenschaften waren es, wovon sie geleitet wurden, sondern der Glaube an Gott und Jesum, die Liebe zu Gott und Menschen, der Blick auf die Ewigkeit, der Eifer, unermüdet Gutes zu wirken. Ist jemand in Christo, so ist er eine neue Creatur.“65

Vor allem liegt der Einf luss der Bibel jedoch in der Konturierung eines theistischen, heilsgeschichtlichen Gesamtrahmens und in der Absicht des Autors, dem Leser die Wichtigkeit eines praktischen Glaubenslebens vor Augen zu führen, dem Motiv also, das in der Predigt seinen sichtbarsten Ausdruck findet. In den seltensten Fällen begegnet das erweckliche Motiv in Reinform. Seine Vermischung mit konservativen, bildungsbürgerlichen, romantischen, nationalistischen oder konfessionalistischen, sogar auf klärerischen Elementen ist unbestreitbar und wird im Verlauf dieser Untersuchung eine wichtige Rolle spielen. Das Geschichtsdenken der Erweckten speist sich aus einer Vielzahl theologischer und außertheologischer, praktischer und theoretischer Quellen. Dennoch sind es das biblische Sendungsbewusstsein und der diakritisch-prophetische Blick des Predigers, die der Geschichtsschreibung der Erweckungsbewegung Einheit und Strahlkraft verleihen. Auch wenn Leserappelle nie die Häufigkeit und Intensität wirklicher Predigten aufweisen und in den stärker wissenschaftlich ausgerichteten Werken nur andeutungsweise oder gar nicht auftreten, lässt sich bei nahezu allen erweckten Historiographen das Selbstverständnis konstatieren, predigend zu wirken.66 Dieses Selbstverständnis bleibt oft unausgesprochen, 63

Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 96; 98. Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 245. 65 Leonhardt, Gesegnete Ausbreitung des Christenthums, 1820, 8. 66 Eine (sehr seltene) explizit reservierte Äußerung findet sich mit Bezug auf offenbarungsgeschichtliche Geschichtsinterpretationen in „Bewerbung um den Lehrstuhl der Kirchengeschichte auf der Genfer Akademie“, EKZ 1839, (350–352; 374–376) 352: „Und wäre nicht zu fürchten, daß eine theologische Vorlesung dann zu sehr einer Predigt gliche? Die gründliche und tiefe Geschichte der christlichen Lehre scheint uns das Wesentlichste in einem Kursus der Kirchengeschichte seyn zu müssen […].“ Form und Inhalt des ganzen Artikels belegen allerdings, dass sein Verfasser dem Predigtcharakter von Geschichtsschreibung de facto nicht fern steht. 64

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äußert sich aber häufig implizit, etwa in dem am Ende des Vorworts geäußerten Wunsch, das Werk möge einen Dienst im Reich Gottes erfüllen. Strukturmerkmale machen das Anliegen ebenfalls sichtbar. Die häufigen missionsgeschichtlichen Ausblicke am Ende von Kirchen- und Universalgeschichten etwa können – wie die Missionsgeschichten und -biographien selbst – in Intention und Wirkung als Missionspredigten mit anderen Mitteln interpretiert werden. Als leidenschaftlichen Predigern liegt es dem Naturell, der Gewohnheit und der Überzeugung der erweckten Historiker fern, Geschichte als Selbstzweck oder mit dem alleinigen Ziel intellektueller Bildung zu betreiben und sie nicht auch in den Dienst der erwecklichen Botschaft zu stellen. Der Vorwurf der Instrumentalisierung, der sich hier aufdrängt, ginge an dem holistischen, theozentrischen Geschichtsbild der Erweckten vorbei, das hinter beidem – Geschichtsverlauf und Glaubensleben – den planenden Geist Gottes sieht. Die Verknüpfung der beiden Bereiche erscheint ihnen daher nicht künstlich, sondern naturgemäß. Dabei bedeutet das homiletische Anliegen keinen Verzicht auf genuin historisches Erkenntnisinteresse, das bei vielen einfachen Erweckten ohne den heilsgeschichtlich getränkten Erweckungsimpuls vermutlich geringer ausgefallen wäre und das bei einem gelehrten Historiker wie Neander nichts zu wünschen übrig lässt. Dennoch bleibt das Geschichtsinteresse der Erweckungsbewegung von theologischen Erwägungen bestimmt. Es dürfte daher nicht zu weit gehen, in Anlehnung an Stefan Dietrichs Bemerkung, „die Rubrik ‚Zeitpredigt‘ wurde 1848 eigens eingeführt“,67 sowie an einzelne Begriffsverwendungen in der bibelwissenschaftlichen Literatur68 für die Historiographie der Erweckungsbewegung den übergreifenden Begriff Geschichtspredigt vorzuschlagen. Nach Art der biblischen Geschichtsbücher, die durch die gezielte Auswahl und Präsentation von Geschichte zugleich informieren und predigen sollten,69 sind auch die his67 Dietrich, Christentum und Revolution, 16. Dietrich verwendet den Begriff „Predigt“ hier allerdings zweifellos in einem engeren Sinne. 68 Der Theologe und Religionsphilosoph Rudolf Hermann nennt die alttestamentliche Darstellung der Geschichte Israels eine „prophetische, deuteronomistische oder jahwistische Geschichtspredigt“ (Gesammelte und nachgelassene Werke, hg. von Horst Beintker et al., Bd. III, Göttingen 1971, 239). Von einer „Geschichtspredigt“ spricht auch der Neutestamentler Ernst Haenchen im Zusammenhang mit der Stephanusrede in Apostelgeschichte 7 (Die Apostelgeschichte, Göttingen 161977, 280). Der Terminus „Geschichtspredigt“ taucht in der Theologie allerdings nur selten auf. 69 Dies belegen Selbstaussagen (etwa Johannes 20,30 f ), aber auch die häufige Konzentration auf bestimmte für die Leser relevante Themen wie den Umgang mit materiellem Besitz im lukanischen Doppelwerk (Lukas-Apostelgeschichte) oder mit Leid im Markusevangelium (vgl. Richard T. France, „Matthew, Mark, and Luke“, in: George Eldon Ladd, A Theology of the New Testament, neu hg. von Donald A. Hagner, Cambridge 1994, 212–245). Die bibelwissenschaftliche Methode der Redaktionsgeschichte untersucht den Um-

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torischen Narrative der Erweckungsbewegung von einem praktisch-theologischen Interesse geleitet. „[D]er Hauptwerth jeder Geschichte“, schreibt Barth in der Geschichte von Württemberg, „besteht darin, dass sie Belehrung, Warnung und Ermunterung gewährt.“70 Man betrachtet diesen Nutzen nicht als eine an die Geschichte herangetragene, sekundäre Bestimmung, sondern als einen Teil ihrer wahren Bedeutung. Von Geschichtspredigt lässt sich gerade auch deshalb reden, weil in einigen Fällen betont wird, nur darzustellen, was die Geschichte selbst predige. „Das predigt uns diese Geschichte laut“, schreibt Leipoldt im Resümee seiner Kirchengeschichte, „daß jenes Auge über die Kirche wachte, das nicht schläft noch schlummert, daß die Hand sie regierte, die Himmel und Erde hält; und so mußte denn alles ihr zum Besten dienen […].“71

Für einen seiner erweckten Biographen ist Jung-Stillings Lebensgeschichte „die beredteste Predigt“.72 Tholuck möchte das „im Glauben geführte und im Glauben selig vollendete“ Leben Luthers „eine Predigt halten“ lassen.73 Auch wenn das Etikett auf die erweckungschristliche Geschichtsliteratur in unterschiedlichem Maße zutrifft und die homiletische Geschichtsdarstellung auch nicht exklusiv der Erweckungsbewegung zugehört,74 kann die Geschichtspredigt doch als charakteristische Form ihrer Historiographie gelten. 5.3 Semantik Wenn man einige der gelehrten, besonders der exegetischen Werke wegen ihres stärker wissenschaftlichen Sprachstils ausnimmt, lässt sich die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung auch semantisch dem Typus der Geschichtspredigt zuordnen. Es ist der für die Erweckungspresse chagang der biblischen Geschichtsschreiber mit ihren Quellen, wobei konservative Exegeten gewöhnlich mit einer literarischen Gestaltung durch bewusste Selektion historischer Ereignisse, liberale Exegeten dagegen auch mit der Kreation fiktiver Geschichtsberichte rechnen. Vgl. auch Craig Blomberg, The Historical Reliability of the Gospels, Leicester/Downers Grove 1987, 42: „We approach the evangelists as preachers […].“ Blomberg zitiert hier zustimmend Eric Franklin, einen weiteren Neutestamentler. 70 Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, IV. 71 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 221. 72 Friedrich Wilhelm Bodemann, Leben Jung-Stilling’s ( Sonntags-Bibliothek. Lebens= beschreibungen christlich-frommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde, Bd. I, Heft 1), Bielefeld 1846, VII. 73 Tholuck, Predigt gehalten bei der Trauerfeier, 1846, 5. 74 Vgl. etwa (mit anderer Ausrichtung) Friedrich Nösselt, Lehrbuch der Weltgeschichte für Töchterschulen und zum Privatunterricht heranwachsender Mädchen, Bd. I, Breslau: Max 31830, 82; 324.

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rakteristische „Ton der von der Bibelsprache und vom Pietismus geprägten Erbauungssprache“,75 der die Darstellungen prägt und der der Erweckungspredigt sprachlich zumindest nahe kommt. Denn auch diese wollte „mit der einfachen Sprache des Herzens wahr, warm und persönlich“ sein und Intellektualismen vermeiden.76 Impulse des Biedermeier dürften diese Tendenz verstärkt haben. Nach Hartmut Draeger favorisierte das „theoretisierende geistliche Biedermeier“ eine „schlichte und herzliche sprachliche Darstellung“.77 Begriffsgeschichtlich ist das Schrifttum der Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert noch fast gar nicht erforscht. Dies liegt daran, dass die religiöse Begriffsgeschichte generell „ein noch junger Zweig der Religionsgeschichte und Religionswissenschaft“ ist78 und dass die bereits vorgelegten Untersuchungen die Erweckten des Vormärz nur selten berücksichtigen. Studien zur pietistischen Semantik beziehen sich zumeist auf das späte 17. und frühe 18. Jahrhundert.79 Das für die Jahrzehnte um 1800 maßgeb75 76

Mehnert, Evangelische Presse, 118. Christian-Erdmann Schott, Predigtgeschichte als Zugang zur Predigt, Stuttgart 1986,

120. 77 Vgl. Draeger, Kulturasketismus, 6; 163: „Am meisten attackiert man die romantisierende ‚Sprache moderner Verbildung‘ mit ihren ‚Flittern und Franzen‘, ‚ängstlich gewählten Phrasen‘, ihrer Bilderjagd, Manieriertheit und ihrer Sucht, ‚die einfachsten Gedanken in den blendendsten Farbenschmuck einzukleiden‘. Tholuck empfiehlt eine die Wirklichkeit treu kopierende Sprache ‚biblisch-kirchlicher Körnigkeit‘.“ 78 So formuliert in einem lesenswerten Aufsatz Lucian Hölscher, „Religiöse Begriffsgeschichte: Zum Wandel der religiösen Semantik in Deutschland seit der Auf klärung“, in: Hans G. Kippenberg/Jörg Rüpke/Kocku von Stuckrad (Hg.), Europäische Religionsgeschichte. Ein mehrfacher Pluralismus, Göttingen 2009, (723–746) 743. Hölscher führt anhand begriffsgeschichtlicher Skizzen zu „Frömmigkeit“ (725–731), „Konfession“ (731–735), „Zukunft“ und „Jenseits“ (735–742) in das Thema ein, behandelt allerdings die Erweckungsbewegung nur am Rande. 79 Vgl. August Langen, Der Wortschatz des deutschen Pietismus, Tübingen 21968 (1954); Dietrich Meyer, Der Christozentrismus des späten Zinzendorf. Eine Studie zu dem Begriff „täglicher Umgang mit dem Heiland“, Bern/Frankfurt a. M. 1973; Reinhard Breymayer, „Pietismus“, in: HWRh, Bd. 6 (2003), 1191–1214; Hans-Jürgen Schrader, „Die Sprache Canaan. Pietistische Sonderterminologie und Spezialsemantik als Auftrag der Forschung“, in: Lehmann (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 4, Göttingen 2004, 404–427. Langen sieht in den „verbalen Präfixbildungen“ („er-“, „zu-“, „entgegen-“, „auf-“, „aufwärts-“, „empor-“, „hin-“, „hinan-“ etc.) das auffallendste Stilmerkmal des Pietismus, welches das Streben nach und den Aufschwung zu Gott markiere (378; 385). Theologische Zentralbegriffe wie „Bekehrung“, „Christ“, „Erlösung“, „Sünde“ u. a. untersucht im Vergleich von Ansprachen des zeitgenössischen „Evangeliums-Rundfunks“ mit August Hermann Francke (1663–1727) Matthias Vogel, „Deine Sprache verrät dich“. Begriffsanalytische Untersuchungen zu alt- und neupietistischen Predigten, Berlin 2002. Teile des älteren Pietismus, aber nicht die Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts behandelt auch Ernst Feil, Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Göttingen 2007. Unterschiedliche Jahrhunderte und Traditionen berührt Friso Melzer, Das WORT in den Wörtern. Die deutsche Sprache im Dienste der Christus-Nachfolge. Ein theo-philologisches Wörterbuch, Gießen/Basel 21990.

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liche Lexikon Geschichtliche Grundbegriffe 80 wiederum schenkt Quellen aus dem Erweckungsmilieu und bei der Stichwortauswahl der politisch-religiösen Sprache kaum Beachtung.81 Grundbegriffe des Erweckungsmilieus, die auch in dessen Geschichtsliteratur auftreten, dürften etwa die dort nicht berücksichtigten Begriffe „Christ“, „Erfahrung/erfahren“, „erwecken“, „Glaube/glauben/Unglaube“, „Gnade“, „Gott“, „Herz“, „Hoffnung“, „Kirche/Gemeinde“, (ewiges/religiöses) „Leben“, „Mission/Missionar“, „Predigt/predigen“, „Reich Gottes“, „Wort (Gottes)“ und „(Zeichen der) Zeit“ sein.82 Auf die Bedeutung der Wortfelder „Zeuge“ für die Kirchenund „Bote“ für die Missionsgeschichtsschreibung wurde bereits hingewiesen. Die notwendige synchrone und diachrone Analyse dieser und ähnlicher Begriffe kann hier nicht geleistet werden. Eine solche Analyse hätte eine Typologie spezifisch erwecklicher Sprache und ihrer Differenz zu anderen gesellschaftlichen Semantiken zum Ziel, müsste dabei aber berücksichtigen, dass sprachliche Topoi und Grundbegriffe der Erweckungsbewegung auch die Sprache anderer gesellschaftlicher Milieus beeinf lussen konnten. Rebekka Habermas hat darauf jüngst am Beispiel offensichtlicher, wenn auch vermutlich unbewusster Begriffsanleihen von Friedrich Engels und späteren Arbeiterführern bei den gesellschaftskritischen Schriften der Inneren und Äußeren Mission hingewiesen.83 Vor allem Reinhart Kosellecks bahnbrechenden Arbeiten zur Begriffsgeschichte ist die Einsicht zu verdanken, dass die politisch-soziale Sprache mit dem Beginn der Moderne eine auch mentalitätsgeschichtlich bedeut80 Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bd., 1972–1997. 81 Vgl. die Kritik von Hartmut Lehmann, „Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Forschungsperspektiven und Forschungsaufgaben“, in: ders. (Hg.), Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 1997, (314–325) 316 f; Graf, Wiederkehr der Götter, 95; 130 f. 82 In wenigen Einzelfällen liegen Begriffsanalysen vor. Die Bedeutung von „Herz“ als Schlüsselbegriff in Hofackers Predigten analysiert Eckhard Hagedorn, „Vom armen zum großen Herzen. Anmerkungen zu den Predigten Ludwig Hofackers“, in: Reiner Braun/ Wolf-Friedrich Schäufele (Hg.), Frömmigkeit unter den Bedingungen der Neuzeit. Festschrift für Gustav Adolf Benrath zum 70. Geburtstag, Darmstadt/Kassel 2001, 237–248. Das Spezialvokabular der Brüdergemeine umreißt schwerpunktmäßig für das 18., aber auch für das 19. Jahrhundert Paul Peucker, Herrnhuter Wörterbuch. Kleines Lexikon von brüderischen Begriffen, Herrnhut 2000. Am Rande finden sich auch einige interessante Hinweise bei Ernst, Auferstehungsmorgen, 113 ff und Nikolaus Buschmann, „Krise und Untergang der politischen Theologie. Zum Verhältnis von Religion und Politik im Umfeld der Evangelischen Kirchenzeitung“, PuN 27 (2001), (165–184) 181. Die mit der zunehmenden Digitalisierung von Quellen und Verfeinerung von Suchfunktionen permanent anwachsende Recherchemöglichkeit im Internet dürfte gerade der begriffsgeschichtlichen Forschung sehr zugute kommen. 83 Habermas, Mission im 19. Jahrhundert, 668–671.

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same Dynamisierung erlebte. Sie zeigt sich in der Bildung von Kollektivsingularen wie „Auf klärung“, „Staat“, „Geschichte“ oder „Fortschritt“, 84 denen auch in der Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung zentrale Bedeutung zukommt, wenn ihre Verwendung auch teilweise von derjenigen anderer Teile der Gesellschaft abweicht. Nach Koselleck war die „Geschichte“ im Sprachgebrauch der Zeitgenossen gewissermaßen zu ihrem eigenen Subjekt und folglich, „gleichsam wie Gott“, zu einem allmächtigen und allgerechten Akteur geworden.85 Auch in der erwecklichen Historiographie kann sie durchaus personifiziert werden: „die Geschichte“ weiß,86 zeigt,87 benennt,88 meldet,89 erzählt,90 bezeugt91 oder schweigt über92 Dinge. Die philosophische Tragweite dieser Redeweise ist in der Erweckungsbewegung allerdings begrenzt, spricht diese Mächten oder Prinzipien neben dem biblischen Gott doch gerade die Lenkung der Geschichte ab. Gott ist für die Erweckten „der Leiter aller Geschichte“.93 Darin ist er konkurrenzlos. Der neue Fortschrittsbegriff, der die „zeitliche Differenz zwischen Erfahrung und Erwartung“ und damit die moderne Öffnung der Zukunft für eine primär irdische Daseinsverbesserung repräsentiert,94 wird noch vorsichtiger aufgenommen. Zwar kann man anerkennend von einem „außerordentlichen“95 oder „unaufgehaltenen“96 Fortschritt in den angewandten und theoretischen Wissenschaften reden, man weist aber auch auf die Nachteile hin, die etwa der „Fortschritt der Technik und Mechanik“ gebracht habe, indem er Fabriken an die Stelle des häuslichen Arbeitsplatzes setzte.97 „Der“ Fortschritt wird nur selten beschworen, und wo dies geschieht, versteht man darunter zumeist nicht eine innerweltliche Dynamik, sondern die Teleologie der Heilsgeschichte und somit das souveräne Handeln Gottes. Heinrich Leo, der an einer Stelle „den weltgeschichtlichen Fortschritt“ zitiert, bezieht ihn ausdrücklich auf die Suche der Völker nach 84

Vgl. Koselleck, Vergangene Zukunft; ders., Zeitschichten; ders., Begriffsgeschichten. Koselleck, Begriffsgeschichten, 74; ders., Geschichte, 647–653; ders., Historia Magistra Vitae, 203. 86 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 302. 87 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 87. 88 Ebd., 174. 89 Hofacker, Predigten, Bd. II, 1831, 1398. 90 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.2, 1837, 33; 751; 768. 91 Ebd., 700. 92 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. I, 1833, 37. 93 Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 60. 94 Koselleck, Vergangene Zukunft, 366; 362 f. 95 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 31. 96 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. I, 1835, 34. 97 Wildenhahn, Johannes Arndt, Bd. I, 1847, 74. 85

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Gott,98 und Johann Christian Konrad Hofmann spricht vom „Fortschritt in der Geschichte des Heils“.99 Dem „Fortschritt im Sinne des Zeitgeistes“100 können die Erweckten dagegen nur misstrauen und führen ihn daher auch nicht ständig im Munde. In ihrer spärlichen Verwendung von „Fortschritt“ als Kollektivsingular spricht sich somit die Furcht der Erweckungsbewegung vor einer säkularen Ersatzreligion aus. Heinrich Dittmar, der immerhin schreibt, „der Fortschritt“ bringe „im Materiellen Tüchtiges und Förderliches“ hervor, warnt zugleich vor einem „in das Maaß- und Ziellose gehenden fälschlich sogenannten Fortschritt“.101 Wo die neuen Grundbegriffe potentiell Inhalte transportieren, die christlichen Überzeugungen widersprechen, benutzt man sie nur selten – oder interpretiert sie im eigenen Sinne. Für die Evangelische Kirchen-Zeitung sind „socinianische und rationalistische Abirrungen von der Augsburgischen Confession“ in Wahrheit „enorme Rückschritte“.102 Die „Religion der Erneuerung und des Fortschritts“ sei das reformatorische Christentum.103 Im Kampf um die Deutungshoheit in der Geschichte streitet die Erweckungsbewegung also nicht nur um Werturteile und Darstellungskonzepte, sondern auch um Begriffe.104 5.4 Metaphorik Alexander Demandt unterteilt Geschichtsmetaphern nach ihrer lebensweltlichen Herkunft in fünf Hauptgruppen: organische Metaphern, Jahres- und Tageszeiten-Metaphern, Bewegungs-Metaphern, Technik-, Architekturund Textil-Metaphern sowie Metaphern aus dem Umkreis des Theaters.105 Mit Ausnahme der Letztgenannten, die (wohl aufgrund der mangelnden Theaterfreude der Erweckten)106 weitestgehend fehlen, sind in der Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung Metaphern aus jedem dieser Felder vertreten. Dabei entspricht sie teilweise den Präferenzen ihrer Zeit. 98

Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. I, 1835, 18. Hofmann, Weissagung und Erfüllung, Bd. I, 1841, 36. 100 „Chiliasmus, Tausendjähriges Reich des von Rotteck-Welcker’schen Staats-Lexikons“, ZPK 14 N. F. (1847), (51–72) 71. 101 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. II, 1847, V. 102 „Die Augsburger Confession 1530 und 1830“, EKZ 1830, (377–387) 386. 103 „Fortschritt“, EKZ 1840, (372 f ) 372. 104 Für weitere Beispiele, etwa „Auf klärung“, „Freiheit“, „Revolution“ und „Vaterland“, vgl. Jan Carsten Schnurr, „Geschichtsdeutung im Zeichen des Reiches Gottes. Historiographie- und begriffsgeschichtliche Anmerkungen zur Geschichtsliteratur der protestantischen Erweckungsbewegung im Vormärz“, HZ 291 (2010), 353–383. 105 Vgl. Alexander Demandt, „Metaphern“, in: Jordan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2002, 209–211. 106 Vgl. Draeger, Kulturasketismus, 76. 99

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Die Weg- und die Strommetapher, der nach einer Studie von Ines Mayer in der Zeitgeschichtsschreibung besondere Bedeutung zukam,107 findet sich auch bei Erweckten, etwa in der Aussage, jeder Völkerstamm folge „im Strome der Geschichte seinem eigenen Wellenzuge“.108 Martin Schmidt hat darauf hingewiesen, dass sich das Geschichtsbewusstsein der Erweckten mit Vorliebe im Bild des Tages und der Morgenröte ausdrückt;109 es spielt etwa bei der Periodisierung von Mittelalter und Reformation eine Rolle.110 Auch epistemologische Fragen werden mit Bildern veranschaulicht: Barth beschreibt die Geschichtsschau der Bibel als Aussichtspunkt über eine sonst unüberblickbare Stadt.111 Dittmar vergleicht kurz nach Ausbruch der 1848er-Revolution die Geschichte mit dem Kompass auf einer Fahrt der Völker „über die Höhe des Meeres nach dem gesuchten Port“. Auf dieser Fahrt wolle er, schreibt Dittmar, keine Steuermannqualitäten beanspruchen, aber bescheidene „Lootsenbeihülfe“ leisten und dabei die Bibel als „Senkblei“ zur Auslotung von Untiefen heranziehen.112 Das eigentlich Charakteristische der von den Erweckten verwendeten Geschichtsmetaphern ist ihr doppelter – lebensweltlicher und biblischer – Ursprung. Bilder, mit denen im Neuen Testament das Reich Gottes oder die christliche Gemeinde beschrieben werden, dienen als Geschichtsmetaphern und werden in verschiedene Richtungen gewendet oder auch kombiniert. Ein Einzelbeispiel ist die sich über mehrere Seiten erstreckende Ausdeutung der Baustellenmetapher bei Johann Christoph Blumhardt, in der die Menschheit als Bau, Gott als Baumeister und weltgeschichtliche Persönlichkeiten als Maurer und Steinmetzen auftreten, dann aber das Bild zu dem spezielleren Fall eines Tempelbaus überwechselt, so dass die neutestamentliche Metaphorik von Christen als Steinen (1. Petrus 2,5) und Säulen (Offenbarung 3,12) eines unsichtbaren Tempels integriert werden kann.113 Ein verbreiteteres Beispiel ist die Baummetapher, mit der die organische Entwicklung der Geschichte illustriert wird.114 Der „Baum der Geschichte“, 107

Vgl. Mayer, Sprachspiele der Revolution, 124 f. Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.2, 1837, 4. 109 Vgl. Martin Schmidt, „Die innere Einheit der Erweckungsfrömmigkeit im Übergangsstadium zum luther. Konfessionalismus“, Theologische Literaturzeitung 74 (1949), (17–28) 19. 110 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 106; 135; Möhrlen, Buch der Wahrheitszeugen, Bd. I, 1844, VI; „Ueber den Unterricht in der christlichen Kirchengeschichte“, SSB 9 (1845), 193 f. 111 Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837, 2 f. 112 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, IV. 113 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 1–3. 114 Die Metapher spielt auch bei anderen Autoren eine Rolle. Nach Ludwig Börne, Gesammelte Schriften, Bd. III, Hamburg: Hoffmann und Campe 21835, 141 kann man den „Baum der Geschichte zu frühe schütteln“. Vgl. auch Gunter Scholtz, „Geschichte, Historie“, HWPh, Bd. 3 (1974), (344–398) 367: „J. Görres redet vom ‚Baum der G.‘ […].“ 108

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so eine Variante der Metapher, teile sich im Laufe der Zeit in einzelne Äste. Dieser natürliche Vorgang erschwere allerdings die Übersicht über das Ganze: „[W]enn der Stamm auf hört, und nur das Gewirre der Zweige, die durcheinander gewachsen sind, sichtbar ist, muß man sich an einzelne Hauptpartieen halten.“115

Anders gewendet kann die Baummetapher die protestantische Scholastik des 17. Jahrhunderts kritisieren: Theologische Spitzfindigkeiten hätten, mutmaßt Dittmar, den „Baum des evangelischen Christenthums“ zur Verholzung geführt, wenn er nicht mit Pietismus und Methodismus „neue Zweige“ und schließlich „gute Früchte“ getrieben hätte (vgl. Matthäus 7,17 f ).116 Missionsgeschichtsschreibung bedeutet für Christian Gottlieb Blumhardt analog zu Dittmars Illustration, „für die kraftvollen und lebendigen Zweige der frommen Thätigkeit des evangelischen Missionsgeistes unserer Tage die tragenden Aeste, den saftreichen Stamm und die tiefen Wurzeln in der Geschichte der verf lossenen Jahrhunderte aufzusuchen“.117

Schon in früheren Perioden der Christenheit trieb diese allerdings auch „wilde Zweige“ – so eine weitere Deutung der Baummetapher –, die das Fruchttragen behindert hätten und deretwegen der Gärtner den Baum habe beschneiden müssen (vgl. Johannes 15,2), namentlich durch die mit dem Auftreten Mohammeds hervorgerufene Krise der Ostkirche.118 Die Baummetapher ist in der Geschichtsschreibung der Erweckungsbewegung auch darum so beliebt, weil sie sich bruchlos in eines der Himmelreichsgleichnisse aus Matthäus 13 einfügen lässt – die wichtigste Metaphernquelle für das Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung. Ist das Reich Gottes die zentrale Kategorie im Geschichtsbild der Erweckten, so stellen Christi Gleichnisse über dieses Reich die zentralen Metaphern bereit. Das Gleichnis von dem Senf korn, das mit der Zeit „zu einem Baum“ werde, in dessen Zweigen die Vögel nisten (Matthäus 13,31–32), stellt für sie das langsame, aber letztlich überwältigende Wachstum des Christentums in der Geschichte dar und wird wieder und wieder als missionsgeschichtliches Grundmuster zitiert.119 In ihm spricht sich ihre Hoffnung auf eine weitere Ausbreitung und Bedeutungszunahme des Evangeliums, 115 116

Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837, 307. Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 303; vgl. Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837,

329. 117

Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. I, 1828, VI. Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 87. 119 Ebd., 2; Schubert, Johannes Knox, 1831, Vorrede; Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 211; Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte, 1833, 368; Steger, Die protestantischen Missionen, 1838, 4; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 166. 118

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aber auch ihre Wahrnehmung von Gottes Handeln in der Missionsgeschichte aus. In diesem Sinne kann Blumhardt resümieren, die Kirche Christi sei „in unsern Tagen unter Gottes segnendem Beistande zu einem großen Baume herangewachsen, auf dessen weithin verbreiteten Zweigen die Vögel des Himmels nisten“.120

Neben die Senf korn- tritt, wie im Matthäusevangelium (13,33), die Sauerteigmetapher. „[W]enn auch Christi Reich nicht von dieser Welt ist, so hat es doch die Bestimmung von Christus selbst bekommen, alle Reiche der Welt wie ein Sauerteig zu durchdringen“,

schreibt Dittmar.121 Neander stellt mehreren Kirchengeschichtsbänden den Satz „Das Wort des Herrn: Das Reich Gottes ist einem Sauerteige gleich“122 voran und verwendet die Metapher, wie schon sein Zeitgenosse Ferdinand Christian Baur anmerkt, als ein Leitmotiv.123 Auch dieses Gleichnis nutzen die Erweckten zur Illustration der Teleologie der Weltgeschichte.124 Betrachtet das Senf korngleichnis das Reich Gottes eher für sich, so beschreibt das Sauerteiggleichnis für die Erweckten seine transformierende Kraft zur „Veredlung und Heiligung der Menschheit“.125 Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen schließlich (Matthäus 13,24–30; 36–43) wird wiederholt verwendet, um die Volkskirchenstruktur des nachkonstantinischen Christentums, die dem eigentlich erwecklichen Anliegen widerspricht, zu erklären.126 5.5 Stellung zu Romantik und Idealismus Der Organismusgedanke, der sich in vielen dieser Metaphern ausdrückt, deutet auf eine Verwandtschaft des Geschichtsdenkens der Erweckungsbewegung mit dem der Romantik hin. Vor allem wegen dieses organischen 120

Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.1, 1829, 147. Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, 251. 122 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. I.2, 1828; Bd. I.3, 1828; Bd. II.3, 1831. 123 Baur, Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung, 1852, 211. 124 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 211; Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte, 1833, 368; Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 36; Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, 14. 125 „Ueber den Unterricht in der christlichen Kirchengeschichte“, SSB 9 (1845), 185. 126 Hess, Kern der Lehre, 21826, 246; Barth, Abriß, 1831, 147; Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 205; Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 6; Ehrenfeuchter, Entwicklungsgeschichte, 1845, XI. 121

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Geschichtsverständnisses wird in der Literatur immer wieder auf die Nähe der Erweckungsbewegung zur Romantik hingewiesen; als weitere Berührungspunkte werden die Auf klärungskritik, der Konservativismus, der Sinn für das Transzendente, die Wertschätzung des subjektiven Gefühlserlebnisses und die Betonung der persönlichen Willensentscheidung genannt.127 Der Vergleich ist besonders für das erwecklich gesinnte Neuluthertum plausibel, das seine Entstehung einer Neuentdeckung der Konfessionen als geschichtlich gewordenen Größen verdankte.128 Er bietet sich auch für Gelehrtenpersönlichkeiten wie Johann Arnold Kanne, Henrich Steffens, Karl von Raumer und Gotthilf Heinrich Schubert129 sowie allgemein für ehemalige Mitglieder romantischer Zirkel aus der Zeit der Befreiungskriege an. Bei den politisch einf lussreichen Brüdern Leopold und Ernst Ludwig von Gerlach etwa, die ursprünglich in den Umkreis der „Deutschen Tischgesellschaft“ gehörten, überlagerten seit den 1820er Jahren zwar pietistische Impulse die romantischen, jedoch ohne dabei den romantischen Konservativismus zu verdrängen.130 Die zeitgeschichtliche Aufwertung von Gefühl und religiöser Ahnung kann von Erweckten als eine Hilfe bei ihrer eigenen Bekehrung beschrieben werden,131 auch wenn wirklich sentimentale Geschichtsdarstellungen selten sind.132 Die roman127 Vgl. David W. Bebbington, „Evangelical Christianity and Romanticism“, Crux 26 (1990), 9–15; Beyreuther, Erweckungsbewegung, 26 f; Geiger, Problem der Erweckungstheologie, 436; Moeller, Geschichte des Christentums, 339; Schmidt, Innere Einheit der Erweckungsfrömmigkeit, 26 f; Weigelt, Erweckungsbewegung und konfessionelles Luther tum, 118 f; ders., Geschichte des Pietismus in Bayern. Anfänge – Entwicklung – Bedeutung, Göttingen 2001, 375. 128 Vgl. Schmidt, Innere Einheit der Erweckungsfrömmigkeit, 26 f. 129 Zum geistesgeschichtlichen Beitrag dieser Denker zur Romantik und ihren engen Verbindungen zu den führenden Romantikern ihrer Zeit (teilweise vor ihrer Erweckung) vgl. Dieter Schrey, Mythos und Geschichte bei Johann Arnold Kanne und in der romantischen Mythologie, Tübingen 1969; Fritz Paul, Henrich Steffens. Naturphilosophie und Universalromantik, München 1973; Weigelt, Karl von Raumer, 167–170; Gerhard Sauder, „Nachwort“, in: Gotthilf Heinrich Schubert, Die Symbolik des Traumes. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1814, Heidelberg 1968, I–XXXI; Engelhardt, Schuberts Stellung in der romantischen Naturforschung; Hans-Georg von Arburg, „Gotthilf Heinrich Schuberts Die Kirche und die Götter (1804) – ein frühromantischer Roman in literatur- und medizinhistorischer Sicht“, Athenäum 11 (2001), 93–121; Katharine Weder, Kleists magnetische Poesie. Experimente des Mesmerismus, Göttingen 2008. 130 Vgl. hierzu Frank-Lothar Kroll, Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik, Berlin 1990, 23–27. Zur „Tischgesellschaft“ vgl. Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, der Leopold von Gerlach und Karl von Raumer zu den Teilnehmern zählt (359; 367). 131 Friedrich Wilhelm Krummacher, Abschieds-Predigt gehalten am 1. August 1847 vor der reformirten Gemeinde zu Elberfeld, Elberfeld: Hassel 21847, 7. 132 Ein Beispiel für eine solche Darstellung ist der Artikel „Erbhuldigung Friedrich Wilhelm IV. zu Königsberg in Preußen am 10. September 1840“, EKZ 1840, 625–636, der schwärmerisch die „lebhafteste Rührung“, „Thränen“ und „Gluth der Empfindung“ bei

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tische Dichtung ist zumindest im Gegenüber zur Auf klärung eine Verbündete.133 Insbesondere beim Politikverständnis, so im ständisch-traditionalistischen Gesellschaftsbild und im Bild der christlich legitimierten, nicht-absolutistischen Monarchie, gibt es starke Überschneidungen.134 Die Quellenanalyse zeigt jedoch zugleich die Grenzen der Verwandtschaft von Erweckungsbewegung und Romantik. Weder vertreten die heilsgeschichtlich denkenden Erweckten ein zyklisches Geschichtsmodell,135 noch können sie als Protestanten einer romantischen Mittelalterverehrung das Wort reden, wie sie sich im vormärzlichen Katholizismus findet.136 Auch hat die ambivalente Einschätzung des Mittelalters nicht nur religiös-konfessionelle Gründe: Blumhardt ist repräsentativ, wenn er für den Einf luss römischer Zivilisation auf die Germanen zwar (potentiell romantisch) von „Verweichlichung“ spricht, das primitive Mittelalter aber zugleich mit den Negativbegriffen „Unwissenheit“ und „Rohheit“ belegt.137 Begrüßen die Erweckten die von der Romantik beförderte Rückwendung zum Christlichen, so bleiben ihnen insbesondere deren ersatzreligiöse Züge fremd. „Das ‚Poetische‘ wird religiös, das Religiöse ‚poetisiert‘“, analysiert Nipperdey, „die Kunst zumal, aber auch die eigenen Gefühle gewinnen religiösen (oder quasi religiösen) Charakter, wie bei Novalis die Liebe.“138 Diesen Weg kann die Erweckungsbewegung niemals mitgehen. Die Aussage des Französischschweizer Literaturwissenschaftlers und Erweckungstheologen Alexandre Vinet (1797–1847), Chateaubriands bahnbrechendes Werk Génie du christianisme von 1802 wisse vérité und beauté der als sakral erlebten Zeremonie beschwört. Palmer, „Kirchengeschichte“, SSB 4 (1840), (124–127; 134–136) 136 spricht, für die Erweckungsbewegung äußerst ungewöhnlich, von der „Romantik“ der Kreuzzüge. 133 „Die Kirche und die deutsche poetische Literatur seit der Reformation. Eine aphoristische Skizze. Dritter Artikel“, ZPK 3 N. F. (1842), (261–272) 266. 134 Zum Politikverständnis der Romantik vgl. Ricarda Huch, Die Romantik. Blütezeit, Ausbreitung und Verfall, Tübingen 1951, 618–641, die allerdings auf eine Vielfalt politischer Standpunkte innerhalb der Romantik hinweist (635), sowie v. a. Hans-Christof Kraus, „Politisches Denken der deutschen Spätromantik“, in: Bernd Heidenreich (Hg.), Politische Theorien des 19. Jahrhunderts: Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, Berlin 22002, 33–69. Zur politischen Spätromantik zählen für Kraus Adam Müller, Joseph Görres, Friedrich Schlegel, Franz von Baader und Joseph von Eichendorff. Zur Vermengung romantischer und erwecklicher Motive in der (nicht leicht einzuordnenden) Persönlichkeit Friedrich Wilhelms IV. vgl. Kroll, Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik, bes. 144–148. 135 Nach Gude, Geschichtsschreibung und Romantik, 17 war dies ein „Ausdruck romantischen Zeitbewusstseins“ im konservativ-katholischen Geschichtsmilieu Frankreichs. 136 Vgl. Klug, Rückwendung zum Mittelalter, 17 f; 79–83. Heinrich Leo gehört hier zu den Ausnahmen. 137 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 239; Bd. III.1, 1833, 130 f. 138 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 442.

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des Christentums nicht zu unterscheiden und huldige einer ästhetischen Mittelalterromantik,139 beschreibt auch die Position der deutschen Erweckten. Für die Evangelische Kirchen-Zeitung bleiben die Romantiker im Subjektiven verhaftet, weil ihre religiöse Begeisterung primär auf „ihr Gefühl, ihr[en] Affekt, Gebilde ihrer Phantasie“140 bezogen sei: „Religion ist in dieser sentimentalen, künstlerischen Richtung freilich, aber durchaus keine gesunde und daher so gut wie keine. Sie ermangelt der sittlichen Beziehung auf die Gesinnung und bleibt daher eine unbestimmte Gefühlsüberschwenglichkeit, in welcher die verschiedenartigsten Elemente verschwimmen. Nicht die Stärke der Erregung macht das Gefühl heilig – Magen und Herz, wenn man’s fühlt, sind krank, sagt Hamann – sondern sein Gegenstand.“141

In diesem Sinn hält Dittmar den revitalisierten Vorsehungsglauben und die nunmehr beliebte Deutung der Weltgeschichte als „durch den Geist Gottes geleitete organische Entwicklung der Menschheit“ für wertvoll, aber als solche noch nicht hinreichend christlich.142 Selbst bei Schubert zeigen die theologischen Differenzen mit den Fakultätskollegen Lorenz Oken (1779–1851) und Friedrich Wilhelm Schelling (1775–1854) (bei Letzterem trotz enger fachlich-persönlicher Verbundenheit),143 dass die Erweckten letztlich nicht hinter der Romantik stehen.144 Ihr Biblizismus gibt ihnen einen anderen Takt vor.145 Sie fragen nach Vergebung, nicht Verklärung, nach Umkehr zu Gott, nicht Erfühlen der Gottheit. Ihre Botschaft ist keine ungestillte Sehnsuchtserfahrung, nicht einmal eine christliche, sondern eine Geschichtspredigt über den lebendigen Gott der Bibel. Deutlicher noch als der Romantik steht die Erweckungsbewegung dem einf lussreichen Geschichtsdenken Hegels fern. Dies liegt bereits in der Ab139 Alexandre Vinet, Etudes sur la littérature française au XIXe siècle. Tome premier: Madame de Staël et Chateaubriand (posthum, 1848), hg. von Paul Sirven, Lausanne/Paris 1911, 261 f. 140 „Der Roman und das Christenthum“, EKZ 1842, (527–536) 531. 141 „Der Kunst- und Wissenschafts-Enthusiasmus in Deutschland als Surrogat für die Religion“, EKZ 1828, (545–549; 553–556) 554. 142 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, VIII f. 143 Gotthilf Heinrich Schubert, Die Geschichte der Seele, Stuttgart/Tübingen: Cotta 2 1833 (1830), IX. Nach Weigelt, Geschichte des Pietismus, 375 war Schelling sogar Mitglied des Erlanger Missionsvereins. 144 Vgl. Engelhardt, Schuberts Stellung in der romantischen Naturforschung, 29–31. Schubert schreibt über Schelling in einem Privatbrief von 1836: „An dem theuren Schelling habe ich doch auch grosse Freude; er weist wahrlich die Leute hin auf die Quelle da sie den Durst löschen können, wenn er ihn auch nicht stillt.“ (31) 145 Ähnlich urteilt aus germanistischer Perspektive Draeger, Kulturasketismus, 293, der die von ihm untersuchten christlich-konservativen Literaturkritiker als das „geistliche Bieder meier“ interpretiert, das zwischen „pietistischem Kulturasketismus“ und „Frühromantik“ vermittelt habe. Man habe zwar „eine gewisse Eigengesetzlichkeit der Literatur“ anerkannt, der Durchsetzung religiöser Normen jedoch Vorrang gegeben.

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straktheit des geschichtsphilosophischen Ansatzes begründet, hinter der sich nach ihrer Überzeugung ein leerer Pantheismus verbirgt. Christian Gottlob Barth drückt die Bedenken in einer Streitschrift gegen den theologischen Hegelianer Christian Märklin mit einer treffsicheren Metapher aus: „Ich stehe auf dem festen Lande der Geschichte und der in der Bibel niedergelegten göttlichen Offenbarung; Sie schweben in Ihrem leichten Kahne auf den schwankenden Wellen des christlich frommen Selbstbewußtseyns oder in dem Luftschiff der Idee dahin.“146

Die „Herrschaft des Worts Gottes“ sei ihm lieber als das „Papstthum der Idee“, meint Barth, zumal die idealistische Vorstellungswelt nur einer Bildungselite zugänglich sei. Der „Entwicklungs- und Stufengang der Erkenntniß“, den auch die Pietisten zu Recht postulierten, betreffe eben nicht Gott selbst, der vielmehr unwandelbar und von Ewigkeit her vollkommen sei.147 Das hegelianische Geschichtsbild lässt nach Ansicht der Erweckten also wenig Raum für den biblischen Geschichtsbegriff und noch weniger Raum für den biblischen Gott. Sixt Carl Kapff meint im Rückblick, der Zeitgeist habe im Vormärz „unter der Auctorität der Hegel’schen Philosophie die Geister nur in das ‚Diesseits‘ [… gebannt], als gäbe es kein ‚Jenseits‘“.148 Selbst wenn Hegels Staatslehre teilweise gegen ihre linkshegelianisch-revolutionäre Indienstnahme in Schutz genommen wird,149 denken die Erweckten wohl weitgehend wie Dittmar, der schreibt, letztlich habe bei Hegel ebenso wie bei Kant, Fichte, dem (Neu-)Humanismus und der Romantik „das Ich als ‚der Gott in Menschengestalt‘“ den Ton angegeben.150 Eine idealistische Diktion, die sich gelegentlich selbst bei dem nicht-hegelianischen Leopold Ranke beobachten lässt,151 ist für die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung untypisch.

146 Christian Gottlob Barth, Der Pietismus und die spekulative Theologie. Sendschreiben an Herrn Diakonus Dr. Märklin in Calw, Stuttgart: Steinkopf 1839, 17. 147 Ebd., 19; 28; 20. 148 Sixt Carl Kapff, Die Revolution, ihre Ursachen, Folgen und Heilmittel, dargestellt für Hohe und Niedere, Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses 1851, 139. 149 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 767; 778. 150 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. IV.2, 1856, 863. 151 Leopold Ranke, „Politisches Gespräch“ (1836), Historisch-politische Zeitschrift 2 (1833–1836), (775–807) 805: „Alles Leben trägt sein Ideal in sich: der innerste Trieb des geistigen Lebens ist die Bewegung nach der Idee, nach einer größeren Vortreff lichkeit.“

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5.6 Objektivität und historische Gerechtigkeit Dass der Bibel auch als Quelle der Geschichtsschreibung ein Sonderstatus zukomme, ist übereinstimmende Meinung der Erweckten. Sie äußert sich darin, dass die biblische Historie ausgiebig und – einschließlich der Wunder – als tatsächliche Geschichte behandelt wird. Die Aussage des jüdischen Historikers Isaak Marcus Jost in seiner ebenfalls nahe an der Bibel orientierten Allgemeinen Geschichte des Israelitischen Volkes von 1832, die Bibel biete „nicht eigentliche Geschichte, sondern gleichsam Erguß einer Begeisterung für die sich in der Reihe der Thatsachen offenbarende Gottheit“, würden die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung nicht gelten lassen.152 Heß spricht für viele, wenn er über sich als Autor schreibt: „Vieles, was die Neuern nun für Mythos taxiren, ist und bleibt ihm Geschichte, und dieß nicht aus dogmatischen Rücksichten; sondern als getreuer Referent dessen, was dem alten Erzähler Geschichte war, glaubt er es auch dafür geben zu müssen […].“153

Doch die Erweckten halten nicht nur an der biblischen Historie fest. Sie bemühen sich auch in ihren Bewertungen – primär für die biblische Geschichte, per Extrapolation auch in anderen Zusammenhängen – um einen biblischen Ansatz. Sie sind daher auch offen für theologische Urteile, die in der Historiographie ihrer Zeit unüblich geworden sind. So hatte der Freiburger Geschichtsprofessor Karl von Rotteck 1813 in seiner Allgemeinen Geschichte geschrieben: „Auch hat man es bis auf diesen Tag vielfältig heilsam für das Volk erfunden, große Calamitäten für göttliche Strafgerichte zu erklären. Der bescheidene Historiker, der bey seinen Forschungen nur auf solche Strafen stößt, welche die natürlichen Folgen der Handlungen sind, überläßt diesen über seiner Sphäre liegenden Gegenstand der Erörterung der Theologen.“154

Wie sie die „Calamitäten“ auch im Einzelfall deuten mögen – die erweckten Geschichtsschreiber sehen sich durchaus auch in einer Theologenrolle. Dieser theologische Blickwinkel, aber auch ihre politischen, nationalen und persönlichen Vorlieben konfrontieren die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung mit dem Problem der Perspektivität historischen Erkennens, das seit dem 18. Jahrhundert auf der Tagesordnung der 152 Isaak Marcus Jost, Allgemeine Geschichte des Israelitischen Volkes, sowohl seines zweimaligen Staatslebens als auch der zerstreuten Gemeinden und Secten, bis in die neueste Zeit, in gedrängter Uebersicht, zunächst für Staatsmänner, Rechtsgelehrte, Geistliche, und wissenschaftlich gebildete Leser, aus den Quellen bearbeitet, Bd. I, Berlin: Amelang 1832, 17. 153 Hess, Kern der Lehre, 21826, VII f. 154 Rotteck, Allgemeine Geschichte, Bd. I, 1813, 143.

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geschichtstheoretischen Debatte stand.155 Die erweckten Historiker legen keine eingehenden philosophischen Analysen des Objektivitätsproblems vor, sie thematisieren es jedoch – zumindest in den intellektuell anspruchsvolleren Werken. Die vielen assertorischen Aussagen in den Darstellungen selbst belegen, dass sie keine Skeptiker sind; schon ihr tiefer Offenbarungsglaube verhindert dies. Sie wissen jedoch nicht nur um die Bruchstückhaftigkeit historischer Kenntnisse,156 sondern sind sich auch dessen bewusst, dass die Erfüllung der Forderung nach „absoluter Voraussetzungslosigkeit“ für einen Historiker „eben so sehr eine Unmöglichkeit, als psychologische Unwahrheit“,157 dass eine subjektive Brechung in der Historiographie also unvermeidbar ist. Andererseits gilt den Erweckten die subjektive Komponente der Geschichtsschreibung auch nicht als Ballast, wollen sie doch weniger im Rankeschen Sinne „bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen“158 als vielmehr, wie Guerike, „treue Objectivität mit lebendiger Subjectivität stets […] verschmelzen“.159 Dittmar strebt nicht nach einer „kalten und farblosen“, sondern nach „derjenigen [Objektivität], die noch dem warmen Mitgefühl und der markirenden Betonung subjectiver Ueberzeugung“ Raum lasse.160 „Und sollte nicht“, fragt Raumer, „die Objectivität der Geschichte gerade durch ein freies, persönliches Dazwischenreden des Historikers mehr gewinnen, als wenn er möglichst hinter den Thatsachen und ihrer Erzählung Versteck spielt?“161 Allerdings geht es bei diesem „persönlichen Dazwischenreden“ nicht um die Pf lege privater Lieblingsideen, sondern um einen immer mehr an der ewigen Wahrheit ausgerichteten Blick. Neander versteht daher unter der „Objektivität, nach der ich strebe“, dass „die Subjektivität des Geschichtschreibers [der Wahrheit,] den sich offenbarenden Geist des Christenthums treu in sich aufnehmend“, zum Sprachrohr werde.162 Wenn der Basler Missionsinspektor Blumhardt neben sauberer Quellenkritik „vertraute Bekanntschaft“ als Erkenntnisweg der Missionsgeschichte bezeichnet, denkt er vermutlich auch an die erhellende Wirkung aktueller, mög155 Vgl. Detlef Junker, „Objektivität/Parteilichkeit“, in: Jordan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2002, 227–231. 156 In seiner volkstümlichen Christlichen Kirchengeschichte bekennt etwa Barth (21835, 30) offenherzig: „Die Geschichte der Kirche Christi läßt uns gar manche Fragen übrig, auf die sich ein so neugieriger Mensch wie ich noch in der andern Welt Antworten erbitten wird.“ 157 Hävernick, Neue kritische Untersuchungen, 1838, 7 f. 158 Lothar Gall, „Ranke und das Objektivitätsproblem“, in: Norbert Finzsch/Hermann Wellenreuther (Hg.), Liberalitas. Festschrift für Erich Angermann, Stuttgart 1992, 37–44 relativiert allerdings teilweise diese klassische objektivistische Deutung von Rankes berühmtem Diktum des Jahres 1824. 159 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. I, 1833, V. 160 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, XX f. 161 Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. I, 21846 (1843), V. 162 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. II.3, 1831, Xf.

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licherweise eigener Missionserfahrungen.163 Die Erweckten streben mithin nach einer methodisch sauberen und entschieden christlichen Geschichtsschreibung, die die Subjektivität des erweckten Autors einbezieht und an der biblischen Wahrheit ausrichtet. Bleibt da noch Raum für den Gedanken des Historismus, dass jede Epoche „unmittelbar zu Gott“ sei, wie ein weiteres gef lügeltes Wort von Ranke erklärt?164 Ist es den Erweckten also möglich, jede Zeit aus sich selbst heraus zu verstehen und nicht als Vorstufe eines teleologischen Endziels gering zu schätzen? Die Erweckten würden die Frage bejahen. Hierfür spricht nicht nur, dass Ranke ihrem Geschichtsdenken trotz unbestreitbarer Differenzen in mancher Hinsicht nicht fern steht.165 Alle Epochen auf Gott bezogen zu denken, spricht ihnen vor allem aufgrund ihres theozentrischen Weltbildes aus der Seele. Auch sie wollen aufgrund ihrer Überzeugung von dem Eigenwert jedes Menschen – und per Implikation jeder Epoche – Zwischenphasen nicht „mediatisieren“. Die heilsgeschichtliche Ansicht lässt trotz aller Teleologie genügend Spielraum für eine Historisierung, sind die Grundfragen des Menschen nach dem Guten und nach Gott doch aus Sicht der Erweckten zu jeder Zeit gleich relevant und verlangen jeweils nach einer kontextgerechten Antwort. „Auch versteht es sich von selbst“, schreibt Hengstenberg, „daß jede Zeit mit ihrem eigenen Maaße gemessen werden muß.“166 Das Problem der historiographischen Umsetzung ist damit selbstverständlich noch nicht gelöst. So kann man beispielsweise fragen, inwieweit die Nachtmetapher in kirchengeschichtlichen Periodisierungen den Menschen des Mittelalters gerecht wird. Das Umsetzungsproblem stellt sich jedoch nicht nur den Erweckten und zieht auch ihr grundsätzliches Ja zur historischen Gerechtigkeit nicht in Zweifel. Freilich kann man das historistische Postulat von dem Eigenwert einer Epoche auch anders verstehen: als geschichtliche Relativierung des eigenen ethisch-theologischen Standpunktes. Dieser Interpretation stellen sich die Erweckten entgegen. Sie glauben an die biblische Heilsgeschichte, die im Geschichtsstudium weder zur subjektiven Wahrheit reduziert noch 163

Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, V. Leopold von Ranke, Über die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern im Herbst 1854 zu Berchtesgaden gehalten, Leipzig: Duncker & Humblot 51899 (1888), 17. 165 Ranke besaß, wie bereits sein Lutherfragment von 1817 belegt (vgl. Heinrich Bornkamm, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte. Mit ausgewählten Texten von Lessing bis zur Gegenwart, Göttingen 21970, 41–48; 249–258), einen Sinn für die reformatorische Botschaft und war über seinen Bruder mit der Erweckungsbewegung vertraut, wenn er sich ihr auch nicht persönlich anschloss und sich geschichtsphilosophisch stärker als die Erweckten vom Idealismus bestimmen ließ (vgl. dazu Hinrichs, Ranke und die Geschichtstheologie). Einzelne Erweckte haben, wie Johann Christian Konrad Hofmann (vgl. Beckmann, Die fremde Wurzel, 271), bei Ranke studiert. 166 „Vorwort“, EKZ 1836, (1 ff ) 12. 164

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in einem historiographischen Selbstfindungsprozess mit alternativen Geschichtsbildern vermischt werden soll. Die beträchtliche Horizonterweiterung, die die Beschäftigung mit dem historisch Anderen gewährt, bleibt für die Erweckten in den für alle Zeiten gültigen Gesamtrahmen der biblischen Botschaft eingebettet. In dem Bemühen, die Gültigkeit ihrer Theologie und die (partielle) Autonomie einer Epoche zusammenzudenken, äußern die erweckten Geschichtsschreiber immer wieder, es sei wichtig, Geschichtsphänomene „mit dem Standpunkt ihrer Zeit“, das heißt unter Berücksichtigung der jeweiligen Denkund Handlungsmöglichkeiten zu beurteilen.167 Dies wird zwar weder durchgehend versucht noch – etwa mittels Typologisierung historischer „Standpunkte“ – systematisch ref lektiert, es bahnt aber dennoch mehrfach den Weg für ein milderes historisches Urteil. „Es wäre ungerecht“, schreibt Dittmar, „‚den Maaßstab christlicher Moral‘ an Sokrates legen zu wollen […].“168 Über den umstrittenen Papst Gregor VII. meint Neander: „Wir dürfen diesen großen Mann nicht nach dem Standpunkte der reinen evangelischen Erkenntniß, zu dem er durch seinen Bildungsgang nicht gelangt seyn konnte, beurtheilen.“169 Blieben bei Gregor VII. wohl viele Erweckte misstrauisch, so würden sie doch die Wertschätzung Elisabeths von Thüringen teilen, wie sie die Evangelische Kirchen-Zeitung trotz Elisabeths unevangelischem Askeseideal zum Ausdruck bringt. Denn, argumentiert das Blatt, wenn Elisabeth irrte, „so irrte sie mit ihrem Zeitalter und mit sehr vielen edeln Seelen aller christlichen Jahrhunderte“.170 Ernst Kappe kommentiert die gewissenhafte Reliquienverehrung Ludwigs des Heiligen mit den Worten: „Nicht wahr, das ist sonderbar!? Aber Kinder, freuet euch, daß ihr jetzt den rechten Weg zur Seligkeit wissen könnt, und thut so treulich, was Gottes Wort euch sagt, als Ludwig nach seiner geringern Erkenntniß treu war.“171

Ohne den eigenen Standpunkt zu relativieren, wird der historische Akteur von Handlungen exkulpiert, die er nach Ansicht der erweckten Autoren nicht adäquat beurteilen konnte und die daher lediglich dem Zeitalter als Kollektiv anzulasten seien. Der Gedanke, dass auch wohlmeinende eigene Handlungen einmal einem „Irrthum der ganzen Zeit“172 angelastet werden 167

Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837, 103; vgl. 155 f; 169; 178; 188; 204 f; 210; 239. Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, 580; vgl. Bd. III.1, 1848, 62; 495 f. 169 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. V.1, 1841, 108. 170 „Die heilige Elisabeth von Ungarn, Landgräfin von Thüringen und Hessen. (geb. 1207, † 1231.). Skizze aus dem christlichen Leben des dreizehnten Jahrhunderts“, EKZ 1842, (241–247 et al.) 276. 171 Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 59. 172 „Die Grundzüge des Pietismus und sein Einf luß auf die Umgestaltung der Theologie im 18. Jahrhundert“, ZPK 12 N. F. (1846), (133–157) 137 bezeichnet so den Widerstand der Geistlichkeit gegen Spener. 168

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könnten, mag bei manchen Erweckten präsent sein, auch wenn sich viele der eigenen Überzeugungen sicher zu sein scheinen und nur wenige über eigene Zweifel sprechen.173 Wie die erbaulichen Biographien zeigen, denken sie jedenfalls historistisch genug, um sich den Alten nicht grundsätzlich überlegen zu fühlen. 5.7 Wissenschaftlichkeit Auch wenn die herausragenden Profanhistoriker des Zeitalters nicht aus ihren Reihen stammen, sind die Erweckten empirischer Geschichtsforschung gegenüber positiv eingestellt. In praxi werden neuere Forschungen allerdings in sehr unterschiedlichem Maße rezipiert. Das Spektrum reicht von gänzlicher Wissenschaftsabstinenz bis zu Darstellungen auf neuestem Forschungsstand. Unter den Großen der neuen Geschichtsschreibung wird besonders Ranke von gebildeten Erweckten gelesen und – in deutlichem Gegensatz zu populären katholischen Geschichtsmilieus – 174 wegen seiner glänzend geschriebenen, differenziert pro-protestantischen Werke geschätzt. Der Süddeutsche Schul-Bote empfiehlt, wenn auch nur in einer Fußnote, Rankes Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation „aufs angelegentlichste“.175 Die Zeitschrift für Protestantismus und Kirche spricht ihretwegen von „unserm Geschichtschreiber Ranke“.176 Auch Niebuhr wird gelegentlich angesprochen. Die Evangelische Kirchen-Zeitung wundert sich darüber, dass ein theologischer Gegner offenbar seine Römische Geschichte nicht kenne, und unterstreicht deren positive Bedeutung für die Einschätzung des Neuen Testaments.177 Eine spätere Rezension einer posthum herausgegebenen Vorlesung Niebuhrs in derselben Zeitschrift attestiert dem Historiker zwar herausragende Verdienste, bemängelt jedoch neben seinem positiven Napoleonbild die theologieferne Herangehensweise: „[E]ine Zeit, deren größter Geschichtforscher sich in diesem Maße der kirchlichen Betrachtung entledigen kann, legt schon allein dadurch, daß solcherlei möglich ist, ein Zeugniß über sich ab […].“178

173 Etwa Hofmann, Weissagung und Erfüllung, Bd. II, 1844, 340: „Doch gestehe ich, der hier gegebenen Erklärung keineswegs sicher und gewiß zu seyn.“ 174 Vgl. Klug, Rückwendung zum Mittelalter, 411. 175 „Literarischer Bericht“, SSB 9 (1845), (150–152) 151 Fn. 176 „Reformations-Geschichtliches“, ZPK 3 N. F. (1842), (19–34) 19. 177 „Der Bibelverächter in Weimar“, EKZ 1839, (213 f ) 214. 178 „Geschichte des Zeitalters der Revolution. Vorlesungen an der Universität zu Bonn im Sommer 1829 gehalten von B. G. Niebuhr. 2 Bände. Hamburg 1845. 8.“, EKZ 1846, (393–397; 401–406) 395 f.

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In diesem Sinne sind die Innovatoren der deutschen Geschichtswissenschaft in der Erweckungsbewegung bekannt, ohne eine herausragende Rolle zu spielen. Wirkliche Spezialforschung leistet die erweckliche Historiographie selten. Hier liegt der Grund für ihre geringe disziplingeschichtliche Bedeutung. Doch wenigstens einige ihrer Vertreter arbeiten auf Forschungsniveau. So schreibt Blumhardt in seinem Band über die Germanenmission, er habe „vorzugsweise“ die zwei ersten, kürzlich erschienenen Foliobände der Monumenta Germaniae Historica benutzt.179 Die Akribie Neanders, der selbst seine Kirchengeschichte aus den Quellen erarbeitete, zeigt sich in einer beiläufigen Vorwortbemerkung eines Bandes zum Hochmittelalter. Leider, schreibt Neander dort bedauernd, habe er „von den zehn Bänden der Werke des Raimund Lull zwei, die sich nirgends finden lassen, nicht benutzen“ können.180 Leo, wenn auch mehr ein Meister in der Beherrschung großer Stofffülle als quellenkritischer Methodik,181 legte als Geschichtsprofessor doch auch eigene Studien zur Rechts- und Literaturgeschichte vor. Seine Universalgeschichte geht von der Forschungsliteratur aus.182 Auch Dittmar arbeitet in seiner Geschichte der Welt mit Quellen und verweist auf die „ausführlichen und gründlichen Forschungen unserer neusten Historiker“, die er gelesen und eingearbeitet hat, darunter Niebuhr, Wachsmuth, Heeren und Droysen; im Folgeband nennt er Ritter, Arndt, Luden, Menzel, Grimm, Duncker und Waitz.183 Ein populäres Werk wie Barths Geschichte von Württemberg, das nach eigenen Angaben auf „selbstständige historische Forschungen“ verzichtet, nennt und benutzt ebenfalls die damalige Fachliteratur.184 In anderen Fällen, besonders bei den Geschichtsbüchern für Kinder, ist klar, dass die Darstellung ohne Quellenlektüre und lediglich anhand weniger Überblickswerke verfasst worden ist. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Qualität ist die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung also denkbar uneinheitlich. Insgesamt lässt sich im Laufe des Vormärz jedoch, parallel zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft, eine (leichte) Professionalisierung verzeichnen. Nimmt man die Behandlung sagenhaften Materials in der historischen Überlieferung als einen Lackmustest für kritische Geschichtsschreibung, so zeigt sich bei vielen Historiographen der Erweckungsbewegung eine 179

Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 630. Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. V.2, 1845, VI. 181 Vgl. Hans-Christof Kraus, „Leo, Heinrich“, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, (352–354) 353. 182 Er verzichtet allerdings aus politischen Gründen auf die Anführung entschieden liberaler Werke (Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. I, 1835, 35)! 183 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. II, 1847, VI f; Bd. III.1, 1848, IV. 184 Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, III f. So auch Brecht, Barth: Geschichte von Württemberg, 249. 180

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ambivalente Haltung zur historischen Kritik. Einerseits sehen sich die besprochenen Autoren generell als mythenkritisch und unterscheiden explizit zwischen Sage und Historie. „Der Legende und Sage wurde die Wahrheit vorgezogen“, schreibt Barth zu Anfang der eben zitierten Geschichte von Württemberg185 und distanziert sich in seiner Allgemeinen Weltgeschichte von „dunklen, unverbürgten Sagen“ etwa aus der amerikanischen Urgeschichte.186 Mengert bemerkt in seiner Darstellung der Germanenmission, die Geschichte, nach der eine Taube Chlodwig das Fläschchen mit Taufsalböl gebracht habe, sei „eine Sage, die erst später auf kam“.187 Inhaltlich differenzierter als Barth und Mengert, diskutiert Neander auf mehreren Seiten die historischen Argumente für und wider die von Eusebius und anderen überlieferte Kreuzesvision Konstantins vor seinem Sieg an der Milvischen Brücke.188 Die Evangelische Kirchen-Zeitung formuliert in ihrem Lob für C. G. Blumhardts Missionsgeschichte implizit den Mittelweg, den wohl die Mehrheit der erweckten Autoren für außergewöhnliche oder wunderbare Überlieferungen favorisiert. „Besonders“, schreibt sie, „hat uns auch die Vorsicht erfreut, mit welcher die mancherlei Legenden behandelt werden, ohne das Nasrümpfen der neueren Ungläubigen bei Beachtung des Wahrscheinlichen zu scheuen, ohne aber auch sich von dem lockenden Reichthume der Sagen zu sehr hinnehmen zu lassen.“189

Gleichwohl f ließt in die populären Geschichtsdarstellungen der Erweckungsbewegung auch sagenhaftes Material ein. Nicht nur tauchen die zerstrittenen Brüder Romulus und Remus als Romgründer auf,190 einige Autoren berichten auch getreu der lateinischen Tradition, sie seien von einer Wölfin gesäugt worden.191 In ähnlicher Weise wird teilweise von dem Trojanischen Krieg berichtet.192 Die von Erweckten verfassten Geschichtsbücher stehen hier allerdings nicht allein, wie vergleichbare Werke belegen.193 Der Bonner Geschichtsprofessor Johann Wilhelm Loebell schreibt 1846 im Eingangsband zu einer geplanten größeren Weltgeschichte, Herakles, Achill und Romulus hätten zwar nie gelebt, sie hätten aber wegen ihrer Wirk185

Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, IV. Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837, 240; vgl. 24; 44; 58; 60; 84; 239. 187 Mengert, Die ersten christlichen Missionäre, 1844, 9. 188 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. II.1, 1829, 12 ff. 189 „Litterarische Anzeige“, EKZ 1828, 748. 190 Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. I, 1839, 152; Barth, Allgemeine Weltgeschichte, 1837, 84 (mit Einschränkung). 191 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 119; Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 27; Haupt, Weltgeschichte, 1843, 1. 192 Etwa Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 63 f; Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. I, 1839, 79. 193 Z. B. Nösselt, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. I, 31830, 43 ff; 87 zu den beiden genannten Themen. 186

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mächtigkeit „nichts desto weniger den vollen Anspruch auf eine geschichtliche Existenz“ und würden in diesem Sinne berücksichtigt.194 Inwieweit die erweckten Autoren mit Loebells Ansatz übereinstimmen, bleibt Vermutung. Die Antwort dürfte auch hier nicht einheitlich ausfallen. Immerhin belegt die historische Apologie der biblischen Schriften, die die erweckten Geschichtsschreiber entweder selbst betreiben oder befürworten und auf die sie in ihren universalgeschichtlichen Werken gelegentlich verweisen, dass sie keinen antiwissenschaftlichen Geschichtszugang intendieren. Zwar besitzen viele als Laienhistoriker nur begrenzte intellektuelle und zeitliche Ressourcen, die keine professionelle Geschichtsschreibung zulassen, und das homiletisch-pädagogische An liegen lässt akademische Fragen in ihren Werken oftmals zurücktreten. Auch kann darin die empirische Geschichtswissenschaft den Erweckten aufgrund ihres Biblizismus nicht alleinige Erkenntnisquelle für Geschichtsfragen sein. Einen religionsähnlichen Status kann die neue, expandierende Wissenschaft im Denken der Erweckungsbewegung schon deshalb nie erhalten. Die historisch-kritische Auseinandersetzung um die Bibel zeigt jedoch ebenso wie die aufwändigeren, quellenbewussten Geschichtswerke, dass der Glaubenszugang, den die Erweckten zur Geschichte suchen, an der Wissenschaft nicht per se vorbeiführt. Der Antrieb der erweckten Geschichtsschreiber selbst, den eigenen lebensbestimmenden Glauben mit dem historischen Wissenskanon in Beziehung zu setzen und dafür eine Vielfalt an historiographischen Formen zu entwickeln, hat eine wissenschaftsbejahende Seite. Dieser Glaubenszugang ist es jedoch auch, der immer und unabhängig von dem jeweils erreichten intellektuellen Niveau dafür sorgt, dass es bei der bloßen Wissenschaft nicht bleibt. 5.8 Historiographie und Erinnerungsmilieu Das gemeinsame historiographische Grundanliegen und die vielfältigen gegenseitigen Bezugnahmen sprechen dafür, die erweckten Geschichtsschreiber als eine Diskursgemeinschaft anzusehen. Dies wurde in den vergangenen Kapiteln gezeigt. Die von den Teilnehmern dieser Diskursgemeinschaft verfasste Geschichtsliteratur prägte das Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung. Im Sinne der Wechselbeziehung von Angebot und Nachfrage entsprach sie einem Erinnerungsbedürfnis und weckte es zugleich. Auf die oft stattlichen Auf lagenzahlen der Werke wurde bereits hingewiesen. Die Werke erschienen wie die Zeitschriften der Erweckungspresse, angeführt von Steinkopf und Perthes, in einer großen 194 Johann Wilhelm Loebell, Weltgeschichte in Umrissen und Ausführungen, Bd. I, Leipzig: Brockhaus 1846, XII.

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Bandbreite christlicher und allgemeiner Verlage der Zeit. Ihre Leser gehörten unterschiedlichen Bildungsschichten und verschiedenen Altersgruppen an. Teilweise gelang es den Erweckten, ihre Geschichtspublikationen über das eigene Erinnerungsmilieu hinaus zu verbreiten. Insbesondere ist hier der Schulgeschichtsunterricht zu nennen. In Volksschulen wurde das Fach Geschichte zwar in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vernachlässigt und unterblieb oft ganz.195 Wo Geschichte unterrichtet wurde, war aber neben der vaterländischen die biblische Geschichte bestimmend,196 und unter Volksschullehrern waren Erweckte vergleichsweise stark vertreten.197 An den höheren Schulen war das Unterrichtsfach Geschichte mittlerweile etabliert: Nach einem Normallehrplan für das Gymnasium von 1837 wurden Geschichte und Geographie zusammen genommen in sechs Jahren drei, in drei Jahren zwei Stunden pro Woche unterrichtet.198 Obwohl es in der Literatur auch anderslautende Voten gibt,199 messen doch wichtige bildungsgeschichtliche Darstellungen dem christlichen Glauben und selbst der Erweckungsbewegung einen signifikanten Einf luss auch auf die gymnasiale Geschichtspädagogik bei.200 In Preußen und Bayern habe die Schulverwaltung Begriffe aus der „Vorstellungswelt der pietistischen Erweckungsbewegung“ verwendet. Zunehmend, am stärksten von 1840 bis 1872, sei insbesondere das Fach Geschichte „ins Schlepptau der konfessionellen Theologie“ geraten.201 Wenn diese Aussagen auch zugespitzt 195 Vgl. Dörte Gernert, „Einleitung. Der Geschichtsunterricht bis zum Kaiserreich“, in: dies. (Hg.), Schulvorschriften für den Geschichtsunterricht im 19./20. Jahrhundert. Dokumente aus Preußen, Bayern, Sachsen, Thüringen und Hamburg bis 1945, Köln/Weimar/ Wien 1994, (IX–XXIII) X; XV. 196 Vgl. de Vries, Studien zur Vorgeschichte und Geschichte des Geschichtsunterrichts, 66; 70 f. 197 Vgl. Lehmann, Neue Lage, 6. 198 Vgl. Peter Lundgreen, Sozialgeschichte der deutschen Schule im Überblick. Teil I: 1770–1918, Göttingen 1980, 67. 199 Lehmann, Neue Lage, 17: „Auch in den Fächern Deutsch und Geschichte dominierten im gymnasialen Unterricht Themen, die nichts mit der Glaubenswelt der Pietisten zu tun und zu denen Pietisten folglich keine Beziehung hatten.“ Vgl. auch (nicht eindeutig) Helmut Genschel, „Geschichte des Geschichtsunterrichts“, in: Gerold Niemetz (Hg.), Lexikon für den Geschichtsunterricht. Definitionen, Fakten, Tendenzen, Stellenwert, Unterrichtspraxis mit Beiträgen zum Politikunterricht, Freiburg/Würzburg 1984, (56–59) 56. 200 Vgl. Ernst Weymar, Das Selbstverständnis der Deutschen. Ein Bericht über den Geist des Geschichtsunterrichts der höheren Schulen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1961; mit Bezug auf Weymar: Karl-Ernst Jeismann/Peter Lundgreen, Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III: 1800–1870: Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches, München 1987, 199; Margret Kraul, „Gymnasium, Gesellschaft und Geschichtsunterricht im Vormärz“, in: Klaus Bergmann/Gerhard Schneider (Hg.), Gesellschaft. Staat. Geschichtsunterricht. Beiträge zu einer Geschichte der Geschichtsdidaktik von 1500–1980, Düsseldorf 1982, (44–75) 51; 58. 201 Weymar, Selbstverständnis der Deutschen, 118; 103.

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sein mögen, so gehörten Hofmann, Dittmar und Leo doch in den Kanon der an den bayerischen protestantischen Gymnasien verwendeten Schulbuchautoren,202 und Dittmars einbändige Weltgeschichte wurde noch 1870 an 24 norddeutschen Schulen benutzt.203 „Ein Widerspruch gegen den christlichen Geist der Geschichtsbetrachtung kommt in öffentlichen Schulschriften überhaupt jetzt gar nicht mehr vor […]“, heißt es sogar in einem pädagogischen Jahresbericht für Volksschullehrer von 1859.204 Auch in den Schullehrerseminaren, das heißt den Ausbildungsstätten für künftige Volksschullehrer, fanden einige der besprochenen Geschichtsbücher Verwendung. Im Religionsunterricht, dem an preußischen Lehrerseminaren eine Leitfunktion zukam,205 wurde in Bunzlau Milners Kirchengeschichte, in Preußisch Eylau Leipoldts Geschichte der christlichen Kirche gelesen; Zahns biblische Historien fanden die Empfehlung des preußischen Ministeriums.206 Viele Geschichtswerke der Erweckungsbewegung waren jedoch innerkirchliche Literatur und wurden in erweckten Kreisen rezipiert oder von erweckten Pfarrern eingesetzt. Eine mögliche Gelegenheit dazu bot der Konfirmandenunterricht, der nach einer (bewundernden) französischen Stimme von 1844 in Deutschland zumeist auch die Kirchengeschichte einbezog.207 Für diesen Zweck verfasste Emil Wilhelm Krummacher seinen Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, und aus einem solchen Unterricht heraus entstanden Wilhelm Löhes Erinnerungen aus der Reformationsgeschichte von Franken. Aber auch andere Formen geschichtlicher Unterweisung wurden von Pfarrern gepf legt. Johann Christoph Blumhardt etwa bot „Abendunterhaltungen“ für Jugendliche seiner Gemeinde an, um das Interesse der jungen Leute von den „Lichtkärzen“ – abendlichen Zusammenkünften junger Männer und Frauen – abzuziehen, und erzählte dort im Winter 1843/44 die Geschichte der Französischen Revolution.208 Als Christian Gottlob Barth neben seinen pfarramtlichen Aufgaben an der Christlichen Kirchengeschichte arbeitete, trug er davon auch einzelne Abschnitte seiner Gemeinde vor.209 Die „kirchlichen Missionsstunden“, die im Zuge des weltmissionarischen Engagements der Erweckten eingerichtet 202 Vgl. ebd., 126; 129; Schiller, Bemerkungen über den Geschichtsunterricht, 1849, 519 f; 525–528; Körner, Staat und Geschichte, 500. 203 Vgl. Weymar, Selbstverständnis der Deutschen, 129 Fn. 25. 204 Prange, Geschichte, 1859, 189. 205 Vgl. Ewalt Quittschau, Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in den preußischen Lehrerseminaren unter dem Ministerium Altenstein (1817–1840). Ein Beitrag zur Geschichte des Bildungsideals, Gotha 1931, 20; 122. 206 Vgl. ebd., 105; 117. 207 „Histoire de l’Eglise“, Archives 12 IIe série (1844), 207. 208 Vgl. Ising, Blumhardt, 115; 135. 209 Vgl. Werner, Barth, Bd. II, 1866, 302.

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wurden, dienten unter anderem chronologisch fortlaufenden Vorträgen über die ältere und neuere Missionsgeschichte. So jedenfalls wünschte es ein Artikel im Süddeutschen Schul-Boten von 1840.210 Die Tatsache, dass Mengerts Die ersten christlichen Missionäre unter den Teutschen laut Untertitel „als Grundlage der Belehrungen über die Mission in den Missionsstunden“ gedacht war, deutet darauf hin, dass es sich hier nicht nur um einen Wunschtraum handelte. Etliche Missionsgeschichten werden in „Missionsstunden“ benutzt worden sein. Gelegenheit zum internen Gebrauch der Geschichtsliteratur boten auch die Anstalten und Ausbildungsstätten der Inneren und Äußeren Mission, die von Erweckten mit Hingabe errichtet und unterhalten wurden. Wie die sich dort herausbildende theologische Schultradition 211 ist auch ihre Geschichtspädagogik bislang unzureichend erforscht. Die notwendige Untersuchung wäre, wie diejenige über den Erweckungsbezug im schulischen Geschichtsunterricht, eine eigene Arbeit, die Archivstudien erfordern und hinsichtlich der Quellen wohl auch an Grenzen stoßen würde. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass in den Ausbildungsstätten der Erweckungsbewegung geschichtliches Denken gefördert wurde. Auch wenn Handwerker die Hauptlast der Missionsarbeit trugen – Karl von Raumer vergleicht das „daheim Bleiben der Theologen“ mit dienstmüden Soldaten, die das Kriegführen engagierten Zivilisten überlassen –,212 lag den Missionsseminaren eine wissenschaftliche Ausbildung ihrer Kandidaten am Herzen. Historische Fächer wurden darin bewusst eingeschlossen. Das größte Seminar im deutschsprachigen Raum, das Basler Missionsinstitut, das zwischen 1816 und 1847 262 „Zöglinge“, davon die Hälfte Württemberger,213 für eine Aufgabe im fernen Ausland vorbereitete, trug zu einer „Professionalisierung der Ausbildung der Missionare“ bei.214 Man versuchte, die schulischen Defizite der Bewerber durch intensives Lernen wettzumachen und, nach Aussage Wilhelm Hoffmanns, in fünf Jahren zu vermitteln, „was sonst in 10–12 Jahren gelernt“ werde.215 An historischen Fächern waren im Kurrikulum drei Jahre „Biblische Geschichte“ und zwei Jahre „Weltgeschichte“ vorgesehen.216 Aber auch 210

„Literarischer Bericht: Kirchengeschichte“, SSB 4 (1840), 126. Vgl. Benrath, Erweckung, 155. 212 Karl von Raumer, „Das protestantische Missionswesen in Deutschland“, in: ders., Kreuzzüge, Bd. I, Stuttgart: Liesching 1840, (178–189) 179. 213 So berichtet in einer Kleinschrift Wilhelm Hoffmann, Die Evangelische MissionsCommittee zu Basel an ihre mitverbundenen Freunde in Württemberg, Basel 1847, 4. 214 Hermann Wellenreuther, „Pietismus und Mission. Vom 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts“, in: Lehmann (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 4, Göttingen 2004, (166–193) 173. 215 Hoffmann, Evangelische Missionsgesellschaft, 1842, 27. 216 Hoffmann, Evangelische Missions-Committee, 1847, 6. 211

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„Kirchengeschichte“ und „Geschichte der heidnischen Religionen“ gehörten in den Fächerkanon,217 und man hatte von Anfang an „Privatlektüre der Missionsgeschichte“ einkalkuliert.218 Blumhardts Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte wurde ursprünglich für die Lehre am Basler Institut konzipiert.219 Ähnliches findet sich in anderen Missionsinstituten. Das Seminar der Rheinischen Mission unterrichtete unter anderem „Geschichte des Reiches Gottes“, „Christliche Kirchengeschichte“ und „Missionsgeschichte“.220 Die Schüler des Berliner Missionsseminars waren gehalten, als Gasthörer bei Professoren wie Neander und Hengstenberg Kolleg zu hören.221 Auch die Innere Mission schätzte den geschichtlichen Unterricht: In Wicherns „Gehülfen-Institut“, das eine vierjährige Ausbildung für künftige Hausväter und Vorsteher von Rettungsanstalten und für Kolonistenprediger durchführte, gehörten „Weltgeschichte“, „Geschichte des Alten und Neuen Testamentes“, „Entwicklungsgeschichte des Reiches Gottes in der heiligen Schrift“ und „Kirchengeschichte (für die Colonistenprediger speziell Reformationsgeschichte)“ zu den vorgegebenen Fächern.222 In Fliedners Diakonissengemeinde wurde zeitweise täglich eine Viertelstunde aus dem von ihm herausgegebenen Märtyrerbuch vorgelesen.223 Nicht in allen pädagogischen Anstalten der Erweckungsbewegung wurden die Studien großgeschrieben. Johann Evangelista Gossner, der Gründer einer eigenen Missionsgesellschaft, vor allem aber die Herrnhuter bevorzugten eine weniger theoretische Missionsausbildung.224 Raumer bedauerte mit Hinweis auf die umfassend gebildeten Reformatoren, dass viele Herrnhuter Missionare wissenschaftliche Bildung infolge 217 Das breite Fächerspektrum der vier Hauptunterrichtsjahre dokumentiert Hoffmann, Evangelische Missionsgesellschaft, 1842, 31: „Der Unterricht dieser Classen erstreckt sich über die lateinische, griechische, hebräische, arabische (oder Sankrit-) und englische Sprache, über Rechnen, Geometrie, Erdkunde mit naturwissenschaftlichen Fächern, deutsche Sprachlehre, Weltgeschichte, über die Erklärung des Alten und Neuen Testamentes im Grundtexte, die Kirchengeschichte, die christliche Glaubens- und Sittenlehre, die Geschichte der heidnischen Religionen, die genauere Kenntniß der Heidenvölker und die Wissenschaft von der Mission. Außerdem werden Musik, Gesang, Zeichnen, die Grundbegriffe des kaufmännischen Rechnungswesens geübt. Im Predigen und Katechisiren finden Uebungen in der Anstalt und einer Stadtschule mit Anleitung dazu statt.“ 218 Vgl. Schlatter, Geschichte der Basler Mission, 30. 219 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. I, 1828, IX f. 220 Vgl. Gustav Menzel, Die Rheinische Mission, Wuppertal 1978, 27. 221 Vgl. Julius Richter, Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft 1824–1924, Berlin 1924, 36. 222 Johann Hinrich Wichern, Nachricht über das Gehülfen-Institut, als Seminar für die innere Mission unter deutschen Protestanten, im Rauhen Hause zu Horn bei Hamburg, Hamburg: Perthes-Besser & Mauke 1843, 12 f. 223 Vgl. Gerhard, Fliedner, Bd. 2, 440. 224 Vgl. Wellenreuther, Pietismus und Mission, 174.

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des „Unglaubens der Universitäten“ gänzlich ablehnten.225 Auch in Basel, Berlin oder Barmen wird mancher eher praktisch veranlagte Kandidat das umfangreiche Unterrichtspensum nicht nur mit Begeisterung betrachtet haben.226 Dennoch erzielte der geschichtliche Unterricht an den Missionsseminaren vermutlich respektable Ergebnisse. Das (etwas jüngere) Protokoll einer mittelmäßig benoteten Ordinationsprüfung zweier Berliner Missionszöglinge spricht jedenfalls dafür, dass ein beachtlicher historischer Bildungsstand erreicht werden konnte.227 Die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung war hier – wie in Schule, Kirche und Haus – in Gebrauch. Zum Teil wurde sie auch, wie für die Calwer Kirchengeschichte erwähnt, durch Übersetzungen auf das Missionsfeld exportiert. Anders war die Stellung der Historiographie der Erweckungsbewegung in der Wissenschaft. In einzelnen Fällen attestierten theologische Gegner den Werken zumindest eine große Bedeutung. Auf Baurs Einschätzung von Neander als Kirchenhistoriker und – auf dem separaten Feld biblischer Exegese – Strauß’ Behandlung von Olshausen als Neutestamentler wurde bereits hingewiesen. Aufs Ganze gesehen brachte die Erweckungsbewegung jedoch kaum Geschichtsschreiber von höchstem Niveau hervor. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass das erweckliche Erinnerungsmilieu sein Zentrum nicht an den Universitäten hatte und viele seiner Geschichtsschreiber zwar akademisch gebildet, aber keine professionellen Historiker waren. Wenn Wilhelm Giesebrechts Einschätzung von 1859 zutrifft, dass die Deutschen seit Niebuhr „keinen großen Geschichtsschreiber“ mehr gehabt hätten, der nicht „zugleich auch Forscher in hervorstechendem Sinne“ gewesen sei,228 dann besaß die Erweckungsbewegung wenig große Geschichtsschreiber. Obwohl die Erweckten insbesondere für die kirchen- und missionsgeschichtlichen Biographien Quellenforschung betrieben, trugen sie zur Erforschung der allgemeinen Geschichte wenig bei und konnten sich daher auch als Profangeschichtsschreiber keinen Namen machen. Die Geschichtswerke der Erweckungsbewegung beeinf lussten aber auch deshalb kaum den Hauptstrom der Geschichtsschreibung, weil sie mit ihrer dezidiert christlichen Perspektive auf Leser zugeschnitten waren, die diese Weltsicht teilten oder sich mit ihr auseinandersetzen wollten. Es war daher unvermeidlich, dass die Zeit ihrer größten Verbreitung und Wirkung mit 225

Raumer, Das protestantische Missionswesen, 1840, 185 f. Rohden, Geschichte der Rheinischen Missions-Gesellschaft, 31888, 41. 227 Albert Petri, Die Ausbildung der evangelischen Heidenboten in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung des Berliner Missions-Seminars und einem Anhange über evangelische Missionsanstalten außerhalb Deutschlands. Denkschrift, Berlin: Missionshaus 1873, 143–149. 228 Wilhelm Giesebrecht, „Zur Charakteristik der heutigen Geschichtsschreibung in Deutschland“, HZ 1 (1859), (1–17) 12. 226

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Literatur- und Diskursgeschichte

dem Höhepunkt der gesellschaftlichen Rechristianisierung zusammenfiel. Als die vormärzliche Erweckung in der zweiten Jahrhunderthälfte einer erneuten Dechristianisierung wich,229 war damit zwangsläufig ein Bedeutungsverlust biblisch-christlichen Geschichtsdenkens verbunden. Auch gehörte den von den Erweckten bevorzugten historiographischen Gattungen Weltgeschichte, biblische Historie, Kirchen- und Missionsgeschichte, exemplarische Biographie oder Bibelapologie im akademischen Bereich nicht die Zukunft. Einige von ihnen waren so stark von den Zügen der Erweckung geprägt, dass sich die nachweislichen Parallelen zu anderen Geschichtsströmungen wie Historismus, Konservativismus oder Romantik nachrangig ausnehmen, und interessierten primär entschiedene Christen, nicht aber das allgemeine bildungsbürgerliche Publikum. Sie schufen damit ein eigenes historiographisches Milieu. Dieses Milieu lässt sich am besten mit dem katholischen Geschichtsmilieu des Vormärz vergleichen, in dem sich ebenfalls, wenn auch in vieler Hinsicht anders, „die Grenzen zwischen Wissenschaftsanspruch, Apologie und Erbauung“ verwischten.230 Innerhalb dieses Gesamtrahmens hat die Erweckungsbewegung in den postnapoleonischen Jahrzehnten gleichwohl eine bemerkenswerte Geschichtsliteratur hervorgebracht, die das eigene christliche Selbstverständnis erinnerungsgeschichtlich unterfütterte, historisch legitimierte und in verschiedener Form lebensweltlich konkretisierte.

229 Vgl. hierzu etwa Lehmann, Neupietismus und Säkularisierung, 42; ders./Hutchison, Concluding Ref lections, 288. 230 So umschreibt Klug, Rückwendung zum Mittelalter, 136 eines der „Hauptmerkmale der historisch-politischen Kultur des Katholizismus des Vormärz“.

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II. C. G. Barths „Die allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen bearbeitet für nachdenksame Leser“ (1837) – Detailanalyse eines Geschichtsbildes Die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung zeichnet sich nicht nur, wie gesehen, durch charakteristische Formen und Herangehensweisen, sondern auch durch typische Inhalte und Deutungsmuster aus. Sie sollen im Teil III vorgestellt werden. Dabei ist angesichts des großen und heterogenen Quellenkorpus eine Begrenzung auf Schwerpunktthemen unvermeidlich. Dies kann leicht zu einer einseitigen Sichtweise führen. Um wenigstens ein erweckungschristliches Geschichtsbild in seiner Gesamtheit zu erfassen, soll deshalb zuerst der umgekehrte Weg beschritten und eine Schlüsselquelle im Detail analysiert werden. Hierfür ist die 1837 erstmals erschienene und mehrmals neu aufgelegte Allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen von Christian Gottlob Barth, die in der Forschung bislang noch nicht aufgearbeitet wurde, besonders geeignet. Barth war keine Randfigur, sondern eine bedeutende Gestalt der württembergischen Erweckungsbewegung und ein Motor sowohl der Erweckungspresse als auch der Inneren und Äußeren Mission. Für die Auswahl der Allgemeinen Weltgeschichte spricht neben ihrem Verfasser, dass die Gattung Universalgeschichte ein besonders breites Spektrum an historischen Informationen und Interpretationsmustern bietet und dass die Allgemeine Weltgeschichte von allen narrativen Geschichtsbüchern der Erweckungsbewegung das wohl am stärksten geschichtstheologisch und -theoretisch ref lektierende Werk ist. Eine eingehende Analyse des Buches lohnt daher den Aufwand. Die 373 Seiten schmale Allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen ist trotz ihrer Theorienähe kein akademisches, sondern ein populäres Werk. Sie markiert daher auch keinen Gipfelpunkt im Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung, illustriert dafür jedoch umso stärker, wie für eine soziologisch breitere Leserschaft innerhalb der Erweckungsbewegung Weltgeschichte gedeutet werden konnte. Die späteren Kapitel werden zeigen, dass Barths Allgemeine Weltgeschichte selbstverständlich nicht in jeder Hinsicht das Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung verkörpert. Mit seinem Hang zur erkenntnisoptimistischen, mitunter spekulativen Gesamtschau der Geschichte, die in der Bibel einen Wegweiser der Universalgeschichte sieht, geht Barth über viele Vertreter der Erweckungs-

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

bewegung, beispielsweise seinen Freund Ludwig Hofacker, der für einen anderen Ansatz steht,1 hinaus. Auch vertritt Barth eine spezielle württembergisch-pietistische Eschatologie, die keineswegs alle Erweckten teilen, und setzt in seinen historisch-politischen Ausführungen eigene Schwerpunkte. Dennoch kann die Allgemeine Weltgeschichte als hervorragendes Beispiel gelten, das nicht nur den Gedanken der „Geschichtspredigt“ repräsentiert, sondern auch in vielen Fällen zusammenfasst, was andere Erweckte zu Geschichtsthemen denken. Dem Nachteil der Begrenzung auf ein einziges Werk steht hier der Vorteil gegenüber, einen für die Erweckungsbewegung bedeutsamen universalgeschichtlichen Gesamtentwurf statt nur Einzelaspekte verschiedener Texte nachzeichnen zu können. Vorarbeiten gibt es wenige: Die Allgemeine Weltgeschichte wurde von Hartmut Lehmann 2 und von Werner Raupp3 jeweils in einem weiteren Zusammen1 Ludwig Hofackers zehn Jahre zuvor an Barth und Karl August Osiander ergangene Mahnung, sich „aus der Speculation in die Erfahrung“ führen zu lassen (vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 157 f ), hätte für Hofacker wohl auch in der Allgemeinen Weltgeschichte eine Anwendung gefunden. Seine Zurückhaltung gegenüber einer weltgeschichtlich-prophetischen Ausdeutung der Bibel zeigt sich etwa in einer Predigt über die Sendschreiben aus Offenbarung 2 und 3 (Hofacker, Predigten, Bd. II, 1831, 1326): „Schon Manche behaupteten, jene Briefe beziehen sich nicht allein auf jene Gemein-Vorsteher, sondern es seyen geschichtliche prophetische Briefe, welche die Geschichte der christlichen Kirche und die Entwicklung ihrer Zeitläufe enthüllen. Ohne uns darauf weiter und tiefer einzulassen, wollen wir dasjenige herausheben, was uns dienlich ist zur Förderung unserer Erbauung und zur Kräftigung und Stärkung unsers inwendigen Menschen.“ Nach Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 171 f sollte Hofackers „Erfahrungstheologie […] in der Folgezeit die Oberhand gewinnen. […] Osianders spekulativer Biblizismus wurde unter den pietistischen Pfarrern Württembergs im Wesentlichen nur noch von seinem Freund Barth weitergetragen.“ Allerdings blieben Deutungen wie die von Hofacker erwähnte (in der Allgemeinen Weltgeschichte nicht relevante) kirchengeschichtliche Auslegung der Sendschreiben in der Erweckungsbewegung präsent (etwa Keith, Erfüllung, 1844, 386). 2 Vgl. Hartmut Lehmann, „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Geschichtsdenken des Württembergischen Pietismus“, in: Heinz Löwe (Hg.), Geschichte und Zukunft. Fünf Vorträge, hg. im Auftrag des Fachbereichs Geschichte der Universität Tübingen, Berlin 1978, 57–73. In dem Tübinger Festvortrag von 1977 bespricht Lehmann die Allgemeine Weltgeschichte (65 f ) im Kontext einer eschatologischen Traditionslinie des württembergischen Pietismus, die er von Johann Albrecht Bengel (1687–1752) über Friedrich Christoph Oetinger (1702–82), Magnus Friedrich Roos (1727–1803) und Johann Michael Hahn (1758–1819) bis ins 20. Jahrhundert auszieht. Dabei verwende Barth „die von Bengel geprägten Periodisierungen und Wertungen“ (65). Lehmann unterstreicht Barths Überzeugung von Gottes Richteramt, providentieller Herrschaft und ausstehendem endzeitlichen Wirken. Er sieht Barths Geschichtsbücher dabei als ein eher seltenes Unternehmen der württembergischen Pietisten, das nach 1848 keine Nachfolger gefunden habe; man habe vielmehr „wieder ausschließlich auf die biblischen Weissagungen und die Zeichen der Zeit“ zurückgegriffen (66). Schwaiger, Christliche Geschichtsdeutung, 155 f referiert diese Aussagen Lehmanns zur Allgemeinen Weltgeschichte. 3 Werner Raupp, Christian Gottlob Barth. Studien zu Leben und Werk, Stuttgart 1998. Auch wenn sich Raupps wichtige Studie auf Barths frühe Biographie (1799–1824) konzentriert und daher die Allgemeine Weltgeschichte nicht eigens behandelt, liefert sie wertvolle In-

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

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hang mitbehandelt, von der Forschungsliteratur jedoch noch nicht eingehender thematisiert. Das folgende Kapitel soll diese Forschungslücke schließen. Dabei sind wichtige Aspekte zur historiographischen Einordnung in den Kapiteln I.1 und I.5 bereits gesagt. Im Folgenden wird es daher nach einem Abschnitt zum Hintergrund der Schrift um eine inhaltliche Darstellung des in der Allgemeinen Weltgeschichte vermittelten Geschichtsbildes gehen.

formationen zu Auf lagen und Rezensionen des Werkes (222) und zitiert es mehrmals im Zusammenhang der Kurzdarstellung von Barths heilsgeschichtlicher Reich-Gottes-Theologie (155–174). Insgesamt sieht Raupp in Barths Denken eine gleichsam exemplarische Begegnung von Christentum und Moderne verwirklicht, wobei er Barths Überzeugungen psychologisiert („von Auf klärung und Säkularisierung aufgewühlt und verängstigt“) und einseitig deren defensiv-antimodernistische Seite betont (158). Barth war nach Raupp ein großenteils „ahistorisch gesinnter religiöser Historiker“, der die Erweckungsbewegung und sich selbst auf die Geschichte projiziert habe (165). Raupp greift dabei auch zu pejorativen Vokabeln wie „(geknechtete) Vernunft“ (158), „spiritualistisch orientierte ‚Bloß-am-WortGottes-bleiben-Theologie‘“ (162), „hochgradig manipuliertes Geschichtsbild, das romantisches Gepräge besitzt und wunderliche, ja groteske Züge trägt“ (165) und „Gigantomanie“ (172). Einer ausgewogenen Beurteilung hätte mehr Nüchternheit gut getan. Raupp äußert andererseits Hochachtung für Barths Schaffenskraft (175) und ökumenischen Anti-Konfessionalismus (151), sein „vorbildliches Engagement auf diakonisch-sozialem Gebiet“ (149) und seine „Glaubwürdigkeit“ (176).

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

1. Hintergrund des Werkes 1.1 Entstehung und zeitgenössische Rezeption Kenntnis über die Entstehungsgeschichte, wenn auch nicht das Geschichtsbild der Allgemeinen Weltgeschichte verdanken wir Barths damaligem Freund und Briefpartner Karl Werner.1 Barth, der eine aus christlicher Perspektive verfasste Weltgeschichte für Schulen und Familien für eines der dringlichsten Bedürfnisse des Buchmarktes, sich selbst aber für nicht ausreichend kompetent für ein solches Projekt hielt, hatte seit längerem nach einem Verfasser gesucht, aber niemanden finden können. So nahm er sich schließlich doch selbst der Aufgabe an und widmete ihr von Februar bis Mai 1836 jeweils den Vormittag. Für eine Weltgeschichte für höhere Schulen und Gymnasien, die ihm ebenso zu fehlen schien, hielt er sich nach wie vor nicht geeignet.2 Ein Buch für Volksschulen schien dem Kinderbuchautor einfacher und vom fachhistorischen Aufwand her eher zu bewältigen. Tatsächlich erfüllten sich jedoch Barths eigene Erwartungen an sein Werk nicht. Am 18. März schrieb er: „An meiner Weltgeschichte wird morgen die Zeit vor Christus, der dritte Theil des Ganzen, fertig. Sie fällt aber gar nicht nach meinem Wunsche aus, und wird mir unter den Händen zu etwas ganz Anderem, als ich wollte. Nicht populär, nicht für Kinder brauchbar, zu wenig Thatsächliches, Specielles, zu viel Abstraktes, zu viel Uebersichten, Ref lexionen u.s.w. Gott erbarm’s! Aber ich weiß nicht zu helfen.“

Aufgrund dieser zu theoretisch, zu wenig materialgesättigt geratenen Konzeption änderte Barth seinen Plan und bestimmte seine Schrift „für nachdenksame Leser“. „‚Den Plan Gottes in der Geschichte der Menschheit nachzuweisen, das ist das Pensum dieses Buchs‘, sagte er, ‚und in sofern kann es als Zugabe und Maßstab aller andern Geschichtswerke von Schullehrern, Seminaristen, Missionszöglingen u. dgl. gebraucht werden.‘“3

Die für ein Schulbuch ungeeignete Konzeption der Allgemeinen Weltgeschichte wird sich für den Zweck einer Geschichtsbild-Analyse als glücklich erweisen: Kein gewöhnliches Schulbuch liefert eine solche Fülle von Kommentaren und Interpretationen mit Bezug zum jeweiligen weltgeschicht1

Werner, Barth, Bd. II, 1866, 325–327; 344 f. „Diese Arbeit ist zu schwer für mich und ich muß warten, bis der HErr einen Mann dazu erweckt“ (zitiert ebd., 325). 3 Ebd., 326. 2

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Hintergrund des Werkes

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lichen Gesamtentwurf wie das Werk von Barth. Bis er in Johann Christoph Blumhardt den passenden Verfasser für die nun im Vorwort angekündigte populäre Weltgeschichte gefunden hatte, deren Ton nicht „um eine Oktave zu hoch“ war, wie es 1843 heißt,4 vergingen freilich noch Jahre. Die Allgemeine Weltgeschichte erschien 1837 wie schon einige frühere Barth-Schriften anonym, wenn auch an wenigen Stellen 5 die erste Person Singular auf einen sehr konkreten Autor schließen ließ, den Rezensenten auch einzuordnen wussten.6 Dies kann man mit einigem Recht als Bescheidenheitsgestus oder als verlegerisches Spiel interpretieren; der Grund lag aber noch wahrscheinlicher darin, dass Barth von der Allgemeingültigkeit seines Anliegens so überzeugt war, dass er (trotz Eingeständnis der eigenen historiographischen Schwächen in der Vorrede) nicht den Eindruck erwecken wollte, hier ginge es lediglich um seine subjektive Meinung. Die erste Auf lage von 5000 Exemplaren war schnell vergriffen,7 was sicher nicht zuletzt mit dem günstigen Preis von 21 bzw. im Buchhandel 28 Kreuzern und einem Freiexemplar auf zwölf gekauften Büchern zusammenhing. Der erschwingliche Kaufpreis der Calwer Schriften gehörte zum Verlagsprogramm und wurde, wie erwähnt, zum Teil sogar durch Spendensammlungen Barths gedeckt.8 Ein Rezensent der Allgemeinen Weltgeschichte bemerkte, vor unfreiwilligem Nachdruck sei das kostengünstige Buch bei einem solchen Preis wohl sicher.9 Auch die Wahl der verlegerischen Strategie war auf eine möglichst weite Verbreitung ausgelegt: Mit Steinkopf als Kommissionsverlag standen Barth für die Allgemeine Weltgeschichte neben dem Calwer Verlagsverein auch die Vertriebswege des wichtigsten evangelischen Verlags in Stuttgart zur Verfügung.10 Zur optimalen Verbreitung des Buches gehörte seine Übersetzung in fremde Sprachen, welche durch Barths vielseitige internationale Erweckungs- und Missionskontakte erheblich erleichtert wurde. An Übersetzungen der Allgemeinen Weltgeschichte sind eine arabische, chinesische, englische, kanaresische, karenische, norwegische, schwedische, slowaki4 5 6

Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, III. III f; 6. „Weltgeschichte“, Homiletisch-liturgisches Correspondenzblatt 14 (1838), (202–206)

203. 7

Allgemeine Weltgeschichte 31842, V. Werner, Barth, Bd. II, 1866, 282 f. 9 „Weltgeschichte“, Homiletisch-liturgisches Correspondenzblatt 14 (1838), 203. 10 Zu Steinkopf bzw. Kommissionsverlagen vgl. Karl Gutzmer, „Steinkopf, J. F.“, LGB 2, Bd. VII (2007), 235; Klaus Peters, „Kommissionsverlag“, LGB 2, Bd. IV (1995), 291 f. Vgl. auch den Hinweis von Werner, Barth, Bd. II, 1866, 234: „[Die Bücher] sollten in Stuttgart gedruckt, aber von Calw aus versendet werden.“ Zum Calwer Verlagsverein vgl. Martin Brecht, Die gute Botschaft wichtig und deutlich zu machen. Vortrag anlässlich der Feier des 150-jährigen Bestehens des Calwer Verlags (1836–1986) am 10. Oktober 1986 gehalten, Stuttgart 1986. 8

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sche, türkische und eine auf Marathi bekannt.11 Barths Geschichtsbücher dürften mit solcherlei Verbreitung „in manch jungen Missionskirchen […] nicht zuletzt bei der Entstehung eines christlichen Geschichtsbewusstseins mitgeholfen haben“, wie Raupp meint,12 wenn auch Barths eurozentrische Perspektive auf die Weltgeschichte für ein außereuropäisches Publikum alles andere als kontextgerecht genannt werden kann. In der süddeutschen Erweckungspresse wurde die Allgemeine Weltgeschichte auch besprochen.13 Im Christen-Boten vom 23. April 1837 wird sie in einem „Bücherbericht“ kurz genannt und mit den Worten empfohlen, sie eigne sich, obwohl nicht als Schulbuch konzipiert, „doch für die confirmirte Jugend der mittleren Stände, für Schullehrer, überhaupt für Leser aus allen Ständen, welche nicht ganz aller zum Verständniß einer Weltgeschichte erforderlichen Vorkenntnisse entbehren“.

Es gebühre ihr dabei „das Verdienst, entschiedener und folgerichtiger als irgend eine früher für die Jugend bearbeitete Weltgeschichte die biblischen Grundsätze auf die Betrachtung und Behandlung der Weltgeschichte angewendet zu haben“.14

Etwas ausführlicher ist die Rezension im Homiletisch-liturgisches Correspondenzblatt, die die Allgemeine Weltgeschichte entgegen Barths eigener Einschätzung als „Jugendschrift“ charakterisiert und nachdrücklich empfiehlt. Sie moniert nur, das Werk habe aufgrund seiner Kürze andere Lehrbücher nicht, wie erhofft, gänzlich ersetzen können. Eine theologische Differenz besteht bei Barths Glauben an eine buchstäbliche Wiederherstellung und zukünftige heilsgeschichtliche Bedeutung des Staates Israel, den der Rezensent nicht teilt.15 Der Süddeutsche Schul-Bote meint, die Schrift eigne sich „nicht für die Schüler, wie der Titel zeigt, wohl aber für Lehrer“.16 Nach Aussage von Sixt Carl Kapff wurde die Allgemeine Weltgeschichte zumindest in Korntal und Wilhelmsdorf auch als Grundlage des Geschichtsunterrichts verwendet.17

11

Vgl. Raupp, Barth, 222 f. Ebd., 159. 13 Barth schreibt im Vorwort zur 2. Auf lage 1839, ihm sei an Rezensionen „nur eine zu Gesicht gekommen“; Anlass zu wichtigen Veränderungen habe er bislang noch nicht gehabt (Allgemeine Weltgeschichte 31842, VI). 14 „Bücherbericht“, ChB 7 (1837), 167 f. 15 „Weltgeschichte“, Homiletisch-liturgisches Correspondenzblatt 14 (1838), 202–206. 16 „Calwer Schulschriften-Verein. (Zugleich Anzeige dieser Schriften.)“, SSB 2 (1837/38), (140–142) 141. Bei Raupps Angaben zur Besprechung der Allgemeinen Weltgeschichte in SSB 1841 (Barth, 222) dürfte ein Druckfehler vorliegen, da es die Seiten 265–269 nicht gibt. 17 Kapff, Die Württembergischen Brüdergemeinden, 1839, 182. 12

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Hintergrund des Werkes

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1.2 Quellen „Auf selbstständige historische Forschungen hat sich der Verfasser nicht eingelassen; ein Volksbüchlein hält sich an das Vorhandene, Anerkannte“,

schrieb Barth sechs Jahre nach der Allgemeinen Weltgeschichte im Vorwort zu seiner Geschichte von Württemberg.18 Wenn in jener auch ein vergleichbarer Satz fehlt, so ist doch nichts wahrscheinlicher, als dass in diesen Zeilen auch Barths Vorgehensweise beim Abfassen seiner Weltgeschichte beschrieben ist. Dass der vielbeschäftigte Verlagsleiter und 1836 noch amtierende Gemeindepfarrer19 keine eigenen Quellenforschungen betrieb, wenn man von Bibelstudien absieht, liegt zumal bei einer Weltgeschichte auf der Hand. Barths Interesse lag auch anderswo. Das Büchlein war nach einer Bemerkung in der Vorrede vor allem für solche gedacht, die „lernen wollen, auf welche Weise das reichere Material, das ihnen andere Geschichtswerke darbieten, zu ordnen und zu betrachten sey“.20 Zweimal werden in der Allgemeinen Weltgeschichte Primärquellen für die gegebenen Informationen angedeutet21 und einmal explizit genannt.22 Barth hat die Texte allerdings wohl nicht im Original gelesen. Damit ist die Frage nach den Quellen der Allgemeinen Weltgeschichte, hier also den benutzten Geschichtsdarstellungen, noch nicht geklärt. Aus dem Werk selbst lässt sie sich mangels Bezugnahmen und Quellennachweisen – Barth verzichtet grundsätzlich auf eine wissenschaftliche Diskussion innerhalb seiner Darstellung – nicht beantworten. Es fehlt auch ein der im Vorwort der Geschichte von Württemberg aufgeführten Autorenliste 23 vergleichbarer schmuckloser Literaturhinweis. Archivarbeiten, die den Umfang dieser Arbeit gesprengt hätten, dürften Verbindungslinien zwischen Barths Allgemeiner Weltgeschichte und den Vorlesungen seiner gymnasialen und akademischen Lehrer aufweisen, die sein historisches Grundwissen prägten.24 Durch den Verlust des Barth-Nachlasses im Zweiten Welt18

Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, III. Nach Werner, Barth, Bd. II, 1866, 341 f klagte Barth über permanente Arbeitsüberlastung. 20 IV. 21 55 („Andere Nachrichten […]“); 277 Fn. („Nach andern Berichten […]“). 22 70 („Der jüdische Geschichtschreiber Josephus erzählt […]“). 23 Barth, Geschichte von Württemberg, III f. 24 Barth besuchte seit 1810 in Stuttgart das renommierte königliche „Gymnasium illustre“, wo er u. a. eine solide klassisch-philologische Bildung erhielt und auch in Geschichte unterrichtet wurde (vgl. Raupp, Barth, 76–80, bes. Fn. 154). Während seines viersemestrigen Tübinger philologisch-philosophischen Grundstudiums vor Beginn des eigentlichen Theologiestudiums, bei dem er freiwillig noch medizinische Veranstaltungen besuchte und Arabisch lernte, hörte Barth 1817/18 auch eine zweisemestrige Vorlesung über „Allgemeine Weltgeschichte“. Die Vorlesung hielt der hegelkritische Historiker Christian Friedrich 19

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

krieg 25 sind die von Barth später gelesenen Geschichtswerke ebenfalls kaum mehr auszumachen. Für die vorliegende Analyse ist dies jedoch nicht von Bedeutung, ist doch das eigentlich Interessante an Barths Arbeit nicht das mehr oder weniger konventionelle universalgeschichtliche Material, sondern dessen „biblische“ Bearbeitung. Bekannt ist jedenfalls, dass Barth das Manuskript vor der Drucklegung mehreren „fachkundigen Freunden“ zur gründlichen Durchsicht überließ.26 In den historischen Daten und Fakten ist die Allgemeine Weltgeschichte daher zuverlässig, wenn sich auch einzelne Fehler finden.27 Für sein eigentliches Anliegen, eine dezidiert christliche Weltgeschichte zu schreiben, die zugleich der „neueren Wissenschaft“ zugehöre,28 hat Barth nach eigenen Angaben gar nicht auf Vorgänger zurückgreifen können. Hier einen Stein ins Rollen zu bringen, war für ihn der Grund gewesen, zur Feder zu greifen. Zwei Ausnahmen macht er allerdings: Zum einen wird en passant und ohne Kommentar „das Werk von Braunschweig“ erwähnt, zweifellos die unter I.1.2 dargestellten Umrisse einer allgemeinen Geschichte der Völker von 1833.29 Andreas Bräms dort ebenfalls vorgestellte Aufsatzsammlung Blicke in die Weltgeschichte und ihren Plan von 1835 wird demgegenüber als „treff liche Schrift“ bezeichnet, welche „f leißig benützt“ worden sei.30 Barth fand also in Bräm, der zu seinem Freundeskreis zählte,31 einen wichtigen Ideengeber für seine Darstellung. Dies betrifft mehrere Bereiche. So finden sich Bräms Grundgedanken zu den „barbarischen Nationen […] außer dem Schauplatze der Geschichte“ ebenso in der Allgemeinen Weltgeschichte wie seine geschichtstheologische Interpretation des noachitischen Fluches und der danielischen Weltreichelehre mit einer Rösler (1736–1821, O. Prof. 1777–1821). Barths Noten bei den Vorlesungsprüfungen sind nicht mehr bekannt (ebd., 97 f ). Rösler, der von kirchengeschichtlichen Arbeiten zur Universalgeschichte gekommen war, war nach Karl Klüpfel stark dem Anekdotischen zugetan, könne aber dennoch als „der erste wirkliche Historiker, den Tübingen besaß“ gelten (Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen, Neudruck der Ausg. Tübingen 1849, Aalen 1977, 210 f ). Während des theologischen Studiums besuchte Barth dann 1819/20 eine (wohl zweisemestrige) Kirchengeschichtsvorlesung bei dem historischen Theologen und Dogmatiker Ernst Gottlieb Bengel (1769–1826, A.o. Prof. 1806, O. Prof. 1810), einem Vertreter der supranaturalistischen Älteren Tübinger Schule (Raupp, Barth, 100; 103). 25 Vgl. Raupp, Barth, 177. 26 Werner, Barth, Bd. II, 1866, 326 f. 27 Der amerikanische Kongress war z. B. nicht „die oberste Regierungsbehörde“ der USA (342), die französischen Generalstände traten nicht am 15., sondern am 5. Mai 1789 zusammen (347), das römisch-deutsche Kaisertum endete 1806, nicht 1807 (353), und die englische Test-Akte von 1673 verbürgte keineswegs „allen Unterthanen religiöse Freiheit“ (318). Andere Druckfehler wurden für die zweite Auf lage verbessert. 28 III. 29 Ebd. 30 Ebd. 31 Vgl. Raupp, Barth, 94 f.

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Hintergrund des Werkes

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Form der translatio imperii.32 Barth hat Bräm allerdings keineswegs kopiert. Weite Gebiete des Terrains der Barthschen Weltgeschichte hatte Bräm nämlich nicht abgedeckt, und bei den Themen, die er behandelt, schließt Barth sich ihm nicht immer an. So übernimmt Barth nicht Bräms Vierteilung der Weltgeschichte in „Urgeschichte“, „Vorbereitungszeit“ („alte Geschichte“), „Entwicklungszeit“ („neue Geschichte“) und „Zeit des Sieges“ (die noch ausstehende Zeit eines irdischen Millenniums),33 wenn er sie wohl inhaltlich auch nicht ablehnen würde. Bräms Optimismus bezüglich Bengels Berechnung des Millenniumsbeginns auf 183634 konnte Barth schon vor Ablauf dieser Frist nicht teilen,35 umso weniger in einer Schrift von 1837. Auch angesichts der nicht allzu häufigen direkten Parallelen zwischen den beiden Werken wäre es daher falsch, den in der Vorrede angedeuteten Einf luss als eine durchgehende Abhängigkeit der Allgemeinen Weltgeschichte von Bräms Schrift zu verstehen. Ungenannt, aber gleichwohl von Bedeutung für die Allgemeine Weltgeschichte, ist das heilsgeschichtliche Schrifttum der pietistischen „Schwabenväter“, mit denen sich Barth sein Leben lang, besonders intensiv während der Studienjahre, beschäftigte.36 Johann Albrecht Bengel muss hier zuerst genannt werden.37 Viele von dessen Einsichten wurden Barth jedoch durch die heilsgeschichtliche Theologie des mit ihm sehr eng befreundeten Pfarrers Karl August Osiander (1792–1834) 38 vermittelt.39 Osiander war 1815 bis 32 Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 46 f; 129 f; 80–83. Die Übereinstimmung kann an einzelnen Stellen fast wörtlich sein (vgl. Bräm, 80 mit Barth, 104). 33 Ebd., 25 f. 34 Ebd., 58. 35 Werner, Barth, Bd. II, 1866, 194–208. 36 Vgl. Raupp, Barth, 156. 37 Zu Bengels eschatologischen Schriften zählen (in den von mir verwendeten Ausgaben): Erklärte Offenbarung Johannis oder vielmehr JEsu Christi. Aus dem revidirten Grund-Text übersetzt durch die prophetischen Zahlen aufgeschlossen und allen, die auf das Werk und Wort des HErrn achten, und dem, was vor der Thür ist, würdiglich entgegen zu kommen begehren, vor Augen geleget, neu hg. von Pf. Burk, Stuttgart: Brodhag 1834 (1740); Ordo temporum. A principio per periodos oeconomiae divinae historicas atque propheticas ad finem usque ita deductus ut tota series et quarumuis partium analogia sempiternae virtutis ac sapientiae cultoribus ex scriptura V. et NT tanquam uno revera documento proponatur, Stuttgart: Metzler 21770 (1741); Welt-Alter, darin Die Schriftmässige Zeiten-Linie bewiesen und die Siebenzig Wochen samt andern wichtigen Texten und heilsamen Lehren erörtert werden, zum Preise des grossen Gottes und seines wahrhaftigen Wortes an das Licht gestellet, Esslingen: Schall 1746. Nach Gottfried Mälzer, Johann Albrecht Bengel. Leben und Werk, Stuttgart 1970, 252 war von diesen Schriften die Erklärte Offenbarung (neben den von Mälzer noch genannten Sechzig erbaulichen Reden [1747]) im 19. Jahrhundert am erfolgreichsten. 38 Zu Osiander vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 164–172. 39 Den Hinweis auf Barths Abhängigkeit von Osiander verdanke ich Michael Kannenberg. Raupp, Barth, 159 f spricht ebenfalls von einer „uneingeschränkten Übernahme der Osianderschen Theologie“ durch Barth.

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

1819 Repetent im Evangelischen Stift und dort nicht nur aktiver Förderer der neuerlich auf blühenden pietistischen Erbauungsstunde, sondern auch Barths Lehrer gewesen.40 Als Pfarrer in Möttlingen bewirkte nach Barths eigener Aussage der „fast tägliche Umgang“ mit seinem älteren Freund in der Nachbargemeinde Münklingen eine Veränderung seines „ganzen theologischen Systems“.41 Es liegt daher nahe, dass Barth auch für seinen universalhistorischen Entwurf Osiandersche Gedanken rezipierte. In Osianders einzigem größeren Werk, seinem Offenbarungskommentar von 1831,42 für den Barth als Anhang den „Kurzen Abriß der Geschichte der christlichen Kirche“ verfasste, hatte Osiander Bengels Erklärte Offenbarung nach eigenem Bekunden durchgehend verwendet, aber auch teilweise korrigiert.43 Vergleicht man Osianders kirchengeschichtliche Offenbarungsauslegung mit der Allgemeinen Weltgeschichte, so zeigen sich einige Parallelen. Die Sätze zur Bedeutung der Trias Glaube – Aberglaube – Unglaube für die Mitte des 18. Jahrhunderts sowie zum Verhältnis von Papsttum und Antichristentum etwa wurden offenbar von Barth übernommen. 44 Zu den ungenannten ideellen Quellen der Allgemeinen Weltgeschichte gehört auch der reformierte Bremer Pfarrer und konservative Theologe Gottfried Menken (1768–1831).45 Nach Raupp stand Barth zeitweise unter dem Einf luss Menkens, der mit seiner eschatologischen Geschichtsdeutung überhaupt die frühe Erweckungsbewegung prägte.46 Bereits 1801/02 hatte Menken in seiner Auslegung von Daniel 2 unter dem Titel „Das Monarchieenbild“ ein Thema bearbeitet, das auch für Barths Weltgeschichte bestimmend ist.47 In der Tat stehen einige wesentliche Grundgedanken Barths zum danielischen Vier-Weltreiche-Schema bereits bei Menken, und es ist zu vermuten, dass Barth Menkens Schrift gelesen und befürwortet hat.48 Kleine Unterschiede in der weltgeschichtlichen Ausdeutung 40

Vgl. Raupp, Barth, 93 f. Zitiert nach Kannenberg, Notwendigkeit, 330. 42 August Osiander, Erklärung der Offenbarung Johannis. Eine Zugabe zum dritten Theile der von Christian Philipp Heinrich Brandt herausgegebenen evangelischen Schullehrerbibel, Sulzbach: Seidel 1831. 43 Ebd., 11. 44 331 f; 168 f und Osiander, 79 f (vgl. dazu II.4). Die Allgemeine Weltgeschichte scheint allerdings eine etwas größere Kontinuität zwischen dem vierten Tier aus Daniel 7 und dem Papsttum zu beobachten (138; 169 vs. Osiander, 78). 45 Zu Menken vgl. Hartmut Hövelmann, „Menken, Gottfried (1768–1831)“, TRE, Bd. XXII (1992), 442–444. 46 Vgl. Raupp, Barth, 160. 47 Gottfried Menken, „Das Monarchieenbild“ (1801/02), in: ders., Schriften. Vollständige Ausgabe, Bd. VII, Bremen: Heyse 1858, 105–166. 48 Dass Menkens Monarchienschrift zu der Zeit, als die Allgemeine Weltgeschichte entstand, in pietistisch gesinnten Kreisen Württembergs noch geschätzt wurde, zeigt Johann Ernst Osiander, „Zum Andenken Dr. G. Menken’s. Ein Beitrag zur neuesten Geschichte der Theologie“, TZTh 1832:2, (153–188) 145 f. 41

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Hintergrund des Werkes

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der Statuenvision49 relativieren nicht den Eindruck, dass Menkens und Barths Danielinterpretation in den großen Linien identisch ist.50 Dabei ist zu berücksichtigen, dass Barth, wie erwähnt, einige Elemente seiner Danielinterpretation Andreas Bräms Buch Blicke in die Weltgeschichte entnahm; selbst an diesen Stellen kann man jedoch von einem indirekten Einf luss von Menkens deutlich früherer Schrift ausgehen. Nur in der Allgemeinen Weltgeschichte wurden ihre Ideen freilich in die historiographische Praxis umgesetzt. Schließlich ist natürlich die Bibel nicht nur weltanschauliche Grundlage der Allgemeinen Weltgeschichte, sondern auch ihre entscheidende historische und historiographische Quelle. Da sie nach Barth mehr ist als eine „zur Ergänzung anderer Nachrichten“ zu verwertende „Urkunden-Sammlung“,51 wird sie für ethische, theologische und geschichtstheoretische Fragen genauso herangezogen wie als Grundlage für die biblische Historie. Barth zitiert mit oder ohne Stellenangabe 25 alt- und neutestamentliche Bibelstellen in wörtlicher Rede. Er verwendet dabei, gelegentlich mit einer gewissen Freiheit im Wortlaut,52 die Lutherbibel, die er auch an zwei Stellen als unübertroffene Übersetzungsleistung rühmt.53 Daneben gibt es bloße Stellenverweise, darunter mit 1. Makkabäer 14 und Judith (freilich im betreffenden Kontext wohl mehr als historisches Quellen- denn 49 In der Allgemeinen Weltgeschichte fehlt die „Periode der Füße“ (Menken, 149), und die „Periode der Zehen“ wird anders als bei Menken (Menken, 151) mit dem entstehenden Nationalcharakter in Verbindung gebracht (247 f ) (vgl. dazu II.3). Die Vermischung von Eisen und Ton ist auch bei Menken die gegenseitige Assimilierung der romanischen und germanischen Völker (Menken, 151), wird aber in der Allgemeinen Weltgeschichte (138) stärker auf den päpstlich-kaiserlichen und später evangelisch-katholischen Dualismus bezogen. Auch den Begriff des „Geschichtskreises“ (vgl. unter II.5) kennt Menken nicht, wenn ihm auch das Konzept nicht ganz fern steht (Menken, 152). 50 Wie die Allgemeine Weltgeschichte (89; vgl. 104; 120) sieht Menken in Rom das vierte Reich, dessen „eiserner“ Charakter (nach Daniel 2,40) sich u. a. in der Zerstörung Karthagos und den Christenverfolgungen ausgedrückt habe (Menken, 148). Barth und Menken verfolgen die prophezeite Gespaltenheit des Reiches auf ähnliche Weise in der abendländischen Geschichte, und auch Menken erwartet den baldigen Anbruch des Reiches Gottes auf Erden (Menken, 157–166). Er erwartet wie Barth (vgl. unter II.4) zuvor das Auftreten des „Antichristen“, dessen „Vorbild“ auch er in dem Seleukidenherrscher Antiochus Epiphanes sieht (Menken, 157). Die Allgemeine Weltgeschichte benützt an einer Stelle Menkens Ausdruck „das Monarchieenbild“ (367). 51 2. 52 Das in der Allgemeinen Weltgeschichte (55) zitierte Kyrusedikt von Esra 1,2 f etwa lässt in der Barthschen Fassung die Adverbialen „in Landen“/„im Lande“ und „in Juda“ weg, die in allen drei mir für den Vergleich zugänglichen zeitgenössischen Lutherversionen enthalten sind, obwohl diese ihrerseits leicht differieren. Einen einheitlichen revidierten Luthertext brachte erst die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vgl. dazu Klaus Dieter Fricke/Siegfried Meurer (Hg.), Die Geschichte der Lutherbibelrevision. Von 1850 bis 1984, Stuttgart 2001. 53 252; 288.

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als Wort-Gottes-Zitat) zwei auf die Apokryphen.54 Barth arbeitet die alttestamentliche Geschichte in knappen Überblicken aus den Texten des Alten Testaments heraus, liest sie aber an einzelnen Stellen auch von neutestamentlichen Texten her.55 Die Geschichte Israels wird für den Anspruch, Israel als das wichtigste Volk der Weltgeschichte zu behandeln, eher kurz geschildert.56 Nur das über die Geschichte Israels hinausgreifende Danielbuch wird sowohl mit seinen historischen Kapiteln, als auch mit seiner Prophetie stark berücksichtigt.57 Auch die neutestamentliche Geschichte der vier Evangelien und Apostelgeschichte kommt, gemessen an der Bedeutung, die Barth den dort beschriebenen Ereignissen beimisst, kurz weg.58 Grund hierfür ist ohne Zweifel, dass Barth und die Erweckungsbewegung dem Bibelstudium ohnehin ungezählte Publikationen widmeten und die Allgemeine Weltgeschichte hier nicht redundant sein sollte.

54 81; 230. Die von protestantischer Seite als unkanonisch betrachteten apokryphen (nach katholischer Auffassung „deuterokanonischen“) Bücher hatten im sogenannten „Apokryphenstreit“ Anlass zum Konf likt württembergischer Erweckter mit der Londoner Bibelgesellschaft gegeben, nachdem diese 1826 beschlossen hatte, nur noch Tochtergesellschaften zu unterstützen, die die Apokryphen in ihren Bibeln nicht mit abdruckten. Die Stutt garter Bibelgesellschaft hatte sich diesem Entschluss nicht gebeugt und von ihrer Muttergesellschaft gelöst (vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 204). 55 Insbesondere 28 f (unter Verwendung von Hebräer 11,9–14). 56 Z. B. sind den von Barth kritisierten Kreuzzügen (176–202, ca. zwölf Seiten) mehr als doppelt so viele Seiten gewidmet wie der gesamten altisraelitischen Königszeit (36–41). 57 49–54 u.ö. sowie in der Gesamtkonstruktion der Allgemeinen Weltgeschichte. 58 110–117. Im Vergleich mit einer heutigen Darstellung erscheint dies natürlich anders. Alexander Demandts aktuelle Weltgeschichte (von etwa gleichem Umfang wie die Allgemeine Weltgeschichte) widmet der neutestamentlichen Historie z. B. nur eine halbseitige Rückblende im Kapitel zur Spätantike (Kleine Weltgeschichte, München 2003, 84).

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Christliche Geschichtsprämissen

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2. Christliche Geschichtsprämissen Barths Klage, „zu viel Abstraktes, zu viel Uebersichten, Ref lexionen u.s.w.“ in das Buch hineingebracht zu haben, bezog sich nicht nur auf die geschichtstheoretische „Einleitung“ und das hermeneutische Kapitel im Anhang;1 vielmehr finden sich methodische und inhaltliche Ref lexionen und predigtähnliche Einschübe über das gesamte Werk verstreut. Im Folgenden sollen die teilweise unsystematisch geäußerten Geschichtsprämissen der Allgemeinen Weltgeschichte geordnet und gemeinsam mit den nur erkennbar vorausgesetzten Annahmen zu einer knappen Übersicht zusammengetragen werden. Am Beginn aller Überlegungen steht das theistische Weltbild: ein persönlicher Gott, der allmächtig, allwissend, vollkommen und (entgegen pantheistischen Vorstellungen) von der Welt geschieden ist, hat den Kosmos unter Einschluss des Menschen geschaffen und trägt und erhält ihn zu jedem Zeitpunkt seiner Existenz. Durch die göttliche Vorsehung steht nicht nur die Natur, sondern auch die Geschichte in einem unmittelbaren Verhältnis zu ihm; die Einheit der Weltgeschichte wird damit theozentrisch begründet. Barths Gott hat schon vom Grundsatz her nichts mit einem zur Schließung von Erklärungslücken eingeführten Deus ex machina zu tun. Vielmehr verbürgt die Providentia Dei für einen gläubigen Geschichtsdenker wie Barth die Sinnhaftigkeit aller geschichtlichen Erscheinungen. Weltgeschichte nach Barth geht grundsätzlich von der Existenz und dem umfassenden Geschichtshandeln Gottes aus und bezieht Letzteres konsequent in die dargebotenen Kausal- und Erklärungsketten ein. „Das Verständniß der Geschichte kann Gott allein lehren“,2 schreibt Barth, und „Ihm muss Alles dienen.“3 Zumindest das unmittelbare Eingreifen Gottes in den Geschichtsprozess fungiert als eine causa prima, die die Bedeutung menschlicher Regungen und Entschlüsse als gültige Sekundärursachen nicht schmälert, diese allerdings in souveräner Macht und Weisheit zu handhaben versteht. Ob diesem Konzept bei Barth ein augustinisch-calvinistisches, d. h. die Prädestination betonendes, oder ein semipelagianischarminianisches, also die menschliche Willensfreiheit betonendes, Vorsehungsverständnis zugrunde liegt, wird aus der Allgemeinen Weltgeschichte nicht einwandfrei ersichtlich,4 ist aber hier nicht weiter relevant. 1 1–5; 369–373 („Ueber die prophetische Betrachtungsweise der Geschichte, wie sie in der heil. Schrift enthalten ist“). 2 2. 3 255. 4 Im Sinne von Letzterem wird das Verbot im Garten Eden als „Probe“ für den Menschen interpretiert (7), die „Willensfreiheit“ bekräftigt (264), der reformiert-orthodoxe Streit um „die Gnadenwahl und den freien Willen“ leicht kritisiert (301), die Bewegung der prädestinationskritischen Arminianer in positivem Zusammenhang genannt (331) und

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Auch die Politik steht in Barths Geschichtsschau unter der Herrschaft Gottes. Herrschaftsträger werden von ihm wie die deutschen Reichsfürsten vom Kaiser „belehnt“5 und zum Teil sogar, wie Nebukadnezar, Kyrus, Pilatus oder die Türken vor Wien,6 ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung mit der Ausführung seiner Pläne betraut.7 Barth, der nicht an Zufall glaubt,8 erkennt in überraschenden geschichtlichen Wendungen wie den Siegen Alexanders des Großen, der Niederlage Karls des Kühnen gegen die Schweizer, dem physischen und politischen Überleben Friedrichs des Großen im Siebenjährigen Krieg oder Napoleons gescheitertem Russlandfeldzug die planende Hand Gottes.9 Er erblickt sie ebenso hinter längerfristigen Entwicklungen und Abläufen – den Römerzügen der deutschen Kaiser, den Entdeckungen und Erfindungen des Spätmittelalters, dem Scheitern der Vorreformatoren10 – sowie hinter Grundkonstanten der conditio humana wie dem menschlichen Lebensalter.11 Gottes Handeln beschränkt sich übrigens nicht, wie man beim f lüchtigen Lesen der Schrift missverstehen könnte, auf die großen politischen Ereignisse. Auch z. B. im konkreten schriftstellerischpublizistischen Bemühen und – so Barths Hoffnung – durch die Allgemeine Weltgeschichte selbst (!) wirkt Gott: „[Ich] hoffe“, schreibt er in der Vorrede, „Gott werde bald einen gewandteren und tüchtigeren Historiker zu diesem Werke erwecken, und einstweilen auf diese geringe Arbeit Seinen Segen legen, damit kein Leser vergeblich lese.“12 Oliver Cromwell ein „Abfall von dem früheren Gnadenstande“ (306) sowie Friedrich dem Großen ein „von Natur gerader und rechtlicher Sinn“ (337) bescheinigt. Für Ersteres spricht dagegen außer der Betonung von Gottes Vorsehung die Bejahung einer doppelten Menschheitslinie von Verheißung und Verstoßung seit Kain und Abel (30), die implizite Bekräftigung der augustinisch-reformierten Lehre der perseverantia sanctorum (305), die indirekte Beurteilung der jansenistischen „Lehre von der Erbsünde, Gnade und Gnadenwahl“ als im Gegensatz zur jesuitischen sowohl augustinisch als auch schriftgemäß (315) und die Aussage, das „ganze Wesen“ des Menschen sei durch die Sünde verdorben (115). Raupp, Barth, 171 spricht in anderem Zusammenhang von „semipelagianisch-synergistischen Tendenzen“ bei Barth. Jedenfalls vermeidet dieser hier, polemisch Position zu beziehen. 5 30. 6 40; 52; 115; 255. 7 194. 8 Vgl. 289. 9 71; 232; 334; 356. 10 163; 236 f; 249. 11 74. 12 IV. Die Großschreibung der für Gott verwendeten Personal- und Possessiv pronomen in der Allgemeinen Weltgeschichte unterstreicht Barths respektvolle Haltung gegenüber der Größe Gottes. Barth kann seine Überzeugung von der „fortwährenden allgegenwärtigen Wirksamkeit Gottes“ sogar im theologischen Disput mit dem Baurschüler Märklin bekunden: „Ja, ich glaube, daß auch Sie sammt Ihrer Schrift, so wenig dieselbe die Herrlichkeit Christi anerkennt, unter Seiner Regierung stehen, und wider Wissen und Wollen in der Weise, wie es Ihm beliebt, zur Verherrlichung des persönlich fortlebenden und herrschenden Christus und Seines Reiches dienen müssen.“ (Pietismus, 1839, 9; 24)

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Das fundamentale Kennzeichen des biblisch gedeuteten Universums ist, auch in der Allgemeinen Weltgeschichte, sein radikaler ethischer Dualismus von Gut und Böse, Licht und Finsternis. Gut ist Gottes Wille, der aber von seinem Geschöpf nicht zwangsläufig befolgt und in der Tat seit dem in Genesis 3 berichteten Sündenfall, den Barth buchstäblich auslegt,13 weitestgehend missachtet wird. Die „fast ungehinderte Macht des Bösen“ ist allerdings seit dem Kommen Christi einem Kampf zwischen Gut und Böse gewichen, in dem Gott eines Tages das Gute zum Sieg führen wird.14 Das Böse in jeder Ausprägung ist nun nach Barths theistischem Weltverständnis ein Anschlag auf das Wesen Gottes, das seinen Zorn erregt und eine der Schwere des Vergehens entsprechende Bestrafung verlangt. Zugleich begegnet Gott dem rechten Verhalten mit Segen und Wohlwollen. Man bezeichnet dieses biblische Prinzip, das in der Allgemeinen Weltgeschichte gegenüber der Bibel überproportional stark betont ist,15 üblicherweise als Tun-Ergehens-Zusammenhang:16 Gott nimmt sein Amt als Weltenrichter bereits im diesseitigen Geschichtsprozess durch Strafen und Belohnungen wahr, was zu einem Nebeneinander von verhaltensbedingten Heils- und Unheilsgeschichten innerhalb der Weltgeschichte führt. Dabei können die Gerichtshandlungen Gottes sowohl Individuen als auch Kollektive wie Städte oder Völker betreffen. Der Tun-Ergehens-Zusammenhang ist gleichsam ein moralisches Naturgesetz, das Gerechtigkeit einfordert, wobei „der langmüthige und geduldige Gott“17 die Bestrafung oft verzögert oder sie konstruktiv zur Läuterung der Betreffenden einsetzt. In der Allgemeinen Weltgeschichte sticht die Betonung des negativen Aspekts des Tun-Ergehens-Zusammenhangs ins Auge, die zwar dem oben skizzierten christlichen Bild vom gefallenen Menschen entspricht, aber selbst für dieses besonders stark zur Geltung kommt. An über dreißig Stel13

7 f. 373. 15 In der Bibel werden, meist von „Propheten“, Kausalketten von moralischer Verschuldung und anschließendem Unglück aufgezeigt, etwa die Ankündigung von Segen und Fluch in Levitikus 26 und Deuteronomium 28, die zur Deutung der israelitischen Deportation zitiert wird (2. Könige 17,7–23; Daniel 9,4–14). Solche Rückschlüsse werden aber in anderen Fällen abgelehnt ( Johannes 9,3; Lukas 13,2 f – in Allgemeine Weltgeschichte, 123 zitiert). Dass sich der Tun-Ergehens-Zusammenhang im historischen Geschehen nicht gleichsam automatisch widerspiegelt, ist eine Erkenntnis des profunden innerbiblischen Ringens um die Theodizee (etwa Psalm 73; Kohelet 2,14). Sie mündet bei den biblischen Autoren ein in den Verweis auf die Herstellung der Gerechtigkeit zu einer von Gott zu bestimmenden Zeit in der Zukunft (Psalm 73,17; Kohelet 12,14) und führt zugleich zur Anerkenntnis der eigenen Inkompetenz beim Urteilen, dem „Richtet nicht“ der Bergpredigt (Matthäus 7,1; auch 1. Korinther 4,5). 16 Vgl. etwa Klaus Koch, „Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie. II. Altes Testament“, TRE, Bd. XII (1984), (569–586) 578; Schwaiger, Christliche Geschichtsdeutung, 34. 17 30. 14

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len werden explizit Negativfolgen ethischer Fehltritte beschrieben,18 doch nur an einer Stelle eine vergleichbare Belohnung.19 Dabei ist allerdings zu beachten, dass noch wesentlich mehr Beispiele sowohl positiven als auch negativen Handelns besprochen werden und die folgende Bestrafung bzw. der Segen dabei oft unausgesprochen mitgedacht sind. Dies trifft auf positives Handeln besonders darum zu, weil hier manchmal an eine jenseitige Belohnung gedacht wird.20 Wenn Gott straft, so tut er dies durch Naturkatastrophen,21 durch gesellschaftliche und politische Krisen,22 durch (zugelassene, in einem einzigen Fall befohlene) Kriege 23 und bei Einzelpersonen durch widrige Lebensumstände oder einen frühen Tod.24 Sind Menschen Instrumente göttlichen Gerichtshandelns, so ist dadurch ihr Tun noch nicht legitimiert; sie zeichnen vielmehr für dessen Motive voll verantwortlich.25 Gründe für 18 7 f; 9; 11 f; 14; 29 f; 32; 40; 50 f; 65; 78; 90; 94; 99; 140; 145; 158; 171; 180; 202; 205; 217; 225 f; 230; 236; 241; 259; 277; 293; 310; 314; 323; 352 f. 19 Barth führt Englands Verschonung vor Revolution und napoleonischer Unterjochung auf eine stärkere religiöse Substanz und christliche Missionstätigkeit zurück (361). 20 Z. B. 28 f (mit Bezugnahme auf Hebräer 11,9 f ): „Wo ist ein heidnisches Volk, das von seinen Helden solche Eigenschaften nachweisen könnte! Bei all dem führte Abraham ein mühseliges Nomadenleben […] Er wohnte in Zelten, was natürlich mit mancher Unbequemlichkeit und Entbehrung verbunden war, und baute keine Stadt, weil er für sich auf eine bessere Stadt wartete, die Gott im Himmel erbaut hat.“ 21 29 f (Untergang von Sodom und Gomorra); 122 f (Ausbruch des Vesuvs); 217 (Schwarzer Tod). 22 90 (Teuerung und Ständekampf der römischen Republik); 94 (ethische Verfallserscheinungen der späten römischen Republik); 225 f (politisch instabiler Zustand unter Friedrich III.); 277 (dezimierte weltpolitische Bedeutung Spaniens); 310–314 (Staatsbankrott Frankreichs und Untertanenhass gegenüber Ludwig XIV.). 23 32 (Ausrottung der kanaanitischen Völker); 40 (Deportation Judas); 65 (Untergang des Perserheeres im Kampf gegen die Griechen); 99 (Auslöschung Karthagos); 140 (Einnahme der Ostgotenstädte); 180 (Vernichtung eines Kreuzfahrerheeres); 236 (Fall Konstanti nopels); 241 (Völkermord der Konquistadoren); 259 (Schmalkaldischer Krieg); 323 (militärische Verluste Augusts II.); 352 f (Napoleons Eroberungen). 24 50 f (Nebukadnezars Wahnsinn); 78 (Antiochus Epiphanes’ Tod); 171 (Aussterben des salischen Kaiserhauses); 230 (Hinrichtung der Heiligen Johanna von Orléans – nach Barth möglicherweise aber auch Märtyrertod); 293 (Niederlage Graf Tillys). 25 Raupp kommt auf das Problem bei der Erwähnung eines – zweifelsohne schwierigen – Passus der Allgemeinen Weltgeschichte über die kolonialen Gräueltaten in Südamerika zu sprechen, gelangt dabei aber zu einer vereinfachenden Darstellung von Barths Geschichtsverständnis. „Sich an den schauderhaften alttestamentlichen Genozid-Erzählungen orientierend“, sehe Barth „etwa – o weh! – die Conquista als notwendiges heilsgeschichtliches Gericht Gottes über die indianischen Völker Südamerikas an. Diese ‚waren […] wie die Völker Kanaans […] reif zur Ausrottung‘ [vgl. Josua 6–12], nachdem sie das ‚Licht der Offen barung‘ mit dem ‚abscheulichste[n] Götzendienst vertauscht hatten‘ und aufgrund der daraus resultierenden ‚hochgetriebenen Laster‘ ohnehin einer ‚inneren Fäulnis […] entgegengingen‘ (AWG, 1837, S. 240 f.). – Zu welch inhumanen, rassistischen Vorstellungen doch die heilsgeschichtliche Theologie führen kann!“, schreibt Raupp (Barth, 165 f Fn. 82). Tatsächlich

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Bestrafungen sind die Verehrung fremder Götter bzw. eine gottlose Lebenseinstellung sowie ethische Verfehlungen verschiedenster Art, oft kumuliert. An einer Stelle werden die beiden Bereiche für die vorchristliche Zeit, terminologisch etwas unglücklich, „Götzendienst“ und „Sündendienst“ genannt.26 Exemplarisch für Barths Überzeugung vom Tun-Ergehens-Zusammenhang ist die lapidare Frage im Bericht über die Empörung der Söhne Ludwigs des Frommen gegen ihren Vater: „Konnte es solchen Söhnen gut gehen?“27 Der Betonung von Gottes Gerichtshandeln entspricht ein Zug der Allgemeinen Weltgeschichte, der in der Bibel Anhaltspunkte28 besitzt, dort jedoch weitaus schwächer gewichtet ist und der Barth beim Schreiben möglicherweise selbst nicht immer voll bewusst ist, weil er sich z. T. in Stilfiguren und Floskeln äußert: das im Verlauf der Erzählung wiederkehrende pessimistische Motiv des Verfalls. Nicht selten finden sich Sätze wie „Von nun an aber gieng es unauf hörlich dem Verfall zu“29 oder „Die Sittenlosigkeit nahm immer mehr zu“.30 Die beobachtete Dynamik nach unten macht sich in der Allgemeinen Weltgeschichte rein linguistisch bemerkbar: Für mindestens ein Dutzend unterschiedliche historische Phänomene gebraucht Barth die für ihn typische Formulierung „immer mehr“ (oder „immer“ plus Komparativ), um eine sich beschleunigende Dekadenz zum Ausdruck ist die Ansicht Barths differenzierter: Die „schrecklichen Gerichte“ werden von seiner Sicht Gottes als des allmächtigen Richters und Sinngebers menschlicher Geschichte her interpretiert; dies dient ihm jedoch nicht als Entschuldigung für die Taten der Spanier, welche (im Gegensatz zu den alten Israeliten) als ganz unbewusste und indirekte Handlanger des göttlichen Gerichtes gezeichnet werden: „Indem sie die verdorbenen Amerikaner im Trieb ihres eigenen verkehrten Herzens bestraften, waren sie selbst ein Gegenstand des strafenden Zorns Gottes.“ (241) Das Verhalten der Konquistadoren wird dabei vehement angeprangert: „Die Indianer wurden behandelt, wie wenn sie keine Menschen wären; ihre Schätze und ihr Land wurden ihnen ungefragt genommen; ihr Leben wurde geachtet wie das Leben eines Thieres; und zum Bekenntniß des Christenthums wurden sie auf eine schänd liche Weise gezwungen.“ (242) Die von Raupp scharf verurteilten Äußerungen versteht man daher am besten als den Versuch, dem verbrecherisch betriebenen Untergang einer Zivilisation, von deren kultischer und moralischer Dekadenz Barth wohl auf der Grundlage ihrer Überreste überzeugt ist, im Nachhinein – wohl in Anlehnung an Genesis 15,16 („Noch hat die Schuld der Amoriter nicht ihr volles Maß erreicht“) und das Josuabuch – einen theologischen Sinn abzugewinnen. Dieser repräsentiert jedoch nicht seine eigenen ethischen Handlungsmaximen. Barths Urteil über andere Kulturen der Vergangenheit ist, unabhängig von ihrer geographischen Lage oder der Rassenzugehörigkeit der jeweiligen Bevölkerung, ähnlich pessimistisch: „Die Mexikaner können in dieser Hinsicht mit den Hindus oder den alten Babyloniern, die Peruaner mit den Lydiern, die Indianer in Nordamerika mit den alten Deutschen verglichen werden.“ (241) 26 105. 27 158. 28 Für Barth sind diesbezüglich Daniel 2 und 7 von großer Wichtigkeit (51; 73). 29 125. 30 142.

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zu bringen.31 In manchen Fällen kann Barth jedoch auch Verbesserungen begrüßen 32 und sogar ein ganzes Kapitel unter die Überschrift „Die Wendung zum Bessern“ stellen.33 Wenn die Allgemeine Weltgeschichte die menschliche Geschichte als Kampfplatz von Gut und Böse zeichnet, so ist bei genauerer Betrachtung die Weltgeschichte nur ein Niederschlag eines umfassenderen Kampfes unsichtbarer Mächte. Im Einklang mit zahllosen biblischen Texten (zum Beispiel den Evangelienberichten über die Dämonenaustreibungen Jesu) vertritt Barth ein offenes Weltbild, in dem Diesseits und Jenseits nicht hermetisch abgeriegelt sind, sondern einander durchdringen. So haben „an dem Schicksal und den Handlungen der Völker und einzelnen Menschen gute und böse Geister ihren Antheil“. Die geschichtstheoretische Schlussfolgerung aus dieser Überzeugung lautet: „Die Geschichte versteht man nur bei einem offenen Blick in die unsichtbare Welt.“34 Barth wagt diesen Blick außerhalb der biblischen Historie (dort allerdings nur zweimal)35 an neun Stellen seines Buches in Form zumeist vorsichtiger Vermutungen: Hinter Mohammeds Wirksamkeit und der explosionsartigen Verbreitung des Islam, dem Papsttum als Institution, der Inquisition oder der auf klärerischen Revolutionsbewegung könnten „Geister der Finsterniß“, hinter dem Schutz der Christen nach dem jüdischen Bar-Kochba-Aufstand Engel gestanden haben.36 Ein anderer wichtiger Aspekt des offenen Weltbildes – die Erhörung von Gebeten – taucht in der Allgemeinen Weltgeschichte mit fünf expliziten Erwähnungen zwar nicht häufiger auf, nötigt Barth aber weniger Vorsichtsbekundungen im Urteil ab. Er ist davon überzeugt, dass Gott auf ernstliches Gebet um Hilfe eingeht und zur von ihm gewählten Zeit handelnd bzw. lenkend eingreift.37 Die christliche Antwort auf das ethische Dilemma des Menschen und zugleich Dreh- und Angelpunkt jedes christlichen Geschichtsbildes ist Jesus von Nazareth, der nach christlicher Auffassung der verheißene Messias (grch. χριστόϚ) ist.38 Auch die Allgemeine Weltgeschichte ist christozentrisch 31

11; 58; 75; 100; 105; 126; 142; 185; 200; 217; 224; 307; 310. 226; 283; 356; 366. 33 358–362. 34 4. 35 7; 113–115. 36 125; 146; 147; 169; 178; 197; 266; 300; 348. 37 161; 162; 219; 230; 231. Skurrilerweise – auch das mag Barth beim Schreiben nicht voll bewusst gewesen sein – stammen sämtliche Beispiele (Heinrich der Vogler, Otto I., die Schweizer Kontrahenten Herzog Leopolds von Österreich und Karls des Kühnen, die Stadt Orléans im Hundertjährigen Krieg) aus dem Bereich militärischer Schlachten; wenigstens handelt es sich jeweils um einen Verteidigungsfall. Die dramatisierenden Beschreibungen, etwa des Kniefalls der Betenden, wirken aufgesetzt und fallen stilistisch aus dem Rahmen. 38 Z. B. 1. Korinther 15,3 f: „Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift.“ 32

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angelegt: „Der wichtigste Schlüssel zum Verstehen der Weltgeschichte ist die Erkenntniß, daß Christus ihr Mittelpunkt ist“, heißt es schon in der Einleitung, „denn um diesen dreht sich der ganze Plan der göttlichen Weltregierung.“39 Christus dürfe nicht, wie oft geschehen, ohne größere Auswirkungen auf das Geschichtsbild nur für die Datierung nach bzw. vor seiner Geburt herhalten, weil nämlich „in Christo Gott selbst Mensch geworden“ sei. Die Inkarnation, „diese große That der Liebe Gottes“, ist für Barth der entscheidende hermeneutische Schlüssel für die Weltgeschichte: „Alles, was vorangegangen, muß Vorbereitung auf diese That Gottes, alles, was nachgefolgt, muss Entwicklung derselben seyn.“ In dem Nachweis dieser Aussage sieht Barth sogar die eigentliche Aufgabe seines Buches.40 Aus dem soeben skizzierten philosophisch-theologischen Grundgerüst ergibt sich von selbst die der Weltgeschichte nach Barth zukommende Dynamik. Die Geschichte verläuft linear, nicht im Sinne einer optimistisch gefeierten zivilisatorischen Aufwärtsentwicklung, auch nicht als kulturpessimistisch bedauerte Abwärtsbewegung zu menschenfeindlichen Gesellschaftsstrukturen (selbst wenn in Barths Schrift von beidem Ansätze vorhanden sind), sondern im Sinne der Entfaltung einer theozentrisch begründeten heilsgeschichtlichen Teleologie. Man könnte zwar meinen, dass „die Menschheit selber gehen könnte, wohin sie will“; sie hat aber, schreibt Barth, „einen HErrn und Regenten […], der allen Völkern und allen einzelnen Menschen ihre Bahn vorzeichnet, und nach Dessen unumschränktem Willen Alles gehen muß“.41

Dieser Wille zielt im Verlauf der ganzen Weltgeschichte auf die Wiederherstellung der Beziehung mit dem seit dem Sündenfall entfremdeten Menschen ab. Gott erwählt 42 einzelne Menschen (die Patriarchen) und das daraus entstehende Volk (Israel, „das wichtigste der Völker“),43 um mit ihnen Geschichte zu machen und dann durch sie die gesamte Welt mit der Botschaft zu erreichen, „daß nun eine neue Zeit in der Welt angebrochen sey; der Retter der Völker sey gekommen“.44 Doch die Wiederkunft Christi und, wie Barth glaubt, die politische Wiederherstellung und Bekehrung Israels stehen noch aus. In dem Erleben der daraus resultierenden genuin christlichen eschatologischen Spannung von einem „schon jetzt“ und einem „noch nicht“45 erschließt sich in der Allgemeinen Weltgeschichte die 39 40 41 42 43 44 45

4. 5. 2. 30. 369; vgl. 36. 116. Vgl. etwa 113 f.

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

von der „doppelten Zukunft“ (= Ankunft) Christi eingeschlossene Periode als „eine Zeit ‚des Streits‘“.46 Die erkenntnistheoretische Prämisse von Barths christlicher Historik ist das reformatorische sola scriptura: Die Bibel ist Gottes schriftgewordene, unfehlbare Offenbarung, auf die es daher einzig Denken und Leben zu gründen gelte.47 Barth verfasst überhaupt nur deshalb eine Weltgeschichte „nach biblischen Grundsätzen“, weil Gott, wie er meint, den Menschen „in Seinem Wort Seinen ganzen Rathschluß geoffenbart“, „das vollständige Bild“ gezeigt und den „Schlüssel zu der räthselhaften Bilderschrift aller Geschichte“ gegeben hat.48 Es bedürfe freilich der Hilfe des Heiligen Geistes, um die Bibel richtig zu interpretieren: „Wer die Bibel versteht, der versteht auch die Geschichte; aber die Bibel, und somit auch die Geschichte versteht nur der, welcher sich vom Geist Gottes belehren läßt.“49

Die Bibel ist für Barths Weltgeschichtsschreibung also inhaltlich und methodisch maßgebend. Zwar stelle sie für viele Bereiche der Geschichte nur spärliche Informationen bereit, sie berichte jedoch die historisch entscheidenden Begebenheiten, um „ein lebhaftes Bild von einem ganzen Zeitalter, von einem ganzen Volke“ zu geben.50 Barth hält ihre Angaben ausdrücklich auch dann für zuverlässig, wenn weitere Quellen fehlten51 oder konkurrierende Theorien ihre Wahrheit in Frage stellten,52 und empfiehlt ein „rechtes Hineinleben“ in ihre orientalische Vorstellungswelt.53 Selbst im Vorwort zur zweiten Auf lage der Allgemeinen Weltgeschichte betont Barth noch einmal, er sei für jeden Korrekturvorschlag offen, sofern er nicht „das Wort und die Principien des ewigen Buches“ betreffe.54 Hermeneutisch favorisiert Barth, wo irgend möglich, den Literalsinn, wie eine diesbezügliche Aussage55 und die gesamte Darstellung der biblischen Historie (unter Einschluss der Schöpfungsgeschichte) zeigen. 46 372. Barth nennt den Zeitraum eine „achtzehnhundertjährige Periode“, was nicht als Terminspekulation, aber als Naherwartung gedeutet werden kann. 47 184. 48 2; vgl. 116. 49 3. 50 16. 51 52 (Kulturgeschichte Neubabyloniens); 55 (Kyrusedikt). 52 6 (6-Tage-Schöpfung). 53 10; vgl. 77. 54 Allgemeine Weltgeschichte 31842, VI. 55 369 f: „Wenn die Weissagungen der Propheten nicht anders als wörtlich verstanden werden können, ohne der größten Willkür und Unsicherheit bei der Erklärung Raum zu geben, so ist leicht nachzuweisen, daß dieselben von der Zeit zwischen der ersten und zweiten Zukunft Christi beinahe gar nichts sagen, und auch von der ersten nur wenig.“ Vgl. auch Barths Aussage in Pietismus, 1839, 21, er nehme nach seinem „in der Evang. Schullehrerbibel ausgesprochenen […] Grundsatz, im Alten und Neuen Testamente Alles wörtlich, so

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Wie bereits im Kapitel I.4.2 gezeigt, rechnet Barths weltgeschichtliche Darstellung mit konkreter biblischer Zukunftsprophetie, die zum Teil noch unerfüllt,56 zum Teil aber bereits in Erfüllung gegangen sei. Hier werden neben den erwähnten Beispielen klassische Topoi wie das sogenannte Protoevangelium von Genesis 3,15,57 Noahs Verf luchung seiner hamitischen Nachkommenschaft nach Genesis 9,25 (mit Nachwirkungen im „unglücklichen Afrika“!)58 und selbstverständlich die Weissagungen auf Christus genannt.59 Der Anhang der Allgemeinen Weltgeschichte „Ueber die prophetische Betrachtungsweise der Geschichte, wie sie in der heil. Schrift enthalten ist“60 vertritt die Auffassung, dass die alttestamentlichen Propheten Ereignisse des ersten und zweiten Kommens Christi wie zwei unterschiedlich weit entfernte Berggipfel am Horizont in eins gesehen hätten. Im Wirken Jesu im ersten Jahrhundert sei nur ein Teil der Weissagungen erfüllt worden, ein anderer Teil warte noch auf Erfüllung. Die Zeit der Kirche – die Schlucht zwischen den Berggipfeln – sei dabei nicht von den Propheten, sondern von der Johannesoffenbarung behandelt worden.

lange sich aus der eigentlichen Erklärung kein erweislicher Widerspruch gegen Schrift und Vernunft ergibt“. Nach Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 166 f stießen Barths Auslegungsprinzipien allerdings bei etlichen pietistischen Freunden auf Kritik. 56 367 f; 373 (die Ereignisse der Endzeit). 57 9. Vgl. Genesis 3,15: „[Gott sprach zur Schlange:] Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse.“ Seit dem Kirchenvater Irenäus (ca. 135–202 n.Chr.) war diese Stelle weithin als Weissagung auf Christus bzw. Maria verstanden worden. Vgl. Claus Westermann, Genesis, Bd. 1: Genesis 1–11, Neukirchen-Vluyn 31983, 354. 58 14. Noah, nach der Sintf lut der neue Stammvater der Menschheit, verf luchte nach Genesis 9,18–29 seinen jüngsten Sohn Ham bzw. dessen Sohn Kanaan für eine gravierende Ehrverletzung. Die Identifikation von Ham mit dem afrikanischen Kontinent, die bereits im Frühmittelalter verbreitet war, rührt daher, dass die wenig später aufgeführten Hamiten (Genesis 10,6–20) zumeist nordafrikanische und arabische Völker repräsentieren. Vgl. Victor P. Hamilton, The Book of Genesis: Chapters 1–17, Grand Rapids 1990, 335–343; Hildegard Elisabeth Keller, „Lachen und Lachresistenz. Noahs Söhne in der Genesisepik, der Biblia Pauperum und dem Donaueschinger Passionsspiel“, in: Werner Röcke/Hans Rudolf Velten (Hg.), Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter in Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Berlin 2005, (33–59) 40. 59 111; 370 u. a. 60 369–373.

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3. Historiographische Gewichtungen In der Allgemeinen Weltgeschichte erhalten Altertum (mit Urgeschichte und Spätantike), Mittelalter und Neuzeit (mit Zeitgeschichte) etwa gleich viel Raum.1 Barth folgt zwar nicht dieser Periodisierung, verwendet aber die gängigen Begriffe „Alterthum“ und „Mittelalter“2 sowie „alte Geschichte“; der Begriff umfasst im Kapitel „Rückblick auf die alte Geschichte“ die Zeit bis Augustus.3 Barth, der seine siebte Weltepoche „Von der Reformation bis auf die neueste Zeit“ überschreibt, reserviert letztere Bezeichnung offenbar für die jüngste Vergangenheit und die eigene Gegenwart. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen die politische Ereignisgeschichte und die Schilderung der sie gestaltenden Herrscher. Zugleich erhält jedoch die Religions- und Kirchengeschichte breiten Raum, die in Unterkapiteln wie „Erste Ausbreitung des Christenthums“, „Das Christenthum bei den germanischen Völkern“, „Der religiöse Zustand Deutschlands zu dieser Zeit“ oder „Der religiöse Zustand in Deutschland“4 auch eine sozialgeschichtliche Komponente aufweist und damit die wenigen speziell sozialgeschichtlichen Kapitel, etwa „Das Lehen- und Städtewesen“ oder „Das Ritterwesen und die Ritterorden“,5 ergänzt. Daneben treten ebenso bedeutsam Kultur- und Geistesgeschichte, wie die Kapitel „Die Spuren der ältesten Cultur“, „Die Kultur und die Kirche“, „Erfindung des Schießpulvers“, „Erfindung der Buchdruckerkunst“ und „Culturgeschichte“,6 aber auch viele kleinere Abschnitte belegen. Von allen diesen methodisch-konzeptionellen Entscheidungen wird allein die Betonung der Herrschergeschichte in einer bemerkenswerten Passage biblisch begründet. Man, d. h. wohl eine frühe Generation von Befürwortern sozialgeschichtlicher Ansätze, tadele an den „gewöhn lichen Geschichtsbüchern“ deren Fixierung auf die „Regentengeschichte“, schreibt Barth und fährt mit Bezug auf die alttestamentliche Königshistorie fort: „Dieser Tadel ist nur scheinbar gegründet. Auch das Volk Gottes befolgt diese Methode in der Geschichte des Volks Israel, und sie kann daher nicht so schlecht seyn. Bei der genauen Verbindung, in welcher Volk und Fürst miteinander stehen, 1 128 zu 116 zu 118 Seiten. Zehn Seiten sind speziell geschichtstheoretischen bzw. hermeneutischen Ref lexionen gewidmet, die jedoch auch sonst verstreut auftreten. 2 307. 3 105–109. 4 116 f; 143 f; 300–303; 329–313. 5 172–174; 182–185. 6 43–47; 194–198; 236 f; 244–247; 288 f.

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Historiographische Gewichtungen

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ist die Geschichte des Einen von der des Andern unzertrennlich, ist gleichsam ihr Commentar und ihr Echo; und bei der Voraussetzung, daß die Fürsten von Gott eingesetzt sind, Seine Werkzeuge, durch welche Er die Völker segnet oder züchtigt, wird es begreif lich, wie auf den Zustand des Volkes aus der Geschichte seines Fürsten leicht geschlossen werden kann.“7

Barth vertritt zwar nicht unbedingt mit der Herrschergeschichte an sich, aber mit dieser Begründung für sie eine unübliche, in eigenwilliger Weise „nach biblischen Grundsätzen“ gestaltete Geschichtstheorie: In der legitimen Herrscherfigur begegnet nicht nur ein wesentlicher politischer Akteur, sondern konzentriert sich auch als Pars pro toto Zustand und Charakter eines Volkes. Das Gottesgnadentum wird hier äußerst weit gefasst und geschichtstheoretisch zu Ende gedacht. Das Prinzip findet seine (etwas abgemilderte) praktische historiographische Anwendung darin, dass Barth sich für die Persönlichkeit der Herrschenden besonders stark interessiert, auch wenn deren Gedanken und Motive nach Barths eigener Auffassung eigentlich „der Lebensbeschreibung, nicht der Geschichte“ angehören.8

7

225. 194. Nach Ulrich Köpf, „Geschichtsschreibung. V. Christentum“, RGG 4, Bd. 3 (2000), (809–812) 810 nimmt er damit eine in Antike und Mittelalter selbstverständliche Unterscheidung vor. 8

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

4. Periodisierung, Chronologie und danielische Vier-Weltreiche-Lehre Zwischen Weltschöpfung und 1836 liegen nach Barths Darstellung 5879 Jahre, die sich in die folgenden sieben1 „Zeiträume“ untergliedern: „Von der Schöpfung bis zur Sündf luth“ (3943–2287 v. Chr.), „Von der Sündf luth bis Nebukadnezar“ (2287–605 v. Chr.), „Von Nebukadnezar bis Augustus“ (605–27 v. Chr.), „Von Augustus bis zur Völkerwanderung“ (27 v. Chr. – 375 n. Chr.), „Von der Völkerwanderung bis zu Kaiser Karl dem Großen“ (375–800 n. Chr.), „Von Karl dem Großen bis zur Reformation“ (768–1517 n. Chr.) sowie „Von der Reformation bis auf die neueste Zeit“ (1517–1836 n. Chr.). Diese sieben Epochen gliedert Barth gemäß seinen im letzten Kapitel dargelegten Geschichtsprämissen nochmals, indem er die ersten drei von ihnen unter der Überschrift „Zeit vor Christus“ und die letzten vier unter der Überschrift „Zeit nach Christus“ subsumiert. Die deutschen Historiker im 19. Jahrhundert fühlten sich zwar nach wie vor dem biblischen Buch Genesis und manchmal auch einer bis zu Adam und Eva zurückreichenden Datierung verpf lichtet.2 Eine schlüssige Chronologie ab der Weltschöpfung wurde jedoch selten mit voller Überzeugung vertreten, waren doch im Jahr 1830 nach zeitgenössischer Zählung mehr als 130 Meinungen über den Zeitpunkt der Erderschaffung auf dem Markt. 3 Barth ist hier der schwäbisch-pietistischen Tradition verpf lichtet: Die in der Allgemeinen Weltgeschichte verwendete Zahl 3943 v. Chr. als Anfang der Geschichte findet sich, wie auch die Berechnung der Sintf lut auf das Jahr 2287 v. Chr., schon bei Bengel.4 Allerdings ist der Allgemeinen Weltgeschichte Bengels mathematischer „apokalyptischer Schlüssel“ mit einem „prophetischen Monat“ von 15 5/7 und einer Gesamtdauer der Welt von 7777 7/9 Jahren völlig fremd. Und im Gegensatz zu dessen Ordo temporum, der eine genaue Datenliste bis zur apostolischen Zeit vorlegt, werden in der Allgemeinen Weltgeschichte für die biblische Historie fast keine Jahreszahlen genannt. Gegen Ende des Buches heißt es, die Geschichte der Menschheit habe „– nach der Frank’schen Zeitrechnung – bereits einen 6000-jährigen 1 Dass die biblische Füllezahl sieben hier eine Rolle spielt, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber schon deshalb unwahrscheinlich, weil das erwartete Gottesreich auf Erden als (mindestens) achte Epoche die Zahlensymbolik stören würde. 2 Vgl. Cartier, Licht ins Dunkel, 220. 3 Vgl. ebd., 23. Die Zahl stammt von dem Historiker Andreas Buchner (1776–1854). 4 Bengel, Ordo temporum, 21770 (1741), 2; ders., Welt-Alter, 1746, 318–320 (die Angabe 3940 erklärt sich daraus, dass Jesus nach Bengel drei Jahre vor der christlichen Zeitrechnung geboren wurde); ders., Erklärte Offenbarung, 1834 (1740), 416 spricht von 3942 Jahren.

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Periodisierung, Chronologie und Vier-Weltreiche-Lehre

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Lauf vollendet“.5 Barth bezieht sich hier auf den Hohnstedter Superintendenten Johannes Georg Frank (1705–1784), der mit seinem 1778 erschienenen Werk Novum systema chronologiae fundamentalis,6 das eine Deckung zwischen den antiken und den neuzeitlichen Chronologien herzustellen versucht, große Anerkennung gefunden hatte.7 Frank stimmt mit Bengel und Barth in der Datierung der Sintf lut auf das Jahr d.W. 1656 überein,8 setzt aber die Kreuzigung Jesu etwa 250 Jahre später an als die Allgemeine Weltgeschichte,9 so dass 1837 die Schöpfung tatsächlich ein wenig mehr als 6000 Jahre zurückliegen würde. Die Tatsache, dass Barth Frank, mit dem seine eigene Datierung nicht übereinstimmt, dennoch anscheinend zustimmend zitiert, beweist, dass er für seine Chronologie keinen dogmatischen Wahrheitsanspruch erhebt. Weitaus wichtiger, und bei genauem Hinsehen grundlegend für den ganzen universalhistorischen Entwurf der Allgemeinen Weltgeschichte, ist ein anderer klassischer Topos: die Vier-Weltreiche-Lehre des alttestamentlichen Propheten Daniel.10 Sie findet sich in den beiden synchron verlaufenden Weissagungen von Daniel 2 (dem Traum von der Statue aus goldenen, silbernen, bronzenen, eisernen und tönernen Gliedern und dem Stein, der sie zerstört) und Daniel 7 (der Vision von den vier hybriden Raubtieren, die sukzessive aus dem Meer aufsteigen und schließlich dem mit den Wolken kommenden „Menschensohn“ weichen müssen). Die beiden Visionen werden bereits in den betreffenden Kapiteln als eine Abfolge großer politischer Reiche interpretiert, die jedoch nicht nament lich identifiziert werden, und sodann im Neuen Testament auf5

363. Johannes Georg Frank, Novum systema chronologiae fundamentalis, qua omnes anni ad solis et lunae cursum accurate describi, et novilunia a primordio mundi ad nostra usque tempora et ulterius ope epactarum designari possunt: in cyclo iobeleo biblico detectae et ad chronologiam tam sacram, quam profanam applicatae; adiecta brevi enarratione iobeleochronologica historiae sacrae. Cum praefatione Iohannis Christophori Gatterer, Göttingen: Vandenhoeck 1778. 7 Vgl. Cartier, Licht ins Dunkel, 28; Friedrich Rühs, Entwurf einer Propädeutik des historischen Studiums (Berlin: Realschulbuchhandlung 1811), neu hg. von Hans Schleier/ Dirk Fleischer, Waltrop 1997, 91. 8 Frank, Novum systema chronologiae fundamentalis, 95. 9 Ebd. spricht vom Jahr d.W. 4214; für die Allgemeine Weltgeschichte, wo kein Datum genannt wird, müsste es bei ca. 3975 liegen. 10 Die exegetische Literatur zum Danielbuch ist unüberschaubar. Die universalgeschichtliche Frage behandeln z. B. Gerhard Maier, „Die Geschichtsprophetie des Danielbuches“, in: Helge Stadelmann (Hg.), Glaube und Geschichte. Heilsgeschichte als Thema der Theologie, Gießen/Basel/Wuppertal 1986, 134–153; Klaus Koch, „Universalgeschichte, auserwähltes Volk und Reich der Ewigkeit. Das Geschichtsverständnis des Danielbuches“, in: ders. et al. (Hg.), Europa, Tausendjähriges Reich und Neue Welt. Zwei Jahrtausende Geschichte und Utopie in der Rezeption des Danielbuches, Freiburg CH/Stuttgart 2003, 11–36. 6

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

genommen.11 In neueren Veröffentlichungen wird wiederholt auf ihre immense politische und theologische Bedeutung während der gesamten christlichen Jahrhunderte hingewiesen.12 In den allermeisten Fällen wurde das Reich der Cäsaren mit seinen vermuteten Rechtsnachfolgern als „viertes Reich“ identifiziert, während das fünfte als ein überirdisches Reich noch ausstehe.13 Innerhalb der protestantischen Universalgeschichtsschreibung war das Modell in der Mitte des 16. Jahrhunderts durch Johannes Sleidans De quatuor summis imperiis und Philipp Melanchthons Chronicon Carionis (dort in Verbindung mit dem sogenannten vaticinium Eliae von drei mal 2000 Jahren) auf lange Zeit etabliert worden.14 Im 19. Jahrhundert war allerdings die Dominanz des Vier-Weltreiche-Schemas gebrochen.15 Grund hierfür war einerseits die Umstrittenheit des Danielbuches, andererseits die Vielfalt der Identifizierungen von viertem Reich, translatio imperii – der legitimen Romnachfolge nach Untergang des imperium Romanum – und illegitimem elftem Horn des vierten Tieres, einer vergleichslos bösen Herrscherfigur. Es gab im deutschsprachigen Bereich aber nach wie vor populäre Auseinandersetzungen mit dem Stoff.16 Zu diesen Bearbeitungen zählte auch Gottfried Menkens Aufsatz „Das Monarchieenbild“ von 1801/02, der, wie erwähnt, möglicherweise richtungsweisend für Barths Danielinterpretation wurde. Das danielische Monarchien-Modell wirkt sich in der Allgemeinen Weltgeschichte nicht nur in der Struktur des Werkes aus. Es wird auch immer wieder zwischendurch angesprochen, um die Position der jeweiligen Zeit in dem so vorgezeichneten Ablauf der Welt aufzuzeigen und um historische Phänomene mit den Eigenschaften zu vergleichen, die den metallenen Körperteilen bzw. den Tierwesen zugeschrieben sind.17 Das dritte Hauptkapitel („Von Nebukadnezar bis Augustus“) stellt im Anschluss an die 11

So brachte Jesus seine Mission mit dem Kommen des Gottesreichs in Verbindung (Markus 1,14 f ) und spielte in diesem Zusammenhang auch auf den Stein aus Daniel 2 ( Matthäus 21,43 f ) und den Menschensohn aus Daniel 7 (Markus 13,26) an. Die Johannesoffenbarung (12–17) verarbeitet die Tiervision neben anderen Elementen des Danielbuches an prominenter Stelle weiter. 12 Vgl. Klaus Koch, Europa, Rom und der Kaiser vor dem Hintergrund von zwei Jahrtausenden Rezeption des Buches Daniel, Hamburg 1997; ders./Mariano Delgado/Edgar Marsch (Hg.), Europa, Tausendjähriges Reich und Neue Welt. Zwei Jahrtausende Geschichte und Utopie in der Rezeption des Danielbuches, Freiburg CH/Stuttgart 2003. 13 Vgl. Mariano Delgado/Klaus Koch/Edgar Marsch, „Vorwort“, in: dies. (Hg.), Europa, Tausendjähriges Reich und Neue Welt, (7–9) 7. 14 Vgl. Pohlig, Gelehrsamkeit, 157–189. 15 Vgl. Jordan, Geschichtstheorie, 98; Günther, Lehrbuch der Universalgeschichte, 276. 16 Vgl. Stefan Bodo Würffel, „Reichs-Traum und Reichs-Trauma. Danielmotive in deutscher Sicht“, in: Delgado et al. (Hg.), Europa, Tausendjähriges Reich und Neue Welt, Freiburg CH/Stuttgart 2003, 405–425. 17 19; 49; 51 f; 72 f; 89; 104; 113; 117; 132 f; 137 f; 169; 247; 307; 367.

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Periodisierung, Chronologie und Vier-Weltreiche-Lehre

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Lehre von den vier Weltreichen sukzessive (und ausschließlich) das babylonische, das medisch-persische, das mazedonisch-griechische und das römische Reich dar. Barths bereits beschriebener Verfallstopos speist sich unter anderem aus dem abnehmenden Wert der Metalle bzw. der zunehmenden Schrecklichkeit der Tiere. Bei den Weltreichen macht er diese Tendenz in einer schwindenden politischen Festigkeit, inneren Kohärenz, Wohlfahrt und Gotteserkenntnis sowie in einer zunehmenden sittlichen Verrohung und Härte gegen andere und die eigene Bevölkerung aus.18 Allen Weltreichen gemeinsam ist das zunehmend kaltblütige „Streben nach Erweiterung, Einheit und Allherrschaft“, um „aus den Vielen Eines zu machen“.19 Durch diese Zuspitzung, die nach der Allgemeinen Weltgeschichte das erste Kommen des Messias vorbereiten sollte und heute sein zweites Kommen ins Bewusstsein ruft, soll die Menschheit „sich ihrer Armuth und Hilfsbedürftigkeit bewußt werden […], soll nach einem Erretter seufzen, und fragen lernen nach einem Fürsten, dem jede Seele theuer ist, und der für jede sorgen will“.20

Die weltgeschichtliche Wende ereignete sich mit dem Kommen Jesu: „Bisher hatten die Weltreiche nacheinander die Oberhand auf der Erde gehabt; nun trat ein Reich Gottes, ein himmlisches Reich, in die Welt ein, vorerst aber noch innerlich, unsichtbar, und darum auch von den Juden noch nicht erkannt.“21

Bevor der in Daniel 2 angekündigte Stein das Monarchienbild zerschlug und zu einem die Welt füllenden Berg wurde und bevor die „Heiligen des Höchsten“ nach Daniel 7 das Reich einnehmen konnten, ging das römische Reich jedoch auch über das Jahr 476 n.Chr. hinaus erst einmal weiter: Es wird aus der Allgemeinen Weltgeschichte zwar nicht ganz deutlich, ob Barth, wie Luther in seiner Adelsschrift, meint, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation sei „ein ander Romisch reich“ gewesen,22 oder ob er eine unmittelbare Kontinuität annimmt.23 In jedem Fall aber handelt es sich für ihn um eine „Erbschaft der römischen Kaiserwürde“ durch die deutschen Könige.24 Die Kaiserkrönung Karls des Großen ist für die translatio imperii daher von großem Gewicht, bei deren Anlass dem Leser der 18

51; 72 f; 104; 133; 137. 51; 19; vgl. 61; 68; 366. 20 73. 21 113. 22 WA 6, 463, 3 f. Luthers Haltung ist allerdings aufgrund divergierender Aussagen schwer festzumachen; vgl. Pohlig, Gelehrsamkeit, 92. 23 „So ging das große römische Reich zu Ende im J. 476, nach einer Dauer von 1230 Jahren“ (137) vs. „das deutsche und römische Kaisertum (Letzteres nach einer Dauer von 1800 Jahren) hörte auf (1807)“ (353). 24 307. 19

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

Allgemeinen Weltgeschichte der römische Namensgeber des Titels vor Augen gestellt wird („Was würde Cäsar gedacht haben […]“), der krönende Papst allerdings ungenannt bleibt. „Im J. 800 wurde er in Rom zum römischen Kaiser ausgerufen“, heißt es lapidar.25 Zugleich ist für Barth das Papsttum selbst spätestens seit Hildebrand (Gregor VII.) Erbe des aggressiven römischen Weltmachtstrebens und bietet von Rom aus dem deutschen Kaisertum als legitimem Erben des römischen Reiches Paroli. Umgekehrt wird das tendenziell antichristliche Papsttum vom deutschen Kaisertum, dem „Auf haltenden“ von 2. Thessalonicher 2,7,26 in Schach gehalten. Die in Daniel 2 beschriebene Gespaltenheit des letzten Reiches in Eisen und Ton komme in diesem Dualismus, später in der Reformation zum Ausdruck.27 Doch wie in dem Danielbild schließlich von den Zehen (Daniel 2,41 f ) bzw. den zehn Hörnern des Tieres (Daniel 7,24) die Rede ist, so sieht Barth mit der neuzeitlichen Entstehung der europäischen Nationen und spätestens seit dem Dreißig jährigen Krieg die „Zeit der zertheilten Zehen“, d. h. eine stärker dezentrale Machtverteilung, gekommen. Politisch habe das deutsche Kaisertum gegenüber der Macht Frankreichs einen Niedergang erlebt.28 Barth rechnet jetzt mit einem auf „Gleichgewicht“ ausgerichteten „europäischen Staatensystem“.29 Diese Konzeption erklärt auch, warum nach der Abdankung des Habsburgers Franz II. weder das neue österreichische noch (was 1837 weniger verwundert) das napoleonische Kaisertum und trotz Hochschätzung der von Alexander I. initiierten Heiligen Allianz ebenso wenig das Zarenreich als neue Rechtsnachfolger des vierten Reiches in Erwägung gezogen werden. Barth geht für seine Zeit vielmehr von einer Art kollektiver Romnachfolge aus. Eines Tages werde schließlich nach Daniel 7,24 f ein weiterer aus dem Papsttum erstehender Herrscher – das elfte Horn – mit vereinigter säkularer und geistlicher Macht die Weltherrschaft an sich reißen, bevor Gott ihn zerstört und ein Friedensreich aufrichtet.30

25

154. Über den „Menschen der Gesetzwidrigkeit“ steht in 2. Thessalonicher 2,6 f die rätselhafte und daher viel diskutierte Aussage: „Ihr wisst auch, was ihn jetzt noch zurückhält, damit er erst zur festgesetzten Zeit offenbar wird. Denn die geheime Macht der Gesetzwidrigkeit ist schon am Werk; nur muss erst der beseitigt werden, der sie bis jetzt noch zurückhält.“ 27 132 f; 138; 168 f; 307. 28 247 f; 307. 29 248; 299; 335; 358. 30 19; 366; 367 f. Aus seinen 1832 verfassten Schriften wissen wir, dass Barth, wie hier in der Allgemeinen Weltgeschichte angedeutet, mit einem Papst rechnete, der das Papsttum selbst auf heben, sich als Messias ausgeben und „mit ganz andern Waffen streiten“ werde als Gregor oder Innozenz (zitiert nach Werner, Barth, Bd. II, 1866, 195 f; 208). 26

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Periodisierung, Chronologie und Vier-Weltreiche-Lehre

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Mittels der Barthschen Deutung der Danielprophetien 31 wird demnach die oben skizzierte Epocheneinteilung der Allgemeinen Weltgeschichte verständlich: Die Zäsur bei der Sintf lut ist biblisch naheliegend und war Standard.32 Die nächsten beiden Wendepunkte werden durch Nebukadnezar und Augustus markiert, denn mit den beiden Potentaten ist das erste und das letzte der Weltreiche auf ihrem Zenit bezeichnet, und zwar zugleich an den Stellen, die in besonderer Weise die Geschichte des Gottesvolkes kreuzen: der Zerstörung Jerusalems und Deportation einerseits, der Geburt des Messias andererseits. Mit der Völkerwanderung als nächster Zäsur rückt der „Schauplatz der Geschichte“ nach Mitteleuropa, wo das römische Reich mit Karl dem Großen seine Fortsetzung finden soll. Außerdem markiert die durch die Völkerwanderung ausgelöste Assimilation germanischer Völker im römischen Reich die nach Daniel 2,41 erwartete Vermischung des Eisens mit dem Ton.33 Mit der Reformation ist das Abendland religiös gespalten (weiterer Ausdruck der Vermengung von Ton und Eisen), und die Nationalisierung (Spaltung in Zehen) bahnt sich an. Natürlich konnte die Zäsur 1517 in einer protestantischen Weltgeschichte schon fast per definitionem nicht übergangen werden. Sie bildet damit vor dem Abfassungsdatum 1836 die letzte Epochengrenze. Es fehlt nur noch der Stein, der die Statue von Daniel 2 zerschmettern und ein neues Reich einläuten soll. „Das“, schreibt Barth, „haben wir noch zu gewarten.“34

31

Unter den von Koch dargestellten wichtigsten Interpretationsmodellen des Danielschemas von 1648 bis 1848 (Europabewusstsein und Danielrezeption, 330–338) entspricht Barths Deutung der – wohl prominentesten – „auf den sich römisch nennenden Kaiser zentrierte[n] Auffassung“. Sie verwendet aber für die jüngere Vergangenheit auch Versatzstücke der „föderalistische[n], auf alle europäischen Nationen als Nachfolger Roms bezogene[n] Auffassung“. Im privaten Austausch äußerte Koch die Vermutung, die in England und Frankreich traditionell zur Abwehr eines deutschen Führungsanspruchs verbreitete föderalistische Interpretation der Zehen sei bei Barth wohl insofern „neu“, als dieser sie mit der Entwicklung des Nationalcharakters (248) in Verbindung bringt. 32 Vgl. Cartier, Licht ins Dunkel, 131. 33 138. Somit wird nicht Konstantin als Epochengrenze gewertet, obwohl der Kapitelumbruch in der Allgemeinen Weltgeschichte innerhalb der Darstellung der römischen Kaiser und genau bei der Konstantinischen Wende (128), eigentlich nicht bei der Völkerwanderung (133) erfolgt! Möglicherweise wirkten bei dieser Periodisierungsentscheidung auch Barths pietistische Vorbehalte gegenüber den kirchenpolitischen Folgen des Datums 313 mit. 34 367.

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5. Bengelsche Offenbarungsrezeption und Endzeitlehre Für den f lüchtigen Betrachter kaum erkennbar, spielt für Barths Periodisierung neben dem Danielbuch auch die Johannesapokalypse eine – wenn auch weniger zentrale – Rolle. Ihr Einf luss auf die Allgemeine Weltgeschichte wird erst beim Vergleich mit den exegetischen Werken Bengels und Osianders deutlich; Barths Zurückhaltung beim Zitieren der Offenbarung erklärt sich wohl auch aus den apokalyptischen Kontroversen des Abfassungsjahres 1836.1 Für diesen Zeitpunkt hatte Johann Albrecht Bengel den Beginn des ersten von ihm nach Offenbarung 20 erwarteten Millenniums errechnet.2 Wenn auch herausragende pietistische Theologen die Berechnung anzweifelten und die politisch ruhigeren postnapoleonischen Jahre die endzeitliche Erwartung abschwächten,3 war doch die Erwartung apokalyptischer Ereignisse in Württemberg bis zuletzt sehr verbreitet.4 Barth hatte sich deshalb 1832 mit zwei kurzen anonymen Schriften, Der 14. Oktober 1832 und Das Jahr 1836. – Von dem Verfasser der Schrift: Der 14. Oktober 1832, gegen Bengels Berechnung gewandt, ohne dessen Endzeitlehre als solche fallen zu lassen.5 In der Allgemeinen Weltgeschichte wird Bengel im Gegensatz zu den Pietistenvätern Spener und Zinzendorf mit keinem Wort erwähnt. Auch sein irrtümliches Endzeitdatum wird nicht behandelt.6 1

Nach Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 161 waren im Kontext von „1836“ v. a. die öffentlichen Äußerungen pietistischer Pfarrer von strategischer Zurückhaltung bezüglich endzeitlicher Erwartungen geprägt. 2 Zu Bengels Berechnung und einem verbreiteten Missverständnis vgl. Martin H. Jung, „1836 – Wiederkunft Christi oder Beginn des Tausendjährigen Reiches? Zur Eschatologie Johann Albrecht Bengels und seiner Schüler“, PuN 23 (1997), 131–151. 3 Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 200 f. 4 Zu dem ganzen Thema vgl. die umfangreiche Studie von Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln. 5 Werner, Barth, Bd. II, 1866, 194–208. Bengels Berechnung sah – im Vorfeld des Jahres 1836 – einen Fürstenkongress und das Auftreten des Antichristen für den Oktober 1832 vor. Barth rechnete aufgrund von Bibelstellen wie Daniel 9,27 damit, dass erst weitere Ereignisse, etwa eine Erweckung unter den Juden und ein neuerlicher Tempelbau im Heiligen Land, eintreten müssten, was aber noch nicht geschehen sei. Auch lasse sich generell vor Eintreffen der ersten Ereignisse kein Datum voraussagen. Barth vermutete aber mit Blick auf die rasanten weltgeschichtlichen Entwicklungen, „daß wir der Zeit des Endes sehr nahe stehen“ (ebd., 198). 6 Möglicherweise spielt die Allgemeine Weltgeschichte dezent auf die zeitgenössischen Auswanderungswellen endzeitbewusster württembergischer Pietisten an, wenn es über die Ursprünge der Kreuzzüge heißt, „durch einen Mißverstand der Weissagung vom tausendjährigen Reich“ hätten manche Christen die Wiederkunft Jesu für das Jahr 1000 erwartet und seien 12.000 bayerische Männer und Frauen „nach dem heiligen Lande [ausgewandert], weil sie den jüngsten Tag in der Nähe glaubten“ (176 f ).

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Bengelsche Offenbarungsrezeption und Endzeitlehre

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Gleichwohl gibt es ideelle Bezugnahmen auf Bengel. In einigen Fällen ist eine mögliche Parallele nur Spekulation: In seiner Erklärten Offenbarung fand Bengel Prophezeiungen der Völkerwanderung in Offenbarung 8,8–12 (Trompeten) und der Reformation in Offenbarung 12,6 (Ernährung der Frau in der Wüste);7 Osiander stimmt ihm darin zu;8 Barth betrachtet die Ereignisse als Epochengrenzen. Andere für Bengels und Osianders Offenbarungsexegese wesentliche Ereignisse werden in der Allgemeinen Weltgeschichte aber nur am Rande erwähnt, etwa das mit Offenbarung 14,6 (Engel mit dem ewigen Evangelium) in Verbindung gebrachte Auftreten des frühpietistischen Erbauungsschriftstellers Johann Arndt (1555–1621).9 Aussagekräftiger ist, dass das „Tier“, das nach Offenbarung 17,8 „war“, dann „nicht ist“, dann aus dem Abgrund „heraufsteigen“ und schließlich „ins Verderben gehen“ wird, von Bengel und Osiander als das Papsttum gedeutet wird: Dieses habe seit Gregor VII. (1073–1085) bis zum Jahr 1740, dem Beginn der Phase des Nicht-Seins, ein Streben nach Weltmacht an den Tag gelegt. Die Zeitdauer von etwa 666 Jahren verweist auf die „Zahl des Tieres“ aus Offenbarung 13,18. Das Papsttum sei dann 1740 in eine Schwächephase eingetreten, von der es sich aber für kurze Zeit noch einmal erholen werde.10 Die Allgemeine Weltgeschichte scheint diese Ansicht aufzunehmen, wenn sie einerseits der Person Gregors VII. als Repräsentanten des Papsttums breiten Raum gibt und andererseits betont, mit dem Jahr 1740 habe auf politischer wie religiöser Ebene „ein neuer wichtiger Abschnitt in der Geschichte“ begonnen: „Auf den päpstlichen Thron steigt in demselben Jahre Benedict XIV., der erste der Päpste, der es freiwillig einsieht, daß die Zeit vorüber ist, in welcher das Papstthum mit unbeschränkter Gewalt über Throne und Gewissen herrschen konnte. Die Herrschaft des Aberglaubens neigt sich zum Untergang, und der Unglaube fängt an, seine Stelle einzunehmen.“11

Hier wertet Barth, der ja auch die Bengelschen Jahreszahlen zum Anfang der Geschichte übernimmt, offensichtlich nach Bengelscher bzw. Osianderscher Lesart des letzten Buches der Bibel. Ansonsten liegen allerdings 7 Bengel, Erklärte Offenbarung, 1834 (1740), 301–306; 382–393. En passant (535 f ) wird die danielische Weltreiche-Lehre ebenfalls zitiert. 8 Osiander, Erklärung der Offenbarung Johannis, 1831, 51; 72 f. 9 301. Vgl. Bengel, Erklärte Offenbarung, 476; Osiander, Erklärung der Offenbarung Johannis, 90. 10 Osiander, Erklärung der Offenbarung Johannis, 79 f; 106–108. Bengel scheint allerdings im Gegensatz zu Osiander die Zeit zwischen 1073 und 1740 n. Chr., die er ebenfalls als relative Stärke des Papsttums ansieht, nicht als die Periode des Nicht-Seins zu bezeichnen; diese bestehe vielmehr in der vom deutschen Kaisertum geprägten Zeit 800 bis 1836 n. Chr. (so Burk, Bengel’s Leben und Wirken, 1831, 275 f; Bengel, Erklärte Offenbarung, 528–539 scheint nicht eindeutig). 11 167–171; 331 f.

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für Bengels Periodisierungen12 in der Allgemeinen Weltgeschichte keine erkennbaren Parallelen vor. Zu den in der Allgemeinen Weltgeschichte genannten Ereignissen der Endzeit gehört die Wiederherstellung des Staates Israel, des „eigentlichen Herrn der Welt“, der, „in sein altes Erbland zurückgerufen und zu Christus bekehrt, den neuen Mittelpunkt der Geschichte bilden“ und von dort positiv auf alle übrigen Völker einwirken werde.13 Derzeit sei Israel zwar „eine Zeitlang verstoßen, aber nicht verworfen“ und nur vorübergehend „außer Wirksamkeit gesetzt“, während mit der christlichen Kirche das „geistliche Israel“ zeitweise an seine Stelle getreten sei.14 Barths Eschatologie, die in der Tradition des württembergischen Pietismus steht, weist hier möglicherweise auch internationale Einf lüsse oder doch Berührungspunkte auf.15 12 Vgl. Mälzer, Bengel, 321 f, 328: „Der chronologische Aufriss Bengels ist einfach; für das 2. bis 5. Jahrhundert ausgesprochen schematisch: ‚Die Trompeten der vier ersten Engel nacheinander.‘ (Kap. 8) Von da ab bis zum Jahre 1836 verläuft die Geschichte in drei Epochen, gegliedert durch die drei ‚Wehe‘ der Johannesoffenbarung. […] In den Jahren 510 bis 589 ‚Das erste Weh‘ (Kap. 9); 634–847 ‚Das zweite Weh‘ (Kap. 9); 947–1836 ‚Das dritte Weh‘ (Kap. 12,12). Zwischen den ‚Wehe‘ gibt es jeweils einen ‚Stillstand‘ (von 589 bis 634 und von 847 bis 947). […] Gegliedert ist der Ablauf der Geschichte in drei Perioden: die ‚erste‘, ‚mittlere‘ und ‚letzte Welt-Zeiten‘: d. h. von der Schöpfung ‚bis auf die Könige in Persien‘, von da an bis zur Zerstörung Jerusalems und schließlich bis zum Ende der Welt.“ 13 15; 368; 27 f. 14 15; 371; 121 f. Der Gedanke des „geistlichen“ im Gegensatz zum „f leischlichen“ Israel ist ein paulinischer Topos (Römer 2,28 f; 9,6; 1. Korinther 10,18; Galater 6,16) mit Wurzeln im Alten Testament (z. B. Deuteronomium 10,16; Jeremia 4,4). 15 So besteht eine Ähnlichkeit – außer in Bezug auf das „geistliche Israel“ – mit dem von John Nelson Darby (1800–1882) in England entwickelten und seit etwa 1830 öffentlich vertretenen Dispensationalismus (vgl. Erich Geldbach, Christliche Versammlung und Heilsgeschichte bei John Nelson Darby, Wuppertal 1971; Berthold Schwarz, Leben im Sieg Christi. Die Bedeutung von Gesetz und Gnade für das Leben des Christen bei John Nelson Darby, Gießen 2008, 165–217). Dieser nimmt in seiner Bibelexegese eine scharfe Trennung von Israel und christlicher Gemeinde vor und versteht folglich viele alttestamentliche Israelprophezeiungen als noch unerfüllt. Die „Zeit der Gemeinde“, d. i. die Zeit nach Christus bis zum Millennium, wird als Zwischenphase gedeutet. Die dem Dispensationalismus eigene Einteilung der Geschichte in deutlich voneinander abgegrenzte Heilszeiten, denen jeweils bestimmte Ordnungen des göttlichen Wirkens (dispensations) entsprechen, lässt sich bei Barth jedoch ebenso wenig beobachten wie die Lehre von der „Entrückung“ der Gemeinde vor dem Tausendjährigen Reich. Dass Barth 1836 Darbys frühe Theologie kannte, ist unwahrscheinlich (vgl. auch Holthaus, Prämillenniarismus, 204, der die erste konsequente Rezeption des Dispensationalismus in Deutschland auf die frühen 1850er Jahre datiert). Dennoch nennt Holthaus, Fundamentalismus in Deutschland, 445 Fn. 437 es zu Recht ein „interessantes Forschungsprojekt“, der Verbindung zwischen württembergischem Chiliasmus und anglo-amerikanischem Dispensationalismus eingehender nachzugehen. Nach Ulrich Gäbler, „Evangelikalismus und Réveil“, in: ders. (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 3, Göttingen 2000, (27–86) 27 sind solche „Landes- und Sprachgrenzen überschreitende Beziehungen“ bislang wenig erforscht.

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Wie bei der Besprechung von Barths Weltreichelehre angedeutet, rechnet die Allgemeine Weltgeschichte mit dem künftigen Auftreten des Antichristen, der mit katastrophalen Folgen für die Menschheit „alle geistliche und weltliche Gewalt in seiner Person vereinigen“ und die wahren Christen umbringen werde. Christus werde ihn bei seiner Wiederkunft vernichten.16 Es hat nach Barth jedoch immer wieder individuelle oder institutionelle „Vorbilder“ des Antichristen in der Geschichte gegeben, die seine Wesenszüge antizipierten. Hierzu zählt er die auf die Errichtung einer Universalherrschaft ausgerichteten Monarchen der vier Weltreiche, mehr noch den Seleukidenherrscher und Tempelschänder Antiochus Epiphanes, das universalistische Papsttum seit dem Hochmittelalter, die gewaltsame und säkularistische Französische Revolution und schließlich den machtbesessenen Napoleon Bonaparte.17 Die Allgemeine Weltgeschichte verbindet hier die mittelalterliche Auffassung vom endzeitlichen Antichristen mit Elementen der reformatorischen Deutung vom antichristlichen Papsttum als gegenwärtiger Institution.18 Diese präsentische Einschätzung des Antichristen durch Luther wird bei Barth im Sinne einer typologischen Vorwegnahme des endzeitlichen Geschehens in die traditionelle futurische Antichristdeutung integriert. Barth konnte sich bei dieser Konzeption auf die Verwendung der späten Danielkapitel in der Endzeitrede Jesu (Markus 13 par) oder die Unterscheidung von dem Antichristen und den Antichristen in 1. Johannes 2,18 stützen. Jedenfalls bewegt sich die Allgemeine Weltgeschichte mit ihr sowie mit den historischen Anwendungsbeispielen ganz im Rahmen des Pietismus und der Erweckungsbewegung.19 In der „Friedenszeit“, die Barth nach der Wiederkunft Christi erwartet – er ist also Prämillenniarist –, wird Jerusalem nach der Allgemeinen Weltgeschichte Vereinigungspunkt der ganzen Erde sein, auf der nur noch eine Sprache und keine Bücher mehr zur Kommunikation gebraucht würden, die Schwerter nach Micha 4,3 zu Pf lugscharen geschmiedet seien und endlich Frieden und Gerechtigkeit herrschten.20 Den Chiliasmus, den die Reformatoren trotz der „tausend Jahre“ in Offenbarung 20,1–6 im siebzehnten Artikel der Confessio Augustana verurteilt hatten, wusste Barth auch noch in späteren Jahren auszulegen und gegen den Vorwurf der Schwär-

16

19; 169; 332; 366; 367 f. 19; 78; 164, 168 f; 350; 352. 18 Barth unterscheidet explizit zwischen Individuum und Institution: „Uebrigens muß man zwischen dem Papstthum und den einzelnen Päpsten einen Unterschied machen.“ (169) 19 Vgl. Gottfried Seebass, „Antichrist. IV. Reformations- und Neuzeit“, TRE, Bd. III (1978), (28–43) 38. 20 367; 17; 245; 363; 258. 17

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merei zu verteidigen.21 Sein anderswo vertretener Dichiliasmus, d. h. die Lehre von zwei (bei Barth größtenteils parallel verlaufenden) Millennien, 22 kommt in der Allgemeinen Weltgeschichte allerdings nicht zum Ausdruck. Gleiches gilt für seine Unterscheidung von der zweiten und dritten Ankunft Christi (vor Anbruch des Friedensreiches und am Ende der Welt)23 sowie für die Allversöhnungslehre, der Barth nach Auskunft Werners anhing.24 In diesen Fragen hält sich Barth in seiner weltgeschichtlichen Darstellung bedeckt.

21 „Ein Blick in das verheißene Friedensreich“, Sammlungen für Liebhaber christlicher Wahrheit und Gottseligkeit 1859, 225–238. Die anonym abgedruckte Predigt stammte nach Werner, Barth, Bd. III, 1869, 370 von Barth. 22 Vgl. Raupp, Barth, 160. Michael Kannenberg verwies mich auch auf Barths Schrift Das Jahr 1836 (1833, 12 f ). Barth folgt also Osiander (Erklärung der Offenbarung Johannis, 1831, 11) und nicht Bengel (Welt-Alter, 1746, 319) oder Menken (Monarchieenbild, 1858 [1801/02], 165), die mit echten 2000 Jahren rechneten. 23 Barth, Blick in das verheißene Friedensreich, 1859, 233. 24 Werner, Barth, Bd. III, 1869, 155 berichtet, wie Barth sich auf der Gründungskonferenz der Evangelischen Allianz, bei der u. a. über eine gemeinsame Glaubensgrundlage diskutiert wurde, gegen eine Verurteilung dieser Lehre („Wiederbringungslehre“) wandte, deren Anhänger „er selbst“ gewesen sei.

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National gef ärbter Eurozentrismus

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6. National gefärbter Eurozentrismus Zum Danielbuch und der Johannesapokalypse in württembergisch-pietistischer Auslegung, die die heilsgeschichtliche Grundlage der Allgemeinen Weltgeschichte bilden, kommt noch ein weiteres wesentliches Element hinzu: Barths national gefärbter Eurozentrismus. Er drückt sich in seiner Lehre von dem „Kreis“, „Boden“ oder „Schauplatz“ der Geschichte aus – einer Vorstellung, die die Allgemeine Weltgeschichte durchzieht.1 Barth unterscheidet nach dieser Vorstellung zwischen Völkern, die in den „Kreis der Geschichte“ gehören bzw. deren „Boden“ darstellen und deren Territorium damit „Schauplatz“ der Weltgeschichte ist, und Völkern, die „jenseits“ oder „außerhalb“ der Weltgeschichte stehen bzw. „gar keine“ Geschichte haben.2 Die Geschichtswürdigkeit eines Volkes besteht darin, dass sich bei ihm eine „Entwicklung“, ein „Streben nach einem festen Ziele“ findet.3 Ein solches Volk ist entweder selbst „Mittelpunkt“ bzw. „Kern“ der Weltgeschichte und daher die Weltmacht (d. h. eines der danielischen Weltreiche), oder es steht mit dieser in unmittelbarer Berührung.4 Jedenfalls ist es nicht politisch oder religiös „abgeschlossen“ (wie etwa China).5 Ein weltgeschichtliches Volk hat eine „Aufgabe in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit“ und – Folge des Entwicklungskriteriums – zu irgendeinem Zeitpunkt eine Blütezeit.6 Für Barth, der grundsätzlich zwischen „Nomadenvölkern“ und „Culturvölkern“ höherer und niedrigerer Kulturstufen unterscheidet, ist die Tatsache, Kulturvolk zu sein, allem Anschein nach keine hinreichende Bedingung für die Zugehörigkeit zum Geschichtskreis.7 Sie ist aber wohl eine notwendige Bedingung. Denn der „Kreis der Völker, welche der Geschichte angehören“, ist für die Allgemeine Weltgeschichte mit der „cultivirten Welt“ synonym, und Israel gehörte ihm nach Barths Aussage 1 Die drei Begriffe finden sich (z. T. in leicht abgewandelter Form) auf den Seiten 44; 104; 132; 149; 150; 206; 303; 322; 365 bzw. 44; 150 bzw. 44; 57; 149; 239. 2 44; 104, 150, 206; 131. 3 131. 4 104; 201. Die Allgemeine Weltgeschichte trifft allerdings auch die mit ihrem eigenen System (s. u. sowie oben die Ausführungen zur Danielrezeption) nicht leicht vereinbare Aussage (150), im Frühmittelalter habe es mit dem türkisch-muslimischen und dem deutschchristlichen Reich erstmals zwei gestaltende Weltmächte gegeben. Später wird aber wieder (folgerichtiger) nur die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation als „Kern der Weltgeschichte“ bezeichnet (201). 5 365; 44. Da die Allgemeine Weltgeschichte Chinas zahlenmäßige Stärke zu würdigen weiß – Barth spricht vom „dritten Theil der Menschheit“ –, wird das chinesische Volk jedoch nicht eindeutig als jenseits der Geschichte stehend klassifiziert. 6 365; 38. 7 241.

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auch wegen seiner großen kulturellen Leistungen an. Außerdem sollte die Vergangenheit „geschichtlicher“ Völker nach der Allgemeinen Weltgeschichte zuverlässig und schriftlich überliefert sein. Nationen jenseits der Weltgeschichte können mit dem „cultivirten Morgen- und Abendland“ kontrastiert und mit Gegenbegriffen zum zivilisatorischen Fortschritt wie „barbarische Stämme [von Afrika]“ und „unstäte Horden [der tatarischen und mongolischen Stämme]“ bezeichnet werden.8 Diese Kriterien für den „Eintritt in die Geschichte“ und der eurozentrisch ausgeformte Gedanke eines weltgeschichtlichen Völkerstroms finden sich keineswegs nur bei Barth. Sie werden in dieser oder ähnlicher Form von Herder über Friedrich Schlegel bis zu Hegel und Ranke geäußert9 und finden sich auch in zeitgenössischen Schulgeschichtsbüchern.10 Der katholische Kirchenhistoriker Pius Gams (1816–1892) kann im Jahr 1848 sogar schreiben: „Darin stimmen wohl alle mit uns überein [!], daß in dem Begriffe der Geschichte zugleich der Begriff einer Bewegung, eines geistigen Lebens, einer fortschreitenden Thätigkeit liegt. Daraus folgt, daß die Nomadenvölker, daß alle, die auf der Stufe des bloßen Naturlebens stehen, eigentlich außerhalb der Geschichte stehen. […] Das Erwachen und Aufgehen des Geistes ist es, was die Geschichte bildet; und dem Leben der Völker einen Inhalt gibt.“11

Nach Jürgen Osterhammel korreliert die Klassifizierung vieler nicht-okzidentaler Gesellschaften als „Völker ohne Geschichte“ mit einem um 1800 entstandenen „modernen Europazentrismus“ bzw. „europäischen Sonderbewusstsein“; sie sei zwischen 1830 und 1920 am wirkmächtigsten gewesen.12 Dirk van Laak, der schon im 18. Jahrhundert ansetzt, führt den entstehenden Topos („‚Geschichtlichkeit‘ wurde so zu einem ausgezeichneten Prädikat“) auf die hermeneutisch-textanalytische Fixierung der Geschichtsforschung zurück, die durch die „betonte Abgrenzung der Sphäre der Natur“ nur schriftliche Quellen wahrgenommen und daher „wie nebenbei“ Kulturen ohne schriftliche Überlieferung zum „Bodensatz der Geschichte“ gestempelt habe.13 In der Tat spielt, wie erwähnt, auch die 8

149; 38, 47; 44; 207, 44. Vgl. Hinrichs, Ranke und die Geschichtstheologie, 180 f, 238 f; Dirk van Laak, „‚Am Anfang war das Wort …‘ Über die Theorien zum Beginn von Geschichte“, Saeculum 40 (1989), (296–312) 303. 10 Z. B. Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. I, 1835, 4; Theodor Dielitz, Grundriß der Weltgeschichte für Gymnasien und Realschulen, Berlin: Duncker & Humblot 1836, 1. 11 Pius Gams, „Die christliche Geschichtsbetrachtung“, Theologische Quartalschrift 30 (1848), (435–469) 445 f. 12 Osterhammel, Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats, 82; 233; 238; 91 f. 13 Van Laak, Am Anfang war das Wort, 303. 9

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Allgemeine Weltgeschichte auf das Schriftlichkeitskriterium an. Andere Erklärungen des Phänomens wie zum Beispiel der auf klärerische Zivilisationsoptimismus oder ein kolonialistischer Blick auf die außereuropäische Weltkarte mögen van Laaks weiterführenden Erklärungsansatz ergänzen. Interessant ist nun, dass Barth nicht nur als Kind seiner Zeit den Topos übernimmt, sondern ihn mit einer christlichen Kriteriologie von Geschichtlichkeit verbindet. Die „heidnischen Völker“ weisen seiner Meinung nach deshalb keine Entwicklung und also keine Geschichte auf, weil sie noch ohne Christus leben. Die Weltgeschichte beschränke sich „auf den Gang der Entwicklung, welchen die in der äußerlichen Kirche eingeschlossenen oder zu derselben in einem Verhältniß stehenden Völker genommen haben“.14

Sie sei „die Geschichte der christlichen Kirche und der von ihr berührten Menschheit“, zu der andere Völker hinzustießen, sobald sie sich zu Christus bekehrten.15 Die Betonung dieser Möglichkeit ist ein Ausdruck von Barths tiefem weltmissionarischen Anliegen. Die Verbindung von religiösem und kulturellem Geschichtlichkeitskriterium kommt vorzüglich in der Bemerkung zum Ausdruck, als neuer Schauplatz der Geschichte seien die deutschen Völker im frühen Mittelalter allmählich „der Herd der Kultur und [!] eines neuen Kirchenlebens“ geworden.16 Auch die Hochstufung der Kulturleistung des Volkes Israel als „auch darin […] das erste der Völker“,17 die übrigens den biblischen Texten kaum entspricht,18 ist unter anderem vor diesem Hintergrund zu erklären. Dass nach Barth die von ihm für die „kommenden Jahrhunderte“ – möglicherweise im Tausendjährigen Reich – erwartete Erhebung geschichtsloser Völker „auf das historische Gebiet […] durch religiöse Einwirkung eher als durch politische“ geschehen werde,19 belegt den Primat, den für ihn letztlich immer der christliche Aspekt hat. In der Lehre vom Geschichtskreis verschmelzen abendländisch-zivilisatorische und heilsgeschichtlich-christliche Elemente so deutlich wie nirgends sonst in der Allgemeinen Weltgeschichte zu einer Synthese. Hier kommen zugleich der deutsche Bildungsbürger des Vor14

131. 373; 303. 16 149. 17 47. 18 Deuteronomium 7,7 etwa setzt der äußeren Unscheinbarkeit Israels („Ihr seid das kleinste unter allen Völkern“) nicht seine kulturelle Bedeutung, sondern Gottes freie Liebesentscheidung für sein Volk entgegen. Für das Neue Testament vgl. 1. Korinther 1,25–29. Die von Barth unterstrichene Pracht und sprichwörtliche Weisheit des Königs Salomo (38; 47) wird dagegen in der Tat betont (2. Chronik 9 u. a.). 19 365. 15

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märz und der Missionsförderer und heilsgeschichtlich denkende Mann der Erweckungsbewegung zu Wort. Doch besteht nie ein Zweifel, wo Barths Herz zuerst schlägt. Die Allgemeine Weltgeschichte erzählt folglich die Heilsgeschichte, die Geschichte der abendländischen Zivilisation und gelegentlich die Geschichte anderer Gebiete, allerdings nur insoweit, als sie Christentum oder Abendland berühren – etwa durch die Kreuzzüge, die Konquista oder den amerikanischen Unabhängigkeitskampf. Bezeichnend für diese Auswahl sind die beiden sicher nur metonymisch gemeinten, aber doch viel sagenden Begriffe der „europäischen Menschheit“ und der „christlichen Welt“.20 Das Konzept hat keinen biblischen Hintergrund, ausgenommen die Tatsache, dass Barth nach seiner eurozentrischen Interpretation der danielischen Weltreichesukzession davon ausgehen muss, dass die Bibel offensichtlich bestimmte außereuropäische Kulturen als für die Weltgeschichtsprophetie entbehrlich ansieht. Aus der biblischen Historiographie zieht er zudem den Grundsatz, nur über solche Kulturen zu berichten, die mit dem Volk Gottes in Beziehung stehen.21 Dies heißt für Barth allerdings keineswegs, dass die teilnehmenden Völker der Weltgeschichte als solche wertvoller seien oder moralisch und anthropologisch höher stünden als die geschichtslosen Nationen: Als weltoffener Philanthrop mit Kontakten in unzähligen Ländern 22 glaubt er an das universale Angebot des Evangeliums an den einzelnen Menschen gleich welcher Nationalität.23 Von den „historischen“ Völkern kann er andererseits ohne jeden Optimismus schreiben, die Entwicklung „ihrer ersten Keime“ habe schon „gezeigt, was für ein Gewächs aus denselben werden wird“.24 Die – zweifelsfrei paternalistische – Auffassung vom Geschichtskreis ist insofern nicht unbedingt mit einem ethischanthropologischen Werturteil verbunden. Wenn Barths Eurozentrismus oben als „national gefärbt“ beschrieben wurde, so ist seine spezielle Berücksichtigung des „deutschen Vaterlandes“ 25 in der Allgemeinen Weltgeschichte gemeint. Die Begriffe „Deutschland“ und „deutsch“ werden dabei historisch ausgesprochen weit gefasst: Schon die „germanischen Stämme“ sind auch die „deutschen Völkerschaften“, unter Cäsars Heeren kämpften „deutsche Soldaten“, und im „Norden von Deutschland“ konnten die Römer gegen den „deutschen Heerführer Hermann (Arminius)“ und seine Landsleute, an anderer Stelle „die alten Deut-

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217; 346. 369. 22 Zu Barths weltweiter Korrespondenz gehörte beispielsweise auch der chinesische Kaiser Tao-Kuang (1821–1850) (vgl. Raupp, Barth, 151 Fn. 37)! 23 (Für das Beispiel Afrika) 14; 116. 24 44. 25 295. 21

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National gef ärbter Eurozentrismus

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schen“ genannt, nicht bestehen.26 Einen Hermannskult gibt es jedoch nicht. Geographisch scheint der Begriff das Gebiet des Alten Reiches und jetzt Deutschen Bundes zu umfassen, also natürlich auch Österreich;27 die geographische Frage wird jedoch nicht weiter thematisiert. Wie oben dargelegt, kommt nach der Allgemeinen Weltgeschichte den ehemals geschichtslosen Deutschen für die Zeit des Mittelalters plötzlich eine entscheidende weltgeschichtliche Rolle zu, was auch ein Nichtdeutscher gerne anerkenne.28 Die von Barth verehrte Staufer-Dynastie habe dieser weltgeschichtlichen Aufgabe am besten entsprochen.29 Allerdings sei in der „Zeit der zertheilten Zehen“ die deutsche Mission vorbei; sie wird von Barth für die Zukunft auch nicht erneut erwartet. Barth bringt seine endzeitliche Hoffnung vielmehr ganz mit Israel in Verbindung und nimmt die Bibel sogar (mit Hinweis auf ihre göttliche Autorität) gegen den Vorwurf „einer nationalen Engherzigkeit und Befangenheit“ in Schutz, wenn er ihr den Grundsatz entnimmt, Israel als „das wichtigste der Völker“ zu betrachten.30 Einem prononcierten Nationalismus steht Barth somit schon aus eschatologischen Gründen fern. Dennoch kann man die Allgemeine Weltgeschichte als national gesinnt bezeichnen. Denn sie beschreibt nicht nur mit besonderer Aufmerksamkeit deutsche Landschaften und Lebensweisen oder beklagt die Verwüstung des „schönen Rheinthales“,31 sondern bringt mit der deutschen Mentalität bei aller (oft breiten) Kritik positive Eigenschaften in Verbindung, so wenn sie die „deutsche Tapferkeit und Festigkeit“ Konrads II. und bei der Schlacht bei Liegnitz 1241 „die Tapferkeit der Deutschen“ herausstellt.32 Über den österreichischen Erbfolgekrieg trotz vereinbarter Pragmatischer Sanktion urteilt Barth: „[D]ie Politik dieser Zeit wußte nichts mehr von alter deutscher Treue; der Eigennutz war ihr Compaß.“33 Insbesondere kennzeichnet die Allgemeine Weltgeschichte eine gewisse Frankophobie, die sich zumeist auf Frankreichs Vorreiterrolle bei der auf klärerischen Entchristlichung bezieht. Hier werden neben der „französischen Kabinetsschlauheit“ im 17. Jahrhundert und dem „leicht aufzuregenden französischen Volkscharakter“ der „Geist des französischen Leichtsinns“ und das Werk der „französischen Wahrheitsfeinde“, d. h. der atheistischen Auf klärer,

26

44; 20; 102; 118; 241; vgl. auch 134. Vgl. 332, wo es heißt, Georg II. von England habe Maria Theresia eine Armee zugeführt und die Franzosen „aus Deutschland“ vertrieben. 28 201. 29 185; 194. 30 369. 31 132 f; 311. 32 164; 207. 33 332. 27

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

kritisiert.34 Allerdings bedeuten diese Audrücke keine Ablehnung Frankreichs oder der Franzosen schlechthin, denn Freidenker anderer Nationalitäten werden kaum anders beurteilt, den Franzosen wird im Hundertjährigen Krieg Gottes Hilfe gegen die „übermüthigen Engländer“ zugestanden, und Barth weiß für Frankreich auch von den „ausgezeichneten Schrift stellern“ und „geschickten Künstlern“ des Grand Siècle und insbesondere von seinen „edlen und frommen Männern, wie Pascal und Fénelon“ positiv zu berichten.35 Die als segensreich eingestuften zeitgenössischen Missionsgesellschaften umfassen französische ebenso wie englische, deutsche und nordamerikanische Gründungen.36 Dennoch steht England gegen Ende der Allgemeinen Weltgeschichte als stärker christlich geprägtes Volk 37 ohne Zweifel in einem besseren Licht da als das teils revolutionäre, teils antiprotestantisch-katholische Frankreich.38 Barths württembergischer Patriotismus – in seiner Geschichte von Württemberg bezeichnet er das junge Königreich als „unser Vaterland“39 – kommt im Vergleich zu dem deutschen in der Allgemeinen Weltgeschichte kaum zum Tragen. Der christliche Internationalismus, der Barths lebenslangem persönlichen Engagement entsprach,40 zeigt sich dagegen in dem heilsgeschichtlichen Geschichtsentwurf.

34 308; 345 f; 313; 345. Namentlich werden die Philosophen Maupertuis, d’Argens, La Mettrie, Rousseau, d’Alembert, Diderot und Voltaire genannt; Letzteren bezeichnet Barth als scharfsinnigen, aber lasterhaften „Lästerer“ (337). Barth stellt auch ein ganzes Kapitel unter die Überschrift „Frankreich und die Geschichte des Unglaubens“ (343–346). Diese Einschätzung war nicht auf Deutschland beschränkt. Nach Gäbler, Auferstehungszeit, 14 suchte die amerikanische New Haven Theology zu Beginn des 19. Jahrhunderts den „Französischen Unglauben“ zu bekämpfen. 35 344 f; 230; 312. 36 366 f. 37 361 f. 38 Vgl. hierzu auch Lehmann, Zwei gelobte Länder, 283 f: „Für Barth und andere waren die Engländer die Brüder, mit denen zusammen die Aufgabe der weltweiten Mission bewältigt werden konnte; die Franzosen waren in ihren Augen demgegenüber diejenigen, gegen deren verderblichen sittlichen Einf luss es sich abzugrenzen und gegen deren politischen Einf luss es die deutsche Einigung herzustellen galt.“ 39 Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 4. Im Vorwort der – nach Barths Tod und der Reichsgründung von 1871 besorgten – vierten Auf lage des Werkes von 1876 steht der bemerkenswerte Satz (IV): „Möge es beitragen, die Liebe zum kleinen wie zum großen Vaterlande zu mehren!“ 40 So nahm Barth 1846 an der historischen Gründungskonferenz der internationalen Evangelischen Allianz in London teil (vgl. Werner, Barth, Bd. III, 1869, 154–160). Nach Nicholas M. Railton war Barth eine Schlüsselfigur des europäischen Netzwerkes der Erweckten (No North Sea: The Anglo-German Evangelical Network in the Middle of the Nineteenth Century, Leiden/Boston/Köln 2000, 250 f ).

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Protestantisch-pietistische Religions- und Kirchengeschichte

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7. Eckpfeiler einer protestantisch-pietistischen Religions- und Kirchengeschichte Nach Darstellung von Barths heilsgeschichtlichem Deutungsschema der Weltgeschichte steht die Frage aus, inwiefern sich die Allgemeine Weltgeschichte als konfessionelle Geschichtsschreibung darstellt und wie sich ihr protestantisch-pietistischer Hintergrund in der konkreten Behandlung der diesbezüglich interessantesten Geschichtsthemen auswirkt. Barth behandelt die Religionen besonders in den Kapiteln zur Antike. Dort wird mehrfach ein religionsgeschichtliches Modell vorgestellt, das mit einer monotheistischen „Urreligion“1 rechnet. Ausgehend von der biblischen Zentralstelle Römer 1,18 ff,2 die den Polytheismus als schuldhafte Verblendung des Menschen interpretiert, erklärt das Buch ihn aus dem „Bedürfniß, einen Gott in der Nähe zu haben, der im Nothfall helfen könne“, aber keine ethischen Forderungen stelle. Oft seien auch materielle „Sinnbilder“ des unsichtbaren Gottes im Laufe der Zeit zu Kultobjekten geworden.3 Barth betrachtet alle diese Kultformen als „Götzendienst“ und „Abgötterei“, unterscheidet jedoch nach dem Grad der Schädlichkeit einer Religion: Die bei den nordamerikanischen Indianern verbreitete „Anbetung des großen Geistes“ sei „noch reiner und besser“ als die stärker poly theistische Götterlehre des ansonsten hochzivilisierten Ägyptens. Dem vergleichsweise erträglichen mesopotamischen Kult der Gestirne und Elemente stehe der desaströse „entschiedenste Teufelsdienst“ einiger südasiatischer Völker auf der anderen Seiten der Skala gegenüber. In Peru schließlich habe sich größere „Erkenntnis des wahren Gottes“ erhalten als in Mexiko.4 Neben der Lehre des Persers Zarathustra bespricht die Allgemeine Weltgeschichte die anthropomorphe traditionelle Religion Griechenlands, die von Barth als „Aberglaube“ gewerteten altrömischen Auspizien und die „Gräuel des phönicischen Götzendienstes“ – wohl den Kult von Baal und Astarte.5 Allein das Volk der Juden habe in Palästina und in der Diaspora den Monotheismus wach gehalten.6 Das nachchristliche Judentum sei „der erneuernden und erleuchtenden Kraft des Christenthums […] unzugänglich“ geblieben und sei daher derzeit als „Israel“ nicht mehr lebendig; Barth wartet daher auf seine Wiedererweckung.7

1 2 3 4 5 6 7

58. 23; 59. 22 f; 59. 23; 24; 240 f. 40, 72; 58 f; 92 f; 99. 105; 108. 121 f.

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

Die Christianisierung Europas wurde im Mittelalter, so berichtet Barth, von starken heidnischen Überresten gehemmt.8 Insbesondere geht er aber auf Entstehung und Ausbreitung des Islam („Muhamedanismus“) ein. Die Allgemeine Weltgeschichte vermittelt einige Grundkenntnisse über die Lehren des Islam und beurteilt Mohammed dabei als „falschen Propheten“. Hinter der militärischen Niederlage der Araber im Jahr 732 n. Chr. sieht sie die Hand Gottes am Wirken, die das Christentum vor der Vernichtung bewahrt habe.9 Als Zeitzeuge der in den 1830er Jahren hochaktuellen „orientalischen Frage“ betrachtet Barth wohl Islam wie Osmanisches Reich als „kranken Mann am Bosporus“, denn er spricht gegen Ende der Allgemeinen Weltgeschichte nicht nur vom „neuerdings sehr gefährdeten türkischen Reich“, sondern auch vom „nahende[n] Verfall des Muhamedanismus“10 – eine wahrnehmungsgeschichtlich interessante, allerdings auch irrige Prognose. Buddhismus und Hinduismus bleiben insgesamt unerwähnt. Keine dieser Wertungen ist für eine dezidiert protestantische Weltgeschichte wirklich unerwartet. Allerdings fällt erneut Barths besonderes Interesse für Religionsfragen ins Auge. Den nichtchristlichen Religionen wird in der Allgemeinen Weltgeschichte die Heilsbotschaft von Jesus gegenübergestellt. Das von Barth gezeichnete Jesusbild ist auf die Evangelien gegründet. Das Kapitel über „Die Geburt und Geschichte Christi“11 betont seine historische Existenz, die Kontinuität zu den prophetischen Messiasverheißungen, seine charismatische Wirksamkeit und seine Predigttätigkeit, die das Reich Gottes zum Thema gehabt und zur Lebenswende aufgerufen habe. Schließlich unterstreicht Barth Jesu Passion, Auferstehung und Erhöhung in den Himmel. Man kann Jesus seiner Ansicht nach nicht angemessen durch das Etikett „großer Lehrer“ beschreiben, denn an Morallehrern gab es damals genug, und was die Welt brauchte, war ein Erlöser. Selbst das alttestamentliche Gesetz habe nur ein kleines „Heiligthum gläubiger Herzen“ zubereiten können, die auf den Erlöser warteten. Jesu unschuldiges Sterben „für die Sünden der Welt“ sei somit der entscheidende Inhalt des Evangeliums.12 In dem von Christus begründeten Neuen Bund Gottes mit den Menschen ist er selbst in den Gläubigen lebendig und sitzt zugleich als noch verborgener

8

139; 143 f. 146 f; 29; 148 f. 10 364 f. 11 110–116. 12 42; 81 f; 363; 115. Die etwas unkonventionelle Versöhnungslehre der Allgemeinen Weltgeschichte, nach der Jesus „durch Sterben und Auferstehen verklärt werden [musste], um durch die Kräfte Seiner verklärten Menschheit die verdorbene Menschennatur zu erneuern, zu beleben und zu heiligen“ (115), ist wohl nicht als Absetzung vom orthodoxen Kreuzesverständnis als stellvertretendem Opfertod zu interpretieren. 9

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Protestantisch-pietistische Religions- und Kirchengeschichte

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neuer Weltenherrscher auf dem Thron Gottes.13 Ein Mensch erlangt das Heil durch Gnade allein durch den Glauben an die gute Botschaft, welche ihn von der „Knechtschaft der Sünde und des Satans“ befreit, ihm „den innern Frieden“ ermöglicht und eine „Herzenserneuerung, welche nicht der Mensch machen kann“ bewirkt.14 Barth bekräftigt mit dem Erstgenannten ohne viel theologische Begriff lichkeit das lutherische sola fide und sola gratia, während er mit dem Letztgenannten auf dem Urfundament von Pietismus und Erweckungsfrömmigkeit steht: Das wahre Christentum ist ein innerliches, auf „inneres Leben, herzliche Frömmigkeit und wahre Bekehrung“ ausgerichtetes.15 Das so verstandene „Werk der Wiederherstellung des gefallenen Menschengeschlechts“16 sei bereits heute ansatzweise in der Kirchengeschichte erkennbar. Der lebendige Gott war jedoch, so wird berichtet, immer auch in nichtchristlicher Umgebung erfahrbar oder doch wenigstens zu erahnen. Denn mittels der Offenbarung seines Wesens in Natur, Gewissen und Geschichte ermöglichte er auch dort Einzelnen gültige Einsichten und einen vergleichsweise moralischen Lebenswandel.17 Auch in die „Heidenwelt“ sei z. B. durch Berührungspunkte mit dem Volk Gottes „ein Strahl des Lichtes“ gedrungen.18 Insbesondere wird mehrfach der wohltätige Einf luss philosophischer Köpfe – des Sokrates, Platon, Aristoteles, Cato und Cicero – betont.19 Unter ihnen ragt wiederum der mehrere Male genannte Sokrates heraus, der sich nach Barth „mitten unter dem Götzendienst zu der Erkenntniß erhob, daß nur Ein Gott die Welt regiere“.20 Kaum dahinter rangiert Platon, der „so manche Grundzüge der Wahrheit aufgenommen“ habe und – so mutmaßt die Allgemeine Weltgeschichte – vielleicht sogar auf seinen Reisen alttestamentliche Schriften zu lesen bekam.21 Die „griechische Wissenschaft“ wird an einer Stelle sogar als „Vorläuferin der Reformation“ bezeichnet.22 Diese Aussagen können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Barth heidnische, auch die meiste griechisch-römische, Philosophie und Religion für destruktiv hält und die Anreicherung des christlichen Weltbildes mit Fremdelementen bedauert. Er tut dies namentlich für den spätantiken Neuplatonismus, 13

27; 109, 115. 25, 256 f; 116; 179; 257 (Druckfehler wurde korrigiert). 15 150, 156; 301. 16 115. 17 Barth bezieht sich dabei auch auf die zwei biblischen loci classici zum Thema, Apostelgeschichte 14,16 f und Römer 1–2 (106). 18 43 (die Königin von Saba, Hiram von Tyrus, Ninive, Babylon); 108 (Nachbarvölker des Diasporajudentums). 19 60; 66; 103; 107 f. 20 66; vgl. 60; 107 f. 21 108; 66. 22 62. 14

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

das nachkonstantinische Staatskirchentum, den – von Barth ambivalent gezeichneten – Renaissancehumanismus und das Bildungsideal seiner eigenen Zeit.23 Barths Kirchenbegriff ist typisch pietistisch: Die Allgemeine Weltgeschichte unterscheidet zwischen „wahren Christen“ bzw. der „wahren Gemeinde Christi“ und „Namenchristen“ bzw. der „äußerlichen Kirche“. 24 Letztere hat für Barth zwar, wie oben gesehen, durch die Begrenzung des „Geschichtskreises“ eine weltgeschichtliche Bedeutung,25 darf aber auf keinen Fall mit dem Reich Gottes gleichgesetzt werden. Hier verweist die Darstellung vielmehr auf die „Gemeinschaft wahrer Herzenschristen“, die sich durch „die freie Uebereinstimmung des Einzelnen“ mit den Grundwahrheiten des Christentums bilde.26 Folglich ist Barths Beurteilung der Konstantinischen Wende negativ: Für die innere Kraft und Lebendigkeit des Christentums sei die vorkonstantinische Verfolgungszeit „viel wohlthätiger und fördernder“ gewesen als die Verbindung mit der staatlichen Macht. „Das Reich Gottes hätte sich sollen von innen heraus entwickeln durch Ueberzeugung und Wiedergeburt der Einzelnen“, schreibt Barth, „es war zunächst nicht für die Völker und Staaten, sondern für die Menschen bestimmt […].“ Nur unter Substanzverlust hätte es daher, wie im 4. Jahrhundert geschehen, „ganzen Völkern wie ein Gewand angezogen werden“ können.27 Solche Sätze stehen in der Tradition des Pietismus, besonders der Unpartheyischen Kirchen- und Ketzerhistorie (1699/1700) Gottfried Arnolds.28 Die Allgemeine Weltgeschichte spricht im Zusammenhang ihrer Erörterung des Kirchenbegriffs denn auch vom Pietismus als dem „zweiten Theil der Reformation“.29 Tatsächlich findet sie anerkennende Worte für protestantische Freikirchen wie Methodisten und Independenten,30 pocht aber unter Berufung auf Matthäus 13,29 f (das Unkraut im Acker) nicht auf eine gänzliche Aufgabe der Volkskirchenstruktur.31

23

60; 62; 83; 126 f; 131; 246. 129; 286; 131. 25 373. 26 303; 130. 27 127; 129 f. 28 Vgl. Gäbler, Geschichte, Gegenwart, Zukunft, 31. 29 302. 30 331. 31 Diese Folgerung ergibt sich aus 303: „Dabei handelte es sich natürlich nicht um die Herstellung einer Gemeinde, in welcher gar kein Unkraut mehr sey […,] sondern nur einer solchen, in welcher die Wahrheit zum Bewußtseyn gekommen wäre, daß allein wahre Herzensbekehrung und Wiedergeburt zum Reiche Gottes befähigen, nicht ein äusserliches Bekenntniß, wäre es auch ganz fehlerlos.“ Die Allgemeine Weltgeschichte beschreibt auch, ohne Kritik zu üben, den landesherrlichen Summepiskopat der lutherischen Reformation (263). 24

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Protestantisch-pietistische Religions- und Kirchengeschichte

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Der bereits im 16. Jahrhundert durch Flacius Illyricus verwendete Begriff der evangelischen Wahrheitszeugen (testes veritatis) (vgl. unter I.2.2) wird dagegen umso stärker ins Zentrum gerückt. Unter Verwendung dieses und anderer Ausdrücke betont Barth an zahlreichen Stellen den Minderheitenstatus der wahren Gläubigen,32 die allzu oft von der offiziellen Kirche verfolgt worden seien; sie hätten diese aber vor dem völligen Verfall bewahrt.33 Hier ist natürlich vornehmlich die katholische Kirche, dann aber ebenso die protestantische Orthodoxie Zielscheibe der Kritik.34 Als Trägergruppen und Reformatoren der wahren Kirche Christi nennt die Allgemeine Weltgeschichte namentlich die Waldenser, Katharer, Albigenser, Lollarden bzw. Wycliffiten, Hussiten, böhmischen Brüder, Peter und Heinrich von Bruys, Petrus Waldus, John Wycliffe, Jan Hus, Luther, Melanchthon, Zwingli, Calvin, Johannes Oekolampadius, Wolfgang Capito, Berchtold Haller, Sebastian Hofmeister, Johann Arndt, Johann Gerhard, Johann Valentin Andreä, Philipp Jakob Spener, Blaise Pascal, François Fénelon, Nikolaus von Zinzendorf, John Wesley, George Whitefield und schließlich (mit ökumenischer Weite) die Mystiker, Quietisten, Piaristen, altgläubigen Orthodoxen, Arminianer, Methodisten, Independenten, Pietisten und Herrnhuter.35 Jedoch können auch Bestrebungen der offiziellen Kirche wie der Konziliarismus des 15. Jahrhunderts positiv vermerkt werden.36 Die von Barth geschilderte Kirche ist wegen der schwerwiegenden pietistischen Kritikpunkte und den daraus abgeleiteten Differenzierungen keine ecclesia triumphans, selbst wenn Barth ihr vereinzelt auch einmal „Siege“ bescheinigen kann. Für Barth ist sie eine ringende Kirche im „Kampf “ (ecclesia militans).37 Auf der Grundlage ihres Kirchenbegriffs gestaltet sich natürlich das Bild, das die Allgemeine Weltgeschichte von der katholischen Kirche des Mittelalters und der Neuzeit zeichnet (die Ostkirchen bleiben fast völlig unerwähnt). Die heilsgeschichtliche Einordnung des Papsttums wurde oben bereits ausgeführt; in der historiographischen Praxis macht sie sich in einem prononcierten Antipapismus bemerkbar. Gemeinsam mit dem Je32 40 („ein kleines Häuf lein“); 111 („die wenigen Stillen im Lande“); 131 („die einzelnen wahren Christen“); 221 („waldensische Glaubenszeugen“); 229 („ein kleines Nebenpförtchen“); 251 („im Verborgenen noch manche Waldenser, Wycliffiten und böhmische Brüder“); 286 („die wenigen Zeugen der Wahrheit, die sich noch fanden“); 358 f („war […] das Häuf lein der wahrhaften Jünger Jesu die Minderzahl“); 366 („wie unbedeutend auch das Häuf lein der wahren Jünger JEsu aussehen mag, wenn es nach Zahlen angeschlagen wird“). 33 110; 195 f; 221 f; 223; 229; 286; 301–303; 331. 34 Zur als blutleer empfundenen protestantisch-orthodoxen Theologie und Frömmigkeit vgl. 247; 267; 301; 329. 35 195; 221 f; 223; 251 f; 249–251; 254; 258; 301 f; 312; 329–331. 36 223. 37 366; 373.

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suitenorden und der Inquisition, die beide zur Befestigung der päpstlichen „Gewalt über Throne und Gewissen“ geschaffen worden seien,38 bildet das Papsttum für die Allgemeine Weltgeschichte ein diabolisches Dreigestirn. Das Papsttum habe seit Hildebrand als selbsternannter „Statthalter Gottes auf Erden“ nach der Weltherrschaft gegriffen und dabei, wie Barth mehrfach betont, „den Grundsatz befolgt, nicht nachzugeben“.39 Ein Paradebeispiel sind für Barth die Kreuzzüge, die er als eine verblüffende Kombination von Aberglauben und religiöser Hingabebereitschaft wertet, welche der Papst als „unsichtbares Oberhaupt“ der Kreuzzüge zu seinen Gunsten ausgenützt habe.40 Das Papsttum konstituiert für die Allgemeine Weltgeschichte die „Herrschaft des Aberglaubens“.41 Das Konzil von Konstanz 1414 bis 1418, der Vertrag von Tordesillas 1494, das teilweise Scheitern des Konziliarismus im 15. und des Gallikanismus im 17. Jahrhundert, die Gegenreformation im 16. Jahrhundert und das aggressive Ausgreifen des gerade entstehenden Ultramontanismus werden als weitere Beispiele eines skrupellosen päpstlichen Machtstrebens gedeutet.42 Vor allem der Jesuitenorden habe ihm mit einer zielbewussten Strategie zugearbeitet:43 Barth vermerkt einen destruktiven Einf luss von Jesuiten auf Portugal im 16. Jahrhundert, auf Kaiser Ferdinand II. zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, auf den französischen König Ludwig XIV. bei seinen Hugenottenverfolgungen, auf den europäischen Kolonialismus in Südamerika und auf die gescheiterte christliche Mission in Japan.44 Allerdings löst Barth seine Ankündigung, „zwischen dem Papstthum und den einzelnen Päpsten einen Unterschied [zu] machen“,45 insofern ein, als er auch einige positive Dinge zu berichten weiß. Dies gilt einerseits für die mittelalterlichen Mönchsorden, denen er trotz ihrer „sklavische[n] Anhänglichkeit an das Interesse der Päpste“ positive Züge bescheinigt; besonders die Benediktiner werden für ihr pädagogisches und wissenschaftliches Engagement gelobt.46 Es gilt aber auch für den frühmittelalterlichen „Bischof von Rom“, dem zwar zweideutige Motive, aber segensreiche missionarische Ergebnisse attestiert werden, und für die moderaten Päpste Benedikt XIV. und Clemens XIV. im 18. Jahrhundert (also vor und nach den 38

197; 266; 290 f; 331. 242; 224, 316, 327, 354, 361. 40 178; 199 f. 41 331 f; vgl. 287. 42 221; 242; 224; 316; 269; 359 f. 43 266: „Gelehrsamkeit und Bildung, feines, kluges Benehmen waren seine Empfehlungsbriefe für solche Stellen [als Erzieher und Beichtväter]; schlaue Berechnung und Benützung der Umstände sein Grundsatz; Eigennutz seine Moral […].“ 44 276; 290, 292; 314 f; 328 f. 45 169. 46 197; 315 f. 39

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heilsgeschichtlichen Eckdaten 1073 und 1740).47 Außerdem bemängelt die Allgemeine Weltgeschichte bei Ludwig dem Bayern den fehlenden Respekt vor dem „kirchlichen Ansehen“, statt seine antiklerikale Haltung zu befürworten, begrüßt einige Fortschritte der natürlich als Gegenreformation gedeuteten katholischen Reform und gesteht sogar der jesuitischen Mission in China eine positive Ausstrahlungskraft zu.48 Den Übertritt Heinrichs IV. von Frankreich, Christinas von Schweden und Augusts II. von Polen zum Katholizismus kann sie allerdings nur als schweren „Fehltritt“ einordnen.49 Ungeachtet mancher positiver Aspekte stellt das Mittelalter für Barth eine „finstere“ Zeit dar.50 Verantwortlich dafür ist die „Rohheit“ der damals herrschenden Sitten, die mangelnde Bildung („Unwissenheit“) der Massen und, schlimmer noch, die Unkenntnis der Bibel.51 Ohne eine grundsätzliche Erneuerung der Kirche wäre, so die Allgemeine Weltgeschichte, die kleine Zahl wahrer Christen irgendwann ganz ausgelöscht worden.52 Die „Brahminen-Caste“ der Geistlichen lehrte mit der mittelalterlichen Volksfrömmigkeit „allerlei geistlichen Betrug“; das Evangelium aber „wurde nicht gepredigt“.53 Dementsprechend war es nach Barth insbesondere die Erfindung des Buchdrucks, die mit der Verbreitung der Bibel den Sturz der päpstlichen Universalherrschaft im Abendland brachte; die Allgemeine Weltgeschichte rechnet Gutenbergs Entdeckung zu den providentiellen „Vorbereitungen“ der Reformation.54 Diese habe sich, als das „Werk Gottes“, denn auch erst zur „Stunde Gottes“ und auf unerwartete Weise gegen den ursprünglichen Willen der Beteiligten ereignet.55 In seiner Beschreibung der Ereignisse um Luther erwähnt Barth besonders dessen schriftstellerische Tätigkeit, das aus der Bibel gewonnene Rechtfertigungsverständnis und den Bruch mit Rom, symbolisiert durch die Verbrennung der Bannandrohungsbulle.56 Die Problematik des Bauernkriegs wird eher heruntergespielt,57 der Abendmahlsstreit mit Zwingli dagegen als „unsäglich“ schädlich gewertet, allerdings ohne irgendeiner Partei die Schuld zu 47

143; 331 f, 340. 215 f; 265; 328 f. 49 270; 321; 323. 50 40; 62; 178; 194. 51 40; 149; 174; 175; 178; 215; 244. 52 286. 53 263; 218; 179. 54 244; 236; vgl. 1. 55 249. 56 252; 256; 250. 57 253: „Nachdem viele Grausamkeiten von beiden Seiten begangen worden waren, wurde den Unruhen ein Ende gemacht.“ 48

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geben oder die „Rechtschaffenheit“ abzusprechen. In diesem folgenschweren Zerwürfnis, meint Barth, habe sich die Unvollkommenheit und Vorläufigkeit der reformatorischen Erneuerung gezeigt.58 Indem die Allgemeine Weltgeschichte Karlstadts Ikonoklasmus, den von Müntzer geführten Aufstand und den „schwärmerischen Taumel“ der Wiedertäufer von Münster als „Auswüchse“ verurteilt, steht sie dagegen wieder ganz an Luthers Seite.59 Insgesamt zeichnet die Allgemeine Weltgeschichte ein typisch pietistisches Lutherbild, das den Reformator in Ehren hält, ohne ihn zum unfehlbaren Kirchenlehrer zu stilisieren, dann aber die spätere lutherische Orthodoxie kritisch betrachtet.60 Die theologische Bedeutung Luthers steht im Vordergrund; das auf klärerische Motiv von Luther als Vorkämpfer für Vernunft und Gewissensfreiheit tritt zurück. Auch der Topos von Luther als dem großen Deutschen findet sich nicht. Zwingli und Calvin erhalten, wie bei einem württembergischen Geschichtsbuch zu erwarten, ungleich weniger Raum als Luther, werden von Barth aber ebenfalls geschätzt.61 Traditionell protestantisch ist die Allgemeine Weltgeschichte in ihrer Verehrung Gustav Adolfs als „großmüthige[m] Held[en]“, der Rechtschaffenheit, Opferbereitschaft und Gottesfurcht miteinander verbunden habe. „Der evangelische Deutsche“, schreibt Barth, „gedenkt seiner mit dankbarem Herzen […].“62 Eine weitere politische Identifikationsfigur, Friedrich der Große, wird dagegen zwar als Vaterfigur und sogar ungewollter Schutzherr des deutschen Protestantismus gezeichnet, der christliche Glaube wird ihm aber – sicher im Sinne des Preußenkönigs – abgesprochen: „[E]r war ein großer Mensch, aber kein Christ.“63 Bei der Darstellung des Pietismus fällt – neben dem Verschweigen Bengels – die detaillierte Behandlung Philipp Jakob Speners (1635–1705) auf, der wohl als eine Art pietistisches Gegenüber zu Luther verstanden wird. Im Kontext der Erläuterung von Speners Ekklesiologie wird ja auch der Pietismus als der zweite Teil der Reformation bezeichnet.64 Wenngleich sich Barth die pietistische Kritik an der protestantischen Orthodoxie zu Eigen macht, so ist doch, abgesehen vom Papsttum, sein 58

257; 258. 259 f. 60 Zu den Lutherbildern des 19. Jahrhunderts vgl. Heinrich Bornkamm, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte. Mit ausgewählten Texten von Lessing bis zur Gegenwart, Göttingen 21970; Hartmut Lehmann, „Martin Luther als deutscher Nationalheld im 19. Jahrhundert“, Luther 55 (1984), 53–65; Bernhard Lohse, Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, München 31997, 179–205. 61 252; 257 f. 62 294 f. 63 334; 337. 64 302 f; 329. 59

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Protestantisch-pietistische Religions- und Kirchengeschichte

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eigentlicher Gegner die theologische Aufklärung. Dass die Allgemeine Weltgeschichte nicht jede Form von Auf klärung verurteilt, wird deutlich, wenn in der Zeichnung der Katholikin Maria Theresia mit hoher Anerkennung „ihr aufgeklärter Sinn, dem Oestreich die Abschaffung der Folter und der Inquisition verdankte“ herausgestellt wird.65 Deismus, „Freigeisterei“ und die moralistische Interpretation des Christentums werden jedoch als „falsche Richtungen menschlicher Weisheit“ und Apostasie gewertet.66 Hier wurde die Vernunft, oft zum Zweck der Legitimation der eigenen Wünsche, zur Richterin über Gottes Offenbarung gemacht. „Hinfort“, schreibt Barth, „galt es als ein Vorrecht der Gebildeten, weder an Gott noch an Sein Wort zu glauben […].“67 Dieser Dechristianisierungsschub der Intellektuellen im 18. Jahrhundert ist für Barth nach wie vor bedrohlich.68 Allerdings sei seit den Befreiungskriegen eine „Wendung zum Bessern“ eingetreten: „[E]s wurde nicht mehr als das Kennzeichen von Bildung betrachtet, vom Evangelium gering zu halten.“69 Die Rechristianisierung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte eingesetzt. Auch Barths Missionsverständnis bewegt sich auf der Grundlage seines Kirchenbegriffs. Der Wunsch Gottes, alle Menschen mit seiner Heilsbotschaft zu erreichen, wird mehrfach unterstrichen.70 Da Bekehrung aber eine Sache der Freiwilligkeit sei,71 wird die Zwangschristianisierung im Zuge der Kreuzzüge oder bei der kolonialistischen Expansion auf dem amerikanischen Kontinent vehement kritisiert.72 Gelobt wird dagegen die mühevolle irische Missionstätigkeit unter den frühmittelalterlichen Germanen73 und besonders die pietistisch-erweckliche Missionsbewegung der letzten einhundert Jahre: „Ihren Lebenstrieb haben diese neuen Kirchengemeinschaften besonders in der eifrigen Arbeit an der Heidenbekehrung kund werden lassen, in welcher sie schon dadurch einen ganz andern Geist als die Bekehrungsanstalten des Mittelalters und die Missionen der katholischen Kirche offenbarten, daß sie nicht auf die Zahl, sondern auf den innern Werth der Neubekehrten sahen, und außer der Kraft des Worts Gottes kein anderes Bekehrungsmittel anwendeten.“74 65

338 f. 36; 42; 79; 174; 312. 67 345. 68 Er spricht von dem „Geist […], an welchem noch so viele unsrer Zeitgenossen krank liegen“ (312). 69 358. 70 43; 116; 130. 71 117; 130; 143. 72 178; 242 f; 320. Etwas aus der Reihe fällt die durch Otto I. erzwungene Taufe Haralds von Dänemark, die keine erkennbare Missbilligung erfährt (162). 73 143 f. 74 330; vgl. auch 362; 366 f. 66

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

Wie Heinrich Jung-Stilling, der die Mission als „Stundenanzeiger an der Uhr des Reiches Gottes“ bezeichnete,75 betrachtet auch die Allgemeine Weltgeschichte den weltweiten Erfolg dieser Missionen als Erfüllung der biblischen „Verheißung: daß das Evangelium gepredigt werde allen Völkern“.76 Handelt es sich bei der Allgemeinen Weltgeschichte um konfessionelle Geschichtsschreibung? Die Frage lässt sich mit Blick auf den Antikatholizismus und die Parteinahme für Reformation und Pietismus mit Ja beantworten, allerdings nur mit einem eingeschränkten Ja. Denn konfessionalistisch ist die Allgemeine Weltgeschichte nicht: Sie vermag Einzelaspekte aller christlichen Kirchen (auch der katholischen) zu würdigen und legt sich auf keine innerprotestantische Konfession fest. Vielmehr sieht Barth – als evangelisch-lutherischer Pfarrer – in „blindem Eifer für die lutherische Kirche“ eine große Gefahr.77 Die zwischen 1830 und 1848 zu verzeichnende Konfessionalisierung der deutschen Erweckungsbewegung 78 macht sich somit in seiner Geschichtsdarstellung nicht bemerkbar.

75 So Johannes Aagaard, Mission – Konfession – Kirche. Die Problematik ihrer Integration im 19. Jahrhundert in Deutschland, Bd. 1, Lund 1967, 198. 76 240. Vgl. dazu Markus 13,10: „Vor dem Ende aber muss allen Völkern das Evangelium verkündet werden.“ Barth hatte bereits in früheren Schriften seine nahe Enderwartung mit diesem Phänomen in Verbindung gebracht (Werner, Barth, Bd. II, 1866, 197; 207). 77 290. Barth kommentiert hier die Ressentiments Kursachsens gegen den reformierten Kurfürsten Friedrich von der Pfalz im Dreißigjährigen Krieg und leitet daraus eine allgemeine Lehre ab. 78 Vgl. Benrath, Erweckung, 151. Ein Beispiel (lutherisch-)konfessionalistischer Weltgeschichtsschreibung ist die zeitgleich mit der Allgemeinen Weltgeschichte erschienene deutsche Ausgabe von Grundtvig, Uebersicht der Welt-Chronik (vgl. unter I.1.2).

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Konservativ-christliche politische Ordnungsvorstellungen

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8. Konservativ-christliche politische Ordnungsvorstellungen Wie jede Weltgeschichte ist auch die Barthsche eine politische Stellungnahme. Revolution, Restauration, Konstitutionalisierung, Hegemonialstreben und europäisches Gleichgewicht – diese Themen des Vormärz mussten sich zwangsläufig in Barths Geschichtsschreibung niederschlagen. In kurzen Nebenbemerkungen oder auch kleinen Exkursen werden in der Tat Barths politische Überzeugungen deutlich. Es sind die Überzeugungen eines deutschen Konservativen, der sie teils christlich, teils pragmatisch begründet – mit einem wachen Auge für seine Zeit, ohne sich jedoch auf eine intensive Diskussion mit dem politischen Gegner einzulassen. Barth ist in der Allgemeinen Weltgeschichte allerdings kein politischer Dogmatiker, nicht zuletzt darum, weil seine Hauptmotivation nicht eine politische, sondern eine theologisch-christliche ist. Die im Verlauf der weltgeschichtlichen Darstellung vorgestellten Staats- und Herrschaftssysteme werden in das beschriebene heilsgeschichtliche Deutungsgerüst eingearbeitet oder doch zumindest damit abgeglichen. Andererseits versucht Barth nicht immer eine Beurteilung. Viele verfassungsgeschichtlich und staatstheoretisch relevanten Haupt- und Staatsaktionen bleiben unkommentiert. Das in der Allgemeinen Weltgeschichte vertretene Staats- und Herrschaftsverständnis ist daher bruchstückhaft und lässt sich nur teilweise systematisieren. Barth ist ein Verfechter politischer und rechtlicher Ordnung. „Freiheitssinn“ ist für die Allgemeine Weltgeschichte ein sehr positiv konnotierter Begriff,1 nur könne Freiheit schnell in Schrankenlosigkeit umschlagen, die wiederum zur Despotie führe.2 Anarchie – mehrmals wird das mittelalterliche „Faustrecht“ zitiert – bedeute Orientierungslosigkeit, Unterdrückung und Chaos; unbeschränkte Freiheit ohne geordnete juristische Grundlagen führe zur Zügellosigkeit.3 Die daher notwendige politische Ordnung bedürfe aber der Legitimität. So wie der kolonialistischen Eroberung von Ländern, welche „doch schon ihren rechtmäßigen Besitzer hatten“, habe diese auch der auf die auf klärerische Naturrechtsphilosophie gestützten französischen Revolutionspolitik gefehlt: „Auf die Geschichte und die bestehenden Rechte wurde wenig Rücksicht genommen; es handelte sich nur um die Mittel zur Herbeiführung einer vortheilhafteren Verfassung, nicht um die Rechtlichkeit derselben […].“4

1 2 3 4

234; 284 (wo auch ein Bezug zur Reformation hergestellt wird). 234. 359; 174, 200, 208; 11. 242; 346.

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Detailanalyse eines Geschichtsbildes

Aus diesem Grund werden die Königsmorde 1649 und 1793 so scharf verurteilt:5 hier wird der rechtmäßige Herrscher umgebracht. Die Staatsform, die am ehesten eine rechtmäßige Herrschaft ermöglicht, ist für Barth unter Ausklammerung der Theokratie des alttestamentlichen Volkes Israel6 die durch das Gottesgnadentum legitimierte Monarchie. Sie sei die „älteste und einfachste Staatsverfassung“ und auch diejenige, zu der Völker – wie bei den Griechen und Römern oder im revolutionären Frankreich geschehen – früher oder später wieder zurückkehren würden.7 Könige sind nach Barth „Stellvertreter Gottes […], die Er eingesetzt, und zu Seinen Werkzeugen gemacht hat, um durch sie Seinen Segen über die Völker auszustreuen, oder Seinen Zorn ihnen kund zu thun“.8

Für die Monarchie spreche auch die biblische Historie, und zwar nicht nur die der Königszeit.9 An dieser Stelle widerspricht Barth den meisten christlichen Parteien seiner Epoche, die von keiner politischen Parteinahme der biblischen Glaubenslehre ausgehen.10 Eine Monarchie nach biblischen Grundsätzen ist für ihn aber nicht irgendeine Monarchie: Die Allgemeine Weltgeschichte wendet sich mit Vehemenz gegen den französischen Absolutismus seit Richelieu, der die monarchische Macht zur „despotischen Willkür“ ausgeweitet habe. Sein machiavellistischer Expan sionsund Zentralisierungsdrang habe keine ethischen Grundsätze geachtet und daher den Auftrag des Monarchen für sein Volk verraten: „Sonst hatte man gedacht, ein Volk brauche einen Fürsten, der es im Kriege anführe, im Frieden ihm Recht spreche, und Ordnung und Sicherheit erhalte. Nun kam die Ansicht auf, der Fürst brauche ein Volk, um darüber herrschen, ein Land, um seine Einkünfte verzehren, ein Heer, um seinen Willen durchsetzen zu können: und der folgende König Ludwig XIV. sprach diese Ansicht unverhohlen mit den Worten aus: ‚Der Staat bin ich.‘“11 5

306; 348. 35. 7 85 f; 352. 8 309 f. 9 88: „Auch die Verfassung des Volks Gottes ist im Grunde von Anfang an eine monarchische gewesen: ehe sie Könige hatten, war Gott selbst ihr König, und nach der babylonischen Gefangenschaft hatte der Hohepriester monarchische Gewalt. In der verheißenen glücklichen Zeit des Reichs Gottes auf Erden werden sie einen Fürsten haben; und die Verfassung im Himmel ist ohnedieß monarchisch, ein Königreich, und durch viele Königsthrone und Kronen verherrlicht.“ 10 Vgl. Dietrich, Christentum und Revolution, 407 f: „Nach übereinstimmender, interkonfessioneller Auffassung verhielt sich das Christentum gegenüber der Verfassung des Staates prinzipiell völlig neutral. […] Nur im Pietismus gab es Versuche, die Monarchie direkt aus dem Wort Gottes abzuleiten.“ Dietrich relativiert seine Aussage allerdings, indem er hinzufügt (408), das Prinzip der Volkssouveränität habe allenthalben als unbiblisch und unchristlich gegolten. 11 313; 309. 6

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Die unbeschränkte Monarchie lehnt Barth also ab. Die konstitutionelle Monarchie – in Württemberg seit 1819 gegeben – ist ihm ungleich lieber, er steht ihr aber dennoch gespalten gegenüber. Die Repräsentativverfassungen der letzten Jahre, meint Barth, hätten „manchen Uebelständen“ abgeholfen; man habe aber übertriebene Hoffnungen in sie gesetzt. Außerdem setzten die Verfassungen ein „Mißtrauen […] gegen die Fürsten als solche“ voraus, das dem staatlichen Gefüge nicht gut tue.12 Barth ist allerdings für einen pragmatischen Umgang mit der Verfassungsfrage: Manchmal seien kluge Anpassungen der Verfassungen an die „Fortschritte der Zeit“ geboten.13 Und die Herrschaftsform allein entscheide sowieso nicht über Wohl und Wehe eines Volkes, sondern die Einstellung der Bevölkerung: „Gottesfurcht macht auch die schlechteste Verfassung erträglich […].“14 Die Goldene Bulle von 1356 wird uneingeschränkt als „das erste deutsche Reichsgrundgesetz“ begrüßt.15 Die neue Teilhabe des „Bürger- und Bauernstandes“ an der ständischen Mitbestimmung im 16. Jahrhundert in Schweden gilt als unmittelbare politische Folge der lutherischen „Kirchenverbesserung“. Die Reformation sei überhaupt ein gewichtiger Faktor bei der Entwicklung „kräftigerer Verfassungen“ in West- und Mitteleuropa gewesen.16 Jedenfalls lehnt Barth die politische Partizipation des Volkes nicht prinzipiell ab. Am wichtigsten ist für ihn aber die Person des Herrschers. Einen guten Monarchen zeichnen patriarchalische Fürsorge und selbstloser Einsatz für das eigene Volk sowie Geschick, Charakterstärke und (zumeist) Gottesfurcht aus. So war der alttestamentliche König David demütig und „darauf bedacht, seine Unterthanen glücklich zu machen“. Der römische Kaiser Augustus war „ein milder Fürst, gab gute Gesetze, liebte die Gerechtigkeit, und war ein Feind des Luxus“. Karl der Große war „ein frommer Mann“, der sich weniger durch seine Kriege als durch seine Bemühungen um die Volksbildung verdient gemacht habe. Otto I. bewies nicht nur Tapferkeit im Kampf, sondern auch „christliche Großmuth“ gegen die Besiegten. Ludwig IX. war charakterlich „mild und versöhnlich, ernst und fest“. Barth rühmt die „Entschlossenheit und Beharrlichkeit“ der beiden Stauferkaiser Friedrich I. und Friedrich II. sowie die Integrität Gustav Adolfs, der keine Gelegenheit zur Rache genützt habe. Friedrich der Große zeichnete sich durch „väterliche Sorgfalt“, Gerechtigkeitsliebe, Arbeitsamkeit, Bürgernähe („Herablassung“) und militärische Klugheit aus. Maria Theresia schließlich regierte ihre Untertanen mit Engagement, Wohlwollen und 12 13 14 15 16

359. 336 (Ausbleiben in Polen); 361 f (Umsetzung in England). 87. 216. 283; 336.

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Reformfreude, in einem Wort „mit mütterlicher Sorgfalt“.17 Selbst Herrschern wie Titus, Trajan und Hadrian, die die Christen verfolgten, kann Barth trotz dieses Makels eine „natürliche Rechtschaffenheit“ und der Regierung des Mark Aurel „Milde und treff liche Verwaltung“ bescheinigen.18 Zu den gravierenden Beispielen schlechter Herrschaftsausübung zählen demgegenüber die Hybris des babylonischen Königs Nebukadnezar, der Machthunger Alexanders des Großen, die „Schandthaten und Frevel“ der Seleukidenherrscher, Cäsars Machtbesessenheit, die seine ausgezeichneten Gaben und Kenntnisse zunichte gemacht habe, die tyrannische Regierungsweise der Kaiser nach Augustus, die auf Befestigung der Macht und Anhäufung von Reichtümern ausgerichtete Politik Philipps des Schönen, die Persönlichkeit Ludwigs XV. „ohne Grundsätze und Charakter“ sowie die achtbare, aber zu ungeschickte und willensschwache Regierungsweise seines Enkels Ludwig XVI.19 Barth ist kein kategorischer Gegner der Republik: Die attische Demokratie wird wie die römische Republik zumindest ambivalent beurteilt.20 Die Allgemeine Weltgeschichte gibt dieser Staatsform aber keine lange Lebensdauer, weil ihr die dialektische Beziehung von legitimem Herrscher und Volk fehle. In einer Zeit des ethischen Verfalls, meint Barth, biete sie keinen angemessenen Schutz vor der allgemeinen politischen Auf lösung: „Dann sind die Hilfsmittel freier Volksverfassungen erschöpft; es ist kein Gegendruck da; die Regierung sinkt mit dem Volke, weil beide Eines sind, und das Volk fällt entweder in die Gewalt eines fremden Eroberers wie die Griechen, oder in die Hände eines Machtherrschers aus seiner eigenen Mitte wie die Römer. Die Republiken des Alterthums haben diese Erfahrung längst gemacht; denen in Amerika steht sie noch bevor.“21

Barth beabsichtigt mit dieser Aussage freilich keine pauschale Abqualifizierung der amerikanischen Verfassung, die er vielmehr bei aller Skepsis mit sichtlicher Neugier betrachtet. „Eine besondere Aufgabe scheint nach dem Plane Gottes durch den seltsam eingerichteten Staat gelöst werden zu sollen“, vermutet Barth. „Der möglichste Grad von persönlicher Freiheit ist durch diese Verfassung verbürgt, wie er noch in keinem cultivirten Staate Statt gefunden, und somit ist sie als ein neuer Versuch zu betrachten, auf einem bisher noch nicht betretenen Wege von außen her das Heil der Menschheit und den längst ersehnten glücklichen Zustand derselben herbeizuführen. Dieß um so mehr, als zu gleicher Zeit die höchste 17 18 19 20 21

37; 118; 155 f; 161 f; 204; 224; 294; 335–337; 338. 123–125. 50; 69; 78; 101; 119 f; 205; 344; 347. 61 f; 82 f; 85; 100. 87.

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Stufe religiöser Freiheit zur Erreichung dieses Ziels mitwirken sollte […]. Wie weit bis jetzt der oben bezeichnete Zweck dieser Staats- und Kirchenverfassung erreicht oder erreichbarer gemacht worden, läßt sich nach so kurzer Zeit noch nicht genau bestimmen […].“22

Wenn die Republik also kein eindeutiges Feindbild darstellt, so kommt die Revolution einem solchen nahe. Die Französische Revolution ist hier für die Allgemeine Weltgeschichte, wie überhaupt für das Geschichtsdenken des 19. Jahrhunderts,23 von grundlegender Bedeutung. Die „schreckliche Revolution in Frankreich“ wurde nach Barth durch die französische Aufklärung vorbereitet und durch das schlechte Vorbild einer „gewissenlosen Politik“ des Ancien Régime provoziert.24 1789 sei Frankreich vom „Revolutionsfieber“ ergriffen worden, und der „Revolutionsgeist“ – der Drang nach Aufruhr und Empörung – habe sich dann in der ganzen Welt verbreitet.25 Auch für Barth ist die Revolution also „nicht ein Ereignis, sondern […] ein Prinzip“ (Nipperdey).26 Dieses Prinzip ist der Urauf lehnung des Menschen gegen Gott verwandt und zielt auf die Destruktion lebenserhaltender staatlicher Ordnung, ist damit letztlich selbstzerstörerisch. Die Ideale der Revolution mussten scheitern, wie die jakobinische Schreckensherrschaft ja dann auch „die bitterste Satyre auf die laut gepriesene Freiheit“ und der Übergang zur Napoleon-Diktatur Erweis des Scheiterns der Verfassung war.27 Auch die mentalitätsgeschichtlich ebenfalls epochale28 Julirevolution von 1830, die für Barth ja nur wenige Jahre zurückliegt, wird besprochen. Karl X. habe, provoziert vom erstarkenden Papsttum, die Revolution durch „Unterdrückung der Verfassung“ ausgelöst.29 Sie sei dann auf andere Länder übergesprungen. Barth spielt wohl auf Gesellschaften wie den „Deutschen Preß- und Vaterlandsverein“, Initiator des Hambacher Festes 1832, vielleicht auch auf die Hintergründe der Konstitutionalisierung in einigen mitteldeutschen Staaten oder auf Vorfälle wie den „Frankfurter Wachensturm“ 1833 an, wenn er schreibt: 22

320; 342 f. Vgl. Etienne François/Hagen Schulze, „Das emotionale Fundament der Nationen“, in: Monika Flacke (Hg.), Mythen der Nationen: Ein europäisches Panorama, München/ Berlin 22001, (17–32) 25. Nach Völker, Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, 3 übertraf „die moralische Wirkung der Revolution ihre unmittelbar in den Tatsachen nachweisbaren Folgen“. 24 346. 25 348 f. 26 So charakterisiert Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 313 f die Sicht der Konservativen. 27 349; 352. 28 Die Bedeutung der Julirevolution für das konservative Revolutionsverständnis belegt Becker, Zeit der Revolution, 150–161. 29 360. 23

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„[A]uch in den deutschen Staaten wurde der Geist des Aufruhrs entbunden sprach sich aber mehr in geheimen Verschwörungen, als durch offene Empörung aus.“30

Mehr wird zu diesem Thema nicht berichtet, wie überhaupt einige brisante Fragen ausgeklammert sind. Die Person Metternichs wird ebenso wenig erwähnt wie die Karlsbader Beschlüsse von 1819 und die weiteren Repressivmaßnahmen der Jahre nach 1830. Es war Barth wohl zu brenzlig, hier auf die eine oder andere Weise Stellung zu beziehen. Man kann vermuten, dass er eine moderate Zensur verteidigt, die polizeistaatlichen Eingriffe aber eher missbilligt hätte.31 Die Allgemeine Weltgeschichte hält die dynastische Restauration nach den Befreiungskriegen für eine „Wendung zum Bessern“ und befürwortet die Heilige Allianz: „Die drei Monarchen aber, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, Kaiser Franz II. von Oestreich und Kaiser Alexander von Rußland, gaben Gott die Ehre, und dankten Ihm öffentlich für Seine wunderbare Hilfe. Dieser merkwürdige Augenblick war einer von den Wendepunkten einer neuen besseren Zeit, in welcher Gott und Sein Wort wieder mehr Anerkennung, und Sein Reich wieder mehr Ausbreitung gefunden haben. [… E]in großer Gedanke war es, die Religion zur Grundlage der Politik zu machen, und die inneren und äußeren Angelegenheiten den Grundsätzen des Evangeliums zu unterwerfen, wenn gleich die Zeit zur vollständigen und gleichmäßigen Ausführung einer solchen Idee noch nicht gekommen seyn konnte.“32

Dass das real existierende „System Metternich“ den ursprünglichen, pietistisch-erwecklich inspirierten Idealen der Heiligen Allianz 33 dann aber nicht entsprach, muss auch Barth bewusst gewesen sein.34 Jedenfalls stellt 30

361. Dies entspricht seiner Forderung nach Meinungsfreiheit (264; 339), dafür spricht aber auch die Tatsache, dass mit dem ehemaligen Rektor der Tübinger Universität Jonathan Friedrich Bahnmaier (1774–1841) ein Freund der Pia und wohl auch Barths (vgl. Leube, Tübinger Stift, 551–553; Raupp, Barth, 94) selbst betroffen war. Dieser wurde aufgrund eines in jeder Hinsicht moderaten Rektoratsberichts im Jahr 1819 strafversetzt. Vgl. Thomas Oelschlägel, Hochschulpolitik in Württemberg 1819–1825. Die Auswirkungen der Karlsbader Beschlüsse auf die Universität Tübingen, Sigmaringen 1995, 37–41; Thomas Heck, Jonathan Friedrich Bahnmaier, der Gründer der Predigeranstalt der Universität Tübingen, sein Leben, seine Tübinger Lehrtätigkeit, seine unfreiwillige Versetzung, seine theologischkirchliche Haltung, unveröff., Tübingen 1977. 32 358; 356. 33 Zum Einf luss der frühen Erweckungsbewegung auf die ursprüngliche Konzeption der Heiligen Allianz und zu dem dabei richtungsweisenden eschatologischen Russlandbild Johann Heinrich Jung-Stillings vgl. Geiger, Auf klärung und Erweckung, 253–433. 34 Barth äußert sich in seiner Geschichte von Württemberg, 1842, 274 sehr positiv über den württembergischen König Wilhelm I., unterlässt eine solche Stellungnahme zu zeitgenössischen Herrschern aber in der Allgemeinen Weltgeschichte. Vgl. auch 336, wo die aggressive Polenpolitik von Preußen, Österreich und Russland im 18. Jahrhundert kritisiert wird. 31

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er in seinem „Rückblick, Ueberblick und Vorblick“ das um England gruppierte Staatensystem mit „liberaler Verfassung“ dem an Russland orientierten Verfassungssystem des „monarchischen Princips“ gegenüber, ohne einen der beiden Blöcke eindeutig zu favorisieren. Zwischen Quadrupelallianz und Heiliger Allianz des Ostens herrsche, meint er, eine „künstliche Spannung“, die nur mit großem diplomatischen Geschick der Kabinette im Gleichgewicht gehalten werden könne.35 Wie schon aus der Barthschen Danielinterpretation deutlich wurde, ist das neuzeitliche Europa nach der Allgemeinen Weltgeschichte von einem Mächtegleichgewicht gekennzeichnet. Barth hält die „Zertheilung und Manchfaltigkeit“ nicht für den vollkommenen mächtepolitischen Zustand, denn das Vollkommene bestehe in der „Wiedererlangung der Einfachheit“ in Gottes zukünftigem Friedensreich.36 In der gegenwärtigen, gefallenen Welt sei jedoch das auf Balance ausgerichtete Staatensystem, eine Art discordia concors,37 angesichts des autokratisch-universalistischen Machtstrebens der Weltreiche und antichristlichen Herrscherfiguren 38 eine „große Wohlthat“.39 Ähnlich der göttlichen Sprachenverwirrung bei dem Turmbau zu Babel, wirke es sich in einer Beschränkung des Bösen aus. Denn, so meint Barth, „wenn auch eines [der Völker] fiel, konnte das andere stehen bleiben, und vielleicht aus diesem Fall eine Lehre ziehen, die seinen Fall noch länger verzögerte“.

Zur Zeit der Reformation konnten verfolgte Gläubige in ein anderes Land ausweichen. Und „der gegenseitige Wetteifer“ habe auch politische Stabilität, Wissenschaft, Kunst und Kultur befördert. Man kann dies nach Barth „als einen Grund betrachten, daß dieß europäische Staatensystem sich länger erhalten hat als irgend eines der früheren großen Weltreiche“.40 ExpanMancher Leser wird unwillkürlich die Linie bis zur blutigen Niederschlagung des polnischen Aufstandes 1830/31 fortgeführt haben, was Barth möglicherweise auch bezweckte, selbst wenn er im gleichen Abschnitt den Revolutionsgeist der Polen verurteilt. 35 364. 36 343; vgl. auch 17; 19. 37 Menken spricht in seinem Barth vermutlich vorliegenden Aufsatz (Monarchieenbild, 1858 [1801/02], 155) von einer „zwieträchtigen Eintracht“. 38 19; 51; 61; 68; 164; 352; 366. 39 17; vgl. 18 f; 331; 358. Leopold Ranke vertrat wenige Jahre zuvor in seinem programmatischen Aufsatz „Die großen Mächte“, Historisch-politische Zeitschrift 2 (1833–1836), (1–51) 50 f eine ganz untheologisch motivierte, aber noch prononciertere Lehre vom europäischen Mächtegleichgewicht: „Dem Uebergewichte, das eine andere Nation über uns zu bekommen droht, können wir nur durch die Entwickelung unsrer eigenen Nationalität begegnen. […] Entschiedenes politisches Vorwalten einer einzigen [Nation] würde den andern zum Verderben gereichen. Eine Vermischung aller würde das Wesen einer jeden vernichten. Aus Sonderung und reiner Ausbildung wird die wahre Harmonie hervorgehen.“ 40 18; 248.

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sionsbestrebungen wie die Kriegs- und Reunionspolitik Ludwigs XIV., die Polnische Teilung von 1772 oder die napoleonischen Eroberungen werden als Rechtsbruch und wohl auch als Gefährdung des Gleichgewichts eingestuft.41 Die kritische Aussage zum internationalen Mächtesystem vor 1815, „Die bisherige auf das materielle Gleichgewicht der Staaten gegründete Politik hatte ihre Nichtigkeit bewährt“, kann daher nicht auf den Gleichgewichtsgedanken an sich, sondern nur auf dessen reale („bisherige“) rein machtpolitische („materielle“) Umsetzung zielen.42 Es liegt auf der Hand, dass Barths sehr konkrete Erwartung einer globalen Machtkonzentration in den Händen des kommenden Antichristen seine gegenwärtige Bevorzugung föderativer Weltmachtstrukturen nur bestärken konnte. Die Vorzüge der balance of power gelten nach der Allgemeinen Weltgeschichte für die deutsche Föderativnation ebenso wie für das europäische Mächtesystem.43 Daher hält Barth den auf dem Wiener Kongress geschaffenen, staatenbündisch organisierten Deutschen Bund wohl auch für eine begrüßenswerte Einrichtung, wenngleich er ihn nur in einem einzigen Satz und ohne Wertung vorstellt.44 Die Haltung des Württembergers Barth gegenüber dem bereits sichtbaren preußisch-österreichischen Dualismus im Deutschen Bund wird in der Allgemeinen Weltgeschichte nicht deutlich. Seine Geschichtsdarstellung gibt hierfür aber insofern Aufschluss, als zumindest der preußisch-österreichische Dualismus des 18. Jahrhunderts intensiv erörtert wird. Sowohl Friedrich der Große als auch seine Rivalin Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. werden dabei, wie erwähnt, in hellem Licht geschildert.45 Friedrich erfährt gegenüber den katholischen Habsburgern das Vorrecht, nach der Allgemeinen Weltgeschichte unbewusst trotz aller Angriffspolitik eine evangelische Mission für sein Land erfüllt zu haben: „Gott […] ließ ihn nicht untergehen, weil mit Preußen die Hauptstütze des Protestantismus in Deutschland gefallen wäre, und weil es in den politischen Bewegungen der künftigen Jahrzehnte eine wichtige Stelle einzunehmen bestimmt war.“46 41

311, 314; 336; 352 ff. 358. Noch konsistenter erschiene Barths internationales Konzept, wenn statt „Nichtigkeit“ das (in Fraktur typographisch ähnliche) „Richtigkeit“ zu lesen wäre; ein solcher Druckfehler ist hier aber unwahrscheinlich. 43 299. 44 357. 45 331–341. Als die Allgemeine Weltgeschichte erschien, setzte, nach der Ernüchterung durch die Niederlage von 1806, die Erneuerung des Friedrichmythos in Deutschland mit Willibald Alexis’ Roman Cabanis (1832), Johann David Erdmann Preuß’ vierbändiger Friedrichbiographie (1832–1834) und Franz Kuglers „Volksbuch“ Geschichte Friedrichs des Großen (1840–1842) gerade ein. Vgl. Eda Sagarra, „The Image of Frederick II of Prussia in Germany in the Century before Unification“, European Studies Review 4 (1974), 23–32. 46 334. 42

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Nach Barth erhob Friedrich II. Preußen zur „zweiten Hauptmacht Deutschlands“. Die Randnotiz in einem späteren Kapitel, Frankreich sei nach dem Tod Ludwigs XIV. durch Preußen von der Höhe des europäischen Staatensystems verdrängt worden – zweifellos eine Überschätzung der Bedeutung Preußens im 18. Jahrhundert – geht noch deutlich weiter und verstärkt das positive Bild des Preußenkönigs.47 Neben den Glanzpunkten friderizianischer Herrschaftsausübung weiß die Allgemeine Weltgeschichte aber auch mehrere Schattenseiten zu berichten.48 Maria und ihr Sohn Joseph werden nicht nur ebenfalls als glänzende Herrscher vorgestellt, sondern sie erfüllten nach Meinung Barths mit der Zurückdrängung der römisch-päpstlichen Machtansprüche auch eine kirchengeschichtliche Aufgabe. Allerdings sei ein Teil der josephinischen Reform von Staat und Kirche, wie Barth bedauert, langfristig gescheitert.49 Eine eindeutig propreußische oder pro-österreichische Haltung lässt sich für den innerdeutschen Dualismus des 18. Jahrhunderts also nicht nachweisen. In Barths föderaler Vision von Deutschland und Europa haben beide deutschen Großmächte ihren Platz. Gleichgewichtspolitik ist meistens Friedenspolitik, auch für die Allgemeine Weltgeschichte. Sie stellt sich kritisch gegen Kriegstreiberei und grausame Kriegführung, so im Fall der „schändlichen“ Zerstörung Karthagos durch die Römer im Jahr 146 v.Chr. oder der leichtfertigen Expansionspolitik Ludwigs XIV., dessen „Minister Louvois zur Zerstreuung des Königs einen Krieg beschloß, oder harmlose Gegenden mit vandalischer Rohheit verwüsten ließ“. An Gustav Adolf wird hervorgehoben, dass er „in seinem Heere kein unordentliches Leben, im eroberten Lande keine Mißhandlung und Grausamkeit“ geduldet habe. Barths Zukunftshoffnung ist „der dauernde Friede“ im kommenden Millennium.50 Allerdings ist Barth kein Pazifist. So spricht er ohne abwertenden Unterton vom „Waffenruhm“ eines Volkes, zählt Tapferkeit zu den Tugenden und rechnet sogar die Erhaltung des „kriegerischen Geistes“ zu den Verdiensten des (von ihm kritisierten) Rittertums.51 Außerdem wird wiederholt der Beistand Gottes in militärischen Schlachten angeführt. Dabei handelt es sich um Gottes Hilfeleistung zum Schutz eines bedrängten Volkes 52 47

331; 352. Genannt werden die Nichtanerkennung der Pragmatischen Sanktion (332), einige zumindest unpopuläre wirtschaftspolitische Maßnahmen (335), die Polnische Teilung (336) und die Ablehnung des christlichen Glaubens zugunsten der französischen Auf klärung (331; 337). 49 331 f; 338 f; 341. 50 76; 314; 295; 364. 51 100, 349; 101; 162; 164; 184. 52 33, 36 f (Israel); 161 f (Deutsche); 230 (Franzosen); 219, 231 (Schweizer); 356 (von Napoleon besetzte Völker). 48

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oder – beim Einfall der Araber in Frankreich – zur Erhaltung der Christenheit.53 Im letzteren Fall folgt Barth nicht konsequent seinem eigenen Kirchenbegriff, der doch gerade in der Verfolgungszeit eine Chance für die Zunahme der wahrhaft Gläubigen und im staatlichen Protektionismus die Gefahr der inhaltlichen Verf lachung sah.54 Von dem gewaltsamen Widerstand der Hussiten gegen die Beschlüsse des Konstanzer Konzils wird, wieder folgerichtiger, mit unterschwelliger Kritik berichtet.55 Ein wirkliches bellum iustum ist für die Allgemeine Weltgeschichte, so lässt sich resümieren, mit Ausnahme der alttestamentlichen Kriege um Kanaan nur der Verteidigungsfall eines Staates. Allerdings werden weitgehend „human“ geführte Kriege als Mittel der Politik nicht grundsätzlich ausgeschlossen und daher nur manchmal ausdrücklich beanstandet. Auch beim Verhältnis von Staat und Kirche vertritt Barth eine vermittelnde und nicht ganz konsequente Position. Die Verschränkung von Staat und Kirche wird für die Konstantinische Wende und das mittelalterliche Papsttum scharf und grundlegend kritisiert. Auch für den Dreißigjährigen Krieg und für die jesuitische Missionstätigkeit in Japan bedauert er das Zusammengehen von Religion und Politik.56 Andererseits sieht Barth in der machtpolitischen Eingrenzung der Päpste die wichtigste Aufgabe des mittelalterlichen Kaisertums und hält die Vision der Heiligen Allianz, „die Religion zur Grundlage der Politik zu machen“, für einen großen Gedanken.57 Diese Spannung drückt sich in Barths unentschiedener, abwartender Haltung zur amerikanischen Verfassung aus, die ja die konsequente Trennung von Kirche und Staat vorsah.58 Jedenfalls tritt Barth für die Toleranz des Staates gegenüber religiösen – hier vor allem konfessionellen – Minderheiten ein.59 Freiheit fordert Barth auch noch auf einem anderen Gebiet: Als entschiedener Gegner der Sklaverei verurteilt er den „gräulichen Sklavenhandel, welcher […] noch nicht ganz hat können ausgerottet werden“.60

53 149: „[U]m das Christenthum wäre es geschehen gewesen, hätten die Araber auch diese Mauer durchbrochen.“ 54 127; 129 f. 55 222. 56 129 f; 168 f; 304, 320 f; 329. 57 163 f, 194, 201, 221; 358. 58 342 f. 59 130; 264; 271; 314; 338 f; 352. 60 243 (Negersklaven); vgl. 199 (mittelalterliche Leibeigenschaft); 242 f (Versklavung nordamerikanischer Indianer). 365 nennt ohne weiteren Kommentar die „Sklavenlieferungen“ Afrikas. 14 f führt die Unterdrückung der Afrikaner auf Noahs Verf luchung von Ham zurück; gerade durch die „Knechtschaft“ seien aber manche Afrikaner – „z. B. die Negersklaven auf den westindischen Inseln“ – aufgeschlossen für Gottes Heilsbotschaft.

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Gesellschafts- und Gegenwartsanalysen

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9. Gesellschafts- und Gegenwartsanalysen Die Allgemeine Weltgeschichte trägt keine sozialpolitischen Konzepte vor. Einige aktuelle Gesellschaftsfragen werden jedoch angeschnitten. Darunter fällt das Problem von Pauperismus und sozialer Frage.1 Es wird zwar nicht für sich thematisiert, Barth spricht jedoch an einer Stelle von der „jetzigen Uebervölkerung“, der man ohne den durch die Engländer eingeführten Kartoffelanbau nicht Herr würde. In einer anderen Randbemerkung heißt es: „Auch die Arzneikunde ist zu keiner Zeit so f leißig bearbeitet worden wie in der unsrigen, wo die Gesundheit sich so selten gemacht hat.“2

Diese Aussagen spiegeln, neben der zeitgenössischen Wahrnehmung von Geburtenüberschuss,3 Pauperismus4 und Volkskrankheiten,5 möglicherweise auch malthusianische Annahmen zur demographischen Entwicklung wider.6 Soziale Spannungen beschreibt die Allgemeine Weltgeschichte auch an wenigen Stellen ihrer historischen Darstellung: So führt Barth Teuerungen 1

Mehnert, Evangelische Presse, 124 meint, dass die protestantische Presse vor 1848 „bis auf wenige Ausnahmen […] die sozialpolitischen Aufgaben der Kirche nicht ansprach“. Andererseits engagierten sich Barth und seine Mitstreiter intensiv bei der Gründung von Kinderrettungsanstalten und ähnlichen Einrichtungen. Dietrich, Christentum und Revolution, 243–249 belegt, dass von Seiten der württembergischen Kirchen jedenfalls in den Jahren 1848 bis 1852 durchaus mit Sorge über „Pauperismus“ und „Proletariat“ nachgedacht wurde, wenn man auch oft nur zu unvollkommenen sozialpolitischen Analysen gelangte. 2 274; 141. 3 Vgl. Hans-Werner Hahn, Die industrielle Revolution in Deutschland, München 1998, 14: „Zwischen 1816 und 1845 stieg die Bevölkerungszahl des späteren Reichsgebietes (außer Elsass-Lothringen) von 23 auf 32,7 Millionen an.“ 4 Vgl. ebd., 15: „Auf lange Sicht hat das Bevölkerungswachstum durch die steigende Güternachfrage und das größere Arbeitskräftepotential zwar zur Expansion von Landwirtschaft, Gewerbe und Handel beigetragen. Bis in die vierziger Jahre stand es aber noch nicht im Einklang mit den allgemeinen wirtschaftlichen Fortschritten. Man hat für die Zeit um 1835 von einem Fehlbestand von bis zu 800.000 Arbeitsplätzen gesprochen. […] Als Folge dieser Entwicklung kam es zu einer ständig steigenden Massenverelendung.“ 5 Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 141 f: „Trotz vieler Verbesserungen wirkt sich der überwältigende Fortschritt der naturwissenschaftlichen Medizin erst nach unserem Zeitraum durchgreifend aus. […] 1831 kam die Cholera – in Berlin starben 63,1 % der Kranken – und verheerte in den nächsten Jahrzehnten epidemisch immer wieder Teile von Deutschland.“ Zu den Volkskrankheiten zählt Nipperdey besonders Typhus, Syphilis und Tuberkulose. 6 Vgl. ebd., 107: „Die Bevölkerungszunahme hatte eine große Diskussion entfacht, bei der die pessimistische Annahme von Malthus, die Bevölkerung wachse in geometrischer, die Nahrungsproduktion nur in arithmetischer Progression, eine große Rolle spielte.“ Der englische Geistliche Thomas Robert Malthus (1766–1834) hatte dieses Bevölkerungsgesetz 1798 in seiner Streitschrift An Essay on the Principle of Population formuliert.

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im Kontext des römischen Ständekampfes auf eine „gemeinschaftliche Verschuldung“ von Volk und Adel zurück und kritisiert das Verhalten neureicher Mitglieder der Nobilität, die „das arme Volk von Arbeit und Brod“ verdrängt und ein korruptes Patronatssystem eingeführt hätten. Den Großen Bauernkrieg von 1525 betrachtet die Allgemeine Weltgeschichte als Ergebnis der Unterdrückung des Landvolkes durch Fürsten, Gutsherren und Geistliche, auf die das Volk mangels besserer Erkenntnis gewaltsam reagiert habe. Und das Leiden des Dritten Standes im französischen Ancien régime beschreibt sie mit den Worten: „[N]ach dem Tode des Ministers Colbert wurde das Volk mit unerschwinglichen Steuern so belastet, daß es oft kaum zu essen hatte, während am königlichen Hofe der größte Luxus herrschte.“7

Der Luxus ist nicht nur in dieser Passage ein Zentralbegriff für Barths Gesellschaftsanalyse; er stellt nach ihr ein soziales Grundübel menschlicher Zivilisation dar. Im Laufe der weltgeschichtlichen Darstellung wird für die Phönizier, Lyder und Karthager, die Römer der späten Republik und Kaiserzeit und die Griechen des Hellenismus, für die frühbyzantinischen Städte, die oberitalienischen Stadtstaaten des Hochmittelalters, das Europa der Kolonialzeit und den absolutistischen französischen Hofstaat die verheerende Wirkung des Luxus konstatiert.8 Auch Barths eigene Zeit, in der „der Luxus in höchster Verfeinerung im Schwange“ sei, fällt unter das Verdikt.9 Demgegenüber werden die Römer der frühen Republik, der Kaiser Augustus, die Schweizer in ihrem Freiheitskampf und Joseph II. von Österreich für ihre Resistenz gegenüber dem Luxus gelobt.10 Reichtum, meint Barth, erzeuge „Luxus, und Luxus entnervt und macht weichlich, […] verderbt die Sitten und macht entweder den Freiheitssinn schlaff, oder steigert ihn zur Zügellosigkeit“.11

Ein einfaches, naturverbundenes Leben ist für die Allgemeine Weltgeschichte einem luxuriösen Leben eindeutig vorzuziehen.12 Indem Barth dieses mehrmals mit dem Welthandel in Verbindung bringt und „schwere Sün7

90; 99 f; 253; 313. 21; 53; 94; 99; 118; 137; 140; 199 f; 234; 243 f; 313. 9 10. 10 92; 118; 213; 339. 11 53; vgl. 234. 12 Vgl. dazu auch eine spätere Aussage von Barth, Blick in das verheißene Friedensreich, 1859, 234: „[W]enn man ihnen von einer Periode sagt, wo Jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen werde, wenn man ihnen sagt, dieses gegenwärtige luxuriöse Leben stimmt nicht zusammen mit der Weissagung, die Lebensverhältnisse müssen wieder viel einfacher und naturgemäßer werden, es stehen daher große Umwandlungen bevor, u.s.w. – dann sind sie unzufrieden.“ 8

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den“ zu seinen Folgen zählt,13 hat er wohl nicht zuletzt die vergleichsweise laxe Moral der Hafenstädte vor Augen. Allerdings vertritt Barth in Anbetracht der christlichen Heilslehre auch kein bukolisches Lebensideal: „[…] Luxus des Reichthums und Unschuld des einfachen Hirtenlebens […] – alles ist der Reihe nach zum Heilmittel der Menschen vorgeschlagen und angewendet worden, und hat nicht geholfen.“14

Bescheidenheit im Lebensstil ist also eine unverzichtbare ethische Maxime, auch wenn sie dem Menschen als solche noch keinen Zugang zu Gott verschafft. Mit seiner wiederholten Luxuskritik hebt sich Barth teilweise von der Tradition des Luthertums ab, welche zwar auch die Warnung vor Maßlosigkeit kannte, die weltlichen Genüsse aber andererseits eher begrüßte – eine Tradition, die auch in der Erweckungsbewegung fortwirkte.15 Mit seiner Furcht vor einer allgemeinen Genusssucht steht Barth freilich nicht allein, wie ähnliche zeitgenössische Stimmen aus Württemberg belegen.16 Noch etwas stärker als der Pauperismus wird die industrielle und technische Revolution kommentiert. Dies entspricht der wirtschaftlichen Entwicklung: Die deutsche Industrieproduktion hatte im Jahr 1837 zwar noch nicht den von Wirtschaftshistorikern auf die frühen 1840er Jahre angesetzten konjunkturellen „Take-Off “ erreicht. Gerade zwischen 1834 und 1837 war aber eine spürbare Belebung der Wirtschaftstätigkeit zu verzeichnen, und mit der Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnlinie von Nürn13

21; 99; 198 f; 243 f. 363. Vgl. auch 198 f, wo der Luxus – vielleicht als unvermeidbare Nebenwirkung – im positiven Kontext einer Verfeinerung der „rohen“ mittelalterlichen Kultur genannt wird. 15 So der mir gegenüber geäußerte Eindruck von Sabine Holtz vor dem Hintergrund ihrer mentalitätsgeschichtlichen Forschungen zum frühneuzeitlichen Luthertum. Diese Tradition kannte zwar ebenfalls Luxusverbote in lutherischen Kirchenordnungen, aber ungleich häufiger als die Verschwendung wurde der Geiz getadelt. Vgl. Werner Elert, Morphologie des Luthertums, Bd. 2: Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums, München 1953 (1931), 495–499; Sabine Holtz, Theologie und Alltag. Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550–1750, Tübingen 1993, 227. 16 Vgl. Dieter Langewiesche, „Bildungsbürgertum und Protestantismus in Gesellschaft und Politik: Württemberg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in: Ulrich Köpf (Hg.), Historisch-kritische Geschichtsbetrachtung. Ferdinand Christian Baur und seine Schüler. 8. Blaubeurer Symposium, Sigmaringen 1994, (53–66) 56 f. Die Bedeutung des Luxus für soziales Elend und Revolution betont 1851 der Barth-Freund Sixt Carl Kapff (Die Revolution, 1851, 31 f ): „O was wäre zu erzählen von der Härte gegen Arme, von dem Geiz gegen Nothleidende, von der Capitalanhäufung Angesichts hungernder und jammernder Familien, von dem Luxus aller Art neben Halbnackten und Darbenden? […] Man soll Jedem geben, was recht ist und soll den Höheren und Höchsten auch mehr geben, ja viel mehr geben, als den untergeordneten Dienern, aber die allzuhohen Summen nährten nur den Luxus und befestigten diesen bei einer großen, sehr einf lußreichen Classe so, daß seine allgemeinere Herrschaft auch im niederen Volk als natürliche Folge sich ergab.“ 14

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berg nach Fürth am 7. Dezember 1835 begann in verschiedenen deutschen Einzelstaaten ein Wettrennen um den Erfolg auf den Schienen.17 Zu Fragen der Wirtschaftspolitik bezieht die Allgemeine Weltgeschichte nicht unmittelbar Position und lässt auch den 1834 gegründeten Deutschen Zollverein unerwähnt. Sie nimmt aber die Beschleunigung der Entwicklung wahr: „Dampfschifffahrt, Canäle, Eisenbahnen, Fabriken, Handelsvereine u.dgl. kommen mit überraschender Schnelligkeit in Ausführung.“18

Wie schon die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert werden die neuen technischen Möglichkeiten ambivalent beurteilt: Die Menschen könnten sie für gute Zwecke verwenden oder auch für böse missbrauchen. Allerdings fügt Barth unumwunden hinzu, „in unsern Tagen“ sei „anerkanntermaßen“ das Böse in der Überzahl. Er weist auch auf die Gefahr hin, die Heilserwartungen der Menschen könnten von Gott auf die technischen Fortschrittsversprechen umgelenkt werden.19 Die Allgemeine Weltgeschichte geht besonders auf die durch „Dampfwägen, Dampfschiffe, Eisenbahnen, u.dgl.“ ermöglichte neue Mobilität ein, denn diese hat für Barth eine Bedeutung für die erwarteten globalen Vereinigungsbestrebungen. Die neuen Verkehrswege würden, meint Barth, der Verbreitung des Evangeliums, aber auch der Ausbreitung des kommenden antichristlichen Reiches zugute kommen.20 Auch in der Frage nach Bildung erweist sich Barth als Zivilisationskritiker und -befürworter zugleich. Selbst die feinste Bildung, heißt es im Kontext der Hugenottenverfolgungen des Grand Siècle, schütze nicht per se vor „den rohen Gräueln des Fanatismus“. Losgelöst vom Wort Gottes, schreibt Barth über den säkularisierten Flügel des Renaissancehumanismus, würden die Wissenschaften den Menschen eher schaden. Und aus der hochentwickelten altägyptischen Kultur zieht er die Lehre, „daß unsere Zeitgenossen ihrer vielseitigen und verfeinerten Bildung sich nicht zu rühmen haben, so lange ihre Religion nichts anderes ist als eine feinere Abgötterei, der ägyptischen ähnlich“.21

17 Vgl. Hahn, Industrielle Revolution, 23 f, 58; Bernhard Mann, „Württemberg 1800 bis 1866“, in: Hansmartin Schwarzmaier (Hg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 3: Vom Ende des Alten Reiches bis zum Ende der Monarchien, Stuttgart 1992, (235–323) 299. 18 365 f. 19 244 f; 18; 366. Barth gibt auch zu bedenken (10), dass die ersten in Genesis 4 genannten technischen Erfinder zur Familie der gottlosen Kainiten gehörten und somit technische Fertigkeiten alleine noch keinerlei inneren Wert beanspruchen könnten. 20 17; 366. 21 314; 288; 24.

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Andererseits lobt die Allgemeine Weltgeschichte die Einrichtung von Volksund Klosterschulen durch Karl den Großen und zollt der „wissenschaftlichen Bildung“ und „Verbreitung des Unterrichts“ durch Gelehrte des 11. Jahrhunderts in ihrem Kampf gegen die allgemeine Bildungsarmut Anerkennung. Sie lobt auch Kaiser Karl IV. als Stifter der Prager Universität, Kaiser Maximilian I. als Förderer von Wissenschaft und Kunst und Kaiserin Maria Theresia als glückliche Reformerin des österreichischen Volksschulwesens.22 Beschwört Barth also von seinem christlichen Bildungsbegriff aus23 die Dialektik der Auf klärung, so bleibt er doch selbst christlicher Auf klärer mit einem volkspädagogischen Anliegen und einem bildungsbürgerlichen Hintergrund. „Bürgerlich“ ist in der Allgemeinen Weltgeschichte auch ein positiv besetzter Begriff.24 Schließlich findet sich an einer Stelle des Buches die zeittypische Auffassung von der Sonderstellung der eigenen Gegenwart im Kontext einer beschleunigten weltgeschichtlichen Entwicklung. Richard Koebner hat die Auffassung mit den Begriffen „Idee der Zeitwende“ und „Gedanke der schicksalsvollen Gegenwart“ auf den Punkt gebracht.25 „Die eigene Zeitgeschichte“, schreibt Reinhart Koselleck über die Erfahrungsschübe der Französischen und der Industriellen Revolution, „konstituierte seitdem eine Differenz zu allen bisherigen Geschichten.“26 Das Phänomen entspreche dem Auseinandertreten von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont, deren Differenz im neuen Kollektivsingular „Fortschritt“ zusammengefasst sei.27 Im Kapitel I.5.3 wurde bereits deutlich, dass die Er22

156; 175 f; 217; 226; 338. Ein spezifisch christliches Verständnis von Bildung, nach dem diese nicht primär die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten, sondern die Formung gemäß der ImagoDei-Idee zum Ziel habe, wurde vielfach in den christlichen Kirchen vertreten (vgl. Dietrich, Christentum und Revolution, 213 f ). 24 11; 199. 25 Richard Koebner, „Die Idee der Zeitwende“ (1941–1943), in: ders., Geschichte, Geschichtsbewusstsein und Zeitwende. Vorträge und Schriften aus dem Nachlass, hg. vom Institut für Deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv, Gerlingen 1990, (147–193) 150. Koebner definiert diese Auffassung, die sich seit dem frühen 19. Jahrhundert durchgesetzt habe, als die „Idee der Geschichte als eines Ganzen, dessen Zusammenhang und Bewegungsrichtung in der Gegenwart zur Klärung kommt“. Er denkt allerdings in erster Linie an nichtreligiöse Weltanschauungen. Vgl. hierzu auch Dieter Langewiesche, „‚Zeitwende‘ – eine Grundfigur neuzeitlichen Geschichtsdenkens: Richard Koebner im Vergleich mit Francis Fukuyama und Eric Hobsbawm“ (2002), in: ders., Zeitwende. Geschichtsdenken heute, Göttingen 2008, 41–55. 26 Koselleck, Zeitschichten, 260. 27 Vgl. Koselleck, Vergangene Zukunft, 361 ff. Anders dagegen Becker, Zeit der Revolution, 366: „Eine Revolution […] schien zumindest in ihrer Anfangsphase die beiden Bewegungskategorien [Erfahrungsraum und Erwartungshorizont] wieder anzunähern. Gerade die Ereignisse von 1830 und 1848 machten deutlich, dass nach einem Entwicklungsstau die revolutionären Erfahrungen mit den schon lange gehegten Erwartungen in Deckung zu bringen waren. Mit einem Mal konnte in der neu erfahrenen revolutionären Gegenwart der 23

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weckungsbewegung den Fortschrittsbegriff nur zögernd aufnahm, weil sie die mit ihm verbundene säkulare Zukunftshoffnung nicht teilte. Die Allgemeine Weltgeschichte ist hier keine Ausnahme.28 Ungeachtet ihrer Begrifflichkeit vertritt aber auch sie den Gedanken der schicksalsvollen Gegenwart. So schreibt Barth unter Verwendung einer schon im Mittelalter und dann wieder von Heinrich Jung-Stilling vertretenen „heilsgeschichtlichen Geographie“:29 „Von jeher sind die großen Völkerbewegungen mit dem Lauf der Sonne von Osten nach Westen gegangen, und die Verbreitung der Cultur, der Schauplatz der Geschichte, und die christliche Religion haben die gleiche Richtung befolgt. Was den entgegengesetzten Weg nahm, war meistens entweder etwas Unnatürliches, Verkehrtes, wie die Kreuzzüge und die Ausbreitung des Muhamedanismus, der sich zugleich nach Ost und West verbreitete, oder es hat keinen bleibenden Erfolg gehabt wie die Missionen der Nestorianer. Unsre Zeit, in welcher die Missionen strahlförmig nach allen Richtungen gehen, macht eine Ausnahme, und charakterisirt sich eben damit als eine große Epochenzeit, in welcher gewöhnliche Regeln nicht mehr gelten, weil in ihr erfüllt werden muß die Verheißung: daß das Evangelium gepredigt werde allen Völkern.“30

Die biblische Lehre von den „Zeichen der Zeit“ wird hier mit einer ganz unbiblischen und in der Allgemeinen Weltgeschichte auch sonst nirgends anzutreffenden West-Ost-Symbolik verknüpft, um die Schicksalhaftigkeit der Gegenwart zu unterstreichen. Barths Begründung für diese Diagnose ist nicht die gesellschaftliche, politische oder wirtschaftlich-technische Entwicklung, so sehr ihn diese geprägt haben mögen: Sie liegt vielmehr in der singulären weltweiten Verbreitung des Evangeliums. Barth vermag zum Abschluss seines Werkes zwar eine geistreiche, wenn auch sehr knappe Kurzanalyse der weltpolitischen Lage, etwa des Orientkonf likts, zu geben.31 Seine Erwartung und Hoffnung zielt aber nicht auf Gesellschafts-, Wirtschafts- oder Außenpolitik, sondern auf „die Offenbarung der herrlichen Macht Gottes auf die Erde“.32

eruptive Anschluss an eine versäumte Modernisierung erreicht werden […].“ Beckers Kritik an Koselleck relativiert sich allerdings m. E., wenn man Erwartungen nicht mit Hoffnungen gleichsetzt und wenn man vor allem die Umwälzungen seit 1789 nicht aus der Sicht der Revolutionäre, sondern der politisch eher passiven Zeitgenossen betrachtet. 28 Nur 288; 336, wo vom „Zurückbleiben hinter den Fortschritten [Plural!] der Zeit“ die Rede ist. 29 Vgl. Seebass, Antichrist, 38 f; Benz, Ostkirche, 138. 30 239 f. 31 364 f. 32 364.

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III. Geschichtsbilder der Erweckungsbewegung – Schwerpunktthemen und Deutungsmuster 1. „Fortschreitende Entwickelung des göttlichen Erziehungsplans“ – Heilsgeschichte in der Weltgeschichte Die von der historischen Literatur und den Zeitschriften der Erweckungsbewegung transportierten Geschichtsbilder umfassen eine Vielzahl disparater Erinnerungsstücke. Nachdem im zweiten Teil der Arbeit versucht wurde, anhand einer einzelnen Schlüsselquelle daraus ein Gesamtbild zu zeichnen, soll im letzten Teil aus dem gesamten Quellenmaterial geschöpft werden, um einzelne Themen im kollektiven Gedächtnis der Erweckungsbewegung vorzustellen. Viele dieser Themen konstituieren das historische Selbstverständnis der Erweckungsbewegung, wie das Kapitel III.2 zeigen soll. Das Geschichtsbild der Erweckten ruht jedoch zugleich auf einer Meistererzählung: der Erzählung von dem heilsgeschichtlichen Handeln Gottes, das quer zur Geschichte der Religionen und Imperien den Gang der Menschheit lenke und den Bau des Gottesreiches vorantreibe. Die biblische Historie steht dabei im Zentrum einer, in den Worten Friedrich Adolph Krummachers, „fortschreitenden Entwickelung des göttlichen Erziehungsplans“.1 Dieser Plan geht für die Erweckten weit über die engere biblische Geschichte hinaus und umfasst, wie die Analyse von Barths Allgemeiner Weltgeschichte gezeigt hat, die gesamte Weltgeschichte. Im Folgenden sollen daher zentrale Aspekte der heilsgeschichtlichen Weltgeschichtsdeutung der Erweckungsbewegung zur Sprache kommen. 1.1 Göttliche Vorsehung und Theodizee Am Anfang der weltgeschichtlichen Schau der Erweckten steht Gott. Während sein Geschichtswalten in der allgemeinen zeitgenössischen Historiographie meist nicht mehr explizit zitiert oder durch unpersönliche Agen1 Friedrich Adolph Krummacher, Geschichte des Reichs Gottes, nach der heiligen Schrift, in Bildern von Wilhelm von Kügelgen. Mit andeutendem Texte, Essen: Bädeker 1831, Vorwort.

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

ten wie das „Schicksal“ ersetzt wird,2 halten die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung uneingeschränkt an Gottes Allwirksamkeit fest: „Er ist’s, der die Völker und die Einzelnen segnet; Er führt und trägt, Er warnt und straft, er rettet und führet Seinen Rath mit den Menschenkindern durch alle Hindernisse hindurch, Er offenbaret sich mannigfach der Erkenntniß der Völker und ihrem Leben.“3

Die Vorsehung Gottes bezieht sich hier auf die Heilsgeschichte im engeren Sinne, aber auch auf die Geschichte insgesamt, die deshalb „[kein] bloßes Conglomerat von Begebenheiten“,4 sondern eine „Vorsehungsgeschichte“5 ist: „Der Mensch denkt, und Gott lenkt!“6 Daraus folgt, dass man dem Lauf der Geschichte einen tiefen, wenn auch nicht immer ergründbaren, Sinn zuschreibt. Die Geschichte hat mit Gott einen Herrn, mit Jesus Christus einen Mittelpunkt und mit der Erlösung verlorener Menschen sowie eschatologisch mit der Wiederkunft Christi ein Ziel. Die universalgeschichtliche Sicht der Erweckten erhält dadurch eine teleologische Ausrichtung. Heinrich Leo beendet einen seiner Bände zur Universalgeschichte mit dem markanten Satz: „An einen Krebsgang der Kirche und der Menschheit hat noch niemand geglaubt, der an Gott und Christum glaubte.“7 Die Erweckten jedenfalls glauben fest, dass die Geschichte stetig ihrem Ziel entgegengeht. Im Gegensatz zur Auf klärung im 18. und ihren Erben im 19. Jahrhundert glauben die Erweckten nicht nur an eine allgemeine, sondern auch an eine interventionistische Vorsehung Gottes.8 Gottes Direktintervention in den Lauf der Geschichte ergänzt dabei seine Rolle als Schöpfer, Gesetzgeber und Erhalter der Welt. Häufig wird etwa von der „Hand Gottes“ in bestimmten Ereignissen gesprochen.9 Unerwartete Fügungen sind für die Erweckungsbewegung kein „Spiel des Zufalls“, selbst wenn die „Weisen des Jahrhunderts“ dies so interpretieren mögen,10 sondern vielmehr „Gottes 2

Vgl. Mayer, Sprachspiele der Revolution, 128; 130. Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 20. 4 Völter, „Literarischer Bericht: Weltgeschichte“, SSB 9 (1845), 135. 5 Hess, Das Vorsehungsvolle der immer weitern Bibelverbreitung, 1817, VII. 6 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 167. 7 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. II, 1836, 477. 8 Vgl. hierzu Gude, Geschichtsschreibung und Romantik, 35–37; Günther, Lehrbuch der Universalgeschichte, 273. 9 Etwa Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. I.1, 1826, 2; Bd. II.3, 1831, 1005; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 303; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 319; Müller, Ostindien, 1841, 410; Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 896. 10 „Eine Scene aus der Geschichte der Französischen Revolution“, EKZ 1829, (105–109) 108. Der Artikel berichtet von der Rettung von zum Tode verurteilten Christen während der revolutionären Terreur. 3

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Göttliche Vorsehung und Theodizee

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Werk“.11 Allerdings ist man nicht der Ansicht, sämtliche Führungen Gottes durchschauen zu können. Leo spricht nicht zufällig von „Gottes unerforschlichem Rathschluße“, auch wenn er in dem betreffenden Fall – der Uneinigkeit der Verbündeten auf dem Wiener Kongress – den Ratschluss zu ergründen meint.12 Im Unterschied zur von Segen und Strafe geprägten Geschichte der Juden ziehe sich Gott, schreibt Karl von Raumer, „in den Geschichten der andern Völker oft in den Hintergrund zurück, als hätte er die Menschen sich selbst preisgegeben und eine tiefe historische Forschung und Kenntniß gehört meist dazu, um die Zeiten zu überblicken und Gottes über die Völker und über Einzelne waltende Gerechtigkeit zu erkennen“.13

Da sich die Erweckten in vielen Fällen diese Kenntnis nicht zuschreiben, konzentriert sich ihr Verweis auf Gottes Eingreifen auf einzelne herausgehobene Ereignisse und Entwicklungen. Die Vorbereitung der frühchristlichen Mission durch die pax Romana und der Reformation durch die Erfindung des Buchdrucks sind zwei solcher Topoi.14 Ein anderer ist der regelmäßig auf Gott zurückgeführte Niedergang der Grande Armée vor Moskau.15 Auch die Erfolge der neueren Missionsbewegung werden Gottes Wirken zugeschrieben.16 In anderen Teilen der Geschichtsdarstellung ist man vorsichtiger mit theologischen Urteilen. Wenn Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung meinen, Gott habe der Hybris eines Machtmenschen oder einer Gruppe Einhalt geboten, zitieren sie gelegentlich Hiob 38,11: „Bis hierher darfst du und nicht weiter, hier muss sich legen deiner Wogen Stolz.“17 Wie dem personifizierten Meer in Gottes Rede an Hiob, so setzt Gott auch den Tyrannen der Geschichte unverrückbare Grenzen. Die Erweckten glauben nicht nur in der großen Geschichte an Gottes Vorsehung und meinen sie gelegentlich ausmachen zu können. Sie rechnen mit ihr auch in ihrem eigenen Alltag – einschließlich ihrer Geschichtsforschung. Neben den Zueignungen der Vorworte findet sich ein 11 Leonhardt, Gesegnete Ausbreitung des Christenthums, 1820, 6 über die frühchristliche Mission. 12 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 260. 13 Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. III.1, 21847 (1847), 117. 14 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 86; 181 f; „Wie die Buchdruckerkunst in Basel einheimisch ward“, CVB 8 (1840), (212 f ) 213; Leonhardt, Gesegnete Ausbreitung, 1820, 6. 15 Zahn, Biblische Geschichte, 41835, 526; Völter, Württemberg, 21847, 244 f; „Gottes Macht vorbehalten“, CVB 8 (1840), 235 f; Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 102; Eyth, Biographie en gros, 1847, 172. 16 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 312; Hess, Das Vorsehungsvolle der immer weitern Bibelverbreitung, 1817; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 339 f. 17 Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, 1833, 154; Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. IV.2, 1856, 1133.

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

eindrücklicher Beleg hierfür in Westermeiers (in der dritten Person verfasstem) Bericht über ein schmerzliches Missgeschick bei der Entstehung seines Buches: „In dem Namen des Herrn legte er Hand an das Werk, und schon war es in dem vorgesetzten Umfange vollendet, als es Gott gefiel, wie unsern Mitverbundenen bereits bekannt ist, es den Flammen zum Raube zu geben. Jedoch verlieh der Herr auch wieder Muth und Freudigkeit, aufs neue die Arbeit zu beginnen, und Hilfe und Segen, unter mancherlei Störungen sie zu vollenden […].“18

In gewisser Weise schreiben Erweckte also Geschichte im Lichte ihrer individuellen Gotteserfahrung, die das Autoren-Trauma eines vollständigen Datenverlustes ebenso umfasst wie ihre historiographische Schaffenskraft und die Wirkung ihrer Werke. Die dahinter liegende Grundhaltung des Gottvertrauens zeigt sich auch in der Biographik. In den zahllosen Selbstzeugnissen der Herrnhuter wird sie besonders augenfällig. „Eher Voltaires Candide als Hiob gleich“, urteilt Mettele, „wurde in den Lebensläufen jeder Vorgang, sei es auch eine schwere Krankheit, ein Unfall oder der Tod eines Kindes, unter das Leitmotiv von des ‚Heilands weiser Direktion‘ gestellt.“19 Angesichts einer so starken Betonung des allmächtigen und gütigen Wirkens Gottes stellt sich die Frage nach der Zulassung des Bösen in der Geschichte. Die erweckten Geschichtsschreiber entwickeln in ihren Geschichtswerken naturgemäß keine systematische Theodizee.20 Sie beschäftigen sich aber immer wieder in Randbemerkungen und kurzen Ref lexionen mit der Frage, wie die Güte Gottes mit Unrecht und Leid in der Geschichte zu vereinbaren sei, die auch sie nicht immer als gerechte Strafe deuten können. Dabei gelangen sie zu unterschiedlichen Antworten. Am einfachsten fällt die Antwort dort, wo man von positiven Folgen des Geschehenen berichten kann. Die Frage, warum Gott die Ermordung des Südseemissionars John Williams zugelassen habe, führt Wilhelm Friedrich Besser zu einem Diktum Tertullians: „Mächtiger, als je das Wort aus Williams Munde predigt jetzt sein Blut auf Erromanga von der Liebe, die stärker ist als der Tod […]. Ja, es bleibt dabei: ‚Das Blut der Märtyrer ist die Aussaat der Kirche.‘“21

Ähnlich wird in Fliedners Märtyrerbuch mit Bezug auf die römischen Christenverfolgungen argumentiert.22 18

Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, III f. Mettele, Weltbürgertum, 246. 20 Der von Gottfried Wilhelm Leibniz in Anlehnung an Römer 3,5 geprägte Begriff Theodizee (von griech. θεός [„Gott“] und δίκη [„Gerechtigkeit“]) bezeichnet die Rechtfertigung Gottes hinsichtlich seiner Zulassung des Bösen in der Welt. 21 Besser, John Williams, 21847, 236. 22 Fliedner (Hg.), Buch der Märtyrer, Bd. I, 1851/52, 142 f. 19

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Göttliche Vorsehung und Theodizee

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Schwieriger fällt eine Antwort, wenn kein direkter Sinn des Leidens auszumachen ist. Musste die Wiederherstellung des Status quo nach dem Siebenjährigen Krieg nicht den Schluss nahe legen, dass über 800.000 Soldaten ihr Leben „um nichts“ verloren hatten? Blumhardt gibt auf diesen von ihm selbst formulierten und wohl selbst gefühlten Einwand zu bedenken, zumindest habe Preußen damals machtpolitisch zu Österreich aufgeschlossen und damit langfristig eine Schwächung der Evangelischen verhindert.23 Ähnlich argumentiert Heß für den frühmittelalterlichen Triumphzug des Islam. Er vermutet, Gott habe, „um den Ausbruch des Allerschlimmsten zurückzuhalten, einstweilen Minderböses geduldet“ – wenigstens sei so das Heidentum zurückgedrängt worden.24 Die Zulassung des Bösen ist hier also Verhinderung des noch Böseren. Freilich weiß man um Erklärungsgrenzen solcher Spekulationen: Auf manche Fragen kenne Gott allein die Antwort. „Warum?“, fragt Kappe nach seinem Bericht über Gustav Adolfs Schlachttod. „Das weiß nur der, der ihn hinweggenommen hat.“25 Ein besonders komplexes Problem ist das Unrecht, das durch das Christentum verursacht wurde – die „gräuelvollen Seiten in der Geschichte der Christen“, wie Raumer sie nennt, „z. B. Religionskriege, Inquisitionen, Sklavenhandel etc.“.26 Wie lässt sich dies mit Gottes Geschichtswirken und der Wahrheit des Christentums in Einklang bringen? Die Frage lässt die Erweckten nicht kalt. „Nur mit Entsetzen blickt das trübe Auge auf die durchlaufene Bahn zurück“, klagt C. G. Blumhardt über einige der von ihm behandelten Schwertmissionen des europäischen Mittelalters.27 „Wäre dieser Gang der Sache nicht schon vom Herrn vorausgesehen und bestimmt angezeigt worden“, schreibt Heß, „man könnte beynahe an dem Plane der göttlichen Führungen – irre werden, wenn man in dem Gange des Kirchenwesens alle diese Jahrhunderte hinauf so viel unreine Machenschaft, so viel nur allzu Menschlich-schwaches und Leidenschaftliches zu sehen bekommt. Das Göttliche der Anlage und der Leitung des Werkes scheint sich da beynahe ganz zu verlieren. Die Kirchengeschichte zeigt uns oft, nicht minder als die Weltgeschichte, einen Tummelplatz der Leidenschaften, der Herrschsucht, der Rangsucht, des Parteygeistes, der Schwärmerey […].“28

Die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung geben auch hier verschiedene Antworten. Grundlegend ist für sie die Überzeugung, dass die 23 24 25 26

Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 269. Hess, Kern der Lehre, 21826, 235. Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 82. Karl von Raumer, Lehrbuch der allgemeinen Geographie, Leipzig: Brockhaus 1832,

386. 27 28

Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.2, 1837, 692. Hess, Kern der Lehre, 21826, 246.

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

Christenheit sich in diesen Fällen selbst, statt ihr wahres Gesicht zu zeigen, verleugnet habe. Diese „Sünden und Gräuel“ seien „Früchte nicht der Lehre Christi, sondern des Abfalles von dieser Lehre, also indirect Beweise für die Treff lichkeit derselben“ gewesen.29 Wo Menschen ethisch versagten, hätten sie dies nicht auf Geheiß Gottes, sondern in freiwilliger Auflehnung gegen sein Gebot getan. Weil Gott Entscheidungsfreiheit „in die menschliche Natur gelegt“ habe, sei darum nicht Gott, sondern der Mensch für Unrecht und Gewalt in der Geschichte verantwortlich.30 Auch müsse man den Begriff des Christlichen differenziert verwenden: Wie in der Bibel vorhergesagt,31 seien Teile der Christenheit und vielfach die institutionelle Kirche, weniger dagegen die wahren Christen Quelle der Unmoral gewesen.32 Statt rationale Antworten zu geben, können die Erweckten aber auch einfach „mit Mitleid auf die traurigen Verirrungen“ in der Kirchengeschichte sehen,33 innehalten und „trauern“.34 Doch es bleibt nicht bei der defensiven Argumentation. Zum einen ist die Erweckungsbewegung nämlich auch hier überzeugt, dass Gott aus etwas Bösem in der Geschichte noch etwas Gutes hervorzubringen vermochte. Das „Priesterregiment der Unmündigkeit“ hinter der christlichen Mission des Mittelalters trug nach Blumhardt indirekt zur Vorbereitung der späteren evangelischen Mission bei.35 Kappe weist darauf hin, dass sich in den Stürmen der Hussitenkriege die böhmischen Brüder bildeten, und folgert: „So weiß Gott es doch gut zu machen, wenn auch die Menschen es nicht gut machen.“36 Selbst die rationalistische Bibelkritik habe, meint Leo, zu etwas Gutem beigetragen, denn sie habe „die gläubige Theologie genötigt […], die Rüstung nicht von der Hand zu legen, sich zu rüren, und immer schärfer gestelte Probleme zu lösen“.37 Auch kontrafaktische Aussagen, die die Erweckten sonst eher selten verwenden,38 können problematische Wege der Kirchengeschichte verständlicher machen: Ohne die Rombindung der Bonifatianischen Mission hätte der deutschen Kirche,

29

Raumer, Lehrbuch der allgemeinen Geographie, 1832, 386. Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 206; vgl. Merle D’Aubigné, Discours, 1832, 12. 31 Hess, Kern der Lehre, 21826, 246. 32 Merle D’Aubigné, Discours, 1832, 14. 33 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 117. 34 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.1, 1833, 516. 35 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 281. 36 Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 62. 37 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 819. 38 Z. B. Hossbach, Johann Valentin Andreä, 1819, IX; Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. II, 21847, 465 f; Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.2, 1837, 695. Kritisch gegenüber Kontrafakta und psychologischen Spekulationen über das Leben Jesu ist „Litterarische Anzeige“, EKZ 1828, 755. 30

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Göttliche Vorsehung und Theodizee

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argumentieren Neander und Dittmar, wohl die überlebensnotwendige Stärke gefehlt.39 Zum anderen weisen die Autoren auf die historischen Verdienste des Christentums hin. Denn dieses habe, so meinen sie, in der Geschichte Europas vor allem eine bleibende Segensspur hinterlassen. Blumhardt resümiert in seinem Handbüchlein der Weltgeschichte: „[D]ie Ehen wurden durch kirchliche Einsegnung geheiligt, was ein neues Familienglück schuf, und wodurch theils der Vielweiberei, wo sie stattfand, theils dem gedrückten Zustand des weiblichen Geschlechts, theils dem ungescheuten Lasterleben gewehrt wurde; die Sclaverei verlor sich allmählig; manche abscheuliche Volksvergnügungen, wie die Thier- und Gladiatorengefechte, kamen in Abgang; die gesammte Staatseinrichtung erhielt eine andere Form.“40

Friedrich Wilhelm Klumpp meint, es sei das Christentum gewesen, „welches die Menschenrechte – besonders auch durch Auf hebung des Prinzips der Sklaverei – geachteter, die Gesetze gerechter und menschlicher, die Geisteskultur nicht nur allgemeiner, sondern auch tiefer und vielseitiger, das Verhältniß der Geschlechter edler und sittlicher, die Ehe geheiligter, das häusliche Leben reiner und gemüthlicher gemacht, welches für den Unterricht der Jugend, für die Erziehung der Waisen, für Unterstützung der Armen, für Rettung der Verwahrlosten und Gefallenen gesorgt, welches in alle Verhältnisse wohlthätig eingegriffen, kurz, welches die Welt umgestaltet, und der Geschichte eine andere und höhere Richtung gegeben hat“.41

Zu diesen Vorzügen kommt für Klumpp die „geheime Geschichte des menschlichen Herzens“ hinzu – die nicht statistisch erfassbare, aber nicht weniger reale Geschichte der unzähligen Individuen, die Mut, Trost, Vergebung und Frieden mit Gott gefunden hätten.42 Der Wert des Christentums für die Weltgeschichte ist aus Sicht der Erweckungsbewegung daher unbestreitbar. Seine Verdienste hätten sich über Jahrhunderte erwiesen und wurzelten bereits in der alttestamentlich-jüdischen Tradition. „Civilisation, Vaterland, Erziehung, häusliche Freuden, Tröstungen im Leben, Hoffnung im Tode“, schreibt Gaussen, „was hätten wir von all’ diesem ohne das Christenthum, und was hätten wir vom Christenthum ohne die Juden?“43 Hinter all diesen Entwicklungen und Wirkungen steht für die Erweckten die Vorsehung Gottes. 39 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. III, 1834, 68; Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, 490. 40 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 86 f. 41 Klumpp, Das evangelische Missionswesen, 21844, 4 f. 42 Ebd., 8. 43 Gaussen, Die Juden, 21843, 10.

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

1.2 Die klassische Antike Ist Christus Mittelpunkt der Weltgeschichte, so kommt der griechischrömischen Antike als Folie für die neutestamentliche und frühchristliche Geschichte eine besondere Bedeutung zu. Der Erweckungsbewegung steht diese Bedeutung nicht nur aus biblisch-theologischen, sondern auch aus bildungsgeschichtlichen Gründen vor Augen: Auch wenn die Hochphase des Neuhumanismus zwischen 1800 und 1820, das heißt großteils vor den Jahren des Vormärz lag, stand die Pädagogik des ganzen 19. Jahrhunderts unter dem Einf luss von Humboldts neuhumanistischem Bildungsideal und seiner Hochachtung des Griechischen.44 Hoßbach stellt 1819 die auch für die Folgejahre noch gültige rhetorische Frage, ob denn „die Zeit schon ganz vorüber“ sei, wo „die Lehrer und Führer unsrer Jünglinge auf Schulen und Universitäten, selbst dem religiösen Leben fremd, ihre Schüler lieber zu Griechen und Römern […] als zu Christen machen wollten“.45 Die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung können ein solches Anliegen niemals teilen. Viele genossen jedoch selbst eine klassische Bildung und profitierten davon. Es ist für sie daher eine erinnerungsgeschichtliche Kernaufgabe, der klassischen Antike in ihrem christlichen Geschichtsbild den angemessenen Ort zuzuweisen. Die erweckten Autoren sind sich in dieser Frage uneins. Einige, namentlich Eduard Eyth und Nicolai Frederik Severin Grundtvig, setzen sich dafür ein, die Vorherrschaft der heidnischen Klassiker in den Gelehrtenschulen zu brechen.46 Auch Heinrich Leo warnt eindringlich vor der „Versenkung in das eigenthümlich heidnische Denken des Kreises klassischer Bildung im Alterthum“47 und handelt die Antike in seinem sechsbändigen Lehrbuch der Universalgeschichte entsprechend kurz in einem Teilband ab. Die meisten Geschichtsautoren der Erweckungsbewegung suchen jedoch zwischen Verklärung und Geringschätzung des griechisch-römischen Erbes zu vermitteln. Man will ihm „wenn auch nie eine vergötternde Bewunderung, so doch stets seine ihm gebührende gerechte 44 Vgl. Joachim Detjen, Politische Bildung: Geschichte und Gegenwart in Deutschland, München/Wien 2007, 32–38; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 56–65. 45 Hossbach, Johann Valentin Andreä, 1819, X. 46 „Klassiker und Bibel in den niederen Gelehrtenschulen. Reden an Lehrer und gebildete Väter von Dr. Eduard Eyth. Basel 1838“, EKZ 1839, 44–53; 57–62. Der Artikel setzt sich wohlwollend, aber kritisch mit Eyths gemäßigter und Grundtvigs radikaler Kritik am griechisch-römischen Lehrstoff der höheren Schulen auseinander. Wo die heidnische Literatur „zum wesentlichen Lebensinhalte unserer Jugend“ gemacht werde, sei freilich Alarm zu schlagen (48); in christlich angemessener Verwendung sei sie jedoch als Bildungsmittel künftiger Verantwortungsträger sehr nützlich (51; 57 f ). 47 Heinrich Leo, „Das Christenthum und das Deutsche Volk“, EKZ 1847, (489–497 et al.) 918.

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Die klassische Antike

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Würdigung, und, wo es irgend seyn kann, ehrende Anerkennung“48 zuteil werden lassen. Besonders der altgriechischen Kultur gesteht man ein sehr hohes intellektuelles und ästhetisches Niveau zu. „Wollten wir es etwa tadeln, wenn der Jüngling die grossen Gestalten des Alterthums bewundert und zu ihnen emporstrebt?“, fragt Friedrich Wilhelm Klumpp in einem Vortrag über „Die classischen Studien vom Standpunkte des Evangeliums“. Seine Antwort greift stilistisch auf die Negationen der Paulusbriefe zurück: „Das sey ferne! Nur darf er nicht darüber den Maassstab für die einzig wahre Grösse, den Sinn für die höchste Schönheit verlieren!“49 Hier nämlich liegt die Grenze, die alle Erweckten ziehen: Eine Inthronisation der Klassiker auf Kosten des Evangeliums muss in die Irre führen. Die Beschäftigung mit der heidnischen Antike als solche gilt dagegen vielen als unproblematisch. Ohne Weiteres empfiehlt der Süddeutsche Schul-Bote, Bibelsprüche zum besseren Memorieren nicht nur mit biblischen, kirchengeschichtlichen und anderen Erzählungen, sondern auch mit „Beispiele[n] von den Heiden des Alterthums“ zu illustrieren.50 Neander wendet sich entschieden gegen diejenigen, die „in allem Vorchristlichen außerhalb des Judenthums nur Werk des Satans“ erblicken, und weist darauf hin, dass schon Augustinus bei der Beschäftigung mit der heidnischen Literatur die „Mitte“ gehalten habe.51 Eine Darstellung der politik- und geistesgeschichtlichen Antikevorstellungen der Erweckten ist hier im Einzelnen nicht möglich. Aufgrund ihrer Bedeutung für das geschichtstheologische Problem der anima naturaliter Christiana 52 seien lediglich die griechischen Philosophen Sokrates und Platon genannt, die, wie bereits bei Barth gesehen, zu den Lichtfiguren in diesem Bild zählen. Sokrates sei „der Tugendhafteste seines Volks, ‚ein göttlicher Prophet im Vorhofe des Heidenthums‘“ gewesen, schreibt Dittmar; Platons Gottes- und Sittenlehre stehe der christlichen Ansicht sehr nahe.53 Für Westermeier war Sokrates ein „großer Mann“, der dem Christentum „in der That sehr nahe“ gestanden und der seine Lehre durch ein 48

Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, XIII. Friedrich Wilhelm Klumpp, Die classischen Studien vom Standpunkte des Evangeliums. Rede am Geburtsfeste Seiner Majestät des Königs von Württemberg den 27. September 1837 im Königlichen Gymnasium zu Stuttgart gehalten, Stuttgart: Beck & Fränkel 1837, 7 f. 50 „Literarischer Bericht. Berufsbildung des Schullehrers“, SSB 2 (1837/38), (132–136 et al.) 135. 51 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. I.3, 1828, XI; Bd. II.3, 1831, 953. 52 Der auf Tertullian zurückgehende Ausdruck einer „natürlicherweise christlichen Seele“ wurde in der Theologiegeschichte wiederholt auf vorchristliche Denker wie Sokrates, Platon oder Vergil angewendet. Vgl. etwa Franz Witek, Vergils Landschaften. Versuch einer Typologie literarischer Landschaft, Hildesheim/Zürich/New York 2006, 7 f Fn. 3. 53 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, 580; 592. 49

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

würdiges Leben untermauert habe.54 Nach Guerike wies der Platonismus, „die Volksreligion vergeistigend, gewissermaßen aufs Christenthum hin“.55 Eine solche Wertschätzung wirft die Frage auf, wie die Tugend der heidnischen Philosophen mit der Einzigartigkeit des christlichen Glaubens vereinbar ist. Wie war eine solche Lebens- und Erkenntnisqualität ohne christliche Offenbarung möglich? Indirekt spielt diese Frage bei mehreren Geschichtsschreibern eine Rolle. Sie begegnen ihr mit dem Hinweis darauf, dass dem Menschen nach Römer 1,19 f und 2,14 f eine natürliche Erkenntnis des Schöpfers und des Guten möglich sei.56 Daneben wird gemutmaßt, Sokrates und Platon könnten alttestamentliche Texte rezipiert haben.57 Umgekehrt wird aber auch auf die Differenzen der beiden zum Christentum hingewiesen. Westermeier meint, die wenigen Weisen, darunter wohl auch Platon, hätten das gemeine Volk gering geachtet, statt ihm ihre bessere Gotteserkenntnis zu vermitteln.58 Dittmar nennt die selbstbewusste Äußerung des Sokrates, besser als alle gelebt zu haben, eine „Gränze seiner Selbsterkenntniß“ und erinnert daran, dass seine Bitterkeit gegen seine Ankläger christliche Liebe und Demut noch nicht gekannt habe.59 Platon wiederum habe nur eine „annähernde Aehnlichkeit und Verwandtschaft“ mit der christlichen Lehre erreicht und beispielsweise Sünde nur als Irrtum, Erlösung nur als spekulative Erkenntnis gedeutet. Der Platonismus habe das Heil nur erahnen, aber nicht bewirken können. Überdies, meint Dittmar, sei Platon mit seinem elitären Staatsideal und mit der Bejahung der Sklaverei „in den Gränzen der antiken Weltanschauung befangen“ geblieben.60 So eindrucksvoll die Tugend und Erkenntnis von Sokrates und Platon gewesen sein mochten, so wenig hatten sie also aus Sicht der Erweckten das radikal Neue des Christentums bereits erreicht oder entbehrlich gemacht. Die Sklaverei wird auch in anderen Zusammenhängen als der Makel der klassischen Antike beschrieben.61 In der Weigerung, den Sklaven die

54

Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, 8 f. Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. I, 1833, 20. 56 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 93 (hier liegt ein Druckfehler vor; statt „Apostg.“ ist „Röm.“ zu lesen); Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, 8 f. 57 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. II, 1847, 830; Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 76. 58 Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, 10. 59 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, 578 f. 60 Ebd., 392 f. 61 Heinrich Leo, „Der Romantiker auf dem Throne der Cäsaren oder Julian der Abtrünnige. Ein Vortrag von David Friedrich Strauß. Mannheim, 1847. 8.“, EKZ 1847, (873–876) 874; Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, 17. Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, 252 spricht vom „dunkelsten Flecken im Heidenthum“. 55

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Die klassische Antike

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Menschenwürde zuzusprechen, habe sich das hohe antike Ethos selbst kompromittiert. Daneben beklagt man das mangelhafte Familienleben, die Grausamkeit und die sexuelle Enthemmung.62 Selbst die größten Denker des Altertums sieht man hier noch weit von der christlichen Wahrheit entfernt. Dies mag ein Grund dafür sein, dass die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung die griechisch-römische Dichtung und Mythologie außerhalb der Antikedarstellung fast gar nicht zitiert. Die fragwürdige religiöse Substanz der Stoffe lässt für die Erweckten ihren ästhetischen Reiz verblassen. Auch der Glanz der großen römischen Herrscherfiguren ist zwar nicht ganz verloren, aber durch ethische Bedenken getrübt. Sinnbildlich hierfür steht ein Artikel des Basler Volksboten, der Impressionen von einer Wanderung über die Reste des römischen Forums beschreibt und andächtig über die Triumphbögen der Kaiser Titus, Septimus Severus und Konstantin ref lektiert.63 Bei dieser Betrachtung wird das Augenmerk des Verfassers jedoch unwillkürlich auf die frühchristlichen Märtyrer gelenkt. „Speratus, Perpetua, Felicitas! ich will auf euch blicken, vom stolzen Triumphbogen meinen Blick abwendend“, schreibt er und beginnt einen mehrseitigen martyrologischen Exkurs.64 Im direkten Wettstreit mit politik- und geistesgeschichtlichen Fragestellungen setzt sich das heils- und frömmigkeitsgeschichtliche Interesse an der Antike meistens durch. Dennoch bemühen sich die erweckten Geschichtsschreiber um eine Balance von Nähe und Distanz zur antiken Klassik. Wie man eine solche Balance geschichtstheologisch und pädagogisch einzuordnen sucht, zeigt ein Aufsatz der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche über „Das Bewußtseyn der protestantischen Kirche über die Nothwendigkeit und Methodik des klassischen Unterrichts“ aus dem Jahr 1838.65 Der Verfasser, ein „mehrjähriger Schulmann“, reagiert dort auf die Ansicht „wohlmeinender“ Christen, die schulische Beschäftigung mit der heidnischen Antike sei „glaubens- und sittengefährlich“ (65 f ). Der Artikel kann als Schlüsselquelle für die Antikevorstellung erweckter Bildungsbürger gelten66 und soll daher etwas ausführlicher nachgezeichnet werden. 62 Klumpp, Die classischen Studien, 1837, 9; Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, 17 f. 63 „Eine Wanderung übers Forum in Rom zu den drei denkwürdigen Triumphbögen“, CVB 8 (1840), 297–301. 64 Ebd., 298. 65 „Das Bewußtseyn der protestantischen Kirche über die Nothwendigkeit und Methodik des klassischen Unterrichts. Erster Artikel“, ZPK 1 (1838), 65–72. Der zweite (83–90) und dritte (109–114) „Artikel“ behandelt das unterschiedliche Wirken von protestantischen und Jesuitenschulen und ist hier von geringerem Interesse. 66 Er wird bei Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. I, 21846, 287 f Fn.2 auch als Sekundärquelle zitiert.

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

Wer an Gottes Vorsehung glaube, so der Verfasser, müsse auch anerkennen, dass Gott gewisse Völker zu „Trägern des Entwicklungsganges der Weltgeschichte“ berufen habe; und dies sei, weil Gott die ganze Welt im Blick habe, nicht nur Israel (65). Somit hätten auch die vom alttestamentlichen Gottesvolk ausgeschlossenen und „sich selbst überlassenen“ Völker einen gottgegebenen „Beruf “ erhalten, nämlich die in Apostelgeschichte 17,27 beschriebene Aufgabe, Gott zu suchen. Indem ihr Verstand an der Aufgabe scheiterte, sollten sie ihre „Gottlosigkeit wie Gottesbedürftigkeit“ erkennen und, im Bewusstsein des Scheiterns, für die wahre Heilsbotschaft empfänglich werden (66). Im Rahmen dieser göttlichen Pädagogik spricht der Verfasser nun der griechisch-römischen Kultur eine besondere Aufgabe zu. Denn der eben beschriebene „Selbstvernichtungsproceß des Heidenthums“ habe gerade in den „Völkerindividuen […] mit den herrlichsten Anlagen“, also in der klassischen Antike, stattfinden müssen. Im Griechen- und Römervolk lege der menschliche Geist „wie sonst in keinem“ Zeugnis von seinem göttlichen Ursprung ab. „[U]nd dennoch, dennoch“, schreibt der Verfasser, „ist das Heidenthum vergangen […].“ (66) Gerade wegen ihrer Größe erweisen die Klassiker aus seiner Sicht prototypisch die Begrenztheit des menschlichen Verstandes. Zeugnisse der Desillusionierung von Tacitus, Juvenal, Plutarch und Seneca bestätigten, dass der Boden für das Evangelium nunmehr bereitet gewesen sei: „Die Welt war müde, als Augustus den Thron bestieg; an ihren Göttern hatte sie nichts mehr.“ (68) Schulpädagogisch zieht der Autor des Artikels aus seiner Antikesicht die Konsequenz, im Unterricht einen „Mittelweg“ „zwischen gänzlicher Verwerfung und alleiniger Erwählung des klassischen Heidenthums“ zu beschreiten. Der Weg bestehe darin, die Schüler stufenweise „den Process der Weltgeschichte gleichsam mit[…]erleben [zu] lassen“: die „höchste menschliche Herrlichkeit in Kunst und Staat“ einerseits, die ungestillte „Sehnsucht des Menschenherzens nach dem wirklich und wesentlich Göttlichen“ andererseits (67). „Denn wie sich das Heidenthum weltgeschichtlich selbst gerichtet hat, so richtet sichs auch für uns, wenn wir seinen Erscheinungen, die wir deßhalb nimmermehr zu verkleinern brauchen, auf den Grund gehen.“ (68)

Die klassische Antike gilt daher als Bildungsgut, das auf den Gelehrtenschulen, anders als im Alltag eines Bürgers oder Bauern, nicht einem reinen Biblizismus geopfert werden dürfe (69). Diese Position wird schließlich auf drei eng beschriebenen Seiten mit Zitaten kirchengeschichtlicher Autoritäten untermauert; zwei davon sind Luther (70 f ), eine ist den Pietistenvätern Spener, Francke und Bengel und den christlichen Schriftstellern Klopstock und Hamann gewidmet (72). Sie alle hatten – und zwar, wie der Verfasser betont, im Gegensatz zu dem Rationalisten Basedow –

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die klassische Bildung geachtet. Im Rekurs auf diese Autoritäten zeigt sich die geistige Tradition, der er sich verbunden fühlt. An der Notwendigkeit eines solchen Rekurses wird zugleich deutlich, dass es unter den erweckten Lutheranern, Pietisten und Rationalismuskritikern durchaus Antikeskeptiker gab, die es zu überzeugen galt. 1.3 Die Weltreiche und das Reich Gottes „Das Christenthum Gipfelpunkt der Geschichte! vor ihm Vorbereitung und Vorbildung, von ihm aus nachbildende Durchführung seiner göttlichen Reichs-Oekonomie!“67 Mit dieser emphatischen Aussage fasst der junge biblizistische Theologe Johann Tobias Beck das heilsgeschichtliche Denken der Erweckungsbewegung zusammen. Mit dem Auftreten des Erlösers erscheint die frühere antike Geschichte in neuem Licht. Hinfort steht die Geschichte im Zeichen des allmählich wachsenden und eines Tages zur Erfüllung gelangenden Gottesreiches. Insofern sind „Christus und sein Reich das rechte Heiligthum der Geschichte“.68 Der Reichsbegriff ist daher als theologischer Fachterminus für die Erweckungsbewegung unverzichtbar. Der im Alten Testament und im Frühjudentum wurzelnde Begriff „Reich Gottes“ (auch „Reich der Himmel“; griechisch βασιλεία τοῦ θεοῦ) bezeichnet im Neuen Testament die mit Christus bereits angebrochene und zugleich noch zukünftige Königsherrschaft Gottes. Seine zentrale Bedeutung für die Lehre Jesu wird daran deutlich, dass allein die drei synoptischen Evangelien 76 verschiedene Reich-Gottes-Worte Jesu enthalten.69 Die Erweckungsbewegung bezieht sich mit ihrer Verwendung von „Reich Gottes“ – oft indirekt – auf diese neutestamentlichen Stellen. Abgesehen von exegetischen und endzeitlichen Kontexten verwendet sie den Begriff vorzugsweise für das philanthropisch motivierte Werk der Inneren und Äußeren Mission.70 „Reich Gottes“ ist aber für die Erweckten zugleich ein elementarer Geschichtsbegriff. Als solcher beschreibt er das geschichtliche Handeln Got67 Johann Tobias Beck, Einleitung in das System der Christlichen Lehre oder Propädeutische Entwicklung der Christlichen Lehr-Wissenschaft. Ein Versuch, Stuttgart: Belser 1838, 143. 68 Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 24. 69 Vgl. Chrys C. Caragounis, „Kingdom of God/Kingdom of Heaven“, in: Joel B. Green et al. (Hg.), Dictionary of Jesus and the Gospels, Downers Grove/Leicester 1992, 417–430. 70 Vgl. Winfried Eisenblätter, Carl Friedrich Adolph Steinkopf (1773–1859). Vom englischen Einf luss auf kontinentales Christentum zur Zeit der Erweckungsbewegung, Zürich, Univ., Diss., 1974, 215: „[F]ast alle Erweckten des Kontinents sprachen vom Reich Gottes ähnlich wie er [Steinkopf ], und die neuen Vereine und Anstalten, die man gründete, hießen darum auch pauschal ‚Reich-Gottes-Werke‘.“

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tes mit seinem Volk und umfasst sowohl die biblische Historie als auch die Kirchengeschichte. Er bezieht sich auf die Erwählungslinie Gottes, die von den Patriarchen und dem Volk Israel über Christus und seine Gemeinde bis zur noch ausstehenden Weltvollendung reicht. Im Idealfall geht es dabei weniger um kirchenpolitische „Haupt- und Staatsaktionen“ als um persönliche und gesellschaftliche Auf brüche im Zeichen des Glaubens. Dies entspricht der Überzeugung, dass das Reich Gottes „in der Brust des Einzelnen, unsichtbar als ewiger Lebensquell“ existiere und wirke, wie Braunschweig formuliert.71 Die äußere Kirchengeschichte ist nach Meinung der Erweckten nur bedingt der Ort des Gottesreiches. „Wer wollte das Reich Gottes und Christi haben nennen können“, fragt Heß, „wenn selbst christlichgenannte Staaten einander oft unversöhnlich bekriegten, beraubten, mißhandelten […]?“72 Da sich die wahre, verborgene Seite des Reiches Gottes aber historiographisch kaum fassen lässt, setzt die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung neben der Ereignisgeschichte wenigstens biographische und frömmigkeitsgeschichtliche Schwerpunkte. Zahns Biblischer Geschichte etwa ist eine „Zeittafel zur Geschichte des Reiches Gottes auf Erden“ beigefügt, die von der Schöpfung bis zum Jahr 1830 knapp 120 Daten umfasst. Aufgeführt werden Eckdaten der Geschichte Israels und der Urgemeinde, Kirchenväter, Vorreformatoren und Reformatoren, Pietisten und Auf brüche der Missionsgeschichte, aber auch negativ bewertete religionspolitische Ereignisse wie antike Christenverfolgungen, das Auftreten von Arius und Mohammed, die Kreuzzüge, der Dreißigjährige Krieg und die Französische Revolution.73 Ihr Blick für das Reich Gottes ist für die erweckten Geschichtsschreiber auch bestimmend, wenn sie nach den herausragenden Epochen der Geschichte fragen. Hier wird mehrfach die Verfolgungszeit der ersten christlichen Jahrhunderte genannt. Sie sei für die Kirche zwar „kein im eigentlichen Sinne goldenes Zeitalter“, aber mangels staatskirchlicher Abwege doch von „himmlischer Schönheit“ gewesen, schreibt Neander; sie sei daher der wichtigste Teil der Kirchengeschichte.74 Die „apostolische Missionsgeschichte“ gilt Blumhardt als „unerreichbares Ideal“ evangelischer Mission.75 Zusätzlich zum frühen Christentum sieht Guerike noch in der Zeit der frühen Germanenmission und in der Reformationszeit „Zeitpuncte, wo sich die Kraft des Christenthums besonders im Großen offenbarte“. Der Pietismus habe diese Kraft eindrucksvoll erneuert. Guerike ist aber 71

Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte, 1833, VI. Hess, Kern der Lehre, 21826, 237. 73 Zahn, Biblische Geschichte, 41835, 530–532. 74 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. I.2, 1828, 278 f; vgl. Fliedner (Hg.), Buch der Märtyrer, Bd. I, 1851/52, 3. 75 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. I, 1828, XII. 72

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überzeugt, selbst „in einer noch größeren Zeit“ zu leben und einer „neuen großen Epoche in dem Entwickelungsgange des Reichs Gottes auf Erden“ entgegenzugehen.76 Das Reich Gottes bestimmt also auch die Gegenwartsund Zukunftsperspektive. Dass dies für die erweckten Geschichtsschreiber, wie für die neutestamentlichen Verfasser, eine existentielle Hoffnung darstellt, belegt das Vorwort des dritten Bandes von Dittmars Geschichte der Welt vom 24. März 1848. Mitten im „donnernden Gedröhne eines zusammenbrechenden Weltalters“, bekennt Dittmar mit sorgenvollem Blick auf den Ausbruch der Revolution, erfülle ihn die Überzeugung „mit tröstlicher Ruhe, ja mit freudiger Zuversicht, daß, je ernster und rascher die Katastrophen über die Reiche dieser Welt hereinbrechen, desto näher die Vollendung des Reiches rückt, das die Verheißung ewiger Dauer hat“.77

Wie in diesem Zitat steht das Reich Gottes vielfach den Reichen der Welt gegenüber. Es drängt sich also die Frage nach dem „Verhältnisse des göttlichen Reiches zu den Weltreichen“78 auf. Bei der Beantwortung dieser Frage weist man darauf hin, dass sich Gottesreich und Weltreiche „nicht nebeneinander, sondern ineinander“ entwickelten,79 also nicht trennen ließen. Das Reich Gottes lebe und wachse ja innerhalb der menschlichen Geschichte. Vor allem warnt man aber davor, Gottes Reich im Äußerlich-Rituellen und Institutionellen aufgehen zu lassen. Hier lag nach Auffassung der Erweckungsbewegung ein Grundproblem des Mittelalters. „Die bezeichnete Vermischung des Christenthums mit fremdartigen Elementen“, meint Neander, „läßt sich als auf den eigentlichen Grund darauf zurückführen, daß die Idee des Reiches Gottes aus dem Geistigen und Innerlichen in das Sinnliche und Aeußerliche herabgezogen [… wurde].“80 Entsprechend oberf lächlich sei die Kirche aufgetreten. Die Erweckten vertreten daher, Neander sogar als „Grundprincip“, in ihrer Geschichtsschreibung den Gedanken der „unsichtbaren Kirche“ – einer unsichtbaren Gemeinschaft aller wahren Christen, die in verschiedenen Kirchengemeinschaften vertreten und dort vielfach nur eine Minderheit seien.81 Nicht in der Gesamtheit der Getauften, sondern in dieser Christenheit im engeren Sinne lokalisiert die Erweckungsbewegung das Reich Gottes.

76

Guerike, August Hermann Francke, 1827, 9; 12 f; 469 f. Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, III. 78 Hess, Kern der Lehre, 21826, XXIII. 79 Ehrenfeuchter, Entwicklungsgeschichte, 1845, XI. 80 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. III, 1834, 2. 81 Milner, Geschichte der Kirche Christi, Bd. IV, ca. 1806, 2; Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. II.1, 1829, VII; Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 1; Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 70; „Die Polemik der Münchner historisch-politischen Blätter“, ZPK 1 (1838), (125–131) 128. 77

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Folglich können die Erweckten das Ineinander von Staat und Kirche und die damit verbundene Ausbildung eines nominellen Christentums nicht uneingeschränkt bejahen. Meistens stehen sie der Verbindung von Staat und Kirche aber auch nicht feindlich gegenüber. Diese Ambivalenz zeigt sich in ihrem Urteil über das Schlüsselereignis, das nach ihrer Überzeugung sichtbare und unsichtbare Kirche nachhaltig auseinander treten ließ: die Konstantinische Wende. Einerseits loben die erweckten Geschichtsschreiber den staatlichen Schutz, der der Kirche Einf luss auf Bildung und öffentliches Leben sowie die Möglichkeit zur weiteren Ausbreitung gebracht habe.82 Andererseits bedauern sie, dass mit der staatlichen Begünstigung die Reinheit des christlichen Lebens Schaden erlitten habe und heidnische Einf lüsse, Abhängigkeit vom Staat, Oberf lächlichkeit und Heuchelei eingekehrt seien.83 Bezugnehmend auf das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Matthäus 13,24–30) klagt Christian Gottlieb Blumhardt: „[A]ls jetzt in dem vermeintlichen goldenen Zeitalter der Kirche, das so Viele mit Constantins Regierung beginnen sahen, die Leute sorgenlos einschliefen, kam der Feind, und säete Unkraut auf den Acker, und ging davon.“84

Die staatlich bedingte Vergrößerung des Christenvolkes wird hier also negativ gewertet. Das neutestamentliche Gleichnis dient vielen jedoch auch dazu, die Struktur der Volkskirche als corpus mixtum von erweckten und nicht-erweckten Gliedern zu rechtfertigen: Die Scheidung von Weizen und Unkraut sei, wie der Hausherr im Gleichnis andeute,85 erst für das Endgericht vorgesehen.86 Trotz Kritik an den historischen Fehlentwicklungen hält die Erweckungsbewegung mehrheitlich für richtig, dass Regenten weltlicher Reiche das Vordringen des Reiches Gottes beförderten. Dass die Verbindung von Staat und Kirche besonders im Orient zum „unsäglichen Nachtheil“ 82 Dräseke, Glaube, Liebe, Hoffnung, 1817, 172; Leonhardt, Gesegnete Ausbreitung des Christenthums, 1820, 9 f; Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. II.1, 1829, 184 f; Barth, Abriß, 1831, 151; Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 68 f; Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 70. 83 Dräseke, Glaube, Liebe, Hoffnung, 1817, 172; Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. II.1, 1829, 38; 184–186; Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 69; 84; Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 69 f; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 175 f. 84 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 6. 85 „Lasst beides zusammen wachsen bis zur Ernte, und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Lest zuerst das Unkraut zusammen, und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber sammelt in meine Scheune!“ (Matthäus 13,30) 86 Hess, Kern der Lehre, 21826, 246; Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 206; Barth, Abriß, 1831, 147; Ludwig Völter, „Die kirchlichen Fragen der Gegenwart“, SSB 10 (1846), (161–164 et al.) 180 f.

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missbraucht worden sei, lässt Guerike noch nicht an der Rechtmäßigkeit der Verbindung selbst zweifeln.87 Auch Dittmar benennt Nachteile und vielfältigen Missbrauch, ohne zu einer grundsätzlichen Verwerfung des Staatskirchentums zu gelangen: „An sich ist indeß der Zusammentritt des Staats und der Kirche zur gegenseitigen Unterstützung und Erhaltung kein willkührlicher, sondern vom HErrn und Haupt der Kirche selbst herbeigeführter, und nur menschliche Sündhaftigkeit hat dieses sein Werk je und je zerstört und verderbt. Denn wenn auch Christi Reich nicht von dieser Welt ist, so hat es doch die Bestimmung von Christus selbst bekommen, alle Reiche der Welt wie ein Sauerteig zu durchdringen; und wenn auch der Anfang zu dieser Durchdringung in den ersten drei Jahrhunderten, ohne Beihülfe eines weltlichen Arms eintrat, so giebt diese Thatsache noch keine Gewähr, daß das Christenthum auch in den folgenden Jahrhunderten, wo ein noch roheres Heidenthum auf dasselbe anstürmte, seine Aufgabe hätte lösen können.“88

Die praktischen Vorzüge der Protektion scheinen hier die Risiken aufzuwiegen. Zwar empfinden etliche Erweckte die lutherische Einrichtung des landesherrlichen Kirchenregiments als unglücklich, weil hier die weltliche Macht in die Kirche hineinregiere.89 Dennoch stimmt wohl die große Mehrheit mit der in der Evangelischen Kirchen-Zeitung geäußerten These überein, der Staat könne „der Kirche nicht entbehren“.90 Als Vordenker wirkt vielfach der von der Erweckungsbewegung beeinf lusste Professor für Staatsund Kirchenrecht Friedrich Julius Stahl (1802–1861) mit seiner Theorie des „Christlichen Staates“.91 Stahl entfaltet sie nicht nur in Monographien,92 87

Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. I, 1833, 180 f. Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, 251. 89 Claus Harms, Das sind die 95 theses oder Streitsaetze Dr. Luthers, theuren Andenkens. Zum besondern Abdruck besorgt und mit andern 95 Saetzen als mit einer Uebersetzung aus Ao. 1517 in 1817 begleitet, Kiel: Universitäts-Buchhandlung 1817, 34 f; „Ueber das Verhältniß zwischen Kirche und Staat. Des zweiten Artikels zweite Hälfte“, ZPK 6 N. F. (1843), (87–149) 148. Positiver dagegen „Über das Verhältniß der Kirche zum Staate“, EKZ 1840, (444–448) 446. 90 In der Rezension „Geschichte des Zeitalters der Revolution. Vorlesungen an der Universität zu Bonn im Sommer 1829 gehalten von B. G. Niebuhr. 2 Bände. Hamburg 1845. 8.“, EKZ 1846, (393–397; 401–406) 405. 91 Hochachtung für Stahl äußern etwa Schubert, Geschichte der Seele, 21833, 940; Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 785; 787. Zu Stahl vgl. Wilhelm Füssl, „Friedrich Julius Stahl (1802–1861)“, in: Bernd Heidenreich (Hg.), Politische Theorien des 19. Jahrhunderts: Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, Berlin 22002, 179–191. Vgl. auch Buschmann, Krise und Untergang der politischen Theologie, 168; Hans-Joachim Schoeps, „Der Christliche Staat im Zeitalter der Restauration“ (1965), in: ders., Ein weites Feld. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1980, 309–324; Benrath, Erweckung, 164; 236 f, der auch Wilhelm Hoffmann und Sixt Carl Kapff zu den Vertretern des „Christlichen Staates“ zählt. 92 Friedrich Julius Stahl, Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht, 2 Bd. (3 Abt.), Heidelberg: Mohr 1830–1837; ders., Das monarchische Princip. Eine staatsrechtlich-politische Abhandlung, Heidelberg: Mohr 1845. 88

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sondern auch in der Evangelischen Kirchen-Zeitung.93 Tritt er dort gegen jede erzwungene Christianisierung und für eine „vollständige Freiheit der Culte“ ein, so sieht er im Christentum doch die „öffentliche Religion“ und erwartet vom Staat, „von Amtswegen auf Religion oder die heilige Geschichte Bezug zu nehmen“.94 Es gibt allerdings auch Gegenstimmen. Zu ihnen gehört Johann Christian Konrad Hofmann, der den Begriff des „Christlichen Staates“ eine „Lüge“ nennt, weil er einem irdischen Gemeinwesen nie entsprechen könne.95 Die wichtigste Gegenstimme ist die des bereits zitierten Theologen des Réveil und geistigen Vaters der waadtländischen Freikirche, Alexandre Vinet. Sein umfangreicher Essai sur la manifestation des convictions religieuses et sur la séparation de l’Eglise et de l’Etat von 1842, ein scharfsinniges Plädoyer für eine Trennung von Staat und Kirche und für eine christliche Durchdringung der Gesellschaft ohne staatliche Protektion, erschien 1845 auf Deutsch.96 In einem 30-seitigen Anhang zu dem Werk gibt Vinet einen „Historischen Ueberblick über die Vereinigung der Kirche mit dem Staate“ (379–408). Angefangen bei der Konstantinischen Wende, lässt er darin 1500 Jahre der Verschränkung des „Zeitlichen“ mit dem „Geistlichen“ Revue passieren. In dieser „Verwechselung des Vergehens mit der Sünde, des Verbrechens mit der Ketzerei, des himmlischen und des irdischen Gerichtes“ (379) sieht er den Grundirrtum der Christentumsgeschichte. Im Gegensatz zu Jesus Christus, der die Krönung durch die Volksmenge ablehnte ( Johannes 6,15), habe die Kirche die ihr angetragene Macht angenommen (384). Die historischen Segnungen des Christentums, die Vinet unterstreicht, hätten hinfort nur noch trotz der verhängnisvollen „Union“ von Staat und Kirche zustande kommen können (384). Vinet beschreibt die Vermischung theologischer, machtpolitischer und pekuniärer Interessen im Mittelalter, gegen die das Mönchswesen auf begehrte (387 f ), und die mittelalterlichen Schwertmissionen (389 f ). Trotz theologischer Bedenken sei die Verbindung von Religion und Politik in der Reformation fortgeführt worden: Der Aufstand gegen das Papsttum war von nationalem Pathos getragen, Fürsten protestierten und Reichstage entschieden über kirchliche Fra93 Ders., „Der christliche Staat und sein Verhältniß zu Deismus und Judenthum“, EKZ 1847, 633–651; 657–687. 94 Ebd., 675; 648; 646. 95 Hofmann, Weissagung und Erfüllung, Bd. II, 1844, 277. Vgl. auch Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 438, der beobachtet, dass die Stahlsche Idee des „Christlichen Staates“ bei den Erlanger Lutheranern wie Harleß und Hofmann nur wenig Anklang fand, und dies mit der evangelischen Minderheitenposition im katholischen Bayern erklärt. Zu bedenken wäre bei dieser Erklärung allerdings, dass auch Stahl viele Jahre in Bayern lebte und vor seinem Ruf nach Berlin (1840) in Erlangen lehrte. 96 Alexandre Vinet, Ueber die Darlegung der religiösen Ueberzeugungen und über die Trennung der Kirche und des Staates als die nothwendige Folge sowie Garantie derselben, Heidelberg: Winter 1845 (frz. 1842).

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gen (395 f ). Schlimmeres noch habe das 17. Jahrhundert mit seinen barbarischen Religionskriegen gebracht (399 f ). Vinet spannt den Bogen bis zur Allianz von Thron und Altar im 19. Jahrhundert und zieht dann ein ernüchterndes Fazit: „An Ruinen, Aschenhaufen und Strömen von Blut vorüber sind wir am Ende dieser traurigen Geschichte angekommen.“ Dabei sei das Schlimmste noch zu nennen: die gesetzmäßige Erniedrigung des Einzelnen durch Zwang zur religiösen Heuchelei (404). Vinets historische Skizze ist somit ein einziger Aufruf zur Befreiung der Kirche von ihren öffentlichen Privilegien um der Reinheit des Evangeliums willen. Wenngleich die deutsche Erweckungsbewegung viel von Vinets historischer Kritik teilt, geht sie in der Diagnose des Problems selten so weit wie er. Vinets Forderung nach konsequenter Trennung von Staat und Kirche, die sie als Extremposition einstuft, scheint ihr dem sakralen Charakter des Staates nicht gerecht zu werden.97 Während die Pariser Archives Vinets Essai als das maßgebliche Buch zum Thema begrüßen,98 scheint das Werk in der deutschen Erweckungsbewegung, die mehrheitlich innerhalb der evangelischen Landeskirchen zu Hause war und daher einen anderen Bezug zur Staatskirche besaß, weit schwächer gewirkt zu haben, auch wenn die Berliner theologische Fakultät Vinet 1846 die Ehrendoktorwürde verlieh.99 Die wegen staatlicher Eingriffe in die waadtländische Nationalkirche von Vinet vorangetriebene Entstehung der Église libre können deutsche Erweckte befürworten,100 aber auch kritisieren.101 Obwohl sie, wie Vinet, die US-amerikanische Freiheit der Kirche mit Respekt betrachten102 und Missstände im deutschen Staatskirchentum sehen können,103 halten die meisten an dem Ideal einer christlichen Monarchie fest, in der das Christentum zwar niemandem aufgezwungen, aber vom Staat bejaht und gefördert wird.104 97

„Ueber das Verhältniß zwischen Kirche und Staat. Erster Artikel“, ZPK 4 N. F. (1842), (289–327) 297. 98 „L’essai de M. Vinet et ses adversaires, ou examen de la discussion actuelle sur les rapports de l’Eglise et de l’Etat“, Archives 13 IIe série (1845), (42–44 et al.) 43. 99 „Nouvelles et variétés“, Archives 14 IIe série (1846), 139. 100 „Die Revolution und die Schule im Canton Waadt“, SSB 10 (1846), 68. 101 „Ueber die Amtsniederlegung der Waadtländischen Geistlichen“, ZPK 12 N. F. (1846), 197–237. 102 „Litterarische Anzeige“, EKZ 1830, (315–317) 316 f. Kritisch scheint dagegen „Nachrichten. (Nordamerica)“, EKZ 1830, (70–72) 70 Fn. 103 „Was ist von Religionsfreiheit zu halten?“, ChB 18 (1848), 227–230. Der Artikel wurde allerdings nach Ausbruch der 1848er Revolution und daher in einer neuen kirchenpolitischen Situation verfasst. 104 Vgl. auch Friedrich Wilhelm Graf, „Die Spaltung des Protestantismus. Zum Verhältnis von evangelischer Kirche, Staat und ‚Gesellschaft‘ im frühen 19. Jahrhundert“, in: Wolfgang Schieder, Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1993, (157–190) 179: „Trotz ihrer kritischen Distanz gegenüber dem absolutistischen Staat fordern die frühkonservativen Theologen und Pfarrer keine Trennung von Kirche und Staat.“

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Das Reich Gottes breitet sich für die Erweckungsbewegung jedoch nicht mit Gewalt, sondern allein durch die Macht des Wortes aus. Die Erweckten grenzen ihr weltweites Engagement stets von der politisch betriebenen Mission früherer Jahrhunderte ab – auch wenn sie von einem „heiligen Krieg gegen die Mächte der Finsterniß“,105 einer „friedlichen Welteroberung“,106 einem „mehr als dreißigjährige[n …] Krieg“107 und „wahrlich andere[n] Eroberungen“ als denen Napoleons108 sprechen. Diese Metaphern stehen durch die Verfremdung gerade für ein anderes Missionskonzept als das der Schwertmission, das, so meint man, den Prinzipien des Reiches Gottes zutiefst entgegenstehe. Die Kreuzzüge betrachten die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung daher als „verheerenden“ „Wahn“ oder „Schwindel“,109 weil sie geistliche mit weltlichen Waffen verwechselt hätten.110 Schließlich, so ihr Verweis auf Johannes 18,36, sei Christi Reich „nicht von dieser Welt“.111 Im Kern geht es der Erweckungsbewegung vielmehr um die persönliche Glaubenserfahrung des Einzelnen. Dass militärische Auseinandersetzungen wie die Zurückdrängung der Araber im Mittelalter,112 der Dreißigjährige Krieg113 oder die Befreiungskriege114 dennoch gelegentlich als Verteidigung (wenn auch nicht als Ausbreitung) des christlichen Glaubens gedeutet werden können, stellt eine Inkonsequenz dar, die wohl der grundsätzlichen Bejahung der Verbindung von Staat und Kirche geschuldet ist. Trotz dieser gelegentlichen Zugeständnisse ist sich die Erweckungsbewegung darüber klar, dass sich das Reich Gottes in Wesen und Erscheinungsform fundamental von den Weltreichen unterscheide. Die zwei er105

Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 317. Ledderhose, Büchlein von den Hottentotten, 1849, 55. 107 „Gott mit uns!“, Das Missions-Blatt, hg. von der Missions-Gesellschaft zu Barmen 15 (1840), Nr. 1. 108 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 316. 109 Dräseke, Glaube, Liebe, Hoffnung, 1817, 176; Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.1, 1833, 517; Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 114; Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 56 f; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 142; 144. 110 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 216; Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. II, 1836, 474; Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 56. 111 Etwa Franz A. Bogislav Westermeier, Das Leben von Huldreich Zwingli und Johann Calvin, hg. von dem christlichen Vereine im nördlichen Deutschland, Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1846, 48; Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, 251. 112 Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. II, 1839, 161 (allerdings mit Kritik an der „blinden Wuth“ der Reconquistadores); „Beitrag zur leichtern Aneignung der Chronologie der Hauptbegebenheiten aus der Geschichte des Reichs Gottes“, SSB 11 (1847), (50–52) 52. 113 Dann, Durch Leiden zur Herrlichkeit, 1817, 62 Fn.; Barth, Abriß, 1831, 164; Bötticher, Gustav Adolph, 1845, VI. 114 Karl von Raumer, „Napoleon und Deutschland“, in: ders: Kreuzzüge, Bd. I, 1840, (1–20) 15; Eyth, Biographie en gros, 1847, 172. 106

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Die Weltreiche und das Reich Gottes

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scheinen einander in vieler Hinsicht entgegengesetzt. Das schließt nicht aus, dass man Zusammenhänge zwischen der Entwicklung der irdischen Reiche und dem Reich Gottes sieht – nicht zuletzt darum, weil politische Konstellationen den Gang der Weltmission beeinf lussten. So schreibt das Barmer Missions-Blatt 1840 über die brenzlige orientalische Frage: „Wenn auch das Reich, in dessen Diensten unser Blatt, weit erhaben über alle Reiche und politische Ereignisse dieser Erde steht, so ist doch jede politische Bewegung auch ihm dienstbar und da, wo es politisch gährt, sieht der Freund des Reiches Gottes gespannten Blicks hin, weil aus solchen Gährungen jedes Mal auch diesem Reiche neue große Ereignisse erwachsen.“115

Dass man letztlich auch hinter den Weltreichen die allmächtige Vorsehung Gottes erkennt, macht es den Autoren der Erweckungsbewegung wieder leichter, die beiden Sphären zusammenzudenken. Neben diesen grundsätzlichen Überlegungen stellen die danielische Weltreichelehre und die neutestamentliche Eschatologie zentrale Einf lüsse auf das Reich-Gottes-Denken der Erweckten dar, wie am Beispiel der Allgemeinen Weltgeschichte im Detail vorgeführt wurde.116 Sie sollen hier nur kurz erwähnt werden. Die Lehre von den vier Weltmonarchien wird, obwohl das 18. Jahrhundert sie weitgehend aus der Geschichtsschreibung verbannt hatte,117 wiederholt einbezogen oder angedeutet.118 Nicht zufällig schreibt der reformierte Theologe Johann Peter Lange in einem geschichtstheologischen Essay von 1840, Daniels Weltreiche-Prophetie, welche die „moderne Geschichtschreibung“ fallen gelassen habe, werde „in der neuesten Zeit“ wieder mit Ehrfurcht und „Ahnung ihrer tiefen Bedeutsamkeit“ betrachtet. Er zitiert dazu ausführlich und wohlwollend Bräms Blicke in die Weltgeschichte und Barths Allgemeine Weltgeschichte.119 Die Monarchienlehre erhält aber meistens deutlich weniger Gewicht als in diesen beiden Werken, wo geschichtstheologische Modelle überdurchschnittlich stark in die Historiographie einf ließen. Bezogen auf den europäischen „Staatenverein“, kann eine Kontinuität des vierten Weltreiches bis in die 115 „Morgenland“, Das Missions-Blatt, hg. von der Missions-Gesellschaft zu Barmen 15 (1840), Nr. 22. 116 Vgl. unter II.4 und II.5. 117 Vgl. Jordan, Geschichtstheorie, 98; Günther, Lehrbuch der Universalgeschichte, 276; Ranke, Weltgeschichte, Bd. I.1, 1881, VI f. 118 Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte, 1833, 219; Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. I, 1835, 32 f; 145 f; 377; 555; Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 77–83; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 116; Hofmann, Weissagung und Erfüllung, Bd. I, 1841, 277–291. 119 Johann Peter Lange, „Die Gränzfragen zwischen der Philosophie der Geschichte und der Geschichte des Reiches Gottes“, in: ders., Vermischte Schriften, Bd. I: Naturwissenschaftliches und Geschichtliches unter dem Gesichtspunkte der christlichen Wahrheit, Moers: Rheinische Schul-Buchhandlung 1840, (74–216) 188 f; 189–196; 205.

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

Gegenwart behauptet,120 in Einzelfällen auch bestritten werden.121 Die Frage wird aber vielfach nicht näher thematisiert. Eschatologische Spekulationen über das Reich Gottes finden sich weit häufiger. Sie sind jedoch umstritten. Dem Bekenntnis, „gar wenig auf Rechnungen“ zu geben,122 und der Warnung vor dem „Haschen nach glück licher Berechnungskunst“123 und vor einer endzeitlichen Interpretation der Naturerscheinungen124 steht andernorts eine große Offenheit für endzeitliche Erwartungen gegenüber. Viele dieser Erwartungen stützen sich auf Schriften von Bengel sowie auf die von Bengel inspirierten Autoren Jung-Stilling125 und Johann Jakob Friederich.126 In Württemberg ist es ihretwegen zu eschatologisch motivierten Auswanderungen und zur Entstehung eines „endzeitlichen Kommunikationsraumes“ gekommen. Beide sind seit Kurzem gut erforscht.127 Ulrich Gäbler zählt die Lehre vom Tausendjährigen Reich sogar zu den Charakteristika der Erweckungsbewegung.128 Wie die Allgemeine Weltgeschichte zeigt, können Geschichtsbücher erweckter Autoren diese Lehre voraussetzen. Wenn die Millenniumshoffnung für die Geschichtsschreibung selbst keine Rolle spielt, werden zumindest ihre historischen Vertreter gewürdigt.129 In anderen Fällen werden Chiliasten hingegen 120

Hess, Kern der Lehre, 21826, 268; 274 f. Vgl. auch Koch, Europabewusstsein und Daniel rezeption, 358 f. 121 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. I, 1835, 32 f. 122 „Zuschrift eines Baslers, betreffend die Stimme aus dem Württembergischen über die Zeichen der Zeit“, CVB 4 (1836), (203 f ) 204. 123 Johann Christian Friedrich Steudel, „Winke zur richtigen Auffassung und Benutzung einiger biblischer Stellen, welche von der Zukunft Christi handeln“, EKZ 1828, (521–524; 537–539) 539. 124 Henrich Steffens, Wie ich wieder Lutheraner wurde und was mir das Lutherthum ist. Eine Confession, Breslau: Max 1831, 179. 125 Zu Jung-Stillings Rezeption und Modifikation der Bengelschen Eschatologie und ihrer Ausrichtung auf Russland vgl. Gerhard Schwinge, Jung-Stilling als Erbauungsschriftsteller der Erweckung. Eine literatur- und frömmigkeitsgeschichtliche Untersuchung seiner periodischen Schriften 1795–1816 und ihres Umfelds, Göttingen 1994, 121–129; 133–152; 164 f. 126 Vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 23–27. Der württembergische Pfarrer Johann Jakob Friederich (1759–1827) hatte im Jahr 1800 die chiliastische Schrift Glaubens- und Hoffnungs-Blik des Volks Gottes verfasst und dort Jerusalem als Zuf luchtsort der Gläubigen vor den endzeitlichen Verfolgungen beschrieben, was von einigen als Aufruf zur Auswanderung nach Palästina bzw. (im folgenden Jahrzehnt) nach Russland verstanden wurde. 127 Vgl. Renate Föll, Sehnsucht nach Jerusalem. Zur Ostwanderung schwäbischer Pietisten, Tübingen 2002; Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 39 sowie Kannenbergs ganze Studie. 128 Gäbler, Erweckung, 31 spricht von einem „chiliastischen Motiv“. Vgl. auch Holthaus, Prämillenniarismus; Friedhelm Groth, „Chiliasmus und Apokatastasishoffnung in der Reich-Gottes-Verkündigung der beiden Blumhardts“, PuN 9 (1983), 56–116. 129 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. I, 1833, 136; Bd. II, 1833, 875 f; 886.

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Paulinische Religionsgeschichte

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mit merklicher Zurückhaltung erwähnt130 oder kritisiert.131 Diese unterschiedlichen Auffassungen führen offenbar nicht zu unüberbrückbaren Gegensätzen. So ist die lutherische Zeitschrift für Protestantismus und Kirche, die die Lehre vom Tausendjährigen Reich nicht vertritt, in der Lage, die württembergischen Anhänger des Chiliasmus gegen den Spott des liberalen Staats-Lexikons zu verteidigen und diesem stattdessen einen utopischen „socialen Chiliasmus“ vorzuwerfen.132 Der gemeinsame Glaube an die Wiederkunft Christi genügt hier zur erweckungschristlichen Solidarität. Offensichtlich sieht man die Zustimmung zu einer genaueren Endzeitlehre nicht als unabdingbare Voraussetzung für ein Verständnis von Gottes Reich. 1.4 Paulinische Religionsgeschichte Die klassische Antike bildet kein isoliertes Erinnerungsstück im Geschichtsdenken der Erweckten über die nichtchristliche Welt. Sie ist vielmehr Teil eines selten systematisierten, in seinen Eckpunkten aber grundlegenden Entwurfs der Religionsgeschichte, die der Entwicklung des Reiches Gottes gegenübersteht. Dieser religionsgeschichtliche Entwurf ist für die innere Kohärenz des heilsgeschichtlichen Denkens notwendig, denn er gibt eine Antwort auf die drängende Frage nach Herkunft und Bedeutung der Religionen. Er gewinnt dabei umso mehr praktische Bedeutung, je stärker das weltmissionarische Engagement der Erweckten eine Begegnung mit den anderen Religionen real und die Frage nach ihren Hintergründen aktuell macht. Das religionsgeschichtliche Denken der Erweckungsbewegung setzt bei der in Genesis 3 beschriebenen Abwendung des Menschen von Gott, dem „Sündenfall“, an. In diesem Beziehungsbruch zwischen Schöpfer und Geschöpf erblicken die Erweckten die „gemeinsame Wurzel der mannigfaltigen Arten des Heidenthums“.133 Die wichtigste biblische Referenzstelle ist jedoch, wie in der Allgemeinen Weltgeschichte, nicht die Genesis, sondern Römer 1,18–32. Dort schreibt Paulus, die Menschheit stehe unter dem Zorn Gottes (V. 18), weil die Menschen Gott zwar seit Erschaffung der Welt gekannt (V. 19 f ), ihm jedoch die Verehrung verweigert hätten (V. 21). Sie hätten, hierdurch verblendet, den wahren Gottesdienst durch „Bilder, die einen vergänglichen Menschen und f liegende, vierfüßige und kriechende 130 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 174; Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. I.3, 1828, 726. 131 Hossbach, Philipp Jakob Spener, Bd. II, 298 (Kritik an Spener!). 132 „Chiliasmus, Tausendjähriges Reich des von Rotteck-Welcker’schen Staats-Lexikons“, ZPK 14 N. F. (1847), (51–72) 55 f; 59–61. 133 Raumer, Lehrbuch der allgemeinen Geographie, 1832, 371.

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Tiere darstellen“ ersetzt (V. 23). Gott habe sie daher ihrer selbstgewählten Unmoral überlassen (V. 24–32). Die Erweckungsbewegung verweist immer wieder auf diese Paulusstelle, um die graduelle Entstehung der nichtmonotheistischen, „heidnischen“ Religionen zu erklären.134 Die wichtigste Konsequenz des paulinischen Religionsdenkens ist, dass die Erweckungsbewegung nicht von einer historischen Aufwärtsentwicklung zu reineren Gottesvorstellungen, sondern von einer Verfallsgeschichte der Religion ausgeht. Sei die Gotteserkenntnis nach dem Sündenfall „zwar verdunkelt, aber noch nicht ganz verloren“ gewesen,135 so habe sich allmählich die Idolatrie durchgesetzt. Weitbrecht spricht von einem „Herabsinken anfänglich reinerer Religionen des Heidenthums zum grassen Götzenthum, ja zum rohen Fetischismus“.136 Vergleichsweise ausführlich wird dieser Prozess im ersten Band von Christian Gottlieb Blumhardts Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte dargestellt. Nach Blumhardt erlebte die frühe Religionsgeschichte ein Umschlagen des „geoffenbarten Monotheismus“ in Polytheismus – auch wenn sich das Wissen um Schöpfung und Sintf lut in Umrissen erhalten habe.137 Blumhardt beobachtet dabei drei „Stufen des allmähligen Versinkens der Menschheit in die Finsternisse des Aberglaubens“. Auf der ersten Stufe habe der Mensch noch an der „Einheit und Unsichtbarkeit der Idee Gottes“ festgehalten, sie nun aber in sinnliche Abbildungen eingekleidet. Als Zweites habe er den Gottesgedanken zu einem (innerweltlichen) geistigen Prinzip uminterpretiert. Auf der dritten Stufe schließlich sei das Bewusstsein des Göttlichen „in die verschiedenen Naturkräfte in tausend Theile“ zerspalten worden – in Naturgötter, denen der Mensch direkt oder in ihren Repräsentanten aus Holz und Stein Verehrung dargebracht habe.138 Blumhardt unterteilt die im Zuge dieser Entwicklung entstandenen Götterlehren in orientalische, okzidentale und nordische Mythologien. Er bewertet ihren ethischen Einf luss auf Gesellschaft (z. B. Moralkodex) und Kultus (z. B. Menschenopfer) als verheerend – ein Urteil, in das er auch die griechische Götterlehre einschließt. Erst Jesus habe als Sohn Gottes eine wahre und zugleich universale „Religion für die Welt“ gebracht und, quer zur Entwicklung der Religionen, eine globale „Entwicklungsgeschichte des Reiches Gottes auf Erden“ angestoßen.139 134 Ebd.; „Das Bewußtseyn der protestantischen Kirche über die Nothwendigkeit und Methodik des klassischen Unterrichts“, ZPK 1 (1838), 66; Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, 2–5; Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. I, 1828, 37–39; 50 f; 57; Schubert, Lehr- und Lesebuch, 1844, 136 f. 135 Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, 2. 136 Weitbrecht, Die protestantischen Missionen in Indien, 1844, III. 137 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. I, 1828, 13; 34; 33. 138 Ebd., 44. 139 Ebd., 54 f; 57–71; 71.

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Paulinische Religionsgeschichte

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Trotz dieser pessimistischen Einschätzung der Religionsgeschichte ist die Erweckungsbewegung davon überzeugt, dass sich in den Religionen in unterschiedlichem Maße Ahnungen der göttlichen Wahrheit fänden. Solche „Spuren des Lichts“ hätten sich in der Wahrheitssuche,140 aber auch den „Tugenden“ der „Heiden“ gezeigt.141 Sie können von den Geschichtsautoren der Erweckungsbewegung im altindischen Mythos vom „Menschgewordenen Gott als Schlangentreter und Erretter der Welt“142 ebenso ausgemacht werden wie im ausgeprägten Ethos der „merkwürdigen Religion Zoroasters“ (Zarathustras).143 Auch die Schlüsselstellung des „Worts“ und des „Heroenthums“ im heidnischen Denken wird als eine solche Ahnung verstanden.144 Insbesondere vor dem Kommen Christi habe eine „dumpfe Erwartung“ einer „nahen Erlösung“ und „allgemeinen Verbesserung der Dinge“, teilweise sogar „einer von Gott gesandten Person“ die Völker der Erde bewegt und sich in religiösen Prophezeiungen und Visionen ausgesprochen.145 Es gab nach Auffassung der Erweckten also immer Anknüpfungspunkte für das Evangelium, auf die seine Verkünder Bezug nehmen konnten, wenn sie zu fremden Völkern auf brachen. Dass auch die Missionare des 19. Jahrhunderts nach Spuren wahrer Gotteserkenntnis in der einheimischen Kultur suchten, ist für die deutschen Chinamissionare gezeigt worden.146 Grundlegend für das Religionsverständnis der Erweckungsbewegung ist, dass sie Judentum und Islam nicht zum „Heidenthum“ zählt, sondern separat behandelt. Dies zeigt sich besonders in einigen Überblicken und Statistiken, wo die beiden anderen abrahamitischen Religionen gesondert aufgeführt und nicht zur „Finsterniß des Heidenthums“ gerechnet werden.147 Die Sammelbezeichnung „Heidenthum“ wird zwar gelegentlich weiter differenziert, indem man sich etwa – obgleich kritisch – mit der Geschichte des Buddhismus befasst.148 Man subsumiert aber die nicht140

Westermeier, Anfang der christlichen Kirche, 1837, 8. Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, XIII. 142 Kanne, Leben und aus dem Leben merkwürdiger und erweckter Christen, Bd. II, 2 1842, XXXXIII. 143 Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 75. 144 Ehrenfeuchter, Entwicklungsgeschichte, 1845, 122 f. 145 Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte, 1833, 367; Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. II, 1847, 827 f; ders., Weltgeschichte, 21842, 158. Vgl. Zahn, Biblische Geschichte, Bd. I, 1831, 374; Schmidt, Kurzgefaßte Lebensbeschreibungen, Bd. I, 1836, 4. 146 Vgl. Lixin Sun, Das Chinabild der deutschen protestantischen Missionare des 19. Jahrhunderts. Eine Fallstudie zum Problem interkultureller Begegnung und Wahrnehmung, Marburg 2002, 320. 147 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 261; David Bogue, „Die Bekehrung der Heiden zu Christo“, MGMB 5:2 (1820), (155 ff ) 160; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 317. 148 „Blicke in die Geschichte des Buddhismus“, MGMB 22:2 (1837), 225–233. 141

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

monotheistischen Religionen einheitlich unter diesem Begriff. Eine religionsgeographische „Welt-Charte der Mission“ von 1846 verwendet Weiß für die „christliche“, Schwarz für die „heidnische“ und Grau für die „muhamedanische Welt“.149 Die Farbwahl hat auch symbolische Bedeutung: Der Islam wird mit Grau optisch heller dargestellt als das „schwarze“ Heidentum. Offenbar steht den Erweckten vor Augen, dass sie mit den Muslimen zentrale Glaubensartikel des Monotheismus teilen. Freilich sieht man im Christentum den einen Weg zum Heil, und so unterteilt eine andere Statistik folgerichtig nur in „Christen“ und „Nicht-Christen“.150 In Bevölkerungsstatistiken werden die weltweiten Christen auf etwa ein Drittel von insgesamt 750 oder 1000 Millionen Menschen der Erde geschätzt. Diese Zahlen erschrecken die Erweckten wegen der Überzahl an „Heiden“. Dabei kommt darin die sonst wichtige Unterscheidung von nominellen und „wahren“ Christen noch gar nicht zum Tragen.151 Dass man den Begriff des „Christen“ hier inkonsequent in dem nominellen, nichtpietistischen Sinn verwenden kann, zeigt mindestens, dass man nicht allein den persönlichen Glauben, sondern auch die äußere Zugehörigkeit zum christlichen Kulturkreis für ein schätzbares Gut hält. Daher kann man europäische Christen auch in Anlehnung an Matthäus 8,11 f als die natürlichen „Kinder des Reiches“ bezeichnen. Diese müssten sich freilich – wie die jüdischen Adressaten Jesu – vorsehen, nicht im Glauben einzuschlafen und von den aus aller Welt Hinzukommenden beschämt zu werden.152 Der Gedanke, zu den „christlichen Nationen“153 zu zählen, ist verbreitet, wenn man ihn auch durch das individualistische Glaubensverständnis relativiert. Der Erweckungsbewegung steht dabei als Ziel vor Augen, das Christentum „zur Weltreligion zu erheben“.154 Ansätze der Verwirklichung dieses Ziels erleben die Erweckten mit. Dass Europa im 20. Jahrhundert seinen Status als Hauptsitz der Christenheit an andere Kontinente abgeben wird, ist für sie freilich noch nicht abzusehen.155 Auch wenn der Islam dem heidnischen Polytheismus vorgezogen wird, weiß die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung über ihn doch we149

„Literarischer Bericht: Mission“, SSB 10 (1846), (197 f ) 198. Schmidt, Kurzgefaßte Lebensbeschreibungen, Bd. I, 1836, VIII. 151 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 1024, der mit 800 Millionen Menschen und 600 Millionen Nichtchristen rechnet, deutet das Problem in einer Klammer an: „[U]nd wie viele unter den übrigen führen den bloßen Namen!“ 152 Steger, Die protestantischen Missionen, 1838, 140. 153 So etwa Wichern, Innere Mission, 1849, 5. 154 „Ueber den Unterricht in der christlichen Kirchengeschichte“, SSB 9 (1845), 186. 155 Vgl. Klaus Koschorke/Frieder Ludwig/Mariano Delgado (Hg.), Außereuropäische Christentumsgeschichte (Asien, Afrika, Lateinamerika) 1450–1990, Neukirchen-Vluyn 2004, V: „Lebten um 1900 noch 82 % der christlichen Weltbevölkerung in Europa oder Nordamerika, so ist gegenwärtig eine Mehrheit (im Jahr 2000 knapp 60 %) in den Ländern der südlichen Hemisphäre anzutreffen, und dies mit wachsender Tendenz.“ 150

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Israel und die Juden

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nig Positives zu berichten. Zwei theologische Urteile beherrschen seine geschichtliche Behandlung. Zum einen gilt Mohammed als „falscher Prophet“,156 auch „Lügenprophet“157 und „Betrüger“158 genannt. Die Zuschreibung ist so geläufig, dass Blumhardt an einer Stelle ohne Namensnennung Mohammeds einfach von der „Glaubensherrschaft des falschen Propheten“ reden kann.159 Mohammeds Anspruch, als Gesandter Gottes aufzutreten, wird damit, ähnlich wie der Selbstanspruch falscher Propheten im Alten Testament, zurückgewiesen. Weil man nicht mit Moslems als Lesern rechnet, bemüht man sich nicht um eine detaillierte Begründung dieses Urteils. Einen Ansatz hierzu bildet der Hinweis auf die oberf lächlich-sinnliche Jenseitsvorstellung und auf die gewaltsame Ausbreitung des Islam.160 Der Islam gilt aber, zweitens, auch als „Zuchtruthe“ Gottes.161 Gott habe mit ihm die frühmittelalterliche Kirche – besonders im Orient – bestraft und zugleich zur Umkehr aufgerufen. In diesem Sinne wird Mohammed doch eine gottgegebene Funktion zugeschrieben, allerdings eine negative: „Muhamed (der Lobenswürdige) war der Mann, welchen die Vorsehung als geeignetes Werkzeug sich ausersah, um die ausgearteten Gemeinden des Morgenlandes zu züchtigen, und das, was noch gut und göttlich in ihnen war, zu einem neuen Leben anzufachen.“162

Diese beiden theologischen Urteile erklären neben der empfundenen Schwäche der zeitgenössischen islamischen Welt und der (trotz der Missionsarbeit) geringen Kontakte zu Moslems, warum man den Islam inhaltlich nicht gründlich aufarbeitet. 1.5 Israel und die Juden Weit mehr Beachtung als der Geschichte der islamischen Welt schenkt die Erweckungsbewegung der jüdischen Geschichte. Der permanente Umgang der Erweckten mit der Bibel sorgt dafür, dass das alttestamentliche Bundesvolk – Nation und Wirkungsstätte Jesu sowie Sujet unzähliger biblischer Verheißungen – in ihrem Gedächtnis fest verankert bleibt. Selbstverständ156 Steger, Die protestantischen Missionen, 1838, 57; Bogue, „Bekehrung“, MGMB 5:2 (1820), 159. 157 Raumer, Lehrbuch der allgemeinen Geographie, 1832, 379. 158 Leonhardt, Gesegnete Ausbreitung des Christenthums, 1820, 10; Pearson, Kurzer historischer Umriß, 1816, 33. 159 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.2, 1837, 739. 160 Raumer, Lehrbuch der allgemeinen Geographie, 1832, 381 f. 161 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 206; Eyth, Biographie en gros, 1847, Kap. 4 („Die Züchtigung“). 162 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.1, 1833, 5.

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lich ist die Geschichte des Volkes Israel, wie sie die Heilige Schrift lehrt, ein Schwerpunkt biblischer Auslegungen und Predigten. Doch auch für die außerbiblische Historie, mit der sich diese Arbeit vorwiegend beschäftigt, spielt Israel im Geschichtsbild der Erweckten eine bedeutende Rolle. Man sucht und findet nämlich in der Bibel nicht nur Quellen zur jüdischen Geschichte bis zum Auftreten Jesu, sondern auch Weissagungen über spätere Epochen. Weil das Volk der Juden den Erweckten nach wie vor als „weltgeschichtliches Volk“,163 „der Erstgeborene aus den Völkern“164 und „ein Werkzeug der Vorsehung“165 gilt, fallen diese Weissagungen aus ihrer Sicht ins Gewicht. Ihr Blick auf die jüdische Geschichte seit dem ersten Jahrhundert ist daher in besonderem Maße von theologischen Erwägungen bestimmt. Bemerkenswert erscheint Geschichtsautoren der Erweckungsbewegung zunächst die Tatsache, dass sich die Juden über einen außergewöhnlich langen Zeitraum hinweg – nach Gaussen „seit vierzig Jahrhunderten“166 – als eigenständiges Volk erhalten hätten. In seltenen Fällen wird in diese Kontinuitätslinie das Schicksal des 722 v.Chr. von den Assyrern zerstörten Nordreiches Israel einbezogen, von dem man Nachkommen etwa unter den Tartaren und Mongolen vermutet.167 Die eigentliche Kontinuität sieht man jedoch bei den Juden, die nach der Wegführung 586 v.Chr. und dem anschließenden babylonischen Exil in ihr Land zurückkehrten bzw. in der Diaspora ihrer Religion treu blieben. Man vermerkt, dass sie sich auch nach der neuerlichen Zerstreuung 70 n.Chr. nicht assimiliert, sondern als Nation bewahrt und dabei widrigsten Umständen standgehalten hätten. „Ist es nicht die wunderbarste Thatsache, die uns die Völkergeschichte berichtet“, fragt Keith, „[…] daß dieses Volk, ob es gleich durch alle Völker zerstreut, nirgends Ruhe finden konnte, achtzehn Jahrhunderte lang einer beinahe unabläßigen Verfolgung widerstand? und daß es nach so vielen Menschenaltern seinen auszeichnenden individuellen Charakter behielt?“168

Dass Israel Weltreich für Weltreich erlebt, „den Druck aller erfahren, und doch sie alle überlebt“ habe, ist für den Rettungshausvater Christian Heinrich Zeller „ein Wunder und ein Räthsel“.169 Letztlich ist es für Zeller 163

Steger, Evangelische Juden-Mission, 1847, 4. Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 60. 165 Hess, Kern der Lehre, 21826, 266. 166 Gaussen, Die Juden, 21843, 3. 167 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.1, 1833, 96; Johann Gottfried Scheibel, Einige Worte über die Wahrheit der christlichen Religion an nicht-theologische Zweif ler, nebst einer kurzen Nachricht und einer Predigt von den Bibel-Gesellschaften; veranlaßt durch die Stiftung der schlesischen Bibel-Gesellschaft, Breslau: Graß & Barth 1815, 32. 168 Keith, Erfüllung, 1844, 88. 169 Zeller, Israels Zukunft, 1844, 5. 164

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und zahllose Erweckte aber ein untrügliches Zeichen der besonderen Vorsehung Gottes. Diese Einschätzung bedeutet keine theologische Legitimierung des Judentums, dessen Anhänger man als erklärte Gegner Christi für „Abgefallene“ hält.170 Die Verwerfung Jesu sei die „Nationalsünde“ der Juden gewesen, meint man,171 die unvermeidlich weitere Fehlentwicklungen nach sich gezogen habe. Als Beförderer dieser Fehlentwicklungen gilt der Talmud, der die Juden mit „menschlichen Satzungen“ und einer „Last von Ceremonien und äußerlichen Gebräuchen“172 negativ beeinf lusst habe.173 Mit Christusfeindschaft und einer kasuistischen Frömmigkeit halte er, klagt Bräm, „dieses unglückliche Volk nun schon so lange Zeit in seinen geistlichen Fesseln gefangen“.174 Mehrfach wird der Talmud mit der „Decke“ identifiziert, die Juden nach 2. Korinther 3,14–16 beim Lesen des Alten Testaments die Christuserkenntnis versperre.175 Gestützt auf die neutestamentliche Deutung der Zerstörung Jerusalems als Strafgericht Gottes (z. B. Lukas 19,43 f ),176 gehen die Autoren der Erweckungsbewegung davon aus, dass das nachchristliche Judentum unter einem Fluch stehe.177 Die vielen Verfolgungen der Juden interpretieren sie vor diesem Hintergrund. Selbst deren angestammtes Land Palästina sei durch zahllose Kriege seit Jahrtausenden von dem Fluch gezeichnet.178 Kann man den Juden auch historische Kulturleistungen bescheinigen,179 so erscheinen sie doch als „ein Volk […] unter dem Gerichte Gottes“.180 Wenn sich die Erweckten mit der jüdischen Geschichte der vergangenen zweitausend Jahre beschäftigen, tun sie dies jedoch nicht mit einem Gefühl der Überlegenheit oder Schadenfreude. Mitgefühl und Scham halten sie meistens für angemessener. Die „mehr als tausendjährige bittere Verfolgung“181 – eine „Nacht des Judenhasses und der Judenverachtung“ – 182 170

Wiggers, Geschichte der Evangelischen Mission, Bd. I, 1845, 5. Zeller, Israels Zukunft, 1844, 9. 172 So die Umschreibung von Keith, Erfüllung, 1844, 87. 173 Barth, Abriß, 1831, 149. 174 Bräm, Beschreibung des heiligen Landes, 1834, 121. 175 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 159; Zeller, Israels Zukunft, 1844, 15 f. 176 Etwa Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 170. 177 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 92; Andreas Bräm, Beschreibung des heiligen Landes, Basel: Schneider 1834, 122; Schmidt, Kurzgefaßte Lebensbeschreibungen, Bd. II, 1838, 9. 178 Karl von Raumer, Palästina, Leipzig: Brockhaus 21838 (1835), 422. 179 Z. B. „Blicke in die frühere Geschichte des Jüdischen Volkes seit der Zerstörung Jerusalems“, MGMB 5:1 (1820), (3–45) 39: „Die Juden […] legten sich mit Fleiß und Glück auf den Erwerb der Gelehrsamkeit.“ 180 Keith, Erfüllung, 1844, 86. 181 Herschell, Besuch in meinem Vaterland, 1846, 198. 182 „Die Proselytenpf lege. Die Versuche aus drei Jahrhunderten“, FrIsraels 4 (1846), (287 ff ) 287. 171

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

erscheint als ein Unrecht großen Ausmaßes, das nicht selten im Namen Christi verübt worden sei. „Wir haben an Israel die Absicht Gottes lange nicht verstanden, ihm lange nicht die schuldige Liebe bewiesen“, schreibt der Badener Pfarrer Karl Mann (1806–1869).183 Am eindrücklichsten beschreibt Louis Gaussen in einem 5-seitigen historischen Abriss die „lange Reihe unserer Grausamkeiten gegen sie, die des Uebermaaßes, der Ausdehnung und der Dauer ihres Unglücks. Plünderungen, Mißhandlungen, gewaltsame Verpf lanzungen, Raub von Weibern und Kindern, schreckliche Hinrichtungen, unbarmherziges Hinschlachten – dies ist ihre Geschichte in jedem Lande. […] Und dies Elend war, wie überall auf Erden, ebenso ununterbrochen in allen Zeitaltern, es hat nie aufgehört.“

Gaussen nennt daher „gerechtestes Mitleid für das mißhandeltste, das unterdrückteste, das unglücklichste der Völker“ den ersten Beweggrund für eine christliche „Liebesarbeit“ unter den Juden.184 Weil den Juden nach Meinung der Erweckten ohne Christuserkenntnis das Heil fehlt, ist hiermit besonders die „Judenmission“ gemeint, welche die Erweckungsbewegung unter Aufnahme englischer Impulse nach Kräften, wenn auch nur mit mäßigem Erfolg, vorantrieb.185 Hinter der Judenmission steht aber auch eine Zukunftsvision. Zu einer Zeit, in der sich viele jüdische Geschichtsschreiber im Namen der Integration in die europäischen Völker von der Vorstellung einer jüdischen Nationalgeschichte und von nationalen jüdischen Zukunftserwartungen verabschieden,186 rechnen die Erweckten, wie bereits der frühere Pietismus,187 mit einer bleibenden nationalen Berufung des jüdischen Volkes. Nach der Bibelinterpretation der Erweckten führte Gott das alttestamentliche Bundesvolk nämlich nur darum einen so schweren Weg, weil er mit ihm noch Großes vorhabe. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, den Israeldiskurs der Erweckungsbewegung umfassend zu analysieren. Es steht jedoch außer Zweifel, dass die Erweckten mit der Hoffnung leben, die Juden würden einmal Jesus kollektiv anerkennen und, so glauben 183

Mann, Vorwort, 21843, VI. Gaussen, Die Juden, 21843, 4–9; 4. 185 Zur Judenmission der Erweckungsbewegung vgl. besonders Clark, Politics of Conversion, 83–241. 186 Vgl. Gotzmann, Eigenheit und Einheit, 129; 139 f; 148; 184. 187 Vgl. Johannes Wallmann, „Der alte und der neue Bund. Zur Haltung des Pietismus gegenüber den Juden“ (2004), in: ders., Pietismus-Studien. Gesammelte Aufsätze II, Tübingen 2008, (258–283) 260: „Es gibt keinen Pietismus, für den die Hoffnung auf die Rettung Israels keine Rolle spielt […].“ Wallmann belegt, dass Spener, Francke, Zinzendorf und Arnold, anders als die lutherische Orthodoxie, dem Judentum generell erstaunlich wohlwollend begegneten. Vgl. hierzu auch (mit weiteren Literaturhinweisen) Peter Vogt (Hg.), Zwischen Bekehrungseifer und Philosemitismus. Texte zur Stellung des Pietismus zum Judentum, Leipzig 2007. 184

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Israel und die Juden

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etliche, einen neuen Staat Israel errichten. „Betest du für die Kirche, so mußt du auch für die Juden beten“, meint der namhafte Hebraist Franz Delitzsch 1839 als junger Mann, „denn ihre Bekehrung gehört nothwendig zur Verherrlichung des Reiches Gottes in der letzten Zeit.“188 Mitunter können zeithistorische Ereignisse im Nahen Osten vor diesem Hintergrund beurteilt werden.189 Gaussen zählt verschiedene „Zeichen“ auf, aufgrund derer er die verheißene Zeit nahe glaubt, darunter die Wiederbelebung des Hebräischen und ein zunehmendes Interesse von Juden am Evangelium. Er malt sich die Heimkehr der Juden „nach zweitausendjähriger Verbannung und Verwerfung“ plastisch aus: „Welche Bewegung über die ganze Erde hin, wenn man es uns ansagen wird, wenn die Zeitungen von Woche zu Woche es uns melden werden, daß z. B. die Juden Rußlands, die jetzt schon an Zahl die ganze Schweiz übersteigen, über den Kaukasus ziehen, um in Jerusalem mit den Juden zusammenzutreffen, welche Carouge verlassen, oder mit denen, die aus China, oder von den Ufern des Indus oder des Niger ausziehen! Wer unter uns möchte sie nicht unterstützen und ihnen die Hand bieten?“190

Einige Elemente des Zionismus tauchen also in christlicher Form bereits in der Erweckungsbewegung auf.191 Die Erweckten geben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass mit der „Bekehrung des Volkes im Ganzen und Großen“192 eine Jahrhunderte währende Geschichte des Abweges und des Leidens zu Ende gehen werde. In seiner bildhaften Art sieht sich Barth in einer Predigt an eine „Mumie in Aegypten“ erinnert, „die in der Hand eine Zwiebel trug, welche wohl an 2000 Jahre sich unversehrt erhalten hatte. Als man diese Zwiebel in die Erde setzte, schlug sie aus und grünte.“193 Die Erweckungsbewegung wartet auf das neue Grün und meint bereits Anzeichen davon zu erkennen. Ihre wichtigste Referenzstelle ist Römer 11,25 f, wo Paulus von einer zeitlich begrenzten „Verstockung“ der Juden und einer Errettung von „ganz Israel“ spricht.194 188 Zitiert in Werner Raupp (Hg.), Mission in Quellentexten. Geschichte der Deutschen Evangelischen Mission von der Reformation bis zur Weltmissionskonferenz Edinburgh 1910, Erlangen/Bad Liebenzell 1990, 450. 189 „Morgenland“, Das Missions-Blatt, hg. von der Missions-Gesellschaft zu Barmen 15 (1840), Nr. 22. 190 Gaussen, Die Juden, 21843, 24–32; 21 f. 191 Ein jüdischer Zionismus entwickelte sich in Deutschland erst einige Jahrzehnte später. Allerdings zeigt Yehuda Eloni, Zionismus in Deutschland. Von den Anfängen bis 1914, Gerlingen 1987, 17–22, dass es bereits um 1840 erste vereinzelte Ansätze hierzu gab. 192 Steger, Evangelische Juden-Mission, 1847, 9. 193 Zitiert in Schmidt, Kurzgefaßte Lebensbeschreibungen, Bd. II, 1838, 9. 194 Ebd., 9 f; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 93; Gaussen, Die Juden, 21843, 19; 23 f; Zeller, Israels Zukunft, 1844, 23 f; „Israels Zukunft und Gegenwart“, FrIsraels 4 (1844), (75–81) 76; Hess, Kern der Lehre, 21826, 303.

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Immer wieder wird auch auf die Totengebeine aus Ezechiel 37 verwiesen, die in Ezechiels Vision zu neuem Leben erweckt werden.195 So soll auch Israel wieder auferstehen. Im Licht ihrer Israelhoffnung beurteilt die Erweckungsbewegung das zeitgenössische Judentum reserviert. Die 270.000 (1820) bis 400.000 (1850) Juden im späteren Reichsgebiet befanden sich im Vormärz, trotz mancher antijüdischer Vorbehalte in allen politischen Lagern,196 auf dem Weg zur gesellschaftlichen Gleichberechtigung – einem Weg, der sich mit den Stichworten „Verbürgerlichung“, „Assimilation“, „Entpauperisierung“ und „Eindeutschung“ beschreiben lässt.197 Die Erweckten beobachten diesen Prozess mit einer Mischung aus Freude und Distanz. Man sieht in der Beendigung der Unterdrückung einen lange fälligen Gewissensschritt und in der jüdischen Reformbewegung, die über den Talmudismus hinauskommen will, ein hoffnungsvolles Zeichen für eine größere Akzeptanz des Evangeliums.198 Besonders seit den 1840er Jahren wächst allerdings die Skepsis gegen die religiösen Reformen, die man als äußerlich empfindet. Zudem stehen viele jüdische Intellektuelle auf der anderen Seite des politischen Spektrums.199 1843 spricht Karl Mann von einer „zum Theil von Juden ausgehende[n] Literatur des Libertinismus und Saducäismus, eines frechen Liberalismus im Bürgerlichen und eines cynischen Indifferentismus im Religiösen, endlich einer völligen Demoralisirung durch eine überfirnißte Weltbildung“.200

Die Bildungsoffensive des sich emanzipierenden Judentums entwickelt sich vielfach keineswegs in die von den erweckten Autoren gewünschte Richtung. Der Judenemanzipation steht die Erweckungsbewegung ebenfalls gespalten gegenüber. Viele Forderungen halten die Erweckten für berechtigt. Die Überzeugung vom christlichen Charakter des eigenen Staates steht je195 Gaussen, Die Juden, 21843, 20 f; Herschell, Besuch in meinem Vaterland, 1846, 193; Raumer, Palästina, 21838, 420; Zeller, Israels Zukunft, 1844, 16. 196 Vgl. Helmut Berding, „Antisemitismus in der modernen Gesellschaft: Kontinuität und Diskontinuität“, in: Jörg K. Hoensch et al. (Hg.), Judenemanzipation – Antisemitismus – Verfolgung in Deutschland, Österreich-Ungarn, den Böhmischen Ländern und in der Slowakei, Essen 1999, (85–99) 89: „Wie der Konservativismus und der Liberalismus war auch der Nationalismus erfinderisch, wenn es darum ging, eingef leischte antijüdische Vorurteile ideologisch einzufärben.“ Zu den vorherrschenden Einstellungen in der damaligen Literatur vgl. die entsprechenden Aufsätze in Hans Otto Horch/Horst Denkler (Hg.), Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur. Interdisziplinäres Symposion der Werner-Reimers-Stiftung Bad Homburg v. d. Höhe, 3 Bd., Tübingen 1988–1993 (bes. Bd. 1, 71–199; Bd. 2, 72–91). 197 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 251–253. 198 Vgl. Clark, Politics of Conversion, 148. 199 Vgl. ebd., 160. 200 Mann, Vorwort, 21843, VI.

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doch einem vollen Ja zur jüdischen Emanzipation im Wege. Die rechtliche Gleichstellung der Juden sei zwar unabdingbar, argumentiert man: „Oder sollte endlich aus den göttlichen Vorherverkündigungen des Strafgerichts über die Juden und ihrer dereinstigen Wiedereinsammlung ein Grund, sie niederzuhalten, hergenommen werden? Gewiß nicht!“201

Das christliche Bekenntnis des Staates verhindere jedoch – jedenfalls derzeit – die volle politische Emanzipation.202 Im staatlichen Bereich meinen die Erweckten von der Religionsfrage nicht absehen zu können. Befürwortet man eine „Verbesserung der bürgerlichen Lage“ der Juden, so ist man zugleich überzeugt, die „wahre und vollständige Emancipation des jüdischen Volks“ sei erst dann folgerichtig, wenn „es durch eine freiwillige und aufrichtige allgemeine Annahme des Christenthums sich mit den europäischen Völkern vereinigte“.203 Ein christlich verwurzelter Staat scheint nichtchristliche Juden nur tolerieren, nicht aber vollständig integrieren zu können. Die Haltung der Erweckten zum zeitgenössischen Judentum bleibt daher ambivalent – zwischen Solidarität und Ablehnung – und von ihrer heilsgeschichtlichen Erwartung für Israel bestimmt.204 1.6 Geschichtsvölker, Kaukasier und Jafetiten Der Weltgeschichtsentwurf der Erweckten ist nicht nur von biblisch-theologischen, sondern auch von zeitgenössischen Geschichtsvorstellungen bestimmt, Vorstellungen, die sich am Zivilisationsgedanken, einem europäischen Sonderbewusstsein und einem prononcierten Kulturbegriff orientieren.205 Die Zeitgenossen unterscheiden in diesem Zusammenhang, wie in II.6 gezeigt wurde, zwischen „geschichtlichen“ und „geschichtslosen“ Völkern. Während „Geschichtsvölker“ in diesem Denken ein geistiges, religiöses und staatspolitisches Leben, eine innere Entwicklung und interkulturellen Einf luss aufweisen, erscheinen „geschichtslose“ oder „wilde“ Völker als unkultiviert, stagnierend und in sich abgeschlossen. Dass Barth diesen Topos in der Allgemeinen Weltgeschichte aufnimmt, wurde bereits dargelegt. 201 Stahl, „Der christliche Staat und sein Verhältniß zu Deismus und Judenthum“, EKZ 1847, 668. 202 Ebd., 668; 670. 203 Schmidt, Kurzgefaßte Lebensbeschreibungen, Bd. II, 1838, 4. Vgl. auch Steger, Evangelische Juden-Mission, 1847, 7. 204 Auf diese Ambivalenz wurde in der Literatur wiederholt hingewiesen, vgl. Clark, Politics of Conversion, 154; Jung, Protestantismus in Deutschland, 153 f; (implizit) Holthaus, Prämillenniarismus, 210. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 293 Fn. 122 spricht sogar, wohl überzeichnend, von einer „judenfeindlichen Israelliebe im württembergischen Pietismus“. 205 Vgl. Jörg Fisch, „Zivilisation, Kultur“, GGB, Bd. 7 (1992), (679–774) 740; 746.

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Andere Geschichtsautoren der Erweckungsbewegung tun dies ebenfalls. Auch Dittmar spricht von „historischen Völkern“,206 auch Blumhardt rechnet nur einen kleinen Teil der Erde zum „Schauplatz der Weltgeschichte“.207 Die Rede vom Kommen der „Zeit der Geschichte“ für ein Volk bringt diese Konzeption auf eine besonders prägnante sprachliche Form.208 Nach Leo hat ein Volk ohne „öffentliche Verhältnisse“ „noch durchaus keine Geschichte“, und auch von den geschichtlichen Völkern besäßen nur die einf lussreichen „universalhistorisches Moment“ – die Chinesen und die Japaner noch kaum, die sibirischen Samojeden und Ostiaken gar nicht.209 Wie Hegel zur gleichen Zeit,210 geht man davon aus, dass insbesondere die Völker im Inneren Afrikas,211 aber auch die Eskimos „auf der Stufe der Kindheit in ihrem rohen, wilden Naturzustand“ lebten.212 Wie weit die Erweckten den geschichtlichen Völkerkreis ziehen, variiert. Man ist sich dessen bewusst, dass Indien, China, Russland, Persien, Abessinien (Äthiopien) und das Osmanische Reich im Gegensatz zu den Urbevölkerungen Süd- und Westafrikas, Westindiens oder Amerikas „im Besitze einer meistens uralten Cultur“ sind.213 Angeregt von dem Miterleben der Äußeren Mission, gestehen viele erweckte Autoren diesen Völkern durchaus eine eigene Geschichte zu und interessieren sich für sie.214 Gützlaffs Geschichte des chinesischen Reiches und Müllers Indienbuch sind dafür ebenso Belege wie Isenbergs Werk über Abessinien, das in einem Unterabschnitt die „höchst interessante Geschichte“ des Landes skizziert.215 206

Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, 43. Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 182. 208 Ebd., 30. 209 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. I, 1835, 4. 210 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Berlin 1822/1823: Nachschriften von Karl Gustav Julius von Griesheim, Heinrich Gustav Hotho und Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler, hg. von Karl Heinz Ilting, Karl Brehmer und Hoo Nam Seelmann, Hamburg 1996, 100: „Dieses Afrika bleibt in seiner ruhigen, trieblosen, aus sich selbst nicht treibenden Sinnlichkeit und ist noch nicht in die Geschichte eingetreten und hat keinen weiteren Zusammenhang mit der Geschichte, als daß die Einwohner zu Sklaven in ärmerer Zeit gebraucht wurden.“ 211 „Vorwort“ (zum Quartalheft „Afrika“), MGMB 14:2 (1829), (163–171) 165 f. 212 Völter, Geographische Beschreibung von Württemberg, 1836, 209. Dass man in Frankreich ähnlich urteilt, zeigt „Du Christianisme considéré comme élément de la civilisation, et des devoirs des Chrétiens dans la situation actuelle“, Archives 14 (1831), (1–17) 1, wo von den „peuples stationnaires ou rétrogrades de l’Asie“ und den „hordes sauvages de l’Afrique et de l’Amérique“ die Rede ist. 213 Wiggers, Geschichte der Evangelischen Mission, Bd. II.1, 1846, 3 f. 214 Dies gilt teilweise auch für die Missionare vor Ort. Nach Sun, Chinabild der deutschen protestantischen Missionare, 180–191 („Zur chinesischen Geschichte: glanzvolle Vergangenheit versus schlechte Gegenwart“) beurteilten die ab 1846 von deutschen Missionsgesellschaften ausgesandten Chinamissionare die chinesische Gegenwart äußerst negativ, gingen aber zumindest von einer vergangenen Kulturblüte aus. 215 Isenberg, Abessinien und die evangelische Mission, Bd. I, 1844, 50–62. 207

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Indien rangiert in Dittmars Geschichte der Welt unter den „Culturvölkern des heidnischen Altherthums im Orient“216 und wird in 13 Unterkapiteln besprochen. Braunschweigs Umrisse einer allgemeinen Geschichte der Völker bezieht die chinesische Geschichte aller Epochen ausführlich ein und berücksichtigt auch die islamischen Reiche. Hofmann dagegen schreibt, „die Neger Afrika’s, die Chinesen, die Mongolen“ hätten „selten oder nie“ spürbaren Einf luss auf die Weltgeschichte gehabt.217 „Chinesisches“ gehöre daher „wenigstens in die alte Geschichte gar nicht, Indisches viel weniger, als man jetzt aufzunehmen liebt“.218 Je nach Standpunkt zählt man diese Reiche zu den historischen Völkern und erzählt ihre Geschichte oder verzichtet, wie die Allgemeine Weltgeschichte, darauf, sie näher zu thematisieren. Bei der Analyse der Allgemeinen Weltgeschichte wurde jedoch auch deutlich, dass die Erweckten den Topos von den geschichtlichen (noch häufiger: „kultivierten“) und den geschichtslosen (oft: „barbarischen“) Völkern nicht nur aufnehmen, sondern auch christlich modifizieren. Bei Barth besteht die Modifikation vornehmlich darin, stärker geschichtstheologisch als (bloß) zivilisatorisch zu argumentieren und das kulturelle durch ein christlich-religiöses Kriterium für Geschichtlichkeit zu ergänzen. In anderen Geschichtswerken der Erweckungsbewegung zeigen sich Variationen von Barths Ansatz, grundsätzlich aber dasselbe Bemühen, den zivilisatorischen Eurozentrismus christlich zu lesen und abzumildern. Nach Bräm findet sich bei den Hauptvölkern der Geschichte „der regste Fleiß, die größte Verstandesentwicklung und der lebendigste Völkerverkehr auf Erden“; zugleich habe Gott aber diejenigen dazu bestimmt, die „um sein Volk hergelagert sind, wie das Fleisch um den Kern“.219 Das bildungsbürgerliche Kriterium für Geschichtlichkeit steht also nie allein; das theologische kommt immer hinzu. Mitunter wird dem theologischen Kriterium sogar explizit Vorrang eingeräumt. Raumer etwa betrachtet die alleinige Orientierung an der Hochkultur mit Skepsis: „Durch geordnete Staatsverhältnisse, Ausbildung von Gewerben aller Art, besonders aber der Künste und Wissenschaften, charakterisirt man die civilisirten und cultivirten Völker, und unterscheidet sie von Barbaren und Wilden. Man berücksichtigt hierbei zu einseitig die Entwicklung intellectueller Kräfte; viel zu wenig die der sittlich-religiösen. Es waren die Römer zu Augustus Zeit trotz Horaz und Mäcen, die Franzosen zur Zeit der Revolution trotz so vieler atheistischer starker Geister in solche gottlose Ruchlosigkeit und entschiedene Barbarei versunken, daß wahrhaft christliche Hottentotten bei aller Armuth des Geistes sie gewiß durch die ächteste Cultur, durch christlichen Glauben, der in Liebe thätig ist, weit übertrafen.“220 216 217 218 219 220

Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, XXIV. Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. I, 1839, 54. Hofmann, Verabfassung eines historischen Lehrbuchs, 1838, 46. Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 44 f. Raumer, Lehrbuch der allgemeinen Geographie, 1832, 390.

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Das christliche Unbehagen an zivilisatorischer Euphorie teilt auch Krohn in seiner Missionsgeschichte Polynesiens. Er hält durchaus am Eurozentrismus fest; schon der Eingangssatz des betreffenden Abschnitts lässt daran keinen Zweifel: „Die Geschichte der Südseeländer hebt mit ihrem Erscheinen auf den Seekarten der Europäer an.“ Die Europäer brachten den Insulanern also durch ihr bloßes Erscheinen die Geschichte. Dieses selbstbewusste Urteil wird noch von der Aussage unterstützt, der frühere Zustand der Bevölkerung sei „ein stillstehender, durchaus entwicklungsloser“ gewesen. Dann aber fährt Krohn fort: „Aber ein trauriges Beispiel hat das erste Beginnen ihrer Geschichte auch davon geliefert, daß es die verfeinerte äußere Cultur jenes andern Zweiges der Menschheit, wohinein das Licht des göttlichen Lebens bereits geschienen hat, nicht ist, welches einem so gesunkenen Volke den Anstoß zur aufschwingenden Fortbildung zu geben vermöge […] und daß endlich kein anderer Balsam diese […] Wunde zu heilen vermöge, als das Bewußtwerden der Liebe und Gnade von oben.“221

Was einem Volk historische Bedeutung gibt, ist für die Erweckten mehr als sein kultureller Rang. Der Zivilisationsgedanke ist gegenüber dem genuin erwecklichen Reich-Gottes-Denken ein bloßes, wenn auch einf lussreiches bildungsbürgerliches Residuum. Das Beispiel des vielgerühmten Eingeborenenkönigs von Tahiti („Otaheite“), Pomare, bestätigt dies. Seine Bekehrung zum Christentum löste, trotz gewaltsamen Widerstandes der Altgläubigen, ab 1815 eine Erweckung auf den Gesellschaftsinseln aus. Pomares Geschichte wird immer wieder in Geschichtsbüchern der Erweckungsbewegung erzählt.222 Die Art und Weise, wie dies geschieht, macht deutlich, dass man den Eingeborenenkönig nunmehr als vollwertige geschichtliche Person betrachtet: „der König selbst, Pomare (†1821)“ wird er bei Zahn im Stil eines gewöhnlichen historischen Berichts genannt.223 Die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung sind davon überzeugt, dass die Begegnung mit dem Evangelium mehr als die Berührung mit der europäischen Kultur eine Nation zum weltgeschichtlichen Volk erhebe. Freilich sehen viele Erweckte in den zwei Bereichen keine Gegensätze. Pearson etwa ist sich sicher, „daß durch alle Jahrhunderte hindurch die Civilisation der Welt mit der Verbreitung unserer göttlichen Religion immer gleichen Schritt hielt, und daß die Kulturgeschichte der Menschheit in demselben Verhältniß sank und stieg, in welchem das Licht der 221

Krohn, Missionswesen in der Südsee, 1833, 18 f. Steger, Die protestantischen Missionen, 1838, 116–119; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 314 f; Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 209– 211; Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 263 f. 223 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 263. 222

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evangelischen Wahrheit den Völkern der Erde helle schien, oder durch die Nebel des Aberglaubens getrübt und verdunkelt wurde“.224

Zivilisation und Christianisierung scheinen in dieser Perspektive Zwillinge zu sein. Andere beschreiben das Christentum als „das treff lichste Bildungsmittel der Menschheit“225 oder zeigen sich, wie ein Missionar im westafrikanischen Liberia, „immer mehr überzeugt […], daß die Colonisations-Sache von Gott ist“.226 Die Stellung der Missionare zum Kolonialismus wird in der Forschungsliteratur unterschiedlich akzentuiert.227 Insgesamt liegt Julius Wiggers wohl richtig, wenn er schreibt, es sei ein allgemeiner Grundsatz der evangelischen Mission, „stets die Verkündigung des Evangeliums als ihre erste und vorzüglichste Aufgabe zu betrachten und durch das Christenthum den Weg zur Civilisation, nicht umgekehrt durch die Civilisation den Weg zum Christenthum anzubahnen“.228

Man befürwortet also die Zivilisierung außereuropäischer Völker, konzentriert sich jedoch, oft unter großem persönlichen Einsatz, auf die Weitergabe des Evangeliums. Trotz des Eurozentrismus findet sich in den Beschreibungen der europäischen Kolonisation selten Stolz auf den eigenen Kontinent. Man geht zwar von der Überlegenheit der eigenen Kultur aus, steht Kreuzfahrern, Eroberern und Kolonisten aber auffallend kritisch gegenüber. Die Erweckten sind nämlich der Meinung, die Europäer hätten sich in der Welt nicht vorteilhaft präsentiert. Besonders die Missionsgeschichtsschreibung betont, die Europäer seien raffgierig aufgetreten und hätten den überseeischen Völkern „Mißhandlung, Unterdrückung oder gar Vernichtung“229 gebracht. Man kann in diesem Zusammenhang von weißen (!) „Barbaren“ sprechen.230 Statt des Evangeliums hätten sie einen lasterhaften Lebensstil exportiert und die im Heidentum gefangene Bevölkerung zusätzlich verführt. Ein Topos ist der Vorwurf an die Kolonisten, den Eingeborenen das 224

Pearson, Kurzer historischer Umriß, 1816, 81 f. „Civilisations-Versuche“, MGMB 1:3 (1816), (377–383) 383. 226 „Westafrika, Liberia, Aschantee, Sierra-Leone“, Die Biene auf dem Missionsfelde 7 (1840), (4–7) 5. 227 Für Großbritannien etwa betonen Barbara Schwegmann, Die protestantische Mission und die Ausdehnung des britischen Empires, Würzburg 1990, 87; 361 und Horst Gründer, Welteroberung und Christentum. Ein Handbuch zur Geschichte der Neuzeit, Gütersloh 1992, 323 f; 330 stärker die Nähe, Adrian Hastings, The Church in Africa 1450–1950, Oxford 1994, 258 f und C. Peter Williams, The Ideal of the Self-Governing Church: A Study in Victorian Missionary Strategy, Leiden et al. 1990, XIII f dagegen stärker die Distanz. 228 Wiggers, Geschichte der Evangelischen Mission, Bd. II.1, 1846, 5 f. 229 Klumpp, Das evangelische Missionswesen, 21844, 12. 230 „Rückblick auf die Heidenwelt bei dem Antritt des Jahres 1840“, MissBer 1840, (6 ff ) 7. 225

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„europäische Gift“, den Branntwein, gebracht zu haben.231 Europäisches Selbstbewusstsein und Europakritik halten sich also die Waage. Während der selektive Weltgeschichtsbegriff trotz solcher Bedenken fast immer vorausgesetzt bleibt, stellt Karl von Raumer ihn in einem bemerkenswerten Abschnitt seiner Geschichte der Pädagogik in Frage. Im Rahmen von „Aphorismen über das Lehren der Geschichte“ bemerkt er, Lehrbücher der Weltgeschichte würden ihrem Namen nicht wirklich gerecht: „Denn welches Lehrbuch begreift alle Völker? Fallen z. B. nicht die Amerikaner in der Regel aus? ebenso die meisten Völker Afrikas, mit Ausnahme der Aegypter, Karthager und Nordafrikaner, welche mit den Römern in Verhältnis waren? Wie wird ein großer Theil Asiens ignorirt!“232

Statt des hier üblichen Hinweises, es seien ja auch nicht alle Völker gleich wichtig, schließt sich eine selbstkritische Ref lexion an: „Geschieht es etwa nach der Würdigkeit, so daß die gebildetsten Völker hervorgehoben, rohe zurückgestellt würden?“, fragt er und antwortet: „Keineswegs allein danach, denn sonst müßten z. B. die Inder entschieden eine große Rolle spielen. Wie hoch stehen sie nicht durch Sprache, Dichtkunst, Mathematik etc.!“ Raumers Erklärung für die selektive Vorgehensweise lautet anders: „Die Antwort ist: so wie den einzelnen Menschen vorzugsweise die Lebensgeschichte seiner Vorfahren und derer interessirt, welche auf sein Leben – seine Bildung, seinen Beruf und Wirksamkeit – großen Einf luß hatten, so interessirt sich jedes Volk zunächst für seine eigene Geschichte, dann für die Geschichte der Völker, welche ihm durch Sprache, Sitten etc. verwandt, oder welche auf dasselbe sonst unmittelbar oder mittelbar großen Einf luß geübt.“233

Raumer hält es für legitim, wenn sich das schulische Curriculum nach solchen Interessen richtet. Er schlägt vor, schwerpunktmäßig Vaterlandsgeschichte, Geschichte Israels, römische und griechische Geschichte und die Geschichte der romanischen und germanischen Völker Europas zu lehren, und vertritt damit einen konventionellen Kanon. An der kurzen Bemerkung, Chinesen und Inder träten „für uns“ in den Hintergrund, wird jedoch deutlich, wie radikal Raumer hier mit einem Denkmuster bricht, das auch die Erweckungsbewegung weithin teilt: der Auffassung, in der europäischen Geschichtsperspektive wie selbstverständlich die Geschichtsperspektive schlechthin zu erblicken.234 231 Ledderhose, Mission unter den freien Buschnegern, 1847, 5 f; „Missionare des Todes“, CVB 1 (1833), 261; Klumpp, Das evangelische Missionswesen, 21844, 22; Krohn, Missionswesen in der Südsee, 1833, 16. 232 Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. III.1, 21847, 112. 233 Ebd., 113. 234 Ebd., 113 f.

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Diese europäische Geschichtsperspektive war zur Zeit des Vormärz stark, aber nicht ausschließlich vom Gedanken einer kulturellen Hierarchie der Völker bestimmt. Kam dem Kulturbegriff im zeitgenössischen Weltgeschichtsdiskurs entscheidende Bedeutung zu, so spielte der biologistische Rassegedanke darin eine ergänzende Rolle. Der Engländer Edward Long vertrat 1774 in seiner History of Jamaica die Polygenese der Menschheit und wurde mit dieser Negation eines einheitlichen Menschengeschlechts zum Vordenker des nordamerikanischen anti-negriden Rassismus.235 In Deutschland entwickelte der Göttinger Anthropologe Johann Friedrich Blumenbach 1775 eine einf lussreiche Rassentypologie von fünf „Hauptrassen“, welche die Menschheit in Weiße, Schwarze, Braune, Gelbe und Rote einteilte. Obwohl selbst kritisch gegen den Rassismus einiger Kollegen, nahm Blumenbach eine Hierarchisierung der Rassen nach ästhetischen Gesichtspunkten vor und erklärte die „weiße Rasse“, die er als „kaukasisch“ bezeichnete, zur Urrasse. Die übrigen, die „äthiopische“, „malaiische“, „mongolische“ und „amerikanische“ Rasse, galten als Abweichungen von der Stammrasse.236 Die anthropologischen Rassevorstellungen finden im Geschichtsdenken der Erweckten eine unterschiedliche Aufnahme. Häufig geht man, wie Barth in der Allgemeinen Weltgeschichte, nicht näher auf die „Rasse“ eines Volkes ein. Es gibt jedoch auch überzeugte Anhänger Blumenbachs. Andreas Wagners Geschichte der Urwelt wurde nach Auskunft des Untertitels „mit besonderer Berücksichtigung der Menschenrassen“ verfasst und ist zu einem Drittel der Darstellung und Verteidigung einer modifizierten Version von Blumenbachs Modell gewidmet.237 Dittmar zitiert sowohl Blumenbach als auch Wagner und sieht in der kaukasischen Rasse „die Trägerin der Cultur, die sie auf die übrigen Rassen überzuleiten die Bestimmung“ habe.238 Leo geht es in seiner Universalgeschichte „mehr um die besonderen Volksnaturen innerhalb der caucasischen Race als um die anderen Racen, die“, so Leo, „ohnehin größtentheils ganz aus unserem Gesichtskreis fallen“.239 Die Rasse bildet somit ebenfalls ein weltgeschichtliches Einteilungsmerkmal. Vertreten erweckte Geschichtsschreiber ein Rassenmodell, so bejahen sie oft auch eine Hierarchisierung. Hofmann spricht wertend von der „regelmäßige[n] Körperbildung, welche man die kaukasische oder 235

Vgl. Imanuel Geiss, Geschichte des Rassismus, Frankfurt a. M. 1988, 159. Vgl. ebd., 160; Paul Münch, „Wie aus Menschen Weiße, Schwarze, Gelbe und Rote wurden. Zur Geschichte der rassistischen Ausgrenzung über die Hautfarbe“, in: Der ferne Nächste. Bilder der Mission – Mission der Bilder 1860–1920. Katalog zur Ausstellung im Landeskirchlichen Museum Ludwigsburg. Vom 25.5. bis 10.11.1996, Ludwigsburg 1996, (15–20) 17; Urs Bitterli, Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Grundzüge einer Geistesund Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München 21991, 339–356. 237 Wagner, Geschichte der Urwelt, 1845, 241–442. 238 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, 46; 49. 239 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. I, 1835, 11. 236

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armenische nennt“.240 Dittmar schreibt, die Verschiedenheit der fünf Rassen hänge nicht nur mit den klimatischen Verhältnissen, sondern auch mit einem „Auseinandergehen ursprünglich gleich-hoher Fähigkeiten in eine Verschiedenheit geistigen Vermögens“ zusammen.241 Blumhardt sieht dies in seiner Weltgeschichte freilich anders: „Die Ursache der verschiedenen Färbung und Körperbildung aber liegt in der Verschiedenheit des Klima’s, der Nahrungsmittel, der Beschäftigung u.s.w.“, schreibt er, „Rücksichtlich der geistigen Fähigkeiten und der Bedürfnisse des Herzens zeigen sich Alle gleich […].“242 In diesem Sinne moniert auch der Christen-Bote, viele weiße Amerikaner hielten sich „in ihrem Stolze für eine edlere Race“.243 Hier bestehen offenbar unterschiedliche Positionen. Einig ist sich die Erweckungsbewegung allerdings in der Ablehnung einer polygenetischen Auffassung von der Entstehung des Menschengeschlechts.244 Man ist aufgrund der biblischen Schöpfungsgeschichte überzeugt, dass „alle Menschen ohne Unterschied von Einem Menschenpaar abstammen“245 und „sie mögen nun eine weiße oder rothe oder braune oder schwarze Farbe haben, zu Einer Familie gehören“.246 Die erweckten Autoren argumentieren für diese Ansicht auch naturwissenschaftlich: Für Wagner belegt die unbegrenzte Kreuzungsfähigkeit aller menschlichen Rassen die Einheit der menschlichen Art, wie er im Vergleich mit Hybriden aus dem Tierreich nachweist.247 Dittmar meint, „alle wissenschaftlichen Natur forscher ‚von gesunden Sinnen‘“ würden die einheitliche Anthropogenese anerkennen, und nennt etliche Namen. Diese Überzeugung begrenzt sein eigenes Rassedenken. Es könne, schreibt er, „dem Grundwesen nach, nicht von edlen oder unedlen Rassen die Rede sein; sind sie allerdings, hinsichtlich der geistigen Bildung, die einen mehr, die andern weniger begabt und empfänglich, so sind sie doch, der Bestimmung nach, alle gleichmäßig zur Freiheit berechtigt, die ihnen auch das Christenthum nicht nur zuerkennt, sondern auch allein und zugleich am besten bringt“.248

Blumhardt, der eine Hierarchisierung der Rassen ohnehin ablehnt, formuliert die christliche Pointe der Monogenese noch deutlicher. „[W]ie Allen ohne Unterschied das Urtheil Gottes gilt: ‚das Dichten des menschlichen 240

Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. I, 1839, 9. Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, 46. 242 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 21. 243 „Die amerikanische Freiheit“, ChB 8 (1838), (251–254) 253. 244 Zum Streit zwischen „Monogenisten“ und „Polygenisten“ im 18. Jahrhundert vgl. Bitterli, Die „Wilden“, 327–331. Erstere stellten nach Bitterli klar die Mehrheit. 245 „Die amerikanische Freiheit“, ChB 8 (1838), 253. 246 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 20. 247 Wagner, Geschichte der Urwelt, 1845, 244–256. 248 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, 45; 48. 241

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Herzens ist böse von Jugend auf ‘ (1 Mos. 8,21)“, schreibt er, „so erscheinen sie auch Alle gleich fähig der Gnade Gottes in Christo und der Wiedergeburt durch den heiligen Geist.“249 Betrifft der Sündenfall die gemeinsamen Stammeltern und somit alle Rassen gleichermaßen, so befinden sich alle in derselben prekären Situation, aus der nur die Erlösung durch Christus befreit. Neben Kultur und Rasse besitzt die Erweckungsbewegung schließlich noch ein weiteres, wieder genuin theologisches Einteilungskriterium der Weltgeschichte: die spezifische Zugehörigkeit zur Nachkommenschaft Noahs. Noah sagte nach Genesis 9,25–27250 das Schicksal seiner drei Söhne Sem, Ham und Jafet voraus. Wie bereits erwähnt, galt diese Prophezeiung in Kombination mit der Völkertafel in Genesis 10 traditionell als skizzenhafte Vorausschau der Völkergeschichte. Hofmann meint, die Weissagung habe sich erfüllt: „Die Japhetiten sind frei und weit über die Erde gewandert, und haben ein kräftiges und frisches Leben gewonnen. Unter den Semiten ist Erkenntniß Jehova’s geblieben, und ein semitisches Volk hat er sich gewählt, bei ihm zu wohnen. Das Leben der Hamiten […] ist allezeit traurig gewesen, und die Kanaaniter haben sich zu hoffnungsloser Knechtschaft bequemen müssen.“251

Man sieht sich selbst in der Abstammung Jafets, dem in der Weissagung große Ausbreitung und Herrschaft verheißen wird. Die Semiten hält man für einen kleineren, aber heilsgeschichtlich wichtigen Völkerstamm. Aus ihm sei Israel und schließlich der Sohn Gottes hervorgegangen. Dass Jafet nach Noahs Prophetie in Sems Zelten wohnen sollte, bezieht man auf die Einbeziehung von Nichtjuden in das neutestamentliche Bundesvolk, teilweise auch auf den erwarteten Auftrag Israels im Tausendjährigen Reich.252 Sem steht jedenfalls in einem positiven Licht. Antisemitismus ist den Historiographen der Erweckungsbewegung fremd. Am häufigsten jedoch wird der von Noah verfluchte Ham zitiert, in dem man den Stammvater Afrikas sieht. Die Verf luchung Hams bzw. seines Sohnes Kanaan erklärt für viele das geschichtliche Elend des afrikanischen Kontinents. Der Fluch sei an den Hamiten „schrecklich in Erfüllung gegangen: Sem’s und Japhet’s Knechte zu werden“, schreibt Wagner.253 Die Erweckten glauben die Folgen des Fluches einerseits darin zu erkennen, dass die Völker der „heißen Zone in Südasien und in Afrika“ eine unsitt249

Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 21. „[Noah] sagte: Verf lucht sei Kanaan. Der niedrigste Knecht sei er seinen Brüdern. Und weiter sagte er: Gepriesen sei der Herr, der Gott Sems, Kanaan aber sei sein Knecht. Raum schaffe Gott für Jafet. In Sems Zelten wohne er, Kanaan aber sei sein Knecht.“ 251 Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. I, 1839, 10. 252 Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 131–133. 253 Wagner, Geschichte der Urwelt, 1845, 572. 250

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liche Lebensweise ausgebildet und es selten zu Kulturvölkern gebracht hätten, wobei die wenigen Hochkulturen, etwa Karthago, erobert worden seien.254 Andererseits erkennt man den Fluch in der Tatsache, dass „Afrika, der Welttheil der Kinder Hams, […] seit den ältesten Zeiten das Land der Sklaven“ gewesen sei.255 Sieht man in der jahrhundertealten Unterdrückung der afrikanischen Völker somit einen Teil von Gottes Plan, so bedeutet dies keine moralische Legitimation. Vielmehr blickt man mit Abscheu auf das Geschehene und sieht die Europäer in der Pf licht, Afrika „eine große Schuld abzutragen für den unbeschreiblichen Jammer, der seinen Bewohnern auf den östlichen und westlichen Küsten durch den Sklavenhandel zugefügt wurde“.256 „Japhet sucht seine Schuld an Ham almälig wieder gut zu machen“, schreibt Eduard Eyth.257 Die Wiedergutmachung besteht nach Meinung der Erweckten aus einem uneigennützigen Umgang mit den betreffenden Völkern und einer aufopferungsvollen Missionsarbeit. Die christliche Botschaft scheint ihnen das wertvollste Gastgeschenk zu sein, das Europäer bringen können. Für den Christlichen Volksboten birgt der Gedanke an die neuere Missionsbewegung den „große[n] Trost, daß wir Europäer doch nicht allein zum Unglück unserer farbigen Brüder in ihre Länder hineingedrungen sind“.258 Wie sein britisches Pendant, das Evangelical Magazine,259 ist das Basler Magazin überzeugt, dass für die ehemals zur Sklaverei verurteilten „Nachkömmlinge Chams“ bald eine bessere Zeit anbrechen werde.260 Hierfür ist nach Meinung der Erweckten jedoch eine Umkehr der Europäer gefordert. Albert Knapp dichtet das Missionslied „Japhet’s Schuld“, das Europa in seinen 21 Strophen eindringlich sein humanitäres Ver sagen vorhält: „Kannst du mit deinem Gold versöhnen, / Was du gemordet und geraubt?“ Im Stil einer Bußpredigt ruft das Lied dazu auf, die bislang parasitäre in eine dienende Beziehung zu afrikanischen und asiatischen Völkern zu verwandeln. Nachdem Europa vielfältigen Nutzen aus ihnen gezogen und sie nicht selten ausgenutzt habe, sei es an der Zeit, ihnen selbstlos das Evangelium zu bringen: 254

Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. I, 1846, 39 f. Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 129 f. Bräm bietet zusätzlich die unübliche Interpretation, mit Kanaan seien generell Handelsvölker, sofern sie nicht eindeutig christlich ausgerichtet seien, verf lucht worden. 256 „Vorwort“, MGMB 14:2 (1829), 163. 257 Eyth, Ueberblick der Weltgeschichte, 1853, 247. 258 „Doktor William Carey in Indien“, CVB 3 (1835), (77 f; 85 f ) 77. 259 „Missionary Chronicle for January, 1816“, The Evangelical Magazine and Missionary Chronicle 24 (1816), (33–39) 33: „the children of Ham are recovering from the curse, and inherit the blessings of Abraham […].“ 260 „Die Afrikanische Schule von Neu-York und Neu-Jersey“, MGMB 5:2 (1820), (305–309) 163. 255

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„Nicht ist’s zu frühe, daß du bauest, Sohn Japhet’s, deiner Brüder Haus; Ja, wahrlich nicht zu frühe schauest Du segnend in ihr Theil hinaus! Zum Knechte war dir Ham verpfändet, Zu Wohnungen die Hütten Sems: Nun hat dir Ham sein Blut gespendet, Und Sem das Heil Jerusalems.“261

Auch wenn gelegentlich eine leichte Unsicherheit darüber durchscheint, inwieweit die genealogische Beziehung von Ham und Afrika tatsächlich besteht,262 bleibt der Topos der hamitischen Knechtschaft präsent.263 Noch 1875 beschwört ihn Gustav Warnecks einf lussreiche Allgemeine MissionsZeitschrift. Sie provozierte damit einen Gegenartikel in demselben Blatt, der fordert, die Verknüpfung der Versklavung Afrikas mit Genesis 9,25 endlich „aus evangelischen Missionsschriften zu verweisen“. Der Fluch, so der Verfasser, habe ausschließlich Kanaan persönlich gegolten; das hohe Alter der weltgeschichtlichen Ausdeutung der Bibelstelle mache diese Deutung „noch nicht berechtigt“.264 Die im Vormärz entstandene Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung schreibt Noahs Prophetie dagegen weltgeschichtliche Bedeutung zu. Wie die Unterscheidung von „wilden“ und „geschichtlichen“ Völkern und das 5-gliedrige Modell der menschlichen Rassen dient sie ihr dazu, die Weltgeschichte zu strukturieren und mit Sinn zu füllen. Das Verhältnis dieser Einteilungsweisen zueinander wird meist nicht thematisiert. Man rechnet aber offenbar damit, dass sich die Rassen seit den Söhnen Noahs langsam entwickelt und im Laufe der Zeit ausdifferenziert hätten. Semiten und Jafetiten bringt man dabei vor allem mit der kaukasischen, Hamiten mit der äthiopischen Rasse in Verbindung.265 Eine eingehende Systematisierung dieser Distinktionen unterbleibt jedoch. Sie unterbleibt nicht zuletzt aufgrund der Überzeugung der Erweckten, dass das Evangelium die Rassenzugehörigkeit und das noachitische Verdikt, wenn nicht aufgehoben, so doch relativiert habe. In ihrem Gewicht für die Weltgeschichtsdeutung treten sie so hinter dem heilsgeschichtlichen Universalismus des Reiches Gottes zurück. 261

Albert Knapp, „Missions-Lied. Japhet’s Schuld“, MGMB 14:2 (1829), (313–318) 316; 313. Ebd., 313 Fn. erklärt zum besseren Verständnis von Knapps Lied, „bekanntlich“ werde „angenommen“, dass die Nachkommen Sems Asien, die Nachkommen Hams Afrika bevölkert hätten. „Japhet wäre [Konjunktiv!] demnach der Stammvater und Repräsentant der europäische Völker, so wie Ham der Afrikaner.“ 263 Er war auch nicht auf Protestanten beschränkt, sondern wurde beispielsweise 1869/70 auf dem Ersten Vatikanum vertreten (vgl. Klaus Schatz, Kirchengeschichte der Neuzeit II, Düsseldorf 1989, 65). 264 „Noahs Fluch“, Allgemeine Missions-Zeitschrift 2 (1875), 383. 265 Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. I, 1839, 9 f; Wagner, Geschichte der Urwelt, 1845, 576. 262

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2. „Ein Spiegel unserer Herzen“ – Geschichte als Identitätsspenderin Jede Beschäftigung mit Geschichte geschieht im Lichte aktueller Fragestellungen und wirkt identitätsstiftend. „Geschichtsbilder verweisen auf eine damit verbundene kollektive Identität.“1 Diese Aussage gilt für die Historiographie der Erweckten generell. Dennoch gibt es Bereiche der Geschichte, die in das kollektive Gedächtnis der Erweckungsbewegung mehr als andere eingingen und an denen sie ihr Selbstverständnis in besonderer Weise festmacht. Die Behandlung solcher Sujets offenbart, wo man seine Wurzeln sieht, in welche Tradition man sich stellt und gegen wen man sich vorrangig abgrenzt. Wenn der Katholizismus im Vormärz seine Identität „aus seiner ‚eigenen‘ Geschichte heraus“ erneuert,2 so tut die protestantische Erweckungsbewegung dasselbe. Auch sie definiert sich vor einem historischen Hintergrund, aus dem sie ihre Identität ableitet und dessen Darstellung die Spuren aktueller Kontroversen trägt. Gilt den Erweckten die Weltgeschichte als „ein Spiegel unserer Herzen“,3 so lassen sie durch ihre Geschichtsschreibung auch einen Blick ins Herz ihrer Frömmigkeitsbewegung tun. Das folgende Kapitel skizziert die Verarbeitung von Geschichtsepochen und -themen, die für die Identität der Erweckten von besonderer Bedeutung sind. 2.1 Nationalität und Transnationalität Als Wilhelm Giesebrecht 1859 in der ersten Ausgabe der Historischen Zeitschrift Bilanz über die Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnte zog, schien ihm, es sei „das nationale Princip“ gewesen, das ihr den interdisziplinären Durchbruch gebracht habe.4 Die heutige Forschung stuft die Wirkung des nationalen Gedankens nicht geringer ein. Der Traum vom eigenen Nationalstaat gilt als die bedeutendste politische Zukunftsvorstellung, die die europäischen Völker im 19. Jahrhundert beherrschte und ihre Geschichtsbetrachtung bestimmte.5 Dem „umfassenden Prozess der Nationalisierung“, so aktuelle Ergebnisse, konnten sich auch die christlichen Kon1 Rudolf Speth, „Europäische Geschichtsbilder heute“, in: Petra Bock/Edgar Wolfrum (Hg.), Umkämpfte Vergangenheit. Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich, Göttingen 1999, (159–175) 160. 2 Klug, Rückwendung zum Mittelalter, 18. 3 So ein „Freund des Verfassers“ in Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, III. 4 Giesebrecht, Charakteristik der heutigen Geschichtsschreibung, 1859, 11. 5 Vgl. Hölscher, Entdeckung der Zukunft, 73 f.

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Nationalität und Transnationalität

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fessionen nicht entziehen.6 Allerdings sorgte die deutsche Vielstaatlichkeit dafür, dass in den Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes einzelstaatlicher und deutscher Nationalismus nebeneinander existierten: Man war Preuße, Sachse, Bayer, Hesse und zugleich Deutscher.7 Der deutsche Nationalstaat wurde im Vormärz vor allem von Liberalen gefordert, die Konservativen waren weitaus reservierter.8 In der evangelischen Kirche bot daher vor allem der liberalismusfreundliche Rationalismus Anschlussmöglichkeiten für den deutschen Nationalismus.9 Doch auch für die konservativen Teile des Protestantismus avancierte die „Nation“ zu einer wichtigen Größe. Das Themenfeld „Erweckungsbewegung und Nationalismus“ verdient daher eine umfassendere Analyse, als sie hier geleistet werden kann. Hier sollen nur Grundlinien zur Frage nach Nationalität und Transnationalität skizziert werden, soweit sie das Geschichtsbild der Erweckten berühren. Patriotismus entspringt für die Erweckungsbewegung einer natürlichen Regung des Menschen als eines auf Beziehung und Heimat hin angelegten Wesens. „Es hat der einzelne Mensch da sein liebes Vaterland“, meint Gotthilf Heinrich Schubert, „wo viele Menschen leben, die er nachbarlich kennt und herzlich liebt.“10 Vaterlandsliebe entspricht aber auch einer Verpf lichtung, die aus der Zugehörigkeit zu einer durch gemeinsame Abstammung, Geschichte, Sprache, Kultur und politische Herrschaft konstituierten Gemeinschaft resultiert. Sie gilt daher als eine wünschenswerte Eigenschaft, wird in einem Zuge mit weiteren Tugenden genannt11 und auch biblisch untermauert: Friedrich Wilhelm Krummacher meint, bei den alttestamentlichen Propheten begegne Patriotismus „in wahrhaft idealer Erscheinung“, denn sie hätten auch dann noch um ihr Volk gerungen, als ihnen Bitterkeit, Ablehnung und Hass entgegenschlug.12 Nach August Tholuck lässt sich die „Berechtigung der Vaterlandsliebe“ auch neutestamentlich belegen.13 Es ist daher nur folgerichtig zu fordern: „Sey, was 6 Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche, „Einleitung“, in: dies. (Hg.), Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York 2004, (11–23) 12. 7 Vgl. Langewiesche, Föderativer Nationalismus, 217. 8 Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 289; 307; 318; Bernd Schönemann, „Volk, Nation, Nationalismus, Masse“ (VI–XII), GGB, Bd. 7 (1992), (281–380) 354. 9 Vgl. Jörg Echternkamp, „Religiosität und Nationskonzeption. Zum Verhältnis von Theologischem Rationalismus und Liberalnationalismus im Vormärz“, Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 6 (1994), (137–151) 149. 10 Schubert, Geschichte der Seele, 21833, 936. 11 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 94 f; ders., Deutsche Geschichte, 21843, 15 f. 12 Friedrich Wilhelm Krummacher, Elisa, Bd. III, Elberfeld: Hassel 1845, 242. 13 August Tholuck, Kommentar zum Briefe Pauli an die Römer, Halle: Anton 1842, 480 f. Er nennt Apostelgeschichte 17,26 (von Gott bestimmte Zeiten und Wohnsitze) und Römer 9,3 f (Paulus’ Liebe zu seinem Volk).

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

du bist, sey Bürger auch! und wirke treu mit Kopf und Hand, wie du nur kannst, fürs Vaterland.“14 Der Patriotismus der Erweckten bezieht sich zunächst auf ihren Einzelstaat. Ihre Schriften handeln vom württembergischen,15 bayerischen16 oder preußischen17 „Vaterland“. Allerdings tritt gleichberechtigt die gesamtdeutsche Perspektive hinzu. Deutsch zu sein erscheint mit der Loyalität zum Einzelstaat so gut vereinbar, dass Leipoldt in seiner Geschichte der christlichen Kirche „unser liebes preußisches Vaterland“ und nur eine Seite später „unser liebes deutsches Vaterland“ thematisieren kann.18 Wird eine größere – etwa weltgeschichtliche – Perspektive gewählt, so dominiert der „deutsche“ Aspekt. Man freut sich darüber, dass das „liebe Vaterland“ von der französischen Zwingherrschaft befreit wurde,19 und fordert eine gründliche „Kirchengeschichte des deutschen Vaterlandes“.20 Der Süddeutsche Schul-Bote kann der Volksschule sogar die Aufgabe zuweisen, mittels „Geschichte des Vaterlandes“ „deutsches Nationalbewußtsein zu befördern“.21 In der erwecklichen Historiographie variiert allerdings die Nähe zu Positionen der nationalen Bewegung. Hier wurden bereits im Kapitel I.1 Unterschiede deutlich: Braunschweigs europäische Perspektive steht neben Dittmars deutschem Akzent, dem (ursprünglichen) „Danismus“ Grundtvigs und dem württembergischen Blickwinkel einiger Schriften von Völter und Barth. Selbst zwischen engen Weggefährten gibt es in der nationalen Frage Differenzen: J. C. Blumhardt spricht sich gegen, sein Freund Kapff für eine Betonung des Nationalen aus.22 Die Folge sind gelegentlich widerstreitende Geschichtsurteile. Die Wurzeln der Reformation etwa können von Autoren der Evangelischen Kirchen-Zeitung sowohl (deutsch-national) in Arminius, deutscher Mystik und Gotik 23 als auch (frankophil) in Waldenserfrömmigkeit und Gallikanismus verortet werden.24 14

Claus Harms, Sommerpostille oder Predigten an den Sonn- und Festtagen von Ostern bis Advent, Bd. I, Kiel: Hesse 31820, 337. 15 Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 4; Völter, Württemberg, 21847, 185. 16 Mengert, Die ersten christlichen Missionäre, 1844, III. 17 „Erbhuldigung Friedrich Wilhelm IV.“, EKZ 1840, 634. 18 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 193 f. 19 Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, 1833, 139. 20 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 629. 21 „Was hat die christliche Kirche in der Geschichte zu leisten?“, SSB 6 (1842), 52 f. 22 Vgl. Dieter Ising, „Eine ‚Weckstimme durch die Völker‘. Die Revolution von 1848/1849 und die Anfänge der inneren Mission in der Sicht Johann Christoph Blumhardts“, PuN 24 (1998), (286–308) 305. 23 „Über den Fortbau des Cölner Doms. (Nach evangelischer Ansicht.)“, EKZ 1842, 628; 633–635. 24 „Die Camisarden und die Kirchen der Wüsten in Frankreich. (Von einem Idioten.)“, EKZ 1846, (545–549 et al.) 545 f. Nach Meinung von Graf, Spaltung des Protestantismus, 187 lehnen die Autoren der EKZ „mit wenigen Ausnahmen die Nationalstaatsidee der Liberalen [ab]“.

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Nationalität und Transnationalität

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Einig sind sich die Erweckten darin, dass sie die „Nation“ bei aller Wertschätzung nicht absolut setzen wollen. Ludwig Völter rät Volksschullehrern zwar, ihren Schülern deutschen „Nationalsinn“ zu vermitteln: „[B]ilde Deutsche. Ein Volk, das Europäer oder gar Menschen heißt, gibt es nicht.“ In demselben Artikel fordert er jedoch, „nicht bloß Württemberger und Deutsche, sondern vor allem auch Christen“ heranzubilden.25 Das Christentum aber steht über den einzelnen Nationen und lässt, wie Wichern ein Jahr später formuliert, „die politischen Gränzen im Blick auf das ewige Reich Gottes verschwinden“.26 Ein extremer Nationalismus erscheint von daher unmöglich. Neander jedenfalls lehnt ihn ausdrücklich ab, wie seine Kritik an dem spätantiken nichtchristlichen Staatsmann Symmachus zeigt. Der römische Patriot Symmachus habe, meint Neander, in einer Gruppe gefangener Sachsen keine Menschen gesehen. Im Gegensatz dazu sei die „christliche“ Vaterlandsliebe „der Liebe zu Gott, der Liebe zur Menschheit und der allgemeinen christlichen Bruderliebe nothwendig untergeordnet“.27 Oberste Priorität besitzt der Patriotismus also nicht. Dagegen steht schon das allgemeine Liebesgebot. Die Erweckten sehen hier allerdings selten einen Gegensatz. Man meint vielmehr, dem Christentum verleihe sein „im höchsten Grad universeller Charakter eben zugleich die Eigenschaft […], eine recht charakteristische Nationalität zu erzeugen“.28 Nationalismus und Internationalismus gehen Hand in Hand. Die Offenheit für ein gemäßigtes Nationalbewusstsein rührt daher, dass die Erweckungsbewegung trotz der Betonung des individuellen Glaubens Völker nicht für Kunstprodukte, sondern für reale Entitäten hält. In diese Richtung weist bereits die Tatsache, dass sie mit göttlichem Gericht über Völker rechnet, also im diesseitigen Leben auch kollektive, nationale Rechenschaft für möglich hält. Wie die meisten Geschichtsschreiber ihrer Zeit,29 sind die erweckten Historiographen der Auffassung, Völker besäßen einen spezifischen „Nationalcharakter“. „[ J]edes Volk trägt irgend eine der menschlichen Eigenschaften als eigenthümlichen Grundzug in sich“, meint Bräm.30 Auch wenn viele hier vorsichtiger formuliert hätten, ordnet man doch Engländern, Franzosen, Schotten oder Deut25 Völter, „Was hat die christliche Volksschule in den sogenannten Realien zu leisten?“, SSB 6 (1842), 42 f. 26 Wichern, Nachricht über das Gehülfen-Institut, 1843, 19; vgl. Jung-Stilling, Lebensgeschichte, 1835, 439. 27 August Neander, Der heilige Johannes Chrysostomus und die Kirche, besonders des Orients, in dessen Zeitalter, Bd. I, Berlin: Dümmler 21832 (1821), 288 Fn. 1. 28 „Unser Unterrichtswesen im Verhältniß zur Nationalität“, SSB 7 (1843), (79 f ) 79. 29 Vgl. Mayer, Sprachspiele der Revolution, 213–218 (über den Topos des französischen bzw. deutschen Nationalcharakters). 30 Bräm, Blicke in die Weltgeschichte, 1835, 20.

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schen eine bestimmte Mentalität zu.31 Damit ist nicht unbedingt eine Einteilung in Bessere und Schlechtere verbunden, denn Stärken und Schwächen werden gleichermaßen in Anschlag gebracht. Die Deutschen rühmt man zwar für ihre „Biederkeit, Gemüthlichkeit, Frömmigkeit, Wissenschaftlichkeit und Kunstliebe“32 sowie besonders, einen zeitgenössischen Topos aufnehmend,33 für ihre „Treue“.34 Man tadelt aber auch die „deutsche Träumerei“35 und die „Deutsche Art, aus dem Concreten alsbald in’s Abstrakte überzugehen und aus speciellen Fragen allgemeine Bücher zu machen“.36 Dass man den Nationalcharakter eines Volkes im Prinzip als wertneutral ansieht, zeigt sich etwa darin, dass Leo – vielleicht weniger schmeichelhaft als beabsichtigt – von dem „übrigens auch im guten Sinne [!] so leicht electrisirbare[n], kräftig erregbare[n] französische[n] Volk“ spricht.37 Stärken und Schwächen haben also jeweils ihre Kehrseite. Obwohl vor einer Überbewertung des Faktors „Nationalcharakter“ auch gewarnt wird,38 hat das Konzept doch Einf luss auf das Geschichtsdenken der Erweckten. Dies zeigt sich in der Behandlung der Germanen, in denen man zeittypisch 39 die eigenen „Voreltern“40 sieht. Von den drei Haupttendenzen, die Ingo Wiwjorra im Germanendiskurs des 19. Jahrhunderts ausmacht – Auftakt germanisch-deutscher Geschichte mit den Zügen der Kimbern und Teutonen, Stilisierung des Arminius zum Nationalhelden und idea31 „Vergleichung der Engländer und Schotten“, ChB 15 (1845), 219–223; „Richtungen und Bedürfnisse dreier Nationen in Beziehung auf das Evangelium“, CVB 3 (1835), 33 f. 32 „Um welchen Preis soll Deutschland ein politisch gebildetes Volk werden?“, ChB 18 (1848), (179–181) 181. 33 Nach Nikolaus Buschmann, „Die Erfindung der Deutschen Treue. Von der semantischen Innovation zur Gefolgschaftsideologie“, in: ders./Karl Borromäus Murr (Hg.), Treue. Politische Loyalität und militärische Gefolgschaft in der Moderne, Göttingen 2008, 75– 109 war der auf Tacitus rekurrierende Begriff der „deutschen Treue“ schon in der frühen Neuzeit gebräuchlich, gewann jedoch im Zuge des um 1800 einsetzenden Nationalisierungsprozesses für Geisteswissenschaften und populäre Geschichtsschreibung zusätzlich an Bedeutung. 34 Wichern, Innere Mission, 1849, 271 nennt sie „unseres Volkes Schmuck unter allen Völkern bis heute“. 35 „Welche Zeit ist’s in der Kirche? (Anfang März.)“, ZPK 15 N. F. (1848), (312–325) 325. 36 „Über das Verhältniß der Kirche zum Staate“, EKZ 1840, (444–448) 445. Tholuck, Abriß einer Geschichte der Umwälzung, 1839, 1 bescheinigt den Deutschen eine „vorzugsweise […] theoretische Richtung“. 37 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 300. 38 Stahl, „Der christliche Staat“, EKZ 1847, 683. 39 Vgl. Ingo Wiwjorra, „Germanenmythos und Vorgeschichtsforschung im 19. Jahrhundert“, in: Michael Geyer/Hartmut Lehmann (Hg.), Religion und Nation – Nation und Religion. Beiträge zu einer unbewältigten Geschichte, Göttingen 2004, (367–385) 371. 40 Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 236.

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lisierende Interpretation der Germania des Tacitus41 – ist die dritte für die Erweckungsbewegung am bedeutendsten. Der „Tacitismus“ führte dazu, dass in der ersten Jahrhunderthälfte in Deutschland immerhin 36 Germania-Ausgaben erschienen und die Tacitusschrift in nahezu allen Lehrplänen Berücksichtigung fand.42 Die erweckten Geschichtsschreiber partizipieren an dieser Tacituswelle. Bötticher stellt zwar eine Ausnahme dar, wenn er in Tacitus den „vollendetsten Römer“, „größesten aller Geschichtschreiber“ und „tiefsten Kenner des deutschen Volkscharacters“ verehrt und ein zweibändiges Werk über „das Christliche im Tacitus“ verfasst.43 So weit würden nur wenige gehen. Doch die meisten Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung schätzen die Germania und stützen auf sie ihr Germanenbild. Grundtvigs Zweifel an ihrem Quellenwert – die Bücher des Tacitus hätten „wohl Werth für die Geschichte, aber nicht als Geschichte“44 – bleiben Ausnahme. Die direkte oder indirekte Tacitusrezeption führt die Erweckungsbewegung zu einer vergleichsweise positiven, gelegentlich auch romantisierenden Beurteilung der heidnischen Germanen. Nach Dittmar zeichneten sich die „alten Deutschen“ „[d]en natürlichen Anlagen nach […] vor allen andern Völkern vortheilhaft aus, und zwar körperlich: durch sehr weiße Haut, goldgelbe Haare, blaue Augen, ungewöhnliche Größe (meist von sieben Fuß), gewaltige Kraft, trotzige Haltung; geistig durch unbändigen Muth, unbezwingliche Tapferkeit, unvertilgbaren Freiheitssinn, große Vaterlandsliebe, ernste Gottesfurcht, keusche Zucht, Achtung gegen die Frauen, Gastfreundschaft, Treue und Redlichkeit, – so daß, wie Tacitus sagt, bei ihnen gute Sitten mehr vermochten, als anderswo gute Gesetze. Zu ihren schlimmen Neigungen gehörten Trunkliebe und Spielsucht.“45

Andere Autoren berichten weniger überschwänglich und teilen auch Dittmars milde Sicht der germanischen Religion46 nicht. „Die Tugenden der Tapferkeit, Keuschheit und Treue, welche man an unsern Vorfahren lobt“, meint Steger, 41

Wiwjorra, Germanenmythos, 372 f. Vgl. Gerhard Binder, „Vom Schicksal einer Schicksalsschrift der Deutschen im 19. Jahrhundert. Zur Germania des Tacitus“, in: Manfred Jakubowski-Tiessen (Hg.), Religion zwischen Kunst und Politik. Aspekte der Säkularisierung im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004, (26–47) 37; 41; 42 f. 43 Wilhelm Bötticher, Prophetische Stimmen aus Rom, oder das Christliche im Tacitus und der typisch prophetische Charakter seiner Werke in Beziehung auf Rom’s Verhältniß zu Deutschland. Ein Beitrag zur Philosophie der Geschichte und zur tieferen Würdigung des römischen Geschichtschreibers, 2 Bd., Hamburg/Gotha: Perthes 1840. Zitate: Bd. I, 1840, XXXVI; 3; 10. 44 Grundtvig, Uebersicht der Welt-Chronik, 1837, 47. 45 Dittmar, Deutsche Geschichte, 21843, 15 f. 46 Ebd., 16–18. 42

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„wurden gar sehr verdunkelt durch viele im Schwange gehende Laster, besonders der Trunksucht, der Spielsucht und des Müßigganges. […] Ihr Gottesdienst war ein schauerlicher, mit finsterm Aberglauben, ja mit Menschenopfern verbundener Götzendienst.“47

Man nimmt also die von Tacitus beschriebenen Laster der Germanen ernst, hebt aber noch häufiger ihre Tugenden hervor.48 In diesen sieht man eine stille Mahnung an die eigene Zeit.49 Insofern liegt der Gedanke nahe, die Germanen hätten eine besondere Anlage für das Christentum besessen. Diese ebenfalls zeittypische50 Vermutung taucht auch mitunter auf. Die Germanen wurden, formuliert die Evangelische Kirchen-Zeitung, „wie […] schon aus ihrem Heidenthume sich Züge nachweisen lassen, von der Vorsehung dem Christenthume von innen und außen entgegengesandt“.51 In den meisten Fällen urteilen die Erweckten jedoch anders. Sie betonen entweder, die Germanen seien im Gegensatz zu den Römern „ein noch ganz roher Völkerstamm“ gewesen 52 – ein unbeschriebenes Blatt – und hätten dem Christentum daher „einen frischeren, unverdorbeneren Boden“ geboten.53 In diesem Fall wäre die germanische Kultur weniger durch ihre Christlichkeit als durch ihre jugendliche Formbarkeit christlich anschlussfähig gewesen. Oder sie widersprechen dieser Vorstellung gänzlich mit dem Hinweis, auch die Germanen seien „ein altes Geschlecht“ mit einer morschen Kultur gewesen.54 Die Christianisierung hätte diese Kultur nicht bestätigt, sondern vielmehr vor dem Untergang bewahrt.55 Diese Position vertreten Autoren, die verstärkt auf die Laster der Germanen blicken. Die heidnischen Germanen erscheinen den Erweckten somit selten als Protochristen. Dennoch: Das Germanenbild der Erweckungsbewegung ist für ein unzivilisiertes, heid47

Steger, Die protestantischen Missionen, 1838, 6. Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 237–239; Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. II, 1839, 46; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 96. 49 „Rückblicke auf die heidnisch-römische und germanische Vorzeit nach Tacitus Schilderung in Beziehung auf die jetzigen Mißbräuche der Presse im Dienste des Zeitgeistes“, ZPK 7 N. F. (1844), 133–144, bes. 136. 50 Vgl. Wolfgang Altgeld, Katholizismus, Protestantismus, Judentum. Über religiös begründete Gegensätze und nationalreligiöse Ideen in der Geschichte des deutschen Nationalismus, Mainz 1992, 173 f. 51 „Über den Fortbau des Cölner Doms. (Nach evangelischer Ansicht.)“, EKZ 1842, (625–629 et al.) 628. 52 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. III, 1834, 1 f. 53 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 176. 54 Heinrich Leo, „Das Christenthum und das Deutsche Volk“, EKZ 1847, (489–497 et al.) 489; 492. 55 Ebd., 496 f; Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 239. 48

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nisches Volk erstaunlich hell, hier fordert der nationalgeschichtliche Zeitgeist seinen Tribut. Die Forschung der letzten Jahre hat sich national und international verstärkt mit der Denkfigur des Chosen People beschäftigt: der Über tragung des alttestamentlichen Konzeptes vom „auserwählten Volk“ auf die eigene Nation. Die Denkfigur scheint einen wichtigen Faktor in der Genese des modernen Nationalismus darzustellen.56 Hartmut Lehmann hat sich mehrfach mit der Bedeutung des Motivs im Protestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts befasst.57 Er hält es für einf lussreich, datiert seine eigentliche Bedeutung jedoch erst auf die Jahre zwischen 1848 und 1914 mit einem Höhepunkt 1870/71.58 In der Geschichtsliteratur der vormärzlichen Erweckungsbewegung taucht der Gedanke, Deutschland sei das neue Volk Gottes, in der Tat nicht auf. Am nächsten kommt ihm das eigenwillige Werk Braunschweigs, in dem zwar nicht Deutschland, aber das christliche Europa als „neues Bundesvolk“ und „Priestervolk der Erde“ bezeichnet wird.59 Braunschweig folgt hier seinem eigenen weltgeschichtlichen Analogieschema. Sonst sind sich die Erweckten jedoch darin einig, dass Gott im Neuen Bund „kein Volk so ausschließlich erwählt und begnadigt [hat], wie den Samen Abrahams im Alten“. 60 Bündnistheologische Illusio56 Vgl. Hartmut Lehmann/William R. Hutchison (Hg.), Many Are Chosen: Divine Election and Western Nationalism, Minneapolis, MN 1994; Hedda Gramley, Propheten des deutschen Nationalismus. Theologen, Historiker und Nationalökonomen 1848– 1880, Frankfurt a. M./New York 2001, 84; Anthony D. Smith, Chosen Peoples, New York 2003; Michael Geyer, „Religion und Nation – Eine unbewältigte Geschichte. Eine einführende Betrachtung“, in: ders./Lehmann (Hg.), Religion und Nation – Nation und Religion. Beiträge zu einer unbewältigten Geschichte, Göttingen 2004, (11–32) 26; Michael Hochgeschwender, „Religion, nationale Mythologie und nationale Identität. Zu den methodischen und inhaltlichen Debatten in der amerikanischen ‚New Religious History‘“, Historisches Jahrbuch 124 (2004), (435–520) 475; Graf, Wiederkehr der Götter, 129 f. 57 Hartmut Lehmann, „Pietism and Nationalism: The Relationship between Protestant Revivalism and National Renewal in Nineteenth-Century Germany“, Church History 51 (1982), 39–53; ders., „The Germans as a Chosen People: Old Testament Themes in German Nationalism“, German Studies Review 14 (1991), 261–273; ders., „‚God Our Old Ally‘: The Chosen People Theme in Late Nineteenth- and Early Twentieth-Century German Nationalism“, in: Many Are Chosen, 85–107; ders., Zwei gelobte Länder. 58 Lehmann, God Our Old Ally, 86 f. Lehmann, Germans as a Chosen People, 264–269 entwickelt ein Modell von zweimal vier Phasen zwischen 1815 und 1945, in denen der Mythos vom auserwählten (deutschen) Volk zuerst stufenweise entwickelt und dann pervertiert worden sei. Für eine kritische Beurteilung von Lehmanns These vgl. Dieter Langewiesche, „Nation und Religion in Europa“, in: ders., Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008, (68–92) 72 f. Zu Lehmanns These, Christian Gottlob Barths Geschichte von Württemberg sehe Württemberg als „das Volk eines neuen Bundes“, vgl. unter I.1.2. 59 Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte, 1833, 445. 60 „Des Schweizerlandes hohe Bestimmung“, CVB 1 (1833), (2–5) 3. Der Satz steht interessanterweise in einem Artikel, der ungewöhnlich theokratische Vorstellungen für die Schweiz propagiert.

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nen will man sich keine machen: „Gott hat Europa, er hat der deutschen Nation weder ein Privilegium, noch eine ewige Verheißung gegeben.“61 Wenn es für die Erweckten ein irdisches Bundesvolk gibt, dann kommt dieser Rang am ehesten Israel zu. Hofmann schreibt über die Herrschaftsweise Christi: „In seinem Reiche ist Gleichheit aller Völker, denn sie sind alle in einer Gemeinde gleichberechtigter Söhne Gottes zusammengefaßt. [… U]nd wenn es eines Volkes bedarf, um Jesu Zukunft in der Herrlichkeit vorzubereiten, wie einst seine Zukunft in der Niedrigkeit, so ist das jüdische noch immer das hiezu berufene.“62

Die heilsgeschichtliche Geschichtskonzeption der Erweckungsbewegung steht dem Gedanken, Gott könnte das eigene Volk zu seinem neuen Bundesvolk erwählt haben, diametral entgegen.63 Damit ist jedoch noch keineswegs ausgeschlossen, dass die Erweckten bestimmten Völkern eine besondere Sendung zusprechen oder auch alttestamentliche Grundsätze, etwa den Tun-Ergehens-Zusammenhang, auf ihr eigenes oder andere Völker anwenden. Ohne den christlichen Universalismus aufzubrechen, was der Erweckungsbewegung schon aus weltmissionarischen Gründen unmöglich ist, glaubt sie an die Erwählung von Nationen in einem schwächeren Sinne: einer Art providentieller Aufgabenverteilung innerhalb der Welt-, Kirchen- und Missionsgeschichte. Die Erweckten gehen hier induktiv vor: Man folgert aus der herausgehobenen politischen oder missionsgeschichtlichen Bedeutung eines Volkes, dass dieses einen besonderen Auftrag empfangen haben müsse. Die Autoren können in diesem Zusammenhang durchaus Präferenzen äußern und, wenn auch nicht den Wert eines Volkes, so doch dessen sozialen und religiösen Zustand sehr unterschiedlich beurteilen. Innerhalb Deutschlands genießt Preußen als „Schildhalter der Reformation in deutschen Landen“ besonderes Ansehen.64 Dies liegt neben der Stärke des evangelischen Territorialstaates auch an der Frömmigkeit vieler seiner Herrscher bis ins 19. Jahrhundert hinein. Leipoldt weist darauf hin, dass der preußische König sich jüngst in Norditalien für die verbliebenen Waldenser eingesetzt habe, und fügt hinzu, die dankbaren Gemeinden beteten nun sonntäglich um Segen für „den König von Preußen […] und sein mildthätiges Volk“.65 Besonders der seit 1840 regierende Friedrich Wilhelm IV. gilt auch einem Nichtpreußen wie Dittmar als „thätiger Förderer 61

„Welche Zeit ist’s in der Kirche? (Anfang März.)“, ZPK 15 N. F. (1848), 313. Hofmann, Weissagung und Erfüllung, Bd. I, 1841, 36 f. 63 Vgl. auch die Aussage von Koch, Europa, Rom und der Kaiser, 161 v. a. über Hengstenberg, Hofmann und Kliefoth: „Einer Verklärung des zeitgenössischen Nationalismus wehrt auch die Wiederaufnahme eschatologischer Erwartung bei diesen Theologen.“ 64 Theses CI. Zur Reformations-Feier in Nord-Deutschland, Basel: Spittler 1840, 20. 65 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 21838, 126 f. 62

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und Beschützer“ der religiösen Interessen des protestantischen Deutschland.66 Mehrere Autoren, etwa Heinrich Leo, behandeln die preußische Geschichte mit Interesse und einer gewissen Sympathie. Die Krone unter den deutschen Ländern trägt für die Erweckten jedoch nicht Preußen, sondern Württemberg. Grund hierfür ist ihr Kernanliegen: Wird das evangelische Königreich machtpolitisch von dem großen Bruder im Norden weit übertroffen, so stellt es diesen an erwecklichem Geist und karitativem Engagement in den Schatten.67 Das Land, in dem nur der sechzigste Teil der weltweiten Protestanten lebe, so bemerkt man, stelle zehn Prozent aller evangelischen Missionare68 und unterhalte nicht weniger als 22 private „Rettungsanstalten“ für verwahrloste Kinder.69 Für Württemberger wie Barth und Völter ist ihr Vaterland aus diesem Grund und wegen seiner übrigen Qualitäten einzigartig.70 Doch auch Nichtwürttemberger sprechen vom „gesegneten Schwabenlande“,71 nennen es „das gesegnetste Land von Europa in Beziehung auf christlichen Sinn und christliche Erkenntniß“72 oder weisen auf seine christliche Vergangenheit hin.73 In seiner Schrift gegen Strauß, den Skandaltheologen aus Württemberg, unterstreicht der Preuße Tholuck seine Hochachtung gegenüber „dem Lande, wo sich einst um Albrecht Bengel eine durch theologische Tiefe, Gelehrsamkeit und Mäßigung ausgezeichnete Schule sammelte, welche bis auf diese Tage Früchte trägt, dem Lande, welches in diesem Augenblicke auf seinen theologischen Kathedern, im Regiment der Kirche und auf den Kanzeln eine so große Anzahl frommer und gelehrter Diener der Kirche besitzt, wie verhältnißmäßig vielleicht kein anderer Theil unseres deutschen Vaterlandes“.74

Tholucks Begründung seiner Wertschätzung ist typisch. Im Gegensatz zu Preußen beruht die Sonderstellung Württembergs im Geschichtsbild der Erweckten ganz auf seiner Frömmigkeit. 66 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. IV.2, 1856, 1137. Diese Einschätzung sah vor 1848 nicht anders aus. 67 Vgl. Karl Rennstich, „Mission – Geschichte der protestantischen Mission in Deutschland“, in: Gäbler (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 3, Göttingen 2000, (308–319) 311. Noch 1906 nennt Ludwig Tiesmeyer, Die Erweckungsbewegung in Deutschland während des XIX. Jahrhunderts, 7. Heft, Kassel 1906, 19 Württemberg mit Bezug auf Geschichte und Gegenwart „ein Juwel im Deutschen Reich“. 68 Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 3. 69 „Zur Sache der innern Mission“, ZPK 14 N. F. (1847), (249–255) 250 f. 70 Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 4; Völter, Geographische Beschreibung von Württemberg, 1836, 106. 71 „Zur Sache der innern Mission“, ZPK 14 N. F. (1847), (249–255) 252. 72 „Aus den Mittheilungen eines Reisenden“, EKZ 1829, 110. 73 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 892 Fn. 284. 74 Tholuck, Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte, 21838, V.

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Auch auf europäischer Ebene favorisiert die Erweckungsbewegung zwei Nationen. Auf der einen Seite steht das „sich als erste Continentalmacht wiedergebährende“ Deutschland.75 Zumindest die deutsche Geschichte des Mittelalters und der Reformationszeit wird als maßgebend betrachtet. Die Reformation sei „ein Erzeugniß deutschen Geistes“,76 umgekehrt sei Deutschland „durch die Reformation der Heerd der Geistesbildung für die ganze Erde“ geworden.77 Das deutsche Volk habe seit vierzehn Jahrhunderten christliche Glaubens- und Wahrheitszeugen zu seinen Literaten gezählt.78 Sein Nationalcharakter sei vom Geist des Christentums geprägt worden79 und rage auch durch Talente und Eigenschaften hervor.80 Der taciteische Germanendiskurs fördert diese Einschätzung und unterfüttert sie mit einem archaischen Begründungsnarrativ. Eine mindestens ebenso positive Bedeutung wie dem deutschen Volk wird jedoch dem „stammverwandten“,81 ebenfalls germanischen England zugesprochen. Dafür gibt es vornehmlich zwei Gründe. Erstens hat die Erweckungsbewegung nicht vergessen, dass die frühmittelalterliche Christianisierung Europas Entscheidendes den angelsächsischen Missionaren verdankt. England sei zu jener Zeit „ein hell leuchtender Punkt“, die Engländer seien „in Gottes Hand die Werkzeuge zur Bekehrung unserer Väter“ gewesen, schreibt Leipoldt.82 Kann man sich den Iren wegen der frühmittelalterlichen Iro-schottischen Mission besonders verpf lichtet fühlen,83 so gilt dasselbe für die Engländer, denen man hoch anrechnet, den „im wilden Heidenthume lebenden Vätern“ das Evangelium gebracht zu haben.84 Der zweite – und weitaus wichtigere – Grund für die Wertschätzung Englands ist die allgemeine Überzeugung, dass die maßgeblichen Anstöße zur Inneren und Äußeren Mission seit Ende des 18. Jahrhunderts aus England kamen. Noch 1849 bezeichnet Wicherns berühmte Denkschrift zur Inneren Mission England als das „unerreichte Vorbild in allen evangelischen Ländern“.85 London gilt als „Hauptstadt der europäischen und namentlich 75

Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 338 f. Klumpp, Das evangelische Missionswesen, 21844, 13. 77 Theses CI. Zur Reformations-Feier in Nord-Deutschland, 1840, 18. 78 „Vorlesungen über die Geschichte der Deutschen Nationalliteratur von Dr. A. F. C. Vilmar, Direktor u.s.w.“, EKZ 1846, (801–806 et al.) 805 f. 79 „Die Kirche und die deutsche poetische Literatur seit der Reformation. Eine aphoristische Skizze. Erster Artikel“, ZPK 3 N. F. (1842), (35–58) 43 f. 80 Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 4; Klumpp, Das evangelische Missionswesen, 21844, 13–15. 81 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 339. 82 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 95. 83 „Irland“, SSB 8 (1844), (173 f ) 173. 84 So August Neander in einem Aufruf von 1823, der die Gründung der Berliner Mission vorbereitete. Zitiert in Raupp (Hg.), Mission in Quellentexten, 251. 85 Wichern, Innere Mission, 1849, 23. 76

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der evangelischen Christenheit“,86 England als deren „Leuchtthurm, der fest und f lammend mitten im Meere steht“.87 Man wünscht, die deutsche Kirchengeschichte der letzten hundert Jahre sei wie die englische verlaufen.88 Die Hegemonie des britischen Weltreiches89 deuten die Erweckten als göttlichen Auftrag für England, in der Weltmission die Federführung zu übernehmen.90 Ganz anders sieht das Frankreichbild der Erweckungsbewegung aus. Bei der Analyse der Allgemeinen Weltgeschichte wurde deutlich, dass Barth dem linksrheinischen Nachbarn mit Blick auf Absolutismus und Protestantenverfolgungen im 17., Radikalauf klärung und Revolution im 18. und napoleonische Expansion im frühen 19. Jahrhundert reserviert gegenübersteht, wenn er auch Ausschnitte der französischen Geschichte positiv bewerten kann. Dieses Bild zeigt sich – vor und nach der Rheinkrise um 1840, die viele deutsche Frankreichsympathien erstickte 91 – im gesamten untersuchten Textkorpus. Obwohl Raumer schreibt, gegen Frankreich hätten „wir Deutsche wahrlich keinen Haß mehr“,92 finden sich auch bei den Erweckten Stellen, die hieran Zweifel auf kommen lassen. So will man sich vor dem „verpestenden, leichtfertigen und oberf lächlichen französischen Geist“93 schützen und fürchtet den „unverschämten französischen Hochmuth“.94 Im Gegensatz zu London ist Paris negativ konnotiert.95 Für Leo bilden Frankreich und Deutschland wegen der weit stärkeren Kirchlichkeit Deutschlands „nicht bloß entgegengesetzte, sondern innerlich feindlich auf einander wirkende […] Völkerpersönlichkeiten“.96 Man kann sogar fordern, „alles Wälsche“ zu hassen.97 Eyths Zukunftsvision, 86

Schmidt, Sieg des Christenthums, 1845, 209. „Gute Botschaft aus England“, CVB 4 (1836), (247–249) 247. 88 „Litterarische Anzeige“, EKZ 1830, (315–317) 316 f. Als vorbildlich wird neben der jüngeren Kirchengeschichte Englands auch die der USA genannt. 89 Vgl. etwa Winfried Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung. Internationale Beziehungen 1830–1878, Paderborn et al. 1999, 167: „Das 19. Jahrhundert war auf der internationalen Ebene tatsächlich das englische Jahrhundert.“ 90 Hess, Das Vorsehungsvolle der immer weitern Bibelverbreitung, 1817, 120; 125; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 339; Völter, „Literarischer Bericht: Weltgeschichte“, SSB 9 (1845), 135; „Literarischer Bericht: Real-Lesebuch“, SSB 10 (1846), (196 f ) 197; Theses CI. Zur Reformations-Feier in Nord-Deutschland, 1840, 19; Gaussen, Die Juden, 21843, 31. 91 Vgl. Heinz-Otto Sieburg, Deutschland und Frankreich in der Geschichtsschreibung des neunzehnten Jahrhunderts, Wiesbaden 1954, 279. 92 Raumer, Napoleon und Deutschland, 1840, 19. 93 Völter, Geographische Beschreibung von Württemberg, 1836, 213. 94 Sixt Carl Kapff, „Der Saint-Simonismus in Frankreich“, TZTh 1832:1, (3–93) 26. 95 Ebd.; Krummacher, Abschieds-Predigt, 21847, 15. Vgl. auch Hartmut Lehmann, „Der Pietismus“, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 2, München 2001, (571–584) 579. 96 Leo, „Das Christenthum und das Deutsche Volk“, EKZ 1847, 497. 97 „Ueber den Unterricht in der christlichen Kirchengeschichte“, SSB 9 (1845), 195. 87

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Germanen, Romanen und Slawen möchten sich „allmälig in einer Einheit zusammenfinden“,98 stellt angesichts solcher Aussagen eine deutliche Minderheitenposition dar. Gegen ihre grundsätzliche Überzeugung vom wertneutralen „Nationalcharakter“ gleitet die Erweckungsbewegung also teilweise in Frankophobie ab. Diese ist in unterschiedlichen Kontexten spürbar und verzerrt die historische Wahrnehmung. Zu einer echten Franzosenfeindschaft kommt es gleichwohl nicht. Was die Erweckungsbewegung davor zurückhält, ist ihr internationales christliches Engagement, das nationalen Feindseligkeiten notwendigerweise entgegenwirkt. Der Süddeutsche Schul-Bote etwa interessiert sich für soziale Belange wie Kinderarmut und Schulbildung in Frankreich und diagnostiziert hier katastrophale Missstände,99 zeigt aber auch herausragende Leistungen an.100 Das Missionsengagement französischer Erweckter erscheint mitunter als Vorbild für die Deutschen101 und stellt dabei auch bestehende antifranzösische Vorurteile, die man nicht leugnet, in Frage. Der Christen-Bote notiert erstaunt: „Es scheint, beide Völker haben in dieser Angelegenheit ihren Charakter ausgetauscht. Sonst war man gewohnt, an dem der Franzosen Oberf lächlichkeit und eitle Windmacherei zu tadeln, und ihr die deutsche Gründlichkeit, Ehrlichkeit und Anspruchslosigkeit entgegenzustellen, und nur etwa über die linkische Unbehilf lichkeit und steife Geschmacklosigkeit der Deutschen zu klagen; aber vergleichen wir das Treiben der Deutsch-Katholiken mit der Evangelisation Frankreichs, wie sie gegenwärtig von den [Evangelischen] Gesellschaften zu Paris, Brüssel und Genf behandelt wird, so sind wir genöthigt, ein ganz anderes Urtheil zu fällen.“102

Negativstereotype lassen sich also, wenn auch mit Mühe, durch Erfahrung revidieren. Bezeichnend für die Haltung zu Frankreich ist ein Artikel der Evangelischen Kirchen-Zeitung vom Juli 1831, der sich an die Herausgeber der Archives du christianisme au dix-neuvième siècle wendet. Das Pariser Blatt hatte die Julirevolution von 1830 wegen der neugewonnenen Freiheiten der Protestanten enthusiastisch begrüßt.103 Der EKZ-Aufsatz warnt die „theu98

Eyth, Ueberblick der Weltgeschichte, 1853, 248 f. „Frankreich“, SSB 2 (1837/38), 19 f; „Frankreich“, SSB 7 (1843), 135 f. 100 „Frankreich“, SSB 4 (1840), 97 f; „Das Schulwesen von Paris“, SSB 11 (1847), 166 f. 101 „Was thut Frankreich für die Missionen?“, MissBer 1840, 127–129. 102 „Vergleichung der Evangelisation in Frankreich und in Deutschland“, ChB 15 (1845), (499–502) 499 f. 103 „Post-scriptum sur les événements de juillet 1830“, Archives 13 (1830), 383 f; „De notre situation actuelle“, Archives 13 (1830), (385–388) 385; „Du Christianisme considéré comme élément de la civilisation, et des devoirs des Chrétiens dans la situation actuelle“, Archives 14 (1831), (1–17) 5. 99

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ren Protestantischen Brüder in Paris“ eindringlich vor diesem „Bündniß mit dem Zeitgeiste“: Der Katholizismus stehe dem evangelischen Glauben weitaus näher als die religiöse Indifferenz der Revolutionäre, überdies sei die Lehre von dem göttlichen Recht der Obrigkeit nicht katholisch, sondern schlichtweg biblisch. Die gravierende politische Differenz hindert den Verfasser jedoch nicht, den französischen Protestanten in ihrem evangelischen Zeugnis für ihr „finsteres Vaterland“ volle Solidarität zuzusichern.104 Die „weltweite Bruderschaft von Erweckung, Réveil und Awakening“ (Gäbler)105 verhindert somit eine Eskalation des eher negativen Frankreichbildes der Erweckungsbewegung.106 Diese „‚Internationale‘ der Reichgottesarbeiter“, die nach Hartmut Lehmann zwischen 1840 und 1860 ihren größten Zusammenhalt besaß,107 wird in der gegenwärtigen Forschung zunehmend beachtet.108 Dabei erscheint das „Bemühen um eine transnationale Kommunikation“,109 das auf publizistischer wie persönlicher Ebene stattfand, als eine besondere Stärke der Erweckungsbewegung. Ulrich Gäbler hebt die Konkretisierung internationaler Verbundenheit in einer Zeit des wachsenden Nationalismus hervor und nennt beispielhaft eine Deutschlandreise des französischen Erweckungspredigers Adolphe Monod, der unter anderem Tholuck, 104 „Das Evangelium und der Zeitgeist in Frankreich“, EKZ 1831, (433–446) 439; 435 f; 441; 433; 442. 105 Gäbler, Erweckung, 25. 106 Interessant ist umgekehrt das Bild der deutschen Theologie, das sich in Rezensionen der Archives ausspricht. Sie gilt dort als international federführend und nicht aufzuhalten (Archives 4 IIe série [1836], 12; Archives 5 IIe série [1837], 116 f ). Einerseits lobt man gläubige deutsche Theologen wie Guerike, Neander und Tholuck und fordert weitere Übersetzungen ihrer Werke (Archives 12 [1829], 73; Archives 13 [1830], 109–120; Archives 14 [1831], 12 f Fn.). Andererseits fürchtet man jedoch den „rationalisme allemand“, der mit Semler begonnen habe und noch fortwirke (Archives 11 IIe série [1843], 201). Selbst konservative Autoren wie Neander seien von den kritischen Ansätzen beeinf lusst und würden in ihrer deutschen Heimat vielleicht zum Glauben, bei französischen Christen jedoch eher zum Zweifeln anregen (Archives 4 IIe série [1836], 97 f ). Das Motiv des „deutschen Rationalismus“ bei französischen Erweckten kontrastiert auffallend mit dem des „französischen Unglaubens“ in der Erweckungsbewegung. Zielpunkt der Kritik sind in beiden Fällen die Erben der philosophisch-theologischen Auf klärung. 107 Hartmut Lehmann, „Aufgaben der Pietismusforschung im 21. Jahrhundert“, in: Udo Sträter (Hg.), Interdisziplinäre Pietismusforschungen, Tübingen 2005, (3–18) 13. 108 Vgl. Graf, Erweckung, 1490; Brecht, Pietismus und Erweckungsbewegung, 41; Lehmann, Neue Lage, 26; ders., Charakterisierung der entschiedenen Christen, 18. Einschlägige Forschungsarbeiten aus jüngster Zeit sind etwa Nicholas M. Railton, No North Sea: The Anglo-German Evangelical Network in the Middle of the Nineteenth Century, Leiden/Boston/Köln 2000; ders., Transnational Evangelicalism: The Case of Friedrich Bialloblotzky (1799–1869), Göttingen 2002; Gisela Mettele, „Eine ‚Imagined Community‘ jenseits der Nation. Die Herrnhuter Brüdergemeine als transnationale Gemeinschaft“, GG 32 (2006), 45–68; dies., Weltbürgertum. 109 Graf, Spaltung des Protestantismus, 187.

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Hengstenberg und Neander aufsuchte und bei ihnen englische und amerikanische Erweckte traf.110 Die Londoner Gründungskonferenz der Evangelischen Allianz von 1846, an der von den besprochenen deutschen Geschichtsautoren Barth, Tholuck und Hoffmann teilnahmen,111 kommentiert der Christen-Bote mit der rhetorischen Frage: „[S]ollen wir denn unsern Blick durch die engen Schranken unserer Kirche und unseres Landes begrenzen lassen, sollen wir nicht darüber hinaus auch auf diejenigen sehen, die in England, Frankreich und Amerika mit uns denselben Glauben haben?“112

In diesem Sinne berichtet die erweckliche Presse von Erweckungen anderer Länder und bezieht für sie Stellung.113 Mitunter druckt man Artikel ausländischer Periodika oder gibt eigene Artikel an ausländische Zeitschriften weiter.114 Gisela Mettele spricht für die von Herrnhut aus weltweit organisierte Brüdergemeine sogar von einer „gewissermaßen auf über nationaler Ebene [… entstandenen] ‚imagined community‘“ mit einem „globalen kulturellen Gedächtnis“.115 Teilweise sehen die Erweckten selbst die historische Bedeutung dieser Entwicklung. Leipoldt resümiert gegen Ende seiner Kirchengeschichte: „[D]ie Christen verschiedener Länder und Welttheile sind einander näher gekommen durch häufige Reisen, durch Briefwechsel und durch Vereinigung zu den ge110 Gäbler, Auferstehungszeit, 167. Andere Beispiele internationaler Vernetzung sind die Zusammenarbeit der Missionsgesellschaften, die britischen Spenden für die Bibelverbreitung in Deutschland und Schlüsselfiguren wie die englische Gefängnisreformerin Elizabeth Fry, die mit allen wichtigen Persönlichkeiten der deutschen Erweckungsbewegung in Berührung kam. Vgl. Erich Geldbach, „Der Einf luss Englands und Amerikas auf die deutsche Erweckungsbewegung“, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 28 (1976), (113–122) 115; 118; 120. 111 Vgl. hierzu Railton, No North Sea; Juan B. A. Kessler Jr., Limits of Spiritual Unity: A History of the Evangelical Alliance in Great Britain from Origins to the 1960s, Denver, Colorado, 2001, 30–47. 112 „Der evangelische Bund“, ChB 17 (1847), (311–318 et al.) 328. 113 Z. B. der Artikel „Die falschen und die wahren Nachkommen der Reformatoren“, ChB 5 (1835), 297–300, der Vertreter des Genfer Réveil gegen ihre Feinde als „Calvins wahre Jünger und Nachkommen“ (298) verteidigt. 114 Die Evangelische Kirchen-Zeitung zeigt sich erfreut über diesen Informationstransfer. Vgl. „Vorwort“, EKZ 1829, (1–7) 1: „Doch die Theilnahme beschränkt sich nicht bloß auf unser Deutsches Vaterland; die Ev. K. Z. ist zugleich ein Mittel in der Hand des Herrn geworden, die Freunde des Evangeliums in Deutschland mit denen der entferntesten Gegenden zu verbinden […]. Viele Mittheilungen aus ihr gehen in die Americanischen Blätter und in die zu Paris erscheinenden ‚Archives du Christianisme‘ über. In Dänemark und Holland hat sie zahlreiche Leser und in Schweden und Rußland fängt sie an Eingang zu finden.“ 115 Mettele, Weltbürgertum, 13; 192. Hier wurden die erstaunlich vielfältigen globalen Bindungen im Laufe des 19. Jahrhunderts allerdings etwas schwächer (271 f ).

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meinsamen großen Angelegenheiten des Reiches Gottes. Das gehört mit dazu, um die Zeit vorzubereiten, wo alles Ein Hirte und Eine Heerde sein soll!“116

Wie dieses Zitat belegt, liegt die natürliche Grenze des nationalen Geschichtsdenkens der Erweckungsbewegung in ihrer länderübergreifenden christlichen Zukunftshoffnung. Die christliche Zukunftshoffnung begrenzt den Patriotismus aber nicht nur wegen ihrer übernationalen Gültigkeit, sondern auch wegen ihrer Bedeutung für das Verständnis von Heimat. Die Verbundenheit mit dem eigenen Land, Volk oder Staat kann auch darum nicht als letzter Wert gelten, weil man sein Leben insgesamt – zumindest theoretisch, oft aber auch sehr existentiell – als einen Aufenthalt in der Fremde betrachtet. „Liebe Mitbrüder und Mitschwestern!“, appelliert Ludwig Hofacker an seine Predigthörer, „Die Welt ist nicht unser Vaterland; [… ] Wer JEsum erkannt hat, der hat ein neues – das wahre Vaterland gefunden, der ist nicht mehr Bürger hienieden, sondern Bürger der obern Stadt […].“117 Missionsgeschichten vermitteln diesen Gedanken besonders eindringlich, hatten doch ihre Helden vielfach „Vaterland und Freunde“ um ihres Auftrags willen verlassen müssen.118 Zwar hätten jene „Vaterhaus, Vaterland, Gut und Blut“ verloren, dafür jedoch „unsterbliche Seelen […] zu Bürgern des Himmels“ gemacht.119 Man rechnet also mit einem himmlischen Bürgerrecht (vgl. Philipper 3,20), das für die Missionare zu Recht Vorrang gehabt habe. Die Überzeugung, neben dem „irdischen Vaterland“120 auch ein himmlisches zu besitzen (vgl. Hebräer 11,16), charakterisiert die Erweckungsbewegung weit über den Kreis der Missionare hinaus. „Und sind wir wohl gereinigt, So brauch uns Deine Hand; Dann danken wir vereinigt Dir dort im Vaterland“,

singt man gemeinsam.121 Insofern lässt sich hier von einer doppelten Loyalität sprechen. Wenn dies auch nicht in allen Geschichtstexten anklingt, so ist den Erweckten doch grundsätzlich bewusst, dass sich bei ihnen „Landes-

116 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 216 f. Bezug genommen wird u. a. auf Johannes 10,16. 117 Hofacker, Predigten, Bd. II, 1831, 881 f. 118 Schmidt, Kurzgefaßte Lebensbeschreibungen, Bd. I, 1836, 2. 119 Steger, Die protestantischen Missionen, 1838, 3. 120 Gaussen, Die Juden, 21843, 10. 121 Albert Knapp (Hg.), Missionslieder für Israel. Gesammelt zum Gebrauche in Missionsstunden und Versammlungen, hg. von dem Vereine von Freunden Israels in Basel, Basel 1836, 9.

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kindschaft“ und „Gotteskindschaft“ überlappen.122 Dabei erscheint das eine als eine vorläufige, das andere aber als eine bleibende Existenzweise. Karl von Raumer, der in einem Buch als Kritiker deutscher Napoleonverehrer ohne „Freude am Vaterlande“ auftritt, schreibt darin doch auch von seiner Sehnsucht nach dem „heiligen Land“ und der „bleibenden friedlichen Heimath“ bei Gott.123 Den Blick aufs Jenseits möchten sich die Erweckten in den vielen Fragen und Geschehnissen des Diesseits nicht rauben lassen. Dass dies ohne einen gravierenden Interessenskonf likt abgeht, ist allerdings keineswegs jedem Zeitgenossen einsichtig. Das liberale StaatsLexikon etwa spottet, „gute Himmelsbürger“ seien „selten gute Erdenbürger“ gewesen und mit dem Zustand des eigenen Vaterlandes beschäftige sich erst, wer nicht mehr ständig auf die „fabelhaften Regionen des neuen Jerusalems-Staats“ blicke. Pietisten stünden daher für „trostlose politische Lethargie“.124 In ihrer Antwort auf den Artikel weist die Zeitschrift für Protestantismus und Kirche den Vorwurf entschieden zurück. Keineswegs, meint der Autor, gewinne die Erde, wer den Himmel preisgebe, im Gegenteil: „Ist irgend eine Kraft, Macht und Gewalt, die das Elend der socialen Verhältnisse, den Jammer der politischen Zustände mildern und heben, irdische Glückseligkeit schaffen und gründen, und die Menschen zu guten und glücklichen Erdenbürgern machen kann, so ist es ja das Evangelium.“125

Die Erweckungsbewegung hat also weder die Absicht noch den Eindruck, der nationalen Gleichgültigkeit Vorschub zu leisten. Tatsächlich können ihre Geschichtsbücher überschwänglich von der Lebenshingabe eines Nationalhelden berichten, wie das bereits zitierte Beispiel des Eidgenossen Arnold von Winkelried zeigt. Doch auch in diesem letzten Einsatz für das Gemeinwesen gibt es eine Rangfolge. Dulce et decorum est pro patria mori – für einen Erweckten wie Friedrich Heinrich Ranke bedarf das Wort des Horaz einer Erweiterung. „Süß ist es und edel, für ein irdisches Vaterland zu sterben“, bekräftigt er in einer Predigt über das Martyrium des Stephanus (Apostelgeschichte 7, 51–59) und fügt hinzu, „unendlich süßer und edler fand es Stephanus, den Tod für das ewige Vaterland, den Tod für das Himmelreich zu erleiden.“126 Weil sie sich ihm am stärksten zugehörig fühlen, ist den Erweckten das „obere“, „himmlische“, „ewige“ oder 122

„König Friedrich Wilhelm III.“, EKZ 1840, (489–493; 497–501; 505–507) 489. Karl von Raumer, Kreuzzüge, Bd. I, Stuttgart: Liesching 1840, 13; Vorrede. 124 Abt, „Chiliasmus“, in: Carl von Rotteck/Carl Welcker (Hg.), Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, Bd. III, neue Auf l., Altona: Hammerich 1846, (208–210) 208 f. 125 „Chiliasmus, Tausendjähriges Reich des von Rotteck-Welcker’schen Staats-Lexikons“, ZPK 14 N. F. (1847), (51–72) 66. 126 Friedrich Heinrich Ranke, Predigten, Bd. III, Erlangen: Heyder 1842, 72. Reinhart Koselleck, „Patriotismus. Gründe und Grenzen eines neuzeitlichen Begriffs. Dolf Stern123

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„wahre“ Vaterland letztlich die größeren Opfer wert. Und da sie diese Einschätzung mit Gleichgesinnten anderer Nationalitäten teilen, wölbt sich über ihr Nationalempfinden die gelebte Identität einer christlichen Internationale. 2.2 Der christliche Herrscher Zu den Identitätsfragen im Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung gehört auch die nach dem guten Herrscher. Diese Frage ist mit jeder politischen Historiographie untrennbar verknüpft. Für den Vormärz liegt ihre Gegenwartsrelevanz besonders auf der Hand, ist die Zeit doch eine Periode des intensiven Ringens einer zunehmend bürgerlichen Gesellschaft um die richtige Staats- und Regierungsform. Die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung innerhalb Deutschlands127 nehmen an dieser Ref lexion teil, indem sie implizit oder explizit ein eigenes, der politischen Spätromantik verwandtes128 Ideal propagieren: das des fürsorglichen christlichen Fürsten. In ihren historischen Narrativen und Aufsätzen spricht sich damit ein konservatives, vor allem christlich geformtes Bekenntnis zur Monarchie aus. Nachdem das Thema bereits an unterschiedlichen Stellen der Arbeit, unter anderem in den Kapiteln zur Herrscherbiographie (I.3.4) und zu den Ordnungsvorstellungen der Allgemeinen Weltgeschichte (II.8; vgl. II.3), zur Sprache kam, sollen hier noch einige systematische Schlaglichter darauf geworfen werden. Zu einer Zeit, in der „Monarchie“ zum Parteibegriff wird und die Lehre vom Gottesgnadentum zunehmend strittig ist, auch wenn die monarchische Staatsform in Deutschland nach wie vor als Garantin von Freiheit und Ordnung gilt,129 leiten die Erweckten alle fürstliche Macht von Gott ab. Ein Fürst herrscht, in den Worten des Theoretikers des „Christlichen Staates“, Friedrich Julius Stahl, „im Namen Gottes“, ist daher „nicht Beamter des Volkes, sondern Beamter Gottes über das Volk“.130 Die Majestät eines Fürsten ist für die Evangelische Kirchen-Zeitung ein „Abglanz“ der Majesberger gewidmet“ (2005), in: ders., Begriffsgeschichten, (218–239) 228; 231 zeigt, dass es sich hier um einen alten christlichen Topos handelt. 127 Anders lauten die in dieser Untersuchung peripher einbezogenen Stimmen aus der republikanischen Schweiz. Der Christliche Volksbote aus Basel steht auch mit konservativ-antiliberaler Grundhaltung zur Republik als gottgegebener Staatsform der Schweiz. Dabei kann der Begriff der Volkssouveränität abgelehnt („Des Schweizerlandes hohe Bestimmung“, CVB 1 [1833], 2–5) oder akzeptiert werden („Ueber Volkssouveränität. (Eingesandt.)“, CVB 7 [1839], 371–373). 128 Kraus, Politisches Denken der deutschen Spätromantik, 62 f zählt den „christlichen Herrscher“ zu den zentralen Motiven im politischen Denken der deutschen Spätromantik. 129 Vgl. Hans Boldt, „Monarchie“ (V, VI), GGB, Bd. 4 (1978), (189–214) 189; 191; 207. 130 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II.1, 1833, 77 f.

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tät Gottes.131 Das Volk soll seine Herrscher, meint Gotthilf Heinrich Schubert mit Verweis auf Stahl, „nicht aus dem wandelbaren Gelüste der eignen Launen, sondern wie aus Gottes Hand gegeben“ annehmen.132 Noch während der 1848er Revolution unterstreicht der Christen-Bote, fürstliche Macht könne durch Verträge und Gesetze rechtmäßig beschränkt, aber unter keinen Umständen aus einem souveränen Volkswillen abgeleitet werden.133 Für die Erweckten sind Herrscher vielmehr von Gott eingesetzt. Die sakrale Weihe ihres Amtes zeige sich auch darin, dass es erblich und daher nicht frei verfügbar sei.134 Die Frage, ab welchem Zeitpunkt eine Dynastie legitim ist, wird selten erörtert. Die meisten gehen wohl mit Stahl von einer „heiligenden Kraft der Zeit“ aus, die im Laufe der Generationen auch eine usurpierte Herrschaft legitimiere.135 Eine kurzfristige Machtübernahme ist demnach selten rechtmäßig. Über einige von Napoleon eingesetzte Könige kann es in einer Schrift über die Befreiungskriege heißen, sie verdankten nicht „Gottes Gnade“, sondern „Napoleons Willkühr“ ihre Krone.136 Grundsätzlich – und wohl selbst in diesem Fall – glauben die Erweckten jedoch, dass Gott Unterordnung unter die bestehende Obrigkeit fordert. Aufstand gegen die rechtmäßige Obrigkeit bzw. Revolution, um den seit 1789 „ideologieanfälligen“137 Begriff zu verwenden, lehnt die Erweckungsbewegung daher ab. Wo von katholischer Seite Protestantismus und Revolution in Beziehung gesetzt werden, bestreitet sie dies entschieden.138 Ein Zusammenhang bestehe vielmehr zwischen „Aufruhr“ und „Unglauben“.139 Das Christentum gebiete, außer im unmittelbaren Gewissenskonf likt, Loyalität. Der Christen-Bote kritisiert daher das gewaltsame Auf begehren der Bauern im großen Bauernkrieg als mit dem Evangelium

131

„Das Evangelium und der Zeitgeist in Frankreich“, EKZ 1831, (433–446) 441. Schubert, Geschichte der Seele, 21833, 938; 940. 133 „Warum heißt unser Fürst ‚von Gottes Gnaden König von Württemberg‘“, ChB 18 (1848), (435–438) 436. 134 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II.1, 1833, 80 f. 135 Ebd., 82. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 315 spricht für das konservative Staatsdenken vom „Prinzip der Verjährung: indem Gott Dauer zulässt, legitimiert er die Herrschaft“. 136 Gustav Jahn, Die deutschen Freiheitskriege von 1813 bis 1815, hg. von dem christlichen Vereine im nördlichen Deutschland, Eisleben: Klöppel/Leipzig: Barth & Schulze 2 1850 (1850) 175. 137 Vgl. Reinhart Koselleck, „Revolution als Begriff und als Metapher. Zur Semantik eines einst emphatischen Worts“ (1985), in: ders., Begriffsgeschichten, Frankfurt a. M. 2006, (240–251) 244. 138 „Die Polemik der Münchner historisch-politischen Blätter“, ZPK 1 (1838), (125–131) 127; Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. I, 21846, 297; „Die Jesuiten und die Pietisten. (Eingesandt.)“, CVB 15 (1847), (273–276) 275. 139 „Ueber die Verbindung zwischen Unglauben und Aufruhr“, EKZ 1830, 703 f. 132

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unvereinbar140 und prangert auch den aktuellen „Geist der Unbotmäßigkeit“ an, der sich in der Pariser Julirevolution ausgesprochen habe.141 Während der Rationalist Heinrich Paulus die Julirevolution in seiner Zeitschrift Sophronizon als „Staatsreformation“ begrüßt,142 haben die Ereignisse von 1830/31 bei den Erweckten eine schlechte Presse.143 Ähnlich negativ fällt nach 1848 die Bewertung der Märzrevolution aus.144 Das Urteil über die Amerikanische Revolution von 1776, die häufig nicht so genannt und mehr als Freiheitskampf gedeutet wird, fällt zwar deutlich milder aus als das über „1789“,145 dies ändert aber an der grundsätzlichen Revolutionsgegnerschaft der Erweckungsbewegung nichts. Die Obrigkeitstreue der Erweckten ist nicht als Freibrief für selbstherrliche Regenten gedacht. Die mitunter schroffe Kritik der erweckten Historiographen an einzelnen Herrscherpersönlichkeiten, etwa den aufeinander folgenden römischen Kaisern Tiberius, Caligula, Claudius und 140

„Die Reformation im Großherzogthum Baden“, ChB 17 (1847), (99–106) 104. „Auch eine Ursache der Revolution“, ChB 4 (1834), (11 f ) 11. 142 „Entstehungsgründe und charakteristische Züge der französischen Staatsreformation von 1830“, Sophronizon 13 (1831), (58–106) 59. 143 „Das Evangelium und der Zeitgeist in Frankreich“, EKZ 1831, 433–446; „Ein leitung“, MGMB 16:3 (1831), 343–345; Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 768 Fn. 44; „Die Julitage“, CVB 1 (1833), 91–93 et al.; „Revolution française. Histoire de dix ans 1830–1840 par M. Louis Blanc. Tome I.II. Paris 1842“, EKZ 1842, 817– 824; 831 f. „Nachrichten von der Polnischen Revolution“, CVB 1 (1833), (113–115) 115 spricht von einer „revolutionären Schreckensherrschaft“. Nach Einschätzung von Graf, Spaltung des Protestantismus, 171 f führte die Julirevolution zu einer Politisierung im Mitarbeiterkreis der EKZ. 144 Neander, Antignostikus, 21849, IX spricht von dem „schmachvollen 18. März“, Jahn, Die deutschen Freiheitskriege, 21850 (1850), 1 vom „Revolutionsfieber“, Kapff, Die Revolution, 1851, 6 vom „Geist […] der Empörung gegen menschliche und gegen göttliche Gesetze“ und Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. IV.2, 1856, 1128 vom „Geiste der Verneinung“. Zur Haltung der Erweckungsbewegung zur 1848er Revolution vgl. Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Zwischen Erweckung und Restauration. Einige Kapitel aus der unbekannten Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts, Gladbeck 1967, 134, der auf ein gewisses Meinungsspektrum hinweist; insb. Dietrich, Christentum und Revolution, 15; 43. Nach Christian Homrichhausen, Evangelische Christen in der Paulskirche 1848/49. Vorgeschichte und Geschichte der Beziehung zwischen Theologie und politisch-parlamentarischer Aktivität, Bern/Frankfurt a. M./New York 1985, 192 gehörten nur zwei Personen aus dem Umkreis der Erweckungsbewegung – der Freiburger Unternehmer Carl Mez und der Bruder Wilhelm Hoffmanns, Christoph Hoffmann – der Frankfurter Nationalversammlung an. Das Beispiel des philanthropischen Industriellen Mez, der aus Glaubensüberzeugung Stahls „Christlichen Staat“ ablehnte und gegen den Widerstand seiner erweckten Freunde für einen „christlichen Communismus“ eintrat, zeigt, dass innerhalb der Erweckungsbewegung auch deutliche Abweichungen vom vorherrschenden Politikverständnis möglich waren (vgl. vom Orde, Mez, 57; 60; 122 f ). 145 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 316 f; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 279–281. Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. IV, 1840, 368 f spricht von der „nordamerikanischen Revolution“, betont aber die wesensmäßigen Unterschiede zur Französischen Revolution. 141

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Nero,146 lässt an ihren ethischen Erwartungen an einen Fürsten keinen Zweifel. Dies gilt um nichts weniger für Herrscher innerhalb der Christenheit. Den Absolutismus Ludwigs XIV. beispielsweise sieht man wegen seiner „Uebertreibung und Unlauterkeit der Monarchie“147 und wegen Ludwigs systematischer „Erhebung seines Ichs“148 äußerst kritisch. Mit dynastischer Macht allein sind die Erweckten nicht zufrieden, es geht ihnen um die rechte Haltung zu dieser anvertrauten Macht. In Einzelfällen kann sogar die Absetzung eines dekadenten Fürsten durch die Landstände gebilligt werden.149 Der Verantwortungsgedanke äußert sich auch staatstheoretisch. Der Schweizer Vordenker eines rigiden Konservativismus, Carl Ludwig von Haller, der mit seinem ab 1816 erschienenen Werk Restauration der StaatsWissenschaft der Epoche ihren Namen gibt, wird nicht geschätzt: Keineswegs sei die staatliche Gewalt, wie in Hallers Lehre vom Patrimonialstaat behauptet, „Privatrecht“ des Königs.150 Haller sei ein Rationalist,151 der nicht zwischen „Besitz“ und „Erbe“ zu unterscheiden wisse – „Besitz“ sei für Herrschaftsgewalt ein ganz unpassender Ausdruck. Gott werde von Haller nur als Deus ex machina benutzt.152 Gegen eine solche Konzeption setzt die Erweckungsbewegung ein theologisch begründetes organisches Staatsdenken, in dem Fürst und Volk einander beidseitig verbunden sind. Die Verbundenheit ist ethisch-religiöser Natur: Schubert spricht von der „Liebe des Fürsten zu seinem Volke und des Volkes zu seinem Fürsten“ und sieht darin ein Abbild der himmlischen Liebe.153 Einer „väterlichen“ Herrschaft des Fürsten, die das Wohl der Untertanen sucht, sollen „Anhänglichkeit und Aufopferung“ des Volkes für Monarch und Fürstenhaus entsprechen.154 Im Gegensatz zu den „abstracten“ Herrschaftsformen Demokratie („Gleichheitsstat“) und Despotie („Ungleichheitsstat“) gibt es nach Leo in einem gesunden Gemeinwesen Gleichheit und Ungleichheit. Wie im Beziehungsgef lecht von Mann, Frau, Sohn und Tochter trage diese Asymmetrie zur gegenseitigen Förde146 Grundtvig, Uebersicht der Welt-Chronik, 1837, 46 („Kaisernamen, die den höchsten Grad von Wahnwitz und Schlechtigkeit bezeichnen“); Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 41 (= Kap. 27: „Gott straft die Römer durch böse Kaiser“); Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 168 f. 147 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II.1, 1833, 99. 148 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 245. 149 Die Absetzung Herzog Eberhards II. (des Jüngeren) von Würtemberg (1496–1498) kommentiert Völter, Württemberg, 21847, 137 mit der für sein Monarchieverständnis erstaunlichen Aussage: „Solch zerstörerisch und unwesentlich Regiment konnte man nicht lange dulden.“ 150 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II.1, 1833, 8; 78. 151 Ebd., 7. 152 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 764 f. 153 Schubert, Geschichte der Seele, 21833, 938. 154 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II.1, 1833, 79 f.

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rung und Ergänzung bei.155 Auch Leipoldt vergleicht die wünschenswerte politische Ordnung mit einer Familie: „Nach der Einrichtung Gottes soll der Staat eine große Familie sein, in der der König als Hausvater in Liebe und Weisheit für das Beste seines Volkes sorgt, und die Unterthanen als Kinder gehorsam sind, nicht um der Strafe willen, sondern um des Gewissens willen.“156

Wie Friedrich Wilhelm IV.,157 so sehnen sich also auch die Autoren der Erweckungsbewegung nach einer von Vertrauen, Freundschaft und Liebe zwischen Volk und Fürst geprägten, „organischen“ Wechselwirkung der Staatsglieder und damit nach einer ethisch ausgerichteten und historisch verwurzelten Alternative zu Liberalismus und Absolutismus. Der von der Erweckungsbewegung gewünschte Weg orientiert sich weniger an Staatstheorien als an gelebten Verantwortungs- und Vertrauensbeziehungen. Verfassungen sind dabei allerdings nicht ausgeschlossen. C. A. Dann lobt Gustav Adolf dafür, seinem Reich „aus freyem Antrieb […] eine Constitution, die seine Autorität beschränkte“ gegeben zu haben.158 Blumhardt erklärt einzelne zeitgenössische Revolutionen mit einer unweisen Verweigerungshaltung der Fürsten gegenüber dem Verfassungswunsch ihres Volkes.159 Und auch Dittmar spricht diesbezüglich von „zeitgemäßen Zugeständnissen“.160 Eine parlamentarisch-repräsentative Verfassung bzw. das „Princip des Repräsentativstates“161 lehnen die erweckten Autoren dagegen ab. In ihnen sehen sie die Wurzel einer „Opposition“ der Regierten gegen die Regierenden,162 also eine Bedrohung des gewünschten gegenseitigen Vertrauens. In der staatstheoretischen Diskussion stehen daher viele auf Seiten Stahls, der einen Mittelweg zwischen „republikanischem Freiheitssinn“ und „knechtischer Unterwerfung“ fordert163 und die Erneuerung des „monarchischen Princips“ propagiert. Stahl fordert dabei mit Verweis auf England164 eine ständische Mitwirkung am politischen Prozess 155 156 157

Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 302; 304. Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 197. Vgl. Kroll, Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik,

182. 158

Dann, Durch Leiden zur Herrlichkeit, 1817, 61 Fn. Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 306. 160 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. IV.2, 1856, 880, hier freilich nach der 1848er Revolution. 161 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 784 f. 162 Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte, 1833, 701. 163 Stahl, „Der christliche Staat“, EKZ 1847, 637. 164 Obwohl sich Stahl von dem quasi-republikanischen „politischen System des Westens“ distanziert, ist England für ihn in ständisch-konstitutioneller und religiöser Hinsicht Vorbild (Das monarchische Princip, 1845, IV; VI) und ein „Musterbild des Rechtsstaats“ („Der christliche Staat“, EKZ 1847, 679 f; 682 f ). Interessant ist auch Victor Aimé Huber, „Zum 159

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(„constitutionelles Princip“), lehnt die Verdrängung des Monarchen aus dem Zentrum der Verfassung („parlamentarisches Princip“) jedoch ab.165 In der Literatur wird wiederholt betont, Stahls besondere Bedeutung liege darin, dem Konservativismus seiner Zeit den Konstitutionalismus vermittelt zu haben.166 Ob mit oder ohne Verfassung: Garant für das Gelingen des Staatslebens ist für die Erweckungsbewegung nicht in erster Linie ein ausgeklügeltes System der Gewaltenkontrolle, sondern das gottgemäße Verhalten von Monarch und Volk. Gottgemäßes Verhalten bei Herrschern wird nicht zwangsläufig als eine Frucht des Christentums verstanden. So kann beispielsweise der römische Kaiser Trajan für seine Milde, Gerechtigkeit und Tapferkeit, also für allgemeine ethische Qualitäten, gelobt werden, obwohl er sogar, wie man teilweise auch anmerkt, die Hinrichtung von Christen aus Glaubensgründen unterstützte.167 Herrschertugenden finden sich also nicht nur bei Christen. Dennoch brachte das Christentum aus Sicht der Erweckungsbewegung für das Verständnis fürstlicher Herrschaftsgewalt etwas grundsätzlich Neues. Christian Gottlieb Blumhardt beschreibt es im Zusammenhang seiner Schilderung der Konstantinischen Wende so: „Schon das Verhältniß der Regenten zum Volke wird ein neu gestaltetes und vielfach verändertes, sobald das Christenthum die allgemeine Herrschaft unter einem Volke gewonnen hat. Mit ihr hat die unbedingte Willkühr ihr Ende erreicht, […] und der Fürst lernt in der Schule des Christenthums erkennen, daß auch er, so wie der Geringste seiner Unterthanen, unter der Gewalt eines heiligen Gesetzgebers stehe, der unendlich höher ist, als er selbst, und der Macht eines göttlichen GesetVerständnis über die Schrift: Die conservative Partei in Deutschland von V. A. H.“, EKZ 1842, (188–191; 195–200) 196 f, der meint, England könne sich „hinter seinen blauen Fluthen“ politisch manches erlauben, was auf dem Kontinent verderblich wirke: „Unser Weg ist ein anderer, unsere Stellung eine viel schwierigere, die Behauptung der monarchischen Einheit viel unerläßlicher fordernde.“ Ein redaktioneller Einschub fügt hinzu, vom englischen Rechtsbegriff jedenfalls könne man einiges lernen (200). Umgekehrt versucht der aus Deutschland stammende Artikel „Germany“, Evangelical Christendom 1 (1847), 172–175, den an „chartered rights“ gewöhnten britischen Erweckten verständlich zu machen, warum viele ihrer preußischen Gesinnungsgenossen das autoritäre Herrschaftsverständnis Friedrich Wilhelms IV. bejahten. Er verweist dazu auf die politische Unreife der preußischen Bevölkerung, die sich in der Popularität der radikalen Jungdeutschen und Kommunisten äußere und die die Gewährung größerer politischer Freiheiten kaum zulasse (173). 165 Stahl, Das monarchische Princip, 1845, 1; 12; VIII f; 11. 166 Vgl. Buschmann, Krise und Untergang der politischen Theologie, 168; Schoeps, Der Christliche Staat im Zeitalter der Restauration, 318 f; Hans-Christof Kraus, „Stahl, Friedrich Julius“, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/ Stuttgart 1996, (530–533) 531. 167 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 153; Leipoldt, Geschichte der christ lichen Kirche, 1834, 47; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 171. Deutlich verhaltener urteilen Grundtvig, Uebersicht der Welt-Chronik, 1837, 47; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 93.

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Der christliche Herrscher

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zes gehorchen müsse, wenn sein eignes Wohl und das Glück seiner Unterthanen gefördert werden soll.“168

Der christliche Fürst übt seine zeitliche Autorität also im Bewusstsein der ewigen Autorität Gottes und im Gehorsam gegenüber dessen offenbartem Willen aus. Was dies für die Erweckten konkret bedeutet, formuliert ein Nachruf auf den preußischen König Friedrich Wilhelm III. in der Evangelischen Kirchen-Zeitung: „[D]er christliche Fürst [lässt] seine Liebe im Namen Jesu Christi walten, betet für sein Volk und läßt seine Gaben vom Herrn segnen, sorgt dafür, daß seine Wohlthaten durch solche Hände und Anstalten gehen, die auch von geistlicher Gabe etwas mitzutheilen im Stande sind, er baut den Armen Kirchen und Schulen u.s.w.; er spricht das Recht als ein göttliches zwar streng als ein Rächer Gottes den Übelthätern, aber auch mild als ein Sünder den Sündern […].“169

Zentral ist für die Erweckten also das christliche Selbstverständnis des Herrschers. Wirkt ein Fürst auf diese Weise für das Recht, die Volksbildung, die Armenpf lege und die Achtung vor Gott in seinem Reich, dann ermöglicht er, was der Erlanger Professor und Prediger Christian Krafft in einem Vortrag den „Segen einer christlichen Regierung“ nennt.170 In mancher Hinsicht kommt Karl der Große nach Ansicht der er weckten Geschichtsschreiber einem solchen Ideal nahe. Er gilt vielen als Wohltäter seines Reiches,171 „umfassender Geist“172 und zugleich „frommer Mann“,173 der nicht zuletzt durch seinen Einsatz für Kirchen und Schulen zu einem „Segen für die abendländische Christenheit“ wurde.174 Von Johann Christoph Blumhardt werden Karl Eroberungsgeschick, Verwaltungskunst, ein maßvoller Lebensstil, Wissenschaftsliebe, politischer Weitblick und persönliche Frömmigkeit bescheinigt. Die Enthauptung mehrerer tausend Sachsen bei Verden an der Aller im Zuge der Unterwerfung und Christianisierung dieses Volksstammes ist für Blumhardt dagegen ein „schwarzer Flecken“ in der Geschichte des Frankenkönigs.175 Die meisten erweckten Geschichtsschreiber sehen die „blutige Katastrophe“ von Verden ebenfalls als Musterfall eines fehlgeleiteten Missionsverständnisses bzw., allgemeiner, die gewaltsame Sachsenmission als Irrweg christlicher Herrschafts168

Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 4. „König Friedrich Wilhelm III.“, EKZ 1840, 490. 170 Johann Christian Gottlob Ludwig Krafft, Vortrag gehalten bei der ersten öffentlichen Jahresfeier des Missionsvereins der evangelisch-reformirten Gemeinden zu Erlangen am 2. Dez. 1844, Erlangen: Bläsing 1845, 8. 171 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 101. 172 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, 497. 173 Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 50. 174 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 210 f. 175 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 121; 123 f. 169

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praxis.176 Zumindest Karls Berater, der Abt Alkuin, so betonen einige in ausführlichen Exkursen, habe den Fehler erkannt, wenn er sich auch nicht habe durchsetzen können.177 Aufgrund der geringeren zeitlichen und vor allem theologischen Distanz stehen der Erweckungsbewegung evangelische Herrscher der Frühen Neuzeit noch näher. Auf die Bewunderung für Herzog Christoph von Württemberg und König Gustav Adolf von Schweden wurde bereits hingewiesen. Christian Adam Dann stellt den beiden in einer Bemerkung seiner Christoph-Biographie den Herzog von Sachsen-Gotha Ernst den Frommen (1601– 1675) an die Seite. Wie Gustav Adolf, den Dann mit Christoph vergleicht, habe auch Ernst seinen Thron auf ungeheuchelte Gottesfurcht und Tugend gestützt, vornehmlich das Wohl seiner Untertanen gesucht und in der Gegenliebe seines Volkes das eigene Glück gefunden.178 1840 erschien in der Evangelischen Kirchen-Zeitung unter dem Titel „Der evangelische Fürst im siebzehnten Jahrhundert“ ein Artikel über Ernst den Frommen, der ihn ebenfalls als musterhaft darstellt.179 Nur wenige Fürsten, heißt es dort, hätten in den dreihundert Jahren des Protestantismus durchweg überzeugen können. Zu diesen gehöre auch Ernst, der wohl sogar „der Treff lichste unter diesen Treff lichen“ (577) und nahezu „das Ideal eines christlichen Fürsten“ (578) gewesen sei. Den Autor beeindruckt Ernsts Liebe zur Bibel, die er von Kindheit an gelesen (579), verschiedentlich verbreitet (581 f; 592) und zur Grundlage seines Regierungsprogramms gemacht habe (585 f ), aber auch seine Bereitschaft, auf Territorien (578), hohe Ausgaben (580) und Prachtbauten (582) zu verzichten. Ernsts Fleiß und administratives Geschick beim Ausbau des Kirchen- und Schulwesens (578; 580; 587 ff; 595) und beim Wiederauf bau des Landes nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges (584) runden das positive Charakterbild dieses wahren „Vaters seiner Unter thanen“ (600) ab. Ein wichtiger Aspekt der Frage nach dem guten Herrscher ist sein Verhältnis zu Krieg und Frieden. Dabei vertreten die erweckten Geschichtsschreiber weitgehend die Linie, die bereits für die Allgemeine Weltgeschichte skizziert wurde: Sie wünschen sich eine friedfertige Außenpolitik, schließen aber Kriege als Mittel der Politik nicht aus. Bei Ernst dem 176 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 210; Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.1, 1833, 164; Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. III, 1834, 104 f; Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 100 f; Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, 508. 177 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. III, 1834, 105–108; Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, 509 f. 178 Dann, Durch Leiden zur Herrlichkeit, 1817, 61 Fn. 179 „Der evangelische Fürst im siebzehnten Jahrhundert. Skizzen aus dem Leben des Herzogs Ernst des Frommen, geboren den 25. December 1601, gestorben den 26. März 1675“, EKZ 1840, 577–592; 595–600.

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Der christliche Herrscher

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Frommen etwa merkt der zitierte Aufsatz positiv an, dass er die Kriegsheere Gustav Adolfs als Oberst eines Reiterregimentes unterstützte. „Ernst war ein Friedefürst“, heißt es, „doch entzog er sich auch dem Kriege nicht, wo die Pf licht gebot, und zeigte sich auch hier als einen tapfern und einsichtsvollen Fürsten.“ (580) Eine solche Haltung begrüßt man auch bei anderen Fürsten. „Raubkriege“, wie die Ludwigs XIV., gelten als Frevel,180 „Eroberungssucht“,181 „Grausamkeit“182 und „unbefridigtes Rachegelüst“183 eines Herrschers als Laster. Dass die Kriege der Gegenwart „mit mehr Schonung und Milde“ als ehedem geführt und teilweise ganz vermieden würden, wird ebenfalls begrüßt.184 Dennoch halten die Erweckten in bestimmten Situationen Kriegshandeln eines Fürsten für gerechtfertigt. Dies wirft die diffizile Frage nach den Bedingungen eines gerechten Krieges auf, die die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung durchaus beschäftigt. Ihre Position lässt sich am besten an der Schilderung der Kriege ablesen, die die von ihnen am meisten geschätzten Herrscher führten. Gustav Adolfs Teilnahme am Dreißigjährigen Krieg ist dafür ein Paradebeispiel. Im Rahmen einer Kurzbiographie in der Rubrik „Christlicher Kalender“ zählt der Christen-Bote 1845 mindestens sechs Tatsachen auf, die zur moralischen Rechtfertigung des Waffengangs beitragen: Gustav habe, meint der Artikel, (1.) seinen Feldzug „nicht ohne äußere Nöthigung“ unternommen, da er durch Wallensteins Eroberungen an der Ostsee herausgefordert worden sei. Zugleich sei er (2.) überzeugt gewesen, „von Gott zum Vertheidiger des evangelischen Glaubens berufen“ zu sein – also höheren Zielen als eigenen Expansionswünschen zu dienen. Gustavs Heer habe dementsprechend (3.) „eine auf christliche Grundsätze gebaute Mannszucht“ ausgezeichnet – Prostitution, Duelle, Kartenspiel und Trunkenheit seien nicht geduldet worden, dafür hätten Feldprediger tägliche Andachten gehalten und das Gottvertrauen der Soldaten gestärkt. Auf unerlaubtes Plündern (4.) habe die Todesstrafe gestanden, so dass blutige Exzesse vermieden worden seien. Gustav Adolf selbst (5.) sei als Heerführer mutig und uneigennützig vorangegangen. Im Angesicht seines Heeres habe er (6.) allen Kampf Gott anheim gestellt und ihn um Schutz und Sieg gebeten.185 Gustav Adolfs Kriegführung war nach dieser Darstellung also von ehrenhaften Motiven, Anstand, Tapferkeit und Gottesfurcht 180

Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 245. Hess, Kern der Lehre, 21826, 294. 182 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 101; Dittmar, Weltgeschichte, 2 1842, 168 f; Krafft, Vortrag gehalten bei der ersten öffentlichen Jahresfeier des Missionsvereins, 1845, 8. 183 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 230. 184 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 214. 185 „Christlicher Kalender: Gustav Adolph“, ChB 15 (1845), (561–564; 569–572) 569 f. 181

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geprägt. Man darf in der Beschreibung des Christen-Boten das Muster gerechter Kriegführung ausmachen, wie es der Geschichtsschreibung der Erweckungsbewegung zumindest als theoretisches Ideal vorschwebt. Wer so Krieg führt, so scheint es, der führt einen gerechten Krieg. Folglich heißt es auch in mehreren Werken über die Kämpfe des Schwedenkönigs, Gott sei „mit ihm“ gewesen.186 Das Ideal des christlichen Herrschers betrifft selbstverständlich auch die zeitgenössischen Monarchen des Vormärz. Hier äußern sich die erweckten Autoren verständlicherweise vorsichtiger. Nicht immer ist klar, ob ein Lob alles wiedergibt, was man über den betreffenden Fürsten zu sagen hätte. Vielfach bleiben aktuelle Regenten auch unkommentiert. Den württembergischen König Wilhelm I. (1816–1864) und die preußischen Könige Friedrich Wilhelm IV. (1840–1861) und – außer bei Unionsgegnern – seinen Vater Friedrich Wilhelm III. (1797–1840) scheint man jedenfalls als glaubwürdige christliche Herrscher anzusehen. Wilhelm I. wird von Barth als beliebter, unermüdlich tätiger und milder Landesvater mit einem persönlichen Interesse für seine Untertanen geschildert.187 Auch Völter unterstreicht, dass ihm „das Wohl seines ihm von Gott anvertrauten Landes“ sehr am Herzen liege, wie unter anderem die Gewährung der Verfassung bewiesen habe.188 Hartmut Lehmann hat darauf hingewiesen, dass Wilhelm, der selbst kein Pietist war, allgemein vom württembergischen Erweckungspietismus, nicht zuletzt als Förderer seiner Rettungsanstalten, verehrt wurde.189 Den Preußen Friedrich Wilhelm III. beschreiben der in Basel erscheinende Christliche Volksbote190 und die Berliner Evangelische Kirchen-Zeitung191 einmütig als äußerst charakterstarken und bescheidenen, erfolgreichen und gottesfürchtigen Regenten – im Gegensatz zu seinem Vater Friedrich Wilhelm II., den derselbe EKZ-Aufsatz schonungslos kritisiert.192 Persönlich und theologisch steht den Erweckten sein Nach-

186 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 244; Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 177; Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 81. Manchmal wird der Kriegführung Gustav Adolfs zur Verdeutlichung ihrer Vorbildlichkeit diejenige des Heerführers der Katholischen Liga, Graf von Tilly, gegenübergestellt. Die Plünderung und Verwüstung Magdeburgs durch den „Mordbrenner“ (Kappe, 81) Tilly im Mai 1631 betrachtet man als eine unnötige und unmenschliche „Gräuelthat“ (Leipoldt, 177). 187 Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 274 f. 188 Völter, Württemberg, 21847, 249. 189 Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 204 f; 211 f. 190 „Des Königs von Preußen Todbette und Nachfolger“, CVB 8 (1840), 198 f; „Erinnerungen an den König von Preußen Friedrich Wilhelm III.“, CVB 8 (1840), 325–327. 191 „König Friedrich Wilhelm III.“, EKZ 1840, 489–493; 497–501; 505–507. 192 Ebd., 498 f. Dass es sich bei den Artikeln um Nachrufe handelt, relativiert ihren Aussagewert nur bedingt, da sie konkrete Beobachtungen und keine bloßen Allgemeinplätze formulieren.

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Vorgängerbewegungen – Reformation und Pietismus

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folger, Friedrich Wilhelm IV., noch etwas näher.193 Er ist schon zu Amtsantritt als ein „edeler und christlicher Mann“ bekannt194 und wird für seine christliche Amtsauffassung geschätzt.195 Auch wenn sich die erweckten Geschichtsschreiber bei diesen Monarchen ein abschließendes Urteil noch nicht zutrauen, sind sie der Meinung, dass ihre Amtsführung ein wahrhaft christliches Verhältnis von Herrscher und Volk ermögliche. 2.3 Vorgängerbewegungen – Reformation und Pietismus Im Verlauf der Untersuchung wurde bereits deutlich, dass die Reformation und der Pietismus im Geschichtsbild der Erweckungsbewegung eine grundlegende Rolle spielen. Sie sind die zwei neuzeitlichen Vorgängerbewegungen aus dem 16. bzw. späten 17. und frühen 18. Jahrhundert, auf die sich die Erweckungsbewegung beruft, die sie sich vergegenwärtigt und an die sie anzuknüpfen sucht. Sie zeichneten die Bahn vor, in der die Erweckungsbewegung gehen will – bei aller Offenheit, in einer anderen Zeit Neues zu wagen. Von ihnen bezieht sie auch historiographische Traditionen wie die christliche Sammelbiographe oder den Gedanken der evangelischen Wahrheitszeugen. Im Zentrum des Interesses stehen einzelne Hauptfiguren, an die in Artikeln und Monographien erinnert wird (vgl. I.3) und von denen man überzeugt ist, dass Gott sie zur Erweckung einer erstorbenen Christenheit sandte. Die Allgemeine Weltgeschichte führt vor, wie die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung Reformation und Pietismus in eine fortlaufende weltgeschichtliche Darstellung einf lechten (vgl. II.7). Sie werden in Universal- und Kirchengeschichten ausführlich besprochen und, besonders die Reformation, in Periodisierungsentwürfen berücksichtigt. Eduard Eyths weltgeschichtliche Skizze Biographie en gros, die das Jahr 1517 als einzigen Epocheneinschnitt zwischen dem Auf-

193 Nach Walter Wendland, Die Religiosität und die kirchenpolitischen Grundsätze Friedrich Wilhelms des Dritten in ihrer Bedeutung für die Geschichte der kirchlichen Restauration, Gießen 1909, 94 f wurde Friedrich Wilhelm III. im Laufe seines Lebens theologisch immer konservativer, war jedoch „dem Einf luss der Pietisten“ nie so zugänglich wie sein Sohn, der Kronprinz und spätere Friedrich Wilhelm IV. 194 „Des Königs von Preußen Todbette und Nachfolger“, CVB 8 (1840), 199. 195 „Erbhuldigung Friedrich Wilhelm IV.“, EKZ 1840, 630; Philipp Jakob Spener, Pia desideria. Herzliches Verlangen nach Gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirche sammt einigen einfältig dahin abzweckenden christlichen Vorschlägen, überarbeitet und mit Anmerkungen versehen von Friedrich Wilhelm Paul Ludwig Feldner, Dresden 1846, 4 Fn. (von Feldner). „Die Thronfolge seiner Majestaet Konigs, Fr. Wilhelm IV, von Preussen. (Avènement au trône de sa majesté Frédéric-Guillaume IV, roi de Prusse)“, Archives 9 IIe série (1841), 174 zeigt sich von der „franche piété“ des Kronprinzen ebenfalls beeindruckt.

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

treten Christi und der Gegenwart vorsieht, ist hierfür nur ein besonders eindrückliches Beispiel. Reformation und Pietismus werden von der Erweckungsbewegung jeweils als dringend benötigte Reaktion auf eine kirchengeschichtliche Verfallserscheinung verstanden – die mittelalterliche Papstkirche einerseits, die altprotestantische Scholastik andererseits. Dabei richtet sich die Einschätzung nach dem jeweiligen Schwerpunkt der Kurskorrektur: Ging es der Reformation stärker um eine Wiederherstellung der christlichen Lehre, besonders der Rechtfertigung des Sünders aus Glauben, so verfolgte der Pietismus eine Wiederherstellung des christlichen Lebens mit einer Betonung von Heiligung und gelebter christlicher Gemeinschaft. Entsprechend dieser unterschiedlichen historischen Aufgabe haben Reformation und Pietismus im Gedächtnis der Erweckungsbewegung eine unterschiedliche Färbung. An die Reformatoren erinnert man vornehmlich als „Lehrer“,196 die nach einer Zeit des „langen und beharrlichen Abweichens von Gottes Wort“197 die evangelische Wahrheit so klar wie zu keiner anderen Zeit erkannt und weitergegeben hätten.198 Luthers Bibelübersetzung, „das köstlichste Besitzthum der evangelischen Kirche unsres Vaterlandes“,199 wird ebenso geachtet wie die reformatorischen Glaubensbekenntnisse, allen voran die Confessio Augustana, der „Grundstein der lutherischen Kirche“.200 Der Dogmatikprofessor Ernst Sartorius nennt das Augsburger Bekenntnis in der Evangelischen Kirchen-Zeitung sogar „die wichtigste Schrift in der christlichen Kirche“.201 Das Erleben der Reformationsjubiläen von 1817, 1830 und 1846 verstärkt solche Wertschätzungen erheblich, so dass die Jubiläen selbst von Geschichtsschreibern der Erweckungsbewegung als zeitge-

196

„Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schauet an und folgt ihrem Glauben nach. Hebr. 13, 7“, EKZ 1846, (121–127; 135 f ) 122; Tholuck, Predigt gehalten bei der Trauerfeier, 1846, 4. 197 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 117. 198 „Vorwort“, ZPK 1 (1838), (1–10) 7; Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 580. 199 „Luther’s teutsche Bibel“, ZPK 14 N. F. (1847), (341–360) 341. Mitunter wird allerdings eine Revision gefordert, da auch Luther seine Übersetzung permanent überarbeitet habe, so von Claus Harms, 95 theses, 1817, 27 f; ders., Säcularpredigt wegen der verdeutschten Bibel, Trinitatis 17, Sept. 21 d. J., Kiel: Universitäts-Buchhandlung 1834, 16; Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte, 1833, 729. 200 Claus Harms, Predigt zur Jubelfeyer wegen der 1530 den 25sten Juni auf dem Reichstage zu Augsburg verlesenen und übergebenen Confession. Gehalten am dritten Sonntag nach Trinitatis 1830, Kiel: Universitäts-Buchhandlung 1830, 12. 201 Ernst Sartorius, „Die Augsburgische Confession 1530 und 1830“, EKZ 1830, (377– 387) 377. Zu Sartorius’ Artikel und theologischen Gegenpositionen vgl. Joachim Mehlhausen, „Zur Wirkungsgeschichte der Confessio Augustana im 19. Jahrhundert. Eine historisch-theologische Skizze“ (1980), in: ders., Vestigia Verbi, 95–122.

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Vorgängerbewegungen – Reformation und Pietismus

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schichtliche Meilensteine in Erinnerung gehalten werden.202 Die Erweckten sind überzeugt, theologisch auf dem Fundament zu stehen, das die Reformation in der Bibel wiederentdeckt und unübertroffen formuliert habe. Die Reformation oder „Kirchenverbesserung“, 203 wie ihr häufigstes Synonym lautet, geht ihrer Ansicht nach auf die Heilige Schrift zurück: Die Apostel Petrus und Johannes waren die ersten Protestanten.204 Der Pietismus wird dagegen verstärkt für die von ihm hervorgebrachten „guten Früchte eines liebethätigen Glaubens“,205 das heißt für die praktische Umsetzung christlichen Lebens gerühmt. Bei ihm findet die Erweckungsbewegung Vorbilder für manches, was sie selbst praktiziert, etwa die Sammlung der entschiedenen Christen und das weltmissionarische Engagement. Allerdings sind die Grenzen f ließend: Vorbilder der pädagogischen Arbeit der Inneren Mission etwa sieht man im „Reformationszeitalter“ und im „Franckeschen Zeitalter“ gleichermaßen.206 Auch interessiert man sich immer für Lehre und Leben einer Person. Reformatoren und Pietistenväter werden nicht grundsätzlich verschieden behandelt. Als „Helden des Evangelischen Glaubens“,207 welche die Grundlage für die evangelische Kirche legten, genießen die Reformatoren dennoch besonderen Respekt. Wie exklusiv sich die Erweckten ihnen verbunden fühlen, hängt mit ihrer Stellung zu dem im Verlauf des Vormärz erstarkenden Konfessionalismus zusammen. Die bayerische Erweckungsbewegung etwa ist stärker an der Autorität Luthers ausgerichtet als die württembergische, die aus der Kontinuität des früheren Pietismus schöpft und eher überkonfessionell denkt. So schreibt der Württemberger Wilhelm Hoffmann als Missionsinspektor in Basel, im dortigen Missionsinstitut unterrichte man „weder Luther, noch Calvin, noch Zwingli, sondern stets Christum“. Man scheue sich auch nicht, nötigenfalls „bald diesem, bald jenem der großen Reformatoren Unrecht zu geben“.208 Dass es aber auch aus württembergischer Perspektive schwer fällt, den Reformatoren zu widersprechen, zeigt eine Bemerkung Völters zur umstrittenen Frage der Kirchenverfassung. Das landesherrliche Kirchenregiment, meint Völter, sei problema202

Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 261; Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 215 f; Grundtvig, Uebersicht der Welt-Chronik, 1837, 457 f; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 335; „Ueber den Unterricht in der christlichen Kirchengeschichte“, SSB 9 (1845), 195; Eyth, Biographie en gros, 1847, 173. 203 Dräseke, Glaube, Liebe, Hoffnung, 1817, 179; Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 135; Möhrlen, Buch der Wahrheitszeugen, Bd. I, 1844, VI. 204 „Die ersten Protestanten“, ZPK 2 N. F. (1841), 194–196. 205 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 303. 206 Ludwig Völter, „Ueber die Ursachen der großen Zahl verwahrloster Kinder in unserer Zeit“, SSB 9 (1845), (97–100 et al.) 97. Vgl. auch die ausführliche Behandlung Luthers und Melanchthons in Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. I, 21846, 127–180; 180–213. 207 „Die Fürstin von Gallitzin“, EKZ 1829, (481–485; 489–494) 481. 208 Hoffmann, Evangelische Missionsgesellschaft, 1842, 37.

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tisch; gegen seine kategorische Verwerfung spräche jedoch „schon die Erwägung, daß die Reformatoren, welche doch gewiß auch wußten, was Kirche ist, sie einführten, und somit billigten“.209 Das Wort der Reformatoren hat also noch immer Gewicht. Die für das 19. Jahrhundert typische Personalisierung der Reformation und ihre Fokussierung auf den „jungen“ Luther 210 finden sich teilweise auch in der Erweckungsbewegung. Der Person Luthers wird jedenfalls eine herausragende Bedeutung beigemessen. Das andernorts verbreitete Motiv des „deutschen Luther“211 spielt dabei fast keine Rolle: Die Erweckungsbewegung feiert Luther nicht als Nationalhelden, sondern als gottgegebenen Vorkämpfer des evangelischen Glaubens. In Luther, dem „Mann“212 bzw. „Werkzeug“213 Gottes, sieht sie nicht nur irgendeinen, sondern „den Reformator […], den Gott erweckt hat“, um die Christenheit sein Wort zu lehren.214 Als solcher sei er unvergessen, meint die Evangelische Kirchen-Zeitung: „Die Walhalla, in der Luther sein Standbild gefunden, kein aus Marmor und Erz gebildetes, ist die Christenheit.“215 Von ausgeprägten Konfessionalisten wird Luther so stark hervorgehoben,216 dass sich sogar vereinzelt die Klage findet, für einige Strömungen sei „Luther und nicht Jesus das Losungswort“.217 Allerdings hat die Fokussierung auf Luther auch Grenzen. Zum einen werden Luther die anderen Reformatoren an die Seite gestellt, so dass das reformatorische Werk nicht als eine Einzelleistung erscheint. Westermeier beispielsweise stellt neben den Luther-Band seiner Kirchengeschichte einen Band über Zwingli und Calvin, um ein „gerechtes Urtheil über sie“ zu ermöglichen und den Frieden unter den Evangelischen zu fördern.218 Zumindest überwiegend erscheint die Reformation als eine gottgewirkte Gemeinschaftsarbeit. Dies gilt auch für die Wittenberger Reformation, wo, so heißt es, der milde und friedfertige Melanchthon den kraftvollen Luther in glücklicher Weise ergänzt habe.219 Zweitens stellen die Er209 Ludwig Völter, „Die kirchlichen Fragen der Gegenwart“, SSB 10 (1846), (177–181 et al.) 177. 210 Vgl. Lehmann, Martin Luther als deutscher Nationalheld, 56 f; Kohnle, Luther vor Karl V., 61. 211 Vgl. Lehmann, Martin Luther als deutscher Nationalheld, 61 f. 212 „Christlicher Kalender“, ChB 16 (1846), (77–80) 77. 213 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 581. 214 Tholuck, Predigt gehalten bei der Trauerfeier, 1846, 4. 215 „Gedenket an eure Lehrer“, EKZ 1846, 126 f. 216 In Geschichtswerken etwa von Grundtvig, Uebersicht der Welt-Chronik, 1837, 107–110; 456. 217 „Kirchliches aus Preußen“, CVB 3 (1835), 38. 218 Westermeier, Huldreich Zwingli und Johann Calvin, 1846, Vorwort. 219 Olshausen, Biblischer Commentar, Bd. II, 21834, 5; Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 157; Grundtvig, Uebersicht der Welt-Chronik, 1837, 100.

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weckten klar, dass sie die Reformatoren zwar schätzen, aber nicht als ihre „Heiligen“ betrachten.220 Eine Reformationspredigt Hofackers lässt daran keinen Zweifel: „[Z]u wessen Ehren feyern wir das heutige Reformationsfest? Zu Ehre Luther’s, Melanchthon’s oder anderer Männer dieser Art? Nein, diese alle waren nur schwache, gebrechliche Werkzeuge in der Hand Dessen, der alles Gute allein und selber schafft […] O, wenn der HErr nicht durch wunderbare Führungen Weg und Bahn gemacht, wenn Er nicht die Herzen mancher Fürsten gelenkt, und in das Herz eines Luthers Weisheit, Rath, Verstand und Zucht, und vornehmlich einen unbezwinglichen Glauben gepf lanzt hätte: was wäre herausgekommen? – Nichts.“221

Das Werk der Reformation wird hier auf das alleinige Heilshandeln Gottes zurückgeführt, der dasselbe folglich auch zu anderen Zeiten tun könnte und keines Luthers bedarf. Auch die Weltmission lässt über eine Luther-zentrierte Geschichtsschau hinausblicken, und zwar nicht nur, weil der Protestantismus des 16. Jahrhunderts sie noch fast gar nicht betrieb. Durch die Missionsbewegung sehen sich die Erweckten auch mit der Frage konfrontiert, ob die innerreformatorischen Festlegungen des 16. Jahrhunderts für die überseeischen Missionskirchen tatsächlich angemessen und bindend seien. Hat etwa die lutherische Verwerfung von Zwinglis Abendmahlslehre, die, wie viele Autoren der Erweckungsbewegung bedauern,222 1529 zum Bruch mit den Reformierten führte, in der Missionsarbeit unverminderte Gültigkeit, obwohl dort Gläubige verschiedenen Bekenntnisses zusammenarbeiten, um Menschen neu in den christlichen Glauben einzuführen? Mit Ausnahme vor allem der konfessionellen Dresdner Missionsgesellschaft, die aber beschwichtigt, auch sie wolle nicht anhand der Konkordienformel missionieren,223 verneinen die deutschen Missionsgesellschaften im Vormärz diese Frage. Nach den Statuten der Norddeutschen Missionsgesellschaft von 1837 ist „der bei uns geschichtlich entstandene Confessionsunterschied nicht in die Heidenwelt zu verpf lanzen“.224 Auch wenn die Frage je nach Unionspolitik des Partikularstaates vielschichtig ist, umstritten bleibt und im Laufe der Zeit eher an Brisanz gewinnt, trägt die Missionsperspektive dazu bei, Luthers Aura in Grenzen zu halten. 220

„Was war die Seele der Reformation“, CVB 3 (1835), (278 f ) 279. Hofacker, Predigten, Bd. I, 1831, 859 f. 222 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 199; Hess, Kern der Lehre, 2 1826, 259; „Wieder ein Wort über die kirchlichen Unruhen in Schlesien“, CVB 3 (1835), (123–125) 123. 223 Karl Graul, „Für und über Missionswesen. Gedanken über eine gemeinsame Wirksamkeit der deutschen Missionsgesellschaften in China“, Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 1846, (297–304) 302. 224 Zitiert in Raupp (Hg.), Mission in Quellentexten, 262. 221

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Die Erweckungsbewegung sieht sich in Konkurrenz zu anderen Lutherdeutungen – insbesondere der des Katholizismus und des Rationalismus. Beide Deutungen erscheinen ihr hochgradig abwegig. Ein polemischer Artikel der ultramontanen Historisch-Politischen Blätter, der einen „psychologischen Schlüssel“ zu dem Reformator sucht, um dessen provozierende Aussagen zur Rechtfertigungslehre, etwa das pecca fortiter, sed fortius fide,225 zu erklären,226 animiert die lutherische Zeitschrift für Protestantismus und Kirche zu der ironischen Bemerkung: „Es ist in der That ein schöner und feiner Gedanke, aus physischen und psychischen Verstimmungen Luther’s die Eigenthümlichkeit der Reformation begreifen zu wollen.“227

Katholische Lutherbilder spielen für den Geschichtsdiskurs der Erweckten allerdings keine große Rolle. Ähnliches gilt für das rationalistische Lutherbild, auch wenn es an einigen Stellen aufgegriffen wird. Als Erbe der Auf klärung wertet der Rationalismus seinen Kampf gegen offenbarungsgläubigen Dogmatismus als eine Fortführung der Reformation.228 Ein Eckpfeiler dieser Sichtweise ist Luthers berühmter Ausspruch auf dem Wormser Reichstag, er könne nur dann widerrufen, wenn er „testimoniis scripturarum aut ratione evidente“229 überwunden werde. Zeitgenössische Theologen wie der Heidelberger Heinrich Paulus sähen in dem hier ausgesprochenen Bekenntnis zu „klaren Vernunftgründen“ eine Vorform des dogmenkritischen Rationalismus, berichtet die Erweckungspresse mit Befremden. Sie führt diese Exegese auf eine künstliche Suche nach Gewährsleuten zurück und entgegnet, die ratio evidens in Luthers Ausspruch sei „offenbar nur ein anderer Ausdruck für die heilige Schrift“.230 Jedenfalls wolle Luther keinesfalls der Vernunft als einer eigenen Erkenntnisquelle der göttlichen Wahrheit „außer und neben, ja wohl gar über der heiligen Schrift“ das Wort reden.231 Luther würde sich in Worms ja nicht selbst, dazu noch Christus und den Aposteln widersprechen.232 Der Vor225 „Sündige tapfer, aber glaube noch tapferer!“ So Luther 1521 in einem Brief an Melanchthon (WA Br 2, 372, 84). 226 „Luther. (Ein Versuch zur Lösung eines psychologischen Problems.)“, HPB 2 (1838), 249–271. 227 „Die Polemik der Münchner historisch-politischen Blätter“, ZPK 1 (1838), (125–131) 130. 228 Vgl. Echternkamp, Religiosität und Nationskonzeption, 145. 229 „Durch Schriftzeugnisse oder klare Gründe der Vernunft“. Das Zitat von 1521 findet sich in WA 7, 838, 4. 230 „Ueber die Behauptung, daß Luther zu Worms rationalistische Grundsätze geäußert habe“, EKZ 1828, (409–412) 409; 411. 231 „Ist Luther’s Aeußerung auf dem Reichstage zu Worms dem Rationalismus günstig?“, ZPK 3 N. F. (1842), (209–218) 210. 232 „Die Antireformation zu Magdeburg“, EKZ 1846, (65–67; 73–75) 65.

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kämpfer des sola scriptura erscheint den Erweckten als Kronzeuge für die neuere Bibel- und Dogmenkritik denkbar ungeeignet. Es sei „empörend“, wenn er gar als Vorläufer der Deisten, Pantheisten und Atheisten dargestellt werde.233 „Was würde der Glaubenszeuge zu Worms, unser ächter Reformator, Luther, der Mann Gottes, zu den modernen Reformirern sagen, welche die protestantische Kirche reformiren wollen nicht aus der heiligen Schrift, sondern gegen dieselbe?“234

Die Erweckungsbewegung ist überzeugt, dass Luther sich hier ihrem eigenen Unwillen anschließen würde. Stärker noch als die Reformatoren treten die Pietistenväter im Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung im Kollektiv auf – auch wenn sie sich, wie geschildert, als Protagonisten kleinerer und größerer Biographien anbieten und daher auch als Einzelne im Bewusstsein bleiben. Die Sonderstellung Luthers erreichen sie jedoch nicht. Spener und Francke werden oft in einem Atemzug genannt, daneben sind Zinzendorf und Bengel die herausragenden Figuren, häufig ergänzt durch Bengels Schüler Oetinger, Zinzendorfs Nachfolger Spangenberg oder einen Missionar wie Bartholomäus Ziegenbalg. Auch der Erbauungsschriftsteller Johann Arndt gehört als Vorläufer zu den Persönlichkeiten des Pietismus, die einen festen Platz im Gedächtnis der Erweckungsbewegung haben. Mit seiner „stillen Macht selbstverleugnender Liebe“, so ein typisches Urteil, sei der Pietismus „wie ein rettender Engel in eine erstorbene Zeit“ gekommen.235 Gegenüber der Reformation wird dem Pietismus zugute gehalten, die Weltmission erstmals wirklich ernst genommen zu haben. Zwar macht man den Reformatoren, die daran zumindest gedacht hätten, keinen Vorwurf, sondern kritisiert ihre Nachfolger für die missionarische Untätigkeit.236 Dennoch tritt die Zentralstellung der Reformatoren in missionsgeschichtlichen Kontexten sichtlich zurück. Pionierarbeit hatten für die Erweckungsbewegung hier der Hallesche und der Herrnhuter Pietismus des 18. Jahrhunderts geleistet. Am ehesten kommt Philipp Jakob Spener, dem Pionier der Bewegung, ein Sonderstatus zu.237 Spener gilt den Erweckten als Innovator, der „den 233 „Germanische Kirche“, EKZ 1841, (137–141; 145–149) 145; Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 579. 234 „Die National-Reformer und die protestantische Kirche“, ChB 15 (1845), (51–56) 53. 235 „Der Pietismus in seiner Entstehungszeit“, ChB 18 (1848), (75–81) 75. 236 Steger, Die protestantischen Missionen, 1838, 14; 20; Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 1012 f. 237 Vgl. auch Jakubowski-Tiessen, Eigenkultur und Traditionsbildung, 207: „Es scheint, dass Speners Nimbus als zweiter Reformator neben Luther innerhalb des Pietismus erhalten geblieben ist.“

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Geist und die Kraft der Reformatoren“ besessen habe, zugleich aber „mit einer besondern Weisheit, Sanftmuth und Milde begabt“ gewesen sei.238 Mit seinem Eintreten für eine lebensnahe Bibelfrömmigkeit und der Gründung der Collegia pietatis sei er, in Analogie zu Luthers Rolle in der Reformation,239 der „eigentliche Begründer des Pietismus“ geworden.240 Im Vorwort einer Neuauf lage von Speners Pia desideria bescheinigt der Erweckungsprediger und Rettungshausgründer Ludwig Feldner (1805–1890)241 der Programmschrift von 1675 zeitlose Aktualität und annotiert sie mit Anwendungsvorschlägen für die eigene Zeit.242 Der Christen-Bote erklärt den Pietismus für eine Anwendung der Lehre vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen, die Luther erkannt, aber noch nicht hinreichend beachtet habe. Auch hier gilt Spener als „der Mann, durch den die Abhülfe begann“.243 Allerdings sind die Leistungen des Pietismus in der Erweckungsbewegung umstritten. Dies liegt vor allem daran, dass viele dem heute als „radikaler“ Pietismus bezeichneten separatistischen Flügel der Bewegung kritisch gegenüberstehen. Besonders die konfessionellen Erweckten werfen diesen Erben Speners vor, mit ihrem Subjektivismus der Achtung vor Kirche, Amt, Sakrament und objektiven Heilstatsachen geschadet zu haben.244 Spener und Francke selbst wird daran zumeist keine Schuld gegeben 245 oder zumindest das richtige Anliegen bescheinigt,246 so dass der „Pietismus der ersten Periode“ als konstruktive Fortführung der Reformation erscheint.247 Der Pietismus wird jedoch aufgrund dieser Einschränkung auch als ganzer mitunter zwiespältig beurteilt. Leo schreibt nur Zinzendorf, den er nicht eigentlich zum Pietismus rechnet, ein „welthistorisches Verdienst“ zu.248 Kritisch urteilt gegen Ende des Vormärz auch Ernst Wilhelm Hengstenberg als Herausgeber der Evangelischen Kirchen-Zeitung. Noch 1828 betont er, mit seiner Zeitschrift „nichts weiter [zu] wollen, als was die Reformatoren und Gründer unserer Kirche und was die in ihrem Geiste wirkenden theuren Männer Arndt, Müller, Spener, Franke gewollt 238

Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 179. „Philipp Jakob Spener, auch ein Mann für unsere Zeit“, CVB 4 (1836), (9–12 et al.) 9. 240 „Der Pietismus in seiner Entstehungszeit“, ChB 18 (1848), (75–81) 76. 241 Zu Feldner vgl. Benrath, Erweckung, 182. 242 Spener, Pia desideria, 1846, XIII; 2 u.ö. 243 „Was ist Pietismus?“, ChB 16 (1846), (527–534) 531 f. 244 „Die Grundzüge des Pietismus und sein Einf luß auf die Umgestaltung der Theologie im 18. Jahrhundert“, ZPK 12 N. F. (1846), (133–157) 143; 147; 152; Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 878 f; Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 789 f. 245 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 867 f; 874. 246 „Die Grundzüge des Pietismus“, ZPK 12 N. F. (1846), 137. 247 August Tholuck, „Berichtigung“, EKZ 1842, 269 f. 248 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 789; 803. 239

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haben“.249 1840 dagegen schreibt Hengstenberg, er habe seine Meinung geändert. Obwohl es „bei uns“ – wohl in der Erweckungsbewegung – üblich sei, den Pietismus als konstruktive Fortführung der Reformation zu begreifen, falle sein Urteil mittlerweile anders aus: Er habe den Pietismus als eine gefährliche, wenn auch unbeabsichtigte Relativierung des sola fide und der Rechtfertigungslehre erkennen müssen. Erste Ansätze einer Überbetonung des „thätigen Christenthums“ und des individuellen Heilserlebnisses fänden sich bereits bei Spener und Francke.250 1845 berichtet der Christen-Bote von einer Berliner Pastoralkonferenz, auf der Hengstenberg die These vertreten habe, es seien gerade die „treuen Söhne der Kirche“, namentlich „Zinzendorf und die Pietisten“, gewesen, die den Abfall von den biblischen Schriften vorbereitet hätten. Nach Auskunft des Blattes rief der Vortrag erheblichen und, wie der Artikel meint, berechtigten Einspruch hervor, da diese Einschätzung „zum wenigsten […] eine geschichtliche Ungenauigkeit“ sei. Der Christen-Bote lobt indessen die wohlwollende, unpolemische Art der Auseinandersetzung. 251 Die Wertschätzung der Väter des Pietismus ist in der Erweckungsbewegung also weit verbreitet, aber zugleich angefochten. Zu dem uneinheitlichen Pietismusbild der Erweckten trägt ein weiterer Faktor bei, der sie persönlich betrifft: Der Begriff „Pietismus“ ist in den Weltanschauungskämpfen der Zeit durchaus gebräuchlich – und negativ besetzt. Wie die herabsetzenden Bezeichnungen „Mysticismus“, „Muckertum“ und „starre Orthodoxie“252 wird „Pietismus“ von Kritikern für die frommen Christen verwendet, um ihnen Weltfremdheit und Enge, Obskurantismus und Wissenschaftsfeindlichkeit vorzuwerfen.253 So viel sei klar, meint der Missionsschriftsteller Krohn, dass „alle hiermit etwas Ueber triebenes an der wahren Frömmigkeit bezeichnen“ wollten.254 Selbst 249

„Vorwort“, EKZ 1828, (2–6) 3. „Vorwort“, EKZ 1840, (1–4; 9–13 et al.) 4; 9 f; 11 f. 251 „Kirchliche Nachrichten. Oberschlesien“, ChB 15 (1845), 479–481. 252 Guerike, August Hermann Francke, 1827, 470 Fn.; „Orthodoxie und Mysticismus. (Aus dem Schreiben eines Freundes in Hamburg)“, EKZ 1827, 236 f; Spener, Pia desideria, 1846, 9 Fn. (von Feldner). 253 Z. B. Christian Märklin, Das Ketzer-Gericht des Christenboten über meine Schrift: Darstellung und Kritik des modernen Pietismus. Ein Wort mit Rücksicht auf einen Artikel in diesem Blatte, Stuttgart: Köhler 1839, 10: „der Pietismus liebt das Denken nicht […].“ Friedrich Theodor Vischer, Kritische Gänge, Bd. I, Tübingen: Fues 1844, XXII f: „Der Pietismus ist […] der geborene und geschworene Feind der wahren Wissenschaft […] Pietist ist, wer nach Religion riecht.“ Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 879 geht von einer verbreiteten „Identificirung von Pietismus und Unwissenschaftlichkeit“ aus. Allerdings kann die Kritik auch in dem Vorwurf bestehen, die „Pietisten dieser Zeit“ hätten aufgrund ihrer Intoleranz und ihres lieblosen Dogmatismus mit ihren „ehrwürdigen Namensgenossen“ aus der Zeit Speners nichts mehr gemein („Die Herren Diesterweg und Leo“, Allgemeine Kirchenzeitung 1837, [41–45] 45). 254 Krohn, Missionswesen in der Südsee, 1833, 8. 250

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die aktuelle achte Auf lage des Brockhaus verwende, so wird angemerkt, die Begriffe „Pietisten“ und „Frömmler“ synonym.255 Diese oder eine ähnliche Definition vor Augen, grenzen sich viele Erweckte vom „Pietismus“ ab.256 Damit sind sie jedoch das Etikett noch nicht los. Steger klagt: „Unsere Zeit ist mit dem Namen ‚Mystiker und Pietisten‘ sehr freigebig, das liegt offen am Tage. Wer nur immerhin an der alt-evangelischen Lehre, wie sie unsere Reformatoren aus der heiligen Schrift geschöpft und in der Augsburgischen Confession öffentlich bekannt haben, festhält und mit einem ernsten Christenwandel seine Anhänglichkeit beweist, muß sich wohl auch diesen Sektennamen gefallen lassen.“257

Und der Christliche Volksbote schreibt: „Wem heut zu Tage unter den Protestanten seine eigene Seligkeit und die seiner Mitmenschen am Herzen liegt, der muß sich’s gemeiniglich gefallen lassen, ein Pietist zu heißen.“258

Ob die Vermutung, ihre Gegner hätten den Anwendungsbereich von „Pietismus“ zu polemischen Zwecken massiv ausgeweitet, zutrifft oder nicht: Die Erweckten sehen sich einem unterschwelligen oder auch offenen „Pietismus“-Verdacht ausgesetzt. Hierauf zu reagieren ist nicht einfach. Neander etwa, von einem Rezensenten des Pietismus geziehen, akzeptiert das Etikett trotz etymologischer Bedenken zögernd, weil sein Kritiker den Begriff so weit definiert habe, dass er sein Glaubensverständnis treffe.259 Kann der Pietismusvorwurf also klassische christliche Überzeugungen meinen, so bleibt doch die negative Färbung des Begriffs. Diese Erfahrung macht auch August Wildenhahn mit seinem Spenerroman. Zwecks „Ehrenrettung des wahren Pietismus“ versteht er darin „Pietismus“ typologisch als eine ganzheitliche, gelebte Frömmigkeit und daher nicht nur Spener, sondern auch Luther als „Heroen des Pietismus“.260 In der fünf Jahre später erschienenen zweiten Auf lage erklärt Wildenhahn seine Definition jedoch für gescheitert, da 255 Wildenhahn, Philipp Jacob Spener, Bd. I, 1842, VI Fn. Adolf Wagner, BaileyFahrenkrüger’s Wörterbuch der englischen Sprache. Zweiter Theil: Teutsch – Englisch. Gänzlich umgearbeitet, Jena: Frommann 121822, 573 umschreibt „Pietist“ mit „Frömmler, Frommsüchtler, Andächtler“. 256 „Vorwort“, EKZ 1828, 3; „Vorwort“, ZPK 1 (1838), (1–10) 4; Friedrich Wilhelm Krummacher, Das Werk der Bibelverbreitung in unserer Zeit. Predigt über 2. Timotheum 4, V. 1.2, gehalten in Cöln am 4. December 1842, Berlin: Wohlgemuth 1843, 13; teilweise Barth, Pietismus und die spekulative Theologie, 1839, 13. 257 Steger, Die protestantischen Missionen, 1838, 149. 258 „Die Jesuiten und die Pietisten. (Eingesandt.)“, CVB 15 (1847), (273–276) 274. 259 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. I.3, 1828, VIII f. 260 Wildenhahn, Philipp Jacob Spener, Bd. I, 1842, Vf.

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der Pietismusbegriff durch zeitgenössische Namensträger und die Polemik ihrer Gegner zu nachhaltig belastet sei, und will ihn um der „historischen Gerechtigkeit“ willen nun nicht mehr auf Spener angewandt wissen.261 Noch vor der ersten Auf lage des Romans hatte der Berliner Wilhelm Bötticher einem Buchkapitel über Spener, das sich auf Hoßbachs zweibändige Biographie stützt, den bezeichnenden Titel gegeben: „Philipp Jakob Spener, nichts weniger als ein Pietist, sondern seinem innersten Wesen nach auch für unsere Zeit ein leuchtendes Vorbild christlichen Glaubens und Lebens“.262 Hier wird die zeitgenössische Ablehnung des „Pietismus“ akzeptiert, ohne damit das historische Phänomen als solches zu entwerten. In Württemberg, wo die pietistischen Gemeinschaften seit dem 18. Jahrhundert eine feste Größe im religiösen Leben darstellen, geht man dagegen offensiver mit dem Pietismusbegriff um. Insbesondere der Christen-Bote verteidigt „die Pietisten“ als Gesinnungsgenossen der Reformatoren 263 und bezeichnet die Erweckungsbewegung insgesamt als „modernen Pietismus“.264 1835 veröffentlicht das Blatt die zwei Artikelserien „Was wollen denn die Pietisten?“ und „Warum erreichen die Pietisten so unvollständig das, was sie wollen?“, die zu einer Zeit enttäuschter Endzeiterwartungen eine Annäherung von Pietismus und Landeskirche beabsichtigen und auch erreichen.265 Selbst Immanuel Kant wird im Christen-Boten mit einem Lob des „Pietismus“ zitiert, wohl um dem Richtungsbegriff etwas von seinem antiintellektuellen Beiklang zu nehmen.266 Außerhalb Württembergs wird teilweise anerkannt, dass sich die engherzigen und antikirchlichen Tendenzen, die man dem „Pietismus“ nachsagt, im aktuellen württembergischen Pietismus nicht fänden.267 Während der historische Pietismus fester Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der Erweckungsbewegung ist, bleibt „Pietismus“ also ein äußerst schillernder und unterschiedlich verwendbarer Terminus.268 261

Wildenhahn, Philipp Jacob Spener, Bd. I, 21847, VII. Wilhelm Bötticher, Eins ist Noth, den Fürsten und Völkern, den Schulen und Familien! Stimmen des Glaubens über die Glaubensschwäche unsrer Zeit in ihren Urtheilen über den sogenannten Pietismus, Berlin: Thome, 1841, (9–20) 9. 263 „Die falschen und die wahren Nachkommen der Reformatoren“, ChB 5 (1835), 299. 264 „Was ist Pietismus?“, ChB 16 (1846), 532 f. 265 Vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 262–265; 316. 266 „Der Philosoph Kant über den Pietismus“, ChB 15 (1845), 131. 267 „Nachrichten. (Drei Reiseberichte, angezeigt von M. G. in S.)“, EKZ 1842, 639 f; Julius Wiggers, Kirchliche Statistik oder Darstellung der gesammten christlichen Kirche nach ihrem gegenwärtigen äußeren und inneren Zustande, Bd. II, Hamburg/Gotha: Perthes 1843, 197. 268 Die widersprüchliche Rezeptionsgeschichte trägt mit dazu bei, dass Bedeutung und Gegenstand des Pietismusbegriffs bis heute im allgemeinen Sprachgebrauch, aber auch in der Pietismusforschung umstritten sind. Diese bietet neben einer „weiteren“ Definition von Pietismus als einem neuzeitlichen Frömmigkeitstypus, dem auch die Erweckungsbewegung 262

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

2.4 Historische Gegner – Katholizismus und Aufklärung Identitätsbildung durch Geschichte findet positiv und negativ statt; sie lebt von Identifikation und Abgrenzung. Unter den geistigen Bewegungen des Abendlandes, denen die Erweckungsbewegung distanziert gegenübersteht, ragen zwei heraus, die ihrerseits weitgehend entgegengesetzt sind: der Katholizismus und die Auf klärung. Die beiden sind denkbar unterschiedliche Gegner. Handelt es sich bei dem römischen Katholizismus um eine Form des Christentums, die das Abendland seit dem frühen Mittelalter entscheidend mitbestimmte und dabei tiefgreifende Wandlungen überdauerte, so ist die Auf klärung aus Sicht der Erweckten primär ein Phänomen des vorangegangenen Jahrhunderts. Insofern sind die beiden Kontrahenten kaum vergleichbar. Ihre Darstellung ist zudem sehr komplex. Hier sollen lediglich Grundtendenzen skizziert werden, die die historische Anschauung der Erweckungsbewegung prägen und die ex negativo identitätsstiftend wirken. Dabei wird deutlich, dass man bei den Wertungen, so eindeutig sie oft ausfallen, doch immer innere Differenzierungen vornimmt, um ein bloßes Schwarzweißmalen zu vermeiden. In reformatorischer Tradition stehend, ist die Erweckungsbewegung keine Freundin der römisch-katholischen Kirche – auch nicht ihrer Vergangenheit. Im Verlauf der Untersuchung, insbesondere bei der Analyse der Allgemeinen Weltgeschichte (vgl. II.5; II.7), ist dies bereits deutlich geworden. Ob man, wie Barth, den römischen Katholizismus mit dem Antichristen in Verbindung bringt oder nicht, allein die Tatsache, dass man der Reformation einen solchen Stellenwert beimisst, macht die Gegnerzuzurechnen sei, eine „engere“ Definition von Pietismus als kirchengeschichtlichem Phänomen des späten 17. und 18. Jahrhunderts an. Hartmut Lehmann, „Engerer, weiterer und erweiterter Pietismusbegriff. Anmerkungen zu den kritischen Anfragen von Johannes Wallmann an die Konzeption der Geschichte des Pietismus“, PuN 29 (2003), 18–36; ders., „Erledigte und nicht erledigte Aufgaben der Pietismusforschung. Eine nochmalige Antwort an Johannes Wallmann“, PuN 31 (2005), 13–20 und Martin Brecht, „Pietismus und Erweckungsbewegung“, PuN 30 (2004), 30–47 erläutern die Kontinuitäten von Pietismus und Erweckungsbewegung und treten daher für die „weitere“ Definition ein, die auch hinter der Gesamtkonzeption (wenn auch keineswegs allen Beiträgen) der 1993 bis 2004 erschienenen vierbändigen Geschichte des Pietismus steht. Die Gegenposition vertritt Johannes Wallmann, „‚Pietismus‘ – mit Gänsefüßchen“, Theologische Rundschau 66 (2001), 462–480; ders., „Pietismus – ein Epochenbegriff oder ein typologischer Begriff ? Antwort auf Hartmut Lehmann“, PuN 30 (2004), 191–224, der die Andersartigkeit der Erweckungsbewegung, besonders in der Phase des Konfessionalismus und außerhalb Württembergs, betont. Die Kontroverse bezieht sich in gleicher Weise auf das 17. Jahrhundert. So versteht Wallmann, Pietismus-Studien. Gesammelte Aufsätze II, Tübingen 2008, VI; 85 f seine jüngste Aufsatzsammlung als „neuerlichen Beitrag“ zur Diskussion, mit dem er zeigen möchte, dass auch die von Johann Arndt 1605 angestoßene Frömmigkeitsbewegung nicht als solche „Pietismus“ genannt werden könne, da ihr noch wichtige Reformelemente gefehlt hätten und sie später auch erklärte Pietismusgegner umfasst habe.

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schaft zum Katholizismus evident. Gilt vielen Erweckten das Mittelalter als „dunkel“,269 ja als „bange Mitternachtsstunde“,270 der auch die gläubigen „Wahrheitszeugen“ nur ein mattes Licht entgegensetzen konnten, so trägt dafür ihrer Meinung nach die römische Kirche die größte Verantwortung. Den scholastischen Theologen des Hochmittelalters hält man die „spitzfindige Beantwortung unzähliger, zum großen Theile nutzloser Fragen“,271 in stärker wissenschaftlichen Werken zumindest eine „unbewußte Sophistik“ vor.272 Noch schlimmer erscheinen die mittelalterliche Volksfrömmigkeit, etwa die Reliquienverehrung, und das „schreckliche Blutgericht“ der Inquisition.273 Auch der nachtridentinische Katholizismus ist der Erweckungsbewegung nicht sympathisch, wie die vornehmlich negative Zeichnung der Gegenreformation, etwa der „greuelvollen“ Hugenottenverfolgungen,274 belegt. Wenn Neander, wohl in Anlehnung an das apostolische Glaubensbekenntnis, von einer „wahrhaft katholischen unsichtbaren Kirche“ spricht, die es unabhängig von offiziellen Kirchengrenzen zu allen Zeiten gegeben habe,275 so steckt in dieser Formulierung auch eine Spitze gegen den exklusiven Selbstanspruch Roms. Kritik am Katholizismus kann sich auch auf die überseeische Geschichte beziehen. Der katholischen Weltmission wird bescheinigt, mit „zum Theil wackeren“276 Missionaren und aufrichtigem „Eifer“ die evangelische Kirche der frühen Neuzeit beschämt zu haben.277 Zugleich bemängelt man jedoch, dass die katholische Mission oft, mit Guerike gesprochen, „mehr auf äußerliche Annahme des Christenthums, als auf eine gründliche christliche Bekehrung“ abzielte und dazu auch „äußere“, darunter politische, Mittel anwendete.278 Wird der Jesuitenorden auf dem Missionsfeld noch, je nach Wirkungsstätte, unterschiedlich bewertet, so wird ihm für sein europäisches Engagement, wie in der Allgemeinen Weltgeschichte, ein ungewöhnlich scharfes Urteil zuteil. Mit „beispielloser Frechheit und Beharrlichkeit“ habe er der katholischen Jugend Protestantenhass eingepf lanzt279 und dabei mit schamloser Offenheit machiavellistische Grundsätze vertreten.280 Für

269 270 271 272 273 274 275 276 277 278 279 280

Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 115. Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. III.1, 1833, III. Barth, Abriß, 1831, 159. Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. V.2, 1845, 560. Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 117. Dräseke, Glaube, Liebe, Hoffnung, 1817, 183. Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. II.1, 1829, VII. Blumhardt, Handbüchlein der Missionsgeschichte, 1844, 2. Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 1008; 1013. Ebd., 1007; 1012. Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 208. Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. I, 21846, 288; 290.

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deren Umsetzung spricht man von jesuitischen „Täuschungskünsten“.281 Insofern ist es eine Ironie des Schicksals, dass die Erweckten wegen ihrer religiösen Ernsthaftigkeit und Missionsliebe nach eigener Aussage mitunter selbst despektierlich „Jesuiten“ genannt werden.282 Im konfessionellen Geschichtsstreit sieht sich besonders die Zeitschrift für Protestantismus und Kirche von der zeitgenössischen ultramontanen Presse, die sehr offensiv Stellung bezieht,283 herausgefordert. So bekämpfen die Historisch-politischen Blätter in historisch-apologetischen Aufsätzen Vorwürfe gegen die katholische Kirche wie den des mörderischen Kreuzzugs gegen die Albigenser 284 und der grundlosen Verbrennung des Jan Hus.285 Als Befürworter einer „katholischen Geschichtsforschung“286 sprechen sie von „Destructoren“ statt „Reformatoren“287 und sehen im Protestantismus „seit 300 Jahren [die] Ursache der religiösen Streitigkeiten und der daraus folgenden blutigen Kriege und Umwälzungen“.288 Das lutherische Blatt kritisiert solche Ansätze als „Geschichtsfälschungen“289 und bedauert, dass die Auseinandersetzung „mit den alten Verdächtigungen und Verleumdungen“ geführt werde.290 Die ultramontanen Schriften zeigten einen aggressiven Geist, „als dürst’ er abermals nach dreißig Jahre langem Blutvergießen“.291 Die Polemik ist allerdings beidseitig, wie der Ton dieser Aussagen zeigt. Auch Barth schreibt in seinem Spendenaufruf in der Evangelical Christendom für die Verbreitung der Calwer Schul- und Geschichtsbücher, von Katholiken könne er nichts erwarten, da sämtliche Bücher „strongly antipapistical“ seien.292 281 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 767; Bötticher, Gustav Adolph, 1845, 35. 282 „Die Jesuiten und die Pietisten. (Eingesandt.)“, CVB 15 (1847), (273–276) 276: „Mag man uns auch Jesuiten schelten; wenn wir nur wahrhaft von der Gesellschaft Jesu Christi sind.“ Vgl. auch „Chiliasmus, Tausendjähriges Reich des von Rotteck-Welcker’schen StaatsLexikons“, ZPK 14 N. F. (1847), (51–72) 54; Krummacher, Abschieds-Predigt, 21847, 15. 283 Vgl. hierzu Klug, Rückwendung zum Mittelalter, 294 f sowie Klugs Studie insgesamt. 284 „Historische Berichtigungen. I. Die Albigenser und der Kreuzzug gegen sie“, HPB 2 (1838), 470–483. 285 „Historische Berichtigungen. II. Johann Huß und sein Geleitsbrief “, HPB 4 (1839), 402–425. 286 „Die Reformatoren der katholischen Kirche“, HPB 11 (1843), (453–456; 514–520) 454. 287 Ebd. 288 „Die katholischen Missionen“, HPB 6 (1840), (635–640) 639. 289 „Vorwort“, ZPK 1 (1838), (1–10) 3 Fn. 290 „Die Polemik der Münchner historisch-politischen Blätter“, ZPK 1 (1838), (125–131) 126. 291 „Der Protestantismus unter ‚katholischer Hut.‘“, ZPK 3 N. F. (1842), 406 f. 292 Christian Gottlob Barth, „The German and Foreign School-Book Association at Calu [sic], Wurtemberg“, Evangelical Christendom 1 (1847), 142. Barth fügt allerdings hinzu, die Biblischen Geschichten hätten in vielen katholischen Schulen Eingang gefunden.

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Der Katholizismus hat im Geschichtsbild der Erweckungsbewegung jedoch eine buntere Farbe, als man angesichts solcher Einschätzungen vermuten könnte. Dies zeigt sich etwa bei Bonifatius, der, obgleich ursprünglich interkonfessionell anschlussfähig, im Laufe des Vormärz zunehmend zur konfessionellen Leitfigur des Katholizismus wird.293 Die Erweckungsbewegung sieht den Frankenmissionar vorbehaltlos als Glaubenshelden, der „nicht mit Unrecht den Namen Apostel der Deutschen“ trage.294 Die unbedingte Romtreue, durch die Bonifatius sich als katholische Identifikationsfigur anbietet, wird von Neander und Blumhardt zwar nicht gelobt, aber doch teilweise aus pragmatischen Gründen gerechtfertigt.295 Der Papst sei damals „noch nicht Stellvertreter Christi, sondern nur Petri“ gewesen, gibt auch Dittmar zu bedenken, und Bonifatius habe dem Papst gelegentlich sogar widersprochen, so dass ihm nichts vorzuwerfen sei.296 Auch in anderen Zusammenhängen vertritt die Erweckungsbewegung keinen kompromisslosen Antipapismus. So kann von einem „frommen“, 297 einem „merkwürdigen“ (bemerkenswerten)298 oder einem „rechtmäßigen [!] Papst“299 die Rede sein. 1840 fordert der Marbacher Diakon Christian Palmer im Süddeutschen Schul-Boten eine „gerechtere Würdigung“ des Heiligen Stuhls und meint, „in der Idee des Pabstthums“ habe etwas „Großartiges“ gelegen, zumal im rauen Mittelalter eine andere Form des Christentums nicht möglich gewesen sei. Um bei den Lesern „Mißverständnis und Mißdeutung“ dieser Aussagen zu verhindern, weist die Redaktion der Zeitschrift in einer Fußnote darauf hin, dass zwischen den früheren römischen Bischöfen und den späteren Päpsten unterschieden werden müsse; die Grundaussage des Artikels stellt sie jedoch nicht in Frage.300 Auch Heß gesteht dem Papsttum zumindest das gottgewollte „Gute“ zu, im Mittel alter als „Gegengewicht“ gegen despotische Herrscher aufgetreten zu sein.301 293 Vgl. Weichlein, Apostel der Deutschen. Die konfessionspolitische Konstruktion des Bonifatius, 155–179; Stefan Laube, „Konfessionelle Brüche in der nationalen Heldengalerie – Protestantische, katholische und jüdische Erinnerungsgemeinschaften im deutschen Kaiserreich (1871–1918)“, in: Haupt/Langewiesche (Hg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt a. M./New York 2001, (293–332) 303. 294 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 99. 295 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. III, 1834, 68; Blumhardt, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte, Bd. II.2, 1832, 755 f. 296 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, 496 f. 297 Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. II, 1839, 232 über Innozenz XI. (1676–1689). 298 Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, 1833, 37 über Leo den Großen (440–461). 299 Dittmar, Deutsche Geschichte, 21843, 138 über Alexander III. (1159–1181) im Gegensatz zu dessen Gegenpapst Kalixt III. 300 „Kirchengeschichte“, SSB 4 (1840), (124–127; 134–136) 135. 301 Hess, Kern der Lehre, 21826, 243.

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Die Bereitschaft, einzelne Päpste zu würdigen, zugleich aber auch das tiefe Misstrauen gegen die römische Kurie, der man das Schlimmste zutraut, zeigt sich in einer historischen Notiz, die der Christen-Bote 1845 abdruckt: „Sixtus V., welcher von 1585–90 auf dem päpstlichen Stuhle saß, gab eine italienische Bibelübersetzung heraus, welcher er ein amtliches Ausschreiben voransetzte, in welchem er den Gläubigen die größten Vortheile von dem Lesen derselben versprach. […] Bald darauf starb Sixtus, wie öffentlich ausgegeben wurde, am hitzigen Fieber, Andere sagen, an spanischem Gift.“302

Die Kardinäle, so wird angedeutet, seien gemeinsam mit Philipp II. von Spanien in perfider Weise eingeschritten, um den ungewöhnlichen Versuch der Bibelverbreitung zu verhindern. Vor allem im Umkreis der Evangelischen Kirchen-Zeitung wird die katholische Kirche vergleichsweise wohlwollend behandelt. 303 In der EKZ kann etwa ein ausführliches Lebensbild der „heiligen Elisabeth“ geboten 304 oder ein evangelischer Fürst dafür gelobt werden, „der Katholischen Kirche […] alle billige Rücksicht“ bewiesen zu haben.305 Leo, einer der Mitarbeiter der Zeitschrift, rühmt in seinem Lehrbuch der Universalgeschichte das christliche Staats- und Rechtsempfinden des Mittelalters und hebt sich damit von der verbreiteten Mittelalterskepsis in der Erweckungsbewegung ab.306 Durch die ganze Erweckungsbewegung zieht sich dagegen die Bewunderung des Jansenismus als katholischer Reformbewegung des 17. Jahrhunderts. Jansenisten, die der protestantischen Gnadenlehre weit näher gestanden hatten als ihre erbitterten Gegner, die Jesuiten, werden durchweg geschätzt und mitunter fast schwärmerisch gerühmt. Der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal, der bekannteste Jansenist, gilt den Erweckten als „gewaltiger Geist“.307 Nach Tholuck waren „dem Himmel zugekehrte Jansenisten und Jansenistinnen“ leuchtende Sterne ihrer Generation.308 Leo spricht von der „reinsten, schönsten Gestalt“, in der die Reformation (!) erschienen sei.309 Besonderer Beliebtheit erfreuen sich auch Katholiken, die in der Vorgängergeneration, also vor allem um die Jahrhundertwende, für eine erweckliche Frömmigkeit gestanden und dabei freundschaftlichen Kontakt zu Protestanten gepf legt hatten, so die Fürstin Amalie von Gallitzin, der Graf 302

„Der Papst und die Bibel“, ChB 15 (1845), 563. Vgl. Buschmann, Krise und Untergang der politischen Theologie, 177. 304 „Die heilige Elisabeth von Ungarn, Landgräfin von Thüringen und Hessen. (geb. 1207, † 1231.). Skizze aus dem christlichen Leben des dreizehnten Jahrhunderts“, EKZ 1842, 241–247; 249–253; 257–263; 265–269; 273–279. 305 „Der evangelische Fürst im siebzehnten Jahrhundert“, EKZ 1840, 581. 306 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 784–787. 307 „Die Jesuitenfurcht“, ZPK 1 (1838), (93–108) 93. 308 Tholuck, Abriß einer Geschichte der Umwälzung, 1839, 33. 309 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. IV, 1840, 222. 303

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Friedrich Leopold zu Stolberg und insbesondere der Bischof von Regensburg Johann Michael Sailer (1751–1832). Sailer hatte als Theologieprofessor Generationen von katholischen Priesteranwärtern einen christozentrischen Glauben vermittelt, dabei in irenischem Geist vielfältige Beziehungen zu protestantischen Christen unterhalten und das Entstehen der deutschen Erweckungsbewegung maßgeblich mitbeeinf lusst.310 Die Erweckungsbewegung hält Sailer daher als „edlen“311 und „unvergeßlichen“312 Bischof in Ehren und sehnt sich besonders dann nach seinem „milden, versöhnlichen Geist“,313 wenn die Zeichen auf Konfessionskonf likt stehen. Nach Auffassung Hengstenbergs sind die angriffslustigen katholischen Stimmführer seiner Zeit wie Joseph Görres nur die „partie honteuse des Katholicismus“, stehen aber nicht für diesen schlechthin. „Wer sich an ihnen geärgert hat“, schreibt er, „der stärke seine Liebe an den edleren Erzeugnissen der Katholischen Kirche, an den Schriften der Jansenisten […], besonders des herrlichen Pascal, durch die Versenkung in Erscheinungen wie Sailer, Feneberg, Overberg, die Fürstin Gallitzin“.314

Die katholische Kirche ist somit zwar im Geschichtsbild der Erweckungsbewegung ein historischer Gegner. Die Erweckungsbewegung weiß jedoch, dass das „wahre Gesammtbild“ von ihr beides, die positiven und die negativen Kräfte, enthält.315 Sie nimmt daher auch auf die positiven gelegentlich Bezug. Der andere Gegner, mit dem sich die Erweckungsbewegung in ihrer Geschichtsschreibung hauptsächlich beschäftigt, ist, wie in der Literatur zu Recht unterstrichen wird,316 die Aufklärung. Die Aussage J. C. Blum310 Zur Bedeutung Sailers und seiner Schüler vgl. Horst Weigelt, „Die Allgäuer katholische Erweckungsbewegung“, in: Ulrich Gäbler (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 3, Göttingen 2000, 85–111. 311 Kanne, Leben und aus dem Leben merkwürdiger und erweckter Christen, Bd. I, 2 1842, XXX. 312 „Trauerrede auf den Hintritt des Hochwürdigsten Herrn Herrn [sic] Franz Xaver von Schwäbl, Bischof von Regensburg etc. gehalten in der Domkirche zu Regensburg bei dem dritten Trauergottesdienste den 3ten August 1841 von Melchior Diepenbrock, Domdechant.“, ZPK 2 N. F. (1841), (331–336) 332. 313 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. IV.2, 1856, 873; vgl. „Kirchliche Nachrichten“, ChB 15 (1845), 117. 314 „Vorwort“, EKZ 1839, (1–37; 41–44) 4. 315 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 769 Fn. 45. 316 Z. B. Beyreuther, Erweckungsbewegung, 3; Gäbler, Auferstehungszeit, 163. Geiger, Problem der Erweckungstheologie, 432 spricht von dem „einigende[n] Band der ganzen Bewegung“. Ähnlich Maser, Kottwitz, 223 f: „Wenn sie sich in irgendetwas einig waren, dann in der Ablehnung der Auf klärung. […] Die Einf lussreichsten unter ihnen erlebten ihre Erweckung oft im bewussten Gegenüber zu Auf klärung und Rationalismus.“ Allerdings wird auch betont, dass die Erweckungsbewegung angesichts ihres weltzugewandten Aktivismus

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hardts, erfahrungsgemäß gingen in der Geschichte „Auf klärung und Christenthum nicht gerade Hand in Hand“,317 werden die erweckten Leser als Euphemismus verstanden haben: Die Auf klärung erscheint ihnen als eine Periode des radikalen Abfalls vom wahren Christentum. Sie wird primär in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verortet, immer wieder wird jedoch ihr Einf luss bis in die Gegenwart betont.318 Die verwendeten Vokabeln sind drastisch: In bewusster Umkehrung der Lichtmetaphorik ist von einem „finstren Unglauben, der sich Auf klärung nannte“ die Rede,319 von „allerlei Irrlichtern“,320 einer „Zeit der Geistesverfinsterung“,321 wie der sonst so vorsichtige Kirchenhistoriker Neander urteilt, von der „falschen“322 und „f lachsten Auf klärung“,323 einer „dürren Zeit“.324 Hofacker bringt die Diagnose der Erweckungsbewegung in eingängigen Worten auf den Punkt: „Vor siebzig oder achtzig Jahren hat das Unwesen in unserer Kirche angefangen. Wo vorher Aberglaube war, da ist jetzt Unglaube. Die stolzen Weisen dieser Welt, die vor lauter Klugheit immer tiefer in die Narrheit fallen, haben in eigener Weisheit, im Hochmuth und unerträglicher Selbstüberhebung dem Vernunftgott […] Altäre [gebaut].“325

In dieser Beschreibung tritt der Kernvorwurf zutage, den die Erweckungsbewegung der Auf klärung macht: Sie habe die menschliche Einsicht systematisch der Offenbarung übergeordnet und in der Konsequenz dieser Entscheidung den Gott der Bibel verworfen. Die Erweckungsbewegung erblickt also hinter der auf klärerischen Forderung nach Vernunftautonomie schlichten Ungehorsam gegen Gottes Wort. Ob im Gewand des Deismus, der Neologie, des Pantheismus oder Atheismus, die Auf klärung habe den Menschen auf den Thron gehoben, auf dem ehemals Gott gesessen habe, und ihn von seinem Schöpfer und Richter mehr mit der Auf klärung gemein hatte, als sie selbst meinte (Gäbler, Auferstehungszeit, 165; Lehmann, Neue Lage, 8; Kuhn, Erweckungsbewegungen, 510; vorsichtiger urteilen diesbezüglich Ernst, Auferstehungsmorgen, 26 ff; Brecht, Pietismus und Erweckungsbewegung, 33). 317 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 186. 318 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 888; Tholuck, Abriß einer Geschichte der Umwälzung, 1839, 39; Völter, „Ueber die Ursachen der großen Zahl verwahrloster Kinder in unserer Zeit“, SSB 9 (1845), 97; Neander, Antignostikus, 2 1849, IX. 319 Zahn, Biblische Geschichte, 41835, 525. 320 Grob, Zürcherische Kirche und Schule, 1839, III f. 321 Neander, Antignostikus, 21849, VIII. 322 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 310. 323 Zeller, Stimmen der Deutschen Kirche, 1837, 176. 324 Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 276. 325 Hofacker, Predigten, Bd. I, 1831, 862.

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emanzipiert. Das Attribut „gottesfürchtig“ sei in dem neuen anthropozentrischen Denken durch „gewissenhaft“ ersetzt worden, heißt es in Claus Harms’ 95 Thesen von 1817; Gott sei als ethische Kategorie nicht mehr nötig gewesen. De facto habe die „Gewissenhaftigkeit“ freilich zur „Gewissenlosigkeit“ geführt.326 Die radikale Bibelkritik ist aus Sicht der Erweckten nicht Ursache, sondern Folge dieser grundsätzlichen Kehrtwende. Sie habe dann das Evangelium endgültig seiner historischen Substanz beraubt. Um diese Substanz, die „alte Wahrheit“,327 geht es der Erweckungsbewegung aber gerade. Denn nur bei ihr sieht sie sich auf festem Fundament. Der auf klärerischen Umdeutung der Lehre von der menschlichen Erlösungsbedürftigkeit zu einem Erziehungsauftrag am Menschen 328 hält Neanders Kirchengeschichte die Überzeugung entgegen, die „Erlösung des sündhaften Menschen durch Christus“ stelle den Mittelpunkt des Christentums dar.329 Die moralistischen Jesusbilder der Auf klärung,330 die auf die Messianität und Gottheit Jesu Christi verzichten, sind den Autoren der Erweckungsbewegung zuwider.331 Der Wunder- und Dogmenskepsis, wie sie die Neologen des 18. Jahrhunderts auszeichnete, hält sie ihren Glauben an Inkarnation und biblische Wunder entgegen.332 Die Erweckungsbewegung ist der Meinung, dass die Auf klärung „vom Westen“ gekommen sei.333 In dieser Formulierung finden auch die englischen Deisten Platz, die als Initiatoren der Bewegung durchaus genannt werden.334 Hauptsächlich jedoch bezieht man sich auf die französischen Philosophen. Unter ihnen gelten wiederum Voltaire und Jean-Jacques Rousseau als federführend: Tholuck spricht von der „Voltaireschen und Rousseauschen Periode“,335 Völter von dem „Zeitalter der Voltaire-Rousseau’schen 326

Harms, 95 theses, 1817, 22. Hofacker, Predigten, Bd. I, 1831, IV. 328 Vgl. Andreas Holzem, „Personen der Überwelt“, in: Michael Pammer (Hg.), 1750– 1900 (= Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum, Bd. 5), Paderborn et al. 2007, (239–285) 261. 329 Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. I.3, 1828, 637. 330 Ein Beispiel ist Karl Friedrich Becker, Die Weltgeschichte, für Kinder und Kinderlehrer, Bd. III, Berlin: Frölich 1802, 389: „Wie, wenn es möglich wäre, dachte nun Jesus, das arme von den Pharisäern irre geführte Volk Jehovens wieder auf den Weg der einfachen, wahren Gotteserkenntniß zurückzuführen? Wenn es mir gelänge, meine Begeisterung für reine Tugend einer Anzahl von willigen, unverderbten Seelen mitzutheilen, die dann mit mir, oder nach mir, das schöne Werk der allgemeinen Auf klärung weiter fortsetzten und immer mehr ausbreiteten?“ Vgl. dazu die Warnung in „Litterarische Anzeige“, EKZ 1827, (147–151) 149 f. 331 Zahn, Biblische Geschichte, 41835, 525; Daniel Völter, „Literarischer Bericht: Weltgeschichte“, SSB 9 (1845), 135. 332 Leonhardt, Gesegnete Ausbreitung des Christenthums, 1820, 2 f. 333 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 310. 334 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 260. 335 Tholuck, Abriß einer Geschichte der Umwälzung, 1839, 32. 327

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

Freidenkerei und Auf klärerei“.336 Von den Vorwürfen, die man gegen die französischen Auf klärer erhebt, ist der der offenen Respektlosigkeit gegen das Heilige bestimmend.337 Man habe das Christentum in Frankreich lächerlich gemacht und verachtet – so sehen es selbst Vertreter des Réveil.338 Die politischen Ziele der französischen Auf klärung, die „verlockenden Sirenengesänge von Volksfreiheit, Menschenrechten, Vernunftforderungen etc.“,339 spielen in den Darstellungen ebenfalls eine Rolle. Sie treten aber letztlich hinter dem religiösen Dammbruch, den die Erweckungsbewegung in der Auf klärung erkennt, zurück. Nach Überzeugung der Erweckten kehrten die französischen Intellektuellen im 18. Jahrhundert vor allem dem Glauben den Rücken. Die deutsche Situation derselben Zeit erscheint ihnen ziviler, aber ebenso verderblich. Hier kommt dem Vorreiter der kritischen Bibelforschung, Johann Salomo Semler (1725–1791), eine Schlüsselrolle zu. Laut Tholuck war es Semler, der „den Brand in sich trug, aus welchem die Funken auf den überall unter den Zeitgenossen verbreiteten Zunder aussprühten“.340 Mit ihm, so glaubt man, habe in der Theologiegeschichte eine Phase des „Unglaubens, des Abfalls von der Kirche“ begonnen.341 Der Zeit des Unglaubens rechnet man etwa den Theologen Karl Friedrich Bahrdt und den Pädagogen Johann Bernhard Basedow zu. Die Krankheitssymptome machen die erweckten Autoren in inhaltsleeren Predigten,342 einer Verstümmelung der „alten frommen Lieder“ in den Gesangbüchern 343 und einer sinkenden Bibelkenntnis aus.344 Allerdings geraten nicht nur Intellektuelle, sondern auch Fürsten ins Fadenkreuz der Kritik. Bereits in dem sittenlosen und pseudoreligiösen Lebensstil am Hof Ludwigs XIV., also ein Jahrhundert zuvor, erkennen

336 Völter, „Ueber die Ursachen der großen Zahl verwahrloster Kinder in unserer Zeit“, SSB 9 (1845), 98. 337 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 260; Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 890; Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 93. 338 Merle D’Aubigné, Discours, 1832, 8 berichtet von einem „esprit de profanation et de moquerie par rapport à la religion“ als Grundzug des vergangenen Jahrhunderts. 339 „Der Roman und das Christenthum“, EKZ 1842, (527–536) 530. 340 Tholuck, Abriß einer Geschichte der Umwälzung, 1839, 39. Zu Tholucks Beurteilung Semlers in diesem Werk vgl. auch Andreas Lüder, Historie und Dogmatik. Ein Beitrag zur Genese und Entfaltung von Johann Salomo Semlers Verständnis des Alten Testaments, Berlin/New York 1995, 11–13. 341 „Ueber die Aufgabe und die Behandlung der Dogmen-Geschichte“, ZPK 3 N. F. (1842), (65–101) 68. 342 Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 276. 343 „Das deutsche Kirchenlied von Martin Luther bis auf Nicolaus Herman und Ambrosius Blaurer. Von Dr. K. E. Ph. Wackernagel. Stuttgart. Verlag von S. G. Liesching. 1841“, ZPK 1 N. F. (1841), (120–128) 120. 344 „Die Kirche und die deutsche poetische Literatur seit der Reformation“, ZPK 3 N. F. (1842), 40.

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Historische Gegner – Katholizismus und Auf klärung

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einige die Wiege des „französischen Unglaubens“.345 Auch vielen Fürsten des 18. Jahrhunderts werden schlechte Noten ausgestellt. Ludwig XV. von Frankreich kann als „ein elender Sclave seiner bösen Lüste“, 346 Katharina II. von Russland als Verbrecherin geschildert werden.347 Im Zuge der Vorherrschaft auf klärerischer Philosophie, meint Heinrich Leo, hätten die Fürsten ihr ursprüngliches Selbstverständnis verloren; der Staat sei ihnen „zu einem Abstractum“ geworden. „Die Fürsten musten nun zu der Verteidigung oder zu der Leitung ihres Tuns Philosophen sein oder Philosophen haben; und ein wahrer Weteifer der Eitelkeit in beiden Dingen, im Philosophen-sein und Philosophen-haben, ergrif fast alle europäischen Höfe.“348

Der Hof, den Leo hauptsächlich im Sinn hat, ist selbstverständlich Sanssouci: Die Erweckungsbewegung wird nicht müde daran zu erinnern, dass Friedrich der Große mit Voltaire und weiteren französischen Philosophen korrespondierte oder sie in Potsdam beherbergte. Diesem Tatbestand ist die ambivalente Beurteilung des Preußenkönigs hauptsächlich zuzuschreiben. An und für sich erscheint Friedrich den Erweckten nämlich wegen seines politischen und militärischen Geschicks, seiner Tüchtigkeit und seiner Gerechtigkeitsliebe als „Regentenvorbild“349 und „einer der größten Fürsten der neuern Zeit“.350 Dass solche Urteile trotz Friedrichs Kriegstreiberei und Religionsspott zustande kommen, drückt etwas von der Bewunderung aus, die der Preußenkönig im Vormärz wieder zunehmend genießt.351 Friedrichs Kontakte zu den französischen Philosophen schränken die Hochachtung jedoch nachhaltig ein: Einerseits missbilligt man die sich hierin äußernde Geringschätzung des deutschsprachigen Kulturlebens.352 Andererseits und vor allem bedauert man Friedrichs große Distanz zum Christentum. Der konfessionspolemische katholische Erklärungsansatz für Friedrichs Liebäugeln mit dem Freidenkertum fehlt verständlicherweise in der Erweckungsbewegung: die Vermutung, der jugendliche Kronprinz habe nur ein reformatorisches Christentum, folglich nie „das Original […] in seiner vollen, reinen

345 Tholuck, Abriß einer Geschichte der Umwälzung, 1839, 32 f. Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II.1, 1833, 98 f. 346 Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 95. 347 Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. II, 1839, 271. 348 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. IV, 1840, 366 f. 349 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 310. 350 Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 92. 351 Vgl. Sagarra, Image of Frederick II. 352 Hofmann, Lehrbuch der Weltgeschichte, Bd. II, 1839, 268 f; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 310.

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Schön heit“ kennen gelernt.353 Doch auch bei den Erweckten wird mitunter Friedrichs religiöse Erziehung verantwortlich gemacht.354 Auf alle Fälle empfinden sie dessen Entwicklung als tragisch, sprechen von dem „unseligen Beispiel eines fast vergötterten Monarchen“355 und weisen auf die „Verderblichkeit“356 und „höchst nachtheiligen Wirkungen“357 dieses Beispiels hin. Wenigstens eine gewisse Distanz zu dem Preußenkönig bleibt stets bestehen. Ein in ihrem Sinne christlicher Herrscher war Friedrich nicht.358 Auch in der Pädagogik, für die sich die Erweckungsbewegung aufgrund ihres sozialen Engagements besonders interessiert, schaut sie auf eine „Periode des hundertjährigen Abfalls“ zurück.359 Rousseau gilt ihr als deren glänzender Repräsentant und „Sündenfall“ zugleich,360 sein Emile von 1762 sei ein „ebenso lehrreiches als verführerisches pädagogisches Werk“.361 Raumer widmet dem begabten „Misanthropen“ immerhin 74 Seiten seiner Geschichte der Pädagogik und zeigt sich dort von Rousseaus Virtuosität, nicht aber von seinem Charakter beeindruckt. Den Grundirrtum Rousseaus sieht er in dessen Leugnung der menschlichen Verdorbenheit – in der Annahme also, „daß der Mensch ein von Natur gutes Wesen sei“.362 Diesem anthropologischen Optimismus und der daraus abgeleiteten auf klärerischen Pädagogik tritt die Erweckungsbewegung mit ihrer Überzeugung von der Sündhaftigkeit des Menschen und der Erlösung durch Christus entgegen. Auf diese baut sie ihr Erziehungskonzept auf. Einem zeitgenössischen Pädagogen mit einer (teilweise) anderen Position räumt sie dennoch einen festen Platz in ihrem Gedächtnis ein: dem Schweizer Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827). Für die Erweckten ist Pestalozzi kein Gegner, sondern eine geachtete, wenn auch tragische Gestalt. Schon die Vertrautheit und zum Teil persönliche Bekanntschaft mit 353

„Friedrich’s des Großen Verhältniß zur katholische Kirche“, HPB 1 (1838), (321–338)

323. 354 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 265. Anders hingegen Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. IV, 1840, 369 f. 355 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 890. 356 Tholuck, Abriß einer Geschichte der Umwälzung, 1839, 36; Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. IV, 1840, 437. 357 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 265; vgl. Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 93. 358 Zur Distanz der – oft von der Erweckungsbewegung mitgeprägten – preußischen Konservativen zu Friedrich II. vgl. auch Kroener, Choral von Leuthen, 111; Kroll, Friedrich der Große, 623 f. 359 „Vorwort des Herausgebers“, SSB 8 (1844), (1 f ) 2. 360 Ebd. 361 Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. II, 21847 (1843), 188; 260. 362 Ebd., 260; 188; 212.

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Pestalozzi, etwa von Dittmar,363 Raumer364 und C. H. Zeller,365 wird hierzu beigetragen haben. Rechnet der Süddeutsche Schul-Bote Pestalozzis Pädagogik auch zur fehlgeleiteten auf klärerischen Periode,366 so attestiert er dem 1827 verstorbenen „alten Vater“367 doch, ein „edler Mann“ von großer Integrität gewesen zu sein. Zumindest am Ende seines Lebens habe er „nicht so ferne mehr vom Reich Gottes“ gestanden.368 Pestalozzis Besuch in Zellers Beuggener Rettungsanstalt kurz vor seinem Tod, der ihn sehr bewegte, wird in dem Blatt wiederholt erwähnt.369 Raumer stellt in einem Vergleich Pestalozzis mit Rousseau der „blendenden Feuersäule des französischen Vulkans“ den „milden Stern, der über Deutschland aufgieng“ gegenüber.370 Zwar betont er, Pestalozzi habe in den wichtigen mittleren Jahren seines pädagogischen Schaffens Frömmigkeit und Gebet gegen ein „leeres Moralisiren“ eingetauscht und sei nicht zuletzt deshalb gescheitert. Raumer fügt jedoch hinzu: „Wer darf gegen ihn einen Stein auf heben, wer darf ihn verdammen? Ihm ist viel vergeben, denn er hat viel geliebt. Ja, eine Liebe zieht sich durch sein ganzes mühevolles Leben, eine Sehnsucht, dem armen verlaßenen Volk zu helfen.“371

Somit ist Pestalozzi in Kreisen der Erweckungsbewegung zwar „umstritten“, wie Kuhn zu Recht anmerkt,372 er wird aber weniger stark kritisiert als viele andere Vertreter seiner Epoche.373 Eine besondere Funktion schließlich kommt im Auf klärungsbild der Erweckungsbewegung Friedrich Schleiermacher (1768–1834) zu. Einerseits ist man überzeugt, dass der große Theologe und Philosoph mit seinen Reden ueber die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern von 1799 dem Religionsspott der Auf klärung die Spitze abgebrochen habe. Neander, der sich seinem ehemaligen Berliner Fakultätskollegen besonders verbunden fühlt, 363 Vgl. Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, 3. Auf l., Bd. 3, 330. 364 Vgl. Weigelt, Karl von Raumer, 172 f. 365 Vgl. Thomas K. Kuhn, Religion und neuzeitliche Gesellschaft. Studien zum sozialen und diakonischen Handeln in Pietismus, Auf klärung und Erweckungsbewegung, Tübingen 2003, 239 f, v. a. Fn. 60. 366 „Vorwort des Herausgebers“, SSB 8 (1844), 2. 367 „Was Pestalozzi wollte“, SSB 10 (1846), (158 f ) 159. 368 „War Heinrich Pestalozzi ein Ungläubiger?“, SSB 7 (1843), (39 f ) 40. 369 Ebd.; „Pestalozzi“, SSB 5 (1841), 8. 370 Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. II, 21847, 515. 371 Ebd., 465 f; 472 f. 372 Kuhn, Religion und neuzeitliche Gesellschaft, 291. 373 Zur intensiven Pestalozzirezeption eines pietistischen Pädagogen und Theologen der vorausgehenden Generation vgl. Hans-Martin Kirn, Deutsche Spätauf klärung und Pietismus: ihr Verhältnis im Rahmen kirchlich-bürgerlicher Reform bei Johann Ludwig Ewald (1748–1822), Göttingen 1998, 324–352.

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rühmt ihn dafür sogar als „großen Lehrer unserer Nation“. 374 Gleichwohl sind die gravierenden theologischen Differenzen zu dem Mann unübersehbar, der das Wesen der Religion in dem unbestimmten „Gefühl einer absoluten Abhängigkeit“ verortet und der im Vorwort zur dritten Auflage der Reden seufzt, mittlerweile seien eher Reden „an frömmelnde und an Buchstabenknechte“ nötig.375 Dem Kieler Neulutheraner Claus Harms, der sich selbst einen „Jünger“ Schleiermachers nennt, scheint dieser gleichwohl „am Glauben […] einigen Mangel zu leiden“. Harms schreibt, hierin würden ihm noch viele andere zustimmen.376 Im Christlichen Volksboten wird Schleiermachers Lebensende in pietistisch-frommen Farben gezeichnet,377 andernorts wird jedoch betont, Schleiermachers Reden hätten nur eine „Ahnung des Höchsten“ geweckt, aber noch keinen christlichen Glauben verbreitet.378 Die scharfe Kritik der Evangelischen Kirchen-Zeitung an Schleiermacher führte 1830 zu einer Krise in ihrem Mitarbeiterkreis.379 Insgesamt trifft Dittmar wohl das Urteil der meisten Erweckten, wenn er Schleiermachers Wirken die „Bedeutung […] eines Uebergangsschrittes zunächst zum Theismus“ zuschreibt.380 Schleiermacher zählt für die Erweckungsbewegung daher eher zu den Wegbereitern als zu den eigentlichen Repräsentanten einer die Auf klärung ablösenden besseren Zeit. 2.5 Die Urerfahrung 1789 bis 1815 Zwischen der Hochphase auf klärerischer Philosophie und der eigenen Gegenwart lag aus Sicht der Erweckten eine Zeit grundstürzender und weltgeschichtlicher Ereignisse: Die Französische Revolution, die napoleo374

Neander, Antignostikus, 21849, VIII. Friedrich Schleiermacher, Ueber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Berlin: Reimer 31821 (1799), 182; XIV. 376 Claus Harms, Briefe zu einer naehern Verstaendigung ueber verschiedene meine Thesen betreffende Puncte. Nebst einem namhaften Briefe, an den Herrn Dr. Schleiermacher, Kiel: Universitäts-Buchhandlung 1818, III; V. 377 „Schleiermacher’s Lebensende. (Von Freundeshand mitgetheilt.)“, CVB 2 (1834), 178 f. Daran anknüpfend „Ein Blick in das Vaterhaus Schleiermachers“, CVB 3 (1835), 57 f. 378 Zeller, Stimmen der Deutschen Kirche, 1837, 178. Schleiermachers Glaubenslehre von 1821 wird von Zeller allerdings positiv bewertet (ebd., 179). 379 „Ueber Dr. Schleiermacher’s Behauptung der Unkräftigkeit und Entbehrlichkeit der messianischen Weissagungen“, EKZ 1830, 17–21; 25–31; August Neander, „Erklärung über meine Theilnahme an der Evangelischen Kirchenzeitung, und die Gründe, mich von derselben ganz loszusagen“, EKZ 1830, 137–140. 380 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. IV.2, 1856, 866. Auch „Revue religieuse et littéraire“, Archives 5 IIe série (1837), (116 f ) 117 würdigt Schleiermacher lediglich als einen „homme de transition“. Zur gespaltenen Schleiermacher-Rezeption vgl. auch Kantzenbach, Erweckungsbewegung, 88 f. 375

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nische Expansion und die Befreiungskriege gelten ihnen als epochale Begebenheiten. Zugleich geht es für sie hier nicht um bloße Geschichtsdaten, sondern um Erfahrungen, die sie direkt oder indirekt miterlebten oder von denen ihnen mit emotionaler Anteilnahme berichtet wurde. Nicht von ungefähr sind für Heinrich Leo noch 1844 die in der Französischen Revolution wurzelnden Ereignisse ein „äußerlich noch nachspukendes“ Thema.381 Man sieht in ihnen nicht nur ein Spiel europäischer Machtpolitik, sondern die prototypische Verwirklichung und das geradezu groteske Scheitern dessen, was die Auf klärung vordachte: eine Gesellschaft auf rein innerweltliche Vernunftprinzipien aufzubauen. Gleichzeitig erscheinen die Jahre 1789 bis 1815 aber als Geburtsstunde eines neuen christlichen Bewusstseins in Europa – und nicht zuletzt der Erweckungsbewegung selbst. Die „tiefe Erschütterung“,382 die Umsturz und Königsmord, Kriegsnot und Unterjochung sowie Neuauf bruch und nationale Befreiung nach Meinung der Erweckten hervorriefen, gilt ihnen als eine Wirkung Gottes zur Herbeiführung einer gesellschaftlichen Richtungsänderung. Und in der Tat nehmen sie einen Wandel in der Einstellung zur Religion wahr. Zwar ist sich die Erweckungsbewegung dessen bewusst, dass hinter einer Bekehrung zum biblisch-erwecklichen Glauben oft ein langer Weg der inneren ethisch-theologischen Neuorientierung, das heißt weit mehr als das politische Erleben steht, wie autobiographische Zeugnisse bestätigen.383 Gleichwohl bringt man die neue Offenheit der Zeitgenossen für das Evangelium mit den aufrüttelnden Ereignissen der napoleonischen Ära in Verbindung.384 „Ueberall […] ließen die Erschütterungen viel Heilsames zurück“, schreibt Blumhardt.385 In diesem Sinne stellt das turbulente Geschehen zwischen 1789 und 1815 für die Erweckungsbewegung eine Urerfahrung dar. „Im Jahre 1789 brach der Sturm los.“386 Mit solchen und ähnlichen Wendungen beschreiben Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung die Entladung aufgestauter zerstörerischer Energien in der Französischen Revolution. Zu den Wolken, die den Orkan vorbereitet und angekündigt hätten,387 zählen sie neben dem Aufklärungsdenken die gesellschaftlichen Missstände in Frankreich, besonders die Herrscherpersönlichkeit Ludwigs XV. 381

Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, V. Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 335. 383 Ihre Erweckung in den 1810er Jahren beschreiben etwa Kanne, Leben und aus dem Leben merkwürdiger und erweckter Christen, Bd. I, 21842 (1816), 263–296; Hofacker, Predigten, Bd. I, 1831, VII–XXIII; Krummacher, Abschieds-Predigt, 21847, 5–11. 384 Barth, Abriß, 1831, 166; Zahn, Biblische Geschichte, 41835, 526; Zeller, Stimmen der Deutschen Kirche, 1837, 178; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 335. 385 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 305. 386 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 197. 387 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 321. 382

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(weniger die seines Nachfolgers Ludwig XVI.)388 und die ungerechte Privilegierung der ersten beiden Stände. Adel und Geistlichkeit hätten sich aller Staatslasten entledigt und sie den ärmeren Teilen der Gesellschaft aufgebürdet.389 „[U]m gerecht zu seyn“, räumt Eyth daher ein, „man hatte Ursache ‚die allgemeinen Menschenrechte‘ zu fordern“. 390 Die liberalen Forderungen werden also nicht allesamt abgelehnt. Dies zeigt auch der – über die tatsächliche Praxis der bürgerlichen Revolution hinausgehende – Appell des Christen-Boten, den amerikanischen Schwarzen „Freiheit“ und „die vollen Menschenrechte“ zuzugestehen.391 Allerdings wird der Menschenrechtskatalog der Revolution von der Erweckungsbewegung kaum thematisiert und nicht als solcher positiv gewürdigt. Die erweckten Geschichtsschreiber sehen in dem gewaltsamen Umsturz und der Abschaffung der Obrigkeit nämlich bereits ab 1789 eine Sittenwidrigkeit. Das abwägende Urteil vieler zeitgenössischer Historiker über die Französische Revolution 392 teilen sie nicht. Selbst wenn sie das Ancien Régime verurteilen, gilt ihnen die Revolution doch insgesamt als „schauderhafte Begebenheit“,393 „entsetzlich“394 in Absicht und Ausführung. Man erblickt in dem „gräßlichen Revolutionswahnsinn“395 der Terreur-Phase mit ihren antireligiösen und polizeistaatlichen Exzessen zwar eine neue Dimension, aber keine prinzipielle Richtungsänderung innerhalb der Revolution. Septembermorde und Schreckensherrschaft gelten lediglich als besondere Manifestationen des Zerstörungspotentials, das in der Revolution als einer gewaltsamen, areligiösen Rebellion immer gelegen habe. Der „Mordgeist“396 der Revolutionäre wird mehrmals vorgeführt, indem die Hinrichtungen beschrieben werden.397 „Zuweilen f loß das Blut in kleinen Bächen“, heißt es bei Leo.398 Ist für viele Zeitgenossen der Erweckten die Französische Revolution der Nachweis, dass der geschichtliche Fortschritt keine spekulative Idee, sondern eine empirische Tatsache 388 Während Ludwig XV. durchweg negativ erscheint, wird Ludwig XVI. zumindest guter Wille (Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 322; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 282), mitunter sogar Liebenswürdigkeit (Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 99) bescheinigt. 389 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 197; Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, 1833, 153; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 282. 390 Eyth, Biographie en gros, 1847, 171. 391 „Die amerikanische Freiheit“, ChB 8 (1838), (251–254) 254; 253. 392 Vgl. Mayer, Sprachspiele der Revolution, 219. 393 Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, 1833, 153. 394 Eyth, Biographie en gros, 1847, 171. 395 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 324. 396 Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 97. 397 Besonders drastisch in Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 285. 398 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. V, 1842, 108.

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sei,399 so ist sie für die Erweckten vor allem Anschauungsmaterial dafür, wohin eine Bewegung führen müsse, die sich mit aller Konsequenz vom Christentum emanzipiere. Die Französische Revolution blieb kein französisches Ereignis: Selbst als sich die Lage in Frankreich mit dem Tod Robespierres beruhigt hatte, so sehen es die Erweckten, griff sie in den Revolutionskriegen über Frankreich hinaus und ließ mit Napoleon einen Herrscher erstehen, der „neues Elend über die Völker“ brachte.400 Die im Vormärz vergleichsweise positive Bewertung Napoleons bei deutschen Liberalen401 findet in der Erweckungsbewegung keinen Widerhall. Diese lehnt eine deutsche Napoleonrenaissance vielmehr entschieden ab.402 Dies schließt nicht aus, dass der Herrschaft Napoleons auch positive Seiten bescheinigt werden, etwa dessen Geschick403 oder die Tatsache, dass er der Revolution Grenzen setzte und alle Konfessionen schützte.404 Auch ist man davon überzeugt, dass die napoleonische „Zeit der Knechtung und des Druckes“405 für Deutschland eine gerechte Strafe Gottes war,406 also einem gottgewollten Ziel diente, und dass der Kaiser der Franzosen – gegen seinen Willen – einen verjüngenden Einf luss auf die Völker Europas ausübte.407 Insgesamt ist das Napoleonbild der Erweckungsbewegung aber das eines „Nimmersattes“408 und „ehr- und herrschsüchtigen Tyrannen“.409 Neben seinem aggressiven Machtwillen ist der Personenkult um Napoleon Zielscheibe der Kritik: Napoleon werde durch die Verehrung zu einem „Götzen des Volkes“ gemacht.410 Bezeichnend für das Napoleonbild ist eine Reisenotiz, die der Christen-Bote 1833 aus dem Barmer Missions-Blatt übernimmt: Zwei 399

Vgl. Hölscher, Entdeckung der Zukunft, 56. Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 198. 401 Vgl. Schmidt, Napoleon in der deutschen Geschichtsschreibung, 537 f; Hagen Schulze, „Napoleon“, in: ders./Etienne François (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 2, München 2001, (28–46) 35; 37 f. Vgl. auch die Mythisierung Napoleons bei Heinrich Heine, dargestellt von Markus Winkler, „Heines Napoleon-Mythos“, in: Joseph A. Kruse/Bernd Witte/Karin Füllner (Hg.): Auf klärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongress 1997 zum 200. Geburtstag, Stuttgart/Weimar 1998, 379–394. 402 „Vorwort“, EKZ 1836, 17; Raumer, Napoleon und Deutschland, 1840, 1–4; 12–15; 18 f. 403 Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 329. 404 „Hoffnungen für die Protestanten in Mayland“, CVB 3 (1835), (46 f ) 46. 405 Eyth, Biographie en gros, 1847, 171. 406 Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, 1833, 154; Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 97; „Hoffnungen für die Protestanten in Mayland“, CVB 3 (1835), 46. 407 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 298. 408 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 301. 409 Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, 1833, 153; vgl. Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 100 f; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 331. 410 „Vorwort“, EKZ 1836, 17; vgl. Raumer, Napoleon und Deutschland, 1840, 2. 400

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

englische Missionare, so wird berichtet, hätten in einem Dorf auf der Insel Java einen Altar mit einem goldumrahmten Porträt gefunden, das ein Einwohner, überzeugt eine neue Gottheit entdeckt zu haben, täglich anbetete. Mit Erstaunen hätten sie in dem Porträt ein Bildnis Napoleons erkannt, mit dem sie aus Europa bestens vertraut waren.411 In der Überschrift, „Napoleon, der Götze“, wird die symbolisch-satirische Spitze des ansonsten mit der Polytheismusthematik befassten Artikels deutlich: Die Erweckungsbewegung lehnt jeden Personenkult um Napoleon ab. Die meisten erkennen in dem Korsen vielmehr mit Heinrich Leo einen Menschenverächter und eine „verruchte Seele“.412 Die Kollaboration der deutschen Rheinbund-Fürsten mit Napoleon wird dabei selten thematisiert. Sie erscheint den Erweckten wohl mehrheitlich als Ergebung in das Unvermeidliche und daher als entschuldbar.413 Die negative Deutung der napoleonischen Expansion verstärkt das positive Urteil über die Befreiungskriege von 1813 bis 1815. Dieses Urteil fügt sich weitgehend – mit christlichem Akzent und ohne die politischen Freiheitsziele der Liberalen – in die allgemeine Erinnerungsgeschichte des Vormärz ein.414 Wohl ist man sich des Blutzolls bewusst, den die Heere beider Seiten von Napoleons Russlandfeldzug 1812 bis zur Schlacht von Waterloo 1815 entrichteten. Blumhardt etwa meint, die Geschichte wisse „nichts Schauderhafteres“ als den Rückzug der Grande Armée aus Russland, und berichtet auch von den über hunderttausend Toten der Völkerschlacht bei Leipzig.415 Trotz der hohen Opferzahlen wird jedoch überwiegend von positiven Emotionen – Enthusiasmus, leidenschaftlichem Einsatz, Dankbarkeit und Freude über den Sieg – berichtet.416 In Völters Württembergbuch, das von dem Verlust fast des gesamten im Russlandfeldzug eingesetzten Korps und demnach von einer württembergischen Tragödie zu berichten hat, wird die positive Grundstimmung durch den Kontrast besonders deutlich. „Es war keine Stadt, kein Dorf, ja oft fast keine 411

„Napoleon, der Götze“, ChB 3 (1833), 203. Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 299 f. 413 Völter, Württemberg, 21847, 241. 414 Zu den Deutungen der Befreiungskriege vgl. Ferdi Akaltin, Die Befreiungskriege im Geschichtsbild der Deutschen im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1997; Kirstin Anne Schäfer, „Die Völkerschlacht“, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 2, München 2001, 187–201; Karl Borromäus Murr, „‚Treue bis in den Tod‘. Kriegsmythen in der bayerischen Geschichtspolitik im Vormärz“, in: Nikolaus Buschmann/Dieter Langewiesche (Hg.), Der Krieg in den Gründungsmythen europäischer Nationen und der USA, Frankfurt a. M./New York 2003, 138–174; Ute Planert, Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag – Wahrnehmung – Deutung 1792–1841, Paderborn et al. 2007. 415 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 302; 304. 416 Etwa Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 103; Eyth, Biographie en gros, 1847, 171. 412

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Die Urerfahrung 1789 bis 1815

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Familie, welche nicht ihre Todten zu beweinen hatte“, schreibt er und fährt doch unmittelbar danach fort: „Gott hatte […] das Joch der Tyrannei zerbrochen. Freudig erhuben sich nun die deutschen Völker zum Kampf für die Freiheit.“417 Der entscheidende Grund für die positive Darstellung der Befreiungskriege liegt in der Überzeugung, dass Gott zugunsten der unterdrückten Völker eingeschritten sei und den Sieg geschenkt habe. In der Forschung wird immer wieder betont, dass der antinapoleonische Freiheitskampf von Zeitgenossen und späteren Interpreten über die theologischen Lagergrenzen hinweg religiös-christlich interpretiert wurde.418 Für die Erweckungsbewegung trifft dies uneingeschränkt zu: Sieht man die napoleonische Herrschaft als eine gottgewollte Demütigung an, so erblickt man in der Befreiung von dieser Herrschaft ein gnädiges Handeln Gottes und eine Gebetserhörung.419 „Gott hilft dem Gedemüthigten“, kommentiert Kappe.420 Weil man die glückliche Niederringung Napoleons für ein Wirken Gottes hält und mit einem religiösen Gesinnungswandel in Verbindung bringt, kann man von einem „Befreiungskrieg im tiefsten Sinne des Wortes“,421 in Einzelfällen sogar von einem „heiligen Krieg“422 sprechen. Nationale Befreiung und religiöse Erweckung scheinen dabei ineinander verwoben zu sein. „Am lebhaftesten war die Bewegung zu Christo in den Jahren unmittelbar nach dem Freiheitskriege […]“, heißt es in der Evangelischen Kirchen-Zeitung – so als bildeten Befreiungskrieg und Erweckung einen einheitlichen Komplex.423 Allerdings wird die Verbindung auch wieder relativiert. Weil den Erweckten mehr an der Alltagsfrömmigkeit als am politischen Pathos liegt, bedauern sie die Kurzfristigkeit und Ober417

Völter, Württemberg, 21847, 245. Vgl. Gerhard Graf, Gottesbild und Politik. Eine Studie zur Frömmigkeit in Preußen während der Befreiungskriege 1813–1815, Göttingen 1993, 101; Erich Pelzer, „Die Wiedergeburt Deutschlands 1813 und die Dämonisierung Napoleons“, in: Gerd Krumeich/ Hartmut Lehmann (Hg.), „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, (135–156) 140; Stefan-Ludwig Hoffmann, „Mythos und Geschichte. Leipziger Gedenkfeiern der Völkerschlacht im 19. und frühen 20. Jahrhundert“, in: Etienne François/Hannes Siegrist/Jakob Vogel, Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1995, (111–132) 114; Jung, Protestantismus in Deutschland, 111; Monika Flacke, „Deutschland. Die Begründung der Nation aus der Krise“, in: dies. (Hg.), Mythen der Nationen: Ein europäisches Panorama, München/Berlin 22001 (1998), (101–128) 117. 419 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 261; „König Friedrich Wilhelm III.“, EKZ 1840, 500; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 303; Eyth, Biographie en gros, 1847, 172. Wenige Jahre später auch Jahn, Die deutschen Freiheitskriege, 21850 (1850), 2; 5; 7. 420 Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 101. 421 Raumer, Napoleon und Deutschland, 1840, 15. 422 Ebd.; Eyth, Biographie en gros, 1847, 172. 423 „Vorwort“, EKZ 1836, 10. 418

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f lächlichkeit des Auf bruchs: Auf Gottes Eingreifen habe Deutschland nur kurzzeitig mit der gebotenen Dankbarkeit reagiert und sich vielerorts bald wieder einer religiösen Gleichgültigkeit zugewandt.424 Hinter der Heiligen Allianz von 1815 erblickt man dagegen noch die Dankbarkeit der ersten Stunde und begrüßt sie daher als ein christliches „Zeugniß“.425 Allerdings kann man sich über ihre langfristige Wirkung auch enttäuscht äußern.426 Wenigstens der Wille zu einem geistigen Neuanfang, meint man jedoch, sei in dem symbolgeladenen Staatenbund zum Ausdruck gekommen. Dass die Jahre um 1813 in der Wahrnehmung der Erweckungsbewegung einen Umbruch darstellen, liegt nicht nur an den politischen Erschütterungen. Auch die Hungersnot von 1816/17 wäre zu nennen. Nach Andreas Gestrich handelte es sich um eine „Jahrhundertkrise“, die nicht nur die Armen, sondern auch die kleinbürgerlichen Mittelschichten bedrohte und in ihren Einstellungsmustern für Jahrzehnte mitprägte.427 Von Erweckten wurde der katastrophale Ernteausfall als „Zeichen der Zeit“ gedeutet.428 Im Rückblick schreibt Ludwig Völter, die „schweren Heimsuchungen Gottes“ seien damals nicht spurlos am religiösen Leben Württembergs vorbeigegangen und hätten etliche dem Glauben zugewandt.429 Noch größere Bedeutung für das Gedächtnis der Erweckungsbewegung hat das zeitgleiche Einsetzen der Missionsbewegung und anderer christlicher Aktivitäten auf dem europäischen Festland. Der Breslauer Professor Johann Gottfried Scheibel meint 1815 anlässlich der Stiftung der schlesischen Bibelgesellschaft: „[I]n der Zeit, wo nirgends mehr die Bibel gelästert wurde, als auf den meisten protestantischen exegetischen Cathedern [, …] hat der Herr gezeigt, wie er vermöge ‚den Leuchter von der Stätte zu stoßen‘ und den Heyden in Asien, Afrika und Amerika in die Hände zu geben. […] In einer solchen Zeit entstand in England […] im Jahr 1804 die erste Bibelgesellschaft.“430 424

Ebd., 17; Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. VI, 1844, 230 f; 241. Braunschweig, Umrisse einer allgemeinen Geschichte, 1833, 700; 750; Dittmar, Weltgeschichte, 21842, 335; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 306; „Des Schweizerlandes hohe Bestimmung“, CVB 1 (1833), 4; Eyth, Biographie en gros, 1847, 173. 426 „Des Schweizerlandes hohe Bestimmung“, CVB 1 (1833), 4; Eyth, Biographie en gros, 1847, 173. Kapff, Die Revolution, 1851, 151 fordert von den deutschen Fürsten einen „heiligeren Bund, als euer Staatsbund war“. 427 Andreas Gestrich, „Religion in der Hungerkrise von 1816/1817“, in: Manfred Jakubowski-Tiessen/Hartmut Lehmann (Hg.), Um Himmels willen. Religion in Katastrophenzeiten, Göttingen 2003, (275–293) 275. 428 Vgl. ebd., 285; 290 f. 429 Völter, Württemberg, 21847, 249. Ähnlich Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 278. 430 Scheibel, Einige Worte über die Wahrheit der christlichen Religion, 1815, 26 f. Angespielt wird auf eine Formulierung in dem Sendschreiben an die Gemeinde in Ephesus (Offenbarung 2,5). 425

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Die Urerfahrung 1789 bis 1815

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Seit 1804 und vermehrt nach Napoleons Sturz waren dann auch in Deutschland Bibelgesellschaften entstanden, und 1815 wurde die Basler Mission gegründet, die Entscheidendes zur Blüte der Missionsbewegung im Vormärz beitrug. 1839 heißt es daher in der Evangelischen Kirchen-Zeitung, „seit der Revolution und vorzüglich seit fünf und zwanzig Jahren“ sei in der ganzen Welt eine „große und edle evangelische Bewegung“ am Werke.431 Die Bedeutung dieser Neuansätze für das Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung ist erheblich, wie das Kapitel zur Missionsgeschichtsschreibung (I.2.3) gezeigt hat. Beschreiben die Jahre 1789 bis etwa 1815 für die Erweckungsbewegung eine Urerfahrung, so liegt dies also am Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, nicht nur an dem schnellen Pendelschlag in der Politik. Die politischen Erschütterungen liefern jedoch eine Rahmenhandlung, durch die auch die anderen als Umbruch erfahrenen Ereignisse für die Erweckten besser einzuordnen sind. Sie sind daher ein integraler Bestandteil ihres kollektiven Gedächtnisses. An ihnen scheint sich prototypisch zu zeigen, wie sehr Staat und Gesellschaft der christlichen Grundlagen bedürfen. Dies verdeutlichen zwei historische Szenen aus den Jahren 1789 bis 1815, die aus Sicht der Erweckungsbewegung zwei entgegengesetzte Ausrichtungen moderner Staaten repräsentieren. Indem die Szenen in der Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung wiederholt beschworen werden, kommt ihnen ansatzweise die Funktion von „Bestätigungsmythen“ (Langewiesche)432 zu: Komprimiert und eindringlich führen sie anhand eines Augenblicks der Vergangenheit – im ersten Fall ex negativo – das christliche Politikverständnis der Erweckungsbewegung vor.433 Die erste 431 „Bewerbung um den Lehrstuhl der Kirchengeschichte auf der Genfer Akademie“, EKZ 1839, 352. 432 Dieter Langewiesche, „Krieg im Mythenarsenal europäischer Nationen und der USA. Überlegungen zur Wirkungsmacht politischer Mythen“, in: ders./Nikolaus Buschmann (Hg.), Der Krieg in den Gründungsmythen europäischer Nationen und der USA, Frankfurt a. M./New York 2003, (13–22) 15. 433 Ein Mythos ist nach Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 21997, 76 „Vergangenheit, die zur fundierenden Geschichte verfestigt und verinnerlicht wird, […] völlig unabhängig davon, ob sie fiktiv oder faktisch ist“. Er kann daher als „ein semantisch aufgeladenes Bild der Vergangenheit“ definiert werden (vgl. Veit Rosenberger, „Die ‚furchtbaren Gallier‘. Überlegungen zur Gallierfurcht und zur zweiten Gründung Roms“, in: Volker Dotterweich [Hg.], Mythen und Legenden in der Geschichte, München 2004, [25–37] 26). Nimmt man den von Monika Flacke herausgegebenen Sammelband Mythen der Nationen: Ein europäisches Panorama, München/Berlin 22001 zur Grundlage, so zeigt sich, dass die Erweckungsbewegung sowohl die deutschen als auch mehrere nachbarstaatliche Nationalmythen, beispielsweise den in der Allgemeinen Weltgeschichte zitierten Opfertod des Schweizers Arnold von Winkelried in der Schlacht bei Sempach, in ihr Geschichtsdenken aufnimmt. Der Akzent liegt dabei auf den – ohnehin zahlreichen – christlichen Motiven der europäischen Mythen, wie etwa die Behandlung Gustav Adolfs oder des Aufrufs der Freiwilligen 1813 zeigt.

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Szene illustriert die Dechristianisierung Frankreichs gegen Ende des Jahres 1793. Zahn beschreibt sie wie folgt: „Sie […] schafften den Sonntag und alle christlichen Feste ab, verehrten ein liederliches Weibesbild, das sie im Festgepränge herum trugen, als die Göttin der Vernunft. – Die so erlangte Freiheit endete bald mit Schrecken.“434

Indem die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung immer wieder – meist kurz, gelegentlich ausführlicher – von dem „lüderlichen Weib von der Oper“,435 dem „gemeinen Weib“436 oder der „liederlichen Frauensperson“437 berichten, die sich als „Göttin der Vernunft“ im Triumphzug durch Paris tragen ließ, erschließt sich den Lesern der Irrweg der Revolution: Diese moderne Variante des Tanzes ums Goldene Kalb macht prototypisch deutlich, in welche Niederungen die angeblich so hohe menschliche Vernunft hinabsteigt, wenn sie sich ihrer christlichen Fundamente entledigt. Das Gegenbild hierzu ist eine wirkmächtige (wenn auch historisch fragliche)438 Szene aus der Völkerschlacht bei Leipzig: das Niederknien des preußischen Königs, des österreichischen Kaisers und des russischen Zaren zum gemeinsamen Dankgebet. „Dieß war der neue Geist, der durch die Nationen wehte und der seinen schönsten Ausdruck in jenem Augenblicke fand, als die drei größten Herrscher der Christenheit, die Repräsentanten dreier Kirchen, sich unter dem verhallenden Donner der Leipziger Schlacht, mitten unter Sterbenden und Todten, also im Anblicke von Zeit und Ewigkeit, auf die Kniee warfen, um dem allmächtigen Gott für den Sieg der guten Sache zu danken.“439

Mit diesem Satz beschreibt Eduard Eyth die Leipziger Szene als Sinnbild eines christlichen Herrschaftsverständnisses, das sich nach Niederringung des französischen Aggressors neu Bahn gebrochen habe. Im krassen GeDie Erweckungsbewegung fügt diesem Mythenarsenal eigene mythisch verwendete Stoffe hinzu, die ihrem christlichen Anliegen noch besser entsprechen, so die Heilserwartung der gesunkenen heidnischen Antike im Kontrast zu der unscheinbaren Krippe von Bethlehem oder das Auftreten der „Wahrheitszeugen“ im Mittelalter. 434 Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 261. 435 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. V, 1842, 114. Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, 98 spricht von einem „liederlichen Weibsbild“, Barth, Christliche Kirchengeschichte, 31836, 253 von einer „unzüchtigen Weibsperson“. Diese Ausdrücke weisen indirekt darauf hin, wie die Erweckten spezifisch weibliche Dekadenz (gegenüber stärker „männlichen“ Lastern wie Selbstherrlichkeit und mangelnder Standhaftigkeit) begreifen. 436 Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 287. 437 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 198. 438 Vgl. Graf, Gottesbild und Politik, 95 f: „Eine neue Dimension erlangte der Gestus des Kniefalls als Zeichen des demütigen Dankes seit dem Sieg in der Völkerschlacht. […] Historisch war der Vorgang nicht, dass Oberbefehlshaber Schwarzenberg den drei Monarchen die Siegesbotschaft überbrachte und diese darauf hin zum Dankgebet auf die Knie sanken.“ 439 Eyth, Biographie en gros, 1847, 172 f.

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Gegenwart und Modernität

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gensatz zur Pariser Prozession mit der als „Göttin der Vernunft“ gefeierten Operndame spricht sich für die Erweckten hier die angemessene Haltung von Würdenträgern zu Gott aus: Ehrfurcht, Dankbarkeit und der Glaube an Gottes Wirksamkeit in den geschichtlichen Ereignissen. Wenn die erweckten Geschichtsschreiber den Kniefall der drei Monarchen in Erinnerung rufen,440 dient er ihnen und ihren Lesern daher zugleich als Vorbild für den eigenen Umgang mit den Wirren, Schicksalsschlägen und Befreiungserfahrungen der Revolutionsjahre. 2.6 Gegenwart und Modernität Es wäre jedoch falsch zu schlussfolgern, dass die Geschichte nach Auffassung der Erweckten seit Beginn der Restaurationsepoche in ruhiges Fahrwasser gekommen sei. Im Gegenteil: Wie bereits an der Allgemeinen Weltgeschichte sichtbar wurde, nehmen die Erweckten die eigene Zeit als eine dramatische, von inneren und äußeren Gegensätzen aufgewühlte Epoche wahr. Ursache hierfür ist, dass sie die in der Auf klärung aufgebrochenen Kräfte der Dechristianisierung nicht für besiegt halten. Vielmehr glauben sie, diese Kräfte hätten sich im Gleichschritt mit den zeitgenössischen gesellschaftspolitischen und wissenschaftlich-technischen Neuerungen weiterentwickelt und verstärkt. Andererseits steht den Erweckten die postnapoleonische Rechristianisierung als Indikator einer „besseren“ Zeit vor Augen. Diese Dialektik führt die Erweckungsbewegung zu einer Gegenwartssicht, die Michael Kannenberg als „apokalyptische Logik“ bezeichnet: dem Gedanken eines dramatischen Nebeneinanders und eines gegenseitigen Verstärkens christlicher und antichristlicher Kräfte in endzeitlicher Perspektive.441 Nach dieser Wahrnehmung ist die Gegenwart ein Zeitalter der Extreme, in dem sich Gut und Böse in zunehmender Polarisierung gegenüberstehen. „Die gegenwärtige Zeit charakterisirt sich als eine der bedeutsamen Epochen im Reiche Gottes dadurch, daß Licht und Schatten in gewaltigen Maßstäben neben einander stehen“, heißt es in einer anonymen Schrift der Erweckungsbewegung.442 Friedrich Wilhelm Krummacher meint über das biblische „Wort“: „Es ist wahr, nie hatte es härtere Angriffe zu erleiden, nie ward es ärger verlästert, herabgewürdigt, prostituirt als eben jetzt, und doch erwies sich’s auch wieder nie, den Feinden zum Trotz, in herrlicheren Wundern als gegenwärtig; und nie er440

Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, 1833, 139; „Des Königs von Preußen Todbette und Nachfolger“, CVB 8 (1840), (198 f ) 199; Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 277 f; Blumhardt, Handbüchlein der Weltgeschichte, 1843, 304. 441 Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 294 f. 442 Theses CI. Zur Reformations-Feier in Nord-Deutschland, Basel: Spittler 1840, 24.

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Schwerpunktthemen und Deutungsmuster

blickte es edlere Geister und bedeutendere Notabilitäten in Wissenschaft und aller Bildung um seine Fahnen hergeschaart […].“443

Beide Entwicklungen scheinen sich parallel und durch gegenseitige Absetzung zu vollziehen. Die Gegenwartsdeutung der Erweckungsbewegung ist somit ausdrücklich ambivalent. Immer wieder wird betont, dass sich „eigentlich Niemand bei der Gestalt der Gegenwart wohl“ fühle,444 dass an Gutem im öffentlichen Leben „noch immer so wenig zu berichten“445 und etwa die Suizidrate dramatisch gestiegen sei446 oder dass an den Schulen die „Fähigkeit zum Lehren“ zwar zugenommen, die „Fähigkeit zum Erziehen“ aber abgenommen habe.447 Abgenommen habe auch die Bibelkenntnis.448 Sinn und Geist der protestantischen Kirche würden „mehr als je“ verdreht,449 ja man sei im Lebensgefühl teilweise „[v]on Napoleon, von Göthe […] jetzt schon zu Casanova fortgeschritten“.450 Bei solchen Pegelstandsmessungen stehen ethische und religiöse Faktoren im Vordergrund. Die radikale Verwerfung der historischen Grundlagen des Christentums im Leben Jesu von David Friedrich Strauß und die vom Jungen Deutschland proklamierte „Rehabilitation des Fleisches“ gelten dabei als besonders krasse Indikatoren eines geistigen Abweges.451 Sozialpolitische und wirtschaftlich-technische Faktoren kommen erst in zweiter Linie zur Sprache. Ein typisches Beispiel wäre hier Völters Klage über das „Zeitalter der Conkurrenz“ mit einer unverhältnismäßigen Schere zwischen Arm und Reich und dem „Ueberhandnehmen des Fabrikwesens“; doch auch bei ihm überwiegen ethischtheologische Aspekte.452 Es ist anzunehmen, dass in diese Diagnosen auch der seit 1780 verbreitete Dechristianisierungsdiskurs über den Verfall der Religion in der Moderne453 und das allgemeine Krisengefühl der 1830er und 1840er Jahre454 eingegangen sind. Die andere Seite der Gegenwarts443

Krummacher, Werk der Bibelverbreitung in unserer Zeit, 1843, 15. „Briefe aus Sachsen. Erster Brief: Prof. Dr. Harleß und seine Berufung an die Nikolaikirche zu Leipzig“, EKZ 1847, (609–627) 618. 445 „Miscelle“, EKZ 1828, 744. 446 „Nachrichten: Selbstmorde“, CVB 4 (1836), 7. 447 Völter, „Ueber die Ursachen der großen Zahl verwahrloster Kinder in unserer Zeit“, SSB 9 (1845), 106. 448 Harms, Säcularpredigt wegen der verdeutschten Bibel, 1834, 14 f. 449 „Vorwort“, ZPK 1 (1838), (1–10) 2. 450 „Vorwort“, EKZ 1836, (1–45) 19. 451 Ebd., 23; 35; „Die Zeichen der Zeit“, CVB 4 (1836), (187–190; 195 f ) 188. 452 Völter, „Ueber die Ursachen der großen Zahl verwahrloster Kinder in unserer Zeit“, SSB 9 (1845), 99; 105 f; 98. 453 Vgl. Graf, Wiederkehr der Götter, 73 f; 76. 454 Vgl. Wilhelm Kahle, „Die Zeichen der Zeit. Ein Beitrag zur Theologie- und Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts“, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 24 (1972), (289–315) 291; Langewiesche, Bildungsbürgertum und Protestantismus, 63. 444

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sicht ist hingegen positiv, auch hier mit Schwerpunkt auf dem Glauben und seinen ethischen Implikationen. Man beobachtet „allenthalben neues christliches Leben“,455 einen unverhofften Aufschwung biblisch gesinnter Theologie,456 die Erweckung vieler Einzelner,457 „eine günstigere Sonne“ für Volkspädagogik und Sozialdiakonie458 und eine ausgedehntere „Bewegung zu Christo“ als jemals in der Geschichte des Christentums.459 „Wer wollte es läugnen, daß wir in dieser Auferstehungszeit leben?“, fragt daher Tholuck 1823,460 und das Basler Magazin spricht mit Blick auf die Missionsbewegung von einer „apostolischen Zeit“.461 Daneben sieht man auch in der politischen Beruhigung, den volksnahen Monarchen und dem äußeren Frieden Vorzüge der eigenen Zeit.462 Leipoldts Geschichte der christlichen Kirche macht die ambivalente Gegenwartssicht auch äußerlich deutlich, indem sie die historische Darstellung in ein doppeltes Gegenwartskapitel einmünden lässt: Unter der Überschrift „Was haben wir zu rühmen von unsrer Zeit“ lobt sie die Bibel- und Missionsvereine, das christliche Staatsdenken der Heiligen Allianz, die Humanisierung der Strafjustiz, die Antisklavereibewegung, die Neuentdeckung der Reformation, internationale und ökumenische Verf lechtungen, die allgemeine Schulbildung, die Regentschaft Friedrich Wilhelms III. und den wissenschaftlichen Fortschritt.463 Das Folgekapitel „Was haben wir zu tadeln und zu fürchten von unserer Zeit“ geißelt demgegenüber den „Empörungsgeist“ und „Freiheitsschwindel“, die verbreitete Schnelllebigkeit und Oberf lächlichkeit, den Alkoholmissbrauch und die Sonntagsentheiligung.464 Auch von anderen Autoren werden technisch-industrielle Fortschritte, allen voran die Eisenbahn, mit sichtlichem Interesse beschrieben und als Gaben Gottes zur Förderung seines Reiches interpretiert.465 Wo man in den Neuerungen jedoch die Zerstörung traditioneller Lebens455

„Die Zeichen der Zeit“, CVB 4 (1836), 195. „Nachrichten. Elberfeld“, EKZ 1839, (576–580) 579. 457 „Vorwort“, ZPK 1 (1838), (1–10) 1 f. 458 Völter, „Ueber die Ursachen der großen Zahl verwahrloster Kinder in unserer Zeit“, SSB 9 (1845), 97. 459 „Vorwort“, EKZ 1836, (1–45) 1. 460 August Tholuck (anon.), Die Lehre von der Sünde und vom Versöhner oder Die wahre Weihe des Zweif lers, Hamburg: Perthes & Besser 1823, V. 461 „Die evangelische Missionsschule in Basel“, MGMB 3:4 (1818), (625–632) 632. 462 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 179; Völter, „Ueber die Ursachen der großen Zahl verwahrloster Kinder in unserer Zeit“, SSB 9 (1845), 97; Barth, Geschichte von Württemberg, 1842, 274; 276. 463 Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 214–218. 464 Ebd., 218–220. 465 „Dampfschiffe, Eisenbahnen, Dampfwägen, Luftpost“, CVB 1 (1833), 156 f; „Die Eisenbahn zwischen Liverpool und Manchester in England“, CVB 1 (1833), 260 f; Dittmar, Deutsche Geschichte, 21843, 376; Eyth, Biographie en gros, 1847, 174. 456

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ordnungen und Werte vermutet, etwa in der Fabrik- und Sonntagsarbeit, zeigt man sich kritisch.466 Ob die Vorzüge und Nachteile, wie bei Leipoldt, ausgeglichen erscheinen oder das Verfalls- bzw. Auf bruchsmotiv überwiegt, hängt von der individuellen Perspektive des jeweiligen Autors ab. Einig ist sich die Erweckungsbewegung jedoch in der Überzeugung, dass die spezifische Zerrissenheit ihrer Gegenwart kein Dauerzustand sein werde. Vielmehr sieht sie in der Jetztzeit eine Epochenschwelle, die auf eine Entscheidung hindränge. Bei der Analyse der Allgemeinen Weltgeschichte wurde bereits deutlich, dass diese Argumentation der modernen Denkfigur der schicksalsvollen Gegenwart ähnelt, aber eine eigene, eindeutig christliche Ausprägung hat. Die sich zuspitzenden Kräfte von Glaube und Unglaube hält man für Vorboten des Kommenden. Man spürt förmlich die „Nähe einer großen Entscheidung“467 und die „Entwicklungs- und Geburtswehen einer neuen Zeit“.468 Von dieser neuen Zeit erwartet man die Erfüllung großer Verheißungen,469 aber auch die Lösung des Richtungsstreites in der Theologie, dessen Ausgang man Gott anheim stellt.470 Jeder einzelne Christ sei deshalb gefordert. „Wie wir auch die gegenwärtige Zeit beurtheilen mögen“, meint Tholuck, „eine gährende Entscheidungszeit ist sie gewiß, in welcher ein schwerer und vielleicht über Jahrhunderte entscheidender Kampf durchgekämpft werden muß, und namentlich auch in Sachen der Religion und der Kirche. Jetzt geziemt sich’s eingedenk zu sein, daß sie jedem von uns und gar nicht bloß den Theologen seinen Theil an diesem Kampfe zugewiesen hat.“471

Bei der Suche nach einer historischen Analogie zur gegenwärtigen Schicksalssituation stoßen manche auf den Vorabend der Reformation. Bernhard Bähring äußert in seiner Biographie des spätmittelalterlichen Gelehrten Wessel Gansfort (1419–1489), eines Vorläufers der Reformation, die Ansicht, selbst in einer vergleichbaren Zeit zu leben, in der „große Entwickelungen und wichtige Entscheidungen auf dem Gebiete des religiösen Lebens“ be-

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„Die Stadt London in religiöser und sittlicher Hinsicht“, CVB 3 (1835), 162 f; Völter, Geographische Beschreibung von Württemberg, 1836, 221; Wildenhahn, Johannes Arndt, Bd. I, 1847, 74 f. Vgl. auch Schmidt, Kirche und öffentliches Leben im Urteil der lutherischen Erweckungsbewegung, 56: „Das Stichwort, unter dem die Erweckungsbewegung die Auseinandersetzung mit dem siegreich vordringenden Industrialismus und seiner Arbeitsgesinnung vollzog, ist die Sonntagsheiligung.“ 467 „Die Zeichen der Zeit“, CVB 4 (1836), 195. Vgl. Hess, Kern der Lehre, 21826, 262. 468 „Vorwort“, SSB 10 (1846), (1–4) 1. Vgl. Neander, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion, Bd. V.1, 1841, VII. 469 Zahn, Biblische Geschichte, 41835, 529. 470 Stahl, „Der christliche Staat“, EKZ 1847, 686 f; Neander, „Erklärung“, EKZ 1830, 139. 471 Tholuck, Predigt gehalten bei der Trauerfeier, 1846, 8.

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vorstünden.472 Tholuck betet am Ende einer Gedenkpredigt um den „Luther des 19ten Jahrhunderts“.473 Obwohl er nicht zu sagen wagt, ob Letzterer bevorstehe, ist auch Carl Ullmann überzeugt, in einer „für die nähere Zukunft sehr entscheidenden Übergangsperiode“ zu leben, die dem 15. Jahrhundert verwandt sei.474 Neben den Wunsch nach einem neuen Luther475 tritt in der Erweckungsbewegung die Auffassung, derzeit keine Führungsgestalt diesen Formats zu besitzen476 und auch nicht zu erwarten zu haben.477 Den Eindruck, in einer historischen Stunde zu leben, fördert auch die für die Epoche charakteristische Beschleunigungserfahrung – eine Folge der tief empfundenen Umwälzungen auf gesellschaftlich-politischem und zugleich technisch-industriellem Gebiet.478 Sie findet sich auch in der Erweckungsbewegung. Seit den 1790er Jahren, heißt es, sei man gewohnt, dass „alles ganz anders“ komme, als man erwarte.479 Die Menschen würden „schneller leben“ als die Vorväter: „Es geht Alles reißender an uns vorbei, die Gegenstände drängen sich, die Ereignisse folgen im Sturm auf einander […] – wer glaubt noch, daß er für Jahrhunderte baue?“480 Dittmar spricht von einer „so raschen Fahrt, wie unsre Zeit sie liebt“,481 und Christian Gottlieb Blumhardt meint, im Zeitraum von wenigen Jahren würden sich nun „geistige Umgestaltungen ganzer Völker und Reiche zusammendrängen, welche sonst Jahrhunderte zu ihrer Hervorbringung bedurften“.482 Die Beschleunigung ist für die Geschichtsschreiber der Erweckungsbewegung kein historischer Zufall. Wenn Leipoldt äußert, zu einer Zeit zu leben, in der „beides, das Böse und Gute, schneller dem großen Aerndte472 Bähring, Leben Johann Wessel’s, 1846, Vorwort. Ähnlich argumentiert die britische Zeitschrift der Evangelischen Allianz: „Introductory Address“, Evangelical Christendom 1 (1847), (1–4) 2. 473 Tholuck, Predigt gehalten bei der Trauerfeier, 1846, 15. 474 Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, Bd. I, 1841, XXX. 475 Christoph Heinrich Friedrich Bialloblotzky/Friedrich Sander, Das Auf kommen und Sinken des Rationalismus in Deutschland. Ein historischer Versuch nach dem Englischen des E. B. Pusey bearbeitet, Elberfeld: Hassel 1829, 123. 476 „Bewerbung um den Lehrstuhl der Kirchengeschichte auf der Genfer Akademie“, EKZ 1839, 352. 477 Theses CI. Zur Reformations-Feier in Nord-Deutschland, 1840, 31. 478 Vgl. hierzu Reinhart Koselleck, „Gibt es eine Beschleunigung der Geschichte?“, in: ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt a. M. 2000, (150–176) 152; 167; ders., „‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien“, in: ders., Vergangene Zukunft, Frankfurt a. M. 1989, (349–375) 369. 479 Heinrich Jung-Stilling, „Der graue Mann und Ich“, Der graue Mann 30 (1816), (483–537) 520. 480 August Tholuck, Predigten über Hauptstücke des christlichen Glaubens und Lebens, Bd. III, Hamburg: Perthes 21848 (1842), 200. 481 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. III.1, 1848, IV. 482 Christian Gottlieb Blumhardt, „Ein Wort an die Leser des Magazins“, MGMB 7:4 (1822), (499–502) 499.

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tage entgegenreift“,483 dann zeigt dies, dass er die Beschleunigung der Geschichte unter eschatologischen Vorzeichen betrachtet. Aus Sicht der Erweckten nahen die letzten Dinge und fordern zu einem konsequenten Christsein heraus. Hierzu gehört auch die Verbreitung des Evangeliums, die, so scheint es angesichts der neuen technischen Gegebenheiten, ebenfalls beschleunigt vor sich geht. Die gegenwärtige Möglichkeit, „in sehr kurzer Zeit die bedeutendsten Fortschritte“ zu erzielen, gilt für Heß „wie in Sachen von anderer Natur, so in der Bibelverbreitung“.484 Die Erweckten nehmen insofern selbst am Beschleunigungsprozess teil. Friedrich Wilhelm Krummacher möchte, vielleicht mit 2. Petrus 3,11 f 485 vor Augen, mittels Verbreitung von Gottes Wort die Vollendung des Reiches Gottes „beschleunigen helfen“.486 Beschleunigung ist für die Erweckungsbewegung also nicht ein rein innerweltlicher Vorgang, sondern ein zutiefst providentielles, ja eschatologisches Geschehen. Sie gehört zur Heilsgeschichte und ist daher menschlicher Verfügungsgewalt entzogen, und doch haben Menschen nach Gottes Willen daran Anteil. Dass die Erweckungsbewegung häufig von den „Zeichen der Zeit“ (vgl. Matthäus 16,3) spricht,487 befördert diesen eschatologischen Blick auf die Gegenwart. Insbesondere die Missionsarbeit geschieht angesichts des nahen Endes der Welt.488 So schreibt Jung-Stilling 1815 mit Verweis auf die Endzeitprophetie Jesu: „[E]s ist nicht lange mehr hin, so wird die ganze Menschheit das Wort Gottes kennen, folglich kann auch das Ende nicht sehr weit mehr entfernt seyn.“489 Die Beschleunigung der Geschichte zielt somit auf die Vollendung des Reiches Gottes. Indem die Erweckungsbewegung die postnapoleonische Rechristianisierung zu den Schlüsselereignissen der Zeitgeschichte zählt, historisiert sie sich selbst. Sie nimmt dabei zwar ihre eigene Bedeutung unterschied483

Leipoldt, Geschichte der christlichen Kirche, 1834, 220. Hess, Das Vorsehungsvolle der immer weitern Bibelverbreitung, 1817, 121. 485 „Wenn sich das alles in dieser Weise auf löst: wie heilig und fromm müsst ihr dann leben, den Tag Gottes erwarten und seine Ankunft beschleunigen!“ 486 Krummacher, Werk der Bibelverbreitung in unserer Zeit, 1843, 21. 487 „Ueber Veranlassung, Zweck und Inhalt des christlichen Volksboten“, CVB 1 (1833), 2; Krummacher, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte, 1833, 159–161; Gaussen, Die Juden, 21843, 24–32; „Briefe aus Sachsen“, EKZ 1847, 618. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die Rubrik „Zeichen der Zeit“ (bzw. „Chronik“), die der Christen-Bote 1832 bis 1836 führte und in der von Naturkatastrophen und gesellschaftlich-religiösen Zeittendenzen berichtet wird. Zur Interpretation vgl. Kannenberg, Verschleierte Uhrtafeln, 220 f. Nach Kahle, Zeichen der Zeit, 290 ist für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die 1850er Jahre hinein generell eine Häufung der Verwendung des Begriffes „Zeichen der Zeit“ festzustellen. 488 Vgl. Klauspeter Blaser, „Mission und Erweckungsbewegung“, PuN 7 (1981), (128– 146) 131 f; 143 f; Karl Rennstich/Ruth A. Tucker, Bis an die Enden der Erde. Missionsgeschichte in Biographien. Hg. und ergänzt von Frank Hinkelmann, Nürnberg 2007, 151. 489 Zitiert in Raupp (Hg.), Mission in Quellentexten, 237. 484

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lich wahr, schätzt sich aber durchweg als eine erstarkte Minderheit ein. Beide Aspekte – die Bedeutungszunahme und die Minderheitenposition – sind gleichermaßen wichtig. Welchen der beiden Aspekte man stärker betont, hängt mit dem Vergleichspunkt zusammen: Im Vergleich mit nordamerikanischen Erweckungen kann man die deutsche Situation als kümmerlich schildern;490 im Vergleich mit der vorausgegangenen Auf klärungsepoche wirkt diese Situation auf die Erweckten dagegen wie eine Auferweckung.491 Verglichen mit den spärlichen Missionsbemühungen früherer Jahrhunderte erscheint Guerike die eigene Epoche als „Missionszeit“; gemessen an den weltweiten Zahlenverhältnissen spricht er dagegen, in Anlehnung an Matthäus 9,37, von „wenigen Arbeitern“ in einer „großen Erndte“.492 Im literaturgeschichtlichen Teil dieser Arbeit wurde bereits deutlich, dass sich die Erweckungsbewegung auch auf dem Gebiet der Historiographie und Bibelwissenschaft als eine erstarkte Minderheit fühlt. Dabei schwingt ein gewisser Optimismus mit – wenn nicht pauschal in Bezug auf die eigene Zeit, so doch in Bezug auf den christlichen Auf bruch der vergangenen Jahrzehnte. Auch wenn viele Erweckte den älteren Pietismus sehr wertschätzen, haben sie im Vergleich dazu doch kein negatives Bild von der eigenen Frömmigkeitsbewegung, sondern sehen ihre singulären Möglichkeiten.493 Auf lokaler Ebene werden in der Selbstbeschreibung mitunter diachrone Differenzierungen innerhalb des Vormärz vorgenommen. Sie illustrieren die von Ort zu Ort unterschiedlichen Erfahrungen. So beschreibt der scheidende Gemeindepfarrer Friedrich Wilhelm Krummacher die späten 1820er Jahre in einem Rückblick von 1847 als eine goldene Zeit für das Wuppertal: „Wie freundlich die Gnadensonne damals noch über unsrem Thale strahlte, wie mächtig der Strom des geistlichen Lebens noch dahinwogte von Gemeinde zu Gemeinde, wie Schaaren aus dem Todesschlaf erwachten und Erweckung sich an Erweckung reihte; wie das Wort der Predigt mit Freuden aufgenommen, und die Schmach Christi, die uns damals reichlich zu Theil ward, in Wahrheit für hohe Ehre erachtet wurde; wie damals nicht selten unsere Wälder erklangen von heiligen Liedern, wie die brüderliche Liebe in hohen, frischen Wellen ging, und wie die Freude an dem Herrn die Stärke ward, welche unsere Missionsanstalten und viele andere liebliche Institute in’s Leben rief [… – I]hr wißt es alle, die ihr diese Tage mit erlebtet, und seid Zeugen, daß jene Zeit eine schönere war, eine viel schönere, als die gegenwärtige.“494 490

„Nachrichten. (Nordamerica)“, EKZ 1830, (70–72) 70. Tholuck, Lehre von der Sünde, 1823, V; Zahn, Biblische Geschichte, Bd. II, 1831, 261. 492 Guerike, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, Bd. II, 1833, 1019; 1024. 493 Gegen Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 186, die für Württemberg zu einem anderen Ergebnis kommt. 494 Krummacher, Abschieds-Predigt, 21847, 11. 491

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Ebenfalls 1847 schreibt dagegen der Nürnberger Pfarrer Benedict Stefan Steger, seit den 1820er Jahren sei das Missionsinteresse signifikant gewachsen: „Nicht Wenige unserer evangelischen Christen, welche vor 20 bis 30 Jahren noch die Missionswirksamkeit unter den Heiden ganz unbeachtet ließen, ja in solchen Bemühungen nichts weiter sehen wollten, als die gutmüthige Schwärmerei eines kleinen Häuf leins von sogenannten Frommen, haben durch die großen Thaten Gottes, welche seitdem unter allerlei Volk auf Erden vermittelst der Predigt des Evangeliums geschehen sind, sich eines bessern belehren lassen […].“495

Der Eindruck des relativen Auf- oder Abschwungs christlich-erweck lichen Lebens kann also je nach Situation variieren. Um den eigenen Eindruck etwas zu objektivieren und die relative Stärke der Erweckungsbewegung zu unterstreichen, kann man gelegentlich auch Fremdurteile zitieren: Die Zeitschrift für Protestantismus und Kirche druckt mehrere Seiten einer katholischen Missionsschrift ab, die (kritisch) über den „erstaunlichen Eifer aller protestantischen Sekten“ berichtet; er stelle einen frappierenden Bruch mit der früheren evangelischen Missionsträgheit dar.496 Das Evangelisch-lutherische Missionsblatt zitiert einen Redeausschnitt des bedeutenden Vertreters des liberalen Katholizismus Graf Montalembert, der sich (lobend) mit dem Kampf evangelischer Missionare gegen die Sklaverei befasst.497 Solche Urteile bestärken die Erweckten in der Überzeugung, dass die evangelischen Auf brüche des 19. Jahrhunderts in Gottes Heilsplan tatsächlich von Bedeutung seien. Der intensive Religionsbezug und das zumeist konservative Politikverständnis der Erweckungsbewegung legen nahe, diese als eine Kraft der Vormoderne zu interpretieren, die sich mit Macht gegen das Neue stemmte. In diesem Fall wäre die Erweckungsbewegung eine Gegnerin der Moderne. Die derzeitige Forschung äußert sich jedoch zurückhaltend gegenüber einer solchen Interpretation. Sie weist dabei einerseits auf die Unfähigkeit der klassischen Modernisierungstheorien hin, der Religionsgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte gerecht zu werden.498 Andererseits betont sie, dass die Erweckungsbewegung, was die Entwicklung von so495

Steger, Evangelische Juden-Mission, 1847, 1. „Ein katholisches Urtheil über die protestantische Missionssache“, ZPK 1 N. F. (1841), (331–338) 332. 497 „Für und über Missionswesen. Römisch-katholisches Zeugniß für die protestantischen Missionen“, Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 1846, 80. 498 Vgl. Graf, Wiederkehr der Götter, 102–132; Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 15; Christopher Alan Bayly, The Birth of the Modern World 1780–1914: Global Connections and Comparisons, Malden/Oxford/Carlton 2004, 325–365 oder Titel wie Hartmut Lehmann, Säkularisierung. Der europäische Sonderweg in Sachen Religion, Göttingen 2004. 496

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zialdiakonischen Konzepten, Kommunikationsnetzen und Organisationsformen angeht, sehr innovativ war.499 Thomas Kuhn sieht sie „nicht nur als Ausdruck, sondern auch als Beförderer des Modernisierungsprozesses“,500 Friedrich Wilhelm Graf spricht von einer „impliziten Modernität des frühkonservativen Protestantismus“.501 Wie nimmt sich die Erweckungsbewegung selbst im Spannungsfeld von alter und neuer Zeit wahr? Den Erweckten ist zunächst daran gelegen, sich zu dem alten, ursprünglichen Evangelium zu halten. „Ich will […] nichts Neues geben, sondern die alte Wahrheit“, schreibt Ludwig Hofacker über seine Erweckungspredigten.502 Mit Karl von Raumer ist es auch anderen Erweckten „nicht darum zu thun etwas Neues vorzubringen, sondern das zu sagen, was unserer Jugend frommt“.503 Weil dies bereits weitgehend in der biblischen Offenbarung vorliege, steht man dem permanenten Ruf nach Neuem kritisch gegenüber. „Jetzt hört man nur von Fortschritt, Fortschritt reden, als ob schon jedes Vorwärts ein Vorwärts auf rechter Straße wäre“, mahnt Tholuck,504 und Harleß stellt dem allgemeinen „Vorwärts, vorwärts“ ein entschiedenes „Rückwärts, rückwärts!“ entgegen: „Zurück wir Deutsche zu dem Evangelio, das wir verlassen haben!“505 „Zeitgemäß“ oder „progressiv“ möchte die Erweckungsbewegung daher nicht sein. Sie will vielmehr die eigene Zeit im Sinne der alten biblischen Botschaft reformieren. Auf den katholischen Vorwurf an den Protestantismus, eine Kirchbildung der frühen Neuzeit zu verteidigen, reagiert sie mit der Versicherung, sie vertrete das ursprüngliche Christentum. „[U]nsre Kirche ist niemals eine junge gewesen; unsre ist die alte, hingegen ihre ist die junge, d. h. jene Kirche hat Lehren aufgestellt, von denen die Kirche zu Anfang nichts wußte […]“, meint Harms anlässlich des Reformationsjubiläums 1830 und setzt beschwörend hinzu: „[A]us den academischen Hörsäälen wird kein neuer Glaube hervorgehen, nicht dürfen, nicht können, so lange wir an der [Augsburger] Confession halten.“506 Gleichwohl sind die Erweckten nicht der Meinung, einer Bewegung von gestern anzugehören – im Gegenteil. Dies zeigt sich nicht nur, wenn man neben der Verklärung des Neuen auch die „Anhänglichkeit an das schlechte Alte“, also einen reinen Traditionalismus kritisiert.507 Bereits das 499 Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 425; Sperber, Kirchengeschichte, 14; Habermas, Mission im 19. Jahrhundert, 660. 500 Kuhn, Religion und neuzeitliche Gesellschaft, 343. 501 Graf, Spaltung des Protestantismus, 186. 502 Hofacker, Predigten, Bd. I, 1831, IV. 503 Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. II, 21847, VII. 504 Tholuck, Predigt gehalten bei der Trauerfeier, 1846, 11. 505 „Briefe aus Sachsen“, EKZ 1847, 618. 506 Harms, Predigt zur Jubelfeyer, 1830, 8; 30. 507 Völter, Geographische Beschreibung von Württemberg, 1836, 103.

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Entstehen der hier untersuchten Geschichtsliteratur belegt das Bestreben der Er weckungsbewegung, die eigenen Positionen auf dem Niveau ihrer Zeit zu vertreten. Tatsächlich reklamieren etliche Erweckte für diese Positionen nicht nur zeitlose Relevanz, sondern auch Modernität. Ihr theologischer Hauptgegner, der in der Auf klärung wurzelnde Rationalismus, erscheint ihnen nach dem geistesgeschichtlichen Umschwung der napoleonischen Jahre nämlich als obsolet. Hoßbach etwa schreibt im Dezember 1818, er erwarte wenig von Zeitgenossen, die „mit ihrer gesammten Bildung dem kalt verständigen Zeitalter angehörend, das seit Kurzem einem lebenskräftigeren zu weichen beginnt, in der Kirche ihr Wesen treiben“. Die entscheidenden Impulse seien der jungen Generation aufgetragen.508 Die Evangelische Kirchen-Zeitung geht 1830 so weit, von der „decrepita senectus“, dem altersschwachen Greisenstand, ihrer rationalistischen Gegner wie des Halleschen Journals für Prediger (1770–1842) und Johann Friedrich Röhrs Kritischer Predigerbibliothek (1820–1848) zu sprechen. „Die Jugendkraft des Rationalismus ist dahin“, so das Verdikt, „er ist ein alter abgestorbener Baum, der keine neuen Zweige und Blüthen mehr treibt.“509 Ein EKZ-Artikel von 1841 spricht von den „längst abgestandenen Ansichten“ der 1780er Jahre,510 und ein Aufsatz desselben Jahres in der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche rechnet Rationalisten wie den Heidelberger Theologieprofessor Paulus „einer vergangenen Zeit“ zu.511 Da diese „vergangene Zeit“ die ersten Jahre des 19. Jahrhunderts einschließt, scheint man – im Gegensatz zur heutigen Sichtweise eines „langen“ 19. Jahrhunderts ab 1789 – mit einem „langen“ 18. Jahrhundert zu rechnen, das zur Zeit der Befreiungskriege überwunden worden sei. In den Freiheitskriegen sei, meint jedenfalls die Evangelische Kirchen-Zeitung, die Gegensätzlichkeit der beiden Jahrhunderte erstmals spürbar geworden.512 Innerhalb dieses Vorstellungsrahmens gehört die Erweckungsbewegung eindeutig dem 19. Jahrhundert an. Im Laufe des Vormärz kommt jedoch eine neue Erfahrung hinzu, die den gefühlten Modernitätsvorsprung, der sich zumindest bei manchen Erweckten findet, konterkariert: Neue, radikal nicht-christliche Bewegungen wie der Linkshegelianismus und das Junge Deutschland entwickeln sich zu Modeströmungen unter jüngeren Intellektuellen und verkörpern eine ganz andere Form von Modernität. Nicht mehr der dogmenkritische Moralismus des älteren Auf klärungsrationalismus, sondern eine radikale Traditions- und Religionskritik wird jetzt zum Hauptgegner.513 Er versetzt die 508

Hossbach, Johann Valentin Andreä, 1819, XIV. „Vorwort“, EKZ 1830, (1–16) 2. 510 „Zeichen der Zeit“, EKZ 1841, (737–742 et al.) 739 f. 511 „Dr. Paulus in Heidelberg“, ZPK 2 N. F. (1841), (170–184) 170. 512 „Vorwort“, EKZ 1841, (1–10) 4. 513 Zu den „Stationen der Entchristianisierung“ vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 440–451. 509

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Erweckungsbewegung in Sorge. Denn hier handelt es sich aus ihrer Sicht nicht mehr um eine Strömung der Vergangenheit, sondern der Zukunft. Zwar erkennen die Erweckten auch in diesen Strömungen eine Kontinuität zur Auf klärung. So heißt es etwa über das Leben Jesu von Strauß, es sei eine „Frucht der Vergangenheit“. Im selben Atemzug wird das kontroverse Jesusbuch jedoch zugleich „der Saame für die Zukunft“ genannt.514 „[W]as uns Herr Strauß zu hören giebt“, meint auch Adolph Harleß, „das ist nur der schwache Anfang von dem, was kommen wird.“515 1849 schreibt Neander, die überwunden geglaubte Auf klärung sei im Laufe der vergangenen Jahrzehnte mit einer viel weitergehenderen Kritik am Übersinnlichen zurückgekehrt: „An die Stelle jenes sogenannten vulgären Rationalismus, bei dem noch ein ehrenwerther Rest der Anerkennung des Ueberweltlich-göttlichen, des religiös-ethischen Sinnes vorhanden war, ist der […] weit gemeinere getreten, das Evangelium der Menschheitsapotheose, die ein anderer Name für den Atheismus ist […].“516

Und die Evangelische Kirchen-Zeitung spricht 1842 von einer „vollbrachten Denkrevolution“, die mittlerweile selbst in die Volksliteratur eingedrungen sei: „Die Revolution aller Religion hat einen Grad erreicht, den man vordem in Deutschland für unmöglich gehalten, da sie nicht nur alle Wurzeln des religiösen und somit auch des sittlichen Lebens ausreißt, sondern dies auch in einer Weise thut, die an frechem Hohn und schamlosen Spott die frivolsten Freigeister der Franzosen zu überbieten sucht.“517

Neben der Rechristianisierung verfolgt die Erweckungsbewegung also auch die neuerliche Dechristianisierung mit großer Betroffenheit. Zu den Merkmalen dieser Dechristianisierung zählt sie deren zunehmende Radikalität. 1846 beklagt die EKZ einen dramatischen „Fortschritt in den Jahren 1839 bis 1845“, der mit den Namen Feuerbach, Bauer, Stirner, Marx und Engels verbunden sei und der selbst Strauß wie einen Orthodoxen und Pietisten aussehen lasse.518 Indem der Verfasser des Artikels Marx und Engels zu einem „Troß untergeordneter Köpfe“ rechnet, illustriert er, wie unvorhersehbar auch für die Erweckten die Zukunft ist – oder wie eingeschränkt ihre Prognosefähigkeit. Dabei beschwören einige zu Recht mit Blick auf Handwerker- und Arbeiterunruhen,519 Saint-Simonis514

Zeller, Stimmen der Deutschen Kirche, 1837, V. Harless, Die kritische Bearbeitung des Lebens Jesu, 1836, V. 516 Neander, Antignostikus, 21849, IX. 517 „Die vollbrachte Revolution“, EKZ 1842, (449–451) 451; 449. 518 „Die neueste Gestaltung der Philosophie“, EKZ 1846, (860–864 et al.) 860. 519 „Auch eine Ursache der Revolution“, ChB 4 (1834), 11 f; Völter, Württemberg, 21847, 262 f. 515

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mus520 und Sozialismus521 ein „drohendes Gewitter des ‚vierten Standes‘“522 und die „Flammen“ der Revolution.523 „Der Boden unter unsern Füßen ist vulkanisch“, spürt 1847 Friedrich Wilhelm Krummacher.524 Generell erweist sich die Erweckungsbewegung jedoch selten als Prophetin der späteren Geistesgeschichte. Sie sieht im auf klärerischen Rationalismus lange den eigentlichen Todfeind des Evangeliums und unterschätzt in ihrer Bedeutung andere diesem entgegengesetzte Strömungen wie den Nationalismus, Imperialismus, Militarismus, Rassismus und (teilweise) Kommunismus, denen mit einigen Jahrzehnten Abstand weltgeschichtliche Karrieren bevorstehen. Den auf kommenden Nihilismus scheint der zitierte EKZArtikel allerdings zu erahnen, wenn er gegen Ende ironisch feststellt: „Wir werden künftighin, sollte man ja Spaß daran finden, sich geistig zu beschäftigen, nur noch Komödien zu lesen bekommen, Preßfreiheit und alle anderen Freiheiten sind lächerlich geworden. Der Eine versteht nicht mehr den Anderen.“ 525

Der Säkularismus scheint sich hier für den Verfasser langfristig in eine Art postmodernen Subjektivismus aufzulösen. Im letzten Band seiner Geschichte der Welt zeichnet Dittmar ein ähnliches Bild von der aufstrebenden „Zukunftsreligion“: Nicht nur werde Gott abgeschafft, sondern auch der Mensch zum Tier degradiert und ein „instinctartiger Egoismus“ zum ethischen Prinzip erhoben. „Da hatte denn doch noch der Rationalismus etwas Ehrenhafteres“, schreibt er, „in so ferne derselbe noch von einem Theile des ihm aus früherer glaubiger Zeit zugekommenen ‚Erbes‘ zehrte und daher noch Gott und Christus seine Ehrfurcht bezeugte […].“526 Es scheint somit, dass weiterblickenden Vertretern der Erweckungsbewegung zunehmend bewusst wird, dass die Auf klärungstheologie nicht das Schlimmste ist, was kommen könne oder kommen werde. Im theologischen Rationalismus des Vormärz sehen sie noch ein Relikt des 18. Jahrhunderts, das die Jahre vor 1815 eigentlich überholt haben. So begegnen sie rationalistischen Theologen wie Paulus, Gesenius, Wegscheider oder Bretschneider mit einem gewissen Stürmen und Drängen der neuen Zeit. Schon bei Strauß und mehr noch beim Jungen Deutschland ist dies anders: Hier begegnet ihnen selbst eine junge Generation, nicht die abtretende, sondern die kommende, und man ahnt, dass ihr radikaler Säkularismus, ihr 520

Carl Kapff, „Der Saint-Simonismus in Frankreich“, TZTh 1832:1, 3–93. „Zur Charakteristik der Socialisten in England“, EKZ 1839, 342–344; „Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs, Ein Vortrag zur Zeitgeschichte von L. Stein, Doktor der Rechte. Leipzig, 1842, bei Otto Wigand. 8.“, EKZ 1842, 629–631. 522 „Zur Sache der innern Mission“, ZPK 14 N. F. (1847), (249–255) 253. 523 „Auch eine Ursache der Revolution“, ChB 4 (1834), (11 f ) 12. 524 Krummacher, Abschieds-Predigt, 21847, 15. 525 „Die neueste Gestaltung der Philosophie“, EKZ 1846, 864. 526 Dittmar, Geschichte der Welt, Bd. IV.2, 1856, 1141 f; 1143. 521

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Spott, ihr hedonistischer Tabubruch in der „Rehabilitation des Fleisches“ und ihr Revolutionsgeist mehr als der Humanismus der Auf klärer die gesellschaftliche Zukunft erobern und die Kirchen entvölkern werde. Dieser Eindruck verstärkt die Krisendiagnose. Der Modernitätsanspruch liegt nicht mehr auf Seiten der Erweckungsbewegung. Letztlich ist für die Erweckungsbewegung jedoch sekundär, ob sie sich als modern oder antimodern empfindet. Ihr Kernanliegen ist nicht, zur gesellschaftlichen Avantgarde zu gehören, so sehr sie die Rechristianisierung der Gesellschaft betreibt. Primär geht es ihr nicht einmal darum, ein bestimmtes Geschichtsbild durchzusetzen, auch wenn sie die christlichen Heilstatsachen leidenschaftlich in der Geschichte verortet. Bei der Frage nach Aneignung und Bedeutung dieser Tatsachen stößt sie nämlich zugleich auf etwas Metahistorisches, dem sie größte existentielle Bedeutung beimisst: den Glauben an den Gott, der „an keine Zeit gebunden ist“,527 und die Jenseitshoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Wenn die Erweckten die Weltgeschichte als einen „Spiegel unserer Herzen und eine Offenbarung Gottes“ bezeichnen,528 dann zeigt dies zugleich, dass Gott und dem menschlichen Herzen ihre erste Aufmerksamkeit gilt. An ihnen macht sich ihre Identität fest. Der Weg des Herzens zu Gott führt nicht über Einsicht in die Geschichte, sondern über den Glauben an Christus: „Der Glaube ist die innere Gewißheit vom Christenthum […]. Die historischen Beweise für das Christenthum, so stark sie sind, sind nur für Gelehrte verständlich; aber dieser Beweis ist einfach und für die geringste Fassungskraft verständlich. Die Summe davon ist: ‚Eines weiß ich, ich war blind und bin nun sehend,‘ ein Argument, dessen Beweiskraft ein Bauer, ein altes Weib, ein Kind vollkommen fühlen kann. Historische Nachrichten beglaubigen uns ferne und längst vergangene Begebenheiten; aber die innere Glaubensgewißheit ist innig nahe und gegenwärtig allen Menschen aller Orte und Zeiten.“529

Glaube bedeutet für die Erweckten, durch Christus in einer Beziehung mit Gott zu stehen. Insofern ist Geschichte für sie eine wichtige, aber nicht die wichtigste Identitätsspenderin.

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„Vorwort“, MGMB 32:4 (1847). Kappe, Geschichten aus der Geschichte, 31840, III. 529 „Die Methodisten in England nach hundertjährigem Bestehen […]“, EKZ 1840, (97–100 et al.) 98 f. Es handelt sich um ein Zitat aus einer Predigt John Wesleys, das der Verfasser des Artikels für besonders wertvoll hält. 528

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Ergebnisse Das Ziel dieser Arbeit war es, Geschichtsbilder der protestantischen Erweckungsbewegung in Deutschland zwischen dem Wiener Kongress und der 1848er-Revolution zu erforschen. Die Erweckungsbewegung, die in den postnapoleonischen Jahrzehnten für die Verlebendigung des christ lichen Glaubens wirkte und zu einer relativen gesellschaftlichen Rechristianisierung beitrug, war dabei als eine überregionale Diskursund Deutungsgemeinschaft zu untersuchen. Um ein möglichst ausgewogenes Bild ihres Geschichtsdenkens zu zeichnen, waren drei Schritte erforderlich: Die erste Aufgabe bestand darin, die erstaunlich vielseitige, heute aber weitgehend unbekannte Geschichtsliteratur, die die Erweckungsbewegung hervorbrachte, zu erfassen, zu beschreiben und in groben Zügen zu interpretieren (Teil I). Anschließend war nach den zentralen Inhalten des erwecklichen Geschichtsdenkens zu fragen. Dies wurde zunächst anhand einer einzelnen Schlüsselquelle in Teil II versucht. In einem letzen Schritt (Teil III) wurde dann gestützt auf das gesamte, um Zeitschriften und andere Dokumente erweiterte Quellenmaterial nach den zentralen historischen Themen und Deutungsmustern der Erweckten gefragt. Zum Abschluss der Arbeit sollen deren Ergebnisse zusammengefasst werden. Geschichtsthemen wurden von der Erweckungsbewegung nicht nur in Zeitschriften aufgegriffen, sondern es entstanden auch eigene Weltgeschichten, Nationalgeschichten, Kirchengeschichten, Missionsgeschichten, Biographien sowie paläontologische, geschichtstheologische und historisch-kritische Werke zur biblischen Geschichte, die bei Steinkopf, Perthes, Winter und diversen weiteren Verlagen erschienen. So unterschiedlich Zielpublikum, Wissenschaftlichkeit und literarisches Niveau dieser Werke waren, so sehr einte ihre Verfasser das Bestreben, Geschichte im Lichte der Bibel zu deuten. Sie nahmen deshalb voneinander Notiz und betrachteten sich gegenseitig als Mitstreiter für die Entwicklung und Verbreitung einer entschieden christlichen Historiographie. Dabei griffen sie auch auf traditionale historiographische Gattungen, etwa die Universalgeschichtsschreibung und die Martyrologien des frühen Luthertums oder die sammelbiographische Tradition des Pietismus, zurück. Jedes Genre besaß zwar eine „Eigenlogik“, die manche Inhalte beeinf lusste und kanalisierte, dies führte aber nicht zu so starken gattungsbedingten Festlegungen, wie sie Matthias Pohlig für die Historiographie des konfessionellen Zeitalters

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beobachtet hat.1 Die Erweckungsbewegung verwendete überkommene Genres vergleichsweise f lexibel und schuf zugleich neue Gattungen und Gattungsvarianten zur Darstellung ihrer Geschichtsbilder. Die Entstehung dieser Literatur wurde von mehreren Zeitschriften der Erweckungsbewegung wohlwollend begleitet. Ab den 1830er Jahren entstand im Umkreis der deutschen Erweckungsbewegung eine christliche Universalgeschichtsschreibung. Eine Gruppe von Historikern und Laienhistorikern, die gängige Universalgeschichten als zu säkular empfanden, verfassten Weltgeschichten, die die Heilsgeschichte berücksichtigen, christlichen Prinzipien entsprechen und Christus als den „Schlüssel der Weltgeschichte“ darstellen wollten. Unter den Werken von J. D. von Braunschweig, H. Leo, A. Bräm, C. G. Barth, N. F. S. Grundtvig, J. C. K. Hofmann, E. Kappe, J. C. Blumhardt, H. Dittmar und E. Eyth befanden sich Schulgeschichtsbücher (Leo, Hofmann, Blumhardt, Dittmar) und zwei mehrbändige, stärker wissenschaftliche Darstellungen (Leo, Dittmar). In demselben Geist wie die Universalgeschichten entstanden aufgrund von Patriotismus oder Missionsinteresse württembergische (Barth, J. L. Völter), deutsche (Dittmar), chinesische (C. F. Gützlaff ) und indische (G. F. Müller) Nationalgeschichten. Schon in den 1820er Jahren hatte sich mit dem überragenden Berliner Professor A. Neander die Kirchengeschichtsschreibung der Erweckungsbewegung entwickelt. Wenn viele populäre Kirchengeschichten auch nicht, wie das Werk von H. E. F. Guerike, auf Neander gründeten, hatte er als neuer Typus des wissenschaftlich versierten und erbaulich-frommen Kirchenhistorikers doch nationale und internationale Ausstrahlungskraft. Anknüpfend auch an die Darstellungen von J. Milner und J. J. Heß, entstanden in der Erweckungsbewegung Kirchengeschichten von C. G. Barth, J. W. Leipoldt und F. A. B. Westermeier, die sich an dem Gedanken des geschichtlich wirkenden Reiches Gottes orientierten und zum Teil in hohen Auflagen erschienen. Auch die im Jahrhundert zuvor von Gottfried Arnolds Unpartheyischer Kirchen- und Ketzerhistorie wirkungsvoll propagierte Vorstellung von einer Tendenz der institutionellen Kirche zur Veräußerlichung und Verunreinigung spielte dort eine wichtige Rolle. Die Kirchengeschichte stellte für die Erweckungsbewegung eine genuine Fortsetzung der biblischen Heilsgeschichte dar und wurde daher auch in ungewöhnlichen Kontexten wie neutestamentlichen Kommentaren (Barth), Katechismen (E. W. Krummacher, J. H. B. Dräseke), kirchenpolitischen Streitschriften ( J. C. Grob) und biblischen Geschichten (F. L. Zahn) erzählt. Daneben entstanden Darstellungen einzelner Epochen und Regionen (F. A. G. Tholuck, W. Löhe). Im Zeichen ihres weltmissionarischen Auf bruchs schufen die Erweckten zudem die Gattung der Missionsgeschichte. Missionsgeschich1

Pohlig, Gelehrsamkeit, 16; 155 f; 446 f; 510 f.

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ten schilderten die Ausbreitung des Evangeliums seit den Aposteln, konzentrierten sich aber häufig auf die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und das „Arbeiten der Kirchengeschichte vor unsern Augen“. Neben Artikeln im Magazin für die neueste Geschichte der evangelischen Missions- und Bibelgesellschaften erschienen selbständige Missionsgeschichten von K. G. Leonhardt, B. S. Steger, F. W. Klumpp, J. C. Blumhardt und K. C. G. Schmidt. Aufwändiger waren die mehrbändigen Darstellungen des Basler Missionsinspektors C. G. Blumhardt und des Rostocker Theologieprofessors J. Wiggers. Weitere Autoren behandelten Teilbereiche der Missionsgeschichte (A. F. C. Mengert, J. J. Weitbrecht, K. F. Ledderhose, F. Krohn, B. S. Steger), und auch andere Geschichtswerke hatten einen missionsgeschichtlichen Akzent. Seltener wurde die Geschichte der Inneren Mission beschrieben ( J. H. Wichern, J. H. Böttcher, J. L. Völter). Aufgrund ihrer Betonung des individuellen Glaubens besaß die Erweckungsbewegung eine natürliche Affinität zur Biographie. Das Lesen von Lebensbeschreibungen prägte den Glaubensweg vieler Erweckter. Oft wurde die besprochene (zumeist männliche) Person als Vorbild geschildert, was teilweise, jedoch nicht immer, zu einer verklärenden Darstellung führte. Mit dem erbaulichen Charakter vieler Biographien ging das Interesse am Glaubensvollzug, am christlichen Wirken und an der Sterbephase des Besprochenen einher; sonstige Fragen des Privatlebens traten zurück. In Sammelbiographien, vor allem von J. A. Kanne, G. H. Schubert, C. G. Barth, A. D. Rische, A. G. Rudelbach und Th. Fliedner, wurden in der Tradition reformatorischer Zeugenkataloge sowie Johann Henrich Reitz’ Historie Der Wiedergebohrnen mehrere exemplarische Gestalten nebeneinander behandelt; der Christen-Bote besaß mit dem „Christlichen Kalender“ eine eigene biographische Rubrik. Kirchengeschichtliche „Väter“-Biographien von Autoren wie A. Neander, J. G. Vaihinger, P. W. Hoßbach, H. E. F. Guerike, J. C. F. Burk, G. H. Schubert oder A. Knapp beschrieben das Leben bedeutender Christen, mit denen sich die Erweckten identifizierten. Herrscherbiographien (C. A. Dann, J. F. W. Bötticher) porträtierten christliche Fürsten, historische Romane (K. A. Wildenhahn) Glaubenszeugen der Vergangenheit. Als Autobiograph war vor allem J. H. Jung-Stilling einf lussreich; in der Herrnhuter Brüdergemeine verfasste jedes Mitglied einen eigenen „Lebenslauf “. Missionsbiographien von W. F. Besser, K. F. Ledderhose, K. C. G. Schmidt und anderen stellten den aufopferungsvollen Einsatz von Missionaren des 18. und 19. Jahrhunderts, etwa der Indienmissionare C. F. Schwartz und H. Martyn, dar. Dem internationalen Grundzug der Mission entsprechend wurden auch englischsprachige Biographien ( J. Sargent, H. N. Pearson, A. Bond) und Reiseberichte (R. H. Herschell, C. F. Gützlaff ) von Missionaren ins Deutsche übersetzt. Der Infragestellung der biblischen Geschichtsüberlieferung im Namen der neuen historischen Wissenschaften begegneten führende Erweckte mit

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dem Bemühen, die Glaubwürdigkeit der Bibel mit Hilfe der neuen Methoden zu verteidigen. Sie partizipierten an der paläontologischen Diskussion um die Entwicklung der Erde und des Menschen (G. H. Schubert, J. A. Wagner), an der altertumswissenschaftlichen und exegetischen Diskussion um den Pentateuch und das Buch Daniel (F. H. Ranke, E. W. Hengstenberg, H. A. C. Hävernick) sowie an der Auseinandersetzung um die neutestamentliche Historie (H. Olshausen, J. T. Hemsen), die nach 1835 in der Kontroverse um das Leben Jesu von D. F. Strauß gipfelte ( J. C. F. Steudel, J. G. Vaihinger, A. Harleß, W. Hoffmann, J. E. Osiander, J. Müller, A. Neander, F. A. G. Tholuck, C. G. Barth). Andere entwickelten aus Weissagungen und Geschichtsdeutungen der Bibel ein Argument für deren Zuverlässigkeit ( J. C. K. Hofmann, L. Gaussen, A. Keith). Stimmen aus der zeitgenössischen Diskussion lassen darauf schließen, dass die erweckten Autoren in mehreren Bereichen Teilerfolge erzielen konnten. Jenseits der neuen Paradigmen von Auf klärungshistorie und Historismus, aber im Einklang mit anderen Formen zeitgenössischer Geschichtsschreibung, hielten die Geschichtsautoren der Erweckungsbewegung an dem Topos der historia magistra vitae fest. Sie stellten das beabsichtigte Lernen aus der Geschichte aber unter christliche Vorzeichen und verfolgten auch andere Typen historischer Sinnbildung in spezifisch christlicher Interpretation. Geschichte wurde angesichts der historischen Form der biblischen Überlieferung wertgeschätzt und auf allgemeine Lehren sowie konkrete exempla hin befragt. Die Geschichtswerke der Erweckten wiesen narrative Stilmittel auf, noch stärker fiel jedoch ihr praktisch-erbauliches Anliegen ins Gewicht. Theologische Werturteile, ethische Verallgemeinerun gen, biblische Querverweise, Gottesbezüge in den Vorworten und christliche Zukunftsblicke, in Einzelfällen auch Ermahnungen begleiteten die historische Darstellung. Die Nähe zur Predigt entsprach der Biographie der Verfasser, von denen viele auch Erweckungsprediger waren, und spiegelte zugleich das Bildungsverständnis der Erweckungsbewegung wider, nach dem Wissenserwerb nicht Endzweck, sondern Teil ganzheitlicher christlicher Persönlichkeitsformung war. Weil sich zumindest Ansätze hiervon bis in die wissenschaftlich anspruchsvollen Werke der Erweckungsbewegung hinein fanden, wurde die charakteristische historiographische Form der Erweckungsbewegung in der Arbeit als Geschichtspredigt bestimmt. Die Sprache der erwecklichen Geschichtswerke unterschied sich von anderen Darstellungen durch eine stärker biblische und pietistische Begriff lichkeit. Neben den zeittypischen politisch-sozialen spielten religiöse Grundbegriffe, etwa „Glaube“, „Wort“, „Reich Gottes“, „Leben“, „Zeuge“, „Bote“ oder „Herz“, eine grundlegende Rolle. Die neuen Kollektivsingulare „Geschichte“ und „Fortschritt“ wurden aufgenommen, als säkularreligiöse Zeitkonzepte aber zurückgewiesen oder ausdrücklich christlich interpretiert. Charakteristisch für die verwendeten Geschichtsme-

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taphern war ihr lebensweltlicher und biblischer Ursprung, so bei der beliebten Baummetapher, die in verschiedene Alltagsrichtungen gewendet und mit biblischer Bildlichkeit, besonders dem Gleichnis von dem Senf korn, kombiniert wurde. Die Himmelreichsgleichnisse Jesu stellten die wichtigste charakteristische Metaphernquelle für das Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung dar. Die erweckliche Historiographie ließ etliche Parallelen zum Geschichtsdenken der Romantik erkennen, so die Gegnerschaft zur Auf klärung, das ständisch-konservative Politikverständnis und den Organismusgedanken. Als protestantische Geschichtsschreibung lehnte sie deren Mittelalterbegeisterung aber meistens ab und distanzierte sich aufgrund ihres heilsgeschichtlichen Ansatzes insbesondere von einem ästhetischen Geschichtsromantizismus. Weiter noch stand ihr der Idealismus Hegels fern, den sie als Leugnung biblischen Geschichtsdenkens im Gewand abstrakter Begriff lichkeit empfand. Die erweckten Historiker waren sich der perspektivischen Brechung von Geschichtsschreibung bewusst, sie sahen diese jedoch nicht als fatal an, weil sie zwar Objektivität im Sinne von Faktentreue und Fairness erzielen, aber auch ihre eigene Subjektivität einbringen wollten. Vor allem hielten sie an der zeitlosen Gültigkeit der christlichen Offenbarung fest, so dass das mehrmals betonte Bestreben, andere Epochen nach deren eigenen Maßstäben zu beurteilen, nicht zu einer historischen Relativierung ihres ethisch-theologischen Standpunktes führte. Die erweckten Geschichtsschreiber waren der neuen empirischen Geschichtsforschung gegenüber aufgeschlossen, wenn auch nur wenige selbst Spezialforschung leisteten. Nach Zielpublikum und Niveau reichten die Darstellungen von forschungsnahen akademischen Werken bis zu erbaulichen Geschichtsbüchern für Kinder. Viele populäre Darstellungen nahmen auch sagenhaftes Material, etwa zur griechisch-römischen Frühzeit, in die Geschichtserzählung auf. Die genaue Verbreitung der oft auf lagenstarken Werke lässt sich nur schwer rekonstruieren, ihr Gebrauch im Schulunterricht (insb. Hofmann, Leo, Dittmar) und in Schullehrerseminaren (Milner, Leipoldt, Zahn) ist jedoch belegt. Etliche fanden auch in kirchlichen Veranstaltungen wie Konfirmandenunterricht und Missionsstunden Anwendung. Die privaten, für die Erweckungsbewegung wichtigen Ausbildungsstätten der Inneren und Äußeren Mission legten großen Wert auf historischen Unterricht, für den etwa Fliedners Märtyrerbuch und Blumhardts Missionsgeschichte verfasst wurden. Etliche Werke stammten von Universitätsprofessoren (Leo, Neander, Tholuck, Wiggers, Wagner, Hengstenberg, Hofmann, Olshausen u. a.) und wurden auch an Universitäten gelesen. In der Geschichtswissenschaft hatte die Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung aufgrund ihres Mangels an Spezialforschung, ihrer praktisch-erbaulichen Stoßrichtung und ihrer klaren weltanschaulichen Prägung kaum bleibende Wir-

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kung. Im Vormärz besaß sie jedoch beträchtlichen geschichtsbildprägenden Einf luss und konstituierte ein eigenes historiographisches Milieu, das auch über ihre Epoche hinaus christliche Geschichtsschriften hervorbrachte. Inhaltlich war das Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung von biblischen Prämissen bestimmt: theistisches Weltbild und Vorsehungsglaube, ethischer Dualismus, Tun-Ergehens-Zusammenhang, heilsgeschichtliche Teleologie und Erlösung, eschatologische Spannung und Zukunftsprophetie. C. G. Barths Allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen von 1837 war ein besonders markanter Versuch eines führenden Vertreters der Erweckungsbewegung, diese Prämissen auf der Grundlage des historischen Wissenskanons seiner Zeit in Geschichtsschreibung umzusetzen. Den Rahmen für Barths Weltgeschichte lieferte eine auf etwa 6000 Jahre bezifferte Weltchronologie, die danielische Vier-Weltreiche-Lehre und die Zukunftsschau der Johannesoffenbarung, wobei ihn die Auslegung J. A. Bengels (via K. A. Osiander) und G. Menkens (vielleicht via A. Bräm) leitete. Andere Einf lüsse waren der zeitgenössische zivilisatorische Eurozentrismus, ein vaterländisches Bewusstsein, der klassische protestantische Antipapismus mit Rekurs auf die evangelischen „Wahrheitszeugen“ während der „dunklen“ Jahrhunderte des Mittelalters und die pietistische Orthodoxiekritik und konfessionelle Weite. Barths Betrachtungsweise (Politik-, Kirchen-, Kultur- und etwas Gesellschaftsgeschichte) richtete sich nach dem damals Üblichen, die Konzentration auf die Herrschergeschichte begründete er aber biblisch. Trotz einiger Besonderheiten wie des Verfallsmotivs und eines Zugs zur geschichtstheologischen Spekulation ist Barths Werk eine Schlüsselquelle, die viele Charakteristika (Geschichtspredigt, publizistischer Hintergrund) und Deutungen der erwecklichen Historiographie in sich vereinigte. Viele Geschichtsthemen der Erweckungsbewegung berührten das Neben- und Ineinander von Weltgeschichte und Heilsgeschichte. Hierzu gehörte der Glaube an das Eingreifen Gottes in die Geschichte (interventionistische Vorsehung), das man nur an manchen Stellen einhellig zu erkennen glaubte, mit dem man aber grundsätzlich rechnete. Hinsichtlich der Frage, warum das Böse in der Geschichte dennoch von Gott zugelassen werde, vermuteten einige Autoren, so habe indirekt Gutes bewirkt oder noch Böseres verhindert werden können, andere verwiesen auf die unergründliche Weisheit Gottes. Bezüglich der historischen Verfehlungen der Christenheit wie der Kreuzzüge und Zwangsmissionen betonte man, hier sei aus freiem Willen gegen, nicht nach Gottes Willen gehandelt worden, zeigte sich aber gleichwohl entsetzt über das Geschehene. Andererseits glaubte man auch hier, Böses könne letztlich dem Guten gedient haben, und erinnerte umgekehrt an große humanitäre Errungenschaften des Christentums und an den singulären Wert des Glaubens für unzählige einzelne Christen.

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Der Wertschätzung der klassischen „heidnischen“ Antike durch den Neuhumanismus standen manche (Grundtvig, Leo) kritisch gegenüber, andere (Dittmar, Klumpp, Neander, Zeitschrift für Protestantismus und Kirche 1838) betonten stärker den Bildungswert der griechisch-römischen Kultur, auch wenn sie diese der biblischen Offenbarung unterordneten und ethische Makel wie die antike Sklaverei kritisierten. Die antike Kulturblüte wurde hier als unübertroffene, großartige Anstrengung des menschlichen Geistes gedeutet, die gleichwohl Gott nicht habe finden können und durch ihr Scheitern der christlichen Offenbarung den Boden bereitete. Überdurchschnittliches Ansehen genossen Sokrates und Platon. Wo der Erweckungsbewegung ihr Leben oder Denken protochristlich erschien, wurde dies auf natürliche Gotteserkenntnis oder mögliche Berührung mit alttestamentlichen Schriften zurückgeführt; zugleich wies man aber auch auf ethische und philosophische Defizite hin, die sie noch von einem wahren Glauben getrennt hätten. Die zentrale Kategorie im Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung war das „Reich Gottes“. Im Gegensatz zu den Weltreichen, denen es gegenübergestellt wurde, wirkte das Reich Gottes aus ihrer Sicht im Verborgenen, wenn es sich auch in Ereignissen der Kirchengeschichte ausgesprochen und auf die übrige Geschichte Einf luss geübt habe. In bestimmten Epochen wie der frühchristlichen Verfolgungszeit, aber auch den Reformations- und Missionsperioden hielt man Gottes Reich für besonders wirksam, in anderen wie dem Mittelalter sei oft ein äußerliches, mit den Mitteln weltlicher Reiche befördertes Christentum mit dem Reich Gottes verwechselt worden. Trotz der Skepsis gegenüber einer Vermengung von Gottesreich und Weltreichen trat die Mehrheit der deutschen Erweckten nicht für eine Trennung von Staat und Kirche ein. Viele identifizierten sich vielmehr mit F. J. Stahls Konzept des „Christlichen Staates“, in dem Nicht-Christen zwar toleriert und Zwangsmaßnahmen abgelehnt, Glaube und Kirche aber staatlich gefördert würden. Die Konstantinische Wende und die fortan von Staats wegen betriebene Christianisierung wurden daher nicht prinzipiell, sondern nur in ihrer gewaltsamen Ausprägung und in ihrer Tendenz zur Veräußerlichung verurteilt. Nur einzelne, am kraftvollsten der auch ins Deutsche übersetzte Französischschweizer A. Vinet, vertraten die Auffassung, die Verschränkung von Staat und Kirche sei als solche ein Fluch für die Christentumsgeschichte gewesen. Die Hoffnung auf die eschatologische Vollendung des Reiches Gottes war für alle Erweckten existentiell, wenn auch die (hier nicht schwerpunktmäßig untersuchten) endzeitlichen Überzeugungen im Einzelnen variierten. Ausgehend von Römer 1,18–32 erklärten die Erweckten nicht-monotheistische Religionen mit einer Verfallsgeschichte der Gotteserkenntnis, in der das Bewusstsein für den Schöpfer und seine Werte stufenweise, jedoch in unterschiedlichem Maße, verloren gegangen sei. Nur Ahnungen und

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Überreste der Wahrheit seien noch vorhanden. Verglichen mit dem „Heidenthum“ erschien der Islam als weniger verdorben, Mohammed galt jedoch als „falscher Prophet“, dessen Wirken zur Strafe und Erziehung einer erstarrten Christenheit gedient habe. Besonderes Interesse hatte die Erweckungsbewegung für die Juden, weil sie Israel aufgrund biblischer Aussagen als „weltgeschichtliches“ oder sogar „das wichtigste“ Volk betrachtete und in seinem jahrtausendelangen Bestehen ein Wunder Gottes sah. Die jüdische Nation nach Christus hielt sie für ein abgefallenes Volk „unter dem Gerichte Gottes“, bekundete jedoch auch Solidarität mit seiner Leidensgeschichte und äußerte Scham über den Judenhass vieler Jahrhunderte. Für die Zukunft erwartete sie in Anlehnung an biblische Aussagen eine Bekehrung breiter Schichten von Juden zu Christus, teilweise auch deren Rückkehr nach Palästina, und setzte sich, besonders im Kontext der „Judenmission“, dafür ein. Dem zeitgenössischen Judentum als religiöser Größe und der vollen Judenemanzipation stand sie dagegen zwiespältig gegenüber. Die Erweckten teilten das europäische Sonderbewusstsein vieler Zeitgenossen und unterschieden wie diese zwischen zivilisierten, „geschichtlichen“, und barbarischen, „geschichtslosen“, Völkern. Sie gaben allerdings dem religiösen Aspekt in dieser Einteilung besonderes Gewicht, so dass biblische Geschichtsaussagen und überseeische Missionserfolge die Vorstellung vom (eurozentrischen) weltgeschichtlichen Völkerstrom modifizierten. Nur selten (K. v. Raumer) führten die Erweckten die Einteilung in bedeutsame und eher unbedeutende Völkergeschichten jedoch auf eigene subjektive Erinnerungsbedürfnisse statt auf objektive Wertigkeiten zurück. Die Geschichte außereuropäischer Hochkulturen wurde manchmal stark (Braunschweig, Gützlaff ), oft auch kaum berücksichtigt (Barth, Hofmann). Naturvölker wie Eskimos, Tartaren, Südseebewohner oder afrikanische Stämme galten weithin als geschichtslose „Wilde“. Die Erweckungsbewegung hielt ihre Zivilisierung für erforderlich, bedauerte jedoch das skrupellose Vorgehen europäischer Kolonisten, das viele Eingeborenenvölker zerstört habe. Im Kontext des zeitgenössischen Rassediskurses nahmen etliche Autoren J. F. Blumenbachs hierarchisierende Einteilung in fünf menschliche „Hauptrassen“ auf (Wagner, Leo, Dittmar, Hofmann), während andere das Thema ausklammerten (Barth) oder die Höherbewertung der weißen („kaukasischen“) Rasse ablehnten (Blumhardt, Christen-Bote 1838). In der monogenetischen Auffassung von der Entstehung des Menschengeschlechts und der Überzeugung von der allgemein-menschlichen Erlösungsbedürftigkeit und der unterschiedslosen Gültigkeit des Evangeliums war sich die Erweckungsbewegung dagegen einig, so dass es zu einem wirklichen Rassismus nicht kam. Viele erblickten in der Unterdrückung der afrikanischen Völker eine Folge von Noahs Verfluchung seines Sohnes Ham (Genesis 9,24 f ). Sie prangerten gleichwohl die jahrhundertealte Skla-

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verei an und hofften, einen Teil von „Japhets Schuld“ an den afrikanischen Völkern wieder gutzumachen. Die Geschichte war für die Erweckungsbewegung in vielen Bereichen Identitätsspenderin, so in der nationalen Frage. Gesamtdeutscher und einzelstaatlicher Patriotismus standen hier nebeneinander (föderativer Nationalismus) und wurden zusätzlich ergänzt durch das Erleben einer christ lichen Internationale und die Hoffnung auf die himmlische Stadt, zu deren „Bürgern“ man sich bereits zählte. Die Loyalität der Erweckten war insofern geteilt, wobei die Zugehörigkeit zur Christenheit Priorität besaß. Dennoch befürwortete man einen nationalen Sinn. Den deutschen „Nationalcharakter“ erblickte man im Einklang mit vielen Zeitgenossen unter Rückgriff auf Tacitus bereits bei den Germanen, die vergleichsweise positiv erschienen; man lobte, auch für spätere Zeiten, „deutsche“ Tugenden wie die „Treue“, tadelte aber gelegentlich auch nationale Laster, etwa einen Hang zur Abstraktionssucht. Eine eindeutig nationalstaatliche Perspektive auf deutsche Geschichte und Gegenwart war eher selten (Dittmar), die Wertschätzung Deutschlands als providentielle Geschichtsmacht (nicht aber neues Bundesvolk Gottes), besonders im Mittelalter und in der Reformationszeit, häufig. England wurde aufgrund seiner Vorreiterrolle in der Frömmigkeits- und Missionsgeschichte in einem ebenso positiven Licht gezeichnet. Innerhalb Deutschlands galten Preußen und vor allem Württemberg als besonders „gesegnet“. Vor dem Hintergrund des Ancien Régime, der Auf klärung, der Revolutionen 1789 und 1830 und der napoleonischen Expansion, verstärkt durch traditionelle Rivalitäten, hatte die Erweckungsbewegung ein weitgehend negatives Bild von Frankreich und seiner Geschichte, das am ehesten durch Lichtfiguren der Frömmigkeitsgeschichte (B. Pascal) und Kontakte zu französischen Erweckten aufgehellt wurde. Als Herrscherideal stand der Erweckungsbewegung der legitime christliche Fürst vor Augen, der sich als von Gottes Gnaden eingesetzt verstehen und seinem Volk mit persönlicher Frömmigkeit wie ein Familienvater vorstehen sollte. Gewaltsamen Revolutionen standen die Erweckten daher ebenso kritisch gegenüber wie machiavellistisch räsonierenden Monarchen. Ihr organisches Staatsdenken schloss eine Verfassung nicht prinzipiell aus, ruhte jedoch auf dem theologisch interpretierten Vertrauensverhältnis von Herrscher und Volk, wie es von Christoph von Württemberg, Ernst I. von Sachsen-Gotha oder Gustav Adolf, teilweise auch von Karl dem Großen gelebt worden sei. An solchen Fürsten schätzte man neben Fleiß, Fürsorge, Gerechtigkeit und einfachem Lebensstil auch Friedfertigkeit, gestand ihnen in historischen Darstellungen aber das Recht zur Kriegführung zu, sofern diese in lauterer, nicht-expansiver Absicht, unter Wahrung christlicher Sitten im Heer und mit Gebet geschehen sei. Unter den zeitgenössischen Herrschern galten besonders Wilhelm I. von Württemberg und Friedrich Wilhelm IV. von Preußen als vorbildlich.

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Der wichtigste kirchengeschichtliche Bezugspunkt der Erweckungsbewegung war die Reformation. Die Reformatoren galten als Lehrer und „Helden“ des evangelischen Glaubens. Allen voran wurde Luther verehrt, wenn er auch als fehlbar geschildert und in Missionskontexten weniger beachtet wurde. Psychologisierende katholische und vernunftbegeisterte rationalistische Lutherdeutungen empfand man als widersinnig. Eine zweite neuzeitliche Vorgängerbewegung sah die Erweckungsbewegung im Pietismus, dessen Führungsgestalten wie Ph.J. Spener, A. H. Francke, N. L. von Zinzendorf oder J. A. Bengel biographisch vor Augen gestellt und als Erneuerer praktischen christlichen Lebens in Erinnerung gehalten wurden. Allerdings sahen Teile der Erweckungsbewegung (Hengstenberg, Leo, ZPK 1846) die Erfahrungsbetonung im Pietismus kritisch. Die negativen Konnotationen des Begriffs „Pietismus“ führten dazu, dass auch Verehrer Speners den Terminus fallen ließen (Wildenhahn, Bötticher), während Gegner ihn gerne für die Erweckungsbewegung verwendeten; offensiv wurde er in Württemberg eingesetzt. Ein historischer Gegner der Erweckungsbewegung war der Katholizismus. Ihm wurden für das Mittelalter scholastische Spitzfindigkeit, eine Verschleierung der biblischen Botschaft, die Hinrichtung echter Wahrheitszeugen und ein antichristlicher Kampf um weltliche Macht, für die Neuzeit Protestantenverfolgungen, gewaltsame Christianisierungsmaßnahmen und jesuitische Doppelmoral zur Last gelegt. Gelegentlich kam es zu polemischen Auseinandersetzungen mit der ultramontanen Publizistik und Geschichtsschreibung. Die Erweckungsbewegung zeigte jedoch auch irenische Tendenzen und bekundete für einige katholische Missionare, Erneuerungsbewegungen ( Jansenismus), Amtsträger ( J. M. Sailer) und gelegentlich sogar Päpste Respekt. Ein zweiter erklärter Gegner im Geschichtsdenken war die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, in der die Erweckten eine widergöttliche Apotheose der Vernunft erblickten, die statt der behaupteten Erleuchtung eine Verfinsterung des Geistes gebracht habe. Der englische Deismus, der „französische Unglaube“ (Voltaire, J.-J. Rousseau) und die deutsche Neologie ( J. S. Semler) brachten nach Ansicht der Erweckungsbewegung eine Entleerung, Leugnung und Verspottung christlicher Wahrheit. Die europäischen Fürsten hätten, die neuen Gedanken aufgreifend, Selbstverständnis und ethische Grundsätze preisgegeben. Friedrich der Große wurde aufgrund seiner Verdienste weit besser beurteilt als Katharina die Große oder Ludwig XV., doch auch auf sein Gedächtnis fiel der Schatten der Auf klärung. In der auf klärerischen Pädagogik jenseits der christlichen Sünden- und Erlösungslehre sah man einen folgenschweren Irrweg, zollte aber J. H. Pestalozzi für sein Lebenswerk Respekt. F. Schleiermacher war in der Erweckungsbewegung umstritten und galt zumeist als wichtige, aber letztlich unbefriedigende Übergangsgestalt zu einem neuen Erfassen der christlichen Wahrheit.

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Französische Revolution, napoleonische Eroberungen und Befreiungskriege stellten eine zeitgeschichtliche Urerfahrung der Erweckungsbewegung dar, die ihr Geschichtsdenken tief beeinf lusste. Gemeinsam mit der Hungerkrise von 1816/17 handelte es sich um Ereignisse, die nach Auffassung, teilweise auch persönlichem Erleben der Erweckten eine „tiefe Erschütterung“ unter den Zeitgenossen bewirkt und so eine christliche Erweckung vorbereitet hatten. Die Französische Revolution galt, zumal in ihrer plastisch geschilderten Terreur-Phase, als Verwirklichung (und Selbstdiskreditierung) der in der Auf klärung proklamierten Autonomie des Menschen, Napoleon als antichristliche Tyrannengestalt. Umso deutlicher sah man Gottes Eingreifen in den Befreiungskriegen, die eine geistig-moralische Wende gebracht hätten. Statt der neuheidnischen Pariser Prozession für die „Göttin der Vernunft“ 1793 konnte hier von einem gemeinsamen Dankgebet der europäischen Monarchen 1813 in Leipzig und einer neuen Ehrfurcht vor dem christlichen Gott und seinem Geschichtswalten berichtet werden. Die Gegenwart erschien den Erweckten jedoch nicht als eine Zeit der Entspannung, sondern der extremen, durch technische, industrielle und politische Neuerungen gesteigerten Gegensätze, in der Kultur, Religion und Moral hoffnungsvolle und bedrohliche Ansätze zugleich aufwiesen. Dem Gefühl, in einer zerrissenen Zeit zu leben, entsprach die Überzeugung, an einer Epochenschwelle zu stehen. Mehrmals wurde ein Vergleich mit dem vorreformatorischen 15. Jahrhundert gezogen. Zugleich stellte man eine Beschleunigung der Entwicklungen fest – eine zeittypische Empfindung, die hier mit theologischen Kategorien wie der Verbreitung des Evangeliums und den „Zeichen der Zeit“ in Verbindung gebracht und eschatologisch gedeutet wurde. Sich selbst nahm die Erweckungsbewegung als Teil eines weltweiten christlichen Auf bruchs und, bezogen auf die deutsche Gesellschaft, als erstarkte, aber Minderheit gebliebene Bewegung wahr. In den Erweckungszentren beobachtete man Hochs und Tiefs christlichen Glaubenslebens, zeigte sich aber vor allem über die Missionsarbeit der letzten Jahrzehnte erfreut. Die Rechristianisierung empfand man als geistig-soziale Modernisierung, die den überlebten, wenn auch noch existenten Rationalismus der Auf klärungszeit hinter sich lasse. Mit der Warnung der Erweckten vor dem scheinbar Fortschrittlichen, dem das „alte“ Evangelium abhanden komme, verband sich hier das Gefühl von Modernität. Seit dem Auf kommen neuer nicht-christlicher Bewegungen wie des Linkshegelianismus und des Jungen Deutschland sahen sich viele jedoch wieder in der Rolle der Modernitätsgegner und betrachteten die ethischen, philosophischen und politischen Zukunftsentwicklungen ihrer Zeit mit Sorge. Unerschütterlich war dagegen ihr Glaube an den ewigen Gott und ihre Hoffnung auf sein zukünftiges Reich.

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Die vielseitige Geschichtsliteratur der Erweckungsbewegung, der zwar der ganz große Einf luss aufgrund mangelnder Forschungsexzellenz und der langfristigen Säkularisierung in Wissenschaft und Gesellschaft verwehrt blieb, die aber dennoch Teile der Gesellschaft und selbst der Wissenschaft erreichte, belegt das Bildungsinteresse der Erweckungsbewegung, für die ein praktisches Glaubensleben mit intellektueller Ref lexion durchaus vereinbar war. Sie zeigt auch ihren kulturpolitischen Aktivismus, der im Kampf um die Deutungshoheit publizistische Mittel zu nutzen wusste und sich lieber auf die Konfrontation einließ, als sich quietistisch zurückzuziehen. Indem die Erweckungsbewegung ein prononciertes Geschichtsbewusstsein kultivierte und ihre Kerninteressensgebiete historisch bearbeitete, unterstrich sie die Bedeutung des Geschichtsdenkens für die Mentalitätsgeschichte des Vormärz insgesamt. Sie ist dabei ein Paradebeispiel nicht nur für die Rechristianisierung der vormärzlichen Gesellschaft, sondern zugleich für eine Rechristianisierung ihres Geschichtsbildes. Die Erweckten gingen vom allgemeinen Geschichtsdenken ihrer Zeit aus, verbanden es jedoch mit biblischen, klassisch-protestantischen, pietistischen und weltmissionarischen Perspektiven. Weltreiche und Wahrheitszeugen, die im 16. Jahrhundert durch die Werke Melanchthons, Sleidans und Flacius’ zu Schlüsselkategorien evangelischer Geschichtsdeutung geworden waren, hatten diese Bedeutung auch für das erweckliche Geschichtsdenken im 19. Jahrhundert und wurden nur überstrahlt von dem erkenntnisleitenden Begriff des Reiches Gottes. Die Erweckten übernahmen die Geschichtstopoi ihrer Zeit, versuchten aber, sie in ein christliches Licht zu stellen. Dabei konnten theologische Motive – Kollektivf lüche, Antipapismus, Antichrist, Heidendiskurs – zeittypische Ausgrenzungen verstärken. In den meisten Themenbereichen – Herrscherbeurteilung, Konfessionalismus, Eurozentrismus, Kolonialismus, Nationalismus, Rassismus – stand das christliche Menschen- und Geschichtsbild jedoch eher einer vollen Aneignung zeittypischer Anschauungsmuster im Weg und bremste ihre Übersteigerung aus. Die gleichzeitige Loyalität gegenüber den Deutungsmustern ihrer Zeit sowie neuen wissenschaftlichen Ansätzen einerseits und christlichen Geschichtstraditionen sowie dem biblischen Interpretationsrahmen andererseits führte zu unterschiedlichen Harmonisierungen und Vermittlungskonstruktionen, zur Entstehung innovativer Darstellungsformen, aber auch zu Abgrenzungen gegen den Zeitgeist. Sie veranschaulicht damit die zugleich weltzugewandte und weltferne, Einf luss nehmende und doch subkulturelle Stellung des biblisch-pietistischen Christentums in der neuzeitlichen Gesellschaft.

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Anhang 1. Abkürzungsverzeichnis ADB

Allgemeine Deutsche Biographie, hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 56 Bd., Leipzig 1875–1912 AGP Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, hg. im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus von Kurt Aland et al., Bielefeld (seit 1979 Göttingen) 1967 ff Archives Archives du christianisme au dix-neuvième siècle: journal religieux, Paris 1818–1868 (II. Serie 1833–1857) BBKL Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, hg. von FriedrichWilhelm Bautz/Traugott Bautz, Hamm 1990 f/Herzberg 1992–2001/ Nordhausen 2002 ff BWKG Blätter für württembergische Kirchengeschichte, hg. vom Verein für württembergische Kirchengeschichte, Stuttgart 1897 ff ChB Christen-Bote, hg. von J. C. F. Burk et al., Stuttgart: Steinkopf 1831–1941 Christoterpe Christoterpe. Ein Jahrbuch für das deutsche Haus, hg. von Albert Knapp et al., Tübingen: Osiander (später Heidelberg: Winter et al.) 1833–1940 CVB Christlicher Volksbote aus Basel, Basel: Schneider 1833–1941 DBE Deutsche Biographische Enzyklopädie, hg. von Walther Killy/Rudolf Vierhaus, 13 Bd., München et al. 1995–2003 EKZ Evangelische Kirchen-Zeitung, hg. von E. W. Hengstenberg et al., Berlin: Oehmigke 1827–1930 ELThG Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde, hg. von Helmut Burkhardt/Uwe Swarat, 3 Bd., Wuppertal/Zürich 1992–1994 FB Fliegende Blätter als offener Brief aus dem Rauhen Hause zu Horn bei Hamburg, Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses 1844–1894 FrIsraels Der Freund Israels. Nachrichten von der Ausbreitung des Reiches Gottes unter Israel, hg. von dem Vereine von Freunden Israels in Basel, Basel 1834–1996 GG Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, Göttingen 1975 ff GGB Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck, 8 Bd., Stuttgart 1972–1997 HPB Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland, hg. von G. Phillips/G. Görres et al., München 1838–1923 HWPh Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter/ Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel, 13 Bd., Darmstadt 1971–2007

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LGB 2 MGMB MissBer NDB ODNB PuN RGG 3 RGG 4 SSB SZRKG ThZ TRE TZTh WA ZPK

Anhang Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding, bisher 9 Bd., Tübingen 1992 ff Historische Zeitschrift, München/Berlin 1859 ff Jahrbuch für evangelikale Theologie, hg. im Auftrag des Arbeitskreises für evangelikale Theologie (AfeT Deutschland) und der Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie (Af beT Schweiz), Wuppertal/Witten 1987 ff Lexikon des gesamten Buchwesens, 2., völlig neu bearbeitete Ausgabe, hg. von Severin Corsten/Stephan Füssel/Günther Pf lug, bisher 7 Bd., Stuttgart 1987 ff Magazin für die neueste Geschichte der protestantischen [seit 1818: evangelischen] Missions- und Bibelgesellschaften, Basel: MissionsInstitut 1816–1856 Missions-Berichte der Gesellschaft zur Beförderung der Evangelischen Missionen unter den Heiden zu Berlin, Berlin 1829–1907 Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, bisher 24 Bd., Berlin 1953 ff Oxford Dictionary of National Biography: From the Earliest Times to the Year 2000, hg. von H. C. G. Matthew/Brian Harrison, 60 Bd., Oxford/New York 2004 Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus, hg. im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus, Göttingen 1974 ff Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, hg. von Kurt Galling, 7 Bd., Tübingen 1957–1965 Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Geschichte und Religionswissenschaft, hg. von Hans Dieter Betz et al., 9 Bd., Tübingen 1998–2007 Süddeutscher Schul-Bote. Eine Zeitschrift für das deutsche Schulwesen, hg. von Ludwig Völter et al., Stuttgart: Belser (später Steinkopf ) 1836–1891 Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte (bis 2003 Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte), Fribourg 1907 ff Theologische Zeitschrift, hg. von der Theologischen Fakultät der Universität Basel, Basel 1945 ff Theologische Realenzyklopädie, hg. von Gerhard Müller/Gerhard Krause, 36 Bd., Berlin/New York 1977–2004 Tübinger Zeitschrift für Theologie, hg. von den Mitgliedern der evangelisch-theologischen Fakultät (zuerst J. C. F. Steudel), Tübingen: Osiander (später Fues) 1828–1840 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), 120 Bd., Weimar 1883–2009 Zeitschrift für Protestantismus und Kirche, hg. von G. Ch. Adolph Harleß et al., Erlangen: Bläsing (später Deichert) 1838–1876 (Neue Folge seit 1841)

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2. Quellenverzeichnis 2.1 Selbständige Schriften Abt, „Chiliasmus“, in: Carl von Rotteck/Carl Welcker (Hg.), Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, Bd. III, neue Auf l., Altona: Hammerich 1846, 208–210. Bähring, Bernhard, Das Leben Johann Wessel’s (= Sonntags-Bibliothek. Lebensbeschreibungen christlich-frommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde, hg. von Freunden des Reiches Gottes, Bd. 1, Heft 6), Bielefeld: Velhagen & Klasing 1846. Barth, Christian Gottlob (Hg.), Süddeutsche Originalien. In Fragmenten gezeichnet von ihnen selbst, 4 Hefte, Stuttgart: Löf lund 1828–1836. – (anon.), „Kurzer Abriß der Geschichte der christlichen Kirche“, in: August Osiander, Erklärung der Offenbarung Johannis. Eine Zugabe zum dritten Teile der von Christian Philipp Heinrich Brandt herausgegebenen evangelischen Schullehrerbibel, Sulzbach: Seidel 1831, 147–166. – (anon.), Christliche Kirchengeschichte für Schulen und Familien. Mit Abbildungen, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 31836 (1835). – (anon.), Die allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen bearbeitet für nachdenksame Leser, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 1837. – (anon.), Die allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen bearbeitet für nachdenksame Leser, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 3 1842 (1837). –, Die Mythen des Lebens Jesu. Auszüge aus „Haiat ul Kulub, oder Geschichte Muhameds, beschrieben nach der Schiitischen Tradition von Muhamed Bachir“. Nebst einem das „Leben Jesu von Dr. Strauss“ betreffenden Anhang, Stuttgart: Steinkopf 1837. –, „Die Flucht des Camisarden“, in: ders., Erzählungen für Christenkinder, Stuttgart: Steinkopf 1838 (1828), 1–62. –, Der Pietismus und die spekulative Theologie. Sendschreiben an Herrn Diakonus Dr. Märklin in Calw, Stuttgart: Steinkopf 1839. – (anon.), Geschichte von Württemberg, neu erzählt für den Bürger und Landmann, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 1842. – (anon.), Geschichte von Württemberg, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 41876. Baur, Ferdinand Christian, Die Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung, Tübingen: Fues 1852. Beck, Johann Tobias, Einleitung in das System der Christlichen Lehre oder Propädeutische Entwicklung der Christlichen Lehr-Wissenschaft. Ein Versuch, Stuttgart: Belser 1838. Becker, Karl Friedrich, Die Weltgeschichte, für Kinder und Kinderlehrer, Bd. III, Berlin: Frölich 1802. –, Weltgeschichte, hg. von Johann Wilhelm Loebell, 14 Bd., Berlin: Duncker & Humblot 71844. Bengel, Johann Albrecht, Erklärte Offenbarung Johannis oder vielmehr JEsu

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Christi. Aus dem revidirten Grund-Text übersetzt durch die prophetischen Zahlen aufgeschlossen und allen, die auf das Werk und Wort des HErrn achten, und dem, was vor der Thür ist, würdiglich entgegen zu kommen begehren, vor Augen geleget, neu hg. von Pf. Burk, Stuttgart: Brodhag 1834 (1740). –, Welt-Alter, darin Die Schriftmässige Zeiten-Linie bewiesen und die Siebenzig Wochen samt andern wichtigen Texten und heilsamen Lehren erörtert werden, zum Preise des grossen Gottes und seines wahrhaftigen Wortes an das Licht gestellet, Esslingen: Schall 1746. –, Ordo temporum. A principio per periodos oeconomiae divinae historicas atque propheticas ad finem usque ita deductus ut tota series et quarumuis partium analogia sempiternae virtutis ac sapientiae cultoribus ex scriptura V. et NT tanquam uno revera documento proponatur, Stuttgart: Metzler 21770 (1741). Besser, Wilhelm Friedrich, John Williams, der Apostel der Südsee. Ein Volksbuch. Mit einer Karte von den Südsee-Inseln, Berlin: Besser 21847 (1845). Bialloblotzky, Christoph Heinrich Friedrich/Sander, Friedrich, Das Auf kommen und Sinken des Rationalismus in Deutschland. Ein historischer Versuch nach dem Englischen des E. B. Pusey bearbeitet, Elberfeld: Hassel 1829. Blumhardt, Christian Gottlieb, Versuch einer allgemeinen Missionsgeschichte der Kirche Christi, 3 Bd. (5 Abt.), Basel: Neukirch 1828–1837. Blumhardt, Johann Christoph (anon.), Handbüchlein der Weltgeschichte für Schulen und Familien. Mit Abbildungen, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 1843. –, Handbüchlein der Missionsgeschichte und Missionsgeographie, Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 1844. Bodemann, Friedrich Wilhelm, Leben Jung-Stilling’s (= Sonntags-Bibliothek. Lebensbeschreibungen christlich-frommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde, hg. von Freunden des Reiches Gottes, Bd. 1, Heft 1), Bielefeld: Velhagen & Klasing 1846. Bond, Alvan, Plinius Fisk. Aus dem Engl. (= Leben evangelischer Heidenboten, hg. von G. P. Heller, Bd. 1), Erlangen: Heyder 1835. Börne, Ludwig, Gesammelte Schriften, Bd. III, Hamburg: Hoffmann und Campe 2 1835. Bornkamm, Heinrich, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte. Mit ausgewählten Texten von Lessing bis zur Gegenwart, Göttingen 21970. Böttcher, Johann Heinrich, Geschichte der Mäßigkeits-Gesellschaften in den norddeutschen Bundes-Staaten, oder General-Bericht über den Zustand der Mäßigkeits-Reform bis zum Jahre 1840. Erster Jahres-Bericht über Deutschland. Mit juridischen und medicinischen Gutachten und anderen Documenten, statistischen und tabellarischen Zugaben und einem litterarischen Anhange, Hannover: Hahn 1841. Bötticher, Wilhelm, Prophetische Stimmen aus Rom, oder das Christliche im Tacitus und der typisch prophetische Charakter seiner Werke in Beziehung auf Rom’s Verhältniß zu Deutschland. Ein Beitrag zur Philosophie der Geschichte und zur tieferen Würdigung des römischen Geschichtschreibers, 2 Bd., Hamburg/Gotha: Perthes 1840. –, Eins ist Noth, den Fürsten und Völkern, den Schulen und Familien! Stimmen des Glaubens über die Glaubensschwäche unsrer Zeit in ihren Urtheilen über den sogenannten Pietismus, Berlin: Thome 1841.

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–, Gustav Adolph, König von Schweden. Ein Buch für Fürst und Volk, Kaiserswerth am Rhein: Diakonissen-Anstalt 1845. Bräm, Andreas, Beschreibung des heiligen Landes, Basel: Schneider 1834. –, Blicke in die Weltgeschichte und ihren Plan, Straßburg: Scheurer 1835. Braunschweig, Johann Daniel von, Die allgemeine Geschichte zunächst für Realschulen in Tabellen dargestellt, 1. Heft: Alte Geschichte, Mitau: Steffen hagen 1828. –, Geschichte des allgemeinen politischen Lebens der Völker im Alterthume. Für Staats- und Geschäftsmänner in Grundzügen entworfen, Bd. I, Hamburg: Perthes 1830. –, Umrisse einer allgemeinen Geschichte der Völker. Für Staats- und Geschäftsmänner in Grundzügen entworfen, Leipzig: Lehnhold 1833. Bunsen, Christian Carl Josias, Die Zeichen der Zeit. Briefe an Freunde über die Gewissensfreiheit und das Recht der christlichen Gemeinde, 2 Bd., Leipzig: Brockhaus 21856 (1855). Burk, Johann Christian Friedrich, Dr. Johann Albrecht Bengel’s Leben und Wirken meist nach handschriftlichen Materialien bearbeitet, Stuttgart: Steinkopf 1831. Dann, Christian Adam, Durch Leiden zur Herrlichkeit! Ein evangelisches, geschichtliches, vaterländisches Andachts-Blatt, Stuttgart: Steinkopf 1817. Dielitz, Theodor, Grundriß der Weltgeschichte für Gymnasien und Realschulen, Berlin: Duncker & Humblot 1836. Die Missionen der evangelischen Brüder in Grönland und Labrador, Gnadau: Burkhard 1831. Dittmar, Heinrich, Die Weltgeschichte in einem leicht überschaulichen, in sich zusammenhängenden Grundrisse. Ein Leitfaden für den Unterricht in untern Gymnasien und lateinischen Schulen (Progymnasien, Pädagogien), in Schullehrer-Seminarien und in Real- und höhern Bürgerschulen, so wie auch zum Gebrauch beim Selbstunterrichte, Karlsruhe: Holtzmann 21842 (1841). –, Die Weltgeschichte in einem leicht überschaulichen Umrisse für den Schul- und Selbstunterricht, Heidelberg: Winter 41849 (1841). –, Die deutsche Geschichte in ihren wesentlichen Grundzügen und in einem übersichtlichen Zusammenhange. Ein Leitfaden für die mittlere historische Lehrstufe in Schulen, wie im Selbstunterrichte, Karlsruhe: Holtzmann 21843 (1840). –, Die Geschichte der Welt vor und nach Christus, mit Rücksicht auf die Entwicklung des Lebens in Religion und Politik, Kunst und Wissenschaft, Handel und Industrie der welthistorischen Völker. Für das allgemeine Bildungsbedürfniß dargestellt, 4 Bd., Heidelberg: Winter 1846–1856. Dräseke, Johann Heinrich Bernhard, Glaube, Liebe, Hoffnung. Ein Handbuch für junge Freunde und Freundinnen Jesus, neue Auf l., Reutlingen: Mäcken 1817. Ehrenfeuchter, Friedrich, Entwicklungsgeschichte der Menschheit besonders in ethischer Beziehung. In Umrissen dargestellt, Heidelberg: Winter 1845. Eilfte Anzeige, den Missions-Hülfsverein zu Tübingen betreffend, sammt der Rechnung über Einnahme und Ausgabe, Tübingen: Fues 1830. Eyth, Eduard, Classiker und Bibel in den niederen Gelehrtenschulen. Reden an Lehrer und gebildete Väter, Basel: Spittler 1838. –, Ueberblick der Weltgeschichte vom christlichen Standpunkte, Heidelberg: Winter 1853.

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Fliedner, Theodor (Hg.), Buch der Märtyrer und andrer Glaubenszeugen der evangelischen Kirche, von den Aposteln bis auf unsre Zeit. Zur Stärkung des Glaubens und der Liebe unsrer evangelischen Christenheit, 4 Bd., Kaiserswerth: Diakonissen-Anstalt 1851/52–1860. Fox, John/Milner, John, Das christliche Märtyrerthum oder Geschichte von dem Leben, den Leiden und dem Tode der christlichen Märtyrer in allen Theilen der Erde. Nach dem Englischen bearbeitet, 2 Bd., Leipzig: Baumgärtner 1817–1818. Frank, Johannes Georg, Novum systema chronologiae fundamentalis, qua omnes anni ad solis et lunae cursum accurate describi, et novilunia a primordio mundi ad nostra usque tempora et ulterius ope epactarum designari possunt: in cyclo iobeleo biblico detectae et ad chronologiam tam sacram, quam profanam applicatae; adiecta brevi enarratione iobeleo-chronologica historiae sacrae. Cum praefatione Iohannis Christophori Gatterer, Göttingen: Vandenhoeck 1778. Gaussen, Louis, Die Juden und die Hoffnung ihrer baldigen Wiederherstellung vermittelst des Evangeliums. Ein Vortrag, gehalten am 12. März 1843 im Museum zu Genf. Aus dem Frz., Karlsruhe: Macklot 21843. Geschichte der katholischen Missionen im Kaiserreiche China von ihrem Ursprunge an bis auf unsre Zeit, 2 Bd., Wien: Mechitaristen-CongregationsBuchhandlung 1845. Gieseler, Johann Carl Ludwig, Lehrbuch der Kirchengeschichte, Bd. I, Bonn: Marcus 21827. Grob, Johann Caspar, Die Zürcherische Kirche und Schule und ihr Verhältniß zu Dr. Strauß im Jahr 1839. Eine Darstellung für die Urtheilsfähigen im Volke, hg. von der evangelischen Gesellschaft in Zürich, Zürich: Wichelhausen 1839. Grundtvig, Nicolai Frederik Severin, Uebersicht der Welt-Chronik vornämlich des Lutherischen Zeitraums. Aus dem Dänischen, nach der Ausgabe von 1817, übertragen von Dr. Volkmann, durchgesehen und mit einigen Anmerkungen begleitet von Dr. A. G. Rudelbach, Nürnberg: Raw 1837. Guerike, Heinrich Ernst Ferdinand, August Hermann Francke. Eine Denkschrift zur Säcularfeier seines Todes, Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1827. –, Handbuch der Allgemeinen Kirchengeschichte, 2 Bd., Halle: Gebauer 1833. Günther, Friedrich Joachim, Weltgeschichte in funfzig Lebensbildern, Halberstadt: Frantz 1849. Gützlaff, Charles, Journal of Three Voyages along the Coast of China in 1831, 1832, & 1833, with Notices of Siam, Corea, and the Loo-Choo Islands, London: Westley & Davis 1834. –, A Sketch of Chinese History, Ancient and Modern: Comprising a Retrospect of the Foreign Intercourse and Trade with China, 2 Bd., London: Smith & Elder 1834. Gützlaff, Carl Friedrich, Geschichte des chinesischen Reiches von den ältesten Zeiten bis auf den Frieden von Nanking, hg. von Karl Friedrich Neumann, Stuttgart/Tübingen: Cotta 1847. Harless, G. C. Adolph, Die kritische Bearbeitung des Lebens Jesu von Dr. Dav. Friedr. Strauß nach ihrem wissenschaftlichen Werthe beleuchtet, Erlangen: Heyder 1836. Harms, Claus, Das sind die 95 theses oder Streitsaetze Dr. Luthers, theuren Andenkens. Zum besondern Abdruck besorgt und mit andern 95 Saetzen als mit einer

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Uebersetzung aus Ao. 1517 in 1817 begleitet, Kiel: Universitäts-Buchhandlung 1817. –, Briefe zu einer naehern Verstaendigung ueber verschiedene meine Thesen betreffende Puncte. Nebst einem namhaften Briefe, an den Herrn Dr. Schleiermacher, Kiel: Universitäts-Buchhandlung 1818. –, Sommerpostille oder Predigten an den Sonn- und Festtagen von Ostern bis Advent, Bd. I, Kiel: Hesse 31820. –, Predigt zur Jubelfeyer wegen der 1530 den 25sten Juni auf dem Reichstage zu Augsburg verlesenen und übergebenen Confession. Gehalten am dritten Sonntag nach Trinitatis 1830, Kiel: Universitäts-Buchhandlung 1830. –, Säcularpredigt wegen der verdeutschten Bibel, Trinitatis 17, Sept. 21 d. J., Kiel: Universitäts-Buchhandlung 1834. Haupt, Friedrich, Die Weltgeschichte, nach Pestalozzis Elementargrundsätzen, und von christlicher Lebensanschauung aus bearbeitet. Für die Schule und das Haus, Hildburghausen: Bibliographisches Institut 1840. –, Die Weltgeschichte. Ein Elementarwerk für das Volk und seine Schulen, Zürich: Orell & Füßli 1843. Hävernick, Heinrich Andreas Christoph, Commentar über das Buch Daniel, Hamburg: Perthes 1832. –, Neue kritische Untersuchungen über das Buch Daniel, Hamburg: Perthes 1838. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Berlin 1822/1823: Nachschriften von Karl Gustav Julius von Griesheim, Heinrich Gustav Hotho und Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler, hg. von Karl Heinz Ilting, Karl Brehmer und Hoo Nam Seelmann (= Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 12), Hamburg 1996. Hemsen, Johann Tychsen, Die Authentie der Schriften des Evangelisten Johannes, Schleswig: Königl. Taubstummen-Institut 1823. Hengstenberg, Ernst Wilhelm, Die Authentie des Daniel und die Integrität des Sacharjah (= ders., Beiträge zur Einleitung ins Alte Testament, Bd. I), Berlin: Oehmigke 1831. –, Die Authentie des Pentateuches, 2 Bd. (= ders., Beiträge zur Einleitung ins Alte Testament, Bd. II), Berlin: Oehmigke 1836–1839. Herschell, Ridley H., A Brief Sketch of the Present State and Future Expectations of the Jews, London: Unwin 51841 (1833). –, Besuch in meinem Vaterland. Notizen, gesammelt auf einer Reise nach Syrien und Palästina im Jahr 1843, Basel: Schneider 1846 (engl. 1845). Hess, Johann Jakob, Das Vorsehungsvolle der immer weitern Bibelverbreitung in unsern Tagen, Zürich: Orell & Füßli 1817. –, Kern der Lehre vom Reiche Gottes. Nach Anleitung des biblischen Geschichtinhalts, Zürich: Orell & Füßli 21826 (1819). Hofacker, Ludwig, Predigten für alle Sonn-, Fest- und Feiertage, 2 Bd., Stuttgart: Steinkopf 1831. Hoffmann, Wilhelm, Das Leben Jesu kritisch bearbeitet von Dr. D. F. Strauss. Geprüft für Theologen und Nichttheologen, Stuttgart: Balz 1836. –, Die Erziehung des weiblichen Geschlechts in Indien. Ein Aufruf an die christlichen Frauen Deutschlands und der Schweiz, Stuttgart: Liesching 1841.

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–, Die Evangelische Missionsgesellschaft zu Basel im Jahre 1842. Eine Bekanntmachung an alle Evangelischen Christen. Geschrieben im Auftrage der Evangelischen Missions-Committee, Basel: Schneider 1842. –, Die Evangelische Missions-Committee zu Basel an ihre mitverbundenen Freunde in Württemberg, Basel 1847. Hofmann, Johann Christian Konrad, Geschichte des Aufruhrs in den Sevennen unter Ludwig XIV. Nach den Quellen erzählt, Nördlingen: Beck 1839. –, „Ueber die bei Verabfassung eines historischen Lehrbuchs für die protestantischen Gymnasien Bayerns zu befolgenden Grundsätze“, in: Verhandlungen der ersten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Nürnberg 1838, Nürnberg: Riegel & Wießner 1838, 44–49. –, Lehrbuch der Weltgeschichte für Gymnasien, 2 Bd., Nördlingen: Beck 1839. –, Weissagung und Erfüllung im alten und im neuen Testamente. Ein theologischer Versuch, 2 Bd., Nördlingen: Beck 1841–1844. Hossbach, Wilhelm, Johann Valentin Andreä und sein Zeitalter, Berlin: Reimer 1819. –, Philipp Jakob Spener und seine Zeit. Eine kirchenhistorische Darstellung, 2 Bd., Berlin: Dümmler 1828. Isenberg, Carl Wilhelm, Abessinien und die evangelische Mission. Erlebnisse in Aegypten, auf und an dem rothen Meere, dem Meerbusen von Aden, und besonders in Abessinien. Tagebuch meiner dritten Missionsreise vom Mai 1842 bis December 1843. Nebst einer geographischen, ethnographischen und historischen Einleitung, 2 Bd., Bonn: Marcus 1844. Jahn, Gustav, Die deutschen Freiheitskriege von 1813 bis 1815, hg. von dem christlichen Vereine im nördlichen Deutschland, Eisleben: Klöppel/Leipzig: Barth & Schulze 21850 (1850). Jost, Isaak Marcus, Allgemeine Geschichte des Israelitischen Volkes, sowohl seines zweimaligen Staatslebens als auch der zerstreuten Gemeinden und Secten, bis in die neueste Zeit, in gedrängter Uebersicht, zunächst für Staatsmänner, Rechtsgelehrte, Geistliche, und wissenschaftlich gebildete Leser, aus den Quellen bearbeitet, 2 Bd., Berlin: Amelang 1832. Jung-Stilling, Johann Heinrich, Johann Heinrich Jung’s, genannt Stilling, Lebensgeschichte, oder dessen Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft, Lehrjahre, häusliches Leben und Alter (= Johann Heinrich Jung’s, genannt Stilling, sämmtliche Schriften, hg. von J. N. Grollmann, Bd. 1), Stuttgart: Henne 1835. Kanne, Johann Arnold, Leben und aus dem Leben merkwürdiger und erweckter Christen aus der protestantischen Kirche, 2 Bd., Leipzig: Brockhaus 21842 (1816/17). Kapff, Sixt Carl, Die Württembergischen Brüdergemeinden Kornthal und Wilhelmsdorf, ihre Geschichte, Einrichtung und Erziehungs-Anstalten. Geschrieben und zum Besten der Gemeinde Kornthal, Korntal/Stuttgart: Liesching 1839. –, Die Revolution, ihre Ursachen, Folgen und Heilmittel, dargestellt für Hohe und Niedere, Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses 1851. Kappe, Ernst, Geschichten aus der Geschichte, das ist: Denkwürdigkeiten aus der Weltgeschichte. Ein Lesebuch für’s Volk und seine Jugend, Moers: Rheinische Schul-Buchhandlung 31840. Keith, Alexander, Die Erfüllung der biblischen Weissagungen, aus der Völker-

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geschichte und den Mittheilungen neuerer Reisenden überzeugend dargethan, nach der 25. engl. Auf l., Stuttgart: Steinkopf 1844 (engl. 11823). Klumpp, Friedrich Wilhelm, Die classischen Studien vom Standpunkte des Evangeliums. Rede am Geburtsfeste Seiner Majestät des Königs von Württemberg den 27. September 1837 im Königlichen Gymnasium zu Stuttgart gehalten, Stuttgart: Beck & Fränkel 1837. –, Das evangelische Missionswesen. Ein Ueberblick über seine Wirksamkeit und seine weltgeschichtliche und nationale Bedeutung, Stuttgart/Tübingen: Cotta 2 1844 (1841). Knapp, Albert, Missionslieder für Israel. Gesammelt zum Gebrauche in Missionsstunden und Versammlungen, hg. von dem Vereine von Freunden Israels in Basel, Basel: Schneider 1836. –, Leben von Ludwig Hofacker, weil. Pfarrer zu Rielingshausen, mit Nachrichten über seine Familie und einer Auswahl aus seinen Briefen und Circularschreiben, Heidelberg: Winter 31860 (1852). Knapp, Georg Christian, Leben und Charactere einiger gelehrter und frommer Männer des vorigen Jahrhunderts. Nebst zwey kleinen theologischen Aufsätzen, Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1829. Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig, Vortrag gehalten bei der ersten öffentlichen Jahresfeier des Missionsvereins der evangelisch-reformirten Gemeinden zu Erlangen am 2. Dez. 1844, Erlangen: Bläsing 1845. Krohn, Friedrich, Das Missionswesen in der Südsee. Ein Beitrag zur Geschichte von Polynesien, Hamburg: Perthes 1833. Krummacher, Emil Wilhelm, Katechismus der christlichen Kirchengeschichte für die evangelische Jugend, Essen: Bädeker 1833. Krummacher, Friedrich Adolph, Geschichte des Reichs Gottes, nach der heiligen Schrift, in Bildern von Wilhelm von Kügelgen. Mit andeutendem Texte, Essen: Bädeker 1831. Krummacher, Friedrich Wilhelm, Das Werk der Bibelverbreitung in unserer Zeit. Predigt über 2. Timotheum 4, V. 1.2, gehalten in Cöln am 4. December 1842, Berlin: Wohlgemuth 1843. –, Elisa, Bd. III, Elberfeld: Hassel 1845. –, Abschieds-Predigt gehalten am 1. August 1847 vor der reformirten Gemeinde zu Elberfeld, Elberfeld: Hassel 21847. Lambert, P. [Bernard], Die Weissagungen und Verheissungen, der Kirche Jesu Christi auf die letzten Zeiten der Heyden gegeben. Nach dem Werk des P. Lambert auszugsweise für Christen aller Confessionen bearbeitet, und mit Zusätzen und Anmerkungen begleitet von Jaschem [i. e. Johann Friedrich von Meyer], hg. von Johann Arnold Kanne, Nürnberg: Schrag 1818. Lange, Johann Peter, „Die Gränzfragen zwischen der Philosophie der Geschichte und der Geschichte des Reiches Gottes“, in: ders., Vermischte Schriften, Bd. I: Naturwissenschaftliches und Geschichtliches unter dem Gesichtspunkte der christlichen Wahrheit, Moers: Rheinische Schul-Buchhandlung 1840, 74–216. Ledderhose, Karl Friedrich, Das Leben Carl Heinrich v. Bogatzky’s, Heidelberg: Winter 1846. –, Das Leben Aug. Gottl. Spangenbergs, Bischofs der Brüdergemeine, Heidelberg: Winter 1846.

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–, Die Mission unter den freien Buschnegern in Surinam und Rasmus Schmidt. Ein Gemälde aus der Missionsgeschichte der Brüdergemeine für Jung und Alt, Heidelberg: Winter 1847. –, Das Büchlein von den Hottentotten und ihrem ersten Apostel, Georg Schmidt. Für Jung und Alt, Basel: Schneider 1849. Leipoldt, Wilhelm, Die Geschichte der christlichen Kirche, zunächst für Schulen und Katechesationen bearbeitet, Schwelm: Scherz 1834. Leonhardt, Carl Gottfried, Die gesegnete Ausbreitung des Christenthums unter Heyden, Mahomedanern und Juden in der neuesten Zeit, Dresden: Missions-Verein 1820. Leo, Heinrich, Lehrbuch der Universalgeschichte zum Gebrauche in höheren Unterrichtsanstalten, 6 Bd., Halle: Anton 1835–1844. –, Die Hegelingen. Actenstücke und Belege zu der s.g. Denunciation der ewigen Wahrheit zusammengestelt, Halle: Anton 1838. Loebell, Johann Wilhelm, Weltgeschichte in Umrissen und Ausführungen, Bd. I, Leipzig: Brockhaus 1846. Löhe, Wilhelm, Die Mission unter den Heiden. Zwei Gespräche zur Belehrung des Volks geschrieben, Nördlingen: Beck 1843. –, Erinnerungen aus der Reformationsgeschichte von Franken, insonderheit der Stadt und dem Burggraftum Nürnberg ober- und unterhalb des Gebirgs, Nürnberg: Raw 1847. Luther, Melanchthon und die protestantischen Fürsten Deutschlands. Zur Feier des dritten Jubelfestes der Augsburger Confession, am 25. Juni 1830, Erlangen: Heyder 1830. Mann, Karl, „Vorwort des Uebersetzers“, in: Louis Gaussen, Die Juden und die Hoffnung ihrer baldigen Wiederherstellung vermittelst des Evangeliums. Ein Vortrag, gehalten am 12. März 1843 im Museum zu Genf. Aus dem Frz., Karlsruhe: Macklot 21843, V–VIII. Märklin, Christian, Das Ketzer-Gericht des Christenboten über meine Schrift: Darstellung und Kritik des modernen Pietismus. Ein Wort mit Rücksicht auf einen Artikel in diesem Blatte, Stuttgart: Köhler 1839. Mengert, A. F. C., Die ersten christlichen Missionäre unter den Teutschen oder die Einführung und Ausbreitung des Christenthums in Teutschland. Eine geschichtliche Zusammenstellung als Grundlage der Belehrungen über die Mission in den Missionsstunden und zur Belebung des Missions-Eifers in der evangelischen Kirche, Bayreuth: Buchner 1844. Menken, Gottfried, „Das Monarchieenbild“ (1801/02), in: ders., Schriften. Vollständige Ausgabe, Bd. VII, Bremen: Heyse 1858, 105–166. Merle D’Aubigné, Jean H., Discours sur l’étude de l’histoire du christianisme et son utilité pour l’époque actuelle; prononcé à Genève, dans la séance d’ouverture d’un cours sur l’histoire de la réformation et des réformateurs de l’Allemagne, au seizième siècle, Paris: Risler/Genf: Cherbuliez 1832. Milner, Joseph, Geschichte der Kirche Christi, 5 Bd., hg. von Isaac Milner, aus dem Engl. von Peter Mortimer, Barby: Schilling/Leipzig: Kummer 1801–1813. Möhrlen, Christoph, Geschichte der Waldenser, von ihrem Ursprunge an bis auf unsere Zeit. Ein besonderer Abdruck, als Probe, aus dem ersten und zweiten Bande des Buches der Wahrheitszeugen, Basel: Bahnmaier 1844. –, Das Buch der Wahrheitszeugen, oder der theuern protestantisch-evangelischen

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Kirche ununterbrochene Fortdauer in allen Jahrhunderten. Geschichtserzählungen für Schule und Haus, 2 Bd., Basel: Bahnmaier 1844–1845. Müller, Georg Friedrich, Ostindien. Ein Gesammtbild der Geographie, Geschichte, Cultur, und der religiösen Zustände dieses großen Länder- und Völker-Gebietes, nach den zuverläßigsten Quellen und mit besonderer Rücksicht auf die christlichen Missionen dargestellt, Bd. I: Vorder-Indien, Stuttgart: Steinkopf 1841. Müller, Julius/Ullmann, Carl, Das Leben Jesu von Dav. Fr. Strauß, [s. l.] 1836. Neander, August, Allgemeine Geschichte der christlichen Religion und Kirche, 6 Bd. (11 Abt.), Hamburg: Perthes 1826–1852. –, Der heilige Johannes Chrysostomus und die Kirche, besonders des Orients, in dessen Zeitalter, Bd. I, Berlin: Dümmler 21832 (1821). –, Geschichte der Pf lanzung und Leitung der christlichen Kirche durch die Apostel, als selbständiger Nachtrag zu der allgemeinen Geschichte der christlichen Religion und Kirche, 2 Bd., Hamburg: Perthes 1832–1833. –, Antignostikus. Geist des Tertullianus und Einleitung in dessen Schriften mit archäologischen und dogmenhistorischen Untersuchungen, Berlin: Dümmler 1825. –, Antignostikus. Geist des Tertullianus und Einleitung in dessen Schriften. Eine Monographie als Beitrag zur Geschichte der Glaubens- und Sittenlehre in den ersten Jahrhunderten, Berlin: Dümmler 21849 (1825). –, Erklärung in Beziehung auf einen ihn betreffenden Artikel der Allgemeinen Zeitung nebst dem auf höhere Veranlassung von ihm verfaßten Gutachten über das Buch des Dr. Strauß: „Leben Jesu“, Berlin: Haude & Spener 1836. –, Ueber den Kaiser Julianus und sein Zeitalter. Ein historisches Gemälde, Gotha: Perthes 21867 (1812). –, Das Leben Jesu Christi in seinem geschichtlichen Zusammenhange und seiner geschichtlichen Entwickelung, Hamburg: Perthes 1837. –, Das Leben Jesu Christi in seinem geschichtlichen Zusammenhange und seiner geschichtlichen Entwickelung, Gotha: Perthes 71874 (1837). Nösselt, Friedrich, Lehrbuch der Weltgeschichte für Töchterschulen und zum Privatunterricht heranwachsender Mädchen, Bd. I, Breslau: Max 31830. Olshausen, Hermann, Nachweis der Echtheit sämmtlicher Schriften des Neuen Testaments. Für gebildete Leser aller Stände, Hamburg: Perthes 1832. –, Biblischer Commentar über sämmtliche Schriften des Neuen Testaments zunächst für Prediger und Studirende, Bd. I: Die drei ersten Evangelien bis zur Leidensgeschichte enthaltend, Reutlingen: Enßlin 21834 (1830). –, Biblischer Commentar über sämmtliche Schriften des Neuen Testaments zunächst für Prediger und Studirende, Bd. II: Das Evangelium des Johannes, die Leidensgeschichte und die Apostelgeschichte enthaltend, Reutlingen: Enßlin 2 1834 (1832). Osiander, August, Erklärung der Offenbarung Johannis. Eine Zugabe zum dritten Theile der von Christian Philipp Heinrich Brandt herausgegebenen evangelischen Schullehrerbibel, Sulzbach: Seidel 1831. Osiander, Johann Ernst, Apologie des Lebens Jesu gegen den neuesten Versuch, es in Mythen aufzulösen, Tübingen: Fues 1837. Pauke, P. Florian, Reise in die Missionen nach Paraquay und Geschichte der Missionen St. Xaver und St. Peter. Ein Beytrag zur Geschichte der Jesuiten in Paraquay. Aus der Handschrift Pauke’s hg. von P. Johann Frast, Wien: Schmid 1829.

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Pearson, Hugh, Leben des vollendeten deutschen Missionars, Chr. Fried. Schwartz im südlichen Indien, aus dem Engl. von Chr. G. Blumhardt, Bd. I, Basel: Schneider 1835. –, Christian Friedrich Schwartz der deutsche Missionar in Südindien, aus dem Engl. von C. G. Blumhardt, vollendet und hg. von W. Hoffmann, Basel: Schneider 1846. Petri, Albert, Die Ausbildung der evangelischen Heidenboten in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung des Berliner Missions-Seminars und einem Anhange über evangelische Missionsanstalten außerhalb Deutschlands. Denkschrift, Berlin: Missionshaus 1873. Prange, Wilhelm, „Geschichte“, in: August Lüben (Hg.), Pädagogischer Jahresbericht für die Volksschullehrer Deutschlands und der Schweiz, Leipzig: Brandstetter 1859, 180–279. Ranke, Friedrich Heinrich, Untersuchungen über den Pentateuch, aus dem Gebiete der höheren Kritik, 2 Bd., Erlangen: Heyder 1834/40. –, Predigten, Bd. III, Erlangen: Heyder 1842. Ranke, Leopold von, Weltgeschichte, Bd. I.1: Die älteste historische Völkergruppe und die Griechen, Leipzig: Duncker & Humblot 1881. –, Über die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern im Herbst 1854 zu Berchtesgaden gehalten, Leipzig: Duncker & Humblot 51899 (1888). Raumer, Karl von, Lehrbuch der allgemeinen Geographie, Leipzig: Brockhaus 1832. –, Palästina, Leipzig: Brockhaus 21838 (1835). –, „Napoleon und Deutschland“, in: ders., Kreuzzüge, Bd. I, Stuttgart: Liesching 1840, 1–20. –, „Das protestantische Missionswesen in Deutschland“, in: ders., Kreuzzüge, Bd. I, Stuttgart: Liesching 1840, 178–189. –, Geschichte der Pädagogik vom Wiederauf blühen klassischer Studien bis auf unsere Zeit, 4 Bd., Stuttgart: Liesching 1843–1854. Raupp, Werner (Hg.), Mission in Quellentexten. Geschichte der Deutschen Evangelischen Mission von der Reformation bis zur Weltmissionskonferenz Edinburgh 1910, Erlangen/Bad Liebenzell 1990. Reitz, Johann Henrich, Historie Der Wiedergebohrnen. Vollständige Ausgabe der Erstdrucke aller sieben Teile der pietistischen Sammelbiographie (1698–1745) mit einem werkgeschichtlichen Anhang der Varianten und Ergänzungen aus den späteren Auf lagen hg. von Hans-Jürgen Schrader, 4 Bd., Tübingen 1982. Rotteck, Karl von, Allgemeine Geschichte, vom Anfang der historischen Kenntniß bis auf unsere Zeiten für denkende Geschichtsfreunde bearbeitet, Teil I: Alte Welt, Bd. I, Freiburg/Konstanz: Herder 1813. Rudelbach, Andreas Gottlob, Hieronymus Savonarola und seine Zeit. Aus den Quellen dargestellt, Hamburg: Perthes 1835. –, Christliche Biographie. Lebensbeschreibungen der Zeugen der christlichen Kirche als Bruchstücke zur Geschichte derselben, Bd. I, Leipzig: Dörff ling & Franke 1850. Rühs, Friedrich, Entwurf einer Propädeutik des historischen Studiums (Berlin: Realschulbuchhandlung 1811), neu hg. von Hans Schleier/Dirk Fleischer, Waltrop 1997.

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Sargent, John, A Memoir of the Rev. Henry Martyn, London: Seeley & Burnside 10 1830 (1816). – (anon.), Leben des Missionars Henry Martyn in Persien, aus dem Engl., Basel: Neukirch 1825. Scheibel, Johann Gottfried, Einige Worte über die Wahrheit der christlichen Religion an nicht-theologische Zweif ler, nebst einer kurzen Nachricht und einer Predigt von den Bibel-Gesellschaften; veranlaßt durch die Stiftung der schlesischen Bibel-Gesellschaft, Breslau: Graß & Barth 1815. –, Uebersicht der Kirchengeschichte, in Angaben von Namen und Jahreszahlen, zum Gebrauch bey seinen Vorlesungen, Breslau: Graß & Barth 21820 (1812). Schleiermacher, Friedrich, Ueber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Berlin: Reimer 31821 (1799). Schlosser, Friedrich Christoph, Weltgeschichte in zusammenhängender Erzählung, Bd. I: Alte Geschichte bis zum Untergang des Weströmischen Reichs, Frankfurt a. M.: Varrentrapp 1815. Schmidt, Carl Christian Gottlieb, Kurzgefaßte Lebensbeschreibungen der merkwürdigsten evangelischen Missionare, nebst einer Uebersicht der Ausbreitung des Christenthums durch die Missionen, 6 Bd., Leipzig: Hinrichs 1836–1842. –, Der Sieg des Christenthums. Geschichte der Pf lanzung und Verbreitung des Evangeliums durch die Missionen, Leipzig: Hinrichs 1845. Schubert, Gotthilf Heinrich, Altes und Neues aus dem Gebiet der innren Seelenkunde, 7 Bd., Leipzig: Reclam (1–2)/Erlangen: Heyder (3–5)/Frankfurt a. M. (6–7) 1817–1859. –, Züge aus dem Leben des seeligen Johann Tobias Kießling senior in Nürnberg, Nürnberg: Raw 1824. –, Allgemeine Naturgeschichte oder Andeutungen zur Geschichte und Physiognomik der Natur, Erlangen: Palm & Enke 1826. –, Züge aus dem Leben des Johann Friedrich Oberlin, gewesenen Pfarrers im Steinthal bei Straßburg, Nürnberg: Raw 1827. – (anon.), Kurze Geschichte der Reformation und des Reformators in Schottland Johannes Knox, Augsburg: Geiger/Nürnberg: Raw 1831. –, Die Geschichte der Seele, Stuttgart/Tübingen: Cotta 21833 (1830). –, Lehrbuch der Naturgeschichte, für Schulen und zum Selbstunterricht, Erlangen: Heyder 81834 (1823). – (anon.), Lehr- und Lesebuch für die mittlern und obern Klassen der deutschen Schulen im Königreiche Bayern, Bd. III: Abriß der Sternkunde, Länder- und Völkerkunde, so wie der Geschichte der Völker, München: Königlicher Central-Schulbuchverlag 1844. Sonntags-Bibliothek. Lebensbeschreibungen christlich-frommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde, Bd. 1 (Hefte 1–6), hg. von Freunden des Reiches Gottes, Bielefeld: Velhagen & Klasing 1846. Southey, Robert, John Wesley’s Leben, die Entstehung und Verbreitung des Methodismus. Nach dem Engl. bearbeitet, hg. von Friedrich Adolph Krummacher, 2 Bd., Hamburg: Herold’sche Buchhandlung 1828 (engl. 1820). Spener, Philipp Jakob, Pia desideria. Herzliches Verlangen nach Gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirche sammt einigen einfältig dahin abzweckenden christlichen Vorschlägen, überarbeitet und mit Anmerkungen versehen von Friedrich Wilhelm Paul Ludwig Feldner, Dresden: Naumann 1846.

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Spitta, Carl Johann Philipp, Psalter und Harfe. Eine Sammlung christlicher Lieder zur häuslichen Erbauung, Leipzig: Friese 101841 (1833). Stahl, Friedrich Julius, Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht, 2 Bd. (3 Abt.), Heidelberg: Mohr 1830–1837. –, Das monarchische Princip. Eine staatsrechtlich-politische Abhandlung, Heidelberg: Mohr 1845. Steffens, Henrich, Wie ich wieder Lutheraner wurde und was mir das Lutherthum ist. Eine Confession, Breslau: Max 1831. Steger, Benedict Stefan, Die protestantischen Missionen und deren gesegnetes Wirken. Für Alle, welche sich über die segensreiche Ausbreitung des Christenthums unter den Heiden durch die protestantischen Missionen belehren wollen, Hof/Wunsiedel: Grau 1838. –, Die evangelische Juden-Mission, in ihrer Wichtigkeit und ihrem gesegneten Fortgange dargestellt, Hof: Grau 1847. Steudel, Johann Christian Friedrich, Vorläufig zu Beherzigendes bei Würdigung der Frage über die historische und mythische Grundlage des Lebens Jesu, wie die canonischen Evangelien dieses darstellen, vorgehalten aus dem Bewußtseyn eines Glaubigen, der den Supranaturalisten beigezählt wird, zur Beruhigung der Gemüther, Tübingen: Fues 1835. Strauss, David Friedrich, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, Bd. I, Tübingen: Osiander 1835. –, Der Romantiker auf dem Throne der Cäsaren, oder Julian der Abtrünnige. Ein Vortrag, Mannheim: Bassermann 1847. Theses CI. Zur Reformations-Feier in Nord-Deutschland, Basel: Spittler 1840. Tholuck, August (anon.), Die Lehre von der Sünde und vom Versöhner oder Die wahre Weihe des Zweif lers, Hamburg: Perthes & Besser 1823. Tholuck, August, „Vorwort“, in: Franz Ludwig Zahn, Biblische Geschichte nebst Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der christlichen Kirche, Bd. I, Dresden: Walther 1831, III–VIII. –, Die Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte, zugleich eine Kritik des Lebens Jesu von Strauß, für theologische und nicht theologische Leser dargestellt, Hamburg: Perthes 1837. –, „Pascal“, in: ders., Vermischte Schriften größtentheils apologetischen Inhalts, Bd. I, Hamburg: Perthes 1839, 224–247. –, „Zinzendorf. Mit besonderer Rücksicht auf das Werk: Leben des Grafen von Zinzendorf, von Varnhagen von Ense. Berlin 1830“ (1831), in: ders.,Vermischte Schriften größtentheils apologetischen Inhalts, Bd. I, Hamburg: Perthes 1839, 433–464. –, „Abriß einer Geschichte der Umwälzung, welche seit 1750 auf dem Gebiete der Theologie in Deutschland statt gefunden“, in: ders., Vermischte Schriften größtentheils apologetischen Inhalts, Bd. II, Hamburg: Perthes 1839, 1–147. –, Kommentar zum Briefe Pauli an die Römer, Halle: Anton 1842. –, „Vorwort“ (1844), in: Sonntags-Bibliothek. Lebensbeschreibungen christlichfrommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde, Bd. I (Hefte 1–6), Bielefeld 1846, I–VI. –, Predigt gehalten bei der Trauerfeier der Universität Halle-Wittenberg am Todestage Luthers, Halle: Mühlmann 1846. –, Predigten über Hauptstücke des christlichen Glaubens und Lebens, Bd. III, Hamburg: Perthes 21848 (1842).

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–, Geschichte des Rationalismus, Bd. I: Geschichte des Pietismus und des ersten Stadiums der Auf klärung, Berlin: Wiegand & Grieben 1865. Uebersicht der Missions-Geschichte der evangelischen Brüderkirche in ihrem ersten Jahrhundert, 3 Bd., Gnadau: Burkhard 1832–1833. Ullmann, Carl, Reformatoren vor der Reformation, vornehmlich in Deutschland und den Niederlanden, 2 Bd., Hamburg: Perthes 1841–1842. Usteri, Leonhard, Commentatio critica in qua Evangelium Joannis genuinum esse ex comparatis IV. Evangeliorum narrationibus de coena ultima et passione Iesu Christi ostenditur, Zürich: Orell & Füßli 1823. Vaihinger, Johann Georg, Ueber die Widersprüche in welche sich die mythische Auffassung der Evangelien verwickelt. Ein Sendschreiben an Herrn David Friedrich Strauß, Dr. der Philosophie, Stuttgart: Köhler 1836. –, Das Leben und Wirken des Reformators Johannes Brentz in Verbindung mit Nachrichten über die ersten Herolde der evangelischen Kirche in Franken und Schwaben aus den zuverlässigsten Quellen dargestellt, Stuttgart: Steinkopf 1841. Varnhagen von Ense, Karl August, Leben des Grafen von Zinzendorf (= ders., Biographische Denkmale, Bd. V), Berlin: Reimer 1830. Vinet, Alexandre, Essai sur la manifestation des convictions religieuses et sur la séparation de l’Eglise et de l’Etat envisagée comme conséquence nécessaire et comme garantie du principe (1842), hg. von Aimé Chavan, Lausanne et al. 1928. –, Ueber die Darlegung der religiösen Ueberzeugungen und über die Trennung der Kirche und des Staates als die nothwendige Folge sowie Garantie derselben, Heidelberg: Winter 1845 (frz. 1842). –, Etudes sur la littérature française au XIXe siècle. Tome premier: Madame de Staël et Chateaubriand (posthum, 1848), hg. von Paul Sirven, Lausanne/Paris 1911. Vischer, Friedrich Theodor, Kritische Gänge, Bd. I, Tübingen: Fues 1844. Völter, Ludwig, Geographische Beschreibung von Württemberg, hinsichtlich der Gestalt seiner Oberf läche, seiner Erzeugnisse und Bewohner. Als Grundlage des ersten geographischen Unterrichts, so wie zur Selbstbelehrung, Stuttgart: Metzler 1836. –, Geschichte und Statistik der Rettungs-Anstalten für arme verwahrloste Kinder in Württemberg. Mit Erörterungen und Vorschlägen. Ein Beitrag zur Lösung der Frage des Pauperismus, Stuttgart: Steinkopf 1845. –, Württemberg. Das Land und seine Geschichte. Ein Lese- und Lehrbuch für Volk und Jugend, Stuttgart: Metzler 21847 (1839). Vormbaum, Reinhold, John Eliot, der Apostel der Indianer Nordamerikas. Nach seinem Leben und Wirken (= ders., Evangelische Missionsgeschichte in Biographieen, Bd. I, Heft 1), Düsseldorf: Schaub 1849. Wagner, Adolf, Bailey-Fahrenkrüger’s Wörterbuch der englischen Sprache. Zweiter Theil: Teutsch – Englisch. Gänzlich umgearbeitet, Jena: Frommann 121822. Wagner, Andreas, Geschichte der Urwelt, mit besonderer Berücksichtigung der Menschenrassen und des mosaischen Schöpfungsberichtes, Leipzig: Voß 1845. Weitbrecht, Johann Jacob, Die protestantischen Missionen in Indien mit besonderer Rücksicht auf Bengalen, in einer Reihe von Vorträgen, Heidelberg: Winter 1844. Werner, Karl, Christian Gottlob Barth, Doktor der Theologie, nach seinem Leben und Wirken gezeichnet, 3 Bd., Calw: Vereinsbuchhandlung/Stuttgart: Steinkopf 1865–1869.

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Westermeier, Franz A. Bogislav, Geschichte der christlichen Kirche, hg. von dem christlichen Vereine im nördlichen Deutschland, 7 Bd., Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1837–1851. –, Der Anfang der christlichen Kirche. Oder: Geschichte der christlichen Kirche in den drei ersten Jahrhunderten, hg. von dem christlichen Vereine im nördlichen Deutschland, Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1837. –, Das Leben von Huldreich Zwingli und Johann Calvin, hg. von dem christlichen Vereine im nördlichen Deutschland, Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1846. Wichern, Johann Hinrich, Nachricht über das Gehülfen-Institut, als Seminar für die innere Mission unter deutschen Protestanten, im Rauhen Hause zu Horn bei Hamburg, Hamburg: Perthes-Besser & Mauke 1843. –, Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche. Eine Denkschrift an die deutsche Nation, im Auftrage des Centralausschusses für die innere Mission, Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses 1849. Wiggers, Julius, Kirchliche Statistik oder Darstellung der gesammten christlichen Kirche nach ihrem gegenwärtigen äußeren und inneren Zustande, 2 Bd., Hamburg/Gotha: Perthes 1842–1843. –, Geschichte der Evangelischen Mission, 2 Bd., Hamburg/Gotha: Perthes 1845–1846. Wildenhahn, August, Philipp Jacob Spener. Eine Geschichte vergangener Zeit für die unsere, 2 Bd., Leipzig: Gebhardt & Reisland 1842. –, Philipp Jacob Spener. Ein geschichtliches Lebensbild aus der Entstehungszeit der spener’schen Schule, 2 Bd., Leipzig: Gebhardt & Reisland 21847 (1842). –, Leben des Dr. Philipp Jacob Spener (= Sonntags-Bibliothek. Lebensbeschreibungen christlich-frommer Männer zur Erweckung und Erbauung der Gemeinde, hg. von Freunden des Reiches Gottes, Bd. I, Heft 4/5), Bielefeld: Velhagen & Klasing 1846. –, Johannes Arndt. Ein Zeitbild aus Braunschweig’s Kirchen- und Stadtgeschichte in den ersten Jahren des siebzehnten Jahrhunderts, 2 Bd., Leipzig: Gebhardt & Reisland 1847. Wullschlägel, Heinrich Rudolf, Lebensbilder aus der Geschichte der Brüdermission. Ein Beitrag zur allgemeineren Kenntniß und Förderung der evangelischen Missionssache überhaupt und der Missionen der Brüdergemeine insbesondere, 2 Bd., Stuttgart: Steinkopf 1846. Zahn, Franz Ludwig, Biblische Geschichte nebst Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der christlichen Kirche, 2 Bd., Dresden: Walther 1831. –, Biblische Geschichte nebst Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der christlichen Kirche, Moers: Rheinische Schul-Buchhandlung 41835 (1831). Zeller, Christian Heinrich, Lehren der Erfahrung für christliche Land- und Armen-Schullehrer. Eine Anleitung zunächst für die Zöglinge und Lehrschüler der freiwilligen Armen-Schullehrer-Anstalt in Beuggen, Bd. II, Basel: Verein der Schul-Anstalt 1827. –, Israels Zukunft. Eine Abhandlung, Straßburg: Berger-Levrault 1844. Zeller, Johannes, Stimmen der Deutschen Kirche über das Leben Jesu von Doctor Strauss. Ein Beitrag zur theologischen Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts für Theologen und Nichttheologen, Zürich: Bürkli 1837. Zschokke, Heinrich, Darstellung gegenwärtiger Ausbreitung des Christenthums auf dem Erdball. Ein geschichtlicher Umriß, Aarau: Sauerländer 1819.

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Quellenverzeichnis

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2.2 Zeitschriftenartikel Evangelische Kirchen-Zeitung, hg. von E. W. Hengstenberg et al., Berlin: Oehmigke 1827–1930 „Litterarische Anzeige“, EKZ 1827, 147–151. „Orthodoxie und Mysticismus. (Aus dem Schreiben eines Freundes in Hamburg)“, EKZ 1827, 236 f. „Vorwort“, EKZ 1828, 2–6. „Ueber Dr. Neander’s Schriften. (Schreiben an den Herausgeber aus Kopenhagen.)“, EKZ 2 (1828), 345–352. „Ueber die Behauptung, daß Luther zu Worms rationalistische Grundsätze geäußert habe“, EKZ 1828, 409–412. „Winke zur richtigen Auffassung und Benutzung einiger biblischer Stellen, welche von der Zukunft Christi handeln“, EKZ 1828, 521–524; 537–539 ( Johann Christian Friedrich Steudel). „Der Kunst- und Wissenschafts-Enthusiasmus in Deutschland als Surrogat für die Religion“, EKZ 1828, 545–549; 553–556. „Miscelle“, EKZ 1828, 744. „Litterarische Anzeige“, EKZ 1828, 745–749; 753–757. „Vorwort“, EKZ 1829, 1–7. „Eine Scene aus der Geschichte der Französischen Revolution“, EKZ 1829, 105–109. „Aus den Mittheilungen eines Reisenden“, EKZ 1829, 110. „Die Fürstin von Gallitzin“, EKZ 1829, 481–485; 489–494. „Johann Albrecht Bengel“, EKZ 1829, 553–559. „Vorwort“, EKZ 1830, 1–16. „Ueber Dr. Schleiermacher’s Behauptung der Unkräftigkeit und Entbehrlichkeit der messianischen Weissagungen“, EKZ 1830, 17–21; 25–31. „Nachrichten. (Nordamerica)“, EKZ 1830, 70–72. „Erklärung über meine Theilnahme an der Evangelischen Kirchenzeitung, und die Gründe, mich von derselben ganz loszusagen“, EKZ 1830, 137–140 (August Neander). „Litterarische Anzeige“, EKZ 1830, 315–317. „Die Augsburgische Confession 1530 und 1830“, EKZ 1830, 377–387 (Ernst Sartorius). „Ueber die Verbindung zwischen Unglauben und Aufruhr“, EKZ 1830, 703 f. „Das Evangelium und der Zeitgeist in Frankreich“, EKZ 1831, 433–446. „Vorwort“, EKZ 1836, 1–45. „Vorwort“, EKZ 1839, 1–37; 41–44. „Klassiker und Bibel in den niederen Gelehrtenschulen. Reden an Lehrer und gebildete Väter von Dr. Eduard Eyth. Basel 1838“, EKZ 1839, 44–53; 57–62. „Der Bibelverächter in Weimar“, EKZ 1839, 213 f. „Zur Charakteristik der Socialisten in England“, EKZ 1839, 342–344. „Bewerbung um den Lehrstuhl der Kirchengeschichte auf der Genfer Akademie“, EKZ 1839, 350–352; 374–376. „Nachrichten. Elberfeld“, EKZ 1839, 576–580. „Vorwort“, EKZ 1840, 1–4; 9–13 et al.

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Anhang

„Die Methodisten in England nach hundertjährigem Bestehen […]“, EKZ 1840, 97–100 et al. „Fortschritt“, EKZ 1840, 372 f. „Über das Verhältniß der Kirche zum Staate“, EKZ 1840, 444–448. „König Friedrich Wilhelm III.“, EKZ 1840, 489–493; 497–501; 505–507. „Der evangelische Fürst im siebzehnten Jahrhundert. Skizzen aus dem Leben des Herzogs Ernst des Frommen, geboren den 25. December 1601, gestorben den 26. März 1675“, EKZ 1840, 577–592; 595–600. „Erbhuldigung Friedrich Wilhelm IV. zu Königsberg in Preußen am 10. September 1840“, EKZ 1840, 625–636. „Vorwort“, EKZ 1841, 1–10. „Germanische Kirche“, EKZ 1841, 137–141; 145–149. „Zeichen der Zeit“, EKZ 1841, 737–742 et al. „Zum Verständnis über die Schrift: Die conservative Partei in Deutschland von V. A. H.“, EKZ 1842, 188–191; 195–200 (Victor Aimé Huber). „Die heilige Elisabeth von Ungarn, Landgräfin von Thüringen und Hessen. (geb. 1207, † 1231.). Skizze aus dem christlichen Leben des dreizehnten Jahrhunderts“, EKZ 1842, 241–247; 249–253; 257–263; 265–269; 273–279. „Berichtigung“, EKZ 1842, 269 f (August Tholuck). „Die vollbrachte Revolution“, EKZ 1842, 449–451. „Der Roman und das Christenthum. (Mit Beziehung auf: ‚Philipp Jakob Spener. Eine Geschichte vergangener Zeit für die unsere. Von C. A. Wildenhahn, Pastor sec. zu St. Petri in Bautzen. Leipzig, 1842‘)“, EKZ 1842, 527–536. „Über den Fortbau des Cölner Doms. (Nach evangelischer Ansicht.)“, EKZ 1842, 625–629 et al. „Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs, Ein Vortrag zur Zeitgeschichte von L. Stein, Doktor der Rechte. Leipzig, 1842, bei Otto Wigand. 8.“, EKZ 1842, 629–631. „Nachrichten. (Drei Reiseberichte, angezeigt von M. G. in S.)“, EKZ 1842, 639 f. „Revolution française. Histoire de dix ans 1830–1840 par M. Louis Blanc. Tome I.II. Paris 1842“, EKZ 1842, 817–824; 831 f. „Dr. Andreas Wagner’s Geschichte der Urwelt, mit besonderer Berücksichtigung der Menschenraçen und des Mosaischen Schöpfungsberichts“, EKZ 1845, 405–408. „Die Antireformation zu Magdeburg“, EKZ 1846, 65–67; 73–75. „Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schauet an und folgt ihrem Glauben nach. Hebr. 13, 7“, EKZ 1846, 121–127; 135 f. „Zur Geschichte der Urwelt, mit Anschluß an Dr. Andr. Wagner’s Geschichte der Urwelt, mit besonderer Berücksichtigung der Menschenracen und des Mosaischen Schöpfungsberichts. Leipzig, 1845“, EKZ 1846, 305 ff ( J. H. Kurtz). „Geschichte des Zeitalters der Revolution. Vorlesungen an der Universität zu Bonn im Sommer 1829 gehalten von B. G. Niebuhr. 2 Bände. Hamburg 1845. 8.“, EKZ 1846, 393–397; 401–406. „Die Camisarden und die Kirchen der Wüsten in Frankreich. (Von einem Idioten.)“, EKZ 1846, 545–549 et al. „Vorlesungen über die Geschichte der Deutschen Nationalliteratur von Dr. A. F. C. Vilmar, Direktor u.s.w.“, EKZ 1846, 801–806 et al. „Die neueste Gestaltung der Philosophie“, EKZ 1846, 860–864 et al.

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Quellenverzeichnis

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„Das Christenthum und das Deutsche Volk“, EKZ 1847, 489–497 et al. (Heinrich Leo). „Die Betrachtung der Weltgeschichte vom christlichen Standpunkte“, EKZ 1847, 505–509; 513–518 (Heinrich Leo). „Briefe aus Sachsen. Erster Brief: Prof. Dr. Harleß und seine Berufung an die Nikolaikirche zu Leipzig“, EKZ 1847, 609–627. „Der christliche Staat und sein Verhältniß zu Deismus und Judenthum“, EKZ 1847, 633–651; 657–687 (Friedrich Julius Stahl). „Der Romantiker auf dem Throne der Cäsaren oder Julian der Abtrünnige. Ein Vortrag von David Friedrich Strauß. Mannheim, 1847. 8.“, EKZ 1847, 873–876 (Heinrich Leo). Zeitschrift für Protestantismus und Kirche, hg. von G. Ch. Adolph Harleß et al., Erlangen: Bläsing (später Deichert) 1838–1876 (Neue Folge seit 1841) „Vorwort“, ZPK 1 (1838), 1–10. „Das Bewußtseyn der protestantischen Kirche über die Nothwendigkeit und Methodik des klassischen Unterrichts“, ZPK 1 (1838), 65–72; 83–90; 109–114. „Die Jesuitenfurcht“, ZPK 1 (1838), 93–108. „Die Polemik der Münchner historisch-politischen Blätter“, ZPK 1 (1838), 125–131. „Das deutsche Kirchenlied von Martin Luther bis auf Nicolaus Herman und Ambrosius Blaurer. Von Dr. K. E. Ph. Wackernagel. Stuttgart. Verlag von S. G. Liesching. 1841“, ZPK 1 N. F. (1841), 120–128. „Ein katholisches Urtheil über die protestantische Missionssache“, ZPK 1 N. F. (1841), 331–338. „Dr. Paulus in Heidelberg“, ZPK 2 N. F. (1841), 170–184. „Die ersten Protestanten“, ZPK 2 N. F. (1841), 194–196. „Trauerrede auf den Hintritt des Hochwürdigsten Herrn Herrn [sic] Franz Xaver von Schwäbl, Bischof von Regensburg etc. gehalten in der Domkirche zu Regensburg bei dem dritten Trauergottesdienste den 3ten August 1841 von Melchior Diepenbrock, Domdechant.“, ZPK 2 N. F. (1841), 331–336. „Reformations-Geschichtliches“, ZPK 3 N. F. (1842), 19–34. „Die Kirche und die deutsche poetische Literatur seit der Reformation. Eine aphoristische Skizze. Erster Artikel“, ZPK 3 N. F. (1842), 35–58. „Ueber die Aufgabe und die Behandlung der Dogmen-Geschichte“, ZPK 3 N. F. (1842), 65–101. „Ist Luther’s Aeußerung auf dem Reichstage zu Worms dem Rationalismus günstig?“, ZPK 3 N. F. (1842), 209–218. „Die Kirche und die deutsche poetische Literatur seit der Reformation. Eine aphoristische Skizze. Dritter Artikel“, ZPK 3 N. F. (1842), 261–272. „Der Protestantismus unter ‚katholischer Hut.‘“, ZPK 3 N. F. (1842), 406 f. „Ueber das Verhältniß zwischen Kirche und Staat. Erster Artikel“, ZPK 4 N. F. (1842), 289–327. „Ueber das Verhältniß zwischen Kirche und Staat. Des zweiten Artikels zweite Hälfte“, ZPK 6 N. F. (1843), 87–149. „Rückblicke auf die heidnisch-römische und germanische Vorzeit nach Tacitus Schilderung in Beziehung auf die jetzigen Mißbräuche der Presse im Dienste des Zeitgeistes“, ZPK 7 N. F. (1844), 133–144.

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Anhang

„Die Geschichte der Urwelt mit besonderer Berücksichtigung der Menschenrassen und des mosaischen Schöpfungsberichts von Andr. Wagner, Prof. an der Univers. München. Leipzig, Voß 1845 S. 578“, ZPK 11 N. F. (1846), 97–116. „Die Grundzüge des Pietismus und sein Einf luß auf die Umgestaltung der Theologie im 18. Jahrhundert“, ZPK 12 N. F. (1846), 133–157. „Ueber die Amtsniederlegung der Waadtländischen Geistlichen“, ZPK 12 N. F. (1846), 197–237. „Literarische Anzeige“, ZPK 13 N. F. (1847), 255–260. „Chiliasmus, Tausendjähriges Reich des von Rotteck-Welcker’schen Staats-Lexikons“, ZPK 14 N. F. (1847), 51–72. „Zur Sache der innern Mission“, ZPK 14 N. F. (1847), 249–255. „Luther’s teutsche Bibel“, ZPK 14 N. F. (1847), 341–360. „Welche Zeit ist’s in der Kirche? (Anfang März.)“, ZPK 15 N. F. (1848), 312–325. Christen-Bote, hg. v. J. C. F. Burk et al., Stuttgart: Steinkopf 1831–1941 „Napoleon, der Götze“, ChB 3 (1833), 203. „Auch eine Ursache der Revolution“, ChB 4 (1834), 11 f. „Ueber den religiösen Charakter des verstorbenen Kaisers Alexander von Rußland“, ChB 4 (1834), 172–175. „Die falschen und die wahren Nachkommen der Reformatoren“, ChB 5 (1835), 297–300. „Bücherbericht“, ChB 7 (1837), 167 f. „Die amerikanische Freiheit“, ChB 8 (1838), 251–254. „Die National-Reformer und die protestantische Kirche“, ChB 15 (1845), 51–56. „Kirchliche Nachrichten“, ChB 15 (1845), 117. „Der Philosoph Kant über den Pietismus“, ChB 15 (1845), 131. „Vergleichung der Engländer und Schotten“, ChB 15 (1845), 219–223. „Bekenntnisse eines ehemaligen Hegelianers“, ChB 15 (1845), 331–336 (Heinrich Merz). „Kirchliche Nachrichten. Oberschlesien“, ChB 15 (1845), 479–481. „Vergleichung der Evangelisation in Frankreich und in Deutschland“, ChB 15 (1845), 499–502. „Christlicher Kalender: Gustav Adolph“, ChB 15 (1845), 561–564; 569–572. „Der Papst und die Bibel“, ChB 15 (1845), 563. „Christlicher Kalender“, ChB 16 (1846), 77–80. „Bücherbericht“, ChB 16 (1846), 136. „Bücherbericht“, ChB 16 (1846), 159. „Christlicher Kalender“, ChB 16 (1846), 317–320. „Was ist Pietismus?“, ChB 16 (1846), 527–534. „Christlicher Abschied einiger gottesfürchtiger Männer“, ChB 16 (1846), 611 f. „Die Reformation von Franken“, ChB 17 (1847), 29–34. „Die Reformation im Großherzogthum Baden“, ChB 17 (1847), 99–106. „Der evangelische Bund“, ChB 17 (1847), 311–318 et al. „Der Pietismus in seiner Entstehungszeit“, ChB 18 (1848), 75–81. „Um welchen Preis soll Deutschland ein politisch gebildetes Volk werden?“, ChB 18 (1848), 179–181. „Was ist von Religionsfreiheit zu halten?“, ChB 18 (1848), 227–230.

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Quellenverzeichnis

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„Kaiser Napoleon und seine Katechismusschülerin“, ChB 18 (1848), 412. „Warum heißt unser Fürst ‚von Gottes Gnaden König von Württemberg‘“, ChB 18 (1848), 435–438. „Der Calwer Verlagsverein“, ChB 18 (1848), 607–609 (Christian Gottlob Barth). Süddeutscher Schul-Bote. Eine Zeitschrift für das deutsche Schulwesen, hg. von Ludwig Völter et al., Stuttgart: Belser (später Steinkopf) 1836–1891 „Ein Wort über Zahns biblische Historien und über bibl. Geschichtsunterricht überhaupt“, SSB 2 (1837/38), 6 ff. „Frankreich“, SSB 2 (1837/38), 19 f. „Ueber das Leben Jesu Christi, unsers Herrn, und das Lesen des Neuen Testaments in den Schulen. (Zugleich Bücherbericht.)“, SSB 2 (1837/38), 105–111. „Literarischer Bericht. Berufsbildung des Schullehrers“, SSB 2 (1837/38), 132–136 et al. „Calwer Schulschriften-Verein. (Zugleich Anzeige dieser Schriften.)“, SSB 2 (1837/38), 140 f. „Ueber Missionsgeschichte, zugleich Bücherbericht“, SSB 4 (1840), 65–68. „Frankreich“, SSB 4 (1840), 97 f. „Literarischer Bericht: Kirchengeschichte“, SSB 4 (1840), 124–127; 134–136 (Christian Palmer). „Pestalozzi“, SSB 5 (1841), 8. „Preußen“, SSB 5 (1841), 159. „Volksschriften. I. Ueber den Reformator Brenz“, SSB 5 (1841), 181–184. „Allgemeine Weltgeschichte“, SSB 6 (1842), 30–38 (Ludwig Völter). „Was hat die christliche Volksschule in den sogenannten Realien zu leisten?“, SSB 6 (1842), 41–47 (Ludwig Völter). „Was hat die christliche Kirche in der Geschichte zu leisten?“, SSB 6 (1842), 52 f. „War Heinrich Pestalozzi ein Ungläubiger?“, SSB 7 (1843), 39 f. „Literarischer Bericht: Geschichte von Württemberg“, SSB 7 (1843), 78 f. „Unser Unterrichtswesen im Verhältniß zur Nationalität“, SSB 7 (1843), 79 f. „Frankreich“, SSB 7 (1843), 135 f. „Vorwort des Herausgebers“, SSB 8 (1844), 1 f. „Literarischer Bericht. Geschichte der Pädagogik“, SSB 8 (1844), 158–168 (Ludwig Völter). „Entwurf eines Planes zur Verbindung der biblischen Geographie mit biblischer Geschichte“, SSB 8 (1844), 169–172 (Ludwig Völter). „Irland“, SSB 8 (1844), 173 f. „Ueber die Ursachen der großen Zahl verwahrloster Kinder in unserer Zeit“, SSB 9 (1845), 97–100 et al. (Ludwig Völter). „Literarischer Bericht: Weltgeschichte“, SSB 9 (1845), 126–136 (Daniel Völter). „Literarischer Bericht: Deutsche Geschichte“, SSB 9 (1845), 141–144 et al. (Daniel Völter). „Ueber den Unterricht in der christlichen Kirchengeschichte und ihre Behandlung in der Volksschule“, SSB 9 (1845), 185–197. „Die Revolution und die Schule im Canton Waadt“, SSB 10 (1846), 68. „Literarischer Bericht: Weltgeschichte“, SSB 10 (1846), 70 f (Ludwig Völter).

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Anhang

„Das historische und das natürliche Recht der Kirche an die Volksschule“, SSB 10 (1846), 121–124 (Ludwig Völter). „Was Pestalozzi wollte“, SSB 10 (1846), 158 f. „Die kirchlichen Fragen der Gegenwart“, SSB 10 (1846), 177–181 et al. (Ludwig Völter). „Literarischer Bericht: Real-Lesebuch“, SSB 10 (1846), 196 f. „Literarischer Bericht: Mission“, SSB 10 (1846), 197 f. „Beitrag zur leichtern Aneignung der Chronologie der Hauptbegebenheiten aus der Geschichte des Reichs Gottes“, SSB 11 (1847), 50–52. „Die kirchlichen Fragen der Gegenwart“, SSB 10 (1846), 161–164 et al. (Ludwig Völter). „Das Schulwesen von Paris“, SSB 11 (1847), 166 f. „Mission“, SSB 11 (1847), 174 ff. Magazin für die neueste Geschichte der protestantischen [seit 1818: evangelischen] Missions- und Bibelgesellschaften, Basel: Missions-Institut 1816–1856 „Kurzer historischer Umriß der Fortschritte des Evangeliums unter den verschiedenen Völkern seit der ersten Bekanntmachung desselben bis zur Stiftung der neuesten protestantischen Missionen. Aus einer englischen Preisschrift“, MGMB 1:1 (1816), 1–84 (Hugh Pearson). „Kurze Geschichte der Bibelverbreitung und der Bibelübersetzungen von ihrem ersten Entstehen an bis zur Stiftung der brittischen und ausländischen Bibelgesellschaft im Jahr 1803. Nach der lehrreichen Schrift a historical Sketch of the translation and circulation of the Scriptures, by W. A. Thomson and W. Orme Perth, 1815 bearbeitet“, MGMB 1:1 (1816), 85–145. „Civilisations-Versuche“, MGMB 1:3 (1816), 377–383. „Die evangelische Missionsschule in Basel“, MGMB 3:4 (1818), 625–632. „Blicke in die frühere Geschichte des Jüdischen Volkes seit der Zerstörung Jerusalems“, MGMB 5:1 (1820), 3–45. „Die Bekehrung der Heiden zu Christo“, MGMB 5:2 (1820), 155 ff (David Bogue). „Die Afrikanische Schule von Neu-York und Neu-Jersey“, MGMB 5:2 (1820), 305–309. „Ein Wort an die Leser des Magazins“, MGMB 7:4 (1822), 499–502 (Christian Gottlieb Blumhardt). „Sechster Brief. Zustand des weiblichen Geschlechtes in Indien. An Miß Hope in Liverpool. Schiff Herkules, auf dem Meer den 31. März 1821“, MGMB 8:3 (1823), 365 ff. „Vorwort“, MGMB 14:2 (1829), 163–171. „Missions-Lied. Japhet’s Schuld“, MGMB 14:2 (1829), 313–318 (Albert Knapp). „Einleitung“, MGMB 16:3 (1831), 343–345. „Unsere evangelische Missionsschule“ MGMB 21:3 (1836), 353–376 (Christian Gottlieb Blumhardt) „Blicke in die Geschichte des Buddhismus“, MGMB 22:2 (1837), 225–233. „Vorwort“, MGMB 32:4 (1847).

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Quellenverzeichnis

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Christlicher Volksbote aus Basel, Basel: Schneider 1833–1941 „Ueber Veranlassung, Zweck und Inhalt des christlichen Volksboten“, CVB 1 (1833), 2. „Des Schweizerlandes hohe Bestimmung“, CVB 1 (1833), 2–5. „Die Julitage“, CVB 1 (1833), 91–93 et al. „Nachrichten von der Polnischen Revolution“, CVB 1 (1833), 113–115. „Dampfschiffe, Eisenbahnen, Dampfwägen, Luftpost“, CVB 1 (1833), 156 f. „Die Eisenbahn zwischen Liverpool und Manchester in England“, CVB 1 (1833), 260 f. „Missionare des Todes“, CVB 1 (1833), 261. „Ueber den religiösen Charakter des verstorbenen Kaisers von Rußland“, CVB 2 (1834), 33–35; 50 f. „Schleiermacher’s Lebensende. (Von Freundeshand mitgetheilt.)“, CVB 2 (1834), 178 f. „Richtungen und Bedürfnisse dreier Nationen in Beziehung auf das Evangelium“, CVB 3 (1835), 33 f. „Kirchliches aus Preußen“, CVB 3 (1835), 38. „Hoffnungen für die Protestanten in Mayland“, CVB 3 (1835), 46 f. „Ein Blick in das Vaterhaus Schleiermachers“, CVB 3 (1835), 57 f. „Doktor William Carey in Indien“, CVB 3 (1835), 77 f; 85 f. „Wieder ein Wort über die kirchlichen Unruhen in Schlesien“, CVB 3 (1835), 123–125. „Literarische Anzeige: Christliche Kirchengeschichte für Schulen und Familien“, CVB 3 (1835), 140. „Die Stadt London in religiöser und sittlicher Hinsicht“, CVB 3 (1835), 162 f. „Was war die Seele der Reformation“, CVB 3 (1835), 278 f. „Nachrichten: Selbstmorde“, CVB 4 (1836), 7. „Philipp Jakob Spener, auch ein Mann für unsere Zeit“, CVB 4 (1836), 9–12 et al. „Das Spenerfest in Straßburg und Rappoltsweiler“, CVB 4 (1836), 127–129. „Aus Napoleons letzten Tagen“, CVB 4 (1836), 149 f. „Die Zeichen der Zeit“, CVB 4 (1836), 187–190; 195 f. „Zuschrift eines Baslers, betreffend die Stimme aus dem Württembergischen über die Zeichen der Zeit“, CVB 4 (1836), 203 f. „Gute Botschaft aus England“, CVB 4 (1836), 247–249. „Christian Gottlieb Blumhardt“, CVB 6 (1838), 439–441. „Rückblick auf die Straußische Angelegenheit“, CVB 7 (1839), 111 f; 129–132. „Aus dem Leben des Predigers Whitefield“, CVB 7 (1839), 293–296. „Ueber Volkssouveränität. (Eingesandt.)“, CVB 7 (1839), 371–373. „Des Königs von Preußen Todbette und Nachfolger“, CVB 8 (1840), 198 f. „Wie die Buchdruckerkunst in Basel einheimisch ward“, CVB 8 (1840), 212 f. „Friedrich der Große am 30. März 1763“, CVB 8 (1840), 235. „Gottes Macht vorbehalten“, CVB 8 (1840), 235 f. „Eine Wanderung übers Forum in Rom zu den drei denkwürdigen Triumphbögen“, CVB 8 (1840), 297–301. „Erinnerungen an den König von Preußen Friedrich Wilhelm III.“, CVB 8 (1840), 325–327.

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Anhang

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Personenregister

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4. Personenregister Verfasser von Sekundärliteratur sind durch Kursivschreibung gekennzeichnet. Aagaard, Johannes 246 Fn. Aarnes, Sigurd Aa. 24 Fn., 51 Fn. Abraham 75, 138, 162, 212 Fn., 287, 304 Fn., 313 Achill 189 Adam 40, 220 Akaltin, Ferdi 22 Fn., 360 Fn. Albertz, Anuschka 22 Fn. Alembert, Jean-Baptiste le Rond d’ 236 Fn. Alexander I., Zar 109, 224, 252 Alexander II. Nikolajewitsch, Zar 39 Alexander III., Papst 347 Fn. Alexander der Große 67, 144, 167, 210, 250 Alexis, Willibald 254 Fn. Alkuin, Abt 330 Altenstein, Karl Freiherr vom Stein zum 153, 192 Fn. Altgeld, Wolfgang 312 Fn. Ambrosius, Bischof von Mailand 116 Andreä, Johann Valentin 118, 241, 268 Fn., 270 Fn., 374 Fn. Antiochus IV. Epiphanes, Seleukidenherrscher 207 Fn., 212 Fn., 229 Arburg, Hans-Georg von 179 Fn. Argens, Jean-Baptiste Boyer, Marquis d’ 236 Fn. Arius 276 Arminius (Hermann) 60, 234, 235, 308, 310 Arndt, Ernst Moritz 188 Arndt, Johann 126, 174 Fn., 227, 241, 339 f, 344 Fn., 368 Fn. Arnold, Gottfried 88, 111, 113, 240, 292 Fn., 380 Arnold von Winkelried 57, 322, 363 Fn. Artaxerxes, Perserkönig 145 Assmann, Jan 21, 363 Auberlen, Carl August 143

August II. (der Starke), König von Polen 212 Fn., 243 Augustinus 51 Fn., 209, 210 Fn., 271 Augustus, römischer Kaiser 57, 62, 218, 220, 222, 225, 249 f, 258, 274, 297 Baader, Franz von 180 Fn. Bach, Johann Sebastian 126 Bacon, Francis 115 Bahnmaier, Jonathan Friedrich 252 Fn. Bahrdt, Karl Friedrich 352 Bähring, Bernhard 114 Fn., 368, 369 Fn. Baker, Anne Pimlott 91 Fn. Bar Kochba 214 Barth, Christian Gottlob 5, 16 Fn., 24, 30, 37 f Fn., 46–49, 56, 62, 65, 67, 73, 80 f, 83, 94 Fn., 113 f, 116, 124, 124 f Fn., 141 Fn., 144, 155, 163–165, 167, 171, 176, 177 f Fn., 182, 184 Fn., 186 Fn., 188 f, 192, 197–262, 263, 271, 278 Fn., 282 Fn., 283, 291 Fn., 293, 295, 297, 301, 308, 313 Fn., 315–317, 320, 332, 342, 344–346, 350 Fn., 352 Fn., 357 Fn., 362 Fn., 364 Fn., 365 Fn., 367 Fn., 380–382, 384, 386 Barth, Karl 56 Fn., 85 Basedow, Johann Bernhard 274, 352 Bauer, Bruno 375 Baumgart, Winfried 317 Fn. Baur, Ferdinand Christian 53, 72, 77 f, 134, 146, 150 Fn., 178, 195, 210 Fn., 259 Fn. Bautz, Friedrich Wilhelm 45 Fn., 51 Fn., 66 Fn., 70 Fn., 112 Fn., 123 Fn., 132 Fn., 151 Fn. Baxter, Richard 132 Fn.

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Anhang

Bayly, Christopher Alan 372 Fn. Bebbington, David W. 179 Fn. Beck, Johann Tobias 143, 275 Becker, Ernst Wolfgang 22 Fn., 251 Fn., 261 f Fn. Becker, Karl Friedrich 36, 135 Fn., 351 Fn. Becker, Winfried 22 Fn. Beckmann, Klaus 143 Fn., 185 Fn. Benedict XIV., Papst 227 Bengel, Ernst Gottlieb 204 Fn. Bengel, Johann Albrecht 46, 107, 114, 120 f, 198 Fn., 205 f, 220 f, 226–230, 244, 274, 284, 315, 339, 384, 388 Benrath, Gustav Adolf 15 Fn., 17 f, 58 Fn., 82 Fn., 84 Fn., 87 Fn., 127 Fn., 147 Fn., 173 Fn., 193 Fn., 246 Fn., 279 Fn., 340 Fn. Benz, Ernst 109 Fn., 262 Fn. Berding, Helmut 294 Fn. Bergenthum, Hartmut 20 Fn., 23 Fn. Bernhard von Clairvaux 76 Bertholdt, Leonhard 142 Besser, Wilhelm Friedrich 132 f, 266, 381 Beutel, Albrecht 72 Fn. Beyreuther, Erich 15–18 Fn., 179 Fn., 349 Fn. Bialloblotzky, Christoph Heinrich Friedrich 16 Fn., 148 Fn., 319 Fn., 369 Fn. Bigler, Ingrid 39 Fn. Bigler, Robert M. 146 Fn. Binder, Gerhard 311 Fn. Bitterli, Urs 301 f Fn. Blanke, Horst Walter 158 Fn., 159 Blaschke, Olaf 14 Fn. Blaser, Klauspeter 370 Fn. Blomberg, Craig 171 Fn. Bloth, Hugo Gotthard 79 Fn. Blumenbach, Johann Friedrich 301, 386 Blumhardt, Christian Gottlieb 75 Fn., 91–95, 97, 110 Fn., 130, 143 Fn., 163, 174 Fn., 176 Fn., 177 f, 180, 184, 185 Fn., 188 f, 194, 267 f, 276,

278, 282 Fn., 284 Fn., 286, 289, 290 Fn., 308 Fn., 310 Fn., 312 Fn., 328, 329 f Fn., 345 Fn., 347, 369, 380 f, 383 Blumhardt, Johann Christoph 16 Fn., 49 Fn., 56 f, 91, 96 f, 165, 167, 174 Fn., 176, 192, 201, 264 f Fn., 267–269, 282 Fn., 287 Fn., 291 Fn., 293 Fn., 296, 298 Fn., 302, 303 Fn., 308, 312 Fn., 325 f Fn., 327–329, 331 Fn., 337 Fn., 345 Fn., 350 Fn., 354 Fn., 357, 358 f Fn., 360, 361 f Fn., 364 f Fn., 380 f, 386 Bodemann, Friedrich Wilhelm 171 Fn. Bogatzky, Karl Heinrich von 115, 122 Bogue, David 287 Fn., 289 Fn. Böheim, Hans, Pfeifer von Niklashausen 114 Böhme, Gernot 138 Fn. Boldt, Hans 323 Fn. Bond, Alvan 131, 381 Bonifatius (Winfried) 22, 63, 100, 169, 347 Börne, Ludwig 176 Fn. Bornkamm, Heinrich 185 Fn., 244 Fn. Bost, Paul Ami Isaac David 24 Fn., 94, 105 Fn., 168 Böttcher, Johann Heinrich 102, 381 Bötticher, Wilhelm 46 Fn., 123 f, 282 Fn., 311, 343, 346 Fn., 381, 388 Brainerd, David 129 Bräm, Andreas 38 Fn., 45 f, 62, 144 Fn., 168, 174 Fn., 178 Fn., 204 f, 207, 264 Fn., 272 Fn., 275 Fn., 277 f Fn., 283, 287 Fn., 290 Fn., 291, 297, 303 f Fn., 309, 380, 384 Brandt, Christian Philipp Heinrich 80, 206 Fn., Braunschweig, Johann Daniel von 38 Fn., 39–41, 46 Fn., 62, 177 f Fn., 204, 276, 283 Fn., 287 Fn., 297, 308, 313, 327 Fn., 334 Fn., 362 Fn., 380, 386 Bray, Gerald 134 Fn.

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Personenregister Brecht, Martin 15 Fn., 24 Fn., 47, 111 Fn., 168 Fn., 188 Fn., 201 Fn., 319 Fn., 344 Fn., 350 Fn. Breckling, Friedrich 88 Bren(t)z, Johannes 117, 118 Fn. Bretschneider, Karl Gottlieb 148, 376 Breymayer, Reinhard 172 Fn. Brosius, Dieter 102 Fn. Brunner, Otto 173 Fn. Bruys, Heinrich von 241 Bruys, Peter von 241 Buchner, Andreas 220 Fn. Büchsel, Jürgen 88 Fn. Buckland, William 139 Bunyan, John 5, 113 Burk, Johann Christian Friedrich 29, 111 Fn., 120, 227 Fn., 381 Burkhardt, Friedemann 16 Fn. Buschmann, Nikolaus 21 Fn., 25 Fn., 173 Fn., 279 Fn., 310 Fn., 328 Fn., 348 Fn. Cajetan, Thomas 165 Caligula, römischer Kaiser 325 Calvin, Johannes 52, 85, 116, 209, 241, 244, 282 Fn., 320 Fn., 335 f Capito, Wolfgang 241 Caragounis, Chrys C. 275 Fn. Carey, William 90, 129, 132, 304 Cartier, Stephan 23 Fn., 35 Fn., 36, 136 Fn., 220 f Fn., 225 Fn. Casanova, Giacomo 366 Cäsar, Julius 163, 222, 224, 234, 250 Cato der Jüngere 239 Chateaubriand, François-René de 180 f Chlodwig I., Frankenkönig 189 Christina, Königin von Schweden 243 Christoph, Herzog von Württemberg 48, 50, 123, 167, 330, 387 Cicero, Marcus Tullius 59, 239 Clark, Christopher M. 144 Fn., 292 Fn., 294 f Fn. Claudius, römischer Kaiser 325 Clemens XIV., Papst 242 Columban 100

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Conze, Werner 173 Fn. Corrodi, Heinrich 141 Cromwell, Oliver 165, 210 Fn. Cyprian, Bischof von Karthago 116 Dahlmann, Friedrich Christoph 68 Dalberg-Acton, John Emerich Edward 41 Fn., Daniel 14, 24 Fn., 40, 45, 59, 141–145, 204, 206–208, 211 Fn., 213 Fn., 220–226, 227 Fn., 229, 231, 234, 253, 283, 284 Fn., 382, 384 Dann, Christian Adam 108, 123, 167, 282 Fn., 327, 330, 381 Dante Alighieri 87 Darby, John Nelson 228 Fn. David, König von Israel 55, 162, 249 Delgado, Mariano 222 Fn., 288 Fn. Delitzsch, Franz 134 Fn., 293 Demandt, Alexander 175, 208 Fn. Detjen, Joachim 270 Fn. Diderot, Denis 236 Fn. Dielitz, Theodor 232 Fn. Diesterweg, Friedrich Adolph Wilhelm 42 Fn., 61, 79 Fn., 341 Fn. Dietrich, Stefan J. 25 Fn., 170, 248 Fn., 257 Fn., 261 Fn., 325 Fn. Dionysius Areopagita 116 Dittmar, Heinrich 38 Fn., 58–65, 70 f, 110 Fn., 124, 140, 144, 164 f, 175– 178, 181 f, 184, 186, 188, 189 Fn., 192, 264 f Fn., 269, 271 f, 277–279, 282 f Fn., 287 Fn., 291 Fn., 296 f, 301 f, 304 Fn., 307 Fn., 308, 311, 312 Fn., 314, 315–317 Fn., 325 f Fn., 327, 328–331 Fn., 335 Fn., 347, 349–351 Fn., 353 Fn., 355 f, 357– 359 Fn., 362 Fn., 367 Fn., 369, 376, 380, 383, 385–387 Doddridge, Philip 132 Fn. Draeger, Hartmut 25 Fn., 126 Fn., 172, 175 Fn., 181 Fn. Dräseke, Johann Heinrich Bernhard 84, 278 Fn., 282 Fn., 335 Fn., 345 Fn., 380 Drechsler, Moritz 139 Droysen, Johann Gustav 188

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Dubois, Jean Antoine (Abbé) 99 Duncker, Hans Gottfried Ludwig 188 Eberhard I. (im Barte), Herzog von Württemberg 50 Eberhard II., Herzog von Württemberg 50, 326 Fn. Echternkamp, Jörg 307 Fn., 338 Fn. Eckardt, Uwe 83 Fn. Egede, Hans 116, 126 Eggers, Jens 133 Fn. Ehrenfeuchter, Friedrich 70, 178 Fn., 277 Fn., 287 Fn. Eichendorff, Joseph von 180 Fn. Eichhorn, Johann Gottfried 136 Eisenblätter, Winfried 275 Fn. Elert, Werner 259 Fn. Elija 90 Fn., 169 Eliot, John 129, 133 Fn. Elisabeth I., Königin von England 110 Elisabeth von Thüringen 108 Fn., 110, 186, 348 Eloni, Yehuda 293 Fn. Engelhardt, Dietrich von 138 Fn., 179 Fn., 181 Fn. Engels, Friedrich 173, 375 Ernst der Fromme, Herzog von Sachsen-Gotha 330 f, 387 Ernst, Karsten 16 Fn., 141 Fn., 173 Fn., 350 Fn. Esther 40 Eusebius von Caesarea 189 Eva 40, 220 Ewald, Johann Ludwig 129, 355 Fn. Eyth, Eduard 38 Fn., 65 f, 70, 265 Fn., 270, 282 Fn., 289 Fn., 304, 317, 318 Fn., 333, 335 Fn., 358, 359– 362 Fn., 364, 367 Fn., 380 Ezechiel 144, 294 Feil, Ernst 172 Fn. Feldner, Friedrich Wilhelm Paul Ludwig 333 Fn., 340, 341 Fn. Felicitas 273 Feneberg, Johann Michael 349 Fénelon, François 236, 241 Fenske, Hans 35 Fn.

Ferdinand II., Kaiser 242 Feuerbach, Ludwig 375 Fichte, Johann Gottlieb 182 Fisch, Jörg 295 Fn. Fisk, Pliny 131 Flacius Illyricus, Matthias 87 f, 110, 241, 390 Flacke, Monika 21, 361 Fn., 363 Fn. Flattich, Johann Friedrich 114, 121 Fleischer, Dirk 158 Fn., 159, 221 Fn. Fliedner, Theodor 116, 194, 266, 276 Fn., 381, 383 Föll, Renate 284 Fn. Foxe, John 110, 113 Frahm, Jan Peter 133 Fn. France, Richard T. 170 Fn. Francke, August Hermann 80, 113– 115, 119 f, 126 Fn., 127, 172 Fn., 274, 277 Fn., 292 Fn., 335, 339– 341, 388 François, Etienne 21, 251 Fn. Frank, Johannes Georg 220 f Franklin, Eric 171 Fn. Franz II., Kaiser 224, 252 Freylinghausen, Johann Anastasius 114 Fricke, Klaus Dieter 207 Fn. Friederich, Johann Jakob 284 Friedrich I. (Barbarossa), Kaiser 249 Friedrich II., Kaiser 249 Friedrich III., Kaiser 212 Fn. Friedrich I., Herzog von Württemberg 48 Friedrich II. (der Große), König von Preußen 22, 31, 55, 59, 109, 210, 244, 249, 254 f, 353 f, 388 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz 246 Fn. Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 332 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 252, 322 Fn., 332, 333 Fn., 361 Fn., 367 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 117, 179 f Fn., 308 Fn., 314, 327, 328 Fn., 329, 332 f, 387 Froom, LeRoy Edwin 144 Fn.

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Personenregister Fry, Elizabeth 110, 130, 320 Fn. Fryrell, Andreas 123 Fuchs, Johann Nepomuk 139 Fulda, Daniel 23 Fn., 158 Fn. Füller, Klaus Dieter 124 f Fn. Füssl, Wilhelm 279 Fn. Gäbler, Ulrich 15 f Fn., 17, 20 Fn., 24, 88 Fn., 166 Fn., 228 Fn., 236 Fn., 240 Fn., 284, 319, 320 Fn., 349 f Fn. Gall, Lothar 184 Fn. Gallitzin, Amalie von 108, 335 Fn., 348 f Gallus 100 Gams, Pius 232 Gansfort, Johann Wessel 114 f, 368, 369 Fn. Gatterer, Johann Christoph 35, 158, 221 Fn. Gaussen, Louis 144, 269, 290, 292– 294, 317 Fn., 321 Fn., 370 Fn., 382 Geiger, Erika 86 Fn., 122 Fn. Geiger, Max 15 Fn., 20 Fn., 127 Fn., 179 Fn., 252 Fn., 349 Fn. Geilana 168 Geiss, Imanuel 301 Fn. Geldbach, Erich 228 Fn., 320 Fn. Genschel, Helmut 191 Fn. Georg II., König von Großbritannien 235 Fn. Gerber, Christian 112 Gerhard, Johann 241 Gerhard, Martin 116 Fn., 194 Fn. Gerhardt, Paul 115, 126 Gerlach, Ernst Ludwig von 41, 179 Gerlach, Leopold von 179 Gernert, Dörte 191 Fn. Gervinus, Georg Gottfried 68 Gesenius, Wilhelm 376 Gestrich, Andreas 362 Geyer, Michael 313 Fn. Gichtel, Johann Georg 113 Gierl, Martin 23 Fn. Giesebrecht, Wilhelm 195, 306 Gieseler, Johann Carl Ludwig 72, 79 Glasenapp, Gabriele von 25 Fn.

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Gleixner, Ulrike 20 Fn., 23 f Fn., 25, 104, 106 f Fn., 109 Fn., 111 Fn., 120, 122 Fn., 127 Fn., 371 Fn. Gobat, Samuel 129 Goch, Johann von 114 f Goethe, Johann Wolfgang von 13 Fn., 121, 366 Gordon, Alexander 91 Fn. Görres, Joseph 176 Fn., 180 Fn., 349 Gossner, Johann Evangelista 106, 194 Gottlob, Michael 38 Fn., 158 Fn. Gotzmann, Andreas 25 Fn., 292 Fn. Graf, Friedrich Wilhelm 14 f Fn., 17 Fn., 32, 173 Fn., 281 Fn., 308 Fn., 313 Fn., 319 Fn., 325 Fn., 366 Fn., 372 Fn. 373 Graf, Gerhard 361 Fn., 364 Fn. Gramley, Hedda 313 Fn. Graul, Karl 337 Fn. Gregor VII. (Hildebrand), Papst 52, 80, 186, 224, 227, 242 Greiling, Werner 120 Fn. Grimm, Jacob 188 Grob, Johann Caspar 74 Fn., 350 Fn., 380 Grolle, Inge 27 Fn. Groot, Gerhard 115 Großer Kurfürst (Friedrich Wilhelm) von Brandenburg 60 Groth, Friedhelm 284 Fn. Gründer, Horst 299 Fn. Gründler, Johann Ernst 132 Grundmann, Christoffer 67 Fn. Grundtvig, Nicolai Frederik Severin 24, 51–53, 246 Fn., 270, 308, 311, 326 Fn., 328 Fn., 335 f Fn., 380, 385 Gude, Jürgen 23 Fn., 180 Fn., 264 Fn. Guerike, Heinrich Ernst Ferdinand 75 Fn., 78 f, 119, 126 Fn., 174 Fn., 184, 264 Fn., 272, 276, 277 Fn., 279, 284 Fn., 288 Fn., 315 Fn., 319 Fn., 325 Fn., 334 Fn., 336 Fn., 339–341 Fn., 345, 346 Fn., 349 f Fn., 352 Fn., 354 Fn., 371, 380 f Gundert, Wilhelm 19 Fn. Günther, Felix 35 Fn., 222 Fn., 264 Fn., 283 Fn.

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Gustav Adolf, König von Schweden 123, 244, 249, 255, 267, 282 Fn., 327, 330–332, 346 Fn., 363 Fn., 387 Gutenberg, Johannes 107 Fn., 243 Gützlaff, Karl 66 f, 129, 132, 296, 380 f, 386 Gutzmer, Karl 27 Fn., 201 Fn. Habermas, Rebekka 129 Fn., 173, 373 Fn. Hadrian, römischer Kaiser 250 Haenchen, Ernst 170 Fn. Haendler, Gert 97 Fn. Hagedorn, Eckhard 16 Fn., 173 Fn. Hahn, Hans-Werner 257 Fn., 260 Fn. Hahn, Johann Michael 198 Fn. Hahn, Philipp Matthäus 114 Haller, Carl Ludwig von 326 Haller, Berchtold 241 Ham 217, 256 Fn., 303–305, 386 Hamann, Johann Georg 108, 114 f, 181, 274 Hamilton, Victor P. 217 Fn. Hanna 169 Hannibal 163 Hanst, Michael 95 Fn., 151 Fn. Harald Blauzahn, König von Dänemark 245 Fn. Hardtwig, Wolfgang 31 Fn., 159, 165 Fn. Harless, G. C. Adolph 151 Fn., 375 Fn. Harms, Claus 28, 279 Fn., 308 Fn., 334 Fn., 351, 356, 366 Fn., 373 Harris, Horton 146 Fn., 149 Fn., 152 Fn. Hastings, Adrian 299 Fn. Haupt, Friedrich 68 f, 189 Fn. Haupt, Heinz-Gerhard 14 Fn., 307 Fn. Hauschild, Wolf-Dieter 15 Fn., 18 Fn. Hauss, Friedrich 166 Fn. Hävernick, Heinrich Andreas Christoph 16 Fn., 139, 141 f, 184 Fn., 382 Hebeisen, Erika 24 Fn. Heber, Reginald 99 Heck, Thomas 252 Fn. Heeren, Arnold Hermann Ludwig 158, 188

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 70, 134, 139, 146 Fn., 149, 152, 181 f, 203 Fn., 232, 296, 383 Heine, Heinrich 121, 359 Fn. Heinrich der Vogler, König des Ostfrankenreiches 214 Fn. Heinrich IV., König von Frankreich 243 Heinrichs, Wolfgang 115 Fn. Hemsen, Johann Tychsen 148, 382 Hengstenberg, Ernst Wilhelm 134 Fn., 137, 139, 141, 143, 185, 194, 314 Fn., 320, 340 f, 349, 382 f, 388 Henhöfer, Aloysius 16 Fn., 100 Henke, Ernst Ludwig Theodor 72 Herakles 189 Herder, Johann Gottfried 115, 232 Hermann (Arminius) 60, 234, 235, 308, 310 Hermann, Rudolf 170 Fn. Herodias 169 Herrmann, Volker 101 Fn. Herschell, Ridley H. 131, 291 Fn., 294 Fn., 381 Heß, Johann Jakob 37, 75, 87 Fn., 92 f, 108, 144 Fn., 178 Fn., 183, 264 f Fn., 267, 268 Fn., 276, 277 f Fn., 284 Fn., 290 Fn., 293 Fn., 317 Fn., 331 Fn., 337 Fn., 347, 368 Fn., 370, 380 Heyden, Ulrich van der 108 Fn. Hildebrand (Gregor VII.), Papst 52, 80, 186, 224, 227, 242 Hindmarsh, D. Bruce 74 Fn. Hinrichs, Carl 13 Fn., 185 Fn., 232 Fn. Hiob 265 f Hiram I., König von Tyros 239 Fn. Hirzel, Martin 24 Fn., 104 f, 107 Fn., 113 Fn., 127, 168 Hoburg, Christian 113 Hochgeschwender, Michael 313 Fn. Hofacker, Ludwig 16 Fn., 28, 65, 90, 100, 122, 127, 134 Fn., 173 f Fn., 198, 321, 337, 350, 351 Fn., 357 Fn., 373 Hofacker, Wilhelm 127 Höffken, Peter 144 Fn.

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Personenregister Hoffmann, Christoph 325 Fn. Hoffmann, Stefan-Ludwig 361 Fn. Hoffmann, Wilhelm 89 Fn., 95 f, 100, 110 Fn., 130, 143 Fn., 151 f, 193, 194 Fn., 279 Fn., 320, 325 Fn., 335, 382 Hofmann, Johann Christian Konrad 24, 53–55, 58 Fn., 62, 134 Fn., 142 f, 165, 175, 185 Fn., 187 Fn., 189 Fn., 192, 280, 282 f Fn., 297, 301–303, 305 Fn., 312 Fn., 314, 347 Fn., 353 Fn., 380, 382 f, 386 Hofmeister, Sebastian 241 Hölscher, Lucian 17 Fn., 22 Fn., 172 Fn., 306 Fn., 359 Fn., 372 Fn. Holthaus, Stephan 24 Fn., 134 Fn., 137 Fn., 143 Fn., 228 Fn., 284 Fn., 295 Fn. Holtz, Sabine 259 Fn. Holzem, Andreas 351 Fn. Homrichhausen, Christian 325 Fn. Horaz 59, 297, 322 Hoßbach, Wilhelm 118 f, 163 Fn., 268 Fn., 270, 285 Fn., 343, 374, 381 Houtman, Cornelis 136 Fn. Hövelmann, Hartmut 206 Fn. Huber, Victor Aimé 327 Fn. Huch, Ricarda 180 Fn. Humboldt, Alexander von 90 Humboldt, Wilhelm von 90, 158 f, 270 Hus, Jan 56, 87, 241, 346 Hutchison, William R. 15 Fn., 196 Fn., 313 Fn. Iggers, Georg G. 159 Fn., 165 Fn. Ilgen, Carl David 136 Innozenz XI., Papst 224 Fn., 347 Fn. Irenäus 217 Fn. Isenberg, Carl Wilhelm 131, 296 Ising, Dieter 16 Fn., 49 Fn., 56 Fn., 91 Fn., 96 Fn., 192 Fn., 308 Fn. Jaeger, Friedrich 23 Fn., 158 f Fn. Jafet 303–305, 387 Jahn, Gustav 324 f Fn., 361 Fn. Jakubowski-Tiessen, Manfred 24, 104, 107 Fn., 339 Fn.

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Jeismann, Karl-Ernst 191 Fn. Jeremia 144, 228 Fn. Jesaja 40, 42, 144 Jesus Christus 5, 17, 36, 38 f, 45, 52, 58–61, 65, 68, 70, 72–75, 77, 79 f, 82, 84, 90–92, 94 Fn., 98, 106 f, 109, 114, 123, 131, 143–146, 148–155, 156 Fn., 172 Fn., 177 f, 184 Fn., 200, 205 Fn., 210 Fn., 211, 214–217, 220, 222 Fn., 226 Fn., 228–230, 233, 238, 240 f, 264, 268, 270, 275 f, 277 Fn., 279 f, 282, 284 Fn., 285–287, 291 f, 303, 314, 329, 334, 336, 338, 346 Fn., 347, 351, 354, 371, 375 Fn., 376 f, 380, 386 Johanna von Orléans 212 Fn. Johannes (Apostel) 146–148, 152 f, 162, 170 Fn., 177, 211, 229, 280, 282, 321 Fn., 335 Johannes (Täufer) 80, 131, 149, 169 Johannes Chrysostomus 76, 309 Fn. Jordan, Stefan 23 Fn., 35 Fn., 158 f Fn., 222 Fn., 283 Fn. Joseph (Sohn Jakobs) 162 Joseph von Arimathäa 106 Joseph II., Kaiser 254 f, 258 Josephus, Flavius 144, 154, 203 Jost, Isaak Marcus 183 Judson, Adoniram 129 Julian Apostata 76, 166, 272 Fn. Jung, Martin H. 15 Fn., 18 f Fn., 226 Fn., 295 Fn., 361 Fn. Jung-Stilling, Johann Heinrich 24 Fn., 105 Fn., 108, 113, 115 f, 127, 168, 171, 246, 252 Fn., 262, 284, 309 Fn., 369 Fn., 370, 381 Junker, Detlef 184 Fn. Justinus ( Justin) der Märtyrer 80 Juvenal 274 Kahle, Wilhelm 366 Fn., 370 Fn. Kalixt III., Gegenpapst 347 Fn. Kanaan 217 Fn., 303–305 Kanne, Johann Arnold 24 Fn., 105 Fn., 112 f, 128, 168, 179, 287 Fn., 349 Fn., 357 Fn., 381

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Anhang

Kannenberg, Michael 25, 31 Fn., 49 Fn., 80 Fn., 102 Fn., 108 Fn., 111 Fn., 118 Fn., 120 Fn., 143 Fn., 149 f Fn., 163 Fn., 198 Fn., 205 f Fn., 217 Fn., 226 Fn., 230 Fn., 284 Fn., 295 Fn., 343 Fn., 365, 370 Fn. Kant, Immanuel 182, 343 Kantzenbach, Friedrich Wilhelm 15 Fn., 76 Fn., 78 Fn., 325 Fn., 356 Fn. Kapff, Sixt Carl 56 Fn., 182, 202, 259 Fn., 279 Fn., 308, 317 Fn., 325 Fn., 362 Fn., 376 Fn. Kappe, Ernst 55–57, 144 Fn., 166, 186, 189 Fn., 265 Fn., 267 f, 282 Fn., 306 Fn., 326 Fn., 329 Fn., 332 Fn., 352–354 Fn., 358–360 Fn., 361, 364 Fn., 377 Fn. Karl der Große, Kaiser 55, 60, 93, 220, 223, 225, 249, 261, 329 f, 387 Karl IV., Kaiser 261 Karl I. (der Kühne), Herzog von Burgund 163, 210, 214 Fn. Karl X., König von Frankreich 251 Karlstadt, Andreas Bodenstein von 244 Katharina II. (die Große), Zarin 353, 388 Kaufmann, Thomas 24 Fn., 85 Keith, Alexander 145, 198 Fn., 290, 291 Fn., 382 Keller, Gottfried 19 Fn. Keller, Hildegard Elisabeth 217 Fn. Kemp, Theodosius van der 129, 132 Kepler, Johannes 87, 111 Kessler Jr., Juan B. A. 320 Fn. Kießling, Johann Tobias 122 Kilian 168 Kirn, Hans-Martin 16 Fn., 24 Fn., 85 Fn., 127 Fn., 355 Fn. Klahr, Detlef 16 Fn Kliefoth, Theodor 314 Fn. Klopstock, Friedrich Gottlieb 87, 112, 132 Fn., 274 Klosterberg, Brigitte 106 Fn. Klug, Matthias 25, 29 Fn., 32 Fn., 160 Fn., 180 Fn., 187 Fn., 196 Fn., 306 Fn., 346 Fn.

Klumpp, Friedrich Wilhelm 95 f, 99 Fn., 269, 271, 273 Fn., 299 f Fn., 316 Fn., 381, 385 Klüpfel, Karl 204 Fn. Knapp, Albert 29, 65, 122, 304 f, 321 Fn., 381 Knapp, Georg Christian 114 Knox, John 122, 177 Fn. Knox, Kevin C. 74 Fn. Koch, Klaus 24 Fn., 141 Fn., 211 Fn., 221 f Fn., 225 Fn., 284 Fn., 314 Fn. Koebner, Richard 261 Kohnle, Armin 22 Fn., 336 Fn. Konrad II., Kaiser 235 Konstantin I. (der Große), römischer Kaiser 63, 69, 82 f, 93, 96, 189, 225, 240, 256, 273, 278, 280, 328, 385 Kopernikus, Nikolaus 87 Köpf, Ulrich 219 Fn. Körner, Hans-Michael 23 Fn., 44 Fn., 69, 192 Fn. Koschorke, Klaus 288 Fn. Koselleck, Reinhart 22, 143 Fn., 159, 160 Fn., 173 f, 261, 262 Fn., 322 Fn., 324 Fn., 369 Fn. Kottwitz, Hans Ernst Baron von 16 Fn., 79 Fn., 349 Fn. Kotzebue, Otto von 99 Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig 329, 331 Fn. Kramer, Wolfgang 137 Fn. Kraul, Margret 191 Fn. Kraus, Hans-Christof 28 Fn., 180 Fn., 188 Fn., 323 Fn., 328 Fn. Kraus, Hans-Joachim 134 Fn., 141 Fn. Krentzheim, Leonhard 40 Fn. Kriele, Eduard 29 Fn., 82 Fn. Kroener, Bernhard R. 22 Fn., 354 Fn. Krohn, Friedrich 99, 298, 300 Fn., 341, 381 Kroll, Frank-Lothar 22 Fn., 179 f Fn., 327 Fn., 354 Fn. Krüdener, Juliane von 109 Krummacher, Emil Wilhelm 83 f, 118, 168, 192, 265 Fn., 308 Fn., 347 Fn., 358 f Fn., 365 Fn., 370 Fn., 380

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Personenregister Krummacher, Friedrich Adolph 84, 118, 263 Krummacher, Friedrich Wilhelm 28, 118, 179, 307, 317 Fn., 342 Fn., 346 Fn., 357 Fn., 365 f, 370 f, 376 Kugler, Franz 31, 254 Fn. Kuhlemann, Frank-Michael 21 Fn. Kuhn, Thomas K. 15 Fn., 24 Fn., 100 Fn., 121 Fn., 350 Fn., 355, 373 Kyrus der Große, Perserkönig 144, 207 Fn., 210, 216 Fn. Laak, Dirk van 232 f Lagarde, Paul de 123 La Mettrie, Julien Offray de 236 Fn. Landwehr, Achim 21 Fn. Lange, Axel 148 Fn. Lange, Johann Peter 283 Langen, August 172 Fn. Langewiesche, Dieter 14 Fn., 21, 24 f Fn., 35 Fn., 48 Fn., 57, 259 Fn., 261 Fn., 307 Fn., 313 Fn., 363, 366 Fn. Laube, Stefan 347 Fn. Lavater, Johann Caspar 108 Ledderhose, Karl Friedrich 24, 90 Fn., 100, 106, 110 Fn., 121 f, 133, 282 Fn., 300 Fn., 381 Lehmann, Gottfried Wilhelm 16 Fn Lehmann, Hartmut 14–17, 18 Fn., 20 Fn., 22 Fn., 23, 24 Fn., 28 Fn., 47–49, 81 Fn., 173 Fn., 191 Fn., 196 Fn., 198, 208 Fn., 226 Fn., 236 Fn., 244 Fn., 313, 317 Fn., 319, 332, 336 Fn., 344 Fn., 350 Fn., 372 Fn. Leibniz, Gottfried Wilhelm 266 Fn. Leipoldt, Wilhelm 73, 81–84, 116, 166, 168 f, 171, 174 Fn., 176 f Fn., 192, 268 Fn., 277 f Fn., 282 Fn., 298 Fn., 308, 314, 316, 320 f, 327, 328–332 Fn., 334–336 Fn., 340 Fn., 345 Fn., 347 Fn., 357–359 Fn., 364 Fn., 367–370, 380, 383 Lenger, Friedrich 21 f Lengerke, Caesar von 142 Leo I. (der Große), Papst 347 Fn. Leo, Heinrich 5, 37 Fn., 41–44, 58,

453

61–66, 68, 130, 157, 174 f, 180 Fn., 182 Fn., 188, 192, 232 Fn., 264 f, 268, 270, 272 Fn., 279 Fn., 282–284 Fn., 296, 301, 310, 312 Fn., 315, 317, 325 Fn., 326 f, 331 Fn., 340, 341 Fn., 348, 353, 354 Fn., 357–360, 362 Fn., 364 Fn., 380, 383, 385 f, 388 Leonhardt, Carl Gottfried 92, 97, 169, 265 Fn., 278 Fn., 289 Fn., 351 Fn., 381 Leopold III., Herzog von Österreich 214 Fn. Lepenies, Wolf 138 Leube, Martin 150 Fn., 252 Fn. Lieburg, Fred A. van 110 Liefde, Jan de 70 Fn. Liudger 125 Fn. Locke, John 115 Loebell, Johann Wilhelm 36, 189 f Löhe, Wilhelm 85 f, 87 Fn., 115 Fn., 122 Fn., 192, 380 Lohse, Bernhard 244 Fn. Long, Edward 301 Lost, Christine 127 Fn., 168 Lottes, Günther 20 f Fn. Louvois, Jean-Baptiste 255 Luden, Heinrich 188 Lüder, Andreas 352 Fn. Ludwig I. (der Fromme), Kaiser 213 Ludwig IV. (der Bayer), Kaiser 243 Ludwig, Herzog von Württemberg 48 Ludwig I., König von Bayern 61 Ludwig IX. (der Heilige), König von Frankreich 55, 186, 249 Ludwig XIV., König von Frankreich 53 Fn., 54, 212 Fn., 242, 248, 254 f, 326, 331, 352 Ludwig XV., König von Frankreich 250, 353, 357 f, 388 Ludwig XVI., König von Frankreich 250, 358 Ludwig, Frieder 288 Fn. Lull, Raimund 188 Lundgreen, Peter 191 Fn. Luther, Martin 22, 52 f, 55, 65, 73, 85, 87 f, 106, 112, 114 f, 118, 121,

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123, 126, 165, 171, 185 Fn., 207, 223, 229, 241, 243 f, 274, 279 Fn., 334–340, 342, 352 Fn., 369, 388 Lutz, Jessie G. 66 f Fn. Maecenas, Gaius 297 Maier, Gerhard 221 Fn. Major, Georg 88 Maleachi 80 Malthus, Thomas Robert 257 Maltzahn, Christoph Freiherr von 41 Fn., 44 Fn. Maltzahn, Friedrich von 70 Fn. Mälzer, Gottfried 205 Fn., 228 Fn. Mann, Bernhard 260 Fn. Mann, Karl 87 Fn., 292, 294 Maria (Mutter Jesu) 155, 217 Fn. Maria Theresia, Erzherzögin von Österreich 110, 235 Fn., 245, 249, 254 f, 261 Märklin, Christian 182, 210 Fn., 341 Fn. Markschies, Christoph 72 Fn. Marsch, Edgar 222 Fn. Marshall, Thomas Hay 91 Fn. Martyn, Henry 105 f, 129 f, 132 f, 381 Marx, Karl 375 Maser, Peter 16 Fn., 349 Fn. Matthew, H. C. G. 91 Fn., 130 Fn. Maupertuis, Pierre-Louis Moreau de 236 Fn. Maximilian I., Kaiser 261 Maximilian II., König von Bayern 69 Fn., 185 Fn. Mayer, Ines 22 Fn., 160 Fn., 176, 264 Fn., 309 Fn., 358 Fn. Mayhew, Thomas 129 Mehlhausen, Joachim 76 Fn., 117 Fn., 137 Fn., 150 Fn., 152 f Fn., 334 Fn. Mehnert, Gottfried 19 Fn., 28 Fn., 29, 172 Fn., 257 Fn. Meincke, Inga 51 f Fn. Meinhold, Peter 76 Melanchthon, Philipp 52, 88, 106, 115, 118, 122, 222, 241, 335 Fn., 336 f, 338 Fn., 390 Mengert, A. F. C. 100, 189, 193, 308 Fn., 381

Menken, Gottfried 117 Fn., 206 f, 222, 230 Fn., 253 Fn., 384 Menzel, Adolph 31 Menzel, Gustav 194 Fn. Menzel, Wolfgang 188 Merk, Otto 134 Fn. Merle D’Aubigné, Jean H. 37 Fn., 76, 268 Fn., 352 Fn. Merz, Heinrich 146 Mettele, Gisela 25 f, 98 Fn., 109 Fn., 111 Fn., 127 f Fn., 166 Fn., 266, 319 Fn., 320 Metternich, Klemens Wenzel Lothar von 252 Meurer, Sieg fried 207 Fn. Meyer, Dietrich 172 Fn. Mez, Carl 16 Fn., 325 Fn. Mildenberger, Friedrich 53 Fn., 142 Fn. Milner, John 113 Fn. Milner, Joseph 74 f, 82, 84, 93, 192, 277 Fn., 380, 383 Milner, Isaac 74 f Milton, John 87 Moeller, Bernd 17, 179 Fn. Mohammed 177, 214, 238, 276, 289, 386 Mohr, Rudolf 111 Fn., 115 Fn. Möhrlen, Christoph 86, 176 Fn., 335 Fn. Mojem, Helmuth 121 Fn. Mommsen, Wolfgang 37 Fn. Monod, Adolphe 319 Montaigne, Michel de 115 Montalembert, Charles (Graf von) 372 Moser, Johann Jacob 121 Mosheim, Johann Lorenz von 72 Muhlack, Ulrich 23 Fn., 35 Fn., 158 Fn., 159 Müller, Adam 180 Fn. Müller, Christoph Gottlob 16 Fn. Müller, Georg Friedrich 67 f, 90 Fn., 264 Fn., 296, 380 Müller, Heinrich 340 Müller, Johannes von 38 Müller, Julius 152 f, 382 Müller-Salget, Klaus 124 Fn., 126 Fn. Münch, Paul 301 Fn.

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Personenregister Müntzer, Thomas 244 Murr, Karl Borromäus 360 Fn. Nahum 144 Napoleon Bonaparte 18, 22, 57, 59, 61, 65, 70, 109, 165, 167, 187, 210, 212 Fn., 224, 229, 251, 254, 255 Fn., 282, 317, 322, 324, 357, 359–361, 363, 366, 374, 387, 389 Neander, August 24, 75 Fn., 76–78, 82, 85, 92–94, 116 f, 143 Fn., 147, 153 f, 163–165, 170, 178, 184, 186, 188 f, 194 f, 264 Fn., 269, 271, 276 f, 278 Fn., 285 Fn., 309, 312 Fn., 316 Fn., 319 Fn., 320, 325 Fn., 330 Fn., 342, 345, 347, 350 f, 355 f, 368 Fn., 375, 380–383, 385 Nebukadnezar II., König des neubabylonischen Reiches 210, 212 Fn., 220, 222, 225, 250 Nero, römischer Kaiser 326 Neugebauer-Wölk, Monika 14 Fn. Neumann, Karl Friedrich 66 Neumark, Georg 126 Newton, Isaac 87 Niebuhr, Barthold Georg 158, 187 f, 195, 279 Fn. Niemeyer, August Hermann 114 Nienhaus, Stefan 179 Fn. Nipperdey, Thomas 14, 17 Fn., 134, 156, 180, 251, 257 Fn., 270 Fn., 280 Fn., 294 Fn., 307 Fn., 324 Fn., 373 f Fn. Nixdorf, Wolfgang 84 Fn. Noah 64, 155, 217, 256 Fn., 303, 305, 386 Nora, Pierre 21 Nösselt, Friedrich 171 Fn., 189 Fn. Nowak, Kurt 18 f Fn. Oberlin, Johann Friedrich 108, 122 Oekolampad, Johannes 52, 105, 241 Oelschlägel, Thomas 252 Fn. Oetinger, Friedrich Christoph 114, 198 Fn., 339 Oexle, Otto Gerhard 23 Fn., 158 f Oken, Lorenz 181

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Olshausen, Hermann 147 f, 195, 336 Fn., 382 f Olson, Richard G. 139 Fn. Oncken, Johann Gerhard 16 Fn. Orde, Klaus vom 16 Fn., 325 Fn. Osiander, Karl August 80, 198, 205 f, 226 f, 230 Fn., 384 Osiander, Johann Ernst 117, 152, 206 Fn., 382 Osterhammel, Jürgen 14, 35, 89 f, 129 Fn., 232 Otto I., Kaiser 214 Fn., 245 Fn., 249 Otto I., bayerischer Prinz, König von Griechenland 69 Fn. Overberg, Bernhard 349 Ovid 59 Palmer, Christian 83 Fn., 180 Fn., 347 Pascal, Blaise 87 Fn., 111, 236, 241, 348 f, 387 Pauke, P. Florian 89 Fn. Paul, Fritz 179 Fn. Paul, Gerhard 31 Fn., Paulus 154, 162, 166, 228 Fn., 271, 285 f, 293, 307 Fn. Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 325, 338, 374, 376 Pearson, Hugh 91, 130 f, 289 Fn., 298 f, 381 Pečar, Andreas 32 Fn. Pelzer, Erich 361 Fn. Penn, William 111, 132 Fn. Perpetua 273 Perthes, Clemens Theodor 76 Fn. Perthes, Friedrich 27 Fn., 76 Perth, W. Orme 91 Fn. Pestalozzi, Johann Heinrich 58, 68, 115, 354 f, 388 Peters, Klaus 201 Fn. Petersen, Johanna Eleonora 109 Fn., 112, 127 Petrarca, Francesco 115 Petri, Albert 195 Fn. Petrus 146 f, 176, 335, 347, 370 Peucker, Paul 173 Fn. Philipp IV. (der Schöne), König von Frankreich 250

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Anhang

Philipp II., König von Spanien 348 Pilatus 210 Piper, Ferdinand 117 Planck, Gottlieb Jacob 72 Planert, Ute 25 Fn., 360 Fn. Platon 62, 239, 271 f, 385 Plinius der Jüngere 80 Plutarch 274 Pohlig, Matthias 40 Fn., 70 Fn., 88 Fn., 107 Fn., 117 Fn., 164 Fn., 222 f Fn., 379 f Poiret, Pierre 111 Pomare, König von Tahiti 80, 298 Prange, Wilhelm 70 Fn., 192 Fn. Preuß, Johann David Erdmann 254 Fn. Quesnel, Pasquier 111 Quirinius, Publius Sulpicius 154 Quittschau, Ewalt 192 Fn. Railton, Nicholas M. 16 Fn., 236 Fn., 319 f Fn. Ranke, Friedrich Heinrich 136 f, 139, 322, 382 Ranke, Leopold (von) 13 f, 68, 158, 159 Fn., 182, 184 f, 187, 232, 253 Fn., 283 Fn. Rarisch, Ilsedore 18 Fn. Raumer, Karl von 115, 139, 179, 184, 193–195, 265, 267, 268 Fn., 273 Fn., 282 Fn., 285 Fn., 289 Fn., 291 Fn., 294 Fn., 297, 300, 317, 322, 324 Fn., 335 Fn., 345 Fn., 354 f, 359 Fn., 361 Fn., 373, 386 Raupp, Werner 16 Fn., 46 f Fn., 80 Fn., 94 Fn., 113 Fn., 141 Fn., 155 Fn., 163 Fn., 198 f, 202–206, 210 Fn., 212 f Fn., 230 Fn., 234 Fn., 252 Fn., 293 Fn., 316 Fn., 337 Fn., 370 Fn. Reihlen, Charlotte 31 Fn. Reitz, Johann Henrich 110–113, 381 Remus 55, 189 Rennstich, Karl 315 Fn., 370 Fn. Reuchlin, Johannes 115 Rhenius, Ewald 129, 132 Richter, Julius 17 Fn., 194 Fn.

Rische, August Dietrich 115 Fn. Ritschl, Albrecht 53 Ritter, Carl 188 Ritter, Gustav 122 Fn. Roberts, Frank Carl 88 Fn. Robespierre, Maximilien 359 Rogerson, John William 134 Fn. Rogge, Wilhelm 55 Fn. Rohden, Ludwig von 82 Fn., 195 Fn. Rohlfes, Joachim 13 f Röhr, Johann Friedrich 374 Romulus 55, 189 Roos, Magnus Friedrich 198 Fn. Rosenberger, Veit 363 Fn. Rösler, Christian Friedrich 203 f Fn. Rössler, Alice 69 Fn. Rott, Ludwig 149 Fn. Rotteck, Karl von 35, 110, 175 Fn., 183, 285 Fn., 322 Fn., 346 Fn. Rousseau, Jean-Jacques 115, 236 Fn., 351, 354 f, 388 Rudelbach, Andreas Gottlob 51 f, 116 f, 134 Fn., 381 Ruhbach, Gerhard 15 f Fn., 18 Fn. Rühs, Friedrich 221 Fn. Rupke, Nicolaas A. 137 Fn. Rüsen, Jörn 23 Fn., 158 f Fn., 160 f Saba, Königin von 239 Fn. Sachs, Hans 126 Sack, Karl Heinrich 37 Fn. Sagarra, Eda 254 Fn., 353 Fn. Sailer, Johann Michael 111, 349, 388 Salomo, König von Israel 233 Fn. Samuel 40, 169 Sander, Friedrich 369 Fn. Sargent, John 106 Fn., 130, 381 Sartorius, Ernst 334 Sauder, Gerhard 179 Fn. Saul, König von Israel 40 Savonarola, Hieronymus 117 Schäfer, Gerhard 122 Fn., 127 Fn. Schäfer, Kirstin Anne 360 Fn. Schalch, Johann Jakob 56 Schall, P. Johann Adam 89 Fn. Scharfe, Martin 31 Fn. Schatz, Klaus 305 Fn.

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Personenregister Scheibel, Johann Gottfried 75 Fn., 290 Fn., 362 Scheitler, Irmgard 29 Fn. Schelling, Friedrich Wilhelm 69 Fn., 181 Schieder, Wolfgang 14 Fn. Schiller, L. 54 f Fn., 58 Fn., 192 Fn. Schindler-Joppien, Ulrich 28 Fn. Schlatter,Wilhelm 29 Fn., 95 Fn., 194 Fn. Schlegel, Friedrich 180 Fn., 232 Schleiermacher, Charlotte 111 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 53, 144 Fn., 355 f, 388 Schlosser, Friedrich Christoph 35, 38 Fn., 68, 135 Schlözer, August Ludwig von 35, 158 Schmid, Deocar 132 Schmidt, Georg 90 Fn., 133 Schmidt, Hans 22 Fn., 359 Fn. Schmidt, Karl Christian Gottlieb 90 Fn., 97, 132 f, 287 f Fn., 291 Fn., 293 Fn., 295 Fn., 317 Fn., 321 Fn., 381 Schmidt, Kurt Dietrich 17 Fn. Schmidt, Martin 20 Fn., 116 Fn., 176, 179 Fn., 368 Fn. Schmidt, Rasmus 100 Schnabel, Franz 35 Fn. Schneider, Karl Friedrich Theodor 76 Fn. Schoeps, Hans-Joachim 279 Fn., 328 Fn. Scholtz, Gunter 176 Fn. Schönemann, Bernd 307 Fn. Schott, Christian-Erdmann 172 Fn. Schrader, Hans-Jürgen 109–112 Fn., 113, 172 Fn. Schrey, Dieter 179 Fn. Schrey, Heinz-Horst 91 Fn., 130 Fn. Schröckh, Johann Matthias 72 Schubert, Gotthilf Heinrich 69, 113, 116, 122, 136, 138 f, 177 Fn., 179, 181, 279 Fn., 286 Fn., 307, 324, 326, 381 f Schultz, Stephan 132 Schulz, Frieder 117 Fn., 162 Fn. Schulz, G. 27 Fn. Schulze, Hagen 21, 251 Fn., 359 Fn.

457

Schurmann, Anna Maria von 109 Fn. Schwab, Ulrich 136 Fn. Schwaiger, Axel 36 Fn., 198 Fn., 211 Fn. Schwanebeck, Axel 19 Fn. Schwartz, Christian Friedrich 129–132, 381 Schwarz, Berthold 228 Fn. Schwegmann, Barbara 299 Fn. Schweitzer, Albert 149 f, 153 Fn. Schwinge, Gerhard 284 Fn. Seccombe, Thomas 91 Fn., 130 Fn. Seebass, Gottfried 229 Fn., 262 Fn. Selge, Kurt-Victor 24 Fn., 76 Fn. Sem 155, 303, 305 Semler, Johann Salomo 141, 319 Fn., 352, 388 Seneca 274 Sengle, Friedrich 107, 122 Fn., 124 f Fn. Septimus Severus, römischer Kaiser 273 Serres, Pierre Marcel Toussaint de 139 Servet, Michael 52 Siblewski, Klaus 22 Fn. Sieburg, Heinz-Otto 317 Fn. Sixtus V., Papst 348 Sleidan, Johannes 222, 390 Slenczka, Notger 53 Fn. Smend, Rudolf 134 Fn. Smith, Anthony D. 313 Fn. Sokrates 55, 62, 186, 239, 271 f, 385 Soldatenkönig (Friedrich Wilhelm I.), König in Preußen 61 Southey, Robert 118 Spangenberg, August Gottlieb 122, 339 Speck, William Arthur 118 Fn. Spener, Philipp Jakob 82, 112 Fn., 114 f, 118–120, 125–127, 163, 167, 169, 186 Fn., 226, 241, 244, 274, 285 Fn., 292 Fn., 333 Fn., 339–343, 388 Speratus 273 Sperber, Jonathan 14 Fn., 23 Fn., 373 Fn. Speth, Rudolf 306 Fn. Spitta, Carl Johann Philipp 16 Fn., 108 Stahl, Friedrich Julius 279 f, 295 Fn., 310 Fn., 323–328, 353 Fn., 368 Fn., 385

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458

Anhang

Steffens, Henrich 139, 179, 284 Fn. Steger, Benedict Stefan 94 f, 97, 101, 177 Fn., 288–290 Fn., 293 Fn., 295 Fn., 298 Fn., 311 f, 321 Fn., 339 Fn., 342, 372, 381 Stegmüller, Dagmar 35 Fn. Stephanus 170 Fn., 322 Steudel, Johann Christian Friedrich 150, 284 Fn., 382 Stirner, Max 375 Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu 349 Stolberg-Wernigerode, Sophie Charlotte zu 109 Fn. Stöve, Eckehart 72 Fn. Strauß, David Friedrich 73 f, 134, 139 Fn., 146–155, 162 Fn., 195, 272 Fn., 315, 366, 375 f, 382 Stunt, Timothy C. F. 131 Fn. Sueton 145 Sun, Lixin 287 Fn., 296 Fn. Swarat, Uwe 24 Fn., 53 Fn. Swedberg, Jesper 116 Sybel, Heinrich von 107 Symmachus, Quintus Aurelius 309 Tacitus 46 Fn., 59, 123, 145, 154, 274, 310 Fn., 311 f, 387 Tao-Kuang, Kaiser von China 234 Fn. Tell, Wilhelm 57 Tenberg, Reinhard 131 Fn. Tersteegen, Gerhard 111–113 Tertullian 76, 117, 266, 271 Fn. Tholuck, August 19, 24, 41, 85, 87, 105 f, 121, 134 Fn., 141, 147, 149, 152, 154 f, 162, 171, 172 Fn., 307, 310 Fn., 315, 319 f, 334 Fn., 336 Fn., 340 Fn., 348, 350 Fn., 351 f, 353 f Fn., 367–369, 371 Fn., 373, 380, 382 f Thomas von Kempen 114 Thomson, William Aird 91 Tiberius, römischer Kaiser 325 Tiesmeyer, Ludwig 315 Fn. Tilly, Johann Tserclaes Graf von 212 Fn., 332 Fn.

Titus, römischer Kaiser 250, 273 Tortarola, Edoardo 36 Fn. Trajan, römischer Kaiser 250, 328 Trampedach, Kai 32 Fn. Troeltsch, Ernst 158 Tucker, Ruth A. 370 Fn. Twesten, August 78 Ullmann, Carl 114, 152 f, 369 Ulrich, Herzog von Württemberg 123 Usteri, Leonhard 148 Vaihinger, Johann Georg 117 Fn., 118, 150 f, 381 f Varnhagen von Ense, Karl August 68, 120 f Vater, Johann Severin 136 f Vatke, Johann Karl Wilhelm 134, 149 Vergil 59, 271 Fn. Vinet, Alexandre 180 f, 280 f, 385 Vischer, Friedrich Theodor 341 Fn. Vogel, Matthias 172 Fn. Vogt, Peter 292 Fn. Voigt, Karl Heinz 16 Fn., 99 Fn., 148 Fn. Völker, Monika 22 Fn. Voltaire, François Marie Arouet 109, 236 Fn., 266, 351, 353, 388 Völter, Daniel 38 Fn., 55, 61 Fn. Völter, Ludwig 39 Fn., 41 Fn., 49 f, 56, 58 Fn., 63 Fn., 69 Fn., 102, 138 Fn., 160, 264 f Fn., 278 Fn., 296 Fn., 308 f, 315, 317 Fn., 326 Fn., 332, 335 f, 350 Fn., 351 f, 360–362, 366, 367 f Fn., 373 Fn., 375 Fn., 380 f Vormbaum, Reinhold 133 Vries, Lucardo de 23 Fn., 191 Fn. Wachsmuth, Wilhelm 188 Wagner, Adolf 342 Fn. Wagner, Andreas 139 f, 301–303, 305 Fn., 382 f, 386 Waitz, Georg 188 Waldus, Petrus 241 Wallenstein, Albrecht Wenzel Eusebius von 331

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Personenregister Wallmann, Johannes 15 Fn., 17 f Fn., 292 Fn., 344 Fn. Walravens, Hartmut 67 Fn. Walther, Gerrit 165 Fn. Warneck, Gustav 305 Weder, Katharine 179 Fn. Wegscheider, Julius August Ludwig 376 Weichlein, Sieg fried 22 Fn., 347 Fn. Weigelt, Horst 115 Fn., 179 Fn., 181 Fn., 349 Fn., 355 Fn. Weitbrecht, Johann Jacob 99, 286, 381 Wellenreuther, Hermann 193 f Fn. Weller, Hieronymus 110 Wellhausen, Julius 136 Wendland, Walter 333 Fn. Werner, Karl 5, 46 Fn., 56 Fn., 80 f Fn., 155 Fn., 164 Fn., 192 Fn., 200, 201 Fn., 203–205 Fn., 224 Fn., 226 Fn., 230, 236 Fn., 246 Fn. Wesel, Johann von 114 f Wesley, John 118, 132 Fn., 241, 377 Fn. Wesseling, Klaus-Gunther 85 Fn., 114 Fn., 150 Fn., 152 Fn., 154 Fn. Westermann, Claus 217 Fn. Westermeier, Franz A. Bogislav 73, 75 Fn., 84, 116, 167, 266, 271 f, 273 Fn., 282 Fn., 286 f Fn., 336, 380 Weth, Gustav 24 Fn., 75, 104 Fn., 143 Fn. Weth, Rudolf 45 f Fn. Wette, Wilhelm Martin Leberecht de 134, 136 f, 142 Weymar, Ernst 24 Fn., 44 Fn., 54 Fn., 58, 191 f Fn. White, Hayden 165, 166 Fn. Whitefield, George 87, 132 Fn., 241 Wichern, Johann Hinrich 73, 101 f, 104, 194, 288 Fn., 309, 310 Fn., 316, 381 Wiggers, Julius 97 f, 291 Fn., 296 Fn., 299, 343 Fn., 381, 383 Wilberforce, William 74, 130

459

Wildenhahn, C. August 125 f, 167 Fn., 174 Fn., 342 f, 368 Fn., 381, 388 Wilhelm I., König von Württemberg 48, 50, 252 Fn., 332, 387 Williams, C. Peter 299 Fn. Williams, John 106, 133, 266 Winkler, Markus 359 Fn. Witek, Franz 271 Fn. Wittmann, Reinhard 18 Fn., 19 Wiwjorra, Ingo 310 f Wölfel, Dieter 69 Fn., 113 Fn., 122 Fn., 138 Fn. Wolfes, Matthias 125 Fn. Wolff, Joseph 129 Wülfing, Wulf 22 Fn. Wullschlägel, Heinrich Rudolf 89, 133 Würffel, Stefan Bodo 222 Fn. Wuttke, Heinrich 31 Fn. Wycliffe, John 87, 241 Zahn, Franz Ludwig 79, 84, 144 Fn., 162, 169, 177 f Fn., 192, 265 Fn., 276, 278 Fn., 282 Fn., 285 Fn., 287 Fn., 289 Fn., 291 Fn., 298, 328–330 Fn., 332 Fn., 335 Fn., 350–352 Fn., 357 Fn., 361 Fn., 364, 368 Fn., 371 Fn., 380, 383 Zahn, Theodor 79 Zarathustra (Zoroaster) 237, 287 Zaremba, Felician Martin von 155 Zeerleder, Margret 109 Fn. Zeller, Christian Heinrich 33 Fn., 88 Fn., 103, 144 Fn., 155, 290 f, 293 f Fn., 355 Zeller, Johannes 149 f Fn., 350 Fn., 356 f Fn., 375 Fn. Ziegenbalg, Bartholomäus 129, 132, 339 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von 44, 98, 120–122, 172 Fn., 226, 241, 292 Fn., 339–341, 388 Zschokke, Johann Heinrich David 89 Fn. Zwingli, Huldrych 52, 85, 241, 243 f, 282 Fn., 335–337

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460

Anhang

5. Themenverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

1. Die Erweckungsbewegung – Diskurs- und Deutungsgemeinschaft im Vormärz . . . . . . . . . . .

14

Kennzeichen 14 / Epocheneingrenzung 17 / Publizistik 18 / Geschichtsthema 20

2. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

Erinnerungsgeschichte und Gedächtnisforschung 21 / Geschichtsdenken der Erweckungsbewegung 23

3. Erkenntnisziel, Quellen und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

Doppeltes Ziel und Struktur 26 / Quellenarten und Verlage 27 / Zeitschriften 28 / Forschungsansatz und Vorgehensweise 30

I. Literatur- und Diskursgeschichte der erwecklichen Historiographie

. .

1. „In dem Fach der Geschichtschreibung die christlichere Richtung der neueren Wissenschaft“ – Weltgeschichten und Nationalgeschichten 1.1 Die historiographische Aufgabenstellung

35 35

. . . . . . . . . . . . .

37

1.2 Welt- und Nationalgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

Vorreiter 37 / eine gemeinschaftliche Pionieraufgabe 37 J. D. von Braunschweig 39 / H. Leo 41 / A. Bräm 45 / C. G. Barth 46 / J. L. Völter 49 / N. F. S. Grundtvig 51 / J. C. K. v. Hofmann 53 / E. Kappe 55 / J. C. Blumhardt 56 / H. Dittmar 57 / E. Eyth 65 / K. Gützlaff 66 / G. F. Müller 67 / F. Haupt 68 / G. H. Schubert 69 / F. Ehrenfeuchter 70 / Gemeinsamkeiten 70

2. „Das Reich Gottes ist einem Sauerteige gleich“ – Kirchengeschichten und Missionsgeschichten . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Wertschätzung der Kirchengeschichtsschreibung

72

. . . . . . .

72

2.2 Kirchengeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

J. Milner 74 / J. J. Heß 75 / A. Neander 76 / H. E. F. Guerike 78 / F. L. Zahn 79 / C. G. Barth 80 / J. W. Leipoldt 81 / E. W. Krummacher 83 / J. H. B. Dräseke 84 / F. A. B. Westermeier 84 / F. A. G. Tholuck 85 / W. Löhe 85 / reformatorischer Zeugendiskurs 86

2.3 Missionsgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbruchsstimmung und globaler Horizont 88 / H. N. Pearson 91 / W. Orme, W. A. Thomson 91 / J. J. Heß 92 / K. G. Leonhardt 92 / C. G. Blumhardt 92 / B. S. Steger 94 / W. Hoffmann 95 / F. W. Klumpp 95 / J. C. Blumhardt 96 / K. C. G. Schmidt 97 / J. Wiggers 97 / Brüderkirche 98 / F. Krohn 99 / J. J. Weitbrecht 99 / A. F. C. Mengert 100 / K. F. Ledderhose 100 / B. S. Steger 101 / „Boten“ und „Apostel“ 101 / J. H. Wichern 101 / J. H. Böttcher 102 / J. L. Völter 102

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88

461

Themenverzeichnis 3. „Belehrend, erwecklich und unterhaltend zugleich“ – Die Biographik 3.1 Bedeutung und Grundzüge der erwecklichen Biographik . . . . .

104 104

Einfluss von Lebensbeschreibungen 104 / Sterbeberichte 106 / Idealisierung und Realismus 107 / Hauptgestalten 108 / Frömmigkeit bekannter Personen 108 / Frauen 109

3.2 Sammelbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

110

Vorläufer 110 / Christen-Bote 111 / J. A. Kanne 112 / G. H. Schubert 113 / C. G. Barth 113 / G. C. Knapp 114 / C. C. Ullmann 114 / K. v. Raumer 115 / SonntagsBibliothek 115 / A. G. Rudelbach 116 / Th. Fliedner 116

3.3 Kirchengeschichtliche „Väter“-Biographien . . . . . . . . . . . .

117

A. Neander 117 / A. Rudelbach 117 / J. G. Vaihinger 117 / R. Southey 118 / P. W. Hoßbach 118 / H. E. F. Guerike 119 / J. C. F. Burk 120 / [K. A. Varnhagen v. Ense] 120 / K. F. Ledderhose 121 / G. H. Schuberts 122 / A. Knapp 122

3.4 Herrscherbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

C. A. Dann 123 / J. F. W. Bötticher 123

3.5 Historisch-biographische Romane . . . . . . . . . . . . . . . . .

124

C. G. Barth 124 / K. A. Wildenhahn 125

3.6 Autobiographien

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

J. H. Jung-Stilling 127 / L. Hofacker 127 / J. A. Kanne 128 / Herrnhuter Lebensläufe 128

3.7 Missionsbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

129

Internationalität 129 / C. G. Blumhardt 130 / J. Sargent 130 / H. N. Pearson 130 / A. Bond 131 / R. H. Herschell 131 / C. W. Isenberg 131 / K. Gützlaff 132 / K. C. G. Schmidt 132 / W. F. Besser 132 / H. R. Wullschlägel 133 / K. F. Ledderhose 133 / R. Vormbaum 133

4. „Unsere Beweisführung wird eine historische seyn“ – Schriften zur historisch-kritischen, paläontologischen und prophetiegeschichtlichen Verteidigung der Bibel . . . . . . . . . . . .

134

Infragestellung der biblischen Geschichte als Herausforderung 134

4.1 Pentateuchkritik und Urgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . .

135

F. H. Ranke 136 / E. W. Hengstenberg 137 / G. H. Schubert 138 / J. A. Wagner 138 / H. Dittmar 140

4.2 Das Buch Daniel und biblische Zukunftsprophetie

. . . . . . . .

141

E. W. Hengstenberg 141 / H. A. C. Hävernick 141 / J. C. K. Hofmann 142 / biblische Prophetie in Geschichtswerken 144 / L. Gaussen 144 / A. Keith 144

4.3 Die Evangelien und das Leben Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . H. Olshausen 147 / L. Usteri 148 / J. T. Hemsen 148 / Kontroverse um Strauß’ Leben Jesu 148 / J. C. F. Steudel 150 / J. G. Vaihinger 150 / G. C. A. Harleß 151 / W. Hoffmann 151 / J. E. Osiander 152 / J. Müller 152 / A. Neander 153 / A. Tholuck 154 / C. G. Barth 155 / Resonanz im Erweckungsmilieu 155

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146

462

Anhang

5. „Das predigt uns diese Geschichte laut“ – Zur Theorie der erwecklichen Historiographie

. . . . . . . . . . . .

157

5.1 Historische Sinnbildung jenseits von Auf klärungshistorie und Historismus . . . . . . . . . . . . . . .

158

Aufklärungshistorie und Historismus 158 / historia magistra vitae 159 / traditionale, exemplarische, kritische und genetische Sinnbildung 160 / historisches Bewusstsein 161 / Lernen aus der Geschichte 162

5.2 Geschichtspredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164

Persönlichkeitsbildung als Ziel 164 / literarische Gestaltung 164 / Nähe zur Predigt 166 / die Bibel als Deutungshilfe 168 / „Geschichtspredigt“ als Gattungsvorschlag 169

5.3 Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

Bibel- und Erbauungssprache 171 / religiöse Begriffsgeschichte 172 / „Geschichte“ 174 / „Fortschritt“ 174

5.4 Metaphorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

Geschichtsmetaphern 175 / lebensweltlicher und biblischer Hintergrund 176 / die Baummetapher 176 / die Himmelreichsgleichnisse als Bezugspunkt 177

5.5 Stellung zu Romantik und Idealismus . . . . . . . . . . . . . . .

178

Nähe zur Romantik 178 / Distanz zur Romantik 180 / Abgrenzung vom Hegelianismus 181

5.6 Objektivität und historische Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . .

183

Biblizismus 183 / Subjektivität und Objektivität 183 / Sind Epochen „unmittelbar zu Gott“? 185 / Zeiten beurteilen 186

5.7 Wissenschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187

Geschichtsforschung 187 / Behandlung sagenhaften Materials 188 / Stellung zur Wissenschaft 190

5.8 Historiographie und Erinnerungsmilieu . . . . . . . . . . . . . .

190

Schulgeschichtsunterricht 191 / Katechese und kirchliche Treffen 192 / Missionsausbildung 193 / Geschichtswissenschaft 195

II. C. G. Barths „Die allgemeine Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen bearbeitet für nachdenksame Leser“ (1837) – Detailanalyse eines Geschichtsbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197

1. Hintergrund des Werkes

200

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1. Entstehung und zeitgenössische Rezeption

. . . . . . . . . . . .

200

Entstehungsgeschichte 200 / Verbreitung 201 / Aufnahme 202

1.2. Quellen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

203

Umgang mit Quellen 203 / Andreas Bräm 204 / Karl August Osiander 205 / Gottfried Menken 206 / die Bibel 207

2. Christliche Geschichtsprämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theismus 209 / Providentia Dei 209 / Tun-Ergehens-Zusammenhang 211 / Verfall 213 / offenes Weltbild 214 / Jesus von Nazareth 214 / heilsgeschichtliche Teleologie 215 / die Bibel als Offenbarungsquelle 216 / Zukunftsprophetie 217

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209

463

Themenverzeichnis 3. Historiographische Gewichtungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

218

Untergliederung 218 / Geschichtszugänge 218 / Herrschergeschichte 218

4. Periodisierung, Chronologie und danielische Vier-Weltreiche-Lehre . .

220

Epocheneinteilung 220 / Chronologie 220 / die Weltreiche-Lehre als Gliederungsschema 221

5. Bengelsche Offenbarungsrezeption und Endzeitlehre

. . . . . . . . .

226

Bengels Eschatologie 226 / Anklänge in der Allgemeinen Weltgeschichte 227 / Israel 228 / der Antichrist 229 / das Millennium 229

6. National gefärbter Eurozentrismus

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

231

Lehre vom „Kreis der Geschichte“ 231 / zivilisatorische Kriterien der Geschichtlichkeit 231 / Verbindung mit christlichen Kriterien 233 / Deutschland 234 / Frankreich, England, Württemberg 235

7. Eckpfeiler einer protestantisch-pietistischen Religionsund Kirchengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

Religionen 237 / Islam 238 / Jesusbild 238 / Spuren der Wahrheit im Heidentum? 239 / Kirchenbegriff 240 / Wahrheitszeugen 241 / die katholische Kirche 241 / das Mittelalter 243 / die Reformation 243 / evangelische Identifikationsfiguren 244 / die Aufklärung 244 / Weltmission 245 / konfessionelle Geschichtsschreibung? 246

8. Konservativ-christliche politische Ordnungsvorstellungen . . . . . . .

247

Ordnung und Legitimität 247 / Monarchie 248 / Verfassungen 249 / der Herrscher 249 / Republik 250 / Revolution 251 / Restauration 252 / balance of power 253 / Krieg und Frieden 255 / Staat und Kirche 256

9. Gesellschafts- und Gegenwartsanalysen

. . . . . . . . . . . . . . . .

257

Pauperismus 257 / Luxuskritik 258 / industrielle und technische Revolution 259 / Bildung 260 / Sonderstellung der Gegenwart 261

III. Geschichtsbilder der Erweckungsbewegung – Schwerpunktthemen und Deutungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . .

263

1. „Fortschreitende Entwickelung des göttlichen Erziehungsplans“ – Heilsgeschichte in der Weltgeschichte . . . . . . .

263

1.1 Göttliche Vorsehung und Theodizee

. . . . . . . . . . . . . . .

263

Gott als Lenker der Geschichte 263 / Zulassung des Bösen 266 / Verirrungen der Kirche 267 / Verdienste des Christentums 269

1.2 Die klassische Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

270

Stellung zum Neuhumanismus 270 / Platon und Sokrates als tugendhafte Philosophen 271 / Makel der heidnischen Antike 272 / antike Klassik und christliche Pädagogik (ZPK 1838) 273

1.3 Die Weltreiche und das Reich Gottes . . . . . . . . . . . . . . .

275

„Reich Gottes“ als Geschichtsbegriff 275 / herausragende Epochen 276 / Verhältnis zu den Weltreichen 277 / Allianz von Staat und Kirche 278 / Gegenstimmen 280 / gewaltlose Ausbreitung 282 / Weltreiche-Lehre 283 / Endzeiterwartungen 284

1.4 Paulinische Religionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfallsgeschichte der Religion 285 / Ahnungen der göttlichen Wahrheit 287 / religiöse Weltkarte 287 / Islam 288

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285

464

Anhang

1.5 Israel und die Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289

Vorsehung in der jüdischen Geschichte 290 / der Irrweg des Judentums 291 / Mitgefühl mit den Leiden der Juden 291 / Israels Zukunft 292 / zeitgenössisches Judentum 294 / Judenemanzipation 294

1.6 Geschichtsvölker, Kaukasier und Jafetiten . . . . . . . . . . . . .

295

Historische und geschichtslose Völker 295 / Übernahme und christliche Modifikation der Einteilung 296 / zivilisatorische Mission Europas? 298 / unterschiedliche Aufnahme von Blumenbachs Rassenlehre 301 / Ablehnung der Polygenese 302 / Noahs Weissagung 303 / das Schicksal Afrikas 304

2. „Ein Spiegel unserer Herzen“ – Geschichte als Identitätsspenderin . . .

306

2.1 Nationalität und Transnationalität . . . . . . . . . . . . . . . . .

306

Föderativer Nationalismus 306 / keine Absolutsetzung der Nation 309 / Völker und „Nationalcharakter“ 309 / die Germanen 310 / auserwählte Völker? 313 / Preußen 314 / Württemberg 315 / Deutschland 316 / England 316 / Frankreich 317 / christliche Internationale 319 / die himmlische Heimat 321

2.2 Der christliche Herrscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

323

Gottesgnadentum 323 / Ablehnung der Revolution 324 / Absolutismuskritik 325 / der Staat als Familie 326 / Verfassungen 327 / Früchte des Christentums 328 / Karl der Große 329 / Ernst der Fromme 330 / gerechte Kriege? 330 / zeitgenössische Monarchen 332

2.3 Vorgängerbewegungen – Reformation und Pietismus . . . . . . .

333

Zwei unterschiedliche Reformbewegungen 333 / Bedeutung der Reformatoren 334 / Luther als Glaubensheld 336 / Grenzen eines Luther-zentrierten Geschichtsbildes 336 / konkurrierende Lutherdeutungen 338 / Bedeutung der Pietistenväter 339 / Spener 339 / kritische Stimmen 340 / „Pietismus“ als Etikett 341

2.4 Historische Gegner – Katholizismus und Auf klärung . . . . . . .

344

Abwege der katholischen Kirche 344 / Geschichtsstreit mit der ultramontanen Presse 346 / Positives zur katholischen Kirche 347 / der Irrweg der Aufklärung 349 / Freidenker 351 / Fürsten 352 / Pädagogen 354 / Pestalozzi 354 / Schleiermacher 355

2.5 Die Urerfahrung 1789 bis 1815 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

356

„Tiefe Erschütterung“ 356 / die Französische Revolution 357 / Napoleon 359 / die Befreiungskriege 360 / Hungersnot und Missionsbewegung 362 / zwei mythisch verwendete Szenen 363

2.6 Gegenwart und Modernität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

365

Ambivalente Zeitdeutung 365 / die Gegenwart als Epochenschwelle 368 / Beschleunigung 369 / Einordnung der eigenen Bewegung 370 / antimodernes Selbstverständnis? 372 / gefühlter Modernitätsvorsprung 373 / neue Dechristianisierung und gefühlter Modernitätsrückstand 374 / Gewissheit jenseits der Historie 377

Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-55014-4 — ISBN E-Book: 978-3-647-55014-5

379