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German Pages 235 [240] Year 1991
Jens Simon Weg von der Dudennorm
Jens Simon
Weg von der Dudennorm Arno Schmidts Weg von den „Stürenburg-Geschichten" zur „Inselstraße"
W DE
G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1991
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ClP-Titelaufnabme
der Deutschen
Bibliothek
Simon, Jens: Weg von der Dudennorm : Arno Schmidts Weg von den „Sturenburg-Geschichten" zur „Inselstrasse" / Jens Simon. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1991 Zugl.: Diss. ISBN 3-11-012828-4
© Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: W. Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer G m b H , Berlin
Inhalt
Vorwort
VII
Abkürzungsverzeichnis
IX
1. Einleitung 2. Die Briefwechsel mit Alfred Andersch und Wilhelm Michels
1 ...
2.1 Selbstdarstellung 2.2 'Brotarbeiten' 2.3 'Materialien'
4 7 9 14
3. Berechnungen 3.1 „Berechnungen I & II" 3.2 „Berechnungen III"
22 23 30
4. Interpretation und Formbetrachtung zweier „Inselstraßen"-Erzählungen 4.1 Interpretation: „Nachbarin, Tod und Solidus." 4.2 Kurze Formbetrachtung: „Nebenmond und rosa Augen." . .
36 36 42
5. Die Entwicklung von den „Stürenburg-Geschichten" zur „Inselstraße" 5.1 Gegen die Dudennorm — Contra „Musjö Duden" 5.1.1 Interpunktion 5.1.1.1 Statistische Aussagen 5.1.1.2 Gegen das grammatische Prinzip des Duden 5.1.1.3 ':' & '(...)' 5.1.1.4 Die mimetische Funktion 5.1.2 Orthographie 5.1.2.1 „Die Wasserlilie." (11.5.1955/19.6.1962) . . . 5.1.2.2 „(Er war ihm) Zu ähnlich." (12.5.55/19.6.62)
45 45 45 46 52 59 69 80 82 86
VI
Inhalt 5.1.3 Syntax 5.1.4 Wortbildungen 5.2 Anmerkungen zu 'Selbst-Zitaten' 5.2.1 „Gehen in kalter Landschaft."
6. Kleinere Erzählungen zwischen (?) Stürenburg und Inselstraße 6.1 Einzelne, methodische Einordnungsversuche 6.1.1 Interpunktion 6.1.2 Syntax 6.1.3 Wortbildungen 6.2 Bewertung 7. Die 7.1 7.2 7.3 7.4
Zeitungspublikationen „Schwarze Haare." „Kleiner Krieg." „Schlüsseltausch." „Rollende Nacht."
8. Zusammenfassung
92 106 121 125 . . 132 133 133 148 158 164 167 168 175 178 183 188
Anhang
192
A. B. C. D. E.
192 194 195 196 198 198 200 201 203 210 211
F.
Chronologische Folge der Erzählungen Reihenfolge der Veröffentlichungen Entstehungsdaten der Werke 'Zettelfolgen' Variantenlisten zu Kapitel 7 „Schwarze Haare." „Kleiner Krieg." „Schlüsseltausch." Abschriften der Zeitungsfassungen „Rollende Nacht." Tabellen Verzeichnis
Literaturverzeichnis
213
Index
222
Vorwort
Dem unbefangenen Leser Arno Schmidts wird zunächst eins auffallen: die Sprachkunst des Autors. Neben bzw. vor allen inhaltlichen Interpretationen, vom existentialistischen Weltpessimismus bis zur Verwobenheit der Lesarten, ist es gerade diese, die Arno Schmidt zu 'Arno Schmidt' macht. Auf dem 'sprachlichen Weg' der kleineren Erzählungen aus der zweiten Hälfte der 50er Jahre will diese Arbeit Arno Schmidt in die Werkstatt, in die Zettelkästen schauen. Von zweierlei wird diese Untersuchung bestimmt sein: Zum einen sollen sprachliche Entwicklungstendenzen innerhalb des gewählten Werkausschnitts herausgearbeitet werden, zum anderen bedarf die Besonderheit der Sprachform einer Einordnung in die abstrakten Prosa- und Weltkonzepte Arno Schmidts. Der erste Punkt verlangt dabei, daß systematische Methoden zur Kennzeichnung der sprachlichen Charakteristika bereitgestellt werden, wobei als 'Hintergrund', von dem sich die Sprache Schmidts abheben kann, die standardsprachliche Norm gewählt wird, wie sie sich im Regelwerk darbietet, das der „Duden" bereitstellt. Weiterhin wird sich die Methodik als so tragfahig erweisen, daß chronologische Abschätzungen bzw. Einordnungen möglich und Relationen zur übrigen Prosa deutlich werden. Der zweite Punkt wird einen fast eindeutigen Funktionszusammenhang zwischen der konkreten Sprachstruktur und der allgemeinen Prosaauffassung Arno Schmidts erbringen, so daß sich ein konsistentes Gesamtbild ergibt. Die vorliegende Arbeit ist meine vom Fachbereich für Philosophie und Sozialwissenschaften der Technischen Universität CaroloWilhelmina zu Braunschweig genehmigte Dissertation. Prof. Dr. H. Henne sage ich an dieser Stelle Dank für Aufgabenstellung und Betreuung dieser Arbeit, sowie Prof. Dr. Dr. C.-A. Scheier für sein Korreferat und seine Unterstützung, die die Arbeit mit auf den Weg brachte.
VIII
Vorwort
Rolf Buchholz und Ricarda Dick danke ich dafür, daß sie mir als erste Arno Schmidt zu Bewußtsein brachten: Ohne sie wäre ich vielleicht kein Arno-Schmidt-Leser geworden. Da 'persönliche Zeit' eine endliche Größe ist, möchte ich Karin und Niels Pelz danken, daß sie diese 'Endlichkeit' ertragen haben. Schließlich geht mein Dank an Frau Dr. Scholle, die es mir ermöglichte, Prioritäten auf der Zeitskala zu setzen.
Jens Simon Jülich, im Januar 1991
Verzeichnis verwendeter Abkürzungen Erzählungen LiV Was Ahn HeuHa ScHa K1K LaGre Som KgM
:
Arno Schmidts
; „Aus der Inselstraße"
:
„Lustig ist das Zigeunerleben." „Nachbarin, Tod und Solidus." „Geschichte auf dem Rücken erzählt.' „Der Tag der Kaktusblüte." „Schlüsseltausch." „Was soll ich tun ?" „Die Vorsichtigen." „Rivalen." „Geschichten von der Insel Man." „Seltsame Tage." „Zählergesang." „Am Fernrohr." „Schulausflug." „Rollende Nacht." „Trommler beim Zaren." „Nebenmond und rosa Augen."
Erzählungen straße" '60' Trans Ichth Reise Sir GkL Abs Päd
,ßtürenburg-Geschichten"
„Ein Leben im Voraus." „Die Wasserlilie." „Er war ihm zu ähnlich.' „Das heulende Haus." „Schwarze Haare." „Kleiner Krieg." „Die lange Grete" „Sommermeteor." „Kleine graue Maus."
Erzählungen LiZ NTS Rüc TKb Schlü Wsit Vor Riv Man SeT Zäh Fern Schul RoN TbZ Neb
Arno Schmidts;
Arno
Schmidts
; Zwischen
„Ich bin erst 60." „Transport im Spätherbst." „Die Ichthyophagen" „Reise zum Mittelpunkt der Erde.' „Gespräch mit einer Sirene." „Gehen in kalter Landschaft." „Abschied im Regen." „Paddeln vorm Gewitter."
,ßtürenburg"
und
Jnsel-
X ToSo Kon Zaun GeMa
Abkürzungen „Todesstrafe bei Sonnenschein." „Verschobene Kontinente." „Am Zaun." „Geschichte eines dicken Mannes"
Werke, Aufsätze BA Lev Gadir Alex BH Poca StH Kaff B I-III S & B AS - W M
und Briefe Arno Schmidts
:
Bargfelder Ausgabe. Zürich 1987. „Leviathan" „Gadir oder Erkenne dich selbst" „Alexander oder Was ist Wahrheit" „Brand's Haide" „Seelandschaft mit Pocahontas" „Das steinerne Herz" „Kaff auch Mare Crisium" Berechnungen I-III Sylvie h Bruno Arno Schmidt. Der Briefwechsel mit Wilhelm Michels. Zürich 1987. Arno Schmidt. Der Briefwechsel mit Alfred Andersch. Zürich 1985.
AS - A A
Die Briefwechsel werden wie folgt zitiert: Die Anfangsbuchstaben von Vor- und Nachname dienen als Kürzel; ein Pfeil gibt an 'wer an wen' schreibt; die darüberstehende Zahl notiert die Briefnummer nach der Edition der Arno Schmidt-Stiftung und schließlich wird noch das Dat u m des Briefwechsels genannt. Also meint etwa AS H l , WM, 7.4.1960 den Brief 174 von Arno Schmidt an Wilhelm Michels vom 7.4.1960. Zeitungen DAZ FAZ FV HP KSA NN SZ TS
: „Die Andere Zeitung" „Frankfurter Allgemeine Zeitung" „Fuldaer Volkszeitung" „Hannoversche Presse" „Kölner Stadt-Anzeiger" „Nürnberger Nachrichten" „Süddeutsche Zeitung" „Tagesspiegel" (Berlin)
1. Einleitung
Auf Buchstabenfüßen kamen die Worte angeflossen, tausendschuhig, im Konsonantengetrabe. StH, B A 1 / 2 . 1 , S.99 Arno Schmidt: Die ihm zuteil werdenden Charakterisierungen reichen vom „Solipsisten in der Heide" 1 , „militanten Eremiten" 2 , „verkannten Idylliker" 3 und „Gehirntier hinter Stacheldraht" 4 über den „häuslichen Literaturberserker" 5 , „Merk-würdigen Literaten" 6 , „Sprachsteller und Wirklichkeitsjäger" 7 und „Freibeuter der Sprache" 8 , bis zum „deutschen Original" 9 , „Wortmetz aus Bargfeld" 10 , „wortbesessenen Wortbesitzer" 1 1 und „kühnsten Pionier der deutschen Epik" 1 2 , womit einige Titel kurzer Feuilleton-Beiträge genannt sind, die nur einen kleinen Teil des Spektrums der Meinungen wiedergeben. Der Facettenreichtum seines Erscheinungsbildes, darauf deuten bereits einige der Arno Schmidts 'Sprachspiele' nachahmenden Titel hin, zentriert sich um das 'Handwerkszeug' des Dichters: die Sprache. Arno Schmidts Sprach-und Formbehandlung von Prosa ist eine radikale, indem er den konventionalisierten und damit weitgehend kanonisch gewordenen Normen in Literatur und Sprache eine Absage erteilt, sie 'über die Reeling' ( siehe: S & B, S.211) wirft. Neben der 'Freiheit des Dichters', stets nach neuen Möglichkeiten des Ausdrucks zu suchen (und diese zu finden), erachtet Arno Schmidt die Gestalt 'W.Hees: Deutsche Welle, Köln, 8.6.65; 2 W . v . Bredow: Kürbiskern, Nr.4, Dez. 70, 598-610; 3 G . Häntzschel: GRM, Neue Folge, Bd.XXVI, Heft 3/4; 4 K . Matthes: interpress-kultur, Nr.3, 11.1.74; 5 (anonym): Stuttgarter Zeitung, 18.1.74; "H. Suhrbier: Der Wegweiser, Nr.6/7, Juni-Juli 1974; 7 E. Schöfer: Wirkendes Wort, 15.Jg., 1965, H.3, 202206; ®K.H. Bohrer: FAZ, 11.7.73; 9 K . Krolow: der Uterat, Nr.9, Sep.73; 10 (anonym): Pforzheimer Zeitung, 18.1.79; 11 Ch. Kuhn: Du, Nr.9, Sep. 63; 1 3 G . Cwojdrak: BZ am Abend, Berlin/DDR, 19.1.52.
Einleitung
2
seiner Prosa als notwendige Bedingung für eine möglichst exakte Abbildung von - im weitesten Sinne verstandenen - Wirklichkeitserfahrungen. Die Sprache in ihrer ambivalenten Gestalt als 'Abbild' und 'Medium' zugleich muß daher bereits in ihrer Struktur, also ohne auf den transportierten Inhalt zu rekurrieren, das poetologische Konzept Arno Schmidts, das für ihn immer auch 'Weltkonzept' ist, widerspiegeln. Arno Schmidts Realitätsauffassung ist jedoch (auch) geprägt durch sein literarisches Dasein, seine sprachbesetzte und sprachbesetzende Gedankenwelt. Insofern ruht eine Deutung seiner Sprachformen sowohl auf seinen axiomatischen (im Sinne von 'nicht falsifizierbaren'), abstrakten Überlegungen, als auch auf der assoziativen Kraft eines mit Sprache verstehend Umgehenden, womit die Ästhetik einer sich selbst entwickelnden Sprachfulguration einhergeht. 13 Diese Arbeit soll einen Beitrag zur analytischen Deutung der Sprachtheorie Arno Schmidts, wie sie in den als 'Brotarbeiten' konzipierten „Stürenburg-Geschichten" und den Erzählungen „Aus der Inselstraße" erscheint, leisten. So bildet das Kapitel 5 sowohl vom Inhalt als auch von seinem Umfang her den Schwerpunkt, da hier Entwicklungstendenzen konkret innerhalb dieser Erzählungen aufgezeigt werden, wodurch sich zugleich eine Entfaltung der dahinter stehenden Sprachanschauung Arno Schmidts ergibt. Im direkten Anschluß hieran versucht Kapitel 6 eine Einordnung der nicht in die Reihen der „Stürenburg" oder der „Inselstraße" aufgenommenen kleineren Erzählungen in diesen Sprachhorizont; die Ergebnisse des Kapitels 5 sowie die Chronologie der Typoskripte bildet 13
Bildlich vergleichend gesprochen besagt dies, daß z.B. die Schönheit eines B a u m e s nur schwerlich über die Struktur des Samenkornes deutlich wird, sondern vielmehr der Wahrnehmung des durch Zufallsprozesse geprägten Erscheinungsbildes bedarf. Der Begriff der 'Ästhetik einer Sprachfulguration' bezeichnet somit ein 'zufälliges', 'spielerisches' Moment, welches einen Kontrast zum 'Auftrag des Sängers' schafft : „wozu ist schließlich der Sänger da, wenn nicht um das Uni = sive Perversum mitzustenografieren ? " (Caliban über Setebos, B A 1/3.2, 528). Dieser 'spielerische' Aspekt in der Erzählabsicht Schmidts wird besonders von H. Falkenberg in seiner Dissertation : „Arno Schmidt : Wirklichkeit, Wiedergabe, Überwindung" (Liège 1971) als „hauptsächlichstes Moment der Überwindung [Anm.: des Realitätspessimismus]" (ebenda, S.110) betont.
Einleitung
3
dabei die Bewertungsgrundlage. Eingerahmt werden diese Kapitel durch eine auf die 'Einheit der Erzählung' bedachte Schau im Kapitel 4, indem eine „Inselstraßen"Erzählung interpretiert und eine andere in ihrer Form betrachtet wird, so daß das Gesamtgefüge der Erzählungen bestehen bleibt und nicht in Einzelsegmente isoliert wird, wie es die Kapitel 5 und 6 notwendigerweise verlangen; Kapitel 7 mit der Darstellung einiger Zeitungspublikationen, in denen eine 'redaktionelle Gewalt' dokumentiert ist, mit der das sprachliche 'Norm-Abseits' Arno Schmidts in weiten Teilen rücknormiert wird, bildet den abschließenden Rahmen des Hauptteils. Vor diesem Hauptteil dienen die Kapitel 2 und 3 der Annäherung unter zwei verschiedenen Blickwinkeln: Die Briefwechsel mit Alfred Andersch und Wilhelm Michels zeugen von der Selbsteinschätzung Arno Schmidts zu seinen 'Brotarbeiten' und stellen autobiographische Bezüge her; die „Berechnungen I-III" liefern Andeutungen und Hinweise zu seinen abstrakt-literarischen Konzepten. Der Impetus dieser Verfahrensweise eines häufigen 'Perspektiven-Wechsels' liegt dabei in der Darstellung der untereinander und innerhalb der das eigentliche Werk bildenden Prosa horizontal verkoppelten und bezüglich Biographie, Literaturkonzepten und Sprachnormen vertikal beeinflußten Erzählungen. Im weiteren wird eingelöst, was der Titel dieser Arbeit in zweierlei Hinsicht programmatisch zu verstehen gibt: Zum einen ist das Ziel, Arno Schmidts 'eigenen Weg' aufzuzeigen, also sozusagen dessen Existenz und Eindeutigkeit hervorzuheben (nach dem Motto: 'er, der Weg, ist anders'), zum anderen den besonderen Verlauf der sprachlichen Entwicklung auf diesem Weg zu verfolgen. Im Sinne Arno Schmidts, der über sich in seinen Werken häufig im Plural ('ich und moi même') 1 4 spricht, ließe sich motivisch (mehreres zugleich zitierend) sagen: „You this way - we that way ! " 1 5 14
„Ich hab immer das Gefühl, als wenn 'ich' mich etwa in Kopfhöhe hinter 'mir' befinde. Also 'ich' und 'moi'„ StH, B A 1/2.1, 19; siehe auch: G. Müller: ICH und MOI oder Wer marschiert da unten so mit? Eine Zitatcollage zum Körperhaß bei AS und JP. Text + Kritik, 20/20a, München 1986, S.160-163. 15 Arno Schmidt weist hier ein Shakespeare Zitat aus: „Denn so stand es
2. Die Briefwechsel mit Alfred Andersch und Wilhelm Michels
Ich weiß nichts und bin nichts; nur Arno Schmidt, ein 'Prospector' nach Worten und Rhythmen [ . . . ] . (AS AA, 8.9.55) Moi même = Ich bin, der ich bin ! (AS
WM, 6.10.56)
An den Anfang werden mit diesem Kapitel die von Bernd Rauschenbach herausgegebenen Briefwechsel Arno Schmidts mit Wilhelm Michels und Alfred Andersch gestellt. Im Hinblick auf die 'Kleineren Erzählungen' Arno Schmidts, deren sprachliche Evolution diese Arbeit im Kern thematisch bestimmt, soll die briefliche Korrespondenz dazu herangezogen werden, sowohl die Stellung dieser 'Brotarbeiten' im Rahmen der Schmidtschen Selbsteinschätzung aufzuzeigen, als auch einige autobiographische Elemente innerhalb dieser Erzählungen zu in meinem Original: [ . . . ] - Sie wissen, daß sich so im 'Macbeth' die Hexen voneinander verabschieden ! - " , AA AS, 12.7.55, Anmerkung; Vgl.: AS " t AA, 18.7.55; Arno Schmidt hatte dieses Zitat an den Schluß seines Aufsatzes „Die Handlungsreisenden" (In: Texte und Zeichen 7, 1956) gestellt. Im Gegensatz zu Arno Schmidts Behauptung entstammt das Zitat nicht „Macbeth", sondern „Timon of Athens": „You that way and you this, but two in Company" (V, 1). Gemeint sind mit diesem Ausspruch Timons der Maler und der Dichter, die sich Timon anbiedern, um von dem Gold zu profitieren, das Timon gerüchteweise immer noch besitzen soll. (Den Hinweis auf die korrekte Zitatstelle im „Timon" verdanke ich Prof. C.-A. Scheier.)
Briefwechsel
5
belegen. Wenn auch dementsprechend die Biographie Arno Schmidts, insofern die Briefe sie berühren, nicht im Vordergrund des Folgenden steht, kann diese jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, zumal das erzählerische Ich des Arno Schmidt , wie sich im weiteren ergeben wird, einen 'hohen Verwandschaftsgrad' mit diesem aufweist. (Ein unmittelbar auffallendes Exempel hierfür ist der Zyklus-Titel: „Aus der Inselstraße" : Schmidts Adresse von Oktober 1955 bis November 1958 lautete: Darmstadt, Inselstraße 42) Wer ist dieses Ich? Arno Schmidt selber? Ja und nein. Dieses Ich ist Arno Schmidts Konstruktion, die es ihm erlaubt, auf das Erfinden von Romanfiguren zu verzichten, sich nicht zu verstecken hinter Charakteren, wie es jeder Schreiber von Unterhaltungsliteratur, auch gehobener, tut. Er begegnet dem Leser unmittelbar wie ein Briefschreiber. (Wilhelm Michels : Bin vor der Schreibmaschine ergrauter Wortmetz., AS - W M , S.324)
Die Briefwechsel mit Andersch und Michels beginnen in der ersten Hälfte der 50-er Jahre, während Schmidt noch in Kastel an der Saar wohnt. Vom 6.9.52 datiert der erste schriftliche Kontakt Anderschs mit Arno Schmidt, in dem jener diesem anbietet, die beiden Erzählungen „Die Umsiedler" und „Alexander" in der „Studio Frankfurt"-Buchreihe herauszubringen. Für Schmidt, der dieses Angebot sofort annimmt, ist dies der Beginn einer starken verlegerischen Unterstützung von der Seite Anderschs, was zum einen die literaturhistorischen Essays Arno Schmidts betrifft, die ab dem zweiten Halbjahr 1955 in regelmäßiger, ungefähr vierteljährlicher Folge im „Nachtprogramm" des SDR (Süddeutscher Rundfunk) gesendet werden. Auf der anderen Seite war in der von 1955-1957 von Alfred Andersch herausgegebenen Literaturzeitschrift „Texte & Zeichen" ein weiterer Publikationsort für die Arbeiten Schmidts gegeben. Das Verhältnis zwischen Andersch und Schmidt, wie es sich in den Briefen darstellt, war insofern eines zwischen Verleger/Redaktionsleiter (bezüglich des Hörfunks) und Autor, aber auch eines zwischen Schriftsteller und Schriftsteller, das sich im Verlaufe der Jahre zu einem Freundschaftsverhältnis entwickelte. Die Korrespondenz zwi-
6
Briefwechsel
sehen Andersch und Schmidt reicht daher bis in das Todesjahr '79 Arno Schmidts, auch wenn die Bemühungen Anderschs als Verleger für Schmidt sich lediglich auf die 50-er Jahre und damit den Beginn der literarischen Schaffenszeit Schmidts beziehen. Inhaltlich ist ihre Korrespondenz stets um das Werk Arno Schmidts herum (kon)zentriert, wobei in den 50-er Jahren die „Nachtprogramme" den Schwerpunkt bilden. Demgegenüber vermittelt der Briefwechsel mit Michels einen stärkeren Einblick in das Alltagsleben Arno Schmidts, von den Umzügen nach Darmstadt und von dort nach Bargfeld bis zu Einkaufslisten mit 'Nes' und 'Cyclopal' reichend. Die Korrespondenz von Michels und Arno Schmidt erstreckt sich über den Zeitraum vom 21.10.53 (Michels lädt Schmidt zu einem Leseabend in die 'Waldschule' ein) bis in die Jahre 1966/67. Zwar folgen jetzt noch vereinzelte Briefe von Michels an Schmidt (letzter Brief vom 27.2.76), doch ist das Verhältnis der beiden seit dem Umzug der Familie Michels in das 'Papageienhaus' in Bargfeld zerstört und keinerlei freundschaftliche Beziehung mehr gegeben. Aber auch vor diesem deutlichen Abbruch jeglicher Beziehungen ist Arno Schmidts Meinung von Michels wohl eine ambivalente. Zwar nimmt Schmidt die materiellen Hilfeleistungen in Form eines Privatkredites für den Ankauf des Bargfelder Hauses und die preiswerten Lebensmittellieferungen an, auch kommt es zu zahlreichen Besuchen von Michels in Bargfeld, jedoch sind es wohl gerade diese engeren Kontakte, die zu einer abwehrenden Haltung Arno Schmidts führen. So heißt es etwa im Tagebuch Arno Schmidts vom 14.7.59 (Michels sind gerade zu Besuch): ein widerlicher Geselle der Michels !
(AS - WM, S.319)
und am nächsten Tag Michels Fahrt = Vorbereitungen: ab um 11.30 (Gottlob !) (AS - WM, S.319)
Vermutlich zeigt sich hier nicht nur ein persönlicher 'Spannungsbogen' Schmidt-Michels, sondern vielmehr der Drang nach selbstgewählter Isolation, in der persönliche Kontakte oberhalb eines gewissen 'Maaßes'(Vgl.z.B.: AS AA, 18.7.55) störend wirken. In diesem Sinne ist die Bezeichnung 'Solipsist' 1 eine zutrefFende. Aber auch 1
Vgl.: J. Drews, H.-M. Bock (Hrg.): Der Solipsist in der Heide. Materialien zum Werk Arno Schmidts. Edition Text und Kritik, München 1974.
Selbstdarstellung
7
Arno Schmidt selbst spricht hiervon zu Michels: ich wiederhole noch einmal, diesmal allerdings zum letzten Male, daß man Schriftsteller (zumindest die von meinem, an allen Ecken angezündeten Typus) nie nicht nur nicht persönlich kennen sollte, sondern sie auch stets in einer Distanz von 100 Meilen halten sollte (möglichst Dänische). Ich kann Sie nicht genug vor mir warnen. Denn ich bin nichts weniger als ein amüsanter oder amüsabler Hausgenosse; (AS 2L, WM, 10.8.55)
Dies leitet über zum ersten Blickwinkel, unter dem die Briefe betrachtet werden sollen: der Selbstdarstellung Arno Schmidts.
2.1
Selbstdarstellung
Die Geisteshaltung Arno Schmidts, die aus obigem Zitat spricht, wird von ihm in demselben Brief als „allgemein angeborene[r] oder mühsam erworbene[r] Misanthropie" (AS _ü+ WM, 10.6.55) gefaßt. 2 Diese misanthropische Grundhaltung, die zur autodidaktischen Arbeitsweise Arno Schmidts korrespondiert, zeigt sich indirekt auch in seinen Äußerungen über sein literarisches Schaffen, in denen er die eigene Position und Wirkung charakterisiert. So bezeichnet er sich in seinem ersten Brief an Michels als „Pionier auf Einmannpfaden in der Wildnis der Worte" (AS _L> WM, 24.10.53) und als „Topograph der horizontalen Höllenstürze: Der, der nebenher stürzt, und aus seinen Adern mitstenographiert: wenns alle ist, ists alle!" (AS 2 , WM, 24.10.53) Die eigene Position erscheint hier als eine singulare in der literarischen Landschaft, sie bedarf nicht des Zuspruchs oder Kommentars und ist insofern eine von den übrigen Menschen isolierte. 3 Das 'Understatement': „ich bin armes Nigger, das Literatur schippt" (AS -ü!» WM, 6.5.60) ist in diesem Sinne nicht wörtlich zu verstehen, sondern verweist auf die Priorität der Literatur, die das Leben 2
3
Eine Selbsteinschätzung, die sich auch in der Namensgabe 'Schmidt Effendi' von Seiten Michels (WM AS, 23.8.61) widerspiegelt. („:Du so'ss mich nich immer Schmidt = Effendi nenn'!" (AS Iii» WM, 30.8.61)) „wir Superklugen legten nicht solchen Wert auf menschliche Verhältnisse !" StH, BA 1/2.1, 108.
Briefwechsel
8
Arno Schmidts kennzeichnet. Diese nicht zu trennende Einheit 'Arno Schmidt / Literatur' wird in einem Brief Arno Schmidts vom 18.3.63 an seinen Verleger Ernst Krawehl vom Stahlberg Verlag deutlich: I L e b e n für die Deutsche Literatur; und immer finden sich Mistviecher, die mir Schwierigkeiten machen ! Ich protestiere hiermit feierlich dagegen, j e m a l s als 'Deutscher Schriftsteller' von dieser Nation von S t u m p f b ö c k e n vereinnahmt zu werden ! Deutschland hat mich immer nur von Ort zu Ort gehetzt, und miserabel für meine cyclopische Schufterei entlohnt ! (AS i ü AA, 5.12.63, Kommentar)
Und so heißt es in einem Brief an Wilhelm Michels: die schönste ' E h r e n g a b e ' des S t a a t e s wäre mir ein großergroßer Schierlingsbecher; ( a b e r so richtig gestrichen voll; (also 'christlich M a ß ' ) ) . ( AS I i i , WM, 11.9.65)
Die Stellung Schmidts im literarischen Betrieb der Zeit zeigt sich auch in diesen Zitaten als die eines Außenseiters, die zwar zum einen zu Angriffen von außen und damit zu Störungen der eigenen Arbeit führt (etwa die Anklage wegen Pornographie in „Pocahontas"), die aber zum anderen auch notwendige Bedingung der "buch = stabilen Existenz" (AS 22!» WM, 20.12.60) ist, in der es „nichts Kleines [ist], jahraus, jahrein den worst = seller zu liefern!" (AS 2£!» WM, 20.12.60) Diese 'buch=stabile Existenz' Arno Schmidts war nicht geprägt durch ein intuitives Erfassen und Niederschreiben real-literarischer Welten ( "Visionen [ . . . ] ? [ . . . ] Habe ich [ . . . ] bekanntlich keine" (AS "*> AA, 16.8.60)), sondern stets durch konkrete Adaption von Faktischem. Wilhelm Michels spricht hier, Arno Schmidt zitierend (StH, BA 1/2.1, 46), von der „wahnsinnige[n] Lust am Exakten" und der ,,Sein-setzende[n] Kraft von Namen, Zahlen, Daten, Grenzen, Tabellen, Karten" (WM AS, 14.1.64, Anmerkung, beiliegender Brief zur 'Dokumentarischen Sonderausgabe des Steinernen Herzen'). Die quantisierbare Realität ist somit erste Voraussetzung für das Schreiben Schmidts: j e mehr m a n lernt, desto inniger wird m a n von der Uberzeugung durchdrungen [ . . . ] , daß die HerbeischafFung und Sichtung von Material immer noch das Allerwichtigste ist, und auf lange J a h r e hinaus sein wird ( AS W M , 16.2.59)
In der Erzählung „Rivalen." kommt eine dieses Zitat quasi aufgreifende Stelle vor, in welcher der Erzähler seiner Zuhörerin Themen zur
'Brotarbeiten*
9
Historienmalerei mit dem Kommentar benennt: „erstmal den ganzen Komplex erledigen; dann Motive suchen!" (Riv, 86/38). Auch in einem Brief an Alfred Andersch umschreibt Schmidt diese Forderung nach kompetentem Wissen: Allah [hat] mir die Gabe versagtf...], mich über Sachen, von denen ich nichts verstehe, ebenso impressiv wie irrelevant zu äußern. ( AS 21!» AA, 16.8.60)
Daß sich Schmidt seiner eigenen Kompetenz im Rahmen seiner Arbeiten sehr bewußt war, belegt ein abschließendes Zitat: Selbstverständlich weiß ich, daß ich als Wortweltenerbauer ein gewisses Maaß habe - es wäre lächerlich, mich da preziös zu winden! - aber doch nur so, wie ein 6 Fuß großer Mann weiß, daß er die Meisten um sich überragt." ( AS i ü AA, 9.6.58)
Die Art und Weise, in der Arno Schmidt demgegenüber seine für Zeitungen und Zeitschriften verfaßten, kleineren Erzählungen einschätzt, soll im nächsten Punkt behandelt werden.
2.2
'Brotarbeiten'
Neben den erwähnten kürzeren Erzählungen für Zeitungen und Zeitschriften sind mit der Umschreibung 'Brotarbeiten' vorwiegend die Ubersetzungen Arno Schmidts aus dem Englischen ins Deutsche gemeint; von diesen soll hier jedoch nicht im speziellen die Rede sein. Die in den 50-er Jahren noch sehr ärmlichen finanziellen Verhältnisse Arno Schmidts nötigten ihn dazu, einen Großteil seiner Zeit besagten 'Brotarbeiten* zu widmen. ich kann buchstäblich meine Versuchsreihen4 oft halb jahrelang nicht weiterführen, weil ich für dürftigsten Sold die schnödesten Brotarbeiten machen muß." (AS AA, 25.10.54) Selbst 1960 heißt es in einem Kommentar zur Güte von „Kaff" noch: Du wirst jedenfalls enttäuscht sein; und nur, wenn Du bedenkst, daß ich 10% meiner Zeit 'eigenen Produkten' widmen kann, nicht mehr, ist es allenfalls noch als 'passabel' zu bezeichnen 4
( AS 2Z!> AA, 16.8.60)
Vgl.: „Berechnungen I & II". In: Aus julianischen Tagen. Frankfurt/M. 1979, S.234-255.
10
Briefwechsel
Arno Schmidt räumt seinen kleineren Erzählungen kaum literarischen Rang ein, was aus einer Vielzahl von Bezeichnungen, die er ihnen angedeihen läßt, hervorgeht. Viele Zeitungsartikel der bekannten Sorte (sogar schaurige Kurzgeschichten: das kann ich wirklich noch nicht, aber ich will mir wenigstens ein verkäufliches Niveau erüben): 68 solche süßen Nichtigkeiten habe ich schon; sobald es 200 sind, mach' ich mal drei Tage Pause! ( AS JL, WM, 18.8.55)
Eine sehr ähnliche Formulierung findet sich auch einen Monat vorher in einem Brief an Alfred Andersch: [ich bin] bereits mitten in der serienweisen Anfertigung von Skizzen, Glossen, „Plaudereien" und wie die süßen Nichtigkeiten alle heißen. Kurzgeschichten liegen mir eigentlich nicht; aber ich werde mir auch darin ein verkäufliches Niveau zu erüben versuchen. (AS AA, 18.7.55; Vgl: Brief 62, Anmerkung)
Schmidt liegt also auf diesem Gebiet nicht daran, eine seinen Ansprüchen genügende Kurzprosa zu verfassen, als vielmehr ein „verkäufliches Niveau" zu erzielen. So urteilt auch Gerhard SchmidtHenkel über den Band „Sommermeteor", der 23 Kurzgeschichten der Zyklen „Stürenburg-Geschichten" und „Aus der Inselstraße" enthält („Kleine graue Maus." und „Geschichte auf dem Rücken erzählt." fehlen, ebenso wie im vorher erschienenen Band „Trommler beim Zaren"): „die unter dem Titel 'Sommermeteor' versammelten 23 Kurzgeschichten, besonders die Münchhausiaden um den Vermessungsrat a.D. Stürenburg, [kommen] gänzlich ohne das assoziativ-poetisierende Zerstören unserer Sprachkonventionen [aus]. [ . . . ] Man kann sie gewissermaßen mit dem Strich und wider den Strich lesen und wird dennoch als Leser ungleich besser behandelt als in den Werken, die selbst den sogenannten Gebildeten zum Ignoranten abstempeln [ . . . ] . (G. Schmidt-Henkel: Arno Schmidt. In: B.v. Wiese (Hg.): Deutsche Dichter der Gegenwart. Berlin 1973, S.267)
Die von Schmidt gewählte Bezeichnung 'Brotarbeiten' spiegelt eine distanzierte Haltung wider und gestattet ihm, diese Arbeiten von seinen 'eigentlichen' literarischen Werken deutlich zu trennen. Sein geringschätzendes Urteil etwa über diese kurzen Erzählungen berührt
'Brotarbeiten'
11
damit nicht seinen eigenen literarischen Impetus, der in seinen großen Erzählungen und Romanen sein eigentliches Betätigungsfeld findet. Da 'der Mensch' Brotarbeiten = allein relativ schnell satt kriegt - als da sind die dieselmäßige Anfertigung von Übersetzungen, Nachtprogrammen und süßen Kringeln für den deutschen Blätterwald - ergo muß er etwas zur Aufmunterung, zur reinen Wolluscht, haben; in diesem Fall also 'Lilienthal'! (AS WM, 1.1.60) Und so reichen Schmidts Urteile über seine Zeitungs-Kurzgeschichten und sonstigen 'Brotarbeiten' von: „ erzeuge vielleicht gar einige neue Halb = Albernheiten dieser Art" (AS ^ WM, 22.6.60), „ der übliche kleene Dreck" (AS ii!» WM, 20.1.60; „ Den Ganz kleinen Dreck erwähne ich gar nicht; es ist j a zu traurich." (AS 17 AS, 25.10.59)
Die Arbeitsleistung Arno Schmidts des Jahres 1959 bezeichnet dieser selbst in einem Brief an Alfred Andersch: Ergebnisse des Jahres '59 bei mir: 25 'Süße Nichtigkeiten' (also 'Kurzgeschichten', 'Kritiken, Glossen, Essays', und dgl.); 7 'Nachtprogramme'; 2 Bände übersetzt, [ . . . ] für die 2.Auflage des 'Fouque' - 150 Seiten mehr! - sowie 'Rosen &Porree' Korrektur gelesen [ . . . ] , und endlich noch I umfangreiches eigenes = neues Buch geschrieben [Anm.: 'Kaff auch Mare Crisium'] (AS AA, 13.1.60)
Und auch Alice Schmidt betont die schriftstellerischen Anstrengungen in einem Brief an Familie Michels: Übrigens ists wirklich fast nicht mehr feierlich, in welchem Zustand er sich befindet: bedenken Sie bitte, ohne auch nur einen Tag Pause, gleich anschließend an seine unheimliche Brotarbeitsleistung dies Jahr: ein eigenes Großbuch. Der 'Trömmleinkonsum' war wirklich ins Gigantische gestiegen!! Und so die letzte Woche stand er nur unter schwersten Schnäpsen und ist fast zusammengebrochen. (Alice Schmidt
Michels, 1.1.60)
Bleibt zu vermerken, daß der Anklang des 'Trömmleinkonsum' an die Erzählung „Trommler beim Zaren." wohl von Alice Schmidt unbeabsichtigt war, da hiermit vielmehr der Verbrauch diverser Dosen Nescafe gemeint ist, den Schmidts über Michels bezogen und der vorzugsweise in Blechdosen geliefert wurde. Dieser kleine Hinweis leitet somit über zum nächsten Punkt, in dem solche Dinge des Alltäglichen, die zuweilen als Versatzstücke in seinen Erzählungen auftauchen, aufgezeigt werden sollen.
2.3
'Materialien'
Das gesamte Werk Arno Schmidts und somit auch die kleineren Erzählungen, von denen hier die Rede sein soll, ist durchsetzt mit autobiographischen Versatzstücken von Daten und Namen angefangen bis hin zu kleineren Alltagserfahrungen. Im weiteren soll und
'Materialien'
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kann keine Vollständigkeit im Aufzeigen etiler solcher Bezüge erzielt werden 10 , es soll vielmehr punktuell die behauptete Korrespondenz zwischen Ich-Erzähler und Autor qualitativ belegt werden. Neben biographischen Daten stellt der private Briefwechsel eine reiche Quelle für derartige Fragestellungen dar. In der Methodik des Vorgehens sind dabei zwei Richtungen möglich: entweder die Erzählung selbst wird als Grundlage genommen, und mögliche Bezüge werden etwa im Rahmen der Briefe gesucht, oder im umgekehrten Sinne können die Briefe den Ausgangspunkt bilden, und daraus sich ergebende Einzelheiten könnten im Feld aller Erzählungen gesucht werden. Diese Unterscheidung ist freilich eine stilisierte, denn in der realen Arbeitsweise muß ein Mischzustand hieraus vorliegen. Aus diesem Grund, und da eine Vollständigkeit aller Bezüge nicht angestrebt ist (hierfür eignete sich die zuerst genannte Verfahrensweise), werden im folgenden beide Ansatzweisen je nach Zweckmäßigkeit verwendet. Die Erzählung „Trommler beim Zaren." wurde von Arno Schmidt am 22.8.59 niedergeschrieben, also zu einer Zeit, in der Schmidts bereits im Bargfelder Haus Nr.37 wohnten. Schmidt beschreibt hier etwa einige Handwerker bei ihrer Arbeit: ich kann durchaus einen winterlichen Neubau würdigen, früh um 5; und die Handwerker tauen die eingeforene Pumpe des schon fertigen Neubaus mit lodernden Tapetenresten auf. (TbZ, 129/39)
In seinem Aufsatz „Der Platz, an dem ich schreibe", der unter dem Titel „Ich sehe von meinem Schreibtisch den Mond aufgehen" in der „Deutschen Zeitung" vom 26./27.11.1960 veröffentlicht wurde 11 , wird deutlich, daß es sich bei obiger Beschreibung um eine reale Begebenheit handelt. Auch das Haus in Bargfeld mußte umgebaut und renoviert werden, und so findet sich folgende Bemerkung in dem Aufsatz: Da kam mir - ich will es nur gestehen; es war, als die Maurer 'improvisierten' und die eingefrorene Pumpe mit Tapetenresten auftauten - der Einfall, ebenso billig wie genial [ . . . ] (Aus Julianischen Tagen, S.200) l0
D a s ASDS (Arno Schmidt Dechiffrier Syndikat) mit seiner Publikationsschrift „Bargfelder Bote" bemüht sich in dieser Richtung. " D i e s e r Aufsatz ist auch in „Aus julianischen Tagen". Frankfurt/M. 1979. enthalten; hieraus wird zitiert.
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Briefwechsel
Eine Beziehung zum Heideort Bargfeld findet sich im „Trommler beim Zaren." auch einige Zeilen weiter unten: ich wohn' so dicht am Zonenübergang, Und erkenn also vorsichtshalber die DDR an. (TbZ, 130/4) Einige weitere Entsprechungen zwischen fiktiver Ebene der Erzählung und realer Erlebniswelt lassen sich über das Verhältnis zu Wilhelm Michels herausfiltern. So beschreibt Schmidt in „Trommler beim Zaren." das Milieu einer Fernfahrerkneipe. Uber zwei Personen dort schreibt er: ER mit jener für öffentliche Ämter so unschätzbaren würdevollen Fadheit und leeren Ernsthaftigkeit, (dabei so doof, daß er nicht mal in der Hölle Eiskrem verkaufen könnte, wenn er selbständig sein müßte!); SIE von der Sorte, die auf CampingPlätzen gleich Blümchen vors Zelt pflanzt und einen Tannenzapfen daneben legt. (TbZ, 130/20) Michels, die häufig Camping-Urlaube unternahmen, zuweilen auch für einige Tage auf dem Grundstück Schmidts in Bargfeld, fühlten sich durch diese Zeilen angesprochen: Die Schmücke-dein-Heim-Veranlagung der berümpften Campingdame wird durch ihre Angabe nicht deutlich für einen deutschen Leser. Im übrigen hole Sie dieser und jener, wenn Sie bei dem schweigsamen Paar etwa an uns gedacht haben sollten [ . . . ] . Sie brauchen gar nicht dreckig zu grinsen von wegen qui se excusat - für Campingfreunde haben Sie nur ein Modell. (WM AS,25.10.59) Gleich im nächsten Absatz findet sich eine weitere Beziehung zu Wilhelm Michels: Die Frauen meist 'Lieschen', mit leicht gezerrtem Defensor virginitatis, aber handfest: weder ist die Brust, vorn, Tarn & Tara, noch hinten die Porta Nigra. (TbZ, 130/29) In einem Gespräch mit B. Rauschenbach vom 19.5.83 vermerkt Michels hierzu: Als ich ihn [Arno Schmidt ] einmal besuchte, da hatte ich Schmerzen in den Schenkeln und da sagte ich : Ich hab' mir den defensor virginis verrenkt, das hat er sofort notiert. Dann sagte er hinterher: Das könnte ja bis zum anus gehen, und ich sagte: Nee, das ist dann die porta nigra, [...]. (AS - WM, S.333)
'Materialien'
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Eine in vielen Erzählungen zu findende Beziehung zwischen IchErzähler und Autor wird durch die Angabe von Literatur, Literaten, Historikern etc., mit denen sich Schmidt beschäftigte, vermittelt. Auch im „Trommler beim Zaren." erscheint ein derartiger Verweis, in diesem Fall auf die Studien Schmidts zu Karl May: 1 2 „Mensch, Du liest noch Karlmay ?! Bei dem kommt doch nich een Auto vor! Da reiten se doch noch ufFFerden rum, wie beim ollen Fritzen - det hat doch keene Zukumft!" (TbZ, 131/23) Einige weitere Beziehungen dieser Art in anderen Erzählungen sollen benannt werden. In der Erzählung „Am Fernrohr." besucht der Erzähler einen Freund, dessen Schreibtisch er wie folgt charakterisiert: „Der Schreibtisch mit den Lieblingsbüchern umzäunt: wieder derselbe Begriff des ' H a g e s ' 1 3 . " Arno Schmidts Arbeitsplatz in seinem Bargfelder Haus scheint hier vorweggenommen zu sein 1 4 , denn über diesen schreibt er in „Der Platz, an dem ich schreibe": Denn ich brauche Platz. Nicht für meinen Bauch [ . . . ] , sondern für Zettelkästen, Mappen, und vor allem die Tischbibliothek, im Viertelkreis um mich aufgestellt, haarscharfdergestalt, daß ich sie, ungestüm-vorgebeugt, noch erreichen kann (Aus Julianischen Tagen, S.200) In der Erzählung wird weiterhin ein für Arno Schmidt unverzichtbares Nachschlagewerk erwähnt: ich erinnere mich genau, wie er endlich die langersehnte, 32bändige Dünndruckausgabe der 'Encyclopaedia Britannica' von 1926 erhielt (und sie stand 2 Monate bei ihm auf dem Schreibtisch; ich fürchte, er hat während der ganzen Zeit nichts getan, als mit gefalteten Händen davor zu sitzen, und einzelne Lieblingsartikel nachzuschlagen: [ . . . ] ) (Fern, 108/23) Siehe das „Nachtprogramm" „Der vorletzte Großmystiker" gesendet im SDR I am 25.5.56 (enthalten in „Dya Na Sore", Karlsruhe 1958) und die Studie über „Wesen, Werk & Wirkung Karl May's": „Sitara und der Weg dorthin", Karlsruhe 1963. l 3 ahd.: hac = Dornstrauch, Umhegtes 12
11
Vermutlich war die Ordnung auf Schmidts Schreibtisch auch in Darmstadt und Kastel eine ähnliche, doch sind mir hierüber keine Angaben bekannt.
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Briefwechsel
Schmidts Wertschätzung hierfür drückt sich auch in dem bereits mehrfach zitierten Aufsatz „Der Platz, an dem ich schreibe" aus. Hier heißt es: Das in diesem Zusammenhang zu erwähnende, Buchderbücher freilich - ich meine die 'Encyclopaedia Britannica' - steht, mit ihren 16 Dünndruck-Doppelbänden hinter mir; dazu muß ich leider aufstehen; wer wohnt schon vollkommen
(Aus Julianischen Tagen, S.201) Aber auch in den Briefwechseln ist häufiger die Rede von diesem Werk. So bezeichnet Schmidt in einem Brief an Andersch (Brief 118, 19.1.57) die „Miß 'Encyclopaedia Britannica'" als „unversieglichefn] Brunnen der Information" und an Michels gerichtet schreibt er: „Freuen Sie sich mit mir: wenn nicht alle Anzeichen trügen, werde ich diesen Monat, endlich = endlich, I 'Encyclopaedia Britannica' erhalten ! Von 1926; 32 Bände, in 16 gebunden;" (AS i ü , W M , 8.2.60). In der Erzählung „Am Fernrohr." ist der vom Erzähler besuchte Freund Eduard somit als alter ego Arno Schmidts zu bezeichnen, zumal einige Lieblingsartikel Eduards aus dem „Buchderbücher", nämlich das Buch Mormon und die Insel Tristan da Cunha, eindeutig die Interessensphären Arno Schmidts betreffen 1 5 . Uber die 'Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage', d.h. die Mormonen, verfasste Schmidt das Essay „Das Buch Mormon" (veröffentlicht: konkret 3, 1962), von dem er bereits Anfang 1959 zu Michels spricht: „Sie wissen j a längst, daß ich nächstens das 'Buch Mormon' verarzten will;" (AS 211» WM,18.1.59) Im selben Brief wird ein Band J.H. Schroeters 'Aphroditographische Fragmente' von 1796 erwähnt, der die Beschreibung eines Fernrohres enthält: Ich bitte, den betreffenden Band pfleglich zu behandeln - I Kupfer fehlt ohnehin schon; (oh, ich kenne ihn wohl: hinten ist die genaue Beschreibung des Riesenfernrohres drin, die ich mir vor Jahren mühsam abtippte !) (AS ill» WM, 18.1.59) Die Vermutung, daß die Beschreibung des Fernrohres in der vorliegenden Erzählung von derjenigen Schroeters adaptiert wurde (sozusagen in maßstabsgerechter Verkleinerung), liegt bei der bekannten Arbeitsweise Schmidts, die alle Fakten akribisch auf Zetteln festhielt, nahe, zumal auch Schröter in der Erzählung von Eduard erwähnt wird: 15
Auch in der Erzählung „Seltsame Tage." werden sowohl der Mormonismus als die Insel Tristan da Cunha erwähnt.
'Materialien'
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„Es zeigt natürlich die Jupitermonde. Mars war während seiner Opposition scharmant zu sehen. Der Mond: wundervoll !: Du weißt, ich arbeite über Schröter." (Fern, 109/8)
Und auch der genannte Artikel über Tristan da Cunha gliedert sich in die Biographie Arno Schmidts ein, da Schmidt nachweisen wollte, daß Schnabels „Insel Felsenburg" mit der Insel Tristan da Cunha identisch ist 1 6 : ¡Haben nicht Sie selbst, höchsteigenhändig, mir aus London die 'Three Years in Tristan da Cunha' mitgebracht, mit deren Hülfe ich dann unumstößlich nachweisen konnte, daß die 'IF' [Anmerkung: Insel Felsenburg] damit identisch ist ? ! (AS WM, 16.2.57)
Bezüge dieser Art ließen sich noch mannigfaltig fortführen. So schreibt Schmidt, seine Studien zur französischen Revolution charakterisierend, an Michels: Der 'Carlyle' 17 ist durchgearbeitet; reichlich deklamatorisch ('blühender' Stil sagte man früher einmal), aber doch voller Material. (AS _ÜU WM, 7.12.56)
Und dieses Werk findet sowohl in der Erzählung „Am Fernrohr." („Anscheinend war bei ihm eben die alte große französische Revolution von 1789 an der Reihe: da lag der Lamartine; Carlyle, Thiers; [...]", 109/35) als in „Zählergesang." („Erst noch ein bißchen in den Geschichten aus der Französischen Revolution blättern; Carlyle, Thiers, Aulard und Kropotkin [...]", 106/23) Verwendung. Neben diesen genannten Entsprechungen weisen jedoch die Erzählungen viel weitgehendere, direktere Verschmelzungen mit dem Leben Schmidts auf. Wenn der Ich-Erzähler in „Geschichte auf dem Rücken erzählt." über seine Erlebnisse aus Norwegen berichtet, so verweist dies auf die Stationierung Schmidts zwischen 1942 und 1944 im von den Natio16
siehe: Nachtprogramm: „Treffpunkt für Zauberer", SDR I, 14.2.56 ungedruckt; „Herrn Schnabels Spur" in „Dya Na Sore", Karlsruhe 1958 (der Band enthält das „Nachtprogramm" erweitert um „topographisches Beweismaterial").
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D i e Französische Revolution. Geschichtsbild von Thomas Carlyle. Halle 1898.
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Briefwechsel
nalsozialisten besetzten Norwegen 18 , oder wenn dieser Ich-Erzähler in „Nebenmond und rosa Augen." mit seiner Dämonin „es einmal nur stark blitzen [sah][...] zwischen Görlitz und Lauban" (135/20), so ist die Entsprechung zu Arno Schmidts Wohnort Lauban in Schlesien ab November 1928 eindeutig. (Die besuchte Oberrealschule lag in Görlitz.) In derselben Erzählung findet sich eine Beziehung zu Arno Schmidts Arbeit in den Greiff-Werken in Greiffenberg: „Erst über die übliche, waldtextilene Bodenbindung aus Lichtgräten & Schatten, Potz Eisner & Tiepolt.", denn 'Eisner' und 'Tiepolt' sind die Namen zweier Arbeitskollegen aus dieser Zeit.(siehe: WuHi?, Zürich 1986, S.241) Auch die Aussagen: „Ich lege eine Riesenkartei an, von zweibis dreihunderttausend Zettelchen" („Die Vorsichtigen.", 73/12) und „Aber jetzt bin ich 45 19 und arbeite langsamer, mit Chroniken und Archiven [...]" („Rivalen.", 84/29) lassen hinter dem erzählerischen Ich ebenso unschwer Arno Schmidt erkennen, wie der im folgenden teilweise zitierte Absatz aus „Schlüsseltausch.": (Noch dies zur Erklärung: ich lebe von den Revenuen meiner Schreibmaschine - Meist süße Nichtigkeiten: Zeitungsbeiträge; Plaudereien; [ . . . ] wenn es hoch kam, einmal ein seriöses Nachtprogramm. 'Fouque und einige seiner Zeitgenossen'! kein schöner Beruf !). (Schlü, 6 6 / 2 9 )
Als letztes schließlich sei beispielhaft die Erzählung „Schulausflug." (Niederschrift: 19.5.57) genannt, die biographische Elemente überaus zahlreich enthält, beginnend mit Schmidts Wunsch (der sich bekanntlich ab Dezember '58 realisierte), ein eigenes Haus in Norddeutschland zu bewohnen („Freilich, wenn man Geld hätte . . . Ich wüßte es jetzt schon richtig anzuwenden: ein winziges Häuschen in der Heide [...]", 111/23) über die Erwähnung geschätzter Bücher und Autoren („Eintausend erlesene Bücher: einmal in aller Ruhe die 'Insel Felsenburg' l8
siehe: Max Arnes: Erinnerungen an Arno Schmidt in Norwegen, aufgeschrieben von B. Rauschenbach, In: WuHi?, 211-217. 19 Die Erzählung „Rivalen." wurde am 30.5.56 niedergeschrieben, so daß Schmidt zu diesem Zeitpunkt 42 Jahre alt war. D a Schmidt jedoch bis weit in die 50-er Jahre sein Geburtsdatum auf 1910 fälschte (siehe unten, Kap.3.1), könnte diese Altersangabe in der Erzählung vermuten lassen, daß sie bereits im Jahre 1955 existierte.
'Materialien*
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durchgehen können, den 'Nachsommer', oder Lessing von A bis Z;", 111/26) bis zu den Zitaten eines eigenen Essays und zweier Jugendwerke „Schreiben Sie einen Essay - zumindest das Gerüst eines solchen - über „Die Großhauswelten"; das wird für die nächsten Wochen und Monate unser T h e m a sein" (Schul, 114/19) „Ich kenne einige Ihrer Bücher", ergänzte er undurchdringlich (hoffentlich nicht die ganz frühen, den ' S a t a s p e s ' oder das 'Haus in der Holetschgasse'!). (Schul, 115/30)
sowie seiner Erzählung „Kosmas oder vom Beige des Nordens" („ 'das sind die Sterne bzw. ihre Führer um den Berg des Nordens.' 'Berg des Nordens?' wiederholte er befremdet; und ich mußte ihm erst das Weltbild Kosmas' des Indikopleustes erklären.", Schul, 116/15) 2 0 Die Aussage Bert Blumenthals Von den Helden Arno Schmidts zu sprechen heißt deshalb: Von Arno Schmidt zu sprechen. [ . . . ] Tatsächlich stimmen die Erlebnisse und Urteile der Helden soweit mit Schmidts Schicksal, seinen Erinnerungen, Beobachtungen, Gedanken und psychologischen Attributen überein, daß der Erzählakt zum Selbstbekenntnis gerinnt. ( B . Blumenthal: Der Weg Arno Schmidts, München 1980, S.8)
die sich primär auf die Hauptwerke Arno Schmidts bezieht, wird also für die Erzählungen „Aus der Inselstraße", denn aus diesen stammten sämtliche Werkzitate dieses Abschnitts, vollauf bestätigt. Der Kommentar Michels zum Eingangszitat dieses Kapitels trifft damit nicht nur die Person Arno Schmidts, sondern auch seine 'scheinbar' fiktiven Helden: „Tupistertupist". (WM Ji!» AS, 12.5.60)
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Siehe auch das Essay: „Henoch, N T , und K o s m a s " In: Aus Julianischen Tagen. 1979.
3. Berechnungen
„Die Oberflächen der Dirige sind wichtiger als ihr 'Wesen'" Neb, 138/32 In drei Aufsätzen mit dem jeweils durchnumerierten Titel „Berechnungen" aus den Jahren 1955 und 1956 gibt Arno Schmidt Einblick in seine Theorie der Prosa. Beziehen sich die „Berechnungen I & II" (erstveröffentlicht in „Texte & Zeichen" 1955 H.l und 1956 H.l) 1 auf allgemeine Aufbauprinzipien Schmidtscher Prosaformen (Makrostruktur), so sind die „Berechnungen III" (posthum veröffentlicht in: Neue Rundschau. 1980, H.l, S.5-20) 2 der Gestaltungsweise von Interpunktion und Orthographie gewidmet (Mikrostruktur). Es bietet sich an, auch aus dieser Perspektive der „Berechnungen" heraus, das Werk Arno Schmidts zu betrachten, da Arno Schmidt in diesen Aufsätzen über sein Schreiben reflektiert, wodurch gewisse Motive zu Form und Technik des Erzählens deutlich werden können. Den inhaltlichen Schwerpunkt dieser vorliegenden Arbeit bilden die frühen, kleineren Erzählungen Arno Schmidts, die in den Zyklen „Stürenburg-Geschichten" und „Aus der Inselstraße" zusammengefaßt sind. Insofern stellen die „Berechnungen I & II", in denen sich Arno Schmidt auf seine größeren Werke bezieht, kein geeignetes Maßsystem zur Beurteilung eben jener kleineren Erzählungen dar, zumal diese außerdem als ZeitungsVeröffentlichungen konzipiert und dementsprechend monitären Zwecken gewidmet sind. (Siehe die Zitate in Kapitel 2) Jedoch lassen sich auch in einigen dieser kurzen Erzählungen verwandte Strukturen zu seinen Werken und damit zu den „Berechnungen I & II" finden (siehe unten: „Rivalen.", „Nebenmond und rosa Augen." ). 1
Zitiert wird nach: Aus julianischen Tagen. Frankfurt/M. 1979, S.234255. 2 Zitiert wird nach: Beiheft zur Züricher Kassette. Zürich 1985.
Berechnungen I fc I I "
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Weiterhin bestehen wichtige Korrespondenzen zwischen der Mikro- und Makrostruktur in der Art, daß einige Eigenschaften der einen Struktur sich in notwendig gewandelter Form in der anderen wiederfinden lassen, (s.u.: 'löcheriges Dasein' vs. 'Stil der Parenthese') Insofern werden in diesem Kapitel nicht nur die „Berechnungen I I I " vorgestellt, sondern es wird ebenfalls, wenn auch in knapperer Form, auf die „Berechnungen I & I I " eingegangen, da nur in einer solchen Gesamtschau hinreichend begründbare Urteile möglich werden.
3.1
„Berechnungen I & I I "
Arno Schmidt entwirft hier das Konzept vier neuer Prosaformen, die er „Erinnerung", „Löchrige Gegenwart/Musivisches Dasein", „Längeres Gedankenspiel ( L G ) " und „Traum" nennt. Den ersten „Versuchsreihen", wie Schmidt diese nennt, können seine Werke zugeordnet werden; beispielhaft etwa „Seelandschaft mit Pocahontas" und „Die Umsiedler" zur Form der „Erinnerung", die Trilogie „Nobodaddys Kinder" zum „Musivisches Dasein" und „Kaff auch Mare Crisium" zum „ L G " . Das Paradigma des „Traumes" bleibt sowohl innerhalb der „Berechnungen" theoretisch als auch in seinen Werken praktisch unausgeführt. (Ein schriftstellerisches Leben von ca. 30 Jahren [19491979] kann u.U. nicht jeden Vorsatz verwirklichen.) Die Genese dieser neuen Prosaformen hält Schmidt für unabdingbar, da er die in ihnen widergespiegelten Annahmen über die Art und Weise von Denken und Wahrnehmung in den historisch gewachsenen Prosaformen Großer Roman, Briefroman, Gespräch und Tagebuch nicht wiederfindet. Es wäre aber für die Beschreibung und Durchleuchtung der Welt durch das Wort (die erste Voraussetzung zu jeder Art der Beherrschung!) ein verhängnisvoller Fehler, wollte man bei diesen "klassischen" Bauweisen stehen bleiben ! ( B I, S.235)
Arno Schmidt fordert damit eine Entsprechung von Form und Inhalt, wobei er die 'klassischen Bauweisen' durchaus als „optimale[... ] Erledigungsform" ( B I, S.234) für gewisse Themenkreise ansieht, aber eben nicht für das Thema, dem er sich verschrieben hat: das Subjekt in seiner eigenen, abgeschlossenen Welt. Und so formal korrekt auch
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Berechnungen
der Ich-Erzähler vom Autor zu unterscheiden ist, bei Arno Schmidt ist dieses 'Ich' stets zu großen Teilen Arno Schmidt selbst, was die Vielzahl biographischer Hinweise und Andeutungen in seinen Werken belegen. Insofern ist Arno Schmidts großes Thema fast stets 'Arno Schmidt', so daß hier ein Zirkel geschlagen ist, in den sich die selbstgewählte Zurückgezogenheit im Heidedorf Bargfeld ebenso einordnen läßt wie die oftmals banale äußere Handlung seiner Werke. Arno Schmidts Motive für seine Prosaformen liegen damit in seiner eigenen, subjektiven Weltsicht begründet und entbehren a priori eines allgemein gültigen Status, auch wenn Arno Schmidt einen solchen beansprucht. Das diese Weltsicht beherrschende Prinzip umschreibt Arno Schmidt in „Aus dem Leben eines Fauns" (BA 1/1.2, S.301) Mein Leben ?!: ist kein Kontinuum ! Kein Kontinuum, kein Kontinuum!: die Erinnerungen
so rennt mein Leben, so
Dies ist der Ansatzpunkt für die Poetologie Schmidts, den er in seinen „Berechnungen" weniger analytisch und argumentativ denn vielmehr provozierend und intuitiv darstellt. Nähme Schmidt das im obigen Zitat verwendete Possesivpronomen 'mein' ernst, so würde er eine Erfahrung seiner eigenen Wahrnehmung ausdrücken und damit dem Leser, indem dieser seine eigene Erfahrung vergleichend überdenkt, eine offene Frage anbieten. Eine derartige Bescheidung wäre jedoch Arno-Schmidt-untypisch, und so erhebt er seine Behauptung in den Rang einer Gewißheit, indem er die Funktionsweise des menschlichen Gehirns (von der die Wissenschaft auch heute, 30 Jahre nach Schmidts Äußerungen, nur eine große Menge an Detailwissen, aber keine prinzipielle Erklärung anbieten kann) als Ursache dieser diskontinuierlichen (diskreten) Wahrnehmung annimmt bzw. postuliert. Ich warne besonders vor der Überheblichkeit, die hier vielleicht das dem Bürger naheliegende schnelle Wort von einem "Zerfall" sprechen möchte; ich stelle vielmehr meiner Ansicht nach durch meine präzisen, "erbarmungslosen", Techniken unseren mangelhaften Sinnesapparat wieder an die richtige ihm gebührende biologische Stelle. Gewiß geht dabei der liebenswürdige Wahn von einem singulären überlegenen "Abbilde Gottes" wiederum einmal mehr in die Brüche; die holde Täuschung eines pausenlosen "tüchtigen", Lebens, [ . . . ] wird der Wirklichkeit über-
Berechnungen I fc II"
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haupt nicht gerecht. Eben dafür, daß unser Gedächtnis, ein mitleidiges Sieb, so Vieles durchfallen läßt, ist meine Prosa der sparsam-reinliche Ausdruck. (B I, S.241)
Seine Aufgabe als Schriftsteller beschreibt Schmidt in seinen „Berechnungen" als eine getreue Abbildung eben dieser Gehirnmuster durch seine Prosa, wobei er, mathematische Fachausdrücke adaptierend, von „Transformationsgleichungen" (B I, S.242) und „konformen Abbildungen" (B I, S.235) spricht. Ohne näher auf die von diesen Termini mittransportierten Bedeutungen einzugehen, bewirken diese jedoch einen Anklang an einen naiven Mechanismus, der in deterministischer Weise zwischen Form und Inhalt vermittelt. Von zwei solchen Formen: der „Erinnerung" und des „löcherigen Daseins" ist in den „Berechnungen I" die Rede. Den Prozeß des „SichErinnerns" beschreibt Schmidt wie folgt: immer erscheinen zunächst, zeitrafferisch, einzelne sehr helle Bilder (meine Kurzbezeichnung: "Fotos"), um die herum sich dann im weiteren Verlauf der "Erinnerung" ergänzend erläuternde Kleinbruchstücke ("Texte") stellen (B I, S.235f.)
Diese Kombination von „Fotos" und „Texten" (die „Fotos" sind in „Die Umsiedler" und „Seelandschaft mit Pocahontas" in einem Kasten eingerahmt und in einem kleineren Schriftbild als die „Texte" gehalten) entspricht einer Montagetechnik, wobei die Separation der Einzelteile sich in „Pocahontas" auch auf die „Texte" selbst bezieht, indem dort durch Schrägstriche im fortlaufenden Text weitere Subeinheiten geschaffen werden. Arno Schmidt spricht hier von einer „kristallinische [n] Struktur des Textes" (B I, S.240) und einem „Kristallgitter der betreffenden 'Erinnerung' " (B I, S.236). Indem diese äußere Form der Gehirnstruktur des Menschen entspreche, werde im Leser „die Illusion eigener Erinnerung suggestiv erzeugt " (B I, S.236). (Mit der Einschränkung, daß „hierzu auch schärfste Wortkonzentrate [zu] injizieren" sind. (B I, S.236)) Auf die übrigen Unterteilungen dieser Prosaform, die Schmidt im weiteren angibt und mit mathematischen Fachausdrücken zu betiteln versucht, soll nicht eingegangen werden, da es hier lediglich auf prinzipielle Merkmale Schmidtscher Prosa ankommt. (Außerdem ließe sich zwar über die „Bewegung im Raum (gesetzmäßig festgelegt und geregelt durch die Urexplosion des Leviathan)" (B I, S.237) vorzüglich spekulieren, aber wohl kaum Faktisches zutage fördern.)
Berechnungen
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Die zweite Prosaform, von der in den „Berechnungen I" die Rede ist, ist die der „Löchrigen Gegenwart", die sich umschreiben läßt als „Gedankengequirle in dem durch die Reaütät hingetragenen K o p f (S & B , S.225), deren Beschreibungsebene „die 'jüngste Vergangenheit' (die auch getrost noch als 'älteste Gegenwart' definiert werden könnte)" ( B I, S.240) ist. Diese Form ist kennzeichnend für das Werk Arno Schmidts von der Trilogie „Nobodaddys Kinder" (auch: „Brand's Haide-Trilogie") über „Kosmas oder vom Berge des Nordens" bis zu „Kaff auch Mare Crisium", womit gleichzeitig die Schaffensperiode der 50-er Jahre abgedeckt ist. Formales Kennzeichen dieses Prosastils ist eine Gliederung in Kleinkapitel, die durch eine „Initialzündung des herausgezogenen kursiven Titels" ( B III, Ergänzung, §12) eingeleitet werden (näheres hierzu s.u.). Mit jedem dieser Kleinkapitel wird ein in sich geschlossener Erzählabschnitt definiert, der mit seinen 'Nachbarn' durch den Rahmen innerer und äußerer Handlung verkoppelt ist. Der Ubergang von einem Kleinkapitel zum nächsten entspricht damit in etwa einem 'Szenenwechsel', so daß sich eine Handlung in den daraus sich ergebenden Sprüngen vollzieht - diese diskontinuierliche Struktur trägt demnach 'Mosaikcharakter'. [ . . . ] hat man das Gefühl eines 'epischen Flusses' der Ereignisse? Eines Kontinuums überhaupt? Es gibt diesen epischen Fluß, auch der Gegenwart, gar nicht. Jeder vergleiche sein eigenes beschädigtes Tagesmosaik! Die Ereignisse unseres Lebens springen vielmehr. Auf dem Bindfaden der Bedeutungslosigkeit, der allgemeinen langen Weile, ist die Perlenkette kleiner Erlebniseinheiten, innerer und äußerer aufgereiht. ( B I, S.240f.)
Diese These einer „porösen Struktur auch unserer Gegenwartsempfindung" versucht Arno Schmidt in seiner Prosaform wiederzugeben, wodurch sich eine Erzähltechnik ergibt, die Lenz Prütting 3 eine „FilmTechnik" nennt, da sich semantisch verwandte Begriffe aus diesem Bereich zur Charakterisierung des Stils anbieten: Montage, Schnitt, subjektive Kamera, usw.. Die Bezüge zu A. Döblin, der 1913 einen 'Kinostil' der Literatur forderte, werden von Prütting aufgezeigt und den Berechnungen Schmidts gegenübergestellt. (Eine kritische Ana-
3
In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ( K L G ) , Band 7, Hrsg.: H.L. Arnold, edition text & kritik, 1.9.85.
Berechnungen I fe II"
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lyse an dieser Stelle, die mögliche inhaltliche Entsprechungen zwischen Döblin und Schmidt aufzeigen könnte, verließe jedoch das Thema dieser Arbeit. Einige erste Hinweise finden sich in: R. Schweikert, Nahentfernte Nachbarschaft, Text & Kritik' 20/20a, 4.Auflage 1986) Das abschließende Urteil Pruttings lautet: Die Entelechie des Schmidtschen Werks ist der Film. (L. Prüttirig, KLG, S.8) In dieser Erzähltechnik Schmidts, die er auch „Musivisches Dasein" (B II, S.243) nennt, sind zwei Erzählungen, wenn auch noch nicht exakt gemäß der in seinen Werken kanonisierten Form, abgefaßt, nämlich „Rivalen." und „Nebenmond und rosa Augen.". Die Erzählung „Rivalen." ist in sechzehn durchnumerierte Absätze (Kleinkapitel) geteilt, die zwar nicht durch einen Kursivdruck eingeleitet werden, die aber dennoch Anfange aufweisen, die im Sinne Arno Schmidts einer „Initialzündung" dienen können; zumeist durch einen anschließenden Doppelpunkt eingeführt, folgt die Erzählung des Kleinkapitels. Nachstehend sind die 16 Absätze mit einer kurzen inhaltlichen Charakterisierung und einer Wiedergabe der „Initialzündungen" aufgeführt. (Häufig entspricht der Kapitelanfang einer solchen Charakterisierung.) 1. Traumerinnerung; „Das weiß ich noch:" 2. Gedanklicher Rückblick auf die letzten Tage; „ Wieder im Bett (ein leeres neben mir):" 3. „In der Wirtshausstube" 4. Petra „Vandling oder van der Longen" tritt auf; „Schon erschien sie" 5. „Schloßhof:" 6. „Heimlich vor ihrer Staffelei:?:" 7. „Mittagessen:" 8. Das Essen wird serviert; „Die Hohlkeule seiner Hand:" 9. Innere und äußere Szenenbeschreibung; „Die Sonne verschwand." 10. „Also raus.:" 11. Ich-Erzähler spricht 'sie' fragend an; „ 'Sagen Sie: [...]' " 12. Ihre Antwort; „Ihr Geständnis:" 13. Abendessen; „Oh Du mein Abendbrot:" 14. Beschreibung der Wirtin; „ 'Frau Wirtin?-':"
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Berechnungen
15. Verführungsszene; „Petra in meinem Zimmer:" 16. Rückbezug auf 1. und 2.; „Ihr leeres Kleid im Arm:" Es zeigt sich, daß die Satzbruchstücke, die die jeweiligen Absätze einleiten, in den meisten Fällen titelhaft die folgende Szene beschreiben. Der anschließende Doppelpunkt entspricht dieser Aussage, da er auf weitere Spezifikationen des im 'Titel' Genannten verweist. Insofern lassen sich diese 'Einführungen in den Absatz' mit den kursiv gedruckten Kleinkapiteleinleitungen gemäß der Prosaform des „Musivischen Daseins" vergleichen, und es bedeutete keine grobe Textveränderung, die Erzählung „Rivalen." in eben diese 'kanonische Form' umzusetzen. Die Erzählung „Nebenmond und rosa Augen." entspricht genau dieser Form, bis auf ein kleines (in den „Berechnungen III" gefordertes) Detail: „Die Anfangszeilen der Kleinkapitel müssen vorgezogen sein (mindestens 3 Anschläge!)" (B III, Ergänzungen, §13). Da diese Erzählung jedoch in Kapitel 4 näher behandelt wird, sei hier lediglich auf diese Stelle verwiesen (Kap. 4.2). Insoweit ist also ein erster Bezug zwischen den meta-literarischen „Berechnungen" und den frühen Erzählungen hergestellt. Die in den „Berechnungen III" ausgeführte Prosaform des „Längeren Gedankenspiels" ist für die kleineren, hier untersuchten Erzählungen meiner Ansicht nach ohne Bedeutung, so daß ich hier nur äußerst knapp und summarisch - im Sinne einer benennenden Vollständigkeit - darauf eingehen möchte. Wesentliches Merkmal der Prosaform „LG" ist nach Arno Schmidt die Unterteilung der erzählten Handlung in zwei Ebenen, nämlich in die objektive und subjektive Realität, bzw. in Arno Schmidts Nomenklatur: Erlebnisebene I & II, oder: „LG = EI + EU" (B II, S.244) Die subjektive Realität entspricht dabei einem Gedankenspiel des Protagonisten, wodurch eine innere Gegenwelt zur äußeren Welt des Faktischen geschaffen wird. Selbst die Grammatik erkennt die Existenz des Gedankenspiels so bedingungslos an, daß sie das ganze Riesengebäude eines besonderen Modus dafür erfunden hat: den Konjunktiv! Jeder Gebrauch eines "hätte, wäre, könnte" gesteht das Liebäugeln mit einer "veränderten" Realität, und leitet so recht das LG ein. Man kann den Konjunktiv natürlich auch eine gewisse innere Auflehnung gegen die Wirklichkeit nennen; meinetwegen sogar ein linguistisches Mißtrauensvotum gegen Gott: wenn
Berechnungen I fc II"
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alles unverbesserlich gut wäre, bedürfte es gar keines Konjunktivs ! (B II; S. 245f., §3) Im weiteren gibt Schmidt literarische Beispiele 'reiner E II-Typen' also „halbierter LG's" (B II, S.246, §4) an, die, nach gewissen von Arno Schmidt aufgestellten Kategorien, sogenannten „Spektralklassen der Geister" (B II, S.248, §4), bewertet, vom „Umständlichen Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket" von E.A. Poe über „Wuthering Heights" von Emily Bronte (der 'mittleren' der „taubengrauen Schwestern" 4 ) bis zu „Schwarze Spiegel" von Arno Schmidt selbst reichen. „Diese reinen Typen des E II" (B II, §4) vergleicht Arno Schmidt mit einer nur zur Hälfte notierten Schachpartie, d.h. einer solchen, bei der nur die weißen oder nur die schwarzen Züge bekannt sind. Dieses von Arno Schmidt verwendete Bild verweist dabei auf eine autobiographische Begebenheit, von der Johannes Schmidt (nicht mit Arno Schmidt verwandt) in seinen Erinnerungen (siehe: WuHi?, „ . . . j e n e dunklen Greiffenberger Jahre", 131-159) berichtet, nämlich eine von Schmidt „aufgeworfene Fragestellung, ob es möglich sei, eine Partie zu rekonstruieren, wenn nur die Züge eines der beiden Partner bekannt seien". (WuHi?, S.136) Insgesamt beziehen sich die in den „Berechnungen I & II" aufgestellten Axiome auf die formale Gestalt von Prosa, welcher Arno Schmidt ein eindeutiges Primat gegenüber anderen literarischen Gattungen einräumt: Man schreibt Prosa. Nur sie wird rhythmisch der Vielfalt der Weltabläufe annähernd gerecht; zumal wenn mit einer erfreulichen Tendenz zu größerer Genauigkeit & Offenheit gekoppelt. (S & B, S.216)
Diese Axiome beziehen sich dabei ausschließlich auf „die Oberflächen der Dinge [, die] noch so unzureichend beobachtet" (S & B, S.204) sind: das Problem der heutigen und künftigen Prosa [ist] nicht der "feinsinnige" Inhalt [ . . . ] - der psychologischen Pünktchenmuster und anderen intim-kleinen textilen Varianten werden wir immer genug besitzen - sondern die längst überfallige Entwicklung der äußeren Form. (B I, S.240, §4) 4
„Angria & Gondal. Der Traum der taubengrauen Schwestern", gesendet im SRI vom 1.7.60; enthalten in: Aus dem Leben eines Lords, 6 Nachtprogramme. Frankfurt/M. 1975.
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Berechnungen"
Ebenfalls mit einer formalen 'Oberfläche', die den Inhalt des E r z ä h l t e n nicht festlegt, beschäftigt sich Arno Schmidt in seinen „Berechnungen I I I " , indem er quasi 'eine Dimension tiefer' Stellung zu I n t e r p u n k t i o n u n d O r t h o g r a p h i e bezieht. Auf dieser W o r t - u n d Satzebene des Textes sind s o d a n n auch direkte Vergleiche zu den kleineren Erzählungen möglich, (siehe: Kapitel 5) 3.2
„Berechnungen I I I "
Die in 15 P a r a g r a p h e n (davon vier als „ E r g ä n z u n g e n " ) geteilten „Berechnungen I I I " besitzen weit mehr als die Aufsätze „Berechnungen I & II" glossarischen C h a r a k t e r , indem A r n o Schmidt hier nicht nur auf eigene sprachliche Regeln mit Optionscharakter hinweist, sondern indem er sich a u ß e r d e m durch 'verbale K r a f t a k t e ' gegen die Vertreter der von ihm verletzten Norm abgrenzt, wobei ihm „Musjö D u d e n " (B III, §1) hier als Leitfigur dient. Daß eine derartige Abwertung auch durch eine W o r t n e u s c h ö p f u n g erfolgen kann (d.h. ohne die Semantik des Wortes zu kennen, ergibt sie sich zwanglos aus dem Kontext), belegt das in „Sylvie & B r u n o " ausgesprochene Urteil: die Erkenntnis, daß Herr Duden ('Konrad', auch das noch !) zwar im Büro schätzbar sein mag; ansonsten aber höchstens soviel bedeutet, wie die vorhin schon erwähnten 'other Professors' 5 : nämlich keinen Blaffert! (S & B, S.220) Dieser G r u n d t o n , in dem die „Berechnungen I I I " gehalten sind, wird sich auch in den folgenden Zitaten zeigen, so daß an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen werden soll, daß ein Herausfiltern von rein Faktischem zum einen k a u m möglich sein d ü r f t e (sofern Textstellen als Beleg dienen sollen), u n d zum anderen auch nicht beabsichtigt ist, d a ein 'bereinigter' A r n o Schmidt eben kein Arno Schmidt m e h r ist. Von den „notwendige[n] Verfeinerungen, des schriftstellerischen Handwerkszeuges" (§2) ist j e t z t im Einzelnen die Rede. „ - A v a n t i ! : " (§2)
'„[die] vielen, so herzschneidend überflüssigen Literatur-Professoren, von Ad & Cy über Ma & Mu bis Zett: ein Mal muß es den Herren ja gesagt werden: wenn WIR nicht ab & zu Bücher schrieben, wären Die-da (und den Daumen sooo über die Schulter tikkn lassen) - arbeitslos!" (S & B, S.217)
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Berechnungen III"
Die ersten drei konkret inhaltlichen Paragraphen 3-5 ergeben Hinweise zur Motivation der Schmidtschen Interpunktion, von der er sagt: „Man kann damit stenografieren!" (§3). Diese Aussage enthält bereits einen wesentlichen Aspekt, der sich in vielen Einzelfällen des Gebrauchs der Interpunktion Arno Schmidts wiederfindet: Ebenso wie das Stenogramm einen vollen inhaltlichen Gehalt wiederzugeben vermag und damit Bedeutungsträger ist, erhält auch das Satzzeichen eine eigene Semantik. D.h. dem Satzzeichen kommt eine neue Punktion bei, die jenseits einer grammatikalischen Satzgliederung (vorwiegend P u n k t und Komma) oder eines Signiiicharakters (etwa Ausrufe- und Fragezeichen) liegt. In gewissem Sinne ließe sich sagen, daß das Satzzeichen Wortqualität erhält, wobei diese jedoch vornehmlich erst bei einer Kombination mehrerer Satzzeichen zum Ausdruck kommt. Eine Ausdrucksmöglichkeit von Satzzeichen betrifft die Wiedergabe von Gesten (siehe zur 'mimetischen Funktion': Kapitel 5.1.1.4), etwa die Kombination von Doppelpunkt und Fragezeichen, in dem von Arno Schmidt benutzten Beispielsatz: „Sie sah herum:?". In der Auslegung Schmidts bedeutet der Doppelpunkt „das fragend geöffnete Gesicht" (§3), das Fragezeichen „die Torsion des hergewandten Körpers" (§3), womit „das Ganze also 'Die Frage' " (§3) bezeichnet. Die Satzzeichen werden also nicht willkürlich zu Gruppen zusammengefaßt - damit könnte auch kein Gehalt transportiert werden - , sondern das Einzelzeichen behält zwar in Näherung seinen konventionalisierten Informationsgehalt, nimmt jedoch Zusatzinformationen auf. So etwa der Doppelpunkt, der im obigen Beispiel zum einen als eine Ankündigung des Fragecharakters zu verstehen ist (der Doppelpunkt steht vor dem Fragezeichen), zum anderen jedoch auch als Piktogramm eines Augenpaares. Neben dieser Funktion der Wiedergabe nicht-sprachlicher Handlungen nennt Arno Schmidt die Reduktion von Sprechakten standardisierter Form (etwa 'Wegauskünfte') bis auf das sie gliedernde Interpunktionsgerüst. So lautet Arno Schmidts Antwort auf die Beispielfrage: „Wo wohnen hier Thumann's?" :„."-:«!"-:"!!!«
(§3),
deren Decodierung ins Spezielle nicht möglich ist. Sofern dieser mögliche Inhalt jedoch nicht handlungstragend ist, kann Arno Schmidt auf ihn verzichten und dem Leser eine beliebige Interpretation überlassen, was sich mit der Aussage in Paragraph 15 deckt:
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Berechnungen" das ist alles Wasser; zeilenschindendes vornehmes Gewäsch, was nicht bleibt, und 'dehydriert' werden muß!
Ein weiteres formales Kennzeichen der Prosa Schmidts ist die häufige Verwendung von Klammern, in die er gedankliche Einschübe, Parallelhandlungen oder -Wahrnehmungen oder etwa Kommentare setzt. (Näheres: siehe Kapitel 5.1.1.3) In den „Berechnungen III" bezeichnet Schmidt die Klammer als „die stilisierte Hohlhand, hinter der man additionell-Geheimes flüstert" (§3) und als Abbild „von Stirn = und Hinterkopfwölbung" (§3). Beinhaltet die Klammer also gemäß der zweiten zitierten Beschreibung die Handlung begleitende Gedanken, so richtet sich nach Schmidt die mögliche Verbindung der Klammer mit anderen Satzzeichen danach, inwieweit das Gedachte eine inhaltliche Korrespondenz zum außerhalb der Klammer Erzählten besitzt. Z.B. ein abschließender Punkt bedeutet so eine klare Trennung beider 'Welten', wohingegen ein 'fehlender' Punkt auf eine Verzahnung der beiden Bereiche hindeutet. (Siehe: 5.1.1.3) In Paragraph 5 nennt Arno Schmidt eine weitere den Satzzeichen beigegebene Punktion: die Kennzeichnung von Pausenlängen innerhalb der wörtlichen Rede. Auch mit den herkömmlichen Satzzeichen 'instrumentiere' ich die Periode - nicht 'nach Belieben': sondern, wie der Betreffende gesprochen hat! (§5)
Auch zu dieser Punktion sei auf spätere Kapitel verwiesen. (5.1.1.2 & 5.1.1.4) Neben der Nennung einiger Sonderzeichen und dem „typographischen] Versuch" einer bruchstrichartigen Schreibung in Paragraph 4, nennt Schmidt in §3 und §5 zwei weitere 'Sprachkürzel', die ein unmittelbar auffallendes Merkmal seiner Werke sind: die Ersetzung des unbestimmten Artikels oder des Indefinitpronomens 'ein' durch die lateinische Ziffer 'I' und die Verwendung arabischer Zahlen anstelle von Zahlwörtern, sowie die Verwendung des Zeichens '&' als Substitut der reihenden Konjunktion 'und'. Wie wäre es, wenn wir uns die beiden 'und' angewöhnten?!: das normale; und das '&' für etwa 'Thron & Altar', also wo wir fix-kommerzielle, formelhaft = verhärtete, gegnerischlächerliche, Verbindungen ausdrücken wollen? (§5) (Näheres: siehe ebenfalls Kapitel 5.1.1.2)
Berechnungen I I I "
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„Ins b e d e u t e n d Allgemeine" (§1) gewendet, läßt sich f ü r die Interp u n k t i o n insgesamt schlußfolgern, daß sie im R a h m e n der Schmidtschen P r o s a über die vom D u d e n gezogenen Grenzen weit hinausgeht, i n d e m zum einen das Sprach- u n d Denkpausen berücksichtigende rhetorische Prinzip der Zeichensetzung stark b e t o n t wird u n d indem zum anderen die I n t e r p u n k t i o n als stenographisches Mittel, etwa zur Abbildung von Gesten, herangezogen wird. Diese Verfahrensweise ist d a b e i eindeutig inhaltlich motiviert, so daß hier nicht eine Form u m ihrer selbst willen kreiert wird. O h n e eine solche begründete inhaltliche Motivation stellen sich hingegen die Bemerkungen A r n o Schmidts zur O r t h o g r a p h i e in den §§6-8 d a r . Im Sinne einer „herrlich = exakten Abbildung auch unserer akustischen R e a l i t ä t " (§6) wird hier von A r n o Schmidt argumentiert, d a ß eine A n n ä h e r u n g von Schrift u n d Aussprache zu erzielen ist. es handelt sich hier, in solchen Großfallen, eben nicht darum, eine "Schlamperei" zu unterstützen, eine "schlampige Aussprache" zu sanktionieren, und wie die schnell = zurechtgelegten studienrätlichen Formeln alle lauten mögen - sondern ganz einfach darum: sich mit einem säkularen, in ganz bestimmter Richtung bewegenden, Prozeß abzufinden, oder präziser: ihn endlich in die Hand zu nehmen! (§6) Wie bereits Henne in seinem Aufsatz „Literatursprache - Normen wider die N o r m " 6 feststellte, geht diese von A r n o Schmidt geforderte Verlautlichung der Schriftsprache auf Klopstock zurück, über dessen Werk A r n o Schmidt (zeitlich parallel zu „Berechnungen I I I " ) ein Radio-Essay: „Klopstock oder verkenne Dich selbst" 7 schrieb. Hieraus ergeben sich die Einzelforderungen, von denen in den „Berechnungen III" die Rede ist. (Diese 'Forderungen nach OrthographieVerfeinerung' geben nur einen kleinen Teil der phonetischen Schriftprinzipien wieder, die Schmidt in seinen späteren Werken - besonders den T y p o s k r i p t e n - anwendet. Jedoch bilden sie einen wesentlichen Hintergrund der O r t h o g r a p h i e in seinen Werken der 50-er Jahre.) Zu diesen Forderungen zählt die E i n f ü h r u n g des [J"]-Lautes im Schriftbild innerhalb der K o n s o n a n t e n k o m b i n a t i o n ' s p ' und ' s t ' , in denen der [ß]-Laut nur in einigen Gegenden Norddeutschlands gesprochen wird. 9
In: Sprachnormen in der Diskussion. Beiträge vorgelegt von Sprachfreunden. Berlin, New York 1986. 7 In: Dya Na Sore. Gespräche in einer Bibliothek. Karlsruhe 1958.
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Berechnungen"
(Schprechschprache (sie!)) Das dem Integralzeichen der Mathematik ähnliche Lautzeichen könnte dabei nach Schmidt auch im Schriftbild Verwendung finden, womit „das unsagbar schwerfällige Ess = zeh = hah" (§6) ersetzt werden kann. (In seinen späteren Werken bringt Schmidt die mögliche [ß]-Lautung durch eine Bindestrichfügung (etwa 's-tur') zum Ausdruck.) Weiterhin möchte Schmidt das „lächerliche Kastenkennzeichen" (§7) des „Phi- und T h e t a = G e p r o t z e s " (§7) und das „Pf=Geknalle" (§8) abschaffen. Seine Begründung lautet: „die Völker allesamt sind der Kaldaunenschlingen von Konsonanten müde! Es geht ohne sie auch: und noch besser!!" (§8). Ebenso unter die Kategorie einer Phonetisierung fallt die Wiedergabe des langgesprochenen 'i' in 'gibt' [gi:pt] durch den Diphtong 'ie' (giebt) („ich hasse das dudeske "gibt" - so spricht auch heute noch kein Mensch!" (§3) und die Negation des 'y'i das „unfeierlich aus dem Tempel" (§7) zu fliegen hat, so daß etwa aus ' R h y t h m u s ' „Ritmus" (§8) wird. Die „lächerliche Diskrepanz" (§10) zwischen Aussprache und Schrift ist das Motto der Schmidtschen Bemerkungen zur Orthographie, die es für ihn zu überwinden gilt, um „die Realität immer besser und suggestiver abzubilden" (§11). (Etwa auch der Ubergang von der Zweisilbigkeit vieler Verben a u f - e n zu einer Einsilbigkeit (z.B. 'gehen' —• 'gehn') gehört nach Schmidt in diese Rubrik.) Die schriftstellerische Freiheit, die sich Schmidt schafft, indem er orthographische Konventionen nicht akzeptiert, wird von ihm in den „Berechnungen III" nicht als Argument angeführt. In seinem Essay über den ,,mächtige[n] ortografische[n] Wagehals" (S & B, S.219) Lewis Carroll hingegen zeichnet Schmidt besonders die durch „fonetische Schreibung [ . . . ] erreichte Polyvalenz der Worte" (S ic B, 219) aus, womit die äußere Form zurückgebunden wird, indem hier die Orthographie im Dienste der Aussage des Textes verwendet wird. Ohne diese inhaltlich gebundene Argumentation müssen Schmidts Ausführungen zur Orthographie in den „Berechnungen III" eher wie eine axiomatisch eingeführte Norm wider die Konvention gelten. Der heuristische Ansatzpunkt Schmidts wird vielmehr erst durch die praktische Anwendung in seinen Werken deutlich, was nachträglich die Ausführungen in den „Berechnungen III" begründen mag. (zur Orthographie, siehe: Kapitel 5.1.1.2) Die vier Ergänzungsparagraphen schließlich verweisen rückbezie-
Berechnungen III"
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hend und ergänzend auf die in den „Berechnungen I & II" dargestellte Prosaform des „Musivischen Daseins" (s.o.). Schmidt nennt einiges zur Druckweise Die Anfangszeilen der Kleinkapitel müssen vorgezogen sein (mindestens 3 Anschläge!), und kursiv dazu: weil sie einmal den "Anlauf' (zum Sprung) der - sorgfältig auf Schockwirkung hin ausgesuchten! - einleitenden Worte fühlbar machen sollen"
(§13) und bezeichnet den kursiven Beginn der Kapitel als „ 'Stich', der der Injektion vorausgeht" (§13) und als „erste Blindpressung [...] ins Gedächtnis" (§13). Die in Kapitel 4 erfolgende kurze Formbetrachtung der Erzählung „Nebenmond und rosa Augen." wird hierzu im Detail Näheres ausführen. Der Leitgedanke, der über Arno Schmidts metelliterarischen „Berechnungen" steht, ist die Schaffung einer literarischen Form „mit dem einzigen Zweck, die Möglichkeiten seiner Kunst zu erweitern, und sich irgendeiner, sei es noch so relativen 'Wahrheit' um 1 Endchen mehr anzunähern". (S & B, S.227) Die schriftstellerische Kategorie, der sich Schmidt zuordnet, ist die der „Reinen" (im Gegensatz zu den „Angewandten - die, nebenbei bemerkt 99,9% der Schriftsteller ausmachen - : das sind Die, die 'das Geld' verdienen, und die NOBEL- k sonstige Preise für Mittelmäßigkeit bekommen." (S & B, S.232)). Die 'Reinen'?: das sind die ganz-Schweren, die 'Unverständlichen'; die, weit auf selbstge-macheteten 1-Mann-Pfaden ins Dschungel der Sprache & der 'konformen Abbildungen' vorgedrungen, mühsam, und mit noch-schwerfalliger Hand, wie es dem Pionier geziemt, [ . . . ] neue Kleinst-Beobachtungen fixieren; (S & B, S.232)
Uber die Auswirkungen dieser selbstgestellten 'Handlungsanweisung' auf die als 'Brotarbeiten' geschriebenen Erzählungen „Aus der Inselstraße" und „Stürenburg-Geschichten" ist im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu sprechen, wobei „Kleinst-Beobachtungen" den Schwerpunkt bilden werden, mit dem Zweck, Entwicklungstendenzen hieran deutlich werden zu lassen.
4. Interpretation und Formbetrachtung zweier „Inselstraßen"-Erzählungen
wo die Pakten ausgehen, fängt die 'Deutung des Werks' an. (AS -Iii, WM, 15.6.59) 4.1
Interpretation: „Nachbarin, Tod und Solidus."
Die Geschichte beginnt mit einer elliptischen Satzkonstruktion: Blaßgrünes Gesicht, mit schwarzer Mundschleife locker zugebunden - so sah es wenigstens bei Mondlicht aus, morgens um fünf. D.h. der Erzähler - identifizierbar mit Arno Schmidt (siehe: Kapitel 2) - gibt seine Eindrücke möglichst direkt wieder, ohne sie in einer vollständigen und damit eventuell starren Satzfügung auszudrücken wie etwa: 'Ich sah ein blaßgrünes Gesicht, das mit einer . . . ' . Arno Schmidt selbst spricht in ähnlichen Zusammenhängen in den „Berechnungen III" von einer 'dehydrierten Form' (Vgl.: AS _!_> WM, 24.10.53). Das folgende „so sah es [...] aus" macht den Erscheinungscharakter des Wahrgenommenen deutlich; nicht von Faktischem, Verifizierbarem ist die Rede, sondern von einem momentanen Eindruck, dessen Gültigkeit in dem 'Bedeutungsdreieck' Hier (b ei
Jetzt (morgens um fünf)
Mondlicht)
Betrachter
(Arno Schmidt )
Nachbarin, Tod und Solidus."
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angesiedelt ist. Der Conditio der Wahrnehmung „bei Mondlicht" ist eine weitere Vorbedingung, nämlich die temporale Bestimmung „morgens um fünf", nachgestellt; das Komma wird in diesem Fall seiner Funktion als Pausenzeichen gerecht. Die Begründung für die ausgesprochene Wahrnehmung folgt erst im zweiten Satz: Ich hatte wieder nicht schlafen können, und war ans Fenster getreten: Ein Komma trennt hier im Gegensatz zum grammatischen Prinzip des Duden die beiden gereihten Hauptsätze, deren gemeinsames Subjekt das erzählende 'Ich' ist. Auch hier fungiert das Komma als Pausenzeichen gemäß eines rhetorischen Gesichtspunktes, unter welchem Arno Schmidt seine Interpunktion vorwiegend anwendet. Ein autobiographischer Zug mischt sich zudem in den Satz: Arno Schmidt litt unter Schlaflosigkeit und nahm regelmäßig Schlaftabletten zu sich. Größere Mengen wurden ihm gelegentlich über Wilhelm Michels besorgt. (siehe z.B.: AS WM, 2.12.60) Der folgende Doppelpunkt - symbolisch gefaßt als Augenpaar des Ich-Erzählers - leitet die Wahrnehmung ein, die sprachlich durch zwei eingeschobene nähere Bestimmungen („in ihrem Erker"; „Kriegerwitwe") ein stark rhythmisches Gepräge erhält. Die Fakten (rechtwinklig - Erker - Nachbarin - Kriegerwitwe - noch nicht gesprochen) erhalten auf diese Weise ein höheres eigenständiges Gewicht ihrer Aussage. Der Gesamtkomplex von Beobachtung und Vorwissen wird in Einzelsegmente zerlegt, von denen jedes einzelne für Arno Schmidt nennenswert ist. Eingeschlossen in Klammern („Stirn = und Hinterkopfwölbung" (B III, §3)) gibt der nächste Absatz einige akustische Nebenreize wieder. In das Schlagen der Uhr wird der Name „Ingebartels" und ein tiefes Lachen „ho ho ho!" hineinprojiziert. Die Folgerung hieraus, nämlich die Uhrzeit, wird durch Doppelpunkt eingeleitet. Mit zwei Metaphern wird die Bewegung eines vorbeifahrenden Autos („seine Vorderpfoten schaufelten unermüdlich") und das Geräusch eines Motorrades („kleiner werdende Schallperlen") charakterisiert. Nach diesem Einschub kleiner Wahrnehmungen am Rande, führt der nächste Absatz die Minimalhandlung fort: Offnen der Fenster und Hinauslehnen. Eine Frage kommt dem Erzähler in den Sinn, als er in
Interpretation & Formbetrachtung
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seiner Fensteröffnung lehnend sein Pendant gegenüber ansieht. Auch hier dient ein Kolon zur Einleitung („:war sie auch herzkrank?"). 1 In der folgenden Klammer kommentiert der auktoriale Erzähler diese nur gedachte Frage und gibt als pauschale Antwort ein vieles rechtfertigendes: „Das Leben ist j a so kurz!", wobei das Ausrufezeichen die starke Betonung des formalen Aussagesatzes angibt. Die Klammer selbst wird zusätzlich durch einen folgenden P u n k t abgeschlossen, wodurch sie Satzcharakter erhält oder zumindest ihrer äußeren Struktur nach satzähnlich gehandhabt wird. Mit einer „pyjamaleis" an die Nachbarin gerichteten Aussage („Wir können beide nicht schlafen.") beginnt der nächste Absatz, wobei in der Bildhaftigkeit der Attribuierung („pyjamaleis") die nächtliche Stille angedeutet wird. Die Interpunktion bezüglich der direkten Rede (ein P u n k t am Satzende innerhalb der Anführungszeichen und ein nach Duden fehlendes Komma danach) betont die Eigenständigkeit der Rede, deren 'innere Struktur' durch den schließenden P u n k t logisch korrekt (was nicht unbedingt Duden-korrekt bedeutet) angegeben ist. Auch hier dient ein folgender, geklammerter Einschub der Kommentierung des Gesagten („grammatisch-raffiniert"; „suggestiv"). Der Kern dieses Absatzes bezeichnet den optischen Eindruck der aus den Fenstern Lehnenden. Eine der unzähligen Mondmetaphern Arno Schmidts 2 dient hier der Beschreibung: „[der] Mond, der, abgewetzt, über dem alten Friedhof steckte"), sowie die Charakterisierung der „Morgenwolken" als „strichdünn", die in einer anschließenden Klammer um den Kommentar „zu undulatorisch" ergänzt wird. Die Stille und generelle Reizarmut in der Nacht gestattet die Betonung von Einzeleindrücken, die vermutlich in der Reizvielfalt des Tages untergehen würden. So ist diesem Absatz, der die optische Erscheinung des Mond- und Wolkenhimmels benennt, der folgende gegenübergestellt, in welchem die akustische Wahrnehmung metaphorisch umschrieben wird. Der Pfiff einer Eisenbahn ist das auslösende Moment für die Umschreibung: „so heult ein Tiergeist auf seiner Wanl
D i e s könnte als eine Anspielung Schmidts auf seine eigene Herzkrankheit verstanden werden. 3 „was ich schon so an Mondmetaphern ersonnen habe; es wäre nicht mehr als recht und billig einen Mondkrater nach mir zu benennen !" (Schulausflug, S.118)
Nachbarin, Tod und Solidus."
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derung vom Allein zum Allein !". Das Indefinitpronomen 'allein' setzt Arno Schmidt substantivisch um, so daß eine begriffliche Qualität in der Art erzeugt wird, daß ein Anklang an einen realen Ort ('Allein') geschaffen wird, aus dem heraus sich der Tiergeist nicht entfernen kann, und er somit stets das bleibt, weis er ist: allein. Eine zweite Metapher wird für den akustischen Reiz des Eisenbahnpfiffes verwendet, die sich in ähnlicher Form auch in Arno Schmidts Roman „Das Steinerne Herz" findet: Noch einmal schwebte der Ebenholzdiskus des Pfiffes heran, bald Kante, bald Scheibe (NTS) Ein Schallring [...] schwebte vorbei, wandte seinen Diskus bald Kante bald Fläche (StH, BA 1/2.1, S. 20) Diese Stelle ist ein guter Beleg für die 'Zettelkasten-Technik' Arno Schmidts; eine Vielzahl ähnlicher Belege in anderen Erzählungen (siehe: Kapitel 5.2) kann gefunden werden, so daß deutlich wird, daß möglicherweise ein Zettel, auf dem eine Metapher wie in obigem Fall notiert sein könnte, häufiger verwendbar war, womit sich die Arbeitstechnik Schmidts in einigen Fällen als eine Montage von Selbstzitaten nachweisen läßt. 3 Diese letzte Metapher führt Schmidt in einer Klammer, da lediglich eine Vermutung geäußert wird, weiter fort: „während es unter ihm mit schwarzer gesenkter Stirn durch die Wälder in Richtung Aschaffenburg stürmen mochte. Blind" Auch die Ortsangabe 'Aschaffenburg' ist nicht willkürlich, sondern sie verweist vielmehr darauf, daß Arno Schmidt die Erzählung in Darmstadt verfaßt hat, da beide Städte 'benachbart' und so über den Nahverkehr der Eisenbahn verbunden sind. Im nächsten Absatz wird die Betrachtung der äußeren Welt durch die der inneren abgelöst: „ 'Ich finde den Gedanken an den Tod viel tröstlicher, als den an ein ewiges Leben' sagte ich;" ein zustimmendes Nicken der Nachbarin erfährt seine Begründung (durch Doppelpunkt eingeleitet) durch das persönliche, von vielen geteilte Schicksal von „zweimal Krieg [...], plus Flüchling, plus Inflation". Zwei Gedankenstriche geben eine längere Pause an, nach welcher der Erzähler 3
Nach Auskunft der Arno Schmidt Stiftung hat Schmidt seine Zettelkästen vernichtet; wann dies jedoch jeweils geschah, ist nicht bekannt; für obige Aussage der Selbstzitate ist dies jedoch unerheblich, da es auf das 'Abschreiben' an sich ankommt und nicht auf ein Abschreiben von einem Zettel oder einer Manuskriptseite.
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den Gesichtsausdruck der Nachbarin beschreibt, was als Bestätigung obiger These angesehen wird, auf die der letzte Satz des Absatzes zurückgreift: „Nee! Ewiges Leben ist nichts für Jahrgang firrzn." Die phonetisch geschriebene Jahreszahl 1914 gibt dabei das Geburtsjahr Arno Schmidts an. Bemerkenswert hierbei ist jedoch, daß in früheren Fassungen dieser Erzählung (siehe: BA 1/4.2 S.649 & Die Andere Zeitung, 16.2.56) die Jahreszahl 1910 genannt wird. Diese beiden Jahreszahlen beziehen sich auf eine von Arno Schmidt selbst durchgeführte Um-(Falsch-) Datierung seines Geburtsjahres, wie die Herausgeber des Materialienbandes „WuHi?" J.Ph. Reemtsma und B. Rauschenbach in ihrem Aufsatz „Urkundlich belegt?" (In: WuHi?, Zürich 1986, S.173-183)4 feststellen. Sowohl in einem Fragebogen des 'Military Government of Germany' sowie in einem Rowohlt-Biogramm gibt Schmidt sein Geburtsjahr mit 1910 an. Die Methodik des Vorgehens von Arno Schmidt wird unterstrichen durch die Tatsache, daß sich auf seinem Heiratsschein an der betreffenden Stelle des Geburtsjahres ein Brandfleck befindet. Erst Mitte der 50-er Jahre gibt Arno Schmidt diese Falschdatierung auf. Zwei Erklärungsversionen geben Reemtsma und Rauschenbach an, die zum einen von Alice Schmidt und zum anderen von Hans Wollschläger stammen. Plausibler erscheint mir diejenige Wollschlägers, der darauf hinweist, daß ein höheres Alter Schmidt vor der Schwerstarbeit in der britischen Kriegsgefangenschaft bewahrt haben könnte. (Siehe auch: Tagebuch Alice Schmidt vom 6.6.55; Auszug in: Briefe AS - WM, Anhang.) Eine besondere Beziehung ergibt sich hieraus vor allem zu Schmidts angeblichem Studium der Mathematik und Astronomie: Merkwürdig nur, daß die erfundenen vier Jahre eben gerade den benötigten biographischen Raum für das fiktive Studium schaffen. Oder wäre es umgekehrt, daß er das Studium erfand, um die Zeitlücke plausibel schließen zu können? (WuHi?, S.180) Eine nähere Untersuchung der Fragestellung nach dem besagten Studium würde hier zu weit führen, so daß lediglich auf eine kritische Beleuchtung der mathematischen Fähigkeiten Schmidts in den Aufsätzen * Der Titel zitiert bis auf das Fragezeichen einen Aufsatz Arno Schmidts, in dem er einigen Motiven falscher biographischer Daten am Beispiel Ernst Moritz Arndts und eines mit X. bezeichneten Schriftstellers nachspürt; Vgl.: Aus julianischen Tagen, S.168-173.
Nachbarin, Tod und Solidus."
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„Von AS und PythagorAS, Fermat und Vega, J.D und sonstigem Porree" von H. Kracke und „'Julia' und die späte Liebe zum Zweidimensionalen. Beobachtungen zur Mathematik bei Arno Schmidt." von M. Lowsky (Beide Aufsätze in: Zettelkasten 1. Aufsätze und Arbeiten zum Werk Arno Schmidts. Frankfurt/M. 1984.) hingewiesen werden soll. Zurück zum Text: Nach dem knappen Absatz mit Bemerkungen zur Philosophie des Todesgedankens, bildet im nächsten wiederum der Mond die Szene: Der Mond ? : Der Himmelsstaub um ihn war inzwischen schon leicht rosig geworden; er also farbenlehrengetreu ein fades Weißgrün -
Die Mondfarbe bildet den Ubergang zu der Erzählung in der Erzählung, denn die Goldmünze, „ein Solidus Kaiser Justinians", mag ebenfalls eine typische durch Oxydation hervorgerufene Färbung, vergleichbar der Farberscheinung des Mondes, besitzen. Die Nachbarin, gespannt auf die zu hörende Geschichte, „lehnte sich mit interessiert geöffneten Augen weiter vor, und unsere Gesichter schwebten hoch über der entleerten Straße (: 'Einander')." Das in Klammern und zusätzlich in Anführungszeichen gesetzte 'Einander', das zudem noch durch einen Doppelpunkt eingeführt wird, mag eine Kurzform sein für eine Beschreibung der Art: 'wir sahen einander an', so daß auch hier das Kolon ein Sehen, ein Betrachten symbolisiert. An einer Stelle wird die 'Solidus'-Erzählung durch ein „langsames Nachbarinnengelächter, aus abgerundeten Schultern heraus" unterbrochen und der Mond mit einer weiteren Metapher bedacht: „noch ein Blick zum Mondgroschen", womit eine weitere Beziehung zwischen Mond und Münze neben der Farberscheinung hergestellt ist; nach einem auffordernden „ ' J a u n d ? ' " der Nachbarin setzt der Erzähler seine Geschichte, wie er bzw. sein Großvater in den Besitz des Solidus kam, fort. Und auch im letzten Absatz nach beendeter Geschichte ist vom Mond die Rede: Wir verglichen den sinkenden Mond noch kurz mit seiner Eierschale; einem Baseball aus Ziegenleder; einer Aspirintablette.
Die optische Erscheinung des Mondes rahmt also die gesamte Handlung ein wie ein stets präsentes Hintergrundmotiv und leitet sogar zur
Interpretation & Formbetrachtung
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Geschichte des Solidus über. Und auch der letzte Satz nimmt in seiner Beschreibung des regelmäßig wiederholten Vorganges des 'in den Fenstern Lehnens', die periodische Erscheinung der 'Zu- und Abnahme' des Mondes in einer gewissen Hinsicht auf. Nur der Tod, dessen zu gedenken als tröstlich bezeichnet wurde, wird diesem Leben in der Wiederholung ein Ende bereiten: Wir lehnten von da ab ziemlich regelmäßig in unseren Fenstern; erzählten uns schlaff von einander; und warteten weiter auf den Tod.
4.2
Kurze Formbetrachtung: „Nebenmond und rosa Augen." (Nr. 24 aus der Faustserie des Verfassers) 5
Die Erzählung „Nebenmond und rosa Augen." ist die letzte in der Folge „Aus der Inselstraße" (Niederschrift: 8.9.59), so daß in ihr eine Vielfalt sprach- und textgestalterischer Mittel zum Zuge kommen, die in der Werkentwicklung Schmidts in zunehmender Weise zu beobachten sind. Da das sprachliche Element besonders im folgenden Kapitel 5 untersucht wird, soll hier, um prinzipielle Wiederholungen zu vermeiden, in erster Linie die Textstruktur betrachtet werden, die im besonderen diese Erzählung aus dem „Inselstraßen"-Zyklus heraushebt. Die Erzählung ist in drei Großabschnitte geteilt, von denen der erste und der dritte die Rahmenhandlung bilden, die durch den zweiten Abschnitt, der Erzählung der „Dämonin", unterbrochen wird. Dieser zweite Abschnitt unterscheidet sich auch formell von den beiden anderen, da diese eine weitere Strukturierung in Kleinkapitel mit kursiv gedruckten Zeilenanfängen aufweisen. Diese Technik, die Schmidt in den „Berechnungen" als Prosaform des „Musivischen Daseins" bezeichnet, entspricht einer 'sehr niederfrequent eingestellten stroboskopischen Aufnahme', wobei jedes Kleinkapitel und insbesondere die kursiv herausgehobenen 'Titel' einem blitzlichtartig erhellten Bild gleich6
Der Untertitel der Erzählung wird bis auf die Numerierung auch für die Einleitung des Aufsatzes „Der Platz, an dem ich schreibe" verwendet. Der dort wiedergegebene Kurzdialog wird außerdem in der vorliegenden Erzählung aufgegriffen (siehe Kleinkapitel 5 der Erzählung im ersten Abschnitt), so daß einmal mehr die Versatztechnik Schmidts deutlich wird.
Nebenmond und rosa Augen."
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kommen. Die These Schmidts hierbei ist, daß dies eine weitgehend angepaßte Abbildung unserer Wirklichkeitserfahrung wiedergibt, so daß diese Entsprechung von äußerer Form und innerer Erlebniswelt über eine „konforme Abbildung" (B I, §2) vermittelt wird, (siehe: Kapitel 2) Auch ohne diese These verifizieren oder falsifizieren zu können, ist die Ästhetik der Schmidtschen Prosa auch und gerade durch dieses Text-Stilelement geprägt, so daß hier primär eine Kunstform zu verhandeln ist und höchstens sekundär eine erkenntnisphilosophische Anmerkung. Die Abschnitte eins und drei sind in je acht Kleinkapitel untergliedert, so daß sich bereits in dieser numerischen Erfassung eine Symmetrie spiegelt, die in gewisser Weise auch inhaltlich gestützt wird, denn sowohl im ersten wie im dritten Abschnitt bewegen sich der Erzähler und seine „Dämonin" zunächst auf ihren Fahrrädern fort („wir ritten auf unseren Fahrrädern dahin"), um sodann (jeweils nach dem fünften Kleinkapitel) von den Rädern zu steigen. („Wir köpften uns in ein Fichticht. [ . . . ] Und warteten eben. - . " ; „Mußt'n dann aber stark Rücktritt nehm'm. - : noch mehr. - " ) Ergeben die kursiven Kleinkapiteleinführungen den ersten sich im Gehirn des Erzählers bildenden Gedanken, so entsprechen die Ausführungen der Kleinkapitel selbst den von dieser „Initialzündung" (B III, §12) verursachten weiteren Assoziationen. Auch diese jedoch verzahnen sich nicht nahtlos ineinander, sondern sie werden vielmehr bruchstückhaft gereiht, was textlich durch die Einführung von Schrägstrichen betont wird. Das Kleinkapitel zerfällt somit in kürzere Teile, die ihren Zusammenhalt durch den sie 'auslösenden' Titel erhalten. Als Beispiel seien die Kleinkapitel sechs und sieben des ersten Abschnitts angeführt: „Der Hagel wurde jedenfalls geradezu lebensgefährlich !" Als erster Gedankenimpuls wird lediglich die Tatsache, daß es hagelt, bezeichnet (kursiv), die adverbiale Bestimmung der Art und Weise („geradezu lebensgefährlich") ist ein zweiter Gedankenschritt, der die erste Subeinheit bildet, die noch durch eine Klammer - die näheren Folgen spezifizierend - erweitert wird. Ein Schrägstrich trennt nun die Reaktion der handelnden Figuren ab. Das nächste Kleinkapitel, eingeleitet mit: „ . - . / — . / : Pause. Der Hagel" ist durch zwei Schrägstriche in drei Segmente zerteilt. Das erste und dritte beinhalten die Handlung der „Dämonin" („zählte ihr
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Interpretation & Formbetrachtung
Papiergeld unter (und mit) der Hakennase"; „Zog eine Rolle aus dem (feurig beflaumten) Busen. . . . " ) , die das zweite Segment mit einer Beschreibung der Szene unterbricht. („Die Schloßen rappelten, als lebten wir in Packpapier;") Diese Minimaleinheiten bilden das, was Schmidt die „Perlenkette kleiner Erlebniseinheiten" (B I, S.5) nennt. Jedes dieser Elemente ist es Schmidt wert, genannt, betont (über die Schrägstriche) und kommentiert (über die geklammerten Einschübe) zu werden. Somit ist Arno Schmidts Sprache charakterisiert durch einen parenthetischen Stil, der sich auf drei Ebenen in gewandelter Form wiederholt: Zum einen die Textgestaltung in Kleinkapitel gemäß der vorliegenden Prosaform, sodann die Subgliederung dieser Kleinkapitel über Schrägstriche und schließlich der durch geklammerte Zusätze und nachgestellte genauere Bestimmungen (per Komma oder Gedankenstrich herausgehoben) charakterisierbare Satzstil, über den Näheres in Kapitel 5.1.3 ausgeführt wird. Die sprachliche Stilistik einer parenthetischen Form verknüpft sich somit nahtlos mit der Gedankenkonstruktion des „löchrigen Daseins"; die 'Zersplitterung' der 'Erlebnisweit' wird in eine 'Zersplitterung' der 'Prosawelt' abgebildet.
5. Die Entwicklung von den „Stürenburg- Geschichten" zur „Inselstraße"
5.1
Gegen die Dudennorm - Contra Musjö Duden
5.1.1
Interpunktion
Dieser Paragraph ist in vier Subparagraphen geteilt, die in einer Klimax angeordnet sind: Die einfachste - wenn auch mühsam zu beantwortende - Frage bezieht sich auf Quantitäten, indem nach der Anzahl von Satzzeichen und ihrer Entwicklung im Gebrauch Arno Schmidts gefragt wird. Die dieser Frage zugrunde liegende Vermutung ist, daß die Sprachentwicklung Schmidts - hin zu einer mosaikartigen Beschreibungsstruktur und hin zu immer neuen Formen des Ausdrucks - sich auch in der Eigenart der Interpunktion niederschlagen muß. Paragraph 5.1.1.1 bezieht sich daher auf statistische Aussagen, deren Informationsgehalt freilich nur erste Hinweise liefern kann. In 5.1.1.2 wird untersucht, in welcher Weise Arno Schmidt gegen die Interpunktionsregeln des Dudens verstößt; hier ist also die Frage gestellt, wo Verstöße an der Norm innerhalb der Norm vorliegen, d.h. wo eine gegebene Regel verletzt wird. Die Vielzahl der durch diese beiden ersten Paragraphen sich ergebenden Aussagen werden in 5.1.1.3 spezifiziert, indem zwei spezielle Satzzeichen, herausgegriffen werden, an denen eine Entwicklungslinie besonders deutlich wird: das Kolon und die Klammer. Gegenstand von 5.1.1.4; schließlich ist eine von Arno Schmidt den Satzzeichen beigegebene Funktion, die im Rahmen des Dudens nicht vorgesehen ist; diese mimetische Funktion richtet sich insofern gegen die Norm, indem sie außerhalb dieser liegt.
46
Entwicklung
5.1.1.1 Statistische Aussagen Gegenstand dieses Paragraphen ist die quantitative Analyse der von Arno Schmidt verwendeten Satzzeichen. Die Hoffnung mittels einer solchen ersten Fragestellung Belege für Arno Schmidts Sprachentwicklung (im Rahmen seiner erzählerischen 'Brotarbeiten') zu erhellten, gründet sich auf folgende Vermutung: Schmidts Aussagen zu einer nur in diskreten Schritten wahrzunehmenden Wirklichkeit und eines ebensolchen Denkens über diese, ist kein Axiom, das all seinen Schriftstücken von Anbeginn zugrunde liegt, sondern vielmehr ein Prozeß, dessen Wurzeln sich in Arno Schmidts frühen Erzählungen wiederfinden lassen müssen. Um der 'Wahrheit' willen - d.h. um einer konformen Abbildung unserer Welt durch Worte näher zu kommen - ersetzte ich die unberechtigte Fiktion des 'epischen Flusses' durch die bessere Näherungsformel vom 'epischen Wassersturz': der von Stufe zu Stufe schäumt, Zerfall als Voraussetzung überlegenen Schauspiels, der aber, siehe da, eben so sicher unten ankommt, wie Ol' Man River. (B II, S.243) Mein L e b e n ? ! : ist kein Kontinuum ! [ . . . ] : ein Tablett voll glitzernder snapshots. („Aus dem Leben eines Fauns", B A 1/1.2, S.301)
Die Möglichkeit besteht, daß dieser Prozeß auch Spuren auf der 'mikroskopischen' Sprachebene der Satzzeichen hinterlassen hat, auch wenn der Anspruch an daraus sich ergebende Aussagen nicht zu hoch angesetzt werden darf. Hier hilft eine Gewichtung des möglichen Aussagewertes der Satzzeichen im einzelnen weiter: Etwa wird der Funktion des Kolons (u.a.) die direkte Rede einzuleiten, in diesem Zusammenhang der Sprachentwicklung Arno Schmidts keine Bedeutung beigemessen, da dies höchstens zu textinhaltlichen Aussagen führen würde. Auch die in einem Text in ihrer Quantität dominierenden Satzzeichen Komma, Punkt und Semikolon werden im folgenden zwar einem Vollständigkeitsgedanken nachgehend - mitgezählt, aber konkrete Schlüsse werden hieraus nicht gezogen, da der Anwendungsbereich dieser Zeichen zum einen zu variabel ist, und sie zum zum anderen auch stellvertretend füreinander benutzt werden können. (Sowohl der Punkt als das Semikolon können ein Satzende definieren; zwei Sätze lassen sich durch Kommasetzung reihen; ein Semikolon kann zur Kennzeichnung einer längeren Pause ein Komma oder zur Ver-
Contra Duden: Interpunktion
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deutlichung inhaltlicher Rückbezüge einen Punkt ersetzen usw.) Nach diesen Vorbemerkungen verbleiben eine Handvoll Satzzeichen, deren Verwendungszwecke (siehe 5.1.1.2-5.1.1.4) und Häufigkeiten ein Charakteristikum der Sprache Arno Schmidts darstellen: Frage- und Ausrufezeichen dienen Arno Schmidt nicht nur zum Deklarieren eindeutiger Frage- und Ausrufesätze, sondern sie können auch einfache Aussagesätze beschließen oder gar innerhalb eines Satzes vorkommen, so daß einzelne Satzteile eine stärkere Betonung erhalten und Sätze in erhöhtem Maße affektiv aufgeladen werden. Es wurde so dunkel, daß wir die Straße nicht mehr zu sehen vermochten! (Oder nein, weg das Ausrufungszeichen: so stenografenhaft schnell erfolgte der Vorgang doch nicht ganz; man sagt mir ohnehin nach, daß ich mit einer Handtasche voller Ausrufungs- und Fragezeichen, also voller Geschrei, reise: es ist nicht wahr!!). (Neb, S.135)
Gedankenstrich und Klammer (siehe: 5.1.1.3) kennzeichnen immer auch Eingeschobenes: eine parallel erscheinende Wahrnehmung, einen Gedankenvorgang, einen Kommentar etc., so daß ihre Häufigkeiten ein gutes Signal der oben angesprochenen 'Fragmentarisierung' bedeuten können. Schließlich ist das Kolon besonders aussagefähig, sofern es nicht der Einleitung direkter Rede dient, auf dessen inhaltliche Bedeutung in 5.1.1.3 näher eingegangen wird. Vor dem eigentlichen Zahlen-Konvolut muß einiges zur Methodik gesagt werden. Bis auf zwei Satzzeichen werden eille übrigen ohne Beachtung ihres jeweiligen Funktionstyps gezählt; beim Komma etwa wird nicht spezifiziert, ob es zur Gliederung hypotaktischer Konstruktionen, als ein Trennungszeichen bei Aufzählungen, als ein Pausenzeichen, als ein mimetisches Zeichen (siehe: 5.1.1.4) usw. verwendet wird. Lediglich beim Gedankenstrich wird unterschieden, inwieweit es sich um einen Einschub innerhalb eines Satzes handelt, so daß ein 'öffnender' und ein 'schließender' Gedankenstrich den Einschub auszeichnet, und in die übrige Verwendungsweise, die die Funktion als Pausenzeichen beinhaltet. Beim Kolon wird, wie bereits angedeutet, die Kennzeichnung direkter Rede separat gezählt, wobei allerdings auf eine Unsicherheit hinzuweisen ist: Der Duden sieht ein Kolon zur Einleitung direkter
48
Entwicklung
Rede nur vor, wenn diese angekündigt ist, was zumeist durch ein hinweisendes Verb geschieht: bis der Beamte endlich achselzuckend sagte: „Et kost' ja Ihr Benzien." (TbZ, 133)
Diese 'Ankündigung' entfällt bei Arno Schmidt sehr häufig, bis schließlich nur noch das Kolon als Zeichen der Ankündigung selbst übrigbleibt: Und ihn weiterließ. [Absatz] : „aber nu kam de eigentliche Schwierichkeit";
(TbZ, 133)
Die folgende Tabelle gibt nun das Resultat der Auszählung aller Satzzeichen von der ersten niedergeschriebenen „Stürenburg-Geschichte" bis zu „Nebenmond und rosa Augen.", der zuletzt verfaßten Erzählung „Aus der Inselstraße" wieder. Mit den Erzählungen „Die Wasserlilie." und „Er war ihm zu ähnlich." sind dabei die frühen Varianten des Jahres 1955 gemeint. (Von beiden existieren von Schmidt überarbeitete Fassungen aus dem Jahre 1962.) Die Zahlenangaben geben die Häufigkeit des betreffenden Satzzeichens pro Seite der Erzählung an; die Zahlen sind also gebildet aus der Gesamtsumme des Auftretens des Zeichens in der entsprechenden Erzählung, dividiert durch die Seitenzahl, wobei dies eine willkürliche Einheit - abhängig vom Drucktypus - ist. Mit 'pro Seite' ist korrekter 'pro Seite der Züricher Ausgabe' gemeint. 1
l
D a ß hier einmal die bei Haffmanns erschienene 'Züricher Ausgabe' herangezogen wird, hat den schlichten Grund, daß ich bei der Bearbeitung dieses Kapitels nur diese besaß. Für die Normierung auf die Seitenzahl ist es, sofern konsistent verfahren wird, auch ohne Belang, welche Druckvariante zugrunde liegt. Die Unterschiede im Text selbst zwischen 'Züricher'- und 'Bargfelder Ausgabe' sind desweiteren nicht von der Art, daß sie merkliche Unterschiede in diesen relativen Zahlenangaben bewirken würden. In der Tabelle bedeuten: d.R. = Doppelpunkt bei direkter Rede (dudenkorrekt); : = sonstige Verwendung des Doppelpunktes; - . . . - = Einschub durch Gedankenstriche; (...) = Einschub durch Klammer; S. = Seitenzahl.
Contra Duden: Interpunktion
s. LiV Was Ahn HeuHa
-
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f d.R.
)
2.25 3.0 3.18 2.85 3.1 2.7 1.88 2.1
1.3 3.3 5.0 2.8 1.0 1.1 1.1 1.1 4.3 0.5 1.0
Vor
2.38 1.85 1.95 2.85 2.35 2.3
0.4 5.1 22.7 17.3 8.4 0 32.4 16.2 10.3 0.5 0 2.1 30.8 13.8 11.3 0.7 3.5 21.1 23.2 18.6 1.7 4.7 26.4 8.9 9.8 0.9 5.7 23.0 18.7 17.0
Som KgM Riv Man SeT Zäh
3.0 3.7 3.3 2.93 3.0 3.6
0.3 1.4 0 0.7 0.3 1.1
5.3 5.9 3.3 3.8 5.0 1.1
23.3 20.3 19.4 29.7 26.0 25.6
Fern Schul RoN TbZ Neb
2.73 8.28 2.43 5.33 5.53
1.1 1.0 0.8 0.6 0.9
7.0 3.9 0.8 2.6 8.5
30.5 26.6 24.7 27.2 36.7
ScHa K1K LaGre LiZ NTS Rüc TKb Schlü Wsit
4.0 1.0 0.9 1.1 2.3
28.0 23.3 23.0 27.0 32.0 28.9 34.7 24.3
19.1 15.7 12.0 14.0 9.4 10.7 11.7 10.0
5.8 11.7 11.0 8.4 10.0 10.4 7.5 10.0
1.8 5.0 1.3 4.9 3.2 4.4 1.6 1.4
?
4.0 5.7 5.0 2.8 3.9 3.7 4.3 5.2
| (...)
2.2 3.3 2.5 1.4 1.0
4.4 5.3 4.4 2.5 2.3
1.1 1.1 1.0
4.1 1.1 2.4
/
2.7 1.0 0.3 0 0.3 0 0 1.0
0 0 0 0 0 0 0 0
3.4 3.2 5.1 3.5
0 0 0 0 0 0
0.4 11.8 5.5 8.0 0 5.4 1.1 2.2 0 12.8 2.1 8.2 1.1 9.1 2.1 7.4 2.1 5.1 1.7 8.9 2.6 10.9 3.5 10.9
3.4 5.2
15.3 10.0 16.8 8.4 23.0 10.9 16.8 8.9 13.0 7.7 11.1 11.9
2.7 8.3 3.7 5.4 8.6 4.6 2.7 13.6 7.3 1.4 7.2 1.7 0.3 8.3 2.3 1.1 8.9 3.1
6.7 9.7 6.7 6.2 7.7 6.7
0 8.3 4.9 0 7.9 1.5 3.4 0 3.3 0 6.4 0
18.3 15.2 18.1 17.5 22.1
2.9 16.1 2.9 2.6 5.6 4.0 1.2 6.2 2.9 4.9 6.0 2.3 0.5 10.3 4.3
7.7 6.4 3.7 5.3 5.8
7.0 0.7 4.1 0 2.5 0 4.1 0.6 9.6 6.0
23.9 12.9 9.1 10.9 13.6
Tabelle 1 Einfache Aussagen an Hand dieser Tabelle lassen sich zunächst nur in klarer Weise für das Satzzeichen 'Schrägstrich' treffen, welches überhaupt nur in vier Erzählungen „Aus der Inselstraße" vorkommt. Besonders die große absolute Häufigkeit in „Nebenmond und rosa Augen." als 'letzte' der „Inselstraßen"-Erzählungen ist dabei auffallend. Hierbei zeigt sich eine Korrespondenz zwischen den 'Werken' und den
50
Entwicklung
'Brotarbeiten' Schmidts. In den frühen Werken von „Enthymesis" und „Leviathan" bis zu „Die Umsiedler" und „Aus dem Leben eines Fauns" verwendet Arno Schmidt den Schrägstrich nur bei der Wiedergabe von Lyrik zur Kennzeichnung eines Versendes. Erst ab „Seelandschaft mit Pocahontas" und „Kosmas" gebraucht Arno Schmidt den Schrägstrich als eigenständiges Zeichen, und zwar zumeist in der Bedeutung, eine Pause zu deklarieren oder, anders gesagt, um innerhalb der „Löchrigen Gegenwart"( B I,§6) eine poröse Substruktur zu erzeugen. Dies kann zu der Vermutung führen, daß die beiden Erzählungen „Rivalen." und „Am Fernrohr." entgegen den Daten der Niederschriften, später entstanden sind als die zwischen ihnen liegenden Erzählungen, in denen kein Schrägstrich verwendet wird. (Die hohen Werte für die Klammer und das nicht die direkte Rede kennzeichnende Kolon stützen diese Vermutung.) Um zu Aussagen über die übrigen Satzzeichen und ihre Entwicklung zu gelangen, muß die in der Tabelle vorausgesetzte 'Einheit': 'eine Erzählung' aufgegeben und eine weitere 'Vergröberung' durchgeführt werden, da die Schwankungen in den Zahlenangaben zu groß sind. Diese Schwankungen werden verkleinert, indem eine weitere Mittelwertbildung durchgeführt wird, die sodann deutlichere Strukturen aufweist. Die insgesamt 25 Erzählungen werden dazu in eine kleine Anzahl von Gruppen geteilt (ich wähle vier); diese Gruppeneinteilung richtet sich nach der chronologischen Folge der Niederschriften (siehe Anhang A). Die erste Gruppe umfasst die Erzählungen „Ein Leben im Voraus." bis „Lustig ist das Zigeunerleben.", da sie in einem Zeitraum von weniger als zwei Monaten niedergeschrieben wurden. Die Erzählung „Nachbarin, Tod und Solidus." folgt erst ein halbes Jahr später - mit ihr beginnt die zweite Gruppe. Da in der Chronologie der Erzählungen keine deutlichen Zäsuren mehr zu verzeichnen sind (Ausnahme: „Trommler beim Zaren."; „Nebenmond und rosa Augen."), bilden die folgenden sechs Erzählungen ab „Nachbarin, Tod und Solidus." Gruppe II (d.h. bis „Die Vorsichtigen."), die folgenden sechs („Sommermeteor." bis „Zählergesang.") Gruppe III und die restlichen fünf Gruppe IV. Für die oben genannten fünf Satzzeichen, denen ein relativer Aussagewert beigemessen wird, wird nun eine Häufigkeit relativ zu den vier Gruppen ermittelt (also die Summe des Vorkommens in allen Erzählungen der Gruppe, dividiert durch die Gesamtseitenzahl aller die
C o n t r a Duden: Interpunktion
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Gruppe bildenden Erzählungen). Durch diese Art der Mittelung ist z . B . die chronologische Folge der Erzählungen innerhalb einer Gruppe beliebig, so daß mögliche zeitliche Differenzen zwischen Entstehung und Niederschrift, die in obiger Tabelle zu Schwankungen innerhalb der Zahlenreihen führen können, nun verwischt werden, und die Zahlen nur an Deutlichkeit gewinnen können. (D.h. nur eine 'Verbesserung', keine 'Verschlechterung' im Erkennen der Struktur ist möglich.) Die folgende Tabelle gibt das Resultat wieder: 1
(I) (II) (III) (IV)
3.4 7.8 7.3 5.9
-
2.5 3.7 4.0 4.7
4.3 9.2 9.2 8.0
?
(...)
1.8 2.7 3.9 3.5
0.6 3.9 5.7 5.5
Tabelle 2 Das Ergebnis zeigt einen deutlichen Sprung zwischen den Häufigkeiten von Gruppe I und denen der übrigen drei Gruppen. Dieses Ergebnis ist so signifikant, daß von einer Zweiteilung gesprochen werden kann. Gruppe I bilden sieben der neun „Stürenburg-Geschichten" und die Erzählung „Lustig ist das Zigeunerleben.". Betrachtet man die Resultate der Häufigkeit der Satzzeichen dieser Erzählung in Tabelle 1, mit denen der zeitlich vor ihr liegenden „Stürenburg-Geschichten" und denen von „Nachbarin, T o d und Solidus.", so liegt auch hier ein ersichtlicher Einschnitt vor, welcher zu der Aussage führt, daß die „Inselstraßen"-Erzählung „Lustig ist das Zigeunerleben." in ihrer durch die Interpunktion wiedergegebenen Gestalt eher zu den „StürenburgGeschichten" als zu den Erzählungen „Aus der Inselstraße" tendiert. Ebensolches gilt für die „Inselstraßen"-Erzählung „Geschichte auf dem Rücken erzählt", wenn die Zahlen bezüglich des Gedankenstrichs, des Kolons (exklusiv der direkten Rede) und des Ausrufungs- und Fragezeichens betrachtet werden. (Ein weiteres Argument für diese These wird in 5.1.1.2 aufgezeigt werden.) Eine vergleichbare Aussage gilt für die „Stürenburg-Geschichten" „Sommermeteor." und „Kleine graue
52
Entwicklung
Maus." 2 , die sich in Gruppe III befinden: Ihr 'Fingerabdruck der Interpunktion' korreliert zu den Daten der Niederschriften, so daß hier eine Tendenz zur „Inselstraße" besteht. Das festzuhaltene Resultat dieser statistischen Auswertung ist eine Wandlung in der Frequenz gewisser Satzzeichen, wobei eine grobe Gruppeneinteilung, die sich nach der Chronologie der Niederschriften richtet, eine Zweiteilung erkennen läßt, deren zeitliche Schnittlinie in die zweite Hälfte des Jahres 1955 fällt und die inhaltlich (bis auf je zwei Ausnahmen) die „Stürenburg-Geschichten" von den Erzählungen „Aus der Inselstraße" trennt. Die inhaltliche Analyse dieser formalen Ergebnisse folgt nunmehr in den nächsten drei Paragraphen.
5.1.1.2 Gegen das grammatische Prinzip des Duden Die Interpunktion Arno Schmidts steht in einer Vielzahl von Fällen im Widerspruch zu den Interpunktionsregeln des Duden. Es zeigt sich hierbei bis auf einige wenige Ausnahmen eine Konsistenz in der Regelabweichung, da grammatisch gleiche Strukturen stets auch gleich interpunktiert werden. Die erste in sich konsistent behandelte Struktur, die genannt werden soll, ist die der direkten Rede. Der Duden fordert nach den Anführungszeichen direkter Rede bei einem sich anschließenden Hauptsatz ein trennendes Komma, sofern die direkte Rede nicht durch ein Frage- oder Ausrufezeichen abgeschlossen wird. Schmidt hingegen setzt an dieser Stelle im allgemeinen kein Komma: „Der Bauer - " murmelte Stürenburg. (LiV, 11/5) „als ich geboren wurde" sagte der Uralte [ . . . ] (LaGre, 3 2 / 7 ) „Ich muß selbst durch die 'Inselstraße' " erklärte ich frostigsolide. (Mari, 9 6 / 4 ) „Nun" sagte er geduldig [ . . . ] (Schul, 116/11) „Mein Bruder ist auch ganz begeistert von ihnen" gestand sie atemlos. (Schul, 117/1) 2
W.Müller merkt in seinem Aufsatz „Ein altes Motiv in der StürenburgGeschichte 'Kleine graue Maus'" (Bargfelder Bote. Materialien zum Werk Arno Schmidts. Lfg. 93-94, München 1985, S. 14-19) an, daß der „Kern der Erzählung, nämlich das Motiv der 'Seelenmaus'" sich bereits in den „Deutschen Sagen" (München 1979) der Brüder J. und W. Grimm findet. (Sage Nr. 248; nach der Zählung der 3. Auflage 1891.)
Contra Duden: Interpunktion
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Aber auch zwei der wenigen von dieser 'Regel' abweichenden Beispiele seien zitiert: „Religion besteht mehr in Furcht vor dem Teufel, als in Liebe zu Gott", wehrte ich Frau Findeisen ab. (TKb, 61/33) „Bei mir ist Alles Natur", sagte die Wallküre (TbZ, 134/14) Da Schmidt also (bis auf Ausnahmen) in diesem Fall der direkten Rede kein Komma einfügt, ist die Ubereinstimmung mit dem Duden für den Fall, daß die Rede selbst mit einem Ausrufe- oder Fragezeichen schließt, eher zufällig: „Die Wolke gefallt mir!" entschied sie mit kühnem Unterkiefer. (NTS, 51/28) „Den Koffer?" fragte Frau verw. Dr. Waring verständnislos; (Was, 13/3) Eine weitere sprachliche Struktur, bei der Arno Schmidt im allgemeinen kein Komma setzt, liegt bei der Häufung attributiv gebrauchter Adjektive vor. Die semantische Differenzierung, die der Duden durch ein Setzen oder Auslassen eines Kommas hier vorsieht, wird durch Schmidts Verfahrensweise, hier stets kein Komma zu setzen, uniform, d.h. die Möglichkeit entweder das erste dieser Adjektive als Spezifikation des zweiten zu verstehen, womit eine Teilmengenbeziehung deklariert wird (kein Komma), oder beide Adjektive durch Komma im Sinne eines 'und' miteinander zu verbinden, womit eine Schnittmengenbeziehung ausgezeichnet ist, ist nicht mehr gegeben. Diese sprachliche Eigenart Schmidts ist insofern nicht recht verständlich, da es Schmidt eigentlich angelegen ist, über eine Erweiterung sprachlicher Möglichkeiten - und dies beinhaltet eine weitestgehende DifFerrenzierung - einen möglichst hohen Präzisionsgrad in dem zu erreichen, was er durch Sprache abbilden will. („ Verfeinerung wollen wir!" (B III, S . l l , §?) Einige Beispiele seien zitiert, wobei innerhalb der ersten Gruppe solche aufgeführt sind, in denen nach Duden mit ziemlicher Sicherheit ein Komma stünde und innerhalb der zweiten Gruppe solche, bei denen die kommalose Schreibung auch nach Duden korrekt wäre: sie trug immer ihren alten niedergekrämpten Schäferhut; (LaGre, 32/35) nicht mehr dieses dürre indianerrote Gestelle von Schlafcouch ! (Schlü, 111/30)
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Entwicklung stets leicht be=bowlt, so daß die Stimme ein entzückend hoher heiserer Baß wurde (TbZ, 130/33) eine unschuldige gelbe Kartoffel auf der Gabel (Riv, 86/2) die weichen schlammgrünen Schuppen dehnten sich prächtig schwanger (TKb, 60/8) ein Brief in uralt vergilbter Handschrift (SeT, 99/16) Der übliche eisgraue Stromer hatte auch geklingelt (SeT, 99/25) Abschiede zwischen niedrigen Eisenbäumen mit schwarzer nietenköpfiger Rinde (Zäh, 103/21)
A n einigen Stellen weicht Schmidt aber auch hier von seiner üblichen Verfahrensweise ab. Zwei Gegenbeispiele seien zitiert: Ein sachliches, vorsichtiges Geschöpf versprach noch neue, gütigere Tarife;
(Vor, 74/17) (Zäh,106/20)
Im Gegensatz zu den beiden bisher genannten Fällen, in denen der D u d e n die K o m m a - S e t z u n g vorsieht, steht eine sprachliche S t r u k t u r , in die Schmidt ein zusätzliches K o m m a einfügt. Ein Windstoß wehte von der weiten Fläche des Sees her, und pustete einen Knecht herein (LiV, 10/11) Bis an ihr Ende kam sie mehrmals im Jahre her, und brachte den Platz in Ordnung. (LaGre, 33/15) wir sahen ihm behaglich nach, und stellten Vermutungen an (TKb, 61/15) Sie hatte aber gut aufgepaßt, und fragte gespannt : (Man, 97/28) ich bin Textilkaufmann, und kann mir das nicht alles merken (Fern, 108/34) Zwei mit ' u n d ' (bzw. ' o d e r ' ) gereihte H a u p t s ä t z e , denen ein Satzteil gemeinsam ist, werden von A r n o Schmidt also durch ein K o m m a getrennt. Die bisher b e h a n d e l t e n T y p e n zur I n t e r p u n k t i o n A r n o Schmidts stellen bis auf wenige A u s n a h m e n ein durch alle Erzählungen sich ziehendes M e r k m a l dar. Im weiteren soll nun versucht werden, Entwicklungslinien innerhalb der Zeichensetzung von den „StürenburgGeschichten" zu den Erzählungen „Aus der Inselstraße" aufzuzeigen. (Das Kolon und die K l a m m e r werden eigenständig im nächsten P a r a graphen behandelt.)
Contra Duden: Interpunktion
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Für das Ausrufungs- und Fragezeichen sind im weiteren die Fälle von Belang, die von der Konvention des Duden abweichen. Das Ausrufungszeichen dient Arno Schmidt sehr oft zur Betonung eines Aussagesatzes. Beispiel hierfür finden sich durchgehend in allen Erzählungen: Hannoversche Geographie mußte man kennen, sonst war man hier verloren ! (LiV, 9/28) Lesen ist schrecklich ! (Wsit, 70/7) „Also sie dürfen meinen Schlüssel behalten - wenn sie mir ihren geben !" (Schlü, 68/24) (sie murmelte hingerissen den Namen nach!) (Man, 96/20) Ebenfalls in allen Erzählungen nachzuweisen ist die von der Norm abweichende Betonung einzelner Satzglieder. Besonders häufig tritt dies bei Einschüben auf: Es ist gar nicht so lange her - in meiner Kindheit haben es mir Augenzeugen noch selbst berichtet! - da konnte unsere Lüneburger Heide es mit jeder Einöde aufnehmen. (ScHa, 23/37) Sie las - völlig richtig! - in den entsprechenden Tagen Heinses schwülen 'Ardinghello'; (Wsit, 71/2) Davor möge mich Gott bewahren!: meist habe ich gar keine; (Wsit, 71/39) Geschichtliche Werke ?: ich habe mich gewissenhaft in das Zeitalter Cromwells vertieft; (Wsit, 72/8) „ [ . . . ] Der Mond: wundervoll!: Du weißt, ich arbeite über Schröter". (Fern, 109/9) Gott, was heißt schon Arbeit?: ich krieg' Schwerbeschädigtenrente, und beschäftige mich halt. (Vor, 73/10) Wir hatten Fahrräder, und mußten uns - wir waren j a sämtlich nicht vermögend ! - soviel Bücher und eigene Instrumente anschaffen (HeuHa, 21/4) Eine Entwicklung ist hier in der steigenden Häufigkeit der Anwendung festzustellen und in der Kombination von Frage- und Ausrufungszeichen mit einem Kolon, für welche sich in den frühen „Stürenburg-Geschichten" kaum ein Beispiel findet. Ebenfalls untypisch für diese frühen Erzählungen ist die 'Steigerung' einer Betonung durch eine Häufung von Ausrufungszeichen, so daß die folgenden Beispiele sämtlich aus der „Inselstraße" stammen: ich will nicht mehr lesen!!
(Wsit, 71/38)
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Entwicklung Einen Frauenkopf wie ein Straußenei? . . . : Nee !! (Zäh 106/27) oh, bloß weg!! (Fern, 108/3) - denen würde ich was erzählen!! (Schul, 114/30) Hilfe!! (NTS, 52/25)
Eine derartige Häufung findet sich auch in der Kombination von Frage- und Ausrufezeichen, wobei es sich in der Mehrzahl der Fälle um die Einheit '?!' handelt, die sich auch bereits in den frühen „Stürenburg-Geschichten" - wenn auch selten - findet. „Ja, und was wurde aus dem Bauern? !" (LiV, 11/4) Erst als wir am Bollwerk festmachten, kamen mir Zweifel: was mich das überhaupt anginge ? ! (Was, 640/32) Was soll ich bloß tun ? ! (Wsit, 72/18) „Sie sind auch vertrieben ?! [...]" (Zah, 105/5) :„Nanu ? !" (Fern, 107/37) Ihre Hand schmeichelte abwesend in Schwarzem - machte sie nicht eben eine Art Notiz ? ! (Riv, 85/7) Ihr leeres Kleid im A r m : hatte es nicht genau die Farbe des Kartoffelblütentraumes?! (Riv, 87/11) was wäre Dir jetzt das Unangenehmste ? ! (Vor, 73/27) Wir ! Beide !: wenn da» nicht suggestiv wirkt ? ! (NTS, 51/23) Weitere Kombinationsmöglichkeiten, auch in Verbindung mit anderen Satzzeichen (vorwiegend Gedankenstrich und Kolon) sind vorwiegend ein Merkmal der später entstandenen Erzählungen: Liebesszenen !: angeblich floß die Luft dort grundsätzlich heiß, wie flüssiges Glas; (Wsit, 71/35) das Profil einer Indianerin, den Busen karg:? (Fern, 109/19) er verstummte und stellt wieder schärfer - :! (Fern, 110/28) „Wär mir I Ehre & I Vergnügen, wenn sie morgen bei mir sein könnten - ?" (Neb, 137/24) (war doch erst halb Vier!: ?) (Neb, 140/30) Von Westen : von Nordwesten ? : ? (Riv, 86/25) ob ich noch das Stundengeld um 50 Pfennig erhöhe ?? (Schul, 116/39) Oder d o c h ? - ? (Schul, 119/3) Eine Vielzahl weiterer Beispiele ließe sich finden (siehe auch: 5.1.1.4), die jedoch sämtlichst nur belegten, daß eine Vielfalt von Kombinationsmöglichkeiten von Arno Schmidt erst in den später entstandenen Erzählungen ausgeschöpft wird.
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Die Tendenz der Anwendungshäufigkeit und -Vielfalt ist also steigend, wodurch sich eine stärkere Affektbetonung auch einzelner Satzglieder ergibt. Die „konforme Abbildung" von Gehirnvorgängen, von denen Arno Schmidt in seinen „Berechnungen" spricht, bildet hierzu das entscheidende Motiv. Die Bruchstückhaftigkeit des Denkens, von der Arno Schmidt ausgeht, findet ihren Niederschlag nicht nur im Gesamtkonzept seiner Prosa („Erinnerung", „Musivisches Dasein" sind die entsprechenden Stichworte gemäß den „Berechnungen I"), sondern wirkt auch auf die Mikrostruktur der Sprache ein, womit Sätze, Satzglieder und Wörter gemeint sind. Ist also ein Gedanke oder eine Wahrnehmung beispielsweise durch eine den Konventionen folgende hypotaktische Satzstruktur nicht 'korrekt abbildbar', so muß - immer unter dem Vorbehalt eines 'Noch-Verstehens' - die 'Summe', d.h. das hypotaktische Satzgefüge, in 'Teile' zerlegt werden, deren 'Addition' freilich nicht mehr die 'vorherige Summe' ergeben muß. In dieses Konzept fügen sich auch Frage- und Ausrufezeichen ein, indem sie zur Hervorhebung einzelner 'Teile' herangezogen werden können oder indem gewisse Kombinationen zu neuen Ausdrucksmöglichkeiten führen. Gerade letzteres läßt sich auch mit dem Ausdruck einer „Steno-Prosa" in Verbindung setzen, den Schmidt in anderem Kontext in seinem Aufsatz „Sylvie k Bruno" verwendet. Diese Überlegungen führen jedoch aus diesem Kapitel heraus; sie werden in gewandelter Form in Paragraph 5.1.1.4 im Rahmen der mimetischen Funktion der Satzzeichen angesprochen. Die eben genannte Bruchstückhaftigkeit des Denkens und eine sich daraus ergebende freie Gewichtung dieser einzelnen 'Mosaike' wird auch innerhalb des rhetorischen Prinzips der Satzzeichen deutlich, welchem Arno Schmidt Priorität im Verhältnis zum grammatischen Prinzip der Satzgliederung einräumt, (siehe auch 5.1.1.4) Das Satzzeichen dient in diesem Sinne zur Kennzeichnung von Sprechpausen oder zur inhaltlichen Abgrenzungen von Gedachtem, Erzähltem. Da diese rhetorische Funktion der Satzzeichen, sofern sie innerhalb eines Satzes oder eines Satzgefüges verwendet werden, zu syntaktischen Fragen führt - die damit Gegenstand von Abschnitt 5.1.3 sind - werden an dieser Stelle lediglich diejenigen Fälle betrachtet, die die Syntax unberührt lassen, also Interpunktionsfolgen zwischen Sätzen, am Ende eines Absatzes oder bei kurzen Einwürfen in direkter Rede. Für letztere etwa ist ein eingefügter Gedankenstrich vor dem schließenden
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Anführungszeichen typisch: „Wenn m a n genau die Höhe seines I n s t r u m e n t e s kennt - " schon h o b der H a u p t m a n n [ . . . ] (Was, 6 4 0 / 5 ) „ J a aber - " s c h n a r r t e der H a u p t m a n n betroffen; „ J a aber sagte die T a n t e unzufrieden; (Ahn, 646/16) „Wir sind j a alles L e u t e mit starken Nerven? - " schlug er vor. (HeuHa, 21/20) „ D a war Alles noch ganz anders — " ; ich verstand m ü h e l o s : besser; (LaGre, 32/9)
Aber auch Kommata als Kennzeichnung 'kürzerer' Pausen sind möglich: „Nein," flüsterte er: „Nachts sind Sternbilder an ihrer R e i h e . [ . . . ]" (Fern, 110/27) „Ich kenne einige Ihrer Bücher," ergänzte er undurchdringlich [...] (Schul, 115/30) „Nein," sagte ich bitter; (RoN, 122/12)
Von diesen letzten drei Beispielen zu unterscheiden sind solche, bei denen die Wiedergabe wörtlicher Rede innerhalb eines Satzgefüges unterbrochen wird, und so das diesbezügliche Komma (den Einschub weggedacht) der Satzgliederung dient: „ A b e r die Ü b e r s t z u n g ist so gut," f u h r ich ihr zum Trost f o r t , " d a ß es f ü r diesmal noch durchgehen m a g . [ . . . ]"(Schul, 113/16)
Von der Möglichkeit 'Pausenzeichen' am Ende eines Absatzes einzufügen macht Arno Schmidt erst ab der „Stürenburg-Geschichte" „ Die lange Grete" Gebrauch. In den meisten Fällen wird hierzu ein Gedankenstrich verwendet: „ [ . . . ] Bis an ihr E n d e kam sie mehrmals im J a h r e her, und brachte den Platz in O r d n u n g . " - [Absatz] (LaGre, 33/15) „ J a . Abscheulich !" - [Absatz] (KgM, 80/7) N a j a ; zu s p ä t . - - [Absatz] (Vor, 73/22) einen Nachtspaziergang konnte m a n doch sicher u n t e r n e h m e n ? - [Absatz] (SeT, 100/1)
Fast im Sinne einer Regieanweiseung können die Textpassagen verstanden werden, in denen Arno Schmidt das Wort 'Pause' selbst benutzt. So in „Geschichte auf dem Rücken erzählt", wo ein Absatz mit 'Pause.' beginnt:
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[Absatz] Pause. Der Wind stieß einen in Noten gar nicht wiederzugebenden spiritistisch-schwachen Entsetzensschrei aus. (Rüc, 55/38)
In der Erzählung „Am Fernrohr" wird diese 'Pause' noch zusätzlich durch Gedankenstriche verlängert: [Absatz] „Hoffmann, 'Des Vetters Eckfenster' " flüsterte er: „von dem Hauff dann seine 'Freien Stunden am Fenster' stahl." - Pause. - [Absatz] (Fem, 110/25)
In der letzten Erzählung „Aus der Inselstraße" „Nebenmond und rosa Augen." finden sich schließlich eine Vielzahl von Ausdrucksmöglichkeiten: Und wartete eben. - . [Absatz] . - . / - - . / : Pause. Der Hagel [ . . . ] (Neb, 136/39) Als ganzjunger Kerl war ich oft, den Gepäckträger voller Träume, da vorüber geschusselt. - [Absatz] (Neb, 140/6) Glomm 1 Licht im ersten Haus? / - (war doch erst halb Vier!:?) - / - [Absatz] (Neb, 140/30)
Auch für dieses Detail der Instrumentierung der Pausen zwischen Absätzen ist also eine Entwicklung hin zu größerer Mannigfaltigkeit festzustellen. Im nächsten Paragraphen soll nun anhand zweier ausgewählter Satzzeichen stärker auf ihre jeweilige Funktion eingegangen werden. Die Betonung wird also entsprechend mehr auf dem Inhalt als auf der Anwendungshäufigkeit liegen, womit ein Kontrapunkt zu diesem Abschnitt geschaffen wird.
5.1.1.3':' & ' ( . . . ) ' In diesem Kapitel wird die spezifische Verwendungsweise der beiden Interpunktionszeichen Kolon und Klammer untersucht, wobei das primäre Ziel ist, da Kapitel 5.1.1.1 bereits eine deutliche Zunahme absoluter Häufigkeit in chronologischer Folge erkennen ließ, die unterschiedlichen inhaltlichen Funktionen dieser Zeichen zu belegen. Abgesehen von den die direkte Rede einleitenden Kola (von denen hier nicht die Rede ist) können beide Zeichen unter einem Oberbegriff bezüglich des Erzählstils Arno Schmidts zusammengefasst werden: Beide Zeichen (u.a.) bewirken einen Stil der Parenthese.
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Dieser parenthetische Stil ist dabei Ausdruck der poetologischen Konzepte Arno Schmidts, die er in den „Berechnungen" (siehe Kapitel 3) andeutet. Der Zusammenhang zwischen dieser abstraktliterarischen Ebene und dem Erzählstil (siehe besonders: Kapitel 5.1.3 zur Syntax) ist dabei durch die Forderung gegeben, Prosaformen und ihre sprachliche Ausführung als Abbild von Bewußtseinsvorgängen zu verstehen. Sofern diese Bewußtseinsvorgänge sich nicht als kontinuierlich attribuieren lassen - und dies ist eine Grundannahme Arno Schmidts - , so muß auch der „sprachliche [...] Feinbau" (B I, S.235) dies widerspiegeln. Nach inhaltlichen Funktionen gegliedert wird dieser „Feinbau" bezüglich Kolon und Klammer betrachtet. Die Klammer stellt das offensichtlichste Merkmal eines parenthetischen Stils dar, da bereits der optische Eindruck ein Herauslösen aus dem übergeordneten Satz- oder Textverband anzeigt. Geklammerte Strukturen lassen sich danach unterscheiden, ob sie innerhalb des Satzbaus syntaktisch und grammatikalisch eingegliedert sind oder ob sie als eigenständige Äußerung ohne syntaktischen und grammatikalischen Bezug auf den Kontext verwendet werden. Beim erstgenannten Fall können z.B. Nebensätze den Satz weiterführen: Vermessungsrat a.D. Stürenburg [ . . . ] musterte noch einmal den Rundhorizont (wahrscheinlich um zu überprüfen, ob auch noch alle T P s an ihren vorgeschriebenen Plätzen wären), und seufzte das einleitende behagliche „Tjaaa". (LiV, 9 / 1 8 ) Frau Dr. Waring nickte gutsherrschaftlich (obwohl sie einen Teufel etwas davon verstand); (Ahn, 643/31)
Diese beiden Beispiele lassen bereits ein vielen Einschüben gemeinsames Merkmal erkennen, nämlich das des 'Perspektivenwechsels' oder anders formuliert: des Wechsels der Erzählebene. In den vorstehenden Zitaten wird die Erzählung durch die Klammer unterbrochen, um einen Kommentar aufzunehmen, der sich auf das vorher Gesagte bezieht, aber aus diesem nicht abgeleitet werden kann. Derartige Kommentare, in denen der Erzähler sich als solcher zu erkennen gibt, sind keineswegs an die Satzbinnenstruktur gebunden, sondern können auch dem zu Kommentierenden nachgestellt sein, wobei der Nachtrag als kurzer Einwurf oder als vollständiger Satz ausgeführt sein kann: Stürenburgs Mundwinkel hingen. (Aber geschieht ihm ganz recht! Sonst hat er immer alles besser erlebt !). (KgM, 8 3 / 8 )
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spricht man vom Gletschereis, so debattieren sie tiefsinnig, ob etwa Pf&hlbauern darin eingefroren seien, mitsamt ihrem Torfspitz (hübscher Name das; ja). (Rüc, 54/28) Als plötzlich, gegen 3 j Uhr, im Westen eine schwarze graue Wolke [ . . . ] pfeilschnell unserem Zenith zu eilte; ('mein' Zenith: ich wäre also Zenithbesitzer ? 'Wer kauft Azimute?': 'Nadire feil!'). (Neb, 135/16) Es wurde so dunkel , daß wir die Straße nicht mehr zu sehen vermochten ! (Oder nein; weg das Ausrufungszeichen [ . . . ] ) . (Neb, 135/39)
Das zweite, dritte und vierte Beispiel zeigen hierbei, daß die Kommentare sich nicht notwendig auf die Erzählhandlung beschränken, sondern sich auch auf die Form der Erzählung beziehen können, so daß in diesen Fällen der Erzähler sich selbst als Erzähler und seine Ausführung der Erzählung kommentiert. Die fiktive Erzählebene wird hier unterbrochen und der reale Arbeitsvorgang des Autors sichtbar, indem der Erzähler metakommunikativ wird. (Diese 'Entillusionierung' erinnert an die Verfahrenstechniken Bertold Brechts.) Weiterhin können Klammern auch Hinweise und Erklärungen aufnehmen, ohne daß die kommentierende Rolle des Erzählers in den Vordergrund rückt. Solche Spezifizierungen reichen von kurzen Zahlenund Datenangaben Andere verläßliche Schwärme sind die Orioniden (20.Oktober) und die Geminiden (lO.Dezember). (Som, 77/12) 'er' vergoß, vergessen, inzwischen aus einer schwefelblauen Flasche das gute-teure Fensterputzmittel (:18!). (Fern, 109/3)
über nachgestellte präpositionale und adverbiale Bestimmungen das gleichermaßen schwarze Stativ starrte auf spitzen Aluminium-Weißfüßchen; (in Roten Gummischlappen). (Fern, 108/38) - : I offenes Auto kommt vorbei; darin I Herr & I junge Dame, (am Steuer). (Neb, 137/13) Die Rolltreppe, feierlich mit Statuen bestellt, glitt unaufhörlich nach oben (schräg dahinter Gürtelnattern, Sockenberge). (Vor, 74/12)
eingefügten Attribuierungen Draußen jaulte der Streifen-(Überfall-??) -wagen der Polizei straßenentlang; (TKb, 61/14)
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Entwicklung Ich habe schon versucht (heimlich, versteht sich!) sie zu lenken (Wsit, 71/19) ein Reporter war daruntergewesen, der nur gekommen war, um einen (allerdings gutgemeinten) Artikel über meine Häuslichkeit zu veröffentlichen; (Schul, 112/10) Zog eine Rolle aus dem (feurig beflaumten) Busen. . . . (Neb, 136/38)
bis zu vollständigen Sätzen. Und ging zu Tür (ich hielt es für gut, diese Fiktion der 'anderen Schüler' ihr gegenüber aufrecht zu erhalten. [...]) (Schul, 113/40) Stellte ich also an dem Ring; noch mal; (er war stark astigmatisch, und das nützte mir nichts) (Fern, 109/4) Häufig liegt ein Mischzustand zwischen einem wertneutralen Hinweis und einer (oft ironischen) Kommentierung vor, wenn die eingeschobene Erklärung als selbstgegebenes Stichwort Anlaß zur Beurteilung liefert: „[...] Und et wurde Neune" (und zwar P.M.; das dauert jetzt schon 30 Jahre, und die 24-Stunden-Zählung ist immer noch nicht volkstümlich geworden); (TbZ, 132/12) Und die Dame war aus dem Osten; hatte an der Oder ein Häuschen besessen (wie die meisten Flüchtlinge; ganz selten hört man von einem, daß er zur Miete gewohnt habe); (RoN, 121/5) „Und ? : Was wurde aus dem jungen Mann ?" erkundigte sich Dieskau rasselnd (und gefühllos: Soldaten sind schreckliche Menschen!). (Som, 78/31) Eine weitere wichtige Funktion geklammerter Einschübe ist die Wiedergabe kausaler Zusammenhänge. Die Tatsache, daß die Begründung durch die Klammer herausgehoben und nicht als kausaler Gliedsatz eingefügt wird, bewirkt zwar eine Betonung, aber diese Betonung geschieht in einem Nachtrag, der eher als mögliche Zusatzinformation denn als notwendige Voraussetzung zu verstehen ist. Der Charakter derartiger Kausalitäten ist dementsprechend ambivalent. Abend muß es sein; da geht (die lästigen Morgenenergien Ich begrüßte mit dem linken mit dem rechten blinkte ich
alles schwarzgelber und lockerer sind verbraucht); (Zäh, 103/31) Auge die strahlende Neufrisierte, Gudrun an (ich bin Junggeselle
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(TKb, 60/29) und darf das!) Ich trat drei Schritte (ich bin ein Meter funfundachtzig und hab' lange Beine !) (Schlü, 67/16) Heute sind es (in Bahnhöfen zieht es so; ich bin vorsichtig !) (Vor, 73/35) Kaufhäuser. Neben die bisher behandelten Punktionstypen der geklammerten Parenthesen des Kommentars, der Spezifizierungen, der Begründungen etc. tritt eine zweite Klasse von Funktionen, die die erzählerische Perspektive in eine andere Richtung verschieben, indem hier R a u m gegeben wird für das Bezeichnen simultaner Nebenhandlungen und Wahrnehmungen oder subjektiver Erscheinungen und Gedankenspiele. Die Erlebnismöglichkeiten (für den Protagonisten der Erzählung als auch für den Leser) erweitern sich fächerhaft zu einer Vielfalt von Einzelmomenten, die zu einer Zeit stattfinden. So können Klammern kleinere Parallelhandlungen wie etwa einzelne Gesten, sprachliche Einwürfe oder minimale Handlungseinheiten aufnehmen. „[...] und vor einigen Tagen wäre er fast in den Ostemooren versunken, hätten ihn nicht zwei andere Lehrgangsteilnehmer gerettet." (Hier knurrte der Hauptmann verächtlich und meckerte, ganz soldatische Überheblichkeit). (LiV, 9/40) Fräulein Emmeline? („Sie sollten heiraten!" warf Dieskau noch brutal dem Apotheker zu). (Was, 641/16) „Das war damals, um 19 Hundert 4 - " er faltete sein Gesicht elefantig auseinander; die große Hand ans Kinn: „- oder 5 ?" (ausgezackt die Handscheibe; fast zu glaubhaft).(KgM, 81/27) „Da nahm ich endlich die Messlatte, und legte sie mitleidig so hin" (Er zeigte: 'so !') (KgM, 82/7) Ich stellte mich nahe der Sperre auf (nahm auch ein Notizbuch zur Hand, als schriebe ich mir Züge heraus : da muß ich einfach unverdächtig-unbesoffen sein !). (Man, 95/30) der eine Finger stocherte in Buchseiten (popelte auch manchmal; ä la nil humani); (Fern, 109/18) „Kommstu mal mit zum Wagen, Ilse ?" (Sie bat mit Hand und Mund um einen Augenblick: bitte.) (Schul, 116/32) :„Und denn haa'ck'n rüber jebracht!". (Jetzt lehnte auch die Nachfahrin des Zarentrommlers ihre machtvollen Reize interessiert näher. Also ein Teil war bestimmt Natur.) (TbZ, 132/6) Wir taten es aber auch aus reiner Bosheit, (und meine Teufelin brachte dabei die Brust so vor, daß Mann gleich hätte unsinnig
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Entwicklung werden mögen.) (Neb, 135/16) „Das hab ich früher immer gern gelesen." (Und starkes Nicken in Erinnerungen hinein). (Schul, 115/36)
In Klammern können weiterhin kontrastierende Sinneswahrnehmungen benannt werden, so daß etwa neben den primär optischen Eindruck ein akustischer tritt (wie z.B. die ersten beiden Absätze aus „Nachbarin, Tod und Solidus." zeigen; siehe auch Kapitel 4.1), oder es wird ein zusätzlicher optischer/akustischer Eindruck der erzählten Handlung hinzugefügt: Also sitzen, und mit geweiteten Augen die Gedankenbeete überblicken. (Vorn, vor mir tickte die Taschenuhr;[...]) (Schlü, 66/37) Wieder draußen (und Stille; kein Klavier trappelte mehr). (Som, 76/40) Wenn ich also auch den Geologen selbst aus dem Wege gehe, liebe ich doch ihre Wissenschaft, zumal im Spätherbst. (Frau Doktor lauschte hinter einem Orionnebel von Zigarettenrauch;[, ..]) (Rüc, 54/36) Schließlich kann die Klammer zum Träger neben der Handlung stehender Gedanken werden, so daß der fiktiven Ebene der Rahmenhandlung eine Subebene hinzugefügt wird, die irreale, bloß gedachte Momente zu transportieren vermag. Diese Struktur könnte als Pendant zu Arno Schmidts Prosaform des „LG" als 'KG', als 'Kürzeres Gedankenspiel', bezeichnet werden: (Wir stahlen in Gedanken den fetten Braunen des Ackerbürgers Wiener, wurden zwischen schwarzen weichen Wänden eingesperrt, und erwarteten hoffnungsvoll das Urteil: das Unrecht mußte ja liegen, wie?! (LiZ, 35/16) Noch einmal schwebte der Ebenholzdiskus des Pfiffes heran, bald Kante, bald Scheibe (während es unter ihm mit schwarzer gesenkter Stirn durch die Wälder in Richtung Aschaffenburg stürmen mochte. Blind). (NTS, 51/37) Langmichel Grinsemaul fläzte mir das Diner auf den Tisch (ich spaltete ihm in Gedanken den Kopf, so daß ihm die Hälften auf beiden Schultern lagen:? - Aber er gewann auch dadurch nicht; fügte ich ihm also den Kopf wieder zusammen. [...]) (Riv, 85/37) Es war nichts übrig geblieben, als den nächst Gelehrten herbeizuholen: der hatte sie dann buchstabiert! (Was unter Analphabeten die feierliche Stimmung nur erhöht haben dürfte - aber
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Contra Duden: Interpunktion ich muß mir das dann immer gleich so intensiv vorstellen: wie der Kerl da am Tisch steht, den Finger auf die Zeilen gepreßt und visiert; bei schwierigen Stellen popelt er vor Verzweiflung.) (SeT, 99/33) Sie würde ihrerseits das Fenster öffnen, und amüsiert heruntersehen . . . (Wahrscheinlich kämen aber schon Sekunden später zwei untersetzte Männer hergesprungen, mit vielenvielen Ohrfeigen in den muskulösen Händen!). (SeT, 101/29) Dann höre ich auch gern Schreibmaschinen trippeln (und denke mir die entsprechende mythologische Figur hinzu: eine überschlanke Stenotypistin; die spinnenhaft hastenden Finger vergessen wir, und setzen dafür zierliche Hufe; ein endlos durch die Stille gezogener Reißverschluß befreit sie aus kontorener Hülle; und sie trippelt davon, durch weite wirre Staubwälder, listig und züchtig den Blick über die subtile Schulter zu mir zurück -[...]). (Fern, 107/24)
Den genannten Funktionen der Klammer könnten noch weitere hinzugefügt werden; so besteht etwa die Möglichkeit die 'äußere' Handlung auch innerhalb der Klammer weiterzuführen, so daß die Klammer notwendig handlungstragend wirkt, oder es können innerhalb der Klammer kurze Charakterisierungen wie z.B. , , : ' N a n u ? ! ' (ich, erstaunt)" (Fern, 107/37) erfolgen, die die Struktur einer Regie-Anweisung besitzen. Auf derartige und weitere Einteilungen und Sub-Einteilungen soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden, da die genannten und mit Beispielen versehenen Funktionsklassen genügen, die Breite der Verwendungsweisen aufzuzeigen. Abschließend sei lediglich auf ein formales Kennzeichen verwiesen, welches sich erst in den später entstandenen Erzählungen „Aus der Inselstraße", besonders in „Nebenmond und rosa Augen." findet. Besitzen die geklammerten Einschübe in den „Stürenburg-Geschichten" und in weiten Teilen der frühen „Inselstraßen"-Erzählungen vorwiegend die einfache Form: (•••)•
so mehren sich im chronologischen Verlauf gereihte und geschachtelte Einschübe der Art (...).(...)
oder
(...(...)...),
bis schließlich zu tief geschachtelten hierarchischen Strukturen in „Nebenmond und rosa Augen." :
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(•••)/((•••(•••)•••)) An diesem Verlauf ist eine Tendenz zu immer sorgfaltigerer Präzisierung bei der Wiedergabe von Bewußtseinsebenen zu erkennen, die Arno Schmidt für seine Prosa fordert. Auch die Verwendungsweise des Kolons ist, ebenso wie die der Klammer, multifunktional. Mittels des Kolons können Einschübe vom übergeordneten Satzbau getrennt werden, sei es innerhalb des Satzes, so daß das Kolon eine der Klammer ähnliche Funktion (auch optisch) erfüllt, sei es am Satzende zur Einleitung eines Nachtrages. Darüber hinaus verwendet Arno Schmidt das Kolon häufig stellvertretend für ein Komma, wodurch das gegliederte Satzgefüge in ein gereihtes überführt wird und somit hypotaktische Strukturen vermieden werden können. Als Beleg für das Gesagte soll eine Erzählung exemplarisch herausgegriffen werden. Es bietet sich hierfür die Erzählung „Am Fernrohr." an, die die höchste absolute Häufigkeit in Bezug auf das Kolon aufweist. (siehe Tabelle 1 in Kapitel 5.1.1.1) In fünf Fällen im vorliegenden Text heben Kola einen Einschub aus dem laufenden Text hervor, wobei die Trennung vom Text schwächer als bei der Verwendung von Klammern ist. Die 'eingerahmte' Äußerung ist somit im Vergleich stärker an den Kontext gebunden. denn es handelt sich lediglich um eine Art Abschrift - : nee : also doch lieber nicht! (Fern, 1 0 7 / 1 8 ) „Sieh mal, d a ! " : i c h blickte hindurch: Balkon in sengender Augustsonne;
ein leerer zementener (Fern, 1 0 8 / 4 0 )
Stellte ich also an dem Ring; noch mal; [ . . . ] : „ A h ! " : jetzt konnte man tatsächlich fast die Uberschriften der Leitartikel entziffern. (Fern, 1 0 9 / 4 ) „ [ . . . ] Der Mond ¡wundervoll!: Du weißt, ich arbeite über Schröter". (Fern,109/9) und stelzte dann wieder hinaus, ins Sonnenlicht :Baconberkeleylockeandhume: wieso leben wir eigentlich so ? (Fern, 1 1 0 / 3 3 )
Dreimal wird ein kurzer Ausruf (Beispiele 1,3,4) hervorgehoben, einmal eine kurze Handlungsbeschreibung (Beispiel 2) und einmal (Beispiel 5) eine dunkel bleibende Äußerung, die vermutlich für Eingeweihte einen Kommentar bezeichnet.
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Zur Einleitung von Kommentaren, die ganz der subjektiven Bewertung des Erzählers entspringen, verwendet Arno Schmidt sehr häufig das Kolon, wobei die kommentierende Äußerung zumeist im Nachtrag erscheint. was sind wir Menschen doch schwerfällig, oder, vornehmer ausgedrückt; 'konservativ* : es ist zum Weinen! (Fern, 107/10) 17,18,19 : das sind die Jahre! (Fern, 107/13) nur man hörte das Schnurren nicht, das den Vorgang 'sonst' zu begleiten pflegt: sehr merkwürdig . . . (Fern, 109/27) Ich nickte dem achtlos=grauen Rücken neidisch zu; der hatte Zeit zu so was: Voyage autour de ma chambre, und weit darüber hinaus. Mit vierzigfacher Vergrößerung. (Fem, 110/28) Der Doppelpunkt dient hier zum einen der Einleitung oder Ankündigung des nachgetragenen Kommentars und zum anderen der Betonung der nachfolgenden Äußerung, da die Aufmerksamkeit des Lesers auf das Folgende gelenkt wird. Eine derartige Betonung liegt in der Erzählung „Am Fernrohr." beispielsweise stets bei den 'magischen' Altersangaben 17 und 18 Jahre vor. doch!: 17 müßte man nochmal sein! (Fern, 107/30) folglich bestanden wir das Abitur, er mit Mühe, ich mit Mühe: 18 müßte man nochmal sein. (Fern, 108/10) und 'er' vergoß, vergessen, inzwischen aus einer schwefelblauen Flasche das gute-teure Fensterputzmittel (: 18 !). (Fern,109/30) Nachgetragene Äußerungen können zusätzlich neben dem einleitenden Doppelpunkt auch noch im vorhergehenden Satz indirekt oder direkt unter Verwendung hinweisender Signalwörter angekündigt werden. Das heißt: jetzt muß man's eben in der Fantasie erledigen; (Fern,107/30) „Also sieh Dir da» an !" - Sah ich mir also 'das' an: rechts neben dem Schokoladenmädchen war soeben eine 'Mutter' erschienen; (Fern, 109/40) er zeigte mir noch nacheinander dieses: eine Katze [... ] einen jungen Mann [ . . . ] Eine dunkelgrüne Isetta [ . . . ] (Fern, 109/22) Das letzte Beispiel zeigt, daß durch das Kolon auch Aufzählungen angekündigt werden. Zwei weitere Beispiele hierzu folgen:
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einzelne Lieblingsartikel nachzuschlagen: über das Buch Mormon; die Insel Tristan da Cunha; Horrox aus Hoole [ . . . ] (Fern,108/28) von unten her gezählt: 2 weiß, ein rot, ein weiß. (Fern, 1 0 9 / 1 )
Die Vielzahl nachgetragener Fügungen, seien diese in Klammern gesetzt, durch Doppelpunkt eingeleitet oder durch sonstige Satzzeichen (etwa Gedankenstrich oder Semikolon) vom Satzumfeld abgegrenzt, belegen, daß Arno Schmidt dem parenthetischen Stil deutlichen Vorzug gibt. Dies hat zweierlei Wirkung: Erstens wird der Satzrhythmus gebrochen, so daß die Einzelteile eine eigenständige Betonung erhalten und damit ihr Charakter als 'Teil des Ganzen' sichtbar wird, und zweitens werden hierdurch hypotaktische Konstruktionen vermieden. So leitet der Doppelpunkt oft Hauptsätze ein, die ihrem inhaltlichen Bezug nach eine hypotaktische Struktur mit dem vorhergehenden Satz eingehen könnten. Im folgenden Beispiel ersetzt die Verwendung des Doppelpunktes eine konzessive Fügung: so gegen 5 dann - oder, wie es jetzt Mode ist, 17 Uhr: dabei ist es seit 30 Jahren amtlich eingeführt;
(Fern, 1 0 7 / 9 )
Die beiden nächsten Beispiele bezeichnen inhaltlich ein neben- oder untergeordnetes ('denn', 'weil') Kausalgefüge: (17, 18, 19: das sind die Jahre !). sofort muß man zum Militär; [ . . . ) )
(Aber auch wieder nicht, (Fern, 1 0 7 / 1 3 )
und bei Eduard klingeln. Ruhig warten. Dann noch zweimal: so schnell bekam er nicht die Füße aus seinem Tiaumkraut los. (Fem, 107/34)
Das folgende und letzte Zitat zeigt einen durch Kolon ersetzten Finalsatz (etwa der Art: 'um einen Schutzwehr . . .zu bilden'): Edgar Poe vergleichbar, der die schauerlichsten Geschichten mit wahrer Kupferstecherschrift zu Papier brachte: Schutzwehr gegen Orkan & Orkus! (Fern, 1 0 8 / 1 5 )
Auf weitere, detailliertere Fragen zur Syntax wird hier nicht eingegangen, da Kapitel 5.1.3 sich hiermit gesondert beschäftigt. Die eingangs dieses Kapitels aufgestellte Behauptung, daß Arno Schmidts Erzählstil ein parenthetischer ist, ist exemplarisch an den Funktionsformen von Klammer und Kolon nachgewiesen worden. Eine Begründung für die Anwendung dieses Stils liefert Arno Schmidt (indirekt) in seine „Berechnungen" (siehe Kapitel 3), auch wenn diese
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ausdrücklich nur die 'Grobstruktur' seiner Prosa thematisieren, da ein Konzept zu Prosaformen stets auch gewisse Rahmenbedingungen zur sprachlichen Form begründet. Zu einer ausführlicheren Darstellung dieser 'inneren' Verknüpfung sei hier auf die Kapitel zur Syntax (5.1.3) und zur Wortbildung (5.1.4) verwiesen.
5.1.1.4 Die mimetische Funktion und spannte die Arme : !,!,!,!,
Poca, BA 1/1.2, 402
Die bisherigen Ausführungen zur Interpunktion Arno Schmidts galten quantitativen Merkmalen, Widersprüchen zum grammatischen Prinzip des Dudens und einigen Einzelbeobachtungen bezüglich des Kolons und der Klammer, (siehe: 5.1.1.1-5.1.1.3) Um jedoch Schmidts sprachliche Evolution im Rahmen der „Stürenburg"- und „Inselstraßen"-Geschichten zu exponieren, bedarf es der Betrachtung einer zusätzlichen Funktion des Satzzeichens jenseits seiner Eigenschaften, in einem grammatischen und rhetorischen Sinn verfügbar zu sein. Diese dritte Funktion will ich die mimetische nennen. Die Verwendung von Satzzeichen im Grenzfall der grammatischen Eigenschaft regelt logische Zusammenhänge zwischen Satzteilen und Sätzen. Seien es Kommata zur Strukturierung hypotaktischer Konstruktionen, Doppelpunkte als Ankündigungsmerkmal direkter Rede, Ausrufungs- und Fragezeichen am Satzende, um Intentionen zu deklarieren usw. In diesem Sinn enthält das Satzzeichen keine Eigenbedeutung, sondern dient vielmehr als Indikator und Arrangeur verbaler Aussagen. (So trennt etwa das Komma vor einem Relativsatz diesen nur optisch vom übergeordneten Satzbau; das Fragezeichen am Satzende ist nur das reflexive Signal zum vorhergehenden Satz usw.) Zu einer Eigensemantik tendiert das Satzzeichen gemäß seinem rhetorischen Prinzip, welches Sprech- und Denkpausen wiederzugeben vermag. Ein Komma beispielsweise signalisiert eine kürzere Sprechpause als ein Semikolon. Ich spreche hier von einer 'Tendenz zur Eigensemantik', weil hier das Satzzeichen nur über ein Charakteristikum, nämlich die Pausen/¿npe, Auskunft gibt. D.h. das Satzzeichen
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Entwicklung
ist nichts anderes als eine Markierung auf einer Meßanordnung, die die Eigenschaft 'Pausenlänge' zu messen in der Lage ist. Der Aussagewert des Satzzeichens ist dementsprechend beschränkt. Das grammatische Prinzip der Satzzeichen ist gemäß dem Duden dominierend. So lautet die Aussage bezüglich des Kommas: „Das Komma hat im Deutschen in erster Linie die Aufgabe, den Satz grammatisch zu gliedern." (Duden, Rechtschreibung, 18.Aufl., S.36) Das rhetorische Prinzip der Kennzeichnung von Pausen ist diesem untergeordnet, auch wenn der Duden in Zweifelsfällen gewisse Freiräume zuläßt. Arno Schmidt kehrt dieses Verhältnis um: Auch mit den herkömmlichen Satzzeichen 'instrumentiere' ich die Periode - nicht 'nach Belieben': sondern, wie der Betreffende gesprochen h a t ! Ich gebe an, wie er die Pausen zögernd, überlegend, boshaft, setzte : nicht, wie Herr Duden, und wenn er zehnmal Geheimrat war!, es vorschreibt! (B III, §5)
Die Reihenfolge der Satzzeichen in Richtung zunehmender Pausenlänge gibt Arno Schmidt im selben Paragraphen seiner „Berechnungen III" zu: Komma, Semikolon, Gedankenstrich(e), Schrägstrich, Absatz an. (Vgl.: 5.1.1.2) Erschöpfen sich die Anwendungsmöglichkeiten von Satzzeichen nach dem Duden in diesen beiden Prinzipien, so geht Arno Schmidt darüber hinaus, indem er ihnen zuweilen eine eigenständige Aussagemöglichkeit einräumt. Sei es, daß von ganzen Handlungspassagen mit Rede und Widerrede, sofern sie im wesentlichen nur Stereotypes wiedergeben, lediglich ein Konglomerat von Satzzeichen übrigbleibt, wie es allerdings erst im Spätwerk (ab „Kaff auch Mare Crisium") realisiert wird 3 , oder sei es, wie es auch im Verlaufe der hier interessierenden 'Brotarbeiten' der Fall ist, daß einzelne sprach- und handlungsbegleitende oder -ersetzende Gesten mittels Satzzeichen abgebildet werden. Das Satzzeichen fungiert also im letztgenannten Fall als mimetisches Element außersprachlicher Handlungen. Diese Nachahmungsfunktion entwickelt sich hin zu den Arbeiten der späten 50-er Jahre, trifft also vorzüglich die spät entstandenen Erzählungen „Aus der Inselstraße". Dies soll im folgenden gezeigt werden. 3
I n „Kaff' findet sich bspw. als ein Absatzbeginn: . . . ! ' . / - . - . - . - . / : " ; B A 1/3.1, 54
„-,
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In fünf der noch in Kastel verfaßten „Stürenburg-Geschichten": „Ein Leben im voraus.", „Er war ihm zu ähnlich.", „ D a s heulende H a u s . " , „Schwarze Heiare.", „Kleiner Krieg." ist das Satzzeichen noch nicht in seiner Gesten abbildenden Varietät zu erkennen. N i m m t m a n als oft notwendiges Kriterium der mimetischen Punktion die direkte Abfolge verschiedener Satzzeichen zu einem Konglom e r a t , so können aus den fünf genannten Erzählungen nur Negativbeispiele ermittelt werden. So in der Erzählung „Kleiner Krieg.", wo etwa das „ F a k t o t u m H a g e m a n n " a u f g r u n d eines abgegebenen Briefs von P o l i z e i h a u p t m a n n O b e r g an Vermessungsrat a.D. S t ü r e n b u r g l a u t s t a r k äußert: „Schon wieder ?" schrie Hagemann entgeistert: „Das nimmt diesen Monat ja wohl gar kein Ende, Herr Rat ?!" (K1K, 27/23) Frage- u n d Ausrufezeichen hintereinander - ein oft bei A r n o Schmidt zu findendes stilistisches Merkmal - geben hier nur zweierlei zum Ausdruck: Zum einen den formalen C h a r a k t e r des Satzes als Frage u n d z u m anderen die Bestimmtheit, mit der der Satz von H a g e m a n n gesprochen ist. D a s Ausrufezeichen ist also rückbezüglich z u m Fragezeichen zu lesen, womit ein detaillierter logischer Z u s a m m e n h a n g erschlossen wird, der den g r a m m a t i s c h e n Aspekt des Gesagten betrifft. In derselben Erzählung im ü b e r n ä c h s t e n Absatz erzählt Stürenb u r g etwas aus seiner Beziehung zu Polizeihauptmann Oberg: Wir haben zusammen das Gymnasium besucht; in Göttingen studiert - was heißt bei ihm schon studiert: in Jura und Volkswirtschaft hat er n bißchen rumgepfuscht! -; (K1K, 27/34) Das Ausrufezeichen kennzeichnet die Intention der Rede als Ausruf, der anschließende Gedankenstrich korrespondiert zu dem vorhergehenden, einen Einschub beendend, und das Semikolon schließlich steht an Stelle eines K o m m a s im R a h m e n einer Aufzählung. Auch hier also ist keine Absicht zur N a c h a h m u n g außersprachlicher Handlungen festzustellen. Ein abschließendes Beispiel aus der Erzählung „Er war ihm zu ähnlich" folgt, wo das erzählende Ich sich mit H a g e m a n n über die Wahrhaftigkeit der Stürenburgschen Geschichten kurz u n t e r h ä l t . Dazu Hagemann: „Wieso denn nicht ?!" nieselte er empört: „Was hier im Lauf der Jahre alles passiert ist?! - Und dann die vielen Ins-
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Entwicklung trumente: Ohgott, wenn ich nicht so'n festen Kopf hätte - -M (Ähn, 643/8)
Die Verbindung von Frage- und Ausrufezeichen an zwei Stellen kennzeichnet auch hier nur die Betonung der jeweiligen Frage - im zweiten Fall könnte man sich die Reihenfolge eventuell auch zu '! ?' umgedreht denken, da der Satz einen stärkeren Ausruf- als einen Fragecharakter zu besitzen scheint. Die Gedankenstriche sind eindeutig als Pausenzeichen zu erkennen, wobei sich am Ende des Zitats die Pausenlänge additiv ergibt. In der „Stürenburg-Geschichte" „Die Wasserlilie." finden sich drei Stellen, an denen von einer nachahmenden Bedeutung der Satzzeichen zu sprechen möglich wäre. (Dies ist absichtlich so vage formuliert, da zwei der drei gemeinten Textstellen keinen eindeutigen Schluß zulassen.) Vermessungsrat a.D. Stürenburg erzählt die Geschichte wie er „vor rund zwanzig Jahren" ein Pärchen „am Strand bei Hude" mit einer ,,gute[n] optischen Ausrüstung" betrachtete: Sie gingen auf dem Laufsteg immer weiter vor; setzten sich vorn an das Pfahlwerk hin - : und auf einmal sehe ich doch, wie der Mann das Köfferchen ins Wasser gleiten läßt. (Was, 640/23)
Zwei Lesarten der Kombination Gedankenstrich/Doppelpunkt sind möglich: Der Gedankenstrich kann als Pausenzeichen zu verstehen sein und der folgende Doppelpunkt als Kennzeichen des Wiederbeginns direkter Rede: also eine Kombination von rhetorischem und grammatischen Prinzip. Die zweite Lesart, die spekulative Züge trägt, nimmt Rücksicht auf den Inhalt des Gesagten, um die Satzzeichen zu erklären: Sich auf einen ins Meer führenden Steg zu setzen, geschieht meist, indem man die Beine über der Wasseroberfläche baumeln läßt. Die rechtwinklige Beinhaltung könnte durch „-:" angedeutet sein. Die zweite Stelle, an welcher der Koffer von Stürenburg geöffnet wird, ist frei von derartigen Spekulationen. Der mimetische Charakter ist deutlich: „Die Schlösser schnappten mühelos auf; ich hob den Deckel und sah: !" (er beugte sich impressiv vor;: „in Decken gewickelt, schneeweiß, ein Kindergesicht.)[...]" (Was, 641/8)
Der Doppelpunkt als Ankündigung dessen, was zu sehen ist, kann in diesem Fall als das fragende Augenpaar Stürenburgs angesehen werden, der zwei Gedankenstriche lang das Gesehene verarbeitet, bis sein
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Gehirn die Information eingeordnet hat, worauf ein Ausrufezeichen folgen kann. Die Verbindung „: — ! " deutet also die drei Schritte: Sehen, Verarbeiten, Verstehen an. Die dritte Stelle, von der die Rede ist, folgt im nächsten Absatz: Natürlich jagten sich meine Gedanken: hätten Sie getan?
was tun?! : Was (Was, 641/19)
Der erste Doppelpunkt leitet den Gedankengang ein, der um die Frage, was zu tun sei, kreist. Die Verbindung von Frage- und Ausrufezeichen kann nun entweder syntaktisch gedeutet werden - das Ausrufezeichen als besondere Betonung des Fragecharakters-, oder die beiden Zeichen stehen stellvertretend für die sich jagenden Gedanken, die zwischen Unentschlossenheit (= ?) und Entscheidung (=!) hin- und herpendeln. Im weiteren Verlauf möchte ich mich auf eine Auswahl von TextInterpunktionsstellen beschränken, bei denen die mimetische Funktion zweifelsfrei, oder doch mit sehr großer Wahrscheinlichkeit, erkennbar ist. In der „Stürenburg-Geschichte" „Sommermeteor." zeigt Stürenburg dem erzählenden Ich eine Taschenuhr. Die Reaktion auf diese Handlung, einem Kolon folgend, wird durch Ausrufe- und Fragezeichen repräsentiert, so als wenn der Ich-Erzähler zunächst fragend und sodann verstehend schaut: Zur Begrüßung hielt mir Vermessungsrat a.D. Stürenburg die mächtige zweischalige Taschenuhr (in Bergmannskapsel) vors Gesicht : ? ! (Som, 76/15)
Ebenfalls einen Gedankengang, der sich vielleicht in einem Gesichtsausdruck äußern mag, widerspiegelnd, ist die Interpunktion anzusehen, die zwei Sätze weiter unten anzutreffen ist: Apotheker Dettmer [ . . . ] wagte empfehlend auf die von ihm erfundene Universalmedizin 'Virgisan' anzuspielen : ? (Som, 76/21)
Vier Absätze weiter zeigt Emmeline auf eine Lichterscheinung am Himmel, deren optischer Eindruck (vermittelt per Doppelpunkt) durch das abschließ ende Ausrufezeichen symbolisiert ist: Emmeline zeigte mit dem Kuchenkeil auf den Meteor, der, sinkend, im Dunkelblau eine schöne Spur hinterließ :! (Som, 77/8)
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Das Ausrufezeichen korrespondiert insbesondere auch zu der Eigenschaft 'sinkend' - für 'steigend' müßte das Zeichen wohl zu „ j " gedreht werden. Zu den „Stürenburg-Geschichten" als abschließendes Beispiel eine Stelle aus „Kleine graue Maus.": Mein rechtes und Dieskaus linkes Auge begegneten sich kurz :! (KgM, 8 1 / 1 2 )
Aufmerksam auf mögliche Mimesen komme ich nicht umhin, das Kolon als direktes Abbild der beiden genannten Augen zu interpretieren und das Ausrufezeichen als Wiedergabe der Flüchtigkeit des Eindrucks („begegneten sich kurz") zu deuten. Daß sich diese eindeutigen Beispiele in den Erzählungen „Sommermeteor." und „Kleine graue Maus." finden lassen, ist insofern nicht verwunderlich, da diese Erzählungen erst Mitte 1956, also ein Jahr von den übrigen „Stürenburg-Geschichten" getrennt, verfaßt wurden. Es scheint sich also eine Entwicklungslinie anzudeuten. Das Folgende wird dies bestätigen. 4 Um einen besseren Uberblick auf die Geschichten „Aus der Inselstraße" zu bekommen, sollen diese zunächst in drei Gruppen unterteilt werden. Diese Unterteilung richtet sich nach den Daten der Erstveröffentlichungen (siehe Anhang B). Sofern zumindest in der Tendenz richtig ist, daß die chronologische Folge der Veröffentlichungen zu der Reihenfolge der Entstehung der Erzählungen korrespondiert, können Aussagen über die Sprachentwicklung Arno Schmidts sich des Leitfadens der Erstveröffentlichungen bedienen. Eine Unterteilung in drei (oder eine andere kleine Zahl von) Gruppen besitzt den Vorteil, daß durch eine solche summarische Betrachtungsweise Fehleinschätzungen über die Entstehungsreihenfolge vermindert werden. (Uber die zeitliche Folge der Erzählungen innerhalb einer Gruppe wird sozusagen gemittelt.) Ausgangspunkt ist also folgende Teilung: 4
Dieses Kapitel wurde verfasst, als mir noch nicht die Bargfelder Ausgabe zur Verfügung stand, woraus sich ein Unwissen über die Entstehungsreihenfolge der Erzählungen ergibt. Um jedoch die Vorteile der gewählten Methodik der Gruppeneinteilung zu verdeutlichen, wurde dieses Kapitel nicht umgeschrieben. A m Ende folgt jedoch eine kurze Einordnung der Ergebnisse in den Kontext des Wissens um die Entstehungsdaten.
Contra Duden: Interpunktion Gruppe A :
Gruppe B :
Gruppe C :
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„Lustig ist das Zigeunerleben." „Nachbarin, Tod und Solidus." „Geschichte auf dem Rücken erzählt." „Der Tag der Kaktusblüte." „Seltsame Tage." „Wiis soll ich tun?" „Geschichten von der Insel Man." „Schlüsseltausch." „Zählergesang." „Die Vorsichtigen." „Rollende Nacht." „Am Fernrohr." „Rivalen." „Schulausflug." „Trommler beim Zaren." „Nebenmond und rosa Augen."
Die Aussage zur ersten Gruppe kann sehr knapp erfolgen: An keiner Stelle der sechs Texte ist eine eindeutig mimetische Verwendungsweise von Satzzeichen festzustellen. Eine erste interessierende Stelle findet sich in „Geschichten von der Insel Man.". Der Ich-Erzähler - bei Arno Schmidt immer zu einem großen Teil Arno Schmidt selbst (siehe: Kapitel 2) - wartet des Nachts auf einem Bahnhof (dem Darmstädter Bahnhof) auf die Enkelin einer Nachbarin. Ein greiser Schaffner schlich larvenhaft-bewußtlos in seine Holzschale; nur die glitzernde Zangenspitze ragte lauernd hervor - : D a ! : sie versuchte, in die Hand eines Opfers zu beißen, erwischte aber nur den Pappköder, und kappte enttäuscht mit dem Stahlgebiß. (Man, 95/33)
Die Zangenspitze, mit der vermutlich Bahnsteigkarten entwertet werden, wird dargestellt durch den ersten Doppelpunkt vor „Da!"; ihre Eigenschaft „lauernd" hervor zu ragen, entspricht den beiden Gedankenstrichen, die das Moment des Zögerns, der Bewegungslosigkeit ausdrücken, ebenso wie der Gedankenstrich - nach Duden - zur Kennzeichnung einer längeren Pause dienen kann. In der nächsten Geschichte „Schlüsseltausch." finden sich gleich mehrere mimetisch deutbare Stellen.
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Entwicklung Also sitzen, und mit geweiteten Augen die Gedankenbeete überblicken. [ . . . ] Die weiße Wand sah mir, wie immer, geruhsam zu; geruhsam zu; - geruhsam. Zu. — (Schlü, 66/37)
Die Wendung „geruhsam zu [sehen]" folgt dreimal nacheinander, unterbrochen von einer Interpunktion, die den Lesefluß hemmt. Das Tempo nimmt stetig ab: schließt zunächst ein Semikolon die erste Nennung, so tritt beim zweitenmal noch ein die Pause verlängernder Gedankenstrich hinzu. In der dritten Nennung steht jedes Wort, durch Punkt abgeschlossen, für sich, und die abschließende Pause entspricht einer Pausenlänge zweier Gedankenstriche. Die Interpunktion nimmt hier den Inhalt der Wortfügung auf, wiederholt und betont ihn gleichsam. Am Ende des nächsten Absatzes gibt die verwendete Interpunktion direkt den Gesichtsausdruck des Ich-Erzählers wieder: Aber etwas stimmte hier doch nicht! Ich zog das Gesicht zusammen : ? : Ah ! D a ! (Schlü, 6 7 / 7 )
Der erste Eindruck, den das am Schreibtisch sitzende Ich erhält, ist ein fragender. Das Fragezeichen in seiner sich krümmenden graphischen Gestalt ist das Abbild des zusammengezogenen Gesichts. Der zweite Eindruck, eingeleitet durch den folgenden Doppelpunkt, ein zweites Hinschauen symbolisierend, ist ein verstehender. Man sieht förmlich wie sich das zusammengezogene Gesicht über die Benutzung des beiden Ausrufezeichen glättet. Zwei Absätze weiter heißt es: Nun schaltet es bei mir immer langsam. Ich bin meist bis zur Brust im Gedankendschungel versunken und muß mich erst mühsam herausstemmen, die Handflächen aufgesetzt - : da war der Schlüssel weg! (Schlü, 67/11)
Die auf die Tischplatte aufgesetzte Handfläche wird durch den Gedankenstrich und das schauende Augenpaar durch den Doppelpunkt aufgenommen. Gleich im Anschluß im nächsten Absatz dann: Ich sprang zur T ü r ; ich klinkte und riß mich hindurch; den K o p f nach rechts: nichts! Den K o p f nach links ? : war da nicht eben die Haustür ins Schloß gefallen ?! (Schlü, 4 0 / 1 4 )
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Neben der Eigenschaft der hier verwendeten Satzzeichen kurze Sätze oder Ellipsen zu trennen, um das Tempo der Handlungsfolge zu bestimmen, erfüllen die Doppelpunkte zugleich den Zweck, das Gesehene einzuleiten. Die schauenden Augen werden auch hier wieder symbolisch dargestellt, womit sprachliche Umschreibungen wegfallen können, die das Handlungstempo nur bremsen würden. In den übrigen drei Erzählungen der Gruppe B können keine klaren Nachahmungseffekte per Satzzeichen ermittelt werden, so daß nun das Augenmerk auf Gruppe C, die zuletzt veröffentlichten Erzählungen „Aus der Inselstraße", gerichtet werden kann. Die Anzahl der Textstellen, an denen Satzzeichen mimetisch verwendet werden, ist in dieser Gruppe sehr groß, so daß hier nur eine Auswahl besonders offensichtlicher Beispiele vorgestellt wird. Am Ende der Erzählung „Am Fernrohr." wird Eduard beim Justieren seines Fernrohres beschrieben: „Nein," flüsterte er: „Nachts sind Sternbilder an ihrer Reihe. !) Tagsüber . . . " (er verstummte und stellte wieder schärfer (Fern,110/27)
Die manuelle Tätigkeit des Schärferstellens wird in ihrer zeitlichen Dauer durch den Gedankenstrich symbolisiert; der Doppelpukt entspricht dem prüfenden Blick durch das Fernrohr und das Ausrufezeichen dient als Kommentar der Handlung: die Justierung ist geglückt. Zwei Beispiele aus der Erzählung „Rivalen." mögen stellvertretend für weitere in dieser Geschichte zu findende stehen. Im sechsten Absatz spioniert das Erzähler-Ich der vermeintlichen Dichterin nach und besticht den Kastellan ihr auf mögliche Fragen falsche Antworten zu geben: Heimlich vor ihrer Staffelei: ? : Na nichts Besonderes. (Riv, 85/16)
Die Zeichenfolge „ : ? : " verbindet hier die Beschreibung des Beginns einer Handlung („Heimlich vor ihrer Staffelei") mit dem Urteil, das der Ich-Erzähler nach Vollzug der Handlung - nämlich des Betrachtens des Bildes - erhält, so daß die Zeichenfolge hier eine handlungsabbildende Funktion (des Schauens und sich Wunderns) erfüllt. Falls Sie der jungen Dame nachher falsche Daten sagen sollten ? - Irren ist menschlich - Und auf plus minus 10 Jahre kommt's doch wirklich nicht an : ? - :! (Riv, 85/23)
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Die Zeichenkette „: ? - :!" drückt die Reaktion des Kastellans aus, der nach anfanglicher Verwunderung ( „ : ? " ) u n d einer kleinen Weile des Nachdenkens ( „ - " ) sich zustimmend, das A n g e b o t a n n e h m e n d verhält („=!")• Ebenfalls zwei Beispiele möchte ich aus der E r z ä h l u n g „Schulausflug." nennen. ' A r n o Schmidt ' und Ilse Mülhäuser sind auf dem J a h r m a r k t u n d f a h r e n Riesenrad: Aber Ilses Gesicht: ? : ? ? Ihr wurde schlecht!! (Schul, 117/15) G e b e n die Fragezeichen Ilses Gesichtsausdruck wieder, so scheint sich die Übelkeit vom ersten Eindruck (ein Fragezeichen) zum zweiten Eindruck zu steigern (zwei Fragezeichen). Die Bestätigung erfolgt durch die abschließenden zwei Ausrufezeichen. A m E n d e des nächsten Absatzes stehen beide a m R a n d des Messplatzes in der Nähe des Finanzamtes, f ü r das der Erzähler nur die drohende G e b ä r d e zweier Ausrufezeichen übrig h a t : ich drohte dem Sandsteingebäude erst noch heimlich mit der Faust:!! (Schul, 117/25) O h n e eine offensichtliche Anwendung mimetisch gebrauchter Satzzeichen stellt sich die Erzählung „Trommler beim Zaren." dar, so d a ß als letztes Stück „ N e b e n m o n d und rosa Augen." verbleibt, in welchem wiederum eine Vielzahl positiver Beispiele anzutreffen ist, von denen zwei g e n a n n t werden sollen. Im ersten, der in drei Großkapitel gegliederten Erzählung, flüchtet der Erzähler mit seiner „ D ä m o n e s s a " vor einem Hagelschauer ins „Fichticht": Hockten unter das barbije Weir (=knochiges Drahthaar) der unten=Erstorbenen. Und warteten eben. -. .-./ ./ : Pause. Der Hagel massierte die alles duldenden Zweige dichtüberuns. (Neb, 136/28) Das W a r t e n erhält durch die Interpunktionsfolge eine eigene Q u a l i t ä t . Jedes W o r t würde diese Q u a l i t ä t im Kern zerstören. Das abschließende „ : Pause" bildet den U b e r g a n g vom W a r t e n , das stets auf ein Ziel gerichtet ist, zur ziellosen Stille, eben der Pause, in welcher das Wort nichts zerstören kann, d a dieses ' E t w a s ' bereits vorbei ist - daher kann j e t z t das W o r t („Pause") stehen. Als abschließendes Beispiel soll eine Interpunktionsfolge vom E n d e der Erzählung aus dem d r i t t e n Kapitel dienen. Der Erzähler f ä h r t mit seiner „Teufelin" „Aufderchausseewieder" F a h r r a d u n d beide stellen
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sich vor, wie sie mit „Uniform'm" verkleidet als Beobachter bei den anstehenden Bundeswehrmanövern teilnehmen: (Wir feixtn, Beide, bei der Vorstellung: wie FAUST die bonner Bundeswehr besichtigt. Womöglich den 'Jahrgang 22'. Mußt'n dann aber stark Rücktritt nehm'm. - : noch mehr. - ) . (Neb, 140/28)
Punkt und Gedankenstrich sind hier das Abbild des Bremsvorgangs. Da ein Versuch noch nicht genügte, müssen zwei weitere folgen, wobei beim letzten „Rücktritt nehm'm" das Feixen beendet ist, denn die Klammer schließt sich vorher. Die Beispiele zeigen, daß die mimetische Funktion der Satzzeichen sich häufiger und eindeutiger in den späteren Erzählungen der „Inselstraße" finden läßt. An diesem Ergebnis ändert auch eine Berücksichtigung der chronologischen Folge der Niederschriften nichts: Wird eine Gruppenteilung nach dieser Chronologie vorgenommen, so besteht die Änderung zu der Gruppeneinteilung, die sich nach den Erstveröffentlichungen richtet, in dem paarweisen Austausch je zweier Erzählungen; wechseln „Seltsame Tage." und „Schlüsseltausch." die 'Plätze' ebenso wie „Rollende Nacht." und „Rivalen.", so befinden sich die Gruppen in der chronologischen Folge der Niederschriften. Damit besitzt Gruppe A eine Erzählung mit eindeutig mimetischen Beispielen, Gruppe B zwei und Gruppe C drei derartige Erzählungen. Wird die Anzahl der Beispiele noch berücksichtigt, wird diese Tendenz noch deutlicher. Die beiden „Stürenburg-Geschichten" „Sommermeteor." und „Kleine graue Maus." gehören zeitlich zu Gruppe B, so daß hiermit eine klare Trennungslinie von Gruppe A zu den beiden übrigen geschaffen wird, was konform mit den Ergebnissen aus 5.1.1.1 geht, (siehe auch: 5.1.2-5.1.4) Dies zusammenfassend gibt nachstehende Tabelle einen Uberblick über die Gesamtzahl der meines Erachtens eindeutig mimetischen Interpunktionsfolgen; die Ordnung der Erzählungen geschieht dabei nach der Gruppeneinteilung aus 5.1.1.1; die modifizierten Gruppen A, B, C entsprechen dabei den Gruppen II, III, IV.
Entwicklung
80 Gruppe I
II III IV
Stürenburg / Inselstraße Was
Schlü Man, Riv, Som, KgM Fem, Schul, Neb
Mimetik ¡8 4 5+6 10
Tabelle 3 5.1.2
Orthographie
Die Orthografie: eine skurrile Auflockerung des leserischen Denkens=Fühlens, (wie sie hier erforderlich ist), der entscheidende 'Zusatz an Freiheit' kann, meines Erachtens, nicht von der Syntax herkommen - wie die Vertreter der sogenannten 'konkreten Poesie' meinen - sondern, zumindest zunächst=einmal, weit wirksamer, von der Orthografie her. (Erläuternde Notizen zu „Kaff auch Mare Crisium", BA 1/3.2, 546)
Dieser „Zusatz an Freiheit", von dem Arno Schmidt in dem obigen Zitat spricht, ist ein hervorstechendes Merkmal seiner späteren Werke und wird in dem Roman „Kaff auch Mare Crisium" zum ersten Mal effektiv genutzt. Der 'Schreibfehler' wird in eine 'Kunst des Verschreibens' umgewandelt, indem das in neuer orthographischer Gestalt erscheinende Wort zum Träger neuer Bedeutung(en) wird. Schmidt spricht dabei von einer „Verfremdung durch labile, nur fonetisch=korrekte, Schreibweise" (BA 1/3.2, 546), so daß die Lautung des Wortes zwar die konventionelle Bedeutung zu transportieren vermag, die graphische Wiedergabe jedoch zu einer neuen und damit zusätzlichen Bedeutungsebene führen kann. Zwei Beispiele (beliebig herausgegriffen) aus „Kaff" seien angeführt: TAO?: „Oh meine Tao=be!".: Du bist I Tao=genichz. (Kaff, BA 1/3.1, 119) Das kleine Konversatzions=Leck=sie=konn kann nicht mehr zur bloofien Leck=türe ausgegeebm werdn. (Kaff, BA 1/3.1, 123)
In seinem Essay „Sylvie & Bruno" über den - wie Arno Schmidt es sieht - 'Vater der modernen Literatur' Lewis Carroll, schreibt er über
Contra Duden: Orthographie
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diesen: „ 'an der Reeling Rum-Wriggln', der Sprach-Reeling; Carroll war eben der 'erste Mann über Bord'!" (S & B, 221). Mit „ K a f f folgt Schmidt Carroll nach. Die 'Regelhürde Orthographie' wird hier von Schmidt genommen, indem er nach eigenem Duktus 'schprechschpr achliche' Sequenzen verwendet („Die fonetisch=geschriebene 'Schprech=Schprache' ist absichtlich uneinheitlich gehalten" BA 1/3.2, 546) und durch sprachspielerische Veränderungen an der graphischen Wortgestidt Zugänge zu neuen Assoziationsfeldern bietet. Die Art und Weise mit der Schmidt in „Kaff" mit der Orthographie umgeht ist daher eine zweckhafte, da sie im Dienste einer inhaltlichen Bedeutung steht. (Etwa die Bemühungen „Tanndte Heete's" um einen hochsprachlichen Ausdruck, erhalten ihre Wirkung erst durch ihre im allgemeinen dialektgefärbte Aussprache.) Nun geht es dieser Arbeit nicht um Arno Schmidts Spätwerk, sondern um die Mitte bis Ende der fünfziger Jahre entstandenen 'Brotarbeiten'. Die einleitenden Bemerkungen sollten vielmehr knapp andeuten, in welche Bereiche Schmidts Orthographie vom Standpunkt etwa der „Inselstraße" noch vordringen wird. (Von der 'steilen Leiter' hin zu den „Etyms" noch ganz zu schweigen.) Einen „Zusatz an Freiheit" durch «'yenartige Orthographie gewährt sich Arno Schmidt in diesen frühen Arbeiten nicht oder zumindest nur in sehr begrenztem Umfang. Von den Möglichkeiten wie er sie etwa in „Kaff" oder in einigen der „Ländlichen Erzählungen" (auch: „Kühe in Halbtrauer"), etwa „Caliban über Setebos", ausnutzt, ist er 'hier' noch 'Zettelkasten-weit' entfernt. Die Orthographie oder besser: die über die Orthographie gegebenen Möglichkeiten einer Spracherweiterung besitzen hier nur ein geringes inhaltliches Gewicht, indem sie sich auf einige wenige formale Aspekte beschränken. Von diesen und den von ihnen ausgehenden leichten inhaltlichen Akzentverschiebungen soll im weiteren die Rede sein. Nun ließe sich auch wie im Falle der Interpunktion die Frage nach einer Entwicklung im Verlaufe der 25 vorliegenden Erzählungen stellen. Jedoch zeigt sich, daß eine Großzahl der Erzählungen sich orthographisch einheitlich präsentiert und nur Unterschiede gradueller Art festzustellen sind. Eine Ausnahme bilden die beiden Erzählungen „Trommler beim Zaren." und „Nebenmond und rosa Augen.", die im Herbst 1959 niedergeschrieben wurden, womit ein trennender Zeitraum von zwei Jahren zu der bis dahin letzten „Inselstraßen"-
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Entwicklung
Erzählung „Rollende Nacht." gegeben ist. (Näheres hierzu s.u.) Eine gute Vergleichsmöglichkeit für die sich ändernde Orthographie Schmidts bieten die beiden „Stürenburg-Geschichten" „(Er war ihm) Zu ähnlich." und „Die Wasserlilie.", von denen es jeweils eine spätere, überarbeitete Fassung aus dem Jahr 1962 gibt. Zwar unterscheiden sich die Fassungen auch an einigen Stellen inhaltlich, da etwa der Handlungsablauf der frühen Fassung um Details ergänzt wird (etwa die Einzelheit des fehlenden Führerscheins Stürenburgs in „Zu ähnlich"), doch wird die grundsätzliche Struktur der Erzählung auch in der überarbeiteten Version in einer Art beibehalten, die orthographische Eins-zu-Eins Vergleiche zuläßt. Dies soll zunächst geschehen.
5.1.2.1 „Die Wasserlilie." (11.5.1955 / 19.6.1962) Die Erzählung beginnt mit dem Eintreffen des üblichen Zuhörerkreises der Geschichten a.D. Stürenburgs. Da wir heute etwas eher gekommen waren, [ . . . ]
(I, 639/31) 6
Dieses „etwas eher" wird gewandelt zu: Da wir heute ein paar (Zeit=)Minuten zu früh gekommen waren,[...] (11,12/7) Hiermit verweist Arno Schmidt bereits auf die Tätigkeit a.D. Stürenburgs, der mit seinem Theodoliten beschäftigt ist und gerade abliest: 10 (Bogen=) Minuten. 24 Komma 3 Sekunden.
(11,12/14)
Die 'Minute' erscheint als polysemes Grundwort, das durch „Zeit=" bzw. „Bogen=" näher spezifiziert wird. In der Fassung I erscheint dieser Querverweis nicht, und Stürenburg liest auch (nur) „10 Minuten [...]" (1,639/38) ab. Die kleine Gesellschaft begibt sich zu der „Plauderecke auf der Terasse" (I/II), wo „eben auch Hauptmann von Dieskau zwischen den beiden Damen sichtbar wurde" (I/II). Die („verschämt witzigfe]" (I, 640/4) / ,,verschämt=witzig[e]" (II, 12/19)) Anmerkung des Apothekers: 6
Mit I und II werden im weiteren die beiden Fassungen der Geschichte bezeichnet. I = 11.5.55, II = 19.6.62.
Contra Duden: Orthographie „Eine Rose zwischen zwei Dornen"
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erhält die Form „I Rose zwischen 2 Dornen",
(II, 12/19)
womit Arno Schmidt seinem in den „Berechnungen III" angegebenem 'Sparsamkeits-Prinzip' entspricht, wonach zuweilen die Zahl einen Inhalt korrekter als das entsprechende Zahlwort wiedergibt, (siehe: Kapitel 3) Auch das Zusammenfügen der Adjektive durch Bindestrich (typographisch auch als Gleichheitszeichen) ist eine für Arno Schmidts späteren Sprachstil typische Erscheinung. Der Bindestrich suggeriert eine stärkere Bezogenheit der Einzelworte aufeinander, so daß der Eindruck einer 'Einheit' entsteht. Die Schreibweise der lateinischen Ziffer I für das als Artikel, Indefinitpronomen und Kardinalzahl verwendbare 'ein, einer, eine, eines . . . ' erfolgt bei Arno Schmidt nur, wenn es in der Funktion des Artikels oder Indefinitpronomens gebraucht wird, um beispielsweise „der Magerkeit, der Trostlosigkeit der optischen Erscheinung " (B III, §3) Ausdruck zu verleihen. An vier weiteren Stellen in Fassung II lassen sich hierzu Beispiele finden: ich erlaubte mir, auch Emmeline I Zigarette anzubieten, [ . . . ] (13/26) I Wasserlilie auf der atem=losen Brust. (13/34) Dieskau schniefte verächtlich, nach Reckenart, 'entsetzt wegen 1 Leiche? Oh, diese Schlipsträger!' (13/39) Hinterm Haus, im Schuppen, dicht neben Hagemanns Fahrrad, lag, auf Kisten, I verstaubtes fuchsrotes Köfferchen (15/3)
In Fassung I heißt es jeweils entsprechend: „eine Zigarette", „eine Wasserlilie", „wegen einer Leiche", „ein verstaubtes fuchsrotes Köfferchen«. Bevor Stürenburg mit seiner Geschichte im dritten Absatz beginnt, verbleibt er im zweiten Absatz zunächst bei der Funktionsbeschreibung seines Theodoliten. Das Faktotum Hagemann unterbricht ihn jedoch in seiner Ausführung („hob [...] 5 rechte Finger dazwischen" I/II). Die Reaktion des Hauptmanns auf die folgende Erläuterung lautet in (I): „Er meckerte unlustig . . . " und in (II): „und Jener meckerte unlustig . . . " . Das Demonstrativpronomen 'jener' wird
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Entwicklung
von Arno Schmidt substantiviert, womit zugleich eine Personalisierung (in diesem Fall rückbezüglich auf Hauptmann Hagemann) einhergeht. Derartige Personalisierungen verwendet Schmidt in Bezug auf Pronomen (Personal-, Demonstrativ-, Indefinitpronomen) und Kardinalzahlen sehr häufig. In Fassung I der „Wasserlilie" findet sich nur eine derartige Substantivierung: Nun mokiert er sich bekanntlich über Alles. In Fassung II hingegen macht Arno Schmidt hiervon häufigen Gebrauch: :„Na, wir sind ja einigermaßen unter Uns — ; [... ]" (12/31) Nun habe ich eine besonders gute optische Ausrüstung, und sah die Beiden so, [... ] (12/37) Nun moquirt Hagemann sich bekanntlich über Alles; (13/22) [Die Änderung der Schreibweise 'mokiert' in 'moquirt' ist auffällig, kann aber nicht gedeutet werden.] und Jene mußte, maulend, wieder davon. (14/27) Ein Kollege hätte ihm den Trick verraten: das machten Viele so. (14/36) Ebenfalls auffällig an Fassung II ist die Verwendung umgangssprachlicher Verkürzungen, von denen sich in Fassung I nur wenige Beispiele finden lassen, etwa: Dann bestieg ich mit Hagemann unsern Kahn [ . . . ] „Sollten wir's nicht besser beichten?"
(I/II) (I/II)
Eine Vielzahl derartiger Verkürzungen lassen sich in Fassung II belegen (in Klammern ( I : . . . ) sind die Schreibweisen der Fassung I wiedergegeben.): das muß ich Ihnen auch noch mal (I: einmal) erzählen. (12/34) Sie trägt'n grellroten Pullover, und scheint so dünn wie'n Strich; (I: Sie schien einen grellroten Pullover zu tragen, [ . . . ] ) (12/39) und auf einmal seh' (I: sehe) ich doch, wie der Mann das Köfferchen in's (I: ins) Wasser gleiten läßt! (13/1) ich dirigierte Hagemann in's (I: ins) Wasser (13/15) „Hol' (I: Hol) doch bitte noch einmal heißes Wasser [ . . . ] (13/36) ich hörte sie flüstern: ' . . .nich lieber beichtn?' (I: 'Sollten wir's nicht besser beichten!') (14/23) „Ich hab' (I: hab) ihm das Dings abgekauft," (15/6)
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C o n t r a Duden: Orthographie
Zum einen werden also in Fassung I I neue Verkürzungen gegenüber Fassung I eingeführt („sie t r ä g t ' n " , „noch m a l " , „beichtn") oder bereits in Fassung I verwendete Formen durch Anfügen eines Apostrophs als Verkürzungen gekennzeichnet, („in's", „hol' " , „hab' " ) Eine weitere Veränderung von Fassung I I bezieht sich auf die Konj u n k t i o n 'und', welche Arno Schmidt zuweilen durch '& ' ersetzt, um „fix=kommerzielle, formelhaft=verhärtete, gegnerisch-lächerliche, Verbindungen" ( B I I I , §5) auszudrücken (In Fassung I wird im ersten Beispiel die Konjunktion verwendet): Er, groß, schlacksig rote Haare Sc Sommersprossen genug; Sie schneeweiß Sc knochenlos dünn, mit schwarzen Ponyhaaren und Augen. (14/14) jetzt, bei Mondlicht Sc feinem Nebel wirkte der Inhalt noch fataler! (I: jetzt bei Tageslicht sah der Inhalt noch fataler aus !)
(14/25) Im ersten Beispiel stehen sich ' & ' und 'und' gegenüber, was inhaltlich plausibel gemacht werden kann: Sowohl die Verknüpfung 'rote Haare / Sommersprossen' als auch 'schneeweiß / knochenlos dünn' entsprechen phraseologischen Denk- und Sprachmustern, so daß ein verbindendes ' & ' die Formelhaftigkeit der Aussage eher wiederzugeben vermag als ein der Aufzählung dienendes 'und'. Die Verbindung 'schwarze Ponyhaare / schwarze Augen' hingegen wird von Arno Schmidt nicht als Floskel verstanden, so daß er ein reihendes 'und' für angemessener hält. Drei letzte orthographische Besonderheiten an Fassung II sind auffällig, die nicht den bisher genannten Strukturen unterzuordnen sind: Als Stürenburg berichtet, wie er mit Hagemann sich dem ' T a t ort' nähert und ihm Zweifel über die Richtigkeit seines Tuns kommen, kommentieren (nur in Fassung I I ) der Hauptmann und der Apotheker das Gesagte: „Kweit=reit" schnarchte der Hauptmann abfällig.
(13/11)
Schmidt gibt hier das 'german english' des Hauptmanns phonetisch wieder, wodurch der Akzent der Aussprache festgehalten und die Fähigkeit des Hauptmanns auf diesem Gebiet in das entsprechende Licht gerückt wird. Die Pointe der Erzählung wird in Fassung I von Stürenburg durch: ach, was soll ich lange erzählen! [ . . . ] "
(I)
Entwicklung
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eingeleitet. In Fassung II wird dies umgangssprachlich gewendet zu: „ach, was soll ich lange drum=rum reden: [...]" (II, 14/33) Die Herkunft ('darum herum') des als ein Wort gesprochenen „ d r u m = r u m " wird durch die Bindestrichfügung optisch signalisiert. Die letzte orthographische Variante schließlich bezieht sich auf den Kommentar Stürenburgs, als dieser von Apotheker Deitmer darauf hingewiesen wird, daß die vermeintliche Wasserlilie auf der „atem=losen Brust" der Steinplastik vielmehr der „gewöhnliche Teichs c h w e r t e l , IRIS P S E U D A C O R U S " i s t . :
„HErrgott von Bentheim; auch das noch!"
(II, 15/13)
reagiert hier Stürenburg. Die Großschreibung der ersten beiden Buchstaben im Gottesnamen ist eine von Schmidt als ironische Wendung gemeinte Anspielung auf barocke Schreibtraditionen, der er sich in seinen späteren Werken stets bedienen wird. ( „ I c h ? : Atheist, allerdings!", Poca, 96) 5.1.2.2 „(Er war ihm) Zu ähnlich." (12.5.1955 / 19.6.1962) Für die zwei Varianten der vorliegenden Erzählung lassen sich identische Tendenzen in der Änderung der Orthographie aufzeigen, wie sie bereits anhand der Erzählung „Die Wasserlilie." belegt wurden. Auch hier tritt eine Zunahme an umgangssprachlichen Wendungen/Verkürzungen ein, das Zeichen '&' tritt zuweilen an die Stelle der Konjunktion ' u n d ' , Pronomen werden stellenweise substantiviert/personalisiert, Ziffern stehen stellvertretend für Kardinalzahlen und insbesondere die lateinische Ziffer I ersetzt an einigen Stellen einen unbestimmten Artikel oder ein Indefinitpronomen. Die genannten Kategorien werden nun in der Reihenfolge der Aufzählung mit den dazugehörigen Textstellen belegt: 6 - umgangssprachliche Verkürzungen Der könnt' (I: könnte) die Vögel von'n (I: von den) Bäumen locken ! (16/7) °In Klammern (I: . . . ) sind die Schreibweisen der Fassung I (12.5.55) wiedergegeben; nicht angegeben werden die an einigen Stellen vorgenommenen Änderungen von Satzbau- und inhalt; die Seitenzahlen beziehen sich auf Fassung II (19.6.62).
Contra Duden: Orthographie
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„Wieso denn nich (I: nicht)?!" (16/11) „Was hier im Lauf der Jahre alles passiert iss (I: ist)! - Und dann die viel'n (I: vielen) Ins=trumente: Ogottogott (I: Ohgott), wenn ich nich (I: nicht) so'n festen Kopf hätte — " (16/12) - 6 Mark sind's glaub' ich, zur Zeit (16/19) ein Wind= - n a j a 'stoß' konnte man's eben nicht nennen (16/29) dazu war das Luftmeer heut zu guter Laune (16/30) über unsre (I: unsere) Hände (16/31) „Fahr'n (I: Fahren) sie weiter!" (17/8) die Straße nach Provinzialmoor runter gefahren (17/12) ich fahre energisch vor'm (I: vorm) Schlagbaum vor. (18/16) nie werd' ich vergessen (18/18) Ja, n'türlich (I: natürlich); Hagemann auch (18/25) fluchte bei der Erinnerung noch heut durch die Nase (18/35) „ich denk' (I: denke), Sie haben [...]" (19/15) - ' f c ' ys, ' u n d ' ein Fassung I wird hier nicht parallel zitiert, da dort entweder statt 'und' verwendet ist oder die entsprechende Stelle in I nicht vorkommt. Ausnahme: im 3. Beispiel werden in Fassung I die Sätze mittels eines Semikolons gereiht. es spülte lau über unsre Hände & entblößte Unterarme (16/30) wo ich doch meine sämtlichen Beamte in=und auswendig kannte! (17/13) Er machte sich klein zum Angriff h pfiff seine Komplizen herbei: (17/18) Durch all ihr Faustschlagen, Stoßen & Zähnefletschen hindurch drang Hagemanns Haupt (17/25) schon verlor der Eine Jacke & Hemd (17/27) während der gutmütige Dettmer befriedigt & fleißig nickte (18/10) allem Ansehen nach hätte sie ihn am liebsten über den Kopf ziehen & ins Wasser springen mögen! (19/5) er war in seiner eigenen Villa aufgebahrt, lang & dürr: (19/1) „Ja aber dachten auch der Apotheker & ich uns in die überraschten Gesichter (19/25)
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Entwicklung - Petsonalisietung von Pronomen Wohnhäuser von Schuppen durch die Schraffierung unterschieden; Straßennamen; Alles: (I: Alles) (16/22) als ich [ . . . ] ein paar Landmesser bei der Arbeit sehe: Einer (I: sehe; Einer) hat das Stativ aufgebaut (17/1) wie das j a Jeder (I: so jeder) kennt (17/4) schon verlor der Eine (I: Eine) stückweise Jacke & Hemd, während ich dem Anderen (I: anderen) die Nase öffnete. (17/27) dann sollten sie Beide 'abgeholt' werden! (18/1) und auch wir Anderen (I: Anderen) blickten verwirrt Uns und dann wieder ihn an. (19/16) Vielleicht hat ihn Einer (I: Einer) zu ähnlich gesehen . . . ? (19/21)
- Ziffern; inbesondere: I Emmeline dehnte verstohlen die badelustigen Beine (I davon zu mir her?) (16/34) vor 25 (I: zwanzig) Jahren (16/29) Er rief seinen Leuten I (I: ein) Kommando zu; (17/29) worauf sie sich sofort zurückzogen, sich auf 3 (I: drei), [ . . . ] , Motorräder warfen (17/30) sein Haus würde seit 2 (I: drei) Tagen von verkleideter Gestapo bewacht (17/38) 4 (I: vier) schwarzen Limousinen entstiegen gut 20 (I: zwanzig) SS=Männer (18/23) Kaufte ich I (I: einen) Kranz (18/40) Von Dettmer und der Tante kam je I (I: ein) gerührtes „Tz!". (19/3) Merkwürdig war nur, daß ich 14 (I: 14) Tage später [ . . . ] (19/7) Neben diesen orthographischen Besonderheiten, bei denen die Beispielfülle sehr groß ist, sind noch einige - weniger zahlreiche - Fälle zu nennen. Die Wortzusammenfügung über einen (doppelten) Bindestrich findet sich in zwei Textstellen: J e d e m , auch dem ephemer=doofsten, Gesetz" ( 1 8 / 9 ) ; „Ja=aber - " ( 1 9 / 1 5 ) . Im ersten Fall dient die Bindestrich=Fügung offensichtlich dem Zweck, eine inhaltliche Bezogenheit der beiden Adjektive zu signalisieren, im zweiten Fall wird eher die in einem Wort gesprochene Äußerung wiedergegeben. Eine Wiedergabe ohne trennende Pause gesprochener Worte ist
Contra Duden: Orthographie
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auch durch Zusammenschreiben möglich wie in „Ogottogott" (16/13), wo zugleich durch diese Art der Schreibung ein möglicher Anklang an ein echtes Anrufen Gottes vermieden wird. Weiterhin auffällig ist, daß Schmidt an drei Stellen gegenüber Fassung I eine historisierende Schreibweise vornimmt, so daß aus der „Hilfe" und der „Beihilfe" eine ,,Hülfe"(17/3) und eine „Beihülfe" (18/30) werden, so wie aus einem „jetzt" ein „itzt" (17/29). Eine Bestätigung der in den „Berechnungen III" enthaltenen Widerrede gegen die Anwendung der Buchstabenkombination 'ph' und ' t h ' findet sich im Austausch der „Topographie" von Fassung I gegen die „Topografie" (16/21) der Fassung II. Eine Variante für die im späteren Werk Arno Schmidts sich häufiger findende sprachliche Struktur, zweigliedrige Verben als eingliedrige zu behandeln, ist auch in der vorliegenden Erzählung (sowohl in I als in II) zu konstatieren, indem hier die Verbindung 'Adjektiv 4- zu sein' in ein Einzelwort überführt wird: Der Hauptmann - wohl nicht direkt 'Antisemit'; aber immerhin erzogen, jedem, auch dem ephemer=doofsten, Gesetz zu gehorsamen - knurrte unbefriedigt; (18/8)
Gleich zu Beginn des nächsten Absatzes verwendet Arno Schmidt den Ausdruck „wie der baare Teufel" (18/12), wo gegenüber Fassung I die Eigenschaft des Teufels: „baar" hinzugefügt wurde. 7 Eine letzte anzumerkende Textvariante verläßt bereits die unter dem Oberbegriff 'Orthographie' zusammengehaltene Menge, indem aus einem „übernächsten" (I) ein „ übernächsthöherer" Vorgesetzter in Fassung II (17/9) wird. Die nach einer Zeitspanne von sieben Jahren erfolgten Überarbeitungen der Erzählungen „Die Wasserlilie." und „(Er war ihm) Zu ähnlich." lassen einige Strukturen erkennen, nach denen Schmidt seine Orthographie ausrichtet. Im Verlaufe der „Stürenburg-Geschichten" und weiten Teilen der „Inselstraßen"-Erzählungen ist die Orthographie eine im wesentlichen duden-korrekte. 'Im wesentlichen' heißt dabei, daß von den orthographischen Möglichkeiten, die obiger VariT
Die Vokalverdopplung des 'a' findet sich auch häufig in Arno Schmidts Werken.
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Entwicklung
antenvergleich deutlich werden ließ, nur in sehr beschränktem Umfang Gebrauch gemacht wird. Eine deutliche Zäsur liegt vielmehr bei den Erzählungen „Trommler beim Zaren." und „Nebenmond und rosa Augen." vor. Die Erzählung „Trommler beim Zaren." erhält ihre orthographische Prägung vorzüglich durch die langen Pcissagen dialektaler Rede und den darin enthaltenen phonetischen Schreibweisen: „Denn fümf Prozent von drei Milliarden, det mußte Dir ma' ausrechnen, det sind hundertfuffzich Milljohn'!"(TbZ, 131/20) „Ja bei uns schtimmt e'em ooch nich Alles." (TbZ, 131/23) „ [ . . . ] Da reiten se doch noch uff Ferden rum, wie beim ollen Fritzen - det hat doch keene Zukunft!" (TbZ, 131/24)
Derartige 'Phonetisierungen' benutzt Arno Schmidt auch in „Nebenmond und rosa Augen"; wenn auch hier weniger zahlreich, da die Anteile direkter Rede, in denen sich Dialekt und Phonetik ideal koppeln lassen, in dieser Erzählung geringer sind: das muß sich Einer ma vorstellen! (Neb, Zeichnete also rüstijer-fürder. (Neb, nischt wie Makkaroni, [ . . . ] (Neb, also so ein Zimmer hasDu noch nicht gesehen (Neb, Meine Teufelin wunderte sich über gar nischt mehr. (Neb, Da drin liegen die Uniform'm (Neb, Mußt'n dann aber stark Rücktritt nehm'm (Neb,
135/26) 137/18) 138/11) 138/26) 140/19) 140/25) 140/28)
Beiden Erzählungen ist jedoch das Stilelement phonetischer Schreibweise gemein, weis sie von den übrigen Erzählungen unterscheidet, da in diesen zumeist nur umgangssprachliche Verkürzungen wie 'wir's', 'ichs', 'S läuft halt' usw. verwendet werden, die qualitativ von den Beispielen aus „Trommler beim Zaren." abweichen, bei denen es sich nicht nur um Verkürzungen, sondern vielmehr auch um orthographische Änderungen im Sinne einer wiederzugebenden Lautung handelt, wodurch die graphische Wortgestalt substantiell transformiert wird. (Die Grenze zwischen beiden Bereichen ist fließend.) Ebenfalls unter die 'Rubrik: Phonetisierung' fällt Arno Schmidts Ausspruch: „lassen doch auch wir das gußeiserne ' T h ' und ' P h ' in Fremdworten weg! Es spricht sich doch nicht anders aus;" (B III, §7); in den beiden letzten „Inselstraßen"-Erzählungen und in der früher
Contra Duden: Orthographie
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datierten „Am Fernrohr." führt Schmidt diese Substitution von 'ph' zu ' f ' durch: (da jetzt sogar der obere Rand meines (geklauten) Rückspiegels zu fosforeszieren begann) (Neb, 136/19) (Und dabei immer diese fantastischen Einfälle! [ . . . ] bezeichnete Hoffmanns 'Egelprinzen* aus dem MEISTER FLOH auf der Stelle als 'fallisches Sümbol') 8 (Neb, 139/5) ich wäre ein Mutfänomen - ach, Du lieber Gott! (TbZ, 129/28) Allein die ganze Atmosfare dort (TbZ, 130/16) Oder feuerrote Kinder auf Rollschuhen rudern ebenso über die Asfaltflüsse. (Fern, 107/23) jetzt muß man's eben in der Fantasie erledigen; (Fern, 107/31) jedem Einbruch der Außenwelt durch Kalligrafie wehren müssen (Fern, 108/14)
In allen übrigen Erzählungen stößt sich Arno Schmidt nicht am „Phi=und Theta-Geprotze" (B III, §7): „Asphalt" (TKb, 60/33), „Geographie" (LiV, 9/28), „Topograph" (HeuHa, 21/2), „Sphäre" (K1K, 28/22), „Analphabeten"( SeT, 99/35), „Biographie" (Schul, 113/32), „Bibliotheken" (Schul, 113/30) usw. Auch von allen übrigen Strukturen, die im Variantenvergleich beider „Stürenburg-Geschichten" festgestellt wurden, ließe sich Ähnliches sagen; diese Strukturen werden vornehmlich in den beiden letzten „Inselstraßen"-Erzählungen benutzt und lediglich in einigen der späteren Erzählungen wie „Am Fernrohr." oder „Schulausflug." können Beispiele derartiger Orthographie-Setzungen, die sich im Variantenvergleich als 'neu' ergaben, gefunden werden. (Etwa zum '&'-Symbol: „Schutzwehr gegen Orkan & Orkus" (Fern, 108/16), „Teuer & Solide" (Schul, 112/26); oder zur 'Ein-Wort-Bildung': „Oh, damußichdochgleich . . . " (Schul, 116/31)) Gerade von dem zuletzt angesprochenen Beispiel zur 'Ein-WortBildung' macht Arno Schmidt in hohem Umfang in der Erzählung „Nebenmond und rosa Augen." Gebrauch: 8
An dieser Stelle läßt sich die Bemerkung anführen, daß Schmidt diese Substitutionsregel in seinen späten Werken mit einer Ausnahme versieht. Sofern Schmidt einen graphischen Hinweis an ein 'phallisches Symbol* erzielen will, behält er die ph-Schreibung bei oder führt die Substitution 'ph* zu 'f' sogar in umgekehrter Richtung (aus dem 'Fall' wird der 'Phall') durch.
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Entwicklung den Hang=Lehmweg, meingottdasgeglitsche, hinunter: kann man das BrettübereinenBach 'Steg' nennen? (136/23) Der Hagel massierte die allesduldenden Zweige dicht überuns (136/30) Die Nerven der Meistenvonuns [ . . . ] (136/35) so dankte sie, mit Herzenmundundhänden (139/12) Dann heiterte der Himmel sich ebensoschnell wieder auf (139/38) und sukzedierte: hochdenhang! (140/4) als ganzjunger Kerl [... ] (140/6) Aufderchausseewieder (140/9) Murmelte nur etwas ä la ' Waserwohlwiedervorhätte ?' (140/20)
Dieses Zusammenziehen mehrerer W o r t e in eines kann in der Weise gedeutet werden, daß A r n o Schmidt versucht, die Einheit einer W a h r n e h m u n g („meingottdasgeglitsche"), ein Sprechen ohne Pause („ Waserwohlwiedervorhätte ? " ) , die Begebenheit einer H a n d l u n g („hochd e n h a n g " ) oder die Charakterisierung eines Zustandes („ Aufderchausseewieder") usw. in einer die jeweilige Einheit wiederspiegelnden Form auszudrücken, insofern das ' K e t t e n - W o r t ' den abzubildenden Begriff bezeichnet. Eine vergleichbare Tendenz liegt in der selten verwendeten Umwandlung zweigliedriger Verben in eingliedrige vor, wodurch die verbale K l a m m e r aufgelöst wird: sie rausredete: im 'Vorhof hätte's kein anderes gehabt. (Neb, 135/13) Neuerdings aufstiegen wir. (Schul, 117/11) In beiden Fällen verbleibt die Präposition beim Verb u n d wird nicht, wie es die deutsche G r a m m a t i k vorsieht, nachgestellt, so daß auch hiermit auf graphischem Wege eine in sich geschlossene H a n d l u n g wiedergegeben werden soll; faktisch k o m m t dies der W o r t s c h ö p f u n g eines neuen V e r b u m s gleich, wobei allerdings die Bestandteile einer konventionellen Beschreibung b e n u t z t werden.
5.1.3
Syntax
Dieses Kapitel ist der Untersuchung der S y n t a x A r n o Schmidts in den vorliegenden 25 Erzählungen gewidmet. Starke Verbindungslinien bestehen d a b e i zu Kapitel 3, in dem die abstrakt-literarischen
Contra Duden: Syntax
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„Berechnungen" Schmidts vorgestellt und diskutiert wurden, sowie zu Kapitel 5.1.1, das Aussagen zur Interpunktion enthält. Um diese Verbindungslinien auch in der Methodik des Vorgehens sichtbar werden zu lassen, sollen zunächst, von diesem Vorwissen ausgehend, Hypothesen formuliert werden, um diese sodann durch das Korpus zu verifizieren oder gegebenfalls zu falsifizieren. Ein summarisches Ergebnis Kapitels des 5.1.1 ist die deutliche Zunahme einer Vielzahl von Satzzeichen wie Ausrufe- und Fragezeichen (wobei dies nicht zu Leisten der Häufigkeit der satzbeschließenden Punkte geht), Gedankenstriche, Semikolons, Doppelpunkte und Klammern. Da diesen Häufigkeitswerten die feste Bezugsgröße 'Länge einer Seite' zugrunde liegt, ist die Annahme einer Tendenz zu kurzen Sätzen plausibel. (Eine nicht beachtete Größe bleibt die Wortlänge, so daß dies prinzipiell keine Schlußfolgerung darstellt.) Weiterhin erscheinen auch die absoluten Zahlen der Häufigkeiten (siehe: Tabelle 1) bereits der frühen „Stürenburg-Geschichten" recht hoch. So treten bereits in „Ein Leben im Voraus." die eindeutig ein Satzende charakterisierenden Zeichen ca. 26 mal pro Seite auf (siehe Tabelle 1 in Kapitel 5.1.1.1), so daß im Mittel ein Satz weniger als zwei Zeilen umfaßt. Eine erste Hypothese lautet dementsprechend: A)
Die mittlere Satzlänge ist gering und besitzt in zeitlicher Entwicklung eine sich verkürzende Tendenz.
Neben dieser Hypothese zu einer Quantität, die auch nicht in voller Schärfe bewiesen werden kann (s.u.), ergeben sich einige Vermutungen zur Qualität der Syntax ausgehend von der direkt oder indirekt formulierten Prosatheorie Schmidts. Arno Schmidt selbst charakterisiert seine Prosaformen mehrfach als „dehydriert" 9 , womit er zum Ausdruck bringen will, daß seine Prosaformen auf die eigentlichen Kerne der Aussage reduziert sind und eines diese 'Kerne' einbettenden Füllmaterials (um im Bild zu bleiben: Weisser) nicht bedürfen. 1 0 Diese 'Einbettung', d.h. das Ausschmücken des Kontextes, überläßt er dem Leser. Wird also von Arno •siehe z.B.: B III, §15; Brief AS _1> WM,24.10.53; Brief an M. Walser, In: J. Drews (Hrg.): Der Solipsist in der Heide.1974. 10 An anderer Stelle und in anderem Zusammenhang heifit es: „Wortkerne - was sag' ich : Protonen von Tiefsinn, umkreist von ird=irdenen Gutturalen, Narfen merren"; AS WM, 7.6.61
94
Entwicklung
Schmidt die poetische Information derart komprimiert, daß einzelne Satzglieder einen hohen Gehalt hiervon aufnehmen, so wird gleichzeitig der Aussagegeheilt eines Satzes von diesen Satzgliedern stellvertretend übernommen. Diese Konzentration bietet die Möglichkeit einer Reduzierung der Form, so daß sich Hypothese zwei ergibt: B)
Ellipsen, also grammatisch unvollständige Sätze, sind syntaktisches Indiz der Prosatheorie Arno Schmidts. Als durchgängiges Prinzip der Poetologie Schmidts taucht die Voraussetzung auf, daß seine Prosaformen kein subjektiver, künstlerischer Versuch, sondern vielmehr notwendige Formen allgemeingültiger Begebenheiten sind. Und so bezeichnet Arno Schmidt die Klassen seiner Prosa auch mit intersubjektiven Titeln wie „Erinnerung" und „Musivisches Dasein". Wesentliches Kennzeichen dieser Prosaformen ist der ihnen zugrunde liegende Gedanke einer diskontinuierlichen Wahrnehmung. So vollzieht sich die Erinnerung nach Schmidt über sogenannte „snapshots", blitzlichtartig im Gehirn des Einzelnen sich bildenden Gedankenfetzen. Die Verbindung dieser einzelnen „Mosaike" ist assoziativ. Dies führt dazu, daß einer Vielzahl von Nebengedanken, Kommentaren, Exkursen etc. in Schmidts Prosa Raum gegeben wird. Dies beides, die Vielzahl der erzählerischen Einzelmomente und die vorwiegend assoziative Bindung, bewirkt, daß ein ruhiger Erzählfluß diese Axiome nicht wiederzugeben vermag. So ergeben sich zwei weitere Hypothesen zur Struktur der Syntax als Abbild dieses Sachverhaltes: c)
Arno Schmidts Sprachstil ist in wesentlichen Zügen parenthetisch. 11
C)
Einzelne Syntagmen erhalten ihre Betonung durch Isolierung aus dem Satzgefüge. 12
Wenn Arno Schmidt seine 'Prosawelten', die seiner Auffassung von 'Erlebnisweiten' entsprechen, als die Wiedergabe „kleiner Erlebniseinheiten" (B I, S. 241) versteht, deren innere Kopplung nicht durch u
D i e s e These wird nicht in diesem Kapitel behandelt, da in 5.1.1.3 speziell die Klammer als hervorragendes Merkmal der Parenthese untersucht wurde. 12 B.Malchow hebt besonders „interpunktionelle Abtrennungen" hervor, die sie als „eine Folge des assoziativen und sukzessiven Denkens" charakterisiert. (Malchow 1980, S.23)
Contra Duden: Syntax
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einen logisch schlußfolgernden Überbau gegeben ist, sondern vielmehr über assoziative und zum Teil unbewußte („ubw", Arno Schmidt : Sitara und der Weg dorthin. 1963, S.21) Gedankenebenen verläuft (Arno Schmidt spricht hier etwa von „Punktschweißung"; B II, S.255), so muß dies auf die Syntax eine Wirkung besitzen, die der Parataxe, als Wiedergabe eines Nebeneinander, den Vorzug vor einer Hypotaxe, als Abbild einer logischen, hierarchischen Ordnung, einräumt. Die hieraus sich ergebende Annahme, daß Einfachsätze und parataktisch gegliederte Satzzeichen in Arno Schmidts Texten dominieren, soll hier nicht in voller Breite behandelt werden (siehe hierzu etwa: B. Malchow 1980, S.29ff.), sondern ein Teilaspekt des Ganzen möge stellvertretend für diese Korrespondenz zwischen Prosatheorie und Sprachform (so daß sich die Prosatheorie zu einer Sprachtheorie erweitert) hypothetisch formuliert werden: D)
Syndetische oder asyndetische Reihungen ersetzen in Schmidts 'Prosawelten' oft hypotaktische Strukturen.
Im weiteren werden diese vier Hypothesen in Bezug auf die „Stürenburg-Geschichten" und die Erzählungen „Aus der Inselstraße" überprüft. zu: A) Die folgenden Betrachtungen zu den in den vorliegenden Erzählungen anzutreffenden Satzlängen werden versuchen, den subjektiven Eindruck durch zwei stichprobenartige Auszählungen und zitierte Beispielsätze zu belegen. Die Fleißarbeit einer Auszählung aller Sätze (wie sie etwa B. Malchow in ihrer Arbeit exemplarisch vorführt) wird hier vermieden, da eine prinzipielle Unsicherheit in dieser Methode liegt. Die Unsicherheit beruht auf der Arno Schmidt eigenen Interpunktion (siehe 5.1.1.1), die dem grammatischen Prinzip nur eine untergeordnete Rolle beimißt. So kann sich etwa das Setzen eines Kommas, eines Kolons, Semikolons oder Punktes nach rein den Erzählfluß bestimmenden, rhetorischen Kriterien richten. Die Einheit 'Satz', methodisch definiert als das, was durch Punkte, Frage- oder Ausrufezeichen eingerahmt ist, wird damit problematisch. Hinzu kommen die häufigen Einschübe in Klammern oder Gedankenstrichen, die zwar formal innerhalb eines Satzes stehen können, aber doch zumeist inhaltlich und grammatikalisch von diesem losgelöst sind, so
Entwicklung
96
daß ihre unkommentierte Aufnahme in das Satzganze im Rahmen einer Zählung einen wesentlichen Aspekt ausblendete. Daher wird auf eine Statistik zur Syntax vergleichbar derjenigen zur Interpunktion verzichtet, und es werden lediglich die Satzlängen der zwei Erzählungen „Ein Leben im Voraus." (Niederschrift: 10.5.55) und „Rollende Nacht."(Niederschrift: 6.11.57) ausgezählt, um gröbste Tendenzen erkennen zu lassen. (Vorbehaltlich des Gesagten ist die Auszählung nicht exakt objektivierbar, so daß kleine Verschiebungen der Zahlenwerte möglich sind.) Eine kleine Tabelle mit dem Ergebnis der Auszählung ist nachstehend aufgeführt. Liv (2.25 S.)
RoN (2.425 S.)
Wörter
Anzahl
%
Anzahl
%
1-5 6-10 11-15 16-20 21-25 26-30 31-35 36-
11 15 9 7 6 4 1 2
20 27 16 13 11 7 2 4
23 29 13 16 4 1 0 1
27 33 15 18 5 1 0 1
55
100
87
100 Tabelle 4
Es ist erkennbar, daß die Sätze kurzer Länge (1-10 Worte) in ihrer Häufigkeit zunehmen, was zu Lasten der Sätze mit einer Länge über 21 Worten geht. Diese völlig ungenügende Statistik geht überraschenderweise in ihrer Tendenz konform mit den Ergebnissen B. Malchows, von denen ein kleiner Teil hier als Gegenüberstellung dienen soll. (Zitiert sind außerdem die Ergebnisse zu gesprochener Sprache von C. Leska: Vergleichende Untersuchungen zur Frequenz und Distribution syntaktischer Erscheinungen gesprochener und geschriebener Sprache. Leipzig 1966)
97
Contra Duden: Syntax Wörter
gespr. Sprache (Leska)
StH [%]
Kaff [%}
1-5 6-10 11-15 16-20 21-25 26-30 31-35
13.6 36.8 22.7 10.9 5.8 3.3 1.5
36.0 26.1 16.3 9.9 5.5 3.3 1.3
45.1 29.6 13.0 5.8 3.4 0.9 0.7 Tabelle
5
Auch im Vergleich zwischen den Romanen „Das steinerne Herz" und „Kaff auch Mare Crisium" nehmen die Sätze kürzerer Länge zu. Weiterhin sehr interessant ist der Vergleich mit den Ergebnissen Leskas zu gesprochener Sprache: Während die Satzlängen in den beiden Romanen für Sätze mit 1-5 Wörtern um einen Faktor 3 bis 4 über denen gesprochener Sprache liegen, also die ungefügte Struktur des Sprechens weit übertroffen wird, verzeichnen die Ergebnisse der beiden „Stürenburg-Geschichten" nur einen entsprechenden Faktor von 1.5 bis 2, so daß die hieraus sprechende Negierung des Erzählflusses, dem eher längere, wohlgeordnete Sätze zukommen würden, noch stark begrenzt ist. Da außerdem die Entstehung des Romans „Das steinerne Herz" (11.1954-04.1955) zwischen die Entstehungszeiten (besser: Zeit der Niederschrift) der beiden Erzählungen fällt, wird zudem deutlich, daß der Sprachduktus Arno Schmidts im Vergleich seiner Werke zu seinen 'Brotarbeiten' ein konträrer ist. Die Anforderungen an einen Leser sind daher im Rahmen der in Zeitungen und Zeitschriften publizierten Erzählungen weitaus gemäßigter, was im Sinne des 'Broterwerbs' auch sofort verständlich wird, denn vor einer Veröffentlichung stand die Entscheidungshürde des zuständigen Redakteurs - diese galt es (notgedrungener Weise) zu akzeptieren. Die dennoch im Laufe der Erzählungen (sofern die Stichprobe diese globale Aussage zuläßt) zunehmende Satzkomprimierung, die auch die Grenzen gesprochener Sprache überschreitet und auch dadurch an Poetizität gewinnt, soll durch ein paar Zitate verdeutlicht werden. In den frühen „Stürenburg-Geschichten" dienen kürzere, etwa durch Semikolon getrennte Sätze häufig zur Wiedergabe zeitlich eng
Entwicklung
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aufeinander folgender Handlungseinheiten. So in der Erzählung „Ein Leben im voraus.": Der Hauptmann sah hoch mißtrauisch aus; Deitmer stieß begeistert in die Brasiltrompete; und er begann: [ . . . ] (Liv, 9 / 2 4 )
oder in „Er war ihm zu ähnlich." bei der Beschreibung des Handgemenges zwischen Stürenburg und Hagemann auf der einen Seite und den als Geodäten verkleideten SS-Schergen auf der anderen: [ . . . ] drang Hagemanns Haupt [ . . . ] unwiderstehlich vor; schon verlor der Eine Jacke und Hemd; während ich dem anderen die Nase öffnete. [ . . . ] er rief seinen Leuten ein K o m m a n d o zu; worauf sie sich sofort zurückzogen, [ . . . ] (Ahn, 644/23)
Ahnliche Strukturen finden sich auch in später entstandenen Erzählungen. Ein Beispiel hierzu aus „Geschichte auf dem Rücken erzählt.": Gehorsam trinken; der Wind pfiff weiter seine Zwölftonakkorde; und ich erzählte die Schmugglergeschichte von 1944: [...] (Rüc, 55/19)
Sätze kürzerer Länge können auch durch einfache Hauptsätze, besonders mit der Verwendung absoluten Verben erzielt werden. Beispiele hierzu lassen sich jedoch vorwiegend nur in den „Inselstraßen"Erzählungen nachweisen: Augen stöbern; Münder stolpern; Bälle kauern sklavenbunt. (Vor, 73/39) Die Sonne verschwand. Wind sprang umher. (Riv, 8 6 / 7 ) Ich ging zum Kastellan. Ich offerierte ihm die flache Schachtel Brasil. Das Fünfmarkstück. (Riv, 85/21) Neuerdings aufstiegen wir. (Schul, 117/11) Ihr wurde schlecht !! (Schul, 117/15)
Da eine satzverkürzende Tendenz häufig mit elliptischen Satzstücken verkoppelt ist, können zahlreiche Beispiele des folgenden Punktes B) auch als Beleg für diesen Abschnitt herangezogen werden, so daß sich an dieser Stelle die Uberleitung zu Hypothese B) anbietet. zu: B) Wie bereits oben erläutert, können grammatisch unvollständige Sätze in den Arbeiten Arno Schmidts als Ausdruck einer auf Redundanz
Contra Duden: Syntajc
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möglichst verzichtenden und damit einer inhaltliche Information komprimierenden Aussageabsicht verstanden werden. Des weiteren bewirken derartige elliptische Konstruktionen einen der Umgangssprache ähnlichen Stil, so daß in dieselbe Richtung tendierende Aussagen unter A) um ein weiteres Indiz vermehrt werden. Es lassen sich mehrere Varianten der Setzungen unterscheiden. So bilden die kurzen Passagen direkter Rede (im Gegensatz dazu sind bspw. die langen Erzählpassagen a.D. Stürenburgs zu sehen) nur in seltenen Fällen vollständige Sätze. „Den Koffer?" fragte Frau Dr. Waring verständnislos; (Was, 640/26) „Ja aber - " schnarrte der Hauptmann betroffen; (Ahn, 646/16) „Wurzel aus H" murmelte ehrerbietig der Apotheker. (ScHa, 26/6) „Das hier? - : Oh nein." erwiderte er nüchtern (LaGre, 33/31) Da Ellipsen ein wichtiges Merkmal gesprochener Sprache darstellen, und Arno Schmidt in seinen „Berechnungen III" für seinen eigenen Prosastil eine möglichst realitätstreue Wiedergabe der Sprache des ,,Betreffende[n]" (B III, §5) fordert, ist eine Entsprechung im Rahmen der direkten Rede fast zwangsläufig. Eine Vielzahl elliptischer Konstruktionen zeichnen sich durch ein fehlendes Subjekt aus. Die Behauptung B. Malchows: „Hier wird ebenso wie in der Situation eines Gesprächs der Handelnde weggelassen, weil er nicht im Mittelpunkt des Interesses steht" (Malchow 1980, S.22) ist zweifelhaft, da zum einen sich in allen Fällen das Subjekt aus dem Kontext eindeutig ergibt, so daß es indirekt stets präsent ist und zum anderen ist die Intention Arno Schmidts in seiner Prosa stets um ein 'Subjekt' herum zentriert. Dessen Wahrnehmung, also die Erscheinung außersubjektiver Begebenheiten durch den 'Bewußtseinsfilter' des Ich, ist die thematisch primäre Größe in Schmidts Prosa. Im Mittelpunkt des Interesses steht somit stets das 'Ich'. 1 3 Die Tatsache eines im grammatischen Sinn fehlenden Subjekts kann somit nicht inhaltlich begründet werden, sondern ist lediglich Ausdruck einer auf Kürze und Prägnanz gerichteten Stilisierung. 13
„Und endlich fing er an, von Erlebtem zu erzählen - darauf hatte ich gewartet; darauf warte ich immer; ich warte ja überhaupt auf nichts anderes" (TbZ, 131/26)
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Entwicklung Und hatten überhaupt viel Spaß. (LiV, 9/30) warb um sie; erhielt ihre Hand: (K1K, 29/10) Hatte auch den Kopf voller Wendungen a la [ . . . ] (Wsit, 71/9) Sieht sich kurz um. (KgM, 82/18) Bummelte düster vor mir her. Sperrte Weg und Fabel. (Riv, 86/12) Und blieb entgeistert stehen - : (SeT, 100/26) und geleitete sie zur nächsten Telefonzelle. (Schul, 115/6) Fing mein Gesicht mit dem ihrigen (Schul, 119/11) Beschrieb auch deren intimere Evolutionen; (TbZ, 132/28) Hatte sich selig ans Steuer geschwungen; (TbZ, 133/38) Taten es auch gern. (TbZ, 134/8)
Diese kleine Auswahl gibt in ihrer Verteilung auf die einzelnen Erzählungen auch die deutliche Zunahme derartiger Konstruktionen wieder. Die letzte „Inselstraßen"-Erzählung „Nebenmond und rosa Augen." weist eine überbordende Fülle von Setzungen auf. Eine kleine Auswahl derjenigen, die unter obige Kategorie subsumiert werden können, soll noch genannt werden: Und bogen ergo links ab; (Neb, 136/21) Hockten unter das barbije Weir [ . . . ] . (Neb, 136/28) Bat um erlaubnis & erhielt sie. Zog eine Rolle aus dem (feurig beflaumten) Busen. (Neb, 136/38) Zeichnete also rüstijer=fürder. (Neb, 137/18) Murmelte nur etwas ä la 'Waserwohlwiederhätte?'.(Neb, 140/20)
Neben Sätzen mit fehlendem Subjekt stehen solche, bei denen das finite Verb negiert oder dieses durch eine Infinitivkonstruktion ersetzt wird. Bei den Sätzen fehlenden finiten Verbs handelt es sich zumeist um Situations- und Gegenstandsbeschreibungen, in denen das zu beschreibende 'Bild' den Charkter eines 'Stillebens' aufweist, so daß ein handlungstragendes Verb überflüssig wird, da keine neue Information vermittelt wird. Die armen Landmesser— Bei solchem Wetter jahraus jahrein auf den Straßen; (HeuHa, 20/36) An der Seite das Totenlicht des Mondes; (Rüc, 54/8) Autos entlang Straßen. Das Zelt auf der Düne: (SeT, 101/19) Alle die Weckergeweckten. (TbZ, 129/16) Also das Alles nicht. (TbZ, 129/21) Eine nahe Grille; oder ein meilenferner Traktor? (TbZ, 130/6) Meist breit, mit energisch-fieisch^verhangenen Gesichtern, die
Contra Duden: Syntax
101
Fahrer; (TbZ, 130/26) Sonst aber nichts weiter; (Neb, 136/9) Frisch gesammeltes Material aus Westdeutschland. (Neb, 137/1) Schönes Wetter; Hochdruck 770 Millimeter, (so recht für Teufel!); (Neb, 137/14) : 8 Fenster, umgeben von rauschenden Bäumen : (Neb, 138/27) Und das rote Tigerauge des Elektro-Boilers nachher. (Neb, 138/35) 4 Autos, vom dieselndsten Mercedes, bis zu I Janus (Neb, 139/1) Demgegenüber beschreiben Infinitiv-Setzungen das Vollziehen einer Handlung, wobei die Betonung nicht das Ergebnis der Handlung, sondern der Verlauf der Handlung ist, so daß eine gewisse Nähe zur Verlaufsform der Verben bei substantivischem Gebrauch vorliegt. Gehorsam trinken; (Rüc, 55/19) Also sitzen, und mit geweiteten Augen die Gedankenbeete überblicken. (Schlü, 66/37) Hetzen auf Ackerwegen. (Schlü, 67/23) Sitzen nebeneinander. (Schlü, 67/32) Ans Fenster treten; (Vor, 73/7) Ans Fenster treten. (Schul, 111/7) dann Verstecken in den Wäldern. (Zäh, 105/28) Noch einmal den Kopf schütteln: Nee. (Zäh, 106/29) Füße etwas vertreten, un die Feindschaft im Abteil abklingen lassen. (RoN, 121/35) Die genannten Kategorien elliptischen Erzählens besitzen noch weitgehend satzähnlichen Charakter, da die fehlenden grammatischen Satzglieder zwanglos mitgedacht werden können. Demgegenüber stehen sehr kurze elliptische Einheiten in Form von Interjektionen, Einzelworten oder isolierten adverbialen und präpositionalen Bestimmungen. Letztere „erinnern in dieser Form an die knapp gefaßten Regieanweisungen in Drehbüchern oder Dramen" wie B. Malchow (S.26) anmerkt. Beispiele zu dieser Kategorie, die keinen Satzcharakter mehr aufweist, beschließen Punkt B), da sich hieran in geeigneter Weise an die Frage nach isolierten Syntagmen, die einen inhaltlichen Bezug zumeist den der Ergänzung - zum vorherigen Satz haben, anknüpfen läßt. „Tja." „Ja, natürlich;"
(LiV, 11/2) (Ähn, 645/19)
Entwicklung
102 A&hh die buntbedruckte Fülle— Rasch draußen; Stille. Und hinaus. Vorm Bücherregal. Wieder draußen Pause. Bin Augustabend. Wieder im Bett In der Wirtshausstube; Heimlich vor ihrer Staffelei: Also raus. Mit vierzigfacher Vergrößerung. Am Schützenhaus vorbei : A ufderchantseewieder:
(TKb, 60/36) (Schlü, 68/12) (Schlü, 67/5 & 68/26) (Vor, 74/22) (Som, 76/32) (Som, 76/40) (Som, 77/14 & 78/19) (Som, 78/13) (Riv, 84/15) (Riv, 84/34) (Riv, 85/16) (Riv, 86/11) (Fem, 110/30) (Neb, 140/6) (Neb, 140/9)
zu: C) Die Isolierung einzelner Syntagmen aus den ihnen inhaltlich zugeordneten Satzgefügen bewirkt eine besondere Betonung dieser Satzglieder. Ihre formale Ausgliederung aus dem übergeordneten Satzbau kann dabei im übertragenen Sinn als eines in ungeordneten Schritten sich vollziehenden Denkens verstanden werden. Der 'Mosaikcharakter' Schmidtscher Prosa vollzieht sich demnach auch auf der Ebene der Syntax. In das soeben Gesagte gliedern sich sowohl Nachträge innerhalb eines Satzes ein, die, etwa durch ein Kolon oder ein Komma abgetrennt, diesen beschließen, zu gewaltsame Erfindung, dies pereat mundus fiat poesia 1 4 : Nichts! (TKb, 61/4) Saß in der Ecke nieder, bei der Tür, in künstlicher Dämmerung; (Riv, 85/3)
Der Tod kommt schneeweiß: auch 'ne Möglichkeit (Neb, 136/35) als auch solche Nachträge, die durch satzabschließende Zeichen deutlich vom zugeordneten Satz getrennt sind. Diese formal auf die Interpunktion gerichtete Einteilung ist insofern problematisch, als Arno l4
Vgl.: „Fiat justitia pereat mundus" („Gerecht soll es zugehen, auch wenn die Welt dabei zugrunde geht."): Papst Adrian VI., 1522-1523; siehe: H. Stehle: Ein teutscher Papst zerbricht an Rom. Die Zeit, 24.3.89.
Contra Duden: Syntax
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Schmidt den Satzzeichen besondere, über die Dudennorm weit hinausgehende Bedeutungen beimißt, (siehe 5.1.1) Neben den üblichen satzabschließenden Zeichen kann u.a. auch ein Semikolon diese grammatische Funktion erfüllen. Etwa gleich zu Beginn der Erzählung „Nebenmond und rosa Augen." werden drei einfache Aussagesätze durch Semikola gereiht: Die Nacht war still; der abnehmende Mond erhellte die Straße; wir ritten auf unseren Fahrrädern dahin. (Neb, 135/9) In diesem Beispiel übernimmt das Semikolon die grammatische Funktion des Punktes, so daß sich in der nachstehenden Beispielliste isolierter (bis auf einen Fall nachgetragener) Syntagmen auch derartige Beispiele finden. (Auch wenn die folgende Liste sehr umfangreich ist, stellt sie doch nur eine Auswahl dar.) in Decken gewickelt, schneeweiß, ein Kindergesicht. Mit breiten bläulichen Flecken; eine Wasserlilie auf der atemlosen Brust. (Was, 641/9) „Der Polizei. Meldung von der Unsittlichkeit gemacht." (Was, 641/21) „Ich hab ihm das Dings abgekauft [ . . . ] für teures Geld. Um Aufsehen zu vermeiden." (Was, 642/22) „Eine Tochter hatte er; sein Liebling; (K1K, 29/8) (während es unter ihm [... ] in Richtung Aschaffenburg stürmen mochte. Blind). (NTS, 51/38) aber daran glauben Sammler nicht. Nutzlos. (NTS, 53/11) unübersehbar, riesenhaft war ihr Kleid; rote Wüste, mit schwarzen Felsstumpen. (Rüc, 56/4) Hier müssen Sie noch ein Blech vorlegen; dreißig mal fünfundvierzig, neue Bestimmung! (TKb, 61/39) ich lebe von den Revenuen meiner Schreibmaschine. Meist süße Nichtigkeiten: (Schlü, 66/29) Die hat alles im Osten verloren, und ist hintersinnig geworden. Ganz alleinstehend; harmlos. (Schlü, 68/14) „Ach ja! sagte sie beruhigt. Zum Schlüsseltausch. (Schlü, 69/3) Den Kuchen hatte diesmal Frau verw. Dr. Waring gestiftet; hausmachern; höchstens geologisch interessant (Som, 77/4) Ließ auch meinen Arm herum. Und meine Hand Fug treiben. (Riv, 87/9) Ihre Enkelin, Studentin im ersten Semester, käme mit dem
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Entwicklung Zuge, nachts um halb Drei. Völlig fremd hier; und dazu ausgerechnet Sonnabend (Man, 95/14) ganz oben an der Wand saß die blaue Riesin ! Unbeweglich am Tisch; (SeT, 100/26) und nun nichts wie heim ! Im Sturmschritt! (SeT, 101 / l ) : „Nanu?!" (ich; erstaunt). (Fern, 107/37) Diesmal war es aber nur der Postbote; ein Eilbrief: (Schul, 114/7) „Aaaach"! und da hing er, ein Kupfergong, sehr niedrig im Äther: der verfinsterte Mond. Uber dürren Kiefernwitwen. (Schul, 118/27) Ich nahm ihre schweren Armknochen; und legte sie mir um den Hals. Meine um ihren Brustkorb. Lange. (Schul, 119/4) ich wohn' so dicht am Zonenübergang. Und erkenne also vorsichtshalber die DDR an. (TbZ, 130/4) Und ich stellte mir das I Minute lang illustriert vor. Bis ich kichern mußte. (TbZ, 130/39) Kunststück: 3 Tage warten; wahrscheinlich ungewaschen; ohne Geld; und dann bei dem Wetter. (TbZ, 132/23) Meine Dämonin [ . . . ] trank, wie gesagt, währenddessen immer Milch; aus feuerroten Handflächen; mit sichlichem Genuß. (Neb, 135/35) Die 'Pointe' übrigens sah ich nicht ein. Es sei denn, als 'Sittenbild'? Sie nickte bestätigend. Wirtschaftswunderlich. (Neb, 139/36)
zu: D) Im folgenden wird aufgezeigt, daß hypotaktische Satzgefüge in den Erzählungen Arno Schmidts häufig durch Satzreihungen ersetzt werden. Es soll in diesem Fall keine Beispielfülle demonstriert werden, sondern vielmehr sollen lediglich einige (meist ein oder zwei) Beispiele für die ersetzte subordinierende Fügung als Beleg genügen. kausal: Nun war mir dieses zu dick: ich war ja schließlich sein übernächster Vorgesetzter (Ahn, 644/5) Ich half dafür auch die Möbel geraderücken; hatte mich als schicksalgenössischen Schlesier zu erkennen ergeben. (Zäh,105/7) der Apotheker öffnete den Mund, schloß ihn aber verlegen wie-
Contra Duden: Syntax
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der: ihm fiel nichts ein, um auch seinen Beruf herauszustreichen, (HeuHa, 20/33) auf der anderen Seite begann Ilses Antlitz zu strahlen - sie kannte mich und meine bemerkenswerte Lektur; (Schul, 115/38) konzessiv: Die Kleine verzog sich auch; ich sah ihren Dutt jedoch mehrfach hinter einem neugierig-nahen Fliederbusch. (LiV, 9/16) ich hatte das Gesicht noch nie gesehen; wo ich doch alle meine Beamten kannte! (Ahn, 644/9) konsekutiv: aber ich wußte zufällig die ehrwürdigen Namen Schumachcr und Andreae, und er knurrte befriedigt-enttäuscht. (LiV, 9/32) temporal: „Die Maus schien erst erstaunt [ . . . ] und ging hinüber, worauf sie sich in einem Mooshümpelchen verlor: der Herr Rat lag noch wie tot zwischen den Bülten." (KgM, 82/8) Hoch; j a höher. Oben allein. Und untertauchen in Krach und Helligkeit (Schul, 117/8) final: ich schlug gleich hoch herunter auf ihn ein, hinein in einen Baum mit ihm, weg! (Riv, 84/10) modal: Jeder tat in sein leeres Glas 2 gehäufte Teelöffel Nescafe, und goß dann frisches CocaCola drüber: das schäumte hoch. (TbZ, 131/3) Die angeführten Textstellen geben beispielhaft wieder, daß eine hierarchisch geordnete Syntax, die Reflexionsstufen des Bewußtseins auszudrücken vermag, häufig durch eine koordinierende Satzstruktur ersetzt wird. Die gereihten Sätze folgen dabei vorzüglich einer linearen zeitlichen Abfolge. Diese Vorgehensweise ist stimmig bezüglich der Grundannahmen Arno Schmidts zu den Möglichkeiten von Wahrnehmen und Erkennen, was oben bereits angedeutet wurde. Zusammenfassend läßt sich zur Frage der Syntax im Rahmen der „Stürenburg-Geschichten" und der Erzählungen „Aus der Inselstraße"
Entwicklung
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sagen, daß ein zunehmender Auflösungsprozeß syntaktischer Gefüge, sei dies die Entwicklung hin zu immer kürzeren Sätzen oder Satzbruchstücken, die Zergliederung des Satzes durch Einschübe und nachgetragene Fügungen oder das Negieren logisch geordneter, ineinander verschachtelter und damit Reflexionsebenen wiederspiegelnder Sätze, zu beobachten ist. 1 5 Das 'Puzzlebild' abgebildeter Wirklichkeitserfahrung durch Sprache wird von Schmidt in einer Weise zerlegt und neu zusammengesetzt, daß der bruchstückartige Charakter deutlich wird und die Trennlinien sichtbar werden.
5.1.4
Wortbildungen Formeln flössen mir durch den suchenden Kopf. 'als Beleuchter tätig sein'; das Mienenspiel der Seele sichtbar machen'; 'rhythmisch auswuchten'; 'gründein in den Bayous der Sprache'; 'kein Spiegel: ein Brennglas'; 'Worte wie Hunde auf die Leute hetzen'; 'Facettenauge und Leporelloform'; 'den Ortstein verbackener Sprachformen, den Wortsinter, aufbrechen'; StH, BA 1/ 2.1, 88
Nachdem in den vorangegangenen drei Abschnitten ausführlich die Rede war von Interpunktion, Orthographie und Syntax, soll nun die Behandlung des Einzelwortes erfolgen, dessen Bedeutung für die Prosa Arno Schmidts auch weit diesseits seiner Etym-Theorie zu suchen ist. Im Gegensatz zu den globalen Aussagen Schmidts zu seiner Prosaauffassung (siehe: B I & II), äußert er sich zu dem Feld der Wortbildungen kaum in theoretischer Weise. Nur an einer Stelle der „Berechnungen", im Zusammenhang mit der Prosaform der „Erinnerung", 16
Die analytische Beantwortung einer am literarischen Material orientierten Einzelfrage wird damit in hohem Maße diffizil, da in dem Konglomerat der sprachlichen Einzelphänomene jedes mit jedem verknüpft ist. Dem analytischen 'Sezier-Messer' sind hier Grenzen gesetzt, über die Arno Schmidt mit Sicherheit höhnisch gegrinst hätte.
Contra Duden: Wortbildungen
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fordert Arno Schmidt „schärfste Wortkonzentrate" (B I, 236). Demgegenüber lassen jedoch zahlreiche Aussagen seiner literarischen Figuren - und wie bereits vermerkt und nachgewiesen wurde, besteht eine starke Entsprechung zwischen diesen und ihrem Autor - Schmidts Wertung über Beherrschung und Punktion der Wortbildungen erkennen. So fordert „J.B. Lindemann" in der Erzählung „Schwänze" („Ländliche Erzählungen" oder „Kühe in Halbtrauer", BA 1/3.2): „Benenner brauchen wir!" (BA 1/3.2, 332), und Karl bezeichnet sich in dem Roman „Kaff auch Mare Crisium" als „Wort=Metz oderso; (Anna=log zu 'Schtein=Metz')." (BA 1/3.1, 167); auch das Eingangszitat dieses Kapitels aus „Das steinerne Herz" ist ein Beleg für Schmidts Anspruch und Anforderung an die Qualität des Wortes. Wenn Arno Schmidt in den „Berechnungen" von einer „konformen Abbildung" (B I, S.235) als einer notwendigen Bedingung von Prosa zur Wiedergabe subjektiver und objektiver Erlebniswelten spricht, so will er zwar darunter die „besondere Anordnung von Prosaelementen" (B I, S.235) verstanden wissen und klammert explizit „den sprachlichen und rhythmischen Feinbau dieser Elemente" (B I, S.235) aus, jedoch bleibt das Wort der eigentliche 'Träger'; in dieser formal-abstrakten Sprache erscheint das Wort als die Prosaelemente substrukturierende und zugleich generierende Einheit, die - im mathematisch benutzen Sinn - als Bildpunkt der sogenannten „konformen Abbildung" erscheint. Diesem Bildpunkt, also dem Wort, als Element der Gesamtheit aller Bilder kommt nun zwar nicht die Eigenschaft 'konform' zu, da diese sich per definitionem nur auf die Gesamtheit beziehen kann, jedoch kann ein 'fehlerhaftes' Element die Eigenschaft des Ganzen zerstören. Insofern besteht hier eine nicht zu trennende Verknüpfung, so daß eine Einzelbetrachtung des 'Wortes' über die abstrakt-literarischen Bemerkungen Schmidts nicht hinausgeht, sondern diese vielmehr von einer untergeordneten Perspektive beleuchtet. Eine Behandlung der Wortbildungsmuster Arno Schmidts steht somit sowohl im Kontext mit den „Berechnungen", als auch mit den Äußerungen (s.o.) der literarischen 'Ich-Varietäten' Schmidts. Desweiteren müßte eine Arbeit zur Sprache Arno Schmidts, die diesen Punkt ausklammerte, in einem wesentlichen Zug unvollständig bleiben. Die exponierte Stellung der Sprachbehandlung im allgemeinen und der Wortbehandlung im besonderen innerhalb des 'Phänomens' Arno
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Entwicklung
Schmidt führt etwa Klaus Podak in seinem Aufsatz „Arno Schmidt : Weltanschauung und Sprache" (Text und Kritik, H.20: Arno Schmidt , München 1971) zu der „ketzerischen" Vermutung, daß „Schmidts eigentliche Bedeutung auf dem Gebiet der Wortbehandlung liegt" (ebenda, S.48), und zahlreiche Kritiker und Rezensenten versuchen der sprachschöpferischen Vielfalt und Nuancierung Arno Schmidts bereits titelhaft (zuweilen zitierend) zu begegnen. (Siehe die Beispiele in Kapitel 1: Einleitung.) Neben diesen - durch das Aufgreifen, Abwandeln und Nachahmen von Gelesenem - eher spielerischen Versuchen einer Kennzeichnung Schmidtscher Sprachkreativität, stehen zwei wissenschaftliche Arbeiten zur Wortbildung im Werk Arno Schmidts. Zum einen die in „Zettelkasten I" (Frankfurt/M. 1984) enthaltene Analyse K.H. Brüchers: „Der Wortbildner Arno Schmidt. Eine sprachliche Analyse der kreativen Wortbildungen Schmidts", zum anderen die Dissertation B. Malchows: „ 'Schärfste Wortkonzentrate'. Untersuchungen zum Sprachstil Arno Schmidts" (Edition Text und Kritik, 1980). Beide Arbeiten benutzen als Textgrundlage die Romane „Das steinerne Herz" und „Kaff auch Mare Crisium". Brücher wählt weiterhin die Erzählung „Caliban über Setebos" und das Typoskript „Die Schule der Atheisten" aus, wohingegen Malchow als zusätzlichen Text „Seelandschaft mit Pocahontas" wählt. (Malchow sucht Paradigmen für die von Arno Schmidt postulierten und ausgeführten Prosaformen aus, wohingegen Brücher einen zeitlichen Querschnitt über das mittlere bis späte Werk wählt.) Während Brücher vom Wortbildungssystem Fleischers 16 ausgehend für jede der einzelnen Wortbildungskategorien eine Belegstelle aus seinem Korpusmaterial angibt, versucht Malchow auch eine Vollständigkeit in den zitierten Belegen zu erzielen. Weder das eine noch das andere soll im weiteren angestrebt werden. Im Sinne des Anspruchs, Entwicklungstendenzen innerhalb der frühen Erzählungen von den „Stürenburg-Geschichten" bis zu den Geschichten „Aus der Inselstraße" aufzuzeigen, wird eine Auswahl sowohl der Wortbildungsmuster als auch der benutzten Erzählungen getroffen. Für die Auswahl letzterer wird die bereits im Rahmen der Interpunktion (5.1.1) verwendete Einteilung der Erzählungen in vier Gruppen benutzt. Aus jeder dieser Gruppen werden einige Erzähl8
Fleischer, W.: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen 1975.
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Contra Duden: Wortbildungen
lungen als Textgrundlage verwendet 17 . Die sich ergebenden Aussagen zur sprachlichen Entwicklung Arno Schmidts beziehen sich damit stets auf diese viergeteilte Kategorisierung, was die bereits an anderer Stelle erwähnten Vorteile zur Folge hat. Die aus den vier Gruppen gewählten Erzählungen sind die folgenden: Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe
I' II' III' IV'
Was / LiV / NTS / Rüc / KgM / Riv / TbZ / Neb -
LaGre / ScHa - 10.85 Seiten T K b / Wsit / Vor - 10.6 Seiten Zäh - 10.825 Seiten 10.85 Seiten
Zuerst sollen die durch Bindestrich (bzw. Trennungszeichen'=') erzielten Wortfügungen behandelt werden. Von der in den späteren Werken (besonders ab „Kaff") häufig angewandten Möglichkeit, Lexeme durch Trennungszeichen in Einzelbestandteile auch optisch zu strukturieren, macht Schmidt in den vorliegenden Erzählungen noch keinen Gebrauch. D.h. etwa die Abtrennung von Präfixen („ve=krammft"(Kaff, 100), „Ab=Bild"(Kaff, 115)) oder die Trennung in einzelne Silben („Prack=tie=schäß" (Kaff, 240), „Supp=jeckt" (Kaff, 276)), um die Einzelbedeutung der Teile stärker zu akzentuieren, findet sich in den frühen Erzählungen nicht. Insofern bilden die Bindestrich-Fügungen stets neue Komposita. Diese sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst: 18 17
Die Erzählungen werden nach einem formalen Gesichtspunkt ausgesucht: U m nicht durch krass verschiedene 'Korpuslängen' in den einzelnen Gruppen falsche quantitative Aussagen zu suggerieren, sollte die Summe der Seitenlängen aller Erzählungen pro Gruppe annähernd gleich sein. Aus Gruppe IV bieten sich die Erzählungen „Trommler beim Zaren." und „Nebenmond und rosa Augen." an, da sie zeitlich das Ende der behandelten Erzählungen bilden. Ihre 'Seitensumme' (gemäß Züricher Ausgabe) beträgt 10.85 Seiten, womit ein Fixum für die Auswahl aller übrigen Erzählungen gegeben ist. Dies hat außerdem den Vorteil, daß eine möglicherweise das Ergebnis in einer gewissen Richtung vorbestimmende Auswahl umgangen wird.
11
Die Zitatangaben in diesem Kapitel beschränken sich auf die Nennung der Erzählung, aus der das Wort stammt. Die sonst übliche Zitatweise mit zusätzlicher Seiten- und Zeilenangabe machte die folgenden Tabellen zu unübersichtlich. Da die Erzählungen jedoch kurz sind, wird ein Auffinden der Textstellen problemlos sein.
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Entwicklung I'
erschöpft=angeekelt üb erlegen=ungi äubig grünlich=antik atem=los ängstlich=selig rieugierig=nah befriedigt=enttäuscht glatt=gedreht
II' (ScHa) (ScHa) (Was) (Was) (LiV) (LiV) (LiV) (LaGre)
peinlich=bequem schwermütig=schön spiritistisch=schwach überein ander=gepreßt genial=scheußlich grammatisch=raffiniert fachmännisch=t ückisch archaisch=steif
(Rüc) (Rüc) (Rüc) (TKb) (Wsit) (NTS) (NTS) (NTS)
IV'
III' nieten=köpfig fesch=beige zünftig=amtlich raffiniert ^gleichgültig
(Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh)
bedenklich=pausbackig uralt=verhaßt peinlich=bürgerlich böser=meiner gelb=rot=kariert strähnig=trotzig jungfräulich=knochig vorschriftsmäßig= quergestreift ablehnend= kopfschüttelnd untröstlich=weiblich nahe=fern b oshaft=aufrichtig bärtchenhaft=errötend Billigung^: Mißbilligung unruhig=erl äuternd rot=weiß hinterhältig=patzig
(Zäh) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (KgM) (KgM) (KgM) (KgM) (KgM) (KgM) (KgM) (KgM) (KgM)
dreifach=gaumig solcher =meiner hyänenhaft=feige energisch=fleischverhangen solid=lose nicht=marmorne inner=berlinisch mutig=Dicken Gehöft=zuvor sehr=behagelt unten=Erstorbene Montessori=Finger dantesk=aufgeregt Hange=Lehmweg bessere=ältere greis=energisch Bacchus=persönlich einzeln=treuherzig rüstijer=fürder Dotter=Maul nieselig=patzig hämisch=bescheiden
(TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (KgM) (KgM) Tabelle
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Da ein quantitativer Vergleich wegen der ungefähr gleichen Seitenzahlen der einzelnen Gruppen direkt möglich ist, ist zunächst festzustel-
Contra Duden: Wortbildungen
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len, daß die Anzahl der durch Bindestriche erzielten Wortbildungen der Gruppen III' und IV' im Verhältnis zu den Gruppen I' und II' um den Faktor zwei bis drei zunimmt. Sofern neue Wortbildungen ein Hinweis dafüur sind, daß neue subjektive Erfahrungen und Wahrnehmungen oder neue poetologische Konzepte neuer Ausdrucksmittel bedürfen, so entspricht der sprachliche Ubergang der Gruppen I' und II' zu den Gruppen III' und IV' am Beispiel der Bindestrich-Fügungen einem gesteigerten Grad an 'Kunst-Mitteilung', wobei hier der Kunstbegriff in einer bestimmten Facette, nämlich als der 'Steigerung des Wahrnehmungsvermögens', gemeint ist. Dieses rein durch die Quantität ausgelöste Urteil bestätigt sich durch eine qualitative Betrachtung. Die Bindestrich-Fügungen der ersten beiden Gruppen werden fast ausschließlich aus der Verbindung zweier Adjektive erzielt, wobei die Komposition vorwiegend kopulativ erfolgt („ ängstlich=selig", „archaisch=steif). In den 15 Beispielen finden sich neben diesen reinen Adjektivverbindungen nur zwei Bildungen aus einem Adjektiv und einem Partizip („erschöpft=angeekelt", „glatt=gedreht") und einmalig ein Adverb-Partizip-Kompositum („ übereinander=gepreßt"). Demgegenüber weisen die Wortbildungen der Gruppen III' und IV' eine größere Vielfalt an kombinierten Wortarten auf. So etwa die Zusammensetzung aus Adjektiv und Pronomen („böser-meiner", „solcher=meiner"), Adjektiv und Substantiv („mutig=Dicken"), Substantiv und Substantiv („Billigung=Mißbilligung", „Dotter=Maul", „Montessori=Finger"), Substantiv und (Temporal) Adverb („Gehöft=zuvor"), (Lokal-)Adverb und Substantiv („unten=Erstorbene") und Adverb und Partizip („sehr=behagelt"). D.h. der Steigerung der Quantität steht eine ebensolche der Qualität, sofern eine Differenzierung der Bildungsmuster als solche angesehen wird, gegenüber. Auffallend ist, daß Verben als Komponenten einer Bindestrich-Fügung nicht benutzt werden. 19 Darum werden als nächstes die Wortbildungsstrukturen der Verben (und von ihnen abgeleiteten Partizipien) betrachtet. Aus Gruppe I' ist lediglich eine Wortbildung auffällig: da stehe ich eines Abends so am Instrument und winkle ein bißchen (Was) 19
Auch in der Arbeit B. Malchows bildet diese Kategorie eher die Ausnahme; siehe: Malchow 1980, S.133.
Entwicklung
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Das üblicherweise transitive Verb 'winkeln* (z.B. den Arm) wird hier intransitiv verwendet; des weiteren findet eine Bedeutungsverschiebung statt, da hier 'winkeln' die Winkelmessung am Theodoliten beschreibt. Aus Gruppe II' sind zunächst vier Verbbildungen zu nennen: ich flusterfragte kokett: (TKb) Wahrscheinlich hatte er mich [ . . . ] von tobsüchtigen Irren mit Bleischuhen zertanzen lassen! (Wsit) Auch ein unsichtbares Motorrad sprudelte auf, [ . . . ] (NTS) während sie sich die Situation nach und nach illustrierte. (NTS)
Im ersten Beispiel werden die beiden Verben 'flüstern' und 'fragen' zu einem zusammengezogen. Im zweiten und dritten Beispiel wird die Neubildung durch eine Präfix- und Halbpräfixbildung erreicht, und im vierten Beispiel wird das transitive Verb 'etwas illustrieren' reflexiv verwendet. Die Erzählung „Die Vorsichtigen.", die am 15.3.56 niedergeschrieben wurde und damit die letzte der Erzählungen gemäß der chronologischen Reihenfolge in Gruppe II'ist, weist eine Vielzahl neugebildeter Verbformen auf. Da wäre erstens die Verbalisierung bestehender Substantive: „knorpeln", „fischern", die auch zusätzlich noch präfigiert werden können: „beschürzt", zweitens die Präfigierung lexikalisierter Verben: „ausgefroren", drittens die Verbindung eines Adjektivs mit einem Verb: „hochwalzen" und schließlich viertens die Transformation relativer Verben in absolute: Hände kläffen grelle Stoffe; Augen stöbern; Münder stolpern; Bälle kauern sklavenbunt. Sessel siedeln.
Auch in reicher, können. im Text
den Gruppen III' und IV' sind die Beispiele wesentlich zahlso daß sie nicht alle im Satzzusammenhang zitiert werden Aus diesem Grund werden sie zunächst aufgelistet, wobei die verwendete Flexion beibehalten wird:
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Contra Duden: Wortbildungen
IV'
III' kolkte hauruckten nähern darübergestülpt heraufgeprustet wölkte rötelte überschrittein
(Riv) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (KgM) (KgM)
sie rausredete chausseete kwarrend gelbgeflammt geschwindschreiten sich forcieren be=bowlt aufpulvern
(Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) Tabelle 7
Die Wortbildungsmuster in diesen Beispielen sind überaus vielschichtig. Häufig werden Substantive verbalisiert; die entsprechenden Beispiele sind: „[es] wölkte", „kolkte", „chausseete [ . . . ] entlang". Eine derartige Uberführung einer Wortart in eine andere (Konversion) liegt auch bei „hauruckten" vor, wo die entsprechende Interjektion die Vorlage bildete, und bei „iötelte" vor, bei dem das Adjektiv 'rot' als Ausgangspunkt diente. Weiterhin befinden sich unter den Beispielen viele durch Präfigierung (Halb-Präfigierung) entstandene Verben, wobei der Verbstamm zuweilen zusätzlich auf ein Substantiv rückführbar ist: „ überschrittein", „be=bowlt", „aufpulvern". In einem weiteren Fall, nämlich „geschwindschreiten", entsteht das Verb aus der 'Summe' eines Adjektivs mit einem Verbum. Die übrigen Beispiele aus der vorangestellten Liste betreifen die geänderte Relation des Verbums zu den übrigen Satzteilen. Der nichtreflexive Gebrauch reflexiver Verben und umgekehrt gehört in diese Kategorie geänderter Relation: Also nähern ! (Zäh) sie rausredete (Neb) ich bin nicht Pedant genug, mich deswegen irgendwie zu forcieren (TbZ)
Während also in Gruppe I' lediglich eine Verbneubildung gefunden wird, bieten die übrigen drei Gruppen eine große Fülle an Belegen, sowohl gemäfi ihrer Anzahl als in der Ausführung der verschiedensten Wortbildungskategorien. Im Gegensatz zu den Bindestrich-Fügungen, bei denen die ersten beiden von den letzten beiden Gruppen
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sprachlich klar unterschieden sind, verläuft im Rahmen der Verben die Trennungslinie zwischen der ersten und zweiten Gruppe. Bevor hierzu einiges bemerkt werden kann, werden im weiteren zunächst Adjektiv- und Substantivneubildungen untersucht. Zuerst werden die Adjektivbildungen nach einigen Bildungsmustern geordnet; (die römische Ziffer in Klammern gibt die Zugehörigkeit zu der bezeichneten Gruppe an) In der Gruppe der Adjektivkomposita ist die Bildung aus einem Substantiv und einem Adjektiv am stärksten vertreten: nadelschwarz (I', T K b ) pyjamaleis, strichdünn, farbenlehrengetreu, todweiß (II', N T S ) mooskraus (II', R ü c ) indianerrot, sklavenbunt, geierfaul (II', Vor) kartoffelblütenblau, aschblond (III', Riv) leiternhoch, atheistenkahl (III'i Zäh) pfeilschnell, waldtextilen (IV', Neb)
Als zweite Kategorie werden die Bildungen, die ein Partizip (Präsens oder Perfekt) enthalten aufgelistet: rotgeschwollen niedergekrämpt buntbedruckt wasserspeiend gelbgeflammt
(I', ScHa) (I', L a G r e ) (II', T K b ) (III', Riv) (IV', Neb)
Mit sechs Beispielen ist die Zusammensetzung zweier Adjektive vertreten: weißschief blaßgrün blaßblau schwarzgelb totschwarz, hochoptisch
(II', Vor) (II', N T S ) (III', Riv) (III', Zäh) (IV', T b Z )
Die nächste übergeordnete Kategorie betrifft die Adjektivableitungen, wobei diese Ableitung vorwiegend durch Suffigierung erfolgt. Die bevorzugten Suffixe sind -ig, -isch, -lieh, und -haft. Vereinzelt werden auch -los und -voll verwendet. Wieder nach den vier Gruppen sortiert ergibt sich folgendes Bild:
Contra Duden: Wortbildungen
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II'
I' bildungsdurstig moorfarbig schlangenmenschenhaft pfadlos haßvoll
(ScHa) (LaGre) (LiV) (ScHa) (ScHa)
weltraumhaft
(TKb) (TKb) (Vor)
gletscherhaft
(TKb)
IV'
III' elefantig pausbackig schwarzlockig schicksalsgen össisch nichteuklidisch ehemännlich hochbedenklich
rotkäppig fläzig spektralanalytisch
(KgM) (Riv) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh)
b esichtigungslustig schwarzhakig fingerzipfelig barbij großäugig fachfraulich wirtschaftswunderlich stenografenhaft
(TbZ) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (TbZ) (Neb) (Neb) Tabelle
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Letztlich sind vereinzelt vorkommende Bildungsformen von Adjektiven und einige adjektivisch benutzte Partizipien zu nennen. So bildet Schmidt das Adjektiv „pappkartonen" (Vor) aus dem entsprechenden Substantiv durch das Suffix -en und „backsteinfarben" (TbZ) über das suffix-ähnliche -färben. Ebenfalls in nur einem Beispiel tritt die Suffigierung mittels -oid in „technoid" (TbZ) auf. In „Nebenmond und rosa Augen." finden sich auch zwei Partizip Präsens Formen mit adjektivischem Charakter: „dieselndst" und „kwarrend", wobei bei letztem das dazugehörige Verb 'kwarren' eine verbale Neubildung mit Anklang an 'knarren' bedeutet. Die letzte hier behandelte Wortart ist die des Substantivs. Den größten Anteil bilden hier die determinativen Zusammensetzungen aus zwei Substantiven. 2 0 Eine Substrukturierung dieser Komposita in 30
Auch B. Malchow stellt in ihrer Arbeit die Dominanz dieses Wortbildungsmusters fest. Siehe: Malchow 1980, S.91ff.
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die verschiedenen das Kompositum ersetzenden syntaktischen Konstruktionen (präpositionale Fügung, Relativsatz, genitivische Metapher etc.) soll hier nicht erfolgen, da eine spezifische, von dieser Feinstrukturierung ausgehende Deutung, in der gebotenen Kürze dieses Kapitels nicht erfolgen kann. Nachstehend findet sich eine nach Gruppen geordnete Zusammenstellung aller Determinativkomposita, die aus zwei Substantiven gebildet sind: II'
I' Rasensitz Kiefernborte Dutzendmenschen Haidekraut Skeptikergesicht Kleinfinger Rundhorizont Brasiltrompete Schattenrümpfe Lichtglieder Vermesseraugen Franzosenzeit Moorverstecke Plauderecke Rauchkegel
(LaGre) (LaGre) (LaGre) (LaGre) (LiV) (LiV) (LiV) (LiV) (ScHa) (ScHa) (ScHa) (ScHa) (ScHa) (Was) (Was)
II' Teerflicken Totenlicht Torfspitz Papprisma Schallperlen Ofengeheul Himmelsstaub Metallzungen Gemünz Bronzehaar Beinträger
(Rüc) (Rüc) (Rüc) (Rüc) (NTS) (NTS) (NTS) (NTS) (NTS) (TKb) (TKb)
Zwergenküche Kleiderdickicht Mantelwälder Teppichrecken Kakao dünen Rindledernes Stummelaugen Wortprothesen Gürtelnattern Sockenberge Blechmandrill Schneekrusten Möbelblöcke Narrenhände Silbenkringel Konsonantennarreteien Regenstraße Schwarzglaspfützen Himmelspolygon Flammenfexen Steinkohlenwald Mundschleife Fremdstimmen Ebenholz diskus Nachbarinnengelächter Mondgroschen Wortgewölle Tasteblick
(Vor) (Vor) (Vor) (Vor) (Vor) (Vor) (Vor) (Vor) (Vor) (Vor) (Vor) (Vor) (Vor) (Wsit) (Wsit) (Wsit) (Rüc) (Rüc) (Rüc) (Rüc) (Rüc) (NTS) (NTS) (NTS) (NTS) (NTS) (TKb) (TKb)
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C o n t r a Duden: Wortbildungen IV*
III' Uhrenmonde Eisenbäume Gesichterbrause Stimmenbrause Morgenenergien Eisenkappe Tuschkastenauge Mädchenschöpfe Schrankgigant Ampeltöpfchen Frauenlippen Geöhr Gerolle Schwarzgelockte Augenkerne Eierschädel Armfülle Rundhorizont Pythonbissen Traumhindernisse Wudnnbaaba Sonnenpolygone Mundrahmen Schickhemd Strähnengitter Kartoffelblütentraum Backenfleisch Haidschnucken Standuhrticken Mittagslichter Hohlkeule Blauhaar Fackelfleck Mooshümpelchen
(Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Zäh) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (Riv) (KgM) (KgM) (KgM)
Rohrköpfe Krallenfächerchen Zyklenwinter Dämonessa Wimpernbedenken Wortstücke Lippenperispomenen Handgaukeleien Fichticht Weir Nadelstreu Frühstückungen Schweißblätter Bodenbindung Lichtgräten Florgewölk Henkelmann Henkelmänner Schirmpfeile Wachtelschlag Weckergeweckte Fingerspiralen Eisglaskelche Schlipsschleifen Untergelipps Blauauge Cäsarenlippen
(Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (Neb) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ) (TbZ)
III' Flammenchor Windrüpel Heidjeräuglein Wirrwalde
(KgM) (KgM) (KgM) (KgM) Tabelle
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Wie bereits bei den weiter oben behandelten Wortarten ist ein quantitativer Sprung, der hier zwischen G r u p p e I' und Gruppe II' verläuft, festzustellen, so daß hier eine Korrelation zwischen den einzelnen
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Entwicklung
Wortbildungskategorien 21 (Bindestrich-Fügungen, Verben, Adjektive, Substantive) vorliegt. Daher wird hierzu weiter unten in einem summarischen Sinne mehr gesagt. Neben diesem relativ und absolut größten Wortbildungsschema im Rahmen der Wortart 'Substantiv', sind vereinzelt weitere Formen der Bildung zu beobachten. So die Zusammensetzung aus einem Adjektiv und einem Substantiv wie in den Fällen: „Kleinfinger" (I*, LiV), „Rundhorizont"(F, LiV & III*, Riv), „Schickhemd«(III', Riv), „Hohlkeule"(III\ Riv), ,,Blauhaar"(IH', KgM), „Blauauge" (IV', TbZ). In einem weiteren Fall: „Schwarzgelockte"(III', Zäh) verbindet sich das Farbadjektiv mit einem durch Präfixbildung (ge-) erhaltenen Substantiv. In einem ähnlichen Fall: „Untergelipps" (IV', TbZ) tritt an die Stelle des Adjektivs ein Adverb, und bei „Weckergeweckte" (IV', TbZ) tritt als Bestimmungswort ein Substantiv auf. Die Neubildung „Wirrwalde" (III', KgM) kann zwar zum einen auch unter diesen Typ (Adjektiv 'plus' Substantiv) subsumiert werden, doch kann zum anderen auch eine Kontamination aus 'Wirrwarr' und 'Wald' angenommen werden. Eine Zusammensetzung aus einem Verb und einem Substantiv und umgekehrt ist an drei Beispielen zu belegen: „Plauderecke" (I', Was), „Standuhrticken" (III', Riv) und „Tasteblick" (II', TKb), wobei im letzten Fall die Komposition eine Synästhesie ergibt. Für die Wortbildung durch Ableitung lassen sich in den vorliegenden Erzählungen der Gruppen I' bis IV' drei Beispiele nennen: „Gemünz" (II', NTS), „Geöhr" (III', Zäh) und „Gerolle" (III', Zäh), also zweimal die Ableitung eines Substantivs und einmal eine deverbative Ableitung. In die Rubrik der Substantivbildungen können auch solche Wortschöpfungen eingeordnet werden, die über eine orthographische Abwandlung entstehen. Da jedoch Kapitel 5.1.2 hierzu näheres ausführt, seien nur „Haidschnucken" (III', Riv) 22 und „Weir" (IV', Neb) 2 3 zitiert. 21
Die Teilung ist keine disjunkte, da sich die Bindestrich-Fügungen in die Kategorien der Wortarten eingliedern ließen. Da jedoch die BindestrichFügungen überaus charakterisierend für die Sprachhandlungen Arno Schmidts sind, wurden sie gesondert aufgeführt, "siehe: Brand's Haide 33 von 'Weiher' oder 'au weia'
Contra Duden: Wortbildungen
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Weiterhin kann noch die lautmalerische Wiedergabe einer „fernen Kirchenglocke" durch die Bezeichnung „Wudnnbaaba: Wudnnbaaba" (III', Riv), die Suffigierung eines 'Dämons' zur „Dämonessa" (IV', Neb), die Nominalisierung des Verbs 'frühstücken' zu „Frühstückungen" (IV', Neb) und die Kontamination des bekannten 'dichten Fichten Dickichts' zu „Fichticht" (IV*, Neb) 24 genannt werden. Die behandelte Auswahl an Wortbildungsmustern aus 14 der 25 Erzählungen „Aus der Inselstraße" und der „Stürenburg-Geschichten" läßt im Uberblick zwei allgemein formulierbare Schlußfolgerungen zu. Auf der Suche nach Arno Schmidts sprachlichem Weg, d.h. seiner sprachlichen Entwicklung und Entfaltung, ergibt sich in der gewählten grobrasternden Struktur der 4-Gruppen-Einteilung ein deutlich erkennbarer Entwicklungs- Schritt, der die Erzählungen, deren Niederschrift in das Jahr 1955 fällt (also vorwiegend die „StürenburgGeschichten" ), von den später entstandenen Erzählungen (also vorwiegend den Erzählungen „Aus der Inselstraße" ) trennt. Die Betonung liegt dabei auf dem Grundwort 'Schritt', da das Erkennen einer Entwicklungs-iinte eine feinere Einteilung - etwa jede Erzählung für sich betrachtet - voraussetzt. Aus bereits an anderer Stelle genannten Gründen ist eine solche 'Nah-Perspektive' weder zweckmäßig, da das derart gewonnene Ergebnis vermutlich nicht wesentlich von dem jetzt erhaltenen abweichen würde, noch formal korrekt durchführbar, da zum einen die chronologische Folge der Niederschriften nicht mit der Zeitfolge der Entstehung übereinzustimmen braucht und da zum anderen die Sprachentwicklung eines Schriftstellers in den seltensten Fällen eine von der Zeitrasterung unabhängige monotone Funktion sein wird. Letzterem liegt die Annahme zugrunde, daß auch Arno Schmidt, dessen Arbeitsweise des Sammeins von Fakten und Impressionen in Form von Zettelkästen ( „ 'ob ich auch Visionen hätte' ? / Nun habe ich aber bekanntlich keine." AS JZ!» AA, 16.8.60; „Kreuder wurde halb unsinnig wenn er mich so Zettelchen auf Zettelchen legen sah" AS -Iii» AA, 6.7.74) zu einem großen Teil der Intuition, auch und gerade der Sprachintuition, bedurfte. Derartige Intuitionen nun gehen nicht kohärent mit einem relativ mikroskopischen, formalen Werkzeug, wie es eine die Zeitentwicklung beachtende Sprachanalyse 24
Eine analoge Bildung findet sich in der Erzählung „Das heulende Haus.", wo in einem „dichten Wald" von einem „Tannicht" die Rede ist.
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Entwicklung
darstellt. Insofern ist die gewählte Methodik der Grobstrukturierung ein direktes Abbild dieser nicht zu vermeidenden Unscharfe und damit dem Problem angepaßt. Der genannte Entwicklungsschritt nunmehr ist sowohl in quantitativer wie qualitativer Hinsicht belegt. Die Anzahl der Belege in fast jeder betrachteten Wortbildungskategorie unterscheidet sich von Gruppe I' (bzw. in einem Fall auch von Gruppe II') zu den übrigen um den Faktor zwei bis drei, so daß diese Änderung überaus signifikant ist. Qualitativ zeigte sich, daß hiermit eine Differenzierung zu einer größeren Vielfalt der Wortbildungsarten einhergeht. Der deutliche Schwerpunkt der Wortbildungen liegt bei den Komposita aus Adjektiven und Substantiven. Dies ist auch aus dem Schmidtschen Impetus zu seiner Prosaauffassung verständlich, denn das primäre Anliegen Schmidts ist nicht, eine weittragende, komplexe Handlung zu entwerfen (Schmidts Erzählungen und Romane sind in diesem, oberflächlichem Sinne handlungsarm), sondern dieses Anliegen liegt vielmehr in der Charakterisierung und Benennung erfahrbarer Realitäten, wie sie dem Bewußtsein des erzählenden Ich erscheinen. Substantivische Bildungen des Benennens und adjektivische der ModalCharakterisierungen sind hierfür die a priori geeigneten sprachlichen Mittel, wodurch zugleich die relativ untergeordnete Funktion der Verben 25 ersichtlich wird. Neben dieser Priorität der genannten Wortarten ist auch die Wortbildung in Form von Komposita eine solche; auch dies wiederum ist in die abstrakte Sprach- und Prosatheorie Arno Schmidts einzuordnen. Mittels dieser Komposita ist es Schmidt möglich, umfangreichere syntaktische Gruppen auf ein Wort zu komprimieren, ohne die vielfältigen semantischen Bezüge, die sich daran knüpfen, aufzugeben, (siehe auch: B. Malchow 1980, S.142 ff.) Diese im 'sprachlichen Feinbau' sich zeigende Tendenz zur Kürze und Präzisierung kann als Pendant der von Arno Schmidt geforderten 'dehydrierten Prosa' angesehen werden. Die geistige Aktivität des Lesers wird durch beide Variationen desselben grundlegenden Prinzips herausgefordert, so daß in der günstigsten Wirkung eine 'Optimierung 36
'Tu-Wörter' lernte man hierfür früher; aber eben dieses 'Tun' ist in der Prosa Schmidts nur sekundär.
Selbst-Zitate"
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der Lese-Sinnes-Lust' durch 'Minimierung der Form' erzielt wird. 5.2
Anmerkungen zu 'Selbst-Zitaten'
Beim Lesen der in dieser Arbeit untersuchten Erzählungen, die Arno Schmidt zum Zwecke des 'Broterwerbs' in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte, und bei gleichzeitiger Kenntnis der zeitlich früher entstandenen Werke vom „Leviathan" bis zum Roman „Das Steinerne Herz", fallen eine Vielzahl 'bekannter' Textpassagen auf. Arno Schmidt scheute sich offensichtlich nicht, die von ihm gering geachteten 'Brotarbeiten' (siehe z.B. die Briefwechsel mit Andersch und Michels; Kapitel 2) in möglichst effektiver Weise zu schreiben, was bedeutet, daß gewisse Ideen, Bilder und Formulierungen von früheren Werken übernommen und in den 'alten-neuen' Kontext einmontiert wurden. Arno Schmidts Arbeitsweise per Zettelkästen wird hier sehr deutlich vorgeführt in dem Sinne, daß ein einmal 'benutzter Zettel' immer noch gut für eine Wiederholung in „schnödesten Brotarbeiten" (Briefe: AS AA, 25.10.54) ist. 2 6 Einige der mir aufgefallenen 'Dubletten' (es sind mit Sicherheit nicht alle, die sich finden ließen 27 ) werden im folgenden nebeneinandergestellt. Blaßgrünes Gesicht, mit schwarzer Mundschleife locker zugebunden (NTS, 5 1 / 7 ) „Morgen!": Ihr neugieriges Gesicht mit roter Mundschleife locker zugebunden (StH, 30) als z . B . 1831 die große Choleraepidemie - der nebenbei Männer wie Hegel oder Gneisenau zum Opfer fielen - von Osten nach Westen über Europa wanderte, da machte die Seuche mangels Verbreitungsmöglichkeit an der Ostgrenze der Heide halt. (ScHa, 2 3 / 4 0 ) 1831 die Choleraepidemie: „ . . . z u m Glück setzte die weglose Haide dem weiteren Vordringen der Seuche ein E n d e . [ . . . ] " (StH, 52)
26
D i e s sagt etwas über die Arbeitsweise und Selbsteinschätzung des Au-
27
W i e bereits an anderer Stelle vermerkt, ist das ASDS für derartiges
tors aus, aber wenig über die literarische Qualität dieser Erzählungen. zuständig.
Entwicklung
122
So verwirrend einförmig, ohne alle Landmarken, - die Aufforstungen sind j a erst viel später erfolgt - sah es zur Franzosenzeit, um 1810, da aus, daß der Gouverneur, der berühmte Marschall Davout, endlose Stangenreihen einschlagen ließ, um den Nachschubtransporten den rechten Weg anzuweisen. (ScHa, 24/9) Marschall Davoust ließ 1811 Stangen als Wegemarken in der Lüneburger Haide einschlagen . . . ne Geschichte draus machen!
(StH, 31f.) Noch einmal schwebte der Ebenholzdiskus des Pfiffes heran, bald Kante, bald Scheibe (NTS, 51/37) Ein Schallring [ . . . ] schwebte vorbei, wandte seinen Diskus bald Kante bald Fläche (StH, 20) „Es gibt Leute, bei denen das Herz rechts sitzt: tatsächlich!". [ . . . ] „Diese Mutter nämlich hatte, wie ich schon andeutete, das 'Herz am rechten Fleck'. [ . . . ] " (Som, 77/22) Fehlt bloß noch, daß sie s Herz rechts hätte! (StH, 62)
Klexographien der Bäume Klexographien der Bäume
(LiZ, 34/16) (Poca, 395)
wenn ich dann im Geist über den rostroten Wüstenboden von Thyle I oder II wanderte, und in flechtenüberkrustete Felslabyrinthe einbog (Wsit, 72/4) 'Ein Hügelland: Thyle I, Thyle I I ' (Poca, 424) das starke Gold und Rot der Salempackungen; erleuchtete Zugfenster perlten in die Nacht; (Vor, 73/33) das starke Rot und Gold der Salempackungen; Lichtdunst der Bahnsteige; helle Zugfenster perlten in die Nacht. - (Lev, 37) „Eltern" sagte er denkend zu mir. Und wir nickten beide: ist allerdings ein Thema! (Fern, 110/4) Ach meine Eltern - Eltern überhaupt, das ist auch so ein Kapitel ! (Gadir, 64) immer vorsichtig sein! „Man muß immer vorsichtig sein"
(Vor, 75/14) (Alex, 81)
Selbst-Zitate"
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(17, 18, 19: das sind die Jahre!). [•••]: 17 müßte man nochmal sein! (Fern,107/13 & 30) Nochm&l 17, 18 müßte man sein (BH, 177) :kein flacher Kopf das kein flacher Kopf, das!
(Fern, 109/39) (BH, 195)
Klütenp edder Klütenpedder
(Neb, 135/32) (BH, 163)
das ist ja immer das Schönste, dieses „ni Dieu, ni maitre". (Zäh, 103/8) (BH, 189) ni Dieu, ni maitre ni Dieu, ni Maitresse (BH, 198) Auch Peter Ahrend belegt in seinem Aufsatz „Vom Nutzen der Zettelkästen. Selbstzitate bei Arno Schmidt." (Bargfelder Bote, Lfg. 67-68/März 83, S.26-30) derartige 'Montagetechniken', wobei er weitgehende Parallelstellen zwischen den 'Brotarbeiten' „Schulausflug." und „Die Vorsichtigen." mit der Erzählung „Aus dem Leben eines Fauns" zitiert. Weiterhin gibt Ahrend übereinstimmende Passagen zwischen „Rollende Nacht." und „Die Umsiedler" an. Zu diesem letzten Beispiel existiert noch eine dritte Variante mit dem Titel „Transport im Spätherbst", die nicht in die „StürenburgGeschichten" oder die Erzählungen „Aus der Inselstraße" eingereiht wurde,aber in dem Band 1/4.1 „Kleinere Erzählungen. Gedichte" der Bargfelder Ausgabe zu finden ist. Einige Passagen aus dieser Erzählung lassen die 'Herkunft' aus „Die Umsiedler" und „Rollende Nacht" sofort erkennen: Jede Station henkerte uns mit Bogenlampen, hackte Hände ab, sargte die gestreiften Rümpfe hastig in zu kurze Lichtbretter, so also sah Katrin ohne Kopf aus. [ . . . ] Das Licht hieb mit geschliffenen Äxten durchs Abteil; zackige Schwerterbündel rannten an uns hoch; noch floß jedem die Messingsäge durchs Gesicht. [ . . . ] Gegen Morgen wurde unsere Fahrt reißender. Kiefernkrüppel tauchten aus weißen Mooren; Pfützen rannten auf Schlangenwegen vorbei; am Kreuzweg hielt ein Fremder mit beiden Handschuhen sein starres Rad; reifige Plankenzäune galoppierten noch einmal ein Stück mit; dann riefen die Wälder wieder
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Entwicklung Amok über uns. (Transport im Spätherbst; BA 1/4.1, S.37f.) (siehe: Die Umsiedler, Kapitel VI-VIII, BA 1/1.2, S.270-274)
Die Erzählung „Transport im Spätherbst." gehört zu einer Reihe weiterer Erzählungen (insgesamt dreizehn), die zusammen mit den „Stürenburg"- und „Inselstraßen"-Geschichten in den Band „Kleine Erzählungen" der Bargfelder Ausgabe mitaufgenommen wurden (siehe: Anhang A). Sieben dieser Erzählungen sind Montageprodukte aus früheren Werken. Die 'Abschriften' dieser sieben Erzählungen erfolgten in den beiden Tagen des 15. und 16.9.55. Im einzelnen sind dies: 2 8 - „Transport im Spätherbst." [ „Die Umsiedler"] - „Die Ichthyophagen." [„Alexander oder was ist Wahrheit"] - „Reise zum Mittelpunkt der Erde." [„Kosmas"] - „Gespräch mit einer Sirene." [„Kosmas"] - „Gehen in kalter Landschaft." [„Die Umsiedler"] - „ Abschied im Regen." [„Seelandschaft mit Pocahontas"] - „Paddeln vorm Gewitter." [„Seelandschaft mit Pocahontas"] Aus Anhang D geht hervor, daß diese 'Montage-Arbeiten' in sehr unterschiedlicher Komplexität, gemessen an der Zahl verwendeter zusammenhängender Textpartikeln, durchgeführt wurden. So liegt den Erzählungen „Reise zum Mittelpunkt der Erde." und „Gespräch mit einer Sirene." je ein zusammenhängender Textabschnitt zugrunde, 'Kopie' und 'Original' entsprechen sich hierbei linear, d.h. 'benachbarte' Sätze im 'Original' bleiben solche in der Abschrift. (Vorbehaltlich der Tatsache, daß (selten) einzelne Sätze des 'Originals' ausgelassen werden.) Ebenfalls in dieser Linearität entsprechen sich „Abschied im Regen." und Kapitel XVII aus „Seelandschaft mit Pocahontas", allerdings mit einer erhöhten Rate an Auslassungen. Besteht 3,
E i n e genaue Gegenüberstellung von sechs dieser sieben Erzählungen mit den ihnen zugrundeliegenden 'Originalen' bildet den Anhang D.
Selbst-Zitate"
125
die Erzählung „Die Ichthyophagen." im wesentlichen noch aus drei zusammenhängenden Textpartien aus „Alexander oder was ist Wahrheit", so gilt dies nicht mehr für die übrigen drei Erzählungen: „Transport im Spätherbst.", „Gehen in kalter Landschaft." und „Paddeln vorm Gewitter.". Diese weisen über ihre Vorlage hinaus, indem hier eine Vielzahl von Kleinbauteilen (eventuell Zettel) puzzleartig benutzt wird, so daß aus einer komplexen Umstrukturierung von Vorhandenem neuer, kunstfertiger Ausdruck entsteht. 2 9 Für die Erzählung „Gehen in kalter Landschaft." soll dies im weiteren belegt werden.
5.2.1 „Gehen in kalter Landschaft." „His soul swooned slowly as he heard the snow falling faintly through the universe and faintly falling, like the descent of their last end, upon all the living and the dead." James Joyce, The Dead
Zunächst folgt eine Auflistung der 'Zettelfolge' in der Notation von Anhang D: 30
29
Aus diesem Grund bezeichne ich die sieben genannten Erzählungen im folgenden als 'Zettel-Erzählungen'. 30 Die Absätze 7 und 8 sind in der Bargfelder Ausgabe fälschlicherweise als 8 und 9 bezeichnet.
126
Entwicklung „Gehen in kalter Landschaft."
„Die Umsiedler"
Absatz 1) & 2) Absatz 3)
Widmungsgedicht, Str. 1-3 XVI, T, 284, 33-34 XVI, T, 285, 6 XVI, T, 284, 34-35 XVI, T, 285, 10-12 XVI, F, 284, 1-12 XVI, T, 285, 20-23 Widmungsgedicht, Str.4 XVI, T, 285, 24-28 Widmungsgedicht, Str.5 Widmung, Str.6, Zeile 7-8 Widmung, Str.6, Zeile 5-6 Widmung, Str.6, Zeile 4 XVII, F, 285, 1-8 XIX, T, 290, 2-3 XIX, T, 290,, 15-16 XIX, T, 290, 9-10 II, T, 265, 2-5 XX, F, 290, 6-7 Widmung, Str.6, Zeile 1-3
Absatz 4) Absatz 5) Absatz 6)
Absatz 7)
Absatz 8)
Tabelle
10
An dieser Gegenüberstellung ist bereits auf den ersten Blick mehreres auffällig: 1.) Das Widmungsgedicht zur Erstausgabe der „Umsiedler" ist bis auf dessen letzte Strophe fast vollständig innerhalb der Erzählung wiederzufinden. 2.) Die 'Fotos' der Kapitel XVI und XVII werden ohne Satzumstellungen oder sonstige wesentliche Veränderungen im Ganzen in die Erzählung aufgenommen. 3.) Als weitere Textbausteine werden Sätze der Kapitel XVI, XIX und in geringem Maße der Kapitel II und XX verwendet. Es ließe sich also zunächst in formaler Hinsicht feststellen, daß Arno Schmidt aus der 'Zettelfolge' „Die Umsiedler" gewisse Elemente (Zettel) auswählt (sozusagen eine 'Teilfolge' aussortiert) und diese einer Permutation unterwirft, mit dem Resultat: „Gehen in kalter Landschaft".
„Selbst-Zitate"
127
Die Tatsache, daß die so gewonnene Erzählung als Einheit erscheint, denn es wird ein Spaziergang oder (gemäß der erzählten Zeit 31 ) eine Wanderung des Erzählers mit seiner Begleiterin beschrieben, beruht im wesentlichen darauf, daß allen ausgewählten Textelementen der „Umsiedler" ein Merkmal gemein ist. Dieses Merkmal ließe sich mit 'Naturbeobachtung' oder 'Naturerscheinung' charakterisieren. Die gedankliche Brücke zwischen diesem Merkmal und der erzählten Handlung in „Die Umsiedler" bildet das Widmungsgedicht zur Erstausgabe. Dem erzählten Flüchtlingsschicksal der Umsiedlung von einem Dorf in Niedersachsen (Benefeld) nach Alzey in Rheinhessen wird das Widmungsgedicht vorangestellt, so daß die Erzählung gleichsam von dieser Warte aus beleuchtet wird. Die erzählte Umsiedlung erfolgt im Monat November 32 („Die niedersächsische Sonne strahlte aus dem windigen blitzblauen Novemberhimmel;" BA 1/1.2 S.265); dieser Tatsache trägt das Widmungsgedicht Rechnung, indem es eine kalte (November-) Stimmung thematisiert: „Grauhaarige Gärten" (Str.l); „Im Garten: rannten alle Blätter wild durcheinander" (Str.3);„Hagerer Mond fror in unzureichendem Gewölk" (Str.4); „Windgelall im Wald, kalt." (Str.4). Arno Schmidt selbst umreißt sein Gedicht als „Novembernes" (Str.8). Insofern ist eine erste Parallele hergestellt; doch diese allein genügt nicht zur Motivation des Gedichtes. Entscheidend hinzu tritt die Bedeutungsschwere der erlebten Jahreszeit in Bezug auf die innere Kon31
Für die erzählte Zeit läßt sich eine untere Grenze angeben, wenn angenommen wird, daß diese kurze Erzählung im Monat November spielt. In Absatz 3.) heißt es: „Dämmerung schlich mit schweren Körben über die Felder", so daß die Uhrzeit zwischen 16 und 17 fixiert werden kann (Sonnenuntergang im November). Im letzten Absatz heißt es dann: „Licht gor um neun" .womit nur das Mondlicht gemeint sein kann. Es ergibt sich also eine Zwischenzeit von 4-5h. 33 Im November 1950 siedelte Arno Schmidt mit seiner Frau von Cordingen (Kreis Fallingbostel) nach Gaubickelheim (Rheinhessen) um; das in der Erzählung genannte Alzey ist ein Nachbarort von Gaubickelheim (Entfernung ca. 15km).
128
Entwicklung
stitution der Erzählfiguren. 33 Einige besonders offensichtliche Stellen aus „Die Umsiedler" zu dieser behaupteten Korrespondenz seien im weiteren angegeben. Das Schicksal vieler Flüchtlinge, von ihrer Bleibe im Westen umgesiedelt und so von einem Ort zum nächsten 'gestoßen' zu werden, wird gleich im ersten Kapitel aufgegriffen: Wind gab krummen Flüchtlingen Püffe in Haar und Augen, mach daß Du weiterkommst. (Kap I, S.263) Der schwarze Wind gebärdete sich wie ein Rasender, rempelte und schrie; den nächsten Zweig hieb er mir durch die Stirn, pfiff einem Kumpel und spuckte Regen: der kam johlend von hinten, trieb mir den Hut hoch und würgte am Schal. ( Kap I, S. 263)
Derartige Personifizierungen von 'Wind und Wetter' treten in „Die Umsiedler" außerordentlich gehäuft auf, so daß hierdurch eine Kommunikation offen sichtlich wird, die andernfalls nur durch die Darstellung von Gedachtem der handelnden Figuren (also durch einen auktorialen Erzähler) wiedergegeben werden könnte. Wind pfiff auf meinem Ohr und fummelte eilig am Mantel; da wußte ich schon, ich sollte noch einmal mit, auch der spitze Stern zeigte marsch in die Wälder. (Kap II, S.264)
Besonders deutlich wird eine derartige Relation in Kapitel XVIII, in dem es heißt: Landschaft: Nichts; also die Luftschaft (Oberwelt): Silberboje, schräg verankert im Wolkenstrom; Wind wollte etwas in der Ursprache berichten, zischelte aber diesmal zu hastig, und wir gingen auseinander. (Kap XVIII, S.288)
Diese Land- und 'Luft'-schaft, die in „Die Umsiedler" als atmosphärisches Double zur 'Seelenschaft' der Figuren korrespondiert, wird durch Selektion aus dem Kontext in die Erzählung „Gehen in kalter Landschaft" überführt, ohne jedoch an Bedeutungsgehalt zu verlieren. Vielmehr wird dieser Gehalt von der spezifischen Situation der Nachkriegsflüchtlinge verallgemeinert, indem eine „räumliche Verschiebung der handelnden bei festgehaltener Einheit der Zeit" (Untertitel zur 33
Eine müßige Frage wäre, ob Arno Schmidt „Die Umsiedler" auch hätte schreiben können, wenn sein persönliches Umsiedlererlebnis nicht in den November, sondern etwa in den Mai gefallen wäre.
Selbst-Zitate"
129
Erstausgabe, BAI/1.2, S.515) auf dem Grat zwischen Ober- und Unterwelt („Luftschaft" und „Hades") thematisiert wird. Etwas pathetisch ließe sich sagen, daß das Flüchtlingsschicksal der „Umsiedler" zu einem im allgemeinsten Sinne verstandenen 'Menschen-Schicksal' zugespitzt wird. Die Behauptung, daß auch in der Erzählung „Gehen in kalter Landschaft" der Erzähler und seine Begleiterin mit einer „Ursprache" konfrontiert werden, wird durch eine Textänderung Arno Schmidts erhärtet. Heißt es in „Die Umsiedler": platte Wolkenlarven trafen sich da über jenem Wiesberg (XVI, 285)
so wird hieraus platte Wolkenlarven trafen sich da hinterm Transformator (GkL, 45)
Der „Transformator" kann hier nicht nur als technisches Objekt verstanden werden, sondern vielmehr auch als allgemeinstes Medium der Umwandlung (transformare (lat.) = umgestalten, verwandeln) der Gedanken- in die Umwelt und umgekehrt, d.h. die menschliche Existenz spiegelt sich in der Wahrnehmung der Landschaft. In der Erzählung ist diese Existenz als ein Vorwärtsschreiten zur NichtExistenz, zum Tod dargestellt. In Absatz 4 kommen die beiden Protagonisten zunächst an einen „breiten Weg", der am Ende des Absatzes „sinnlos vor einem Feld plump verletzten Bodens [endet]". Im nächsten Absatz wird sodann die Nähe zur Unterwelt direkt ausgesprochen: Der Hades dampfte träge, und wir preßten die blassen Gesichter aufeinander. (GkL, 45) Wir preßten die verwilderten Gesichter aneinander. Der Hades begann träge zu dampfen. (Umsiedler, 285)
Zwei Textänderungen liegen hier gegenüber den „Umsiedlern" vor: Zum einen ist das Dampfen des Hades jetzt permanent, wohingegen dieser in „Die Umsiedler" erst „träge zu dampfen [begann]"; zum anderen werden aus den „verwilderten Gesichter[n]" die „blassen Gesichter"; der Tod ist sozusagen in zweierlei Hinsicht ein Stück nähergerückt. (Eine weitere subtile Bedeutungsverschiebung liegt in der geänderten Satzreihenfolge der beiden Aussagesätze vor, so daß eine andere (mögliche) Ursache-Wirkung-Beziehung suggeriert wird.)
130
Entwicklung
Ebenfalls eine Textänderung in dieser Tendenz findet sich im 6. Absatz, der aus Teilen des Widmungsgedichtes besteht. Heißt es in diesem: schwarze Büsche bettelten aufmerksam am Sandweg (Widmung, Str.6)
so wandelt sich das Wahrnehmungsbild zu: Schwarze Skelette bettelten am Sandweg (also 'Büsche' auf Deutsch); (Absatz 6, S.46)
Die Natur symbolisiert die (zeitliche) Bewegungsrichtung der Handelnden; in diesem Sinne folgerichtig schließt die Erzählung mit dem Erscheinungsbild des Mondes, das ebenfalls dem Widmungsgedicht entnommen wurde: ein Wolkenflamberg hatte den Mond zerspellt in zwei leichige Stücke. (Oder wäre 'spitze Leichen' präziser?). (Absatz 8, S.46)
Diese interpretatorischen Hinweise belegen exemplarisch die anfangs aufgestellte Behauptung, daß Arno Schmidt einige der 'ZettelErzählungen' trotz der Basis 'alten Materials' zu neuen Inhaltsschwerpunkten kumuliert. Dies sollte gezeigt werden. Neben diesen sieben Erzählungen, die aufgrund der Existenz eindeutiger, eigener Vorlagen Schmidts aus dem Zusammenhang der „Stürenburg"- und „Inselstraßen"-Erzählungen herausfallen, verbleiben sechs weitere, die von Arno Schmidt ebenfalls nicht in einen der Sammelbände „Trommler beim Zaren" oder „Sommermeteor" aufgenommen wurden. Jedoch wurden einige dieser Erzählungen von Arno Schmidt veröffentlicht; die Angaben in der Bibliographie H.-M. Bocks ergeben folgende Daten der Erstveröffentlichungen: - „Ich bin erst Sechzig." ; Westfälische Rundschau, 30.9.55 - „Transport im Spätherbst."; Studenten-Kurier, Nr.8, Jan/Feb 56 - „Todesstrafe bei Sonnenschein."; Neue Darmstädter Sezession, Nr.24, März 56 - „Verschobene Kontinente."; DAZ, 4.12.58
Selbst-Zitate"
131
- „Am Zaun."; Studenten-Kurier/Hamburg, Nr.7, Nov 56 Alle übrigen Erzählungen, also auch die sieben 'Zettel-Erzählungen', finden sich erstmalig in der Bargfelder Ausgabe 1/4.1. Es stellt sich nun die Frage, inwieweit diese dreizehn Erzählungen in formalsprachlicher Hinsicht mit den „Stürenburg-Geschichten" und den Erzählungen „Aus der Inselstraße" zu vergleichen sind. Hierzu sollen einige Elemente des methodischen Vorgehens des Kapitels 5.1, das sich den Stürenburg- und Inselstraßen-Erzählungen widmete, auf diese dreizehn Erzählungen angewendet werden. Der exklusive Charakter der sieben 'Zettel-Erzählungen' sollte sich auch aus diesem formalen Ansatz her als evident erweisen. (Im anderen Fall würde die Methodik in Zweifel gezogen.) Der zugrunde liegende Parameter in der Bewertung ist dabei die chronologische Folge der Erzählungen, wie sie in Anhang A wiedergegeben ist. Das folgende Kapitel wird eine derartige Bewertung erbringen.
6. Kleinere Erzählungen zwischen (?) „Stürenburg" und „Inselstraße"
Zwischen dem 10.5.55 und dem 8.9.59 verfaßte Arno Schmidt 38 kleinere Erzählungen, die in einer chronologischen Folge (gemäß den Daten der Typoskripte) in den Band 1/4.1. der Bargfelder Ausgabe: „Kleinere Erzählungen - Gedichte" aufgenommen wurden. Neun dieser Erzählungen bilden die Reihe der „Stürenburg-Geschichten", sechzehn die Reihe „Aus der Inselstraße". Verbleiben dreizehn weitere, deren sprachliche Gestalt in diesem Kapitel betrachtet werden soll. Zwölf dieser Erzählungen liegen als Typoskripte vor, sowie eine weitere in handschriftlicher Version. 1 Die angegebenen Daten auf den zwölf Typoskripten ergeben den Zeitraum vom 25.6.55 bis zum 19.7.56. Die letzte, als Manuskript vorliegende Erzählung „N.", trägt das Datum 16.8.58. Gemäß diesen Zeitangaben handelt es sich also um Erzählungen, die zwischen den „Stürenburg"- und „Inselstraßen"-Erzählungen verfaßt wurden. (Siehe Anhang A.) Insgesamt sieben von ihnen tragen das Datum 15. bzw. 16.8.55: es handelt sich dabei um die bereits in Kapitel 5.2 genannten 'Zettel-Erzählungen', zu denen 'Urbilder' in früher verfaßten Stücken Schmidts vorliegen, so daß hier also apriori eine Diskrepanz zwischen dem Entstehungsdatum und dem Datum der Abschrift vorliegt. (Wie sich durch einen direkten Lesevergleich ergibt, weichen 'Bild' und 'Urbild' dieser sieben Erzählungen auf formaler, sprachlicher Ebene nur in Details voneinander ab, so daß eine auf rein sprachliche Elemente zielende Untersuchung von einer 'Abschrift' sprechen darf, die der eigentlichen 'Entstehung' gegenüber steht.) 'Diese trägt zusätzlich den handschriftlichen Vermerk:„Wohl unbrauchbar! ablegen Sch. 6.XI.60"
Einordnung: Interpunktion
133
Das Ziel dieses Kapitels ist es, die sprachliche Gestalt dieser Erzählungen mit derjenigen der „Stürenburg"- und „Inselstraßen"Erzählungen zu vergleichen; hierbei soll es nicht primär darum gehen, Entwicklungen innerhalb dieser Gruppe zu verfolgen (dies wäre auch nur bedingt möglich, da nurmehr sechs Erzählungen verbleiben, die in eine chronologische Entwicklungslinie einzuordnen wären), sondern vielmehr soll versucht werden, diese in Relation zu den 'Nachbarn' „Stürenburg" und „Inselstraße" zu setzen. Den grundlegenden Parameter dieser Relationen bildet die chronologische Folge der Niederschriften. Trivialerweise läßt sich also bereits jetzt die Vermutung äußern, daß die sieben 'Zettel-Erzählungen' sich nicht in den Entwicklungsverlauf einordnen lassen werden, der sich in Kapitel 5 für die Reihen „Stürenburg" und „Inselstraße" ergab. Insofern stellen diese sieben Erzählungen einen Test für die methodischen Ansatzpunkte des Kapitels 5 dar. Denn sollte das formal-sprachliche, methodische Vorgehen diese Erzählungen nicht als quasi 'singulär' aus der sie umgebenden 'sprachlichen Landschaft' klassifizieren, so wären die Ergebnisse des Kapitels 5 rückwirkend in Frage zu stellen. Ohne weiteres Vorwissen dagegen bleibt die Einordnung der übrigen sechs Erzählungen offen. Hierfür soll im weiteren die Methodik Fakten an die Hand geben, um Bewertungen möglich zu machen.
6.1
Einzelne, methodische Einordnungsversuche
6.1.1
Interpunktion
Wie in Kapitel 5 steht auch hier die Untersuchung der Interpunktion am Anfang, da sich unter diesem methodischen Gesichtspunkt quantitative und qualitative Aspekte in direkter Weise zu einer Bewertung verdichten lassen. Da die Fragestellung an die dreizehn Erzählungen darauf abzielt, diese in Relation zu ihrer zeitlichen Entstehung (bzw. Abschrift) zu setzen, d.h. Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zu den ihnen zeitlich nahestehenden „Stürenburg"- und „Inselstraßen"Erzählungen aufzuzeigen, werden im folgenden solche Teilaspekte der Interpunktion herausgegriffen, die sich im Rahmen der Entwicklung
Erzählungen dazwischen
134
von der ersten „Stürenburg-Geschichte" zur letzten „Inselstraßen"Erzählung als signifikant erwiesen. Unter diesem Blickwinkel sind drei Kategorien zu nennen: Erstens soll die statistische Verteilung einzelner Interpunktionszeichen ermittelt werden, da sich diese quantitative Analyse trotz oder wegen ihres Feinheiten nivellierenden Charakters als sehr effizient erwiesen hat. Zweitens soll der semantische Substitutionscharakter der Klammer (siehe 5.1.1.3) betrachtet werden, der in enger Beziehung zum parenthetischen Sprachstil Schmidts steht. Und schließlich ist drittens die von Arno Schmidt den Satzzeichen beigegebene Option zur Mimetik zu untersuchen, die den Gebrauch von Satzzeichen jenseits von Grammatik und Rhetorik definiert. Eine Auszählung der Häufigkeit aller Satzzeichen in den dreizehn Erzählungen ergab das folgende Resultat (wie in Kapitel 5.1.1.1 beziehen sich die Zahlenangaben auf die 'Einheit': 'Eine Seite (entsprechend 40 Zeilen) in der Bargfelder Ausgabe'):
S.
}
d.R.
?
2.2 26.5 18.9 11.9
0.5
4.3 1.1
-
)
60
1.9
1.1
Trans Ichth Reise Sir GkL Abs Päd
1.3 1.4 1.5 1.3 1.4 1.3 1.3
0.8 0.8 20.8 19.2 0 0.7 32.9 15.7 0 3.9 17.7 40.7 0 10.4 27.4 31.1 0 0 21.8 24.7 0 3.9 25.1 21.2 0 3.8 27.2 18.1
ToSo Kon Zaun GeMa N.
2.2 2.0 2.6 2.1 4.5
1.8 1.0 0.8 0 0.2
2.3 2.0 2.3 1.5 3.6
28.5 26.5 26.4 35.1 23.9
16.2 11.4 15.7 8.1 18.2 17.3 7.5
9.2 9.2 11.5 11.0 16.7 12.8 15.1 8.8 15.2 16.8
1 (...) 4.3
5.4
/ 0
0.8 6.9 0.8 2.3 2.3 (3.8) 0 8.6 0 1.4 2.1 0 0 3.3 5.9 0.7 0 7.9 0.7 2.2 14.8 5.2 11.1 11.1 0 5.8 0.7 1.5 6.5 0 4.7 7.8 2.4 3.1 3.1 0 5.3 9.8 2.3 12.1 3.8 0 1.4 4.6 1.8 1.5 7.0 1.5 1.2 10.1 5.4 1.0 1.5 0.5 3.1 7.2 5.1
5.1 3.5 7.4 4.4 7.2
1.8 3.0 5.4 1.5 7.4
0 0 3.9 0 3.8
Tabelle
11
Um die Aussagen dieses Datenkonglomerates zu extrahieren, be-
135
Einordnung: Interpunktion
schränke ich mich wie in 5.1.1.1 auf fünf dieser Satzzeichen (Argumentation: a.a.O.) und fasse an einigen Stellen die Erzählungen zu Kleinstgruppen zusammen. Zunächst seien die sieben 'ZettelErzählungen' herausgegriffen, die aus Textteilen aus „Die Umsiedler", „Alexander", „Pocahontas" und „Kosmas" bestehen. Drei 'Kleinstgruppen' bieten sich der Betrachtung an: In jeder Gruppe werden die Erzählungen zusammengefaßt, die auf einer Textvorlage basieren. Da weiterhin aus „Alexander oder was ist Wahrheit" nur die „Ichthyophagen" entstammt, wird diese Erzählung unter die ihr zeitlich am nächsten liegende Gruppe der „Umsiedler"-Erzählungen subsumiert. („Alexander" entstand Februar 1949; „Die Umsiedler" im Mai 1952.) 2
! (Alexander/U msiedler) (Pocahontas) (Kosmas)
3.4 7.8 7.3
-
2.5 3.7 4.0
4.3 9.2 9.2
?
(...)
1.8 2.7 3.9
0.6 3.9 5.7
Tabelle 12 Die Häufigkeitswerte der drei Gruppen lassen es zu, von einer unterschiedlichen Struktur der ersten Gruppe relativ zu den beiden anderen zu sprechen, denn die Häufigkeit der Verwendung des Ausrufeund Fragezeichens steigt um einen Faktor 4 an, die des Gedankenstrichs um einen (mittleren) Faktor 10; die Zunahme bezüglich des Doppelpunktes und der Klammer scheint nicht signifikant zu sein. Eine Bewertung dieses Ergebnisses ergibt sich durch Vergleich mit den entsprechenden Untersuchungen zu den „Stürenburg"- und „Inselstraßen"-Erzählungen. (Kap. 5.1.1.1) Zur besseren Ubersicht sei die kleine Tabelle von dort hier nocheinmal angegeben: 3
Bei allen folgenden Daten ist zu beachten, daß der 'Stichprobenraum' äußerst klein ist, und daher alle resultierenden Aussagen in einer gewissen Vagheit formuliert werden müssen.
136
Erzählungen dazwischen
! (I) (II) (III) (IV)
3.4 7.8 7.3 5.9
-
2.5 3.7 4.0 4.7
4.3 9.2 9.2 8.0
?
(...)
1.8 2.7 3.9 3.5
0.6 3.9 5.7 5.5
Tabelle
13
Auch bei diesen Erzählungen war eine grobe Zweiteilung festzustellen, die die Gruppe I von den Gruppen II, III und IV trennt: insofern liegt eine gewisse Entsprechung vor, die jedoch bei genauerer Betrachtung abgeschwächt werden muß. Die Gruppe der „Alexander"- und „Umsiedler"-Erzählungen könnte gemäß den Daten von Fragezeichen, Ausrufezeichen und Gedankenstrich als zeitlich vor Gruppe I eingestuft werden, da kleinere Häufigkeiten vorliegen. Die Häufigkeiten des Doppelpunktes und der Klammer weisen jedoch über die Gruppe I hinaus und ließen eine l Verwandschaftsbeziehung' zu Gruppe II erkennen. Eine eindeutige Zuordnung ist demgemäß nicht möglich. Die Gruppen der „Pocahontas"- und „Kosmas"-Erzählungen hingegen weisen eine Ähnlichkeit in der Häufigkeitsverteilung der Satzzeichen zu den Gruppen II, III und IV (also im wesentlichen zu den „Inselstraßen-Erzählungen) auf. Summarisch bleibt zunächst festzuhalten, daß alle sieben Erzählungen, deren Typoskripte das Datum des 15. bzw. 16.8.55 tragen, also gemäß dieser Angabe unter Gruppe I zu subsumieren wären (Gruppe II beginnt mit NTS: 26.1.56), sich einer Zuordnung zu dieser Gruppe wiedersetzen. Weiterhin legt die festgestellte Inhomogenität innerhalb dieser sieben Texte die 'Vermutung' nahe, daß eine beträchtliche Zeitdifferenz in den Entstehungsdaten besteht 3 : „Alexander": 02.49; „Umsiedler": 05.52; „Pocahontas": 10.53; „Kosmas": 01.54. D.h., daß der Interpunktionsstil Arno Schmidts sich etwa zwischen „Die Umsiedler" und „Kosmas" stark gewandelt hat. Das triviale Vorgehen einer Auszählung der Satzzeichen erweist 3
Diese Aussage wird an dieser Stelle deswegen betont, da sie die Daten der Typoskripte als irrelevant klassifiziert.
Einordnung: Interpunktion
137
sich also als hinreichend, um die Sonderstellung der sieben Erzählungen im Rahmen der Chronologie der Typoskripte festzustellen. Die gemäß den Interpunktionshäufigkeiten erkennbare Korrelation zwischen den „Pocahontas"- und „Kosmas"- Erzählungen zur „Inselstraße", die durch einen Zeitraum von ungefähr drei Jahren getrennt sind, wirft zudem noch ein Licht auf die Erzählungen der „Inselstraße" insgesamt: Nimmt man eine annähernd gleichmäßige Entwicklung Arno Schmidts auf dem Gebiet der Interpunktion hin zu größeren Häufigkeiten a n 4 , so bedeuten die als Brotarbeiten für Feuilletons konzipierten „Inselstraßen-Erzäli'ungen" eine Regression bei der Verwendung von Satzzeichen. Da jedoch auch innerhalb der „Inselstraße" Entwicklungslinien auf diesem Gebiet festgestellt werden konnten, spiegeln diese in zeitlicher Versetzung Stadien früherer Interpunktionshandhabung Schmidts. Eine nur der Orientierung dienende Skizze soll diese Vermutung verdeutlichen:
1952
4
1953
1954
1955
1956
1957
1958
1959
1960
Diese Annahme läßt sich durch weitere Teilaspekte belegen: So bewirkt etwa die mimetische Funktion der Satzzeichen und der verstärkte parenthetische Stil fast zwangsläufig ein Anwachsen der Gebrauchshäufigkeiten.
138
Erzählungen dazwischen
Damit verbleiben sechs weitere Erzählungen, die ebenfalls mit ihrem 'Umfeld' zu vergleichen sind. Die Erzählung „Ich bin erst 60." wurde von Arno Schmidt am 26.5.55 niedergeschrieben, so daß sie zeitlich mit den frühen „Stürenburg-Geschichten" der Gruppe I zu vergleichen ist. Eine Gegenüberstellung der Daten zeigt,
; (60) (I)
4.3 3.4
-
2.2 2.5
4.3 4.3
?
(...)
1.1 1.8
5.4 0.6
Tabelle 14 daß bis auf die Häufigkeit der Klammer eine klare Entsprechung vorliegt. (Der Wert 5.4 für die Häufigkeit der Klammer ist zwar neunmal so groß wie der Mittelwert der Gruppe I (0.6), aber nur zweimal so groß wie der größte in dieser Gruppe anzutreffende Wert: Liv: 2.7; siehe Kap. 5.1.1.1, Tabelle 1.) Die Typoskripte der Erzählungen „Todesstrafe bei Sonnenschein." und „Verschobene Kontinente." tragen die Daten 7.2.56 und 27.2.56 und sind dementsprechend mit den Resultaten der Gruppe II zu vergleichen: !
(ToSo/Kon)
4.3 7.8
-
2.2 3.7
5.7 9.2
?
(...)
1.7 2.7
2.4 3.9
Tabelle 15 Die Interpunktionshäufigkeiten der beiden Erzählungen sind durchweg ein wenig geringer als die Durchschnittswerte der Gruppe II, liegen jedoch im Rahmen der in Gruppe II vorkommenden Streuung. (Siehe etwa die Einzelergebnisse für „Geschichte auf dem Rücken erzählt.", Tabelle 1, Kap. 5.1.1.1.) Eine Zuordnung der Erzählungen zu Gruppe II ist also ohne zwingenden Widerspruch möglich. Ande-
139
Einordnung: Interpunktion
rerseits erbrächte auch eine Zuordnung zu Gruppe I (der „StürenburgGeschichten" ) keinen Widerspruch. 5 Die nächsten beiden Erzählungen „Am Zaun." (3.6.56) und „Geschichte eines dicken Mannes" (19.7.56) fallen zeitlich in Gruppe III. Da die aus ihnen ermittelten Häufigkeitswerte stark differieren, werden sie einzeln mit den Resultaten bezüglich III verglichen. !
(GeMa) (III) (Zaun)
4.4 7.3 7.4
-
1.5 4.0 2.3
:
?
(...)
1.5 9.2 10.1
0.5 3.9 5.4
1.5 5.7 5.4
Tabelle 16 Die Erzählung „Am Zaun." paßt gemäß diesen Daten homogen in die Gruppe III; das Gegenteil gilt für die „Geschichte eines dicken Mannes". Sämtliche Häufigkeitswerte liegen deutlich unter den Mittelwerten der Gruppe III; auch wenn die in Gruppe III vorkommenden Minimalwerte zum Vergleich herangezogen werden (siehe Tabelle 1, Kap. 5.1.1.1) ergibt sich, daß die Häufigkeiten von Fragezeichen, Ausrufezeichen, Doppelpunkt und Klammer noch um Faktoren der Größenordnung zwei unter diesen Minimalwerten liegen; der Häufigkeitswert des Gedankenstrichs (1.5) erweist sich dabei als vergleichbar mit dem minimalen Wert der Gruppe III (vgl.: Zäh: 1.1). Dieses Resultat läßt die Vermutung zu, daß das D a t u m des Typoskriptes in diesem Fall nicht mit dem Entstehungsdatum übereinstimmt, sondern daß diese Erzählung wesentlich früher verfaßt wurde. Da die Zahlen in etwa mit denen der frühen „Stürenburg-Geschichten" harmonieren, könnte eine Zeitdifferenz von etwa einem Jahr vermutet werden, so daß die Entstehung der Erzählung in das Jahr 1955 fällt. Angesichts der Relationen zwischen den sieben 'Zettel-Erzählungen' und der „Inselstraße" (siehe die diesbezügliche Skizze in diesem Paragraphen), könnte die Erzählung jedoch auch wesentlich früher von Arno Schmidt geschrieben worden sein. Die weiteren Einzelergebnisse dieses Kapitels werden hierzu weiteres beitragen. 'Weiter unten wird sich diese letztgenannte Zuordnung als die sinnvollere erweisen.
140
Erzählungen dazwischen
Verbleibt schließlich die nur handschriftlich vorliegende Erzählung „N." mit dem (aus diesem Grund kaum anzweifelbaren) D a t u m 16.8.58, die somit zeitlich in Gruppe I V gehört. Auch hier folgt die direkte Gegenüberstellung der Zahlenwerte:
!
(N) (IV)
7.2 5.9
-
3.6 4.7
7.2 8.0
?
(...)
5.1 3.5
7.4 5.5
Tabelle
17
Die Abweichungen der Häufigkeiten sind relativ gering, so daß die Interpunktionsgestidt der Erzählung „N." sich in Ubereinstimmung mit derjenigen der späten „Inselstraße" befindet. Die statistische Auswertung der Häufigkeiten im Gebrauch gewisser Satzzeichen bestätigte die anfangs ausgesprochene Vermutung, daß die sieben 'Zettel-Erzählungen' sich nicht in den zeitlichen Entwicklungsverlauf von der „Stürenburg" zur „Inselstraße" einordnen lassen sollten sofern die Daten der Typoskripte als Bemessungsgrundlage herangezogen werden. Weiterhin ergab sich neben der konsistenten Eingliederung von fünf Erzählungen eine Diskrepanz bei der „Geschichte eines dicken Mannes". Diese ersten Ergebnisse werden in diesem und in den folgenden Paragraphen durch andere methodische Gesichtspunkte erhärtet. Als zweiter Gesichtspunkt im Rahmen der Interpunktion wird j e t z t die Funktionalität der von Arno Schmidt verwendeten Klammerstrukturen betrachtet. Bezüglich der „Stürenburg"- und „Inselstraßen"- Erzählungen ergab sich hier eine große Anwendungsbreite, eine Art Multifunktionalität; als geklammerte Strukturen konnten sowohl kurze Hinweise, Erklärungen, Attribuierungen nachgewiesen werden, was in etwa den konventionellen Gebrauch der Klammer als Satzzeichen bezeichnet, als auch der Einschub kleinerer Parallelhandlungen oder -Wahrnehmungen, bis hin zu den von mir in Analogie sogenannten 'Kürzeren Gedankenspielen' ( K G ) ; weiterhin verwendet Arno Schmidt eine Klammer zuweilen, um bspw. kausale Beziehungen anzudeuten, die ansonsten, sofern sie genannt würden, in einer hypotaktischen
141
Einordnung: Interpunktion
Konstruktion realisiert werden könnten; und schließlich dient Arno Schmidt die Klammer zur Aufnahme einer großen Bandbreite von Kommentaren, die sich auch auf die äußere, sprachliche Gestalt der Erzählung beziehen können und so den Autor hinter dem Erzähler sichtbar werden lassen. (Siehe Kap. 5.1.1.3) Innerhalb der Sprachentwicklung der Erzählungen Arno Schmidts konnte dabei eine Tendenz zu erhöhter Multifunktionalität nachgewiesen werden. (Vgl. die Vielzahl von Beispielen in 5.1.1.3, die der späten „Inselstraße" entstammen.) Dieser Maßstab soll nun an einige der dreizehn vorliegenden Erzählungen angelegt werden. In der Erzählung „Ich bin erst 60." ist festzustellen, daß nicht nur die reine Zahl geklammerter Ausdrücke (insgesamt neun) relativ hoch ist (verglichen mit den zeitlich nahestehenden „StürenburgGeschichten"), sondern daß dies auch mit einer großen Vielfalt von Anwendungsarten korreliert. So nimmt die Klammer eine Weiterführung der Handlung auf, ich konnte ohne Leiter schamlos bis in die obersten Reihen langen. (Und tat es, ihn zu demütigen, mit bordellenen Griffen.) (31/9-11)
führt die Satzkonstruktion fort, und wir verglichen laut, unbekümmert, herausfordernd (nachdem ich sie durch ein paar Silben auf den Greis zur Rechten aufmerksam gemacht hatte). (31/13-16)
oder fügt eine Attribuierung ein: irgendein (heute absurdes) Problem
(30/24)
Aber auch kausale Erklärungen, oder Hinweise, die als Kausalbeziehung interpretierbar sind, werden an zwei Stellen in eine Klammer gesetzt: Niedersachsen war stets meine große Liebe gewesen (ich bin Hamburger) (31/5-6) und bat (schlechte Nerven) schon jetzt um Pardon (31/19-20)
Und schließlich ist auch eine als 'Kürzeres Gedankenspiel' zu bezeichnende Abschweifung von der obersten Handlungsebene zu finden: Was hatten die alten Männer gearbeitet! (Bald würde ich auch einer sein; triefherzig, mit zähem Ideengewackel, fingerschläuchig, ein weifler Greis, gack, gack)! (30/27-29)
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Erzählungen dazwischen
Die Klammerfunktionen erweisen sich also als derart mannigfaltig (und das auf kleinstem 'Raum'), daß die Erzählung in diesem speziellen Punkt nicht mit der Gruppe der frühen „Stürenburg-Geschichten" vergleichbar ist; die Einordnungsschwierigkeit, die sich schon bei der statistischen Betrachtung in diesem speziellen Punkt zeigte, wird in diesem Sinne erhärtet. Bestätigt wird die obige Bewertung der „Geschichte eines dicken Mannes" durch die Tatsache, daß die wenigen Klammern in dieser Erzählung zudem noch in konventioneller Weise verwendet werden, indem sie einen kurzen, konzessiven Einwurf, eine nachgeordnete, indirekte Frage und eine erklärende, begründende Bemerkung aufnehmen: und der wußte meine Ambitionen so in Tätigkeit zu setzen, daß ich richtig mitging (noch den Abend vorher hatte ich geschworen, es nicht zu tun!). (92/24-26) (93/16) dazu heulte der Wind (oder was es sonst war) Ich war natürlich in schwerem Schweiß (ich sagte wohl schon, daß ich von jung auf unbeholfen bin); (94/5-6)
In den zu dieser Erzählung zeitlich benachbarten „Am Zaun." und „N." hingegen, findet sich fast die gesamte Bandbreite möglicher Klammerfunktionen, so daß die „Geschichte eines dicken Mannes" besonders vereinzelt erscheint. Drei Beispiele aus „Am Zaun." seien hier stellvertretend genannt. Zunächst besteht fast der gesamte erste Absatz der Erzählung aus einem in Klammern gesetzten Gedankenspiel: (dazu all die Rudel von Gedanken: [ . . . ] / Achundsoweiter.) (88/12-24)
Als zweites bezeichnet nachstehende Klammerstruktur einen Paralleleindruck, der zudem Anlaß zu einem Kommentar gibt: Im Hotel (neben der Kloschale das eingekachelte Bücherschränkchen, Magazine und ähnliches Geschwänztes: das nenne ich Aufmerksamkeit!).- In meinem Zimmer setzte ich mich aufs Bett und las: (89/28-31)
Eine derartige Verwendung der Klammer fügt sich nahtlos in die in den „Berechnungen" angedeutete Sprach- und Wahrnehmungstheorie Arno Schmidts, die die Isolierung des Einzelausdrucks bzw. der Einzelwahrnehmung betont und so zu der Charakterisierung eines 'Diskontinuums' führt.
Einordnung: Interpunktion
143
Als drittes Beispiel schließlich möchte ich einen geklammerten Kommentareinschub nennen, der sich auf die sprachliche Ausdrucksweise der Erzählung bezieht und so den fiktiven Horizont der Handlung durchbricht: Ich repetierte mir unsere fünf herrlichen Inseln: Tristan, Inaccessible, Nightingale; Middle and Stoltenkoff ('and' nicht 'und'!). Wenn ich auch früher Deutscher gewesen war, das war längst überwunden; (90/33-36)
Zu der Klammersetzung innerhalb der Erzählung „N." ist zu bemerken, daß hier wie in den späten „Inselstraße" (besonders „Nebenmond und rosa Augen.") tief- und nebengeschachtelte Klammerstrukturen von Arno Schmidt verwendet werden; die vorliegenden Typen sind: 6 (...). (...). (...) (...(...)...) ( . . . ) [Absatz] ( . . . )
(Absatz 2/ S.124) (Absatz 10/ S.128) (Absatz 5/ S.126)
Es ergibt sich damit, daß diese beiden Erzählungen sowohl von der Quantität als auch in der Qualität ihrer Klammersetzung, stilistisch mit den späten „Inselstraßen"-Erzählungen übereinstimmen. Das Augenmerk fallt jetzt auf die sieben 'Zettel-Erzählungen'. Hier soll ein Vergleich zwischen der „Umsiedler"-Erzählung „Gehen in kalter Landschaft" und der „Kosmas"-Erzählung „Reise zum Mittelpunkt der Erde" erfolgen, da in beiden Erzählungen jeweils neun Klammerausdrücke zu finden sind, so daß die Möglichkeit eines scheinbaren Qualitätsunterschiedes durch verschiedene Quantitäten ausgeschaltet ist. Eine knappe Paraphrasierung der jeweiligen Klammerfunktion ergibt folgendes Bild (Die Klammern in jeder Erzählung sind als fortlaufend nummeriert gedacht): „Gehen in kalter Landschaft." 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 6
Parallel-Innenschau Parallel-Handlung Parallel-Handlung Parallel-Eindruck; Kausalbeziehung („also!") Weiterführung der Handlung Parallel-Eindruck Arno Schmidt - Kommentar
(45/8-10) (45/14-17) (45/21-22) (45/25) (45/31-34) (46/1-2) (46/4)
A m Ende des 5. Absatzes fehlt eine rechte, schließende Klammer: ( •••( •••)
Erzählungen dazwischen
144 8. Weiterführung der Handlung 9. Arno Schmidt - Kommentar
(46/12-14) (46/20-21)
„Reise zum Mittelpunkt der Erde." 1. Weiterführung der Handlung 2. Weiterführung der Handlung, AS - Kommentar 3. modale Beziehung 4. konsekutive Beziehung 5. Parallel-Eindruck 6. Parallel-Eindruck; Folgerung 7. Detail, Weiterführung der Handlung 8. Restriktion; Kausalbeziehung 9. Parallel-Eindruck
(41/12-15) (41/19-23) (41/24-25) (41/31-33) (42/12-13) (42/15-16) (42/16-19) (42/19-20) (42/24-25)
Auffallend ist, daß in beiden Erzählungen die Klammerfunktionen der Weiterführung der Handlung, des Festhaltens von Paralleleindrücken und der Schilderung paralleler Handlungsmomente dominierend sind. Das in Klämmern gesagte ist somit nicht nur eine optionale Ergänzung des 'äußeren' Handlungsablaufes, sondern trägt vielmehr einen gewichtigen Teil zum Gesamtverständnis des Erzählten bei. Innerhalb und außerhalb von Klammern Stehendes bedingt sich damit in gewissen Grenzen gegenseitig. Auch dies kann als Ausdruck eines gebrochenen Erzählflusses (der damit kein Erzähl/? uß mehr ist) verstanden werden, so daß sich dieses sprachliche Detail in das literarische Konzept Arno Schmidts zwanglos eingliedert. Als Unterschied in den Verwendungsweisen der Klammer in beiden Erzählungen ist der dreimalige Gebrauch als Substitut eines Konjunktionalsatzes in „Reise zum Mittelpunkt der Erde." zu nennen. Im ersten Fall ersetzt die Klammer ein modales Satzgefüge: 3. wenn man ganz still hielt (den Mund etwas offen, . . . ) (41/24-25)
Im zweiten Fall trägt die Klammer eine konsekutive Bedeutung: 4. Ein Fauch [ . . . ] rollte mich in Tüchern hin und her (und ich kroch entsetzt räsonierend, auf allen Vieren weiter, [ . . . ] ) (41/31-33)
Und im dritten Fall schließlich kennzeichnet die Klammer (im folgenden Zitat die zweite) eine Restriktion, an die eine Schlußfolgerung angefügt ist:
Einordnung: Interpunktion
145
8. ( [ . . . ] Er blieb mir in der Hand, und ich legte 'n in die Nephritschale.) (Aber das lauernde Licht kam schräg von oben. Also hinklettern!) (42/19-20)
Die Klammer als offensichtlichstes Merkmal eines parenthetischen Stils wird hiermit verknüpft mit einer Tendenz zur Auflösung hypotaktischer Satzfügungen; beides Merkmale, die in erhöhtem Maße auf die später entstandenen Erzählungen „Aus der Inselstraße" zutreffen. Vergleicht man dies etwa mit der zeitlich benachbarten „InselstraßenErzählung" „Nachbarin, Tod und Solidus.", in der acht Klammern verwendet werden, so ergibt sich, daß in dieser zwar auch zwei Klammern einen Konjunktionalsatz umschließen, doch ist in diesen Fällen der Konjunktionalsatz als solcher explizit ausgeführt: Leider waren dort im Osten auch einige Morgenwolken, strichdünn (obwohl mir zu undulatorisch; [ . . . ] ) (NTS, 51/26-27) bald Kante, bald Scheibe (während es unter ihm [ . . . ] ) (NTS, 51/38)
Die „Kosmas"-Erzählung „Reise zum Mittelpunkt der Erde." weicht also in diesem Punkt von ihrer 'Umgebung' ab und verweist in ihrer Klammer-Stilistik auf eine spätere sprachliche Entwicklungsstufe innerhalb aller Erzählungen, so daß die an der Statistik der Satzzeichen abzulesende Tendenz bestätigt wird. Als letzter methodischer Gesichtspunkt innerhalb der Interpunktion wird nun die Frage nach der mimetischen Eigenschaft der Satzzeichen gestellt. Die Interpunktionsstellen in den dreizehn Erzählungen, denen eine eindeutige mimetische Punktion zugeordnet werden kann, finden sich ausschließlich in den beiden „Kosmas"- Erzählungen . In „Reise zum Mittelpunkt der Erde." ist eine Interpunktionsfolge zu nennen: Wenn man ganz still hielt (den Mund etwas offen, die Brauen leicht drücken: so -) - - hörte man fern, aus Raumtiefen, das dumpfe Sausen. (41/24-25)
Der innerhalb der Klammer stehende Gedankenstrich kann durch das hinweisende „so" nur als Abbild der leicht gedrückten Augenbrauen verstanden werden. Die beiden folgenden Gedankenstriche nehmen zum einen diese gestenabbildende Funktion auf und bezeichnen zum
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Erzählungen dazwischen
anderen die Dauer des 'Stillhaltens', sozusagen die Zeit symbolisierend, die nötig ist, bis das Ohr das „ferne Sausen" vernimmt. Im „Gespräch mit einer Sirene." sind vier eindeutig mimetische Funktionen von Satzzeichen verwendet: Träge außen entlang spähen: ? - ? -: Nichts, 'türlich. (43/23-24)
Die beiden Doppelpunkte können als Symbol des „Spähens" betrachtet werden, wobei nach dem ersten Blick offensichtlich ein Gedankenprozeß einsetzt, der zu keinem eindeutigen Resultat führt. Dieser kurze Gedankengang der ein fragendes (?) und ein zögerndes (-) Moment trägt wird zweimal durchlaufen. Erst der zweite Blick (:) ergibt die Antwort: „Nichts, 'türlich." Es rüttelte von unten am Kahn, und ich erwartete, kalt, jeden Augenblick, in einen Rachen einzulaufen. - -: na? - - jetzt! - -:. Nichts. (43/32-33)
Die dreimalige Gedankenstrichfolge, unterbrochen durch ein fragendes „na?" und ein betontes „jetzt!" gibt deutlich die verstreichende Zeit des Wartens, des Erwartens an, wobei die letzte Gedankenstrichkette aus drei Zeichen besteht, was die verlängerte Pause vor dem letzten prüfenden Blick anzeigt. (Die letzte 'Chance' für das Eintreten eines erwarteten Ereignisses wird sozusagen maximiert.) Kostete aber doch vorsichtig und ekel das Meer: ? - nee! Nich zu machen! (43/36-37)
Der Versuch Salzwasser zu trinken, führt nur für eine kurze Zeit (ein Gedankenstrich) zu einer unbestimmten (?) Meinung; die Antwort ergibt sich jedoch schon sehr rasch zu „nee!". (Die Satzzeichen „:?" können einen prüfenden Gesichtsausdruck anzeigen, da diese Mimik auch die innere Konstitution spiegeln kann, ohne eines optischen Reizes von außen zu bedürfen.) ( [... ] ihr Haar wurde breit um die Kalotte; der letzte Ruck:!; und das schwere Wasser schwappte einige Dällen dort). (44/18-20)
Mit einem letzten „Ruck verschwindet der Haarschopf der Sirene unter Wasser. Das Ausrufezeichen kann dabei sowohl das plötzliche Verschwinden andeuten, als auch den Effekt abbilden, daß dieser „Ruck" quasi punktuell zu erfolgen scheint: das Haar nimmt zunächst einen
Einordnung: Syntax
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breiten Kreis auf der Wasseroberfläche ein, der stetig mit dem Absinken der Sirene kleiner wird, bis schließlich nur ein Punkt auf der Wasseroberfläche übrigbleibt. Neben diesen fünf wohl eindeutig mimetischen Satzzeichenfolgen wäre eine ebenso große Zahl von 'Zweifelsfällen' zu nennen, in denen es stark spekulativ wäre, eine Mimetik zu konstruieren. Zwei davon finden sich in eben der Erzählung „Gespräch mit einer Sirene". Ohne Interpretationsversuch seien die Stellen zumindest genannt: Erst verdreht hoch sehen? : (Sir, 43/7) Weiter träumen ! - : (Sir, 43/10) Wenn man kein Glied regte, und die Augen schloß; : war es prachtvoll! (Icth, 39/8-9) sie drehte langsam her, und heulte mienenlos stärker: : (Abs, 47/15-16) und wies auf eine bunte Rosa: !! 1 (Zaun, 89/10-11)
Fünf klare und vier spekulative mimetische Interpunktionstypen entstammen damit den 'Zettel-Erzählungen', die aufgrund ihres Ursprungs bereits den chronologischen Verlauf aller kleineren Erzählungen verlassen. Besonders die beiden „Kosmas"-Erzählungen tendieren daher in Bezug auf ihre Satzzeichen-Mimetik stark zu den späten „Inselstraßen-Erzählungen". (Vgl. Tabelle 3 in 5.1.1.4) Diese Aussage hat sich in allen drei betrachteten methodischen Gesichtspunkten in Bezug auf die Interpunktion bestätigt, so daß diese Erzählungen auch ohne das Vorwissen um ihre Exklusivität als solche in der chronologischen Abfolge erkannt worden wären. Eine Bewertung des Nicht-Auftretens mimetisch signifikanter Stellen in den übrigen Erzählungen kann nicht gegeben werden, da aus dieser Tatsache allein keine Schlußfolgerung gezogen werden kann. (Auch in den späteren „Inselstraßen"-Erzählungen „Zählergesang." und „Rollende Nacht." etwa finden sich keine mimetischen Merkmale.)
7
In der Erzählung „Am Zaun." verwendet Arno Schmidt an einer Stelle die Zeichenfolge „!?" (89/14). In dieser Reihenfolge ist mir diese Kombination an keiner anderen Stelle im Werk Arno Schmidts aufgefallen.
148
Erzählungen dazwischen
6.1.2
Syntax
Die Ergebnisse zur syntaktischen Gestalt der „Stürenburg"- und „Inselstraßen"-Erzählungen aus Kapitel 5.1.3 bilden den Leitgedanken für die folgenden Untersuchungen. Drei Aspekte werden dabei im weiteren herausgehoben: Erstens die Substitution hypotaktischer Strukturen durch syndetische oder asyndetische Reihung; zweitens der parenthetische Sprachstil in der Form isolierter, nachgetragener Syntagmen, die einem vorangehenden Satz logisch-inhaltlich zuzuordnen sind und drittens die mittleren Satzlängen der dreizehn betrachteten Erzählungen. Bereits ein erstes Lesen der vorliegenden Erzählungen läßt große stilistische und speziell syntaktische Unterschiede offenbar werden. Dies gilt es im weiteren in analytischer Weise zu belegen. Die Frage nach einer hierarchischen Satzbinnengliederung kann zunächst in drei Teilfragen zerlegt werden, die sich anhand der folgenden drei Beispielsätze aus dem Korpus exzemplifizieren lassen: Ihre Körper waren zottig, die Nägel unbeschnitten, so daß sie mit ihnen Fische fangen und spießen konnten. (Ichth, 39) Und für die fünfundvierzig Jahre, von Fünfzehn bis Sechzig, die man aufnahmefähig ist, ergibt das 3.150 Bände: die wollen sorgfältig ausgewählt sein! (60, 31) Der Weg endete sinnlos vor einem Feld plump verletzten Bodens: geschundene Erde, abgezogen die Pflanzenhaut, zerschnitten, argwöhnisch mit dornigem Draht umspannt: Ihr 'Eigen'! (GkL, 45) Für die logische Strukturierung einer Satzfolge existieren prinzipiell drei verschiedene Möglichkeiten. Entweder wird der logische Zusammenhang explizit sprachlich durch eine unterordnende Gliederung realisiert, was zu Konjunktionalsätzen führt (Beispiel 1), oder die logische Verknüpfung ist nur eine gedankliche Kategorie, d.h. sie erhält keine explizit sprachliche Manifestation in Form hypotaktischer Fügungen (Beispiel 2) oder schließlich drittens kann ein logischer Zusammenhang gänzlich fehlen oder zumindest nicht mehr eindeutig angegeben werden (Beispiel 3). In Übersetzung der Nomenklatur Noam Chomskys 8 ließen sich die Beispiele zu drei Kategorien der folgenden Art zuordnen: 8
N . Chomsky, Aspekte der Syntax-Theorie, Frankfurt a.M. 1973.
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Einordnung: Syntax
Kategorie I :
hypotaktische hypotaktische Kategorie II : parataktische hypotaktische Kategorie III : parataktische parataktische (OS = Oberflächenstruktur; TS =
OS TS OS TS OS TS Tiefenstruktur)
Diese kategorielle Gliederung ist nur im Sinne einer ersten Annäherung an das vorliegende 'Sprachmateried' zu verstehen, da eine Zuordnung zu Kategorie I zwar noch direkt möglich ist, aber die Unscharfe von Kategorie II zu Kategorie III zunimmt; denn eine Zuordnung einer parataktischen Oberflächenstruktur zu einer unter- bzw, nebenordnenden Tiefenstruktur wird stets auch vom jeweiligen 'Beobachter' abhängig sein. Nur in sehr wenigen der dreizehn Erzählungen sind logische Satzzusammenhänge auch explizit sprachlich durch Satzfügungen realisiert . Besonders sind hierbei die Erzählungen „Ich bin erst 60." und Geschichte eines dicken Mannes" zu nennen. In beiden Erzählungen sind die finalen Infinitivkonstruktionen (um .. .zu) sehr häufig; hinzu kommt (seltener) die modale Konstruktion 'ohne . . .zu': Ich ging damals hin, wie ich zu allen Auktionen gehe: nicht um zuzusehen [... ] ('60', 30) Ich brauche die Reste meiner Phantasie, um damit die wenigen Sachgebiete zu beheizen [ . . . ] ('60', 30) Selbst wenn Sie ein Bücherfresser sind, und nur fünf Tage brauchen, um ein Buch zweimal zu lesen [ . . . ] ('60', 31) da mußte ich nun mit meinem Freunde hin [...], um nur das Wunderwerk in Augenschein zu nehmen. (GeMa, 92) Gleich mußten wir weiter, um auf den Gipfel zu gelangen [ . . . ] (GeMa, 92) als wenn Jemand eine große Tonne mit Wasser schüttelt, um sie auszuspülen. (GeMa, 93) Worauf das Männlein, ohne sich in seiner Beschäftigung irgend irren zu lassen [ . . . ] (GeMa, 93)
Im Vergleich dazu ist in allen sieben 'Zettel-Erzählungen' zusammen nur eine derartige Satzkonstruktion, nämlich in „Die Ichthyophagen", anzutreffen:
150
Erzählungen dazwischen Hier saßen sie, ohne irgend ein Werkzeug zu ihrer Selbsterhaltung oder Bequemlichkeit zu haben [ . . . ] (Ichth, 39)
Desweiteren finden sich in „Ich bin erst 60." zwei Konditionalsätze aber wenn ich so ein Bändchen von 1850 anfaßte [ . . . ] überkam mich stets etwas [ . . . ] ('60'. 30) Wie unwillig war ihm der Mund im Gesicht herum geglitten, wenn ihn spät abends die Frau vom Schreibtisch abrief ( ' 6 0 \ 30)
und ein Modalsatz im engeren Sinne: und bietet mit, indem sie mit der Regenschirmspitze halb die Luft vor 'ihren' Gegenständen anritzt; ('60',30)
In der „Geschichte eines dicken Mannes" sind neben zwei Modalsätzen (mit 'indem' gebildet) und einem nebenordnendem Kausedsatz ('denn') besonders konsekutive Satzbildungen (insgesamt fünf) auffällig: und er wußte meine Ambitionen so in Tätigkeit zu setzen, daß ich richtig mitging (GeMa, 92) aber der böse Mensch war so weit voraus, daß er es nicht einmal hören konnte (GeMa, 92) und in der zunehmenden Schwärze sahen die Felsenköpfe mit so widerlichen Schnauzen und Bärten zu uns herüber, daß ich den Verstand zu verlieren glaubte. (GeMa, 93)
Wiederum im Vergleich mit den sieben 'Zettel-Erzählungen' ist diese Anzahl außerordentlich hoch, da in diesen jeweils höchstens eine kon-
sekutive Satzkonstruktion zu finden ist. Etwa: und blies ein gefahrliches Lied auf der Maultrommel; daß die fetten Ginheimischen in ihren Bauernschaften erschraken (Trans, 37) So weich war die Masse, daß ich=man die Messerspitze einschlagen konnte. (Reise, 41)
Nimmt man sämtliche, mögliche hypotaktische Satzkonstruktionen zusammen, so ist auch dann die Zahl aller Belegstellen innerhalb der 'Zettel-Erzählungen' verschwindend gering: Für „Transport im Spätherbst." ergibt sich lediglich die eine zitierte, konsekutive Satzbildung; ebensolches gilt für die beiden „Pocahontas-Erzählungen"; in „Die Ichthyophagen." ist je ein Konditional-, Konsekutiv- und
Einordnung: Syntax
151
Finalsatz festzustellen; die beiden „Kosmas-Erzählungen" weisen jeweils einen Konsekutiv- sowie einen Konditionalsatz auf, und in der „Umsiedler-Erzählung" „Gehen in kalter Landschaft." ist ebenfalls lediglich ein Konditionalsatz zu finden. Vor diesem Hintergrund heben sich „Ich bin erst 60." und „Geschichte eines dicken Mannes" besonders stark ab. Zwischen diesen 'Polen' liegen alle übrigen Erzählungen, so etwa „Todesstrafe bei Sonnenschein." mit drei Kausalsätzen und je einer 'anti'-konsekutiven ('ohne daß'), konditionalen und finalen Satzkonstruktion. Neben diesem expliziten Ausdruck hierarchischer Satzstrukturen durch Konjunktionalsatzgefüge besteht die Möglichkeit, derartige logische Verknüpfungen nur anzudeuten, also auf die explizite Verwendung entsprechender Konjunktionen zu verzichten. Dadurch ist die genannte Kategorie II gekennzeichnet. Am häufigsten sind hierbei kausale und konsekutive Relationen in den dreizehn Erzählungen festzustellen. Sehr oft dient dabei ein Kolon (seltener ein Semikolon) zur Verknüpfung der in Relation gesetzten Elemente; so bei den folgenden Beispielen, in denen kausale Verhältnisse vorliegen: sah ihn von oben an: ich bin zwei Meter groß und kann das sehr, ('60') und bat [... ] schon jetzt um Pardon: es sei die Bibliothek eines Freundes ('60') Aber ich kriege ihn: er ist Neunzig; ich bin erst Sechzig ('60') Wir erstarrten: mindestens Tausend (Ichth) Und erstarrten in chagrinlederner Haut: ein Ungeheuer! Stadienweit. (Sir) Stämme schwarz und naß: kammgarnte Regen (Abs) ich konnte die widerliche Majestät der Alpenlinie nur mit Achselzucken betrachten: zuviel Stifter! (Kon) Der Polizeioffizier [...] überlegte kurz, und nickte dann vorurteilsfrei mit der Schirmmütze: er hatte das 'Vorhandensein' zu (Kon) melden, nichts weiter. mir kann nichts passieren; ich bin seit 34 englischer Staatsbürger! (Zaun) Aber freue Dich Genossin: er war ein Verräter an unserer Deutschen Demokratischen Republik! (Zaun) Demnächst will er sich das Priemen angewöhnen: das sei die 'Männliche Art, Tabak zu genießen' (N.)
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Erzählungen dazwischen aber ich konnte ihn mir nicht merken; ich bin eine alte Frau
(N.) Diese Beispielauswahl, die ca. die Hälfte aller gefundenen Textstellen belegt, gibt auch in Annäherung eine zahlenmäßige Verteilung wieder: In der Erzählung „Ich bin erst 60." findet sich in etwa dieselbe Anzahl solcher 'implizit kausaler' Strukturen wie in den sieben 'Zettel-Erzählungen' zusammen; die drei Erzählungen „Verschobene Kontinente.", „Am Zaun." und „N." weisen annähernd gleichviele derartige Strukturen auf, aber jeweils in etwas geringerer Zahl als die Erzählung „Ich bin erst 60.". In der Erzählung „Todesstrafe bei Sonnenschein." konnte zwar keine derartige Kausalverbindung gefunden werden, aber stattdessen eine modale und eine konsekutive. In der „Geschichte eines dicken Mannes" hingegen findet sich keinerlei Beispiel, das unter Kategorei II zu subsumieren wäre. Zusammen mit den Resultaten bezüglich Kategorie I erscheint diese Erzählung also in einem konventionellen syntaktischen Rahmen, so daß ihre Einordnung in die spätere „Inselstraße" (Datum des Typoskripts 14.7.56) auch von diesem Standpunkt aus nicht möglich ist. Das Gegenteil eines 'konventionellen syntaktischen Rahmens' trifft auf sechs der sieben 'Zettel-Erzählungen' zu (Ausnahme: „Die Ichthyphagen."; vgl.: „Alexander": 02.49). Weder in der sprachlichen Oberflächenstruktur noch in einer angenommenen Tiefenstruktur konnten logisch-hierarchische Verbindungen in großer Anzahl gefunden werden. Die parataktische Reihung ist hier in jeder Hinsicht dominierend, wobei in großer Zahl Ellipsen anzutreffen sind. Schräg aneinanderlehnen; fest; und träumen: (Trans, 37) Stöhnende Unendlichkeit; Steintunnel saugten mich entlang; tasten und sichern; erst allmählich tappten Schritte fester (Reise, 41) Der neue Gang war durchaus ungleichen Querschnitts. Keuchend. Durch Felsdärme zwängend. Röchelpresse. Zwischen Steinwurzeln. (Reise, 42) Erst verdreht hoch sehen? : Noch rutschte ein grober Kalkbrocken in fettem Wolkenschlick. Graue Wimmel däuten. Wind rieselte überall = Säusel maulten. Also weiter schlafen. (Sir, 43) Der Wolken Irregang. Grauhaarige Gärten. Sehnige Straßengewinde. Häuser. Entlang. (Der Daumen friert an der Hand.
Einordnung: Syntax
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Worte dommein im Röhricht unseres Hirns; Danken fliegen auf; manchmal ganze Ketten, epi dia skop). (GkL, 45) die Hände schnitzelten sorgsam an Spanigem; andauernd mußte man austreten gehen vor Kälte: slterte es im Backengesicht; witzig klatschte der Wind; ein Gedanke schneckte am Drüben, austerte gleichmäßig flau, auch sackgässig; (Abs, 48 f.) Zur Rechten flimmerte's wie Gestade: Bäume aus Rauch geblasen; das Dunsttrapez eines Daches; Schatten wollten unter Gasfontänen: aus heißer Grauluft die Idee einer Küste. (Päd, 49)
In diesen zitierten Satzfolgen ist nur eine logische Verbindung zwischen den Einzelteilen festzustellen: eine monotone Zeitrichtung. Der Erzähler bewertet seine Eindrücke, Gedanken und Handlungen nicht, sondern gibt sie in der Folge ihres Auftretens wieder; der Erzähler ist damit weniger ein Erzähler, denn ein 'Berichterstatter': „ich beschrieb nur noch" („Am Zaun.",90). Die genannten Beispiele sind damit der Kategorie III, also einer Parataxe sowohl in der Oberflächen- als in Tiefenstruktur zuzuordnen. An diese Betrachtungen zu Fragen nach Hypo- und Parateixe schließt sich direkt die parenthetische Stilistik Arno Schmidts an, die ebenfalls ein besonderes Kennzeichen der sieben 'Zettel-Erzählungen' darstellt. Parenthesen können dabei zum einen durch geklammerte Einschübe gegeben sein, wie es bereits in „Ich bin erst 60." geschieht: Er zögerte; zitterte; (mochte 70 sein); und bat (schlechte Nerven) schon jetzt um Pardon ('60', 31)
Parenthesen dieser Art werden durch den Einschluß in Satzzeichen auch optisch deutlich aus dem Kontext hervorgehoben. Die vermittelnden Satzzeichen können dabei neben der Klammer, das Kolon oder der Gedankenstrich sein: löffelten Eis (über Das ich mir, einer plötzlichen Eingebung folgend, Coca Cola gegossen hatte - so speist man in Venedig und anderen großen Bädern! - und neidisch bewundert wurde; [...]) (ToSo, 57) Das war damals, 1946 - also vor fünfundzwanzig Jahren - ich war Dolmetscher [ . . . ] (Kon, 64) Blochmann: aus Lauban: wie ich auch: unbedingt weiterverfolgen !! (N., 125)
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Erzählungen dazwischen
Neben dieser sozusagen 'symmetrischen' Parenthese 9 besteht die Möglichkeit, einzelne Syntagmen in einem Nachtrag, ohne die Verwendung eines Interpunktionspaares als Zeichenrahmen, an den zugeordneten Satz zu stellen. Diese Nachträge besitzen eine den 'symmetrischen' Parenthesen ähnliche Wirkung: In beiden Fällen erhält die 'Einzelaussage' exklusiven Charakter und wird nicht in einen logischen Ordnungszusammenhang eingefügt. Das Erzählte ist somit durch eine Sprunghaftigkeit gekennzeichnet, was einer axiomatischen Grundannahme Schmidts entspricht. Innerhalb einer Sprachtheorie Arno Schmidts, wie sie in den „Berechnungen" angedeutet wird und wie sie in Kapitel 5 anhand der „Stürenburg"- und „Inselstraßen"-Erzählungen auf 'mikroskopischer' Ebene untersucht wurde, ließe sich die Parenthese-Variante des Nachtrages als Zuspitzung einer postulierten, diskontinuierlichen Wahrnehmumg und deren Wiedergabe im Vergleich zur 'symmetrischen' Parenthese verstehen. Aufgrund ihrer deutlichen, optischen Hervorhebung drückt die 'symmetrische' Parenthese stets eine Reflexionsstufe des Erzählers aus, da sie den unmittelbaren Eindruck ihrerselbst anzeigt; d.h. dem Erzähler ist bewußt, daß er den Erzählfluß bricht, so daß aus der durch die Interpunktion erzielten Symmetrie sich zwangsweise eine Bewertung ergibt. In der Form des Nachtrags hingegen fehlt diese Bewertung, da die Reflexionsstufe des Erzählers fehlt: der Erzähler gibt seine Gedankenfolgen direkt wieder, ohne sie einer aus Reflexion resultierenden Permutation zu unterziehen. Die sprachliche Darstellung ist somit ein direktes Abbild der Gedankenstruktur des Erzählers. Ist diese eine diskrete, muß jene es unmittelbar sein. Insofern kann die Form des Nachtrags als paradigmatisch für den axiomatischen Ansatz eines fehlenden 'Kontinuums' (gedanklich und sprachlich) angesehen werden. Von der Möglichkeit solcher Nachträge macht Arno Schmidt besonders häufig in den sieben 'Zettel-Erzählungen' Gebrauch, so daß sich diese auch in diesem Merkmal von den übrigen sechs Erzählungen unterscheiden. Die inhaltliche Skala der Nachträge ist dabei sehr weit und umfaßt z.B. Präpositionalgefüge, adverbiale Bestimmungen und Objektsätze. Eine Auswahl derartiger nachgetragener Parenthesen 'Strukturell ließe sie sich darstellen als: / . . . ( . . . ) . . . / .
Einordnung: Syntax
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soll diesen Punkt der syntaktischen Betrachtung beschließen: Ihr Mund tappte süß und einförmig durch die Erinnerungen, neben mir, auf weichen Lippenschuhen, roten Samtpantoffeln. (Trans, 37) Von den Bergkuppen waren manche steinbruchartig wild zerfeist, braun, mit grellfarbigen Adern, Marmor wahrscheinlich (Ichth, 39) Eine armdicke Silberflamme, brusthoch, ragte unbeweglich mitten im Gang. Davorstehen. [ . . . ] bei Schnalzlauten öffnete sich oben ein Stummelkranz. Brusthoch. (Reise, 41) sie glitzerten wie Bündel abgeschossener Pfeile. Brüllend. (Reise, 41) Füße, unten, meine, mahlten schwarzen Sand, lange; auch kohliger Staub; lange. (Reise, 41) Seltener höhlenbärten Tierglieder. Hinter Laubportieren. Haariges sohlengängerte; Schuppenkegel; ein Mund krallte. In Fischabfälle. (Reise, 41) aus dem bleiigen Wasser tauchten 2 furchtbare Krallenfäuste auf. Klafterbreit rot, mit blauen Dolchreihen besetzt. (Sir, 44) Und er kam, periskopen, ja, bis zum Bord. (Sir, 44) Ich neigte mich über das harte Dreirohr Daumesdick: spitz geschliffen am knochigen Ende, beinerne Nadel („Nich anfassen !"). (Sir, 44) Gedankenspiel unter den Büschen, mürrisch, außer den Wegen (GkL, 45) Baumlos: links dafür dickleibige Maismumien; Röcheln, trocken, unerfreulich; (GkL, 45) Wind schwang die Grasrassel, regsam, ohne Leben. (GkL, 45) Hauche zogen zögernd. Hierhin und dorthin (GkL, 46) Licht gor um Neun, trübe Graugelbe, aus Wolken; (GkL, 46) schwarze Vögel traten aus den Zweigen und schrieen; den gleichmäßig sprudelnden Himmel an. (Abs, 47) Sie setzte sorgsam alle Nacktschnecken ins sichere (?) Beiseite. Jede. Stand auch erschüttert vor einer Zerfahrenen (Abs, 47) Vor der zementenen Himmelswand hinten ein verfallender (Abs, 48) Schuppen, bretternes Los. sie umschlang mich drüber hinweg mit Augen, schweigend, den Mund voll eisiger Süßigkeit (Päd, 49) Als letztes Kennzeichen der Syntax sollen nunmehr die mittleren Satzlängen in den dreizehn Erzählungen ermittelt werden. Da es um einen relativen Vergleich zwischen diesen geht und nicht
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Erzählungen dazwischen
um eine absolute Bewertung, oder um einen Vergleich mit anderen Daten mittlerer Satzlängen (etwa zur gesprochenen Sprache), ist eine exakte Definition des Terminus 'Satz' nicht nötig. Wesentlich ist im folgenden nur, daß der Begriff 'Satz' stets in sich konsistent behandelt wird. Im wesentlichen wird im weiteren 'Satz' als das verstanden, was zwischen satzabschließenden Zeichen steht. Da die Interpunktion Arno Schmidts sich jedoch nicht nach der Norm des Duden richtet, ist diese Definition nicht hinreichend; so wirken zuweilen ein Kolon oder ein Semikolon als satzbeschließende Zeichen, oder ein Satz wird in einer nachgetragenen Klammer fortgeführt etc. Die Auszählung versucht dem Rechnung zu tragen und berücksichtigt neben den ein Satzende charakterisierenden Zeichen auch den (wenn auch nicht wohldefinierten) Begriff einer 'Sinneinheit', so daß etwa ein langer in Klammern gesetzter Kommentar innerhalb eines Satzgefüges als eigenständiger Satz gezählt werden kann. Daraus ergibt sich, daß vielleicht die ermittelten Auszählungsergebnisse für jede einzelne Erzählung nicht exakt reproduzierbar sind, doch sollte das relative Verhalten der Erzählungen untereinander eine in weiten Grenzen fixe Größe unabhängig von der genauen Definition des zugrundeliegenden Terminus 'Satz' sein. Nach diesen Vorbemerkungen gibt die folgende Graphik das Auszählungsergebnis für Sätze mit 1-5 und 6-10 Wörtern wieder. Aufgetragen ist dabei das prozentuale Verhältnis dieser Sätze gemessen an der Gesamtzahl an Sätzen in der jeweiligen Erzählung. Sätze größerer Länge wurden nicht mitaufgeführt, da ihr Anteil zumeist ein sehr geringer ist. (Meist zwischen 20 und 30%).
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Einordnung: Syntax
157
Betrachtet man die Angaben für Sätze kürzester Länge (1-5 Wörter) so ist mehreres auffällig: Innerhalb der sieben 'Zettel-Erzählungen' nimmt der prozentuale Anteil an Sätzen dieser Länge von der „Alexa n d e r - E r z ä h l u n g über die beiden „Umsiedler"- und die „Pocahontas" bis zu den beiden „Kosmas"-Erzählungen zu. Da hiermit eine zeitliche Abfolge genannt ist, ist so auch eine zeitliche Entwicklungslinie bezeichnet. Zu den folgenden Erzählungen „Todesstrafe bei Sonnenschein." und „Verschobene Kontinente." nimmt sodann der Anteil dieser Sätze krass ab, um stark bei den beiden Erzählungen „Am Zaun." und „ N . " anzusteigen, wobei nicht die hohen Prozentverhältnisse der „Kosmas"Erzählungen erreicht werden. Die minimale Prozentangabe für die „Geschichte eines dicken Mannes" weicht völlig von den sie umgebenden Daten ab, und erweist diese Erzählung auch in diesem Punkt als anachronistisch. Diese Aussagen ändern sich auch dann nicht, wenn die Zahlenangaben für die Sätze mit einer Länge von 6-10 Wörtern miteinbezogen werde. Bildet man das Verhältnis zwischen den Sätzen mit 1-5 zu denen mit 6-10 Wörtern, so ergibt sich folgende Graphik, die qualitativ das eben Gesagte reproduziert. Sätze (1-5 Wörter) -r Sätze (6-10 Wörter)
60
Ichth
Trans
GkL
Abs
Päd
Reise
Sir
ToSo
Kon
Zaun
GeMa
N.
158 6.1.3
Erzählungen dazwischen Wortbildungen
Nach der Interpunktion und der Syntax als zwei geeigneten Merkmalsträgern Schmidtscher Sprachkonzeption soll nun drittens die Kategorie 'Wortbildung' betrachtet werden. Wie in den beiden vorherigen Paragraphen geht es dabei nicht um eine absolute Bewertung, sondern um eine relative. Die konkreten Fragen, die sich angesichts der bisher erzielten Ergebnisse stellen, lauten im einzelnen: Heben sich die sieben 'Zettel-Erzählungen' auch durch die in ihnen zu findenden Wortbildungen von den scheinbar chronologisch benachbarten Erzählungen ab? Sind die Wortbildungseigenschaften der übrigen sechs Erzählungen gewissen Entwicklungsstufen, die sich in Kapitel 5 herauskristallisierten, vergleichbar? Und als Spezifizierung der letzten Frage: Besitzen die Erzählungen „Am Zaun." und „N." eine Wortbildungsstruktur, die sich in den späteren „Inselstraßen"-Erzählungen fand? Und schließlich: Wirkt die „Geschichte eines dicken Mannes" auch von ihrer Wortbildung her als wäre sie falsch datiert? Um diese Fragen zu beantworten werden zunächst alle auffallenden Wortneubildungen der dreizehn Erzählungen tabellarisch zusammengestellt. Adjektive/Partizipien Verben Trans
seidenrot katrindünn rotgeätzt ungebärdig reifig strohig
Substantive Schattenpferde Lippenschuhe Kiefernkrüppel Hagemond
henkem lostrecken janken
Lichtbretter Rotekreuzkaffee Mondnadel
Einordnung: Wortbildungen
159
Ichth
zerfeist riemenschmal kummerlos grellfarbig gewäschig
Wolkenstriemen
Baumgespinst
Reise
fingerzäh wedelumwickelt höhlenbärten übertropft träumenaufstehenlaufenviel Sohlengängern eozooten
Silberilamme Silberbarten Schalischl äuche Herbarienm ädchen Mineralmineral Röchelpresse
Stummelkranz Gedankenschwämme Hexenschlingen Raseneisenstein Felsdärme
Sir
chagrinledern riesig=wammig rasierspieglig seelöwig klafterbreit infusorig schornsteinig schraubig achsenfaul bleiig periskopen däuten
Wolkenschlick Säusel Stoßhorn Wimpernkahn
Wimmel Wolkendeckel Dreirohr
blutründig leichig schlafe greisig
Irregang Röhricht Düsterwasser Sonnenunheil Grasrassel Nebelbach Silberhauer Birkin Hexenring Stickwolke
Straßengewinde Kleinleichnam Maismumien Wolkenlarven Menschenmieten Floßschuhe Wolkenmaul Hauche Wische Wolkenflamb erg
GkL
dommein federgrauen verheben wuppen
Erzählungen dazwischen
160
Adjektive/Partizipien Verben Abs
eumeniden nußknackern rabig fuchsig ungefüge rotledern mienenlos drude sackgässig Zementen
Substantive
Kleppermantel Weidenhafen Zweiglich Backengesicht
Ohrenellipsen Windstart Spaniges Krähenreisende
kannegießen Schaluppen kammgarnen seitern Schnecken austern Päd
'60'
ToSo
hexenheiter brandmarken
Wasserstoffbänder
Dunsttrapez
Grauluft Wasserplatte Wolkenfaß
Wolkenmännchen Schlammbeißer
dreidoppelt schwerpapierig triefherzig fingerschläuchig bordellen unbeteiligt=ungehalten
Ideengewackel
weißschwarz
Luftresiduum
Dunstrapez
wassertropfig
Wolkenfässer
Haargezottel
Einordnung: Wortbildungen
161
Kon
schwarzweißgelbbraunwasweißich alrunisch gefallig=rächend
Zaun
rotmarmoriert glacehandschuhm äßig sandblond unsichern
Klein=Europa Taschenmaul Geschwänztes
N.
übercandidelt pseudoshakespearianisch umbartet schnurrbärtig abreitsam
Regennadeln Dittografie Weemann
furchtbarlich grausenhaft mondgrau
Knütteldamm
GeMa
Dickbacken Kleinfinger
Homöoteleuton
Tabelle 18 Das erste offensichtlichste Resultat besteht in dem großen quantitativen Unterschied in der Anzahl der Neologismen zwischen den sieben 'Zettel-Erzählungen' auf der einen und den sechs übrigen Erzählungen auf der anderen Seite. In diesem Merkmal heben sich „Die Ichthyophagen" bis „Gespräch mit einer Sirene." also krass aus der betrachteten G r u p p e hervor. Spezifischere Aussagen anhand der reinen Zahlenverhältnisse können nur beschränkt getroffen werden. Es fällt lediglich auf, daß die Anzahl verwendeter Wortneubildungen in den Erzählungen „Die Ichthyophagen" und „Paddeln vorm Gewitter." im Verhältnis zu den übrigen fünf 'Zettel-Erzählungen' mindestens um einen Faktor zwei geringer ist und daß in der Erzählung „Gehen in kalter Landschaft." die größte Vielfalt an Neologismen anzutreffen ist. Für „Die Ichthyophagen." und „Gehen in kalter Landschaft." bieten sich dazu Erklärungen an: Die erstgenannte Erzählung e n t s t a m m t „Alexander oder was ist Wahrheit" und datiert somit zum Februar
162
Erzählungen dazwischen
1949. Dieser Text (bzw. seine Urfassung 1 0 ) ist d a m i t der zeitlich früheste aller „Kleineren E r z ä h l u n g e n " . Ein A r g u m e n t anderer A r t läßt die hohe Neologismenzahl in „Gehen in kalter L a n d s c h a f t . " plausibel erscheinen: Diese E r z ä h l u n g basiert auf Teilen der „Umsiedler" aus dem J a h r e 1952 und fallt d a m i t zeitlich zwar ebenfalls noch vor die „Stürenburg-Geschichten". Jedoch ist in diese Erzählung fast vollständig das Widmungs gedieht zur Ersta u s g a b e der „Umsiedler" verwoben, so daß sich die auffallenden Wortbildungen, die ein Anzeichen erhöhter Poetizität bilden, aus diesem U m s t a n d heraus zwanglos erklären. Mittels dieser Basis erhebt sich die E r z ä h l u n g sogar ü b e r die beiden „ K o s m a s " - E r z ä h l u n g e n . („Kosm a s " : 01.54) Zu den übrigen sechs Stücken von „Ich bin erst 60." bis „ N . " ergibt die q u a n t i t a t i v e B e t r a c h t u n g keine Hinweise zur B e a n t w o r t u n g der eingangs gestellten Fragen. Bezüglich der verwendeten Wortbildungsmuster in allen dreizehn E r z ä h l u n g e n ergibt sich wie bei den „ S t ü r e n b u r g " - u n d „Inselstraßen"Geschichten (Kap. 5.1.4) die Dominanz einiger Wortbildungsarten. Bei den Adjektivbildungen ist dies die Z u s a m m e n s e t z u n g aus einem S u b s t a n t i v u n d einem Adjektiv („riemenschmal", „achsenf a u l " , „ s a n d b l o n d " ) , sowie die Ableitung über Suffigierung, wobei das Suffix -ig a m häufigsten verwendet wird („seelöwig", „sackgässig", „schnurrbärtig"). Bei dieser zweitgenannten Kategorie der g r a m m a t i s c h e n T r a n s p o sition durch Suffixbildung fällt auf, d a ß vorwiegend Substantive in ein A d j e k t i v umgewandelt werden. Die D o m i n a n z des Suffixes -ig ist hierbei nicht verwunderlich, d a es die p r o d u k t i v s t e Quelle derartiger Adjektivableitungen bildet. (Der G r a m m a t i k - D u d e n nennt eine Zahl von 83% f ü r die Adjektivableitungen aus einem S u b s t a n t i v über das Suffix -ig. Vgl.: G r a m m a t i k - D u d e n , 4.Aufl., S.495) Bei den Substantivbildungen sind, wie im Deutschen allgemein, p r i m ä r die D e t e r m i n a t i v z u s a m m e n s e t z u n g e n aus zwei Substantiven zu b e o b a c h t e n („Wolkenstriemen", „ W a s s e r p l a t t e " , „ T a s c h e n m a u l " ) . Wesentlich seltener sind die Kompositionen aus einem A d j e k t i v u n d einem S u b s t a n t i v („Düsterwasser", „ G r a u l u f t " , „Kleinfinger"). Die Verbneubildungen, die, bis auf eine A u s n a h m e , nur in den sieb e n ' Z e t t e l - E r z ä h l u n g e n ' anzutreffen sind, basieren vorwiegend auf 10
Beide weichen im wesentlichen nicht voneinander ab.
Einordnung: Wortbildungen
163
der einfachen Verbableitung mit -en aus einem Substantiv („Sohlengängern", „Schaluppen", „brandmarken"). Auch eine formal-sprachliche Betrachtung der Wortbildungsstrukturen ergibt also aufgrund der durchgängigen Priorität einiger, weniger Bildungsmuster keine über die quantitative Sicht hinausgehende Bewertung. Es bietet sich jedoch zusätzlich eine semantische Sicht an, die etwa nach dem metaphorischen Gehalt, der Originalität fragt. So sind die beiden Substantivkomposita „Wolkenmaul" (GkL) und „Taschenmaul" (Zaun) zwar nach demselben Muster gebildet (sie besitzen sogar dasselbe Grundwort), doch werden verschiedene Vorstellungsbereiche in beiden Fällen miteinander verknüpft. Zwischen 'Tasche' und 'Maul' besteht mindestens ein verbindendes Sem, das sich umschreiben ließe mit: 'einen Inhalt aufnehmen können'; dieses Sem ist es, das durch die Komposition besonders hervorgehoben wird, so daß durch das Kompositum eine Assoziation verstärkt wird, die bereits in den Einzelteilen anzutreffen ist. Anders hingegen bei der Bildung „Wolkenmaul", wo beide Einzelteile völlig verschiedenen Wortfeldern entstammen. Die Bedeutung des Kompositums ist eine metaphorisch-gedankliche, statt, wie im ersten Fall, eine eigentlich-wahrnehmbare. Zu den metaphorischen Wortbildungen, unabhängig von Wortbildungsmuster und Wortart, zähle ich etwa (ich gebe eine Auswahl an) die Neologismen: „Lippenschuhe", „Mondnadel" (Trans); „Gedankenschwämme", „Schallschläuche", „fingerzäh" (Reise); „Wolkenschlick", „Wimpernkahn" (Sir); „Grasrassel", „Menschenmieten" (GkL); „Ohrenellipsen", „Weidenhafen" (Abs); und „Dunsttrapez", „Wolkenfaß" (Päd). Diese Beispiele entstammen den sieben 'Zettel-Erzählungen', wobei die beiden letzten von Arno Schmidt auch in der Erzählung „Todesstrafe bei Sonnenschein." verwendet werden. Aus den übrigen Erzählungen würde ich in diese Gruppe höchstens die drei Bildungen „fingerschläuchig" ('60'), Ideengewackel" ('60') und „Regennadeln" (N.) einbeziehen. Sofern die großen Quantitätsunterschiede überhaupt qualitative Bemerkungen zulassen, scheinen die Wortbildungen der sieben 'ZettelErzählungen' in viel stärkerem Maße als die der übrigen Erzählungen metaphorische Züge zu tragen. In diesem Punkt ergäbe sich damit neben dem Quantitäts- auch ein Qualitätssprung.
164
Erzählungen dazwischen
Als negatives Ergebnis muß festgehalten werden, daß im Rahmen der Wortbildung die beiden Erzählungen „Am Zaun." und „N." sich nicht mit den späten „Inselstraßen"-Geschichten vergleichen lasen. Jedoch mag dies erklärbar sein durch die ihnen zugrunde liegende Erzählhaltung. Die Erzählung „Am Zaun." gibt zu großen Teilen einen fiktiven Briefwechsel wieder, so daß der Erzähler (Arno Schmidt) hinter diesen 'Zitaten' zurücktritt. Die auffälligen Wortbildungen dieser Erzählung entstammen so auch sämtlichst Textpartien der Erzählerstimme. „N." besteht aus elf Briefen einer gewissen Berta Voss an das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz. Frau Voss zitiert eine Reihe von Notizzetteln, die sie bei ihrem Untermieter gefunden hat. Die Wortneubildungen dieser Erzählung entstammen entweder den so zitierten Zetteln oder der Wiedergabe von Aussagen dieses Mieters (Arno Schmidt ?! bzw. Arno Schmidt !?) in indirekter Rede. Einzige Ausnahme bildet die orthographische Variante „übercandidelt", weis aber als Anspielung auf Voltaire nicht im Munde von Berta Voss verstanden werden kann. Allein durch diesen äußeren Erzählrahmen sind vielfältige Wortneubildungen in diesen Erzählungen auch nicht zu erwarten, da Arno Schmidt ansonsten die Charaktere seiner Figuren in deren eigener Rede nicht in sich konsistent darstellen würde. Insgesamt läßt sich aus der Untersuchung der Wortbildungen nur die herausragende Stellung der 'Zettel-Erzählungen' in eindeutiger Weise folgern. Weitergehende Einzelfragen könnten nur über qualitative Merkmale erfolgen, die jedoch aufgrund der geringen Quantität stark eingeschränkt sind.
6.2
Bewertung
Die methodischen Einzeluntersuchungen zu verschiedenen Details der Interpunktion, der Syntax und der Wortbildung ergaben ein weitestgehend stimmiges' Gesamtbild der dreizehn kleineren Erzählungen zwischen „Stürenburg" und „Inselstraße". Wie vermutet, erwiesen sich die sieben 'Zettel-Erzählungen' als abweichend von der chronologischen Entwicklungsstufe, zu der sie aufgrund der Datierung ihrer Typoskripte zuzuordnen wären. Da die
Bewertung
165
'Urbilder' dieser Erzählungen über einen Zeitraum von fünf Jahren („Alexander": 1949 - „Kosmas": 1954) verteilt sind, weisen sie auch in ihrer spachlichen Gestalt eine große Varianz auf; diese verschiedenen sprachlichen Ausprägungen zeigten in ihrer Tendenz Ahnlichkeitsbeziehungen zu verschiedenen Entwicklungsstufen in der Chronologie 'Stürenburg - Inselstraße'. Da diese Relation unter zeitversetztem Aspekt zu betrachten ist, ergibt sich eine zusätzliche Perspektive auf die als 'Brotarbeiten' verfaßten Erzählungen der „Stürenburg" sowie der „Inselstraße". Arno Schmidt nimmt sich in ihnen 'sprachlich zurück', so daß sich in diesen Erzählungen und in ihrer inneren Entwicklung Stadien der Sprachhandhabung früherer Romane, Kurzromane oder Erzählungen spiegeln. Dies ist ein Effekt, der unter dem Vorzeichen des 'Broterwerbs' verständlich ist. Ein damals noch relativ unbekannter Autor, für den Sprache nicht nur bereitgestelltes Werkzeug, sondern vielmehr Experimentierbühne und Ausdruck realistischer Weltbetrachtung war, mußte stets auf Ablehnung durch Feuilletonredakteure gefaßt sein. Insofern zeugt auch dieses regressive Verhalten auf sprachlicher Ebene der kleineren Erzählungen von Arno Schmidts realistischer Weltsicht. 11 Für fünf der übrigen sechs Erzählungen ergab die Untersuchung (cum grano salis) eine widerspruchsfreie Zuordnung zu der durch das Datum des Typoskriptes nahegelegten sprachlichen Entwicklungsstufe. „Ich bin erst 60." (25.6.55) läßt sich vom sprachlichen Niveau den frühen „Stürenburg-Geschichten" (Gruppe I) zuordnen, auch wenn die inhaltliche Ausführung nicht in den der „Stürenburg" üblichen Rahmen paßt. Demgegenüber stehen die beiden Erzählungen „Todesstrafe bei Sonnenschein." (7.2.56) und „Verschobene Kontinente." (27.2.56), in denen sich die für die „Stürenburg" typische Erzählhaltung eines Erzählers im Kreis einiger Zuhörer findet. Es fehlt dabei auch nicht an weiteren, verbindenden inhaltlichen Details: So treten etwa die folgenden 'verwandten', handelnden Personen auf: verwitwete Frau Geheimrat (ToSo) / Frau Ederer (Kon) vs. Frau Dr. Waring (Stürenburg) und Oberprimanerin (ToSo) / Fräulein Basse (Kon) vs. Emmeline (Stürenburg). Besonders typisch für das Erzählmilieu der „Stürenburg" ist vor 11
Eine Weltsicht, die sich in diesem Punkt freilich eng an eine pragmatische anschließt.
166
Erzählungen dazwischen
allem auch die Erzählung innerhalb der Erzählung „Verschobene Kontinente.", in der es um die bereits in „Ein Leben im voraus." erwähnten T P ' s (Trigonometrische Punkte) geht. Die Verbindungslinie zu Vermessungsrat a.D. Stürenburg ist damit unübersehbar. Die Erzählungen „Am Zaun." und „N.", aufgrund ihrer Datierung der „Inselstraße" zuzuordnen (Gruppe III und IV), ließen sich sprachlich nicht homogen in die entsprechende 'Inselstraßen-Umgebung' einordnen. So weisen sie zwar eine konsistente Interpunktionsstruktur zu den Vergleichserzählungen auf, weichen jedoch stark von diesen z.B. auf dem Gebiet der Wortneubildungen ab. Eine Begründung hierfür konnte in ihrer speziellen Erzählform gefunden werden: „Am Zaun." besteht zu großen Teilen aus einem zitierten Briefwechsel des Erzählers, in dem dieser (Arno Schmidt) nicht vorkommt; die Erzählung „N." besteht aus elf Briefen einer gewissen Berta Voss, in denen Anklänge an eine an Arno Schmidt erinnernde Figur (der Untermieter) nur zitatweise vorkommen. Aus diesen Umstanden erklärt sich die in einigen Details atypische Sprachhandhabung der beiden Erzählungen. Somit verbleibt die „Geschichte eines dicken Mannes", die sich in jedem Einzelpunkt der methodischen Sprachuntersuchung als anachronistisch zu dem Datum ihres Typoskriptes erwies. Alle Einzelergebnisse deuten daher darauf hin, daß hier das Datum des Typoskriptes nicht mit dem eigentlichen Entstehungsdatum übereinstimmt. Die Resultate legen die Vermutung nahe, daß es sich entweder um eine sehr frühe Erzählung Arno Schmidts handelt, weit vor den „StürenburgGeschichten", oder aber ihre Entstehung zeitlich diesen zuzuordnen ist. Diese Alternative beruht auf der (vermuteten) zeitversetzten, sprachlichen Konformität, wie sie sich durch den Vergleich der 'ZettelErzählungen' mit der „Inselstraße" ergab (siehe Kap. 6.1.1; Skizze); 12 die Objektivierbarkeit dieser Vermutung angenommen, ergeben sich nämlich für eine sprachliche Form zwei Zeitmargen. Da nach Auskunft der Arno-Schmidt-Stiftung von dieser Erzählung (wie von fast {illen anderen) kein Manuskript existiert, und auch sonstige, weiterführende Hinweise fehlen, kann eine klare Datierung ihrer Entstehung nicht gegeben werden. 12
Gegen die zweite Möglichkeit der Datierung spricht in diesem Fall die von der „Stürenburg" abweichende Erzählhandlung.
7. Die Zeitungspublikationen
Aus den Zyklen der „Stürenburg-Geschichten" und der Erzählungen „Aus der Inselstraße" werden im folgenden einige herausgegriffen, um sie mit den entsprechenden ZeitungsVeröffentlichungen zu vergleichen. Als Textgrundlage der Erzählungen wird dabei wie bei allen Zitatstellen dieser Arbeit die Bargfelder Ausgabe benutzt, die auch einen Variantenapparat enthält, welcher jedoch gerade die Zeitungsund Zeitschriftenabdrucke ausblendet. Die Herausgeber der Bargfelder Ausgabe, interesssiert an möglichst textgetreuer Wiedergabe des Werkes Schmidts, sehen „keine Veranlassung, diese korrumpierten Fassungen zur Edition heranzuziehen bzw. sie als Varianten im Anhang zu dokumentieren" (BA 1/4.2, S.635). Da jedoch auch diese eigenmächtigen, redaktionellen Manipulationen von Seiten der Zeitungen und Zeitschriften Arno Schmidts gegen die Dudennorm gerichtetes Sprachverständnis dokumentieren, sind sie Teil dieser Arbeit. Denn auch eine 'korrigierte' Fassung legt rückbezüglich ein Zeugnis über das Original ab, so daß in dem Spannungsbogen 'Text Arno Schmidts vs. Zeitungstext' sprachliche Qualitäten Schmidts fokussiert hervorgehoben werden können. Für drei der vier Erzählungen in fünf Fassungen („Rollende Nacht." wird in einer Zeitungs- und einer Anthologiefassung zitiert), die im einzelnen eingehender untersucht werden (Kapitel 6.1-6.4), finden sich im Anhang die entsprechenden Zeitungsveröffentlichungen, die die Ergebnisse aus 7.1 bis 7.4 belegen. 1 Jede der vier ausgewählten Erzählungen wird in den folgenden Kapiteln für sich betrachtet und mit der Zeitungsfassung verglichen, um einen Eindruck zu vermitteln wie sorgfältig oder wie grob (meist letzteres) mit dem Original verfahren wurde. Zudem ergibt sich hierdurch die Möglichkeit, die Verfahrensweisen der verschiedenen Zeitun1
Weiterhin sind im Anhang für die vier behandelten ermittelten Textveränderungen dokumentiert.
Erzählungen alle
Zeitungspublikationen
168
gen bzw. Zeitschriften miteinander zu vergleichen; die Unterschiede können direkt abgelesen werden. (Im Fall „Rollende Nacht." erfolgt der Vergleich zwischen einem Zeitschriftentext und einer Buchausgabe.) Da in einer Vielzahl der Textmanipulationen korrigierende Eingriffe im Sinne des Dudenregelwerks vorliegen, wäre auch eine übergreifende Betrachtungsweise, die sich an Kategorien von 'Fehlertypen' orientiert, möglich gewesen. Aus oben genannten Gründen wurde jedoch die Perspektive der Einzelschau gewählt. Um die sich daraus ergebenden zwangsläufigen Wiederholungen zu vermeiden oder zumindest zu minimieren, wird im weiteren so verfahren, daß zwar für jeden einzelnen Text alle kategoriellen Typen der Eingriffe genannt und belegt werden, daß aber eine eingehendere Betrachtung und Bewertung eines Typs sich zumeist nur bei einer der vier Erzählungen findet. Desweiteren wird im folgenden versucht neben der bloßen faktischen Aufzählung der 'Varianten', diese einsichtig werden zu lassen, d.h. möglichen Motiven sowohl der Sprachhandhabung Schmidts als auch denen der zuständigen Redakteure nachzugehen. Für letztere ist das vorherrschende Motiv einfach vorauszusehen: die Anwendung des dudenschen Regelsystems. Arno Schmidts Motive jedoch lassen sich im Einzelfall nur schwer eindeutig benennen - die Überlegungen zu seinen Motiven geben daher stets nur Möglichkeiten an.
7.1
„Schwarze Haare."
Mit der Erzählung „Schwarze Haare." aus dem Zyklus der „Stürenburg-Geschichten" setzt Arno Schmidt eine Ankündigung aus seinem „Historischen Roman aus dem Jahre 1954", dem Roman „Das steinerne Herz", in die Tat um: Marschall Davoust ließ 1811 Stangen als Wegemarken in der Lüneburger Haide einschlagen, staked piains, Ilano estacado, die dann manchmal von Partisanen absichtlich versetzt wurden : ne Geschichte draus machen ! (StH, S.31f.)
Die Niederschrift der Geschichte um Marschall Davoust und Leutnant Tourtelot, dem Großvater Stürenburgs väterlicherseits, dessen Haare im Titel der Geschichte genannt werden, erfolgte am 16.5.1955. (Sechs der neun „Stürenburg-Geschichten" wurden zwischen dem 10.5. und
„Schwarze Haare."
169
17.5.1955 niedergeschrieben.) Veröffentlicht wurde die Erzählung jedoch erst am 15./16.09.1956 in der Hannover Presse. Die Skala der redaktionellen Änderungen am Originaltyposkript Arno Schmidts reicht dabei von einem Auslassen des Punktes im Titel bis zu sinnverändernden Rechtschreibkorrekturen und Änderungen der Absatzstruktur im Gesamtaufbau der Erzählung. Mit der Interpunktion beginnend, sind fünf Textstellen zu nennen, bei denen ein von Arno Schmidt stets ausgelassenes Komma zwischen dem Einschub direkter Rede und der Weiterführung der 'Erzählerstimme' dudengerecht hinzugefügt wurde: 2 „Außer vielleicht zur See", sagte Frau Doktor spitz (23/20) „Merk Dir das, Emmeline", sagte Frau Dr. Waring (23/31) „Wurzel aus H", murmelte ehrerbietig der Apotheker. (26/6) „Schwarze Haare", hauchte träumerisch, nur mir hörbar, Emmeline. ~ (26/6)
In der fünften angekündigten Textstelle findet neben der Kommasetzung noch ein weiterer Eingriff statt: „[... ]Ich will mich beschränken, da wir alle diese Art von Unterhaltungen kennen - Fräulein Emmeline ausgenommen -" fügte er geschmeidig hinzu (25/26)
In der Hannover Presse erscheint dies als: „ [ . . . ] Ich will mich beschränken, da wir alle diese Art von Unterhaltungen kennen - Fräulein Emmeline ausgenommen" - , fügte er geschmeidig hinzu (HP)
Der in Gedankenstriche gesetzte Einschub „Fräulein Emmeline ausgenommen" ist Teil der direkten Rede, so daß auch beide Gedankenstriche innerhalb der Anführungszeichen zu setzen sind. Da es keinen erkennbaren Sinn ergibt, den Gedankenstrich außerhalb der direkten Rede zu plazieren, liegt hier eventuell ein banaler Druckfehler vor. Nimmt man die Schreibung der Hannover Presse ernst, muß der zweite Gedankenstrich als Pausenzeichen interpretiert werden. Da jedoch die Notwendigkeit einer Pause an dieser Stelle nicht einzusehen ist, scheint eher die erstgenannte Möglichkeit zutreffend zu sein. 2
Die unterstrichenen Textteile geben die Hinzufügung oder allgemein die Änderung der ZeitungsVariante an. Um was es sich jeweils handelt, geht aus dem Kontext hervor.
170
Zeitungspublikationen
Den Stellen (im Sinne des Duden) 'fehlendet' Interpunktionszeichen im Original stehen diejenigen mit 'überzähligen' diametral gegenüber. Zehnmal wird der Redakteur der Hannover Presse hier fündig. Einige Beispiele hierzu folgen: Und was Ihre gerühmte Wüstenöde anbetrifft, Herr Hauptmann, : warum in die Ferne schweifen ? (23/36)
Der Doppelpunkt vor dem mit 'warum' eingeleiteten Fragesatz wird in der Hannover Presse unterschlagen und damit ein von Schmidt als ausdrückliches Signal der Frageeinleitung zu verstehendes Zeichen wegrationalisiert (weg-ra
Feinheiten keinen sah
„Schlüsseltausch."
Die Erzählung „Schlüsseltausch.", von Arno Schmidt am 6.3.1956 niedergeschrieben, erschien unter dem Titel „Schlüsseltausch mit einer
179
Schlüsseltausch."
Sammlerin" am 3.5.1957 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Änderung des Titels hin zu einer den Inhalt der Erzählung spezifizierenden Form stellt einen ersten Eingriff des zuständigen Redakteurs dar. Im Text erfolgen weitere Veränderungen, die in der Mehrzahl Korrekturen von vermeintlichen Fehlern betreffen. Nach Kategorien geordnet ergibt sich das im weiteren vorgestellte Bild. Arno Schmidts Eigenart, durch 'und' oder 'oder' verbundene Haupsätze auch dann mit einem Komma oder einem Semikolon zu trennen, wenn diesen ein Satzteil gemein ist, wird in der Zeitungswiedergabe stringent in die nach Duden korrekte Form ohne Satzzeichen übersetzt. An zehn verschiedenen Stellen der Erzählung wird diese Korrektur vorgenommen; einige seien beispielhaft zitiert. ich bin altmodisch, und schätze die derben Uhrenknollen (66/38) Ich bin meist bis zur Brust im Gedankendschungel versunken, und muß mich erst herausstemmen (67/11) ich duckte mich, und fing den großen braunen Ball mit dem ganzen Körper auf; (67/28) Die derbe Dicke nickte mit dem ganzen rotmarmorierten Fleisch, und lachte: „Die hat alles im Osten verloren, und ist hintersinnig geworden. (68/13)
Eine weitere Normierung hinsichtlich der Kommasetzung tritt bei der direkten Abfolge zweier oder mehrerer attributiv verwendeter Adjektive auf. Schmidt trennt diese Adjektive nie (Ausnahmen fallen in frühe SchafFensperioden) durch ein Komma (siehe: Kapitel 5). Die Entscheidung des Redakteurs, ein Komma einzufügen oder es nicht zu tun, hängt davon ab, inwieweit er die Fügung als Gesamtbegriff interpretiert. An einer Stelle im vorliegenden Text tat er es nicht: sie frug mit hoher heiserer Hexenstimme sie fragte mit hoher, heiserer Hexenstimme
(68/10) (FAZ)
Hingegen wird die folgende Formulierung als Gesamtbegriff eingestuft: oder abends, wenn dürre rote Schlangenzungen der Sonne nachzischeln (66/26)
Die Eingriffe des Redakteurs entbehren damit nicht einer gewissen Willkür, insofern er den Inhalt des Satzes für sich persönlich festlegen muß, um eine Entscheidung zu trefFen. Diese Festlegung wird jedoch
180
Zeitungspublikationen
in den seltensten Fällen eine eindeutige sein, so daß die 'Freiheit des Dichters' auch und gerade bei Detailphänomenen wie dem Setzen oder Auslassen eines einzelnen Kommas willkürlich beschnitten wird. Die beiden genannten Typen von 'Korrekturen' haben gemein, daß ein scheinbar fehlendes Satzzeichen in den Text eingefügt wird. Ebenso wird an einigen Stellen direkter Rede verfahren. „Ach so" sagte sie zögernd.
(68/32)
„Ich bin aber doch verrückt" wandte sie schwächlich ein ( 6 8 / 3 3 )
Das nach Duden hier zwangsläufig zu verwendende Komma trennt direkte Rede und Beschreibung des Erzählers. Da die schließenden Anführungszeichen das Ende der direkten Rede jedoch eindeutig anzeigen, ist hier das Komma redundant in seiner grammatikalisch den Satz gliedernden Funktion, so daß Schmidt in diesen Fällen stets auf eine Kommasetzung verzichten kann, ohne logische Zusammenhänge zu ändern. Der Redakteur hingegen hält sich an die Regel des Dudens, setzt sich über den Schmidtschen Text hinweg und fügt ein Komma ein. Dieser Kategorie - ein nach Duden fehlendes Satzzeichen einzufügen - steht der Fall gegenüber, von Schmidt verwendete Satzzeichen zu negieren. Eine Subkategorie etwa ist ein häufig gesetzter, abschließender Punkt nach einem eingeklammerten Einschub: (Noch dies zur Erklärung: [ . . . ] kein schöner B e r u f ! ) . ( 6 6 / 2 9 ) (Der blanke dicke Punkt im Türschloß, [ . . . ] , ich beschloß, ihm morgen einen Papierkreis draufzukleben.). (67/1)
Dieser Punkt wird vom Redakteur gestrichen, oder in zwei anderen Beispielfällen, in denen das Eingeklammerte kein abschließendes Satzzeichen besitzt, in die Klammer hineingezogen: ( V o m , vor mir, tickte die Taschenuhr; [ . . . ] , an stählerner Kette). (66/38) (Wir keuchten dazwischen [ . . . ] für 'Hau Ruck ¡'sagen). ( 6 7 / 3 6 )
In zwei Einzelfällen im „Schlüsseltausch" werden ein Punkt nach einer direkten Rede „Ich besorge viele Schlüssel von Dichtern : ich kenn' alle !". (68/34) „Also sie dürfen meinen Schlüssel behalten - wenn sie mir Ihren geben!". (68/24)
und ein Komma vor einem Gedankenstrich
Schlüsseltausch." Brust, Schultern, höher, - Hals !
181 (68/40)
in der Zeitungspublikation nicht berücksichtigt. Eine letzte Kategorie von Textveränderungen im Rahmen der Satzzeichen, da alle möglichen Fälle damit erfaßt sind, ist der Austausch eines Satzzeichens im Originaltext gegen ein anderes. Auch hierfür finden sich Belegstellen. Ich atmete einmal tief ein, daß meine Schultern empfehlenswert breit wurden ('Buschklepper in rostroter Rüstung' hieß es vorhin wohl): „Trotzdem [...]" (68/27)
Der Doppelpunkt nach der Klammer beschließt den vorhergehenden Satz und leitet die direkte Rede ein; da diese jedoch nicht ausdrücklich angekündigt wird, sieht der Duden an dieser Stelle keinen Doppelpunkt vor, so daß der Redakteur sich bemüßigt fühlt, ein Semikolon für das Kolon zu setzen, womit der Satz seinen dudenkorrekten Abschluß erhält. In einem weiteren Fall wird ein Semikolon in ein Komma verwandelt: erst sehr bedenklich; dann immer strahlender.
(68/39)
Die durch das Semikolon deutlich angezeigte Pause innerhalb der '2Schritt-Folge' 'erst .. .dann' wird durch das Komma verkürzt, womit der Redakteur auch einen semantischen Eingriff vornimmt. Neben diesen Eingriffen in die Interpunktion Schmidts, stehen grammatikalische und orthographische Änderungen. An einer Textstelle wird die starke Flexion eines Verbs in eine schwache Flexion verwandelt; aus „sie frug" (68/10) wird „sie fragte" (FAZ). An anderer Stelle wird die reflexive Verwendung eines Verbs normiert in seine nach Duden korrekte 'irreflexive' Form: Aber auf die Schlüssel muß man sich aufpassen ! Aber auf die Schlüssel muß man aufpassen !
(68/22) (FAZ)
Im Rahmen der Orthographie sind drei Korrekturen festzustellen. Zweimal wird die adverbiale Bestimmung „eine Zeitlang" (67/30; 68/23) normiert zu "eine Zeitlang" - die Großschreibung ist hierfür nach Duden vorgeschrieben. (Diese Schreibung betont stärker als die Kleinschreibung die Zusammensetzung aus dem Substantiv 'Zeit' und dem Adjektiv 'lang'.) Die Sonderstellung der Rechtschreibung in diesem Fall wird von Arno Schmidt aufgehoben, indem es an das Bildungsmuster vergleichbarer adverbialer Bestimmungen angepaßt wird
182
Zeitungspublikationen
wie etwa 'tagelang', 'jahrelang', ellenlang' e t c . . Ein Unterschied zu diesen Beispielen besteht: 'Eine Zeitlang' kann nur in dieser festen Fügung, also mit dem unbestimmten Artikel 'eine' verwendet werden - diese Einschränkung gilt für die übrigen drei Analogbeispiele nicht. Eine grobe redaktionelle Manipulation des Schmidtschen Textes in Bezug auf die Orthographie liegt im Ausdruck „meingott" vor, welcher in das Personalpronomen 'mein' und das Abstraktum ' G o t t ' zerlegt wird. Der phraseologische Charakter des Ausrufes „meingott" wird durch Arno Schmidts Schreibart des 'klein und zusammen' hervorgehoben und damit die ursprüngliche Bedeutung eines Anrufen Gottes („Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen ? " z.B.: Matth. 27,46) karikiert. Die Schreibung „meingott" ist somit auch ein Beleg der atheistischen Weltsicht Arno Schmidts, die er stets wortgewaltig verkündete. („Ich ? : Atheist, allerdings !: Wie jeder anständige M e n s c h ! " Poca, B A 1/1.2, 419; „ich kannte mal einen, der antwortete auf 'Grüß G o t t ' grundsätzlich 'Wenn d'n siehst'; war'n feiner M a n n . " Poca, B A 1/1.2, 401; „Gottes Stelle ist augenblicklich vakant; kann ausgeschrieben werden" StH, B A 1/2.1,113) Als letzte wesentliche Kategorie sollen Textkürzungen bzw. Streichungen angesprochen werde. Im ersten Absatz der Erzählung zitiert Arno Schmidt (in Klammern gesetzt) Herodot und fügt in diesen Einschub a m Ende einen weiteren ein: ('da kommen Berge, auf denen sollen Leute wohnen mit Ziegenfüßen; und wenn man hinüber ist, welche, die schlafen sechs Monate lang' - ich habe solche Stellen bei Herodot immer gerne gelesen. (Mein erstes Epos, 'Sataspes'.)) (66/10) Arno Schmidt gibt hier einen Hinweis auf seine frühen literarischen Bemühungen, so in diesem Fall auf das von ihm verfaßte E p o s „Sat a s p e s " . 5 Dieser Verweis Schmidts wird in der Zeitungspublikation unterschlagen; vermutlich basierend auf mangelndem Vor wissen des Redakteurs, dieses Selbstzitat einzuordnen; was freilich nicht die Streichung der betreffenden Textpcissage rechtfertigt. (Zudem entfällt in der Textvariante der FAZ die Einklammerung des Einschubs.) Eine weitere redaktionelle Eigenmächtigkeit bezieht sich auf folgende Textpassage: 6
Dieses Epos ist nicht im Nachlaß Arno Schmidts erhalten. Siehe: BA 1/4.2, 637.
Rollende Nacht."
183
Die weiße Wand sah mir, wie immer, geruhsam zu; geruhsam zu; - geruhsam. Zu. — (66/40)
Diese Textstelle, die schon innerhalb des Kapitels 5.1.1.4 über die mimetische Punktion der Satzzeichen behandelt wurde, gibt in deT dreimaligen Variation des 'geruhsam Zu[sehens]' (primär vermittels Satzzeichen) die Dauer und Ruhe eines Abiaufens von Zeit an. In der FAZ liest sich das so: Die weiße Wand sah mir, wie immer, geruhsam zu; geruhsam. Zu. (FAZ)
Die Beschreibung eines kontinuierlichen Prozesses bei Arno Schmidt (der auch als Zustand angesehen werden kann) wird durch den Zeitungstext nicht erfaßt. Die Verstümmelung des Originals besteht in einem abrupten Ubergang in das „geruhsam. Zu.", welches jetzt eher isoliert an den vorhergehenden Satz angehängt ist. Als 'pars pro toto' zeigt diese Textstelle, daß willkürliche Eingriffe in den Originaltext Schmidts zu starken semantischen Änderungen führen können, auch wenn - nach offensichtlicher Meinung des Redakteurs - nur eine überflüssige Wiederholung 'vermieden' wird.
7.4
„Rollende Nacht."
Die Erzählung „Rollende Nacht." der Geschichten „Aus der Inselstraße" gehört zu den letzten dieses Zyklus. Am 6.11.1957 niedergeschrieben ist sie gar die letzte, die in der Inselstraße 42 in Darmstadt verfaßt bzw. in die Maschine getippt wurde. (Die Niederschriften von „Trommler beim Zaren." und „Nebenmond und rosa Augen." erfolgten erst in Bargfeld.) Die Erstveröffentlichung erfolgte am 21.11.1957 in der von Alfred Andersch herausgegebenen „Die Andere Zeitung"; ebenfalls aufgenommen wurde sie jedoch auch in die Anthologie „Auf den Spuren der Zeit. Junge deutsche Prosa" herausgegeben von R. Schroers (München 1959), so daß sich hier ein Vergleich der beiden veröffentlichten Fassungen anbietet. Zunächst wird die Fassung in „Die Andere Zeitung" untersucht. Die Interpunktion Arno Schmidts wird bis auf zwei Stellen exakt beibehalten. An einer Stelle wird ein abschließendes Komma eines Einschubs (unterstrichen) nicht gesetzt,
Zeitungspublikationen
184
„Könnten Sie mal bei Walter Scott, im Original, nachsehen", fiel mir als weitere Bestechung für ihn ein (122/6)6 und ein paar Zeilen weiter wird ein Komma, das Schmidt innerhalb der direkten Rede, also innerhalb der Anführungszeichen setzt, nach diesen eingefügt: „Nein," sagte ich bitter; „Nein", sagte ich bitter;
(122/12) (DAZ)
Das Komma in der Fassung Arno Schmidts zeigt an, daß dem Sprechakt des Ich-Erzählers nach dem 'Nein' noch eine Pause zukommt; in der Fassung in „Die Andere Zeitung" dagegen besitzt das Komma nur eine satzgliedernde Funktion. Alle weiteren Änderungen im Rahmen der Zeitschriftenfassung beziehen sich auf die Orthographie Arno Schmidts. An vier Stellen wird die Großschreibung in eine Kleinschreibung oder die Kleinschreibung in eine Großschreibung umgewandelt: Das Letztemal war ihm der rechte Unterarm zerbrochen; (120/32) ganz selten hört man von Einem, daß er zur Miete gewohnt habe (121/6) Die Fabrik war nämlich schon jetzt, um halb Sechs, über und über erleuchtet (121/24) und wir besahen uns zusammen eine Zeitlang den mageren Mond (122/5)
Alle vier Änderungen sind dudenkonform; in den ersten drei Fällen erfolgt die Kleinschreibung, da eine substantivische Vorstellung nicht angenommen wird, im vierten Fall die Großschreibung, da diese für die feste Fügung 'eine Zeitlang' per definitionem gefordert ist. In der Großschreibung wird der substantivische Charakter deutlich, den Schmidt zum Ausdruck bringen will. „Das Letztemal" erhält einen begrifflichen Aspekt, der über die Eigenschaft des Temporaladverbs 'das letztemal' hinausgeht. Diese Begrifflichkeit ist zwar eine persönliche des Autors, aber innerhalb erzählter Handlung ist ein „zerbrochener" rechter Unterarm ein guter Beleg für die Annahme. Auch die Großschreibung des unbestimmten Artikels 'ein' - in diesem Beispiel im Fall des Dativobjekts - ist in dieser Hinsicht konsequent, denn 8
Entgegen seiner sonstigen Art setzt Arno Schmidt hier nach der direkten Rede ein Komma.
Rollende Nacht."
185
'einer' ist immer auch 'irgendeiner', wohingegen die Unbestimmtheit bei 'Einer' stark reduziert ist und ein individuelles Wesen bezeichnet ist. Die mit Majuskel geschriebene Uhrzeit schließlich deutet darauf hin, daß die Vorstellung der Zahl '6' an sich gegeben ist. Eine Vorstellung, die im heutigen Ausdrucksbild vieler Digitaluhren durchaus verständlich wirkt. 7 Zwei Texteingriffe der DAZ beziehen sich auf umgangssprachliche Verkürzungen. In „einmal war mirs" (120/20) wird ein Apostroph im Sinne des verkürzt wiedergegebenen 'es' eingefügt („war mir's", DAZ) und an anderer Stelle wird das umgangssprachliche „nu" in ein „nun" übersetzt. („'Nu, Ring, Ring' sagte sie ungnädig", 121/11) Neben vier Fällen, in denen offensichtliche Druckfehler vorliegen („erklärte ihn" (120/28) —» „erklärte ihm" (DAZ); „aus ihrer ernsten Front" (121/25) —> „aus ihrer ersten Front" (DAZ); „graduierte und nobilitierte" (122/4) „graduierte und mobilitierte" (DAZ); „'der volle Mond breit im Nordwesten'" (122/9) „der volle Mond breit im Nordwesten" (DAZ)), sind letztlich drei Textänderungen zu nennen. Die bei Schmidt durch Bindestrich zusammengefügte Adjektivbezeichnung „seinem uralt = deutschen Boden" wird ohne Bindestrich, also mit zwei Einzeladjektiven wiedergegeben, wodurch eine Akzentverschiebung eintritt, da nun 'uralt' als Spezifikation zu 'deutsch' zu verstehen ist; in der Schreibweise mit Bindestrich hingegen wird die Gesamtvorstellung einer Einheit beider Attribuierungen angedeutet, in der beide Adjektive ihre Eigenbedeutung bewahren; d.h. diese Schreibweise steht dem 'uralten, deutschen Boden" näher als dem 'uralt deutschen Boden'. Im letzten Absatz von „Rollende Nacht." schließlich wird zum einen eine zur Pluralkennzeichnung verwendete Endung im ersten Bestandteil eines Kompositums (Bestimmungswort) gestrichen („Kiefernkrüppel" (122/15) —» „Kieferkrüppel" (DAZ)) 8 , zum anderen wird die für Schmidt typische „Haide" (122/17) in die geo- und orthographisch korrekte „Heide" (DAZ) verwandelt, womit das an „Brand's Haide" erinnernde Selbstzitat verloren geht. 7
In einem Brief an Wilhelm Michels wünscht sich Schmidt eine solche schnelle Zeiterfassung, ohne den 'Umweg' der Dechiffrierung der üblichen symbolischen Zeitangabe über Zeigerstellungen: siehe AS 7 , W M
'Eventuell liegt hier auch ein Druckfehler vor.
Zeitungspublikationen
186
Die Fassung von „Rollende Nacht." innerhalb der Anthologie von R. Schroers greift an einigen Stellen identisch mit „Die Andere Zeitung" in den Schmidtschen Text ein. Wenn man „ganz selten [ . . . ] von Einem" hört, wird 'Einem' ebenso klein- wie „eine Zeitlang" großgeschrieben. Diese 'Korrekturen' werden jedoch nicht konsequent durchgeführt, da „ D a s Letztemal" ebenso wie „um halb Sechs" in der Großschreibung Schmidts übernommen werden. Auch die Bindestrich-Fügung des „uralt=deutschen Boden[s]" wird identisch zur DAZ aufgehoben. Ein Eingriff in die Rechtschreibung (eventuell liegt aber auch ein Druckfehler vor) führt zu einem semantischen Fehler: in der „Diskussion über den Wert zweier Uhren, von denen die eine eine Viertelstunde vor, die andere ebensoviel nach ging" (121/2) wird „nach ging" in ein Wort zusammengezogen; zwischen 'nach gehen' und 'nachgehen' besteht jedoch der inhaltliche Unterschied, daß mit 'nachgehen' das 'Verfolgen einer Sache' gemeint ist, wohingegen 'nach gehen' die Einzelbedeutungen der Worte bewahrt, so daß eine Uhr zwar 'nach gehen' aber nicht 'nachgehen' kann. Ebenso inkonsequent wie bei der Orthographie wird bei der Interpunktion verfahren. In „ N u , Ring, Ring" sagte sie ungnädig
(121/11)
wird ein K o m m a nach der direkten Rede eingefügt und in „Nein," sagte ich bitter
(122/12)
das K o m m a ebenso wie im Fall der DAZ außerhalb der Anführungszeichen gesetzt. In vergleichbaren Sätzen jedoch wie „Soviel ich weiß, kommt das aber vom polnischen ' R y n e k ' " wandte ich verbindlich ein (121/13) „Ach, entschuldigen Sie - " das war der schlanke Herr (121/40)
wird die Auslassung des Kommeis akzeptiert. Im Zusammenhang mit Textstellen direkter Rede sind drei Interpunktionsveränderungen (einmal wider die Dudennorm, zweimal konform mit dem Duden) zu nennen. In es klang wie „Du Kabire !".
(121/23)
wird der Schlußpunkt des Satzes und in A l s o wie ein F e e n p a l a s t ! " . .Altenbeken!".
(121/23) (121/29)
187
„Rollende Nacht."
wild der die direkte Rede abschließende Punkt gestrichen, welcher die Rede als eigenständige, Satzcharakter besitzende Struktur ausweist. D.h. die direkte Rede z.B. in ihrer Struktur enthält zwei Ebenen des Satzcharakters: Die innere Struktur des 'Satzes im Satz ([•••!]) und die äußere („ ".) In ähnlicher Weise verfährt Arno Schmidt zuweilen mit den durch runde Klammern gekennzeichneten Einschüben: als könnte ich 'kljutschoskoj' lesen. ('Dollar' ist ja noch zahm; [...] wer kann wider Gott und Nowgorod ?). (120/20) „Warum ? Gibt's das nicht ?" (Man ist also doch letzten Endes allein!).
(122/11)
Im letzten Beispiel liegt eine Vermischung zwischen den beiden vorherigen Beispielen vor, da die direkte Rede mit der Klammer in Berührung kommt. Auch an diesen Stellen verhält sich die Fassung in der Anthologie nicht konsistent zu sich selbst. An der folgenden Stelle wird ein die Klammer beschließender Punkt nicht gesetzt, im Gegensatz zu den Beispielen vorher, die korrekt wiedergegeben werden, das Selbstbiogramm der meisten Mitreisenden zu hören bekommt. (Und belastend ist es auch; [...] mit all den Schicksalen auseinandersetzen muß!). (120/36) Verbleibt letztlich auf einen Druckfehler im letzten Satz der Erzählung hinzuweisen, durch den die Wälder statt Amok 'riefen' Amok 'liefen'. Im Vergleich beider Textvarianten bleibt festzuhalten, daß in beiden Fällen die Anzahl der Änderungen am Text Arno Schmidts klein im Vergleich zu den Abdrucken anderer Erzählungen etwa in der Hannover Presse oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist. (siehe: 6.1-6.3) Insofern tragen beide dem originären Charakter der Sprachbehandlung Schmidts zumindest in Relation gesehen Rechnung. Die Unterschiede beider Fassungen liegen in der Konsequenz, mit der die Änderungen vorgenommen werden. Neben einigen Einzelfällen, die keine Systematisierung zulassen, wird in „Die Andere Zeitung" lediglich an vier Stellen die Groß- bzw. Kleinschreibung normiert. In der Fassung innerhalb der Anthologie hingegen werden mehrere für Schmidt typische Schreibweisen in inkonsequenter Weise abgeändert, wodurch die durchgeführten Änderungen motivlos wirken müssen, da offensichtlich keine 'Regel' angewendet wurde.
8. Zusammenfassung
Das StehPult, mit dem Großen Buch d'rauf A N DEN G R E N Z E N DER
SPRACHE
Die Schule d e r A t h e i s t e n , S.6
Im Gesamtblick auf die kleineren Erzählungen, von den frühesten „Stürenburg-Geschichten" mit „Ein Leben im Voraus." beginnend bis zur „Inselstraßen"-Erzählung „Nebenmond und rosa Augen.", womit zeitlich die zweite Hälfte der 50-er Jahre bezeichnet ist, läßt sich die Sprachkreativität Arno Schmidts als expandierend bezeichnen. Stellen diese als 'Brotarbeiten' verfaßten und von Arno Schmidt nach Selbstaussagen innerhalb der Briefwechsel zumeist gering geachteten Erzählungen auch nur einen marginalen Zweig im Gesamtwerk dar, so ist ihre prosaische und sprachliche Gestalt doch eng mit den Literaturkonzepten Arno Schmidts verknüpft. D.h. Entwicklungstendenzen der Werke finden in diesen Erzählungen, wenn auch u.U. zeitlich verzögert, ihren Niederschlag. Diese Korrelation gestattete es, die meta-literarischen „Berechnungen I—III", die Grundkonzepte zu „Versuchsreihen" der Werke entwerfen, als einen Ausgangspunkt zur sprachlichen Analyse der 'Brotarbeiten' heranzuziehen. Die in diesen „Berechnungen" skizzierte Prosatheorie Arno Schmidts, die sich explizit auf die Ausführung verschiedener Prosa/ormen bezieht, ist als Rahmen- oder Anfangsbedingung für einen „rhythmischen Feinbau" zu verstehen, so daß bei einer Betrachtung dessen jene nicht unberücksichtigt bleiben darf. Indem also in diesem Fall die Prosatheorie die Bedingung der Möglichkeit einer Sprachform ist, entfaltet sie sich zu einer Sprachtheorie, deren Evolution von den „Stürenburg-Geschichten" zur „Inselstraße" verfolgt wurde. Die Auswirkungen des sich leitmotivisch durch die „Berechnungen" ziehenden Konzeptes „einer konformen Abbildung von Gehirnvorgängen" auf die Wahl und Anwendung sprachlicher Mittel, wurde
Zusammenfassung
189
innerhalb der Kategorien 'Interpunktion', 'Orthographie', 'Syntax' und 'Wortbildung' im einzelnen betrachtet. Eine quantitative Untersuchung zur Häufigkeit verwendeter Satzzeichen ergab eine signifikante Steigerung bezüglich der Einschübe und Nachträge charakterisierenden Zeichen wie Klammer, Gedankenstrich und Kolon, sowie eine verstärkte Affektbetonung über Frageund Ausrufezeichen. Diese quantitative Analyse trennte zum einen deutlich die „Stürenburg-Geschichten" von den Erzählungen „Aus der Inselstraße" und verwies bereits punktuell auf eine Entwicklungslinie innerhalb der letzten. Diese Entwicklungslinie erwies sich dabei auf die Erzählungen „Trommler beim Zaren." und „Nebenmond und rosa Augen." gerichtet. Dieses tendenzielle, erste Ergebnis einer Sprachentwicklung konnte in allen Kategorien quantitativ und/oder qualitativ verifiziert werden. Mehrere Resultate, denen allen diese Charakteristik gemein ist, sind hierbei zu nennen: Erstens: Die Interpunktion erweist sich als inhaltlich motiviert, indem sprachliche und gedankliche Einheiten auch durch interpunktionelle Gliederungen erfaßt werden. Dies führt zu Verstößen gegenüber der üblichen Norm des Dudens, wobei die Normverletzung innerhalb der Norm erfolgt. Zweitens: Die deutliche Zunahme der Verwendung von Klammern, Gedankenstrichen und Kola (die nicht der Einleitung direkter Rede dienen), verweist auf eine Betonung des Einzelausdrucks (z.B. eines Teilsatzes) vor dem Gesamtausdruck. Die hierarchische Struktur des Satzganzen wird durchbrochen. Drittens: Neben der Priorität eines rhetorischen Prinzips der Interpunktion vor dem grammatischen Prinzip, wie es aus Punkt 1. folgt, erhält das Satzzeichen eine über die Norm des Duden hinausgehende Punktion. Das Satzzeichen wird zum Bedeutungsträger, indem es zur Wiedergabe außersprachlicher Handlungen dienen kann. Dem Satzzeichen kommt so eine mimetische Punktion bei. Diese Funktion liegt damit außerhalb der üblichen Norm. Viertens: Orthographische Entwicklungslinien innerhalb der Erzählungen beschränken sich im wesentlichen auf die Verwendung umgangssprachlicher Verkürzungen, die als Substitut gebrauchten Zeichen '&' und 'I', die Personalisierung von Pronomen und die in geringem Maße zu beobachtenden 'schprechschprachlichen' Züge. Die
190
Zusammenfassung
Änderungen besitzen oft formalen Charakter (etwa die Abbildung 'ph' auf 'f') und sind nicht durchgängig inhaltlich motiviert. Die orthographische Vielfalt der späteren Werke ist nur in Ansätzen vorhanden. Fünftens-. Die Syntax Arno Schmidts ist u.a. zunehmend geprägt durch Ellipsen und Sätze kurzer Länge, wodurch die Schriftsprache sich der gesprochenen Sprache annähert und sogar über diese hinausgeht. Sechstem: In Zusammenhang mit Punkt 2. weisen die Betrachtungen zur Syntax Arno Schmidts Sprachstil als einen Stil der Parenthese aus. Siebtens: Parataktische Satzreihungen ersetzen hypotaktische Gefüge, wobei diese assoziative Bindung eines Nebeneinander anstelle einer logischen Strukturierung in Form der Hypotaxe sich direkt aus den Prosakonzepten und den damit verbundenen 'Weltkonzepten' ergibt. Achtens: Die Wortbildungen werden dominiert durch Adjektivund Substantivkomposita und entsprechenden Bindestrich-Fügungen, da innerhalb Schmidtscher Prosa ein Benennen und Charakterisieren subjektiver Erfahrungen im Vordergrund steht und nicht der Entwurf komplexer Handlungen, für den prädikative Strukturen nötig wären. Alle acht Punkte stehen im Widerspruch oder zumindest im Kontrast zu den üblichen Normen von der Interpunktion über die Grammatik bis zur Stilistik. Dieser Gegensatz zum Regelwerk des Dudens zeigte sich auch in entsprechenden Zeitungspublikationen, in denen eine weitgehende Rücknormierung sprachlicher Normverletzungen erfolgte. Die durch die angegebenen acht Punkte skizzierte, sprachliche Entwicklungstendenz liefert zusätzlich einen Bewertungsmaßstab für die in Kapitel 6 betrachteten Erzählungen zwichen „Stürenburg" und „Inselstraße". Die auf früherer Prosa Arno Schmidts basierenden, sieben 'Zettel-Erzählungen' tragen auf dieser methodischen Skala exklusiven Charakter und wirken teilweise singulär in der sie umgebenden 'Sprachlandschaft'. Zum einen verifiziert dies den Aussagewert der Methodik an sich, zum anderen ergibt sich eine zusätzliche Perspektive auf die Erzählungen „Aus der Inselstraße". Die Vermutung einer sprachlichen Regression der 'Brotarbeiten' gegenüber der übrigen Prosa bzw. eine zeitliche Parallelverschiebung des Sprachniveaus
Zusammenfassung
191
ist ein wesentlicher Aspekt dieser Sichtweise. Bis auf „Die Geschichte eines dicken Mannes" konnten die übrigen Erzählungen homogen in die Chronologie der Sprachentwicklung eingegliedert bzw. ihr Abweichen in Details von dieser plausibel argumentiert werden; die erstgenannte Erzählung hingegen erweist sich in ihrer Sprachform als anachronistisch, so daß die Annahme einer Diskrepanz zwischen der Datierung des Typoskriptes und dem eigentlichen Entstehungsdatum naheliegt. Für die Entwicklung innerhalb aller Erzählungen ist festzustellen, daß sich der 'Abstand' Schmidtscher Sprachhandhabung zur kanonischen Norm des Dudens scherenhaft erweitert, wobei dies eine logische Konsequenz aus Arno Schmidts Anspruch an seine Prosa darstellt. Eine Prosa, die es sich zum Ziel setzt, subjektive „Gehirnvorgänge" transparent werden zu lassen, kann sich nicht an starre Normmuster binden. Ein Lösen von dieser 'Bindung' konnte von den „StürenburgGeschichten" bis zu den Erzählungen „Aus der Inselstraße" verfolgt werden; auch in diesem Sinne ist die genannte Expansion Schmidtscher Sprachkreativität zu sehen, so daß sich, vergleichend dargestellt, ein im Feld subjektiver Wirklichkeitserfahrung aufblähender 'Sprachballon' ergibt. Die Hülle dieses 'Ballons' bezeichnet die momentane 'Grenze der Sprache', die Schmidt bis in sein Spätwerk hinein nach außen, zum Rand der Wirklichkeitserfahrung hin, verschiebt, „mit dem einzigen Zweck, [...] sich irgendeiner, sei es noch so relativen 'Wahrheit' um 1 Endchen mehr anzunähern." (S & B, 227)
Anhang
A.
Chronologische Folge der Erzählungen
„Stürenburg" 10.5.55 11.5.55 12.5.55 13.5.55 16.5.55 17.5.55
'zwischen'
.Inselstraße"
„Ein Leben im Voraus." „Die Wasserlilie." „Er war ihm zu ähnlich." „Das heulende Haus." „Schwarze Haare." „Kleiner Krieg." 25.6.55 „Ich bin erst Sechzig" 28.6.55 „Die lange Grete" 1.7.55 „Lustig ist das Zigeunerleben." 15.8.55 „Transport im Spätherbit." 16.8.55 ,ßie Ichthyophagen." 16.8.55 ,fieise zum Mittelpunkt der Erde." 16.8.55 „Gespräch mit einer Sirene." 16.8.55 „Gehen in kalter Landschaft." 16.8.55 Ebschied im Regen." 16.8.55 paddeln vorm Gewitter." 26.1.56 „Nachbarin, Tod und Solidus." 2.2.56 „Geschichte auf dem Rücken erzählt." 7.2.56 „Todesstrafe bei Sonnenschein" 24.2.56 „Der Tag der Kaktusblüte." 27.2.56 „Verschobene Kontinente." 6.3.56 „Schlüsseltausch." 8.3.56 „Was soll ich t u n ? " 15.3.56 „Die Vorsichtigen." 6.5.56 „Sommermeteor." 24.5.56 „Kleine graue Maus." 30.5.56 „Rivalen." 3.6.56 „Am Zaun."
Chronologie
193 19.7.56 „Geschichte eines dicken Mannes" 5.8.56 „Geschichte von der Insel Man." 20.8.56 „Seltsame Tage." 30.1.57 „Zählergesang." 20.2.57 „Am Fernrohr." 19.5.57 „Schulausflug." 6.11.57 „Rollende Nacht." 16.8.58 „N." 22.8.59 „Trommler beim Zaren." 8.9.59 „Nebenmond und rosa Augen."
Anhang
194
B.
Reihenfolge der Veröffentlichungen
23.7.55 „Lustig ist das Zigeunerleben." „Das heulende Haus." (HP) 16.2.56 „Nachbarin, Tod und Solidus." (DAZ) 12.5.56 „Geschichte auf dem Rücken erzählt." (SZ) 15.5.56 „Die lange Grete" (KSA) 9.6.56 „Ein Leben im Voraus." (HP) 21.7.56 „Der Tag der Kaktusblüte." (SZ) 15./16.9.56 „Schwarze Haare." (HP) 20.10.56 „Seltsame Tage." (SZ) 27./28.10.56 „Kleiner Krieg." (HP) (14.12.56) „Er war ihm zu ähnlich." (FV) 1 19.12 56 „Kleine graue Maus." (TS) 12.1.57 „Was soll ich tun ?" (FAZ) 23./24.3.57 „Die Wasserlilie." (HP) 6.4.57 „Geschichte von der Insel Man." (FAZ) 3.5.57 „Schlüsseltausch." (FAZ) 11.7.57 „Zählergesang." (SWF-2; FAZ vom 11.10.57) 27.7.57 „Die Vorsichtigen." (SZ) 21.11.57 „Rollende Nacht." (DAZ) 9.1.58 „Am Fernrohr." (SWF-1; DAZ vom 25.12.58) 26.8.58 „Rivalen." (FAZ) 23.10.58 „Schulausflug." (SWF-2; FAZ vom 15.4.61) 26.9.59 „Trommler beim Zaren." (SZ) 1959 „Sommermeteor." (Schroers) Sept. 62 „Nebermond und rosa Augen." (konkret)
3.9.55
SWF Schroers
Südwestfunk Schroers, R.: Auf den Spuren der Zeit. J u n g e deutsche P r o s a . M ü n c h e n 1959.
' D i e s e A n g a b e zur Erstveröffentlichung n e n n t die 'Zürcher K a s s e t t e ' ; K a p . 5.1.1.4, das diese Werkausgabe als G r u n d l a g e b e n u t z t e , bezieht sich auf dieses D a t u m . Gesicherte A n g a b e n zur Veröffentlichung: Twen, Nr.11, 1968; aufierdem in: Trommler b e i m Zaren. Karlsruhe 1966.
Entstehungsdaten der Werke C.
195
Entstehungsdaten der Werke
„Enthymesis oder W.I.E.H." „Leviathan oder Die beste der Welten" „Gadir oder Erkenne dich selbst" „Alexander oder Was ist Wahrheit" „Brand's Haide" „Schwarze Spiegel" „Die Umsiedler" „Aus dem Leben eines Fauns" „Seelandschaft mit Pocahontas" „Kosmas oder Vom Berge des Nordens" „Das Steinerne Herz" „Tina oder über die Unsterblichkeit" „Goethe und Einer seiner Bewunderer" „Die Gelehrtenrepublik" „Kaff auch Mare Crisium" „Ländliche Erzählungen"
02.1946 10.1946 03.-07.1948 02.1949 01.-09.1950 05.1951 05.1952 12.1952-01.1953 07-10.1953 01.1954 11.1954-04.1955 11.1955 05.-07.1956 07.-08.1957 11.1959-02.1962 08.1960-05.1963
196 D.
Anhang 'Zettelfolgen'
Dieser Anhang listet Entsprechungen zwischen denjenigen kleineren Erzählungen und zeitlich früher entstandenen Werken Arno Schmidts auf, die in einem eindeutigen Kopie-Original-Verhältnis zueinander stehen. Die angegebenen Textpartien der 'rechten Spalte' ergeben (cum grano salis) den genannten Absatz der Erzählung in der linken Spalte vollständig. Nicht aufgeführt sind Änderungen kleiner Ordnung, so etwa Varianten der Interpunktion oder Änderungen auf der Wortebene. Die Entsprechung ist also keine exakte Bijektion, doch kommt sie dieser sehr nahe. Zu der Erzählung „Gehen in kalter Landschaft.", die ebenfalls in diesen Zusammenhang fallt, ist in Kap. 5.2. näheres ausgeführt. Anmerkung zur Nomenklatur: Die Zeilenzählung erfolgt für 'Fotos' (F) und 'Texte' (T) gesondert, wobei bezüglich der 'Texte' von einer Standardzeilenzahl von 40 pro Seite der Bargfelder Ausgabe auszugehen ist. Das hat leider zur Folge, daß u.U. eine Zeilennummer pro Seite doppelt erscheinen kann, nämlich einmal im 'Foto' und einmal im 'Text'. Dies sollte nicht zur Verwirrung führen. „Transport im Spätherbst."
„Die Umsiedler" BA 1/1.2
1. Absatz
Kap.VII, T, S.272, Zeile 25-30 Kap.VII, T, S.272, Zeile 9-10 Kap.VII, T, S.272, Zeile 30-32 Kap.VIII, T, S.273, Zeile 26-31 Kap.VI, F, S.270, Zeile 1-5 Kap.VI, T, S.270, Zeile 25-27 Kap.VIII, F, S.273, Zeüe 11-12 Kap.VIII, T, S.273, Zeüe 22 Kap.VIII, T, S.273, Zeüe 20 Kap.VIII, T, S.274, Zeüe 2-13 Kap.VIII, T, S.274, Zeüe 13-18 Kap.VI, F, S.270, Zeüe 11-13 Kap.VI, T, S.270, Zeüe 13-24 Kap.VI, T, S.270, Zeüe 31
2. Absatz 3. Absatz
4. 5. 6. 7. 8.
Absatz Absatz Absatz Absatz Absatz
197
'Zettelfolgen' „Die Ichthyophagen."
„Alexander oder was ist Wahrheit" BA 1/1.1
1./2. Absatz 3. Absatz 4. Absatz
S.94, Zeile 3-16 S.112, Zeile 5-36 S.93, Zeile 35-40
„Reise zum Mittelpunkt der Erde." 1./2. Absatz 3 . / I I . Absatz
„Kosmas oder Vom Berge des Nordens" BA 1/1.1
„Gespräch mit einer Sirene."
"Kosmas oder Vom Berge des Nordens" BA 1/1.1
1.-13. Absatz
S.441, Zeile 7 - S.442, Zeüe 20
„Abschied im Regen."
„Seelandschaft mit Pocahontas" BA 1/1.2
1. Absatz 2.-4. Absatz 5.-9. Absatz
Kap. XVI, T, S.433, Zeüe 4-5 Kap. XVII, F, S.433, Zeüe 1-27 Kap. XVII, T, S.433, Zeüe 38 S.434, Zeüe 37
„Paddeln vorm Gewitter."
„Seelandschaft mit Pocahontas" BA 1/1.2
1. Absatz
Kap.IV, T, Kap. VIII, Kap. VIII, Kap. VIII,
2. Absatz
3.-4. Absatz 5. Absatz
6. Absatz 7. Absatz 8. Absatz
S.483, Zeile 25-34 S.483, Zeile 39 - S.485, Zeile 7
Kap. Kap. Kap. Kap. Kap. Kap. Kap. Kap.
S.402, Zeüe 19-20 T, S.413. Zeüe 10-15 T, S.413, Zeüe 21 T, S.413. Zeüe 40 S.414, Zeüe 7 VIII, T, S.414, Zeüe 14-16 IX, F, S.414, Zeüe 1-9 IX, T, S.415, Zeüe 10-12 VI, T, S.408, Zeüe 15-18 IX, T, S.415, Zeüe 20-27 IX, T, S.416, Zeüe 1-6 VI, T, S.408, Zeüe 18-21 VI, T, S.408, Zeüe 29-37
198 E.
Anhang Variantenlisten zu Kapitel 7
(links ist jeweils der Originaltext nach der Bargfelder Ausgabe zitiert, rechts die entsprechende Zeitungsfassung) „Schwarze Haare."
23/9 12 15 20 23 23 23 24 25 29 31 31
BA 1/4.1, S.23-26
HP, 15./16.09.56
offen stehenden Ohmeingott vom Kaminfeuer her zur See" sagte im Allgemeinen Herr R a t ? ich meine ich meine : die Erde vorausgesetzt." Obwohl
offenstehenden O mein Gott vom Kaminfeuer zur See", sagte im allgemeinen Herr Rat ? Ich meine Ich meine : Die Erde vorausgesetzt." [Absatz] Obwohl „Kugel" Wurzel daraus ist 10. Also im einzelnen schwankt das etwas." [Absatz] „Merk Dir das Emmeline", sagte zu ihrer Nichte. „Das brauchen !" [Absatz] Stürenberg Herr Hauptmann, warum solange selbst erzählt - , da zum Beispiel 1831 ohne alle Landmarken später erfolgt sah umzusetzen; also auszuplündern." [Absatz] Der zu heilen als zu schlagen unbehaglich drein und
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'Kugel' Wurzel daraus ist 10: also im Einzelnen schwankt das etwas." „Merk Dir das Emmeline" sagte zu ihrer Nichte : „Das brauchen!" Stürenburg
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Herr Hauptmann, : warum so lange selbst erzählt! - da z.B. 1831 ohne alle Landmarken, später erfolgt - sah umzusetzen. Also auszuplündern." Der zu heilen, als zu schlagen unbehaglich drein; und
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Schneverdingen, angegriffen Verwundete gab. Das 'Hanseatische Departements' nicht gerührt; entschlosen erklärte: es sei abzusuchen; die Toten zu begraben, und zu pflegen. Nach zu erhalten; und begleitet, fuhr 4 Blessierte, 2 Deutsche und 2 Franzosen mit Heim; die Toten genau; es waren eigenhändig; Kochte - 3,Batl.; 34.Legion - " , fügte er hinzu; „waren transportfähig. Der vor ihn hin trat liegen lassen fürs andere.' Der zu entziehen; er ritt davon. Fräulein ausgenommen - " fügte Hochzeit statt; in Eile 'Völkischen Mischehe' Mitleid aus; auch Herr R a t : aber Erfindung!" Stürenburg unverweilt, und zurück: ein erhielt : neinnein Wurzel aus h mal 3,5: „Wurzel aus H" murmelte „Schwarze Haare" hauchte
199 Schneverdingen angegriffen Verwundete gab. [Absatz] Das „Hanseatische Departements" nicht gerührt, entschlossen erklärte, es sei abzusuchen, die Toten zu begraben und zu pflegen. [Absatz] Nach zu erhalten, und begleitet fuhr vier Blessierte, zwei Deutsche und zwei Franzosen mit Heim. Die Toten genau, es waren eigenhändig, kochte - 3.Batl., 34.Legion" - fügte er hinzu, „waren transportfähig. [Absatz] Der vor ihn hintrat liegenlassen fürs andere.' [Absatz] Der zu entziehen. Er ritt davon. [Absatz] Fräulein ausgenommen" fügte Hochzeit statt, in Eile „Völkischen Mischehe" Mitleid aus, auch Herr Rat. Aber Erfindung!" [Absatz] Stürenberg unverweilt und zurück. Ein erhielt. Nein, nein Wurzel aus H mal 3,5 , „Wurzel aus H", murmelte „Schwarze Haare", hauchte
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Anhang
Kleiner Krieg."
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HP, 27./28.10.56
„Kleiner Krieg." junger hochgewachsener Halbkreise „Herr Vermessungsrat, ja?". „Nein - ähier bitte" sagte hinaus. Stürenburg Jaja Oberg". „Schon fahren müssen."; in meinem Leben n bißchen der Lehrer der 2 Meter hübsch." Er enschuldigte sich, und gespielt: wir an: der Finessen nie & nimmer Anteil wofür er von [... ] Du siehst i» . . . " ja Stürenburg [...], und fuhr fort Wie gesagt waren wir 'Macht' LKWs heranrufen, und S läuft halt herum!' Einmal 'betrügerischen Rutengänger' usw. usw. Unsere teil; und Dr.ing.
„Bericht vom kleinen Krieg" junger, hochgewachsener Halbkreis „Herr Vermessungsrat, ja?" - „Nein - hier bitte", sagte hinaus. [Absatz] Stürenburg Ja, ja Oberg." [Absatz] „Schon fahren müssen"; in meines Leben 'n bißchen der Lehrer, der zwei Meter hübsch." [Absatz] Er entschuldigte sich und gespielt: Wir an: Der Feinheiten keinen Anteil [gestrichen] Stürenburg fuhr fort Wie gesagt, waren wir Macht LKw.s heranrufen und Es läuft bald herum!' [Absatz] Einmal betrügerischen Rutengänger usw. usw. [Absatz] Unsere teil, und Dr.-Ing.
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warb um sie; erhielt dazu!" Er verkündete er; und triumphierender: umsomehr schaute
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warb um sie, erhielt dazu!" [Absatz] Er verkündete er: und triumphierender; um so mehr sah
Schlüsseltausch."
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FAZ: 3.5.57
Schlüsseltausch.
Schlüsseltausch mit einer Sammlerin [gestrichen]
(Mein erstes Epos, 'Sataspes'.) ('da kommen [...] gerne gelesen.[... ]) nehmen, und Außerdem [... ] nachzischeln, (schon [...] dementsprecehend). Beruf!). sitzen, und altmodisch, und Kette). Die weiße Wand sah mir, wie immer, geruhsam zu; geruhsam zu; - geruhsam. Zu. — Schlüsselstabes; draufzukleben.). versunken, und ein Meter meingott geklebt; und duckte mich, und
„da kommen [...] gerne gelesen. nehmen und (Außerdem [... ] nachzischeln - schon [...] dementsprechend.) Beruf!) sitzen und altmodisch und Kette.) Die weiße Wand sah mir, wie immer geruhsam zu; geruhsam. Zu. Schlüsselstabes: draufzukleben.) versunken und einen Meter mein Gott geklebt und duckte mich und
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Anhang eine Zeitlang, und „Ja, ich hab' ihn.'" gestand Staatsmänner; oder Professoren 'todos: juntos' 'Hau Ruck!' 'Schlafzimmerschlüssel Greta Garbos'
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Prof. Max Bense sie frug hoher heiserer Hexenstimme Fleisch, und
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verloren, und sich aufpassen!".
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Einfalls!)
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eine Zeitlang
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Ihren geben!". „Och," sagte sie vorhin wohl): „Ach so" sagte sie verrückt" wandte sie ich k e n n ' a l l e ! " . sehr bedenklich; höher, - Hals ! Ellenbogen an, und
eine Zeitlang und „Ja, ich hab' ihn", gestand Staatsmänner oder Professoren ,todos juntos" „Hau Ruck" „Schlafzimmer Greta Garbos" Professor Max Bense sie fragte hoher, heiserer Hexenstimme Fleisch und verloren und aufpassen!" Einfalls!), eine Zeitlang Ihren geben!" „Och", sagte sie vorhin wohl); „Ach so", sagte sie verrückt", wandte sie ich kenn' alle!" sehr bedenklich, höher - Hals! Ellenbogen an und
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Abschriften der Zeitungsfassungen Schwarze Haare (Hannover P r e s s e , 1 5 . / 1 6 . 9 . 5 6 ) Eben hatte Hauptmann von Dieskau die sehr angenehme Geschichte von der Pest zu Aleppo beendet: wie sie damals abends waggonweise die Toten in die der Einfachheit halber ständig offenstehenden Massengräber zu schütten pflegten - worauf dann regelmäßig gegen Morgen ein Dutzend Pestleichen, die noch nicht ganz tot gewesen waren, wieder an die Tür ihrer Verwandten um Einlaß kratzten. „O mein Gott!" rief Frau Dr. Waring erschöpft-angeekelt aus; und Apotheker Dettmer zog vorsichtshalber die Beine unter den Stuhl, vom Teppich weg, auf dem sich vom Kaminfeuer Schattenrümpfe und rotgeschwollene Lichtglieder wanden. Betroffen ob dieses unerwarteten Mißerfolges versuchte der Hauptmann es mit einem schnarrenden Hymnus auf die erhebende Oede und die seltsam engen Horizonte der Wüste, die man nirgendwo sonst wieder anträfe. „Außer vielleicht zur See", sagte FVau Doktor spitz (ihr Mann war Schiffsarzt gewesen); und da der Hauptmann geschlagen verstummte, erkundigte sich der stets bildungsdurstige Apotheker: „Wie weit kann man eigentlich im allgemeinen so sehen, Herr R a t ? Ich meine: Die Erde einmal als glatte Kugel vorausgesetzt." Obwohl sich Stürenburgs Mund bei dem Wort „Kugel" leidend gefaltet hatte, versetzte er freundlich: „Nichts leichter als das, Herr Dettmer: Sie ziehen die Wurzel aus ihrer Höhe in Metern; und nehmen sie mit 3,5 m a l . " Als er das Zögern der Witwe bemerkte, gab er gefällig gleich noch das Beispiel: „Gesetzt, Sie befinden sich
100 Meter hoch; die Wurzel daraus ist 10. Also können Sie 3,5 mal 10 gleich 35 Kilometer weit im Umkreis sehen - annähernd natürlich; im einzelnen schwankt das etwas." „Merk dir das, Emmeline", sagte FVau Dr. Waring scharf zu ihrer Nichte. „Das kannst du nächsten Ostern vielleicht beim Abitur brauchen!" Stürenberg, stets Kavalier, ersparte der jungen Dame jede Stellungnahme, und fuhr siegesgewiß fort: „Und was ihre gerühmte Wüstenöde anbetrifft, Herr Hauptmann, warum in die Ferne schweifen? E s ist gar nicht solange her - in meiner Kindheit haben es mir Augenzeugen noch selbst erzählt - , da konnte unsere Lüneburger Heide es mit jeder Einöde aufnehmen. Das war in manchen Fällen unschätzbar; als zum Beispiel 1831 die große Choleraepidemie - der nebenbei Männer wie Hegel und Gneisenau zum Opfer fielen - vom Osten nach Westen über Europa wanderte, da machte die Seuche mangels Verbreitungsmöglichkeit an der Ostgrenze der Heide halt." Der Apotheker streckte beruhigt die Beine wieder aus; Emmeline schüttelte mir, der ich hinter ihr saß, koketter den verführerischen Pferdeschwanz hin; Stürenberg, dessen Vermesserauge selbst heute noch nichts entging, notierte amüsiert auch dies, und er kam zum eigentlichen Thema: „So verwirrend einförmig, ohne alle Landmarken - die Aufforstungen sind j a erst viel später erfolgt - , sah es zur FVanzosenzeit, um 1810, da aus, daß der Gouverneur, der berühmte Marschall Davout, endlose Stangenreihen einschlagen ließ, um den Nachschubtransporten den rechten Weg an-
204 zuweisen. Nun blühte bekanntlich zu dieser Zeit der Kontinentalsperre das Schmugglerwesen; und die verwegensten solcher Burschen wandten zuweilen die Methode an, diese Wegemarkierungen umzusetzen; also die zum Teil wertvollen Transporte in abseitige Einöden zu leiten, dort zu überfallen und auszuplündern." Der Hauptmann, der beim Namen Davout ein haßvolles Knurren von sich gegeben hatte, lächelte anerkennend; der Apotheker, mehr geschult, Wunden zu heilen als zu schlagen, sah unbehaglich drein und Stürenberg fuhr fort: „ E s war im Spätherbst des Jahres 1811 - a m 24.Oktober genau als so eine tollköpfige Schmugglerbande den Trick wieder einmal angewendet hatte. Von der gewöhnlichen Soltauer Straße hatte m a n den französischen Geldtransport nach links in ein Gewirr von Mooren, Wiesen und Buschwerk abgeleitet; und dann, bei Einbruch der Nacht, nordwestlich von Schneverdingen angegriffen. Diesmal allerdings waren die Franzosen stärker und besser bewaffnet, als m a n angenommen hatte; es entspann sich ein ziemlich hartnäckiges Feuergefecht, in dem es auf beiden Seiten Tote und Verwundete gab. Das dauerte so lange, bis die ernüchterten Schmuggler und nicht minder die Franzosen sich nach entgegengesetzten Richtungen zurückzuziehen begannen; die einen nach Westen in ihre pfadlosen Moorverstecke; die anderen, m ü h s a m nach Kompaß, in Richtung Hamburg, wo damals der Regierungssitz der sogenannten „Hanseatischen Departements" sich befand. Die Bewohner der umliegenden Dörfer, nicht wenig erschreckt durch das hartnäckige Schießen, hatten zitternd das Deckbett dichter um den Kopf gezogen und sich nicht gerührt, entschlos-
Anhang sen, es mit keiner der Parteien zu verderben. Als ein resolutes Mädchen erklärte, es sei doch ganz einfach Menschenpflicht , den Ort des Treffens abzusuchen, die Toten christlich zu begraben und die Verwundeten zu pflegen. Nach langem Widerstand ihres Vaters gelanges ihr, ein Bauerngespann zu erhalten, und von nur einem Knecht begleitet fuhr sie tapfer an den Unglücksort. Tatsächlich brachte sie vier Blessierte, zwei Deutsche und zwei Franzosen, mit heim. Die Toten - ich weiß ihre Zahl nicht mehr genau, es waren jedoch wenige - blieben zunächst liegen. Sie verband die Unglücklichen eigenhändig, kochte ihnen entsprechendes Essen, und als a m nächsten Tage der zuständige französische Gendarmerieleutnant Tourtelot von Nienburg eint r a f - 3.Batl., 34. Legion" — fügte er für den fragenden Blick des H a u p t m a n n s hinzu, „waren alle Verwundeten praktisch schon außer Gefahr, wenn auch noch nicht sämtlich transportfähig. Der Leutnant, ein hübscher schlanker Mensch, mit großer gebogener Nase und pechschwarzem Haar, äußerte noch in der Krankenstube seine Absicht, die Deutschen abzuführen, und strengster Bestrafung zu übergeben. Worauf das Mädchen vor ihn hintrat, und ihm, so hochdeutsch sie eben konnte, sagte: .Daraus wird nichts, Herr Leutnant! Ich bitte zu bedenken, daß ich die armen Männer j a auch sämtlich hätte Hegenlassen können, dann wären alle, auch ihre Franzosen, jetzt schon steif und kalt. Geben Sie ein Leben fürs andere.' Der Leutnant, tingenehm betroffen von dem großen blonden Mädchen vor ihm, erwiderte galant, daß es unverantwortlich wäre, die Verwundeten so guter Pflege zu entziehen. Er werde sich eine Entscheidung vorbehalten, sich zunächst lediglich erlaubend,
Variantenlisten ab und zu nach dem Wohlergehen seiner Landsleute zu sehen. Sprache, schwang sich aufs Pferd, verschoß einige sehr schwarze Blicke, und ritt davon. Fräulein Schumann verstand den Wink, und als Leutnant Toutelot schon am nächsten Tage seinen Krankenbesuch machte, fand er die beiden Deutschen nicht mehr, auch schien ihm ein halbstündiges Gespräch mit dem Mädchen völlig ausreichender Ersatz. Ich will mich beschränken, da wir alle j a diese Art von Unterhaltungen kennen - Fräulein Emmeline ausgenommen" , fügte er geschmeidig hinzu, „kurzum: Anfang 1812 fand die Hochzeit statt, in Eile, denn Leutnant Toutelot mußte den Kaiser nach Rußland begleiten - von wo er nicht wiedergekehrt ist." Der Hauptmann knurrte national ob der „völkischen Mischehe", des Apothekers Gesicht drückte rundes Mitleid aus, auch Frau Dr. Waring bedauerte den Fall, forschte jedoch überlegenungläubig: „Das sind j a sehr interessante Anekdoten, Herr Rat. Aber woher wissen Sie denn all diese Einzelheiten, schwarze Haare und so? Das ist doch reine Erfindung!" Stürenberg erhob sich unverweilt und kam nach wenigen Sekunden mit einem Porträt en miniature zurück. Ein junger Offizier in der Uniform der Chasseurs ä Cheval, große kurfürstlich gebogene Nase, schimmerndes schwarzes Haar. Während es von Hand zu Hand ging, fugte Stürenberg lässig hinzu: „Mein Großvater väterlicherseits; das Kind, das im Januar 1813 geboren wurde, war mein Vater, der, später vom zweiten Gatten meiner Großmutter adoptiert, dann den Namen Stürenberg erhielt. Nein, nein, Gnädige Frau! Wenn ich sage: Wurzel aus H mal 3,5, dann stimmt das!" „Wurzel aus H", murmelte ehrerbie-
205 tig der Apotheker. „Schwarze Haare", hauchte träumerisch, nur mir hörbar, Emmeline.
Bericht vom kleinen Krieg (Hannover Presse, 27./28.10.56) Wir waren nicht wenig erstaunt, als das Faktotum Hagemann mit allen Anzeichen der Verstörung hereintappte, die Tür verschloß, auf Vermessungsrat a.D. Stürenburg zutrabte und sich über dessen Ohr neigte; zwar verstanden wir sein grobes Geflüster im Landesdialekt nicht, verzeichneten aber alle, wie auch dessen Gesicht erbleichte. „Na, laß ihn rein" entschied Stürenburg schließlich. Gleich darauf erschien ein junger, hochgewachsener Polizist in fescher Uniform, legte die Hand zackig vor den Tschako, ließ den Blick einmal im Halbkreis umlaufen, wandte sich dann an Apotheker Dettmer: „Herr Vermessungsrat, j a ? " - „Nein - hier bitte", sagte Stürenburg schwach, empfing das unangenehm amtlich-blaue Schreiben, und der Polizist, gefolgt von den wohlgefälligen Blicken Hauptmann von Dieskaus und Frau Dr. Warings, sowie dem bewundernden ihrer Nichte Emmeline, marschierte unbefangen wieder hinaus. Stürenburg schob den verdächtigen Umschlag bestürzt und angewidert weit von sich; auf eine Frage Hagemanns, der sich als alter Diener jede Freiheit nahm, ächzte er nur: „Ja, ja, von Polizeihauptmann Oberg." „Schon wieder?" schrie Hagemann entgeistert: „Das nimmt diesen Monat ja wohl gar kein Ende, Herr Rat?! Na, da werden wir wohl doch wohl mal wieder nach Hannover zu unseren Freunden fahren müssen"; er schwang den Feuerhaken wie eine Waffe, und entfernte sich unter bösem Gemurmel.
206 Stille, n u r von d e m schweren A t m e n S t ü r e n b u r g s u n t e r b r o c h e n ; endlich beg a n n er: „ D a m i t Sie mich nicht etwa einer u n g e r e c h t f e r t i g t e n Animosität f ü r fähig h a l t e n , will ich I h n e n den Fall ganz unparteiisch schildern. Dieser ehemalige P o l i z e i h a u p t m a n n Oberg - j e t z t ist er, wie ich, auch schon 75 durch, u n d längst pensioniert - h a t mir in meines Leben wohl die meisten Unannehmlichkeiten g e m a c h t . Wir h a b e n z u s a m m e n das G y m n a s i u m besucht; in G ö t t i n g e n studiert - was heißt bei i h m schon studiert: in J u r a u n d Volkswirtschaft h a t er 'n bißchen r u m g e p f u s c h t ! - : u n d ein p a a r J a h r e d a n a c h t r a f e n wir u n s in R o t e n b u r g wieder, ich als Landmesser, er bei der Polizei. Wir waren uns stets widerlich gewesen: der Lehrer, der ihn m o c h t e , drosch unweigerlich auf m i c h ein - n u n , unser Mat h e m a t i k p r o f e s s o r war zwei Meter groß, u n d h a t m i c h oft gerächt. Unsere Post wurde vom Briefträger leidenschaftlich gern verwechselt. Nur in einem waren wir einig: wir f a n d e n grundsätzlich dasselbe Mädchen h ü b s c h . " E r meckerte so diabolisch, daß die Witwe indigniert hochsah; S t ü r e n b u r g entschuldigte sich u n d erklärte: „Damit h a b e ich i h m auch einen Streich gespielt: Wir b e w a r b e n u n s u m dieselbe Schöne, b r a c h t e n Geschenke im gleichen T e m p o , u n d eines Tages ließ ich ihm d u r c h meinen b e s t e n F r e u n d im Vert r a u e n beibringen, ich h ä t t e mich mit ihr verlobt. Spornstreichs r a n n t e er, m i c h zu ärgern, hin, u n d b r a c h t e auch seinen A n t r a g an: Der zu seiner unendlichen Verwirrung sogleich holdselig lächelnd a n g e n o m m e n wurde! E r h a t sie d a n n h e i r a t e n müssen, denn der Vater war Regierungsrat, u n d h ä t t e ihm, gerade zu Beginn seiner L a u f b a h n , nicht unerhebliche Schwierigkeiten ma-
Anhang chen können: h ä h ä h ä ! " Der H a u p t m a n n feixte zufrieden ob solcher strategischer Feinheiten, der A p o t h e k e r erklärte feierlich, keinen Anteil a n solch frevlem Spiel m i t z a r t e r weiblicher Neigung h a b e n zu wollen, S t ü r e n b u r g f u h r fort: „Wie gesagt, waren wir fast imm e r in derselben Gegend tätig; es gibt solche Fälle, wo das Schicksal förmlich Spaß d a r a n zu h a b e n scheint, divergente N a t u r e n zu p a a r e n . Als wir d a n n , jeder in seiner Sphäre, zu einiger Macht kamen, trieb der Zwist die wunderlichsten Blüten. Ließ ich Feinmessungen irgendwo in Straßennähe vornehm e n , konnte ich sicher sein, daß schon wenige Viertelstunden später pausenlos schwerste Lkw.s vorüberrollten, so daß wir unsere empfindlichsten I n s t r u m e n t e getrost wieder einpacken konnt e n : er h a t t e den ganzen Verkehr der Gegend ü b e r diese eine Chaussee u m leiten lassen!" „Keiner meiner Vermesser k o n n t e sich ohne ein ganzes Arsenal von Ausweisen m e h r ins Freie wagen. E r ließ jeden a n seinen Wagen h e r a n r u f e n u n d hielt ihn mit schikanösen Kontrollen von j e d e r Arbeit ab; wenn er gar keinen Fehler in den P a p i e r e n finden konnte, sagte er a m Schluß wenigstens: „Es läuft b a l d zuviel Gesindel im L a n d e herum!" E i n m a l h a t er mir einen M a n n , der auf mein Geheiß P e n d e l b e o b a c h t u n g e n z u m Nachweis eines äußerst interessanten Gravitationsdefektes d u r c h f ü h r t e , als betrügerischen R u t e n g ä n g e r vom Felde weg v e r h a f t e n lassen! Eingab e n m a c h t e er, daß wir, wie alle 'redlichen B e a m t e n ' , Uniform t r a g e n sollten; daß wir mit unseren 'ewigen herausford e r n d e n Messungen' die Landbevölker u n g b e u n r u h i g t e n , das Vieh verstörten, usw. usw.
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Unsere beiderseitigen Untergeben e n n a h m e n natürlich leidenschaftlich a n der A u s e i n a n d e r s e t z u n g teil, u n d wir w u ß t e n u n s zu revanchieren! Als der Kreis die n e u e Straße b a u t e , wiesen wir in u n s e r e m G u t a c h t e n nach, daß sie d u r c h seinen geliebten G a r t e n gelegt werden müsse. In einer Fachzeitschrift f ü r Montanwesen d e u t e t e n wir an, d a ß sich u n t e r seiner Villa v e r m u t lich ein a u s g e d e h n t e s Salzlager befinde; er wurde ein volles halbes J a h r lang täglich von G r u n d s t ü c k s m a k l e r n , ernsth a f t e n Interessenten, Schwindlern aller A r t , ü b e r l a u f e n , u n d fast z u m Wahsinn getrieben."
Sparkassenbuch f ü r ihn ausschreiben. u n d sowas läßt mir der Alte d u r c h ein e n Polizisten zustellen; n u r u m mich zu erschrecken!" Wir teilten gefallig seine E n t r ü s t u n g : u m so m e h r als er u n s s p ä t e r angegriffen mitteilte, der andere Vorname des n e u e n Kleinen sei, nach dem zweiten Großvater, Karl gewesen: er h a b e seinen Trinkspruch auf Friedrich ausgebracht, O b e r g auf Karls G e s u n d h e i t , die Eltern h a t t e n v e r m i t t e l n d von Friedrichkarl gesprochen: „ G a n z zwiespältig sah das a r m e W u r m j e t z t schon aus den Steckkissen" b e h a u p t e t e er.
E r a t m e t e zufrieden. „Eine Tochter h a t t e er; sein Liebling; u n d wirklich f ü r einen G e n d a r m e n h ä u p t l i n g hübsch genug. Eines Tages erschien p r o g r a m m gemäß der übliche j u n g e M a n n , ein Dr.-Ing., warb u m sie, erhielt ihre H a n d ; wie schäumte der Herr P a p a n a c h der Hochzeit auf, als er erfuhr, d a ß sein Schwiegersohn Vermessungsingenieur war. U n d der Neffe vom alten S t ü r e n b u r g dazu!"
Schlüsseltausch Sammlerin
E r rieb sich intensiv die b r e i t e n weichen Hände: „Ich h a t t e d e m J u n gen eine nicht unerhebliche Bargelds u m m e versprochen, wenn er das Ding d r e h e n könnte - obwohl er, wie ich f ü r c h t e schwach genug war, auch wirkliche Zuneigung f ü r das b e d a u e r n s w e r t e Geschöpf zu e m p f i n d e n . " Wir h a t t e n amüsiert zugehört, u n d u n s e r e Blicke richteten sich u n willkürlich auf das wasserblaue Kuvert i n m i t t e n des r u n d e n Tischchens. Sein großes Gesicht verdüsterte sich, u n d er griff unwirsch d a n a c h ; aber schon w ä h r e n d des Lesens verklärten sich seine Züge: „Die E i n l a d u n g zur T a u f e " verkündete er: u n d triumphier e n d e r ; „Ein J u n g e . E r heißt FViedrich: n a c h mir! - Noch h e u t e lasse ich ein
mit
einer
( F A Z , 3.5.57) Da ist es sehr einsam, h i n t e n a n der Saar. Schluchten mit senkrechten W ä n d e n aus triassischem B u n t s a n d stein; h a u s h o h e Felskerle sperren den Weg, in rostroter Buschklepperrüstung, den riesigen Wackelstein als Schädel; „da k o m m e n Berge, auf denen sollen Leute wohnen mit Ziegenlußen; u n d , wenn m a n hinüber ist, welche, die schlafen sechs M o n a t e lang" - ich h a b e solche Stellen bei Herodot i m m e r gerne gelesen. In das schläfrige Dörfchen, in d e m ich d a m a l s wohnte, war ich eben von einem Waldgang zurückgekommen; die üblichen u n s i c h t b a r e n Spinneweben h a t t e n k n i s t e r n d mein bißchen Stirn ü b e r k l e b t , im W e i t e r k r ü m m e n d u r c h Gebüsch u n d Hartwuchs. Oben, zu beiden Seiten der Chaussee, s t ü r m t e n die Weiden h e r a n , Säbelbüschel über den Wirrköpfen; W i n d duckte sich hierhin u n d dorthin; das W e t t e r schien u m z u schlagen. D a n n saß ich erschöpft u n d zufrie-
208 den in meiner einen S t u b e ; ziemlich möbelleer, a b e r ich kann zur Not den Schreibmaschinenkoffer als Kopfkissen n e h m e n u n d m i c h mit der S t u b e n t ü r zudecken. ( A u ß e r d e m d e n k t m a n besser bei wenig G e r ä t e n : m e i n Ideal wäre ein leeres Z i m m e r ohne T ü r ; zwei nackte Fenster, ohne Vorhänge, in deren j e d e m das m a g e r e Kreuz r e n k t - u n s c h ä t z b a r bei Himmelsorten wie morgens u m vier; oder abends, wenn dürre rote Schlangenzungen der Sonne nachzischeln schon bogen sich meine Finger dementsprechend.) (Noch dies zur Erklärung: Ich lebe von den Revenuen meiner Schreibmaschine. Meist süße Nichtigkeiten; Plaudereien; im Großen B r e h m gibt es den Begriff des „Menageriebildes" - wo so zehn T i e r a r t e n zwanglos in einer paradiesischen L a n d s c h a f t z u s a m m e n steh e n - in der Art verfaßte ich also meine Artikelchen. „Von den Gelehrten, so böse Weiber g e h a b e t " . Wenn es hoch kam, einmal ein seriöses Nachtprog r a m m , „Fouque u n d einige seiner Zeitgenossen". Kein schöner Beruf!) Also sitzen u n d mit geweiteten Augen die G e d a n k e n b e e t e überblicken. (Vorn, vor mir, tickte die Taschenuhr; ich bin a l t m o d i s c h u n d schätze die derb e n Uhrenknollen, in Bergmannskapsel, a n s t ä h l e r n e r K e t t e . ) Die weiße W a n d sah mir, wie i m m e r , g e r u h s a m zu; ger u h s a m . Zu. - (Der blanke dicke P u n k t im Türschloß, das war das E n d e des Schlüsselstabes: sehr b l a n k . Störend b l a n k eigentlich; ich beschloß, i h m morgen einen Papierkreis d r a u f z u k l e b e n . ) Stille. Fern auf der Feldmark l ä r m t e ein schwächlicher T r a k t o r . Eine Nase h a t t e m a n wie ein Schnabeltier. U n d die W a n d war geduldig wie n u r j e ein Stein; von u n d z u m Stein. - Aber etwas s t i m m t e hier doch nicht! Ich zog das Gesicht z u s a m m e n : ? : Ah! Da!
Anhang G a n z leise, n u r a m v e r ä n d e r t e n Blinken b e m e r k b a r , drehte sich der blanke dicke P u n k t im Türschloß. Drehte: u n d verschwand! N u n schaltet es bei mir i m m e r langsam. Ich bin meist bis zur B r u s t im Gedankendschungel verstinken u n d m u ß mich erst h e r a u s s t e m m e n , die Handflächen aufgesetzt - : d a war der Schlüssel weg! Ich sprang zur T ü r ; ich klinkte u n d riß mich hindurch; den Kopf n a c h rechts: nichts! Den Kopf nach links?: war d a nicht e b e n die H a u s t ü r ins Schloß gefallen?! Ich t a t drei Schritte (ich bin einen Meter f ü n f u n d a c h t z i g u n d h a b ' lange Beine!) - u n d sah e b e n noch etwas B r a u n e s d r ü b e n im O b s t g a r t e n verschwinden. Eine übermächtige H a n d stieß mich ins Kreuz: hinterher! J a g d auf B r a u n e s : die Aeste g a b e n mir vollen Anteil ihrer Fechterkünste, Q u a r t , Terz, Seitensekunde. Eine fragwürdig gelbe Sonne fleckte überall. Hetzen auf Ackerwegen, nach hundert Metern waren wir a m Felsrand, u n d mein Braunes stürzte sich kopfüber in Haselbüsche, ich kollerte eine W a n d hinunter; m a c h t e alle Gelenke weich m e i n G o t t , die Geschwindigkeit n a h m i m m e r noch zu! - wurde durchs R i n n s a l gewälzt, a n einen K i e f e r n s t a m m geklebt u n d richtete mich b r e i t a r m i g auf: es rutschte oberhalb; die Gebüsche schlugen wilder u m sich; ich duckte mich u n d fing den großen b r a u n e n Ball m i t d e m ganzen K ö r p e r auf; d r a n ein Mädchengesicht mit s a n d i g e m Kopf: so hielten wir u n s eine Zeitlang u n d a t m e t e n erst einmal aus. Sitzen n e b e n e i n a n d e r . „Ja, ich h a b ' i h n " , g e s t a n d sie keuchend von m e i n e m Schlüssel. W i n d stöhnte ü b e r r a s c h t einmal auf; d a n n wieder vorgewitterh a f t e Stille: mittelgroß; d ü n n e Beine; abwesendes Gesicht. „Ich s a m m l e
209
Variantenlisten nämlich Schlüssel - berühmte Schlüssel. Von Staatsmännern oder Professoren." ( W i r keuchten dazwischen immer noch einmal auf, ,todos j u n t o s " , wie die Spanier für „Hau ruck" sagen.) „Oder von Dichtern." „ W o wohnen Sie eigentlich?" fiel mir ein; und sie zeigte mit dem K o p f nach d e m Häuschen a m Hang. A u c h ihr Mantel war ebenso abgeschabt wie der meine, und die Schuhe nichtswürdig schiefgetreten. „ G l a u b ich nicht; erst will ich's sehen!" Also gingen wir friedlich nebeneinander z u ihrer Wohnung: eine Stube; weiße W ä n d e ; Flüchtling aus Schlesien. Sie drehte sich verlegen inmitten der armen Möbel; verriegelte auch erst die T ü r ; dann zog sie einen Schub auf: „Hier." Und ich sah betroffen auf die mächtigen, teils schon verrosteten Schlüsselbunde; an j e d e m ein handgeschriebenes Schildchen: „Schlafzimmer G r e t a G a r b o s " ; „Eisenhower sein e r " ; „Schlüssel z u m Studio von Professor M a x B e n s e " . Sie wog zaghaft den meinen in der hellbraunen Hand; sie fragte mit hoher, heiserer Hexenstimme: „ D a r f ich?" Rasch draußen; ich fragte heimlich die Bauersfrau: „ W e r ist ihre Mieterin eigentlich?". Die derbe Dicke nickte mit d e m ganzen rotmarmorierten Fleisch und lachte: „Die hat alles im Osten verloren und ist hintersinnig geworden. G a n z alleinstehend; harmlos. A b e r auf die Schlüssel muß m a n aufpassen!" Ich ging zögernd wieder hinein; wenn ich für einen Menschentyp aniallig bin, dann sind es die Sammler: Leidenschaft u n d Rücksichtslosigkeit; Zartheit und Mordgier. Also trat ich auf die Hellbraune zu: der K o p f paßte an meine Brust. Ein dickes Haarnest, in d e m m a n Diamanten verstecken konnte (und Schlüssel!
Sie war gleich begeistert ob des Einfalls!). A n f a n g Vierzig: das paßte auch. W i r sahen uns eine Zeitlang an. „ A l s o Sie dürfen meinen Schlüssel behalten - wenn Sie mir Ihren geben!" Sie hob das glatte Gesicht: „ O c h " , sagte sie unschuldig, „ D a s ist bei mir ein ganz simples Kastenschloß - das lohnt gar nicht." Stille. Ich atmete einmal tief ein, daß meine Schultern empfehlenswert breit wurden („Buschklepper in rostroter R ü s t u n g " hieß es vorhin wohl); „TVotzdem; ich möchte es gern!" sagte ich leise. Sie sah erst den Schlüssel an, dann mich; z u mir empor; dann wieder den einfachen Schlüssel. L a n g s a m überzog eine zarte Röte ihr Gesicht. „ A c h so", sagte sie zögernd. Blicke hin und her. „Ich bin aber doch verrückt", wandte sie schwächlich ein. Ich lehnte kurz mit dem K o p f ab; versprach auch noch: „ich besorge viele Schlüssel von Dichtern: ich kenn' alle!" Sie senkte ergeben die Stirn gegen mich; ihre Schultern zweifelten noch ein bißchen. Dann bürgerte sie langsam zur Tür; zog ab; kam auf mich zu; bohrte mir verlegen mit dem Schlüssel am B a u c h herum; sah hoch und lächelte: erst sehr bedenklich, dann immer strahlender. Ihre Hände begannen an mir zu nesteln: Brust, Schultern, höher Hals! A u c h ich winkelte die Ellenbogen an und legte die Hände u m ihre dünnen Schulterblätter. „ A c h j a ! " sagte sie beruhigt. S chlüsselt ausch.
Zum
Anhang
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Rollende Nacht."
BA 1/4.1, S.120-122
120/20 28
32 37 121/3 6
8 11
17 18
23 24 25 29 122/4 5 7
12
15 17 19
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war mirs erklärte ihn Das Letztemal (Und [ . . . ] muß!), nach ging von Einem uralt = deutschen „Nu, Ring, Ring" „Du Kabire !". giftig: „wäre Feenpalast!". um halb Sechs ernsten Front „Altenbeken!". nobilitierte eine Zeitlang bei Walter Scott, im Original, nachsehen 'der [ . . . ] Nordwesten* „Nein," sagte Kiefernkrüppel Haide riefen die Wälder
Die Andere Zeitung 1
Auf den Spuren der Zeit 1
war mir s erklärte ihm Das letztemal
von einem uralt deutschen „Nun, Ring, Ring"
(Und [ . . . ] muß!) nachging von einem uralt deutschen „Nu, Ring, Ring", „Du Kabire !" giftig : „Wäre Feenpalast !"
um halb sechs ersten Front „Altenbeken !" mobilitierte eine Zeitlang bei Walter Scott, im Original nachsehen der [ . . . ] Nordwesten' „Nein", sagte Kieferkrüppel Heide
eine Zeitlang
„Nein", sagte
liefen die Wälder
Da diese Varianten nur in geringen Maße vom Original abweichen, sind Kopien dieser Fassungen nicht in das Korpus mitaufgenommen worden.
Tabellenverzeichnis F.
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Tabellenverzeichnis - Tabelle 1; Kap. 5.1.1.1 • Häufigkeiten der Satzzeichen in den „Stürenburg-Geschichten" und den Erzählungen „Aus der Inselstraße". - Tabelle 2; Kap. 5.1.1.1 • Mittelung der Häufigkeiten von fünf Satzzeichen aus Tabelle 1 über eine Gruppenbildung. - Tabelle 3; Kap. 5.1.1.4 • Mimetische bzw. mimetisch interpretier bare Interpunktionsfolgen. - Tabelle 4; Kap. 5.1.3 • Mittlere Satzlängen zweier Erzählungen. - Tabelle 5; Kap. 5.1.3 • Mittlere Satzlängen zweier Romane Arno Schmidts und gesprochener Sprache; Vergleichsgrößen zu Tabelle 4. - Tabelle 6; Kap. 5.1.4 • Neologismen: Bindestrich=Fügungen. - Tabelle 7; Kap. 5.1.4 • Neologismen: Verben, Partizipien. - Tabelle 8; Kap. 5.1.4 • Neologismen: Adjektive. - Tabelle 9; Kap. 5.1.4 • Neologismen: Substantive (vorzüglich Komposita). - Tabelle 10; Kap. 5.2 • 'Zettelfolge': „Gehen in kalter Landschaft." (siehe Anhang D) - Tabelle 11; Kap. 6.1.1 • Häufigkeiten der Satzzeichen in den Erzählungen zwischen „Stürenburg" und „Inselstraße". - Tabelle 12; Kap. 6.1.1 • Mittelung der Häufigkeiten von fünf Satzzeichen aus Tabelle 11 über eine Gruppeneinteilung für die sieben 'ZettelErzählungen'. (vgl. Tabelle 2) - Tabelle 13; Kap. 6.1.1 • siehe: Tabelle 2.
212
Anhang - Tabelle 14; Kap. 6.1.1 • Vergleich der Häufigkeiten der gewählten fünf Satzzeichen zwischen „Ich bin erst 60." und Gruppe I (siehe Tabelle 2 bzw. 13). - Tabelle 15; Kap. 6.1.1 • Vergleich der Häufigkeiten der gewählten fünf Satzzeichen zwischen „Todesstrafe bei Sonnenschein." / „Verschobene Kontinente." und Gruppe II (siehe Tabelle 2 bzw. 13). - Tabelle 16; Kap. 6.1.1 • Vergleich der Häufigkeiten der gewählten fünf Satzzeichen zwischen „Geschichte eines dicken Mannes." / „Am Zaun." und Gruppe III (siehe Tabelle 2 bzw. 13). - Tabelle 17; Kap. 6.1.1 • Vergleich der Häufigkeiten der gewählten fünf Satzzeichen zwischen „N." und Gruppe IV (siehe Tabelle 2 bzw. 13). - Tabelle 18; Kap. 6.1.3 • Neologismen der Erzählungen zwischen „Stürenburg" und „Inselstraße". - Graphik 1; Kap. 6.1.2 • Prozentualer Anteil der Sätze mit 1-5 und 6-10 Wörtern der Erzählungen zwischen „Stürenburg" und „Inselstraße". - Graphik 2; Kap. 6.1.2 • Verhältnis der Anzahl der Sätze mit 1-5 Wörtern zu den (6-10)-Wort-Sätzen aus Graphik 1. - Skizze 1; Kap. 6.1.1 • Skizze zur vermuteten Sprachrelation zwischen den 'Brotarbeiten' und der übrigen Prosa Arno Schmidts.
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Suhrbier, H.: Arno Schmidt der merk-würdige Literat. Der Wegweiser, Nr.6/7, Juni-Juli 74. Suhrbier, H.: Zur Prosatheorie von Arno Schmidt. Edition Text und Kritik, München 1980. (Sonderlfg. BB) Thome, H.: Natur und Geschichte im Frühwerk Arno Schmidts. Edition Text und Kritik, München 1981. (Sonderlfg. BB)
Index
Abbild 2, 24f., 33, 34, 43f., 46, 57, 60, 94, 99, 107, 188 Ableitung 114, 118, 162f. Abschrift 124, 137 adverbiale Bestimmung 61, 154, 170 Affekt 47, 56f. Anachronismus 166, 191 Ankündigung 31, 48, 67, 72 Atheismus 86, 182 Attribuierung 6 lf., 141 Axiom 2, 29, 94, 154 „Berechnungen" 3, 9, 22-35, 57, 83, 99 Bindestrich=Fügungen 33f., 83, 86, 88, llOf. Biographie 3-6, 14-21, 29, 37, 40 Briefe 4-21 Brotarbeiten 2, 4, 9-13, 22, 46, 50, 97, 137, 188 Chronologie 2, 50, 74, 79, 119, 132 Decodierung 31 Determinismus 25 Differenzierung, semantische 53
Dudennorm 30, 37, 45, 47f., 52-58, 103, 156, 167187, 190f. Eigensemantik des Satzzeichens 31, 69 Einordnung 135-140, 147, 161166 Ellipse 36, 94, 98-102, 152f., 190 Entstehungsdatum 50, 132, 136, 139, 158, 166, 191 Entwicklung 2f., 35, 42, 55, 96f., 108f., 111, 119f., 133, 140, 164f., 188191 „Erinnerung" 23, 25ff., 57, 94, 106f. Erlebnisebenen EI & Ell 29 Erlebniseinheiten 94 Erzähler, auktorialer 38, 128 Erzählfluß 26, 46, 97, 144, 154 Essay 5, 18, 21, 34, 80 Etyms 81, 106 Exklusivität 131, 140, 147, 164fF., 190 „Feinbau" 60, 107, 120, 188 Feuilleton 1, 137 Film-Technik 26f.
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Index Form, kanonische 28 „Fotos" 25 Fragmentarisierung 42ff., 47, 106
Funktionalität 141 Geburtsjahr 40 Gruppeneinteilung 50f., 74f., 79f., 109 Häufigkeit 46-52, 59, 93, 96f., 134-140 Hypotaxe 57, 66, 94f., 148f. Ich-Erzähler 5, 17, 19, 24, 36, 77 Infinitivsetzungen 101 Interpunktion 45-80, 133-147 „Initialzündung" 26ff., 43, 78 Ketten-Wort 78, 92 Kino-Stil 26 Kleinkapitel 26ff., 35, 42ff. konforme Abbildung 25, 34f., 43, 46, 57, 107, 188 Kontinuum 24, 26, 46, 60, 154 Kommentar 32, 60f., 66f. Kompositum -, metaphorischer Gehalt eines -s 163 -, kopulatives 111 -, determinatives 116ff., 162 Kontamination 118 Konversion 113 'Kürzeres Gedankenspiel' (KG) 64f., 141 „Längeres Gedankenspiel" (LG) 23, 28f.
„Löchrige Gegenwart" 23, 26ff., 35, 42, 50, 57, 94 Makrostruktur 22, 68f. metaliterarisch 28, 35 Mondmetapher 38, 41f. Methodik 15, 46f., 93fF., 133 Mikrostruktur 22, 46, 57 Mittelwert 51 Montagetechnik 25ff., 121-125 Mosaikcharakter 26, 45, 57, 94, 102
„Musivisches Dasein" 23, 26fF., 35, 42, 50, 57, 94 Nachtprogramme 6, 11, 14, 17, 19, 29 Nachtrag 60-63, 67f., 102ff., 154f. Neologismen -, verbale l l l f . , 158-163 -, adjektivische 110f., 114f., 158-163 -, substantivische 116ff., 158-163 Norm 1, 3, 30, 34 Oberfläche 22, 30 Oberflächenstruktur 149, 152f. Orthographie 33ff., 80-92 Parallelhandlung 32, 47, 63f., 142, 144 Parenthesestil 23, 44, 59-69, 94, 143f., 154f., 190 Parataxe 95, 104ff., 148f., 190 Pausenlänge 33, 37, 47, 57ff., 69f., 76 Personalisierung 38f., 84, 88
224 Personifizierung 128 Permutation 126, 154 Perspektivenwechsel 60 Phonetisierung 33f., 40, 80f., 90f. Piktogramm 31 poetologisches Konzept 2, 60, 111 Polyvalenz der Worte 34 Präfigierung 112f. Präpositionalfügung 61 Prosaform, dehydrierte 32, 36, 93, 120 Prosatheorie 22, 93, 95, 120 Realität, quantisierbare 8 Reduktion 31f., 94 Regelabweichung, konsistente 52 Regie-Anweisung 58f., 65, 101 Regression 137, 164f., 190f. Reihung 54, 95, 104f., 148, 152 Relation -, finale 68, 105, 151 -, kausale 62, 68, 104, 141, 143f., 152f. -, konsekutive 105, 144, 150 -, konzessive 68, 105, 142 -, modale 105, 144, 149f. Rücknormierung 3, 167-187 Satzlängen 93, 95-98, 156f. Satzzeichenfunktion -, grammatische 31, 37, 52-59, 69, 103, 184 -, mimetische 31, 45, 47, 69-80, 145ff., 189
Index -, rhetorische 32, 37, 57ff., 69, 95, 184 „schprechschprachlich" 34, 81, 189f. Schrägstrich 25, 43f., 49f. Schwankung 50f. Selbst-Zitate 121-131 Solipsist 1, 7 Sprachgrenze 35, 188, 191 Sprachkreativität 2, 120, 154, 188 Sprachspiel 1 Sprachtheorie 2, 120, 154, 188 Statistik 45-52, 96f., 134-140 Stenographie 31f. Steno-Prosa 57 Stereotyp 70 Stichprobenraum 135 Struktur -, diskontinuierliche 24, 142 -, hierarchische 95, 104ff., 143, 148f., 189f. Subjekt, fehlendes 99 Substitution 32, 59-69, 134, 148, 171, 189 Suffigierung 162 Syntagmen, isolierte 102ff., 142 Syntax 92-106, 148-157 „Texte" 25 „Texte & Zeichen" 5, 12 Tiefenstruktur 149, 152f. Transformationsgleichungen 25 „Transformator" 129 „Traum" 23 Umgangssprache 84-87, 90
Index Urbild 132, 165 Verfeinerung 31, 53 Verknüpfung, assoziative 2, 10, 94 Verkürzung 85 -, umgangssprachliche 8487, 90 Versuchsreihen 9, 23, 188 Wahrnehmung, diskontinuierliche 24f., 94, 142, 154 Weltkonzept 2, 24, 190 Wortbildung 106-121, 158-164 „Wortkonzentrate" 25, 106f. Zeichen, &- 32f., 85, 87, 189 Zettel 18, 20, 39, 119, 121ff. Ziffer 32, 83, 88, 174, 189
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Walter de Gruyter Berlin New York
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HELMUT HENNE
Jugend und ihre Sprache Darstellungen - Materialien - Kritik Oktav. XIV, 385 Seiten. 1986. Kartoniert D M 38,- ISBN 3 11 010967 0 W e r an den Problemen Jugendlicher generell o d e r an den Besonderheiten des jugendlichen Sprachverhaltens interessiert ist, wird das Buch nicht so schnell wieder aus der H a n d legen. - H e n n e s bleibendes Verdienst aber besteht darin, daß er meines Wissens erstmalig historische Z u s a m m e n h ä n g e zum P h ä n o m e n Jugendsprache aufgedeckt hat. Damit wird die Jugendsprache aus ihrer "neudcutschen subkulturellen" Isolation herausgeführt, und zugleich werden Traditionslinien aufgezeigt. ... eine exzellente Phänomenologie der Jugendsprache. Margot Heinemann in Zeitschrift für Germanistik 6/1989
MARLIES NOWOTTNICK
Jugend, Sprache und Medien Untersuchungen von Rundfunksendungen für Jugendliche Oktav. XII, 416 Seiten. 1989. Kartoniert D M 76,- ISBN 3 11 012119 0 Interdisziplinär und empirisch angelegt, geht es in d e r linguistischen Untersuchung - die "absolutes Neuland" (Germanistik 31. 1990, 30) betritt - u.a. d a r u m , inwieweit sich M o d e r a t o r e n im "Jugendmedium" Rundfunk
der
detaillierte
Analysen
'bereinigter
Zielgruppe
Jugendstil'
der im
(jugend-)sprachlich "Mediensprache" Vergleich
zur
wird
nähern. diese
Standardsprache
Jugendsprache bestimmt und sprachkritisch eingeschätzt. Preisänderungen vorbehalten
Durch u.a.
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Walter de Gruyter Berlin New York
HARALD BURGER
Das Gespräch in den Massenmedien Oktav. Ca. 460 Seiten. 1991. G e b u n d e n ca. D M 186,- ISBN 3 11 012215 4 Aus dem Inhalt: Medien-Zeit und M e d i e n - R ä u m e - Rituale - Sei spontan! - Intimität in der Öffentlichkeit - Kampf o d e r A r g u m e n t e ? - Reden als Show - Information als Dialog - Kommunikation o h n e Grenzen D e r M o d e r a t o r Rollen und Rollenkonflikte - D e r Rezipient im G e spräch - Kinder - Die Wirklichkeit des Mediengesprächs .
Sprachnormen in der Diskussion Beiträge vorgelegt von Sprachfreunden Oktav. VIII, 175 Seiten. 1986. Kartoniert D M 28,- ISBN 3 11 010710 4 Aus dem Inhalt: Literatursprache - N o r m e n wider die Norm; "Schreibe, wie D u redest!"
Zu einer stilistischen Norm; Ironie als sprachliche
Handlung; V o n d e r Normativität deskriptiver Wörterbücher; Ü b e r die Notwendigkeit von und das U n b e h a g e n an Stilbüchern; Klammersprache Deutsch; Satzverknüpfung als Problem d e r Textkonstitution in der Schule.
Preisänderungen vorbehalten