Walter Friedlaender zum 90. Geburtstag: Eine Festgabe seiner europäischen Schüler, Freunde und Verehrer [Reprint 2021 ed.] 9783112414606, 9783112414590


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German Pages 270 [277] Year 1965

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Walter Friedlaender zum 90. Geburtstag: Eine Festgabe seiner europäischen Schüler, Freunde und Verehrer [Reprint 2021 ed.]
 9783112414606, 9783112414590

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Walter Friedlaender zum 90. Geburtstag

Walter Friedlaender zum 90. Geburtstag

Eine Festgabe seiner europäischen Schüler, Freunde und Verehrer

Walter de Gruyter & Co · Berlin vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung · J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer Karl J. Trübner · Veit & Comp.

1965

Herausgegeben von Georg Kauffmann und Willibald Sauerländer

Europäische Gelehrte haben diese Beiträge als Festgruß zum 90. Geburtstag von Walter Friedlaender am 10. März 1963 dargebracht. Die Drucklegung ist durch Zuschüsse des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, des Kultusministers von Baden-Württemberg, der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Freiburg i. Breisgau sowie durch das Entgegenkommen des Verlages Walter de Gruyter & Co., Berlin, ermöglicht worden.

Abkürzungen Actes

Actes du Colloque Nicolas Poussin (Centre National de la Recherche Scientifique), Paris 19 — 21 Septembre 1958, (1960), 2 vol.

BM

The Burlington Magazine

GdBA

Gazette des Beaux-Arts

JWCI

Journal of the Warburg and Courtauld Institutes

Die Kursivziffern am Rande verweisen auf die zu dem jeweiligen Beitrag gehörenden Abbildungen auf den Bildtafeln.

Europäische Gelehrte haben diese Beiträge als Festgruß zum 90. Geburtstag von Walter Friedlaender am 10. März 1963 dargebracht. Die Drucklegung ist durch Zuschüsse des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, des Kultusministers von Baden-Württemberg, der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Freiburg i. Breisgau sowie durch das Entgegenkommen des Verlages Walter de Gruyter & Co., Berlin, ermöglicht worden.

Abkürzungen Actes

Actes du Colloque Nicolas Poussin (Centre National de la Recherche Scientifique), Paris 19 — 21 Septembre 1958, (1960), 2 vol.

BM

The Burlington Magazine

GdBA

Gazette des Beaux-Arts

JWCI

Journal of the Warburg and Courtauld Institutes

Die Kursivziffern am Rande verweisen auf die zu dem jeweiligen Beitrag gehörenden Abbildungen auf den Bildtafeln.

Mit 48 Bildtafeln

ArchiT-Nr. 3543651 © 1964 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30. Printed in Germany Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu rervielfältigen. Satz und Druck: H. Heenemann KG, Berlin 31

Inhalt Seite

Michael Alpatov

Poussins Landschaft mit Herkules und Cacus in Moskau . .

Kurt Badt

Delacroixs Gedanken über Leidenschaft und Vernunft

9

Tafel

2— 5

(la vie et la raison) in den Künsten

21

Kurt Bauch

Zu Tizian als Zeichner

36

6

O t t o B e n e s c h -j-

Neue Beiträge zum Werk des Rubens

42

7—10

Jan Bialostocki

Mannerism and "Vernacular" in Polish Art

47

11 — 13

Anthony Blunt

Poussin and his Roman patrons

58

14—15

Heinrich Brauer

Bemerkungen zu Victor Orsel

76

16—17

Werner Gramberg

Guglielmo della Portas verlorene Prophetenstatuen für 79

18—19

L u d w i g H. H e y d e n r e i c h Der Palazzo Baronale der Colonna in Palestrina

85

20—23

Georg Kauffmann

Poussins „Primavera"

92

24—26

Hans Kauffmann

Die Schützenbilder des Frans Hals

101

Denis Mahon

A plea for Poussin as a painter

113

Marcel Röthlisberger

Gellee — Deruet — Tassi — Onofri

143

28—29

Willibald Sauerländer

Pathosfiguren im Oeuvre des Jean Baptiste Greuze

146

30—31

JeanSeznec

Falconet, Diderot et le Bas-Relief

151

32

John Shearman

Raphael's unexecuted projects for the Stanze

158

33—38

Charles Sterling

Eustache le Sueur peintre de portraits

181

39—42

Daniel Ternois

Ingres et le «Songe d'Ossian»

185

43—44

Jacques Thuillier

Les «Observations sur la peinture» de Charles Alphonse du Fresnoy

193

45

Zuschreibungen an Fran5ois Perrier

211

46—48

San Pietro in Vaticano

Walter Vitzthum

Bibliographie Walter Friedlaender (Zusammengestellt von Hilda Lietzmann)

217

27

Poussins Landschaft mit Herkules und Cacus in Moskau (Zum Problem der heroischen Landschaft) von Michael Alpatov Es ist schon ein halbes Jahrhundert vergangen seitdem Poussins Landschaften in W. Friedlaenders und O. Grautoffs Monographien gewürdigt wurden 1 . Das Wesentlichste von dem, was damals über sie gesagt wurde, hat seine Geltung bis jetzt nicht verloren. W. Friedlaender wies auf den Zusammenhang dieser Gattung mit der römischen Schule hin, hat aber auch ihre Eigenartigkeit erkannt. Mit Recht hat er darauf bestanden, daß bei Poussin nicht einzelne Natureindrücke, sondern sein ganzes Naturempfinden eine entscheidende Rolle spielte, nicht einzelne Naturstudien, sondern, wie auch in seiner figuralen Malerei, „una certa Idea". Die Natur existiert in Poussins Welt des Menschen wegen, sein Naturbild ist von anthropomorpher Art. Auch O. GrautofF hat das Vorherrschen des Figürlichen, die Bedeutung der Idee und die pantheistischen Neigungen des Meisters in seinen Spätwerken erkannt. Und wenn sein Vergleich zwischen Poussin und den deutschen Barockdichtern nicht völlig trifft, so war es doch richtig und fruchtbar, ihn aus dem Bann des akademischen Klassizismus zu befreien. Bezeichnend ist es, daß angesichts der Landschaften Poussins beide Verfasser an den damals noch nicht allgemein anerkannten Maler dachten, der Poussin „nach der Natur umgestalten wollte" 2 . Auch ihre Bewertungen einzelner Landschaften Poussins, im besonderen der beiden Bilder, die damals noch der Eremitage gehörten, haben ihre Bedeutung nicht verloren, obgleich ihnen mehr unmittelbare Eindrücke als systematische Forschungen zu Grunde hegen. Die Landschaften Poussins sind auch später mehrmals Gegenstand wissenschaftlicher Erörterungen gewesen, besonders 1925 im Zusammenhang mit einer großangelegten Ausstellung „Französische Landschaft von Poussin bis Corot" 3 und auch bei Gelegenheit einzelner Neufunde 4 . In allen diesen Fällen, sowohl wie auch in dem bekannten Buch von W. Weißbach über die französische Malerei des XVII. Jahrhunderts sind die Kriterien der Bewertung denen verwandt, die zum ersten Mal in den Werken von W. Friedlaender und O. Grautoff zum Vorschein kamen5. Eine tiefgehende Veränderung der Gesichtspunkte hat sich im Laufe der letzten dreißig Jahre vollzogen, am deutlichsten in dem Aufsatz von Prof. A. Blunt über die heroische und ideale Landschaft des N. Poussin 6 . Die reich dokumentierte und klar formulierte Studie des verdienstvollen Kenners der Poussin-Probleme bedeutet eine neue Stellungnahme zu diesen Fragen. Ohne Berücksichtigung und kritische Bewertung dieser Auffassung kann kein Schritt weiter in der Erforschung auch einzelner Werke Poussins gemacht werden.

1 W. Friedlaender, Nicolas Poussin. Die Entwicklung seiner Kunst, München 1914, 94. O. GrautofF, Nicolas Poussin, München 1 9 1 4 , 1 , 239. 2 A. Chastel, Poussin et la posterity, in Actes I, 306. 3 P. Alfassa, Poussin et le paysage in GdBA 1925,1, 265. 4 R. Fry, Pyramus and Thisbe by Ν. Poussin, in BM 1923, S. 53. 5 W. Weisbach, Französische Malerei des XVII. Jahrhunderts, Berlin 1932, 321. 6 A. Blunt, The Heroic and the Ideal Landscape of Nicolas Poussin in JWCI VII, 1944, 154.

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Michael A l p a t o v

Die Begriffe der heroischen und idealen Landschaft waren schon viel früher anläßüch Poussins verwendet worden. A. Blunt stellte sich nicht die Aufgabe, diese Begriffe zu überprüfen und näher zu bestimmen. Seine Hauptaufgabe sah er in der Klassifizierung des gesamten Materials nach diesen beiden Richtungen. Seinen Ergebnissen zu Folge sollte Poussin 1648—1651 heroische Landschaften geschaffen haben, wogegen er nach einer siebenjährigen Pause von 1658—1665 ideale Landschaften schuf. Nach A. Blunts Anschauungen sollen der heroischen Landschaft etwa zehn Bilder zugerechnet werden, darunter auch die beiden Bilder der Eremitage. Aber besonders die Phokionbilder Poussins scheinen geeignet, um sich von der ganzen Gattung eine Vorstellung zu machen. Der Grund dazu ist der, daß diese Landschaften als Wirkungsraum des heldenmütigen athenischen Feldherrn dienen. Während der Verfasser das Leben des Phokion und sein Schicksal nach seinem Tode Plutarch folgend ausführlich nacherzählt, bemüht er sich, die ihnen zu Grunde liegenden Ideen in Poussins Werken zu erkennen. Indem er mehrere Äußerungen von Charron, du Vair und ihren Zeitgenossen anführt, meint er, die von Poussin vertretenen Anschauungen zu erraten. Diese Moral- und Zivilanschauungen Poussins werden durch den Einfluß erklärt, den seine Gönner, Repräsentanten der „noblesse de robe" auf ihn ausübten. Eine Anspielung auf die unlängst stattgefundene Fronde wird in beiden Bildern erkannt, dabei aber auch die Bemühungen des Künstlers beachtet, eine getreue Wiedergabe der antiken Bauten zu geben. Was die Gestaltung der Phokion-Landschaften anbetrifft, so soll das Hauptziel des Meisters eine mathematische Klarheit im Aufbau des Raumes gewesen sein. In all dem werden Anzeichen des berüchtigten Rationalismus Poussins, seiner Verwandtschaft mit Descartes erkannt7. Nach der Anschauung von A. Blunt macht das Vorherrschen des Rationellen, des Erdachten und des bewußt Konstruierten die Phokionbilder zu den reinsten Beispielen der heroischen Landschaft. Die Spätwerke Poussins, wie Orion, Geburt des Bacchus, die Vier Jahreszeiten und sein letztes unvollendetes Bild Apollo und Daphne werden als Repräsentanten der idealen Landschaft behandelt. An Stelle des früheren Didaktismus kommt in ihnen Kontemplation und philosophische Meditation im platonischen Sinn zur Geltung. Anstatt des cartesianischen Rationalismus soll Poussin im Alter sich dem Pantheismus von Campanella angeschlossen haben, besonders seiner Verehrung der Sonne als Naturkraft 8 . Was die Gestaltung dieser Bilder anbetrifft, so stellen sie nach A. Blunt Kombinationen von Mythen und Allegorien bestimmter Naturkräfte dar. Diese Anschauung stützt sich auf eine Reihe moderner ikonographischer Studien über die literarischen Quellen Poussins. Vergleicht man diese Auffassung mit dem Stand der Poussin-Forschung zu Anfang unseres Jahrhunderts, so wird ein Fortschritt in der Erkenntnis seiner Ideenwelt und seiner Quellen unverkennbar. Es handelt sich nun nicht mehr um allgemeine Vorstellungen, die auf intuitivem Wege entstanden sind, sondern um streng argumentierte Ergebnisse einer skrupulösen wissenschaftlichen Untersuchung. A. Blunts Konzeption ist beweisführend, klar, folgerichtig, argumentiert, bestechend sachlich. Kein Wunder, daß sie als letztes Wort der Poussin-Forschung allgemeine Anerkennung gefunden hat. Nur in dem kurzen, aber höchst anregenden Vortrag über die «paysages composes» Poussins, den Prof. Francastel auf dem Colloque Poussin gehalten hat, ist die Meinung angedeutet, daß diese Ansichten nur mit großem Vorbehalt annehmbar seien®. Einzelne Einwände hat auch S. Licht in seiner Dissertation gemacht, obgleich er sich im wesentlichen der Klassifizierung der Landschaften von A. Blunt anschließt10. Es scheint an der Zeit, diese moderne Interpretation Poussins zu überprüfen. Es handelt sich dabei nicht um Meinungsverschiedenheiten über Einzelheiten, sondern um Widersprüche von grundlegender Bedeutung. 7 A. Blunt, Art and Architecture in France, Baltimore 1954, 193. Über Poussins Werke "lacking in attraction to the eye and appeal to the emotions only through the mind and the reason". 8 A. Blunt, Introduction, Etat present des itudes sur Poussin, in Actes, I, Χ XIII. 9 P. Francastel, Le paysage compose chez Poussin, in Actes, 1,201. 10 S. Licht, Die Entwicklung der Landschaft in den Werken von Ν. Poussin, Basel-Stuttgart 1954, 69.

Poussins Landschaft mit Herkules und Cacus in Moskau

11

Vor allem soll die Frage gestellt werden, ob die Einteilung der Landschaften Poussins in zwei Gruppen so hart, wie sie vorgeschlagen wird, haltbar ist. Gegen sie spricht vor allem die Tatsache, daß auch Landschaften, die vor 1648 entstanden sind, wie die mit dem Johannes und die mit dem Matthäus, mit vollem Recht zu den heroischen gerechnet werden können. Andererseits ist der Unterschied zwischen der Landschaft mit Poljphem und dem Bild Apollo und Daphne nicht gewichtig genug, um sie zwei verschiedenen Gattungen zuzuschreiben. Es ist auch nicht zu verkennen, daß den angeblich heroischen Landschaften das Ideale, den idealen aber das Heroische nicht fehlt. Eine Klassifizierung von Kunstwerken ist eigentlich stets eine Übertragung der Linneschen Prinzipien der Naturwelt auf das Gebiet der geistigen Werte. Solch eine Übertragung droht das Begreifen von Kunstwerken zu verhindern, wenn abstrakte Begriffe wie ein Netz auf die Tatsachen geworfen werden. Und das ist der Fall hinsichdich der angeblichen Landschaftsgattungen bei Poussin, weil die bedingungslose Annahme der letzteren uns von einer Betrachtung der Besonderheiten einer jeden von ihnen ablenkt. Der zweite Einwand betrifft die Bewertung der Landschaften mit Phokion. Ist es berechtigt, diese Bilder als bedeutendste Beispiele der heroischen Gattung nur deswegen zu betrachten, weil in ihnen das Schicksal eines Mannes dargestellt ist, der als Beispiel der höchsten bürgerlichen Tugend gilt? Grautoff hat mit Recht betont, daß nicht jedes Bild, in dem es sich um einen Helden handelt, der heroischen Gattung zugerechnet werden sollte. Die Betrachtung des Sujets, des Didaktischen als des für die Bewertung eines Bildes entscheidenden Kriteriums hat zur Folge, daß der Künstler zu einem Erzähler, einem Illustrator herabgesetzt wird. Das heißt aber, zu den Anschauungen der Akademiker des 17. und 18. Jahrhunderts zurückkehren 11 . Der Versuch von A. Blunt, durch die Betrachtung der Phokionbilder Poussins Werk mit der historischen Gegenwart in Verbindung zu bringen ist wertvoll und fruchtbar. Aber die Erklärung des heroischen Themas durch die Wirkung, die seine Auftraggeber auf ihn gehabt haben, hat eine Unterschätzung der Rolle des Schöpfers selber zur Folge 12 . Eine Übertreibung ist auch die Behauptung, Poussin wäre ein folgerichtiger Gegner der Demokratie, und der Versuch, die monarchistische Aussage des Vaters der Horatier bei Corneille zur Erläuterung der Gesinnung Poussins zu verwenden. Zwar hat Poussin die Blindheit der empörten Menge getadelt, aber so äußerten sich auch viele andere seiner Zeitgenossen und noch früher Shakespeare. Das schließt nicht aus, daß der Künstler liebevoll den einfachen Menschen verewigte und in der Landschaft mit Poljphem den fleißigen Landmann. Andererseits behauptet Fenelon, daß in dem Phokionbild ein Haus einem Reichen gehört, dem die bürgerlichen Tugenden fehlen13. Alles Gesagte gibt zwar keinen Schlüssel zum Verständnis der sozialen Anschauungen des Künstlers. Als ein folgerichtiger Vertreter der Ideologie seiner Auftraggeber ist er aber nicht zu betrachten. Beide Phokionbilder sind gut dazu geeignet, eine Vorstellung von Poussins Anschauungen in den 40er Jahren zu vermitteln. Bekanntlich hat der Künstler selber sein Urteil Salomons besonders hoch geschätzt. Das soll aber nicht bedeuten, daß der Kunstforscher nur auf diese Bilder seine Vorstellung von der Kunst Poussins gründen darf. Was die archäologische Genauigkeit in der Wiedergabe der antiken Bauten in den Phokionbildern anbetrifft, so ist sie für den modernen Menschen von relativer Bedeutung und in der Bewertung des Bildes nicht entscheidend14. Die Gestaltung beider Bilder ist tatsächlich fast mathematisch genau, darin liegt ihre Schwäche gegenüber den anderen heroischen Landschaften. Was den Cartesianismus Poussins anbetrifft, so bestimmt er nur eine Seite seines vielseitigen Werkes. Als ein Rationalist und nur als solcher kann er nicht betrachtet werden. Der Zeige-

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H. Jouin, Conferences de l'Acadcmic Royale, Paris 1883, 53. P. Gaudibert, Nicolas Poussin et le Νέο-Stoicisme, Europe 1957, 27. Fenelon, Dialogue sur l'eloquence, Paris 1866, 419. Weiteres über Poussins archäologische Kenntnisse: M. Demsey, Poussin and Egypt, in „ A r t Bulletin" 1963, 109.

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Michael A l p a t o v

finger, mit dem Bernini auf seine Stirn wies, um die Bedeutung des Bewußten in der Methode des Meisters zu betonen, darf nicht als endgültige Bestimmung seiner reichen Künstlernatur gelten. Und wenn uns auch genug Äußerungen des Meisters zur Verfügung stehen, in denen er die Bedeutung des Verstandes pries, so sind auch seine Worte über Virgils „goldenen Zweig" nicht zu vergessen. Offen gesagt bedeutet der Versuch, das Wesen der heroischen Landschaft Poussins auf Grund der Phokionbilder zu bestimmen, die Gefahr, um einer erstrebten streng wissenschaftlichen Kennerschaft und philologischen Genauigkeit willen das Bedeutendste in Poussins Werk, die Poesie seines Schaffens, zu versäumen. Unzweifelhaft hat sich Poussin als ein tiefer Denker offenbart. Das soll aber nicht heißen, daß dieses Tiefsinnige in seinem Werk nur seiner Bekanntschaft mit bestimmten Texten zu verdanken ist, seiner Belesenheit, seiner Abhängigkeit von den auf rationalem Wege ausgearbeiteten philosophischen Grundsätzen. Im Gegenteil, Poussin erreichte das Höchste dann, als er mit dem Pinsel in der Hand in seinem Werk Probleme behandelte, die auch zeitgenössische Denker und Schriftsteller beschäftigten 16 . Die fruchtbarsten Ideen waren ihm nicht von außen eingeflüstert, sondern von ihm selber ausgearbeitet worden. Die malerische Ausführung hatte bei ihm keine nur untergeordnete Bedeutung, nur mit ihrer Hilfe konnte er sich äußern. Es ist demzufolge unmöglich, Poussins Anschauungen auf bestimmte Sentenzen zu reduzieren. Vieles wurde von ihm nur geahnt, aber Vieles hat er selber gefunden. Offenbar hat Hazlitt diese Kraft seines Genius gemeint, wenn er von "his own thoughts" und von "his fictions" sprach16. Es ist nicht die Aufgabe dieses Aufsatzes, die späten sog. idealen Landschaften Poussins zu betrachten. Es sei nur bemerkt, daß auch in der Behandlung dieser Werke neue Tendenzen zum Vorschein kamen. Man hat überzeugend zu zeigen vermocht, daß Poussin bestimmten bis jetzt nicht beachteten Texten folgte. Den Forschern ist es gelungen, in seinen Spätwerken Anspielungen auf einen gelehrten Allegorismus zu erkennen. Der Künstler erscheint infolgedessen mehr als ein belesener Gelehrter denn ein erfinderischer Favoleggiatore 17 . Im Alter ist bei Poussin eine gewisse Neigung zur Allegorie erwacht, was auch bei dem späten Vermeer der Fall gewesen ist. Es besteht aber ein tiefer Unterschied zwischen der kalt erdachten Allegorie der Kirche im New Yorker Bild des großen Holländers und seinem vieldeutigen, eigentlich symbolischen Wiener Bild Der Künstler in seinem Atelier, in dem der zweite Sinn selbst aus der malerischen Gestaltung des Stoffes entsteht18. Eine ähnliche Unterscheidung wäre auch in dem Spätwerk Poussins zu machen. Seine Geburt des Bacchus ist mehr erdacht, als gestaltet, wogegen in dem unvollendeten Bild Apollo und Daphne mehr seine Einbildungskraft sich äußert. Es ist deswegen kaum berechtigt, das Bild nur als einen Bericht über die Leiden des Apollo oder als Sinnbild der Fruchtbarkeit und der Sterilität zu erklären19. Die Mitte des Bildes mit der Herde, den fernen blauen Gebirgen und den sich ballenden Wolken ist unabhängig von mythologischer Gelehrsamkeit und allegorischen Anspielungen so gestaltet, daß man in jedem Gegenstand, in allen Formen und Farben die Naturkräfte versinnlicht zu erkennen glaubt, die auch Cezanne in seinen Studien der Montagne Sainte Victoire leidenschaftlich suchte. W. Sauerländer ist es gelungen, in den berühmten Jahreszeiten Poussins den typologischen Sinn der ganzen Reihe in überzeugender Weise zu entziffern20. Offenbar wurde das Programm für Poussin von einem gelehrten Jesuiten ausgearbeitet. Es ist aber kaum möglich, zu behaupten, daß der eigent15 G. Bazin, Priface, Exposition N. Poussin, Paris 1960, S. 20 «Poussin n'itait pas un peintre illustrateur, mais un peintre penseur». 16 Zitiert von A. Blunt in: The Heroic and the Ideal Landscape, S. 168, aber eigentlich widerspricht die Aussage Hazlitts der Auffassung des Verfassers. 17 G. Bazin, a. a. O., 23 «La valeur intellectuelle ou symbolique n'existe que par rapport ä la quality artistique». 18 Η. Sedlmayr, Der Ruhm der Malkunst. Epochen und Werke, Wien-München 1960, 107. 19 E. Panofsky, Poussins Apollo and Daphne in the Louvre, in „Bulletin de la 5 ο α ε ΐ έ Ν. Poussin" III, 1950, 27 (dem Verf. unzugänglich). 20 W. Sauerländer, Die Jahreszeiten in, „Münchner Jahrbuch" 1956, 169.

Poussins Landschaft mit Herkules und Cacus in Moskau

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liehe Sinn dieser Reihe das Schicksal der Kirche bedeute; dies ist um so mehr unmöglich, da die Verwandschaft des Frühlings und des Herbstes mit der Welt des antiken Mythos nicht zu verleugnen ist. Mit Recht hat der Verfasser der zitierten Interpretation das besondere Verdienst des Künstlers darin erkannt, daß das ihm eingeflößte Programm sich gut mit der Darstellung der Natur verschmelze. Die Deutung des Orion als Allegorie der Naturkraft der Sonne mit einem Hinweis auf das Werk des Natale Conti wurde von E. Gombrich gegeben21. Aber auch diesmal kann das Bild nicht bloß als Illustration zu dem betreffenden Text gelten. Der Künstler hatte selber im Aufbau des Bildes eine Lösung des ihn fesselnden Problems „Mensch und Welt" gesucht. Die Zusammenstellung des übergroßen Riesen mit den Bäumen und den winzigen Gestalten brachte ihn zu einer plastischen „Idee", die eigentlich dem Herbste verwandt ist, obgleich die allegorische Grundlage in beiden Fällen grundverschieden ist. Diese dürftigen Hinweise erheben nicht den Anspruch, eine Erklärung der Spätwerke Poussins zu geben. Sie sollen nur darauf verweisen, daß auch in den Fällen, wo bestimmte literarische Quellen vorhanden sind, eine eingehende Betrachtung der malerischen Werte der Bilder für ihre Ausdeutung nicht zu versäumen ist. Nur dann kann die nun anerkannte Vieldeutigkeit der Bilder Poussins in ihrem vollen Umfang gewürdigt werden. Die Landschaft mit Herkules und Cacus, die zusammen mit der Landschaft mit Polyphem im XVIII. Jahrhundert in die Eremitage gelangt ist und seit 1930 sich in Moskau befindet, gehört zu den bekanntesten Werken Poussins. Die Reinigung, der das Bild unlängst unterzogen wurde, erlaubt nun die hervorragende malerische Qualität dieses Meisterwerkes zu bewerten. Auf der Jubiläumsausstellung von 1960 in Paris hat es in der Nachbarschaft mit anderen Meisterwerken Poussins nichts von seinem Reiz verloren. Leider läßt sich das Bild wegen seiner ungewöhnlich großen Ausmaße und den feinen Farbvaleurs schwer reproduzieren. Der Verfasser hat das Bild neu aufgenommen, um eine genauere Vorstellung von seiner Qualität zu geben. Das Moskauer Bild ist der Kunstforschung längst bekannt22. Einzelne treffende Bemerkungen über dieses Spätwerk Poussins sind in der Fachliteratur zerstreut. O. Grautoff würdigte in ihm das Drohende der zackigen Gebirge und das Verästelte in den Bäumen, die an dem steinigen Fluß entlang zu kriechen scheinen. Er hat auf die Verwandschaft der Gestalten mit Corot hingewiesen23. A. Blunt hat mit Recht in dem Fehlen an architektonischen Motiven in diesem Bild eine Vorahnung der späteren sog. idealen Landschaften gefunden24. W. Weisbach betont die Verwendung von Augenerlebnissen aus der Gebirgsgegend, die dem heroischen Vorgang entspricht. Er machte auch auf die Anwesenheit von heroischen und lyrisch-elegischen Motiven im Bilde aufmerksam25. S. Licht gibt eine eingehende Beschreibung des Bildes. In den Gestalten der Nymphen erkennt er eine Kurve, die zu den Männern nach oben führt. Weniger überzeugend wirkt seine Zusammenstellung dieses Bildes mit Breughels Ikarus™. H. Bardon berührt das Verhältnis des Bildes zu dem Bericht über den Sieg des Herakles bei Virgil 27 . N. Nersesov sieht in dem legendären Vorgang einen Vorwand, um die Natur als Mutter der Menschheit zu verewigen. Das ganze Bild ist, nach seinen Worten, auf eine allmähliche Betrachtung berechnet.28 In allen diesen Fällen wird das Moskauer Bild als Glied einer Reihe von anderen Landschaften Poussins behandelt. Die genannten Verfasser aber hatten keine Gelegenheit, in eine eingehende Besprechung dieses Bildes einzutreten.

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E. Gombrich, The subject of Poussins Orion, in BM 1944, 37. Literatur in Exposition N. Poussin, Paris 1960, 134. O. Grautoff, a. a. O., 256. A. Blunt, a. a. Ο., 168. W. Weisbach, a. a. Ο., 328. S. Licht, a. a. Ο., 155. Η. Bardon, Poussin et la littcraturc latine, Actes I, 130. N. Nersesov, N. Poussin, Moskau 1961, 14.

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Michael Alpatov

Bevor das Moskauer Bild entsprechend der Auffassung des Verfassers erläutert wird, sei zunächst angedeutet, wie es entsprechend der heutigen Art zu behandeln wäre. Inwieweit es der heroischen Gattung zuzurechnen ist, wäre vor allem zu erörtern, wie der heroische Vorgang in den Schriftquellen der Antike und in den Werken der neueren Zeit dargestellt wurde. Wenn es sich dabei erwiesen hätte, daß im Bilde Poussins nicht alles durch Virgil erklärbar ist, wären Untersuchungen zu unternehmen, um seine eigentlichen literarischen Quellen zu entdecken. Es wäre auch erforderlich, den Sieg des Herakles als Vorwand zur Würdigung der Tugend des poussinischen Helden zu erklären. Das Bild wurde für Pointel ausgeführt, demzufolge wäre noch zu untersuchen, welche Wirkung der Gönner auf die Ausarbeitung des Programms ausübte. Selbstverständlich wäre es auch notwendig, die Merkmale des Rationalismus im Aufbau und in der Ausführung des Bildes nachzuweisen. Die Verbundenheit der Legende mit Rom könnte noch Anlaß zu Untersuchungen über mutmaßliche Eindrücke des Künstlers in der Umgegend der ewigen Stadt geben. Eine Erläuterung des Moskauer Bildes von diesen Gesichtspunkten aus wäre geeignet, die übliche Vorstellung von der heroischen Landschaft Poussins und vom Wesen seiner Methode zu bekräftigen. Betrachtet man aber unvoreingenommen dieses herrliche Meisterwerk, so muß man bekennen, daß diese Gesichtspunkte nicht ausreichen, um das Wesentliche an ihm zu begreifen. Unzweifelhaft geht die Fabel des Moskauer Bildes auf den VII. Gesang der Aeneis zurück. Die Abhängigkeit des Künstlers vom Dichter bezieht sich ebenso auf die Schilderung der Heldentat, wie auch auf manche Einzelheiten des Ambientes, wie etwa die Höhle des Riesen, die Felsen, den Fluß im Tal, die Ochsen und die Keule in der Hand des Siegers. Poussin aber weicht von seinem Vorbild ab. Virgil gibt einen ungekünstelten, naiven Bericht eines Zeugen wieder. Der Sieg des berühmten Helden über das Monstrum ist eine Vorahnung einer Drachensiegerlegende. Alles was vorgeht und der Schauplatz der Handlung flößen dem Berichter ehrfürchtige Schauer und Furcht ein. Bei Poussin ist die Gegend nicht so unzweideutig schrecklich, der Dampf wird überhaupt übergangen, der Riese ist kein behaartes Monstrum, kein Halbtier, sondern ein Menschenwesen, dem Helden ähnlich. Man kann behaupten, daß das Bild Poussins eine eigenständige Legende aus sich erzeugt. Auch ist das Geschehen von einem ganz anderen Standpunkte aus betrachtet. Kein schlichter Bericht eines Zeugen, sondern eine tiefsinnige Betrachtung der rühmenswerten Tat. Das Moskauer Bild ist gewiß kein Erzeugnis eines kalten Rationalisten, sondern das Werk eines Künstlers, der seine gesamte geistige Kraft darauf verwendet hat, um tief in das Wesen der Dinge einzudringen. Vorbereitende Zeichnungen zum Moskauer Bild sind unbekannt. Aber aus Zeichnungen zu dem Londoner Bild Cadmus oder die Landschaft mit der Schlange kann man ersehen, daß der Künstler zuweilen zuerst die Komposition der Landschaft ohne Gestalten ausarbeitete um die letzteren später in das Bild einzufügen 26 . Das soll keinesfalls heißen, daß Gestalten für den Künstler nur Staffage bedeuteten, wie es für Landschaftsmaler gilt, die die Ausführung der Gestalten anderen Malern anvertrauen. Das bedeutet eher, daß Poussin schon im Naturbild eine bestimmte Gestalt suchte, zu der später eine adäquate Handlung hinzukommen soll. Diese Vermutung sei erwähnt, um zu rechtfertigen, wenn wir bei Betrachtung des Moskauer Bildes zuerst von den Gestalten abstrahieren und uns auf die Landschaft konzentrieren. Dem Moskauer Bild liegt eine ausgesprochene Dreiteilung zu Grunde. Ein riesiges felsiges Gebirge ragt steil empor und nimmt den Hintergrund, fast die ganze obere Hälfte der Bildfläche ein. Dieser Felsen ist bedrohlich aufragend, wie von Eruptionskraft durchdrungen. Er ist vollständig kahl und hebt sich durch seinen blaß-rosigen Ton hervor. Von ganz anderer Art ist das Tal mit dem wasserreichen Fluß, das die Mitte der Bildfläche einnimmt. Die Hügel sind von sanften Kurven umrissen, fast völlig mit dichtem Laub bedeckt. Dazu gehört auch der wasserreiche Fluß, in dem sich die Bäume spiegeln. Endlich, was den Vordergrund anbetrifft, so ist er etwas hervorgehoben. Um diesen Vorder-

29 J. Shearman, Les dessins de paysages de Poussin, Actes, I, 179.

Poussins Landschaft mit Herkules und Cacus in Moskau

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grund von der sich ausbreitenden Aussicht abzugrenzen, ist noch am Rande des Bildes links ein dunkler Hügel mit einem dürren Baum angebracht, der sich gegen den hellen Himmel abzeichnet. Er ist dem felsigen Gebirge und dem saftigen Laub der Bäume gegenübergestellt. Diese räumliche Struktur des Bildes entspricht dem Vorgang, wie ihn sich Poussin vorstellte. Der kahle, hohe Felsen ist der Ort wo sich die Heldentat vollzieht. Er dient als mächtiges Postament, auf dem die statuenhaften Gestalten der beiden Kämpfer ruhen. Die nackten Körper entsprechen in der Färbung den Felsen und der Erde, der Körper des Siegers ist rosiger, der des Toten blässer. Beide gehören in den Bereich der Heldentat. Die Mitte des Bildes ist das Gebiet der Menschen, ein Bereich des Lebens, der Vegetation, des Friedens, des Alltags. Hier ist ein Boot mit den Fischern zu sehen, in der Tiefe der Bucht badende Frauen. Hier ist mehr Bewegung, mehr Räumlichkeit. Das Proszenium im Bilde ist dem Gott und den Nymphen angewiesen. Es sind halbnackte klassisch schöne Gestalten, die auf das Geschehen wenig reagieren und in einer unerschütterlichen Ruhe ihm beiwohnen. Neben ihnen ein Stilleben, eine Vorahnung Chardins 30 . Es sind drei Naturgebiete, drei Wirkungskreise dargestellt in denen Götter, Helden und Sterbliche verweilen. Diesen drei Regionen entspricht auch die Haltung der Gestalten: oben ist Herakles stehend seinem Spiegelbild, dem gestürzten Cacus, konfrontiert; dagegen sind die Menschen tätig und bewegen sich heftiger; endlich der Gott und die Nymphen sind sitzend und liegend dargestellt. Diese drei Gebiete erinnern in gewissem Sinne auch an die verschiedenen Arten künstlerischer Gestaltung, an die von dem Künstler selber erwähnten „modi", den düsteren, dorischen, den angenehmen lydischen und den freudigen jonischen. In der Klarheit, mit der diese Einteilung des Bildes durchdacht und gestaltet ist, kann man die Klarheit des Bewußtseins des Künsders erkennen. Sein Werk kann aber keinesfalls als ein Produkt der kalten Berechnung betrachtet werden. Hier soll sofort noch auf eine bedeutende Besonderheit dieses Bildes hingewiesen werden, durch die die grundlegende Dreiteilung bereichert wird. Es ist bekannt, daß Poussin in seinen Historienbildern sich bestimmter Motive bediente, die er auf verschiedene Art in verschiedenen Bildern verwendete. Man erkennt bei ihm oft Gruppen oder Gestalten, die aus einem in andere Bilder übersiedeln. Dies kann nicht durch Erfindungsarmut des Künstlers erklärt werden. Bestimmte besonders ausgeprägte Sätze kommen auch in Werken der größten Komponisten, wie Bach und Mozart, mehrmals wieder. In einer neuen Zusammenstellung erhalten sie einen neuen Sinn. Möglicherweise hatte der Künsder die Rolle des Kontextes im Auge, wenn er behauptete, daß das Neue in seinem Bilde in der neuen Disposition seiner Elemente bestehe. Im Moskauer Bild befindet sich eine Zusammenstellung (nach der heutigen Filmterminologie eine Montage) von mehreren Landschaftsmotiven, die man vereinzelt in anderen Werken Poussins und auch bei anderen Künsdern vorfindet. Diese Behauptung soll natürlich nicht wörtlich verstanden werden. Es handelt sich nicht um eine gedankenlose Summierung von Elementen. Das Bild aber ist so gestaltet, daß man aus ihm leicht mehrere geschlossene und reizende Bildkader herausschälen kann. Wir haben Detailaufnahmen des Bildes hergestellt, von denen fast eine jede wie ein selbständiges Bild aussieht. Hier sollen die bedeutendsten Bestandteile angegeben werden. Links eine Aussicht auf ein fernes blaues Gebirge, eine Stadt und eine Mauer umrahmt von zwei Kulissen, wie man sie auch bei Claude Lorrain öfter trifft. Diesem Kader entspricht oben rechts eine Pastorale in niederländischer Art, mit fetten Rindern auf der Weide, die schwer wie Steine auf der Erde ruhen. Hier denkt man auch an die Eclogen Virgils, an das „mugitusque boum". Zwei Landschaften sind auch der Mitte zu entnehmen, die Gegenstand wenn nicht von Bildern, so doch von Zeichnungen sein könnten. Einmal zwei stämmige Bäume mit ausgebreiteten Ästen am Ufer, die ein leise gleitendes Boot umschatten und sich im Wasser widerspiegeln. Das andere Mal ein Gesträuch von etwas geneigten Bäumen, hinter denen sich das ferne Ufer öffnet. Diesen Landschaftsaussichten werden zwei Figurengruppen gegen-

30 Ζ. B. das Küchenstilleben Samml. Rothschild, G. Wildenstein, Chardin, Paris 1933, Taf. L X X X V I I I , Abb. 120.

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übergestellt: unten eine geschlossene Reliefkomposition des ruhenden Flußgottes und der vier Nymphen, oben vor der schwarzen Höhle — der Halbgott mit dem besiegten Feind zu seinen Füßen. Zu den einzelnen Bildausschnitten des Moskauer Bildes lassen sich manche Parallelen in dem Werk Poussins finden. Das soll aber nicht heißen, daß dieses Bild wirklich aus einzelnen Naturausschnitten zusammengestückelt sei. Es heißt nur, daß es nicht, wie manche andere Landschaften des Meisters, aus einem Motiv abgeleitet werden kann. Es ist eine typische « paysage compose », wie man Bilder dieser Art schon von altersher nannte. Ein Gegenbeispiel zu diesem Werk darf noch erwähnt werden: die Landschaft von Rubens in der Eremitage. Auch dort werden im Rahmen eines Bildes drei verschiedene Landschaften zusammengestellt. Es ist dreiteilig, wie ein Tryptichon. Ein breites Mittelbild mit dem steckengebliebenen Karren ist von zwei Flügeln umrahmt, mit einem düsteren Notturno und einem heiteren Mittagsbild. Das Moskauer Bild ist nicht so scharf zergliedert, nicht so ausgewogen wie dasjenige von Rubens. An reizenden Landschaftsmotiven ist der mittlere Teil des Bildes besonders reich. Deren Mannigfaltigkeit nähert Poussin dem 17. Jahrhundert in Frankreich verbreiteten Naturgeschmack. In Mme Scuderys mondänem Roman „Clelie" wird mit besonderem Entzücken über die Aussichten aus einem Palast berichtet. «Mais ce qu'il y a d'admirable en ce cabinet, c'est qu'il est ouvert de trois faces et qu'en entrant on decouvre tout d'un coup trois vues merveilleuses et differentes dont la moindre des trois suffirait ä rendre un palais tres delicieux» 31 . Das Moskauer Bild bereitet dem Auge des Betrachters eine seltene Freude. Er entdeckt unter dem bedrohend hohen Felsen entzückende schattige Ecken, in denen er gerne verweilen würde. Dabei hat das ganze Bild wenig mit der in der französischen Kunst verbreiteten Auffassung der Natur als eines Paradieses gemein. Vielbildlichkeit ist aber weitaus nicht die entscheidende Besonderheit des Moskauer Bildes. Viel bedeutender ist die Tatsache, daß in diesem Bilde Poussins kein Gegenstand und keine Aussicht vollständig und bedingungslos dominiert. Beim ersten Anblick fragt man sich: wer ist die Hauptperson? Aus der Fabel weiß man zwar, daß es Herakles ist, aber im Bilde fallen zuerst die Nymphen ins Auge; Herakles muß man aufsuchen (fast wie den Ikarus bei Breughel) 32 . Herakles steht auf einem hohen Felsen in der Mitte des Bildes, und dadurch wird er im gewissen Sinne hervorgehoben, aber dem Vorherrschen des Felsens leistet die helle blaue Ferne links im Bilde Widerstand. In einigen früheren Werken Poussins, wie ζ. B. Die Rettung des jungen Pjrrhus im Louvre, richtet sich die Bewegung der Hauptgestalten gegen die helle Ferne links, die auch den Blick des Betrachters an sich zieht. Noch in den 40er Jahren fällt in den Bildern Poussins die Stellung der Hauptperson mit der Mittelachse des Bildes zusammen. Besonders typisch für Poussin ist aber eine synkopische Bildstruktur, in der die Hauptgestalt der Mittelachse nicht entspricht. In dem Madrider Bild David als Sieger über Goliath ist seine Gestalt etwas nach rechts verschoben, wogegen ihr links von der Achse die Gestalt einer Nike entspricht. Diese Struktur wiederholt sich auch in dem späteren Moskauer Bild. Dadurch entsteht ein Zwiespalt zwischen der Plastik des Körpers und der Weite des Ausblicks. Das verleiht dem Bilde eine Spannung, wie in formaler so auch in geistiger Hinsicht. Dieses Prinzip läßt sich in den verschiedenen Schichten des Kunstwerkes nachweisen. Es wird zwar angenommen, daß die Farben bei Poussin wirkungsvoller als das Licht sind, das Claude Lorrain besonders angezogen hat. Was das Moskauer Bild anbetrifft, so ist in ihm das Olivgrün des Laubes,

31 Zitiert nach B. Dorival, Expression litteraire et expression picturale du sentiment de la nature au XVII e siicle francais, in „Revue des Arts" 1953, 50. 32 Es ist bemerkenswert, daß G. P. Bellori in seiner Würdigung des Bildes von Domenichino Herkules und Acbeloos eine ähnliche Struktur hervorhebt „Hercole che abbate il toro, e questa figura ancoche picciola s'ingrandisse heroicamente nel arte" (Zitat nach E. Schaar, L'ideale classico nel seicento in Italia e la pittura di Paesaggio, Z. f. K. 1963, XXVI, 52). Leider war dem Verf. die Ausstellung der italienischen Landschaft des Klassizismus in Bologna und auch der Katalog der Ausstellung unzugänglich. Demzufolge konnte das Problem der Beziehungen Poussins zu Italien nicht behandelt werden.

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das Rosige des Sandsteins, das Bleifarbige der Wolken klar erkennbar. Aber die Lokalfarben gehen in der düsteren Atmosphäre des angebrochenen Abends fast auf. Schwache Lichtreflexe des eben beendeten Sonnenuntergangs, den man sich vor dem Bilde vorstellen soll, fallen auf die Körper der Nymphen. Demgegenüber bricht durch die Wolken der kalte Schimmer des aufgegangenen Mondes. Also auch dieses Mal ein Zwiespalt, dabei der Himmelskörper fast unsichtbar, hinter den Wolken kaum erkennbar, wie auch die Gestalt des Helden. Hierin liegt der grundsätzliche Gegensatz zwischen dieser, man möchte sagen, dramatischen Landschaft Poussins und den idyllischen Landschaften Claude Lorrains, in denen die Sonnenscheibe gewöhnlich den Mittelpunkt des Bildes einnimmt und auch, wenn sie nicht zu sehen ist, mit ihrem Schein das ganze Bild erfüllt. Die Wirkung der Struktur des Moskauer Bildes wird noch durch die besondere Behandlung des Raumes erhöht. Zwar kann man bei der Betrachtung des Bildes klar die Folge der zahlreichen Pläne erkennen: die Steinplatte links, den Spiegel des Flusses, Hügel, Gebirge und die weite blaue Ferne. Es ist aber im Bilde etwas vorhanden, wodurch diese Pläne ineinander verschwimmen. In dem unteren Teil des Bildes ist der Gegensatz zwischen den Gestalten der Nymphen, den badenden Frauen und dem Fischer in dem Boot räumlich klar, die Gestalt des Helden und des besiegten Cacus aber treten aus der räumlichen Folge heraus. Man weiß, daß es Riesengestalten sind, unwillkürlich aber rücken sie nach vorne, fast in den Zwischenraum zwischen den Nymphen und den Sterblichen. Das ist natürlich kein Fehlgriff des Künstlers, eher ein Kunstgriff, um einen eigenartigen unermeßüchen Raum zu schaffen. Tatsächlich entsteht im Bilde ein sonderbar paradoxer Raumeffekt. Das Sichtfeld breitet sich auf eine ungewöhnliche Weise aus, man sieht mehr als das, was dem menschlichen Auge gewöhnlich gegeben ist. Aber gleichzeitig damit entgeht alles Dargestellte dem Betrachter, alles Sichtbare wird von ihm wie durch eine unsichtbare Wand getrennt. Die vier Nymphen wenden ihm den Rücken zu, sie bilden sozusagen ein flaches Relief, das die Grenze zwischen dem Betrachter und der Landschaft noch mehr betont. Im Gegensatz zu den Phokionbildern und der Landschaft mit dem Wege darf man sogar in der Vorstellung nicht in das Bild eintreten. Kein Zufall ist es, daß fast alle dargestellten Gegenstände so angebracht sind, daß sie sich nicht überschneiden. Sie sind in mehreren Reihen übereinander, wie in einem Schaufenster aufgestellt. Das hat zur Folge, daß außer den nackten Körpern der Nymphen die übrigen Gestalten einiges von ihrer Greifbarkeit und Schwere verlieren. Herakles und sein Feind scheinen so leicht zu sein, als ob sie in der Luft schweben, wie die Madonna di Spoleto in Poussins Altarbild in Dulwich. Diese Umwertung der Gegenstände führt noch dazu, daß keiner von ihnen einen bestimmten Baum oder ein bestimmtes Gebirge darstellt (wie sie sich in Poussins Zeichnungen vorfinden), sondern als Repräsentant einer Gattung gilt. Hinter jedem Ding zeichnet sich das ihm entsprechende Urphänomen, die Idee des Baumes, des Felsens usw. ab. Man hat immer bei Poussin nach mathematischer Berechnung gesucht (um die vorgefaßte Meinung oder seinen Rationalismus zu bekräftigen). Das Moskauer Bild gehört aber zu jenen Meisterwerken, in denen Mathematik und Musik sich glücklich vereinigen. Das Format des Bildes ist das beliebteste in der klassischen Malerei — eine Summe von zwei Rechtecken gebaut nach dem goldenen Schnitt. Die Mittelachse fällt mit dem Rand des hohen Gipfels zusammen, die stehende Nymphe grenzt an diese Achse. Dieser strengen, mächtigen Stütze des Bildes sind mehrere Waagerechte gegenübergestellt: die Wolken am Horizont, die Mauer, der Rand des Flusses, das Boot u. a. m. Ein gewisses Gleichgewicht in den Aufbau des Bildes bringt auch die symmetrische Anlage der astreichen Baumgruppen links und rechts von der Hauptachse. Die Architektonik des Bildes wird noch dadurch gesteigert, daß der Felsen im oberen Teil des Bildes sich nach oben richtet und im Umriß der Gestalt des Herakles entspricht, wogegen unten die nackten ruhenden Körper der Nymphen sich runden, die Gewänder sie umkreisen. Ihre runden Gefäße sind den Spitzen des Gebirges gegenübergestellt 33 . 33 Die Anwesenheit der Gefäße, wie in Rebekka und Eli^eer am Brunnen ist in dem Moskauer Bild nicht ganz klar motiviert. Die Darstellung des Köchers, wie in dem Münchener Bild Apollo und Daphne, kann eine Anspielung auf den

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Ein besonderer Reiz des Moskauer Bildes besteht aber darin, daß nicht nur die Gestalt der einzelnen Gegenstände, sondern auch ihre inneren Kräfte klar gekennzeichnet sind. Der Felsen türmt sich auf, die Hügel heben sich, die Bäume wachsen empor und breiten ihre Äste aus, die Wolken ballen sich. Das Laub und die Wolken sind von einer gleichen Schwungkraft durchdrungen. Es ist unmöglich alle Korrespondenzen und Divergenzen des Bildes zu beschreiben. Zwar ist es im ganzen ruhig ausgewogen, das innere Pulsieren und geheime Musik verleihen ihm aber eine gewisse Ähnlichkeit mit Leonardos Sintflutzeichnungen und der bekannten Landschaft mit Philemon und Baucis von Rubens. Die komplizierte Struktur des Moskauer Bildes verleiht ihm eine klar ausgedrückte Vieldeutigkeit. Wörtlich genommen ist hier die legendäre Heldentat des Herakles nach dem Bericht von Virgil, wenn auch in einer höheren Tonart dargestellt. Gleichzeitig sieht das Bild wie eine lehrreiche Glorifikation des Helden aus, seine Apotheose, der die Sterblichen und die göttlichen Personen als Zeugen beiwohnen. Der tiefste Sinn des Bildes besteht aber darin, daß es sich dem Betrachter als Sinnbild der Weltordnung darbietet, in der den Anschauungen des Künstlers entsprechend die Heldentat und das Ideelle, der Alltag und die Schwärmerei und noch vieles andere seinen Platz findet. Es handelt sich nicht so sehr um den Kampf des Helden mit dem Feind, wie um das Bemühen des Künstlers, dem Helden seinen Platz in der Welt anzuweisen. Der Schlüssel zu diesem Sinn liegt in der Betrachtung des Bildes als einer künstlerischen Totalität. Wenn der eigentliche Sinn dieses Bildes nicht in einem Satz zusammengefaßt werden kann, so ist es verständlich, daß er nicht auch mit dem Begriff Rationalismus gleichgesetzt werden darf, um so mehr als in ihm auch das Irrationale mitwirkt. Kaum ist es möglich, das Bild auf die Lehre der Stoiker zurückzuführen, obgleich Berührungspunkte mit ihr nicht zu verleugnen sind. Andererseits kann das Bild auch nicht als Äußerung einer pantheistischen Weltanschauung gelten; denn das Humane wird nicht herabgesetzt. Poussin hat im wesentlichen seine Auffassung selber ausgearbeitet, und sie ist implicite in seinem Werk erhalten. Die Struktur des Moskauer Bildes ist grundsätzlich von derjenigen der Landschaften von Claude Lorrain verschieden. Das bezieht sich namentlich auf das Dresdener Bild Ac is und Galatea, in dem auch verschiedene Wirkungskreise des Daseins zusammengestellt sind. Dagegen sind Keime der Struktur des Moskauer Bildes in einigen anderen Werken Poussins vorzufinden, sogar aus der früheren Zeit. In dem Leningrader Bacchanal ziehen durch die Mitte des Bildes die Bacchanten. Es findet ein stürmischer Vorgang statt. Aber oben auf einem Hügel erscheinen in voller Ruhe Bacchus und Ariadne, unten liegt schlafend die trunkene Bacchantin. Durch diese Zusammenstellung wird der Zug zum Stillstand gebracht, der ganze Vorgang wird in eine höhere Region versetzt. Fragt man sich, ob in der Kunst des 17. Jahrhunderts bei anderen Künstlern eine verwandte Struktur anzutreffen ist, so ist das Spätwerk von Velasquez, sein Bild Las Meninas zu nennen. Es ist ganz offenbar, daß es sich um Werke verschiedener Gattungen handelt, auch ist ihre Malweise ganz verschieden. Dem Aufbau des Bildes des großen Spaniers liegt aber eine ähnliche Dialektik zugrunde, wie dem Moskauer Bild Poussins34. Das Moskauer Bild ist nur einige Jahre später als die beiden Landschaften mit Phokion entstanden, aber in den letzteren ging Poussin von einer bestimmten These aus, sie sollten diese These bildlich bekräftigen (deshalb werden sie auch dazu verwendet, deren Schöpfer als Vernunftmenschen zu kennzeichnen). In dem Moskauer Bild wird ein Problem gestellt, das in der Betrachtung des Bildes gelöst werden kann. Der Gegensatz zwischen den Menschengestalten und den Landschaften ist in den Phokion-

Gefährten der Musen, Apollo, bedeuten, der bezeichnender Weise im Bilde, wie auch die Sonne und der Mond unsichtbar ist. K a u m darf man in diesem Attribut den Schlüssel zu dem ganzen Bild sehen. Runde K r ü g e und zylindrischer Köcher sind aber regelmäßige Körper, deren der Künstler an dieser Stelle bedurfte. Uber das Stilleben bei Poussin F. G. Pariset, Les natures mortes chez Poussin, Actes I, 215. 3 4 M. Alpatov, „Las Meninas" de Velasquez, in „Revista de Occidente" 1935, 35.

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bildern an und für sich wirkungsvoll, aber dieser Gegensatz ist unzweideutig belehrend. Dagegen sind die mannigfaltigen Wechselbeziehungen der Elemente im Moskauer Bild unvorausgesehen und unerschöpflich; und das verleiht ihm einen symbolischen Sinn im goethischen Sinn. Möglicherweise hat Poussin das Moskauer Bild als ein Pendant zu der Leningrader Landschaft mit Polyphem gedacht35. Das Leningrader Bild hat gegenüber dem Moskauer gewisse Vorzüge: es ist übersichtlicher, geschlossener im Aufbau, kräftiger in der Ausführung, reizender in seiner Stimmung. Das Wesentlichste ist, daß die Zusammenstellung beider Bilder es uns vergönnt, uns eine Vorstellung von dem ihnen beiden zugrunde liegenden Kern zu machen. Das eine kann als ein Kommentar zum anderen betrachtet werden. Die Fabel beider Bilder ist zwar verschieden: Ovid und Virgil, Liebesgeschichte und Heldentat. Fragt man sich aber nach dem Gemeinsamen in ihnen, so stellt sich eine große Verwandtschaft ihres Gehaltes und auch der formalen Gestalt heraus. Weniger eine bestimmte Handlung, als eine Situation ist in beiden dargestellt: die Riesen auf den Gipfeln der Gebirge, das friedliche Alltagsleben im Tal, und das glückliche Idyll im Vordergrunde. Zwar sind die Akzente in beiden Bildern auf verschiedene Weise verteilt: das Idyllische überwiegt im Polyphembild, was in dem Heraklesbild nicht der Fall ist. Das Leningrader Bild breitet sich als flache Bühne aus, wogegen im Moskauer das Senkrechte stärker betont wird. Wesentlich ist aber, daß in beiden Fällen die seit den 40er Jahren sich bei Poussin verschärfte Didaktik verschwunden ist. Die Landschaft selber, besonders das Verhältnis zwischen dem Gebirge, den Riesen und den menschlichen Gestalten bestimmt den geistigen Gehalt des Dargestellten. In beiden Fällen ist der Felsen mit den Riesen, dem friedlichen Tal und dem sehnsuchtsvollen Blick in die blaue Ferne gegenübergestellt und verleiht dem Ganzen eine dramatische Spannung. Was das Moskauer Bild anbetrifft, so nimmt es eine bestimmte Stelle nicht nur im künstlerischen Oeuvre des Meisters ein. Es kann auch als Ausdruck seiner ideologischen, politischen Stellungnahme gelten und zwar nicht deswegen, weil ihm vom Besteller ein bestimmtes Programm diktiert wurde, und auch nicht deswegen, weil er mit dem Siege des Herakles auf bestimmte zeitgenössische Ereignisse anspielte. Zwar sind uns die bewußten Absichten des Künstlers unbekannt, und wir wollen uns über sie nicht den Kopf zerbrechen. Es genügt aber, dieses Werk so anzunehmen wie es ist und es mit der Laufbahn des Künstlers zusammenzustellen, um einiges Licht auf dieses Problem fallen zu lassen. Es ist bekannt, daß während seines Aufenthaltes in Paris etwa zehn Jahre vor der Entstehung des Moskauer Bildes der Künstler unter anderem auch Skizzen zur Heraklessage für den Louvre-Palast verfertigen sollte3". Diese Bilder waren zum Schmuck der königlichen Gemächer bestimmt. Der antike Held sollte der Glorifikation des Herrschers dienen. Der Künstler hat diese Arbeit wider Willen getan. Er war ein ausgesprochener Gegner der dekorativen Malerei in der barocken Art eines Vouet. Ihn befriedigte offenbar nicht, daß der antike Held wie gefesselt in engen Medaillons nur als Beispiel einer fabelhaften Tapferkeit galt, daß man sich in diesen Darstellungen mit Paraphrasen antiker Vorbilder begnügen mußte. Dieser offiziellen Fassung gegenüber bedeutet das Moskauer Bild den Versuch eines Freidenkers, auf das Konventionelle zu verzichten und sich in das Aufsuchen der Wahrheit zu vertiefen37. Der Held ist nun nicht von der Umgebung isoliert, sondern wirkt mitten in der Welt. In der Ausbildung seiner Auffassung folgte Poussin dem Wege, den auch das französische Drama seines Zeitalters verfolgte.

35 Dem widerspricht kaum, daß die Ausmaße der beiden Bilder nicht gleich sind: Polyphem: 150 X 198, Herakles: 156,5 x 202. 36 A. Blunt, The French Drawings at Windsor Castle, Oxford 1945, 45. Tab. 56. A. Blunt, Poussin Studies: Poussins decoration of the Long Gallery in the Louvre, in BM 1951, 369. 37 Der Typus des Herakles ist in den Zeichnungen für den Louvre und dem Moskauer Bild fast derselbe: der bärtige Kopf, der untersetzte Körper mit sehr muskulöser Brust (vgl. den Stich von Pesne, in Actes I,fig. 215). Offenbar geht er auf den bekannten Typus des Farnese Herakles zurück. Vgl. G. Richter, The Sculpture and Sculptors of the Greeks, New Haven 1960, 289.

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Die Willensmenschen Corneilles wirken in der Leere einer konstruierten Bühne. „Racine hingegen besitzt", nach K. Yosslers Wort, „das Geheimnis, die natürliche und menschliche Umgebung, den ganzen Hintergrund in die Modellierung seiner Gestalten hereinzuarbeiten". Eine gewisse Wendung zu einer ähnlichen Fassung ist auch den Spätwerken Poussins eigen38. Die vorgeschlagene Interpretation des Moskauer Bildes stützt sich nicht auf bestimmte Schriftquellen oder Zeugnisse der Zeitgenossen und kann deswegen Bedenken erregen. Es ist aber nicht zu vergessen, daß unsere Augen unsere glaubwürdigsten Zeugen sind und Kunstwerke — die wichtigsten Quellen der Kunstgeschichte. Es ist schwer, die Ergebnisse dieser Studie mit den Poussin betreffenden Binsenwahrheiten in Einklang zu bringen. Übersieht man aber Ergebnisse von Betrachtungen dieser Art, so läuft man Gefahr, den Zugang zu den Kunstwerken zu verlieren. Der heutige Stand der Kunstforschung fordert eine größere Präzision und Sachkenntnis, als sie je zuvor gegeben war. Es sollen aber dabei auch die Gesichtspunkte der Pioniere der Poussinforschung nicht übergangen werden. Das meinte offenbar auch P. Francastel, wenn er die Forschung aufforderte, in ihrer Betrachtung der Kunst Poussins «se placer au point de vue plastique» und sich der «vision propre de Poussin» zuzuwenden 39 .

38 K . Vossler, Jean Racine, München 1926, 165. 39 P. Francastel, a. a. O., 202. Während der Drucklegung dieses Aufsatzes habe ich erfahren, daß J . Thuillier in seinem Vortrag auf dem 21. InternationalenKongreß für Kunstgeschichte,,Temps et tableau: la thiorie des »piripeties« dans la peinture du X V I I e siecle" eine sehr wichtige Besonderheit der zeitlichen Struktur der Bilder Poussin's besprochen hat. Einzelne Gruppen v o n Gestalten werden im Bilde so vereinigt, daß sie die zeitliche Folge der entsprechenden Begebenheit darstellen. Diese zeitliche Struktur entspricht der räumlichen, über die hier gehandelt wurde. J . Thuillier bezieht sich auch auf das Bild „Die Rettung des jungen Pyrrhus".

Delacroix' Gedanken über Leidenschaft und Vernunft (la vie et la raison) in den Künsten von Kurt Badt «L'imagination chez l'artiste ne se represente pas seulement tels ou tels objects, eile les combine pour la fin qu'il veut obtenir; elle fait des tableaux, des images qu'il compose ä son gre» (III, 242)* und zwar, wie es fernerhin heißt, entsprechend «la pente particuliere de son genie ». Diese besondere Neigung des Künstlers, die den künstlerischen Gehalt, den inneren Sinn eines Kunstwerks bestimmt, hat Delacroix sein ganzes Leben hindurch als theoretisches Problem beschäftigt. Er hat sie an sich selbst beobachtet, wie sie sich im Laufe seiner Entwicklung wandelte, und hat sein eigenes Verhalten an dem der von ihm besonders verehrten Meister Leonardo, Raffael, Rubens und Rembrandt gemessen. Ausdrücklich hat er es verworfen, die „Neigung" irgendeines von ihnen gegen die eines anderen auszuspielen oder gar wegen anderer Ideale zu verwerfen. Gegenüber dieser individuellen Betrachtung hat er die allgemeinen Geistestendenzen, die durch die verschiedenen Persönlichkeiten zum Ausdruck kommen, weniger stark in Betracht gezogen. Doch hat er sie keineswegs außer acht gelassen. Sie mußten sich ihm durch den Gegensatz aufdrängen, in dem er seine eigene Kunst zur damals herrschenden Richtung von Ingres und seiner Schule fand. Doch ist auch dieser ihm mehr als Kontrast individueller Naturen denn als allgemeiner Gegensatz erschienen. Was in Frage stand, war der Gegensatz zwischen einer in reinen Formen und festen Verhältnissen dargestellten Schönheit und der in flutender Bewegtheit und unauflösbarer Einheit sich zeigenden Lebendigkeit, jener Doppelaspekt aller Gegebenheiten als Energie und Gestalt, Sein und Werden, Dauer und Wechsel, der, als künstlerische Tendenz verstanden, einander entgegengesetzte Kunstformen hervorbringt. Und zwar nicht durch ein ausschließliches Beachten der einen Komponente sondern je nachdem, welche der Alternativen einem Bilde, dem künstlerischen Gestalten in demselben, zugrunde gelegt worden ist. Bereits als Sechsundzwanzig jähriger hat Delacroix diesen fundamentalen Gegensatz als formale Verschiedenheit ausgesprochen: «La premiere et la plus importante chose en peinture, ce sont les contours. Le reste serait-il extremement neglige que, s'ils y sont, la peinture est ferme et terminee. Le Raphael doit ä cela son fini . . . » (I, 82). Dieser Betonung der festen Form und der Vollkommenheit (fini) des Zu-Ende-Gebrachten, Endgültigen, steht eine kaum einen Monat später geschriebene Bemerkung gegenüber: «Ne cours pas apres une vaine perfection. II est certains defauts pour le vulgaire qui donnent souvent la vie.» (I, 111). Schon damals also trat im Kunstverständnis Delacroix' das Leben, wenn auch in seinem Wesen Undefiniert und bloß intuitiv erfaßt, dem Ideal der Vollendung, der festen Formen, der begrenzenden Linien gegenüber und war imstande, eine gewisse Art malerischer Vollendung als eitel oder nichtig erscheinen zu lassen, jene nämlich, welche zu ihren Gunsten die Forderungen der Lebendigkeit in der Darstellung außer acht ließ. Der Gegensatz ist hier erst äußerlich erfaßt. Er scheint auf eine Verschiedenheit der technischen

* Die in Klammern gesetzten römischen und arabischen Ziffern beziehen sich auf Band und Seite des Journal de Eugene Delacroix, 1. Auflage, Paris, Librairie Plön, ο J. (1893).

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Methoden herauszukommen, auf die Verwendung von Linien als Bildgrundlage und eine bloß äußerliche Abgeschlossenheit, jene glatte Vermalung der Farben, die den Schaffensprozeß unerkennbar macht, im Gegensatz zu gewissen „Fehlern", verstanden im Sinne der damaligen Pariser Akademie, die eben hie und da eine Unausgeglichenheit der Mache oder eine Schwäche in der Naturnachahmung erkennen lassen. In welcher Weise aber sollten diese das Leben zur Darstellung bringen ? Der Gedanke tritt hervor, daß ein Bild, das den Eindruck des Lebens vermitteln soll, den Prozeß seiner Entstehung zur Anschauung bringen müsse. Zeigt man, wie ein Bild gemalt worden ist, den lebendigen Vorgang, der es hervorbrachte, so wird man in ihm auch einen Hauch lebendigen Lebens erwecken. Deshalb notierte Delacroix am 27.1.1847: «L'execution, dans le peintre, doit toujours tenir de l'improvisation . . . » und: «l'execution du peintre ne sera belle qu'ä la condition qu'il sera reserve de s'abandonner un peu». (I, 252). Das Leben kann im Kunstwerk nur durch Freiheit in der Ausführung dargestellt werden, und zwar durch eine doppelte Freiheit: vom Zwang der Schulregeln und der ängstlichen Naturnachahmung zugunsten des freien Sich-gehen-Lassens der Individualität. Solange aber diese hauptsächlich negative Bestimmung bloß durch ein Improvisieren und Sichgehen-Lassen verstanden und erklärt blieb, war an ein echtes Ergreifen des Lebens durch die Kunst noch nicht zu denken. Nur ein gewisser Teil wurde durch „das Feuer der Inspiration" erfaßt, seine scheinbare Regellosigkeit und der Wechsel seiner Aspekte von Moment zu Moment, nicht eine Spur seiner Tiefe noch seine Mächtigkeit. Auch die lebendige Bewegtheit des Lebendigen, die im Gegensatz zur bloßen Bewegung von Ort zu Ort die Formen auch der ruhenden und festgewordenen Natur erfüllt, war auf diese Weise nicht in die künstlerische Darstellung zu erheben. Denn diese Bewegtheit, der „Atem" des Lebens, gerade erscheint als Vollendung jeder davon erfüllten Form. Die Meereswelle, die Flamme, der vom Winde bewegte Ast, sie alle zeigen sich als vollendete, der Gesetzmäßigkeit, nicht der Improvisation unterworfene Lebensphänomene; und wenn wir etwas Unvorhergesehenes, scheinbar Regelloses an ihnen wahrnehmen, so nur deshalb, weil wir die neu hinzugetretene Ursache nicht begreifen. Eine künstlerische Methode, das Lebendige tiefer zu erfassen und darzustellen, hat Delacroix ein wenig später versucht. (I, 281). Indem er an einem Bilde Raffaels «ces petites touches multipliees » bewunderte, «faites avec le pinceau et comme dans une miniature (I, 274), kam er zu der Einsicht, daß ein schöner und freier Pinselstrich die Objekte nur ungefähr (ä peu pres) erfasse: «la belle brosse», der freie Schwung des Pinsels, «est forcee de s'arreter quand la touche est heureuse». «La petite touche», das ist nun der kleine Farbfleck des vorsichtig und überlegt geführten Pinsels, der regelmäßig und systematisch angewandt wird. Er zerlegt die Bildoberfläche wie die Formen der dargestellten Dinge, schafft aber zugleich eine durchgehende Einheit der Erscheinungen, ein gemeinsames Maß der kleinsten Form und damit eine Verbindung aller gezeigten Dinge, eine sie verbindende Einheit, die, da sie die belebende Hand des Malers aufweist, eine das Ganze durchwirkende Lebendigkeit zur Anschauung bringt. So gewöhnlich uns dieses malerische Mittel erscheint, so neu war es für Delacroix, so fremd war es der Kunst seiner Zeit. Das geht aus den Überlegungen hervor, die sich im Journal darüber finden. Der isolierte Farbfleck kommt nicht aus der Wirklichkeit. «La nature n'en presente pas. La touche est un moyen comme un autre de contribuer ä rendre la pensee dans la nature » (III, 210) und: «II n'y a plus de contours qu'il n'y a de touches dans la nature» (III, 211). Beide sind künstlerische DarsteEungsmittel und geeignet, die künstlerische Darstellung grundsätzlich von einer bloßen Naturnachahmung unterscheiden zu lassen. Da es kaum ein Werk der Malerei gibt, das auf diese Mittel verzichtet, sind Bilder schon dadurch als selbständige geistige Leistungen erwiesen. Macht man die Farbflecken unsichtbar, so wird zwar ein Bild naturähnlicher erscheinen, aber deshalb um kein Jota künstlerischer oder präziser (III, 212) oder besser werden. Bei der unverhüllten Verwendung der «touche, tout depend, dans l'ouvrage d'un veritable maitre, de la distance commandee pour regarder son tableau. Α une certaine distance la touche se fond dans l'ensemble, mais eile donne ä la peinture un accent que le fondu des teintes ne peut produire. En regar-

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dant, par contre, de tres pres l'ouvrage le plus fini, on decouvrira encore des traces de touches et d'accents. La touche, employee comme il convient, sert a prononcer convenablement les differents plans des objects. Fortement accusee, eile les fait venir en avant; le contraire les recule.» (III, 211). Auf diese Weise trägt die Fleckenstruktur eines Bildes zur Klärung der Dingabstände und damit zur Belebung, zum Erfassen des Lebendigen bei. Sie ist aber auch geeignet, den Zusammenhang eines lebendigen Ganzen darzustellen: «les touches adoucissent la erudite de certains contours pour lier ensemble les differentes parties » (III, 214). Am 23. September 1846 (I, 234) notierte Delacroix: «Constable dit que la superiorite du vert des ses prairies tient ä ce qu'il est un compose d'une multitude de verts differents. Ce qui donne le defaut d'intensite et de vie ä la verdure du commun des paysagistes, e'est qu'ils la font ordinairement d'une teinte uniforme.» Was er bei Raflael beobachtet hatte, war für Delacroix also nur eine Bestätigung einer schon früher gewonnenen Einsicht. Wenn diese auch wie etwas bloß auf das Technische sich Beziehendes erscheint, so rührte Delacroix, indem er sie auf die Intensität des Lebens bezog, damit doch an den Gegensatz von Vollendung und Unendlichkeit. In der Einfarbigkeit, welche frühere Maler einer Wiese gegeben hatten, war mit der eindeutigen und endgültigen Bestimmung des Lokaltones des Grases das Vollendete des endgültigen Eindrucks dargestellt; demgegenüber vollzog Constable den Schritt zur unendlichen Mannigfaltigkeit der wechselnden Nuancen. Sie erst schien Delacroix die volle Lebendigkeit der Natur zu veranschaulichen. Wenn auch dieses Mittel hier noch nicht als Träger der Grundstruktur eines Bildes erkannt war und nur im begrenzten Bezirk gewisser unbestimmt geformter Objekte, Bäume, Büsche, Wiesen verwendet werden sollte, so brachte nun doch die Möglichkeit, unverbunden hingesetzte und isoliert erkennbare kleine Farbflecke zu verwenden, Delacroix zur Erkenntnis des wirklichen Gehaltes dessen, was er bisher nur unklar unter der Idee der Lebendigkeit oder des Lebens verstanden hatte. Gegenüber den glatt zu Ende gemalten Bildern brachte jene Methode Werke hervor, denen zwar etwas Unfertiges anhaftete, die aber gerade in diesem über das endgültig Begrenzende und Begrenzte hinauswiesen und auf das Wandelbare in ihnen hindeuteten. Dem Ideal der Vollendung gegenüber hob sich das Ideal der Unendlichkeit ab. Die dargestellten Objekte erschienen in ihren Formen wechselnd, bewegt, in ihrer Tendenz unendlich, nämlich immer nur auf dem Wege, zu festen Formen zu gelangen, und tatsächlich unvollendet; unendlich erschienen die zwischen ihnen obwaltenden Beziehungen, die Abwechslung, die Gegensätze, die wirkenden Faktoren, die sich als weit stärker erwiesen als die gren^-set^enden Kräfte, das wechselweise Sichbeeinflussen der Dinge, in ihren Formen wie ganz besonders in ihren Farben, da jede festgewordene Eigenfarbe von allen Seiten durch die Reflexe anderer Farben beeinflußt wird, sodaß kein Körper in dem Rot, dem Blau, dem Grün seiner wirklichen Färbung erscheint, sondern diese Färbungen nur an wenigen Stellen aufweist, (im übrigen ist sein Rot, sein Blau, sein Grün in der verschiedensten Weise modifiziert, abgewandelt zu anderer Farbigkeit) unendlich erschien dadurch der Ausdruck des Geistigen, den ein solches Bild vermittelte. Diese Entdeckung, die Delacroix an Raffaels «Vierge au voile» (jetzt im Louvre) gemacht hat, ermöglichte ihm, seine eigenen Intentionen, aber auch die entgegengesetzte Idealität anderer Künstler besser zu verstehen. Es zeigte sich, daß Bilder, die in einem unfertig scheinenden Zustand für vollendet zu gelten haben, von dem Künstler neue, bisher unbekannte Leistungen fordern. Sie verlangen Freiheit und Freimut, «liberte et franchise» wie eine Skizze. «II faudrait faire des tableaux esquisses qui auraient la liberte et la franchise du croquis. » (I, 330). Freiheit und Freimut wären nun, wenn echt aufgefaßt, moralische Qualitäten, die sich im Künstlerischen zu verwirklichen hätten. Sie werden bewiesen, indem man sich von der Konvention und der sklavischen Genauigkeit in der Nachahmung des Natürlichen befreit und statt dessen Kühnheit in der Darstellung und Originalität in der Auffassung des Wirklichen zeigt. Denn alle einmal für die Kunst gefundenen Darstellungsmittel wie alle Arten einmal geleisteter Naturauffassung veralten; sie gehören der Zeit an, in der und aus der heraus sie entstanden; sie lassen sich nicht oder kaum überliefern und

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fordern eine ständige Erneuerung. Schulen, die sich auf das Vorbild großer Meister verlassen, sind immer unter dem Niveau ihrer Lehrer. Bilder, die dagegen auf ein System unverbundener Flecken hin angelegt sind, erzwingen eine immer wache Beobachtung der Wirklichkeit und führen durch diese wiederum zu einer Erneuerung der Kunstmittel, da die kleinen Striche und Tupfen auf die mannigfachste Art variiert werden können und müssen. Die Natur «n'en presente pas » (III, 210). An diesen Überlegungen, welche in Delacroix' Tagebüchern in immer neuen Formulierungen auftreten, zeigte sich nun bereits der volle Umfang der neu entstandenen Problematik: es ging um die Vollendung aus dem unvollendbaren Unendlichen, um eine höhere Stufe des Künsderischen gegenüber jener Klassik, die sich mit der Vollendung begnügt hatte, deren Ziel es gewesen war, die unendliche Mannigfaltigkeit des Lebens und der Natur durch in sich vollendete Einheiten und Ganzheiten zur Ruhe endgültig bestimmter Harmonien zu bringen. Wiederum mußte eine Vollendung erreicht werden, nun aber aus Elementen und durch Formen, die in sich selbst diesem Prinzipe entgegengesetzt waren. Delacroix glaubte eine Zeit lang, diese Antinomie durch die „franchise, hardiesse de touche, la rigueur de la facture,» die Kühnheit, die Freiheit und die Kraft des Malens selbst überwinden zu können (I, 391). Die teilenden und zugleich vereinigenden, aus der gestaltenden Phantasie hervorgegangenen unverbundenen, so reich wie möglich nuancierten Farbflecken sollten gleichzeitig das Element der Lebendigkeit wie die Vollendung im Bilde tragen, bzw. es vorstellen. Sie sollten die Kühnheit, die sie hervorgebracht hatte und die sie verrieten, in einer letzten das Bildganze durchwaltenden Harmonie noch wieder überwölben. Dieser Absicht stellten sich verschiedene Schwierigkeiten entgegen: die Freiheit beim Setzen des Farbflecks machte eine scharfe Charakterisierung unmöglich und verringerte den Ausdruck der dargestellten Gegenstände, denn sie mußten in einer gewissen Unbestimmtheit verharren, die aus ihrer inneren Unvollendbarkeit hervorging. Und ferner: «cette facilite dans le grand maitre n'est pas la qualite principale; eile n'est que le moyen et non le but» (I, 391). Weder die Kühnheit in der Mannigfaltigkeit noch die Vereinheitlichung der Farbflecken war an und für sich genügend, ein Bild zu tragen; beide Möglichkeiten waren so auch von mittelmäßigen Künstlern gebraucht worden und hatten dann zu leeren Effekten gefuhrt. Erst wenn eine geistige Vorstellung die Freiheit wie die Bindung bestimmte, (wie das bei Rubens und Rembrandt der Fall war), konnte ein großes Kunstwerk entstehen. Diese Bedingung zu erkennen, erwies sich als unumgänglich. Das Unendliche als tragender Grund einer bestimmten Kunstrichtung mußte deutlicher ins Auge gefaßt werden. Unter den kategorialen Möglichkeiten, die in den Künsten sich aussprechen und sie bestimmen, wie Freiheit und Gesetz (Ordnung), Individualität und Allgemeinheit, Idee und Gestalt, Originalität und Überlieferungstreue, Anmut und Würde, sind auch Vollendung und Unendlichkeit als ideale Ziele und damit zugleich als zwei entgegengesetzte Arten des tragenden Grundes wie der Strukturbestimmung von Kunstwerken. Wie jene sind sie im wechselvollen Verlauf der historischen Kunstentwicklung vielfach aufgetreten. Sie sind mit besonderer Betonung durch Fritz Strich der Klassik und Romantik zugeordnet worden. 1 Delacroix, mit vollem Recht als «chef de l'ecole romantique» bezeichnet, hat ihre Bedeutung für seine Kunst durchaus erkannt, ist aber umgekehrt durch die Eigenart seiner Begabung zu einer Auffassung von ihnen getrieben worden, welche von der allgemeinen insofern abweicht, als sie sich über die sonst behauptete Alternative der beiden erhebt. War er selbst ein Gegner solcher Romantiker wie Victor Hugo, Berlioz und sogar Beethoven, so hat er sich auch selbst nicht ohne Grund als Klassiker bezeichnen können. Wie er Elemente des Klassischen und des Romantischen in seiner Kunst vereinigte, so hat er theoretisch die Synthese von Vollendung und Unendlichkeit, und zwar unabhängig von allen Stilphänomenen, Bedingungen von Orts- und Zeitstil, in Betracht gezogen. Er sah sie in der Kunst seiner großen Vorbilder, bei Raffael, Tizian, Rubens und auch bei Rembrandt, die er alle gerade deshalb in besonders tiefer Weise verstanden hat.

1 F. Strich, Deutsche Klassik und Romantik, Bern 4 , 1949.

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Die Kunst teilt das Streben nach dem Vollkommenen, das sie (nicht faktisch sondern) in der Darstellung verwirklicht, mit der Ethik, das Streben nach Unendlichkeit mit dem Ewigkeitsverlangen der Religion. Was diese durch Erlösererwartung und Erlösergewißheit erreicht, vergegenwärtigt sie ebenfalls durch Darstellung. Anders gesagt: selbst weder vollkommen noch unendlich, da beides in dem Bereich der gemachten Dinge unmöglich, bringt die Kunst diese beiden Ideen in die 'Offenheit', so daß sie gleichnishaft erblickt und erfaßt werden können. Darin, daß ihr die Möglichkeit zu solcher Darstellung gegeben ist, liegt der Adelstitel ihres metaphysischen Ursprungs und ihrer metaphysischen Gründung 3 . Diese allgemeine Einsicht erhält ihren ganzen Wert erst durch einen Einblick in die zahlreichen konkreten Probleme, die jene Ideen für die darstellende Methode der Kunst hervorrufen. Gerade in Hinsicht auf diese Vielfältigkeit ist der Beitrag von Delacroix für die Malerei besonders bedeutend. Die Wichtigkeit jener beiden Ideen für die effektive Gestaltung von Werken der bildenden Kunst ist außerordentlich; das geht allein schon daraus hervor, daß solche formalen Gegensätze wie linear und farbig, offen und geschlossen, mit ihren Konsequenzen Begrenzung oder Verschmelzung, Trennung oder Bindung, Vereinzelung oder Gemeinsamkeit usf. in ihnen begründet und als ihre Darstellungsmittel anzusehen sind3. Vollendung und Unendlichkeit könnten daher als Grundlage einer Stilgeschichte gelten. Nachdem Delacroix die Idee der Unendlichkeit des flutenden, alles erfüllenden Lebens mit seinem Drängen zu Verbindung und Verwandlung als Ziel seiner Kunst erfaßt hatte, ist diese zum Ausgangspunkt seiner ästhetischen Reflexionen geworden. Von ihr aus beurteilte er die gesamte Kunst, Malerei, Plastik, Dichtung und Musik. Wer unter den Meistern hat das Ideal erreicht, und welche Mittel sind notwendig, es wieder zu erreichen ? Fast mit verzichtender Sehnsucht hat Delacroix auf die „Klassiker" (Vergil, Ariost, Racine und Mozart (II, 258)) gesehen, in deren Werken es keine Fragmente, keine Ansätze, keine Unbestimmtheiten, nichts unentschieden Gebliebenes gibt. Jedes Motiv ist bei ihnen ausgebaut, keines ist nur angerührt und dann fallengelassen, alles Angefangene ist zu Ende gebracht (II, 167). Ihre Werke sind groß durch ihre voll ausgebildeten ,Schlüsse', wie sie immer wieder zur klaren Gliederung der einzelnen Teile auftreten. 2 Solange sie diese Möglichkeit im Dienste von Religion und Ethik verwandte, hat sie den Charakter der Leichtigkeit und Helle besessen — von den frühesten Anfängen, die wir kennen, bis ins achtzehnte Jahrhundert. Der vielfach erörterte Bruch der Entwicklung, der sich um 1800 zeigt (siehe besonders Hetzer), läßt sich verstehen als die Übernahme dieser Ideen als Probleme in die Kunst selbst. Zur Darstellung trat damals die Aufgabe für die Künstler, sie selbständig, aus eigener Leistung zu lösen. Die Folge dann war zweifach: a) in totalem Versagen ein Verfall an den Realismus, die bloße Wiedergabe der gegebenen Welt durch traditionelle Mittel, b) im Gelingen das Auftreten der metaphysischen „Last" der Kunst, eine bisher unbekannte Belastung, Schwere und Dunkelheit. Zum ersten Male wurde sie sichtbar bei Rembrandt, der aber auch in dieser Hinsicht eine vereinzelte Erscheinung geblieben ist; dann bei Goya. Im neunzehnten Jahrhundert wurde sie von fundamentaler Bedeutung. Dies ist im Hinblick auf die Antike gesprochen, die wir nun gerade anders zu beurteilen gezwungen sind. In klassischer Kunst ist das Prinzip der Vollendung allein herrschend gewesen. Sie begrenzte jede einzelne Form mit höchster Klarheit und eliminierte alle unpräzisen Elemente. Antike Plastik vorchristlicher Epochen wollte vollste Plastizität und die Malerei stellte selbst die Linien ganz in deren Dienst; beide darstellenden Künste arbeiteten mit und tendierten auf Darstellung von Massen. — Schillings Ausspruch (Rede über das Verhalten der bildenden Künste zur Natur 1807): „Nur durch Vollendung der Form könne die Form vernichtet werden; in der erhabenen Schönheit hebe die Fülle der Form die Form selbst auf" (F. Th. Vischer, Ästhetik, III, 443) wiederum auf Antikes zu beziehen, bezeichnet diesen Sachverhalt ohne ihn zu durchschauen: die dort vollzogene restlose Verwandlung des Natürlichen in klar bestimmte Massen ergriff deren Substanz in solchem Grade, daß der Unterschied zwischen Stoff und Form aufgehoben wird. Daher erschien ihm die Form durch die Form selbst aufgehoben. Was bleibt: das Ding selber, plastische Masse, die aber — in unserer Sicht — als klar zu Ende durchgeformte erscheint. 3 So könnte ein Exkurs zu Riegl, Spätrömische Kunstindustrie, zeigen: die für Riegls Gegensatzpaar „haptisch — optisch" . . . grundlegenden künstlerischen Ideen sind Vollkommenheit und Unendlichkeit.

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«Les artistes parfaits etonnent moins ä cause de la perfection meme; ils n'ont aucun disparate qui fasse sentir combien le tout est parfait et proportionne» (II, 185). Die Vollendung als solche, als geschaffene Leistung, wird in diesen Werken gar nicht spürbar; denn es gibt ja eben in ihnen nichts Unvollkommenes, an dem sie gemessen werden könnte. Es fehlt der Maßstab dessen, was außer Proportion wäre. Daraus folgt, daß die in ihnen vollzogene Leistung noch größer ist, als sie durch ihre unmittelbare Wirkung erscheint. Glaube etwa niemand, daß die wahren Klassiker nicht original seien, weil sie anscheinend nur die Regeln der Harmonie und Proportionalität befolgen. Ihre Vernunft ist nichts Erklügeltes sondern im höchsten Maße spontan und ursprünglich, «bien que leurs ouvrages soient reguliers» (II, 260). An dieser Stelle seiner Aufzeichnungen vom Jahre 1853 steht der Preishymnus auf Mozart als Meister aller Meister der Vollkommenheit: «Monte sur le char de son improvisation, et semblable ä Apollon au plus haut de sa carriere, comme au debut ou ä la fin, il tient d'une main ferme les renes de ses coursiers, et dispense partout la lumiere » (II, 261), — entsprechend dem Bilde, das Delacroix an die Decke der Apollogalerie des Louvre gemalt hat (vollendet 1851). Noch ein zweites Beispiel der Vollendung hat Delacroix ausdrücklich erwähnt: Tizian. «Les q u a ^ s du peintre sont portees chez lui au plus haut point: ce qu'il fait est fait; les yeux regardent et sont animes du feu de la vie. La vie et la raison sont partout. » Da läßt die künstlerische Vernunft (die künstlerische Intellegenz) das Leben selbst in seiner Glut sichtbar werden (11,470/1). «ChezTitien commence cette largeur de faire qui tranche avec la secheresse de ses devanciers et quiest la perfection de la peinture» (III, 193). «Aucune partie ne portait de traces de neglicence, . . . , au contraire, seine Werke besitzen la finesse de la touche, le fondu, la verite et Peclat incroyable des teintes » (III, 194), obwohl ein großer Teil ihrer Feinheiten heute verloren sei. Und überall herrscht das Maß (la mesure). Zu den Überzeugungen seiner Epoche gehörte noch der aus dem achtzehnten Jahrhundert überkommene Glaube an die Vollkommenheit der Natur, und so trat die Vorstellung des Künstlers der höchsten Vollkommenheit für Delacroix auch in unmittelbare Beziehung zum Natürlichen und zugleich zur Antike, deren Weltauffassung und besonders deren Kunst seit der Renaissance als eine Rückkehr zu eben diesem Natürlichen gegolten hatten. So pries denn Delacroix Tizian auch als «un de ceux qui se rapprochent le plus de l'esprit de l'antique. II sait faire d'apres nature » (III, 254). Er wiederholte damit die alte Vorstellung, daß der griechische Geist angeblich der Natur selbst entsprechend gewesen war. Denn Tizian beschränkte sich nicht auf «l'imitation de ses formes exterieures» (III, 255), «il obeit ä chaque instant ä une emotion vraie » (III, 192), er schuf im Geiste und aus dem Geiste klassischer Natürlichkeit, jener höchsten Vernunft, der gegenüber «on dirait qu'il y a un grain de folie dans tous les autres; lui seul est de bon sens, maitre de lui, de sa facilite et de son execution, qui ne le domine jamais et dont il ne fait point parade » (vgl. III, 194). Hier erscheint der Künstler der Vollendung selbst in seiner künstlerischen Tätigkeit vollendet: in seiner Freiheit, seiner Souveränität und seiner Selbstbescheidung. (III, 257 nannte Delacroix Tizians «sang-froid anime, sa tranquillite » als Bedingungen seiner Kunst). Noch eins ist hier zu beachten. Die Vollendung eines Bildes in der Auffassung der Klassik bestand nicht in der gleichmäßigen oder gleichförmigen Deutlichkeit aller Teile, sondern in einer abgestuften, in «la methode qui laisse voir tous les objects suivant leur importance» (II, 170), vor allem auch entsprechend ihrer Distanz vom Betrachter eines Bildes, so daß alles deutlich und klar begrenzt erschien. Veronese, «le nec plus ultra du rendu » (rendu = Vollendung in der Wiedergabe des Natürlichen) «dans toutes les parties» hat doch Unterschiede der Ausführlichkeit bei verschiedenen Figuren desselben Gemäldes gemacht. Im Gegensatz zu Rembrandt, bei dem das Prinzip der Unter- und Überordnung so weit geht, daß unwichtige Partien nur flüchtig angedeutet sind, während die wesentlichen noch ausdrücklich betont und mit betonter Ausführlichkeit behandelt werden. So galten Delacroix Raffael, Tizian und Veronese als eminent klassische Maler der Vollendung, im Gegensatz zu Ingres, der alles mit gleichmäßiger Deutlichkeit und Naturtreue wiedergab. Die Vollendung der Klassizität ist überhaupt ein schmaler Grat, den nur die wenigsten zu erklim-

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men vermögen. Selbst Michelangelo ist bei diesem Unterfangen, nach Delacroix' Meinung, gescheitert. In seinem Streben nach vollkommener Deutlichkeit und Artikulation der Körper habe er sich in Einzelheiten verloren. Noch aus demselben Jahre jedoch, aus dem diese Bemühungen Delacroix' stammen, sich das Wesen der Vollendung in der Kunst klar zu machen, rühren seine ersten gegen sie gerichteten grundsätzlichen Einwände her. Sie sind ihm bei der Lektüre von Racine gekommen. « J e disais sur Racine . . . qu'il est trop parfait, que cette perfection et l'absence de lacunes et de disparates lui ötent le piquant que l'on trouve ä des ouvrages pleins de beautes et de defauts a la fois » (II, 300). Und noch einmal (II, 440): «le defaut de Racine etait sa perfection meme, on ne le trouverait pas si beau parce qu'effectivement il est trop beau. Un objet parfaitement beau comporte une parfaite simplicite . . . » und, so können wir hinzufügen, es hat — mit Wölfflins berühmten Einleitungsworten zur „Klassischen Kunst" — etwas Erkältendes. Die Einfachheit des Schönen, das Ideal aller Klassiker und Klassizisten, das vollkommen Klare und Beruhigte, seine „stille Größe", sie genügten nun Delacroix nicht mehr, sie erschienen ihm zu eng begrenzt, zu wenig umfassend, Das rührt nicht bloß von dem restlosen Zu-Ende-Malen eines Bildes her, wie er einst vermutet hatte. «On ne gate pas le tableau en le finissant» (II, 164). Die Schwächen dieser Bilder kamen dadurch zustande, daß ein großer Teil der Lebensphänomene in ihnen beiseite gelassen, ausgeschlossen wurde. Es gab eine Schönheit, welche gerade in den von der Klassik, dem Streben nach Vollendung, ausgeschlossenen Mitteln hervortrat; sie, die oft in der Unbestimmtheit einer Skizze mit ihren Möglichkeiten erschien (II, 164), und «dans les choses gigantesques la disproportion meme est un element de beaute. » Vielleicht war es falsch, dafür den Ausdruck schön zu gebrauchen; vielleicht waren die Kunstwerke der «disproportion» nicht eigentlich schöner, «mais ils peuvent impressionner davantage. II faut dire que chez les hommes de cette famille» (z.B. Corneille und Rubens), «il y a des parties si fortes que l'on ne pense pas aux defauts. » Gegenüber der Feier der reinen Schönheit Mozarts und Racines riefen diese Art Werke bei Delacroix eine Hingerissenheit hervor, gegenüber der Meeresstille eine Sturmfahrt des Geistes. Und diese begann nun für ihn eine immer größere Bedeutung zu gewinnen, weil seine eigene Natur sich nur in dieser voll zu entfalten imstande war. In ihr erblickte er allein «la verite qui vient de l'äme » (III, 39). Noch sah er nicht, welche Idee in dem Sturm des Geistes erlebt wurde. Sie erschien ihm unmittelbar gegenwärtig im Werk gewisser Meister, doch unfaßbar. Fragend tastete er sich weiter: «Cette fameuse beaute, qui est, au dire de tout le monde, le but des arts; si c'est l'unique but, que deviennent les gens qui, comme Rubens, Rembrandt, et generalement toutes les natures du Nord, preferent d'autres qualites ? » (1,263). Man sieht, unter Schönheit verstand Delacroix hier in Übereinstimmung mit den Akademikern, Ingres und seinen Schülern, und dem kunstverständigen Publikum seiner Zeit die Schönheit der dargestellten Dinge, die Vollkommenheit der Körper in ihrer physischen Ausbildung und in ihrer Präsentation. Nicht die Bildschönheit als ganze, die auf den Darstellungsmitteln beruht. Er war gerade auf dem Wege, diese seit dem Auftreten von David in Frankreich verlorengegangene Schönheit der Gestaltung (gegenüber der Schönheit der Objekte und der Erfindung) wiederzuentdecken. Ausgehend von der gestaltenden Phantasie, der künstlerischen Verwandlung gesehener Objekte durch die Einbildungskraft, erlebte er, daß diese Kraft auch die Erfindung beeinflußte. Seine frei geschaffenen Kompositionen sahen schon im Entwurf anders aus als diejenigen, die hervorgebracht waren, um später bloß einer phantasielosen Ausgestaltung, Ausfüllung, Beendigung überlassen zu werden. Gerade von dieser drohte der Malerei der Vollendung die größte Gefahr. Sie führte zur Zusammenhanglosigkeit, zur sklavischen Nachahmung des Modells, zur historischen und naturalistischen „Treue", jener von gewissen deutschen Romantikern so hoch verehrten pseudo-moralischen Künsderqualität, die viele Werke durch Mutlosigkeit und Kleinlichkeit verdorben hat. Klarheit diesem Problem gegenüber hat Delacroix lange vor seiner Umwelt erreicht. «Le grand artiste concentre l'interet en supprimant les details inutiles ou repoussants ou sots; sa main puissante dispose et etablit, ajoute et supprime, et en use ainsi sur des objets qui sont siens, il se meut dans son

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domaine et vous y donne une fete a son gre.» Das Moment der Freiheit des Künstlers gegenüber den Forderungen der vollendeten Formen, wie sie die Akademie festgelegt hatte, kam damit bei ihm zu seinem Rechte. Und zwar gerade in Ubereinstimmung mit jenen, die einst die klassischen Formen der Vollendung geschaffen hatten. Denn deren höchstes Ziel war gewesen, in der Vollendung der Kunst die Freiheit vom Zwang des Alltags und seiner immer unvollkommenen Erscheinungen darzustellen. Delacroix beging nicht den Fehler, anzunehmen, daß nur eine auf das Unendliche, Unbegrenzte, Ungebundene gerichtete Kunst der inneren Freiheit fähig sei, daß jedes Streben nach Vollendung durch die Regeln der Klarheit, Begrenzung, Proportionalität unfrei werden müsse. Er bestand bloß darauf, daß nur derjenige Künsder, der sich innerhalb jener durch Regeln gesetzten Grenzen frei zu bewegen vermöchte, das wahre Ziel der Klassik, die Vollendung zu erreichen imstande sei. Denn erst diese künstlerische Freiheit vermag, gleichgültig welches der Ideale sie verfolgt, das Ziel der Kunst zu erreichen, «la delectation», wie es Poussin genannt hat — von Delacroix zitiert in III, 189 —, ein Wort, dessen Sinn am treffendsten wiedergegeben wird durch das deutsche Wort FEIER. In der Freiheit zur Feier, wie sie die Schönheit gewährt, sah Delacroix die Vorbedingungen des künsderischen Gelingens. So suchte er gegenüber dem Klassizismus der Akademie sowohl eine neue Schönheit als auch neue Mittel, sie hervorzubringen. Unter diesen Mitteln war das am meisten problematische die Zeichnung. Sie stand auch in den programmatischen Diskussionen der Akademie an erster Stelle. Jacques Louis David und nach ihm Ingres hatten den Vorrang der Linie über alle übrigen Kunstmittel der Malerei erklärt. Der Umriß besonders schien ihnen die Reinheit, die Größe, die vollkommene Schönheit zu garantieren. Der Fluß seiner Führung enthielt Schönheit, Anmut, Würde, Stille und Beruhigung des Gefühls. In den Binnenlinien wurde jedes Teilstück eines Objektes zu bleibender Gestalt gefaßt. Delacroix hat diese ganze Theorie der «dessinateurs » (II, 163) abgelehnt. Er war ein leidenschaftlicher und hervorragender Zeichner, doch seine Linien hatten eine andere Funktion und daher auch eine andere Form. Sie dienten nicht der Grenzsetzung, dem Umschließen von Figuren, der Feststellung edler harmonischer Verhältnisse. Er wußte, daß die großen Klassiker der Vergangenheit mit solchen Linien Hervorragendes geleistet hatten, das Größte nach seiner Meinung Raffael, aber er wußte auch, daß die Leblosigkeit nachempfundener Linien, wie sie vor allem bei den Ingresschülern in Mode war, nur zu Leere der Anschauung wie der Empfindung gegenüber der Natur führt. Für ihn wurden die Linien, und zwar im unregelmäßigen Fluß, Träger von Bewegungsdarstellungen, etwas die Figuren Verbindendes, bloß noch Richtungen Anzeigendes, das im freien Schwung oder auch in kurzem Zucken mehr andeutete als festlegte, mehr begleitete als beschrieb, und vor allem im Spiel der vielen Linien ein eigenes Leben zu führen begann. Sehr konkret waren seine Einwände gegen die Umrißlinien. Sie betonten oft unwichtige Stücke, gaben den weiter zurückliegenden eine unberechtigte Betonung gegenüber denen des Vordergrundes, störten also die Folgerichtigkeit der Körperdarstellung. Sie eliminierten die Vielfältigkeit der darzustellenden Gegenstände, ließen sie wie aus ein und demselben Stoffe bestehend erscheinen. Auch zerstörten sie alle Oberflächenreize, das Schimmernde, Reflektierende, Sammetartigdunkle. Dies war der Preis, um den die Klassizisten die Vollendung mit Hilfe einer einzigen Art der Materie erkauften. Kein Zweifel, daß dieses Opfer den Ausdruck des inneren Lebens zerstören mußte, dessen Wesen die grenzenlose Vielfältigkeit und das Übergehen von einem Zustand in einen anderen ist. Im „eisernen" Kontur erlischt das Zittern der Blätter im Wind, das Atmen der Körper, der verschleierte, tränenfeuchte Blick. Übrig bleiben die bloßen, die vom Leben abgezogenen Formen der Dinge, in einer abstrakten Materialität, unverbunden nebeneinander bestehend. Die klassizistische Vollendung in und mittelst der Zeichnung, die eine «froide execution» (II, 12) fast notwendig zur Folge hatte, erschien nun Delacroix als Pedanterie, ungeistig, nur auf Angelerntem beruhend. Die Malerei aber sei, wenn richtig verstanden, Tat des Geistes: in ihr «c'est l'esprit qui parle ä l'esprit». Die Farbigkeit klassisch vollendeter Gemälde steht in Beziehung zu ihrer Zeichnung. Wie diese die Körper voneinander trennt, so treten auch die Farben isoliert, begrenzt und betont unterschieden

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auf. Die Malerei der Vollendung operiert mit festgelegten Lokalfarben, die auch der Helligkeit und Dunkelheit nach voneinander weit getrennt gehalten werden. Große Teile der Bildfläche, ganze Körperstücke werden in einem einzigen solchen Lokalton zusammengefaßt; sie werden farbig vereinfacht und vereinheitlicht. Man kann die Wahl der Linien- wie der Farbenarten und ihre Verwendung im Bilde auch unter dem Gesichtspunkt der Eignung betrachten. Wie nur bestimmte Mittel der Technik in der Kunst der Vollendung brauchbar sind, so auch nur bestimmte gegenständliche Motive. Alle heftigen Bewegungen, wie das schnell sich drehende Rad, dessen Speichen sich für den Anblick in unbestimmt schimmernde Kreisformen zu verwandeln scheinen, oder das in der Rennbahn dahinjagende Pferd sind ungeeignet. Weil er versucht hat, Bewegtes mit den Mitteln der Vollendung darzustellen, ist Gericault an seiner Aufgabe gescheitert. «J'ai revu des lithographies de Gericault, chevaux, lions meme etc., tout cela est froid, malgre la superiorite avec laquelle les details sont traites; mais il n'y a jamais d'ensemble en rien» (11,454). Bewegungen, in denen verschiedene Phasen durchlaufen werden und mehrere Stellungen ineinander übergehen, verlangen andere Mittel der Darstellung, das Verschmelzende, das die Einheit des Ganzen vor allen Einzelheiten betont. Sofern sich dann innere Bewegtheit des Gemütes und der Seele in der Erschütterung der äußeren Gestalt anzeigt und kundgibt, gilt auch für sie das gleiche. Auch sie ist für die Darstellung in der Vollendung ungeeignet, wie sie sich auch als Seelenzustand gerade der Begrenzung, dem Festumschriebenen widersetzt. Man braucht nur an Frans Hals zu erinnern, um sich davon zu überzeugen. Bei ihm ist die innere Labilität der Dargestellten in ihrer Übereinstimmung mit den gleitenden, zuckenden, schwebenden Formen zu erkennen. Die stillen und die gleichmäßig ausgebreiteten Dinge sind es, die die geeignetsten Motive für die Kunst der klassischen Vollendung hergeben. Delacroix hat Veronese als ein Muster dieser Kunst erwähnt (II, 111). Seine Bildthemen hätten keine der ausgesprochenen Höhepunkte, die eine «concentration de l'interet» verlangen (vgl. auch II, 258.9). Nun war Delacroix eine so leidenschaftliche Natur, daß selbst die festgeformten Dinge ihm als Objekte einer auf Unendlichkeit hin orientierten künstlerischen Interpretation erschienen. Darin zeigte sich seine romantische Grundhaltung. Das ganze Leben stellte sich ihm so dar. Sowohl seine Kunst wie seine Reflexion war daher mit viel größerer Ausführlichkeit und Intensität auf die Problematik des Unendlichen gerichtet. Dieses enthielt für ihn allein die volle Kraft des Lebendigen, seine Irrationalität, seinen grenzenlosen Drang, sich zu zeigen oder zu bewähren, aber auch sein Geheimnis, das Unergründliche. Bei Rembrandt sah Delacroix gegenüber der Schönlinigkeit und Majestät der Raffaelfiguren «la mysterieuse conception du sujet» (II, 65). Und in dem Bestreben, zum Prinzip des Unendlichen als der tragenden Idee seiner eigenen Kunst vorzudringen, entdeckte Delacroix die ganze Größe Rembrandts. Das ist aber erst 1851, also zwölf Jahre vor seinem Tode geschehen. Und noch mit Vorbehalt hat er diese berühmt gewordene Entdeckung hingeschrieben: «Peut-etre decouvrira-t-on que Rembrandt est un beaucoup plus grand peintre que Raphael. J'ecris ce blaspheme propre ä faire dresser les cheveux de tous les hommes d'ecole, sans prendre decidement parti» (II, 65). Delacroix aber war es in seiner Kunst um eine andere Lebensauffassung zu tun, als Rembrandt gegeben hatte. Das Allgemeinste, das ihn bestimmte, das für ihn die Vielfalt des Lebens mit seinem Handeln und Leiden, mit seinem unendlichen Streben anschaulich machte, war das farbig wogende Dunkel, nicht Rembrandts Finsternis sondern der Halbton zwischen Helle und Dunkelheit, in welchem die Farben ihre volle Intensität bewahren, nicht verändert oder verzehrt werden. Im Halbton aber erschienen ihm die Formen der Gestalten nicht klar bestimmt, scharf umrissen sondern verschwimmend, dieses Wort ganz ohne negative Bedeutung gebraucht: schwimmend und werdend, in einem alles tragenden, alles verbindenden Element, dem anschaulich gewordenen noch farblosen Licht. Als unübertroffener Beherrscher dieses Halbtones mußte Rubens gelten, und er war in der Tat der von Delacroix über alle anderen Künstler hinaus verehrte Meister. Rubens hatte seine besondere praktisch-technische Lösung für die Darstellung des Halbtones, das ungleichmäßige Grau seiner

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über den weißen Grund gelegten Imprimitur. Selbst in unregelmäßigen Strichen und breiten Pinsellagen, bald lichter, bald dunkler schwimmend, wurde dieser Ton dazu verwandt, die Dinge und Gestalten aus sich heraus zu endassen und auch wieder in sich hineinzunehmen, eine doppelte Bewegtheit, die das Wesen des unendlichen, weil für die Anschauung nicht klar begrenzten Geistes auszusprechen scheint. Dieser halbdunkel wogende Grund nimmt bei Rubens unmittelbar den Charakter einer seine Gemälde bestimmenden Atmosphäre an, sinnlich wie geistig. Der Halbton, der einem Bilde Tiefe der Tönung (der Tonlage) und Tiefe des Ortes verleiht, von Delacroix nicht uniform, sondern für jedes Bild und jeden Bildteil in besonderer Weise entwickelt, (II, 61 erwähnt «une demi-teinte rosee chairs fraiches » aus Zinkgrün, hellstem Zinnober und Lack) erscheint demnach nicht als Darstellung eines konkreten Stoffes sondern nur als Sinnbild, als ein lebendiger Grund, der die Einzeldinge miteinander verbindet, der alle Formen zu sich hin öffnet. Er ist schon selbst «unite, enchainement» (II, 470) und «le vague » und verwirklicht damit drei Eigenschaften, um die es Delacroix in seiner Kunst ging, jede von ihnen ein Mittel, das Unendliche auf künstlerische Weise sichtbar zu machen. Er erlaubt und er fordert von dem Maler höchste Freiheit und «elan » (II, 69), um aus dem wogenden Unbestimmten die einzelnen Gebilde hervorzuziehen, und zwar nun nicht gleichmäßig, sondern je nach ihrer Wichtigkeit. Dieser «elan »ist oft so stark, daß er Delacroix, der hier aus eigener Erfahrung sprach, bemerken ließ, beim späten Rembrandt wie beim späten Tizian mache es den Eindruck, daß der Maler «probablement ne savait pas comment il finirait un tableau ». Einen derartigen Eindruck müssen ihm die Bilder gemacht haben, als habe die Leidenschaftlichkeit der Inspiration diese Maler zu unbekannten Zielen mit sich fortgerissen, bei denen sie schließlich die Dinge so gelassen hätten, wie sie nun dastehen. Es ist ein unendliches Streben, das am Ende unbefriedigt, ohne sich Genüge getan zu haben, das Unternommene aufgibt (II, 41). Die Idee der Unendlichkeit spricht sich auch als unendlicher Wechsel in der Zeit aus. In jedem Augenblick ist die verborgene Energie durch ein anderes Gebilde sichtbar, in dem jene offenbar wird. Für die künstlerische Darstellung folgen daraus Emphasis und Unvollständigkeit. Das in einem Augenblick Erscheinende, zu dessen Wesen es gerade gehört, nur vorübergehend zu sein, bedarf der Betonung, die seiner Wichtigkeit für ein ganzes sichtbar werdendes Feld entspricht (nach Form, Proportion und Farbe); «l'interet soit marque comme il convient» (II, 170). Unwichtiges dagegen muß vom vollen Erscheinen zurückgehalten werden und deshalb unvollendet in seiner Erscheinung bleiben. Seine Totalität muß geopfert werden. So entsteht Größe. II, 163 spricht «sur 1'effet en general de ce qui n'est pas complet et du manque de proportions pour contribuer ä agrandir ». Der Begriff des künsderischen Opfers war ganz Delacroix' Eigentum; er hat den ihm zugrunde liegenden Tatbestand erkannt und den Terminus eingeführt. Zahlreiche Stellen seiner Tagebücher sprechen von ihm. Wiederum hat er ihn an Rubens beobachtet. Die Vollkommenheit gerade des Klassizismus ist es, die geopfert werden muß. So schrieb er: «Rubens execute le metier qu'il sait, sans chercher a l'infini des perfectionnements» (II, 167). Oder «Rubens est plein de ces negligences ou choses hatees (II, 167) des defauts qui les deparent, mais ne nuisent ä la sensation qu'ä proportion du plus ou moins de superiorite des parties reunies. » Auch bei Rembrandt hat er die «sacrifices » konstatiert (II, 170), doch fand er sie manchesmal zu auffällig: «il les faut infiniment plus delicats que dans la maniere de Rembrandt.» Was ihn störte, war ein daraus entstandener Mangel an Harmonie, die er bei aller Ungleichheit in den Einzelheiten doch gewahrt wissen wollte. «La disproportion serait-elle une condition pour Fadmiration ? » (II, 187) hat er, zweifelnd, noch 1853 gefragt. Lassen sich Homer, Pindar, Corneille, Shakespeare und Beethoven, die er «empörtes par des bonds irreguliers » (II, 261) fand, nicht übertreffen ? Ihm selbst ist es in seinen späteren Werken gelungen, die «monstruosites» (II, 259), die manchmal aus dem Weglassen und den Undeutlichkeiten entstanden, «les lacunes, les chutes soudaines » (II, 261) zu vermeiden. Der Unvollständigkeit entspricht die Emphasis, «l'effet outre » (II, 169) gewisser Bildpartien, bei Delacroix auch «brillance» genannt. Sie macht wiederum Abweichungen von der Wirklichkeit um der Wirkung willen notwendig, betonte Helligkeit an gewissen Stellen, vertiefte Dunkelheit an

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anderen, gesteigerte Farbigkeit an einer dritten. Auch sie ist von Rubens mit höchster Meisterschaft gehandhabt worden, wie Delacroix vielfach beobachtet hat. So habe jener das Fleisch des nackten menschlichen Körpers manchmal nicht mit einer Fleischfarbe dargestellt sondern aus einem Grau (als Halbton) entwickelt, dem Lichter und Schatten hinzugefügt wurden (II, 9). Der Steigerung dienen auch die von Delacroix mit Vorliebe verwandten Farbkontraste wie das Aufsuchen expressiver Formen, heftig geschwungener oder unregelmäßig gezogener Linien oder frei erfundene Farbverbindungen, deren er im Journal eine Unmenge sorgfältig notierte. Das Überraschende, Unerwartete, sich der Faßbarkeit Entziehende erhält auf diese Weise Gestalt, kurz das Geheimnisvolle des in unendlichen Möglichkeiten sich manifestierenden Lebens. Während die Klassik ohne Sforzati auszukommen sucht, jeden einzelnen Teil voll für sich selbst zur Geltung kommen läßt, die Einzelheiten aber so zusammenordnet, daß der inhaltliche Höhepunkt der Darstellung mit der stärksten Farb-Formbetonung zusammenfällt, suchte Delacroix — als Romantiker — neben den inhaltlichen Höhepunkten durch frei gesetzte Akzente aus Farbe und Form andere emphatische Momente in seinen Bildern zu gewinnen; er hat also zwei Arten von Höhepunkten nebeneinander, die miteinander in Spannung treten, das Ganze mit unendlichen Bezügen und vibrierender Lebendigkeit erfüllen, geheimnisvolle Ablenkungen, Umwege, Zerrungen der Darstellung mit ebenso vielen Rückwendungen auf das Wesentliche. Das Ganze allerdings eingebettet in eine durchgehende düstere Tieftonigkeit. Auf Grund seiner eigenen im höchsten Maße emphatischen Malerei wurde Delacroix die akzentreichste Art bildender Kunst zu einem Hauptproblem: die Skizze, der Entwurf, dessen Andeutungen allein die betonten Züge einer Komposition geben. « J ' y dis que l'ebauche d'un tableau, d'un monument . . . enfin que tout ouvrage d'imagination auquel il manque des parties, doit agir davantage sur l'äme, ä raison de ce que celle-ci y ajoute, tout en receuillant l'impression de cet objet. J'ajoute que les ouvrages parfaits, comme ceux d'un Racine et d'un Mozart, ne font pas, au premier abord, autant d'effet que ceux des genies incorrects ou negliges, dont les parties saillantes le sont d'autant plus qu'il y en a d'autres ä cöte qui sont effacees ou completement mauvaises» (II, 187). Es stimmten für ihn die Werke der Emphase, (jene also, die auf die Darstellung des Unendlichen, Unvollendbaren gerichtet waren), im Wesen mit der Skizze überein. Wie aber sollten sich nun in der Tat Skizze (croquis) und fertiges Bild (tableau fini, complete) dieser Art zueinander verhalten ? Immerhin bestand, trotz aller Verwandtschaft, ein Unterschied zwischen ihnen. Was bedeutete er, worin zeigte sich hier das Fertigmachen, das kein Vollenden (perfection) sein konnte; war ein beendetes Bild der Skizze an Qualität gleichwertig, überlegen oder notwendigerweise geringer ? «L'idee premiere », antwortete Delacroix, «le croquis, qui est en quelque sorte l'oeuf ou l'embryon de l'idee, est loin ordinairement d'etre complet; il contient tout si l'on veut, mais il faut degager ce tout, qui n'est autre chose que la reunion de chaque partie. Ce qui fait precisement de ce croquis l'expression par excellence de l'idee, c'est, non pas la suppression des details mais leur complete subordination aux grands traits qui doivent saisir avant tout. La plus grande difficulte consiste done ä retourner dans le tableau a cet effacement des details, lesquels pourtant sont la composition, la trame meme du tableau » (II, 336). Die Skizze, deren Struktur von den Hauptmerkmalen des gegebenen Themas, ja eigentlich von einem einzigen Kulminationspunkt desselben abhängt («le point interessant, tout est la . . .»III, 124), den der Künstler finden muß, indem er seinen Stoff in besonderer Weise versteht, solche Skizze bedarf also der Entfaltung ihrer Hauptzüge, doch so, daß die Einzelheiten den Sforzati des Entwurfes unterworfen bleiben, hinter ihnen zurücktreten. Die Details dürfen nur ein Gewebe darstellen, auf dem jene wie ein Muster erscheinen; sie müssen die herausleuchtenden Hauptzüge tragen. Ein so entfaltetes Bild ist einer Skizze an Reichtum der künstlerischen Erfindung überlegen. «L'artiste ne gäte done pas le tableau en le finissant; seulement en renongant au vague de l'esquisse, il se montre davantage dans sa personnalite, en devoilant ainsi toute la portee, mais aussi les bornes de son talent.»(II, 164/5). Auch die bewunderten Rubensskizzen schienen Delacroix nicht höher zu stehen als die ausgeführten Gemälde, deren reiche Details in ihrer Unterordnung unter die Hauptzüge ihn begeisterten.

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Wegen des «vague » der Skizze mußte nun aber die bildmäßige Ausführung einer künstlerischen Konzeption unerläßlich erscheinen. Denn die Kunst erfordert Genauigkeit, endgültige Entscheidung in einem bestimmten Sinne. «C'est l'exactitude pour l'imagination, que je demande », schrieb Delacroix 1855 (III, 106), das heißt keine sklavische Nachahmung der Natur noch auch pedantische Ausführlichkeit; vielmehr «la couleur et la forme doivent concourir ä l'effet que je demande; mon exactitude consisterait ä n'indiquer fortement que les objets principaux, mais dans leur rapport d'action necessaire avec les personnages.» Dann wies er noch ausdrücklich darauf hin, daß auch «les accessoirs » nicht gleichgültig behandelt werden dürften. Das «peu ä peu» genüge auch für sie nicht. Bei diesen letzten Bemerkungen ist Delacroix eine Ungenauigkeit des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen. Nach seinen sonstigen Bemerkungen durften diese Dinge gerade nicht genau dargestellt werden. Und er meinte das auch hier nicht. Was er im Sinne hatte, war nicht die exactitude, die Präzision, sondern die Prägnanz. Diese können und müssen auch nur angedeutete, unvollendet dargestellte Dinge in einem Bilde besitzen. Ihre Formen müssen sprechen, und zwar künstlerisch eindeutig, das heißt prägnant. Wenn die Kunst des Unendlichen auch der ausgeführten und abgeschlossenen Werke bedarf, so hat sie doch mit der Farbskizze etwas Neues und Eigentümliches hervorgebracht. Die Kunst der Vollendung ruht auf dem gezeichneten Entwurf, er ist dem vollendeten Bilde wesensgleich, denn die hinzugefügten Farben sind im selben Geiste, nach denselben Regeln verwandt wie die zugrunde gelegte Zeichnung, sei diese nun klein oder so groß wie das geplante Bild. Entwurf und Werk besitzen aus der Idee der Vollendung die Einheit des Ganzen, aufgebaut aus klar bestimmten, selbst einheitlich zusammengefaßten Einzelheiten verschiedenen Ranges, aus lauter gleichgewichtig disponierten Einheiten, die linear umgrenzt, durch linearen Fluß und Schwung oder durch Körperliches darstellende Linien miteinander verbunden sind. In der Kunst des Unendlichen ist das anders. Da liegt die Einheit der Skizze in dem Bezug der angegebenen Hauptzüge des Ganzen auf den farbig-dunklen Grundton, auf die in einem Zuge hingeschriebene Idee, welche, aus der Dunkelheit hervorgehend, wie aus einem Gusse zu sein scheint. Sie ist in gewissem Sinne durch die für sie charakteristischen Auslassungen und Unvollständigkeiten bedingt. Beim zu Ende gebrachten Gemälde dieser Art aber gründet die Einheit auf der Durchgängigkeit der plastischen Modellierung und den zwischen den verschiedenen Valeurs und Farbreflexen entwickelten Beziehungen. Nun tritt aber noch ein drittes Verfahren auf: die Körpermodellierung durch den Bezug von Linien aufeinander, die nicht als fließende, sondern nur als gerichtete konzipiert sind, und, mit ihren gewöhnlich kurzen Strichen aufeinander bezogen, die zwischen ihnen liegenden Körperstücke zur Darstellung bringen. Das ist die Weise des Entwerfens, die sich auf das «modele en masse » (III, 121) gründet. Delacroix verdankte den Begriff, wie aus einer gelegentlichen Bemerkung hervorgeht, seinem Lehrer Gros, der das Verfahren an antiken Statuen beobachtet hatte. Zur klassischen Konzeption des Kunstwerks auf die Vollendung hin gehört also eine andere Zeichenweise als die Linearität verfestigter Umrisse. Überraschenderweise hat nun Delacroix das klassische Prinzip der durchgehenden Massenmodellierung auch für seine Kunst als verbindlich anerkannt. Und zwar aus folgendem Grunde: auch wenn in einem Werke das unendliche Leben dargestellt sein sollte, war die Einheit eine unabdingbare Forderung; sie aber konnte nach der Auflösung der festen Umrisse beim «tableau compose successivement de pieces de rapport» (II, 337) nur durch Gestaltung plastischer Massen im Zusammenhang erreicht werden. Heftig tadelte er Gericault für die «absence d'unite, absence dans la composition en general, absence dans chaque figure » (III, 121). Das aber rühre vom Fehlen des «modele en masse » her. Diese durchgehende Modellierung muß der Darstellung von Einzelheiten übergeordnet werden. Da nun aber die Farbgebung zum grundlegenden Gestaltungsmittel geworden war, konnte plastische Modellierung, welche eine Einheit eines Bildganzen bewirken sollte, wesentlich nur durch Farbtöne dargestellt werden, die von einem Gegenstande auf den anderen reflektierten. Nicht die isolierenden Eigen-(Lokal)farben der Dinge waren dafür zu verwenden; die «liaison » (III, 206) oder «l'enchainement» (II, 470) mußte geschaffen werden durch «ces reflets qui forment un tout des objets les

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plus disparates de couleur» (III, 206). So entstand eine einheitliche, vereinheitlichende, zugleich aber auch grenzenlose, unendliche Spiegelung und Widerspiegelung zwischen den als aus ihren Schwerpunkten wirksam dargestellten Massen. Wie für die klassische Darstellung gab es auch für die Bildform der unendlichen Lebenskraft besonders geeignete Themen, die nach einer solchen Gestaltungsweise verlangten. Es waren das, nach Delacroix' Ausdruck, die «sujets pathetiques », bei denen es erforderlich war, «au moyen de certaines exagerations, attirer l'attention sur l'objet principal» (II, 170). Das Pathetische ist stets mit gesteigertem Ausdruck verbunden; zur Darstellung von Pathos aber, das als Leiden der Leidenschaft ins Grenzenlose tendiert, war die aufs Unendliche in der Darstellung gerichtete Methode besonders geeignet, «pour augmenter la force de l'expression ». Sie besitzt die notwendige Düsterkeit, das Unheimliche, Wilde, die unberechenbaren Zusammenhänge mit unerwarteten Wiederholungen, das Unvollendete, die schärfsten und schneidensten Kontraste. Jedoch Rubens, auch hierin der größte der Meister, hat gezeigt, daß dem Maler der grenzenlosen Lebenskraft mit ihrem Drang zur Unendlichkeit fast jedes Thema recht sein kann, um es auf seine pathetische Weise zu gestalten, wenn er Grenzen und Gesetze der Schönheit einhält. Auch Delacroix ist ihm darin gefolgt und hat niemals jene Entfesselung anerkannt, die deutsche romantische Dichter gefordert haben, noch ist er vor den Forderungen des Unendlichen in ein blutarmes Schmachten und ängstliches Zurückhalten des Natürlichen ausgewichen, wie die meisten deutschen romantischen Maler. Auch er wollte noch dem Schönen in der Kunst genug tun, zugleich allerdings auch dem Leidenschaftlichen, den Forderungen beider gehorchen, nicht aber den Regeln, welche irgendeine Schule für die Malerei aufgestellt hatte und die sie für absolut verbindlich erklärte. Er vertraute, in der besten französischen Tradition, auf den Geschmack, «le goüt», den er (111,387) als «le tour d'esprit d'une nation » definierte. In dem Zusammenhang des Einzelnen mit der Gesamtheit der Nation sah er (im Gegensatz zu deutscher Auffassung) die Garantie, das Maß des Erlaubten nicht zu überschreiten, nicht in private Verrücktheiten und skurrile Extravaganzen zu verfallen, nicht geschmacklos, bizarr, gezwungen oder schwülstig auch noch in der Darstellung des Unendlichen zu werden, das selbst keine Grenzen kennt und keine Grenzen setzt. «Le goüt est une lucidite de l'esprit qui separe a l'instant ce qui est digne d'admiration de ce qui n'est que faux brillant. En un mot, c'est la maturite de Γ esprit» (III, 193). Bei solchen Betrachtungen, die Delacroix selbst gelegentlich seine Philosophie der Kunst genannt hat, liegt der Wert darin, daß sie sich nicht mit den gängigen Stilbegriffen aufhalten. Sie verwenden die Worte Renaissance, Barock, Klassik und Romantik ziemlich selten und stoßen sofort tiefer durch jene Nomenklaturen auf die Ideen, die ihnen zugrunde liegen. Sie ordnen nicht Künstler und Kunstwerke stilistisch ein sondern vertiefen die Stilbegriffe. Auch für die letzten tragenden Ideen versuchen sie die künstlerischen Darstellungsformen in ihrer Mannigfaltigkeit zu begreifen. Sie rühren dabei an zahlreiche fundamentale Phänomene und Probleme aller künsderischen Darstellung. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei Delacroix' strenge Unterscheidung zwischen Klassik und Klassizistik. Von der einen zur anderen konstatiert er ein Absinken der künstlerischen Intelligenz, demzufolge eine Verschiebung der Zielsetzung. Klassisch ist ihm die Antike und Wölfflins „Klassische Kunst"; der Klassizismus ist für ihn durch David und Ingres vertreten. Zwischen der Antike und der Hochrenaissance besteht der Unterschied, daß auch Raffael und Tizian «sacrifiaient ä la grace » (III, 255), obwohl sie doch sonst im und aus dem Geiste der Antike geschaffen haben. «L'antique est plein de la grace sans affeterie de la nature; rien ne choque; on ne regrette rien, et il ne manque rien, et il n'y a rien de trop. II n'y a aucun exemple chez les modernes d'un art pareil» (III, 307). Das ist dieselbe Ansicht, die auch Rubens ausgesprochen hat, der die Kunst seiner Zeit ebenfalls so geringschätzig beurteilte. «L'antique est toujours egal, serein, complet dans ses details, et l'ensemble irreprochable en quelque sorte » (III, 308). Das vollkommene Maß erscheint hier als der Inbegriff der antiken Kunst; die Vollendung stellt sich dar als das μηδέν άγάν. Die Atmosphäre aber des μηδέν άγάν ist die Serenität, die göttliche, die heilige Nüchternheit, («sobriete et force contenue»

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III, 255). Die Vollendung der Renaissance war aber durch einen Hauch von Absichtlichkeit getrübt, wie er aus dem Willen zur Erneuerung von etwas einmal Dagewesenem zwangsläufig hervorging; dies Willentliche verhinderte den höchsten Grad, das letzte Gelingen des Vollkommenen. Antike und Renaissance waren für Delacroix nur dem Grade nach verschieden. «J'appellerais volontiers classiques tous les ouvrages reguliere, ceux qui satisfont l'esprit, non seulement par une peinture exacte, ou grandiose ou piquante, des sentiments et des choses, mais encore par l'unite, l'ordonnance logique, en un mot par toutes ces qualites qui augmentent l'impression en amenant la simplicite» (111,217). Sie sind «classique, c'est-ä-dire parfait» (111,218). Das gemeinsame Ziel und Ideal aller dieser Werke ist die Vollkommenheit. Der Klassizismus ist dagegen im Wesen von solcher Klassik verschieden. «L'ecole de David s'est qualifiee ä tort d'ecole classique par excellence, bien quelle se soit fondee sur l'imitation de l'antique. C'est precisement cette imitation, qui öte ä cette ecole le principal caractere des ecoles classiques, qui est la duree. Au lieu de penetrer l'esprit de l'antique et de joindre cette etude ä celle de la nature, on voit qu'il a ete l'echo d'une epoque ou on avait la fantaisie de l'antique » (III, 218). Als Nachahmung antiker Äußerlichkeiten, durch den Gebrauch antiker Themen, antiker Kunstvorbilder und antiker Kostümierung in historischer Richtigkeit zeigt sich diese Kunst durch ihren Mangel an Originalität und Natürlichkeit als unklassisch, ephemer, nicht vorbildlich und nicht dauerhaft. Diese Kunst ist kalt, sie vermag niemand zu bewegen. Ihr Merkmal ist die «froide exactitude ». Viele Leute glauben, die wahre Klassik sei kalt. «Beaucoup de gens ne separent pas l'idee de froideur de celle de classique. II est vrai qu'un bon nombre d'artistes se figurent qu'ils sont classiques parce qu'ils sont froids», aber sie täuschen sich über sich selbst wie über das Wesen der Klassik. Diese kann niemals kalt, das heißt tot und unlebendig sein, denn sie ist mit der Natur und dem Natürlichen, dem Leben also in Übereinstimmung. Sie ist nur Darstellung des zur Vollendung gekommenen Lebens, und zeigt insofern Leben in einer grenzsetzenden Weise zu Ende gedacht. Zwischen der Renaissance und dem Klassizismus hat die französische Malerei noch einmal in entscheidender Weise zur antiken Kunst Stellung genommen.4 Dies geschah in der Kunst Poussins, die im besonderen Sinn als klassisch französisch gilt. Wie hat Delacroix sie beurteilt ? Im «Moniteur » vom 26., 29. und 30 Juni 1853 hat Delacroix einen Aufsatz über Poussin veröffentlicht, der überraschenderweise mit der Erklärung einsetzt: „Poussin ist so oft der klassischste aller Maler genannt worden, daß man vielleicht ein wenig verwundert sein wird, ihn hier als einen der kühnsten Neuerer in der Geschichte der Malerei gefeiert zu sehen".6 In den vielen Seiten seiner Essays hat Delacroix nur wenig von der Beziehung der Kunst Poussins zum Altertum gesprochen, die doch so stark in die Augen fällt. Er schrieb: „Die Antike nachahmen, wie es Poussin getan hat, hieß dem natürlichen Drange seines Genius folgen. Poussin hat nicht das Materielle der Reliefs und Statuen nachgeahmt. Er verwandte keine peinliche Sorgfalt auf das Kostüm und andere äußerliche Dinge. Er hat keine vermeintliche Reinheit erkünstelt, indem er die Form eines Faltenwurfs, eines Möbels, einer Haartracht wörtlich übertrug . . . Der Künsder soll auf den Geist gehen, um zu erwerben, was er nachahmt. Der Künsder sieht das Menschliche an der Antike. Anstatt das Peplon oder die Chlamys neu zu entdecken, ruft er gleichsam in menschlichen Formen und Leidenschaften den starken Genius der Antike ins Leben zurück. So ahmte Poussin nach." Diese Darlegung scheint voreingenommen zugunsten Poussins. Sicherlich hat dieser in vieler Hinsicht der Antike gegenüber historisch treu sein wollen. Dennoch hat Delacroix richtig gesehen, wenn er Poussins Kunst weit vom Klassizismus abrückte. Ihr Ziel war nicht, die Antike nachzuahmen und sie zu erreichen, sondern das gleiche wie die Grundintention der Klassik selbst: Vollendung. Darin 4 Von der Antikenübernahme und Interpretation der Schule von Fontainebleau hat Delacroix keine Kenntnis gehabt oder keine Notiz genommen. 5 Wieder abgedruckt in deutscher Übersetzung durch Julius Meier-Graefe, Eugene Delacroix, Literarische Werke, Leipzig 1912, 196/246.

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liegt die Übereinstimmung; die Antike ist für sie das Mittel dazu. Poussins Besonderheit ist eine Klassik römischer Färbung. Sie ist feierlich, schwer, mehr mächtig als anmutig. «La force de la conception, la correction poussee au dernier terme II est tendu dans ses sujets romains, dans ses sujets religieux; il l'est dans ses bacchanales, ses faunes et ses satyres sont un peu trop retenus et serieux; ses nymphes . . . sont de tres belles personnes, qui n'ont rien de mythologique ou de surnaturel» (II, 63). Man kann sagen: seine Kunst gründete sich auf die «males conceptions du genie antique » (III, 384). Um das Bild zu vervollständigen, muß ein Wort über Rubens hinzugefügt werden. Seine Kunst deutet auf barocke Weise das Klassische in die der Klassik selbst fremde Unendlichkeit. Auch Rubens ist also ein Klassiker, nur auf eine andere Weise. Indem man das beachtet, löst sich die Schwierigkeit, daß Delacroix gerade Rubens aus dem Geiste der Klassik so hoch geschätzt hat. Und daß er ihn als Klassiker mit Michelangelo und Rembrandt zusammen sehen konnte. Das Klassische zerfiel für Delacroix in zwei Strömungen und war für ihn auf zwei entgegengesetzte Weisen möglich: durch die Genies der Vollendung wie die Genies der Unendlichkeit. Klassizismus dagegen war für Delacroix nichts anderes als eine äußerliche, phantasielose und schwächliche Nachahmung der Antike. Auf sie trafen nach seiner Meinung diejenigen Vorwürfe zu, von denen er Poussin gerade freisprach. «L'ecole de David s'est qualifiee ä tort d'ecole classique par excellence, bien qu'elle se soit fondee sur Limitation de l'antique» (III, 218). Von der Kunst Davids selbst hatte er eine höhere Meinung; er sah in ihr immerhin die Befreiung von der schablonenhaften Routine der Van Loo und des Rokoko überhaupt. Sein Verdikt richtete sich gegen Ingres, Flandrin, Signol, Hesse usf., deren Art Delacroix als einen «gout mele d'antique et de Raphael, un genre bätard» (III, 416) bezeichnet hat. Ein kleiner Zug, der ebenfalls die Maler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts betrifft, sei noch erwähnt, weil er auf die deutsche Kunstauffassung jener Zeit einen Bezug hat. Am 31. Januar 1857 notierte Delacroix über Marine- und Landschaftsmaler: «Iis veulent montrer trop de science, il font des portraits de vagues, comme les paysagistes font des portraits d'arbres, de terrains, de montagnes etc. Iis ne s'occupent pas assez de 1'efFet pour l'imagination, que la multiplicite des details trop circonstancies, meme quand ils sont vrais, detourne du spectacle principal qu'est Vimmensite ou la profondeur dont un certain art peut donner l'idee » (III, 216). Diese Sätze sind in doppeltem Sinne bezeichnend: sie zeigen noch einmal das Ideal der Kunst Delacroix', das Ungeheure und die Tiefe, zwei Grundaspekte des Unendlichen, das Übermaß und den unmeßbaren Abgrund. Ferner aber stehen sie in unübersehbarem Gegensatz zu dem Kunstideal, das Goethe in seinen späteren Lebensjahren — nach 1800 — entwickelt hatte. Er erhoffte sich eine Erneuerung der Kunst und besonders der Landschaftsmalerei gerade durch Wissen. Er hat auseinandergesetzt, daß ein Landschaftsmaler, der die geologische Struktur und die atmosphärischen Zustände wie die aus ihnen folgenden Bedingungen für Flora und Fauna kennte, ein besserer Maler sein würde selbst als die von ihm so hochgeschätzten Holländer, daß ein Blumenmaler, der eine genaue botanische Kenntnis besäße, besser Blumenstilleben malen würde als je ein Künstler zuvor. Delacroix, der von diesen theoretisch entwickelten Forderungen nichts wußte, sah in der phantasielosen, descriptiven Malerei seiner Zeitgenossen jenes falsche Ideal erreicht, das die künstlerische Inspiration, die Tätigkeit der gestaltenden Phantasie lahmlegen mußte. Es ist nicht überraschend, daß in dieser Frage vom Nutzen und Nachteil des Wissens für die Kunst die hohe künstlerische Intelligenz eines geborenen Malers über den weisesten aller Malerdilettanten siegte.

Zu Tizian als Zeichner von Kurt Bauch Zum Geburtstag Walter Friedlaenders vor 30 Jahren hat Erwin Panofsky über Rembrandts Danae seinen Aufsatz „Der gefesselte Eros" geschrieben1. Er verteidigt darin überzeugend die alte Bedeutung des Themas gegen neuere Bestimmungsversuche. Für Rembrandt ergibt sich dabei, daß er —• sein ikonographischer Stil entspricht ja dem formalen — die überkommenen Themen in eine intime Nähe heranzieht, bisweilen so eigenmächtig, daß der sachliche Inhalt verschwimmt oder verdämmert, ja seine Vollständigkeit und Erkennbarkeit einbüßt, während der persönliche Gehalt aus seiner Vertiefung ins Menschliche umso wärmer hervortritt. Tizian, sein Vorbild, hat dagegen das Thema des Auftrags in die hohe Sphäre einer sachlichen, d. h. für ihn allegorischen Geltung erhoben. In seiner Danae von 1554 hat er die alte Sage befreit von der Umdeutung und Verkennung durch die mittelalterliche oder klassizistische Morallehre, die 1 bis heute nachwirkt 2 . Er hat sie erfüllt mit irdischer Wirklichkeit in dichterischer Verklärung: der Hingabe der hinsinkenden Frau an den Gott, der als Entladung des Himmels aus feurigem Gewölk eindringt, ist statt des sich abwendenden Amor die alte Dienerin beigesellt, die den goldenen Regen als Lohn auffängt. Bei Primaticcio (Abb. 17 bei Panofsky a. a. O.) waren beide Elemente ohne Gewicht geblieben wie Ovids nichtssagende Erwähnung, — Tizian hat sie mit Bedeutung erfüllt. Weitab von Rembrandts Intimität oder auch dem „Idealismus" der eigenen Frühzeit, ebenso frei von Sentimentalität wie von Zynismus, ist die Vereinigung von Gold und Liebe in einer hohen Vision erschaut, wie sie allein dem antiken Mythos entsprechen könnte. Was immer Tizian mit seiner großen Einsicht in die Welt darstellt, es gewinnt hohen Sinn und edles Aussehen. Selbst die Martyrien hat er dichterisch geläutert vorgetragen. Seine Mörder, seine Schergen, seine Drachen stoßen nicht ab, erscheinen nicht so roh und angsterregend wie es in jenen Jahrzehnten sonst vielfach vorkam. Doch sind es wiederum nicht leere Typen, vielmehr lebenserfüllte Wesen. Das Böse, Niedrige, Dunkle beschäftigt Tizian nicht als eigene Thematik, sondern nur als Kontrast, um das Hohe und Vornehme hervortreten zu lassen. Aber auch dann wird es mit erhoben in die Sphäre des Bleibenden und Gültigen gemäß der Rolle, die ja das Ganze über dem Altar oder an der Wand eines Salons zu spielen hatte. In großer Klarheit gesehen, mit sinnlicher Kraft erfaßt, wird alles Derartige dem Ganzen eines Gemäldes eingefügt, doch dabei gemäßigt und gemildert, dem hohen Ton jenes Ganzen angeglichen. Die Kontraste werden gehoben, nicht geschwächt, sondern veredelt in ein reiches Spiel von Formen. So vermag Tizian ein so schwieriges Thema zu fassen, eine so heikle Figur wie jene Alte darzustellen. 2

Die bekannte Eierfrau auf Tizians Tempelgang der Maria hat noch einen anderen Charakter. Vor der Rustica-Wand der Treppe bildet sie zwischen den Türöffnungen den Übergang zu der irdischen Welt 1 E. Panofsky, Der gefesselte Eros (zur Genealogie von Rembrandts Danae). Walter Friedländer zugeeignet. Oud Holland L 1933, 193ff. 2 H. Tietze, Tizian, Leben und Werk, Wien 1936, spricht I, 216 von einer „Vergröberung der Stimmung", „das Heroische sei zerstört", „das Menschliche gedemütigt" usw.

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des unten stehenden Betrachters. Ihrerseits ist sie bekanntlich angeregt durch die liebliche Gruppe der entsprechenden Figürchen auf Cimas Dresdener Bild, das Tizian gekannt hat. Doch ist seine Bäuerin mit einer Wucht erfaßt, als sei sie zum ersten Mal erfunden worden. Fast michelangelesk gesteigert, in großen Silhouetten aufgebaut, blickt die Alte auf den Reigen edler, heiter heranschreitender Gestalten. Die großen Hände ruhen schwer auf den Knien, — wahrscheinlich hielt die Linke ein Huhn, das dann großzügig übermalt wurde. Auf kurzem Hals streckt sich der grobe Kopf vor. In wenigen Flächen breit hingestrichen läßt das Kopftuch das Profil hervortreten: tief hängt die gebogene Nase über die kurze Oberlippe und den faltig heruntergezogenen Mund herab, über dem hart hervorspringenden Kinn. Zwanzig Jahre später, als er Danaes Duenna entwirft, geht Tizian noch von Typen dieser Art aus. Das zeigt eine Federzeichnung, die in diesen Zusammenhang gehört. *

In der herrlichen Sammlung von Handzeichnungen, die der Maler Leon Bonnat der Stadt Bayonne vermacht hat, befindet sich ein Blatt, das in dem Bildkatalog von Jacob Bean (Inventaire general des dessins... Bayonne. Dessins Italiens. Coli. Bonnat, Paris 1960) wie folgt beschrieben wird: Nr. 254 (m. Abb.) Ecok italienne, XVIe siecle. Tete de vieillard, de profil ä gauche. — Plume, encre brune. Papier beige. HO,045; L0,043. — Colle en plein. Inscription a la plume en bas ä droite: Giorgione (?) 3 Inventaire 617a (ecole italienne, XVI e siecle). — Prov.: N. Hone (Lugt 2793)4. Die eilig hingeworfene Skizze gibt doch wohl eher eine Frau mit Kopftuch wieder, die mit zusammengekniffenen Augen und erregt geöffnetem Munde emporblickt. Flüssig deutet die Feder die Umrisse an. Sie werden mehrfach verändert und verbessert an den Stirnwülsten, den Lippen, am Kinn und an der Kieferlinie, an die das tiefsitzende Ohr anschließt. Am Hals ist der Umriss des Adamsapfels ebenfalls doppelt gezeichnet. Während das Kopftuch in leichten, unterbrochenen Linien zart und sicher in seinen Flächen über dem Hinterschädel angedeutet ist, bewegt sich der Strich an den wulstigen oder zerfurchten Gesichtsformen mehr in kurzen Bogen und Kurven. In den Partien um die eingesunkenen Augen, unter der Nase, an der Mundöffnung und am Ohr deuten dickere Striche schattiges Dunkel an. Doch ist außer den immer neu ansetzenden Umrißlinien und Binnenkonturen fast nichts angelegt. Nur an der Wange, unter dem Kiefer und an zwei Flächen des Kopftuches geben durchsichtig hingeworfene Strichlagen die Modellierung im Licht leicht, doch treffend an. Je länger man das kleine Blatt (das wir in seiner Größe abbilden) betrachtet, desto eindrucksvoller wird es in seiner großzügigen Sicht, der schlagenden Erfassung, dem graphischen Reichtum — und das alles bei flüchtigster Niederschrift ohne jeden kalligraphischen Anspruch. Offenbar ist dies eine Studie Tizians für die Dienerin der Danae. Die motivische Ubereinstimmung ist deutlich, auch der Stil erweist sich als der des großen Malers. Zwar gibt es wenige Handzeichnungen von Tizian und — seit Tietze's überzeugender Kritik — noch weniger anerkannte 5 . Von ihnen sind die Hälfte Kreidezeichnungen: breit und zügig hingewischte Einzelstudien in Dunkel und Hell, meist auf getöntem Papier, von Anfang an auf Ton- und Farbwerte angelegt, mächtige Gewandfiguren, die herrlichen späten Reiter, einige Akte, auch Einzelgegenstände, — alles in einer höchst eigenwilligen Andeutung von Ton, Rundung, Lichtschimmer, daraus Tizians Gestalten entstehen. Diese zeitlosen Schöpfungen sind unvergleichlich, — auch für unser Blatt. 3 Vielleicht eher „Guercino" zu lesen. 4 Dem Konservator Herrn J. G. Lemoine verdanke ich die Erlaubnis, das Blatt zu veröffentlichen, eine Photographie Herrn F. Ττέργ vom Zeichnungskabinett des Louvre. 5 Η. Tietze und E. Tietze-Conrat, Tizian Studien II. Studie über Tizians Zeichnungen, in „Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien" N. F. X , 1936, 148 ff.

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Die übrigen etwa zweiundzwanzig sind Federzeichnungen, meist Studien von Gruppen, von Menschen, auch Tieren und Bäumen. Einige sind fertige, voll durchgeführte Reinzeichnungen für graphische Vervielfältigung (so etwa Roger und Angelica, ebenfalls in Bayonne, und die beiden Satyre mit der Himmelskugel, New Rochelle, Smlg. C. Baer, offenbar eine emblematische Darstellung, aber wohl auch die arkadische Landschaft, wiederum in Bayonne, und die beiden Blätter Hirten mit Herde im Louvre). Andere geben in freier Skizzierung die Hauptgruppe einer Figurenkomposition, meist in der Landschaft, oder wiederholen in immer erneuten Versuchen die Hauptfiguren. Nur wenige sind Teilstudien für eine Figur im Bilde. Diese Einzelstudien sind für Tizian vielleicht noch überraschender. Die ruhende, gemessene, geläuterte Form seiner Gemälde findet man in ihnen nicht wieder. Die graphisch nachlässige, fast formlose Niederschrift, das bloße Hinwerfen für den eigenen Bedarf, die Mißachtung des Zeichnerischen, die sich darin auszusprechen scheint, zeigen sich in den Linien der Federzeichnung besonders offen. Was immer bleibt, ist der graphologische Charakter, der Reflex des großen Betrachters, die Pranke des Löwen. Wo das Original verloren und nur in einer Stichwiedergabe erhalten ist, wo also jener persönliche Klang des Eigenhändigen fehlt, da fehlt sehr viel. Gerade ein solches Werk wäre am nächsten zu vergleichen: der Kampf der Adler gegen den Drachen, ebenfalls eine emblematische Komposition, jedoch nicht durchgeführt, sondern nur in flüchtigster Federzeichnung entworfen. Das Blatt ist nur in einem Stich des 18. Jahrhunderts bekannt, der es Tizian zuschreibt6. Hier finden sich die gleichen flüchtig und nachlässig hingeworfenen, dann vielfach nachgezogenen und veränderten Umrisse mit dem wogenden, lockigen, kurvigen Verlauf, die klecksig zusammenlaufenden Schwärzen und die feinen, die Form überquerenden Strichlagen, die der Modellierung dienen. Nochmals auffallender für Tizian erscheinen die Putten, die er als Studien für das Hauptwerk der 1520er Jahre, den Tod des Petrus Martyr, gezeichnet hat. Hier sind die Umrisse noch stärker aus Bogen Kringeln, Kurven zusammengesetzt, ist die Zeichnung noch flüchtiger, fortwährend verbessert und verändert, die Binnenzeichnung durch kleine Häkchen und Kreise angedeutet. Bezeichnend ist, daß in der winzigen Skizze zu der Hauptgruppe, die zeichnerisch kaum überhaupt artikuliert ist, sofort die dunkleren Partien durch Parallelschraffuren zusammengefaßt worden sind. In der bekannten Federstudie zur Assunta spielen alle Linien ineinander, wellig und kurvig in mehreren Zügen übereinanderliegend, nur die Blicke, die hakigen Nasen, die Münder dunkel eingesetzt (Abb. in Tietzes Abbildungsband II, 38). Endlich sei ein Blatt angeführt, das wohl niemand für Tizians Werk halten würde, wenn Tietzes es nicht überzeugend als Vorzeichnung für ein Motiv in dem Holzschnitt Pharaos Untergang nachgewiesen hätten: der Hund in den Uffizien (Abb. in Tietzes Aufsatz a. a. O., 162). Die kurvige, aussetzende und immer neu ansetzende Umrißführung, dazu die zarten Strichlagen als Schattenflächen, das alles entspricht graphisch unserer Zeichnung, nur daß diese unvergleichlich großartiger erscheint. Eine Partie wie die runzlig eingesunkenen Augen unter den vortretenden Brauenwulsten ist allem überlegen, was hier herangezogen wurde. Es handelt sich ja auch um ein späteres Werk, zwanzig bis dreißig Jahre nach den Vergleichsstücken entstanden, reifer und reicher. *

6 Der Drache, von ähnlich kleinen Wesen bei Giorgione herzuleiten, kommt ebenso ungewöhnlich gebildet und bewegt außer auf dem genannten Blatt Roger und Angelica (Abb. Tietze's Tafelband II, 139) nochmals auf dem im Original verschollenen Gemälde Orpheus und die Tiere vor, von dem mehrere Wiederholungen bekannt sind. Ich zitiere sie nach dem Katalog von Jan und Eugenia Zarnowski: 1. Madrid, Prado Kat. 1949 Nr. 226, nach Crowe-Cavalcaselle von Padovanino, 2. London, Apsley House, Wellington-Museum aus der königlichen Sammlung in Spanien, — das bessere Exemplar, nach Crowe-Calvacaselle ebenfalls von Padovanino, nach E. Zarnowska aus dem nächsten Umkreis Tizians (meinem Eindruck nach vielleicht von van Dyck ?). — Ferner werden Exemplare 1656 in der Smlg. M. Spietra in Venedig und auf der Versteigerung P. Six in Amsterdam 1703 erwähnt.

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Der Kopf entspricht dem der Dienerin Danae's. Die Haltung ist ungewöhnlich genug, doch bei Tizian nicht selten. Viele Hauptfiguren seiner Werke zeigen dieses halb verlorene Profil, in dem sie mit dem Betrachter zusammen schräg in das Bild hineinschauen, — ein bezeichnendes Motiv, das uns heran- und hineinführt in das Bild. Schon in der genannten Zeichnung der Satyre kommt es vor, vielfach in der Assunta, vielleicht am sprechendsten im Zinsgroschen, dann in der Pala aus Ancona, in den Hieronymus-Bildeta, in der Veroneser Assunta, in der Gloria, im Pfingstbild, in der Verklärung — immer als ein Hauptmotiv des ganzen Aufbaus 7 . Es ist dieselbe Stellung, besonders deutlich ersichtlich aus dem tief sitzenden Ohr in seinem Anschluß an die waagrechte Kieferlinie und aus dem großzügig gefalteten Kopftuch auf dem Hinterkopf, dem nur der breit hingesetzte Knoten des Gemäldes fehlt. Überhaupt fehlt einiges. Die Zeichnung gibt den Kopf kahl, dadurch noch grotesker. Die Stirnwülste treten an der tief eingezogenen Nasenwurzel beide hervor, die Nase hängt mit verdicktem Ende nach unten über. Die Unterlippe schiebt sich häßlich heraus, und das Kinn springt, zwischen zwei Knollen eingekerbt, stark vor. Das Antlitz der Dienerin auf dem Gemälde sieht anders aus — heute! Eine genauere Betrachtung die Eugenia Zarnowska auf den hervorragenden Photographien ihres von Jan Zarnowski begonnenen Tizian-Manuskriptes vornahm, führte zu der Entdeckung eines früheren Zustandes auf dem PradoBilde, die sich am Original bestätigt hat. Selbst in der Abbildung ist zu erkennen, daß die dicken Stirnwülste in eine flach zurückfliehende Linie umgewandelt worden sind. Eine stark vortretende Oberlippe ist übermalt worden. Das gespaltene, weit vorspringende Kinn ist in seinem Kontur unter der Übermalung noch deutlich erkennbar, die es in die heutige, geschlossene Form zusammengefaßt hat. Der helle Punkt am Adamsapfel ist nicht anders zu erklären als ebenfalls durch eine verändernde Übermalung an dieser Stelle, die schon in der Zeichnung abgewandelt worden war. Das ganze Profil erscheint heute beruhigt, gemäßigt, — das Groteske, Bösartige, Verworfene gemindert. Das lockige Haar, der wohlgeformte Rücken, die weiblicheren Züge des Antlitzes sind meisterhaft gemalt, sie zeigen keineswegs mehr eine „alte Vettel" oder eine „Hexe" wie es in der Literatur heißt (Tietze). Diese Frau ist nicht an sich häßlich und gemein, nur ihre Rolle im Bild, ihre Bedeutung und auch ihr Gegensatz zu dem hellen Akt der Schönen zeigen sie als das „ . . . Weib, wie auserlesen zum Kupplerund Zigeunerwesen". Hier wird Tizians Verfahren erkennbar: wie er das Thema dem Auftrag entsprechend durchgestaltet, doch seine Beobachtung mäßigend der Gesamtform anverwandelt. *

Als Michelangelo mit Vasari in Rom Tizians „femina ignuda, figurata per una Danae" betrachtet hatte (offenbar war es das Neapler Farnese-Bild mit dem Amor von 1545/6), fand er das Kolorit und die Form sehr gut, doch allgemein den Mangel an guter Zeichnung in Venedig überhaupt bedauerlich („peccato che a Vinezia non s'imparasse da principio a disegnare bene, e che (non avessono que' pittori) miglior modo nello studio")8. Von ihm also geht dieser alte, stete Vorwurf gegen die Venezianer aus, den Vasari im Beginn der Tizian-Vita noch genauer faßt: Tizian habe gewöhnlich zunächst das Lebendige und Natürliche erfaßt und dann, so gut er konnte, wiedergegeben mit der Farbe, indem er es mit harten und weichen Tönen hinstrich, wie es das Leben zeigte, ohne eine Zeichnung zu machen.

7 Hier hat dann die Barockmalerei angeknüpft. Doch werden bei Tizian diese Figuren nie direkt an die Stelle des Betrachters gesetzt, wie es seit Caravaggio geschah, sondern immer in Tizians eigentümlich unperspektivischer, unfolgerichtiger Zeichnung gleichzeitig als flache Silhouette gegeben, in Zeichnung und Beleuchtung distanziert, so daß sie in das Gewebe der Malfläche einbezogen bleiben. 8 G. Vasari, Le Vite de'piu eccellenti pittori... Ed. G. Milanesi VII, 1881, 417. — Die im folgenden zitierte Stelle a. a. O., 427 ist teilweise unter Benutzung der deutschen Ausgabe von A. Gottschewski u. G. Gronau V, 1908, 153 übersetzt.

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„Er hielt eben für ausgemacht, daß nur das Malen in der Farbe, ohne weitere Bemühung, auf Papier zu zeichnen, das wahre und beste Verfahren, das eigentliche Zeichnen sei. Er machte sich jedoch nicht klar, daß, wer die Teile einer Komposition gut verteilen und die Motive seiner Erfindung zusammenfügen will, sie zuerst einmal in mehrfach verschiedener Weise aufs Papier bringen muß, um zu sehen, wie das Ganze zusammengeht. Denn der Geist (l'idea) kann die Stellungen (invenzioni) weder sehen, noch sie sich selber vorstellen, ohne seine Konzeption den leiblichen Augen zu eröffnen und zu zeigen, damit sie ihm zu einer rechten Beurteilung verhelfen. Außerdem ist ein erhebliches Studium nach dem Akt erforderlich, wenn man das gut verstehen will,—woraus nichts wird und werden kann, ohne etwas vorher zu Papier zu bringen. Und immer, während man malt, bekleidete oder Aktmodelle vor sich zu haben, das ist eine nicht geringe Unfreiheit". Was Vasari vermißt, ist das Übungszeichnen nach dem Akt von Anfang an, — die daraus erwachsende Sicherheit in der Umreißung und Modellierung nackter Körper, schließlich unabhängig vom Modell, — das Ausprobieren und Aufbauen der Komposition grundsätzlich aus solchen plastischen Figuren — und dementsprechend die Anerkennung der Zeichnung als Grundlage und Hauptsache aller Malerei. Michelangelo, für den der menschliche Leib die höchste Idee des Menschen verkörperte, sah im Bildhauen einen Sonderfall des Zeichnens, des Begrenzens. Er fußte — mit Raffael — darin auf Lionardo, der zuerst den menschlichen Körper und die daraus gebildeten Gruppen in ihren inneren Regungen und den entsprechenden körperlichen Bewegungen, psychologisch und anatomisch, studiert hatte. Andererseits hat Dürer die Figur, deren er „innerlich voll" war, „aus der Natur herausgerissen" (reißen = zeichnen) in kleinplastischer Vollendung. Sie alle, der Bildhauer, der Forscher, der Graphiker haben Hunderte von Zeichnungen hinterlassen, weit mehr als ihre gemeißelten, gemalten oder gestochenen Werke, deren Vollendung oft genug problematisch wurde. Tizian, der Schöpfer der Hochrenaissance in Venedig, hat sie alle gekannt. Von jedem von ihnen hat er gelernt. Das heißt aber, daß er von ihnen das in seine eigene Kunst aufgenommen hat, was ihr entsprach und diente, nicht mehr. Denn Tizian kam zu seinem Werk von einer anderen Seite und auf anderem Wege. Er, der die machtvolle Figur, den vollen Körper, die große Gebärde, die vielteilige Gruppe in Venedig aufgebracht hat, er hat dennoch — wie Vasari richtig gesehen hat — seine Gemälde anders aufgebaut. Tizian ging nicht aus von den Figuren als Elementen, die gesondert erfaßt und erschöpfend abzugrenzen waren, einzeln zu „definieren" im Sinn eines bildlichen Gedankenganges. Er ging mehr aus vom Ganzen, also zunächst vom Auftrag, den er nicht zum bloßen Anlaß eigener Figurationen machte, sondern anerkannte und erfüllte. Selbst auf der Höhe der Macht stehend, erkannte er die Macht seines Auftraggebers an und entsprach ihr mit seiner Kunst. Vor sich hatte er das aufgegebene Thema und die Rolle, die es über dem Altar oder an der Wand des Staatsgemaches spielen sollte. So war jede seiner großen Figuren nicht in ihrem eigenen Sinn, sondern vom Anbeginn von diesem Ganzen her erfaßt. Sie durfte nicht zu sehr hervortreten, etwa zu häßlich oder zu lüstern wirken, vielmehr mußte sie ihrer ganzen Auffassung nach der Vornehmheit des Ortes und dem Sinn des übernommenen Themas entsprechen. Für die Form war dementsprechend die Bildfläche in ihrem Rahmen maßgebend. Nicht aus vollendeten Figuren wurde die Komposition errichtet, sondern aus großen Komplexen ohne genaue Abgrenzung, die im Geflecht der Erhebungen, Töne, Farben annähernd gleichwertig die Fläche füllen. Darin bestehen seine „componimenti", die Elemente seiner Kompositionen.Er studiert nicht, sondern er probiert. Er beginnt nach Vasari ohne Studienfiguren, Aktzeichnungen, plastische Modelle, ohne Entwurfsvarianten. Für die Einzelpartien hat er das lebende Modell vor sich oder ausnahmsweise eine Modellstudie ad hoc: einen Helm, zwei Beine, ein Gewandteil oder auch einen Kopf wie den der alten Frau. Der frühe Sebastian in Brescia (Tietze Abbildungsband a. a. Ο. I 16, 17) wird nicht von verschiedenen Seiten, sondern immer wieder in derselben Richtung gezeichnet auf seine Silhouetten- und

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Tonwerte hin mit ungenauen, grob veränderten Umrissen. Für einen Florentiner sind Skizzen wie die späteren Reiter keine Zeichnung im hohen Sinn des Wortes. Sie sehen aus wie gemalt. In jedem Ton ist die ganze Bildfläche und die gesamte Atmosphäre enthalten, sei es auch auf Kosten plastischer und graphischer Folgerichtigkeit. So gehört Tizian nicht zu den großen Zeichnern. Diese Sphäre hatte für ihn keine eigene Bedeutung. Im Gegensatz zu dem großen Bildhauer, dem großen Forscher, dem großen Graphiker hat er uns wenige Blätter hinterlassen: etwa 40 gegenüber mehr als 300 Gemälden. Und diese sind uneinheitlich, lässig hingeworfen, Hilfsmittel, Notiz ohne formalen Anspruch, wenn auch als handschriftlicher Reflex eines großen Menschen immer bedeutend. Daher sind seine Blätter so schwierig zu erkennen, ist die Kritik so unsicher, sind Zuschreibungen gewagt. Daher konnte das Studienblatt unerkannt bleiben. Den herrlichen Engel für San Salvatore zeichnete er um 1565 ohne Umrisse, weniger als eine Gewandfigur denn als einen Teil seines Gemäldes, aus dessen Goldschimmer die Formen tonig auftauchen. War Tizian damals 90 ? Dann hätte er die Danae im Prado als fast 80jähriger gemalt. Die antiken Liebesmythen haben ihn ja bis in die letzten Jahre beschäftigt. In ihnen ist die Freiheit und Reife des hohen Alters, aber immer auch sein Feuer. Noch mit 90 nimmt er in dem Madrider Sündenfall eine eigene ältere Fassung wieder auf und macht daraus, wie Tietze annimmt, ein neues, großes Werk. Zwar bezweifelt man, ob das Geburtsdatum stimmt. Nach den Quellen spricht ebenso vieles dagegen wie dafür. Unmöglich ist es nicht. Kennt man nicht 90jährige, die noch in voller Tätigkeit sind, frühere Arbeiten neu fassen und darüber hinaus noch vieles vorhaben?

Neue Beiträge zum Werk des Rubens von Otto B e n e s c h f Rubens' italienischer Frühzeit hat die Forschung in unserem Jahrhundert besonderes Augenmerk zugewendet. Glück, Haberditzl, Oldenbourg und Burchard haben repräsentative Gemälde des Meisters aus dieser Periode erstmalig erkannt. In allerjüngster Zeit hat Jaromir Neumann mit seinen bedeutenden Gemäldefunden im Hradschin zu Prag 1 auch ein mythologisches Riesengemälde aus Rubens' Mantuaner Jahren wiederentdeckt, das einen Götterstreit zwischen Juno und Venus vor dem versammelten Olymp unter Jupiters Vorsitz darstellt. Es verkörpert so richtig die Kunst, die man von Rubens an einem Hofe erwartete, der Monteverdi als Hofkomponisten berufen hatte. Die Maschinenrequisiten des romanistischen Manierismus und Klassizismus erhalten in ihm eine neue, blutvolle Lebendigkeit, die durch intensives Modellstudium und Erleben der Wirklichkeit bedingt ist. Man erkennt sogar Personen aus anderen Werken Rubens' wieder. Für Juno, die mit südlichem Temperament ihre Sache vertritt, verwendete der Künstler das gleiche Modell einer schönen Italienerin mit dunklen Schlangenlocken, das wir in einer der Marien der Zeichnungen der Kreuzabnahme in der Eremitage (Held2 Kat. Nr. 3) und der Grablegung im Museum Boymans, Rotterdam (Held, Kat. Nr. 4) wiedererkennen. Dasselbe Modell scheint für das Studienblatt mit „Thisbes Selbstmord" im Louvre (Held, Kat. Nr. 8) und für die Madonna der „Epiphanie", ehemals im Besitz von Christopher Norris (Kat. der Ausstellung „Olieverfschetsen van Rubens", Museum Boymans, Rotterdam 1953, Kat. Nr. 1) posiert zu haben. Neuentdeckungen dieser Art sind größte Seltenheiten. Häufiger ist das Wiederauftauchen von Bildnissen sowie von kleineren Gemälden, Modelü und Studien. Dadurch wurde unsere Kenntnis der italienischen Periode in den letzten Jahrzehnten wesentlich bereichert. Aus ihr stammen außer der schon erwähnten Epiphanie (C. Norris) das Parisurteil der Wiener Akademie der Bildenden Künste (Inv. 644, von R. Eigenberger als Van Dyck katalogisiert) und die für Kardinal Ascanio Colonna gemalte „Grablegung Christi" (Ausstellung Rotterdam 1953, Kat. Nr. 2). Ein den beiden letzteren / eng verwandtes Gemälde gelangte kürzlich aus dem Kunsthandel in italienischen Privatbesitz. Es ist ebenso wie die beiden genannten Kupfertafeln ziemlich verrieben (Leinwand, 74: 56 cm), läßt sich aber auch im gegenwärtigen Zustande deutlich als ein eigenhändiges Werk des Meisters aus seiner italienischen Periode erkennen. Dargestellt ist das Martyrium eines jugendlichen Heiligen, der sich weigert, ein pallasartiges Götterbild anzubeten, und zur Strafe dafür in eine Stierhaut eingenäht wird. Der kräftige, aber weich und fließend modellierte Akt des Jünglings erinnert sehr an den Körper Christi in der Colonna'schen „Beweinung". Die Kriegergruppe rechts nimmt bereits Züge des „Hl. Martin" der Sammlung Mme. L. Huguenin, Genf (Ausstellung Rotterdam 1953, Kat. Nr. 3 a) vorweg, der Van Dyck als Vorlage für sein Altargemälde der Kirche zu Saventhem diente. Das ungeduldig auf dem Boden scharrende Pferd erscheint in dem späteren Gemälde im Gegensinn. Die Farben sind in breiten, flüssigen Strähnen mit dem Pinsel aufgetragen, charakteristisch für den Duktus der Skizzen der italienischen Zeit. Es handelt sich zweifellos um ein Modello.

1 Objevy vzacnych obrazü na Prazsküm hrade. Vytvarne umeni 10, Prag 1962, 442/443. 2 J. S. Held, Rubens Selected Drawings, vols. I, II, London 1959.

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Der Arbeitsgang bei der Entstehung von Rubens' großfigurigen Gemälden war zumeist der, daß einer raschen ersten Federskizze ein oder mehrere Bozetti in Ölfarben folgten. Dann entstanden sorgfältige, gezeichnete Figurenstudien und gemalte Studienköpfe nach dem Modell, auf Grund derer die abschließende malerische Realisierung erfolgte. So hat der prachtvolle Greisenkopf der Wiener Akademie, den Robert Eigenberger (siehe S. 332 seines Katalogs, Inv. 627) als Rubens' Werk wiedererkannte, Eingang als der hl. König Melchior in die „Epiphanie" des Prado gefunden. Michael Jaffe hat in einer eindringlichen Untersuchung 3 den Werdegang der Altarbilder für die Chiesa Nuova in Rom verfolgt. Rubens' ständiges Umbauen seiner Kompositionen wurde durch stets neue Bozzetti, Zeichnungen und großfigurige Naturstudien begleitet. Für die hl. Domitilla entstand die prachtvolle Naturstudie in Halbfigur in der Accademia Carrara zu Bergamo, die noch der ersten Version der Komposition „Die Heiligen Gregor, Domitilla, Nereus und Achilleus" entspricht. Sie existiert in zwei Fassungen: einer früheren, skizzenhafteren, genial improvisatorischen der Sammlung Heinz Kisters, Kreuzlingen, und einer späteren, sorgfältig abgerundeten in Potsdam, die zur Präsentierung vor den Auftraggebern bestimmt war. Im Musee des Beaux-Arts zu Nancy, das die Riesenleinwand der „Verklärung Christi" verwahrt, befindet sich der Studienkopf eines Greises (Öl auf Leinwand, 57 X 46 cm, Kat. Nr. 78, Inv. 344), der dem ekstatisch erhobenen Haupte des hl. Gregor entspricht4. In der breiten, lockeren, strähnig-flockigen Pinselstruktur, die in völlig malerischer, stark räumlich betonter Weise die Modellierung aus dem Dunklen ins Helle besorgt, gleicht er auffallend der Greisenstudie der Wiener Akademie. Diese Verwandtschaft legt die gleiche Urheberschaft nahe, eine Vermutung, die beim Vergleich mit den Apostelköpfen der im selben Museum befindlichen „Verklärung" weitere Nahrung erhält. Befremdend für Rubens ist die Abwesenheit des dunklen Grundes, aus dem die meisten seiner Studienköpfe herausgearbeitet sind. Der Hintergrund ist mit einem Mittelton abgedeckt. Rubens vernachlässigte außerdem in seinen Studienköpfen Schulter- und Brustpartien, die hier bis an den Rand bildmäßig durchgeführt sind. Dieses Beiwerk weicht jedoch von der kühnen malerischen Faktur des Kopfes ab und könnte Ergänzung von anderer Hand sein. Zur genauen Feststellung bedürfte es einer röntgenologischen Untersuchung. In der Sammlung Falconet fungierte der Studienkopf als Gegenstück eines zweiten (gleichfalls im Museum von Nancy befindlichen), der gewiß von anderer Hand stammt. Eine Überarbeitung zum Zwecke der Angleichung der beiden Köpfe ist naheliegend. In der Sammlung Falconet war der Studienkopf Lanfranco zugeschrieben. Ein Vergleich mit Lanfrancos Altmännerköpfen enthüllt die völlige Verschiedenheit der Hände. Lanfrancos Köpfe sind caravaggiesk, klar und hart in der Modellierung. Die vorliegende Studie aber ist breit, malerischflockig, „Tizianisch". Stammt ihr Kern nicht von Rubens' Hand, so könnte nur eine hervorragende italienische Kopie nach einem Rubens'schen Original angenommen werden. Von allen Fassungen des Altarbildes steht der Studienkopf in Nancy dem hl. Gregor in dem vollendeten Altarbild im Museum zu Grenoble am nächsten. Rubens war in seinen Endfassungen so frei und unabhängig von allen vorhergehenden Skizzen, daß solche großformatigen Studien für die Brennpunkte seiner Kompositionen kurz vor der abschließenden Version die Regel gewesen zu sein scheinen. Beispiele haben sich in genügender Zahl erhalten. Es wurde schon oben die Wiederkehr bestimmter Modelle in Rubens' Werken zu bestimmten Zeiten erwähnt 5 . A.-P. de Mirimonde hat Rubens' Hand in der magistralen Studie eines Frauenkopfes im Museum zu Besangon wiedererkannt, der Jordaens zugeschrieben wurde, und damit eine alte Be-

3 P. P. Rubens and the Oratorian Fathers, Proporzioni IV, Firenze. 1963, p. 209. 4 Legat Yarkowitz (Falconet). Die Photographien dieses Gemäldes sowie des im folgenden besprochenen verdanke ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Konservators D. Rouart. 5 Das hinderte allerdings nicht, daß Rubens gelegentlich in seinen Bildern auf Jahre zurückliegende Studienköpfe zurückgriff.

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Stimmung aus der Zeit von Gigoux wieder zur Geltung gebracht*. In der diesbezüglichen Veröffentlichung wird darauf hingewiesen, daß Rubens zwischen 1610 und 20 drei Typen von alten Frauen, die in Porträtstudien von seiner oder von Schülerhand überliefert sind, gerne in Gemälden verwertete. Der erste Typus wird durch das Bildnis in München Kat. Nr. 333 überliefert, der zweite durch den Studienkopf in Besanijon. Am häufigsten erscheint der dritte Typus: eine alte Frau bäuerlichen Schlages mit gekrümmter Nase, vorstehendem Kinn und furchigem Antlitz, die vor allem als Dienerin Judiths aus dem Gemälde des Braunschweiger Museums und als die „Alte mit dem Kohlenbecken" der Dresdener Galerie bekannt ist (beide um 1616—18 entstanden). Wir finden sie unter den heiligen Frauen auf der Kreuzabnahme des Museums in Lille. Sie erscheint auch in einem mit Rötel und schwarzer Kreide gezeichneten Studienkopf des Louvre (Lugt Kat. Nr. 1248), der einst Jordaens zugeschrieben wurde. Unter Jordaens' Namen geht nun eine meisterhafte Ölstudie des Museums von Nancy (Inv.91, Kat. Nr. 242, 1er fonds 1793, Holz 57 : 66 cm), die die Alte zweimal wiedergibt: im Dreiviertel- und im verlorenen Profil. Es ist unschwer, in diesen großartigen, mit höchster malerischer Kraft realisierten Köpfen die gleiche Hand wiederzuerkennen, die die „Alte Frau" in Besan9on gemalt hat: die Hand des Rubens. Wie die Alte des Gemäldes in Besancjon, hat auch dieses Modell Aufnahme in die von Paul Pontius gestochene Serie von Zeichenvorlagen mit dem Titel „Petrus Paulus Rubbens deüneavit" gefunden. Es erscheint dort mit leicht gesenktem Kopf. Pontius hat als Vorbilder seiner Stichtafeln nicht nur Zeichnungen Rubens' gewählt, sondern auch Ölstudien. Unter anderen fand auch der Greisenkopf der Wiener Akademie Aufnahme in die Serie. Das Modell der Doppelstudie in Nancy lag ihm sicher in einer anderen Ölskizze vor, wie auch die Zeichnung des Louvre höchstwahrscheinlich Wiedergabe einer Ölstudie durch Schülerhand sein dürfte. Jener hohe Grad von malerischer Verwirklichung, den der Meister allen seinen Werken, auch den kunstvollst gebauten, zuteil werden ließ, wäre nicht erreicht worden, wenn Rubens nicht immer wieder durch den wirklichen lebendigen Menschen sich hätte inspirieren lassen. Dies war der Sinn der magistralen Studienköpfe in seinem Schaffen, die wir als Marksteine auf dem Wege zu seinen großen Bildkompositionen finden. *

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Erst in den letzten Jahrzehnten hat die Forschung das Augenmerk stärker auf jene Zeichnungen des Rubens gelenkt, die Nachzeichnungen nach anderen Kunstwerken oder Überarbeitungen von Zeichnungen von anderer Hand sind. Sie bekunden die umfassende Einstellung des Meisters, der sich die Gesamtheit der künstlerischen Erfahrungswelt zu eigen zu machen strebte. Besonders aufschlußreich und ergiebig ist in dieser Hinsicht die Zeichnungensammlung des Louvre, die durch F. Lugt eine mustergültige Bearbeitung erfahren hat'. Eine sorgfältige Durchsicht alter Zeichnungensammlungen fördert immer neue unbekannte Beispiele dieser Art zutage. An erster Stelle haben Antike und Hochrenaissance Rubens in ihren Bann gezogen. Seine archäologischen Interessen, ja seine gelehrte Bildung auf diesem Felde bekunden nicht nur schriftliche Zeugnisse, sondern auch Zeichnungen. Ein stattliches Blatt in Mischtechnik (Kreide, Feder, Pinsel in Deckfarben und Öl, 365 : 280 mm, Sammlung Peter Lely), ehemals im Besitz der Galerie de Burlet, Basel, sei als Beispiel angeführt. Die plastische Materie des Steins, das An- und Abschwellen der machtvoll modellierten Formen im Raum werden durch die reichen Abstufungen im Monochromen meisterhaft charakterisiert. Die imposante Wucht und Größe römischer Triumphalplastik werden unmittelbar lebendig. Des Künstlers nachfühlende Bewunderung spricht aus jedem Zoll des hervorragenden Blattes. Während Rubens diese Zeichnungen von Grund auf eigenhändig angelegt hat, hat er in anderen Fällen eine schon bestehende Zeichnung so überarbeitet, daß er sie sich zu eigen, zum Ausdruck seiner

6 GdBA 1958,119ff. 7 Inventaire Gdndral des Dessins des Ecoles du Nord, ficole Flamande, Tome II, 20—36.

Neue Beiträge zum Werk des Rubens

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künstlerischen Gesinnung machte. Es ist anzunehmen, daß solche Blätter, wenn auch nur vorübergehend, in Rubens' Besitz sich befanden. Eine Zeichnung nach der Antike, die von Rubens überarbeitet wurde, befindet sich in der Zeichnungensammlung der Biblioteca Reale zu Turin (Inv. 16390, Stran. 110). Sie ist Francois Duquesnoy zugeschrieben und stellt ein antikes Relief gleichen Motivs dar wie die Rundplastik des „Bogenschnitzenden Eros" des Berliner Museums. Die lavierte Bisterfederzeichnung auf blauem Naturpapier (350 : 188 mm) wurde von Rubens mit Deckweiß überarbeitet. Sie erhält dadurch einen schimmernden Glanz und farbigen Reichtum, die sie in der ursprünglichen Form nicht besaß. Dieses Versehen der in ein reiches Tonbad getauchten Zeichnungen mit Lichtern, das ihnen Glanz und funkelndes Leben einhaucht, begegnet uns auch in Studien nach neueren Kunstwerken. Ja es ist dies gerade eine Eigenart der Rubens'schen Oberarbeitungstechnik. In der Albertina konnte ich eine derartig umgestaltete Zeichnung von Vermeyen nachweisen8. Ein weiteres Blatt dieser Art, das ich in dem reichen Reservoir der „Zweiten Garnitur" der Albertina entdeckte, sei hier angeschlossen. Es führte im Wickhoffschen Albertinakatalog die Nummer S. R. 174 (Inv. 137) und ist eine italienische Nachzeichnung des unteren Teiles von Andrea del Sartos „Geburt Mariae" in der Annunziata (295 : 435 mm, Sammlerstempel Th. Hudson, Lugt 2432) und Sir Joshua Reynolds (Lugt 2364). Die ursprüngliche Anlage der Zeichnung wurde mit Bisterfeder durchgeführt, deren kurzstricheliger, vibrierender Rhythmus und stecherische Schraffierweise an die Federtechnik des Lelio Orsi erinnern. Diese Federgrundlage wurde vom Überarbeiter braun laviert und außerdem mit grünlicher Deckfarbe modelliert. Gelblich weiße Deckfarbe von öligem Charakter besorgte die abschließende Höhung mit Glanzlichtern. Diese hellen Glanzlichter sind für Rubens außerordentlich charakteristisch. Er sah sie in Zeichnungen vor allem oberitalienischer Meister der Spätrenaissance und entwickelte sie zu einem eigenen Ausdrucksmittel, das seinen Studien Atmosphäre und Leuchtkraft verleiht. Solche Überarbeitungen ließ Rubens auch Zeichnungen von ihm hochgeschätzter späterer Zeichner zuteil werden. Zeichnungen von den Zuccari mit Zutaten von seiner Hand haben sich erhalten. Ja sogar ein Beispiel von Annibale Carracci glaube ich feststellen zu können. Es handelt sich um den Entwurf für die Altartafel in S. Gregorio Magno in Rom „Der hl. Gregor betet für die Seelen im Fegefeuer" (später Sammlung des Earl of Ellesmere, Bridgewater House, im Kriege zerstört). Die Zeichnung ist um 1600—1601 entstanden9. Sie konnte leicht in Rubens' Hände gekommen sein, als er sich in Rom aufhielt. Sie ist auf Vorzeichnung in schwarzer Kreide mit der Bisterfeder ausgeführt. Ihr ursprünglicher Anblick bot sich so wie die obere Partie mit den aus dem Fegefeuer befreiten Seelen. Der Heilige und die ihn begleitenden Engel wurden nachträglich von anderer Hand durch reich abgestufte Schattenlagen modelliert und abschließend durch Deckweiß gehöht. Diese andere Hand gibt sich vor allem in den schimmernden Glanzlichtern deutlich als die des Rubens zu erkennen. Sie schaffen eine stärkere malerische Konsistenz der Figuren auf der Basis vereinheitlichenden Lichtes. So hat der Meister die Aussage fremder Kunstwerke durch die eigene Interpretation, die er ihnen verlieh, gesteigert. Rubens' Verhältnis zu Annibale Carraccis Zeichnungen war ein sehr intensives. Vor allem seine Kreidezeichnungen auf tonigem Papier mit Weißhöhungen, vor dem Modell verfertigt, erweckten Rubens' Bewunderung und Nacheiferung in eigenen Modellstudien, die zu seinen kraft- und ausdrucksvollsten Zeichnungen gehören. Die in Italien und kurz nach der Rückkehr von dort entstandenen Modellstudien, wie der „Kniende Mann" im Museum Boymans-Van Beuningen (Glück-Haberditzl 60) für die Epiphanie des Prado und der Knecht für die Kreuzaufrichtung in Grasse (GlückHaberditzl 45), zeigen die Nähe zu Annibales in der gleichen Technik ausgeführten Modellstudien.

8 Beiträge zum Werk des Rubens in „Alte und Neue Kunst" III, Wien 1954, 18 - J. S. Held, a.a.O., Kat. Nr. 169. 9 Mostra dei Carracci, Bologna 1963, Catalogo critico dei disegni a cura di Denis Mahon, Nr. 120.

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Ein noch unbekanntes Blatt dieser Art von Annibale sei hier erstmalig veröffentlicht: die großartig durchmodellierte Rückenstudie eines athletisch gebauten Mannes. Sie ist in schwarzer Kreide auf grünlichem Papier mit Weißhöhungen durchgeführt (380 : 262 mm), Sie liegt als „Anonym 17. Jahrhundert" in der Zeichnungensammlung der Accademia zu Venedig (Nr. 1141)10. Kaum gibt es einen Punkt, wo die beiden Meister einander näher gekommen sind als hier.

10 Für photographische Vorlage und deren Publikationserlaubnis bin ich Direktor Dr. Francesco Valcanover sehr zu Dank verpflichtet.

Mannerism and 'Vernacular' in Polish Art by Jan Bialostocki

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The Italian Renaissance came to Poland at the very beginning of the sixteenth century 1 . The transformation of the Gothic royal castle on Wawel hill in Cracow, at that time the capital of Poland, executed under the supervision of an Italian architect from Florence (1502—1536), led to the creation af a harmonious courtyard surrounded by three stories of colonnades, graceful yet monumental, classical yet not without some traces of the Gothic traditions. These are to be seen especially in the conception of portals which connect in a curious way the sharp Gothic repertory of form with the organic ornamental beauty of the Renaissance. In the third decade of the century, another work of the transplanted Italian classic style was created in Cracow. Bartolommeo Berecci built a small shrine-like building: the Royal sepulchral chapel in Cracow cathedral, known as the Sigismund Chapel (1519—1533). This "pearl of the Renaissance North of the Alps" — to quote an old historian — full of humanist and mythological allusions in its sculptural decoration, is a piece of architecture of great calm, of classical beauty and harmony 2 . But at that thime, these new buildings were isolated Renaissance islands in the ocean of Late Gothic architecture surrounding them. Then their influence began to penetrate into that Gothic world: new arcaded courtyards, new centrally planned chapels, new tombs, imitating those constructed by Giovanni Mosca il Padovano or by the other Italian masters, invaded the country 3 . However Gothic elements remained alive in the art of the period, and both styles, old and new, were mingled together and finally merged in the second half of the sixteenth century. A new original and specific artistic language dominated the architecture and architectural decoration of the end of the sixteenth and the first half of the seventeenth centuries. There were still churches built in the Gothic idiom; there were already early Baroque imitations of II Gesu or of San 1 The content of the present paper was presented in lectures held in Poland and abroad (in London, in the Polish Cultural Institute, 1960, in the University of Uppsala, 1962). The Polish version of this study was published in the author's book Piec wiekow mysli ο sztuce, Warszawa 1959, 192—214. There exists a considerable amount of studies in Polish concerning our subject. I will give in the notes only a few bibliographical indications; the best general book on Polish architecture is by Adam Milobedzki, Zarys dziejow architektury w Polsce, Warszawa 1963. Of studies in other languages following may be indicated: Karol Estreicher, Polish Renaissance Architecture, in BM L X X X V I , 1945, 4 —9; A. Lauterbach, Die Renaissance in Krakau, München 1 9 1 1 ; Ζ. Dmochowski, Monuments of Polish Architecture, London 1956; A. Hahr, Osteuropeiska stildrag i nordisk renässansarkitektur, Uppsala 1915; A. Hahr, Drottning Katarina Jagiellonica och Vasarenassansen, Uppsala 1940. 2 The best and most recent study of the form and meaning of this chapel is that by Lech Kalinowski, Tresci artystyczne i ideowe Kaplicy Zygmuntowskiej, in "Studia do Dziejow Wawelu" II, 1959, 1 — 117. 3 For Mosca's activity in Poland: see J. E. Dutkiewicz, Le sculpteur vinitien Gian Maria Padovano dit il Mosca, et son activite en Pologne in "Venezia e l'Europa. Atti del XVIII Congresso Internazionale di Storia dell'Arte, Venezia, 1955", Venezia 1956, 2 7 3 - 2 7 5 .

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Andrea della Valle, for example St. Peter's and St. Paul's in Cracow (1605—1619), but at the same time there was the triumph of another way of building and decoration, on which we should like to concentrate our attention. As an example of this let us take St. Hedwig's church in Grodzisk Wielkopolski (in the Western part of the country), which is undoubtedly one of the most original specimens of the Polish architecture of the first half of the seventeenth century. Unfortunately, information on the history of this building, which in spite of its historical significance as yet has not been studied as it deserves, is very scarce. Fortunately, however, the building itself still survives and gives evidence of the taste of its age. In spite of some restorations (the tower was destroyed in the eighteenth century, the dome above the chancel was burnt and reconstructed in 1865) it is still possible to discover what were the intentions of Krzysztof Bonadura, senior, the architect of the church, when he began to transform the earlier Gothic construction (1628—1648)4. At first glance the several domes are the striking characteristic of the exterior, especially as their appearance is connected with the lack of a central plan, even though centralized plans are often to be met with in seventeenth century architecture in Western Poland, where we can even find a copy of the Venetian Salute church6. But it is the peculiar character of the interior which is the most striking feature of this church. The Grodzisk church is conceived according to the principle of longitudinal dynamic conception: a comparatively narrow nave is articulated by pilasters which, disposed in a scenographic way, increase the perspective effect and thereby magnify the impression of the church's length and reinforce the directional impulse along the longitudinal axis. The composition of the transept and the chancel is based on the effect of surprise: contrary to our expectations there is no dome at the crossing: the longitudinal movement of space goes on through the two bays of the nave, accompanied on both sides by the dynamic vertical accents of the double small domes which are somewhat like the arms of the transept. This unexpected appearance of vertical impulses on both sides of the main axis cannot, of course, discharge the tension in the middle, but rather increases the expectation: the oudet for the dynamics charged on the central axis is the narrow steep dome rising from the nearly centrally conceived bay of the chancel. A solution of this kind is very rare, indeed. We know it in Poland from the Jesuit church in Warsaw but in a somewhat different context, lacking such strong dynamic tension, since the Warsaw Jesuit church has no transept domes. In another church built by the same architect—Bonadura—in Sierakow, Western Poland (1624— 1639), Renaissance ornamental forms have been interpreted in what a Polish historian called an almost "grotesque" way. But at Grodzisk we find a carefully planned and—in comparison with other Polish examples—really sophisticated system. A subde difference in the placing of the pilasters is in harmony here with the quite powerful spatial conception of the whole and testifies to the architect's conscious planning of the overall effect. In contrast to the Sierakow church, we do not find here— at any rate not exclusively—the desire for coarse effect and the naively picturesque. Venetian and Paduan traditions have been suggested to explain the domes in Grodzisk6. The use of the longitudinal structure with domes is, indeed, not rare in the North of Italy in the sixteenth century. It is found not only in Venice and Padua where there existed the Byzantine and Romanesque traditions, but elsewhere too (Alessi, Peruzzi). But the conception in Grodzisk is still somewhat different and now we have to ask: into what stylistic category should the architectural conception of the Grodzisk church be placed ? If the predo-

4 Kazimierz Malinowski, Muratorzy wielkopolscy drugiej polowy XVII wieku, Poznan 1948, 78—80; Jan Zachwatowicz, Architektura polska do polowy X I X wieku, 2nd ed. (with an English translation), Warszawa 1956, 32. 5 At Gostyn. It was built by J. Catenaci and P. Ferrari between 1677 and 1726; see Zachwatowicz, op. cit., 3 0 4 f ; 353. 6 J. Kohte, Übersicht der Kunstgeschichte der Provinz Posen, in "Kunstdenkmäler der Provinz Posen", Berlin 1896, I, 91.

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minance of the dome over the nave—the subordination of the whole space to the dome—is typical of Baroque (even of early Baroque), in Mannerism it is the "victory of the longitudinal element over the centralised one"—to quote the Swiss critic Hans Hoffmann7. "The dome space"—he writes—"is included into the longitudinal system and above all—and just this is mannerist—it is high and narrow like a vertical 'flight of space', a movement of space (Peruzzi, San Niccolo in Carpi; Bassi, San Vittore al Corpo in Milan). The space of the nave is a limited space" — Hoffmann continues his analysis — "but the 'flight into the infinite' has to find its expression". "Perruzzi's and Bassi's domes draw this movement of the space upward. They are too narrow to dominate the nave." The phenomena studied by Hoffmann and characteristic for some aspects of Italian architecture at the time of Mannerism have much in common with the church in Grodzisk. Powerful forces are at play, involved in its forms: it is charged with dynamics, which appears, in the powerfully piled up pilasters. But this tension is not discharged, as was done in Baroque architecture, into huge circular or elliptical central spaces. A number of other motifs beside the spatial composition link this church which mannerist architecture: namely, the conception of the drum of the large dome, which is an 3 extremely typical example of the interchanging and double functions of architectural elements ("corner pilasters conceived in a negative way"), rotational composition of the interior of the dome shell, and the shaping of the terms and pilasters. Hoffmann mentions the "chiaroscuro openings" (Schattenlöcher) as one of the characteristic features of the mannerist wall conception: "the light slides on the surface"—he says— "the shades lurk threateningly in openings and hollows"8. The volume of the chapels in the transept at Grodzisk (and the volume of the church built by Bonadura at Sierakow) are shaped precisely in this way. The above analysis of the church built in Poland in what is generally considered the Baroque period, shows that at that time, during the first half of the seventeenth century, there appeared phenomena in Polish art which are unlike the style then prevailing in Western Europe. So during the Baroque period Mannerism still appears in Poland, but not only during this period. 2 If one tries to apply to the development of Polish art the conception of the Renaissance in the sense of style, it would appear that even some of those works of Polish art which are often said to be Renaissance do not have the characteristics of this style. Though they were created in the period of the Renaissance, they are not in the Renaissance style, just as the church in Grodzisk was not Baroque though it was built during the period of Baroque art. Only very few Polish works of art of the sixteenth century can be considered as belonging to the Renaissance. In most of the works executed on Polish territory, we see a lack of knowledge of mathematical perspective, of correct anatomy, of the cannon of proportion based on theoretical principles: in short, of the consciousness of the aims and meaning of art which was the basis of the Italian Quattrocento, and of which Albrecht Dürer knew how to make use. In Polish sixteenth century architecture, we do not find a correct use of orders, of columns, of entablatures or of pediments in the manner expounded by the Italian theoreticians of architecture. Thus, we think that Polish art should be judged by another, and more suitable criteria. Compared to the highest achievements of the Italian Renaissance, Polish art is often qualified in a negative way, but perhaps unjustly. And this is true not only of Poland: in many European countries the classic Renaissance was not accepted. Sir Anthony Blunt states that "France has passed from imitating a

7 Hans Hoffmann, Hochrenaissance, Manierismus, Frühbarock, Zürich-Leipzig 1938, 29—31. 8 Hoffmann, op. cit., 168.

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Late Quattrocento style in the earlier part of the reign [of Francis the first] to experimenting in Mannerist principles, skipping High Renaissance decoration just as she had skipped Bramante's style in architecture"9. Perhaps from the point of view of Mannerist principles, it will be possible to give a positive appreciation of Polish artistic achievements during that period, instead of judging them in a negative way—by measuring them with the yardstick of the Renaissance. It is possible that at least some elements in Polish art correspond to those in Mannerism. Mannerism often came to Northern Europe at the same time as the Renaissance. These new forms and conceptions were beginning to take root in the Gothic soil. Thus the question of the sixteenth century style in Northern Europe is extremely complicated. In some places, the independent development of art, resulting from peculiar conditions, was artificially broken down and re-shaped. The impact of Italian artists on Fontainebleau, as well as the somewhat similar results (which were not, however, so significant for future developments) of the patronage of the crown and of the nobility in England and in Spain, introduced into the flourishing Northern art of the fifteenth century foreign elements, which were perhaps highly superior in their perfection but quite different in character. While in the fifteenth century, the art of the Netherlands had an important influence in Italy, during the next century the Italian influence became predominant. Italian Renaissance art was propagated through Europe in its late, mannerist form, in works dominated by the tendencies of virtuoso mastership, or in a style subjectively and freely interpreting classic forms. The regression to mediaeval tendencies, common both to the virtuoso and the expressionist trend of Mannerist Italian art, was a very attractive feature of imported works, as it suited, in a natural way, the taste of the Northern masters accustomed to the Late Gothic tradition. "In principle the true Mannerism of the South is always a 'secondary form' created in relation to an established system of norms and values"—writes Ernst Gombrich10.—"In the North, however, these forms were assimilated, but they were conceived in a Late Gothic sense, as it were, as 'primary' forms and their dissemination was favoured but without any definite relationship to any rational system". What was but a late, secondary, although very important phenomenon in Italy, became the basis of artistic development in many European countries. And it is not surprising, therefore, that in many instances this art brings to mind the works of Italian artists. Goujon, following his national tradition, gothicized the art of Italian decorators, coming closely thereby to the slender canon of Mannerist sculpture in Italy. It is significant that the Flemish and the Dutch took over the most irrational element of Renaissance art: the grotesque. Strap-work and fret-work ornamentation brought in by Primaticcio and Rosso to Fontainebleau achieved a success their makers never dreamed of. Organized and arranged in powerful agglomerations, to which Northern realism added the fascinating concreteness of the "Rollwerk" or "Beschlagwerk", they gave an opportunity to Netherlandish artists to develop their fantasy, which had so recently blossomed in the grotesque decorations of the Late Gothic choir stalls and in the irrational world of the « flamboyant» Gothic. Thus a trend appears in the art of the Netherlands and Germany, which is characterised by the fusion of the reality of objects with the abstract character of the ornament. It is a Mannerist and irrational trend which takes us to the border of the illusory truth of things, to the border between the reality of their volume and surface, and the unreal, fantastic world of ornaments and arabesques11.

9 A. Blunt, Art and Architecture in France: 1 5 0 0 - 1 7 0 0 , London 1953, 37. 10 Ernst H. Gombrich, Zum Werke Giulio Romanos, II, in "Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen, Wien", N. F. I X , 1935, 142. 11 The rich scholarly literature on Mannerism is listed among other places in the following recent publications: B. Mojaloli, F. Bologna and R. Causa, Fontainebleau e la maniera italiana, Catalogue of the exhibition with a bibliography by O. Ferrari, Napoli 1952; Giusta Nicco Fasola, Storiografia del Manierismo, in"Scritti di storia dell'arte in onore di Lionello Venturi", I, Roma 1956, 429—447; H. Ladendorf, Der Manierismus im Rahmen der Stilge-

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It would be a mistake, however, to see in the art of Northern Europe only the phenomena of the adaptation of Italian art and its fusion with Gothic forms. It is true that the Italian Renaissance dominated the imagination of the Flemish and the Dutch artists in a most suggestive way. But they created an artistic language of their own. Was it—as in Italy—Mannerism? or: should we name this idiom Mannerism ? Let us quote here what Nikolaus Pevsner said about the question in his fundamental essay on the architecture of Mannerism : 12 "So it seems that, concerning the architecture of France and Spain, the application of the term Mannerism affords no problems. But when it comes to the Elizabethan style of England and to its parallels and examples in the Netherlands and Germany, are we still justified in speaking of Mannerism ? Wollaton or Hardwick or Hatfield obviously are not Renaissance. Nor are they English Baroque, if St. Paul's and Blenheim are Baroque. Strapwork ornament, in its lifelessness, intricacy and stiff preciosity, is typically Mannerist. But the bouyancy and the sturdy strenght of Elizabethan buildings are wholly absent in Italy, and wholly in harmony with the age of Drake and Raleigh. However, ohne should not expect criteria of style always to be applicable to different countries without national modifications. French Romanticism is different from English Romanticism and from German. Yet all of them are romantic. Similarly Wren is Baroque, but English Baroque, and the perpendicular style is Late Gothic, but English Late Gothic. May be we shall have to learn the same lesson in the case of Mannerism if we wish for a full understanding of Elizabethan architecture". And now let us try to look at the Polish scene—still more complicated than in the West, I am afraid, because of some oriental influences.

3 Accepting the category of Mannerism for the Italian and Netherlandish art, we are bound consequently to accept it for all works accomplished in Poland by artists trained on models of Italian and Netherlandish Mannerism. It is not surprising therefore that Santi Gucci Fiorentino, an artist, who originated probably among the followers of the typical Tuscan Mannerist Baccio Bandinelli cannot be rightly appreciated if looked upon with the High Renaissance categories in mind 13 . His tomb of the king Stephen Batory in the Wawel Cathedral, Cracow14, with its unquiet, dense composition of various elements crowding on each other, or the combination of the powerful, rusticated volume of the Mirow palace (1585—1595) with the delicate brittleness of the side pavilions, the architecture of which has some typical features of the Mannerist Gothic revival; all this are examples of Gucci's Mannerism. Not all his works, however, were mannerist in the same degree; they do not always have the same characteristics of style. The rigid and severe conception of central chapels links him more with the academic tendencies of Palladio. Besides, Gucci probably became polonized quickly and assimilated the elements of Northern ornamentation. The works executed in his workshop or in the area of his influence transformed the Italian and Netherlandish mannerist repertoire into a

schichte, in: "Sammlung der Familie Grzimek", Catalogue of the exhibition, Leverkusen (Schloss Morsbroich) 1 9 6 0 ; G. Weise, Le Manierisme: histoire d'un terme, in "L' information d'histoire de l'art" VII, 1962, 1 1 3 — 125. The famous study by Walter Friedländer, Die Entstehung des antiklassischen Stiles in der italienischen Malerei um 1520, in "Repertorium f ü r Kunstwissenschaft", X L V I , 1925, 49—86 (republished in English 1957) will remain one of the most fundamental and uncontroversial contributions to our knowledge of the Mannerism. Recent concepts of Mannerism are critically discussed in the paper of the present writer: Triumph und Dämmerung des Manierismus, in „Proceedings of the Berlin Michelangelo-Tagung 1964", in print. 12 N. Pevsner, The Architecture of Mannerism, in "The Mint" I, 1946. 13 W . Kieszkowski, Santi Gucci Fiorentino, in "Biuletyn Historii Sztuki i Kultury" III, 1934, Nr. 2, pp. 134—152. 1 4 K . Sinko, Santi Gucci Fiorentino, K r a k o w 1 9 3 3 ; A . Fischinger, Przebudowa kaplicy Mariackiej w Katedrze Wawelskiej, in "Studia do Dziejow Wawelu" I, 1955, 3 4 9 — 3 6 4 ; J. Eckhardtowna, Pomnik grobowy Stefana Batorego, in "Biuletyn Historii Sztuki" X V I I , 1955, 1 4 0 - 1 4 8 .

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highly individual set of forms which achieved full expression in the portals of Baranow Castle, conceived in different ways from dramatic to decorated and fantastic, and which reached a climax in the decoration of the Firley chapel in Bejsce. This last work, however, transgresses the artistic key of Italian and Netherlandish Mannerism, and requires a special appreciation according the Polish situation and taste. The Mannerist way of thinking expressed by afunctional, free use of architectural elements, by irrational, non-classic motifs of strapwork, fret-work and herms appears in the works of the Polish sculptor Jan Michalowicz of Urzedow, though generally speaking he must be reckoned rather among the Renaissance artists15. In his tombs, the decorative parts are treated with precisely this arbitrary freedom in the choice of the degree of reality for the different parts of the work; this mixture of realist observation and irrational ornamentation was characteristic of European Mannerism. The Mannerist treatment of the architecture in Padniewski's chapel in the Wawel Cathedral in Cracow shows that it 9 was not a superficial acceptance of foreign motifs. These are undoubtedly only elements of Mannerism, but still essential elements, as they prove the conscious longing for a disharmonic conception differing from the Renaissance principles of classic art—as for example the composition of the drum of the dome in Padniewski's chapel. The third prominent artist working in Poland, whose works show some mannerist elements, was the architect Bernardo Morando 16 . He was often considered in Poland as the representative of North Italian classicism. And indeed, the bright nave and the dark chancel of the collegiate church in Zamosc (1587—1600 and later) is full of harmony and calm. Morando's artistic character appears quite different, however, when we look at the reliable—I think—reconstruction of Zamosc city gates with strapwork, cartouches, volutes and half-columns joined with clasps carved in stone and with a rough surface of powerful, rusticated blocks. Italian Mannerist models influenced these gates. But the most fascinating is the Mannerism of the fagade of the collegiate church in Zamosc, now changed but known 13 to us from a nineteenth-century drawing. The solid ground story composed of seven bays divided by six pilasters carries the empty, dematerialized surface of the second story, the outlines of which rise in an intricate sequence of volutes. A small round window fixes like a seal the narrow vertical band (or perhaps a half-column) which is a too small central accent subdued by the size of the fagade surface. The upper level tends upward in an ever more nervous entanglement of volutes up to the top element—the hard classic pediment which quite unexpectedly appears above the delicate play of volutes. The rectangular frames of the windows inserted into the arcades; the impost cornices cutting horizontally the fagade and disappearing under the pilasters; and finally the construction of the complicated porch structure, in form of a triumphal arch—they are all Mannerist elements in Morando's work. Another type of imported Mannerism is the Netherlandish architecture and ornamentation, common to the Hanseatic towns and in general to the territories of Northern Europe, to the Netherlands, Scandinavia, Germany, which was imported into Poland through Gdansk, Königsberg and Breslau. The splendid building of the Arsenal in Gdansk by Opbergen, which unites brickwork with 11 various kinds of stone decoration, is a typical example of this kind of Mannerism. We have to accept the fact that there existed in the Polish art of the sixteenth and the beginning of the seventeenth centuries, phenomena to which we can, with justification, apply the category of Mannerism in a narrower and more precise sense,—the same, or very similar to that which we are using when characterising Italian and Netherlandish art. It should be borne in mind that such phenomena often result from the wide popularity of fashionable ornamental prints (as in the case of NetherS 5

15 J. Zarnecki, Renaissance Sculpture in Poland: Padovano and Michalowicz, in BM L X X X V I , 1945, 10—16. 16 See W. Tatarkiewicz, Bernardo Morando realisateur de la ville ideale, in "Venezia e l'Europa", op. cit., 297—299; M. Lewicka, Bernardo Morando, in "Saggi e memorie di storia dell'arte" II, 1959, 143—155; the most important is the monograph of the Zamosc collegiate church built by Morando, written by Jerzy Kowalczyk, now in print.

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landish ornamentation in particular) and books like those of Vredeman de Vries (1565—68) or Wendel Dietterlins'architectural manual (1593), which became common knowledge for North European stone carvers and artists working in the other branches of decorative art17. The ornamentation of choir-stalls and of altars in the seventeenth century is often composed of motifs from these irrational ornaments. Together with buildings displaying this type of ornamentation we find in the Polish art of this period such elements as central chapels, which clearly continue the Renaissance tradition of the early sixteenth century, and also a group of what are called Polish-Renaissance churches, which are a rather specifically Polish creation, though having some counterparts in central European countries. The character of the interior of these churches is simple, even quite primitive, their peculiarity is expressed mainly by the decoration and is concentrated at the gable of the fagade and on the vault. The decoration differentiates these churches from the works of Gucci's workshop and Netherlandish architecture in Poland; the centre of this specific development is the art of the cities in Southern and South-Eastern Poland; its climax is formed by the ornamentation of the houses in Kazimierz and Zamosc, the orna- 10, 15 mental profusion of the Boim chapel in Lwow (which incidentally can be also given as an example of the Mannerist two-layered composition of the fagade) and the narrative picturesque interior decoration of St. Paul's church in Sandomierz. In analysing the facade of the church in Radzyn (1641), which can be considered as typical for this group, we find there some Mannerist compositional dissonances: the rhythm of the six pilasters in the 12 upper level is out of harmony with the four pilaster arrangement of the bottom one, but the resulting disharmony of the storeys is divided and softened by the strongly protruding entablature. The metopes are filled, as if with a tracery, by a simple ironwork ornament, spread delicately like a piece of jewellery also between the entablature and the rosette of the window framed by a square niche with protruding corner frames. The over-ornamentation of some parts contrasts with big empty surfaces. Similar phenomena of disharmony and afunctionality are to be found in many buildings of that period. Perhaps one of the best examples, this time taken from the Northern part of the country, is a town-hall atChelmno (1567—1589), where the illogical play of classical architectural elements reaches is the limits of the possible. The cube of the town-hall is transformed into a kind of toy-like dream structure, recalling the fantastic and crazy "Kunstschränke" of the German Mannerism. But are these elements of dissonance or conflict identical with dissonance and conflict typical of Italian Mannerism? Is the predominance of decorative and afunctional elements over the functional in the houses of Kazimierz a phenomenon which can be considered in categories corresponding to the works of Vignola, Giulio Romano or Vasari ? Can the overwhelmingly rich decoration of the Firley chapel, 5 which reminds us of Spain or Latin America, be conceived within the Mannerist Italian categories of abstraction and virtuosity ? 4 It seems to me that in the examples I have given we have typical phenomena of the specifically Polish 'vernacular' expression of art, which corresponds in some way to certain trends in Flemish and German art. Italian Mannerism was an art of overconscious virtuosity tired of the calm harmony of the Renaissance. The art of the Polish middle class during the sixteenth and seventeenth centuries had little in common with Italian refinement in theory or taste. Polish humanists and writers—also members of the middle class—travelled to distant Padua and Bologna to enjoy there the new awareness of the importance of the poet or thinker, and of their freedom. But the artists did not go there. Not one of the Polish masters from Zamosc, Kazimierz or Biecz went so far, not one of them crossed the Alps, following the paths trodden by Dürer and Bruegel.

17 See recently: E. Forssman, Säule und Ornament, Stockholm 1955,

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The problem of "national character" in art is a difficult one and in general it is not discussed well. It was recently dealt with in a most interesting way by Nikolaus Pevsner in his "Englishness of English Art" 18 . It is perhaps easier to discover some of the artistic peculiarities of an insular country, which is naturally separated from the outside world and because of that imbued with a rather strong individuality. In order to approach at least some formulation of what forms the typically Polish expression in art during the period in question, we must try to define the specific taste which appeared in the art of Polish cities and towns at this time, and expressed itself in a simple way, with almost folk-art charakter. If we take into account only the appearance of this art, it undoubtedly has Mannerist characteristics in the distribution of the elements of form. But it seems to me, that it should be analysed more thoroughly, applying broader categories than just the formal ones, and considering the significance— the content—of forms. Such an analysis will imply a broad definition of style, which we would like to define as "a system of forms with a quality and a meaningful expression through which the personality of the artist and the broad outlook of a group are visible"—to quote Meyer Schapiro19. I will try to apply, therefore, to the characteristic examples of the Polish art of that period (as for instance the ornamentation of the churches belonging to the Polish-Renaissance group we have already discussed, or the houses in Zamosc and Kazimierz), the categories characteristic of the general Mannerist attitude towards art. I hope we can agree to take into account the following flew qualities, typical of Mannerism: 1. A high degree of consciousness, refinement and sophistication. 2. Virtuosity, a tendency to show off technical skill, and the facility to overcome visibe difficulties. 3. Self-discipline, which limits the full expression of individuality, the renunciation of spontaneous creative freedom, of harmony, of richness of full development; the striving for severity and formal discipline. 4. Inward tension, conflict, ambiguity, as expressed in the principles formulated by Rudolf Wittkower, of the double function, inversion and permutation in architecture 20 ; the Mannerists created an art full of conflicts and contradictions which are not resolved and reach a climax of painful tension. 5. Abstract character of the formal pattern which imposes its ornamental rigidity on the live world. Mannerist works drive the beholder away from nature rather than draw him nearer to it; they dematerialize reality rather than increase its sense in represented objects by treating them in a fantastic, often irrational way. Taking into account these notions, how do we see the artistic phenomena which we define as the vernacular, local trend in the Polish art of the period discussed ? I think that the categories opposite to those of Italian Mannerism are true of this art, for it is: 1. Naive and direct in contrast to the refinement and sophistication of Mannerism. 2. It is full of simplicity and even technical awkwardness as opposed to the virtuosity and "terribilitä" of Mannerism. It is free and spontaneous, narrative and coarse as against the Mannerist self-control and complexity; it is rather popular, or connected with the upper middle class, than courtly. 4. It is homogeneous, organic and full in its expression, in contrast to the ambiguity, tension and conflicts of Mannerism. 5. It is concrete and fascinated by reality as opposed to the Mannerist abstraction and irrationality. The art of the Polish middle class tends towards a naively conceived fullness and richness; the profusion and superabundance of elements are typical of the stucco decorations on the vaults of Polish late Renaissance churches, ornamental reliefs on the walls of the houses, and of the uncontrolled 18 N. Pevsner, The Englishness of English Art, London 1956. 19 Meyet Schapiro, Style, in "Anthropology Today", ed. Kroeber, Chicago 1953, 287. 20 R. Wittkower, Michelangelo's Bibliotheca Laurenziana, in "The Art Bulletin" XVI, 1934, 210ff.

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narrative passion of the decorators of the Boim chapel in Lwow, or of the interior of St. Paul's church in Sandomierz. There are no signs of· any tendencies contradicting each other, of any conflicts of opposing forces having no outlet. Polish buildings and decorations bear witness to the prevalent liberal attitude of giving a full outlet to the spontaneous and somewhat naive creative passion. The Mannerist amor vacui contrasts with the perhaps too rich ornamentation and with an unlimited richness of narration. The concrete, plastic, tactile character of form dominates the facades of the upper 15 middle class houses. These decorations, often close to the fantasy of the Late Gothic tradition of Netherlandish ornamentation, show on the other hand, a tendency towards an exceptionally concrete conception of fantastic objects and sometimes we see that the realms of fantasy are abandoned, and the real world of objects takes their place. It does not mean, of course, that we can never find here figures treated according to the Mannerist principle of the irrational connection of forms, as, for example, on the front of "St. Christopher's house" in Kazimierz (about 1615), where the lower part of the bodies is entangled in the belts of 15 strapwork. But here these conventional ornamental figures are invested with a narrative and psychological meaning (the story of the marital betrayal), linked probably with the literary tradition of the moralities. Christian symbols, images of saints, inscriptions of a humanist character and mythological and legendary elements are crowded on those facades, testifying how passionately the artists of Polish provincial towns of the late sixteenth and early seventeenth centuries perceived and transformed everything that fascinated their imagination. We find there, of course, the Italian ornamentation consisting of candelabra and grotesque as well as Netherlandish strapwork and fretwork. We find both the mediaeval tradition of symbolism and the disharmony of the composition of architectural forms, proper to Mannerist conception: the gable of "St. Nicolas' house" is conceived as a sequence of heavy portal-like units with pediments, which cause an optical overload to the upper story of the building. It is impossible not to see the existence of these factors, but they are not a decivise part of the style. The novelty, the startling character and the strong element of the Gothic tradition, typical of Netherlandish decorative and architectural Mannerism, were certain to fascinate strongly the imagination of the Polish builders and stone carvers. But it seems to me obvious too, that it is not because of sophistication or interior conflicts that they break the harmonious formal arrangement proper to Renaissance art. The irregularity of the Gothic tradition and, most of all, an uncontrolled decorative passion dominate their work. The striving for concrete forms dominates the ornamentation: it is plastic, convex, tactile, not painterly but picturesque. As if made of pastry by a naive hand, these reliefs do not show any intermediary layers, nor any subtlety of stratification in depth. But they must be tactile. This striving for the concrete also is characteristic of Polish art in its representation of the real world and its attitude to iconographic tradition. The artist who represented St. Christopher walking in the water did not want to use any more the mediaeval conventional sign of several wavy lines to represent the water, but he could not yet give an illusion of water by using the Renaissance realistic methods—therefore he applied a metaphor, but a concrete one, and he represented objects typical of water: crabs and fishes, sticking them to the cloud-like shape which covers St. Christopher's feet. The allegorical representation of the child with the skull, an image which means vanity and the transience of human life21, becomes, in Polish art, a concrete representation of a dead child, transformed, as it were, into a more or less realistic portrait carved on the child's epitaph or tomb. Children's 14 tombs are supposed to be a Polish speciality—to be sure they are to be found also in London—anyhow they are nowhere so numerous as in Poland82. 21 H. W. Janson, The Putto with the Death Head, in "The Art Bulletin" X I X , 1937, 423—439. 22 M. Kolakowska, Renesansowe nagrobki dzieciecn w Polsce X V I i pierwszej polowy XVII wieku, in "Studia Renasansowe" I, 1956, 250 ff.

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It is impossible, of course, to draw a line between what is Mannerist and imported, and what the Polish vernacular. Characteristics peculiar to the vernacular artistic idiom have strong connections and affinities with Mannerism deriving from Gucci or coming from the Netherlands, and as a result they produce works which can be understood only by taking into account the variety of elements, of different intentions and of various stylistic connections. Such is, for instance, the decoration of the 5 Firlej chapel at Bejsce, which is certainly Mannerist in its ornamental elements and fantasy, and "vernacular" and close to folk-art in its spontaneous discharge of decorative passion. The decorative passion, proper to our art, has some analogies in the Eastern Slavonic art of that period, and it may be that oriental influences, characteristic of the later period of Polish culture, did play a not unimportant part already in the period under review. It should be emphasized that the examples of the vernacular trend are to be found chiefly in Kazimierz, Zamosc and Lublin—all towns situated along the commercial routes joining the West and the East. It is known that the part played by the Armenian settlements in Lwow and Zamosc was important not only in commercial but also in artistic matters23. What was the social aspect of these different trends ? Can the Italian Mannerist elements be accounted for by aristocratic patronage, and those of the "vernacular trend" by upper middle class patronage ? It seems to me that, in principle, this thesis can be maintained, though it is rather an over-simplification. The best "vernacular works" were undoubtedly made for the towns and the upper middle class patrons, while the most typically Mannerist ones were ordered by the king or the aristocracy (e. g., Batory's tomb and Mirow and Baranow castles). Gucci's workshop however served the aristocracy just as well as members of the middle class, Christians as well as Jews, Catholics as well as Protestants, and becoming more and more polonized, it changed while acquiring qualities considered as characteristic of the "vernacular trend". The vernacular artists, on the other hand, used Gucci's motifs transforming them still further. However, the artistic taste of the aristocratic patrons varied between the refinement of Jan Zamoyski, who ordered pictures from the workshop of the Mannerist Domenico Tintoretto, and the rather simple taste of the much less cultivated representatives of the gentry und aristocracy. The taste of most of the Polish gentry must often have been very close to the naive and spontaneous taste of the middle class. Thus a short time after the refined architecture of Krasiczyn 16 castle (built by Galeazzo Appiani, 1590—1618), which is full of Mannerist symbolism, there already 17 appears the early Baroque type of palace as in Kielce (1637—-1641), which is endowed with a typically Polish joyful picturesqueness. But we also find examples where these various trends merge into something very original. One of the most famous buildings ordered by an aristocratic patron at the beginning of the seventeenth century is Krzyztopor castle in Ujazd (near Opatow) in Central Poland, unfortunately very much damaged in the wars with Sweden in the seventeenth century. There is nothing like it in Poland, and it is an excellent example of how the various tendencies in Polish art were being blended in one work. It is an exemple also of how Western-European ideas were transformed "according to the Polish sky and to Polish customs and manners"—to quote a Polish architectural treatise of 165924. The architecture of Krzyztopor is a peculiar mixture of Mannerism and naivete, of virtuosity and 19, 20 coarseness, gorgeousness and severity. A visitor arriving there was supposed to be impressed and overwhelmed by the unexpected and powerfull effect of the structure. To this day, it makes a tremendous impression, an impression of a play of gigantic forces which are piling up, as it were, the massive blocks of the building. The surprising of the visitor, aimed at by the patron and corresponding probably to the stylistic tendencies of the Italian architect, Lorenzo Muretto de Sent, was achieved by the latter through scenographic means. The axis of symmetry going throughout the huge complex of 23 T. Mankowski, Orient w polskiej kulturze artystycznej, W r o c l a w - K r a k o w 1959. 24 K r ö t k a nauka budownicza d w o r o w , palacow, zamköw podlug nieba i zwyczaju polskiego, ed. A . Milobedzki, Wroclaw 1957.

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buildings, leads from the entrance into the wide courtyard, following then the awesome narrow alley dividing the fagade in two parts and crossing the transversal elliptical interior courtyard; it led further to an immense hall, amazing in its wealth and eccentricity, the climax of which was a glass ceiling with a fish-pool closing the space from above. Could there be anything more Mannerist than fishes swimming above the beholder's head, as if to convince him that the world he is entering is something unreal, is the architect's fantasy created by an ingenious artist ? Complicated numerical symbolism goes together on the facades with the naive boasting of the patron, whose genealogical tree is displayed in paintings decorating the walls. It shows a Mannerist anxiety within the frames of a severe architecture, of which it has been rightly said that "the ground floor is overwhelmed by the weight of the upper stories" 25 and to which, perhaps, the Spanish definition of "el estilo trentino" could be applied2·. Alongside this, there is a primitive, almost foolish lavishness which made the owner put up —like Roman emperors—marble cribs in the stables. Brightly coloured, noisy polychromy completes the image of this complex architecture. The Mannerist conception is entwined here with features recalling those we have pointed out when analysing the "vernacular" trend of middle class architecture: the local taste for richness, exuberance and narration. However, the powerful play of the monumental masses of the building is the predominant feature and this cannot be found in the smaller middle class houses. The Italian architect, who certainly knew Serlio and Vignola, brought in obviously the contribution of his own art. But how very different is his work to the Caprarola, to which it is often compared. The proudly closed and compact volume of the Farnese palace is broken here on its central axis, as it were, in order to show in the distant scenographic perspective the interior courtyard, hidden at Caprarola, and to display the full wealth and grandeur of the building according to the ostentatious desire to overwhelm the beholder. Thus Vignola's Mannerist architecture found here a specific, Polish interpretation, close to the vernacular trend, and this in spite of the fact that the architect was working here for an aristocratic patron. Krzyztopor is such a typical object, that, I think, its analysis can serve as a conclusion to the present paper. There are so many motifs which remind us of the "original" Italian Mannerism, and also so strong a "vernacular" aproach to it, that the peculiar polyphony in the style of this admirable complex of buildings can be considered as a symbol of the wealth and variety in Polish art in the period between Late Gothic and full Baroque.

25 S. Tomkowicz, Krzyztopor, twierdza magnacka XVII wieku, in "Sprawozdania Komisji do badania historii sztuki w Polsce" V, 1896, 2 0 5 - 2 1 9 . 26 J. Camon Aznar, El estilo trentino, in "Studi Vasariani", Firenze 1952, 249—256.

Poussin and his Roman Patrons by Anthony Blunt It is a curious fact that, whereas we have very full information about paintings executed by Poussin for his Parisian friends, and can identify a high percentage of them, we are much less well informed in detail as regards his Roman patrons. Even in the case of the most famous of them, Cassiano dal P02Z0, it has only been possible to identify a relatively small proportion of the paintings known to have belonged to him, and, further, some of the identifications at present accepted may need revision. When we come to other patrons for whom he is known to have worked in his early years, only commissions for Cardinal Francesco Barberini, the dealer Stefano Roccatagliata and the disreputable Valguarnera can be identified with a fair degree of certainty. In his later life Poussin's two principal patrons were Cardinal Giulio Rospigliosi, later Clement IX, and Cardinal Camillo Massimi, but even in the case of pictures in their possession problems still remain to be cleared up. It may, therefore, be worth-while bringing together what is already known about this whole problem, and adding a few further pieces of information, even if the resulting picture is still far from complete. When Poussin arrived in Rome in the spring of 1624 his one contact with the intellectual world was an introduction from Marino to Marcello Sacchetti. Sacchetti, however, does not seem to have commissioned any pictures from him and only appears in the story as a link through whom Poussin was introduced to Cardinal Francesco Barberini and Cassiano dal Pozzo1. For Cardinal Francesco Barberini's commissions we have several documents. A payment made to Poussin in February 1626 refers to the Capture of Jerusalem, mentioned by Bellori as commissioned by the Cardinal, and, if the Augustus and Cleopatra, now in Ottawa, is accepted as by Poussin, it may also be an early commission from the Cardinal, since, according to an old label on the back of the picture, it came from the Palazzo Barberini and would have to be a very early Roman work indeed2. The Death of Germanicus was, according to Bellori, commissioned by the Cardinal after his return from his mission abroad, which occurred in December 1626, and it may be regarded as almost certain that a payment of 61 scudi, made in January 1628, was for this work 3 . In the same year Poussin obtained the commission to paint the St. Erasmus for St. Peter's, no doubt through Cardinal Francesco. The sketch for the altarpiece is recorded in the Palazzo Barberini in the late seventeenth century 4 , passed by descent to the Sciarra, and was till recently in the collection of Signora Ojetti in Florence6. 1 A Landscape with Orpheus, which passed with the Sacchetti collection to the Capitoline Museum, is attributed to Nicolas Poussin and "Raffaellino", i. e. Rafaello Botella, but the painting does not seem to have any connection with Poussin (O. Grautoff, Nicolas Poussin, Munich 1914 — cited in the following as "Grautoff" —, I, 441, and the catalogue of "I Francesi a Roma", Palazzo Braschi, Rome, 1961, N° 258). 2 Reproduced in A. Blunt, A newly discovered Poussin, "Apollo", Χ XVII, 1938,197 ff. Thuillier's attribution of this picture to Vuibert — based on knowledge ofaphotograph only— isquite unacceptable ("Paragone",97, January 1958,31). 3 Bousquet in Actes, I, 4. 4 Tessin in O. Sirfn, N. Tessins Studieresor, Stockholm, 1914, 167. It is also mentioned in many guide books of the eighteenth and early nineteenth centuries. 5 Grautoff, II, N° 14.

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We know from Bellori' that Cardinal Francesco Barberini later gave away the Capture of Jerusalem — perhaps to Cardinal Richelieu — and ordered a second version of the subject to present to Prince Eggenberg, the Imperial ambassador to the Vatican in 1638—397. Poussin probably received one further commission from Barberini after his return from Paris at the end of 1642. The Landscape with St. Matthew in Berlin, which is recorded in the Palazzo Barberini in the eighteenth century, and was, therefore, almost certainly painted for Cardinal Francesco, must on stylistic grounds have been painted soon after 1642, and its companion, the St. John in Chicago, appears to be very slightly later8. The St. John does not seem ever to have been in the Barberini collection, and it is a reasonable assumption that the execution of the series, which was no doubt originally intended to include all four evangelists, was interrupted by the flight of the Barberini after the death of Urban VIII in 1644. There is no evidence that Cardinal Francesco employed Poussin after his return from exile in France. Indeed it may be said that his enthusiasm for the artist was of short duration and lacking in intensity: he commissioned two — or possibly three — pictures from him before 1630, one of which he gave away; just before Poussin's visit to Paris he ordered another, definitely for presentation to a foreign visitor; and after the artist's short visit to Paris he commissioned one further series, which—admittedly through no fault of his —was never completed. It seems fairly clear that the Cardinal's taste was better satisfied by the artists of the rising Baroque like Pietro da Cortona, or his followers, such as Romanelli, who evolved a compromise between this style and classicism. The severe manner of Poussin in his maturity was better suited to his intellectual secretary, Cassiano dal Pozzo9. Poussin must also have had an early, if fleeting, contact with the Borghese family, for a document has been published showing that in December 1628 he was paid 43 scudi for three paintings commissioned by Marcantonio Borghese, Principe di Sulmona10. The paintings, which represented the Immaculate Conception, St. John the Baptist, and St. John the Evangelist, are explicitly stated to have been painted "per mandarli in Spagna", though unfortunately the name of the Spanish recipient is not given. The most obvious supposition is that the pictures were destined for the King, but they do not appear to be recorded in the inventories of the Spanish royal collection, and Mr. Howard Hibbard has suggested that they may have been a sort of peace-offering to the Deza family, from whom the Borghese had bought their Roman palace, the payments for which were much in arrears. By 1631 Poussin was in touch with the sinister Fabrizio Valguarnera 11 and in that year delivered

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Bellori, Vite, Rome, 1672, 413. Now in Vienna (Grautoff, II, N" 11). Poussin Exhibition, Louvre, I960, N « „ sans instrument»

D u Fresnoy: = «les accidents du lumineux» — «les accidents du diaphanen = «les accidents du corps illuminey> = vies accidents de I aspect de celuy regarded r j ι qui &

O n n'a pas de peine ä dέceler ici les categories familieres ä l'epoque, et que la physique empruntait ä 1'Opticas thesaurus d'Alhazen (pour le cas de Poussin, cf. Paul Alfassa et Anthony Blunt, L'origine de la lettre de Poussin sur les modes, dans le Bulletin de la Societe d'histoire de Γ Art fran;ais, 1933, p. 129 — 131). 17 II n'est pas impossible de dέceler dans cette importance donn^c au problemc de la degradation des valeurs un 6cho de la f a c t i o n contre le Caravagisme; cf. le De Arte Graphica: «... non praecipiti labentur in Umbram «Clara gradu, nec adumbrata in Clara alta repente «Prorumpant; sed erit sensim hinc atque inde meatus «Lucis et Umbrarum . . . » (v. 274—277) 18 On notera que ce problime des reflets, qui par la suite prendra tant d'importance, n'est evoqud ici que tris btievement; le De Arte Graphica s'dtendra d£ja davantage: «Corpora juncta simul, circumfusosque Colores «.Excipiunt,propriumque aliis radiosa reflectunt . . .», etc. (v. 335 et sqq.) 19 Roger de Piles inclinera plus tard le De Arte Graphica en un plaidoyer pour la couleur: on voit qu'ä ce moment l'attention est bien loin d'etre fixie sur ce probleme, et que la lumiere retient au moins autant Du Fresnoy — tout comme ä Paris, dans ces memes annies, un Bosse ou un La Hyre.

202 Maniere

Jacques Thuillier 90

De plus l'habitude qu'on fait en ces trois principales parties, composition, dessin, et coloris selon quelle aura esti plus ou moins praticquee sur le vray avec bonne connoissance et estude [,] goust nous l'apelons maniere bonne ou mauvaise, et l'Idee et intention que nous avons de le faire nous l'apelons bon ou mauvais goust[;]par exemple, ie suppose qu'une histoire bien disposee selon la necessity du suiet avec de beaux grouppes ou assemblemens de figures, beaux choix composition 95 d'attitudes, cites 20 vrais selon la necessitd du suiet, et autres ornemens et convenances necessaires dessin et a lexpression, on dit voila qui est bien invente, Si par apres les parties sont designees grandes maniere bien resolues et bien prononcees, sans choses menues ou incertaines, on dit cela est bien dessigni et de grande maniere [;] de plus si la lumiere estant choisie pour tirer en avant les parties ou relief et figures les plus eminentes, l'accouplant et estendant diffusement puis la degradant ou diminuant force 00 insensiblement avec douceur sur touttes les parties qui tournent et finissent la masse eclairee dans une ombre large, diffuse, continue et legere de nulle couleur sensible, on dit voila qui a Coloris un grand relief et une grande force et le clair obscur est bien entendu, Si par apres parmy les lumieres et les ombres Ion y insinue les vrayes tintes du naturel ou se trouvent les rouges les gris et les jaunastres et si Ion choisit des contrastes des masses de couleurs, leur amitie et simpatie 105 soit pour les chairs avec les draperies et les vrayes tintes du peisage liant le tout ensemble en telle sorte que Ion ny reconnoisse aucunne piece ny conionction [,] comme si le tableau avoit ε8ΐέ fait tout d'une suitte et d'une mesme palette de couleurs, Ion dit voila qui est bien colori et de grand artifice 21 . II y a de plus les elegances qui brillent par cy par la dans les trois parties de la pinture comme 110 les figures eclattent dans les parties de la Retoricque, et chacque chose meriteroit son chapitre particulier, ce que nous laissons pour nous contenter de cette introduction sommaire dans ses fonctions differentes: et qui parestroient [,] sans cette division, embrouillees [,] facilitant par ce moien l'intelligence des remarques suivantes que nous avons fait sur touttes les plus elegantes et plus foibles parties des meilleurs pintres que nous ayons eu en ces derniers siecles, lesquelles 115 remarques nous ne faisons que pour ceux qui ont une vraye connoissance de touttes les parties de la peinture [,] lesquelles produisent plusieurs differentes beautis qui touttes a part meritent beaucoup d'estime principalement s'ils sont appuies du dessin" [;] et ce que nous en faisons n'est que pour mettre la veriti en evidence en consideration de quantiti de persones qui s'en delectent par raisonnement et contemplation iudicieuse et non par une manie aveugle et igno120 rante 22 ' desquels il ny en a que trop [;] et comme les connoissances de lesprit surpassent de beaucoup lexecution et operation des mains nous prenons la hardiesse de dire le bien et le mal ou il paroist sans intention de ternir la reputation de ses grands hommes [,] sachant bien qu'en cette profession celuy qui fait le moins mal est estim6 le meilleur 23 . peinture en sa perfection Cet art a est6 en sa perfection* ches les Grecs [;] ses principales escoles estoient a Sicyone, che% les Grecs esteinte 125 puis a Rodes, Athenes, et enfin a Rome*: les guerres et le luxe ayant dissipö l'empire Romain reveilleedepuis 200 ans elle s'eteignit entierement avec tout le reste des autres sciences arts et bonnes lettres* et recomVar. du texte de 1668: 1. 124 La Peinture a este dans sa perfection . . . 1. 125 ä Athenes & ά Corinthe; puis enfin ä Rome. 1. 126 avec tous les beaux Arts, les belles Lettres, & le reste des autres

Sciences.

20 Lire: sites. 21 On voit l'effort pour priciser un langage critique: Chambray mettra pareillement, en tete de son Idee de la Perfection de la Peinture ... (1661), un btef glossaire difinissant quelques termes essentiels. 22 On notera cette incidente. Faut-il entendre ici dessein au sens de disegno ? Rien n'est moins sür; pour grand admirateur du Titien qu'il soit, Du Fresnoy peut fort bien, ä cette date, reconnaitre la primauti du dessin tel qu'il l'a ddfini plus haut. 22' Cette reaction contre les «grippis», les amateurs soumis aveugliment aux modes, cet appel au raisonnement dans l'appriciation artistique, se retrouvent tres friquemment: Chambray critique les «esprits prevenus» et s'adresse au «Lecteur desinteresse» qui voudra bien suivre ses «demonstrations» (Priface ä l'Idee de la Perfection de la Peinture, 1661), comme Roger de Piles demande «un esprit net et epure, et qui soit vuide de toute preoccupation . . . » (Pr6face aux Conversations . . . , 1676). 23 Autre theme frequent, pour ne pas dire obligi; cf. Felibicn: «Pour moij'ai appris des plus grands Maistres,