Weltreich und Weltfriede: Vortrag gehalten zum Besten des Gustav-Adolf-Vereins in Freiburg am 11. Oktober 1916 [Reprint 2019 ed.] 9783111484808, 9783111118086


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Weltreich und Weltsriede
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Weltreich und Weltfriede: Vortrag gehalten zum Besten des Gustav-Adolf-Vereins in Freiburg am 11. Oktober 1916 [Reprint 2019 ed.]
 9783111484808, 9783111118086

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Weltreich und Weltsriede Vortrag gehalten zum Besten des Gustav-Adolf-Bereins in Freiburg am 11. Oktober 1916

von

E. -Schwartz Professor an der Universität Straßburg

-Straßburg

Verlag von Karl I. Trübner 1916.

Alle Rechte Vorbehalten

Druck von M. DuMont Schauberg, Straßburg.

Es ist eine schwere Aufgabe, in der jetzigen Kriegszeit als vaheimgebliebener zu vaheimgebliebenen zu reden. Unter denen, die vor mir sitzen, ist niemand, an dessen Türe nicht die Sorge pocht, und nur zu wenige, in deren Haus nicht die Trauer als dauernder Gast eingekehrt ist. Alles Denken und Fühlen wendet sich immer wieder, wie die Magnete zum Pol, dem Kampf um die Größe, die Unver­ sehrtheit, das Dasein des Vaterlandes zu. Jeder muß jeden Tag von neuem sich Nut und Zuversicht erkämpfen, den Druck und die Spannung immer wieder und erst recht über­ winden, wenn sie sich bis zum Unerträglichen steigern; diese Pflicht kann ihm kein Redner abnehmen, wären ihm auch Engelszungen verliehen. Und doch habe ich geglaubt der Aufforderung, hier zu sprechen, mich nicht versagen zu dürfen, weil, wer jetzt einer Darbietung, die geistig wenigstens sein will, lauscht und seine Seele, wenn auch nur für eine kurze Spanne Zeit, stille werden läßt, eine Tapfer­ keitsleistung vollbringt, durch die er sich unserer Brüder nicht ganz unwürdig erweist, die draußen, in (bst und West, Tag und Uacht mit übermenschlicher Aufopferung die Fluten eines wahnsinnigen Völkerhasses zurücküämmen und ihr Blut dafür hingeben, daß dem deutschen Geist die große und freie Heimat bewahrt bleibt. Nicht um den Krieg auch nur einen Augenblick zu vergessen — das sei ferne, — nein, um klaren und ruhigen Sinnes zu bleiben, uns vor Kleinmut, Dumpfheit, nichtigem Gezänk zu bewahren, wollen wir den Blick schweifen lassen über vergangene Epochen; wenn die Geschichte auch auf keine Frage der Gegenwart eine direkte Antwort gibt, so verleiht sie doch dem Nachdenken weite

4 und Größe, wie eine Zeit von schreckenvollster Erhaben­ heit sie bedarf. In langen Iriedensperioden oder in Ländern, die. wie die vereinigten Staaten, vor einem Existenzkriege sicher zu sein glauben, pflegt das Phantom eines dauernden Weltfrie­ dens aufzutauchen und um so mehr Gläubige zu finden, je un­ vorstellbarer einem friedegewohnten Geschlecht der Krieg wird. Der Kulturstolz, den solcheIriedenszeiten erzeugen und nähren, läßt die kriegerischen Epochen der Vergangenheit leicht als ein mehr oder weniger überwundenes Stadium der Entwicklung erscheinen und verleitet immer wieder dazu, die geschichtliche Erfahrung zu vergessen und Theorien von einem Weltfrieden zu konstruieren, der auf rechtlichen und moralischen Grundsätzen basiert sei: daß der faktische Iriedenszustand stets lediglich durch eine bestimmte Kräfte­ verteilung, nicht durch ein nur in der Idee existierendes Völkerrecht aufrechterhalten wird, pflegt um so leichter übersehen zu werden, je länger die unerbittliche Macht­ probe des Krieges ausbleibt, wenn die pazifistischen Schwärmer sich zu konsequentem venken entschließen wollten, müßten sie als die notwendige Voraussetzung ihres Ideals ein Weltreich postulieren von so machtvoller Über­ legenheit, daß jeder versuch, sich seiner direkten oder in­ direkten Botmäßigkeit zu entziehen, aussichtslos wäre: sie müßten dies um so eher, als die längste Iriedensperiode, welche die Geschichte kennt, tatsächlich durch ein solches Weltreich herbeigesührt und aufrecht erhalten ist. Dos Imperium Romanum hat, seitdem Llugustus nach Beendi­ gung der Bürgerkriege und der Eroberung Ägyptens den Ianustempel schloß, über 200 Jahre, viele Generationen lang, unter der Fax Augusta, dem Kaiserfrieden gestanden. Nur ein einziges Mal, bei dem Sturz der claudischen Dynastie, flammte der Bürgerkrieg, der damals nur noch ein Krieg zwischen den Kaiserheeren sein konnte, für ein Jahr wieder aus: eine Erneuerung des kaiserlichen Regiments machte ihm rasch ein Ende für lange Zeit. Vie nur selten aussetzenden, meist defensiven Kämpfe an den Grenzen störten

5 den Reichsfrieden so wenig, wie eine heutige Großmacht durch Kolonialkriege sich in ihrer Existenz bedroht fühlt; gelegentliche, die gloire der kaiserlichen Armee mehrende Eroberungen bedeuteten für das allgemeine Bewußtsein so viel oder so wenig wie die unausbleiblichen militärischen Rückschläge oder diplomatischen verzichte. Kriege sind im römischen Reich zur Sage geworden, sagt ein griechischer Schriftsteller unter Rntoninus Pius mit vollem Recht. Vas Reich umfaßte die Wittelmeerländer im weitesten Sinne; Rhein, Donau und Euphrat, im Süden die Mlkatarakte und die wüste, im Osten der Ozean bildeten seine Grenzen; England war der äußerste Vorposten. In diesem ganzen Gebiet entwickelte sich unter dem Kaiserfrieden ein materielles Gedeihen, ein yochstand der äußeren Zivilisa­ tion, wie nie zuvor und, wenn man die Betrachtung auf die Wittelmeerländer beschränkt, auch nie nachher. Ohne Schranken und Gefahren vermittelte der handel die Pro­ dukte dieser von der Natur gesegneten Landstriche; das Prestige des Reichs deckte ihn sogar noch weit über die Grenzen hinaus: bis Zanzibar, Südarabien, Indien wagten sich die Schiffe, und über der chinesischen Karawanenstratze, die das kostbarste Produkt des fernen Ostens, die Seide, durch die tibetanischen Steppen und über die eisigen Pässe des Pamir brachte, lag damals im Okzident das Geheimnis nicht, das später diese Pfade mit einem undurchdringlichen Nebel bedeckte. Gin Netz eisenfester Straßen, die vielfach heute noch dem Gebrauch dienen, überzog die Länder; bis in die entlegensten öergtäler, an den Rand der wüste, in die winterliche Kälte des Nordens erstreckten sich wuchtig, wie für eine ewige Dauer bestimmt, die Thermen, Theater, Wasserleitungen, Brücken, Wachttürme, Grenzwälle—Bauten, deren spärliche, von den Jahrtausenden zernagte Reste jetzt noch mit unmittelbarer Eindringlichkeit von der Kraft des den Weltfrieden erzwingenden Weltreichs zeugen, was diese Ruinen ahnen lassen, bestätigen Geschichte und Litera­ tur: all jene Gebiete, in denen einst uralte orientalische Kulturen, die nur zu geistiger Einheit fähige Zersplitte-

6 rung der Hellenen, die durch militärische und diplomatische Technik geschossenen und zusammengehaltenen hellenistischen Monarchien, die noch ungebrochene Naturkraft der Kelten, Iberer, Nordafrikaner in wechselvoller Mannigfaltig­ keit ihre blutigen, leidvollen Schicksale erlebt hatten, sie lagen, unter dem Regiment der Täsaren geeint, im Schimmer eines von keiner Gefahr bedrohten Friedens so ruhig da, wie das zwischen ihnen flutende Meer an einem windstillen Sommertag; wie alle Kämpfe und Kriege ver­ hallt, zu einer keine Leidenschaften mehr weckenden Unter­ haltung müßiger Stunden geworden waren, so rührte sich, von vereinzelten Rufwallungen und Resten alter Unab­ hängigkeit abgesehen, in dem ungeheuern Völkergemenge kein nennenswerter widerstand gegen das kaiserliche Rom. Der Gallier, Spanier, Numidier sah ohne Bitterkeit und Sträuben seine angeborene Art und Sprache vor der latei­ nischen Zivilisation dahinschmelzen wie Schnee an -er Sonne, der griechische Redner und der ägyptische Priester glaubten ihrer Vergangenheit kein Unrecht zu tun, wenn sie dem Kaiser mit einer auch über das verlangte hinaus­ gehenden Loyalität huldigten; ja, selbst die Juden, die als einziges Kulturvolk noch einen nationalen widerstand ge­ wagt und entsetzlich gebüßt hatten, die Thristen, denen der Kaiserfriede rechtlich entzogen war, beteten pro salute Caesaris zu ihrem Gott, was nie zuvor und nie nachher erreicht ist, hier war es eine, viele Menschengeschlechter überdauernde Wirklichkeit geworden: ein Weltreich, gegen besten Weltfrieden niemand auch nur wünschte sich aufzu­ lehnen. Gin griechischer Lobredner des kaiserlichen Rom schließt den vergleich zwischen der Zwist- und jammer­ reichen hellenischen Vergangenheit und der strahlenden Gegenwart mit den Worten ab: „wie jede Kunst ihrem Material entspricht, so hat sich erst, als die Herrschaft ihre volle Größe, die Macht ihre höhe erreichte, die Kunst des herrschens gebildet; beide sind durch einander gekräftigt: durch die Größe der Herrschaft gewann die Erfahrung -es

7 herrschens notwendig an Kraft und durch die Fähigkeit, gerecht und billig zu herrschen, wuchs die Herrschaft." Der kränkliche, abergläubische Rhetor, dem die klassizistische Form der Kunstrede das Ziel des Strebens war, erhob nie den Anspruch ein Geschichtsschreiber zu sein; trotzdem ent­ halten jene fein gedrechselten Sätze eine für alle Seiten gültige historische Wahrheit, wie das Sein des einzelnen Menschen nicht von Geburt an wie in einem Keim fertig vorgebildet daliegt, sondern erst durch das, was er handelnd und leidend erfährt und erlebt, sich, wachsend, reisend und verfallend immer von neuem formt, so ist auch Wesen und Art der Völker mit Nichten etwas von vornherein Be­ stimmtes, sondern entsteht erst in der Seiten langem Lauf, in einem fortwährenden wechsel des Beharrens und Neu­ werdens. Weltmacht und Weltherrschaft sind kein Schicksal, das mit gewissermaßen astrologischer Notwendigkeit einem dazu prädestinierten Volk zufällt, sind ebensowenig die logisch sich ergebende Folge dieser oder jener Anlagen und Eigenschaften. Sie kommen immer nur unter besonders günstigen Umständen in meist sehr langsamer Entwicklung zustande, und das Volk, das sie gewinnt, lernt die Kunst des Aneignens und herrschens erst durch die Übung von Generationen, bis schließlich sich das Voppelverhältnis bildet, das dem griechischen Rhetor jene geistvoll formu­ lierte Bewunderung römischer Herrschaft und römischer Herrscherkunst entlockt. wie Rom nicht in einem Tage gebaut ist, so läßt sich auch in der knappen Frist, die einem Vortrag zuge­ messen ist, kein Bild davon zeichnen, wie die Römer all­ mählich, durch zähe, immer wieder den Verhältnissen sich anpassende Benutzung unvergleichlich günstiger Umstände die alleinigen Beherrscher der Wittelmeerländer, d.h. der damaligen Kulturwelt geworden sind. Nur einige, aus dem verlaus der Ereignisse sich ohne weiteres heraushebende Beobachtungsreihen mögen hier kurz skizziert werden. Der letzte, auf die Dauer stets des Erfolges sichere Hebel ihrer wacht war ihre militärische Überlegenheit; sie beruhte nicht

8 auf einer naturhaften, der keltischen oder germanischen ver­ gleichbaren Tapferkeit oder auf einer von genialen Persön­ lichkeiten immer wieder geübten Strategie — die römischen Heerführer und gar die Flottenkommandanten haben oft versagt —, sondern auf einer Heeresorganisation, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erwachsen war, was als die eigentümlichste Leistung des römischen Gemein­ wesens angesehen werden muß, der Einigung der italischen Stämme zu einem Wehrbund unter der Führung Roms. Es war das mit Nichten ein nationaler Staat im modernen Sinne des Wortes, aber doch eine politische Form, die der römischen Regierung eine Volkskraft von einem Umfang und einer Unerschöpflichkeit zur Verfügung stellte, wie sie weder die Handelsrepublik Karthago noch die hellenistischen Mo­ narchien besaßen, eine Form ferner, die durch ein prak­ tisches System von Koloniegründungen und Austausch der Bürgerrechte Italien zugleich mit Zentren römischen Wesens durchsetzte und der römischen Bürgergemeinde fortwährend neues Blut zuführte. Als dieser merkwürdige Bundesstaat festgefügt und in sich geschlossen in die Mittelmeerwelt eintrat, gab es in ihr noch eine stattliche Reihe von Mächten mit hochentwickelter materieller und geistiger Kultur, im Besitz einer glänzen­ den militärischen und politischen Tradition, aber keine, die dem gefährlichen, halbbarbarischen Neuling eine politisch zusammengefaßte nationale Kraft hätte entgegenstellen können. Den mutigsten und zähesten widerstand fand er sogar bei einer Stadt, die am weitesten von einem National­ staat entfernt war, der punischen Republik an der Nord­ spitze Afrikas, die als eine Zwingburg sich zwischen und über eine rasse- und sprachfremde eingeborene Bevölkerung gesetzt hatte und ihre Kriege nur mit Söldnerheeren führen konnte, die ihr selbst unter Umständen gefährlich wurden. Aber die klugen Handelsherren verstanden es, die Numider, ja auch die Spanier für sich zu gewinnen, und brachten aus ihrer Mitte Generale hervor, die aus diesen ungezügel­ ten Kräften furchtbare Heere aufstellten und führten; erst

9 als Rom es ebenfalls gelernt hatte, Iberer und Afrikaner seinen Interessen dienstbar zu machen, gelang es ihm, die Rivalin aus die Knie zu zwingen. Vie Hellenen, die sich mit nicht ganz unberechtigtem, wenn auch für sie verhängnisvollem Stolz das Monopol der Kultur zuschrieben, haben den Römern mehr geholfen als widerstanden. Sie waren zwar durch ihr literarisches und künstlerisches Schaffen eine geistige Einheit von kulturell unbesieglicher Widerstandskraft geworden, aber in der poli­ tischen Entwicklung den umgekehrten weg wie die Italiker gegangen. Nachdem die versuche der stärksten Einzel­ gemeinden, sich die anderen zu unterwerfen, immer wieder mißglückt waren, entschied sich schließlich das Hellenentum in Theorie und Praxis für den Grundsatz, daß der autonome Stadtstaat die einzige politische Form sei, in der der freie Hellene existieren könne. Dem makedonischen Königtum, das immer wieder, mit sanfterem oder strengerem Zwang, der Zersplitterung ein Ende zu machen versuchte, half es nichts, daß Alexander an der Spitze eines Hellenenbundes den persischen Erbfeind seines Reiches beraubt hatte; die Griechen des Mutterlandes sahen in eben diesem Königtum, obgleich es der hellenischen, nicht etwa einer nicht vorhan­ denen makedonischen Kultur ungeahnte weiten erschlossen hatte, ihren schlimmsten Feind, wenn sie auch aus eigener Kraft ihm nicht widerstehen, geschweige denn es besiegen konnten, so bildeten sie doch durch ihre Bereitwilligkeit, sich jedem Gegner anzuschließen, für es eine beständige Ge­ fahr, und diese Gefahr war groß genug, um die Entwick­ lung grade der hellenistischen Monarchie zu hemmen und zu lähmen, die durch die Einheitlichkeit und Tüchtigkeit des durch ein einzigartiges Treuverhältnis mit seinen Königen verbundenen Makedonenvolkes an und für sich mehr Lebens­ kraft und Anspruch auf geschichtliche Dauer hatte als die glänzenderen, mit materiellen Mitteln reicher ausgestatteten Reiche der Seleukiden und Ptolemäer. Diese waren zwar in den ersten Generationen ihres Bestehens durch un­ gewöhnlich bedeutende Herrscher, eine vorzüglich organi-

10 fierte, humane Verwaltung und eine energische Förderung griechischer Wissenschaft und Technik geradezu Musterbilder eines aufgeklärten Absolutismus gewesen, aber sie hatten von vornherein daraus verzichtet, den soldatischen Hochmut der Makedonen, den Bildungsstolz der sich in ihren Städten absondernden Hellenen und die dumpfe, passive Resistenz der Orientalen so zu überwinden, daß aus den heterogenen Massen ein neues, der Einheit wenigstens zustrebendes Tanze sich zusammenkristallisieren konnte: auch nur die Ansätze eines Reichsbürgerrechts haben sich nie in ihnen entwickelt. Als sie mit Rom zusammengerieten, hatten sie ihre höhe schon überschritten; die ritterliche Urkraft der makedonischen Fürstengeschlechter war in scheußlichen Fa­ milienzwisten und seniler Dekadenz verbraucht, und das einheimische, orientalische Wesen drang von außen und innen in bedrohlicher Reaktion gegen die makedonisch­ griechische Herrschaft vor. Vas Schlimmste war, daß die hellenistischen Monarchien, in ihren aufreibenden Rivali­ tätskämpfen um Grenzländer und die Herrschaft über das ägäische Meer befangen, die von Westen heraufziehende Ge­ fahr nicht sahen; sie duldeten es, daß der Rest der West­ griechen, der sich seine Unabhängigkeit bewahrt hatte, eine Beute der Römer wurde, sie unterstützten den Makedonenkönig nicht, als er dem genialen Karthager bei dem heroischen versuch, den italischen Bund zu sprengen, einen, allerdings ungenügenden und schwächlichen Beistand leistete, und ließen von ihren Zänkereien nicht ab, als Rom durch den Angriff aus Makedonien den Kampf gegen sie alle ein­ leitete. Es gewann das Spiel, wesentlich durch die teils in den Verhältnissen begründete, teils selbstverschuldete Schwäche seiner Gegner. Sieben Menschenalter waren nach dem Beginn des Krieges mit Karthago verflossen, da sah sich Rom als die unumschränkte Herrin der damaligen Kulturwelt. (Es hatte damit nicht etwa ein einmal aufgestelltes politisches Pro­ gramm verwirklicht; als es die Hand auf Sizilien legte,

11 ahnte es noch nicht einmal den Zusammenstoß mit den hellenistischen Monarchien, und dachte bei dem Angriff auf Makedonien noch nicht daran, daß dieser in ferner Zukunft einmal an den Ufern des Euphrat und Nil zum Stehen kommen werde. Noch viel weniger fiel es den klugen Poli­ tikern am Tiber jemals ein, sich einer eifersüchtigen Welt als die kommende und berufene Weltmacht selbst vor­ zustellen; sie redeten nie von Weltpolitik, wenn sie sie noch so energisch betrieben, sondern pflegten lieber die nützlichere Kunst, immer die Angegriffenen zu spielen und sich als Be­ schützer irgend einer unterdrückten Freiheit aufzutun. Sie hatten das um so leichter, als die griechischen Stadtstaaten ohnehin in beständigem offenen oder geheimen Kampf mit den Königreichen lagen; ihre verfallene republikanische Vergangenheit erhielt durch den zuerst sehr gnädig aus­ tretenden Schutz des mächtigen Freistaats eine neue Poli­ tur; diese sich auch auf das Geistige übertragende Verbin­ dung, die Rom an Stelle der hellenistischen Großstädte mehr und mehr zum Brennpunkt des griechischen Lebens machte, hat den inneren Zerfall der hellenistischen Monarchien wesentlich beschleunigt. So rücksichtslos und brutal die römische Politik trotz aller schönen Vorwände ausschließlich für ihre eigenen Interessen sorgte, so vorsichtig war sie mit eigentlichen Eroberungen. Sie annektierte, namentlich in der ersten Zeit, nur sehr wenig, im Osten so gut wie nichts, und begnügte sich, solange es irgend ging, mit einem System abhängiger und wehrloser Kleinstaaten, die erst dann auch den Schein der Selbständigkeit verloren, wenn sie von der geschenkten Freiheit einen nach römischer Meinung gefähr­ lichen Gebrauch machten. Denn je behutsamer die römische Republik ihren direkten Landbesitz erweiterte, um so strenger wahrte sie das Prestige ihrer unbedingten Über­ legenheit. Gs kam nicht selten vor, daß sie ihre Kriege an­ fänglich nachlässig führte und Schlappen auch von Gegnern erlitt, die ihr nicht ernsthaft gefährlich werden konnten; solche Erfolge sind den Feinden Roms immer Verhängnis-

12 voll geworden: sie mußten sie mit der völligen Vernichtung büßen, damit die Welt lerne, sich vor nichts mehr zu hüten, als Rom zu besiegen. Es konnte nicht ausbleiben, daß diese ungeheure Machterweiterung auf die Sieger um so übler zurück­ wirkte, je weniger die Furcht vor einem ebenbürtigen Gegner ihrem Herrschaftswillen einen heilsamen Saum anlegte. Vie konsequente vurchführung der weltbezwingen­ den Politik war nur möglich gewesen durch eine Oligarchie, die die militärische Überlegenheit des italischen Sundes mit der diplomatischen Geschmeidigkeit und Sicherheit hand­ habte, wie sie nur eine lange, zur ,Erbweisheit< werdende Tradition erzeugt und gewährleistet; eben an ihren Er­ folgen und ihrer Tradition ist diese Oligarchie schließlich zugrunde gegangen. In den widerstandslosen Besitz der Macht gelangt, wurde sie zu einem furchtbaren Beispiel für das Böse der Macht. Mit der so gut wie schrankenlosen Amtsgewalt ausgestattet, die der römische Beamte im Be­ reich der militärischen Kompetenz und vor allem gegenüber dem Richtbürger besaß, sahen diese Nobili in den Provinzen nichts als klusbeutungsobjekte; höchstens die Großkapita­ listen und Steuerpächter trieben es noch ärger, nur zu oft wurde das Plünderungsgeschäft gemeinsam gemacht. Nie­ mals hat die Welt eine so verwüstende Mißwirtschaft, ein solches Llnhäufen von Reichtümern in den Händen weniger und eine so schamlose Korruption gesehen wie in dem letzten Jahrhundert der römischen Republik; daß einzelne Persön­ lichkeiten, wesentlich unter dem Einfluß griechischer philo­ sophischer Ethik, sich reinhielten in diesem Meer von Hab­ gier und Ehrgeiz und gegen den Strom zu schwimmen versuchten, änderte an dem Ganzen so gut wie nichts. Eine solche Fülle mißbrauchter Macht mußte zu fürchterlichen Krisen führen, nicht von seilen der Unterdrückten — die waren wehrlos —, aber durch die Kämpfe unter den herrschenden selbst; in immer wieder einsetzenden Revolu­ tionen brach das Senatsregiment der stadtrömischen Uobilität vor den klugen der von ihm besiegten Welt allmählich

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zusammen. Vie Struktur des römisch-italischen Bundes­ staats veränderte sich von Grund aus. Dadurch, daß die italischen Bundesgenossen sich das volle römische Bürger­ recht erkämpften, wurde der Anspruch der stadtrömischen Bürgerschaft durch die Wahl der Beamten und die Gesetz­ gebung die letzte staatliche Machtquelle zu sein, eine auf die Dauer nicht haltbare Fiktion. Zugleich fanden die römi­ schen Generale es militärisch richtiger und für ihre persön­ lichen Zwecke vorteilhafter, wenn sie ihre Heere nicht mehr aus der gesamten Bürgerschaft aushoben, sondern aus den unteren Klaffen Berufsarmeen bildeten, die sie durch die Aussicht aus Beute und Versorgung zu ergebenen Werk­ zeugen ihrer Pläne machten; der Senat, einst der Herr der Welt, bedeutete jetzt nur solange etwas, als es diesen Gene­ ralen beliebte, seine Autorität anzuerkennen. wenn die Welt nicht zu einem Hexenkessel der wildesten Leidenschaften werden sollte, bedurfte es eines starken Mannes, der in dem Chaos Ordnung schaffte. Gr mutzte aus der herrschenden Oligarchie selbst heroorgehen, da nur diese im Besitz der politischen und militärischen Machtmittel war, und nicht nur von rücksichtsloser Willenskraft, son­ dern vor allem ein überragendes Genie sein: nur ein un­ bedingter Erfolg ermöglichte und rechtfertigte die unerlätzliche Zertrümmerung der einer inneren Erneuerung un­ fähigen oligarchischen Tradition. Damit schien freilich auch gegeben zu sein, datz die Weltherrschaft ihren römischen Charakter einbützte: wie sollte dieser sich behaupten, wenn das eigenartigste Gebilde des römischen Staats, das im Wesen oligarchische, der Form nach aus Volkswahlen her­ vorgehende Senatsregiment nicht mehr der Schwerpunkt des Ganzen war? Datz die Republik der Militärmonarchie weichen mutzte, war durch die Siege Cäsars und die Unüberwindlichkeit seiner ihn selbst überdauernden Legionen ent­ schieden: die letzte Phase der Revolutionskämpfe drehte sich darum, ob aus dem Imperium Romanum eine über­ nationale Weltmonarchie mit dem Mittelpunkt im Osten werden solle oder ob sich Formen finden Hetzen, die das,

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was die Zeit forderte, mit den Überlieferungen der repu­ blikanischen Vergangenheit vereinigten und damit die Kontinuität des römisch-italischen Staates sicherten. Der große Täsar, radikal wie alle genialen Herrschernaturen, war entschlossen, den Senat zu entnationalisieren, die Hauptstadt zu verlegen und nach der Eroberung des Ostens sich das Diadem Alexanders aufs Haupt zu setzen: die Oli­ garchie, ohnmächtig ihn auf dem Schlachtfeld zu besiegen, räumte ihn mit feigem Mord hinweg. (Es war ein Glück für die gequälte Welt, daß es seinem Adoptivsohn, dem klugen Täsar Augustus, gelang, den Kompromiß zu schließen, der endlich dem Reich den Brieden gab: die republikanische Magistratur und der Senat blieben der Form nach bestehen; er selbst begnügte sich als Führer des Senats, als berufener Vertrauensmann des römischen Volkes und als oberster Kriegsherr des Reichsheeres, die Machtfülle in seiner Hand zu vereinigen, die nötig war, um den äußeren Frieden und die innere Wohlfahrt aller Teile des Reiches zu sichern. Das treibende Motiv dieser groß gedachten Selbstbeschränkung war das vestreben, das römisch-italische Wesen zu erhalten und zu erneuern. Den Senat und die Robilität hoffte der Kaiser dadurch sittlich zu regenerieren, daß er sie als seine Organe an der Reichs­ verwaltung beteiligte; er erreichte wenigstens soviel, daß in den Provinzen an Stelle des fürchterlichen Mißregiments der Oligarchie eine, im großen und ganzen menschliche und gut geordnete Verwaltung trat. Zum Heerdienst sollten zwar alle Teile des Reiches, die über eine wehrhafte Beoölkerung verfügten, herangezogen, aber dadurch, daß der Dienst in der Garde und den Legionen an das römische Bürgerrecht geknüpft wurde, die Präponderanz der Italiker gewahrt werden. Die schweren Versäumnisse, die das oli­ garchische, nur auf Plünderungen und zweifelhafte mili­ tärische Lorbeeren erpichte Gligarchenregiment sich in den noch unzivilisierten Gebieten des Westens hatte zuschulden kommen lassen, holte Augustus nach, indem er, das von seinem Adoptivvater durch die Eroberung Galliens be-

15 gönnens Werk fortsetzend, den unabhängigen Rest Spaniens und die Gebirgsvölker an den Nord- und (vstgrenzen Gberitaliens unterwarf: damit waren der lateinischen Zivilisa­ tion weite Länder zur Expansion und friedlichen Eroberung erschlossen; zahlreiche Veteranenkolonien arbeiteten mit überraschend schnellem Erfolge diesem Ziele zu. Zu einem Weltreich gehört eine Weltkultur, deren be­ redteste und sichtbarste Zeugen Literatur und Kunst sind. Vie römische Literatur war von Anfang an eine Schülerin und Nachahmerin der griechischen gewesen, ohne darum auf die eigene Art zu verzichten; ihre Geschichte ist in der republikanischen Zeit ein auf- und abwogendes Ringen der nationalen Sprache und Denkweise mit den Formen und Ideen der hellenischen Vorbilder. In der fieberhaft erregten Revolutionszeit sproß, ein merkwürdiges Schauspiel in dieser Welt voller Greuel und Verderbnis, eine Fülle von rednerischen und dichterischen Talenten hervor, die jenen Ausgleichungsprozeß mit genialem Schwung und straffster künstlerischer Arbeit förderten. AIs das Weltreich von Augustus neu begründet war, hatten die Schriftsteller und Redner der letzten republikanischen Epoche, vor -allem Ticero, eine Prosa geschaffen, die neben dem Griechischen eine gebildete Weltsprache sein konnte, weil sie imstande war, griechische Weltanschauung und Wissenschaft zu ver­ mitteln; daß Augustus eine vichtergeneration um sich scharen und fördern konnte, in deren besten Vertretern das durch den Kaiserfrieden neu gestärkte, jetzt mit dem Stolz der Weltherrschaft erfüllte römische Selbstbewußtsein sich mit souveräner Seherrschung der hellenischen Formen ver­ einigte, war ein Glücksfall, wie er der Poesie und einem Weltherrscher nur selten zuteil wird: Alexander war er versagt geblieben. Rom wurde auch geistig die Herrscherin der Welt; weder in Prosa noch in Poesie konnten die da­ maligen Griechen irgendwie mit den lateinischen Produk­ tionen jenes Zeitalters wetteifern. In den bildenden Künsten blieben jene freilich die Weister; doch bot der kaiserliche Wille, aus dem unordentlich gebauten, äußerlich

16 unscheinbaren republikanischen Rom eine Prunkstadt zu schaffen, die es mit den großen hellenistischen Zentren auf­ nehmen konnte, der Architektur eine um so glänzendere Aufgabe, als sie um die Mittel nicht verlegen zu sein brauchte: es erstand eine Bautenpracht, an deren Ruinen noch nach Jahrtausenden eine neue künstlerische Schaffens­ kraft sich entzünden sollte. So sah es so aus, als sei die Weltherrschaft, die das römisch-italische Wesen an den Rand des Untergangs ge­ bracht hatte, ihm mehr noch als der Welt schließlich zum Segen ausgeschlagen; nie hat die Sonne so über der welt­ beherrschenden Stadt geleuchtet, wie in den Tagen, da der Kaiser Augustus dem von ihm begründeten und nach ihm genannten Frieden jenen Altar errichtete, der mit seinen klassisch hellenischen Formen und seiner römischen Bestim­ mung das neue, den römischen Westen und den griechischen Osten friedlich einigende Weltreich symbolisierte. Über es war doch nur der satte Glanz des herbstes: die Zeichen, daß der Winter nahe, mehrten sich bald. Augustus' Hoffnung, der italischen Ration die Herrschaft dadurch zu sichern, daß sie den Hauptteil der Pflicht, das Reich zu verwalten und zu verteidigen, übernahm, erwies sich nach wenigen Generationen als unerfüllbar. Am schnellsten schwanden die Reste der alten Robilität dahin; die ehemaligen unumschränkten Herren der Welt fanden sich nicht in die Rolle, folgsame Glieder eines großen Or­ ganismus zu sein, und gingen entweder in lasterhafter Dekadenz oder als frondierende Verschwörer zugrunde. Vas erschütterte an und für sich das Reich nicht; auch der kritische Augenblick glitt schnell vorüber, in dem die augusteische Dynastie selbst, die nie aufgehört hatte sich zur Robilität zu rechnen und nach den beiden ersten Kaisern deren per­ sönliche Vepravation bis zur Verrücktheit steigerte, in elendester moralischer Misere unterging. Und doch kommt, wenn auch das Reich als solches intakt blieb, in seine Physiognomie mit den Flaviern ein anderer Zug hinein. Vie alte römische Gesellschaft ist ausgestorben; die führen-

17 den Männer, die Kaiser eingeschlossen, zeigen, auch in der äußeren Erscheinung, den Typus der allmählich emporgekom­ menen munizipalen, sehr bald auch provinzialen Beamtenund Offizierssamilie und haben nichts mehr von jenen echt­ römischen Aristokraten, denen Macht und Herrschaft zur innersten Natur geworden waren: edel angelegte In­ dividuen wie Hadrian und Marcus verraten ihren bürger­ lichen Ursprung darin, daß sie das Kaiserdiadem als schwere Last tragen. Steigt man in die mittleren und tieferen Schichten hinab, so beobachtet man, wie das römisch-italische Element immer weniger hinreicht, dem Reich die nötigen Beamten, Offiziere und Soldaten zu liefern; in wachsender Menge dringen die provinzialen ein, und schon im 2. Jahr­ hundert ist es nach dem Zeugnis des schon öfter zitierten griechischen Rhetors so weit, daß das römische Bürgerrecht nicht mehr ein in der Regel vollgültiges Zeugnis römisch­ italischer Nationalität ist, sondern eine soziale Stufe, ein Privileg, das durch Besitz, erfolgreiches Talent, Heeresdienst erworben wird. In diese entnationalisierte Oberschicht rücken als ein weiteres, alles Nationale und Traditionelle auflösendes Element in immer steigendem Maße die Frei­ gelassenen auf; die Paradoxie des römischen Rechts, die Freilassung und Erteilung des Bürgerrechts zusammen­ fallen läßt, wird durch soziale Schichtung immer weniger korrigiert, vom Standpunkt der äußeren Zivilisation aus betrachtet, war es keine geringe Leistung, daß die von klein­ lichen Eingriffen sich fernhaltende, aber im Bedürfnissalle scharf durchgreifende kaiserliche Verwaltung in Afrika, Spanien, Gallien die Reste barbarischer Mildheit, die die griechischen Ethnologen und Historiker in der republika­ nischen Seit noch zu farbenreichen Schilderungen unge­ brochener Volkskraft begeistert hatte, unerbittlich be­ seitigte. Aber wie die lateinische Sprache die einheimischen Idiome in die niedersten Schichten zurückdrängte und ihnen damit jede höhere Entwicklung abschnitt, so keimte auch aus diesen romanisierten Kelten, Iberern, Afrikanern kein frisches, neues Leben: was aus ihnen nach oben drängte»

18 dem blieb letzthin doch nichts anderes übrig, als in dem entnationalisterten Schematismus der kaiserlichen Ver­ waltung oder Armee ein Unterkommen zu suchen. Ebensowenig führten diese neuen Elemente der schnell sich erschöpfenden Literatur frisches Blut zu. Schon unter Hadrian ist der völlige verfall in allen literarischen Gat­ tungen offenkundig; das einzige, was sich auf allerdings glänzender höhe hielt, war die Rechtswissenschaft; sie blieb auch in den Händen der provinzialen echtrömisch, während auf allen anderen Gebieten der lateinische Geist die griechi­ schen Formen um so weniger mit neuem Inhalt erfüllen konnte, je mehr sich das römisch-italische Wesen verflüch­ tigte; auch eine archaistische Mode stellte die innere Leere nur greller ans Licht. Vas Hellenentum im Osten erholte sich in ein paar Menschenaltern von dem Mißregiment der (vligarchie und den Verwüstungen der Bürgerkriege, freilich nur soweit das noch möglich war. Venn das eigentliche Griechenland blieb entvölkert; dafür daß die alten, nur an Kunstschätzen und Erinnerungen reichen Städte ein klägliches Dasein führten und viele Ruinen vergeblich auf Reubesiedelung harrten, war es kein voller Ersatz, daß die Zivilisation des Kaisersriedens in den asiatischen Provinzen manchen halb­ barbarischen Nestern zu einer luxuriösen Existenz verhalf und Bithynier, Kappadoker, Eilicier, Syrer durch griechische Sprache und Bildung in die Oberschicht einrückten, die im Osten, mit oder ohne römisches Bürgerrecht, von denen ver­ treten wurde, die das sprachen oder schrieben, was man damals ein gebildetes Griechisch nannte. Vas Hellenentum wurde immer mehr aus einem nationalen ein kultureller, um nicht zu sagen sprachlich^literarischer Begriff; es konnte zu einem nationalen Leben um so weniger gelangen, als es gerade infolge der Stellung, die die augusteische Monarchie ihm anwies, die Kontinuität seiner sprachlichen und lite­ rarischen Entwicklung mit seltsam jäher Rücksichtslosigkeit unterbrochen hatte. ver große Gäsar und sein ihn getreu kopierender

19 Marschall, Marc Snton, hatten den revolutionären Ge­ danken verfolgt, mit ihren Berufsheeren die orientalische Weltmonarchie Alexanders aufzurichten; damit würde das politische und kulturelle Ideal des von den Römern längst besiegten Hellenismus durch die Sieger selbst über diese triumphiert haben. Dadurch, datz Augustus gegen diese Pläne an die römisch-italischen Traditionen appellierte, ist er der Vertrauensmann seines Volkes, der Begrünter einer spezifisch römischen, sich in republikanische Formen ver­ hüllenden Monarchie geworden; je schroffer er indes den von dem hellenistischen Königtum unzertrennlichen Hellenis­ mus abwies, um so bereitwilliger zog er das seiner republi­ kanischen Vergangenheit zugetane Hellenentum zu der Auf­ gabe heran, dem neuen Weltreich eine neue griechischrömische Kultur zu schaffen, von ihm auf jede weise ge­ fördert, erhob sich jetzt ein literarischer Klassizismus, der den gesamten Hellenismus als eine Verirrung, einen Ab­ fall beiseite warf und es sich zur Ausgabe fetzte, den rö­ mischen Weltbeherrschern die längst entschwundene Ver­ gangenheit der hellenischen Freistaaten, vor allem Athens, nachahmend und reproduzierend vorzuführen; man ging so weit, die Schriftsprache künstlich auf das auch in Attika selbst erstorbene Attisch des 5. und 4. Jahrhunderts zurück­ zuschrauben. Freilich gab der unerschöpfliche Reichtum der Vorbilder, die bei aller Künstlichkeit doch mit der Geistes­ arbeit von Jahrhunderten durchtränkte Sprache den griechischen Literaten bald die Überlegenheit über die schnell verfallende lateinische Produktion zurück; es fehlte auch nicht an charakterfesten oder menschlich liebenswürdigen Persönlichkeiten, denen der klassizistische Mummenschanz echtgriechische würde oder Anmut nicht rauben konnte: aber im ganzen gesehen, und vor allem bei den kleineren Geistern, blieb der nichts verschonende Vergangenheits­ kultus doch ein gespenstig unlebendiges Wesen. Vas Schlimmste war, datz mit dem Hellenismus auch dessen edelste Frucht, die echte, forschende Wissenschaft abge­ tan wurde. Ihr hatte die Munifizenz der hellenistischen

20 Könige nicht umsonst reiche Mittel zugewandt: sie stellte sich Aufgaben wie die Messung eines Meridiangrads und eine durch astronomische Bestimmungen gesicherte Erdkarte; sie entdeckte die Präzession der Äquinoktien und wagte sich schon an die Hypothese von -er Umdrehung der Erde um die Sonne. Vie Mathematik schritt bis zur Infini­ tesimalrechnung vor; die Mechanik wurde durch die unvollkommene Technik nicht gehindert, mit scharfem und kühnem Denken die Gesetze des Hebels, der Schraube, der Hydrostatik zu finden und ingeniös anzuwenden. Forschungsreisen wurden gewagt, um das wissenschaftlich postulierte Phänomen der Mitternachtssonne als real zu konstatieren oder die Ursache von Ebbe und Nut zu ent­ decken; Ethnologen lieferten geistvolle Schilderungen un­ zivilisierter Naturvölker; die Traditionen der uralten ägyptischen und babylonischen Kulturen wurden ausge­ zeichnet, die reiche epigraphische und kunstgeschichtliche Überlieferung der zahllosen hellenischen Städte und Tempel mit Bienenfleiß durchstöbert. Freilich wurden diese zukunftsreichen Ansätze zu einem klassischen Zeitalter wissenschaftlicher Erkenntnis schon durch die politische und wirtschaftliche Dekadenz der hel­ lenistischen Staaten empfindlich gestört und gehemmt; mit der steigenden Ausbreitung der römischen Macht wandten sich die Talente, von der Not gedrängt, der Aufgabe zu, die neuen Herren der Welt in die Mysterien der griechischen Redekunst und der gelehrten Poesie einzuweihen, mit dem Erfolg, daß ihre Schüler sie rasch übertrafen: der oben ge­ schilderte Klassizismus des Kaiserreichs schloß einen Erstarrungsprozeß ab, der schon in den letzten Jahrzehnten der Republik in vollem Gange war. Für die reine Forschung, für das Erkennen um des Erkennens willen hatten die praktischen Römer kein Verständnis; nur in ganz kleine Kreise und für kurze Zeit schlugen einzelne Wellen echt wissenschaftlichen Strebens hinüber. Römische Straßen und römische Soldaten erschlossen die entlegensten Gebiete dem Verkehr, ungeheure Mühen wurden darauf verwandt, das Luxusbedürfnis -er Hauptstadt und das

21 Pöbelvergnügen an riesigen Tierhetzen zu befriedigen; aber die Entdeckungsreisen innerhalb und außerhalb -er Reichs­ grenzen hörten auf und der offiziell unternommene versuch einer Erdkarte sprach jeder Wissenschaft hohn. Vie Eäsaren hätten der Forschung unumschränkte Summen zuwenden können: sie brauchten um so weniger daran zu denken, als sie nicht einmal gefordert wurden. Ruch den Hellenen fiel es nicht mehr ein, das ungeheure geschichtliche Material, das überall in Inschriften und Archiven bequem zugänglich, von keinem politischen Mißtrauen bewacht, dalag, irgend­ wie auszunutzen, wie es die hellenistische Forschung unter viel schwierigeren Verhältnissen getan hatte; die einst so wagemutige astronomische Wissenschaft sank zu einer dog­ matisch erstarrenden Sklavin des astrologischen Aber­ glaubens hinab. wenn irgend etwas, so ist dieser verfall eines einst kräftig emporsprießenden wissenschaftlichen Lebens der be­ weis dafür, daß die Zivilisation des entnationalisterten Weltreiches trotz allem äußeren Glanze echte geistige Kräfte nicht einmal zu bewahren, geschweige denn zu erzeugen ver­ mochte. Vie hellenistischen Gelehrten hatten sich freilich oft genug dazu bequemen müssen, an den Höfen der Monarchen zu leben; sie blieben darum doch Bürger hellenischer Städte und ihre fürstlichen Gönner huldigten derselben griechischen Kultur wie sie; die Strahlen der hellenistischen Herrschaft über den Osten sielen auch auf ihre stille Forscherexistenz. Dagegen blieb das Eäsarenregiment immer eine Fremd­ herrschaft; so milde es war, so wenig es durch Zensur oder polizeiliche Überwachung irgend einen Druck ausübte, jener königliche Sinn, dessen auch die weltftemdeste Wissenschaft nicht entraten kann, wenn sie durch Räume und Zeiten ihren Flug in die Unendlichkeit wagen soll, wollte nicht mehr sich einstellen, seitdem es keine, auch noch so kleinen freien Gemeinwesen mehr gab und die Völker, in der uni­ formen Masse der kaiserlichen Untertanen verschwimmend, die ursprüngliche Kraft verloren, aus der allein große und schaffende Geister aufsteigen können. was der innere und äußere weltfrieüe durch den alles

22 nivellierenden Schematismus des Kaiserregiments gewann, das verlor er an echtem Leben; nicht einmal die Spannung irgend welcher sozialen Gegensätze und Krisen störte das gleichmäßige vegetieren unter einem glänzenden und doch toten Firnis. Der rein animalische Lebensgenuß gedieh dabei wie üppiges Unkraut und tat das Seine, um den verfall zu beschleunigen; die schon den Zeitgenossen un­ heimliche Abnahme der Bevölkerung ist zum guten Geil die Folge einer durch ihre Senilität doppelt widerwärtigen Unsittlichkeit gewesen. Uber eine echte Lebensfreude, feinerer oder gröberer Art, wollte sich nicht einstellen; eine in mannigfaltigster Naturschönheit prangende, an den Schätzen einer unvergleichlichen Kunst überreiche, friedliche und ruhige Welt erschien jenen Menschen grau und schal. Sie hatten ihre Seele verloren und konnten sie auf Erden nicht wieder finden. Niemals ist die Menschheit von einer so intensiven und zugleich so mannigfaltigen religiösen Bewegung durchzittert gewesen wie im zweiten nachchrist­ lichen Jahrhundert, in wahren Sturzwellen flutete orienta­ lischer Glaube und Aberglaube, von mystisch hochgespannter Spekulation bis zum wildesten orgiastischen Wahn, über die griechisch-römische Welt dahin, deren eigene Götter ihre Seelen schon lange vor den Menschen eingebüßt hatten; so­ gar die christliche Kirche entging der Gefahr, in den Strudel hineingezogen zu werden, nur durch ihre geschichtliche Ver­ ankerung im Alten Testament und die elastische Festigkeit ihrer Organisation, von außen betrachtet, stellen jene religiösen Bewegungen mit ihren Altes und Neues, Natür­ liches und Offenbartes seltsam mischenden Kulten und Mysterien, ihren enthusiastischen Hoffnungen und Ekstasen, ihrem angstvollen Zauberwesen und Teufelsspuk ein Bild von schier unentwirrbarer Buntheit dar; wer tiefer sieht, ent­ deckt leicht und sicher die einheitlichen Züge. Immer wird eine zukünftige oder aus der Zukunft vorweg genommene Erlösung versprochen und gehofft, nicht von dem materiellen, sondern von dem seelischen Jammer und Elend der Gegen­ wart; die irdische Welt soll nicht tätig verbessert, sondern

23 durch die Kraft gläubiger Phantasie aufgehoben werden. Sodann wird die Erlösung, welcher Art sie auch sein möge, nicht dem auf sich selbst stehenden Individuum, sondern stets der durch Glauben und Kult, nicht durch Abstammung und Volkstum zusammengehaltenen Gemeinschaft in Aussicht gestellt; in der religiösen Gemeinde schasst sich die entnationalisierte Masse instinktiv einen Ersatz für das verloren gegangene Volkstum. Diese beiden charakteristischen Züge der großen vewegung, die das allein Lebendige in der starren Ruhe des kaiserlichen Weltreichs war, reichen hin, um das begeisterte Lob, das ein englischer Voltairianer des 18. Jahrhunderts dem Weltfrieden des Imperium Bo­ rn anum spendete, in eine furchtbare Anklage zu ver­ wandeln. So etwa sah der einzige Weltfriede aus, der einmal Wirklichkeit geworden ist; die Pazifisten haben schwerlich Ursache, mit diesem Paradigma besonders zufrieden zu sein. Dos ist allerdings unleugbar, daß die Erinnerung an die einzigartige Majestät des die Völker im Kaiserfrieden eini­ genden Weltreichs noch lange über seinen Zusammenbruch hinaus gewirkt hat; ohne das strahlende Vorbild der augusteischen Monarchie wäre ihre in dunkelsten Farben gehaltene Kopie, der konstantinisch-theodosianische Ab­ solutismus nie zustande gekommen. Vas Gefäß, das dieser Absolutismus der im alten Imperium Romanum zur Wirklichkeit gewordenen Völkereinheit bot, war freilich so brüchig, daß von einer dauernden Sicherung des Welt­ friedens nicht mehr die Rede war, aber in einem war er dem alten Täfarenreich überlegen, darin daß er die kraft­ vollste und lebendigste Organisation der alt gewordenen griechisch-römischen Welt sich eingegliedert hatte, die christ­ liche Kirche. Man kann zweifeln, ob es für diese ein Vor­ teil war, daß Konstantin und Eheodosius sie zwangen, an Stelle ihrer rein geistigen Einheit sich durch Dogma und Kirchenrecht eine äußere zu schaffen, durch die sie zum Subjekt und Objekt einer Politik wurde, deren Wege noch gewundener sein mutzten, als es die der Politik immer und

24 überall sind; sicher jedoch ist, üatz durch die politisch-religiöse Neubildung der keichskirche ein nicht unverächtlicher Ersatz für die dem Reich längst verloren gegangenen nationalen Kräfte geschaffen wurde. Vie Kirche hat dem entnationalisierten Griechentum noch einmal einen halt gegeben und es fähig gemacht, den Islam in seinem Siegeslauf aufzu­ halten, die Slawen zu erziehen. Sie war es auch, die. im Westen, wo sich die Mannigfaltigkeit der germanischen Königreiche in den Ruinen des Imperium ansiedelte, die Einheit eines die antike Kultur zusammen mit der über­ nationalen Kirche umfasienden Reiches als Idee, als Postulat aufrecht erhielt; diese Idee war stark genug, um in den karolingischen und staufischen Imperien folgenreiche Restaurationen des alten Reiches heroorzurufen und die mittelalterliche Einheitskultur zu erzeugen, die der wirt­ schaftlichen und innerpolitischen Atomisierung des da­ maligen Lebens ein heilsames Gegengewicht hielt. Ruch diese Einheitskultur ist stärkeren geschichtlichen Kräften zum Opfer gefallen, und doch haben die modernen National­ staaten das von jener übrig gebliebene Postulat in keiner Weise aus der Welt geschafft, üatz sich über ihnen eine geistige Weltkultur erheben mutz, deren ideelle Werte der ganzen gesitteten Menschheit zugute kommen und sie zu einer ideellen Einheit verbinden. wird freilich diese übernationale, um nicht zu sagen über­ weltliche Idee zu einem Machtanspruch und Machthebel er­ niedrigt, werden Weltreich und Weltfriede aus den ewigen und unerreichbaren Sphären des Ideals in den Staub dieser Erde hinabgezogen, so erhebt sich die Gefahr des modernen Imperialismus, der die Welt noch ärger verwüsten und veröden würde als einst der römische. Wenn wir mit un­ bezwingbarem, weil sittlich festem Mut den englischen Moloch und den russischen Leviathan Niederkämpfen, so streiten wir für unsere Freiheit, in dem stolzen vewutztsein, datz die Freiheit Deutschlands zugleich die Freiheit all der Völker bedeutet, die höhere Güter kennen und erstreben als irdische Macht und irdischen Reichtum.

Verlag von Karl I. Trübner in -Straßburg, Soeben erschien:

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