Wasser für Carnuntum: Versorgung, Entsorgung, Badekultur im Römischen Reich und in der Stadt an der Donau. Band I: Im Römischen Reich 9783990129531, 3990129538

Im Laufe der Ausgrabungen zwischen dem 18. Jahrhundert und heute wurden im einstigen Legionslager Carnuntum mehrere öffe

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Title
INHALTSVERZEICHNIS
KAPITEL I WASSERVERSORGUNG IM A LTERTUM
KAPITEL II RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK
KAPITEL III AQUÄDUKTE UND NYMPHÄEN IM RÖMISCHEN REICH
KAPITEL IV BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER
KAPITEL V HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG
KAPITEL VI BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE
KAPITEL VII WASSERBAUUND ABWAS SERRECHT IN DER KAISERZEIT
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Wasser für Carnuntum: Versorgung, Entsorgung, Badekultur im Römischen Reich und in der Stadt an der Donau. Band I: Im Römischen Reich
 9783990129531, 3990129538

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Rudolf Franz Ertl Helmut Leitner

Wasser für Carnuntum Versorgung, Entsorgung, Badekultur im Römischen Reich und in der Stadt an der Donau — BAND I — Im Römischen Reich

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von

Coverabbildung: Die wiederaufgebaute Kleine Therme im Archäologischen Park Carnuntum von Südwesten gesehen. Foto: Helmut Leitner Rudolf Franz Ertl, Helmut Leitner: Wasser für Carnuntum. Versorgung, Entsorgung, Badekultur im Römischen Reich und in der Stadt an der Donau Band I: Im Römischen Reich HOLLITZER Verlag, Wien 2023 Alle in dieser Arbeit enthaltenen Angaben wurden von den Autoren nach bestem Wissen erstellt und mit ­g rößtmöglicher Sorgfalt überprüft. Gleichwohl sind sowohl inhaltliche Fehler als auch Satzfehler nicht vollständig auszuschließen. Daher erfolgen die Aussagen ohne jegliche Verpf lichtung oder Garantie der Autoren. Haftung der Autoren und/oder des Verlags für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen. Die Autoren danken allen öffentlichen und privaten Leihgebern für das freundlicherweise zur Verfügung ­ gestellte ­A bbildungsmaterial und die Reproduktionsrechte. Für die Genehmigung wurden die jeweiligen Rechteinhaber ­g rößtenteils kontaktiert. Nur einige wenige konnten bis zum Zeitpunkt der Publikation nicht ermittelt werden. Die Autoren bitten in derartigen Fällen um Kontaktaufnahme. Für den Inhalt verantwortlich: Rudolf Franz Ertl Layout und Satz: Gabriel Fischer Hergestellt in der EU Alle Rechte vorbehalten. © HOLLITZER Verlag, Wien 2023 ISBN 978-3-99012-953-1

I N H A LT SV E R Z EICH N IS — BAND I — Im Römischen Reich Vorwort……………………………………………………………………………………   XV Dank…………………………………………………………………………………………   XIV Zusammenfassung………………………………………………………………………   XX Abstract…………………………………………………………………………………… XXII Resumen…………………………………………………………………………………… XXIV

KAPITEL I Wasserversorgung im Altertum………………………………………………………   3 Das Werk des Frontinus → 3 Was Vitruv und Plinius berichten → 4 Denkmäler antiker Wasserbaukunst → 6 Grabungsergebnisse → 6 Roms Wasserleitungen → 7 Wasserbedarf größerer Städte im römischen Imperium → 7 Das Zumessungsprinzip → 9 Abflussmengen der Fernwasserleitungen → 10 Roms Wasserversorgung pro Kopf der Bevölkerung → 11 Zuständige Beamte der Wasserversorgung………………………………………   12 Curatores aquarum von Augustus bis Antoninus Pius…………………………   13

KAPITEL II Römische Wasserbautechnik…………………………………………………………   37 Das Römische Reich → 37 Älteste Formen der Mauertechnik → 38 Bau- und Dekormaterial, Tafel 1 → 84 Tafel 2 → 86 Römische Ziegel → 38 Ziegel als Geschichtsquellen → 39 Abdrücke von Hundepfoten und genagelten Soldatenschuhen → 39 Stein- und Ziegelbauweise, Tafel 1 → 88 Tafel 2 → 90 Fußbodenheizung → 40 Tafel Hypokaustheizungen → 96 Estriche → 40 Marmor und Edelputze → 40 Tonnen- und Kreuzgewölbe → 40 Tafel Bogenkonstruktionen → 102 Wichtige Architekturelemente → 41 3000 Jahre Mosaike → 41 Von Pella bis Rom → 42 Mosaikkunst in Carnuntum → 42 Römische Mosaike, Tafel 1 → 120 Tafel 2 → 122 Wasserbau → 43 Neue Messgeräte, Armaturen und Pumpen → 43 Zisternen und Brunnen → 44 Ungerechte Wasserverteilung → 44 Fachschriftsteller → 45 Dioptra, choroboates und groma → 45

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INHALTSVERZEICHNIS

Waagrechtstellung des Chorobates → 45 Auch Römer konnten irren → 46 Quellfassungen und Quellheiligtümer → 46 Wasserleitungen, Kanäle, Tunnels, Stollenleitungen → 47 Wasserfeste Spezialputze → 47 Wasserfeste Auskleidung der Kanäle → 48 Zuschlagstoff Trass? → 49 Fernwasserleitungen und Aquädukte → 49 Schreib- und Zeichengeräte → 50 Die Schrift- oder Planrolle → 50 Trassierung einer Wasserleitung → 50 Wasserleitungsrohre……………………………………………………………………… 52 Tonröhren → 52 Steinrohrleitungen aus Kalkstein und vorgefertigte ­Wasserleitungsrohre aus Gussbeton → 53 Normierte Bleirohre → 53 Tabelle Normierte altrömische Bleirohre → 43 Gewaltige Querschnitts­ verminderungen → 54 Tabelle der Wasserleitungsrohre kleinerer Kaliber → 55 Tabelle der Wasserleitungsrohre größerer Kaliber → 56 Tausende Tonnen Blei → 57 Bleigewinnung im Römischen Reich……………………………………………… 59 Bleierzabbau im Römischen Reich → 59 Das Metall → 59 Hispanische Galena → 60 Zentren der Bleigewinnung in Gallien und Britannien → 61 Viele weitere ­Bleilieferanten → 61 Mit Abstand das wichtigste und abbauwürdigste Bleierz war der Galenit (Bleiglanz PbS) → 61 Bleigewinnung aus den geförderten Erzen → 61 Wurden sulfidische Erze geröstet? → 62 Hinweise bei Agricola → 62 Vom Pochen der Erze → 63 Bleischmelzen in Gebläseschachtöfen → 64 Edelmetalle im Werkblei → 64 Restsilbergewinnung → 65 Treiben und Kupellieren → 66 Betrügerische Manipulationen……………………………………………………… 67 Zustände wie im alten Rom → 68 Korrupte Aufseher → 68 Überwindung von ­Bodensenken → 69 Gefährliche Bleivergiftungen durch Wasserleitungen? → 69 Bleiglanz-Vorkommen im Bereich des einstigen Imperium romanum……………………………………………………………………… 70 Portugal → 70 Spanien → 70 Frankreich → 70 England → 71 Deutschland → 71 Österreich → 71 Slowenien → 72 Italien → 72 Griechenland → 72 Weitere Bleiminerale aus möglicherweise in der Antike betriebenen Gruben……………………………………………………………………… 73 Ausgeklügelte Haustechnik…………………………………………………………… 79

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BAND I

KAPITEL III Aquädukte, Wasserverteiler, Nymphäen………………………………………… 177 Bogenkonstruktionen → 177 Aquädukte…………………………………………………………………………………… 178 Italien: Rom → 178 Frankreich: Nemausium (Nîmes, Provence) → 178 Spanien: Tarragona (Catalunya) → 178 Segovia (Castilla y León) → 179 Emerita Augusta (­ Mérida, Extremadura) → 179 Castella aquae → 179 Tunesien: Karthago (unweit Tunis) → 180 Türkei: Side (Pamphylien) → 180 Aspendos (Pamphylien) → 180 Phaselis (Lykien) → 181 Constantinopolis (Istanbul) → 181 Patara → 181

Wasserverteiler → 181 Nymphäen → 182

KAPITEL IV Bäder, Thermen, Heilbäder…………………………………………………………… 205 Thermen oder Bäder? → 206 Vom schlichten Waschhaus zur luxuriösen ­Thermenanlage → 206 Große Bäder → 207 Laconicum und sudatorium → 208 Typen römischer Thermen und Bäder → 208 Noch größer und noch prächtiger → 209 Wasserbedarf der Bäder → 210 Leben und Treiben in den ­Badeanlagen → 210 Mangelnde Hygiene in öffentlichen Badeanlagen und Toiletten → 211 Thermen – semper et ubique → 212 Bemerkenswerte Thermenanlagen………………………………………………… 214 Italien I: Latium: → 214 Villa Adriana (Tivoli) → 216 Ostia (Hafen Roms) → 219 Schweiz: Germania superior: Vindonissa (Windisch im Aargau) → 220 Deutschland: Germania superior: Arae Flaviae (Rottweil am Neckar; ­Württemberg) → 220 Saalburg (bei Bad Homburg; Hessen) → 220 Raetia: Cambodunum (Kempten im Allgäu; Bayern) → 221 Gallia Belgica: Augusta Treverorum (Trier an der Mosel, Rheinland-Pfalz) → 221 Frankreich: Gallia Narbonensis (Provence): Arelate (Arles) → 223 Cemenelum (Cimiez) → 223 Nemausus (Nîmes) → 224 Tunesien: Africa: Karthago (Golf von Tunis) → 224 Thugga (bei Théboursouk) → 224 Lybien: Africa tripolitania: Leptis Magna (Hafenstadt) → 225 Syrien: Syria: Philippopolis (Shahba, Südsyrien) → 226 Türkei: Pamphylia: Aspendos (nahe dem Dorf Belkı) → 226 Perge (bei Antalya) → 227 Side (zwischen Antalya und Alanya) → 227 Lycia: Patara (bei Gelemiş) → 229 Arykanda (bei Arif ) → 230

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INHALTSVERZEICHNIS

Asia: Aphrodisias (Geyre; Karien) → 230 Milet (am Ägäischen Meer; Ionien) → 231 Ephesos (am Ägäischen Meer bei Selçuk; Ionien) → 231 Sardes (östlich von Izmir; Lydien) → 232 Phrygia: Hierapolis (bei Pamukkale) → 232 Aizanoi (Çavdarhisar) → 233 Ankyra (Ankara) → 234 Griechenland: Creta et Cyrene: Gortyn, Creta Romana (Insel Kreta) → 234 Bulgarien: Thracia: Odessos (Varna am Schwarzen Meer) → 235 Serbien: Moesia superior: Felix Romuliana (Gamzigrad, Ost-Serbien) → 236 Italien II: Sicilia: Villa del Casale (Piazza Armerina) → 236 Campania: Herculaneum (Golf von Neapel) → 237 Pompeji (Golf von Neapel) → 237 Heilbäder…………………………………………………………………………………… 239 Heilbäder → 239 Die heilende Wirkung des Wassers → 240 Heilschlaf und Traumdeutung → 241 Träume in der antiken Kunst und Literatur → 241 Medizinische Aspekte → 242 Tempelschlaf und Heilträume → 242 Wunderheilungen kannte auch das frühe Christentum → 243 Wallfahrten und ­Heilschlaf → 244 Jesus, der Heiler → 244 Die Taufe Jesu → 245 Albanien: Buthrotum (Butrint) → 246 Griechenland: Epidauros → 246 Türkei: Das Asklepieion von Pergamon → 247 Allianoi (heute Paşa Ilι casι) → 248

KAPITEL V Heilbäder und Götterverehrung……………………………………………………… 375 Griechische Götter……………………………………………………………………… 376 Amazonendarstellungen → 376 Amphiaraos → 376 Amphitrite (Gemahlin des ­Poseidon) → 377 Demeter → 377 Dionysos (lat. Bacchus) → 378 Dioskuren (auch Castores oder Kastores = Kastor und Pollux) → 380 Eros → 380 Gaia → 381 Hyperion → 381 Kabiren → 381 Klymene → 382 Klytia → 383 Kronos → 383 Mnemosyne → 383 Nereus und Nereiden → 383 Niobe → 383 Okeanos → 384 Orpheus → 384 Panakeia → 384 Phaeton → 384 ­ Selene → 384 Telesphorus → 384 Themis → 385 Thetis → 385 Triton → 385 Uranos → 385 Zeus → 385 Griechisch-römische Götter…………………………………………………………… 388 Aphrodite (lat. Venus) → 388 Apollon (lat. Apollo) → 389 Ares (lat. Mars) → 391 ­A rtemis (lat. Diana) → 392 Asklepios (lat. Aesculapius bzw. Äskulap) → 393 ­ Athene (lat. Minerva) → 394 Hades (lat. Pluto) → 396 Helios (lat. Sol) → 396 Hephaistos (lat. Vulcanus) → 396 Hera (lat. Juno) → 397 Herakles (lat. Hercules) → 398 Hermes (lat. Mercurius bzw. Merkur) → 399

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BAND I

Hestia (lat. Vesta) → 400 Hygieia (lat. Hygia) → 400 Nike (lat. Victoria) → 401 Nymphen → 401 Pan (lat. Faunus) → 402 Pluto → 403 ­ Poseidon (lat. Neptunius bzw. Neptun) → 403 Tyche (lat. Fortuna) → 403 Römische Götter………………………………………………………………………… 405 Abundantia → 405 Aesculapius bzw. Äskulap → 405 Angitia → 405 Bacchus → 405 Belinus (auch Belenus) → 405 Bona dea → 406 Carmenta → 406 Carna → 406 Danubius (oder Danuvius) → 406 Diana → 406 Faunus → 406 Fontes → 407 Fortuna → 407 Intercidona → 407 Janus → 407 Juno → 407 Jupiter → 408 Kastores → 408 Laren → 408 Mars → 409 Meditrine → 409 Mephitis → 409 Mercurrius bzw. Merkur → 409 Minerva → 409 Mithras → 409 Nemausus → 411 Neptunius bzw. Neptun → 411 ­O ssifraga → 411 Picus → 411 Salus → 411 Saturnus → 412 Sequana → 412 Silenos-Satyros → 412 Silvanus → 412 Sol → 412 Vediovis → 412 Venus → 413 Vesta → 413 Victoria → 413 Volturnus → 413 Andere Götter ……………………………………………………………………………… 414 Ägyptisch: Isis → 414 Nilus → 414 Serapis → 415 Phrygisch/Phönizisch: Kybele → 415 Magna Mater → 415 Sabazios → 416 Keltisch: Diana Abnoba → 416 Grannus → 416 Sirona → 417 Vibe → 417

KAPITEL VI Bedeutende Ärztinnen und Ärzte der Antike…………………………………… 475 Die Heilkünstler → 475 Die Frage nach dem tatsächlichen Entwicklungsstand der Medizin in der römischen Kaiserzeit → 476 Höhepunkte der antiken Chirurgie → 476 Fortschritte im Bereich der Arzneimittellehre → 476 Militärärzte und Militärlazarette → 477 Ärzte und Ärztinnen vor Christi Geburt (Griechenland)…………………… 478 Machaon und Podaleirios → 478 Alkmaion von Kroton → 478 Demokedes von Kroton → 478 Apollonides von Kos → 479 Nikomachos → 479 Philistion von Lokroi → 479 Anaxagoras von Klazomenai → 479 Herodikos von Selymbria → 479 Herakleides → 480 Hippokrates aus Kos → 480 Demokritos aus Abdera → 481 ­E uryphon von Knidos → 481 Diogenes von Apollonia → 481 Empedokles von Agrigent → 482 Herodikos von Knidos → 482 Ktesias von Knidos → 482 ­D iokles von Karystos → 482 Xenokrates von Aphrodisias → 483 Chrysippos von Knidos → 483 Praxagoras von Kos → 483 Theophrastos von Eresos → 483 Herophilos von Chalkedon → 483 Kleombrotos → 484 Erasistratos → 484 Metrodoros → 484 ­K leophantos → 484 Mnemon von Side → 484 Philinos aus Kos → 485 Bakcheios von Tanagra → 485 Glaukias aus Taras → 485 Serapion von Alexandreia → 485 ­Nikandros von Kolophon → 485 Philoxenos → 486 Asklepiades von Prusa → 486 Athenaios von Attaleia → 486 Dioskurides Phakas → 486 Meges aus Sidon → 486 Menodoros → 486 Themison von Laodikea → 487 Herakleides von Taras → 487 Alexandros Philalethes → 487

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INHALTSVERZEICHNIS

Ärzte und Ärztinnen vor Christi Geburt (Rom)………………………………… 488 Archagathos → 488 Antonius Musa → 488 Ärzte und Ärztinnen nach Christi Geburt (Griechenland)………………… 489 Ammonios → 489 Xenophon aus Kos → 489 Apollonios von Tyana → 489 ­D emosthenes Philalethes → 489 Aretaios aus Kappadokien → 489 Archigenes aus Apameia → 490 Eucratus → 490 Pedanios Dioskurides → 490 ­H eliodoros → 490 Kleophantos → 490 Leonides aus Alexandreia → 491 Thessalos von Tralleis → 491 Nonnos → 491 Rhuphos von Ephesos → 491 Demetrios → 491 Galenos → 492 Antyllos → 493 Poseidonius → 494 Alexandros von Tralles → 494 Ärzte und Ärztinnen nach Christi Geburt (Rom)……………………………… 495 Euprepes (Titus Flavius Euprepes) → 495 Celsus (Aulus Cornelius Celsus) → 495 Claudius Agathinos aus Sparta → 495 Scribonius Largus → 495 Euthemus (Lucius Iulius Euthemus) → 495 Optatus (Lucius Iulius Optatus) → 496 Priscianus (Theodoros Priscianus) → 496 Vindicianus Afer → 496 Caelius Aurelianus → 496 Melaniona → 496 ­

KAPITEL VII Wasserbau- und Abwasserrecht in der Kaiserzeit……………………………… 509 Die cloaca maxima in Rom → 509 Roms früheste Wasserversorgung → 510 Altrömisches Wasserbaurecht → 510 Strafzahlungen für Wasserverschmutzer → 511 Kein Erbrecht für Wasserrechte → 512 Bestechliche Prokuratoren und illegale ­Wasserentnahmen → 512 Senatsbeschlüsse über Wasserleitungsreparaturen → 513

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— BAND II — Carnuntum

KAPITEL VIII Zur Geschichte der Römerstadt Carnuntum und ihrer Wiedergeburt nach 2000 Jahren…………………………………………………………………………… 521 Die Besiedlung des Carnuntiner Raumes → 521 Einwanderung der Kelten → 522 Das Regnum Noricum → 522 Caesar und Augustus → 523 Der erste Mann im Staat → 524 Winterlager an der Donau als Bollwerk gegen die Markomannen? → 524 Standlager und Canabae → 525 Als Carnuntum Provinzhauptstadt wurde → 526 Zuerkennung des Municipalstatus → 526 Die frühesten Verbauungsspuren → 527 Markomannen und Quaden → 527 Vom Statthalter zum Kaiser → 528 Thermenmanager → 528 Staat und Kirche → 529 Pax romana im 2. Jahrhundert → 530 Römische Villen im Umland → 530 Kultstätten  und Heiligtümer in der Metropole an der Donau → 530 Die Tempelbezirke auf den Mühläckern → 531 Richtungweisend: Die Carnuntiner Kaiserkonferenz anno 308 n. Chr. → 532 Korruption und Verschlechterung des Lebensstandards → 532 Barbareneinfälle, Mord, Raub und Plünderungen → 533 Armut und sinkende Lebensqualität in der Spätantike → 533 Stadtflucht wegen u ­ ngeliebter Migranten → 534 Carnuntums Untergang → 534 Als die Erde bebte → 534 Severin, Feletheus und Odoaker → 535 Wiedergeburt der versunkenen Stadt → 536 Raubgräber und Antikensammler → 537 Historische Reiseberichte → 537 Schatzsucher unterwegs → 538 Gezielte Forschungstätigkeit seit Regierungsantritt von Kaiser Franz Joseph I. → 539 Oberst Groller und das Museum Carnuntinum → 540 Erster Weltkrieg → 540 Führerbefehl: „Carnuntum wird ausgegraben!“ → 541 Zeit des Wiederaufbaus → 541 Publikationen → 541 Palastruine, Pfaffenberg und Auxiliarkastell → 542 Museumsverein Petronell-­ Carnuntum Auxiliarkastell → 542 Der Archäologische Park Carnuntum → 543 „Römer – hautnah“ → 543 „Reiter wie Statuen aus Erz“ → 544 2. April 2011: ­Jupitersäule, Venusbrunnen und Pfaffenberggalerie → 545 Landesausstellung 2011: „Erobern, entdecken, erleben im Römerland Carnuntum“ → 545 Die vier ­G eneralthemen der Ausstellung → 546 Jupiter Karnuntinus? → 546 ­Entdeckung der Gladiatorenschule und der Gardekaserne → 547

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INHALTSVERZEICHNIS

KAPITEL IX Wasserbedarf, Versorgung und Ressourcen im Raum Carnuntum……… 575 Carnuntums Wasserversorgung → 576 Auftauchende Probleme → 577 Die Wasserressourcen aus heutiger Sicht im Überblick → 577

KAPITEL X Wasser und Abwässer in Legionslager und Auxiliarkastell………………… 583 Schöpfbrunnen und Zisternen → 583 Zugeschüttete Brunnen → 584 Wasserleitungen zum Legionslager → 584 Eine Anlage für 6.000 Mann → 585 Das System römischer Lagerbauten → 585 Bauten des Carnuntiner Legionslagers → 586 Abweichungen von der ursprünglichen Rechteckform des Lagers → 586 Beachtliche Funde in der principia → 587 Das Sacellum → 587 In der Kommandantur → 588 Praetorium und O ­ ffiziersquartiere im scamnum ­tribunorum → 588 Das valetudinarium → 589 Carcer und veterinarium → 590 ­M annschaftskasernen → 590 Zisternen aus der Spätzeit → 591 ­ Abwasserentsorgung → 591 Abwasserkanäle, Gossen und Kloaken → 592 Der Abwasserkanal bei der porta sinistra → 593 Der Kanal bei der porta decumana → 593 Ein fehlerhaftes Kanalnetz → 594 Wolfsgruben über den Kloaken → 595 ­Problematische ­Fäkalienentsorgung → 595 Der große Kanal in der Praetentura → 596 Übersicht über das Gefälle im Carnuntiner Kanalnetz → 597 Lediglich Regenwasserableitungen? → 598 Carnuntum in valentinianischer Zeit: Als Carnuntum an Bedeutung verlor → 599 Die valentinianische ­Kanaleindeckung → 599 Valentinian in Carnuntum → 600 Blutige Abwehrschlachten → 601 Auf den Spuren Valentinians → 601 Wasserversorgung des Reiterlagers Carnuntum → 603 Entdeckung des ­Auxiliarlagers → 603 Notgrabungen 1977 bis 1988 → 604 Das Erde-Holz-Kastell und das Steinkastell → 604 Das Steinkastell II → 605 Eklatanter Verstoß gegen die römische Bauordnung: ein Abwasserkanal über einer Trinkwasserleitung → 606 Das Auxiliarkastell und seine Besatzung → 607 Forschungsergebnisse aus den Jahren 1989 bis 1994 → 608 Die Wasserversorgung des sogenannten Militärbades → 609

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BAND II

KAPITEL XI Die Carnuntiner Wasserleitungen…………………………………………………… 655 Ein „heydnischer Brunnen“→ 655 Die Gstettenbreiten-Leitung → 656 Zu ihrer Entdeckungsgeschichte → 656 Bautechnik und Zweck der Leitung → 657 Hydrologische Aspekte → 658 ­Einstiegsschächte mit Tritt- und Grifflöchern → 659 Leitungsabdeckungen → 659 ­Bemerkenswert: Der Ziegelstempel >CAP< → 659 Die Witzelsdorfer-Leitung → 661 Römische Wasserleitung im Tiergarten → 662 Die Schaffelhof-Leitung → 663 Zur Chronologie der weiteren Nutzung der Schaffelhofquellen → 663 Anno 1589 → 663 Räuberische Kuruzzen → 664 Aus dem Petroneller Schlossarchiv → 665 Zollhaus „Zu den sieben Brunnen“ → 665 Um 1800 → 665 Umleitung des Schaffelhofwassers → 666 Mitten im Ersten Weltkrieg → 667 Eine neue Ortswasserleitung für Petronell → 667 Das Pfaffenbründl → 668 Die Solabründl-Wasserleitung → 668 Der erhaltene Teil → 669 Geringes Gefälle im Südabschnitt → 670 Unterschiedliche Profile und lichte Weiten der Abschnitte → 670 Die Eindeckung der Leitungen → 670 Einstiegsschächte → 671 Geringeres Profil und größeres Gefälle im Nordabschnitt → 671 Sammelstollen? → 672 Wasser für die Canabae? → 672 Eine weitere Wasserleitung? → 672 Wasser aus Hundsheim? → 673

KAPITEL XII Die Thermen von Carnuntum………………………………………………………… 707 Die Große Therme, genannt „Palastruine“ → 707 Palastruinen-Thermalwasserleitung? → 708 Heiligtum, Wasserspeicher oder Marktplatz? → 709 Die wiederaufgebaute Kleine Therme im Archäologischen Park → 710 Römische Lebensart: Kulinarik → 711 Puls und Brot → 712 Gemüse, Pilze, ­Hülsenfrüchte und Salate → 712 Obst und Nüsse → 713 Fleisch, Würste und Fisch → 713 Eier und Milchprodukte → 714 Kräftige Würze darf nicht fehlen → 714 Schlicht, einfach, nahrhaft und zumeist biologisch einwandfrei: Die Küche der Landbevölkerung → 715 Honig zum Süßen → 715 Festessen der Wohlhabenden, Gelage der Reichen → 715 Importierte Delikatessen → 716 Die Küchengeheimnisse des Apicius → 716 Römische Lebensart: Wohnen und Wohlfühlen in Carnuntum → 717 Vermutungen von heute – Irrtümer von morgen? → 718 Garnisonsstadt Carnuntum → 718 Multikulturelle römische Provinzialkultur → 719 Weitgehend friedliches ­Zusammenleben → 720 Die „einfache Bevölkerung“ → 721 Lebensgrundlage ­L andwirtschaft → 722 Änderungen gegenüber der Landwirtschaft im ­M ittelmeerraum → 722 Sklaven: „pfleglich zu behandelnde instrumenta“ → 723

XIII

INHALTSVERZEICHNIS

„Auch Sklaven sind Menschen …“ → 724 Vom 21. Jahrhundert zur Antike → 724 Die lex Aquilia → 725 In der Kaiserzeit → 725 Freigelassene → 726 Öffentliche und private Priester → 726 Augustales, pontifices, sacerdotes → 726 In der Familie → 727 Handwerker → 728 Erfüllungsgehilfen → 729 Spezialisierung in den handwerklichen Berufen → 730 Kaufleute – semper et ubique → 730 Carnuntiner Kleinhändler → 731 Mittellose, Bedürftige und Arme → 731 Armutsgrenze und Existenzminimum → 732 Römische Wohnkultur → 733 Die Familie → 733 Komplizierte Namensgebung → 734 Zur Eliminierung der Vornamen → 735 Namen von Sklaven und Freigelassenen → 735 Keine Individualnamen für Damen → 735 Ehevereinbarungen → 736 Confarreatio, coemptio und usus → 737 Die confarreatio → 737 Hochzeit und Aberglaube → 738 Der römische Kalender → 738 Von der Unterwürfigkeit zur Emanzipation → 739 Kindersterblichkeit → 740 ­Erziehung und Bildungswesen → 740 Vereinsleben → 741Transport- und Verkehrswesen, Schnellpost und Gütertransporte → 741 100.000 Straßenkilometer quer durch das Römische Reich → 742 Häufig unterwegs: Regierungsspitzel, Kaufleute und Badereisende → 742 Bodenforschungen, K ­ leinfunde, Grabinschriften, Militärdiplome, winzige Fluchtäfelchen und ­umfassende Literatur → 743 Vom municipium zur colonia → 744 Der Überlebenskampf der Carnuntiner Bevölkerung → 744

ANHANG Umrechnungstabelle für römische Fuß ins metrische Maß………………… 799 Glossar………………………………………………………………………………………… 801 Anmerkungen……………………………………………………………………………… 943 Literaturverzeichnis…………………………………………………………………… 1009 Curricula vitae der Verfasser……………………………………………………… 1075 Register…………………………………………………………………………………… 1079

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VORWORT Das Spannungsfeld zwischen dem regional und saisonal recht unterschiedlichen Wasserdargebot der Natur und dem Wasserbedarf der Gesellschaft war und ist stets dort ein Problem, wo viele Menschen auf kleinstem Raum beisammen leben, also speziell in städtischen und großstädtischen Siedlungsräumen. Die Gründung Carnuntums erfolgte zweifellos vorrangig nicht nach siedlungspolitisch optimalen Bedingungen, sondern vielmehr auf Grund militärischer und politischer Aspekte sowie auf Grund verkehrsmäßiger und handelspolitischer Überlegungen. Bei der Auswahl von Lager- und Stadtterritorien wurde allerdings stets auf die ausreichende Verfügbarkeit von hygienisch einwandfreiem Trinkwasser geachtet. Die Entscheidung für den Standort des Carnuntiner Lagers fiel nicht zuletzt auch wegen der Lage am Donaustrom, der zumindest für das Militärlager ausreichenden Trinkwasservorkommen und der Thermalquellen am Fuße der Hainburger Berge. Carnuntum war vom Beginn an ein wichtiger militärischer Stützpunkt an der Nordgrenze des Reiches und entgegen allen Spuren von Kunst, Kultur und Wirtschaft drehte sich das gesamte Leben primär um die Erfordernisse des Militärs. Wir müssen uns stets vor Augen halten, dass das Legionslager Ursache für die Entstehung der Zivilstadt war. Dass diese sich aber im Laufe der Dezennien zu einer Stadt mit geschätzten 50.000 Bewohnern entwickeln würde, war nicht abzusehen. Damit verbunden waren sowohl Probleme mit der Trink- und Brauchwasserversorgung als auch mit der Abwasserentsorgung, nicht zuletzt wegen des enormen Wasserbedarfs der privaten und öffentlichen Badeanstalten. Auch wenn man in Carnuntum mit Bernstein handelte und der Ort ein Warenumschlagsplatz war, so avancierte die Stadt in keiner Periode ihrer Geschichte zu einem herausragenden Wirtschaftszentrum. Auch wenn heimische Steinmetze so manche bewunderungswürdige Skulptur schufen, war Carnuntum niemals richtungsweisend in der römischen Kunstgeschichte, und obwohl Marc Aurel hier einen Teil seiner Selbstbetrachtungen verfasste, kann man keineswegs von einem Hort der Geistesgeschichte sprechen. Carnuntum war jedoch – ebenso wie Aquin­ cum oder Sirmium – ein bedeutendes Zentrum des Römischen Reiches, wenn es um militärische Auseinandersetzungen und um reichs- bzw. weltpolitische Entscheidungen ging. Das beweisen uns nicht nur die vielen Kaiserbesuche im Lauf der Jahrhunderte, sondern auch die zeitweise Anwesenheit des Kaisers Marc Aurel während der Markomannenkriege und die berühmte Kaiserkonferenz des Jahres 308 n. Chr., in welcher über die Zukunft des Weltreiches entschieden wurde. Die Römer wussten, wie wichtig frisches, sauberes Wasser, Körperpflege und eine gute Abwasserentsorgung für die Gesundheit des Menschen waren. Um Engpässen in der Versorgung entgegenzuwirken, bemühten sich alle Bauherren, vom Kaiser bis zum kleinsten Bauern – unterstützt von Baumeistern und Architekten –, um die Errichtung ausreichender hydrotechnischer Einrichtungen. Die vorliegende Arbeit soll auf Grund der Grabungsbefunde die Wasserversorgungssituation in der antiken Metropole an der Donau beleuchten. Die archäologische Fachliteratur wird der Bedeutung dieser Wasserversorgungs- und -entsorgungsbauten häufig nicht gerecht, zumal Repräsentationsbauten wie Paläste, Tempel und Amphitheater beim Leser einen viel höheren Stel-

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VORWORT

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lenwert haben als all die vielen hydrotechnischen Anlagen. Ausnahmen bilden da lediglich Thermen, Nymphäen, Quellheiligtümer und imposante Aquädukte. Im Laufe der bereits mehr als zwei Jahrhunderte währenden archäologischen Erforschung Carnuntums wurden wiederholt Quellfassungen, Trinkwasserleitungen, Kanäle sowie Wasserleitungsrohre freigelegt, selbst mehrere Thermen und Bäder, aber auch Weihealtäre an die Quell- und Flussgötter, an die Fontes und Nymphen, wurden entdeckt. Vorliegende Zusammenfassung und Interpretation der Funde im Raum Carnuntum gibt einen Überblick über die auf Hunderte Publikationen verteilten Fundmeldungen und erhält ihren aktuellen Charakter durch die Suche nach einer noch nicht nachgewiesenen, aber schon seit längerem vermuteten Wasserleitung aus dem hügeligen Osten des Stadtgebietes. Noch bewegen wir uns fraglos im Bereich der Spekulationen, doch konkrete Anhaltspunkte für diese bis heute nicht freigelegte Wasserleitung vom Westhang des Pfaffenberges über das fast ebene Weingartenfeld liefern linear angeordnete Trockenmarken, die nur auf Luftaufnahmen zu erkennen sind. Überall dort, wo Steinfundamente in der Erde stecken, verfügen die Pflanzen über eine verminderte Wasserzufuhr, wodurch derartige Trockenmarken entstehen. Ertl hat auf Grund der Höhenschichtenlinien auf historischem Landkartenmaterial versucht, den etwaigen Verlauf dieses Aquäduktes festzulegen. Linear angeordnete punktförmige Bewuchsmerkmale lassen den Verdacht auf Baureste von Aquäduktpfeilern aufkommen. Ertl nimmt an, dass das Wasser aus den auf historischen Landkarten zu erkennenden Gräben am Westhang des Pfaffenberges zusammengefasst und über ein oder mehrere Klärbecken in die Lagerstadt via Aquädukt geleitet wurde. Reine Spekulation? Ja. Aber auch Arbeitshypothesen können mitunter zum Erfolg führen. Es ist anzunehmen, dass künftige Infrarot-Aufnahmen und Bodenradar-Untersuchungen die Spuren eines einstigen Aquäduktes vom Pfaffenberg zum Militärbad und zum Militärlager und dessen tatsächlichen Verlauf feststellen werden. Dass es sich dabei hier in der Grenzregion des Römischen Reiches kaum um eine eindrucksvolle Bogenkonstruktion gehandelt haben wird, ist aus strategischen Gründen naheliegend. Nichts wäre für feindliche Aggressoren einfacher gewesen, als einen einzigen Bogen einer derartigen Wasserleitung zu zerstören und damit die gesamte Lagerbesatzung von der lebenswichtigen Wasserversorgung abzuschneiden. Denkbar ist lediglich, dass ein derartiges Bauwerk in Friedenszeiten und zur Zeit der größten Ausdehnung der Stadt und einem damit verbundenen erhöhten Wasserbedarf entstand. Um einem breiten interessierten Publikum den Zugang zum archäologischen Erbe der Römerstadt zu erleichtern, haben Helmut Leitner und der Unterzeichnete weitreichende Informationen über Ausgrabungen und Funde aus vielen Provinzen des Römischen Reiches zusammengetragen. Diese sollen den Leserinnen und ­L esern einen Einblick in die Wasserversorgung und -entsorgung sowie die zum Teil luxuriöse Badekultur sowohl in Rom als auch in den Provinzen des Imperiums ermöglichen.

Museum ­C arnuntinum Das von den ­A rchitekten ­Ohmann und ­K irstein geplante Museum ­Carnuntinum in Bad DeutschAltenburg. Foto: Helmut Leitner

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DA N K Der Dank des Verfassers gilt vor allem dem Auftraggeber Dr. Hans Ernst ­W EIDINGER (Hollitzer Baustoffwerke GesmbH), der auch den Anstoß zu einer dem Werk vorauseilenden Daten- und Faktensammlung gab, dem Verlag Hollitzer in Wien, dem zeitweiligen Bürgermeister von Bad Deutsch-Altenburg und Abgeordneten zum Nationalrat Ernest WINDHOLZ. Der Dank gilt weiters Helmut LEITNER für das von ihm zur Verfügung gestellte Bildmaterial und die Bildbearbeitung, Eckart und Ingomar HERRMANN für den vorläufigen Bericht über die Wasserleitung westlich Petronell/Carnuntum (Sandgrube – Gstettenbreite – Tiergarten) sowie Franz Xaver PRASCSAITS für dessen Recherchen und dem Obmann des Museumsvereines Petronell Carnuntum Auxiliarkastell Alfons O. JUST†. Weiteres Bildmaterial zur Verfügung stellten Defner-Verlag, Sepp FLEISSNER, Friedrich GROTENSOHN, Prof. Dr. Friedrich JELINEK, Lukas KALCHHAUSER, Norbert MALY†, Ing. Ernst WALTER† (Vienna Press), Kurt WEISS, Ernest WINDHOLZ jun. und Bogdan WINNICKI†. Für wertvolle Hinweise und Korrekturen bin ich weiters nachstehend Genannten zu großem Dank verpflichtet: Hofrat Dr. Vera M. F. HAMMER (Naturhistorisches Museum Wien), Hofrat Mag. Franz HUMER (Archäologischer Park Carnuntum), Prof. Dr. Friedrich JELINEK, Univ. Prof. Dr. Werner JOBST, Stefanie KOVACIC, Helmut LEITNER, Norbert MALY†, Dr. Herma STIGLITZ, den vielen Experten, die in der Vergangenheit wertvolle Erkenntnisse im Bereich der Erforschung der Wasserversorgung Carnuntums sammelten und last but not least meiner Frau Susanne ERTL. Genereller Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundes­ ministeriums für Land- und Forstwirtschaft, des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung, des Österreichischen Archäologischen Institutes, der Österreichischen Nationalbibliothek (Münzsammlung), des Kunsthistorischen Museums Wien, des Naturhistorischen Museums Wien, des Niederösterreichischen Landesmuseums in St. Pölten, des Museums Carnuntinum in Bad Deutsch Altenburg, des Archäologischen Parks Carnuntum, der Frontinus Gesellschaft e. V., der Prähistorischen Staatssammlung München und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags HOLLITZER. Rudolf Franz Ertl

Carnuntum, Kleine Therme Im Archäologischen Park Carnuntum wurden zum Teil über den antiken Ruinen die einstigen Bauwerke wiedererrichtet. Dadurch wird dem Besucher die Möglichkeit gegeben, tief in die Welt der Antike einzutauchen. ­Eindrucksvoll ist die Kleine Therme, die einen Hauch vom Badeluxus in der römischen Kaiserzeit erahnen lässt.
 Foto: Helmut Leitner

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ZUSA M M E N FASSU NG „Wasser für Carnuntum“ beschreibt die Wasserversorgung, die Badekultur und die Abwasserentsorgung in der Antike, speziell in Carnuntum in den Tagen des römischen principats and dominats (vom 1. bis zum 5. Jh. n. Chr.). Inschriften bestätigen die Anwesenheit der römischen Armee im späten 1.  Jh.  n.  Chr. Aber kleinere militärische Einheiten, sogar Legionen waren schon viel früher hier. Wir wissen, dass der Feldherr Claudianus (der spätere Kaiser ­Tiberius) im Jahr 6 n. Chr. ein Winterlager nahe der keltischen Siedlung Carnuntum als Stützpunkt gegen die germanischen Markomannen errichtete. In diesen Tagen verhinderte ein Aufstand der pannonisch-dalmatinischen Stämme den Angriffskrieg auf die nördlich der Donau beheimateten Völkerschaften. Mit seiner Armee konnte Claudianus die pannonische Rebellion niederschlagen. Carnuntum, eine der strategisch bedeutendsten Militärstädte, eine Metropole an der Nordgrenze des Römischen Reiches mit einem großen Legionslager am ­Donau-Limes (heute Petronell-Carnuntum und Bad Deutsch-Altenburg in ­Niederösterreich), war zeitweise Sitz und Residenz der Imperatoren Tiberius, ­H adrian, Marc Aurel, Septimius Severus, Regalianus, Probus, Diocletian und Valentinian I. Wichtig für die römische Geschichte war Diocletians Kaiserkongress des Jahres 308 n. Chr. Galerius Maximianus und Licinius wurden zu Augusti erhoben und Maximinus Daia avancierte zum Wohle des Imperiums zum Caesar und filius Augustorum. Caesar Constantinus (später Constantin I., der Gro ße) fühlte sich zurückgesetzt und war beleidigt. Ihm wurde lediglich der Titel filius Augustorum verliehen – für ihn nur ein nichtssagender Titel. Im Carnuntiner Militärlager waren zunächst die legio XV Apollinaris (in der frühen Periode zwischen 40 und 114  n.  Chr. mit kurzen Unterbrechungen) und danach die legio XIIII gemina Martia victrix (von 114 n. Chr. bis ins 5. Jh.) stationiert sowie eine Reitereinheit im kleinen Kastell. Kaiser Hadrian verlieh Carnuntum den Status eines municipiums und die Stadt durfte sich mit dem Titel municipium Aelium Carnuntum schmücken. Mit Septimius Severus (193 bis 211 n. Chr.), der in Carnuntum von den Donaulegionen als Nachfolger von Commodus, Pertinax und Didius Julianus ausgerufen wurde, änderte sich die Stadtverwaltung. Mit der Ära der Severer begann eine Wohlstandsphase vom späten 2. bis zum frühen 3. Jh. n. Chr. Septimius Severus erhob die Stadt zur Colonia Septimia Aurelia Antoniniana. Prächtige Bauten erstrahlten im Glanz luxuriösen Marmors. Während des 2. und 3.  Jahrhunderts lebten annähernd 50.000 Einwohner in der Zivilstadt. In Carnuntum standen viele Tempel, es gab fünf Mithras-Heiligtümer, Ehrensäulen, ein großes Forum, eine Gladiatorenschule und drei Amphitheater. Ein eindrucksvoller Tetrapylon wurde in der Mitte des 4. Jh. n. Chr. errichtet. Er ist das einzige Bauwerk aus der Antike, das sich seit damals (wenngleich in schlechtem Bauzustand) über der Erdoberfläche erhalten hat, heute „Heidentor” genannt. Ab der Mitte des 3. Jahrhunderts waren die Tage von Carnuntums Größe und Glanz bereits gezählt. In den 250er-Jahren, in einer Periode, als komplette Provinzen des Römischen Reiches von unbedeutenden Usurpatoren beherrscht wurden,

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ZUSAMMENFASSUNG

wurde die Provinz Pannonia von Markomannen, Quaden, Vandalen und Sarmaten bedroht und geplündert. Anno 260 regierte in den Donauprovinzen der Usurpator Regalianus, ein Rivale des Gallienus, bekannt nur durch seine seltenen Münzen. Im Laufe der Ausgrabungen zwischen dem 18.  Jh. und heute wurden in ­Carnuntum mehrere öffentliche, Militär- und Privatbäder entdeckt. Ein großes Problem war stets die Wasserversorgung. Viele Aquädukte und Wasserleitungen lieferten Wasser von den unterschiedlichen Quellen in der Umgebung in das Wohngebiet. Die Grundmauern der Badeanlagen, Giebelfragmente, reich geschmückte Reliefplatten, unterschiedliche Architekturreste mit sorgfältig herausgearbeiteten Motiven, Ziegel- und Stein-Mauerreste, Gossen und große Entwässerungskanäle, Mosaike und viele Kleinfunde – Skulpturfragmente, Wasserrohre, Inschriften, antike Steinmetzwerkzeuge, paterae, Münzen, Fibeln, Keramik und Glas – erzählen die Geschichte der antiken Badekultur. „Wasser für Carnuntum” gibt nicht nur einen Einblick in die Wasserversorgung im Römischen Reich, es informiert auch über die curatores aquarum von Augustus bis Antoninus Pius. Der Autor beschreibt und erläutert die Kanal-Konstruktionen, die Wasserbaukunst, die römische Architektur, den Brunnenbau, die Errichtung von Nymphäen, Wasserheiligtümern, Zisternen, Wasserbecken und Aquädukt-Konstruktionen. Darüber hinaus gibt das Buch einen detaillierten Überblick über das Bauwesen in der Antike, spezielle Baumaterialien, wie das wasserdichte opus caementicium, Messinstrumente, Pumpen, Holz-, Ton, Stein- und Bleirohre sowie deren Herstellung. Das Buch enthält ausführliche Beschreibungen der heißen Quellen, Thermen und öffentlichen Bäder, aber auch der Heilbäder und all der damals verehrten Götter und Göttinnen bzw. deren Standbilder und Idole und letztlich des medizinischen Personals, der „Bader“ und Ärzte. Ausführlich und detailliert beschrieben werden die Geschichte der Bäder in den Nordprovinzen und die Rekonstruktion eines kleinen privaten Bades im ­„Archäologischen Park“ in Petronell-Carnuntum inklusive einer typischen römischen Garküche. Ein Erdbeben in den 360er-Jahren zerstörte in Carnuntum sowohl viele Bauwerke als auch Trinkwasserleitungen und Abwasserkanäle. Zur Zeit des Imperators Valentinian I. war die vormalige Metropole an der Nordgrenze des Römischen Reiches „zwar verlassen und ungepflegt, jedoch für den Führer eines Heeres strategisch äu­ ßerst günstig gelegen“, schrieb sinngemäß Ammianus Marcellinus. Später, in der „Notitia Dignitatum“, wurde Carnuntum als Sitz des Kommandos römischer Truppen und als Flottenstützpunkt bezeichnet. Erwähnt wurden der praefectus legionis quartae decimae (Befehlshaber der legio XIIII gemina Antoniniana) und der praefectus classis histricae (Befehlshaber der Donauflotte). In den Wirren der Völkerwanderungszeit versank Carnuntum zur vollkommenen Bedeutungslosigkeit.

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A BST R AC T “Water for Carnuntum” is a description of the water supply, the culture of spas and waste-water drainage systems in ancient times, especially in Carnuntum at the time of the Roman principat and dominat (from 1 AD through to the fifth century). Inscriptions attest to the presence of the Roman army in the late part of the 1st century A D. However, most certainly there must have been detachments and legions there much earlier. We know that the Claudian strategist, Tiberius Claudius (later to become the Emperor, Tiberius) erected a winter military camp near the Celtic settlement of Carnuntum as a bastion against the Teutonic Markomannians. In those days, the great revolt of the Pannonian and Dalmatian tribes had prevented any further aggression against the peoples to the North of the the river Danube. The Claudian Tiberius Claudius reduced the Pannonian rebellion with his army. Carnuntum, one of the most important strategic towns, a metropolis on the northern border of the Roman Empire with a large army camp on the Danubian Limes (today Petronell-Carnuntum and Bad Deutsch-Altenburg in Lower Austria) was the temporary headquarters and residence of the Emperors Tiberius, ­H adrian, Marcus Aurelius, Septimius Severus, Regalianus, Probus, Diocletian and ­Valentinian I. One of the most important events in Roman history was the conference of Emperors organised by Diocletian in the year 308 AD where Galerius and Constantius were promoted to become Caesars and junior coEmperors and Maximian Daia rose through the ranks of the Roman Empire to become Caesar and filius Augustorum. Caesar Constantinus (later Constantine I the Great) was most insulted to only receive the title of filius Augustorum which for him signified little. The Legio XV Apollinaris (Apollo’s XVth Legion) was first stationed in the Carnuntum barracks (in the early period from around 40 AD through to 114 AD with brief interruptions) followed by the legio XIV gemina Martia victrix (the Twinned Martial and Victorious XIVth Legion) from 114 AD through to the fifth century with a small detachment of cavalrymen in the fort. It was the Emperor Hadrian who awarded Carnuntum the status and rights of a municipium and the city received the title municipium Aelium Carnuntum. Septimius Severus (193 AD to 211 AD), who was chosen from the Danube legions in Carnuntum as the successor to Commodus, Pertinax and Didius ­Julianus introduced administrative changes. The Severian age heralded a certain opulence in the late second and early third century. Septimius Severus elevated the city to the rank of Colonia Septimia Aurelia Antoniniana and luxurious marble mansions and other edifices were built. During the second and third century the population of the civil town of Carnuntum stood at around 50.000. In Carnuntum by that time there were also many temples, five Mithras sanctuaries, monumental columns, a large market place, a gladiator school and three amphitheatres. An impressive tetrapylon was erected in the middle of the fourth century AD. It is the only original building still standing above ground from that time (in poor conditions) in the area now known as “Heidentor”.

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ABSTRACT

By the mid third century AD, the days of Carnuntum’s greatness were already ending. Around 250 AD, at a time when whole provinces of the Roman Empire had been taken over by minor aggressors, the province of Pannonia was threatened and plundered by the Markomannians, the Quades, the Vandals and the Sarmatians. In 260 AD, the usurpant Emperor Regalianus reigned over the provinces of the Danube, the rival of Gallienus who is now only well known on account of the rare coins associated with his reign. From the 18th century through to the present day, excavations in Carnuntum have uncovered several public public, military and private bathing stations. However, the water supply was a great problem in the past. Aqueducts and networks of pipes took the water from the various springs in the surrounding area into the settlement. That there was an elaborate bathing culture is testified to by the walls and foundations of the bathing houses, the fragments of pediments, the highly ornate cornice blocks, the architectural reliefs, the blocks carved with elaborate motifs, sculpted stones, masonry, the brick and stonework, tombstones, remains of drains, mosaics and many small objects – pieces of sculptures, pipes, inscriptions, ancient sculptors’ tools, bronze-paterae, coins, brooches, pottery and glass. “Water for Carnuntum” not only describes how the water supply functioned in the Roman Empire but also gives information with respect to the curatores aquarum from Augustus to Antoninus Pius. The author describes and explains the dikes, the hydraulic engineering, Roman architecture, the canalling of spring water, the sanctuary fountains, the cisterns, the water tanks and aqueducts. The book also gives a comprehensive account of building in the past and special building materials such as the watertight opus caementitium, measuring instruments, accoutrements, pumps, wooden, clay, stone and lead piping and how it was manufactured. The book offers abundant details with respect to the outstanding hot springs, thermae, public baths and watering places, with mention made to medicinal baths and all the gods, goddesses and the images of deities, god-like figures, idols and, finally, with respect to the medical practitioners and physicians. There are contextual and detailed descriptions of the Roman baths in the in the northern provinces together with the story of the reconstruction of a private bathing place in the “Archaeological Park” in Petronell-Carnuntum within a typical Roman eating house. In or around 360 AD, an earthquake destroyed many buildings and the water system including the drainage in Carnuntum. In the times of the Emperor Valentinian I, Ammianus Marcellinus described the settlement on the northern border of the Roman Empire as “abandoned and untidy, but highly strategic and convenient”. Later, in the “Notitia Dignitatum”, Carnuntum was appointed as the headquarters of a Roman command and as the site of a domestic naval station with mention made to the praefectus legionis quartae decimae (prefect of the XIV gemina Antoniniana) and the naval commander praefectus classis histricae. During the chaos produced by mass migration in the times of the early Middle Ages, Carnuntum gradually paled into complete insignificance.

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R E SU M E N “Agua para Carnuntum” describe el abastecimiento de agua, la cultura de los baños y la evacuación de aguas residuales en la Antigüedad, particularmente en Carnuntum en los periodos del principat y dominat (del s. I al s. V d. C.). Existen inscripciones que confirman la presencia del ejército romano a finales del s. I d. C., pero ya mucho antes estuvieron aquí pequeñas unidades militares, incluso legiones. Sabemos que el jefe militar Claudiano (más tarde emperador Tiberio) estableció un campamento de invierno en el año seis a. C. en las proximidades del poblado celta Carnuntum como base contra los marcomanos germánicos. En aquellos tiempos, una sublevación de las tribus panónico-dálmatas impidió la guerra ofensiva sobre los pueblos establecidos al norte del Danubio. Claudiano logró someter con su ejército la rebelión panónica. Carnuntum, una de las ciudadelas estratégicamente más significativas, una metrópolis junto a la frontera septentrional del Imperio Romano, con un gran campamento de legiones junto al limes danubiano (hoy Petronell-Carnuntum y Bad Deutsch-Altenburg en Baja Austria), fue parcialmente sede y residencia de los emperadores Tiberio, Adriano, Marco Aurelio, Septimio Severo, Regaliano, Probo, Diocleciano y Valentiniano I. Importante para la historia de Roma fue la conferencia de césares organizada por Diocleciano en el año 308 d. C. Galerio Maximiano y Licinio fueron elevados a Augusti. Maximino Daya ascendió a César y filius Augustorum en beneficio del Imperio. César Constantino (más tarde Constantino I, el grande) se sintió relegado y ofendido. Solo se le otorgó el título de filius Augustorum – para él, un título sin valor alguno. En el campamento miltitar carnuntino estuvieron estacionadas primeramente la legio XV Apollinaris (en el periodo temprano entre los años 40 y 114 d. C, con breves interrupciones) y luego la legio XIII gemina Martia victrix (del 114 d. C hasta el s. V), así como una unidad de caballería en el pequeño fuerte. El emperador Adriano otorgó a Carnuntum el estatus de municipium y la ciudad ostentó el título de muni­ cipium Aelium Carnuntum. Con Septimio Severo (193 a 211 d. C.), que fue elegido en Carnuntum sucesor de Cómodo, Pertinax y Didio Juliano por las legiones del Danubio, cambió la administración de la ciudad. Con la era de los Severos se inició una fase de bienestar desde finales del s. II hasta principios del s. III d. C. Septimio Severo elevó la ciudad a Colonia Septimia Aurelia Antoniniana. Suntuosas edificaciones resplandecieron en el lujoso mármol. Durante los s. II y III habitaron cerca de 50.000 personas en la ciudad civil. En Carnuntum había muchos templos y cinco santuarios de Mitra. Columnas conmemorativas, un gran foro, una escuela de gladiadores y tres anfiteatros. A mediados del s. IV d. C. se erigió un imponente tetráfilo. Es la única construcción de la Antigüedad que (aunque en mal estado) se conserva en pie, hoy denominada “Heidentor”. A partir del s. III, los días de grandeza y esplendor de Carnuntum fueron contados. En la década de los 250, en un periodo en el que provincias completas del Imperio Romano fueron gobernadas por usurpadores insignificantes, la provincia romana de Panonio sufrió la amenaza y el saqueo de marcomanos, cuados, vánd-

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RESUMEN

alos y sármatas. En el año 260 gobernó en las provincias danubianas el usurpador Regaliano, rival de Galieno, únicamente conocido a través de sus escasas monedas. En el transcurso de las excavaciones entre el s. XVIII y la actualidad se descubrieron en Carnuntum varios baños públicos, militares y privados. El abastecimiento de agua fue siempre un problema grave. Muchos acueductos y conducciones suministraban agua de los diversos manantiales de los alrededores a la zona habitada. Los cimientos de las instalaciones de los baños, fragmentos de las fachadas, placas de relieves ricamente decorados, diversos restos arquitectónicos con motivos esmeradamente trabajados, acequias y grandes canales para la evacuación de aguas residuales, mosaicos y muchos hallazgos menores – fragmentos de esculturas, tuberías de agua, inscripciones, antiguas herramientas de piedra, páteras, monedas, broches, cerámica y cristal – nos narran la historia de la antigua cultura de los baños. “Agua para Carnuntum” da no solo idea del abastecimiento de agua en el Imperio Romano, sino que también nos informa sobre los curatores aquarum desde Augusto hasta Antonino Pio. El autor describe y explica las construcciones de canales, el arte de la ingeniería hidráulica, la arquitectura romana, la construcción de pozos, la canalización de aguas de manantial, santuarios acuáticos, cisternas, estanques y construcciones de acueductos. Asimismo, el libro ofrece una detallada panorámica sobre el arte de la construcción en la Antigüedad, materiales especiales de construcción, como el impermeable opus caementitium, instrumentos de medición, bombas, tuberías de madera, barro, piedra y plomo, así como su fabricación. El libro contiene descripciones exhaustivas de las fuentes termales, termas y baños públicos, pero también de los baños terapéuticos y todos los dioses y diosas entonces venerados, así como sus estatuas e ídolos y, finalmente, del personal sanitario, “barberos” y médicos. Profusa y detalladamente se describen la historia de los baños en las provincias septentrionales y la reconstrucción de un pequeño baño privado en el “parque arqueológico” en Petronell-Carnuntum, incluida una cantina típicamente romana. Un terremoto ocurrido en la década de los años 360 destruyó en Carnuntum muchas edificaciones, así como conducciones de agua potable y canales para aguas residuales. En el periodo del emperador Valentiano I, la entonces metrópolis junto a la frontera septentrional del Imperio Romano “estaba ciertamente abandonada y descuidada, pero extraordinariamente situada desde el punto de vista estratégico para el jefe de un ejército”, escribía al respecto Amiano Marceliano. Más tarde, en la “Notitia Dignitatum”, Carnuntum fue designada sede del comando de las tropas romanas y base de la flota. Se mencionaba al praefectus legionis quartae decimae (comandante de la legio XIII gemina Antoniniana) y al praefectus classis histricae (comandante de la flota danubiana). En el caos de la época de las grandes migraciones, Carnuntum quedó sumida en la absoluta insignificancia.

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

K A PIT E L I WA S S E RV E R S O RG U N G I M A LT E RT U M

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KAPITEL I

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WASSE RV E RSORGU NG I M A LT E RT U M Mit der Errichtung der ersten größeren Ansiedlungen, der frühen Städte in Mesopotamien bzw. im gesamten Vorderen Orient war die Notwendigkeit einer geregelten Wasserversorgung der dort ansässigen Menschen erforderlich. Es galt möglichst nahe liegende und ausreichende Wasservorkommen zu finden, die notwendigen Wassermengen heranzuschaffen, zu speichern und zu verteilen sowie die Abwässer durch entsprechende Kanalnetze abzuleiten. Trink- und Nutzwasser wurde den Quellen, Bächen und Flüssen entnommen und in unterschiedlichen Leitungen aus Holz, Ton oder Steinrinnen den Behausungen zugeleitet. Auch wurden Brunnen gegraben. In wasserarmen Gegenden wurde Regenwasser in Zisternen geleitet und dort für Trockenzeiten gespeichert. Dieses System ist heute noch deutlich in der Felsenstadt Petra zu sehen. Um die Wasserversorgung sowohl für die örtliche Bevölkerung als auch für die durchziehenden Karawanen sicherzustellen, errichteten die Nabatäer von der Quelle des Wadi Musa um den Nordhang des al-Khubtha-Massivs herum eine erste Wasser­leitung zum Stadtzentrum. Eine zweite führte durch den Siq in Form einer teilweise mit Steinplatten gedeckten Wasserrinne, die auch streckenweise als Druckleitung (Tonröhren) verlegt wurde. Um die Siedlung nach heftigen Regenfällen vor Sturzfluten aus dem Wadi Musa zu schützen, wurde ein Damm errichtet. Überschusswasser wurde durch einen Tunnel abgeleitet. Es würde zweifellos den Rahmen vorliegender Arbeit sprengen, auf die mannigfaltigen Wasserversorgungssysteme in vorrömischer Zeit einzugehen.1 Über die Wasserversorgung großer und bedeutender antiker Städte, wie Pergamon oder Rom, sind wir sehr gut informiert – einerseits durch die umfangreichen Grabungen in den letzten beiden Jahrhunderten und andererseits durch die Schriften von Zeitgenossen, wie den curator aquarum Sextus Julius Frontinus, der unter den Imperatoren Nerva und Trajan in den Jahren 97 bis 103 n. Chr. in dieser Funktion in Rom tätig war.2

Siehe ­Abbildungen S. 19–21

Das Werk des Frontinus ist für uns deswegen so bedeutend, weil er als Direktor der städtischen Wasserversorgung unbestritten ein Fachschriftsteller war. In seiner unter Kaiser Trajan erfolgten Publikation finden sich wichtige Informationen sowohl über die administrativen als auch die technischen Maßnahmen, mit denen der Metropole Rom die Wasserversorgung permanent gesichert war. Seine Ämterlaufbahn, der cursus honorum, begann der damals etwa dreißigjährige Frontinus 70  n.  Chr. als Stadtprätor, zuständig für die Rechtsprechung. Anno 71 n. Chr. führte ihn in der ­Regierungszeit des Kaisers Vespasian ein militärisches Kommando nach Gallien, wo er an der Unterwerfung der Lingonen maßgeblich beteiligt war. Zwei Jahre später bekleidete er erstmals das Konsulat als Suffektkonsul (consules ordinarii ­waren Caesar Domitianus und Lucius Valerius Catullus Messallinus). Danach

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KAPITEL I

schickte ihn Vespasian für die nächsten vier Jahre als Statthalter nach Britannien. Nach Hainzmann zog Frontinus zusammen mit Kaiser Domitian in den Krieg gegen die Chatten, einen germani­ schen Stamm im heutigen Hessen. Welche Funktionen Frontinus in den Regierungsjahren des Kaisers Domitian (81 bis 96 n. Chr.) bekleidete, wissen wir nicht. Gesichert ist lediglich, dass Frontinus in dieser Zeit Statthalter in der Provinz Asia war. Anno 97 n. Chr. betraute ihn Kaiser Nerva als curator aquarum mit der Verwaltung der stadtrömischen Wasserleitungen. Im darauffolgenden Jahr amtierte Frontinus zum zweiten Mal als Suffektkonsul, im Jahr 100 n. Chr. amtierte er schließlich zum dritten Mal, diesmal als consul ordinarius, und bekleidete gemeinsam mit Kaiser Trajan das höchste Staatsamt: es war das Jahr der consules ordinarii Imperator Traianus III. und Sextus Iulius Frontinus III. Seine Funktion als curator aquarum dürfte Frontinus bis zu seinem Todesjahr 103 n. Chr. bekleidet haben. Hinweise auf Leben und Charakter finden wir bei Tacitus und Plinius dem Jüngeren. Sein umfassendes Werk über die stadtrömischen Wasserleitungen dürfte er kurz vor seinem Tode veröffentlicht haben. Darin finden sich nicht nur die Namen der Wasserleitungen Roms, sondern auch die näheren Umstände von deren Errichtung sowie eine ausführliche Beschreibung der unterschiedlichen Leitungs­abschnitte. Ebenso wie die Ziegel waren auch die Leitungsrohre standardisiert. Frontinus führt in einer Normtabelle alle 25 Kalibermaße an und gibt Aufschluss über die Abflussleistung der Wasserleitungen. Weiters werden Trajans Maßnahmen zur Verbesserung der Frischwasserversorgung angeführt. Rund ein Drittel des Werkes ist dem Wasserrecht inklusive einer Auflistung sämtlicher Rechtsbestimmungen einschließlich der bereits 9 v. Chr. verabschiedeten Lex Quinctia3 gewidmet. Hainzmann (1979) schrieb in der Einleitung zu seiner Frontinus-Übersetzung, dass wir weiterhin Einzelheiten über ältere, republikanische Gepflogenheiten, von der Ein­ richtung der betreffenden Verwaltungsbehörde (cura aquarum) unter Augustus, ihrem Beamtenapparat und dem 700 Mann starken Sklavenpersonal erfahren. Frontinus berichtet auch von illegalen Praktiken zur Wasserbeschaffung und beschreibt Missgriffe und Betrügereien bestechlicher Unterbeamte oder des technischen Personals. Siehe Abbildung S. 22

In allen Fragen zeigt sich die besondere Kenntnis und die große Erfahrung Frontins, der uns damit ein unschätzbares Dokument hinterlassen hat, formulierte Hainzmann.

Was Vitruv und Plinius berichten Auch Vitruv4 und Plinius5 verbreiteten sich über die vielfältigen Wasserversorgungsanlagen. So widmet der Architekt und Ingenieur Vitruv u. a. sein gesam-

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

tes achtes Buch dem Auffinden des Wassers, dem Regenwasser und den warmen Quellen, der Nivellierung zu Wasserleitungen sowie dem Graben von Brunnen und Zisternen. Mit Stolz weist Plinius auf den „ungeheuren Raum und die übermäßig gewaltigen Unterbauten des Capitoliums“ hin, ferner auf die Kloaken, welche man wohl das größte aller Werke nennen kann, denn zu ihrer Herstellung wurden ganze Berge durchgraben, die Stadt ward eine hängende […] und unter ihr fuhr man, zur Zeit als M. Agrippa6 nach Niederlegung des Consulats das Amt eines Ädils bekleidete, auf Schiffen. Es stoßen durch unterirdische Gän­ ge sieben Bäche zusammen, welche auf ihrem schnellen, reißenden Laufe alles, was ihnen im Wege liegt, mit sich nehmen und wegschwemmen, obendrein durch Regen­ güsse verstärkt Grund und Seiten erschüttern, die zuweilen rückwärts eindringenden Fluten des Tiber aufnehmen, gegen dieselben von der andern Seite herankämpfen; und dennoch steht der ganze Bau unerschütterlich fest. Immerwährend werden darin so große Lasten fortgeschafft, ohne dass die Gewölbe nachgeben; zufällig eingedrun­ gene oder bei Feuersbrünsten, hineingestürzte Mauerstücke schlagen dagegen, der Erdboden erzittert von Erdbeben, aber fest und fast unzerstörbar dauern diese Kanäle nun schon 700 Jahre lang von Tarquinius Priscus her. An anderer Stelle im gleichen Buch und demselben Kapitel schreibt der Naturforscher: Doch jetzt will ich Wunder mitteilen, die als echte und würdige anerkannt werden müssen, und den König Quintus Marcius zum Schöpfer haben. Er bekam vom Senate den Auftrag, die Wasserleitungen des appischen Baches, des Anio und der Tepula auszubessern, und stellte während der Zeit seines Amts als Prätor eine neue nach ihm benannte Leitung durch in Bergen angelegte Kanäle her. Agrippa führte als Ädil noch die Aqua Virgo hinzu, leitete sie mit den übri­ gen in ein Bett, korrigierte den Lauf, legte 700 Bassins, 105 Springbrunnen und 130 Brunnenkästen an, von denen sehr viele prachtvoll ausgeführt wurden; setzte auf alle diese Werke 300 erzene oder marmorne Statuen und 400 Marmorsäulen, und das alles geschah in einem Jahre. Er selbst fügt in seinem amtlichen Berichte noch hinzu, er habe 59 Tage lang Spiele halten lassen und 170 Bäder umsonst für das Volk eingerichtet; die Zahl der ­B äder ist aber seitdem in Rom ins Unendliche gestiegen. Die früheren Wasser­ leitungen übertrafen aber an Unkosten das neueste derartige Werk, welches vom Kaiser Gaius (Caligula) angefangen und von Claudius vollendet wurde. Man führte nämlich vom 40. Meilensteine an die des Curtius, die blaue Quelle und den neuen Anio zu einer solchen Höhe hinauf, dass sie auf alle Berge der Stadt gelangen konnten. Die Ausgaben dafür betrugen 44,5 Millionen Sesterze.7 Wenn man die große Menge Wasser an öffentlichen Orten, in Bädern, Fischteichen, Häusern, Kanälen, Gärten, den Gütern vor der Stadt, Landhäusern, dann die zu dessen Herleitung ge­ bauten Bogen, durchgrabene Berge und geebnete Täler mit Aufmerksamkeit betrach­ tet, so muss man gestehen, dass die ganze Welt kein größeres Wunderwerk aufzu­ weisen hat. Unter die besonders merkwürdigen Werke des Claudius rechne ich auch – obgleich es durch die Missgunst seines Nachfolgers unvollendet geblieben ist – die

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KAPITEL I

Durchgrabung eines Berges zum Ableiten des Fucinischen Sees […] [Gaius Plinius Secundus im 36. Buch seiner Naturgeschichte 121 bis 124 (Kapitel 24)].

Denkmäler antiker Wasserbaukunst Sie finden sich nahezu im gesamten Gebiet des einstigen Römischen Reiches. Zu den bekanntesten zählen der Proserpina- und der Cornalvo-Staudamm, die ­Wasser für Emerita Augusta (Mérida) speicherten, und der Aquädukt über den Rio ­A lbarregas („Los Milagros“) unmittelbar vor der Stadt. Weltbekannt sind auch die Aquäduktbrücken von Segovia und Tarragona in Spanien, der Pont du Gard in Südfrankreich, der das Wasser von der Fontaine d’Eure nach Nîmes brachte, der Aquädukt der Aqua Anio Novus und der Aqua Claudia in der römischen Campagna (Italien), die Wasserleitung von Caesarea mit der Brücke des Chabet Ilelouîne (Mauretanien) und der Valens-Aquädukt in Constantinopolis (heute Istanbul, ­Türkei). Zu den herausragendsten Konstruktionen zählen das Rampenbauwerk der Druckwasserleitung an einem der hydraulischen Türme von Aspendos und die Nymphäen von Side und Sagalassos in der Türkei sowie die cloaca maxima in Rom. Thermenanlagen sind nahezu ubiquitär im Römischen Reich zu finden. Zu den bemerkenswertesten zählen jene in der Wohnstadt von Pergamon, das G ­ roße Bad in der Römischen Therme von Bath (Großbritannien), die Thermen des Diocletian und die Thermen des Caracalla in Rom, die Thermen in der Villa Adriana in Tivoli bei Rom, die Barbara- und die Kaiserthermen in Trier (Deutschland), die Terme del Foro und die Terme de Sarno in Pompeji (Italien), die Thermen der Faustina in Milet (Türkei) und die Hadrianischen Thermen in Leptis Magna ­( Libyen).

Grabungsergebnisse

Siehe Abbildungen S. 23–25

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Wesentlich mehr hydrotechnische Anlagen als über der Erdoberfläche befanden und befinden sich noch immer verborgen im Schoß der Erde. Einige davon wurden in den letzten 200 Jahren ergraben, von manchen erhalten wir oft erst durch Zufall Kenntnis, zumeist nur dann, wenn Erdarbeiten infolge von Straßen- oder Siedlungsbauten durchgeführt werden. Das gilt für alle größeren römischen Ansiedlungen, egal ob es sich um einen größeren vicus, ein oppidulum oder oppidum, eine colonia, ein municipium oder eine urbs handelte,8 wobei der Begriff urbs zumeist nur für Rom und als urbs aeterna = ewige Stadt verwendet wurde. Der lateinische Begriff colonia lebt in unserem Wort Kolonie weiter, und das municipio, das Rathaus heutiger italienischer Städte fußt fraglos ebenso im municipium wie das portugiesische municipal = städtisch und municipio = Stadtgemeinde. Auch der Begriff civitas, der üblicherweise für Bürgerschaft und Bürgerrecht gebraucht wurde, steht auch für Stadtgemeinde, wovon sich in den romanischen Sprachen die Begriffe Civita vecchia = Altstadt, città, ciudad, cidade und cité herleiten.

WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Roms Wasserleitungen Schon vier Jahrhunderte, bevor Militärstrategen an die Errichtung des Militär­ lagers Carnuntum dachten, planten Experten eine effizientere Wasserversorgung für Rom, denn die Stadt am Tiber entwickelte sich bereits in der republikanischen Zeit rasant. Immer mehr Menschen zogen in die Stadt, vor allem Handwerker, Händler und Glücksritter. Darüber hinaus umgaben sich die Wohlhabenden zunehmend mit mehr Sklaven aus den eroberten Gebieten. Kein Wunder, dass der Wasserbedarf kontinuierlich stieg und die städtischen Brunnen schon im 4. Jh. v. Chr. längst nicht mehr den Bedarf ausreichend decken konnten. Das Wasser musste von Quellen in der Umgebung in die Stadt geleitet werden. Roms ältester Aquädukt, die 16,5 km lange Aqua Appia, wurde um 312 v. Chr. errichtet. Sie wurde erst im Stadtinneren zur Höhe geführt; der Anio Vetus, fertiggestellt im Jahr 272 v. Chr., ist 60 km lang, aber nur über einer Talmulde sichtbar. Die 90 km lange Aqua Marcia (144 v. Chr.) verläuft zum großen Teil oberirdisch (11 km); sie nimmt später die Aqua Tepula (125 v. Chr.) und die Aqua Julia (33 v. Chr.) auf und erhält als Aqua Augusta eine neue Quelle. Die 26 km lange Aqua Virgo (22 v. Chr.) führt zum Marsfeld; die 35 km lange Aqua Alsietina (2 vor Chr.) speiste die Nauma­ chia in Trastevere sowie Gärten und Wasserkünste. Die Aqua Claudia (68 km) vereinigt sich 7 km vor der Stadt mit dem Anio Novus (um 52 v. Chr.); Nero zweigte sie an der Porta Maggiore zum Caelio ab, Caracalla und später Diokletian leiteten die Aqua Marcia zu den von ihnen erbauten Thermen. Die letzten Aquädukte Roms stammen aus der Zeit der Kaiser Trajan (Trastevere) und Severus Alexander (für die erneuerten Thermen Neros). Papst Nikolaus  V. ließ 1453 die Aqua Virgo als Aqua Felice neu in Betrieb nehmen.9

Siehe Abbildung S. 26–31

Wasserbedarf größerer Städte im römischen Imperium Zur Zeit von Kaiser Nerva wurde Rom täglich angeblich mit etwa 700.000  m3 Wasser versorgt. Das würde bedeuten, dass in der Millionenstadt Rom – statistisch und theoretisch gesehen – jedem Bewohner täglich etwa 700 Liter Wasser zur Verfügung standen. Dies scheint zu hoch gegriffen. Nach Frontinus schwankte die tägliche Wasserzufuhr Roms und seiner Randgebiete zwischen 520.000 und 635.000 m3. Wie die Aufteilung der Wassermengen auf die Bevölkerung im antiken Rom erfolgte, wird im Bericht des Frontinus (Kapitel 78 bis 87) deutlich. Vgl. hiezu die Tabelle „Roms Wasserversorgung pro Kopf der Bevölkerung“ unter Berücksichtigung der täglichen Schüttung und des möglichen täglichen Pro-KopfVerbrauches. Dazu Günther Garbrecht: Eine Schätzung der täglich nach Rom fließenden Gesamtwassermenge ist schwie­ rig, da unbekannt ist, wie viele der großen Wasserzuleitungen gleichzeitig in Betrieb waren, wie groß die Wasserverluste durch Undichtigkeiten und Wasserbetrug waren und bis zu welcher Höhe die auf Begehbarkeit ausgelegten Querschnitte tatsächlich durchflossen wurden. Des Weiteren war der Wasserfluss starken jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen.

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KAPITEL I

Die Bandbreite aktueller Schätzungen ist enorm und umfasst die Spanne zwischen 100.000 m3 und 1,500.000 m3, wobei sich die realistischen Schätzwerte im Mittelfeld bewegen. 100 l/E.  d (= 100 Liter je Einwohner und Tag) sind, im Licht der Tatsache, dass es sich um ein Versorgungssystem mit stetigem Durchfluss handelt, sicher zu niedrig gegriffen. 1.500 l/E. d sind hingegen als utopisch anzusehen, da Rom über keine dafür erforderliche Leitungskapazität verfügte. Expertenmeinungen in allen Ehren, aber in diesem Fall kommen die Aufzeichnungen Frontins der Wahrheit wesentlich näher als alle Expertenschätzungen. Wer jemals den Bericht des Frontinus (commentarius de aquis 78 ff.) gelesen hat, wird wissen, dass aus den römischen Wasserleitungen pro Tag 14.018,5 quinariae verteilt wurden. Ob dieser von Frontinus ermittelte Wert ein Durchschnittswert ist oder Volllast bedeutet, geht aus seinen Aufzeichnungen leider nicht hervor. Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, dass die Ungenauigkeiten bei allen Wassermessungen im antiken Rom darauf beruhten, dass nur der Leitungsquerschnitt, aber nicht die Durchflussgeschwindigkeit des Wassers berücksichtigt wurde. Da einer quinaria etwa 40  m3 Wasser bzw. 40.000  Liter entsprechen, standen demnach 560.740  m3 zur Verfügung, von denen allerdings 4.063 quinariae bereits außerhalb der Stadt Rom zur Bewässerung der Felder und an Güter [1718 quinariae (= 68.720 m3/Tag) für kaiserliche Besitzungen und Domänen und 2.345 quinariae (= 93.800 m3/Tag) an Privatleute] verteilt wurden. Nach Adam Ries gelangten damit nur mehr 9.955,5 quinariae in das Stadtgebiet, und das sind 398.220 m3 oder 398,2 Millionen Liter, was bei Annahme einer Bevölkerungszahl von einer Million Menschen rein theoretisch knapp 400 Liter je Einwohner und Tag (sofern alle Leitungen in Betrieb und keine in Reparatur war) ergibt. Folgen wir dem Frontinus-Bericht, so verteilten sich die genannten 9.955,5 quinariae im Stadtgebiet Roms auf 247 Wasserverteilerbauwerke und diese speisen die im Folgenden genannten Bereiche: Für den Kaiser Für Privatleute Für öffentliche Zwecke

1.707,5 quinariae = 68.300 m3 = 68,300.000 Liter 3.847,0 quinariae = 153,880 m3 = 153,880.000 Liter 4.401,0 quinariae = 176,040 m3 = 176,040.000 Liter

Σ 9.955,5 quinariae = 398,220 m3 = 398,220.000 Liter

Von den genannten 4.401,0 quinariae entfielen auf 18 castra 95 öffentliche Bauwerke 39 Zierbrunnen 591 Brunnenbecken

379,0 quinariae = 2.301,0 quinariae = 386,0 quinariae = 1.335,0 quinariae =

15.160 m3 = 92.040 m3 = 15.440 m3 = 53.400 m3 =

15,160.000 Liter 92,040.000 Liter 15,440.000 Liter 53,400.000 Liter

Σ 4.401,0 quinariae = 176,040 m3 = 176,040.000 Liter

Zur Wasserversorgung Roms unter Kaiser Trajan notierte Sextus Iulius Frontinus (commentarius de aquis 93): Unser Kaiser [Trajan] gab sich aber nicht damit zufrieden, den übrigen Gewässern ihre Reichhaltigkeit und ihre Vorzüge zurückgegeben zu haben; er sah zudem eine

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Möglichkeit, die Mängel des Neuen Anio zu beseitigen. Denn er ordnete an, das Wasser – statt aus dem Flussbett [des Anio] – aus einem See herzuleiten, der jenseits von Sublaqueum – bei der Villa des Nero – liegt. Denn da der Anio jenseits von Treba Augusta entspringt, erreicht er diesen See in sehr kaltem und völlig ungetrüb­ tem Zustand: vielleicht deshalb, weil er durch eine Felsregion herabfließt und auch rund um die Stadt [Sublaqueum] fast kein bebautes Land liegt; oder weil er sich in der Tiefe der Seen, in denen er aufgefangen wird, gleichsam selbst vom Schmutz befreit und auch durch überhängendes Waldgesträuch beschattet wird. Die so bekömmlichen Eigenschaften des neuen Leitungswassers werden in jeder Beziehung dem Wasser der Marcia gleichwertig sein, an Reichhaltigkeit aber wird es diese noch übertreffen, so­ bald es anstelle des jetzigen, garstigen und trüben Wassers in die Stadt kommt. Eine Inschrift verkündet dann den Urheber dieser Neuerung: Imperator Caesar Nerva Traianus Augustus. Schon Fahlbusch10 machte darauf aufmerksam, dass zum Zeitpunkt der Übernahme des Amtes des curator aquarum durch Frontinus anno 97  n.  Chr. das Versorgungssystem Roms aus neun Zuleitungskanälen (Fernwasserleitungen) bestand. Das Wasser der Leitung aus dem Martignanosee westlich des Tibers, die Aqua ­Alsietina, wurde wegen seiner schlechten Qualität nur in Notfällen zur Versorgung der Bevölkerung herangezogen. Die Leitung speiste im Allgemeinen eine Naumachie und diente der Bewässerung. Der curator hatte daher das Wasser, das die Stadt in den acht übrigen Zuleitungskanälen aus unterschiedlichen Richtungen und in unterschiedlichen Höhen erreichte, derart zu verteilen, dass der Bedarf aller Abnehmer in den verschiedenen Stadtteilen gedeckt werden konnte. Voraussetzung für die Lösung dieser Aufgabe war die Kenntnis der verfügbaren Wassermenge, die nur durch Messungen gewonnen werden konnte. Für das Schöpfen von Wasser aus Brunnen oder aus Becken eigneten sich Hohlmaße zur quantitativen Bestimmung. Für ein in Leitungen ununterbrochen fließendes Wasservolumen gab es zur Mengenermittlung aus der Überlieferung oder aus der gängigen Mess- und Wägepraxis noch keine passenden Einheiten. Es ist heute bekannt, dass diese Einheit das auf die Zeit bezogene Volumen (m3/s) ist. Die Römer vermochten noch nicht, die Zeit quantitativ über die Geschwindigkeit in das Messsystem einzubeziehen. Sie versuchten vielmehr, sich mit den gewohnten Dimensionen zu behelfen. So setzten sie die quinaria, die eine durchflossene Querschnittsfläche von 6,8 cm2 nach Vitruv bzw. 4,2 cm2 nach Frontin bezeichnete, als Abflusseinheit fest. Sie diente gleichzeitig als Grundeinheit bei der Standardisierung der Rohre.

Das Zumessungsprinzip Frontinus berichtet, dass Agrippa eine quantitative Zumessung von Wasser auf die einzelnen Abnehmer festlegte. Auf ihn dürfte demnach wohl auch die Methode, das Wasser nach der durchflossenen Querschnittsfläche aufzuteilen, zurückgehen. Der Zeitpunkt, an dem dieses Zumessprinzip eingeführt wurde, wird demnach der Auffassung von Fahlbusch zufolge kaum vor 33 v. Chr. gelegen sein. Begründung für diese Datierung: In diesem Jahr fungierte Agrippa als Ädil und war mit dem Bau von Wasserleitungen und Bädern in Rom beschäftigt (vgl. Anm. 6).

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KAPITEL I

Frontinus erwähnte 130 Jahre später einen Zusammenhang zwischen Abfluss und Geschwindigkeit einerseits und zwischen Geschwindigkeit und Gefälle andererseits. Diese Bemerkungen lassen darauf schließen, dass der curator aquarum ein ausgezeichneter Beobachter war, denn die Abflussgeschwindigkeit in den einzelnen benachbarten Kanälen differierte nicht sehr stark. Die Art seiner Ausführungen zeigte aber auch, dass er nicht vermochte, den Zusammenhang zwischen Abfluss, Querschnittsfläche und Geschwindigkeit quantitativ zu erfassen. In seiner Schrift setzt er die durchflossene Querschnittsfläche der Aqua Appia, die er in Quadratfuß errechnet hat, dem Abfluss in quinaria gleich. Ein Einfluss der Geschwindigkeit bzw. des Gefälles blieb demnach bei der Abflussbe­ stimmung unberücksichtigt. Es wird also bis zur weiteren Verbreitung der Erkennt­ nisse Herons von Alexandria über die Abhängigkeit des Abflusses von Querschnitts­ fläche und von der Geschwindigkeit der Abfluss in Leitungen nur durch die Quer­ schnittsfläche definiert worden sein […], meint Fahlbusch (1989), S. 129 ff.

Abf lussmengen der Fernwasserleitungen Frontinus hat die Ergebnisse der Abflussmessungen an verschiedenen Stellen des Leitungssystems in seinen Schriften mitgeteilt. Mit diesen Überlieferungen ist es möglich, die tägliche Abflussmenge der Fernwasserleitungen abzuschätzen und der quinaria Abflusswerte (l/s) zuzuordnen. Zusammenfassend ist zum stadtrömischen Fernwasserleitungssystem, wie auch zu vergleichbaren Anlagen in den Provinzen (z. B. Köln, Lyon, Pergamon), zu sagen, dass die Aufgabe der Wasserversorgung von Großstädten bis hin zu einer Million Einwohner von den römischen Ingenieuren planerisch und konstruktiv hervorragend gelöst wurde. Diese Leitungen gehören zu den eindrucksvollsten Zeugnissen römischer Zivilisation. Höchste Achtung gebührt dieser Leistung vor allem auch deshalb, weil es exakte technisch-wissenschaftliche Grundlagenkenntnisse kaum gegeben hat und weil die technologischen Mittel der damaligen Zeit begrenzt waren. Die in einschlägigen Fachpublikationen mehrfach genannten Baumängel (örtlich minderwertige Bausubstanz, Setzungen, Risse) und Betriebsschwierigkeiten (undichte Rohre und Kanäle, Sandablagerungen, Versinterungen u.  s.  w.) vermindern diese hohe Einschätzung nicht, sind uns doch diese Beanstandungen aus Berichten über vergleichbare Anlagen aus dem 20. Jahrhundert nur zu vertraut.

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Roms Wasserversorgung pro Kopf der Bevölkerung tägliche Schüttung Rom (nach Frontin) max. 635,000.000 Liter Rom (nach Frontin) min. 520,000.000 Liter

möglicher täglicher Pro-Kopf-Verbrauch 635 Liter 520 Liter

Zieht man den Bedarf der Randgemeinden in der Höhe von 29 % ab, so bedeutet dies, dass in der Millionenstadt Rom – statistisch und theoretisch gesehen – jedem Bewohner täglich etwa 370 bis 450 Liter Wasser zur Verfügung standen. In Wien liegt der Wasserverbrauch derzeit zwischen 135 und 150 Liter pro Person pro Tag. Aus dem gesamten Imperium Romanum sind Aquädukte aus mehr als hundert Städten noch heute bekannt und zum Teil in Betrieb, so in Segovia. Nicht nur Rom, auch andere größere Städte besaßen mehrere Aquädukte: die im Jahr 43 v. Chr. von Munacius Plancus gegründete Kolonie Lugdunum (Lyon) verfügte über fünf derartige Bauwerke. Zu den eindrucksvollsten Leistungen gehört der Pont du Gard bei Nîmes, eine dreigeschossige Brücke von 49 m Höhe und 273 m Länge, Teil der imposanten Wasserleitung nach Nîmes. Das vermutlich längste Aquädukt besaß Karthago – dieses aus hadrianischer Zeit stammende Bauwerk war 132 km lang.

Siehe Abbildung S. 32

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ZUSTÄ N DIGE BE A MT E DE R WASSE RV E RSORGU NG Die Bedeutung, welche die Menschen im antiken Rom der Wasserversorgung beimaßen, wurde als Aufgabe des Staates angesehen und dermaßen hoch eingeschätzt, dass das Amt eines Aufsehers der öffentlichen Wasserleitungen – ein curator aquarum – installiert und mit bedeutenden Persönlichkeiten besetzt wurde. Curatores im öffentlichen römischen Recht war die Bezeichnung für außerordentliche Ämter, die zur Wahrnehmung verschiedenster Verwaltungsaufgaben im Bereich domi neben dem certus ordo magistratum geschaffen wurden. Es handelt sich dabei zunächst um Hilfsämter, die durch Spezialgesetze ins Leben gerufen werden. Die Wahl erfolgt in den comitia tributa. Die Amtsträger hatten eine potestas als spezifische Amtsgewalt. Anfangs wird bei der Besetzung dieser Ämter an den Prinzipien der Annuität und Kollegialität festgehalten, gegen Ende der Republik werden diese Beschränkungen jedoch fallengelassen. Im Zuge der Neuordnung der Staatsverwaltung durch Augustus wurden curae als permanente Ämter eingerichtet, zuständig für die Aufsicht über öffentliche Einrichtungen, die in der Zeit der Republik in den censorischen, ädilizischen oder quäs­ torischen Amtsbereich fielen. Die für die Wasserversorgung zuständigen Amtsträger (heute würde man von Wasserwerks-Direktoren sprechen) wurden in der Zeit des Prinzipats in der Regel mit Männern prätorischen oder konsularischen Ranges kollegial besetzt. Die curatores wurden in der Kaiserzeit mit Zustimmung des Senats (ex auctoritale, consensu senatus) vom princeps ernannt, unter Kaiser Claudius I., der auf eine senatorische Zustimmung verzichtete, erfolgte ihre völlige Eingliederung in den kaiserlichen Beamtenapparat. Die wichtigsten dieser Ämter waren neben der Lebensmittelversorgung der Hauptstadt (cura annonae) die Beaufsichtigung und Instandhaltung öffentlicher Straßen (cura viarum), die Beaufsichtigung und Instandhaltung der Aquädukte und der Wasserversorgung (cura aquarum), die Beaufsichtigung und Instandhaltung der Bauten und die Verwaltung öffentlicher Gebäude (cura operum publicorum), sowie der Flussregulierung (cura alvei et riparum Tiberis). Curatores gab es bald auch in den Municipien und Gemeindeverwaltungen in Funktionen, die den hauptstädtischen Aufgabenbereichen nachgebildet waren. Im Lauf der Zeit wuchs die Zahl der curatores. Fand man im 1. Jh. n. Chr. mit dem curator viarum noch das Auslangen, mussten bald viele weitere diesbezügliche Ämter geschaffen werden: Im 2. Jh. n. Chr. gab es bereits einen curator viae Latinae, einen curator viae Appiae, einen curator viae Tiburtinae, einen curator viae Flaminiae und einen curator viae Salariae, um nur die wichtigsten zu nennen. Daneben wurden weitere erstrebenswerte, weil hochdotierte Jobs geschaffen: „curator aedium sacrarum operumque publicorum, curator operum locorumque publicorum, curator rei public. Anconitanorum, curator alvei et riparum Tiberis et cloacarum urbis, curator et patronus Veronensium u. s. w.“ Allein der Job des Hausgutverwalters (procurator patrimonii) war der eines ritterlichen Verwaltungsbeamten mit einem Jahresgehalt von 200.000 Sesterzen per anno.

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C U R ATOR E S AQUA RU M VON AUGUST US BIS A N TON I N US PI US 13 n. Chr. Konsulat von Gaius Silius A(ulus) Caecina Largus und des Lucius Munatius Plancus: ATEIVS CAPITO avancierte zum curator aquarum und übte das Amt vermutlich bis 15 n. Chr. aus.

15 n. Chr. Konsulat von Drusus Caesar et Gaius Norbanus Flaccus: LVCIVS ARRVNTIVS (2.) – Consul ordinarius des Jahres 6 n. Chr., Sohn des gleichnamigen Vaters (Lucius Arruntius 1., consul ordinarius 22 v. Chr.), von Kaiser Augustus angeblich unter die capaces imperii gerechnet (Tacitus, Annalen 1, 13), wurde zum curator aqua­ rum ernannt. Wie lange er dieses Amt ausübte, ist nicht bekannt.

20 n. Chr. GAIVS ANTISTIVS VETVS (3.) – Consul ordinarius des Jahres 23 n. Chr., P ­ raetor urbanus im Jahr 20  n.  Chr., der auch als curator riparum et alvei Tiberis fungierte (CIL XIV 4704).

23 n. Chr. Konsulat von Gaius Asinius Pollio und Gaius Antistius Vetus: TARIVS ­RVFVS avancierte zum curator aquarum.

24 n. Chr. Konsulat von Servius Cornelius Cethegus und Lucius Visellius Varro: MARCVS COCCEIVS NERVA (2.), consul suffectus im Jahr 21 oder 22  n.  Chr. und Großvater des vergöttlichten Kaisers Nerva wurde zum curator aquarum bestimmt (Frontin, commentarius de aquis 102). Als einziger Senator begleitete er Tiberius im Jahr 26 n. Chr. nach Campanien und Capri. Dort beging er im Jahr 33 n. Chr. Selbstmord (Tacitus, Annalen 6, 26; Cassius Dio 58, 21, 4). Marcus Cocceius Nerva (2.) war ein berühmter Jurist (Prosopographia imperii Romani = PIR2 C 1225). Er war ein Nachkomme des aus Narnia stammenden Marcus Cocceius Nerva (1., consul suffectus im Jahr 36 v. Chr.). Sein gleichnamiger Sohn Marcus Cocceius Nerva (3.) war Jurist wie sein Vater, auch Senator. Es ist bislang kein Amt bekannt geworden, das er bekleidet hat (Prosopographia imperii Romani = PIR2 C 1226).

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KAPITEL I

34 n. Chr. Konsulat von Pallus Fabius Persicus und Lucius Vitellius: GAIVS OCTAVIVS LAENAS avancierte zum curator aquarum.

38 n. Chr. Konsulat von Marcus Aquila Iulianus und Publius Nonius Asprenas: MARCVS PORCIVS CATO fungierte als curator aquarum.

39. n. Chr. Konsulat von Servius Asinius Celer und Sextus Nonius Quintilianus, die offensichtlich als consules suffecti fungierten. Wenige Monate nach der Amtsübernahme durch Porcius Cato folgte AVLVS DIDIVS GALLVS als curator aquarum. Dieser „Wasserbeamte“ wurde 39 n. Chr. mit der Funktion eines consul suffectus ausgezeichnet.11

49 n. Chr. Konsulat von Quintus Veranius und Gaius Pompeius Longinus Gallus: GNAEVS DOMITIVS AFER , zehn Jahre zuvor consul suffectus, avancierte zum curator aquarum (Frontin, commentarius de aquis 102, 8 f.). Domitius Afer war ein hervorragender Redner claudischer Zeit gewesen, in Suetons De oratoribus behandelt. Geboren in Nemausus (Nîmes), verbrachte er Kindheit und Jugend in einfachen Verhältnissen, 25 n. Chr. bereits Prätor, im Folgenden als Ankläger hervortretend (Tacitus, Annalen IV, 52 und IV, 66). Seine Wendigkeit rettete ihn 39 n. Chr. aus einer gefährlichen Situation, sodass er sogar zum Suffektkonsul (mit Aulus Didius Gallus) ernannt wurde. Caligula hatte zu dieser Zeit enorme Geldmengen für völlig sinnlose Inszenierungen verbraucht und war in einer prekären finanziellen Lage. Noch wesentlich prekärer war allerdings die Situation vieler wohlhabender Zeitgenossen, die wegen ihres tatsächlichen oder angeblichen Reichtums sterben mussten. Während der Regierungszeit des Claudius war er wiederholt als Verteidiger tätig. Gestorben ist er 59 n. Chr. an Völlerei (Tacitus, Annalen XIV, 19). Seine Ziegeleien gelangten an seine beiden Adoptivsöhne (Gnaeus Domitius Afer Titius Marcellus Curvius Tullus und Gnaeus Domitius Afer Titius Marcellus Curvius Lucanus), beide consules suffecti unter Kaiser Vespasian wahrscheinlich zwischen 75 und 79 n. Chr.

60 n. Chr. Viertes Konsulat des Kaisers Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus und erstes Konsulat des Cossus Cornelius Lentulus: LVCIVS CALPVRNIVS PISO (3.) – Consul ordinarius des Jahres 57 n. Chr. (Sohn des Lucius Gnaeus Calpurnius

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Piso (2.), consul ordinarius des Jahres 27 n. Chr. und Enkel von Lucius Calpurnius Piso (1.), consul ordinarius des Jahres 15 v. Chr.) wurde zum curator aquarum erhoben und übte dieses Amt bis 63 n. Chr. aus. Calpurnius Piso (3.) ist als Frater arvalis nachweisbar und saß im Jahr 62  n.  Chr. in der Kommission zur Regelung von Steuern (Dreierkollegium zur Regelung der Zollerhebung). Die lex portorii Asiae ist auf einer Inschrift aus Ephesos erhalten. Nach Calpurnius Piso (2.) wurde die „Pisonische Verschwörung“ des Jahres 65 n. Chr. benannt. Verheiratet war dieser mit Cornelia Orestilla, die ihm Kaiser Caligula am Tag der Hochzeit entführte. Frater Arvalis seit 38 n. Chr. Im Jahr 40 n. Chr. wurde er von Caligula verbannt, später von Kaiser Claudius zurückgerufen und von diesem zum consul ernannt; er war möglicherweise auch Statthalter von Dalmatien. Calpurnius Piso (2.) war durch das mütterliche Erbe mehr als nur wohlhabend und beschäftigte sich mit verschiedenen Künsten. Angeblich bereits 62 n. Chr. bei Kaiser Nero wegen einer Verschwörung angeklagt, wurde er 65 n. Chr. zum nominellen Haupt einer Verschwörung gegen Nero, die er jedoch nicht selbst initiiert hatte. Als sie ver­raten wurde, öffnete er sich die Pulsadern. Sein Sohn Calpurnius Piso Galerianus (3.) wurde nicht in dessen Untergang hineingezogen und überlebte zunächst. In den Jahren 69/70 n. Chr. bekleidete er sogar das Amt des Prokonsuls von Africa. ­L icinius Mucianus (consul suffectus um das Jahr 64 n. Chr.) sandte Ende 69 n. Chr. zunächst einen Centurio, der den möglichen politischen Konkurrenten töten sollte. Piso ließ den gedungenen Mörder hinrichten. Später wurde er auf Befehl des Legionslegaten Valerius Festus (Legat der legio III Augusta) in Karthago ermordet (Prosopographia imperii Romani = PIR2 C 294).

63 n. Chr. Konsulat von Gaius Memmius Regulus und Lucius Verginius Rufus: P ­ ETRONIVS TVRPILIANVS (consul ordinarius des Jahres 61  n.  Chr. gemeinsam mit L ­ ucius Caesennius Paetus und noch 61 n. Chr. als Feldherr in Britannien, um die angespannte Situation nach einer zuvor dort erlittenen Niederlage zu befrieden) avancierte zum curator aquarum und übte das Amt vermutlich bis 66 n. Chr. aus. Nach der Unterdrückung der pisonischen Verschwörung erhielt er die ­ornamenta triumphalia (Tacitus, Annalen XV, 72, 1). Im Jahr 68 n. Chr. war er dux ­Neronis (= Feldherr des Nero), daher ließ ihn Kaiser Galba hinrichten (Tacitus, Historien I, 6).

64 n. Chr. Konsulat von Gaius Laecanius Bassus und Marcus Licinius Crassus Frugi: PVBLIVS MARIVS CELSVS avancierte zum curator aquarum. Marius Celsus war zwei Jahre zuvor consul ordinarius des Jahres 62 n. Chr. gewesen (CIL = Corpus Inscriptionum Latinarum VI 16521). Das Amt des Vorsitzenden des Collegiums der curatores aquarum übte er in den Jahren 64 bis 66 n. Chr. aus (Frontin, commentarius de aquis 102, 11). Nach Rudolf HANSLIK Legat. Aug. pr. pr. Syriae 72/73  n.  Chr. (Inscriptiones Latinae selectae, ed. H. DESSAU 8903).

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KAPITEL I

66 n. Chr. Zweites Konsulat von Gaius Luccius Telesinus und Gaius Suetonius Paulinus: GAIVS FONTEIVS AGRIPPA , consul suffectus im Jahr 58  n.  Chr., wurde 66  n.  Chr. zum curator aquarum ernannt und übte das Amt zwei Jahre lang aus; 68/69 n. Chr. fungierte er als Proconsul von Asia. Er hatte sich Vespasian angeschlossen, der ihn Ende 69 n. Chr. als Statthalter nach Moesien sandte, wo er im folgenden Jahr im Kampf mit den Sarmaten fiel (Prosopographia imperii Romani = PIR2 F 466). Er war aller Wahrscheinlichkeit nach der Sohn von Fonteius Agrippa, jenem Senator, der im Jahr 16 n. Chr. zusammen mit anderen Scribonius Libo Drusus im Senat wegen maiestatis offensio angeklagt hatte. Nach dem Prozess erhielt er zur Belohnung die Prätur extra ordinem. Da er sich von seiner Frau getrennt hatte, wurde seine Tochter im Jahr 19 n. Chr. nicht zur virgo Vestalis erwählt (Prosopogra­ phia imperii Romani = PIR2 F 465).

68 n. Chr. Konsulat von Tiberius Catius Asconius Silius Italicus und Publius Galerius Trachalus: ALBIVS CRISPVS avancierte zum curator aquarum.

71 n. Chr. Drittes Konsulat des Imperators Vespasianus und das erste Konsulat von Marcus Cocceius Nerva: POMPEIVS SILVANVS avancierte zum curator aquarum.

73 n. Chr. Zweites Konsulat des Caesar Domitianus und das erste von Lucius ­Valerius ­Catullus Messallinus: TAMPIVS FLAVIANVS avancierte zum curator ­aquarum.

74 n. Chr. Fünftes Konsulat von Kaiser Vespasianus und drittes Konsulat von Kaiser Titus: MANLIVS ACILIVS AVIOLA – Consul ordinarius des Jahres 54 n. Chr. (Tacitus, Annalen XII, 64, 1), procos. Asiae 65/66, wurde zum curator aquarum ernannt und übte dieses Amt bis zu seinem Tod im Jahr 97 n. Chr. aus. Danach Übernahme des Amtes durch Frontinus (Frontin, commentarius de aquis 102; Prosopographia imperii Romani = PIR2 A 49) – entgegen der Behauptung von Rudolf Hanslik, demzufolge er das Amt des curator aquarum nur bis 79 n. Chr. ausübte. Verheiratet mit Aedia Servilia.

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

97 n. Chr. Drittes Konsulat des Imperators Nerva Caesar Augustus und ebenso das dritte Konsulat von Lucius Verginius Rufus: SEXTVS IVLIVS FRONTINVS erlangte 73 n. Chr. erstmals das Konsulat (consul suffectus) und ging anschließend als Statthalter nach Britannien, wo er vier Jahre lang die Verwaltung und Verteidigung dieser Provinz leitete. 97 n. Chr. avancierte er zum curator aquarum (commen­ tarius de aquis 1), fungierte 98 n. Chr. als consul suffectus II und 100 n. Chr. als consul III ordinarius. Bald darauf starb er (Plinius, minor epistulae 4, 8, 3), vermutlich um 103 n. Chr. Seine militärischen Erfahrungen legte er in zwei Werken nieder. Seine Amtszeit als curator aquarum spiegelt der commentarius de aquis (praef. 2) wider, der die Wasserleitungen der Stadt Rom behandelt. Die Überlieferung des Werkes, dessen Abfassungszeit nicht feststeht, beruht auf zwei Handschriften.12

Siehe Abbildung S. 33

101 n. Chr. TIBERIVS IVLIVS FEROX war consul suffectus vom Juli bis August 100 n. Chr. und fungierte von 101 bis 104 n. Chr. als curator alvei Tiberis et riparum et cloacarum ur­ bis. Um 110 n. Chr. hat er als Statthalter einer kaiserlichen Provinz ein Armeekommando geführt, im Jahr 116/17 n. Chr. fungierte er als Proconsul der Provinz Asia.

107 n. Chr. LVCIVS MINICIVS NATALIS aus Barcino (heute Barcelona), war seiner Grabinschrift an der via Salaria in Rom und einer Dedikationsinschrift aus Barcino zufolge nach den Militärämtern, nach Quästur, Volkstribunat und Prätur Legat des Prokonsuls von Africa, Legionslegat in Moesien, nahm am Ersten Dakerkrieg Trajans 101/102 n Chr. teil und erhielt die dona militaria. Im Jahr 105 n. Chr. war er Legat der legio III Augusta und damit Statthalter in Numidien. Er legte zahlreiche Kastelle und Militärstraßen an und nahm Grenzregulierungen vor. 106 n. Chr. war er consul suffectus und fungierte etwa 107 bis 110 n. Chr. als curator alvei Tiberis et ri­ parum et cloacarum urbis, landete um 116/118 als Legionslegat in Pannonia superior, war sodalis Augustalis und hatte zuletzt 121/122 n. Chr. das Prokonsulat von Africa inne. Sein Sohn Lucius Minicius Natalis Quadronius Verus (consul suffectus des Jahres 139 n. Chr.) war einer seiner Legaten.

114 n. Chr. LVCIVS MESSIVS RVSTICVS, seines Zeichens consul suffectus vom September bis zum Dezember 114 n. Chr., fungierte von 121 n. Chr. bis 124 n. Chr. als curator alvei et riparum Tiberis et cloacarum urbis.

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KAPITEL I

154 n. Chr. Den MARCVS NONIVS MACRINVS führte sein cursus honorum vom decemvir stlitibus iudicandis (Angehöriger eines richterlichen Kollegiums, das über Freiheitsund Bürgerrechtsstreitigkeiten entschied) über den tribunus militum laticlavius (Anwärter auf die senatorische oder ritterliche Laufbahn) in der legio XVI, über das Amt des quaestors zum Legat des Statthalters von Asia. Er war Militärtribun nicht nur bei der legio XVI Plavia, sondern auch bei der legio VII Gemina. Nach der Prätur Legionslegat der legio XIV Gemina Martia Victrix, danach Statthalter von Pannonia inferior (leg. Aug. pr. pr. prov. Pannoniae inferior ca. 150 bis 153/154). Zurück in Rom wurde er 154  n.  Chr. zum consul suffectus erhoben. Danach übte der das Amt des curator alvei et riparum Tiberis aus. Als legatus legionis von Pannonia superior fungierte er ca. 159 bis 161/162 n. Chr. Später operierte er als comes des Marcus Aurelius und beschloss seine Laufbahn als procos. Asiae 170/171 n. Chr.

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Leitung aus Holz In wasserreichen Gegenden, beispielsweise in den Alpentälern Noricums, ­genügten oft einfache ­Holzrinnen, um das Wasser aus Quellen oder Bächen den Anwesen zuzuleiten. Ort: Österreich, Heiligenblut (Kärnten) Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL I

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Fluss In der Frühzeit der Besiedlung, als die Flüsse noch nicht durch Industrie-­Abwässer verschmutzt waren, holten sich die Bewohner ihr Trink- und N ­ utzwasser auch aus den Flüssen. Ort: Türkei, Manavgat (Antalya) Foto: Helmut Leitner

Zisterne Speziell in Trockengebieten waren die Menschen schon früh darauf angewiesen, die wenigen ­Niederschläge aus Wadis oder aus Flüssen in große unterirdische Zisternen zu leiten und dort zu speichern. Ort: Syrien, Ar Rasafah zwischen Palmyra und Ar Raqqah (Homs) Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL I

Büste des Kaisers Trajan Mit Marcus Ulpius Traianus, besser bekannt als Kaiser Trajan (reg. 97 bis 117 n. Chr.) begann die Ära der Adoptivkaiser. Die Gunst des Volkes gewann er durch „Brot und Spiele“. In Rom kümmerte er sich um die Verbesserung der Frisch­wasserversorgung und ließ die nach ihm benannten Trajans-Thermen errichten. Aufbewahrung: Italien, Rom, Kapitolinisches Museum Foto: Anderson Nr. 1634

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Brunnen Die Aqua Virgo, eine der vielen Wasserleitungen Roms, versorgt heute noch die Fontana di Trevi, den berühmten Trevi-Brunnen, in welchen Rombesucher gerne Münzen werfen, in der Hoffnung, bald wieder nach Rom zurückkehren zu können. Papst Nikolaus V. ließ 1453 die Aqua Virgo als Aqua Felice neu in Betrieb nehmen. Ort: Italien, Rom, Fontana di Trevi Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL I

Hydraulischer Turm Zu den technischen Meisterwerken der römischen Wasserbaukunst zählen die Aquädukte. Die Wasserleitung von Aspendos (Türkei) verfügte über eine Druckrohrwasserleitung und ­L eitungstürme (Colluviarien) mit zugehörigem Rampenbauwerk. Die unter enormem Wasserdruck stehenden Leitungsknicke haben die Römer durch hydraulische Türme zwar aufwendig, aber effizient neutralisiert, indem sie die Leitung bis in die Höhe der Drucklinie anhoben. So wurden der statische Wasserdruck verringert und etwaige Rohr- oder Muffenbrüche verhindert. Ort: Türkei, Aspendos (Pamphylien, Südtürkei) Foto: Helmut Leitner

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Thermen In Bath (England), dem antiken Aquae Sulis, kamen im Jahr 1785 die Mauerreste eines großen ­römischen Badekomplexes von knapp 100 m Länge zum Vorschein. Die Piscina wurde vor 2000 Jahren ebenso mit Thermalwasser befüllt wie heute. Die eindrucksvolle historische Anlage ist ein Magnet für Besucher aus aller Welt. Ort: England, Bath (Somerset) Foto: Vienna Press

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KAPITEL I

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Roms Wasserleitungen Modell EUR Eindrucksvoll zeigt das Modell des antiken Rom (zur Zeit des Imperators Constantin des Grossen) die Führung der Wasserleitungen durch die antike Metropole am Tiber. In der Bildmitte ist die ­berühmte Aqua Claudia zu sehen. Ort: Italien, Rom, EUR, Museo della Civiltà romana Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL I

Römische Campagna – Aquädukt des Kaisers Claudius Die Aqua Claudia in der Campagna verdankt ihren Namen dem Kaiser Claudius (41 bis 54 n. Chr.). Neuesten Erkenntnissen zufolge errichtete die legio XV Apollinaris in dessen Regierungszeit ihr ­Standlager in Carnuntum, das im Laufe der darauffolgenden Dezennien immer weiter ausgebaut und befestigt wurde. Auf Inschriften und Ziegelstempeln taucht immer wieder die Schreibweise KARN(VNTVM) auf. Den Buchstaben „K“ führte Claudius in das lateinische Alphabet ein. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl, Historische Ansichtskarte 1890–1900

Porträt des Kaisers Claudius Kaiser Claudius (41 bis 54 n. Chr.) war Historiker und ein eifriger Straßenbauer. Mit Frauen hatte er kein Glück, am wenigsten mit seiner fünften ­G emahlin Messalina, die für ihren ausschweifenden Lebenswandel bekannt war. As. Gewicht: 11,5 Gramm. Durchmesser: 28,6 cm. Geprägt zwischen 41 und 50 n. Chr. Aufbewahrung: Wien, Österreichische Nationalbank Foto: Helmut Leitner

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Rom – Porta Maggiore Die berühmte Porta Maggiore in Rom (die antike Porta Praenestina) ist eines der eindrucksvollsten Bauwerke der Kaiserzeit. Über der Toranlage verliefen zwei Wasserleitungen – die Aquädukte des Kaisers Claudius und des Anio Novus. Kaiser Nero zweigte sie an der Porta Praenestina zum Caelius-Hügel ab. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl, historische Ansichtskarte um 1900

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Rom – Porta Maggiore Der Inschrift auf der Attika der Porta Praenestina ist zu entnehmen, dass der monumentale Überbau für die Aquädukte des Kaisers Claudius und des Anio Novus von den Kaisern Vespasianus (reg. 69 bis 79 n. Chr.) und Titus (reg. 79 bis 81 n. Chr.) restauriert wurden. Kaiser Aurelianus (reg. 270 bis 275 n. Chr.) gliederte die Anlage in seine Stadtmauer ein. Quelle: Etienne Du Pérac: I Vestigi dell’ Antichità di Roma, Rom 1621 Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl

Rom – Porta Maggiore In der Seitenansicht sind die Wasserleitungen über der ­Toranlage deutlich zu erkennen. Rechts unten im Bild ist das Grabmal des Bäckers Euryaces und seiner Frau aus der Zeit zwischen 40 und 30 v. Chr. zu sehen. Das Grabmal gibt in seinen Schmuckelementen einen Backofen wieder. Den oberen Abschluss bildet ein ­Relieffries, das den Bäcker bei seiner Arbeit zeigt. Standort: Italien, Rom, Porta Maggiore Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL I

Aquädukt von Segovia Die Aquädukte zählen zu den imposantesten Wasserbauwerken, im Speziellen die Aquäduktbrücken. Die völlige Beherrschung subtiler Nivellierung erlaubte eine unterbrechungslose Überlandführung (mensura declivitatis) selbst mit einem extrem geringen Gefälle. Quell- oder gefiltertes Flusswasser ­w urde in die Städte geleitet und über Verteilerbecken und ein ausgeklügeltes Rohrleitungssystem den Verbrauchern zugeleitet. Ort: Spanien, Segovia (Kastilien-León) Foto: Rudolf Franz Ertl

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WASSERVERSORGUNG IM ALTERTUM

Fragment einer Weiheinschrift (CIL VIII 8624) I(OVI) O(PTIMO) M(AXIMO) I]VNONI / [MINE]RVAE · PRO / [SAL(VTE) S]EXTI IVL (I) / [FRO]NTINI / [LEG(ATI) AUG(VSTI)?] = (Weihung an) Jupiter, den Besten und Größten, Juno und Minerva für die Unversehrtheit (des kaiserlichen Beauftragten)? Sextus Julius Frontinus. Die Dedikation bezieht sich auf dessen Tätigkeit im germanischen Bereich.
 Aufbewahrung: Deutschland, Bonn, Rheinisches Landesmuseum, Corpus Inscriptonum Latinorum (CIL) VIII 8624
 Foto: Vienna Press

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

K A PIT E L I I RÖ M I S C H E WA S S E R B AU T E C H N I K

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KAPITEL II

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RÖM ISCH E WASSE R BAU T EC H N I K Die Anlage von einfachen Brunnen und Holzrinnen, in denen Quellwasser zu den Häusern und Gehöften geleitet wurde, begann bereits am Übergang vom Nomadentum zur sesshaften Bauernwirtschaft. Zunächst siedelte man in Flusstälern und nutzte das vorbeiplätschernde Wasser sowohl als Trinkwasser für Mensch und Tier als auch als Nutzwasser zum Bewässern des Ackerbodens. Das war deswegen möglich, weil damals noch keine industrielle Verschmutzung erfolgte, als noch keine Betriebe wie Gerbereien, Färbereien und metallverarbeitende Betriebe ihre Abwässer in die Gewässer leiteten und außer geringen Mengen von Fäkalien keinerlei giftige Substanzen die Bäche und Flüsse verunreinigten. Leider änderte sich das bald, und schon in der Epoche der Römischen Republik war der Tiber zu einer Giftbrühe geworden. Für die sesshaft gewordenen Menschen wurde es notwendig, Kanäle und Pumpwerke für höhe gelegene Felder anzulegen, Hochwasserschutzbauten zu errichten und Wasserreservoire für Trockenperioden anzulegen. Alles Arbeiten in großem Stil, die keine Familie und kein Clan allein zuwege bringen konnte. Nur planmäßiges und großräumig koordiniertes Handeln, wie es in den Tälern des Nils, des Euphrat und des Tigris anschaulich vorexerziert wurde, konnte zum Erfolg führen. Das setzte wiederum die Bildung von Bewässerungsgemeinschaften und damit von straff organisierten Verbänden voraus, die letztlich zur Staatenbildung führen musste. Fußend auf derartigen Überlegungen fasste Günther Garbrecht zusammen, dass

Siehe ­Abbildungen S. 81–82

Siehe Abbildung Seite 83

Wasserwirtschaft und Wasserbau mit allen damit zusammenhängenden technischen, organisatorischen, rechtlichen und soziologischen Notwendigkeiten das kulturelle und politische Leben dieser Staaten so stark formten, dass sie mit Recht als ,Hydraulic Civilizations‘ bezeichnet wurden.13

Das Römische Reich steht nicht am Anfang dieser Entwicklung, sondern am Ende, gewissermaßen im Herbst der antiken Welt. Für die Wasserwirtschaft der Römer gab es Vorbilder in allen Regionen des Reiches und seit Jahrhunderten bereits ausgeklügelte Systeme. Ägypter, Babylonier, Perser und Griechen hatten schon längst fast alles erfunden, was für die Wasserversorgung und damit für die Überlebenssicherung der Völker erforderlich war. Die Römer paarten das Gedankengut der Griechen mit dem ihnen eigenen pragmatischen Zweckmäßigkeitsdenken, vervollkommneten den Ziegelbau, erfanden den Bogen- und Kuppelbau sowie das Tonnengewölbe, entwickelten dafür das opus caementicium und schufen die Voraussetzungen für den Bau kilometerlanger Aquädukte.14

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KAPITEL II

Zu den ältesten Formen der Mauertechnik

Siehe Tafel 1 und 2, Bau- und Dekor­m aterial, S. 84–87

zählt das Bruchstein- oder Polygonalmauerwerk aus Kalkstein, das sich allerdings bis in die Völkerwanderungszeit nahezu unverändert hielt. Nicht ganz so alt, aber weit verbreitet und parallel dazu angewandt wurde das opus quadratum aus regelmäßig geformten Quadern. Diesem gegenüber setzte sich während der Kaiserzeit in den westlichen und nördlichen Provinzen bald das opus caementicium durch. Es eignete sich nicht nur für Bogenkonstruktionen sowie zum Bau von Tonnengewölben und für den Kuppelbau, sondern auch hervorragend zur Herstellung des Guss- oder Schalenmauerwerkes (opus implectum). Opus caementicium bestand aus gebranntem Kalk, Bruchsteinmaterial, Schotter, Sand und Ziegelsplitt oder Ziegelmehl, aber erst durch die Beimengung von Pozzulan oder Trasszuschlägen erhielt das opus caementicium jene hydraulischen Eigenschaften, durch die dieses Gemenge nach der Zugabe von Wasser zunächst unter starker Hitzeentwicklung eine guss- und streichfähige Masse bildete und im Zuge der Abkühlung zu einem druckfesten und wasserabweisenden Stein aushärtete, ähnlich unserem heutigen Beton. Da dieses wasserdichte Material auch unter Wasser aushärtet, wurde es als wasserfeste Schicht für Bäder, Kanäle und die Abdeckung von Hypokaustanlagen verwendet. Wir feiern die römischen Baumeister für die Erfindung dieses wichtigen Baumaterials. Doch es war bestenfalls eine Wiederentdeckung, denn schon um 1300 v. Chr. mischten die Phönizier ihre Mörtel mit Pozzulanen, um Unterwasserbetonierungen vornehmen zu können. Alles schon dagewesen.

Römische Ziegel Sie zählen – von Ausnahmefällen abgesehen – zu den am wenigsten beachteten Kleinfunden einer Grabung. Dennoch verraten sie uns vieles über Bauweise und Geschichte. Genormte Ziegel gab es seit den frühesten Tagen der Ziegelproduktion, so im alten Ägypten, in Babylon und Assur, in Griechenland oder Rom. Die von Vitruv genannten Maße wurden nicht immer eingehalten, aber man hielt sich zumindest an regionale Normen, die häufig für mehrere benachbarte Provinzen Gültigkeit hatten. Die Römer kannten viele verschiedene Ziegeltypen. Es gab Quader mit quadratischer Basis für den Aufbau von Hypokaustheizungssäulchen, diese wurden auch aus halben Scheibenziegeln gefertigt, die kreuzweise verlegt wurden. Als oberen Abschluss dieser Säulchen verwendete man zumeist quadratische Plattenziegel. Selbstverständlich gab es „normale” Mauerziegel und Hohlziegel (tubuli) für die Tubulatur (Wandheizung). Die flachen Dachziegel (tegulae) mit den aufgebörtelten Rändern erinnern an ihre griechischen Vorbilder, desgleichen die halbzylinderförmigen Hohldeckziegel (imbrices) und die Antefixe. Spezialanfertigungen waren formenreiche Ziegel für Ziegelmosaike bzw. Ziegelparkette.

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Ziegel als Geschichtsquellen Im Bereich von Carnuntum werden alljährlich große Mengen historischen Baumaterials, vorwiegend Steine und Ziegel ausgeackert. Das Ziegelmaterial ist für die Baugeschichte und Datierung so manchen Gebäudekomplexes von weitreichender Bedeutung. Es ist schade, dass in der Frühzeit der archäologischen Erforschung Carnuntums die Ziegel mit ihren signifikanten Merkmalen (Stempel, Wischzeichen, Abdrücke von Hundepfoten etc.) wenig Beachtung fanden. Zweifellos ist in situ gefundenes Material von größerer Bedeutung, als es die von den Bauern ausgeackerten, dem Boden entrissenen und auf den Klaubhaufen abgelegten Ziegel sind. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass sie keinen Stellenwert in der Erfassung des antiken Ziegelmaterials hätten. Neben der in Militärziegeleien erzeugten Ware wurden viele Ziegel in privaten Fabriken hergestellt. So betrieb Gaius Valerius Constans eine dieser Fabriken, deren Standort sogar auf den Ziegelstempeln vermerkt ist: G(AIVS) VAL(ERIVS) CONST(ANS) KARN(VNTVM) Weitere Privatziegeleien wurden von L(VCIVS) VAL(ERIVS) VITALIS, T(ITVS) FL(AVIVS) SEXT(VS), ANINVS und OCTAVIVS SECVNDINVS sowie der Besitzerin eines Großunternehmens (ATILIA FIRMA) betrieben. Sie alle und noch eine Reihe anderer ziegelten für den Raum Carnuntum, ATILIA FIRMA und G(AIVS) VAL(ERIVS) CONST(ANS) waren darüber hinaus Exporteure, die nicht nur donauabwärts bis Aquincum (Budapest), sondern auch stromaufwärts und sogar über die Donau nordwärts bis nach Milanovce a. d. Nitra ins barbaricum („Feindesland“) lieferten.

Abdrücke von Hundepfoten und genagelten Soldatenschuhen kommen derart oft vor, dass man sich kaum vorstellen kann, dies wäre reiner Zufall. Es gibt zweifellos unbeabsichtigte Tierfährten auf Ziegeln, die im Zuge der langen Vortrocknung im Freien entstanden. Darüber hinaus dürfte jedoch der immer wiederkehrende Hundepfotenabdruck eine ebenso gewollte Kennzeichnung der Ziegel darstellen wie die Stempel und Wischzeichen. Ritzzeichnungen und Ritzinschriften (Graffiti) wurden auf Ziegel sowohl im feuchten und lederharten als auch im bereits gebrannten Zustand aufgebracht. Ziegel dienten u. a. für Abrechnungen, als Sendscheine für Ziegellieferungen, zur Buchführung der Ziegelschläger, als Grabstelen für Armengräber,sogar als Spielbretter. Jüngsten Untersuchungen zufolge sollen die Wischzeichen das gezielte Abrinnen des Wassers verbessert haben. Es fragt sich dann nur, wozu die Wischzeichen auf den verbauten lateres dienen sollten …

Siehe Tafel 1 und 2, Stein- und Ziegelbauweise, S. 88–91

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KAPITEL II

Fußbodenheizung

Siehe Abbildungen S. 92–101

Bei dem erwähnten hypokaustum handelt es sich um eine Fußbodenheizung. Alle Bäder, aber auch viele private und öffentliche Gebäude waren mit einer derartigen Heizung ausgestattet. Nach Plinius soll ein gewisser Gaius Sergius Orata im 2. vorchristlichen Jahrhundert dieses Heizsystem für seine Fischteiche entwickelt haben. In einer oft außen an das Haus angebauten Feuerstelle (praefurnium) wurde mit Holz, Holzkohle oder angekohltem und deswegen rauchlosem Holz geheizt. Von dort strich die warme Luft samt Abgasen unter einem von Säulchen getragenen, meist 20 bis 50  cm dicken Hohlraumboden hindurch und entwich durch die Hohlziegelwand (tubulatur) nach oben zum Abzug. Die als tubuli bezeichneten Hohlziegel wurden später mitunter durch Ziegel mit Warzen (tegulae mammatae) ersetzt. Diese Art der Beheizung lohnte sich nur bei längerer oder permanenter Benützungszeit der Räumlichkeiten.

Estriche Besonders geschickt waren die Römer bei der Entwicklung von Estrichen, speziell jenen, welche die Voraussetzung für die Anbringung von Mosaiken waren. Nach Vitruv sollte die untere Schicht nicht dünner als dreiviertel Fuß sein und von zehn Mann mit hölzernen Stampfern sorgfältig bearbeitet werden. Darüber wurde eine feste Schicht aus drei Teilen Ziegelsplitt (zerstoßenen Tonscherben) und einem Teil Kalk gebracht, die den Fußbodenbelag trug. Für Estriche im Freien schlug Vitruv eine Abdeckung mit gesägten Steinplatten vor, deren Fugen sorgfältig mit einem frostsicheren Mörtel zu verschließen waren. Damit der Mörtel in den Fugen nicht auffriert, empfahl Vitruv, ihn alle Jahre vor Eintritt des Winters mit Ölhefe zu sättigen.

Marmor und Edelputze Wer über die nötigen Geldmittel verfügte, verkleidete sein Bauwerk mit Marmorplatten. Die weniger betuchten Römer haben allerdings ihre Häuser nicht nur „gekalkt“, sondern verwendeten zur Bauwerksverkleidung zumeist einen mehrlagigen Wandputz. War eine Bemalung der Wände vorgesehen, mischte man Marmormehl in den Putz. Eine sorgfältige Oberflächenbehandlung durch Schleifen schuf den idealen Malgrund mit einem leicht schimmernden Glanz, der nur von Experten vom echten Marmor unterschieden werden kann. Fraglos war diese Form des Putzes die beste Voraussetzung für jene haltbare Bemalung, an der wir uns noch heute vielerorts erfreuen können.

Tonnen- und Kreuzgewölbe In der römischen Architektur war es das echte Gewölbe – zum Unterschied vom etruskischen Kraggewölbe –, das die Bauweise der Antike revolutionierte. Dabei war die Einführung des römischen Betons von entscheidender Bedeutung. Elemen-

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

tarste Form war das Tonnengewölbe. Das Kreuzgewölbe ist uns hinlänglich aus den unzähligen Thermenbauten bekannt. Auch die Struktur der römischen Mauer unterschied sich wesentlich von der griechischen. Während man im antiken Griechenland individuell behauene Quader zumeist bindemittellos aneinander fügte, setzten die Römer auf die modulierfähige Masse Mörtel.

Siehe Abbildungen S. 102–119

Wichtige Architekturelemente der römisch-kaiserzeitlichen Bauten sind Vorbilder aus der etruskischen und griechischen Baukunst. Neben der tuskischen und dorischen Bauordnung war die römisch-jonische Ordnung zumeist in den Ostprovinzen beliebt. Die Basis der römisch-jonischen Säulen war attisch und verfügte über einer Plinthe. Der Schaft zeigt Entasis (die kaum merkliche Verdickung des sich bogenförmig verjüngenden Schaftes nach der Mitte zu) und eine nur schwache Verjüngung der Säulen nach oben. Letztere können glatt oder kanneliert sein. Abgesehen von Schnecken und Eierstab treten viele unterschiedliche Kapitell-Varianten mit teilweise reichem ­Dekor auf.

3000 Jahre Mosaike Seit wann es Mosaike gibt, ist schwer zu sagen, doch dürften sie nicht vor dem 8.  vorchristlichen Jahrhundert in Mode gewesen sein, wenngleich sicherlich da oder dort bunte Kieselsteinchen zu Bildchen zusammengefügt wurden. Das älteste, uns derzeit bekannte Papyrusfragment, das auf Mosaike Bezug nimmt und eine Anweisung enthält, wie man denn ein Fußbodenmosaik in einem Bad auszuführen hat, stammt erst aus der Zeit zwischen 256 und 246 v. Chr. Die Mosaike wurden nicht nur in Sakral- und Profanbauten verlegt, sie reisten sogar auf dem Wasserweg. In der Mitte des 3.  vorchristlichen Jahrhunderts war Hieron II. von Syrakus mit einem Schiff nach Alexandria unterwegs, das vor allem deswegen Aufsehen erregte, weil die Fußböden der Schiffskabinen mit Mosaiken verziert waren. Diese Steinbilder waren keine primitiven Ornamente, wie wir sie aus Roms republikanischer Zeit kennen, sondern durchgestaltete Bilder, die die Höhepunkte der Ilias erzählten. Sueton berichtet, dass auch Gaius Julius Caesar Mosaiktafeln auf seine Feldzüge mitgenommen haben soll. Sicher waren das eher kleine Bildchen und keine mehrere Quadratmeter großen Mosaike, die der Eroberer Galliens da mit sich herumschleppte. Begonnen hat die Mosaikkunst mit einem von den Archäologen ins 8.  vorchristliche Jahrhundert datierten Fußbodenmosaik aus Gordion (Kleinasien). Dieses und viele ähnliche Mosaike wurden nicht mit tesserae, also mit Mosaiksteinchen in Würfelform, sondern mit Kieseln ausgeführt, mit ähnlichem Material, mit dem heute noch in Portugal, manchen Teilen Spaniens und auf Madeira Straßen gepflastert werden. Auch auf den griechischen Inseln und in ligurischen Gärten lebt dieses Kieselsteinmosaik weiter.

Siehe Tafel 1 und 2, Römische ­Mosaike S. 122–123 und Abbildungen S. 124–127

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KAPITEL II

Von Pella bis Rom Eine gewaltige Zäsur in der Entwicklung der Mosaikkunst gab es im 4. vorchristlichen Jahrhundert. Durch einen uns nicht bekannten Auslöser kam es plötzlich zu einer tiefgreifenden Veränderung, wobei völlig überraschend in kürzester Zeit ein unerwartet hohes qualitatives Niveau erreicht wurde. Beweis dafür sind die Mosaikfußböden von Pella, der Geburtsstadt Alexanders des Grossen. Ab dem 3. vorchristlichen Jahrhundert verwendete man in hellenistischer Zeit bereits bearbeitete Steinchen, ähnlich den späteren tesserae. Gefunden wurden solche Mosaike in Alexandria und Morgantina. Asaroton hieß jenes spezielle Fußbodenmosaik, das einen weißen, ungekehrten Fußboden imitiert, auf dem die Reste eines reichlichen Mahles verstreut liegen. Das Thema wurde immer wieder behandelt, von Griechen und Römern. Als e­ mblema wurden jene vorgefertigten, aus kleinen Steinchen zusammengefügten Mosaikbilder bezeichnet, die man als gesamte Einheit in Fußböden einfügte. Wahre Glanzlichter unter den klassischen, griechisch-römischen Mosaiken sind die berühmte „Alexanderschlacht“ aus der Casa del Fauno in Pompeji, die aus parvulis crustis (kleinen Platten) hergestellten lithostrata, wie wir sie aus dem Tempel der Fortuna in Palestrina kennen, sowie die traumhaft schönen Mosaike aus Tunesien und in der Villa Casale bei Piazza Armerina in Sizilien. Eine typisch italische Entwicklung sind die Schwarzweiß-Mosaike, wie wir sie aus den Caracalla-Thermen in Rom und von vielen Böden in Ostia, Aquileia und Pola kennen. Sehr beliebte Themen waren mythologische Szenen, Tierszenen, Gladiatorenkämpfe und Darstellungen von Pferdelenkern.

Mosaikkunst in Carnuntum In den Provinzen des Römischen Reiches war die Mosaikkunst ebenfalls weit verbreitet. Allerdings hatte das Mosaik auf der Iberischen Halbinsel zur Zeit des Kaisers Hadrian bereits eine fast tausendjährige Tradition, in Britannien steckte es gerade in den Kinderschuhen. Noch 130  n.  Chr. wurde in Londinium (London) ein Fußboden im opus signinum verlegt, einer Technik, die man im italischen Mutterland seit der republikanischen Zeit nicht mehr anwandte. Erst im ausgehenden 3. nachchristlichen Jahrhundert und zwischen 300 und 370 n. Chr. blühte die Mosaikkunst in Britannien auf. Rund 600 Mosaike künden von dieser Periode. Auch in Trier entstanden die qualitätvollsten Werke erst in der Zeit des Dominats. Ein anderes Zentrum des spätantiken Mosaiks war Syrien. Das Nachleben der antiken Mosaikkunst wird speziell in den in der Kirche San Vitale in Ravenna erhaltenen Werken aus der Zeit um 547 n. Chr. sichtbar. Berühmt ist das Mosaik, das Kaiser Justinianus mit Bischof Maximianus und zwei Diakonen zeigt. Es ist deswegen so interessant, weil Justinian nie in Ravenna gewesen ist. Hinsichtlich Carnuntum sei vermerkt, dass auch hier Mosaike als Teile des antiken Raumschmuckes angesehen wurden und offensichtlich als Statussymbole galten. Die beiden im Spaziergarten entdeckten Mosaike stammen aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert, so auch die Mosaike in den Häusern I und IV im Spaziergarten. Das 4,2  x  4,7  m große Mosaik im Haus  I zeigte ein leider zum Großteil stark zerstörtes Mittelfeld, das von einem Dreiecksband und einem Flechtband um-

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

schlossen wurde. Zwischen dem umrahmten Mittelfeld und dem aus einem breiten Flechtband gebildeten Rand wurde die verbliebene Fläche mit einem kontinuierlichen Muster aus paarweise gegenübergestellten halbrunden, grau umrandeten, gelben, grünen und roten Schilden (peltae) gestaltet. Das annähernd quadratische Mosaik im Haus IV war ebenfalls von Flechtbändern umschlossen. Das Mittelfeld wies vier Halbkreise auf, die einen zentralen Kreis berührten. Dadurch wurde das Mittelfeld in neun Felder geteilt, die ursprünglich figuralen Schmuck beinhalteten, von dem leider nur mehr Spuren vorhanden sind. Sehenswert sind auch das Orpheus-Mosaik im Lapidarium des Spaziergartens und die Mosaike im Museum Carnuntinum.

Wasserbau Die unterschiedlichen Anforderungen an die römischen Wasserbauarchitekten reichten von Brunnen, Zisternen, Quellfassungen und Quellheiligtümern, Wasserleitungen, Kanälen, Tunnels, Stollenleitungen, Fernwasserleitungen, Aquädukten, technisch-hydraulischen Anlagen zum Heben, Speichern und Messen des Wassers, Talsperren, Staudämmen, Absetzbecken, Rückhaltebecken, Leitungstürmen (col­ liviaria oder colliquiaria), Wasserverteilern (castelli aquae), Wasserkästen und Rohrleitungen über Nymphäen, Trinkwasser- und Zierbrunnenanlagen, Laufbrunnen, Teiche, Thermen und Toilettenanlagen sowie öffentliche Abortanlagen bis zu Abwasserkanälen (cloaca maxima).

Siehe Abbildungen S. 128–131

Neue Messgeräte, Armaturen und Pumpen Für die Trassierung römischer Wasserleitungen und die Errichtung der vielfältigen Anlagen wurden neue, ausgeklügelte Vermessungsgeräte wie der Chorobates, Schnellmessinstrumente und Konstruktionshilfen entwickelt. Auch im Bereich der Installationen kam es in römischer Zeit zu enormen Weiterentwicklungen, speziell bei den Armaturen. Das beweisen Funde von modern anmutenden Absperr- bzw. Durchgangshähnen, Saug- und Druckpumpen, Wechselzapfhähnen, Entleerungsklappen und Wasserspeiern aus Bronze. Praxisorientiert war die Standardisierung der Maße von Ton- und Bleirohren sowie der Steinrohrdruckleitungen. Einfache Handpumpen und Doppelkolben-Druckpumpen wurden aus Eichenholz gefertigt. Wie Funde aus Immurium (Lungau) und vom Magdalensberg (Kärnten) beweisen, verwendete man in römischer Zeit in den Alpenprovinzen für Wasserleitungen und Brunnenschachtauskleidungen auch Lärchenholz. Die römischen Ingenieure und Architekten haben den Wasserbau vervollkommnet und es bedurfte einer Zeitspanne von mehr als einem Jahrtausend seit dem Untergang des Weströmischen Reiches, bis dieser hohe Standard wieder erreicht werden konnte.

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KAPITEL II

Zisternen und Brunnen

Siehe Abbildungen S. 132–134

Nahezu alle Städte und Großstädte begannen als winzige Ansiedlungen an Flüssen oder Seen. Beispiele dafür finden wir nicht nur in Ägypten mit seinem Lebens­ spender Nil oder in Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris, sondern weltweit. Die Ursachen für die frühen Ansiedlungen an Flüssen sind vielfältig. Sie fungierten infolge zumeist fehlender Straßen als Wasserwege, lieferten Nahrung (Fische, Krebse, Muscheln, Schnecken) und Trinkwasser sowie Brauchwasser für die Bewässerung der Felder. Das gilt auch für die frühen Ansiedlungen an der Dordogne, Rhône, Loire, Garonne, am Ebro, Tejo, Guadalquivir oder Douro, am Rhein, Inn, Lech, Ticino und Po, an der Drau, Save, Etsch, Salzach, Isar, Piave, Adda oder entlang des Donaulimes. Das frühe Rom war da keine Ausnahme. Im etruskischen und im königlichen Rom und selbst noch zur Zeit der frühen Republik hatte der Tiber Trinkwasserqualität. Doch bereits im 4. Jh. v. Chr. hatte sich die Wasserqualität derart verschlechtert, dass sich der Censor Appius Claudius Ceacus entschloss, die bereits im ersten Kapitel erwähnte erste Wasserleitung von den Quellen an der Via Praenestina über 16,5 km ins Zentrum der Stadt zu bauen, die Aqua Appia. Zu den frühesten Wasserbauten zählen die Zisternen, in denen Trink- und/ oder Brauchwasser für Trockenzeiten gespeichert wurden und werden. Auch das Graben von Hausbrunnen hat schon eine vieltausendjährige Tradition. Sie wurden speziell in jenen Zeiten wieder wichtig, als Fernwasserleitungen – ob aus Baumängeln, auf Grund kriegerischer Zerstörung oder aus welchen Gründen auch immer – kein Wasser mehr lieferten und das Wasser der Flüsse durch massive Verunreinigungen derart verschmutzt wurde, dass Gefahr für die Gesundheit der Menschen entstand. Ein drastisches Beispiel dafür war der Tiber in der späten Republik und der Kaiserzeit, als die meisten Fäkalien, aber auch die Rückstände aus Gerbereien, Färbereien und anderen Industrien ungeklärt in den Fluss geleitet wurden. Doch Roms Stadtverwaltung und die Kaiser der Prinzipatszeit hatten mit vielen Wasserleitungen vorgesorgt, sodass für alle Bewohner der Hauptstadt ausreichend sauberes Wasser vorhanden war.

Ungerechte Wasserverteilung Fraglos floss ein Großteil des in Rom angekommenen Wassers in die Palastanlagen und Gärten des Kaisers sowie in die zahlreichen Thermenanlagen und öffentlichen Brunnen und privilegierte Haushalte, welche an das öffentliche Netz angeschlossen waren. Dennoch gab es für die gesamte Bevölkerung ausreichend Wasser, wenngleich die meisten Menschen ihren Bedarf bei den Brunnen und öffentlich zugänglichen Schöpfstellen decken mussten. Wer nicht Wasser schleppen konnte oder wollte, wurde von aquarii (Wasserträgern) gegen geringes Entgelt versorgt. Schlimmer war es um die Abwasserentsorgung bestellt, denn alle Abwässer liefen ungeklärt in den Tiber, der mittlerweile zu einer dreckigen Brühe verkommen war. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Rom hinsichtlich der Wasserversorgung eine Sonderstellung hatte. Häufig wurde noch in der frühen Kaiserzeit Trinkwasser aus Flüssen, Bächen, Seen, Zisternen und Hausbrunnen gewonnen. Viele Städte er-

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

hielten erst relativ spät eine Frischwasser-Fernleitung; die Fäkalienentsorgung war auch dort extrem problematisch, selbst wenn ein Teil des Urins für Gerbereien und Walkereien gesammelt wurde, denn viele menschliche und tierische Exkremente landeten in den Gassen und Straßen und wurden erst vom nächsten Regen weggespült. Es darf uns daher nicht wundern, dass in Folge der katastrophal schlechten hygienischen Verhältnisse häufig Pest- und Choleraepidemien auftraten.

Fachschriftsteller Abgesehen von den Bodenfunden sind die schriftlichen Überlieferungen von ­H eron von Alexandria, Vitruvius und Frontinus unsere wichtigsten Quellen zur Kenntnis der Wasserbautechnik römischer Ingenieure und Architekten. Marcus Vitruvius Pollio widmete das 8. Buch seiner Arbeit „Über die Baukunst“ diesem Thema. Im ersten Kapitel berichtet er von der Auffindung der Wasservorkommen, im zweiten vom Regenwasser und dessen Kreislauf, im dritten von den heißen Quellen und ihrer Brauchbarkeit zu Heilzwecken und letztlich im vierten von der Feststellung der Wasserqualität und dessen Verwendbarkeit.

Dioptra, choroboates und groma Erst im fünften Kapitel beschreibt Vitruv die Vorbereitungen zum Bau von Wasserleitungen und die für die Nivellierung nötigen Instrumente, wie die dioptra, die Wasserwaage, und die Grundwaage (chorobates). Seinen Ausführungen zufolge besteht sie aus einem etwa 20 römischen Fuß (= 240 unciae = 5920 mm bzw. 5,92 m) langen Richtscheit, an dessen Enden gleichartige Schenkel eingezapft und mit Streben [transversaria = schräge Hölzer] festgemacht sind. Auf diese Streben sind senkrechte Linien aufge­ rissen und ihnen entsprechen Bleilote, die von dem Richtscheit herabhängen. Wenn diese sich nach Aufstellung des Richtscheites auf die lotrechten Linien einstellen, so wird hiedurch eine waagrechte Lage bezeichnet.

Siehe Abbildungen S. 135–139

Die Grundwaage war fraglos das wichtigste Nivelliergerät im Römischen Reich. Ein weiteres unverzichtbares Vermessungsinstrument der römischen Ingenieure war die groma. Sie diente vor allem zum Abstecken rechter Winkel und kam deswegen beim Wasserleitungsbau kaum zum Einsatz, zumeist nur dann, wenn schwierige Vermessungen durchzuführen waren, wie die Achsabsteckung für einen Tunnelbau, welche einen aus rechten Winkeln bestehenden Polygonzug um einen Berg herum erforderlich machte.

Waagrechtstellung des Chorobates Störte beim Vermessen der Wind, welcher eine Ausrichtung der mit Loten versehenen Schnüre unmöglich machte, so empfahl Vitruv die horizontale Montage einer sechs Fuß (sechs pedes = 1.776 mm bzw. 1,776 m) langen Rinne auf dem Chorobat.

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KAPITEL II

Sie sollte 1 Zoll (1/12 pedes = 1 uncia = 1/12 Fuß = 24,7 mm) breit und 1½ Zoll Tiefe (= ca. 37 mm) tief sein. Vitruv schrieb: Man gießt diese Rinne mit Wasser aus. Wenn nun das Wasser überall in gleicher Höhe steht und den Rand der Rinne berührt, so ist ebenfalls die waagrechte Lage erreicht. Danach konnte das Gefälle problemlos bestimmt werden.15

Auch Römer konnten irren In Anbetracht der aus heutiger Sicht unvollkommenen Messinstrumente in der antiken Welt, wie mehrere nicht übereinstimmende Originalmaßstäbe beweisen, muss man den Baumeistern und Architekten, vor allem aber den libratores (Nivellierer) größten Respekt und hohe Anerkennung zollen. Dass es auch zu Fehlmessungen gekommen ist, beweist eine Inschrift aus Lambaesis (CIL  VIII  2728), in welcher der librator Nonius Datus sich rühmt, einen falsch trassierten Wasserleitungsstollen in Saldae wieder zurechtgerichtet zu haben.

Quellfassungen und Quellheiligtümer

Siehe Abbildung S. 140

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Unter Nympharum domus verstand man ursprünglich eine heilige Quelle oder Grotte, die als Wohnsitz der Quellgötter und Quellgöttinnen (νυμφαῑον ), der Nymphai und der Nymphae angesehen wurden. Daraus leitete sich der Name Nymphäum ab, der allerdings keinen realen Bezug zu den ursprünglichen Quellfassungen hat, sondern zur Bezeichnung für die kaiserlichen Monumentalbrunnen wurde. Den Quellnymphen, den Fontes und dem keltischen Quellgott Belinus wurden schon sehr früh Heiligtümer errichtet. Die mit dem Wasser verbundenen Nymphen (attraktive Mädchen im mannbaren Alter) nannten die Griechen Ναιάδες oder Ναίδες (Najaden), auch Ύδριάδες oder Έφυδριάδες. Als der Nymphenkult aus Griechenland nach Rom überschwappte, wurden die älteren lokalen etruskischen Wassergottheiten wie Iuturna, Egeria und Peneis in den Kreis der Nymphen (fontana numina) inkludiert. Nach der ursprünglichen Vorstellung hausten die Nymphen in Grotten oder Höhlen. Zu ihrer Verehrung errichtet wurden zumeist schlichte Quellhäuser oder kleine Tempel, oft nur Inschriften auf den Architraven über der Quellfassung, mitunter nur primitive Altäre. Geopfert wurden ihnen zumeist Früchte, Blumen und Kuchen, Honig und Milch, aber nur selten kleine Tiere. Nach pontifikaler Vorschrift sollte ihnen „aqua et lacte (non vino)“ dargebracht werden. Darüber hinaus liebten es die Römer, Münzen in Quellen und Brunnen zu werfen. Daraus resultiert der heute noch übliche Brauch des Münzwerfens, der nicht nur an der Fontana di Trevi in Rom, sondern – bedingt durch den Tourismus – mittlerweile weltweit gepflogen wird.

RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Wasserleitungen, Kanäle, Tunnels, Stollenleitungen Von den Quellfassungen wurde das Wasser zumeist in nahegelegene Absetzbecken geleitet und von dort weiter durch die unterschiedlichsten Wasserleitungen zu den Verbrauchern. Nach Vitruv konnte das Wasser auf drei verschiedene Arten geleitet werden: „in gemauerten Rinnen, in bleiernen Röhren oder in Tonrohren.“ Wie Funde in Padua, Pergamon, Ephesus, Patara, Laodikeia, Palmyra und von einigen anderen Grabungen beweisen, wurden in Ausnahmefällen – vor allem für Druckleitungen – Kalksteinrohre verwendet. In kleinen ländlichen Gemeinden begnügte man sich mit hölzernen Rinnen oder Holzrohren, wie dies in den Alpenländern noch heute zu sehen ist. Wird nun das Wasser in Rinnen geleitet, so ist für ein möglichst festes und sicheres Mauerwerk Sorge zu tragen, und die Sohle der Rinne muss ein Gefälle von wenigs­ tens ½ Fuß (148 mm) auf je 100 Fuß Länge (29,64 m) haben. Das sichere Mauerwerk war beim Einsatz von opus caementicium (unter Beimischung von Ziegelsplitt, Puzzolanerde oder Trass) garantiert, der Hinweis auf das Gefälle könnte auf einen Übertragungsfehler im Rahmen der mehrmaligen Abschriften zurückzuführen sein. Bei Plinius wird im Band XXXI, 31 ein Minimum von einem Viertelzoll (= 1 Viertel-uncia = 6,2 mm!) bei gleicher Länge angegeben. Dies entspricht bei 1.000  m nur 209  mm bzw. einem Gefälle von 0,209  ‰. Wie weit sich dieses extrem geringe Gefälle tatsächlich annähernd realisieren ließ, beweist die Kaikos-Wasserleitung nach Pergamon mit einem Gefälle von 0,3 ‰, die Wasserleitung von Nîmes in Südfrankreich mit 0,34 ‰ oder die römische Wasserleitung von Siga im heutigen Algerien mit einem flachen, beinahe 1,5 km langen Abschnitt von 0,854 ‰.

Wasserfeste Spezialputze Vitruv ging zwar davon aus, dass der reine weiße Kalkstein den besten Baukalk ergibt, doch dies stimmt nur für Luftkalk, also jenen Baukalk, der nicht unter Wasser, sondern ausschließlich an der Luft langsam erhärtet. Weißkalk (beispielsweise Dolomitkalk mit einem mehr oder minder hohen Magnesiumkarbonatanteil) ist nicht wasserbeständig. Hydraulischer bzw. hochhydraulischer Kalk benötigt einen tonhaltigen Anteil, und das wusste auch schon Vitruv. Seine Empfehlung war die Beimengung einer Erdart, die von Natur aus wunderbare Dinge hervorbringt. Sie kommt im Ge­ biet von Baiae und der Städte, die rund um den Vesuv liegen, vor. Mit Kalk und Bruchstein gemischt gibt sie nicht nur den üblichen Bauwerken Festigkeit; sie sorgt vielmehr auch dafür, dass Dämme im Wasser fest werden, wenn man sie ins Meer baut. Da die Römer nicht im gesamten Imperium Zugriff auf Puzzolane bzw. vergleichbare vulkanische Tuffböden hatten, wichen die römischen Baumeister auf Ziegelmehl und Ziegelsplitt (zerstoßene Tonziegel und Amphoren) aus. Heute werden

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KAPITEL II

als Puzzolane nicht nur die in Pozzuoli abgebauten Tuffe, sondern all jene Tuffe bezeichnet, die gemeinsam mit Kalk ein hydraulisches Bindemittel ergeben. Dazu gehören sowohl die Santorin-Erde als auch der Trass von Gossendorf im steirischen Vulkanland. Wichtige Hinweise auf die richtige Zusammensetzung des Mörtels finden sich ebenfalls bereits bei Vitruv, wobei er der Qualität des beigemengten Sandes hohe Beachtung beimisst: Bei Konstruktionen aus römischem Beton muss zuerst der Sand untersucht werden, ob er zur Mischung des Mörtels tauglich sei und nicht Erde beigemischt hat. In der Folge listet er die Qualitäten des Grubensandes auf und meint: Die besten Sande knirschen, wenn man sie in der Hand reibt; erdhaltiger Sand wird keine Schärfe besitzen. Hervorragend knirscht ausgeglühter Quarzsand. Wenn keine Sandgruben vorhanden sind, muss der Sand aus Flüssen oder Kies ge­ wonnen werden, es kommt auch Sand von der Meeresküste in Frage. Vitruv schränkte jedoch ein, bei Sanden von Meeresküsten kommt hinzu, dass durch Absonderung des Salzgehal­ tes der Verputz auf Mauern zerstört wird.

Wasserfeste Auskleidung der Kanäle erfolgte zumeist mit mehreren Mörtel- bzw. Putzschichten. Obwohl in den wasserführenden Kanälen und den noch viel stärker von Temperaturschwankungen betroffenen Bogenbrücken der Fernwasserleitungen generell auf Dehnungsfugen verzichtet wurde, gelang es, die Gerinne rissfrei herzustellen. Das ist dem bereits erwähnten komplexen Mehrschichtenputz zu verdanken. Auf der grauen Grundputzschicht von geringer Dichte und Festigkeit wurden Zwischenschichten aus Marmorfeinsplitt und Ziegelfeinsplitt aufgebracht. Die Innenschicht der Kanalrinnen wurde mit hydraulischem Putz (opus signinum) dick bestrichen, um die gewünschte Abdichtung zu erreichen. Besonders wichtig war, dass neuralgische Stellen, wie die Ecken zwischen Stollenwangen und Boden, mit einem mehrere Zentimeter dicken Viertelrundstab ausgeformt wurden – ähnlich wie noch heute Malermeister mit leeren Bierflaschen die Hohlkellen in Räumen zwischen Wänden und Plafond (Zimmerdecke) herstellen. Schon nach kurzer Zeit bildete sich speziell an den Wangen eine Sinterschicht – ähnlich den hinlänglich bekannten Kesselsteinen –, die im Laufe der Dezennien an Stärke zunahm und zum Leidwesen der Erbauer den Leitungsquerschnitt (zumeist allerdings nur geringfügig) verringerte. Das bereits erwähnte opus caementicium kann man in Analogie zum Konglomerat als einen Stein aus Menschenhand bezeichnen, wobei Gesteinsbrocken oder Schotter und Sand mit einem kalkigen Bindemittel und Wasser zu einem dauer-

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

haften und überaus druckfesten Gefüge zusammengeklebt wurden. Ätzkalk ist seit den Tagen der Kelten und Römer ein wichtiger Baustoff und wird aus Kalkstein durch Brennen bei etwa 900°C im Kalkofen gewonnen. Im Zuge dieses Prozesses wird aus dem Calciumkarbonat CaCO3 Kohlendioxid (CO2) ausgetrieben. Zurück bleibt das Calciumoxid CaO, der stark ätzende gebrannte Kalk. Dieser Ätzkalk ist porös, bröckelig und saugt begierig Wasser aus der Luft an, was eine trockene Lagerung bis zur Verarbeitung erfordert. Wesentlicher Unterschied zum modernen Beton mit Zement waren im römischen Beton Kalke unterschiedlicher Zusammensetzung als Bindemittel. Römischer Beton wies daher nicht so hohe Druckfestigkeiten auf und war auch nur unter bestimmten Voraussetzungen unter Wasser zu verwenden.

Zuschlagstoff Trass? Obwohl mehrfach von Experten in Frage gestellt, war die Beigabe von gemahlenem Trass zum Beton für Unterwasserbetonierungen sehr wahrscheinlich. Letzterer ist Silikattuff, der ins Wasser fiel und mit demselben den sogenannten „Halb­ opal“ bildete. Berühmt ist das Vorkommen von Gossendorf in der Oststeiermark im jungtertiären Eruptivgebiet. Auf Grund seiner guten hydraulischen Eigenschaften besitzt der Trasszement hohe Bedeutung für den Unterwasserbau. Röntgenographisch wurde der Trass bislang nicht nachgewiesen, war aber bei einigen der untersuchten Mörtel sehr wahrscheinlich. Viele Mischungen enthielten Ziegelsplitt oder Ziegelmehl als Zuschlag; daneben wurde aber auch örtlich anstehender Kies verwendet. Die Druckfestigkeit und die Trockenrohdichte liegen im Bereich der Werte unseres heutigen Ziegelsplittbetons. Letzterer wird als opus signinum bezeichnet. Mit opus signinum wurde auch der mehrlagige, meist grobe Putz bezeichnet, wie er zur Innenauskleidung von Wasserleitungen und Kanälen verwendet wurde.

Siehe Abbildungen S. 141–143

Fernwasserleitungen und Aquädukte Um die permanent wachsende städtische Bevölkerung ausreichend mit Wasser versorgen zu können, reichten die nahe liegenden Wasserressourcen bald nicht mehr aus, und es mussten weiter entfernt liegende Quellgebiete, natürliche Seen oder Stauseen angezapft und das Wasser in Fernleitungen zu den Verbrauchern gebracht werden. Da die Strecken häufig durch eine Berg- und Tallandschaft geführt werden mussten, kamen die verantwortlichen Ingenieure nicht umhin, Stollen und Brücken zu planen und anzulegen. Auch ohne Computer war es möglich, nach den Geländebegehungen und einer exakten Vermessung mit Diopter, Chorobat und Groma mit den einfachsten Hilfsmitteln die erforderlichen Pläne zu erstellen. Ein im Gelände gebräuchlicher Längenmaßstab war die decempeda (hölzerne Zehnfußlatte mit Metallendbeschlägen und einer Länge von 2.964 mm). Daneben gab es sogar Klappmaßstäbe. Metae zum Abstecken von Strecken (Fluchtstäbe) waren damals ebenso gebräuchlich wie noch heute. Im Gelände bediente man sich für das Notieren der Vermessungsdaten der Wachstäfelchen, vergleichbar mit den modernen Feldbüchern.

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KAPITEL II

Schreib- und Zeichengeräte

Siehe Abbildungen S. 144–149

Um auf diesen Wachstafeln schreiben zu können, benötigte man den Griffel (sti­ lus). Die Redensart „den Griffel wenden“ geht auf dieses Schreibgerät zurück, dessen zweites spatelartiges Ende dem Tilgen der Schrift diente. Die Pläne wurden mit Hilfe von Linealen, Winkelmaß und Zirkel angefertigt. Trägermaterial war Pergament oder charta, wie die Römer die unbeschriebenen Papyrusbögen nannten. Der Begriff lebte fort – über die mittelalterliche „magna charta“ bis in unsere Zeit. Heute noch schreiben wir eine Ansichts-Karte oder suchen unsere Wander- oder Fahrroute auf einer Land-Karte und lösen beim Bahnschalter oder Automaten eine Fahr-Karte. Geschrieben und gezeichnet wurde schon in vorchristlicher Zeit mit dem kala­ mus, einem zugespitzten Schreibrohr. Ähnlich wie bei den noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebräuchlichen Metallfedern (Spitzfedern, Bandzugfedern) musste das Schreibrohr gespalten und von Zeit zu Zeit mit dem Bimsstein wieder geschärft werden. Besser als so manche moderne Tinte, ähnlich der chinesischen Tusche, war die Qualität der antiken Tinten, die aus Ruß, Wasser und Klebstoff hergestellt wurden. Daneben gab es auch rote Tinte, mit der gerne Überschriften geschrieben wurden. In römischer Zeit blieb die Purpurtinte dem Kaiser vorbehalten. Prunkbücher schrieb man zumeist in Goldfarbe. Schreibfehler beseitigte man mit einem Schwamm, wobei dies nicht ganz so einfach gewesen sein dürfte, wie es klingt.

Die Schrift- oder Planrolle Die Schriftrolle wurde von den Griechen als κύλινδρος (= kylindros = Zylinder) bezeichnet. Der κύλιστος (= kylistos) bestand aus mehreren, ineinander gerollten Bögen. Die Römer machten daraus das volumen, im englischen Begriff volume für Band lebt der Name weiter. Für Schriftstücke geringeren Umfanges hatten die Griechen die Begriffe βύβλίον, βιβλίον, βῠβλῐον (= byblion = Buch, Büchlein, Schrift) oder βῐβλῐδῐον (= biblidion, Papyrusrolle, Schriftrolle), die Römer sprachen von einem libel­ lus. Die Heilige Schrift nennen wir noch immer Bibel.

Trassierung einer Wasserleitung Obwohl aus der antiken Literatur bis dato keine konkreten Hinweise hinsichtlich der Wasserleitungstrassierung bekannt geworden sind, dürfen wir annehmen, dass nach den erforderlichen Geländebegehungen durch die libratores (Nivellierer) ein Gesamtplan vom Generalnivelleur erstellt wurde und danach eine Einteilung in Baulose erfolgte. Hinweise auf das Trassen-Absteckverfahren und das „Austafeln“ der Baulose lieferten nach Klaus Grewe (1985 und 1986b) Grabungen im Bereich einer Kölner Wasserleitung.16 Vitruv weist im sechsten Kapitel seines 8. Buches, das er dem Thema Bau von Wasserleitungen, der Anlegung von Brunnen und Zisternen und der Versorgung der Städte mit Wasser gewidmet hat, hinsichtlich des Stollenbaues dezidiert darauf hin, dass, sofern die Berge aus Tuff oder anderem Gestein bestehen, der Stollen aus diesem gesprengt werden kann,

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

setzt sich jedoch der Boden aus Sand oder Erde zusammen, so muss der Stollen gemau­ ert oder überwölbt werden und in Abständen von jeweils etwa 240 Fuß (= 71,136 m) sind Lüftungsschächte von oben her herabzutreiben. Darin stimmt auch Plinius überein, der schrieb, dass bei der Leitung des Wassers durch unterirdische Gänge (Stollenleitungen) „in Entfernungen von je zwei Actus (= 240 Fuß) Lichtlöcher angebracht werden“ müssen.

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WASSE R L EI T U NGSROH R E Abgesehen von den Gefälleleitungen durch gemauerte Stollen und Kanäle mit meist gemauertem U-förmigem Gerinne wurde das Trinkwasser vornehmlich in Holz-, Ton- oder Bleirohren transportiert.

Tonröhren Nach Vitruv sollten Tonröhren für Wasserleitungen mindestens zwei Zoll Stärke (= 37 mm) aufweisen, aus „dichtem Ton“ gefertigt sein und sich nach einer Seite hin verjüngen, sodass es möglich ist, eine Verbindung durch Ineinanderstecken herzustellen. Die Stöße wurden mit Ätzkalk unter Zugabe von Öl vergossen. Hinsichtlich der höheren Belastung an Knickstellen und zur Vermeidung eines Bruchs der Winkelstücke zwischen einer schräg abfallenden oder schräg aufsteigenden Leitung mit einer horizontal verlaufenden Strecke sollten Kniestücke aus durchbohrten „roten Steinen“ zum Einsatz kommen. Rohre aus gebranntem Ton sind keine Erfindung der Römer, es gab sie schon viel länger. Allerdings sind die meisten unbeschrifteten und ungestempelten Rohre nur schwer zu datieren – zum Unterschied von den mit Legionsstempeln versehenen Exemplaren und den häufig beschrifteten Bleirohren. (VALE)RIA MESSALINA NOBILISSIMA FEMINA bedeutet, dass die dritte Frau des Kaisers Claudius in der ersten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. die Wasserleitung verlegen ließ. Wenn auf einem Bleirohr IMP(ERATORIS) CAESARIS NERVAE TRAIANI OP(T)IMI AVG(VSTI) GERMANIC(I) DACICI

Siehe Abbildungen S. 151–153

zu lesen ist, dann wissen wir, dass diese Wasserleitung im Besitz von Imperator Caesar Nerva Traianus Augustus war, der den Beinamen „der Beste“ und die Siegernamen „Germanicus“ und „Dacicus“ (Eroberer von Germanien und Dacien) trägt. Und damit wissen wir, dass das Bleirohr frühestens in den ersten Jahren des 2. Jh. n. Chr. gefertigt wurde, denn erst nach seinem ersten Sieg über die Daker nahm Marcus Ulpius Traianus gegen Ende des Jahres 102 n. Chr. den Beinamen Dacicus an. Bei den antiken Tonrohren gab es drei Haupttypen: — die von Vitruv propagierten, sich zum einen Ende hin verjüngenden Tonrohre, welche problemlos ineinander gesteckt werden können und zumeist in Exemplaren von 30 bis 60 cm Länge gefertigt wurden, — jene zylindrischen Tonrohre, die den Deicheln in Holzrohren (eiserne Verbindungsringe) vergleichbare passgenaue Muffen an einem Ende und das Gegenstück am anderen Ende aufweisen, was allerdings in der Produktion deswegen

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

zu Problemen führen konnte, weil der Ton beim Brennen schwindet (zumeist etwa zwei Fuß, in Ausnahmefällen bis zu 80 cm lang) und — die römischen, oben offenen Tonrinnen, die ebenfalls an einem Ende mit Muffen und am anderen Ende mit dem dazugehörigen Gegenstück bestückt waren. Diese Tonrinnen wurden mit imbrices (halbrunde Dachziegel) abgedeckt. Ein spezieller, erst relativ spät in Nordafrika entwickelter Röhrentypus diente nicht der Wasserversorgung, sondern der Statik. Kurze, in Massenproduktion hergestellte Röhren, die mit ihren kegelförmigen Spitzen ineinander gesteckt wurden, bildeten ein selbsttragendes inneres Rahmenwerk. Waren die kegelförmigen Spitzen zudem geöffnet, konnte durch die Röhren – ähnlich wie durch die tubuli – warme Luft geleitet werden, wie dies in einer Badeanlage im heutigen Tunesien geschah. Als Wölbungshilfen wurden große hohle Tontöpfe und Krüge in die Gewölbe eingebaut, welche die Last auf den Schultern eines Betongewölbes erleichtern sollten, wie dies vom Maxentius-Circus bekannt ist.

Steinrohrleitungen aus Kalkstein und vorgefertigte ­Wasserleitungsrohre aus Gussbeton Speziell im Osten des Römischen Reiches wurden wiederholt die eingangs erwähnten Steinrohrdruckleitungen nachgewiesen. Ein wunderschönes Beispiel ist die auf einer gemauerten Rampe verlegte Delikkemer-Steinrohrleitung in Patara (Türkei).

Siehe Abbildungen S. 153–159

Normierte Bleirohre Der erste, der von der Normung der Bleirohre berichtet, war Vitruv. Er notierte im sechsten Kapitel des 8. Buches: Soll eine Bleirohrleitung vorgesehen werden, so ist zunächst an der Quelle ein Behäl­ ter aufzustellen, und die Rohre müssen nach der Stärke der Quelle bemessen werden […] Die einzelnen Rohrstücke müssen im Guss mindestens 10 Fuß lang sein, und sie sollen 100zöllig (= 100 digiti = 185 cm) 1200 Pfund wiegen […] Danach folgt eine Auflistung aller Nennweiten von 80 bis 5 digiti.

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KAPITEL II

Tabelle Normierte altrömische Bleirohre

Nennweite des Bleirohres

100 centenaria 80 octogenaria 50 quinquagenaria 40 quadragenaria 30 tricenaria 20 vicenaria 15 quinum denum 10 denaria 8 octonaria 5 quinaria

Innendurchmesser d

Umfang d.π

   Querschnittsf läche r2.π

in digiti

in cm

in digiti

in cm

in digiti

in cm2

31,831 25,465 15,916 12,732 9,549 6,366 4,775 3,183 2,547 1,592

58,887 47,110 29,444 23,550 17,666 11,777 8,833 5,889 4,711 2,944

100 80 50 40 30 20 15 10 8 5

185,0 148,0 92,5 74,0 55,5 37,0 27,75 18,5 14,8 9,25

795,775 509,304 198,056 127,316 71,728 31,828 17,932 7,957 5,093 1,991

2723,506 1743,074 680,900 435,583 245,113 108,933 61,278 27,235 17,431 6,809

Zu dieser Tabelle ist anzumerken, dass in der Praxis die Bleibleche nicht kreisrund, sondern auf Grund der Fertigungsmethode im Querschnitt birnenförmig zusammengebogen wurden und dadurch die berechneten Querschnittsflächen nach der Kreisflächenformel nur extrem grobe und dadurch irreführende Näherungswerte ergeben.

Gewaltige Querschnittsverminderungen Berechnungen auf Grund der bei Grabungen angetroffenen tatsächlichen eier-, tropfen- und birnenförmigen Bleirohrquerschnitte haben ergeben, dass es gegenüber dem kreisrunden Idealquerschnitt zu wesentlich größeren Querschnittsverminderungen gekommen ist als bislang vermutet. Darüber hinaus dehnt sich jede Bleiplatte beim Biegen in eine zylindrische Form an der Außenfläche und zieht sich an der Innenfläche zusammen. Vitruv notierte: Als Maß der Rohre wird die Anzahl von Zoll (digiti) zugrunde gelegt, welche die Bleiplatten vor dem Einrollen in der Breite haben. So wird eine Röhre, welche aus einer 50 Zoll breiten Platte gebogen wird, eine 50zöllige Röhre genannt, und analog werden die anderen Rohrgrößen bezeichnet. Nach Vitruv sollten die Rohre eindeutig kreisförmig sein. Schon allein infolge der Verschlusstechnik war dies nicht möglich. Bereits Frontinus kommentierte das Vitruv’sche System. Betrachtet man die Biegungsvarianten einer centenaria mit einem programmierten kreisförmigen Umfang von 100 digiti (= 185 cm), so ergibt sich rein theoretisch ein Röhrendurchmesser von 31,831 digiti (= 58,887 cm) und eine Röhren-Querschnittsfläche von 795,775 digiti2 (= 2.723,506 cm2).17 Bei der Biegungs-Variante mit birnenförmigem Querschnitt und Klammerverschluss ergibt sich ein Verlust gegenüber der theoretisch berechneten kreisför-

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

migen Röhren-Querschnittsfläche um 30 bis 36 %, was im besten Fall eine Herabminderung des Leitungsquerschnittes von 2.723,5 cm2 auf etwa 1.900 cm2 bedeutet. Bei der Biegungs-Variante mit dem mohnkapselförmig eingegossenen Verschluss ergibt sich ein Verlust gegenüber der theoretisch berechneten kreisförmigen Röhren-Querschnittsfläche um 32 bis 34  %, was im besten Fall eine Herabminderung des Leitungsquerschnittes von 2.723,5 cm2 auf etwa 1.850 cm2 bedeutet. Bei der Biegungs-Variante mit elliptischem Querschnitt und einer partiellen Blechüberlappung ergibt sich ein Verlust gegenüber der theoretisch berechneten kreisförmigen Röhren-Querschnittsfläche um 25 bis 28 %, was im besten Fall eine Herabminderung des Leitungsquerschnittes von 2.723,5 cm2 auf etwa 2.040 cm2 bedeutet.

Tabelle der Wasserleitungsrohre kleinerer Kaliber

Kaliber

Umfang

Förderleistung



pro Tag in m3

5 quinaria 6 senaria 7 septenaria

Durchmesser

5/4 Zoll = 23,156 mm 6/4 Zoll = 27,787 mm 7/4 Zoll = 32,418 mm

72,747 mm 87,296 mm 101,844 mm

ca. 40,0 ca. 57,6 ca. 78,2

Die septenaria war bereits zu der Zeit, als Frontinus De aquae­ ductu urbis Romae verfasste, außer Gebrauch 8 octonaria 10 denaria 12 duodenaria

8/4 Zoll = 37,049 mm 10/4 Zoll = 46,311 mm 12/4 Zoll = 55,573 mm

116,556 mm 145,491 mm 174,588 mm

ca. 102,3 ca. 160,0 ca. 230,4

Die duodenaria war bereits zu der Zeit, als Frontinus De aquaeductu urbis Romae verfasste, außer Gebrauch. Bei den Leitungstechnikern hatte dieses Kaliber 56,6  mm Durchmesser und eine Förderleistung von 240 m3 pro Tag 15 quinum denum 20 vicenaria

5/4 Zoll = 69,466 mm 20/4 Zoll = 92,622 mm

218,234 mm 290,980 mm

ca. 360,0 ca. 640,0

Die vicenaria war bereits zu der Zeit, als Frontinus De ­aquaeductu urbis Romae verfasste, außer Gebrauch. Bei den Leitungstechnikern hatte dieses Kaliber 83,2  mm Durchmesser und eine Förderleistung von 518,3m3 pro Tag

Ab dem Kaliber 20 ging es in 5er-Schritten weiter, wobei die bis dahin geübte Praxis des Zuwachses um ¼  Zoll (= 4,631  mm) zugunsten der Berechnungsart, die auf der Anzahl der im Querschnitt (innere Lichte) jedes Kalibers enthaltenen Quadratzölle fußt, aufgegeben wurde. Das 25er-Rohr (vicenum quinum) misst dem-

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KAPITEL II

nach 25 Quadratzoll (= 8.579,4 mm2), das 30er-Rohr (tricenaria) 30 Quadratzoll (= 10.295,28 mm2) u. s. w. bis zum 120er-Rohr (centenum vicenum) mit einer inneren Lichte von 41.181,12 mm2.

Tabelle der Wasserleitungsrohre größerer Kaliber

Kaliber

Querschnitt Dm

Umfang

Förderleistung

= Quadratzollzahl

in mm2

in mm

pro Tag in m3

in mm

25 vicenum quinum 8.579,40 104,516 328,347 ca.

815

Die vicenum quinum war bereits zu der Zeit, als Frontinus De aquaeductu urbis ­R omae verfasste, außer Gebrauch 30 tricenaria 35 tricenum quinum

10.295,28 114,492 359,721 ca. 977 12.011,16 123,665 388,506 ca. 1.140 Die tricenum quinum war bereits zu der Zeit, als Frontinus De aquaeductu urbis ­R omae verfasste, außer Gebrauch

40 quadragenaria 13.727,04 45 quadragenum quinum 15.442,92

132,204 140,223

415,330 440,524

ca. 1.303 ca. 1.466

Die quadragenum quinum war bereits zu der Zeit, als Frontinus De aquaeductu urbis Romae verfasste, außer Gebrauch 50 quinquagenaria 17.158,80 55 quinquagenum quinum 18.874,68

147,808 155,023

464,352 487,017

ca. 1.629 ca. 1.792

Die quadragenum quinum war bereits zu der Zeit, als Frontinus De aquaeductu urbis Romae verfasste, außer Gebrauch 60 sexagenaria 65 sexagenum quinum

20.590,56 22.306,44

161,916 168,527

508,673 529,444

ca. 1.955 ca. 2.118

Die sexagenum quinum war bereits zu der Zeit, als Fron­ tinus De aquaeductu urbis Romae verfasste, außer Gebrauch 70 septuagenaria 24.022,32 75 septuagenum quinum 25.738,20

174,889 181,027

549,430 568,714

ca. 2.281 ca. 2.444

Die septuagenum quinum war bereits zu der Zeit, als Frontinus De aquaeductu urbis Romae verfasste, außer Gebrauch

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

80 octogenaria 85 octigenum quinum

27.454,08 29.169,96

186,964 192,718

587,365 605,442

ca. 2.607 ca. 2.770

Die octigenum quinum war bereits zu der Zeit, als Fron­ tinus De aquaeductu urbis R ­ omae verfasste, außer Gebrauch 90 nonagenaria 95 nonagenum quinum

30.885,84 32.601,72

198,306 203,740

622,995 640,066

ca. 2.924 ca. 3.095

Die nonagenum quinum war bereits zu der Zeit, als Frontinus De aquaeductu urbis Romae verfasste, außer Gebrauch 100 centenaria

34.317,60

209,032

656,694

ca. 3.256

Bei den Leitungstechnikern hatte dieses Kaliber 222,1 mm Durchmesser und eine Förderleistung von 3.686,3 m3 pro Tag 120 centenum vicenum

41.181,12

228,984

719,372

ca. 3.910

Bei den Leitungstechnikern hatte dieses Kaliber 296 mm Durchmesser und eine Förderleistung von 6556,6m3 pro Tag, was zwei regulären Hundertersträngen entspricht

Tausende Tonnen Blei Welch enorme Mengen Blei von den Römern allein für die Produktion der Rohre aufgebracht werden mussten, kann nur hochgerechnet werden, weil diesbezügliche Angaben in der antiken Literatur fehlen. Funde von Bleirohren geben jedoch gute Einblicke. So betrug die Materialstärke der quadragenaria-Rohre im Durchschnitt 12 mm. Die rechteckige Platte für die Fertigung eines solchen einzigen Rohres maß 415  mm  x  10  pedes (2.964  mm) und wog bei einem Volumen von 14.760,72  cm3 und dem spezifischen Gewicht von Blei 11,34 immerhin 167,4 kg (Sollgewicht nach ­Vitruv: 166,8 kg). Laut Vitruv sollte ein 100-zölliges Rohr (centenaria) mit 10 pedes Länge 1.200 römische Pfund (392,94 kg) wiegen.

Kaliber

Querschnitt Dm

Umfang

Sollgewicht

= Quadratzollzahl

in mm2

in mm

laut Vitruv

in mm



Pfund (libra) kg

40 quadragenaria 13.727,04 132,204 415,330 480 166,8 50 quinquagenaria 17.158,80 147,808 464,352 600 208,5 80 octogenaria 27.454,08 186,964 587,365 960 314,4 100 centenaria 34.317,60 209,032 656,694 1200 392,9

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KAPITEL II

Ein römisches Pfund = 1 libra = 347,45 Gramm. Das oskische Pfund war zur Zeit Vitruvs nicht mehr in Verwendung. Klaus Grewe18 hat am Beispiel der Gier-Wasserleitung durch das Yzeron-Tal (zehn in einem massiven Mörtelpaket nebeneinander verlegte Bleileitungen) die Bleimenge hochgerechnet. Die verrohrte Talquerungsstrecke betrug 2,6  km (Tiefgang 123  m, das Auslaufbecken liegt wegen des Druckverlustes 9,2  m tiefer als das Einlaufbecken). K. A. Tietze hat festgestellt, dass bei der Verwendung von zehn Bleirohrsträngen anstelle eines einzigen entsprechend größer dimensionierten Druckrohres sowie durch Lagerung der Druckleitung auf einer 20°-Rampe eine Verminderung der Widerlagerkraft am Fuß der Rampe auf 1/40 erreicht wurde. Grewe schreibt: Rechnen wir das für den Yzeron-Syphon verwendete Blei einmal zusammen, so kommen wir bei 10 x 2,6 km auf eine Gesamtlänge von 26 km Bleirohr, was einer Menge von 2.000 t entspricht. Um festzustellen, welcher Bleirohrtypus zum Einsatz kam, dividiert man die 2.000 Tonnen durch 26.000 m = so ergibt dies 76,923 kg je Laufmeter bzw. 228 kg für ein 10 Fuß = (2,964  m) langes Rohr. Bringt man die für die Verlötung erforderliche Blei-Zinn-Legierung in Abzug,19 so ergibt sich eindeutig, dass quinquagenaria-Bleirohre zum Einsatz kamen, von denen jedes eine tägliche Förderleistung von 1.300 m3 hatte, und damit die Wasserleitung bei Volllastbetrieb (zumindest theoretisch) täglich 13,000.000 Liter Wasser nach Lugdunum (der römische Name für Lyon) lieferte. Diese Menge wäre freilich für diese große Stadt nicht ausreichend gewesen, doch wissen wir, dass es neben der genannten Wasserleitung noch drei weitere zur Versorgung der Stadt gab, wobei jede von diesen zumindest über eine derartige Syphonstrecke verfügte.

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BL EIGEW I N N U NG I M RÖM ISCH E N R EIC H Bleierzabbau im Römischen Reich In Anbetracht der enormen Menge an Bleirohren, die im Römischen Reich verlegt wurden, stellt sich die Frage, woher die Römer die enormen Bleimengen bezogen. Dazu muss man vorausschicken, dass viele Bleierzvorkommen im Römischen Reich zum Teil bereits seit mehreren Jahrhunderten ausgebeutet wurden. Nach den Werkstoffen, welche in den unterschiedlichen Epochen der Menschheitsgeschichte eine wichtige Rolle im täglichen Leben spielten, haben schon relativ früh die Prähistoriker die Perioden der Vorgeschichte gegliedert: Steinzeit, Kupfersteinzeit, Bronzezeit (Kupfer und Zinn), Eisenzeit. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Menschen keine anderen Metalle kannten. So waren beispielsweise Gold, Elektrum (natürliche Gold-Silber-Legierung), Antimon und Blei schon den frühesten Kulturvölkern bekannt. In den Tribut- und Beutelisten von Pharao Thutmosis III. scheint Blei mehrmals auf. Bei den Indern wurde das Blei zuerst im Aetharvaveda genannt, es diente zur Herstellung von Amuletten, zum Reinigen des Silbers und zur Herstellung von Mennige, welche als Schminke verwendet wurde. Sogar im 2. Buch Mose (2, 15, 10) findet man den Begriff „bedil“ für Blei. Angeblich ließ die babylonische Königin Nitokris die Quader einer Brücke „mit Eisen und Blei“ verbinden. Für diese Montagemethoden – beispielsweise zum Stapeln von Säulentrommeln – finden sich im Mittelmeerraum Tausende Beispiele. Die Griechen gewannen das Gros des von ihnen verwendeten Bleis als Nebenprodukt bei der Silberschmelze aus dem Bleiglanz (Galenit) in den Lagerstätten von Laurion. Nach Karl Berthold Hofmann (1885) sollen die Hellenen während einer dreihundertjährigen Abbautätigkeit in ihren Hüttenwerken 2,1 Millionen Tonnen Werkblei erzeugt haben. Weitere Gewinnungszentren lagen nach Plinius (XXXIV, 170, 175) in Makedonien und auf den Inseln Zypern und Rhodos. Weitere Bleierzvorkommen waren in Sizilien und Kilikien bekannt, darüber hinaus lieferten die ­L agerstätten von Anaphe, Seriphos und Siphnos. Bei Grabungen wurden in Siphnos neben Treibherdmaterial auch Bleiplatten freigelegt. Wenn die Griechen vom μόλιβος (= molibos; μόλιβϑίς = molibdis = Schleuderblei) sprachen, war nicht das Molybdän, sondern das Blei gemeint. Mit plumbum bezeichneten die Römer zur Zeit der Republik sowohl Blei als auch Zinn bzw. die Legierung aus den beiden, welche zum Löten verwendet wurde. Bei Caesar taucht in seinem Bellum gallicum V, 12 zum ersten Mal der Begriff plumbum album für Zinn auf. Erst Plinius unterschied scharf zwischen dem plumbum album candidum = Zinn und dem plumbum nigrum = Blei.

Das Metall wurde ubiquitär im gesamten Imperium gefunden und abgebaut.20 Vor allem in den Silbergruben wurde plumbum nigrum als Nebenprodukt gewonnen. Nach ­P linius (XXXIII, 119) gab es besondere metalla plumbaria. Blei wurde zur Herstellung von Gerätschaften aller Art, wie Bleirohren, Schalen, Gefäßen, Loten,

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KAPITEL II

Gewichten, Bleidübeln, glans missilis (= Schleudereicheln), piombi, tesserae und Bleistiften etc. verwendet und spielte daneben unter dem Einfluss des „Aberglaubens“ mitsamt seinen Nebenprodukten eine wichtige Rolle in der Medizin. Nach Galenus befreien Bleiplatten – auf den Leib gelegt – Sportler von nächtlichen Pollutionen. Bleiglätte, Bleiglanz und Bleiweiß wurden als Malerfarben und Schminke gebraucht. Bleitafeln kennen wir u. a. als Eintrittskarten zu öffentlichen Schauspielen und als Einkaufsgutscheine, als Fluchtäfelchen sowie als Votivtafeln und Amulette. Auch diente Blei zum Flicken zerbrochener Ton- und terra sigillata-Gefäße, zum Löten und zum „Abtreiben“ (Reinigen) von Gold und Silber und als (eher fragwürdiges) Zuschlagsmetall von Münzen, speziell von Bronze-Emissionen der späten römischen Republik, wobei Pb-Halte von 4 bis 29 % (!) nachgewiesen wurden. Das „Strecken“ der Bronze (für Statuen, Spiegel, Fibeln) mit dem wesentlich billigeren Blei war ebenso Betrug, wie das Verfälschen des Mehls mit gemahlenem weißem Schwerspat (Baryt). Astrologisch gesehen ist Blei das besondere Metall der Menschen, die im Zeichen des Steinbocks oder des Wassermannes geboren sind. Im Bereich der Gestirne war und ist das Blei dem Planeten Saturn zugeordnet. Plinius (XXXIII, 95–97) erwähnt in seiner Abhandlung über Silber, dass jenes Bleierz, welches üblicherweise die Silberadern begleitet, als galena (= Bleiglanz oder Galenit) bezeichnet wird. Die Auslegung mancher Mineralogen, dass der Bleiglanz seinen international gebräuchlichen Namen dem Arzt Galenus verdankt, kann unmöglich aufrechterhalten werden, da der berühmte Sportmediziner ein Zeitgenosse des Kaisers Marc Aurel war.

Hispanische Galena War die Bleigewinnung der Griechen auf deren eigene Ländereien beschränkt, so deckten die Römer ihren enormen Bleibedarf aus allen Provinzen des Reiches. Das Gros lieferte der kantabrische Distrikt in der Provinz Hispania Tarraconensis. ­P linius schreibt: [Galena] findet man in fast allen unseren Provinzen, am schönsten aber in Spanien und hier auch wieder in unfruchtbarem Boden, selbst auf Berg und wo man erst eine Ader antrifft da ist nicht weit davon eine andere. Plinius vermutet, dass aus diesem Umstand (altgriechisch μέτ αλλον = met allon = „eines nach dem anderen“) der Begriff für Grube, Bergwerk oder Steinbruch gebildet wurde: μέταλλον (= metallon). Das Erz, das dort gewonnen wurde, nannten die Griechen τὸ μέταλλεῖον (to metalleion). Daraus resultiert unser Begriff Metall. Hinsichtlich der Region Hispania Baetica weist der griechische Geograph Strabon von Amaseia (III, 148) im Besonderen auf die Bleibergwerke von Castulo am Baetis hin. Plinius (XXXIII, 164) erwähnt auch das Vorkommen von Oleastro und iovetanischem Blei (heute Oviedo). Begonnen mit dem hispanischen Bleibergbau hatten Karthager schon lang vor der Eroberung Hispaniens durch die Römer.

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Zentren der Bleigewinnung in Gallien und Britannien Im heutigen Frankreich waren die bedeutendsten Abbau- und Hüttenzentren ­L’Argentière im Département Ardèche, Macôt im Département Savoie, Vialas ­( Legère) im Département du Gard, St. Girons im Département Argière, Pontgibaud (Département Puy de Dôme) und Saint Avold (Moselle). Bei Evreux, ­Lillebonne und Châlon wurden Bleiblöcke mit den Namen der Imperatoren Nero, Hadrian und Septimius Severus gefunden.21 In Britannien sind mehrfach Reste römischer Bleigruben freigelegt worden. Gefunden wurden neben Schmelzöfen auch Bleibarren mit den Inschriften von Britannicus bis Verus. Die Hauptabbaugebiete lagen in Somersetshire, an den Mendighills, in West-Riding, in Yorkshire, Derbyshire, Cumberland und Northcumberland.

Viele weitere Bleilieferanten Auch Germanien lieferte Blei, wenngleich wesentlich weniger als Hispanien und Gallien. Römischer Bleierzabbau konnte nach Hofmann (1885, 1899)22 im Lahnund Siegtal in der Eifel (Mechernich, Maubach, Bensberg/Ründeroth und Wildberg), am Franzberg bei Cull und in Wiesloch bei Heidelberg nachgewiesen werden. Ob bereits die Vorkommen von Bleiberg-Kreuth und auf der Gurina (Kärnten) sowie die Lagerstätten von Mežica und Crna (Slowenien) überschürft wurden, ist unbekannt. Die prähistorischen Bleifunde von Frögg (bei Velden am Wörthersee in Kärnten) machen eine Bleigewinnung in römischer Zeit glaubhaft. Ein bedeutendes Bleiglanzabbaugebiet der Antike befand sich bei Iglesias (Monte Poni) auf der Insel Sardinien und in Pannonien (die vormaligen Quadengruben). Weitere in der Antike wichtige Bleierzvorkommen waren in Serbien (Raum Podrinie), in Bulgarien im Rhodopen-Gebirge und in der Türkei im Taurisgebirge westlich von Tarsus bzw. nördlich von Içel und Silifke und im Pontischen Gebirge südlich von Ordu.

Mit Abstand das wichtigste und abbauwürdigste Bleierz war der Galenit (Bleiglanz PbS) Vgl. hiezu die Aufstellung über die Bleiglanz-Vorkommen im Bereich des einstigen Imperium romanum sowie die Auflistung weiterer Bleiminerale aus den in der Antike möglicherweise betriebenen Gruben am Ende des Kapitels.

Bleigewinnung aus den geförderten Erzen Da vermutlich alle von den Griechen, Kelten und Römern begonnenen Erzgruben und -bergbaue im Mittelalter und zum Teil bis in die Gegenwart überschürft wurden und manche Vorkommen noch immer ausgebeutet werden, sind die meisten Spuren der frühen Abbau- und Hüttentechnik für immer verloren gegangen. So ist im Laufe der Zeit nahezu alles verschwunden, was das frühe Bergbauzeitalter

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KAPITEL II

hervorgebracht hatte. Wolkenbrüche, Stürme, Erdrutsche, in hochgelegenen Revieren auch Lawinen sind über die Baue niedergegangen, und der Unverstand der Menschen hat mitgeholfen, dass die meisten Erinnerungen an diese Zeit verwischt wurden. Das bedeutet, dass wir die damals zum Einsatz gekommenen Hüttenprozesse nicht bis ins letzte Detail rekonstruieren können, zumal auch die schriftlichen Überlieferungen – selbst bei Plinius – extrem mager und kaum aussagekräftig sind. Was wir jedoch haben, das sind antike Blei-Silber-Schlackenreste, die sich merkwürdigerweise durch relativ hohe Bleigehalte auszeichnen. Der Erzscheideplatz wurde „Scheidcram“ („Scheidkram“) genannt. Mit „Cram“ („Kram“) bezeichnete der Bergmann ein Behältnis oder eine Hütte zum Aufbewahren der Gezähe und Geräte oder zur Verrichtung bestimmter Arbeiten. Große Blöcke wurden auf dem mit Steinplatten ausgelegten Boden mittels schwerer Schlägel zertrümmert, die kleineren Stücke wurden mit Fäusteln auf den Erzscheidepulten und Klaubetafeln bearbeitet. Die hier arbeitenden „Ausschläger“, die das Hauwerk zerschlugen und das Erz vom tauben Gestein schieden, bezeichnete man als „Schei­ der“. Dazu schreibt Agricola: Diesen Arbeitern […] sind die Beine mit Rinden, wie mit Stiefeln, verwahrt, die Hände mit langen Handschuhen, damit die Stücke, die abspringen, sie nicht ver­ wunden. Gesammelt wurden die Erze in Mulden oder Mölterl, in denen sie weiter zum Röststadel transportiert werden mussten. Wie dies die Römer handhabten, wissen wir nicht.23

Wurden sulf idische Erze geröstet? Ob dem Schmelzprozess ein Rösten der eingesetzten zumeist sulfidischen Erze zur teilweisen oder möglichst vollständigen Schwefelentfernung voranging, wissen wir nicht, dürfen dies jedoch annehmen, weil der Röstprozess im Mittelalter nahezu ubiquitär betrieben wurde. Außerdem bietet sich diese Technologie an, da die sulfidischen Erze beim Rösten mürb werden, danach problemlos zerstoßen oder gepocht werden können. Vorstellbar ist, dass die im Bergbau gewonnenen BleiSilber-Erze vom tauben Material (Kalk, Quarz etc.) geschieden wurden, um den Röstvorgang möglichst effizient zu gestalten.

Hinweise bei Agricola Siehe Abbildungen S. 160–165

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Sulfidische Erze wurden aus zwei Gründen geröstet: Durch das Erhitzen wurde das Erz einerseits vom Schwefel befreit und andererseits mürbe gemacht. Dadurch konnte es effizienter zerkleinert werden. Die Methode war einfach. In der Erde wurde ein Röstbett im Geviert ausgehoben und mit feuerfesten Steinen oder Ziegeln ausgekleidet. Dazu Agricola in seinem 8. Buch:

RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Auf dieses (Röstbett) werden (Holz)Scheite nebeneinandergelegt und darüber andere quer und auch nebeneinander. Diesen Haufen Scheite nennt man einen Rost. Dies wird so oft wiederholt, bis der Haufen 1 oder 2 Ellen hoch ist. Dann wird allerhand Stückerz, das mit Fäusteln gepocht ist, daraufgelegt, zumeist die größten Stücke, dann die mittelgroßen und zuletzt die kleinsten. Man fügt es so zusammen, dass es sanft aufsteigt wie ein Kegel. Damit der Erzschlich sich nicht zerstreue, wird er mit Wasser angefeuchtet und mit der Schaufel festgeschlagen. Wenn aber solcher Schlich nicht vorhanden ist, decken manche den Haufen mit Kohlepulver zu, wie es die Köh­ ler auch tun […] Zum Unterschied von gold- und silberhaltigem Pyrit, Kupferkies oder Arsenkies benötigten Bleierze eine andere Form des offenen Röststadels: Falls Bleierz der Röstung bedarf, soll es auf einen Röststadel mit geneigter Sohle ge­ legt werden; darauf kommen Hölzer, und vor das Erz, damit es nicht herabrutscht, wird quer ein Baumstamm gelegt. Das auf diese Weise geröstete Erz zerfließt und wird den Schlacken ähnlich. (Agricola, 8. Buch) Der beim Rösten freiwerdende Schwefel erzeugte einen grässlichen Gestank nach faulen Eiern, der sich durch das gesamte Hüttendorf zog. Die Hüttenleute waren wirklich nicht zu beneiden. Mit Handpochern oder in Pochwerken wurden die gerösteten und mürbe gewordenen Gesteinsbrocken gestampft. Bei den stationären, ausschließlich durch Wasserkraft betriebenen Anlagen waren mehrere Stempel vereinigt, die in einem Pochtrog arbeiteten. Die zerkleinerten Erzstücke wurden gewaschen und geschwemmt – es wurde aus dem „Pochgang“ das „Mühlerz“ auf Waschbrettern gewonnen.

Vom Pochen der Erze Angetrieben wurden die Pochwerke mit Wasserkraft, wobei sich ein oberschlächtiges Wasserrad als besonders wirkungsvoll erwies. Dieses Rad war mit einer Welle mit Hebedaumen fix verbunden, die ihrerseits die Pochstempel mit den eisernen Pochschuhen hochhoben und auf das sich im Pochtrog befindliche Pochgut herabstürzen ließen. Dadurch, dass die Hebedaumen versetzt angeordnet waren, wurden die Stempel nacheinander hochgehoben, also stets einer nach dem anderen. Zum Gestank aus den Röststadeln gesellte sich der Höllenlärm des Pochwerkes als Belastung für die Hüttenleute. Das Schmelzwesen galt in früheren Zeiten als Geheimkunst. Die gesamte, auf die vollständige Reduktion zu den beiden Metallen anzielende Reaktionsabfolge konnte in einem Schachtofen ablaufen. Beim sogenannten „reduzierenden Schmel­ zen“ wird das Silber im flüssigen Blei gesammelt. Das Schmelzen wurde in den unterschiedlichsten Öfen – unter entsprechender Luftzufuhr (zumeist mit Blasebälgen) – vorgenommen.

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KAPITEL II

Bleischmelzen in Gebläseschachtöfen In seinem 9. Buch beschreibt Agricola einige Schmelzverfahren, weist jedoch darauf hin, dass Bleierze meist in der (von ihm beschriebenen) dritten Art von Öfen, denen mit offenen Augen, verarbeitet werden. Dabei handelte es sich um große und höhere Gebläseschachtöfen mit mehr Volumen als die Standardschachtöfen seiner Zeit und mit entsprechend größeren Blasebälgen, damit man nämlich größere Mengen von Erz in ihn aufgeben kann. Infolge des ununterbrochenen Schmelzganges während dreier Tage und Nächte konnten große Mengen Bleierze kontinuierlich verarbeitet werden. Die geschmolzenen Massen konnten in den oberen Vorherd abfließen, die Schlacken mussten wiederholt abgezogen werden. Es musste noch ein zweiter Vorherd (der untere Vorherd) vorhanden sein, in den die Schmelze nach Öffnung des Stiches des ersten Vorherdes, wenn dieser voll ist, hineinfließt. Die Arbeit an einem solchen Gebläseschachtofen muss extrem anstrengend gewesen sein, zumal Agricola schreibt, dass der Schmelzer erst nach zwölfstündiger Arbeit an einem solchen Ofen durch einen zweiten Schmelzer abgelöst wurde. Eine andere Variante des Bleischmelzens war nach Agricola (1556) „in Noricum in Übung […]“. Nach diesem kostengünstigen Verfahren wurden Erze verschmolzen, die weder zuviel noch zuwenig Gold oder Silber enthalten, son­ dern mittlere Gehalte aufweisen, und die leicht schmelzen und reichlich von Blei auf­ genommen werden. Auch der für diesen Prozess genutzte Ofen war ein Gebläseschachtofen mit zwei Vorherden, wobei eine Hälfte des oberen sich innerhalb des Ofens befand. In den äußeren, tiefer liegenden Vorherd fließen das Werkblei und die geschmolze­ nen Kiese hinab. Wenn man dieses Schmelzverfahren anwendet, so sticht man das gold- oder silberhaltige Werkblei ein- oder mehrmals aus dem oberen Vorherd ab, gibt jedesmal neues Blei oder Bleiglätte (Bleioxid) hinein und erneuert diese Zuschläge auch in dem unteren Vorherde.

Edelmetalle im Werkblei Im Werkblei sind alle Edelmetalle gesammelt, die in den eingebrachten Rohstoffen vorhanden waren – das Silber aus dem Bleiglanz, Andorit, Fizelyit oder Freieslebenit – und das Gold aus dem Nagyagit, goldführendem Pyrit, Kupferkies oder Arsenkies. Diese Eigenschaft des Bleis, das sogenannte „Verbleien“ machen sich die

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Pyrometallurgen noch heute zunutze. Nach Agricola wurden goldhaltige Schlicherze mit Bleiglätte und Herdblei unter Zugabe von Eisenhammerschlag in einem Ofen verschmolzen. Man erhielt so eine Legierung von Gold und Silber mit Blei, die in den Treibofen eingetragen wurde. Das läuternde Schmelzen dürfte den Menschen seit dem 2. vorchristlichen Jahrtausend bekannt sein. Das Problem, vor dem auch die Römer vermutlich in vielen Fällen standen, war die Anlieferung polymetallischer Primärerze mit mehr oder weniger Buntmetallsulfiden aus den Gruben. Durch das verbleiende Schmelzen waren dann die Endprodukte nicht nur das schwere Werkblei und die oben schwimmende Schlacke, sondern zwei weitere schmelzflüssige Produkte unterschiedlichen spezifischen Gewichtes – einerseits die von den Hüttenleuten als „Speise“ bezeichneten ArsenAntimon-Eisen-Kupferverbindungen und andererseits die „Matte“, bestehend aus Kupfer- und Eisensulfiden mit unterschiedlichen Schwefelgehalten. Nach Gerhard Heinz Bachmann (1993) wurde der Ofenabstich dadurch vierphasig und besteht – mit abnehmender Dichte – aus: 1. Werkblei, 2. Speise, 3. Matte und 4. Schlacke […] Diese Abfolge der Schmelz­ produkte konnte an manchen antiken Schmelzplätzen durch Funde belegt werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass geringe Silbermengen in Speise und Matte zurückblieben, das Gros des Silbers sammelte sich jedoch im Werkblei. Aus den silberhaltigen Bleibarren konnte das Silber dann vom Blei getrennt werden. Das Bleimetall wurde nach der Entsilberung wieder in Platten gegossen und an die Bleirohrfabrikanten geliefert.

Restsilbergewinnung Ob schon die Römer wegen der Restsilbergewinnung die Matte einem weiteren verbleienden Schmelzen unterwarfen, wie dies im Mittelalter geschah, ist weniger wegen des Arbeitsaufwandes als eher wegen des enormen Holzkohlebedarfes fraglich. Gleiches gilt auch für die aus moderner Sicht hohen Bleiverluste in den Schlacken. Selbst in der beginnenden Neuzeit verblieb in den Plattenschlacken des Tauerngoldbergbaues ein relativ hoher Au- und Ag-Gehalt, der aus energetischen Überlegungen in Kauf genommen wurde. Auch C. E. Conophagos (1980) vermutete, dass bewusst hohe Bleiverluste in den Schlacken in Kauf genommen wurden, um den Holzkohlenverbrauch bei der Verhüttung niedrig zu halten. Eine nette Anekdote überliefert Gerhard Heinz Bachmann (1993): Weil die südspanischen, jarositischen Silbererze nur durch verbleiendes Schmelzen zu verhütten waren, dazu jedoch Blei zugesetzt werden musste, sollen die Phönizier auf ihren Handelsschiffen dieses Metall auch in Form von Ankern importiert haben. Sie fuhren – so berichtet die Fama – mit silbernen Ankern zurück in ihre Heimathäfen. Der Saigerprozess war mit größter Wahrscheinlichkeit den Schmelzern der Antike unbekannt. Dieses spezielle Verfahren verbleienden Schmelzens in Saigerherden ermöglichte eine effizientere Gewinnung der Silber- und Goldhalte aus Kupfererzen. Wesentlich war, dass eine Bleisilikatbildung durch kieselsäurebindende Oxide

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KAPITEL II

verhindert wurde, denn aus Bleisilikaten konnten keine Edelmetalle rückgewonnen werden.

Treiben und Kupellieren Um die Edelmetalle aus dem Werkblei scheiden zu können, bediente man sich des Treibprozesses – ausführlich bereits von Agricola (1556) beschrieben. Die Hüttenleute sprechen vom „Treiben“ oder „Kuppelieren“ und beschreiben damit das Aufschmelzen des Werkbleies und dessen Oxidation zu Bleiglätte (= Bleioxid). Beim „Probieren“ handelt es sich um die quantitative Ermittlung einzelner Bestandteile von Erzen und/oder Zuschlägen. Die älteren Probierverfahren waren Versuchsschmelzvorgänge. Beim Probieren werden u.  a. das Silber und das Gold in einer Knochenaschenkapelle vom Blei getrennt. Diese „Capellen“ waren kleine, flache Tiegel, welche zumeist mit Hilfe von Messingmodeln aus Calciumphosphat, kalkhaltigen Mergeln und manchmal mit etwas Pottasche gepresst wurden. Großtechnisch wurde dieser Vorgang in Treiböfen durchgeführt, wobei der Herd selbst aus Mergel und Asche (anstelle der Knochenasche) gestampft wurde. Plinius (XXXIII, 31) sprach von tasconium, was vermutlich einer kalkmergelhaltigen Erde entspricht. Für die Bleirohrerzeugung wurden die in den Hüttenbetrieben hergestellten Bleiplatten oder Bleibarren an die jeweiligen Rohrfabriken angeliefert.

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BET RÜGE R ISC H E M A N I PU L AT ION E N Frontinus ärgerte sich über die Praxis der Leitungstechniker, die offiziell zwar die Gültigkeit der protokollarischen Maße im Wesentlichen anerkannten, bei vier Kalibern aber neue Maße einführten: beim 12er-, 20er-, 100er- und 120er-Kaliber. Beim selten verwendeten 12er spielte die illegale Änderung keine große Rolle, war der Fehler doch zudem auch geringfügig. Anders allerdings bereits beim 20erKaliber, denn hier verringerten sie den Durchmesser um den 32. Teil eines pedes (= 9,25 mm). Lächerlich wenig? Nein, denn damit verringerten sie die Förderleistung um 121,7 m3/Tag. Mit diesem Kaliber erfolgte üblicherweise die Wasserverteilung. Die 100er- und 120er-Kaliber, aus denen die Leitungstechniker permanent Wasser bezogen, vergrößerten sie, wobei sie bei den centenaria-Strängen die Durchmesser um 13,5  mm (430,3  m3/Tag erhöhte Förderleistung) und bei den centenum vicenum um 67 mm (2.646 m3/Tag erhöhte Förderleistung) vergrößerten. In Summe wurden durch die Manipulationen 27 quiniariae (1.080  m3/Tag) beim Kaliber 100 und 86 quiniariae (3.440 m3/Tag) unterschlagen. Welche Summen die korrupten Beamten mit Hilfe illegaler Wasserverkäufe kassierten und welche Konsequenzen der Betrug hatte, ließ Frontinus in seinem Bericht nicht verlauten.24 Schon kurz nachdem Frontinus mit dem Amt des curator aquarum betraut worden war, dürfte er bei der Durchsicht der Protokolle auf den seltsamen Umstand gestoßen sein, dass von den nach Rom eingeleiteten 510.200  m3 Wasser pro Tag insgesamt 560.720 m3 Wasser pro Tag ausgegeben wurden. Wörtlich schrieb Frontinus in seinem Bericht De aquaeductu urbis Romae, 64 (nach der Übersetzung von Manfred Hainzmann): Die Verwunderung über diesen Sachverhalt hat mich lebhaft dazu getrieben zu er­ kunden, wie denn mehr ausgegeben werden kann als sozusagen im Vermögen ent­ halten ist. Frontinus dürfte nicht wenig verwundert gewesen sein, als er Messungen an den Quellfassungen anstellte und – sämtliche Quellbereiche zusammengerechnet – auf eine um 400.000  m3 größere Menge stieß als protokollarisch verzeichnet. Selbstverständlich dürfen wir dabei nicht vergessen, dass beträchtliche Wassermengen infolge schadhafter Stellen in den Leitungen als Leckwasser versickern und dass ein kleiner Teil des Wassers verdunstet. Zur Amtszeit des Frontinus wurde Rom aus neun Wasserleitungen mit frischem Wasser versorgt: Aqua Appia (seit 312  v.  Chr.), Alter Anio (Anio Vetus, seit 272  v.  Chr.), Aqua Marcia (seit 144  v.  Chr.), Aqua Tepula (seit 125  v.  Chr.), Neu­ er Anio (Anio Novus) und Aqua Claudia (beide seit etwa 52 v.Chr.), Aqua Iulia (seit 33 v. Chr.), Aqua Virgo (seit 22 oder 19 v. Chr.) und die Aqua Alsietina (seit 2 v. Chr.).

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KAPITEL II

Zustände wie im alten Rom Wenn wir uns heute über korrupte Politiker, Beamte und Lobbyisten ärgern, sprechen wir von „Zuständen wie im alten Rom.“ Mit diesen sprichwörtlichen Zuständen wurde Frontinus bei seiner Amtsübernahme konfrontiert. Er musste erkennen, dass aus der alten Appia-Leitung trotz der großen Leckwassermengen auch viel Wasser durch illegal verlegte Leitungsrohre abgezweigt wurde. Enorme Verluste gab es in der Leitung des Alten Anio zwischen der Fassung, dem Klärbassin und dem anschließenden Teilstück. Dort wurden 111.520 m3/Tag unterschlagen. Auch bei der Aqua Marcia entdeckte Frontinus mehrere Stellen, an denen Wasser illegal abgelassen wurde. An der Anio Novus-Leitung ergab die Messung Frontins um 59.000  m3/Tag mehr als in den protokollarischen Angaben ausgewiesen, wovon der Löwenanteil „in dunklen Kanälen versickerte“, also schlicht und einfach unterschlagen wurde. Die Aqua Claudia war zur Zeit des Frontinus in besonderem Maße Beeinträchtigungen infolge heimlich entzogener Mengen in der Größenordnung von 50.000  m3/ Tag ausgesetzt.

Korrupte Aufseher Die Aufseher über die Wasserleitungen wurden circitores genannt. Sie veranlassten Reparaturen und kontrollierten, ob Wasser ohne Bewilligung abgezweigt wurde. Den Untersuchungen Frontins zufolge darf angenommen werden, dass zumindest einige dieser Aufseher korrupt gewesen sind – wie sonst hätte es zu derart enormen illegalen Wasserentnahmen kommen können. Ohne weiter ins Detail zu gehen, sei abschließend lediglich auf das Resümee Frontins in den Kapiteln 74 bis 75 verwiesen: Es ist erwiesen, dass 400.000  m3/Tag unterschlagen wurden, während die Kaiser ihre Konzessionen auf jene Abflussleistung abstimmten, die in den Protokollen fest­ gelegt ist […] Die Ursache ist die Unredlichkeit der Leitungstechniker, denen ich nachweisen konnte, dass sie Wasser aus öffentlichen Leitungen zum Privatgebrauch abzweigten. Auch durchbohren sehr viele Grundbesitzer, um deren Felder ein Lei­ tungsstrang führt, die Einfassung der Leitungskanäle, mit dem Ergebnis, dass die öf­ fentlichen Wasserleitungen sogar zur Bewässerung von Gärten für Privatleute ihren Lauf unterbrechen. Im 76. Kapitel meint Frontinus, dass man zu den Verstößen nicht mehr und auch nichts Besseres sagen kann als das, was bereits Caelius Rufus in seiner Volksrede „Über die Wasserleitungen“ ausgesprochen hat. Frontinus wünschte, nicht durch strenge Kontrollen aufzeigen zu müssen, dass man sich auch zu seiner Zeit (rund 150 Jahre später) mit derselben Frechheit aller jener Praktiken bedient: Bewässerte Felder habe ich vorgefunden, dazu noch Kaufläden, ferner Speisezimmer und nicht zuletzt auch Verführungsstätten aller Art, die mit Laufbrunnen ausgestat­ tet, welche ohne Unterbrechung Wasser spenden […]

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Von den wenig erfreulichen Meldungen des Frontinus ist es an der Zeit, zu den Ausführungen von Vitruv zurückzukehren.

Überwindung von Bodensenken Den Römern war der Gleichstand des Wasserspiegels in kommunizierenden Gefäßen bekannt und sie nutzten diesen Umstand für den Wassertransport. Hinsichtlich der Überwindung von Tälern bei der Verlegung einer Bleirohrleitung erläutert Vitruv, dass man das Wasser auf einer Seite in die Talsenke einführt und über dem Talboden auf einem nicht zu hohen Unterbau eine möglichst lange waagrechte Leitungsstrecke (Syphonbrücke) verlegt, die man den Bauch (ἡ κοιλία) nennt. Erreicht die Leitung auf der gegenüberliegenden Talseite wiederum den Anstieg, so ist der Druck stark genug, um das Wasser in der Leitung nach oben zu pressen. Vitruv war es auch, der anregte, bei Fernwasserleitungen von Abständen von 24.000 Fuß (= 7,1136 km) Sammelbecken anzulegen, damit nicht eine einzige schadhafte Stelle die gesamte Leitung lahmlegte. Logischerweise durften derartige Becken weder bei Senkungen noch bei Hebungen oder im oben erwähnten „Bauch“ vorgesehen werden, sondern nur auf Strecken mit gleichmäßigem Gefälle.

Gef ährliche Bleivergiftungen durch Wasserleitungen? Dass Bleiröhren der Gesundheit abträglich sind, war bereits Vitruv bekannt und er machte in seinen Büchern über die Baukunst (8, 6, 10) darauf aufmerksam. Er wusste, dass das Wasser aus Tonröhren viel gesünder ist als aus Bleiröhren: Denn das durch Blei geleitete Wasser scheint deshalb nachteilig zu sein, weil aus dem Blei Bleiweiß entsteht, welches dem menschlichen Körper unzuträglich sein soll. Wenn daher das, was daraus entsteht, nachteilig ist, so ist nicht zu bezweifeln, dass auch der Grundstoff als solcher die Gesundheit beinträchtigen muss. Im Zuge seiner weiteren Ausführungen führt er als Beweis für seine diesbezüglichen Überlegungen den Gesundheitszustand der Bleigießer und deren bleiche Farbe an. Weiter heißt es: Der beim Gießen des Bleies entstehende Dampf durchsetzt den ganzen Körper und führt durch seine ununterbrochene Wirkung einen allgemeinen Kräftezerfall herbei. Wenn man also auf gutes und gesundes Wasser Wert legt, so empfiehlt es sich nicht, Bleirohre zu verwenden. Die Schlussbemerkungen zu diesem Thema (Vitruv 8, 6, 11), besagen sinngemäß, dass der Geschmack des Wassers aus Tonröhren wesentlich besser ist und selbst wohlhabende Leute, die sich ein kostbares Tafelgedeck mit Silbergefäßen leisten können, zumeist Tongeschirr bevorzugen, zumal letzteres die Reinheit des Geschmacks nicht beeinträchtigt. Das alles ist richtig, solange es sich um frisch verlegte Leitungen handelt. Waren die Bleirohre jedoch einmal versintert, floss wieder geschmacksneutrales und die Gesundheit kaum mehr beeinträchtigendes Wasser durch die Leitungen.

Siehe Abbildungen S. 166–170

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BL EIGL A NZ -VOR KOM M E N I M BE R EIC H DE S EI NST IGE N I M PE R I U M ROM A N U M Nachstehende Übersicht gibt nur einen Überblick und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.25

Vorkommen im heutigen Portugal, die mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in der Antike ausgebeutet wurden: Quinta do Soito in der Gegend von S. João de Pesqueira, bei Ventozelo und Quintanilha, Albergaria-a-velha.

Vorkommen im heutigen Spanien, die mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in der Antike ausgebeutet wurden: ­Granada (Sierra de Gador); – Almeria (extrusiv hydrothermal = subvulkanisch entstanden sind die Vorkommen von Cabo di Gata und Almeria bei La Esperanza und Pulpi, besonders aber in der Sierra Almagrera auf vielen Gruben, teilweise als das von Navarro als Quiroguit beschriebene Mineral, bei dem es sich um eine Pseudomorphose von Bleiglanz nach einem unbekannten orthorhombischen ­M ineral handelt); – Murcia (bei Cartagena); – Tarragona (bei Belmut); – Badajoz (bei Zarzacapilla); – Jaén (Bailéu, Guarromán, hydrothermale Genese in Linares und La Carolina); – Guadalajara; – Toledo (bei Mazarambros); – Ciudad-Real (El Horcajo, Villagutierrez, Almodóvar el Campo – mit hohem Silberhalt); – Gerona (Grube Casandra bei Ribas); – Lugo (Galicia);– Biscaya (bei Ezcaray); – Alava (bei Barambio, am Monte Ingach); – Santander (bei Peñavieja, auf der Grube Golosa bei Viesgo, bei Andara an den Picos de Europa).

Vorkommen im heutigen Frankreich, die mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in der Antike ausgebeutet wurden: ­P yrenäen: Basses-Pyrénées und Hautes-Pyrénées (an Dutzenden Orten, wie Pierrefitte oder Pic du Midi de Bigorre), in den Départements Haute Garonne, Ariège (auf zahlreichen Quarzgängen im Tal des Salut), in den Pyrénées-Orientales (bei Samanère); – Montagne Noire: auf Kalkspat-Eisenspatgängen auf den Gruben von Cannette bei Carcassonne im Vallée de l’Orbiel, Turn bei Lacabarède, auf der Grube von Peyrebrune bei Réalmont; – Corbières: im Département Aude ­(Cascastel, ­Lascombes etc.)– Alpenraum: Viele Dutzend Minen gab es in den Départements Haute-Savoie, Savoie, Isère, Hautes-Alpes, Basses-Alpes, Drôme und Var; – ­Vogesen: In den Départements des Vosges (bei Croix-aux-Mines), Haute-Saône; – Anjou: im Département Maine-et-Loire; – Poitou: in den Départements Vendée (bei l’Essart-en-Saint-Hillaire de Talmont), Deux-Sèvres; – Bretagne: im Départe-

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

ment Mayenne (Chaffeny) und die Erzgänge von Pontpéan südlich von Rennes; – Normandie: in den Départements Manche (Pierreville), Ille-et-Vilaine (Grube Pontpéan en Bruz, Grube La Touche bei Vieuxvy, auf Gängen in silurischen Schiefern), ­Côtes-du-Nord (östlich von Huelgout bei Carnoet und Plusquellet, auf den alten Gruben Châtelandren), Finistère, Morbihan (auf den Quarzgängen von Saint Mandez bei Baud) und Loire-Inférieure; – Maine im Département Sarth (Le Mans); Puy-de-Dôme (Pontgibaud, westlich von Clermont-Ferrand; Département Aveyron (auf Quarzgängen bei Villefranche und Peyrusse; Département Ardèche ­( L’Argentière); Département du Gard: Vialas (Legère).

Vorkommen im heutigen England, die mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in der Antike ausgebeutet wurden: Im südlichen England in Somersetshire, in Cornwall und Devonshire. Im nördlichen England, in den Distrikten der Flüsse Tyne, Wear und Tees, hauptsächlich bei ­Derwent, Ost- und West-Allendale in Northumberland, Weardale (berühmtes Fluoritvorkommen) und Tessdale in Durham sowie Alston Moore in Cumberland, in Yorkshire, in Nenthead und Derbyshire.

Vorkommen im heutigen Deutschland, die mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in der Antike ausgebeutet wurden: Rheinprovinzen: Horhausen, Oberlohr, auf der Grube von Kantenbach zwischen Bernkastel und Trarbach in Pseudomorphosen von Bleiglanz nach Pyromorphit, Bleialf in der Eifel (hydrothermal im Gefolge von Plutonen), aber auch als Imprägnation im Buntsandstein von Mechernich in der Eifel (Imprägnationserze: Bleiglanz und Cerussit), südlich von Commern in der Eifel („Knottenerze“) und in der Grube Ludwig bei Honnef und am Bensberg bei Köln (hydrothermale Genese); – Baden: bei Neuweier, unweit Steinbach südlich von Baden-Baden, im Raum Bruchsal, im Kinzigtal, in Schnellingen, Emmendingen, Waldkirch, Zähringen, Schauinsland (Erzkasten), im Schapbachtal, Frohnbachtal, bei Wolfach und Wiesloch, untergeordnet auf den Zinkerzlagerstätten des oberen Muschelkalks (Sb-haltig); – Württemberg: In der Reinerzau auf den Erzgängen im Granit, im Stubensandstein von Tübingen, in den unteren Keuper-Gipsmergeln bei Heilbronn und Untertürkheim sowie in der Bleiglanzbank in den Mergeln südlich vom Kochensberg, auf dem Spitzberg bei Tübingen, bei Vaihingen, bei Gundelsheim im Kalk und bei Stuttgart im Liaskalk; – Bayern: Im Fichtelgebirge, Oberpfälzer Wald, im Bogenberg bei Bogen, im Raum Vilshofen und in Oberfranken.

Vorkommen im heutigen Österreich, die mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in der Antike ausgebeutet wurden: ­Tirol: Im Inntal an mehreren Orten, Obernberg am Brenner; – Salzburg: am Hohen Göll, im Tennengebirge, in Thumersbach bei Zell am See, Leogang, Rauris, G ­ astein, Hohe Tauern, Rothgülden, Schellgaden; – Steiermark: Eisenerz, Oberzeiring,

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KAPITEL II

­ ettenegg-Graben, Kaltenegg (aufgelassener Bergbau), Raum Peggau; – Kärnten: R Hüttenberger Erzberg, Gaisberg bei Friesach, bei Treffen nördlich von Villach, Zirknitz (Großkirchheim), Fleiss (Heiligenblut), Bleiberg (im Trias-Kalk), ehemaliger Bergbau Hoch-Obir, Dellach im oberen Drautal.

Vorkommen im heutigen Slowenien, die mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in der Antike ausgebeutet wurden: Raibl, Petzen, Mežica (vormals Mies) und Crna (vormals Schwarzenbach) sind Vorkommen, die aus hydrothermaler Verdrängung (aber tieftemperiert) entstanden sind. Alle diese Vorkommen liegen südlich der heutigen österreichischen Grenze im Raum Bleiburg und sind sowohl geologisch als auch petrografisch vergleichbar mit den Erzlagern im Triaskalk von Bleiberg-Kreuth.

Vorkommen im heutigen Italien, die mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in der Antike ausgebeutet wurden: ­Venetien: in den Provinzen Udine, Belluno (Auronzo auf der Grube Argentiera am Monte Rusiana im dolomitischen Triaskalk) und Vicenza; – Alto Adige (Südtirol), Provinz Bozen: Eisack-Tal, Gossensass bei Sterzing, Klausen, Passeiertal, Sarntal; – Lombardei: in den Provinzen Como, Bergamo, Brescia und Sondrio; – Piemont: im Alatal, an vielen Orten der Provinzen Novara, Torino und Cuneo; – Ligurien: in der Provinz Genova Portomanrizio; – Toskana: in den Provinzen Lucca (auf der Grube Bottino im Tal von Versiglia am Monte di Serravezza im Talkschiefer), Pisa (alte Grube bei Campiglia Marittima), Massa e Carrara, Firenze, Siena, Grosseto (bei Massa Marittima), auf den Inseln Elba und Giglio; – Sardinien: Siliqua, ­Sarocch, Gonnessa (Miniera di San Giovanedda und di San Giovanni), im silurischen Kalkstein von Iglesias, San Vito, Villaputzu, Muraveru, in den barytischen Erzgängen im Revier von Sarrabus in Südwestsardinien und in der Provinz Sassari; – Sizilien: Provinz Messina.

Vorkommen im heutigen Griechenland, die mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in der Antike ausgebeutet wurden: ­Attika: Laurion (als Verdrängung von Kalken, stock- oder flözförmig); – Kykladen­ inseln Serpho, Anaphi und Serifos.

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W EI T E R E BL EI M I N E R A LE AUS MÖGLICH E RW EISE I N DE R A N T I K E BET R I E BE N E N GRU BE N Die Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, allein die Mineralogischen Tabellen von Hugo Strunz enthalten 212 unterschiedliche Bleiminerale.26 Andorit Pb2 Ag2 Sb6 S12 – findet sich in den subvulkanischen Gängen des Zinnsilbertyps, in Sammlerkreisen berühmt ist das Vorkommen in Baia Sprie im „Goldenen Dreieck“ (Rumänien; vormals Felsöbanya, Ungarn). Anglesit (von Werner als Vitriolbleierz und von Karsten als Bleivitriol bezeichnet) PbSO4, rhombisch-dipyramidal kristallisierendes Bleisulfat, benannt nach dem Fundort Anglesea in England, entsteht durch Oxidation von Galenit (Bleiglanz) und findet sich im Ausgehenden vieler Bleierzlagerstätten: Bleialf in der Eifel (Deutschland), Bleiberg (Kärnten), Mežica (vormals Mies) und Crna (vormals Schwarzenbach) in Slowenien, Dognacska, Baia Sprie (Rumänien, vormals Felsöbanya, Ungarn), ­A lston Moore Cumberland (England), Igesias und Monte Poni (Sardinien) und ­Linares (Spanien). Bayldonit PbCu3[OH|AsO4]2 ist mehrfach in Cornwall (England) nachgewiesen worden. Bleiantimonit Pb4 FeSb6 S14 ist eine veraltete und überflüssige Bezeichnung für Jamesonit (siehe dort). Bleihornerz Pb2[Cl 2|CO3] ist eine veraltete und überflüssige Bezeichnung für Phosgenit (siehe dort). Bleilasur PbCu[(OH) 2|SO4] ist eine veraltete und überflüssige Bezeichnung für Linarit (siehe dort). Bleispat PbCO3] ist eine veraltete und überflüssige Bezeichnung für Cerussit (siehe dort). Bleivitriol PbSO4 ist eine veraltete und überflüssige Bezeichnung für Anglesit (siehe dort). Boulangerit Pb5 Sb4 S11 – benannt nach dem französischen Ingénieur en chef des mines Boulanger, der 1835 eine Arbeit über ein Doppelsulfid des Antimons und Bleis veröffent-

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KAPITEL II

lichte – findet sich nahezu stets in derben, feinkörnigen bis feinfaserigen, dichten Massen vom Aussehen des Bleischweifs und, zumindest in geringen Mengen, auf nahezu jeder Bleierzlagerstätte; wirtschaftlich war Boulangerit zumeist nur regional von Bedeutung, wie einst in Molères im Département du Gard (Frankreich) oder in Bottino in der Toskana (Italien); der Plumosit von Trepča (Serbien) ist Boulangerit. Bournonit PbCuSbS3 – benannt nach dem französischen Mineralogen Graf von Bournon – ist ein orthorhombisch kristallisierendes Bleisulfid, das sich auch in dicken randgekerbten Platten findet (zyklische Zwillinge) und an Zahnräder erinnert, daher der deutsche Name Rädelerz. Bournonit ist ein wichtiges Pb- und Cu-Erz, das auf hydrothermalen Gängen neben anderen Blei und Antimonerzen mikroskopisch weit verbreitet ist. Fundorte: Hüttenberg (Kärnten), Capnic (Rumänien, vormals Kapnik, Ungarn), Sặ c ặ ra mb (Rumänien, vormals Nagyag in Ungarn bzw. Neustadt in der k. k. Monarchie), Servoz in Piemont (Italien), an mehreren Fundstellen im Département du Gard (Frankreich) und an mehreren Vorkommen in Cornwall (England). Caledonit Pb5 Cu 2[(OH) 6|CO3|(SO4)3] ist als orthorhombisches Sulfat ein seltenes Oxidationserz, bekannte Fundorte liegen in Cumberland (England) sowie bei Baita (vormals Rezbánya, Ungarn) und Malacalzetta (Sardinien). Cerussit (Weißbleierz) PbCO3 – der Name geht zurück auf Plinius XXXIV, 175, der das Bleiprodukt psimmythium (vermutlich Bleiweiß) als cerussa bezeichnete – ist das wichtigste Bleikarbonat und in manchen Lagerstätten ein wirtschaftlich bedeutendes Bleierz, das ausschließlich in der Verwitterungszone von Bleiglanzlagerstätten neben karbonatischer Gangart (Kalk, Dolomit) auftritt, besonders als Sekundärbildung an Stätten alten Bergbaues und als Mineralneubildung auf Halden; Cerussit findet sich in größeren Mengen im Buntsandstein von Mechernich in der Eifel (Deutschland), am Monte Poni (Sardinien), in Spanien und Laurion (Griechenland) und in geringen Mengen in Bleiberg (Kärnten). Descloizit Pb(Zn,Cu)[OH|VO4] – benannt nach dem Mineralogen Des Cloizeaux, der die Kristallform bestimmte, chemisch identisch mit Mottramit (aber nur der Descloizit bildet gute Kristalle) – findet sich bevorzugt im Ausgehenden der Pb-Cu-Zn-­ Lagerstätten: Obir (Kärnten) und in Laurion (Griechenland). Fiedlerit Pb3 (OH) 2 Cl4 ist ein Halogenid und findet sich gemeinsam mit Laurionit PbOHCl in Laurion (Griechenland).

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Fizelyit Pb5 Ag2 Sb8 S18 – ein Mineral der Andorit-Gruppe, findet sich ebenso wie der Andorit in den subvulkanischen Gängen des Zinnsilbertyps, bekanntestes Vorkommen im „Goldenen Dreieck“ ist Herja (Rumänien, vormals Kisbánya, Ungarn). Freieslebenit PbAgSbS3 – ein Sulfid aus der Aikinit-Reihe – wurde bislang nur reichlich in Hiendelaencina (Spanien) nachgewiesen. Fülöppit Pb3 Sb8 S15 ist ein 1929 erstmals beschriebenes PbSb-Sulfosalz der BoulangeritGruppe, Vorkommen: selten in Sặ c ặ ra mb (Rumänien, vormals Nagyag in Ungarn bzw. Neustadt in der k. k. Monarchie). Gelbbleierz

PbMoO4 – siehe Wulfenit. Geokronit Pb5 AsSbS 8 – ein dem Jordanit ähnliches Bleisulfid (es kommen als Rarität auch Mischkristalle mit Jordanit vor). Vorkommen: Meredo in Galicien (Spanien), Val di Castello bei Pietrasanta in der Toskana (Italien). Georgiadesit Pb3[Cl 3|AsO4] – dieses monokline Arsenat entstand als Mineralneubildung infolge Einwirken des Meerwassers auf die Bleischlacken von Laurion (Griechenland). Grünbleierz

Pb5[Cl|(AsO4)3] – siehe Mimetesit. Hydroplumbit [PbO]3.H 2 O: Cumberland, Leadhills (England). Iglesiasit ist eine veraltete Bezeichnung für ein Gemenge von Cerussit und Smithonit (= isomorphe Mischung von PbCO3 mit ZnCO3) – zuerst beobachtet auf dem Monte Poni bei Iglesias (Sardinien). Jamesonit Pb4 FeSb6 S14 – benannt nach dem Mineralogen Jameson – ist ein mit dem Plagionit Pb5 Sb8 S17 eng verwandtes und früher mit dem Heteromorphit Pb11Sb12 S 29 gleichgesetztes eisenfreies Bleisulfid, das sich bei sinkender Temperatur zuvor hochtemperiert entstandener Vorkommen bildet; findet sich auf Erzgängen in Cornwall (England), mehrfach in Ungarn und Spanien und in Aranyi Idka (Rumänien). Jordanit Pb4 As2 S7 ist ein monoklin kristallisierendes, zumeist dunkelbleigraues seltenes Bleiarsensulfid – benannt von G. v. Rath nach dem Mineraliensammler Jordan in Saarbrücken, der ihm das Mineral zur Untersuchung überließ; Vorkommen: selten

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KAPITEL II

in Sặ c ặ ra mb (Rumänien, vormals Nagyag in Ungarn bzw. Neustadt in der k. k. Monarchie) und Baia Mare (im Gerichtsbezirk Judeţul Maramureş, Rumänien, vormals Nagybánya in Ungarn). Kampylit ist ein Phosphor-Mimetesit mit der chemischen Summenformel xPb5[Cl|(AsO4)3] + y Pb5[Cl|(PO4)3], Fundort: Drygill in Cumberland (England). Laurionit Pb(OH)Cl, benannt nach dem Hauptvorkommen Laurion (Griechenland). Leadhillit Pb4[(OH) 2|SO4|(CO3) 2] – ein monoklines Pb-Karbonat, benannt nach dem Fundort Leadhill; mehrere Fundorte in Cumberland, Tounton in Somersetshire, Matlock in Derbyshire (England); beim Maxit (veraltete und überflüssige Bezeichnung) von Iglesias auf Sardinien handelt es sich ebenfalls um Leadhillit. Linarit PbCu[(OH) 2|SO4], ein Blei-Kupfer-Sulfat (Oxidationsmineral auf Pb-Cu-Lagerstätten) – benannt nach dem Vorkommen in Linares (Spanien) – findet sich auch in Caldbeck und in Keswick in Cumberland (England), Baita (vormals Rezbánya, Ungarn), San Giovanni (Sardinien) und Laurion (Griechenland). Matlockit PbFCl, tetragonal, verdankt seinen Namen dem Vorkommen von Cromford bei Matlock in Derbyshire; wurde auch in Laurion (Griechenland) nachgewiesen. Meneghinit, früher als Pb4 Sb2 S7 identifiziert, vermutlich jedoch Pb13 CuSb7S 24 – nachgewiesen aus der Grube Bottino bei Seravezza in der Toskana (Italien). Mennige (Minium) Pb3 O4 findet sich als Anflug in Pseudomorphosen nach Bleiglanz und Cerussit; in vielen Fällen, wo die Verhüttung der Bleierze vor Ort stattfand, handelt es sich jedoch um ein Kunstprodukt, das beim Rösten von Bleierzen entstand; Fundorte: Bleialf und Call (Kall) in der Eifel (Deutschland), Mežica und Crna (Slowenien, vormals Mies und Schwarzenbach zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie), Insel Anglesea, Leadhills (England). Mimetesit (Grünbleierz) Pb5[Cl|(AsO4)3] – Fundorte: Drygill in Cumberland (England), St. Prix, Département Saône, Villevieille bei Pontgibaud (Département Puy de Dôme), Almodovar del Campo in der Provinz Murcia (Spanien). Mottramit Pb(Zn, Cu)[OH|VO4] wurde in Alderley Edga und Mottram St. Andrews in Cheshire (England) nachgewiesen – siehe auch Descloizit.

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Nagyagit Au(Pb,Sb,Fe) 8 (Te,S)11 oder Pb5 Au(Te,Sb)4 S 5-8, benannt nach Nagyag (vormals in Ungarn, hieß zur Zeit der k. k. Donaumonarchie auch Neustadt, heute Sặ c ặ ra mb, Rumänien), ist ein von Mineraliensammlern begehrtes Gold-Tellurid und findet sich in Siebenbürgen in besagtem Sặ c ặ ra mb (Rumänien) und in Baia de Aries (Rumänien, vormals Offenbánya = Aransyosbánya, Ungarn; alte Bezeichnungen sind Mons Fornaci und Ovounberg, Offenberg, Offenburg und Ofenbaia). Penfieldit Pb2 Cl 3 OH, hexagonal, prismatische Kristalle bildendes Halogenid; Fundort Laurion (Griechenland). Phosgenit (Bleihornerz) Pb2[Cl 2|CO3] kristallisiert morphologisch tetragonal-trapezoedrisch und geht in der Oxidationszone aus Galenit (Bleiglanz) hervor. Bedeutende Funde in Matlock und Cromford in Derbyshire (England), große Kristalle sind vom Monte Poni auf der Insel Sardinien (Italien) bekannt geworden, Laurion (Griechenland). Plumosit Pb5 Sb4 S11 von Trepča (Serbien) ist Boulangerit Pb5 Sb4 S11 – siehe dort. Pyromorphit Pb5[Cl|(PO4)3] findet sich in denselben Zonen, in denen auch der Mimetesit anzutreffen ist, am Ausgehenden der Bleierzlagerstätten. Es wird vermutet, dass das Phosphat Pyromorphit durch Einwirkung jener Phosphorsäure entstanden ist, die den Fäkalien von Vieh entstammt. In Spuren auf vielen Bleierzlagerstätten, nachgewiesen in Cornwall. Er ist häufiger als der Mimetesit. Rezbanyit – benannt nach der gleichnamigen Stadt = veraltete Bezeichnung für Hammarit 2PbS·Cu 2 S·2 Bi 2 S3 – Baita, vormals Rezbánya (Ungarn). Semseyit Pb9 Sb8 S 21 – monokliner Plagionit-Verwandter, Baia Sprie (Rumänien, vormals Felsöbanya, Ungarn) und Herja (Rumänien, vormals Kisbánya, Ungarn). Vanadinit Pb5[Cl|(VO4)3] findet sich in der Verwitterungszone vieler Bleilagerstätten: Obir (Kärnten), Mežica und Crna (Slowenien, vormals Mies und Schwarzenbach zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie). Vitriolbleierz

PbSO4 – siehe Anglesit. Weißbleierz

PbCO3 – siehe Cerussit.

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KAPITEL II

Wulfenit (Gelbbleierz) PbMoO4 , ein Molybdat, benannt nach dem österreichischen Freiherrn von Wulfen, Theologe und Naturwissenschaftler in Klagenfurt in der 2. Hälfte des 18. Jh.; Wulfenit kristallisiert tetragonal-dipyramidal und ist ein beliebtes Sammlermineral; Fundorte: Grube Rudolf und Stephanie in Bleiberg (Kärnten) sowie die Lagerstätten von Mežica und Crna (Slowenien, vormals Mies und Schwarzenbach zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie), Baita (vormals Rezbánya, Ungarn), Sarrabus (Sardinien).

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AUSGE K LÜGE LT E H AUST ECH N I K Aus unerfindlichen Gründen ist die überraschend modern anmutende altrömische Haustechnik, angefangen vom einfachen Wasserhahn bis zu den aufwendigsten Installationen in Bädern für die Abstimmung der gewünschten Wassertemperaturen, ein Stiefkind der archäologischen Forschung. Die meisten Berichte über den Wasserleitungsbau im Römischen Reich beginnen bei den Quellfassungen und reichen über den aufwendigen Aquädukt- und Wasserstollenbau bis zu den Bleirohrzuleitungen zu den Bädern, Nymphäen und Villen. Zumeist übersehen wir dabei die ausgeklügelte Haustechnik, die es nicht nur in Prunkbauten, offiziellen Gebäuden, Thermen, Bädern und Villen, sondern auch in den Wohnhäusern der meisten Privilegierten gab. Lediglich die Bewohner der Zinskasernen in den Großstädten und die bäuerliche Bevölkerung mussten ihr Wasser in Kübeln und Eimern von den öffentlichen und privaten Brunnen holen. Das Abwasser wurde in den Mietshäusern häufig durch die Haustüren, in oberen Stockwerken sogar durch die Fenster auf die Straßen entsorgt. Auch nicht gerade die feine Lebensart … Im Bereich der Installationen kam es in römischer Zeit zu enormen Weiterentwicklungen, speziell bei den Armaturen. Das beweisen Funde von modern anmutenden Absperr- bzw. Durchgangshähnen, Rohren mit Rückschlagsklappen, Saug- und Druckpumpen, Wechselzapfhähnen, Entleerungsklappen, Mischbatterien und Wasserspeiern aus Bronze und Silber. Viele Beispiele dafür lagern in großer Zahl in Fundkisten im einstigen Frauenbad in Pompeji, die allerdings derzeit der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Zur Regelung der Wasserentnahme gab es etwa 25 cm lange genormte Bronzerohre – sogenannte calices –, welche hinter dem Wasserverteiler und vor dem Einlauf zum Verbraucher installiert wurden. Es existierte nicht nur ein einziger ­calix-Typ; die calices wurden vielmehr in 25 verschiedenen Größen ( je nach Leitungs-Querschnitt) produziert. Bronze wurde vermutlich deshalb verwendet, weil sie auf Grund ihrer Härte Manipulationen vereitelte, die sich beim wesentlich leichter verformbaren Blei anboten. Die Bodenfunde zeigen deutlich, dass als Wasser-Absperrarmaturen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – Wasserhähne aus Bronzeguss verwendet wurden. Nur dort, wo hoher Wasserdruck zu erwarten war, kamen auch Metallschieber zum Einsatz. Funde derartiger Wasserhähne haben gezeigt, dass sie in industrieller Massenfertigung hergestellt wurden und häufig zum Einsatz kamen. Während der Kaiserzeit wurden fraglos in paar Millionen Wasserhähne großtechnisch produziert. Wenn wir heute bei Grabungen relativ wenige finden, liegt das sicherlich daran, dass die Armaturen ebenso wie die meisten Bleirohre nach Verlassen der Gebäude und dem Schließen der Wasserleitungen von Altmetallsammlern demontiert und danach eingeschmolzen wurden. Bronze war das ideale Material für die Herstellung der Armaturen. Bronze, eine Legierung aus Kupfer und Zinn, eignete sich optimal für den Guss der mannigfaltigen Formen. Der auffallend dünnwandig gegossene Körper des altrömischen Standard-Wasserhahnes unterschied sich vom modernen Hahn vor allem durch die beiden Ringwülste am oberen und unteren Ende, welche denselben versteiften und so das Werkstück gegen Verspannung beim Abdrehen der durchgehenden

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Siehe Abbildungen S. 171–174

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Bohrung, aber auch gegen ein Krummziehen beim Einlöten der Bleirohrleitung schützten. Während beim modernen Hahn der kegelige Einsatzzapfen mit dem Bohrloch massiv ausgeführt ist, war der römische Einsatz innen hohl und unten offen. Dort, wo beim modernden Hahn heute eine Schraube mit Unterlagscheibe den Einsatz nach unten zieht und festhält, sicherte ein eingelöteter scheibenförmiger Deckel das Auslaufen des zu regulierenden Wasserstrahles. Kein Wunder, dass sich dieser vielfach erprobte Typus jahrhundertelang sowohl für Durchgangs- als auch für Auslaufhähne bewährte. Durchgangshähne dienten vor allem zum Absperren von Hauptwasserleitungen, so auch jener „120er-Rohre“ mit dem größten Durchmesser (centenum vicenum = ca. 229 cm). Bei diesen war der Wasserdruck allerdings derart gewaltig, dass er den Einsatz sofort herausgeschleudert hätte, sofern dieser nicht durch eine uns heute nicht überzeugend belegte Vorrichtung daran gehindert wurde. War es die kleine schmale Nut im zylindrischen Zapfeneinsatz (im Gegensatz zum schlank-kegelförmigen Einsatz wie in den Auslasshähnen) oder wurde schlicht und einfach durch den rechteckigen, schwach trapezförmigen Schlitz eine Eisenstange (möglicherweise jener lange Hebel, welcher für das Auf- und Abdrehen benötigt wurde) geschoben, die wiederum mit einer Spange fixiert werden musste? Fraglos nur Vermutungen, doch irgendwie musste das zwangsläufige Herauspressen bzw. Herausschleudern des Einsatzes durch den Wasserdruck verhindert werden. Bleibt nur zu hoffen, dass künftige Funde darüber Aufschluss geben. Auch ist es nach wie vor ein Rätsel, wie römische Armaturenhersteller zylindrische Einsätze auf ihren Drehbänken nicht nur millimetergenau, sondern auf Hundertstelmillimeter exakt und präzise drehen konnten. Umschalthähne erlaubten die wechselweise Zufuhr von Kaltwasser und Warmwasser, eine Mischbatterie, wir sie heute kennen, gab es nicht. Um jedoch dem Wunsch der Badbenutzer nach exakt temperiertem Wasser zu entsprechen, wurden zwei individuell absperrbare Leitungen – eine aus einem Heißwasserkessel und eine zweite aus dem Kaltwasserkessel – zu einer Mischwasserleitung zusammengeführt.27 Die Mundstücke der Auslasshähne waren zur Zeit der Republik noch allesamt aus Bronze, doch schon von Seneca28 und Statius29 erfahren wir von silbernen Wasserspeiern als Ausdruck des frühen kaiserzeitlichen Badeluxus im 1. Jh. n. Chr.

RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Fluss Selbst der Tiber führte in den frühen Tagen Roms sauberes Wasser, doch das änderte sich schnell mit der Ansiedlung von Werkstätten und Fabriken. 
 Ort: Italien, Rom, Tiber, Engelsbrücke
 Foto: Rudolf Franz Ertl

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Färberei Enorme Mengen von Fäkalien, Industrieschlamm sowie die Abwässer der Gerbereien und Färbereien verschmutzten schon zur Zeit der Republik den Tiber, selbst Brunnenwasser war u ­ ntrinkbar geworden. Der Bau von Wasserleitungen war nur mehr eine Frage der Zeit. Ort: Symbolfoto – „Moderner“ Färbereikomplex in der Königsstadt Fes in Marokko Foto: Rudolf Franz Ertl

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Stele des Pharaos Echnaton mit Familie In den Tälern von Nil, Euphrat und Tigris bildeten sich die Frühformen von ­Bewässerungsgemeinschaften. Aufbewahrung: Deutschland, Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Ägyptologische Sammlung Foto: Helmut Leitner

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B au - u nd D ekor m at e r i a l Ta fel 1 Granit aus einem Steinbruch in Wolfsthal (Niederösterreich), woselbst auch Aplitgänge aufgeschlossen sind. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl Foto: Rudolf Franz Ertl

Syenit aus Biella, Piemont (Italien) ist ­fein­körnig. Verwendung: Dekorstein; der Sockel des Goethe-Monumentes in Wien wurde aus Biella-Syenit ­gefertigt. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl Foto: Rudolf Franz Ertl

Blockbrekzie aus der Jurazeit mit dunkelgrauen ­Karbonaten in heller, dolomitisch-­ kalkiger Matrix, Bad Deutsch-­ Altenburg, Steinbruch Hollitzer. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl Foto: Helmut Leitner

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Granit Mauthausen, Oberösterreich. ­Verwendung: Straßenpflaster (Wien), Denkmäler, Grabsteine. Aufbewahrung: Österreich, Wien, ­Naturhistorisches Museum Foto: Rudolf Franz Ertl

Kalkstein Dichter Kalkstein ist ein karbona­ tisches, aus Calcit bestehendes ­monomineralisches, gebirgsbildendes für Bildhauerarbeiten geeignetes ­Sedimentgestein. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl Foto: Helmut Leitner

Kalkstein aus der „tortonischen“ Strand­ klippenzone von Kalksburg bei Wien (­ Badenium) mit Steinkernen von Strandschnecken. Bildbreite: 60 mm Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl Foto: Helmut Leitner

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B au - u nd D ekor m at e r i a l Ta fel 2 Sandstein ist ein Sedimentgestein aus diagenetisch verfestigtem Sand, das unter ­Auflast und durch Fällung von gelösten Substanzen aus Porenwasser entsteht. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl Foto: Helmut Leitner

Kalkbrekzie aus Serravezza (Italien, Lunigiana), auch „Marmo Seravezza“ genannt. Angeschliffene Platte (geringfügig verkleinert) Aufbewahrung: Österreich, Wien, ­Naturhistorisches Museum Foto: Rudolf Franz Ertl

Kalkbrekzie aus Kitzbühel, Tirol. Angeschliffene Platte (geringfügig verkleinert) Aufbewahrung: Österreich, Wien, ­Naturhistorisches Museum Foto: Rudolf Franz Ertl

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Marmor Als Metasedimente sind Marmore aus Kalken hervorgegangene regionalmetamorphe Gesteine. Sie können ­gewaltige Bergmassive landschafts­ prägend aufbauen. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl Foto: Rudolf Franz Ertl

Bunte Kalkbrekzie aus Aleppo, Italien. Angeschliffene Platte (geringfügig verkleinert) Aufbewahrung: Österreich, Wien, ­Naturhistorisches Museum Foto: Rudolf Franz Ertl

Kalkbrekzie „Porta santa“ aus Jassos. Angeschliffene Platte (geringfügig verkleinert) Aufbewahrung: Österreich, Wien, ­Naturhistorisches Museum Foto: Rudolf Franz Ertl

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St ei n - u nd Zie g elb auwei s e Ta fel 1 Holz-Blockbauweise in Stein nach keltischem Vorbild. Ort: Österreich, Moosham (Salzburg, ­Lungau), Bergsiedlung Immurium (das Gelände wurde nach der Grabung wieder zugeschüttet) Foto: Rudolf Franz Ertl

Polygonalmauerwerk zählt zu den ältesten Mauertechniken und ist häufig in den Mittelmeer­ regionen anzutreffen. Ort: Italien, Sizilien, Naxos-Giardini bei Taormina Foto: Rudolf Franz Ertl

Griechische Mauerkonstruktion hier das emplecton-Verfahren: Zwischen einer äußeren und inneren Steinquader-Schale liegt ein ­M auerkern aus weiteren Quadern. Ort: Türkei, Pergamon Foto: Rudolf Franz Ertl

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Quaderbauweise aus unterschiedlich großen Gesteinsblöcken, die bereits in spätgriechischer und hellenistischer Zeit zum Einsatz kam. Ort: Italien, Sizilien, Leontinoi zwischen Lentini und Carlentini Foto: Rudolf Franz Ertl

Opus mixtum Bei dieser speziellen Form wurden ­Ziegel zum Ausgleich unterschiedlich großer Quader (Zweitverwendung) verwendet. Ort: Albanien, Butrint, Grabungsgelände. Die Mauer kann keinem bestimmten Gebäude zugeordnet werden. Foto: Helmut Leitner

Römischer Beton Ziegelbruchstück- und -splittreiches opus signinum aus einem zerstörten ­m assiven Fußboden über einer Bodenheizung. Ort: Kroatien, Varažinske Toplice ­(Gespanschaft Varaždin), Aquae Iasae Foto: Lukas Kalchhauser

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St ei n - u nd Zie g elb auwei s e Ta fel 2 Opus reticulatum ist ein römischer Beton mit einer ­Schale (Außenverkleidung) aus regelmäßigen quadratischen Steinen, die rautenförmig verlegt werden. Ort: Italien, Ostia bei Rom, Archäologischer Park, Grabungsgelände Foto: Rudolf Franz Ertl

Opus mixtum in Verbindung mit opus reticulatum. Zur besseren Verankerung mit dem Mauerkern ragen die quadratischen Steine pyramidenförmig in die Mauer hinein. Ort: Italien, Ostia bei Rom, Archäologischer Park, Grabungsgelände Foto: Rudolf Franz Ertl

Fachwerkbauweise mit Holz und im Fischgrätmuster (opus craticium) mit schräg gestellten Ziegeln.
Zeit: 4. Jh. Ort: Österreich, Petronell-Carnuntum ­(Niederösterreich), Grabungsgelände ­Zivilstadt (1961); mittlerweile abgetragen, Standort der wiederaufgebauten Kleinen Therme Foto: Rudolf Franz Ertl

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Bogenkonstruktion aus Ziegeln (tegulae) in Verbindung mit opus ­caementicium, wobei noch Reste der Putzschicht zu erkennen sind. Ort: Kroatien, Varažinske Toplice ­(Gespanschaft Varaždin), Aquae Iasae Foto: Lukas Kalchhauser

Tegulae Diese flachen Dachziegel mit den ­aufgebörtelten Rändern erinnern an ihre griechischen Vorbilder. Sie wurden auch als Bodenplatten in Gossen und Kanälen verwendet. Ort: Ungarn, Budapest, Aquincum, ­G rabungsgeländer der Zivilstadt Foto: Rudolf Franz Ertl

Imbrices sind halbzylinderförmige Hohldeckziegel. Sie wurden üblicherweise zur Abdeckung zwischen zwei tegulae verwendet, aber auch für Hypokaustheizungssäulchen (laterculi). Later = an der Sonne getrockneter, später auch gebrannter Ziegel. Ort: Italien, Sizilien, Taormina, ­D achdeckung aus dem 19. Jahrhundert in einer mittlerweile aufgelassenen dörflichen Siedlung am Hang des Monte Venere Foto: Rudolf Franz Ertl

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Praefurnium eines Warmbades Die in Resten vorhandene gewölbte Deckenkonstruktion wurde über einer v­ erlorenen Schalung aus Tonröhrchen ­betoniert. Ort: Italien, Sizilien, Piazza Armerina, Villa Casale Foto: Rudolf Franz Ertl

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Schematische Darstellung der Hypokaust- und Wandheizung Quellen: W. Heinz: Römische Thermen. Badewesen und Badeluxus im Römischen Reich. München, 1983, R. F. Ertl und Franz Xaver Prascsaits: Inschriften – Spiegelbilder des Lebens. Katalog zur ­gleichnamigen Ausstellung in Petronell-Carnuntum vom Mai 2001 bis Oktober 2002. ­ Publikation des Museumsvereines Petronell-Carnuntum Auxiliarkastell. (Wien 2001). Graphik: Rudolf Franz Ertl

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Schema der Rauchableitung in Häusern und Bädern durch die Tubulatur Quelle: Max Groller: Die Gebäude im Lager, in: Berichte des Vereins Carnuntum in Wien für das Jahr 1905. Wien 1905, S. 29–30

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Hy pok au st hei z u n g e n

Opus-caementicium-Deckschicht Massive Deckschicht über den von ­laterculi (aus Ziegelquadern mit q­ uadratischer Basis) getragenen ­Ziegelplatten. Ort: Deutschland, Trier, Barbara-Therme Foto: Rudolf Franz Ertl

Ziegelgewölbe-Unterbau für die Hypokaustheizung in den Warmbaderäumen. Ort: Türkei, Perge (Südküste), ­H adrian-Therme Foto: Norbert Maly

Hypokaustheizung Laterculi aus Ziegelquadern mit quadratischer Basis. Ort: Italien, Villa Casale (Sizilien) Foto: Rudolf Franz Ertl

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Fußboden auf Doppelfußplatten (knapp 60 x 60 cm) über laterculi aus zylindrischen tegulae verlegt. Ort: Türkei, Phaselis (Lykien – Antalya) Foto: Rudolf Franz Ertl

Tubulatur Wandheizung. Links im Bild sind ­Verputz und Wandmalerei zu erkennen. Ort: Kroatien, Varažinske Toplice ­(Gespanschaft Varaždin), Aquae Iasae Foto: Lukas Kalchhauser

Wandaufbau in einem beheizten Saal. Vor der Wand aus Ziegelschale wurden die tubuli ­a ngebracht. Die Marmorverkleidung wurde leider abgerissen. Ort: Italien, Ostia (Lazio), Thermen des Forums Foto: Rudolf Franz Ertl

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Hypokaustheizung Eine der fünf Feuerungsanlagen (praefurnium) des Warmbades der Kaiser-Sommerresidenz Herkulia. Ort: Italien, Villa Casale (Sizilien) Foto: Rudolf Franz Ertl

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Hypokaustheizung Salona Für den Aufbau der Säulchen wurden zylindrische laterculi verwendet. Ort: Kroatien, Salona (Split/Dalmatien) Foto: Rudolf Franz Ertl

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Hypokaustheizung Ort: Deutschland, Weißenburg (Mittelfranken), Thermen Foto: Helmut Leitner

Heißluft- und Rauchdurchlass Die Entwicklung des römischen Betons ermöglichte den Bau von ­Ziegelbögen in Bodenheizungen. Ort: Albanien, Byllis (Quarku i Fierit) Foto: Helmut Leitner

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B og e n kon st r u kt ione n

Bogenkonstruktionen aus lokalem Steinmaterial. Ort: Türkei, Pergamon (Mysia – Iszmir), Burg Foto: Lukas Kalchhauser

Triumphbogen Die eindrucksvolle Steinkonstruktion gehört zu den imposantesten Bauten der Stadt. Ort: Marokko, Volubilis (Mauretania Tigitina – Meknès) Foto: Rudolf Franz Ertl

Steinbogenkonstruktion in eleganter Ausführung. Ort: Syrien, Simeonskloster (Qal’at Sim’an – Aleppo) Foto: Helmut Leitner

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Bogenkonstruktion Im Flavischen Amphitheater, bekannt als Colosseum, wurden die Bogen­konstruktionen sowohl in Stein- als auch Ziegelbauweise ­ausgeführt. Ort: Italien, Rom Foto: Rudolf Franz Ertl

Ziegelbögen für den Heißluftdurchlass in den ­Bodenheizungen der „Kleinen ­Therme“ im Archäologischen Park Carnuntum, dokumentiert vor den Wiederaufbauarbeiten (1961). Ort: Österreich, Carnuntum ­(Niederösterreich) Foto: Rudolf Franz Ertl

Bogen- und Deckenkonstruktionen in der Maxentiusbasilika. Das mächtige Kreuzgewölbe des Mittelschiffs ist ­leider zerstört. Ort: Italien, Rom Foto: Rudolf Franz Ertl

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Stadttor Ein wunderschönes Beispiel für antike Bogenkonstruktionen aus der römischen Kaiserzeit. Die schlanken kannelierten Säulen mit den jonischen Kapitellen verleihen der Anlage besondere ­L eichtigkeit. Ort: Türkei, Antalya Foto: Helmut Leitner

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Aquädukt – Bogenkonstruktion Ein schönes Beispiel für die vielen hundert Wasserleitungen in den Provinzen. Ort: Türkei, Phaselis (Pamphylien – Antalya) Foto: Rudolf Franz Ertl

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Bogenkonstruktionen im Theater von Aspendos aus der Zeit des Kaisers Marc Aurel, errichtet im Auftrag von Curtius Crispinus und Curtinus Anspicatus durch den Architekten Zenon. Ort: Türkei, Aspendos (Pamphylien – Antalya) Foto: Helmut Leitner

Kuppel Detail der Pantheonkuppel, die mit einem Durchmesser von 43,3 m sogar g­ eringfügig die Kuppel des Petersdomes übertrifft. Die Kuppel symbolisiert das Himmelsgewölbe, die große, kreisrunde lichtspendende Öffnung (knapp 9 m Durchmesser) die Sonne. Das Pantheon ist Roms ­besterhaltener und berühmtester Tempel. Ort: Italien, Rom Foto: Rudolf Franz Ertl

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Historische Darstellung des Pantheons in Rom Dank des römischen Betons war von der Bogenkonstruktion über das Tonnen- und Kreuzgewölbe bis zur Kuppel nur ein kurzer Weg. Viele römische Bäder verfügten über Kuppelbauten. Die heute noch am besten erhaltene antike Kuppel deckt das Pantheon in Rom. Das von Marcus ­Vipsanius Agrippa erbaute und beim großen Brand Roms unter Kaiser Nero im Jahr 64 ­sowie beim Brand auf dem Marsfeld unter Kaiser Titus im Jahr 80 n. Chr. zerstörte Pantheon wurde im Auftrag des baufreudigen Kaiser Hadrian wieder aufgebaut. Quelle: Spamer’s Illustrierte Weltgeschichte 1902

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Längsschnitt durch das Pantheon Da das architektonisch faszinierende Gebäude Agrippas Namen trägt, glauben viele Rombesucher vor dem Originalbau des Agrippa zu stehen. Bei Untersuchungen des Mauerwerks hat der französische Architekt Georges Chadanne schon 1892 konstatiert, dass die untersuchten Ziegel eindeutig in den Jahren 120 bis 123 n. Chr. gefertigt wurden (Ziegelstempel mit den Namen der damals amtierenden Konsuln) und der Neubau damit ein Werk aus der Zeit des Hadrian sein muss, vielleicht sogar nach dessen eigenen Plänen errichtet. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass bereits Kaiser Trajan mit dem Wiederaufbau begonnen hatte und der geniale Konstrukteur der Rotunde der griechische Baumeister Apollodorus war, der von Hadrian nach einem Streit aus der Stadt verbannt wurde. Quelle: David Joseph, Geschichte der Baukunst vom Altertum bis zur Neuzeit (1912)

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Jonische Säule (römisch) Historische ­Darstellung in der römischen ­A rchitektur. Quelle: ­Wilhelm Wägner (1869/1871): Rom. Anfang, Fortgang Ausbreitung und Verfall des Weltreiches der Römer. In 3 Bänden. Verlag O. Spamer. Leipzig

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Korinthische Säule (römisch) Historische ­Darstellung einer Säule vom Jupiter-Stator-­ Tempel in Rom. Quelle: Wilhelm Wägner (1869/1871): Rom. Anfang, Fortgang Ausbreitung und Verfall des Weltreiches der Römer. In 3 Bänden. Verlag O. Spamer. Leipzig

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Komposite Säule (römisch) Historische ­Darstellung in der römischen ­A rchitektur. Quelle: Wilhelm Wägner (1869/1871): Rom. Anfang, Fortgang Ausbreitung und Verfall des Weltreiches der Römer. In 3 Bänden. Verlag O. Spamer. Leipzig

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Akanthusblatt Die hübschen, tief gezahnten und gelappten Blätter des Akanthus (Acanthus mollis und Acanthus spinosa; deutsch: Bärenklau) haben wegen ihrer attraktiven Form die Architekten zur Schaffung der ­korinthischen Kapitelle inspiriert. Pflanzen waren schon sehr früh Vorbilder für antike Säulen, man denke nur an die uralten Formen der ägyptischen Pflanzensäulen oder an die vielen Säulentypen in babylonischen und assyrischen Bauwerken. Die Form des Blattkelches begeisterte bereits die ­Ä gypter, und die Griechen verwendeten derartige Pflanzenmotive im Apollotempel von Phigalia und in den Kuppelbauten von Epidauros. Das Kapitell vom Turm der Winde in Athen ist die einfachste Form des kalathos (Arbeitskorb der Frauen) und besteht aus zwei Blattreihen: innen Schilfblätter, außen umkränzt von Akanthusblättern. Ort: Syrien, Damaskus, Nationalmuseum, Garten Foto: Helmut Leitner

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Jonisches Kapitell Während dem klassischen jonischen Volutenkapitell Spiralen (Schnecken) und den äolisch-jonischen Ausbildungen pflanzliche Blattformen zugrunde liegen, zeigt dieses jonische Kapitell neben den ­k lassischen Elementen und dem Eierstab, der auch auf den Kapitellen der Naxiersäule in Delphi, des Athene-Nike-Tempels und des Erechtheions in Athen zu finden ist, zusätzliche Dekorelemente, wie die kleine Blüte über dem Eierstab. Ort: Türkei, Sardes (Lydien), Artemis-Tempel (nicht fertiggestellt) Foto: Lukas Kalchhauser

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Jonisches Kapitell Diese Variante wurde mit Blattornamenten und geflügeltem, figuralem Schmuck bereichert. Erstmals tauchen hier schwach gebogene Akanthusblätter auf, welche die zarten spiralförmigen ­Einrollungen (Voluten) zu unterstützen scheinen. Aufbewahrung: Deutschland, Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz Foto: Helmut Leitner

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Korinthisches Kapitell Dieseklassische Kapitellform aus Epidauros ist bereits eine Übergangsform zur weit häufiger ­vorkommenden Form, bei der sich zwei Akanthusblattreihen um den Kern schmiegen, und zu den in der Folge geschaffenen korinthischen Komposit- und Phantasiekapitellen. Das Kompositkapitell zeigt zwischen den massiven Voluten Eier- und Perlenstab, das korinthische Phantasiekapitell verliert beinahe den konstruktiven Gedanken, ist prunkvoll gestaltet und mitunter mit unterschiedlichstem Dekor überladen. Quelle: David Joseph, Geschichte der Baukunst vom Altertum bis zur Neuzeit. Leipzig 1912

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Korinthisches Kapitell Die eleganten Phantasiekapitelle der berühmten Maison Carrée in Nemausus (Nîmes) zeigen neben den beiden Akanthusblattreihen, die sich unten um den Kern schmiegen, eine dritte Reihe, ­welche die äußeren und inneren Voluten stützt. Selbst der geschwungene Abacus ­(Säulendeckplatte) ist reich verziert. Der pseudoperipterale Tempel, der sich auf einem massiven ­Unterbau erhebt, war dem Gaius Caesar und dem Lucius Caesar geweiht. Ort: Frankreich, Nîmes (Provence), Tempel des Caesar Foto: Rudolf Franz Ertl

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Antenkapitell mit Eierstab Ein auf Antenkapitellen, dem Gebälk römischer Prachtbauten oder zur Verzierung von Terra sigillataGeschirr stets wiederkehrendes Dekor-Ornament ist der aus der griechischen Baukunst übernommene Eierstab. Er findet sich bereits auf dem jonischen Kyma und war ein Fruchtbarkeitssymbol. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Kunsthistorisches Museum (Ephesos-Museum) Foto: Helmut Leitner

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Pilasterkapitell mit Akanthusblättern Ähnlich wie bei den Kapitellen der Maison Carrée in Nemausus (Nîmes) erkennt man über den beiden Akanthusblattreihen eine dritte Reihe, welche die äußeren und inneren Voluten stützt. Ort: Frankreich, Nîmes (Provence), Tempel des Caesar Foto: Helmut Leitner

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Röm i s che Mos a i ke Ta fel 1 Ornamentales Mosaik Die älteste, uns bekannte Anweisung zur Herstellung eines Fußboden­ mosaiks stammt aus der Zeit zwischen 256 und 246 v. Chr. Ort: Italien, Aquileia Foto: Rudolf Franz Ertl

Mehrfarbiges Fußbodenmosaik aus Thuburbo Maius (Tunesien). Die römischen Provinzen Nordafrikas sind bekannt für prächtige bunte ­Mosaike. Aufbewahrung: Deutschland, Nenning (Saarland) Foto: Rudolf Franz Ertl

Figurale Darstellung einer Zirkusszene Ein Tierkämpfer tötet mit seiner Lanze einen Geparden. Aufbewahrung: Deutschland, Nennig (Saarland) Foto: Helmut Leitner

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Buntes Fußbodenmosaik aus Thuburbo Maius (Tunesien), das an einen Webteppich erinnert. Das Museum in Tunis verwahrt ­faszinierend schöne Mosaike. Aufbewahrung: Deutschland, Nennig (Saarland) Foto: Rudolf Franz Ertl

Flechtbänder und -ornamente sowie Schachbrettmuster sind im ­Römischen Reich ubiquitär ­a nzutreffen. Ort: Türkei, Sardes (Lykien – Antalya) Foto: Lukas Kalchhauser

Figurale Darstellung zweier Musiker Links ein Orgelspieler, rechts ein Blechbläser. Aufbewahrung: Deutschland, Nennig (Saarland) Foto: Helmut Leitner

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Röm i s che Mos a i ke Ta fel 2 Ornamentales Mosaik aus unterschiedlich gefärbten ­w ürfelförmigen Steinchen. Ort: Italien, Rom, Thermen des Caracalla Foto: Rudolf Franz Ertl

Ornamentaler Bodenbelag aus geschnittenen farbigen ­M armorplatten. Prächtig ist auch der von S­ eptimius Severus in Auftrag g­ egebene restaurierte ­M armorplattenboden im römischen Pantheon. Ort: Italien, Rom, Kapitol Foto: Rudolf Franz Ertl

Marmorintarsie In den Provinzen entstanden die ­qualitätvollsten Mosaike in der Zeit des Dominats. Ein Zentrum des ­spätantiken Mosaiks und der Stein­intarsien war Syrien. Ort: Türkei, Sardes (Izmir) Foto: Lukas Kalchhauser

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Schwarzweiß-Mosaike sind eine typisch italische ­Entwicklung, wie wir sie von vielen Böden in Ostia, Aquileia und Pola kennen. Ort: Italien, Rom, Thermen des Caracalla Foto: Rudolf Franz Ertl

Steinintarsie aus unterschiedlich gefärbtem Marmor und rotvioletter Kalkbreccie. Ort: Türkei, Sardes (Izmir) Foto: Lukas Kalchhauser

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Darstellung eines Gladiatorenkampfes zwischen einem retiarius und einem secutor. Dazwischen steht der Schiedsrichter. Typische Waffen für den leicht bekleideten retiarius waren sein Netz, der Dreizack und seine bronzene Schulterwaffe über der manica auf der linken Schulter (galerus) sowie ein Dolch. Belegt ist dieser Kämpfertyp erst ab der Mitte des 1. Jh. n. Chr. Es ist demnach kaum anzunehmen, dass zur Zeit des Spartacus-­ Aufstandes Netzkämpfer zum Einsatz in der Arena kamen. Standardgegner des retiarius war häufig der secutor, der auf den murmillo zurückgeht. Der secutor (Verfolger) verfügte ebenso über das gerade Kurzschwert (gladius), den recht­ eckigen Schild (scutum) und einen Beinschutz (ocrea). Lediglich den eiförmigen Helm dürfte der secutor vom essedarius übernommen haben. Statt gegen den secutor kämpfte der retiarius mitunter auch gegen den scissor.
Kampftaktik bei einem Kampf zwischen einem retiarius und einem secutor war ein optimales Haushalten mit den eigenen Kräften. Wie auf Hunderten Darstellungen zu sehen, war die Grundstellung der meisten Schwert- und Schildkämpfer, dass die Rechtshänder den linken Fuß vorsetzten, entgegengesetzt die Linkshänder. Der Schild wurde über dem vorgesetzten Bein eng an die Schulter angepresst getragen, das Schwert horizontal mit nach hinten abgewinkeltem Arm zum Angriff bereit gehalten. Angedeutete Ausfälle sollten den Gegner zu verfrühten R ­ eaktionen verlocken, wobei der retiarius stets Gefahr lief, sein Wurfnetz (rete) zu verlieren. Angriffe des retiarius wurden sinnvollerweise mit dem Schild abgewehrt. Der Leichtbewaffnete versuchte den Kampf in die Länge zu ziehen, um den schwerbewaffneten secutor zu ermüden. Letzterer ver­suchte seine Nahkampfstärke auszuspielen, der retiarius musste Distanz w ­ ahren.
Selten konnte einer der beiden Kontrahenten während des Kampfes einen tödlichen Stich anbringen, die Auseinandersetzungen wurden vielmehr durch Verwundung eines Gegners oder Erschöpfung entschieden. Den Ausführungen Marcus Junkelmanns (2002) zufolge erhob der Besiegte die linke Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger:

Es gab daher das Sprichwort ‚ad digitum pugnare‘ – ‚bis zum Zeigefinger kämpfen‘, d. h. bis zur Entscheidung. In diesem Fall stellte sich der obere Schiedsrichter (­ summa rudis) zwischen die Kämpfer, um zu verhindern, dass der nun wehrlose Verlierer weiter angegriffen wurde. Nach der Bitte um Entlassung entschieden Spielleiter und/oder das ­Publikum über das Schicksal des Besiegten, allerdings nicht wie in Hollywood-Filmen mit nach oben ausgestrecktem Daumen, sondern mit ­ausgestreckter Faust. Mit nach unten gestrecktem Daumen wurde das T ­ odesurteil verlangt. Ein fairer, ­langer und tapferer, aber unentschiedener Kampf konnte „mit stehender Entlassung“ (stantes missi) enden. Aufbewahrung: Deutschland, Nenning (Saarland) Foto: Helmut Leitner

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Gladiatorenkampf Nachstellung des im Mosaik von Nennig dargestellten Gladiatorenkampfes im Rahmen eines ­Programmes der empirisch experimentellen Archäologie. Ort: Österreich, Carnuntum (Niederösterreich) Foto: Norbert Maly

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Prächtiges römisches Fußbodenmosaik mit Medusenhaupt. Aufbewahrung: Deutschland, Berlin, Pergamon-Museum Foto: Lukas Kalchhauser

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KAPITEL II

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Brunnen Kleiner öffentlicher Brunnen aus dem 1. Jh.  n. Chr. Ort: Italien, Pompeji (Campania) Foto: Norbert Maly

Aqua Marcia – Rom Noch immer liefert diese Leitung Wasser für die ­ öffentlichen Brunnen, von denen es bereits im alten Rom viele Hunderte, vermutlich sogar mehr als tausend gab. Ort: Italien, Rom Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL II

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Toilette Sowohl in den öffentlichen Toiletten als auch in den Palästen und Privathäusern reihte sich Sitz an Sitz. Heute undenkbar, damals völlig normal, dass man sich in diesen Räumlichkeiten zu ­G esprächen traf, um zu politisieren, zu philosophieren und die gerade nicht Anwesenden auszurichten. Toilette in der Kaiser-Sommerresidenz Herkulia. Ort: Italien, Villa Casale (Sizilien) Foto: Rudolf Franz Ertl

Kanaldeckel „La bocca della verità“ – der „Mund der Wahrheit“ – ein antiker Kanaldeckel. Ort: Italien, Rom Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL II

Wasser aus dem Fluss Solange die Flüsse und das Grundwasser noch Trinkwasserqualität hatten, gab es keine ­Versorgungsprobleme mit dem feuchten Nass. Doch damals – ebenso wie heute – verschmutzten die Menschen ihren Lebensraum und begriffen nicht, dass die Reparaturmechanismen der Natur begrenzt sind. Sauberes Trinkwasser wurde schon in den antiken Städten zur Seltenheit, was die Zuleitung von sauberem Wasser aus dem Umland erforderlich machte. Ort: Türkei, Manavgat-Fluss an der türkischen Südküste unweit Side Foto: Helmut Leitner

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Wasser aus den Wadis In trockenen Regionen wurde in den wenigen Niederschlagsphasen das ­Wasser aus den Wadis ­abgeleitet und in unterirdischen Zisternen gespeichert. Ort: Tunesien, namenloser Wadi unweit Hammamet Foto: Friedrich Grotensohn

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KAPITEL II

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Chorobat-Rekonstruktionen Quelle: Cesare Cesariano, Vitruvius. De architectura libri X. Como. 1521 Aufbewahrung: Österreich, Wien, Archiv Vienna Press

Wasser aus dem Stausee In vielen wasserarmen Regionen wurden in der Antike Staudämme gebaut, Flüsse aufgestaut und in den Städten Wasserreservoire geschaffen. Ort: Spanien, Minglanilla, Stausee am Oberlauf des Rio Gabriel Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL II

Chorobat-Rekonstruktion Quelle: Fra Giovanni da Verona, Florenz 1522 Aufbewahrung: Österreich, Wien, Archiv Vienna Press

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Holzschnitt aus der ersten deutschsprachigen Ausgabe der Schriften des Vitruv, auf der die rekonstruierten ­Vermessungsgeräte Chorobat, Wasserwaage, die Vorläufer des Theodolithen und eine Messlatte zu sehen sind. Quelle: Walter Hermann Ryff (Gualtherus Hermenius Rivius), Nürnberg 1548 Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl

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KAPITEL II

Darstellung einer Groma mit vier Loten Rekonstruktionszeichnung nach dem Fund in Pompeji. Quellen: Klaus Grewe (1985): Planung und Trassierung römischer Wasserleitungen. Schriftenreihe der Frontinus-Gesellschaft; Heinz-Otto Lamprecht (1984, 1993): Opus Caementicium. Bautechnik der Römer. Beton-Verlag, Düsseldorf. Umzeichnung: Rudolf Franz Ertl

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Pentagondodekaeder Der geheimnisvolle Hohlkörper aus Bronze mit unterschiedlich großen Löchern auf allen zwölf ­Flächen diente angeblich ebenfalls zur Geländevermessung. Durch zwei gegenüberliegende Löcher wurde ein genormter Maßstab anvisiert und damit die Entfernung des Messstabes bestimmt. Quellen: F. Kurzweil (1957): Das Pentagondodekaeder des Museums Carnuntinum und seine Zweckbestimmung. Carnuntum-­Jahrbuch 1956; Rudolf Franz Ertl (1969a): Löcher zum Messen; Rudolf Franz Ertl (1972): Österreicher löste Cerams Rätsel Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL II

Das Nymphäum von Perge zählte einst zu den schönsten Quellfassungen, wenngleich es wesentlich kleiner war als jene von Side, Aspendos und Sagalassos. Foto: Helmut Leitner

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Zuschlagsstoff Trass Als hydraulische Bindemittel wurden Puzzolanerde (vulkanischer Tuffboden – anfänglich aus ­Pozzuoli), die auf der Insel Thera (Santorin) gewonnene Santorin-Erde und Trass verwendet. Dieses Bindemittel konnte bislang u. a. in einem römischen Hafenspeicher und in einem Wasserbecken in Köln nachgewiesen werden. Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL II

Österreichs bedeutendstes Trassvorkommen befindet sich im jungtertiären Eruptivgebiet. Ort: Österreich, Gossendorf (unweit Bad Gleichenberg, Oststeiermark) Foto: Rudolf Franz Ertl

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Vulcanello Sowohl Puzzolanerde als auch Santorin-Erde und Trass sind ausnahmslos Produkte vulkanischer ­A ktivitäten. Vulkanstaub, Vulkanasche oder Lapilli werden bei Vulkanausbrüchen oft massenhaft ­ausgeschleudert. Feinkörnige Tephra kann schnell zu Tuff verhärten, weil der Hauptgemengteil ­v ulkanischer Glasstaub thermodynamisch instabil ist. Das bedeutet, dass er problemlos mit Grund­ wasser (oder Meerwasser) reagiert, wobei sich neben dem Calcium vor allem die Alkalien und einige andere Elemente aus dem Glas lösen und in den offenen Porenräumen vorwiegend Zeolithe ­bilden, die ihrerseits die Partikel zusammenzementieren. Abgelagert wird das Material durch ­Aschewolken oder pyroklastische Ströme, aus denen sich die Fallout-Ablagerungen bilden. Aschenfall bedeckt die Landschaft großflächig, die Ablagerungen aus pyroklastischen Strömen sind zumeist auf Täler beschränkt. Ignimbrite sind überwiegend verschweißte Aschestromablagerungen, die primär im Zuge von pyroklastischen Glutwolken abgelagert wurden. Tuff – von diffig (mundartlich = locker) – ist ein dichtgepresstes Gemisch aus Pyroklasten, vornehmlich vulkanischer Asche und winzigen ­Lapilli. Ort: Italien, Liparische Inseln nördlich von Sizilien, Halbinsel Vulcanello (Teil der Insel Vulcano) Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL II

Altägyptische Architekten- und Handwerker-Utensilien Maßstab aus der Zeit der Pharaonen. Foto: Archiv Vienna Press

Altägyptische Architekten- und Handwerker-Utensilien Altägyptisches rechtwinkeliges Dreieck mit Lot. Foto: Archiv Vienna Press

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Altägyptische Architektenund Handwerker-Utensilien Altägyptisches Anlege-Lot. Foto: Archiv Vienna Press

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KAPITEL II

Grabplatte des Lucius Alfius und seiner Angehörigen. Literatur: J. B. Brusin (1991): Inscriptiones Aquileiae. Deputazione di Storia Patria per il Friuli. Pars prima, pag. 331. Aufbewahrung: Italien, Museum Aquileia Foto: Norbert Maly

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Detail der Grabplatte des Lucius Alfius Das Flachrelief zeigt deutlich die wichtigsten Utensilien des Architekten: Maßstab, rechtwinkeliges Dreieck mit Lot, Zirkel, Anlegewinkel, Lot mit Schnur, Steinmetzhammer und fünf Schreibtäfelchen. Aufbewahrung: Italien, Museum Aquileia Foto: Norbert Maly

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KAPITEL II

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Römischer Bronzezirkel Aufbewahrung: vermutlich Deutschland, München, Privatbesitz Foto: Helmut Leitner

Schreibgriffel aus Bronze und Bein. Aufbewahrung: Römisch-Germanisches Museum Köln und Privatbesitz Foto: Helmut Leitner

Tintenfass mit Deckel aus Bronze, reich mit Emailverzierungen versehen. Aufbewahrung: Deutschland, Köln, Römisch-Germanisches Museum Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL II

Hölzerne Rohrleitung mit Metallring (Ansatzstutzen). Aufbewahrung: Österreich, Petronell, Museum des Auxiliarkastells Foto: Rudolf Franz Ertl

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Tonrohr der Trinkwasserzuleitung zu einer antiken Siedlung. Ort: Türkei, Iasos Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL II

Bruchstück eines Tonrohres mit Ansatzstutzen einer Trinkwasserleitung. Ort: Türkei, Stratonikeia Foto: Rudolf Franz Ertl

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Bleirohrleitung (Fragment) Aufbewahrung: Österreich, Museum Aguntum (Osttirol) Foto: Friedrich Jelinek

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KAPITEL II

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Stark oxidierte Bleirohre aus dem Wasserzuleitungsnetz der Römerstadt Julium Carnicum (heute Zuglio südlich von Arta T ­ erme/Friaul). Die antike Stadt wurde bereits einige Dezennien vor Christi Geburt zum Schutz der in die Provinz Noricum führenden via Julia Augusta gegründet. Die Römerstraße führt von A ­ quileia über Ad Tricesimum, Julium Carnicum und die Statio Temaviensis nach Norden bis Aguntum, ein Abzweiger über die Statio Bilachiniensis nach Santicum (Villach). Aufbewahrung: Italien, Friaul, Ortsmuseum von Zuglio südlich von Arta Terme Fotos: Sepp Fleissner

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KAPITEL II

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Unterschiedliche Ausführungen römischer Bleirohre Quellen: Bernd Gockel (1989): Bleirohre und K. A. Tietze: Ausführungen römischer Bleirohre. In: Frontinus-Gesellschaft e. V. (Hrsg., 1989): Sextus Iulius Frontinus, Wasserversorgung im antiken Rom; A. Trevor Hodge (2002), Roman Aqueducts and Water Supply; Petra Mayrhofer (2012): Römische Haustechnik – Wasserversorgung und Heizung im Wohnbau; Fundstücke aus Pompeji und Zuglio Zeichnung: Rudolf Franz Ertl

Eine seltene Form der Wasserzuleitung ist diese offene Steinrinne. Ort: Türkei, Selge Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL II

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Beschriftung von Bleirohren aus dem Jahr 79 n. Chr. Die Inschrift IMP·VESPVIIIIT IMP·VIICOS·CN·IVLIO·AGRICOLALEG·AVG·PR·P. ermöglicht eine eindeutige Datierung. Imperator Caesar Vespasianus Augustus bekleidete in diesem Jahr sein neuntes Konsulat als consul ordinarius, sein Sohn Titus Caesar Augustus sein siebentes Konsulat.30 Statthalter in Britannien war zu dieser Zeit Gnaeus lulius Agricola. Aufbewahrung: Großbritannien, Grosvenor-Museum Zeichnung: Rudolf Franz Ertl

Archaische Wasserleitung aus Bleirohren mit Steinmuffen. Ort: Türkei, Ephesos (Artemision) Quelle: F. Hueber: Ephesos – gebaute Geschichte (1997) Zeichnung: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL II

Die Scheidung der Bleierze Das Scheideort A. – Die aufgesetzten Bretter B. – Der Hammer C. – Der Quetscher D. – Das Erzfässchen E. – Der Erzeimer F. – Eisenstab G.

Die Scheidung der Bleierze vom tauben Gestein im sogenannten Scheidcram. Quelle: Agricola (1556): De Re metallica Libri XII. Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Das Rösten der sulfidischen Bleierze Der Röststadel A. – Die Hölzer B. – Das Erz C. – Die Gestalt des Kegels D. – Das Wassergerinne E.

Sulfidische Erze wurden aus zwei Gründen geröstet: Durch das Erhitzen wurde das Erz einerseits vom Schwefel befreit und andererseits mürbe gemacht. Bleierze wurden auf einen Röststadel mit geneigter Sohle gelegt und erhitzt. Das auf diese Weise geröstete Erz zerfließt und wird den Schlacken ähnlich. Quelle: Agricola (1556): De Re metallica Libri XII. Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen

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KAPITEL II

Drei Öfen A B C Drei Öfen A B C. – Am ersten steht der Schmelzer, der das Blei aus dem Vorherd in die Gussformen auskellt. – Der Vorherd D. – Die Kelle E. – Die Gussformen F. – Der runde hölzerne Stampfer G. – Am zweiten Ofen steht der Schmelzer, der den Stich öffnet. – Das Stecheisen H. – Am dritten, aufgebrochenen Ofen steht der Arbeiter auf der ­angelehnten Treppe und stößt die Ansätze ab. – Die Treppe I. – Der Spatel K. – Ein Schlackenhaken L .– Der Aufseher trägt einen Kuchen, in den er eine Spitzhacke eingeschlagen hat, zur Waage M. – Ein anderer Aufseher öffnet eine Kiste, in der er die ihn gehörigen Sachen aufbewahrt N.

Nach Agricola wurden Bleierze in großen und höheren ­G ebläseschachtöfen (mit mehr Volumen als die Standardschachtöfen) geschmolzen. Quelle: Agricola (1556): De Re metallica Libri XII. Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

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KAPITEL II

Der Kärntner Ofen Der Kärntner Ofen A. – Die eine niedrige Mauer B. – Holz C. – Das Erz mit dem heraustropfenden Blei D. – Der große Tiegel E. – Die kleinen Tiegel F. – Die Kelle G. – Bleikuchen H. – Die rechteckige ­Ö ffnung in der Rückwand des Ofens I. – Der sächsische Ofen K. - Die Öffnung in der Rückwand des Ofens L. – Holz M. – Der obere Tiegel N. – Der untere Tiegel O. – Das Schmelzverfahren der Westfalen P. – Kohlenhaufen Q. – Strohbündel R. – Die flachen Bleikuchen S. – Der Tiegel T. – Der ungarische Herd V.

Der Kärntner Ofen kam stets dann zum Einsatz, wenn ­edelmetallhaltige Erze geschmolzen werden sollten. Die für diesen Prozess genutzten Öfen waren Gebläseschachtöfen mit zwei Vorherden. Quelle: Agricola (1556): De Re metallica Libri XII. Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

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KAPITEL II

Bleiglanz und sulfidische Erze Erzstufe: Calcit CaCO3 mit Bleiglanz PbS und Markasit FeS 2. Fundort: Slowenien, Bleigrube von Mezica (vormals Mies) Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl Foto: Bogdan Winnicki

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Bleiglanz (Galenit), chemische Formel PbS, ist das mit Abstand wichtigste Bleierz. Fundort: Österreich, Bleiberg, Kärnten Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL II

Das Gelbbleierz Wulfenit (chemische Formel Pb[MoO4]), verdankt seinen Namen dem berühmten Mineralogen und ­Naturforscher Freiherr von Wulfen, nach dem auch die seltene Pflanze Wulfenia benannt ist. Fundort: Slowenien, Bleigrube von Mezica (vormals Mies) Aufbewahrung: Privatbesitz Foto: Rudolf Franz Ertl

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Kupferstufe zur Bronzeherstellung Meist findet sich Kupfer in der Natur als Kupferkies CuFeS3, Malachit Cu 2[(OH) 2 /CO3] oder Azurit Cu3[(OH)/CO3]2. Lange Zeit, bevor das Eisen entdeckt wurde, fanden die Menschen im ausgehenden Neolthikum Kupfererze, aus denen sie das begehrte Metall gewannen. Es wurde namengebend für die Kupferzeit, früher auch als Kupfersteinzeit oder Äneolithikum bezeichnet. Die Entdeckung des Zinns ermöglichte die wichtigste Legierung der frühen Metallzeiten: die Bronze. Legierungen mit Zink ergaben Messing. Abgesehen von Numismatikern ist kaum bekannt, dass es römische ­Messingmünzen gab (vgl. Glossar, D = 10). Wenn hier von Messing die Rede ist, dann ist damit das messingähnliche orichalcum (volksetymologisch aurichalcum) gemeint, eine Legierung aus 80 bis 85 % Kupfer und 15 bis 20 % Zink. Für die Herausgabe der Scheidemünzen war der Senat verantwortlich, deshalb die Aufschrift S-C = Senatus consulto = auf Beschluss des Senates. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL II

Sulfidische Erze treten in der Natur oft gemeinsam auf. Bleiglanz PbS, Pyrit FeS 2, Pyrrhotin FeS-Fe5 S 6 und Zinkblende (Sphalerit) α -ZnS mit Rhodochrosit MnCO3 auf Calcit CaCO3. Fundort: Kosovo, Grube Trepca Aufbewahrung: Privatbesitz Foto: Rudolf Franz Ertl

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Durchgangshahn aus dem Nemisee Quelle: Nach einer Zeichnung von G. Ucelli, in: Fritz Kretzschmer (1961): Römische Wasserhähne Umzeichnung: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL II

Durchgangshahn aus Pompeji Aufbewahrung: Italien, Museo Nazionale di Napoli
 Foto: Norbert Maly

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RÖMISCHE WASSERBAUTECHNIK

Zapfhahn aus Besançon Quelle: nach einem Foto von P. Lebel, in: Fritz Kretzschmer (1961): Römische Wasserhähne Zeichnung: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL II

Umschalthahn aus Petinesca Quelle: Nach einer Zeichnung von Fritz Kretzschmer (1961): Römische Wasserhähne Umzeichnung: Rudolf Franz Ertl

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

K A PIT E L I I I AQ UÄ D U K T E U N D N Y M P H Ä E N I M RÖ M I S C H E N R E I C H

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KAPITEL III

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AQUÄ DU KT E , WASSE R M E SSE R, N Y M PH Ä E N Die imposantesten Wasserbauwerke sind fraglos die Aquädukte, im Speziellen die Aquäduktbrücken und die Leitungstürme (colliviaria oder colliquiaria). Wie bereits in den ersten beiden Kapiteln beschrieben, erlaubte erst die völlige Beherrschung subtiler Nivellierung eine unterbruchslose Überlandführung (men­ sura declivitatis), mit einem Gefälle von 1:100 bis 1:5000. Quell- oder gefiltertes Flusswasser wurde in einem Kanal (specus) mit rechteckigem Querschnitt gesammelt, der leicht zugänglich, mit Luftschächten in regelmäßigen Abständen versehen und mit speziellem Belag (opus signium) abgedichtet war. An der Stadtperipherie war er an Reservoire (piscinae limariae) oder an Verteilerbecken (castella) angeschlossen, von wo aus das Wasser gereinigt dem städtischen Wasserleitungssystem zugeleitet wurde. Angesichts der permanenten Kriegszustände in vorrömischer Zeit wurden die frühen Wasserleitungen nahezu ausnahmslos unterirdisch verlegt. Erst nach dem Ende der Punischen Kriege, als die Römer ihr Stammland als dauerhaft gesichert betrachten konnten, begannen sie ihre aufwendigen Wasserleitungen auch ober­irdisch zu führen. Erste Freispiegelleitung war die 144 v. Chr. eröffnete Aqua ­Marcia in Rom. Dennoch sollte es noch hundert Jahre dauern, bis der Wasserleitungsbau in Rom in Schwung kam. Abgesehen von der Erfassung der unterschiedlichsten Quellgebiete haben die Römer auch Oberflächenwasser aus Flüssen und Seen in ihr Versorgungsnetz miteinbezogen. Häufig wurde Wasser auch durch Wehre aufgestaut, mitunter sogar mit mächtigen Staumauern und imposanten Sperrdämmen. Bautechnisch ideal ­waren drucklose Gefälleleitungen mit Quellfassungen, die wesentlich höher lagen als die Leitungsendpunkte.

Bogenkonstruktionen Charakteristisch für Aquädukte sind die Bogenkonstruktionen. Bögen waren bereits in vorrömischer Zeit im östlichen Mittelmeerraum bekannt. Von ihnen unterschied sich der römische fornix wesentlich durch die klare Fügung seiner Bauteile. Der Hausteinbogen war die Basis für den späteren Backsteinbogen. In augusteischer Zeit wurden fünfseitig geschnittene Steinblöcke entwickelt, die eine bessere horizontale und vertikale Verbindung zum umgebenden Mauerwerk ermöglichten. Damit war die Basis für große Bogenbauten wie Triumphbögen, Brücken und Aquädukte geschaffen. Vielleicht ist es die Zweckmäßigkeit der Architektur, verbunden mit einer ästhetischen Abfolge der zumeist vollendet proportionierten Bauglieder, dass wir bewusst oder unbewusst diese Bauwerke nicht als Störfaktoren in der Naturlandschaft, sondern vielmehr als sich harmonisch einfügende Elemente empfinden. Überdies wurden die Aquäduktbögen mehrfach durch Gesimse oder Pilaster gegliedert, in Ausnahmefällen sogar mit Marmor verkleidet.

Siehe Abbildung S. 184

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BE K A N N T E RÖM ISC H E WASSE R L EI T U NGSBAU W E R K E AQUÄDUKTE Italien Siehe ­Abbildungen S. 185–187

Rom Zu den Aquädukten Roms siehe nähere Details im Kapitel I, „Roms Wasserleitungen“.31

Frankreich

Siehe Abbildung S. 188

Nemausium (Nîmes, Provence) Zur Verbesserung der Wasserversorgung der römischen Stadt Nemausus (das römische Nîmes) wurde eine 50 km lange Wasserleitung angelegt.32 Zwei starke Quellen unmittelbar bei Uzes, die Fontaines d’Eure und d’Avian, wurden im Auftrag der Stadtverwaltung gefasst. Das Wasser wurde in einem Hangkanal, über Brückenkonstruktionen, durch zwei Tunnel von je 400 m Länge und durch zwei kürzere von nur 60 bis 70 m Länge sowie über den Pont du Gard in die Stadt geführt. Die niedrige Höhenlage der Quellenfassung gegenüber der Stadt bedingte eine äußerst sorgfältige Vermessung der Trasse. Die Leitung, die mit einem Gefälle von nur rund 34 cm/km gebaut werden musste, hat eine Breite von rund 1,35 m, eine Höhe von rund 1,65 m und endet in einem Wasserverteiler. Die enormen Sinterablagerungen aus dem kalkhaltigen Wasser gestatten die Abschätzung des Wasserstandes im Kanalquerschnitt und damit die Berechnung des Durchflusses der Leitung. Danach flossen etwa 20.000 bis 30.000 m3 Trinkwasser täglich nach Nemausus. Damit stand der Stadt eine große Wassermenge zur Verfügung. Der Bau der Wasserleitung wird häufig auf Marcus Vipsanius Agrippa zurückgeführt, was allerdings nicht glaubhaft ist, denn Agrippa weilte im Jahre 19 v. Chr. in Nemausus, und damals war die Stadt gerade erst einmal sieben Jahre alt und noch längst nicht voll ausgebaut.

Spanien Tarragona (Catalunya) Die Wasserleitung von Tarragona hat nach Curth Merckel eine Gesamtlänge von 35 km. Ihre Erbauungszeit ist bislang nicht bekannt, wird aber der Regierung des Kaisers Augustus zugerechnet. Die Länge der Talbrücke beträgt nach Casado 200 m und nach Grewe 249 m. Sie besteht aus zwei Arkaden, von denen die untere 11 und die obere Arkade 25 Bögen besitzt. Die Pfeilerabmessungen werden von Casado für den unteren Bogengang mit 3,75 m x 3,08 m und für den oberen Bogengang mit 2,05 m x 1,86 m angegeben. Die lichte Weite zwischen den beiden südlichsten Pfeilern der unteren Bogenreihe wurde von Grewe mit 3,57 m ermittelt. Die maximale Höhe der Talbrücke soll 26 m betragen.

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

Segovia (Castilla y León) Der Aquädukt von Segovia33 wurde ebenso wie der Pont du Gard im Trockenverbundmauerwerk (allerdings aus Granitquadern) errichtet. Das eindrucksvolle Bauwerk besteht aus 119 zu einem Drittel doppelstöckigen Bögen, erreicht eine Maximalhöhe von 28 m und ist 813 m lang. Der Aquädukt wird noch heute für die Wasserversorgung genutzt. Im 19. Jahrhundert wurde eine Wasserrohrleitung im Gerinne verlegt. Aus vielen undichten Rohrmuffen konnte Wasser ungehindert in das Bauwerk eindringen. Das raue Winterklima und die heißen Sommer mit häufig extremen Temperaturen dürften diese Einwirkungen verstärkt haben. Vor allem der Spaltenfrost hatte zu fortschreitenden Erosionen geführt. Erst zu Beginn der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts wurde der Aquädukt renoviert. Die Fugen des Gerinnes wurden abgedichtet, klaffende Fugen des Mauerwerkes durch Injektionen mit Zementmörtel oder Epoxidharzen geschlossen. Die beiden großen Inschriftenfelder an der Aquäduktbrücke von Segovia weisen heute nur mehr Dübellöcher auf. Was vermutlich niemand für möglich hielt, gelang Géza Alföldy im Jahr 1992. Die einst vergoldeten Bronzebuchstaben (Versalien) waren vormals mit Stiften montiert. Aus der Anordnung der Löcher konnte Alföldy in mühsamer Kleinarbeit den nahezu gleichlautenden Text der beiden, etwa 17 m langen Inschriften rekonstruieren:

IMP (ERATORIS) NERVAE TRAIANI CAES (ARIS) AVG (VSTI) GERM (ANICI) · P (ONTIFICIS) M (AXIMI) · TR (IBVNICIA) P (OTESTATE) II · CO (N) S (VLIS) II · PATRIS PATRIAE IVSSV P (VBLIVS) MVMMIVS MVMMIANVS ET P (VBLIVS) FABIVS TAVRVS IIVIRI MVNIC (IPII) FL (AVII) SEGOVIENSIVM AQVAM RESTITVERVNT

Daraus ist ersichtlich, dass die Aquäduktbrücke von Segovia unter Kaiser Trajan im Jahre 98 n. Chr. restauriert wurde. Erbaut wurde die Brücke fraglos wesentlich früher, vermutlich unter Kaiser Domitian.

Siehe Abbildung S. 189

Emerita Augusta (Mérida, Extremadura) Die Aquäduktbrücke über den Rio Albarregas leitete Wasser nach Emerita Augusta (Hispanien, heute Mérida in Spanien). Der arcos dieses Aquäduktes wird von den Einheimischen als „Los Milagros“ bezeichnet. Die Erbauungszeit der Bogenbrücken von Emerita Augusta ist unbekannt. Sie wird ebenso wie die des zweiten Aquäduktes von Mérida (S. Lazaro) von Casado der Regierungszeit des Kaisers Hadrian zugeordnet. Die Höhe der Pfeiler beträgt nach E. Thofern zwischen 26  m und 28 m und die Spannweite der Bögen zwischen 7,30 m und 7,55 m.34 Castella aquae Die Wasserleitungen mündeten zumeist in Verteilern (castella aquae), wo das Wasser gestaut und nochmals gefiltert wurde, oder in Teichen. Mittels verschließbarer Durchlässe und einer ausgefeilten differenzierten Regelungsmechanik konnte das Wasser je nach Bedarf bzw. Bedarfszuweisung über Kanäle oder Rohre zu den öffentlichen Institutionen (Laufbrunnen, Zierbrunnen, Nymphäen, Teiche und Bäder) und zu den privaten Verbrauchern weitergeleitet werden.

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KAPITEL III

Die Benutzung der öffentlichen Wasserstellen war für die Bevölkerung kostenlos, für Privatanschlüsse (Wohlhabende, Handwerker, Gewerbebetriebe) mussten die Zugangsrechte über den städtischen Dekurionenrat erworben werden, die anfallenden Baukosten wurden verrechnet und darüber hinaus auch Abgaben für die Wasserlieferungen kassiert.

Tunesien Siehe ­Abbildungen S. 190–192

Karthago (unweit Tunis) Im Ruinenfeld des antiken Karthago befinden sich die bedeutendsten römischen Thermenanlagen auf afrikanischem Boden. Es sind die Thermen des A ­ ntoninus Pius, deren Ausstattung erst unter Marc Aurel und Lucius Verus im Jahr 162  n.  Chr. vollendet war. Die Wasserversorgung – sowohl der Thermen als auch der Stadt – erfolgte durch eine mehr als 100 km lange Fernwasserleitung aus dem Djebel Zaghouan.35 Die Quelle lag auf 290 m Seehöhe. Die Trasse der Fernwasserleitung führt durch recht unwirtliches Gelände, zum Teil durch wüstenartige Regionen, vorbei an Salzseen mit wechselndem Wasserstand. Etwa ein Viertel der Gesamtlänge bestand aus Bogenbrücken. Die Fernwasserleitung endete sehr wahrscheinlich in zwei Wasserspeichern von jeweils etwa 30.000 m3 Fassungsvermögen.

Türkei Side (Pamphylien) Der Manavgat-Fluss wurde in der Antike in seinem Quellbereich (Dumalı-Quelle mit etwa 50 m3 Schüttung/sec.) gefasst und das Wasser von römischen Ingenieuren nach Side geleitet. Die Leitung wurde als Freispiegelleitung konzipiert (Gefällefernleitung), was freilich die Strecke gegenüber der Luftlinie um 5 km auf 30 km verlängerte, und das bei einem Höhenunterschied von nur 36 m. Das bedeutet ein durchschnittliches Gefälle von 1,2 ‰. Allerdings mussten bei der gewählten Streckenführung 13 km der Gesamtlänge unter Tag als Tunnelstrecke (Qanat-Bauweise) ausgebaut werden, und darüber hinaus wurden 22 Aquäduktbrücken und eine Hochleitungsstrecke vor der Stadt erforderlich. Die erhaltenen Baureste sind heute noch eindrucksvoll, wenngleich manche auf Grund von Erdbeben entstandenen Bauwerksrisse nicht zu übersehen sind.36 Wann die Leitung errichtet wurde, ist unbekannt, vermutlich war es nach Grewe in der 2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr., wobei die Leitung im ersten Viertel des 3. Jh. n. Chr. gründlich renoviert wurde. Aspendos (Pamphylien) In erster Linie bauten die Römer – ebenso wie zuvor bereits die Griechen – drucklose Gefälleleitungen, schon seit hellenistischer Zeit wurden jedoch auch erste Druckrohrleitungen errichtet. Wie bei Dutzenden Wasserleitungen zu beobachten ist, benutzten die Römer bei tiefen Taleinschnitten und langen Talquerungen den Syphon, um keine riesigen Aquäduktbrücken bauen zu müssen. In den Aquädukten, die Lyon versorgten, gab es deren mehrere. Den Römern war der Gleichstand

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

des Wasserspiegels in kommunizierenden Gefäßen bekannt und sie nutzten diesen Umstand für den Wassertransport. Die Wasserleitung von Aspendos37 verfügte über eine Druckrohrwasserleitung und Leitungstürme (Colluviarien) mit dem zugehörigen Rampenbauwerk. Da weder in den Schriften des Vitruv noch des Plinius auf diese seltsam anmutenden Konstruktionen Bezug genommen wurde, rätselten Experten zunächst über deren Bedeutung. Eine einleuchtende Erklärung liefert Günther Garbrecht (1989):

Siehe ­Abbildungen S. 193–195

Der Grund für diese ungewöhnliche und vor allem aufwendige Ingenieurkonst­ ruktion konnte erst erfasst werden, als man erkannte, dass die ‚Leitungstürme‘ nur an Leitungsknicken angeordnet waren und dass die offene Fließstrecke in Höhe der Drucklinie lag. Infolge des statischen Wasserdruckes treten an den Leitungsknicken von Druckleitungen erhebliche Kräfte quer zur Leitungsachse auf, die heute mittels Widerlager oder längskraftschlüssiger Rohrverbindungen abgefangen werden […] Unter Druck stehende Leitungsknicke haben die Römer durch die hydraulischen Türme zwar aufwendig, aber effizient neutralisiert, indem sie die Leitung bis in Höhe der Drucklinie anhoben. So wurden der statische Wasserdruck verringert und etwaige Rohr- oder Muffenbrüche verhindert. Phaselis (Lykien) Die Kleinstadt Phaselis an der türkischen Südküste verfügte über eine aus dem gebirgigen Norden in die alte Handels- und Hafenstadt Phaselis an der lykischen Küste führende Wasserleitung und eine Zisterne nahe dem Hadrianstor.38

Siehe Abbildung S. 196

Constantinopolis (Istanbul) Die berühmteste Wasserleitung in die oströmische Metropole war der auf Befehl von Kaiser Valens (364 bis 378 n. Chr.) errichtete und nach ihm benannte ValensAquädukt.39 Zur Versorgung der Stadt gab es mehrere Vorgängerbauten. Doch selbst mit dieser Wasserleitung fanden die Bewohner der großen Stadt nicht ihr Auslangen und sowohl Kaiser als auch hohe Staatsbeamte stifteten wiederholt Zisternen. Dennoch reichten alle diese Bemühungen nicht aus, um Constantinopel mit annähernd der gleichen Wasserkapazität pro Einwohner und Tag zu versorgen, wie dies schon in der frühen Kaiserzeit in Rom der Fall war. Wiederholt kam es zu Engpässen. So sah sich Kaiser Theodosius I. (379 bis 395 n. Chr.) gezwungen, den Valens-Aquädukt mit einem weiteren Wasserleitungsbau zu verstärken. Patara Hinweise zum Delikkemer-Aquädukt – siehe Kapitel IV (Patara).

WASSERVERTEILER Die Ungenauigkeiten bei allen Wassermessungen im antiken Rom beruhten darauf, dass – wie bereits erwähnt – nur der Leitungsquerschnitt, aber nicht die Durchflussgeschwindigkeit des Wassers berücksichtigt wurde. Dementsprechend ungenau sind auch die Hochrechnungen auf die Wassermessungen. Zur Regelung der Wasserentnahme gab es etwa 25 cm lange genormte Bronzerohre – sogenannte

Siehe ­Abbildungen S. 197–198

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KAPITEL III

calices –, welche hinter dem Verteiler und vor dem Einlauf zum Verbraucher installiert wurden. Es gab nicht nur einen einzigen calix-Typ, sondern 25 verschiedene Größen ( je nach Querschnitt). Bronze wurde vermutlich deshalb verwendet, weil sie auf Grund ihrer Härte Manipulationen, die sich beim wesentlich leichteren Blei anboten, vereitelte.

NYMPHÄEN Die Bezeichnung Nymphäum leitet sich von den Quellnymphen her. Nach griechischer bzw. hellenistischer Auffassung handelte es sich bei den Nymphai um junge, attraktive weibliche Elementargeister im mannbaren Alter, die von den R ­ ömern zunächst als Lumpae bezeichnet wurden. Im Principat setzte sich jedoch die griechische Bezeichnung Nymphae durch. Manche erscheinen stets nur unter der Sammelbezeichnung, andere haben sich individualisiert, sind uns namentlich bekannt, so beispielsweise Daphne, Egeria, Kalypso und Iuthurna (= Juturna). Daphne, einer älteren Sage zufolge Tochter des Flussgottes Ladon, entzog sich den Nachstellungen des liebestollen Gottes Apollon durch Flucht und ließ sich in einen Lorbeerbaum verwandeln. Egeria war eine Quellnymphe – ob etruskischen oder römischen Ursprungs, ist ungeklärt und nach wie vor strittig. Die Nymphe Kalypso soll auf einer lieblichen Insel namens Ogygie gelebt haben und ist eine poetische Erfindung. Die Okeanide Kalypso (bei Hesiod), die gleichnamige Nereide (bei Euripides) und die Hesperide bei Homer verdanken ihren Namen fraglos der ogygischen Kalypso. Juturna hieß die Quellgottheit aus der Gegend von Lavinium, deren Name auf den lacus Iuturnae mit seinem angeblich heilkräftigen Wasser auf dem Forum Romanum übertragen wurde. Aus der Juturna-Quelle wurde das Wasser für alle offiziellen kultischen Handlungen und staatlichen Opfer Roms geholt. Ein gewisser Lutatius Catullus baute in republikanischer Zeit auf dem Marsfeld einen Tempel zu Ehren der Juturna. Die Juturnalien wurden alljährlich am 11. Jänner – besonders von den mit Wasser arbeitenden Handwerkern – gefeiert. Generell galten die Quellen den Römern als heilig, und neben den lokalen ­Juturnalien gab es sogar ein staatliches Fest am 13. Oktober, Fontanalien genannt. Anfänglich galten Dank und Bitte für reichliches Wasser der sich in der jeweiligen Quelle manifestierenden Göttlichkeit. Wie nicht anders zu erwarten, waren die frühen Götter Roms Naturgötter und wurden gestaltlos verehrt. Anthropomorphes Denken, wie es die Griechen zu dieser Zeit bereits praktizierten, war den Römern und frühen Italikern fremd, doch bald nahmen die Quellgötter und -göttinnen menschliche Gestalt an. So entstanden Fons und Fontis, Fonta, Fontana und Fontanus. Die Begriffe Fons, Fontis, Fonta, Fontana und Fontanus leben heute weiter, beispielsweise in den italienischen Begriffen fonte (= Quelle) und fontana (= Springbrunnen) sowie im spanischen fontanar (= Quelle), fontanero (= Brunnen), fontezuela (= Brünnlein) und im portugiesischen fonte und fontainha (= Quelle) bzw. fontanário (= öffentlicher Brunnen). Die römischen Nymphäen waren kaiserliche Monumentalbrunnen in den großen Städten. Ihr Name leitet sich vom Heiligtum der Quellnymphen (νυμφαῑον) her, sie hatten jedoch keinen realen Bezug zu den ursprünglichen Quellfassungen,

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

sondern wurden aus Wasserleitungen, zumeist über zwischengeschaltete Kastelle gespeist. Ein Castellum (dividiculum) war ein Wasserbehälter und Wasserverteiler am Ende einer Wasserleitung bzw. eines Aquäduktes an jener Stelle, wo die Wasserleitung das zu versorgende Areal (Stadtgebiet, Villenkomplex, Privatgärten) erreichte, oder an einer Stelle, wo es auf Grund der örtlichen Bedingungen erforderlich war. Castellum war auch die Bezeichnung für Türme aus Ziegel- oder Steinmauern mit tiefen Zisternen, ein Wasserschloss bzw. einen Wasserturm. Nymphäen zählen zu den Prachtbauten und waren in der Kaiserzeit zumeist überdimensioniert und damit beeindruckende, aber überfunktionale Monumentalkonstruktionen. Hinter dem Bassin erhob sich stets eine mehrstöckige, zumeist mit Statuen und Reliefs verzierte und gegliederte Schaufassade, aus welcher die Wassermassen in Kaskaden heraussprudelten. Errichtet wurden diese an Skenenwände gemahnenden Bauwerke am Ende von Straßenfluchten und als Blickfang auf Plätzen. Die prächtigsten Nymphäen sind aus Rom und den Ostprovinzen bekannt geworden, so aus Aspendos, Sagalassos, Side, Milet, Korinth, Antiocheia und Dutzenden anderen Städten. Bei der Errichtung an öffentlichen Plätzen ging es nicht nur um Prunksucht, sondern auch um die von Kaiser und Senat im Rahmen eines sozialpolitischen Programmes propagierte Wohlfahrt (salus comunis). Diese Botschaft sollte auch durch die Statuen der Salus, der Göttin der Wohlfahrt, dem Bürger vermittelt werden. Die große Zahl der vielen kleineren öffentlichen Brunnenanlagen (lacus und salientes) war architektonisch wesentlich bescheidener und schlichter in ihrer Ausführung.

Siehe ­Abbildungen S. 199–202

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KAPITEL III

Herkulia Aquäduktbogen der Wasserleitung zur kaiserlichen Sommerresidenz. Ort: Italien, Villa Casale (Sizilien) Foto: Rudolf Franz Ertl

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Via Appia Nuova Gemeinsames Aquädukt der Aqua Anio Novus und der Aqua Claudia. Ort: Italien, Rom Aufbewahrung: Wien, Sammlung Ertl, Historische Ansichtskarte (um 1900)

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KAPITEL III

Aqua Virgo Rekonstruktion der Aqua Virgo. Aufbewahrung: Wien, Sammlung Ertl, Xylographie aus der Zeit um 1900

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

Porta Maggiore Der Inschrift auf der Attika der Porta Praenestina ist zu entnehmen, dass der monumentale Überbau für die Aquädukte des Kaisers Claudius und des Anio Novus von den Kaisern Vespasianus und Titus restauriert wurde. Kaiser Aurelianus gliederte die Anlage in seine Stadtmauer ein. Quelle: Etienne Du Pérac, I Vestigi dell’ Antichità di Roma, Rom 1621, Ausschnitt Aufbewahrung: Wien, Sammlung Ertl

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KAPITEL III

Pont du Gard Die dreifache Bogenkonstruktion von 237 m Länge und 49 m Höhe war Teil jenes Aquäduktes, der Nemausus (Nîmes) mit Trinkwasser versorgte. Ort: Frankreich, Nîmes (Provence) Foto: Vienna Press

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

Aquädukt aus Granitquadern, renoviert in den 1970er-Jahren. Ort: Spanien, Segovia (Kastilien-León) Foto: Vienna Press

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KAPITEL III

Fernwasserleitung Eine Strecke von etwa 25 km Länge der 100 km langen Wasserleitung nach Karthago bestand aus einer ausgeklügelten Bogenbrücken-Konstruktion. Ort: Tunesien, Djebel Zaghouan Foto: Friedrich Grotensohn

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

Das Detail der ausgeklügelten Bogenbrücken-Konstruktion zeigt an der Spitze den gewölbeförmig ausgeführten Wasserleitungsquerschnitt. Ort: Tunesien, Djebel Zaghouan Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL III

Überreste der Bogenkonstruktion Selbst im Verfall noch imposant … Ort: Tunesien, Djebel Zaghouan Foto: Rudolf Franz Ertl

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

Überreste einer Druckrohrwasserleitung an deren beiden Knickpunkten ein noch heute beeindruckendes, etwa 30 m hohes Rampenbauwerk mit einem offenen Wasserbehälter (zwei sogenannte hydraulische Türme) errichtet wurde, um den Wasserdruck zu vermindern. Ort: Türkei, Aspendos (Pamphylien, Südtürkei) Foto: Norbert Maly

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KAPITEL III

Blick vom Rampenbauwerk auf den Aquädukt quer durch das Tal. Ort: Türkei, Aspendos (Pamphylien, Südtürkei) Foto: Helmut Leitner

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

Überreste des Aquäduktes Ort: Türkei, Aspendos (Pamphylien, Südtürkei) Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL III

Aus dem gebirgigen Norden in die alte Handels- und Hafenstadt Phaselis führende Wasserleitung. Ort: Türkei, Phaselis (Lykien – Antalya) Foto: Rudolf Franz Ertl

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

Wasserver­ teilung in einem Wasserschloss Quelle: Fritz ­K retzschmer: ­Technik und Handwerk im ­Imperium ­R omanum. Düsseldorf 1958. Geringfügig ­u mgezeichnet von Rudolf Franz Ertl Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl

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KAPITEL III

Wasserverteiler hinter dem Serapeion der Hadriansvilla, das auch als Nymphäum diente: Es muss besonders ­beeindruckend gewesen sein, wenn die Wassermassen neben dem grottenartigen, halbrunden Bau in Schleierfällen herabstürzten und in den Canopus abflossen. Ort: Italien, Rom, Villa Adriana Foto: Rudolf Franz Ertl

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

Quellnymphe Vibe Ort: Österreich, Villach (Kärnten) Foto: K. Defner (mit freundlicher Genehmigung des Verlages Dr. A. Defner, Igls bei Innsbruck)

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KAPITEL III

Die meisten Nymphäen wurden im Laufe der Jahrhunderte ihrer prächtigen Säulen und der einst prächtigen ­M armorverkleidung beraubt. Ort: Türkei, Perge (Südküste) Foto: Helmut Leitner

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AQUÄDUKTE, WASSERMESSER, NYMPHÄEN

Nymphäum von Butrint Selbst von dem noch am besten erhaltenen Nymphäum der vormals vorhandenen drei monumentalen Brunnen der Stadt zeugt nur mehr der Ziegelkern des Bauwerkes aus der frühen ­Kaiserzeit. Deutlich ist das Becken der Brunnenanlage zu erkennen, in der halbkreisförmig gebogenen Rückwand erkennt man drei Nischen, in denen einst Marmorfiguren standen. Einst war die Außenseite des Gebäudes mit weißen Marmorplatten verkleidet, die Innenseite mit mehrfarbigem Marmor geziert. Ort: Albanien, Butrint Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL III

Nymphäum von Aspendos Wesentlich größer als die Nymphäen von Perge und Butrint war das große Nymphäum an der Ostseite der Agora von Aspendos in unmittelbarer Nähe der Basilika. Die monumentale Fassade (32,5 m lang und 15 m hoch) ist zwar weitestgehend erhalten, jedoch ihrer Marmorverkleidung bis auf wenige Architravteile und Gebälkreste beraubt. Vor der Fassade befanden sich zwischen den Nischen für die Götterfiguren Fußgestelle, aus denen korinthische Säulen emporragten, die ihrerseits wiederum Architrave, Friese und Ziergiebel trugen. Das Wasser wurde zur Hinterseite der großen Anlage in einem Doppelkanal zugeführt. Von der Einmündung wurde es zunächst in großen Tonrohren weitergeleitet und anschließend auf die Terrakottaröhren verteilt, die zu den ­unteren Nischen führten, von denen es hervorquoll und in Becken mündete. Die Bautechnik weist auf das ausgehende 2. Jh. n. Chr. hin. Ort: Türkei, Aspendos (Pamphylien, Südtürkei) Foto: Norbert Maly

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

K A PIT E L I V BÄ DER , T H ER M EN, H EI LBÄ DER

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KAPITEL IV

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BÄ DE R, T H E R M E N, H EI L BÄ DE R Die Badekultur in der Antike lässt sich weit zurückverfolgen. Dass ankommenden Gästen ein Bad bereitet wird, war bereits bei Homer eine Selbstverständlichkeit. Tönerne Badewannen waren schon lange Zeit zuvor in kretischen und mykenischen Palästen anzutreffen. Schon zur Zeit, da die Römer noch in Holzhütten hausten, gab es in Griechenland bereits öffentliche Bäder (δημόσια βαλανεῖα). Das Badegeld (ἔπίλουτρον ) in der Höhe von zwei obolen (ὀβολός = attische Münze) für die E ­ rhaltung des Bades und die Entlohnung der Badediener ist ebenfalls eine griechische Erfindung. Zum Thema „alles schon dagewesen“ gehört auch das römische sudatorium, welches auf dem laconicum der Spartaner basiert, die sich nach dem Schwitzbad mit kaltem Wasser übergießen ließen – eine frühe Form der späteren finnischen Sauna. Die Römer richteten erst ab dem 3. Jh. v. Chr. ihre ersten Badehäuser ein, die sich permanent steigender Beliebtheit erfreuten. Der häufige Aufenthalt der römischen Bürger in den Thermen und Bädern war ein wesentlicher Bestandteil des öffentlichen und privaten Lebens. Viele von ihnen verbrachten einen großen Teil des Tages in den zum Teil prächtigen Anlagen. Waren die Thermen zur Zeit der Republik noch eher bescheiden, so verfügten alle städtischen Siedlungen spätestens ab der frühen Kaiserzeit über öffentliche und private Badeanstalten, in Garnisonen gab es Militärbäder und in den meisten Villen hauseigene Thermen. In einem Brief des Plinius (Epistulae II, 17, 26) schreibt dieser, dass es unweit seines Gutes im Dorf Laurentum drei Bäder gibt, die man gegen Eintrittsgeld benutzen durfte, eine große Annehmlichkeit für den Fall, daß man bei unerwarteter Ankunft oder zu nur kurzem Aufenthalt nicht rätlich erschiene, das Bad im eigenen Hause zu heizen. Selbst bescheidene Privathäuser waren mit tönernen Badewannen ausgestattet. Das Faszinierende an den römischen Badeanlagen und Thermen liegt einerseits in der Architektur und dem oft bestaunten Komfort der Bäder (durch HypokaustFußboden- und Wandheizung mittels der Tubulatur), dem Mosaikschmuck und andererseits in der auf balneologischem Wissen basierenden Abfolge der einzelnen Räumlichkeiten – vom apodyterium (Umkleideraum) über frigidarium (Kaltbad), te­ pidarium oder cella media (lauwarm temperierter Raum), caldarium (Warmbad) und sudatorium (Schwitzbad) bis zum laconicum (Luftschwitzbad). Die Räumlichkeiten der Warmwasser- und Schwitzbäder wurden ursprünglich durch Kupferkessel für die Wassererwärmung geheizt. Kohlenbecken erhöhten die Raumtemperatur. Die Hypokaustheizung gibt es erst seit etwa 80 v. Chr., sie ist eine Erfindung des durch seine Austernzucht im Lucinersee bei Puteoli bekannt gewordenen Sergius Orata. Jener Raum in Badehäusern, wo die Öle und wohlriechenden Salben aufbewahrt wurden (Salbölkammer) und wohin der Badende ging, um sich einreiben zu lassen, wurde elaeothesium genannt. In den großen Thermen gab es zu diesem Zweck ein besonderes Zimmer, welches an das frigidarium angrenzte. Die Salbe zum Einreiben vor dem Ringkampf wurde cerona genannt. Als loculi wurden die

Siehe ­ Abbildung S. 250

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KAPITEL IV

meist winzigen Einzelnischen im apodyterium (Aus- und Ankleideraum) zur Aufbewahrung der Kleider bezeichnet. Nicht zu vergessen: ein wichtiger Teil einer Badeanlage ist die palaestra (Turnund Spielplatz oder Turnhalle). Oft wird übersehen, dass die römischen Badeanlagen nicht nur der Körperreinigung dienten, sondern der Gesundheit und dem Wohlbefinden. Mit Wellness im modernen Sinn hatten die antiken Anlagen ­a llerdings nur wenig zu tun. Weder das Prinzip der Wasserversorgungsanlagen, noch das System der Bäder haben die Römer erfunden, sondern die Griechen. Die ­Römer haben die Badeanlagen jedoch weiterentwickelt, die Heizung verbessert und die Räume luxuriöser und pompöser gestaltet, sie haben den Badeluxus vollendet.

Thermen oder Bäder? Da in den meisten Publikationen stets von Bädern und Thermen (balneae und ther­ mae) gesprochen wird, erhebt sich die Frage, wodurch sich die beiden unterscheiden. Um es vorwegzunehmen, es gibt keinen Unterschied, und die römischen Schriftsteller verwendeten stets wahlweise einen der beiden Begriffe. Thermae leitet sich vom griechischen Begriff für δερμός (= warm) her und bietet sich für Anlagen, in denen warme oder heiße Quellen genutzt wurden, und balneae bzw. balnea, balneum oder balineum wird vom griechischen βαλανεῑου (= Bad) hergeleitet. Im Italienischen wird heute noch von der località balneare (= Badeort), von der stagione balneare (= Badesaison) sowie von balneazione (= Baden) gesprochen, und auch im Spanischen und Portugiesischen steht balneario für Badeanstalt. Antiker Tradition folgend werden – wenn auch nicht unbedingt logisch – heute die großen Badeanlagen als Thermen und die kleineren als Bäder bezeichnet, unabhängig von der Temperatur des Wassers. Der lateinische Deminutiv balneolum steht für ein kleines Bad und in Analogie dazu thermulae für kleine Therme.

Vom schlichten und einfachen Waschhaus zur luxuriösen ­k aiserzeitlichen Thermenanlage. Den eher bescheidenen Anfängen in der Zeit der römischen Republik folgten in der zweiten Hälfte des 1.  Jh.  v.  Chr. und im frühen Prinzipat kontinuierlich Verbesserungen in vielen Bereichen – von der Architektur (Anlagen mit einem enormen Bauvolumen) über verbesserte Heizungsanlagen, Marmorvertäfelungen, ­Stuckaturen und polychrome Wandbemalungen bis zur Fensterverglasung. Von dieser Periode berichtet Plinius (XXXVI, 123) begeistert: Wenn man die große Menge Wasser an öffentlichen Orten, in Bädern, Fischteichen, Häusern, Kanälen, Gärten, den Gütern vor der Stadt, Landhäusern, dann die zu dessen Herleitung gebauten Bogen, durchgrabene Berge und geebnete Täler mit Auf­ merksamkeit betrachtet, so muss man gestehen, dass die ganze Welt kein größeres Wunderwerk aufzuweisen hat.

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Plinius der Jüngere lieferte in den von ihm verfassten Epistulae einen anschaulichen Bericht über das Bad seiner Villa in Laurentum mit einer großen cella frigidaria (Kaltbad), einem unctorium (beheizter Salbraum ähnlich den tepidaria) und lobte seine wunderbare Warmwasserwanne mit Blick auf das das Meer. Wichtigste Quelle für die Anlage der frühen großen Thermenanlagen aber ist das Buch des Marcus Vitruvius Pollio, vormals Caesars Kriegsbaumeister, das er als Senior vermutlich in frühaugusteischer Zeit verfasste. Im 10. Kapitel des 5. Buches verbreitete sich der Ingenieur über die richtige Anordnung der Räume in den Badeanlagen. In allen seinen Ausführungen merkt man deutlich, dass er mehr Praktiker als Theoretiker ist, obwohl er selbst nur wenig als Architekt gebaut ­haben dürfte. Seine Empfehlungen beginnen schon bei der Auswahl des Bauplatzes, wo er empfiehlt, darauf Bedacht zu nehmen, dass die warmen und lauen Bäder Licht von Südwesten erhalten, weil üblicherweise die Badezeit zwischen Mittag und Abend festgesetzt wird.

Siehe ­ Abbildungen S. 251–255

Große Bäder waren zumeist symmetrisch aufgebaut, jeder Teil einer klassischen Anlage – vom tepidarium bis zum laconicum – war zweimal vorhanden. Eine Seite war für Männer und die zweite für Frauen bestimmt. Wie bei den eher bescheidenen Forumsthermen in Herculaneum zu beobachten ist, befanden sich die getrennten Eingänge für Männer und Frauen auf gegenüberliegenden Seiten der Anlage. Von dort gelangte man zunächst in die apodyterien und danach über die tepidaria zu den wegen des gemeinsamen praefurniums nebeneinanderliegenden caldarien. In noch kleineren Anlagen badeten Männlein und Weiblein zu unterschiedlichsten Zeiten. Ausnahmen stellen die ausschließlich für die Damenwelt konzipierten Bäder dar, so die Frauenthermen in Colonia Augusta Raurica (Augst). Dass die Dampfbäder für Männer und Frauen nebeneinander liegen sollen, ergibt sich aus der wirtschaftlich sinnvollen gemeinschaftlichen Unterfeuerung: Über der Heizung sind drei Metallgefäße vorzusehen für heißes, warmes und kaltes Wasser und sie müssen so angebracht werden, dass aus dem Warmwassergefäß in das Heißwassergefäß immer die Menge übertritt, die dem Heißwasserbottich entzogen wird. Ebenso ist dies auch zwischen Kalt- und Warmwasserbehälter einzurichten. Auch beschreibt Vitruv, worauf beim Bau der Hypokaustheizung zu achten ist, beispielsweise auch den schwach zum praefurnium hin geneigten Pflasterunterboden oder auf die Art und Weise der darauf zu errichtenden Säulchen und Ziegelpfeiler (suspensurae), welchen den Fußboden zu tragen haben. Ausführlich beschreibt er auch die Gestaltung der Gewölbedecken und gibt Ratschläge, damit die vom Dampf herrührende Feuchtigkeit das Holz des darüberliegenden Balkenwerkes nicht verdirbt.

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KAPITEL IV

Laconicum und sudatorium. Die lakonische Halle und die Schwitzbäder müssen mit dem Warmbad in Verbin­ dung stehen und sie sollen von gleicher Breite wie die Scheitelhöhe der halbkugel­ förmigen Wölbung sein, in deren Mitte die Lichtöffnung vorzusehen ist

Siehe ­ Abbildung S. 256

meint ebenfalls Vitruv. „Lakonische Halle“ (zumeist ein Rundbau) ist mit dem la­ conicum gleichzusetzen, einem saunaartigen Luftschwitzbad. Es hat sich aus dem griechischen Λακωνικόν πυριατήριον entwickelt und gehörte ebenso wie das καπνιστήριου, von den Römern sudatorium genannt, zu den Badeanlagen und Gymnasien hellenistischer Zeit wie zu den römischen Thermen. Laconien verfügten über keine Hypokaustheizung, waren Trockenräume, zum Unterschied der vom Boden her beheizten Sudatorien, hatten eine zentrale Feuerstelle in der Mitte des Rundbaues und verfügten über eine in der Kuppel an Ketten aufgehängte Bronzescheibe (clipeus), mit der man durch Aufziehen oder Herablassen die Temperatur regeln konnte. Vielleicht kann man ein laconicum am ehesten mit einer heutigen finnischen Rauchsauna und ein sudatorium mit einer herkömmlichen feucht-heißen Sauna (mit Aufgüssen) vergleichen. Höchst bemerkenswert ist, dass Vitruvs Beschreibung mit dem Grabungs-Baubefund der Stabianer Thermen nahezu völlig übereinstimmt. In manchen Bädern gab es neben dem laconicum einen als destricta­ rium bezeichneten Raum, in welchem man das Öl vom Körper abstreifen konnte. Wichtigste Nebenräume in den Bädern und Thermen waren zweifellos die Abortanlagen, zumeist als Latrinen bezeichnet. Die Verbindung von Bad und Sport wird in allen Berichten deutlich und durch Hunderte Funde belegt. Schon Vitruv widmete das 11. Kapitel seines 5. Buches den Palästren und Ringbahnen. Die meisten Bäder und Thermenanlagen verfügten nach griechischem Vorbild über eigene Sporthallen, selbst in kleineren privaten Villenbädern gab es Räume zum Ballspiel. Die Hellenen bevorzugten jedoch gymnastische, meist schweißtreibende Übungen, die ein anschließendes Bad erforderlich machten.

Typen römischer Thermen und Bäder ähneln einander in ihrem Aufbau und in ihrer Strukturierung wie die Militärlager untereinander. Bei beiden handelte es sich um Anlagen mit einer funktionalen Architektur. Bei den Kasernen unterschied man zwischen Legionslagern, Auxiliarlagern und Reiterlagern. Die Gruppierung der Badeanlagen umfasste — öffentliche, staatliche und unentgeltlich benutzbare Bäder (balneae publicae) sowie Mietbäder (balnea meritoria), in denen den Badegästen Eintrittsgeld (balnea­ ticum) abverlangt wurde; bei den großen Anlagen mit axialer Ausrichtung und symmetrischem Grundriss spricht man vom Kaisertypus, — die halbsymmetrischen Thermen, bei denen versucht wurde, in den verfügbaren Raum ein Maximum an Funktionen zu integrieren; die Kaltbaderäume folgen einem symmetrischen Grundriss, die Warmbaderäume waren zum Teil ringförmig angeordnet,

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

— die kleinen, auf jegliche Symmetrie verzichtenden Anlagen, wobei zumeist alle Räumlichkeiten rund um ein zentrales frigidarium angeordnet sind, — weiters die dem Militär vorbehaltenen Garnisonsbäder, — alle warme oder heiße Heilquellen nutzenden Thermalbäder (Heilbäder) — und die vielen privaten Badeanlagen in den Villen. Unter Kaiser Trajan wurde der erste Höhepunkt im luxuriösen Badewesen erreicht. Die wesentlichen Änderungen im Bäder- bzw. Thermenbau im 2. Jh. n. Chr. sind die Größe der Anlagen und der Einsatz der bautechnische Neuerungen, wie Gussmauerwerk und der verstärkte Einsatz des einfach zu bearbeitenden Tuffs sowie der Ziegel als Baumaterial. Was im 1. Jh. nur ansatzweise geschah, wurde nun Mode: die Ausstattung der Badeanlagen mit Statuen und Statuetten, beispielsweise von Liebesgöttinnen (Venus, Aphrodite), Grazien und Athleten. Architektonisch richtungsweisend war die von Trajan über dem abgebrannten Goldenen Haus des Kaisers Nero in Rom errichtete prachtvolle Therme, welche mit Wasser aus der Aqua Traiana versorgt wurde. Aber auch in den Provinzen entstanden zu dieser Zeit beeindruckende Bäderkomplexe. Begeistert berichtet der Dichter Lukian vom Bad des Hippias und ist voll des Lobes für die Architektur, wobei er die Anpassung der Anlage an das Gelände ebenso lobt wie Zweckmäßigkeit, Bequemlichkeit, die Helligkeit der Räume und die Sicherheitsmaßnahmen vor Diebstählen, die selbst zu seiner Zeit – in der Periode der Adoptivkaiser – ein großes Problem im Zusammenleben der Menschen dargestellt haben dürften. Ob es allerdings dieses Bad tatsächlich gegeben hat oder ob es sich nur um die Beschreibung einer imaginären Badeanlage handelt, wissen wir nicht. Mehrere Architekten haben sich im Lauf der Geschichte auf Grund des LukianBerichtes um eine Rekonstruktion in Form von Plänen bemüht – mit unterschiedlichem Erfolg: von Charles Camerons eher bescheidenem Entwurf aus dem späten 18. Jh. über Friedrich Weinbrenners imposante klassizistische Umsetzung bis zu Fikret K. Yegüls den Grabungsbefunden von Thermen aus dem 2. Jh. n. Chr. weitestgehend entsprechenden realistischen Plänen.

Siehe ­ Abbildungen S. 256–257

Noch größer und noch prächtiger Was mit Hadrian und den in seinem Auftrag errichteten und bis heute imposanten Thermen in der Villa Adriana bei Tivoli und den Neptuns- und Forumsthermen in Ostia begann, steigerte sich letztlich noch unter Caracalla und Diocletian mit deren weltberühmten Bäderbauten in Rom. In der Zeit der Adoptivkaiser entstanden auch in den Provinzen qualitativ durchaus vergleichbare Anlagen. Nicht minder beeindruckend als die großen ­Bäder Roms sind die Hadriansthermen von Leptis Magna mit der riesigen vorgelagerten palaestra, die von Antoninus Pius errichteten monumentalen Thermen von ­Karthago, die Süd- und die Nordthermen von Thamugadi (Timgad), die Faustina-­ Thermen in Milet, die Scholastika-Thermen in Ephesos, die Liciniusthermen in Dougga (Tunesien), die Barbarathermen in Trier und die nie als Bad benutzten Kaiserthermen in der Moselmetropole.

Siehe ­ Abbildungen S. 258–260

Siehe ­ Abbildungen S. 261–262

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KAPITEL IV

Der Wasserbedarf der Bäder muss enorm gewesen sein. Fraglos nicht aus Lust und Tollerei hat Trajan für seine über den Ruinen des abgebrannten Goldenen Hauses des Nero errichtete und 109  n.  Chr. eröffnete neue Therme eine zusätzliche 59,2  km lange, unterirdisch verlegte Fernwasserleitung – die Aqua Traiana – ab dem Jahr 109 n. Chr. errichten lassen, die allerdings erst 117  n.  Chr. in Betrieb genommen werden konnte. Das Wasser kam von Quellen in der Nähe des Sabatiner Sees (heute Bracciano-See), die damalige Wasserqualität ist unbekannt. Die meisten großen Badeanlagen verfügten über eigene Aquädukte. Zusätzliche Wasserspeicher waren notwendig, um beispielsweise während der sommerlichen Trockenzeiten, aber auch während Wasserleitungsreinigungen und -reparaturen den Betrieb aufrechterhalten zu können. So fasste beispielsweise der Speicher der Caracalla-Thermen 33.000 m3, ausreichend Wasser für einen Notbetrieb während einiger Tage. Der exakte tägliche Bedarf der Badeanlagen wurde noch nie überzeugend ermittelt, denn es ist zwar vorstellbar, dass die Becken des frigidariums oder die natatio (Freiluftkaltwasserbecken) permanent durchflutet wurden, aber wir wissen nicht, wieviel heißes Wasser täglich für die Füllung der Becken in den Caldarien benötigt wurde, zumal es einerseits unvorstellbar ist, dass die Römer in einer stehenden, zunehmend verschmutzten Brühe herumplantschten, andererseits konnten die Füllungen der Piscinen und Badewannen wegen der aufwendigen Warmwasserzubereitung nicht laufend gewechselt werden. Interessant ist jene Variante, die sich im britannischen Bath rekonstruieren ließ. Dort standen die Becken untereinander in Verbindung und wurden nacheinander durchströmt, was bei permanenter Durchflutung keineswegs unhygienisch ist. Schon Seneca sprach vom ständig fließenden Wasser in den Badebecken der Thermen. In Thermenanlagen war dies schon allein deswegen ideal, weil das oberste Becken nahe dem Quellaustritt am heißesten war und von Becken zu Becken immer mehr abkühlte. Wie der Fund einer Abschlussdeckellasche eines frigidariums in Martigny (in der Schweiz) bezeugt, konnte das Becken geschlossen werden. Vielleicht wurde es nur in bestimmten und unterschiedlichen Intervallen – je nach Bedarf – neu gefüllt. Von den städtischen Wasserleitungsnetzen weitestgehend unabhängig waren die Heilthermen, welche heißes oder zumindest warmes Thermalwasser nutzten. Der relativ geringe Bedarf an kaltem Wasser konnte fraglos bequem aus einer Wasserleitung oder einer Zisterne abgedeckt werden.

Leben und Treiben in den Badeanlagen unterschied sich von einem Badetag in der Gegenwart nur geringfügig. Der Gast bezahlte bei der Kassa seinen obolus, entkleidete sich im apodyterium und spülte dort auch Schweiß und Staub von seinem Körper in den flachen Becken oder Wannen ab, bevor er die eigentlichen Baderäumlichkeiten oder – sofern vorhanden – das Schwimmbad (natatio oder piscina) betrat. In den Pausen zwischen dem Besuch der einzelnen Warm- und Kaltbäder ließen sich die Badegäste massieren, salben, trieben Sport und Fitness in der ­palaestra oder gaben sich Ballspielen, mitunter auch dem Kugelwerfen – ähnlich dem ­modernen

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Bocciaspiel – hin. Baden und Bewegung machen hungrig und durstig. Entsprechend den modernen Würstel- und Kebabbuden oder Baderestaurants gab es in den größeren römischen Badeanlagen ebenfalls Garküchen sowie „fliegende Händler“, die Getränke, Kuchen und Würste feilboten. Woher wir das wissen? Garküchen und Tavernen wurden von Archäologen freigelegt, vom Badebetrieb aber schrieb Seneca in einem Brief, in dem er sich über den ohrenbetäubenden Lärm in den Bädern beschwert:

Siehe ­ Abbildungen S. 263–267

[…] Stärkere Leute machen Übungen und schwenken die mit Bleihanteln beschwer­ ten Hände. Ich höre ihr Stöhnen, wenn sie sich anstrengen oder zumindest so tun, ihren pfeifenden und schweren Atem, wenn sie die angehaltene Luft ausblasen. Ist aber einer so plebejisch träge und lässt sich bloß salben, so höre ich den Ton der seine Schultern treffenden Hand, je nachdem sie flach oder hohl aufschlägt. Kommt nun gar ein Ballspieler und beginnt die Würfe zu zählen, dann ist alles aus. Dazwischen wird gezankt oder ein Dieb ertappt oder einer erfreut sich im Bade seiner Stimme. Andere springen mit großem Geplansche im Schwimmbad. Und außer denen, die doch wenigstens eine richtige Stimme haben, läßt von Zeit zu Zeit der Haarrupfer seine dünnen, schrillen Töne hören. Er schweigt nur, wenn er von einem anderen, den er unter den Achseln rupft, Schmerzensschreie entlockt. Dazu die Rufe der Ver­ käufer von Kuchen, Würsten und Süßigkeiten […]

Mangelnde Hygiene in öffentlichen Badeanlagen und Toiletten Ebenso wie heute, mangelte es auch damals so manchem Badegast an Disziplin und er verzichtete auf eine anfängliche Reinigung im apodyterium vor seinem Badebesuch. Anderen Gästen war auch schon damals der Weg vom Bassin zur Latrine zu weit und sie urinierten in die Badebecken, deren Wasser damals weder chloriert noch mit anderen Chemikalien vorbehandelt waren. Desinfektion war in römischen Bädern ein Fremdwort und somit mangelnde Hygiene an der Tagesordnung. Die antiken Bäder und Latrinen waren leider weniger hygienisch als zumeist angenommen. Parasitäre Würmer, die Darminfektionen mit Durchfall verursachten, waren weit verbreitet, stellte 2015 der britische Anthropologe Piers Mitchell fest: Das legt nahe, dass die Hygiene im alten Rom nicht ausreichte, um die Bevölkerung vor Ansteckung durch Parasiten und Bakterien aus Exkrementen zu schützen. Die Latrinen waren Keimschleudern. Forscher der Universität Cambridge untersuchten Koprolithe (versteinerte Kotreste) aus etwa 1.800 bis 2.000 Jahre alten Exkrementen, in denen es von Überresten krankmachender Läuse, Flöhe und Zecken wimmelte. Darüber hinaus fand Mitchell in den Proben aus den unterschiedlichsten Regionen des Römischen Reiches Eier von jenen Bandwürmern, die sich vor allem in Fischen einnisten. Aus Fischresten aber wurde die beliebte, aber ungekochte Würzsauce garum (Fischwürzsauce) hergestellt.40

Siehe ­ Abbildung S. 268

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KAPITEL IV

Bedingt durch den Versand des garums in alle Provinzen des Imperiums und den häufigen Verzehr desselben wurden die Parasiten verbreitet. Heute würde man von ekeligem Gammelzeug sprechen, damals aber war es das Maggi der Antike,

Siehe ­ Abbildung S. 269

meint Karl-Wilhelm Weeber von der Universität Wuppertal in einem Interview. Ein weiteres Problem stellte in der Antike die Entsorgung der Unmengen von Exkrementen aus öffentlichen Latrinen dar. Der menschliche Kot wurde damals sehr wahrscheinlich – ebenso wie heute die Jauche – auf Feldern als Düngemittel ausgebracht. Ein Teil der Krankheitserreger gelangte über die Ernte abermals in den Lebensmittelkreislauf und somit in die Mägen der Konsumenten.

Thermen – semper et ubique Der Zusatz „Aquae“ in antiken Ortsnamen gibt über die dort vorhandenen Thermen ebenso Aufschluss wie der heutige Beiname „Bad“, etwa in Bad Deutsch-­ Altenburg, Bad Gastein, Bad Hall, Bad Ischl, Bad Schallerbach oder Bad Vöslau. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass an vielen Orten die Badetradition bis heute unvermindert anhält. Dazu ein paar Beispiele: — Aquae Albulae zwischen Rom und Tibur (Acque Albule, Italien), — Aquae Angae zwischen Cosentia und Vibo (Bagni San Eufemia, Italien), — Aquas Apollinaris (Bagni di Stigliano, Italien), — Aquae Aureliae (Baden-Baden, Deutschland), — Aquis Balissis (Dragovič in Slawonien, Kroatien), — Aquae Bilbilitanorum (Alhama bei Bilbilis unweit Calatayud, Spanien), — Aquae Caesaris im prokonsularischen Africa (Youks), — Aquae Caeretanae (Bagni del Sasso bei Cerveteri, Italien), — Aquae Calidae in Mauretania Caesarensis (Hammam-Righa), — Aquae Calidae (Vichy, Frankreich), — Aquis Calidis (Dzamal nördlich Burgas, Bulgarien), — Aquis Calidis (Asbaemon, 60 km nördlich von Tarsos, Türkei), — Aquae Carpitanae im prokonsularischen Africa (Korbous), — Aquae Ciceronianae bei Puteoli (Pozzuoli bei Neapel, Italien), — Aquae Domitianae (Aix-les-Bains, Frankreich), — Aquae Flavianae (El Hammam), — Aquae Grani, benannt nach dem Bädergott Grannus? (Aachen, Deutschland), — Aquae Helveticae (Baden an der Limmat, Aargau, Schweiz), — Aquae Herculis in Numidien (Hammam Sidi el Hadj), — Aquae Iasae (Varasdinske Toplice, Kroatien), — Aquae Mattiacae (Wiesbaden, Deutschland), — Aquae Pannoniae in Pannonia superior (Baden bei Wien, Österreich), — Aquae Passeris (Bagni di Giasinelli bei Bolsena, Italien), — Aquae Sextiae in der Gallia Narbonensis (Aix-en-Provence, Frankreich), — Aquae Sinuessanae (Terme San Rocco bei Mondragone, Italien), — Aquae Sirenses in Mauretania Caesarensis (Bou-Hanifia), — Aquae Statiellae, ligurische Stadt (Acqui, Italien),

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

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Aquae Sulis (Bath in England), Aquae Tauri (Civitavecchia in Italien), Aquis Terebillicis (Dax, nordöstlich Bayonne, Frankreich), Aquae Thibilitanae in Numidien (Guelma in Algerien) und Aquae Traianae im prokonsularischen Africa (Hammam Saïala).

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BE M E R K E NSW E RT E T H E R M E NA N L AGE N Selbstverständlich verfügten alle Städte im Römischen Reich über mehr oder weniger aufwendig gestaltete Badeanlagen. Eine kleine Auswahl berühmter ­ ­Thermenanlagen und deren Besonderheiten soll einen Einblick in die einstige Bade­kultur geben.

Italien I Latium: Rom Caracalla-Thermen, früher besser als Thermae Antoninianae bekannt. Sie gelten als die großartigsten Thermen der römischen Welt und sie beeindrucken schon allein durch ihre Ausmaße: 337 x 328 m. Allein der zentrale Komplex misst 220 x 140 m und wurde streng nach dem römischen System der Axialität und der Verdoppelung der Seitenräume beiderseits der zentralen Achse errichtet. Der monumentale Bau wurde bereits von Septimius Severus gegründet. Dessen Sohn, der gewalttätige Tyrann Caracalla (211 bis 217  n.  Chr.), wurde zum Bauherrn und wollte durch dieses „Volksbad“ die weniger betuchte Bevölkerungsschicht für sich gewinnen. Die „High Society“ Roms hatte keine Lust, mit dem „Pöbel“ zu baden und benutzte lieber die eigenen privaten Bäder oder die eleganten Trajans-Thermen im Stadtzentrum. Begonnen wurde der Bau dieser Thermae Antoninianae bereits kurz nach dem Regierungsbeginn des wenig beliebten Kaisers, der sogar seinen Bruder Geta ­töten ließ. Die Fertigstellung konnte Caracalla freilich nicht mehr miterleben, da er nach einer nur sechs Jahre und vier Monate währenden Herrschaft von ­einem Offizier seiner eigenen Leibwache ermordet wurde. Fortgesetzt wurden die Bauarbeiten unter Kaiser Elagabal, und fertiggestellt wurde das Bauwerk in der ­Regierungszeit des Severus Alexander. Renovierungs- und Wiederherstellungsarbeiten wurden unter Aurelian, Diocletian und zuletzt unter Theoderich vorgenommen. Auffallend bei der Gliederung der Anlage ist das scheinbare Fehlen von Versorgungsanlagen und Wirtschaftshöfen. Sie wurden in den Untergrund, in das Untergeschoss der Thermen verlegt und waren durch ein Netz von Kellergängen untereinander und mit der Außenwelt verbunden – eine konzeptuelle Meisterleistung des oder der Architekten. Hinsichtlich der Gliederung des Baues hielten sich die Baumeister im Prinzip an die Gliederung der Trajans-Thermen am Esquilin, allerdings in entsprechend gewaltigeren Dimensionen, sollten doch die Caracalla-­ Thermen gleichzeitig 1.600 Badegäste fassen können. In Orientierung an Vitruvs Bauempfehlung wurde der Rundbau des caldar­ iums an der Südseite des Thermenkomplexes errichtet. Wie bereits im Kapitel II im Rahmen der Ausführungen über die Tonröhren angeklungen ist, wurden als Wölbungshilfen große hohle Tontöpfe und Krüge in die Gewölbe eingebaut, welche die Last auf den Schultern eines Betongewölbes erleichtern sollten, wie dies vom Maxentius-Circus bekannt ist. Das war auch bei der Kuppel des caldariums der Fall.

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Hier wurden zur Gewichtsreduktion der Kuppeldeckenkonstruktion ineinander gestellte Amphoren eingebracht. In der Mitte der Südseite befanden sich auch die Feuerstellen für die Hypokaustanlage. Wie in allen Bädern üblich, wurde die Hitze zunächst in das caldarium, in das sudatorium und die übrigen Schwitzräume geleitet, danach wurden mit der Restwärme die tepidaria auf lauwarme Temperatur gebracht. In den CaracallaThermen waren infolge der enormen Dimensionen zwei gesonderte Heizstellen für das große tepidarium erforderlich. Für die überdachten Kaltwasserbecken im frigidarium und das Freischwimmbad (natatio) wurde keine Heizung benötigt. Die Funktion vieler Räume der Caracalla-Thermen konnte bis heute nicht eindeutig bestimmt werden – es gab fraglos medizinische Bäder, Salbölräume und Räumlichkeiten für das Personal. An der Südwestseite des Umfassungsbaues befand sich eine riesige Zisterne. In zwei Etagen waren 64 Einzelkammern angeordnet, die ein Fassungsvermögen für 33.000 m3 Wasser aufwiesen. Gespeist wurden die Zisternen von einem Seitenarm der Aqua Marcia, der nach der Renovierung der Anlage durch Diocletian Anton­ iniana Iovia genannt wurde. Der Nordfront der Zisterne war eine an ein halbes Stadion erinnernde Treppenanlage vorgelagert. Beiderseits der Zisterne befanden sich zwei Hallen, die zumeist als Bibliotheken bezeichnet werden, was leider bislang durch nichts bewiesen ist, wenngleich die Existenz einer griechischen und einer lateinischen Bibliothek im Bereich der Freizeit-Badeanlage, aber abseits der Feuchträume durchaus vorstellbar ist. Die Ausstattung aller Räumlichkeiten der Badeanlage war luxuriös, die wenigen erhaltenen Architekturbruchstücke lassen die einstige Pracht nur erahnen. Besonders prächtig dürfte das frigidarium ausgestattet gewesen sein. Acht freistehende massive Säulen aus Granit (mit annähernd zwei Meter Durchmesser) und mit korinthischen Kompositkapitellen trugen die schwere, vermutlich kassettenverzierte Decke. Der natatio-Bereich wird sehr wahrscheinlich nicht gedeckt gewesen sein. Dieses Schwimmbecken soll Experten zufolge 1.400 m3 Wasser gefasst haben. Abgesehen von den Marmorverkleidungen gab es in den Räumlichkeiten der Thermen extrem viele Mosaike. Zu den auffallendsten gehören jene mit den Darstellungen muskulöser Athleten mit dümmlichen bis brutalen Physiognomien. Von den in den Caracalla-Thermen gefundenen Skulpturen sind die kolossale Skulpturengruppe (der sogenannte Farnesische Stier = „Bestrafung der Dirke“, der Farnesische Herkules und die Farnesische Flora) sowie ein Kolossalkopf des Asklepios herausragende Kunstwerke. Ebenfalls aus den Caracalla-Thermen stammen die überdimensionalen Wannen aus ägyptischem Granit, die heute auf der Piazza Farnese als Brunnen zu finden sind.41

Siehe ­ Abbildungen S. 270–275

Diocletians-Thermen. Sie sind ein weiterer bedeutender, streng axialer Thermenkomplex (die flächenmäßig größte Anlage) und wurden innerhalb von acht Jahren errichtet. Der Zentralbau maß 250 x 180 m, der Gesamtkomplex 380 x 370 m. Begonnen wurde das heute allen Plünderungen zum Trotz noch immer eindrucksvolle Bauwerk von Kaiser Maximianus anno 298 n. Chr. Laut Widmungsinschrift gab Maximianus den Thermen „den Namen seines Bruders Diocletianus Augustus“. Ebenso wie in allen früheren Kaiserthermen erfolgte die Gliederung der Gesamtanlage in eine Mittelachse mit natatio, frigidarium, tepidarium und caldar­

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KAPITEL IV

Siehe ­ Abbildungen S. 276–278

Siehe ­ Abbildungen S. 279–281

ium sowie zwei spiegelbildgleiche Baukomplexe mit den übrigen Räumlichkeiten, die ihrerseits zwei ungedeckte Sportplätze atriumartig umschlossen. Zum Unterschied vom kreisrunden caldarium der Caracalla-Thermen war das Heißbad der Diocletians-Thermen rechteckig (Seitenverhältnis etwa 2:1) und mit vier Apsiden ausgestattet. Das einstige frigidarium wurde von Michelangelo in die Kirche S. Maria degli Angeli umgewandelt und das tepidarium avancierte zum kuppelgedeckten Vorraum des Gotteshauses. In anderen einstigen Baderäumen wurde das sogenannte Thermenmuseum eingerichtet. Dort, wo sich einst das caldarium erhob, erstreckt sich heute bis zur einstigen südlichen Umfassung mit dem Stiegenhalbrund die Piazza della Repubblica. Beiderseits dieser Exedra gab es – analog zu den Caracalla-Thermen – zwei Gebäude, die ebenfalls als Bibliotheken gedeutet werden. Antike Bausubstanzen des gigantischen Thermenbaues finden sich auch im heutigen Planetarium und in der Kirche San Bernardo alle Terme. Die 91  m lange Zisterne an der Nordostseite der riesigen Anlage wurde von einem Abzweiger der Aqua Marcia gespeist.42 Trajans-Thermen. Wie einige Kaiser vor ihm und viele nach ihm, ließ auch ­Trajan eine große Thermenanlage im Rom errichten. Im Zentrum Roms herrschte Platzknappheit. Das fraglos attraktivste Bauwerk auf dem Oppius (Teil des Esquilin nördlich des Colosseums) ist trotz weitestgehender Zerstörung noch immer ­Neros domus aurea. Zunächst hatte Nero die Kaiserbauten auf dem Palatin mittels der domus transitoria mit den Gärten des Maecenas auf dem Esquilin verbunden. Im Jahr 64 n. Chr. ging dieses Durchgangshaus in Flammen auf und Nero baute an dessen Stelle sein Goldenes Haus, eine riesige Villa, die sich vom Kapitol bis zum Oppius und Caelius ausdehnte. Anstelle des Sees dieser Villa entstand unter ­Vespasian das Colosseum und Titus baute dahinter die nach ihm benannten Bäder. Als ein weiterer Brand im Jahr 104 n. Chr. die noch verbliebenen Teile des Goldenen Hauses weiter beschädigte, hatte er keine Hemmungen, auf dem Hauptbau seine Thermen zu errichten. Diese Badeanlage ist flächenmäßig etwa sechsmal so groß wie die Titus-Thermen, deren Reste an die südliche Exedra der TrajansThermen unmittelbar anschließen. Von der imponierenden Anlage der Thermae Traiani, die angeblich von Apollodorus von Damaskus geschaffen wurden, ist auch nicht viel übrig geblieben. Besonders bemerkenswert sind die Reste eines Reservoirs mit kommunizierenden Kammern, heute als sette sale bekannt. Ebenso wie die Kunstschätze aus Neros Goldenem Haus verschleppt wurden, gelangten auch die kostbaren Skulpturen aus den Thermen in viele Neubauten. Die weltberühmte Laokoongruppe aus dem frühen 1.  Jh.  n.  Chr., geschaffen von Hagesandros, Athenodoros und Polydoros aus Rhodos, zierte einst die Trajans-Thermen und wird heute in den Vatikanischen Sammlungen aufbewahrt. Die Trajans-Thermen auf dem Esquilin (Oppius) wurden zum Vorbild für die Caracalla-Thermen.43 Villa Adriana. Unweit Tivoli liegt Hadrians Kaiservilla, besser bekannt als Villa Adriana. Wann Kaiser Hadrian mit dem Bau der Villa begonnen hat, ist ungeklärt. Manche Autoren sprechen von 118  n.  Chr., andere von den Jahren 125 und 126  n.  Chr. Für den Baubeginn haben wir keine konkreten Anhaltspunkte. Im Herbst 125 schrieb Hadrian „aus meinem Haus am Tibur“ an die Amphiktyonen

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

in Delphi. Ob es sich bei dem genannten „Haus am Tibur“ um das Anwesen seiner leiblichen Eltern oder bereits um die sich bereits im Bau befindliche Villa Adriana handelte, geht freilich nicht aus dem Schreiben hervor. Eine Hilfe bei der Datierung könnten die Auslandsreisen Hadrians sein, denn die einzelnen Bauten der Villa erinnern an Örtlichkeiten im Römischen Reich, die Hadrian zuvor besucht, kennen- und schätzen gelernt hatte. Nach seiner Kindheit in Rom lebte Hadrian von 90 bis 93 in Hispanien (Andalusien), danach absolvierte er die für seine Laufbahn erforderlichen Militärkommanden in Aquin­ cum (Budapest) und an der unteren Donau. Nach den beiden Dakerkriegen wurde ­H adrian 107  n.  Chr. Statthalter von Pannonia inferior. In den Jahren 111/112 besuchte er Athen, später fungierte er mehrere Jahre als Statthalter in Syrien. Im August 117 wurde Hadrian in Antiochia zum Kaiser ausgerufen. 117/118 überwinterte H ­ adrian mit seinen Truppen in Nicomedia (Bithynien). Am 9. Juli 118 kehrte ­H adrian nach Rom zurück. Zwischen 121 und 134 war Hadrian mit ­wenigen Unterbrechungen in den Provinzen unterwegs. 121/122 weilte er möglicherweise in Lugdunum (Lyon), überwinterte den Berichten des Cassius Dio zufolge vielleicht in Germanien, visitierte die Provinzen am Rhein und an der Donau, besuchte nach Birley „sicherlich auch Raetien und Noricum“ und begab sich im Sommer 122 nach Britannien. Weiter ging es dann nach Gallien und Hispanien. Im Frühjahr 123 reiste er mit dem Schiff in den Osten, planierte Probleme und strittige Punkte mit dem Partherkönig, besuchte Palmyra und überwinterte abermals in Nicomedia. Im August 124 besuchte Hadrian Ephesos und Smyrna. Im Herbst weilte der Kaiser auf Rhodos und auf anderen Inseln in der Ägäis, den Winter verbrachte er in Athen. Im Zuge seiner ersten Inspektionsreise durch die Provinzen in den Jahren 121 bis 125 hatte der Imperator viel gesehen und auch viele Anregungen für den Bau des von ihm schon lange geplanten Refugiums in Tivoli empfangen. Es ist durchaus denkbar, dass Hadrian die Villa nach 126 n. Chr. in Auftrag gab. Das würde allerdings bedeuten, dass die riesige Anlage in nur acht Jahren fertiggestellt wurde. Kaum denkbar, aber möglich. Hadrian war während der Bauzeit der Villa nahezu permanent im Ausland. Zuerst in Africa, nach einem kurzen Aufenthalt in Rom begab er sich dann im Februar oder März 129 n. Chr. über Athen und Antiochia auf seine zweite Inspektionsreise in den Orient und kehrte erst nach der Eroberung Jerusalems wieder nach Rom zurück. Verbürgt ist, dass Hadrian am 5. Mai 134 wieder in Rom weilte. Zu dieser Zeit war das Kaiser-Refugium in Tivoli angeblich beinahe fertig. Ob das auch für den Canopus und die an Ägypten bzw. den Tod des Antinoos gemahnenden Bauteile gilt, ist fraglich, denn Hadrian ließ sich von seinen Reiseeindrücken inspirieren und der genannte Canopus ist der Nachbau jenes Kanals, der die Stadt Kanopus mit Alexandria verband. Manche Forscher vermuten in dem grottenartigen Bau Hadrians nicht nur ein Nymphäum und den Zugang zum Serapeion (bezugnehmend auf einen Tempel des Serapis in Kanopus im Nildelta), sondern auch eine Funktion als Triclinium oder Cenatio bzw. Cenaculum (Speisesaal). Was oft verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass der Kern der Villa aus der spätrepublikanischen Zeit stammt, das Areal wurde möglicherweise von Hadrians Frau Sabina in die Ehe eingebracht. Erfreuen konnte sich Hadrian der „Villa“ wohl nur noch in den wenigen Jahren bis zu seinem Tod. Seine Krankheit erschwerte ihm zunehmend die Aufenthalte in der weitläufigen Anlage. Begonnen dürfte seine Erkrankung bereits vor dem Jahr 130 haben. Ab 136 n. Chr. verschlechterte

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KAPITEL IV

Siehe ­ Abbildungen S. 281–283

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sich sein Zustand zusehends. Vermutlich litt er nicht nur an Tuberkulose. Im Zustand seiner zunehmenden geistigen Zerrüttung und körperlichen Qualen ordnete er Hinrichtungen an, die nur durch die Interventionen von Antoninus Pius verhindert werden konnten. Der von Hadrian adoptierte und zu seinem Nachfolger auserkorene Lucius Ceionius Commodus, besser bekannt unter seinem Namen Lucius Aelius Caesar, starb am Neujahrstag 138 an einem Blutsturz. Es musste ein neuer Erbe gefunden werden. Was folgte, war eine der bedeutendsten Entscheidungen für die Zukunft des Imperiums: Hadrian schlug dem Senat Antoninus Pius als Thronfolger vor und plante zugleich für die übernächste Generation, indem er Antoninus zwang, seinerseits den jüngeren Aelius und Marcus Annius Verus (später besser bekannt als Lucius Verus und Marc Aurel) zu adoptieren. Danach wollte Hadrian nur noch sterben. In der Sommerhitze des Jahres 138  n.  Chr. entfloh er der prächtigen Villa in Tivoli und begab sich in die kaiserliche Villa in Baiae, wo er in den Armen seines Nachfolgers starb. Heute betritt man die Villa Adriana vom Norden her und erreicht zunächst die „Poikile“, eine Nachbildung der Stoa Poikíle (Säulenhalle in Athen). Weitere eindrucksvolle Ruinen, die man unbedingt gesehen haben sollte, sind der sogenannte Philosophensaal, das „Teatro Marittimo“ (ein runder Portikus, der einen Teich mit einem Miniaturperistyl auf der kleinen Insel umschließt), der Bibliothekshof, der als Cryptoporticus bezeichnete unterirdische Gang (er mag noch von jener Villa stammen, die zuvor hier gestanden ist), die „Piazza d’Oro“, das Gebäude mit den drei Exedren samt angeschlossenem Nymphäum, der Fischteich und schlussendlich der Canopus mit der monumentalen Grottenarchitektur in Form eines Nymphäums mit einem Serapis-Heiligtum. Südlich des „Teatro Marittimo“ liegt eine Badeanlage, zu der ein runder Heliocaminus gehört. In diesem Raum konnte man Schwitzbäder in dem von der Sonne erwärmten Sand nehmen. War dieser durch den Sonnenschein nicht warm genug, konnte er durch eine Bodenheizung erhitzt werden. Zwischen dem Saal mit den Exedren und dem Canopus liegen die Kleinen und Großen Thermen. Von den Kleinen Thermen sind einige Räume noch relativ gut erhalten. Der achteckige Raum diente als apodyterium, der elliptische Saal fungierte als frigidarium, der Rundbau als Schwitzbad (sudatorium) und der rechteckige Saal als caldarium. In den Großen Thermen findet man noch einen Apsissaal, ein Kreuzgewölbe, prächtige Säulen und Stuckrest. Die beste Übersicht bietet der Blick vom Hügel über dem praetorium, welches in Wahrheit vermutlich nur ein großes Magazin war. Nach Hadrians Tod ging der Besitz in das Eigentum von Antoninus Pius über, der die Villa allerdings nur selten besuchte. Marc Aurel erlebte die Villa noch in ihrer vollen Pracht. Die systematische Zerstörung der Anlage begann erst mit der Demontage wertvoller Kunstschätze, die Constantin der Gro ße nach Konstantinopel verfrachtete. Im Mittelalter wurde die Anlage wiederholt zerstört, viele der verbliebenen Kunstwerke schmücken die Villa des Kardinals d’Este in Tivoli, einige gelangten in unterschiedliche europäische Museen, seit 1999 gehört die Hadriansvilla zum Weltkulturerbe der Unesco.44

BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Ostia war der Hafen Roms. Er verdankt seinen Namen der Lage an der Mündung des Tibers ins Tyrrhenische Meer. Ostium bedeutet so viel wie Einmündung bzw. Gemünde oder Gmünd. Ostia war ein wichtiger Handelshafen, erlebte seine Blütezeit unter den Adoptivkaisern und hatte zur Zeit des Marc Aurel etwa 100.000 Einwohner. Dennoch war es infolge der drohenden Versandung der Tibermündung schon viele Jahre zuvor notwendig geworden, den eher bescheidenen Flusshafen durch einen modernen und leistungsfähigeren „Hochseehafen“, drei Kilometer nordwestlich von Ostia, zu ersetzen. Begonnen wurden die Hafenbauarbeiten in Ostia von Kaiser Claudius um 42 n. Chr. Es wurde in der Folge enorm viel Material an der Küste im Bereich der nördlich von Ostia gelegenen Lagune ausgehoben und durch den Bau langer, ins Meer hinausgeschobener Anlegekais der im Schnitt vier bis fünf Meter tiefe Porto di Claudio geschaffen. Befestigt wurde die Anlage mit sechs bis sieben Tonnen schweren Travertinblöcken. Zur Verbindung mit dem Tiber wurde ein Kanal, die fossa Traiana, geschaffen. Kaiser Trajan war es auch, der ein weiteres Hafenbecken, den sechseckigen, 330.000 m2 großen und 4 m tiefen Porto di Traiano, realisieren ließ. Die von und nach Ostia führenden Schiffslinien sind einerseits auf dem Forum der Korporationen und andererseits durch Marmorfunde dokumentiert. Die wichtigsten Seerouten führten von Ostia nach Norditalien, Gallia Narbonensis (Südfrankreich) und Hispanien (Spanien), nach Mauretanien, Numidien, Carthago und Africa (Nordafrika), Sizilien, Achaia, in die Ägäis und nach Thasos, Samos und Rhodos (Griechenland), ins Schwarze Meer bis nach Bithynien (Nordtürkei), Pamphylien (Südtürkei) und Ägypten. Hinsichtlich der aus den unterschiedlichsten Provinzen des Imperiums importierten Waren des täglichen Gebrauchs und den Grundnahrungsmitteln müssen freilich auch die unzähligen Delikatessen und Luxuswaren genannt werden. Dazu zählten beispielsweise Datteln aus Nordafrika, Gewürze aus Syrien und Arabien, hispanisches Garum, Kraniche von Melos, Fasane aus Kolchis, Perlhühner aus ­Numidien oder Schinken aus Gallien. Darüber hinaus wurden Kleider und Stoffe, Ebenholz, Elfenbein, Edel- und Schmucksteine, Skulpturen und andere Kunstwerke, aber auch Raubtiere für die Arenen auf dem Seeweg nach Ostia und von dort in Flussfrachtern auf dem Tiber nach Rom gebracht. Von der Porta Romana erreicht man, vorbei am Theater, über den decumanus maximus – die 1.500 m lange und 10 m breite Hauptstraße der Stadt – das Forum. Obwohl das Forum von Ostia im Verhältnis zur Einwohnerzahl flächenmäßig klein war, spielte sich dort ein Großteil des täglichen Lebens ab, hier wurde geplaudert, politisiert und gefeiert, hier fanden die Menschen Entspannung und Erholung. Aber nicht nur hier, sondern auch auf dem Platz der Korporationen hinter dem Theater und einigen anderen Festplätzen. Im Norden des Forums erhebt sich das von Kaiser Hadrian wiederaufgebaute Capitolium (Kapitol), der Podiumtempel der kapitolinischen Trias: Jupiter, Juno und Minerva. Wie überall im Römischen Reich, waren auch in Ostia die Thermen für die Bevölkerung von großer Bedeutung. Die berühmtesten Badeanlagen Ostias waren die Forumsthermen und die Neptunsthermen.45

Siehe ­ Abbildungen S. 284–289

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KAPITEL IV

Schweiz Siehe ­ Abbildung S. 289

Germania Superior: Vindonissa (Windisch im Aargau) war ein Dorf der Helvetier nahe der Einmündung der Reuß in die Aare, wo aus strategischen Gründen schon um 16 n. Chr. ein provisorisches Legionslager errichtet und von der legio XIII Ge­ mina besetzt wurde. Anno 45 oder 46 n. Chr. wurde die legio XIII von der legio XXI rapax abgelöst und das Lager in Steinbauweise erneuert. Anno 70 n. Chr. bezog die legio XI Claudia pia fidelis das Kastell. Erst um die Mitte des 2. Jahrhunderts wurden die Truppen für knapp 100 Jahre abgezogen und die örtliche Bevölkerung ergriff Besitz von den Liegenschaften. Während der Alemannenkämpfe kehrte die Soldateska allerdings zurück. Das Lager wurde rückgebaut und teilweise neu befestigt. Die dort ergrabene Thermenanlage wird vermutlich sowohl zeitweise von Militärs als auch von der Zivilbevölkerung genutzt worden sein. Auffallend an dieser Anlage sind die beiden großen Warmwasserbecken im Tepidarium. Allerdings gibt es auch dazu eine Parallele: eine Wanne mit warmem Wasser in den Thermen von Santa Laurina in Aléria (Korsika).46

Deutschland Siehe ­ Abbildungen S. 289–290

Germania Superior: Arae Flaviae (Rottweil am Neckar, Baden-Württemberg). Das älteste 4 ha große Standlager (um 72 n. Chr. errichtet, 1968 entdeckt) war ein Erde-Holz-Kastell. Aus flavischer und trajanischer Zeit stammen aber noch fünf weitere Kastelle: insgesamt drei Lager auf der Flur Hochmauren und drei weitere auf der Flur Nikolausfeld. Diese unterstreichen die strategische Bedeutung des Ortes an der Kreuzung zweier wichtiger Heerstraßen (von Argentorate/Straßburg nach Tuttlingen und von Vindonissa zum Neckar). Entsprechend bedeutend war auch die „Zivilstadt“. Aus einem kleinen vicus (Lagerdorf ) entwickelte sich schnell ein nach italischem Stadtrecht organisiertes Gemeinwesen, das unter den Adoptivkaisern Trajan, Hadrian, Antoninus Pius und Marc Aurel seine höchste Blüte erreichte. Auf der linken Neckarseite (Nikolausfeld) wurde im Bereich der Kastelle 1967 eine römische Badeanlage aus dem frühen 2. Jh. n. Chr. entdeckt, die infolge der auf einer Achse aufgereihten Räumlichkeiten dem „Reihentypus“ zuzuordnen ist, wobei die beiden apodyterien das frigidarium flankieren. Vom frigidarium aus erreichte man die beheizten Räumlichkeiten im Süden der Anlage, die als tepidarium und caldarium zu erkennen sind. Die isolierte Stellung des sudatoriums als Anbau an das östliche apodyterium mag in einer nachträglichen Errichtung zu erklären sein. Dieses Schwitzbad verfügte über eine eigene Heizstelle (praefurnium).47 Saalburg (bei Bad Homburg, Hessen) ist ein über den antiken Grundmauern fast vollständig wiederaufgebautes römisches Auxiliarkastell. Nur wenige M ­ eter westlich der nach dem Chattenkrieg errichteten Schanzen entstand um 90 n.Chr. ein erstes kleines Holzkastell. Um 135  n.  Chr. erbaute die cohors II Raetorum ­civium ­R omanorum equitata ein größeres Stein-Holz-Kastell. Vermutlich erst unter ­H adrian erfolgt der endgültige Ausbau des Lagers, das bis 260  n.  Chr. bestand.

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Während des 2.  Jahrhunderts  n.  Chr. entstand ein ausgedehntes Kastelldorf mit einer mansio und einem Bad, beide der porta praetoria des castrum vorgelagert. Zwischen 1898 und 1907 wurde das Lager auf Initiative des Ausgräbers und Museumsgründers L. Jacobi und der Finanzierung durch Kaiser Wilhelm II. wiederaufgebaut. Das Bad des Saalburg-Kastells war ein Militärbad und nicht öffentlich zugänglich. Es befand sich nur wenige Meter außerhalb der Lagermauern, war zweckmäßig eingerichtet, jedoch keineswegs luxuriös ausgestattet und dem Militär vorbehalten. Die Untersuchungen von D. Planck geben jedoch der Vermutung Raum, dass gelegentlich auch die Zivilbevölkerung Militärbäder mitbenutzen durfte. Der gesamte Badekomplex maß in der Länge 41,5 m.48 Raetia: Cambodunum (Kempten im Allgäu/Bayern)wurde bereits von Strabon in seiner geographika als Civitas-Vorort der vindelicischen Estionen erwähnt und findet sich auf der Tabula Peutingeriana. Bis in die Mitte des 1. Jh. n. Chr. bestand die Siedlung überwiegend aus Holzbauten. Steinbauten wurden erst errichtet, als Cambodunum als Statthaltersitz von Raetien Bedeutung erlangte. Schnell lösten Steinbauten die Holzkonstruktionen ab. Unter den Flaviern setzte ein gewaltiger Bauboom ein. Bereits am Ende des 1. Jh. n. Chr. gab es in der Stadt ein praetorium, eine Basilika, anstelle des älteren ein jüngeres Forum, einen Heiligen Bezirk mit einem prächtigen Altar, die sogenannten Kleinen und Großen Thermen und ein Thermenhaus nahe dem gallorömischen Tempelbezirk. Alle drei Badeanlagen gehören zu den frühesten Thermen nördlich der Alpen und sind wegen ihrer Architektur aufschlussreich für die Thermenbaugeschichte. Interessant ist, dass noch zur Regierungszeit des Kaisers Caligula mit dem Bau des Thermenhauses begonnen worden sein dürfte. Nach G. Weber lässt die Nähe zum Tempelbezirk erahnen, dass die Bewohner „vor der seelischen Läuterung im Hei­ ligtum auch den Körper reinigen“ wollten. Interessant sind die beiden im Osten dem Bad vorgelagerten Räumlichkeiten, die von den Ausgräbern als taberna für Speisen und Getränke und als Verkaufsladen für Körperhygieneartikel und Devotionalien gedeutet wurden. Die Kleinen Thermen gehörtern fraglos zum praetorium, die Großen Thermen entstanden vermutlich erst nach dem Brand, der das Thermenhaus in der zweiten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. vernichtete.49

Siehe ­ Abbildungen S. 291–292

Siehe ­ Abbildung S. 293

Rottweil am Neckar: siehe Arae Flaviae. Gallia Belgica: Augusta Treverorum (Trier an der Mosel, Rheinland/Pfalz). Die Gründung der römischen Stadt wird mit der Anwesenheit von Kaiser Augustus in Gallien in Verbindung gebracht. Offensichtlich war die strategisch hervorragende Lage einerseits als Etappenhauptort für eine Offensive gegen Germanien und andererseits als Verwaltungsmittelpunkt für den Osten Galliens geplant. Für die Gründung durch bzw. unter Kaiser Augustus fehlen bislang archäologische Beweise, allerdings gibt es einige Bodenfunde, die auf einen militärischen Stützpunkt in frühaugusteischer Zeit hinweisen. Zum Unterschied zu anderen Städten in den Nordprovinzen wuchs Trier schon im 1. Jh. n. Chr. sehr schnell, und die vorbildliche Planung schloss auch die Errichtung einer Trinkwasserzuleitung und einer Kanalisation für die nach dem hippodamischen System angelegte Stadt ein. Die erste auf Pfahlrosten ruhende Mosel-

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KAPITEL IV

Siehe ­ Abbildungen S. 294–297

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brücke wurde bereits kurz nach 40 n. Chr. gebaut, die Pfeiler der heutigen Brücke stammen von der um 140  n.  Chr. errichteten Steinpfeilerbrücke. Sie haben fast zwei Jahrtausende Strömung, Hochwasser, Eisstöße und den modernen Straßenverkehr so gut wie unbeschadet überstanden. An die urbs opulentissima, wie sie Pomponius Mela (3, 20) nannte, erinnert die um 180 n. Chr. errichtete Porta Nigra. Das Amphitheater dürfte um 100 n. Chr. entstanden sein. Viele weitere Prunkbauten entstanden in der Herrschaftsperiode der Adoptivkaiser. In der Mitte des 3. Jahrhunderts konnten sich die Provinzen an Rhein und Donau der immer wiederkehrenden Einfälle von Franken, Alamannen, Juthungen und Goten nicht mehr erwehren. Darüber hinaus führten nationalistische Unabhängigkeitsbestrebungen zur Gründung des gallischen Sonderreichs durch Marcus Cassianius Latinius Postumus, den Statthalter von Gallien und Oberbefehlshaber des niedergermanischen Heeres. Dies war für Trier von Bedeutung, weil der Herrscher des Imperiums Galliarum (259 bis 268 n. Chr.) abwechselnd in Köln und Trier residierte.50 Nach den Zerstörungen der Stadt im Jahr 275 n. Chr. durch plündernde Germanen wurde Trier schrittweise wieder aufgebaut, doch unter Diocletian kam es abermals zur verwaltungsmäßigen Dezentralisierung, diesmal allerdings nicht durch Rebellenkaiser, sondern durch Kaiser Diocletian (284 bis 305 n. Chr.). Nicht nur Provinzen wurden in dieser Zeit geteilt, sondern auf Initiative des Kaisers wurde vielmehr der Versuch unternommen, das riesige Römische Reich durch Teilung der kaiserlichen Herrschergewalt rationeller zu regieren. 293  n.  Chr. begann die Zeit der Tetrarchie (Viererherrschaft von jeweils zwei Augusti und ­Caesaren), die mit wechselndem Erfolg bis 313 n. Chr. währte. In constantinischer Zeit erfolgte der Aufstieg Triers zur Reichshauptstadt, zum „Rom des Nordens“, weswegen sie als Kaiserresidenz großzügig ausgebaut wurde. Damals entstanden auch die Aula palatina, Palastbauten und die Kaiserthermen. Als letzter Kaiser des Weströmischen Reiches residierte Valentinian I. in Trier. — Die Barbarathermen (nach dem mittelalterlichen Vorort St. Barbara benannt) sind von den drei Thermen Triers die einzigen, von denen sich der komplette Grundriss erhalten hat. Sie gehören zu den Prunkthermen mit axialem, symmetrischem Kaisertypus. Wie üblich, befanden sich der kalte Bereich im Norden und die beheizten Bauteile im Süden. Das etwa 60 m lange und 20 m breite frigidarium lag im Süden der riesigen palaestra und bildete den Übergang zum Thermenkomplex mit apodyteria, sudatoria und einem zentral gelegenen caldar­ ium. Darüber hinaus verfügte Trier über die nie als Badeanlage benutzten Kaiserthermen, die Thermen am Viehmarkt und mehrere kleinere Bäder. — Die Kaiserthermen bildeten den Abschluss des decumanus maximus. Der Name ist insofern irreführend, als das Bauwerk niemals seinen Zweck erfüllte. Die „ewige Baustelle“ wurde ein halbes Jahrhundert später unter Valentinian umgebaut. Über die Verwendung des Baues diskutieren die Experten nach wie vor: Kaiserforum oder Amtssitz des Präfekten oder Prätorianerkaserne? Bezeugt ist, dass in den Räumlichkeiten fränkische Burggrafen ihre Residenz einrichteten.51

BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Frankreich Gallia Narbonensis (Provence): Arelate (Arles), das wichtige, an der Rhône gelegene Handelszentrum, zählte zu den bemerkenswertesten und fraglos schönsten Städten des Römischen Reiches und wurde einst als Gallula Roma (das Rom der Gal­ lia Narbonensis) bezeichnet. Zur Zeit der griechischen Besiedlung wurde die Stadt Theline genannt, die Römer nannten sie Colonia Julia Paterna Arelate Sextanorum. Der provinzialrömische Bauboom zur Zeit des Augustus bedeutete einen enormen Aufschwung für die Stadt. Es entstanden das prächtige Theater, das Forum, eine massive Stadtmauer mit Toren und viele bedeutende öffentliche Bauten. 1998 wurde im Palast des Nero in Rom ein Fresko entdeckt, das sehr wahrscheinlich den Bauzustand von Arelate in der Mitte des 1. Jh. n. Chr. zeigt. Auf der Wandmalerei fehlt verständlicherweise das erst um 80 n. Chr. errichtete Amphitheater, welches heute zu den bedeutendsten römischen Baudenkmälern zählt. Kaiser Constantin der Gro ße und seine Söhne erhoben Arelate zur kaiserlichen Residenz, Provinzhauptstadt und christlichen Metropole. Über die Wasserversorgung der Stadt wurde bereits im vorigen Kapitel ausführlich berichtet. Sie ermöglichte nicht nur die optimale Versorgung der Bewohner von Arelate mit Trinkwasser und den Betrieb vieler Brunnen, sondern auch zahlreicher Badeanlagen. Drei davon stammen aus augusteischer Zeit, weitere kamen während des Prinzipats hinzu. Zu den wichtigsten frühen Bädern zählen die Thermen am Place de la République. Die bekanntesten und größten sind freilich die sogenannten „Thermen des Constantin“, auch als Thermen des „Palais de Trouilles“ oder „kaiserliche Thermen“ bezeichnet. Im nördlichen Teil der Anlage sind caldarium, tepidarium und mehrere Nebengebäude noch in Form eines imposanten Quader- und Ziegelmauerwerks (typische Thermenarchitektur des 4. Jh. n. Chr.) vorhanden. Dabei frappiert, dass das Bauwerk nicht wie üblich (und von Vitruv empfohlen) nach Süden ausgerichtet ist, um Heizkosten zu sparen, sondern nach Norden. Dennoch entspricht die Anlage dem von Daniel Krencker beschriebenen Kaisertypus. Sehr wahrscheinlich befanden sich im Süden, wo sich ein riesiger basilikaler Komplex (Reste eines Kaiserpalastes? Audienzhalle?) quer zur Achse der Badeanlage erstreckte, vor dessen Errichtung die Palästra und die Apodyterien und zwischen diesen und der Wandelhalle das Kaltwasser-Schwimmbecken (natatio). Schwer zuzuordnen sind die Reste einer Apside mit Säulen im Süden der „Thermen des Constantin“.52

Siehe ­ Abbildungen S. 298–299

Cemenelum (Cimiez), die Stadt der Vediantii, unweit Nizza, war das oppidum der Ligurer und seit Kaiser Augustus eine römische Niederlassung. Diodorus Siculus (29, 28) sprach von der πόλις Κεμελετῶν, Ptolemaios von Κεμενέλεoν, und die offizielle lateinische Bezeichnung der Hauptstadt der kleinen Provinz Alpes Maritimae war Civitas Cemenelensium. Die Blütezeit der Stadt waren das 2. und 3. Jh. n. Chr. Noch heute künden die Ruinen der Wasserleitungen, Thermen und eines Amphitheaters von dieser Epoche. Einen Überblick über die Thermenbauten von Cemenelum (Bains de l’Est, Bains de l’Ouest und Bains du Nord) geben die Pläne von P. Pironin, veröffentlicht u. a. von Raymond Chevallier.53

Siehe ­ Abbildung S. 300

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KAPITEL IV

Siehe ­ Abbildungen S. 301–302

Nemausus (bei Strabon von Amaseia Nέμαυσον, heute Nîmes, Provence) war zunächst ein Vorort der gallischen civitas der Volcae. Nach Marcel Le glay war der Ausgangspunkt der Besiedlung die heilige Quelle an der späteren Via Domitia. Ihren Namen verdankt die Stadt dem Quellgott Nemausus. Erst unter Augustus, der sie anno 16 v. Chr. mit einem Mauerring umgab, blühte die Stadt auf. Ebenfalls unter Augustus entstand die berühmte Maison Carrée, die dem Gaius Caesar (patronus coloniae)54 und dem Lucius Caesar geweiht wurde. Wie viele andere Städte in der Provence, erlebte auch Nemausus unter ­H adrian und Antoninus Pius seine Glanzzeit, was uns schon allein deswegen nicht verwundern sollte, weil die Familie des Antoninus Pius aus Nemausus stammte.55 Zu den bedeutendsten Bauten aus dieser Zeit zählen die Wasserleitung von Uzès nach Nemausus mit dem berühmten Pont du Gard, die Basilica Plotina, die Thermen, das Nymphäum, der Tempel des Quellgottes Nemausus und das zur Zeit der Flavier erbaute Amphitheater. Wie die Funde beweisen, wurden neben dem benannten Quellgott die kapitolinische Trias ( Jupiter, Juno und Minerva), aber auch Aesculapius, Apollo, Mars, Liber, Mercurius, Silvanus, Venus, Victoria, Vulcanus sowie Isis und Serapis und Jupiter Heliopolitanus verehrt.56

Tunesien Africa: Karthago (Golf von Tunis). Im Ruinenfeld des antiken Karthago befinden sich die bedeutendsten römischen Thermenanlagen auf afrikanischem Boden. Es sind die Thermen des Antoninus Pius, deren Ausstattung erst unter Marc ­Aurel und Lucius Verus im Jahr 162 n. Chr. vollendet war. Mit 18.000 m2 waren sie die größten Thermen außerhalb Roms. Die Wasserversorgung – sowohl der Thermen als auch der Stadt – erfolgte durch eine 132 km lange Fernwasserleitung aus dem Djebel Zaghouan. Die Quelle lag auf 290  m Seehöhe. Die Trasse der Fernwasserleitung führt durch recht unwirtliches Gelände, zum Teil durch wüstenartige Regionen, vorbei an Salzseen mit wechselndem Wasserstand. Etwa ein Viertel der Gesamtlänge bestand aus Bogenbrücken. Die Fernwasserleitung endete sehr wahrscheinlich in zwei Wasserspeichern von jeweils etwa 30.000 m3 Fassungsver­ mögen.57

Siehe ­ Abbildungen S. 303–305

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Dougga: siehe Thugga. Thugga (bei Théboursouk), heute besser bekannt als Dougga. Mehrere in ­Dougga ergrabene Inschriften beweisen die antike Schreibweise des Stadtnamens THVGGA. — Zyklopen-Thermen. Wegen des Mosaiks im frigidarium berühmt sind die „Thermen der Zyklopen“, eine private Badeanlage, benannt nach den im Mosaik dargestellten Zyklopen, die in der Schmiede des Vulcanus die Blitze für ­Jupiter herstellen. — Licinius-Thermen. Die etwas später in der zweiten Hälfte des 3. Jh. n. Chr. vermutlich in der Regierungszeit des Gallienus (253 bis 268 n. Chr.) in ­Thugga entstandenen Licinius-Thermen verfügten weitestgehend über die für Kaiserthermen bekannte axiale Symmetrie. In der Hauptachse lagen Vorräume, die man über eine seitlich gelegene Eingangshalle erreichte, frigidarium, tepidarium

BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

und caldarium. Die noch mächtig aufragenden Mauern des caldariums und restlichen Heißbaderäume sind nach Südwesten ausgerichtet. Vom polychromen Marmor und vom vergoldeten Stuck der Anlage ist heute leider nichts mehr zu sehen. — Die Ain Doura-Thermen südlich vom Caelestis-Tempel, die größten Thermen Thuggas sind noch nicht ausgegraben. Sie wurden von den lauwarmen El-Hammam-Quellen über einen Aquädukt und die Zisterne Ain el Hammam gespeist. Zu den eindrucksvollsten Bauwerken Thuggas zählt das Kapitol. Der Tempel der kapitolinischen Trias ( Jupiter, Juno, Minerva) wurde in der Regierungszeit der Kaiser Marc Aurel und Lucius Verus zu Ehren der beiden Imperatoren ­errichtet, finanziert von Quintus aus dem Geschlecht der Armensis und dessen Ehegattin, den Eltern des Theatermäzens Publius Marcius Quadratus. Der Portikus weist vier vordere Säulen mit korinthischen Kapitellen und je eine seitliche Säule auf. Das heute leider zerstörte Giebelrelief zeigte die Konsekration des Kaisers Augustus.58

Libyen Africa tripolitania: Leptis Magna (Hafenstadt). Die Heimatstadt des Septimius Severus mit geschätzten 100.000 Einwohnern zu ihrer Blütezeit verfügte über eine wahrhaft „kaiserliche“ Badeanlage in der Regio II: die Hadriansthermen, die unter Commodus noch erweitert wurden. Dem Prunkbau im Norden vorgelagert war eine riesige palaestra mit einem Säulenhof. Somit entsprach auch diese Anlage der Bauvorschrift des Vitruv, der empfahl, den Komplex mit warmen und heißen Bädern nach Süden auszurichten. Die luxuriöse Anlage war der bedeutendste und prächtigste Gebäudekomplex (6.000  m2) in vorseverischer Zeit. Die Mauern des caldariums ragen noch heute 15 m in die Höhe. Noch immer beeindruckend ist das große Schwimmbad (natatio). Das frigidarium war von einem dreifachen Kreuzgratgewölbe überdacht, gestützt von 8,65 m hohen Säulen. In südlicher Richtung schlossen daran in der Hauptachse die tepidaria und das caldarium an, flankiert von vielen Nebenräumen, inklusive der reich dekorierten Latrinen. Wie in allen vergleichbaren kaiserlichen Badeanlagen, waren die Wände vollständig mit Marmor ausgekleidet. Bei den Grabungen kamen viele Skulpturen zutage, zumeist Kopien nach griechischen Originalen. Dass heute sowohl aus dem Bereich der Therme als auch vom severischen Forum rund 200 Säulen fehlen, haben wir Raubzügen der Franzosen und Engländer zu verdanken, welche sich hier maßlos bedienten und die Objekte außer Landes schafften. Antonio di Vita hat ausgiebig recherchiert und entdeckt, dass vier dieser Säulen heute noch den Baldachin des großen Altares in Saint-Germain-des-Prés tragen. Andere Säulen gelangten über Malta nach good old England, wo sie sich heute im Schloss Windsor wiederfinden. Es wäre interessant zu wissen, wo der Rest geblieben ist. Der oben genannte Lucius Septimius Severus regierte als römischer Kaiser von 193 bis 211 n. Chr. In den Jahren seiner Statthalterschaft in Gallien heiratete er die schöne und gebildete Julia Domna. Als Statthalter und Legat in Pannonien wurde er 193 n. Chr. von den in Pannonien stationierten Legionen mit Unterstützung des

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KAPITEL IV

Rheinheeres in Carnuntum zum Kaiser ausgerufen. 194 n. Chr. erhob er Carnuntum in den Rang einer Kolonie, seiner Heimatstadt Leptis Magna aber verlieh er monumentalen Glanz durch die Errichtung des Forum Novum Severianum, eines Nymphäums, einer Triumphalstraße, einer gewaltigen Basilika und durch die Anlage eines neuen Hafens.59

Syrien Siehe ­ Abbildung S. 306

Syria: Philippopolis (Shahba, Südsyrien). Bevor Philippus Arabs 244 n. Chr. zum Imperator ernannt wurde, war dessen nach ihm benannter Heimatort – obwohl ein uralter Siedlungsplatz – ein bescheidenes Provinzstädtchen mit Wurzeln, die bis ins 8. vorchristliche Jahrhundert zurückreichen. Städtischen Charakter dürfte die Ansiedlung allerdings erst in späthellenistischer Zeit angenommen haben. Der gewaltige Umbau bzw. der Ausbau zu einer repräsentativen Stadt und zur zweitgrößten Siedlung Südsyriens begann kurze Zeit, nachdem Marcus Iulius Philippus zum Kaiser ausgerufen worden war. Wie bereits Werner Oenbrink (vgl. Anm. 60) bemerkte, erscheint das Stadtbild als „Paradebeispiel einer auf dem Reißbrett entworfenen Stadt“. Tatsächlich bediente man sich – wie in vielen anderen Provinzstädten – des fälschlich als „hippodamisches Prinzip“ bezeichneten Systems der orthogonalen Anordnung der Straßenzüge und Gliederung in Baukomplexe (insulae). Selbstverständlich ließ Philippus auch eine imposante Thermenanlage (die „Großen Thermen“) und ein Fassaden-Nymphäum errichten. Der erhöhte Wasserbedarf wurde durch ein Aquädukt mit einer hohen Bogenkonstruktion abgedeckt. Die Marmorskulpturen des Bades sind leider nur fragmentarisch erhalten. Die längst zerstörten Kuppeln und Gewölbebauten der Therme lassen sich nur mehr erahnen, doch selbst diese Baureste künden noch von der Monumentalität der einstigen Anlage.60

Türkei Siehe ­ Abbildung S. 306

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Pamphylia: Aspendos (nahe dem Dorf Belkıs, 44 km von Antalya entfernt) ist berühmt für sein Theater aus der Zeit des Kaisers Marc Aurel, das vom Architekten Zenon im Auftrag von Curtius Crispinus und Curtinus Anspicatus errichtet wurde, sowie für die Druckrohrwasserleitung, welche die Stadt permanent mit Frischwasser versorgte. Die erste Siedlung soll bereits in späthethitischer Zeit errichtet worden sein. Ab 424  v.  Chr. war Aspendos Mitglied des delischen Bundes. Nach Vertreibung der Perser fiel die Stadt in die Hände Alexanders des Grossen, der die Stadt mit noch höheren Steuern belastete als zuvor die Perser. Nach der Ptolemäerherrschaft gehörte Aspendos zum pergamenischen Königreich, später zum Römischen Reich. In der antiken Literatur findet Aspendos Erwähnung bei Thukydides (8, 81, 3), X ­ enophon (anabasis, 1, 2, 12 und hellenika 4, 8, 3), Arrianos (anabasis 1, 26, 5 und 1, 27, 1), Titus Livius (37, 23), Ptolemaios (5, 5, 6) sowie bei M. Stephanos Byzantius (p. 134). Während des Prinzipats wurden Prachtbauten, wie das mächtige Nymphäum (eine große kaiserzeitliche Brunnenanlage) und die Basilika errichtet. Unweit

BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

des Gymnasiums befinden sich die Ruinen der Thermenanlage, ursprünglich eindrucksvolle Gewölbebauten.61 Perge (bei Antalya, 4 km westlich des Flusses Aksu) entstand im Zuge der mykenischen Kolonisation von Griechen aus der Argolis und vom Peloponnes (Sparta). Strabon von Amaseia ist jedoch der Meinung, dass die Stadt von Kolonisten aus Argos unter der Führung der Helden Mopsos und Kalchas nach dem Ende des Trojanischen Krieges gegründet wurde. Bis zur Eroberung durch Alexander den Grossen gehörte Perge zum Perserreich. 334 v. Chr. ergab sich die Stadt kampflos dem Makedonier. Nach dessen Tod verblieb Perge kurzzeitig im Staat des ­A ntigonos, gehörte danach in hellenistischer Zeit zum Seleukidenreich und wurde erst 188 v. Chr. im Vertrag von Apameia von Antiochos III. an Eumenes II. von Pergamon abgetreten. Stadtgöttin war die Artemis Pergeia. Ihr Tempel konnte bis heute nicht entdeckt werden. An die hellenistische Periode erinnert das in das 3. Jh. v. Chr. datierte Tor mit den beiden zylindrischen Türmen. In römischer Zeit (ab 133  v.  Chr.) entstanden erst ab der frühen Kaiserzeit wesentliche bauliche Veränderungen, unter den Adoptivkaisern wurde Perge zu einem Schmuckstück des Reiches. Noch heute eindrucksvoll sind die Ruinen des griechisch-römischen Theaters, vor allem die prächtigen Marmorreliefs des Bühnengebäudes, darunter das berühmte Dionysos-Bühnenfries. Beeindruckend sind auch das riesige Stadion, das Grab der Plancia Magna (Tochter des Statthalters Plancius Varus von Bithynien), das Nymphäum und das prächtigste Bad ­Pamphyliens mit einer von Portiken umgebenen weitläufigen Palästra. In einem Apsidensaal befand sich ein 13 x 20 m großes Wasserbecken (natatio). Von hier aus gelangte man in das frigidarium und weiter durch das tepidarium zum caldarium mit seiner großen Apsis. Wie die Funde beweisen, war das Südbad unter anderem mit Statuen von Genien, Nymphen, Herakles, Hygieia, Asklepios und Nemesis geschmückt. Nördlich der Südtherme (= Hadrianstherme) liegt die etwas kleinere Nordtherme.62

Siehe ­ Abbildungen S. 307–308

Side (Σίδη, Hafenstadt im östlichen Pamphylien, zwischen Antalya und Alanya, etwa 64 Straßenkilometer Luftlinie östlich von Antalya und etwa 63 Straßen­ kilometer westlich von Alanya). Da die Nachricht des Eusebius, Side sei 1405 v. Chr. gegründet worden, nicht ernst genommen werden darf und keine anderen ­d iesbezüglichen Daten vorliegen, liegen die frühesten Zeiten der Stadt im Dunkel der Geschichte. Laut Strabon von Amaseia war Side eine Kolonie von Kumae in Nordwestanatolien. Bis in hellenistische Zeit wurde im Raum Side altanatolisch gesprochen. Arrian sprach vom „barbarischen Dialekt der Sideten“. Das erklärt auch den Namen der Stadt. „Sid“ bedeutet Granatapfel (griech. hingegen ὴ ῥοιά ), und der ist auch seit urdenklichen Zeiten Symbol der Athena von Side, wobei dieses Symbol keineswegs zur griechischen Zeustochter mit männergleicher ­physischer Kraft und geistiger Energie begabten kämpferischen Jungfrau passt, sondern viel eher zur anatolisch-phrygisch-kretischen Göttermutter, die unter den verschiedensten ­Namen verehrt wurde: Ma, Nana, Nanna, Dindymene, Idaia, Artemis, Astarte, Hepat, Kybele oder Kubaba. „Kybéla“ bedeutet im­ Phrygischen Berg oder Höhle. Der mit Ähren bekrönte Granatapfel war und ist Fruchtbarkeits- und Stadtsymbol, zu finden auf diversen Reliefs und antiken ­Münzen aus Side.

Siehe ­ Abbildungen S. 309–311

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KAPITEL IV

Als Alexander der Gro ße das Persische Weltreich eroberte, geriet auch Side unter seine Herrschaft. Über die Seeschlacht zwischen der seleukidischen Flotte mit ihrem Befehlshaber Hannibal und den mit den Römern verbündeten Rhodiern unmittelbar vor dem Hafen von Side im Jahr 190 v. Chr. berichtet Titus Livius (XXXVII, 23). Auf Grund ungünstiger Winde und der schlechten gesundheitlichen Verfassung der Ruderer gab es weder Sieger noch Verlierer, und zwei Jahre später wurde durch den Friedensvertrag von Apameia Pamphylien dem Pergamenischen Reich unterstellt. Nur Side dürfte sich zumindest eine eingeschränkte Unabhängigkeit bewahrt haben, denn einerseits gründete der pergamenische König Attalos II. Philadelphos einen neuen Hafen an der Südküste (Attalia, heute Antalya), und Side prägte noch bis 36  v.  Chr. eifrig Silbermünzen, ein Zeichen für den Wohlstand der Stadt. Das abrupte Ende der Prägeperiode ist auf die Übergabe der Stadt an den keltischen Eroberer Amyntas zurückzuführen. Letzterer konnte sich nur elf Jahre an seiner Neuerwerbung erfreuen. Nach seinem Tod annektierte 25 v. Chr. Augustus Pamphylien als Provinz, die von einem legatus propraetore Au­ gusti verwaltet wurde. In den folgenden drei Jahrhunderten waren Landwirtschaft, Olivenölproduktion und Seehandel die Haupteinnahmsquellen. Um Christi Geburt begann die Glanzzeit Sides, die, entsprechend der Gesamtentwicklung im Römischen Reich, bis zur Mitte des 3.  Jh.  n.  Chr. währte. Solange die Wirtschaft im Imperium funktionierte, ging es auch Side und den anderen Städten Pisidiens gut, doch um 250 n. Chr. war es mit der pax Romana längst vorbei. Begonnen hatte der Prozess mit der Herrschaft des Commodus. Nach außen hin stand in der Regentschaft der Adoptivkaiser das Imperium Romanum machtvoll dar und die Herrscher wurden als Wohltäter der Menschheit verehrt. Doch der äußere Glanz verbarg in Wahrheit den bereits beginnenden Niedergang der römischen Welt, verschleierte die Machenschaften einer dekadenten, korrupten, intriganten und menschenverachtenden Führungsgesellschaft. Während der Regierungszeit Marc Aurels drängten Dutzende Völkerschaften aus dem Norden Europas stärker denn je ins Römische Reich: Wirtschaftsflüchtlinge, Barbarenhorden und plündernde Räuberbanden. Im gesamten Reich wurden die Zeichen des Verfalls, zunehmender Dekadenz und einer schleichenden Wirtschaftskrise immer bedrohlicher. Marc Aurel, Symbol für die Verkörperung der Sitten der Alten Welt, musste resignierend zusehen, wie sein geliebtes Imperium langsam, aber unwiderruflich seinem Untergang entgegensteuerte. Der Untergang des Imperiums währte allerdings länger, als viele andere Reiche jemals Bestand hatten. Das mag nicht zuletzt darin begründet sein, dass herausragende Herrscherpersönlichkeiten, wie Septimius Severus, Aurelianus, Probus, Diocletian und Constantin der Gro ße wiederholt mit unterschiedlichem Erfolg versuchten, der negativen Entwicklung entgegenzuwirken. Auch in Side haben sich die Ruinen vieler prunkvoller Bauwerke aus der Kaiserzeit der ersten beiden Jahrhunderte n.  Chr. erhalten, so der Apollo- und ­Athena-Tempel aus dem 2.  Jh.  n.  Chr., ein gewaltiges Nymphäum, der Kaiserpalast, das Vespasian-Denkmal, das hellenistisch-römischeTheater und die Ruinen von drei Bädern. Das heute als Archäologisches Museum dienende Agora-Bad ist ein byzantinisches Bauwerk mit fünf Räumlichkeiten. Vom frigidarium gelangt man in den von einer Steinkuppel überdeckten Raum zum Schwitzen, das sogenannte laconicum. Der dritte Saal fungierte als caldarium. Von dort erreichte man das aus zwei Sälen bestehende tepidarium, wobei der fünfte Raum auch Umkleide-

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

möglichkeiten (apodyterium) bot. Zu jener Zeit, als das Bad noch in Betrieb war, wurde die Anlage freilich in umgekehrter Reihenfolge genutzt. Auf dem Areal des heutigen Museumsgartens befand sich die palaestra.63 Lycia: Patara (bei Gelemis) wurde angeblich von Pataros, einem Sohn Apollos und der Xanthosnymphe Lykia gegründet. Eine weniger romantische Sage führt die Wurzeln der Stadt auf einen Seeräuber namens Pataros, den Gründer von Tlos, zurück. Alexandros von Milet, der Polyhistor, berichtet in einer Kult­ legende, dass der Name auf die πατάρα genannten Kuchen in Form der heiligen Geräte Apollons zurückgeht. Tatsächlich hieß die Stadt aber bereits im Hethitischen πατάρ. Die Geschichte, wonach der von Achilleus verwundete Telephos Heilung beim Apollon von Patara gesucht haben soll, führt zurück in die Tage Homers. Ebenso wie Xanthos dürfte Patara 545 v. Chr. von Harpagos für das persische Großreich erobert worden sein. In hellenistischer Zeit war Patara wegen seines Hafens stets heiß umkämpft, und auch die Römer zeigten bereits 190 v. Chr. Interesse und kämpften zunächst erfolglos gegen den Seleukidenherrscher Antiochos III., der seinerseits sieben Jahre zuvor die Stadt den Ptolemäern entrissen hatte. 188 v. Chr. gelang es Quintus Fabius Labeo die Stadt zu erobern. Die folgenden Dezennien brachten der Stadt Aufschwung. Ein Gott, dessen Orakel dem des Apollon auf Delos oder in Delphi ebenbürtig war, „beschützte“ als Nationalgottheit Lykiens die Stadt. Titus Livius (XXXVII, 15) bezeichnete Patara als caput gentis Lyciae. Die von Kaiser Claudius befohlene Umwandlung des Landes in eine römische Provinz organisierte Quintus Veranius, der erste Statthalter von Patara aus. Während des Prinzipats blühte die Stadt auf, Vespasian erhob Patara zur Hauptstadt der Doppelprovinz Lykien und Pamphylien und damit auch Amtssitz der römischen Statthalter. Einige von ihnen haben sich in Inschriften auf öffentlichen Gebäuden verewigt. An Gaius Trebonius Proculus Mettius Modestus erinnert noch heute ein imposanter Ehrenbogen. Kaiser Hadrian besuchte Patara, und auch in antoninischer und severischer Zeit blühte die Stadt dank Handel und dem gern besuchten Apollon-Orakel. Die „goldene Epoche Pataras“ endete ziemlich abrupt in der Ära Diocletians. Das Theater, der Prostylos-Tempel, massive Mauern einstiger Getreidespeicher, die gewaltige 8 m tiefe Felszisterne auf dem Theaterhügel Kurșunlu mit mehr als 10 m Durchmesser, der 23 km lange Delikkemer-Aquädukt mit der beeindruckenden Steinrohr-Druckleitung und die vier Thermen künden von der Glanzzeit Pataras. Apropos Druckleitung: Dieser römische Aquädukt wurde im Winter 51/52 n. Chr. in Betrieb genommen, jedoch bereits 68 n. Chr. durch ein Erdbeben zerstört und umgehend unter Vespasian wieder aufgebaut. Die Datierung der Fertigstellung konnte erst kürzlich auf Grund der in einem beschädigten Rohrstück festgestellten 17 Kalksinter-Jahresablagerungsschichten datiert werden. Stabile Isotope von Kohlenstoff und Sauerstoff lassen Rückschlüsse auf die Schwankungen der Wassertemperatur zu. Die größte Badeanlage waren die Vespasiansthermen (38  x  27 m) mit vier Räumen, die eindrucksvollste römische Gebäudegruppe war fraglos die heute im Volksmund wegen des Dattelpalmenbestandes als Hurmalι k-Thermen bezeichnete Badeanlage. In der ersten Bauphase umfasste sie drei Räume: frigidarium, tepidarium und caldarium, in der zweiten Bauphase kam ein vierter Raum als Anbau hinzu, dessen Funktion nach wie vor ungeklärt ist. Im 22 x 10 m großen caldarium gab es

Siehe ­ Abbildung S. 312

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KAPITEL IV

drei Marmorbecken, die 4 x 1,7 m messen. Eine riesige Grube zum Kalkbrennen beweist, dass die Marmorausstattung im Mittelalter zu Kalk gebrannt wurde.64

Siehe ­ Abbildung S. 313

Siehe ­ Abbildungen S. 314–317

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Arykanda (bei Arif ), die antike lykische Stadt, etwa auf halber Strecke zwischen der Küstenstadt Finike und Elmalı im Landesinneren gelegen, wurde terrassenförmig am Abhang des Akdağ errichtet. Es handelt sich um eine griechische Gründung, die kurzfristig im 5. und 4. Jh. v. Chr. von den Persern beherrscht wurde und in hellenistischer Zeit von Alexander dem Grossen zurückerobert wurde. Es folgte die Herrschaft der Ptolemäer. Im 2. Jh. v. Chr. trat Arykanda dem lykischen Städtebund bei. Von den Römern erobert, wurde bereits unter Kaiser Claudius ab 43 n. Chr. Lykien zusammen mit Pamphylien als Doppelprovinz regiert. Zu den besterhaltenen Gebäuden der Stadt gehören die Großen Thermen, die unterhalb der Agora im Süden der Ostnekropole errichtet wurden. Sie sind teilweise bis zur Dachhöhe erhalten. Die Funktion der einzelnen Räume ist auf Grund der gut erhaltenen Hypokaustheizung zu erkennen. Therme und Gymnasium bilden einen in sich geschlossenen Gebäudekomplex.65 Aphrodisias (Αφροδισίας , Geyre, Karien) ist ein uralter Siedlungsplatz, hieß einst Nινόη und wurde später Mεγαλόπολις genannt. Aphrodisias (auch Aphrodisienses) blühte allerdings erst in römischer Zeit auf und wurde von Geographen und Geschichtsschreibern mehrfach erwähnt, so von Strabon von Amaseia (12, 8, 13 und 13, 4, 15), Appianos (bella civilia 1, 87), Ptolemaios (5, 2, 15), M. Stephanos Byzantius (p. 150) und von Tacitus in seinen Annales (ann. III, 62). Gezielte Grabungen begannen 1904 mit dem französischen Amateurarchäologen Paul Gaudin, der im Bereich des mittlerweile als palaestra der Hadrian-Thermen erkannten Areals auf die Reste von gewaltigen Pilastern und Kolossalköpfen von Medusa, Herakles und Perseus stieß. Der prächtige Herakleskopf befindet sich heute im Archäologischen Museum von Istanbul. Seit 1961 führt die Universität New York regelmäßige Grabungskampagnen durch, die eine Umsiedlung des über dem antiken Stadtgebiet liegenden Dorfes Geyre erforderlich machten. 1979 wurde das sehenswerte Museum von Aphrodisias eröffnet. In der heute weltbekannten Grabungsstätte wurden mittlerweile die Stadtmauern, der Tempel der Aphrodite (1./2. Jh. n. Chr.), ein Odeon (2./3. Jh. n. Chr.), eine Philosophenschule, ein Stadion, das eindrucksvolle, der Stadtgöttin Aphrodite und dem Herrscherkult geweihte Sebasteion aus dem frühen 1.  Jh.  n.  Chr., ein Tetrastoon („Kaisersaal“), ein Tetrapylon (repräsentative Toranlage zum Heiligtum der Aphrodite), diverse Zivilbauten, die Theaterbäder und das Theater ausge­graben. Letzteres wurde bereits in späthellenistischer Zeit errichtet, allerdings unter Marc Aurel umgebaut und modernisiert. Weiters konnten die große Agora und die an deren westlichen Ende liegenden, aus massiven Sandsteinblöcken errichteten Hadrian-Thermen freigelegt werden. Letztere wurden in der Regierungszeit des namengebenden Adoptivkaisers (117 bis 138 n. Chr.) errichtet. Diese kaiserzeitliche Badeanlage verfügte über Apodyterien, Frigidarien, Tepidarien und einen prächtigen Zentralbau mit dem Caldarium s­ owie eine ausgedehnte Palästra. Einst war das imposante Bauwerk mit Marmorplatten verkleidet, die längst demontiert und größtenteils zu Kalk gebrannt wurden.66

BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Milet (Mίλητος , dorisch Mίλατος , am Ägäischen Meer, Ionien). Nach Apollodoros (3,5  f.) wurde die Stadt von dem Apollonsohn Miletos gegründet, der mit Sarpedon (Sohn des Zeus und der Europa) vor Minos aus Kreta nach Karien floh. Die Gründung der jonischen Kolonie dürfte im 11. Jh. v. Chr. erfolgt sein. Im Laufe der Zeit wurde die Handelsstadt infolge der Kolonisationstätigkeit wohlhabend und prägte schon sehr früh (nach Sardes) die ersten Elektronmünzen (Herodot 1,94). Milet war auch ein kulturelles Zentrum. Viele prominente Wissenschaftler und Philosophen sind mit dem Stadtnamen verbunden: Thales von Milet, Alexandros von Milet (genannt der Polyhistor), Anaximandros, Anaximenes und Hekataios. Milet wurde von Kroisos unterworfen, später von den Persern. Aristagoras, der Schwiegersohn des Tyrannen Histiaios, trieb Milet in den großen jonischen Aufstand (499 bis 494 v. Chr.), was einerseits zur Zerstörung der Stadt und andererseits zur Versklavung der Bevölkerung führte. Seit dem Beitritt zum attischen Seebund war Milets Geschichte wechselvoll. Nach der Eroberung durch Alexander den Grossen konnte sich Milet gegenüber den Großmächten mehr oder minder behaupten, blieb jedoch von galatischen Raubzügen nicht verschont. Ebenso wie Hierapolis wurde Milet mit der attalidischen Erbschaft vom römischen Imperium annektiert. Speziell unter Trajan und den Antoninen erlebte Milet seine Glanzzeit. Die Faustina-Thermen von Milet wurden von der jüngeren Faustina, der Gemahlin Marc Aurels errichtet. Sie bestanden aus einem langgestreckten, tonnengewölbten apodyterium mit einem Apsidensaal, in welchem heute ein Museum untergebracht ist, einem rechteckigen tepidarium, einem gegliederten frigidarium, zwei großen caldarien, einem sudatorium und vielen Nebenräumen.67 Ephesos (am Ägäischen Meer bei Selçuk, Ionien). Die Wasserversorgung der Stadt erfolgte durch mehrere Gefälle-Fernleitungen, die das Wasser aus den Bergen von den Piranga- und Şirince-Quellen im Osten, vom Marnas im Südosten und von den Başdegirmen-Quellen im Süden in die Stadt lieferten. Ein Teil der Aquädukte ist noch heute erhalten. Abwässer wurden nach Westen ins Meer entsorgt. Den höchsten Wasserbedarf hatten – wie nicht anders zu erwarten – die Badeanlagen, deren Abwässer auch permanent die Kanäle der öffentlichen Latrinen durchspülten. Es gab Männer- und Frauenbäder sowie nach Hueber auch Bäder, welche Frauen zwischen der 4. und 7. Stunde und Männer zwischen der 8. und 12. Stunde besuchen durften. Zur näheren Erläuterung: der helle Tag wurde in 12 Stunden geteilt; die erste Stunde begann bei Sonnenaufgang, die 12. Stunde endete mit dem Sonnenuntergang. Ein aus unserer Sicht höchst unpraktisches System, zumal sich täglich die Stundenlänge veränderte. Gemischte Bäder machten den Behörden mehrfach Probleme. Die Gliederung der Bäderkomplexe folgte der klassischen Einteilung in apody­ terium (Umkleideraum) über frigidarium (Kaltbad), tepidarium oder cella media (lauwarm temperierter Raum), caldarium (Warmbad), sudatorium (Schwitzbad) bis zum laconicum (Luftschwitzbad) und dem natatio (Freiluftschwimmbad). Im Zuge der Vergrößerung und Modernisierung der Anlagen kamen Gymnastikräume, Rasiersalons, Festsäle, Sanitärräume, Boutiquen, Parfümerien, Restaurants sowie Imbissund Getränkestände hinzu. Bis heute wurden in Ephesos sechs große, kaiserzeitliche Thermen festgestellt und zum Teil bereits freigelegt. Schon allein durch den

Siehe ­ Abbildungen S. 318–319

Siehe ­ Abbildungen S. 320–321

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KAPITEL IV

vorgelagerten Hadrianstempel sind die Scholastika-Thermen mit dem Variusbad und die Thermen im Rathausviertel die bekanntesten Badeanlagen von Ephesos.68

Siehe ­ Abbildungen S. 322–323

Siehe ­ Abbildungen S. 324–329

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Sardes (Sart, östlich von Izmir, Lydien) wird von Aischylos als Σάρδεις und von Herodot unter dem Namen Σάρδιες erwähnt. Die Entstehungsgeschichte der Stadt lässt sich bis in die Bronzezeit zurückverfolgen. Sardes war Residenz der lydischen Könige am goldreichen Fluss Pactolos, wobei das Gold in Form von elektron gefunden wurde. Letzteres ist eine in der Natur vorkommende Gold-Silber-Legierung, aus der die ersten Münzen geprägt wurden. Der Goldgehalt schwankte zwischen 36 und 53 %, was modern formuliert 8,6- bis 12,7-karätiges Gold bedeutet. Diese Münzen zeigen – mit wenigen Ausnahmen – einen Löwenkopf als das königliche Zeichen von Sardes. Dennoch hat der unterschiedliche Goldgehalt die Menschen irritiert, woraufhin der letzte Lyderkönig Kroisos (auch als Krösus bekannt) etwa um 560 v. Chr. die Münzprägung aus reinem Gold und reinem Silber einführte.69 Als Reaktion auf die wachsende Macht der Perser in seinem Umfeld erwog Kroisos den Angriff gegen die Truppen des Königs Kyros, befragte das Orakel und erhielt die verhängnisvolle Mitteilung, dass er beim Angriff auf Persien ein großes Reich zerstören würde. Dass das große Reich sein eigenes sein könnte, kam ihm nicht in den Sinn. Trotz der persischen Eroberung blieb Sardes eine bedeutende Stadt, sowohl unter den persischen Satrapen als auch in hellenistischer Zeit. In der römischen Provinz Asia war die Stadt Gerichtssitz des römischen Statthalters. Nach dem Erdbeben anno 17  n.  Chr. wurde Sardes mit den von Kaiser Tiberius bewilligten ­fi nanziellen Mitteln wiederaufgebaut. Zu den bedeutendsten antiken Ruinen zählt neben Theater und Stadion der Artemis-Doppeltempel über dem Pactolostal. Lange rätselten die Experten, ob nun Artemis und Zeus dort verehrt werden. Doch jüngere Untersuchungen bewiesen, dass die Tempelteilung erst unter Antoninus Pius erfolgte, welcher den Artemiskult mit seiner vergöttlichten Gemahlin ­Faustina der Älteren verband. Das Gymnasium mit der 23.000 m2 großen Thermenanlage wurde erst in der jüngsten Vergangenheit freigelegt. Interessant ist der Kaisersaal mit einer Widmung an Caracalla, Geta und deren Mutter Julia Domna (Witwe nach Kaiser Septimius Severus).70 Phrygia: Hierapolis (bei Pamukkale). Seinen weißen Kalksinter-Terrassen, entstanden aus permanent sprudelndem heißem, mineralhaltigem Wasser verdankt Pamukkale („Baumwollfestung“) nicht nur seinen Namen, sondern auch seine Berühmtheit als Badeort. Wegen der erwiesenen Heilkraft wurden die Thermalquellen schon früh zu einem antiken Kurort ausgebaut. Die antike phrygische Stadt Hierapolis ist unmittelbar daneben auf einem langgestreckten Plateau errichtet worden. Sie war schon sehr früh ein Zentrum des Kybelekultes. Bereits anno 133 v. Chr. wurde Hierapolis auf testamentarischen Wunsch von Attalos III. den Römern übergeben. 17  n.  Chr. zerstörte ein heftiges Erdbeben weite Teile der Stadt, ein weiteres Beben richtete 60 n. Chr. weitere enorme Schäden an. Bedingt durch die zögerlichen Wiederaufbauarbeiten erlebte Hierapolis erst im späteren Prinzipat seine Blütezeit. Haupteinkünfte waren der Abbau und Handel von Marmor und die Einkünfte aus der Teppich- und Stoffweberei. Kaiser­ besuche werden Hadrian und Caracalla zugeschrieben. Ein Sophist namens Antipater aus Hierapolis war ein Lehrer Caracallas.

BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Wie auf dem Grabungsgelände unschwer zu erkennen ist, wurde die hellenistische Stadt nach dem Konzept des Hippodamus von Milet angelegt. Die Stadtmauern und -tore wurden im 1. Jh. n. Chr. errichtet. Von den Archäologen freigelegt wurden in Hierapolis auch die Überreste eines prächtigen, reich mit Statuen geschmückten Nyphäums, ein leider stark verwüsteter Apollo-Tempel mit der angeschlossenen Geisterhöhle (Austritt giftiger Gase, genannt Plutonium) und ein großes Theater aus dem 2. Jh. n. Chr. für 10.000 Zuschauer (restauriert von Septimius Severus) mit den Resten einer wohlgegliederten Skenenwand, in dessen Areal Hunderte Reliefs und Figuren geborgen werden konnten. Die gewaltige römische Ruine der Thermen aus dem 2. Jh. n. Chr. dient heute als Antiken-Museum. Die massiven Wände und Gewölbe der Badeanstalt sind aus dem vor Ort anstehenden Marmor gefertigt. Wie alle römischen Bäder der Kaiserzeit verfügte die Anlage über caldarium, tepidarium und frigidarium.71

Siehe ­ Abbildungen S. 330–331

Aizanoi (Çavdarhisar) verfügte über zwei Bäder – die kleinen Meydan-Kι ranThermen und eine große symmetrische Thermenanlage (ein Thermengymnasium mit einem frigidarium in Form der Constantinsthermen in Rom). Die Meydan-Kι ran-Thermen wurden in den Jahren 1980 bis 1984 im Nordosten der Stadt ausgegraben. Die Anlage misst 50 x 46 m und ist nur etwa halb so groß wie das genannte Thermengymnasium ohne Palästra. Alle Warmräume liegen im Südwesten (Krenckers Thermentypus d). Das südlichste Warmbad (caldarium) mit den Einbauten für mehrere gut heizbare Wasserbecken dürfte der heißeste Raum gewesen sein.

Siehe ­ Abbildung S. 332

Im Thermengymnasium fehlen heute – wie bei den meisten kaiserzeitlichen Bauten – die meisten Platten und Profilstücke der einstigen Marmorverkleidung. Leider wurde die Anlage als Steinbruch für die spätantike Säulenstraße benutzt, sodass die Anlage in weitesten Bereichen bis auf die Grundmauern bzw. die Fundamente zerstört wurde. Dennoch gehört diese Therme zu den bedeutendsten in Anatolien, zumal die 110 x 145 m große Badeanlage größer als die ephesischen Gymnasien und nur unwesentlich kleiner als die Thermen von Sardes ist. Die Therme vom Bautyp der kleinen Kaiserthermen war – wie von den zeitgenössischen Architekten empfohlen – nach der Sonne ausgerichtet. Die Front der Heiß- und Warmwasserbäder bekam die volle Nachmittagssonne, die palaestra lag im Nordosten des Badekomplexes. Betreten wurde die Anlage von der palaestra her. Hier befanden sich die apodyteria (Umkleideräume) und vermutlich auch die Privaträume für die Pächter der Anlage sowie die Bediensteten (z. B. Bademeister und Garderobenwächter). Im Zentrum des Nordteils der Anlage lagen die natatio und das frigidarium (Kaltbad), flankiert von zwei großen Basiliken mit halbrunden Nischen (vermutlich Wandelhallen). Über eine Reihe kleinerer Räume gelangte man ins caldarium, den zentralen Raum der beheizten Südseite. Daneben lagen offensichtlich laconia und sudatoria. Die große Therme von Aizanoi ähnelt in weiten Bereichen dem Vediusgymnasium in Ephesos und dürfte nur wenige Jahre nach der Errichtung desselben im dritten Viertel des 2. Jh. n. Chr. erbaut worden sein.72

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KAPITEL IV

Siehe ­ Abbildungen S. 333–334

Ankyra (Ankara). Die heutige Hauptstadt der Türkei entstand auf historischem Boden. Die frühe Stadt gehörte zu Phrygien, wurde dann aber Galatien zugeschlagen. Der griechische Name lautete ᾊνκυρα . Einer Sage zufolge soll Midas der Stadtgründer gewesen sein. Die im 3. Jh. v. Chr. eingewanderten Kelten machen Ankyra zu ihrem Hauptsitz; zu einem bedeutenden Knotenpunkt unterschiedlicher Handelswege wurde Ankyra erst durch den von den Römern intensivierten Straßenbau. Nach Christo M. Danoff wurde im Tempel des Augustus und der Dea Roma (errichtet zwischen 25 und 20 v. Chr.) der bilinguale Text des AugustusTestamentes entdeckt, in Fachkreisen unter den Begriff Monumentum Ancyranum = Res gestae divi Augusti bekannt. In der frühen römischen Kaiserzeit wurden in Ankyra mehrere Prunkbauten errichtet, darunter eine kaiserzeitliche Badeanlage, die über Apodyterien, Frigidarien, Tepidarien und einen prächtigen Zentralbau mit dem Caldarium sowie eine ausgedehnte Palästra verfügte. Einst war das imposante Bauwerk mit Marmorplatten verkleidet.73

Griechenland Creta et Cyrene: Gortyn, Creta Romana (Insel Kreta).

Sie [die Römer] haben die gepflasterten Straßen im Lande angelegt, wobei sie auch Hügel abgruben und Höhlungen zuschütteten […] und das durch die Aquaedukte hereingeleitete Wasser ist von einer solchen Menge, dass Flüsse durch die Stadt und die unterirdischen Gänge fließen […] notierte Strabon von Amaseia in seiner Geographica (5, 3, 8) über das römische Kreta. Allerdings besaßen nur die größeren und reicheren Städte eigene Quellen außerhalb ihrer Mauern, von denen sie das kostbare Nass über Aquädukte zuleiten konnten. Nach Tilmann Bechert ist das beste Beispiel dafür das wasserreiche Quellgebiet von Argiroupoli, das sich über dem antiken Lappa erhebt […] – Kaskadenförmig fällt hier an der Westseite des Stadthügels das Wasser zu Tal und füllt Bassins, Kanäle und Rohre, die bis nach Rethimnon führen. Kleine Siedlungen, die sich aus pekuniären Gründen keine langen und aufwendigen Wasserleitungen leisten konnten, speicherten Quell- und Regenwasser in Zisternen, um auch in Trockenzeiten über die Runden zu kommen. Thermen gab es auf der Insel Kreta in mehreren Städten, die größte Anlage befand sich in Gortyn, weitere in Kisamos und Aptera. In Gortyn befanden sich im praetorium (Statthalterpalast) neben der Gerichtshalle und dem Kaisertempel auch die Thermen. Gespeist mit dem Wasser aus dem Aquädukt wurden nicht nur die Badeanlage, sondern auch die Zisternen und das öffentliche Netz.74 Epidauros: siehe Heilthermen

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Bulgarien Thracia: Odessos (Varna am Schwarzen Meer) verfügte über eine große Badeanlage aus dem 2. Jh. n. Chr. mit axialer Ausrichtung und symmetrischem Grundriss. Diese eindeutig dem Kaisertypus zuzuordnende Therme bedeckte eine Fläche von rund 7.500  m2 und gehört damit zu den beeindruckendsten Bauwerken des Ost­ balkanraumes. Manfred Oppermann ist der Auffassung, dass die Konzeption

zweifellos auf westkleinasiatische Vorbilder zurückgeht, welche besonders gut in der ephesischen Thermenarchitektur belegt werden können. Bei der gesamten Anlage, die in der sich uns heute präsentierenden Form auf die Zeit des Kaisers Septimius Severus zurückgehen dürfte, handelt es sich um einen teilweise noch gut erhaltenen, marmorverkleideten Ziegelbau, wobei vom Marmor und den Balustradenfiguren kaum etwas zu sehen ist. Hinsichtlich der Wasserversorgung des Bades ist zu bemerken, dass auch Odessos über eine große, mit wasserdichtem Beton und Putz ausgekleidete Zisterne im höher gelegenen Nordhof verfügte. Der Bau einer Wasserleitung ist für das Jahr 157 n. Chr. verbürgt, doch mag diese Leitung zunächst eine früher errichtete Therme gespeist haben. Die Zuleitung des Wassers zum Bad erfolgte durch Steinrohre. Nach dem Verteiler floss es durch Tonrohre weiter zum frigidarium, zu den Latrinen und zu den restlichen Nassräumen. Auf der Nordseite des Bauwerkes, wo sich in einem riesigen Hof eine Freiluft-palaestra befand, gab es zwei Eingänge, über welche man zunächst die beiden Vorräume erreichte. Seitlich der Eingänge befanden sich die Latrinen. Entlang der Thermennordseite gab es eine Reihe kleinerer Räume, deren Bestimmung nicht eruiert werden konnte, bei denen es sich aber möglicherweise um Imbissbuden, Geschäfte und Läden handelte. Ein dritter Eingang führte von der Nordseite direkt in die mit Kreuzgratgewölben überdachte, 60 m lange und 14 m breite Winter-pa­ laestra. Ebenfalls von den Vorräumen führten Türen in Richtung der zentralen Achse in die genannte gedeckte palaestra und weitere Türen in die beiden riesigen quadratischen apodyteria mit 23 m Wandlänge, welche ursprünglich vermutlich von Kuppeln bedeckt waren. Zwischen diesen Umkleideräumen lagen ein großes, 30 x 11 m messendes fri­ gidarium und südlich von diesem ein beinahe ebenso großes Warmwasserbad. Diese beiden Räume waren ebenso von den Umkleideräumen aus zu erreichen, wie die beiden seitlichen frigidaria (Apsidenräume) und die vier seitlichen tepidaria, die wiederum den Zentralbau des eindrucksvollen caldariums mit einer großen, nach Süden ausgerichteten Apsis flankierten. Nicht nur elegant, sondern auch praktisch: Das caldarium verfügte über doppelt verglaste Fenster. Dieses Heißwasserbad war überdies auch vom Warmwasserbad direkt zu erreichen. An der Südfront war der Badeanlage ein 101 m langer Korridor vorgelagert. In der Mitte der Südapsis befand sich der Zugang zum praefurnium (Heizanlage). Jene beiden Räume, wo die Öle und wohlriechenden Salben aufbewahrt wurden (Salbölkammern) und wohin der oder die Badende ging, um sich einreiben zu

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KAPITEL IV

lassen, konnten nicht lokalisiert werden. Dass im Nordabschnitt der inneren Westgalerie Weihedenkmäler für Asklepios und Hygieia sowie anderer Gottheiten entdeckt wurden, ist nicht weiter verwunderlich Es ist denkbar, dass sich westlich des Thermenkomplexes ein Heiligtum für die Heilgottheiten befand. Im Osten der Anlage hingegen vermuten die Ausgräber einen Wirtschaftshof, und es darf mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass in den Arkadenöffnungen der Thermenostseite Brennholz gelagert wurde.75

Serbien Moesia superior: Felix Romuliana (Gamzigrad, Ost-Serbien) war die Residenz des römischen Kaisers Galerius, der von 293 bis 311 n. Chr. regierte. Die Ruinen der spätantiken, stark befestigten Palastanlage sind heute noch beeindruckend. Die sogenannten Großen Thermen im südöstlichen Teil des Komplexes weisen mehrere Bauperioden auf und sind – gemessen an den vergleichbaren Anlagen in der Villa Adriana – eher von bescheidenen Dimensionen. Über eine Vorhalle gelangte man in einen repräsentativen Raum und von diesem einerseits in eine erhöhte halbkreisförmige Nische (apodyterium?) und andererseits in zwei rechteckige frigidaria an der Südseite. Zu den beheizbaren Räumen zählten caldarium und tepidarium. Das Bemerkenswerte an dieser Therme waren zwei Kleinfunde, die aus dem Schutt der Anlage geborgen werden konnten: ein bekrönter Porträtkopf des Galerius aus Porphyr, geschaffen nach seinem Sieg über die Perser 298 n. Chr., und ein qualitätvolles Relief, das die schlafende Ariadne zeigt.76

Albanien Buthrotum (Butrint): siehe Heilthermen.

Italien II

Siehe ­ Abbildungen S. 336–339

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Sicilia: Villa del Casale (Piazza Armerina). In einer landschaftlich reizvollen waldreichen Gegend Siziliens wurde zwischen den Jahren 306 und 312 n. Chr. eine herrschaftliche Villa angelegt, vermutlich ein kaiserlicher Sommersitz, vielleicht jener des Kaisers Marcus Aurelius Valerius Maximianus Herculius (286 bis 310 n. Chr.). Dieser war allerdings ein eher unangenehmer Zeitgenosse.77 Die Villa Casale ist berühmt für ihre vielen figuralen Mosaike. Entsprechend den Darstellungen wurden die Korridore, Wandelgänge, Säle und viele andere Räumlichkeiten der Villa von den Ausgräbern benannt. So gibt es ein Vestibül des Polyphem, ein Vestibül des Eros und des Pan, ein Cubiculum der erotischen Szenen und andere Schlafzimmer: Cubiculum der Früchte, Cubiculum der jagenden Kinder sowie ein Cubiculum der Musikanten und Schauspieler. Auch die Säle wurden nach den dargestellten Tanzszenen, Jahreszeiten, fischenden Eroten und kleinen Jagdszenen bezeichnet. Auch gibt es ein Säulenatrium mit Meeresszenen, einen Wandelgang der großen Jagdszenen sowie einen Korridor der Zirkusszenen und mehrere andere mosaikverzierte Räumlichkeiten.

BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Der Badekomplex der Villa Casale unterscheidet sich durch seine Bauweise zwar nicht grundlegend, aber dennoch auffallend von den übrigen in dieser Zeit entstandenen Badeanlagen. Das liegt in erster Linie daran, dass dieses private Bad nach den Richtlinien für öffentliche Bäder errichtet wurde. Der polygonale Portikus erlaubte es, das Bad ohne Berührung der privaten Wohn- und RepräsentationsRäumlichkeiten zu betreten. Bemerkenswert sind die beim Bau der Praefurnien verwendeten, aus Ton gebrannten Gewölberöhren (terracotta vaulting tubes), wie sie aus römerzeitlichen Badeanlagen im heutigen Tunesien hinlänglich bekannt sind.78 Campania: Herculaneum (Golf von Neapel), ebenso wie Pompeji im Februar 63 n. Chr. durch ein Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen und im August 79 n. Chr. durch einen verheerenden Vesuvausbruch zerstört, wurde der Sage nach von Herkules gegründet und diente anfänglich primär als eine Hafenanlage zum Schutz der griechischen Flotte. Erst nach der Gründung Neapels entwickelte sich die kleine Siedlung zu einer Stadt, angelegt nach dem hippodamischen Straßennetz (Prototyp der hellenistischen Städte). Drei Dekumanen in ostwestlicher Richtung und fünf Cardines in nordsüdlicher Richtung bildeten rechteckige Häuserblocks (in­ sulae) von unterschiedlicher Größe. Nach den Dezennien samnitischer Herrschaft und den Bürgerkriegen wurde Herculaneum um 80  v.  Chr. Teil der Römischen Republik. Schnell wuchs die Stadt zu einer Villengegend heran. Dilettantische Grabungen begannen bereits 1688 und lieferten mehrere eindrucksvolle Zufallsfunde. Es folgten Anfang des 18. Jahrhunderts illegale Raubgrabungen auf Betreiben des österreichischen Fürsten Maurice de Lorraine, Herzog von Elbeuf, 1738 setzen die ersten offiziellen Grabungen ein, die wie ein Bergwerk mit Schächten und Stollen betrieben wurden, wobei nicht nur Sensationelles entdeckt, sondern auch vieles zerstört wurde. 1765 wurden diese Grabungsarbeiten eingestellt und erst 1828 begann eine systematische Freilegung der Stadt. Die wissenschaftliche Erforschung – verbunden mit den erforderlichen Restaurierungsarbeiten – setzte 1927 ein. Nun wurden prächtige Villen, wie das Haus Neptuns und der Amphitrite, das Samniter Haus und die Thermen des Forums und die Thermen in der Vorstadt ausgegraben. Die Thermen des Forums wurde um 10 v. Chr. in der Regierungszeit des Kaisers Augustus errichtet, aber erst unter Claudius oder Nero ausgeschmückt. Sie sind größer als die Pompejaner Thermen und architektonisch einheitlich gegliedert, da seit ihrer Errichtung keinerlei architektonische Umgestaltungen vorgenommen wurden. Vom apodyterium des Männerbades gelangte man in das kreisrunde frigidarium, geschmückt mit Darstellungen von Wassertieren. Das Bodenmosaik des tepidariums zeigt einen Triton, einen Polypen, einen Tintenfisch und vier Delphine. Im caldarium befinden sich ein Warmwasserbecken (alveus oder calida piscina) an der Ostseite und ein Kaltwasser-Labrum vor der Westapsis. Die Thermen der Vorstadt gehören zu den besterhaltenen römischen Badeanlagen weltweit. Eindrucksvoll sind die Wandmalereien, Stuckaturen und die Marmorböden und Marmorsitzbänke.79

Siehe ­ Abbildungen S. 340–341

Pompeji (Golf von Neapel). Es waren zunächst drei große öffentliche Badeanstalten, die der Bevölkerung der Stadt am Vesuv zur Verfügung standen; die samnitischen „republikanischen Thermen“ in der insula VIII 5, die technisch modernisierten Stabianer Thermen in der insula VII 1 und die später völlig umgestalteten Forums-

Siehe ­ Abbildungen S. 342–346

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KAPITEL IV

thermen in der insula VII 5. Die Wasserversorgung dieser drei Anlagen erfolgte in der Frühzeit ausschließlich mit Hebewerken aus 30 bis 35  m tiefen Brunnen und Zisternen. Eine erste Wasserleitung dürften nach Hans-Friedrich Eschebach (1979) erst die von Sulla in Pompeji angesiedelten Veteranen errichtet haben. Doch erst die Serino-Wasserleitung erlaubte weitestgehend uneingeschränkten Wasserverbrauch. Der Thermenkomfort wurde verbessert und es entstanden viele Lauf- und Springbrunnen sowie Schwimmbäder. Da war es naheliegend, die „republikanischen Thermen“ aufzugeben, die Stabianer Thermen zu erweitern und die Forumsthermen grundlegend umzubauen. Während der Regierung des Kaisers Augustus entstanden darüber hinaus die Suburbanen Thermen vor der Porta Marina, die unter Kaiser Nero um ein Schwimmbecken erweitert wurden. Die Forumsthermen wurden bereits 1824 freigelegt. Leider blieben infolge der damals noch wenig ausgefeilten Grabungstechnik viele Details unbeachtet und viele Hinweise gingen unbeabsichtigt verloren. Trotzdem sind die Publikationen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von eminenter Bedeutung, denn spätere Ausgräber benutzten die Frauenthermen als Magazin und Rumpelkammer und entzogen sie so der Forschung. Dazu Eschebach (1979) wörtlich: Sie stellten den einzigen Gebäudekomplex Pompejis dar, dessen Gewölbe vollständig erhalten sind. Das Peristyl, die Exedra und der Wirtschaftshof der Thermen sowie viele Läden an der Via del Foro wurden Mitte des 20. Jhs. zum Touristenzentrum mit Restaurant umgebaut. Derartige Dummheiten, mangelnde Pflege, Witterungsschäden und die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg, bei denen die insula VII 6 komplett zerstört wurde, haben der antiken Bausubstanz erheblich geschadet. Die Eingänge zum Männerbad führten sowohl von der Via del Foro als auch vom Vico delle Terme über die palaestra zum Bad, vom Eingang in der Via delle Terme gelangte man zunächst in das Männer-apodyterium. Die Wölbung des Korridors, der von der Via delle Terme in die Badeanlage führt, zeigte rote und gelbe Sterne auf weißem Grund. Der Rundbau zwischen apodyterium und palaestra, ein ehemaliges laconicum, wurde in der Bauphase unmittelbar vor der Zerstörung Pompejis durch den Vesuvausbruch als frigidarium genutzt. Das Gewölbe dieses Raumes war – den Himmel vortäuschend – blau bemalt, die Wände waren mit Gartenmalerei dekoriert. Der Karniesstuckfries zeigt Eroten beim Rennen mit Ross und Wagen. Vom apodyterium erreichte man das Männer-tepidarium, welches lediglich durch einen Holzkohleofen beheizt werden konnte, und das anschließende mit einer ­Hypokaustheizung versehene Männer-caldarium. Wollte jemand im lauwarmen Wasser baden, wurde im Tepidarium eine tragbare Bronzewanne bereitgestellt. Das ursprünglich in Tuffprofilen gearbeitete, später mit rotem Stuck überzogene Gesims über dem Tonnengewölbe in Augenhöhe der Besucher wird von stucküberzogenen Terrakotta-Atlanten getragen. Am Tonnengewölbe faszinieren beachtliche Stuckaturreste in den Farben Weiß, Blau und Violett. Zurück durch tepidarium und exedra und vorbei an den steinernen Bänken an der Südsüdostfront des Männerbades gelangte man zur palaestra und durch einen überwölbten Korridor (mit blauer Wölbung und gelben Sternen) erreichte man den zweiten Sternenkorridor zum Ausgang in der Via delle Terme. Eine Latrine befand sich westlich der palaestra neben dem Ausgang zum Vico delle Terme.80

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H EI L BÄ DE R Die Römer hatten schon früh erkannt, welche Bedeutung Reinlichkeit, Sauberkeit und die Hygiene für die Gesundheit der Menschen haben und wie wichtig es ist, regelmäßig zu baden. Den natürlichen Warmwasserquellen kam eine besondere Bedeutung zu. Sowohl Griechen als auch Römer konnten bereits die Qualität der Quellen differenzieren, auch wenn es ihnen nicht möglich war, die einzelnen Inhaltsstoffe zu identifizieren. Warme, heilkräftige Jod-Schwefelquellen wussten sie ebenso zu schätzen wie Eisensäuerlinge. Genaue Aufschlüsse über die genutzten natürlichen Heilquellen gibt der Corpus Hippocraticum.

Heilbäder

Die meisten Heilbäder zwischen Aquae Sulis in Britannien und den Antoninus ­P ius-Thermen in Karthago in der Provinz Africa proconsularis, zwischen Ampurias in Hispanien und Hermopolis in Aegyptus, im Besonderen aber das nicht zufällig verruchte Baiae ähnelten den heutigen Kurorten: Martial spottete über Kurschatten und untreue Ehegattinnen und Seneca beschwerte sich über den unmäßigen Lärm. Der bereits viel zitierte Vitruv hat sein 8. Buch über die Baukunst dem Wasser gewidmet. Im dritten Kapitel berichtet er von den heißen Quellen und von ihrer Brauchbarkeit zu Heilzwecken: Jede warme Quelle aber ist heilkräftig, weil ihr Wasser im Lauf seiner Erhitzung irgendwelche Beimengungen in sich aufnimmt, wodurch ihre heilkräftige Wirkung hervorgerufen wird. So eigen sich beispielsweise Schwefelquellen zur Heilung von Nervenleiden, indem sie durch ihre Wärme und unterstützt durch die besonderen Beimengungen den Körper kräftigen und ihm Krankheitsstoffe entziehen. Vitruv behauptet auch, dass kohlensaure Quellen heilen, indem sie durch ihre Einwirkung die Körperwärme unterstützen und den Blutkreislauf fördern. Andere Mineralwässer dagegen sind von besonders guter Wirkung, indem sie die Verdauungstätigkeit des Körpers regeln. Nicht nur die Verdauung regeln, sondern auch blutreinigend wirken sollen die kalten, natronhaltigen Brunnen. Viele Mitteilungen von Vitruv über diverse Wasserqualitäten sind naturwissenschaftlich interessant und heute problemlos zu erklären, manche Geschichten sind freilich in den Bereich der Sagen, Mythen und der Flunkerei zu verweisen: So haben die Flüsse Kephisos und Melas in Böothien […] und andere Quellen und Flüsse im Gebiet von Klazomenae, Erythrae und Laodikeia die Eigenschaft, dass die Schafe, wenn sie während ihrer alljährlichen Begattungszeit täglich an dieselben zur Tränke geführt werden, in Folge davon, wenn sie gleich selbst weiß sind, hier

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KAPITEL IV

fahle, dort grauschwarze und wieder an anderen Orten rabenschwarze Lämmer wer­ fen. – Es finden sich auch an einigen Plätzen Quellen, welche die Eigentümlichkeit ­haben, dass durch den Wassergenuss bei den Eingeborenen jener Gegenden vortreff­ liche Singstimmen sich entwickelten, wie in Tarsos, in Magnesia und in anderen derartigen Gegenden.

Die heilende Wirkung des Wassers

nimmt bei Plinius in seiner historia naturalis großen Platz ein. Bei Plinius (XXXI, 59 ff.) ist zu lesen: Die schwefligen Wasser zeigen sich heilsam bei Nervenleiden, die alaunhaltigen bei Lähmungen und ähnlichen Zuständen von Erschlaffung, die bituminösen oder alka­ lischen, wie beispielsweise das cutilinische, das man zur Reinigung trinkt. Plinius tadelt alle, die mehrere Stunden lang in heißem Thermalwasser baden, ohne zu bedenken, wie schädlich dies sein kann. Er meint, dass man danach kaltes Wasser und Öl anwenden muss, was jedoch der gemeine Mann für überflüssig hält, weshalb er auch mehr Schaden als Nutzen von der Kur hat. Wie zu erwarten, wurden in der Antike den verschiedenen Quellen zum Teil völlig übertriebene und an Wunder grenzende Heilungen zugeschrieben. Hier ein Beispiel aus der historia naturalis Band XXXI, 8: In demselben Distrikte Campaniens kommt das sinuessanische Wasser vor, welches bei Frauen die Unfruchtbarkeit und bei Männern die Raserei vertreiben soll (Aquae Sinuessanae, heute Terme San Rocco bei Mondragone.) Im Band XXXI, 9 ff. ist zu lesen: Das lauwarme albulische Wasser bei Rom heilt Wunden […] (Aquae Albulae zwischen Rom und Tibur, heute Acque Albule.) […] Die Quelle Linus in Arkadien bewahrt vor Abortus. Dahingegen macht das Wasser eines Flusses in Pyrrhaea, der Aphrodisium genannt wird, unfruchtbar. In Bezug auf Eudoxius berichtet Plinius, dass derjenige, der aus dem Clitonischen See trinke, Ekel vor Wein bekäme; Theopompus behauptet, die vorhin genannten Quellen machen betrunken. Nach Mucianus soll zu Andrum aus der Quelle des Bacchus an den sieben, diesem Gott geweihten Tagen Wein fließen; bringt man aber diesen aus dem Gesichtskreis des Tempels, so verwandelt er sich wieder in Wasser. Plinius (XXXI, 20) schreibt:

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

In Germanien jenseits des Rheins liegen die Mattiacischen Quellen, deren Wasser nach dem Schöpfen drei Tage lang warm bleibt; an den Rändern dieser Quellen setzt sich eine bimssteinartige Masse ab. (Aquae Mattiacae, heute Wiesbaden in Deutschland.) Dass auch in Thermen Krankheiten durch Bazillen und Bakterien übertragen werden konnten, wussten die Römer vermutlich nicht.

Heilschlaf und Traumdeutung

Neben den Wasserbehandlungen hatten Heilschlaf und Traumdeutung einen hohen Stellenwert sowohl in der griechischen als auch in der römischen Heilkunst. Traumerzählungen lassen sich bis ins 3. Jh. v. Chr. zurückverfolgen, so in den Keilschrifttexten des Zweistromlandes. Wie Funde aus Mari belegen, hat man schon sehr früh begonnen, von den oft wirren Träumen in den auf Tontafeln verfassten Briefen zu berichten. Nachweislich glaubten schon 2.500 Jahre vor Sigmund Freud viele Menschen, in den Träumen einerseits Rückschlüsse auf den „Seelenzustand“ des Träumers und andererseits versteckte Botschaften auf künftiges Geschehen zu erkennen. Nicht nur Traumerzählungen, auch deren Deutungen sowie Beschwörungen gegen böse Träume finden sich wiederholt in den ebenfalls auf Tontafeln überlieferten Schriften der Bibliothek des Assyrerkönigs Assurbanipal, der in der Mitte des 7. Jh. v. Chr. regierte. Die Suche nach dem Ursprung der Traumdeutung führt auch zurück in die mythische Vorzeit bis zu Prometheus, der wiederholt mit den Göttern in Konflikt geriet, weil er den anfänglich orientierungslosen Menschen Wissen vermittelte, das zuvor den Göttern vorbehalten war, beispielsweise Sprache, Feuer, Handwerkskünste und auch die Unterscheidung von Traum- und Wachzustand. Selbst die Traumdeutung fiel in dieses anfänglich den Göttern vorbehaltene Wissen und das mag auch die Vorrangstellung und den Hochmut so mancher Traumdeuter erklären, die sich auf Grund ihrer Fähigkeit, selbst die verstörendsten Träume in Botschaften der Götter zur Heilung einer Krankheit umzudeuten, deutlich von den „Normalbürgern“ abhoben. Den Traumdeuter (όνειροπόλος = Oneiropolos) erwähnten schon Homer in der Ilias (1,63; 5,49) und Herodot (1, 128). Als όνειροκρίτης (= Oneirokrites) bezeichnet ihn Theophrastos in seinen χαρακτῆρες , und den Begriff όνειρομάντις (= Oneiromantis) finden wir bei Aischylos in den „Choephoroi“. Von der Traumdeutung (όνειροκρισία = Oneirokrisia) zu deren Anwendung im Bereich der Weissagungen war es nur ein kurzer Weg. Clevere „Priester“, Opferschauer und „Seher“ dürften mit Hilfe der Oneiromantie viel Geld verdient haben.

Träume in der antiken Kunst und Literatur begegnen uns anfänglich vielfach als Kinder der Urnacht oder als schwarzgeflügelte Wesen, die den Vögeln gleich auf einer Ulme in der Unterwelt hocken, von Zeit zu Zeit lautlos zu den schlafenden Menschen gleiten und ihnen eine virtuelle Realität vorgaukeln. Die Bandbreite von beglückenden Träumen bis zu quälenden

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KAPITEL IV

Albträumen war damals ebenso wie heute vom materiellen und sexuellen Wunschdenken, von den aktuellen Umweltsituationen, von Existenzängsten, Krankheiten oder Todesfurcht, von schlechtem Gewissen wegen begangener Straftaten und Dutzenden anderen Empfindungen bestimmt. Wir kennen Götter des Schlafs wie Hypnos sowie die Traumgötter Morpheus und dessen Brüder Ikelos und Phobetor, die Ovid in seinen Metamorphosen geschaffen hat. Auch kennen wir die Namen berühmter Traumdeuter wie Alexander von Myndos oder Aristandros von Telmessos. Das umfassendste Traumdeutungsbuch ist jenes des Artemidoros.

Medizinische Aspekte

Wesentlich bedeutender aber ist das medizinische Schrifttum der Antike, das sich mit der Deutung von Träumen primär unter physiologischen Gesichtspunkten beschäftigt. Bekannt sind die Versuche von Hippokrates, eine Verbindung von Traum und Gesundheitszustand herzustellen. Kaum bekannt ist jedoch heute, dass die diagnostische Bedeutung von Träumen, welche die moderne Psychotherapie heraushebt, bereits in der Antike bekannt war. Details dazu bei Platon, de re publica (571c) und Cicero, de divinatione (1, 60 f.). Platon, der die pythagoräische Ansicht von der Vermittlung der Dämonen übernahm (symposion 203a), verknüpft damit die Forderung nach Reinigung der Seele. Siehe auch Platon, de re publica (571c–752b). Aristoteles (de divinatione 463b, 12 ff.) betrachtete zwar nach Clemens Zintzen (1975) die Dämonen als Vermittler von Träumen, führte aber die Träume selbst nicht auf göttliche Einwir­ kung, sondern auf physiologische Ursachen zurück: Blutdruck, Verdauungsprozess etc. So gesehen liegt ein Zusammenhang zwischen Träumen und Krankheiten auf der Hand.

Tempelschlaf und Heilträume

Heilsamer Tempelschlaf (Inkubation [χρηματισμός = Chrematismos = Orakel]), wie er in den unterirdischen Räumen der Asklepios-Heiligtümer oder an einem geheiligten Ort (Höhle, Quelle, Heiligtum) gepflogen wurde, basiert auf prähellenistisch-mediterranen, vor allem babylonischen Vorformen der Synthese von magischer Thaumaturgie und therapeutischer Divination (ίατρομαντεία = Iatromanteia). Versucht wurde, durch den direkten Kontakt mit göttlichen Kräften Offenbarungen und im Speziellen auch medizinischen Rat und Heilung zu erhalten. Speziell für den Heilkult des Asklepios ist neben Bädern der Tempelschlaf charakteristisch. Zur Linderung der Krankheiten wollte man mittels bewusst herbeigeführter Träume mit dem Heilgott in Kontakt kommen. Nach heutigen Erkenntnissen und Gesichtspunkten begann das Heilverfahren mit einer kultischen Reinigung in einem Brunnen oder in einem Brunnenhaus. Danach folgte ein Opfer an den jeweils verehrten Heilgott, zumeist für Apollo oder Asklepios. Musik und die heiligen Schlangen (Elaphe longissima oder Coluber

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

longissimus) dürften bei diesem Ritual eine wichtige Rolle gespielt haben. Konkretes dazu wissen wir jedoch nicht. Die körperlich und geistig gereinigten Patienten erhielten nun weiße Kleidung und durften im ᾄβατον (= das Abaton, der für alle nicht mit dem Heilprozess Betrauten „unbetretbare“ Raum) auf einer Liege den Heilschlaf antreten. Ob ihnen zuvor noch Medikamente oder Schlafmittel (wie Mohnsaft) verabreicht wurden, ist unbekannt, erscheint jedoch naheliegend. Angeblich erschien der Heilgott den Schlafenden zumeist in kultisch bekannter Gestalt, auch dem aus Sinope stammenden Claudius Severus, der in einer Dankesinschrift dem Asklepios für seine wunderbare Genesung von geschwollenen Drüsen und einem Krebsgeschwür am Ohr dankte und in diesem Text festhielt, dass ihm im Inkubationsraum der Gott leibhaftig in jener Gestalt begegnete, wie er ihn aus dem Tempel kannte – eines von zahlreichen ähnlichen Zeugnissen zum Wirken des Asklepios. Es kursierten auch viele Meldungen über Wunderheilungen – die optimale Werbung für die Heilthermen im gesamten Imperium. Später kannte auch der Isis- und Serapiskult die Inkubation, um Heilung oder medizinische Belehrung durch die Götter zu erfahren, und Geschichten von sensationellen Wunderheilungen durch den Tempelschlaf kursierten im gesamten Römischen Reich bis in die Zeit des Dominats. Wir dürfen annehmen, dass auch Hypnose-Verfahren angewandt wurden, um schnell zu einer Diagnose und zur Klärung der Frage nach dem Behandlungsverfahren zu kommen. Es folgten aller Wahrscheinlichkeit nach Gespräche mit den Priestern über das Heilungsverfahren, das von Bäder- und Entspannungskuren über medikamentöse Verfahren bis zu chirurgischen Eingriffen reichen konnte, mitunter auch zu einer Kombination von allem und nachfolgenden physiotherapeutischen Übungen. Ähnlich der modernen Unterbringung in Spitälern oder Kurhäusern bezogen die Patienten für die Zeit der Behandlung Zimmer im Gästehaus. Ein breit gefächertes Unterhaltungsangebot im Theater und eine umfangreiche Bibliothek standen nicht nur in Epidauros und Pergamon zur Verfügung. Auf einen interessanten Umstand weist Pausanias hin: Er erwähnt sechs sich in Epidauros befindliche Votiv-Stelen, die Berichte über erfolgreiche Heilungen aus klassischer Zeit enthielten. 1.700 Jahre später wurden von Archäologen zwei dieser Stelen mit 43 Berichten im Rahmen von Ausgrabungen freigelegt. Diese enthalten Hinweise auf die Durchführung der Heilschlafbehandlungen und künden auch von erstaunlichen Heilerfolgen, sogenannten „Wunderheilungen.“

Wunderheilungen kannte auch das frühe Christentum

Allein im Neuen Testament lesen wir von Heilungen der Blinden und Lahmen durch Jesus Christus, sogar von der Auferweckung des bereits verstorbenen Lazarus. Verständlicherweise stand das Christentum zunächst allen heidnischen Riten und Gebräuchen feindlich gegenüber. Fanatische christliche Priester versuchten die Erinnerung an alle heidnischen Götter, auch die griechischen, römischen und keltischen Heilgötter für immer auszulöschen. Bei manchen hätte es sich erübrigt, denn Amphiaraos und Maleatas, der ursprüngliche Inhaber des epidaurischen Heiligtums, waren nach Christi Geburt schon längst „in der Versenkung verschwunden“, ebenso Vediovis, der in republikanischer Zeit dem Apollon gleichgestellt war, und die beiden Heilgöttinnen altitalischen Ursprungs Carmenta und Carna. Auch die

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KAPITEL IV

keltischen Wasser-, Bäder- und Heilgötter Belinus und Grannus verschwanden lautlos. Nun galt es, das Andenken an Apollon, Asklepios und Hygieia (lat. Hygia), die Asklepiostochter Panakeia (die „Allheilende“ genannt) und Telesphorus zu zerstören, was freilich nicht restlos gelang. Im Laufe der Jahrhunderte wurden bewusst Praktiken und Teilaspekte aus dem Asklepioskult in die Praktiken der christlichen Kirchen transformiert und sogar inkorporiert. An die Stelle der antiken Heilgötter traten Thekla, Kosmas und ­Damian und andere Heilige und Seliggesprochene, welche die Gläubigen im Krankheitsfall um Hilfe anflehen konnten.

Wallfahrten und Heilschlaf

wurden auch nach Schließung der vielen Asklepeia in modifizierter Form weiterhin ausgeübt. Die Votivgaben erlebten im Christentum sogar eine ungeahnte Renaissance, die wir zu Tausenden in den Wallfahrtskirchen christlicher Länder rund um den Erdball bewundern können, und auch die Wunderheilungen von Lourdes und Hunderten anderen „heiligen“ Orten und Gesundbrunnen stehen in keine Weise den antiken Berichten nach. Das Wasser von Medjugorje soll Krankheiten heilen und Wasser aus Dutzenden Quellen in den Alpen soll Augenleiden lindern. Alles schon dagewesen. Aber das entspricht der menschlichen Natur und sollte uns nicht weiter verwundern …

Jesus, der Heiler

Einen interessanten Aspekt griff Cristoph Markschies (2005) in seiner Causerie „Gesund werden im Schlaf “, einer leicht verständlichen Abhandlung hinsichtlich der Fortsetzung der antiken Heilpraktiken im Christentum wieder auf. Markschies schreibt: Wie konnte aber ein bestimmtes heilkundliches Paradigma einfach fortgesetzt wer­ den, wenn doch das weltanschauliche Gesamtkonzept, das es trug, zusammengebro­ chen war? Ein erster Grund scheint mir darin zu bestehen, dass ungeachtet aller von den Christen gegen die antiken Heilgötter gerichteten Polemik Jesus Christus religionsphänomenologisch betrachtet diesen Heilgöttern vergleichsweise ähnlich war. Sowohl Asklepios als auch Christus waren Söhne eines Gottes und einer sterblichen Frau, beide starben einen irdischen Tod und erlebten kurz danach ihre Auferstehung, beiden führten ein beispielgebendes und ethisch vorbildliches Leben und beide heilten Kranke durch Handauflegung; selbst der römische Kaiser Julian Apostata schrieb in seiner Abhandlung Contra Galileos sowohl für Asklepios als auch Jesus passend: Er bessert die sündigen Seelen und heilt die Krankheiten des Leibes. Auch das Sakrament der Taufe in den christlichen Kirchen hat ältere Wurzeln. Der modernen Forschung zufolge wird die Taufe von hellenistischen Reinigungsriten

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

und antiken Waschungen hergeleitet, von den Aufnahmeriten in eine Kultgemeinde, von der geübten Praxis der Mönche von Qumran und von den jüdischen Proselytentaufen. Als Proselyten wurden Neubekehrte bezeichnet, das sind zur israelitischen Religion übergetretene „Heiden“.

Die Taufe Jesu

Wie wichtig die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer den frühen Christen erschien, verdeutlichen auch die Berichte in den Evangelien von Matthäus (3, 1–17), Markus (1, 4–11) und Johannes (1, 15–34). Matthäus (3, 1 ff.) schreibt: In denselben Tagen aber kam Joannes [= Johannes] der Täufer, und predigte in der Wüste des Judenlandes, und sprach: Tut Buße; denn das Himmelreich ist nahe. ­D ieser ist es, von dem der Prophet Isaias geweissagt hat, wenn er spricht: Die Stim­ me e­ ines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn; machet gerade seine ­P fade! „Tut Buße […]“ ist die heute allgemein gebräuchliche Fassung, wörtlich ist in der griechischen Fassung zu lesen: „ändert euren Sinn und bekehret euch.“ Der Taufprediger Johannes kommt nicht nur im Neuen Testament vor, auch der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus erwähnt ihn, nennt ihn einen edlen Mann, der die Juden anhielt, nach Vollkommenheit zu streben, Ge­ rechtigkeit gegeneinander und Frömmigkeit gegen Gott zu üben und so zur Taufe zu kommen – und spricht von der wunderbaren Anziehungskraft solcher Reden [auf] eine gewaltige Menschenmenge. Für die Annahme, Jesus habe selbst getauft, gibt es im N[euen] T[estament] keine Anhaltspunkte, meint Klaus Wegenast (1975). Demgegenüber sei festgehalten, dass das JohannesEvangelium eindeutig darauf hinweist, dass beide – Johannes (im Norden zwischen Peträa und der Dekapolis) und Jesus (in Judäa) – im Jahr 27 n. Chr. tauften. Johannes (3, 22 ff.): Danach kam Jesus mit seinen Jüngern in das Land Judäa, und hielt sich daselbst auf mit ihnen, und taufte. Es taufte aber auch Johannes zu Aenon bei Salim […] Anfänglich war die Taufe fraglos ein Initiationsritus zur Aufnahme in die frühen Christengemeinden, doch im Laufe der Jahrhunderte wechselten Interpretationen und Bedeutung der Taufe. Heute soll das geweihte Wasser aus dem Taufbecken von den Neugeborenen „die Erbsünde abwaschen“, obwohl Jesus durch seinen Kreuzestod als Erlöser von allen Sünden angebetet wird. Wie auch immer, die Geschichte von der Erbsünde ist ein uraltes Relikt und entspringt dem alttestamentlichen Mythos

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KAPITEL IV

von Adam und Eva. Bei den Griechen wurde Prometheus auf Geheiß des Göttervaters an einen Felsen geschmiedet, weil er den Menschen das Feuer und Erkenntnisse brachte, und im Judentum wurde das erste Menschenpaar aus dem Paradies verjagt, weil es vom Baum der Erkenntnis naschte. Wie sich die Bilder gleichen: Wer nach Erkenntnissen sucht, wird bestraft. Übrigens: der Begriff der „Erbsünde“ geht auf Augustinus zurück, zuvor sprach man von der „Sünde der Vorfahren“. Doch das ist eine andere Geschichte …

Albanien

Siehe ­ Abbildungen S. 347–349

Buthrotum (Butrint) liegt an der Südspitze der Halbinsel von Ksamil. Eine erste Erwähnung der Stadt findet sich in schriftlichen Quellen von Hekataios (6. Jh. v. Chr.). Nach Vergil (Aeneis 3, 293) soll der aus Troja geflohene Seher Helenos (Schwiegersohn des Priamos) die Stadt als neues Troja gegründet haben. Der ­Aeneis zufolge opferte Helenos einen Ochsen. Das verwundete Tier stürzte ins Meer, schwamm durch die Bucht hinüber zur Halbinsel und brach am Ufer tot zusammen. Butrints Blütezeit fällt in die Zeit der Römerherrschaft, wobei der etwa 3 km lange Aquädukt (bereits auf dem Revers von augusteischen Münzen abgebildet), die meisten Tempel, drei Nymphäen, das Gymnasium, Bäder und Grabmonumente schon während des Prinzipats entstanden. Die antike Stadt war anfänglich mit einer massiven hellenistischen Mauer umschlossen. Sechs Tore führten in die Stadt. Dank der Pax Augusta wurde jedoch bald auf die Stadtmauer verzichtet und Teile derselben konnten in Neubauten miteinbezogen werden. Das heute vorzüglich restaurierte Theater bot 2.000 Besuchern Platz. Unweit von diesem wurde eine große Thermenanlage aus dem 2. Jh. n. Chr. mit schönen Bodenmosaiken freigelegt. Von enormer Bedeutung für viele Menschen in Epirus war das Butrinter Asklepios-Heiligtum, das vermutlich mit der genannten Thermenanlage in Verbindung stand. Insgesamt gab es 14 öffentliche und private Bäder im Stadtbereich. Eines davon wird als Therme der Seeleute gedeutet, da dort eine Weiheinschrift für Zeus Cassios, den Beschützer der Seefahrer, entdeckt wurde. Ein anderes öffentliches Bad wurde in der Nähe des Vivari-Kanals ausgegraben. Das größte Bad, in nächster Nähe des von einer gewissen Junia Rufina errichteten Nymphäums gelegen, konnte bis heute nicht ausgegraben werden, da sich darüber die große Basilika erhebt. Im 3. Jh. n. Chr. hat ein Erdbeben große Teile der Stadt zerstört. Aus welchen Gründen auch immer, dürfte der Wiederaufbau nur zögerlich vorangegangen sein. Dhimiter Çondi vermutet, dass erst der Kaiser Julian Apostata den Auf- bzw. Umbau von öffentlichen Gebäuden in Epirus förderte.81

Griechenland Epidauros (griechisch Έπίδαρος , lateinisch Epidaurus) war wohl die bedeutendste Kultstätte für Asklepios in der Antike. Die Ruinenstadt liegt auf dem Peloponnes in der Region Argolis, zählt heute zu den wichtigsten Touristenzielen Griechenlands und ist seit 1988 Unesco-Weltkulturerbe. In der Frühzeit wurde hier

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­ aleatas = Apollon Maleatas verehrt. Im 5. Jh. v. Chr. lief Asklepios seinem M mythologischen Göttervater den Rang ab. Auch wenn Maleatas weiterhin in e­ inem eigenen Tempel verehrt wurde, galt die Zuneigung der Pilger und Heilungssuchenden zunehmend dem Asklepios. Ebenfalls in den Bereich der Mystik gehört die Sage von der Geburt des Letztgenannten in Epidauros. Ab dem 4. Jh. v.  Chr. war die Asklepios-Kultstätte Epidauros das wichtigste und bestbesuchte Heiligtum sowie der bedeutendste Ort für die Heilschlaf-­ Behandlungen. Die Priester und Ärzte wurden reich, der Ort wohlhabend. Die Gesundheit ließen sich die zumeist begüterten Heilungssuchenden nicht gerade wenig kosten. Die Honorare schwankten entsprechend des jeweiligen sozialen Status des zu Behandelnden. Als Faustregel kann gelten, dass den Göttern Apollo und As­ klepios jeweils ein männliches Rind geopfert wurde, den Göttinnen ein weibliches. Der kaiserzeitliche Geograph Pausanias (2, 26, 8) sah in seinen unter dem ­Titel Περιήγησις τῆς Έλλάδος verfassten Handschriften Epidauros als Ursprung und Modell für Pergamon, doch die berühmteste Asklepios-Kultstätte hatte auch eine echte Konkurrenz in den Asklepieia der Insel Kos. Tatsächlich wurde Epidauros zum Vorbild für Asklepieia in Athen und Rom, das Heiligtum im thessalischen Trikka dürfte sogar ältere Wurzeln haben, und zeitgleich blühten auch anfänglich die Amphiareia im attischen Oropos und kleinasiatischen Knopia. Ungeachtet der politischen und pekuniären Verhältnisse – selbst dann, wenn sie sparen mussten, haben die Menschen zu jeder Zeit ihr Geld für Essen, Trinken und die Erhaltung ihrer Gesundheit ausgegeben. Ein Geschäft, das sich viele griechische Städte nicht entgehen ließen. Den Altertumswissenschaftlern sind allein in Griechenland bis heute etwa 200 Inkubationsorte bekannt geworden. Im 1. Jh. v.  Chr. wurde der Ort mehrfach von Seeräubern überfallen, die schlimmsten Plünderer aber waren die Soldaten Sullas, die 85 v. Chr. die heilige Stätte ausraubten. Weihegaben und Kultgegenstände mussten als Sold für die Soldaten herhalten. Später bauten die Römer das Heiligtum wieder auf, doch mit der zunehmenden Christianisierung verloren die Kultstätten an Bedeutung. Die Goten unter ihrem Feldherrn Alarich I. zerstörten weite Bereiche der großflächigen Anlagen und 426 n. Chr. folgte die unweigerliche Schließung. Zu den bedeutendsten Bauwerken aus der Antike zählen das jahrhundertelang unter Schutt, Bäumen und Strauchwerk verborgen gebliebene und heute wieder freigelegte imposante Theater aus spätklassischer Zeit, das im 2. Jh. v.  Chr. umgebaut und für 14.000 Zuschauer erweitert wurde, das Abaton (= Patienten-Schlafsaal), das antike Gästehaus, der Asklepios-Tempel und die von Polykleites errichtete Θόλος (= Tholos, auch Thymele), über deren Verwendung die Experten nach wie vor diskutieren, wenngleich das Gebäude zumindest zur Zeit nach seiner Errichtung einen rein sakralen Charakter hatte. Auf jeden Fall gibt das Labyrinth nach wie vor Rätsel auf.82

Türkei Das Asklepieion von Pergamon. Die Heilquelle von Pergamon galt schon früh als wundertätig. Das früheste Asklepieion wurde bereits im 4. Jh. v. Chr. errichtet, jedoch durch das Erdbeben anno 175 v.  Chr. zerstört. Kaum einigermaßen wieder instandgesetzt, verwüsteten im Jahr 156 v. Chr. die Truppen des bithynischen

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KAPITEL IV

Siehe ­ Abbildungen S. 350–372

­ önigs Prusias II. die Vorstädte Pergamons und damit auch die HeilthermenanlaK ge. Allein für die hellenistische Periode konnten die Ausgräber zwölf Bauperioden feststellen. Die heute noch zu bewundernden Baureste des römisch-kaiserzeitlichen Komplexes gehen auf die Initiativen von Trajan und Hadrian zurück. Das Heilbad bzw. die Heilquelle von Pergamon – auch als „Lourdes der Antike“ bezeichnet – wurden zum Ziel vieler Kranker, von denen viele hier auf Grund von Trinkkuren und Bädern (auch Schlammbädern) Genesung fanden, einerseits durch die Hydrotherapien und andererseits vermutlich nicht zuletzt auch durch die orakelartige Hydromantik. Die gewaltige Anlage erreichte man von der Stadt aus über die unter Trajan angelegte via tecta, eine 820 m lange Prunkallee, welche direkt zu den Propyläen, einem von Kolonnaden umgebenen, etwa 9.000 Quadratmeter großen Hof führte. Bereits entlang der Allee konnte man in den Geschäftslokalen der Tempelhändler sein Geld loswerden. Durch den Propylonhof und den daran anschließenden, an der Stelle eines vormaligen Odeons errichteten Propylon gelangte man in den riesigen Innenhof der Gesamtanlage. Südlich des Propylonhofes stand der ZeusAsklepios-Soter-Rundtempel (24 m Durchmesser), für dessen Errichtung offensichtlich das Pantheon in Rom Vorbild war, und zwar sowohl von der architektonischen Konzeption als auch von der intellektuell-synkre­ tistischen Auffassung des religiösen Kults her, wie Wolfgang Radt meint. An der Südostecke erhob sich einst das Obergeschoß des Kurbaues, von dem wir wenig wissen. Wesentlich besser informiert sind wir über den Unterbau, der heute noch besucht werden kann. Die Besucher der Anlage erreichen diesen noch heute durch einen 70 m langen tonnengewölbten Kellergang (Kryptoportikus), der bei der Heiligen Quelle (Schöpfbrunnen) im Zentrum des Festplatzes beginnt. In der Nordostecke des Asklepios-Heiligtums lag die Bibliothek. Innerhalb der rechteckigen, von Wandelhallen umschlossenen Anlage befanden sich Tempelbauten, Zisternen, Bade- und Schöpfbrunnen, Kultnischen und Inkubationsbauten. An der Südwestecke befanden sich eine Halle und die Latrinen, nördlich der langgestreckten Nordhalle lag außerhalb des Gevierts das Theater. Wir dürfen davon ausgehen, dass die gesamte Anlage in der Kaiserzeit viel mehr einer Akademie denn einer Heilstätte glich, wenngleich selbst Imperatoren wie Marc Aurel und Caracalla hier Heilung suchten.83 Allianoi (heute Paşa Ilιcasι = Paşaköy, etwa 18  km nordöstlich von Pergamon, heute Bergama). Seit den frühen Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts bedroht vom „Yortalι Barajι“-Staudammprojekt war Allianoi auf Grund seiner natürlichen Thermalquellen (45° C) in der Antike ein beliebter und gern besuchter Kurort, bekannt in weiten Bereichen des Römischen Reiches. Namentlich erwähnt wurde Allianoi erstmals in den „Heiligen Berichten“ des Rhetorikers Publius Aelius ­A ristides (117 bis 181 n.  Chr.), eines Zeitgenossen der Adoptivkaiser Hadrian, Antoninus Pius und Marc Aurel.

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BÄDER, THERMEN, HEILBÄDER

Erst gegen Ende des 19. Jhs. rückte der Ort ins Interesse der altertumskundlichen Forschung, als der deutsche Archäologe Carl von Schuchhardt, der sich damals noch als Stipendiat an den Ausgrabungen in dem rund 18 km entfernten Pergamon betei­ ligte, Allianoi einen Besuch abstattete, ist bei Blum, Schweizer und Aslan (2006) zu lesen. Bewohnt war die Landschaft bereits in prähistorischer Zeit, in der hellenistischen Epoche entstand ein erster kleiner Thermenkomplex. Zu einem bedeutenden Kultzentrum wurde Allianoi erst unter Kaiser Hadrian ausgebaut. Der römische Rhetor Aelius Aristides beschrieb eine Behandlung, die er in diesem Heilbad erfuhr. Er berichtet von seinen Erkrankungen und wundersamen Heilungen. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung war Allianoi eine von weltweit fünf Heilthermen mit einem Asklepieion, das nach Asklepios benannt wurde. Die Temperatur der Heilquellen schwankte zwischen 45 und 50° C. Seit Beginn der Dammbauarbeiten im Jahr 1994 wurden Rettungsgrabungen durch Experten des Archäologischen Museums Bergama durchgeführt, um von dieser interessanten Heiltherme zumindest eine ausführliche Dokumentation zu erstellen und die bedeutenden Bodenfunde zu bergen. Freigelegt wurden auf knapp einem Fünftel des Stadtgebietes öffentliche und zivile Wohn- und Wirtschaftsbauten, das Thermalbad, das Propylon, das prächtige Nymphäum sowie eine Zeremonialstraße und Arkadenstraßen. Ebenso wie in Pergamon waren in Allianoi viele Baderäume durch einen langen unterirdischen Wassertunnel verbunden, der infolge der Schwemmland-Sedimente vollständig erhalten war. Allianoi, das sehr wahrscheinlich einen ähnlichen Wohlstand wie Pergamon erreichte, war auch noch in byzantinischer Zeit besiedelt. Nach Blum, Schweizer und Aslan (2006) setzte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts der damals für die Region zuständige Provinzgouverneur Kemal Bey für eine Wie­ derinbetriebnahme des Thermalkomplexes ein. Mitte des 20. Jahrhunderts waren zumindest die Heißwasserquellen wieder funktionsbereit. Im Jahr 1992 begannen weitere Restaurierungsarbeiten an den Bädern. Bereits unmittelbar nach der Neugestaltung des Innenraums und der Überbauung der Anlage mit einem mo­ dernen Gebäude konnten die Thermen wieder genutzt werden, allerdings setzte im Jahr 1998 eine Überschwemmung einer weiteren Verwendung ein vorzeitiges Ende. Ab 15. November 2005 sollte Allianoi geflutet werden. Staudammgegner kämpften erfolglos gegen Politik und Energiewirtschaft. Trotz des Rechtsstreites und ohne den Ausgang des Prozesses abzuwarten, begann am 31. Dezember 2010 die Flutung des „Yortalι Barajι“-Staudammes. Einer Meldung von Agence-France-Press zufolge hat das Wasser am 22. Februar 2011 die Ruinenstätte erreicht, und seitdem liegen die Baureste samt allen nicht ergrabenen Schätzen, ein unwiederbringlicher Teil des gemeinsamen kulturellem Erbes und „bewahrenswertes Kulturgut ersten Ran­ ges“, auf dem Grund des Sees, 17 m unter der Wasseroberfläche.84

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In den beheizten Unterboden eingelassene Badewanne Als die Römer 15 v. Chr. Noricum in das Römische Reich eingliederten, setzten sie sich zunächst in der keltischen Siedlung auf dem Magdalensberg für rund zwei Generationen fest, errichteten ­mehrere bemerkenswerte Bauten und einen Tempel für Augustus und die Dea Roma. Erst unter Kaiser Claudius wurde die in den frühen Dezennien des 1. Jh. n. Chr. planmäßig nach dem hippodamischen Straßennetz angelegte Römerstadt Virunum im Zollfeld als Provinzhauptstadt bezogen. Ort: Österreich, Kärnten, Magdalensberg Foto: Norbert Maly

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Die Stabianer Thermen in Pompeji um 1890. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl, käufliche Ansichtskarte

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Grundriss der Stabianer Thermen in Pompeji Quelle: David Joseph, Geschichte der Baukunst vom Altertum bis zur Neuzeit, Leipzig 1912

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Die Badeanlage von Aguntum ist ein für die römischen Provinzen typisches Bad und zählt zu den seltenen bislang freigelegten ­Thermenbauten Noricums. Für die Besucher wurde im Archäologischen Park ein Turm errichtet, der einen Überblick über die unterschiedlichen Räumlichkeiten der Thermenanlage gestattet. Die für den Betrachter ziemlich verwirrend übereinander liegenden einzelnen Bauphasen wurden im Zuge der seit 1998 durchgeführten Restaurierungsarbeiten im Mauerabstrich farblich ­voneinander unterschieden. Ort: Österreich, Döllsach bei Lienz (Osttirol) Fotos: Helmut Leitner und Rudolf Franz Ertl

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Die Badeanlage von Aguntum

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Die Badeanlage von Aguntum

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Strigilis Der Körperpflege diente ein zumeist aus Bronze hergestelltes Schabgerät mit Griff und gebogenem, kanellurartigem Hauptteil. Man verwendete den strigilis zum Abschaben der Kruste aus Öl, Schweiß und Staub nach dem Sport. Herkunft: Antiquitätenhandel Aufbewahrung: unbekannt Foto: Helmut Leitner

Unter Kaiser Trajan wurde der erste Höhepunkt im l­ uxuriösen Badewesen ­erreicht. Das Münzbild zeigt das Porträt des Kaisers mit ­Strahlenkrone (Verdoppelungssymbol zur Unterscheidung vom As: 1 Dupondius = 2 Asse = 4 Semis = 8 Quadrantes). Trajan-Dupondius. Gewicht: 12,3 Gramm. Durchmesser: 27 mm. Aufbewahrung: Österreich, Wien, ­Ö sterreichische Nationalbank Foto: Helmut Leitner

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Trajans-Thermen Diese Rekonstruktion des Zentralbaues nach Frederic L. Dunbar (1943) vermittelt einen Eindruck vom einstigen Aussehen des Bauwerkes, das über den Bauresten von Neros Goldenem Haus auf dem Esquilin in Rom errichtet wurde. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Archiv Vienna Press

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Villa Adriana bei Tivoli Im Süden schließt an die großzügige Thermenanlage der als Canopus bezeichnete Teich an, der zum sogenannten Serapium führt. Gesehen hat Hadrian die Originalanlage bei seinem Ägyptenaufenthalt. Die Stadt Kanopus lag etwa 22 km von Alexandria entfernt und war für ihren ­S erapis-Tempel b­ erühmt. Man erreichte sie über einen ­Kanal, den Hadrian mit der Anlage des schmalen, ­langgestreckten Teiches andeutete. Um diesen Canopus ­verläuft eine elegante Säulenreihe. Unter den Bögen standen früher zahlreiche Kopien berühmter griechischer Statuen, einschließlich der Karyatiden des Erechtheions auf der Akropolis in Athen. Ort: Italien, Rom, Villa Adriana Foto: Rudolf Franz Ertl

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Die eindrucksvollen Baureste der Forumsthermen Blick auf die Warmbaderäume von Süden. Neben den Neptuns- und Forumsthermen gab es in Ostia im 3. Jh. n. Chr. weitere vierzehn Thermenanlagen. Ort: Italien, Ostia Foto: Rudolf Franz Ertl

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Kaiserthermen Sie bildeten den Abschluss des decumanus maximus. Der Name ist insofern irreführend, als das Bauwerk nicht fertiggestellt wurde und zu keiner Zeit seinen Zweck erfüllte. Die „ewige Baustelle“ wurde ein halbes Jahrhundert später unter Valentinian umgebaut. Ort: Deutschland, Trier Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Modell der rekonstruierten Kaiserthermen Der beabsichtigte Bauzustand (in der Bildmitte im Vordergrund) nach der Fertigstellung, die leider nie erfolgte. Aufbewahrung: Deutschland, Trier, Landesmuseum Foto: Rudolf Franz Ertl, Bildbearbeitung: Helmut Leitner

Kaiser Constantin der Gro ß e (306 bis 337 n. Chr.) erwählte Trier (Augusta Treverorum) zu seiner zeitweiligen Residenz. Das Münzbild zeigt den Herrscher mit Diadem. Details siehe Glossar, C = 19
 Goldmünze (½ Solidus), Gewicht: 6,77 Gramm. ­Durchmesser: 24,5 mm. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Österreichische Nationalbank Foto: Helmut Leitner

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Die Garküche war der Vorläufer moderner Imbissbuden und Würstelstände. Quelle: Historische Darstellung aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert Foto: Archiv Vienna Press

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KAPITEL IV

Nachbau einer Garküche, wo den hungrigen und durstigen Badegästen einst Getränke, Kuchen und Würste feilgeboten wurden. Ort: Österreich, Carnuntum (Niederösterreich), Archäologischer Park, „Kleine Therme“ Foto: Rudolf Franz Ertl

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Kulinarik Neben Frischwürsten wurden auch Dauerwürste – vorwiegend aus Schweinefleisch – hergestellt. ­Berühmt waren auch die lukanischen Würstchen (lucanicae) aus Schweine- oder Rindfleisch. Darüber hinaus wurden in den Garküchen auch unterschiedliche Getreidebreie (puls), Eieraufläufe und kleine Speisen angeboten. Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL IV

Klassische Fleischbällchen mit gekochtem Weizen, gebratenen Marillen, Oliven und Heliogabalus-Gemüse. Foto: Friedrich Grotensohn

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Im Kochbuch des Apicius finden sich neben den unterschiedlichen Rezepten für die Zubereitung von Mischgemüse viele K ­ östlichkeiten, die allerdings auf die Festessen der Wohlhabenden und Reichen und nicht auf die meist kärgliche Küche der Landbevölkerung abgestimmt sind. Foto: Bogdan Winnicki

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KAPITEL IV

Amphore In solchen Gefäßen wurden die ­Würzsaucen der Römer (garum und liquamen), aber auch Wein, Öl und ­eingelegte Austern transportiert. Herkunft: Antiquitätenhandel Aufbewahrung: Privatbesitz, Bad Deutsch-Altenburg Foto: Helmut Leitner

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Solche öffentlichen Latrinen stellten auch eine Gesundheitsgefährdung dar. Ort: Kleinasien, Ephesos Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Der monumentale Bau der Caracalla-Thermen wurde bereits von Septimius Severus begonnen und unter der Herrschaft von dessen Sohn Caracalla vollendet. Der Komplex wurde streng nach dem römischen System der Axialität und der Verdoppelung der Seitenräume beiderseits der zentralen Achse errichtet. A = Apodyterium, Bibl = Bibliothek, C = Caldarium, F = Frigidarium, N = Natatio (Schwimmbecken), P = Palästra, T = Tepidarium, WB = Warmbad. Quellen: Werner Heinz: Römische Thermen. Badewesen und Badeluxus im Römischen Reich, München 1983; David Joseph, Geschichte der Baukunst vom Altertum bis zur Neuzeit, Leipzig 1912; Archiv Vienna Press Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Rekonstruktionsversuch der natatio (Schwimmhalle) Ort: Italien, Rom, Thermen des Caracalla Quelle: Sergius Andrejewitsch Iwanoff, Architektonische Studien, Band 3 Foto: Archiv Vienna Press

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KAPITEL IV

Rekonstruktionsversuch des caldariums (Kuppelsaal) Ort: Italien, Rom, Thermen des Caracalla Quelle: Vermutlich Rekonstruktion von Canina Foto: Archiv Vienna Press

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Historische Darstellung der Ruinen Aus den römischen Skizzenbüchern von Marten van Heemskerck (1498–1574), der von 1532 bis 1535 in Rom arbeitete. Quelle: Frederic L. Dunbar, Rom. Darmstadt 1943

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KAPITEL IV

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Bruchstücke von Fußbodenmosaiken Dokumentiert während der Restaurierungsarbeiten in den frühen ­Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Ort: Italien, Rom, Thermen des Caracalla Fotos: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Rekonstruktionsversuch des caldariums Ort: Italien, Rom, Diocletians-Thermen Quelle: Canina Aufbewahrung: Österreich, Wien, Archiv Vienna Press

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Ruinen Ort: Italien, Rom, Diocletians-Thermen Quelle: Marten van Heemskerck, Römische Skizzenbücher Aufbewahrung: Österreich, Wien, Archiv Vienna Press

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KAPITEL IV

Rekonstruktion des Zentralbaues, die einen Eindruck vom einstigen Aussehen des Bauwerkes vermittelt. Ort: Italien, Rom, Diocletians-Thermen Quelle: Frederic L. Dunbar (1943) Aufbewahrung: Österreich, Wien, Archiv Vienna Press

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Die Trajans-Thermen auf dem Esquilin (links unten im Bild) erheben sich über dem einstigen Goldenen Haus des Nero. Unmittelbar dahinter das Colosseum. Ort: Italien, Rom, EUR, Museo della Civiltà romana Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

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Die Großen Thermen in der Villa Adriana – vom Hügel über dem praetorium aus gesehen In diesen Thermen aus der Zeit des Kaisers Hadrian findet man noch einen Apsissaal, ein Kreuzgewölbe, prächtige Säulen und Stuckreste. Ort: Italien, Rom, Villa Adriana Foto: Rudolf Franz Ertl

Laokoongruppe Auf dieser historischen Aufnahme sind der rechte Arm des Vaters und des j­üngsten Sohnes sowie die rechte Hand des anderen ergänzt. Leider falsch: Der Arm des Vaters befand sich näher am Kopf, und auch der Arm des jüngsten Sohnes fiel sehr wahrscheinlich schlaff herab. Quelle: Spamer’s Illustrierte Weltgeschichte II, Altertum 2. Leipzig 1902 Aufbewahrung: Italien, Rom, Vatikanische Museen

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KAPITEL IV

Teatro Marittimo Dieser runde, einen Teich mit einem Miniaturperistyl auf der kleinen Insel umschließende Portikus war nur über eine Brücke zu erreichen. Wie weit die wiederholt kolportierte Geschichte der Wahrheit entspricht, dass sich Kaiser Hadrian hierher „in die Abgeschiedenheit“ ­zurückzog, lässt sich heute nicht mehr überprüfen. Ort: Italien, Rom, Villa Adriana Foto: Rudolf Franz Ertl

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Der als Canopus bezeichnete Teich, Nachbau jenes Kanals, der die Stadt Kanopus mit Alexandria verband. Ort: Italien, Rom, Villa Adriana Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Die Forumsthermen von Ostia A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, H = Heliocaminus, KW = Kaltwasserbecken, NR = Nebenraum, P = Palästra, S = Sudatorium, T = Tepidarium, V = Vestibül, Z = Saal. Quelle: Marion Bolder-Boos: Ostia – der Hafen Roms. Darmstadt 2014 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Eindrucksvolle Baureste hier eine wiederaufgerichtete Säule mit korinthischem Kapitell und Resten des Architravs. Neben den Neptuns- und Forumsthermen gab es in Ostia im 3. Jh. n. Chr. weitere vierzehn Thermenanlagen. Ort: Italien, Ostia Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Von einer begehbaren Terrasse bietet sich dem Besucher ein Blick auf die berühmten Neptunsthermen. Ort: Italien, Rom, Archäologischer Park Foto: Rudolf Franz Ertl

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Freiliegende Mosaiken mit Neptun und Amphitrite entstanden zu Beginn der Regierungszeit Marc Aurels. Die meisten sind nicht nur der Witterung ausgesetzt, sondern auch durch die Besucherströme gefährdet. Ort: Italien, Ostia bei Rom, Archäologischer Park, Grabungsgelände Foto: Rudolf Franz Ertl

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Plan der Thermen von Vindonissa Rekonstruktionsskizze von Daniel Krencker. A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, KW = Kaltwasserbecken, L = Laconicum (Sudatorium), P = Palästra, PER = Peristyl, H = Heizstelle = Praefurnium, T = Tepidarium mit zwei etwa 2,5 x 5 m großen Warmwasserbecken. Quelle: Werner Heinz: Römische Thermen. Badewesen und Badeluxus im Römischen Reich, München 1983 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

Portal der Horrea Epagathiana Heute ist der größte Teil der antiken Hafenstadt Ostia freigelegt und für Besucher zugänglich. Schon im ausgehenden 3. Jh. n. Chr. verlor die Stadt ihre Bedeutung als Hafen, im frühen 4. Jh. entzog Kaiser Constantin der Siedlung die Stadtrechte. Typisch für einen Hafen und Handelsort sind die vielen Magazine, in denen vor allem Getreide und Öl, aber auch andere Handelsgüter gelagert wurden. Ort: Italien, Ostia Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Grundriss der römischen Badeanlage von Rottweil – Arae Flaviae A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, KW = Kaltwasserbecken, PR = Praefurnium (Hypokaustheizung/Feuerstelle), S = Sudatorium, T = Tepidarium. Quellen: Joachim von Elbe: Die Römer in Deutschland, München 1989; D. Planck: Arae Flaviae – Rottweil in römischer Zeit, Mainz 1971 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Das Bad des Saalburg-Kastells Dargestellt ist die römisch-kaiserzeitliche Bauperiode. Mauerreste aus früheren oder ­späteren ­Bauzuständen sind in vorliegender Planskizze nicht berücksichtigt. A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, KW = Kaltwasserbecken, L = Latrine, PR = Praefurnium ­(Hypokaustheizung-­ Feuerstelle), S = Sudatorium, T1 = Tepidarium und Salbraum, T2 = Tepidarium und Salbraum. Quelle: Werner Heinz: Römische Thermen. Badewesen und Badeluxus im Römischen Reich, München 1983 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Die Statue des Kaisers Antoninus Pius (moderne Kopie) steht zwischen den beiden Toren am Eingang. Der Kaiser regierte von 138 bis 161 n. Chr. Ort: Deutschland, Kastell Saalburg Foto: Helmut Leitner

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Die Große Thermenanlage von Cambodunum (Bauzustand 2. Jh. n. Chr.) A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, K = Kassa für ­Eintrittsgebühr (obolus), KW = Kaltwasserbecken, L = Latrine, LR = Ladenraum (Geschäftslokal), PERS = Personalraum, PR = Praefurnium, T = Tepidarium, V = Vestibül. Quellen: Wolfgang Czycz, Hanns Dietrich und Gerhard Weber: Kempten und das Allgäu, Stuttgart 1995 sowie Gerhard Weber: Cambodunum – Kempten, Mainz 2000 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Kaiserthermen Die gewaltige Ruine erinnert an eine römische Badeanlage, die nie fertiggestellt wurde. Ort: Deutschland, Trier Foto: Helmut Leitner

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Detail aus dem Stadtmodell der Kaiserthermen in Trier. Ort: Deutschland, Trier Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Die Barbarathermen sind ein Beispiel für Prunkthermen des axialen, symmetrischen Kaisertypus. Ort: Deutschland, Trier Foto: Rudolf Franz Ertl

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Barbarathermen Historische Rektonstruktionszeichnung von Felix Boutron Quelle: Österreich, Wien, Archiv Vienna Press

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KAPITEL IV

Grundriss der „Thermen des Constantin“ Diese Badeanlage konnte infolge späterer Verbauung nie zur Gänze freigelegt bzw. dokumentiert werden. Gesichert sind lediglich Caldarium, Tepidarium und Sudatorium. Ungewöhnlich ist die Ausrichtung des Warmbades und des Schwitzbades nach Norden. A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, P = Palästra, T = Tepidarium, V = Vestibül. Ort: Frankreich, Arelate (Arles) Quelle: Meike Droste: Arles – Gallula Roma – Das Rom Galliens. Mainz 2003 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Hypothetische Rekonstruktion der nördlichen Fassade der sogenannten „Thermen des Constantin“ in Arelate (Arles) aus dem 19. Jh. Quelle: Rekonstruktionszeichnung aus dem 19. Jh.: Le Palais de Constatin à Arles. Restitution de MM. A. et L. Veran, Arch*** – Offert au Muséon Arlaten Aufbewahrung: Österreich, Wien, Archiv Vienna Press

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KAPITEL IV

Die Thermenanlage von Cemenelum wies zum Unterschied von anderen Bädern der frühen Kaiserzeit sogar ein Laconicum (ein Luftschwitzbad ähnlich dem Sudatorium) auf. A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, KW = Kaltwasserbecken, L = Laconicum, PR = Praefurnium, T = Tepidarium. Quelle: Raymond Chevallier: Römische Provence, Zürich/Freiburg i. Br. 1979 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Die berühmte Maison Carrée, welche dem Gaius Caesar und dem Lucius Caesar geweiht wurde. Ort: Frankreich, Nemausus (Nîmes) Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Amphitheater, erbaut zur Zeit der Flavier. Ort: Frankreich, Nemausus (Nîmes) Foto: Rudolf Franz Ertl

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Die Thermen des Licinius in Dougga Ein gutes Beispiel für kleine römische Badeanlagen in Nordafrika. A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, L = Latrine, P = Palästra, S = Sudatorium, T = Tepidarium. Quelle: Österreich, Wien, Archiv Vienna Press Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Der Tempel der kapitolinischen Trias Frontansicht Ort: Tunesien, Thugga Foto: Rudolf Franz Ertl

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Der Tempel der kapitolinischen Trias Seitenansicht Ort: Tunesien, Thugga Foto: Rudolf Franz Ertl

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Agora Die Ostseite war zur Gänze durch die Basilika begrenzt, die als Gerichtshalle diente. Die im Bild zu sehende Breitseite des Baues misst 27 m, die Länge 105 m. Ort: Türkei, Aspendos (Pamphylien, Südtürkei) Foto: Norbert Maly

Marcus Julius Philippus I. Arabs (244 bis 249 n. Chr.) wurde in der nach ihm benannten Stadt P ­ hilippopolis (heute Shahba in Südsyrien) geboren.
Umschrift: ­I MP(ERATOR) PHILIPPVS AVG(VSTVS).
 Antoninian = Doppeldenar. Aufbewahrung: Privatbesitz Foto: Helmut Leitner

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Beeindruckender Ziegelgewölbe-Unterbau für die Hypokaustheizung in den Warmbaderäumen. Ort: Türkei, Perge (Südküste), Hadrian-Therme Fotos: Norbert Maly

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KAPITEL IV

Beeindruckender Ziegelgewölbe-Unterbau für die Hypokaustheizung in den Warmbaderäumen. Ort: Türkei, Perge (Südküste), Hadrian-Therme Fotos: Norbert Maly

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Das heute als Archäologisches Museum dienende Agora-Bad Erläuterung: A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, S = Sudatorium, T = Tepidarium. Ort: Türkei, Side Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

Blick auf den Haupteingang Über den Grundmauern des Bades an der Agora erhebt sich heute ein sehenswertes archäologisches Museum. Ort: Türkei, Side Fotos: Rudolf Franz Ertl

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Blick von oben

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KAPITEL IV

Ein imposanter Ehrenbogen erinnert noch heute an Gaius Trebonius Proculus Mettius Modestus. Ort: Türkei, Patara (Provinz Antalya) Foto: Helmut Leitner

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Arykanda Therme und Gymnasium Ort: Türkei, Lykien, Provinz Antalya Foto: Norbert Maly

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KAPITEL IV

Überreste einer Badeanlage Aus massiven Steinbögen herausgehauen wurde das Baumaterial für diese gewaltige ­Bogenkonstruktion. Ort: Türkei, Aphrodisias Foto: Rudolf Franz Ertl

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Die Ruinen der Hadrian-Thermen vermitteln dem Besucher noch heute einen Eindruck von den gewaltigen Dimensionen dieses Bauwerkes. Bemerkenswert ist die ausgeklügelte Hypokaustanlage. Ort: Türkei, Aphrodisias Foto: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL IV

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Büste des Hadrian Namensgeber der Thermen von Aphrodisias war der ­römische Adoptivkaiser Hadrian. Publius Aelius ­H adrianus (reg. 117 bis 138 n. Chr.) hatte bereits 91 n. Chr. seinen Kriegsdienst begonnen, versah ab 95 n. Chr. als ­Tribun seinen Dienst in verschiedenen Legionen an der ­Donau und am Rhein. Als Legionslegat nahm er am Ersten und Zweiten Dakerkrieg teil. 107 n. Chr. war er Statthalter von Pannonia inferior. Hadrian, der beinahe das gesamte Imperium im wahrsten Sinn des Wortes erwanderte, war auch längere Zeit in Kleinasien (Türkei) unterwegs, zu seiner Zeit schon lange Domäne der Imperiums. Bereits 129 v. Chr. wurde die Provinz Asia aus dem pergamenischen Reich organisiert. Senatorische Provinz wurde Asia allerdings erst 27 v. Chr. Anno 14 v. Chr. gehörten neben Asia auch die Provinzen Bithynia et Pontus und Cilicia zum ­Römischen Reich. 18/19 n. Chr. kam Cappadocia hinzu, Lycia erst 43 n. Chr., kurze Zeit später zusammengelegt zur Provinz Lycia et Pamphylia. Aufbewahrung: Deutschland, Berlin, Stiftung Preußischer ­Kulturbesitz Foto: Helmut Leitner

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Faustina-Thermen in Milet A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, I = Insula, M = Museum, P = Palästra, RH = Römische Heroon, T = Tepidarium, S = Sudatorium. Quellen: Theodor Wiegand: Milet, Heidelberg 1899, Archiv Vienna Press und Ekrem Akurgal: Griechische und römische Kunst in der Türkei, München 1987 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Büste der Faustina filia Zwischen 145 und ca. 170 n. Chr. gebar die jüngere Faustina i­ nsgesamt dreizehn Kinder. Zu den prominentesten zählen Annia Lucilla (geb. 148 n. Chr.) und ­L ucius Aurelius Commodus (geb. 161 n. Chr.). Aufbewahrung: Italien, Rom, Konservatorenpalast Foto: Österreich, Wien, Sammlung Ertl

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KAPITEL IV

Hadrianstempel, Scholastika-Thermen Eine breite Treppe führt neben dem Tempel zur Badeanlage hinauf. Der Name basiert auf dem Namen jener einheimischen Frau, die im 4. Jh. n. Chr. die durch ein Erdbeben zerstörte Therme wieder ­aufbauen ließ. Die Anlage verfügte über apodyterium, frigidarium sowie caldarium und bot 1.000 Besuchern Platz. Darüber hinaus gab es eine Bibliothek und Vergnügungssäle. Ort: Türkei, Ephesos Foto: Norbert Maly

Münzporträt Laut der Inschrift auf dem Architrav ließ Publius ­Q uintillus den kleinen Tempel an der Kuretenstraße ­errichten, welcher dem Kaiser Hadrian geweiht wurde. Das Münzbild zeigt Publius Aelius ­H adrianus (reg. 117 bis 138 n. Chr.).
Umschrift: HADRIANVS AUG(VSTVS) CO(N)S(VL III P(ATER) P(ATRIAE). Aufbewahrung: Privatbesitz Foto: Helmut Leitner

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Celsus-Bibliothek Das nach Plänen der Archäologen von dem österreichischen Architekten Friedmund Hueber ­weitestgehend aus Versturzmaterial wiedererrichtete Bauwerk ist mit Säulen lebendig gestaltet, die auf zwei Geschossen alternierend Baldachin-Tabernakel tragen, hinter denen Fenster und Türen liegen. Im Jahr 262 wurde der Lesesaal durch einen verheerenden Brand zerstört. Die Fassade blieb jedoch erhalten und wurde zu einem Nymphäum umgestaltet. Ort: Türkei, Ephesos Foto: Norbert Maly

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KAPITEL IV

Plan der Gymnasiums-Thermen A = Apodyterium, B = Basilika (Tepidarium?), C = Caldarium, F = Frigidarium, K = Kaisersaal, N = Natatio, P = Palästra. Ort: Türkei, Sardes Quelle: Friederike Naumann-Steckner: Badeluxus in den anatolischen Bergen – Die Thermen von Aizanoi, in: Klaus Rheidt, Aizanoi und Anatolien, Mainz 2010; Aktuelle Infotafeln auf dem ­G rabungsgelände der Gymnasiums-Thermen von Sardes, 2012 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Das Gymnasium mit der 23.000 m2 großen Thermenanlage wurde erst in der jüngsten Vergangenheit freigelegt. Ort: Türkei, Sardes Foto: Lukas Kalchhauser

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Porträtbüste des Septimius Severus Der aus Leptis Magna stammende ­Haudegen wurde in Carnuntum zum Kaiser ausgerufen und ließ in Hierapolis das große Theater r­ estaurieren. Aufbewahrung: Kunsthistorisches Museum, Wien, Antikensammlung Foto: Helmut Leitner

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Im Badebecken finden sich noch heute jede Menge antike Baureste. Ort: Türkei, Hierapolis (Pamukkale) Foto: Norbert Maly

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Sinterterrassen – um 1990 Ende des vergangenen Jahrhunderts wurde durch die Errichtung zahlreicher Hotelanlagen die Wasserversorgung der Sinterterrassen stark beeinträchtigt. Ort: Türkei, Hierapolis (Pamukkale) Fotos: Helmut Leitner

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Sinterterrassen – renaturiert Dank einer umfangreichen, großartigen Renaturierungsaktion ist es den umweltbewussten Türken gelungen, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Heute strahlen die mit Sinterkalk ausgekleideten Becken in altem Glanz. Ort: Türkei, Hierapolis (Pamukkale) Fotos: Helmut Leitner

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Museum In den restaurierten Thermenanlagen wurde ein sehenswertes Antikenmuseum eingerichtet. Ort: Türkei, Hierapolis (Pamukkale) Foto: Pamukkale Hierapolis Arkeoloji Müzesi – Denizli. Türkische Fremdenverkehrswerbung (Türkiye Kültür Portali). Adres ⸗ Pamukkale Örenyeri Pamukkale ilçesi Dénizli

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Skenenwand (Detail)

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Theater (Zuschauerraum) In dem von Septimius Severus restaurierten Theater lässt sich die prächtige Architektur der Repräsentationsbauten der antiken Stadt erahnen. Ort: Türkei, Hierapolis (Pamukkale) Fotos: Helmut Leitner

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Meydan-Kι ran-Thermen Die Gebäude wurden aus großen massiven Werksteinblöcken errichtet und mit Ziegelgewölben überdacht. A = Apodyterium, B = Basilika, C = Caldarium, F = Frigidarium, N = Natatio, P = Palästra, T = Tepidarium. Quelle: Friederike Naumann-Steckner: Badeluxus in den anatolischen Bergen – Die Thermen von Aizanoi, in: Klaus Rheidt, Aizanoi und Anatolien, Mainz 2010 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Die imposante kaiserzeitliche Badeanlage von Ankyra (Ankara) wurde in der frühen römischen Kaiserzeit errichtet. A = Apodyterium, B = Basilika, C = Caldarium, F = Frigidarium, N = Natatio, P = Palästra, T = Tepidarium. Quelle: Friederike Naumann-Steckner: Badeluxus in den anatolischen Bergen – Die Thermen von Aizanoi, in: Klaus Rheidt, Aizanoi und Anatolien, Mainz 2010 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Bronzekopie der Statue des Kaisers Augustus von Primaporta In Ankyra wurde der bilinguale Text des Augustus-Testamentes entdeckt. Ort: Italien, Rom, Forum Romanum Foto: Rudolf Franz Ertl

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Die Badeanlage in der spätrömischen Villa del Casale A = Apodyterium, AE = Thermen Aedicula, AT = Atrium, C = Caldarium; F = Frigidarium mit ­zentralen Meeresszenen und Badeszenen in den Exedren, KW = Kaltwasserbecken, L1 = Kleine Latrine, L2 = Große Latrine, PER = Peristyl, PR = Praefurnium, S = Sudatorium, SA = Sacellum, T = Tepidarium, TA = Tablinum, V = Vestibül, WG = Wandelgang der Zirkusszenen, Z = Saal, ZS = Saal der Salbungen. Quelle: Andrea Carandini, Andreina Ricci und Mariette de Vos: Filosofiana – The Villa of Piazza Armerina, Palermo 1982; Hans Peter L’Orange: Das Römische Reich. Von Augustus bis zu Konstantin dem Großen. Stuttgart/Zürich 1985 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Badenixen Alles schon dagewesen: Selbst der Bikini auf diesem Fußbodenmosaik einer ­herrschaftlichen Villa, erbaut in einer landschaftlich reizvollen und waldreichen Gegend Siziliens zwischen den Jahren 306 und 312 n. Chr. Ort: Italien, Sizilien, Villa Casale (Piazza Armerina) Foto: Rudolf Franz Ertl

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Teich Die Villa war vermutlich der Sommersitz des Kaisers Marcus Aurelius Valerius Maximianus Herculius. Ort: Italien, Sizilien, Villa Casale (Piazza Armerina) Foto: Rudolf Franz Ertl

Tonröhren (Gewölberöhren) Terracotta vaulting tubes, Detailansicht. Foto: Friedrich Grotensohn

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Praefurnium Eine der vielen Heizstellen der Badeanlage. Links im Bild sind deutlich die kleinen, aus Ton gebrannten Gewölberöhren (terracotta vaulting tubes) zu sehen. Ort: Italien, Sizilien, Villa Casale (Piazza Armerina) Foto: Rudolf Franz Ertl

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Die Forumsthermen in Herculaneum Ein hervorragendes Beispiel für die Bauweise römischer Bäder zu Beginn der Kaiserzeit. A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, P = Palästra, T = Tepidarium, V = Vestibül. Quelle: Werner Heinz: Römische Thermen. Badewesen und Badeluxus im Römischen Reich, München 1983, S. 71 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Baureste Der sehenswerteste Teil im Haus des Neptun und der Amphitrite ist fraglos der Innenhof mit ­exzellenten Mosaiken von starker Farbwirkung an den ­ Wänden. Eindrucksvoll ist auch das ­Nymphäum, das aus der mittleren Nische mit einer Halbkuppel, flankiert von zwei kleineren ­rechteckigen Nischen besteht. Die Bilder über den letzteren zeigen Jagdszenen. Ort: Italien, Herculaneum (Golf von Neapel) Foto: Norbert Maly

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Die Thermen des Forums in Pompeji zählen zu den besterhaltenen Bädern der frühen römischen Kaiserzeit. A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, T = Tepidarium. Quellen: Filippo Coarelli, Eugenio La Rocca, Mariette de Vos Raaijmakers und Arnold de Vos: Pompeji – Archäologischer Führer, Augsburg 1997 sowie Michael Grant (1988): Pompeji, Herculaneum, Bindlach 1988 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Männer-Apodyterium in den Pompejianer Thermen. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Archiv Vienna Press, Historische Darstellung, 19. Jh.

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Prächtiger Stuck in den Forumsthermen. Ort: Italien, Pompeji Foto: Rudolf Franz Ertl

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Mosaik-verzierter Brunnen in der Casa della Fontana piccola. Ort: Italien, Pompeji Foto: Norbert Maly

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Die Fontana Grande in Pompeji. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Sammlung Ertl, Käufliche Ansichtskarte (um 1890).

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Die Thermenanlage von Buthrotum Sie dürfte – gegenüber dem Theater gelegen – mit dem dortigen Asklepieion in Verbindung gestanden sein. A = Apodyterium, C = Caldarium, F = Frigidarium, T = Tepidarium. Quelle: Dhimiter Çondi: Butrinti. Geschichte, Monumente und Museum. Tirana, nach 2009 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Grabungsgelände In der Mitte sind im Hintergrund die Sitzreihen des Theaters zu erkennen. Ort: Albanien, Butrint Foto: Helmut Leitner

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Ähnlich wie in Pergamon befand sich in unmittelbarer Nähe der Heiltherme ein Theater. Wir dürfen mit großer ­Wahrscheinlichkeit annehmen, dass auch dieses römische Theater als Teil der Therapie primär für Patienten und Rekonvaleszente bestimmt war, die hier Musik hörten und ­Theateraufführungen beiwohnen konnten. Ort: Albanien, Butrint Foto: Helmut Leitner

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Akropolis von Pergamon Rekonstruierte Ansicht nach R. Bohn (ca. 1888). Quelle: Wolfgang Radt: Pergamon – Geschichte und Bauten einer antiken Metropole, Darmstadt 1999

Das Trajaneum war das Zentrum der Akropolis. ­Wiedererrichtete südöstliche ­Giebelecke des Tempels. Ort: Türkei, Pergamon, Burgberg Foto: Lukas Kalchhauser

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Blick von der Osthalle über den restaurierten Teil des Trajaneums. Ort: Türkei, Pergamon, Burgberg Foto: Lukas Kalchhauser

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Grundriss des Asklepieions-Heiligtum von Pergamon AT = Asklepios-Tempel, BBR = Badebrunnen, BIBL = Bibliothek, FB = Felsbrunnen, HLH = Hellenistische Halle, INK = Inkubationsbauten, KH = Kurhaus, KN = Kultnische, LA = Latrine, PRO = Propylonhof, RT = Römischer Tempel, SB = Schöpfbrunnen, TH = Theater, WS = Westhallensaal, ZAT = Zeus-Asklepios-Tempel. Quellen: Ekrem Akurgal: Ancient Civilization and Ruins of Turkey. Istanbul 1984; Ekrem Akurgal: Griechische und römische Kunst in der Türkei. München 1987, S. 445, 448; Vehbi Bayraktar: Pergamon. Fremdenführer. 3. Aufl. Istanbul 1988; Wolfgang Radt: Pergamon – Geschichte und Bauten einer antiken Metropole, Darmstadt 1999 Umzeichnung und Ergänzungen: Rudolf Franz Ertl

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Blick von Osten über den Festplatz des Asklepieions In der Bildmitte die wiedererrichteten Säulen der Nordhalle, wobei auffällt, dass auf die schlanken, hohen, kannelierten Säulen mit jonischen Kapitellen (links) kürzere Säulen mit korinthischen ­Kapitellen (rechts) folgen, die mit Sockeln auf die Länge der jonischen Säulen verlängert wurden. Der Grund: das Erdbeben im Jahr 175 n. Chr. und der eilige Wiederaufbau mit kurzfristig verfügbarem Baumaterial. Hinter den Säulen ist das teilweise wiederaufgebaute Theater zu erkennen. Die einst ­dreistöckige Bühnenarchitektur (scaenae frons = Skenenwand) wurde nicht rekonstruiert. Ort: Türkei, Pergamon Foto: Lukas Kalchhauser

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Säulenreihe der einstigen Nordhalle vor dem Theater. Ort: Türkei, Pergamon, Asklepieion Foto: Lukas Kalchhauser

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Das römische Theater war hauptsächlich für Patienten und Rekonvaleszente bestimmt, die hier Musik hören und ­Theateraufführungen beiwohnen konnten (ein Teil der Therapie). Der Zuschauerraum wurde wiederaufgebaut, desgleichen die Bühnenplattform. An die einst dreistöckige Skenenwand erinnern nur ein paar Steinsockel. Ort: Türkei, Pergamon, Asklepieion Fotos: Lukas Kalchhauser

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Schöpfbrunnen Auf dem Areal gab es mehrere Schöpf- und Badebrunnen. Das Heilbad bzw. die Heilquelle – auch als „Lourdes der Antike“ bezeichnet – wurde zum Ziel vieler Kranker, von denen viele hier auf Grund von Trinkkuren und Bädern (auch Schlammbädern) Genesung fanden, einerseits durch die ­Hydrotherapien und andererseits vermutlich nicht zuletzt auch durch die orakelartige Hydromantik. Ort: Türkei, Pergamon, Asklepieion Fotos: Lukas Kalchhauser

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Omphalos oder Säule? Manche Fremdenführer bezeichnen den mit Symbolen des Heilgottes Asklepios reliefartig verzierten Marmor-Säulentorso als Omphalos, was allerdings wenig glaubhaft ist, zumal es sich dabei üblicher­weise um ein ovoides bzw. bienen­korbförmiges Steinmal handelt, das zum Teil von netz­a rtigem Flechtwerk ­überzogen wird. Bekanntestes Exemplar ist der delphische Omphalos, welcher als W ­ eltnabel gedeutet und mit dem Kult der Erdmutter Gaia in Verbindung ­gebracht wird. In Wahrheit handelt es sich um eine Säule des Propylons. Die Schlangendarstellungen auf dem Torso dürften sich auf die segenspendende Hypostase des Gottes Asklepios beziehen. Ort: Türkei, Pergamon, Asklepieion Fotos: Rudolf Franz Ertl

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Die heilige Schlange des Asklepios (παρείασ = braune zahme Schlange = Coluber longissimus Laur. oder die Äskulapnatter Elaphe longissima) findet sich nicht nur als Relief auf Säulen, sondern auch auf „Heilsteinen“, wobei diese wissenschaftlich nicht untermauerte Interpretation auch von manchen Experten mit dem Gaia-Kult in Verbindung ­gebracht wird. Ort: Türkei, Pergamon, Asklepieion Foto: Rudolf Franz Ertl

Treppen zum unterirdischen Verbindungsgang zwischen dem Schöpfbrunnen und dem Unteren Rundbau des Kurhauses (= Telesphoreion). Letzteres wurde nach dem Telesphorus, dem Trabanten des ­Heilgottes Asklepios (= Aeskulap) ­benannt, der auch als Genius der Genesung fungierte. Ort: Türkei, Pergamon, Asklepieion Foto: Lukas Kalchhauser

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Telesphoreion Ausgang aus dem Untergeschoß, in welchem die Patienten im Zuge des Heilschlafs genesen sollten, nach dem Motto „die Gesundheit verleiht Aeskulap den Menschen im Schlaf “. Ort: Türkei, Pergamon, Asklepieion Foto: Lukas Kalchhauser

Kryptoporticus Der 80 m lange Kellergang zwischen dem Schöpfbrunnen und dem Unteren Rundbau des Telesphoreions (zweistöckiges Kurhaus). Ort: Türkei, Pergamon, Asklepieion Foto: Rudolf Franz Ertl

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Kentauros Torso aus dem Asklepieion von Pergamon. Aufbewahrung: Türkei, Museum Pergamon (Bergama Müzesi) Foto: Lukas Kalchhauser

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Nymphe Marmorstatue Aufbewahrung: Türkei, Museum Pergamon (Bergama Müzesi) Foto: Lukas ­K alchhauser

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Votivgaben Rechts im Vordergrund: Votivgabe mit vergoldetem Ohr der Fabia Secunda (ΦΑΒΙΑ CΕΚΟYNΔΑ) an Asklepios Soter (ACKΛHΠIѠC CѠTHP) wegen Heilung einer Ohrenerkrankung (vielleicht ­G ehörverlust). Soter bedeutet Retter und ist ein Kultbeiname für Götter, die in höchster Not und vor allem bei Krankheiten helfen.
Links: eine weitere Votivgabe mit einem Ohrenpaar, darunter eine Bitt- oder Dankinschrift in einer tabula ansata. Aufbewahrung: Türkei, Museum Pergamon (Bergama Müzesi) Foto: Lukas Kalchhauser

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Rote Halle in der Unterstadt Sie war ursprünglich als Isis-Serapis-Tempel konzipiert oder einer alexandrinischen Göttertrias ­geweiht und in der römischen Kaiserzeit sehr wahrscheinlich unter Kaiser Hadrian errichtet worden. Die gewaltige Anlage war größer als die Riesentempel von Baalbek oder Palmyra. Der 60 x 26 m große Kernbau der Roten Halle (türkisch Kızıl Avlu) wurde aus Ziegeln 19 m hochgezogen und mit Marmor verkleidet. Im Bereich der Tempelanlage musste der Fluss Selinus überbaut werden, der heute noch in einem Doppeltunnel unter dem einstigen Tempelgelände fließt. Die beiden Brücken seitlich des Tunnels stammen ebenfalls aus römischer Zeit und sind heute noch intakt. Ort: Türkei, Pergamon Fotos: Lukas Kalchhauser

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Wannen, Becken und marmorne Tröge, eingetieft in den Fußboden der Roten Halle, dürften mit dem Kult der ägyptischen Gottheiten in Verbindung gestanden sein. Auch in den beiden Höfen seitlich des Hauptbaues waren große Beckenanlagen vorhanden. Mit zunehmender Christianisierung Ostroms wurde die Rote Halle in eine christliche Kirche umgewandelt. Ort: Türkei, Pergamon Foto: Lukas Kalchhauser

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

K A PIT E L V H EI LBÄ DER U N D G Ö T T E RV E R E H RU N G

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H EI L BÄ DE R U N D G ÖT T E RV E R E H RU NG In die Heilbäder kamen neben jenen, die sich vorbeugend verwöhnen ließen, vor allem Kranke. Deswegen waren Heilbäder häufig mit Arztpraxen, Spitälern, zum Teil sogar mit Operationsräumen, Heilanstalten und Heiligtümern kombiniert. Die meisten kranken Menschen benötigten damals wie heute neben den lindernden und manchmal sogar heilenden Bädern und Trinkkuren die Unterstützung durch Ärzte, und die war zumindest in manchen chirurgischen Bereichen erstaunlich modern, was Funde der unterschiedlichen medizinischen Instrumente bezeugen. Die Heilthermen waren Badeeinrichtungen für körperliche und kultische Reinigungen. Dazu zählte die Genesung durch den Heilschlaf. Die Praxis war einfach: Die Patienten erfuhren Orakelsprüche, welche nicht selten Priester in praktische Behandlungsmethoden und konkrete Medikationen übersetzen mussten. Das konnten Anweisungen für die Darbringung von Opfern, aber auch nur schlicht und einfach Anordnungen für körperliche Bewegung, gymnastische Übungen, Meditationen, Wechselbäder, Opfer oder die Verabreichungen von Arzneimitteln, Salben, Ölen und Heilsäften sein. Frei nach dem Sprichwort, dass der Glaube Berge versetzen kann, wurde so manchen Patienten Heilung durch deren uneingeschränkten Glauben an die Quellund Heilgötter zuteil. Verehrt wurden neben Aesculapius, Apollon, Telesphorus, Hygieia, Belinus, den Quellnymphen und dem Keltengott Grannus auch viele andere Götter Roms, die kaum Bezug zu den Thermen- und Bäderbauten hatten. So wurde beispielsweise die Laokoongruppe auf dem Gelände der TrajansThermen in Rom gefunden und die Skulpturengruppe des sogenannten Farnesischen Stiers in den Caracalla-Thermen freigelegt. Nicht nur die eleganten Heilbäder, auch alle größeren öffentlichen Thermen, speziell die Kaiserthermen, aber auch die elitären Privatbäder waren prächtig ausgestattet, mit figuralen Wandmalereien und eindrucksvollen Mosaiken, aber auch mit zumeist in Nischen – bevorzugt in frigidarien und tepidarien – aufgestellten Skulpturen. Dabei handelte es sich einerseits um Statuen von Göttern und Heroen, Gestalten der griechisch-römischen Sagenwelt, von Wassergöttern und Quellnymphen, Musen, Athleten (wie der Apoxyomenos des Lysipp) und andererseits um lebens- oder überlebensgroße Skulpturen oder Büsten von Imperatoren, Caesaren, Mitgliedern des Kaiserhauses und bedeutenden Privatpersonen.85

Siehe ­ Abbildung S. 418

Siehe ­ Abbildungen S. 419–420

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GR I EC H ISC H ISC H E G ÖT T E R

Amazonendarstellungen

Siehe ­ Abbildungen S. 420–421

waren in den Bädern besonders beliebt. Eine römische Kopie der Amazone des Phidias zierte einst die Barbarathermen in Trier. Die Amazonen waren der Sage nach ein Volk von kriegerischen Frauen, auf das sich bereits in der Ilias Hinweise finden. Bellerophon soll sie besiegt haben und Priamos von Troja soll mit ihnen in Phrygien gekämpft haben. Aus dem Osten kommend, gründeten die Amazonen im Nordosten einen Weiberstaat. Um sich fortpflanzen zu können, verbrachten die Amazonen alljährlich im Frühling zwei Monate bei den Männern eines Nachbarstaates. Die geborenen Knaben wurden zu ihren Vätern geschickt oder getötet, die Mädchen kriegerisch erzogen und mussten Jungfrauen bleiben, bis sie zumindest drei Männer getötet hatten. Ihre Waffen: Pfeil und Bogen und ein umgegürtetes Schwert. Herodot brachte die Amazonen mit den Skythen in Verbindung und ließ die Sauromanten (Sarmaten) von ihnen abstammen. Die Amazonen hießen bei den Skythen Oiorpata (= Männermörder). Aus der griechischen Mythologie sind uns mehrere Amazonen namentlich bekannt, darunter Penthesilea (sie kam im Trojanischen Krieg dem Priamos zu Hilfe und wurde von Achilles getötet), Hippolyta (Herakles raubte deren Wehrgehenk) und Antiope (vielleicht ident mit Hippolyta; sie wurde von Theseus geraubt, was zu einem Rachefeldzug der Amazonen führte). Die schönsten Statuen verwundeter Amazonen wurden von Polyklet, Kresilas, Phidias und Phradmon geschaffen und in der römischen Kaiserzeit mehrfach kopiert.86

Amphiaraos war ein früher Heilheros in Böotien, der, wie so viele andere griechische Heroen, als Krankenheiler auftrat. Zu diesen zählten Gogasos und Nikomachos in Pharai, Polemokrates in Eua in Thyreatis, Alexanor in Titane und Sphyros in Argos. Die meisten von ihnen wurden im Laufe der Zeit von Asklepios verdrängt, selbst dessen Vater Apollon. Auch andere Heroen, wie Amynos und Aristomachus, wurden ebenso bedeutungslos wie Amphiaraos in Oropos. Herausragend war das oropische Heiligtum, wo Amphiaraos als Traumdeuter und später als chthonischer Heilgott fungierte, nur in der Frühzeit Griechenlands. Das Amphiareion in Oropos verfügte über Badeeinrichtungen sowohl für die körperlichen als auch die kultischen Reinigungen. Genesung erfuhren die Patienten jedoch vor allem im Heilschlaf. Die Inkubation, der Tempelschlaf, dürfte zum Teil Wunder bewirkt haben, denn nicht umsonst heißt es „der Glaube versetzt Berge“. Wir müssen in diesem Zusammenhang stets berücksichtigen, dass diese Heilgötter weniger auf medizinische Heilmethoden, als vielmehr auf die Mantik setzten. Kranke, die den Heilgott befragen wollten, mussten sich drei Tage des Weines und einen Tag des Essens enthalten, einen Widder opfern und auf dessen Fell im Tempel schlafen. Im Traum wurde ihnen dann der Orakelspruch zuteil. Der Traum steht

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in der Mitte zwischen der intuitiven und der deduktiven Mantik. Nach Auffassung der Griechen wurden die Träume den Menschen von den Göttern eingegeben. Erfahrungsgemäß waren damals wie heute die Träume häufig schwer zu verstehen, auch wenn man an ihrem Bezug auf die Realität nicht zweifelte. Traumdeutung war in der Antike ein ernst genommener Beruf.

Amphiaraos Sohn des Oïkleus, galt ebenso wie Polypheides als einer der besten Seher seiner Zeit. Sein Name ist seit mykenischer Zeit belegt: A-pi-ja-re-wo. Der Sage nach sammelte Adrastos, der Sohn des Königs Talaos von Argos für seinen Rachefeldzug gegen Theben sechs weitere Heroen mit ihren Scharen um sich. Einer von diesen war Amphiaraos, der Schwager des Königs. Als Verwandter nahm er an diesem legendären „Zug der Sieben gegen Theben“ teil, obwohl er den unglücklichen Ausgang des Vorhabens voraussah. Der Sage nach wurde er auf der Flucht von der Erde mit Ross und Wagen verschlungen. Seine Söhne Amphilochos und Alkmaeon führten das Werk des Vaters fort. Zehn Jahre nach dem Tod der Sieben rächten deren Epigonen, darunter auch die beiden Amphiaraossöhne, den Tod ihrer Väter.87

Amphitrite (Gemahlin des Poseidon) siehe Poseidon.

Demeter war ebenso wie Hera eine Tochter des Kronos und der Rheia. Noch jung, geschwängert von Zeus oder Poseidon, gebar sie ihr über alles geliebtes Kind Kore, ihrem Bruder Zeus ebenfalls unehelich den Iakchos, dem Titanen Iasios den ­P lutos. Der eifersüchtige Zeus erschlug daraufhin Iasios. Einfallslos wie immer: mit einem Blitz. Kore, die wir unter dem Namen Persephone wesentlich besser kennen, wurde von Hades entführt. Demeter suchte nach ihrer Tochter und begab sich gemeinsam mit Hekate (nach Hesiod eine Titanin) zu Helios, der den beiden Göttinnen verriet, dass Kore von Hades entführt worden sei. Die „alte“ Erdgöttin Demeter der vorhellenischen Landesreligion, die gütige Göttin der Erdscholle und der Kornfelder, die Spenderin der Ernten, wollte nicht in den Olymp zurückkehren und trat „in den Streik“. Da verdorrten Felder und Bäume. Die daraus für die Menschen resultierende prekäre Lage erkannte Zeus und wollte mit Hilfe des Hermes vermitteln. Die drei Geschwister Demeter, Hades und Zeus trafen eine modern anmutende Lösung: Kore sollte ein Drittel des Jahres bei Hades als Persephone in ihrer Funktion als Königin des Tartaros verweilen und die übrige Zeit mit Demeter verbringen. Mit Demeter begann auch der eleusinische Mythos.

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Im Grunde ist der eleusinische Kult ein agrarischer. Seine Wurzeln wurden schon in Ägypten und auf Kreta gesucht, doch die Herkunft der Mysterien dürfte in Wahrheit in Thrakien zu suchen sein, da auch das eleusinische Priestergeschlecht der Eumolpiden aus diesem Land stammt. Dass Persephone zum kürzeren Teil des Jahres im Hades und zum längeren als Kore auf der Erde verweilen soll, ist letztlich ein Gleichnis für Keimen, Blühen, Reifen der Früchte, Vergehen, Absterben, zur Tiefe fahren und Wiedererstehen – einerseits im Jahresrhythmus der Natur und andererseits auch eine Verheißung für das Leben des Menschen und dessen Auferstehung nach dem Tod. Aus mitteleuropäischer Sicht könnte man meinen, dass sich Persephone während des Winters in den Hades zurückzog – etwa in den Monaten Dezember, Jänner, Februar und März. Aus griechischer Sicht mit einem anderen Klima ist dies jedoch nicht vorstellbar. Und wer die oben beschriebenen „verdorrten Felder“ vor seinem geistigen Auge hat, der weiß, dass nur die Zeit der hochsommerlichen Hitze gemeint sein kann. In Griechenland spross und sprießt noch immer die Saat nach dem Herbstregen auf, wächst und grünt im Winter, reift und wird spätestens im Juni geerntet. Die Ruhezeit der Landwirtschaft fällt daher in die Monate Juni, Juli, August und September! Und genau danach wurden auch die eleusinischen Feste ausgerichtet. So feierte man im Herbst die Wiedervereinigung von Mutter Demeter mit der Tochter Kore. Eines der großen, Demeter zugeschriebenen Wunder war, dass aus einem einzigen Saatkorn eine Ähre mit einer Vielzahl von Körnern entsteht. Der enorme Zuspruch, der den eleusinischen Mysterien zuteilwurde, mag aber vor allem in der versprochenen Gewissheit eines seligen Lebens nach dem Tode – unabhängig von Rang und Besitz – zu suchen sein. Ein Versprechen, das den Menschen schon lange vor der Geburt des Christentums gegeben wurde. Eine bedeutende Rolle fiel im eleusinischen Mythenkult der Schlange zu. Die Gründe sind banal: Um die Getreidevorräte vor Mäusen zu schützen, hielten sich die Griechen keine Katzen, sondern Schlangen, so wie dies heute noch beispielsweise die Brasilianer tun. Im Kult zogen freilich Schlangen den Wagen des ­Triptolemos, seines Zeichens eleusinischer Ackerbau-Heros, und auf mehreren Darstellungen kriecht eine Schlange aus der Cista mystica der Demeter hervor.88

Dionysos (lat. Bacchus) Angesichts der vielen Liebesverhältnisse, die Zeus hatte, muss Casanova erblasst sein. Auch mit Semele, der Tochter des Königs Kadmos von Theben soll Zeus ein Verhältnis gehabt haben, in dem Dionysos gezeugt wurde. Aufgestachelt von Hera verweigerte Semele dem Vater ihres Kindes das Lager. Und Zeus tat, was er stets machte, wenn er nicht gerade Blitze schleuderte, Donner grollen ließ oder ein Mädchen verführte: Er verschlang Semele. Doch Hermes rettete das erst sechs Monate zuvor gezeugte, heranreifende Kind und nähte es in einen Schenkel des Göttervaters ein. Drei Monate später gebar Zeus aus seinem Schenkel den Dionysos. Die bekannt zänkische und rachsüchtige Hera ließ das Kind in Stücke reißen und die Teile in einem Kessel kochen. Großmutter Rheia aber fügte die Teile wieder zusammen und übergab den Sprössling Persephone zur Obhut. Diese aber hatte freilich weder Zeit noch Lust, den kleinen Schreihals aufzuziehen und brachte

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

den kleinen Dionysos zu König Athamas von Orchomenos. Um ihn vor Hera zu schützen, sollte der junge Gott als Mädchen in den Frauengemächern aufgezogen werden. Doch die Frau und Schwester des Göttervaters ließ sich nicht täuschen und bestrafte König Athamas und Königin Ino mit Wahnsinn. Wie stets in der griechischen Mythologie wartete bereits der Retter auf seinen Auftritt. Hermes war sofort zur Stelle, verwandelte das Dionysos-Bübchen in ein Zicklein (oder einen Widder) und ließ es im Schutz der Nymphen am Berge Nysa aufwachsen, wo er den Wein kennenlernte. Dem erwachsenen Gott kam Hera auf die Spur und sie schlug nun auch ihn mit Wahnsinn. Dennoch bestritt er viele Schlachten und lehrte die Menschen allerorts den Weinbau. Nach der Niederwerfung Thrakiens feierte Dionysos orgiastische und ekstatische Feste, zumeist in Wäldern, auch mitten im Winter. In Naxos traf er die liebliche, von Theseus verlassene Ariadne und zeugte mit ihr sechs Kinder. Dionysos irrte lang zwischen Asien und Europa umher. Aus Indien über Phrygien nach Griechenland zurückgekehrt, reinigte Oma Rheia den weinseligen Gott von seinen bösen Taten und führte ihn in ihre Mysterien ein. Heute assoziiert kaum jemand das bunte Maskentreiben im Fasching, das Theater oder unsere Weinkultur mit Dionysos, auf den alle diese Einrichtungen zurückgehen. Der modernen Forschung zufolge handelt es sich bei Dionysos um einen thrakischen oder phrygischen Gott, der in den Mysterienreligionen als Sabazios fröhliche Auferstehung feierte. Die Griechen unterschieden sehr wohl zwischen den beiden und trennten die Kulte, weshalb sich später sowohl ein Zeus-Bakchos als auch ein Zeus-Dionysos ausprägte. Der Kult des Dionysos wurde nur überaus langsam und mit Vorbehalten von den Römern angenommen. Nach seinem Gefolge, den Bakchai, wurde der Gott des Weines und der Tafelfreuden Bacchus genannt. Doch die Gebräuche seines Kultes entsprachen nicht altrömischer Frömmigkeit. Sein lateinischer Name war Liber Pater. Noch im 2. vorchristlichen Jahrhundert war die Abhaltung dionysischer Mysterien im gesamten Befehlsbereich Roms verboten. Im Jahr 186 v. Chr. wurde beim Prätor eine Gruppe von Bacchusanhängern angezeigt, die sich heimlich abends zu Bacchanalien (Mysterienfeiern) trafen. 7.000 Personen wurden verfolgt, etliche hingerichtet. Dennoch wurde der damals noch neue Kult nicht verboten, sondern durch einen Senatsbeschluss streng geregelt. Wen es interessiert, der möge bitte bei Titus Livius (39, 8–19) nachlesen. Die staatlichen Weinfeste der Römer galten dem Jupiter und der Venus, die Weinbauern opferten jedoch lieber dem Liber Pater. Erst in der Kaiserzeit avancierte Bacchus zum offiziellen Weingott und wurde zumeist mit dem Liber Pater gleichgesetzt. Nun war es auch gestattet, zur Weinlesezeit die bacchischen Mysterien zu feiern.89 Dionysos war nicht nur in Rom ein Fremder, sondern ein paar Jahrhunderte zuvor – etwa um 700 v. Chr. – auch in Griechenland. Und er war dort in der olympischen Götterwelt keineswegs ein willkommener Migrant. Darüber, ob Thrakien, Lydien oder Phrygien seine Urheimat ist, haben Wissenschaftler lange Zeit diskutiert. Später glaubte Nilsson, dass Dionysos sowohl von Thrakien als auch aus Phrygien in das griechische Mutterland eingedrungen ist. In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts erkannten andere Forscher, dass die Anfänge des Dionysoskultes weit zurück bis zur vorgriechischen Bevölkerung Griechenlands reichen und in extrem frühen Vorstellungen von einem „rasenden Gott“ wurzeln müssen – vermutlich in der Epoche vor der Trennung und Wanderung der Jonier.

Siehe ­ Abbildungen S. 422–423

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KAPITEL V

Die Wiedererweckung dieser uralten Gottesdienste mit ihren wilden, orgiastischen Riten befremdete im 8. vorchristlichen Jahrhundert die Griechen. Martin P. Nilssen hielt hingegen bis zu seinem Tod im Jahr 1967 an seiner Auffassung von der thrakischen und phrygisch-lydischen Herkunft fest.90 Als besonders einleuchtende Bestätigung der Theorie, dass der Dionysoskult aus Kleinasien nach Griechenland gekommen sei, gilt endlich die Schiffsprozession joni­ scher Dionysosfeste, meint Walter Friedrich Otto.91 Dem gegenüber gibt es auch Bestrebungen in der modernen Forschung, die auf Grund bedeutsamer Merkmale mediterraner Religionen im Dionysoskult dessen Herkunft auf Kreta lokalisieren wollen.

Dioskuren Siehe ­ Abbildung S. 424

(auch Castores oder Kastores = Kastor und Pollux) hatten sich bereits um 490 v.  Chr. in der Hauptstadt am Tiber etabliert. In Griechenland sind viele Heiligtümer der Dioskuren bekannt geworden und bei den alten Hellenen hatte sich ein konkretes, fest umrissenes Bild von ihnen herausgebildet. Die beiden Stiefbrüder Castor und Polydeukes galten als ritterlich und waren bewährte Retter in der Not. Eine enge Verbindung zu ihren beiden Pferden war obligat. Anno 490 v. Chr., vielleicht auch ein paar Jahre davor oder danach, mussten sich die Römer wieder einmal ihrer Haut wehren. Am Regillus-See unweit des heutigen Frascati waren die Latiner in Schlachtordnung aufmarschiert und hätten die Römer besiegt, wären da nicht plötzlich Castor und Polydeukes aufgetaucht, die sich mit dem Mut der Verzweiflung in die Schlacht stürzten und für Rom den Sieg errangen. Unmittelbar nach der Schlacht sollen die beiden in Rom erschienen sein und die Siegesbotschaft verkündet haben. Die Dioskuren tränkten ihre weißen Rosse an der Quelle Juturna, in deren Nähe ihnen dann auf dem Forum Romanum ein Tempel errichtet wurde. Zu einer der bekanntesten Sagen der griechischen Mythologie, dem Urteil des Paris, im Zusammenhang mit der Schwester der Dioskuren, siehe: Aphrodite. Der bislang älteste Fund im Zusammenhang mit den beiden Dioskuren auf italischem Boden ist ein Bronzestreifen mit einer Inschrift in altlateinischer Schrift: Dem Castor und dem Polydeukes, den Koroi. In Rom nannte man aber die beiden bald Castor und Pollux. Ihre Popularität wurde durch die republikanische Münzprägung verstärkt. Berühmt sind die Castorenfresken in der „Casa dei Dioscuri“ in Pompeji. Im Mithraskult begegnen uns die beiden Dioskuren (Castores) wieder, diesmal unter den Namen Cautes und Cautopates und in ihrer Urform als Lichtgötter.92

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Eros Der epische Dichter Hesiod (um 700 v. Chr.) hat in seiner Theogonie die vorhomerischen Mythenbilder überliefert, auch eine Schöpfungsgeschichte. Vereinfacht gesagt, ist aus dem Chaos die gesamte Erde entstanden, das Chaos bildete den Anfang und Urgrund des Daseins. Dieses Chaos war in der damaligen Vorstellungswelt eine mit Nebel und Finsternis erfüllte Urkluft, aus deren Schoß Gaia, die Erdmutter, aber auch der leere Tartaros und der Liebesgott Eros geboren wurden.

Gaia schuf Gebirge und das Weltmeer, ja selbst den Sternenhimmel. Auch Uranos wurde aus der Weltmutter Gaia geboren. Nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch die ersten Menschen waren das Ergebnis der Liebe zwischen Uranos und Gaia.

Hyperion Titan, war der Gatte der Titanin Theia. Helios, Selene und Eos waren deren drei Kinder.

Kabiren Die Kabeiroi (griech. Καβειροι , auch Μεγαλοι δεοι = die großen Götter, lat. Cabi­ ri), rätselhafte mythologische Wesen, die Götter der Mysterien von Lemnos und Samothrake, waren eine Gruppe von frühen, gottähnlichen Männern, um deren Herkunft die „alten“ Griechen noch wussten, die jedoch den Wissenschaftlern in den letzten beiden Jahrhunderten viel Kopfzerbrechen bereiteten. Manche sehen in ihnen Nachkommen des Hephaistos, von anderen werden sie als älter angesehen, sogar mit den Titanen gleichgesetzt, ja als Vorfahren der Menschen gedeutet. Einige sagen ihnen eine phrygische Herkunft nach, und sie sollen eine enge Beziehung zur anatolischen Bergmutter Kybele gehabt haben. Daneben gibt es noch die Gleichsetzung mit Kobolden, man sah in ihnen schatzhütende, metallbearbeitende Zwergdämonen und selbst in der Antike dürfte man sich über ihre Zahl nicht einig gewesen sein. Während nach Philon von Byblos in Berytos (alte phönizische Ansiedlung, heute Beirut) sieben Kabiren verehrt wurden, überliefert Mnaséas von Patara für Samothrake eine Vierzahl. Aus einer möglichen späteren Trias entwickelte sich im Laufe der Zeit ein Götterpaar, das nicht nur mit den Dioskuren Kastor und Pollux, sondern auch mit den Kureten, den Dactylen, den Penates Dii und sogar mit den Götzen von Laban gleichgesetzt wurde. Ein Ur-Frevel ist das wichtigste Element, das die Kabiren mit den Titanen gemeinsam haben. Dabei sollen die ältesten den jüngsten erschlagen, ihm den Kopf abgerissen und in ein blutrotes Tuch gehüllt haben. Hinsichtlich der phrygischen Herkunft der Kabiren – in vielen Darstellungen begegnen wir ihnen mit phrygischen Mützen – lässt sich als Beweis der Name selbst anführen, denn der Name

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­ abeiroi bzw. Kabeiros knüpft sich an eine Berglandschaft in Phrygien, die sonst K als Herrschaftsbereich der großen Göttermutter gilt und Berekyntia heißt. Als ­B erekyndai wurden in Kleinasien die phallischen Dämonen bezeichnet, die Göttinnen dienten. Man denke dabei nur an Kybele und Attis oder die betont männlichen Göttinnendiener wie die Kureten, Korybanten oder die Idaioi Daktyloi. Mysterien hin oder her, unverständlich bleiben die divergierenden Aussagen, dass die Kabiren sowohl als titanenhaft groß als auch zwergenhaft klein gegolten h ­ aben – nach einer Inschrift aus Imbros, die in der Aufzählung der Kabiren fünf große Titanen nennt und ebenda die Pataiken (Zwerge) anführt. Das Ergebnis eines späteren Synkretismus? Bleibt noch festzuhalten, dass Demeter mit Kabeira gleichgesetzt und als Gründerin der Kabirenmysterien betrachtet wird. Herodot berichtet, der Kabiren-Mysterienkult stamme von den Pelasgern (vorgriechischen Ureinwohnern), heute wissen wir, dass es Thraker waren, die wie andere indogermanische Völker in ihrer Frühzeit keine menschengestaltigen Götter kannten, sondern vielmehr verwandlungsfreudige Naturdämonen verehrten, wodurch sich die unterschiedliche Erscheinung als titanenhaft groß und zwergenhaft klein erklären lässt. Ausgrabungen der frühesten Opferstätten in Samothrake lassen auf Widderopfer schließen. Die Kabiren wurden vielerorts verehrt, berühmt sind die Mysterienheiligtümer von Lemnos, Samothrake und Theben. Auf der Insel Lemnos, die wegen ihrer bedeutenden Erzvorkommen als Heimat des Hephaistos galt, wurden die drei Hephaistossöhne als Kabiren verehrt. An dieser Stelle sei ein Vorgriff auf die römische Götterwelt gestattet. Von den Römern wurde Hephaistos mit ­Vulcanus gleichgesetzt, seine Heimat wurde jedoch auf die Insel Vulcano (eine der ­Liparischen Inseln nördlich von Sizilien) verlegt, nach der alle feuerspeienden Berge benannt sind. Manchmal – zumeist von örtlichen Fremdenführern – wird freilich auch erzählt, Vulcanus habe im Ätna gehaust. Die drei in Samothrake verehrten Kabiren sollen Axieros, Axiokersos und Axiokersa gewesen sein. Überdies hatten sie einen Begleiter, genannt Kadmilos. Ein alexandrinischer Gelehrter des 3. Jahrhunderts. v. Chr. setzte Axieros mit Demeter, Axiokersos mit Persephone, Axiokersa mit Pluto-Hades und Kadmilos mit Hermes gleich. Vermutlich hatte der gute Mann wenig Phantasie und konnte sich als Göttertrias nur die drei in Eleusis verehrten Götter vorstellen. Nach Ansicht des Verfassers wäre es jedoch durchaus denkbar, dass sich hinter Kadmilos kein Geringerer als Kadmos von Theben verbirgt. In hellenistischer Zeit nannte man die Götter nicht beim Namen, man sprach lediglich von θεοις (= Götter). Bald danach glaubte man jedoch in den Kabiren die beiden Dioskuren Kastor und Pollux (= Castor und Polydeukes) zu erkennen. Sie avancierten alsbald zu Rettern aus Seenot. Kadmos, der Königssohn aus Tyros, kam auf der Suche nach seiner von Zeus entführten Schwester Europa auf die Insel Samothrake, heiratete die Königstochter Harmonia und gründete in Böotien die Stadt Theben. Als Kabiren verehrte man dort ein männliches Paar – Kabeiros und Pais. Auf einer Vasenscherbe scheint neben den beiden auch noch Protolaos (der erste Mensch, vergleichbar mit dem Adam des Alten Testamentes) auf. Im vordorischen Griechenland galten die beiden Dioskuren als Söhne des Zeus und als Zwillinge – eine Parallele zu den indischen Asvinen, die als Licht-Dunkelwesen galten und erst wieder im Mithraskult als Cautes und Cautopates (die beiden Dadophoren) Auferstehung feierten.93

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Klymene siehe Helios.

Klytia war nach Hesiod der Name einer Okeanide, häufiger dargestellt wurde jedoch die Geliebte des Helios-Apollon, die er zugunsten der Leukothea verschmähte. Klytia verriet Leukotheas Fehltritt deren Vater und bewirkte damit ihren Tod. Klytia, auch als Blumengöttin des Frühlings identifiziert, grämte sich zu Tode. Nach Ovid (Metamorphosen IV) wurde Klytia in eine Sonnenblume (Nymphea) verwandelt. Die dritte bedeutende Frauengestalt der Antike mit diesem Namen war die Tochter des Pandareos aus Kreta.

Siehe ­ Abbildung S. 425

Kronos und seine Schwester Rheia waren zwei der vielen Kinder von Uranos und Gaia. Der Verbindung der Geschwister Kronos und Rheia entstammten u. a. Hestia, Demeter, Hera, Zeus, Poseidon und Hades. Kronos war auch kein Guter. Er verschlang alljährlich seine Kinder bis auf Zeus, mit dem Rheia nach Kreta flüchtete.

Mnemosyne Mit ihr zeugte Zeus die Musen: Euterpe (Aulodie), Erato (Liebeslieder, Tanz), Thalia (Komödie), Klio (Epos), Melpomene (Tragödie), Terpsichore (chorische Lyrik), Urania (Astronomie), Polyhymnia (Pantomime) und Kalliope (heroischer Gesang).

Nereus und Nereiden Nereus war ein Meergott. Hesiod nannte ihn Sohn des Pontus und nennt dessen Frau Doris. Sie gebar ihm 50 Töchter, die Nereiden. Sein einziger Sohn hieß Nerites. Nereus wurden Weisheit und Gerechtigkeit und die Fähigkeit der Weissagung zugeschrieben.

Niobe Königin von Theben, war die Tochter des Tantalos und der Dione (Schwester der Plejaden) und Gemahlin des Amphion. Sie hatte 14 Kinder – sieben Söhne und sieben Töchter. Der Sage nach soll sie sich darüber geärgert haben, dass das Volk der Leto und deren Zwillingskindern Apollo und Artemis huldigte, während ihr Name „ohne göttlichen Weihrauch“ blieb. Eingebildet auf ihre Abstammung von

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KAPITEL V

­ tlas und Zeus und stolz auf ihre Schönheit verjagte die eifersüchtige Niobe die A der Leto opfernden Frauen. Es musste Leto zur Weißglut bringen, von einer Sterblichen geschmäht zu werden. Phöbus und Artemoins, die Zwillingskinder der Leto, rächten ihre Mutter, indem sie alle Töchter und Söhne ermordeten. Daraufhin beging Amphion Selbstmord, Niobe wurde versteinert. Eine Niobidengruppe ist aus den Barbarathermen in Trier bekannt – ein ungewöhnlicher Platz für die Aufstellung einer solchen Skulpturengruppe.94

Okeanos Bruder und Gemahl der Tethys, ist der Weltstrom, der die Weltscheibe umfließt (Ozean), aus dem und zu dem täglich Helios und Eos kommen und in dem die Sterne baden. Seine nur noch ansatzweise fassbare ursprünglich große Bedeutung erlangte Okeanos auch in der Orphik und im Mithraskult.

Orpheus Der Orphizismus ist nur eine der vielen Erscheinungsformen der mystischen Strömungen der archaischen Zeit. Der Thraker Orpheus war eine apollonische Priestergestalt. Der aus der griechischen Sagenwelt bekannte, leierspielende und singende Orpheus, der Sohn des thrakischen Königs Oiagros und der Muse Kalliope, der am Eroberungszug der Argonauten teilnahm und der versuchte, seine geliebte Eurydike aus dem Hades in die Oberwelt zurückzuholen, stellte sich gegen Dionysos, als dieser in Thrakien einfiel. Dionysos ließ Orpheus von den Mänaden Glied um Glied zerreißen. Die Musen sammelten seine sterblichen Überreste ein und begruben sie am Fuß des Olymp. Sein Kopf aber wurde in einer Höhle aufbewahrt, wo er so lange weissagte, bis es ihm Apollon verbot.

Panakeia die „Allheilende“, war eine Tochter des Asklepios, welche den therapeutischen Teil der Heilkunst des berühmten Vaters gemeinsam mit sieben Geschwistern abdeckte: Iaso und Ianiskos, Akeso und Akesis, Machaon und Podaleirios sowie Telesphorus, dem Gott der Rekonvaleszenz und Genesung.

Phaeton siehe Helios.

Selene siehe Helios.

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Telesphorus bedeutet „Vollender“ und war ein griechischer Heilgott, zuständig für den therapeutischen Bereich als Gott der Rekonvaleszenz und der Genesung. Er erschien häufig als Trabant Aesculaps und wurde häufig sogar als dessen Sohn gedeutet. Telesphorus wurde – den Ausführungen von Pausanias zufolge – erst durch einen Orakelspruch gegen Ende des 1. Jh. n. Chr. in Pergamon eingeführt. Wegen des von ihm getragenen Kapuzenmantels wurde er von den Römern mit den Genii cucullati (Fruchtbarkeits- und Heilgötter) gleichgesetzt.95

Siehe ­ Abbildung S. 426

Themis Mit ihr zeugte Zeus die Jahreszeiten und die Schicksalsgöttinnen.

Thetis, eine Meeresgottheit, war die Tochter des Nereus und der Doris, der Mutter des Achilles. Ihr Großvater war Okeanos, ihre Großmutter Tethys.

Triton war einer der vielen Söhne des Poseidon.

Uranos wurde aus der Weltmutter Gaia geboren. Nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch die ersten Menschen waren das Ergebnis der Liebe zwischen Uranos und Gaia. Uranos zeugte auch die Titanen. Wären sie nicht die Stammeltern der griechischen Götterwelt, könnten wir auf ihre Namen verzichten, doch um keine ­Orientierungslosigkeit aufkommen zu lassen, seien sie namentlich genannt: ­O keanos, Thetys, Hyperion, Theia, Kreios, Eurybie, Koios, Phoibe, Themis, Mnemosyne, Japetos, Rheia und Kronos.

Zeus (der Göttervater, lat. Jupiter) Aus der Verbindung der Geschwister Kronos und Rheia entstammten u. a. H ­ estia, Demeter, Hera, Zeus, Poseidon und Hades. Kronos war auch kein ­Guter. Er verschlang alljährlich seine Kinder, bis auf Zeus, mit dem Rheia nach Kreta flüchtete. In der griechischen Version – zum Unterschied von der soeben beschriebenen kretischen – wurde der jüngste Kronossohn von den Nymphen Adastreia und Io aufgezogen, zwar nicht genährt mit Nektar und Ambrosia, aber immerhin

Siehe ­ Abbildung S. 427

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KAPITEL V

mit Honig, den die Bienen aus dem Idagebirge lieferten, und der Milch der Ziege Amaltheia. Um die Wiege standen die bewaffneten Kureten, die Söhne Rheias. Eines sei jedoch vorweggenommen: Die auf Kreta formulierte Zeusgeschichte handelt von einem sterbenden und wieder auferstandenen Gotteskind, das jedes Jahr von neuem geboren wurde. Jedes Jahr strahlte großer Lichtglanz aus der Höhle und jedes Jahr sei auch Zeus wieder gestorben. Kallimachos berichtet von einem Grab des Zeus auf Kreta. Damit rückt diese spezielle Zeusmythologie nahe heran an den Attis-Kybele-Kult, dessen Wurzeln zweifellos in Kleinasien zu suchen sind. Höhlen (oft symbolhaft als Gebärmutter betrachtet) und Quellen spielten seit der Frühzeit eine wesentliche Rolle, man denke nur an die Apollo- und PanGrotte am Hang der athenischen Akropolis, die korkyrische Höhle auf dem Parnass oder die Geburtshöhle des Zeus im Idagebirge auf Kreta. Diese Vorstellung wurde auch in späterer Zeit, beispielsweise von der Mithrasreligion (Geburtshöhle, Steingeburt) übernommen. Bemerkenswert ist dabei die Ortsgebundenheit der griechischen Götter. Zeus wuchs zu einem stattlichen Jüngling heran. Mit Hilfe seiner bis dahin verbannten Onkel, der Kyklopen und der Hekatoncheiren, besiegte Zeus die ihm feindlich gesinnten Titanen (seine anderen Onkel und Tanten); sie wurden im Tartaros eingekerkert. Dem Zeus friedlich gesinnt waren nur Onkel Okeanos und Cousin Prometheus, der Sohn seines Onkels Japetos. Des Prometheus Bruder Atlas wurde von Zeus verurteilt, das wichtige Gewölbe des Himmels auf seine Schultern zu nehmen. Kronos aber zog sich zurück nach Elysium, dem glücklichen Land ohne Kälte und Schnee (Afrika?). Daran angrenzend lagen die Glücklichen Inseln, in denen viele die heutigen Kanarischen Inseln zu erkennen glauben. Auch zwischen Zeus und seinem Cousin Prometheus kam es wegen der Opfergaben der Menschen und des Feuers zum Streit. Zeus ließ Prometheus an einen Felsen im Skythenland schmieden und beauftragte einen Adler, jeden Tag die nachwachsende Leber des Titanen zu zerfleischen. Dem Epimetheus, einem weiteren Bruder des Prometheus, aber schickte Zeus die schöne Pandora mit ihrer Büchse, deren Inhalt Leiden und Krankheiten über die Menschheit brachte. Der frühe, dodonische Zeus (das Eichenorakel in Dodona hat prähistorische Wurzeln!) ist eine spezielle Ausbildung des indogermanischen Himmelsgottes Djeus, von dem sich auch der Diespiter-Jupiter der Römer herleitet. Überdies: Die Gemahlin des urtümlichen Zeus von Dodona war nicht Hera, sondern Dione. Die Geburtsgeschichten der olympischen Götter waren nicht minder blutrünstig als die Schandtaten der Stammeltern. Hera gebar den Krüppel Hephaistos, und der Stirn (!) des Zeus entsprang Pallas Athene, nachdem der Göttervater zuvor seine erste Gemahlin Metis (eine Titanin, Tochter des Okeanos und der Thetis) verschluckt hatte. Homer hob die Hesiod’sche Überlieferung aus den Angeln, verschwieg die meisten der Scheußlichkeiten und erklärte Okeanos und Thetys zu Allvater und Allmutter. Nach der klassisch-griechischen Auffassung war Zeus der vom Olymp aus herrschende Götterkönig und Schicksalslenker. In geschichtlicher Zeit war Zeus primär der Blitz und Donner schleudernde Wettergott. Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an den hethitischen Teschub. Blitzeschleuderer und Donnerer sind seit Homer seine häufigsten Beinamen. In den frühen Tagen wurden ihm sogar fallweise Menschenopfer gebracht. Für die Dipolieia, das älteste Zeusfest in

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Athen, sind Rinderopfer bezeugt. Vom Wettergott war es nur ein kurzer Weg zum Fruchtbarkeitsgott. Als „Hausgott“ beschützte Zeus die alleinstehenden Häuser und Gehöfte. So nachzulesen bei Homer in der Odyssee, aber auch bei Aristophanes und Sophokles. Zeus ordnete die Himmelskörper, schuf Gesetze nach mykenischem Vorbild und wies seine streitlustige Familie in die Schranken. In der heiligen, goldenen Waage des Zeus glauben wir heute eine Schicksalswaage zu erkennen, auf welcher der Göttervater den Menschen ihr Schicksal (Moira) abwog. Rheia wusste von der Wollust ihres Sohnes und verbot ihm zu heiraten. Doch der Götterkönig widersetzte sich und nahm Hera, ebenfalls eine Tochter des Kronos und der Rheia und damit seine Schwester, zur Frau. Trotz ihrer dreihundert Jahre dauernden Hochzeitsnacht auf Samos war die Ehe alles andere als glücklich. So hängte Zeus die stets eifersüchtige und hochfahrende Hera wegen ihres Hasses auf Herakles mit goldenen, unzerreißbaren Fesseln an den Himmel und hängte ihr zwei Ambosse an die Füße. Die Liebesabenteuer des Zeus sind Legion. Mit Themis zeugte er die Jahreszeiten und die Schicksalsgöttinnen, mit Mnemosyne die neun Musen. Liebestoll schlief Zeus auch mit Nymphen und sterblichen Frauen. Maia, die Tochter des Atlas gebar ihm Hermes, mit Leto zeugte er Apollon und Artemis, und auch mit Semele, der Tochter des Königs Kadmos von Theben soll er ein Liebesverhältnis gehabt haben, in dem Dionysos gezeugt wurde. Hera gebar ihm Ares, Hephaistos und Hebe.96 Zum Thema römische Jupiterausprägungen und kapitolinische Dreiheit – ­siehe Jupiter.

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GR I ECH ISC H - RÖM ISC H E G ÖT T E R

Aphrodite (lat. Venus) Siehe ­ Abbildungen S. 428–433

Die Schöpfung einer Urreligion auf matriarchalischer Basis dürfte sich im jüngeren Paläolithikum abgespielt haben. Der Weg von dort zur anatolischen Göttermutter, zur sumerischen Inanna, zur ägyptischen Isis oder gar zur Venus-Aphrodite des europäischen Kulturkreises war noch weit. Die Geburt der Aphrodite, der Göttin des Sexuallebens, wurde in vielen Varianten erzählt. Als Liebesgöttin der homerischen Epen ist Aphrodite ein Kind des Zeus und der Dione. Auf der Insel Kypros (Zypern) soll die Schaumgeborene an Land gestiegen sein. Aphrodite wurde als Tochter des Uranos im syrischen Askalon verehrt. Zeus verheiratete die attraktive Göttin mit ihrem Halbbruder Hephaistos. Der Vater ihrer drei Kinder Phobos, Deimos und Harmonia war jedoch Ares. Sie schlief auch mit Hermes und brachte danach den zweigeschlechtlichen Hermaphroditos zur Welt. Mit Persephone stritt sich Aphrodite, die Unersättliche, um Adonis, welcher letztlich von Ares getötet wurde. Zeus musste ihn jedoch wieder zum Leben erwecken – von wegen „unsterbliche Götter“. Zaubermittel der Aphrodite ist ihr Gürtel, in dem Liebe, Verlangen, Begierde, Flüstern und Überreden enthalten sind. Zu den bekanntesten Sagen der griechischen Mythologie zählt das Urteil des Paris. Der trojanische Königssohn war ein besonderer Günstling der ­A phrodite. Als der von Zeus erwählte Schiedsrichter im Streit der Hera, Athene und ­A phrodite um den Preis der Schönheit, hatte er sich für Aphrodite entschieden. Die von Hera ihm versprochene Herrschaft oder die von Athene angebotene Weisheit konnten ihn nicht dazu verlocken, Aphrodite nicht als die Schönste zu erklären. Dafür verschaffte ihm Aphrodite das begehrteste Weib der Erde, die schöne ­H elena, die Schwester der Dioskuren Kastor und Pollux. Die Liebesgöttin Venus wurde im 5. vorchristlichen Jahrhundert über die etruskische Göttin Turan zu Aphrodite in Beziehung gebracht. Venus gelangte in Rom zu höherem Ansehen als Aphrodite in Griechenland.97 In den römischen Staatskult eingeführt wurde sie allerdings erst 295 v. Chr. Sie war nicht nur die Schutzgöttin der julischen Dynastie, sie verlieh als Venus Felix auch Glück und als Venus Victrix den Sieg. Während jedoch in der griechischen Mythologie H ­ ephaistos und Ares98 miteinander im Streit lagen, bildeten bei den Römern Mars, Venus und Volcanus eine Trias. Der Göttin Venus Victrix für das Heil des Kaisers Commodus geweiht von den Veteranen der Centurie des Crispinianus nach ehrenvoller Entlassung. Iulius Atta, Iulius Respectus, Iulius Ursus steht auf zwei Bruchstücken einer marmornen Weiheinschrift aus Carnuntum zu lesen, die in der Regierungszeit des Kaisers Commodus zwischen 180 und 192 n. Chr. entstand. Doch auch Zivilisten verehrten Venus. Einen diesbezüglichen,

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

leider beschädigten Weihealtar aus Carnuntum aus dem 2. Jahrhundert verwahrt das Kunsthistorische Museum in Wien.

Apollon (lat. Apollo) war ein Sohn des Zeus (lat. Jupiter) und der Leto (lat. Latona). Er wurde von Themis mit Nektar und Ambrosia genährt. Schon als kleines Kind soll er mit Pfeil und Bogen die seiner Mutter feindlich gesinnte Schlange Python erlegt haben. Für eine bestimmte Zeitspanne übernahm er höchstpersönlich das Delphische Orakel. Schon als kretischer Gott war er bekannt und berühmt für seine Weissagungen. Betrachtet man in den vatikanischen Sammlungen den berühmten Apollon vom Belvedere, die römische Kopie eines Bronzeoriginals des Leochares, kann man sich kaum vorstellen, dass Apollon ursprünglich gar kein Grieche gewesen ist. Das archaische Apollonbild war ein nackter Kouros. Erst seit dem 6. Jh. v. Chr. wurde der Gott mit seiner kithara, einem leierähnlichen Saiteninstrument, dargestellt. Apollon ist uns als ein brutaler Rächer in der Reihe der Olympier bekannt. So tötete er den Satyr Marsyas, weil dieser auf der von Athene weggeworfenen Flöte spielte. Vor den Augen des Königs Midas siegte Apollon in einem musikalischen Wettstreit über Pan. Wie heißt es so schön? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: In sexueller Hinsicht geriet er ganz nach dem Papa – er schwängerte sowohl Nymphen als auch sterbliche Frauen. Zeus tolerierte das ausschweifende Leben seines Sprösslings und wurde erst böse, als Apollon seinen Vater zu entthronen versuchte. Apollon galt zwar primär als Gott der Musik und der Mantik (Wahrsagekunst), wurde jedoch schon früh auch als Unheilabwehrer, Helfender und Heilender verehrt. Die Gleichsetzung mit Helios erfolgte erst spät, desgleichen die dem Apollon zugeschriebene Funktion als Sühnegott. Spätestens im 1. Jh. v. Chr. wurde er zum Protektor der Meerfahrten, der Kolonisation und der kriegerischen Behauptung zur See, was die Dankesbezeugung an den Apollon von Actium für den Beistand in der Entscheidungsschlacht gegen Marcus Antonius und Kleopatra durch Octavianus bezeugt.99 Ob dem Heilgott Apollon tatsächlich Menschenopfer gebracht wurden, ist nicht gesichert, wenngleich im Drama „Alcestis“ (von Euripides) Apollon verlauten lässt:

Siehe ­ Abbildungen S. 434–436

In diesem Haus stirbt eine Frau. Sie gibt ihr Leben, damit ihr Mann leben möge. Und dies ist der Tag ihres Todes.100 Es steht für die freiwillige Aufopferung eines Menschenlebens zugunsten eines anderen, damit dieser nach einer gefährlichen Krankheit vom Heilgott der Genesung zugeführt wird. Wir kennen solche Geschichten aber auch noch aus der römischen Republik und sogar aus der Kaiserzeit. Der von Ovid und Varro beschriebene altrömische Brauch, sogenannte ArgeiPuppen von der pons Sublicius in den Tiber zu werfen, beruht auf dem frührömischen Ritual der Opferung gefangen genommener Griechen (Argives).101

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KAPITEL V

Nach Plutarch wurden Griechen und Gallier ( jeweils ein Mann und eine Frau) noch 228 v. Chr. auf dem Forum Boarium rituell lebendig begraben. Dieses Menschenopferritual wurde nach der verheerenden Niederlage der Römer bei Cannae im Kampf gegen Hannibal wiederholt. Menschenopfer wurden erst um Jahr 97 v.  Chr. im antiken Rom illegal. Wenn wir den tendenziell bösartigen Berichten über die Catilinische Verschwörung Glauben schenken, so kam es 63 v. Chr. sogar zum rituellen Kannibalismus. Plutarch notierte in seinen Lebensbeschreibungen (Cicero X. 4): Als sie also diesen Mann [Catilina] als Führer auserkoren, gaben sich die Schurken gegenseitig Gelübde, eines davon die Opferung eines Menschen und das Schmecken seines Fleisches. Der ebenfalls weitestgehend verlässliche Historiker Cassius Dio Cocceianus und zeitweilige Statthalter Pannoniens in Carnuntum (226 bis 228 n. Chr.), von Pertinax zum Prätor designiert und unter Septimius Severus consul suffectus, schreibt: Die vornehmsten und einflussreichsten Mitglieder der Verschwörung – unter anderen zählte auch der Konsul Antonius zu ihnen – verpflichtete er [Catilina] außerdem durch einen grässlichen Eid: Er opferte einen Sklaven, ließ dann auf die Eingeweide schwören und verzehrte diese zusammen mit den anderen.102 Nur eine bösartige Verleumdung oder tatsächlich ritueller Kannibalismus? Als der römische Kaiser Caligula erkrankte, gelobten römische Bürger, ihr Leben für den Imperator hinzugeben, sofern dieser nach seiner Erkrankung wieder gesunde. Im „Leben der Caesaren“ schreibt Sueton: Als Caligula einmal krank wurde, verbrachte alles [römische Bürger] die Nächte auf dem Palatin, und es gab Leute, die gelobten, als Gladiatoren für die Errettung des Kranken kämpfen zu wollen, und andere, die durch öffentlichen Anschlag bekannt­ gaben, dass sie ihr Leben für den Fall seiner Genesung zu opfern bereit seien. An anderer Stelle heißt es: Von dem Mann, der bei des Kaisers Errettung aus schwerer Krankheit versprochen hatte, als Gladiator aufzutreten, forderte er [Caligula] die Erfüllung des Gelübdes, schaute seinem Kampfe zu und als er gesiegt hatte, entließ ihn [der Kaiser] erst nach vielen Bitten. Den andern, der aus dem gleichen Grunde zu sterben gelobt hatte, über­ gab er, als dieser zögerte, seinen Sklaven und trug ihnen auf, ihn mit Zweigen und einer Opferbinde geschmückt durch die Stadt zu treiben und die Erfüllung des Ge­ lübdes zu verlangen. Zum Schluß stürzte dieser sich dann von einem Wall ­herab.103 Von diesem Vorfall berichtete noch 200 Jahre später Cassius Dio und nannte sogar dessen Namen: Publius Afranius Potitus, ein Plebejer.104 Nicht nur die kithara, auch Pfeil und Bogen waren Attribute Apollons. Mit unsichtbaren Pfeilen sandte er Krankheit, Epidemien und Tod. Doch wer Krankheiten sendet, der kann sie auch abwehren. Apollon war deshalb auch der heilende Gott. Er avancierte trotz der Konkurrenz von griechischen Heroen, Kentau-

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

ren und anderen lokal verehrten Heilgöttern schon früh zum Heilgott und wurde schon lange vor der Asklepios-Verehrung in Epidauros von kranken Menschen um Heilung angefleht. Maleatas war ein speziell auf dem Peloponnes häufig verehrter Heilgott, der schrittweise im Asklepios aufging. Übrigens: Dieser Apollon ­M aleatas war der ursprüngliche Inhaber des epidaurischen Heiligtums. Apollon wurde schon am Ende der Königszeit von den Griechen übernommen und unter seinem Namen in Rom rezipiert und etabliert – einerseits als Gott der sibyllinischen Bücher und andererseits als Apollo medicus. Angeblich war eine Seuche im Jahr 431 v. Chr. der unmittelbare Anlass, den etruskisch geprägten A ­ pollo (Apulu, auch Aplu) als Heilgott zuzulassen. Doch der Bau des Apollotempels dürfte bereits 433 v. Chr. begonnen worden sein. Da auch der delphische Apollon zu dieser Zeit längst in Mittelitalien bekannt war, entstand bald ein dominanter Apollinismus. Der Kult des Äskulap wurde erst mehr als 400 Jahre später nach einer weiteren in Rom wütenden Pestepidemie (23 v. Chr.) aus Epidauros eingeholt. Im 2. nachchristlichen Jahrhundert ließ in Carnuntum ein Priester namens ­Iulianus einen Altar für den Apollo Augustus, den erhabenen Apollon, anfertigen, und etwa 100 Jahre später stiftete in der oberpannonischen Metropole eine gewisse Aurelia Ursulina dem Apollo eine männliche Figur mit einem kleinen Altar.

Ares (lat. Mars) und sein Bruder Hephaistos waren Söhne des Zeus und der Hera. Ares war ein den meisten Olympiern verhasstes Kind. Ares liebte den Kampf um des Kampfes willen, wurde jedoch selbst mehrmals besiegt, so von Athene und den Söhnen eines gewissen Aloeus, die ihn länger als ein Jahr in einem Bronzekessel gefangen hielten. Auch vor Herakles hatte er Angst und flüchtete vor ihm auf den Olymp. Des Mordes an einem Sohn des Poseidon angeklagt, musste er sich vor dem olympischen Gericht verteidigen. Keine Zeugen, keine Verurteilung. Ares ging frei in diesem ersten Mordprozess in der griechischen Götterwelt. Der Name des Gottes Mars ist bereits für die Zeit um 500 v.  Chr. belegt. Damals war er freilich noch kein Kriegsgott, sondern vielmehr ein Gott für den Ackerbau, der die Fruchtbarkeit der Fluren sichern und die Menschen vor Seuchen bewahren sollte. Zogen diese Bauern aber gegen feindliche Stämme zu Feld – und das taten sie immer öfter – opferten sie ebenfalls dem Mars. Spätestens im Jahr 217 v. Chr. wurde er mit dem griechischen Kriegsgott Ares identifiziert. Dem Mars war der campus Martius geweiht, wo seit den Zeiten des Königs Numa Pompilius, dem zweiten König Roms, eine Martis ara stand. Den kriegerischen Kult des Mars versahen die Salii, den agrarischen die Arvales. In der Zeit der späten Republik wurde ihm in Form der Suovetaurilia geopfert. Dabei handelte es sich um ein Dreifachopfer von Stier, Schwein und Schaf – auf dem Forum unweit der Kurie noch heute als eindrucksvolles Relief zu bewundern. Als einzigem Gott wurde Mars ein Pferd geopfert, das vom flamen ohne unmittelbare Berührung durch einen Speerwurf getötet werden musste. Als Garant des Sieges nahm Mars als Staatsgott eine hervorragende Stellung ein. Der Monat März (Martius) war dem Mars geweiht.

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KAPITEL V

In den keltischen Gebieten des Imperiums war der Kult des Mars in besonderem Maß verbreitet. Wir finden auch viele keltische Lokalgottheiten, die durch die in­ terpretatio Romana mit Mars identifiziert wurden, man denke nur an Mars Marmogius in Noricum und Pannonien, Mars Toutates in der heutigen Steiermark, Mars Latobius vom Magdalensberg in Kärnten (Pferderune), Mars Leucetius im Rheingebiet, Mars Cnabetius in Obergermanien, Mars Cocidius in Britannien oder Mars Intarabus im Gebiet der Treverer (Trier). Eine lediglich im Hainburger Pfarrbuch verzeichnete Stele aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. stiftete ein Veteran der XV. Legion dem siegreichen Gott Mars. Im 2. Jahrhundert haben Caletonius Secundus, ein Veteran aus dem Verband der duplikarii und der evocatus Lucius Valerius Titovius (ebenfalls ein langgedienter „alter Hase“ im Rang eines Centurionen) dem Kriegsgott Altäre gestiftet. Mars hatte demnach auch noch in der römischen Kaiserzeit auch in Carnuntum seine Bedeutung nicht verloren. In Leptis Magna wurde in den hadrianischen Thermen im Durchgang vom Frigidarium zum Tepidarium der Torso einer Kolossalstatue des sitzenden Mars entdeckt.105

Artemis (lat. Diana) Siehe ­ Abbildungen S. 437–441

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erschien in den Bädern und Heilthermen zumeist mit ihren Gefährtinnen, den Nymphen. Die ursprünglich kleinasiatisch-phrygisch-kretische Göttermutter wurde unter den verschiedensten Namen verehrt: Ma, Dindymene, Idaia, Artemis, Astarte, Hepat, Passinuntia, Kybele, Kubaba oder Kumbaba. Sowohl Helios als auch Selene mussten bereits in vorhomerischer Zeit in weiten Gebieten zugunsten Apollon und Artemis in den Hintergrund treten. Während Helios die Sonnen-Quadriga lenken durfte, gestand man Selene nur eine Biga, einen von zwei Rossen gezogenen Wagen, zu. Wie Artemis liebte sie die Jagd. Helios und Selene rückten erst wieder in der Zeit des Synkretismus im Mithraskult und im Kult der danubischen Reiter als Sonnengott und Mondgöttin in den Blickpunkt des religiösen Interesses. Artemis, die wunderschöne Schwester des Apollon, wurde häufig mit Pfeil und Bogen bewaffnet als Jägerin dargestellt. Wie ihr Bruder konnte sie den Sterblichen Krankheiten, Seuchen oder den plötzlichen Tod schicken. Sie galt als Beschützerin der Kinder und der Tiere, was nach unserem Verständnis als Jagdgöttin nur schwer zu begreifen ist, außer man ist Jäger und Heger in einer Person. Den frühen Jägern galt das Tier als gleichberechtigter Partner, die „Seele“ des Tieres durfte durch kein unwaidmännisches Abschlachten zerstört werden. Die Schicksalsgöttinnen machten Artemis zur Schutzgöttin der Schwangeren und Gebärenden.106 Ihr Vater Zeus aber ernannte sie zur Göttin der Straßen und Häfen. Sie erbat sich neben anderen Dingen von ihrem Vater Zeus ewige Jungfräulichkeit und verpflichtete auch ihre Gefährtinnen, die Nymphen, zur Keuschheit. Leicht gesagt, aber schwer getan, wenn Zeus unterwegs war. Der Göttervater verführte die Nymphe Kallisto, beider Sohn Arkas wurde zum Ahnherrn der Arkadier. Heiliges Tier der Artemis war der Hirsch. Nicht nur in prähistorischer Zeit, sondern auch noch zur Zeit der Schlacht von Salamis forderte sie Menschenop-

HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

fer. Was wir als urtümliche Grausamkeit empfinden, war allerdings stets Rache an grausamer Tötung. Die Opferung eines Menschen ist eines der großen Tabus der heutigen „zivilisierten“ Gesellschaft. Dass die Tötung zu Ehren eines Gottes oder einer Fürbitte wegen als heiliger Akt angesehen werden kann, ist unakzeptabel geworden.107 Die frühen Artemisdarstellungen haben mit jenen der klassischen Mythologie so gut wie nichts zu tun. Die mächtige, wilde Göttin wurde in der archaischen Kunst sogar mit Gorgohaupt und geflügelt dargestellt, wie später Athena, Nike und die römische Victoria. Interessant ist, dass die Schwester des Apollon auch in Carnuntum verehrt wurde. Das Museum Carnuntinum in Bad Deutsch-Altenburg verwahrt ein Altarbruchstück mit der Aufschrift [AR]TEMAS. Das aventinische Dianaheiligtum zählt zu den ältesten Sakralbauten der ­Tiberstadt. Diana war zunächst eine italische Mondgöttin. Zugleich galt sie als Göttin des Frauenlebens, der freien Natur, des Wildes und der Jagd. Die Verehrung der Diana Aricina108 am als der wohl älteste von auswärts übernommene bedeutendere Kult nach Rom. Das Kultbild entsprach dem der Artemis von Massalia, die ihrerseits von der ephesischen abstammt. Dabei muss festgehalten werden, dass die Ausprägungen des römischen Dianakultes durch das Eindringen des griechischen Artemisdienstes nachhaltig beeinflusst und modifiziert worden.109 Auf einem sich im Museum Carnuntinum befindlichen Pfeilerfragment findet sich eine Inschrift, die besagt, dass „dieses“ Bauwerk (was auch immer es war, wir wissen es nicht) Publius Aurelius Cassianus, seines Zeichens Präfekt der IV. und der XIV. Legion sowie seine Gattin Aurelia Lucilla und deren Kinder der Diana geweiht haben. Einen Altar mit Aufsatz und angedeuteten Voluten hat, im Jahr des Konsulates von Anulinus und Fronto (199 n. Chr.), ein Marcus A. Secundinus, Veteran der XIV.  Legion auf Grund eines Gelübdes errichten lassen. Schon bald feierte man Diana-Artemis auch als Hekate, in der Kaiserzeit wurde sie u. a. mit der Göttin von Hierapolis in Syrien, mit der karthagischen Caelestis, den keltischen Gebirgsgöttinnen Abnoba und Ardiunna und mit einer dalmatinischen Waldgöttin gleichgesetzt.

Asklepios (lat. Aesculapius bzw. Äskulap) Die Legende erzählt, dass 291  v.  Chr., als das Schiff mit der heiligen Schlange des Aesculapius stromaufwärts an der Tiberinsel vorbeifuhr, diese an Land geschwommen sein soll. Tatsächlich wurde der Kult des Äskulap nach einer in Rom wütenden Pestepidemie (293 v. Chr.) aus Epidauros eingeholt. Auf der Tiberinsel entstand ein Spital. Bei der weiblichen Gestalt, die auf römischen Darstellungen Aesculapius begleitet, handelt es sich um Hygia (die griechische Hygieia). Letztere war eng mit Vesta verbunden und verkörperte das Wohl des Staates. Der ebenfalls häufig als Trabant des Heilgottes auftauchende Telesphorus ist der Genius der Genesung. Zur griechischen Vorgeschichte des Heilgottes ist zu bemerken, dass Asklepios – ursprünglich ein thessalischer König und unvergleichlicher Arzt – zwar zu den Heroen gerechnet wurde, aber viele von den Heilheroen im Laufe der Zeit verdrängt hat. Die ältesten Weiheinschriften von Epidauros nennen sowohl Apol-

Siehe ­ Abbildungen S. 442–443

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KAPITEL V

lon als auch Asklepios. Im 5. Jh.  v.  Chr. blühte der Asklepioskult auf und verdrängte zunehmend den Kult des Apollon. Irgendwann avancierte Asklepios in der Vorstellung der Menschen zum Sohn Apollons. 420 v.  Chr. kam Asklepios nach Athen. Am Südabhang wurde ein Heiligtum installiert, bald danach die berühmte Filiale in Pergamon. Die zunehmende Beliebtheit bei den Kranken und die inbrünstige Verehrung des Heilgottes durch die Leidenden in der Bevölkerung führte zu mehreren Filialgründungen, so beispielsweise 350 v.  Chr. in Kos, was allerdings der Beliebtheit des Kultzentrums Epidauros keinen Abbruch tat. Insgesamt sollen im Altertum etwa 400 Asklepiosheiligtümer bestanden haben. Im 1. Jh. n. Chr. genoss von den griechisch-römischen Göttern Asklepios das höchste Ansehen. Kein Wunder, dass die Apologeten der frühchristlichen Religionen in ihm einen besonders ernsthaften Nebenbuhler um die Gunst der Massen sahen, zumal vor Jesus bereits Asklepios den Ehrentitel Soter (= Heiland, Retter) trug. Die Situation spitzte sich speziell unter Kaiser Flavius Claudius Julians Apostata (reg. 355 bis 363 n. Chr.) zu. Er war ein Neffe Constantins des Grossen und vermutlich der letzte große humane Geist auf Roms Kaiserthron. 360 n. Chr. wurde er von seinen Truppen zum Augustus ausgerufen. Im Jahre 361 n. Chr. sollte es zwischen den Rivalen Julianus und Constantius II. zu einer Aussprache hinsichtlich der künftigen Verwaltung des Reiches in Mailand kommen. Constantius II. erlag jedoch zuvor einem Fieber. Dadurch wurde Julianus unbestrittener Alleinherrscher. Er attackierte die Christen und verkündete die Vormacht griechischer Kultur. Letztlich triumphierte jedoch Christus über Asklepios, auch wenn der Heilkult weiterlebte. Die frühen Christen sahen in den Krankheiten gottgewollte Prüfungen, die der Mensch als göttliche Gnade zur Läuterung auf sich nehmen sollte, und hielten die Arzneiwissenschaft für eine betrügerische Kunst. Die Kirchenväter wetterten auch gegen den Bädergebrauch, was vom hygienischen Standpunkt aus betrachtet unsinnig war, wurde doch die allgemeine Körperpflege unterdrückt. Später übernahmen dann christliche Ärzte wie Kosmas und Damian die Aufgaben des ­A sklepios.110 Kolossalköpfe des Asklepios wurden in den Caracalla-Thermen in Rom und in den Großen Thermen von Perge entdeckt. Ein schöner Asklepioskopf wurde im Heiligtum des Gottes in Piräus gefunden, beeindruckend ist die Statue des Gottes aus Ampurias und auch der in Carnuntum entdeckte Porträtkopf des Asklepios ist auffallend qualitätvoll.

Athene (lat. Minerva) Siehe ­ Abbildungen S. 444–448

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Zeus hatte die Titanin Metis gegen ihren Willen geschwängert. Ein Orakel von „Großmutter“ Gaia erklärte, dass es ein Mädchen sein werde, doch sollte Metis, die personifizierte Weisheit, nochmals schwanger werden, dann mit einem Sohn, der Zeus ebenso entthronen würde, wie er seinen Vater Kronos und dieser den Uranos. Dieser Orakelspruch missfiel dem Göttervater und so verschlang er kurzerhand die schwangere Metis.

HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Was für uns Menschen des 21. Jahrhunderts wie eine schaurige Gruselgeschichte klingt, soll lediglich ein Gleichnis dafür darstellen, die allumfassende Weisheit in sich aufzunehmen. Eine seltsame Bildersprache der alten Griechen. Doch das war noch nicht alles. Bald nach dem Verschlingen der Metis schien dem Zeus der Schädel zu bersten und er heulte vor Schmerz. Da kam Hermes und öffnete (mit Hilfe von Hephaistos oder des Prometheus) einen Spalt im Schädel des Göttervaters. Mit einem mächtigen Schrei soll diesem Spalt die voll bewaffnete Athene entsprungen sein. Der alte Name der minoischen Palastgöttin Athene, „atina potinia“, ist auf einer Tafel aus Knossos zu lesen. Kriegerisch war sie schon damals, denn als Beschützerin des Palastes zog sie mit dem König in die Schlacht. Im Krieg war sie stets die taktisch Klügere und übertrumpfte selbst den Kriegsgott Ares. Ihr häufigster Beiname ist Pallas (Pallas Athene). Heute assoziieren wir mit Athene weniger die Weisheit und viel eher die kriegerischen Aspekte, doch der Göttin werden auch viele praktische Erfindungen zugeschrieben – vom gebrannten Tontopf über Flöte, Trompete und Pflug bis zur Mathematik. Noch wichtiger für die Menschen der Frühzeit war freilich die Kultivierung der wilden Olive. Und das geschah irgendwo im Vorderen Orient, denn nach Griechenland kam Athene bereits als Herrin der Olivenhaine. Auch die Zähmung des Pferdes und die Anleitung zum Bau von Schiffen sollen auf ihre Initiativen zurückgehen. Minerva, erwachsen aus der auch in Großgriechenland verehrten Göttin Athene, behielt in ihrer Erscheinung den kriegerischen, hellenischen Auftritt, zumeist mit Helm, Lanze und dem Abbild der Gorgo auf dem Brustpanzer. Im landwirtschaftlichen Bereich hatte Minerva eine starke Bindung zum Ölbaum. Die Verbindung von Juno und Minerva innerhalb der kapitolinischen Trias dürfte aus achäischer Tradition entstanden sein, man denke nur an das Naheverhältnis von Hera zu Athena. Bereits zur Zeit der Republik, verstärkt jedoch in der Kaiserzeit, wurde Juno als Gemahlin des Jupiter aufgefasst. Vielleicht war ihre zunehmende Popularität in der Frühzeit Roms sogar an die Einführung des veredelten Olivenbaumes in Mittelitalien gekoppelt. Kaum bekannt ist, dass Minerva neben ihren vielen unterschiedlichen Funktionen auch Schutzgöttin der Ärzte war. Der Kopf einer Minervastatue wurde 1875 im Caldarium des sogenannten Militärbades von Carnuntum (heute „Heiltherme“) gefunden. Eine interessante Weihegabe aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts wurde ebenfalls in Carnuntum ergraben. Es handelt sich dabei um die Gruppe einer ­M inerva mit Eule und eines Genius. Die Inschrift auf dem Sockel weist eindeutig auf die Göttin Minerva und den Genius der immunes (Soldaten im Rang von Gefreiten) hin. Häufiger als die Militärs huldigten Zivilisten der kapitolinischen Trias. Einer, der auf Nummer sicher gehen wollte, ließ auf den von ihm gestifteten Altar meißeln: „Den erhabenen Gottheiten Jupiter, Juno, Minerva und dem Silvanus Domesticus geweiht“. Andere wiederum wollten alle Götter erreichen und darüber hinaus noch bei den Ausgaben für den Steinmetz sparen. Sie ließen einfach die vier Buchstaben DIIS (= den Göttern) in Stein gravieren.111

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KAPITEL V

Hades (lat. Pluto ) später auch als Plutos oder Pluto identifiziert, war der den Menschen verhassteste aller Götter, denn er holte die Menschen ins Totenreich und ließ sie von dort nicht mehr zurück auf die Erde. Sein wichtigstes Attribut und Requisit war die „Tarn­ kappe“, die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen. Im Reich des Todes aber gebot nicht Hades, wie vermutet werden könnte, sondern die ihm treue Gattin Persephone.

Helios (lat. Sol) Die drei Lichtgötter und Geschwister Helios, Selene (Luna) und Eos entsprossen dem Titanidengeschlecht. Der Vater hieß Hyperion, die Mutter war Theia. Auf seiner von vier feuersprühenden Schimmeln gezogenen Quadriga raste Helios täglich am Morgen aus einer stillen Bucht im östlichen Okeanos über das Firmament und tauchte am Abend durch das Sonnentor im Westen wieder unter. Dort bestieg er die von Hephaistos angefertigte Fähre und fuhr während der Nacht zurück nach Osten. Die Insel Rhodos beanspruchte er als sein Eigentum, mit Rhode zeugte er sieben Söhne, die Stammväter der Rhodesier wurden. Sein mit der Okeanide Klymene gezeugter Sohn Phaeton bettelte, sein Vater möge ihn einmal den Sonnenwagen lenken lassen. Doch der Junior hatte sich zu viel vorgenommen und schaffte es nicht, die Pferde in der Bahn zu halten. Zuerst fuhr er so hoch über der Erde, dass alle froren, und danach so niedrig, dass die Felder verbrannten. Zeus tötete den ungeschickten Lenker in gewohnter Weise mit einem Blitz.

Hephaistos (lat. Vulcanus) Der bucklige, hässliche, entstellte und stets übellaunige Hephaistos – Gott des Feuers und Schmied zugleich – war bei seiner Geburt schwach und derart abstoßend, dass ihn seine Mutter Hera vom Olymp hinunter ins Meer warf. Thetis und Eurynome retteten den Säugling und zogen ihn in einer Tiefseegrotte auf. Als Hera bemerkte, dass Hephaistos für Thetis ein wunderschönes Schmuckstück hergestellt hatte, holte sie ihren Sohn zurück in den Olymp und richtete ihm dort eine schöne und größere Schmiede ein, als er jemals zuvor gehabt hatte. Nach einem Streit mit seinem Vater schleuderte Zeus den Hephaistos aus dem Olymp hinunter auf die Insel Lemnos, wo er sich beide Beine brach. Später verzieh der Göttervater seinem Junior und holte ihn zurück auf den Götterberg, wo er – gestützt auf goldene Krücken – durch den Götterhimmel humpelte. Der homerische Hephaistos war das, was wir heute einen Renaissancekünstler nennen. Der Wagen des Helios, das Szepter des Zeus, der goldene Brustpanzer und die Beinschienen des Herakles und das goldene Halsband der Aphrodite sind nur einige wenige seiner Werke. Chronologisch nicht einzuordnen ist die Behauptung,

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Hephaistos hätte der Rheia eine goldene Dogge geformt, die über den Säugling Zeus auf Kreta wachen sollte. Das Problem: Zeus gilt als Vater des Hephaistos. Nebenbei bemerkt: Auf Lemnos galt Hephaistos als Vater der Kabiren. In der Gesellschaft der Olympier war Aphrodite die Gemahlin des göttlichen Schmiedes. In Rom, unweit der Staatskasse, dem aerarium populi Romani, lag das Volcanal, die Kultstätte des Schmiedegottes Volcanus, dem römischen Pendant zum griechischen Hephaistos. Während jedoch in der griechischen Mythologie Hephaistos und Ares miteinander im Streit lagen, bildeten bei den Römern Mars, Venus und Volcanus eine Trias. Volcanus wurde zum Schutz gegen Feuersbrünste angerufen, auch noch in der Spätantike, bis ihm dann eines Tages der hl. Florian diese Funktion streitig machte.112

Hera (lat. Juno) Hera, Schwester und Gemahlin des Zeus, zählte zu den meistverehrten Göttinnen der Griechen. Sie war die Schutzgöttin der Pferde, später auch Hauptgöttin der Rinderweiden. Sie galt auch als Beschützerin der Seefahrer. Manchmal findet man einen oder zwei Löwen als Trabanten der Göttin, vermutlich ein Relikt aus dem orientalischen Kybele-Kult. Juno war die mächtigste Göttin des latinisch-römischen Pantheons, galt jedoch zu dieser Zeit nicht als mit Jupiter verheiratet, wie Hera mit Zeus. Bereits um 500 v. Chr. wurde die phönikische Astarte mit der Göttin Uni identifiziert. Das ist den drei Goldplättchen von Pyrgi (mit phönikischem und etruskischem Text) zu entnehmen. Auf einem dieser Täfelchen steht geschrieben, dass Thefarie Velianas, der Herrscher von Caisra (heute Caere?) im dritten Jahr seiner Regentschaft die Goldbleche der Astarte (Uni) widmete. Der etruskische Name Uni aber wurde von Juno hergeleitet, wie Experten nachweisen konnten. Juno war zunächst die Schutzgöttin aller schwangeren und entbindenden Frauen. Bevorzugtes Opfertier für die Göttin war die Ziege. In ihren Tempeln wurden „heilige“ Gänse gehalten. Mit zunehmender Verstädterung avancierte Juno zur Stadtbeschützerin. Die Verbindung von Juno und Minerva innerhalb der kapitolinischen Trias dürfte aus achäischer Tradition entstanden sein, man denke nur an das Naheverhältnis von Hera zu Athena. Bereits zur Zeit der Republik, verstärkt jedoch in der Kaiserzeit, wurde Juno als Gemahlin des Jupiter aufgefasst. Aus Carnuntum kennen wir aus dem 2. Jahrhundert einen kleinen Altar mit Aufsatz, den ein gewisser Caius Valerius Clemens, ein Centurio der legio XIV, der Juno Regina gewidmet hat. Die Inschriftplatte mit Resten von Reliefdarstellungen der Gottheiten Jupiter, Juno Regina und Minerva, welche die ungebrochene Verehrung der kapitolinischen Trias noch an der Wende vom 2. zum 3. nachchristlichen Jahrhundert beweist, wurde bereits im Zusammenhang mit Jupiter erwähnt. Ein weiterer Altar, geweiht der Juno Nemesis, stammt aus dem 3. Jahrhundert, der großen Zeit des Synkretismus, einer Epoche der Vermischung unterschiedlichster Götter und Religionen. Angebaut an das Carnuntiner Lageramphitheater befand sich einst ein Nemesis-Heiligtum. Sie wurde bevorzugt von Gladiatoren und Soldaten als Diana-Nemesis verehrt, die über die Einhaltung der Kampfregeln wachte.113

Siehe ­ Abbildung S. 449

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KAPITEL V

Herakles (lat. Hercules) Siehe ­ Abbildungen S. 450–453

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In Griechenland als ein Nationalheros verehrt, galt als Sohn des Zeus und der ­A lkmene. Sie war eine Enkelin des Perseus. Des Herakles Stiefvater war ­A mphitryon, ebenfalls ein Perseus-Enkel und zugleich König von Tiryns. Schon die Geburt des Herakles – verzögert von Moiren und der Eileithya – stand unter einem schlechten Stern, denn die nicht zu Unrecht stets eifersüchtige Zeus-Gattin Hera hasste ihre Nebenbuhlerin Alkmene. Der kleine Herakles, in der Wildnis ausgesetzt und von Athene und Hera gefunden, wurde von Hera gesäugt, die nicht im Entferntesten ahnte, dass dieser Säugling das außereheliche Kind ihres Gemahls war. Die wenigen Tropfen Göttermilch aber verliehen dem Herakles Unsterblichkeit. In der Folge übergab Athene das Findelkind der Alkmene mit der Bitte, es barmherzig aufzunehmen. Bald erkannte Hera, welches Kind sie leichtsinnigerweise gesäugt hatte und schickte zwei Schlangen, um den kleinen Herakles zu töten, doch der Knabe erwürgte die Tiere. Daraufhin prophezeite der Wahrsager Teresias noch viele Heldentaten und ein ewiges Leben bei den Göttern, gemeinsam mit Hebe als himmlischer Gemahlin. Herakles genoss eine optimale Ausbildung und „würdige Heldenerziehung“, wie es Gustav Schwab formulierte,114 erschlug jedoch im Zorn seinen grämlichen und ungerechten Hauslehrer Linos, wurde aber vom Richter Rhadamanthys wegen Totschlag in Selbstverteidigung nicht verurteilt und in Folge zunächst von Amphitryon zu dessen Ochsenherden gesandt. Was folgte, waren die hinlänglich bekannten Geschichten vom „Herakles auf dem Scheidewege“, seine ersten Taten, sein Kampf mit den Giganten und die berühmten tausendfach dargestellten „zwölf Taten des He­ rakles“. Zurück in Theben, trennte er sich von seiner Gemahlin Megara, tändelte mit der schönen Iole, die ihm deren Vater König Eurytos verweigerte. In einem unseligen Wahnsinnsanfall tötete Herakles Ioles Bruder Iphitos. Als die knapp bemessene Lebenszeit des König Admetos von Pherae (Thessalien) verstrichen war und ihm der Tod zuerkannt wurde, überredete Apollon die Schicksalsgöttinnen, dass sie dem Admetos erlaubten, einen anderen Menschen für ihn stellvertretend ins Totenreich hinabsteigen zu lassen. Nur: Die freiwillige Aufopferung eines Menschenlebens zugunsten eines anderen war kaum zu erwarten – weder im Freundeskreis noch in der eigenen Verwandtschaft. So wollten sich selbst der greise Vater oder die hochbetagte Mutter nicht für ihn opfern, geschweige denn Freunde. Nur Alkestis, die junge schöne Gemahlin des Königs, die ihren Gatten über alles liebte, opferte sich und erwartete würdevoll bekleidet und geschmückt den Thanatos (Tod). Zu dieser Zeit weilte Herakles am Königshof, erfuhr in letzter Minute von diesem Ansinnen und holte aus Dankbarkeit für die ihm gewährte Gastfreundschaft die Todgeweihte ins Leben zurück. Die Ermordung des Iphitos belastete Herakles und er hoffte auf Entsühnung, wurde jedoch von den Göttern zur Strafe seiner Untat mit einer schweren Krankheit belastet; als ihm in Delphi von der Priesterin der Orakelspruch verweigert wurde, rastete der Held wieder einmal aus, raubte den Dreifuß und errichtete sein eigenes Orakel. Das konnte dem Apollon nicht gefallen, und hätte Zeus nicht mit einem Donnerkeil dazwischen gefunkt, wäre Bruderblut geflossen. Herakles wurde für die Ermordung des Iphitos zu dreijährigem Knechtsdienst verurteilt.

HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Jahre später, nach vielen weiteren Abenteuern, vermählte sich Herakles nach einem brutalen Kampf gegen seinen Rivalen Acheloos (Flussgott) mit D ­ eïanira. Dessen ungeachtet rächte sich Herakles an Eurytos, dem Vater des Ermordeten, der ihm seine Tochter Iole verweigert hatte. Herakles sammelte ein Heer, belagerte und zerstörte die befestigte Stadt Öchalia. Eurytos und dessen Söhne wurden getötet, Iole aber gefangengenommen. Deïanira aber erkannte bald in Iole eine Nebenbuhlerin und fertigte für ihren Gatten ein vergiftetes Leibgewand an, in der Hoffnung, damit Herz und Treue des Herakles zurückzugewinnen. Tatsächlich aber starb Herakles unter schrecklichen Schmerzen und beendete auf einem Scheiterhaufen auf dem Berge Öta sein irdisches Leben. Die schuldbewusste Deïanira durchbohrte sich die Brust mit einem zweischneidigen Schwert. Des Herakles Sohn Hyllos vermählte sich mit Iole. Im Olymp wurde Herakles von Athene empfangen, Hera söhnte sich mit ihm aus und gab ihm – wie einst prophezeit – ihre Tochter Hebe zur himmlischen Gemahlin. Herakles wurde aus Großgriechenland importiert und bereits von den Etruskern zu ihrem Schutzgott erkoren (etruskisch Herkles). In Rom hatte Hercules seine älteste Kultstätte auf dem Forum Boarium (Ara Maxima). Anno 312 v. Chr. nahm ihn die offizielle Religion der Tiberstadt auf. Seine wichtigsten Attribute waren Keule und Löwenfell. Hercules in seiner Eigenschaft als Überwinder aller Mühen (Taten des Hercules) war den Soldaten der römischen Armee ein leuchtendes Vorbild und wandelte sich im Lauf der Zeit vom Schutzgott zum Siegesgott.115 Doch er war auch der Gott der Kaufleute und des Gewinnes sowie der Beschützer von Gewicht und Münze und stand somit in Konkurrenz zu Mercurius.116 Auch als Wegegott und Schutzgott der Reisenden machte sich Hercules einen Namen, wie Funde aus Oberkärnten beweisen;117 er wurde in dieser Funktion erst in spätrömischer Zeit von Epona, der kelto-gallischen Pferdegöttin abgelöst, die zunehmend für die Sicherheit der Reisenden stand.118 Nach Pausanias wurde Herakles bereits in Griechenland als Heilgott verehrt.119 In den kaiserzeitlichen römischen Thermen finden wir wiederholt Hercules-Darstellungen. Mehrfach als Ganzkörperstatuen, aber auch in Form von Kolossalköpfen, so beispielsweise im Bad des Hadrian in Aphrodisias, wo 1904 ein ausgezeichnet erhaltenes Belegstück freigelegt werden konnte. Bereits 1883 wurde im Carnuntiner Legionslager eine auf einer Plinthe stehende, rund 70 cm hohe Herculesstatuette ausgegraben. Die in Carnuntum stationierten Soldaten der XIV. Legion errichteten Hercules im 3. Jahrhundert einen Altar für das Heil der Centurie. Von weiteren für Hercules bestimmten Weihesteinen namentlich bekannte Stifter waren Valerius Crescens, Ulpius Martinus und die speculatores der Provinz Pannonia superior.

Hermes (lat. Mercurius bzw. Merkur) Sohn von Zeus und Maia, der Tochter des Atlas, geboren in Arkadien, wandelte sich vom Viehdieb zum Gott aller Viehzüchter. In jungen Jahren stahl Hermes die Rinderherde des Apollon. Silenos und seine Satyrn kamen ihm jedoch auf die Schliche. Apollon schleifte Hermes in den Olymp und klagte ihn dort des Diebstahls an. Hermes gestand seine Schuld ein, hatte jedoch bereits zwei Rinder den

Siehe ­ Abbildung S. 454

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KAPITEL V

Göttern geopfert – angeblich das erste Fleischopfer, das jemals dargebracht wurde. Hermes gilt als Erfinder der Schildpattleier und der Flöte. Apollon luchste ihm beide Musikinstrumente ab und machte ihn dafür zum Gott der Viehzüchter, wobei er sich primär Ziegen und Schafen widmete. Zeus machte ihn zum geflügelten Götterboten. Gemeinsam mit den Schicksalsgöttinnen soll er das Alphabet, Maße und Gewichte entwickelt haben, er forcierte die Kultivierung des Olivenbaumes und gilt als Erfinder des Boxens. Ein vielseitiger Gott. Merkur, der im weitesten Sinn dem griechischen Hermes und auch ein wenig dem etruskischen Turms entspricht, soll um 500 v. Chr. Eingang in Rom gefunden haben. Er war der römische Gott der Kaufleute, weswegen der Stiftungstag seines 495 v. Chr. in Rom erbauten Tempels auch als Tag der Kaufleute gefeiert wurde. Typische Attribute des Merkur waren der aus Schlangen gebildete Merkurstab (caduceus) und der Geldbeutel. Der Gott liebte Tieropfer – vom Hahn über Ziege und Widder bis zum Eber. Wie drei in Carnuntum entdeckte Altäre aus dem 3. Jahrhundert, aber auch Statuetten beweisen, dürften die pannonischen Händler auch noch mehr als 600 Jahre nach seiner „Inthronisierung“ in Rom auf die Macht Merkurs vertraut und auf seine Hilfe gehofft haben. Interessanterweise vertrauten auch die Militärs dem Gott der Kaufleute. Auf einem sich im Museum Carnuntinum befindlichen Altar aus dem 2. Jahrhundert ist zu lesen: Den Gottheiten Liber, Libera, Fortuna und Mercur geweiht! Unter der Verwaltungs­ periode des primus pilus Ansius Proculus [ranghöchster und rangältester C ­ enturio der Legion] hat Ansius Archelaus diesen Altar auf Grund eines Gelübdes gestiftet. Auch der clavicularius Lucius Annius Nigrinus (er war Schlüsselbewahrer im ­M ilitärgefängnis) hat in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts ein Gelübde gern eingelöst und dem Merkur einen Altar gestiftet. Seinem Bespiel folgten der Soldat Caius Iulius Catullinus von der XIV. Legion und der Waffenmeister Ulpius Vitalis.120

Hestia (lat. Vesta) war die Personifikation des heimischen Herdes und im Gegensatz zu ihrer streitsüchtigen Schwester Hera eine sehr friedliche Göttin. Ihr Naheverhältnis zu ihrer anderen Schwester, der „Bauerngöttin“ Demeter, ist verständlich, mit Hermes verbindet sie die Mittlerrolle. Griechische Darstellungen der Hestia sind selten, in Rom lebte sie fort als Vesta: Die Vestalinnen waren bekanntlich die Hüterinnen des heiligen Feuers.

Hygieia (lat. Hygia) Siehe ­ Abbildung S. 455

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Die jungfräuliche Lieblingstochter des Asklepios deckte gewissermaßen den hygienischen Teil der Wesenheit des Gottes Asklepios ab. In den meisten antiken

HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Darstellungen wurde Hygieia mit der heiligen Schlage abgebildet, die aus der Arzneischale trinkt. Daraus entstand das Symbol der Pharmazie. Für den hygienischen Teil waren auch noch ihre Geschwister Aigle und Euamerion zuständig. Hygia war eng mit Vesta verbunden und verkörperte das Wohl des Staates.121

Nike (lat. Victoria) war bei den Griechen die Personifikation des Sieges. Mit ihren beiden massiven Flügeln erscheint uns die römische Victoria wie ein christlicher Engel. Doch ­Victoria war die Siegesgöttin, genau genommen eine Kultpersonifikation wie Concordia oder Fides. Victoria hatte vieles gemeinsam mit der griechischen Nike, ihre wichtigsten römischen Attribute waren Siegeskranz und Palmzweig. In der Kaiserzeit trug Victoria oft den Beinamen Augusta. Gemeinsam mit ­Neptunus (vermutlich in seiner Ausformung als Danuvius) dargestellt wurde sie auf einem Relief, das sehr wahrscheinlich aus Carnuntum stammt und sich jetzt in Bratislava befindet. Erich Swoboda meint, dass der Stein „für irgendwelche militäri­ sche Erfolge der römischen Donauflotte“ gestiftet wurde.

Nymphen Wie bereits im vorigen Kapitel ausgeführt, handelte es sich nach griechischer Auffassung bei den Nymphai um junge, attraktive weibliche Elementargeister im mannbaren Alter, die von den Römern zunächst als Lumpae bezeichnet wurden. Nymphen gab es für die unterschiedlichsten Bereiche in der Natur: Neben den bekannten Quell- und Flussnymphen (Najaden) wurde auch solche für Bäume und den Wald (Dryaden), Flur und Berge (Oreaden) verehrt. Den Quellnymphen wurden ebenso wie der Artemis und den Flussgöttern Haaropfer dargebracht – im antiken Griechenland zumeist bei der Jünglingsweihe oder bei Bestattungen. Die Sitte, sich beim Eintritt ins Mannesalter die Haare zu scheren, war im alten Hellas weit verbreitet. Die Nymphen galten als Geburtsgöttinnen und wurden von schwangeren Frauen verehrt. In ihrer Wesensart waren sie eher menschlich denn göttlich, denn sie waren nicht nur anmutig, elfenartig, lieblich und hold, sondern konnten auch zornig, wild und sogar schrecklich sein.122 Oft seltsam und für uns kaum nachvollziehbar sind die Verflechtungen der Nymphen mit den unterschiedlichen Göttern Roms: Sie standen Hermes, Pan und Apollon nahe und sie bildeten das Gefolge der Artemis. Letztere war die einzige Gottheit, die ständig von einem Gefolge umgeben war, nicht nur in der Poesie, sondern auch im Kult und in den Kultlegenden. Artemis wurde auch als die Führerin der Nymphen bezeichnet, und die vielen Sagen und Geschichten von der „wilden Jagd“ dürften auf Homers Artemis-Schilderungen basieren, der von der Göttin primär in ihrer Funktion als Jägerin und Herrin der wilden Tiere berichtet. C. Plinius Secundus erwähnt in seiner Naturalis historiae, Liber XXXV, 96 im Zusammenhang mit der Beschreibung der Werke des Apelles, dass die bedeutendsten Kunstsachverständigen von allen seinen Werken

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KAPITEL V

[…] eine Artemis mitten unter der Schar opfernder Jungfrauen bevorzugten, […] womit er die Verse Homers, der eben dies beschreiben, übertroffen zu haben scheint.123 Thermalbäder standen unter dem Schutz der Nymphen, und vielerorts wurde ihnen in römischer Zeit Heilkraft zugeschrieben. Manche erschienen stets nur unter der Sammelbezeichnung Nymphae oder Najaden, andere haben sich individualisiert, sind aus der römischen Literatur namentlich bekannt: Adastreia und Io. In der griechischen Version der Zeussage wurde der jüngste Kronossohn von den Nymphen Adastreia und Io aufgezogen, zwar nicht genährt mit Nektar und Ambrosia, aber immerhin mit Honig, den die Bienen aus dem Idagebirge lieferten, und der Milch der Ziege Amaltheia. Daphne, angeblich Tochter des Flussgottes Ladon, entzog sich den Nachstellungen des liebestollen Gottes Apollon durch Flucht und ließ sich in einen Lorbeerbaum verwandeln. Egeria war eine Quellnymphe – ob etruskischen oder römischen Ursprungs ist ungeklärt und nach wie vor strittig. Sie war ursprünglich die Kultpersonifikation des durch den Hain der Diana zu Aricia fließenden Zuflusses des Nemisees. In Rom wurde sie im Hain der Camenae (mit den Musen gleichgesetzte römische Quellgottheiten) vor der Porta Capena verehrt. Juturna hieß die Quellgottheit aus der Gegend von Lavinium, deren Name auf den lacus Iuturnae mit seinem angeblich heilkräftigen Wasser auf dem Forum ­Romanum übertragen wurde. Der römischen Mythologie zufolge war Juturna eine Tochter des Volturnus und die Gemahlin des Ianus und die Mutter des Fontus. Vercana und Meduna hießen die Quellnymphen des Bades Bertrich.124 Aus der Iuturna-Quelle in Rom wurde das Wasser für alle offiziellen kultischen Handlungen und staatlichen Opfer geholt. Berühmt ist die Geschichte von den beiden Dioskuren,125 die nach der Schlacht am See Regillus und dem Sieg über die Latiner ihre Pferde am lacus Iuturnae tränkten. Ein gewisser Lutatius Catullus baute in republikanischer Zeit auf dem Marsfeld einen Tempel zu Ehren der Iuturna. Die Juturnalien wurden alljährlich am 11. Jänner – besonders von den mit Wasser arbeitenden Handwerkern – gefeiert.126 Kallisto hieß jene Nymphe, die vom Göttervater Zeus verführt wurde und mit ihm einen Sohn namens Arkas zeugte, der zum Ahnherrn der Arkadier wurde. Die Nymphe Kalypso soll auf einer lieblichen Insel namens Ogygie gelebt haben und ist eine poetische Erfindung. Die Okeanide Kalypso (bei Hesiod), die gleichnamige Nereide (bei Euripides) und die Hesperide bei Homer verdanken ihren Namen fraglos der ogygischen Kalypso.

Pan (lat. Faunus) Dem griechischen Pan entsprach in Latium Faunus, der gute Geist des Ackers. ­Faunus wird nachgesagt, er sei schelmenhaft und koboldartig gewesen. Sowohl

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Pan als auch Faunus haben den Ziegenbock als heiliges Tier. Die Gattin des F ­ aunus war Fauna, eine Göttin der weiblichen Fruchtbarkeit.

Pluto siehe Hades.

Poseidon (lat. Neptunius bzw. Neptun) Poseidon – ebenso wollüstig wie Zeus – zeugte mit seiner ihm angetrauten ­A mphitrite drei Kinder: Triton, Rhode und Benthesikyme. Daneben hatte er unzählige Liebschaften mit Göttinnen und Nymphen, aber auch mit Sterblichen. Auch der junge Heros Theseus war ein Sohn des Poseidon. Die dem Poseidon dargebrachten Opfer waren – wie wir aus der Odyssee erfahren – Widder, Stier und ein saubespringender Eber. Solch ein Opfer ist gleichzusetzen mit der in römischer Zeit gepflogenen Suovetaurilia. Wichtigstes Attribut Poseidons war sein Dreizack, eindeutig eine Gabel zum Harpunieren von Fischen. Dem stets zürnenden Poseidon wurden auch Erdbeben, Seebeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche und andere Naturkatastrophen zugeschrieben. Ein wirklich gutes Verhältnis dürfte ­Poseidon nur mit Apollon gehabt haben, nachzulesen in der Ilias. Aus der Odyssee erfahren wir, Poseidon sei auch der Vater der Kyklopen. Der furchtbarste soll der einäugige, von Odysseus geblendete Polyphem gewesen sein.127 Der römische Neptun soll nach den Forschungsergebnissen von Religionshistorikern zunächst ein Gott der Binnengewässer gewesen sein. Erst nach der Gleichsetzung mit Poseidon wurde er auch zum Beherrscher des Meeres. Während die Griechen Poseidon für alle Erdbeben verantwortlich machten, ersparten die ­Römer dies ihrem Neptun. Und auch die vielschichtige Nachkommenschaft des Poseidon wurde ersatzlos gestrichen. Ein prächtiges Neptun-Mosaik wurde in den nach diesem benannten Neptunsthermen in Ostia entdeckt.128

Tyche (lat. Fortuna) Die Römer haben Tyche mit Fortuna übersetzt und aus der negativ besetzten Schicksalsgöttin eine glücksbringende Göttin geschaffen. Ihre Attribute ­waren Füllhorn und Steuerruder. Der bis heute früheste, archäologisch belegbare Fortuna-­Kult war auf dem Forum Boarium in Rom beheimatet. Die Römer verpassten dieser volkstümlichen und meistverehrten Göttin auch eine Partnerin, die Mater Matuta, eine alte, mittelitalische Muttergöttin. Eine neue Modifikation der Göttin führte Kaiser Augustus in Form der Fortuna Redux ein. Da im Laufe der Zeit Fortuna immer mehr Beinamen bekam, ließ Traian einen Tempel für die „Allfortuna“ bauen.129 Abundantia, eine Personifikation abstrakter Begriffe, verkörpert den Überfluss, ist von Copia (griech. Thurioi = Personifikation der Fülle) kaum verschieden

Siehe ­ Abbildungen S. 456–457

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KAPITEL V

und wurde später als Fortuna Abundantia dargestellt. Die Umschrift ABVNDANTIA auf Münzen in Verbindung mit der Darstellung eines Flussgottes weist jedoch auf Überschwemmungen hin. Aus Carnuntum sind viele Altäre und Weiheinschriften für unterschiedliche Fortuna-Modifikationen bekannt geworden. Neben der „Allfortuna“ hat unter der Verwaltungsperiode des primus pilus Ansius Proculus, des ranghöchsten Centurio der Legion, Ansius Archelaus den Gottheiten Liber, Libera und Mercur einen Altar gestiftet. Die Zivilisten Carnuntums unterschieden zwischen den speziellen Ausprägungen der Göttin. Selbstverständlich wurde auch sie – wie viele andere – als Lokalgöttin vereinnahmt. Im Konsulatsjahr des Praesens und des Rufinus (wir würden heute sagen: im 15. Regierungsjahr des Kaisers Antoninus Pius) hat der den Kult der Fort(una) Karn(untia) betreuende Priester sein Gelübde gegenüber der Göttin gerne und freudig eingelöst. Ebenfalls im 2. Jahrhundert haben die Karnuntiner Bürger der Nemesis Fortuna Karnuntina einen Altar gestiftet. Die Fortuna Augusta erhielt im 2. oder 3. Jahrhundert von Sextus Iulius Parthemius Iunior einen Weihealtar. Die Fortuna Domestica hat dem Sextus Afrianus Firmus einen Wunsch erfüllt und er hat ihr in Erfüllung seines Gelübdes ebenfalls einen kleinen Altar gespendet. Der Fortuna Regina aber hat ein gewisser Marcus Aurelius (ein Namensvetter des Kaisers) in Carnuntum sein Gelübde gerne, freudig und nach Verdienst eingelöst.130

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RÖM ISCH E G ÖT T E R

Abundantia siehe Tyche.

Aesculapius bzw. Äskulap siehe Asklepios.

Angitia Göttin der Gegengifte.

Bacchus siehe Dionysos.

Belinus (auch Belenus) war ein ursprünglich keltischer Gott, der anfänglich in Noricum, später im gesamten Ostalpenraum verehrt wurde. Er war sowohl der Gott einer Heilquelle (Gleichsetzung bzw. Identifikation mit Apollon) als auch der Verteidiger Aquileias gegen Maximinus  I. Thrax anno 238 n.  Chr. Der thrakische Bauernsohn wurde drei Jahre zuvor vom Heer zum Kaiser erhoben. Militärische Operationen in den Westprovinzen gegen die Alemannen ließen ihn seine Aufgaben als Imperator vernachlässigen. Weder die von ihm errichtete Militärdiktatur noch die Entlohnung seiner Soldaten durch Plünderungen waren nach dem Geschmack des Senats in Rom. Kurzerhand wurde er zum hostis publicus, zum öffentlichen Feind erklärt. Um seine Macht zurückzuerlangen, zog Maximinus I. Thrax mit seinem Heer nach Italien, scheiterte jedoch an der Eroberung Aquileias und wurde von meuternden Soldaten erschlagen. Die Einwohner Aquileias wollen während der Belagerung ihrer Stadt Belinus kämpfend in der Luft gesehen haben. Das erklärt die große Zahl von ­Weihealtären, die in der Adriastadt ergraben wurden.131

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KAPITEL V

Bona dea war eine geheimnisvolle Heilgöttin, der nur Frauen opfern durften. Sie galt als Gemahlin und/oder Schwester des Faunus und ist sehr wahrscheinlich mit Fatua, der Göttin des Weissagens identisch.

Carmenta war eine Göttin der Geburtshilfe.

Carna hieß eine altrömische Heilgöttin altitalischen Ursprungs. Sie galt als Beschützerin der Gesundheit, besonders der Eingeweide. Ihr Festtag war der 1. Juni, geopfert wurden Bohnenbrei und Speck.

Danubius Siehe ­ Abbildungen S. 458

(oder Danuvius) war einer der vielen Flussgötter. Die Römer personifizierten – in Anlehnung an altorientalische und griechische Vorbilder (Okeanos, Acheloos, Alpheios, Asopos) – auch die Flüsse. So gab es nicht nur einen Tibergott (Tiberinus pater) oder den Clitumnus in Umbrien sowie den Nilgott, sondern auch den personifizierten Donaustrom.132

Diana siehe Artemis.

Faunus Siehe ­ Abbildung S. 459

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der weissagende Gott und Urheber der geheimnisvollen Stimmen in der Natur, scheint ursprünglich ein zum Gott hochstilisierter Heros gewesen zu sein. Er wurde auch Fatuus oder Fatuclus genannt und gilt als „alter Gott der Hirten und Her­ den.“ Soweit bis heute bekannt, erhielt er in Rom seinen ersten Tempel auf der Tiberinsel erst 194 v. Chr. Wodurch sich die Funktionen des Faunus von seinem Pendant Silvanus unterschieden, ist heute nicht mehr erkennbar. Dem griechischen Pan entsprach in Latium Faunus, der gute Geist des Ackers. Faunus wird nachgesagt, er sei schelmenhaft und koboldartig gewesen. Sowohl Pan als auch Faunus haben den Ziegenbock als heiliges Tier. Die Gattin des Faunus war Fauna, eine Göttin der weiblichen Fruchtbarkeit. Gefeiert wurde Faunus im Rahmen der Lupercalien am 15. Februar. Lupercus mag entweder ursprünglich ein selbstständiger Gott gewesen ein, oder er war nur der Beiname des Faunus Lupercus, was etymologisch auf eine Verbindung zum

HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Wolf schließen lässt. Lupercus als Adjektiv bedeutet „wolfsartig“, naheliegender scheint jedoch die Deutung des Namens als „Wolfsabwehrer“, hergeleitet von lupus und arceo, zu sein. Faunus, Picus und Silvanus waren ursprünglich reine Wesensbestimmungen bzw. Eigenschaften des Gottes Mars. Im Laufe der Zeit aber wandelte sich Picus, der heilige Specht des Mars zum Walddämon. Als Picumnus gilt er als Erfinder des Düngens. Bald erhielt er einen Bruder namens Pilumnus, der als Urheber des Getreidezerstampfens gilt. Die frühen Römer waren in Friedenszeiten Bauern und in Kriegszeiten Soldaten. Das bedeutete auf dem Gebiet der Religion, dass dieselben Göttergestalten und Numina (höhere Wesen) unterschiedliche Aspekte annahmen.133

Fontes Sammelbezeichnung für die Quellgötter.

Fortuna siehe Tyche.

Intercidona war eine Schutzgöttin der Neugeborenen.

Janus Noch vor der Anerkennung Jupiters als obersten Reichsgott dürfte der altitalische Janus der höchste Nationalgott der Römer gewesen sein. Der Name des Monats Januar ( Jänner) erinnert an ihn. Er war zuständig für Krieg und Frieden, Handel und Schifffahrt. Schon die frühen anthropomorphen Darstellungen zeigen ihn zweigesichtig – wobei ein Kopf dem Morgen und der zweite dem Abend zugewendet ist. Als Gott der „Durchgänge“ (auch der Durchgangstore) wurde Janus auch mit dem Winter-Solstitium (kürzester Tag, längste Nacht – später Geburtstag des Sol invictus, des Mithras und letztlich auch von Jesus Christus) in Zusammenhang gebracht. Hauptfest des Janus war der 1. Jänner. Dem Gott brachte man Opfergaben dar, wie Weihrauch, Wein, Salz und Kuchen, die Römer aber beschenkten sich gegenseitig. Janus und Diana galten als Lichtgötter. Daneben existierten die sabinischen Lichtgötter Sol und Luna. Beide standen in einem ähnlichen Verhältnis zu Janus und Diana wie Helios und Selene zu Apollon und Artemis.

Juno siehe Hera.

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KAPITEL V

Jupiter, Juppiter (griech. Zeus) Siehe ­ Abbildungen S. 460–462

In der römischen Welt übernahm Jupiter die Funktion des griechischen Zeus. Jahrhundertelang beherrschte die kapitolinische Dreiheit Jupiter, Juno und M ­ inerva das religiöse Leben in Rom. Jupiter galt den alten Völkern Italiens als Gott des Himmels und der himmlischen Lichterscheinungen. Sein Name leitet sich über „Iovis“ vom älteren „Diovis“ her. Dass diesem Namen wiederum das indogermanische „dieu“ (= glänzen, später der Name Gottes) zugrunde liegt, wird heute von niemandem mehr bestritten. Aus Diovis pater entstand Diespiter bzw. Jupiter. Er war – ebenso wie der griechische Zeus – der Blitzeschleuderer ( Jupiter Fulgur), als Regengott wurde er bereits von den frühen Bauern angerufen. Bereits durch die Tarquinier avancierte Jupiter zum höchsten Reichsgott. Sein Priester war der flamen dialis. An den Iden (den Vollmondtagen) wurde dem Gott ein weißes Schaf geopfert. Die Jupiter-Verehrung hatte quer durch die Jahrhunderte in Carnuntum eine besondere Vorrangstellung, wie die zahlreichen Funde beweisen. „Iovi Optimo ­Maximo […]“, also Jupiter, dem besten und höchsten Gott […] gestiftet, wurden in Carnuntum – zumeist wegen eines eingelösten Gelübdes oder für das Heil der Kaiser – vom 1. bis zum 3. nachchristlichen Jahrhundert Altäre und Weiheinschriften von Angehörigen der XIV. und XV. Legion. Darunter finden sich einfache Soldaten (milites) ebenso wie ein Standartenträger (signifer), ein Unteroffizier im Verwaltungsdienststab des Präfekten (beneficiarius praefecti), ein Kanzleivorsteher im Stab des Legaten (cornicularius legati), ein Waffenmeister (custos armorum), ein Musiker (tubicen = Tubabläser) und ein Veteran. Einen weiteren Altar stiftete gleich eine ganze Vexillatio der XIV. Legion. Eine Inschriftplatte mit Resten der Reliefdarstellungen der Gottheiten Jupiter, Juno Regina und Minerva beweist die ungebrochene Verehrung der kapitolinischen Trias noch an der Wende vom 2. zum 3.  nachchristlichen Jahrhundert. Der Kopf einer Minervastatue wurde 1875 im Caldarium des Carnuntiner „Miltärbades“ gefunden. Regionale und lokale Jupiter-Ausprägungen waren der Jupiter Dolichenus, der syrische Jupiter Heliopolitanus, Jupiter Tavianus und der Jupiter Karnuntinus sowie Dutzende andere.134

Kastores siehe Dioskuren.

Laren Alle Laren waren dem Gott Mars beigeordnet, ähnlich wie die Kureten und ­Korybanten Trabanten des Zeus waren, die Kabiren zu Demeter gestellt wurden oder die Nymphen den Dionysos begleiteten. Verehrt wurden die Laren im Lararium, einer Nische im römischen Haus.

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Mars siehe Ares.

Meditrine oskische Göttin der Heilkunst.

Mephitis die heute kaum bekannte Göttin der gefährlichen Schwefeldämpfe.

Mercurius bzw. Merkur siehe Hermes.

Minerva siehe Athene.

Mithras Im 1. vorchristlichen Jahrhundert fassten auch Mithras und die beiden Dadophoren Cautes und Cautopates Fuß in Italien, ein Männerkult, in den sich auch Kaiser Nero einweihen ließ. Im Mithraskult begegnen uns Castor und Pollux, die beiden Dioskuren (Castores) unter den Namen Cautes und Cautopates und in ihrer Urform als Lichtgötter. Mithras war ein uralter indoiranischer Gott, der zu einem der bedeutendsten Götter des Römischen Reiches wurde, allerdings in stark modifizierter Form, denn der „westliche“ Mithraskult, wie er im Römischen Reich in Erscheinung trat, weist eine Reihe zusätzlicher Elemente auf, die dem alten iranischen Glauben fehlen, so die Initiationsriten, die Geheimhaltung der Glaubenslehre, die Ikonographie und die Stiertötung. Letztere gibt es zwar bereits im iranischen Glauben, dort wird aber der Stier von Ahriman, der kosmischen Macht des Bösen, geschlachtet. Von Pompeius besiegte Seeräuber sollen im 1. vorchristlichen Jahrhundert den Mysterienkult nach Italien gebracht haben. Doch erst hundert Jahre später, unter den Flaviern (69 bis 96 n. Chr.), begann der Siegeszug dieser für Rom noch „neu­ en“ Religion, die auffallend viele Parallelen mit dem Christentum aufweist, einschließlich Erlösung, Errettung und dem Heil der Seele nach dem Tod. Der sol invictus (unbesiegbare Sonnengott) Mithras wurde der Überlieferung nach am Tag der Wintersonnenwende in einer Felsgrotte geboren. Hirten sollen ihm Gaben gebracht haben. Kein Wunder, dass die frühen Christen beschlossen, auch die Geburt des Gottessohnes Jesus Christus auf dieses Datum mit einer adäquaten Szenerie zu

Siehe ­ Abbildungen S. 463–464

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KAPITEL V

verlegen. Erst seit dem 4. nachchristlichen Jahrhundert wird der „dies natalis ­Solis invicti“ (der Geburtstag des unbesiegbaren Sonnengottes) als Geburtstag Christi gefeiert. Jahrhundertelang konkurrenzierten sich Mithraskult und Christentum, denn die Mysterien des Mithras waren im gesamten römischen Reich (mit Ausnahme Griechenlands) stärkster Gegner des Christentums. Dennoch kann man sie als Schwesternreligionen bezeichnen, verkörperten sie doch zwei Antworten auf dieselben kulturellen Herausforderungen. Die bestbekannte und häufigste Darstellung ist die Tötung des heiligen Stiers. Mithras tötete das gewaltige Tier. Nach Cumont sollen aus dem Leib und dem Sperma des Opfers sämtliche Pflanzenarten und Tierrassen entstanden sein, allen Anstrengungen des Skorpions und der Schlange (Bundesgenossen des bösen Gottes Ahriman) zum Trotz. Wieder in den Himmel aufgestiegen, wurde der unbezwingliche Gott der allmächtige Beschützer seiner Anhänger. Wahrheit achten, Gerechtigkeit üben und gegen alle niedrigen Instinkte ankämpfen waren Hauptprogrammpunkte dieser Religion, die allen ihren Anhängern nach dem Tod auf Erden das ewige Glück im Gefilde der Seligen versprach. Am Ende aller Zeiten sollte Mithras auf die Erde zurückkehren, die Menschen auferstehen lassen, den Guten Unsterblichkeit verleihen und die Bösen sowie Ahriman vernichten. Die Eingeweihten trugen heilige Titel, die einer strengen Hierarchie entsprachen. Viele Riten, wie Taufe und Firmung finden sich in den ­Sakramenten des Christentums wieder. Dazu zählt auch das mystische Mahl (letztes Abendmahl). Sieben Dezennien lang galt Cumonts Deutung des Mithraskultes als unumstößlich. Seit dem 1. internationalen Kongress für Mithrasforschung (1971) und der Tagung der American Philological Association (1973) griffen Fachleute auf die Hypothese des deutschen Gelehrten Karl Bernhard Stark aus dem Jahre 1869 zurück, der in den Gestalten der Tauroktonieszene Sternbilder zu erkennen glaubte. Er setzte den Stier mit dem Sternzeichen Taurus gleich, den Skorpion mit Scorpius, den Hund mit Canis minor, die Schlange mit Hydra, den Raben mit Corvus, den Löwen mit Leo, den Kelch mit Crater und die Weizenähren, die aus der Schwanzquaste des Stieres sprießen, mit Spica, dem hellsten Stern der Jungfrau. Bleibt die naheliegende Frage: Welchem Sternbild entspricht Mithras, wenn die mithrische Stiertötungsszene eine Sternkarte ist? Unmittelbar neben dem Taurus taucht aus der Milchstraße Perseus auf, bereits in einer Sternenkarte aus dem 18.  Jahrhundert mit phrygischer Mütze und Schwert dargestellt. Ähnlichkeiten zwischen Mithras und Perseus hat auch Fritz Saxl in seinen 1931 in Berlin erschienenen typengeschichtlichen Untersuchungen zum Thema Mithras festgestellt: Perseus schaut von der Medusa ebenso weg, wie Mithras vom Stier. David Ulansey (1998, S. 32 ff. und 102 ff.) glaubt im löwenköpfigen Gott des Mithraskultus eine auffallende Parallele zur Gorgo Medusa zu erkennen. Selbst die harpe (Dolch mit sichelartigem Dorn), mit der Perseus die Gorgo erstach, findet sich als Symbol des fünften Weihegrades in den Mithrasmysterien wieder. Jahrhunderte lang konkurrenzierten Mithraskult und Christentum, denn die Mysterien des Mithras waren im gesamten römischen Reich (mit Ausnahme Griechenlands) stärkster Gegner des Christentums. Dennoch kann man sie als Schwesternreligionen bezeichnen, verkörperten sie doch zwei Antworten auf dieselben kulturellen Herausforderungen.

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Wie bedeutend der Mithraskult einst für die Bewohner Pannoniens gewesen ist, kann man schon allein daraus ermessen, dass sich in Carnuntum fünf Mithrasheiligtümer befanden. An die dreißig in Carnuntum ausgegrabene Weiheinschriften und Altäre bestätigen die Beliebtheit des Kultes bei der Carnuntiner Männerwelt. Ein besonderer Förderer des Mithraskultes war Marc Aurels Sohn Commodus. Im Jahr 307 n. Chr. erkannten Diocletian, Galerius und Licinius Mithras als den „Beschützer ihres Reiches“ an. Ein Altar für Mithras, gestiftet anlässlich der Kaiserkonferenz im Jahr 308 n. Chr., ist eines der wichtigsten römischen Denkmäler, die in Österreich ergraben wurden. Nebenbei bemerkt: Eines der Carnuntiner Mithräen wurde sogar im Zuge des Kaisertreffens restauriert. Die diesbezügliche Weiheinschrift besagt: Dem unbesiegten Sonnengott Mithras, dem Förderer ihrer Herrschaft, haben die Iovier und Herculier, die besonders frommen Augusti und Caesares, das Heiligtum wiederhergestellt.135

Nemausus war der lokale Quellgott der gleichnamigen Stadt (heute Nîmes in Südfrankreich).

Neptunius bzw. Neptun siehe Poseidon.

Ossifraga war die altrömische Schutzgöttin für das Knochenwachstum.

Picus, Faunus und Silvanus waren ursprünglich reine Wesensbestimmungen bzw. Eigenschaften des Gottes Mars. Im Laufe der Zeit aber wandelte sich Picus, der heilige Specht des Mars zum Walddämon. Als Picumnus gilt er als Erfinder des Düngens. Bald erhielt er einen Bruder namens Pilumnus, der als Urheber des Getreidezerstampfens gilt.

Salus Göttin der Gesundheit, war ursprünglich sabinischer Herkunft, später wurde sie mit Hygieia identifiziert. Verehrt wurde sie u.  a. in einem Heiligtum auf dem Quirinal in Rom.

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KAPITEL V

Saturnus Siehe ­ Abbildung S. 465

Eines der populärsten Feste im antiken Rom waren die Saturnalien, zu verdanken dem Gott Saturnus. Sein Kult war ein stadtrömisches Phänomen und ein Freudentag für alle Sklaven, denn während der Saturnalien kam es zur sozialen Umkehr: Die Sklaven wurden von ihren Herren bedient.

Sequana war eine gallo-römische Göttin. Nachgewiesen durch eine Bronzestatuette in einem Quellheiligtum in Fontes Sequanae nahe Dijon in Burgund.136

Silenos-Satyros männliche Äquivalente zu den Nymphen.

Silvanus Eng verwandt mit den Laren, mit Pan, Faunus und Picus war der „Grenzhüter“ Silvanus domesticus, ein numen der privaten Sphäre. Ob der etruskische Selvans mit Silvanus gleichgesetzt werden darf, ist strittig. Vermutlich handelte es sich ursprünglich um eine illyrische Gottheit, die zum „Landesgott“ von Pannonien als Herr und Beschützer des Waldes und seiner Tiere, zum Schutz gewährenden Begleiter bei der Jagd und zugleich zum Totengeleiter avancierte. Besondere Bedeutung kam Silvanus in der Zeit der Adoptivkaiser zu, wie auch unzählige Funde aus Carnuntum beweisen. Silvanus – egal in welcher Eigenschaft (Silvanus Comes, Silvanus Domesticus, Silvanus Silvestris …) – war einer der am meisten beschworenen numen. An die hundert Silvanus-Opferaltäre wurden allein im Raum Carnuntum ergraben. Ihn begleiteten nicht selten die drei Silvanae, dem Menschen freundlich gesinnte Quell- und Waldgöttinnen. In den Bereich von Silvanus samt Begleiterinnen gehören auch die Quadriviae oder Quadribiae, die ihre schützende Hand über Wegkreuzungen hielten wie die Hermen in Griechenland.

Sol siehe Helios.

Vediovis war der Name eines altrömischen Heilgottes, der in republikanischer Zeit dem Apollon gleichgestellt war. 194 v. Chr. wurde ihm zu Ehren ein Heiligtum auf der Tiberinsel in Rom errichtet.

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Venus siehe Aphrodite.

Vesta siehe Hestia.

Victoria war die Siegesgöttin, genau genommen eine Kultpersonifikation wie Concordia oder Fides. Victoria hatte vieles gemeinsam mit ihrem griechischen Pendant – siehe Nike.137

Volturnus ist der Name des drittgrößten Apenninflusses und des nach diesem benannten Flussgottes. Gefeiert wurde im Rahmen der Volturnalia am 27. August. Darüber hinaus ist Volturnus auch der Name eines Windes.138

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A N DE R E G ÖT T E R

Ägyptisch Isis

Siehe ­ Abbildung S. 466

Schon in sullanischer Zeit (138 bis 78 v. Chr.) drang der Kult der ägyptischen Göttin Isis in Rom ein. Der Widerstand gegen diese ägyptische Mysterienreligion war auffallend stark. Mehrfach ordnete der Senat ab 59 v. Chr. die Zerstörung der Kultstätten an. Auch Augustus und Tiberius waren Gegner des Isis-Kultes wegen seiner angeblich staatsgefährdenden und sittenverderbenden Wirkung (Feindbild Ägypten seit Caesar, Marc Anton und der Schlacht von Actium). Erst Caligula legalisierte die hellenistisch-römische Ausprägung dieser nach dem eleusinischen Modell modifizierten Mysterien. Knapp zweihundert Jahre später hatte sich der Bezug zu den ägyptischen Religionen grundlegend geändert: Caracalla ließ für Isis und Serapis im Zentrum von Rom einen riesigen Tempel bauen. Und nicht nur dort, sondern auch in Carnuntum. Warum der Isis-Kult ab dem 1. nachchristlichen Jahrhundert – auch in Noricum (Isis Noreia) – so viele Anhänger fand, erklärt sich wohl in erster Linie aus der tröstlichen Botschaft dieser Erlöserreligion, die jedem Anhänger Unsterblichkeit und ein glückliches Weiterleben im Jenseits versprach. Im 2. nachchristlichen Jahrhundert gesellte sich auch in Pannonien Serapis zu Isis. Trotz des Siegeszuges des Mithraskultes seit dem frühen 3. Jahrhundert konnte sich der Isis-Serapis-Kult in einigen Regionen des Imperiums bis ins 6. Jahrhundert behaupten. Typisch für den Synkretismus ist auch die Verschmelzung von römischen und ägyptischen Religionsvorstellungen. So entstand die Isis-Fortuna, welche aus Carnuntum durch kaum spannenhohe Bronzestatuetten aus dem ausgehenden 2. oder frühen 3. Jahrhundert belegt ist.139 Nilus

Siehe ­ Abbildung S. 467

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der Nilgott, ist einer von mehreren bekannten Flussgöttern. Flüsse wurden von allen Völkern der antiken Welt in unterschiedlichster Form verehrt. In Ägypten wurde der Nil in vielerlei Formen verehrt, im alten Orient kannte man den Flussgott Id, und auch die Griechen huldigten dem Flussgötter-Kult: Skamandros, I­ nachos, Kephissos, Strymon, Erasinos. Bereits Homer kennt die Flussgötter menschengestaltig. Der Flussgott Acheloos wurde im 6. Jh. v. Chr. als Mischwesen von Stier und Mensch dargestellt, ab dem 5. Jh. v. Chr. finden wir Darstellungen der Flüsse Siziliens in Form stehender junger Männer. Bereits in hellenistischer Zeit war jene Darstellung verbreitet, die auf Bänken oder Klinen hingelagerte Flussgötter zeigt. Von den Griechen übernahmen die Römer die Personifikation der Flüsse und die Flussgötter-Verehrung: Nilus, Tiberinus pater, Volturnus und Danubius und noch mehr als hundert andere.

HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Serapis

Bereits seit der 18. Dynastie verehrte man im ägyptischen Memphis den Apis-Stier. Ptolemaios I. machte ihn als Serapis mit dem Erscheinungsbild des Zeus zum Gott für Ägypter und Griechen. Schon im frühen 3. vorchristlichen Jahrhundert war der Serapis-Kult weit über Ägypten hinaus verbreitet. Im römisch-kaiserzeitlichen Westen wurde der Gott zumeist mit Isis verbunden. Ein Sonderkult für Serapis ist seit dem 2. vorchristlichen Jahrhundert in Puteoli (heute Pozzuoli bei Neapel) bezeugt. Caracalla ließ für Isis und Serapis im Zentrum von Rom einen riesigen Tempel bauen. Die Rote Halle in Pergamon war ein weiteres Heiligtum für diese beiden orientalischen Götter, und selbst in Carnuntum entstand ein prächtiger Tempel, von dem das Bruchstück einer 4 m langen Bauinschrift kündet.

Phrygisch Kybele

die große Mutter allen Erdenlebens, war eine kleinasiatische Naturgottheit mit dem Kultmittelpunkt in Phrygien. Im griechischen Mythos wurde bereits im 5.  vorchristlichen Jahrhundert Kybele häufig der ursprünglich in Kreta beheimateten Göttermutter Rheia gleichgesetzt. Zugleich wurden aber auch viele barbarisch anmutende Eigenarten der phrygischen Urausprägung des Kultes von den Griechen eliminiert, wurden jedoch in hellenistischer Zeit zum Teil wiederbelebt. Schon 204 v.  Chr. hielt sie – auf Weisung der Sibyllinischen Bücher – als ­M agna Mater in Rom Einzug. Ihr Gefolge huldigte ihr in wilder Raserei und mit ekstatischen Tänzen, begleitet von schriller Musik. In höchster Ekstase wurden ihre Diener, die Galloi zur Selbstgeißelung bis zur Selbstentmannung getrieben. Kultpartner der Kybele war Attis, der in jedem Herbst sterben musste und im Frühjahr wieder zum Leben erweckt wurde. Die Ludi Megalenses, die Spiele zu Ehren der Magna Mater, die von den kurulischen Ädilen durchgeführt wurden, hatten ihre Premiere im gleichen Jahr anlässlich der Aufnahme der Göttin in den Victoriatempel auf dem Palatin. Die Mauerkrone, mit der Kybele häufig dargestellt wurde, kennzeichnet sie als Schutzgöttin von Burgen und Städten. Nach Carnuntum wurden Kybele und ­Attis in der Ausprägung als syrischer Kult importiert. Der „Magna mater ­Kybele“ wurden in Carnuntum mehrere Altäre geweiht, einen davon stiftete Iulia ­M ansueta im 2. oder 3. nachchristlichen Jahrhundert.142 Magna Mater

siehe Kybele.

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KAPITEL V

Sabazios

Siehe ­ Abbildung S. 470–471

mit seinen thrakischen oder phrygischen Wurzeln wurde in Kleinasien mit Zeus, in Griechenland mit Dionysos gleichgesetzt. In Griechenland bereits seit dem 5. vorchristlichen Jahrhundert bezeugt, geduldet, jedoch nicht staatlich anerkannt, eroberte sich Sabazios den römischen Götterhimmel erst in der frühen römischen Kaiserzeit. Zu dieser Zeit breitete sich auch das Christentum im gesamten Imperium aus, wurde jedoch erst unter Constantin dem Grossen in der ersten Hälfte des 4. nachchristlichen Jahrhunderts zur Staatsreligion. Die orientalischen Kulte hatten ihre Blütezeit im Römischen Reich in der Epoche des Synkretismus vom ausgehenden 2. bis zum beginnenden 4. Jahrhundert. Das Phänomen der schnellen Akzeptanz und Verbreitung dieser Religionen und Kulte erklärt sich daraus, dass der römische Staatskult sowohl der severianischen Periode als auch der Folgezeit die religiösen Sehnsüchte großer Bevölkerungsteile nicht mehr befrieden konnte. Mysterienkulte sowie Heils- und Erlöserreligionen fanden fruchtbaren Boden. Nicht übersehen werden darf in diesem Zusammenhang deren sozialpolitische Bedeutung. Die unterschiedlichen religiösen Vereinigungen wirkten als ein Element des sozialen Ausgleichs und der Verbrüderung innerhalb der Anhänger, die sich oft als „fratres“ bezeichneten.143

Keltisch Diana Abnoba

siehe Artemis. Grannus

Siehe ­ Abbildungen S. 468–469

war ein im Römischen Reich weit verbreiteter, ursprünglich keltischer Wasser-, Bäder- und Heilgott. Inschriften in Gallien, Germanien, Noricum, Rom, Ionien und Dakien künden von seiner Verehrung. Die meisten Inschriften wurden in der Provinz Raetia gefunden. Angebetet wurde er entweder allein oder gemeinsam mit Sirona (keltische Heilgöttin) oder den Nymphen als Gefährtinnen. Kaiser ­Caracalla war ein Förderer des Grannus-Kultes. Auf einer in Teurnia (St. Peter in Holz bei Lendorf unweit Spittal an der Drau, Kärnten) entdeckten Bauinschrift (beidseitig beschrifteter Marmorquader) ist zu lesen: [NAV]ALEM / [GRA]NO APOLLINI / LOLL[IVS] TROPHI[M]VS / ET LOLL[IA PRO]B[AT]A / EX VOTO F[ECERV]NT N[AVALEM] / GRANO [APOLLINI] / LO[LL]IVS TROPH[IMVS] / [ET LO]LL[IA PROBATA] / [EX V]OTO F[ECERVNT]

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Den „Schiffstempel“ haben dem Grannus Apollo Lollius Trophimus und Lollia Probata auf Grund eines Gelübdes errichten lassen. Die Inschrift wird mit einer wenige Meter vom Fundort entfernten Quelle in Verbindung gebracht, die heute noch sprudelt, jedoch unterirdisch abgeleitet wird.140 Auf Grannus vertraute sogar Kaiser Caracalla, und auch ein Rechtsanwalt aus Ephesos suchte bei ­G rannus Apollon Heilung.141 Sirona

(keltische Heilgöttin) – siehe Grannus. Vibe

eine keltisch-römische Quellgöttin, war vermutlich nur von regionaler Bedeutung. Ein Porträtkopf wurde im Bereich der römischen Thermen von Warmbad Villach in Kärnten entdeckt.

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KAPITEL V

Der Farnesische Stier Die kolossale Figurengruppe ist ein Meisterwerk der Brüder Apollonios und Tauriskos aus Tralles, eine Arbeit der rhodischen Schule des 3. Jh. v. Chr. Die Komposition stellt die Züchtigung der Dirke dar und befand sich anfänglich in Rhodos, wurde jedoch bereits unter Augustus nach Rom verfrachtet und dort im frühen 3. Jh. n. Chr. in den Thermen des Caracalla aufgestellt. Gefunden wurde die Skulpturengruppe 1525 in der einst prachtvoll geschmückten Badeanlage. Ihren Namen verdankt sie dem Palazzo Farnese, in welchem sie vom frühen 16. bis zum späten 18. Jh. aufgestellt war. Danach gelangte das Meisterwerk in das Museo Nazionale di Napoli. Die Grafik verdeutlicht manche Details, die auf dem Foto kaum zu erkennen sind.
 Quellen: Wilhelm Wägner: Rom. Anfang, Fortgang, Ausbreitung und Verfall des Weltreiches der Römer, Leipzig 1869/1871 und Robert Forrer: Reallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Athlet mit Striglis Lysippos aus S­ ikyon hat im 4. Jh. v. Chr. die Statue eines solchen Apoxyomenos (Άποξυόμενος) geschaffen, deren antike Kopie in ­Trastevere (Rom) entdeckt wurde. Aufbewahrung: Italien, Rom, Vatikanische Museen
 Quelle: Robert Forrer: ­R eallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907

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KAPITEL V

Götterrelief Von links nach rechts: Dea Roma, Selene, eine nicht identifizierte Gottheit, Apollon, ­A rtemis, ­A ndroklos, Herakles, Dionysos, Hermes, Hekate, Aphrodite (oder Kybele), Ares und Athene. Aufbewahrung: Türkei, Selçuk, Ephesos-Museum Foto: Lukas Kalchhauser

Reliefplatte Von links nach rechts: ein Krieger, eine nicht identifizierte Figur, Nike, Theseus, Altar mit Kultfigur, Krieger mit Lanze, Herakles, vier Amazonen. Aufbewahrung: Türkei, Selçuk, Ephesos-Museum Foto: Lukas Kalchhauser

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Ein kleines Götterpantheon Von links nach rechts: Vier Amazonen, kleiner Pan, Dionysos (?), nicht identifizierte Figur, Satyr, Dionysos auf einem Elefanten, Mänade. Aufbewahrung: Türkei, Selçuk, Ephesos-Museum Foto: Lukas Kalchhauser

Berittene Amazone im Kampf Marmorrelief Ort: Türkei, Hierapolis (Pamukkale) Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL V

Klassischer Steinsarkophag mit Reliefdarstellung des von den vier Jahreszeiten umgebenen Dionysos. Die Jahreszeiten sind als geflügelte Jünglinge dargestellt. Von links nach rechts: der Winter mit Füllhorn und Gans, der Herbst mit Lorbeerkranz und auf Schnüren aufgefädelten getrockneten Feigen, Dionysos, der Sommer mit Ährenkranz, einem Ährenbündel und abgebrochener Sichel sowie der Frühling mit Füllhorn und einem Zicklein. Dazwischen sind mehrere allegorische Figuren und Tiere zu erkennen. Quellen: August Baumeister: Denkmäler des klassischen Altertums, 1887 (Norderstedt, 2016) und Robert Forrer: ­R eallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Dionysos als Gott des Weines Ein Bühnenfries zeigt Dionysos, wie er in seinem von zwei Leoparden gezogenen Wagen um die Welt fährt, um die Menschen den Weinbau zu lehren. Links im Bild der Gott Pan, rechts eine Mänade. Das prächtige Relief stammt aus der zweiten Hälfte des 2. Jh. n. Chr. Ort: Türkei, Perge Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL V

Dioscur Aufbewahrung: Türkei, Antalya, Antalya-Museum Foto: Helmut Leitner

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Klytia, Geliebte des Helios-Apollon Griechisch-römische Marmorbüste. Aufbewahrung: Großbritannien, London, British Museum Quelle: Robert Forrer: Reallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907

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KAPITEL V

Telesphorus, als Trabant und/oder Sohn Aesculaps angesehen, war zuständig für den therapeutischen Bereich als Gott der Rekonvaleszenz und der Genesung. Ort: Österreich, Carnuntum Aufbewahrung: Privatbesitz, Bad Deutsch-Altenburg Foto: Helmut Leitner

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Porträtkopf des Göttervaters Zeus Aufbewahrung: Türkei, Selçuk, Ephesos-Museum Foto: Lukas Kalchhauser

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KAPITEL V

Aphrodite von Knidos Von ihr existieren Dutzende Kopien, allein in den ­Vatikanischen Museen befinden sich drei Exemplare. Geschaffen wurde die ­Statue von Praxiteles aus Athen, der zwischen 370 und 320 v. Chr. tätig war. Aufbewahrung: unbekannt Quelle: Lithographie von Carl Leonhard Becker, 1877


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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Aphrodite von Melos Aufbewahrung: Frankreich, Paris, Louvre Quelle: Robert Forrer: ­R eallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907

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KAPITEL V

Aphrodite von Antalya Aphrodite mit einem ­k leinen Eros. Aufbewahrung: Türkei, Antalya, Antalya-Museum Foto: Helmut Leitner

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Venus Medici Sie zählt zu den ­attraktivsten Skulpturen der antiken Liebesgöttin. Aufbewahrung: unbekannt Quelle: Gustav Ebe: Abriss der Kunstgeschichte des Alterthums, Düsseldorf 1895

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KAPITEL V

Venus Die Liebesgöttin Venus, die 295 v. Chr. in den römischen Staatskult eingeführt wurde. Aufbewahrung: Italien, Rom, ­A ntikensammlung in den Diocletians-­ Thermen Foto: Friedrich Jelinek

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KAPITEL V

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Apollo von Antalya Marmorkopf. Aufbewahrung: Türkei, Antalya, Museum Antalya Foto: Helmut Leitner

Apollo von Belvedere Die überlebensgroße Marmorskulptur stammt aus hadrianischer Zeit. Die linke Hand hielt einen ­Bogen als Kennzeichen des rächenden Gottes, seine rechte Hand einen Lorbeerzweig als Zeichen der reinigenden und heilenden Kraft des Gottes. Dieses historische Foto aus dem 19. Jh. zeigt die Skulptur mit ergänzten Unterarmen und Händen, die später wieder demontiert wurden. Aufbewahrung: Italien, Rom, Vatikanische Sammlungen Foto: Archiv Vienna Press

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KAPITEL V

Opferaltar Römischer, dem Apollo geweihter Steinaltar mit der Darstellung eines ährenbekränzten Priesters in Tunika. 2. Jh. n. Chr. Quelle: Robert Forrer: Reallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907 (nach Bouillon, Autels vol. III)

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Artemis von Antalya Aufbewahrung: Türkei, Antalya, Antalya-Museum Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL V

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Eine seltene Ausformung der Artemis ist die Darstellung der Göttin auf einem von vier Säulen­ reliefs an jener Straße, die vom hellenistischen Tor hinauf zum Nordnymphäum am Fuß der Akropolis von Perge führt. Artemis, die konträre Einheit von unnahbarer ­Jungfrau und Muttergöttin, die bogenbewehrte Jägerin, Be­schützerin des Waldes und des Wildes, die Tierherrin, Heilerin und Retterin wird üblicherweise im kurzen chiton und mit Jagdstiefeln, mit Köcher, Pfeilen und Bogen dargestellt, häufig begleitet von einer Hirschkuh. Die ­griechisch-römische Artemis Pergaia ist hingegen mit ­einem bodenlangen faltenreichen Gewand bekleidet und trägt ein Diadem, von welchem Sonnenstrahlen abstrahlen. Hinter ihren Schultern ragen die Spitzen einer Mondsichel hervor, was sie auch als Mondgöttin ausweisen soll. Eine Kette aus aufgefädelten eierförmigen Gebilden (Brüste oder Hoden?) erinnert an die Artemis von Ephesos. In der linken Hand hält sie einen (leider zerbrochenen) Bogen, der mehr zu erahnen als zu sehen ist. Ein weiteres wichtiges Attribut ist die riesige Fackel, die sie mit ihrer rechten Hand hält und welche sie als Artemis Lucifera ausweist (vgl. Martial X 70, 7). Die übrigen drei Säulenreliefs zeigen Apollon in einer Quadriga, die Tyche Fortuna und ­vermutlich den Stadtgründer Kalchas aus Argos (oder seinen Gefährten Mopsos?). Ort: Türkei, Perge, Akropolis Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL V

Mit den orientalischen Religionen kam auch die spezielle Ausprägung des Kultes der Artemis von Ephesos nach Rom. Die Experten rätseln nach wie vor, ob es sich bei den Ovoiden, welche die Brüste der Göttin schmücken, um Brüste oder Hoden oder ganz etwas anderes handelt. Mehrere Experten vermuten einen Zusammenhang mit dem Bienenkult.

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Artemis von Ephesos

Artemis von Ephesos

Aufbewahrung: Italien, Rom, Vatikanische Museen

Aufbewahrung: Italien, Neapel,

Foto: Rudolf Franz Ertl

Museo Nazionale di Napoli Foto: Norbert Maly

Artemis von Ephesos Aufbewahrung: Türkei, Selcuk, Archäologisches Museum von Ephesos Foto: Lukas Kalchhauser

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KAPITEL V

Lebensgroße Asklepios-Statue Der Kult des Asklepios wurde nach einer in Rom wütenden Pestepidemie (293 v. Chr.) aus Epidauros eingeholt. Auf der Tiberinsel entstand zu dieser Zeit ein Spital. Ort: Spanien, Katalonien (La Escala, Provinz Girona) Foto: Rudolf Franz Ertl

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Marmor-Porträtkopf des Asklepios Aufbewahrung: Österreich, Bad Deutsch-Altenburg, Museum Carnuntinum Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL V

Pallas Athene Römische, ­kaiserzeitliche Kopie einer g­ riechischen Marmorstatue, wobei der Kopf ein ­griechisches Original sein dürfte. Stark ergänzt. Der linke Arm war u ­ rsprünglich vermutlich vorgestreckt und hielt eine Nike. Aufbewahrung: Deutschland, München, Glyptothek Quelle: Robert Forrer: ­R eallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Athena von Perge Aufbewahrung: Türkei, Antalya, Antalya-Museum Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL V

Athena Parthenos Bronze-Porträtkopf mit Silbereinlage. Vereinfachte und stark verkleinerte ­Nachbildung der Athena Parthenos des Phidias. Gefunden auf dem Burgfeld im Bereich des Legionslagers von Carnuntum im Jahr 1903 bei Feld­ arbeiten. In der Helmmitte sitzt eine kopflose Sphinx. Auch der Helmbusch ist abgebrochen. Aufbewahrung: Österreich, Bad-Deutsch-­ Altenburg, Museum Carnuntinum Foto: Helmut Leitner

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

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KAPITEL V

Minerva und Immunius Diese Skulptur der Minerva (links) und des G ­ enius Immunius (rechts) wurde 1903 entdeckt. Die Göttin trägt einen korinthischen Helm und ist mit ­einem ­ä rmellosen chiton bekleidet, ihre Brust ziert ein ­Medusenkopf. Der Genius ist mit Mauerkrone und Füllhorn dargestellt. Ort: Österreich, Carnuntum (Niederösterreich) Foto: Helmut Leitner

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Kolossalbüste der Hera In der Kunstliteratur ist diese Büste als Juno ­L udovisi bekannt. Quelle: Robert Forrer: ­R eallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907

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KAPITEL V

Kolossalstatue des Herakles Dieser 1504 entdeckte „Farnesische Herkules“, von Glykon nach Lysippos ­gearbeitet, galt als Heros der Athleten. Ort: Italien, Rom, Thermen des Caracalla Foto: Vienna Press

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Marmorstatue des Herakles Aufbewahrung: Österreich, Bad Deutsch-Altenberg, Museum Carnuntinum Foto: Norbert Maly

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KAPITEL V

Skulptur des Herakles Die Keule und das Fell des nemeischen Löwen sind die wichtigsten Attribute des Herkules. Sie erinnern an seine erste Tat, die er im ­Auftrag des Königs ­E urystheus von Mykenä zu vollbringen hatte. Ort: Italien, Rom Foto: Friedrich Jelinek

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Skulpturengruppe Zu den Taten des Herkules gehörte die Bändigung jenes rasenden Stiers, der die Insel Kreta verwüstete und ihn zu Eurystheus, den König von Mykenä brachte. Ort: Österreich, Wien, Hofburg (Michaelertor) Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL V

Hermes des Praxiteles Fundort: Griechenland, ­Olympia, 4. Jh. v. Chr. Quelle: Robert Forrer: ­R eallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907

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Hygieia mit Füllhorn und Schlange Aufbewahrung: Türkei, Antalya, Antalya-Museum Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL V

Tyche-Fortuna als Abundantia Römisch kaiserzeitliche Bronze­ statuette der Fortuna mit F ­ üllhorn, Steuerruder und Isissymbol. Aufbewahrung: Italien, Neapel, Museo ­Nazionale di Napoli Quelle: Robert Forrer: Reallexikon der ­prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Tyche-Fortuna mit dem typischen Füllhorn Marmorstatue aus dem 1. Jh. n. Chr. Die Hand mit dem Steuerruder ist leider abgebrochen. Aufbewahrung: Deutschland, Berlin, ­Staatliche Museen/Pergamon-Museum Foto: Lukas Kalchhauser

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Danuvius, der personifizierte Donaustrom Provinzielle Arbeit aus Pannonien. Aufbewahrung: Österreich, Bad Deutsch-Altenburg, Museum Carnuntinum Foto: Helmut Leitner

Danuvius-Darstellung auf dem Revers einer römischen Münze (Denar). Foto: Helmut Leitner

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Der alte Faunus wurde zeitweise mit dem Bacchus-Bübchen dargestellt. Quelle: Wilhelm Wägner: Rom. Anfang, Fortgang, Ausbreitung und Verfall des Weltreiches der Römer, Leipzig 1869/1871

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Jupiter-Opfer Historische Darstellung aus dem 19. Jh. Quelle: Wilhelm Wägner: Rom. Anfang, Fortgang, Ausbreitung und Verfall des Weltreiches der Römer, Leipzig 1869/1871

Jupiter Dolichenus auf dem Stier In der erhobenen rechten Hand hält Jupiter Dolichenus den Stiel einer Doppelaxt, in der linken Hand hält er das Blitzbündel, das häufigste Attribut aller Jupiterdarstellungen. Fundort: Österreich, Mauer an der Url (Niederösterreich) Gesamthöhe der Skulptur (mit Postament): 310 mm Aufbewahrung und Foto: Österreich, Wien, Kunsthistorisches Museum Bildbearbeitung: Helmut Leitner

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KAPITEL V

Kopf des Jupiter Kasios vom Pfaffenberg Aufbewahrung: Österreich, Bad Deutsch-Altenburg, Museum Carnuntinum Foto: Helmut Leitner

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Mithras Porträtkopf des ursprünglich indoiranischen Gottes. Aufbewahrung: Großbritannien, London, Museum of London Foto: Rudolf Franz Ertl

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Relief Eine der schönsten Mithrasdarstellungen stammt ursprünglich aus Aquileia. Auch Cautes und ­Cautopates sind deutlich zu erkennen. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Kunsthistorisches Museum Foto: Helmut Leitner

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Saturnusbüste Die Herkunft dieses altrömischen Gottes ist ungeklärt. Vielleicht stammt er aus Phrygien, wo ein Gott namens Satra verehrt wurde. Er war ursprünglich ein numen des Ackerbaus, herrschte über das römische Kapitol (ehemals mons Saturnius). Bereits im Prinzipat war Saturnus in Rom kaum mehr bekannt, in den römischen Provinzen Nordafrikas galt er jedoch als wichtigste Gottheit. Später wurde Saturnus vom berberischen Ammon und vom punischen Baal-Hammon vereinnahmt. Aufbewahrung: Italien, Rom, Vatikanische Sammlungen Quelle: Wilhelm Wägner: Rom. Anfang, Fortgang, Ausbreitung und Verfall des Weltreiches der Römer, Leipzig 1869/1871

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KAPITEL V

Isis Die orientalischen Kulte waren in der Kaiserzeit für die Römer keineswegs neu, sondern vielmehr seit Jahrhunderten etabliert. Auch der Isis-Kult ver­breitete sich schon im 1. Jahrhundert v. Chr. in Rom. Aufbewahrung: Österreich, Wien, Kunsthistorisches ­Museum Foto: Helmut Leitner

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Statue des personifizierten Nil Der Flussgott in gewohnt liegender Stellung wird von kleinen Putten und Krokodilen umspielt, in seiner Rechten hält er ein Büschel ägyptischen Weizens, die Linke ist auf eine Sphinx gestützt. Aufbewahrung: Italien, Rom, Vatikanische Museen Quelle: Robert Forrer: Reallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen Altertümer, Berlin 1907

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Beidseitig beschrifteter Marmorquader zu Ehren des Grannus. Ort: Österreich, Kärnten, Römermuseum Teurnia Fotos: Rudolf Franz Ertl

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KAPITEL V

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HEILBÄDER UND GÖTTERVEREHRUNG

Votivhände aus dem Sabazioskult Unter diesen Kleinfunden gibt es solche ohne Attribute (Blinkenberg Gruppe A), solche mit nur einem Pinienzapfen (Blinkenberg Gruppe B), s­ olche mit einer Schlangen­ darstellung (Blinkenberg G ­ ruppe C), einige mit Schlange und Pinienzapfen (­ Blinkenberg Gruppe D) und jene, die eine Fülle von ­weiteren A ­ ttributen auf­weisen ­( Blinkenberg Gruppe E).
Das abgebildete Exemplar einer bronzenen ­Votivhand gehört zu letzteren, wobei an der Handwurzel eine Höhlen­geburt dargestellt ist (eine junge Frau mit ­Säugling an der Brust), darüber ein Vogel (Adler), daneben ­(außerhalb der Grotte) der Krater für Libations­opfer. Bemerkenswert sind der Opfertisch mit den Broten, der beinahe obligatorische Pinienzapfen auf dem Daumen. Auffallend sind die A ­ ttribute, denen man einen chthonisch-vegetativen Charakter zuweisen muss: Schildkröte und ­Eidechse. Beide waren in der antiken Vorstellungswelt ­Tiere, die der Unterwelt entsteigen, um eine Vegetations­periode auf der Erde zu ­verweilen und die danach wieder zum Schlafe dorthin zurückkehren. Aufbewahrung: Albanien, Tirana, Museum Tirana Foto: Kurt Weiss

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

K A PIT E L V I BEDEUTEN DE Ä RZTINNEN UND Ä RZTE DER A NTIK E

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KAPITEL VI

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BE DEU T E N DE Ä R ZT I N N E N U N D Ä R ZT E DE R A N T I K E Bereits im „alten Ägypten“ entstand eine hochentwickelte Heilkunde. Die Ärzte im Land der Pharaonen beschworen während ihrer Behandlungen Isis und Horus mit magischen Sprüchen, wie uns der Papyrus aus Nebqed aus der Zeit des Neuen Reiches verrät. Der Papyrus Ebers verzeichnet auf 20  m Länge mehr als 700 Medikamente. Der Papyrus Smith vermittelt detailliert chirurgische Anweisungen beispielsweise zur Entfernung von Geschwüren, zur Kastration sowie zur Behandlung von U ­ nfallopfern. Ausführliche Anweisungen zur Behandlung der Erkrankungen des Afters enthält der Papyrus Chester Beatty aus dem 12. Jh. v.  Chr. Probleme mit Hämorrhoiden, Fisteln und schmerzhaft entzündeten Divertikeln hatten schon die Ägypter zur Zeit von Echnaton und Nofretete, desgleichen ­Verdauungsbeschwerden. Die griechischen Ärzte genossen bereits sehr früh hohes Ansehen und waren im gesamten römischen Imperium geachtet und gefragt. Neben der schon von Homer in „Ilias“ und „Odyssee“ besungenen hochentwickelten „Kriegschirurgie“ setzten die Griechen auf Bäder, Heilschlaf und Psychotherapie. Ein Streifzug durch die Medizingeschichte offenbart die erstaunlichen Fähigkeiten der Heilkundigen. In Rom hingegen erreichten die Ärzte erst in der Kaiserzeit größeres gesellschaftliches Ansehen. Caesar verlieh allen in Rom praktizierenden Ausländern römisches Bürgerrecht. Augustus stellte die freigelassenen Ärzte den römischen Vollbürgern gleich und unter den Adoptivkaisern erhielten sie volle Immunität.

Die Heilkünstler wurden anfänglich in zwei Gruppen geteilt: praktische Ärzte und Chirurgen. Doch schon sehr bald entwickelte sich ein Spezialistentum, und schon im 1. Jh. n. Chr. gab es Zahnärzte, Augenärzte, Ohrenärzte, sogar Blasensteinschneider und vermutlich noch einige andere Fachärzte sowie daneben nach wie vor die große Zahl der Chirurgen. Es war auch durchaus üblich, entsprechend begabte Sklaven zu servi medici auszubilden, die dann im Auftrag ihres Besitzers als Ärzte tätig waren. Der Arzt war zugleich auch Apotheker. Daneben gab es allerdings auch Salbenmacher (unguentarii) und Arzneihändler (apothecarii). Es mag paradox klingen, entspricht dennoch der Wahrheit: In der römischen Antike gab es Krankenanstalten für Gladiatoren, Arbeitssklaven und Soldaten (valetudinarien), jedoch keine Spitäler für römische Bürger. Die wurden in privaten Arztpraxen oder in Thermen behandelt und wer es sich leisten konnte, kurte danach in Heilbädern. Der Standesverband, die collegia medicorum, verehrte Minerva als Schutzgöttin. Die Bedeutung des Götterglaubens für die Heilungsphase war wesentlich höher als heute. Die magische und die religiöse Heilkunde, die Priester- oder Tempelmedizin, der Tempelschlaf und die Wunderheilungen spielten eine gewichtige Rolle gegenüber der wissenschaftlichen und empirisch-experimentellen Medizin, die auf Erfahrung, Denken und gezielter Forschung basiert.

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KAPITEL VI

Die Frage nach dem tatsächlichen Entwicklungsstand der Medizin in der römischen Kaiserzeit

Siehe ­ Abbildungen S. 498–505

muss fairerweise unbeantwortet bleiben, weil unser Wissen auch heute noch recht bruchstückhaft ist. Wir wissen, dass die Heilkunde seit den frühen Tagen der Medizin in Ägypten, Mesopotamien, im alten Griechenland und auf der Insel Kreta enorme Fortschritte gemacht hatte und nach wie vor Trepanationen erfolgreich durchgeführt werden konnten, aber wir wissen auch, dass der hohe Blutverlust nach Operationen nicht nur zu Problemen, sondern oft zum Tod führte und auch, dass die Asepsis große Schwierigkeiten bereitete. Gegen den Wundstarrkrampf waren die römischen Ärzte machtlos. Der Aderlass galt als einziges Mittel gegen vielerlei Gebrechen. Das von Archäologen aus Siedlungen, Arztwohnungen, Militärlagern und Gräbern geborgene Instrumentarium lässt Medizinern Rückschlüsse auf die angewandten Methoden zu. Besonders bemerkenswerte Exponate stammen aus den Arztpraxen von Pompeji (casa del Chirurgo, casa del Medico, farmacia), aber auch aus Arztgräbern. Neben den Standardgeräten, wie Skalpellen, Hebern, Wundhaken, Pinzetten, Ohrlöffel, Spatel- und Löffelsonden, Blasensteinmesser bzw. Blasensteinskalpelle, Scheren, Wund- und Zahnzangen, Kautere (Brenneisen), Sägen, Katheter (zum Urinablassen bei Harnstau) und Schröpfköpfen, sind auch Instrumente für Spezialisten gefunden worden, darunter ein von Celsus (VII, 5,3) beschriebener Löffel des Diokles (zum Entfernen von Geschoßspitzen), Trepanierbögen und Krontrepane (für Trepanationen), Embryo- und Kranioklaste, Kastrationszangen, kleine Spekula zur Untersuchung des Rektums und Vaginalspekula.144

Höhepunkte der antiken Chirurgie Beachtlich sind die überlieferten Glanzichter der antiken Chirurgie: So gelang beispielsweise dem Antyllos als erstem Chirurgen die Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) und er wurde auch berühmt für die Behandlung der Aneurysmen (Arterienerweiterungen). Auch hat er die Operationsmethode des grauen Stars verbessert. Apollonius von Kition145 ist vor allem wegen seines Kommentares in drei Bänden zu der hippokratischen Schrift Περι ἄρδρων (chirurgische Spezialabhandlung über Gelenkauskugelungen) berühmt geworden. Leonides aus Alexandreia verbesserte mehrere Operationsmethoden, so die Amputation durch Lappenschnitt und die Mastdarmoperationen. Meges aus Sidon war Experte im Bereich der ­Tumorchirurgie, Nabelerkrankungen und Fisteln.

Fortschritte im Bereich der Arzneimittellehre Wie die Schriften des Dioskurides aus dem frühen 1. Jh. n.  Chr. beweisen, gab es schon zur Zeit der römischen Republik große Fortschritte im Bereich der Arzneimittellehre. Das Bestreben, Minerale, Kräuter, Öle und Pflanzenextrakte zur Heilung von Wunden, Geschwüren und den unterschiedlichsten Krankheiten zu nutzen, führte permanent zu neuen Erkenntnissen über die pharmazeutische Ver-

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

wendung von Pflanzen bzw. Pflanzenzeilen unterschiedlichster Art. Antonius Musa146 hinterließ vorzugsweise Medikament-Rezepturen auf Naturheilmittelbasis zur Behandlung von Nasengeschwüren, Augenleiden und Nierenschmerzen. Erfolgreich behandelt wurden auch Diabetes, Asthma, Migräne, Ruhr. ­Athenaios von Attaleia in Kilikien und die Anhänger der pneumatischen Schule legten auf eine wissenschaftliche Basis ihrer medizinischen Praxis höchsten Wert und unterschieden fünf medizinische Disziplinen: Physiologie, Pathologie, Diätetik, Arzneimittellehre und Therapeutik. Diokles von Karystos war ein früher Diätetiker und Pharmakologe. Scribonius Largus empfahl als erster gegen Kopfschmerzen die Anwendung von Schlägen des Zitterrochens. Ohne es zu wissen, hat er die Elektrizität in die Therapie eingeführt.

Militärärzte und Militärlazarette Viele Erkenntnisse gewannen Militärärzte durch die Behandlung von Verwundungen römischer Soldaten. Pedanios Dioskurides aus Anazarba in Kilikien, seines Zeichens Militärarzt im römischen Heer, hat um 77 n. Chr. eine fünfbändige Arzneimittellehre verfasst. Dieses mehrfach kopierte Werk war bis zum 16. Jahrhundert die Pharmakologie-Standardliteratur an den Universitäten Europas. Die älteste Handschrift ist der berühmte Dioskurides-Codex der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, ein prachtvoll illustriertes Werk aus dem Jahr 512 n. Chr. In Carnuntum dürfte sich mit größter Wahrscheinlichkeit das älteste Militärlazarett aller Garnisonsstädte befunden haben. Im Zuge der Markomannenüberfälle zerstört, wurde es danach wieder großzügig aufgebaut und erst um 350 n. Chr. von den Germanen endgültig vernichtet. Die innerhalb der Militärlager beschäftigten Ärzte standen unter dem Befehl des legatus legionis oder des praefectus castrorum. Gegliedert war die Militärärzteschaft in medicus legionis, medicus cohortis oder medicus castrorum und miles medicus. Als „Oberarzt“ fungierte der medicus ordinarius legionis. Auch wurde unterschieden zwischen medicus clinicus cohortis (Kohorten-Internist) und dem medicus chirurgus cohortis (Kohorten-Chirurg). Die Sanitäter wurden w ­ egen des von ihnen stets herumgeschleppten Verbandskastens als capsarii bezeichnet.

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Ä R ZT E U N D Ä R ZT I N N E N VOR C H R IST I GE BU RT (GR I EC H E N LA N D) Machaon und Podaleirios (8./7. Jh. v. Chr.?) waren zwei Heilkundige, die nach Homer den griechischen Heerscharen angehörten (Ilias, 2. Gesang). Homer bezeichnete die beiden Heerführer als des Asklepios Söhne. Letzterer wird als thessalischer König und unvergleichlicher Arzt beschrieben. Machaon und Podaleirios waren Wundärzte. Da in der Ilias Machaon bei der Wundbehandlung beschrieben wurde, avancierte er in der späteren Literatur bei Arktinos („Iliupersis“) zum Vater der Chirurgie und sein Bruder Podaleiros wurde zum Begründer der inneren Medizin erhoben. Bei genanntem Epiker ist zu lesen, dass Poseidon dem einen geschicktere Hände gab, um die Pfeile aus dem Fleisch zu ziehen und alle Wunden zu heilen, dem anderen aber verlieh er die Macht, alles in der Brust Ver­ borgene zu erkennen und das Unheilbare zu heilen. Dazu Kurt Pollak: Podaleirios erscheint hier als der erste Diagnostiker, Internist und Psychiater. In späteren Schriften wurde Podaleirios zum Ahnherrn der Internisten bzw. Vater der Diätetik.

Alkmaion von Kroton und Demokedes von Kroton gelten als Begründer der westgriechischen Heil­ kunde im ausgehenden 6. Jh. v. Chr.

Demokedes von Kroton (6./5. Jh. v. Chr., Sohn des Kalliphon) war einer der Begründer der westgriechischen Heilkunde. Den Schilderungen Herodots zufolge geriet Demokedes nach der Ermordung des Polykrates in persische Gefangenschaft und kam in der Folge als Sklave an den Hof des Großkönigs Dareios in Susa. Als sich letzterer den Knöchel verrenkte, heilte ihn Demokedes und später entfernte er auch ein Eitergeschwür aus der Brust der Dareiosgemahlin Atossa.

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Apollonides von Kos war Leibarzt des Königs Artaxerxes I. Makrocheir in der Mitte des 5. Jh. v. Chr. Dem Feldherrn Megabyzos heilte er eine schwere Wunde, wurde aber wegen seines Verhältnisses mit Amytis, der hysterischen Schwester des Königs, hingerichtet.

Nikomachos Zeitgenosse von Platon und Hippokrates (5. Jh. v. Chr.) und ebenfalls ein griechischer Arzt, war der Vater des Aristoteles. Nikomachos gehörte der knidischen Medizinschule an und fungierte als Leibarzt von König Amyntas III. von Makedonien, dem Großvater Alexanders des Grossen.

Philistion von Lokroi (5. Jh. v. Chr.) war ebenso wie Nikomachos und Hippokrates ein Zeitgenosse Platons und darüber hinaus sogar dessen Freund. Philistion fungierte als Hofarzt des Tyrannen Dionysios II. von Syrakus und brachte im Rahmen seines Besuches der platonischen Akademie die auf den Forschungen des Empedokles basierende Pneumatheorie nach Athen.

Anaxagoras von Klazomenai (um 499 bis 428 v. Chr.) war ein berühmter Philosoph, dessen Lehrmeinungen zum Thema Gehirnforschung und Pathologie jahrhundertelang spätere medizinische Autoren beeinflussten. Anaxagoras und der Arzt Empedokles von Akragas ­(Sizilien) waren Dualisten, vergleichbar mit jenen „Renaissancemenschen“, die in den unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen forschten. Dass er seiner Zeit in manchen Bereichen um Jahrhunderte voraus war, erklärt der Umstand, dass er den altgläubigen Athenern zu erläutern versuchte, dass die Sonne kein göttliches Wesen, sondern vielmehr eine glühende Gesteinsmasse ist.

Herodikos von Selymbria (um 500 bis 425 v. Chr.), mehr Gymnast als Arzt und Lehrer des Hippokrates, verlangte, dass zwischen Nahrungsaufnahme und körperlicher Arbeit ein Ausgleich bestehen muss, um die Gesundheit zu erhalten. Dazu Platon: Herodikos, der Lehrer der Ringkunst, wurde kränklich und vermengte die gymnas­ tische Kunst mit der ärztlichen Kunst. Zunächst quälte er sich selber, später viele andere Menschen. Herodikos erreichte trotz unheilbarer Krankheit ein hohes Alter.

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KAPITEL VI

Herakleides war der Name mehrerer Ärzte. Einer davon war der Vater des berühmten Hippokrates (460 bis 377 v. Chr.), auch als Hippokrates II. bezeichnet. Insgesamt sind sieben Ärzte mit dem Namen Hippokrates bekannt – die Verwechslungsgefahr ist enorm. Gemahlin des genannten Herakleides war Phainarete. Sie führte ihre Abstammung auf Herakles zurück.

Hippokrates aus Kos 147 auch als „der Große“ bezeichnet (460 bis 377 v. Chr.), einer der berühmtesten Ärzte der Antike, hatte viele Namensvettern und gehört leider zu den schwer fassbaren Persönlichkeiten, weil vor allem posthum viel über ihn geschrieben und ihm zugeschrieben wurde. Er wird in der modernen Literatur auch als Hippokrates II. bezeichnet, denn auch sein Großvater väterlicherseits hieß Hippokrates und war ebenfalls Arzt. Alle Nachfolger des genialen Vaters der abendländischen Heilkunde, die sich seines Namens bemächtigten und sich ebenfalls Hippokrates nannten, wollten von dem prominenten Namen profitieren – sowohl hinsichtlich der Hochachtung durch die Mitbürger als auch in pekuniärer Hinsicht. Allerdings mag so mancher dieser Ärzte zu Recht den Namen getragen haben, denn im antiken Griechenland war dies ein geläufiger Name. So kennen wir u. a. — Hippokrates aus Athen (um 600 v. Chr.), den Vater des Peisistratos; — Hippokrates aus Athen (um 550 v. Chr.), Sohn des Megakles und Bruder des Kleisthenes, Großvater des Perikles (490 bis 429 v. Chr.); — Hippokrates aus Gela, der um 498 v. Chr. die Tyrannis übernahm und 491 bei Hybla im Kampf gegen die Sikeler tödlich verwundet wurde; — Hippokrates von Chios, ein Mathematiker und Astronom im 5. Jh. v. Chr.; — Hippokrates aus Athen (2. Hälfte des 5. Jh. v. Chr.), Sohn des Ariphron; er war ein Neffe des Perikles und fungierte als Stratege in den Jahren 426/25 v. Chr. und in seinem Todesjahr 424 v. Chr.; — Hippokrates, den lakedaimonischen Flottenführer, der 412 v.  Chr. Knidos gegen die Athener verteidigte; er starb kurze Zeit später bei der Verteidigung Kalchedons gegen Alkibiades; — Hippokrates aus Karthago, ein Gesandter Hannibals, bekannt durch seinen erfolglosen Sturm auf das römische Lager vor Syrakus im Zweiten Punischen Krieg. Platon war der einzige Zeitgenosse, der den großen Arzt Hippokrates aus Kos in seinen Schriften erwähnt. Aristoteles hat von ihm nicht mehr viel mitbekommen, denn er war erst sieben Jahre alt, als der berühmte Arzt starb. Und was posthum verfasst wurde, ist vermutlich mehr Dichtung als Wahrheit. Leider ist es trotz intensivster Forschung bis heute nicht gelungen, ein annähernd den Tatsachen entsprechendes curriculum vitae dieses um die Medizin so verdienten Mannes zu rekonstruieren. Es dürften etwa 60 unterschiedliche Schriften unter dem Titel Corpus Hippocraticum weltweit in den Bibliotheken zu finden sein. Das Hauptproblem: Die in diesen Schriften vertretenen Auffassungen und Lehren widersprechen einander häufig. Darüber hinaus verschwanden die meisten frühen Texte im Laufe der Jahr-

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hunderte, und außer ein paar Fragmenten von Papyrusrollen existieren nur mehr die Texte mittelalterlicher „Hippokrates-Handschriften“, welche auf den im 2.  Jh. n. Chr. verfassten Hippokrates-Ausgaben beruhen (vgl. Anm. 147). Hippokrates von Kos sah eine der Ursachen innerer Krankheiten im gestörten Gleichgewicht von Ernährung und körperlicher Betätigung. Seine häufig verschriebenen Wechselbäder wurden bereits mehrmals als antike Version Kneippscher Anwendungen bezeichnet. Zweieinhalb Jahrtausende vor Sigmund Freud erkannte Hippokrates seelische Zustände des Patienten als Krankheitsursachen und er verfasste ein Werk über die Traumdeutung als psychotherapeutische Methode. Der berühmte „Hippokratische Eid“ der Mediziner gilt als Beweis für den hohen Berufsethos der Mediziner, hat aber weder mit Hippokrates noch mit der Schule von Kos etwas zu tun und ist nie von hippokratischen Ärzten geschworen worden. Die bislang früheste nachweisliche Bezugnahme auf den Eid in der antiken Literatur findet sich beim römischen Arzt Scribonius Largus. Aus dem 12. Jh. n. Chr. existiert eine byzantinische Niederschrift des hippokratischen Eides.

Demokritos aus Abdera (etwa 460 bis 370 v.  Chr.), Natur-Philosoph und Physiker, ein vielseitiger Autor und Verfasser einer medizinischen Tetralogie, wandte sich gegen die Unmäßigkeit jener Menschen, die das normale Maß beim Essen, Trinken und im Liebesgenuss überschreiten. Seine Aussagen, auf den Punkt gebracht: Das Tier weiß, wieviel es bedarf, der Mensch nicht. Offensichtlich war das Prinzip seiner Ethik – das Maßhalten – für ihn selbst die richtige Lebensmaxime, denn er soll 90 Jahre alt geworden sein.

Euryphon von Knidos Zeitgenosse des Hippokrates, entwickelte die knidische „Zweisäftelehre“, wobei sowohl der saure als auch die bittere Saft (Galle) als Ursache für mehrere Krankheiten verantwortlich gemacht werden. Fortgeführt wurde diese Lehre des Euryphin durch dessen Schüler Herodikos von Knidos.

Diogenes von Apollonia (460 v. Chr.) beschrieb präzis die großen Körperarterien und Venen, übersah allerdings, dass die an das arterielle Blut gebundene Luft durch die Gefäße transportiert wird. Deswegen banden die griechischen Ärzte bei Amputationen und vergleichbaren chirurgischen Eingriffen die Gefäße nicht ab und viele Patienten verbluteten. Erst römische Ärzte korrigierten diesen Fehler.

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KAPITEL VI

Empedokles von Agrigent war ein fähiger Naturphilosoph, aber eitler Arzt und Philosoph, Physiker, Biologe und Mystiker (etwa 483 bis 423 v.  Chr.). Er nahm eine stufenweise Entwicklung der Lebewesen an, was im weitesten Sinn als ein frühes Pendant zur Darwin’schen Evolutionstheorie aufgefasst werden kann. Aufbauend auf seiner „Porentheorie“ erkannte Empedokles die Atmung einerseits durch die Nüstern oder Nase und andererseits durch die Haut. Albern ist die häufig kolportierte Geschichte vom Sprung des Empedokles in einen Krater des Ätna, um eine Himmelfahrt zu fingieren. Er wurde – dieser Sage nach – jedoch als Schwindler entlarvt, weil der Vulkan die Sandalen des Empedokles unverbrannt ausspie.

Herodikos von Knidos (um 400 v.  Chr.) führte seine Praxis nach den Erkenntnissen seines Lehrers ­E uryphon weiter und beschäftigte sich mit den Problemen falscher Ernährung und Bewegungsarmut als Krankheitsursachen. Die Behauptung, dass ­H ippokrates II. (der berühmteste Vertreter dieses Namens) ein Schüler von Herodikos von Knidos gewesen ist, gehört in den Bereich der Märchen, denn in Wahrheit war Herodikos von Selymbria einer der frühen Lehrer des „Vaters der Medizin“, wie Galenos den von ihm hochverehrten Hippokrates bezeichnete.

Ktesias von Knidos (5./4. Jh. v. Chr.) entstammte einer Ärztefamilie, trat in das aus Griechen zusammengewürfelte Söldnerheer des jüngeren Kyros ein und geriet 401 v. Chr. in persische Gefangenschaft. Seine ärztliche Kunst wurde allerdings von der Königinmutter Parysatis geschätzt. In den 17 Jahren am Königshofe konnte er sich in Mesopotamien, Persien und Indien frei bewegen und dort geographische und ethnographische Studien betreiben, deren Ergebnisse er nach seiner Flucht in die Heimat publizierte. Leider sind nur mehr Fragmente seiner Schriften vorhanden.

Diokles von Karystos (im südlichen Euböa gelegen), der Sohn des Arztes Archidamos, wirkte im 4. Jh. v.  Chr. bevorzugt in Athen. Die Bewohner der Stadt nannten ihn den „jüngeren Hippokrates“. Obwohl Ionier, verfasste er seine Schriften im attischen Dialekt. Seine Stärke waren die Diätetik und die Pharmakologie.

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

Xenokrates von Aphrodisias lebte vermutlich in augusteischer Zeit oder auch danach (4. Jh. v. Chr.), wurde von Plinius und Galenos mehrfach zitiert und wegen seiner Empfehlung, n­ eben tierischen Organen und Stoffen auch alle erdenklichen menschlichen Organe und Ausscheidungen zu Heilzwecken zu verwenden, berechtigterweise scharf angegriffen. Dazu muss man wissen, dass Xenokrates in seinem Buch „Über den Nutzen der L ­ ebewesen“ beispielsweise erläutert, welche Leiden durch Genuss von Menschenhirn, -fleisch, -leber oder -blut geheilt werden könnten. Auch Schweiß, Urin, ­Ohrenschmalz, Dünger und andere Unappetitlichkeiten wie das Trinken des Menstrualblutes empfahl Xenokrates in seiner ,Dreckapotheke‘ als Heilmittel.148

Chrysippos von Knidos (geb. um 380 v. Chr.), ein Schüler des Philistion und der Lehrer von Herophilos von Chalkedon in Bithynien sowie von Metrodoros Chrysippos, verwarf den Aderlass, weil er im Blut den Sitz der Seele des Menschen vermutete. Anstelle der Abführmittel empfahl er Brechmittel und Einläufe. Bereits zu seiner Zeit unterschieden die griechischen Ärzte zwischen der diätetischen, der pharmazeutischen und der chirurgischen Behandlungsart.

Praxagoras von Kos lebte in der 2. Hälfte des 4. Jh. v. Chr. und war ein Schüler von Diokles, dem „jün­ geren Hippokrates“. Er soll als Chirurg verwegene Eingriffe vorgenommen haben. Praxagoras benutzte Pulsveränderungen als diagnostische Hilfsmittel.

Theophrastos von Eresos auf Lesbos (374 bis 288 v. Chr.), ein Aristoteles-Schüler, verfasste eine „Pflanzen­ geschichte“ in neun Bänden, die vielen Pharmakologen als Quelle über die Arzneimittellehre diente.

Herophilos von Chalkedon in Bithynien (335 bis 280 v.  Chr.), der Begründer der systematischen Anatomie, spezialisierte sich auf Gehirnforschung, die Unterscheidung von Venen und Arterien sowie auf Augenkrankheiten. Von ihm stammt der Begriff Retina für die Netzhaut. Herophilos, Schüler von Chrysippos von Knidos (geb. um 380 v. Chr.) und dessen Zeitgenossen Praxagoras aus Kos, wurde um das Jahr 300 v.  Chr. von Ptolemaios I. als Leibarzt nach Alexandria berufen, wo er auch als Pathologe fungierte und Studien an menschlichen Leichen durchführen konnte. Laut Tertullian soll er 600 Leichen seziert haben. Abgesehen von Fragmenten sind keine Schriften des Herophilos erhalten geblieben.

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Kleombrotos Arzt auf Keos, war der Vater des Arztes Erasistratos (310 bis 250 v. Chr.), der in Julis auf der Kykladeninsel Keos geboren wurde.

Erasistratos (310 bis 250 v. Chr.) wurde in Julis auf der Kykladeninsel Keos als Sohn des Arztes Kleombrotos geboren. Sein Lehrer war Metrodoros. Erasistratos fungierte als Leibarzt des Königs Seleukos I. Nikator von Syrien in Antiocheia. Vermutlich nach 281 (Tod Seleukos I. Nikator) ließ sich der erfolgreiche Arzt in Alexandreia nieder. Erasistratos und sein Kollege Herophiles sezierten ausgiebig Leichen, um mehr über die Funktion der menschlichen Organe zu erfahren. Wegen eines unheilbaren Geschwüres endete er durch Selbstmord.

Metrodoros Schüler des Chrysippos von Knidos (um 300 v. Chr.) , gab sein Wissen weiter an viele Schüler, so auch den Erasistratos von Keos.

Kleophantos war ein alexandrinischer Arzt, der in der Mitte des 3. Jh. v. Chr. wirkte (Bruder des Erasistratos, Lehrer des Mnemon von Side). Als Diätetiker empfahl Kleophantos vor allem den Wein und wurde deshalb ebenso wie der bithynische Arzt Asklepiades von Prusa spöttisch οἰνοδότης (= Weinspender) genannt.

Mnemon von Side war ein Schüler des alexandrinischen Arztes Kleophantos. Um 250 v. Chr. unternahm Mnemon eine Reise nach Ägypten. Nach Günther Korbel trug er bei sich ein Exemplar des 3. Buches der ‚Epidemien des Hippokrates‘, das von dem bibliophi­ len König Ptolemaios beschlagnahmt und der alexandrinischen Bibliothek einverleibt wurde. Bei diesem Herrscher handelte es sich um Ptolemaios II. Philadelphos (282 bis 246 v. Chr.), Sohn von Ptolemaios I. Soter mit dessen dritter Frau ­B erenike. Nach zweijähriger Mitregentschaft mit dem Vater ließ er sich nach dessen Tod zum Pharao krönen. Ptolemaios II. ehelichte Arsinoe I., Tochter des thrakischen Diadochen Lysimachos. Die beiden hatten drei Kinder, darunter Ptolemaios III. In zweiter Ehe war er mit seiner leiblichen Schwester Arsinoe II. verheiratet.

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

Philinos aus Kos (um 250 v. Chr.), ein Schüler des Herophilos, war nach Meinung von Galenos der Begründer der Empiriker-Schule (siehe Glaukias aus Taras). Nach Celsus war hingegen Serapion aus Alexandreia (um 200 v. Chr.) deren Begründer.

Bakcheios von Tanagra (um 200 v. Chr.) verfasste einen Hippokrates-Kommentar sowie „Erinnerungen an Herophilos und seine Schule“. Die Herophileer wurden in der Mitte des 2. Jh. v. Chr. von den Ptolemäern aus Alexandria vertrieben. Hundert Jahre später kam es zu einer Neugründung einer späten Herophileer-Schule in Nordsyrien, doch die hatte nur einige wenige Dezennien Bestand.

Glaukias aus Taras (um 200 v. Chr.) gehörte der Empiriker-Schule an, die weitestgehend fernab irgendwelchen esoterischen Schwindels und orakelartiger Hydromantik zumindest in der Theorie nur drei Grundsätze für die Heilkunde gelten ließ: eigene Beobachtung und Erfahrung, Überlieferung fremder Beobachtungen und Analogieschlüsse, welche Glaukias unter der Bezeichnung empirischer „Dreifuß“ zusammenfasste. Glaukias zählte zu den frühen Empirikern, Begründer der Schule war nach Celsus angeblich Serapion aus Alexandreia (um 200 v. Chr.), nach Galenos schon Philinos aus Kos (um 250 v. Chr.). Durch die Empiriker nahm die frühe Pharmakologie einen enormen Aufschwung und damit auch die Beschäftigung mit Giften und Gegengiften. Und wie überall gab es unter den Empirikern herausragende Persönlichkeiten, wie Herakleides von Taras im 1. Jh. v. Chr., aber auch Scharlatane, Dilettanten und Giftmischer – höflich mit dem Begriff „Amateurtoxikologen“ umschrieben.

Serapion von Alexandreia einer der angeblichen Begründer der Empirikerschule.

Nikandros von Kolophon hat im 2. Jh. v. Chr. die umfangreichsten Bücher des Altertums über Toxikologie geschrieben. Auf ihn soll die medizinische Verwendung von Blutegeln zurückgehen.

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KAPITEL VI

Philoxenos vielseitiger und bedeutender Chirurg in der zweiten Hälfte des 2. Jh. v. Chr., unterschied zwei Krebsarten: „Krebsleiden ohne Geschwür und jene, die geschwürig zerfallen.“

Asklepiades von Prusa aus Bithynien, Verfechter der Warmwasserkuren im beginnenden 1. Jh. v. Chr. sowie der Thalassotherapie und der Einbeziehung des kalten Wassers in die Therapie. Empfahl auch Wein als Heilmittel.

Athenaios von Attaleia in Kilikien (1. Jh. v. Chr.) war Schüler des Poseidonius und begründete auf den Erkenntnissen der Stoa die sogenannte pneumatische Schule. Die Anhänger dieser neuen Lehre legten auf eine wissenschaftliche Basis ihrer medizinischen Praxis höchsten Wert und unterschieden fünf medizinische Disziplinen: Physiologie, Pathologie, Diätetik, Arzneimittellehre und Therapeutik.

Dioskurides Phakas (1. Jh. v. Chr.) war der Leibarzt der Kleopatra und ein eifriger Autor. Er verfasste 24 bedeutende Werke.

Meges aus Sidon (1. Jh. v. Chr.) in Phönikien, Zeitgenosse des Ammonios Lithotomos, war ein berühmter alexandrinischer Chirurg. Seine Spezialgebiete waren Tumorchirurgie, Nabelerkrankungen und Fisteln.

Menodoros lebte in der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. Er war vielleicht der erste, der bei Schädelbrüchen die eingedrückten Knochensplitter herausoperierte. Die Hippokratiker sollen gewartet haben, bis die Bruchstücke herauseiterten.

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

Themison von Laodikea in Nordsyrien, der in der Mitte des 1. Jh. v. Chr. als Arzt wirkte, war ein Schüler des Asklepiades und gilt als Begründer der Methodikerschule. Die mit der neuen Lehre verbundene Simplifizierung sollte das Erlernen der Heilkunde erleichtern und den praktischen Bedürfnissen der römischen Ärzte entgegenkommen. Das brachte aber auch Probleme mit sich, zumal nun Anatomie und Physiologie abgelehnt wurden und der Krankheitsursache jedwede Bedeutung für die praktische Krankenbehandlung abgesprochen wurde. Die Methodiker konzentrierten sich auf die Grundformen des Krankseins, Grundlage der Therapie bildeten nunmehr die sogenannten „Kommunitäten“, primär die Spannung oder die Erschlaffung der Körpergewebe. Dazu Kurt Pollak: Außerdem muß nach Themison die Verlaufsart der Krankheit beobachtet werden: akute Krankheiten, bei denen der Zustand der Kontraktion vorherrscht, und chroni­ sche Krankheiten, bei denen zumeist die Erschlaffung überwiegt […] Nach diesen „Kommunitäten“ richtete sich die Behandlung. Im Zustand der Kontraktion, der stark zusammengezogenen Körpergewebe, wurden erschlaffende Mittel verordnet – warme Bäder, Aderlass, Abführ- und Brechmittel, harn- und schweißtreibende Mittel. Tonisierende Maßnahmen gegen die Erschlaffung waren kalte Waschungen, kräftigende Diät, Wein, Essig und Alaun.149

Herakleides von Taras (Tarent) wirkte um 75 v. Chr. und wurde als alexandrinischer Chirurg und Zahnarzt berühmt. Er gehörte der Schule der Empiriker an.

Alexandros Philalethes (er wirkte um Christi Geburt) wird zu den späten Herophileern (Schüler und Nachfolger des Herophilos von Chalkedon in Bithynien) gezählt.

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Ä R ZT E U N D Ä R ZT I N N E N VOR C H R IST I GE BU RT (ROM) Archagathos mit Beinamen Vulnerarius (Wundarzt), war der bislang nachweislich erste griechische Arzt in Rom, der anno 219 v. Chr. aus dem Peloponnes eingewandert war. Auf Grund seines Könnens wurde ihm das römische Bürgerrecht zuerkannt. Als er sich in verstärktem Maß als Chirurg betätigte, wurde er als „carnifex“ (= Schinder) beschimpft und musste infolge des zunehmenden Mobbings die Stadt fluchtartig verlassen.

Antonius Musa (vgl. Anm. 146) war jener Freigelassene, der im Jahr 23 v. Chr. mit Hilfe einer Kaltwasserkur Octavianus Augustus von einer schweren Leberkrankheit heilte. Zum Dank wurde ihm laut Sueton eine Bildsäule neben dem Bildnis des Aesculapius aufgestellt. Darüber hinaus wurde er in den Ritterstand erhoben. Auch die krankhaften unangenehmen Gallenabsonderungen des Imperators behandelte A ­ ntonius Musa mit kalten Umschlägen. Er dürfte in vielen medizinischen Bereichen sehr tüchtig gewesen sein, vorzüglich auf dem Gebiet der Pharmakologie, denn er hinterließ vorzugsweise Medikament-Rezepturen auf Naturheilmittelbasis zur Behandlung von Nasengeschwüren, Augenleiden und Nierenschmerzen.

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Ä R ZT E U N D Ä R ZT I N N E N NACH CH R IST I GE BU RT (GR I ECH E N LA N D) Ammonios mit dem Beinamen Lithotomos (etwa 50 v. bis 10 n.  Chr.), ein hervorragender Chirurg, wirkte in Alexandreia und erhielt seinen Beinamen für das von ihm entwickelte Verfahren der Blasensteinzertrümmerung.

Xenophon aus Kos (Gaius Stertinius Xenophon, 10 v. bis 54 n. Chr.) war Leibarzt des Kaisers ­C laudius und trug den Ehrentitel Archiater.

Apollonios von Tyana (2 bis 98 n. Chr.) war ein sogenannter Naturheilkundiger. Er soll sich in Linnen gekleidet haben, er aß Kraut und Obst und trank reines Quellwasser, ging barfuß und barhaupt und ließ sich Bart und Haar wachsen. Der erste aus der Literatur bekannte Arzt des 1. Jh. n. Chr., der sich ausschließlich vegan ernährte.

Demosthenes Philalethes aus Massilia (um 40/50 n.  Chr.), der angesehenste Augenarzt der antiken Welt, ­gehörte ebenso wie Alexandros Philalethes (um Christi Geburt) und Dioskurides Phakas, der Leibarzt der Kleopatra, der Schule der Herophileer an. Demosthenes Philalethes verfasste im 1. Jh. n. Chr. das Lehrbuch Όφδαλμικός (= „Der Augenarzt“), die beste Spezialschrift seit Herophilos. Noch im Mittelalter wurde dieses Werk – in lateinischer Übersetzung – benutzt.

Aretaios aus Kappadokien (um 50 n.  Chr.), ebenso wie Athenaios von Attaleia in Kilikien Pneumatiker, ist der einzige Vertreter dieser medizinischen Richtung, dessen Schriften beinahe vollständig erhalten sind. Bewundernswert sind die exzellenten Darstellungen bestimmter Krankheitsbilder (Diabetes, Asthma, Migräne, Ruhr).

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KAPITEL VI

Archigenes aus Apameia (Chirurg in der römischen Kaiserzeit zur Zeit Trajans, 53 bis 177 n. Chr.), hervorgegangen aus der Schule der Pneumatiker – siehe Athenaios von Attaleia in Kilikien und Aretaios aus Kappadokien. Archigenes war ein galanter Modearzt, der auch ein Haarfärbemittel für Damen entwickelte.

Eucratus (75 bis 100 n. Chr.), der Arzt und Sklave des Arztes Lucius Iulius Euthemus, starb schon im Alter von 25 Jahren in Carnuntum. Sein Herr, genannter Lucius Iulius Euthemus, hat ihm wegen seiner Verdienste einen Grabstein gesetzt. Aufbewahrung: Museum Carnuntinum.

Pedanios Dioskurides aus Anazarba in Kilikien, Militärarzt im römischen Heer, hat um 77 n. Chr. eine fünfbändige Arzneimittellehre verfasst, den schon zuvor erwähnten DioskuridesCodex. Er wurde einst angefertigt für Juliana Anicia, die Tochter des Kaisers Anicius Olybius und der Galla Placidia. Für die Abbildungen der Kräuter dienten die Bilder von Krateuas als Vorlage, der in der Mitte des 1. Jh. v. Chr. am Hof des Königs von Pontos gelebt hatte.

Pomponius Magonianus (vor 79 n. Chr.) war Arzt in Pompeji (Casa del Medico).

Heliodoros (1. Jh. n. Chr.), Chirurg in der römischen Kaiserzeit, hervorgegangen aus der Schule der Pneumatiker – siehe Athenaios von Attaleia in Kilikien und Aretaios aus Kappadokien. Er wurde von Juvenal als geschickter Kastrator von Sklaven bezeichnet.

Kleophantos war ein berühmter Arzt im 1. Jh. n.  Chr. (Pharmakologe), der mehrfach von ­Galenos erwähnt wurde.

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

Leonides aus Alexandreia (Schüler des Philoxenos, Chirurg in der römischen Kaiserzeit, wirkte am Ende des 1. Jh. n. Chr.), hervorgegangen aus der Schule der Pneumatiker – siehe Athenaios von Attaleia in Kilikien und Aretaios aus Kappadokien. Leonides verbesserte mehrere Operationsmethoden (Amputation durch Lappenschnitt, Mastdarmoperationen).

Thessalos von Tralleis (1. Jh. n. Chr.) in Lydien, ein Zeitgenosse Kaiser Neros, war ein Vertreter und Erneuerer der Methodikerschule. Er erwarb sich auf Grund seines selbstherrlichen und anmaßenden Auftretens allerdings den Ruf eines gewissenlosen Scharlatans. Er stammte aus einer niederen sozialen Schicht und versprach – den Ausführungen von Galenos (Gal. 10,4 f. K) zufolge – Leuten seines Herkunftsstandes, sie in sechs Monaten zu Ärzten zu machen. In seinem Größenwahn nannte er sich ἰατρονίκης (= Bezwinger der Ärzte). Dass aus der Methodikerschule auch gute Ärzte hervorgingen, bewies Soranos von Ephesos in der ersten Hälfte des 2. Jh. n. Chr., einer der bedeutendsten Ärzte der römischen Kaiserzeit, vielleicht sogar der größte Frauenarzt des Altertums.

Nonnos (Publius Aelius Nonnos, Freigelassener des Kaisers, 1./2. Jh. n. Chr.) verstarb auf einer Reise des Kaisers Aelius Hadrianus und wurde von seinem Freund Posidonios in Carnuntum bestattet.

Rhuphos von Ephesos (in der Literatur mehrmals auch Rufus von Ephesos genannt; er wirkte Anfang des 2. Jh. n. Chr.), gewann bedeutende Erkenntnisse im Bereich der Augenheilkunde. Darüber hinaus verfasste er bemerkenswerte Schriften über Beulenpest, Lepra und Nierenleiden. Sehr wahrscheinlich war er der erste Arzt in der Antike, der die Bedeutung des Fiebers in der Krankheitsabwehr erkannte. Rhuphos ­empfahl die Fieberbehandlung mittels Malaria gegen Epilepsie, Depression, Lepra und ­Tumore. 1800 Jahre später – knapp vor der Entdeckung der Antibiotika – wurde der österreichische Nervenarzt Julius Wagner von Jauregg für die Behandlung seiner ­Syphilis-Patienten mit dem Wechselfieber mit dem Nobelpreis geehrt.

Demetrios (2. Jh. n. Chr. ) war der Leibarzt des Kaisers Marc Aurel. Demetrios starb während des Markomannenfeldzuges und Marc Aurel ernannte von Pannonien aus den berühmten Gladiatorenarzt Galenos aus Pergamon zu dessen Nachfolger.

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KAPITEL VI

Galenos war fraglos der bedeutendste Eklektiker. Er wurde 129 n.  Chr. in Pergamon als Sohn des Architekten Nikon geboren. Galenos studierte in Smyrna, Korinth und Alexandreia und fungierte in den Jahren 157 bis 161 n.  Chr. als Gladiatorenarzt. Bereits 162 n. Chr. übersiedelte er nach Rom und erlebte dort einen kometenhaften Aufstieg zum gefeierten und geschätzten Modearzt der „High Society“ in der Tiberstadt. Galenos war clever, ein verständnisvoller Therapeut seiner exaltierten Klientel und effizient in der unverfrorenen Eigenwerbung, die bis zur Beschimpfung aller übrigen Ärzte seiner Zeit reichte. Beim Triumphzug der beiden Imperatoren Marc Aurel und Lucius Verus, aber auch bei den anlässlich des Triumphes veranstalteten Circusspielen und Tierhetzen hatten die Menschen in Rom noch gejubelt und gejauchzt, wenige Tage später aber holte sie die Realität in Form einer tödlichen Seuche ein. Die aus Mesopotamien von den aus dem Partherkrieg rückkehrenden Soldaten eingeschleppte Epidemie forderte schon 166 n.  Chr. in Ost- und Mitteleuropa zahlreiche Menschenleben und wütete jahrelang mit unglaublicher Gewalt. Wobei zunächst einmal die Frage gestellt werden muss, ob es überhaupt die Beulenpest oder eine andere Form dieser Erkrankung war oder aber das Fleckfieber oder vielleicht sogar die Pocken. Um es vorwegzunehmen: Wir wissen es nicht. Als die Seuche Rom erreichte, hielt sich dort noch immer Galenos auf, der zweifellos die Krankheit und deren Tragweite erkannte. Galenos machte sich in seinen Aufzeichnungen jedoch nicht die Mühe, das Krankheitsbild zu beschreiben. Ob er die Krankheit zu dieser Zeit behandelt hat, ist nicht überliefert. Böse Zungen meinen, er habe aus Angst vor der Seuche fluchtartig Rom verlassen. Faktum ist lediglich, dass er im Herbst 166 n. Chr. nach Pergamon zurückkehrte, aus welchen Gründen auch immer … Konfrontiert wurde er mit einem weiteren Ausbruch der Krankheit im Winter 168/169 n.  Chr., als Truppen bei Aquileia zusammengezogen wurden. Marc Aurel und Lucius Verus flüchteten mit wenigen Soldaten nach Rom, das zu der Zeit vermutlich als der gesündere Aufenthaltsort galt. Galenos bemerkt, es habe mehr Tote gegeben, weil die Pest mitten im Winter ausgebrochen sei. Die Ver­luste waren hoch. Und er beschrieb die Krankheit als lang andauernd. Später lehnte er eine Einladung Marc Aurels, ihn auf seinen Feldzug gegen die Markomannen zu begleiten, mit der Begründung ab, Asklepios habe ihm die Teilnahme verboten. Wie sagt das Sprichwort? Eine gute Ausrede ist einen Taler wert. In diesem Fall allerdings mindestens einen Aureus … Galenos blieb als Betreuer des Marc ­Aurel-Sohnes Commodus in Rom und avancierte nach dem Tod von Marc ­Aurels Leibarzt Demetrios zu dessen Nachfolger. Als des Kaisers Leibarzt verdiente Galenos Unsummen. Bemerkenswert, weil charakteristisch für die Weltstadt Rom, war stets das Nachäffen des vom Kaiser vorgelebten Stils und seiner Eigenschaften. Plötzlich war jeder zweite Stoiker, und weil der Kaiser den Bart eines Philosophen trug, ließen sich auch die Dümmsten einen derartigen Bart wachsen. Bald hatte es sich herumgesprochen, dass Marc Aurel täglich aus medizinischen Gründen Theriak trinken musste.150 Und plötzlich nahmen auch alle, die kein Magenleiden hatten, diesen Heiltrank zu sich, der zum Modegetränk avancierte, zum „Kir royal“ seiner Zeit.

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

Über den Theriakkonsum des Kaisers berichtet Cassius Dio: [Marc Aurel] besaß indessen einen so schwächlichen Körper, dass er zuerst die Kälte nicht ertragen konnte, sondern sich sogar, nachdem die Soldaten auf seinen Befehl hin angetreten waren, gewöhnlich vor seiner Ansprache zurückziehen musste. Außerdem nahm er nur ganz wenig Speise zu sich, und zwar stets zu nächtlicher Stunde. Un­ tertags aß er nichts außer dem Heilmittel namens Theriak. Doch bediente er sich die­ ses Mittels nicht so sehr, weil er Angst hatte [vergiftet zu werden], sondern weil er ein Magen- und Brustleiden hatte. Und er vermochte mit dieser Lebensweise, wie man berichtet, zu den genannten Beschwerden hinzu auch noch andere auszuhalten.151 Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Theriak“? Seit Nero wurden die aus Sicherheitsgründen vor Vergiftungen von vielen Regenten prophylaktisch und permanent eingenommenen „Gegengifte“ als Theriak bezeichnet. Näheres dazu ist bei Galenus in „De antidotis“ und in „Ad Pisonem de theriaca“ (Claudii Galeni opera, hrsg. v. Carl Gottlob Kühn, Leipzig 1827) nachzulesen. Heute wissen wir mit Sicherheit, dass es sich um ein Opiat bzw. um eine opiumhaltige Substanz handelte. Galenos notierte: Täglich nahm er [Marc Aurel] bis zu einer ägyptischen Bohne (κύαμος) ein, mit oder ohne Wasser oder Wein. Als er merkte, dass es ihn bei seiner Arbeit schläfrig machte, ließ er den Mohnsaft [aus der Mixtur] weg. Aber dann konnte er nachts nicht schlafen […] So musste er wieder auf die Mixtur mit dem Mohnsaft zurück­ greifen, da er sich jetzt an ihn gewöhnt hatte. Auch unter Commodus und Septimius Severus blieb Galenos als Arzt dem Kaiserhaus treu. Er beschäftigte verständlicherweise mehrere Hilfskräfte, darunter auch Arztsklaven weiblichen Geschlechts, wie eine Origineia und eine Favilla. Interessanterweise erwähnt er auch „Fachärztinnen“ für Krankheiten der weiblichen Schamteile. Galenos starb um das Jahr 199 n. Chr.

Antyllos (Chirurg in der römischen Kaiserzeit, wirkte um 140 n.  Chr.), hervorgegangen aus der Schule der Pneumatiker – siehe Athenaios von Attaleia in Kilikien und Aretaios aus Kappadokien. Antyllos war vermutlich der bedeutendste Chirurg der Antike. Von seinen Werken sind nur wenige Fragmente erhalten. Er hat als erster die Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) genau beschrieben, begründet wurde das Verfahren vermutlich von Asklepiades. Berühmt wurde Antyllos für erfolgreiche Behandlungen von Aneurysmen (krankhafte, örtlich begrenzte Arterienerweiterungen).

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KAPITEL VI

Poseidonius war ein griechischer Arzt im 4. Jh. n. Chr. Er beschrieb die Wutkrankheit (Tollwut).

Alexandros von Tralles in Lydien, geboren um 525 n. Chr. als Sohn des Arztes Stephanos, war MedizinLehrer und ein belesener Schriftsteller, der sich bei der älteren Generation keine Freunde schaffte, zumal er davor warnte, „Greise zu behandeln, da sie unheilbar sind.“ Fragt sich, ob er diese Meinung als Achtzigjähriger auch noch vertrat … Er starb um 605 n. Chr. in Rom.

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Ä R ZT E U N D Ä R ZT I N N E N NACH CH R IST I GE BU RT (ROM) Euprepes (Titus Flavius Euprepes) war Mitglied der in Misenum stationierten kaiserlichen Flotte, fungierte als Militärarzt (mit doppeltem Gehalt) in der frühen Kaiserzeit (Prinzipat) und starb nach fünf Dienstjahren im Alter von 25 Jahren.

Celsus (Aulus Cornelius Celsus) wurde berühmt als Verfasser einer umfangreichen Enzyklopädie. Erhalten sind nur acht Bücher über Medizin, doch die zählen zu den wichtigsten Quellen für unser heutiges Wissen über die antike Medizin. Ob er Arzt war, ist strittig. Vermutlich war er ein gebildeter Laie, doch er verfügte fraglos über ein umfangreiches medizinisches Wissen. Seine Schriftrollen „De Medicina“, verfasst um das Jahr 30 n.  Chr., gerieten in Vergessenheit. Erst Papst Nikolaus V. entdeckte dieses wertvolle Zeugnis aus der Antike und ließ es 1478 in Florenz drucken.

Claudius Agathinos aus Sparta (lebte im 1. Jh. n. Chr.) befasste sich eingehend mit der Pulslehre und empfahl häufig kalte Bäder. Er wird von den Medizinern zu den Eklektikern gerechnet, wobei nicht übersehen werden darf, dass bereits das System der Pneumatiker einen eklektischen Charakter hatte.

Scribonius Largus (1. Jh. n. Chr.), ein ethisch hochstehender römischer Arzt, begleitete Kaiser Claudius auf dessen Britannien-Feldzug und avancierte zum Hofarzt. Ohne es zu wissen, hat er die Elektrizität in die Therapie eingeführt, indem er, wie oben schon erwähnt, als erster die Anwendung von Schlägen des Zitterrochens gegen Kopfschmerzen empfahl. Er hinterließ ein interessantes Werk, das neben brauchbaren Rezepten leider auch Wundermittel enthielt, die der abergläubischen Volksmedizin bzw. esoterischen Wunschvorstellungen entstammen dürften.

Euthemus (Lucius Iulius Euthemus, medicus, Ende 1. Jh. n. Chr.) ist uns heute nur durch die Carnuntiner Grabinschrift für seinen Arzt und Sklaven Eucratus bekannt.

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KAPITEL VI

Optatus (Lucius Iulius Optatus, medicus, 2. Jh. n. Chr.) starb in Carnuntum und wurde dort begraben. Sein Intimfreund (Beischläfer) Lucius Iulius Faustus hat das Grabmal errichtet.

Priscianus (Theodoros Priscianus, 4. Jh. n. Chr.), widmete das von ihm verfasste Buch über Frauenkrankheiten einer Victoria, welche er in der Vorrede zu seinen Ausführungen als „die liebste Gehilfin meiner Kunst“ bezeichnete. Pollak (1993) vermutet, dass es sich bei der Genannten um eine Ärztin handelte. Theodoros Priscianus war ein Schüler des Vindicianus Afer und fungierte als Leibarzt des Kaisers Gratian.

Vindicianus Afer bekleidete unter Valentinian  I. in der 2. Hälfte des 4. Jh. n.  Chr. das Amt des Comes archiatrorum.

Caelius Aurelianus aus Numidien war ein bedeutender medizinischer Schriftsteller und Übersetzer griechischer medizinischer Schriften ins Lateinische im frühen 5. Jh. n.  Chr. In seinen acht Büchern über die akuten und chronischen Krankheiten überlieferte er das Werk des Soranos (Celerum sive acutarum passionum II. 3 und Tardarum sive chroni­ carum passionum II. 5.). Aller Wahrscheinlichkeit nach erlebte er die Eroberung und Plünderung Roms durch Alarich im Jahr 410 und vielleicht auch noch die Plünderung der Tiberstadt durch die Vandalen unter Geiserich 45 Jahre später sowie die Abdankung von Romulus Augustus anno 476 n. Chr.

Melaniona (Forella T. L. Melaniona) ist eine der wenigen bislang bekannt gewordenen Ärztinnen der Antike (keine näheren Daten bekannt).

Aelius Nonnos siehe Nonnos.

Agathinos siehe Claudius Agathinos aus Sparta.

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

Dioskurides siehe Pedanios Dioskurides aus Anazarba in Kilikien.

Flavius Euprepes siehe Euprepes.

Forella T. L. Melaniona siehe Melaniona.

Gaius Stertinius Xenophon siehe Xenophon aus Kos.

Musa siehe Antonius Musa.

Philalethes siehe Alexandros Philalethes.

Stertinius Xenophon siehe Xenophon aus Kos.

Theodoros Priscianus siehe Priscianus.

Titus Flavius Euprepes siehe Euprepes. Abschließend sei festgestellt, dass es neben den tüchtigen Ärzten in der Antike auch jede Menge Scharlatane gab, was von Juvenal, Martial und Plinius bis zum Kaiser Hadrian mehrfach in Schmähschriften angeprangert wurde. Der Niedergang des ärztlichen Standes setzte in Rom bereits im ausgehenden 2. Jh. n. Chr. ein.152

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KAPITEL VI

Grabstein des L(VCIVS) IVLIVS OP / TATVS MEDICVS / H(IC) I(NTVS) S(ITVS) E(ST) FVTVTOR / L(VCIVS) IVLIVS FAV / STVS DE SVO FECI(T) = Der Arzt Lucius Iulius Optatus liegt hier begraben. Lucius Iulius Faustus, sein Intimfreund (Beischläfer), hat aus eigenen Mitteln dieses Grabmal ­errichtet. Ort: Österreich, Niederösterreich, Bad Deutsch-Altenburg, Museum Carnuntinum Foto: Rudolf Franz Ertl

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

Bronzeschatulle mit Arztbesteck. Aufbewahrung: Deutschland, Köln, Römisch-Germanisches Museum Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL VI

Marmortafel mit Darstellung unterschiedlicher medizinischer Instrumente. Aufbewahrung: Österreich, Bad-Deutsch Altenburg, Museum Carnuntinum Foto: Helmut Leitner

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

Medizinische Instrumente Viele Bodenfunde wie Skalpelle, Löffel, Pinzetten, Wundhaken, Spaten- und Löffelsonden, Meißel, Katheter und viele Dutzend andere medizinische Geräte künden von der Tätigkeit der Ärzte in ­römischer Zeit. Speziell in Carnuntum wurden auffallend viele Instrumente ergraben. Viele vor 2000 Jahren entwickelten chirurgischen Instrumente der Griechen und Römer waren ­Vorbilder für unsere modernen medizinischen Gerätschaften. Aufbewahrung: Österreich, Bad-Deutsch Altenburg, Museum Carnuntinum Foto: Helmut Leitner

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KAPITEL VI

Instrumentenfunde Zange aus Bronze, Länge 180 mm. Die Griffe der Knochenzange enden in Knöpfen und sind mit s­ piralig eingelegtem Silberdraht verziert. Die Greifbacken liegen flach aufeinander.
 Darunter: Drei Pinzetten, davon die mittlere mit abgewinkelten Greifbacken und rechteckigem ­Schieber zum Fixieren des Objektes. Aufbewahrung: Österreich, Bad Deutsch-Altenburg, Museum Carnuntinum Foto: Helmut Leitner

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

Augenarzt-Siegel G(AI) VAL(ERII) AMANDI D ­ IOXVM AD REVMATIC(A) = Des Gaius Valerius Amandus ­Essigsalbe für rinnende Augen

Augenarzt-Siegel G(AI) VAL(ERII) AMANDI STACTVM AD CAL(IGINEM) = Des Gaius Valerius Amandus ­Tropfen für verschwommene Sicht

Augenarzt-Siegel G(AI) VAL(ERII) VALENTINI ­DIAGLAVC(IVM) POST IMP(ETVM) LIP(PITVDINIS) = Des Gaius Valerius Valentinus Schöllkraut-(Mohn-?)Salbe, ­(anzuwenden) am Beginn einer ­Bindehautentzündung

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KAPITEL VI

Augenarzt-Siegel G(AI) VAL(ERII) VALENTINI MIXTVM AD CL(ARITATEM) = Des Gaius Valerius Valentinus Mixtur für klare Sicht

Augenarzt-Siegel ATTICI COLLYR(IVM) TVRINVM AD OMNES DOLORES EX OVO F(ECIT) = Des Atticus Weihrauchsalbe, ­( hergestellt) mit Ei, tut (gut) für jeden (Augen)schmerz

Augenarzt-Siegel ATTICI LENE AD OMNES DOLORES POST IMP(ETVM) LIPPITV(DINIS) = Des Atticus milde Salbe gegen alle Schmerzen nach Beginn einer ­Bindehautentzündung

Quelle: Robin George Collingwood and Richard Pearson Wright: The Roman Inscriptions of Britain Volume II. ­I nstrumentum Domesticum (Personal Belongings). Fascicule 4: Wooden Barrels, Stilus-tablets, Stone Balls etc. (RIB 2442-2480). Edited by S. S. Frere and R. S. O. Tomlin. Published for the Administrators of the Haverfield Bequest by Alan Sutton Publishing. London 1992 Übersetzung: Rudolf Franz Ertl

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BEDEUTENDE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE DER ANTIKE

Ein wichtiges medizinisches Instrument war der von Celsus beschriebene Löffel des Diokles zum Entfernen von Geschoßspitzen. Quelle: Nach einem Foto des Arztgrabfundes von Ephesos, vormals Sammlung Theodor Meyer-Steinegg: Chirurgische Instrumente des Altertums, Jena 1912 Zeichnung: Rudolf Franz Ertl

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WASSERBAU- UND ABWASSERRECHT IN DER KAISERZEIT

K A PIT E L V I I WA S S E R B AU - U N D A B WA S S E R R E C H T IN DER K A ISER ZEIT

507

KAPITEL VII

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WASSE R BAU - U N D A BWASSE R R EC H T I N DE R K A ISE R Z EI T In der Ausführung gesundheitlicher Nutzbauten waren die Römer Meister. Dennoch gelang es ihnen nicht, immer wiederkehrende Epidemien zu vermeiden. Von Staats wegen wurden mit einem enormen Aufwand effiziente Toilettenanlagen mit Wasserspülung, öffentliche Aborte und Abwasserkanäle errichtet, die dank der über Aquädukte nach Rom geleiteten Wassermengen permanent durchspült wurden. Aber all diese Maßnahmen konnten die Bevölkerung nicht dazu bewegen, auf Sauberkeit zu achten. Viele Abfälle, selbst Kot, Urin und Fäkalien, wurden in den Städten aus Fenstern in die schmalen Gässchen hinuntergekippt und der täglich anfallende Müll wurde nur in wenigen Stadtvierteln ordnungsgemäß entsorgt; in den stinkenden Armenvierteln wartete man auf den nächsten Regen, der dann vielleicht den Dreck in die Kanäle spülte.

Die cloaca maxima in Rom Dennoch sind die schon früh in Rom getroffenen Maßnahmen zur Reinhaltung der Stadt bewundernswert, auch wenn sie in der Praxis nicht alle Bereiche abdecken konnten. Schon um 500 v.  Chr. wurde der Bau der cloaca maxima in Angriff genommen. Sie ist der älteste und zugleich bedeutendste aller Abzugskanäle Roms, durch welche die sumpfigen Niederungen zwischen den Erhebungen der Sieben­hügelstadt trockengelegt wurden. Titus Livius schrieb den Bau den beiden ­Tarquiniern zu. Tatsächlich ist die cloaca maxima das Ergebnis einer Reihe von Bauperioden. Begonnen hatte es mit der Regulierung und partiellen Überdeckung eines vom Esquilin zum Velabrum fließenden Baches. Die Einwölbung mit einem Ring aus Tuff- und Travertinblöcken erfolgte in der Zeit der späten Republik, nach ­Rudolf Gross nicht vor der Zeit Sullas. Die cloaca maxima nahm ihren Verlauf unter dem Augustusforum und dem Forum Romanum weiter zum Velabrum sowie danach unter dem Forum Boarium und mündete letztlich in den Tiber. In der Folge wurden auch die meisten übrigen offenen Gerinne unterirdisch verlegt, bis die meisten Wohngebiete an das Abwassersystem angeschlossen waren. Die öffentlichen Latrinen wurden ebenso wie die Straßen mit Überschusswasser aus den Fernwasserleitungen, aus Zwischenspeichern, öffentlichen Brunnen, Thermen und selbst Privathaushalten gespült. In vielen Straßen gab es oft künstlerisch gestaltete steinerne Kanalgitter, die das Regenwasser samt dem Straßenschmutz in die unter den Straßen verlaufenden Abwasserkanäle leiteten. Berühmtestes Beispiel ist zweifellos die „bocca della verità“ in Rom. In niederschlagsarmen hochsommerlichen Zeiten konnte durchaus tagelang, vielleicht sogar wochenlang, die Spülung ausgefallen sein, was zwangsläufig zu Geruchsbelästigungen geführt haben muss. Hinsichtlich der Abwasserentsorgung eiferten die Provinzstädte dem Beispiel Roms nach und es gibt kaum eine Stadt im einstigen Römischen Reich, in der keine Kanaldeckel gefunden und keine Kanalisation nachgewiesen werden konnte. Roms Fäkalien, der Straßenschmutz und die übrigen Abfälle wurden ungeklärt in

Siehe ­ Abbildungen S. 514–515

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den Tiber geschwemmt, in Lugdunum (Lyon) landeten die Abwässer in der Rhône, in Caesaraugusta (Saragossa) im Ebro und in Carnuntum (Petronell-Carnuntum, Bad Deutsch Altenburg) in der Donau.

Roms früheste Wasserversorgung erfolgte aus Quellen, aus Brunnen und aus dem Tiber. 441 Jahre lang nach der Gründung der Stadt waren die Römer mit dieser Wasserver­ sorgung zufrieden, schrieb Frontinus sinngemäß. Dann begann man mit dem Bau der ersten Wasserleitungen aus weiter entfernten Quellen in das Stadtzentrum. In republikanischer Zeit galt in Rom der Grundsatz, dass die gesamten in die Stadt geleiteten Wassermengen kostenfrei der gesamten Bevölkerung zur Verfügung standen. Dazu muss man wissen, dass die Wasserversorgung der Stadt Rom als eine gesamtheitliche Aufgabe seit dem Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts gesetzlich anerkannt war: Kein Privatmann darf anderes Wasser ableiten als das, was aus einem Brunnen­ becken auf die Erde fließt.

Siehe ­ Abbildung S. 517

In der Zeit der Republik wurde nur wenig Wasser für private Entnahmen genehmigt, lediglich den Betreibern von Badeanstalten und Handwerkern (Gerber, Tuchwalker) wurden Wasserkontingente zuerkannt. Selbstverständlich gab es auch schon damals Politiker, vor allem Senatoren, die es „sich richten konnten“ und wegen besonderer Verdienste um die Allgemeinheit von der Volksversammlung private Wassernutzungsrechte bewilligt bekamen. Unter Augustus nahm die private Inanspruchnahme von Wasser permanent zu. Zunächst wurden einigen Privilegierten Sonderrechte eingeräumt, doch bald wurden Gebühren beschlossen, die es Privaten ermöglichten, gegen entsprechende Entgelte aus Brunnen überfließendes Wasser für ihre Belange zu nutzen. Für die private Nutzung war eine Bewilligung des Kaisers erforderlich, und in der Folge wurde die Höhe der Gebühr für die Wasserlizenzen nach der Querschnittsfläche der Anschlussleitungen festgelegt.

Altrömisches Wasserbaurecht Die Versorgung der Stadt Rom mit Trink- und Brauchwasser unterstand seit ­Augustus einem curator aquarum, wie bereits am Ende des ersten Kapitels beschrieben. Frontinus verdanken wir unser Wissen um die damals bestehende Rechtssituation. Unter Nerva nahmen die wasserrechtlichen Bewilligungen durch den Kaiser zu. Die aus verschiedenen Leitungen in Rom ankommenden Wassermassen zu vereinigen, war eine Fehlentscheidung. Es war das Verdienst der Wasser-Kuratoren, die Wasserleitungen wieder nach deren Wasserqualität zu trennen, um die Bevöl-

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kerung einerseits mit exzellentem Trinkwasser und andererseits ausreichend mit Brauchwasser zu versorgen. Der Vergabe des Rechtes, Wasser abzuleiten war in der späten Republik den Censoren und im Falle von deren Vertretung den Ädilen vorbehalten. So durfte beispielsweise der Circus maximus selbst an den Tagen der Circusspiele nur mit der besonderen Genehmigung der zuständigen Beamten geflutet werden. Eine Bestimmung, die auch noch unter Augustus galt, obwohl die Zuständigkeit offiziell längst auf die Kuratoren übergegangen war.

Strafzahlungen für Wasserverschmutzer Laut dem aus der Zeit der römischen Republik stammenden Gesetzestext durfte niemand vorsätzlich Wasser verunreinigen, wo es zum Gebrauch der Öffentlichkeit floss: Wenn jemand es verunreinigt, beträgt die Strafe 10.000 Sesterzen. Um die erforderlichen Kontrollen vornehmen zu können, rekrutierten die kurulischen Ädilen für jedes Stadtviertel aus den Bewohnern je zwei Männer als Gutachter. Der vormalige Konsul Marcus Agrippa war der erste, der als ständiger ­Kurator der von ihm errichteten Bauwerke und Zierbrunnen fungierte. Dafür unterhielt er eine ihm gehörende Privatfirma, die für den ungestörten Betrieb der Wasserleitungen, Verteilerbauwerke und Brunnenbecken zuständig war. Als Augustus ­Agrippas Erbe antrat, verstaatlichte er dieses Privatunternehmen und schuf als Rechtsgrundlage für die Handlungsfähigkeit der zuständigen Beamten die erforderlichen Gesetze. Augustus fasste auch in einem Edikt zusammen, welche Rechte für die bestehenden Bezieher und für künftige gelten sollten. Daraus entstanden die kaiserlichen wasserrechtlichen Bewilligungen. Als Kurator wurde von ­Augustus mit Zustimmung des Senats ein gewisser Messala ­C orvinus (63  v.  Chr. bis 13  n.  Chr.) bestimmt, beigeordnet wurden ihm ein ehemaliger ­Prätor und ein S­ enator. Was Messala auszeichnete, ist nicht überliefert, jedoch der ­Senatsbeschluss: Wenn sich die Kuratoren der öffentlichen Wasserleitungen in amtlicher Eigenschaft außerhalb der Stadt aufhalten, so sollen sie je zwei Liktoren und je drei Staats­ sklaven, je einen Architekten, Schriftführer und Sekretär sowie ebenso viele Amts­ gehilfen und Ausrufer zur Verfügung haben wie diejenigen, durch die das Getreide an das Volk verteilt wird. Wenn sie aber innerhalb der Stadt irgendetwas in amtlicher Eigenschaft erledigen, steht ihnen mit Ausnahme der Liktoren das übrige Personal zur Verfügung […] Bemerkenswert an diesem Senatsbeschluss ist die Tatsache, dass sogar Lohn und Verpflegung der Beamten, ja selbst die Lieferung und Finanzierung von Tafeln, Papier und sonstigem Sachaufwand, der für die Ausübung des Amtes erforderlich ist, vom Senat geregelt und mit dem Hinweis auf die Hinzuziehung der Prätoren der Staatskasse versehen wurde.

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Um die öffentlichen Wasserleitungen und Rohre nicht zu beschädigen, gab es einen diesbezüglichen Senatsbeschluss, der besagte, dass die Kuratoren der Wasserversorgung darauf zu achten haben, dass Privatleute an geeigneten Stellen innerhalb und außerhalb der Stadt Verteilerbauwerke errichten können, das sie gemeinschaftlich aus einem Verteilerbauwerk von den Kuratoren der Wasserversorgung zugewiesen bekommen haben. Wem öffentliches Wasser gegeben wird, der hat kein Recht, in einer Entfernung von 50 Fuß von dem Verteilerbauwerk, aus dem er Wasser ableitet, ein größeres Rohr anzuschließen, als bewilligt ist.

Kein Erbrecht für Wasserrechte Das vom Kaiser bewilligte Wasserrecht ging weder auf den Erben noch auf einen etwaigen Käufer oder neuen Grundstückseigentümer über. Anders die Situation bei öffentlichen Bädern, denn diesen wurde ein einmal verliehenes Wasserrecht – solange sie bestanden – niemals aberkannt. Im Falle des Grundbesitzerwechsels wurden noch während des frühen Prinzipats die Wasserhähne zugedreht, doch seit Frontinus erschien es den Imperatoren menschlicher, eine Frist von 30 Tagen zu gewähren, binnen der die Betroffenen die Erneuerung der Bewilligung beantragen konnten. Damit nicht in zunehmendem Maße Überlaufwasser abgeleitet wurde, verfügte Kaiser Nerva, dass niemand dieses Wasser ableiten darf, wenn er nicht von ihm oder einem früheren Kaiser über eine diesbezügliche Bewilligung verfügt. Der Imperator begründete dies damit, dass ein gewisser Teil aus den Laufbrunnen und Verteilerbauwerken abfließen müsse, was nicht nur der Gesundheit Roms dienen, sondern auch den Nutzen haben sollte, die Abwasserkanäle zu spülen.

Bestechliche Prokuratoren und illegale Wasserentnahmen Obwohl offiziell nur geeichte Rohre verlegt werden durften, handelten viele Prokuratoren, Wasserverwalter und Nutznießer der vergrößerten Leitungen entgegen den gesetzlichen Bestimmungen, wie Frontinus bei seinem Amtsantritt feststellen musste. Korrupte Rohrnetzmeister schlugen nach Übertragung des Wasserrechtes auf einen neuen Besitzer mitunter neue Abflusslöcher in das Verteilerbauwerk, ließen aber das alte bestehen, um damit Wasser zu entnehmen, welches sie illegal verkaufen konnten. Zur Zeit des Frontinus bestanden zwei Organisationen zur Erhaltung der Wasserleitungen – eine staatliche mit 240 Mitarbeitern (finanziert aus der Staatskasse) und eine kaiserliche mit 460 Leuten (finanziert aus dem kaiserlichen Fiskus). Das Personal gliederte sich in Aufsichtsbeamte, Wärter von Verteilerbauwerken, Streckenläufer (für die permanente Begehung der Strecken im Hinblick auf Leckstellen oder illegale Einstiche), Pflasterer, Putzer und andere Handwerker. Wir wissen leider nicht, welche Summen für die Erhaltung der Organisationen und deren Maßnahmen aufgewendet werden mussten, erfahren aber von Frontinus, dass die

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Einnahmen für Wasserrechte in der Höhe von beinahe 250.000 Sesterzen zweckentfremdet verwendet wurden und zumindest in den letzten Regierungsjahren Domitians in dessen eigenen Taschen verschwanden.

Siehe ­ Abbildung S. 516

Senatsbeschlüsse über Wasserleitungsreparaturen Die hohen Kosten für die Erhaltung der Wasserleitungen begründet Frontinus u. a. mit dem Alter der Leitungen, mit Witterungsschäden auf Bogenbrücken, Beschädigungen der Abdichtungen sowie mit den Versinterungen der Rohre und Kanäle. Da die Wasserleitungen einerseits über Privatgrundstücke verlegt worden waren und die Grundeigentümer wiederholt Probleme beim Zugang, bei der Beschaffung von Material und durch Behinderung der Bauarbeiten machten, erließ der Senat schon zur Zeit des Augustus einen diesbezüglichen Beschluss: Wenn die Gerinne, Leitungen und Gewölbe, die Caesar Augustus dem S ­ enat auf seine Kosten wiederherzustellen versprochen hat, repariert werden sollen, dann sind von den Grundstücken privater Eigentümer Erdreich, Ton, Naturstein, Ziegel, Sand, Holz und alles übrige, was für die Reparatur erforderlich ist und woher es auf kürzestem Wege ohne Verletzung des Rechtes des Eigentümers abgebaut, genommen und abtransportiert werden kann, durch das Gutachten eines angesehenen Mannes zu schätzen, abzubauen, zu nehmen und abzutransportieren. Die für die Beförde­ rung dieser Baumaterialien und für die Reparatur benötigten Wege über die Grund­ stücke privater Eigentümer sollen ohne Verletzung von deren Rechten offenstehen und zur Verfügung gestellt werden. Eine Geldstrafe in der Höhe von 10.000 Sesterzen im Falle von Zuwiderhandlungen wurde all jenen angedroht, die sich nicht daran hielten, einen Schutzstreifen in der Breite von 15 Fuß beiderseits einer Quelle und eines Aquäduktes von Bauten und Bepflanzungen freizuhalten. Eine Hälfte des Betrages sollte der Anzeiger bekommen, die zweite der Staatskasse überantwortet werden. Illegales Anzapfen von Gerinnen, Leitungen, Gewölben, Rohrsträngen, Verteilerbauwerken oder Brunnenbecken der öffentlichen Wasserleitungen wurde mit 100.000 Sesterzen bestraft und darüber hinaus wurde der Verursacher dazu verdonnert, die Schäden auf eigene Kosten wiedergutzumachen. Wurde die Tat von einem Sklaven ausgeführt, so musste dessen Herr dem römischen Volk genannte 100.000 Sesterzen überantworten.

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Tiber Der Mündungspunkt der cloaca maxima. Ort: Italien, Rom, Tiber, Engelsbrücke Foto: Friedrich Jelinek

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Fäkalien, Straßenschmutz und übrige Abfälle wurden in nahezu allen Städten des Imperiums ungeklärt in die Flüsse ­geschwemmt. Ort: Österreich, Carnuntum (Niederösterreich), Hauptabwasserkanal Quelle: Der römische Limes in Österreich. Heft XII. Erschienen im Selbstverlag des Vereins Carnuntum. Wien, 1914

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Unter Kaiser Augustus wurden Gebühren für die private Wasserentnahme ­eingeführt. Quelle: Frontinus-Gesellschaft e. V. (Hrsg., 1989): Sextus Julius ­Frontinus, Wasserversorgung im antiken Rom. 4. Aufl. Oldenbourg-Verlag, München/Wien Foto: Rudolf Franz Ertl

Alles schon dagewesen: Titus Flavius Domitianus, zweiter Sohn des Vespasianus, der nach dem bis heute ­ungeklärten Tod seines Bruders Titus gegen den Willen ­eines Teils des Senats zum Kaiser proklamiert wurde, soll laut Frontinus Einnahmen aus den Wasserrechten zweckentfremdet verwendet haben. Quelle: Frontinus-Gesellschaft e. V. (Hrsg., 1989): Sextus Julius ­Frontinus, Wasserversorgung im antiken Rom. 4. Aufl. Oldenbourg-Verlag, München/Wien Foto: Helmut Leitner

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Im Laufe der Ausgrabungen zwischen dem 18. Jahrhundert und heute wurden im einstigen Legionslager Carnuntum mehrere öffentliche Bäder, Militär- und Privatbäder entdeckt. Die Grundmauern dieser Badeanlagen, unterschiedliche Architekturreste, Mosaike und zahlreiche Kleinfunde erzählen die Geschichte der antiken Badekultur im Römischen Reich. Rudolf Franz Ertl (Text) und Helmut Leitner (Fotos) beschreiben in diesem kenntnisreichen und üppig bebilderten Band nicht nur die Wasser versorgung und Abwasserentsorgung in der einstigen römischen Metropole am Donaulimes, sondern auch ganz allgemein die Geschichte der antiken Wasserbaukunst, der Wasserheiligtümer und der zahlreichen Thermen und Heilbäder mit ihren Ärzten, „Badern“ und Garküchen.

Rudolf Franz Ertl hat in seiner langjährigen Tätigkeit als Geologe, Tourismusmanager, Journalist und Buchautor unzählige geowissenschaftliche Publikationen und Drehbücher verfasst. Aktive Teilnahme an Grabungskampagnen (u. a. Zinkhütte Döllach/Kärnten), Ausstellungsgestalter (u. a. „Tauerngold“).

Helmut Leitner entdeckte schon früh sein Interesse an der provinzialrömischen Kultur und widmet sich seit vielen Jahren der Fotografie archäologischer Exponate, aber auch von Mineralstufen, Gesteinsproben und Fossilien. Spezialgebiet: MakroFotografie und Focus-Shifting.

ISBN 978-3-99012-953-1

www.hollitzer.at