Walter Boehlich: Kritiker 9783050050867, 9783050050850

Als Walter Boehlich 2006 starb, verwies das Spektrum der Nachrufe – auf den Literaten und Publizisten über den Kritiker

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German Pages 414 Year 2011

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. Ein Leben mit Büchern
Widmungen und Anstreichungen. Exemplarische Stichproben in Boehlichs Bibliothek
„… und die Toren entthronte ich mit den Jahren“. Walter Boehlichs frühe Jahre – eine biographische Skizze
II. Judentum und Antisemitismus
„Man muss über die Juden reden“. Walter Boehlich und „unser Verhältnis zu den Juden“
„Nicht rassistisch, sondern eher national“. Walter Boehlich und der Berliner Antisemitismusstreit
III. Literaturwissenschaft und Kritik an der Germanistik
Boehlichs Beitrag zur Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft
Philologie und Emanzipation. Zum Verhältnis von Walter Boehlich zu Ernst Robert Curtius
Walter Boehlich als Kritiker der Germanistik
„Ein Pyrrhussieg der Germanistik“. Walter Boehlichs Kritik an der Grimmschen Philologie
IV. Literaturkritik
Zwischen Soziologie und Ästhetik oder Der Kritiker, der seine Position bestimmt: Die fehlende Generation. Literaturgeschichte und -kritik
„Wir kommen ohne einander aus.“. Walter Boehlichs und Martin Walsers Entfremdung als Resultat konfligierender Konzepte des Intellektuellen
V. Verlagslektorat
„Der Kutscher wird also unter allen Umständen bei uns erscheinen.“. Zum Briefwechsel mit Peter Weiss
Walter Boehlichs sammlung insel der 60er Jahre. Wiederaufnahme eines Walter Benjaminschen Projekts der 30er Jahre
Walter Boehlich und die DDR–Verlage
Walter Boehlich vs. Siegfried Unseld? Der „Aufstand der Lektoren“ im Suhrkamp Verlag
VI. Autorschaft
Dokumentation oder Aktualisierung einer Revolution? Walter Boehlichs 1848
„Hm…“ Auch eine Begegnung mit Walter Boehlich
Der Übersetzer Walter Boehlich
Die seriöse Säule der Titanic. Walter Boehlich als Kolumnist
Anhang
Walter Boehlich – Bibliographie
Die Autoren/Autorinnen
Bildnachweise
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Walter Boehlich: Kritiker
 9783050050867, 9783050050850

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Walter Boehlich

Kritiker

Walter Boehlich

Kritiker

Herausgegeben von Helmut Peitsch und Helen Thein

Akademie Verlag

Einbandgestaltung unter Verwendung eines Fotos von Andreas Pohlmann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2011 Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe www.akademie-verlag.de

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Layout und Satz: Petra Florath, Berlin Umschlaggestaltung: hauser lacour Druck: MB Medienhaus Berlin Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-05-005085-0 eISBN 978-3-05-005086-7

Inhaltsverzeichnis

Vorwort IX

I. Ein Leben mit Büchern Roland Berbig 3 Widmungen und Anstreichungen Exemplarische Stichproben in Boehlichs Bibliothek Christoph Kapp 17

„… und die Toren entthronte ich mit den Jahren“ Walter Boehlichs frühe Jahre – eine biographische Skizze

II. Judentum und Antisemitismus Daniel Weidner 43 „Man muss über die Juden reden“ Walter Boehlich und „unser Verhältnis zu den Juden“ Julius H. Schoeps 57

„Nicht rassistisch, sondern eher national“ Walter Boehlich und der Berliner Antisemitismusstreit

III. Literaturwissenschaft und Kritik an der Germanistik Helmut Peitsch 69

Boehlichs Beitrag zur Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft Peter Jehle 85

Philologie und Emanzipation Zum Verhältnis von Walter Boehlich zu Ernst Robert Curtius

VI 

Inhaltsverzeichnis

Peter Uwe Hohendahl 101 Walter Boehlich als Kritiker der Germanistik Manuela Böhm 115

„Ein Pyrrhussieg der Germanistik“ Boehlichs Kritik an der Grimmschen Philologie

IV. Literaturkritik Thomas Wegmann 133

Zwischen Soziologie und Ästhetik oder Der Kritiker, der seine Position bestimmt: Die fehlende Generation. Literaturgeschichte und -kritik Matthias N. Lorenz 143 „Wir kommen ohne einander aus.“ Walter Boehlichs und Martin Walsers Entfremdung als Resultat konfligierender Konzepte des Intellektuellen

V. Verlagslektorat Jürgen Schutte 165 „Der Kutscher wird also unter allen Umständen bei uns erscheinen.“ Zum Briefwechsel mit Peter Weiss Richard Faber 181 Walter Boehlichs sammlung insel der 60er Jahre Wiederaufnahme eines Walter Benjaminschen Projekts der 30er Jahre Berthold Petzinna 215 Walter Boehlich und die DDR-Verlage Claus Kröger 229 Walter Boehlich vs. Siegfried Unseld? Der „Aufstand der Lektoren“ im Suhrkamp Verlag

VI. Autorschaft Matthias Uecker 253

Dokumentation oder Aktualisierung einer Revolution? Walter Boehlichs 1848 Stefan Goldmann 267

„Hm...“ Auch eine Begegnung mit Walter Boehlich

  Inhaltsverzeichnis 

Peter Urban 273

Der Übersetzer Walter Boehlich Ulrike Baureithel 287

Die seriöse Säule der Titanic Walter Boehlich als Kolumnist

Anhang Helen Thein 307

Walter Boehlich – Bibliographie Die Autoren/Autorinnen

393

Bildnachweise 400

VII

Helmut Peitsch, Helen Thein

Vorwort

400 Bücherkisten waren der Anfang. Im Dezember 2007, anderthalb Jahre nach dem Tod von Walter Boehlich, wurden sie in Potsdam angeliefert und in einem zuvor leer geräumten Großraumbüro zu einem gleichförmigen weißen Quader gestapelt. Kaum etwas gab Aufschlüsse über den ehemaligen Besitzer ihres Inhaltes. Mit Ausnahme der Beschriftungen, die auf eine Systematik der Buchaufstellung in der Frankfurter Wohnung des Sammlers schließen ließen. Indes – die Aufschriften stammten nicht von Walter Boehlich selbst. Seine Fami­ lie hatte die Bücher regalweise eingepackt und die Gebiete notiert, die dort vorherrschten. Nach Boehlichs Tod fanden die Erben im Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien eine Institution, die seine mehr als 14.800 Bände zu den Gebieten deutsche Literatur und romanische Literaturen, englische Literatur, Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte umfassende Bibliothek nach dem Wunsch von Walter Boehlich in ihrer Gesamtheit übernehmen und geschlossen wieder aufstellen würde, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.1 Durch eine Kooperation mit der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam wurde es möglich, die Walter Boehlich-Bibliothek vollständig zu erschließen und in Zukunft an einem repräsentativen, zentralen Ort zu präsentieren. Damit wird nicht nur eine beeindruckende private Büchersammlung zugänglich. Die Nachlassbibliothek war Anlass und Ausgangspunkt der Beschäftigung mit einem Intellek­ tuellen der alten Bundesrepublik, der gern provozierte und dabei oft genug die besseren Argumente hatte. Denn Walter Boehlich war sowohl in seinen Buchrezensionen als auch in seinen politischen Stellungnahmen scharfsinnig und polemisch zugleich, dabei klar in seiner Argumentation und in seiner Haltung. Kurz, er war ein Kritiker, einer, der diesen Beruf als Berufung auffasste. Und der die Werkstätten des Medienbetriebs lieber mochte als die Bühne. Seine Bibliothek offenbart den Leser nicht nur in Anstreichungen, Einlagen, Randnotizen und Vernutzungserscheinungen, schon die Zusammenstellung der Sammlung spiegelt 1

Vgl. die Meldungen in: Frankfurter Rundschau, 13. 12. 2007, S. 34; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 12. 2007, S. 36.

X

Helmut Peitsch, Helen Thein

Boehlichs Vorlieben und verweist auf sein Wirken, als Philologe, Übersetzer, Lektor, Her­ ausgeber, Essayist und Literaturkritiker. „An Boehlichs Arbeit […] ließe sich […] ein Gutteil der Neuorientierungen nachzeichnen, die innerhalb der Literatur stattfanden“,2 schrieb bereits 1973 der Literaturkritiker Heinrich Vormweg in Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart, einer der ersten umfassenden Darstellungen der Nachkriegsliteraturgeschichte. Für die politische Diskussionskultur stellte wiederum Jürgen Habermas 1981 fest: „wenn man sich vorstellen sollte, dass es unter den Intellektuellen in der Bundesrepublik einen letzten radikalen Demokraten gäbe – wer anders könnte einem einfallen? Wer sonst hätte damals [1977] den Schleyer-Artikel schreiben können? Wer sonst hätte die Tabus über deutschen Vergangenheiten an deutschen Universitäten angerührt, zu einer Zeit, als sie es noch waren?“3 Zum Abschluss der Aufarbeitung der Privatbibliothek Walter Boehlichs zu einer öffentlich nutzbaren Nachlassbibliothek veranstaltete das Institut für Germanistik der Universität Potsdam in Zusammenarbeit mit dem Moses Mendelssohn Zentrum im Dezember 2009 eine Konferenz,4 deren Beiträge von Vertretern der Jüdischen Studien, Germanistik, Romanistik, Kulturwissenschaft, Soziologie und Zeit-, Sozial- und Kulturgeschichte dieser Band sammelt und ergänzt. Die Thesen von Vormweg und Habermas prüfend, wird das öffentliche Handeln Boehlichs in wechselnden institutionellen Zusammenhängen untersucht. Als Entree wird im ersten Abschnitt Ein Leben mit Büchern die Tür zu seiner Bibliothek geöffnet und durch eine biographische Skizze Walter Boehlichs Werdegang vor allem der frühen Jahre vorgestellt. Von diesem nicht zu trennen ist die jüdische Herkunft, die der 1921 in Breslau geborene Kritiker selbst so wenig thematisierte, dass sie in der Öffentlichkeit kaum bekannt war. Besonders „die zwölfjährige Barbarei“,5 wie Boehlich die Zeit des Nationalsozialismus nannte, war ein Lebensthema des Publizisten, der einst freiwillig in die Wehrmacht eingetreten war und dann als wehrunwürdig entlassen wurde. Davon, dass er auch nicht mehr studieren durfte und Zwangsarbeit leisten musste, war 2006 in den Nachrufen ebenso wenig die Rede wie in Boehlichs eigenen Stellungnahmen zur Vergangenheitsbewältigung, wenn er z.B. zum 50. Jahrestag der Bücherverbrennung im Wir sprach: „Wir haben nicht an das angeknüpft, was die Nazis zerstört haben, sondern an das, was unter den Nazis perexistiert hat“.6 2

3 4 5 6

Heinrich Vormweg: Prosa in der Bundesrepublik seit 1945. In: Dieter Lattmann (Hrsg.): Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland I. Aktualisierte Ausgabe. Frankfurt/M.: Fischer 1980 (= Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart; 1), S. 167–420, hier S. 316. Brief von Vera und Jürgen Habermas an Walter Boehlich vom 14.9.1981, im Nachlass Walter Boehlichs bei der Autoren-Stiftung, Frankfurt/M. Vgl. den Konferenzbericht Christoph Kapp, Daniel Oels: Walter Boehlich. Kritiker. In: Zeitschrift für Germanistik 20 (2010) H. 3, S. 654–657. Walter Boehlich: Die Wiederkehr eines Mitläufers. Der Restaurationskritiker Friedrich Sieburg. In: Frankfurter Rundschau, 1.8.1981. „Wider den deutschen Ungeist“. Walter Boehlich zum Thema Bücherverbrennung. In: Der Spiegel, 9. 5. 1983, S. 186–189, hier S. 189.

 Vorwort XI

Der Abschnitt II Judentum und Antisemitismus untersucht Boehlichs publizistische Äußerungen zu jüdischer Identität und zum Umgang mit dem „Hitlerschen Faschismus“,7 aber auch Boehlichs bekannteste Edition, seinen Quellenband zum Berliner Antisemitismus­ streit, der 1965 „dem historischen Fall von 1879/80 seinen Namen“8 gab, an den sich die erst 2003 erschienene umfangreichere Quellenedition Karsten Kriegers hielt. Die vier folgenden Abschnitte entsprechen den Orten von Boehlichs öffentlicher Wirksamkeit: Literaturwissenschaft, Literaturkritik, Verlagslektorat und Autorschaft. Der Abschnitt III Literaturwissenschaft und Kritik an der Germanistik erörtert zunächst an Boehlichs Erstlingsarbeiten die Übereinstimmung des rassistisch Ausgeschlossenen mit der im nationalsozialistischen Deutschland dominierenden Literaturgeschichtsschreibung und seine nach 1945 einsetzende Umorientierung von einer ideengeschichtlichen Geistesgeschichte auf eine europäisierte und rephilologisierte Literaturforschung, dann die in den frühen sechziger Jahren in der Zeit und im Monat publizierten Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik, mit denen Boehlich zu einem Vorkämpfer „der kriti­ schen, reformbetonten Germanistik“ wurde, „die sich erst außerhalb der Universitäten […] etablierte“,9 wie Jost Hermand in seiner Geschichte der Germanistik hervorhebt; auf Boehlich beriefen sich die Professoren um Eberhard Lämmert, die 1966 die Auseinandersetzung des Germanistentags in München mit der NS-Vergangenheit der Disziplin durchsetzten und deren Beiträge in der edition suhrkamp als Germanistik – eine deutsche Wissenschaft erschienen, „Boehlichs resoluter Sonderveröffentlichung“, wie Lämmert im Grußwort an die Potsdamer Konferenz schrieb, „der vier Vorträge zur Geschichte der Germanistik, mit der er die umstrittene thematische Entgrenzung des Münchner Germanistentages 1966 zu ‚Nationalismus in Germanistik und Dichtung‘ quittierte“.10� Der Abschnitt IV Literaturkritik geht dem Wandel von Boehlichs Begriff der Kritik nach, denn die Kanonisierung von Autodafé, seinem Beitrag zum Kursbuch 15 (und seinem am häufigsten nachgedruckten Text – etwa als einem von fünf Texten aus den Nachkriegsjahrzehnten in Reclams Reader Texte zur Theorie der Literaturkritik)11 lässt, auch wenn ausnahmsweise nicht „zu Unrecht“ „unterstellt“ wird, „Boehlich habe damit die Literatur für tot erklärt“,12 in der Regel die Ausgangspunkte von Boehlichs Literaturkritik vergessen. 1954 positionierte er sich bewusst in einer Reihe mit Hans Egon Holthusen, Karl August Horst und Curt Hohoff als „restaurative[r]“ Kritiker, der einen „schöpferische[n] Traditionalis  7 Walter Boehlich: Frankfurt, Fassbinder und die Juden. In: Der Spiegel, 4. 11. 1985.   8 Lothar Müller: Der Aufständische. Zum Tod des großen Polemikers Walter Boehlich. In: Süddeutsche Zeitung, 8. 4. 2006.   9 Jost Hermand: Geschichte der Germanistik. Reinbek: Rowohlt 1994, S. 146. 10 Brief von Eberhard Lämmert an Helmut Peitsch vom 28. 11. 2009, im Besitz der Herausgeber. 11 Texte zur Theorie der Literaturkritik. Hrsg. v. Sascha Michel. Stuttgart: Reclam 2008 (= Reclam Universal-Bibliothek; 18549), S. 236–239. 12 Friedrich Nemec: Tendenzen der Literaturkritik seit 1945. In: Rudolf Radler (Hrsg.): Die deutschsprachige Sachliteratur II. Frankfurt/M.: Fischer 1980 (= Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart; 10), S. 247–299, hier S. 291.

XII

Helmut Peitsch, Helen Thein

mus“ mit Ernst Robert Curtius, Max Rychner und Rudolf Alexander Schröder, Josef Hofmiller und Hugo von Hofmannsthal einem „maßstablosen Modernismus“ entgegensetzen wollte,13 präsentiert als „Überwindung einer entscheidenden Krise, die für die Literatur­ geschichte Nationalismus und mißverstandene Geistesgeschichte, für die Literaturkritik Natio­nalismus und Urteilslosigkeit hieß“.14 Über den Wechsel der Publikationsorte seiner Kritiken – von den kulturellen Monatszeitschriften Merkur und Monat über die Wochenund Tageszeitungen Die Zeit, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Rundschau zu Deutsche Volkszeitung, Konkret und Titanic – schrieb Boehlich 1981 an Helmut Heissenbüttel: „vor dreissig jahren hätte ich nirgends anders als im merkur veröffentlichen wollen und mir kaum vorstellen wollen und […] können, dass ich mich so schmerzlos und so weit von ihm entfernen würde, auch nicht dass ich einmal über das schreiben würde, worüber ich jetzt meist schreibe. […] konkret, titanic, die deutsche volkszeitung – daran hätte ich in unseren hamburger jahren nie auch nur gedacht, aber jetzt scheint es mir in den grenzen, in denen es überhaupt einen publizistischen sinn geben kann, recht sinnvoll.“15 Umgekehrt ist Boehlichs besondere Bedeutung für die Geschichte der Öffentlichkeit der Bundesrepublik, die ihm in den Nachrufen zugeschrieben wurde, vielleicht auch daran zu erkennen, dass ausgerechnet Die Zeit, in der Boehlich am längsten, nämlich von 1948 bis 1996, veröffent­ licht hatte, keinen Nachruf brachte und Ulrich Greiner sich in der Beantwortung eines Leserbriefs für unfähig erklärte, „zu rekonstruieren, wie es zu diesem Versäumnis kam“.16 Der Abschnitt V bearbeitet das Verlagslektorat unter zwei Aspekten: des Verhältnisses des Lektors zum Verleger und zu den Autoren. Dabei geht es nicht so sehr um die Korrektur der bislang vorliegenden Selbstdarstellungen des Suhrkamp Verlags, in denen, wie auch in den Biographien Siegfried Unselds, die Rolle Boehlichs marginalisiert wird, als um eine kontextualisierende Annäherung an die – damals unter dem Leitbegriff Funktion diskutierten – Fragen der Veränderung des Literaturbegriffs und der Demokratisierung der literarischen Produktionsverhältnisse. Anderthalb Jahre, bevor sich Unseld von Boehlich trennte, hatte Jürgen Habermas in einem am 20. 1. 1967 auf den Universitätstagen der FU Berlin gehaltenen Vortrag zur „Demokratisierung der Hochschule“ aufgefordert: „[…] stellen wir uns vor, wie sich das Bild der deutschen Klassik in den Köpfen der künftigen Studienräte verschieben müßte, wenn beispielsweise der Suhrkamp Verlag eine Generation lang die germanistischen Lehrstühle für neuere deutsche Literatur besetzen würde.“17 In den Presseberichten über die Marbacher Tagung zur Übernahme des Archivs des Suhrkamp Verlags durch das Deutsche Literaturarchiv allerdings war 2011 von Walter Boehlich nicht die Rede; nur Hannelore Schlaf13 Walter Boehlich: Die fehlende Generation. In: Joachim Moras, Hans Paeschke (Hrsg.): Deutscher Geist zwischen Gestern und Morgen. Bilanz der kulturellen Entwicklung seit 1945. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1954, S. 382–397, hier S. 391. 14 Ebd., S. 396. 15 Brief von Walter Boehlich an Helmut Heißenbüttel vom 27. 9. 1981, im Nachlass. 16 Brief von Ulrich Greiner an Peter Urban vom 17. 5. 2006, im Besitz des Adressaten. 17 Jürgen Habermas: Universität in der Demokratie – Demokratisierung der Universität. In: ders.: Protestbewegung und Hochschulreform. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1969, S. 108–133, hier S. 117.

 Vorwort XIII

fer erinnerte an das „geistige Zentrum des Verlags“, das Café Laumer: „Dort saßen die bedeutenden, ihrem geschäftstüchtigen Chef an Intelligenz und Bildung überlegenen Lektoren wie Walter Boehlich, Karl Markus Michel, Peter Urban, Günther Busch.“18 Welche Bedeutung die Arbeit mit den Autoren des Suhrkamp Verlags für Boehlich hatte, geht aus einem brieflichen Streit mit seinem Freund Peter Wapnewski über Brechts Flüchtlingsgespräche hervor, in denen er Brecht anders fand, als „Ulbricht oder [Günter] Blöcker ihn darstellen möchten“: „Mich wundert, dass Sie darin anders denken als ich. Hat mich der Wechsel von der Universität zu dem Verlage so angekränkelt? Oder trennt Sie die Universität, die nun einmal reactionär ist, von einem Teil der Wirklichkeit?“19 Der Abschnitt VI Autorschaft gilt dem Übersetzer, Herausgeber, Dokumentaristen und Kolumnisten Boehlich. Die Frage der Auswahl – aus deutschen Traditionen wie der Ablehnung einer Beschränkung auf diese – stellt sich auch hier, wie sie für das Lektorat an der sammlung insel im Hinblick auf die „Möglichkeit einer republikanischen Gegengeschichte in Deutschland“20 erörtert wird. Durch die Kritik an einer berühmten Übersetzung wurde Boehlich überhaupt Verlagslektor; seine Rezension von Eva Rechel-Mertens’ ProustÜbersetzung war sein Eintrittsbillet in den Suhrkamp Verlag, denn einen solchen Kritiker, soll Peter Suhrkamp gesagt haben, „können wir uns draußen nicht leisten“.21 Die Vor- und Nachworte zu von Boehlich übersetzten Büchern aus dem Dänischen, Spanischen, Französischen und Englischen gehören zu den vielen Hunderten seiner Veröffentlichungen, die in der Masse Kritiken, Rezensionen, Essays, Kommentare, Rundfunkfeatures sind. 1848. Doku­mentation in neun Szenen, eingerichtet nach dem ‚Stenographischen Bericht über die Verhandlungen der Deutschen Constituirenden Nationalversammlung‘ ist das einzige Buch, das seinen Namen als den des Autors trägt. Aber Kritiker blieb er bis zum krankheitsbedingten Ende seines öffentlichen Wirkens als Autor seiner Kolumne in der Titanic. Im Anhang dieses Bandes dokumentiert die im Zuge der Erschließung der Bibliothek durch die Arbeitsstelle Walter Boehlich-Bibliothek des Moses Mendelssohn Zentrums entstandene Gesamtbibliographie von Boehlichs Veröffentlichungen nicht nur den Umfang, sondern auch die konzentrierte Vielfalt seines Werks. Dieses Gesamtbild verweist auch auf die Lücken des Bandes: Boehlichs umfangreiche Tätigkeit für Funk und Fernsehen und ­seine damit gegebene Präsenz in der Öffentlichkeit wurde bislang noch nicht untersucht, ebenso fehlt eine Einschätzung seiner Bedeutung für die Vermittlung spanischer und lateinamerikanischer Literatur in der Bundesrepublik, die er sowohl als Lektor, Übersetzer wie 18 Hannelore Schlaffer: Schritte auf unbekanntem Boden. Marbach: Ein Kongress im Deutschen Literatur­ archiv nähert sich erstmals der ‚Suhrkamp-Ära‘ an. In: Stuttgarter Zeitung, 18. 1. 2011. 19 Brief von Walter Boehlich an Peter Wapnewski vom 20.1.1961, Archiv der Akademie der Künste Berlin, Bestand Wapnewski, Signatur 31. 20 Klaus Reichert: Totenrede für Walter Boehlich. In: Jahrbuch. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (2006), S. 232–238, hier S. 234. 21 Silvia Bovenschen: Schon mal abgestürzt? Angst kennt jeder. Aber über die subtilen, heimtückischen und vielfältigen Unterformen dieses Gefühls denkt man meist lieber nicht nach. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. 6. 2007, S. Z1–Z2.

XIV Helmut Peitsch, Helen Thein

auch als Kritiker leistete. Allein dem Suhrkamp Verlag als solchem dieses Verdienst zuzuschreiben verkennt, dass es immer engagierte Menschen braucht, die sowohl die Kenntnisse als auch die intellektuelle Neugier besitzen, Literatur zu entdecken und zu verbreiten. Die Bibliographie ermöglicht nun, den Perspektiven nachzugehen, die die Beiträge auf die Nachkriegskulturgeschichte eröffnen: auf das Verhältnis von Kultur, Medien und Literatur, von Wissenschaft, Journalismus und Literatur und deren gesellschaftliche, ökonomische und politische Rahmenbedingungen. Zu danken bleibt dem Moses Mendelssohn Zentrum und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, deren Förderung der Konferenz diesen ersten Blick auf Walter Boehlich möglich machte. Eberhard Lämmert hatte, in seinem bereits zitierten Grußwort, eine Tagung erhofft, „die nicht nur einen eigenwilligen Zeitgenossen, sondern auch ein vielfarbiges Stück Zeitgeschichte in neues Licht rücken kann“, wenn sie „die Affären des literarischen Lebens aufblättert, an denen Boehlich zeit seines Lebens Anteil hatte“: „Er war und blieb für Jahrzehnte ein Einzelgänger im Zentrum des Geschehens.“22

22 Lämmert, Brief vom 28. 11. 2009 (wie Anm. 10).

I. Ein Leben mit Büchern

Widmung von Harry Rowohlt für Walter Boehlich in Pooh’s Corner, Boehlich-Bibliothek Signatur Boe 5244

Roland Berbig

Widmungen und Anstreichungen Exemplarische Stichproben in Boehlichs Bibliothek

I „Sag’ mir, was Du liest, und ich sage Dir, wer Du bist!“ Wir kennen dieses eingängige Sprichwort, und mit Blick auf den eigenen Buchbestand und den anderer kommen wir zu wechselnden Befunden. Zustimmung im Allgemeinen überwiegt. Ein Schlüssel in geheime Welten fremder Existenzen scheint gefunden, wir müssen ihn nur in die Hand nehmen, ins Schloss führen und öffnen. Stoßen wir hinter dieser Tür allerdings nicht allein auf Bücher, überschaubar und maßvoll platziert, sondern auf Buchwelten, werden wir konfrontiert mit einer Bibliothek von kosmischen Ausmaßen, geordnet oder in heilloser Unordnung, dann sinkt die Zuversicht, die wir in diese flüssige Formel steckten. Ausgedehnte Streifzüge an den Regalen entlang lassen zwar ein intellektuelles Universum erahnen, das der andere eindrucksvoll sichtbar um sich versammelt hat, eine Verheißung, die Person im Zentrum dieses universellen Raums zu erkennen, sind sie nicht. Die Frage, „haben Sie das denn alles gelesen?“, gerne gestellt, ungern beantwortet, hat ihre Berechtigung. Wer auf seinem Streifzug als­bald innehält, das eine oder andere Buch in die Hand nimmt und aufschlägt, kann sein kleines Wunder erleben. Er stößt auf Anstreichungen aller Art, findet Einlagen, Zeitungsausschnitte oder Notizen, und mit einem Mal, besonderes Glück, Widmungszeilen: vom Verfasser des Buches, von einem Verleger oder von Unbekannten. Einmal aufmerksam geworden, merkt er, dass er mit diesem Phänomen Schneisen schlagen kann in den gedruckten Urwald und Lichtungen entdecken. Und im glücklichsten Fall begegnet ihm der, den er sucht: der Spiritus Rector jenes Reiches. In unserem Fall: Walter Boehlich.

*

Für freundliche Hilfen bei den ersten und allen weiteren Recherchen in der Bibliothek Walter Boehlichs danke ich Helen Thein-Peitsch, deren Erschließungsfreude ansteckte. Eine gründliche Unterrichtung über die Beziehung Boehlichs zu Joseph Breitbach verdanke ich Dr. Jochen Meyer (Marbach), der sich einmal mehr nicht nur als Kenner erwies, sondern gleichermaßen als selbstlos helfender, unschätzbarer Kollege. Mein Dank gilt weiterhin Vanessa Brandes, die das Redemanuskript aufmerksam und kritisch gegenlas.

4 

Roland Berbig

Es gehört zu den Kuriositäten, dass Archive, die sich nicht genug tun können, die Kostbarkeit von Autographen zu rühmen, eine gewisse Achtlosigkeit gegenüber diesem Phänomen nicht ganz verleugnen können. Noch 2006 spricht Volker Kaukoreit (Österreichisches Literaturarchiv) von einem archivarischen „Desinteresse an der handschriftlichen Widmung im Buch“ und intendiert mit einer bunten Palette von Texten über Widmungen die „Stimulation von Bibliotheks-, Archiv-, Literatur- und Kulturwissenschaft“.1 Peter Rühmkorf hat nicht nur ein Buch mit eigenen „versifizierten und erkritzelten Dedikationsartikeln“2 veröffentlicht, er hatte auch keine Zweifel, dass man „es hier […] mit einer eigenständigen literari­schen Gattung zu tun“ bekomme, deren Wesen „ein[en] gewisse[n] Beziehungszauber“ entfalte, „der dem Adressaten wirklich etwas ans Herz legen möchte“. Ihm, Rühmkorf, ähnelten die Gebilde „[k]leinen Wurfankern, die schon mit einigem Zielvermögen ausgeworfen werden wollen, etwa der ‚Kunst des Bogenschießens‘ vergleichbar – anders sie mit Sicherheit die gemeinte Andockstelle verfehlen“.3

II Boehlichs Bibliothek bietet nachgerade eine Fundgrube für ‚Wurfanker‘ dieser und aller Art. Nicht leicht zu überschauen ist, ob hinter jedem tatsächlich ein beziehungsreicher Zauber stand oder ob nicht doch – bei einem Menschen, dessen Tun und Lassen vom Buch aus- und zum Buch hinging – Routine Budenzauber en gros erzeugte. Da widmete Ilse Aichinger ihren Erzählungsband Eliza, Eliza Walter Boehlich, „dem ich sehr dankbar / bin“,4 Erich Arendt, einer der wenigen großen deutschen Exillyriker, schickte Januar 1967 seine im Leipziger Inselverlag erschienenen Gedichte, versammelt unter dem Titel Ägäis, Boehlich „mit herzlichen / Gedanken“,5 George A. Kirk empfahl im Oktober 1965 sein gemeinsam mit William A. Packer herausgegebenes Ein Deutscher meiner Generation „als Medizin / gegen Pessimismus“,6 und Uwe Johnson, mit Boehlich innerhalb des Suhrkamp Verlags auf verschiedenen Ebenen verbunden, übergab die bei Gallimard 1962 unter dem Titel La frontière erschienene französische Übersetzung von Das dritte Buch über Achim mit dem Eintrag:

1

2 3 4 5 6

Editorial. In: „Aus meiner Hand dies Buch …“. Zum Phänomen der Widmung. Hrsg. im Auftrag des Österreichischen Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek und der Wienbibliothek im Rathaus von Volker Kaukoreit, Marcel Atze und Michael Hansel unter Mitarbeit von Thomas Degener, Tanja Gausterer und Martin Wedl (= Sichtungen. Archiv Bibliothek Literaturwissenschaft 2005/2006, 8./9. Jg.). Wien: Turia+Kant 2006, S. 11. Peter Rühmkorf: Von mir zu Euch für uns. Göttingen: Steidl 1999, S. 7. Peter Rühmkorf: Dem Widmen gewidmet. In: Zum Phänomen der Widmung (wie Anm. 1), S. 60. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 3750. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 3778. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4149.

  Widmungen und Anstreichungen 

5

MEINEM LIE BEN B OE HLICH

SEIN ER GEBENER Uwe Johnson7 Signifikant auch folgender handschriftlicher Bucheintrag: Günter Herburger fügte seinem bei Luchterhand 1990 herausgekommenen Lauf und Wahn. Mit Bildern von der Strecke die Zeilen bei: Lieber Herr Boehlich, das ist die Bilderbuchausgabe für sportliche Nichtleser oder umgekehrt. Herzliche Grüße Günter Herburger8 Jede Widmung, scheint es, hat ihren Anspielungsgrund, jede in den Fokus einer Dedikation verdichtete persönliche Verbindung ihren Zähler, dessen Nenner Walter Boehlich war resp. ist. Für den Eingeweihten, deren Schar schmilzt, erübrigen sich Kommentare, Fernerstehenden sind sie so notwendig wie gewinnbringend. Weit davon entfernt, hier schon mit stichhaltigen Auskünften aufwarten zu können, sind die folgenden Sammelstücke Ergebnis von Stichproben, allerdings von Stichproben, die auf Exemplarisches bedacht waren, die sondieren wollten und Typologisches im Suchvisier hatten.9 Das Wissen, um das es dabei geht, zielt nicht auf Boehlichs private Welt, sondern auf das Profil seiner Bindungen, die er unterhielt und die Teil der Profilierung seiner Arbeit waren: möglicherweise deren Ferment und Fugenmittel. Legt man diese Dimension dem zu wägenden Gegenstand zugrunde, versprechen diejenigen Bücher am meisten, in denen Reibeflächen erzeugt werden zwischen Druck und Handschrift. Sie lassen den Notierungsort als das erkennen, was er ist: materialisiertes literarisches Leben und ein in Zeichen gebanntes Blitzlicht intellektuellen Daseins. Das so Niedergeschriebene verwandelt sich 7

8 9

Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4698. Leider war es nicht möglich, Einsicht in die im Uwe-JohnsonArchiv (Johann-Wolfgang-Goethe Universität / Frankfurt/M., jetzt Deutsches Literaturarchiv, Marbach) aufbewahrte Korrespondenz zu erhalten. Auskunft von Dr. Eberhard Fahlke, 30. 1. 2009. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4496. Vgl. hierzu grundlegend Diana Stört: Form- und Funktionswandel der Widmung. Zur historischen Entwicklung und Typologisierung eines Paratextes. In: Zum Phänomen der Widmung (wie Anm. 1), S. 79– [112].

6 

Roland Berbig

umgehend in einen chronikalischen Eintrag. Es bekommt dokumentarischen Wert, weil es einen einzigartigen Lebensmoment festhält und ihm als Zeichen Dauer verleiht.

III Werfen wir zuerst einen Blick auf die signierten und gewidmeten Bücher. Die Grundvariante innerhalb der signierten Bände in der Bibliothek Boehlichs sind die, die sich aus mehr oder minder unverbindlichen Verhältnissen ergeben haben. Beiwerk also seiner beruflichen Tätigkeit. Kein Grenzbezirk unmittelbarer Begegnung wird erkennbar, Persönliches bleibt ausgespart, der handschriftliche Eintrag verharrt im Einzugsbereich des Floskelhaften. Erst eine Gesamtübersicht der Autorinnen und Autoren, die es bei einem schnellen Gruß belassen, herzlich oder nicht, verspricht einen Befund von Aussagewert. Wer fehlt, wer ist häufiger vertreten, wo ist die Kontinuität groß, wo geringer, lassen sich Gründe finden? Wie sehen die Buchbotschaften von Hilde Domin über Peter Huchel bis Urs Widmer aus? „Unsere Kissen sind nass“, zitierte Domin sich selbst in ihrer Widmung von Rückkehr der Schiffe März 1962, „von den Tränen / verstörter Träume“, um mit Pathos, aber in nicht ganz einwandfreiem Deutsch fortzufahren: Ihnen, lieber Walter Boehlich, dankbarer als irgend einem Menschen für die Aufrechterhaltung des Glaubens, Ihnen, nur Ihnen, verdankt Ihr Hilde Domin 3. 3. 6210 Sind das Botschaften? Oder ist das ein document humain? Verwehren Einträge wie diese ein fremdes Verstehen – oder vergegenwärtigt sich in ihnen ein Walter Boehlich, der in der Verborgenheit seiner Bibliothek vergangen nur scheint, gegenwärtig aber doch ist? Befunde dieser Beschaffenheit sind abzugleichen mit anderen Formen, die die dahinteroder besser die danebenstehenden Beziehungen dokumentieren (Briefe, Erinnerungen Drit10 Hilde Domin: Rückkehr der Schiffe. Frankfurt/M.: Fischer 1962. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4178. Die Gedichtzeilen, aus denen Domin zitiert, erschienen zuerst in der Neuen Rundschau 72 (1961) H. 3, S. 652 und wurden dann in den zweiten Gedichtband übernommen. Als 1971 im Stierstadter Verlag Eremiten-Presse „Die andalusische Katze“ erschien, schickte Domin Boehlich ein Exemplar, in das sie, Vertrauen und Vertraulichkeit betonend, dabei aber auch auf die Entstehungszeit des Textes verweisend, die Zeilen eintrug: „geschrieben vor unserer Wiederansiedlung in der B.R.D. // ‚Links unten ganz in der Ecke / seh ich einen Katzenteller‘ // Ihre H. D. 29.6. // 71“.

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ter etc.). Es ließe sich das Niveau eines in sich differenzierten Kontaktnetzes von Boehlich bestimmen, genauer bestimmen. In einer Graphik wären die Schnittstellen einzuzeichnen, die den Ort der Widmungen fixierten. Zu der genannten Basisvariante treten, wie das Domin-Beispiel zeigt, Zueignungsformen in überreichen Facetten. Sie reichen von meist unerheblich variierten Floskeln bis zum persönlichen Brief, dessen Textzeuge unbedruckte Seiten im gedruckten Buch sind statt Blätter eines Schreibblocks. So schreibt Peter Härtling unter dem Schmutztitel seines Buches Janek. Porträt einer Erinnerung: Lieber Herr Boehlich, ungebetener (und wohl auch aufsässiger) Zaungast, der ich an Ihrem Samstag war – nun entschuldige ich mich; haben Sie, bitte, Nachsicht mit einem, dem’s ein Vergnügen war – Ihr Peter Härtling 1.10.196611 Diese epistoläre Dedikationsvariante bildet keine Ausnahme. Wie auch Irene Disches 1993 auf Deutsch erschienenes Ein fremdes Gefühl oder Veränderungen über einen Deutschen in Boehlichs Bibliothek zeigt, materialisieren sie Beziehungsprofile. Dische schickte Boehlich nicht nur ihr eigenes, gebrauchtes Exemplar, sie fügte ihm auch noch Zeilen hinzu, die diesen Umstand thematisieren und damit das Buch als Bindeglied und Initiation eines Dialogs konstituieren.12 Boehlichs Bibliothek gleicht einem nicht leicht auszuschöpfenden Reservoir an Varianten, anderen eigene Bücher zu dedizieren. Selbst für den mit Boehlich nicht weiter vertrauten Betrachter, stellte seine Bücherwelt unversehens ein vertrautes, wenn nicht vertrauliches Verhältnis zu ihm her, latent, sternschnuppengleich, zuweilen irrlichternd, manchmal mit Kometenschweif. Widmungen können zum Lebensspiegel einer Befreundung werden. Sie wahren darin ihr Eigenrecht und reklamieren einen Sonderstatus. Ein Beispiel. Kaum anderswo wirft dieser Spiegel ein so helles und eigen geartetes Licht zurück wie aus den Buchwidmungen Urs Widmers an Boehlich. Einige Kostproben zur Beglaubigung:

11 Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4448. 12 Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser. Berlin: Rowohlt 1993. Die Datierung lautet: „5/10/93“. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4153.

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1972 „Für Walter Boehlich. Sie sind im übrigen der Walter, der auf S. 25 vorkommt. Herzlich Urs Widmer“13 1977 „Für den lieben Boehlich, den Hornissenforscher in diesem Buch, sehr herzlich von Urs 1. Oktober 1977“14 1980 „Für W. B., den treuen Reisegefährten – es sei ein gutes Omen, dass dieses Buch just am 16. September das Licht der Welt erblickt hat. Urs“15 und 1988 „W. B. zugeeignet Werden sagn: s’ ist genuch! In die Ecke, Besen, Besen: Wieder müssen Sie was lesen. Herzlich: Urs der Fuchs“16 Wie ein Schimmer glitzern Augenblicke von Begegnungsgeschichten durch den Wortlaut der Widmungen, durch ihren ausgewählten Charakter. Das Dedizierte statuiert ein Innehalten, einen Markierungspunkt und gewinnt seinen eigenen Klang im Stimmenuniversum der Bibliothek: ausgelöst durch die widmende Person und sich von ihr lösend. Da ist es so beredt wie rätselvoll, dass nicht wenige dieser derart beziehungsreich gewidmeten Bücher Widmers keinerlei Lesespuren aufweisen, eins aber neben den Zueignungszeilen fünf Fotos enthält, die Widmer und Boehlich beim Fällen eines Baumes zeigen.17

13 Urs Widmer: Das Normale und die Sehnsucht. Essays und Geschichten. Zürich: Diogenes 1972. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 5551. 14 Urs Widmer: Vom Fenster meines Hauses aus. Zürich: Diogenes 1977. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 5552. 15 Urs Widmer: Züst oder die Aufschneider. Zürich: Diogenes 1980. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 5553. 16 Urs Widmer: Auf auf ihr Hirten! Die Kuh haut ab! Kolumnen. Zürich: Diogenes 1988. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 5561. 17 Urs Widmer: Die gestohlene Schöpfung. Zürich: Diogenes 1984. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 5550.

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Ein zweiter Beleg. Deutlich vernehmbar in diesem Widmungschor ist auch die Stimme Joseph Breitbachs. Breitbach schickte Boehlich 1970 seine fünfaktige Komödie Genosse ­Veygond, gespickt mit den anspielungsreichen Zeilen: Walter Boehlich, auch wenn er von Literatur nichts mehr wissen will mit den besten Grüssen Joseph Breitbach18 Dem war, schon 1962, die hoch gestimmte Widmung „freundschaftlich zu eigen / Joseph Breitbach“19 vorausgegangen und sollte 1978 eine „in elegischer Erinnerung“20 folgen. Gespart wurde nicht mit „freundschaftlich“ oder „Freundschaft“. Was aber, ist zu fragen, war das Gewicht dieser gewichtigen Wörter? Wie wog sie aus, der sie gebrauchte? Durfte der, dem sie gedacht waren, sie auf die Waage, wenn nicht gar Goldwaage legen? Die Schwingungen, die im Zitierten nachhallen, verlieren sich merkwürdigerweise in ihrer Eigenart nicht – auch wenn wir wissen, dass Breitbach nicht zimperlich im Versand von Widmungsbänden war, dass sein Schwanken zwischen rechts und links um 1968 in der Korrespondenz überliefert ist und dass er nachhaltig verstimmt war, als ihm kolportiert wurde, Boehlich habe gegenüber Dritten Breitbachs Reichtum glossiert. Für die eigenen Widmungsexemplare war im Briefaustausch kein Platz.21 Boehlich, das am Rande, sandte nach Paris auch Gewidmetes (u. a. sein Antisemitismusstreit-Buch und die Gervinus-Edition), nicht zur ungeteilten Freude Breitbachs: Der beklagte vor allem den schlechten Druck und damit den ihn verdrießenden Umstand, dass er sich die Bücher deshalb vorlesen lassen müsse … Dass es diesen Büchern allerdings erging wie denen Günter Herburgers, der seine, versehen mit vehementen Anstreichungen und bissigen Kommentaren, von Breitbach zurückgesandt bekam,22 ist nicht überliefert und obendrein unwahrscheinlich. Ein kleines Kapitel für sich, das nicht hier, aber das zu schreiben ist, sind die Widmungen von Ernst Robert Curtius, dem Romanisten, an dessen Bonner Lehrstuhl Boehlich von 1947 bis 1951 als Assistent tätig war. Nach dem ersten gemeinsamen Jahr drückte ihm 18 Joseph Breitbach: Genosse Veygond. Komödie in fünf Akten. Frankfurt/M.: Insel 1970. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4070. 19 Joseph Breitbach: Bericht über Bruno. Roman. Frankfurt/M.: Fischer 1962. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4074. 20 Joseph Breitbach: Das blaue Bidet oder Das eigentliche Leben. Frankfurt/M.: Fischer 1978. BoehlichBibliothek, Sign. Boe 4073. 21 Diese Informationen gehen zurück auf Mitteilungen von Dr. Jochen Meyer (Marbach). Am 23. 2. 2009 teilte Meyer mit, Breitbach habe Widmungsexemplare „überaus freigebig [verteilt], und böse Zungen behaupten, es sei schwerer, im Antiquariat ein Breitbach-Buch ohne Widmung zu finden als mit“ (per Mail). „Themen und Verlauf“, so Jochen Meyer, seien für dessen „Korrespondenzbeziehungen einigermaßen typisch.“ 22 Vgl. Jochen Meyer: Joseph Breitbach oder Die Höflichkeit des Erzählers. Marbacher Magazin 102. Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 2003, S. 94/95.

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sein akademischer Dienstherr jene Schrift in die Hand, mit der er am 28. Februar 1910 an der Straßburger Universität promoviert hatte: Einleitung zu einer neuen Ausgabe der Quatre livre des reis.23 Handschriftlich hatte Curtius in das Buch notiert: „Herrn Registrator Boehlich / z. fr. Er. überreicht vom Verfasser“. Wer das Büchlein in die Hand nimmt und die Zueignung liest, möchte wissen, worauf sie verweist. Sein Rechercheweg wird ihn in eine Zeit führen, in der Boehlich als ‚Halbjude‘ für den Amtsverkehr hinlänglich klassifiziert schien und in der ihm nicht nur ein Universitätsstudium, sondern auch eine ganze Reihe anderer Berufsmöglichkeiten versagt waren. Boehlich, mit dem Gedanken spielend, etwa Werksbibliothekar zu werden, war dann auf eine Anzeige einer Hoch- und Tiefbaufirma gestoßen, die einen technischen Registrator suchten. Die Firma, in der ein liberaler Generaldirektor tonangebend war, hatte ihn tatsächlich angestellt: Boehlich war über Monate damit befasst gewesen, ein riesenhaftes Archiv von „über ungefähr 4000 Bauten“ mit allen technischen Unterlagen, die „in vielen, vielen Räumen in einem wüsten Chaos [verteilt lagen]“, in Ordnung zu bringen – eben als Registrator. Boehlich war dabei in ein so gutes Verhältnis zu seinem Chef getreten, dass der ihm, als die Hauptarbeit getan war, nicht allein Lesen während der Dienstzeit gestattete, sondern auch den Besuch universitärer Vorlesungen.24 Aber konnte es das sein, worauf Curtius mit seiner Widmung alludierte? Näher lag doch gewiss eine Anspielung auf die eigene gemeinsame Beziehungsgeschichte. Und wirklich, auch in ihr findet sich eine Spur. Boehlich hat ihr Zustandekommen später so erzählt: Curtius steckte damals gerade im Abschluss seines Buches Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (Bern: A. Francke 1948), und „da hat er mir ein Briefchen geschrieben und gesagt, ‚ich müsste jetzt eigentlich das Register machen, aber meine Leute hier, die sind zu dumm.‘“ Boehlich sagte zu und fand Curtius’ Wohlgefallen, dass man bald eine „wunderbare Zeit“ hatte, „weil wir ununterbrochen andere Sachen gemacht haben, bloß nicht das Register. Erst als es drängte, da musste es getan werden.“25 Beinahe unversehens wurde aus einem geschätzten Registerbearbeiter ein nicht minder geschätzter Assistent. Biographische Interferenzen zu erzeugen, gehört zum Zauber von Widmungen – manchmal derart, dass einer Nachwelt der Atem stockt. Verweilen wir, exemplarisch noch einen Augenblick bei dieser Begegnung: Wissen möchte der Rechercheur auch, warum es gerade diese so lange zurückliegende Dissertationsschrift war, die Curtius überreichte. War es eine freundliche Ermunterung, wenn nicht gar verdeckte Aufforderung, der junge Mann solle sich den Qualen einer Promotion aussetzen? Wertschätzung und gewünschte Aufwertung in einem? Vielleicht. Leichter werden ihm Mutmaßungen bei der Rede fallen, die Curtius am 21. Januar 1950 in Hamburg hielt, wo man ihm den Lessingpreis verlieh und er sich mit einer Ansprache bedankte, die unter dem 23 Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde einer Hohen Philosophischen Fakultät der Kaiser Wilhelms-Universität Strassburg vorgelegt von Ernst Robert Curtius aus Strassburg. Halle a. S.: Buchdruckerei des Waisenhauses 1911. 24 Der Publizist und Übersetzer Walter Boehlich befragt von Mechthild Zschau. NDR III: Das Gespräch, 4. 7. 1996 (Interview-Abschrift von Helen Thein, Manuskript, S. 3/4). 25 Walter Boehlich befragt von Mechthild Zschau (wie Anm. 24), S. 6/7.

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beziehungsreichen Titel Literarische Kritik in Deutschland stand. Als sie im Druck des Verlages Hauswedell vorlag, schrieb ihr Verfasser für den jungen Kollegen die Worte hinein: „s/l Walter Boehlich / Zur Erinnerung an die Assistenz (jeder Art) / ER Curtius / Januar 1951“.26 Hier öffnet die Widmung offensichtlich wiederum einen Türspalt, durch den der Blick auf die Beziehung zwischen den beiden fällt, und diese Beziehung erhält durch den Gegenstand des Büchleins, wenn nicht sogar durch dessen Anlass – einen Preis, der auf Lessings Rang verweist – einen Resonanzraum. In ihm glauben wir Stimmen zu hören, die sich über Formen literarischer Kritik unterhalten, die sich einig sind in der Unbestechlichkeit des Kritikers und denen, so verschieden in Alter, Position und Herkunft, Lessing gleichermaßen eine Verpflichtung zum aufrechten Gang war.

IV Anstreichungen: Damit ist ein zweites Schlagwort gegeben, das aufzugreifen sich lohnt, wenigstens mit einem knappen Wort. Hatte Boehlich einen Stift zur Hand – fast scheint es, das sei immer der Fall gewesen –, korrigierte er, vergnüglich-verstimmt, stilistische Kapriolen und Druckfehler sowieso. Mit einem „ojo“ (spanisch für „Auge“, aber auch „Vorsicht“27), flink auf den Rand notiert, hakte sich der private Leser Walter Boehlich gerne beim lektorierenden, der den Dienstton angab, unter. „393“ lautet ein Seitenverweis Boehlichs in Alfred Anderschs Efraim-Roman, der ihn außerordentlich beschäftigte, und dazu der Kommentar: „Lectorengründlichkeit – Ausschwitz [!]“.28 Die Gründlichkeit nahm zu, stand eine Begegnung mit dem Verfasser ins Haus. Im Homo faber-Exemplar aus dem Jahr 1957 versah Boeh­ lich nicht nur elf Seitenangaben mit dem Wort „Fehler“, er notierte zwei weitere mit dem Vermerk: „mit Frisch sprechen“.29 Auf der Innenseite des hinteren Klappendeckels listete Boehlich, ganz und gar sich als Benutzer verhaltend, also bevorzugt immer wieder Seitenzahlen und Stichwörter auf. Sie verweisen auf Textpartien im Buch, die dort unterstrichen, seltener aber auch kommentiert werden. Manchmal drängt es den Leser Boehlich, gleich an den Seitenverweis den Kommentar zu hängen. Ob er dabei an irgendeine Nachwelt gedacht hat, ist gehörig zu bezweifeln. Nicht zu zweifeln ist an dem Reiz, den die Nachwelt nun dadurch hat. Die legendären 26 Ernst Robert Curtius: Literarische Kritik in Deutschland, Rede gehalten am 21. Januar 1950 in Hamburg bei der Entgegennahme des Lessingpreises der Hansestadt Hamburg. Hamburg: Hauswedell 1950. 27 Mit dem Ruf „ojo“ soll die Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt werden. Gebräuchlich ist das Wort auch im Sinne von „Achtung, hier stimmt etwas nicht, hier muss geprüft werden“. Das Diminutiv „ojito“ wird Kindern gegenüber verwendet und steht für „Ich warne Dich!“. „Ojo de culo“ bezeichnet auf vulgäre Weise die Afteröffnung, wird „aber nicht wie im Deutschen als Bezeichnung für weniger geschätzte Mitmenschen (als merkwürdiges pars pro toto) gebraucht“ (U. Schoor an R. B., 21. 12. 2009, Mail). Für diese Unterrichtung danke ich Dr. Griselda Mársico und Dr. Uwe Schoor (Buenos Aires, Argentinien). 28 Alfred Andersch: Efraim. Roman. Zürich: Diogenes 1967. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 3772. 29 Max Frisch: Homo faber. Ein Bericht. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1957. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4335.

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und noch immer gerne zitierten Werkstattgespräche mit Schriftstellern, die Horst Bienek 1962 im Hanser Verlag veröffentlichte, zeigen an einer Fülle von Arbeits- und Lesespuren, welch lebhaftes Interesse Boehlich bei der Lektüre hatte: vor allem an dem Herausgeber, der wenig Gnade vor seiner urteilenden Kraft erfährt. Ihm sieht der markierende Stift streng und unerbittlich auf die Finger („90 hat Johnsons Buch gar nicht begriffen“30). Aber auch die antwortenden Autoren kommen nicht ungeschoren davon: „134 Lehmann töricht über Brecht“.31 Noch einmal Belege aus Anderschs akribisch gelesenem Roman Efraim: „Wieso ist G. E. links? / Problem des Zufalls Zufälligkeitstheorie kommt der Restauration der BRD entgegen.“32 Die Schlagwortreihe am Buchende lässt überdies Boehlichs besonderen, speziellen Lektüreblick erkennen „Tod durch Gas“, „Ungeziefer“, „Vergasung“, „Aussehen von Juden“ und die „ojo“s sein Urteil: So wenn er es neben Anderschs Satz, „daß mir der Ehrgeiz, einen Roman zu schreiben, gänzlich abgeht“,33 notierte. Ein weiteres typisches Beispiel: Boehlichs Vermerke in Bernt Engelmanns Grosses Bundesverdienstkreuz. Tatsachenroman. Am Ende des Buches findet sich, in eckige Klammer gesetzt, die Notiz „80 [Unsinn]“.34 Der Verweis führt zu einem historischen Kriegsdetail, das Boehlich offensichtlich schlicht für falsch ansah, unsinnig eben. In positiver Wendung dazu: Diese Anstreichungen können auch auf Bemerkens-, wenn nicht Merkenswertes verweisen. Darauf etwa, dass die Unterschrift des späteren Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger, wie Engelmann ermittelt hatte, unter einem judenhetzerischen Protokoll aus der Rundfunkpolitischen Abteilung, Referat B zu finden sei. Boehlich wünschte sich raschen Zugriff auf solche Informationen, die Markierung sollte helfen. Das ist ein übliches Verfahren. Übersehen wird nur meist, dass auf diese Weise der Lesende, Boehlich in diesem Falle, eine für seine Haltung charakteristische Signatur im Buch hinterlassen hat. Er schrieb sich diesem gewissermaßen ein. Das Buch ist, nach einer solchen Lektüre, nicht mehr das, was es war. Vergleichbares ließe sich leicht mehren. Reizvoller und beziehungsreicher als das Summarische, wir wissen es, ist das Singuläre. Dort nämlich, wo sich die Bücher in kommunikative Räume verwandeln, wo der Lektor agiert, der Autor reagiert und der Zeitgenosse sich engagiert. Ein Musterstück dafür ist Boehlichs Exemplar von Enzensbergers Der Untergang der Titanic. Blei, schwarzer und roter Kugelschreiber, Anstreichung und Kommentar – hier kam das komplette Arsenal zum Einsatz. Alles Angemerkte drängte auf Dialog, zuerst mit dem Autor, jetzt mit der Nachwelt. Gerne möchte man Boehlich fragen, was ihn veranlasste, gerade folgenden Satz mit seinem „ojo“ zu versehen:

30 Horst Bienek: Werkstattgespräche mit Schriftstellern. München: Hanser 1962. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 3838. Vgl. hierzu auch Walter Boehlich: Wie fühlen Sie sich so als Schriftsteller? Horst Bieneks Werkstattgespräche mit fünfzehn deutschen Autoren. In: Die Zeit, Nr. 43, 26. 10. 1962. 31 Bienek: Werkstattgespräche (wie Anm. 30). 32 Andersch: Efraim (wie Anm. 28), Verweis auf S. 180. 33 Ebd., Verweis auf S. 411. 34 Bernt Engelmann: Grosses Bundesverdienstkreuz. Tatsachenroman. [München]: AutorenEdition 1974. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4227.

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[…] Ein guter Genosse war ich nicht. Statt über den Zucker zu schreiben, über den Sozialismus auf einer Insel, fischte ich tote Überlebende und tote Tote, unparteiisch und ein halbes Jahrhundert zu spät […]35 Um nur anzudeuten, wo Boehlichs Lesespur hinführt: Vornehmlich jene Stellen sind markiert, wo das Ich in Enzensbergers Text sein Schreiben thematisiert, mit ihm kokettiert und ein Damals im Jetzt fixiert, das auf einen ideologisierten Grund zurückschaut, der sich nun als bodenlos erwies: „Am liebsten möchten alle gerettet werden, auch du. Aber ist das nicht allzu viel verlangt von einer Idee?“36 Diese Anstreichungen unterscheiden sich gründlich von denen in Frischs Homo faber. War dort, im Bild gesprochen, ein Schreibtisch eingerichtet, an dem auf der einen Seite der Lektor saß, um Ratschläge zu erteilen, und auf der anderen der Autor, sie anzunehmen oder zu verwerfen, tritt hier der Lesende in eine Diskussion mit einer Ich-Figur im Text. Sie provoziert ihn, sie fasziniert ihn – und der Stift agiert wie ein Funkgerät, das Signale empfängt und verschickt. Dass der Stift ein Kugelschreiber mit roter Miene war, erschreckt gewiss den Bibliophilen, dem Interpreten indes ist es ein Indiz, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Der hier markiert, versteckt sich nicht. Er sucht nicht Gedächtnisstützen, sondern das Gespräch: im Text – mit ihm. Ähnliche Einzeichnungen wie bei Enzensberger sind immer wieder zu entdecken und immer wieder Bemerkungen wert. So verdiente der unerschrocken eingesetzte und wiederum mit Rot operierende Kugelschreiber in Stefan Georges Dichtung Der Krieg ebenso kritische Begutachtung37 wie das höchst aufmerksam gelesene und bestrichelte Vorwort Alfred Anderschs in dessen 1948 in Karlsruhe gedruckter Broschüre Deutsche Literatur in der Entscheidung. Verhielt sich Boehlich bei Enzensberger und George aktiv literaturkritisch und -rezeptiv, setzte er sich bei Andersch in die erste Reihe eines Hörsaals, gleichsam als Student im Studiengang „Kritische Literatur – Literaturkritik“. Seine Anstreichungen ähneln Mitschriften, sie wirken wie Merksätze: „Die literaturkritische Wertung ist also mit der politischen eng verbunden“ etwa, oder „Eine Analyse des Wirkens der ‚inneren Emigration‘ ist also identisch mit einer Analyse der deutschen Literatur überhaupt.“38 Von diesem Studiengang ließ Boehlich nicht, und seine Bibliothek bietet das eine oder andere sonderbare und besondere Schaustück als Beleg. Dieses Interesse begründete seine in der Bibliothek nicht zu übersehende Wertschätzung Rudolf Borchardts. Hat Boehlich wie35 Hans Magnus Enzensberger: Der Untergang der Titanic. Eine Komödie. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978, S. 71. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4234. 36 Enzensberger: Titanic (wie Anm. 35), S. 43. 37 In: Stefan George. Werke. Ausgabe in zwei Bänden. München, Düsseldorf: Helmut Küpper vormals ­Georg Bondi 1958. 1. Band. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 4371. 38 Alfred Andersch: Deutsche Literatur in der Entscheidung. Veröffentlicht von W. Beisel unter Lizenz USW-1062. Karlsruhe: Volk und Zeit 1948. Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 3773.

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derholt zu Hofmannsthal publiziert, ist bisher nur ein Titel zu Borchardt nachweisbar, und auch der steht in Verbindung zu Hofmannsthal: Hofmannsthal und Borchardt. Gedanken zu einem Briefwechsel, abgedruckt im Monat vom Februar 1955. Dies ist ein intellektuelles und stilistisches Bravourstück ersten Ranges. Im Dreierbund Hofmannsthal, Schröder und Borchardt erkennt Boehlich deren beispielloses Bestreben, ihren Zeitgenossen drei Jahrtausende Kulturgeschichte in einem „schöpferischen Akt von […] gewaltsamen Ausmaß zugänglich“ zu machen. „Wenn uns Borchardts Werk in seiner ganzen, noch unbekannten, Ausdehnung zugänglich sein wird“, schreibt er, „werden wir dieses Ereignis verstehen und würdigen lernen.“39 Damit war ein Maß gewiesen und ein Maßstab gesetzt: für die Leser, aber nicht minder für Boehlich selbst. Borchardts Schriften-Edition hat daher nicht nur – neben einer Reihe von Erstausgaben – ihren Respekt erheischenden Platz in seiner Bibliothek gefunden, sondern Boehlichs Stift auch in ihr die für ihn relevanten Stellen. Es bleibt den Kennern vorbehalten zu mutmaßen, wann Boehlich Borchardts Rezension Dante und deutscher Dante anlässlich der Neuedition Die göttliche Komödie in der Übersetzung von Richard Zoozmann (1906) gelesen hat. Mutmaßungen über einen möglichen Lektüreertrag macht indes die nachstehende Anstreichung Boehlichs hinfällig: „Die Kritik ist Richter des Autors, und darum vor allem anderen Sachverwalter des Publikums, gegen Schädiger, Bedroher und Unehrliche, die Fälle, in denen sie ein noch sublimeres Prinzip der Gerechtigkeit vertreten und Anwalt des Autors werden darf, sind selten und sollten nicht ohne äußerste Not vermehrt werden.“� Borchardts Sentenz verwandelt der Stift in ein Credo Boehlichs – so jedenfalls scheint es. Mit dieser passgerechten Merkstelle, die zu ergänzen ist um das von Boehlich freudigfröhlich angehakte Aperçu Borchardts „Drei Worte Humbug kosten drei Sätze verlorene Zeit“,40 kann die kurze bibliophile Visite zu ihrem Ende kommen. Jede Signatur, auf die wir stießen, steht für einen fremden Lebensmoment, den Lesen und Schreiben und Beschriebenwerden konturiert und individualisiert hat. Welt und Raum, die wir damit wieder verlassen, waren – und sind es noch – geprägt von einer Existenz, die durch sie allein nicht zu begreifen ist, aber ohne sie gar nicht. Als Boehlich das 1974 bei Suhrkamp veröffentlichte Buch Das Luft-Schiff. Biografische Nachlässe zu den Fantasien meines Großvaters von Fritz Rudolf Fries las, notierte er sich zur Seitenzahl 328 die Frage „wie ist Biographie möglich?“ Nicht, möchten wir im Nachgang antworten, ohne die Bücher, die jemand gelesen hat, mit denen er lebte und die ihn überlebten: um von ihm zu 39 Walter Boehlich: Hofmannsthal und Borchardt. Gedanken zu einem Briefwechsel. In: Der Monat 7 (1955) H. 77 (Februar), S. 462–466, hier 463. Boehlich nutzt die Gelegenheit, um nachdrücklich darauf zu dringen, dass es an der Zeit sei, an die Seite von Hofmannsthals und Schröders Werk nun endlich auch Borchardts zu stellen. „Aber in einem Lande“, so sein Kulturbefund der Bundesrepublik Mitte der fünfziger Jahre, „dessen Traditionsbedürfnis so unterentwickelt ist, einem Lande, in dem von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr Minderwertiges, aber Aktuelles[,] mehr Großartiges, aber Vergangenes verdrängt, scheint dies eine unbillige und undurchführbare Forderung.“ (S. 463) 40 Rudolf Borchardt: Dante und deutscher Dante. In: Rudolf Borchardts Schriften. Prosa. Berlin: Rowohlt 1920, S. 266 und 268, Boehlich-Bibliothek Sign. Boe 3883.

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zeugen und Zeugnis abzulegen über seine Art, in der Welt zu sein, unaustauschbar und unersetzlich. Boehlichs Buchbestand könnte für einen Biographen, an den Uwe Johnson schon Januar 1967 gedacht hat, ein verführerisches Argument sein: „Ich waere da fuer eine Biographie von Walter Boehlich, denn dieser hat, entsprechend deinen Erfordernissen, sowohl weniger oeffentlich gelebt als er auch noch nicht zu lange tot ist.“41 Doppelt verführerisch, bedenkt man den Adressaten dieses Vorschlags: Hans Magnus Enzensberger.

41 Uwe Johnson an Hans Magnus Enzensberger, 3.1.1967. In: „fuer Zwecke der brutalen Verstaendigung“. Hans Magnus Enzensberger, Uwe Johnson. Der Briefwechsel. Hrsg. v. Henning Marmulla u. Claus Kröger. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009, S. 164.

Postkarte von Walter Boehlich an seine Mutter Edith Boehlich in Theresienstadt, 26. Mai 1944

Christoph Kapp

„… und die Toren entthronte ich mit den Jahren“ Walter Boehlichs frühe Jahre – eine biographische Skizze

„Freund, so Du etwas bist, begib Dich in das Joch. Zwingt Dich das Wissen nicht, zwing Du das Wissen doch.“1

I „Von mir aber möchte ich eben nicht erzählen.“2 Walter Boehlich machte publizistisch zeit seines Lebens nicht viel Aufhebens um seine Person. Aussagen zu seiner Biographie sind in seinen Veröffentlichungen rar. Wiewohl selbst ein Liebhaber von Selberlebensbeschreibun­ gen – in seiner Bibliothek finden sich Autobiographien und Briefwechsel von Arnim3 bis Zuckmayer – sind seine Äußerungen ihn selbst betreffend zurückhaltend, wenn nicht ab­ weisend. Als der Piper-Verlag für einen Goethe-Sammelband biographische Angaben der Beiträger zu erfahren wünschte, antwortete Boehlich kurz angebunden: „walter boehlich, geboren 1921 in Breslau; lebt als freier publizist in frankfurt. das einzige, worauf ich wert lege, ist, dass sie meinen namen mit oe (und nicht mit ö) buchstabieren. wann und wo ich was studiert habe, welche bücher ich herausgegeben habe und welche ich übersetzt habe, muss man den leuten nicht auf die nase binden. wer es wissen will, kann es ja finden.“4 1

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Distichon von Walter Boehlich, wohl aus seiner Hamburger Zeit. Brief von Peter Wapnewski an Walter Boehlich vom 19. Juni 1955. Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. Für die mehr als groß­ zügige Einladung, in das Familienarchiv Einblick zu nehmen, habe ich Sabine Boehlich zu danken. Walter Boehlich: „Die Antwort ist das Unglück der Frage“. Dankrede zur Verleihung des Johann Heinrich Merck-Preises. In: Neue Rundschau 102 (1991) H. 1, S. 173–176, hier S. 173. Zu Boehlichs Beitrag zur mühevollen Entstehung der Ausgabe des Briefwechsels von Achim von Arnim und Bettina Brentano 1961 bei Suhrkamp vgl.: Wolfgang Schopf (Hrsg.): „So müßte ich ein Engel und kein Autor sein“. Adorno und seine Frankfurter Verleger. Der Briefwechsel mit Peter Suhrkamp und Sieg­ fried Unseld. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003, S. 401/402. Brief Boehlich an Fabian, Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA), A: Piper, 98.5. Kleinschreibung im Original. Es handelt sich um den Beitrag Walter Boehlich, Hans Jürgen Heinrichs: Dritte Welt. In: Harald Eggebrecht (Hrsg.): Goethe – ein Denkmal wird lebendig. Dialoge. München u.a.: Piper 1982, S. 107–115. Für ein weiteres Zeugnis seiner Zurückhaltung vgl.: Helen Thein: Die Schindergäßchen der

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Ausnahmen von diesem selbst verordneten Schweigen über sich genehmigte sich Boeh­ lich nur selten. In Über Juden in Deutschland erscheint ein Interview von 1988 mit ihm, das jedoch, wie der Herausgeber Gert Mattenklott in seiner Einleitung schreibt, Boehlich als Person verfehlen muss, wegen der zwangsläufig auftretenden „Befangenheit“, wenn „Deut­ sche oder deutsche Juden und nichtjüdische Deutsche wieder zusammentreffen“.5 Nachdem er 1995 auf ihrer Herbsttagung von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen worden war, hielt Boehlich am 11. Oktober 1996 eine kurze Ansprache, um sich vorzustellen. Auch hier betonte er: „Zu meinem Leben und Werdegang ist wenig zu ­sagen, höchstens daß ich zweimal Glück gehabt habe.“6 Dieses habe darin bestanden, dass er zwölf Jahre an Universitäten habe lernen und zwölf Jahre in einem Verlag arbeiten können. Von dem Glück, die zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft überlebt zu haben, spricht er nicht. Am ausführlichsten äußerte er sich zu seinem Lebenslauf in einem Interview mit Mechthild Zschau, dass am 4. Juli 1996 im NDR 3 ausgestrahlt wurde. Für die hier zu unternehmende biographische Skizze haben diese Selbstaussagen beson­ deres Gewicht, weil sie das Selbstbild Boehlichs wiedergeben. Seine eigene Person hatte für ihn keine öffentliche Wichtigkeit, nur sein geschriebenes Wort. Und auch dieses schien ihm keine hohe Bedeutung zu besitzen, wollte er doch eine Sammlung seiner Texte nie herausge­ ben: „Es gibt genug Bücher […]. Also warum dann noch eins mehr?“7 Wie eine Biographie, die Boehlichs Ansprüchen genügte, auszusehen habe, hat er in verschiedenen Rezensionen dargestellt: „Wenn schon Biographie, dann kritische Biographie. Oder wenn schon Biogra­ phie, dann interpretierende Biographie“.8 Diesem Anspruch wird hier nicht genügt werden können; seine Verwirklichung erforderte eine ausgedehntere und eingehendere Analyse der verstreuten Quellen und eine ausführlichere Einordnung in die Zeitgeschichte. Die folgende Darstellung konzentriert sich daher auf die frühen Jahre Walter Boehlichs bis 1957 und gibt einen kurzen Ausblick auf die spätere Zeit. Diese Beschränkung bietet sich schon deshalb an, weil die anderen Beiträge des vorliegenden Bandes Einzelstudien zu seiner weiteren in­ tellektuellen Biographie bieten. Die Konzentration auf die frühen Jahre ermöglicht es auch, Walter Boehlichs Scheu vor autobiographischen Porträts autobiographisch zu motivieren. Zudem erlaubt die Beschränkung auf den jungen Boehlich, die Formation seiner „Polyhis­ torie und Polymathie“9 nachzuvollziehen, deren Grundlagen er in seiner Jugend und wäh­ rend seines Studium legte.

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Kritik. Die Bibliothek von Walter Boehlich (1921–2006). In: Sabine Graef u.a. (Hrsg.): Sammler und Bibliotheken im Wandel der Zeiten. Kongress in Hamburg am 20. und 21. Mai 2010. Frankfurt/M.: Klostermann 2010, S. 237–257, hier S. 239/240. Gert Mattenklott: Über Juden in Deutschland. Frankfurt/M.: Jüdischer Verl. 1992, S. 134. Walter Boehlich: Vorstellung neuer Mitglieder. In: Jahrbuch Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (1996), S. 165/166, hier S. 165. Interview von Mechthild Zschau: Der Publizist und Übersetzer Walter Boehlich, NDR 3, 4. 7. 1996. Walter Boehlich: „Größter Lump oder Erster Mann“? Die Bismarck-Biographie des DDR-Historikers Ernst Engelberg. In: Frankfurter Rundschau, 12. 10. 1985. Walter Boehlich: Faulheit als literarhistorisches Phänomen. In: Die Neue Zeitung, 8. 7. 1952.

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II Walter Hans Boehlich wurde am 16. September 1921 in Breslau geboren. Er hatte zwei Ge­ schwister: seine ältere Schwester Renate (geb. 1920) und seinen Zwillingsbruder Wolf. Alle Kinder wurden getauft. Die Eltern, Ernst Boehlich und Edith Jansen, heirateten 1919 in Breslau. Auf seine Herkunft wird hier etwas genauer eingegangen, weil ein kurzer Blick in die Familiengeschichte zeigt, wie vielfältig Walter Boehlichs Verwandtschaft dem Buch ver­ pflichtet war und weil sich Boehlich zwar nie als Preuße, Deutscher oder Jude, sehr wohl aber als Breslauer sah.10 Ernst Boehlich, 1886 in Breslau geboren, stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Er legte die Reifeprüfung 1904 am Königlichen Gymnasium zu Schneidemühl ab, um – wie später sein Sohn – Philologie in Breslau zu studieren. Er promovierte erst 1913 mit einer Arbeit über Goethes Propyläen bei Max Koch, der seit seiner Gründung 1890 den Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturgeschichte in Breslau inne hatte. Unter seiner Ägide sollte das Fach nicht mehr nur philologische Fähigkeiten vermitteln, sondern mit den Mitteln des ­Literaturvergleichs der „nationalen Bildung, die im Dienste des Staates steht“,11 dienen. Dem in der Weimarer Republik für die DNVP und den Stahlhelm Propaganda machenden Lehrer blieb Ernst Boehlich auch weiter verbunden. Nach seinem Einsatz im Ersten Welt­ krieg in der Fernsprech-Ersatz-Abteilung des Telegraphen-Bataillons, der 1916 „infolge von Kriegsdienstbeschädigung“12 endete, widmete er sich privat wieder seinen Studien. So war er 1924 einer der Initiatoren der Schlesischen Monatshefte13 und gab 1926 die Festschrift für Max Koch mit heraus. Bei der Erstellung seiner Bibliographie der Schlesischen Volkskunde wurden auch die Kinder zur Anfertigung des Zettelkastens mit herangezogen.14 Edith Boehlich, das dritte von sieben Kindern von Cäsar Max Josephson und Sophie Schlossmann, wurde 1891 in Hamburg geboren. Beide Eltern konvertierten vom jüdischen zum evangelischen Glauben. Bis zu seinem Tod 1916 war der Vater als Rechtsanwalt tätig und die Familie recht begütert. Auf Betreiben der Mutter kaufte sich die Familie 1885 einen Bauernhof in Grande bei Trittau, um den Zwängen der Stadt zu entkommen und in Ver­ bundenheit mit der Natur zu leben. 1901 musste das Experiment als gescheitert angesehen werden und die Josephsons zogen wieder nach Hamburg. Diese Erfahrung verarbeitete Sofie Jansen in ihrem 1905 erschienen Roman Sofiensruh. Wie ich mir das Landleben dachte und wie ich es fand. Das Buch war mit fünf Auflagen ihr erfolgreichstes, aber nicht das einzige: es folgten Friede Wend 1908 und Bebi und Bubi. Ein Jahr aus dem Kinderleben 1909, das ihre Kinder Eva und Jürgen beschrieb. „Ein weiteres Buch über die beiden Enkel Wolf und Wal­

10 Brief von Walter Boehlich an Max Rychner vom 30. 7. 1959. DLA, A: Rychner. 11 Zu Max Koch vgl. Wojciech Kunicki: Germanistik in Breslau 1918–1945. Dresden: Thelem bei w.e.b. 2002, S. 40–46, hier S. 41. 12 Militärpaß, Familienarchiv Boehlich, Mappe Ernst Boehlich. 13 Kunicki: Germanistik in Breslau (wie Anm. 11), S. 142. 14 Familienarchiv Boehlich, Mappe Wolf Boehlich, Lebenserinnerungen. Nicht paginiertes Manuskript.

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ter war geplant, kam aber nicht mehr zur Ausführung.“15 Ausdruck des Assimilationsbestre­ bens der Familie war die 1907 genehmigte Änderung des Familiennamens Josephson in Jansen. Glaubt man den Lebenserinnerungen Wolf Boehlichs, stand die Ehe seiner Eltern unter keinem guten Stern.16 Der Familie des Vaters – „stramme Deutschnationale und Anti­se­ miten“17 – sollte die jüdische Herkunft der Ehefrau verborgen werden. Weil das misslang, fand zwischen den Familienteilen kaum noch Kommunikation statt. Doch auch innerhalb der Beziehung habe es Probleme gegeben, die aus dem finanziell ungesicherten Status des Vaters erwachsen seien. Ein unregelmäßiges Einkommen als Privatgelehrter und Schulden führten immer wieder zu Streitigkeiten. In einer Postkarte sucht Edith Boehlich später ­ihrem Sohn Walter das allein negative Bild von der Ehe zu korrigieren: „Solange Dein Vater und ich zusammen waren, sind wir keineswegs unglücklich mit einander gewesen“.18 Wolf und Walter Boehlich wuchsen in einem literarischen Haushalt auf. Das wird nicht zuletzt unterstrichen durch ihre Namensgebung, die an die Enkel Goethes erinnern sollte.19 Noch in den fünfziger Jahren erinnert sich die Mutter mit Stolz: „Ich fand, dass ich die Goe­ theschen Gedichte ganz geschickt an Dich herangebracht habe.“20 Besonderer Wert wurde auf die Bildung der Kinder gelegt. So wurden sie schon mit fünfeinhalb Jahren eingeschult, wechselten allerdings 1930 die Schule und gingen in die Pawelsche höhere Lehranstalt, an der zu der Zeit ihr Vater unterrichtete. Auch versuchte der Vater sie 1931 an demselben Gymnasium unterzubringen, das schon er besucht hatte, dem St. Maria-Magdalena-Gym­ nasium. Da dies ob der nur mittelmäßigen Zensuren der beiden scheiterte, besuchten sie das Johanneum. Dies erwies sich im Rückblick als Glücksfall. Das Gymnasium war 1872 gegen viele Widerstände als Modellprojekt „pluralistische[r] Schulpolitik“ gegründet worden, um „jüdischen, katholischen und protestantischen Schülern und Lehrern […] dieselben Rechte, […] dieselbe Anerkennung“21 zukommen zu lassen. Dass der Anspruch Wirklichkeit wurde, bestätigt Walter Boehlich im Interview mit Mattenklott: „An diesem Gymnasium hat es bis 1933 auch nicht den Anflug von Antisemitismus gegeben, überhaupt nicht. Es war ein we­ nig wie das Paradies und lag auch in der Paradiesstraße, wie ein Stück Natur. Unterdrü­ 15 Alle Angaben zu Sophie Jansen nach Sabine Boehlich: „Heb auf, was Gott Dir vor die Thüre legt“. Das Leben der Sophie Jansen. Seminararbeit an der Universität Potsdam 2003, hier S. 49. 16 Familienarchiv Boehlich, Mappe Wolf Boehlich, Lebenserinnerungen. 17 Ebd. 18 Brief von Edith an Walter Boehlich vom 24. 6. 1949, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 19 Noch in seiner Lebenserinnerung wundert sich Wolf Boehlich, was – neben der Goethe-Verehrung – angesichts des Lebenswegs der Goethe-Enkel die Intention seiner Eltern gewesen sein mag. Walter Boehlich berichtet in einem Brief an Max Rychner vom 19. 11. 1956, es habe auch die Absicht bestanden die Kinder in Anspielung auf Jean Pauls „Flegeljahre“ Vult und Walt zu nennen. Vgl. DLA, A: Rychner. Innerhalb der Familie wurde Walter Boehlich immer bei seinem Spitznamen „Sinus“ gerufen. 20 Brief von Edith an Walter Boehlich vom 22. 5. 1950, Familienarchiv Boehlich, Mappe Familienbriefe. 21 Till van Rahden: Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1860 bis 1925. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, S. 194.

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ckungskonflikte gab es nicht.“22 Trotz der Entlassung jüdischer Lehrer 1933 muss der tole­ rante Geist noch einige Zeit spürbar gewesen sein, zumindest verzeichnet Wolf Boehlich, der mit seinem Zwillingsbruder zusammen die gleiche Schule besuchte, in seinen Lebens­ erinnerungen kaum antisemitische Übergriffe auf jüdische Mitschüler. Da diese Offenheit den neuen Machthabern nicht genehm und das humanistische Gymnasium selbst ihnen suspekt war, wurde das Johanneum 1934 mit dem Realgymnasium am Zwinger zusammen­ gelegt. Daraufhin kam es auch vermehrt zu „Rempeleien und Prügeleien“23 zwischen jüdi­ schen Schülern und der Hitlerjugend. Die bildungsbürgerliche Schule scheint nicht hingereicht zu haben, Walter Boehlich zum Lernen zu bewegen: „Mein Zwilling gar kombinierte Faulheit und mangelnde Anpas­ sungsbereitschaft, sodass er bei der Versetzung in die Untertertia eine Pause einlegen muss­ te.“24 Das mag einer der Anlässe gewesen sein, bei dem des Vaters bevorzugtes Erziehungsin­ strument, der ,gelbe Onkel‘, ein Rohrstock, zum Einsatz kam. Für Walter Boehlich war die Bildung, die ihm seine Eltern angedeihen ließen, keine Freude: „Das heißt, wenn die Kinder nicht freudig und spielend hinnehmen, dass Lernen das Schönste ist, was es gibt, und alles andere keine Rolle spielt, dann muss man sie durch Verachtung dazu zwingen, d.h. also, wenn diese Kinder keine übermäßige Lust haben, die Tage über Grammatiken oder anderen Schulbüchern und freier Lektüre zu verbringen, dann muss man ihnen sagen, ja ihr braucht das natürlich nicht, aber dann könnt ihr, wie man früher sagte, Naturforscher mit dem Krät­ zel werden. Das waren die Leute, die mit so einem Widerhaken die Mülleimer durchsuch­ ten. Und das ist natürlich ungeheuer kränkend, das will man, wenn man in diesem Umkreis groß wird, möglichst vermeiden.“25 Dem Willen der Eltern entsprechend, traten die Zwillinge in den Bund Scharnhorst, die Jugendabteilung des Stahlhelms, ein.26 Ob dies lediglich der „Tarnung unserer jüdischen Herkunft“27 dienen sollte, wie Wolf Boehlich vermutet, und ob nicht auch das deutschnati­ onale Selbstverständnis der Eltern hier eine Rolle gespielt hat, muss offen bleiben. Dass in Breslau die Wahlergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1932 und 1933 deutlich über dem reichsweiten Durchschnitt lagen, macht die Erklärung Wolf Boehlichs plausibel.28 Mit der Auflösung des Bundes Scharnhorst wurde die Ortsgruppe in das Deutsche Jungvolk

22 Gert Mattenklott: Über Juden in Deutschland (wie Anm. 5), S. 174/175. 23 Günther Dittrich: Die Geschichte des Realgymnasiums am Zwinger in Breslau. In: Maria Zwierz (Hrsg.): Breslauer Schulen. Geschichte und Architektur. Wrocław: Architekturmuseum 2005, S. 116–122, hier S. 120. 24 Vgl. Familienarchiv Boehlich, Mappe Wolf Boehlich, Lebenserinnerungen. 25 Interview von Mechthild Zschau (wie Anm. 7). 26 Anhand der Lebenserinnerungen Wolf Boehlichs lässt sich der Zeitpunkt nicht exakt ermitteln. Nimmt man eine chronologische Niederschrift an, müsste der Eintritt etwa im März 1933 stattgefunden haben. 27 Familienarchiv Boehlich, Mappe Wolf Boehlich, Lebenserinnerungen. 28 Norman Davies, Roger Moorhouse: Die Blume Europas. Breslau – Wrocław – Vratislavia. Die Geschichte einer mitteleuropäischen Stadt. München: Droemer 2002, S. 417/418.

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aufgenommen. Für kurze Zeit wurden die beiden danach auch Mitglieder in der Hitlerju­ gend. Die finanziellen Verhältnisse der Familie schwankten stark. Lebten sie erst nur von den Einkünften der Mutter aus ihrer Tätigkeit als Familienforscherin, besserte sich 1936 die Situ­ation etwas. Ernst Boehlich bekam für seinen Roman Der Berg der Götter29 einen Ver­ lagsvorschuss und leitete im ‚Volksbund für das Deutschtum im Ausland‘ eine Forschungs­ stelle über Schlesien. Edith Boehlich wurde für ein Jahr Bibliothekarin der fürstlichen Biblio­ thek in Trachenberg. Die berufliche Absicherung kann nicht von langer Dauer gewesen sein, da die Familie kurze Zeit später in eine kleinere Wohnung am Schweidnitzer Stadtgraben ziehen musste. Am 13. März 1937 wurde Walter Boehlich in der Lutherkirche konfirmiert. Sein Bru­ der datiert Walter Boehlichs Bücherleidenschaft auf diesen Tag, da er zu diesem Anlass eine Ausgabe der Werke Theodor Storms geschenkt bekam.30 Schnell muss Walter Boehlichs Bi­ bliothek gewachsen sein. Seinem Elternhaus entsprechend, waren die bevorzugte Lektüre: Gustav Freytag, Felix Dahn und Fritz Reuter.31 Nicht nur in seinem Aufsatz zum Doktor Faustus schreibt er von seiner Faszination für Thomas Manns Buddenbrooks und den Tonio Kröger in jenen Jahren.32 In einem Brief an Max Rychner berichtet er, wie er als junger Bü­ chersammler vorging: „Ich benutzte damals mein ganzes Taschengeld zum Kauf von Büchern und als ich eines Tages in den finsteren Ecken und Schüben eines Antiquariats kramte, ent­ deckte ich die Buddenbrooks, die ja nicht verkauft werden durften. Ich war glücklich über den Fund und weiss noch heute, dass die Inhaberin sagte, ich solle ihr einfach dafür geben, was ich in der Tasche hätte; das waren 43 Pfennig, und ich zog selig ab.“33 Am 13. September 1938 wurde die Ehe der Eltern geschieden. Ernst Boehlichs Proble­ me mit der Reichsschrifttumskammer, wegen seiner ,Mischehe‘ weiterhin publizieren zu dür­fen, spielten dabei eine große Rolle. Die Kinder wohnten weiterhin beim Vater, die Mut­ ter hatte sich eine neue Wohnung zu suchen. Nach den Novemberpogromen verschärfte sich die Verfolgung der Juden durch schikanöse Verordnungen zunehmend. Schon seit ­August 1938 hatte Edith Boehlich in ihrer mit einem großen ,J‘ gestempelten Kennkarte den zusätzlichen Vornamen Sara eintragen müssen. Nun wurde ihr auch die Benutzung von

29 Ernst Boehlich: Der Berg der Götter. Breslau: Kupfer 1935. 30 Grabrede Wolf Boehlichs auf Walter Boehlich, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich, unpa­ giniertes Manuskript. 31 Mattenklott: Über Juden in Deutschland (wie Anm. 5), S. 174. 32 Walter Boehlich: Thomas Manns „Doktor Faustus“. In: Merkur 2 (1948), S. 588–603, hier S. 603. 33 Brief von Walter Boehlich an Max Rychner vom 20. 6. 1955. DLA, A: Rychner. In Breslau waren Bücher von Thomas Mann schon vor der Bücherverbrennung Ziel marodierender SA-Trupps. Vgl. Davies, Moor­ house: Die Blume Europas (wie Anm. 28), S. 419. Dass Boehlich die Bücherverbrennung wahrgenommen hat, legt sein Artikel im „Spiegel“ nahe, in dem er Walther Steller als treibende Kraft in Breslau erinnert. Walter Boehlich: „Wider den deutschen Ungeist“. Walter Boehlich zum Thema Bücherverbrennung. In: Der Spiegel, 9. 5. 1983.

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Bibliotheken und Archiven verboten34 und dadurch die Ausübung ihres Berufes unmög­lich gemacht. Mit dem Ausschluss jüdischer Schüler an ,deutschen‘ Schulen verlor das Johanne­ um auch den letzten Rest seines überkonfessionellen Charakters. Zwei Brüder der Mutter wurden in Konzentrationslager verschleppt. Entgegen seiner späteren Darstellung im Interview mit Zschau ließ sich Walter Boeh­ lich am 4. November 1939 als Freiwilliger mustern.35 In seinem an diesem Tag ausgestellten Wehrpass ist unter Religionszugehörigkeit noch vermerkt: „evangelisch“.36 Nachdem er im Winterhalbjahr 1939/40 beim Kriegshilfsdienst beschäftigt war, erhielt er am 20. Februar 1940 ein Abgangszeugnis, das ihm die Reife zuerkennt.37 Nach Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, vom 8. September 1939 war dafür keine Abiturprüfung vonnöten, wenn der Abiturient zur Wehrmacht einberufen wor­ den war. Am 26. Februar 1940 erfolgte seine Einstellung in die Artillerie Ersatz Abteilung 18 in Liegnitz. Die Motivation für Walter Boehlichs freiwillige Meldung bei der Wehrmacht lässt sich wohl vergleichen mit derjenigen seines Bruders, der schon im Jahr zuvor am Polen­ feldzug beteiligt war. „Das Merkwürdigste ist heute für mich, dass wir ungeachtet unserer Ablehnung des Systems die aussenpolitischen Erfolge begrüssten und vielleicht sogar be­ wunderten […]. Wir waren eben noch weitgehend in unserer deutschnationalen Erziehung gefangen.“38 Hinzugekommen sein kann das Bestreben vieler jüdischer Soldaten in der Wehrmacht: „Für manche bot die Wehrmacht eine Chance, etwas von ihrem verlorenen Prestige zurückzugewinnen. Das hatte jedoch seinen Preis. Während des Krieges waren viele innerlich zerrissen: Auf der einen Seite wollten sie dazugehören, ihren verlorenen Stolz teil­ weise zurückgewinnen und durch den Militärdienst sich und ihre Familien schützen; auf der anderen Seite erkannten sie, daß sie, wenn sie diese Ziele erreichen wollten, für Hitler kämp­ fen mußten.“39 Nach einer Ausbildung zum Richtkanonier an der leichten Feldhaubitze 18 nahm Walter Boehlich am Westfeldzug in Holland, Belgien und Frankreich teil. Glaubt man der Erinnerung von Claus Behnke, war Boehlich seine Zeit als Soldat in positiver Erin­ nerung geblieben: „Walter Boehlich war dabei, als die Engländer 1940 bei Dünkirchen ins Meer geworfen wurden. Noch heute spricht er gelegentlich mit Glanz in den Augen davon. 34 Christine Koch: Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus. Eine Forschungsstandanalyse. Marburg: Tectum 2003, S. 79. 35 Wehrpass, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 36 Ebd. 37 Abgangszeugnis, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 38 Familienarchiv Boehlich, Mappe Wolf Boehlich, Lebenserinnerungen. Die Vermeidung des „ß“ war in der Familie Boehlich nicht unüblich. Sie lässt sich auch in Briefen von Edith Boehlich nachweisen. Bei Walter Boehlich wird sie programmatisch. Er benutzt in seinen Manuskripten meist „ss“, auch wenn es in den Veröffentlichungen herausredigiert wurde. Anlässlich der Reform der deutschen Rechtschreibung fordert er, dass „grundsätzlich, wie in der Schweiz, das nicht in die lateinische Schrift gehörende und unnütz verwirrende ß abzuschaffen“ sei. Walter Boehlich: Reform der Vernunft? Die „kleine Reform“ der Rechtschreibung: halbe Lösungen und komplette Idiotien. In: Titanic 17 (1995) H. 1, S. 20–23, hier S. 23. 39 Bryan Mark Rigg: Hitlers jüdische Soldaten. Paderborn: Schöningh 2006, S. 56.

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Nicht ohne sinnliches Vergnügen erklärt er technische Details, die er bei der berittenen Ar­ tillerie gelernt hat, wie Rohrrücklaufspreizlafette und Innenbackenfahrbremse.“40 Am 17. November 1940 wurde Walter Boehlich wegen seiner jüdischen Herkunft aus dem aktiven Wehrdienst entlassen. Grundlage dafür bildete ein Geheimbefehl des Ober­ kommandos der Wehrmacht vom 8. April 1940, der besagte, dass „‚Halbjuden‘ und Ehe­ männer von Jüdinnen oder ‚Halbjüdinnen‘ aus der Wehrmacht zu entlassen“41 seien. Dass dieser Erlass im Falle Boehlichs erst so spät Anwendung fand, war nicht untypisch. „Wegen der Vorbereitungen auf den unmittelbar bevorstehenden Westfeldzug hatte die Wehrmacht weder Zeit noch Personal, um alle damals dienenden ‚Halbjuden‘ ausfindig zu machen, zu dokumentieren und zu entlassen. Sofern ‚Halbjuden‘ Einheiten angehörten, die sich auf den Frankreichfeldzug vorbereiteten, kamen sie ebenfalls meist ungeschoren davon – weil es bü­ rokratische Pannen gab, weil die Pläne für den Angriff im Westen geheimgehalten werden sollten und weil viele nicht als ‚Halbjuden‘ bekannt waren.“42 Zum Sommersemester 1941 begann Walter Boehlich sein Studium an der Universität Breslau als Gasthörer. Seiner jüdischen Herkunft wegen dürfte kein ordentliches Studium möglich gewesen sein.43 Sein Studienbuch verzeichnet unter anderem den Besuch histo­ rischer und philosophischer Veranstaltungen. So dozierte Hermann Aubin, der Ostforscher, der seine Erkenntnisse in den Dienst der „nationalsozialistische[n] Eroberungspolitik“44 zu stellen suchte, über das „Deutsche Reich im Mittelalter“. Bis ins Wintersemester 1942/43 hörte er Vorlesungen im Philosophischen Seminar und nahm auch an Übungen von August Faust teil, der 1937 aus politischen Gründen als überzeugter Nationalsozialist nach Breslau berufen worden war und dort als „Sprachrohr des Amtes Rosenberg“45 galt. Bei ihm arbeite­ te Boehlich zwei schriftliche Referate aus, eines über Rousseau und den deutschen Geist im 18. Jahrhundert und eines zu Meister Eckharts Reden der Unterscheidung.46 Die eigentlichen Schwerpunkte seines Studiums waren Kunstgeschichte und Germanistik. Bis zum Winter­ semester 1944/45 nahm er an Veranstaltungen des Kunstgeschichtlichen Seminars bei Da­ 40 Claus Behnke: Walter Boehlich. 60 Jahre Kontinuität und Kritik. Unveröffentlichtes Manuskript. Fa­ milienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 41 Rigg: Hitlers jüdische Soldaten (wie Anm. 39), S. 155. 42 Ebd., S. 156. 43 „Zum Teil durch das REM [Reichserziehungsministerium], vor allem aber durch einige Hochschulen […] wurden während des Krieges immer wieder Studenten über viele Semester hin ‚vorläufig‘ oder ‚bedingt‘, zum Teil sogar entgegen den geltenden Bestimmungen (Breslau, Freiburg, München) zuge­ lassen“. Zur chaotischen Rechtslage für ‚Mischlinge‘ in Hochschulfragen vgl. Albrecht Götz von Olen­ husen: Die „nichtarischen“ Studenten an den deutschen Hochschulen. Zur nationalsozialistischen Ras­ senpolitik 1933–1945. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 14 (1966) H. 2, S. 175–206, hier S. 198. 44 Eduard Mühle: Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung. Düsseldorf: Droste 2005, S. 337. 45 Christian Tilitzky: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Berlin: Akademie 2001, S. 674/675 und S. 679. 46 Seminarscheine Sommersemester 1942 und Wintersemester 1942/43, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich.

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gobert Frey teil.47 Nach Peter Wapnewski, mit Boehlich seit seiner Hamburger Studienzeit befreundet, ist Frey eine für Boehlich wichtige Autorität gewesen.48 Bei dem geistesge­ schichtlich geschulten und interdisziplinär ausgerichteten Forscher hörte Boehlich vor allem zur Kunstgeschichte der Renaissance.49 Für Walter Boehlichs späteres Leben zweifellos am Wichtigsten sollten jedoch seine Studien am Deutschen Institut in Breslau werden. Hier nahm er an Übungen, Seminaren sowie Vorlesungen zur Dichtung in der Karolinger- und der salischen Kaiserzeit von Josef Quint teil. In Paul Merker fand er zudem einen persön­ lichen Förderer. Dieser Vertreter einer philologisch ausgerichteten Germanistik war – nach­ dem er schon mehrmals vorgeschlagen und unter anderem dem geistesgeschichtlich orien­ tierten Rudolf Unger einmal unterlegen war – 1928 auf den Lehrstuhl in Breslau berufen worden.50 Ihm ist es zu verdanken, „daß das ,Deutsche Institut‘ nach 1933 nicht im Ruf ei­ ner braunen Vorzeigegermanistik im Kreis der ‚Ostuniversitäten‘ stand“.51 Bei ihm hörte Boehlich Vorlesungen zur Literaturgeschichte und zur Geschichte der Dramatik. Hier ent­ stand im Sommersemester 1942 im Seminar „Entwicklungsstufen der deutschen Literatur­ wissenschaft“ auch eine Hausarbeit über Unger, die umgearbeitet erst 1950 in der Zeitschrift für deutsche Philologie erscheinen sollte.52 Der junge Student Walter Boehlich befand sich also unfreiwillig in einer Position, die er im Laufe seines Lebens noch öfter inne haben sollte: als hochintelligent geschätzt, aber in den akademischen Betrieb nicht integriert. Biogra­ phisch bedeutsam war sein Studium an der Universität Breslau nicht nur, weil er an der gleichen Fakultät wie sein Vater eingeschrieben war und damit sowohl seine Nachfolge an­ trat als auch in Konkurrenz zu ihm stand, sondern auch weil er auf diese Erfahrungen bei der Kritik der Kontinuitäten in der bundesdeutschen Germanistik zurückgreifen konnte. Paul Merker wurde für Walter Boehlich auch wichtig, weil er ihn unterstützte, als ihm das Studium zunehmend unmöglich gemacht wurde. Im Interview mit Zschau merkt Boeh­ 47 Zu Dagobert Frey vgl. Wolfgang Seibel: Dagobert Frey. In: Walther Killy (Hrsg.): Literaturlexikon. Berlin: Directmedia 1998, S. 5747–5749. Während Boehlichs Studienzeit war Frey auch Leiter der Forschungsgruppe über Polen und Russland in der kunstgeschichtlichen Sektion der „Arbeitsgemeinschaft für den Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“, die die nationalsozialistische Eroberungspolitik vor allem im Osten ideologisch zu rechtfertigen suchte. Hans Aurenhammer: Neues Quellenmaterial zum Kunstgeschichte-Programm im „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ (1941). In: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft. Göttingen: v&r unipress 2003, S. 231–242, hier S. 239. 48 „Und immer suchte er im Bewußtsein seiner Superiorität den überlegenen Lehrer: So in Breslau schon Dagobert Frey.“ Kondolenzbrief von Peter Wapnewski an Wolf Boehlich, undatiert, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 49 Studienübersicht, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 50 Kunicki: Germanistik in Breslau 1918–1945 (wie Anm. 11), S. 47 und S. 51. 51 Ebd., S. 51. 52 Vgl. zum Unger-Aufsatz den Beitrag von Helmut Peitsch in diesem Band. Dass es schon vorher Bemühungen gab, die umgearbeitete Seminararbeit zu veröffentlichen, geht aus einer Postkarte Wolf Boehlichs an seine Mutter hervor: „Der Sinus hat neulich seine große Unger-Arbeit fertiggestellt, die bei M. auf großes Entzücken stieß. Er will sie ungekürzt in der Jubiläumsschrift der Universität abdrucken.“ Postkarte Wolf an Edith Boehlich vom 3. 9. 1944, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. Vgl. auch die Abb. zu diesem Beitrag.

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lich an, dass er „nicht mehr studieren durfte“.53 Da er bis ins Wintersemester 1944/45 die Universität besuchte, ist davon auszugehen, dass er den Gasthörer-Status verlor und nun ir­ regulär an Veranstaltungen teilnahm. In einer nicht zur Veröffentlichung freigegebenen Pas­ sage des Interviews mit Mattenklott heißt es: „Nach der Schulzeit durfte ich dort noch mit Gasthörerschein studieren. Nach der Wannseekonferenz war es auch damit aus.“ Das kann als zeitlicher Hinweis dafür gelesen werden, dass er seit dem Wintersemester 1942/43 nicht mehr regulär die Hochschule besuchte. Dafür spricht auch, dass seit diesem Semester keine Gasthörerscheine mehr im Nachlass zu finden sind. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Wannseekonferenz und veränderten Studienbedingungen in Breslau ist nicht gegeben. In der Studienübersicht, die er wohl für die Immatrikulation an der Hamburger Universität erstellte, macht er seine Dienstverpflichtung ab dem Wintersemester 1943/44 dafür verant­ wortlich, dass er nicht mehr in vollem Umfang studieren konnte. Im Interview mit Zschau dagegen beschreibt er, wie er sich eine Arbeitsstelle suchen musste, damit man ihn „nicht zu etwas anderem zwingen konnte“.54 Er fand eine Anstellung als „technischer Registrator“ bei einer „ziemlich bedeutenden“55 Hoch- und Tiefbaufirma, für die er das Firmenarchiv zu ord­nen hatte. Diese Tätigkeit nahm so wenig Zeit in Anspruch, dass er nebenher viel lesen und mit Erlaubnis seines Vorgesetzten weiterhin an einem Nachmittag in der Woche die Universität besuchen konnte. Neben diesen positiven Erfahrungen von Unterstützung wur­ de aber auch von „dezidierten Nazis keine Gelegenheit ausgelassen […] zur Demütigung“.56 Ab dem 1. Oktober 1944 musste Walter Boehlich in einer Instandsetzungseinheit des Heeres in Stabelwitz/Breslau Dienst tun und baute dort Autos von Benzin- auf Holzgasan­ trieb um.57 Auch wenn Walter Boehlich durch seinen Rechtsstatus als ,Mischling‘ etwas geschützt war, galt dies für seine Familie mütterlicherseits nicht. Sophie Jansen, seine in Hamburg ­lebende Großmutter, erhielt die Anweisung, sich am 18. Juli 1942 an einer Sammelstelle einzufinden, um nach Theresienstadt deportiert zu werden. Einen Tag zuvor nahm sie sich

53 Interview von Mechthild Zschau (wie Anm. 7). 54 Ebd. und Studienübersicht, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 55 Interview von Mechthild Zschau (wie Anm. 7). Um welche es sich handelt, war nicht zu ermitteln. Eine der größten Breslauer Firmen war die Huta Hoch- und Tiefbau AG, die am Bau der Krematorien in Auschwitz beteiligt war. Franciszek Piper: Gas Chambers and Crematoria. In: Yisrael Gutman, Michael Berenbaum (Hrsg.): Anatomy of the Auschwitz Deathcamp. Bloomington: Indiana University Press 1998, S. 157–182, hier S. 165. An der Errichtung von Auschwitz waren auch die Hoch- und Tief­ baufirmen Hermann Hirt Nachflg. und die Schlesische Industriebau Lenz und Co. AG aus Breslau beteiligt. Inge Loose: Die Commerzbank und das Konzentrations- und Vernichtungslager AuschwitzBirkenau. In: Ludolf Herbst, Thomas Weihe (Hrsg.): Die Commerzbank und die Juden 1933–1945. München: Beck 2004, S. 272–312, hier S. 308/309. 56 Interview von Mechthild Zschau (wie Anm. 7). Retrospektiv resümiert er ebd.: „[…] aber man kann Demütigungen natürlich aufarbeiten.“ 57 Postkarte von Walter an Edith Boehlich vom 19. 10. 1944, Familienarchiv Boehlich, Mappe Edith Boehlich.

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das Leben.58 Seine Mutter Edith Boehlich wurde von der Gestapo abgeholt und am 8. Janu­ ar 1944 von der Sammelstelle, dem „Haus der Freunde“, neben der Synagoge zum weißen Storch, mit 72 weiteren Personen nach Theresienstadt abtransportiert.59 Im Konzentrations­ lager führte sie ein Kalendarium, das anfänglich die mangelhafte Versorgung beschreibt, später zumeist nur noch stichpunktartig festhält, welche kulturellen Veranstaltungen sie be­ sucht und wann sie Pakete von ihren Kindern bekommt.60 Edith Boehlich überlebte das Konzentrationslager. Ihr „Ausweis für ehemalige politische Gefangene im K.Z. Theresien­ stadt“ vermerkt als letzten Tag ihrer Haft den 5. Mai 1945. Ihr Bruder Hans starb noch kurz nach der Befreiung durch die Rote Armee an einer Lungenentzündung. Nur vierundzwan­ zig der nach Theresienstadt deportierten Breslauer Juden überlebten das Konzentra­tions­ lager.61 In dieser Zeit der Fremdbestimmung war es zweifellos eine große Geste, als Paul Merker Boehlich anbot, in der Zeitschrift für deutsche Philologie Rezensionen zu veröffentlichen.62 Drei Besprechungen erschienen zwischen 1943 und 1944 dort. Zwei von ihnen widmen sich der Theatergeschichte. Es ist anzunehmen, dass das Hauptseminar „Drama und Thea­ ter des 16./17. Jahrhunderts“, das Boehlich im Sommersemester 1943 bei Merker belegt hatte, ein Anstoß für die Themenwahl war. Eine umfangreiche Arbeit über Eichendorff und die deutsche Romantik blieb ungedruckt. Sie konnte nicht aus der ‚Festung Breslau‘ gerettet werden.63 Mit dem Vormarsch der Roten Armee im Januar 1945 spitzte sich die Lage für die Zivi­ listen in Breslau zu. Da die Evakuierung der Bevölkerung aus ideologischen Gründen lange hinausgezögert wurde, verlief sie sehr chaotisch. Gleichzeitig sollte die Stadt militärisch ge­ halten werden, um Kräfte der Roten Armee zu binden und an ihrem Vormarsch nach Berlin zu hindern. Dafür wurden die in der Stadt verbliebenen Männer zum Volkssturm einberu­ fen. Für Walter Boehlich stellte die rassistische Diskriminierung in diesem Zusammenhang einen Glücksfall dar. Als ,Mischling ersten Grades‘ lehnte ihn der Volkssturm am 27. Januar 1945 ab. So konnte er Anfang Februar mit dem Fahrrad die umlagerte Stadt verlassen. Über 58 Sabine Boehlich: „Heb auf, was Gott Dir vor die Thüre legt“ (wie Anm. 15), hier S. 75–77. 59 Davies, Moorhouse: Die Blume Europas (wie Anm. 28), S. 489. 60 Merkbuch 1944, Familienarchiv Boehlich, Mappe Edith Boehlich. Als am 23.6.1944 eine Kommission des Internationalen Roten Kreuzes das KZ besuchte, beschreibt Edith Boehlich den Versuch der Nationalsozialisten, Theresienstadt als humanes Muster-KZ darzustellen, bündig: „Kommission dage­ wesen. Potemkin.“ 61 Abraham Ascher: A Community under Siege. The Jews of Breslau under Nazism. Stanford: Stanford University Press 2007, S. 238. 62 Erna Merker mag also auch an Walter Boehlich gedacht haben, als sie ihren Mann nach dessen Tod be­ schrieb: „Seine Kollegs und Übungen blieben auch den rassisch ,belasteten‘ Studenten weiter zugänglich, Kollegen in ähnlicher Lage hat er trotz schärfster dozentenführerlicher und ministerieller ,Nasen‘ und Strafandrohungen bis zum Letztmöglichsten [sic!] zu halten gesucht, politisch verfemten Wissenschaftlern hat er neue Arbeits- und Veröffentlichungswege erschlossen.“ Erna Merker: In memoriam Paul Merker (1881–1945). In: Zeitschrift für deutsche Philologie 70 (1947– 49) H. 1, S. 1–4, hier S. 3. 63 Grabrede Wolf Boehlichs auf Walter Boehlich (wie Anm. 30).

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Dresden, wo er im Februar 1945 die schweren Luftangriffe miterlebte, gelangte er nach Hamburg.

III Sein Zwillingsbruder Wolf lebte hier schon seit 1942. Am 2. März 1945 meldete sich Walter Boehlich offiziell beim Wehrmeldeamt Hamburg. Zunächst konnte er bei einer Tante unter­ kommen. Bei der Firma J. A. Schlüter Söhne, die während des Krieges vor allem mit der Reparatur von Lastkraftwagen beschäftigt war,64 verdiente er seinen Lebensunterhalt. Die Tätigkeit währte nicht lange, da er im März 1945 wegen eines Arbeitsunfalls nicht einsatz­ fähig war. Am 3. Mai 1945 wird Hamburg von britischen Truppen befreit. Ein Jahr später veröf­ fentlicht Walter Boehlich den ersten Text nach der Niederlage des NS-Staates, der zugleich einer seiner persönlichsten ist. Er zieht die Bilanz seines bisherigen Lebens: Götterdämmerung. Darin setzt er sich mit seinem Verhältnis zu Autoritäten auseinander. „Ich halte mich nicht für ehrfürchtiger als andere Leute; dennoch haben lange Jahre meines Lebens unter dem Eindruck gestanden, daß ein Generaldirektor, eine Exzellenz oder eine Magnifizenz sakro­sankt seien. Ich pflegte einen großen Bogen um sie zu machen und vermied gleicher­ maßen sie anzureden, als mich anreden zu lassen.“65 Weiter beschreibt er, wie durch die Entdeckung, dass der Nimbus der Höherstehenden oft nur angemaßt war, seine Ehrfurcht geschwunden sei. Daraufhin formuliert er sein damaliges intellektuelles Selbstverständnis: „Nun wohne ich zu Füßen eines entgötterten Olymps, den die Mächtigen dieser Welt nicht mehr zieren. Die Weisen verließen ihn, und die Toren entthronte ich mit den Jahren, ihrer Erbärmlichkeit bewußt werdend. Dennoch reicher als zuvor, der Dämonen ledig und der Götter beraubt, aber erhöht durch die Achtung der Menschlichen.“66 In diesem Dokument einer persönlichen Stunde Null entwirft sich der Kritiker als eine von allen Mächten unab­ hängig gewordene Instanz. Mit der Wiedereröffnung der Hamburger Universität im Wintersemester 1945/46 wird Walter Boehlich an ihr Student. Da der Andrang größer war als die zu vergebenden Plätze, musste ein Auswahlverfahren durchlaufen werden. Hans Wolffheim, Assistent am Literatur­ wissenschaftlichen Seminar und wie Boehlich von den Nationalsozialisten an einem normalen Studium gehindert, empfahl ihn auf Grund vorausgegangener Gespräche und seines ­Unger-

64 Jan Straßenburg, Sven Tode: 200 Jahre mobil. J. A. Schlüter Söhne 1807–2007. Hamburg: Hanseatischer Merkur 2007, S. 42–44. 65 Walter Boehlich: Götterdämmerung. In: Die Welt, 28. 5. 1946. 66 Ebd. In Schlegels Gedicht „Die Brüder“ ist es die Bruder-, resp. Zwillingsliebe, die es schafft, den Orkus aufzuhellen, und den Olymp entgöttert. Sie wird den Sterblichen als Tugend anempfohlen. August Wilhelm Schlegel: Die Brüder. In: ders.: Sämtliche Werke. Hildesheim: Olms 1971, Bd. 1, S. 365.

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Aufsatzes für die Zulassung.67 Der Gesamtprüfungsausschuss, der von der Militär­­regie­rung inauguriert worden war, um anhand eines „(Gesinnungs-)Tests“68 die Entnazifizierung der Universität zu bewerkstelligen, dürfte für Boehlich kein Problem dargestellt haben. So stu­ dierte er in Hamburg erneut Germanistik und Kunstgeschichte. Da, im Gegensatz zu seiner Breslauer Zeit, keine Studienunterlagen erhalten sind, kann nur aus sekundären Quellen geschlussfolgert werden, wie der Studienalltag aussah. So schil­ dert sein damaliger Kommilitone Peter Wapnewski in seiner Autobiographie nicht nur die entbehrungsreichen Studienbedingungen, sondern auch das Glück, die von den National­ sozialisten zensierten Kunstwerke neu zu entdecken.69 Bei Herbert von Einem, der damals vertretungsweise das Ordinariat für Kunstgeschichte innehatte, belegte Boehlich Übungen und Vorlesungen. Nach dem Zeugnis von Wapnewski muss aber vor allem Ulrich Pretzel, Lehrstuhlinhaber für Deutsche Literaturgeschichte und allgemeine Literaturwissenschaft, damals für ihn wichtig gewesen sein. Noch in der Kontroverse um seine Kritik am Grimm­ schen Wörterbuch erinnert sich Boehlich dankbar an den besten „Kenner der deutschen Philologie im 19. Jahrhundert“.70 Dass das Verhältnis zu Pretzel sich wohl nicht mehr als eine Lehrer-Schüler-Beziehung beschreiben lässt, verdeutlicht die von einer Studienfreun­ din überlieferte Anekdote: „Ich sehe Sie noch vor Pretzel stehen, während er Ihnen seinen Rat zur Mässigung gegen Leute wie Böckmann gab [und] wie schnöde achselzuckend Sie ihm antworteten.“71 Schon nach kurzer Zeit muss Boehlich dann auch als Lehrender an der Universität tätig gewesen sein, denn am 7. Februar 1947 bestätigt ihm die Militärregierung die Zulassung zum Angehörigen des Lehrkörpers der Philosophischen Fakultät.72 Wahr­ scheinlich geschah dies auf Anregung Pretzels, von dem Wapnewski berichtet, dass er „seine Schüler in jungen Jahren und vor der Zeit schon zu Lehrern gemacht hat, getreu seiner Überzeugung: Docendo discimus“.73 Für Walter Boehlichs publizistische Laufbahn wurde vor allem die Hamburger Akademische Rundschau bedeutsam. In ihr fand er ein Periodikum, in dem er zeit ihres kurzen Be­ 67 Empfehlungsschreiben von Hans Wolffheim vom 25. 10. 1945, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. Vgl. Abb. zu dem Beitrag von Helmut Peitsch in diesem Band. Zu Wolffheim vgl.: Christa Hempel-Küter: Germanistik zwischen 1925 und 1955. Studien zur Welt der Wissenschaft am Beispiel von Hans Pyritz. Berlin: Akademie 2000, S. 96 und S. 156. 68 Ebd., S. 149. 69 Peter Wapnewski: Mit dem anderen Auge. Erinnerungen 1922–2000. Berlin: Berliner Taschenbuch Verlag 2007, S. 16. 70 Walter Boehlich: Blick zurück im Grimm. In: Der Monat 14 (1961/62) H. 159, S. 80–85, hier S. 80. 71 Brief einer Kommilitonin an Walter Boehlich vom 27. 5. 1951, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 72 Brief der Hamburger Schulverwaltung an Walter Boehlich vom 12. 2. 1947, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 73 Peter Wapnewski: Erinnerungen an den Lehrer Ulrich Pretzel. In: Gedenkreden auf Ulrich Pretzel (1898–1981). Ansprachen auf der Trauerfeier am 27. November 1981 und auf der Akademischen Gedenkfeier am 20. Januar 1982. Hamburger Universitätsreden 37. Hamburg: Pressestelle der Univ. 1982, S. 39–59, hier S. 52. Kursiv im Original.

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stehens regelmäßig mit Kritiken vertreten sein konnte. Die aus der Hamburger Studenten­ schaft entstandene Zeitschrift – einer ihrer Begründer, Karl Ludwig Schneider, saß mit Boehlich zusammen im Seminar bei Pretzel –74 spielte eine große Rolle bei dem „Streben nach Klärung der Ideen, […] das […] sich im Wesentlichen in diesen grauen Blättern“75 ab­ spielte. Seine ersten zwei Veröffentlichungen seien hier hervorgehoben, weil sie zeigen, dass Walter Boehlich sich schon am Beginn seiner publizistischen Laufbahn nicht auf die Bespre­ chung akademischer Fachliteratur beschränkt. So wendet er sich in der 1946 erschienenen Glosse Akademisches Proletariat erstmals der Situation von Studenten zu und polemisiert gegen die verbreitete Ansicht, für den Wiederaufbau des Landes sei es sinnvoller, Handwer­ ker als Studenten auszubilden. Der Befürchtung, diese Frühform einer Akademikerschwem­ me untergrabe die Leistungskraft des Landes und führe zu sozialen Verwerfungen, hält er mit leicht verändertem Hölderlin entgegen: „Was bleibt stiften die Dichter und Denker.“76 Im Namen eines klar erkennbaren Kollektivs, der Akademiker, fordert Boehlich vom Staat ein, sich ohne wirtschaftlich motivierte Beschränkungen auf geistigem Gebiete frei entfalten zu können. 1974 erscheint von Boehlich wiederum unter dem Titel Akad. Proletariat ein Kommentar zur Studiensituation,77 in dem er ebenfalls fordert, den Zugang zum Studium nicht durch einen numerus clausus zu reglementieren. Diesmal wird die Forderung jedoch nicht mehr mit der Freiheit des Geistes begründet, sich unabhängig von wirtschaftlicher Bevormundung zu entfalten. Vielmehr wird die Tendenz, „Bildung zu fetischisieren“, als Produkt der 1848 gescheiterten Bourgeoisie gesehen, die, wenn schon nicht politisch, dann doch wenigstens auf geistigem Gebiet einen Sieg davontragen wolle. Der zweite Artikel in der Hamburger Akademischen Rundschau ist seine erste Rezension eines Prosawerkes, des letzten Teils von Lion Feuchtwangers Josephus-Trilogie. Hier griff er erstmals ein Thema auf, das ihn sein Leben lang beschäftigen wird: die jüdische Identität. Zwar spricht Boehlich dem Buch und seinem Autor die dichterische Qualität gleich im ers­ ten Satz ab – „ein Poet ist er sicherlich nicht“ –,78 aber er konzediert dem Werk dennoch ­einen zeithistorischen Wert. Dem Romancier Feuchtwanger wird vorgeworfen, sich in die jüdische Geschichte zu flüchten, wo es eigentlich um ein zeitgeschichtliches Problem gehe. Zudem habe er sich als Jude dem Thema zu eng verbunden gefühlt, als dass er sich ihm hätte unbefangen dichterisch nähern können, wie es selbst einem Kolbenheyer mit seinem Spino­ 74 Peter Wapnewski: Germanist. Warum einer es wurde und wie. In: Siegfried Unseld (Hrsg.): Wie, warum und zu welchem Ende wurde ich Literaturhistoriker? Eine Sammlung von Aufsätzen aus Anlass des 70. Geburtstags von Robert Minder. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972, S. 209. 75 Wapnewski: Mit dem anderen Auge (wie Anm. 69), S. 189. Kursiv im Original. 76 Walter Boehlich: Akademisches Proletariat. In: Hamburger Akademische Rundschau 1 (1946/47), S. 445/446, hier S. 446. Wenn auch nur ironisch, so kommt in diesem Artikel schon eine Forderung zur Sprache, die ab den 60er Jahren zu seinen politischen Grundüberzeugungen zählen wird: die geistig Arbeitenden sollten sich gewerkschaftlich organisieren, um ihre Forderungen durchsetzen zu können. 77 Walter Boehlich: Akad. Proletariat. In: päd.extra (1974) Nr. 9, S. 7/8. 78 Walter Boehlich: Lion Feuchtwanger: Der Tag wird kommen. In: Hamburger Akademische Rundschau 2 (1947/48), S. 57–59, hier S. 57.

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za-Roman gelungen sei. Hinter der Kernfrage des Romans, „kann Flavius Josephus zugleich Jude und Römer sein“,79 stehe, so deutet es Boehlich an, ohne es direkt auszusprechen, die­ jenige, ob man Jude und Deutscher zugleich sein kann. Boehlich stellt nun zwar fest, dass Josephus’ Versuch, beide Identitäten zu verschmelzen, nicht gelingt und er „nicht aufhören [kann], Jude zu sein“.80 Er beantwortet in dem Artikel aber nicht die sich aufdrängende Fra­ ge, ob es auch im Jahre 1947 unmöglich sei, Jude und Deutscher zu sein. Gleichwohl postu­ liert Boehlich nicht ohne Pathos: „[I]mmer wieder spüren wir, wir sind es, unsere Zeit ist es, um unsere Aufgaben und Erlebnisse geht es. Es ist unsere ganz persönliche Erfahrung, wenn der Senator Publius Cornel sagt: ,Sache eines Mannes ist es, diese Zeiten zu durchschwei­ gen, um sie zu überleben.‘“81 Unklar bleibt hierbei im Gegensatz zum Text über das Akademische Proletariat – und auch das weist auf viele spätere Texte voraus –, wie sich dieses „wir“ zusammensetzt. Boehlich präzisiert nicht, wer diesem Kollektiv angehört, als dessen Teil er sich sieht. Bei aller Schärfe der Kritik bleibt Walter Boehlichs eigener Standpunkt unbe­ stimmt. Der Student Boehlich muss durch seine Intelligenz und seine Streitlust in Hamburg Eindruck gemacht haben. Und wenn das auch für Pretzel gegolten hat, „genügte [der] ihm bald nicht mehr“.82 Ihn störte in Hamburg nicht nur der „muff […] der germanistik“:83 „neulich kam mir die längst vergangene geschichte in den sinn, wie wir beide in unserer un­ schuld zur hanseatischen verlagsanstalt gewandert sind, um den leuten dort klarzumachen, dass sie ihrer braunen sünden wegen abtreten und uns beiden das feld räumen müssten.“84 Walter Boehlich selbst beschreibt die Zeit als eine des Suchens: „im Sommer­semester 1947 bin ich halb enttäuscht von dieser ‚Berliner Schule‘ in Hamburg und halb neugierig, was es woanders geben könnte, kreuz und quer durch das Restdeutschland gezogen, nach Bonn und Frankfurt und Göttingen, nach Halle, Leipzig und Jena und wohin sonst noch, um mich umzusehen.“85 So kam er 1947 auch nach Bonn, besuchte Herbert von Einem, der mittlerweile dort eine Professur für Kunstgeschichte hatte, und traf den Romanisten Ernst Robert Curtius.86 Bedenkt man seine geistige Unabhängigkeitserklärung in der Götterdämmerung ein Jahr zuvor, nimmt sich die nun beginnende Beziehung zu Curtius wie eine Rücknahme des Arti­ kels aus. Boehlich beschreibt das intellektuelle Erlebnis als „eine Art Erlösung aus dieser un­ 79 Ebd., S. 58. 80 Ebd. 81 Ebd., S. 58/59. 82 Kondolenzbrief von Wapnewski (wie Anm. 48). 83 Brief von Walter Boehlich an Helmut Heißenbüttel vom 27. 9. 1981, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. Kleinschreibung im Original. 84 Brief von Walter Boehlich an Peter Wapnewski vom 25. 8. 1999. Akademie der Künste Berlin. Wap­news­ ki-Archiv. 85 Brief von Boehlich an Heißenbüttel (wie Anm. 83). 86 Herbert von Einem: Gratulationsschreiben zum 60. Geburtstag Walter Boehlichs vom 17. 6. 1981, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich.

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glaublich nationalistischen und auch korrumpierten und verlogenen Germanistik“.87 In Curtius fand er einen Lehrer, der für ihn intellektuelle Maßstäbe setzte.88 Ab 1948 studierte er in Bonn und wurde Curtius’ Assistent. In dieser Funktion bereitete er für ihn Aufnahme­ prüfungen und Klausuren vor,89 las Manuskripte Korrektur90 und erarbeitete das Register für Curtius’ Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Dafür, dass das Verhältnis nicht nur auf der rein fachlichen Ebene stattfand, sorgte schon der Umstand, dass Boehlich zeit­ weise im Haus der Familie Curtius wohnte. Daraus erwuchs auch ein Briefwechsel mit Ilse Curtius, der weit über den Zeitpunkt des Todes ihres Mannes hinausreichte. Durch Curtius dürfte Boehlich Kontakte geknüpft haben, die ihm neue Publikationsmöglichkeiten eröff­ neten. In der Zeit erscheint 1948 sein erster Artikel, eine nur lobende Besprechung von Curtius’ Mittelalterbuch.91 Diesem Artikel sollten bis 1996 52 weitere in dem Hamburger Blatt folgen, die meisten – mehr als die Hälfte – in den 60er Jahren. Ebenfalls 1948 veröf­ fentlicht der Merkur die erste Buchrezension Boehlichs, den Verriss von Thomas Manns Doktor Faustus.92 Diese Zeitschrift sollte für die 50er Jahre sein Hausblatt werden, in dem er insgesamt 26 Artikel publizierte. Kleinere Arbeiten schrieb Boehlich oft in Die Tat, deren Kulturredaktion Curtius’ Freund Max Rychner leitete. In einem Brief an den Herausgeber des Merkur, Hans Paeschke, hebt Boehlich besonders hervor, dass er dort, im Gegensatz zum Merkur, nie Probleme mit seinen eingereichten Manuskripten bekomme und resü­ miert: „Die Honorare der Tat sind für eine Zeitung unwürdig, aber ich ziehe sie allen ande­ ren Zeitungen vor.“93 Mag Curtius Boehlich viele Wege geebnet haben, einen ist er nicht gegangen. Er wurde nicht promoviert. Zwar hatte er schon ein Dissertationsthema gewählt, verwarf dieses aber wieder.94 Dabei muss der Druck, einen Doktortitel zu erwerben, groß gewesen sein. In Brie­ fen der Familie und von Freunden wird er immer nach dem Stand der Arbeit gefragt und aufgefordert, sie doch endlich zu beenden. An Max Rychner, der ihn fälschlich in einem Brief mit dem Doktortitel anspricht, schreibt er: „Zum Promovieren haben Ehrgeiz und Pflichtgefühl noch nicht gereicht, obwohl ich empfinde, dass es nun an der Zeit wäre.“95 Im Interview mit Zschau gibt Boehlich retrospektiv einen sehr selbstbewussten Grund dafür an, dass er nie einen Universitätsabschluss gemacht hat: „ich hasse Prüfungen und find’s auch ganz albern, weil, man wird nicht dadurch schlauer oder auch nicht verwendbarer oder 87 88 89 90 91 92 93 94 95

Interview von Mechthild Zschau (wie Anm. 7). Zum Einfluss von Curtius auf Boehlich vgl. den Aufsatz von Peter Jehle in diesem Band. Brief von Curtius an Boehlich vom 6. 12. 1949, Boehlich-Bibliothek, Dokumente aus Büchern, Nr. 374. Vgl. den mit Korrekturen versehenen Sonderdruck in der Boehlich-Bibliothek: Ernst Robert Curtius: Dante und Alanus ab Insulis. In: Romanische Forschungen 62 (1950), S. 66–96. Walter Boehlich: Europäische Literatur. Über die Kontinuität in der Dichtkunst von Homer bis heute. In: Die Zeit, 9. 12. 1948. Boehlich: Thomas Manns „Doktor Faustus“ (wie Anm. 32). Brief von Walter Boehlich an Hans Paeschke vom 23. 3. 1956. DLA, A: Merkur. Brief von Ernst Boehlich an Walter Boehlich vom 5. 7. 1948. Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. Brief von Walter Boehlich an Max Rychner vom 29. 12. 1949. DLA, A: Rychner.

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verwertbarer, dass man sich irgendwann hingesetzt hat und eine, ein halbes Jahr später abso­ lut vergessene und überflüssige Arbeit geschrieben hat.“96 Diese die eigene Unabhängigkeit betonende Selbstdeutung blendet aus, dass das Verhältnis zu Curtius für die angestrebte akademische Karriere Boehlichs nicht nur von Vorteil war: „Das Beispiel war gleichzeitig anspornend und entmutigend, weil es absolut war.“97 Dem bewunderten Lehrer fachlich gerecht zu werden, hielt sich Boehlich nicht für fähig. Mit der Emeritierung von Curtius 1951 wird auch Boehlichs Stelle als Assistent über­ flüssig. Zwar bot Werner Richter, damals Rektor der Universität Bonn, ihm eine Assisten­ tenstelle an, aber Boehlich lehnte ab, da „man wohl aus Bewunderung jemandes Assistent sein dürfe, aber nicht um Geld“.98 Stattdessen trat er eine Stelle als Lektor an der Universität Aarhus an, die vom 1950 in Bonn wieder gegründeten DAAD eingerichtet worden war. Er nahm sie wohl auch an, weil er – ohne Studienabschluss – jede sich bietende Möglichkeit ergreifen musste, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aarhus bot sich da wegen seiner Nähe zu Hamburg an. Da er „Dänemark […] nicht eigentlich gewollt“99 hatte, begriff er es als ein notwendiges Exerzitium, um eine andere Sprache zu erlernen. Dass er sich diesem gründlich unterzog, beweisen seine zahlreichen Übersetzungen aus dem Dänischen. Zwar veröffentlichte er in Dänemark selbst nur eine kurze Übertragung eines Gedichtes von Hans Christian Andersen,100 aber hier begann seine Auseinandersetzung mit Kierkegaard, die in die „zerschmetternde Analyse der bisherigen deutschen Übersetzungsversuche“101 mündete, die 1954 im Merkur erschien. Hatte er dort noch postuliert, daß „Kierkegaard unübersetz­ bar ist [… und] nur im Original gelesen werden“102 sollte, veröffentlicht er schon 1955 eine Auswahl aus seinen Briefen auf Deutsch. Bis 1993 wird er Texte aus dem Dänischen über­ tragen, von Ronild, Blicher, Blixen und – ihm am liebsten – Herman Bang.103 Zum Wintersemester 1954 wechselte Boehlich nach Madrid, wo er wiederum DAADLektor war. Auch wenn er die Stelle in Spanien gewollt hatte, war er dann doch unzufrieden: „Lassen Sie sich nicht durch ovidische Töne verwirren! Ich komme mir wirklich verbannt vor, vollständig von allem und allen getrennt, was und die ich mag“.104 Vor allem die Studi­ ensituation, die nicht seinen Ansprüchen an die philologische Qualität des Unterrichts ge­ nügte, missfiel ihm. Sein ambitionierter Plan zur Umgestaltung des Studiengangs Deutsch stieß auf Hindernisse, so dass sein Freund Wapnewski ihm raten muss: „Man möchte schier verzweifeln, wenn man Ihre Darstellung der Lage liest. Machen Sie doch Ihren Kram und  96 Interview von Mechthild Zschau (wie Anm. 7).  97 Walter Boehlich: Die Summe eines Gelehrten. Zum 5. Todestag von E. R. Curtius. In: Süddeutsche Zeitung, 22./23. 4. 1961.  98 Brief von Walter Boehlich an Max Rychner vom 31. 10. 1954. DLA, A: Rychner.  99 Brief von Walter Boehlich an Max Rychner vom 6. 4. 1955. DLA, A: Rychner. 100 Hans Christian Andersen: Die Frau mit den Eiern. Erzählendes Gedicht. Odense: Lac­tosan 1953. 101 Redaktionsnotiz zu den Autoren des Monats. In: Merkur 8 (1954), S. 666/667, hier S. 667. 102 Walter Boehlich: Kierkegaard als Verführer. In: Merkur 7 (1953), S. 1075–1088, hier S. 1086. 103 Zu Walter Boehlichs Übersetzungen vgl. den Beitrag von Peter Urban in diesem Band. 104 Brief von Walter Boehlich an Max Rychner vom 6. 5. 1955. DLA, A: Rychner.

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lassen Sie den Laden laufen – oder haben Sie schon mal gehört, dass man in Spanien mit Reformbewegungen durchkommt.“105 Zur unbefriedigenden Lehre kam die für Boehlichs Ansprüche unzureichende Versorgung mit Büchern, die ihn z.B. daran hinderte, in seiner Rezension der von Walther Rehm herausgegebenen Winckelmann-Briefe auch den zweiten Band zu besprechen: „ich bedauere, vorläufig nicht auf ihn eingehen zu können, will es aber nachholen, sobald ich wieder in einem Lande mit großen wissenschaftlichen Bibliotheken lebe“.106 Grund für den Mangel war auch die Buchzensur im franquistischen Spanien. Um sie zu umgehen, besuchte er oft die Librería Buchholz, „die dafür bekannt war, daß man hier jedes, auch jedes verbotene Buch kaufen konnte“.107 Da Boehlich sich mit Mitarbeitern der Buchhandlung befreundete, dürften ihm ihre Tricks, die Zensur zu umgehen,108 nicht ent­ gangen sein. In der persönlichen Erfahrung, wie wichtig diese die Zensur untergrabenden Nischen in einer Diktatur sein können, kann man neben dem politischen auch einen bio­ graphischen Grund für Boehlichs Engagement für die Teilnahme Suhrkamps an der Leip­ ziger Buchmesse überhaupt und auch noch nach dem Einmarsch der Truppen des War­ schauer Pakts 1968 in der Tschechoslowakei sehen.109 Nur einmal äußerte sich Boehlich unter Pseudonym in einem Artikel, der „mit allen Vorsichtsmaßregeln […] aus Spanien heraus­ geschmuggelt“110 wurde, über die innenpolitischen Verhältnisse in Spanien zu dieser Zeit. Unter dem Namen Valeriano Bajocapa erschien 1956 im Monat eine Reportage über die „Konfrontation zwischen Falangisten und kritischen Studenten, die das Recht auf eine freie Wahl ihrer Delegierten forderten“.111 Einer der Hauptkritikpunkte Boehlichs an den Falan­ gisten ist dabei, dass sie die legitimen, liberalen Forderungen der Studenten fälschlicherwei­ se als kommunistisch denunzierten, um so die notwendige Selbstorganisation der Studenten zu unterbinden. Die Publikationsmöglichkeiten blieben für Walter Boehlich während seiner Zeit in ­Dänemark und Spanien nahezu gleich. Weiterhin veröffentlichte er tagesaktuelle Bespre­ chungen in der Tat. Als neue Publikationsorgane kommen nur Der Tagesspiegel und die Neue Schweizer Rundschau hinzu. Die größeren Aufsätze publiziert er im Merkur, im Monat und in der Zeitschrift für deutsche Philologie. Zugleich aber wechselte seine Sprecherposition. 105 Brief von Peter Wapnewski an Walter Boehlich vom 23. 11. 1954, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 106 Walter Boehlich: J. J. Winckelmann: Briefe. Hg. von Walther Rehm. 1. Bd. In: ZfdPh 75 (1956), S. 426– 438, hier S. 438. 107 Helmut Frielinghaus: Librería Buchholz Exposiciónes, Madrid. In: Godula Buchholz: Karl Buchholz. Buch- und Kunsthändler im 20. Jahrhundert. Sein Leben und seine Buchhandlungen und Galerien. Köln: DuMont 2005, S. 144–165, hier S. 157. 108 Ebd., S. 158. 109 Vgl. den Beitrag von Berthold Petzinna in diesem Band. 110 Redaktionsnotiz zu: Valeriano Bajocapa [Walter Boehlich]: Die Petition und das blutgetränkte Hemd. Ein Bericht über die Studentenunruhen. In: Der Monat 8 (1956) H. 91, S. 22–30. 111 Miguel Ángel Ruiz Carnicer: Die spanischen Universitäten während der Franco-Diktatur. In: John Connelly, Michael Grüttner (Hrsg.): Zwischen Autonomie und Anpassung. Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Paderborn: Schöningh 2003, S. 101–127, hier S. 125.

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­ oehlich schreibt nun von einer doppelten Peripherie aus: am Rande des akademischen Be­ B triebs – „mit einigen kecken Zurufen zu ihren [der Universität] hohen Fenstern hinauf “–112 und außerhalb Deutschlands. Die Themen seiner Texte scheinen diesen Mangel ausgleichen zu wollen. Zum einen publiziert er mit den Besprechungen der Editionen von Hamann und Winckelmann und der Kritik am Grimmschen Wörterbuch seine ausführlichsten und gründlichsten editionskritischen und philologischen Untersuchungen. Und zum anderen bemängelt er in seinen sezierenden Beiträgen zu Übersetzungen ins Deutsche von u. a. Ja­ cobsen, Kierkegaard, Baudelaire und Proust deren fehlende Qualität. Dabei scheint eine weitere Beschäftigung an einer Universität gar nicht Boehlichs Ziel gewesen zu sein. Richard Alewyn bot ihm Anfang 1957 an, sein Assistent an der Freien Uni­ versität Berlin zu werden. Einzige Bedingung war, dass er promoviert. Dafür genüge aber, angesichts der bisherigen regen Publikationstätigkeit Boehlichs, ein Text im „Umfang eines größeren Aufsatzes, sagen wir 50 Seiten“.113 Zu der Zeit lag Boehlich allerdings schon ein Angebot von Suhrkamp vor.114 Boehlich entscheidet sich für die Verlagsbranche und gegen eine akademische Laufbahn.

IV Zum 1. September 1957 wurde er auf Wunsch Peter Suhrkamps Mitarbeiter des Suhrkamp Verlags. Nach dessen Tod 1959 wurde er Cheflektor unter Siegfried Unseld. Da eine Ge­ samtwürdigung von Boehlichs Wirken bei Suhrkamp noch nicht geschrieben ist, ist es hier nur möglich, die Tätigkeitsfelder Boehlichs zu umreißen, die ihm die Arbeit im Verlag er­ möglichte. Als Cheflektor war Boehlich nicht nur mit der konkreten Arbeit am Text beschäftigt,115 sondern traf mit Unseld gemeinsam viele Geschäftsentscheidungen. So hob er – bei allen Zweifeln, ob in Taschenbüchern die von ihm gewünschten Qualitätsstandards gehalten werden können – die edition suhrkamp mit aus der Taufe, verantwortete zusammen mit Klaus Reichert die schließlich 50-bändige sammlung insel 116 und war maßgeblich an dem letztlich gescheiterten Versuch beteiligt, eine europäische Zeitschrift unter dem Titel Gulliver herauszubringen.117 Zudem übersetzte er mit beträchtlichem Arbeitsaufwand für den Verlag u.a. einen Roman von Giraudoux, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Fortsetzungsroman abgedruckt wurde, und mehrere Theaterstücke von Duras. Wenn Boeh­ lich sich also „mit dem Verlag mindestens so sehr wie Unseld“118 identifizierte, scheint eine

112 Eberhard Lämmert: Brief an Minder. In: Unseld (Hrsg.): Wie, warum und zu welchem Ende wurde ich Literaturhistoriker? (wie Anm. 74), S. 152–163, hier S. 152. 113 Brief von Richard Alewyn an Walter Boehlich vom 1. 1. 1957. DLA, A: Alewyn. 114 Brief von Walter Boehlich an Hans Paeschke vom 1. 12. 1956. DLA, A: Merkur. 115 Vgl. den Beitrag von Jürgen Schutte in diesem Band. 116 Vgl. die Beiträge von Richard Faber und Julius H. Schoeps in diesem Band. 117 Uwe Johnson, Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999, S. 1094–1136. 118 Peter Michalzik: Unseld. Eine Biographie. München: Blessing 2002, S. 133.

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stereotype Charakterisierung der beiden als „Kopf und Herz des neuen Hauses“119 Boehlichs Rolle zu einseitig festzuschreiben. Mit dem Wechsel zu Suhrkamp eröffneten sich für Boehlich auch neue Publikations­ möglichkeiten. Er veröffentlichte nun nicht mehr im Merkur, sondern vor allem in der Süddeutschen Zeitung und der Zeit. Vor allem in letzterer entfaltete er seine publizistische Wirk­ samkeit. Obwohl oder gerade weil nun nicht mehr direkt im akademischen Bereich tätig, trug er dazu bei, dass die „Germanistik zu einer der ersten Disziplinen [wurde], die sich ihrer Geschichte in der NS-Zeit zuwandte“.120 Mit der Debatte um die Vergangenheit des 1964 zum Rektor der Bonner Universität gewählten Germanisten Hugo Moser kommt die perso­ nelle Kontinuität der Fachgeschichte in den Blick. Eine Abkehr von der Konzeption der Germanistik als Nationalwissenschaft wird in seiner Berichterstattung zu den Germanisten­ tagen 1966 und 1968 gefordert. Für Walter Boehlichs politisches Denken war die Tätigkeit bei Suhrkamp ein Ein­ schnitt: „in diesem Verlag bin ich zum ersten Mal mit einer ganzen Gruppe von Leuten zu­ sammengekommen, […] die im Gegensatz zu meinen damaligen, muss ich gestehen, libe­ ralen Neigungen, links oder sehr weit links standen. Und das kannte ich im gewissen Umfange aus der Theorie, aber doch nicht als […] Lebenserfahrung.“121 Die Verschiebung seiner literarischen und politischen Präferenzen zeigt ein Vergleich seiner Einschätzung Wal­ ter Benjamins vor und nach seinem Eintritt bei Suhrkamp. 1955 rezensiert er die bei Suhr­ kamp erscheinenden Schriften Walter Benjamins. Er würdigt ihn als einen der „geistvollsten und eigenwilligsten“122 Literatur- und Kulturkritiker der Zwischenkriegszeit, will dieses Lob aber beschränkt wissen auf seine Texte aus der undoktrinären, noch nicht marxistischen Phase, in der er vom messianistischen Judentum beeinflusst gewesen sei. Danach sei an die „Stelle des Selbstdenkens […] die Akzeptation einer politischen Heilslehre“123 getreten. In einem Brief an Hans Paeschke, den Herausgeber des Merkur, nimmt er teilweise auch das positive Urteil über Benjamin zurück: „Über Benjamin hätte ich mich gern doch noch etwas nüchterner geäussert, der entstehenden Mode wegen, aber Hartung [der Herausgeber der Neuen Deutschen Hefte] hatte, wie so oft auch Sie, dann doch etwas Furcht.“124 Keine zehn Jahre später stellte Boehlich den Auswahlband Angelus Novus125 zusammen und saß mit Rolf Tiedemann, Adorno und Gershom Scholem in den Redaktionskonferenzen, um die Edition

119 Ebd., S. 119. 120 Petra Boden: Probleme mit der Praxis. Hochschulgermanistik zwischen Wissenschaft, Bildung/Erziehung und Politik. In: Rainer Rosenberg u.a. (Hrsg.): Der Geist der Unruhe. 1968 im Vergleich; Wissenschaft – Medien – Literatur. Berlin: Akademie 2000, S. 181–226, hier S. 187. 121 Interview von Mechthild Zschau (wie Anm. 7). 122 Walter Boehlich: Zwischen Marx und Proust. In: Kritische Blätter (1956) H. 6, S. 2–4, Beilage zu Neue Deutsche Hefte 2 (1955/56) H. 24, hier S. 3. 123 Ebd. 124 Brief von Walter Boehlich an Hans Paeschke vom 23. 3. 1956. DLA, A: Merkur. 125 Michalzik: Unseld (wie Anm. 118), S. 162.

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der Briefe Benjamins vorzubereiten.126 1973 veröffentlichte er eine Rezension der Biogra­ phie Benjamins von Werner Fuld, die eine Zurücknahme, wenn nicht gar Selbstwiderlegung Boehlichs früherer Position beinhaltet: „Er [Fuld] unterstellt, daß gemeinhin zwischen dem frühen, durch jüdische Überlieferung bestimmten, und dem späten, durch materialistische Theorie bestimmten Benjamin scharf unterschieden werde […]. Aber an einen radikalen Schnitt hat nie ein verständiger Mensch gedacht“.127 Dem Kursbuch 15 liegt 1968 ein Kursbogen bei, der Boehlichs bekanntesten und auch umstrittensten Text enthält. In dem Autodafé betitelten Pamphlet fordert er „endlich die ge­ sellschaftliche Funktion jeglicher Literatur als das Entscheidende“128 zu verstehen. Das lite­ raturkritische Bekenntnis Boehlichs wird bis heute oft fälschlich als Todeserklärung der Lite­ ratur gelesen, dem man sogar meint anlasten zu können, „dass sich Schülerinnen und Schüler zeitweise nicht mehr mit Romanen und Dramen, sondern mit Comics und Ge­ brauchstexten beschäftigten“.129 Ordnet man es jedoch in sein literaturkritisches Schaffen ein, liest es sich vielmehr als eine Positionsbestimmung, die etwa Boehlichs vermehrte Zu­ wendung zur lateinamerikanischen Literatur in den siebziger Jahren zu erklären vermag, in der er, wie er am Beispiel Pablo Nerudas erklärt, vielmehr „eine politische, nicht eine litera­ rische Funktion“130 vorherrschen sieht. Dem veränderten politischen Anspruch entsprach Boehlichs gesellschaftspolitisches Engagement: er wurde in den Betriebsrat gewählt und suchte in der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen den Interessen der in der Verlagsbranche Beschäftigten eine Plattform zu schaffen. Nach dem als ‚Lektorenaufstand‘ bekannt gewordenen Versuch der Lektoren, die Betriebsstrukturen des Verlages zu demokratisieren und die im SuhrkampVerlagsprogramm theoretisch vertretenen Positionen praktisch umzusetzen, musste Boeh­ lich Ende 1968 den Verlag verlassen.131 Forthin wirkte Boehlich als freier Publizist.

V Was bei Suhrkamp nicht durchzusetzen war, die demokratische Kontrolle der Literaturpro­ duktion, suchte er nun in neuen Strukturen zu etablieren. Der 1969 von ihm mitgegründete Verlag der Autoren, anfangs ein reiner Theaterverlag, war genossenschaftlich aufgebaut und verstand sich als sozialistischer Versuch der Selbstorganisation. Auch Boehlichs Engagement bei den Literaturproduzenten Anfang der siebziger Jahre und seine Unterstützung der 1979 126 Schopf (Hrsg.): „So müßte ich ein Engel und kein Autor sein“ (wie Anm. 3), S. 536. 127 Walter Benjamin: Ein Schuß im Nebel. Walter Boehlich über Werner Fuld: „Walter Benjamin. Zwischen den Stühlen“. In: Der Spiegel, 21. 5. 1979. 128 Walter Boehlich: Autodafé. In: Kursbuch (1968) H. 15, Kursbogen. 129 Power Wissen Deutsch, Wissen. Gütersloh: Media Verlag 2003, S. 214/215. 130 Walter Boehlich: Ich, aus den Wäldern. Der chilenische Dichter in den Händen der „Experten für Verständlichkeiten“, Pablo Neruda: Autobiographie und Gedichte. In: Die Zeit, 12. 11. 1976. 131 Vgl.: Siegfried Unseld: Chronik 1970. Berlin: Suhrkamp 2010, S. 22–96 und den Beitrag von Claus Kröger in diesem Band.

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in Frankfurt gegründeten Autorenbuchhandlung als Gesellschafter sind in diesem Zusam­ menhang zu nennen. Boehlich einziges selbständiges Werk, 1848, erscheint 1973. In dem dokumentarischen Theaterstück werden auszugsweise die Debatten des Frankfurter Vorparlaments arrangiert, um den in der gescheiterten bürgerlichen Revolution unabgegoltenen Rest für die Gegen­ wart sichtbar zu machen.132 Selbst die von Boehlich in den siebziger Jahren angefertigten Übersetzungen sind nun nicht mehr nur literarische Texte. Mit den Liedern Víctor Jaras und dem Interview, das Régis Debray 1971 mit Salvador Allende führte, übertrug er Texte zur aktuellen politischen Lage in Chile, in der „für die ,lyrische Illusion‘ […] kein Platz ist“.133 Die Trennung von Suhrkamp war für ihn auch mit finanziellen Unwägbarkeiten ver­ bunden. Für Radio und Fernsehen übernahm er Auftragsarbeiten, die, wie der Beitrag über Uri Geller, für ihn wenig Arbeitsaufwand bedeuteten und, was ihn verärgerte, auf große ­Resonanz stießen. Wieder korrespondiert Boehlichs berufliche Veränderung auch mit der seiner publizistischen Möglichkeiten. Seit 1969 schreibt er im Spiegel und in der Deutschen Volkszeitung, seit 1970 in der Konkret. Veröffentlichte Boehlich in ersterem fast ausschließ­ lich Rezensionen, nahm er in letzteren vor allem zum tagesaktuellen politischen Geschehen Stellung. In der 1979 gegründeten Titanic war Boehlich – nur einmal wegen Krankheit un­ terbrochen – jeden Monat mit einer Kolumne vertreten.134 Auch wenn also Boehlich weiter­ hin in den auflagenstarken bürgerlichen Zeitungen und Zeitschriften prominent vertreten war, verschob sich der Schwerpunkt der Veröffentlichungen hin zu linken Publikationen: „daran hätte ich in unseren hamburger jahren nie auch nur gedacht, aber jetzt scheint es mir in den grenzen, in denen es überhaupt einen publizistischen sinn geben kann, recht sinnvoll“.135 Durch die Bevorzugung nicht so auflagenstarker Blätter, ist Boehlich nicht mehr in dem Maße im Fokus der Öffentlichkeit, wie er es noch zu seiner Zeit bei Suhrkamp war: 1989 findet er sich auf einer von Schriftstellern erstellten Bestenliste der Literaturkriti­ ker neben Günter Blöcker, Helmut Heißenbüttel und Günter Schäble auf Platz 48136 und, als Frank Schirrmacher 1999 eine siebenhundertseitige Dokumentation der Debatte um Walsers Friedenspreisrede veröffentlichte,137 nahm er Boehlichs Debattenbeitrag in der Titanic138 nicht mit in den Band auf. Größere Aufmerksamkeit erhielt Boehlich für seine Tätigkeit als Herausgeber und Übersetzer. 1989 übernahm er von Bernd Jentzsch die auf einhundert Bände konzipierte 132 Vgl. den Beitrag von Matthias Uecker in diesem Band. 133 Régis Debray: Einleitung. In: ders.: Salvador Allende: Der chilenische Weg. Neuwied u.a.: Luchterhand 1972, S. 10. 134 Vgl. den Beitrag von Ulrike Baureithel in diesem Band. 135 Brief von Boehlich an Heißenbüttel (wie Anm. 83). Kleinschreibung im Original. 136 Von Büchern und Menschen. Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt 1989, S. 64–69. 137 Frank Schirrmacher (Hrsg.): Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999. Zu Boehlichs Beitrag zur Kontroverse vgl. den Beitrag von Matthias N. Lorenz in diesem Band. 138 Vgl. Walter Boehlich: Ich, ich – wir. Daß der Wahrheitsgehalt einer Rede sich nach der Lautstärke des Beifalls bemißt, glaubt nach A. Hitler nun auch Martin Walser. In: Titanic (1999) H. 1, S. 20–23.

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Reihe Rowohlt Jahrhundert, in deren Rahmen bis 1993 Klassiker der literarischen Moderne erschienen. Mit seiner aufwendigen – 1987 reiste er dafür eigens nach Triest und Muggia, um Lebensspuren nach zu verfolgen –139 Edition der Jugendbriefe Freuds an Silberstein er­ schien 1989 Boehlichs kommerziell erfolgreichstes Buch. Die in der Friedenauer Presse von Katharina Wagenbach-Wolff in den neunziger Jahren veröffentlichten Übersetzungen Bli­ chers, Bangs und Lascano Teguis wurden zwar kaum abgesetzt, fanden aber Anerkennung in der Fachöffentlichkeit. Sie manifestierte sich in den Ehrungen, die Boehlich zuteilwerden: der Merck- und der Heinrich-Mann-Preis für Essayistik und der Scatcherd- und der Mer­ ton-Preis für Übersetzungen sowie die Zuwahl zur Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Als Boehlich sich 2001 krankheitsbedingt aus dem öffentlichen Leben zurück­ zog, beschloss das Land Hessen, in dessen größter Stadt er über 40 Jahre gelebt hatte und die ihm nur lebenswert schien, „wenn man fast alles wegdenken [könnte], was ist, und dazuden­ ken, was nicht ist“,140 ihn Zeit seines Lebens mit einem monatlichen Ehrensold zu beden­ ken.

VI Vergegenwärtigt man sich Walter Boehlichs Lebenslauf, lässt sich seine Scheu vor biogra­ phischer Indiskretion als Versuch der Selbstbehauptung eines Intellektuellen lesen, der – wiewohl erfolgreich – oft freiwillig oder unfreiwillig abseits stand: sei es die Diskriminierung wegen seiner Herkunft im Nationalsozialismus, die ihm ein reguläres Studium versagte; seien es seine Tätigkeiten als Assistent und Lektor in Bonn, Aarhus und Madrid, die er aus­ übte, ohne selbst einen Studienabschluss zu besitzen; sei es sein Bemühen, die Fachgeschich­ te der Germanistik zu einer Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit zu zwingen, auch wenn er gar nicht mehr Mitglied des akademischen Betriebs war; sei es sein Engagement in einer politischen Bewegung, die sich mehr Egalität auf die Fahnen geschrieben hatte und in der er durch den „Geistesaristokratismus seiner akademischen Herkunft“141 auffiel; sei es als Übersetzer, der sich in den Dienst eines fremden Textes stellt, oder als „Autor, der nicht schreibt“,142 dessen Kritiken und Kolumnen nie in Buchform herauskamen. Sich dabei nicht biographisch beschränken zu lassen in die Kategorien von Herkunft, Religion und Beruf, aus denen seine Produktivität erwachsen sei, mag eine Motivation der autobiographi­ 139 Brief von Wolf Boehlich an Ilse Grube-Simitis, undatiert, aber nach dem Tod Walter Boehlichs. Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. 140 Walter Boehlich: Café Laumer. In: Peter Hahn (Hrsg.): Literatur in Frankfurt. Ein Lexikon zum Lesen. Frankfurt/M.: Athenäum 1987, S. 68. 141 Silvia Bovenschen: Schon mal abgestürzt? Angst kennt jeder. Aber über die subtilen, heimtückischen und vielfältigen Unterformen dieses Gefühls denkt man meist lieber nicht nach. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.6.2007. 142 So der Titel eines Buches, in dem Boehlich mit einem Aufsatz vertreten ist: Rebekka Habermas, Walter H. Pehle (Hrsg.): Der Autor, der nicht schreibt. Versuche über den Büchermacher und das Buch. Frank­ furt/M.: Fischer 1989.

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schen Zurückhaltung gewesen sein. Bei allem Einfluss, den diese Faktoren haben mögen, hielt Boehlich dafür, dass man Gemeinsamkeiten „nicht mit allen haben oder wollen [kann], sondern nur mit denen, mit denen man gemeinsam etwas will“.143 Dieser gemeinsame Wille gemahnt an das „wir“, in dessen Namen viele der Kritiken und Kolumnen abgefasst sind und das dem Verzicht auf generalisierende Zuschreibungen scheinbar entgegensteht. Es muss aber dieses Kollektiv, für das Boehlich spricht, kein bereits existierendes sein. Vielmehr verweist es auf eine mögliche gemeinsame Stimme der Vernunft, die stark genug wäre, hand­ lungsleitend die (eigene) Geschichte sinnvoll zu gestalten.

143 Walter Boehlich: Wider die Wöchner der Brüderlichkeit. Juden in Deutschland, deutsche Juden, jüdische Deutsche haben über ihre Lage in der Bundesrepublik nachgedacht. In: Konkret (1980) H. 3, S. 22/23, hier S. 23.

ii. Judentum und Antisemitismus

Schreiben des Zugführers im Deutschen Volkssturm Kreis Breslau-Stadt vom 27. Januar 1945 mit dem Wortlaut: „Registrator Walter Boehlich, Breslau Augustastr. 57, kommt zum Dienst im Deutschen Volkssturm nicht in Frage.“

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„Man muss über die Juden reden“ Walter Boehlich und „unser Verhältnis zu den Juden“ dem Andenken Gert Mattenklotts gewidmet*

Die Frage nach dem ‚Jüdischen‘ ist immer eine komplexe, ja heikle Frage, und sie ist es ins­ besondere, wenn sie im Kontext der deutschen Nachkriegsgeschichte gestellt wird. Denn diese ist auch eine Nachgeschichte der Vernichtung der Juden, in der jede unbefangene Ant­ wort auf jene Frage unmöglich geworden ist, die befangenen dadurch aber nicht weniger problematisch sind. Man kann die Frage auf ganz verschiedene Arten stellen, und bereits wie man sie stellt, ist eine zentrale Vorentscheidung methodischer Art, aber auch und vor allem eine radikal politische Entscheidung. All das gilt ganz besonders dann, wenn man von einem Intellektuellen wie Walter Boehlich spricht – es ist aber umgekehrt gerade die Stärke einer solchen Gestalt, dass man an ihr die verschiedenen Arten jener Frage durchspielen kann und damit gewissermaßen das Bewusstsein politisch und methodisch schärfen und die Spreng­ kraft jener Frage entdecken kann. Denn die Frage nach dem ‚Jüdischen‘ betrifft immer mehr als nur ein biographisches Element, mehr als nur die Tatsache, dass Boehlich aus einer jü­ dischen Familie stammte, eine Tatsache, die man dann anschließend mehr oder weniger wichtig nehmen kann. Im Folgenden geht es daher auch weniger darum Boehlich als ‚Juden‘ oder als ‚jüdisch‘ zu beschreiben, sondern an ihm zu lernen, wie mit der Frage nach dem Jüdischen umgegangen worden ist und werden kann und wie dieser Umgang seinerseits Boehlichs intellektuellen Zugang zur Welt spiegelt. Die Frage und ihre verschiedenen Mo­ dellierungen hat dabei auch eine gewisse Geschichte, die im Folgenden durchzuarbeiten ist und den Gang der Darstellung bestimmt. Daher wird zuerst nach Boehlichs ‚Judentum‘, dann nach seiner ‚jüdischen Identität‘ und schließlich nach seinem ‚Verhältnis zu den Juden‘ gefragt, wobei eine Reihe wichtiger Aspekte, insbesondere seine Sicht des Antisemitismus und von der (gescheiterten) Aufarbeitung des nationalsozialistischen Antisemitismus nur gestreift werden können. *

Ursprünglich war Gert Mattenklott angefragt, über dieses Thema zu sprechen – er wäre dafür zwei­ felsohne berufen gewesen. Er musste absagen und verstarb schließlich kurz vor der Tagung. An seiner Stelle zu sprechen war für mich eine Verpflichtung; gerade weil ich ihn nicht ersetzen konnte, sind die folgenden Ausführungen immer in Gedanken an ihn geschrieben.

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Vor fünfzig Jahren wäre ein solcher Beitrag vielleicht „Walter Boehlich und das Juden­ tum“ betitelt gewesen. Hier wäre zunächst Boehlichs jüdische Herkunft und seine Biogra­ phie als Jude dargestellt worden: Boehlichs Großmutter mütterlicherseits war Sophie Jan­ sen, ihre Tochter Edith wuchs bereits christlich auf; trotzdem wurden beide zu Opfern der Nationalsozialisten: Sophie Jansen beging 1942 vor der Deportation nach Theresienstadt Selbstmord, die Mutter wurde deportiert und überlebte.1 Boehlich selbst meldete sich mit Kriegsausbruch freiwillig, wurde aber als ‚Halbjude‘ bald als ‚wehrunwürdig‘ entlassen, auch das Studium blieb ihm versagt. Er musste Zwangsarbeit leisten, konnte aber als Gasthörer die Universität besuchen und blieb schließlich auch von der Einziehung in den Volkssturm durch seine ‚Unwürdigkeit‘ verschont und konnte am Kriegsende das schon fast eingeschlos­ sene Breslau verlassen. Es wäre darzulegen gewesen, was Boehlich vom Judentum wusste und wie er das beurteilte, wie er es für sich interpretierte und welche Stellung es für ihn ein­ nahm. Da wäre freilich nicht viel zu finden gewesen. Von einer jüdischen Praxis Boehlichs ist mir nichts bekannt. Direkte Bekenntnisaussagen gibt es ebenfalls nicht, aber das muss natürlich bei einem modernen Juden nicht überraschen, schon gar nicht bei jemandem wie Boehlich. Immerhin existiert die Bibliothek, deren Judacia einen durchaus umfassenden Be­ stand darstellen. Boehlich besaß etwa die maßgeblichen jüdischen Nachschlagewerke: Das von Georg Herrlitz und Bruno Kirschner von 1927 bis 1930 herausgegebene Jüdische Lexikon und die beiden Encyclopedia Judaica, die von Jakob Klatzkin von 1928–1934 herausge­ gebene deutschsprachige und die englischsprachige aus den siebziger Jahren. Ebenfalls vor­ handen sind der Talmud in der Übersetzung von Lazarus Goldschmidt und die vielbändigen Geschichten des Judentums von Heinrich Graetz und von Simon Dubnow. Wie in anderen Fällen besaß Boehlich auch umfängliche Literatur zu den Sprachen, nicht nur zum Jid­ dischen, das er noch mit Ende sechzig lernte, sondern auch zum Hebräischen, das er nicht beherrschte: etwa das Wörterbuch und die Grammatik von Wilhelm Gesenius. Es gibt eine große Zahl von Titeln zum Jiddischen, aber auch zu den Sepharden, selbstverständlich auch viel zum deutschen Judentum und zum Antisemitismus. Offensichtlich wusste Boehlich ei­ niges über das Judentum, oder konnte jedenfalls einiges wissen, aber er sprach selten darü­ ber, jedenfalls nicht öffentlich. Nach Auskunft verschiedener Zeitgenossen war Boehlichs jüdische Herkunft daher auch bis Mitte der achtziger Jahre allenfalls sehr Nahestehenden bekannt. Eine gewisse Ausnahme von dieser generellen Zurückhaltung ist das Interview, das Gert Mattenklott 1988 mit Boehlich führte: nirgendwo sonst sprach dieser so ausführlich und explizit über sein Judentum. Aber auch hier zeigt sich bei genauerem Hinsehen die Zurück­ haltung, ja fast das Ausweichen Boehlichs. Denn schon der Interviewer fragt hier nicht di­ 1 Vgl. dazu Helmut Peitsch, Helen Thein: Walter Boehlich (1921–2006). „Wer nicht las, galt nicht“. In: Ines Sonder u.a. (Hrsg.): „Wie würde ich ohne Bücher leben und arbeiten können?“ Privatbibliotheken jüdischer Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2008, S. 83–112. Ich danke Helen Thein-Peitsch für die Bereitstellung der Veröffentlichungen und Archivstücke zum hier diskutierten Thema.

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rekt nach dem Judentum, nach einer jüdischen Biographie oder einer jüdischen Praxis, son­ dern nach der Funktion des ‚Jüdischen‘ in der Gegenwart, wie Mattenklotts Buch Über Juden in Deutschland insgesamt ja nicht einfach eine Darstellung der jüdischen Geschichte sein will, sondern vor allem eine Reflexion über die Schwierigkeiten, über und mit Juden zu sprechen: „Fängt in Deutschland einer an, über die Juden zu sprechen, so verstummt meist das Gespräch, erst recht, wenn ein Jude dabei ist.“2 Sowohl dieses Problembewusstsein des Interviewers als auch der aktuelle Index seiner Fragestellung war dann wohl auch die Vor­ aus­setzung, dass sich Boehlich auf ein Gespräch überhaupt einließ; tatsächlich betrachtete auch er das Beschweigen des Jüdischen als ein zentrales Problem, wie wir noch sehen wer­ den. Das bedeutet allerdings nicht, dass es ihm leicht fiel, über Jüdisches zu sprechen, zumal in Beziehung zu sich selbst. Das zeigt sich nicht nur an der Überarbeitung des Interviews, in welcher Boehlich Stellen kürzte, die ihm zu privat für eine Veröffentlichung schienen – offen­sichtlich wollte er seine Äußerung über das Judentum nicht unmittelbar neben Erzäh­ lungen über seinen Lebensweg sehen.3 Auch im veröffentlichten Text ist eine deutliche Reser­ve von Seiten Boehlichs zu spüren, die typisch nicht nur für sein Verhältnis zum ‚Jü­ dischen‘, sondern auch für seine öffentliche Strategie der Selbstpositionierung ist. So fragt etwa Gert Mattenklott: „Durch was für Überzeugungen stellt sich heute jüdi­ sche Identität her?“4 Hier zielt schon die Frage nicht mehr auf ‚das Judentum‘ als eine Kon­ fession oder Weltanschauung, sondern auf eine ‚jüdische Identität‘, auf eine bestimmte Art, wie man als Jude in der Welt ist und sich zu dem Judentum verhält. Damit ist das Interview gerade durch sein Problembewusstsein auch Indikator, dass sich die Frage nach dem ‚Jüdi­ schen‘ seit den sechziger Jahren verschoben hat: Weg von etwas, das gewissermaßen hinter der aktuellen Situation steht und zu dem man sich verhält, hin zu diesem Selbstverhältnis selbst; und wenn dieses mit dem Ausdruck ‚Identität‘ angeschrieben wird, so ist damit gera­ de keine selbstverständliche Zugehörigkeit mehr gemeint, sondern der permanente Vollzug, sich zu sich ins Verhältnis zu setzen. Aber auch auf diese Kategorie reagiert Boehlich höchst skeptisch und weicht der implizierten Frage nach dem Eigenen aus, wenn er antwortet: „Es sind vielleicht nicht Überzeugungen im strikten Sinne, eher markante Veränderungen an historischen Positionen. – Es hat ja im Deutschen Reich immer, auch unter Juden, das Vor­ urteil gegenüber Ostjuden gegeben. Je akkulturierter und assimilierter, desto scheinhaft frei­ er. Dazu waren die Ostjuden das Gegenbild.“5 Boehlich entzieht sich der Frage gleich in mehrfachem Sinne: indem er die Frage nach den Überzeugungen relativiert, indem er die Frage historisch verschiebt von der Gegenwart zum Deutschen Reich und indem er schließ­ lich das „Gegenbild“ zu den deutschen Juden mit in den Blick nimmt und damit die Identi­ 2 3

Gert Mattenklott: Über Juden in Deutschland. Frankfurt/M.: Jüdischer Verlag 1992, S. 9. In der Nachlassbibliothek von Walter Boehlich finden sich zwei zufällig erhaltene Blätter, in denen Boeh­ lich über das Kriegsende und das Überleben seiner Mutter berichtet und die offensichtlich aus der Über­ arbeitung des Interviews stammen. Vgl. ebendort Archivkasten Dokumente aus Büchern Nr. 1067 sowie Nr. 1912. 4 Mattenklott: Gespräch mit Walter Boehlich (wie Anm. 2), S. 163–175, hier S. 165. 5 Ebd.

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tät wesentlich als eine Identität der Konflikte versteht. Wenn schließlich an dieser Stelle er­ neut der Interviewer einhakt, die Sehnsucht nach dem Schtetl richte sich doch auf eine „unwiederbringlich vergangene Welt“, mit deren „Gesinnungen“ sich „niemand mehr im Ernst identifizieren können“ werde, antwortet Boehlich: „Muß sich denn der Mensch mit etwas ihm äußerlich Zugeordneten identifizieren? – Was man an den Ostjuden bewunderte, waren überwiegend die Bedingungen ihrer Herkunft. Soll allein darin aber Identität beste­ hen – als käme nichts hinzu? Wozu wird man alt?“6 Die grundsätzliche Skepsis gegenüber der Kategorie der Identität zeigt sich hier nicht nur in der expliziten Negation, sondern auch darin, wie Boehlich vermeidet von ‚sich‘ zu sprechen, nur weil ‚man‘ Identität hat. Daher habe er auch nicht den Eindruck, als Jude betrachtet zu werden, wie es vorher heißt, „schon weil ich in einem vernünftigen Sinne kein Jude bin“.7 Boehlichs persönliche Zurückhaltung hindert ihn aber nicht daran, über Juden und ihre Identität zu sprechen, ganz im Gegenteil: „Man muß über die Juden reden“ betont Boeh­ lich immer wieder.8 Das geschieht, wie bereits die schon zitierte Antwort auf die Frage nach der Identität zeigt, vor allem historisch, durch den Umweg über historische Konflikte wie den zwischen Ost- und Westjuden oder auch zwischen Assimilierten und Zionisten. Solche Konflikte ins Zentrum zu stellen bedeutet auch beide Seiten zu sehen: „Will man das Jüdi­ sche in einem umfassenden Sinn in den Blick bekommen […] dann genügt es auch nicht, nur die Bekennenden und bewußt als Juden Auftretenden zu berücksichtigen, sondern auch die Assimilierten. Man kann die Geschichte schlecht teilen.“9 So hebt Boehlich immer wie­ der hervor, dass die meisten Juden – und nicht zuletzt seine eigene Familie und er selbst in seiner Jugend – nicht weniger nationalistisch als ihre nichtjüdischen Mitbürger waren. Wie wichtig dieser weite, ungeteilte Blick auf die jüdische Geschichte ihm war, zeigt sich an anderer und durchaus wichtiger Stelle: in Boehlichs Nachruf auf Gershom Scholem. Schon dessen Titel Ein Jude aus Deutschland macht eine gewisser Ambivalenz deutlich: Auf der einen Seite bewundert er die Fülle von Scholems jüdischem Wissen ebenso wie die Un­ beirrbarkeit von Scholems Weg, die der Titel von dessen Autobiographie – Von Berlin nach Jerusalem – emblematisch zusammenfasst; auf der anderen Seite versucht Boehlich die Ab­ wendung von Deutschland, die sich darin ausdrückt, weniger zu relativieren als anders zu perspektivieren. Scholem hatte bekanntlich schon in den sechziger Jahren gegen den „My­ thos vom deutsch-jüdischen Gespräch“ polemisiert, weil solche pathetische Beschwörung der Vergangenheit nicht nur die jüngste Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen übersehe, sondern weil es ein solches Gespräch auch historisch nie gegeben habe.10 Denn die   6   7   8   9 10

Ebd., S. 166. Ebd., S. 165. Ebd., S. 172. Ebd., S. 169. Vgl. Gershom Scholem: Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch. In: ders.: Judaica II. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 7–11. Vgl. zu dieser Debatte und der darin zentralen Kategorie des jüdischen ‚Selbstbetruges‘ auch vom Verf.: Gershom Scholem. Politisches, esoterisches und historio­gra­ phisches Schreiben. München: Fink 2003, S. 40–54.

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Juden wären in diesem Gespräch nie als Juden gehört worden und hätten auch nie als Juden gesprochen, sondern unter der stillschweigenden Voraussetzung, sie würden ihre kulturelle Eigenheit aufgeben; dass sie dieser Selbsttäuschung verfallen seien, so suggeriert Scholem, sei die eigentliche Tragik der Geschichte. So sehr nun Boehlich Scholems kritische Bewer­ tung der assimilierten Bürgerlichkeit und seine Skepsis gegen falsches Pathos und postumen Philosemitismus teilt, er versucht doch, Scholems radikale Kritik zu relativieren – weil Ge­ schichte eben nicht teilbar ist und weil auch die assimilierten Juden nicht einfach traurige Opfer des Selbstbetruges waren, sondern immer noch zu unserer Geschichte gehören: „Sie haben in der Tat den Deutschen, die ihnen ihrerseits den Tod gaben, viel gegeben, mehr als anderen, selbst mehr als den Nordamerikanern, und sie geben ihnen nach ihrer Auslöschung immer noch, was heißt, daß der Versuch der Juden, unter Deutschen zu leben, nicht ganz ohne Folgen geblieben ist. Selbst wenn die Juden und die Deutschen keine gemeinsame Geschichte gehabt haben, sondern nur einige Deutsche und einige Juden unterschiedlich positiv aufeinander reagiert haben, ist diese mißglückte ‚Geschichte‘ doch Geschichte und damit ein Stück künftiger Möglichkeit.“11 Diese Möglichkeit aber, und darin gibt Boehlich Scholem wieder recht, ist verstellt, wenn man den Tatsachen nicht ins Auge sieht, was aller­ dings nicht als bloßes historisches Urteil über den ‚Selbstbetrug‘ der Assimilation möglich ist – und so konnte Scholems „Ich bestreite, daß es ein solches deutsch-jüdisches Gespräch in irgendeinem echten Sinne als historisches Phänomen je gegeben hat“12 verstanden werden –, sondern nur als eine Debatte in der Gegenwart. Daher, und das ist die zweite Reperspekti­ vierung von Scholems Position, sieht Boehlich in ihm auch nicht nur einen Historiker aus dem fernen Jerusalem: „Er kam nicht los vom Lande der Mörder, er konnte nicht vergessen und wollte nicht vergessen und hat mit größter Insistenz darauf bestanden, daß zunächst von dem gesprochen werden müßte, was gewesen war, ehe man von dem spräche, was allen­ falls sein könne. Und das nicht, weil er Historiker und Philologe war, und was für ein Histo­ riker und Philologe!, sondern weil die Opfer schlechter vergessen können als die Täter.“13 Hier steht Scholem nicht nur für die Maxime des ‚Man muss über die Juden sprechen‘, sondern auch für die unentrinnbare Wechselbeziehung zwischen Tätern und Opfern, die nach Boehlich grundlegend für die Rede über das ‚Jüdische‘ in der Bundesrepublik ist. Wenn er selbst diese Maxime umsetzt, geht es ihm anders als Scholem nicht unbedingt und primär um ‚die Juden als Juden‘, sondern um die Möglichkeiten, die diese Geschichte hat und im­ mer noch hat, weil sie immer ein unabgegoltenes Handlungspotential birgt, auch deshalb, weil sie sich mit der Frage nach einer demokratischen Tradition verbindet: „Mich haben immer diejenigen am meisten überzeugt, die seit dem frühen 19. Jahrhundert gesagt haben:

11 Walter Boehlich: Ein Jude aus Deutschland. Nach Gershom Scholems Tod. In: Frankfurter Rundschau, 25. 2. 1982. 12 Scholem: Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch (wie Anm. 10), S. 7. 13 Boehlich: Ein Jude aus Deutschland (wie Anm. 11).

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es hat keinen Zweck, bloß auf der Gleichberechtigung der Juden zu bestehen; was erreicht werden muß, ist Gleichberechtigung und Demokratisierung überhaupt.“14 ‚Jüdische Identität‘ ist also eine Kategorie, die Boehlich nur mit großer Reserve verwen­ dete und jedenfalls kaum auf sich selbst bezog, weil er sich selbst nicht als Jude identifizieren konnte und wollte und weil die Kategorie dazu neige, die historische Wirklichkeit und da­ mit auch die politischen Möglichkeiten der Gegenwart zu verzerren. Auch wenn er darauf bestand, dass über die jüdische Geschichte gesprochen werden muss, hat er kaum an jü­ dischen Identitätsdiskursen teilgenommen, und wenn, dann kritisch. Symptomatisch ist das große Interesse, dass er Isaac Deutschers 1968 auf Englisch erschienenem The Non-Jewish Jew entgegenbringt.15 Deutscher ist linker Antizionist, der sich vom traditionellen Judentum löst und zugleich den Zusammenhang zwischen dem Holocaust und der Gründung des Staates Israel beklagt, es heißt bei Deutscher – und Boehlich zitiert das –, es wäre ihm lieber, wenn die sechs Millionen Männer, Frauen und Kinder am Leben geblieben und das Juden­ tum untergegangen wäre.16 Deutscher stellt die Frage, warum der Jude eigentlich immer Jude bleiben müsse, Boehlich kommentiert: „Warum ist Heine ein Jude, warum Börne? Sind wir eigentlich alle Rassisten, die Betroffenen eingeschlossen? Warum um alles in der Welt ist ein Katholik, der aus seiner Kirche austritt, nicht länger Katholik, ein Protestant, der aus seiner Kirche austritt, nicht länger Protestant? Nur ein Jude muss offenbar immer Jude bleiben, über Generationen hinweg. […] Eine befriedigende Antwort darauf gibt es bisher nicht. Unleugbar ist freilich, dass es sich dabei um Zwänge der christlichen Kulturen handelt, die anscheinend nicht ohne das Gegenbild der Gottesmörder auskommen können.“17 Auch hier besteht, typisch für Boehlich, der genuine Beitrag des Kommentators weniger in einer Auseinandersetzung mit dem Buch als mit dessen Rezeption. Schon die Schwierigkeiten der amerikanischen Veröffentlichung zeigten, dass Deutscher ein Tabu be­ rührte, und machten die „Unmöglichkeit, freimütig über das zu sprechen, was der Gegen­ stand von Deutschers Nachdenken war“, deutlich.18 Das wiederholt und steigert sich noch in Deutschland, wo das Buch keinen Verleger gefunden hat und von der Presse auf befremd­ liche Weise behandelt wird, so findet Boehlich es etwa „einigermassen dubios, die Beschäf­ tigung mit seinem [Deutschers] Denken dadurch zu rechtfertigen, dass er, der gerade ver­ sucht hat, sein Judentum zu überwinden, ‚Bestandteil des Judentums‘ sei“.19 Wieder versucht Boehlich also, an den Fallen der ‚Identität‘ vorbei zu denken und weist dementsprechend auch Vorwürfe zurück, dass es sich hier um ‚Selbsthass‘ handele. Gerade die verdrängende, der eigentlichen Provokation des Buches ausweichende Rezeption sei symptomatisch: „Der 14 Mattenklott: Gespräch mit Walter Boehlich (wie Anm. 2), S. 167. 15 Vgl. das Sendemanuskript zu Walter Boehlich: Ein jüdisches Bild vom Juden – aus Anlaß von Isaac Deutschers „Non Jewish Jew“. WDR – Kultur und Wissenschaft, 1. 11. 1977, 38 S., das sich im Nachlass befindet. 16 Ebd., S. 34. 17 Ebd., S. 7. 18 Ebd., S. 3. 19 Ebd., S. 10.

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alltägliche, unreflektierte Antisemitismus der Deutschen ist in einen ebenso unreflektierten Philosemitismus umgeschlagen, der die Auseinandersetzung zwischen kontroversen Positi­ onen unmöglich macht.“20 Das Bewusstsein dieses Umschlages und der Verstellungen, die aus ihm ­folgen, ist konstitutiv für Boehlichs Umgang mit dem Jüdischen und wird all seine Äußerungen prägen, die stets darum kämpfen, die Möglichkeit der Kontoverse wieder zu eröffnen. Solche Kontroversen führte Boehlich insbesondere dann, wenn er meinte, dieser Philo­ semitismus werde bewusst ausgenutzt: etwa in den scharfen Polemiken gegen Henryk Bro­ der. Zwar teilte er durchaus Broders Kritik am Umgang mit der nationalsozialistischen Ver­ gangenheit und die Hoffnung auf ein Land, „das sich mit seiner schrecklichen braunen Vergangenheit nicht nur auseinandergesetzt, sondern von ihr abgesetzt und befreit hätte“.21 Aber er teilt nicht Broders moralische Empörung und die daraus erwachsene Aggressivität gegen andere Positionen, wie sie sich etwa in dessen Kritik von Erich Fried zeige: „Mit so einem Juden, von dem er [Broder] annimmt, daß Nichtjuden ihm unbefangen gegenüber­ treten könnten, kann Broder nichts anfangen, weil er, Broder, Identität nicht hat, sondern verzweifelt sucht, und Unbefangenheit mit der Unterdrückung von Schuldgefühlen ver­ wechselt.“22 Broders ‚jüdische Identität‘ konstituiert sich also in der Polemik gegen Frieds vermeintliche ‚Naivität‘ im Umgang mit Nichtjuden – ‚Identität‘ ist hier also etwas verzwei­ felt Gesuchtes, etwas, das sich nur durch die Negation von Unbefangenheit finden lässt. Diese Negation und ein bestimmtes Schuldgefühl, das sie hervorbringt, so ein anderer Text Boehlichs, ist essentiell für Broder wie für die Generation der Kinder der Holocaustüberle­ benden generell: „In diesem Lande zu leben erzeugt bei Broder und vielen anderen bewußte und unbewußte Schuldgefühle, die er nicht anders zum Schweigen bringen kann, als daß er sich und uns ständig zu überzeugen versucht, daß auch die Kinder und Kindeskinder der faktischen Mörder noch potentielle Mörder seien. Er lenkt durch Aggressivität, durch Be­ harren auf der Schuld der anderen von der uneingestandenen eigenen, ganz andersartigen Schuld ab.“23 Jüdische Identität konstituiere sich somit in der Bundesrepublik durch ein Schuldgefühl, das in eine Schuldbehauptung transformiert werde, in eine permanente An­ klage der Gesellschaft, die aber – so wohl das implizite Argument – als rein moralische An­ klage gerade das politische Potential der Debatte ersticke und jedenfalls im Bündnis mit dem unreflektierten Philosemitismus der Angeklagten dazu führe, dass jede offene und kon­ troverse Diskussion jüdischer Sachverhalte unterbleibe. Man muss kein besonderer Anhän­ ger von Henryk Broder sein, um dieses Argument zumindest heikel zu finden, denn es stellt ein psychologisches Schuldgefühl mit einer historischen Schuld auf eine Ebene und scheint Opfer und Täter auf unheimliche Weise zu vertauschen. Aber Heikles hat Boehlich niemals 20 Ebd., S. 2. 21 Walter Boehlich: Danke schön. Bis hierher und nicht weiter. Anmerkung zu Henryk M. Broders anklagenden Deutschland-Buch. In: Süddeutsche Zeitung, 31. 1./1. 2.1981. 22 Walter Boehlich: Broder versus Fried. In: Konkret (1987) H. 6, S. 38. 23 Boehlich: Danke schön (wie Anm. 21).

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gescheut, schon gar nicht um eines falsch verstandenen Philosemitismus willen. Ihm geht es um die Auseinandersetzung, das Risiko, das mit ihr einhergeht, nimmt er bewusst in Kauf. ‚Man muss über die Juden reden‘– nicht über das Judentum und nicht über jüdische Identität, sondern über ‚die Juden‘. Boehlich fürchtet nicht die darin liegende Essentialisie­ rung und nicht den Verstoß gegen die political correctness – er will die Dinge beim Namen nennen und gerne auch einmal provozieren. Über ‚die Juden‘ zu reden, und nicht abstrakt über ‚Judentum‘ oder in Innensicht über ‚jüdische Identität‘ bedeutet vor allem, sie ins Ver­ hältnis zur deutschen Geschichte und insbesondere ins Verhältnis zu den nationalsozialis­ tischen Verbrechen zu setzen. Denn durch dieses Verhältnis unterscheidet sich ihre Situation wesentlich von der vor 1933, daher sind auch die Debatten und Polarisierungen wie etwa zwischen Zionismus und Assimilation aus der ersten Jahrhunderthälfte kaum in die Gegen­ wart übertragbar. Denn die nationalsozialistischen Verbrechen sind nicht nur eine trauma­ tische Erinnerung, sondern haben schwerwiegende Folgen für das Reden über die Juden, weil sie entscheidend und unwiderruflich zwischen Opfern und Tätern unterscheiden und alle Kommunikation in ein Ungleichgewicht bringen, wie schon der Nachruf auf Scholem betonte. Auch bei vielen anderen Gelegenheiten wies Boehlich auf diese Asymmetrie hin: Die nationalsozialistischen Verbrechen haben zur Folge, „daß die einen auf lange Zeit mit dem Odium der Mörder leben müssen, gleichgültig, ob sie selbst gemordet haben oder nicht, ob sie stumme oder tätige Zeugen des Mordes waren oder ob sie ihrer Jugend wegen nichts davon erlebt haben, während die anderen potentielle Opfer bleiben, wie alt oder wie jung sie immer sein mögen. Mit dem Unterschied freilich, daß nur wenige Deutsche sich direkt oder indirekt schuldig fühlen, während fast alle Juden sich auch nach einem halben Jahrhundert noch als Opfer fühlen.“24 Denn während die Deutschen allzu willig waren, ihr Tätersein zu vergessen, werden die Ängste der Opfer weitergegeben, und sei es in Form von unbewussten Schuldgefühlen. Sie bringen die Generation der jetzt in Deutschland lebenden Juden in eine prekäre Situation: „Sie sind einerseits geschützter als die Juden es in einer nichtjüdischen Gesellschaft je gewesen sind, sie haben keine eigene Erfahrung von dem, was Antisemitismus sein kann, aber sie projizieren andererseits Auschwitz ständig auf sich selbst, als seien sie die Opfer, als seien sie die Überlebenden, ermordet zugleich und noch einmal davongekommen.“25 Auch diese Problematik einer Disproportionalität im Reden über das ‚Jüdische‘ existiert nicht abstrakt, sondern taucht stets in bestimmten politischen und polemischen Konstellati­ onen auf, auf die Boehlichs Äußerungen jeweils reagieren, wenn sie versuchen, das ‚Über die Juden Reden‘ konkret zu betreiben. Es sind Interventionen, deren Kontexte im Einzelnen viel genauer rekonstruiert werden müssten, als das hier geschehen kann. Einer der wich­ tigsten Kontexte ist dabei die gescheiterte Auseinandersetzung der Bundesrepublik mit dem Nationalsozialismus, die eine der wichtigsten Konstanten in Boehlichs Äußerungen ist und 24 Walter Boehlich: Frankfurt, Fassbinder und die Juden. In: Der Spiegel, 4. 11. 1985. 25 Walter Boehlich: Finkielkrauts Beschwerden. Anmerkungen zu dem Pamphlet „Der eingebildete Jude“. In: Süddeutsche Zeitung, 25./26. 9. 1982.

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eine eigene Untersuchung verdiente: Immer wieder kritisiert er die Verdrängung des Antifa­ schismus, die Fortführung des strikten Antikommunismus sowie die Vernachlässigung oder Entpolitisierung der Exilliteratur in den frühen Jahren der Bundesrepublik, symp­tomatisch dafür ist insbesondere die fast vollständige Identifizierung des Widerstandes mit der konser­ vativen Opposition des 20. Juli unter Absehung von deren „Oberklassen­anti­semitismus“:26 „Systematisch ist die Geschichte des politischen Kampfes gegen den aufkommenden und herrschenden deutschen Faschismus verdrängt worden zugunsten des Wunschtraums von der deutschen Widerstandsbewegung, die den Vorteil hat, feudal-bürgerlich und elitär ge­ wesen zu sein und sich in ihren vorwiegend restaurativen Tendenzen besser auf die Wirk­ lichkeit der Bundesrepublik zu reimen.“27 Im Speziellen betont Boehlich das Versagen der ­deutschen Justiz, die sich selbst nie entnazifiziert habe und auch deshalb die notwendige politische Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrechtssystem durch eine Reihe von verschleppten Einzelprozessen ersetzt habe, nicht selten sogar durch zivilrecht­ liche Verfahren, in denen fatalerweise die Nachkommen der Opfer als individuelle Kläger an der Stelle des wegsehenden Staates auftreten mussten: Das Recht der Gesamtheit wird an einzelne delegiert, das „entstellt den Staat, der ein Rechtsstaat sein soll, zum Rechtsmittel­ staat“, und diese Privatisierung des Unrechts „ist unerträglich, für die Juden sowohl wie für die Nichtjuden. Die Kinder und Enkel der Mörder sind keine Mörder mehr, die Kinder und Enkel der Opfer sollten keine Opfer mehr sein.“28 Diese Auseinandersetzung schlägt sich so­ wohl in sehr genauen Kommentaren zu einzelnen Prozessen nieder als auch in einer grund­ sätzlichen Auseinandersetzung mit dem Recht in der bürgerlichen Gesellschaft, wozu Boeh­ lich etwa einen langen Text über Walter Benjamins Kritik der Gewalt verfasst hat.29 Nicht zuletzt aus ihr schöpft Boehlichs Analyse der Erinnerungspolitik der Nachkriegszeit ihre Schärfe und Konkretion, die sie über bloß moralische Anklage hinaushebt. Boehlichs Analysen sind aber auch durch das andere oben betonte Moment so präzise: durch ihren Interventionscharakter, der sich nie in allgemeinen Urteilen erschöpfte, sondern immer konkret in Debatten eingriff. Das zeigt sich etwa an der Kontroverse um die Auffüh­ rung von Fassbinders Der Müll, die Stadt und der Tod, in die sich Boehlich mit mehreren Beiträgen einschaltete, die typisch für seine publizistische Strategie sind. Auch hier geht es ihm darum, die Dinge beim Namen zu nennen, er setzt also ein mit der Feststellung, dass Frankfurt tatsächlich durch Spekulation zerstört worden sei. Und weiter: „Es hat sich da­ 26 Vgl. zu letzterem: Walter Boehlich: Widerständler und ‚Rassegedanke‘. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 39 (1994) H. 9, S. 1045/46, hier S. 1045. 27 Walter Boehlich: Der verdrängte Antifaschismus. In: Deutsche Volkszeitung, 13. 10. 1977. 28 Walter Boehlich: Erbgut, Ms. aus dem Nachlass, geschrieben vermutlich 1979, S. 2, 3. Die Unfähigkeit der deutschen Justiz sei letztlich „Folge eines vollkommenen Fehlens einer politischen Komponente in der Auseinandersetzung mit dem Problem des organisierten Verbrechens, das auf keine Weise justitiell, sondern nur politisch gelöst werden kann“ (Walter Boehlich: Die Sprengung des Viehmarkts. In: Konkret (1979) H. 9, S. 44/45, hier S. 45). 29 Vgl. dazu: Recht und bürgerliche Gewalt bei Walter Benjamin. WDR – Kulturelles Wort, 24. 3. 1973, Sendemanuskript, das sich im Nachlass befindet.

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raus, daß an diesen sozialschädlichen Machenschaften auch Juden beteiligt waren, in Frank­ furt eine Art stiller Antisemitismus entwickeln können. Das ist schlimm. Es müßte davon geredet werden, offen, unverstellt, rücksichtslos – aber nicht so, daß der, der einen solchen Antisemitismus zitiert, ihn in der Figur des reichen Juden eher denunziert, ihn expressis verbis auf Bedingungen zurückführt, die von dem reichen Juden nicht geschaffen wurden, sondern nur von ihm benutzt werden, nun dessen geziehen wird, was er selbst verurteilt: des Antisemitismus.“30 Diese Äußerung ist typisch für Boehlichs Rhetorik: zunächst werden Tatsachen konstatiert, nicht nur die Tatsache der Spekulation, sondern auch die des Antise­ mitismus. An die Feststellung schließt dann die Forderung an, und auch sie ist zunächst rea­ listisch: eben nicht, ‚das darf nicht sein‘, sondern ‚darüber muss man reden‘. Und diese Nüchternheit gibt dann auch die Distanz, die man zum Urteilen braucht, einerseits zum Urteil über das Stück – das man doch wohl kaum als realistisch verstehen könne –, anderer­ seits über die Debatte. Sie erlaubt es einfache Fragen zu stellen: „hat Fassbinder den Antise­ mitismus erfunden, salonfähig machen wollen, oder ist der in seinen Grenzen alltäglich? Wem hilft es, wenn man die Augen vor ihm schließt? Den Juden oder den Nichtjuden?“31 Alle diese Fragen sind für Boehlich höchst real und diskussionswürdig – und damit auch politisch. Unreal wird die Debatte nur, weil diese Fragen eben nicht gestellt werden, und zwar nicht nur, weil sie ‚tabuisiert‘ sind, sondern weil es in der Diskussion, die doch ganz offensichtlich nicht von Fassbinders Stück handele, eigentlich um etwas anderes gehe, nämlich um die Konstruktion eines linken Antisemitismus: „Joachim Fest, dem wir eine eher naive Hitler-Biographie verdanken, ist der Meinung, Fassbinder sei ein Linker, die Lin­ ke besitze seit geraumer Zeit kein suggestives Feindbild mehr, sie bedürfe der Figur des ­anschaubaren Feindes, und da sei sie nun auf den Juden verfallen, Beweis für genuinen Links­ faschismus, Beweis für eklatanten Antisemitismus.“32 Die Paraphrase macht in ihrer Sim­ plizität deutlich, wie gezwungen hier die Tatsachen verdreht werden. Aber diese Verdrehung ist nicht neu, sondern steht in einer schrecklichen Kontinuität: „So systematisch, wie die Faschisten als potentielle Wähler in die Bundesrepublik integriert worden sind, so systema­ tisch sind die Kommunisten desintegriert worden. Die Bundesrepublik wurde, als sie gehen lernte, so antikommunistisch wie das Dritte Reich.“33 Der vermeintliche Philosemitismus, der sich hinter das Aufführungsverbot stellt, ist also politisch instrumentiert worden und stellt daher eine politische Gefahr dar.

30 Walter Boehlich: Linker Antisemitismus. In: Das Buch vom Verlag der Autoren 1969–1989. Beschrei­ bung eines Modells und seiner Entwicklung. Zusammengestellt von Peter Urban. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1989, S. 138–140, hier S. 140. 31 Boehlich: Frankfurt, Fassbinder und die Juden (wie Anm. 24). 32 Boehlich: Linker Antisemitismus (wie Anm. 30), S. 139. Ähnlich polemisiert Boehlich auch gegen Sebastian Haffners „Anmerkungen zu Hitler“, der ebenfalls einen linken Faschismus konstruiere, vgl. Walter Boehlich: „Mutti, erzähl uns vom Führer!“ Anmerkungen zu Haffner. In: Konkret (1978) H. 10, S. 12/13. 33 Walter Boehlich: Juden sind berührbar. In: Konkret (1976) H. 5, S. 47/48, hier S. 48.

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Immer wieder weist Boehlich auf diese Gefahr hin, es gibt bei ihm etwas, das man gera­ dewegs einen Philosemitismus-Verdacht nennen könnte und das ihn immer wieder – und gelegentlich in problematischer Weise – dazu bringt, die Verzerrungen des Sprechens über Juden zu kritisieren. So schaltet er sich etwa 1978 in den Streit über Christian Schultz-Ger­ steins Angriff auf Marcel Reich-Ranicki ein, den jener als „furchtbaren Kunst-Richter“ be­ zeichnet hatte, dessen Autorität von einem „Bonus der Leiderfahrungen“ zehre. Die breite Empörung, die sich daraufhin in der Öffentlichkeit erhob, sei typisch, so Boehlich in sei­ nem Aufsatz Antisemitismus oder Unbefangenheit, weil die Deutschen ihre Vergangenheit nie betrauert, sondern nur vergessen und verdrängt haben: „Wo immer sie mit der Nase auf das gestoßen werden, was nicht stimmt bei ihnen, beißen sie wild um sich, in die falsche Rich­ tung“.34 Wieder versucht er die Debatte zurecht zu rücken: Eigentlich spreche Schultz-Ger­ stein ja gar nicht von Reich-Ranicki, sondern von dessen Stellung in der Gesellschaft, er stelle nicht dessen Leiderfahrung in Frage, sondern kritisiere die wohlmeinenden Deut­ schen, für die jene Erfahrungen ein kulturelles Kapital seien: „Gibt es einen solchen Bonus aber, warum darf dann partout nicht über ihn gesprochen werden? Wessen Geschäfte erledi­ gen wir denn, wenn wir nicht einmal die Tatsache unseres gestörten Verhältnisses zu den Juden erwähnt wissen wollen?“35 Schließlich gehe es auch in dieser Debatte eigentlich um etwas anderes, nämlich um Reich-Ranickis apolitisches ästhetisches Programm, um den „Kritiker derer, die auch durch Literatur nicht verstört werden wollen“ und daher ‚ihren‘ Kritiker verteidigen.36 So richtig nun diese Argumente auch sein mögen, so gewollt scheint es doch, Schultz-Gerstein statt Antisemitismus ‚Unbefangenheit‘ zu attestieren, wenn man sieht, wie deutlich dessen Text mit antisemitischen Klischees spielt, sei es bewusst oder un­ bewusst. Nicht weniger irritierend ist aber auch Boehlichs eigene Position, die man hier an den Pronomen sieht: Boehlich spricht von unserem Verhältnis zu den Juden – seine eigene jüdische Geschichte wird dabei nicht nur verschwiegen, sondern geradezu verwischt. Offen­ sichtlich will er in einer Debatte, in der die Frage nach einem ‚Bonus der Leiderfahrungen‘ zumindest nicht verneint wird, auf keinen Fall einen eigenen Bonus in Anspruch nehmen; selbst wenn er direkt über das ‚Jüdische‘ schreibt, will er nicht als jüdisch identifiziert wer­ den. Auch dieses Verschweigen ist charakteristisch: In einem wichtigen Text Juden sind berührbar, ebenfalls im Kontext des Streits über Fassbinder, schrieb Boehlich: „Ganz offen­ sichtlich sind die wenigen unter uns lebenden Juden nicht integriert worden. Sie führen kein normales Lebens, sondern existieren unter dem Schutz einer Glasglocke, sie sind unberührbar.“37 Wieder spricht Boehlich von den Juden unter uns, und auch hier ist die Funktion dieser Wendung erkennbar: Boehlich will gerade nicht unter dem Schutz der 34 Walter Boehlich: Antisemitismus oder Unbefangenheit. Walter Boehlich zur Kontroverse um den Lite­ raturkritiker Marcel Reich-Ranicki. In: Der Spiegel, 2. 10. 1978. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Ebd., S. 48.

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Glasglocke schreiben, weil diese eben von der öffentlichen Debatte ausschließt. Denn die Unberührbarkeit hat dabei einen Doppelsinn. Auf der einen Seite sind die Juden unter der Glasglocke geschützt gegen Kritik – und es ist wohl auch diese Sicherheit, um nicht zu sagen Narrenfreiheit der deutschen Juden, die Boehlich an Broder so auf die Nerven ging. Unbe­ rührbarkeit evoziert aber auch eine andere, unheimlichere Bedeutung: die des Juden als ­Paria, der außerhalb der nichtjüdischen Gesellschaft lebt und durch unsichtbare, aber umso wirksamere Schranken von jeglichem Verkehr ausgeschlossen ist. Das hat eine lange Ge­ schichte schon während der Assimilation im neunzehnten Jahrhundert, in der sich gerade das jüdische Bildungsbürgertum von der sozialen Wirklichkeit, der jüdischen wie der nicht­ jüdischen abgeschottet habe, indem es Bildung und Besitz verband: Wie Boehlich an ande­ rer Stelle über Henriette Herz schreibt, könne man sich des Gefühls nicht erwehren, „dass da von einem Glashaus die Rede sei, daß der Herzsche Salon von der realen Welt abge­ schirmt gewesen sei“, und zwar nicht nur von der nichtjüdischen Welt, sondern auch von dem realen Elend der Juden.38 Wenn die Juden wieder zu politischen Agenten werden wol­ len, wenn es nicht nur wieder möglich sein soll, ‚über die Juden zu reden‘, sondern wenn die Juden auch selbst sprechen sollen, so muss diese Unberührbarkeit durchbrochen werden: „Die Deutschen müssen entdecken, daß die Juden berührbar sind, die Juden müssen selbst aus ihrer sie nur scheinbar beschützenden Glasglocke heraustreten, sich berühren lassen, Gleiche unter Gleichen werden, so traumatisch ihre Erinnerungen an das Volk ihrer Mörder auch immer sein mögen. Tun sie es nicht, werden sie noch generationenlang Vorurteile mo­ bilisieren. Das können sie nicht wünschen und auch die Nichtjuden nicht. Die Linken je­ denfalls wünschen es nicht.“39 Das ist kein naiver Aufruf zur Versöhnung oder zum Gespräch, sondern ein Versuch, wieder Bewegungsfreiheit zu gewinnen. Er beruht auf einem politi­ schen Urteil, das sich seinerseits durch Realismus und Offenheit auszeichnet, durch die Be­ reitschaft, Tatsachen anzuerkennen und zu benennen. Trotzdem hat auch dieser Appell irri­ tierende Züge, nicht nur weil am Schluss in einer Art Lastenumkehr gerade die Juden aufgefordert werden, sich zu bewegen und das Glashaus zu verlassen, sondern weil auch hier Boehlich von sich selbst beharrlich schweigt, und das in einem Kontext, wo seine eigene Position durchaus von Interesse gewesen wäre. Kann man über die Juden sprechen und gleichzeitig nicht darüber sprechen, Erfahrungen eines ‚Halbjuden‘ gemacht zu haben? Ist die fundamentale ‚Disproportionalität‘ im Gespräch über ‚die Juden‘ durch Schweigen auszuhebeln? Kann ‚Unbefangenheit‘ im Öffentlichen erzielt werden durch Befangenheit im Privaten, oder ist jene vielleicht gar notwendig, um den Einzelnen von seinem Zwang zu einer Identität zu befreien? In jedem Fall macht auch diese Äußerung deutlich, dass die Ma­ xime ‚Man muss über die Juden reden‘, so einfach und einleuchtend sie als Forderung scheint, alles andere als einfach umzusetzen ist.

38 Walter Boehlich: „Die klugen Weiber aus der Judenschaft“. Materialien zu einem Porträt der Henriette Herz. In: Süddeutsche Zeitung, 16./17. 2. 1985. 39 Boehlich: Juden sind berührbar (wie Anm. 33), S. 48.

Professor Heinrich von Treitschke vor seinen Hörern in der Berliner Universität 1879 Diese Grafik wurde für das Cover der Taschenbuchausgabe von Der Berliner Antisemitismusstreit verwendet.

Julius H. Schoeps

„Nicht rassistisch, sondern eher national“ Walter Boehlich und der Berliner Antisemitismusstreit

Am 15. April 1982 sendete der Westdeutsche Rundfunk ein von Walter Boehlich verfasstes dokumentarisches Hörstück, das den Titel Die Judenfrage vor 100 Jahren. Ein Streit an der Berliner Universität1 trug. Das Hörstück beginnt mit einer authentischen Geschichte, die einen Skandal zur Folge hatte. Zwei Berliner Gymnasiallehrer besteigen im November 1880 eine Pferdebahn, nehmen dort Platz und beginnen laut zu räsonieren, so dass es andere hören können, und zwar über den übermäßigen jüdischen Einfluss, der, wie sie meinen, eine Gefahr für Deutschland und die deutsche Kultur darstelle. Ein Fahrgast, der Destillateur Edmund Kantorowicz, Ohrenzeuge der Äußerungen, mischt sich in das Gespräch ein. Es kommt zu einer lautstarken Auseinandersetzung, in deren Verlauf Kantorowicz den einen der Philologen ohrfeigt. Dieser, darob erbost, fordert Kantorowicz zum Duell, was dieser zur Überraschung der Kontrahenten auch annimmt. Das Duell kommt jedoch dann nicht zustande, weil die beiden Gymnasiallehrer, wie es damals in ihren Kreisen üblich war, einen Juden nicht für satisfaktionsfähig hielten. Der Kantorowicz-Affäre wurde und wird vor dem Hintergrund der Agitation der ‚Berliner Bewegung‘ und der 1880/81 laufenden Antisemitenpetition große politische Bedeutung beigemessen. Walter Boehlich nutzt, wie schon eingangs gesagt, die Darstellung der Affäre als Einstieg in sein eigentliches Thema, die Schilderung der Hintergründe des Berliner Antisemitismusstreites, ein Thema, das ihn seit Mitte der sechziger Jahre beschäftigte und ihn seiner Zeit bewogen hat, eine Dokumentenauswahl zusammenzustellen und als Band 6 der von ihm betreuten sammlung insel herauszubringen.

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Walter Boehlich: Die Judenfrage vor 100 Jahren. Ein Streit an der Berliner Universität: Dokumentarisches Hörstück. WDR, 15. 4. 1982, [Sendemanuskript], 36 S. im Nachlass Walter Boehlichs in der Frankfurter Autorenstiftung.

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Heinrich von Treitschkes Ansichten Rekapitulieren wir. In einem Aufsatz Unsere Ansichten, erschienen 1879 in den Preußischen Jahrbüchern, hatte der Berliner Historiker Heinrich von Treitschke die berühmt-berüchtigte Formulierung „Die Juden sind unser Unglück!“ geprägt, die dann zum Schlachtruf der ­Antisemiten wurde.2 Die Juden nannte Treitschke in diesem Aufsatz eine „Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge“3 und bezeichnete sie als „deutsch redende Orientalen“.4 Des Weiteren war bei ihm die Rede vom „Erwachen des Volksgewissens“,5 von den „Jahrtausenden germanischer Gesittung“, auf die keinesfalls ein „Zeitalter deutsch-jüdischer Misch­cul­ tur“6 folgen dürfe. Treitschke war nicht der Erste, der Ansichten dieser Art vertrat. Seit der Reichsgründung, als mit ihr die Gleichstellung der Juden endgültig vollzogen zu sein schien, mehrten sich die Stimmen, die die Gleichstellung wieder rückgängig gemacht und die Rechte der Juden wieder beschränkt wissen wollten. Auf studentischen Versammlungen, Arbeiter-Demonstrationen und bei geselligen Professoren-Kränzchen wurde in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts gegen alles und jedes agitiert, was Juden und Judentum betraf. Einen ersten Höhepunkt in der Hetze und der antijüdischen Propaganda bildete eine dreizehnteilige Artikelserie, die in der Gartenlaube erschienen war, einer mit 375.000 Abonnenten damals führenden Familienzeitschrift im Deutschen Kaiserreich. Otto Glagau, der Verfasser, ein Journalist und im Rückblick drittklassiger Schriftsteller, bemühte sich in dieser Serie (Dezember 1874 bis Dezember 1875), die Juden für den allgemeinen Niedergang, vor allem aber für den „Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin“7 verantwortlich zu machen. Wenig später folgte die Germania, das Organ der katholischen Zentrumspartei, die ihre Leser aufforderte, Berichte an das Blatt einzuschicken, die vom Hass der Juden gegen das Christentum, ihrem Wucher und ihren Orgien zeugten. Und die Kreuzzeitung schließlich, das Blatt der protestantischen Hochkonservativen, folgte mit einer Reihe von Beiträgen, die den Juden die Schuld für all das zuschoben, was mit dem Kulturkampf, dem Materialismus und dem angeblich um sich greifenden Sittenverfall zusammenhing. Neben Otto Glagau erschienen noch andere Agitatoren auf der politischen Bühne wie zum Beispiel der Journalist Wilhelm Marr und der Hofprediger Adolf Stoecker, die der Bevölkerung in immer neuen Varianten einhämmerten, dass die Juden nichts anderes im Sinn

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Heinrich von Treitschke: Unsere Ansichten. In: Preußische Jahrbücher 44 (1879) H. 5, S. 559–576, hier S. 575. Ebd., S. 572. Ebd., S. 576. Ebd., S. 571. Ebd., S. 573. So war die Artikelserie betitelt, die von (1874) H. 49 bis (1875) H. 50 in: Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt erschien.

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hätten, als das deutsche Volk zu betrügen und „materiell und geistig“ auszubeuten.8 Die ­Juden, so erklärten sie, führten eine „parasitische Existenz“ und übten einen „demoralisierenden Einfluß“ aus. Würde dem nicht bald ein Riegel vorgeschoben, so würde das deutsche Volk über kurz oder lang an dem Einfluss der Juden zu Grunde gehen. Salonfähig machten den Antisemitismus allerdings nicht Dunkelmänner vom Schlage Glagaus, Marrs oder Stoeckers, sondern der damals angesehene Berliner Historiker Heinrich von Treitschke, der aus seiner antijüdischen Einstellung niemals ein Hehl gemacht hat. Treitschke, der Vertreter der borussisch-kleindeutschen Schule der Geschichtsschreibung, trug mit seinen Aufsätzen, Broschüren und Büchern, insbesondere mit seinem im Bürgertum vielgelesenen Geschichtswerk Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert9 ab Ende der siebziger Jahre zur Verbreitung antijüdischer Stereotype im Bildungsbürgertum bei. Die Anfang der 80er-Jahre geführte Debatte, von den Zeitgenossen „Treitschkestreit“ oder „Treitschkiade“ genannt, hatte eine hochgradig polarisierende Wirkung.10 Die Bezeichnung ‚Berliner Antisemitismusstreit‘, die sich für die damalige Debatte eingebürgert hat, ist erst neueren Datums und geht auf Walter Boehlich zurück, der seiner 1965 vorgelegten Auswahl von Quellen den Titel gab, der heute allgemein akzeptiert und den Sachverhalt durchaus treffend wiedergibt. Der Auslöser für Treitschke, den Aufsatz Unsere Aussichten11 zu schreiben, dem bekanntlich eine Reihe weiterer im Ton immer schärferer Stellungnahmen folgten, scheint die Lektüre von Heinrich Graetz’ einige Jahre zuvor veröffentlichem elften Band der Geschichte der Juden gewesen zu sein.12 Angeblich hat Treitschke die Lektüre von Graetz elftem Band so empört, dass er sich veranlasst sah, sich in der Öffentlichkeit mit Unsere Ansichten zu Wort zu melden. Heinrich Graetz, dem er „einen Todeshaß gerade wider die meisten und mächtigsten Vertreter germanischen Wesens von Luther bis herab auf Goethe und Fichte“ unterstellte, war für Treitschke das Feindbild schlechthin.13 Heinrich Graetz sah sich zu einer Antwort genötigt, in der er dem Doyen der damaligen Historikerzunft entgegenhielt, er habe eine „Anklage gegen die Gesammtjudenheit“ formu-

 8 Vgl. Julius H. Schoeps: Adolf Stoecker. Hofprediger und Volkstribun. Antisemitische Agitation im Kaiserreich. In: ders.: Über Juden und Deutsche. Historisch-politische Betrachtungen (=Gesammelte Schriften; Bd. 4), Hildesheim: Olms 2010, S. 245–248.   9 Heinrich von Treitschke: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. 5 Bde. Leipzig: Hirzel 1879–1894. 10 Der „Berliner Antisemitismusstreit“ 1879–1881. Eine Kontroverse um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation; kommentierte Quellenedition. Im Auftr. des Zentrums für Antisemitismusforschung bearb. von Karsten Krieger. 2 Teile. München: Saur 2003, S. VII. 11 Treitschke: Unsere Ansichten (wie Anm. 2). 12 Heinrich Graetz: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Bd. 11: Geschichte der Juden vom Beginn der Mendelssohnschen Zeit (1750) bis in die neueste Zeit (1848). Leipzig: Leiner 1870. 13 Treitschke: Unsere Ansichten (wie Anm. 2), S. 573.

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liert.14 Empört wies Graetz den Vorwurf zurück, er hätte sich „christenfeindlich“15 geäußert. In seiner Erwiderung in der Schlesischen Presse beschuldigte er den Berliner Historiker, Aussagen zu konstruieren, die er so nicht gemacht habe, nicht einmal in Andeutungen. Treitschkes Ausführungen, bemängelte Graetz, seien „missverständlich“,16 in Teilen „unverant­wort­ lich“17 und „illoyal“.18 Seine Erwiderung schloss Graetz mit der Feststellung, nicht er sei der Fanatiker, sondern Treitschke, der in seiner Besessenheit offensichtlich nicht wisse, was er mir seinen Einlassungen bewirke. Graetz irrte sich insofern, als Heinrich von Treitschke sich dessen sehr wohl bewusst war, was er vom Katheder verkündete. Treitschke war, wie Walter Boehlich zu Recht formuliert hat, ein Überzeugungstäter, der „um jeden Preis Recht behalten wollte“.19 Treitschke, zutiefst überzeugt von dem, was er in seinen Schriften behauptete, verkörperte eine von Selbstgefälligkeit und Sendungsbewusstsein bestimmte Einstellung, die im Universitätsbetrieb jener Jahre nicht selten war und, wie wir wissen, bei deutschen Professoren bis in unsere Gegenwart anzutreffen ist. Es ist noch gar nicht so lange her, dass der Berliner Historiker Ernst Nolte für einige Aufregung sorgte, als er die Behauptung aufstellte, die Juden seien selbst schuld an der Feindschaft, die ihnen entgegengebracht werde. Das erinnert an Treitschke ebenso wie die von einigen Historikern noch immer verdruckst vorgetragene Ansicht, Fragestellungen der deutsch-jüdischen Geschichte seien eigentlich keine Felder von zentraler Bedeutung und hätten bei der Veranstaltungsplanung für Geschichtsstudenten an deutschen Universitäten in den Hintergrund zu treten. Auf den Einwand, dass man das alles auch anders sehen könne, erklären Nolte wie auch so manch anderer seiner Zunftkollegen, die heute noch an deutschen Universitäten lehren, man würde sie bewusst missverstehen, so hätten sie es doch gar nicht gemeint. Sie ziehen sich auf die Behauptung zurück, und das erinnert fatal an Treitschke, sie seien in ihrem Denken und ihren Aussagen unbestechlich und vorurteilslos, und einzig und allein – was auch immer das heißen mag? – der ‚wissenschaftlichen Wahrheit‘ verpflichtet.

Die jüdischen und nichtjüdischen Antworten Aber zurück zu Treitschkes judenfeindlichen Schriften, von denen Walter Boehlich meinte, sie gehörten nicht in die Kategorie Radau-Antisemitismus, sondern eher in den Zusammenhang des verschämt daherkommenden Universitäts-Antisemitismus. Treitschke, so Boeh14 Heinrich Graetz: Erwiderung an Herrn von Treitschke. In: Schlesische Presse, 7. 12. 1879, zit. nach Walter Boehlich (Hrsg.): Der Berliner Antisemitismusstreit. Frankfurt/M.: Insel 1965, S. 25–31, hier S. 26. 15 Ebd., S. 28. 16 Ebd., S. 26. 17 Ebd., S. 28. 18 Ebd., S. 30. 19 Walter Boehlich: Nachwort. In: Berliner Antisemitismusstreit (wie Anm. 14), S. 237–263, hier S. 247.

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lich, wurde nicht erst Mitte der 70er Jahre zum Antisemiten, sondern war es bereits vorher. Bereits in seiner Habilitationsschrift von 1858 lassen sich antisemitische Bemerkungen feststellen.20 Das gilt auch für seine Briefe, in denen im Verlauf der Jahre sich zunehmend Ausfälle gegen die „Judenpresse“ finden, gegen die „semitische Schamlosigkeit“ und die „orientalische Unzucht“.21 Nun hat Boehlich eingewendet, Treitschkes Überzeugungen seien nicht wirklich rassis­ tisch, sondern eher national determiniert gewesen. Das mag grosso modo zutreffen, aber sieht man sich Treitschkes Einlassungen genauer an, dann kann man allerdings auch zu einem anderen Ergebnis als Boehlich gelangen, der sich im Nachwort zu seiner Auswahlsammlung insofern widersprüchlich äußert, als er meint, es hätte nicht wirklich in Treitschkes Absicht gelegen, den akademischen Frieden zu stören oder gar Stimmung gegen seine jüdischen Kollegen zu machen. Das haben die Zeitgenossen, insbesondere die jüdischen Professoren, Rabbiner und Journalisten, die sich in der Auseinandersetzung zu Wort meldeten, anders wahrgenommen. Der Rabbiner Manuel Joël, der Mediävist Harry Breßlau, der Völkerpsychologe Moritz Lazarus, der Philosoph Hermann Cohen oder die Politiker Ludwig Bamberger und Heinrich Bernhard Oppenheim haben Treitschkes Angriffe als bewusst geführte Attacken empfunden, auf sie persönlich gemünzt. In den Broschüren und Zeitungsartikeln, die sie im Zuge der Auseinandersetzung mit Treitschke veröffentlichten, betonten sie, und zwar unisono, die in Deutschland lebenden Juden fühlten sich voll und ganz als Deutsche und würden sich von den christlichen Deutschen nur durch die Verschiedenheit des Glaubens unterscheiden. Boehlich zitiert im Nachwort zu seiner Auswahlsammlung eine Anzahl jüdischer Stimmen, die sich sarkastisch bis spöttisch über Treitschke und seine Ausfälle äußerten. Die Durch­ musterung dieser Stellungnahmen zeigt, dass sie alle mehr oder weniger auf ihr Deutschtum bestanden und Wert auf die Feststellung legten, dass ihre Vorfahren seit der Römerzeit in Deutschland gelebt hätten, was man, wie die eine oder andere Stimme bissig bemerkt, nicht unbedingt von Treitschke und seinen Parteigängern sagen könne. Manuel Joël beispielsweise, wie schon gesagt, seines Zeichens ein Philosoph und Rabbiner, stellte spöttelnd die Frage: „Kann denn Herr von Treitschke angeben, wo seine Väter vor 1800 Jahren waren. Wollen Sie, Herr Professor, einen körperlichen Eid leisten, dass Sie ein wirklicher Nachkomme der Germanen sind, die einst in den deutschen Eichenwäldern gelebt?“22 Die Treitschke-Gegner setzten sich zwar wortreich gegen die infame Hetze des Berliner Historikers zur Wehr, fühlten sich aber gleichzeitig dessen Attacken hilflos ausgesetzt. Bert­ hold Auerbach, der seinerzeit sehr populäre Schriftsteller, ahnte, dass der Abwehr des Antisemitismus Grenzen gesetzt sein würden. In einem seiner Briefe, gerichtet an den namens20 Heinrich von Treitschke: Die Gesellschaftswissenschaft. Ein kritischer Versuch. Leipzig: Hirzel 1859. 21 Heinrich von Treitschke an Franz Overbeck, 17. 3. 1879. In: ders.: Briefe. Hrsg. von Max Cornicelius. 3. Bd. Leipzig: Hirzel 1920, S. 468. 22 Manuel Joël: Offener Brief an Herrn Professor Heinrich von Treitschke, zit. nach: Berliner Antise­mitis­ musstreit (wie Anm. 14), S. 13–25 , hier S. 20.

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gleichen Freund und Vertrauten Jakob Auerbach, klagte er: „Es ist zum Verzweifeln, in den Freiesten steckt ein Hochmuth und Widerwille gegen die Juden, der nur auf die Gelegenheit wartet, um zu Tag zu kommen“.23 Treitschke fand Unterstützung insbesondere bei denen, die eine Gleichstellung der Juden grundsätzlich für falsch hielten. Da war zum Beispiel ein gewisser Wilhelm Endner, der, eine Formulierung Stoeckers aufnehmend, unumwunden erklärte, die Juden sollten „etwas bescheidener und toleranter“ werden.24 Und ein Anonymus, der unter dem Sammelpseudonym Naudh (eigentlich Heinrich G. Nordmann) antisemitische Parolen verbreitete (es gäbe nur deutsch redende Juden, nicht aber jüdische Deutsche), ging sogar so weit, lauthals zu verkünden, der Abwehrkampf gegen die Juden sei eine Frage auf Leben und Tod. Es bestünde die Gefahr, so meinte er, dass die Deutschen „verjudeln“ würden,25 wenn nichts gegen den zersetzenden Einfluss der Juden unternommen würde. Unter seinen Universitätskollegen stand Treitschke nicht ganz so isoliert da, wie das Walter Boehlich behauptet hat. Es waren zugegebenermaßen nur drei Professoren (Heinrich Brunner, Karl Wilhelm Nitzsch und Herman Grimm), die sich öffentlich hinter Treitschke stellten, aber es dürften weit mehr gewesen sein, die mit Treitschke und seinen Ansichten, auch wenn sie sich nicht öffentlich äußerten, sympathisiert haben. An der Berliner Friedrich Wilhelm-Universität herrschte in jenen Jahren ein ausgesprochen antijüdisches Klima. Die Mehrzahl der Professoren verhielt sich angepasst und zeichnete sich nicht durch sonderlichen Mut und Zivilcourage aus, ähnlich der Situation ein halbes Jahrhundert später, als die Nazis an die Macht kamen und die jüdischen Professoren von ihren Lehrstühlen vertrieben wurden. Die Mehrheit der deutschen Professoren, ob in Berlin, München oder Hamburg, schwieg und schaute betreten weg, anstatt sich gegen die Maßnahmen der NS-Machthaber zu stellen. Boehlich spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die deutschen Professoren von Bismarck einer Art heimlicher ‚Gleichschaltung‘ unterworfen worden seien. Die Frage stellt sich, ob die von ihm gewählte Formulierung zutreffend ist. Bedurfte es dafür eines Bismarck? Ist es nicht eher so, dass sich die Professoren einem Prozess der ‚Selbstgleichschaltung‘ unterwarfen? Dafür könnte sprechen, dass in bestimmten Situationen der deutsche Professor ganz offensichtlich nicht einer Anweisung von oben bedarf, um auf Linie gebracht zu werden. Meist passt er sich dem herrschenden Zeitgeist an, und zwar ganz aus eigenem Antrieb.

23 Berthold Auerbach an Jakob Auerbach am 19. 3. 1880. In: ders.: Briefe an seinen Freund Jakob Auerbach. Bd. 2. Frankfurt/M.: Rütten & Loening 1884, S. 427. 24 Wilhelm Endner: Zur Judenfrage. In: Berliner Antisemitismusstreit (wie Anm. 14), S. 96–124, hier S. 103. 25 H. Naudh: Professoren über Israel. Von Treitschke und Bresslau. In: Berliner Antisemitismusstreit (wie Anm. 14), S. 180–202, hier S. 192.

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Theodor Mommsens Replik Im Berliner Antisemitismusstreit waren es nur wenige Nichtjuden, die sich gegen Treitschke stellten.26 An der Friedrich Wilhelm-Universität war es neben Johann Gustav Droysen, Rudolf (von) Gneist und Rudolf Virchow insbesondere der Althistoriker Theodor Mommsen, der sich, wenn auch etwas verspätet, dann aber vehement zu Wort meldete. In einer Reihe von Briefen und Zeitungsartikeln und Flugschriften erklärte er, Treitschke habe in den Preußischen Jahrbüchern nicht nur das „Evangelium der Intoleranz“27 gepredigt, sondern damit auch der Bewegung – und damit meinte er nicht nur den Antisemitismus, sondern auch den grassierenden Antiliberalismus – den „Kappzaum der Scham“ abgenommen.28 Durch seine Parteinahme wurde Mommsen über Nacht zu einem der Wortführer der fortschrittlich gesinnten bürgerlichen Kreise, die von Treitschkes Ausfällen peinlich berührt, mit dessen Obsessionen nichts zu tun haben wollten und sich von diesen abgestoßen fühlten. Der Grund dafür, dass er in diese Position kam, war wohl insbesondere seine Replik Auch ein Wort über unser Judenthum, in der er Treitschke vorwarf, der „rechte Prophet“ eines um sich greifenden Massenwahns zu sein, Unfrieden zu schüren und einen „Bürgerkrieg“ schlimmster Sorte in der Gesellschaft zu entfesseln.29 Sieht man sich Mommsens Einlassungen etwas genauer an, dann stellt man fest, dass es diesem in erster Linie nicht so sehr um die Bekämpfung des Antisemitismus ging, sondern mehr um die Verteidigung liberaler Positionen, die er durch Treitschkes Agitation bedroht sah. Boehlichs Bewertung der Rolle Mommsens bedarf deshalb einer gewissen Korrektur, insbesondere dort, wo es um bestimmte Akzentsetzungen geht. Mommsen zum Gegenpart Treitschkes zu stilisieren, wie Boehlich das getan hat, ist sicher durchaus zutreffend, aber doch mit einigen Fragezeichen zu versehen. Problematisch ist nämlich, dass Boehlich nicht erwähnt, dass Mommsen sich gar nicht so sehr von Treitschke in manchen seiner Stellungnahmen unterschieden hat. Mommsen war zweifellos kein Judenfeind, aber auch nicht das, was man einen Freund der Juden nennen könnte. Die Distanziertheit mancher seiner Äußerungen sprechen für sich. Die Juden, so meinte er zum Beispiel, seien ein „Element der Dekomposition“, problematisch für jeden Staat, insbesondere für den deutschen.30 Die Juden könnten, so meinte er, nur dann Freiheit und Gleichberechtigung erlangen, wenn sei sich der jeweiligen staatlichen Ordnung unterstellten. Sie hätten, und darin stimmte er weitgehend mit Treitschke überein,

26 Zu erwähnen ist insbesondere die sogenannte Notabeln-Erklärung vom 14. 11. 1880, die in der „Natio­ nalzeitung“ erschien und von 75 angesehenen Berliner Bürgern unterzeichnet worden war. 27 Theodor Mommsen: Brief an die Nationalzeitung, zit. nach: Berliner Antisemitismusstreit (wie Anm. 14), S. 208/209, hier S. 208. 28 Theodor Mommsen: Auch ein Wort über unser Judenthum, zit. nach: Berliner Antisemitismusstreit (wie Anm. 14), S. 210–225, hier S. 220. 29 Ebd., S. 214, 220. 30 Ebd., S. 217.

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ihre ‚Sonderart‘ aufzugeben und sich der deutschen Umgebungsgesellschaft anzupassen, am besten dadurch, dass sie die Taufe nehmen und zum Christentum übertreten. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn Boehlich in seinen verschiedenen Zugängen zur Deutung des ‚Berliner Antisemitismusstreites‘ die Vorgänge in den damaligen europäischen Zeitkontext eingeordnet hätte. Debatten über einen übermäßigen Einfluss der Juden gab es nämlich in jenen Jahren nicht nur in Berlin und in der deutschen Provinz, sondern auch anderswo. Judenfeinde vom Zuschnitte Treitschkes agitierten nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern und Regionen. Édouard Drumont beispielsweise hatte einen ähnlichen Einfluss in Frankreich wie Treitschke zur gleichen Zeit in Deutschland. Ein Sachverhalt, oder sagen wir besser ein Ereignis, das in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden sollte, ist die Dreyfus-Affäre, die etwas zeitversetzt stattfand, zirka zwanzig Jahre später Frankreich erregte. Vergleicht man deren Umstände mit denjenigen des Berliner Antisemitismusstreites, kommt man nicht umhin festzustellen, dass es in beiden Fällen eigentlich nicht so sehr um die sogenannte ‚Judenfrage‘, sondern eher um nationale Befindlichkeiten und den Versuch von Identitätskonstruktionen ging. Die Debatten, die sich an Falschbehauptungen oder an wilden Phantasiekonstrukten entzündeten, waren in der Regel verbunden mit einem behaupteten übermäßigen Einfluss der Juden. Das war in Frankreich nicht anders als in Deutschland. Die Begleitumstände der Auseinandersetzungen, an denen in beiden Ländern die besten Köpfe teilnahmen, ähneln einander in gewisser Weise. So waren beispielsweise die auf den Strassen vom Pöbel gegrölten Hetzparolen in beiden Ländern nahezu identisch, nur die Wortwahl war jeweils eine andere. In Deutschland war es der Schlachtruf „Die Juden sind unser Unglück!“, in Frankreich der Wutschrei der Massen auf den Strassen: „à mort, à mort les juifs!“31 Letztlich ging es in beiden Ländern nicht so sehr um die Zugehörigkeit der Juden zur deutschen beziehungsweise französischen Gesellschaft, sondern um den Bestand der als ‚Republique juive‘ denunzierten Republik in Frankreich und um die Bewahrung der erkämpften liberalen Freiheiten und Rechte in Deutschland. Der Unterschied in den Debatten, falls ein solcher überhaupt festgestellt werden kann, war eigentlich nur der, dass in Frankreich die ‚Dreyfusards‘ sich durchsetzten, diejenigen also, die von der Unschuld des Hauptmanns Dreyfus überzeugt waren, während in Deutschland die Treitschke-Gegner unterlagen, was dann zur Folge hatte, dass sich in der Bevölkerung eine Art „gutbürgerlicher Judenfeindschaft“ (Christhard Hoffmann) festsetzte. Walter Boehlich hat den Berliner Antisemitismusstreit nicht aus einer jüdischen Perspektive, sondern aus dem Blickwinkel eines deutschen Linken analysiert, der in dem von Treitschke losgetretenen Antisemitismus eine Gefahr für die damaligen liberalen Positionen erblickte. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass er Treitschkes Antisemitismus „nicht als ein isoliertes, erschreckendes Phänomen innerhalb einer sonst gesunden Gedankenwelt“ an31 Hierzu Julius H. Schoeps: Theodor Herzl und die Dreyfus-Affäre. Wien: Picus 1995, S. 9 ff.

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sah, sondern dass er dessen Ansichten als „eng verschwistert“ mit einer ganzen Fülle „anderer Antigefühle“ begriff. Letztlich heißt das, dass Boehlich Treitschkes Antisemitismus nicht nur als einen Angriff auf die Juden und das Judentum angesehen, sondern dass er diesen vor allem als einen Angriff „gegen den Liberalismus, gegen die Bildung, gegen den Sozialismus, gegen die Aufklärung, gegen den Unglauben, gegen die Strafrechtsreform, gegen den Mate­ rialismus, gegen die Emanzipation“32 gedeutet hat. In Deutschland stellten Auslösung und Verlauf des Antisemitismusstreites zweifellos das Abbild der von Ängsten, Unsicherheit und Verwirrung geprägten Bevölkerung des Kaiserreiches dar.33 Die Auseinandersetzungen reflektierten nicht nur die damaligen Probleme ­einer von schweren Identitätsproblemen geschüttelten Gesellschaft, sondern stehen auch für eine, wie Boehlich durchaus richtig erkannt hat, einsetzende Entwicklung, die wir heute zu Recht mitverantwortlich machen für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, den Niedergang der Weimarer Republik, den Aufstieg Hitlers und letztlich auch für Auschwitz und den Massenmord an den Juden.

32 Vgl. Boehlich: Nachwort. In: Berliner Antisemitismusstreit (wie Anm. 14), S. 245 33 Siehe Jacques Schuster: Der Berliner Antisemitismusstreit. Herausforderung und Antwort. Magisterarbeit, FU Berlin, o. D.

III. Literaturwissenschaft und Kritik an der Germanistik

Gutachten von Hans Wolffheim vom 24. Oktober 1945

Helmut Peitsch

Boehlichs Beitrag zur Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft

Mit dem Untertitel Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft erschien im März 1950 im vierten Heft des auf 1947–49 datierten 70. Jahrgangs1 der Zeitschrift für deutsche Philologie ein Aufsatz, über den Walter Boehlich am 7. Mai 1948 einem der Herausgeber geschrieben hatte: „Vor etwa einem Jahr sandte ich ein Manuskript über ‚Rudolf Unger‘ an die Redaktion der Zeitschrift. es [sic] handelte sich dabei um eine Arbeit, die bereits im jahre [sic] 1944 von Prof. Merker zum Druck angenommen worden ist. Das Manuskript ist in Breslau zurückgeblieben […]. Wenn Sie den Aufsatz nicht abdrucken wollen, möchte ich ihn zurück­ erbitten, um ihn an den Euphorion weiterzugeben, der ihn bei Erscheinen veröffentlichen würde.“2 Dass der Aufsatz erschien, der aus einer Seminararbeit für Paul Merkers im Som­ mersemester 1942 am Deutschen Institut der Universität Breslau abgehaltene Übung her­ vorgegangen war und der dem Verfasser als Nachweis seiner „ungewöhnlich gute[n] wis­ senschaftliche[n] Ausbildung“3 am 24. Dezember 1945 die Zulassung zum Studium am Literaturwissenschaftlichen Seminar der Universität Hamburg eingebracht hatte, könnte auf den ersten Blick als Beleg der These Wilhelm Voßkamps „für das Jahr 1945“ als „Dop­ pelheit von wissenschaftsgeschichtlicher Kontinuität und politischer Diskontinuität“4 ge­ nommen werden. Die These von der wissenschaftsgeschichtlichen Kontinuität ist in den letzten Jahrzehnten in den drei Richtungen der neueren Fachgeschichte – personen-, insti­ 1

2 3 4

Werner Besch, Hartmut Steinecke: Zur Geschichte der Zeitschrift für deutsche Philologie. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, Register zu den Bänden 1–100, Berlin: Schmidt 1988, S. 19–33, hier Anhang S. 36. Walter Boehlich-Bibliothek, Archivkasten Nr. 450. Gutachten von Hans Wolffheim. Im Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. Wilhelm Voßkamp: Literaturwissenschaft als Geisteswissenschaft. Thesen zur Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Deutschlandstudien international. 1. Dokumen­ tation des Wolfenbütteler DAAD-Symposiums 1988. Hrsg. Hans-Joachim Althof. München: Iudiciuum 1990, S. 221–228, hier S. 222/223. Vgl. auch die internationale Rezeption der These bei Pier Carlo Bontempelli: Knowledge, Power, and Discipline. German Studies and National Identity. Übers. v. Ga­ briele Poole. Minneapolis, London: University of Minnesota Press 2004 (=Contradictions; 19), S. 117– 143: The Break in Political Continuity and the Continuity of the Disciplinary Apparatus, 1945–1968.

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tutions- und methodengeschichtlich – verfolgt worden; gerade an der Hamburger Germani­ stik, zu der Boehlich von Breslau wechselte, haben sich Christa Hempel-Küter und HansHarald Müller zu zeigen bemüht, dass „Voßkamps These haltbar ist“:5 „trotz eines nahezu vollständigen Wechsels im Lehrpersonal nach dem Kriegsende gelang es in Hamburg, einen hohen Grad an Kontinuität zu wahren; und dies sowohl im institutionellen als auch im kon­ zeptionellen Bereich.“6 Boehlich konnte in dem zitierten Brief den Nachfolger Merkers in der Herausgeber­ schaft der Zeitschrift für deutsche Philologie mit der Zusage des künftigen Herausgebers des Euphorion zur Bestätigung der Druckannahme von 1944 veranlassen, denn in Hans Pyritz’ Oberseminar von 1948, „Probleme und Geschichte der Literaturwissenschaft“, an dem u.a. Walter Boehlich, Peter Wapnewski und Helmut Heißenbüttel7 teilgenommen hatten, war Rudolf Unger behandelt worden.8 Wie Wapnewski 1972 erinnerte, „empfand sich die Ham­ burger Germanistik wissenschaftsgeschichtlich (denn Pretzel hatte mittlerweile auch Pyritz nachgeholt) als Fortsetzung oder Fortsatz der großen Berliner Schule“.9 Ulrich Pretzel, der für Altgermanistik zuständige zweite Hamburger Ordinarius, dessen Oberseminar Boehlich und Wapnewski (mit Karl Ludwig Schneider und Ingrid Kohrs)10 gleichfalls besuchten, hob in seinen „Wissenschaftsgeschichtliche[n] Beobachtungen zu einhundert Jahrgangsbänden“ der Zeitschrift für deutsche Philologie kurz vor seinem Tod 1981 nur zwei der in 100 Jahren

  5 Christa Hempel-Küter, Hans-Harald Müller: Zur Neukonstituierung der neueren deutschen Literatur­ wissenschaft an der Universität Hamburg nach 1945. In: Wilfried Barner, Christoph König (Hrsg.): Zei­ tenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945. Frankfurt/M.: Fischer 1996, S. 19–34, hier S. 23. Vgl. etwas anders gewichtend zur Kontinuität der Berliner Schule: Wolfgang Höpp­ ner: Franz Koch und die deutsche Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit. Zum Problem von Kontinu­ ität und Diskontinuität in der Wissenschaftsgeschichte der Germanistik. In: Petra Boden, Holger Dainat (Hrsg.): Atta Troll tanzt noch. Selbstbesichtigungen der literaturwissenschaftlichen Germanistik im 20. Jahrhundert. Berlin: Akademie 1997, S. 175–192, hier S. 189.   6 Christa Hempel-Küter: Die Wissenschaft, der Alltag und die Politik. Materialien zur Fachgeschichte der Hamburger Germanistik. In: Petra Boden, Rainer Rosenberg (Hrsg.): Deutsche Literaturwissenschaft 1945–1965. Fallstudien zu Institutionen, Diskursen, Personen. Berlin: Akademie 1997, S. 1–33, hier S. 25.   7 Helmut Heißenbüttel: „Ich schreibe nicht weil“. In: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur (2006) H. 67, S. 198–200. Vgl. den Brief Boehlichs an Heißenbüttel vom 27. 9. 1981 im Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich.   8 Christa Hempel-Küter: Germanistik zwischen 1925 und 1955. Studien zur Welt der Wissenschaft am Beispiel von Hans Pyritz. Berlin: Akademie 2000, S. 182.   9 Peter Wapnewski: Germanist: Warum einer es wurde und wie. In: Siegfried Unseld (Hrsg.): Wie, warum und zu welchem Ende wurde ich Literaturhistoriker? Eine Sammlung von Aufsätzen aus Anlaß des 70. Geburtstags von Robert Minder. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972, S. 199–212, hier S. 210. Vgl. auch Peter Wapnewski: Mit dem anderen Auge. Erinnerungen 1922–1959. Berlin: Berlin Verlag 2005, S. 213/214. 10 Ebd., S. 209.

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erschienenen Nekrologe hervor, der eine war Boehlichs „geistvolle[…] Monographie“ über Rudolf Unger.11 Boehlichs Breslauer Lehrer war 1945 „infolge einer“ – beim Luftangriff auf Dresden erlittenen – „Rauch- und Phosphorvergiftung“ gestorben; zur Frage der Versorgung seiner Witwe hielt ein Schreiben des Kurators der Universität vom 6. 4. 1945 fest: „Sie ist jüdischer Mischling 2. Grades.“12 Merkers Verhalten zu dem rassistisch verfolgten Boehlich, der in der Zeit der Zwangsarbeit drei Rezensionen unter seinem Namen in den beiden von Merker ­allein herausgegebenen Jahrgängen 1943–45 der Zeitschrift für deutsche Philologie publizie­ ren konnte,13 entspricht einer beim Amt Rosenberg eingegangenen Denunziation: „‚Nach 1938 wegen seines Verkehrs mit Juden zur Rede gestellt, habe er entgegnet, früher zwar hätte er sich nie um Juden gekümmert, jetzt aber, wo sie so schlecht behandelt würden, glaube er zu ihnen besonders freundlich sein zu müssen‘“.14 In der konzeptionellen Verbindung von Philologie und Geistesgeschichte stimmte Mer­ ker mit Pyritz überein,15 der 1942 die Nachfolge des Haupts der Berliner Schule, Julius Petersens,16 mit der Forderung eines „‚Vorrang[s] des philologisch-genetischen Verfahrens‘ vor ‚geistesgeschichtlichen Schlüssen‘“17 angetreten hatte, während Merker seine 1921 als „sozial­literarisch“18 entworfene Methode schon 1926 in „geistesgeschichtlich“ umdefiniert hatte,19 aber diese weiterhin auch als „soziologische Betrachtungsweise“20 bezeichnen konnte. 11 Ulrich Pretzel: Die Zeitschrift für deutsche Philologie. Wissenschaftsgeschichtliche Beobachtungen zu einhundert Jahrgangsbänden. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, Register (wie Anm. 1), S. 9–18, hier S. 13. 12 Wojciech Kunicki: Germanistik in Breslau 1918–1945. Dresden: Thelem 2002, S. 54. 13 Vgl. Helmut Peitsch, Helen Thein: Walter Boehlich (1921–2006). „Wer nicht las, galt nicht“. In: Ines Sonder u.a. (Hrsg.): „Wie würde ich ohne Bücher leben und arbeiten können?“ Privatbibliotheken jü­ discher Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2008, S. 83–112, hier S. 109. 14 Alfred Rüffler: Die Stadtbibliothek Breslau im Spiegel der Erinnerung. Geschichte – Bestände – For­ schungsstätte. Sigmaringen: Thorbecke 1997, S. 219. 15 Wolfgang Adam: Die Zeitschrift „Euphorion“ in den Jahren 1950–1970. In: Boden, Rosenberg (Hrsg.): Deutsche Literaturwissenschaft (wie Anm. 6), S. 241–260, hier S. 243 zu Pyritz. 16 Vgl. zu Petersens „Programmatik“, Philologie mit Geistesgeschichte zu ‚versöhnen‘: Petra Boden: Julius Petersen: Ein Wissenschaftsmanager auf dem Philologenthron. In: Euphorion 88 (1994), S. 82–102, hier S. 94. 17 Ralf Klausnitzer: Blaue Blume unterm Hakenkreuz. Die Rezeption der deutschen literarischen Romantik im Dritten Reich. Paderborn u.a.: Schöningh 1999, S. 315. 18 Paul Merker: Neue Aufgaben der deutschen Literaturgeschichte. Leipzig, Berlin: Teubner 1921 (= Zeit­ schrift für Deutschkunde. Ergänzungsheft; 16), S. 48–65. 19 Paul Merker: Höltys Elegie auf ein Landmädchen. Die vier Wege des Literarhistorikers. In: Zeitschrift für Deutschkunde 40 (1926), S. 260–274, hier S. 271. 20 Paul Merker: Individualistische und soziologische Literaturgeschichtsforschung. In: Zeitschrift für Deut­ sche Bildung 1 (1925), S. 15–27, hier S. 23. Zu Merkers Weg von Karl Lamprecht zur Geistesgeschichte zurück und zu Kefersteins Abgrenzung seiner ‚volksbezogenen Literatursoziologie‘ von Merker vgl. Ger­ hard Kaiser: Grenzverwirrungen. Literaturwissenschaft im Nationalsozialismus. Berlin: Akademie 2008, S. 422, 431.

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Auch auf den zweiten Blick könnte also die im Erscheinen von Boehlichs Breslauer Auf­ satz über „de[n] eigentliche[n] Programmatiker einer geistesgeschichtlichen Literatur­for­ schung“21 sichtbare Kontinuität einer zeitweise dominierenden, aber auch heute noch gera­ de von Wissenschaftlern in der Rolle des Zeitzeugen vertretenen Auffassung von 1945 als Bruch widersprechen: „Dichtung als Sprachkunstwerk zu analysieren und der Literaturwis­ senschaft die Ermittlung ihrer besonderen Verfassung und Seinsweise als Hauptgegenstand zuzuweisen: So lautete ausgangs der vierziger Jahre die Devise zur Freisetzung der Germani­ stik von den Auslegungszwängen einer abgelegten Epoche“,22 erinnert sich Boehlichs späte­ rer, nämlich Bonner Kommilitone Eberhard Lämmert, aber auch das Siegener Forschungs­ projekt zum „semantische[n] Umbau der Geisteswissenschaften“ bringt dessen Verlauf nach 1945 auf das Schema: „Abkehr von der Geistesgeschichte […] Betonung von Werkimma­ nenz und Sprachkunstwerk“.23 Selbst Voßkamp, der Urheber der Kontinuitätsthese, mar­ kiert eine Zäsur, wenn er „– nach der Selbstdisqualifizierung im Dritten Reich – Literaturge­

21 Walter Boehlich: Rudolf Unger. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft. In: Zeit­ schrift für deutsche Philologie 70 (1947–49), S. 418–447, hier S. 420. Im Folgenden wird aus diesem Aufsatz mit Seitenangabe im Text zitiert. 22 Eberhard Lämmert: Käte Hamburger – Charakterzüge ihrer Wissenschaft. In: Johanna Bossinade, Ange­ lika Schaser (Hrsg.): Käte Hamburger. Zur Aktualität einer Klassikerin. Göttingen: Wallstein 2003, S. 15–27, hier S. 22/23. Vgl. auch die Zeitzeugin Ingrid Strohschneider-Kohrs in: Barner, König (Hrsg.): Zeitenwechsel (wie Anm. 5), S. 432/433. Walter Müller-Seidel dagegen widerspricht der „These“, Werk­ immanenz sei nach 1945 „Flucht aus der faschistischen Verstrickung“ gewesen, siehe Petra Boden: Re­ formarbeit als Problemlösung. Sozialgeschichtliche und rezeptionstheoretische Forschungsansätze in der deutschen Literaturwissenschaft der 60er und 70er Jahre – eine Vorbemerkung und drei Interviews. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 28 (2003) H. 1, S. 111–170, hier S. 121; die Abweisung der Kritik an der Werkimmanenz als Bruch mit der Geistesgeschichte beruft sich entweder auf eine vor 1945 angesetzte Kontinuität der Werkimmanenz oder auf eine solche der Geistes­ geschichte, die als ‚apolitisch‘ fortsetzbar gewesen sei und deshalb nach 1945 „dominant“ (S. 124) geblie­ ben sei, vgl. für das erste Verfahren: Holger Dainat: Anpassungsprobleme einer nationalen Wissenschaft. Die Neuere deutsche Literaturwissenschaft in der NS-Zeit. In: Boden, Dainat (Hrsg.): Atta Troll tanzt noch (wie Anm. 5), S. 103–126, hier S. 125/126, über die „gegen Ende der 30er Jahre vollzogene Wende zur werkimmanenten Interpretation“, mit der „das Fach auf den Übergang zur Nachkriegszeit vorberei­ tet“ gewesen sei; für das zweite Verfahren: Klaus Weimar: Geistesgeschichte. In: ders. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1. Berlin, New York: de Gruyter 1997, S. 678–681, hier S. 680, der der Geistesgeschichte zuschreibt, „auch nach 1933 konstant ‚apolitisch‘ geblieben“ zu sein und eine „konzeptionelle Distanz zur nationalsozialistischen Literaturwissenschaft“ besessen zu haben. Die kri­ tisch wertende ‚Flucht‘-These findet sich schon bei Jost Hermand: Synthetisches Interpretieren. Zur Me­ thodik der Literaturwissenschaft. München: Nymphenburger 1968, S. 140/141, und noch bei Hans J. Hahn: Kahlschlag und Dschungel in der deutschen Germanistik nach 1945. In: German Life and Letters 43 (1990), S. 246–266, hier S. 249: „Die Nachkriegs-Germanisten […] spielten die historische Zäsur nach 1945 herab und flüchteten sich aus der Historie in einen angeblich wertneutralen Formalismus.“ 23 Georg Bollenbeck: Das neue Interesse an der Wissenschaftshistoriographie und das Forschungsprojekt „semantischer Umbau der Geisteswissenschaften“. In: ders., Clemens Knobloch (Hrsg.): Semantischer Umbau der Geisteswissenschaften nach 1933 und nach 1945. Heidelberg: Winter 2001, S. 9–40, hier S. 31.

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schichte nach 1945 zunächst verdrängt“ sieht.24 Klaus Scherpe schließlich versöhnt Kon­tinuität und Zäsur, indem er die „Beschwörung eines Bruchs mit der Vergangenheit nichts anderes […] als eine eherne Befestigung der Kontinuität des Vergangenen“25 nennt und deshalb das bis 1950 „neu gewonnene Selbstvertrauen der westdeutschen Germanistik […] als ein in der Dichtung gegründetes ‚Seinsvertrauen‘ der Literaturwissenschaft“ dahingehend bestimmt, dass sie „nunmehr – nach den verschiedenen Fremdbestimmungen durch den Einfluß der Ideen- und Geistesgeschichte […] – endlich ihre Lektion gelernt habe, die Dichtung nur noch als Dichtung […] zu betrachten.“26 Scherpes Verallgemeinerung einer „‚reinen‘ Dichtungswissenschaft nach 1945“, in deren „militante[m] Antihistorismus“27 „antidemokratisches“28 „antimoderne[s] Denken“29 Konti­ nu­ität gehabt hätte, trifft so jedenfalls für Walter Boehlich nicht zu. Wenn Boehlich am Ende der einleitenden Passage seines Rudolf Unger schreibt, „daß es […] eine ‚reine‘ Literaturwissenschaft faktisch nicht geben kann“ (419), resümiert er nicht nur die Begründung, die er für die Auswahl Ungers aus der „Vielfalt der Methodenlehrer“ des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts gegeben hat, die durch „die Unterordnung der Literaturgeschichte unter eine andere Wissenschaft“ (genannt werden Naturwissenschaf­ten, Volkskunde, Psychologie, Kunstgeschichte und Soziologie) „fast alle“ „zu Ergebnissen für die Geschichte der Literatur“ beigetragen hätten, von deren Theorien und Methoden „nur wenige jedoch über ihr Maß an Zeitbedingtheit hinaus“ ‚uns‘ „bereichert“ hätten, „dann nämlich, wenn sie von wahrhaft bedeutenden Gelehrten gehandhabt wurden“ (419). Indem Boehlich in diesem Sinn Unger als den „Bahnbrecher“ „einer fortdauernden Vertiefung un­ seres wissenschaftlichen Arbeitens“ (419), der Geistesgeschichte als Unterordnung der Lite­ raturgeschichte unter die Philosophie, auswählt, markiert er zugleich seine „Einstellung“ als Verbindung „historischer Zuordnung“ und „kritischer Besinnung“ (420), um „einer Methode Bedeutung und Gefahren aufzuzeigen“ (419). Boehlichs Klage über die „be­schä­mend[e]“ ‚Armut‘ an „Wissenschaftsgeschichte“ in einem „Zeitalter, das eine so üppige methodo­lo­ gische Vegetation hervorgebracht hat“, bestimmt die Abgrenzung des eigenen Vorgehens vom „Nekrolog“ und in der Berufung auf Wilhelm Scherer, der von der Wissenschaftsge­ schichte „doch […] einmal gesagt hat, daß sie ihrem ganzen Umfange nach in die Literatur­

24 Wilhelm Voßkamp: Jenseits der Nationalphilologien: Interdisziplinarität in der Literaturwissenschaft. In: Lutz Danneberg, Friedrich Vollhardt (Hrsg.): Wie international ist die Literaturwissenschaft? Methodenund Theoriediskussion in den Literaturwissenschaften: Kulturelle Besonderheiten und interkultureller Austausch am Beispiel des Interpretationsproblems (1950–1990). Stuttgart, Weimar: Metzler 1996, S. 87–98, hier S. 87. 25 Klaus R. Scherpe: Die Moderne sollte vermieden werden. Westdeutsche Literaturwissenschaft 1945– 1950. In: ders.: Die rekonstruierte Moderne. Studien zur deutschen Literatur nach 1945. Köln, Weimar, Wien: Boehlau 1992, S. 1–22, hier S. 5. 26 Ebd., S. 11. 27 Ebd., S. 15. 28 Ebd., S. 20. 29 Ebd., S. 21.

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geschichte gehöre“ (419), die für Boehlich grundsätzliche Gleichsetzung von Literaturwis­ senschaft oder Literaturforschung mit Literaturgeschichte. Das Programm, das sich der Verfasser einleitend setzt: „ein Bild von Ungers Entwick­ lung, seines Wesens und seiner Stellung innerhalb der Literaturwissenschaft zu zeichnen“ (419), schlägt sich nicht im Aufbau des Textes nieder, denn Ungers Stellung in der Literatur­ wissenschaft wird in beiden Abschnitten, die durch drei Asterisken, die den Aufsatz fast in der Mitte zweiteilen (432), graphisch gebildet werden, wiederholt verhandelt, allerdings un­ ter wechselnden Aspekten. So werden auf den 28 ½ Seiten des Textes neun andere Vertreter der Geistesgeschichte ausgiebig herangezogen, um Ähnlichkeiten und Unterschiede zu bele­ gen: Herbert Cysarz (421, 428, 429, 435, 442), Oskar Walzel (424, 429, 431, 435), Fried­ rich Gundolf (439), Ernst Bertram (439), Hermann August Korff (441), Josef Nadler (424, 435, 442), Paul Kluckhohn (444), Walther Rehm (444), Fritz Strich (435). Besonders dicht sind die Bezugnahmen im ersten Teil, der ‚Entwicklung‘ und ‚Wesen‘ ‚zeichnet‘: „Ungers Entwicklung ist durchaus stetig verlaufen, im Sinne einer immer stärker werdenden Vergeistigung und einem immer tieferen Hinneigen zum Seelischen“ (432), während der zweite Teil am Maßstab der so konstruierten Kontinuität die Veröffentlichun­ gen Ungers kritisch erörtert. Boehlichs Darstellung (in der sich kein Wort über die Univer­ sitäten findet, an denen Unger lehrte, wohl aber die Verlage und Zeitschriften, wo er publi­ zierte, sorgfältig verzeichnet sind) folgt der Voraussetzung, dass Ungers Methode die Objek­­tivierung seiner Subjektivität sei: „Sobald er bei sich selbst angelangt ist, und dies ‚sich selbst‘, das wäre weitgehend ein durch Ungers persönliche Erlebnisschicht umgeformter Dilthey, vollzieht sich unstörbar und organisch seine weitere Entwicklung.“ (429) Gleicher­ maßen betont Boehlich das „persönliche[…] Innenleben“ Ungers wie dessen „Wille[n] zum Objektiven“ (427), wenn er die ‚Umformung‘ Diltheys durch Unger zur ‚Problemgeschich­ te‘ beschreibt: „Es war Dilthey, der die Erkenntnis von der in aller echten Dichtung enthal­ tenen Metaphysik des Lebens formulierte, der entsprechend in der Dichtung ein wichtigstes ‚Organ des Lebensverständnisses‘ sah.“ (421/422) Es geschieht in diesem Abschnitt, dass Boehlich die ansonsten konsequent vermiedene 1. Person Singular des Personalpronomens benutzt: „Das scheint mir das schönste Motiv seiner Wissenschaft überhaupt“, heißt es be­ kenntnishaft: Sie „entsprang einem religiösen Bedürfnis“ (430). Aber auch wenn Boehlich das Ich vermeidet, etwa in der Kommentierung eines aus dem Hamann-Buch zitierten „Bekenntnis[ses]“ Ungers zu einem „trübe[n] Warum“, ermöglicht die typologisch vorge­ nommene historische Zuordnung eine Identifikation des Verfassers mit seinem Gegenstand: „die Frage, warum der eine in gedankenvoller, mühebeladener Kleinarbeit zu seinen großen Werken aufsteigen muß, warum ihm das Schaffen qualvoll ist, während sich anderen so vie­ les von selbst gibt“, die Boehlich aus Ungers Gegenüberstellung entnimmt von „mühsame[r] Detaillierung der Spezialforschung“ und der ‚Leichtigkeit‘, „einige Leitgedanken und Haupt­ ergebnisse geschmackvoll, populär und vielleicht etwas sensationell zu[zu]richten“, ordnet er dem von Hermann Nohl konzipierten Generationstypus der „personalen Idealität“ zu: einem „Typus, dem Unger seiner ganzen Weltanschauung nach, seines unbedingten Erle­ bens der Welt und der Geschichte als Geist, zuzuordnen ist. Geist ist ihm letzte und höchste

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Bindung, auch weil der Geist ihm der letzte wissenschaftlich verfolgbare Kräftestrom schien.“ (423) Die typologische Zuordnung verweist auf eine zweite Voraussetzung von Kontinuität in Boehlichs Darstellung, die nicht mehr die individuelle Ungers ist, der in der geistesge­ schichtlichen Methode seine Subjektivität objektiviert, sondern eine überindividuelle, wie­ derum ‚Entwicklung von Wesen‘: „So oft Unger sich die Frage nach seiner geistigen Her­ kunft stellte, so oft auch hat er sich in jenen großen Entwicklungszug eingeordnet, der von Herder und Goethe über die Brüder Schlegel und Hegel zu Haym und Dilthey führt.“ (421) Diese ‚Entwicklung‘ entspricht für Boehlich nicht nur dem Unger zugeschriebenen „Erleb­ nis der Geschichte als einer bruchlosen, durch geistige Kräfte getriebenen Bewegung“, das in einem Zug mit seiner „Vorliebe für Zeiten der Verinnerlichung und Vergeistigung“ (421) genannt wird, sondern auch dem tatsächlichen Verlauf der deutschen Geistesgeschichte. Die Gleichsetzung von Methode und Untersuchungsgegenstand, für die Klaus Weimar der geis­ tesgeschichtlichen Germanistik insgesamt den Vorwurf gemacht hat, dass sie die „Ordnung der Erkenntnis zu Zwecken der Darstellung umkehrt und den personifizierten Synthesebe­ griff ‚Geist‘[…] grundsätzlich in die Position des grammatischen Subjekts versetzt und also als diejenige Instanz behandelt, die sich in den Texten ausdrückt“,30 zeigt ihre normativen, ideologischen Implikationen in dem Begriff, den Boehlich zwar in einfachen (423) und auch doppelten (427) Anführungszeichen, aber ohne eine Explikation dieser Distanzierung verwendet: ‚Deutsche Bewegung‘. Stattdessen betont Boehlich gerade die Kontinuität, die sich in der deutschen Literaturwissenschaft in dieser Konstruktion von Kontinuität in der deutschen Literatur zeige: „Wie es Dilthey darauf ankam, die innere Einheit der Epoche von Lessings Geburt bis zum Tode Hegels und Schleiermachers aufzuweisen, Gedanken, die in der Literaturwissenschaft bis auf Hettner und Scherer zurückzuverfolgen sind, so wurde dies Bemühen ausschlaggebend für Unger […]. Freilich für Dilthey war das nur ein Problem, das sich neben anderen stellte, nur ein Glied in der gesamten geistigen Entwicklung. Für Unger wurde es das Zentralproblem […]. Der Kern, um den die Vielheit seines Werkes kreist, ist die Romantik. Ihr Symbol ist Unger vor anderen Novalis, zu dessen Wesensdeutung ihn eine innere Verwandtschaft bewegt haben mag.“ (428) Gerade weil Boehlich ausdrücklich darauf hinweist, dass die Reduktion der deutschen Literaturgeschichte auf die ‚Deutsche Bewegung‘ Unger „neben anderen“ (428) mit Cysarz verbindet und „nicht allzuweit entfernt von Nadler“ (442), kann seine Formulierung, Unger „eignet […das] eigentümliche[…] Pathos, daß […ihm] die Literaturgeschichte Zentralwis­ senschaft vom deutschen Geiste war“ (420), nicht als Distanzierung verstanden werden, im Gegenteil, die subjektive Identifikation des Forschers mit seinem Gegenstand, des Literarhi­ storikers mit der ‚deutschen Bewegung‘ setzt sich fort. Die positive Bewertung buchstabiert Boehlich in der kritischen Bilanz von Gewinn und Verlust der Beschränkung auf die ‚deut­ sche Bewegung‘ aus, dass der „Verzicht“ auf „die deutsche Literatur vor 1700 überhaupt“ „unendlichen Gewinn gebracht“ habe: „Es gibt in der Geschichte der deutschen Literatur­ 30 Weimar (wie Anm. 22), S. 679.

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wissenschaft nicht viele Beispiele so eindeutiger Beschränkung, – nicht nur auf eine dafür aber meisterlich gehandhabte Methode, – sondern auch auf einen so eng abgegrenzten, nie überschrittenen Zeitraum.“ (428) Die Gewinn-und-Verlust-Rechnung wird im Resümee des Aufsatzes von Boehlich mit der einzigen Leseranrede in Form eines inklusiven Wir wie­ derholt: „Halten wir uns nochmals vor Augen: der Gewinn von Ungers Wirken […] für die Seelengeschichte Deutschlands ist gewaltig.“ (446) Wenn Boehlich die Übereinstimmung Ungers mit anderen Vertretern der Geistesge­ schichte in der kanonisierenden Konstruktion einer ‚deutschen Bewegung‘ so betont, stellt sich die Frage, worin er ihn von anderen abgrenzt. Mit negativer Bewertung erscheinen die­ jenigen Geistesgeschichtler, von denen Unger unterschieden wird, durchweg als Kollektivis­ ten, als Verfasser „namenloser Literaturgeschichten“: „Denn namenlos sind sie im Grunde alle, ob es sich um Nadlers stammesgeschichtliche, Strichs stilgeschichtliche, Korffs ideenge­ schichtliche, Schückings geschmacksgeschichtliche, um die morphologische Methode bei Walzel und Cysarz, die von Pinders Elan abhängige generationsgeschichtliche bei Wechßler und Petersen oder die sozialliterarische bei Merker und die psychogenetische bei Brügge­ mann handelt. […] Sie alle bedeuten tiefsten Grundes eine beispiellose Entindividualisie­ rung des geistigen Geschehens, gemessen an der bis dahin gültigen Anschauung.“ (434/435) Zur „Abwehr deterministisch-materialistischer Gedanken zugunsten des Schöpferischen“ beruft sich Boehlich in der einzigen Passage, die den Standpunkt des bewertenden Verfassers in einer Gegenwart verortet, auf Beiträge von Philologen zur Methodendiskussion der 1890er Jahre, von Gustav Roethe, dem Vorgänger Petersens in der Berliner Schule, und Ernst Elster, die er gegen die ‚Kollektivisten‘ zuspitzt: „die eigentlich schöpferische Leistung liegt im Um­ bilden, im Umsetzen von Fremdem zu Eigenem. Hier sind Punkte, an die heute wohl auch wieder angeknüpft wird oder doch werden sollte, nicht nur in der Literaturgeschichte übri­ gens“ (436). In diesem Sinne grenzt Boehlich nicht nur Ungers Hamann-Buch als „die erste wirklich […] seelengeschichtliche Monographie“ (440) von positivistischen Biographien wie von dem kollektivistisch-geistesgeschichtlichem ‚Glauben‘ ab, „daß die geistesgeschicht­ lichen Stufen von Sturm und Drang zur Romantik auch ohne Goethe gekommen wären“ (436), sondern setzt durchgängig Ungers methodisches Verfahren in eine Beziehung zur Philologie: „Es gibt keinen Bruch in der Geschichte, alle Entwicklung ist stetig, selbst eine Erscheinung, die im Kampf mit dem Zeitgeist steht, ist ohne Bedingungen und Vorge­ schichte nicht zu denken, wie sie selbst auch wieder Wirkungen auf Spätere ausübt und Vorgeschichte einer kommenden Stufe darstellt.“ (437) Boehlich gibt deshalb nicht nur an Unger „zu bedenken, welch enge Zusammenhänge zwischen seiner Geistesgeschichte und exakter Philologie bestehen“, sondern behauptet letztlich von Ungers Geistesgeschichte: „Sie ist auf weite Strecken Weiterbildung der Philologie, von oben her freilich; und es wäre reizvoll zu zeigen, wie etwa die Berliner Schule vom Philologischen her ihrerseits zur Geis­ tesgeschichte gelangen konnte.“ (422)31 31 Vgl. dagegen Bontempellis (wie Anm. 4), S. 77, Betonung der Differenz, um Ungers Zugehörigkeit zu den ‚Kulturwissenschaften‘ zu profilieren.

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Boehlichs Philologisierung der Geistesgeschichte Ungers könnte als eine jener „konstru­ ierten Kontinuitäten“ erscheinen, die in „diskursive[n] bzw. rhetorischen Strategien […] in engem Zusammenhang mit den institutionellen“ zu untersuchen, Mitchell G. Ash gegen die verbreitete pauschale Rede von „eine[r] ‚mühelose[n]‘ oder ‚bruchlose[n] Kontinuität‘“32 gefordert hat. Deshalb soll abschließend verglichen werden, wie sich Boehlichs Unger-Kon­ struktion einerseits zu der Unger-Kritik seines Breslauer Lehrers Paul Merker verhält, ander­ seits zu dem Unger-Bild in der Nachkriegsdiskussion über die postfaschistische Germanis­ tik. Boehlich, der die beiden bereits zitierten Arbeiten seines Lehrers von 1921 und 1925 mehrfach anführt (422, 434, 435), übernimmt nicht den zentralen Punkt von Merkers 1921 formulierter Kritik an Unger, er betreibe „im wesentlich individualistisch orientierte ideengeschichtliche Spitzenanalytik“, der zwei Einwände enthält: erstens schließe Unger die „Breiten und Tiefen des literarischen Lebens“ aus, zweitens klammere er „Komposition und Technik“ der literarischen Werke aus.33 Während der erste Einwand sich folgerichtig aus Merkers Konzeption von Literaturgeschichte als „Wissenschaft von der Geschichte des lite­ rarischen Lebens in Deutschland“ ergab, die sich nicht auf eine „Oberschicht“ vom Gegen­ wartsgeschmack bevorzugter Werke beschränken dürfe,34 stand der zweite Einwand in einer gewissen Spannung zu seiner heftigen, grundsätzlichen Ablehnung einer „Rückwendung zu formalistischen Gesichtspunkten“: „Man meint allen Ernstes eine Literaturwissenschaft von der bloßen Literaturgeschichte scheiden zu können“ und diese ‚Wissenschaft‘ auf „unmittel­ barem ästhetischen Genuß“ gründen zu dürfen,35 was für Merker das Feld der Kritik und des Feuilletons war.36 Boehlich geht ausdrücklich auf den zweiten Einwand ein, aber hin­ sichtlich des ersten nimmt er insofern für Unger Partei, als er nicht nur referiert: „Bisweilen tauchen soziologische Gesichtspunkte auf […], gereizt hat ihn das nie“, sondern das Desin­ teresse zustimmend als „sehr vornehm“ wertet, weil die Beschränkung auf Ideen „den Dich­ tungen und der Geschichte ja auch wirklich weniger Zwang angetan hat als etwa stammes­ kundliche oder soziologische Betrachtungen“ (424). Deshalb kann Boehlich den Vorwurf, dass Unger „nicht nur die formalen, sondern die eigentlich dichterischen Elemente in der Literatur weitgehend unberücksichtigt läßt“ (444/445), einen „mit Recht“ erhobenen (auch von anderen Zeitgenossen) nennen, aber nur kurz behandeln. Das gegensätzliche Verhalten zu den Einwänden Merkers verweist jedoch auf eine Gemeinsamkeit, die Konstruktion der ‚Deutschen Bewegung‘, denn auch Merkers literatursoziologische Geistesgeschichte setzte sich zum Ziel „ein auf tieferer sozialpsychischer Basis fundiertes und aus dem organischen

32 Mitchell G. Ash: Verordnete Umbrüche – konstruierte Kontinuitäten. Zur Entnazifizierung von Wissen­ schaftlern und Wissenschaften nach 1945. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 43 (1995), S. 903– 924, hier S. 914/915. 33 Merker (wie Anm. 18), S. 42. 34 Ebd., S. 46. 35 Ebd., S. 44. 36 Vgl. hierzu Kunicki (wie Anm. 12), S. 128.

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Werdegang aller Kulturregungen abzuleitendes Entwicklungsprinzip“37 der „nationalen Psyche“.38 In den meisten wissenschaftsgeschichtlichen Darstellungen der Nachkriegsdiskussion über die Germanistik spielen nur zwei außerhalb der vier Besatzungszonen veröffentlichte Aufsätze eine Rolle, und zwar die entscheidende, um zu belegen, dass sich „[d]ie Werkim­ manenz als Reflex auf die Geistesgeschichte, die der Wegbereitung für die nationalsozialis­ tische Germanistik beschuldigt wurde“,39 durchgesetzt habe. Karl Viëtors „machtvolles Verdikt“40 über die Geistesgeschichte 1945 in den Publications of the Modern Language Association und Kurt Mays Verordnung41 „eine[r] Art Diätkur des geschichtlichen, zumal des geistesgeschichtlichen Verstehens in unserer Literaturwissenschaft“42 1947 in der Schweizer Zeitschrift Trivium stimmten darin überein, dass der Literaturwissenschaftler es „zu tun ha­ ben [müsse] mit dem Inbegriff von dem, was uns im künstlerischen Erleben unvermittelt ergreift“,43 so May, und dass „der interpretierende Wissenschaftler es zunächst und vor allem mit dem künstlerischen Phänomen zu tun haben sollte“,44 so Viëtor. Während Viëtor ohne jede Bezugnahme auf den Faschismus die Unterordnung der zweitrangigen Literaturge­ schichte unter Interpretation als eigentliches Zentrum der Literaturwissenschaft begründe­ te: „die Interpretation […] wird wieder zur Haupt- und Grundkunst des Literaturwissen­ schaftlers. Literaturgeschichte aber rückt damit an die zweite Stelle“,45 ging May auf die Beziehung zwischen der als genetische Ableitung charakterisierten Geistesgeschichte und der vor 1945 „allgemein gültig[en]“ „völkische[n] Konzeption einer Geschichte der deut­ schen Literatur“ kurz ein: „eine ursprüngliche […] Volksart als der vorausgegebene Ur- und Wesensgrund, der sich – nach Ausweis der Geschichte deutscher Dichtung – im Ablauf der deutschen Geschichte schwankend, immer wieder gehemmt, schliesslich aber siegreich durchbrechend in die nationalsozialistische Wirklichkeit hinein offenbart“.46 Obwohl May im inklusiven Wir sich distanziert: „Heute dagegen wird niemand im Reich es wünschen oder wagen, eine allgemein verbindliche Aussage über den ‚deutschen Menschen‘ zu ma­ 37 38 39 40

Merker (wie Anm. 18), S. 52. Ebd., S. 63. Hempel-Küter (wie Anm. 8), S. 133. Vgl. Hahn (wie Anm. 22), S. 249. Frank Trommler: Geist oder Gestus? Ursprünge und Praxis der Geistesgeschichte in der Germanistik. In: Boden, Dainat (Hrsg.): Atta Troll tanzt noch (wie Anm. 5), S. 59–80, hier S. 60. 41 Gerhard Kaiser, Matthias Krell: Ausblenden, Versachlichen, Überschreiben. Diskursives Vergangenheits­ management in Deutschland nach 1945. In: Bernd Weisbrod (Hrsg.): Akademische Vergangenheitspoli­ tik. Beiträge zur Wissenschaftskultur der Nachkriegszeit. Göttingen: Wallstein 2002, S. 190–214, hier S. 202; vgl. auch Hempel-Küter (wie Anm. 8), S. 136; Klausnitzer (wie Anm. 17), S. 279. 42 Kurt May: Über die gegenwärtige Situation einer deutschen Literaturwissenschaft. In: Trivium 5 (1947), S. 293–303, hier S. 303. 43 Ebd. 44 Karl Viëtor: Deutsche Literaturgeschichte als Geistesgeschichte. Ein Rückblick. In: Publications of the Modern Language Association 60 (1945), S. 899–916, hier S. 914. 45 Ebd., S. 915. 46 May (wie Anm. 42), S. 294.

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chen, noch gar eine ganze Geschichtsdeutung und Kunstbewertung auf ihn und den zuge­ hörigen ‚deutschen Geist‘ zu gründen. Nach allen Erfahrungen mit uns selbst in der abge­ laufenen Epoche wehrt sich dagegen unser Instinkt“,47 benutzt er ohne Anführungszeichen ‚deutsche Bewegung‘, wenn er Ungers Hamann-Buch als eine (wie Gundolfs Goethe und Nadlers Literaturgeschichte) der „aus dem lebensphilosophischen Geist der deutschen Be­ wegung gezeugte[n] Grossleistungen geschichtsorganischer Betrachtung und Darstellung“48 nennt, um ihm dann ausschließlich „das vollkommene Unvermögen (oder die absolute Un­ lust?) zur vergegenwärtigenden Interpretation der in sich bündigen Einheit und Ganzheit des Werkes“49 vorzuwerfen. Auch bei Viëtor enthält die Unger-Kritik ex negativo das Pro­ gramm; Ungers Arbeiten lieferten als Motivsammlungen „eine kontinuierliche Entwicklung des spekulativen Denkens“ über fundamentalste Probleme, hätten aber „eine Seite des Ge­ samtphänomens Kunst isoliert“: „Nur eine Interpretation, die auf das Ganze des Kunst­ werks, die Zweieinheit von Idee und Gestalt gerichtet ist, kann ihm gewachsen sein.“50 Wenn May unter dem Leitwort Unmittelbarkeit Interpretation als einen Dienst am Werk forderte, der Geschichte „ins Unbewusste fallen“51 lasse, verbot Viëtor dem Interpre­ ten, „sich vom ästhetischen Phänomen und seiner Sphäre […] in den Gesamtraum der Ge­ schichte“ ‚fortzubewegen‘,52 um stattdessen im Werk „das zeitlos Gültige, das im Fluß der Geschichte Beharrende“53 zu finden, „die humanisierende[n] Werte großer Dichtung“ und „die ewigen Wahrheiten großer Dichtung“.54 Eine Einschränkung der Nachkriegsdiskussion auf Viëtor und May unterschlägt,55 dass Viëtors Verabschiedung der Geistesgeschichte in den USA nicht unwidersprochen geblieben war. Werner Richter, der 1941 in den Monatsheften geschrieben hatte: „Das letzte Ziel der ‚Literaturwissenschaft‘ […] ist die Literaturgeschichte, die wir nun geistesgeschichtlich zu definieren haben“,56 und Leo Spitzer, der 1944 in Arthur Lovejoys Journal of the History of Ideas die Geistesgeschichte gegen die „naturalistic and atomistic“57 History of Ideas vertei­ digt hatte, polemisierten gegen Viëtors Bestimmung der Literaturwissenschaft als „Interpre­ 47 48 49 50 51 52 53 54 55

Ebd., S. 295. Ebd., S. 298. Ebd., S. 299. Viëtor (wie Anm. 44), S. 904. May (wie Anm. 42), S. 301. Viëtor (wie Anm. 44), S. 915. Ebd., S. 915. Ebd., S. 916. Vgl. als Ausnahme von dieser Regel: Henry J. Schmidt: What is Oppositional Criticism? Politics and German Literary Criticism from Fascism to the Cold War. In: Monatshefte 79 (1987), S. 292–307, be­ sonders S. 300/301. 56 Werner Richter: Von der Literaturwissenschaft zur Literaturgeschichte. In: Monatshefte 33 (1941), S. 1–22, hier S. 9. 57 Leo Spitzer: ‚Geistesgeschichte‘ vs. History of Ideas as Applied to Hitlerism. In: ders.: Representative Es­ says. Hrsg. v. Alban K. Forcione u.a. Stanford: Stanford University Press 1988 [zuerst: 1944], S. 207– 221, hier S. 221.

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tation, die nicht das historisch Bedingte, sondern das Zeitlos-Gültige herauszuheben habe“.58 Richter berief sich ausdrücklich und ausführlich auf Unger, der für die „heute als Problemgeschichte oder als Geisteswissenschaft und Geistesgeschichte bezeichnete Arbeits­ weise“ „weiter ausgebaut“ habe, was die „Vorläufer“ „Danzel, Hettner, […] Haym und Dil­ they“59 geleistet hätten. Auch Spitzer, dessen schon 1945 erschienenen „Randbemerkungen“ zu Viëtor Richter „wichtige Anregungen“60 entnahm und der sich wiederum auf Richter bezog,61 griff den Anspruch der Interpretationskunst auf, ‚sub specie aeternitatis‘ zu inter­ pretieren. Spitzer deutete diesen Anspruch ins „Kosmopolitische“ um:62 „Es ist nämlich eine begreifliche, aber nicht immer notwendige Tatsache, daß die Nationalliteraturen immer wieder hauptsächlich von den Literaturforschern des betreffenden Landes behandelt worden sind, deutsche Literaturforschung vor allem von deutschen Forschern […]. Damit ist eine gewiß löbliche Zusammenarbeit mit den gleichzeitigen nationalen Dichtern im Sinn der Bewahrung der nationalen Denktradition oder Ideologie gegeben – aber es fehlt die ‚Kritik von außen‘, die Kritik dieser nationalen Tradition durch das Ausland“.63 Unter Hinweis auf die eigene vom US-Exil erzwungene Auseinandersetzung mit „hier bodenständigen Bewe­ gungen in Literatur- und Sprachwissenschaft“ stellte Spitzer einen Satz Viëtors in Frage: „‚Die positivistischen und marxistischen Entwicklungslehren kommen für uns wegen ihres materialistischen und mechanistischen Charakters nicht in Betracht‘, schreibt Viëtor kur­ zerhand. Aber wer ist hier mit ‚uns‘ gemeint: deutsche Forscher ‚im Exil‘ – oder deutsche Forscher, die hier Boden gefaßt haben – oder amerikanische Forscher? Es ist doch eine Tatsa­ che, daß positivistische und marxistische Gedankengänge dem Geiste der Mehrheit unserer Schüler und Leser hierzulande näherliegen als idealistisch-geistesgeschichtliche (ich verstehe unter ‚marxistisch‘ natürlich nicht die Annahme von Marxens politischen Ideen, sondern die Methodik des kausalen Erklärens von Geisteshaltungen aus materiellen oder sozialen Gegebenheiten – diese ist fast jedem Amerikaner eine unabweisliche Denkgewohnheit), daß Begriffe wie ‚Geist, Zeitgeist, Nationalgeist, Denkstil‘ etc. bei Behavioristen und Antimen­ talisten auf Mißtrauen stoßen […]. Obiger Satz Viëtor’s ist ohne Ansehung des Milieus, in dem der Forscher lebt, geschrieben, er schwebt gewissermaßen in edler Zeit- und Ortlosig­ keit – als ob ihm die deutsche Resonanz sicher wäre.“64 Folgerichtig argumentierte Spitzer in seinem von Werner Krauss eingeworbenen Beitrag zur Zeitschrift Die Wandlung, „Das Eigene und das Fremde. Über Philologie und Nationa­ lismus“ anders als in den USA, denn er wandte sich an diejenigen, die „in das Hitlertum 58 Werner Richter: Strömungen und Stimmungen in den Literaturwissenschaften von heute. In: Germanic Review 21 (1946), S. 81–113, hier S. 109. 59 Ebd., S. 107. 60 Ebd., S. 108. 61 Leo Spitzer: Deutsche Literaturforschung in Amerika (Randbemerkungen zu Karl Viëtors Aufsatz). In: Monatshefte 37 (1945), S. 475–480, hier S. 480. 62 Ebd., S. 475. 63 Ebd., S. 476. 64 Ebd., S. 477/478.

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hinein[geraten seien], das sie so gut ‚geistesgeschichtlich‘ verstanden“.65 Peter Jehle hat in seiner Krauss-Monographie das Objekt, das im Zentrum von Spitzers Analyse steht, „das Phänomen der doppelten Buchführung“ genannt: „Ein strenger philologischer Forscher­ geist koexistierte mit einem ‚ressentimentalen Alltags-Nationalismus‘.“66 Walter Boehlich hat bei seiner Umarbeitung des Manuskripts von 1944 im Frühjahr 1947 weder die Verabschiedung der Geistesgeschichte zugunsten der Interpretation noch die kosmopolitische Wendung der Geistesgeschichte zur Kritik des Nationalismus aufgegrif­ fen; stattdessen hat er in der Hamburger Akademischen Rundschau einen Verriss von Georg Lukács’ Goethe und seine Zeit veröffentlicht, über den er dem Mitherausgeber des Merkur Hans Paeschke aus Bonn schrieb: „Dass der Merkur Herrn Lukacs auch so unfreundlich be­ sprochen hat, machte mir viel Freude. Ich hatte meinen letzten Aufenthalt hier (im August) dazu benutzt, mich auch darüber herzustürzen.“67 Lukács’ Vorwort enthielt eine scharfe Infragestellung der geistesgeschichtlichen Kon­ struktion der ‚Deutschen Bewegung‘, die aus der Erfahrung des Faschismus begründet wur­ de. In seinem „Abriß jener entscheidenden Fragen“,68 die von der geistesgeschichtlichen Germanistik historisch falsch beantwortet worden seien, stand für die deutsche Literaturge­ schichte an erster Stelle die „Beziehung zur Weltbewegung der Aufklärung“, an zweiter der Mangel an „[S]tichhaltig[keit]“ für die „Opposition des Sturm und Drang zur Aufklärung“.69 Die Notwendigkeit einer Überprüfung der antiwestlichen, antiaufklärerischen Konstruk­ tion der deutschen Literaturgeschichte zu einer ‚Deutschen Bewegung‘ begründete Lukács mit Faschismus und Krieg und grenzte die „kritische Abrechnung“,70 die „in der Beurteilung der deutschen Kultur […] notwendig“ sei, doppelt ab, einerseits von einer „globale[n] Ver­ urteilung“ alles Deutschen, andererseits von einer „Generalamnestie“,71 die auf die „Abtren­ nung der Erscheinungen von dem gesellschaftlichen Boden, auf dem sie gewachsen sind“,72 hinauslaufe. Sein ‚tertium datur‘ brachte Lukács auf den Punkt: „sachlicher Radikalismus“ sei „nur auf dem Wege der historischen Konkretisierung erreichbar“.73 Im Ergebnis werde die kritische Abrechnung mit den in der deutschen Geschichte überwiegenden reaktionären ideologischen Tendenzen sich mit den progressiven Tendenzen Europas verbünden.74 65 Ebd., S. 479. 66 Peter Jehle: Werner Krauss und die Romanistik im NS-Staat. Hamburg, Berlin: Argument 1996, S. 193. Das Zitat: Leo Spitzer: Das Eigene und das Fremde. Über Philologie und Nationalismus. In: Die Wand­ lung 1 (1945/46), S. 576–594, hier S. 590. 67 DLA, A: Merkur/Paeschke, Brief Walter Boehlichs vom 18.10.1948. 68 Georg Lukács: Goethe und seine Zeit. Vorwort In: ders.: Faust und Faustus. Vom Drama der Menschen­ gattung zur Tragödie der modernen Kunst. Reinbek: Rowohlt 1967 [zuerst: Bern: Francke 1947], S. 7–16, hier S. 12. 69 Ebd., S. 13. 70 Ebd., S. 7. 71 Ebd., S. 10. 72 Ebd., S. 7. 73 Ebd., S. 10. 74 Ebd.

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In Boehlichs Rezension findet sich ein einziges Echo von Lukács’ Text: Er antwortet auf Lukács’ polemische Zuspitzung der ‚Generalamnestie‘ für ‚die deutsche Kultur‘ zu der Maxi­ me: die „politische Entwicklung der letzten Jahrzehnte darf unsere philosophischen und li­ terarischen Urteile in keiner Hinsicht beeinflussen“,75 indem er sie affirmiert: Sich zur deut­ schen Kultur zu bekennen „heißt nicht die deutsche Entwicklung des 20. Jahrhunderts bejahen“.76 Aus seiner deutschen Kultur schließt Boehlich nicht nur den Marxismus, son­ dern auch die vom Marxismus thematisierte ökonomische, soziale und politische Realität ausdrücklich aus: Deutsche Geschichte war für ihn Geistesgeschichte, so dass es über Lukács heißen konnte: „Er sucht in Deutschland Dinge, die es in Deutschland nicht gegeben hat.“77 Ironisierende Metaphorik soll ihm belegen, dass für den Marxisten, dessen „Kunst­fremd­ heit“78 von seiner Sprache verraten werde, gilt: „Literatur als Literatur zu betrachten, kann nicht seine Aufgabe sein.“79 Lukács ‚belebt‘ also die Literatur mit Klassenkampf,80 ‚über­ zieht‘ sie mit einem „Gespinst seltsam assoziierter ökonomischer Tendenzen“.81 Indem Boehlich Lukács’ Goethe und seine Zeit „genauso verdammenswert“ nennt „wie ähnliche Versuche des Dritten Reiches“,82 erklärt er ihn „verloren für ein Gespräch“,83 um sich selbst der Forderung einer kritischen Abrechnung zu entziehen: Lukács’ Buch sei „ab­ wegig“ für „Liebhaber der Literatur“ und „den historisch denkenden Menschen“.84 Als dieser historisch denkende Liebhaber der Literatur 1990 den Johann-HeinrichMerck-Preis erhalten sollte, schickte ihm sein Freund Peter Wapnewski den Entwurf der Laudatio. Über die Hamburger Studienzeit hieß es darin: „hier geriet Boehlich unter die Obhut letzter Ausläufer der sog. ‚Berliner Schule‘ der Germanistik“.85 Walter Boehlich er­ reichte die ersatzlose Streichung mit folgender Begründung: „zu beginn für meine ver­ schleierungsbedürfnisse zu persönlich. darf ich sie anflehen, die ersten drei seiten, ersatzlos zu streichen? weder das holzfällen noch die wehrunwürdigkeit noch mein verhalten als stu­ dent geht irgendjemanden irgendetwas an. das ist unsere privatgeschichte. dass ich hier und da und dort lehrer gehabt habe, versteht sich, dass es gute waren, hat mir geholfen – aber ist das so viele zeilen wert?“86

75 Ebd., S. 7. 76 Walter Boehlich: Georg Lukács: Goethe und seine Zeit. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948–50), S. 700–703, hier S. 703. 77 Ebd., S. 703. 78 Ebd., S. 702. 79 Ebd., S. 700. 80 Ebd. 81 Ebd. 82 Ebd., S. 703. 83 Ebd., S. 700. 84 Ebd., S. 703. 85 Archiv der Akademie der Künste Berlin, Bestand Wapnewski, Sign. 31, Peter Wapnewski: Laudatio auf den Johann-Heinrich-Merck-Preisträger Walter Boehlich, S. 2. 86 AdK, Bestand Wapnewski, Sign. 31, Brief von Walter Boehlich an Peter Wapnewski vom 6. 10. 1990.

Exemplar der Dissertation von Ernst Robert Curtius in der Bibliothek Walter Boehlichs, Signatur Boe 1104

Peter Jehle

Philologie und Emanzipation Zum Verhältnis von Walter Boehlich zu Ernst Robert Curtius

„mich von dem muff wenigstens der germanistik zu befreien“1 Es ist kein bloßer Topos der Lobrede, wenn im kurzen Vorwort zur gemeinsam mit Max Rychner herausgegebenen Freundesgabe für Ernst Robert Curtius zum 14. April 1956 der ­Geehrte ein „ihnen tief Zugehöriger“ genannt wird. In Boehlichs Bibliothek bilden die Bücher von und über Curtius eine eigene Abteilung. Von „keinem Literaturwissenschaftler und von keinem Literaturkritiker“ hat er „auch nur annähernd so viele Bücher wie von dem Bonner Romanisten“.2 Dass er das meiste nicht nur gelesen, sondern tatsächlich in Bausteine für die Konstruktion seines Selbstverständnisses als Literaturwissenschaftler und -kritiker verwandelt hat, soll im Folgenden gezeigt werden. Dabei wird auch deutlich werden, dass sich Boehlich seit den 1960er Jahren aus der Curtiusschen Abschottung gegen Soziologie und Politik herausarbeitet: Indem er die Wissenschaftsgeschichte in einen Zusammenhang mit der politischen und Gesellschaftsgeschichte stellt, zieht er die bei Curtius gelernte philologische Strenge aufs Feld gesellschaftlicher Emanzipation. Der Weg, auf dem er dem ‚Muff der Germanistik‘ zu entkommen sucht, führt nicht zufällig über Curtius. In der postfaschistischen Bundesrepublik verkörpert dieser die Europäisierung der Literaturforschung, wie sie im Titel seines 1948 erschienenen Hauptwerks, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, zum Ausdruck kommt. Noch ein zweiter Punkt dürfte für den jungen Boehlich entscheidend gewesen sein: Wie kaum ein anderer verband Curtius, nachdem er die akademischen Qualifikationsschriften absolviert hatte, die gelehrte Beschäftigung mit Literatur mit aktuell-eingreifender Literaturkritik. Damit stellte er das traditionelle Selbstverständnis des Gelehrten, der den Ritus seiner Wissenschaft in vermeintlich idealer Abgehobenheit von 1 2

Brief von Walter Boehlich an Helmut Heißenbüttel vom 27. 9. 1981, Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich. Helmut Peitsch, Helen Thein: Walter Boehlich (1921–2006). „Wer nicht las, galt nicht.“ In: Ines Sonder u.a. (Hrsg.): „Wie würde ich ohne Bücher leben und arbeiten können?“ Privatbibliotheken jüdischer Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2008, S. 83–112, hier S. 91.

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der Aktualität zu betreiben hat, in Frage. Die gespaltene Rezeption seines 1919 erschienenen Buches, Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich, belegt es: Während in den romanistischen Fachzeitschriften meist negative Besprechungen auftauchten, fand es in der Tagespresse breite Zustimmung.3 Noch das mit einem umfangreichen wissenschaftlichen Apparat armierte Hauptwerk „wendet sich nicht nur an Gelehrte, sondern auch an Liebhaber der Literatur“.4 Er selbst hat sich als solcher verstanden. Nicht als Professor, sondern als „deutscher Schriftsteller“ protestierte er 1949 gegen Jaspers’ Goethekritik, um als solcher für sich das Recht in Anspruch zu nehmen, „publizistische Waffen zu gebrauchen“.5 Die literarische Kritik gilt ihm als eine „sozialhygienische Notwendigkeit“ der Filtrierung der Büchermassen, der er eine den drei Grundformen des Schreibens – Lyrik, Roman, Drama – „gleichwichtige Funktion“ beimisst.6 Aus der Verbindung von Philologie und Kritik resultiert Curtius’ spezifischer Umgang mit Literatur: „nämlich nie so, dass er noch ein kleines, neues Steinchen zu ihrer gelehrten Interpretation beitragen wollte, sondern immer so, dass jedermann bemerken konnte, in welchem Maße er unmittelbar auf das Gelesene reagierte, so eben, dass ein Werk der Literatur bei aller auf seine Erklärung gewandten wissenschaftlichen Methode nie aufhörte, ein Werk der Literatur zu sein“.7 Curtius faszinierte als Grenzgänger, der Ansehen errungen hatte; als Nonkonformist, der aus seinem Konservatismus kein Hehl machte; als Stilist, der auf Nachlässigkeit reagierte, als sei sie eine persönliche Beleidigung.

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Vgl. die Rezension von Wilhelm Friedmann, in: Die Neueren Sprachen 28 (1921), S. 368–371. Curtius’ „Rückblick 1952“, in dem er sich zur Rezeption seines Bestsellers äußert, bringt ein längeres Zitat aus Friedmanns Artikel, den er ohne Umschweife dem romanistischen „Zunftgeist“ zuordnet (Ernst Robert Curtius: Französischer Geist im zwanzigsten Jahrhundert. 2. Aufl. Bern, München: Francke 1960, S. 524). Claudine Delphis hat in ihrer vorzüglichen Studie über Friedmann auf diese „falsification“ hingewiesen, die Friedmann zum „bouc émissaire“ eines Establishments macht, „dont il n’a jamais fait partie“ (Claudine Delphis: Wilhelm Friedmann (1884–1942). Le destin d’un francophile. Leipzig: Universitätsverlag 1999, S. 34). Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Vorwort zur zweiten Auflage. Bern: Francke 1953, zit. n. der 10. Aufl. 1984, S. 9 (künftig zit. ELLMA). Zit. n. Rudolf Walter Leonhardt: Curtius als Journalist. In: Ernst Robert Curtius. Werk, Wirkung, Zukunftsperspektiven. Hrsg. v. Walter Berschin u. Arnold Rothe. Heidelberg: Winter 1989, S. 11–17, hier S. 13. Ernst Robert Curtius: Büchertagebuch. Mit einem Nachwort von Max Rychner. Bern, München: Francke 1960, S. 29. Walter Boehlich: Philologie in finsteren Zeiten. Zum 100. Geburtstag von Ernst Robert Curtius. Norddeutscher Rundfunk, Manuskript der Sendung v. 22. 4. 1986, S. 2.

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I Boehlichs Aufenthalt in Bonn – von 1947 bis 1951 ist er Curtius’ Assistent – wird zum Bildungserlebnis. Die Erstellung des Sach- und Wörterverzeichnisses für das eben erwähnte Hauptwerk wird zur Einübung in die Arbeitsweise, die ihm hinfort als Leitfaden dient: Philologie statt geistesgeschichtliche Konstruktion, europäische Literatur statt germanische Wurzelgeschichte. Zwar hat er sich damit nicht den offiziellen Dank des Meisters verdient – der Band enthält keinerlei Hinweis auf seine Mittäterschaft –, doch ein in Boehlichs Biblio­ thek überlieferter Sonderdruck8 trägt die Widmung: „dem aufopfernden Registrator! ERC Juli 48“, und ein paar Monate später folgt der fertige Band mit einer ähnlichen Widmung: „für Walter Boehlich, den ‚Registrator‘, mit herzlichem Dank ER Curtius Nov. 1948“. Der „Registrator“ findet sich auch in Curtius’ Dissertation, die dieser ihm offenbar geschenkt hat: „Herrn Registrator Boehlich z. fr. Er. überreicht vom Verfasser. 4. Mai 1948“. Curtius evozierte damit die Periode der Zwangsarbeit, die Boehlich aufgrund seiner jüdischen Herkunft in Breslau als „Registrator“ im Archiv einer Baufirma leisten musste.9 Erst in der letzten Widmung vom November 1948 wird das Wort mit der Zange der Anführungszeichen angefasst – Curtius scheint sich darüber klar zu werden, dass die Produktion eines „Regis­ ters“, welches das Netz der Begriffe und des darin zirkulierenden Denkens tatsächlich abzubilden vermag, nicht nur ein Registrieren dessen, was ist, sondern eine konzeptive Anstrengung verlangt. Wie die penetrant sich wiederholende Anspielung, die der geleisteten Arbeit ganz unangemessen war, auf den Assistenten wirkte, wissen wir nicht; sie scheint der Verehrung des berühmten Mannes keinen Abbruch getan zu haben. Helmut Peitsch und Helen Thein sind der Auffassung, dass Boehlichs vor 1945 in der Zeitschrift für deutsche Philologie erschienene Rezensionen noch „die Übereinstimmung des Ausgeschlossenen mit der in Nazi-Deutschland dominierenden Germanistik“10 zeigen. Sie stützen sich dabei u.a. auf dessen Kritik an Pietsch-Eberts Buch über die Gestalt des Schauspielers, in dem „hätte gezeigt werden müssen, wie den geistesgeschichtlichen Strömungen der Aufklärung, des Sturmes und Dranges und der Klassik die gleichen Erscheinungen in der Theatergeschichte entsprechen“.11 Bekundet sich in der Rede von den „geistesgeschichtlichen Strömungen“ bereits der von Eberhard Lämmert beobachtete „Höhenflug geistesgeschichtlicher Synthesen“, die Verheißung von „Erleuchtung statt Erkenntnis“ – eine Haltung, die ganze „Zonen des reflektierenden Umgangs mit zeitgenössischer Literatur nahezu

  8 Bonner Gedenkworte auf Friedrich Diez: zum 15. März 1944. In: Romanische Forschungen 60 (1948) H. 3, S. 389–410.   9 Vgl. Peitsch, Thein (wie Anm. 2), S. 84. 10 Ebd., S. 90. 11 Walter Boehlich (Rez.): L. Pietsch-Ebert, Die Gestalt des Schauspielers auf der deutschen Bühne des 17. und 18. Jh.s, Berlin 1942. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 68 (1943/44), S. 244–247, hier S. 245.

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völlig“ ausschloss und so bei „absoluten Wert- oder Unwertvorstellungen“ landete?12 Solche Wertvorstellungen waren Boehlichs Sache auch vor 1945 nicht; im Verlangen, den Dingen auf den Grund zu gehen, urteilt er nicht zu Unrecht, dass die Beschränkung der Verfasserin auf „lediglich drei Schauspieler […] der geschichtlichen Mannigfaltigkeit gegenüber“ versagen muss und dass „die mannigfachen ethischen wie erzieherischen, sozialen wie soziologischen Probleme des Theaters“13 hätten erörtert werden müssen. Wenn Boehlich in diesem Zusammenhang etwa von der Aufklärung als einer „geistesgeschichtlichen Strömung“ spricht, dann ist damit noch nicht gesagt, dass die Aufklärung unabhängig von ihrem geschichtlichen Ort als Ausdruck eines geistigen Wesens zu fassen wäre. Die seit Nietzsche14 gang und gäbe Überzeugung der Geistesarbeiter, dass die eigentliche Geschichte sich zwischen ihnen selbst abspielt, die Geistesgeschichte mithin wesentlich im Medium des Geistes großer Männer betrieben werden muss, hat sich in der Tat als nicht besonders wehrhaft erwiesen, als ‚der Geist‘ im allgemeinen sich auf den ‚germanischen‘, den ‚deutschen‘, schließlich den ‚völkischen‘ Geist verengte. „Die Geistesgeschichte“, schreibt Hans Robert Jauß in seinem berühmten Aufsatz von 1967, „ließ sich in Deutschland in die Vorbereitung und Begründung der völkischen Literaturwissenschaft des Nationalsozialismus hineinziehen“.15 Tatsächlich ist, was Jauß im Bild einer Nicht-Aktivität fasst, Ergebnis eines in den zwanziger Jahren sehr aktiv betriebenen Aus- oder Umbaus der Geistesgeschichte, die ihre ,Einheit‘ nicht mehr nur negativ, als Absage an den Positivismus, sondern positiv zu bestimmen suchte. Die Wissenschaftler selbst, Germanisten nicht weniger als Romanisten und Anglisten, waren mit dem ,Hineinziehen‘ beschäftigt – in Richtung einer ,Wesenskunde‘, die aus der Gegnerschaft zu Frankreich und England ihre raison d’être schöpfte. Dass Boehlich bei diesem Hineinziehen aktiv beteiligt gewesen wäre, lässt sich der dürftigen Materialbasis dieser drei Rezensionen nicht entnehmen. Im Gegenteil, er beziffert die Klugheit eines der rezen­sierten Werke eben darauf, dass „vereinfachende Formeln wie Rationalismus und Irrationalismus“ vermieden werden, und moniert lediglich, dass die „geistesgeschichtliche Ursache“ der „Andersartigkeit“ von Herder und Lessing nicht behandelt werde16 – eine Forderung, die wiederum eher den Zug zum Grundsätzlichen dieses Geistes, weniger die Zugehörigkeit zum Paradigma einer Denkweise zum Ausdruck bringt, die sich für die Literaturgeschichte als Manövergebiet des zu ertüchtigenden ‚deutschen‘ Geistes interessierte. 12 Eberhard Lämmert: Marbacher Impulse für die Geschichte der Germanistik. In: Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1910 bis 1925. Hrsg. v. Christoph König u. Eberhard Lämmert. Frankfurt/M.: Fischer 1993, S. 9–20, hier S. 19. 13 Boehlich: Pietsch-Ebert (wie Anm. 11), S. 245. 14 Nietzsche hat die „wahrhaft reale ‚Geschichte‘ eines Volkes“ als eine „unsichtbare Brücke von Genius zu Genius“ beschworen (Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Bd. 7: Nachgelassene Fragmente 1869– 1874. Hrsg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. München, Berlin: dtv 1980, S. 417). 15 Hans Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. In: ders.: Litera­ turgeschichte als Provokation. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974, S. 144–207, hier S. 153. 16 Walter Boehlich (Rez.): Harald Henry: Herder und Lessing. Umrisse ihrer Beziehung. Würzburg 1941. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 68 (1943/44), S. 188/189.

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Dennoch wird in den Arbeiten vom Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre ein neuer Ton hörbar. Regelmäßig taucht jetzt die Forderung nach historisch-kritischer Darstellung der Fakten auf. Fritz Strichs Buch über Goethe und die Weltliteratur hält er bereits im Ansatz für verfehlt, weil eine Bestimmung, was der Begriff der Weltliteratur bei Goethe spezifisch bedeutet, unterbleibt. So kommen „vier für Goethe entscheidende Literaturen“ in dem Buch nicht vor: „die jüdische (also die Bibel), die griechische, die lateinische und die deutsche“; sie auszuschließen, „ist ein Unding“.17 Es hängt dies nach Boehlich damit zusammen, dass nicht deutlich unterschieden wird zwischen „Goethes Aneignung der Weltliteratur“, also seiner „literarischen Kritik“, und „der Aneignung Goethes in der [Weltliteratur]“,18 also seiner Wirkungsgeschichte. Nicht nur war das „historische Denken“ noch nie Strichs „Stärke“, er hat „individuelle Erlebnisse in ein System gezwängt, das beleidigend platt ist. Englands Literatur weckt, Italien bildet, Frankreich formt, der Osten öffnet, Amerika sozialisiert, Spanien hat eine theatralische Sendung.“19 Was Boehlich hier unüberbietbar scharf auf den Begriff bringt, ist der Skandal einer ungebrochen weitergeführten geistesgeschichtlichen Synthesenbildung, die den Revanchismus seit Ende des verlorenen Ersten Weltkriegs verinnerlicht und mit legitimiert hat. Am Ende heißt es in eben der lapidaren Manier, die ihren Meister Curtius nicht verleugnet: „Wir verlassen ein Trümmerfeld.“20 Doch steckt Curtius nicht nur im Stil, sondern auch in dem, was Boehlich als Desiderat nicht nur des Strichschen Buches, sondern der „Goethe-Philologie“ überhaupt herausstellt: „Sainte-Beuve nannte Goethe den größten aller Kritiker. Diesen zu erforschen erscheint als dringliches Anliegen“.21 Goethe als Kritiker, heißt ein Essay von Curtius. Wie dieser sich von jenem den Auftrag erteilen lässt,22 so Boehlich von Curtius – was als Desiderat der Philologie notiert wird, impliziert zugleich ein individuelles Bildungsprogramm: Indem er sich zum Kritiker bildet, gesellt er sich zu den „happy few“, denen die Kritik, „in Deutschland jedenfalls“,23 vorbehalten zu sein scheint. 17 Walter Boehlich (Rez.): Fritz Strich: Goethe und die Weltliteratur. Bern: Francke 1946. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 71 (1951/52), S. 94–96, hier S. 95/96. 18 Der Text ist an dieser Stelle verderbt; es ist jedoch nicht schwer, das fehlende Wort zu ergänzen (ebd., S. 96). 19 Ebd., S. 96. 20 Ebd. 21 Ebd. 22 Weil der Mensch der Klarheit und der Aufheiterung bedarf, so Goethe, „tut es ihm not, dass er sich zu solchen Literatur- und Kunstepochen wende, in denen vorzügliche Menschen zu vollendeter Bildung gelangen“ – es ist, als handelte Curtius im Auftrag Goethes, wenn er als Kritiker auftritt, der den durch die „Barbarisierung“ der Gegenwart abgerissenen Kontakt mit den Zeitaltern der Bildung wieder her­ stellt. Vgl. Ernst Robert Curtius: Goethe als Kritiker. In: ders.: Kritische Essays zur europäischen Lite­ ratur. Bern: Francke 1950, hier zit. n. Frankfurt/M.: Fischer 1984, S. 28–58, hier S. 34/35. 23 Ebd., S. 30. Curtius sieht das Deutschland Goethes von einem „alldurchdringenden […] Geist der Kritik“ beseelt, der die „Überwindung der Aufklärung“ zur Folge hat (S. 29). Indem „die Kritik“ in Gegensatz zur „Aufklärung“ gebracht wird, gerät der auf Herrschaftskritik zielende Kritik-Begriff der Aufklärung – wie Kants Hauptwerke sind auch die von Marx Kritiken – ins Abseits. So geläutert, ist

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Die Kritik an einer laut Curtius „philosophierenden Literaturwissenschaft“, die „Geistesgeschichte“ sein will, die Literatur auf metaphysische und ethische Probleme „durchmustert“ und mit dem „höchst fragwürdigen Prinzip“ der „wechselseitigen Erhellung der Künste“24 operiert, hat sich Boehlich zweifellos in Bonn zueigen gemacht. Wie Curtius die nach dem Vorbild der Kunstgeschichte vorgehende Periodenbildung nach Stilen ablehnt, die dann mit einem „speziellen ‚Menschen‘ bevölkert“ werden, dem „gotischen Mensch[en]“, dem „Barockmensch[en]“25 usw., so Boehlich, der jede Gelegenheit nutzt, um dem Unfug der Wesenskunde das Handwerk zu legen. In seinem Beitrag zur Freundesgabe für Ernst Robert Curtius von 1956 heißt es zu einer Studie von Casalduero, sie sei „völlig unbrauchbar […]. Die fixe Idee vom Barockmenschen und seiner eigentümlichen Wesensart stört das historische und kritische Verständnis empfindlich.“26

II Auch Paul Böckmann trifft ein schneidendes Urteil. Seine Subsumtion der deutschen Literaturentwicklung unter die Pole von „Sinnbildsprache“ und „Ausdruckssprache“ wird als eine Synthesenbildung verworfen, die die sperrigen Fakten schlicht ignoriert. So steht der „monströse Umfang“ dieses Werks „in keinem Verhältnis zu seinem minimalen Nutzwert“.27 Entscheidend aber ist, wie Boehlich das auseinandernimmt, was man die ‚theoretische Grammatik‘ des Böckmannschen Buches nennen könnte: Die Rückführung des individuellen Ausdrucks ins ,heimische Dasein‘. Boehlich zitiert: „Schließlich wird von allen literarischen Bewegungen nur das fruchtbar, was in die Auffassungsformen des völkischen Daseins einzuwirken vermag, was die Sprachfähigkeit des Volkstums steigert“. Boehlich kommentiert: „Auch hier wieder wird der schaffende und erfindende Poet dem Gängelbande der Anonymität – und welcher! – preisgegeben. ‚Heimisches Dasein‘ und ‚heimische Sprachfähigkeit‘ ist die neue Umschreibung dafür.“28 Der Standpunkt, von dem aus das kritische Licht auf Böckmanns Literaturgeschichte der ,Anonymität‘ fällt, ist der des kreativen Individuums, das sich an keinem ,Gängelbande‘ führen lässt. Eine „Formgeschichte“ à la Böckmann habe ihr Recht „höchstens“ im Blick auf die „Obskuren“, die sich aus der „Anonymität“ nicht herauszuarbeiten vermögen: „Vor großer Poesie muss ein Schema versagen,

‚Kritik‘ reartikulierbar als „die Literatur der Literatur“, d.h. „die Form der Literatur, deren Gegenstand die Literatur“ ist. 24 ELLMA, S. 21. 25 Ebd. 26 Walter Boehlich: Heliodorus christianus. In: Freundesgabe für Ernst Robert Curtius zum 14. April 1956. Hrsg. v. Walter Boehlich u. Max Rychner. Bern: Francke 1956, S. 103–124, hier S. 105, Anm. 10. 27 Walter Boehlich (Rez.): Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung I. Von der Sinnbildsprache zur Ausdruckssprache. Hamburg: Hoffmann & Campe, 1949. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 71 (1951/52), S. 385–399, hier S. 387. 28 Ebd.

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das den Dichter sich einem Formgesetz zur Verfügung stellen lässt.“29 Man kann an dieser über 15 Seiten sich ausbreitenden Rezension beobachten, wie die philologische Forderung nach genauer Kenntnis der Fakten30 mit einem emphatischen Begriff von großer Dichtung zusammengeht, die nur eine von großen Geistern sein kann. Insofern sie sich von keinem ,heimischen Dasein‘ gängeln lassen, ist der Raum, in dem diese Geister sich bewegen, notwendig transnational, zumindest ,europäisch‘. Boehlichs Kritik liegt hier ganz auf der Linie von Curtius’ Konzeption, die gegen alles Front macht, was große Dichtung auch nur in die Nähe irgendeines Anonymen geraten lässt – sei es ,das heimische Dasein‘, sei es ,die Gesellschaft‘, von der Bonald einst angenommen hatte, sie komme in der Literatur zu ihrem treuen Ausdruck.31 Einer ‚völkischen‘ Literaturgeschichte ist sie ebenso abhold wie einer Sozialgeschichte der Literatur. Mit der Unfähigkeit, hier einen Unterschied zu machen, kommt die Grenze von Cur­ tius’ Konzeption in den Blick. Seine Negation der Geistesgeschichte bleibt vom Negierten bestimmt. Der Umbau, den Curtius in seinem Hauptwerk vornimmt, betrifft die Bindung ,des Geistes‘ an eine privilegierte nationale Gestalt. Die alte Struktur aber bleibt erhalten. In sie zieht jetzt der ,europäische Geist‘ ein, der in seiner Wirklichkeit sich als ein Verein großer Geister darstellt. „Eine Gemeinschaft der großen Autoren über die Jahrhunderte hinweg muss festgehalten werden, wenn überhaupt ein geistiges Reich bestehen soll. Aber es kann nur die Gemeinschaft der schöpferischen Geister sein.“32 Nur mit ihnen lasse sich die „Funktion der Kontinuität in der Kultur“ sichtbar machen – eine Funktion, angesichts derer die „Erziehungs- und Umerziehungsprogramme aller Art […] vielleicht weniger wichtig“ sind.33 Wie ineffektiv die ‚reeducation‘-Programme der angelsächsischen Sieger auch gewesen sein mögen, die Rede von der Kontinuität und dem Medium der literarischen Tradition, „in dem der europäische Geist sich seiner selbst über Jahrtausende hinweg versichert“,34 ignoriert, was mit der Aufklärung der deutschen Kriegsverbrechen offen zu Tage liegt: dass die Welt soeben Zeuge des ungeheuerlichsten Traditionsbruchs geworden ist. Wenn Curtius schreibt, dass es in der „heutigen Situation des Geistes“ kein dringlicheres Anliegen als die „Wieder-

29 Ebd., S. 398. 30 Ebd.: „Böckmann aber kann nicht einmal Mittelhochdeutsch. […] Er kann nicht einmal richtig zitieren.“ In Bezug auf Rudolf Unger – dem er eine gründliche Studie gewidmet hat, die freilich erst nach Kriegsende gedruckt wurde – notierte Boehlich, „welch enge Zusammenhänge zwischen seiner Geistesgeschichte und exakter Philologie bestehen. Sie ist auf weite Strecken Weiterbildung der Philologie, von oben her freilich“ (Walter Boehlich: Rudolf Unger. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 70 (1947–49), S. 418–447, hier S. 422). 31 Bonalds an Buffon anschließendes Diktum, dass die Literatur „l’expression de la société“ sei, ist am Vorbildcharakter der klassischen französischen Literatur gebildet. Vgl. hierzu Werner Krauss: H. de Bonald und die Theorie der Restauration. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 15 (1937), S. 269–294, hier S. 280. 32 ELLMA, S. 400. 33 Ebd. 34 Ebd., S. 398.

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herstellung der ‚Erinnerung‘“ geben kann,35 dann ist nicht die Erinnerung an die zwölf Jahre Naziherrschaft gemeint. „Zwischen uns und Weimar liegt Buchenwald“, stellte der 1949 nach Deutschland zurückgekehrte Richard Alewyn fest – eine Feststellung, wie sie im Festglanz der Goethefeiern desselben Jahres keineswegs üblich war.36

III Curtius, der für sein Mittelalterbuch eine ungeheure Stoffmenge umgewälzt hat, ist auf der Ebene der Reflexion dessen, was er da eigentlich tut, eigentümlich blind für die Wirklichkeit des ,Buchgebirges‘, das er durchwandert hat. Anders sein Schüler, der sich mit der sammlung insel später der Offenlegung der radikaldemokratischen Traditionen verschreibt, in denen gerade die Schriften von ,Obskuren‘, die er zu Beginn der 1950er Jahre noch in der Zuständigkeit von Leuten wie Paul Böckmann belassen hatte, ausgegraben werden. In diesem Punkt hätte Walter Boehlich sich mit Walter Benjamin verbünden können, der die Kritik der Geistesgeschichte sowohl explizit als auch implizit, nämlich in Form seiner Rezensionspraxis, betrieb. Wenn das Heilkräuterbüchlein des Pfarrers Künzle37 oder Dienstmädchenromane seine Aufmerksamkeit finden konnten, so deshalb, weil die Literaturgeschichte, „statt sich nur immer für die Aussicht auf Gipfeln zu interessieren, die geologische Struktur des Buchgebirges erforschen sollte“.38 Im Kontakt mit der Erfahrung der Gegenwart gewinnt auch der Traditionsbegriff eine neue Bedeutung. So heißt es in Boehlichs Nachwort zu dem von ihm herausgegebenen Band über den Berliner Antisemitismusstreit, der diesem erst seinen Namen gegeben hat: „Es ist unschwer zu erkennen, dass in dieser ‚verspäteten Nation‘ die Tendenz immer stärker werden konnte, dem gerade erst entstandenen Einheitsstaate eine jahrtausendealte Tradition einzureden, die dann natürlich germanisch orientiert war“.39 ,Tradition‘ erscheint hier als Resultat eines Eingriffs in eine bestimmte politisch-kulturelle Konstellation, die durch his­ torisch-kritische Analyse aufzuklären ist. Die Aufklärungsarbeit im Gebirge der Literaturgeschichte und die darin implizierte Abkehr von einer Überlieferung allzu hell strahlender großer Geister, die er seit den 1960er Jahren betreibt, hat das respektvolle Verhältnis zu Curtius nicht berührt. Wo er sich unmittelbar zu ihm geäußert hat – 1961 in einer Rezen­ 35 Ebd., S. 400. 36 Richard Alewyn: Goethe als Alibi. In: Karl Robert Mandelkow (Hrsg.): Goethe im Urteil seiner Kritiker. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Goethes in Deutschland. Bd. IV: 1918–1982. München: Beck 1984, S. 333–335, hier S. 335. 37 Walter Benjamin: Wie erklären sich grosse Bucherfolge? ‚Chrut und Uchrut‘ – ein schweizerisches Kräuterbuch. In: Gesammelte Schriften. Bd. III. Hrsg. v. Hella Tiedemann-Bartels. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, S. 294–300. 38 Walter Benjamin: Dienstmädchenromane des vorigen Jahrhunderts. In: Gesammelte Schriften. Bd. IV.2. Hrsg. v. Tillman Rexroth. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, S. 620–622, hier S. 620. 39 Walter Boehlich: Nachwort. In: Der Berliner Antisemitismusstreit. Frankfurt/M.: Insel 1965, 2. Aufl., S. 237–263, hier S. 245.

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sion in der Zeit und noch 35 Jahre später wiederum am selben Ort –, spricht er zwar unumwunden aus, dass Curtius’ Werk ein „Endstadium sowohl wissenschaftlicher wie persönlicher Entwicklung“40 repräsentiere, an das anzuknüpfen „illusorisch“ sei, nicht zuletzt weil es sich um ein „sehr persönliches, von Curtius sozusagen erfundenes Europa“ handele, doch stellt er auch heraus, dass der Akzent auf dem „lateinischen“ Europa „als eine Art überdeutlichen Protestes gegen das Gerede von den germanischen Wurzeln Europas, das ja auch bei den Romanisten gang und gäbe war“,41 gewürdigt werden muss.

IV Boehlich war davon überzeugt, dass die Entnationalisierung der Arbeitsweise auf dem Feld der Literaturgeschichte und deren philologische Untermauerung „nirgends sonst“42 als in Bonn gelernt werden konnten. Das ist, trotz der Nähe zu Curtius, überraschend, denn es dürfte dem aufmerksamen Boehlich nicht verborgen geblieben sein, dass im gleichen Verlag, in dem Curtius’ Werk 1948 erschien, zwei Jahre früher Erich Auerbachs Mimesis publiziert worden war, bei der im Untertitel von der „abendländischen Literatur“ die Rede ist. Ein Vergleich hätte nahegelegen. Dazu kommt es kaum, weil ihm die Arbeit nur ein „höchst fragwürdig“ zu entlocken vermag und ihre Erwähnung vor allem die dramaturgische Funktion hat, dem strahlenden Auftritt von Curtius als dem „großartigsten Beispiel für […] Wert und Notwendigkeit der Europäisierung der Literaturforschung“ die Bühne zu bereiten. Zwar habe Auerbach deren Dringlichkeit „am nachdrücklichsten“ vorgebracht, doch auch „fraglos übertrieben“.43 Vor allem stört ihn der Satz: „Jedenfalls aber ist unsere philologische Heimat die Erde; die Nation kann es nicht mehr sein.“44 Er sieht hier eine „Neigung zum anderen Extrem“ am Werk, welche „die Berechtigung nationaler Geschichten“45 schließlich ganz in Abrede stellen könnte. Boehlich fürchtete offenbar eine Form der Entnationalisierung, die die Privilegierung der römisch-hellenistischen Überlieferung untergraben könnte. Freilich galt dies nicht für die Mimesis, die mit Homer beginnt und Virginia Woolf endet. Der Unterschied zwischen Auerbach und Curtius liegt weniger in programmatischen Aussagen, als in dem der Sache nach zentralen Punkt der Auffassung der literarischen Tradition und der für ihre Konstituierung entscheidenden Elemente. Auerbach beantwortet die Frage nach deren Träger anders als Curtius: Während der letztere eine „Gemeinschaft der großen Autoren über die Jahrhunderte hinweg“46 vor Augen hat, geht es bei Auerbach um 40 41 42 43

Walter Boehlich: Die Einheit der europäischen Literatur. In: Die Zeit, 10.3.1961. Walter Boehlich: Ein Haus, in dem wir atmen können. In: Die Zeit, 6.12.1996. Boehlich: Einheit (wie Anm. 40). Walter Boehlich: Die fehlende Generation. In: Deutscher Geist zwischen Gestern und Morgen. Hrsg. v. Joachim Moras u. Hans Paeschke. Stuttgart: DVA 1954, S. 382–397, hier S. 387. 44 Erich Auerbach: Philologie der Weltliteratur (1952). In: ders.: Philologie der Weltliteratur. Sechs Ver­su­ che über Stil und Wirklichkeitswahrnehmung. Frankfurt/M.: Fischer 1992, S. 83–96, hier S. 96. 45 Boehlich: Die fehlende Generation (wie Anm. 43), S. 387. 46 ELLMA, S. 400.

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eine gebildete Schicht. Da bei Curtius das soziologische Kriterium einer gebildeten Schicht keinerlei Rolle spielt, kann er die Vorstellung einer Renaissance überhaupt verwerfen, weil es im Meer der Barbarei immer einzelne Inseln gab, auf denen die antike Bildungswelt bewahrt wurde. Auerbach kritisiert diese Auffassung ausdrücklich: „Erst wenn sich eine zahlreiche Minorität von Gebildeten findet, ist eine Gesittung erreicht, die sich mit der antiken sinnvoll vergleichen lässt, und eine solche Minorität kann sich als Gesellschaftsschicht erst formen, wenn die Muttersprache wieder das eigentliche und wesentliche Element der Bildung geworden ist.“47 Er hält an dem strukturellen Unterschied zwischen Mittelalter und Renaissance fest, indem er das Kriterium für die aktive Teilhabe einer gebildeten Schicht am literarischen Prozess entwickelt. Voraussetzung solcher Teilhabe aber ist die Existenz einer Muttersprache, die Bildungssprache ist, also eines Mediums, das potenziell viele sich erobern können. Richtet sich Curtius’ Blick vor allem auf die lateinische Literatur des Mittelalters, dominiert bei Auerbach die entgegengesetzte Perspektive: Er interessiert sich vor allem für ein im Medium der romanischen Volkssprachen sich bildendes, nicht mehr unmittelbar an die Kirche gebundenes Publikum. Für Curtius ist Bildung wesentlich ein Vorrat von Wissen und Ideen; Auerbach begreift sie in ihrer Wirklichkeit als lebendige Bewegung. Curtius ist der Meinung, dass Dante „bei seinen Lesern auf gelehrte Bildung“48 rechnen konnte (was wohl damit zusammenhängt, dass er die antike Tradition in der Wiederkehr einzelner Topoi und dem Bewusstsein davon materialisiert sieht). Auerbach dagegen zeigt, dass Dante ein solches Publikum keineswegs fertig vorfand.49 Für Auerbach materialisiert sich „Kontinuität der Überlieferung“ nicht nur in einer Reihe großer Namen, deren Rangfolge die literarische Kritik festzustellen hat,50 sondern in gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen ein gebildetes Publikum eine wesentliche Funktion hat. Indem er diese Funktion an die Muttersprache bindet, hätte er Bestrebungen nach einer nationalsprachlich unspezifischen kulturwissenschaftlichen Erweiterung der philologischen Forschung, wie sie seit Jahren erhoben werden, wohl kaum zugestimmt. Der „Erwerb einer in ihrer Vielfalt einheitlichen Vorstellung vom Menschen“51 ist Auerbachs Leitvorstellung. Sie ist an eine Welt sprachlicher Mannigfaltigkeit gebunden. 47 Erich Auerbach: Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter. Bern: Francke 1958, S. 192. Mir scheint, dass diese Position auch in einer Art implizitem Dialog mit Curtius entwickelt wird; was Auerbach in seiner Rezension von Curtius’ Hauptwerk nur andeutet – dass in der Betonung der Kontinuität der Überlieferung „das Eigentümliche der Epochen und Personen“ (Romanische Forschungen 62 [1950], S. 237–245, hier S. 239) bisweilen verblasst –, gewinnt in den historischen Untersuchungen seines letzten Buches Substanz. 48 ELLMA, S. 369. 49 „Dante schuf sich sein Publikum, aber er schuf es nicht nur für sich; er schuf auch das Publikum für die Späteren. Er bildete, als mögliche Leser seines Gedichts, eine Welt von Menschen, die wohl kaum schon da war, als er schrieb, und die sich durch sein Gedicht und durch die Dichter, die ihm folgten, langsam bildete.“ (Wie Anm. 47, S. 238). 50 Aller „Kritik höherer Art“ geht es um die Feststellung einer „Rangordnung der Autoren“ (Curtius: Goethe als Kritiker, wie Anm. 22, S. 44). 51 Auerbach: Philologie (wie Anm. 44), S. 84.

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Curtius begreift die Literaturgeschichte als eine Abfolge fester, in den Werken kristallisierter Identitäten, Auerbach als Resultat sozialer Praxen. Entsprechend repräsentieren beide entgegengesetzte Intellektuellentypen: Curtius den kongenial zur Einfühlung befähigten Vermittler eines im Dichtwerk verborgenen Sinns, Auerbach den Moderator, der vor allem ein Gespräch in Gang bringen will und nicht mit der Anmaßung auftritt, die wahre Botschaft in der Tasche zu haben. Gegenüber der nach 1945 noch lange herrschenden Auffassung, die aus der Geschichte der Literatur jedes Element von gesellschaftswissenschaftlicher Fundierung verbannte und überall dort, wo diese ihre Rechte zu verteidigen suchte, Denkbarrieren errichtete,52 gehören Auerbachs Untersuchungen zum gebildeten Publikum bis heute zu den Ansätzen, die einer nicht mehr national bornierten Praxis philologischer Forschung Substanz geben. In der strikten Ausschließung soziologischer Gesichtspunkte blieb Curtius’ Arbeitsweise auch dann national borniert, wenn sie die Europäische Literatur im Wappen führte. Die Vertreibung soziologischer Forschung aus Deutschland wurde so noch nachträglich ratifiziert. Der Zugang zu einer europäischen Philologie, die ihren Namen verdient, war erst gefunden durch einen Ansatz, der es gestattete – wie Auerbach in Bezug auf seine Studie über das französische Publikum des 17. Jahrhunderts schreibt –, „mit philologischen Mitteln soziologisch zu analysieren“.53 Boehlich ist dieser Umstand nicht verborgen geblieben. Was Curtius mit den gelehrten Männern in den 1920er Jahren in Colpach oder Pontigny zusammenführte, war die „intensive Teilhabe am europäischen Bildungsbesitz, der alles umfassen konnte, was zwischen Homer und Goethe geschaffen worden war – mit Ausnahme freilich linken Denkens und linker Kunstproduktion“.54

V In einem Brief an Christa Wolf reklamiert Jürgen Habermas die Erschließung der „westlichen“ Traditionen der Aufklärung als eine allein im Westen „nach ’45 möglich gewordene intellektuelle Öffnung“.55 Dass die Akteure dieser Öffnung im Westen, angesichts der säkularen Verunglimpfung der Aufklärung in Deutschland und der nach 1945 keineswegs kampflos abgebrochenen Kontinuität dieser Haltung, auf diese Leistung stolz sein dürfen, steht außer Frage. Wie umstandslos diese Leistung aber ,dem Westen‘ gutgeschrieben wird, 52 Erinnert sei an Curtius’ Verriss einer Arbeit von Franz Walter Müller: Der Rosenroman und der lateinische Averroismus des 13. Jahrhunderts. Frankfurt/M.: Klostermann 1947. Dass Müller es gewagt hatte, den auf die Aufklärung vorausdeutenden ketzerischen Gehalt des Rosenromans aus den philosophischen Frontstellungen der Zeit plausibel zu machen, wird mit der Bemerkung vom Tisch gewischt, dem Verfasser gehe es allein um „Ideologienforschung und Soziologismus im Sinne Mannheims“ (in: Romanische Forschungen 60 (1948), S. 598/599). ,Ideologienforschung und Soziologismus‘ fungieren als Schimpfwörter, die auf Ausschluss aus der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zielen. 53 Auerbach: Curtius (wie Anm. 47), S. 254. 54 Boehlich: Philologie in finsteren Zeiten (wie Anm. 7), S. 15. 55 Jürgen Habermas: Vom Gepäck deutscher Geschichte. Brief an Christa Wolf v. 26.11.1991. In: Christa Wolf: Auf dem Weg nach Tabou. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1994, S. 140–149, hier S. 145.

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zeigt, dass es sich hier nicht um ein individuelles Defizit des Jürgen Habermas handelt, sondern um ein strukturelles Problem: Der despotische Sozialismus hat eine so unüberwindbare Mauer zwischen dem Sozialistischen und dem Demokratischen aufgerichtet, dass alle Elemente eines zivilen, fortschrittlich-demokratischen Gesellschaftsdenkens automatisch in geographisch-westlicher Einkleidung erscheinen. Habermas schreibt: „Man muss erst einmal die kulturfeindlichen Elemente der deutschen Tradition erkannt haben, um auch deren universalistische, aufklärerische und subversive Züge sehen zu lernen“56 – und dabei ist es ausgerechnet ein Mann aus dem ,Osten‘, der wie kein zweiter diese Züge sehen lehrte. Werner Krauss verknüpfte seine zweite wissenschaftliche Existenz, nach der glücklichen Rettung aus dem Nazigefängnis, mit dem Nachweis, dass die freiheitlichen Impulse der deutschen Tradition allein aus ihrer Verflechtung mit der ,westlichen‘ Aufklärung zu erschließen seien.57 Es hätte also in Deutschland noch einen zweiten Ort – neben Bonn – gegeben, an dem ein neuer Zugang zur Literatur- und Geistesgeschichte praktiziert wurde: Leipzig mit dem seit 1948 dort lehrenden Werner Krauss. Boehlichs Bestandsaufnahme von 1954, Die fehlende Generation, wagt keinen Blick über die neue Grenze; der Deutsche Geist, der im Titel des Bandes auftaucht, weht ausschließlich in westlichen Gefilden. So ging die Rede von der „Europäisierung der Literaturforschung“ einher mit deren Bundesrepublikanisierung. Dabei hätte Boehlich in Werner Krauss’ Bestandsaufnahme, die 1950 unter dem Titel Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag in Sinn und Form erschienen war, reiche Nahrung finden können, freilich auch mit einem kritischen Blick auf die vermeintlich ideologieferne Rephilologisierung literaturgeschichtlicher Forschung.58 Doch spätestens seit Beginn der 1960er Jahre ist sich Boehlich bewusst, dass Philologie an sich noch kein herrschaftskritisches Bewusstsein zu bilden vermag. Philologie und Emanzipation aber gehen bei Boehlich eine seltene Verbindung ein, die sich selbst dort bewährt, wo die Philologie mit dem von 56 Ebd., S. 147. 57 Sein Überleben begriff er geradezu als „Verpflichtung […], die verschüttete, entstellte oder verdrängte Überlieferung deutscher Freiheitsgedanken ins Vernehmen der Praxis zu bringen“ (Werner Krauss: Nationalismus und Chauvinismus [1946]. In: ders.: Literaturtheorie, Philosophie und Politik. Das wissenschaftliche Werk. Bd. 1. Hrsg. v. Manfred Naumann. Berlin, Weimar: Aufbau 1984, S. 380–398, hier S. 381). Dieses Projekt ist Boehlichs Unternehmen an die Seite zu stellen, der mit der „sammlung insel“ eben den freiheitlichen Traditionen eine Stimme zu geben versuchte, die nach 1848 mit Bismarcks „Obrigkeitsstaat gegen den Liberalismus“ verschüttet worden waren (Walter Boehlich: Nachwort. In: Antisemitismusstreit, wie Anm. 39, S. 245). 58 In dem Rundfunkbeitrag von 1986 wird ausführlich daraus zitiert (Werner Krauss: Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag. In: ders.: Literaturtheorie, Philosophie und Politik (wie Anm. 57), S. 7–61, hier S. 49/50). Krauss sah im Ergebnis einer solch „akribistischen Philologie“ eine „ungeheure Verschwendung“, einen „sinnlos gesteigerten Aufwand für die Erwerbung eines Wissens, das […] sich von jeder Beziehung zum Zweckgedanken des menschlichen Lebens ‚befreit‘ hat“ (S. 50). Boehlich anerkennt ausdrücklich, dass Krauss „ein Recht“ hatte, „so zu schreiben“, da er „etwas von den Klassenkämpfen“ wusste, „vor denen Curtius seine Augen verschloss. Was allerdings nicht heisst, dass man sich seinem Urteil anschliessen muss“ (Boehlich: Philologie in finsteren Zeiten (wie Anm. 7), S. 28).

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den Brüdern Grimm begründeten Deutschen Wörterbuch ein scheinbar uneinnehmbares Bollwerk besitzt. Boehlich konstatiert Vernachlässigung des linken Wortschatzes, NichtAufnahme jüdischer Autoren, „Versagen […] angesichts moderner Literatur“, und kommt zu der Schlussfolgerung: „diese Wissenschaftsgeschichte in einen direkten Zusammenhang mit der politischen Geschichte zu stellen“.59 Ähnliche Defizite hätte Boehlich in Bezug auf Curtius’ Lehrer Gustav Gröber konstatieren können, dem Curtius allein „nüchterne Sach­ lichkeit“60 attestierte. Gröber steht mit dem von ihm herausgegebenen Grundriss der Romanischen Philologie exemplarisch für die seriöse philologische Wissenschaftlichkeit des 19. Jahr­ hunderts, doch macht er inmitten dieses Werks aus seinem Abscheu vor der zeitgenössischen französischen Literatur kein Hehl, die „das unveredelt Menschliche, Persönliche und Gemeine als das in Wahrheit Menschliche“61 zur Darstellung bringe. Soweit „kraftvolle Männlichkeit“ die nationale Heldendichtung beseelt, schreibt der Professor der Romanistik im deutschen Straßburg, ist sie ein „Erbteil fränkischen Wesens“, folglich germanischen Ursprungs, und folglich muss auch die Bismarcksche Reichsgründung auf Kosten der französischen linksrheinischen Gebiete als der natürliche Ausdruck dieser Männlichkeit erscheinen. Dass im „französischen Wesen“ „weibliche Eigenschaften“ vorherrschen,62 ist im ideologischen Koordinatensystem Gröbers eine feste Konstante. Leo Spitzer hat beobachtet, dass schon lange vor 1933 ein strenger philologischer Forschergeist mit einem „Alltags-Nationalismus“63 koexistierte: ein „doppeltes Messen“, das nicht primär auf einem schlechten Charakter basiert, sondern auf einer die wissenschaftliche Arbeit selbst bestimmenden Struktur. Werner Krauss bemerkt in einem kurz nach seiner Befreiung entstandenen Bericht, dass eine „grundsätzliche Ablehnung“ der „politischen Ansprüche der Nazis […] stets nur auf dem jeweiligen fachlichen Sondergebiet [erfolgte] und nicht dadurch, dass man das politische System selbst als eine untragbare Grundlage für alles geistige Leben brandmarkte“.64 Wenn nun bei Curtius ‚die Philologie‘ als Garantiemacht intakter Wissenschaftlichkeit fungiert, so blendet er das von Spitzer und Krauss beschriebene Phänomen der doppelten Buchführung aus. Erst die Abwendung von ‚der Philologie‘ machte nach Curtius empfänglich für jedwede „Anlehnung bei anderen Wissenschaften“: „Philosophie […], Soziologie, Psychoanalyse, vor allem Kunstgeschichte“.65 So lieferte das berühmte Werk Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter der bis heute in der Fachgeschichtsschreibung dominierenden Auffassung das Muster: die Zweiteilung in eine ,wissenschaftliche‘ und eine wie immer ,ideologisch‘ 59 Walter Boehlich: Blick zurück im Grimm. In: Der Monat 14 (1961/62) H. 159, S. 80–85, hier S. 81. 60 Ernst Robert Curtius: Vorwort zu einem Buche über das lateinische Mittelalter und die europäischen ­Literaturen. In: Die Wandlung 1 (1946) H. 11, S. 969–974, hier S. 970. 61 Gustav Gröber: Grundriss der romanischen Philologie. Bd. II.1. Straßburg: Trübner 1902, S. 436. 62 Ebd., S. 440. 63 Leo Spitzer: Das Eigene und das Fremde. Über Philologie und Nationalismus. In: Die Wandlung 1 (1946) H. 7, S. 576–594, hier S. 590. 64 Werner Krauss: Marburg unter dem Naziregime. In: Sinn und Form 35 (1983) H. 5, S. 941–945, hier S. 943. 65 ELLMA, S. 21.

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verfahrende Romanistik – eine Problemanordnung, die, indem sie ,die Philologie‘ zum obers­ten Repräsentanten des Wissenschaftlichen erklärt, diese als ideologischen Wert etabliert, in dessen Namen konkurrierende Auffassungen, vor allem die Literatursoziologie, wie unerwünschte Ausländer abgeschoben werden. Es ging Werner Krauss mit seiner Bestandsaufnahme von 1950 nicht nur um die Methodenkritik einer Wissenschaft, sondern darum, was er die „deutsche Schicksalsfrage“66 nannte: das Verhältnis der Intellektuellen zur Nation, der „Wissenschaftler zum politischen Wesen“.67 Nicht nur hinsichtlich der Philologie, sondern auch der Notwendigkeit gesellschaftskritischen Engagements hätte sich Walter Boehlich auch mit Werner Krauss verbünden können. Silvia Bovenschen fasst Boehlichs Verhältnis zu seinem Bonner Lehrer zusammen: „Boehlich hat es vermocht, den Geistesaristokratismus seiner akademischen Herkunft in einem einzigartigen Zusammenspiel mit scharfer gesellschaftskritischer Streitbarkeit zu verbinden. Das muss man können. Es hätte seinem Lehrer vermutlich nicht in allen Teilen gefallen.“68 Man darf das „vermutlich“ getrost durch „sicher“ ersetzen.

66 Werner Krauss: Idee, Aktion und Stil. Über die geistigen Grundlagen des modernen Spaniens. In: Die Wandlung 1 (1946), S. 148–165, hier S. 165, wiederabgedruckt unter dem Titel „Spaniens Weg am Abgrund“, in: Werner Krauss: Gesammelte Aufsätze zur Literatur- und Sprachwissenschaft. Frankfurt/M.: Klostermann 1949, S. 298–320. 67 Werner Krauss: Die Universität in der Entscheidung (1946). In: ders.: Literaturtheorie, Philosophie und Politik (wie Anm. 57), S. 367–376, hier S. 373. 68 Silvia Bovenschen: Schon mal abgestürzt? Rede zur Verleihung des Ernst-Robert-Curtius-Preises für Essayistik. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.6.2007.

Walter Boehlich wählte vier Vorträge des Deutschen Germanistentages 1966 für eine Separatpublikation aus.

Peter Uwe Hohendahl

Walter Boehlich als Kritiker der Germanistik

Walter Boehlich, der 1940 mit dem Studium der Germanistik begann, wurde einer ihrer schärfsten Kritiker, nachdem er als Student, zunächst in Breslau und dann in Hamburg be­ ziehungsweise Bonn, ihren theoretischen, methodischen und wohl auch politischen Tradi­ tionen gefolgt war. Diese Wandlung ist der Grund, dass wir uns noch heute mit seinen lite­ raturwissenschaftlichen Arbeiten beschäftigen. Für eine jüngere Generation wurde Walter Boehlich in den sechziger Jahren zum Warner, Ermunterer und Vorbild in der wissenschaft­ lichen Orientierung, auch wenn er sich selbst dem Fach nicht verpflichtet fühlte, denn schon in Bonn schloss er sich dem Romanisten Ernst Robert Curtius an, dessen Werk für ihn Vorbildcharakter hatte. An dieser Bindung hat er bekanntlich auch festgehalten, als in den siebziger Jahren Curtius’ Vergangenheit von jüngeren romanistischen Kollegen kritisch beleuchtet wurde. In diesem Falle war er weniger bereit, die Notwendigkeit einer poli­tischen Kritik einzuräumen, denn zuviel stand persönlich, aber auch methodisch auf dem Spiel. Kein Zweifel, die Begegnung mit Curtius hat den jungen Literaturwissenschaftler Boehlich aus dem germanistischen Schlummer geweckt, ihm die Augen geöffnet für die nationalis­ tische Enge des Fachs wie auch seine Einbettung in ein zutiefst nationalistisches politisches Milieu, in dem er sich selbst vor 1945 noch bewegt hatte. Damit soll keineswegs gesagt wer­ den, dass Boehlich an dem wissenschaftlichen und literarischen Standort von Curtius später dogmatisch festgehalten hat. Was er in den sechziger und siebziger Jahren gedacht und ge­ schrieben hat, hätte Curtius kaum unterschrieben. In der Mitte der fünfziger Jahre, anläss­ lich eines Beitrags zu dem Band Deutscher Geist zwischen gestern und morgen, ediert von Joa­ chim Moras und Hans Paeschke, den Herausgebern der Zeitschrift Merkur, hatte Boehlich Gelegenheit, wissenschaftlich und literarisch Bilanz zu ziehen und seinen eige­nen Standort auszuarbeiten. Der Aufsatz Die fehlende Generation ist meines Erachtens ein Schlüsseltext für die Ent­ wicklung Walter Boehlichs, ein Text, der sowohl nach vorn als auch nach hinten verweist. Er nimmt ältere Gedankenmotive auf, um sie zu modifizieren, und berührt neue Themen, die in den folgenden Jahren an Gewicht gewinnen. Eigentümlich ist, dass Boehlich nicht im Namen der eigenen Generation spricht, sondern sie als eine fehlende beschreibt, die noch

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nicht in der Lage ist, die ältere abzulösen. So muss er zurückblicken, um die Zukunft zu be­ stimmen. Was er findet, ist eine Wissenschaftskrise, von der auch die Germanistik im Kern betroffen ist. Er beschreibt sie als den Verlust des soliden Grundes, der durch den positivisti­ schen Historismus des neunzehnten Jahrhunderts geschaffen worden war. Die Wissen­ schaftsrevolution der zwanziger und dreißiger Jahre hingegen erwies sich als Fehlentwick­ lung, die unverzüglich abgebrochen werden muss. Im Bereich der Literaturwissenschaft ist mit dem wissenschaftlichen Bankrott die geistesgeschichtliche Schule gemeint, der entge­ gengehalten wird, dass sie bei der Suche nach einer neuen Methode die philologischen Grund­ lagen des Fachs verspielt habe. Mit dieser Aufweichung verband sich, so Boehlich, ein ausge­ prägter Nationalismus, der das Fach nach 1933 in den Nationalsozialismus führte. Dazu bemerkt Boehlich: „Der Nationalismus, zu dem vor allem die Germanistik seit langem geneigt hat, hat unter Hitler auch an den Universitäten Triumphe gefeiert, die Entphilologisierung war vor allem durch die sogenannten Geisteswissenschaften gefördert worden“.1 Daraus schließt Boehlich, dass nur die Rückkehr zur Philologie und die Befreiung vom Nationalis­ mus die Literaturwissenschaft retten kann. Damit ist das Programm benannt, dem sich ­Boehlich verschreibt: „Dieser Wandel führt sichtlich zurück zum historisch-philologischen Arbeiten einerseits, andererseits zur ‚Europäisierung der Literaturforschung‘ (nach E.R. Cur­­tius)“ (383). Dieses rückwärtsgewandte, nüchterne Wissenschaftsprogramm enthält unver­kennbar eine politische Komponente, nämlich eine Kritik der nationalsozialistischen Germanistik und ihrer Quellen und, wie man hinzufügen muss, einen blinden Fleck, näm­ lich den Glauben, dass die Philologie wertneutral sei und den Forscher daher gegen poli­ tische Verirrungen in jedem Fall schütze. In den fünfziger Jahren ging es freilich erst einmal um die Entpolitisierung der Germanistik, um ihre Reinigung von der faschistischen Kor­ ruption, die Boehlich in den Arbeiten von Forschern wie Gerhard Fricke und Fritz Martini gefunden hatte,2 die nunmehr ihre neuen Literaturgeschichten demokratisch umschrieben. Boehlich spricht von der Schamlosigkeit dieses Vorgangs (384), ohne diesen Revisionismus im Einzelnen zu analysieren. Vielmehr wendet er sich den wertvollen neuen Arbeiten zu, die er vor allem im Bereich der Biographik findet, so zum Beispiel der Wieland-Biographie von Friedrich Sengle3 und der Hamann-Biographie von Josef Nadler.4 Als positives Zeichen wird auch das Goethe-Buch von Emil Staiger genannt.5 Was Boehlich an dieser Arbeit besticht, ist die Rückkehr zum historischen Arbeiten und zur faktischen Absicherung, um die „ver­ hängnisvollen Abirrungen der Jahre zwischen den Kriegen zu überwinden“ (386). 1

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Walter Boehlich: Die fehlende Generation. In: Joachim Moras, Hans Paeschke (Hrsg.): Deutscher Geist zwischen Gestern und Morgen. Bilanz der kulturellen Entwicklung seit 1945. Stuttgart: Deutsche Ver­ lags-Anstalt 1954, S. 382–397, hier S. 383. Im Folgenden im Text mit Seitenangabe nachgewiesen. Vgl. Walter Boehlich: Windfahnenliteratur. In: Die Neue Zeitung, 17. 12. 1952. Walter Boehlich: Der vergessene Klassiker. Friedrich Sengle: Wieland. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948–50), S. 790–792. Vgl. auch Walter Boehlich: Christ und Humanist. Kritische Anmerkungen zu einer neuen HamannAusgabe. In: Der Tagesspiegel, 30. 12. 1956. Vgl. Walter Boehlich: Schweizer Literaturforschung. In: Merkur 11 (1957) H. 111, S. 494–498.

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Gleich wichtig ist für Boehlich indes die Europäisierung der Literaturwissenschaft, das heißt, die kritische Auseinandersetzung mit der Konzeption der Nationalliteratur, mit der die Germanistik seit ihren Anfängen gearbeitet hat. Hier vermengen sich wissenschaftsge­ schichtliche, literarische und politische Motive, denn das Beharren auf der nationalen Eigen­art der deutschen Literatur verhinderte Boehlich zufolge das Erkennen der weiteren europä­ ischen Gattungs- und Motiv-Zusammenhänge und förderte einen emphatischen Kulturna­ tionalismus, der auch politisiert werden konnte. Obgleich Boehlich eine Reihe von Beispie­ len anführt, um die notwendigen Wende zu belegen, unter anderem die Arbeiten von Werner Milch, Walther Rehm und Erich Auerbach, ist es doch Ernst Robert Curtius, an dessen Studie Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter die Aufgabe erläutert wird. Curtius ist und bleibt das große Vorbild. Hervorgehoben wird die philologische Methode, die „den Zusammenhang dieses Sinngebildes, die Ursache seiner Entstehung, den Weg sei­ ner Entwicklung erwiesen“ habe (387). Bemerkenswert ist der Nachdruck, mit dem Boeh­ lich Curtius’ philologische Grundeinstellung betont, denn dieser selbst ist in der Beschrei­ bung seiner Methode durchaus vielseitiger. Da ist von philosophiegeschichtlichen und tiefenpsychologischen Fragen die Rede (mit Hinweis auf Jung). Auch auf die Soziologie und Biologie wird angespielt. So heißt es im Vorwort zur zweiten Auflage: „Aber im Lichtkegel der Betrachtung steht immer die Literatur: ihre Themen, ihre Techniken, ihre Biologie, ihre Soziologie“.6 Dieser Pluralismus wird bei Boehlich verkürzt, entweder weil er die Gefahren­ zone der Aufweichung meiden will oder weil Boehlich seinen Begriff der Philologie so weit fasst, dass er die Literatursoziologie und -psychologie einschließt. Erstaunlicher ist die scharfe Abweisung von Erich Auerbachs Mimesis, ohne dass auch nur eine Begründung ge­ geben wird. So bleibt man auf Vermutungen angewiesen, ob es die Art des Zugangs gewesen ist, also die Form des close reading, die Boehlich gestört hat, oder Auerbachs Gesamtkon­ zeption abendländischer Kultur. Überschaut man Boehlichs Programm von 1954, fällt der konservative Charakter des Projekts ins Auge, der Versuch einer Wiederherstellung des Status quo ante. Die Leitfigur dafür wäre Erich Schmidt, dessen Lessing-Biographie ausdrücklich als vorbildlich genannt wird. Zu diesem Programm gehören auch die Rückkehr zu kritischen Editionen und die ri­ gorose Kritik aller Unternehmungen, die strengen philologischen Ansprüchen nicht stand­ halten. Doch wie europäisch ist dieses Programm? Es fällt auf, dass Boehlich sich in metho­ dischen Fragen wesentlich an die deutsche Wissenschaftstradition hält. Weder der russische Formalismus oder tschechische Strukturalismus noch der angloamerikanische New Criti­ cism werden als Hilfe und Ausweg aus der Krise erwähnt, gar nicht zu reden von linguis­ tischen (Saussure) und marxistischen Ansätzen. Doch auch innerhalb der deutschen Diskus­ sion bleibt die Perspektive begrenzt. Zwar wird Emil Staiger genannt, doch nur sein Goethe-Buch, nicht die wichtige frühe Arbeit Die Zeit als Einbildungskraft des Dichters (1939). Auch über Wolfgang Kaysers Das sprachliche Kunstwerk fällt kein Wort. Mit anderen 6

Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 6. Aufl. Bern: Francke 1967 [zuerst: 1948], S. 9.

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Worten, Boehlich hält sich von der lebhaften Diskussion über Vor- und Nachteile der werk­ immanenten Interpretation fern. Auch die morphologische Narratologie, die immerhin in Günther Müller in Bonn einen wichtigen Vertreter hatte, wird nicht genannt. Um Boehlichs Perspektive zu verstehen, müssen wir uns der Vorgeschichte zuwenden, nämlich seiner Auseinandersetzung mit den Vertretern der Geistesgeschichte und seiner Kri­ tik des Materialismus am Beispiel von Georg Lukács. Hier ist vor allem die ausführliche Be­ schäftigung mit Rudolf Unger aus dem Jahr 1950 zu erörtern, weil sie sich rhetorisch stark von den anderen Aufsätzen dieser Jahre unterscheidet.7 Zweifellos versteht sich Boehlich als kritischer Leser, aber die Absicht ist eine immanente Kritik, die noch einmal den wissen­ schaftlichen Weg Ungers nuanciert nachzeichnet, und zwar so, dass der wissenschaftsge­ schichtliche Kontext dabei voll zu seinem Recht kommt. Der Aufsatz zeigt, dass Boehlich sich in der Geschichte der Germanistik zwischen 1880 und 1930 gut auskennt, besonders im Bereich der von Wilhelm Dilthey herkommenden Geistesgeschichte. Mit Grund nennt er Unger den Programmatiker der literaturwissenschaftlichen Geistesgeschichte, an dessen Arbeiten dann auch zu prüfen ist, was sie für die Erkenntnis der Literatur leisten kann. Aus­ drücklich stellt Boehlich seine Untersuchung unter dieses Ziel: Welche Folgen hat es, wenn sich die Literaturwissenschaft am Erkenntnisinteresse der Philosophie orientiert? Hier ist nicht der Ort, um Boehlichs durchaus komplexe historische Argumentation im Einzelnen zu verfolgen. Nur das Ergebnis müssen wir festhalten, weil es die Richtung seiner zukünf­ tigen Interventionen erkennen lässt. Während Boehlich den Willen zur Objektivität wie auch die Absicht zur historischen Darstellung bei Unger anerkennt und würdigt, glaubt er zwei Grenzen zu erkennen. Zum einen bezweifelt er, ob die dem deutschen Idealismus ent­ nommenen Kategorien sich auf ältere Epochen sinnvoll übertragen lassen, zum anderen hegt er den Verdacht, dass Ungers Methode dem Literarischen gegenüber unempfindlich bleibt. Bei aller Anerkennung der Ideendialektik kommt er zu dem Schluss, „dass Ungers Geistesgeschichte nicht nur den formalen, sondern auch die eigentlich dichterischen Ele­ mente in der Literatur weitgehend unberücksichtigt ließ“.8 Demgemäß beurteilt Boehlich den Wert der Ungerschen Geistesgeschichte für die Dichtungsgeschichte als gering.9 So mündet die Untersuchung in einen Abschied von Unger und der Geistesgeschichte ein, aber es bleibt ein respektvoller Abschied, der diese Epoche der deutschen Literaturwissenschaft in ihrer geschichtlichen Bedingtheit gelten lässt. Gleichzeitig zeichnet sich die neue Aufgabe der Literaturwissenschaft ab: Das Ziel ist eine Geschichte der Dichtung, welche die Ent­ wicklung der literarischen Formen und Gattungen verfolgt. Während sich Boehlichs frühe Rezensionen bei allen kritischen Einwänden durchaus im Rahmen der zeitgenössischen Germanistik bewegen, entfaltete Boehlich seine pole­ mische Kraft zum ersten Mal in der Hamburger Akademischen Rundschau anlässlich einer 7 8 9

Walter Boehlich: Rudolf Unger. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft. In: Zeit­ schrift für deutsche Philologie 70 (1947–49), S. 418–447. Ebd., S. 444/445. Ebd., S. 446.

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Besprechung von Lukács’ Goethe und seine Zeit.10 Der nächste Schlag erfolgte 1951 mit einem Verriss von Paul Böckmanns Formgeschichte der deutschen Dichtung.11 Mit dieser Be­ sprechung eröffnete er gewissermaßen den Krieg gegen die restaurierte westdeutsche Ger­ manistik, denn die Lukács-Kritik von 1948 unterschied sich, wie wir sehen werden, nicht wesentlich von dem, was die westdeutsche Literaturwissenschaft zu dieser Zeit dachte. Beide Besprechungen zeigen Boehlich auf der Suche nach einem neuen wissenschaftlichen Para­ digma, in beiden Fällen kommt er zu dem Schluss, dass die vorgeschlagene und angewandte Methode die Erwartungen des Suchenden nicht erfüllt. Freilich aus verschiedenen Grün­ den. Während er im Falle von Lukács das marxistische Paradigma als solches angreift, ist es im Falle Böckmanns die Kluft zwischen dem Anspruch des Autors, eine neue Methode ent­ wickelt zu haben, und dem Ergebnis, die den Rezensenten extrem irritiert. Böckmann, so Boehlich, will eine Formgeschichte der deutschen Literatur schreiben, ist jedoch nicht in der Lage zu erklären, was er darunter versteht. Schlimmer noch, er setzt sich nicht kritisch mit seinen Vorgängern auseinander, weder mit den Ergebnissen der Theologie (Martin Dibelius, 1919) und der Kunstgeschichte (Heinrich Wölfflin) noch mit den Arbeiten der morpholo­ gischen Erzählforschung (Günther Müller). Hinter dem Anspruch, neue Wege zu gehen, entdeckt Boehlich alte Gedanken und Klischees aus der Ära der Geistesgeschichte, gleich­ sam Schwundformen dessen, was Dilthey und Unger theoretisch entwickelt hatten. Der Mangel an einem scharf definierten Begriff literarischer Form führt dann zu einer Formge­ schichte, in der „alles als Form erklärt werden“ kann.12 Ein weiteres Motiv taucht in diesem Zusammenhang auf, ohne ganz entfaltet zu wer­ den. Boehlich erinnert den Leser an Böckmanns Vergangenheit, den Gebrauch der Naziter­ minologie in seinen Veröffentlichungen der dreißiger Jahre. Angedeutet, aber noch nicht voll entfaltet, wird hier der Nachweis, dass die etablierte westdeutsche Germanistik der fünf­ ziger Jahre sich von ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit weniger gelöst hatte, als sie für sich in Anspruch nahm. Der Nachdruck der Besprechung liegt allerdings mehr auf der mangelnden philologischen Genauigkeit der Untersuchung, im Nachweis der zahlreichen Fehler beim Zitieren, in der Bestimmung von Wortbedeutungen und in der Einordnung von literarischen Texten. Es ist das philologische Programm, das hier kritisch exemplifiziert wird. Dieses Programm hat einen konservativen Gestus, der auch deutlich ausgesprochen wird: „Die deutsche Literaturforschung leidet an einer Hypertrophie neuer Methoden, die einander mit beängstigender Geschwindigkeit ablösen und überholen.“13

10 Walter Boehlich: Georg Lukács: Goethe und seine Zeit. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948–50), S. 700–703. 11 Walter Boehlich: Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung I. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 71 (1951/52), S. 385–399. Vgl. auch Wallter [sic] Boehlich: Formlose Formgeschichte der deutschen Literatur. In: Die Tat, 24.2.1951, und die Entgegnung von Herbert Cysarz: Die Literarhistorie und der Verfall der Gelehrsamkeit. In: Die Tat, 17.3.1951. 12 Boehlich: Formgeschichte (wie Anm. 11), S. 387. 13 Ebd., S. 385.

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Die frühere Auseinandersetzung mit Georg Lukács hätte zur Gelegenheit werden kön­ nen, einmal die vorsichtig vorgetragene Politisierung des Fachs kritisch zu erörtern, und zum anderen, einen Ausweg aus der Geistesgeschichte zu erkunden. Beides geschieht nicht. Boehlich lehnt vielmehr das von Lukács vorgeschlagene gesellschaftsgeschichtliche Erklä­ rungsmodell für die deutsche Niederlage emphatisch ab und distanziert sich mit gleicher Entschiedenheit von dem Lukácsschen Interpretationsverfahren, dem er dogmatische Vor­ eingenommenheit vorwirft. Da heißt es zum Beispiel: „So wird alles Literarische von einem Gespinst seltsam assoziierter ökonomischer Thesen überzogen, unter denen Mephis­ to schließlich zum Vertreter des Kapitalismus wird“.14 Offensichtlich steht diese Begegnung mit Lukács im Jahr 1948 nicht unter einem guten Stern. Boehlichs Reaktion unterscheidet sich in keiner Weise von der herrschenden Meinung der westdeutschen Literaturwissen­ schaft. Auffallend ist der Versuch, Lukács im Wesentlichen als einen ökonomischen Dogma­ tiker ohne Blick für das Literarische zu erklären. Dies geschieht, ohne auch nur die Frage der Form-Gehalt-Dialektik aufzuwerfen, also der Stelle, wo die Kritik an Lukács’ Arbeiten der dreißiger und vierziger Jahre hätte ansetzen müssen. Wie ist Boehlichs Einstellung zu erklä­ ren? Mehrfach wendet sich die Besprechung gegen die weltanschauliche Voreingenommen­ heit des Autors, gegen eine Dogmatik, die sich in letzter Instanz immer auf Marx und Engels beruft. Gewünscht wird dagegen Offenheit der Fragestellung und der Methode. Anders ge­ sprochen, der Rezensent verhält sich gegenüber Letztbegründungen skeptisch. Die vermut­ lich ungewollte politische Kehrseite dieser Einstellung ist die Logik des Kalten Krieges, wenn es heißt: „Es ist ein Buch, das trotz der angewandten Intelligenz genauso verdammens­ wert ist wie ähnliche Versuche des Dritten Reiches.“15 Zieht man die Summe aus diesen un­ ter verschiedenen Umständen und mit unterschiedlichen Zielen geschriebenen Arbeiten, kommt man zu dem Programm von 1954. Um es noch einmal zu sagen: Gesucht wird eine Wissenschaft, die mit den Mitteln der Philologie die literarischen Werke des deutschen Ka­ nons wie ihre Autoren untersucht und historisch versteht. Die Besprechungen der folgenden Jahre geben sich in der Wahl der Themen und der Einstellung des Rezensenten als Ausführung dieses Programms zu erkennen. Auf der einen Seite schreibt Boehlich zwei lange und detaillierte Besprechungen über neue wissenschaft­ liche Editionen, nämlich über die Hamann-Ausgabe von Josef Nadler und die Winckel­ mann-Ausgabe, die Walther Rehm übernommen hatte. Hier entfaltet Boehlich eine uner­ bittliche philologische Detailkritik.16 Auf der anderen Seite nimmt er zu zwei wichtigen wissenschaftlichen Publikationen Stellung. Es werden kontrastiert mehrere geistesgeschicht­ liche Arbeiten von Walther Rehm, die dieser zwischen 1947 und 1951 veröffentlichte, und eine religionssoziologische Untersuchung von Herbert Schöffler. Dass Rehms Untersu­ 14 Boehlich: Lukács (wie Anm. 10), S. 700. 15 Ebd., S. 703. 16 Walter Boehlich: Die historisch-kritische Hamann-Ausgabe. In: Euphorion 50 (1956), S. 340–356; Wal­ ter Boehlich: J. J. Winckelmann: Briefe. Hg. von Walther Rehm. 1. Bd. In: Zeitschrift für deutsche Phi­ lologie 75 (1956), S. 426–438.

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chungen keine Gnade finden, überrascht nicht, denn hier wird im Wesentlichen, nun aber polemisch verschärft, die Kritik fortgesetzt, die Boehlich am Beispiel von Unger bereits ent­ wickelt hatte. Freilich wird Rehm nicht mehr an den Möglichkeiten der geistesgeschicht­ lichen Methode gemessen, sondern mit dem älteren Positivismus konfrontiert, den diese überwinden wollte. So hält Boehlich der Geistesgeschichte entgegen: „Wer den Positivismus überwinden will, muß neben den Tugenden seiner Generation auch die Tugenden des Posi­ tivismus besitzen. Seine Schlüsse müssen auf Fakten, nicht auf Vermutungen beruhen, sie müssen auf Quellen gegründet sein – oder wir gewinnen nie Klarheit“.17 Die Geistesge­ schichte hat sich als Irrweg erwiesen, da sie letztlich weder der Dichtung noch der Geschich­ te gerecht werden konnte. Um noch einmal Boehlich zu zitieren: „Rehms Geistesgeschichte ist konstruierend und systematisch, aber nicht historisch; sie geht von Behauptungen aus und stützt diese nachträglich mit einigem historischen Material, statt das Material in seiner ganzen Ausdehnung heranzuziehen und aus ihm seine Schlüsse zu ziehen“.18 Gefordert wird mit anderen Worten ein induktives Verfahren, wobei nicht expliziert wird, was Boehlich außerhalb oder innerhalb eines literarischen Textes unter Fakten versteht und wie er sich den Prozess der Schlussfolgerung vorstellt. Für Boehlich ist wichtig, dass das Detail stimmt, be­ sonders dann, wenn es mit Deutungen belastet wird. Mit Grund wirft er daher Rehm vor, sich auf die russische Literatur eingelassen zu haben, ohne die Werke im Original lesen zu können, denn dies führt zu Interpretationen, die durch den russischen Text nicht gedeckt werden. So interessant und wichtig Boehlichs Polemik im Einzelnen für den Leser von Rehms Untersuchungen sein kann, im Grundsätzlichen geht sie nicht über den Unger-Aufsatz hinaus. Aufschlussreicher ist daher die Besprechung von Schöfflers Deutscher Geist im 18. Jahrhundert. Essays zur Geistes- und Religionsgeschichte (1956), denn hier unterstreicht Boehlich seine Zustimmung zur Methode wie auch zum Ergebnis der Untersuchung. Worin sieht er den Unterschied zwischen dem Vorgehen Schöfflers und demjenigen Rehms, denn auch Schöff­ ler beruft sich auf den problematischen ‚deutschen Geist‘? Boehlich nimmt den Anglisten Schöffler aus der germanistischen Tradition heraus und behandelt ihn als Schüler von Max Weber und Ernst Troeltsch, mit anderen Worten als historisch arbeitenden Religionssoziolo­ gen. Boehlich schätzt an dem Anglisten das Ausgehen von Einzelheiten und mehr noch das Meiden von Spekulationen. So heißt es über die Darstellung Lichtenbergs, die Boehlich als schlechthin gelungen ansieht: „Die Geistesgeschichte war ihm [Schöffler] keineswegs fremd, aber wie fremd sind ihm ihre leeren Spekulationen. Er war zu Hause in der Geschichte des europäischen Geistes, und so konnte er ermessen, was für eine Stellung Lichtenberg in ihrem Zusammenhange zukam, aber gleichzeitig konnte er wunderbar konkrete Fragen stellen“.19 17 Walter Boehlich (Rez.): Walther Rehm: Experimentum Medietatis – Kierkegaard und der Verführer – Orpheus. Der Dichter und die Toten – Götterstille und Göttertrauer. In: Zeitschrift für deutsche Philolo­ gie 75 (1956), S. 204–213, hier S. 204. 18 Ebd., S. 205. 19 Walter Boehlich (Rez.): Religion und Literatur. Herbert Schöffler: Deutscher Geist im 18. Jahrhundert. Lichtenberg. In: Neue Deutsche Hefte 4 (1957) H. 35, S. 271–273, hier S. 272.

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Bemerkenswert ist hier, wie die Geistesgeschichte unerwartet rehabilitiert wird, sofern sie vom konkreten Detail ausgeht. Das uneingeschränkte Lob für Schöffler beruht auf zwei Momenten: zum einen auf sei­ ner europäischen, nicht deutsch-zentrierten Perspektive und zum anderen auf der Liebe zum Einzelnen. Es sind genau diejenigen Elemente, die Boehlich bei Curtius gefunden hat­ te, denn auch der Romanist hatte sich ja nicht prinzipiell von dem Begriff des Geistes verab­ schiedet. So ist es denn auch schlüssig, dass Boehlich, nachdem er 1956 die Festschrift für Curtius herausgegeben hatte, 1961 in der Zeit noch einmal das Wort ergreift, um die her­ vorragende Bedeutung des Bonner Romanisten anlässlich des Erscheinens der Gesammelten Aufsätze zur Romanischen Philologie zu unterstreichen.20 Nicht nur umfassende Kenntnis der europäischen Literatur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart wird Curtius attestiert, son­ dern auch, und das lässt aufhorchen, Vorurteilslosigkeit im Blick auf das Material und ob­ jektive Einsicht in das Entstehen und Wachsen literarischer Traditionen. Dass das von Cur­ tius entworfene Bild des (christlichen) Mittelalters ebenfalls ein Konstrukt war, wird noch nicht sichtbar. Erst in einem Rundfunkgespräch über den kontroversen Germanistentag von 1966, zusammen mit Karl Otto Conrady und Eberhard Lämmert, erinnert Boehlich 1967 mit Nachdruck an die ideologische Natur aller literaturwissenschaftlichen Positionen.21 Eine ideologiekritische Einstellung erscheint ihm nunmehr als unerlässlich. Wie ist dieser Positionswandel zu erklären? Mit Recht haben Helmut Peitsch und Helen Thein darauf aufmerksam gemacht, dass es die Vertiefung in die Wissenschaftsgeschichte war, die Boehlichs methodisches Bewusstsein veränderte,22 denn bei der Erforschung der äl­ teren Geschichte der Germanistik, bei der Lektüre von Jacob Grimm, Gervinus, Hettner, Scherer und Erich Schmidt stellte sich heraus, dass das Ideal einer objektiven, durch philolo­ gische Gründlichkeit nicht hinterfragbaren Wissenschaft nicht zu halten war. Das Fach, das Boehlich in den fünfziger Jahren trotz aller Polemik gegen seine Vertreter noch einmal im Rückgriff auf den älteren Positivismus retten wollte, war von Anfang an in die politischen Streitfragen seiner Epoche verstrickt. Es gab nicht nur eine rechte Tradition, die dann, auf die Nation und das Volk sich berufend, in den Nationalsozialismus einmündete, sondern auch eine verschüttete, linke, demokratische Tradition, vertreten zum Beispiel durch G. G. Gervinus und Hermann Hettner, auf die sich Boehlich beziehen sollte. Das Aufarbeiten der Wissenschaftsgeschichte erlaubte Boehlich in den sechziger Jahren, seine Polemik gegen die Germanistik in einen weiteren geschichtlichen Zusammenhang zu stellen. In der Auseinan­ dersetzung mit der Geschichte der Germanistik zerbricht für ihn das Ideal einer objektiven, auf Tatsachen aufbauenden, rein philologischen Literaturwissenschaft, das er bei Curtius zu 20 Walter Boehlich: Die Einheit der europäischen Literatur. Viele berufen sich gern auf Ernst Robert Cur­ tius, aber er hatte am Ende keine Schüler mehr. In: Die Zeit, 10. 3. 1961. 21 Germanen und Germanisten. Nationalismus in der Germanistik. Ausschnitte vom Deutschen Germa­ nistentag mit Kommentaren und Diskussionen. WDR, 7. 1. 1967, Sendemanuskript, S. 30. 22 Helmut Peitsch, Helen Thein: Walter Boehlich (1921–2006). „Wer nicht las, galt nicht“. In: Ines Sonder u.a. (Hrsg.): „Wie würde ich ohne Bücher leben und arbeiten können?“ Privatbibliotheken jüdischer ­Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2008, S. 83–112, hier S. 92.

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finden glaubte. Als die jüngeren Vertreter des Fachs auf dem Germanistentag 1966 die Dis­ ziplin zum ersten Mal prinzipiell in Frage stellten, war Boehlich ihnen schon vorausgeeilt. Dieser Weg soll wenigstens knapp rekonstruiert werden. Allerdings ist eine solche Re­ konstruktion nicht ohne Schwierigkeiten durchzuführen, da sich Boehlich in diesen Jahren nur noch sporadisch mit der Germanistik beschäftigt hat. In der Regel war der Anlass die Besprechung von einzelnen literaturwissenschaftlichen Monographien, die dann jeweils mehr oder weniger in einen weiteren Kontext gestellt werden. In den Besprechungen der fünfziger Jahre ist das ideologiekritische Denken erst in Ansätzen zu erkennen. Während das Thema Nationalsozialismus 1952 für Boehlich im Wesentlichen noch eine individuelle mo­ ralische Frage ist,23 verschiebt sich die Perspektive in den späten fünfziger Jahren. In einem Merkur-Aufsatz aus dem Jahr 1957 wird die methodische Analyse fortgesetzt, nunmehr mit dem Blick auf die Beiträge aus der Schweiz, nämlich die Arbeiten von Emil Staiger, Walter Muschg und Beda Allemann. Dass unter diesen drei Wissenschaftlern Muschg die meiste Zustimmung des Rezensenten findet, überrascht nicht. Bemerkenswerter ist die Art, wie Boehlich Staiger beurteilt, denn in diesem Fall handelt es sich um den prominentesten Ver­ treter der werkimmanenten Interpretation und gleichzeitig einen Gelehrten, dessen Früh­ werk eindeutig unter dem Einfluss Heideggers gestanden hatte. Doch davon ist bei Boehlich keine Rede. Auch die methodischen Prinzipien der Interpretation werden nicht als solche untersucht. Den subjektiven Faktor, den Staiger als ein entscheidendes Moment des Verste­ hens literarischer Texte einführt, lässt Boehlich gelten, sofern sich diese Form der Annähe­ rung mit der historischen Methode verbindet. So heißt es: „Was seinen Studien ihren Wert gibt, ist erst die Verbindung eines großen Kunstverstandes mit einem entwickelten histo­ rischen Sinn und einer starken systematischen Begabung.“24 Um es überspitzt zu formulie­ ren: Die Kunst der Interpretation, die Staiger in den Mittelpunkt stellt, hat für Boehlich den Wert einer Hilfswissenschaft, die auf das Eigentliche, nämlich die historische Darstellung hinführt. Die formale Wende der Literaturwissenschaft wird von Boehlich zur Kenntnis ge­ nommen, aber nicht als ein neues Paradigma anerkannt. So wendet er auch gegen Allemann ein, dass dessen Beschäftigung mit der literarischen Ironie daran leidet, zwischen einem dog­ matisch-theoretischen und einem einzelnen Autoren und Werken gewidmeten Teil keinen Ausgleich geschaffen zu haben. Anders gesprochen, Allemann ist Boehlich zufolge unfähig, historisch zu denken. Demgegenüber findet Boehlich bei Muschg, dem moralischen Kriti­ ker der deutschen Literatur, schließlich geschichtliche Einsichten, die er für wichtig hält und eigens erwähnt, zum Beispiel die Kritik an Nadlers Literaturgeschichte, deren vierter Band dem NS-Geist Zoll gezahlt hat. Weder Muschg noch Boehlich lassen die damals bekannte Erklärung gelten, die Zeitumstände seien für den Text verantwortlich zu machen, denn Wis­ senschaft ist, wie Boehlich formuliert, „eine durch und durch moralische Angelegenheit“.25

23 Vgl. Boehlich: Windfahnenliteratur (wie Anm. 2). 24 Boehlich: Literaturforschung (wie Anm. 5), S. 495. 25 Ebd., S. 496.

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Dieser Satz lässt aufhorchen, denn er verweist auf Boehlichs Intervention in den Streit um den Altgermanisten Hugo Moser im Jahr 1964 und das Engagement im Falle des Ger­ manistentags von 1966.26 Freilich muss sich der moralische Impetus mit dem historischen verbinden, um zur Wahrheit zu gelangen. Dass die Germanistik diesem Programm nicht gewachsen war, hat Boehlich immer wieder zum Ausdruck gebracht, zum Beispiel in einer 1956 erschienenen Besprechung von Johannes Kleins Geschichte der deutschen Novelle, Mar­ tin Greiners Zwischen Biedermeier und Bourgeoisie und schließlich Fritz Martinis Das Wagnis der Sprache (1954).27 Auch Martinis Versuch, literarische Deutungen auf intensiver Lektüre von ausgewählten Textpassagen aufzubauen, findet keine Gnade, da er gegen den klassischen hermeneutischen Zirkel verstößt. Nicht ohne Grund hält er Martini entgegen, dass dieser aus seiner Kenntnis des Kontextes vorher in den Text hineingeschmuggelt habe, was er dann als Ergebnis der Lektüre ausgibt. Hier wird explizit genannt, was auch in anderen Bespre­ chungen anklingt: das Bestehen auf der persönlichen methodischen und moralischen Ver­ antwortung des Wissenschaftlers. Weder Martini noch Nadler können infolge ihrer Vergan­ genheit vor diesem Anspruch bestehen. Der Vergangenheit des Faches hatte Boehlichs geschärfte Aufmerksamkeit unter ande­ rem in einem Aufsatz über das Grimmsche Wörterbuch aus dem Jahr 1952 gegolten, in dem er an die romantischen Ursprünge der Germanistik erinnert hatte.28 Allerdings standen in diesem Beitrag philologische Fragen im Vordergrund. An diesen Aufsatz schloss sich 1961/62 eine Replik im Monat an,29 in der sich Boehlich mit den Einwänden Hans Naumanns und Theodor Kochs (beide Mitarbeiter des Deutschen Wörterbuchs)30 erneut in der Hauptsache philologisch, wenn auch nicht ohne Verweis auf den nationalistischen Charakter des Wör­ terbuchs, auseinandersetzte. Vier Jahre später kam Boehlich noch einmal auf die Grimms zurück, nunmehr freilich nicht als Philologe, sondern als ideologiekritischer Historiker. Der Aufsatz Aus dem Zeughaus der Germanistik. Die Brüder Grimm und der Nationalismus, im Oktober 1966 im Monat veröffentlicht, versucht zu zeigen, in welchem Maße ein enger, rückwärtsgewandter, romantischer Nationalismus die Arbeit der Brüder geprägt hat und damit, so Boehlich, die Geschichte der Germanistik. Die chronologische und inhaltliche Parallele zu Eberhard Lämmerts Vortrag Germanistik – eine deutsche Wissenschaft auf dem

26 Walter Boehlich: Unsere Universitäten haben versagt. Ein offener Brief. In: Die Zeit, 8. 5. 1964; ders.: Der neue Bonner Rektor. Die Maßlosigkeit und die Mäßigung eines Philologen. In: Die Zeit, 23. 10. 1964; ders.: Der deutsche Germanistentag. Aufforderung, das Kind mit dem Bade auszuschütten. In: Die Zeit, 28.10.1966. 27 Walter Boehlich: Literaturforschung auf Holzwegen. In: Merkur 10 (1956), S. 186–189. 28 Walter Boehlich: Säkularfeier oder Säkulartrauer? Das deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm. In: Merkur 6 (1952), S. 779–786. 29 Walter Boehlich: Blick zurück im Grimm. In: Der Monat 14 (1961/62) H. 159, S. 80–85. 30 Hans Neumann, Theodor Kochs: Religion – ja, Manöver – nicht. Das Deutsche Wörterbuch und seine Kritikaster. In: Der Monat 14 (1961) H. 158, S. 54–61; sie entgegneten auf Walter Boehlich: Ein Pyr­ rhussieg der Germanistik. In: Der Monat 13 (1961) H. 154, S. 38–53.

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Münchner Germanistentag ist nicht zu übersehen.31 Indem Boehlich besonders Jacob Grimm zum Vater der Germanistik erklärt, will er aus dessen politischer Einstellung, die er extensiv dokumentiert, die fatale Wendung der Disziplin im 20. Jahrhundert ableiten. Deutlich geht es also um Aufarbeitung der Vergangenheit: „Was sich die Germanistik unter Hitler selbst angetan hat, gilt vielen, besonders den Tätern, als vergessen, aber es ist nicht vergessen, kann vergessen nicht sein, wenn sie noch einmal hinaus will aus ihrer selbstge­ strickten Zwangsjacke.“32 Ohne die kritische Untersuchung des nationalistischen Erbes ist Boehlich zufolge die Überwindung der institutionellen Krise (Boehlich nennt sie eine Krankheit) nicht zu erreichen. Seine These ist, dass die Germanistik auf Grund ihrer fach­ spezifischen Ideologie an der „deutschen Niederlage“ (er benutzt diesen Ausdruck)33 aktiv beteiligt war und daher kein Recht hat, sich als unschuldig zu betrachten. Der in der Ger­ manistik gepflegte Nationalismus machte das Fach anfällig für den Pakt mit dem National­ sozialismus, an den sie 1966 nicht mehr erinnert werden möchte. Wie zu zeigen war, verschärft sich in den sechziger Jahren Boehlichs Kritik. Schon in der Affäre um den Altgermanisten Hugo Moser, der 1964 von der Bonner Fakultät zum Rektor gewählt wurde, wird das wissenschaftliche Verhalten während des Dritten Reichs zum Brennpunkt der Auseinandersetzung. Boehlichs scharfer öffentlicher Angriff in der Zeit richtete sich gegen Mosers Beteiligung am Geist des Nationalsozialismus durch seine Publi­ kationen während der dreißiger Jahre. Dieses moralisch-politische Engagement setzte sich dann fort in der Berichterstattung über die Germanistentage von 1966 und 1968. Selbst 1968, als sich die Mehrheit der liberalen Reformer von den radikalen Forderungen der Stu­ denten bereits zurückgezogen hatte, verteidigte Boehlich die Position der Studenten in der Zeit mit dem Hinweis auf die autoritäre Vergangenheit des Faches und die Notwendigkeit seiner Demokratisierung.34 Für diese Demokratisierung hatte er bereits mit anderen Mitteln geworben, nämlich durch Editionen in der sammlung insel, die er im Suhrkamp Verlag als dessen Cheflektor herausgab. Hier hatte er alte wissenschaftliche Texte neu ediert, die das Fach Germanistik in einem anderen Licht zeigt, unter anderem Schriften von einem auf der linken Seite stehenden Autor wie Gervinus.35 Im Umpolen der Wissenschaftsgeschichte sah Boehlich in den sechziger Jahren eine Möglichkeit, die Disziplin von ihrer national-konser­ vativen Tradition zu befreien. 31 Eberhard Lämmert: Germanistik – eine deutsche Wissenschaft. In: Germanistik – eine deutsche Wissen­ schaft. Beiträge von Eberhard Lämmert u.a. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1967, S. 7– 41, daraus „[g]rößere Teile“ (41) schon in: Universitätstage 1966 Nationalsozialismus und die deutsche Universität. Berlin: de Gruyter 1966, S. 76–91. 32 Walter Boehlich: Aus dem Zeughaus der Germanistik. Die Brüder Grimm und der Nationalismus. In: Der Monat 18 (1966) H. 217, S. 56–68, hier S. 56. 33 Ebd., S. 56. 34 Walter Boehlich: Der Berliner Germanistentag. Studenten bestimmten die Spielregeln. In: Die Zeit, 18. 10. 1968. 35 Georg Gottfried Gervinus: Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Hrsg. von Walter Boehlich. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 24,1).

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Überblickt man Boehlichs Kritik der Germanistik von den vierziger bis zu den sechziger Jahren, wird deutlich, wie weit sich ihr Autor von der ursprünglichen Position entfernt hat. Ohne dieser Entwicklung Gewalt anzutun, lässt sie sich als Radikalisierung nach links be­ schreiben, denn 1968 solidarisiert sich Boehlich mit der Studentenbewegung. Allerdings ist damit die Frage nach seiner Stellung innerhalb der Literaturwissenschaft nicht ausreichend beantwortet. Mehr als ihm bewusst war, hat er selbst an der Entwicklung des Fachs nach dem Krieg teilgenommen, wurde in seinen Stellungnahmen von ihr beeinflusst und beein­ flusste sie durch seine publizistischen Eingriffe und seine Tätigkeit im Suhrkamp Verlag. Drei Phasen scheinen sich abzuzeichnen. In den späten vierziger und frühen fünfziger Jah­ ren war Boehlich vor allem an der kritischen Auseinandersetzung mit der Geistesgeschichte interessiert, die er für die Krise des Faches verantwortlicht machte. In der Zeit zwischen 1954 und den frühen sechziger Jahren, sehr stark unter dem Einfluss von Curtius, galt sein Interesse einer kritischen Sonderung der neuen theoretischen und methodischen Ansätze, die er in zahlreichen Besprechungen kommentiert. Er misst diese Ansätze an seinem philo­ logischen Programm. Seit Anfang der sechziger Jahre verschiebt sich das Interesse auf die institutionelle Konstitution des Faches. Er wendet sich entschieden der politischen Ge­ schichte der Disziplin zu, um sie mit sich selbst zu konfrontieren. Was Boehlich während dieser Jahre im Ganzen wünschte und forderte, war eine Öffnung des Fachs, aber er nahm nicht immer die Ansätze wahr, die später weiterführen sollten. Es fehlt sowohl eine grund­ sätzliche Auseinandersetzung mit der existentialistischen werkimmanenten Interpretation als auch mit dem strengen linguistischen Formalismus. Er geht Staigers Programm eher aus dem Weg, indem er dessen nuancierte Auslegungen lobt und sich an dessen Versicherung hält, der geschichtliche Kontext sei immer zu berücksichtigen. Auf der Seite der Formenge­ schichte hätte man sich eine kritische Rezeption der Arbeiten von Eberhard Lämmert, Franz Stanzel und Volker Klotz gewünscht. Noch erstaunlicher ist, dass die Berührung mit der dia­lektischen Literatursoziologie fehlt. Weder Adornos Essays noch Peter Szondis Theorie des modernen Dramas (1956) werden bei der Erörterung der Zukunft des Faches erwähnt, das heißt, es fehlt die Auseinandersetzung mit der Revision des Geschichtsbegriffs in der ­Literaturwissenschaft wie auch der Dialektik von Form und sozialem Kontext. Eine Bespre­ chung von Benjamins Schriften aus dem Jahr 1956 in den Neuen Deutschen Heften zeigt in dieser Hinsicht wenig Fortschritte gegenüber der Lukács-Kritik von 1948.36 Während er die frühen Arbeiten Benjamins ungeachtet gewisser Vorbehalte würdigt, verschließt er sich der so genannten marxistischen Phase unter dem pauschalen Hinweis auf ihren doktrinären Charakter. Unterstellt wird eine Verengung des Blicks durch soziologische Fragestellungen, die sich Boehlich zufolge auch auf die Qualität von Benjamins Kritik negativ auswirkte. (Übrigens wird die Einleitung von Adorno mit keinem Wort erwähnt.) Es scheint, dass Boeh­lich bei aller Polemik gegen Böckmann, Martini, Nadler und andere bis in die sech­ ziger Jahre an einem älteren, objektivistischen Begriff von Literaturgeschichte festgehalten 36 Walter Boehlich: Zwischen Marx und Proust. In: Kritische Blätter (1956) H. 6, S. 2–4, Beilage zu Neue Deutsche Hefte 2 (1955/56) H. 24.

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hat, den er in den Arbeiten von Curtius gefunden hatte. Folgt man der Unterscheidung von Wellek/Warrens Theory of Literature (1949) in immanente (intrinsic) und von außen wir­ kende (extrinsic) Methoden,37 so neigt Boehlich bei der Behandlung von Literatur zur Prio­ rität der Immanenz, allerdings mit dem Hinweis auf die Bedeutung des historischen Kon­ textes. Sobald er sich der Geschichte der Germanistik zuwendet, verkehrt sich die Priorität. Er versteht die Entwicklung der Disziplin in erster Linie als Folge von politischen Einstel­ lungen und Konfigurationen und misst der wissenschaftlichen Selbstentwicklung einen un­ tergeordneten Wert zu. Für den Intellektuellen und Publizisten Boehlich war die Auseinandersetzung mit der Germanistik nur ein Feld seines öffentlichen Auftrags, vielleicht nicht einmal das wichtigste. Seine Kritik, so schmerzhaft sie für die Betroffenen oft war, denn er nahm auf Personen kei­ ne Rücksicht, erinnerte das Fach immer wieder an seine öffentliche Funktion und Verant­ wortung, von der es nach 1945 nichts hören wollte. Früher und schärfer als andere begriff er den Zusammenhang von wissenschaftlicher Methode und politischem Interesse einerseits wie auch die Verbindung von Karriereinteressen und moralischem Versagen andererseits. Das machte ihn zu einem unbequemen Zeitgenossen, vor allem in den fünfziger und sech­ ziger Jahren, als die Germanistik noch hoffte, sie könne die eigene schwierige Vergangenheit durch Schweigen hinter sich lassen. In seinem eindrucksvollen Kommentar zum Germa­ nistentag von 1966 konnte er diesen Auftrag noch einmal zusammenfassen: „Hinter dem, was in München geschah, liegt mehr verborgen als nur der alte Generationsgegensatz. In der hundertfünfzigjährigen Geschichte der Germanistik hat es Vergleichbares nicht gegeben, nicht zu Zeiten des Methodenwirrwarrs der zwanziger Jahre und nicht einmal, als die Jung­ grammatiker ihre Vorgänger entthronten. […] Der Germanistentag hat nicht umsonst stattgefunden.“38

37 René Wellek, Austin Warren: Theorie der Literatur. Aus dem Englischen von Edgar und Marlene Lohner. Frankfurt/M., Berlin: Ullstein 1963 [zuerst: 1958], S. 328: übersetzt als „außerliterarische Wege“ und „innerliterarische Methode“. 38 Boehlich: Germanistentag (wie Anm. 26).

Am 25. April 1961 wurde Boehlichs Beitrag „Ein Pyrrhussieg der Germanistik“ im Abendstudio des Hessischen Rundfunks gesendet.

Manuela Böhm

„Ein Pyrrhussieg der Germanistik“ Walter Boehlichs Kritik an der Grimmschen Philologie

Ein Wörterbuch des Deutschen In seinem Vortrag anlässlich der Präsentation der Taschenbuchausgabe des Deutschen Wörterbuchs stellt Walter Jens 1984 fest, dass „Grimms Deutsches Wörterbuch […] wahrschein­ lich das einzige Werk unserer Literatur“ ist, „in dem die treffendste Kritik am Unternehmen nicht von den Rezensenten, sondern von den Mitarbeitern kam“.1 Diese Bemerkung ist als Fingerzeig auf Walter Boehlich zu lesen, denn Jens bezieht sich in seiner wohlwollenden und zugleich kritischen Würdigung implizit und explizit auf Boehlichs Verriss des Deutschen Wörterbuchs. Dieser hatte sich bereits in den 50er Jahren verdrießlich über einige Liefe­ rungen des Wörterbuchs geäußert, spitzte aber in den 60ern seine Kritik merklich zu, plat­ zierte sie in Aufsätzen, Artikeln, auch Pamphleten und sorgte mit dafür, dass eine Debatte über die methodische und politische Ausrichtung der Germanistik, genauer der Sprachwis­ senschaft, in Gang kam. Die Kontroverse entzündete sich am wissenschaftlichen, vor allem aber am damit ver­ quickten politischen Erbe einer Disziplin, deren Begründung und Etablierung die Grimms maßgeblich beförderten und deren Paradigma durch das Deutsche Wörterbuch genauso ge­ prägt wurde wie durch Jacob Grimms Deutsche Grammatik von 1819 oder seine Rechtsaltertümer. Noch nicht mal ein Jahr nach dem Rauswurf 1837 der Göttinger Sieben2 aus dem König­ reich Hannover, durch den Wilhelm und Jacob nicht nur ihre Professur verloren, sondern 1 2

Walter Jens: Das Vorratshaus der Deutschen. Zur Geschichte und Bedeutung des Deutschen Wörter­ buchs. München: dtv 1984, S. 21. Die sieben Göttinger Professoren Wilhelm und Jacob Grimm, Wilhelm Eduard Albrecht, Friedrich Chri­ stoph Dahlmann, Georg Gottfried Gervinus, Wilhelm Eduard Weber und Heinrich G. A. Ewald hatten in einer Schrift öffentlich dagegen protestiert, dass König Ernst August I. die vergleichsweise liberale Hannoveraner Verfassung von 1833 außer Kraft gesetzt hatte und waren daraufhin ihrer Ämter enthoben worden; Dahlmann, J. Grimm und Gervinus mussten binnen dreier Tage das Land verlassen. Der Akt der Grenzüberschreitung (im eigentlichen und übertragenen Sinne) wurde jüngst von Günter Grass auf der

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Letzterer auch um seine Wahlheimat gebracht wurde, worauf ihm als geborenen Kurhessen zögerlich in Kassel Asyl angeboten wurde – im Jahr 1837 also schlugen ihnen die Verleger Karl Reimer und Salomon Hirzel vor, ein neues, großes Deutsches Wörterbuch zu erstellen. Die Brüder Grimm fanden sich dabei mit einem Vorhaben betraut, das eigentlich ganz nach ihrem Geschmack hätte sein können. Denn von Anfang an ging es darum, nicht nur das seit Leibniz angemahnte Desiderat zu füllen und das Deutsche in seiner Ganzheit lexika­ lisch zu erfassen, sondern, wie es Ulrike Haß-Zumkehr formuliert, ein „Nationaldenkmal in Wörterbuchform“3 zu schaffen. Der Verleger Karl Reimer, der als Inhaber der Weidmann­ schen Buchhandlung schließlich die Grimms von diesem Vorhaben überzeugte, sah in dem Projekt nicht nur eine vaterländisch ehrenvolle, sondern erhoffte sich auch eine gewinn­ bringen­de Unternehmung.4 Allein die Vorbereitung, Konzeption, Einrichtung und Arbeits­ organisation brauchte 16 Jahre. Die Idee des Wörterbuchs war, wie die Sprachideologie der Grimms, eng verbunden mit der Hypostasierung der deutschen Sprache als einigendes Band in einer Epoche nationa­ ler Zerrissenheit. Zu den Elementen Sprache und Nation gesellte sich im Falle der Grimms und der von ihnen vertretenen Richtung der deutschen Philologie noch ein Drittes: die Ge­ schichte. So war auch das Wörterbuch ein Versuch, nationale Einheit aus der Sprache heraus zu begründen und durch ihren sinnfälligsten Teil, den Wortschatz, eine alte und traditions­ reiche Vergangenheit der deutschen Sprache und Nation zu konstruieren.5 Geplant hatten die Grimms ursprünglich fünf bis sieben Bände, der erste erschien 1854. Am Ende wurden es dreiunddreißig mit mehr als 31.000 Seiten. Jacob Grimm nahm sich die Buchstaben A bis C, E und F vor, Wilhelm arbeitete bis zu seinem Tod 1859 die gesamte Buchstabenstrecke D ab. Als Jacob 1863 starb, kam er bis zum Lemma ‚Frucht‘ und drei Bände waren bis dahin erschienen. In der Folge arbeiteten mehrere Generationen von Wissenschaftlern unterschiedlichster disziplinärer und politischer Ausrichtung ‚am Grimm‘ weiter, im Ganzen mehr als hundert Lexikographen. 1908 wurde die Leitung des Wörter­ buchs der Preußischen Akademie der Wissenschaften übertragen und eine Zentralsammel­ stelle in Göttingen eingerichtet. Das Wörterbuch überstand zwei Kriege und die Spaltung Deutschlands, denn nach 1945 arbeiteten Germanisten in Göttingen und Ostberlin am ge­ meinsamen Projekt. 1960 findet dann das DWB mit dem Erscheinen der letzten beiden Bände nach 108 Jahren seinen Abschluss.

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Basis von Augenzeugenberichten und Legenden neu erzählt. Vgl. Günter Grass: Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung. Göttingen: Steidl 2010, S. 16–26. Ulrike Haß-Zumkehr: Deutsche Wörterbücher. Brennpunkt von Sprach- und Kulturgeschichte. Berlin u.a.: de Gruyter 2001, S. 121. Vgl. Alan Kirkness: Geschichte des Deutschen Wörterbuches 1838–1863. Dokumente zu den Lexiko­ graphen Grimm. Mit einem Beitrag von Ludwig Denecke. Stuttgart: Hirzel 1980, S. 53. Vgl. Ulrike Haß-Zumkehr: Das ‚Deutsche Wörterbuch‘ von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm als Na­ tionaldenkmal. In: Andreas Gardt (Hrsg.): Nation und Sprache. Zur Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart. Berlin u.a.: de Gruyter 2000, S. 229–246, hier S. 233 sowie Haß-Zumkehr: Deutsche Wörterbücher (wie Anm. 3), S. 123.

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Das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels präsentiert es 1961 als „die umfassendste und größte Quelle für den deutschen Sprachschatz, […] das größte wortgeschichtliche Grundla­ genwerk der deutschen Sprache, die umfangreichste Sammlung philologischer Forschung, die es je gab. Ein nationaler Besitz“.6 Und die FAZ staunt: „Es klingt fast wie ein Märchen, daß ein Gemeinschaftswerk deutschen Geistes, das die Grimms ursprünglich in etwa sieben, acht Bänden bewältigen wollten und sollten, nach so langer Zeit und vielfachen Krisen im Jahre der deutschen Teilung 1961 durch gemeinsame Anstrengungen von hüben und drü­ ben doch noch vollendet werden konnte.“7 Der Neudruck des Wörterbuchs im grünen Taschenbuchformat bei dtv, der im Jahre 1984 erscheint, wird überaus positiv aufgenommen. Peter Wapnewskis ambivalenter, aber dennoch von Tiefe, Reichtum und, um ein Grimmsches Wort zu benutzen: vom Ertrag des Wörterbuchs wohlig angeschauderter Spiegel-Artikel „Ein Schatz- und ein Beinhaus unserer Sprache“ vom Dezember 1984 ist inmitten der „gegenwärtig aus dem Boden schießenden Würdigungen“8 eine der wenigen Stimmen, die auch deutlich kritische Untertöne enthält. Positiv bezieht sich Marcel Reich-Ranicki auf das DWB, der 1999 für die Taschenbuchaus­ gabe mit der Anzeige wirbt: „Ich halte das ‚Grimmsche Wörterbuch‘ für den interessantes­ ten Roman und das allerwichtigste Buch in deutscher Sprache.“9 Dem Vorschlag, das Wörterbuch schlicht als Literatur aufzufassen, kann sich ein ande­ rer Frankfurter Kritiker nicht anschließen und sieht folglich wenig Anlass zur Lobhudelei. Walter Boehlich bezeichnet es, mit Blick auf seine Bearbeitungsdauer und Strukturmängel als „Pyrrhussieg der Germanistik“ und hält es schlicht für unbrauchbar.10 Und so empfiehlt er anlässlich des Abschlusses des DWB 1961: „Es war sicherlich ein Fehler, daß man an dem mißlungenen Bau länger als ein Jahrhundert immer weitergemauert hat, aber es war ein verständlicher und vielleicht sogar entschuldbarer Fehler. Jetzt freilich sollte der Schluß­ strich gezogen und der Grund zu einem neuen Werk gelegt werden.“11 Er kritisiert methodische und inhaltliche Anlage des Werkes, vor allem aber dessen ide­ ologische Ausrichtung: „Dieser nationale, bald schon nationalistische Charakter, der so   6 Zit. nach Hartmut Schmidt: Was bietet das Deutsche Wörterbuch seinen Lesern? Über Stichwortaufnah­ me im ‚Grimm‘ und einige geläufige Vorurteile. Publikationsserver der Berlin-Brandenburgischen Akade­ mie der Wissenschaften http://150-grimm.bbaw.de/links/schmidt.pdf, S. 1 (letzter Zugriff: 6. 12. 2010). In Passagen wieder abgedruckt in: Hartmut Schmidt: Das Deutsche Wörterbuch. Gebrauchsanleitung. In: Deutsches Wörterbuch. Elektronische Ausg. der Erstbearb. von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bearb. von Hans-Werner Bartz u.a. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 2004, S. 25–64.   7 Zit. nach Der Spiegel, 10. 5. 1961, S. 65.   8 Peter Wapnewski: Ein Schatz- und ein Beinhaus unserer Sprache. In: Der Spiegel, 24. 12. 1984, S. 138– 144, hier S. 138.   9 Zit. nach Haß-Zumkehr (wie Anm. 3), S. 119. 10 Vgl. Walter Boehlich: Ein Pyrrhussieg der Germanistik. Die Vollendung des ‚Deutschen Wörterbuchs‘ der Brüder Grimm. In: Der Monat 13 (1961) H. 154, S. 38–53, hier S. 53 und ders: Säkularfeier oder Säkulartrauer? Das deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm. In: Merkur 6 (1952), S. 779–786, hier S. 780. 11 Boehlich: Pyrrhussieg (wie Anm. 10), S. 53.

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großen Teilen der deutschen Germanistik anhaftet, ist dem Werk durch seine ganze Ge­ schichte, von der ersten bis zur letzten Lieferung erhalten geblieben.“12 Im Folgenden will ich den kritischen Einwänden Boehlichs gegen die Grimmsche Phi­ lologie im Allgemeinen und das Wörterbuch im Besonderen nachgehen, die dadurch ausge­ löste Debatte in ihren Umrissen nachzeichnen und zugleich die wichtigsten Argumente aus wissenschaftshistorischer Perspektive einordnen.

Kritik am Grimmschen Sprachbegriff und der „Unwissenschaftlichkeit des Wörterbuchs“ Schon in seinen Artikeln aus den 1950er Jahren, mit denen er die Lieferungen des Wörter­ buchs kritisch begleitet, weist Boehlich darauf hin, wie stark es einerseits in der roman­ tischen Sprachauffassung der Grimms und andererseits in der politischen Realität des frü­ hen 19. Jahrhunderts wurzelt. Das DWB sei ein romantischer Traum und aus „nationalen Impulsen hatte es mächtigen Antrieb bekommen. Auf die Nation sollte es auch wieder zu­ rückwirken, es sollte einen ‚sichtbaren und unmittelbaren Einfluß auf die Gründung und Belebung unserer Nationalität‘ haben“.13 Den Vorwurf des Nationalismus erhebt Boehlich gegen das DWB an dieser Stelle noch nicht. Im Gegenteil, Boehlich sieht die Lichtseite der romantisch inspirierten Philologie – wohl als Seitenhieb auf die im 18. Jahrhundert anzutreffenden normativen Positionen eines Adelung, Gottsched oder Klopstock – in der „Abwendung vom Regelgebundenen zum Historischen“.14 Mit Blick auf das Trübnersche WB und dessen „nationalsozialistische Un­ bildung“ schreibt er: „Von diesem Unfug ist der Grimm zum Glück frei“.15 Diese Haltung zum DWB ändert sich in den 1960er Jahren merklich. Boehlich spitzt seine Kritik zu, konstatiert politische Indienstnahme und finanzielle Unterstützung durch das rechte Lager: „Das Deutsche Wörterbuch ist ein Wörterbuch des rechtsgerichteten Deutschland geworden, in dem alles fehlt, was links vom Zentrum stand und doch wohl

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Ebd., S. 43. Boehlich: Säkularfeier (wie Anm. 10), S. 783. Ebd., S. 781. Ebd., S. 786. Trübners Deutsches Wörterbuch in acht Bänden, nach dem Verleger benannt und haupt­ sächlich von Gerhard Lüdke initiiert, von Alfred Götze bearbeitet und ab 1954 von Walther Mitzka wei­ tergeführt, wurde 1933 begonnen. Die ersten vier Bände bis 1943 sind deutlich nationalsozialistisch ge­ prägt und zeigen die Verflechtung von Nationalsozialismus und Lexikographie. Heute wird es vor allem für Untersuchungen zur Sprache des Nationalsozialismus herangezogen; in seiner ursprünglichen Be­ stimmung als Wörterbuch ist es mittlerweile irrelevant. Interessanterweise galt es zur Zeit seiner Konzep­ tion als Nachfolger des Grimmschen Wörterbuchs; vgl. Wenke Mückel: „Trübners Deutsches Wörter­ buch“ (Band 1–4). Ein Wörterbuch aus der Zeit des Nationalsozialismus. Eine lexikographische Analyse der ersten vier Bände. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Lexikographica: Series Maior; 125) und Haß-Zum­ kehr (wie Anm. 3), S. 202–223.

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ebensoviel Anspruch darauf hatte, seine Sprachwelt aufgenommen zu sehen wie die Rechts­ radikalen, mit deren Verzettelung man nicht zimperlich war.“16 Hier artikuliert sich, worauf auch Helmut Peitsch und Helen Thein17 hingewiesen ha­ ben: Der deutsche Faschismus erscheint bei Boehlich nicht mehr als Bruch, sondern als Kontinuität. Und für Boehlich beginnt sie mit der romantisch inspirierten Philologie à la Jacob und Wilhelm Grimm. Er zeichnet eine direkte Linie auf, die bei den Grimms und ihren Schülern und Anhängern beginnt, die, gleich einem Ferdinand Maßmann oder Friedrich Ludwig Jahn, mit dem von August Zeune bearbeiteten Nibelungenlied im Tornister als Lützower Jäger gegen Napoleon ziehen und deren Kampf mit der Niederlage von Stalingrad ihr schleppendes Ende findet. Oder, um mit Boehlichs Bildern zu sprechen: Es führt ein direk­ter Weg von der Edition des Armen Heinrich im Jahre 1815, deren Erlös aus der Pränu­ meration die Brüder Grimm für die Ausrüstung hessischer Freiwilligen bestimmten, zum berüchtigten Sammelwerk Von deutscher Art in Sprache und Dichtung von 1941, der spezi­ fischen Unterstützung der deutschen Germanistik für den Krieg.18 Den deutlichsten Niederschlag dieser Rechtslastigkeit sieht Boehlich, was speziell das Wörterbuch angeht, in den verzettelten und berücksichtigten Autoren. Beides, an den Sprach­ begriff zurückgebundenes Nationalismusverdikt und tendenziöse Quellenauswahl, bringt Boehlich in engen Zusammenhang mit seinem dritten Kritikpunkt: dem der Unwissen­ schaftlichkeit. Eine Aussage, die sich wie ein roter Faden durch Boehlichs Texte zieht, die sich mit deut­ scher Philologie auseinandersetzen, lautet: Von Romantik inspirierte Wissenschaft kann per se nicht wissenschaftlich sein.19 Damit spielt er auf die Sprachauffassung v.a. von Jacob Grimm an.20 Wenn von deutscher Philologie romantischer Prägung die Rede ist, bezieht sich Boehlich meist kritisch auf drei wesentliche Elemente der sprachtheoretischen Konzep­ tion Jacob Grimms – und meint in gewisser Weise auch andere historisch vergleichend arbei­tende Sprachwissenschaftler vor den Junggrammatikern mit –, deren Versatzstücke ­immer wieder auftauchen. Das erste Element ist die politisch motivierte Basis der Grimmschen Sprachauffassung. Die schon angesprochene Metapher von der Sprache als einigendes Band und Ersatz der 16 Boehlich: Pyrrhussieg (wie Anm. 10), S. 43/44. 17 Vgl. Helmut Peitsch, Helen Thein: Walter Boehlich (1921–2006). „Wer nicht las, galt nicht“. In: Ines Sonder u.a. (Hrsg): „Wie würde ich ohne Bücher leben und arbeiten können?“ Privatbibliotheken jü­ discher Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2008, S. 83–112, hier S. 99. 18 Vgl. Gerhard Fricke u.a. (Hrsg.): Von deutscher Art in Sprache und Dichtung. Stuttgart u.a.: Kohlham­ mer 1941 und Walter Boehlich: Aus dem Zeughaus der Germanistik. In: Der Monat 18 (1966) H. 217, S. 51–68, S. 62. 19 Vgl. Boehlich: Säkularfeier (wie Anm. 10), S. 780. 20 Jacob Grimm hat nie eine systematische Sprachtheorie verfasst, d.h. dass seine sprachtheoretischen Be­ gründungen auf seine Arbeiten verteilt sind und dort meist aus Vorreden, Aufsätzen, Vorträgen und Ein­ leitungen (wie z.B. der Vorrede zum Wörterbuch oder zu seiner Grammatik) herausdestilliert werden müssen.

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Nation in Zeiten fehlender politischer Einheit ist in seinen Schriften hochprominent und er benutzt sie auch in der Vorrede zum ersten Band des Wörterbuchs, wo sechs Jahre nach der Revolution von 1848 die „erstarkte liebe zum vaterland und untilgbare begierde nach seiner festeren einigung“21 evoziert wird. Boehlich kritisiert nicht nur die Metapher und die sich dahinter verbergende Hypostasierung von Sprache, sondern verdächtigt das DWB, ein „Kampfbuch“ zu sein, denn es sollte „dem großdeutschen Reichsgedanken dienen und die Einheit der Sprache demonstrieren, wo es noch keine Einheit der Nation gab“.22 Zweitens sind in Grimms Sprachauffassung Anthropomorphie und, wie es Andreas Gardt ausdrückt, Sakralisierung und Mythologisierung der Sprache eng verknüpft.23 Nicht nur, dass Sprache organizistisch gedacht wird, sondern Grimm nimmt auch einen Sprach­ geist bzw. Volksgeist an, der als treibende Kraft der Sprachenentwicklung wirkt und als fast schon ontologische Essenz des Deutschen an und in der Sprache gesehen wird.24 Die dritte zentrale Kategorie Grimmscher Sprachauffassung ist die Etymologie. Auf das Wörterbuch gewendet, meint das die historische Perspektive, mit der die Grimms den Schlüssel zu einer semantischen Größe, dem sogenannten ‚Urbegriff‘ gefunden zu haben glaubten. Durch die Rekonstruktion der Wortform bis auf die indoeuropäische Wurzel meinten sie auch die Wortbedeutung rekonstruieren zu können. Die letzten beiden Kategorien der Grimmschen Sprachauffassung kritisiert Boehlich zu Recht als hochspekulativ. Er charakterisiert ihre etymologischen Herleitungen als „oft bloßes Raten“.25 Hier zeigt sich, und auch das haben Helmut Peitsch und Helen Thein betont, dass sich Boehlich ab den 50er Jahren von den „,Konstruktionen‘ der Geistesgeschichte“ ab- und den „Tugenden des Positivismus“ zuwendet. Diese Umorientierung lässt sich konkret an der 21 Jacob Grimm: Kleinere Schriften. 8. Bd.: Vorreden, Zeitgeschichtliches, Persönliches. Gütersloh: Bertels­ mann 1890, S. 304. 22 Boehlich: Pyrrhussieg (wie Anm. 10), S. 43. Es sei hinzugefügt, dass nicht nur aus funktionaler, sondern auch aus linguistischer Sicht diese Einheit der Sprache eine ebensolche Fiktion, ein Konstrukt war. Nicht nur diatopisch, sondern bis ins 19. Jahrhundert hinein war das Deutsche auch diastratisch hochgradig divers, so dass von ‚Einheit‘ nur schwer die Rede sein kann. Dieser Fakt wurde aber ausgeblendet, denn der beschworenen Einheit der Sprache kam im ideologischen Konzept der Kulturnation eine entschei­ dende Rolle zu. Vgl. Joachim Gessinger: Am Anfang war die deutsche Sprache. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (2005) H. 69: Paradigms lost, S. 45–75; Andreas Gardt: Geschichte der Sprachwissen­ schaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Berlin u.a.: de Gruyter 1999. Der zeitge­ nössische Topos von der ‚Sprache als einigendes Band‘ ist meines Erachtens ein gutes Beispiel für Hetero­ genitätsreduktion, die nach Anja Stukenbrock als eines der acht Prinzipien des Sprachnationalismus angesehen werden können. Vgl. Anja Stukenbrock: Sprachnationalismus. Sprachreflexion als Medium kollektiver Identitätsstiftung in Deutschland (1617–1945). Berlin u.a.: de Gruyter 2005 (= Studia Lin­ guistica Germanica; 74), Kap. 4. 23 Vgl. Gardt (wie Anm. 22), S. 262. 24 Vgl. Haß-Zumkehr: Deutsche Wörterbücher (wie Anm. 3), S. 127. Auch hängen in diesem Konzept Sprachgeist und Sprachcharakter eng zusammen. Letzterer steht für eine Engführung von Sprache und Nationalcharakter, wie sie Herder, Jahn, Arndt oder auch Fichte vertreten haben. Vgl. Stukenbrock (wie Anm. 22), S. 444ff. 25 Vgl. Boehlich: Säkularfeier (wie Anm. 10), S. 782.

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Ablehnung der romantischen Sprachauffassung der Grimms und am Primat des metho­ disch-theoretischen Positivismus bzw. am Prinzip der Faktenorientierung bei den Junggram­ matikern ablesen. Gegen die Grimms stellt er demnach die „strenge wissenschaftliche Schu­ lung der Junggrammatiker“, etwa eines Hermann Paul oder Gilbert Murray,26 und meint „die Romantik war eben ungeeignet, ein solches Werk [das DWB, M.B.] zu schaffen. Das ist nicht die Schuld der Brüder Grimm.“27 Der despektierliche Unterton wird besonders deut­ lich, wenn er wiederholt von „den romantischen Brüdern“28 spricht, die er in der vorwissen­ schaftlichen Phase der Sprachwissenschaft verortet: „Noch lag die Romantik zu nahe, noch war die neue Wissenschaft nicht weit genug entwickelt.“29 Diese Dichotomie, die sich zwi­ schen den 1950er und 1960er Jahren bei Boehlich herausbildet, steht nicht nur für ein simples, fast naives Wissenschaftsverständnis, sondern auch für einen wissenschaftshisto­ risch recht undifferenzierten Blick auf die Disziplingenese der Sprachwissenschaft. Es muss einigermaßen verwundern, dass Boehlich annimmt, der Positivismus sei eine unpolitische Methode oder zumindest politisch nicht infiziert gewesen. Diese auf das 19. Jahrhundert bezogene Position erhält jedoch ihre eigentliche Akzentuierung vor dem Hintergrund von Boehlichs Auseinandersetzung mit der (Nach)Kriegsgermanistik. In diesem Zusammen­ hang verweisen Peitsch und Thein auf Boehlichs Wertschätzung für die historisch-philolo­ gische Strenge seines akademischen Lehrers Ernst Robert Curtius in Bonn, der sich der poli­ tischen Indienstnahme verweigert hatte.30 Interessanterweise blendet Boehlich auch, indem er die Junggrammatiker so apodiktisch gegen die Philologie Grimmscher Prägung stellt, eine deutliche Kontinuität aus, die zwischen den beiden Generationen von Sprachwissenschaft­ lern bestand. Trotz aller den Junggrammatikern zuzubilligenden Präzisierung der Methoden und der Befreiung vom Spekulativen teilten sie mit den Altvorderen zentrale theoretische und methodische Ansätze, wenn man etwa an die ihnen gemeinsame uniformitarianischen Ansätze, die empirische Textbasiertheit und die Modellierung ihrer Forschungsresultate als ­Gesetzmäßigkeiten denkt – auch wenn diese bei den Grimms kulturhistorisch und den Junggrammatikern naturwissenschaftlich fundiert waren.31 Ausweis für die Unwissenschaftlichkeit der Grimmschen Philologie und des darauf ba­ sierenden Wörterbuchs ist Boehlich aber bei weitem nicht nur die zugrunde gelegte sprach­ theoretische Konzeption, sondern auch die lexikographische Praxis selbst, die schon von ­Jacob und Wilhelm Grimm nicht einheitlich durchgehalten, sondern von starker Heteroge­ 26 Ebd., S. 780. 27 Vgl. ebd., S. 782. 28 Ebd., S. 782; ders.: Geologische Schichten im Grimm. In: Die Neue Zeitung, 12. 3. 1952; ders.: Ein Pyrrhussieg (wie Anm. 10), S. 38. 29 Boehlich: Pyrrhussieg (wie Anm. 10), S. 45 30 Vgl. Peitsch, Thein (wie Anm. 17), S. 90. 31 Vgl. Manuela Böhm, Elisabeth Berner, Jürgen Erfurt: Nach dem Turn ist vor dem Turn. Ein Prolog. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (2011) H. 78: Nach dem „linguistic turn“. Sprachwissenschaft im Wandel, S. 9–22; Joachim Gessinger: Sprachursprung und Sprachverfall bei Jacob Grimm. In: Zeit­ schrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 38 (1985) H. 6, S. 654–671.

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nität gekennzeichnet war. Heterogen zeigt sich das DWB hinsichtlich der Breite der Darstel­ lung der Stichwörter, aber auch in der Proportion von sprachvergleichenden zu Bedeutungsbzw. Belegteilen der einzelnen Lemmata. Boehlich kritisiert an den Bänden, dass die Artikellänge sehr unterschiedlich, partiell sogar unübersehbar ist, das Verhältnis der seman­ tischen, etymologischen und Sprachgebrauchskommentare zu den grammatischen Erläute­ rungen im Ungleichgewicht ist. Die Kritik an diesen Unausgewogenheiten ist notorisch und so alt wie der erste Band.32 Seitens der Bearbeiter wurde die Heterogenität immer wieder bemängelt, allen voran tat das Jacob Grimm an die Adresse seines Bruders. Die prägnanteste Beschreibung in dieser Beziehung stammt von Moritz Heyne, Lexikograph des DWB in dritter Generation, der meinte, dass alle Beiträger als Steinmetz und Baumeister zugleich werkten.33 Während Walter Jens angesichts der Artikellängen und Belegteile von aufge­ schwellten Artikeln in einem „kuriosen Wörterbuch“34 spricht, findet Walter Boehlich ein handfesteres Urteil: „Ein so uneinheitliches Wörterbuch ist schlechter als gar keins, weil es eine Geschlossenheit und Abgeschlossenheit vorspiegelt, die es nie und nimmer besitzt.“35

Kritik an der Stichwortauswahl Den Nationalismusvorwurf macht Boehlich vor allem an den zugrundeliegenden, also ex­ zerpierten Quellen und der Stichwortauswahl fest. Nach seiner Ansicht haben die langwie­ rige Bearbeitung und die selektive Quellengrundlage zwei unmittelbar negative Konsequen­ zen: Erstens sei das Wörterbuch schon veraltet, bevor es überhaupt gedruckt wurde. Oder, wie Boehlich es formuliert: Dem DWB lief die Entwicklung kontinuierlich davon.36 Mo­ derne Schriftsteller seien erst eine Generation später verzettelt worden; außerdem, so Boeh­ lich, werde der Trivialliteratur der Vorzug vor Kafka, Benn, Brecht gegeben.37 Hier schließt sich der zweite Vorwurf an: Die Stichwortauswahl lasse den Schluss zu, so Boehlich, dass der „Grimm bis 1945 ein Wörterbuch des rechtsreaktionären Deutschland“ gewesen sei, das ignorant mit den Begriffsbildungen des Marxismus und Sozialismus umgegangen sei.38 Da­ mit nicht genug, hätten die Germanisten nach 1933 in aller Eile Mein Kampf und Schriften ähnlicher Gesinnung verzettelt. Generell konstatiert Boehlich eine „Vernachlässigung lin­ ken und eine Bevorzugung rechten Sprachgutes“. Die Lexikographen in Ostberlin hätten

32 Auch Jens und Wapnewski teilen diese Kritik. Letzterer spricht davon, dass das „Unternehmen unter der Regie der Nachfolger im Zeitalter Wilhelminischen Monumentalgebarens“ grenzenlos auswucherte, un­ übersehbar wurde und durch „positivistischen Sammelwahn“ jeden Sinn für Maß und Proportion verlor. Vgl. Wapnewski (wie Anm. 8), S. 138. 33 Vgl. Jens (wie Anm. 1), S. 24. 34 Ebd., S. 23. 35 Boehlich: Pyrrhussieg (wie Anm. 10), S. 44. 36 Vgl. ebd., S. 46. 37 Vgl. ebd. 38 Ebd., S. 51.

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aber nach dem Krieg den Sozialisten zu ihrem Recht verholfen und auf den letzten Metern in der Buchstabenstrecke W Begriffe wie ‚Werttheorie‘ und ‚werktätig‘ untergebracht.39 Boehlichs Kritik an der Stichwortauswahl bezieht sich aber nicht nur auf den politischsozialen Wortschatz, sondern auch auf die Fremdwörter. Jacob Grimm hatte das Attribut ‚deutsch‘ im Titel seines Wörterbuches zeitlich als das Neuhochdeutsche seit dem Buch­ druck und etymologisch als die einheimische und eingedeutschte Lexik definiert.40 In den verschiedensten Arbeiten kann man lesen, dass die Grimms sich bei der Aufnahme von Fremdwörtern mehr als zurückhaltend, um nicht zu sagen, ablehnend verhielten. Dabei legte Jacob Grimm als Kriterium für die Unterscheidung von Fremd- und Lehnwort die Produktivität der Wortbildung fest.41 Boehlich kritisiert dieses Auswahlkriterium. Heißt es in den 50er Jahren bei ihm noch, Grimm hege eine Abneigung gegen Fremdwörter, qualifiziert er 1961 die Grimmsche Posi­ tion als „falsche Einstellung […] zur Fremdwortfrage“ und konstatiert eine Neigung zur Aufnahme von Fremdwörtern aus dem Militärwortschatz.42 Schon 1952 diagnostiziert er ein allgemein verbreitetes deutsches Unbehagen am Fremdwort: „Das Verhältnis der Deut­ schen zum Fremdwort ist unnötig kompliziert. Eine Sprache ist nicht nur Dichtersprache […], sondern auch Mitteilungs- und Denksprache, in der es auf Präzision ankommt. […] Für die Deutschen scheint das Fremdwort nicht der eigenen Sache anzugehören, und kein Wörterbuch außer Weigands belehrt uns über Herkunft, Bedeutung, Gebrauch und Auf­ nahme von Fremdwörtern. Wir haben uns eigene Fremdwörterbücher schaffen müssen, von denen das maßgebliche auch nicht fertig geworden ist. Das ist eine der unglücklichsten Fol­ gen von Grimms romantischem Denken, denn wie anders sollte man eine Idee bezeichnen, daß ‚alle Sprachen, solange sie gesund sind, einen Naturtrieb haben, das Fremde von sich abzuhalten‘? Was ist eine gesunde Sprache? Und was solle eine Sprache ausdrücken können, die sich nur aus eigenem fortentwickelt hat? Hier hat seine [Grimms, M.B.] Vorliebe für das Urtümliche und die Freude des Grammatikers am überschaubaren System dem großen Le­ xikographen einen bösen Streich gespielt.“43 Boehlichs Einsprüche erschöpfen sich nicht in den hier nur kurz angerissenen Punkten. Er thematisiert darüber hinaus die angebliche Vernachlässigung des katholischen Wort­ schatzes, antijüdische Untertöne in bestimmten Lemmata und auch den mangelnden Ge­ brauchswert des Wörterbuchs findet er problematisch. An dieser Stelle ist vielleicht ein Blick auf Benutzer und Funktion des Wörterbuchs, wie sie sich die Grimms vorstellten, ange­ bracht. Die Vorrede von 1854 offenbart die Rezeptionsform und den intendierten Nutzen, wie er Jacob Grimm noch mit dem ersten Band vorschwebte. Ein sowohl den Gelehrten als auch dem Volk dienendes Wörterbuch solle es sein, mit Sicherheit und Schnelle zu handha­ 39 40 41 42 43

Vgl. ebd., S. 52. Vgl. Kirkness: Geschichte (wie Anm. 4), S. 25–36. Vgl. ebd., S. 27. Boehlich: Pyrrhussieg (wie Anm. 10), S. 47. Boehlich: Säkularfeier (wie Anm. 10), S. 782.

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ben und im besten Sinne praktisch.44 In einem an heimelige Hausmärchenatmosphäre erin­ nernden Szenario beschreibt er, wie das Wörterbuch nicht nur als Nachschlagewerk, son­ dern auch aus „Andacht“ gelesen werden könne: „warum sollte sich nicht der vater ein paar wörter ausheben und sie abends mit den knaben durchgehend zugleich ihre sprachgabe prü­ fen und die eigne anfrischen? die mutter würde gern zuhören, frauen, mit ihrem gesunden mutterwitz und im gedächtnis gute sprüche bewahrend, tragen oft wahre begierde ihr un­ verdorbnes sprachgefühl zu üben, vor die kisten und kästen zu treten, aus denen wie gefalte­ te leinwand lautere wörter ihnen entgegen quellen“.45 Ein Füllhorn der deutschen Sprache statt dürres, mühsam über Wurzelwörter zu er­ schließendes Nachschlagewerk – so stellte sich Jacob Grimm sein Wörterbuch vor, „ein heh­ res denkmal des volks, dessen vergangenheit und gegenwart in ihm sich verknüpfen“.46 Nach Grimm sollte es den Geist bilden und den Patriotismus befördern. Als Quellengrund­ lage dafür bestimmte er die einfachen, d.h. unabgeleiteten und nicht zusammengesetzten Wörter aller edlen Schriftsteller von Luther bis zu seiner unmittelbaren Gegenwart.47 In mehrfacher Hinsicht sind die Grimms selbst und ihre Nachfolger von diesem Grundsatz abgewichen, was nicht nur zum ausufernden Umfang des DWB, seiner Heterogenität und seiner langen Laufzeit führte. Aber auch mangelhafte Materialsammlungen wirkten sich auf die von Boehlich monierte Stichwortauswahl aus. Das mag auch erklären, dass, wie Boeh­ lich und auch Wapnewski bemerkt, darin ein Wort wie ‚Kultur‘ (oder zeitgenössisch ‚Cultur‘ und damit als Stichwort noch Jacob Grimm zuzuordnen) oder ‚Literatur‘ oder ‚Metaphysik‘ fehlt, aber dafür ‚Militär‘, ‚Monarchie‘, ‚Lazarett‘ verzettelt sind. Boehlich fragt zu Recht: „Was ist das für ein sinnloses Auswahlprinzip? […] Können wir uns leisten, Kernwörter der deutschen Bildungsgeschichte als undeutsch zu verstoßen?“48 Antijüdische Züge entdeckt auch Wapnewski, stellt sie aber in einen leicht anderen Kontext als Boehlich, indem er die tendenziöse Quellenauswahl im Lemma ‚Jude‘ an die Adresse aller Sprecher zurückverweist: „Wem fällt wohl, aus redensartlicher Gewohnheit oder, sei er auch noch so belesen, aus der Literatur im Zusammenhang mit ‚Jude‘ ein ‚Beleg für den Edelmut, die Humanität eines Israeliten‘ ein, – und so gilt uns denn dieser Artikel aus dem Bande des Jahres 1877 als ein prägnantes Zeugnis für den latenten oder manifesten Antisemitismus des deutschen – nicht nur deutschen – Bürgertums jener Epoche, der sich zwei Generationen später tödlich entlud.“49 Die Diskrepanz zwischen Intention der Begründer und Gebrauch durch die Nutzer wird nicht erst mit historischem Abstand überdeutlich, sondern dürfte schon Zeitgenossen nicht verborgen geblieben sein. Die Funktion eines populären Hausbuchs hat es weder zu Grimms Zeiten noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt gehabt. Boehlich kritisiert die Ge­ 44 45 46 47 48 49

Vgl. Grimm: Kleinere Schriften (wie Anm. 21), S. 306, 313, 309. Ebd., S. 315. Ebd., S. 314. Zu diesen und weiteren Kriterien der Stichwortaufnahme, vgl. Schmidt (wie Anm. 6). Boehlich: Pyrrhussieg (wie Anm. 10), S. 47. Wapnewski (wie Anm. 8), S. 141.

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brauchsqualität und Materialgrundlage zu Recht. Ob das DWB deshalb gescheitert ist, ist damit jedoch noch nicht bewiesen. Tatsache aber ist, dass seine Kritik nicht nur die zeitge­ nössischen Lexikographen, die unmittelbar am Wörterbuch beteiligt waren, herausforderte, sondern sich bis heute die Sprachwissenschaft mit seiner Kritik auseinandersetzt.50

Entgegnungen 1961 erscheint in Der Monat eine Erwiderung der Göttinger Bearbeiter des Wörterbuchs, Hans Neumann und Theodor Kochs. Die Argumente ihrer Replik sind deutlich unter­ schiedlich gewichtet. Sie stimmen Boehlich in einigen Punkten zu, beklagen aber seine pau­ schale, überspitzte und summarisch abwertende Polemik. So akzeptieren sie umstandslos die Kritik an der mangelnden Einheitlichkeit und mei­ nen, dass der Umgang mit Fremdwörtern in den ersten drei Bänden zu Recht von Boehlich beklagt wird. Sie verweisen aber auch auf die veränderte Praxis durch die den Grimms nach­ folgenden Generationen von Wörterbuchbearbeitern: „Die lange Zeit geübte Praxis […], sich hier auf seit längerem eingewurzelte Sachbegriffe und Gegenstandsbezeichnungen zu beschränken, die abstrakten, nur der Gebildetensprache zugehörigen Fremdwörter aber weithin auszuschließen, war eine äußerst unglückliche Entscheidung der Brüder Grimm und ihrer nächsten Nachfolger. Der fehlende Artikel ‚Kultur‘ steht hier für viele andere […]. Warum wird behauptet, es sei ‚erst in den letzten Lieferungen mit dem Fremdwort besser geworden‘, wo doch offenkundig ist, daß […] für ein reichliches Drittel des Gesamtwerks ein gründlicher Wandel eingetreten ist?“51 Hartmut Schmidt hat sich 2004 der Mühe unterzogen, einzelne sowohl von den Grimms als auch später bearbeitete Stichwortstrecken auszuzählen und kam zu dem Ergeb­ nis, dass das DWB verlässlich in den später bearbeiteten Teilen die „größte Fremdwortmenge aller allgemeinsprachlichen, also nicht auf Fremdwörter spezialisierten deutschen Wörter­ bücher“ bietet.52 Was die chronische Unzeitgemäßheit des Wörterbuchs angeht, so bringen Neumann und Kochs mit den zeitnah verzettelten Autoren Heine, Grabbe, Hauptmann, Dehmel, George, Thomas Mann und Rilke schwergewichtige Gegenbeispiele. Mit Blick auf den poli­ tisch-sozialen Wortschatz räumen sie ein, dass „dem heutigen Betrachter eine gewisse Ten­ denz unverkennbar [scheint], die Sprachzeugnisse wenigstens des mittleren und späteren 50 Vgl. z.B. Ulrich Wyss: Die wilde Philologie. Jacob Grimm und der Historismus. München: Beck 1979, S. 42, 176, 264; Kirkness: Geschichte (wie Anm. 4) S. 3–44; Alan Kirkness, Peter Kühn, Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.): Studien zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. 2 Bde. Tübingen: Niemeyer 1991 (=Lexicographica: Series Maior; 33/34), S. XXVIII–XXXI; Haß-Zumkehr: Das ‚Deutsche Wörterbuch‘ (wie Anm. 5); Haß-Zumkehr: Deutsche Wörterbücher (wie Anm. 3), S. 139–142; Schmidt (wie Anm. 6). 51 Hans Neumann, Theodor Kochs: Religion – ja, Manöver – nicht. Das Deutsche Wörterbuch und seine Kritikaster. In: Der Monat 14 (1961) H. 158, S. 54–61, hier S. 59. 52 Schmidt (wie Anm. 6), S. 5.

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19. Jahrhunderts dem nationalen Schrifttum zu entnehmen und darüber das politisch oder weltanschaulich Inopportune vergleichsweise zu vernachlässigen. Vergleichsweise!“53 In einer Fußnote verstecken Kochs und Neumann allerdings das schlagendste Argu­ ment, das angesichts des heutigen Stands historischer Semantikforschung banal anmutet: nämlich dass politischer Wortschatz veränderbar ist und so die von Boehlich ins Feld ge­ führten Begriffe wie ‚nationalistisch‘, ‚deutsch-national‘ oder ‚patriotisch‘ unterschiedlich aufgeladen, oder, wie man heute sagen würde, dass Denotat und Konnotation politischer Fahnenwörter keineswegs unveränderlich sind. Kochs und Neumann argumentieren, dass die Aufgabe eines Wörterbuchs in erster ­Linie in der wissenschaftlichen Dokumentation liege und Belege, auch nationalsozialis­ tische, nicht als politisches Bekenntnis gedeutet werden dürfen. Wie Ulrike Haß-Zumkehr betont, beriefen sich die Göttinger Professoren hier auf das rein sprachdokumentarische In­ teresse, das Lexikologen bei Auswahl und Zuschnitt der Belege walten lassen.54 An dieser Stelle muss auch genauer geschaut werden, auf welcher Datengrundlage Boeh­lich zu seiner Annahme von der Rechtslastigkeit der Quellen- und Stichwortauswahl kommt. Ich vermute, dass er sich, was die verzettelten Autoren angeht, nur auf die ausge­ wählten Literaturverzeichnisse, die einigen Bänden beigegeben waren, bezog und so die im DWB verzettelten Autoren beurteilt hat. Denn 1961 war der Quellenband noch nicht pu­ bliziert. Dieses Verzeichnis der ca. 25.000 Quellen erschien erst zehn Jahre später.55 Um die Behauptungen Boehlichs also auf empirische Füße zu stellen und verlässliche Aussagen über den Einschluss und Ausschluss von rechten und linken Autoren mit einer zeitlich unter­ schiedlich wirksamen Dynamik zu machen, bedarf es einer kompletten Analyse der exzer­ pierten Quellen, die im übrigen immer noch Desiderat ist. Ganz besonders empfindlich reagieren Kochs und Neumann auf die von Boehlich ange­ nommene Kontinuität von den Grimms über die Alldeutschen bis hin zum deutschen Fa­ schismus. Empört weisen sie den Verdacht nazistischer Gesinnungsmacherei zurück und fragen: „Was berechtigt Herrn Boehlich, den Lexikographen des mittleren und späten 19. Jahrhunderts die politischen Maßstäbe und Einsichten abzufordern, die für die Mitte des 20. Jahrhunderts maßgebend sind […]? Was gibt Herrn Boehlich das Recht, von diesen Gelehrten nachträglich zu verlangen, sie hätten über ihren eigenen Schatten springen und sich von ihrem Zeitalter distanzieren sollen, jener Epoche nationalstaatlichen Wünschens und Denkens, die nicht nur eine deutsche, sondern gesamteuropäische Erscheinung war?“56 Sie bezichtigen Boehlich einer „völlig ahistorischen und anachronistischen Betrach­tungs­ weise.“57 Dieser wiederum antwortet einen Monat später in seiner Duplik: „Ihnen [Kochs und Neumann, M.B.] erscheint diese Kritik ahistorisch; man könne ein solches Werk […] 53 Kochs, Neumann (wie Anm. 51), S. 55. 54 Vgl. Haß-Zumkehr: Deutsche Wörterbücher (wie Anm. 3), S. 140. 55 Vgl. ebd., S. 138 56 Neumann, Kochs (wie Anm. 51), S. 55. 57 Ebd.

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nicht als Rückschauender mit den Erkenntnissen einer viel späteren Zeit kritisieren. Nun habe ich einmal versucht, diese Wissenschaftsgeschichte in einen direkten Zusammenhang mit der politischen Geschichte zu stellen, was dem Historiker nie und nirgends versagt sein sollte, zum anderen aber leugne ich, daß die Aufgabe des Historikers lediglich das Registrie­ ren von Fakten sei. […] Das ist keineswegs ahistorisch“.58

Volk versus völkisch Gegen diese Funktionsbestimmung des Historikers in obigem Zitat ist nichts einzuwenden. Genausowenig ist strittig, dass die Bezüge zwischen politischer Geschichte und Geschichte der Sprachwissenschaft hergestellt, gedeutet und kritisch beurteilt werden müssen. Aller­ dings, und das ist der Kern der Kontroverse, ist fraglich, wie dies geschieht. Und es ist frag­ lich, ob Boehlichs teleologische Sichtweise dabei hilfreich ist, denn es mangelt ihr an Diffe­ renzierung. Eine wichtige, weil unabdingbare Differenzierung, das hat Ulrich Herbert in seiner kennt­nisreichen Studie über Werner Best gezeigt, ist die zwischen ‚Volk‘ und ‚völkisch‘.59 Boehlich hat seine Argumentation der Kontinuität von den Grimms bis Hitler unter anderem auf die auch von den Alldeutschen proklamierte Einheit von Sprache und Volk aufgebaut, ohne zu prüfen, was der Begriff ‚Volk‘ in beiden Kontexten bedeutet und worauf er referiert. Jacob Grimm stellte 1846 in seiner Eröffnungsrede der ersten Frankfurter Germa­ nistenversammlung die Frage ‚Was ist ein Volk?‘: „Was ist ein Volk? Der Inbegriff von Men­ schen, welche dieselbe Sprache reden. Das ist für uns Deutsche die unschuldigste und zu­ gleich stoltzeste Erklärung.“60 Was Grimm hier vornimmt, ist eine kulturpolitische Setzung. Er behauptet, ein Volk ist in erster Linie eine Gemeinschaft, die sich eine Sprache teilt, die, würde man heute formulieren, in einem bestimmten geographischen Raum verwendet wird, Ansprüchen an Kommunika­ tion genügt, d.h. über grammatische Strukturen sowie normative und usuelle Verwendungs­ regeln verfügt. Zugehörig zum Volk ist, wer diese Sprache spricht, Teil der Sprach­gemein­ schaft ist.61 Die Sprache als einigendes Band ist die zentrale Metapher in diesem Konstrukt. Dieser kulturpolitische Volksbegriff gerät in die Hände der chauvinistischen und später rassistischen Tradition des 19. Jahrhunderts, etwa eines Jahn, Arndt oder Görres, die ‚Volk‘ nicht mehr als Kulturgemeinschaft, sondern als Abstammungsgemeinschaft definiert. Diese Definition im Sinne von ‚völkisch‘ wendet sich von subjektiven Kategorien wie ‚deutsch sprechen‘ oder ‚deutsch empfinden‘ ab und erhebt ein objektives Kriterium für die Zugehö­ rigkeit zum Volk: die Abstammung. Waren Sprache, Nation und Geschichte bei den Grimms 58 Walter Boehlich: Blick zurück in Grimm. In: Der Monat 14 (1961) H. 159, S. 80–85, hier S. 81. 59 Vgl. Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft. 1903–1989. Bonn: Dietz Nachf. 1996. 60 Zit. nach Haß-Zumkehr: Deutsche Wörterbücher (wie Anm. 3), S. 124. 61 Vgl. Gessinger: Am Anfang (wie Anm. 22), S. 49.

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noch als nationalkulturelle Faktoren zu verstehen, bedeutete deutsche Abstammung, so for­ muliert es Ulrich Herbert, „die Bejahung des Volksbegriffs als einer biologischen Kategorie […] des rassenbiologischen Prinzips“.62 Auch Ulrike Haß-Zumkehr differenziert in der Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in der politischen Tradition deutscher Lexikographie ganz genau. Sie stellt einerseits fest, dass die historische Methode der philologisch arbeitenden Lexikographen die Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie begünstigte. Dennoch wäre es „allerdings einseitig, zu sagen, die seinerzeit traditionelle Sprachwissenschaft mit ihrer Bevorzugung vergangener Sprachstufen und ihrer Affinität zu nationalen Mythen habe zwangsläufig zum rassistischen Nationalismus der Nazis geführt, aber man kann wohl sagen: Die historisch geschulten Ger­ manisten haben den völkischen Nationalismus mit seinen Reden von der Volksseele zum Teil als konsequente Fortsetzung der altvertrauten Auffassung vom Volksgeist und Sprach­ geist begriffen“.63 Dennoch war die nationalsozialistische Sprachtheorie nicht ohne weiteres auf die Grimmsche oder ähnliche historisch-vergleichende und romantisch inspirierte Sprachkon­ zeptionen applizierbar. Das zeigte sich auch im ideologischen Umbau der Sprachkonzepte, denn die jahrhundertlang geltende Tradition, dass „die deutsche Sprache als das Definiens für Volk und Nation begriffen“ wurde und „nun aber mit der staatlich verordneten Rassen­ ideologie die Rasse, metaphorisch als ‚Blut‘ bezeichnet, zum Definiens für Volk und ‚Reich‘ wurde“ bedeutete, dass das Paradigma der Sprache „durch das Leitkonzept Rasse/Blut ver­ drängt“ wurde.64 Dieser Unterschied in sprachtheoretischen Konzepten ist das zentrale Ar­ gument gegen eine direkte Kontinuität von der Sprachwissenschaft des 19. zum Faschismus des 20. Jahrhunderts und damit gegen die von Boehlich vorgenommene Verengung des Be­ griffs vom germanischen über den deutschen zum völkischem Geist. Sicher: Radikale De­ mokraten waren Jacob Grimm ein Gräuel, er vereinte – heute schwer vorstellbar – liberale und nationalkonservative Positionen in seiner Person, er verabscheute die jungdeutschen Autoren wie Heine und Börne, und das Wörterbuch war ein konservatives Unternehmen – an all dem gibt es keinen Zweifel. Aber Jacob Grimm als Steigbügelhalter der Nazis? In den 80er Jahren scheint Boehlich zwar seine kritische Sicht auf Grimm behalten, aber die Behauptung der direkten Linie von den Grimms zum deutschen Faschismus relati­ viert zu haben, denn anlässlich des 200. Geburtstages von Grimm schreibt er 1985 in der Süddeutschen: „Zwar ist Jacob Grimm nicht verantwortlich für die Sünden seiner germanis­ tischen Nachfolger zu machen, aber zu viel findet sich in seinem Werke, was es den Sündern allzu leicht gemacht hat, sich auf ihn zu berufen.“65

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Herbert (wie Anm. 59), S. 58. Haß-Zumkehr: Deutsche Wörterbücher (wie Anm. 3), S. 207/208. Ebd., S. 210. Walter Boehlich: Erklärungen der Freiheit sprechen wenig an. Zum 200. Geburtstag von Jacob Grimm. In: Süddeutsche Zeitung, 4. 1. 1985.

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Alles in allem kann man es wohl mit Hartmut Schmidt halten, der beim Sprechen über und im Umgang mit dem Wörterbuch eine gewisse Bescheidenheit anmahnt, weil, wie er sagt, bis heute wohl niemand behaupten kann, er kenne den Grimm ganz und gar.66 Vier Generationen von Lexikographen haben am DWB gearbeitet. Als 1961 der 32. Band erschien, wurde die Neubearbeitung der ersten dreieinhalb Bände angekündigt, die bislang noch andauert. Inzwischen ist das Grimmsche Wörterbuch transkribiert, digitalisiert und online jederzeit und allen zugänglich. All das deutet auf den diesem Wörterbuch eigenen Unendlichkeitsfaktor hin: Kaum abgeschlossen, beginnt die Arbeit von neuem. Vor diesem Hintergrund erscheint dieses Wörterbuch nicht als Pyrrhussieg, wie Walter Boehlich meint, sondern eher, wie Ulrich Wyss es formuliert, als Etappe einer kollektiven Sisyphosarbeit.67

66 Schmidt (wie Anm. 6), S. 25–64. 67 Vgl. Wyss (wie Anm. 50), S. 176.

IV. Literaturkritik

Walter Boehlich um 1956

Thomas Wegmann

Zwischen Soziologie und Ästhetik oder Der Kritiker, der seine Position bestimmt: Die fehlende Generation. Literaturgeschichte und -kritik

Unter dem Titel Deutscher Geist zwischen gestern und morgen erschien 1954 ein Sammelband, der – wie der Untertitel annonciert – Bilanz ziehen wollte, und zwar Bilanz der kulturellen Entwicklung seit 1945.1 An diesem Band wiederum, der im Umfeld der 1947 begründeten und von Hans Paeschke bis 1978 herausgegebenen Zeitschrift Merkur entstand und auf einen Auftrag der amerikanischen Besatzungsmacht zurückgeht, ist vieles bemerkenswert. Das beginnt mit der Metaphorisierung eines ökonomischen Begriffs: ‚Bilanz‘ bezeichnet im Rechnungswesen eine kurzgefasste Gegenüberstellung von Vermögen (Aktiva) und Schulden (Passiva) in Kontenform. Es geht dabei um das Verhältnis von Guthaben und Verbindlichkeiten eines spezifischen Unternehmens zu einem bestimmten Zeitpunkt, einem Stichtag also, der indes hier – also im Fall des Sammelbandes – zu einem Zeitraum vergrößert wurde: „Bilanz der kulturellen Entwicklung seit 1945“. Dabei fällt auf, dass die Vokabel ‚Schuld‘ in diesem Band kaum vorkommt, weder in ihrer Singular- noch in ihrer Pluralform, obwohl sie zumindest betriebswirtschaftlich zwingend zu einer Bilanz gehört. Stattdessen ist in verschiedenen Beiträgen von Katastrophe oder „totalitärer Verführung“2 die Rede. Warum, so ist zu fragen, spricht man dennoch von ‚Bilanz‘? Und worin besteht der Reiz der Bilanzmetapher, die zu jener Zeit offenbar Konjunktur hatte, um im ökonomischen Diskurs zu bleiben? Denn nur ein Jahr zuvor erschien ebenfalls ein viel beachteter Sammelband mit dem Titel Bilanz des Zweiten Weltkriegs im Stalling-Verlag. Auch darin geht es weniger um Schuld noch um Schulden. Vielmehr lasse das Werk, so Michael Freund, Politikwissenschaftler und Mitherausgeber der Zeitschrift Die Gegenwart, „bewußt die Männer zu Wort kommen, die ‚Hitlers Krieg führten‘“. Und die „gingen naturgemäß von den sachlichen Aufgaben aus, die im Krieg zu lösen waren […].“ Immerhin, resümiert Freund, stelle

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Joachim Moras, Hans Paeschke (Hrsg.): Deutscher Geist zwischen gestern und morgen. Bilanz der kulturellen Entwicklung seit 1945. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1954. Michael Freund: Geschichte ohne Distanz. Zeitgeschichte. In: Deutscher Geist (wie Anm. 1), S. 315– 333, hier S. 319.

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diese Bilanz „nüchtern den Bankrott fest“ und verberge keineswegs, „daß kaum etwas anderes erwartet werden konnte“.3 Vom ‚Bankrott‘ indes kann bei der Bilanz der kulturellen Entwicklung seit 1945 nicht die Rede sein, im Gegenteil. Von einem weiten Kulturbegriff ausgehend, der indes programmatisch auch die Geistesgeschichte einbezieht, soll dabei, so die Herausgeber, „durch eine perspektivische Zusammenschau ein Gesamtbild der Leistungen (und Fehlleistungen) in den verschiedensten Bereichen unseres öffentlichen und personalen Geistes“ vermittelt werden.4 Dazu wurden die einzelnen Beiträge in vier Sektionen gebündelt: I. Gesellschaftliche und kulturelle Grundlagen (wozu unter anderem so disparate Bereiche wie Verfassung, Buchhandel oder Städtebau zählen). II. Die Wissenschaften. III. Die schönen Künste. IV. Einblick und Ausblick. Unter den Wissenschaften finden sich zwar Theologie und Philosophie, Soziologie und Klassische Philologie, nicht aber Literatur- oder Geisteswissenschaften. Stattdessen gibt es unter den schönen Künsten einen Beitrag mit dem Titel Die fehlende Generation. Literaturgeschichte und -kritik.5 Sein Autor: der damals 33jährige Walter Boehlich, Lektor für deutsche Philologie an der Universität Madrid und mit Veröffentlichungen unter anderem in den Akzenten, der Welt, der Zeit, der Neuen Schweizer Rundschau und im Merkur auch im Literaturbetrieb kein unbeschriebenes Blatt mehr. Boehlich trennt zunächst die akademische Literaturforschung von der publizistischen Literaturkritik – und weist ihnen gleichzeitig eine konstitutive Gemeinsamkeit zu, nämlich die Abhängigkeit von externen Faktoren, vom Zustand der Universitäten hier, vom Zustand der Literatur dort. Beide wiederum, und das wird mit Hinweisen auf die Jahre zwischen 1933 und 1945 verdeutlicht, sind ihrerseits von politischen und gesellschaftlichen Faktoren determiniert. Dagegen meint Boehlich in der Literaturwissenschaft des letzten Jahrzehnts eine Tendenz ausgemacht zu haben, die sich dem nationalsozialistischen Gepräge widersetzt und die er mit zwei Schlagworten skizziert: erstens Rückkehr zum historisch-philologischen Arbeiten, zweitens – und mit Verweis auf Ernst Robert Curtius – eine „Europäisierung der Literaturforschung“ (383). Beides, so Boehlich, korrigiere Entwicklungen innerhalb der deutschen Literaturwissenschaft, die bereits vor Jahrzehnten eingesetzt, im ‚Dritten Reich‘ aber ihren inakzeptablen Höhepunkt gefunden hätten, nämlich Nationalismus auf der einen und Entphilologisierung bei gleichzeitiger Dominanz des Weltanschaulichen auf der anderen Seite. Auf dieser Basis durchmustert Boehlich dann eine ganze Reihe unterschiedlicher Neuerscheinungen aus dem akademischen Umfeld: von Helmut de Boors und Richard Newalds groß angelegter Geschichte der deutschen Literatur (1949ff.) über Friedrich Sengles Wieland-Biografie (1949) bis zu Emil Staigers Goethebuch von 1952, die ihm allesamt als Belege für eine his­

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Ebd., S. 322. Joachim Moras, Hans Paeschke: Vorwort. In: Deutscher Geist (wie Anm. 1), S. 9/10, hier S. 9. Walter Boehlich: Die fehlende Generation. Literaturgeschichte und -kritik. In: Deutscher Geist (wie Anm. 1), S. 382–397. Zitate aus diesem Essay werden künftig mit Angabe der Seitenzahl direkt im Text nachgewiesen.

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torisierende im Sinne einer faktenorientierten Darstellung dienen.6 Für die Tendenz zur Europäisierung der Literaturforschung und der damit verbundenen Renaissance einer komparatistischen Literaturgeschichte werden anschließend – neben weiteren Titeln, die hier unerwähnt bleiben – vor allem zwei Beispiele herangezogen: Erich Auerbachs Mimesis (1946) und Ernst Robert Curtius’ Monographie Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (1948). Auerbachs Buch erhält dabei das Etikett „höchst fragwürdig“, weil es zwar vergleichende Literaturwissenschaft betreibe, gleichzeitig aber dazu tendiere, die dafür notwendigen Vergleichsgrößen in Form von Nationalliteraturen für obsolet zu erklären. Cur­tius hingegen wird angeführt als das „großartigste Beispiel für Wert und Notwendigkeit der Rück­besinnung auf die Tugenden historisch-philologischen Denkens und […] der Europäisierung der Literaturforschung“ (387). Dass Curtius eine zentrale Funktion in Boehlichs intellektueller Biografie einnahm, ist unbestritten.7 Gleichzeitig aber konstatierte Boehlich schon 1961 in der Zeit, dass der große Gelehrte mit seiner stupenden Kenntnis der abendländischen Literaturen keine Schüler mehr habe,8 mithin am Ende zum solitären Fossil wurde, und auch – so kann man ergänzen – sein ehemaliger Assistent Walter Boehlich verzichtete auf eine akademische Laufbahn. Diesem ambivalenten Verhältnis korrespondiert der Umstand, dass Boehlich noch im hohen Alter den geschätzten Lehrer gelegentlich imitierte, wie Silvia Bovenschen berichtet: „Boehlich, der selbst etwas näselte, sprach, wenn er ihn, seinen Lehrer, nachmachte, wie jemand, der mit einer dauerhaft komplett verstopften Nase geschlagen ist, und er hob dabei den Kopf und hielt ihn dort in nobler Höhe wie es jemand tut, der nur das höher Gelegene in den Blick nehmen muß. In dem wie er nachahmte lag gleichwohl eine große Zärtlichkeit und Liebe, die mich immer rührte. Boehlich hat es vermocht, den Geistesaristokratismus seiner akademischen Herkunft in einem einzigartigen Zusammenspiel mit scharfer gesellschaftskritischer Streitbarkeit zu verbinden. Das muß man können. Es hätte seinem Lehrer vermutlich nicht in allen Teilen gefallen. Aber die emotionale Treue hat Walter Boehlich immer gewahrt.“9 Deutlich unübersichtlicher als die akademische Literaturforschung stellt sich für Boehlich indes die Lage auf dem Gebiet der Literaturkritik dar. Das beginnt mit dem Umstand, dass zeitgenössische Literatur hier eine weit größere Rolle spiele als in der Literaturforschung, sie diese aber aufgrund der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zumindest in Deutschland noch nicht wieder spielen könne. Damit einher gehe, so Boehlich, zudem die „Vorstellung, Versäumtes nachholen zu müssen“, weswegen „im Augenblick eine um rund zwei Jahrzehnte verspätete Auseinandersetzung mit den großen Schriftstellern aus der Zeit zwischen den Weltkriegen“ erfolge, „neben der die Auseinandersetzung mit der gegenwär6 7 8 9

Die Abgrenzung zum Historismus ist dabei nicht ganz klar; zwar steht Boehlich diesem offenbar skeptisch gegenüber, zieht ihn aber als kleineres Übel allen naiven antiphilologischen Affekten vor. Vgl. dazu den Beitrag von Peter Jehle in diesem Band. Walter Boehlich: Die Einheit der europäischen Literatur. Viele berufen sich gern auf Ernst Robert Curtius, aber er hatte am Ende keine Schüler mehr. In: Die Zeit, Nr. 11, 10. 3. 1961. Silvia Bovenschen: Schon mal abgestürzt? Rede zur Verleihung des Ernst-Robert-Curtius-Preises für Essay­istik. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. 6. 2007.

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tigen Literatur fast bedeutungslos erscheint“ (389). Dass indes die Hinwendung zur klassischen Moderne keineswegs konfliktfrei erfolgte, sondern diverse Kontroversen zeitigte, plausibilisiert Boehlich an der damaligen „Kafka-Mode“ und „Rilke-Schwärmerei“, wobei vor allem letztere Züge von Religionsersatz annehmen könne. Dass in beiden Fällen dennoch am Ende die Kritik sowohl über „hemmungslose Bewunderung“ als auch über „weltanschauliche Ablehnung“ triumphieren kann, liegt bei Kafka offenbar vor allem an Friedrich Beißner10 („feinsinniger Philologe“) und Theodor W. Adorno („analysiert die Motivwelt Kafkas“ und zeige die „Grenzen seiner Kunst“ auf ), bei Rilke an Peter Demetz,11 der sich am kühnsten der Rilke-Legende widersetzt und „die Elemente der Selbststilisierung Rilkes ­herauspräpariert“ habe. Darüber hinaus fällt auf, dass bei Boehlichs Durchmusterung zeitgenössischer Literaturkritik deren aktuelle Variante fehlt: Die von ihm angeführten literaturkritischen Schriften sind entweder in Buchform publiziert (Max Rychner und Rudolf Alexander Schröder etwa) oder in Zeitschriften wie dem Merkur oder der Neuen Rundschau erschienen; auf die tagesaktuelle Auseinandersetzung in den Feuilletons oder auch im Rundfunk wird dagegen nicht eingegangen. Ähnliches gilt auch für zeitgenössische Schriftsteller: Einmal fällt der Name Gottfried Benn, dessen neue Prosa Boehlich selbst 1950 in der Welt besprochen hatte,12 ein anderes Mal Thomas Mann, und das war es auch schon an lebenden Dichtern. Die Gruppe 47 etwa, deren Tagungswelt „je schon durchbrochen [war] von einer ‚sekundären Wirklichkeit‘, die durch externe Kommunikationsvorgänge erzeugt“13 wurde, und deren schriftstellerische Erzeugnisse schon früh ein Objekt literaturkritischer Auseinandersetzung waren, wird mit keinem Wort erwähnt.14 Soweit das geraffte Resümee dieses Essays. Wie aber soll sich in ihm ein Kritiker positionieren, wie es der Titel dieses Beitrags annonciert? Gibt Boehlich nicht vor, lediglich bereits vorhandene Tendenzen in Literaturwissenschaft und -kritik ordnend zu referieren, wenn auch seinerseits pointiert und argumentativ wertend zugespitzt, ohne indes eine eigene Ästhe­ tik oder gar ein eigenes Programm zu formulieren? Die Position, so meine These, die Boehlich bei all dem dennoch für sich als Kritiker reserviert, besteht im Entwerfen einer Fehlanzeige, im Markieren eines Desiderats, einer Leerstelle, die auszufüllen dann der Kritik Boehlichscher Provenienz vorbehalten bleibt. Ablesbar ist das, was fehlt, im Titel seines Beitrags: Die fehlende Generation. Dazu heißt es dann im Text ganz konkret: „Es zeigt sich, daß die unter Hitler erzogene Generation der heute Fünfundzwanzig- bis Vierzigjährigen in der Literaturwissenschaft nicht (oder noch nicht?) existiert.“ (383) Diese fehlende Generation 10 11 12 13

Friedrich Beißner: Der Erzähler Franz Kafka. Stuttgart: Kohlhammer 1952. Peter Demetz: René Rilkes Prager Jahre. Düsseldorf: Diederichs 1953. Walter Boehlich: Der Dichter im Arztkittel. Gottfried Benns neue Prosa. In: Die Welt, 13. 5. 1950. Friedhelm Kröll: Die ‚Gruppe 47‘. Soziale Lage und gesellschaftliches Bewußtsein literarischer Intelligenz in der Bundesrepublik. Stuttgart: Metzler 1977, S. 101/102. 14 Erst spät verfasste Boehlich eine kritische Würdigung: Gruppenbild mit Damen. Ein literarisches Kartell gegen das Banausentum Nachkriegsdeutschlands: Warum die „Gruppe 47“ ihren 50. Geburtstag nicht erlebt. In: Titanic (1997) H. 10, S. 26–29.

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aber ist Boehlichs eigene, und er selbst ist nicht nur der mit Abstand jüngste Beiträger des Sammelbandes, sondern darin auch der einzige Vertreter dieser jüngeren Generation. Gleichzeitig heißt es über diese Generation aber, dass sie aus verschiedenen Gründen, wozu maßgeblich die nationalsozialistische Literatur- und Wissenschaftspolitik zählt, nur unzureichend auf die Renaissance historisch-philologischen Arbeitens und die „Europäisierung der Literaturforschung“ vorbereitet sei, die ja von Boehlich generell für gut geheißen wird. Stattdessen produziere ‚seine‘ Generation eher Meinungen als Wissenschaft, und noch ihre Literaturkritik, so Boehlich, sei „häufig Weltanschauungskritik oder rein politische Kritik“ (389/390).15 Was aber soll dann diese jüngere Generation überhaupt leisten, was die ältere nicht bereits weit besser geleistet hätte, wofür soll sie stehen? – Boehlich verweigert in seinem Beitrag eine klare Antwort auf diese Frage, begnügt sich mit einigen vagen Andeutungen – und hält dennoch hartnäckig an dieser jüngeren, an der fehlenden Generation fest. Warum? Weil das, wofür diese Generation stehen soll, so mein Vorschlag, nichts anderes ist als sie selbst. Denn mit der fehlenden Generation und der fehlenden Begründung für Boehlichs Insistieren auf dieser Generation wird das Generationenmodell selbst zum Kriterium bei der Beobachtung und Analyse des literarischen Feldes. Das Merkmal des Generationenzusammenhangs fungiert somit als Differenzkriterium, als Abgrenzungsgröße, und selbst da, wo es für Boehlich negativ konnotiert ist, bleibt es immerhin ein Merkmal – und zwar eines mit weitreichenden Konsequenzen und einer großen diskursiven Karriere, wie die bundesrepublikanische Literatur- und Kulturgeschichte von der Gruppe 47 über die ,skeptische Generation‘ (Helmut Schelsky) und die 68er Generation bis zur ,Generation Golf‘ (Florian Illies) zeigt. Denn aufgekündigt wird damit vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten der Nachkriegszeit jener ,wortlose Generationspakt‘ (eine Formulierung von Arnulf Baring), der alle diejenigen zusammengehalten haben soll, die 1945 vor allem als das Jahr des Zusammenbruchs erlebt hatten.16 Das Modell konfligierender und einander kaum mehr verständlicher Generationen fragmentarisiert und differenziert die Idee eines nationalen Ganzen und damit das Modell gesellschaftlicher und kultureller Kontinuität, wie es nicht zuletzt konservative Literaturkritiker verfochten. So schrieb etwa Friedrich Sieburg 1960 in einer Rezension (zu einem Roman von Michael Horbach, geb. 1924): „Eine Generation, die über die Anklage: ‚Was sie mit uns getan haben!‘ nicht hinauskommt, entzieht sich ihrem Anteil an der kollektiven Verantwortung für das, was in Deutschland geschehen ist. Die ‚geopferte Jugend‘ vermehrt das drückende Gewicht unserer Schuld, die nicht zwischen Generationen aufgeteilt werden kann.“17 Boehlich wiederum wird zwei Jahre später in der Zeit gegen Sieburg polemisieren, dass dieser „Schriftsteller, die zwanzig oder vierzig Jahre jünger sind als er, nicht verstehen“ wolle und deshalb meine, „sie, die zu jung gewesen seien, sich zu 15 Als Beispiel dafür kann Peter de Mendelssohn gelten (Der Geist in der Despotie. Berlin: Herbig 1953), dessen „literarische[…] Kritiken mehr Hochverratsprozessen [gleichen] als Analysen poetischer Substanz. Sein Blickpunkt ist eng gewählt, seine literarische Bildung stark eingeschränkt.“ (394) 16 Vgl. dazu Tilman Krause: Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußtsein. Friedrich Sieburgs Wege und Wandlungen in diesem Jahrhundert. Berlin: Akademie 1993, S. 242. 17 Zit. n. ebd., S. 245.

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verstricken, die vielleicht gar keine Möglichkeit hatten, sich zu verstricken, hätten gut reden“.18 Um dann zu konstatieren: „Er [also Sieburg] braucht die junge Literatur, aber die junge Literatur braucht ihn nicht: das weiß er.“ Das Kontinuum einer sich organisch über große Zeiträume entwickelnden Kultur, wie es etwa noch Boehlichs Lehrer Curtius als geistiges Ineinander heterogener Räume und Zeiten entwarf, transformiert nicht zuletzt über das Modell konfligierender Generationen zu einem Feld widerstreitender Ästhetiken, Inter­ essen und Machtkonstellationen und letztlich zu einer Konkurrenz um symbolisches Kapital, Nobilitierung und Aufmerksamkeit.19 Wissensgeschichtlich ist Generation eine nomadisierende Kategorie: Von der Anthropologie wanderte sie in die Biologie und von dort in die Soziologie. „In einem älteren, heute weitgehend vergessenen Wortgebrauch bezeichnete ‚Generation‘ […] die Schöpfung, Entstehung oder (Er-)Zeugung – lat. generatio, gr. genesis –, eine Bedeutung, die in den biowissenschaftlichen Begriff von Zeugung oder Entstehung eines Organismus eingegangen ist. […] Begründet in anthropologischen Phänomenen wie Alterung, Sterblichkeit und sexueller Reproduktion, ist die Generation eine Größe, die den Fortgang der Geschichte, in der Figur der Entstehung von neuen Geschlechtern, garantiert und derart die Genealogie als Abkunft und Abfolge organisiert. Insofern verbirgt sich im Begriff der Generation immer schon ein komplexes Zusammenspiel von Natur und Kultur, markiert die Generation doch die Schwelle zwischen Entstehung und Fortgang, […] zwischen Prokreation und Tradition […].“20 In der Soziologie machte sie dann bekanntlich Ende der 1920er Jahre Karl Mannheim populär, indem er sie mit gleichen, markant typisierenden Generationserlebnissen als verbindendem Element ausstattete und auf dieser Basis einen Generationenzusammenhang formulieren konnte. Boehlich wiederum, der sich ansonsten in seinem Beitrag über die fehlende Generation so explizit wie vehement gegen alle literaturfernen Kriterien (wie etwa Weltanschauung) bei der Wertung und Darstellung von Literatur verwahrt, ausgerechnet Boehlich führt also schon im Titel eine vermeintlich literaturferne, nämlich soziologische Kategorie ein. Doch gerade dadurch werden Soziologie und Ästhetik in ein Spannungsverhältnis gesetzt – und so immerhin in ein Verhältnis. Soziologie und Ästhetik, kulturelle Kontinuität und generationeller Wandel, Karl Mannheim und Ernst Robert Curtius – damit sind wichtige Stichworte und Namen versammelt, die es nun erlauben zu begründen, warum Boehlichs scheinbar unauffälliger Beitrag tatsächlich die Position eines noch jungen Kritikers bestimmt – und das auf durchaus programmatische Weise. Sein Text ist nämlich nichts anderes als die subtile Überschreibung wie generationelle Neu- und Reformulierung eines älteren Konflikts, eines Konflikts nämlich, den Karl Mannheim und Ernst Robert Curtius 1929 in der Neuen Schweizer Rundschau 18 Walter Boehlich: Friedrich Sieburgs Unmut. In: Die Zeit, 7. 12. 1962. Nachdruck. In: Reinhard Lettau (Hrsg.): Die Gruppe 47. Bericht, Kritik, Polemik. Neuwied, Berlin: Luchterhand 1967, S. 347–352. 19 Und damit genau als das, was Pierre Bourdieu als literarisches Feld beschreibt. Vgl. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999. 20 Sigrid Weigel: Genea-Logik. Generationen, Tradition und Evolution zwischen Kultur- und Naturwissenschaften. München: Fink 2006, S. 109.

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austrugen. Initiiert hatte ihn Curtius, als er unter dem Titel Soziologie – und ihre Grenzen auf Karl Mannheims Schrift Ideologie und Utopie (1929) reagiert – und das in scharfer und durchaus polemischer Weise, zumal er in Mannheims Buch Grundlegendes wie die „Frage nach der Funktion des Geistes in der heutigen Welt“ verhandelt sieht.21 Umso größer ist die Enttäuschung bei Curtius darüber, dass er statt Wissenschaft nur Weltanschauung präsentiert bekommt und Folgendes konstatieren muss: „Es ist methodisch immer bedenklich, aus der Erschütterung des eigenen Lebensgefühls heraus eine radikale Richtungsänderung der Menschheitsgeschichte zu konstruieren.“22 Ohne hier auf alle Einzelheiten eingehen zu können, bleibt für den hier in Rede stehenden Zusammenhang festzuhalten, dass ein grundlegender Kritikpunkt von Curtius an Mannheim darin besteht, dass dieser aus dem Lebensgefühl und der Weltanschauung einer bestimmten Generation – Mannheim nennt das „Lebensverlegenheit“, was Curtius mehrfach mit spöttischem Genuss zitiert – einen Anspruch auf historische Zäsuren ableite, statt mit wissenschaftlichem Weitblick „momentane Stimmungen am Bilde des geschichtlichen Beharrens [zu] berichtigen“.23 Dass Curtius sich darüber hinaus am Anspruch der Letztinstanzlichkeit von Wissenssoziologie reibt, die er allen­falls als Hilfsdisziplin der philosophischen Anthropologie gelten lassen will, sei zumindest am Rande erwähnt. Von den vielfältigen Aspekten, die Mannheim dagegen zur eigenen Verteidigung ins Feld führt, seien hier nur zwei genannt: Zum einen verweist er darauf, dass neuerdings „Schichten und Gesellschaftsklassen, die bisher nur passiv in den entscheidenden Dingen präsent waren, […] an deren Denken und Habitus man bisher nur vorbeigelebt hatte, […] in das Herrschaftsgefüge und in die Sphäre der bewußt gepflegten Kultur mit Geltungsansprüchen“ eingebrochen seien und diese damit auch geprägt und verändert hätten.24 Begriffe und Praxen von Wissenschaft und Kultur erweisen sich somit selbst als historisch und damit veränderbar. Zum anderen – und damit eng zusammenhängend – wird jede „verabsolutierende Methode des Denkens“25 einer gründlichen Revision unterzogen. Weltanschauliche Elemente werden von Mannheim bei jedem Denken als unvermeidlich akzeptiert, sollen aber in ihrer Irrationalität kenntlich gemacht und auf ihre soziale und geschichtliche Genese zurückgeführt werden. Eine so verstandene Wissenssoziologie „versucht also die Einseitigkeit eines jeden Aspektes aller Standorte und aller Parteien mit wissenschaftlichen Methoden genau zu bestimmen“.26 Mit anderen Worten gibt es kein Wissen ohne ein habitualisiertes Vorverständnis, ohne internalisierte Weltanschauungen; und genau dieser Prozess soll 21 Ernst Robert Curtius: Soziologie – und ihre Grenzen (1929). In: Volker Meja, Nico Stehr (Hrsg.): Der Streit um die Wissenssoziologie. Bd. 2: Rezeption und Kritik der Wissenssoziologie. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982, S. 417–426, hier S. 418. 22 Ebd., S. 419. 23 Ebd., S. 420. 24 Karl Mannheim: Zur Problematik der Soziologie in Deutschland (1929). In: Meja, Stehr (Hrsg.): Der Streit um die Wissenssoziologie (wie Anm. 21), S. 427–437, hier S. 428. 25 Ebd., S. 429. 26 Ebd., S. 431.

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nun durch eine Beobachtung zweiter Ordnung sichtbar gemacht und analysiert werden, womit das Wissen selbst zum Gegenstand von Wissenschaft wird und sich als historischdynamischer Komplex erweist. Wendet man sich vor diesem Hintergrund noch einmal Boehlichs Text zu, fällt auf, wie viele Spurenelemente er sowohl von Curtius als auch von Mannheim enthält. Da ist das Modell der bisher noch fehlenden Generation, die – wenn sie sich erst einmal durchgesetzt hat – das kulturelle und literarische Feld prägen und verändern kann. Da ist aber auch das Modell eines kultur- und literaturgeschichtlichen Kontinuums, einer Tradition, die es zu erhalten und zu pflegen gilt. Da ist die Skepsis gegenüber allem bloß Weltanschaulichen in Literaturforschung und -kritik; gleichzeitig findet sich aber auch die Einsicht in die Grenzen und die Bedingtheit des Wissens, vor allem des literaturwissenschaftlichen Wissens, sowie das Unvermeidliche von Weltanschauung im Sinne Mannheims. So liest man in Boehlichs Rezension zu Emil Staigers Studie Die Kunst der Interpretation (1955), dass in dieser „mehr als der Forscher der Kenner zu Worte“ komme, „der Liebhaber im eigentlichen Sinne, […] den […] ein unerklärlicher Spürsinn leitet, der sich durch kein Studium erwerben lässt“.27 Was Boehlich hier formuliert, ist ein eminent soziologischer Befund, der an den alten Antagonismus zwischen dem Gelehrten, der Regeln folgt, und dem Kenner bzw. Liebhaber, der lediglich das eigene Vermögen und Vergnügen als Richterinstanz gelten lässt, anschließt.28 Aus soziologischer Perspektive ist damit die Differenz zwischen ererbtem und erworbenem kulturellen Kapital als Fähigkeit zur angemessenen Rezeption legitimer Kunst angesprochen. Jenes meint in erster Linie die herkunftsbedingte Inkorporation des kulturellen Kapitals der Vorgängergenerationen, dieses das erst durch verschiedene Bildungsinstitutionen vermittelte und mitunter mühsam angeeignete kulturelle Kapital. Was Staiger in Boehlichs Augen somit auszeichnet, ist wiederum mit Bourdieus Worten nichts anderes als die „Kompetenz des ‚Kenners‘, diese aus langem vertrauten Umgang mit den Werten hervorgegangene, […] unbewußte Beherrschung der Aneignungsmittel“.29 Während das institutionalisierte Lernen ein Minimum an Rationalisierung voraussetzt, vermag der ‚Kenner‘ in der Regel nicht die sein Urteil bildenden Prinzipien offenzulegen: Kritik als Kunst. Auf dieser Basis lassen sich nun die frühen literaturkritischen Arbeiten Boehlichs – mithin auch Die fehlende Generation – etwas präziser taxieren: Es sind Texte, denen die Ausein­ andersetzung zwischen Ästhetik und Soziologie eingeschrieben ist. Auf der einen Seite zeigen sie Interesse an Interesselosigkeit und damit an ästhetischer Erfahrung im Sinne Kants. Auf der anderen Seite führen sie diese auf soziologische Kategorien zurück und letztere wiederum in die Literaturkritik und -forschung ein: explizit mit dem Begriff der Generation, implizit mit der Differenz zwischen Gelehrtem und Kenner, ererbtem und erworbenem kul27 Walter Boehlich: Das Deuten von Dichtungen [zu Emil Staiger: Die Kunst der Interpretation. Zürich: Atlantis 1955]. In: Kritische Blätter (1956) H. 8, S. 13/14, Beilage zu Neue Deutsche Hefte 3 (1956/57) H. 26. 28 Vgl. dazu und zum Folgenden Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, S. 125–133. 29 Ebd., S. 121.

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turellen Kapital. Entsprechend beginnt Boehlich seinen programmatischen Text Literaturforschung auf Holzwegen (1956) mit dem ebenso programmatischen Satz: „Die Geschichte einer Gattung, die soziologische Analyse einer Literaturperiode, die Interpretation ausgesuchter Dichtungen – das sind berechtigte und anerkannte Gegenstände der literaturhistorischen Forschung.“30 In Zeiten, in denen die werkimmanente Methode nicht nur an den Universitäten den Umgang mit Literatur dominierte – Boehlich konstatiert eine Mode des Interpretierens –, ist ein solcher Satz alles andere als selbstverständlich. Die fehlende Generation, das ist damit genau die Generation, welche die antagonistischen Positionen von Curtius und Mannheim zu synthetisieren versteht, die das Dynamische mit Kontinuität subvertiert und zwischen akademischer Literaturwissenschaft und publizistischer Literaturkritik angesiedelt ist. Und vor allem die, bei der ästhetische Erfahrung nicht in Opposition zu soziologischen Kategorien und sozialen Konflikten steht, sondern aus ihnen hervorgeht und wiederum auf sie einwirkt.

30 Walter Boehlich: Literaturforschung auf Holzwegen. In: Merkur 10 (1956), S. 186–189.

Verlagssitzung in Walsers Garten in Wasserburg 1962 (von links nach rechts) Hans Magnus Enzensberger, Siegfried Unseld, Karl Markus Michel, Walter Boehlich, Martin Walser, Uwe Johnson © Elisabeth Johnson

Matthias N. Lorenz

„Wir kommen ohne einander aus.“ Walter Boehlichs und Martin Walsers Entfremdung als Resultat konfligierender Konzepte des Intellektuellen

Das Schlimmste ist, dass der Walser ‚als solcher‘ grundsympathisch ist. Brief an Peter Wapnewski, 3. November 1960 Walter Boehlichs Entfremdung von Martin Walser – diese Themenstellung impliziert, dass es eine Art von Beziehung zwischen dem Frankfurter Lektor und Kritiker und dem Schriftsteller vom Bodensee gegeben habe. Die Quellenlage zu dieser angenommenen Beziehung ist allerdings äußerst schmal. Sicher: Als Lektor im Suhrkamp Verlag wird Boehlich wohl in irgendeiner Form mit Walser zu tun gehabt haben, der wiederum soll eine unrühmliche Rolle bei der Niederschlagung des Lektorenaufstandes 1968 gespielt haben. Aber verlässliche Aussagen sind über beides kaum zu finden; in der offiziösen Suhrkamp-Verlagschronik aus dem Jahr 2000 etwa wird Boehlich weitgehend totgeschwiegen. Eine Untersuchung der Frage nach Walter Boehlichs Entfremdung von Martin Walser kann sich daher nicht allein auf die schmale Basis jener Texte stützen, in denen diese direkt aufeinander Bezug nehmen, sondern sie muss eine Relation auch zu ausgewählten Gegenständen suchen, um diese zwei für das literarische Leben der Bundesrepublik gewichtigen Intellektuellen in ein Verhältnis zu setzen.

Bei Suhrkamp Doch zunächst zu den direkten Beziehungen und Bezugnahmen: Martin Walser wurde 1955 mit seiner ersten Buchveröffentlichung, Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten, Autor des Suhrkamp Verlags. Dass Walser nach mehreren Ablehnungen seiner Manuskripte endlich Verlagsangebote bekam, lag daran, dass er in jenem Jahr den Preis der Gruppe 47 erhalten hatte. Dass er sich daraufhin für Suhrkamp entschied, lag in der Person Siegfried Unseld begründet, den Walser seit gemeinsamen Tübinger Studententagen kannte. Ihm vertraute er –1 eine Verbundenheit, die Verleger und Autor viele Jahre lang aneinan1

Vgl. Jörg Magenau: Martin Walser. Eine Biographie. Reinbek: Rowohlt 2005, S. 113.

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der binden und auch für das Verhältnis zu Boehlich noch eine Rolle spielen sollte. Walter Boehlich wurde bekanntermaßen 1957 von Peter Suhrkamp in den Verlag geholt, weil man den scharfen, aber eben auch scharfsichtigen Kritiker der Proust-Ausgabe lieber im eigenen Haus wissen wollte als außerhalb. Die Boehlich-Bibliothek enthält eine Ausgabe von Wal­ sers Erstling, deren Besitzvermerk auf September 1957 datiert ist; vermutlich haben sich die beiden vorher nicht wahrgenommen. Dann müssen sie aber sofort miteinander bekannt geworden sein: Im gleichen Jahr erschien Walsers erster Roman, Ehen in Philippsburg. Der Autor hat Boehlich ein Exemplar gewidmet mit den folgenden Worten: „Für Walter Boehlich: natürlich nicht zum Lesen, auch nicht gerade zum ‚Verreißen‘, aber als eine Art Nadelkissen, in das er seinen spitzen Überfluß abladen kann. Martin Walser“.2 Boehlich hatte das Buch also noch nicht im Verlag gelesen. Und Walser war es augenscheinlich entgegen seiner Bekundung wichtig, dass er es zur Kenntnis nehmen möge. Das Bild vom Buch als Nadelkissen, in das Boehlich „seinen spitzen Überfluss abladen“ könne, lässt sich kaum sinnvoll deuten (wenn man nicht gerade von einer Masturbationsszenerie ausgehen will). Aber die Wahrnehmung Boehlichs als „spitz“, als polemischer Geist drückt sich darin deutlich aus. Auch wenn es in Jörg Magenaus Walser-Biographie in einer Passage zum Jahr 1965 heißt, Walser habe „seine[m] Lektor Walter Boehlich“3 geschrieben, ist davon auszugehen, dass Boehlich Walser nicht durchgängig und wohl auch nicht allzu intensiv betreut hat. Aus Walsers Hauptwerk, das während Boehlichs Tätigkeit im Suhrkamp Verlag entstand, der Anselm Kristlein-Trilogie, besaß Boehlich nur die ersten beiden Teile und auch die nur ohne Widmung. Den ersten Band Halbzeit, vielleicht auch literarhistorisch betrachtet sein gewichtigstes Werk, hat Boehlich im Verlag gelesen, neben ihm aber auch mindestens noch Unseld und Hans Magnus Enzensberger. Alle drei sollen Vorbehalte gegen das Buch gehabt haben, jedenfalls will Walser sich von Boehlich und Enzensberger „wie ein Krebskranker“ behandelt gefühlt haben, „dem die Wahrheit nicht vor Rückkehr des Chefarztes mitgeteilt werden darf“.4 Neben den Genannten betreuten in den sechziger und siebziger Jahren auch 2 3 4

Widmung. In: Martin Walser: Ehen in Philippsburg. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1957, Boehlich-Bibliothek, Sign. Boe 5501. Magenau (wie Anm. 1), S. 227. So Magenau (wie Anm. 1), S. 162. In Briefen an Peter Wapnewski ist Boehlichs private Einschätzung des Autors von „Halbzeit“ festgehalten: „Von Halbzeit halte ich wesentlich mehr als der so suspecte wie subalterne Herr Blöcker. Ein dickes Buch mit vielen Schwächen, worunter gerade seine Dicke, aber viel besser als die leidigen Ehen. Es gibt glänzende Geschichten darin und ausgezeichnete Kapitel, blendende Beobachtungen, zu viel Material. Das Schlimmste ist, dass der Walser ‚als solcher‘ grundsympathisch ist. Ich fürchte, er ist ein Geschichtenerzähler, aber kein Romancier. Immerhin ist mir das Buch viel lieber als die elende ‚Rote‘, die für das Publicum geschrieben ist, gegen das geschrieben zu sein, es vorgibt. Es ist anständiger, unverlogener, unperfecter. Ja, Walser hat sich gebessert. Und nicht nur, weil ich ihn jetzt kenne und ihn damals nicht kannte, sondern in Tat und Wahrheit.“ (Walter Boehlich an Peter Wapnewski, 3.11.1960, Archiv der Akademie der Künste Berlin, Bestand Wapnewski, Sign. 31.) In weiteren Briefen an Wapnewski vom 11. 12. 1960 und vom 7. 1. 1961 verteidigte Boehlich Walser gegen den unqualifizierten Verriss von „Halbzeit“ durch Friedrich Sieburg (vgl. hierzu Magenau (wie Anm. 1), S. 163– 165).

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die Lektoren Karlheinz Braun, Karl Markus Michel und Thomas Beckermann Werke Wal­ sers, mit denen er sich – davon zeugen etwa die Verlagskorrespondenzen über seinen Band Lügengeschichten und den Roman Die Gallistl’sche Krankheit – zum Teil erbitterte Auseinandersetzungen geliefert hat.5 Walsers enge Bindung an nurmehr einen Lektor bestand während Boehlichs Tätigkeit für Suhrkamp ganz augenscheinlich noch nicht, vielmehr gingen seine Texte als Chefsache vor allem über Unselds Schreibtisch.6 Später war der Wechsel des für Walser zuständigen Lektors stets Ausdruck einer Beziehungskrise zwischen Verlag und Autor. Mit den Jahren hat Walser immer stärker empfunden und beklagt, in Frankfurt zu wenig geliebt zu werden, selbst von Siegfried Unseld hat er sich ab den achtziger Jahren zunehmend enttäuscht gesehen. Boehlich dürfte dieser Entfremdung, die nach dem Tod Unselds in Walsers Wechsel zum Rowohlt Verlag ihren endgültigen Ausdruck gefunden hat, vor allem deshalb entgangen sein, weil er seinerzeit eben nicht direkt mit dem Lektorat und der Produktion von Walsers Texten befasst war. „Mit Boehlich verstand er sich hervorragend“, schreibt Magenau sogar. „Hochgebildet und streng ironisch ging es zwischen ihnen zu. Neckische Rechthabereien und abseitige Belehrungen gehörten zu ihren Lieblingsspielen. Auf Boehlichs Urteil konnte er sich stets verlassen.“7 Mag sein – Magenaus Biographie ist allerdings sehr dicht an den Selbstauskünften des Autors von 75 Jahren entlang geschrieben. Fakt hingegen ist, dass sich Walter Boehlichs und Martin Walsers Interessen für bestimmte Autoren zeitlebens immer wieder überkreuzt haben. Der Suhrkamp Verlag war natürlich ein Knotenpunkt für solche Beziehungen: Was Unseld an literarischen Klassikern und politisch-philosophischen Schwergewichten herausbrachte – etwa Proust oder Bloch – ging über den Schreibtisch von Walter Boehlich genauso, wie es den mit dem Verlag eng verbundenen Autoren vorgelegt wurde. Unseld zählte Walser in einem Brief an Uwe Johnson vom 17. Mai 1961 zum „erweiterten Lektorat-Flügel[…] unseres Hauses“,8 wovon auch die ‚Geburtsstunde‘ der edition suhrkamp zeugt, die im Juni 1962 bezeichnenderweise in Walsers Garten stattfand. Mit Sinn für die eigene Stilisierung ließen die Teilnehmer – Unseld, Johnson, Walser, Enzensberger, Michel und Boehlich – eine Aufnahme von dieser bald zum ‚Wasserburger Treffen‘ aufgebauschten Verlagssitzung machen, die sechs ernst rauchende Herren rund um einen Gartentisch zeigt.9 Während alle anderen Anwesenden gegen Unselds Idee einer Taschenbuchreihe waren – die Rede war ebenso von bloßem „Kommerz“ wie von drohendem „Ruin“ –,10 votierte allein Walser für den Plan des Verlegers. Er hatte sogar ein zehnseitiges Thesenpapier dazu ausgearbeitet. Boehlich dagegen war strikt gegen das Taschenbuch an sich eingestellt und ging auch später in Opposition zur farbigen Gestal-

  5   6   7   8

Vgl. Magenau (wie Anm. 1), S. 196/197, 291–293. So der Hinweis von Karlheinz Braun auf der Tagung „Walter Boehlich. Kritiker“. Magenau (wie Anm. 1), S. 227. Siegfried Unseld an Uwe Johnson, 17. Mai 1963. In: Eberhard Fahlke, Raimund Fellinger (Hrsg.): Uwe Johnson, Siegfried Unseld. Der Briefwechsel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999, S. 129.   9 Vgl. Abb. zu diesem Beitrag. 10 Vgl. Magenau (wie Anm. 1), S. 185.

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tung der edition suhrkamp durch Willy Fleckhaus, die Unseld durchsetzte und zu einem Markenzeichen des Verlags wurde. Boehlich und Unseld fungierten Unselds Biograph Peter Michalzik zufolge nach Peter Suhrkamps Tod als „der Kopf und das Herz“ des Verlags.11 Unseld nutzte seine verlegerische Begabung als Netzwerker, Boehlich dagegen war der gebildetere, belesenere und nicht zuletzt mehrsprachige Lektor. Auf der Seite des Verlegers das Umwerben von Autoren aus dem deutschsprachigen Raum mit einer kaum versiegenden Treue und Liebesbereitschaft. Auf der Seite des Lektors Kenntnis der Weltliteratur, dezidiertes und jederzeit objektiv begründbares Urteil, dafür wenig Interesse für die im Verlag so präsente Gruppe 47 (er scheute sich nicht, auch Manuskripte des im Verlag sakrosankten Max Frisch zu kritisieren).12 Das, was George Steiner 1973 als Suhrkamp-Kultur bezeichnet hat, waren aber nicht die Arbeiten der 47er, zu deren verlegerischem Patron Unseld avanciert war, als vielmehr die sorgfältigen Ausgaben deutsch-jüdischer Denker wie Walter Benjamin, Herbert Marcuse oder Theodor W. Adorno.13 Boehlich wiederum sah sich in der radikaldemokratischen Tradition des 19. Jahr­ hunderts.14 Mit den Vordenkern der Studentenbewegung verband ihn der aufklärerische Impetus, mit Unseld die Leidenschaft für das Literarische, der er freilich in der sammlung insel ganz andere Akzente gab: Neben die Klassikerausgaben stellte er internationale Autoren ersten Ranges wie zum Beispiel Samuel Beckett. Als ‚Kopf‘ und ‚Herz‘ des Verlags in Konflikt miteinander gerieten und die Lektoren um Walter Boehlich einen Betriebsrat gründeten, eine Verlagsverfassung erdachten und so Unseld mit Entmachtung drohten, war abzusehen, dass das Herz den Kopf lieber heute als morgen abstoßen würde. Martin Walser soll sich in diesem Konflikt, bei dem es für alle klar erkennbar auch um Boehlichs berufliche Zukunft ging, exponiert haben. Verschiedene Darstellungen kolportieren, dass sich in der ‚Nacht der langen Messer‘, der vom Verleger einberufenen Krisensitzung am 14. Oktober 1968, die Autoren nicht mit den Lektoren solidarisiert hätten. Allein Walser soll für die Sozialisierung gesprochen haben, wobei seine Rolle umstritten ist. Während oft kolportiert wird, Walser habe eine flammende Rede im Sinne der Lektoren gehalten, erinnerte sich Uwe Johnson daran, Walser habe lediglich in einem missverständlichen Redebeitrag beide Seiten darstellen wollen, um „das Klima der Ausein­ andersetzung [zu] entspannen“.15 Hans Erich Nossack vermutete schließlich, Walser habe sich eher aus taktischen Gründen auf die Seite der Aufständischen geschlagen, da er eh als 11 Vgl. Peter Michalzik: Unseld. Eine Biographie. 2. Aufl. München: Goldmann 2003, S. 119. (Übrigens gingen Kopf und Herz mitunter ganz pragmatisch Hand in Hand, etwa, als es galt, Trauzeugen für Uwe Johnson und Elisabeth Schmidt zu finden: Boehlich und Unseld fanden sich in Ermangelung von Alternativen bereit.) 12 Vgl. Revolte der Zehn. In: Der Spiegel, 18. 11. 1968; sowie: Das Unvereinbare. Walter Boehlich antwortet Siegfried Unseld. In: Christ und Welt, 7. 2. 1969. 13 Vgl. George Steiner (Rez.): Adorno: Love and Cognition. In: Times Literary Supplement, 9. 3. 1973, S. 253–255. 14 Vgl. Michalzik (wie Anm. 11), S. 139. 15 Uwe Johnson an Siegfried Unseld, 19. 10. 1968. In: Fahlke, Fellinger (wie Anm. 8), S. 522.

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Unseld-Vertrauter galt.16 Unseld habe, darüber herrscht dann wieder Einigkeit, Walser zwischenzeitlich mit vor die Tür genommen und anschließend sei dieser verstummt. Mit Jürgen Habermas’ Hilfe gelang es Unseld, die Ordnung wieder herzustellen, Boehlich wurde aus dem Verlag gedrängt. Unter den Lektoren galt Walser fortan als Verräter und es ging das böse Gerücht um, Unseld habe sich Walsers Treue mit der Finanzierung von dessen Haus am Bodensee erkauft. Tatsächlich ist die Familie Walser 1968 in ein eigenes Haus auf einem Seegrundstück gezogen – allerdings bereits am 9. September.17 Walser setzte sich wütend gegen die verlagsinterne Gerüchteküche zur Wehr: Er ließ wenige Wochen später in der Lektorenversammlung seine Einkünfte und Kredite der letzten Jahre, die Unseld für ihn verwaltete, auf den Pfennig genau verlesen, um zu belegen, dass er finanziell unabhängig war.18 Zugleich notierte er in seinem Tagebuch Ende Oktober 1968: „Ich brauche jetzt nur noch Geld. Für ca. 20 Jahre.“19 Dass Walser fest an Unselds Seite stand, wurde auch in weiteren Sitzungen und Abstimmungen klar, in denen es um Boehlichs Zukunft ging. Wenn der gereizte Unseld seinen polemisierenden Cheflektor in den Griff zu bekommen versuchte, konnte er sich auf Walser verlassen. An Max Frisch schrieb Unseld eine Woche nach der Krisensitzung: „Ich werde mit meiner Arbeit den Satz von Boehlich widerlegen: ‚Literatur ist tot, Autoren gehören abgeschafft.‘ (Boehlich hat sich soweit entwürdigt, daß er jetzt die erste Hälfte des Satzes in einen bestimmten Kontext bringen will, den zweiten hätte er so nicht gesagt, doch erhoben sofort Martin und ich die Eidesfinger: wir haben es so gehört.)“20 Den Ausschluss des Cheflektors, der für ein Jahrzehnt unumstritten „das intellektuelle Zentrum des Hauses“21 gewesen war, bewitzelte Walser am Ende der ‚Nacht der langen Messer‘ wie folgt: „Boehlich fährt dann nach New York & heiratet Gesine“ –22 durchaus verletzend für jemanden, der im Begriff ist, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Dass Walser im Anschluss an den Auszug der Lektoren kommissarisch immerhin bis 1971 die Theaterabteilung von Suhrkamp übernahm, machte ihn endgültig zum Streikbrecher, was ihm auch deutlich bewusst war.23

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Vgl. Magenau (wie Anm. 1), S. 265. Vgl. Martin Walser: Leben und Schreiben. Tagebücher 1963–1973. Reinbek: Rowohlt 2007, S. 295. Vgl. Magenau (wie Anm. 1), S. 265/266. Walser: Leben (wie Anm. 17), S. 299. Siegfried Unseld an Max Frisch, 21. 10. 1968. In: Fahlke, Fellinger (wie Anm. 8), S. 528. Vgl. auch ebd., S. 1145: Unseld führte Walser als einen seiner Kronzeugen an, um Boehlichs – aus Unselds Sicht tendenziöses – Ergebnisprotokoll der Krisensitzung zu widerlegen. 21 Michalzik (wie Anm. 11), S. 173. 22 Notiz im Kalender von Uwe Johnson, zit. nach Fahlke, Fellinger (wie Anm. 8), S. 523. 23 Vgl. Walser: Leben (wie Anm. 17), S. 500.

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Literaturkritik 1: Walser an Boehlich Die Konstellation für die Fortsetzung einer angenommenen Beziehung zwischen Walser und Boehlich war also schon 1968 nicht mehr die beste. Aber Walter Boehlich wechselte nun auf die Seite der Literaturkritiker, und bei denen stand Walser Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre nicht allzu hoch im Kurs. Anfangs war die Anselm Kristlein-Trilogie auf massive Vorbehalte kulturkonservativer Kritiker gestoßen, dann hatten die folgenden Publikationen nicht die Erwartungen der sich progressiv dünkenden Kritiker erfüllt, die die beiden ersten Romane bei ihnen geweckt hatten. Walsers öffentliche Wahrnehmung als DKP-nah und Amerika-kritisch machte eine unbefangene Rezeption seiner Werke immer schwieriger. In dieser Situation war ein entschieden linker Kritiker wie Boehlich durchaus opportun. Zwar besprach Boehlich keine Walser-Bücher, aber er griff zugunsten des Autors in eine frühe Eskalation im Verhältnis zwischen Walser und Marcel Reich-Ranicki ein. Am 27. März 1976 erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Reich-Ranickis Besprechung des neuesten Walser-Romans, Jenseits der Liebe. Die Überschrift lautete „Jenseits der Literatur“, die ersten Sätze: „Ein belangloser, ein schlechter, ein miserabler Roman. Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen.“24 Der Totalangriff war vor allem politisch motiviert, Reich-Ranicki hetzte unverhohlen gegen Walsers politisches Engagement, dem dieser sein literarisches Talent geopfert habe. In der zeitgenössischen Feuilletondebatte erhielt Walser viel Zuspruch von Kollegen; Alfred Andersch, Max Frisch und Peter Weiss sollen sogar an einer Protestnote gearbeitet haben. Zu den vielen, die sich mit dem persönlich schwer getroffenen und zudem stets von Existenzängsten geplagten Martin Walser solidarisierten, gehörte auch Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza. Er schrieb „Jetzt reicht’s, Ranicki!“ Wer so „über das politische Bekenntnis eines Schriftstellers“ rede wie Reich-Ranicki, verliere „seinen Anspruch auf bloß literarische Befassung. Fragen der Hygiene verlangen nach anderen Antworten. Im Wiederholungsfall werden sie gegeben werden“.25 In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung antwortete Robert Held: „Der Verfasser ­jener Drohung im Terrorjargon des Stürmers ist entweder dumm – weil er nicht weiß, welche Formeln er gebraucht – oder unzurechnungsfähig – weil er sich in seiner Wut ungeheuerlich vergreift – oder kriminell“26 – was wohl das Wahrscheinlichste sei. Matthias Walden von der Welt und Hans Heigert von der Süddeutschen Zeitung stimmten mit ein, anscheinend war es zu attraktiv, der sowieso schon immer terrorverdächtigen Linken nun auch noch das deutsche Erbübel, den Antisemitismus, zuzuschieben. 1976 war das Jahr der ersten Fassbinder-Kontroverse, die am 19. März damit begonnen hatte, dass ein anderer FAZ-Redakteur, Joachim C. Fest, im Streit um Rainer Werner Fassbinders Stück Der Müll, die Stadt

24 Unter dem nachträglich ausgetauschten Titel „Sein Tiefpunkt“ abgedruckt in: Marcel Reich-Ranicki: Martin Walser. Aufsätze. Frankfurt/M.: Fischer 1996, S. 69–74, hier S. 69. 25 Hermann L. Gremliza: Jetzt reicht’s, Ranicki! In: Konkret (1976) H. 5, S. 44. 26 Zit. nach Dieter E. Zimmer: Ein Ring-Kampf. In: Die Zeit, 5. 11. 1976.

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und der Tod linken Antisemitismus entdeckt haben wollte.27 War es der Antisemitismus­ vorwurf, der nun Walter Boehlich auf den Plan rief? In einem Leserbrief an die Süddeutsche tat er kund, er habe aus Gremlizas Invektive „weder eine Bombendrohung noch eine Beseitigungsaufforderung herausgelesen“, „allenfalls die Ankündigung, beim nächsten Fall an Reich-Ranicki nicht mehr literarische, sondern ebenfalls politische Kritik zu üben“.28 Zwei Jahre später, als erneut eine Antisemitismusdebatte um Reich-Ranicki aufkam, sprach Boehlich sich abermals entschieden gegen eine Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs aus. Auslöser dafür war ein kritischer Spiegel-Artikel von Christian SchultzGerstein über den Großkritiker, in dem dieser unter anderem unterstellt hatte, Reich-Ra­ nicki umgebe sich mit einer „moralische[n] Leibwache von wohlmeinenden Deutschen mit schlechtem Nachkriegsgewissen, die an dem einstigen Gefangenen des Warschauer Gettos [sic] Wiedergutmachung übten, indem sie ihm seine Leidenserfahrungen als Bonus auf seine geistigen Gaben anrechneten“.29 Joachim Kaiser warf Schultz-Gerstein daraufhin Antisemitismus vor. Boehlich nahm Schultz-Gerstein im WDR-Hörfunk und im Spiegel in Schutz, indem er den Verteidigern Reich-Ranickis vorhielt: „[…] die wohlmeinenden Deutschen […] haben sich hinter dem abrufbaren Antisemitismus-Verdacht verschanzt. […] Gibt es in der Bundesrepublik ganz gewiß keinen Bonus für Leidenserfahrungen, gerade unter Wohlmeinenden? Hat nie jemand das Argument gehört oder gedacht: Was dieser und jener tut, ist zwar objektiv nicht zu billigen, subjektiv aber aus seiner Geschichte zu erklären und daher besser hinzunehmen? Es wäre nicht einmal ein unmenschliches Argument, ganz im Gegenteil. Gibt es solchen Bonus aber, warum darf dann partout nicht über ihn gesprochen werden?“30 1976 und 1985 hat Boehlich auch in den Fassbinder-Kontroversen ähnlich Stellung genommen: Das deutsch-jüdische Verhältnis sei geprägt von einer „Art Disproportionalität, die dem faktisch Schwächeren eine nahezu unangreifbare Position dem faktisch Stärkeren gegenüber verschafft“,31 schreibt er 1985. Und schon 1976: „Die Deutschen müssen entdecken, daß Juden berührbar sind, die Juden müssen selbst aus ihrer sie nur scheinbar beschützenden Glasglocke heraustreten, sich berühren lassen“.32 Augenscheinlich witterte Boehlich sehr sensibel die Instrumentalisierung von Antisemitismus-Anschuldigungen. Dass er sich in den besagten Texten und auch sonst so gut wie nie als jüdischer Deutscher äußerte („schon 27 Vgl. zu dem Vorgang Janusz Bodek: Die Fassbinder Kontroversen: Entstehung und Wirkung eines literarischen Textes. Frankfurt/M.: Lang 1991, S. 256–260. 28 Zit. nach Zimmer (wie Anm. 26). 29 Christian Schultz-Gerstein: Ein furchtbarer Kunst-Richter. In: Der Spiegel, 21. 8. 1978. 30 Walter Boehlich: Antisemitismus oder Unbefangenheit? In: Der Spiegel, 2. 10. 1978. 31 Walter Boehlich: Frankfurt, Fassbinder und die Juden. In: Der Spiegel, 4. 11. 1985. Auch 1997 noch nahm Boehlich Gustav Freytags „Soll und Haben“ vom Vorwurf des Antisemitismus aus; der Roman zeuge lediglich von „falsche[m] Bewußtsein“ (ders.: Das ‚deutsche‘ Volk bei ‚seiner‘ Arbeit. Ein befremdeter Blick auf Gustav Freytags ‚Soll und Haben‘. In: Silvia Bovenschen u.a. (Hrsg.): Der fremdgewordene Text. Berlin, New York: de Gruyter 1997, S. 311–319). 32 Walter Boehlich: Juden sind berührbar. In: Konkret (1976) H. 5, S. 47/48, nachgedruckt in: Tintenfisch 11. Jahrbuch für Literatur. Berlin: Wagenbach 1977, S. 24–28, hier S. 28.

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weil ich im vernünftigen Sinne kein Jude bin“),33 irritiert dabei, wie überhaupt eine gewisse Ruppigkeit gegenüber Jüdischem, das oft in seinen Buchbesprechungen auftaucht. Die Schriften der Juden Paul Celan und Peter Szondi lehnte er etwa ab.34 Für eine Umfrage der Deutschen Volkszeitung mit dem Titel „Was sie für lesenswert halten“ stellte er 1979 einen Häftlingsbericht über das Vernichtungslager Majdanek wie folgt vor: „Ein schlecht geschriebenes, miserabel übersetztes Buch, das viele nicht ohne Tränen werden lesen können.“35 Dass Boehlich sich diese Tränen selbst nie zugestanden, er sein Judentum nur selten und widerwillig offenbart hat, dürfte aber auch dazu beigetragen haben, dass jenes die nichtjüdischen und jüdischen Deutschen trennende Moment im Verhältnis zu Walser keine erkennbare Rolle gespielt hat. Walser scheint in jenen Jahren den linken Kritiker Boehlich durchaus ein wenig umworben zu haben. Von seinem 1980 erschienenen Schwanenhaus erhielt Boehlich etwa ein Vorabexemplar zur Rezension, er hat den Roman jedoch nicht besprochen. 1981 verfasste Walser einen Glückwunsch zu Boehlichs 60. Geburtstag, der in der Konkret erschien. Darin beklagt Walser zunächst etwas bemüht ironisch, dass der Kontakt abgerissen sei: „Endlich hat so ein blöder Geburtstag einmal einen Sinn: ich kann Ihnen schreiben. Sonst gibt es ja keinen Grund. Wir kommen ohne einander aus. Sie, Rohling, natürlich leichter ohne mich als ich ohne Sie. Womit ich einfach behaupten will, ich dächte öfter an Sie. Gehört sich auch so.“36 Diese Beschreibung seiner Beziehung zu Boehlich hat Walser seinem Roman Seelenarbeit entnommen, jener Chauffeurs-Geschichte, die von der Situation abhängig Beschäftigter handelt. Walser hatte Seelenarbeit direkt nach Reich-Ranickis Totalverriss von Jenseits der Liebe geschrieben, als Einübung in die „Kunst, die eigene Abhängigkeit zu ertragen“.37 Der Fahrer Xaver Zürn liegt nachts im Bett, muss immerzu an seinen Chef denken und weiß, dass der nicht an ihn denkt. Das Machtgefälle in der Beziehung Chef-Chauffeur ist also auch Sinnbild für die Beziehung zwischen Kritiker und Autor. Indem er sich Xaver Zürns, des Chauffeurs Gedankengang zu eigen macht, der Untergebene denke mehr an seinen Chef als dieser an ihn, inszeniert Walser eine Unterwerfungsgeste an den Kritiker Boehlich. Dieses Selbstbild des Schüchternen schreibt er anschließend fort, wenn er eingesteht, nicht den Mut („beneidenswerte Zupackensfähigkeit!“) zu spontanen Besuchen Boehlichs aufbringen zu können, aber sich immer über Begegnungen auf dem Papier freue: „Ich wart halt, bis ich wieder etwas von Ihnen lese. Selten genug mein Herr! Aber das ist echt Boehlich. Er macht 33 Zit. nach Gert Mattenklott: [Interview mit Walter Boehlich]. In: Über Juden in Deutschland. Frankfurt/M.: Jüdischer Verlag 1992, S. 163–175, hier S. 165. Andernorts hat Boehlich erklärt: „es kann sinnvoller Weise auch keiner von sich behaupten, er sei Jude, ohne daß er Glaubensjude ist.“ (Walter Boehlich: Wider die Wöchner der Brüderlichkeit. In: Konkret (1980) H. 3, S. 22/23, hier S. 22.) 34 Vgl. Michalzik (wie Anm. 11), S. 146/147. 35 Was Sie für lesenswert halten – eine DVZ-Umfrage. In: Deutsche Volkszeitung, 29. 11. 1979 (Walter Boehlich über Zacheusk Pawlak: Ich habe überlebt. Ein Häftling berichtet über Majdanek). 36 Martin Walser: Lieber Herr … In: Konkret (1981) H. 9, S. 47. 37 Magenau (wie Anm. 1), S. 346.

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sich rar. Wie ein Gentleman-Schriftsteller. Ich glaube, Herr Boehlich geht spazieren. Auf eine spöttische Art. Offenbar will er zeigen, er könne alles, was er zu sagen habe, auch durch Spazierengehen ausdrücken. Wenn es denn wirklich sein muß, bändigt er seinen geistreichen Müßiggang und wird ganz konkret. […] Ich finde, es müßte wirklich öfter sein! Warum sind wir denn alle so still, Herr Boehlich? […] Also, wie ist das denn mit dem richtigen ­Leben, der richtigen Literatur? […] wo, bitte, üben Sie Ihr Veto aus? Es gibt doch wirklich zu tun? […] Aber vielleicht haben Sie recht: Spazierengehen ist auch ein Beitrag zum richtigen Leben, also zur richtigen Literatur. Ich bin jetzt ziemlich sicher, daß Sie es so meinen. Darum sei es gleich hier weitergesagt, daß es wirken kann: freuet euch, Unholde, der einzige Polemiker geht spazieren, und wir reizen ihn nicht.“38 Walser wirft Boehlich also vor, zu wenig zu schreiben, sich zu wenig zu engagieren.39 Die Betonung des ausbleibenden Reizens und der ausbleibenden Reiz-Reaktion macht deutlich, dass Walser sich eine Reaktion auf seine literarische Arbeit wünschen würde. Um dies zu erlangen, umschmeichelt er Boehlich zu Beginn seines Glückwunsch-Artikels und schwenkt dann um in eine (etwas platte) Herausforderung. Boehlich antwortete, der Rohling sei wohl eher Walser selbst, da er ihn – wie viele andere auch – jahrelang gemieden habe, „als hätte ich die pest […]. sie waren ja nicht der einzige, und deswegen habe ich mich oft gefragt, ob da nicht ein stück deutscher ideologie dahinterstecke, wenn dieser oder jener und mancher andere von einem tag auf den anderen beschliesst, einen nicht mehr zu kennen“.40 Walser sei doch häufig in Frankfurt, er selbst dagegen nie in Nussdorf. Ob Walser darauf geantwortet hat, ist nicht bekannt, verstanden hat er Boehlich augenscheinlich nicht: Genau ein Jahr später, im September 1982, schickte Walser auch seinen nächsten Roman Brief an Lord Liszt an Boehlich, versehen mit folgender Widmung: „Lieber Herr und Walter Boehlich, ich komm und komm nicht in Ihre Stadt oder nur für einen Termin: ich kann mich nicht mehr aufhalten. Hier bin ich immer länger. Wenn Sie einmal vorbeifahren, biegen Sie doch ab! Ich würde mich freuen. Herzlich, Ihr Martin Walser“.41 Über solche Unverbindlichkeiten – beide bekunden, sich über einen Besuch des anderen zu freuen, schließen aber aus, den ersten Schritt zu machen – ist der Kontakt zwischen Walser und Boehlich wohl nach 1968 nicht mehr hinaus­gekommen. Zumindest in den bislang veröffentlichten Tagebüchern Walsers – Notizbuch und Terminkalender in einem – taucht der Name Boehlich nicht mehr auf.

38 Walser: Lieber Herr (wie Anm. 36). 39 Dass das Bild vom Spazierengehen dezidiert kritisch gemeint ist, belegt ein anderer Aufsatz Walsers, in dem jene Intellektuellen, die die Handelnden nur kritisierten, ohne es besser machen zu können, als „Spaziergänger“ abgetan werden (vgl. Martin Walser: Deutsche Sorgen II. In: ders.: Werke. Bd. 11: Ansichten, Einsichten. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997, S. 997–1010, hier S. 1006). 40 Boehlich an Walser, 29. 8. 1981, Walter Boehlich-Nachlass in der Autorenstiftung, Frankfurt/M. 41 Widmung in: Martin Walser: Briefe an Lord Liszt. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982, Boehlich-Bibliothek Sign. Boe 5510.

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Literaturkritik 2: Boehlich über Walser Was umgekehrt von Boehlich über Walser vorliegt, sind zwei Besprechungen politischer Stellungnahmen des Schriftstellers aus den neunziger Jahren: Reaktionen auf Walsers Spiegel-Essay Deutsche Sorgen II aus dem Jahr 1993 und auf seine Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998, Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede. Martin Walser hatte um 1979 das nationale Thema für sich wiederentdeckt. Waren seine Aufsätze und Dramen in den sechziger Jahren vor allem Apologien des Volkes, wurde in den achtziger Jahren die Nation ein zentraler Begriff seiner politischen Essayistik.42 Von der Selbstkritik in Händedruck mit Gespenstern (1979) und dem skandalösen Schlageter-Aufsatz (1981) bis hin zu Über Deutschland reden (1988) in den Münchner Kammerspielen hatte Walser ein Programm nationaler Rhetorik entfaltet, das ihn nach 1989/90 zum gefeierten Autor der Einheit werden ließ. Hatte die Kritik 1987 seine Ost-West-Novelle Dorle und Wolf noch hämisch verrissen, avancierte der Dresden-Roman Die Verteidigung der Kindheit 1991 zum durchschlagenden Erfolg, obwohl das Leiden der Helden an der deutschen Teilung in beiden Büchern das gleiche ist. Vielleicht ist die offenkundige Abseitsposition Walsers vor der Wende der Grund dafür gewesen, dass der entschiedene Linke Boehlich darauf nicht reagiert hat. Nach der Wiedervereinigung, die bekanntermaßen bei zahlreichen Intellektuellen große Ängste schürte und tatsächlich ja auch zu einem neuen Nationalbewusstsein der Deutschen – inklusive eines um sich greifenden militanten Nationalismus – geführt hat, hatten sich die Gewichte verschoben. Vielleicht war es dies, das Walter Boehlich 1993 auf Walsers Deutsche Sorgen reagieren ließ. Zunächst polemisiert Boehlich über Walsers Heimatverbundenheit und unterstellt jene lange Zeit verbreitete Sicht, dass Walser sich vom heimatseligen Linken zum nationalen Deutschtümler gewandelt habe. Er erinnert implizit an Walsers 1988er Rede über Deutschland, in der dieser es als eine schmerzhafte Einschränkung seiner Entfaltungsmöglichkeiten als Deutscher beklagt hatte, dass er ohne die NS-Zeit und die anschließende „Strafaktion“43 Teilung auch in Leipzig und Dresden ins Theater gehen könnte. Boehlich: „Als ginge die unzählbare Mehrheit sowohl in Leipzig als in Stuttgart ohnedies nicht ins Theater.“44 Er stellt dieser sich bewusst harmlos gebenden Empfindung Walsers, der sein nationales Enga42 Vgl. hierzu Matthias N. Lorenz: „Auschwitz drängt uns auf einen Fleck“. Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. Stuttgart, Weimar: Metzler 2005. 43 Martin Walser: Über Deutschland reden. Ein Bericht. In: ders.: Werke. Bd. 11 (wie Anm. 39), S. 896– 915, hier S. 901; vgl. ebd., S. 898. Walsers Rede widerspricht in diversen Punkten Auffassungen, die Boeh­lich immer wieder in der Titanic vertreten hat. So will Walser 1988 die deutsche Geschichte nicht auf 1870 bis 1945 reduziert sehen (vgl. ebd., S. 899), während Boehlich genau dies 1989 postuliert (vgl. Walter Boehlich: Unheilbares Deutschland. In: Titanic (1989) Nr. 11, S. 20–23, hier S. 23). 44 Walter Boehlich: Walsers Sorgen. Deutsch oder doch deutsch, das ist hier die Frage, die sich ein großer deutscher Autor erstaunlicherweise stellen zu müssen glaubt. In: Titanic (1993) Nr. 8, S. 22/23, hier S. 22.

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gement stets strikt emotional und nicht rational dargelegt hat, eine andere entgegen, hinter der man durchaus den Rezensenten selbst entdecken kann: „Für andere, die ein wenig älter sind und andere Erfahrungen gemacht haben, war dieser unbefriedigende Zustand, unter dem die einen mehr litten als die anderen, fast schon paradiesisch, verglichen mit älteren Zuständen, in denen kaum einer die deutschen Grenzen überschreiten konnte, auch wenn er nur so sein Leben hätte retten können. Die einen ließen einen nicht gehen, die anderen wollten einen nicht haben, was darauf hinauslief, daß diejenigen einen behielten, die einen auch nicht haben wollten und danach handelten. Danach war der Traum von der Nation für beinahe alle und das Idyll der Heimat für sehr viele ausgeträumt.“45 Während für Walser die selbstbewusste Nation Bedingung dafür ist, dass Europa zusammenwachsen kann, war für Boehlich die deutsche Teilung Garant dafür gewesen, dass von deutschem Boden keine Aggression mehr ausgehen konnte und sich durch die Pattstellung der Blöcke des Kalten Krieges der Frieden erhalten ließ. Entsprechend unvermittelbar sind die Positionen, und entsprechend groß ist Boehlichs Sorge angesichts der Renaissance des Nationalen. Bereits 1990 warnte er im Spiegel: „Die Träume der deutschen Nation sind Alpträume für Europa“.46 Für Boehlich sind Nationen unselige Konstruktionen, denen nachzuhängen er schlicht nicht begreifen kann: „Aus der Nation, heißt seit Jahrzehnten eine seiner Lehren, könne man nicht aussteigen, da man in sie hineingeboren werde. Wird man das? […] Muß man die Augen davor verschließen, daß es gerade diese Nationen sind, an denen ein Europa, in dem sich leben ließe, scheitert?“47 Walser dagegen halte „das Nationale für ein Stück Natur, nicht für etwas Vermitteltes“.48 Auch diese Erkenntnis verdankt Boehlich nicht dem 1993er Essay Deutsche Sorgen II, sondern der 1988er Rede über Deutschland, in der Walser mit dem Bekenntnis provoziert hatte, die „Nation ist im Menschenmaß das mächtigste geschichtliche Vorkommen“.49 Indem Boehlichs Kritik des aktuellen Textes so dezidiert auf dessen schon fünf Jahre alten Vorgänger eingeht, offenbart sie, dass Boehlich Walsers Entwicklung durchaus von Ferne beobachtet hat. Vor 1993 taucht der Autor jedoch in keiner seiner zahlreichen Konkret- oder TitanicKolumnen auf, die sich am deutschen Nationalismus abarbeiten. Walsers Deutsche Sorgen II ist eine weitschweifige Verteidigungsrede. Der Autor wehrt sich gegen den Vorwurf, er sei vom Linken zum Rechten konvertiert und rechtfertigt sein Engagement für die Wiedervereinigung. In einer Passage geht er auf den florierenden Rechtsradikalismus in den neuen Bundesländern ein und warnt vor einer bloßen Kriminalisierung der jugendlichen Täter: „Nur mit Verteufelung produziert man Teufel.“50 Walser führt dort aus, dass die Gewalttaten von Rechtsextremisten die Folge einer „Selbstunterdrückung“ seien, die jahrzehntelang jegliche positive Identifikation mit dem Nationalen „klein 45 Ebd. 46 Walter Boehlich: Deutschland erwacht. In: Der Spiegel, 12. 3. 1990, S. 34–37, hier S. 34. 47 Boehlich: Walsers Sorgen (wie Anm. 44), S. 22. 48 Ebd. 49 Walser: Über Deutschland reden (wie Anm. 43), S. 914. 50 Walser: Deutsche Sorgen II (wie Anm. 39), S. 1002.

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und schlecht gemacht“51 habe: „Und wir alle haben diesen Pflegern nationaler Tendenzen immer jede Legitimität verweigert. Mit dem verständlichen und doch etwas schematischen Hinweis auf die NS-Zeit. [...] Durch weitere und verschärfte Ausgrenzung, Verurteilung, Dämonisierung und Kriminalisierung tragen wir nur bei zur nächsten trostlosen Tat.“52 Letztlich also seien die gewalttätigen Übergriffe auf Ausländer und Juden ein Produkt der vorhergegangenen „Ausgrenzung“53 der Täter. Bereits 1981 hatte Walser am Beispiel der NS-Ikone Schlageter dafür plädiert, das Nationale und auch das Nationalistische nicht den rechten Kräften der Gesellschaft zu überlassen, sondern der Demokratie positiv anzueignen.54 In seiner Erwiderung auf Walsers Deutsche Sorgen II fokussiert Boehlich ausschließlich jene Passage zum Neonazismus: „[…] da er in dem vereinigten Deutschland um jeden Preis etwas Positives sehen will, darf der blinde Nationalismus derer, die er so freundlich Skinheadbuben nennt, nichts mit der Vereinigung zu tun haben. Wäre es so, wie er denkt, wie ließe sich dann erklären, daß diese ‚Buben‘ erst morden, seit es nur noch den größeren deutschen Staat gibt? […] Es ist ein abstruses Bild, das Walser von der deutschen Gesellschaft und der deutschen Nachkriegsgeschichte hinmalt, auf dem sich dann die verführten und betrogenen Skinheads wie arme Toren ausnehmen, denen gar keine andere Wahl blieb als sich der extremen Rechten in die weit geöffneten Arme zu werfen.“55 Walser hat seinen Aufsatz an jene Kollegen adressiert, die ihn politisch kritisiert haben. Er lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er der Rolle der Intellektuellen an sich nicht mehr traut: „Den Kirchen, den Gewerkschaften, den Schulen traue ich Hilfskraft zu. Erst dann und zuletzt meinesgleichen, den Intellektuellen.“56 Auf diesen behaupteten Funktionsverlust der Intellektuellen geht Boehlich ein, indem er den Vorwurf umdreht und Walser die Projektion eigener Ängste unterstellt. Boehlichs Erwiderung schließt wie folgt: „Geht es ihm in Wirklichkeit nicht so sehr um die Skinheads, sondern ist es bewußt oder unbewußt er selbst, der möchte, daß man wieder mit ihm redet, ihn nicht verloren gibt?“57 Im Oktober 1998 erhielt Martin Walser den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Seine Dankesrede löste eine beispiellose Feuilletondebatte über den ‚richtigen‘ Umgang mit der Geschichte aus, die sich bis ins Frühjahr 1999 hinein erstreckte. Die debattierten Schlagworte hatte Walser vorgegeben: ‚Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken‘ und ‚Auschwitz als Moralkeule‘. Die von ihm verspürte ‚Drohroutine‘ des öffentlichen Erinnerns würde von ‚den Intellektuellen‘ in Szene gesetzt, die Walser scharf als ‚Gewissenswarte der Nation‘ und ‚Meinungssoldaten mit vorgehaltener Moralpistole‘ attackierte. 51 52 53 54

Ebd., S. 1000/1001. Ebd., S. 1004. Ebd., S. 1006. Vgl. Martin Walser: Schlageter. Eine deutsche Verlegenheit. In: ders.: Werke. Bd. 11 (wie Anm. 39), S. 668–680. 55 Boehlich: Walsers Sorgen (wie Anm. 44), S. 23. 56 Walser: Deutsche Sorgen II (wie Anm. 39), S. 1009/1010. 57 Boehlich: Walsers Sorgen (wie Anm. 44), S. 23.

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(Boehlich hat in seinem Exemplar der Rede diese Verunglimpfungen des Intellektuellen angestrichen.) Gegen Walsers Bedürfnis, wegzuschauen und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auf das persönliche Gewissen zu verlagern, hatte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, vehement Einspruch erhoben. Die Rede war von ‚geistiger Brandstiftung‘ und ‚latentem Antisemitismus‘. Im Januar 1999, also vergleichsweise spät, reagierte auch Boehlich in seiner Titanic-Kolumne.58 Walsers obsessiver Gebrauch eines allumfassenden ‚Wir‘, das aber – da es sich über die Schande des Tätervolkes definiert – eben doch zumindest alle jüdischen Deutschen ausschloss, muss Boehlich genauso wie Bubis gekränkt haben. Dass dies im Zentrum seiner Kritik steht, macht deren Titel deutlich: „Ich, ich – wir“. Und die Unverhältnismäßigkeit des Untertitels unterstreicht, wie tief diese Kränkung sitzt: „Daß der Wahrheitsgehalt einer Rede sich nach der Lautstärke des Beifalls bemißt, glaubt nach A. Hitler nun auch Martin Walser.“ Boehlich: „Er sprach von sich selbst, bald als er, bald als ich, aber je länger je mehr so, daß hinter dem ‚ich‘ und hinter dem ‚er‘ ein drohendes ‚wir‘ hörbar wurde, das ‚wir‘ seiner Zuhörer und das ‚wir‘ ungezählter anderer, die […] denken, es sei nun an der Zeit, sich der verbrecherischen Vergangenheit zu entziehen […]. […] Es hilft uns keinen Schritt weiter, wenn wir nach wie vor unterscheiden zwischen Deutschen und Juden, als könne es keine deutschen Juden geben, als hätte es sie nie gegeben, obgleich es sie doch in großer Zahl gab. Jetzt kaum noch, allenfalls Juden in Deutschland, aber doch unseresgleichen. Wer sie als fremd empfindet, gibt sich einem Irrbild vom vermeintlich deutschen Deutschen hin […].“59 Trotz des Tiefschlags mit dem Hitler-Vergleich, der ahnen lässt, dass Boehlich sich getroffen fühlte, nimmt er auch hier dezidiert nicht die jüdische Position für sich in Anspruch. „Es hilft uns keinen Schritt weiter, wenn wir nach wie vor unterscheiden zwischen Deutschen und Juden“, die „aber doch unseresgleichen“ seien – Boehlich will sich seine Selbstposi­ tionierung als deutscher Intellektueller, dessen Judentum nichts zur Sache tue, von Walser nicht streitig machen lassen. Genausowenig ist Boehlich bereit, in den Antisemitismusvorwurf gegen Walser einzustimmen, den zunächst die Linke ab 1998 angestimmt hat: „Walser ist ja alles andere als ein Auschwitzleugner oder Antisemit, und auch Dohnanyi ist das nicht, beileibe nicht. Aber beide sind etwas mehr als erträglich mit sich selbst und ihren Gefühlen als nichtjüdische Deutsche beschäftigt und machen sich damit unfähig, sich in die Opferseite einzufühlen.“60 Wobei die Empathieverweigerung, das sei aus Sicht der Antisemitismusforschung ergänzt, durchaus als ein Baustein für den Antisemitismus nach 1945 gelten kann. Gerade in 58 Boehlich war übrigens schon früher ein scharfer Kritiker des Friedenspreises an sich, für ihn nur ein Instrument jener Branchenvertreter, die 1968 den Polizeieinsatz auf der Buchmesse zu verantworten hatten (vgl. Walter Boehlich: Frieden, Preis, Buch, Handel, Börse, Verein, deutsch. In: Konkret (1977) H. 11, S. 41–43; ders.: Der Friedenspreis oder Die honorige Gesellschaft. In: Konkret (1970) H. 10, S. 53/54). 59 Walter Boehlich: Ich, ich – wir. Daß der Wahrheitsgehalt einer Rede sich nach der Lautstärke des Beifalls bemißt, glaubt nach A. Hitler nun auch Martin Walser. In: Titanic (1999) Nr. 1, S. 20–23, hier S. 20. 60 Ebd., S. 23. Boehlich spielt hier auf die Auseinandersetzung Bubis’ mit Dohnanyi an, der Walser vertei­ digt hatte, vgl. Klaus von Dohnanyi: Eine Friedensrede. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. 11. 1998.

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der Literatur fungiert sie als Spielart jenes Latenthalten des Holocaust, die Klaus Holz als konstitutives Element des nationalen Antisemitismus nach Auschwitz beschrieben hat.61 Boehlichs Antisemitismus-Begriff ist ein anderer – allerdings einer, der, so meine ich, nicht nur älter ist, sondern auch noch nie gestimmt hat. Boehlich zufolge entsteht Antisemitismus aus Neid. In einem Artikel zur Fassbinder-Kontroverse 1985, in mancherlei Hinsicht ein Vorläufer der Walser-Debatten der Jahrtausendwende, definiert er Anti­semitismus wie folgt: „Irgendwo, gewiß gibt es auch reiche oder potente oder kluge Juden, aber nur das Vorurteil will, daß sie alle so seien. Es ist durch die Wirklichkeit nicht mehr korrigierbar, und was unbewußt tatsächlich etwas mit Sehnsüchten zu tun haben mag, schlägt um in Neid und Haß. […] Was daraus entsteht, ist Antisemitismus.“62 Wie aber hätten, wenn es denn so wäre, die im Berlin vor 1933 zahlenmäßig überlegenen verarmten Ostjuden, stigmatisiert durch Sprache, Kleidung und ihren soziokulturellen Status, den Neid des deutschen Bürgertums auf sich ziehen können? Selbst die assimilierten Juden verachteten sie ja. Gleichwohl: So wenig dieser Antisemitismusbegriff zu über­zeugen vermag und so wenig originell Boehlichs vorangegangene Kritik an Walsers Deutschen Sorgen erscheint,63 so hellsichtig ist doch in mancherlei Hinsicht seine Erwiderung auf die Friedenspreis-Rede: Er hat klarer als manch anderer Rezensent die Empathieverweigerung Walsers erkannt, als Kernproblem von Walsers Rhetorik das ausschließende ‚Wir‘ problematisiert und die Rede treffend in Walsers schriftstellerische Entwicklung eingeordnet, indem er nicht das Klischee vom Wandel des Schriftstellers bedient, sondern darauf hingewiesen hat, dass Walser bereits in seinen frühen Aufsätzen über Auschwitz, die zum Kanon der so genannten Vergangenheitsbewältigung zählen, an einer Ent­schuldung der Deutschen gearbeitet hat: „Es ist ja wahr, daß er den Auschwitzprozeß leidenschaftlich verfolgt hat, versucht hat, das Unbegreifliche zu begreifen mit seiner Theorie der immer nur partiellen Beteiligung an dem Verbrechen, so daß kaum einer vom Ganzen Kenntnis haben konnte. Da bleibt dann nur eine Handvoll Schreibtischtäter übrig, und der große Rest ist halb und halb freigesprochen. Die sechs Millionen Ermordeten bleiben freilich.“64 – Alles Beobachtungen, die neuere Studien über den Auschwitzdiskurs im Werk Martin Walsers auch nachgewiesen haben.

61 Vgl. Klaus Holz: Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung. Hamburg: Hamburger Edition 2001, S. 505. 62 Walter Boehlich: Frankfurt, Fassbinder und die Juden. In: Der Spiegel, 4. 11. 1985, S. 294/295, hier S. 294. 63 Ein Beispiel hierfür ist eine Klage, die Martin Walser 1989 in dem FAZ-Artikel „Deutsche Sorgen I“ geführt hat: Sein öffentliches Unbehagen an der deutschen Teilung hätten verschiedene Intel­lektuelle mit einer Polemik folgenden Inhalts beantwortet: Um ihn zu tadeln, hätten sie „heftig“ darauf hingewiesen, „daß ich doch vom Bodensee stamme und dort jetzt auch noch wohne. Das hieß deutlich: Und so einer kümmert sich um die deutsche Einheit!“ (Martin Walser: Deutsche Sorgen I. In: ders.: Werke. Bd. 11 (wie Anm. 39), S. 928–936, hier S. 930.) Walter Boehlichs Kritik „Walsers Sorgen“ hat exakt diese Polemik noch ein halbes Jahrzehnt später bedient. 64 Boehlich: Ich, ich – wir (wie Anm. 59), S. 23.

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Literaturkritik 3: Intellektuelle Rollen Bleibt zuletzt der Blick auf das Selbstverständnis Boehlichs und Walsers als Akteure des Literaturbetriebs. Liest man ihrer beider Auseinandersetzungen mit Søren Kierkegaard, mit Marcel Proust, mit Ernst Bloch oder mit Victor Klemperer, so wird deutlich, dass ihr Blick auf Philosophie und Literatur sehr unterschiedlich ist. Einer Einteilung von Hubert Winkels folgend wäre Boehlich den ‚Gnostikern‘, Walser dagegen den ‚Emphatikern‘ zuzuordnen. Die Emphatiker des Literaturbetriebs, so Winkels, „die Leidenschaftssimulanten und Lebensbeschwörer ertragen es nicht länger, dass immer noch einige darauf bestehen, dass Literatur zuallererst das sprachliche Kunstwerk meint, ein klug gedachtes, bewusst gemachtes, ein formal hoch organisiertes Gebilde, dessen Wirkung, und sei sie rauschhaft, von sprach­ ökonomischen und dramaturgischen Prinzipien abhängt. Und dass sich der Lustgewinn in spätmodern abgeklärten Zeiten der Erkenntnis dieser Prinzipien verdankt. Dass wir im Wissen genießen, durch die Erkenntnis und mit analytischen Mitteln. […] Die Emphatiker sind die mit dem unbedingten Hunger nach Leben und Liebe; Gnostiker sind die, denen ohne Begreifen dessen, was sie ergreift, auch keine Lust kommt; die sich sorgen, falschen Selbstbildern, kollektiven Stimmungen, Moden und Ideologien aufzusitzen.“65 Man muss Winkels Typologie nicht unbedingt für allgemeingültig halten, aber auf Walser und Boehlich scheint sie zuzutreffen. Proust etwa, Bloch oder Kierkegaard werden von Boeh­lich in ‚gnostischer‘ Art rational durchdrungen, ihr Wert wird mit Argumenten und Gegenargumenten gemessen. Auch die Vor- und Nachworte der von ihm verantworteten Briefausgaben sind alles andere als Apologien. Walsers Aufsätze über die Genannten sind dagegen Liebeserklärungen – unter diesem Titel hat er sie im Rahmen seiner Werkausgabe auch veröffentlicht –, in denen er ‚emphatisch‘ ihre Sprache feiert und ganz subjektiv davon berichtet, wie ihre Texte seine Weltsicht verändert haben. Ein Beispiel ist die Wiederentdeckung Victor Klemperers in den neunziger Jahren, als dessen Tagebücher Curriculum Vitae und Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten eine regelrechte Klemperer-Renaissance einläuteten. Boehlich schrieb im Spiegel mit ironischer Dis­ tanz: „Wann immer ihn im Ausland etwas sittlich empört, kommt ihm der Gedanke: ‚bei uns unmöglich‘, bis er mit 52 erkennen muß, was in Deutschland möglich wurde. Hatte er bis dahin irgend etwas außer Büchern verstanden? Er hatte sich eingesponnen und in seinem bedingungslosen Deutschtum selbst noch die Vorurteile übernommen, die sich eines Tages gegen ihn selber richten würden.“66 Boehlich über Klemperers LTI: „Es ist ein fahrlässiges, durch und durch mißlungenes Buch, schnell hingeschrieben und wenig durchdacht wie fast alle Bücher Klemperers“.67 Über dessen Arbeit als Verfasser einer Literaturgeschichte: „Es

65 Hubert Winkels: Emphatiker und Gnostiker. Über eine Spaltung im deutschen Literaturbetrieb – und wozu sie gut ist. In: Die Zeit, 30.3.2006. 66 Walter Boehlich: „Ich war nichts als Deutscher“. In: Der Spiegel, 7. 5. 1990, S. 264–267, hier S. 266. 67 Ebd.

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fehlte ihm an Urteil und an Methodik. Er schrieb zu schnell und dachte zu wenig nach.“68 Wert haben Klemperers „unordentliche[…] und so oft weitschweifige[…] Erinnerungen“ für Boehlich nur, weil sie „authentisch“ seien für jenes patriotische bildungsbürgerliche ­Milieu, das mit dem Nationalsozialismus verschwunden sei.69 Für all diese Invektiven gibt Boehlich Beispiele („Wer Lust hat, mag nachlesen, was er über Marcel Proust geschrieben hat.“)70 und erweckt so – trotz der pointierten, fast schon hämischen Kritik – den Anschein rational begründeten Argumentierens. Insgesamt blieb Boehlichs Kritik in der Spur seines verehrten Lehrers und Klemperer-Kritikers Ernst Robert Curtius.71 Walsers fünf Jahre später entstandene Laudatio auf Klemperer, „Das Prinzip Genauigkeit“, funktioniert vollkommen anders. Wo Boehlich Lebenslauf wie Schreiben förmlich seziert, gerät Walser ins Schwärmen: Er liefert keinen biografischen Abriss, sondern ist hingerissen vom Gelesenen, das er in Form einer atemlosen Erzählung gleich selbst wieder in Literatur übersetzt. Walser preist jene Genauigkeit, die Boehlich als unordentlich und weitschweifig empfunden hat, als eine besondere „Ausdrucksfähigkeit“. Klemperers Gedanken seien höchst selbstreflexiv und er weist ihm ohne zu zögern den Rang eines Schriftstellers zu.72 „Nirgends sonst habe ich den Verbrecherstatus der damaligen Machthaber und Funktionäre so erleben und erkennen können wie in diesen Tagebüchern.“73 Die „moralische Schönheit dieses Victor Klemperer“ habe ihn „einigermaßen ergriffen“.74 Klemperers krampf­ haftes Festhalten an seinem Deutschtum, das er nach 1933 dadurch zu verteidigen suchte, dass er die Nazis als undeutsch bezeichnete, wird Walser zum Beleg dafür, dass es einen unbescholtenen Patriotismus vor 1933 gegeben habe, an den sich anknüpfen ließe. Die historischen Fakten, die Klemperers Assimilationsversuch zum Scheitern verurteilten und für Boehlichs Bewertung der Tagebücher als authentisches Zeugnis für den Irrweg der deutschen Geschichte maßgeblich sind, tut Walser als „Auskunft NACH Auschwitz“75 ab, mit der er sich nicht abfinden könne. Er beruft sich allein auf sein Gefühl, um die faktisch geschehene und ihm ja auch wohlbekannte Geschichte zu übergehen. Er „überlasse“ sich „nur zu gern“ dem „Wunschdenken“, dass Auschwitz nur eine Abirrung eines an und für sich positiven deutsch-jüdischen Geschichtsverlaufs sei. „Viel lieber“ glaube er daran, als an das, „was nachher Wirklichkeit wurde.“76 Dieses „Wunschdenken“ hat System in Walsers Rede, 68 Ebd., S. 267. 69 Ebd. 70 Ebd. 71 Vgl. hierzu Helmut Peitsch, Helen Thein: Walter Boehlich (1921–2006). „Wer nicht las, galt nicht“. In: Ines Sonder u.a. (Hrsg.): „Wie würde ich ohne Bücher leben und arbeiten können?“ Privatbibliotheken jüdischer Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2008, S. 83–112, hier S. 93. 72 Vgl. Martin Walser: Das Prinzip Genauigkeit. Über Victor Klemperer. In: ders.: Werke. Bd. 12. Frank­ furt/M.: Suhrkamp 1997, S. 780–805. 73 Ebd., S. 804. 74 Ebd., S. 805. 75 Ebd., S. 794. 76 Ebd., S. 795.

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wie ein zweites Beispiel verdeutlicht. Er spielt Klemperers Bekenntnis zum Deutschtum ­gegen den Zionismus von Herzl, Scholem und Beer-Hofmann aus. Deren Bekenntnis zu ihrem Judentum wird von Walser angefochten, indem er auf den Rassismus eines unbedingten Zionismus verweist.77 Während jene den Blick rückwärts gewandt hätten, habe Klemperer mit seinem Anpassungswillen nach vorn geschaut. Walser zitiert diese „Problemlage, weil sie uns ahnen läßt, wovon deutsche Juden sich von 1812 bis 1933 emanzipieren wollten“.78 Mit einer derartigen Aussage verdreht Walser die Begrifflichkeiten: Judenemanzipation bedeutete spätestens seit dem 18. Jahrhundert die Bestrebung zur bürgerrechtlichen Gleichstellung der Juden.79 Was Walser seinen Hörern in der Klemperer-Laudatio als Emanzipation verkaufen will, ist die Assimilation als eine Emanzipation von einem fehlgeleiteten jüdischen Nationalismus. Walser spricht diesbezüglich von der „abstoßenden Herzlschen, der zionistischen Version“,80 die rassistische Züge aufweise. Für Boehlich dagegen ist nicht der Zionismus der Irrweg, sondern das Assimilationsbestreben der deutschen Juden in der Zwischenkriegszeit. Scharf kritisiert er, dass Klemperer „die engste Verwandtschaft zwischen Zionismus und Hitlerismus behauptet“81 habe. Was Walser zum Beleg für einen positiven Nationalismus wird, beweist für Boehlich exakt das Gegenteil: die Unmöglichkeit des Natio­ nalen nach Auschwitz, gerade in Deutschland. Und so differieren auch die Schlüsse, die Boehlich und Walser aus ihrer Lektüre der Klemperer-Tagebücher ziehen, erheblich: Für Walser belegt die Geschichte Klemperers, dass der Nationalsozialismus das Extrem einer insgesamt von Rassismus geprägten Zeit gewesen sei, die in Deutschland – bei mit allen anderen Völkern vergleichbarer Disposition – nur aufgrund der Kriegsniederlage 1918 eskaliert sei. Mit Golo Mann spricht er vom Ersten Weltkrieg als der „Mutterkatastrophe“. Die letzte Stufe des typischen Schuldabwehrarguments bleibt zwar unausgesprochen, wird von Walser aber durch deutliches Raunen provoziert: Wenn sogar die Opfer – die Zionisten – genauso schlecht waren wie die Deutschen und zudem andere Mächte – die Alliierten des Versailler Vertrages – für Deutschlands Abgleiten in die Barbarei verantwortlich, dann tritt das exponierte Tätervolk zurück ins Glied der europäischen Nationen. Walter Boehlich dagegen, der die Schriften des Opfers Klemperer im Gegensatz zu Walser so harsch bewertet hat, zieht am Ende den Schluss aus seiner

77 Vgl. ebd., S. 791–796. 78 Ebd., S. 796. 79 Wichtigste Stationen der Judenemanzipation waren die aufklärerische Schrift des preußischen Staatsrats Dohm „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ (1781), die sechs „Toleranzedikte“ des österreichischen Kaisers Joseph II. (1781–1789), die Durchsetzung der uneingeschränkten bürgerlichen Gleichstellung der Juden in Frankreich (1791), die zeitweise Gleichstellung der Juden im französisch okkupierten Königreich Westfalen durch Napoleons Bruder Jerôme (1808) und schließlich das Preussische Judenedikt, das zugleich das letzte Reformgesetz v. Hardenbergs war (1812). Nachdem noch 1819 und 1848 blutige antisemitische Pogrome statt­gefunden hatten, wurde am 3.7.1869 ein Gesetz des Norddeutschen Bundes erlassen, das die Gleichstellung der Juden formal durchsetzte. 80 Walser: Das Prinzip Genauigkeit (wie Anm. 72), S. 791. 81 Boehlich: „Ich war nichts als Deutscher“ (wie Anm. 66), S. 266.

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Lektüre, dass gerade dessen Erinnerungen an die NS-Zeit „publiziert werden sollten, um dem Vergessen, dem sich Klemperer stets verweigert hat, entgegenzuwirken“.82 Diese Diskrepanz im Zugang ist bereits in der intellektuellen Selbstpositionierung Walsers und Boehlichs in den sechziger Jahren angelegt: Walter Boehlichs Autodafé fordert kompromisslos eine gesellschaftliche Dimension der eigenen Betätigung ein. In jenem Kursbuch 15, das im November 1968 angeblich den Tod der Literatur verkündete und tatsächlich „ein Manifest gegen das Gerede vom Tod der Literatur“ ist,83 proklamierte er eine Kritik, „die endlich die gesellschaftliche Funktion jeglicher Literatur als das Entscheidende versteht und damit die künstlerische Funktion als eine beiläufige erkennt“.84 Auf die Ironie, die Karl Markus Michels und Hans Magnus Enzensbergers vermeintliche Abgesänge auf die Literatur eint, die in Wirklichkeit deren Rechtfertigung betreibt, ließ Boehlich sich nicht ein. Der Autor des Autodafé fordert dagegen radikal, Kunst möge politisch nutzen oder aber verstummen – das war auch Selbstanspruch und Bekenntnis eines Intellektuellen. Auch Martin Walser hat sich zu solchen Ansprüchen verhalten und darüber einen langen Radio-Essay verfasst, der wie die Beiträge des Kursbuch 15 ebenfalls oft missverstanden worden ist: „Engagement als Pflichtfach für Schriftsteller“ wurde gut ein Jahr zuvor, am 7. Mai 1967, gesendet. Der Aufsatz verdeutlicht Walsers Position zum gesellschaftlichen Auftrag des Schriftstellers, die zuweilen so gelesen worden ist, als sei Engagement für ihn tatsächlich ein Pflichtfach für Schriftsteller.85 Walser verwendet jedoch einen nicht unerheblichen Anteil des Textes darauf, der Forderung nach einer schlichten Parteilichkeit des Schriftstellers abzusagen. „Es kommt mir schon grotesk vor, Engagement zu verlangen wie einen Arier-Ausweis.“86 Walsers Gegenentwurf: „Ich setze voraus, daß man die politische Einstellung eines Autors ohnehin vertrauenswürdiger kennenlernt in seinen literarischen Produktionen. Wenn er sich aber ganz direkt einmischt in einen aktuell politischen Prozeß, dann doch nur, weil er provoziert ist durch einen besonderen Umstand. Wenn, sagen wir einmal, Aufklärung nötig ist.“87 Für Walser ist die Bedingung zum Engagement die über das Tagesgeschehen und Parteigrenzen hinausgehende Provokation. Die Provokation Vietnamkrieg etwa endete für Walser damit, dass die bundesdeutsche Linke das Thema für sich entdeckte, popularisierte und somit Medien und Gesellschaft zu einer differenzierteren Beurteilung zwang. Das heißt, dass der Schriftsteller-Intellektuelle eher in der Rolle eines 82 Ebd., S. 267. 83 F. C. Delius: Wie scheintot war die Literatur? Kursbuch 15 und die Folgen. In: Frankfurter Rundschau, 6. 2. 1999. 84 Walter Boehlich: Autodafé. In: Sascha Michel (Hrsg.): Texte zur Theorie der Literaturkritik. Stuttgart: Reclam 2008, S. 236–239, hier S. 239. 85 Exemplarisch hierfür ist der Eintrag im Kritischen Lexikon der Gegenwartsliteratur. Es ist schlicht falsch, wenn Michael Töteberg dort schreibt: „Auch politische Stellungnahmen – ‚Engagement als Pflichtfach für Autoren‘ [sic!] hatte er in den bewegten Zeiten der Studentenrevolte gefordert [sic!] – lehnt er inzwischen ab.“ (Klaus Siblewski, Michael Töteberg: Martin Walser. In: KLG, 61. Nlg. 3 (1999), S. 17). 86 Martin Walser: Engagement als Pflichtfach für Schriftsteller. In: ders.: Werke. Bd. 11 (wie Anm. 39), S. 190–201, hier bes. S. 193–195. 87 Ebd., S. 197.

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Anstoßgebenden ist, für seine Sensibilität gegenüber möglichen Provokationen und für ­seine literarische Arbeit ist es gar nicht wünschenswert, dass er bis zum Abzug der US-Truppen aus Vietnam gegen diesen Krieg trommelt. So, wie Boehlich alles Nationale ablehnt und dies argumentativ mit Rückgriff auf die Geschichte zu begründen weiß, ist Walsers Zugang zum Nationalen rein emotional – er selbst spricht wiederholt von seinem „Geschichtsgefühl“. Natürlich hält keiner von beiden wirklich in Gänze ein, was er von sich und anderen fordert: Walser weiß sehr wohl zu begründen, Boehlichs Antrieb ist selbstverständlich auch ästhetisches Vergnügen. Aber in ihrem Selbstverständnis nehmen sie einander entgegengesetzte Pole ein. Es ist daher wohl nicht allein die Angst vor einer Renaissance des Nationalismus nach 1989 gewesen, die Boehlich dazu veranlasste, Martin Walser doch noch zu widersprechen, sondern auch der anti-intellektuelle Impuls, der in Deutschen Sorgen II und den Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede aufscheint – Texte, in denen der Begriff des engagierten Intellektuellen, wie wir ihn seit Zola kennen und zu dem Boehlich sich bekannte,88 denunziert und zum Feindbild wird.

88 Vgl. Peitsch, Thein (wie Anm. 71).

V. Verlagslektorat

Notizzettel von Peter Weiss mit Titelentwürfen für den Roman Fluchtpunkt

Jürgen Schutte

„Der Kutscher wird also unter allen Umständen bei uns erscheinen.“ Zum Briefwechsel mit Peter Weiss

I Im Sommer 1978 schrieb Peter Weiss in sein Notizbuch: „Jetzt, [1960, J.S.] über 40, begann ich erst, mich als tatsächlicher, deutschsprachiger Schriftsteller zu versuchen. Ich war meiner Sprache äusserst unsicher. Mein erster Verlagslektor, Boehlich, bestätigte mich in meiner Unsicherheit. Gab mir aber auch Mut. Erklären, warum ich überhaupt noch deutsch schrieb, konnte er nicht.“1 Das ist eine von gerade einmal zwei inhaltlichen Aussagen von Weiss über seine Zusammenarbeit mit Walter Boehlich auf den über 9.400 Seiten seiner handschriftlichen Notizbücher. Es ist überraschend wenig, wenn man bedenkt, welche Bedeutung der Suhrkamp-Lektor für die Entwicklung des Autors in diesen frühen Jahren hatte. Zum Glück gibt der Briefwechsel zwischen den beiden genauere Auskunft: Es sind insgesamt 59 Briefe ihrer Korrespondenz zwischen dem 17. September 1959 und dem 2. Dezember 1968 überliefert. Auf dieser Grundlage etwas über das Verhältnis zwischen dem Autor und seinem Lektor zu sagen, heißt wohl dennoch in erster Linie, Fragen an die Boehlich-Forschung stellen. Vielleicht finden sich in dessen Nachlass Zeugnisse, die eine Vertiefung des bis jetzt Bekannten erlauben. Dankbar genutzte Quellen meiner Auskünfte über den Briefschreiber sind der von ­Rainer Gerlach sorgfältig edierte Briefwechsel Siegfried Unselds mit seinem Autor, der dazu gehörende, instruktive Kommentar sowie ein neuerer, ausführlicher Aufsatz von Robert ­Cohen.2 1

2

Peter Weiss: Die Notizbücher. Kritische Gesamtausgabe. Hrsg. von Jürgen Schutte in Zusammenarbeit mit Wiebke Amthor und Jenny Willner. CD-ROM. Berlin 2006, Bildschirmseite 106/107; der Eintrag ist nicht in die gedruckte Fassung übernommen. Siegfried Unseld, Peter Weiss: Der Briefwechsel. Hrsg. Rainer Gerlach. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007 (zitiert als UWB); Rainer Gerlach: Die Bedeutung des Suhrkamp Verlages für das Werk von Peter Weiss. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2005 (=Kunst und Gesellschaft. Studien zur Kultur im 20. und 21. Jahrhundert; Bd. 1); Robert Cohen: Zum Briefwechsel von Peter Weiss mit dem Suhrkamp Verlag.

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Obwohl Peter Weiss, nach dem Zeugnis von Gunilla Palmstierna-Weiss, seinen ersten Lektor bei Suhrkamp sehr geschätzt hat, lassen die zwischen beiden gewechselten Briefe ein näheres persönliches Verhältnis nicht erkennen. Der Austausch beschränkt sich mit einer Ausnahme auf Fragen des Lektorats, der Tonfall zeugt von gegenseitigem Respekt, ist darüber hinaus einigermaßen distanziert.3 So bleiben die beiden durchgehend beim „Sie“; Probleme des täglichen Lebens, aber auch zeitgeschichtliche Erscheinungen spielen in der Korrespondenz keine nennenswerte Rolle.

II Boehlichs Tätigkeit im Suhrkamp Verlag ist für die schriftstellerische Arbeit von Weiss und für seinen literarischen Erfolg nichtsdestoweniger von erheblicher Bedeutung gewesen. Der Cheflektor hat die Entstehung und die Produktion der folgenden Werke begleitet: Der Schatten des Körpers des Kutschers (1960), Abschied von den Eltern (1961), Fluchtpunkt (1962), Das Gespräch der drei Gehenden (1963) sowie die Strindberg-Übersetzungen Fräulein Julie und Ein Traumspiel (1963). Die erstgenannten sind die Titel, durch die Weiss in den frühen sechziger Jahren in der Bundesrepublik als ein Meister der experimentellen Prosa bekannt wurde. Dass zu Beginn der sechziger Jahre die Zeit gekommen war für eine entschieden avantgardistische Prosa, dass mit anderen Worten die Anknüpfung an die durch den Faschismus unterbrochene Tradition der Moderne gelang, ist wohl vor allem das Verdienst Walter Höllerers und Hans Benders, deren Zeitschrift Akzente seit der Mitte der fünfziger Jahre ein Umschlagplatz für die internationale moderne Literatur und Literaturprogrammatik war. Höllerer publizierte in diesem Rahmen auch einen Auszug aus dem Schatten des Körpers des Kutschers und sprach über das Typoskript, das er schon an den Hanser Verlag vermittelt hatte, mit Walter Boehlich und Siegfried Unseld.4 Ersterer bestand darauf, es kennenzulernen, und die Entschiedenheit, mit der er zugriff, hatte Folgen für die weitere Entwicklung. Unseld, der sich mit Höllerer und Boehlich verständigt hatte, schreibt am 10. September 1959 an Peter Weiss: „Ich habe dieses Manuskript mit wirklich großem Vergnügen gelesen. Sie beschreiben das Alltägliche so transparent, dass

3

4

In: Das Argument 51 (2009) H. 282, S. 631–643. Zu danken habe ich Rainer Gerlach auch für die Überlassung der nicht im Peter Weiss Archiv (im Folgenden PWA) im Archiv der Akademie der Künste Berlin vorhandenen Briefe. Und ich danke auch Helen Thein-Peitsch und Helmut Peitsch für umfangreiches Material. Die Ausnahme betrifft den sogenannten „Kochbuch-Streit“, der zwischen Boehlich und Weiss brieflich ausgetragen wurde, nachdem Siegfried Unseld zu Weihnachten 1965 den Ehefrauen seiner Autoren eine Ausgabe von K. F. Rumohrs „Geist der Kochkunst“ geschenkt hatte. Ich will auf diesen bei Gerlach (wie Anm. 2) und Cohen (wie Anm. 2) ausführlich behandelten Streit nicht näher eingehen. Und nicht an Luchterhand, wie Boehlich in der Talkshow für Peter Weiss berichtet; Erstausstrahlung am 8. 9. 1990, vgl. Anhang zu diesem Beitrag.

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man durch es die allgemeine Bedeutung, aber auch das Katastrophale und Bedrohliche durchschlagen sieht. Besonders war ich von der sprachlichen Haltung des Ganzen angetan.“5 Weiss wurde quasi über Nacht ein Vorbild für eine ganze Reihe jüngerer Autoren. Die Wirkung seiner Texte auf literarisch interessierte Studierende der Germanistik, zu denen ich mich selbst als Zeitzeuge zählen kann, war enorm. Da war plötzlich ein neuer, aufregender Ton, eine unerhörte Musikalität in den Texten, deren komplizierte Struktur ganz ungewohnte Lese-Erfahrungen vermittelte. Wir erlebten etwa gleichzeitig akademische Diskus­ sionen über die Krise des Romans und beschäftigten uns im Lichte dieser Reflexionen mit der „Wortgraphik des Peter Weiss“ beziehungsweise mit der „Poesie der kleinen Schritte“.6 Eine solche Prosa war in diesen Jahren ein verlegerisches Wagnis. Sie stieß selbst im Suhrkamp Verlag auf gewisse Vorbehalte hinsichtlich der Auffassungsfähigkeit des Publikums. Als Weiss beim Kritiker-Treffen im Hause Unselds anlässlich der Frankfurter Buchmesse am 22. September 1960 aus dem Kutscher liest, notiert er „Befremden oder Ablehnung in den Gesichtern“ einiger Anwesender.7 Der Verleger unterstrich das Positive: „Die freundlichen Stimmen zum Kutscher mehren sich“, berichtet er am 5. Oktober.8 Eine persönliche Lese-Erfahrung hatte er unter Hinweis auf die Kasseler documenta schon am 21. September 1959 mitgeteilt: „Die bildende Kunst der letzten Jahre hat mehr spielerischen Charakter bekommen und ist insgesamt auch heiterer geworden. Dies war eine sehr merkwürdige Beobachtung und sie deckt sich sehr genau mit der Struktur Ihres Textes.“9 Gefördert wurde die Aufmerksamkeit auf dieses bemerkenswerte und merkwürdige Buch auch dadurch, dass ein Auszug daraus in der Anthologie movens zu finden war, die von Franz Mon in Verbindung mit Walter Höllerer und Manfred de la Motte herausgegeben wurde und die eine durch den Spiegel losgetretene Debatte über die ‚Movensbande‘ auslöste. „Wir werden dann ebenfalls im September Presseexemplare verschicken und so versuchen, ein kritisches Echo für das Buch zu erzielen. Sie selbst werden ja in der Diskussion um den leider nicht glücklichen movens-Band immer wieder genannt“, schrieb der unzufriedene Verleger am 18. Juli 1960 an den Autor, den er nun erst einmal für das Haus Suhrkamp gewonnen haben wollte.10

  5 UWB, S. 44/45.   6 Gerhard Schmidt-Henkel: Die Wortgraphik des Peter Weiss. In: Sprache im technischen Zeitalter 1 (1961) H. 1, S. 71–76; Ror Wolf: Die Poesie der kleinen Schritte. Peter Weiss. In: Diskus. Frankfurter Studentenzeitung (1961) Nr. 2, S. 34; über die „Krise des Romans“ wird im Jahr 1962 unter anderem auf dem Germanistentag in Mannheim sowie bei einem Kritikercolloquium im Theater am Kurfürstendamm in Berlin diskutiert. Vgl. auch Zur Kritik des Romans. In: Sprache im technischen Zeitalter (1964) Sonderheft: Maßstäbe und Möglichkeiten der Kritik (Berliner Kritiker-Colloquium 1963), S. 686–715.   7 Peter Weiss: Notizbücher 1960–1971. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982, S. 29; Peter Weiss: Notizbücher. Kritische Gesamtausgabe (wie Anm. 1), Bildschirmseite 10.769.   8 UWB, S. 96.   9 Ebd., S. 52. 10 Ebd., S. 79.

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Jürgen Schutte

Es ist sehr spannend zu sehen, wie im Verlag das Zutrauen zur Tragfähigkeit des Textes allmählich wächst. Die Erzählung kommt Siegfried Unseld zunächst noch „ein wenig zu umfangsarm“ vor und man erwägt, sie zusammen mit einer zweiten Arbeit von Weiss zu publizieren.11 Es wäre interessant herauszufinden, welchen Anteil die Aufgeschlossenheit von Walter Boehlich an dieser Entwicklung hatte. Weiss war jedenfalls von Anfang an überzeugt, dass der Kutscher ganz für sich stehen könnte, in einem einzelnen kleinen (möglicherweise illustrierten) Band.12 Der Text erschien Anfang September 1960 mit acht Collagen des Autors als dritter Band der Reihe Tausenddrucke in der Ausstattung durch Willi Fleckhaus.

III Die autobiographische Erzählung Abschied von den Eltern bekommt nun, nachweislich mit dem Zutun des Lektors, ihren letzten Schliff im Sinne des zugrundeliegenden Programms einer avantgardistischen Prosa. Dieses Programm wird im Kopenhagener Journal ausführlich reflektiert; es deutet sich in dem vorgesehenen Titel TEXTUR(EN) an.13 Weiss durchlebte während der Arbeit an der letzten Fassung der Erzählung jedoch eine existenzielle und künstlerische Krise, deren Auswirkungen auf den Text Boehlich nicht verborgen blieben. Er moniert die Unentschiedenheit in Anlage und Schreibweise: „Zunächst die Fiktion des Ganzen. Ich glaube es ist störend, dass dieser Bericht an eine Person gerichtet ist, nicht weil diese Person ganz unsichtbar bleibt, sondern weil an keiner Stelle deutlich wird, wie dieser Partner als eine Art Katalysator wirkt.“14 Die einzelnen Teile der Erzählung müssten noch stärker ineinander verzahnt werden, fordert er und fährt fort: „Die Erzählung ist dort stark, wo das Erlebnis strömt, sie verliert an Anziehungskraft und Gültigkeit, wo der Berichter allgemeine Gedanken über Kunst, Weltlauf oder ähnliches einfließen läßt. Man sollte das aus seinen Erlebnissen rekonstruieren können, nicht dem entnehmen müssen, was er expres­ sis verbis analysiert.“ Der erfahrene Lektor äußert seine grundsätzliche Kritik natürlich nicht, ohne für deren wohlwollende Aufnahme eine Prämie auszusetzen. „Ich glaube nämlich, wenn Sie den richtigen Weg finden, eine großartige Erzählung aus Textur werden kann, etwas, das man, nicht nur dem Thema nach, Kafkas Brief an den Vater zur Seite stellen könnte. Dazu bedarf es aber meiner Ansicht nach noch großer Mühen.“ Die Kritik trifft – „hellsichtig“, wie Weiss feststellt – auf die Bereitschaft des Autors, den Text mit dem Ziel einer stärkeren Geschlossenheit noch einmal zu überarbeiten. Am 19. August 1960 schreibt er in sein Tagebuch: „Ich glaubte beim Schreiben vor einem Jahr, es sollte 11 Ebd., S. 45. 12 Ebd., S. 47. 13 Vgl. Peter Weiss: Das Kopenhagener Journal. Kritische Ausgabe. Hrsg. v. Rainer Gerlach u. Jürgen Schutte. Göttingen: Wallstein 2006; Jürgen Schutte: „Die Kindheit ist nicht mehr vorhanden“: Anmerkungen zum autobiographischen Diskurs in Peter Weiss’ „Abschied von den Eltern“. In: Wechsel der Orte. Studien zum Wandel des literarischen Geschichtsbewußtseins. Festschrift für Anke BennholdtThomsen. Hrsg. v. Irmela von der Lühe u. Anita Runge. Göttingen: Wallstein 1997, S. 334–345. 14 Walter Boehlich an Peter Weiss, 23. 11. 1959, in: UWB, S. 60/61.

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so nah und direkt sein. Jetzt, ein Jahr später, und im Vergleich mit dem ganz ausgeschmiedeten Text des Kutschers, möchte ich ihn doch noch objektiver, mehr in der Struktur durchgezogen sehen.“15 Und drei Monate später: „Ich habe das Buch über die Jugend noch einmal vom Verlag zurück erbeten. Ich glaube, daß ich jetzt reif bin, die letzten Weichheiten, Halbheiten, Undeutlichkeiten darinnen auszumerzen und aus dem ganzen den hartgepreßten Block zu machen, der daraus werden muß.“16 Von Boehlich stammt also höchstwahrscheinlich der Bezug auf Kafka, den die Verlagswerbung schon vorher für den Kutscher eingesetzt hatte. So heißt es in einem Prospekt über den Tausenddruck Nr. 3: „Wir beginnen mit einer Erzählung, die Ansätze weiterführt, denen man bei Kafka und Joyce einerseits, bei den Surrealisten andererseits begegnet“. Weiss brachte mehr mit als Kafka-Lektüre. Er hatte über Hans Henny Jahnn, Vladimir Nabokov, Henry Miller und Samuel Beckett geschrieben und sich schon in den vierziger Jahren mit den literarischen und künstlerischen Traditionen der Moderne sowie mit der Psychoanalyse vertraut gemacht.17

IV Die Empfänglichkeit des Autors für die kritischen Anmerkungen des Lektors zeigen sich auch an der Bearbeitung des nächsten Werks, dem Text mit dem Arbeitstitel Dinosaurus, aus dem später der Roman Fluchtpunkt wurde. Weiss war seiner eigenen Produktion gegenüber stets unsicher und konnte Ermunterungen gut brauchen. So bezeichnete er sich gelegentlich als „Anfänger“, eine Einschätzung, der Boehlich postwendend widersprach. Die Unsicherheit jedoch ist grundsätzlicher Natur. Gleichlautend mit Äußerungen im Kopenhagener Journal gesteht Weiss in einem wohl auf 1960/61 zu datierenden Briefentwurf: „Zunächst einmal ist das Schreiben für mich ein solch unsicherer Prozess, dass ich mich durch gut gezielte Einwände gleich umwerfen lasse. Fehler, die mir vorgehalten werden, nehmen gleich solche Ausmasse an, dass von der ganzen Arbeit schon gar nichts mehr übrig bleibt – eben weil solche Arbeit immer ein ganz dünnes Gewebe ist, das anstelle von etwas Unmöglichem steht.“

15 Weiss: Das Kopenhagener Journal (wie Anm. 13), S. 33. 16 Ebd., S. 115. 17 Vgl. Wiebke Annik Ankersen: „Ein Querschnitt durch unsere Lage“: „Die Situation“ und die schwedische Prosa von Peter Weiss. St. Ingbert: Röhrig 2000; Peter Weiss: På spaning efter det ouppnåeliga [Dem Unerreichbaren auf der Spur; über Hans Henny Jahnn: Perrudja und Fluß ohne Ufer]. In: Expressen (Stockholm), 26. 7. 1954; ders.: Ryske exildiktaren Nabokov: Succé i Amerika, skandal i England. Förbjuden kärlek i en dödsdömds memoarer [Russischer Exildichter Nabokov: Erfolg in Amerika, Skandal in England. Verbotene Liebe in den Memoiren eines zum Tode Verurteilten; über Vladimir Nabokov: Lolita]. In: Expressen (Stockholm), 19. 3. 1957; ders.: Rosenröd korsfästelse [über Henry Miller: Rosy Crucification]. In: Aftontidningen (Stockholm), 7. 12. 1953; ders.: Den frâgande människan [Der fragende Mensch; über Samuel Beckett: Watt]. In: Expressen (Stockholm), 7. 12. 1953.

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Wie er im Falle Fluchtpunkt auf gezielte Einwände reagiert, zeigt die folgende Gegen­ überstellung. Boehlich hatte ihn am 9. April 1962 ermahnt, „noch einmal ganz genau auf den Stil zu achten, besonders auf Ihre Adjektive, die im Gegensatz zu Ihrem sonstigen Stil leicht abgegriffen und verbraucht wirken. Außerdem sollten Sie noch einmal die Gelegenheit benutzen, Wiederholungen thematischer oder rein sprachlicher Natur zu streichen.“18 Hier ist eines der wenigen überlieferten Beispiele einer solchen Korrektur.19 Was war geschehen. Die Freiheit war noch vorhanden, die gleiche Freiheit, in der sich nichts mehr halten ließ, in der jede Bezeichnung ihren Sinn verlor, die Freiheit, die ein Alptraum war, weil auch mein Name, meine Sprache, mein Wesen, alle meine Gedanken und Handlungen sich darin aufgelöst hatten, doch diese Freiheit, die Freiheit vor der Schöpfung, die Freiheit des jüngsten Tages, enthielt jetzt wieder mein Bewußtsein, und Worte stellten sich ein, mit denen ich jedes Ding benennen konnte. Diese Freiheit war Lebensaugenblick zwischen Geburt und Tod, diese Freiheit war ein einziger Schrecken gewesen zwischen den beiden Polen, ich hatte den Schrecken noch einmal bis zum Grunde ausgekostet, ich hatte mich tragen lassen, mitreißen lassen, ausliefern lassen von anderen Mächten, von Naturgewalten, doch plötzlich trug mich niemand mehr, niemand riß mich mit sich fort, ich stand allein hier, im Lebensaugenblick zwischen den Polen, ich konnte sprechen und mir einen Namen geben. Ich stand …

Die Freiheit war noch vorhanden, doch ich hatte Boden in ihr gewonnen, sie war keine Leere mehr, in der ich im Alptraum der Anonymität lag und in der alle Bezeichnungen ihren Sinn verloren, es war eine Freiheit, in der ich jedem Ding einen Namen geben konnte. Ich hatte nur den Blickpunkt geändert. Ich hatte noch einmal bis zum Grunde die Furcht vor der Selbständigkeit ausgekostet, ich hatte mich fallen gelassen und alle Ansichten, alle Bestrebungen, die meine Identität ausgemacht hatten, aufgegeben, und jetzt stand ich hier, …

Nachdem Verlag und Lektorat dem Autor bei Abschied von den Eltern mit vereinten Kräften den Titel Texturen ausgeredet hatten, zieht sich beim zweiten Teil der Autobiographie die Titelsuche über Monate hin. Weiss erwägt zahlreiche, zum Teil pathetische oder betuliche Titel, zum Beispiel Bewohner der Erde, der von Boehlich kategorisch abgelehnt wird. Dieser kommt dann Mitte April 1962 mit seinen Bemerkungen dem nach meinem Eindruck geni18 UWB, S. 160. 19 Linke Spalte: PWA, Sign. 1821; rechte Spalte: Peter Weiss: Fluchtpunkt. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1965 (= edition suhrkamp; 125), S. 196.

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alen Titel Fluchtpunkt schon sehr nahe. Er ist es auch, der die später von Weiss selbst aufgenommenen Zweifel an dem Schlussabschnitt des Romans äußert: „An dem Titel kauen wir noch herum. Ein abstrakter Titel empfiehlt sich nach Abschied von den Eltern nicht. Man sollte etwas finden, was mit dem eigentlichen Inhalt zusammenhängt, mit der Suche, der Verlorenheit, der Ziellosigkeit, nicht aber den euphorischen Augenblick der letzten Seiten zum Anlass nehmen.“20 Noch am 11. Mai 1962 schreibt Siegfried Unseld: „Be­las­sen wir es also doch beim Wiederfinden“.21 Wem der Einfall Fluchtpunkt schließlich gekommen ist, ist aus den mir bekannten Quellen nicht ersichtlich. Ein Dokument der Unsicherheit des Autors ist die Auflistung von Titeln auf einem im Nachlass gefundenen losen Blatt.22

IV Rudolf Walter Leonhardt, damals Feuilletonchef der Wochenzeitung Die Zeit, schickte als Neujahrskarte eine Zeichnung von Paul Flora an Hans Werner Richter, versehen mit der Widmung: „Leo: Neue Generation kommt! (Jahreswechsel 62/63)“. Leonhardt bezog sich mit seinem Gruß wahrscheinlich auf die 24. Tagung der Gruppe 47, die vom 26. bis 28. Oktober 1962 im Alten Casino am Wannsee stattgefunden hatte und deren Lesungen durch den Auftritt einer Reihe neo-avantgardistischer Erzähler geprägt waren. Es ist eine meines Wissens noch nicht beantwortete Frage, ob die Initialzündung dazu nicht vom Schatten des Körpers des Kutschers ausgegangen war. Dann könnte man die Entdeckung des Autors Peter Weiss, welche unter tatkräftiger Mithilfe von Boehlich vor sich gegangen war, als einen literarhistorisch bedeutsamen Moment identifizieren. Im Alten Casino hatten unter anderen gelesen: Peter Weiss aus dem Gespräch der drei Gehenden Reinhard Lettau aus Auftritt Manigs Alexander Kluge das Kapitel Hauptfeldwebel Hans Peikert aus Lebensläufe Gisela Elsner das Kapitel Das Achte aus Die Riesenzwerge Jürgen Becker aus Felder Ror Wolf den Abschnitt Das Verschwinden des Bauern in der Ferne aus Fortsetzung des Berichts.23 Die ungewöhnliche Häufung experimenteller Prosa ging mindestens einem Tagungsteilnehmer der älteren Generation über die Hutschnur. „Verlernen die Erzähler das Erzählen?“, fragte Wolfdietrich Schnurre in seinem Tagungsbericht in der Welt am 31. Oktober 1962. Er wiederholte die Kritik zwei Tage später und vermutete nun den „Bau eines neuen Elfen20 21 22 23

UWB, S. 163. Ebd., S. 172. Vgl. die Abb., die diesem Beitrag vorangestellt ist. Vgl. Dichter und Richter. Die Gruppe 47 und die deutsche Nachkriegsliteratur. Hrsg. von der Akademie der Künste Berlin. Red. Jürgen Schutte. Berlin: Akademie der Künste 1988 (= Akademie-Katalog; 151), S. 264–269.

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beinturms?“ Im Einzelnen: „Vom Handwerklichen und Thematischen her betrachtet fällt zunächst auf, daß die Prosaisten unter diesen Autoren das Erzählen verlernen. Sie schildern und beschreiben statt dessen, geben private Zustandsberichte, lassen rhythmisierte Pantomimen abrollen, wiederholen Amtsstubenrapporte und Wehrmachtsberichte, experimentieren mit der Gleichzeitigkeit, leihen sich von Kafka einen für sie unbrauchbaren Parabelton aus; […] wenn das Beunruhigendste an vielen dieser Texte nicht eben gerade die Verbannung alles Menschlichen ist. […] Eine eigenartig esoterische und mechanisierte Ersatzwelt ist es, die man im Zeitalter kalter Bedrohung hinter so vielen der dargebotenen Texte erblickt. Man fröstelt in dieser Welt, in der Buchstabenfelder wichtiger als Schicksale sind, in der rasselnde Assoziationsketten gezielte Gedanken ersetzen, und in der formale Experimente über dem Versuch stehen, einen Menschen zu schildern.“24 Schnurres Kritik erhellt den literarischen Kontext, in den hinein der Suhrkamp-Verleger und sein Cheflektor die ,experimentelle Prosa‘ gestellt hatten. Für diese noch ungewohnte Art des Erzählens musste besonders geworben werden – was nicht ausschließt, dass viele der jüngeren Autoren und mit ihnen ein wachsendes junges Lesepublikum die neuen Schreibweisen emphatisch begrüßten. Hatten Walter Boehlich und Siegfried Unseld Weiss in die Traditionslinie Kafka gestellt, so sieht Ror Wolf den Autor des Kutschers in seiner Rezension als Nachbarn Samuel Becketts: „Allerdings wird das Gelächter des Lesers dasselbe sein, das er schon bei Beckett angeschlagen hat, es wird in ihm das Unbehagen mitschwingen. Das Normale ist gefährlich geworden: der unscheinbarste Knopf der Welt ist der Knopf mit dem die Katastrophe ausgelöst wird. Mit Beckett trifft sich Weiss auch in der urteilslosen Schilderung von Vorgängen und Sachen, sie bleiben unbewertet, unterliegen den moralischen Kategorien nicht, das Objekt bleibt in seiner Blöße da, wo es ist und so, wie es ist, nicht illustriert durch ein vermittelndes Subjekt.“25 Ein schönes Beispiel literarischer Wertschätzung unter vielen ist die Collage, welche sich in dem Band mein famili. sämtliche moritaten von raoul tranchirer findet, den Ror Wolf 1971 ebenfalls im Suhrkamp Verlag veröffentlichte, und in der er seine Szene in den Hintergrund der dritten Collage aus Abschied von den Eltern stellte.26

24 Wolfdietrich Schnurre: Bau eines neuen Elfenbeinturms? In: Mannheimer Morgen, 2. 11. 1962. 25 Wolf: Die Poesie der kleinen Schritte (wie Anm. 6). 26 ror wolf: mein famili. sämtliche moritaten von raoul tranchirer, mit 22 collagen des autors. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971 (= edition suhrkamp; 512).

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VI Es ist höchste Zeit, zu Walter Boehlich zurückzukommen. Über Das Gespräch der drei Gehenden, aus dem Peter Weiss in Berlin eine groteske Familienszene gelesen hatte, schrieb er dem Autor am 3. Dezember 1962: „Nachdem die Gruppe 47 Ihnen schon bestätigt hat, dass Das Gespräch der drei Gehenden den Ossa auf den Pelion türmt, werden Sie meines Lobes und Zuspruches nicht mehr bedürfen. Ich schätze es höher als alles, was ich sonst von Ihnen kenne.“27 Dieser Text spielte noch eine medienhistorisch bedeutsame Rolle. Im Jahr 1962 plante Unseld, zusammen mit den Lektoren und dem Grafiker Willi Fleckhaus, die Herausgabe der edition suhrkamp, einer Taschenbuchreihe von besonderer Qualität. Die starken Bedenken der zur Beratung herangezogenen Autoren Walser, Enzensberger und Johnson, die von Boehlich anscheinend geteilt wurden, äußerte auch Weiss. „Als Sie mir von Ihrem Plan zur edition berichteten, erhielt ich den Eindruck, dass hier neue Sachen erscheinen sollten, in einer einfachen, leicht zugänglichen Ausgabe, und dazu in dem grauen Pappband, der mir ja immer schon gut gefallen hatte. Nun sieht es allerdings anders aus, und selbst wenn die einzelnen Bände in großer Auflage erscheinen können, so ist es in meinem Fall doch fraglich, ob die Arbeit den Widerhall findet, der gut für sie wäre. Auch wird sie nur schwer den Weg zu internationaler Beurteilung finden, da sie sicher ein für alle Mal in dieser geschlossenen, für den deutschen Markt bestimmten Serie steckenbleiben wird.“28 Boehlich antwortet am 8. Januar 1963 – sichtlich im dezidierten Auftrag des Verlegers, denn er selbst stand der Idee einer neuen edition ja auch kritisch gegenüber: „Ich glaube, dass Sie sich ein wenig übertriebene und daher unberechtigte Sorgen machen. Während der Weihnachtstage war ich in Hamburg und habe dort die Gelegenheit benutzt, mit den Leuten von der Zeit und der Welt über Das Gespräch der drei Gehenden zu sprechen. Beide Zeitungen und ganz sicher auch die anderen, mit denen wir uns noch unterhalten werden, wollen sich durch den Erscheinungsort Ihres neuen Werkes nicht im geringsten hindern lassen, es zu besprechen und zu würdigen wie es es verdient. Ich glaube außerdem, dass Sie sich selbst und Ihren Ruf unterschätzen, wenn Sie meinen, dass etwas, was Sie schrieben, unbemerkt untergehen könnte.“29 Ausgerechnet den Band 7 der neuen Reihe, Das Gespräch der drei Gehenden hat Siegfried Unseld als Vorabexemplar produzieren lassen und dann auf seine Reise zu den prominenten Buchhändlern und Sortimentern der Republik mitgenommen. Die Bemühung um die Akzeptanz des Neuen wurde ein großer Erfolg – und dieser zieht Das Gespräch der drei Gehenden mit. Die Kritik war vornehmlich entsprechend enthusiastisch und die Kritiker kommentierten vielfach auch den ungewöhnlichen Ort der Publikation. So sprach Jürgen Becker am 27 UWB, S. 208. 28 UWB, S. 220/221. 29 Ebd., S. 223.

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3. Mai 1963 im Westdeutschen Rundfunk: „Diese Buchreihe, deren Herausgeber den Begriff von Taschenbuch gegen seine herrschende Inflation auf eine Weise neu bestimmt, daß er hier erst zu seinen wahren Möglichkeiten führt, bedeutet einen entscheidenden Schritt in der gegenwärtigen Veröffentlichungsweise von Literatur. […] Der Anfang der sechziger Jahre hat literarisch im Zeichen des Entdeckens von Peter Weiss gestanden. Drei seiner Bücher liegen vor. Die Diskussion über sie hat wenig nachgelassen. Weiss’ Ansehen wächst in jedem Fall.“30 Wie Weiss in seinem Notizbuch von 1978 festhält, hat sich Walter Boehlich als Lektor um dieses Ansehen und damit auch um die Rezeption avantgardistischer Prosa in der Bundesrepublik verdient gemacht. Besser kann ich das in der gebotenen Kürze nicht sagen.

VII In der Talkshow für Peter Weiss, welche der Südwestfunk und der Hessische Rundfunk 1990 zum fünfundsiebzigsten Geburtstag des Autors produzierten, hat sich Wilfried Schoeller mit Walter Boehlich über den Beginn der Beziehung zwischen dem Suhrkamp Verlag und Peter Weiss unterhalten.31 Ich gebe die Transkription der entsprechenden Gesprächspassagen. Schoeller: Erlauben Sie mir, dass ich jetzt mit Walter Boehlich spreche, der – glaube ich – der erste Lektor war. 1960 in der Bundesrepublik kam das erste Werk in jenem Verlag heraus, der zunächst einmal einige Jahre zuvor Arbeiten von Weiss abgelehnt hatte. Herr Boehlich, haben Sie noch genaue Erinnerungen an diesen Punkt. Boehlich: Ich weiß, wie das war, ich weiß aber nicht, dass der schon mal bei Suhrkamp abgelehnt worden war. Schoeller: Ja, Suhrkamp selbst hat ihn abgelehnt. Boehlich: Aber er war nicht der einzige, denn wenn ich mich nicht täusche, ist dieses Manuskript dreizehn Jahre lang von Verlag zu Verlag gewandert.32 Und eines Tages – der Verlag war ja sehr klein, damals vor dreißig Jahren, aber sehr angesehen und nicht schlecht. Der hatte einen Außenlektor, den damals schon viele kannten, heute alle kennen, und dieser Außenlektor das war Walter Höllerer. Walter Höllerer lektorierte aber in seiner Freizeit nicht nur für Suhrkamp, sondern auch noch für andere Verlage und hatte so eine gewisse Zuteilungsmentalität: Das passt dahin und das passt dahin und das passt dahin. Und eines Tages kam er wieder zu einer Lektoratssitzung und sagte: „Ja, ich hab’ da zwei Manuskripte, das eine kriegt Luchterhand und das andere kriegen Sie.“ – „Was

30 Sendemanuskript im Hans Werner Richter-Archiv der Akademie der Künste. 31 Andere Teilnehmer an der von Schoeller und Martin W. Lüdke moderierten und am 8. 9. 1990 aus­ gestrahlten Diskussion waren Gunilla Palmstierna-Weiss, Karlheinz Braun, Burkhardt Lindner, Rolf Hochhuth und Hellmuth Karasek. 32 Es waren nur sieben Jahre, da „Der Schatten des Körpers des Kutschers“ 1952 entstanden ist und 1959 vom Suhrkamp Verlag angenommen wurde.

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ist denn das?“ „Ja, was Sie kriegen, das ist Hyle I und Hyle II von Raoul Hausmann“ – das war ein Dadaist, der immer noch in Paris lebt – „und das andere, das Luchterhand kriegt, das ist von einem Mann, den kennen Sie sowieso nicht, der heißt Peter Weiss.“ Gut. Hyle I und Hyle II waren zusammen so dick im Manuskript [zeigt etwa drei Zentimeter]. Und: es gab kaum Geld bei Suhrkamp, das heißt, jedes Projekt hätte vielleicht nicht ganz, doch die halbe Existenz des Verlages gefährden können, wenn es sich überhaupt nicht verkauft hätte. Und das Manuskript von Peter Weiss war sehr dünn. Aber dann habe ich gesagt, „jetzt lassen Sie mich doch auch das andere mal lesen!“ „Ja, lesen können Sie es ja mal.“ Und in meiner Erinnerung war das ein ganz engzeilig geschriebener Text – wahrscheinlich der vierte Durchschlag oder der fünfte oder so etwas. Und ja – dann hab ich das gelesen und war … Das kriegt natürlich nicht Luchterhand, sondern … Dann hat es Guggenheimer gelesen, das war ein anderer Lektor im Hause, dann hat es Unseld gelesen. Und dann haben wir uns zusammengesetzt und haben gesagt: „Das machen wir – aber wie?“ Und natürlich – es gab auch die Collagen von Peter Weiss dazu und das ging also nicht als normales Buch. Nun, es gab damals so eine alte Einrichtung, für die es bereits zwei Beispiele gab, die so genannten Tausenddrucke. – Suhrkamp war ein kleiner Ästhet und liebte schöne Bücher; und manchmal wollte er ganz besonders schöne machen, und da hat er die Tausenddrucke gemacht. Die kosteten vielleicht zwanzig Mark oder so etwas. Und da haben wir gesagt: Wir machen den Peter Weiss als Tausenddruck, dann geht das auch mit den Collagen gut. Gesagt, getan! Und es hat darüber eigentlich keine Diskussion mehr gegeben. Weder über den Text noch über die Annahme oder Nichtannahme. Und es stellte sich dann heraus, dass Weiss einen Unseld sehr genehmen Fürsprecher besaß, das war Hermann Hesse. Hermann Hesse muss das mal gelesen haben und – der hatte ja helle Augenblicke [Gelächter; Zwischenruf: Ja natürlich, denn die kannten sich ja]. Er hatte also gemerkt: Das ist etwas. Und das ist sehr interessant, weil … wenn das dreizehn Jahre lang durch die Verlagswelt gelaufen ist, ohne Echo, dann beweist das, dass in Wirklichkeit auch die Leute, die dafür angestellt sind und mehr oder minder gut oder schlecht dafür bezahlt werden, auch nichts von Literatur verstehen – das ist grotesk. Schoeller: Herr Boehlich, wie kommt es denn, dass von den frühen Arbeiten – manches ist ja erst sehr viel später gedruckt worden –, dass die frühen Arbeiten so durch die Verlage gewandert sind? Es könnte aber sein, dass die Fremdartigkeit dieser Texte so groß war, dass man sie nicht verstanden hat? Boehlich: Aber – entweder man versteht etwas von Literatur – dann reagiert man doch nicht ablehnend auf einen angeblich fremdartigen Text. Der war doch gar nicht so fremdartig. Da konnte man sehen, dieser Peter Weiss, der hatte – zum Beispiel – mit Erfolg, was bei den meisten anderen nicht der Fall war, Kafka gelesen; er hatte sicherlich Joyce gelesen und hatte etwas Eigenes daraus gemacht. Und was mich jedenfalls besonders daran

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entzückt hat, das war etwas, was sich – sagen wir mal – das halbe Werk von Peter Weiss durch zieht, diese herrliche anarchistische Tendenz. Schoeller: Aber bei großem Stilwillen. Boehlich: Ja! Vor allen Dingen in den ganz frühen und in den ganz späten Prosatexten. Glaube ich jedenfalls. Schoeller: Also zu diesem Zeitpunkt gab es natürlich auch keinerlei Exilliteratur bei uns, das kam ja alles sehr viel später. Ich kann mich an die Zeit noch genau erinnern, wo Brecht schon irgendwie sehr schwierig war und andere Autoren, nennen wir sie Arnold Zweig oder Lion Feuchtwanger, Alfred Döblin oder Joseph Roth, bei uns einfach nicht richtig vorkamen, wenn sie überhaupt vorkamen und Heinrich Mann irgendwie als der Sohn von Thomas Mann angegeben wurde. Also ich könnte mir vorstellen, dass Peter Weiss damals in genau dieses Loch in der Bundesrepublik reingefallen ist. Boehlich: Also was die Bundesrepublik immer für Löcher gehabt haben mag und hat – Leute, die behaupten, dass sie ihr Leben oder ihre Arbeitskraft der Literatur widmeten, die sollten doch – und die haben damals natürlich auch gewusst, wer Döblin ist und wer Joseph Roth ist und wer Arnold Zweig ist. Die Generation vorher, die kannte vielleicht den anderen Zweig … Burkhardt Lindner: Aber im Kontext von Exilliteratur ist Weiss doch gar nicht wahrgenommen worden zu der Zeit, sondern als junger Autor – so ist es mir als junger Student ergangen … Boehlich: Er hatte ja auch bis dahin nichts produziert, was hier hätte bekannt sein können, es sei denn, man hätte einen Liebhaber schwedischer Zeitungen gehabt. Schoeller: Aber man kann da ein bisschen eine kleine Spekulation machen … 1949 von Wolfgang Weyrauch erfunden, das Wort Kahlschlag-Literatur. In seinem ersten Text Der Schatten des Körpers des Kutschers macht Peter Weiss eine Alternative dazu, aber geradezu eine verstörende Alternative. Meine Vermutung ist ja, dass es diese KahlschlagLiteratur in der Bundesrepublik nie gegeben hat, sondern nur das Wort dazu – und dass sozusagen die Erfüllung dazu 1960, also elf Jahre später überhaupt erst passiert ist. Die Spekulation lautet: Was könnte denn gewesen sein, wenn es damals den Text gegeben hätte? Boehlich: Wann, 45? Schoeller: Neunundvierzig … Boehlich: Den Text gab es ja, nur er war nicht gedruckt. Schoeller: Er war nicht gedruckt. Boehlich: Ich weiß es nicht, die Deutschen waren damals mit der Verdrängung beschäftigt. Und niemand soll sagen, dass sie sonderlich viel Interesse für Leute, die sie in die Emigration getrieben haben, besessen hätten. Nur nicht das Elend auf der einen Seite, für Peter Weiss – was ja dann in den nächsten beiden Prosabänden zum Vorschein kommt. Das hat natürlich auch ein Gutes für ihn gehabt. Der Peter Weiss war im Gegensatz zu beinah allen Leuten, die damals in der Bundesrepublik zu schreiben anfingen, integriert in das, was Literatur überhaupt ist, und die ist nicht national.

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Schoeller: 1959/60 – man kann sagen, legendäre Jahre in der bundesdeutschen Literatur, mit der Blechtrommel, mit den Mutmaßungen über Jakob von Uwe Johnson – ist diese Prosa, die ja nicht sozusagen eine Geschichte erzählt, sondern die autobiographisches Material als Kunstmaterial nimmt, ist diese Prosa vielleicht in den Windschatten dieser Großerzählbücher geraten? Boehlich: Glaube ich nicht … also gut, damit muss man immer rechnen, dass die Leute lesen und kaufen, was ihnen zu lesen leicht fällt, das ist ganz klar. Von der HardcoverAusgabe sind wahrscheinlich – also ich meine jetzt: von den nächsten beiden, von Abschied von den Eltern und Fluchtpunkt – sind wahrscheinlich bis heute nicht viel mehr als sechs-, siebentausend Exemplare verkauft, das hört sich grotesk an, das ist aber so. Und … schön. Schoeller: Gibt es so etwas wie ein ästhetisches Reservoir, etwas, das so zu sagen unerledigt ist? Ich muss dazu sagen, als ich jetzt wieder da drin gelesen habe, da war ich überrascht und begeistert von der Makellosigkeit dieser Sätze. Boehlich: Ja, ich wollte Ihnen noch sagen … – wir kommen auf die Makellosigkeit noch – Wenn Sie das heute wiederlesen, den Schatten des Körpers des Kutschers, dann lesen Sie es als eine Art autobiographischen Text. Damals, 60, war es ein reiner Kunsttext, der nichts mit Biographie zu tun hatte, mit der Variante, dass alle, die sich dafür interessierten, für die Biographie – interessierte es auch niemanden; ich glaube auch nicht, dass es nötig ist, dass es jemanden interessierte. Schoeller: Ich kann Ihnen das übrigens bestätigen … ich habe den Schatten des Körpers des Kutschers 1964 versucht zu lesen, damals mit sehr viel Wissen von der Exilliteratur, … ich habe das in diesen Kreis reingenommen – und ich scheiterte an dieser Lektüre. Ich war sehr viel später erst in der Lage, diesen Text zu verstehen. Boehlich: Aber das reißt einen doch hin. Schoeller: Ja. Boehlich: Damals wie heute wieder. Schoeller: Aber die Makellosigkeit, wie kam die zustande, wenn man bedenkt, dass er zwischen Deutsch und Schwedisch als Literatursprachen schwankte, auch zum Teil englisch geschrieben hat … er war auch im Exil in London gewesen. Wie kommt, wenn man von einer solchen Unsicherheit, einem solchen Schwanken ausgeht, eine solche Klarheit der Sätze zustande? Boehlich: Das muss man ja nicht erklären, nicht. Manche haben einen glücklichen Augenblick und ich nehme an, es ist eine Art von Explosion gewesen, der wollte sich von etwas befreien wie auch später immer wieder, er muss etwas loswerden… Gunilla Palmstierna-Weiss: Ich muss sagen, es ist keine Explosion gewesen, er hat sehr lang daran gearbeitet. Und ich glaube, er hätte es nie machen können, wenn er nicht so musikalisch gewesen wäre. Er hat ja mit jedem Wort … es ist wie ein Musikstück, wenn man es laut liest, hört man genau die Komposition drin. Boehlich: Aber glauben Sie nicht: mehr im Schatten als in den beiden nachfolgenden Bänden?

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Gunilla Palmstierna-Weiss: Nein, er hat ja den Schatten auch auf schwedisch geschrieben,33 das wurde ja auch abgelehnt als etwas Dreckiges … Der Verleger hat gesagt: Herr Weiss, so etwas drucken wir nicht, und er hat das ganze Manuskript auf den Fußboden fallen lassen. Und dann hat er es wieder umgearbeitet. Ich glaube, das ist eine große Schwer­ arbeit gewesen. Boehlich: Ja, genau das ist es ja wohl immer.

33 Für diese Aussage gibt es keinen Beleg; vielmehr hat Weiss aller Wahrscheinlichkeit nach den „Kutscher“ nur auf Deutsch geschrieben.

Titel der Werbebroschüre für die sammlung insel

Richard Faber

Walter Boehlichs sammlung insel der 60er Jahre Wiederaufnahme eines Walter Benjaminschen Projekts der 30er Jahre

„[…] weil die Verleumdung der Aufklärung das Dritte Reich überlebte, ist Benjamins Intention heute noch so aktuell wie vor dreißig Jahren. Zur katastrophischen Raschheit der geschichtlichen Veränderungen in der gegenwärtigen Epoche bildet es das Komplement, wie wenig durch diese veraltet, was dem Unheil nicht gleicht.“ Theodor W. Adorno 1 Als beste Art, „die Gedankenwelt eines Menschen nachzuschaffen“, z.B. die ihres Kaisers Hadrian, empfahl Marguerite Yourcenar, „seine Bibliothek zu rekonstruieren“.2 Im Falle Walter Boehlichs besitzen wir dessen Bibliothek und können deshalb seine Gedankenwelt viel authentischer als Yourcenar die Hadrians „nachschaffen“. Möchte es jemand in Form eines belletristischen Collage-Essays tun, kann er sich am hohen Vorbild von Gerhard Wolfs so dichtem wie kleinem Buch über Johannes Bobrowskis Zimmer orientieren: einer WerkBiographie in Form einer Bücher-Zimmer-Beschreibung.3 Doch meine Aufgabe ist nicht, Boehlichs Bibliothek zu beschreiben, zu analysieren und zu strukturieren, sondern die entscheidende von ihm edierte Buchreihe zu rekonstruieren, die man freilich – in Analogie zur von Boehlich mitbetreuten Bibliothek Suhrkamp – auch ‚Bibliothek‘ nennen könnte: die in nur vier Jahren zustandegekommene, fünfzigbändige sammlung insel.

1

2 3

Vgl. Bd. 11 der „sammlung insel“ (si), S. 112. Die si wird, ab jetzt fortlaufend, in Klammern zitiert: Die Ziffer vor dem ersten Komma gibt die jeweilige Band-Nummer an, alle Ziffern nach diesem Komma bezeichnen die einschlägigen Seitenzahlen. Die vollständigen Band-Titulaturen finden sich auf einer meinem Text angehängten Liste. Vgl. Josyane Savigneau: Marguerite Yourcenar. Die Erfindung eines Lebens. Frankfurt/M.: Fischer 1996, S. 241. Gerhard Wolf: Beschreibung eines Zimmers. 15 Kapitel über Johannes Bobrowski. 4. Aufl. Berlin: Union 1981. Zum Stichwort Collage-Essay vgl. Richard Faber: Der Collage-Essay. Eine wissenschaftliche Darstellungsform. Hommage à Walter Benjamin. 2. Aufl. Frankfurt/M.: Seifert 2005.

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Ich charakterisiere sie umso lieber, als sie sich den, laut Walter Benjamin, „vornehmsten Titel einer Sammlung“, die „Vererbbarkeit“,4 emphatisch zurechnen kann. Boehlichs sammlung insel besitzt bis heute etwas Kanonisches, wenn mehr denn je auch wieder etwas Gegenbzw. Alternativ-Kanonisches, so wie es schon die (Nicht-)Anthologien des späten Benjamin besaßen, die meines Erachtens noch oder wieder für die sammlung insel maßgebend waren. Ich denke insbesondere an Benjamins Brief-Folge Deutsche Menschen von 1936, die alles andere als zufällig in der sammlung insel, von Adorno herausgegeben, zum ersten Mal nach dem Krieg wieder vollständig erschienen ist, aber auch an Titel wie: Vom Weltbürger zum Großbürger. Aus deutschen Schriften der Vergangenheit (1932), Allemands de quatre-vingt-neuf (1939), Einleitung zu Carl Gustav Jochmanns ‚Rückschritten der Poesie‘ (1939).

Rückerinnerung an Unterdrücktes und Vergessenes Alle genannten Titel, durch vielfältige Überschneidung persönlicher und thematischer, vor allem aber methodologischer Art miteinander verbunden,5 benennen eigentlich keine Anthologien, wie Benjamin speziell im Blick auf Vom Weltbürger zum Großbürger betont: da Anthologie zu deutsch „Blütenlese“ heißt, sei die „improvisierte“ Textauswahl „keine Anthologie. Sie führt nicht auf eine Blumenwiese, sondern in einen Rüstsaal – in den geistigen Rüstsaal der kämpfenden bürgerlichen Klasse […]. Die […] Lesestücke sollen [also] nicht zur Unterhaltung genossen werden. Sie sind [vielmehr, R.F.] zur Instruktion, zur Belehrung bestimmt […]. Sie wollen etwas fördern, was zu fördern vielleicht das Wichtigste bei uns ist: das historische Gedächtnis.“6 Und eben für Vergessenes, Verdrängtes und Unterdrücktes; um dessen Rückerinnerung geht es Benjamin wie dann Boehlich: „Das Gedächtnis der Völker ist darauf angewiesen, an den Materien, die ihm die Überlieferung zuführt, Gruppenbildungen vorzunehmen. Solche Gruppierungen sind beweglich; auch wechseln sie in ihren Elementen. Was aber auf die Dauer in sie nicht eingeht, ist der Vergessenheit überantwortet“,7 wie Benjamin in seiner in der Zeitschrift für Sozialforschung erschienenen Einleitung zu Carl Gustav Jochmanns ‚Rückschritten der Poesie‘ festhält, also zu einer Schrift, die dann auch in der Jochmann-Edition seines zeitweiligen Freundes Werner Kraft für die sammlung insel ­einen prominenten Platz einnehmen wird.

4 5

6 7

Walter Benjamin: Ich packe meine Bibliothek aus. In: ders.: Ausgewählte Schriften. Bd. 2: Angelus Novus. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1966, S. 169–178, hier S. 177. Adorno charakterisiert Benjamins Nicht-Methode, speziell im Blick auf „Deutsche Menschen“ wie folgt: dieser habe „in den letzten Jahren seines Lebens dem Idol [oder doch Ideal?, R.F.]“ nachgehangen, „seine eigene Philosophie nicht sowohl zu schreiben als womöglich deutungslos aus Materialien zu montieren, die selber reden“ (11,114). Das vorerst letzte Wort in Sachen Edition hat gesprochen: Momme Brodersen: Deutsche Menschen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008. Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Bd. 4. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980, S. 815 und 819. Walter Benjamin: Einleitung zu Carl Gustav Jochmanns Rückschritten der Poesie. In: ders.: Angelus Novus (wie Anm. 4), S. 352–365, hier S. 352.

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Im anschließenden Absatz seiner Einleitung kommt Benjamin notwendigerweise auf Georg Forster zu sprechen, der für die gesamte sammlung insel und natürlich auch Boehlich persönlich immer wieder Ausgangspunkt sein wird:8 „Nach Wahlverwandten von Jochmann, sei es unter den Vorgängern, sei es unter den Zeitgenossen, Ausschau haltend, werden wir […] inne: auch diese sind, wenn nicht dem Namen so ihrem Umriss nach, von Vergessenheit wie umschattet. Da ist, ein Menschenalter vor Jochmann, Georg Forster. Sein Werk ist im Andenken der Deutschen zerniert wie einst er selbst in Koblenz von deutschen Truppen.“ War er doch, gleich dem noch verrufeneren (Herder- und) Jochmann-Freund Garlieb Merkel, ein revolutionärer Politiker, weswegen Benjamin auch fortfährt: „Eine Darstellung, der es gelänge, die Kontinuität des revolutionären Gedankens unter der deutschen Emigra­ tion in Frankreich von Forster bis Jochmann aufzuzeigen, würde den Vorkämpfern des deutschen [Welt-]Bürgertums die Schuld abstatten, die seine heutigen [großbürgerlichen, R.F.] Nachfahren insolvent findet.“9 Darum zentral geht es auch Boehlichs sammlung insel, obwohl oder gerade weil sie (wie Vom Weltbürger zum Großbürger) die Kontinuität unter deutschen zeitweilig gefangenen, verbannten oder exilierten Schriftstellern über den Vormärz und die gescheiterte Revolution von 1848 hinaus dokumentiert, in deutlicher Erinnerung an die neuerliche deutsche Emigration in Frankreich seit 1933, eines deren prominentesten Mitglieder eben Benjamin war. Dieser „teilte mit uns anderen Emigranten den Irrtum, Geist und List vermöchten etwas auszurichten wider eine Gewalt, die den Geist gar nicht mehr als Selbständiges kennt, sondern nur als ein Mittel zu ihren Zwecken, und darum keine Konfrontation mit ihm zu fürchten hat“ (11,111). So urteilte Adorno in seinem Nachwort zur Neuauflage der Deutschen Menschen, in Boeh­lichs, von Adorno hochgeschätzter Reihe, speziell im Blick auf diese persönlich betreute „Folge von Briefen“. Er benannte ihre ‚Hintersinnigkeit‘ (11,115), wissend um den sich schon im Tarn-Titel Deutsche Menschen ausdrückenden „Flaschenpost“-Charakter10 des an sich „zersetzenden“ Buches, und hatte doch, wie zeitgenössisch bereits Gershom Scholem,11 größte Zweifel am damaligen Wirkpotential des in einem Schweizer Emigrantenverlag Erschienenen.

  8 Am ausführlichsten kommt Forster selbstverständlich im ihm gewidmeten und von Wolfgang Rödel hrsg. Bd. 20 der si zu Wort, vgl. aber auch, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die Bde 6; 11; 15; 24/1; 28; 29; 34 und 50.   9 Benjamin: Einleitung zu Carl Gustav Jochmanns Rückschritten der Poesie (wie Anm. 7), S. 352, 355 und 352. 10 Zur „Flaschenpost“-Metapher vgl. das Vorwort der Hrsg. Willem van Reijen und Gunzelin Schmid Noerr in: Vierzig Jahre Flaschenpost. Dialektik der Aufklärung: 1947 bis 1987. Frankfurt/M.: Fischer 1987, S. 7–10. Am originellsten wie deutlichsten ist der Bezug auf das Horkheimersche/Adornosche Hauptwerk, was die si angeht, im Nachwort Hermann Schweppenhäusers zum Friedrich Maximilian KlingerBd. 27, S. 113–147. 11 Vgl. Walter Benjamin, Gershom Scholem: Briefwechsel 1933–1940. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980, S. 234 und 228.

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„Nur am damaligen Wirkpotential?“, wie man weiter zu fragen sich genötigt sieht, und auch Boehlichs Gesamtunternehmen der 60er Jahre vor Augen. Diese aktuelle, uns heute mehr denn je wieder betreffende Frage muss im Raume stehen bleiben. Sicher ist jedoch, dass sich noch Boehlich & Co., sie erneut – nach dem Ende des ‚Dritten Reiches‘ und der Adenauerschen Restaurationszeit – um die Rückerinnerung von vergessen Gemachtem bemühen wollten. Sie hatten sich, so exemplarisch Boehlich persönlich, mit der Verdrängung Georg Gottfried Gervinus’ aus dem auch bundesrepublikanischen Wissenschaftskanon nicht „abgefunden“ und wollten wenigstens einige seiner Art der Vergessenheit „entreißen“; denn „kaum mit Recht ist gesagt worden, ‚gemäßigte Monarchisten, Halbkonservative sind die deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts zuletzt alle gewesen‘“, wie Boehlich gegen die mehr oder weniger rechtslastigen Historiker Gerhard Ritter und Theodor Schieder von noch 1950 festgehalten wissen wollte (24/I,182, 188 und 200). Immerhin hatten Gervinus’ „Feinde“ sein Andenken nicht völlig „tilgen“ können. „Bisweilen gedenkt man seiner in Zusammenhängen mit den Göttinger Sieben“,12 doch bis mindestens 1967 mit keinem Wort in der repräsentativen, von Theodor Heuss mit herausgegebenen Biographie-Sammlung Die großen Deutschen, „und keines seiner Werke ist anders als in Antiquariaten aufzutreiben […] eine kleine […], wohl in jedem Falle linke Minderheit“ freilich suchte diesem Schweigen immer wieder entgegenzuwirken, darunter nicht zuletzt Benjamin, wie Boehlich zu erwähnen nicht unterlässt (24/I,181/182). Anderen als dem dennoch „nie genug geschätzten Gervinus“ (11,96) ging es wesentlich schlechter: sei es dem „verleugneten, verheimlichten, aus dem Gesichtsfeld gerückten“ Johann Gottfried Seume, über dessen Schriften, vorab die bereits Apokryphen geheißenen, ihr Neueditor, der AdornoSchüler Hermann Schweppenhäuser schreibt: „Sie bleiben als politische Vermächtnisse liegen, gehen teils verloren oder erleiden, wie die ,Apokryphen‘, noch Jahre nach dem Tod Seumes das Schicksal verstümmelter Erstdrucke, die als Denkmale der unterdrückten Vernunft selber den Weg eines Vergessens bezeichnen, der bis in unsere Tage sich verliert“ (18,137 und 145); sei es der „nun schon bald seit einem Jahrhundert aus dem Gedächtnis selbst der Gebildeten entschwundene“ Franz von Baader (19,7), kein Aufklärer, gar Revolutionär, doch – so bereits von Benjamin und Scholem (an-)erkannt –13 unkonventionell, originär 12 Walter Boehlich: Der Hochverratsprozess gegen Georg Gottfried Gervinus. Manuskript einer RadioSendung des WDR vom 12. 12. 1966 (im Nachlass), S. 13 und 9. 13 Vgl. die entsprechenden Seiten in: Deutsche Menschen (= si; 11), S. 46–50, sowie Benjamins BaaderRezension in ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 3: Kritiken und Rezensionen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980, S. 304–308; v.a. aber ders.: Briefe. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1966, S. 134/135, 137, 139, 369, 494, 502 und 619. Was die Bedeutung des durch Benjamin an Scholem vermittelten Baader (und seines Schülers Molitor) für letzteren angeht, vgl. Christoph Schulte: „Die Buchstaben haben … ihre Wurzeln oben.“ Scholem und Molitor. In: Kabbala und Romantik. Hrsg. v. Eveline Goodman-Thau u.a. Tübingen: Niemeyer 1994, S. 143–164. Auslöser der hohen Wertschätzung der beiden Freunde für Baader dürfte ihr gemeinsamer Berner Bekannter Hugo Ball gewesen sein; vgl. dessen vom Baader-Editor der si Gerd-Klaus Kaltenbrunner wieder hrsg. Buch: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Ein Pamphlet. München: Rogner & Bernhard 1970. (Dass Kaltenbrunner in den späten 70er Jahren zum Hauptherausgeber neokonservativen bis neofaschistischen Schrifttums mutierte, erwähne ich nur in Klammern.)

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und anregend wie wenige; sei es der zum Anstandswauwau depravierte Freiherr von Knigge, dessen Broschüre Des seligen Herrn Etatraths Samuel Conrad von Schaafskopf hinterlassene Papiere ihr Neueditor Iring Fetscher mit Recht eine Kampfschrift nennt, die allein schon deshalb „der Vergessenheit entrissen zu werden“ verdiene, „weil sie daran erinnert, dass einst auch Deutschland demokratische Traditionen besaß“ (12,104).

Restitution bzw. Vervollständigung der Werke Um- bzw. Neuinterpretation ist das mindeste, worauf selbst prinzipiell bekannt gebliebene Nonkonformisten wie Knigge Anspruch haben, und auch zu gegenwärtigem Nutzen.14 Stellt man sich dieser Aufgabe wie der 1967 noch junge, bei ihrer Erfüllung von Adorno unterstützte Helmut Schanze,15 dann wird z.B. eine „moderne“ Romantik neu- oder wiederentdeckt: „eine ironische, kritische, zeitbewusste, zeitbezogene Romantik […], die wesentliche Tendenzen der Aufklärung fortsetzt und ausbildet“ (5,16). Diese Entdeckung setzt wie im analogen Fall des Kniggeschen Demokratismus die Erweiterung der allzu lange schmalen, weil beschnittenen Textbasis voraus, so, was Schanzes Dokumentation Die andere Romantik angeht, die Aufnahme des Friedrich Schlegelschen Versuchs über den Begriff des Republikanismus und seines Georg Forster in sie.16 Im Falle der vom Remigranten Werner Vordtriede betreuten Romantikerin Bettina von Arnim ist von großer Bedeutung gewesen z.B. der Wiederabdruck des umfangreichen Briefes der Bettine vom 18. Juli 1845 an Friedrich Wilhelm IV., der unmittelbar mit ihrem sozialkritischen Armenbuch zusammenhängt und seit seiner Entdeckung durch Ludwig Geiger im Jahre 1902 nie mehr publiziert worden war (44,30). Selbst im Falle des vergleichsweise modernen Leo Tolstoj hatte man sich, „spätestens seit Ende der zwanziger Jahre, auf einen ganz bestimmten Kanon Tolstojscher Werke geeinigt, der wesentliche Teile des Gesamtwerks nicht mehr enthält. Bürgerliche wie (real-)sozialistische Gesellschaft haben Tolstoj ­reduziert auf den niemandem gefährlichen Schöpfer unsterblicher Meisterwerke, die im

14 Vgl. an neuerer Knigge-Literatur: Karl-Heinz Göttert: Knigge oder Von den Illusionen des anständigen Lebens. München: dtv 1995, sowie Michael Schlott (Hrsg.): Wirkungen und Wertungen. Adolph Freiherr Knigge im Urteil der Nachwelt (1796–1994). Eine Dokumentensammlung. Göttingen: Wallstein 1998. Außerdem ist darauf zu verweisen, dass Gerhard Steiner als Bd. 33 der si einen weiteren KniggeText hrsg. hat: Josephs von Wurmbrand, Kaiserlich abyssinischen Ex-Ministers, jezzigen Notarii caesarii publici in der Reichsstadt Bofingen, politisches Glaubensbekenntniß, mit Hinsicht auf die französische Revolution und deren Folgen. 15 Schanze hat mir vor Jahren selbst und ausführlich von seiner Anleitung durch bzw. seiner Zusammenarbeit mit Adorno beim Zusammenstellen und Kommentieren der romantischen ‚Dokumente‘ erzählt; wenn ich mich recht erinnere, im Geburtsschloss des Novalis in Oberwiederstedt. 16 Ion Contiades wiederum hat einen der Friedrich-Schlegelschen Lessing-Texte in seine Lessing-Edition „Ernst und Falk“ aufgenommen, vgl. Gotthold E. Lessing: Ernst und Falk. Mit den Fortsetzungen Johann Gottfried Herders und Friedrich Schlegels. Hrsg. und mit einem Nachw. versehen von Ion Con­ tiades. Frankfurt/M.: Insel 1968 (= si; 35), S. 75–89.

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­ ücherschrank des Kleinbürgers ebenso gut Platz haben wie auf dem Regal des [real-]soziaB listischen Spießers.“ (39,7) So das auch (post-)stalinismuskritische Urteil Peter Urbans, gleich zu Beginn seiner Einleitung in die von ihm verantwortete Ausgabe der pazifistischen Reden und Schriften des von Urban als „unbequemen Gesellschaftskritiker“ gewürdigten Tolstoj. Ihm, den vor ihm Genannten und nicht wenigen anderen kann allein auf solchem Restitutions- bzw. Vervollständigungs-Weg Gerechtigkeit widerfahren; nur so kann ihr Denken und Dichten schließlich weiter wirken oder gar zum ersten Mal zur Wirkung gelangen: hier und heute. „,Vielleicht wartet Hölderlin [z.B.]‘, so hat [schon, R.F.] Achim von Arnim einst vermutet, ‚dass die Reife der Einsicht am scharfen Strahle der Zeit sich ausglühe, die ihn versteht?‘“ (50,233) Mit dieser Reminiszenz endet Alfred Kelletats Nachwort zum Wiederabdruck der Werner Kirchnerschen Hölderlin-Studie in Form eines sammlung insel-Bändchens (des letzten der Reihe überhaupt).17 Und Walter Hinderer beschließt das Vorwort seiner Börne-Edition wie folgt: „Was er in seiner ‚Dankrede auf Jean Paul‘ sagte, gilt noch mehr von ihm: ‚Er aber steht geduldig an der Pforte des zwanzigsten Jahrhunderts und wartet lächelnd, bis ein schleichend Volk ihm nachkommt.‘“ (22,38)18 Jedenfalls, „die geschundenen Toten/Und die geschundenen Lebenden/Müssen zusammenhalten/Gegen das Unrecht“, wie es zum Schluss der „Beilage“ Roman Svendborgs zur Seume-Edition Schweppenhäusers heißt (18,175), deutlich Benjamins Thesen Über den Begriff der Geschichte verpflichtet. Und Herbert Marcuse beendet seine Karl Marx-Ausgabe mit dieser gleichfalls Benjaminschen, also paradoxen Hoffnung – wie seine Mitstreiter ganz wenige Jahre vor dem „Mai 68“:19 „[…] die Jungen, die das Sehen und Hören und Denken noch nicht verlernt haben, die noch nicht abgedankt haben, und die, die noch die Opfer des Überflusses sind und die schmerzlich das Sehen, Hören und Denken erst lernen. Für sie ist der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte geschrieben, für sie ist er nicht veraltet.“ (9,150) 17 Es ist kaum zu viel gesagt, wenn man behauptet, mit dieser Neuedition habe die kritische Hölderlin-Revision der 60er und 70er Jahre, die den Dichter dem (Prä- und Post-)Faschismus erfolgreich entwand, einen ersten Höhepunkt erreicht. Vorausgegangen war Kirchners Wiederaufl. von 1969 drei Jahre früher (im Insel-Verlag) Robert Minders Essay-Sammlung „Dichter in der Gesellschaft“, mit dem Beitrag „Hölderlin unter den Deutschen“ (S. 63–83). Dann folgten (bei Suhrkamp) diverse Studien Pierre Bertaux’, schließlich (in der „Bibliothek Suhrkamp“) die belletristische Arbeit von Peter Weiss: Hölderlin. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971, und in der DDR Gerhard Wolf: Der arme Hölderlin. Berlin: Union 1972. 18 In diesem Zusammenhang: Hans Mayer hat 1966 als Bd. 13 der si hrsg.: Jean Paul: Politische Fasten­ predigten. 19 Marcuse umkreist nicht nur an dieser Stelle den Satz, mit dem Benjamins „Wahlverwandtschaften“-Essay von 1922 schloss: „Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.“ In: Walter Benjamin: Illuminationen. Ausgewählte Schriften. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1961, S. 147. Marcuse beendet mit diesen Worten seinerseits das für die internationale Protestbewegung außerordentlich wichtige Buch: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. 2. Aufl. Neuwied, Berlin: Luchterhand 1967, S. 268, über das die Benjaminsche Sentenz zu einem Hauptwandspruch des Pariser Mai 68 wurde. Ich habe mit ihm meinerseits beendet: Richard Faber: Novalis. Die Phantasie an die Macht. Stuttgart: Metzler 1970, S. 90.

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Prinzip Aktualität Die Aktualität der ihrer Zeit vorauseilenden, ,avantgardistischen‘ Schriften der sammlung insel ist, wie im Fall der Benjaminschen Projekte der 30er Jahre,20 der springende Punkt des (nicht nur) Boehlichschen Unternehmens. Seinem entscheidenden Mentor Benjamin erschien die Heinrich Heine-Passage seiner Nicht-Anthologie Vom Weltbürger zum Großbürger „von Aktualität geradezu geladen“. Ihr sei „gewiss aus der Literatur der letzten zehn Jahre nur sehr weniges an die Seite zu stellen“. „Mit der Stelle aus [Jacob] Burckhardts ‚Weltgeschichtlichen Betrachtungen‘ dürfte [schließlich, R.F.] der Anschluss an aktuellste Probleme der bürgerlichen Gegenwart hergestellt sein.“21 In allen Stellen, die sich in Vom Weltbürger zum Großbürger zur „skizzenhaften Andeutung eines Kulturbildes des Bürgertums […] zusammenschließen, wird der Leser wie in einem Vexierbild hinreichend dramatische und lebenswahre Züge der ihn umgebenden Gegenwart verborgen finden“.22 „Denn es handelt sich ja [generell, R.F.] nicht darum, die Werke des Schrifttums im Zusammenhang ihrer Zeit darzustellen, sondern in der Zeit, da sie entstanden, die Zeit, die sie erkennt – das ist die unsere – zur Darstellung zu bringen“,23 wie Benjamin bereits 1931 gegen Ende eines nicht zuletzt Gervinus würdigenden Aufsatzes sicher war. Und auch schon damals war „unsere“ Zeit eine neobonapartistische bzw. (prä-) faschistische.24

Antifaschismus Höchstens zwei Jahre später werden „les voix des témoins“, die Benjamin in Allemands de quatre-vingt-neuf 1939, knapp zwei Monate vorm neuerlichen Weltkriegsbeginn, versammelt, „dans l’Allemagne actuelle […] des voix étouffées“ sein.25 Umgekehrt erleben jetzt Leute wie der auch große Verdienste vorweisen könnende Ferdinand Kürnberger26 mit der rassistischen Lehre von der „Höherwertigkeit der ‚germanischen‘ über die ‚keltische‘ Rasse“ ihren endgültigen Durchbruch. Mehr denn je in den Wind gesprochen ist dagegen des bereits 1779 verstorbenen Aufklärers Helfrich Peter Sturz’ Sarkasmus: „Menschen darum zu 20 Vgl. Benjamin: Ges. Schriften. Bd. 4. (wie Anm. 6), S. 878, sowie ders.: Angelus Novus (wie Anm. 3), S. 358. 21 Benjamin: Ges. Schriften. Bd. 4. (wie Anm. 6), S. 852 und 821. 22 Ebd., S. 816. 23 Benjamin: Angelus Novus (wie Anm. 4), S. 456. 24 Vgl. v.a.: Walter Benjamin: Theorien des deutschen Faschismus. In: ders.: Ges. Schriften. Bd. 3. (wie Anm. 12), S. 238–250. Vgl. auch Richard Faber: Cäsarismus – Bonapartismus – Faschismus. Zur Rekonstruktion des Brechtschen „Cäsar“-Romans. In: Lutz Hieber, Rudolf Wolfgang Müller (Hrsg.): Gegenwart der Antike. Zur Kritik bürgerlicher Auffassungen von Natur und Gesellschaft. Frankfurt/M.: Campus 1982, S. 64–104. 25 Benjamin: Ges. Schriften. Bd. 4. (wie Anm. 6), S. 863. 26 Vgl. das vorzügliche Vorwort des Karl Kraus-Spezialisten Karl Riha zu der von ihm besorgten Kürnberger-Ausgabe der si Bd. 30, S. 7–23. Den Rassisten Kürnberger übergeht es freilich. Warum?!

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schlachten, weil sie doch nicht lange mehr leben werden, gehört zur jurisprudence véterinaire, nach welcher es […] vernünftiger ist, ein krankes Pferd lieber tot zu stechen“, als für seine „gesunde Nahrung“ zu sorgen.27 Der Blick des im Friedrich Schlegelschen und Walter Benjaminschen Sinn rückwärtsgewandten Propheten Ernst Bloch – von Boehlich gleichfalls aufs höchste geschätzt – erkennt in des genialen Johann Peter Hebel28 Erzählung Wie eine greuliche Geschichte durch einen gemeinen Metzgerhund ist an das Tageslicht gebracht worden sogar ein „Stück Auschwitz in diesem Gäu“, für das der bloß scheinbar biedermeierliche Erzähler „nur härteste Gerichtssprache parat“ gehabt habe (7,137/138); schon zu seiner Zeit, die wesentlich die Napoleons I. gewesen ist. Marcuse, der Marx’ 18. Brumaire des dritten Napoleon ediert, urteilt gleichfalls sub specie Fascismi, wenn auch auf den fundamentalen Unterschied zwischen der ferneren und der nahen Vergangenheit abstellend: „All dies (was Marx schildert) ist zwanzigstes ­Jahrhundert – aber zwanzigstes Jahrhundert in der Perspektive des neunzehnten, dem das Grauen der faschistischen und nachfaschistischen Periode noch fremd ist. Dieses Grauen erfordert eine Korrektur der einleitenden Sätze des Achtzehnten Brumaire: die ‚welt­ geschichtlichen Tatsachen und Personen‘, die sich ‚sozusagen zweimal‘ ereignen, ereignen sich das zweite Mal nicht mehr als ‚Farce‘. Oder vielmehr: die Farce ist [noch, R.F.] furchtbarer als die Tragödie, auf die sie folgt.“ (9,143)

„Politischer Kontext 1964 [ff.]“ (3,162) Hans Magnus Enzensberger dagegen rückt den von ihm wiederherausgegebenen Hessischen Landboten Büchners und Weidigs ganz in den politischen Kontext des Editionsjahres 1964: die gegenwärtigen Verhältnisse seien, „abgesehen von zwei sinnlos vom Zaun gebrochenen Weltkriegen und ihren Folgen, recht rosig“. So Enzensberger ausgesprochen sarkastisch: „Zwar haben es die Hüter unserer Verfassung keineswegs verlernt, sich etwas außerhalb der Gesetzlichkeit zu bewegen, zwar legt die Notstandslegislation, die sie vorbereiten, gewisse Reminiszenzen an das vergangene Jahrhundert nahe, zwar erinnert man sich, zu wessen Hure die deutsche Justiz vor wenig Jahren sich gemacht hat. Doch ist da kein Hunger, und die Regierung kann Anzeigen in die Zeitungen rücken lassen, darin steht: Der Klassenkampf ist zu Ende. Wer ihn gewonnen und ihn verloren hat, das wird nicht angezeigt“ (3,162/163) – muss es in entscheidender Hinsicht aber auch gar nicht. Eben Büchner schrieb, schon im Vormärz, an Karl Gutzkow: „,Mästen Sie die Bauern, und die Revolution bekommt die Apoplexie.‘ Man braucht nur für das Wort Bauern die 27 Benjamin: Ges. Schriften. Bd. 4. (wie Anm. 6), S. 833 und 827. 28 Vgl. Boehlichs Rezension des Blochschen „Prinzip Hoffnung“ in: Morgenblatt für Freunde der Literatur, 2.11.1959. Sie belegt nicht nur Boehlichs große Bloch-Verehrung, sondern spricht auch von Hebels „Genie“. Dass dies trotz Benjamins lebenslangen Hesitenzen gegenüber der „Genie“-Vokabel auch im Sinn dieses Hebel-Verehrers war, muss ich kaum erwähnen. Vgl. freilich Richard Faber: „Sagen lassen sich die Menschen nichts, aber erzählen lassen sie sich alles.“ Über Grimm-Hebelsche Erzählung, Moral und Utopie in Benjaminscher Perspektive. Würzburg: Königshausen & Neumann 2002.

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Lieblingsphrasen einer pluralistischen Soziologie einzusetzen, will sagen: Arbeitnehmer und Sozialpartner, um zu ermessen, wie tief Büchners Blick in die Zukunft reichte, nämlich, in dieser Frage, weiter als der von Friedrich Engels und von Karl Marx.“ So Enzensbergers Einsicht des Jahres 1964; jedenfalls hinke „jeder Vergleich mit den Zuständen des deutschen Vormärz […]. Wir haben keinen Metternich, wir haben [als Innenminister, R.F.] Herrn Höcherl, und selbst Herr Höcherl wirkt übertrieben und entbehrlich: der status quo kann sich solche Reminiszenzen leisten, – sie verleihen ihm das spezifisch deutsche Lokalkolorit –: angewiesen ist er nicht darauf; denn das Regime beruht nicht auf Repression, sondern auf Zustimmung.“ (3,163/164) Andererseits gilt eben deswegen: Der Hessische Landbote spricht „nicht zu, sondern gegen uns“ alle. „Heute ist jeder Gedanke Büchners denen zugedacht, die vor uns ‚wie Dünger auf dem Acker liegen‘. Was 1834 Winkelpolitik war, ist zur Weltpolitik geworden. Was der Gießener Student und der Butzbacher Landpfarrer schrieben, geht heute eine Milliarde Menschen an. Was 1964 am Landboten gilt, gilt nicht für Hessen, es gilt für den Nahen Osten, den indischen Subkontinent und Südostasien, für große Teile Afrikas und für viele Länder des lateinischen Amerika.“ (3,165) Konsequenterweise redet Enzensberger pars pro toto vom „Persischen Landboten“ und schreibt ihn in einer Weise um, für die ich nur dieses eine Beispiel zitiere: „Der Schah ist der Kopf des Blutigels, der über euch hinkriecht, die Minister sind seine Zähne und die Beamten sein Schwanz“ – um Enzensbergers Resümee unmittelbar folgen zu lassen: „Der Iran ist nicht Hessen. Der Unterschied, weit davon entfernt, Büchners Thesen zuschanden zu machen, verkehrt noch seinen Irrtum in Prophetie. Engels hat recht gehabt gegen ihn, aber unrecht behalten. In der Dritten Welt gibt es keine Bourgeoisie, welche die gefährlichste Feindin der existierenden Regierungen wäre. Dagegen haben die Bauern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas bewiesen, dass sie keineswegs, wie die deutschen, ‚eine hilflose Klasse bilden‘ und ‚aller historischen Initiative durchaus unfähig‘ sind. Die chinesische, die algerische, die cubanische, die Revolution in Vietnam, das heißt, alle siegreichen Revolutionen in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts sind Bauernrevolutionen gewesen.“ (3,167) Hier und heute liest sich solcher ‚Maoismus‘ (nicht Büchner selbst!) wie aus fernster Vorzeit, aber auch Enzensbergers spätere Passage?, wie ich rhetorisch frage: „Alles, was wir den armen Völkern bewilligen, wird uns durch die Notwendigkeit abgezwungen, und selbst das Bewilligte werfen wir ihnen hin wie eine erbetene Gnade und ein elendes Kinderspielzeug, um dem ewigen Maulaffen Asien unsere guten Geschäfte vergessen zu machen.“ – Die globale Rede von ,Asien‘ ist inzwischen tief anachronistisch, und auch ,Mekong‘ wie ,Congo‘ sind heute nicht die vordringlichsten Namen, die zu nennen wären, aber stimmt nicht prinzipiell weiter, dass „wir unsere Paläste unter Denkmalschutz gestellt und uns ein neues Motto verschrieben“ haben: „Friede den Eigenheimen am Rhein und am Hudson! Krieg den Hütten am Congo und am Mekong!“ (3,168)? „Wer immer auf Büchner sich berufen kann, wir sind es nicht“ (3,168), wie der letzte Satz des Enzensbergerschen Nachworts zu Büchner/Weidig lautet. Und im Nachwort zu seiner Las Casas-Edition, gleichfalls in der sammlung insel, vermutet Enzensberger, dass der exzeptionelle, bis heute nicht einmal seliggesprochene Dominikaner-Mönch unser „Urteil“

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gesprochen hat, über die Zeit des „Dritten Reiches“ hinaus.29 „Die Schlagzeilen, die wir jeden Morgen im Briefkasten finden, beweisen [jedenfalls], dass die Verwüstung der Indischen Länder weitergeht. Der Kurzgefasste Bericht [des Las Casas, R.F.] von 1542 ist ein Rückblick in unsere eigene Zukunft“, wie Enzensbergers Nachwort Benjaminisch sans phrase schließt.30 Es erinnert daran: dass „die Strukturen der kolonialen Herrschaft […] heute noch fortbestehen“; dass „heut noch“ jene „rostigen Messer“ im Gebrauch sind, die aufgrund fehlender Argumente gegen Las Casas’ Anprangerung eines an zwanzig Millionen Menschen begangenen Völkermords eingesetzt wurden (23,148, 162, 141 und 133). Nicht zuletzt deshalb ist die „Aktualität des Buches […] monströs, es riecht durchdringend gleichzeitig“ (3,138) und hat nach seiner Wiederveröffentlichung geschrien, wie mehr oder weniger alle in der sammlung insel neuaufgelegten, wenn nicht ausgegrabenen Schriften. Adorno spricht in seinem Nachwort zu Deutsche Menschen von einer „unterirdischen […] Tradition“, die bereits jene Brief-Folge habe „aufdecken“ wollen (11,112). Auch deshalb lautet das meine Eingangsthese bestätigende Zwischenresümee: Die gesamte sammlung versteht sich als eine antikanonische bzw. alternativ-kanonische, die auf eine andere oder eben Gegentradition rekurriert: die „der Unterdrückten“, von der in Benjamins Thesen Über den Begriff der Geschichte die Rede ist.

Umfunktionierung der Klassiker im Allgemeinen und der Bibel im Besonderen Eben in Benjamins Nicht-Anthologien, aber aufgrund vieler einschlägiger Bändchen auch in Boehlichs sammlung gehört in die Alternativtradition nicht zuletzt ein lange „verborgenes, bürgerliches Deutschland“. Bei Benjamin tritt es „als Zeuge gegen das zeitgenössische, faschistisch beherrschte Deutschland auf, in dem das deutsche Bürgertum ‚weltgeschichtlich versagt‘ hat“.31 Dass dieses sich nicht nachträglich jenes revolutionäre zum Alibi 29 In ihm schrieb Reinhold Schneider 1937/38 „Las Casas vor Karl V.“ (Frankfurt/M.: Insel 1962), eines der wenigen Bücher, das, obwohl ,Innerer Emigration‘ geschuldet, ‚geistigen Widerstand‘ leistete. Ich habe es in meinem Buch: Abendland. Ein politischer Kampfbegriff. Hildesheim: Gerstenberg 1979 (2. Aufl. Berlin, Wien: Philo 2002) zusammen mit Enzensbergers Las Casas-si-Edition (die Schneider nicht einmal nennt) immer wieder herangezogen (Kap. I, 2 bzw. II, 2). Carlos Fuentes in seinem chef d’oeuvre: Terra nostra. 3. Aufl. Stuttgart: DVA 1980, bes. S. 1132 tat dasselbe. Jetzt ist hinzuweisen auf: Theodor Verweyen: Literarische Menschenrechtsproklamation in finsterer Zeit. Reinhold Schneiders Las Casas vor Karl V. und Heinrich Manns Die Vollendung des Königs Henri Quatre im Vergleich. In: Wilhelm Kühlmann, Roman Luckscheiter (Hrsg.): Moderne und Antimoderne. Der Renouveau catholique und die deutsche Literatur. Freiburg u.a.: Rombach 2008, S. 511–542. 30 Im Übrigen hat sich Benjamin auch inhaltlich, bereits 1929, mit Las Casas beschäftigt. In: ders.: Ges. Schriften. Bd. 3 (wie Anm. 13), S. 180/181. 31 Vgl. Chryssoula Kambas: Walter Benjamins Verarbeitung der deutschen Frühromantik. In: Gisela Dischner, Richard Faber (Hrsg.): Romantische Utopie – Utopische Romantik. Hildesheim: Gerstenberg 1979, S. 187–221, hier S. 205. Ich bin diesem Aufsatz insgesamt und nachhaltig verpflichtet. Ohne seine Kenntnis würde mein hier vorliegender anders ausgefallen sein oder wäre überhaupt nicht geschrieben

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erwählt, ist in seinem Büchner-Nachwort noch Enzensbergers Sorge. Wohl speziell im Blick auf den bis heute jährlich vergebenen Büchner-Preis (den 1963 auch Enzensberger selbst erhalten hat) heißt es dort: „Was auch immer ein Klassiker sein mag, als Alibi für die Nachwelt, als Lorbeerbäumchen für Festredner kann er nicht dienen. Die größte Gemeinheit gegen einen toten Schriftsteller besteht darin, dass man ihn feiert, aber nicht ernstnimmt.“ Büchner speziell mit seinem für Enzensberger noch 1964 gültigen Satz: „Die deutsche Indifferenz ist wirklich von der Art, dass sie alle Berechnungen zuschanden macht.“ (3,164) Dieser Gleichgültigkeit und Hartherzigkeit gegenüber müssen gerade auch etablierte Klassiker, selbst viel kanonisiertere als Büchner, immer wieder ‚gegen den Strich gebürstet‘ werden, um mich erneut einer Benjaminschen Formulierung zu bedienen. Erleichtert wird das, so Benjamins Freund Bertolt Brecht in einer von Siegfried Unseld in den Brecht-Band der sammlung insel aufgenommenen Passage, durch die Favorisierung unbekannterer Texte Goethes zum nicht beliebigen Beispiel: „Es ist dem Theater beim Urfaust leichter gemacht als beim fertigen Werk, der Einschüchterung durch die Klassizität sich zu erwehren und sich die Frische, den Entdeckersinn, die Lust am Neuen des erstaunlichen Textes anzueignen.“ (2,101) Bloch als dritter im Bunde der neomarxistischen Freunde beruft sich, um den von ihm nicht weniger als von Martin Heidegger verehrten Hebel jenem zu entwinden, auf des judäophilen Geistlichen „Jesajas-Ausstrahlungen“, „mit einem eigenen, […] biblischen Heimatgefühl dazu: ‚Das Morgenland, wo unser Glaube, unsere Fruchtbäume und unser Blut daheim ist.‘ Die Nazis hätten an Hebel keine Freude gehabt, ein gutes Deutschland war damals erwacht, gerade auf dessen Feldwege kann sich keine Blut- und Bodenschande etwas zugute tun, sie trinkt ihr eigenes Gericht.“ (7,146) Welch gekonnte ,Umfunktionierung‘ Hebels, wie ich mit Hilfe eines ihm selbst eigenen Zentralbegriffs32 Bloch metakommentiere! Nicht nur an dieser Stelle ist freilich die nicht geringste Voraussetzung solchen Umfunk­ tionierens – für die drei großen ‚Bibliologen‘ Benjamin, Bloch und Brecht –, die jüdischchristliche Tradition selbst, „die in Kanon und Exegese sich verfestigt hat, gegen den Strich zu bürsten“, so wie es Jacob Taubes dem von ihm, wie Benjamin, hochverehrten Franz Overbeck in der Einleitung in dessen Selbstbekenntnisse mit als erstem nachgerühmt hat. Tatsächlich heißt es in den Overbeckschen Confessiones: „Die Vorstellung von Wissenschaft unter der ich in Beziehung zu ihr getreten bin, ist, dass sie dazu bestimmt ist, an den Dingen eine Art jüngsten Gerichts zu üben, und nur so bin ich überhaupt zu meinem Begriff von Theologie gekommen“ (21,10 und 25): als einem radikalkritischen. Taubes urteilt so universalgeschichtlich wie abschließend: „Augustins Bekenntnisse beschreiben den Weg eines spätantiken heidnischen Rhetors in die christliche Gemeinschaft, die sich anschickt, als Kirche die Geschichte der kommenden Jahrhunderte zu bestimmen. Die Selbstbekenntnisse Overbecks beschreiben den Weg eines spätchristlichen Professors der worden. Vgl. auch Chryssoula Kambas: Walter Benjamin im Exil. Zum Verhältnis von Literaturpolitik und Ästhetik. Tübingen: Niemeyer 1983. 32 Vgl. v.a. Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1973.

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Theologie und Kirchengeschichte, als das Christentum für eine kritische, oder, was dasselbe heißt, für eine profane Geschichtsschreibung reif wurde, in ein Interim, darin die Fronten zwischen Glauben und Unglauben merkwürdig sich verschlingen […]. Mit Overbecks Problem vor Augen mag man getrost die wechselnden Moden theologischer Exegese und Apologie verschlafen.“ (21,27) Dies, selbst bei Taubes selten emphatisch-positive Gesamturteil, das zugleich eine ungemein nachdrückliche Empfehlung darstellte, hat Früchte getragen, wobei ich nur auf die neun dickleibige Bände umfassende Overbeck-Ausgabe im Metzler-Verlag verweise, die nicht zuletzt auf Taubes’ Kleinedition des Jahres 1966 zurückgeht, wie ich von einigen der für die große Verantwortlichen immer wieder gehört habe.33 Doch was ist Overbecks Zentral-Problem, um auf Taubes’ Einleitung zu rekurrieren? Schon Benjamin in den Deutschen Menschen hat es prägnant als das der Parusieverzögerung und ihrer nicht enden wollenden Rationalisierungen, also Verdrängungsversuche identifiziert: „Echte Christlichkeit ist ihm [Overbeck] Religion unbedingter eschatologisch begründeter Weltverneinung, der gemäß ihm ihr Eingehen in die Welt und deren Kultur als Verleugnung ihres Wesens, alle Theologie von der patristischen Zeit ab als Satan der Religion erscheint.“ (11,104) Taubes assistiert Benjamin mit dem Aperçu, für Overbeck sei „Weltverneinung […] der character indelebilis des Christentums“ gewesen und dementsprechend, mit Overbecks eigenen Worten, „das Interessanteste“ an ihm „seine Ohnmacht, die Tatsache, dass es die Welt nicht beherrschen kann“. Wohingegen Theologen wesensnotwendig „feige Anbeter jeglicher Macht“ seien, wie Overbeck sich gleichfalls überzeugt zeigte (21,17, 13 und 19). Nicht nur er, sondern alle, die in der sammlung insel mit Bibel, Christentum und Kirchen befasst sind,34 äußern sich machtkritisch und gleichfalls im Rekurs auf die Eschatologie, also Prophetie und Apokalyptik. Georg Büchner und Ludwig Weidig tun es allen anderen voran: „In Deutschland stehet es jetzt, wie der Prophet Micha schreibt, Cap. 7., V. 3 und 4: ‚Die Gewaltigen rathen nach ihrem Muthwillen, Schaden zu thun, und drehen es, wie sie es wollen. Der Beste unter ihnen ist wie ein Dorn, und der Redlichste wie eine Hecke.‘ Ihr müsst die[se] Dörner und Hecken theuer bezahlen [dazu, R.F.]“, wie Büchner und Weidig ihre hessischen Landsleute direkt ansprechen, den Propheten Micha applizierend bzw. aktualisierend, indem sie „Dörner und Hecken“ als großherzogliche Beamte identifizieren: „Sie thun nichts in ihrem Namen“, sondern „sprechen mit Ehrfurcht: ‚im Namen des Großherzogs.‘ Dies ist ihr Feldgeschrei, wenn sie euer Gerät versteigern, euer Vieh wegtreiben, euch in den Kerker werfen.“ Aber: „Diese Regierung ist nicht von Gott, sondern vom Vater der Lüge“, weswegen freilich auch den aufgrund ihrer Unterwürfigkeit schlechten Untertanen in apokalyptischer Gerichtssprache zugerufen wird: „Wehe über euch Götzendiener! – Ihr seyd wie 33 Ich nenne nur den Mitherausgeber Hubert Cancik und den langjährigen Metzler-Lektor Bernd Lutz. 34 Wir wissen seit kurzem, dass unter den vielen weiteren ins Auge gefassten Bänden wenigstens noch zehn sich mit theologie- und kirchengeschichtlichen, jedenfalls religionshistorischen Themen hätten beschäftigen sollen. Vgl. Alfred Estermann, Wolfgang Schopf (Hrsg.): „Ich bitte um ein Wort …“. Der Briefwechsel Wolfgang Koeppen – Siegfried Unseld. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006, S. 116–123.

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die Heiden, die das Krokodill anbeten, von dem sie zerrissen werden. Ihr setzt ihm eine Krone auf, aber es ist eine Dornenkrone, die ihr euch selbst in den Kopf drückt; ihr gebt ihm ein Scepter in die Hand, aber es ist eine Ruthe, womit ihr gezüchtigt werdet; ihr setzt ihn auf euern Thron, aber es ist ein Marterstuhl für euch und eure Kinder“, worauf zurückzukommen ist. Entscheidend im Augenblick ist, dass das für Großherzog Ludwig stehende „L.“, Off. 13,16/17 folgend, als „das Maahlzeichen des Thieres“ gedeutet wird (3,10/11) und damit in Wahrheit dieses auf dem hessischen Throne sitzt. Gemäß apokalyptischer Metaphorologik kann/muss daraufhin prophezeit werden: „Der Herr, der den Stecken des fremden Treibers Napoleon zerbrochen hat, wird auch die Götzenbilder unserer einheimischen Tyrannen zerbrechen durch die Hände des Volks. Wohl glänzen diese Götzenbilder von Gold und Edelsteinen, von Orden und Ehrenzeichen, aber in ihrem Innern stirbt der Wurm nicht und ihre Füße sind von Lehm“, gemäß der Urapokalypse des Daniel (2,32-45). Freilich wird das angesprochene Volk die Füße der „Götzenbilder“ nur „zerschmeißen“, wenn es endlich „die Wahrheit“ erkennt, „dass Gott alle Menschen frei und gleich in ihren Rechten schuf und dass keine Obrigkeit von Gott zum Segen verordnet ist, als die, welche auf das Vertrauen des Volkes sich gründet und vom Volke ausdrücklich und stillschweigend erwählt ist“ (3,15/16). Damit sind wir beim Menschen-Schöpfungsbericht Gen. 1,26/27 angelangt, unter der impliziten Annahme, die auf heutigem explizit-bibelwissenschaftlichen Stand ist, dass die Schöpfungstheologie die Apokalyptik voraussetzt: der Ursprung das Ziel.35 „Im Jahre 1834 sieht es [zunächst freilich, R.F.] aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am 5ten Tag, und die Fürsten und Vornehmen am 6ten gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt: ‚Herrschet über alles Gethier, das auf Erden kriecht‘, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt.“ So beginnt der Hessische Landbote, unmittelbar an das berühmte Motto „Friede den Hütten! Krieg den Pallästen!“ anschließend. Und tatsächlich hat Gott „die Menschen frei und gleich geschaffen“, weswegen „jedes Volk nach der Vernunft und der heiligen Schrift das Recht hat“, „die erbliche Königswürde ab[zuschaffen] und […] eine neue Obrigkeit“ zu wählen. Ja, gerade auch die Bibel kennt die so gerechtfertigte wie wichtige Utopie eines irdischen Paradieses. Der Landbote verkündet es mit dem ihm eigenen Überschwang: „Deutschland ist jetzt ein Leichenfeld, bald wird es ein Paradies seyn.“ (3,5, 13 und 18) Aufgrund der offenkundigen, gerade nach Overbeck, Benjamin, Taubes usw. das frühe Christentum bestimmenden Naherwartung heißt es konsequenterweise auch und sogar in Gebetsform: „Herr, zerbrich den Stecken unserer Treiber und lass dein Reich zu uns kommen, das Reich der Gerechtigkeit. Amen.“ (3,19) Wie das „Amen“ signalisiert, endet mit dieser das „Vater unser“ aufnehmenden apokalyptischen Anrufung (Off. 22,20) der Landbote überhaupt. Bedeutend weniger wörtlich zu nehmen als sie und der Pfarrer Weidig generell (dem man „den Prediger“ allzu „anhört“ (3,51)), sind Bettina von Arnims nur parareligiöse 35 Vgl. Jürgen Ebach: Ursprung und Ziel. Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit. NeukirchenVluyn: Neukirchener Verl. 1986.

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Passagen in ihrem Armenbuch, doch metaphorisch wollen auch sie ernst genommen werden; gerade wenn Bettine in ihrer (ins Armenbuch integrierten) „Bergpredigt über die Armut“ verkündet, im Wissen darum, dass „den Hungrigen helfen wollen […] jetzt Aufruhr predigen“ heißt (44,44): „[…] sie wird kommen die […] Zeit […] des Volkes, der Armen, und die Herrschaft der Reichen wird zu Ende gehen. Da wird man erkennen, dass die Reichen lebendig tot sind, […] da wird man sie begraben und all ihren Mammon ihnen mitgeben in den Sarg, da mögen sie wühlen in ihrem Kote. – Und fragt ihr mich, wann diese Zeit der Verjüngung kommen wird, die ich euch verkünde, und deren Ahnung schon mein Inneres mit Flammen der Begeisterung elektrisch erschüttert, so sag’ ich euch, ich weiß es nicht, aber viel Zeichen verkünden, dass sie nicht mehr ferne ist.“ (44,80) Bettine beerbt Chisti Bergpredigt auf umfunktionierende, sie säkularisierende Art und Weise: Sie würdigt das auf den „Mann aus dem Volke“ zurückgehende „Evangelium der Armen“ als solches, verwirft jedoch seine jenseitige Dimensionierung, dass Christus „hier auf Erden […] alles beim Alten“ gelassen habe. Bettine ist nämlich von der Überzeugung bestimmt, Feuerbachianerin, die die (Früh-)Romantikerin im hohen Alter noch geworden ist, dass der Himmel „nichts als die idealisierte Erde“ und deshalb diese zu realisieren ist. Bettines ausdrücklicher Traum war: „die Fundamente eines [irdischen, R.F.] Paradieses“ zu legen (44,80, 83 und 68) – gleich Büchner. Schon bzw. noch Seume, ein extremer Religionskritiker, wie sein Editor Schweppenhäuser zeigt, konnte frühem und originalem Christentum, speziell Jesu Bergpredigt nicht wenig abgewinnen: „Wie die radikalsten der französischen Aufklärer […] deutet er auf den politischen Zweck, der mit der Erfindung der Religion verfolgt wird, und wenn er positiv von Moses, Christus, Mohammed redet, dann spricht er von ihnen als von ‚wirklich großen Heilanden der Völker‘ […]. Um aber den Wahn zu zerstreuen, den er bei sich selber wittern mag, das Heil der Welt hänge allein von heiligen oder heroischen Individuen ab, sagt er deutlich genug an anderer Stelle: ‚Die Nation, welche nur durch einen einzigen Mann gerettet werden kann und soll, verdient Peitschenschläge‘ […]. Kein Heros, kein Despot ist wahrhaft gut, kein wahrhafter Heiland ein Herr. Durch den historischen Christus […] schimmert der Anwalt der Mühseligen und Beladenen hindurch, der mit diesen gegen die geistlichen und weltlichen Herren sich identifiziert und dafür den schmählichsten Tod erleidet. Den Heiland denkt Seume [also, R.F.], echt voltairianisch, als moralisch großes Individuum, das die Sache der Geschundenen zur eigenen macht.“ (18,155)

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Aufklärerischer (und demokratischer) Menschenrechtsdiskurs Analog werden von ihren Editoren auch die „moralisch großen Individuen“ aufgefasst, die in der sammlung insel präsentiert und gewürdigt werden. Diese erkannten gleichfalls, so ­Boehlich persönlich, speziell im Blick auf ‚seinen‘ Gervinus, „in der Emanzipation aller ­Gedrückten und Leidenden den Ruf des Jahrhunderts“ (24,201). Nahezu alle „Helden und Heilige“ der sammlung insel, um doppelt ironisch zu formulieren,36 waren zunächst und zuerst Aufklärer; vor allem in menschenrechtlicher Hinsicht bereits Bartolomé de Las Casas, der zweitälteste unter ihnen (nach Johannes Hus). Dann (als zweiter nach Las Casas) der bahnbrechende Astronom Galileo Galilei, dem – von Hans Blumenberg herausgegeben, dem späteren Verfasser der noch heute einflussreichen Legitimität der Neuzeit – die Ehre zuteil geworden ist, die Reihe zu eröffnen; sicher auch seiner Verfolgung durch die gegenaufklärerische Inquisition wegen.37 Schon Las Casas war in ihrem andauernden Visier, wie sein Herausgeber Enzensberger zu erwähnen nicht versäumt (23,133-135). Auch Boehlich persönlich scheint, wenigstens en passant, des aufrechten Dominikaners gedacht zu haben, als er noch 1984 in seinem Radio-Essay über den in der sammlung insel gleichfalls vertreten gewesenen Denis Diderot diesen Aufklärer à la lettre mit den Worten zitierte: „[…] die schreckliche Inquisition liefert in den Ländern, wo sie eingeführt ist, häufig Beispiele für Menschenopfer, die an Barbarei denen der mexikanischen Priester keineswegs nachstehen.“38 Las Casas, den ich gern heiliggesprochen sähe (wenn man unstatthafter Theokratie halber nicht prinzipiell gegen Heiligsprechungen sein müsste), wurde von der französischen Aufklärung generell, im Gegensatz zur Kirche (bis heute), aufs höchste geschätzt und vielfach übersetzt. Kein Wunder, dass noch Enzensberger Las Casas’ alttestamentliche Inspira­ tionsquelle, das 34. Kapitel des Buches Sirach, zu erwähnen nicht vergisst, vor allem aber betont, der Dominikaner selbst habe auf der allgemeinen Zugänglichkeit, weil Rationalität seiner Einsichten bestanden und „aus ihr, mit der leuchtenden Logik einer großen Intelligenz, alle theoretischen und praktischen Konsequenzen“ gezogen (23,150/151). Enzensberger hebt Las Casas’ im 16. Jahrhundert sehr seltene und bis heute nicht überall durchgedrungene Erkenntnis hervor, „dass die Zivilisation kein Singular, sondern ein Plural ist: er entdeckte die Ungleichzeitigkeit der geschichtlichen Entwicklung und die Relativität der europäischen Position“. Dennoch, wenn nicht gerade deshalb bestand er darauf, dass „mit den Bewohnern der Westindischen Länder in allen Dingen so verfahren werde

36 „Helden und Heilige“ ist der Titel der auflagenstärksten und populärsten katholischen HeiligenlegendenSammlung deutscher Sprache von Hans Hümmeler. 37 Das andere große, von ihr sogar ums Leben gebrachte Opfer der Inquisition war, etwas älter als Galilei, Giordano Bruno. Auch ihm ist ein Band der si gewidmet und gleichfalls von Blumenberg herausgegeben (= si; 43). Dessen „Legitimität der Neuzeit“ ist zuerst 1966 (bei Suhrkamp) erschienen, drei Jahre vor der Bruno- und ein Jahr nach der Galilei-Edition. 38 Vgl. Walter Boehlich: Die enzyklopädische Katze. Wie Diderot mit einem Bestseller die Aufklärung beförderte (Manuskript einer Rundfunksendung des WDR vom 5. 7. 1984), S. 21.

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[…] wie mit den freien Untertanen der Krone von Castilien: denn zwischen diesen und jenen ist kein Unterschied“, wie es wörtlich schon bei Las Casas heißt (23,156/157). Seume nun wird einer der ersten sein, der „die Gleichheit mitnichten abstrakt“ mehr denkt; bereits für ihn muss sie sich „in der Abschaffung der Privilegien ausdrücken und im ‚gleichbedingten Besitz für Alle‘“, worauf zurückzukommen ist. Zunächst ist beim generell humanitären, speziell (noch so abstrakt-)menschenrechtlichen Ansatz nahezu aller in der sammlung insel Vertretenen zu verweilen. Sie alle haben sich, vor oder nach Seume, „vom Schein der schönen klassischen Humanität“ nicht bestechen lassen und rückwirkend noch der antiken Sklaverei eine klare Absage erteilt; Seume mit den knappen Worten: „Wo ein einziger Sclave ist, suche ich keine Vernunft mehr.“ (18,148 und 143) „Die rauhe Sprache dieses Zeugnisses ist die edle der Menschlichkeit selbst“, wie sein Herausgeber Schweppenhäuser urteilt (18,147), doch prinzipiell war auf diese humanitäre Weise bereits Las Casas’, dann Diderots und schließlich Büchner-Weidigs Sprache „rauh“, wenn es um die Menschenrechte ging: „Die verruchten, […] in ihren verkehrten Sinn dahin gegebenen Spanier sahen nicht ein, dass die Indianer die gerechteste und gültigste Ursache gehabt hätten, sie, sofern sie anders bewaffnet gewesen wären, nach allen natürlichen, göttlichen und menschlichen Gesetzen, mit dem größten Fug rechtens in Stücke zu hauen, und aus ihrem Lande hinauszuwerfen.“ (23,147) So wörtlich Las Casas, den in Diderots Enzyklopädie Jaucourt im „Sklaverei“-Artikel nur fort- bzw. ausschreibt,39 am Vorabend der Französischen Revolution, die – laut Boehlich – nicht zuletzt Diderot selbst beförderte, durch eine „den guten Wilden“ umkreisende „aufklärerische Sozialutopie“.40 Und im Zeichen der Menschen-, zusätzlich jetzt (Staats-)Bürgerrechte begannen auch die 1848/49 kulminierenden revolutionären Bestrebungen im Metternichschen Deutschland des Vormärz. Ich verweise nur auf Büchners Darmstädter Gesellschaft der Menschenrechte, die Gruppe hinter dem und um den Hessischen Landboten herum. Dann auf das Hambacher Fest, die bedeutendste Massendemonstration des Vormärz, an deren organisatorischen Vorbereitung Weidig auch beteiligt war. Enzensberger erinnert in seiner Landboten-Ausgabe nachdrücklich an dieses Ereignis (3,46/47), und auch Walter Hinderer im Vorwort zu seiner Ludwig Börne-Edition schreibt: „Obwohl er mit einer Verhaftung rechnen musste, folgte er einer Einladung von Wirth und Siebenpfeiffer zum Hambacher Fest (27. Mai 1832), der Massenkundgebung des süddeutschen Liberalismus.“ (45,12) Enzensberger differenziert Hinderers Rede vom „süddeutschen“, besser: südwestdeutschen „Liberalismus“ wie folgt: „Neben philiströser Deutschtümelei paneuropäische Zukunftsträume, neben reformistischen und konstitutionellen Ideen der Ruf nach der revolu­ 39 Vgl. ebd., S. 14–16. 40 Walter Boehlich: Gespräch über die Unsitte, moralische Ideen an gewisse physische Handlungen zu knüpfen, zu denen sie nicht passen. Von Denis Diderot. WDR, 11. 1. 1965 [Sendemanuskript], S. 3. Boehlich bezieht sich dabei auf den als 4. Bd. der si erschienenen „Nachtrag“ Diderots „zu Bougainvilles Reise“. Ihm verwandt ist in der si der Band von Aphra Behn: Oroonoko: oder die Geschichte des königlichen Sklaven (= si; 16).

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tionären Aktion, neben einem loyalen Patriotismus die republikanische Forderung nach der Volkssouveränität.“ (3,46)41 Schon in Hambach lassen sich also in nuce jene dann im Frankfurter Paulskirchen-Parlament aufeinander treffenden und es lähmenden Fraktionen erkennen.

Das Scheitern der 48er Revolution und seine militärstaatlichen Folgen Boehlich wird die Frankfurter Parteiungen in seinem dokumentarischen Theaterstück, schlicht 1848 überschrieben, noch 1991 in jedem Sinn des Wortes vorführen, bei klarer Sympathie für den linkesten, demokratisch-sozialistischen Flügel der Paulskirche. „[…] trotzdem ist das Frankfurter Parlament ein Parlament unter Ausschluss des Volkes und zum Ausschluss des Volkes von der Herrschaft gewesen. Es hat erst die revolutionäre Masse um ihr erkämpftes Recht betrogen, dann die Revolution liquidiert und ist schließlich an seinem eigenen Widerspruch gescheitert“, wie das abschließende Urteil des Boehlichschen Vorworts zu 1848 lautet.42 Dass Boehlich damit die Schuld der Fürsten keineswegs bagatellisiert oder auch nur relativiert, belegt die folgende Schlusspassage seines Rundfunk-Manuskripts Der Hochverratsprozess gegen Georg Gottfried Gervinus: „[…] im Namen einer Verfassung, die sie selbst unzählige Male verraten und gebrochen hatten, verfolgten die Souveräne die 1848 Unterlegenen, wo immer sich ein Vorwand bot, wegen Hochverrats, sie, die, wenn es Recht gegeben hätte, selbst wegen Verfassungsverrats vor die Gerichte des Volks hätten zitiert werden müssen.“43 Eingeleitet wird dieses Resümee mit dem knappen Satz: „Es geschah, was in diesem Lande zu geschehen nie aufgehört hat“. Noch der Klappentext zum Theaterstück 1848 hält fest: „Das Jahr 1848 ist weit mehr als nur ein historisches Datum, es ist in vieler Hinsicht ein Ausgangspunkt für die Zustände und Auseinandersetzungen im heutigen Deutschland […]. Schon damals ging es um Themen, die noch heute zu den zentralen der politischen Auseinandersetzung zählen: um den Antisemitismus, um die Gleichheit vor dem Gesetz, um nationale Minderheiten, um die soziale Frage und um die Abrüstung in Europa.“ Es ging um eine so kosmopolitische wie sozialistische Demokratie! Die des Paulskirchen-Parlaments war aufgrund ihres Klassenwahlrechts nicht einmal im verfassungsrechtlichen Sinn eine egalitäre, wie Boehlichs ansonsten kurzes Vorwort ausführlich darlegt,44 gerade so aber der demokratisch-republikanischen Idee verpflichtet bleibt. Bereits Kant habe „erhabene Worte“ für sie gefunden, wie Benjamin 1932 festgehalten wissen wollte, nur wenige Wochen bevor in Deutschland am 6. Mai dieses Jahres die Rechte auf freie Meinungsäußerung radikal eingeschränkt wurden: Kant sei „bis an die Grenze des für jene Zeit, der 41 Neuerdings ist hinzuweisen auf: Wilhelm Kreutz: Hambach 1832. Deutsches Freiheitsfest und Vorbote des europäischen Völkerfrühlings. Mainz: Landeszentrale für Politische Bildung Rheinland-Pfalz 2007. 42 Walter Boehlich: 1848. Dokumentation in neun Szenen, Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1991, S. 6. 43 Boehlich: Hochverratsprozess (wie Anm. 12), S. 46. 44 Vgl. Boehlich: 1848 (wie Anm. 42), S. 5/6.

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darunterliegende soziale Probleme noch nicht manifest waren, Erkennbaren vorgedrun­ gen“.45 Der linke ‚48er‘ Friedrich Kapp wird sich nach Beginn der März-Revolution einen „totalen“, schließlich sogar „blutroten“ Republikaner nennen, wie im von Hans-Ulrich Wehler besorgten Kapp-Band der sammlung insel nachzulesen ist (47,15 und 17). Kapp stellte sich damit bewusst und ernsthaft in die jakobinische Tradition, die ansonsten – nicht nur beim „reaktionären ‚Franzosenfresser‘ und Denunzianten der Jungdeutschen“ Wolfgang Menzel46 – bloßes Synonym für „Sozialdemagogie“ jeglicher Couleur geworden war. Zum Beispiel auch Ernst Moritz Arndt galt als Jakobiner, wie schon Benjamin zu erwähnen nicht versäumte.47 Doch im Fall der Kapp, Gervinus usw. ist nicht einmal ernsthafter Jakobinismus der zureichende Begriff. Ihnen ging es um „reale Demokratie“ (24/1,191) bzw. „soziale Republik“ (47,16) avant la lettre, also um „Sozialdemokratie“, ja, „Demokratischen Sozialismus“. Waren ihnen doch, wie ansatzweise bereits Seume und Büchner (noch nicht Kant), die „tieferen gesellschaftlichen Bedingungen“48 manifest geworden, wenn auch immer noch nicht auf die „historisch-materialistische“ Weise, die Benjamin sogar beim zeitgenössischen Werner Hegemann vermisst, einem eben anachronistischen „Jakobiner von Heute“: des Jahres 1930. Noch Hegemann sei bloßer Aufklärer, ohne zum Dialektiker, gar ‚dialektischen Materialisten‘ fortgeschritten zu sein.49 Bei Boehlich heißt es analog über Gervinus, eine Welt habe ihn von Marx und Engels und deren Einsicht in die Natur des Klassenkampfes getrennt (24/1,202). Und auch wir befinden uns immer noch im Jahre 1848/49 und in den unmittelbar auf dieses folgenden Jahrzehnten, die selbst Kapp, Fanny Lewald usw. – nicht jedoch Gervinus – als Verräter an sogar dem „republikanisch-demokratischen Gedanken“ (46,183) sehen werden, bis hin zur (zeitweiligen) Gefolgschaft für Bismarcks Cäsarismus und Imperialismus. Im strikten Sinne ist in Bismarcks Fall nicht von Cäsarismus bzw. Bonapartismus zu sprechen. Seine Herrschaft war im Unterschied zu der Louis Bonapartes keine „plebliszitäre Diktatur“, doch auch das Bismarcksche System kann mit Marcuse als das einer „autoritären Exekutive“ charakterisiert werden, die nicht zuletzt „die widerspenstigen Gruppen der Bourgeoisie“ disziplinierte (9,146). Mehrheitlich haben diese selbst freilich ihren politischen Liberalismus drangegeben, und umso leichter als ihnen die endlich errungene nationale Einheit, nicht zuletzt deren ökonomischer Vorteile wegen, den Preis der politischen Freiheit wert zu sein schien. Gervinus, wie gesagt, gehörte zu den wenigen Alt-48ern, die (mit Boehlichs Worten) den „Militärstaat“ ablehnten. „Er forderte [weiterhin, R.F.] Freiheit, wo er mit Einheit abgespeist werden sollte.“ (24/1,182) Andere, darunter der erwähnte Kapp und, sehr prominent, 45 46 47 48 49

Benjamin: Ges. Schriften. Bd. 4 (wie Anm. 6), S. 833. Ebd., S. 852. Ebd., S. 835/836. Ebd., S. 833. Benjamin: Angelus Novus (wie Anm. 4), S. 444–449.

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Theodor Mommsen kehrten den Nationalliberalen wenigsten in dem Augenblick den Rücken, in dem Bismarck die „Sozialistengesetze“ erließ oder dem (wieder) aufkommenden Antisemitismus Sukkurs gewährte. Kapp, Mommsen und nicht allzu viele mehr schlossen sich erneut der linksliberalen „Fortschritts“-Partei an, „je länger je mehr“ vor „Bismarcks Tathandlungen“ schaudernd, wie Boehlich speziell im Blick auf Mommsen formuliert. Für letzteren hatte Bismarck der Nation „das Rückgrat gebrochen“ (6,264/265).

Kosmopolitismus versus Nationalismus und Antisemitismus Völlig davon abweichend fiel das Urteil des zunehmenden Nationalismus aus, dem auf negativste Weise die (nicht nur) deutsche Zukunft gehörte: dem „Chauvinismus der Industriestaaten im Zeitalter des Hochkapitalismus“, mit Benjamins Wort von bereits 1932.50 Auch Kopf und Herz aller HerausgeberInnen der sammlung insel gehören natürlich den „Citoyens“, „keine Nation kennend, nur Menschen oder Nation mindestens nicht über den Menschen stellend“ (7,146). So hat Bloch Hebel charakterisiert; noch dieser sehr gemäßigte Freund der Französischen Revolution und dann Vormärz-Vertreter hatte ein selbstverständliches „Gefühl von […] dem Kontakte, in dem die europäischen Völker stehen und immer stehen werden“.51 Turnvater Jahn fehlte es bereits sehr früh, wie der in Vom Weltbürger zum Großbürger von Benjamin zitierte Karl Leberecht Immermann aufgespießt hat.52 Prototypisch positiv stach davon – nicht mehr überraschend – Georg Forster ab, „ein echter Weltbürger, deutscher Herkunft“, wie schon sein Zeitgenosse Friedrich Schlegel urteilte, und unter folgender Vorgabe seines Mitstreiters Novalis: „Es giebt drei Hauptmenschenmassen – Wilde – zivilisierte Barbaren – Europäer. Der Europäer ist so hoch über den Deutschen, wie dieser über den Sachsen – der Sachse über den Leipziger. Über ihm ist der Weltbürger.“ (29,72 und 120) Der junge Schlegel selbst war davon überzeugt, dass „neidische Anfeindung der Nachbarn, kindisch erkünstelte Selbstvergötterung und eigensinnige Verbannung des Fremden, welches so oft ein wesentlicher Bestandteil zu der neuen Mischung ist, durch welche wir ­allein noch zu eigener Vortrefflichkeit gelangen können“, „wenig fruchtet“. Deshalb Schlegels emphatisches Lob für Forsters „universelle Empfänglichkeit und Ausbildung“, die sich nicht zuletzt darin bewiesen habe, „dass er französische Eleganz und Popularität des Vortrags, und engländische Gemeinnützigkeit, mit deutscher Tiefe des Gefühls und des Geistes vereinigte“ (29,59 und 78). Als nach 1848 mehrheitlich der „Weg des Nationalismus“ und nicht mehr der „des Kosmopolitismus“ eingeschlagen wurde (45,38), galt solchem Vorzug das entschiedenste Anathem „der sogenannten Vertreter der deutschen Nationalität“, um mich der distanzierten Sprache des von Benjamin zitierten Heinrich Heine zu bedienen. Er, der bei sonstigen Vorbehalten (vor allem in aestheticis) größte Sympathie für den „absolu50 Benjamin: Ges. Schriften. Bd. 4 (wie Anm. 6), S. 819. 51 Ebd., S. 830. 52 Ebd., S. 828.

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testen Kosmopolitismus“ der Kommunisten empfand, war konsequenterweise voller „Hass“ gegen die „bornierten Kämpfer einer exclusiven Nationalität“: diese „ultradeutschen Narren“. Noch Gottfried Keller sprach im Blick auf Bogumil Goltz’ 1860 erschienene Schrift Die Deutschen von „patriotischer Gefühlseisenfresserei“. Ihres Autors Titelhelden werden von diesem gefeiert als „Schulmeister und Philosophen des Menschengeschlechts“, als „auserwählte Kulturträger“ überhaupt, ja – den Biologismus nicht scheuend – als „auserwählte Kulturrasse“.53 Der schon einmal herangezogene und auch in der sammlung insel nachgedruckte Kürnberger zieht aus solchem Rassismus zehn Jahre später, aus Anlass des deutsch-französischen Krieges, die naheliegende Konsequenz zu dekretieren, dass der Deutsche „ein höheres Wesen als der Kelte“ sei, schließlich und endlich: „Der Romanismus gehört unter die Füße des Germanismus, wie der Dünger unter die Saat.“54 Boehlich in seinem Band über den Berliner Antisemitismusstreit versteht rückblickend noch 1965, ohne irgend etwas verzeihen oder gar rechtfertigen zu wollen, „dass in dieser ‚verspäteten Nation‘ die Tendenz immer stärker werden konnte, dem gerade erst entstandenen Einheitsstaate eine jahrtausendealte Tradition einzureden, die natürlich germanisch orientiert war und den Deutschen die Möglichkeit gab, sich als Germanen nicht nur zu fühlen, wozu sie wenig Grund hatten, sondern auch als Germanen sich von anderen abzugrenzen und sich ihnen überlegen zu fühlen: Romanen, Slawen, Juden etwa. Die Einheit, diese höchst prekäre, höchst labile Einheit wurde künstlich stabilisiert durch Völkerhass und Rassenhass“ (6,245), wie Boehlich resümiert. Er schließt sich des Soziologen Hans Paul Bahrdt These vom „ideologischen Antisemitismus“ als einer „Spielart des spekulativen Nationalismus“ an, um sich speziell mit jenem zu beschäf­ tigen, zumal sich (nicht nur) beim Hauptprotagonisten Heinrich von Treitschke Pro-Nationalismus bzw. Anti-Kosmopolitismus mit Antiliberalismus und Antisozialismus verbunden hat. Vor allem aber ist Boehlich am von Treitschke entfachten „Berliner Antisemitismus­ streit“ und seinen unmittelbaren Folgen interessiert, weil „was nach 1933 geschah, […] nicht überraschend, nicht der plötzliche Ausbruch eines unerwartbaren Fiebers“ war. Eugen Richter, der Fraktionsvorsitzende des „Fortschritts“ im Preußischen Abgeordnetenhaus, hat bereits 1880 klar erkannt, was Boehlich nachdrücklich würdigt: dass die antisemitische „Bewegung“ den „Racenhass“ nähre, „also etwas, was der einzelne nicht ändern kann und was nur damit beendet werden kann, dass er entweder todtgeschlagen oder über die Grenze geschafft wird“ (6,245 und 259-261). Alles andere als unwichtig, schon in der Entstehungsphase der modernen antisemitischen Bewegung in Deutschland, war, dass ein „nationales“ Christentum ihr nicht nur nicht widerstand, sondern sich nahezu ununterscheidbar mit ihr verband. Dem auch in dieser Hinsicht selten hellsichtigen Overbeck war eben an der Reversion seines Uraltfreundes Treitschke zum Christentum deutlich geworden, „was es hieß, ‚um dieses Reichs willen zum Christentum zurückzukehren‘. Als der Christ Treitschke den Berliner Antisemitismus­ 53 Ebd., S. 858 und 831. 54 Ebd., S. 839.

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streit entfachte, sagte sich Overbeck endgültig von ihm los“, nachdem er bereits dessen natio­na­le Wendung deutlich missbilligt hatte (21,15/16).55 Umgekehrt war beim Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert gerade auch ein freilich kosmopolitischer und allein schon deswegen toleranter Christ, ja Prälat wie Hebel zum Protagonisten humaner Judäophilie geworden. „Wie frei steht Hebel zu den Juden, damals kaum aus dem Ghetto heraus.“ So urteilt wieder Bloch, Hebel aufs höchste bewundernd, vor allem im Hinblick auf sein tatsächlich erstaunliches „Sendschreiben“: „Die Juden“,56 worin „der wohl betroffenste, verehrungsvollste Judensatz“ stünde, „der über die Lippen eines Prälaten gekommen“ sei: „Was aber den Jesajas betrifft, so behaupte ich nur soviel, dass, wer ihn vom 40sten Kapitel an lesen kann und nie die Anwandlung des Wunsches fühlte, ein Jude zu sein, sei es auch mit der Einquartierung alles europäischen Ungeziefers, ein Betteljude, der versteht ihn nicht, und solange der Mond noch an einen Israeliter scheint, der dieses Kapitel liest, so lange stirbt auch der Glaube an den Messias nicht aus.“ (7,145/146)

Deutsche Misere und Deutsche Romantik einerseits, Jenaer Frühromantik andererseits Der Messias/das Messianische: Sie haben uns noch zu beschäftigen. Zunächst ist mehr als ‚nachzutragen‘, dass noch der katholisch und auch insofern restaurativ gewordene Friedrich Schlegel an der von Hebel mit vorangetriebenen Judenemanzipation festhielt, sie in seiner Zeit als Metternichscher Legationsrat beim Frankfurter Bundestag publizistisch entschieden und gekonnt verteidigte. Mit guten Gründen hat Schanze Schlegels einschlägige Rezension in seine Dokumentation der anderen Romantik aufgenommen (29,157-162 und 213), obwohl jene vor allem der noch sehr stark der Aufklärung verpflichteten Frühromantik gewidmet ist; was Friedrich Schlegel angeht, diesem vor seiner katholisch-restaurativen Wendung. Selbst die Hochromantik muss stärker, als es der an sich subtile Karl Markus Michel in dem von ihm herausgegebenen sammlung insel-Band getan hat, von der eigentlichen „deutschen Misere“ (15,12 und 125) entlastet werden: Der tatsächlich „irrationale“ und „autoritäre Nationalismus“, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur „herrschenden“ deutschen „Ideologie“ geworden war, konnte sich berechtigterweise nicht im „Gefolge“ der „deutschen Romantik“ sehen; schon gar nicht, wenn man sie gleich Michel allzu sehr als Einheit versteht. Dann tut man, was auch Hinderer in seinem Börne-Vorwort vernehmlich abgelehnt hat: „die Romantik ausschließlich auf Kategorien wie Irrationalität, Innerlichkeit und politische Reaktion einzuengen“ (45,26).

55 Jetzt wesentlich ausführlicher dokumentiert in: Franz Overbeck: Sammlung. Werke und Nachlaß. Bd. 7, 2: Autobiographisches. „Meine Freunde Treitschke, Nietzsche und Rohde“. Stuttgart: Metzler 1999, S. 5–22. 56 Ausführlicher zu ihm: Richard Faber: Exkurs I: Germanomanie der Grimms und Kosmopolitismus Hebels – Judenfeindschaft der Grimms und Judenfreundschaft Hebels. In: ders.: „Sagen lassen sich die Menschen nichts…“ (wie Anm. 28), S. 131–151.

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Nicht zuletzt ich selbst habe seit 1970 immer wieder für „Differenzierungen im Begriff Romantik“ plädiert,57 und gerade weil ich die „deutsche Finsternis“, in der nicht nur der Hessische Landbote unterging (3,53): die „deutsche Tragödie“ oder eben „Misere“ keinen Augenblick bestreiten wollte. Der damit bereits apostrophierte Walter Jens – in seiner par­ tiellen Ehrenrettung des Hochromantikers Adam Müller58 – hat sie gleich Michel nicht zuletzt als „Diskrepanz von Geist und Macht“ charakterisiert, sich deren „gesellschaftlicher“ Bedingung voll bewusst (28, 211). Und Hinderer spricht von der „Entfremdung“ speziell der Kunst vom „bürgerlichen und öffentlichen Leben“ (45,16), weshalb Michel gleichsam nur zusammenfasst – insofern unbestreitbar richtig –, wenn er an oben bereits zitierter Stelle weiterschreibt: „Die Deutschen hatten kein Vaterland, mit dem sie sich identifizieren konnten; deshalb erträumten sie sich ein ‚inneres Reich‘, waren aber oft genug bereit, nach allem zu greifen, sich durch alles betören zu lassen, was diese Innerlichkeit politisch zu realisieren versprach.“ (15,12) Der dem Programm der sammlung insel inhaltlich so sehr verbundene und zu ihrer Hochzeit gleichfalls im Insel-Verlag seine bahnbrechenden Essays publizierende Robert Minder hat es nie anders gesehen.59 Und auch Boehlich selbst spricht in seinem GutzkowNachwort von „Flucht in die Innerlichkeit“, um damit speziell die „Misere der deutschen Schriftsteller“ zu charakterisieren (36,147 und 135). Exemplifiziert hat er seine Charakteristik aber speziell an Leopold Ranke: „Ranke gehört durchaus [wenn nicht ganz und gar, R.F.] zu den Metternich und Gentz, seine halkyonische Stille ist nicht so sehr die besinnliche Ruhe des Biedermeier als vielmehr die Totenruhe der Reaction, der Karlsbader Beschlüsse. Er war für die Einschränkung der Pressefreiheit. Er war gegen das allgemeine Wahlrecht. Er war für die volle Souveränität der Fürsten. Er war gegen die Revolution. Zudem war er ein Beschwichtiger und so sehr ohne Zivilcourage, dass Otto Vossler von ihm sagen konnte: ‚er war ein irdener, kein eiserner Topf ‘. Die Zeitgenossen drückten das deutlicher aus. Nach dem Barrikadensieg der Berliner Bevölkerung vom 18. März 1848 verlor Ranke bekanntlich so sehr den Kopf, dass Varnhagen von Ense in sein Tagebuch notierte: ‚Ranke ist vollends 57 Vgl. zusammenfassend Richard Faber: Kritik der Romantik. Zur Differenzierung eines Begriffs. In: Urte Helduser, Johannes Weiß (Hrsg.): Die Modernität der Romantik. Zur Wiederkehr des Ungleichen. Kassel: Kassel University Press 1999, S. 19–47; neuerdings auch: Richard Faber: Differenzierungen im Begriff Politische Romantik. In: Blütenstaub. Jahrbuch der Frühromantik 2 (2009), S. 291–312. 58 Schon Benjamin würdigte den Rhetoriker, aber auch den partiell triftigen Kritiker der politische Ökonomie Müller, ohne seine Finsternisse zu verschweigen. Vgl. Benjamin: Ges. Schriften. Bd. 4 (wie Anm. 6), S. 852–854. Neuerdings zum Kapitalismus-Kritiker Müller: Johannes Weiß: Wider den ‚Universaldespotismus‘ des Geldes. In: Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hrsg.): Einsprüche kritischer Philosophie. Kleine Festschrift für Ulrich Sonnemann. Kassel: Gesamthochschule Kassel 1992, S. 97–110. 59 Auf den Band „Dichter in der Gesellschaft“ habe ich oben bereits hingewiesen. Im hiesigen Zusammenhang ist besonders zu verweisen auf: Robert Minder: Deutsche und französische Literatur – inneres Reich und Einbürgerung des Dichters. In: ders.: Kultur und Literatur in Deutschland und Frankreich. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1962, S. 5–43. Sekundär: Albrecht Betz, Richard Faber (Hrsg.): Kultur, Literatur und Wissenschaft in Deutschland und Frankreich. Zum 100. Geburtstag von Robert Minder. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, bes. S. 21–46.

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unsinnig geworden, jammert und wütet, hält alles für verloren und auf immer, glaubt an völligen Untergang der gebildeten Welt, an Barbarei der wilden Gewalt, so was sei noch nie gewesen. (Der Alfanz will ein Historiker sein!)‘“60 So der vernichtende Kommentar bereits Varnhagens, des Manns der Rahel, geborenen Levin, einer gleich Bettina von Arnim lebend(ig)en Brücke zwischen Frühromantik und 48er Revolution. Schanze hat Recht, wenn er gleich zu Beginn seiner Einleitung in den von ihm herausgegebenen Romantik-Band den Michels Romantik-Auffassung antizipierenden Satz Oskar Walzes aus dessen schon mit Deutsche Romantik überschriebenem Buch von zuerst 1908 als „naiven Index deutscher Misere“ bezeichnet: „Deutsch fühlen möchte der Romantiker wieder lernen und aus erstärktem nationalen Gefühl ein neues kräftigeres Deutschtum schaffen.“ Denn Walzel „vergöttert“ solche und nur solche Afterromantik, die sich „von der progressiven westeuropäischen Tradition“ getrennt und mit der Aufklärung gebrochen hat. Dies aber eben ganz im Unterschied zur nicht nur anderen, sondern eigentlichen Romantik des Novalis, der jungen Schlegel usw., die Schanze berechtigterweise „dem trüben Feld deutscher Ideologie […] und damit auch dem Verdikt über sie, das [schon, R.F.] ihr den ‚Bruch‘ mit der progressiven Tradition zuschiebt“, „entziehen“ möchte (29,7-10). Für Schanze beginnt diese Romantik nicht zufällig 1789, und zwar mit einer „enthusiastischen, zugleich auf der Höhe der Aufklärung stehenden Jugend, […] welche die Welt buchstäblich auf den Kopf stellt“. Für Schanze ist der Kern dieser sehr jungen Romantik so sehr ein aufklärerischer, dass er sich „auch dort noch bewährte, wo sie Einspruch erhob gegen geschlossene rationale Systeme, nicht zuletzt auch gegen begrenzt bürgerlichen Moralismus“ (29,10 und 17). Der DDR-Ausnahme-Romanist Werner Krauss hat dies wenige Jahre vor Schanze nicht anders gesehen, ohne dass ich das hier ausbreiten könnte;61 schließlich geradezu pionierhaft Benjamin, bereits im ersten Weltkrieg.62 Benjamin ist Avantgardist der sammlung insel gerade auch in dieser (nicht nur) mir sehr wichtigen Hinsicht gewesen!

Notwendige Dialektik der Kunst-Aufhebung oder: „1968 (ff.)“ Weit über Gerechtigkeit für die (Früh-)Romantik hinaus geht es mir beim Revisionsprozess zu ihren Gunsten um die Relativierung der generellen Poesie- und Kunst-, teilweise sogar Kultur-Ablehnung, wie sie sich bei den ansonsten hoch verdienstvollen Seume, Jochmann, Gervinus usw. im Verbund mit ihrer Befeindung ‚der‘ Romantik findet. Es stellt sich sogar die Frage, ob letztere nicht hauptsächlich Funktion der ihr vorausgehenden, sie jedenfalls übergreifenden Poesie-Feindschaft gewesen ist. Die Zeugnisse für diese sind eindeutig, so 60 Walter Boehlich (Hrsg.): Der Hochverratsprozess gegen Georg Gottfried Gervinus (= si; 24,2), S. 5. 61 Vgl. aber Richard Faber: Werner Krauss’ Beitrag zur kritischen Romantik-Forschung. In: Dirk Winkelmann, Alexander Wittwer (Hrsg.): Von der ars intelligendi zur ars applicandi. Festschrift für Willy Michel zum 60. Geburtstag. München: Iudicium 2002, S. 61–74, sowie ders.: Werner Krauss – Montagen aus Anlaß seiner Briefedition. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 56 (2004), S. 73–79. 62 Vgl. Walter Benjamin: Die Kunstkritik der Romantik. In: ders.: Ges. Schriften. Bd. 1. Frank­furt/M.: Suhrkamp 1974, S. 7–122.

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wenn Seume schon 1805 dekretiert: „Die Zeit der Dichtung ist vorbei,/die Wirklichkeit ist angekommen.“ (18,137) Noch Gervinus hofft auf eine einseitige Wendung der Nation von der Poesie zur Politik und glaubt sich dabei ausgerechnet auf Goethe und Schiller berufen zu dürfen. Schon sie hätten „vom Parnasse hinweg zum Forum“ gerufen (24/1,190/191). „Wenngleich er über Literatur schrieb, schrieb er doch gegen die Literatur“, wie gerade auch der große Gervinus-Verehrer Boehlich urteilt (24/1,190). Zugleich schlägt er damit die Brücke zurück zum schon früh extrem-poesiefeindlichen Jochmann, von dem sein eigentlicher Wiederentdecker Kraft meint, „selten“ habe es „einen Geist gegeben, der so organisch unfähig war, die Augen auf den Gehalt der Poesie zu richten, wenn der Funktionscharakter eben dieser Poesie gestört war“ (26,19). Jedenfalls war schon Jochmann, wie dann Gervinus, davon überzeugt, „dass es nun genug sei mit der Poesie, dass sich die Deutschen endlich politischem Handeln zuwenden, dass sie den Weg zu Freiheit und Einigkeit finden müssten, und sei es durch Revolution“ (24/1,90). Bereits Jochmann habe „erkannt“, wie der Kraft verpflichtete Benjamin zunächst uneingeschränkt rühmt, „dass der Fortschritt des Menschengeschlechts mit den Rückschritten mehrerer Tugenden, vor allem aber mit dem Rückschritt der poetischen Kunst, auf das engste verbunden ist“.63 Benjamin musste eine solche Ansicht, diese vermeintliche Einsicht sub specie Fascismi höchst aktuell erscheinen. Ein bloßer Hinweis auf die nicht zuletzt von ihm benannte ästhetizistische Dimension aller Faschismen64 genügt, um dies immerhin zu verstehen. Man kann dem Antifaschisten noch heute nur zustimmen, wenn er (dem Herausgeber der Zeitschrift für Sozialforschung Max Horkheimer gegenüber) Jochmann als den würdigt, bei dem Überlegungen über „die geschichtlichen Grenzen, die die Humanität der Kunst setzen könnte, […] wohl zum ersten Mal auf[tauchen]“.65 Humanität hätte spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gar mancher Kunst Grenzen setzen sollen. Schon großes Elend und blanke Not, selbst in ‚Friedenszeiten‘, erfordert ein (Charles Maurras umfunktionierendes) ‚Politique d’abord!‘ Benjamin war dieser Parole in der Weltwirtschaftskrise, bereits vor der Machtübergabe an die Nazis so sehr verpflichtet, dass er längere Zeit einen „destruktiven“ bzw. antikulturellen Menschentyp geradezu propagierte.66 Seine Umrisse ließen sich für ihn besonders in den technisch-avancierten Bildmedien entdecken, die mit der ästhetischen „Aura“ gebrochen hätten: im Film und in der Fotografie, aber auch auf dem Jahrmarkt und im Menschengewühl der Großstadtstraßen. Der Ornament-Feind Adolf Loos habe sich für diesen Typ funktionale Behausungen ausgedacht und Paul Klee Wesen seiner Art gemalt. „In deren Bauten, Bildern und Geschichten bereitet die Menschheit sich darauf vor, die Kultur, wenn 63 Benjamin: Angelus Novus (wie Anm. 4), S. 362. 64 Vgl. neben den bereits erwähnten „Theorien des deutschen Faschismus“ vor allem Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: ders.: Illuminationen (wie Anm. 19), S. 148–184, bes. 174–176, sowie ders.: Pariser Brief. In: ders.: Angelus Novus (wie Anm. 4), S. 503–516. 65 Walter Benjamin: Gesammelte Briefe. Bd. 5. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999, S. 623. 66 Vgl. vor allem den thematischen Aufsatz „Der destruktive Charakter“. In: Benjamin: Illuminationen (wie Anm. 19), S. 310–312.

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es sein muss zu überleben“, wie Benjamin in seinem Aufsatz Erfahrung und Armut 1933 ­generalisiert wie resümiert. „Und was die Hauptsache ist, sie tut es lachend. Vielleicht klingt dieses Lachen hie und da barbarisch. Gut. Mag doch der Einzelne bisweilen ein wenig Menschlichkeit an jene Masse abgeben, die sie eines Tages ihm mit Zins und Zinseszinsen wiedergibt.“67 In der Absicht, jenem Menschentyp Profil zu geben, hat Benjamin intensiv die Technik der neuen Bildmedien untersucht und sie für ‚einfach revolutionär‘ erklärt. Ador­no mahnte freilich schon 1936 nach der Erstlektüre des thematischen Aufsatzes Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit die dialektische Entfaltung des Kritikpotentials im auch ‚großen Kunstwerk‘ an. Benjamin solle, von ihm ausgehend, die Emanzipations- und Regressionsgehalte der Massenkunst gleichermaßen bestimmen; denn: „Beide tragen die Wundmale des Kapitalismus, beide enthalten Elemente der Veränderung“: moderne wie traditionelle Medien. „[…] beide sind die auseinandergerissenen Hälften der ganzen Freiheit […]: eine der anderen zu opfern wäre romantisch, entweder als bürgerliche Romantik der Konservierung von Persönlichkeit und all dem Zauber, oder als anarchistische im blinden Vertrauen auf die Selbstmächtigkeit des Proletariats […]. Der zweiten [paradoxen, R.F.] Romantik muss ich in gewissem Umfang die [Kunstwerk-]Arbeit bezichtigen.“68 Spätestens heute fällt nicht schwer einzusehen, dass der nicht nur hier dialektischere Adorno gegen Benjamin Recht hatte, und umso leichter als dieser bloß drei/vier Jahre später, in seinen testamentarischen Thesen Über den Begriff der Geschichte selbst zu synthetisierender Hochform aufgelaufen ist; wohl nicht zufällig in einem Text, der insgesamt (Selbst-) Kritik am ‚Marxismus-Leninismus‘ übt: Der Autor stellt dort seiner IV. These (ganz im Sinne von „Erfahrung und Armut“, aber prinzipiell auch schon Jochmanns, Gervinus’ usw.) Hegels (Matth. 6,33 umfunktionierendes) Wort voran: „Trachtet am ersten nach Nahrung und Kleidung, dann wird euch das Reich Gottes von selbst zufallen.“ In der These selbst aber heißt es, Hegel nochmals dialektisierend: „Der Klassenkampf, der einem Historiker, der an Marx geschult ist, immer vor Augen steht, ist ein Kampf um die rohen und materiellen Dinge, ohne die es keine feinen und spirituellen gibt. Trotzdem sind diese letzteren im Klassenkampf anders zugegen denn als die Vorstellung einer Beute, die an den Sieger fällt. Sie sind als Zuversicht, als Mut, als Humor, als List, als Unentwegtheit in diesem Kampf ­lebendig, und sie wirken in die Ferne der Zeit zurück […]. Wie Blumen ihr Haupt nach der Sonne wenden, so strebt kraft eines Heliotropismus geheimer Art, das Gewesene der Sonne sich zuzuwenden, die am Himmel der Geschichte im Aufgehen ist. Auf diese unscheinbarste von allen Veränderungen muss sich der historische Materialist verstehen.“69 Noch oder gerade er ist ein Messianist. Nur deshalb habe ich schon einmal die letzten beiden Sätze der IV. Benjamin-These mitzitiert. Zunächst soll nämlich dokumentiert werden, dass Werner Kraft im Vorwort zu seiner Jochmann-Edition des Jahres 1967, gegen 67 Benjamin: Illuminationen (wie Anm. 19), S. 318. 68 Theodor W. Adorno. In: ders.: Walter Benjamin. Briefwechsel 1928–1940. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1994, S. 171. 69 Benjamin: Illuminationen (wie Anm. 19), S. 269/270.

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Jochmann und den ihn zeitweise fortschreibenden Benjamin, doch ganz im Sinn von dessen testamentarischen Äußerungen, gleichfalls konstatiert hat, so fundamental wie banal: „Es scheint ohne Poesie und Kultur so wenig vorwärts zu gehen wie mit Poesie und Kultur. Dagegen müsste es wieder möglich sein, für den Fortschritt einzusetzen, was der Poesie zugrunde liegt: die Phantasie.“ (26,29) „Die Phantasie an die Macht“ wird die internationale Parole des auf die Jochmannsche Neuedition folgenden Jahres 1968 sein: eine so messianische wie ästhetische und auch deshalb neufrühromantische Parole, wie ich bereits zwei Jahre später in meinem Büchlein Nova­lis: Die Phantasie an die Macht zu zeigen versucht habe, mich auf Schanzes RomantikDissertation wie -Edition stützend, vor allem aber auf die für beide wichtige Habilitationsschrift Hans-Joachim Mähls Die Idee des goldene Zeitalters im Werk des Novalis von 1965 und, an Bedeutung noch Mähls Standardwerk übertreffend, auf Benjamin, Bloch und Marcuse (der wie Benjamin über die Frühromantik promoviert worden ist).70 Hier belasse ich es beim Zitat dieses Hardenbergschen Fragments, das auch Schanze in seine Dokumentation aufgenommen hat: „Das gesamte Leben und die gesamte Poesie sollen in Kontrakt gesetzt werden; die ganze Poesie soll popularisiert werden und das ganze Leben poetisiert.“ (29,109) Schon Novalis hat, wie später und auf analoge Weise der junge Marx bezüglich der Philosophie, die Überzeugung vertreten, man könne die Kunst nur verwirklichen, wenn man sie (als aparte) aufhebt, aber auch nur aufheben, wenn man sie (im gesellschaftlichen Alltag) realisiert. Ohne solche Dialektik gehört „die Rede vom Ende der Kunst […] zum ideologischen Arsenal und zu den Möglichkeiten der Gegenrevolution“, wie Marcuse 1977 in ­seinem letzten Buch Die Permanenz der Kunst. Wider eine bestimmte marxistische Ästhetik festgehalten wissen wollte.71 Zu einem Zeitpunkt, als die sicher ‚unausgereiften‘, jedoch kom­ plexen, weil vieldimensionalen Konzepte der ursprünglichen Protestbewegung politizistisch, wenn nicht ‚marxistisch-leninistisch‘ oder – am anderen Pol ihres auseinanderdriftenden Spektrums – subkulturalistisch und damit eskapistisch auf falsche Alternativen reduziert worden waren.

Verrat der Intellektuellen, im 19. und 20. Jahrhundert Zu den großen Verdiensten der sammlung insel, die nicht wenig zur geistigen Vorbereitung des ,Mai 68‘ im deutschen Sprachraum beigetragen hat, gehört, dass sie Ästhetizismus und Kulturalismus entschieden widersprochen, aber auch bloßem Politizismus und vor allem ‚Marxismus-Leninismus‘, gar Stalinismus (mit der einen Ausnahme von Wolfgang Harich (17,13 und 36)) absolut widerstanden hat. Besonders deutlich tat dies Peter Urban in seinem mit Tolstojs Anarchismus sympathisierenden Vorwort (39,7-27), aber z.B. auch Walter 70 Herbert Marcuse: Der deutsche Künstlerroman. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978. 71 Ausführlicher: Richard Faber: Subversive Ästhetik. Zur Rekonstruktion Kritischer Kultur-Theorie. In: Kursbuch (1977) H. 49, S. 159–173; vgl. auch ders.: Rettende Kultur- und Religionskritik? In: Weimarer Beiträge 43 (1997), S. 209–222.

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Hinderer, der Börnes Anarchismus herausstreicht und speziell den „Sozialistischen Realismus“ kritisiert (45,24, 33/34 und 16). Hauptkritikpunkt der sammlung-Herausgeber ist und bleibt freilich, dass die kommunistische Bewegung, „die den Himmel auf Erden zu errichten trachtete, […] doch wieder auf die alte Repression zurückgriff“ (15,17). Dafür werden die reformkommunistischen Demokratisierungsbestrebungen in Polen (10,11 und 133–139) und der Tschechoslowakei (49,10) lebhaft begrüßt. In ‚Gesamtdeutschland‘ schließlich – nicht zuletzt für Boehlich persönlich – wird Ernst Bloch zum Leitstern, aufgrund seines „Marxismus der Freiheit und Menschenwürde, ein[es] Marxismus fast der Toleranz und Liberalität, der sich auf die Ursprünge seines Denkens besonnen hat, nicht der Wirklichkeit seiner Verformung angepasst ist, ein[es] Marxismus als Humanismus“.72 So Boehlich emphatisch bereits 1959, zum Abschluss seiner Rezension des bei Suhrkamp gerade erschienenen Blochschen Hauptwerks Prinzip Hoffnung. Im nicht weniger enthusiastischen Nachruf auf den am 4.8.1977 Verstorbenen wurde diesem am Ende selbst das Wort gegeben, für folgenden zentralen Aphorismus: „Keine wirkliche Installierung der Menschenrechte ohne Ende der Ausbeutung, kein wirkliches Ende der Ausbeutung ohne Installierung der Menschenrechte.“ Boehlich durfte sich bei diesem Zitat sicher sein, dass Bloch damit „auch die Gesellschaft der Bundesrepublik, die ihn als Toten für sich reklamiert[e]“, hatte „treffen wollen“,73 doch genauso hielt die Maxime den Ländern einen sie substanziell kritisierenden Spiegel vor, die Bloch seit den frühen 60er Jahren als „Francoländer der Ostseite“ bezeichnete.74 Früher las man es anders bei Bloch; noch im Prinzip Hoffnung findet sich mehr als einmal das Dekret: „Ubi Lenin ibi Jerusalem“, und selbst die Moskauer Schauprozesse hat er zu ihrer Zeit uneingeschränkt verteidigt.75 Auch ich bin nachweislich ein großer BlochVerehrer,76 doch im Unterschied zu Boehlich kann ich ihn nicht nur als Opfer der „deutschen Misere“ ansehen, er war lange auch ein (Selbst-)Opfer der realsozialistischen. Oder, um zu generalisieren: Der von Benjamin früh und mit guten Gründen metakritisierte Julien 72 Vgl. nochmals Boehlichs Rezension des Blochschen „Prinzip Hoffnung“ (wie Anm. 29). 73 Walter Boehlich: Die Farbe der Hoffnung ist rot. Zum Tode von Ernst Bloch am 4. August 1977. In: Vorwärts, 11. 8. 1977, S. 29. 74 Bloch: Erbschaft dieser Zeit (wie Anm. 33), S. 21. 75 Vgl. Ernst Bloch: Vom Hasard zu Katastrophe. Politische Aufsätze aus den Jahren 1934–1939. Frank­ furt/M.: Suhrkamp 1972, S. 230–235 und 351–359. 76 Vgl. Richard Faber: Erbschaft jener Zeit. Zu Ernst Bloch und Hermann Broch. Würzburg: Königshausen & Neumann 1989; ders.: Politische Dämonologie. Über modernen Marcionismus. Würzburg: Königshausen & Neumann 2007; sowie die Aufsätze: ders.: Ernst Bloch und das Hambacher ‚Fest der Hoffnung‘. In: ders.: (Hrsg.): Liberalismus in Geschichte und Gegenwart. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000, S. 21–37, und ders.: Ludwigshafen-Mannheim, München, Berlin und andernorts. Zur Kulturgeographie der Ernst Blochschen ‚Spuren‘. In: Francesca Vidal (Hrsg.): Heimat in vernetzten Welten. Mössingen-Talheim: Talheimer 2006 (= Bloch-Jahrbuch 2006), S. 111–151, und ders.: Revolutionärer Messianismus, moderner Marcionismus und militanter Optimismus. Zu Ernst Blochs allegorischer Merkprosa. In: Elmar Locher (Hrsg.): Ernst Bloch. Spuren. Lektüren. Innsbruck u.a. StudienVerl. 2008, S. 25–45.

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Benda hat insoweit Recht, als er (Selbst-)Verrat der Intellektuellen nicht nur als Rechtsschwenk, sondern auch als bloß scheinbaren Linksschwenk diagnostizierte.77 Sogar Antonio Gramscis ‚Organischer Intellektueller‘ war nicht immer vom ‚Kader‘ unterschieden. Wie bei Lenin schlug das Offizier- und Kleriker-Vorbild allzu leicht durch: ein undemokratisches, ja autoritär-hierarchisches. Nicht weniger problematisch war Gramscis Rekurs auf Machiavellis „Principe“: Wie der „Fürst“ die (italienische) Nation hätte einigen sollen, so sollte die KP die proletarische Revolution durchführen. Noch dieses Konzept stellte einen Rückfall hinter die Idee eines demokratischen und insofern ‚organischen‘ Sozialismus dar. Gramsci übersah, wie schon Lenin, dass nicht nur das Proletariat auf den (revolutionären) Intellektuellen, sondern auch dieser auf jenes verwiesen ist und zwar als ein durchaus selbstdenkendes und selbsttätiges Proletariat: als ein zur Selbstorganisation zu befähigendes. Noch Gramsci war zu undialektisch, wenn es um eine an sich nötige „Massenlinie“ ging. So recht er mit seiner Polemik gegen den vereinzelten, gar „freischwebenden“ Intellektuellen hatte, so sehr verfehlte er dessen wirkliche Organizität in Form einer „dialektisch begriffenen Massen­linie“.78 Eine andere Art von Intellektuellen-Hypostasierung hatte nach Enzensberger bereits Büchner durchschaut. Schon im Vormärz hielt er dafür, „dass die Zukunft der Revolution nicht von einer Handvoll Schriftsteller abhing, sondern von der Masse der besitzlosen Klassen; die [bloß, R.F.] literarische Opposition war in seinen Augen eine Chimäre: ‚Sie werden‘, schrieb er an Gutzkow, ‚nie über den Riß zwischen der gebildeten und ungebildeten Gesellschaft hinauskommen.‘“ (3,50) Es kam gerade mit Gutzkow wesentlich schlimmer, als sich der früh verstorbene Büchner je hätte vorstellen können. Boehlich im Nachwort zu seiner Gutzkow-Edition diagnostiziert für das Jahr 1870 einen vollständigen Verrat des ehemaligen „Jungdeutschen“ an den „ursprünglichen Überzeugungen“ (24/1,146). Für Enzensberger wie dann auch Boehlich lag „die tiefe Zweideutigkeit aller bürgerlichen Politik“ bereits vor 1848 darin, „dass ihre Exponenten die Unzufriedenheit des Volkes gegen die herrschende Aristokratie auszunutzen trachteten, gleichzeitig aber beim Establishment Deckung gegen die radikalen Forderungen des ‚Pöbels‘ suchten. Einerseits unterstützten die Liberalen die oppositionelle Agitation, andererseits distanzierten sie sich unverzüglich von jeder Aktion, die ‚zu weit ging‘. Diesem Hin und Her zwischen revolutionären Anwandlungen und vorsichtigem Paktieren mit der

77 Vgl. Julien Benda: Der Verrat der Intellektuellen. Frankfurt/M. u.a.: Ullstein 1983; metakritisch gegenüber Benda: Walter Benjamin: Zum gegenwärtigen gesellschaftlichen Standort des französischen Schriftstellers. In: ders.: Angelus Novus (wie Anm. 4), S. 264–294, sowie ders.: Ges. Schriften. Bd. 3 (wie Anm. 13), S. 107–113 und 436–439. Vgl. auch Richard Faber: Religiöse, laizistische und neureligiöse (Anti-)Intellektuelle. Ansätze zu einer Realtypologie. In: Stefanie von Schnurbein, Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne. Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S. 99–119, bes. S. 101–103. 78 Vgl. Hermann Pfütze: Die Schwierigkeit Kunst zu machen – Antriebe ihrer Vergesellschaftung. Frank­ furt/M.: Suhrkamp 1973, S. 131.

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Staatsmacht, dieser ständigen Neigung zum Verrat lag weniger eine bewusste Strategie als eine prekäre Interessenlage zugrunde.“ (3,43/44) So weit, so gut bzw. schlecht. Doch wie steht es, um abrupt zum Ende zu kommen, heute mit Enzensberger selbst, ihn keinesfalls allein von den ehemaligen und noch lebenden sammlung insel-Editoren ansprechend? Nach so vielen Positionswechseln, bis hin zu Etatismus und Bellizismus schweigt des Sängers Höflichkeit.79 Boehlich zeigte seit seiner politischen Sekundärsozialisation im frühen Suhrkamp Verlag (nicht zuletzt durch Enzens­ berger)80 eine andere Statur, weswegen er erstens und letztens zu ehren und in Erinnerung zu halten ist, auf eine produktive Art und Weise. Wie ich mir diese vorstelle? Nicht zuletzt in der Wiederaufnahme der sammlung insel. In ihr müssten neben im besten, nämlich antizyklischen Sinn zeitlose Bändchen der alten, also prinzipiell „beerbaren“ Sammlung81 andere, vor allem heute aktuelle Editionen treten.

sammlung insel Galilei, Galileo: Sidereus nuncius. Nachricht von neuen Sternen. Hrsg. und eingel. von Hans Blumenberg. [Übers. von Malte Hossenfelder, Emil Strauss u. a.]. Frankfurt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 1). Brecht, Bertolt: Über Klassiker. [Ausgew. von Siegfried Unseld]. Frankfurt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 2). Büchner, Georg, Ludwig Weidig: Der Hessische Landbote. Texte, Briefe, Prozessakten. Komm. von Hans Magnus Enzensberger. Frankfurt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 3). Diderot, Denis: Nachtrag zu „Bougainvilles Reise“ oder Gespräch zwischen A. und B. über die Unsitte, moralische Ideen an gewisse physische Handlungen zu knüpfen, zu denen sie nicht passen. Nachw. von Herbert Dieckmann. [Übers. von Theodor Lücke]. Frank­ furt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 4). Swift, Jonathan: Satiren. Mit einem Essay von Martin Walser. [Übers. von Felix Paul Greve, Walther Freisburger und Klaus Reichert]. Frankfurt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 5). Der Berliner Antisemitismusstreit. Hrsg. von Walter Boehlich. Frankfurt/M.: Insel 1965. (= sammlung insel; 6). Hebel, Johann Peter: Kalendergeschichten. Ausw. und Nachw. von Ernst Bloch. Frank­ furt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 7). Weerth, Georg: Fragment eines Romans. Vorgest. von Siegfried Unseld. Frankfurt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 8).

79 Andreas-Urs Sommer bereitet ihre ausführliche Analyse vor. 80 In einem Gespräch mit Mechthild Zschau am 4. 7. 1996 im NDR III bezeugt Boehlich selbst Enzensbergers überragende Rolle für ihn bei Suhrkamp, und gerade in politicis. 81 Vgl. nochmals Benjamin: Ich packe meine Bibliothek aus (wie Anm. 4), S. 177.

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Marx, Karl: Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. Nachw. von Herbert Marcuse. Frank­ furt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 9). Hamlet, heute. Essays und Analysen. Vorw. von Joachim Kaiser. Frankfurt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 10). Deutsche Menschen. Eine Folge von Briefen. Ausgew. und eingel. von Walter Benjamin. Mit einem Nachw. von Theodor W. Adorno. Frankfurt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 11). Knigge, Adolph von: Des seligen Herrn Etatraths Samuel Conrad von Schaafskopf hinterlassene Papiere; von seinen Erben herausgegeben. Mit einem Nachw. von Iring Fetscher. Frankfurt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 12). Paul, Jean: Politische Fastenpredigten während Deutschlands Marterwoche. Nachw. von Hans Mayer. Frankfurt/M.: Insel 1966 (= sammlung insel; 13). Gay, John: Die Bettleroper: mit einem dokumentarischen Anhang. Übers. von Hans Magnus Enzensberger. [Zusammengestellt und übers. von Klaus Reichert]. Frankfurt/M.: Insel 1966 (= sammlung insel; 14). Politische Katechismen: Volney. Kleist. Hess. Hrsg. von Karl Markus Michel. Frankfurt/M.: Insel 1966 (= sammlung insel; 15). Behn, Aphra: Oroonoko oder Die Geschichte des königlichen Sklaven. Nachw. von Klaus Reichert. [Übertr. von Christine Hoeppener]. Frankfurt/M.: Insel 1966 (= sammlung insel; 16). Heine, Heinrich: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Hrsg. und eingel. von Wolfgang Harich. Frankfurt/M.: Insel 1966 (= sammlung insel; 17). Seume, Johann Gottfried: Apokryphen. Mit einem Essay von Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/M.: Insel 1966 (= sammlung insel; 18). Baader, Franz von: Sätze aus der erotischen Philosophie und andere Schriften. Hrsg. von Gerd-Klaus Kaltenbrunner. Frankfurt/M.: Insel 1966 (= sammlung insel; 19). Forster, Georg: Über die Beziehung der Staatskunst auf das Glück der Menschheit und ­andere Schriften. Hrsg. von Wolfgang Rödel. Frankfurt/M.: Insel 1966 (= sammlung insel; 20). Overbeck, Franz: Selbstbekenntnisse. Mit einer Einl. von Jacob Taubes. Frankfurt/M.: Insel 1966 (= sammlung insel; 21). Beccaria, Cesare: Über Verbrechen und Strafen. Nach der Ausg. von 1766 übers. und hrsg. von Wilhelm Alff. Frankfurt/M.: Insel 1966 (= sammlung insel; 22). Casas, Bartolomé de las: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder. Hrsg. von Hans Magnus Enzensberger. [Dt. von D. W. Andreä]. Frankfurt/M.: ­Insel 1966 (= sammlung insel; 23). Gervinus, Georg Gottfried: Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Hrsg. von Walter Boehlich. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 24,1). Der Hochverratsprozeß gegen Gervinus. Hrsg. von Walter Boehlich. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 24,2).

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Große deutsche Verrisse von Schiller bis Fontane. Hrsg. und eingel. von Hans Mayer. [Die Erl. stammen von Leo Kreutzer]. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 25). Jochmann, Carl Gustav: Die Rückschritte der Poesie und andere Schriften. Hrsg. von Werner Kraft. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 26). Klinger, Friedrich Maximilian von: Betrachtungen und Gedanken über verschiedene Gegenstände der Welt und der Litteratur (Auswahl). Mit einem Essay von Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 27). Müller, Adam: Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland. Mit einem Essay und einem Nachw. von Walter Jens. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 28). Die andere Romantik. Eine Dokumentation. Hrsg. von Helmut Schanze. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 29). Kürnberger, Ferdinand: Feuilletons. Ausgew. und eingel. von Karl Riha. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 30). Hettner, Hermann: Schriften zur Literatur und Philosophie. Hrsg. von Dietrich Schaefer. Nachwort von Ludwig Uhlig. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 31). Voltaire: Aus dem Philosophisches Wörterbuch. Hrsg. und eingel. von Karlheinz Stierle. [Übers. von Erich Salewski (Wörterbuch) und Karlheinz Stierle (Anh.)]. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 32). Knigge, Adolph von: Josephs von Wurmbrand, Kaiserlich abyssinischen Ex-Ministers, jezzigen Notarii caesarii publici in der Reichsstadt Bopfingen, politisches Glaubensbekenntniß, mit Hinsicht auf die französische Revolution und deren Folgen. Hrsg. von Gerhard Steiner. Frankfurt/M.: Insel 1968 (= sammlung insel; 33). Rebmann, Andreas Georg Friedrich: Kosmopolitische Wanderungen durch einen Teil Deutschlands. Hrsg. und eingel. von Hedwig Voegt. Frankfurt/M.: Insel 1968 (= sammlung insel; 34). Lessing, Gotthold Ephraim: Ernst und Falk. Mit den Fortsetzungen Johann Gottfried Herders und Friedrich Schlegels. Hrsg. und mit einem Nachw. vers. von Ion Contiades. Frankfurt/M.: Insel 1968 (= sammlung insel; 35). Gutzkow, Karl: Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe. Hrsg. von Walter Boehlich. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 36). Herwegh, Georg: Literatur und Politik. Hrsg. von Katharina Mommsen. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 37). Ruge, Arnold: Der Patriotismus. Hrsg. von Peter Wende. Frankfurt/M.: Insel 1968 (= samm­ lung insel; 38). Tolstoj, Lev N.: Rede gegen den Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Peter Urban. Frankfurt/M.: Insel 1968 (= sammlung insel; 39). Liscow, Christian Ludwig: Vortrefflichkeit und Nothwendigkeit der elenden Scribenten und andere Schriften. Hrsg. von Jürgen Manthey. Frankfurt/M.: Insel 1968 (= sammlung insel; 40).

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Richard Faber

Von deutscher Republik. 1775–1795. Aktuelle Provokationen. Hrsg. von Jost Hermand. Frankfurt/M.: Insel 1968 (= sammlung insel; 41,1). Von deutscher Republik. 1775–1795. Theoretische Grundlagen. Hrsg. von Jost Hermand. Frankfurt/M.: Insel 1968 (= sammlung insel; 41,2). Sieyès, Emmanuel Joseph: Abhandlungen über die Privilegien: Was ist der dritte Stand? Hrsg. von Rolf Hellmut Foerster. Frankfurt/M.: Insel 1968 (= sammlung insel; 42). Bruno, Giordano: Das Aschermittwochsmahl. Übers. von Ferdinand Fellmann. Einl. von Hans Blumenberg. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 43). Arnim, Bettina von: Armenbuch. Hrsg. von Werner Vordtriede. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 44). Börne, Ludwig: Menzel der Franzosenfresser und andere Schriften. Hrsg. und eingel. von Walter Hinderer. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 45). Lewald, Fanny: Erinnerungen aus dem Jahr 1848. In Auswahl hrsg. von Dietrich Schaefer. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 46). Kapp, Friedrich: Vom radikalen Frühsozialisten des Vormärz zum liberalen Parteipolitiker des Bismarckreichs. Briefe 1843-1884. Hrsg. und eingel. von Hans-Ulrich Wehler. Frank­ furt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 47). Sade, Donatien A. de: Schriften aus der Revolutionszeit. (1788-1795). Hrsg. von Georg Rudolf Lind. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 48). Hus, Jan: Schriften zur Glaubensreform und Briefe der Jahre 1414–1415. Hrsg. und eingel. von Walter Schamschula. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 49). Kirchner, Werner: Der Hochverratsprozeß gegen Sinclair: ein Beitrag zum Leben Hölderlins. [Mit einem Nachw., besorgt von Alfred Kelletat]. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 50).

Klaus Wagenbach, Frank Benseler, Walter Boehlich, Jörg Schröder 1969

Berthold Petzinna

Walter Boehlich und die DDR-Verlage

Als Walter Boehlich 1957 in das Lektorat des Suhrkamp Verlags eintrat, unterhielt das Unternehmen bereits Beziehungen in die DDR. Verbindungen zwischen der Frankfurter Neugründung Peter Suhrkamps und der DDR existierten bereits früh. Der Grund hieß Bertolt Brecht. Suhrkamp kannte Brecht bereits seit den zwanziger Jahren und war ihm 1933 bei der Emigration behilflich.1 Nach dem Krieg legte der Autor Wert darauf, von Peter Suhrkamp verlegt zu werden: „Lieber Suhrkamp, natürlich möchte ich unter allen Umständen in dem Verlag sein, den Sie leiten.“2 In der Folge wurde Suhrkamp der Hausverlag des im Ostteil Berlins lebenden Brecht. Wenngleich Peter Suhrkamp in seiner Publikationspolitik ­diesen ideologisch heiklen Autor betreffend politische Rücksichten nahm, die der Konfrontation des Kalten Krieges geschuldet waren, geriet auch Brecht in die Mühlen der Boykottpolitik.3 Zugleich war jedoch der 1945 in Berlin gegründete Aufbau-Verlag in der Betreuung des Brecht-Werkes für die DDR eingebunden. Nach Lage der Dinge führte dies zu einer von Rivalitäten nicht freien Verbindung des Frankfurter Hauses mit dem Aufbau-Verlag, der im Ostteil Berlins residierte. Die Kontakte Suhrkamps zur DDR waren mithin – während Ost-West Verbindungen in der Branche im allgemeinen daniederlagen – vergleichsweise eng, doch blieb das Unternehmen von den komplizierten Verhältnissen in der deutsch-deutschen Verlagslandschaft nicht völlig unberührt. Ein Hauptkonfliktpunkt waren die in der DDR enteigneten Verlage, deren Eigentümer ihre Unternehmen im Westen neu aufgebaut hatten. So entstanden Betriebe, die gleichsam doppelt existierten – als Ost- und als Westverlage. Dies hatte auch Konsequenzen für die Präsentation der Ostunternehmen im Westen, z. B. auf der Buchmesse in Frankfurt am Main. Sigfred Taubert, später langjähriger Leiter dieser stark expandie1 2 3

Vgl. Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin: Aufbau 1987, S. 465. Bertolt Brecht an Peter Suhrkamp, 21. 5. 1950, zit. nach: Bertolt Brecht: Werke. Bd. 30: Briefe 3. Frank­ furt/M.: Suhrkamp 1998, S. 26. Vgl. zu Suhrkamps Taktieren u.a. Friedrich Voit: Der Verleger Peter Suhrkamp und seine Autoren. Kronberg/Ts.: Scriptor 1975, S. 271 und S. 301/302.

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renden Bücherschau, bemerkte dazu bereits 1954: „Eine unmittelbare Folge der Verhältnisse ist es auch, daß die ostzonale Buchproduktion auf der jährlich Ende September stattfindenden Frankfurter Buchmesse nicht in Erscheinung tritt. Man hat dem Frankfurter Börsenverein vorgeworfen, in dieser Frage rein kommerzielle Erwägungen über die gesamtdeutschen Interessen zu stellen. Hierzu wäre zu sagen, daß nahezu alle früheren privaten Verlage in der Ostzone widerrechtlich enteignet worden sind und daß man den Besitzern, die sich inzwischen in der Bundesrepublik und in West-Berlin etabliert haben, kaum zumuten kann, auf der Frankfurter Buchmesse ihren enteigneten Betrieben gegenüberzutreten. Auch darf nicht übersehen werden, daß mit der Enteignung die Verletzung zahlreicher Urheber- und Verlagsrechte Hand in Hand gegangen ist und Bücher, die widerrechtlich in der Sowjetzone veröffentlicht wurden, in der Bundesrepublik einer sofortigen einstweiligen Verfügung unterliegen würden.“4 Peter Suhrkamp engagierte sich für eine Entkrampfung dieser Verhältnisse. Die kommerzielle Kooperation seines Hauses mit dem Aufbau-Verlag – Suhrkamp ließ im Rahmen eines Gegengeschäftes Brecht-Bücher in der DDR drucken, die dann mit anderen Schutzumschlägen versehen in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz zum Verkauf kamen –5 schuf hierfür eine Grundlage. Als der Leiter des Aufbau-Verlags, Walter Janka, nach der Bundestagswahl 1953 bei der Leitung der Frankfurter Buchmesse auf Schwierigkeiten stieß, beriet er sich, wie bereits zuvor, mit Peter Suhrkamp. Janka schrieb in dem Bericht über seine Reise in die Bundesrepublik: „Dr. Suhrkamp war, wie dies immer der Fall war, sehr freundlich. Um unsere Messe-Absichten weiterzubringen, gab er mir den schon erwähnten Rat, die Genehmigung für eine einfache Bücherschau zu beantragen. Von einem demonstrativen Auftreten unserer Verleger auf der Frankfurter Messe riet er ab, weil in einem solchen Falle sofort alle westdeutschen Kollegen, die uns noch freundlich gesonnen sind, ängstlich zurückweichen werden. Er ist der Auffassung, daß sich jetzt nach den Wahlen alle Leute abwartend und vorsichtig verhalten und daß es falsch wäre, durch zu großen Lärm die wenigen, die ernstlich an einer Verständigung und Zusammenarbeit mit uns interessiert sind, in eine fatale Lage zu bringen.“6 Im Jahr darauf wurde Suhrkamp bei einer weiteren Begegnung noch deutlicher, wie Janka berichtete: „Ich diskutierte auch mit Suhrkamp über die Nichtzulassung unserer Verlage zur Frankfurter Buchmesse. Suhrkamp ist entschieden dafür, alle DDR-Verlage, insbesondere die Neugründungen, wo die Einwände des Börsenvereins in Bezug auf die Rechtslage nicht geltend gemacht werden können, uneingeschränkt zuzulassen. Er versprach, beim Vorstand des Börsenvereins zu intervenieren und einen konkreten Antrag auf die Zulassung des Aufbau-Verlages zu stellen.“7 4

5 6 7

Sigfred Taubert: Buch und Buchmarkt ohne Leipzig. In: Joachim Moras, Hans Paeschke (Hrsg.): Deutscher Geist zwischen Gestern und Morgen. Bilanz der kulturellen Entwicklung seit 1945. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1954, S. 87–96, S. 91, hier Anm. 1. Walter Janka: …bis zur Verhaftung. Erinnerungen eines deutschen Verlegers. Berlin: Aufbau 1993, S. 21. Ebd., S. 96. Ebd., S. 139. Siehe hierzu auch Carsten Wurm: Der frühe Aufbau-Verlag 1945–1961. Konzepte und Kontroversen. Wiesbaden: Harrassowitz 1996, S. 179.

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Neben Brecht brachte auch das Interesse Peter Suhrkamps am Werk von Ernst Bloch den Verlag in die Turbulenzen der politischen Konfrontationen zwischen der Bundesrepublik und der DDR, zumal dieses Interesse mit Blochs politischen Problemen in der ostdeutschen Republik zusammentraf.8 Nach Peter Suhrkamps Tod im März 1959 trat dessen Nachfolger Siegfried Unseld auch dieses Erbe an. Mit der Übersiedlung Uwe Johnsons in den Westen kam ein weiterer Konfliktpunkt hinzu, der den neuen Suhrkamp-Chef, dem schon aus kaufmännischen Gründen an einem guten Verhältnis zur DDR-Seite gelegen war, zu diplomatischem Manövrieren zwang.9 Auch innerhalb des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels herrschte in den 60er Jahren keine Einigkeit in der Frage, wie man sich gegenüber der DDR verhalten sollte. Die Vetomacht von dort enteigneten Verlegern, die mit ihrem Einspruch die Präsentation ihrer alten Verlage auf der Buchmesse West verhindern konnten, kollidierte mit den Interessen ihrer Kollegen, die mit DDR-Verlagen und Autoren in geschäftlichen Beziehungen standen. Auf dem Forum der Frankfurter Buchmesse ausgetragene politische Konfrontationen konnten da nur stören.10 Die geschäftlichen Interessen, die seinen Verlag mit der DDR verbanden, ließen Unseld daher zu einem moderaten Vertreter der Westbranche werden, sein späterer DDR-Verlegerkollege Elmar Faber erinnert sich: „Was ich Siegfried Unseld gar nicht vergessen kann, ist die Statur, die er in der Zeit der deutsch-deutschen Teilung abgegeben hat. Auf ganz unspektakuläre Weise hat er in Manieren und Haltungen die grenzüberschreitende Kraft der Literatur verkörpert und vollzogen. Die Verhandlungen mit ihm – und mit seinen Mitarbeitern waren ein Muster des sachlich-kritischen Dialogs, das den gemeinen Zuständen im Land meist weit voraus war.“11 Sind die kommerziellen Interessen Unselds in der Konstellation BRD–DDR deutlich zu umreißen, so fällt dies für seine politischen Positionen nicht ganz so leicht. Durch seine Publikationspolitik hatte er dem Verlag im ersten Jahrzehnt seiner Leitung zwar ein deutlich linksliberales bis linkes Profil verliehen, doch entsprach dies einem allgemeinen Trend, der mit der Wende zu den 60er Jahren in der Bundesrepublik spürbar wurde und ist auch als wachstumsorientierte Absatzstrategie lesbar. Hans Werner Richter, Mentor der Gruppe 47, urteilte über die Verlegerzunft jener Jahre denn auch: „Die Verleger, du lieber Gott, wo haben sie ihr heimatloses linkes Herz: Baermann-Fischer [sic], Kurt Desch, Klaus Piper, Reifferscheid, Walter, Ledig-Rowohlt, Unseld. Sie sind alle gute Geschäftsleute und sonst nichts.

  8 Vgl. Wurm (wie Anm. 7), S. 215/216.   9 Vgl. Peter Michalzik: Unseld. Eine Biographie. München: Blessing 2002, S. 118. 10 Vgl. Claus Kröger: „Establishment und Avantgarde zugleich?“ Siegfried Unseld und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1967/68. In: Ingrid Gilcher-Holtey (Hrsg.): Zwischen den Fronten. Posi­tions­ kämpfe europäischer Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Akademie 2006, S. 311–331, hier S. 317/318. 11 Elmar Faber: Ein praktizierender Idealist der Nachkriegszeit. 7 1/2 Geschichten um Siegfried Unseld. In: Verleger als Beruf. Siegfried Unseld zum fünfundsiebzigsten Geburtstag. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999, S. 52–58, hier S. 55/56.

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Soweit noch einer von ihnen nach dem Krieg sozialistisch jugendbewegt war, hat er das längst aufgegeben.“12 Dennoch finden sich zumindest Hinweise darauf, dass in Unselds Fall ökonomische Vernunft und politische Überzeugung, wenn auch nicht ohne taktische Manöver, halbwegs parallel liefen. Mit Bezug auf Peter Weiss’ „10 Arbeitspunkte eines Autors in der geteilten Welt“ – kurz zuvor im Neuen Deutschland erschienen – schrieb er dem Autor: „Weder Johnson, noch Walser, noch Enzensberger noch ich haben sich in diesem Wahlkampf für die SPD engagiert. In den nächsten Tagen werden überall Unterschriften eines sogenannten geistigen Deutschlands erscheinen, die für eine SPD-Regierung werben. Du findest unsere Unterschriften nicht darunter. Andererseits wäre es aus vielen Gründen in diesem Wahljahr nicht richtig, öffentlich für die DFU einzutreten, die mir immer noch die einzige Alternative scheint. Bevor sie sich nicht doch umgruppiert und eine andere geistige Basis hat, wird man sie zwar wählen, jedoch sich nicht öffentlich zu ihr bekennen können.“ Zusammenfassend schließt er an: „Glaube mir, es gibt bei uns mehr Leute als Du ahnst, die Deine Grundeinsicht teilen, all meinen Freunden geht es wie mir um das, was Marx früher einmal als realen Humanismus bezeichnet hat.“13 Auch dafür, dass kulturpolitische Motive in der Programmgestaltung des Verlags einen Stellenwert hatten, finden sich Indizien. Im Besprechungsprotokoll zu einer vom Verlag geplanten Reihe mit philosophischen Texten unter dem Titel Logos heißt es: „Die Reihe sollte neben klassischen Texten vor allem solche Texte bringen, die von der Schulphilosophie wenig oder gar nicht beachtet werden (in erster Linie die unterdrückte Aufklärungsphilosophie) und dadurch möglicherweise Einfluß auf den Philosophieunterricht selbst nehmen.“14 Deutlicher noch wird dieses Anliegen in den Überlegungen, die die neue Rolle des InselVerlags betreffen, den Unseld 1963 übernommen hatte. Zum Konzept der sammlung insel heißt es: „Sie sucht das Neue im Alten, das Aufklärerische und Fortschrittliche, sie zielt auf das Aktuelle in der Geschichte […]. Was als Tradition anerkannt wurde ist – wie die Schullesebücher es bis heute spiegeln – eine ideologisch bestimmte und zubereitete Auswahl; das, was in das meist reaktionär ausgerichtete Schema nicht passte, wurde ignoriert oder verurteilt oder verdrängt und konnte nur unterschwellig weiterwirken. Diesen unterdrückten und vergessenen Teil bewußt zu machen und damit zugleich die Grenzen der ,offiziellen‘ Tradition zu zeigen, ist eine Aufgabe, an die sich die sammlung insel wagt. Ihr Traditions­ begriff ist kritisch.“15 An diesem Konzept war auch Walter Boehlich beteiligt. In seinem Nachwort zur von ihm in der sammlung insel herausgegebenen Einleitung in die Geschichte 12 Hans Werner Richter an Rudolf Walter Leonhardt, 22.1.1962. In: Sabine Cofalla (Hrsg.): Hans Werner Richter: Briefe. München: Hanser 1997, S. 388. 13 Siegfried Unseld an Peter Weiss, 10. 9. 1965. In: Rainer Gerlach (Hrsg.): Siegfried Unseld, Peter Weiss: Der Briefwechsel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008, S. 516/517 bzw. S. 518. 14 Besprechungsprotokoll, 1.8.1963. In: Wolfgang Schopf (Hrsg.): „So müßte ich ein Engel und kein Autor sein“. Adorno und seine Frankfurter Verleger. Der Briefwechsel mit Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003, S. 457/458. 15 sammlung insel. Die ersten zwölf Bände. In: Schopf (wie Anm. 14), S. 522.

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des neunzehnten Jahrhunderts heißt es über den Autor Georg Gottfried Gervinus: „Er forderte Freiheit, wo er mit Einheit abgespeist werden sollte.“ Der Herausgeber attestiert den deutschen Zuständen ein fundamentales Defizit: „Das Politische, wie es Gervinus vorschwebte, im Sinne von realer Demokratie, hat in Deutschland nie begonnen.“16 Dass gerade Boehlich vom Konsens mit den bundesdeutschen Verhältnissen in den späten Jahren der Kanzlerschaft Konrad Adenauers weit entfernt war, zeigen private Äußerungen noch deutlicher. Gleichsam resümierend schrieb er an seinen alten Bekannten Peter Wapnewski 1960: „Je länger es dauert, desto mehr Zorn packt mich über die widerwärtige Politik der NSCDU. Stückweise wird alles immer erbärmlicher. Das öffentliche Leben ohne Nazis? Sie müssen bevorzugt wiedereingestellt werden, auch wenn man weiss, dass sie Schaden stiften werden. Sie wurden nicht einmal bestraft, auch wenn sie Verbrecher waren. Sie sitzen überall, werden überall gedeckt […]. Keine Wehrmacht mehr? Bald wird sie Atombomben haben […]. Sauberkeit? Unbestechlichkeit? Demokratie? Nicht einmal in Weimar sind die moralischen Praemissen der Demokratie so brutal von den Regierenden selbst zerstört worden wie unter Adenauer.“17 Wenig später hieß es konkreter: „Stellen Sie sich doch einmal hin und erklären Sie öffentlich: für einen mutwillig und verbrecherisch angezettelten und verlorenen Krieg muss man zahlen. Wir haben also die Gebiete östlich der Oder-Neisse-Linie abzuschreiben und sollten unsere ganze Politik danach einrichten. Sie wissen so gut wie ich, was dann passiert.“18 Adenauer traf hierzu der schärfste Vorwurf: seine gewissenlose Politik ließe spätere Nachfolger in der Rolle der – wie es mit dem Zitat einer Schmähvokabel aus der Weimarer Republik hieß – „,Erfüllungspolitiker‘“ dastehen.19 Auf eine Relativierung dieser Bilanz der Bundesrepublik durch einen vergleichenden Blick auf die DDR mochte sich Boehlich nicht einlassen, im Gegenteil: „Der Blick über die Mauer macht nicht besser, was bei uns schlecht ist […]. Er macht es eher noch schlechter, weil Adenauer nicht verstanden hat, ein echtes Gegenbild zu Ulbrichts Diktatur zu schaffen.“20 Den Lektor drückte seine politische Ohnmacht, literarische Fragen schienen ihm demgegenüber vergleichsweise belanglos. Bereits 1960 schrieb er: „Es kann nicht so schrecklich wichtig sein, ob die Leute gute oder schlechte Bücher schreiben. Was die deutschen Behörden und Ministerien, die deutschen Gerichte und Parteien jeden Tag anzetteln, was Adenauer und de Gaulle verbrechen, oder Ulbricht und Chruschtschow, das ist wichtig, und da ich dagegen nichts tun kann, mag das andere auch so laufen, wie es will.“21 Hier kündigte sich ein Thema an, das Jahre später Boehlichs Verhältnis zu seinem Verleger zusätzlich belasten sollte.

16 Walter Boehlich: Nachwort. In: Georg Gottfried Gervinus: Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Hrsg. von Walter Boehlich. Frankfurt/M.: Insel 1967, S. 181–211, hier S. 182 bzw. S. 191. 17 Walter Boehlich an Peter Wapnewski, 3.11.1960, Archiv der Akademie der Künste, Bestand Wapnewski, Sign. 31. 18 Boehlich an Wapnewski, 7. 1. 1961 (wie Anm. 17). 19 Boehlich an Wapnewski, 17. 9. 1961 (wie Anm. 17). 20 Boehlich an Wapnewski, 11. 10. 1961 (wie Anm. 17). 21 Boehlich an Wapnewski, 16. 9. 1960 (wie Anm. 17).

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Dass bei der ersten Teilnahme des Suhrkamp Verlags an der Leipziger Buchmesse auch Walter Boehlich eine bedeutende Rolle spielte, muss keineswegs auf ein besonders enges Verhältnis zum Verleger hinweisen. Ob Siegfried Unseld, wie sein Biograph Peter Michalzik annimmt, 1965 unter dem Einfluss Boehlichs gestanden hat, ist nicht ausgemacht.22 Eine skeptischere Sicht würde ebenfalls Sinn ergeben. Teilt man die Auffassung, der zufolge der Lektor bereits 1962/63 deutlich an Einfluss verloren hatte und sich nach der Etablierung der edition suhrkamp im Verlag ausgegrenzt sah und zunehmend publizistisch mit immer politischer werdenden Themen hervortrat, so wäre seine Rolle bezüglich Leipzig ein weiteres Indiz zu diesem Prozess.23 Jedenfalls nutzte Boehlich seine Präsenz für Suhrkamp in Leipzig, um die verfahrene Lage in den Beziehungen der westdeutschen Verlage zur ostdeutschen Buchmesse möglichst zu entkrampfen. Die Teilnahme westdeutscher Verlage in Leipzig fiel Anfang der 50er Jahre noch bescheiden aus, Interzonenhandelsfirmen präsentierten an wenigen Gemeinschaftsständen jeweils mehrere von ihnen. Zwar wuchs die Zahl der Aussteller mit der Mitte des Jahrzehnts an, doch der Bau der Berliner Mauer sorgte auch hier für einen scharfen Einschnitt. Für den Herbst 1961 sagten nahezu alle bundesdeutschen Verlage ihre Teilnahme ab – ein Schritt, auf den hin auch der Frankfurter Börsenverein gewirkt hatte.24 Boehlich lancierte seine Initiative, von der er sich eine Beeinflussung der bundesdeutschen Verlagsszene erhoffte,25 über eine Wochenendausgabe der renommierten liberalen Süddeutschen Zeitung, die, wie redaktionell mitgeteilt wurde, ihn gebeten hatte, seine Eindrücke und Erfahrungen zu schildern. Bereits der Titel seines Beitrags – „Auch Leipzig ist eine Messe wert“ – kennzeichnete zitatspielerisch die Absicht des Autors, ein Plädoyer zu liefern.26 Selbstkritik klang an, wenn es hieß: „Der Suhrkamp Verlag hat in diesem Herbst zum ersten Mal seine Bücher in Leipzig ausgestellt, und zwar als einziger schöngeistiger Verlag der Bundesrepublik, wenn man von dem Gemischtwarenangebot des westdeutschen Sammelstandes absehen will. Natürlich ist es kein Ruhmestitel, daß er sich erst 1965 dazu entschlossen hat, aber es läßt sich erklären, warum er es nicht früher getan hat, ebenso wie sich erklären läßt, warum er es jetzt getan hat.“ Zugleich markierte der Autor den über die Bücherbranche hinausgehenden allgemeinen politischen Stellenwert, den er der Initiative beimaß: „Solange die Regierungen nichts dafür tun, werden einzelne dafür sorgen müssen, daß der Bannkreis gegenseitiger Verdächtigung und Beschimpfung durchbrochen und ein Zustand herbeigeführt wird, in dem die bestehenden Unterschiede zweier Wirtschafts- und

22 Vgl. Michalzik (wie Anm. 9), S. 147. 23 Vgl. Rainer Gerlach: Die Bedeutung des Suhrkamp Verlags für das Werk von Peter Weiss. St. Ingbert: Röhrig 2005, S. 75–77. 24 Vgl. Patricia F. Zeckert: Die Internationale Leipziger Buchmesse, in: http://www.bundestag.de/dasparlament/2009/11/Beilage/006.html (Zugriff 18.11.2009). 25 Vgl. Boehlich an Wapnewski, 2. 10. 1966 (wie Anm. 17). 26 Siehe zum Folgenden Walter Boehlich: Auch Leipzig ist eine Messe wert. In: Süddeutsche Zeitung, 25./26. 9. 1965.

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Bewußtseinsformen zwar nicht verwischt, aber auch nicht mehr lebensgefährlich sein werden.“ Ein Stellvertreterhandeln also, nicht zuletzt aber auch gegen die Behinderungen durch die Politik des Frankfurter Börsenvereins unternommen. Hier argumentiert der Verlagsmann Boehlich auch ökonomisch, die Hauptadressaten seines Appells im Auge: die Blockadepolitik, die Westverlagen den Überblick über die DDR-Buchproduktion durch eine Anzeigensperre im westlichen Börsenblatt verunmöglicht, kann in Leipzig vor Ort unterlaufen werden. Und das, so lockt der Lektor, lohnt sich: „Die Verlagsprogramme in der DDR sind so reichhaltig und sie decken sich so wenig mit den unseren, daß der westdeutsche Buchhandel mühelos ein Vielfaches von dem importieren könnte, was er heute importiert und dabei sogar Bedürfnisse befriedigen würde, die von uns unbefriedigt bleiben. Dazu muß er aber regelmäßig erfahren, was in der DDR erscheint, auch wenn einiges davon einigen von uns lästig ist.“ Die von Suhrkamp gemachten Erfahrungen mit der Leipziger Messepraxis seien dabei positiv: „Dem Suhrkamp Verlag ist nicht die geringste Auflage gemacht worden, was er ausstellen dürfe und was nicht. Niemand hat auch nur den leisesten Einfluß genommen, niemand auch nur die schüchternste Kritik geäußert […]. Diese Erfahrung, könnte ich mir denken, müßte andere westdeutsche Verlage ermutigen.“ Ermutigt sah sich Boehlich auch durch eine vermeintlich zunehmend liberalisierte kulturpolitische Linie in der DDR; das 11. Plenum des ZK der SED – später als kulturpolitisches ,Kahlschlagplenum‘ bekannt geworden – lag noch einige Monate in der Zukunft. Manches habe sich seit dem Mauerbau geändert und vieles gebessert. Ohne mit Kritik an den Engstirnigkeiten des offiziellen DDR-Marxismus zurückzuhalten, wird doch auch Verständnis für einzelne Züge der dortigen Literaturkontrolle eingefordert. Kein verständiger Mensch werde nicht akzeptieren können, dass die DDR-Behörden nicht ausgerechnet die Memoiren geschlagener Generäle, nationalistische Schriften oder Groschenromane dort verbreitet sehen wollten. Ausdrücklich gelobt wurde die ausgleichende Rolle Klaus Gysis – damals Leiter des Suhrkamp verbundenen Aufbau-Verlags – auf der Messe. Diesem Verständigungsangebot Boehlichs folgte im Oktober eine Fortsetzung und Ergänzung durch Siegfried Unseld in Frankfurt am Main. Die wie die Süddeutsche Zeitung liberal ausgerichtete Hamburger Zeit berichtete, auch sie mit kritischem Akzent auf der Politik des Frankfurter Börsenvereins: „Als bekannt wurde, daß Unseld zu einer Diskussion mit Verlegern und Schriftstellern aus Leipzig, Weimar, Halle und Rostock geladen hatte, kamen viele, die keineswegs eingeladen waren. Es liegt in der Luft: Viele möchten die Verleger aus der DDR stärker einbezogen sehen in den Kreis der Messe-Freunde. Der Börsenverein handelt kaum mehr im Sinne einer Mehrheit, wenn er diesen Verlegern für ihre Bücher eine nicht sehr attraktive Katzenecke in der riesigen Halle 7b anweist und damit seinen Beitrag zur Zwei-Staaten-Theorie leistet: denn die Halle 7b ist überwiegend ausländischen Verlagen vorbehalten […]. Im übrigen aber fanden diejenigen, mit denen wir sprachen, DDR-Verlegern werde in Frankfurt heuer freundlicher begegnet als zuweilen in vergangenen Jahren.“27 27 Gäste aus der DDR. Veranstaltung in Unselds Haus. In: Die Zeit, Nr. 43, 22. 10. 1965.

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Suhrkamp blieb dieser Linie der Annäherung auch im Folgejahr treu, und der Repräsentant Boehlich berichtete an alter Stelle darüber. Diesmal adressierte er seine Worte mehr an die Seite der DDR als an die bundesdeutsche. Zweifelnd resümierte er gegenüber Peter Wapnewski: „Ich hoffe, dass die richtigen Leute es lesen werden. Sie haben jetzt 11 Monate Zeit, sich zu überlegen, was sie wollen. Was ich will, wollen muss, hab ich ihnen gesagt. Wenn sie das nicht acceptieren können, müssen wirs halt lassen.“28 Nach der Wiederholung des Zugeständnisses vom Vorjahr, kriegsverherrlichende, revanchistische und diffamierende Literatur von der Messe fernzuhalten, kam Boehlich direkt zur Sache, wenn auch mit einem gewissen Anlauf. Seine Mahnungen zielten weiter auf eine Liberalisierung der DDR-Kulturpolitik zumindest im Fall der Buchmesse: „Nicht in diesen ,klaren Fällen‘ liegen die Schwierigkeiten, sondern in den vielen anderen […]. Selbst ein der DDR denkbar liberal gesonnener Verlag kann nicht vermeiden, daß sich unter seinen Büchern solche befinden, die der östlich der Elbe geltenden Doktrin Schmerzen bereiten, er kann es nicht, weil er andere Ziele und ein anderes Publikum hat und andere Informationsbedürfnisse befriedigen soll und will. Er kann es auch deswegen nicht, weil auch über Fragen der Ästhetik oder Kritik keine Übereinstimmung besteht. Niemand weiß genau, wo innenpolitische Interessen sich gegen außenpolitische Interessen durchsetzen würden.“29 Insbesondere das von Suhrkamp im Westen verlegte Buch von Fritz Rudolf Fries Der Weg nach Oobliadooh war ihm ein Anliegen. Der Roman, der aus einer ganzen Reihe von direkt politischen und normativ ästhetischen Gründen heraus volle 23 Jahre auf den Druck in der DDR warten musste, schadete seinem Verfasser dort massiv.30 Zweifellos aufrichtig, aber auch taktisch klug rundete Boehlich sein Plädoyer mit einer politischen Standortbestimmung ab. „Das Selbstgefühl dieses Staates und seiner Bürger hat zugenommen, und mit ihm die Chance der Duldung dessen, wovon keine akute Gefahr droht. Mir scheint das die bessere Politik, die enttäuschungslosere. An den Staat, der da ist, werden sich am Ende auch unsere kältesten Krieger gewöhnen müssen, und da an eine ,Wiedervereinigung‘ nicht zu denken ist, da sie wohl nicht einmal wünschenswert wäre, wenn Ruhe in Europa herrschen soll, muß man den Frieden vorbereiten, indem man selbst Frieden macht und Freunde findet. Auf beiden Seiten. Die eigentlich Betroffenen, die einzelnen, haben in Leipzig das ihre dazu getan.“ Die Dinge sollten auch nicht in Leipzig, sondern in Frankfurt eskalieren. Dort hatte zwar bereits 1966 Siegfried Unseld für den Insel-Verlag (West) auf sein Einspruchsrecht gegen die Teilnahme der Ost-Insel an der Buchmesse verzichtet, doch er allein reichte nicht. Zudem war, wie eine Umfrage der Hamburger Zeit ergab, die Kritik in Verlegerkreisen an der Arbeit des Frankfurter Börsenvereins gewachsen – auch an dessen Politik gegenüber der 28 Boehlich an Wapnewski, 2. 10. 1966 (wie Anm. 17). 29 Walter Boehlich: Wiedersehen mit der Leipziger Buchmesse. In: Süddeutsche Zeitung, 24./25. 9. 1966. Dort auch das Weitere. 30 Siehe zu diesem Roman: Kein Weg nach Oobliadooh (Fritz R. Fries) in der DDR. In: Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis: „Jedes Buch ein Abenteuer“. Zensur-System und literarische Öffentlichkeit in der DDR bis Ende der sechziger Jahre. Berlin: Akademie 1997, S. 265–274.

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DDR. Die Zugangsregeln für DDR-Verlage waren zur Buchmesse 1967 auf Betreiben von in der DDR enteigneten Verlegern verschärft worden – mit dem Ergebnis, dass zehn Verlage aus Ostdeutschland nicht zugelassen wurden. Die übrigen Verlage aus der DDR kündigten daraufhin an, ebenfalls der Messe fernzubleiben.31 Erst einen Monat vor Messebeginn und nach einer Drohung der Sowjetunion, ebenfalls nicht in Frankfurt auszustellen, gab die Leitung der Buchmesse Mitte September 1967 schließlich nach. Die Wirtschaftsspezialisten aus Bundesrepublik und DDR, so Walter Boehlich vor dem Hintergrund dieser Turbulenzen in einem erneuten Beitrag für die Süddeutsche Zeitung, „verkehren unendlich konzilianter miteinander als die beiden Börsenvereine.“32 Gleichwohl sah Boehlich die Blamage der Frankfurter Standesorganisation in einem größeren politischen Zusammenhang: „Die fehlgeschlagene Ostpolitik, die unsere Politiker vorexerziert haben, hat unser Börsenverein allzeit nachexerziert. Er hat den Leipziger Börsenverein behandelt, als habe der den Aussatz.“ Zwar bleibt die begrenzte Wahrnehmung der Realitäten des Frankfurter Vereins durch den Leipziger nicht unerwähnt – wie überhaupt Boehlich sich den Standpunkt der DDR-Seite besonders hinsichtlich ihrer Zensurpraxis keineswegs zu ­eigen macht – doch bleibt die Intransigenz der Frankfurter die Hauptadresse der Kritik. Da der Frankfurter Seite ein höheres Maß an Souveränität zukommt als der Leipziger, so die Logik der Argumentation, sind auch die Anforderungen höher. An die Adresse störrischer Westverleger gerichtet, nimmt der Kritiker ein weiteres Mal Zuflucht zum ökonomischen Argument gegen die Blockadepolitiker im Buchgeschäft: „Die Rechthaberei geht noch weiter. Wo zwei Verlage für zunächst getrennte Käufergruppen verwandte Programme entwickeln, könnte jeder der beiden eine Menge Lektoratsarbeit sparen, wenn er einige, bei ihm nicht verlegte Titel des Gegenspielers in sein Programm übernähme. In einigen Fällen geschieht das längst, in vielen anderen nicht. Weil die Produktion der DDR-Verlage für unser Publikum unbrauchbar wäre? Das glaubt wohl keiner. Es geschieht nicht, weil man sich nicht einigen mag.“ Boehlichs Aufforderung an die DDR, aus berechtigtem Selbstbewusstsein mehr Liberalität zu zeigen, wurde immerhin in einem Detail entsprochen: Fritz Rudolf Fries’ Roman konnte tatsächlich in Leipzig gezeigt werden. Inzwischen, und nicht nur aufgrund des Falles Fritz Rudolf Fries, hatte Boehlich das Interesse des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR auf sich gezogen. Man beobachtete die so genannte ,Kontaktpolitik‘ der westdeutschen Verlage, insbesondere auch Suhrkamps, gegenüber DDR-Verlagen und der ostdeutschen literarischen Szene argwöhnisch und betrachtete das gestiegene Engagement gegenüber der DDR als Element der „ideologischen Kriegführung“ der Bundesregierung: „Man nutzt die Geschäftsinteressen der westdeutschen Verlage geschickt aus, um sie in den direkten ideologischen Kampf gegen die DDR 31 Siehe hierzu Peter Weidhaas: Zur Geschichte der Frankfurter Buchmesse. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003, S. 189–191, und Ulrike Seyer: Die Frankfurter Buchmesse in den Jahren 1967–1969. In: Stephan Füssel (Hrsg.): Die Politisierung des Buchmarkts. 1968 als Branchenereignis. Wiesbaden: Harrassowitz 2007, S. 159–241. 32 Walter Boehlich: Neun Tage in Leipzig. In: Süddeutsche Zeitung, 23. /24. 9. 1967. Dort auch das Fol­ gende.

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einzubeziehen.“33 Siegfried Unseld wurde aus MfS-Sicht eine undurchsichtige, den DDRInteressen jedenfalls abträgliche Politik attestiert. Walter Boehlich erschien dabei als eine Schlüsselfigur im Rahmen des Suhrkamp Verlags und wurde als Bedrohung gewertet. Zusammenfassend hieß es zu ihm: „Trotzdem er also in der DDR schon recht lange bekannt ist, kann man seine politische Haltung nicht konkret einschätzen, da er sich diesbezüglich in keiner Weise äußert. Auf der Grundlage kleiner Begebenheiten und Äußerungen des ­BOEHLICH muß man jedoch annehmen, daß hinter ihm Personen oder Interessengruppen stehen, in dessen [sic] Auftrage er eine sehr geschickte, gegen die DDR gerichtete Politik im Suhrkamp-Verlag betreibt und auch Unseld ständig auf diese Positionen hinführt bzw. auch gegen ihn bestimmte Maßnahmen durchführt.“34 Boehlich war Ziel von Kontaktaufnahme, für 1968 erwog man eine Überwachungsaktion gegen den Stand des Suhrkamp Verlags auf der Leipziger Messe, der als Publikumsmagnet und Debattenort auffällig geworden war.35 In Frankfurt endete die Buchmesse 1967 mit einem Eklat. Im Vorjahr hatte Boehlich in seinem Bericht über Leipzig gerätselt: „Was geschähe, wenn ein Verlag der DDR auf der Frankfurter Messe ein Buch ausstellte, das schwere Anklagen gegen die Tätigkeit des Bundespräsidenten im Dritten Reich enthielte? Es würde wohl beschlagnahmt werden. Aber würde eine Publikation gleichen Inhalts aus Frankreich oder den USA auch beschlagnahmt werden? Unter gleichsprachigen ,Brüdern‘ nimmt die Reizbarkeit offensichtlich zu. Da ist kein Argument zu schlecht.“36 Jetzt war es soweit. Kurz vor Ende der Buchmesse wurde am Stand des DDR-Staatsverlags das Braunbuch, eine Dokumentation von NS-belasteten Männern in prominenten Funktionen in der Bundesrepublik, auf richterlichen Beschluss beschlagnahmt. Der hierfür verantwortliche Jurist später: „Nach meiner Rechtsüberzeugung war ich dazu verpflichtet, selbst auf die Gefahr hin, daß die Bude in die Luft fliegt.“37 In den diesem Vorgang folgenden Turbulenzen vertrat der Verleger Unseld nochmals die Linie der Entspannung, die auch Boehlichs Engagement prägte. Mit dem Folgejahr endete die Übereinstimmung. Dem Dissens war bereits eine verlagsinterne Entfremdung vorausgegangen, die Jahre zurückreichte. Die näheren Umstände und auch die Anteile, die konzeptionelle Differenzen zur Ausrichtung des Verlags oder möglicherweise persönlich begründete Rivalitäten dabei

33 Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BSTU), MfS, HA XX 12559: Analyse über die politisch-operative Situation im Verlagswesen, 1. 3. 1966, Bl. 000037. 34 BSTU, MfS, HA XX 11989: Suhrkamp Verlag Frankfurt/M. Dr. Siegfried Unseld, Verlagsleiter, 20. 2. 1967, Bl. 000039. 35 Siehe ebd., 15. 8. 1968, Bl. 000188. 36 Boehlich: Leipziger Buchmesse (wie Anm. 29). 37 Zit. nach: Richter Pawlik zieht zu Felde: Nur dem Gesetz verpflichtet – ein Porträt des Frankfurter Amtsgerichtsrates. In: Die Zeit, Nr. 45, 10. 11. 1967.

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spielten, sind im einzelnen schwer zu gewichten.38 Die offene Konfrontation auf dem Feld der Beziehungen zur Leipziger Buchmesse entzündete sich an der Frage, wie auf den Einmarsch von Truppen der Warschauer Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei zu reagieren sei. Bereits wenige Tage nach der Intervention hatte Unseld in einem Rundbrief an Autoren um Unterschriften zu einem Aufruf gebeten, der von Günter Grass, Max Frisch und Peter Bichsel verfasst worden war.39 In dem in der Zeit veröffentlichten Text, den außer Unseld zahlreiche Suhrkamp-Autoren unterschrieben, wurde die Sowjetunion einer imperialistischen Politik beschuldigt. Weiter hieß es: „Die sowjetischen, ungarischen, bulgarischen, polni­ schen und DDR-Armeen, die durch ihren Einmarsch vom 20. 8. 1968 die staatliche Souveränität ihres Bundesgenossen verletzt haben, verteidigen nicht, wie sie vorgeben, den Sozialismus gegen Konterrevolution, sondern unterbinden die Entwicklung des Sozialismus; sie verteidigen einzig das Dogma, das diese Entwicklung fürchtet; sie sind reaktionär.“ Gleichwohl forderte man keine Rückkehr zu einer Politik der Konfrontation: „Nicht die Politik der Entspannung hat versagt, der Kalte Krieg war und ist ohne Zukunft.“40 Trotz dieses moderaten Zungenschlags hielt Unseld eine Teilnahme seiner Verlage an der Leipziger Buchmesse 1968 für unangebracht, und mit dem Rückhalt von Autoren sagte er ab. Das hielt Boehlich für falsch, ja sogar, so wörtlich, für „[e]infach Irrsinn!“41 Was sich nun anschloss, ist umstritten. Unseld warf Boehlich öffentlich – allerdings nach dem endgültigen Zerwürfnis zwischen beiden – vor, die Lektoren des Verlags, die zunächst seine Entscheidung mit getragen hätten, umgekrempelt zu haben. Der vertrat, gestützt auf seine Erfahrung vor Ort, nach wie vor die Auffassung, eine Teilnahme in Leipzig wäre gerade in jener angespannten Phase sinnvoll gewesen, und hielt dagegen: „Im gegebenen Augenblick, nach der Besetzung der CSSR, in Leipzig auszustellen, das war eine heikle Angelegenheit, die meiner Meinung nach offen hätte diskutiert werden müssen. Auf keinen Fall aber konnte die Entscheidung dafür oder dagegen emotionell motiviert werden. Ich habe niemanden umgekrempelt oder beeinflußt, wohl aber mit rationalen Argumenten meine Meinung begründet.“42 Der hier anklingende Vorwurf an Unseld, impulsiv und unbesonnen gehandelt zu haben, findet in der zugänglichen Korrespondenz des Verlegers eine gewisse Stütze. Zweifellos war er stark engagiert, und es ist auch fraglich, ob Unseld seine Haltung auch nur ähnlich stark wie Boehlich als Teil einer umfassenderen Politik ansah. Boehlich jedenfalls blieb seiner Position treu, wie sich bald darauf im Skandal um die Kooperation des Rowohlt Verlags mit dem Bundesverteidigungsministerium zeigen sollte. 38 Siehe hierzu Michalzik (wie Anm. 9), S. 141 und S. 152, auch Gerlach: Suhrkamp, Weiss (wie Anm. 13), S. 78. 39 Vgl. Eberhard Fahlke, Raimund Fellinger (Hrsg.): Uwe Johnson, Siegfried Unseld. Der Briefwechsel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999, S. 515–517. 40 Aufruf. In: Die Zeit, Nr. 35, 30. 8. 1968. 41 So das Zitat in: Revolte der Zehn. In: Der Spiegel, Nr. 47, 18. 11. 1968. 42 Das Unvereinbare. Walter Boehlich antwortet Siegfried Unseld. In: Christ und Welt, 7.  2. 1969. Zu Unselds Aussagen vgl. Ruth Tilliger: Dr. Unselds Kunst, Bomben zu entschärfen. In: Christ und Welt, 10. 1. 1969.

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Berthold Petzinna

Das Ministerium hatte 1967 beim Rowohlt Verlag 30.000 Exemplare der Memoiren von Jewgenija Ginsburg Marschroute meines Lebens bestellt, in denen die Autorin ihr Leben im Gulag schildert. Es handelte sich dabei allerdings um eine getarnte Spezialedition ohne Angabe des Verlags. Bestimmt waren die Schriften für eine Aktion der Abteilung ,Psycho­ logische Kriegführung‘ der Bundeswehr, sie sollten bei günstigem Wind mit Ballons gen Osten in die DDR geweht werden. 1969 folgten weitere 20.000 Exemplare. Die Sache wurde ruchbar, die Hamburger Illustrierte Stern titelte mit Bezug auf den amtierenden Bundesverteidigungsminister Gerhard Schröder (CDU): „Schröder schießt mit rororo in die DDR“.43 Peinlich für Rowohlt insbesondere deshalb, weil diese stille Kooperation mit dem Bonner Ministerium zum ,linken‘ Image des Verlags in einer deutlichen Spannung stand. In der anschließenden öffentlichen Debatte ging es auch um die Legitimität solcher Unternehmungen angesichts der Zensurpraxis in der DDR. Der Theatermann Ivan Nagel formulierte vor diesem Hintergrund gegen das Bundesverteidigungsministerium und zugunsten des gesamtdeutschen Ministeriums von Herbert Wehner (SPD): „Ich bin also dagegen, dass Schröders Amt bestimmt, welche Bücher in die DDR geschossen oder geweht werden; und ich bin dafür, dass Wehners Amt die Titel bestimmt und Ginsburg und Selucky (illegal) hin­ überwehen lässt.“44 Für Walter Boehlich hingegen fügte sich diese Praxis eines bundesdeutschen Ministeriums in jene von ihm bereits zuvor als gescheitert erklärte Ostpolitik ein, die er inklusive der Wiedervereinigungsoption abgelehnt hatte – eine Haltung, in der auch seine Position zum Buchhandel der DDR ihren Platz fand: „Früher hießen die Verteidigungsministerien Kriegsministerien, nie aber Friedensministerien. Erhaltung des Friedens dürfte, wo sie auf fremdes Territorium übergreifen, weder in ihren Absichten noch in ihren Möglichkeiten liegen. Die im gegebenen Falle zuständige Stelle heißt nach wie vor Amt für psychologische Kriegs-, nicht aber Friedensführung […]. Es ist ein Unterschied, ob ein Privatmann Bücher in die DDR einschleust, oder ob ein Ministerium der BRD sie hineinschießt; welches Ministerium es ist, spielt dann keine Rolle. Die Methode, die das Verteidigungsministerium angewandt hat, stellte eine eklatante Grenzverletzung dar, für deren Beurteilung nicht einmal wesentlich ist, ob die DDR von unserer Regierung für einen autonomen Staat gehalten wird, oder nicht. Sie ist eine solche der Kriegführung, die ganz ohne ,Lektorenangst‘ zu Reaktionen der DDR führen wird oder kann.“ Auch schien ihm rückblickend auf die Braunbuch-Affäre auf der Frankfurter Buchmesse zwei Jahre zuvor die Position des Bundesrepublik in puncto Zensur so stark nicht: „Es ist möglich, daß nur der Staat die Mittel besitzt, verbotene Bücher in größeren Mengen in die DDR ,gelangen zu lassen‘, aber das ist nicht seine Aufgabe, und es ist noch weniger die Aufgabe eines privaten Verlegers, ihm dabei zu helfen. Zufällig ist es derselbe Staat, der sich seiner Staatsanwaltschaften bedient, um die Einfuhr ihm unliebsamer Bücher in die BRD zu verhindern. Der Aufklärungsgehalt des

43 Zit. nach Dieter E. Zimmer: Frißt die Revolution ihre Verleger? Unter- und Hintergründe einer Affäre im Hause Rowohlt. In: Die Zeit, Nr. 39, 26. 9. 1969. 44 Ivan Nagel: Friede und Zensur, hier zit. nach der Wiedergabe in: Berliner Zeitung, 11./12. 8. 2001.

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Braunbuchs aber etwa für eine demokratisch verfaßte Gesellschaft dürfte höher sein als der der Marschroute meines Lebens für die DDR.“45 Es waren mithin politische, und nicht kommerzielle Motive, die Walter Boehlichs Engagement gegenüber den DDR-Verlagen bestimmten. Die Buchbranche war der ihm beruflich zugängliche Ansatzpunkt. Ohne die Verhältnisse in der DDR dabei schön reden zu wollen, stand doch die kritische Distanz zu den bundesdeutschen Zuständen und insbesondere der Wiedervereinigungsoption für Boehlich im Vordergrund. Darin blieb er sich treu. Betrachtet man seine Überlegungen im Vorfeld der deutschen Vereinigung 1990, so stößt man auf Motive, die bereits in den 60er Jahren in jenem Kontext anklangen.46

45 Walter Boehlich: Handlangerdienste für den Kalten Krieg? In: Süddeutsche Zeitung, 19. 9. 1969. 46 Vgl. Walter Boehlich: Deutschland erwacht. In: Der Spiegel, Nr. 11, 12. 3. 1990.

Jürgen Habermas, Siegfried Unseld, Walter Boehlich und Alexander Mitscherlich beim jährlichen Kritikerempfang in Unselds Haus in der Klettenbergstraße in Frankfurt/M. während der Buchmesse 1968 © Hans Puttnies

Claus Kröger

Walter Boehlich vs. Siegfried Unseld? Der „Aufstand der Lektoren“1 im Suhrkamp Verlag

Am Abend des 4. Oktober 1968 fand Siegfried Unseld, gerade aus einem Urlaub nach der turbulent verlaufenen Frankfurter Buchmesse zurückgekehrt, einen von neun SuhrkampLektoren unterzeichneten und an ihn adressierten Brief vom 27. September vor. Dessen erste Zeilen lauteten: „Ihr öffentliches Auftreten und Ihre Äußerungen während der Messetage haben in uns – und nicht nur in uns – den Eindruck erweckt, daß Sie die Tendenz der Verlagsprogramme, die nach unserer Meinung die Grundlage unserer Zusammenarbeit bildet, für sich selbst vielleicht nicht als verbindlich anerkennen, sie aber jedenfalls nicht mit der notwendigen Konsequenz vertreten und sie in den Augen solcher, die sie als Autoren und Käufer ermöglichen, desavouiert haben.“2 Ärger stand ins Haus. Was war geschehen? Und: Wie ging es weiter? Nun soll es im Folgenden nicht darum gehen, Ereignisgeschichte zu betreiben. Die Rekonstruktion der Vorkommnisse soll vielmehr einmünden in eine neue Perspektive: Ziel meiner Überlegungen ist es, die bislang vorliegenden Analysen und Deutungen des sogenannten ‚Aufstandes der Lektoren‘ in einem – wie ich finde: zentralen – Punkt zu ergänzen. In den Fokus rückt dabei das Verhältnis des Verlegers Siegfried Unseld zu seinem Cheflektor Walter Boehlich.

1

2

Bei der Bezeichnung der Ereignisse im Suhrkamp Verlag im Herbst 1968 halte ich mich an die zeit­ genössische Publizistik. Vgl. z.B. Christa von Helmolt: Der Aufstand der Lektoren. Was geht im Suhrkamp-Verlag vor? In: Saarbrücker Zeitung, 19. 11. 1968. Der Brief der Lektoren ist abgedruckt im Anhang zum veröffentlichten Briefwechsel zwischen Uwe Johnson und Siegfried Unseld. Uwe Johnson – Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Hrsg. von Eberhard Fahlke und Raimund Fellinger. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999, Anhang 3: 1968, Anlage 1: Brief der Lektoren vom 27. 9. 1968, S. 1137/1138.

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Claus Kröger

Zuspitzung: Die Nacht des 14./15. Oktober 1968 Die Vorgeschichte des Briefes und die sich daran anschließenden Ereignisse sind recht schnell erzählt:3 Unmittelbar nach der Frankfurter Buchmesse verschärfte sich in den letzten Septembertagen des Jahres 1968 ein anscheinend schon länger schwelender Konflikt bei Suhrkamp. Es standen sich gegenüber auf der einen Seite der Verleger Siegfried Unseld, der den Verlag seit nunmehr neuneinhalb Jahren allein leitete, auf der anderen Seite die Lektoren, an deren Spitze Walter Boehlich, das „intellektuelle Zentrum des Hauses“,4 daneben Anneliese Botond, Karlheinz Braun, Günther Busch, Karl Markus Michel, Klaus Reichert, Hans-Dieter Teichmann, Peter Urban und Urs Widmer. Die Lektoren warfen Unseld vor, er nehme sein eigenes radikaldemokratisches Verlagsprogramm nicht ernst, pflege Kapitalisten­ allüren, trete seinen Lektoren gegenüber selbstherrlich und autoritär auf und – mehr Anlass als Ursache, gleichsam der Tropfen, der das Fass schließlich zum Überlaufen brachte – sie kritisierten Unselds Auftreten auf der gerade erst zu Ende gegangenen Buchmesse: Unseld habe sich im Zusammenhang der Buchmessen-Proteste letztlich auf die Seite der Messeleitung und des Börsenvereins gestellt, habe er doch in einer Situation zu vermitteln versucht, wo man – so Walter Boehlich – nicht mehr hätte vermitteln dürfen. Nicht mehr hätte vermitteln dürfen – damit war ohne Zweifel ein neuralgischer Punkt berührt. Denn schon im Jahre 1967 hatte Siegfried Unseld als Mitglied des Aufsichtsrates der Ausstellungs- und Messe GmbH zusammen mit dem Messedirektor Sigfred Taubert auf der Frankfurter Buchmesse den wandelnden Vermittlungsausschuss gegeben und vor allem versucht, zwischen protestierenden Studenten und den konservativeren Börsenvereinskollegen zu moderieren.5 Da Unseld aber zu Beginn der Messe in der Zeit den Börsenverein des Deutschen Buchhandels kritisiert hatte und sich am letzten Messetag in deutlichen Worten 3

4 5

Der nachfolgende Abschnitt stützt sich wesentlich auf die Dokumente des Anhangs 3: 1968 in Johnson – Unseld: Briefwechsel, S. 1137–1148 und auf die dortigen Briefe [378] bis [380a], S. 523–529; auf [Siegfried Unseld]: Chronik eines Konflikts. Siegfried Unseld Archiv. Frankfurt/M. (fortan als SUA. Seit Ende 2009 ist das SUA Bestandteil des Deutschen Literaturarchivs in Marbach) – jetzt abgedruckt und kommentiert in Siegfried Unseld: Chronik. Bd. 1: Chronik 1970. Mit den Chroniken Buchmesse 1967, Buchmesse 1968 und der Chronik eines Konflikts 1968. Hrsg. von Ulrike Anders u.a. Berlin: Suhrkamp 2010, S. 22–96 sowie auf die Schilderungen bei Peter Michalzik: Unseld. Eine Biographie. München: Blessing 2002, S. 177–198; Jörg Magenau: Martin Walser. Eine Biographie [2005]. Reinbek: Rowohlt 2008, S. 264–266; Wolfgang Kraushaar: 1968 – Das Jahr, das alles verändert hat. München: Piper 1998, S. 260/261; Ingrid Gilcher-Holtey: Transformation durch Partizipation? Die 68er Bewegung und die Demokratisierung der literarischen Produktionsverhältnisse. In: dies., Dorothea Kraus, Franziska Schößler (Hrsg.): Politisches Theater nach 1968. Regie, Dramatik und Organisation. Frankfurt/M.: Campus 2006, S. 205–233; jetzt auch in: dies.: Eingreifendes Denken. Die Wirkungschancen von Intellektuellen. Weilerswist: Velbrück 2007, S. 332–358. Die Schilderungen in der Literatur fußen wesentlich auf den veröffentlichten und unveröffentlichten Quellen aus dem SUA. Michalzik: Unseld (wie Anm. 3), S. 185. Vgl. Claus Kröger: „Establishment und Avantgarde zugleich“? Siegfried Unseld und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1967/68. In: Ingrid Gilcher-Holtey (Hrsg.): Zwischen den Fronten. Positionskämpfe europäischer Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Akademie 2006, S. 311–331.

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gegen die Beschlagnahme des zur Produktion des Staatsverlages der Deutschen Demokratischen Republik gehörenden Braunbuchs über Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik durch einen Frankfurter Amtsgerichtsrat positioniert hatte, wurde er von etlichen Börsenvereinskollegen scharf attackiert.6 Im Folgejahr war Unseld erneut zwischen die Fronten geraten. Das Bestreben, „Establishment und Avantgarde zugleich“7 zu sein, wie die Verlegerin Inge Feltrinelli die Motivation ihres Kollegen bezeichnete, machte Unseld von allen Seiten angreifbar. 1968 hatten sich die studentischen Proteste vor allem an der Person des Friedenspreisträgers, des Dichters und senegalesischen Staatspräsidenten Léopold Sédar Senghor, entzündet. Senghor sah sich als Mittler zwischen dem nachkolonialen Afrika und Europa, wurde aber seitens des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) scharf angegangen, da er in seiner Heimat Arbeiter- und Studentenunruhen gewaltsam hatte niederschlagen lassen. Zudem sahen die Studenten in Senghors Werk lediglich „kulturimperialistisches Schwadronieren“.8 Kurzum: Die Preisverleihung an Senghor galt ihnen als „Hohn auf den Preisträger des Vorjahres, den Marxisten Ernst Bloch“.9 Die studentischen Proteste auf der Messe und vor der Paulskirche – dem Ort der Friedenspreisverleihung – lösten an zwei Tagen hintereinander Polizeieinsätze aus, die der Messe nicht nur den zweifelhaften Titel „Polizeimesse“10 eintrugen, sondern die sogleich hoch umstritten waren. Etliche Buchhändler und Verleger störten sich weniger an den Protesten als vielmehr an der massiven Präsenz der Ordnungskräfte. Zudem sahen sie durch die zeitweise Schließung einer der Ausstellungshallen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit gefährdet. Sie forderten den Abzug der Polizei und schlossen aus Solidarität mit den Demon­ stranten ihre Stände. Die Messe stand kurz vor dem Abbruch. Unseld versuchte zu vermitteln und hatte Erfolg. Die Polizei wurde abgezogen, die meisten der geschlossenen Stände

  6 Vgl. Umfrage: Ist der Frankfurter Börsenverein reformbedürftig? In: Die Zeit, Nr. 41, 13. 10. 1967, Literaturbeilage; Ulrike Seyer: Die Frankfurter Buchmesse in den Jahren 1967–1969. In: Stephan Füssel (Hrsg.): Die Politisierung des Buchmarkts. 1968 als Branchenereignis. Wiesbaden: Harrassowitz 2007, S. 159–241, v.a. S. 168–190 und jetzt auch Unseld: Chronik. Bd. 1 (wie Anm. 3), S. 12–15.   7 [Unseld]: Chronik eines Konflikts. SUA, Zitat S. 8, jetzt auch Unseld: Chronik. Bd. 1 (wie Anm. 3), S. 28. Bei der Chronik handelt es sich um maschinenschriftliche tagebuchartige Aufzeichnungen, die Siegfried Unseld im Kontext des sogenannten ‚Lektorenaufstandes‘ im Suhrkamp Verlag angefertigt hat. Mit der Formulierung „Establishment und Avantgarde zugleich“ hatte Inge Feltrinelli die Haltung und die Vermittlungsversuche Siegfried Unselds während der Auseinandersetzungen und der Proteste auf der Frankfurter Buchmesse 1968 bezeichnet.   8 SDS-Flugblatt ‚Belagert die Buchmesse – Besetzt die Paulskirche‘.  9 Ebd. 10 Der Begriff „Polizeimesse“ wurde von den Kritikern der Polizeieinsätze geprägt und fand in der zeit­genös­ sischen Berichterstattung der Tages- und Wochenpresse zunächst nur gelegentlich Verwendung, vgl. aber wju: Messe der Diskussionen. In: Frankfurter Rundschau, 26. 9. 1968, auch, einige Jahre später, In Unfrieden entschlafen. In: Die Zeit, Nr. 40, 6. 10. 1972. In seinem Interview mit der Wochenzeitung „Publik“ sprach Gerhard Zwerenz unmittelbar nach der Buchmesse 1968 davon, sie sei eine „PolizeiBuchmesse“ gewesen. Zur Diskussion: Die Buchmesse und die Polizei. Interview mit G. Zwerenz. In: Publik, Nr. 2, 4. 10. 1968.

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Claus Kröger

öffneten wieder.11 Dennoch blieben Irritationen. Denn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. September 1968 war zu lesen: „Siegfried Unseld, Leiter des Suhrkamp- und Inselverlags, nannte Taubert einen ‚ausgezeichneten Messedirektor‘.“12 Als Messedirektor aber hatte Sigfred Taubert die Polizeieinsätze zu verantworten. Vor diesem Hintergrund wandten sich die neun Lektoren des Suhrkamp Verlages in dem eingangs erwähnten Brief an ihren Verleger und schlugen eine „Lektoratsverfassung“13 vor – allein der Lektor des Insel Verlages, Werner Berthel, fehlte; ob dies Absicht war oder man ihn schlicht ‚vergessen‘ hatte, ist unklar. Diese Verlagsverfassung beanspruchte, „den Notwendigkeiten der gemeinsamen Arbeit ebenso wie der Tendenz der Verlagsprogramme“14 Rechnung zu tragen. Was in dieser Formulierung auf den ersten Blick so harmlos anmutet, wäre im Kern auf eine Entmachtung Siegfried Unselds als Verleger hinausgelaufen – auch wenn die Eigentumsverhältnisse formal nicht angetastet worden wären. Denn: Über Programmgestaltung, Vertrieb, Werbung, Gestaltung, Honorare und Personalpolitik – also letzt­lich über alle im Hinblick auf die Führung des Unternehmens Suhrkamp relevanten Aspekte – sollte, so die Forderung der Lektoren, fortan eine Lektoratsversammlung beschließen, zusammengesetzt aus Lektoren und Verleger mit je nur einer Stimme. Vom Extremfall her gedacht: Neun gegen eins – neun Lektoren gegen einen Verleger. Darüber hinaus sollte gelten: „Der Verlagsinhaber ist ebenso wie die Lektoren an die Beschlüsse der Lektoratsversammlung gebunden.“15 Das klang schon sehr nach einer Art von Sozialisierung des Suhrkamp Verlages. Unselds Situation schien zunächst höchst prekär: Einerseits konnte er sich diese Entmündigung durch seine Lektoren nicht gefallen lassen, andererseits wollte er sich nach Möglichkeit auch nicht schroff gegen die geschlossene Front der Suhrkamp-Lektoren stellen, hatte vielmehr ein Interesse daran, zumindest die meisten von ihnen bei Suhrkamp zu halten. Noch ein knappes Jahr zuvor hatte Unseld auf der Buchmesse vor laufenden Kameras betont, wie wichtig gerade die Lektoren für den Suhrkamp Verlag seien –16 und dies war 11 Vgl. Seyer: Die Frankfurter Buchmesse (wie Anm. 6), v.a. S. 191–209; Unseld: Chronik. Bd. 1 (wie Anm. 3), S. 16–21. 12 Ende der Buchmesse. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 9. 1968. 13 Johnson – Unseld: Briefwechsel (wie Anm. 2), Anhang 3: 1968, Anlage 2: Lektoratsverfassung, S. 1139– 1141; Unseld: Chronik. Bd. 1 (wie Anm. 3), S. 49/50. 14 Johnson – Unseld: Briefwechsel (wie Anm. 2), Anhang 3: 1968, Anlage 1: Brief der Lektoren vom 27. 9. 1968, S. 1137/1138, Zitat S. 1138; Unseld: Chronik. Bd. 1 (wie Anm. 3), S. 48/49, Zitat S. 48. 15 Johnson – Unseld: Briefwechsel (wie Anm. 2), Anhang 3: 1968, Anlage 2: Lektoratsverfassung, S. 1140; Unseld: Chronik. Bd. 1 (wie Anm. 3), S. 50. 16 Vgl. Bücher aus erster Hand. Bericht über die Internationale Buchmesse 1967. Hessischer Rundfunk, gesendet am 15. 10. 1967. Auf die Frage „Wie sehen die Verleger selbst ihre Aufgabe auf der Messe“ antwortete Siegfried Unseld: „Ich setze die Literatur durch, indem das Haus Suhrkamp ganz auf diese Verbreitung dieser spezifischen Literatur eingestellt ist – und zwar eingestellt in all seinen Abteilungen, der Vertriebsabteilung, Werbeabteilung und, vor allen Dingen, mit seinen Lektoren, die ganz speziell für diese Art Literatur eingerichtet sind. Das, glaube ich, ist ja eben der Unterschied, dass wir eine bestimmte Art von Literatur machen, dass wir organisch dem inneren Kalender der Autoren folgen, und dass wir

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durchaus kein bloßes Lippenbekenntnis. Für den Abend des 14. Oktober 1968 berief Unseld eine Lektoratssitzung ein, an der neben den Lektoren und dem Verleger sowie vier Verlags-Mitarbeitern mit Prokura – dem Geschäftsführer Horst Nabbefeld, der Leiterin der Abteilung Rechte und Lizenzen Helene Ritzerfeld, der Buchhalterin Lina Roser sowie dem Leiter der Herstellungsabteilung Rolf Staudt – auch acht Autoren des Suhrkamp Verlages teilnahmen: Jürgen Becker, Günter Eich, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Jürgen Habermas, Uwe Johnson, Hans Erich Nossack sowie Martin Walser.17 Unselds Versuch, den Konflikt nicht in frontaler Auseinandersetzung mit den Lektoren zu entscheiden, sondern, gleichsam über Bande spielend, die Autoren, als ‚eigentliches‘ Kapital des Verlages ins Spiel zu bringen und ihnen im Kern eine Art von Schiedsrichterrolle im Konflikt zuzuweisen, erwies sich schließlich als voller Erfolg. Denn die Autoren verhielten sich den Plänen der Lektoren gegenüber mehrheitlich zögerlich, wenn nicht gar offen ablehnend –18 zur Überraschung einiger Anwesender galt dies auch für den ansonsten eher als Heißsporn gehandelten Enzensberger. Lediglich Walser äußerte sich eher uneindeutig und brachte den Begriff ‚Sozialisierung‘ ins Spiel. Unselds Biograph Michalzik meint zu wissen, Walser habe seinen Beitrag mit den Worten „Das ist eine Entwicklung, an deren Ende dann natürlich die Sozialisierung des Suhrkamp Verlags stehen müsste“ beschlossen.19 Daraufhin habe Unseld sogleich interveniert, Walser vor die Tür gebeten und ihn nachdrücklich daran erinnert, dass er, Unseld, ihm, Walser, doch erst kürzlich das neue Domizil am Bodensee finanziert habe. Derart zur Raison gebracht, habe Walser für den Rest des Abends geschwiegen. Als aber schließlich Jürgen Habermas die abwartende Haltung aufgab und explizit für seinen Verleger Partei ergriff – da man nun einmal in einem kapitalistischen System lebe, habe ein sozialisierter Verlag mit schwerfälligeren Entscheidungsstrukturen keine langfristige Chance in der Konkurrenz mit den anderen Verlagen, so Habermas’ Argumentation –, war der Konflikt entschieden. Zwar wurde eine wöchentliche Lektoratsversammlung installiert, ansonsten blieben die Macht- und Entscheidungsstrukturen des Suhrkamp Verlages unverändert. Daraufhin verließen Walter Boehlich, Klaus Reichert, Peter Urban und Urs Widmer den Suhrkamp Verlag. Ihnen folgte etwas später Karlheinz Braun, mit einigem zeitlichen Abstand schließlich auch noch Anneliese Botond. Es blieben Günther

nicht auf den Markt gehen und dort auf dem Markt das Zufällige kaufen, jenes Zufällige, von dem wir wissen, dass es nicht einmal die Hürde von Weihnachten, oder die Hürde der Saison nimmt. Best­sel­ lerlisten von heute sind oft die Friedhofstafeln von morgen.“ 17 [Unseld]: Chronik eines Konflikts. SUA, jetzt Unseld: Chronik. Bd. 1 (wie Anm. 3), S. 26. 18 So notierte Hans Erich Nossack am 15. 10. 1968 in seinem Tagebuch: „Die Verfassung war unpraktikabel und darüber hinaus beleidigend für Unseld“. Hans Erich Nossack: Die Tagebücher 1943–1977. Hrsg. von Gabriele Söhling. Mit einem Nachwort von Norbert Miller. Bd. 2. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997, S. 952. 19 Michalzik: Unseld (wie Anm. 3), S. 187; vgl. auch Magenau: Walser (wie Anm. 3), S. 265. In Walsers Tagebuch fehlt indes ein ausführlicher Eintrag zum 14. bzw. 15. 10. 1968. Unter dem Datum „14. bis 16. 10. 1968“ findet sich lediglich knapp: „Frankfurt, Verlag, und Darmstadt, P.E.N.“ Martin Walser: Leben und Schreiben. Tagebücher 1963–1973 [2007]. Reinbek: Rowohlt 2009, S. 298.

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Busch, Karl Markus Michel, Hans-Dieter Teichmann und Werner Berthel. Soweit die Ereignisse.

Perspektiven auf den „Aufstand der Lektoren“: Der Forschungsstand und ein Vorschlag Sucht man in der vorliegenden Literatur nach Erklärungen der „Suhrkamp-Revolte“,20 so finden sich in idealtypischer Perspektive zwei Argumentationen. Die eine, weniger prominente – aber beispielhaft zu verfolgen an Ute Schneiders Studie über die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag –, interpretiert den Lektorenaufstand bei Suhrkamp als Exempel für einen Höhepunkt der (semi-)öffentlichen Debatte um die Berufsrolle der Lektoren.21 Diese Debatte drehte sich vor allem um drei Punkte: erstens, um den Status und die Entscheidungskompetenz im Verlag, zweitens, um die Stellung des Lektors im gesamten ­Literaturbetrieb, und schließlich, drittens, um die Frage, was die zunehmende Kommerzialisierung des Buchmarktes für den Beruf des Lektors bedeutete. Im Kern ist dieser Erklärungsansatz ein berufssoziologischer. In den Blick rückt damit ein Zeitraum, der gesamt­ gesellschaftlich durch eine beispiellose Wohlstandsexplosion gekennzeichnet war, für den Buchhandel aber den Beginn eines schwierigen und bis heute noch nicht abgeschlossenen Strukturwandels bedeutete. Etliche Buchverlage hatten bis Ende der 1960er Jahre ein rasantes Wachstum erlebt und damit den Umsatz sowie die Mitarbeiterzahl vervielfacht – aus Kleinstverlagen waren in vielen Fällen prosperierende Betriebe mittlerer Größe geworden. Eine Schlüsselposition innerhalb der Expansionsphase der Verlage gewannen die Lektoren. De facto stiegen sie zu Managern der Verlagsprogramme auf. Ihre Kompetenz und ihr Geschick entschieden wesentlich über Erfolg und Misserfolg eines Verlages. Die Entscheidungsbefugnis lag dessen ungeachtet bei den Verlegern. Zugleich sahen sich die Lektoren zunehmend mit kommerziellen Zwängen konfrontiert, deutete sich seit den späten 1960er Jahren doch eine gewisse Sättigung des Buchmarktes an. Die Vertriebs- und Werbeabteilungen wurden wichtiger, Unternehmensbereiche mithin, die notwendigerweise in einem Spannungsverhältnis zum Lektorat stehen. In dieser Situation begannen die Lektoren, ihre Situation in den Verlagen zu diskutieren und nach mehr Mitsprache zu verlangen. 20 Dieter E. Zimmer: Die Suhrkamp-Revolte. Über die Schwierigkeiten, ein linker Verleger zu sein. In: Die Zeit, Nr. 46, 15. 11. 1968. 21 Vgl. dazu v.a. Ute Schneider: Der unsichtbare Zweite. Die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag. Göttingen: Wallstein 2005, v.a. S. 239–306. Das ist freilich in der Tat eine idealtypische Unterscheidung. Schneider selbst neigt dazu, die Lektorenaufstände mit „1968“ zu erklären: „Die öffentlichen Äußerungen der Lektoren fielen in die bewegte Zeit des sozialen Aufbruchs um 1968, der unter anderem von der studentischen Protestbewegung getragen wurde. Die massive Kritik der Studenten und auch politisch links orientierter Intellektueller und Schriftsteller am bürgerlich-konservativen bis reaktionären Weltbild und Gesellschafts- wie auch Politikverständnis richtete sich letztlich auch gegen die stetig fortschreitende Kommerzialisierung des Literaturbetriebs und gegen das Konsumverhalten auf dem Massenbuchmarkt. Die ideologisch-theoretischen Diskussionen gingen über die studentischen Aktivitäten hinaus und wurden in kulturelle Institutionen, darunter die bundesdeutschen Verlage hineingetragen.“ Ebd., S. 240.

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Die andere Argumentation zieht den Bezugsrahmen wesentlich weiter und stellt die ‚Suhrkamp-Revolte‘ in den Ereigniszusammenhang ‚1968‘. Der Konflikt zwischen dem Suhrkamp-Chef und seinen Lektoren wird aus der Perspektive ‚gesellschaftliche Breitenwirkung der 68er-Bewegung‘ betrachtet. Die Argumentation geht, etwas zugespitzt gesprochen, in etwa wie folgt: Angesichts der radikaldemokratischen Tendenzen des eigenen Verlagsprogramms und vor allem angesichts der 68er-Bewegung hätten sich auch die Lektoren politisiert, der Praxis zugewandt und angesichts der gegebenen, als autoritär empfundenen Lenkungs- und Entscheidungsstrukturen danach getrachtet, den Suhrkamp Verlag zu demo­ kratisieren. Das war bereits ein zeitgenössisches Deutungsmuster in der Pressebe­richt­er­ stattung,22 Urs Widmer hat in der Retrospektive eine solche Position vertreten,23 die Selbstdarstellung des Suhrkamp Verlages ist davon ebenfalls nicht weit entfernt24 und auch aus der Geschichts- und Literaturwissenschaft liegen Beiträge vor, die den Konflikt um die Lektoratsverfassung im Suhrkamp Verlag unter dem Rubrum ‚Wirkungen der 68er Bewegung‘ verhandeln.25 Das ist vor allem aus zwei Gründen überzeugend: Die Forderung nach Demokratisierung aller gesellschaftlichen Teilbereiche, das Streben nach ‚autogestion‘ / ‚cogestion‘, ‚Mitbestimmung‘ / ‚Selbstbestimmung‘ gehörte ohne Zweifel zu den wesentlich issues der Neuen Linken als der zentralen Trägergruppe der 68er Bewegung.26 Mochte die Kapitalismuskritik der Außerparlamentarischen Opposition auch ansonsten vielfach abstrakt geblieben sein: In den sechziger und siebziger Jahren wurden Buchmarkt, Literaturbetrieb und Verlagswesen zu dem ökonomischen Teilsektor, in dem etliche Akteure versuchten, Kritik in Praxis zu überführen und mehr Mitbestimmung durchzusetzen. Zum anderen und als weiterer wichtiger Punkt: Da dies mit dem Abstand von mehr als 40 Jahren gerne marginalisiert oder gar vergessen wird, sei es hier mit Nachdruck betont. Eine solche Perspektive stellt sehr zu Recht die Frage in den Mittelpunkt, inwieweit sich der Suhrkamp-Konflikt als genuin politisch begreifen lässt. Die Auseinandersetzung um Verlegermacht und Lektoreneinfluss war gewiss zunächst ein Machtkonflikt innerhalb des Leitungspersonals des Verlages, wie er sich ganz ähnlich auch in anderen Unternehmen denken lässt – insofern wäre er durchaus unpolitisch. Es lässt sich aber auch das Argument vertreten, dass die Auseinandersetzungen innerhalb des Suhrkamp Verlages nur sehr unzureichend er22 Als wohl prominentestes Beispiel für eine solche Deutung vgl. Zimmer: Die Suhrkamp-Revolte (wie Anm. 20). 23 Siehe Urs Widmer: „1968“. In: W. Martin Lüdke (Hrsg.): Nach dem Protest. Literatur im Umbruch. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979, S. 14–27. 24 Vgl. Johnson – Unseld (wie Anm. 2), Anhang 3: 1968; auch Unseld: Chronik. Bd. 1 (wie Anm. 3). 25 Vgl. Kraushaar: 1968 – Das Jahr (wie Anm. 3), S. 260/261; Gilcher-Holtey: Transformation durch Partizipation? (wie Anm. 3); Ulrich Ott: Messen. In: Ralf Bentz u.a.: Protest! Literatur um 1968. 2. Aufl. Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 2000, S. 293–312; Gunther Nickel, Ulrich Ott: Literaturproduzenten. In: ebd., S. 313–332. 26 Vgl. Ingrid Gilcher-Holtey: Kritische Theorie und Neue Linke. In: dies. (Hrsg.): 1968 – Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft (= Geschichte und Gesellschaft; Sonderheft 17). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998, S. 168–187; dies.: Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA. 2. Aufl. München: Beck 2004.

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fasst werden, beschreibt man sie als Beispiel für einen potentiell allgegenwärtigen Konflikt in der Wirtschaft. Denn war nicht die Semantik des Konfliktes in mancherlei Hinsicht hochpolitisch? Schließlich stellten die Lektoren mit ihrem Versuch, eine Lektoratsverfassung durchzusetzen und damit die Macht des Verlegers sehr weitgehend zu beschränken, die überkommenen Hierarchien des Verlagswesens ganz generell in Frage. Dass sie dabei letzten Endes im Hinblick auf die Umgestaltung der Entscheidungsstrukturen des Suhrkamp Verlages keinen Erfolg hatten und ihre Motive, diese Auseinandersetzung zu führen, von durchaus persönlicher Art waren, nimmt dem Konflikt nicht zwangsläufig etwas von seiner politischen Dimension. Für den Luchterhand-Lektor und ‚Literaturproduzenten‘ Frank Benseler lag dies auf der Hand, schrieb er doch, dass „die Sozialisierung des Suhrkamp Verlages ein unüberhörbares Signal für den westdeutschen Kapitalismus mit nicht so leicht überschaubaren internationalen Wirkungen, mit hohem Solidarisierungseffekt und – wenn Organisation die Vermittlerin zwischen Theorie und Praxis ist – erheblichen Folgen für das Klassenbewußtsein der Intelligenz gewesen“ wäre.27 Ganz fraglos treffen beide Erklärungsansätze sehr zentrale Punkte, das soll gar nicht bestritten werden. Es geht daher im Folgenden keineswegs um eine grundlegende Revision, aber doch um einige wichtige Ergänzungen. Denn: Beiden Zugängen ist gemeinsam, dass sie, erstens, den Konflikt bei Suhrkamp eher knapp abhandeln – er ist eher Beleg und Beispiel als Untersuchungsgegenstand – und, zweitens, dass sie zudem mit recht starken Kausalitätsannahmen operieren. Letzteres wird besonders deutlich, führt man sich noch einmal vor Augen, dass sich in den späten 1960er Jahren ganz ähnlich gelagerte Konflikte bei etlichen Verlagen finden lassen – beide Argumente legen dies ja bereits mindestens implizit nahe. Forderungen nach mehr Mitsprache gab es bei Suhrkamp ebenso wie bei Rowohlt, Luchterhand oder Goldmann. In allen Fällen waren es die angestellten Mitarbeiter, zumeist die Lektoren, die ihre Stimme erhoben und in ihren Unternehmen mehr Demokratie wagen wollten. Was bei Suhrkamp dem Muster von rascher Eskalation und baldiger Entscheidung folgte, zog sich beim Luchterhand Verlag nicht nur über mehr als acht Jahre hin, sondern wandelte sich auch inhaltlich erheblich. Nachdem ein Verlagsstatut an gravierenden Interes27 Frank Benseler: Über literarische Produktionsverhältnisse. In: ad lectores 8. Eduard Reifferscheid zum 16. Mai 1969. Neuwied: Luchterhand 1969, S. 61–87, Zitat S. 67. Die ‚Gruppe Literaturproduzenten‘ hatte sich nach den Auseinandersetzungen auf der Frankfurter Buchmesse 1968 gegründet. Zu ihren bestimmenden Figuren gehörten unter anderen der Luchterhand-Lektor Frank Benseler, der ehemalige Suhrkamp-Lektor Walter Boehlich, der Buchhändler und Verleger Hannes Schwenger sowie der ehemalige SDS-Bundesvorsitzende KD Wolff. Sie forderten die „Demokratisierung von Börsenverein, Buchhandel und Verlagswesen“, kurz: „der literarischen Produktionsverhältnisse“. Die Zitate sind dem Flugblatt „Aufruf – Autoren, Angestellte und Unternehmer im Verlags- und Sortimentsbuchhandel: Literaturproduzenten“ entnommen. Das Flugblatt ist abgedruckt bei Ott: Messen (wie Anm. 25), S. 312. Zu den ­Literaturproduzenten vgl. Nickel, Ott: Literaturproduzenten (wie Anm. 25); Hannes Schwenger: Literaturproduktion. Zwischen Selbstverwirklichung und Vergesellschaftung. Stuttgart: Metzler 1979; „Nehmen Sie uns ruhig als Arbeiterbewegung“. Spiegel-Gespräch mit den „Literaturproduzenten“ Dr. Frank Benseler und Walter Boehlich. In: Der Spiegel, Nr. 41, 6. 10. 1969; Schneider: Der unsichtbare Zweite (wie Anm. 21), S. 277–279.

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sengegensätzen zwischen Verlagsleitung, Belegschaft und Betriebsrat gescheitert war, versuchte Günter Grass die Mitbestimmung der Autoren zu institutionalisieren, was schließlich nach langen Jahren 1976 auch gelang. Ein weiterer Unterschied: Das für den Luchterhand Verlag ursprünglich geplante Verlagsstatut sollte sich in der Tat von Anbeginn auf alle Verlagsangestellten und die Verlagsleitung erstrecken. Im Vergleich dazu ging es bei Suhrkamp zunächst weniger um eine ‚Demokratisierung‘ in einem umfassenden Sinne als vielmehr um eine Erweiterung der Verlagsführung um die Gruppe der Lektoren.28 Kurz und gut: Ich plädiere daher dafür, diese beiden Perspektiven – ‚1968‘ einerseits und berufliche Stellung des Lektors andererseits – durch eine dritte, unternehmensgeschicht­ lich orientierte Sicht zu ergänzen, die den Besonderheiten der jeweiligen Verlage Rechnung trägt und sich angesichts des hier präsentierten Beispiels also auf die Entwicklung des Suhrkamp Verlages zwischen 1950 und 1968/69 richtet. Indes: Es geht im Folgenden keineswegs darum, einen umfassenden unternehmensgeschichtlichen Zugriff zu verfolgen, nicht darum, eine unternehmensgeschichtliche Perspektive im eigentlichen und engeren Sinne einzunehmen. Von Interesse ist das Unternehmen Suhrkamp Verlag also weniger als funktionale Organisation zur Bereitstellung von Gütern auf dem Buchmarkt; von Interesse sind auch weniger die ökonomischen Transaktions- und Transformationsprozesse im Unternehmen Suhrkamp. In den Vordergrund rücken soll aber – wenngleich hier nur skizzenhaft – das Unternehmen Suhrkamp Verlag als eine soziale Organisation, als Ort sozialer, häufig auch konflikthafter, Interaktion, einer Interaktion, die über den ‚eigentlichen Zweck‘ des Unternehmens vielfach hinausgreift. Um derlei analytisch zu erschließen, bietet sich ein mikropolitischer Ansatz an. Worum handelt es sich dabei? Dieses ursprünglich in der Betriebswirtschaftslehre29 verwurzelte Konzept ist bereits seit längerem in der Organisationssoziologie30 breit rezipiert worden, und

28 Zwar endete die Lektoratsverfassung mit den Worten „Diese Lektoratsverfassung wird verstanden als erster Schritt zu einer bis zum 1. 4. 1969 auf demokratischem Wege zu erarbeitenden und mehrheitlich zu beschließenden Betriebsverfassung“ (Johnson – Unseld: Briefwechsel (wie Anm. 2), Anhang 3: 1968, Anlage 2: Lektoratsverfassung, S. 1141; Unseld: Chronik. Bd. 1 (wie Anm. 3), S. 50) – doch wie sich Lektorats- und Betriebsverfassung miteinander hätten vermitteln lassen, blieb unklar. In der Presse wurden jedenfalls rasch Forderungen laut, die Mitbestimmung auf alle Mitarbeiter auszuweiten: „Alle Macht den Lektoren? Sie mögen mehr sein als gute Vermittler und Sachwalter der Literatur. Aber wenn schon der Versuch unternommen wird, einen Rat der Räte im Verlagsbuchhandel zu schaffen, warum wird dann anderen das Recht versagt, in diesem Rat mitzubestimmen? Und die andern, das sind die Hersteller, Werbeleute, die Sekretärinnen, die Buchhalter, Packer, Vertriebsleiter, Arbeiter. […] Solange die Intellektuellen unter sich bleiben, ist die Gefahr nicht abzuwenden, daß gute Gedanken von der Realität geschluckt werden.“ Helmut M. Braem: Alle Macht den Lektoren. Suhrkamp und Insel: Mitbestimmung für wen? In: Stuttgarter Zeitung, 8. 11. 1968. 29 Tom Burns: Micropolitics: Mechanisms of Institutional Change. In: Administrative Science Quarterly 6 (1961) H. 3, S. 257–281. 30 Peter Heinrich, Jochen Schulz zur Wiesch (Hrsg.): Wörterbuch der Mikropolitik. Opladen: Leske + Budrich 1998; Willi Küpper, Günther Ortmann (Hrsg.): Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1988.

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findet seit kurzem auch Eingang in politikwissenschaftliche Untersuchungen.31 In der Geschichtswissenschaft ist dieser Ansatz bisher nur selten angewendet worden.32 Einer gängi­ gen Definition zufolge bezeichnet Mikropolitik „die Bemühungen, die systemeigenen materiellen und menschlichen Ressourcen zur Erreichung persönlicher Ziele, insbesondere des Aufstiegs im System selbst und in anderen Systemen, zu verwenden sowie zur Sicherung und Verbesserung der eigenen Existenzbedingungen“.33 Das Konzept der „Mikropolitik“ geht also davon aus, dass sich das Geschehen in Organisationen nicht durch die Analyse ihrer – oft hierarchischen – formalen Strukturen, nicht durch die Untersuchung der ihnen zugrundeliegenden Regelwerke, nicht durch den Fokus auf den bürokratischen Instanzenzug allein hinreichend erschließen lässt. „Mikropolitik“ fußt vielmehr auf der Annahme, dass organisatorische Prozesse, in diesem Fall der soziale Interaktionsprozess des unternehmensinternen Geschehens, durch harsche Auseinandersetzungen, zähes Aushandeln, heimliche Mauscheleien, partielle und teils flüchtige interne Koalitionen, kurz: durch die Karriere- und Machtinteressen der Organisationsmitglieder mindestens ebenso bedingt sind und geformt werden wie eben durch die formalen Vorgaben von Stellenplan und elaborierten ‚offiziellen‘ Regelwerken. Zusammenfassend: In einer solchen Perspektive ist das Unternehmen weder eine Maschine, in der ein Rädchen reibungslos ins andere greift, noch, auch das sei deutlich betont, ist es ein Tollhaus, in dem es völlig chaotisch drunter und drüber geht und ein jeder tun und lassen kann, was ihm beliebt. Vielmehr stellt sich ein Unternehmen in einer solchen Sichtweise als durchaus reizvolle Mischung aus beidem dar – um mit einem einschlägigen Zitat zu sprechen: „als Resultat des Ineinanders formaler und informeller Interaktionsstrukturen.“34

Von Peter Suhrkamp zu Siegfried Unseld: Der Suhrkamp Verlag in den 1960er Jahren Eine solche Perspektive einzunehmen heißt, auf eine ökonomische Erfolgsgeschichte zu blicken, einige wenige Zahlen mögen genügen: Was am 1. Juli 1950 mit drei Mitarbeitern und bescheidenen Umsätzen begonnen hatte, entwickelte sich in den folgenden knapp zwei Jahrzehnten zu einem florierenden mittelständischen Unternehmen mit schließlich – Stand 31 Thomas Krebs: Parteiorganisation und Wahlkampfführung. Eine mikropolitische Analyse der SPDBundestagswahlkämpfe 1965 und 1986/87. Wiesbaden: Deutscher Universitäts Verlag 1996. Mit einer wissenssoziologischen Erweiterung des Ansatzes hin zu einer „Mikropolitologie“ auch noch Frank Null­ meier, Tanja Pritzlaff, Achim Wiesner: Mikro-Policy-Analyse. Ethnographische Politikforschung am Beispiel Hochschulpolitik. Frankfurt/M.: Campus 2003. 32 Siehe Karl Lauschke, Thomas Welskopp: Einführung. Mikropolitik im Unternehmen. In: dies. (Hrsg.): Mikropolitik im Unternehmen. Arbeitsbeziehungen und Machtstrukturen in industriellen Großbetrieben des 20. Jahrhunderts. Essen: Klartext 1994, S. 7–15. 33 Horst Bosetzky: Die instrumentelle Funktion der Beförderung. In: Verwaltungsarchiv 63 (1972) H. 4, S. 372–384. 34 Lauschke, Welskopp: Einführung (wie Anm. 32), S. 14.

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Januar 1969 – 87 Mitarbeitern.35 1950 erschienen im Suhrkamp Verlag 15 Titel, 1959 37, 1969 waren es bereits 185.36 Allein in der Dekade zwischen 1959 und 1969 wuchs der Jahresumsatz von 1,8 Millionen auf 12 Millionen DM – annähernd eine Versiebenfachung.37 Diese Erfolgsgeschichte ist jedoch keine kontinuierliche. Vielmehr weist sie eine markante Zäsur auf, die sich mit dem Wechsel der Verlagsleitung von Peter Suhrkamp zu Siegfried Unseld verbindet. Unter der Leitung Peter Suhrkamps befand sich der Verlag in den ersten Jahren fast durchweg in einer schwierigen finanziellen Situation. So war der Verlag immer wieder auf Zuschüsse und Bürgschaften der Schweizer Industriellen-Familie Reinhart angewiesen, die bereits – vermittelt durch Hermann Hesse – bald nach der Gründung das entscheidende Kapital beigesteuert hatte. Erst 1957 konnte das erste zufriedenstellende Geschäftsergebnis verbucht werden.38 Gewinn- und Marktorientierung standen für Peter Suhrkamp ganz sicher nicht im Vordergrund seiner verlegerischen Tätigkeit.39 Vielmehr folgte er einem Ethos, das sich hohe literarische Qualitätsmaßstäbe setzte. Suhrkamp hul­ dig­te geradezu einem „mitunter dogmatische[n] Elitebegriff“ und nahm dafür beträchtliche unternehmerische Risiken in Kauf.40 Im Hinblick auf die Zielgruppe der Bibliothek Suhrkamp formulierte er, diese Reihe sei „dem wahren Bücherfreunde zugedacht, jener LeserElite, der anzugehören das Bedürfnis aller ist, denen das gute oder erlesene Buch ein unentbehrliches Lebensgut geworden ist“.41 Kurz und gut – und mit Pierre Bourdieus Terminologie des literarischen Feldes gesprochen: Peter Suhrkamp folgte einer autonomen Orientierung und arbeitete sehr daran, seinen Verlag am Pol der eingeschränkten Produktion zu positionieren.42 Es spricht einiges dafür, dass dies eine sehr bewusste Entscheidung war. Denn sein unternehmerisches und 35 Vgl. Geschichte des Suhrkamp Verlages. 1. Juli 1950 bis 30. Juni 1990. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1990, S. 81. 36 Siehe Die Bibliographie des Suhrkamp Verlages 1950–2000. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2002. 37 Volker Michels: Ohne Hermann Hesse gäbe es keinen Suhrkamp Verlag. Hermann Hesses Weg von Samuel Fischer zu Peter Suhrkamp. In: Regina Bucher, Wolfgang Schopf (Hrsg.): „Im Dienste der gemeinsamen Sache“. Hermann Hesse und der Suhrkamp Verlag. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006, S. 23–53, S. 50. 38 Regina Bucher: Chronik 1903–2006. In: dies., Schopf (Hrsg.): „Im Dienste“ (wie Anm. 37), S. 143– 197, S. 171. 39 Zu Peter Suhrkamp vgl. Siegfried Unseld: Peter Suhrkamp. Zur Biographie eines Verlegers in Daten, Dokumenten und Bildern [1975]. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004; sowie das interessante Porträt bei Carl Zuckmayer: Geheimreport. Hrsg. von Gunther Nickel und Johanna Schrön. Göttingen: Wallstein 2002, S. 20–22. 40 Wolfgang Schopf: „H. Hesse läßt am 7. 5. telefonisch durch seine Frau mitteilen, daß er für den Suhrkamp-Verlag optiert“. In: Bucher, Schopf (Hrsg.): „Im Dienste“ (wie Anm. 37), S. 13–21, Zitat S. 20. 41 So stand es auf dem Leporello zur ersten Serie der Bibliothek Suhrkamp zu lesen, hier zit. nach Kleine Geschichte der edition suhrkamp. Red. Raimund Fellinger. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003, S. 10. 42 Zum Konzept des literarischen Feldes vgl. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001; ders.: Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld. In: ders.: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt/M.: Suhrkamp [1974] 2003, S. 75–124.

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kaufmännisches Geschick hatte Suhrkamp bewiesen, als er den S. Fischer Verlag durch die NS-Zeit steuerte. So war die von Suhrkamp konzipierte und 1940 erschienene Anthologie Deutscher Geist auch ökonomisch ein voller Erfolg.43 Und als Mitte 1943 die Schließung des Verlages anstand, gelang es Suhrkamp, mit der Aufnahme von Lothar-Günther Buchheims Kriegsberichter-Epos Jäger im Weltmeer in die Kategorie „kriegswichtig“ aufzurücken.44 Dennoch bleibt festzuhalten: Nach 1945 galt Peter Suhrkamp der eigene Verlag ganz überwiegend als kulturelle, tendenziell antiökonomische Institution, deren eingeschränkter Produktion er über die Akkumulation symbolischen Kapitals ein Forum und eine Nachfrage schaffen wollte.45 Anders Siegfried Unseld: Ihm stellte sich das Verlegen von Büchern als eine zutiefst janusköpfige Tätigkeit dar. Das Brechtsche Diktum von der ‚geheiligten Ware Buch‘ aufnehmend, formulierte Unseld, der Buchverleger müsse „nun einmal Geschäft mit Geist verbinden“: Der Verleger „will Literatur realisieren und braucht für die Realisierung von Literatur ein ökonomisch ausgerichtetes Unternehmen“.46 Zudem betonte Unseld bei Gelegenheit noch einen dritten Aspekt der verlegerischen Existenz: Die Möglichkeit, gewollt oder ungewollt, „aktiv in den politischen Tagesstreit“ verwickelt zu werden.47 Unseld, Jahrgang 1924 und damit eine Generation jünger als der 1891 geborene Peter Suhrkamp, fing nach Buchhändlerlehre und Studium Anfang 1952 im Suhrkamp Verlag an und arbeitete sich bis an die Verlagsspitze. Seit Anfang 1958 war er neben dem Verlagsgründer Peter Suhrkamp gleich­ berechtigter Gesellschafter und nach dem Tode Suhrkamps fungierte Unseld als alleiniger Leiter des Suhrkamp Verlages.48 43 Vgl. Michalzik: Unseld (wie Anm. 3), S. 75. Wichtiger aber war das damit verbundene politische Signal. 44 Siehe dazu nur Mirko Wittwar: Das Bild vom Krieg. Zu den Romanen ‚Das Boot‘ und ‚Die Festung‘ von Lothar-Günther Buchheim. Diss. HU Berlin 1997, v.a. S. 18–26. In der Bibliographie des Suhrkamp Verlages fehlt „Jäger im Weltmeer“ übrigens. Inwieweit die erste Auflage bei einem Bombenangriff weitgehend vernichtet wurde, ist bis heute nicht restlos geklärt. 45 Es wäre eine interessante Fragestellung für eine Suhrkamp-Biographie, inwieweit sich die Positionierung des Suhrkamp Verlages zwischen 1950 und 1959 Peter Suhrkamps Erfahrungen in der Verlagsarbeit zwischen 1936 und 1945 verdankt. Da Suhrkamp loyal zu Bermann Fischer stand, konnte er als Verlagsleiter des S. Fischer Verlages in der NS-Zeit ökonomisch nicht viel gewinnen, die ‚Chance‘ bestand indes darin, das symbolische Kapital des Verlages zu retten, einer – im Bourdieuschen Sinne – anti-ökonomischen Ökonomie zu folgen und die Autonomie des Verlages so weit wie eben möglich zu wahren. Und Suhrkamps eigener Einschätzung nach – der man kaum wird widersprechen können – gelang dies ja auch: „Äußerlich sind nur Trümmer übrig, aber der Ruf ist rein und blank geblieben“, so Suhrkamp nach Kriegsende. Hier zitiert nach Michael Carlo Klepsch: Verleger des Widerstands. Von Arno Breker gerettet: Neue Dokumente zu Peter Suhrkamp. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. 5. 2005. 46 Siegfried Unseld: Die Aufgaben des literarischen Verlegers. In: ders.: Der Autor und sein Verleger. Vorlesungen in Mainz und Austin. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978, S. 9–64, Zitate S. 14 und 15. 47 Ebd., S. 19. 48 Zu Siegfried Unseld vgl. die Broschüre Siegfried Unseld. Der Verleger. Eine Ausstellung des Suhrkamp Verlags im Holzhausenschlößchen Frankfurt am Main 29. September – 19. Dezember 2004. Frank­ furt/M.: Suhrkamp 2004; Helmut Schanze: Samuel Fischer – Peter Suhrkamp – Siegfried Unseld. Vorüberlegungen zu einer Verlegertypologie im 20. Jahrhundert. In: Günther Schulz (Hrsg.): Geschäft

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1952 war Siegfried Unseld in einen Kleinverlag eingetreten. Das Unternehmen Suhrkamp Verlag beschäftigte insgesamt sieben Personen und erwirtschaftete einen recht bescheidenen Jahresumsatz. „Vertrieb, Werbung, Herstellung und gelegentlich Lektorat“ – so wurde Unselds Aufgabenbereich umrissen. Unseld selbst sprach einmal rückblickend davon, in den ersten Jahren seiner Tätigkeit bei Suhrkamp sei er eine Art „Mädchen für alles“ gewesen.49 Jedenfalls hielt Peter Suhrkamp rasch große Stücke auf seinen neuesten Mitarbeiter. Denn Siegfried Unseld war noch kein dreiviertel Jahr im Verlag, da wurde er von Peter Suhrkamp unter der Hand bereits als potentieller Nachfolger gehandelt. In einem Brief an ein Mitglied der Reinhart-Familie schrieb Suhrkamp im Sommer 1952: „Sie wissen, diese Nach­ folge war und ist für mich ein Haupt-Problem. Ich sehe es etwas ruhiger an, seit ich einen jüngeren Mitarbeiter gewonnen habe, der nicht nur die erforderliche literarische Vorbildung und buchherstellerische und verlegerische Ausbildung hat, sondern, wenn er noch Zeit behält, sich zu entwickeln, auch sonst Anlagen mitbringt, die ihn befähigen könnten, einem Verlag vorzustehen.“50 Dessen ungeachtet war die Nachfolgefrage innerhalb des Verlages noch etliche Jahre lang kein zulässiges Thema. Frühzeitig deutete sich an, dass Siegfried Unseld als Verleger ganz eigene Akzente setzen würde. Im Frühjahr 1953 schlug er Suhrkamp vor, Titel aus der backlist des Verlages als ‚Volksausgaben‘ in hoher Auflage auf den Markt zu bringen. Folgt man Unselds Schilderung, so habe sich Suhrkamp geradezu entsetzt gezeigt: „Alles Denken in großen Auflagen sei falsch, und dies verböte sich geradezu bei dem Charakter jener Autoren, die er an seinen Verlag gebunden habe“, sei Suhrkamps Reaktion gewesen.51 An dieser elitären Linie änderte sich unter der Ägide Peter Suhrkamps nur wenig. Zwar erschien seit 1955 die Reihe Suhrkamp Hausbücher, die höhere Auflagenziffern und moderate Preise mit guter Ausstattung kombinierte. Mit der Produktion von Taschenbüchern aber und dem damit verbundenen Eintritt in einen gerade neu entstehenden Massenmarkt52 konnte sich der Verleger Suhrkamp hingegen nicht anfreunden. Wenngleich sich Siegfried Unseld sicherlich in manchem an Peter Suhrkamp orientier­ te: Der markante Unterschied bestand darin, dass Unseld ganz deutlich auf wirtschaftliche Expansion setzte. Als Siegfried Unseld nach dem Tode Peter Suhrkamps im Frühjahr 1959 die Verlagsgeschäfte übernahm, stand er vor einer schwierigen Herausforderung. Einerseits

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mit Wort und Meinung. Medienunternehmer seit dem 18. Jahrhundert. München: Oldenbourg 1999, S. 147–163; Michalzik: Unseld (wie Anm. 3). Eine wissenschaftliche Biographie zu Unseld fehlt bislang. Siehe Michalzik: Unseld (wie Anm. 3), S. 82. Vgl. Peter Suhrkamp an Peter Reinhart, 12.8.1952, hier zitiert nach Harry Joelson-Strohbach: Georg Reinharts Freundschaft mit Hermann Hesse: eine Vorgeschichte zur Rolle Winterthurs bei der Gründung des Suhrkamp Verlages. In: Bucher, Schopf (Hrsg.): „Im Dienste“ (wie Anm. 37), S. 55–83, Zitat S. 74. So Unselds Wiedergabe von Suhrkamps Reaktion vgl. Siegfried Unseld: Begegnungen mit Hermann Hesse. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1975, S. 130. Vgl. Gunter E. Grimm: Zwischen Anpassung und Protest. Buchmarkt, Bestseller und Belletristik in den sechziger Jahren. In: Werner Faulstich (Hrsg.): Die Kultur der 60er Jahre. München: Fink 2003, S. 95– 113, v.a. S. 97/98.

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ließ Unseld nie einen Zweifel daran aufkommen, dass er sich dem Ethos und der programmatischen Linie Peter Suhrkamps verpflichtet fühlte, andererseits dürfte ihm bereits früh bewusst geworden sein, dass sich das Erbe Peter Suhrkamps allein aufgrund der ökonomischen Zwänge nur würde bewahren lassen, wenn man vor verlegerischer Innova­tion und kaufmännischer Expansion nicht zurückschreckte.53 Siegfried Unseld schlug damit einen Weg ein, dem Peter Suhrkamp wohl nicht gefolgt wäre. Ganz entscheidend für die Neuausrichtung des Suhrkamp Verlages war aber zunächst Unselds „erweiterter Literaturbegriff“,54 der vor allem die kritischen Sozialwissenschaften mit einbezog. In programmatischer Hinsicht bekam der Suhrkamp Verlag seit den 1960er Jahren somit ein deutlich erkennbares politisches Profil. Seit dieser Zeit verfolgte der Suhrkamp Verlag gleichsam eine doppelte Publikationsstrategie: Sowohl die deutschsprachige und internationale Literatur des 20. Jahrhunderts als auch die Geisteswissenschaften bildeten Schwerpunkte. Beispielhaft zeigte sich diese „Modernisierung in kritisch-aufklärerischer Absicht“,55 die Unseld teils gegen den Widerstand von Mitarbeitern und Autoren durchsetzte,56 in der edition suhrkamp, der legendären Taschenbuchreihe, die seit 1963 erschien. In gewissem Sinne stand die edition dem Selbstverständnis des Suhrkamp Verlages, ein ‚Autoren-Verlag‘ zu sein, entgegen, wurden hier doch nicht einzelne Autoren, sondern eben eine Buchreihe gepflegt und vermarktet. Als Markenartikel stand die Reihe indes rasch für Qualität und die dort erschienenen Autoren profitierten von deren symbolischem Kapital. Letzteres galt auch umgekehrt: Prominente Autoren mehrten das symbolische Kapital der Reihe. Im Ankündigungsprospekt war damals zu lesen: „Die ‚edition suhrkamp‘, die die ganze Arbeit des Suhrkamp Verlages spiegelt, folgt dem Hauptprogramm auf den Gebieten des Dramatischen, Epischen, Lyrischen und der Essayistik. Die Reihe wird auch neue Aspekte bringen, wobei der essayistische, philosophische, philologische, soziologische, geschichtliche und politische Teil im Hinblick auf die jüngeren und studierenden Leser er­ weitert wird.“57 Vor allem der politische Aspekt rückte in den späten 1960er Jahren deutlich in den Vordergrund, so dass Günther Busch, der damalige Lektor der edition suhrkamp, im Jahre 1970 die Intentionen der Reihe wie folgt beschrieb: „Buchreihen sind Transportmittel. Sie verbreiten Konfliktstoff – und sich selber. Ihr gemeinsames Merkmal ist die Ausstellung intellektueller Ware, die, sofern die Verkleidungstechniken die Inhalte nicht gänzlich überwältigt haben, im Bewußtsein der Adressaten sich umsetzt in Informationen, Gedanken, Zweifel, Argumente. […] Daß wir seit mehr als sechs Jahren den Sozialwissenschaften (Soziologie, Ökonomie, Sozialpsychologie, Politikwissenschaft) neben der Literatur und der Literatur53 Siehe Schanze: Samuel Fischer – Peter Suhrkamp – Siegfried Unseld (wie Anm. 48), S. 161–163; Siegfried Unseld. Der Verleger (wie Anm. 48), S. 13; Kleine Geschichte der edition suhrkamp (wie Anm. 41), S. 11–16. 54 Schanze: Samuel Fischer – Peter Suhrkamp – Siegfried Unseld (wie Anm. 48), S. 162. 55 Siegfried Unseld. Der Verleger (wie Anm. 48), Zitat S. 13. 56 Vgl. Kleine Geschichte der edition suhrkamp (wie Anm. 41), S. 19–22. 57 Ebd., Zitat S. 28/29.

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wissenschaft einen hervorragenden Platz in unserem Programm einräumen, hat in der Tat mit Politik und dem Politikverständnis derjenigen zu tun, auf deren Arbeit die edition suhrkamp beruht (von den Autoren bis zu den Verlagsangestellten). Das Ziel sind soziale Beziehungen, die sich nicht auf die Legitimation durch Besitz und die Reproduktion von Bevormundung stützen. […] Auch die an der Praxis orientierte Analyse objektiver Verhältnisse und menschlicher Verhaltensweisen ist ein politischer Faktor nur insofern, als sie nicht als Praxisersatz verstanden und verzehrt wird.“58 Das ‚Pathos des Programmatischen‘ ist mit Händen zu greifen, was kaum verwundern kann, erschienen diese Zeilen doch in der suhrkamp information, also: aus Gründen der corporate identity und des Marketings. Aufgrund der hohen Absatzzahlen – bis zum 30. Juni 1974 betrug die Gesamtauflage mehr als 15 Millionen Exemplare!59 – wurde die edition suhrkamp bald auch ökonomisch ein voller Erfolg. Als die Reihe auf den achthundertsten Titel zulief und Unseld dieser Bestand aus kaufmännischen Gesichtspunkten als zu umfangreich erschien, begann der Suhrkamp Verlag als erster deutscher Verlag überhaupt einen Ausverkauf von Taschenbüchern: 185 Titel der edition suhrkamp wurden nicht mehr neu aufgelegt und über den Sortimentsbuchhandel verramscht. Um die edition nicht allzu sehr zu beschädigen, lief der Ausverkauf über den etablierten Sortimentsbuchhandel und wurde von Unseld per Brief gegenüber den Buchhändlern begründet.60 Ökonomisches schlägt symbolisches Kapital – ließe sich die Verlagspolitik zur edition suhrkamp auf diese Formel bringen? Das wäre dann vielleicht doch zu pointiert formuliert. Aber Siegfried Unseld sorgte jedenfalls dafür, dass das symbolische Kapital der Reihe einen soliden wirtschaftlichen Unterbau bewahrte. Aus in erster Linie ökonomischen Motiven speisten sich andere Entscheidungen Un­ selds: Der Ausbau der lukrativen Theaterabteilung, der Erwerb des Insel Verlages sowie die Übernahme des August Lutzeyer Verlages mit angeschlossener Druckerei, der als Nomos Verlag weitergeführt wurde – all dies zielte in den 1960er Jahren darauf, dem Suhrkamp Verlag durch Expansion eine solide wirtschaftliche Grundlage zu schaffen.61 Die Strategie ging auf. Ohne in allzu große Hagiographie verfallen zu wollen: Eine beeindruckende Leis­ tung Siegfried Unselds bestand sicherlich darin, in seiner verlegerischen Tätigkeit auf den ersten Blick Unvereinbares miteinander zu verknüpfen. Unter seiner Leitung gelang es dem Suhrkamp Verlag, über Jahrzehnte hinweg sowohl ökonomisches als auch symbolisches ­Kapital im Gleichklang zu akkumulieren. Als sehr hilfreich erwies sich sicherlich auch, dass die Programmatik des Suhrkamp Verlages unter Unselds Leitung zahlreiche Anschlussmöglichkeiten für eine massenmediale Zweitverwertung in Presse, Rundfunk und schließlich 58 Günther Busch: Drei Fußnoten zur edition suhrkamp. In: suhrkamp information (1970) H. 1, S. 28/29, zit. nach Kleine Geschichte der edition suhrkamp (wie Anm. 41), S. 55. Einen Überblick über die ersten tausend Bände der Reihe bietet edition suhrkamp. Band 1 bis Band 1000. Bibliographie 1963 bis 1980. Red. Gisela Mörler. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980. 59 Vgl. Kleine Geschichte der edition suhrkamp (wie Anm. 41), S. 56. Weitere fünf Jahre später, im September 1979, belief sich die Gesamtauflage dann auf mehr als 22,5 Millionen Exemplare, siehe ebd., S. 58. 60 Siehe ebd., S. 56–58. 61 Vgl. Siegfried Unseld. Der Verleger (wie Anm. 48), S. 16.

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auch im Fernsehen aufwies.62 Auch Siegfried Unseld selbst war ein Verleger, der den öffentlichen Auftritt durchaus zum Ruhme und Nutzen des Verlages zu gestalten wusste. Auch in dieser Hinsicht zeigte sich eine gewisse Ausnahmestellung der viel beschworenen ‚Suhrkamp culture‘.63 In der unternehmerischen Selbstinszenierung,64 die seit Beginn der Ära Unseld konsequent – und sehr erfolgreich – darauf hinauslief, Suhrkamp als außeralltägliches Phänomen in der bundesdeutschen Verlagslandschaft zu inszenieren, spielte die Zäsur des Verlegerwechsels und die Unterschiede zwischen den verlegerischen Konzeptionen von Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld verständlicherweise nur eine geringe Rolle. Allenfalls vorsichtig wurde darauf angespielt: „Versuchen Sie nie, den Verlag so zu machen, wie ich ihn gemacht habe – das können Sie gar nicht! Versuchen Sie den Verlag so zu machen, wie Sie selbst es für richtig halten, und wenn Sie dann Glück haben, wird’s gut.“65 Dies, so Unseld, sei Suhrkamps Mahnung und Auftrag gewesen, gesprochen am Tag vor dessen Tod. Gemeinhin aber wurde das Verhältnis der beiden analog zu der bildhaften Inszenierung im vierten Stock des Suhrkamp-Hauses in der Frankfurter Lindenstraße geschildert – zwei überlebensgroße Porträtfotografien, rechts Peter Suhrkamp, links daneben Siegfried Unseld, zeitlos nebeneinander.

62 So das sehr berechtigte Argument bei Schanze: Samuel Fischer – Peter Suhrkamp – Siegfried Unseld (wie Anm. 48), S. 162. 63 Der Begriff ‚Suhrkamp culture‘ wurde 1973 von George Steiner in einem Beitrag für das Times Literary Supplement geprägt. George Steiner: Adorno. Love and Cognition. In: The Times Literary Supplement, 9. 3. 1973, S. 253–255: „Like Bloch and Walter Benjamin, Adorno has profited formidably from what one might call ‚the Suhrkamp culture‘ which now dominates so much of German high literacy and intellectual ranking. Almost single-handedly, by force of cultural-political vision and technical acumen, the publishing firm of Suhrkamp has created a modern philosophic canon. In so far as it has made widely available the most important demanding philosophical voices of the age, in so far as it has filled German bookshelves with the presence of that German-Jewish intellectual and nervous genius which Nazism sought to obliterate the Suhrkamp initiative has been a permanent gain“. Die PR-Abteilung des Suhrkamp Verlages nutzte diese Formel, die man schöner nicht hätte erfinden können, bald für ihre eigenen Zwecke, so daß die ‚Suhrkamp-Kultur‘ schnell in vieler Munde war. Vgl. auch noch Norbert Bolz: Image. In: Erhard Schütz u.a. (Hrsg.): Das BuchMarktBuch. Der Literaturbetrieb in Grundbegriffen. Reinbek: Rowohlt 2005, S. 143–145, der argumentiert, der Suhrkamp Verlag habe ein „Image“ kultiviert. 64 Damit orientiere ich mich an einer neueren Richtung der Unternehmensgeschichtsschreibung, die sich einem konstruktivistischen Zugriff auf die ‚Unternehmerpersönlichkeit‘ verschrieben hat. Aus einem solchen Blickwinkel gilt: Die Verlegerpersönlichkeiten interessieren als „zuallererst mythologische Fiktionen des Unternehmens, die diese Organisation zur eigenen Selbstbeschreibung produziert“. „Nicht die Unternehmerperson als Person und als Hort genialer unternehmenspolitischer Entscheidungen ist wichtig für das Unternehmen, sondern die semantische Konstruktion der Unternehmerperson wirkt steuernd innerhalb wie außerhalb des Unternehmens, und der Unternehmer selbst hat darauf zu achten, daß er die Konstruktion seiner eigenen Legende kontrollieren kann.“ Jan-Otmar Hesse: Intentionalisten und Funktionalisten in der Unternehmensgeschichte. In: Akkumulation (2003) H. 17, S. 1–6; Zitate S. 4 und 5. 65 Unseld: Peter Suhrkamp (wie Anm. 39), Zitat S. 230.

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Und was die Verlagsgeschichte in der Selbstinszenierung anbetraf, so war ja bereits die Entstehung des Verlages sehr mythenfähig:66 Peter Suhrkamp brachte als Treuhänder den S. Fischer Verlag durch die NS-Zeit, überwarf sich nach 1945 mit den Bermann Fischers und begann mit 33 ehemaligen Fischer-Autoren, darunter Brecht und Hesse, die lieber in der Obhut Peter Suhrkamps bleiben wollten, den eigenen Suhrkamp Verlag. Die Art und Weise, wie der Konflikt Suhrkamp versus Bermann Fischer als Auseinandersetzung zwischen Geistesmensch hier und umtriebigem Geschäftsmann dort geschildert wird, schrammt dabei gelegentlich nur knapp an antisemitischen Klischees vorbei.67 Jedenfalls fungierte die Autorenentscheidung als zentrale Legitimationsformel der Verlagsgründung. Seither begriff sich Suhrkamp als Verlag, der keine Bücher, wohl aber Autoren verlege. So war in Unselds Selbstdarstellung die Beschwörung der Freundschaft zu Autoren ein zentrales Element, wiederum abgesichert durch den Rückverweis auf Peter Suhr­kamp, der, in der Überlieferung durch Siegfried Unseld, bereits in den frühen 1950er Jahren betont hatte, dass der Autor als schöpferische Persönlichkeit „turmhoch“ über dem Verleger und den Lektoren stehe.68 Während des Lektorenaufstands standen die Autoren ­jedenfalls 66 Vgl. dazu den sehr instruktiven Aufsatz von Stefanie Lechner: Die Macht der Tropen. Wie Narrative die Wahrnehmung eines Unternehmens steuern. Das Beispiel der „Suhrkamp-Krise“. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (2006) H. 2, S. 115–137. 67 Vgl. dazu nur Volker Michels: Ohne Hermann Hesse gäbe es keinen Suhrkamp Verlag. Hermann Hesses Weg von Samuel Fischer zu Peter Suhrkamp. In: Regina Bucher (Hrsg.): „Im Dienste der gemeinsamen Sache“ – Hermann Hesse und der Suhrkamp Verlag. Montagnola: Fondazione Hermann Hesse [2005], S. 11–28, v.a. S. 25: „Nachdem Brigitte und Gottfried Bermann Fischer, ‚die auch in der Emigration nicht aufgehört haben zu leben wie Millionäre, im Luxusauto‘ nach Deutschland zurückgekehrt seien, berichtet Hesse in einem Brief vom Juni 1950 an Fritz Bondy, ließen sie sich von Peter Suhrkamp den Verlag, den er 1936 rechtmäßig von ihnen erworben hatte, zurückgeben. […] Als aber Bermann Fischer, nach Meinungsverschiedenheiten über die künftigen Richtlinienkompetenzen, von Suhrkamp verlangte, er solle seinen Verlag bei der Restituierungskammer anmelden, was bedeutet hätte, daß dieser das Unternehmen widerrechtlich an sich gebracht habe, mußte sich Suhrkamp widersetzen. Das hatte zur Folge, daß die Fischer-Erben ihm untersagten, seine eigenen Verlagsräume zu betreten, und ihn aus der Firma zu verdrängen versuchten. ‚Ist es nicht schauerlich‘, schrieb Hesses Frau Ninon damals an ihren jüdischen Freund Jakob Rosenberg, ‚daß JUDEN einer solchen Handlung fähig sind, wie Bermanns? Darf man sich wundern, wenn der Antisemitismus wieder hochkommt?‘“ Die in Anm. 27 genannte Version des Aufsatzes ist um diese Passage entschärft. Eine überzeugendere Skizze dieses Konflikts, die den Kern der Differenzen zwischen Bermann Fischer und Suhrkamp herausarbeitet, gelingt hingegen Michalzik: Unseld, S. 76–80, der die „Unvereinbarkeit zweier Positionen“ (ebd., S. 77) wie folgt beschreibt: „Die Erfahrungen des Exils bedingten eine weltläufige, liberale und marktorientierte Einstellung, dagegen standen die Erlebnisse der inneren Emigration, wo sich der äußere Zusammenbruch mit dem Stolz auf ein im Eigensinn intakt gebliebenes Inneres verband.“ Ebd., S. 77; ähnlich auch Reiner Stach: 100 Jahre S. Fischer Verlag 1886–1986. Kleine Verlagsgeschichte. Frankfurt/M.: S. Fischer 1986, S. 159/160 und Corinne Michaela Müller: Ein bedeutendes Stück Verlagsgeschichte – Die Trennung der Verlage Suhrkamp und S. Fischer im Jahre 1950. Diss. Heidelberg 1989, S. 140–142. 68 Wolfgang Schopf: „… steht als schöpferische Persönlichkeit turmhoch über uns“. Eine Annäherung an Peter Suhrkamp beim Stöbern in seinen Korrespondenzen. In: Forschung Frankfurt 25 (2007) H. 1, S. 20–29.

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„turmhoch“ über den Lektoren. Und es muss als offene Frage gelten, ob diese Selbst­ins­ zenierung nicht sehr dazu geeignet war, bei manchen Mitarbeitern Widerspruch auszulösen. Schließlich: Von den ersten zwei Jahrzehnten des Suhrkamp Verlages zu sprechen, ohne auf Walter Boehlich einzugehen, ist schlicht nicht statthaft. Neben Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld hat fraglos Walter Boehlich als Cheflektor die Entwicklung des Suhrkamp Verlages tiefgreifend mit geprägt. Dass man von einer ‚Suhrkamp Kultur‘ sprechen kann, ist nicht zuletzt auch Boehlichs Verdienst. Begreift man den Wechsel von Peter Suhrkamp zu Siegfried Unseld als Zäsur – wie das hier vorgeschlagen wird – so verkörpert der Lektor Walter Boehlich zudem, allen Änderungen zum Trotz, ein starkes Moment der Kontinuität. Genau dies war offenbar auch Peter Suhrkamps Kalkül – schrieb er Boehlich in einem Brief von Anfang Januar 1958 doch, es sei ihm ein „Herzenswunsch“, „dass Sie sich in der Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit Herrn Dr. Unseld die Entwicklung und die Zukunft des Verlages zu Ihrem eigensten Anliegen und zu einer echten Aufgabe machen könnten“.69 Am 16. September 1921 in Breslau geboren, meldete sich Boehlich nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges freiwillig zur Wehrmacht. Er leistete von Februar 1940 an Kriegsdienst und nahm unter anderem am sogenannten ‚Westfeldzug‘ teil. Da Boehlichs Mutter nach den Nürnberger Rassegesetzen als Jüdin verfolgt wurde, galt er selbst als ‚jüdischer Mischling ersten Grades‘. Im November 1940 wurde Walter Boehlich als ‚wehrunwürdig‘ ausgemustert.70 Obgleich ihm ein reguläres Studium verwehrt blieb und er 1942 auch als Gasthörer relegiert wurde, besuchte er Seminare und Vorlesungen in Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte an der Breslauer Universität – auch dann noch, als er längst zur Zwangsarbeit in einer Hoch- und Tiefbaufirma verpflichtet worden war. Im Februar 1945 aus dem zur Festung erklärten Breslau nach Hamburg gelangt, nahm Boehlich dort nach Kriegsende sein Studium erneut auf, schloss es aber nicht ab. Dessen ungeachtet arbeitete er anschließend von 1947 bis 1951 als Assistent des Romanisten Ernst Robert Curtius in Bonn. Nach Curtius’ Emeritierung ging Boehlich als DAAD-Lektor zunächst nach Aarhus, dann nach Madrid. Im September 1957 trat Boehlich in das Lektorat des Suhrkamp Verlages ein – als neben Siegfried Unseld und Walter Maria Guggenheimer dritter Lektor.71 In den folgenden Jahren prägte Boehlich vor allem die Bibliothek Suhrkamp sowie die sammlung insel. 69 Brief von Peter Suhrkamp an Walter Boehlich, 9. 1. 1958 aus dem Nachlass von Walter Boehlich, der von der Autorenstiftung, Frankfurt/M., verwaltet wird. Ich danke der Autorenstiftung für die Überlassung einer Kopie des Briefes sowie dem Suhrkamp Verlag für die erteilte Zitiergenehmigung. 70 Zu den NS-Rassegesetzen und deren Begrifflichkeiten sowie zum Umgang mit den ‚jüdischen Mischlingen‘ vgl. Beate Meyer: „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945. Hamburg: Dölling und Galitz 1999; Bryan Mark Rigg: Hitlers jüdische Soldaten. 3. Aufl. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2006, v.a. S. 6–210; Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. Aufl. Berlin: de Gruyter 2007. 71 Zu den Stationen von Boehlichs Lebenslauf vor und nach 1945 vgl. Rainer Gerlach: Die Bedeutung des Suhrkamp Verlags für das Werk von Peter Weiss. St. Ingbert: Röhrig 2005, S. 71–73; Friedrich Voit: Der

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Die Protagonisten des Konflikts? Siegfried Unseld und Walter Boehlich Was nun das Verhältnis von Siegfried Unseld und Walter Boehlich anbetrifft, so war dieses nicht erst seit dem Herbst 1968, sondern offenbar von Anbeginn ein schwieriges. Dies wird deutlich, zitiert man den bereits erwähnten Brief Peter Suhrkamps an Walter Boehlich vom 9. Januar 1958 im Wortlaut. Die aufschlussreichen Zeilen lauten: „Zu Ihnen kommt in diesen Tagen auch die Mitteilung von dem Eintritt Dr. Unselds in die Kommanditgesellschaft. Bei dieser Gelegenheit will ich Ihnen doch einen Herzenswunsch von mir mitteilen, der mir gerade in der Distanz dieser Wochen ganz deutlich geworden ist. Ich wünsche mir, dass Sie sich in der Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit Herrn Dr. Unseld die Entwicklung und die Zukunft des Verlages zu Ihrem eigensten Anliegen und zu einer echten Aufgabe machen könnten. Wenn ich Sie beide nebeneinander weiss, weiss ich auch, dass der Verlag lebendig bleiben wird. Das schreibe ich Ihnen nicht leicht hin, denn ich weiss auch um die persönlichen Schwierigkeiten, die für Sie darin liegen. Ich hoffe, wir können den Weg dazu noch weit gehen, mit- und nebeneinander. Im Augenblick kann ich Sie nur bitten, resignieren Sie nicht zu rasch und geben Sie nicht zu bald auf.“72 Dass Walter Boehlich zu rasch resigniert oder zu bald aufgegeben hätte, wird man nicht sagen können. Und dass sich beide, sowohl Walter Boehlich als auch Siegfried Unseld, „die Entwicklung und die Zukunft des Verlages“ je zu ihrem „eigensten Anliegen und zu einer echten Aufgabe“ gemacht haben, kann schlechterdings nicht bestritten werden. Vielleicht hätte es unter steter Moderation von Peter Suhrkamp durchaus die Möglichkeit einer fragilen Balance zum Nutzen des Verlages gegeben. Aber spätestens nach Peter Suhrkamps Tod im März 1959 wuchs nicht mehr zusammen, was so recht nicht zusammenpassen wollte, schon gar nicht in der Rollenverteilung hier Chef, dort leitender Angestellter: Zwei völlig gegensätzliche Charaktere, einerseits der eigenwillige Boehlich, andererseits der vorwärts drängende und Gefolgschaft erwartende Unseld. Aber vor allem anderen unterschied sich das jeweilige Verständnis vom Verlegen mehr als deutlich: Boehlich hatte in Suhrkamp von Anbeginn seinen Verlag gefunden, er stand für eine eher elitäre Verlagskonzeption und war in diesem Punkt sicherlich Peter Suhrkamp wesentlich näher als Siegfried Unseld. Unseld hingegen spielte Ende 1957 wohl durchaus mit dem Gedanken, den Suhrkamp Verlag zu verlassen und auf ein lukratives Angebot des Ullstein Verlages einzugehen.73 Dass Unseld

Verleger Peter Suhrkamp und seine Autoren. Seine Zusammenarbeit mit Hermann Hesse, Rudolf Alexander Schröder, Ernst Penzoldt und Bertolt Brecht. Kronberg/Ts.: Scriptor 1975, S. 87 und 111; Helmut Peitsch, Helen Thein: Walter Boehlich (1921–2006). „Wer nicht las, galt nicht“. In: Ines Sonder u.a. (Hrsg.): „Wie würde ich ohne Bücher leben und arbeiten können?“ Privatbibliotheken jüdischer Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2008, S. 83–112, v.a. S. 83–85. 72 Suhrkamp an Boehlich, 9. 1. 1958 (wie Anm. 69). 73 Hermann Hesse – Peter Suhrkamp: Briefwechsel 1945–1959. Hrsg. von Siegfried Unseld. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1969, Brief 314: Suhrkamp an Hesse vom 1. 1. 1958.

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blieb, war wesentlich der Tatsache geschuldet, dass er mit Wirkung vom 1. Januar 1958 – neben Peter Suhrkamp – zum Komplementär der Suhrkamp Verlags KG bestimmt wurde. Kurz und nicht gut: In der Ägide Unseld ist die Geschichte Boehlichs im Suhrkamp Verlag eine der Marginalisierung, auch wenn Boehlich unter den Lektoren beliebt war. Den kaufmännischen Geschäftsführer Nabbefeld, der 1966 als Branchenfremder zu Suhrkamp gekommen war, lehnte Boehlich hingegen ab.74 Die Zusammenarbeit zwischen beiden blieb durchweg schwierig. Das Verhältnis zwischen Siegfried Unseld und Walter Boehlich war spätestens seit dem Sommer 1967, als sich Boehlich zum Betriebsratsvorsitzenden hatte wählen lassen und damit unkündbar geworden war, nicht mehr nur angespannt, sondern vielmehr arg zerrüttet.75 Zudem: Die politisierten Zeitläufte boten nun beiden genügend Anlässe zu weiterer Eskalation. Unseld echauffierte sich unter anderem über den Kursbogen im Kursbuch 15, Boehlichs Autodafé,76 zumal Boehlich seine Positionen in einem Gespräch mit Unseld offenbar noch verschärft hatte.77 Boehlichs These „Die Kritik ist tot“, „gestorben mit der bürgerlichen Literatur“, las Unseld auch als Infragestellung des Suhrkamp Verlages sowie der dort verlegten Autoren.78 Boehlich hingegen kritisierte, dass Unseld nach der CSSR-Invasion die Teilnahme des Suhrkamp Verlages an der Leipziger Buchmesse abgesagt hatte und wurde im Spiegel mit den Worten, das sei „[e]infach Irrsinn“,79 zitiert. Vor diesem Hintergrund waren Boehlich und Unseld bereits vor der Buchmesse übereingekommen, ihre Arbeitsbeziehung nicht zu beenden, wohl aber auf freiberuflicher Basis von Grund auf neu zu regeln. Ganz mochte Unseld offenbar nicht auf die Kompetenzen seines hochkarätigen Mitarbeiters verzichten und Boehlich fühlte sich dem Verlag nach mehr als zehn Jahren trotz aller Konflikte noch immer sehr verbunden. Vereinbart wurde eine freie Mitarbeit Boehlichs, der bereits ausgearbeitete Vertrag indes vor der Messe nicht mehr unterschrieben. Insofern war Unseld von Boehlichs Teilnahme an der Lektorenrevolte 74 Vgl. Dossier Walter Boehlich. SUA; Michalzik: Unseld (wie Anm. 3), S. 152. 75 Hier folge ich den Ausführungen bei Gerlach: Die Bedeutung des Suhrkamp Verlags (wie Anm. 71), S. 71–79. Auch Michalzik argumentiert ähnlich, vgl. Michalzik: Unseld (wie Anm. 3), S. 152. Anfang 1969 ließ sich Unseld in der „Christ und Welt“ wie folgt zitieren: „Seit zwei Jahren hatte Boehlich mein Vertrauen nicht mehr.“ Ruth Tilliger: Dr. Unselds Kunst, Bomben zu entschärfen. Vom gegenseitigen Lernprozeß bei Suhrkamp/Insel – Gespräch mit einem Verleger. In: Christ und Welt, 10. 1. 1969. 76 Walter Boehlich: Autodafé (Kursbogen). In: Kursbuch (1968) H. 15. Dass Walter Boehlich dort nicht den Tod der Literatur verkündet hat, ist in den vergangenen Jahrzehnten, sehr zu Recht, vielfach betont worden, vgl. bereits Yaak Karsunke: Kurs wohin? In: Der Monat (1969) H. 253, S. 119–124; jetzt Henning Marmulla: Das Kursbuch. Nationale Zeitschrift, internationale Kommunikation, transnationale Öffentlichkeit. In: Martin Klimke, Joachim Scharloth (Hrsg.): 1968. Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung. Stuttgart: Metzler 2007, S. 37–47. 77 Vgl. Dossier Walter Boehlich. SUA. 78 Unseld: Chronik. Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 104. 79 Verlage: Suhrkamp – Revolte der Zehn. In: Der Spiegel Nr. 47, 18. 11. 1968. Zum Konflikt zwischen Boehlich und Unseld um die Teilnahme an der Leipziger Buchmesse 1968 vgl. noch Tilliger: Dr. Unselds Kunst (wie Anm. 75); Siegfried Unseld: Hinter-Hintergründe. Dr. Unseld zu „seiner Kunst, Bomben zu entschärfen“. In: Christ und Welt, 24. 1. 1969; sowie Walter Boehlich: Das Unvereinbare. Walter Boehlich antwortet Siegfried Unseld. In: Christ und Welt, 7. 2. 1969.

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sehr getroffen – er fühlte sich hintergangen. Liest man die Aufzeichnungen und Notizen Unselds aus dem Oktober / November 1968, so gewinnt man den Eindruck, die SuhrkampRevolte sei ganz wesentlich eine Auseinandersetzung zwischen Walter Boehlich und Siegfried Unseld, so häufig wird auf den „Fall Boehlich“ hingewiesen.80 Boehlich selbst empfand das wohl ebenso, bestand jedoch darauf, der Konflikt zwischen Unseld und ihm müsse im Zusammenhang gesehen werden: „Das, was Unseld so gern ‚meinen Fall‘ nennt, war nur ein Teil der Auseinandersetzungen im Verlag. Die Lektoren, alle, hatten Gründe, eine […] Demokratisierung der Entscheidungen […] zu fordern.“81 Dieser Lesart Boehlichs ist einerseits fraglos zuzustimmen. Andererseits ist – möglicherweise auch gegen Boehlich – zu betonen, dass der Konflikt zwischen Verleger und Cheflektor eben ein sehr entscheidender Teil der Auseinandersetzungen im Suhrkamp Verlag war. Auch bei einem genaueren Blick auf den Brief der Lektoren an Unseld vom 27. September erhärtet sich dieser Verdacht, wird dort doch ganz offen die Auseinandersetzung zwischen Unseld und Boehlich erwähnt.82 Schließlich gipfelt der Brief geradezu in der Formulierung: „Wir sehen die Voraussetzung für eine vernünftige Zusammenarbeit sowohl innerhalb der Lektorate wie auch zwischen diesen und der Verlagsleitung darin, daß an der personellen Zusammensetzung der Lektorate gerade jetzt nichts geändert wird. Sie werden Verständnis dafür haben, daß es nicht möglich ist, aus einem wirksam arbeitenden Team ein Glied herauszubrechen, ohne dem Ganzen schweren Schaden zuzufügen“83 – eine kaum verhohlene Kritik an dem Ausscheiden Boehlichs aus dem Angestelltendasein im Suhrkamp Verlag und eine Solidarisierung der Lektoren mit ihrem Cheflektor. So bleibt als Fazit festzuhalten: So wichtig die allgemeine Debatte um die Stellung der Lektoren in den Buchverlagen sowie die Breitenwirkung der 68er-Bewegung zweifelsohne auch waren – für eine angemessene Deutung der Konflikte bei Suhrkamp im Herbst des Jahres 1968 muss ein weiterer Aspekt berücksichtigt werden. Aus einer Perspektive heraus, die sich auch für die unternehmensgeschichtlichen Interna interessiert, erscheint die Suhrkamp-Revolte mindestens ebenso sehr als Abschluss eines lange schwelenden Konfliktes zwischen zwei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, die zugleich für je sehr eigene Konzeptionen des literarischen Verlages standen, wie als Versuch, die literarischen Produktionsverhältnisse zu demokratisieren, um eine Formel der ‚Literaturproduzenten‘ aufzugreifen, denen Boehlich 1968/1969 einige Zeit angehörte. 80 Dossier Walter Boehlich. SUA. 81 Brief Walter Boehlich an Ingeborg Bachmann, Dezember 1968. Nachlass Walter Boehlich. Autorenstiftung, Frankfurt/M. Hier zitiert nach http://tinyurl.com/343p4u2, Abruf 25. 1. 2011. 82 Und zwar gleich im zweiten Absatz des Briefes, wo es heißt: „Dieser Eindruck [dass Unseld die „Tendenz der Verlagsprogramme“ nicht als verbindlich anerkenne, C.K.] wird verstärkt durch die sich mehrenden Kontroversen zwischen Ihnen und einzelnen Lektoren oder der Gesamtheit der Lektorate. In diesem Zusammenhang muss auch die Auseinandersetzung zwischen Ihnen und Walter Boehlich gesehen werden.“ Johnson – Unseld: Briefwechsel (wie Anm. 2), Anhang 3: 1968, Anlage 1: Brief der Lektoren vom 27. 9. 1968, S. 1137/1138. 83 Suhrkamp an Boehlich, 9. 1. 1958 (wie Anm. 69).

VI. Autorschaft

Sitzung der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche am 16. September 1848

Matthias Uecker

Dokumentation oder Aktualisierung einer Revolution? Walter Boehlichs 1848

I „In jeder Epoche muß versucht werden, die Überlieferung von neuem dem Konformismus abzugewinnen, der im Begriff steht, sie zu überwältigen“,1 schrieb Walter Benjamin 1940 in seinen Thesen Über den Begriff der Geschichte. Gegen die Sieger der Geschichte, die zu siegen nicht aufhörten, komme es darauf an, „die Geschichte gegen den Strich zu bürsten“.2 Für eine jüngere Generation von westdeutschen Publizisten und Akademikern, die Benjamins Werk in den 60er Jahren wiederentdeckten und als Orientierungspunkt eigener Arbeiten benutzten, ergab sich daraus die Aufforderung, die vergessenen, gescheiterten und aus der herrschenden Überlieferung ausgeschlossenen Elemente der deutschen Geschichte neu zu entdecken. Das bedeutete auf der einen Seite, die historischen Wurzeln und weiter wirksamen Kontinuitäten des Nationalsozialismus und seiner ideologischen Komponenten publik zu machen, personelle Kontinuitäten über das Ende des NS-Regimes hinaus zu enthüllen und die Berührungspunkte zwischen respektablen bürgerlichen Ideologien und den autoritären, antikommunistischen und rassistischen Aspekten des deutschen Faschismus aufzuzeigen. Zugleich aber ging es darum, die Verlierer dieser Geschichte wieder ins Gedächtnis zu rufen und durch sie eine alternative, ‚fortschrittliche‘ Tradition zu konstruieren sowie jene ‚Wendepunkte‘ zu identifizieren, an denen alternative Entwicklungen möglich gewesen wären.

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Für Hilfe bei der Recherche und Beschaffung von Materialien aus dem Nachlass Walter Boehlichs danke ich Helen Thein-Peitsch.

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Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. In: ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schriften. 2. Aufl. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980, S. 251–261, hier S. 253. Ebd., S. 254.

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Während die akademische Geschichtsschreibung solche Tendenzen vor allem in den neuen Formen der Sozialgeschichtsschreibung aufnahm,3 entwickelte sich eine populäre Publizistik, die im Medium des dokumentarischen Theaters, der historischen Reportage und der Dokument-Sammlung4 solche vergessenen Aspekte der deutschen Geschichte zu rekonstruieren und ins öffentliche Bewußtsein zu bringen versuchte. In diesen Kontext gehören auch Walter Boehlichs publizistische Arbeiten der späten 60er und frühen 70er Jahre: Mit seiner Dokumentation zum Berliner Antisemitismusstreit erinnerte er die Öffentlichkeit an die ‚respektable‘, in der Mitte des arrivierten Bildungsbürgertums angesiedelte Vorgeschichte des nationalsozialistischen Antisemitismus. Sein Dokumentarstück 1848,5 das von einer Vielzahl von Radiofeatures, Rezensionen und anderen publizistischen Arbeiten begleitet wurde, wendet sich dagegen den verdrängten Alternativen in der deutschen Geschichte zu.

II Boehlichs Arbeit zum Themenkomplex der Revolution von 1848 basierte auf detaillierten historischen Recherchen, die sich nur auf wenige fachwissenschaftliche Vorarbeiten stützen konnten. Zwar wies er die Öffentlichkeit regelmäßig auf neue Publikationen zum Thema hin, die parallel zu seinen eigenen Nachforschungen erschienen, doch nur selten war er mit deren Ergebnissen zufrieden.6 Seine eigenen Arbeiten sollten die lückenhafte Forschung ergänzen und die in der westlichen Forschung dominierende Sicht zurecht rücken – eine Auseinandersetzung mit den Arbeiten ostdeutscher Historiker ist nicht zu belegen. Trotz seiner kritischen Haltung tritt Boehlichs Dokumentation ostentativ neutral auf, verzichtet auf Kommentare und Erläuterungen und rückt allein die historischen Dokumente unkommentiert in den Mittelpunkt. Daraus ergeben sich auffällige Konsequenzen. Die als Theaterstück eingerichtete Dokumentation 1848 versammelt ausschließlich thematisch geordnete Auszüge aus den Debatten der Frankfurter Paulskirche, spart aber jegliche

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Vgl. z.B. Carola Stern, Heinrich August Winkler (Hrsg.): Wendepunkte deutscher Geschichte 1848– 1990. Frankfurt/M.: Fischer 1994. Die Erstausgabe erschien 1979. Vgl. z.B. Bernt Engelmann: Einig gegen Recht und Freiheit. Deutsches Anti-Geschichtsbuch. München: Bertelsmann 1975; Hans Magnus Enzensberger u.a. (Hrsg.): Klassenbuch. Ein Lesebuch zu den Klassenkämpfen in Deutschland 1756–1971. Darmstadt, Neuwied: Luchterhand 1972; Rainer Nitsche, Walter Kröber (Hrsg.): Grundbuch zur bürgerlichen Gesellschaft. Darmstadt, Neuwied: Luchterhand 1979. Walter Boehlich: 1848. Dokumentation in neun Szenen. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1991. Vgl. Walter Boehlich: Traum von der deutschen Republik. Frank Eycks materialreiches Buch über die Nationalversammlung 1848. In: Frankfurter Rundschau, 19. 5. 1973; ders.: Der Prosaiker der deutschen Freiheit. Briefwechsel eines aufrechten Demokraten: Johann Jacoby. In: Frankfurter Rundschau, 12. 7.1975; ders.: Die Liberalen – besiegt und blamiert. Manfred Botzenharts Untersuchung der Anfänge des deutschen Parlamentarismus. In: Frankfurter Rundschau, 12. 8. 1978; ders.: Das unbeirrte Gewissen. Weitere Briefe des Demokraten Johann Jacoby. In: Frankfurter Rundschau, 7. 10. 1978.

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Darstellung des sozialen und politischen Kontextes dieser Debatten ebenso aus wie aukto­ riale Erläuterungen oder Kommentare.7 Der Klappentext zur Buchausgabe des Stücks charakterisiert Boehlichs Arbeit als „die Quintessenz aus den Debatten in der Frankfurter Paulskirche“, deren Protokolle aus 16.000 Spalten zu neun Szenen und 135 Seiten Text „komprimiert“ worden seien.8 Ausgangspunkt war der parallel zu den Parlamentsdebatten in neun Bänden publizierte Stenographische Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung, aus dessen Text Boehlich kurze Passagen auswählte und neu zusammenfügte. Statt dem Verlauf der Debatten zu folgen, gruppierte er das Material um neun thematische Schwerpunkte: Gleichheit vor dem Gesetz, Judenfrage, Polenfrage, Boden der Revolution, Amnestie, Todesstrafe, Recht auf Arbeit, Verhaftung, Entwaffnung. Kürzungen, zeitliche Sprünge und Auslassungen sind in der Dokumentation nicht gekennzeichnet, und es fehlen auch Datierungen oder Hinweise auf den außerparlamentarischen Kontext der Debatten. Einzig ein angehängtes Verzeichnis der Abgeordneten sortiert die Redner nach ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen politischen Fraktionen des Parlaments. Boehlichs thematische Auswahl konzentriert sich in besonderem Maße auf den Komplex der Menschenrechte, den Streit um soziale ebenso wie nationale Gleichheit – die Frauenfrage kommt freilich nicht vor – und die Frage der Legitimation und Anerkennung der Revolution selbst. Ausgespart bleiben in der veröffentlichten Version der Szenenfolge die folgenreichen Debatten um den Status von Preußen und Österreich sowie die Entscheidung, dem preußischen König die Kaiserkrone des neuen Staates anzubieten.9 In einem nachträglichen Kommentar erläutert Boehlich die Intention dieser Auswahl: „Nicht die Einheitsfrage, sondern die Gleichheitsfrage ist die entscheidende gewesen; sie ist es noch heute. […] Unsere heutigen Minderheiten sind andere, aber die Frage ist geblieben.“10 Boehlichs Auswahl beginnt dementsprechend mit einer Debatte zur Rolle des Adels, an deren Ende die Nationalversammlung „mit großer Mehrheit“ beschließt: „Alle Deutschen sind gleich vor dem Gesetze“ und „Standesprivilegien finden nicht statt“, zugleich aber die Aufhebung des Adels und die Abschaffung von Hof- und Ordenstiteln ablehnt.11

  7 Vgl. für alternative Dokumente die entsprechenden Abschnitte in Klassenbuch (wie Anm. 4), sowie 1848. Ein Lesebuch. Berlin: LitPol 1979; 1848–1849. Bürgerkrieg in Baden. Chronik einer verlorenen Revolution. Zusammengest. von Wolfgang Dreßen. Berlin: Wagenbach 1975.   8 Boehlich: 1848 (wie Anm. 5), Klappentext, 1. Umschlagspalte.   9 Vgl. dazu aber die drei Radiofeatures aus dem Jahr 1973: Walter Boehlich: Historische Reportagen aus dem Parlament der Paulskirche: Teil 1: Wird Preußen deutsch oder Deutschland preußisch? Teil 2: Natio­ nalitätsprinzip oder Territorialprinzip? Teil 3: Vollziehungsausschuß oder unverantwortliches Oberhaupt? Hessischer Rundfunk, Abendstudio/Feature [Typoskript], 30.6.1973, Nachlass Walter Boehlich, Autorenstiftung, Frankfurt/M., Archivkasten: Rundfunkmanuskripte Originale 1970–1994. 10 ZDF, Walter Boehlich: Das Frankfurter Parlament, undatierte Kopie aus einer Publikation im Walter Boehlich-Nachlass bei der Autorenstiftung, Frankfurt/M. Die Quelle konnte nicht ermittelt werden. 11 Boehlich: 1848 (wie Anm. 5), S. 30. Vgl. Frank Eyck: The Frankfurt Parliament 1848–1849. London u.a.: Macmillan u.a. 1968, S. 222–224.

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Dieser ersten Einschränkung der Gleichheit folgt in Boehlichs Szenenfolge eine Debatte über die „Judenfrage“, in der eine „besondere[…] Gesetzgebung“ für die „eigentümlichen Verhältnisse des israelitischen Volksstammes“ gefordert wird, die von der Annahme ausgeht, daß „die Israeliten […] vermöge ihrer Abstammung […] dem deutschen Volk nicht“ angehören, sondern vielmehr eine „volksverderbliche“ Wirkung ausüben, der „durch weise Maßregeln des Staats und eine weise Gesetzgebung abgeholfen werden“ müsse. „Wir wollen human sein gegen die Israeliten, so human wie immer möglich, aber, meine Herren, unsere erste Pflicht ist gegen das deutsche Volk.“12 Diesem Antrag zum Erlaß von „Ausnah­me­ gesetze[n]“13 wird lebhaft widersprochen und eine überwältigende Mehrheit unterstützt die Auffassung, die „unbedingte Gewissens- und Religionsfreiheit“ müsse geschützt werden.14 Dies ist in Boehlichs Auswahl wohl die einzige grundlegende Entscheidung, die nicht als „‚falsche‘ Mehrheitsentscheidung über ‚richtige‘ Anträge“ zu klassifizieren ist,15 doch sollte zugleich die historische Ironie vermerkt werden, dass der antisemitische Antrag von eben jenem Stuttgarter Moritz Mohl eingebracht wurde, der in der vorangegangenen Szene am konsequentesten für die Aufhebung des Adels und vollständige soziale Gleichheit argumentiert hatte. Die folgende dritte Szene, die längste des Stücks, dokumentiert in Auszügen die Diskussion über die „Polenfrage“16 und demonstriert den Mehrheitswillen, die Rechte nationaler Minderheiten zu Gunsten der ‚deutschen Nation‘ zu beschränken. Erneut stellt Boehlich einen der Linken zugerechneten Redner als Träger rabiater völkischer Vorurteile heraus: der Berliner Schriftsteller Wilhelm Jordan fordert eine Politik, die „gesunden Volksegoismus“ und „die Wohlfahrt und Ehre des Vaterlandes in allen Fragen obenan stellt“ und sich im Notfall auf das „Recht des Stärkeren“ beruft.17 Den Schritt vom machtpolitisch motivierten Nationalismus zum proto-völkischen Rassismus macht Jordan, wenn er zum Ende seiner Rede die deutsche Überlegenheit daraus ableitet, dass „beim Polen der Hang zu den Freuden einer rauschenden Geselligkeit unverhältnismäßig stärker entwickelt ist als die Lust zu mühsamer Arbeit und der Geschmack an einem einfachen Familienleben als bei den Deut­ schen“.18 Gegen solche Auffassungen treten prominent die Abgeordneten Ruge und Blum auf, die die Aufhebung jeder Form nationaler Unterdrückung zur Voraussetzung deutscher Freiheit erklären, für ihre Anträge jedoch keine Mehrheit finden. In kürzerer Form werden Probleme sozialer und politischer Gleichheit schließlich noch in Szenen über das Recht auf Arbeit, die Legitimität der Todesstrafe und eine Amnestie für Revolutionäre verhandelt, wobei ein ums andere Mal konservative, einer realpolitischen Bewahrung der Tradition verpflichtete Positionen die Mehrheit gewinnen. Dabei tritt immer 12 13 14 15 16 17 18

Boehlich: 1848 (wie Anm. 5), S. 31–33. Ebd., S. 35. Ebd., S. 36. Vgl. Eyck (wie Anm. 11), S. 241–245. ZDF, Walter Boehlich: Das Frankfurter Parlament (wie Anm. 10), S. 83. Vgl. Eyck (wie Anm. 11), S. 268–287. Boehlich: 1848 (wie Anm. 5), S. 47/48. Ebd., S. 50.

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deutlicher das neben dem Thema der Gleichheit zweite wesentliche Thema von Boehlichs Dokumentation hervor: der Streit darum, ob das Parlament die Revolution konsequent und radikal vollenden oder mäßigend und ausgleichend zwischen alten und neuen Verhältnissen wirken soll, um so schnell wie möglich Ordnung herzustellen. Während Vertreter der Linken fordern, durch weitgehende Maßnahmen „die neue politische Ordnung stark und kräftig“ zu machen19 und die Revolution konsequent fort­zu­ führen,20 plädiert eine Vielzahl gemäßigter und konservativer Abgeordneter dafür, die „in dem Volke und den Menschengeschlechtern aller Zeiten und Jahrhunderte“ verwurzelten Gefühle und Vorurteile zu schonen.21 Das Parlament habe die Aufgabe, „den Strom der Revolution in die Kanäle der Reform einzuleiten“ und „zur Wiederbegründung eines ordentlichen Rechtszustandes“ beizutragen.22 „Unsere Hauptaufgabe ist es, die Achtung vor dem Gesetze wieder herzustellen.“23 Solche Ordnungsrufe gipfeln schließlich – in der Debatte über ein allgemeines Recht auf Arbeit – in einem Appell zur Selbstbescheidung, der die reale Machtlosigkeit der Versammlung in eine politische Strategie umzumünzen versucht: „seien wir bescheiden, bescheiden wir uns; nehmen wir nicht zu viel hinein in die Verfassung und Grundrechte; erregen wir keine Hoffnungen, die wir nicht erfüllen können“.24 Fast alle Debatten, die Boehlich für seine Dokumentation ausgewählt hat, kreisen um solche Positionen und enden dementsprechend mit Abstimmungen, in denen weiter gehende, radikale Positionen zurück gewiesen werden. Damit stellt die Szenenfolge ein implizites Muster vor, das durch mehrfache Wiederholung erkennbar wird: der Konflikt zwischen konsequent revolutionären, auf eine möglichst universale Befestigung von Menschen- und Freiheitsrechten gerichteten Positionen einer Minderheit und den an der Tradition und den bestehenden sozialen Unterschieden orientierten Vorstellungen der Parlamentsmehrheit. Was Boehlich davon hielt, hat er in einem Kommentar zur Fernsehausstrahlung des Projekts deutlich gemacht: Deutschlands „schwere Erbschaft“ sei bedingt „durch ‚falsche‘ Mehrheitsentscheidungen über ‚richtige‘ Anträge […]. Die auch als Anpassung an bestehende Machtverhältnisse zu verstehende Weigerung der konservativen und liberalen Mehrheit, sich auf den ‚Boden der Revolution‘ zu stellen, hat die ‚historische Verspätung‘ Deutschlands zementiert, seine Entwicklung zum sozialen Rechtsstaat für ein Jahrhundert blockiert.“25 Diese Schlußfolgerung ist jedoch dem Stück selbst nicht eingeschrieben, denn auf auktoriale Kommentare zu den ausgewählten Debattentexten hat der Autor ja ausdrücklich verzichtet. Die Fehlentscheidungen des Parlaments, so scheint Boehlich zu glauben, sind gerade in ­ihrer Regelmäßigkeit so offensichtlich, dass sie keiner Erläuterung bedürfen. Einzig im „Vorspruch“, der die Buchausgabe des Stückes einleitet, deutet er eine Erklärung an: „Die 19 20 21 22 23 24 25

Ebd., S. 12. Ebd., S. 66/67. Ebd., S. 17. Ebd., S. 64/65. Ebd., S. 74. Ebd., S. 112. ZDF, Boehlich: Das Frankfurter Parlament (wie Anm. 10), S. 83/84.

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Zusammensetzung des Frankfurter Parlaments hatte mit der sozialen Gliederung der Bevöl­ kerung nicht das Geringste zu tun.“ Das Parlament sei daher „ein Parlament unter Ausschluß des Volkes und zum Ausschluß des Volkes von der Herrschaft gewesen. Es hat erst die revolutionäre Masse um ihr erkämpftes Recht betrogen, dann die Revolution liquidiert und ist schließlich an seinem eigenen Widerspruch gescheitert.“26 Die Kommentare und Erklärungen, die Boehlichs ‚szenische Dokumentation‘ rigoros ausspart, hat der Autor jedoch an anderen Stellen geliefert. Mehrere Radio-Features, in denen Teile der Paulskirchen-Recherche erneut verwertet und publiziert wurden, kombinieren die Debattentexte mit auktorialen Einleitungs- und Verbindungstexten, in denen der historische Kontext der Parlamentsdebatten zumindest skizziert wird.27 Deutlicher noch wurde Boehlich in einer Reihe von Rezensionen geschichtswissenschaftlicher Arbeiten zur Revolution und zur Verfassungsgebenden Versammlung. Die ausführlichste Darstellung seiner eige­nen Interpretation der gescheiterten Revolution sowie der Motive seiner Rekonstruk­ tionsarbeit findet man jedoch in einem 1971 vom Hessischen Rundfunk gesendeten Radio­ feature, das sich mit Karl Gutzkows zeitgenössischer Reflexion auf die deutschen Verhältnisse auseinandersetzt.28 Boehlich hatte Gutzkows lange vergessene und auch vom Autor selbst verdrängte Auseinandersetzung mit der Revolution 1969 beim Insel Verlag neu herausgebracht und mit einem Nachwort versehen, in dem der historische Kontext des Buches und die widersprüchliche Position seines Autors dargestellt wurden.29 In der Neuverwertung des Materials für das Radiofeature ging Boehlich jedoch einen Schritt weiter und fand deutliche Worte sowohl für die Beurteilung der Revolution und der tonangebenden bürgerlichen Intellektuellen als auch für seine eigenen geschichtspolitischen Motive, die die langjährige Auseinandersetzung mit den Ereignissen von 1848 antrieben. Ein wesentliches Motiv von Boehlichs Publizistik liegt in der Wiederentdeckung von vergessenen und verdrängten, aus der offiziellen Kanonbildung ausgeschlossenen Materialien, die dazu beitragen können, die Überlieferung ‚gegen den Strich zu bürsten‘. So betont er, Gutzkows Buch sei „vollständig in keine der Ausgaben seiner Werke aufgenommen worden und hat weder in der Gutzkow-Forschung noch in der historischen Literatur je eine Rolle gespielt. Aber Interesse verdient es aus vielen Gründen, am Ende wenigstens als ein Zeugnis, das nichts bewirkt, die Probleme des Augenblicks jedoch klar erkannt und einfallsreiche Vorschläge zu ihrer Lösung vorgeschlagen hat.“ Es gehe darum, so Boehlich, am Beispiel Gutzkows und der Revolution von 1848 „zu zeigen, was geschieht, wenn das Erkannte,

26 Boehlich: 1848 (wie Anm. 5), S. 6. 27 Boehlich: Historische Reportagen (wie Anm. 9). 28 Walter Boehlich: Preußische Hegemonie oder demokratischer Verfassungsstaat? Ein Deutschlandplan aus dem Jahre 1848. Hessischer Rundfunk, Abendstudio/Feature [Typoskript], 30. 6. 1971, in Boehlichs Nachlass bei der Autorenstiftung, Frankfurt/M., Archivkasten: Rundfunkmanuskripte Originale 1970– 1994. 29 Karl Gutzkow: Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe. Hrsg. von Walter Boehlich. Frankfurt/M.: Insel 1969 (=sammlung insel; 36).

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das Notwendige auf die lange Bank geschoben wird. Verdrängen führt in Katastrophen, die dadurch nicht erträglicher werden, daß man sie Deutsche Katastrophen nennt.“30 Symptomatisch und von historischer Bedeutung sei vor allem Gutzkows „nahezu vollkommenes Unverständnis für die Notwendigkeit revolutionärer Gewalt, verbunden mit der Vorstellung, die Verhältnisse liessen sich auch auf dem Verhandlungswege verändern.“31 Dagegen zitiert Boehlich zustimmend Bismarcks Diktum, wonach die „grossen Fragen der Zeit […] durch Eisen und Blut entschieden“ würden, und erklärt: „Dieser Satz bleibt richtig, auch wenn wir heute der Meinung sind, daß es besser gewesen wäre, wenn 1848 das Blut der Fürsten geflossen wäre. Es floss nicht, es ist nie geflossen in Deutschland, und der antidemokratische Verlauf der neueren deutschen Geschichte geht gerade darauf zurück.“32 In vollkommener Verkennung der Bedeutung revolutionärer Gewalt habe die Verfassunggebende Versammlung „nur geredet“ und nichts entschieden: „Jeder hat eine andere Lösung, beinahe jeder strickt sein eigenes politisches Muster.“33 Gutzkow selbst „glaubte an die Vernunft der Evolution, an eine Art Demokratisierung von oben.“34 Damit repräsentiert Gutzkow – ohne absichtlich zum Konterrevolutionär zu werden – eben jene grundsätzliche Schwäche der Mehrheit der Frankfurter Parlamentarier, die sich weigerten, Institutionen und Rechtsintrumente zu schaffen, die der Revolution selbst eine Basis gegeben hätten. „Die deutschen Liberalen und unter ihnen vor allem die deutschen Dichter begeisterten sich zwar für die […] Freiheit, aber Preussen handelte“, wie Boehlich in einem weiteren Radiofeature zur ‚Polenfrage‘ schrieb.35 Selbst weitsichtige Kritik musste „auf dem Papier“ und damit wirkungslos bleiben, wenn sie sich nicht mit realer Macht ausstatten konnte. „Mit einer Broschüre war keine Politik zu machen, nachdem schon die Revolution fehlgeschlagen war. Keiner von Gutzkows Vorschlägen ist verwirklicht worden, aber viele seiner Voraussagen sind eingetreten.“36 In dieser, in politischer Naivität begründeten Untätigkeit der Liberalen sieht Boehlich das eigentliche Verhängnis der neueren deutschen Geschichte: „Das Scheitern der demokratischen Einigungsbewegung hat den Weg freigelassen für Bismarcks Bonapartismus, hat das politische Vakuum geschaffen, dem wir zwei Weltkriege und die territoriale Verzwergung, schliesslich den Auseinanderfall Deutschlands in zwei verschiedene Staaten verdanken.“37 Allerdings habe Gutzkow – im Unterschied zu den moderaten Liberalen – die kompensato30 31 32 33 34 35

Boehlich: Preußische Hegemonie (wie Anm. 28), S. 3. Ebd., S. 5. Ebd., S. 6. Rechtschreibung wie im Originaltyposkript. Ebd., S. 7. Ebd., S. 10. Walter Boehlich: Die Polenfrage in den deutschen Parlamenten. Debatten aus der Paulskirche und der Weimarer Nationalversammlung, Hessischer Rundfunk, Abendstudio/Feature [Typoskript], 3. 4. 1973, S. 4, in Boehlichs Nachlass bei der Autorenstiftung, Frankfurt/M., Archivkasten: Rundfunkmanuskripte Originale 1970–1994. 36 Boehlich: Preußische Hegemonie (wie Anm. 28), S. 32 u. 39. 37 Ebd., S. 10.

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rische Funktion des aggressiven Nationalismus erkannt: „Den Grund für die nach aussen gerichtete Grossmannssucht sah er in dem fatalen Mangel an erkämpfter Freiheit.“38 Daraus wird im Umkehrschluss die Feststellung, dass allein innere Freiheit, auf revolutionärem Wege erkämpft, die Grundlage für ein gleichberechtigtes Zusammenleben in Europa darstellen könne. Solche Positionen werden allerdings nur in den Radiofeatures deutlich artikuliert – dem Theaterstück sind sie allenfalls indirekt zu entnehmen. Dennoch beansprucht Boehlich für seinen Text, und das heißt: für die in ihm dokumentierten historischen Parlamentsdebatten, eine „frappierende Aktualität“: „Schon damals ging es um Themen, die noch heute zu den zentralen der politischen Auseinandersetzung zählen“, heißt es im Klappentext zur Buchausgabe.39 Diese Aktualität ist aus dem Abstand von mehr als dreißig Jahren zunächst nur genauer zu bestimmen, wenn man Boehlichs Arbeit in den Kontext einer progressiven Geschichtsschreibung und -politik stellt, die seit Mitte der 60er Jahre in der Bundesrepublik entwickelt wurde. Kennzeichnend für eine zeitweise dominante Strömung war die Vorstellung von einem deutschen ‚Sonderweg‘, der durch mangelnde demokratische Kultur, fehlgeschlagene oder unvollendete Revolutionen und aggressiven, nationalistisch unterfütterten Expansionismus gekennzeichnet sei.40 Die mindestens bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichenden Wurzeln dieser Politik seien auch nach 1945 nicht durchtrennt worden – vielmehr sah man in der nur zögerlich und gegen massive politische und kulturelle Blockaden begonnenen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit den längst nicht abgeschlossenen Versuch, die verhängnisvollen Kontinuitäten dieses ‚Sonderwegs‘ endlich abzuschneiden.41 Boehlichs Auswahl der Debatten zur Juden- und Polenfrage ist sicherlich durch diesen Kontext motiviert, während die 1848 ähnlich bedeutsame Debatte über den Status Schleswig-Holsteins offenbar als weniger geeignet für eine Aktualisierung erschien. Die ‚polnische Frage‘ war darüber hinaus natürlich zu Beginn der 70er Jahre Gegenstand besonders heftiger politischer Auseinandersetzungen, in denen vor allem CDU und CSU die neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition und die faktische Anerkennung der neuen Grenzen bekämpften. Ausdrücklich stellt Boehlich den Zusammenhang in seinem Radio-Feature zu Gutzkow her, wenn er sarkastisch anmerkt: „Das ist das alte Lied, das auch heute noch gesungen wird. Die liberalen Kräfte wünschen Aussöhnung und Verständigung, Erkennen und Anerkennen der Lage, und in Bayern sitzt einer, der den Mund voll nimmt und sagt, er halte es für eine Verkümmerung des politischen Denkens, wenn man sage, die deutschen Interessen würden in Washington, London und Paris definiert.“42 38 Ebd., S. 13. 39 Boehlich: 1848 (wie Anm. 5), Klappentext. 40 Zur Kritik der Sonderwegskonzeption vgl. David Blackbourn, Geoff Eley: Mythen deutscher Geschichtsschreibung. Die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1848. Frankfurt/M. u.a.: Ullstein 1980. 41 Vgl. z.B. Peter Brückner: Versuch, uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären. Berlin: Wagenbach 1978. 42 Boehlich: Preußische Hegemonie (wie Anm. 28), S. 15. Zur Kontinuität der deutsch-polnischen Beziehungen vgl. auch Boehlichs Radiofeature Die Polenfrage (wie Anm. 35).

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Schwerer zu beurteilen ist die Relevanz der Revolutionsfrage in Boehlichs Stück. Wir haben bereits gesehen, dass der Streit um Revolution und Reform, Umsturz und Ordnung, Neubeginn und Tradition sich wie ein roter Faden durch die von Boehlich ausgewählten Debattenbeiträge zieht. Der von gemäßigt-liberalen bis zu konservativen Positionen reichenden Mehrheit, die die Revolution beenden wollte, bevor sie vollendet war, wirft Boehlich vor, in naiver Verkennung der realen Machtverhältnisse zu handeln oder konservative Machtpolitik zur Erhaltung ungerechter Verhältnisse zu betreiben und damit die Grundlage für ein Jahrhundert autoritär-aggressiver preußischer Dominanz gelegt zu haben. Diese Sicht ordnet sich ein in die Auffassung eines deutschen ‚Sonderwegs‘, der von gescheiterten und unvollendeten Revolutionen charakterisiert sei. Doch welche Aktualität besaß die Frage der Revolution im Jahr 1973? Die unausweichliche Notwendigkeit einer Revolution hatten radikale Intellektuelle und Studenten in den Jahren 1967 und 1968 behauptet – darunter der Suhrkamp-Autor und Kursbuch-Herausgeber Hans Magnus Enzensberger, der 1967 erklärte, nach 1848 und 1918 hätten die Westdeutschen erneut eine Revolution versäumt: „Statt das einzige zu machen, was es hätte retten können, die Revolution, entschloß das westliche Deutschland sich im Jahre 1945, zu konvertieren. Moralische Wandlung statt politischer Umwälzung, Umkehr statt Umsturz, Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse von oben statt ihrer Revolutionierung von unten, Bewältigung der Vergangenheit statt Klassenkampf um die Zukunft. Wiederaufbau des Alten als Realität, Neubeginn als Rhe­ torik.“43 Enzensbergers Rhetorik kreiste zumindest implizit um die Annahme, es könne wegen der Zuspitzung der gesellschaftlichen Konflikte unter der Großen Koalition und im Kontext weltweiter Revolten noch einmal eine revolutionäre Situation, die Chance zum Umsturz, auftreten. Im Jahr 1973 jedoch war an solche Konstellationen im Ernst nicht mehr zu denken, die Alternative Revolution oder Reform war durch Willy Brandts Regierung eindeutig im Sinne vorsichtiger Reformen entschieden worden – und diese Reformpolitik wurde nicht nur erbittert von den Konservativen bekämpft, sondern sie stützte sich selbst auch auf die Bekämpfung und Verfolgung einer radikalen, aber hoffnungslos zersplitterten Opposition, die die Idee der Revolution nicht aufgeben wollte und zum Teil mit gewaltsamen Mitteln zu realisieren versuchte. Anknüpfungspunkte für eine aktualisierende Rezeption könnte insbesondere die fünfte Szene über die Amnestierung inhaftierter Revolutionäre geboten haben, die in Verbindung mit der Behandlung gefangener RAF-Terroristen gebracht werden kann. Daneben wäre es instruktiv, die revolutionäre Rhetorik der späten sechziger und frühen siebziger Jahre mit den Reden der Frankfurter Radikalen, vor allem Arnold Ruges und Robert Blums, zu konfrontieren oder nach zeitgenössischen Parallelen zu den Ordnungsprojekten der Mehrheit von 1848 zu suchen – und für das Publikum der 1973 geplanten Aufführung mögen solche 43 Vgl. Hans-Magnus Enzensberger: Palaver. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974, S. 10; zum Kontext Klaus Briegleb: 1968. Literatur in der antiautoritären Bewegung. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993, bes. S. 227– 229.

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Vergleiche nahe gelegen haben. Allerdings ist durchaus nicht ausgemacht, zu welchem Ergebnis es gekommen wäre, zumal Boehlich ja im Text des Stückes selbst auf Kommentare oder Interpretationshilfen verzichtete. Damit öffnete Boehlich seinen Text potentiell für Interpretationen, die von seiner eigenen Geschichtskonzeption abweichen, selbst wenn die dramaturgische Anordnung der Debattenthemen und Abstimmungsergebnisse gewisse Wahrnehmungsmuster prägen konnten. Neben dem durchaus ambivalenten Aktualisierungspotential des Stückes kann man ein weiteres Problem in Boehlichs Festhalten an einer klaren Spaltung und Unterscheidung von Rechts und Links ausmachen. Doch die Klarheit, die in seinen Kommentaren herrscht, wird von Boehlichs eigener Textauswahl nicht durchwegs bestätigt. Wir hatten bereits gesehen, dass beispielsweise der zum linken Spektrum zählende Abgeordnete Mohl sowohl für eine vollständige Aufhebung des Adels eintrat als auch für die Ausgrenzung und Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. Auch der in der Posendebatte besonders rabiat und völkischnationalistisch argumentierende Schriftsteller Wilhelm Jordan wurde dem linken Flügel zugerechnet. Boehlich selbst bemerkte in einem Kommentar, dass es in der Paulskirche noch „keine Fraktionsdisziplin“ gegeben habe, so dass die Abgeordneten ihre „Thesen und Antithesen in freiester Rede“ entwickeln konnten.44 Diese Freiheit ging jedoch einher mit manchen ideologischen Verwirrungen und Grenzverschiebungen, die eine auf feste Lagerbildungen orientierte Interpretation problematisch machen.

III Wie wir wissen, ist es zu der ursprünglich geplanten Aufführung im Rahmen der Frankfurter Jubiläumsfeiern zum 125sten Jahrestag der Revolution nicht gekommen.45 Die Gründe für die Absetzung von Boehlichs Stück scheinen allerdings nicht in erster Linie in dessen politischer Radikalität gelegen zu haben. Vielmehr deuten einige Indizien darauf hin, dass die Form der ‚reinen‘ Dokumentation und die mit ihr verbundene Offenheit das größte Hindernis für die Aufführung darstellte. Den Glauben an die Aussagekraft unkommentierter Dokumente teilte Boehlich mit einem Großteil der dokumentarischen Literatur der sechziger und siebziger Jahre. Allerdings bevorzugten solche ‚reinen‘ Dokumentationen das Buchformat. Im Theater bemühte man sich in der Regel doch um eine Aufbereitung von Dokumenten, die entweder auffällige theatralische Formen und Inszenierungsmittel oder einfache dramatische Erzählzusammenhänge konstruierte, um die Materialien auf dem Theater interessant zu machen.46 Boehlich plädiert statt dessen für einen dokumentarischen Purismus im Theater, das sich ganz auf den 44 ZDF, Walter Boehlich: Die Paulskirche (wie Anm. 10), S. 84. 45 Vgl. ausführlich zur Planung und Durchführung der Frankfurter Gedenk-Ereignisse Claudia Klemm: Erinnert – umstritten – gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur. Göttingen: V&R unipress 2007, S. 519–542. 46 Vgl. Klaus Harro Hilzinger: Die Dramaturgie des dokumentarischen Theaters. Tübingen: Niemeyer 1976; Brian Barton: Das Dokumentartheater. Stuttgart: Metzler 1987.

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von ihm edierten Text konzentrieren und ohne jedes „szenische[s] Beiwerk“ auskommen soll. „Die Handlung ist statisch und monologisch, sie bleibt rigoros auf […] das Pult der Redner“ konzentriert.47 Die Organisatoren der Frankfurter Gedenkveranstaltungen waren jedoch besorgt, dass eine solche Konzeption nicht ausreichen würde, um das Publikum von der Aktualität der Revolution, geschweige der Parlamentsdebatten, zu überzeugen.48 Günther Rühle machte sich zum Sprachrohr solcher Einwände, als er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung forderte, das „historische Material“, das Boehlich gesammelt hatte, müsse in angemessener ­dramaturgischer Bearbeitung erst „erkennbar“ gemacht werden. Um Zuschauerinteresse zu wecken und zu binden, benötige das Stück eine „Theatralisierung“, die den Debatten Emotionen hinzufüge und zugleich die aktuelle Bedeutung der weithin vergessenen historischen Ereignisse verständlich mache.49 Die von Teilen des Vorbereitungskomitees favorisierte Verbindung von populärem Spektakel und stark didaktisierten Vermittlungsformen, mit d ­ enen die historischen Ereignisse „verlebendigt“ werden sollten,50 geriet allerdings in Konflikt mit der beschränkten finanziellen Ausstattung der Gedenkfeiern, die dazu führte, dass die ehrgeizi­ geren oder anspruchsvolleren Elemente des ursprünglich geplanten Programms schon im Vorfeld aufgegeben wurden. Auch Boehlichs Theaterprojekt fiel diesem Sparzwang zum Opfer, weil das Frankfurter Theater nur begrenzte zusätzliche Mittel erhielt, um die Inszenierung vorzubereiten, sich aber auch weigerte, sie als Bestandteil seines regulären Spiel- und Probenplans zu behandeln. Das Abonnementspublikum könne nicht in die Paulskirche umgeleitet werden, habe aber Anspruch auf reguläre Aufführungen. So wurden Ensemble-Mitglieder aufgefordert, Boehlichs Projekt als freiwillige, unbezahlte Zusatzleistung zu realisieren, und Intendant Palitzsch überließ die Leitung einem wenig erfahrenen Dramaturgen. Die kaum koordinierte Probenarbeit versandete rasch, und im April 1973 gaben Theater und Kulturdezernat bekannt, dass man das Projekt aufgegeben habe.51 Die pessimistische Einschätzung des Publikumsinteresses wurde im Nachhinein wohl von der Aufnahme der tatsächlich durchgeführten Veranstaltungen bestätigt. Claudia Klemm jedenfalls kommt in ihrer Studie der Gedenkveranstaltungen des Jahres 1973 zu dem Schluß, dass die Veranstaltungen nur auf geringes Interesse stießen und die weiter gelten­de Relevanz und Aktualität der Revolution nicht habe vermittelt werden können.52 Zugleich zeigt die Haltung der Frankfurter Theaterleitung aber, dass man Boehlichs unkommentierter Präsentation von Verfassungsdebatten und dem Verzicht auf spektakuläre 47 ZDF, Der Regisseur zur Inszenierung (wie Anm. 10). 48 Vgl. Klemm (wie Anm. 45), S. 521. 49 Günther Rühle: Gedächtnis-Schwierigkeiten. Pläne den 125. Jahrestag des Paulskirchenparlaments zu feiern. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. 1. 1973. 50 Klemm (wie Anm. 45), S. 520–522. 51 Rühle (wie Anm. 49); Uwe Schultz: Paulskirche vom Programm gestrichen. Walter Boehlichs „1848“ wird nicht in Frankfurt aufgeführt. In: Süddeutsche Zeitung, 12. 4. 1973. 52 Klemm (wie Anm. 45), S. 525.

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Theatralisierungen oder explizite Aktualisierungen keine politisch-dramatische Wirkung zutraute. Die für den Autor selbst offensichtliche Relevanz des Materials wurde von den für die Realisierung des Projekts Verantwortlichen nicht gesehen. Umgesetzt wurde Boehlichs Projekt erst mehrere Jahre später vom ZDF. Das Fernsehen war mit der puristischen Ästhetik des Stücks offenbar leichter einverstanden als das Theater und sendete eine Boehlichs Konzeption realisierende Inszenierung am 20. März 1980.53 Zu einer Live-Aufführung am ursprünglich vorgesehen Ort, in der Frankfurter Paulskirche, kam es erst 1998, doch scheinen sowohl die eingeschränkten theatralischen Mittel als auch die eher implizit als explizit artikulierten Aktualisierungsabsichten des Textes seine Wirkung beschränkt zu haben. Die Rezensentin der Frankfurter Rundschau jedenfalls mokierte sich über den mangelnden schauspielerischen Einsatz des Frankfurter Ensembles und befand, dass die vorgetragenen Debatten dem Publikum zwar bekannt vorkamen, nicht aber relevant.54 Die Gedenkveranstaltungen von 1998 produzierten auch noch einen letzten Anlass für Boehlich selbst, sich zur Revolution und ihrer Erinnerung zu äußern. Nach zwanzigjähriger Unterbrechung kam der Autor noch einmal auf sein altes Thema zurück, um eine Frankfurter Ausstellung zu rezensieren. Während er den „hervorragenden Katalog“ pries, warf er den Ausstellungsmachern vor, mit den Ausstellungsgegenständen auch die Geschichte selbst „so blank geputzt“ zu haben, „als wäre sie nie benutzt worden.“ Statt die Forderungen und Fehler der Revolution zu aktualisieren oder zumindest ins Bewußtsein des Publikums zu bringen, habe man durch geballte „Opulenz“ der versammelten Objekte die revolutionären Ereignisse „in kleine Idyllen verwandelt“. Vor allem die Weigerung der Verfassungsgebenden Versammlung, sich selbst als revolutionäre Institution zu verstehen, werde durch die Ausstellung noch einmal wiederholt und bekräftigt, nicht aber als das historisch symptomatische und in den folgenden 150 Jahren mehrfach wiederholte Versagen des deutschen Bürgertums gegenüber der Freiheit kenntlich gemacht.55

53 Auskunft von Dr. Karlheinz Braun, Verlag der Autoren, Frankfurt/M., vom 20. 12. 2009. 54 Judith von Sternburg: Geisteszustände. Schauspieler lesen Boehlichs „1848“ in der Paulskirche. In: Frankfurter Rundschau, 25. 5. 1998. 55 Walter Boehlich: Wie man das Volk aus der Geschichte entfernt. „Aufbruch zur Freiheit“, Ausstellung zum 150jährigen Jubiläum der Revolution von 1848/49. In: Frankfurter Rundschau, 26. 5. 1998.

Walter Boehlich, 1977 © Isolde Ohlbaum

Stefan Goldmann

„Hm…“ Auch eine Begegnung mit Walter Boehlich

Am 7. Dezember 1995 hörte ich in Frankfurt am Main einen Vortrag des großen Romanisten und Freud-Preisträgers Harald Weinrich über „Die Kunst des Gedächtnisses und die Kunst des Vergessens“. Bei dem anschließenden Empfang im Zentrum für die Erforschung der Frühen Neuzeit wurde ich auf Walter Boehlich aufmerksam, der sich inmitten einer Gruppe angeregt unterhielt. Als er sich aus dieser Gesprächsrunde löste und mit einem ­leeren Weinglas in der Hand an das Buffet herantrat, gesellte ich mich zu ihm und stellte mich mit Namen und dem erinnerungswirksamen Hinweis vor, dass ich seine Edition der Jugendbriefe von Sigmund Freud an Eduard Silberstein (1989)1 seinerzeit in der Psyche (1991)2 rezensiert hatte. Nachdem er mich verhältnismäßig lange gemustert und wiederholt an seiner Pfeife gesogen hatte, sagte er „Hm…“ und wandte sich ab, um mit dem inzwischen gefüllten Glas sich wieder in den vertrauten Gesprächskreis zurückzuziehen. Das war meine Begegnung mit Walter Boehlich. Bis zur Stunde bin ich noch immer hin- und hergerissen, ob eine solche Situation lieber in aller Stille vergessen werden sollte oder ob man sich ihrer mit Schmunzeln erinnern darf. Ohne ein Wort zu sagen, las mir der sprachmächtige und stilsichere Kritiker den Text. Überrascht und sprachlos ließ er mich zurück und bedeutete mir mit einer unmissverständlichen Geste, wie sehr ihn meine Rezension gekränkt haben muss. Tatsächlich hatte ich ihm darin Unkenntnis der relevanten Forschungsliteratur zu Freuds Biographie vorgehalten und einen Mangel an philologischer Kritik und Hermeneutik nachgewiesen. Ich hatte also geschrieben, was andere einen Verriss nennen. Nichtsdestotrotz wusste ich Boehlichs Übersetzungskunst, die ihn als Bearbeiter der Briefedition allgemein empfohlen hatte, zu rühmen. Es war ihm nämlich glänzend gelungen, jene Briefe und Briefpassagen, die Freud in einem zum Teil ungelenken und improvisierenden Spanisch verfasst hatte, das er und sein Freund Eduard Silberstein im Selbststu1 2

Sigmund Freud: Jugendbriefe an Eduard Silberstein 1871–1881. Hrsg. v. Walter Boehlich. Frankfurt/M.: Fischer 1989. Stefan Goldmann (Rez.): Freud, Sigmund: Jugendbriefe an Eduard Silberstein 1871–1881. In: Psyche 45 (1991) H. 8, S. 713–718.

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dium erlernt hatten, dem bekannten deutschen Stil Freuds kongenial anzuschmiegen, so dass deutsche Leser leicht verleitet sind, Boehlichs Übersetzung für das ,authentische‘ Original zu halten. Nun war Boehlichs ablehnende Geste von einer Interjektion begleitet. Dieses eingeworfene „Hm…“ lässt, je nach Modulation und Dynamik, eine Fülle von Deutungen zu. Als Einwurf und Zwischenruf steht diese Interjektion zwischen Körper- und Wortsprache, sie ist sozusagen ein diakritisches Zeichen, das die Körpergestik nuanciert. Nicht ein Wort entfloh Boehlichs Lippen. Seine einzige Äußerung war ein im Nasenbereich gebildeter und mit dem Atem ausgestoßener Ton. Bildet man dieses „Hm…“ bewusst nach und spielt verschiedene Betonungen und Längen durch, dann gewinnt man den Eindruck, als wäre Boehlichs Interjektion der Ausdruck einer affektiven Abwehr. Wer allerdings mit Kenntnis der von mir nachgereichten Vorgeschichte die geschilderte Begegnung gelassen betrachtet, für den ist der Fall ziemlich klar: da ist ein junger Literaturwissenschaftler, der einem älteren angesehenen Publizisten und Briefeditor einige mehr oder weniger gravierende Fehler nachweist, wie das in der literaturwissenschaftlichen Zunft alle Tage geschieht. Mit einer kritischen Rezension möchte sich der junge Mann profilieren, und wenn er wiederholt scharfe Kritiken verfasst, dann hat er offenbar ein Problem, d.h. hinter all seinen Spiegelfechtereien steht unangefochten eine mächtige Vaterimago. Wenn ich versuchsweise diesen von vielen geteilten Gesichtspunkt einmal einnehme, dann muss ich bekennen: Walter Boehlich und mein Vater sind des gleichen Jahrgangs und haben beide in Breslau studiert. Breslau, die Heimatstadt Boehlichs, ist für mich, um das mindeste zu sagen, ein bedeutender, von Familiengeschichte umstellter und aufgeladener Erinnerungsort. Unerwartet auf diese ,Parallelbiographien‘ aufmerksam geworden, begann der Fall mich ernsthaft zu interessieren, als mir einige Jahre später bekannt wurde, dass Walter Boehlich in den fünfziger Jahren ein scharfzüngiger und gestrenger Kritiker germanistischer Fachliteratur gewesen war. Musterbeispiele hierfür finden sich zwischen 1944–1956 in fast jedem Jahrgang der Zeitschrift für deutsche Philologie (ZfdPh). In einer umfangreichen, durchaus originellen Rezension besprach er beispielsweise 1956 alle nach dem Krieg publizierten Bücher des Germanisten Walther Rehm, dem er „unzureichende Quellenkenntnis“ nachweist und vorwirft, „Grundtatsachen der Forschung nicht kennengelernt“3 zu haben. Ähnlich lautet seine Kritik an Paul Böckmanns Formgeschichte der deutschen Dichtung (1949),4 Hans Mayers Georg Büchner und seine Zeit (1946)5 und Fritz Strichs Goethe und die Weltliteratur

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Walter Boehlich (Rez.): Walther Rehm: Experimentum Medietatis – Kierkegaard und der Verführer – Orpheus. Der Dichter und die Toten – Götterstille und Göttertrauer. In: ZfdPh 75 (1956), S. 204–213. „Auf Schritt und Tritt wird der Leser den gröbsten Missverständnissen begegnen, gepaart mit einer schwer zu überbietenden Vernachlässigung der Fachliteratur.“ Walter Boehlich (Rez.): Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung I. In: ZfdPh 71 (1951/52) H. 3/4, S. 385–399, hier S. 397. „Was Mayers Buch beeinträchtigt, ist auch ungenügende Kenntnis der Forschung.“ Walter Boehlich (Rez.): Karl Viëtor: Georg Büchner. In: ZfdPh 73 (1954) H. 2, S. 228/229, hier S. 228.

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(1946).6 Die erste Rezension von Boehlich, die ich zu Gesicht bekam, betraf Walther Rehms Edition der Briefe von Johann Joachim Winckelmann (1952). Seine vernichtende Kritik schon im Vorfeld rechtfertigend, bemerkt er einleitend, dass „Rehm, der so harte Worte gegen Justi“, den großen Winckelmann-Forscher, gefunden hatte, wohl „sich selbst nicht weniger streng beurteilt wissen“7 wollte. Ausgestattet mit dieser Lizenz, weist er dem Editor wie vorher schon dem Literarhistoriker Walther Rehm einen „Mangel an Gründlichkeit und Scharf­sinn“8 nach. Zum Beweis fügt er seiner Rezension eine zehnseitige Liste all jener Druck-, Lese- und Verständnisfehler an,9 die er in Rehms Winckelmann-Ausgabe gefundenen hatte. Offenbar ging Walter Boehlich mit einer Reihe von Germanisten hart ins Gericht. Inzwischen wissen wir, dass sein Vater Ernst Boehlich ein in Schlesien bekannter, von Max Koch in Breslau promovierter Germanist und Bibliograph der schlesischen Volkskunde war.10 Mit dem Sprachwissenschaftler Wolfgang Jungandreas und Will-Erich Peuckert, dem späteren Herausgeber der Zeitschrift für deutsche Philologie, arbeitete er in Breslau eng zusammen.11 Ich vermute, dass zwischen den kritisierten Germanisten und Boehlichs Vater mehr Parallelen aufzufinden sein werden, als zwischen Boehlich und meinem Vater. Wer Walter Boehlichs Entwicklung zum fachwissenschaftlichen Kritiker untersuchen will, wird erst das Netzwerk und die Fraktionsbildungen innerhalb des Breslauer germanistischen Seminars,12 insbesondere die Stellung seines Vaters und seines Lehrers Paul Merker, des damaligen Herausgebers der Zeitschrift für deutsche Philologie, rekonstruieren müssen, bevor er die Wirkung von Ernst Robert Curtius, des großen Quellenforschers und leidenschaftlichen Kritikers auf dessen zeitweiligen Bonner Assistenten in den Blick nimmt. Was mich bei der Lektüre von Boehlichs Rezensionen am meisten frappierte, war die Parallelität in Tonfall und Argumentation gegenüber meiner Rezension. Sprach er gegenüber Rehm von einem „Mangel an Gründlichkeit und Scharfsinn“,13 so dass „vieles miss­ deutet“14 sei, so lautete mein Verdikt: dürftige „exegetische Durchdringung des Briefkorpus“ und Mangel „an Grundbegriffen philologischer Kritik ebenso wie an einschlägigen Kennt  6 „Überhaupt, nicht nur die Fakten sind vernachlässigt, sondern auch die Interpretation.“ Walter Boehlich (Rez.): Meinung und Gegenmeinung. Fritz Strich: Goethe und die Weltliteratur. In: ZfdPh 71 (1951/52) H. 1, S. 94–96, hier S. 96.   7 Walter Boehlich (Rez.): J. J. Winckelmann: Briefe. Hrsg. von Walther Rehm. I. Bd. 1742–1759. In: ZfdPh 75 (1956) H. 4, S. 426–438, hier S. 426.  8 Ebd.   9 Ebd., S. 428–438. 10 Ernst Boehlich: Goethes Propyläen. Inaugural-Dissertation. Stuttgart: J. B. Metzler 1914; Bausteine. Festschrift zum 70. Geburtstage von Max Koch. Hrsg. v. Ernst Boehlich u. Hans Heckel. Breslau: Preuß & Jünger 1926; Bibliographie der Schlesischen Volkskunde. Hrsg. v. Ernst Boehlich. Breslau: Priebatsch 1929. 11 Das älteste schlesische Walenbuch. Hrsg. u. untersucht von E. Boehlich, W. Jungandreas, W.-E. Peuckert. Mit einem Nachwort von F. Ranke. Breslau: Maruschke & Berendt 1938. 12 Wojciech Kunicki: Germanistik in Breslau 1918–1945. Dresden: Thelem 2002. 13 Boehlich (Rez.): J. J. Winckelmann (wie Anm. 7), S. 426. 14 Ebd., S. 427.

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nissen der historiographischen Literatur zu Freud“.15 Als Boehlich Rehms Briefausgabe rezensierte, stand er im selben Lebensalter wie ich, als ich Boehlichs Briefedition besprach. Mit anderen Worten: So wie Boehlich ältere Kollegen behandelt hatte, wurde er nun im ­Alter von mir behandelt, d.h.: auch der Kritiker, der vernichtende Urteile fällt, untersteht dem alten, unwandelbaren ius talionis, dem Gesetz der Vergeltung. Und damit rücken wir plötzlich der Deutung der Interjektion, des „Hm…“, um einen entscheidenden Schritt näher: Boehlichs langgezogenes „Hm…“, wie ich es deutlich erinnere, war keine affektive Abwehr, zumindest nicht in erster Linie, sondern vielmehr ein Augenblick der Wiedererinnerung, der Anamnesis, wie sie der Altersweisheit ansteht. Der ,Mangel an Gründlichkeit‘ und ,unzureichende Quellenkenntnis‘, von denen hier wiederholt die Rede war, sind Topoi, feststehende Gesichtspunkte editionsphilologischer bzw. fachwissenschaftlicher Kritik. Einer älteren Generation wird vorgeworfen, dass sie sich ,lässig‘ verhalte, über keine exakte Quellenkenntnis mehr verfüge und sich von den Gründen entfernt habe. Offenkundig ist dies ein generationsbedingter Vorwurf. Jede neue Generation muss sich die Wege ad fontes selbständig bahnen, muss zu den Gründen herabsteigen und die Orte der Quellen kennen, aus denen geschöpft wird und an denen die erinnernden Musen lagern. Die Auffindung der Quellen leistet eine Topik, die sich in Kritik verwandelt, sobald diese Quellen beurteilt werden sollen. Denn des Kritikers Aufgabe ist es, Quellen, d.h. Zeugen aufzuspüren, zu zitieren, ins Verhör zu nehmen und zu beurteilen. Nur in dieser immer wieder neu zu leistenden topischen Quellenerschliessung und kritischen Quellenkenntnis wird Kultur tradiert. Deshalb ist strenge Kritik eine conditio sine qua non zur Ausbildung kultureller Traditionen. Während ich, einen möglichen Schluss dieses Vortrags vor Augen, noch über die hinfällige Unterscheidung von ,fruchtbarer‘ und ,unfruchtbarer‘ Kritik nachsann, wurde mir wenige Tage vor unserem Symposion die spanische Ausgabe16 von Freuds Briefen an Eduard Silberstein in die Hände gespielt, von der ich bislang weder etwas gehört noch gesehen hatte. Zu meiner großen Überraschung habe ich hier all das korrigiert und verwirklicht gefunden, was ich einst in meiner Rezension moniert und vorgeschlagen hatte: falsch zugeschriebene Briefe sind nun ihrem richtigen Urheber zugeordnet, manch eine Überlegung von Boehlich ist zurechtgerückt, und selbst die Briefe von Emil Fluss, eines weiteren Jugendfreundes von Freud, die inhaltlich und zeitlich mit denjenigen an Eduard Silberstein korrelieren, sind mit aufgenommen. Kurzum: die von Angela Ackermann Pilári besorgte spani­ sche Ausgabe ist gegenüber der deutschen eine sozusagen zweite verbesserte und erweiterte Auflage, die es durchaus verdient, auch in Deutschland rezipiert zu werden. Natürlich kannte Walter Boehlich zum Zeitpunkt unserer Begegnung diese Ausgabe, zu der er eigene Ver­ besserungen selbst beigesteuert hatte. Aus diesem neu erschlossenen Kontext heraus wächst Boehlichs Interjektion eine weitere Bedeutung zu, von der ich mir zu Beginn der Nieder15 Goldmann (Rez.): Freud (wie Anm. 2), S. 715. 16 Sigmund Freud: Cartas de Juventud con correspondencia en español inédita. Edición de la versión española a cargo de Angela Ackermann Pilári. Barcelona: Gedisa 1992.

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schrift dieser Erinnerungsarbeit nichts hätte träumen lassen: das langgezogene, bedächtige „Hm…“, mit dem sich Boehlich von mir abgewandt hatte, um in seine Gesprächsrunde wieder zurückzukehren, war nicht nur von affektiver Abwehr und selbstreflexiver Erinnerung geprägt, sondern auch von einer stark retardierten – leisen Zustimmung. Ist diese konstruierte Überdeterminierung jener rätselhaften Interjektion gegründet, dann war unser zufälliges Zusammentreffen vor vierzehn Jahren in der Tat eine vielsagende und zutiefst menschliche Begegnung.

Buchcover eines der vier Bücher, die Walter Boehlich von Herman Bang übersetzte

Peter Urban

Der Übersetzer Walter Boehlich

Zu den festen, unumstößlichen Überzeugungen des Kritikers Walter Boehlich, der bekanntlich selbst ein herausragender Übersetzer war, gehörte, dass alle Klassiker der Weltliteratur, sofern nicht deutscher Herkunft, aber auch alle Texte der klassischen Moderne neu übersetzt werden müssten. Er hat diese Auffassung nicht nur in zahlreichen Rezensionen dargelegt, sondern – als leidenschaftlicher Philologe – bereits in zwei frühen und grundlegenden Aufsätzen mit Nachdruck begründet: 1955 in seiner Besprechung der neuen Proustausgabe,1 und zwei Jahre zuvor in seinem fulminanten Verriss der bisherigen deutschen KierkegaardÜbersetzungen.2 Die Folgen der Proustbesprechung sind bekannt: Peter Suhrkamp, der Proustverleger, zog den Kritiker aus dem Verkehr, indem er ihn als Lektor in seinem Verlag anstellte. Die Kierkegaard-Kritik hingegen, blieb, abgesehen von Boehlichs schmaler Auswahl aus Kierkegaards Briefen,3 in Deutschland lange folgenlos: entgegen den Maßstäben, die Boehlich in diesen Kritiken gefordert hatte (philologische Treue, historische Kenntnisse, Kenntnis nicht nur der fremden, sondern auch der eigenen Sprache und ihrer Entwicklung), blieb für deutschsprachige Übersetzer noch jahrzehntelang als oberstes Prinzip: die Eingemeindung des fremden Texts in ein ‚allgemein verständliches‘, flüssig (glatt) lesbares Idiom, in das sogenannte ‚gute Deutsch‘, gleichgültig, ob dieses Deutsch mit dem Text des Originals noch irgend etwas zu tun hatte oder nicht. Nach diesem deutsch-nationalen Verfahren sind uns sämtliche klassischen Texte der russischen Literatur präsentiert worden, im Vers wie in Prosa, bis tief ins 20. Jahrhundert hinein, angefangen mit den ersten deutschen Gedichten unter dem Namen Aleksandr

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Walter Boehlich: Marcel Proust in Frankreich, Deutschland und anderswo. In: Merkur 9 (1955) H. 2, S. 173–190. Walter Boehlich: Kierkegaard als Verführer. In: Merkur 7 (1953) H. 11, S. 1075–1088. Søren Kierkegaard: Briefe. Ausgewählt, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Walter Boehlich. Köln, Olten: Hegner 1955. Nachaufl. Frankfurt/M.: Insel 1983 (Taschenbuch).

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Puškins (um 1840)4 und den als ‚Nachdichtungen‘ gar nicht einmal gekennzeichneten Verballhornungen durch Friedrich Bodenstedt –5 frühen Höhepunkten unfreiwilliger Komik im Bereich deutschsprachiger ‚Übersetzungskunst‘, und beileibe nicht den letzten. Eine Ausnahme von dieser Praxis der Vereinnahmung durch den deutschen Zeitgeist bilden die – wenigen – Prosaübersetzungen Karl August Varnhagens von Ense.6 Varnhagen war, nach seinem schönen Überblicksaufsatz Werke von Alexander Puschkin, 1838 in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik,7 der eigenen Aufforderung gefolgt und hatte, um Puškin im Original lesen zu können, Russisch gelernt. Und er hat, mithilfe russischer Freunde, die zeitweilig in Berlin lebten, zwei Prosastücke jüngerer russischer Dichter selbst ins Deutsche übertragen – die Eingangserzählung Bela aus Lermontovs Roman Ein Held unserer Zeit8 und die Briefnovelle Die Sylphide des Fürsten Vladimir Odoevskij.9 Beide Arbeiten sind im Deutschen mustergültig und zugleich – wirkliche Übersetzungen. Sie sind, verglichen mit der sonstigen zeitgenössischen und späteren deutschen Übersetzungsliteratur aus dem Russischen, einzigartig und hätten auch vor Walter Boehlichs kritischem Blick bestehen können; einer Neuübersetzung, die es gleichwohl gibt,10 hätten sie durchaus nicht bedurft, allenfalls einer behutsamen Redaktion in Fragen des Vokabulars. Der Vergleich beider Odoevskij-Versionen ist in mancher Hinsicht lehrreich, verweist er doch unmittelbar auch auf das Risiko, das jeder Übersetzer eingeht (eingehen muss), der sich, aus heutiger Perspektive, den heutigen Sprachgebrauch im Blick, einem Text aus historischer Zeit zu nähern versucht. Varnhagens Sylphide orientiert sich streng, oft bis in die Wortfolge hinein, am Satz des Originals; sie enthält zudem etwas, das heutige Übersetzer erst mühsam herstellen oder zumindest andeuten können müssten: das Kolorit, die ‚Patina‘, den deutschen Sprachstand der Entstehungszeit des Originals. Und da ist dann doch die   4 Aleksandr Puškin: Alexander Puschkin’s Dichtungen. A.d. Russischen übersetzt von Dr. Robert Lippert. 2 Bde. Leipzig: Wilhelm Engelmann 1840.   5 Aleksandr Puškin: Eugen Onägin. Dt. von Friedrich Bodenstedt. Berlin: Decker 1854. Nachaufl. in: Russische Dichter. Alexander Puschkin. 2 Bde. Berlin: Decker 1866. Bodenstedt, Friedrich von, 1819– 1892, Angehöriger des Münchner Dichterkreises um Paul Heyse, „hat lediglich als Uebersetzer von Puschkin und Lermontow einige Bedeutung. Sein ‚Mirza Schaffy‘ aber bleibt höchstens als Dokument für die Urteils= und Geschmacklosigkeit des deutschen Philisters, den alles Fremde entzückt“, so Karl Bleibtreu, in: Geschichte der Deutschen National=Literatur von Goethes Tod bis zur Gegenwart. Berlin: Herlet 1912, Bd. 1, S. 116.   6 Ausführlich hierzu: Gerhard Ziegengeist: Varnhagen von Ense als Vermittler russischer Literatur im Vormärz. In: Zeitschrift für Slawistik 29–36 (1984–1991).   7 Karl August Varnhagen von Ense: Werke von Alexander Puschkin. In: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 2 (1838), Nr. 61–64, S. 461–512.   8 Michail Lermontov: Bela. Nach Michael Lermontoff, von Varnhagen von Ense. In: Der Freihafen. Galerie von Unterhaltungsbildern aus den Kreisen der Literatur, Gesellschaft und Wissenschaft 4 (1841), S. 45–85.   9 Vladimir Fedoroviˇc Odoevskij: Die Sylphide. In: Der Freihafen. Galerie von Unterhaltungsbildern aus den Kreisen der Literatur, Gesellschaft und Wissenschaft 2 (1839) H. 1, S. 74–109. 10 Wladimir Odojewski: Das Gespenst und andere Spukgeschichten. Berlin, Weimar: Aufbau 1974, S. 58– 93. Die Sylphide übersetzt von Werner Creutziger.

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Frage: ist der (neue) „verstorbene Onkel“ wirklich ‚richtiger‘ als Varnhagens „seliger Oheim“, ist der sperrige „Gemüsegarten“ besser als der ohne weiteres verständliche „Küchengarten“?11 Ist die Mitteilung „Ich befinde mich“ korrekter, wo das Original nur ein schlichtes „Ich bin“ verlangt? Varnhagen bleibt dem Satz Odoevskijs (in der Wortstellung) bei weitem näher, wenn er sagt: „Ich schreibe dir im weiten Großvaterstuhl sitzend, am Fenster“ – mit dem nachgestellten „Fenster“ folgt er, auch rhythmisch schöner, der Logik des Erzählvorgangs, der unmittelbar und direkt fortfährt mit der Beschreibung des Blicks aus diesem Fenster, und dieser Blick fällt natürlich auf „den“ Küchen-, nicht auf „einen“ Gemüsegarten (der Blick ist dem Betrachter längst, vielleicht schon bis zum Überdruss vertraut);12 die nachfolgend aufgezählten Beobachtungen bilden einen Gedankenzusammenhang, in Odoevskijs Text nur durch Semikola voneinander getrennt – die Neuübersetzung zerhackt dieses Gefüge (besser lesbar? besser ‚verständlich‘?) in einzelne, scheinbar zufällig aneinandergereihte Aussagesätze – eine Unsitte, wie sie bis heute unter Übersetzern gang und gäbe ist. Varnhagen und Walter Boehlich verbindet übersetzenderweise außer ihrem Sprachvermögen ihr Ernst, altmodisch gesagt ihr übersetzerisches Ethos, und ihr Respekt vor dem Wort des zu übersetzenden Originals. Auch Boehlich hat als Übersetzer ein eher schmales, dafür aber hochkarätiges und vielschichtiges œuvre hinterlassen.13 Boehlich übersetzte die verschiedensten Genres: Essai, Brief, Drama, Tagebuch, vor allem aber Prosa; nur um das gereimte Gedicht hat er einen Bogen geschlagen, obwohl er auch mit dem schlichten Liedton, wie etwa in Herman Bangs Weißem Haus,14 in dem viel gesungen wird, scheinbar problemlos zurandekam.15 Boehlich übersetzte aus den verschiedensten Epochen, von Lope16 bis zu Valle-Inclán,17 von Steen Steensen Blicher18 bis zu Marguerite Duras,19 seine Sprachen waren vor allem das Dänische und Norwegische,20 das Spanische und zuletzt, für viele überraschend, das Englische, und, dieser Blick in die Zukunft sei gestattet: Virginia Woolfs Mrs 11 Textbeispiele wie Anm. 9 und 10, S. 74 bzw. 58. Das benannte Stück Land heißt in der bäuerlichen Sprache meiner Umgebung auch „Grabgarten“ oder schlicht „Grabland“. 12 Das Russische kennt keine Artikel; der Übersetzer muss also den Umständen entsprechend, von Fall zu Fall sich entscheiden zwischen bestimmtem und/oder unbestimmtem Artikel. 13 Vgl. dazu die Boehlich-Bibliographie im Anhang dieses Bandes. 14 Herman Bang: Das weiße Haus. Das graue Haus. Zürich: Manesse 1958. Zwanzig Jahre später wurde diese Übersetzung in der Bibliothek Suhrkamp wieder veröffentlicht. 15 Ausnahmen sind die Lieder von Victor Jara: Victor Jara. Sein Leben seine Lieder. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1976. 16 Lope de Vega Carpio: Die Irren von Valencia. Schauspiel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1967. 17 Ramon del Valle-Inclán: Blutbund. Schattenspiel. In: Spiele in einem Akt. 35 exemplarische Stücke. Hrsg. von Walter Höllerer. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1961, S. 275–284. 18 Steen Steensen Blicher: Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters. Berlin: Friedenauer Presse 1993. 19 Vgl. u.a. Marguerite Duras: Der Nachmittag des Herrn Andesmas. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1963; dies.: Zerstören, sagt sie. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1969. 20 Vgl. Hjalmar Söderberg: Gertrud. Aus dem Schwedischen übersetzt und herausgegeben von Walter Boeh­lich. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1981 (=  Theaterbibliothek; 15); ders.: Abendstern. Frank­ furt/M.: Verlag der Autoren 1980 (Bühnenmanuskript).

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Dalloway21 wird so bald keinen Neuübersetzer beschäftigen müssen, und schönere, richtigere, mit solch sprachlichem Feingefühl und Spürsinn gearbeitete deutsche KierkegaardBriefe werden wir auf absehbare Zeit ebenfalls nicht zu lesen bekommen. Überblickt man Boehlichs übersetzerisches Werk, so fällt als erstes auf: keine seiner Übersetzungen klingt wie die andere. Jede hat ihre eigene, dem Original angemessene Sprachlage, ihr zeitliches Kolorit, ihre eigene Form und Farbe. Dies entspricht der einmal gesprächsweise geäußerten Forderung, die Boehlich an sich selbst stellt: „Man darf sich nicht selbst ähnlich werden als Übersetzer. Wenn ich einen Übersetzer habe, der in einem Jahr einen Text aus dem 20. Jahrhundert und im nächsten einen Prosatext aus dem 15. Jahrhundert übersetzt und ich stoße auf dieselbe Sprache darin, dann sag ich mir, der kann es nicht.“22 Und wer der irrigen Meinung nachhängt, die Unterschiedlichkeit der Boehlichschen Übersetzungen sei durch das übersetzte Original vorgegeben, sozusagen vorgeschrieben, der versteht nichts von der Sache und weiß nicht, wie in der Vergangenheit übersetzt wurde: Le­ gion ist die Zahl der Übersetzer, die den fremden Text über den Kamm ihres vermeintlich guten deutschen Geschmacks geschoren, sie irgendwie ‚eingedeutscht‘ und verfälscht haben, ohne sich auch nur im geringsten um stilistische und andere Unterschiede zu kümmern, im Wortsinn: ohne Rücksicht auf Verluste. In meinem Bereich, den ich etwas genauer beurteilen kann und der jahrzehntelang die unumstrittene Domäne der Baltendeutschen war, ist dies reihenweise geschehen, und zu recht nennt Vladimir Nabokov manche Findung im Bodenstedtschen Evgenij Onegin eine „unbelievable German translation“,23 wobei er den Begriff translation höhnisch noch in Anführungszeichen setzt. Aber auch Flaubert ist, wie ich mir von Walter Boehlich habe sagen lassen, jahrzehntelang ins Deutsche gebracht worden, so dass „von seiner Sprache nichts übriggeblieben ist“.24 Dagegen sind Boehlichs eigene Übersetzungen in sich ruhende, in sich geschlossene Sprachkunstwerke der deutschen Literatur, in denen die ästhetische Individualität des übersetzten Autors sorgsam, nahezu eifersüchtig gewahrt bleibt, anderseits auch darauf geachtet wird, dem Autor, der einem fremden Kulturkreis entstammt, einen Teil seiner Fremdheit zu belassen. Boehlich, der den Begriff des ‚Eindeutschens‘ ablehnte und mit guten Gründen für den falschen Ansatz hielt, sagte einmal mit einem seiner Kernsätze, für die man ihn einfach lieben muss: „Ich bin der Meinung, daß ein übersetzter Text, der nicht ein Element von 21 Virginia Woolf: Mrs Dalloway. Frankfurt/M.: Fischer 1997. 22 Übersetzen und Übertragen. Über kulturelle Vermittlungsprozesse. Eine Diskussion, zusammengestellt und kommentiert von Peter Laemmle, mit Verena Reichel, Walter Boehlich, Hanno Helbling, Antonio Pellegrino und Klaus Reichert. Bayerischer Rundfunk, 16. 2. 1994, [Sendemanuskript], S. 33. Im Nachlass von Walter Boehlich. 23 Vladimir Nabokov: Eugene Onegin. Vol. II: Commentary & Index. [New York]: Bollinger Foundation 1964. Dt. ders.: Kommentar zu Eugen Onegin. Aus dem Englischen von Sabine Baumann. Frankfurt/M.: Stroemfeld 2009, S. 385. Nabokovs Bemerkung bezieht sich auf Bodenstedts Verspaar: „Doch ihr Likör, wie schlechter Rum, Steigt mir zu Kopfe, macht mich dumm.“ Nabokov: „Ein seltener Fall, wo ein Übersetzer sich nicht nur einen Likör ausdenkt [für: Preiselbeerlimonade, -fruchtwasser], sondern davon in derselben Weise affiziert wird wie der fiktive Sprecher.“ 24 Übersetzen und Übertragen (wie Anm. 22), S. 12.

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Fremdheit transportiert und zwar genau die Fremdheit der Sprache, aus der übersetzt wird, wer die nicht transportiert, der kann sein Gewerbe aufgeben.“25 Vom Deutschen, als deutsche Sprachkunstwerke vermag ich Boehlichs Übersetzungen einigermaßen einzuschätzen, nicht indes vom Grad ihrer Übereinstimmung mit den Originaltexten und zitiere deshalb hier zwei auch von Walter Boehlich hochgeschätzte Kollegen. Hanns Grössel, renommierter Übersetzer aus dem Dänischen und lange Zeit gefragter Kritiker, schrieb in der Süddeutschen Zeitung 1993 zu Boehlichs Blicher-Übersetzung der Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters: „Wie sich beim vergleichenden Lesen zeigt, ist Walter Boehlichs Neuübersetzung den früheren in vielem ähnlich, in entscheidenden Nuancen aber überlegen. Morten Vinge wächst in einer Zeit heran, wo Bildung das Privileg der herrschenden Schicht ist. Ein gut Teil seiner Sozialisation und seines bescheidenen Aufstiegs verdankt er dem Studium der Bibel, später des Französischen. ‚Französisch‘, so notiert er am 2. Oktober 1709, ‚ist doch nichts anderes als verderbtes Latein.‘ Das ‚galt Latin‘ des dänischen Originals übersetzt Schwede mit ‚schlechtes‘, Rona mit ‚verdorbenes‘. Boehlich trifft mit ‚verderbtes‘ die genaue, auch philologisch richtige Schattierung.“26 In einem liebevollen Portrait schildert Helmut Frielinghaus seinen letzten Besuch bei Boehlich in der Freiherr-von-Stein-Straße, wo ein weiterer für Boehlich charakteristischer Kernsatz fiel, von dem Frielinghaus auf die Virginia Woolf-Übersetzung kommt: „Ich rühmte die Übersetzung von Curtius [von Eliots The Waste Land], die ich nach dem New Yorker Theater-Ereignis wiedergelesen hatte. Boehlich war offensichtlich ganz anderer Meinung. Als ich ihn fragte, kam wieder das berühmte Schulterzucken und damit zugleich dieses kurze, halb klagende, halb resignierte, aber entschiedene ‚Ach!‘: ‚Ach!, er hat nichts riskiert.‘ Er meinte, das ist klar, mir jedenfalls erscheint es ganz klar und sehr wichtig, dieses Risiko, das Übersetzer immer wieder eingehen: müssen, wenn sie dicht am Original und zugleich fest in der lebendigen deutschen Sprache bleiben wollen. (Und das viele niemals eingehen.) Was entstehen kann, wenn einer es ernst meint und wirklich etwas riskiert, sieht man sehr deutlich an Boehlichs Übersetzung der Mrs Dalloway. Boehlichs Sätze haben noch da, wo sie sich von der alten Übersetzung kaum, eben nur durch zwei, drei bewusst gesetzte Wörter unterscheiden, diese Frische, die Boehlich immer beim Sprechen und Schreiben entfaltete. Alles klingt ‚wie neu‘. Außerdem verrät seine Übersetzung ein ganz außergewöhnliches Einfühlungsvermögen in die erzählende Hauptgestalt und in die Absichten, die Virginia Woolf mit diesem Buch verbindet – auch dieser hohe Grad der sich in Sprache ausdrückenden Identifikation des Übersetzers ist ein Risiko. Und: Boehlich hat ja immer viel, alles riskiert – an der Universität, als Publizist, als Lektor bei Suhrkamp, in Gesprächen, vor allem in Streitgesprächen. Mein Fazit, dem Ihren ganz ähnlich, wäre – ich habe den heutigen Morgen damit verbracht, viele Seiten der beiden Übersetzungen zu vergleichen, und was ich (wieder) sah, wiedersah, hat mich regelrecht entzückt –, dass Boehlichs Übersetzung große 25 Ebd., S. 13/14. 26 Hanns Grössel: Welt, wie bist Du falsch. Steen Steensen Blichers bekannteste Novelle, neu übersetzt von Walter Boehlich. In: Süddeutsche Zeitung, 13. 11. 1993.

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sprachliche Schönheit mit äußerster Genauigkeit und Nähe zum Original verbindet: eine ideale Übersetzung – für mich.“27 Boehlich, der diese Risiken mit jedem übersetzten Text eingegangen ist und trotzdem die These aufgestellt hat, Übersetzen sei unmöglich, hat die Frage, warum man es dennoch immer wieder versuche, ehrlich, wenn auch mit einem Bild beantwortet, dessen understatement einigermaßen kokett anmuten mag. Er sagte: „Es gibt Leute, die handeln nach der Maxime: schneller, besser, höher, und nach ein paar Jahren sind sie Krüppel. Übersetzen, das versucht man halt: mal sehen ob es geht, bis dahin oder bis dahin vielleicht kommt man den Hang runter, auf jeden Fall kommt man den Hang heil runter und man wird nicht zum Krüppel dabei, sondern, wenn man Glück hat, vielleicht etwas intelligenter.“28 Die Tricks, wie man den ‚Hang heil runterkommt‘, hat uns Walter Boehlich nie verraten, allenfalls hat er, um im Bild zu bleiben, die Spur beschrieben, die einer der anspruchsvollsten Hänge: Blichers Bruchstücke, an die Fähigkeiten des Abfahrers stellt: die „sich allmählich ändernde Sprache des Tagebuches […] von der Übertreibung des Latein-Zitierens über die übertriebene Manier der französischen Brocken bis zum Übermaß der biblischen Anspielungen. Man wird aber bemerken, dass der Eindruck des mutwillig Aufgepfropften, das zur jugendlichen Lernfreude gehört, im Laufe der Erzählung abnimmt bis hin zu einem Zustand beinahe vollkommener Einheit zwischen der Sprache des Tagebuchschreibers und der Sprache der Bibel“.29 Damit sind zwar sprachliche Fixpunkte benannt, an denen der Übersetzer Orientierung finden konnte, nicht erklärt aber ist die Stelle, wo Boehlich in einem genialen Griff die bäuerliche Herkunft des Morten Vinge durchscheinen, ja geradezu hervorbrechen lässt in dem Ausruf „Du falsches Mensch“,30 gerichtet gegen die angebetete, aber unerreichbare Sophie, von der er sich verraten sieht: Boehlich nutzt hier das Dänische, wo ‚der Mensch‘ ein Neutrum ist, und erreicht damit im ‚kultivierten‘ Duktus des Tagebuchs plötzlich eine alttestamentarische Archaik, wie sie noch heute in bäuerlicher Rede im Deutschen anzutreffen ist. Walter Boehlich hat uns keine geschlossene, in sich kohärente Übersetzungstheorie hinterlassen. Überliefert sind aber einige in Thesenform formulierte Grundsätze, die für ihn in der Praxis Leitlinien waren. Das Manuskript dieser – bis heute unveröffentlichten – Thesen hat Boehlich mir im Winter 1994 überlassen mit der Auflage, sie nie und nirgends zu verwenden. Ich habe diesem Verbot, das mir unverständlich war, das eine oder andere Mal zuwidergehandelt und zitiere sie hier im Wortlaut vollständig, denn für mich gehören diese Thesen zum Intelligentesten, was nach 1945 zum Übersetzen geäußert worden ist. Sie lauten: „Der Stil der Übersetzung muss der Stil des Originals und nicht der Stil des Übersetzers sein. 27 28 29 30

Brief von Helmut Frielinghaus an den Autor vom 13. 6. 2009. Übersetzen und Übertragen (wie Anm. 22), S. 35. Walter Boehlich: Nachwort. In: Blicher: Bruchstücke (wie Anm. 18), S. 81–95, hier S. 93/94. Blicher: Bruchstücke (wie Anm. 18), S. 48.

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Das Vokabular der Übersetzung muss den Sprachzustand des Originals widerspiegeln, aber nicht imitieren (Dld ab 1750). Der Übersetzer darf nicht verschönern und soll nicht modernisieren. Dialekte können nicht durch Dialekte wiedergegeben werden. Der Bildungsgrad des Übersetzers muss dem Bildungsgrad des Autors, den er übersetzt, entsprechen. Was der Übersetzer nicht verstanden hat, darf er nicht übersetzen. Jede Übersetzung kann nur Bruchstücke des semantischen Reichtums des Originals retten. Die Übersetzung ist im besten Fall ein vom Original grundsätzlich unterschiedener eigener Text. Übersetzen ist unmöglich. Der Kritiker soll keine Bücher rezensieren, deren Original er nicht kennt. Der Kritiker soll nicht nur das eine Werk des Autors kennen, das er gerade rezensiert, und er soll den Gesamtzusammenhang der Literatur kennen, aus der es übersetzt ist. Seine Kritik soll erkennen lassen, dass er Original und Übersetzung verglichen hat. Der Kritiker soll nicht auf Fehler aufmerksam machen, wo sie bloss fällig sind, er muss aber auf Fehler aufmerksam machen, wo sie konstitutionell sind. Der Kritiker soll das Original besser verstehen als der Übersetzer es verstanden hat.“31 Die fünf Maximen zur Übersetzungskritik – gleichsam als komplementärer Disziplin zum Übersetzen selbst – hatte Boehlich schon 1953 zusammengefasst: „Wenn das Rezensionswesen so heruntergekommen ist wie im Augenblick, läßt sich eine kleine Digression gelegentlich nicht vermeiden. Über einen Roman kann jeder schreiben, was er mag. Es gibt da keine objektiven Maße der Kompetenz. Aber wenn ein Übersetzungswerk als Übersetzungswerk beurteilt werden soll, muß man von dem Kritiker verlangen, daß er die Sprache, aus der übersetzt worden ist, auch beherrsche und daß er sich, sofern er sie beherrscht, der großen Mühe unterziehe, gewissenhaft Original und Übertragung zu vergleichen […]. Niemand wird zum Rezensieren gezwungen. Aber wer rezensiert, soll sachverständig sein.“32 So weit Boehlich 1953. Boehlichs Thesen zum Übersetzen selbst richten sich nicht an die, wie ich sie nenne, ‚naiven‘ Übersetzer, die auf Seite 20 schon vergessen haben, wie sie den identischen Begriff auf Seite 2 transferiert haben und deshalb zu einem beliebigen Synonym greifen. Die Thesen sparen Einzelaspekte des Handwerks aus, als da z.B. wären: der Umgang mit Zitaten, Gebrauch von Fremdwörtern, rhythmische Probleme, sprechende Namen oder der Sonderfall Dialog. Boehlichs Thesen zielen grundsätzlich auf den Kern des Problems, das sich jedem Übersetzer, gleich aus welcher Sprache er übersetzt, immer wieder und im gleichen Maße stellt. 31 Undatiertes, unpaginiertes Manuskript ohne Titel. Eine Abschrift der Thesen findet sich auch in Boehlichs Nachlass. 32 Boehlich: Kierkegaard als Verführer (wie Anm. 2), S. 1080/1081.

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Sie sind Extrakt einer langjährigen Erfahrung, Summe und Quintessenz eines langen Lebens mit Literatur – als Kritiker, als Übersetzer und Verlagslektor (in Boehlichs Ressort fielen seinerzeit Autoren wie Proust und Beckett). Erläuterungen, deren die Thesen bedürfen, finden sich in Boehlichs literaturkritischen Arbeiten, könnten wir sie denn gesammelt nachlesen, in seinen brillanten Vor- und Nachwörtern, seinen Kommentaren sowie in seinen Briefen. Verifizieren können wir sie am jeweiligen Einzelfall des von ihm übersetzten Werks. Formuliert hat Boehlich diese Thesen als Grundlage für ein Gespräch, das im Februar 1994 im Literaturhaus Hamburg stattfand. Gesprächsteilnehmer waren, außer ihm: Verena Reichel, verdiente Übersetzerin aus den skandinavischen Sprachen, Hanno Helbling, langjähriger Feuilletonchef der NZZ und Übersetzer vor allem italienischer Lyrik, und, als Moderator, der Anglist Klaus Reichert, Übersetzer und Herausgeber der Frankfurter Joyce-Ausgabe sowie der Werkausgabe Virginia Woolfs bei S. Fischer. Der Bayerische Rundfunk hat dieses Gespräch aufgezeichnet und am 16. Februar 1994 über BR 2 gesendet, eine Abschrift des Bandmitschnitts fand sich in Walter Boehlichs Nachlass, und sollte jemand auf die Idee kommen, Boehlichs Thesen in toto zu publizieren, sollte er auch dieses Gesprächsprotokoll bedenken: Es erhellt auf lebendige Weise vieles, was dem Leser der Thesen pur dunkel bleiben mag – ein Dokument, das Boehlichs Thesen anhand von Beispielen illustriert und das darüber hinaus Boehlichs Sprechweise in ihrer Frische und unnachahmlichen Lebendigkeit festhält.33 These 1: „Der Stil der Übersetzung muss der Stil des Originals und nicht der Stil des Übersetzers sein.“34 Dieser Satz benennt, sollte man meinen, eine Selbstverständlichkeit, die aber keine ist: im Deutschen ist gegen diesen Grundsatz jahrhundertelang verstoßen worden. Am Beispiel des Pastors Christoph Schrempf und dessen vorgeblicher Übersetzung, in der gleichwohl alle deutschen Philosophen Kierkegaard gelesen und rezipiert haben, resümiert Boehlich 1953 im Merkur: „Fast alle Stileigentümlichkeiten Kierkegaards hat er beseitigt, er hat umgestellt, abgewandelt, ausgelassen, zugefügt, Anspielungen ausgemerzt, Bilder durch ganz andere ersetzt, verfälscht, verfälscht, verfälscht.“35 Und Pastor Schrempf, der sich anmaßte, „als nachgeborene[r] Übersetzer“ „Kierkegaard zu seinem Recht gegen Kierke­ gaard [zu] verhelfen“,36 ist keineswegs ein Einzelfall: zu Dutzenden könnte ich russische Dichter nennen, die auf gleiche Weise, mit derselben unerträglichen Überheblichkeit geschändet worden sind, z.B. Aleksandr Puškin, um von Friedrich Bodenstedt zu schweigen, durch seinen ‚Übersetzer‘ Hirschmann Brandeis, der 1840 die Geschichte des Pugatschew’schen Aufruhrs37 herausbrachte und die 150 Seiten Anmerkungen des Autors, akribische Anmerkungen, durch seine eigenen ersetzte, mit denen er Puškin zu korrigieren versuchte: Anm. 24 zu einem wörtlichen Zitat Pugacˇevs: „Die Äußerung scheint Puschkin, der Dichter, dem 33 Übersetzen und Übertragen (wie Anm. 22). 34 Manuskript (wie Anm. 31). 35 Boehlich: Kierkegaard als Verführer (wie Anm. 2), S. 1078. 36 Ebd. 37 Alexander Puschkin: Geschichte des Pugatschew’schen Aufruhrs. Aus dem Russischen des Alexander Puschkin von H. Brandeis. Stuttgart: Cast 1840.

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ungebildeten Pugatschew in den Mund gelegt zu haben.“38 Generationen hindurch haben sich ‚Übersetzer‘ ‚ihre‘ Autoren so, nach eigenem Verständnis, das oft ein Missverstehen war, nach eigenem Gusto, das sie für ihr Stilgefühl hielten, zugerichtet und verstümmelt. These 2: „Das Vokabular der Übersetzung muss den Sprachzustand des Originals widerspiegeln, aber nicht imitieren (Dld ab 1750).“39 Vom Umgang mit älteren Texten also. Boehlich im Gespräch: „Wie übersetzt man die? Übersetzt man sie genauso als wären sie gegenwärtig, oder versucht man die Abgestandenheit oder den Flair des Vergangenen zu erhalten?“40 Befragt, wie er es im Falle von Söderbergs Gertrud,41 dem dritten großen Frauendrama der skandinavischen Klassik der Moderne, gehalten habe, war Boehlichs lakonische Antwort: „Ich habe ihn zu lassen versucht, wie er ist.“42 Gemeint war ein deutscher Konversationston der Jahrhundertwende. Was macht man aber mit noch älteren Texten, etwa der Barockzeit, heute, da sogar schon eine „Übersetzung“ Grimmelshausens „Aus dem Deutschen ins Deutsche“ allseits höchstes Lob erfährt?43 Boehlich im Gespräch: „Also, wenn wir nicht eine so barbarische Nation wären, die die Bibelübersetzung alle 30 oder 20 Jahre umschriebe, so daß vom Originalwortschatz überhaupt nichts mehr erhalten ist, alle schönen, von mir aus gesehen, schönen Wörter, die es gibt, sind getilgt und sind durch irgendeinen modernistischen Unfug, den die Gemeinde angeblich besser versteht, ersetzt. Aber wenn Sie einen älteren Text haben, […] kommen Sie oft sehr viel weiter, wenn Sie das Kolorit erhalten wollen, indem Sie sich dieses Wortmaterials, aber nur tüpfchenweise, bedienen. Wenn Sie versuchen, diese Sprache zu imitieren, dann sind Sie sofort verloren.“44 Welch intime Kenntnis auch historischer Schichten der Sprache, welche Stilsicherheit ein solches Verfahren voraussetzt, liegt auf der Hand. Boehlich lässt eben, getreu seiner Begründung, die Sprache der Bibel durchscheinen, indem er nicht wie die meisten anderen sagt „auf der Welt“, sondern: „auf Erden“; in seiner Übertragung unternimmt Morton Vinge, der doch des Französischen mächtig (geworden) ist, nicht einen „Spaziergang“, sondern eine „Promenade“; Boehlichs Übersetzung deutet an, überall: es geht hier um einen älteren Sprachstand, und er wählt für ein inhaltlich durchaus korrektes „obwohl ich alt bin“ die schönere alte Wendung: „ob ich gleich alt bin“ – nur: eben diese unscheinbaren Feinheiten machen aus dem Handwerk Kunst. Mit den Blicherschen Bruchstücken hat Boehlich es eindrucksvoll vorgeführt, nicht weniger eindrucksvoll an anderer Stelle mit Anleihen aus einer älteren 38 Ebd., S. 244. „Anmerkung“ zum Satz (A. Puškins): „Ei Alter, antwortete der Betrüger, glaubst du etwa, daß Kanonen für Zaren gegossen werden?“ S. 35/36. 39 Manuskript (wie Anm. 31). 40 Übersetzen und Übertragen (wie Anm. 22), S. 20. 41 Hjalmar Söderberg: Gertrud. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1981 (=Theaterbibliothek; 15). 42 Übersetzen und Übertragen (wie Anm. 22), S. 21. 43 Vgl. die Rezension von Mathias Schreiber: Würfelspiel im Schacht. Einer der großen Romane der Literaturgeschichte wird endlich wieder lesbar: Reinhard Kaiser hat Grimmelshausens wildes Kriegsepos „Simplicissimus“ ins heutige Deutsch übertragen. In: Der Spiegel (2009) Nr. 32, S. 112–114. Oder Thomas Schmid: Eine deutsche Urerfahrung. Grimmelshausens Simplicissimus-Roman wurde in die Sprache dieses Jahrhunderts geschmuggelt. Nun ist er lebendiger denn je. In: Die Welt, 2. 8. 2009. 44 Übersetzen und Übertragen (wie Anm. 22), S. 21.

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­ rthographie, die „Punkt“ noch, ans Lateinische erinnernd, mit „c“ schrieb (aber natürlich O nicht nur mit rein orthographischen Mitteln).45 These 3: „Der Übersetzer darf nicht verschönern und soll nicht modernisieren.“46 Hierzu ist schon im Nachwort zu den Kierkegaard-Briefen das Nötige gesagt: „Vieles ist großartig und unnachahmlich in Kierkegaards Briefen, anderes flüchtig und unfertig. Oft wäre es ein Leichtes gewesen, solche Briefe zu verschönern, sie gefälliger und literarischer zu machen, matte und abgegriffene Ausdrücke durch klingende und seltene zu ersetzen, aber wie der Übersetzer sich mühen soll, der Größe des Originals gerecht zu werden, so soll er sich auch hüten, seine Schwächen auszumerzen. Beides, Schönheit und Versagen, gehört zu Kierkegaard selbst, und sich über ihn erheben wollen, heißt ebenso wie hinter ihm zurück bleiben, ihn verfälschen.“47 Hier ist schon früh ein Stück übersetzerischer Moral beschrieben, möglicherweise nochmals gegen die unsägliche Arroganz des Pastors Schrempf gerichtet, sowie der Verantwortung, die der Übersetzer dem Originaltext gegenüber hat. Auf das ‚gefällige Deutsch‘, das ihr entgegensteht, kommt Boehlich auch in der Diskussion 1994 immer wieder zu sprechen. Es nütze nichts, den Text „in ein gefälliges Deutsch [zu] ver­ wandel[n]“, ihn einfach ‚einzudeutschen‘.48 „Wenn man einen Autor hat […] wie Herman Bang zum Beispiel, dessen gelungene Texte aus winzigsten Partikelchen bestehen, dann müssen auch im Deutschen diese winzigsten Partikel, selbst wenn sie befremdend wirken, wiederkehren, während die früher gehandelten Übersetzungen von Bang es alles in normale lange Sätze auflösen, keinen Wert darauf legen: wo ist eine Pause und diese Pausen sind bei einem solchen Autor fast wichtiger als der Text. Also müssen sie erhalten bleiben, dadurch, daß etwas an einer Stelle aufhört, wo man denkt, es müsse weitergehen.“49 Ich halte hier inne und unterbreche den Reigen. Denn natürlich könnte – und müsste man vielleicht sogar – die übrigen Thesen Walter Boehlichs in der angedeuteten Weise erläutern, ergänzen, vertiefen durch Auszüge aus der genannten Diskussion, aus Boehlichs Kritiken, aus seinen Nachwörtern; und als besonders ergiebig, weil mit unzähligen Beispielen zu belegen, wäre mit Sicherheit das Verbot, etwas zu übersetzen, „was der Übersetzer nicht verstanden hat“.50 Dabei geht es nicht einfach um falsch verstandene Realia und idiomatische Wendungen; das grundlegende Missverstehen beginnt doch bereits, wenn der Übersetzer den Stil des Originalautors schlicht verkennt. Oder, wie Boehlich es 1994 formuliert: „Jeder Übersetzer, der nicht erst einmal intensive Arbeit an die Erkenntnis der Prosastruktur des von ihm zu übersetzenden Autors gewandt hat, [muss] scheitern.“51 Um 45 Übersetzung Walter Boehlichs im Vergleich zu St. St. Blicher: Tagebuch eines Dorfkantors. Deutsche Übersetzung v. Georg Grona. Herning: Kristensen 1977, S. 54 bzw. 61 ff. 46 Manuskript (wie Anm. 31). 47 Walter Boehlich: Nachwort. In: Søren Kierkegaard: Briefe. Köln, Olten: Hegner 1955, S. 149–161, hier S. 160. 48 Übersetzen und Übertragen (wie Anm. 22), S. 14. 49 Ebd. 50 Manuskript (wie Anm. 31). 51 Übersetzen und Übertragen (wie Anm. 22), S. 12.

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Boeh­lichs Übersetzungsästhetik als Ganzes verstehen und u.U. rekonstruieren zu können, bräuchten wir, wie gesagt, als erstes einmal alle seine Übersetzungen nebeneinander und seine gesammelten Texte zum Thema, und die möglichst vollständig.52 Zu einer kleinen Digression verführt mich Boehlichs Beschreibung der Pausen bei Herman Bang. Sie sind für dessen Prosa konstitutiv, etwas Vergleichbares haben wir bei einem ˇ der großen russischen Zeitgenossen des Dänen, nämlich bei Anton Cechov; auch bei ihm diese Pausen, diese Brüche, wo ‚etwas aufhört und man denkt, es müsse weitergehen‘. Der Bangschen ‚Stimmungsform‘, hatte Walter Boehlich im letzten Absatz seines Nachworts geschrieben, begegne man auch bei anderen Dichtern, „gelegentlich bei Keyserling, gelegentˇ lich bei Garschin“,� und dem meinte ich, unter Hinweis auf Cechov, widersprechen zu müssen. Am 29. September 1973 erhielt ich diesen Brief: „Das hab ich schon gefürchtet, dass Sie über den Garšin stolpern würden. Wenig habe ich so bereut wie diese Bemerkung. Und die verdankt sich der Tatsache, dass ich gewohnheitsmässig mir weniger vertraue als Leuten, die ich für zuständig halte. Ich hatte damals so eine Art Freund, halber Russe, halber Deutscher, ein Vielleser, Sehrvielsprachiger, mit dem ich auch über Bang gesprochen hatte. Der kannte ihn und sagte, das sei wie bei G. Ich habe draufhin, ziemlich lustlos G. gelesen und nichts entdecken können – und dann hab ichs einfach auf die Übersetzung geschoben. Die Stücke ˇ von Cechov kannte ich damals noch nicht, aber Prosa – und bei der entdecke ich auch heute noch kaum Verwandtes. Inzwischen stört mich aber das Nachwort überhaupt, wie fast alles von früher. Diese abscheuliche Tendenz ‚schön‘ zu schreiben!“� Walter Boehlich, der so Vieles so unendlich besser wusste – ich erinnere mich, als Beˇ cketts inzwischen berühmte Postkarte über seine Bewunderung für Cechov kam und Boehlich, der Becketts Handschrift genau kannte, meine Lesart „altered“ (geändert) korrigierte in „uttered“ (geäußert)53 –, war nie ein Besserwisser, so abstrakt oder apodiktisch seine Ansichten manchem auch vorgekommen sein mögen – wie, vielleicht, auch seine – überall wohlbegründeten, aus Erfahrung fundierten – Thesen zum literarischen Übersetzen. Boehlichs letzte Schaffensphase (als Übersetzer) ist eng verknüpft mit Katharina Wagenbachs Friedenauer Presse, enger als mit jedem anderen Literaturverlag, ausgenommen Suhrkamp. Nachdem es mir 1989 geglückt war, Boehlich als Kenner Flauberts, den er liebte, für ein Vorwort zum zweiten Winterbuch, dem Briefwechsel Flauberts mit Ivan Turgenev zu gewinnen,� traf drei Jahre später in Berlin einer jener charmanten Briefe Walter Boehlichs ein, der – auch – wieder das Verhältnis von Original und Übersetzung zur Sprache und auf den Punkt bringt. Am 7. Juni 1992 schreibt er: „liebe frau wagenbach, beim betrachten ihrer herbstliste habe ich mich gefragt, ob sie nicht in ihren presse-drucken trotz aller russophilie auch ein52 Einen Anfang bietet die Bibliographie im Anhang dieses Bandes. Da sie nicht thematisch, sondern nach Publikationsorten geordnet ist, müssten die Texte, in denen sich Boehlich zur Ethik des Übersetzens äußert, durch Lektüre herausgesucht werden. Mit der Zugänglichkeit von Boehlichs Nachlassbibliothek, voraussichtlich ab 2013 in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam, wird auch der der Bibliographie entsprechende Textkorpus in Kopie öffentlich zugänglich sein. 53 Nachwort. In: Bang: Das weiße Haus (wie Anm. 14), S. 421–436, hier S. 421.

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mal etwas von herman bang machen mögen, den ich etwa so liebe wie peter urban den Cˇechov. zum beispiel eine geschichte vom glück. müsste ziemlich genau 32 seiten ergeben. ich weiss nicht, ob das schon einmal übersetzt worden ist. […] übersetzen möchte natürlich ich es für sie, in der annahme, dass es dann schöner wird. nicht als das original, versteht sich. das ist schon alles und ich bin nicht verdrossen, wenn sie keine lust haben sollten. schönste grüsse“.54 So entstanden, kurz hintereinander, drei übersetzerische Kleinodien: neben der genannten Bang-Novelle der große Wurf der Blicherschen Bruchstücke und – für mich – die beglückende Möglichkeit, dem Lehrer beim Verfertigen des definitiven Texts über die Schulter zu schauen, denn Boehlich bestand, seit dem Bang, darauf, dass ich die Übersetzungen vor Drucklegung läse. In meiner Erinnerung ging es da immer nur um die berühmten ‚Klei­ nigkeiten‘, aber gerade die interessierten einen Künstler, der so gewissenhaft arbeitete wie Boehlich, besonders. Fahrlässigerweise habe ich mir damals keine Notizen gemacht, und nach dem Imprimatur flogen die Manuskripte mit den angemerkten Stellen, wie in Verlagslektoraten üblich, als erledigt in den Papiermüll. Zu hoffen ist, dass Klaus Reichert die Arbeit mit Boehlich am deutschen Text der Mrs Dalloway genauer dokumentieren kann. Boehlich hat immer nur Texte übersetzt, die ihm besonders am Herzen lagen. Der grandiose Lascano de Tegui,55 den selbst er nicht kannte, gehörte, nachdem Katja Wagenbach ihn auf französisch entdeckt hatte, auf Anhieb dazu. Und Boehlich, der auf seine alten Tage doch nicht mehr arbeiten müssen wollte, hat auch hier den Ton des fiktiven Tagebuchs vorbildlich getroffen – und sogar den Titel, denn zur Kunst des Übersetzers zählt nicht zuletzt, den ‚richtigen‘ Titel zu formulieren. Im argentinischen Spanisch lautet er: De la elegancia mientras se duerme, französisch war daraus geworden: Elégance des temps endormis, Boehlich fand dafür: Von der Anmut im Schlafe. Mit einem vergessenen, in Deutschland völlig unbekannten Autor und, gleichwohl, einem Meisterwerk hat ein kleiner, erlesener Verlag wie die Friedenauer Presse – wie er es bis heute tut – nicht wenig riskiert und – mit Walter Boehlich als Übersetzer – unendlich viel gewonnen.

54 Brief von Walter Boehlich an Peter Urban vom 29. 9. 1973, in Privatbesitz des Autors. ˇ 55 Beckett schrieb 1986 nach seinem Verhältnis zu Cechov gefragt: „I don‘t think I ever uttered my admiration for Chekhov. There was never a smile like his.“ Vgl. mein Nachwort in: Fehler des Todes. Russische Absurde aus zwei Jahrhunderten. Hrsg. und aus dem Russ. übers. von Peter Urban. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1990, S. 475–484, hier S. 480.

Zum 70. Geburtstag bekam Walter Boehlich eine Graphik von Hilke Raddatz, Karikaturistin der Titanic, geschenkt.

Ulrike Baureithel

Die seriöse Säule der Titanic Walter Boehlich als Kolumnist

Im April 1993 titelte das Satire-Magazin Titanic mit einer Fotomontage, die den damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten und SPD-Kanzlerkandidaten Björn Engholm in der Badewanne eines Genfer Nobelhotels zeigt, sich über Barschels Tod ins Fäustchen lachend. Engholm, der sich in seiner Ehre verletzt fühlte, erstattete Anzeige und trat damit den teuersten Satire-Prozess der BRD los. Die Titanic wurde am Ende zu 40.000 Mark Schmerzensgeld verurteilt und musste außerdem die dreifach so hohen Prozesskosten übernehmen. Den für das Blatt dramatischen Ausgang dieser juristischen Auseinandersetzung nahm der Titanic-Kolumnist Walter Boehlich zum Anlass, im Dezemberheft 1995 darüber zu sinnieren, was Satire darf.1 Es war das erste und einzige Mal überhaupt, dass Boehlich sozusagen in eigener Sache intervenierte. Er werde sich hüten, hebt er an, unbekümmert zu sagen, alle Menschen seien Lügner, denn das könne ihn, obwohl das selbst in der Bibel stehe, als Ehrabschneider vor den Kadi bringen, so wie Engholm die Titanic vors Gericht gebracht hatte. Dabei habe diese doch nur ins Bild gesetzt, was schon alle wussten: dass Engholm nämlich das Parlament belogen hatte und aus Barschels mysteriösem Tod Nutzen zu ziehen bereit war. Nicht aber gebe das Titelbild die behauptete Engführung her, er, Engholm, werde „mit der kriminellen Energie Barschels auf eine Stufe gestellt“. Spricht aus Engholm das schlechte Gewissen?, fragt sich Boehlich, und führt aus, dass Satire eben nicht zu verwechseln sei mit politischen Tathandlungen und das, was Politiker tun, von dem zu unterscheiden sei, was Satire will. Und er folgert, dass Engholm, der auf der politischen Bühne seine Ehre verloren hatte, offenbar darauf angewiesen war, sie auf dem Nebenschauplatz der Justiz wieder herzustellen. „Gefällt es dem Sozialdemokraten Engholm“, endet er, „dass der arme Mann [die Titanic, U.B.] es sich nicht leisten kann, [beim Verfassungsgericht, U.B.] sein Recht einzuklagen?“2 Die in der Sache so aus dem Rahmen fallende Kolumne Walter Boehlichs ist dennoch typisch für ihn, weil sie, bissig zwar, aber ohne satirische Überdrehung, den Einzelfall fürs 1 2

Walter Boehlich: Auch ein Lügner hat seine Ehre. In: Titanic (1995) H. 12, S. 20–23. Ebd., S. 23.

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Allgemeine nimmt und den Blick weitet für die Bedeutung der Engholm-Affäre. Scheint Boehlich zunächst ‚nur‘ die Kunst gegen die Politik zu verteidigen und damit ein Verfassungsgut, geht es ihm doch um mehr: Er macht nämlich aufmerksam auf die seit jeher nach Ehrherstellung heischende ‚vaterlandslose‘ Sozialdemokratie, die in ihrem Drang nach bürgerlicher Anerkennung die Klasse, den ‚armen Mann‘, verrät.

Wie Walter Boehlich zur Titanic kam ‚Satirisch‘ war Boehlich in den mehr als 21 Jahren als politischer Kolumnist beim „endgültigen Satiremagazin“3 stets in aufklärerischem Sinne. Dass er 1979, dem Gründungsjahr, überhaupt zur Titanic gefunden hatte, verdankte er der Tatsache, dass das Blatt eine „seriöse Säule“ benötigte.4 Wer von den Herausgebern damals vorgeschlagen hatte, Boehlich mit ins Boot zu holen, kann Lionel van der Meulen, der erste Chefredakteur der Titanic, nicht mehr genau sagen; wahrscheinlich sei es Robert Gernhardt oder der Zeichner F. K. Waechter gewesen, mit dem sich Boehlich fortan den prominenten Platz, „die ruhmreiche Mittelachse“,5 im Heft teilte. Auch Hans Zippert, von 1990 bis 1995 Chefredakteur der Titanic, nahm Boehlich als „seriösen Grundpfeiler“ des Blattes wahr.6 In der Anfangszeit, erinnert sich van der Meulen, sei Boehlich noch in die Redaktion gekommen. „Zuerst stimmten wir telefonisch das Thema ab. Dann besuchte mich Boehlich, meist am späten Vormittag, mit seinem großen wuscheligen Hund [einem Chow Chow, U.B.] in meinem Zimmer und legte mir das Manuskript auf den Schreibtisch, das ich sofort lesen sollte. Es gab nie etwas zu ändern, er schrieb gestochen, in der richtigen Länge, alles sehr professionell. Doch die Stunde mit ihm war immer etwas Besonderes, für mich war Boehlich ein hochgebildeter Mann, mit dem ich mich gerne über tausend Themen unterhielt.“7 Später ließ Boehlich seine Texte von einem Boten abholen, „manchmal, wenn der Redaktionsschluss drängte, ging man schon auch selbst mal bei ihm vorbei“, so Hans Zippert.8 In der Redaktion ließ sich Boehlich höchstens noch zu Weihnachtsfeiern blicken, „dann zündete er seine Pfeife an, man gruppierte sich um ihn und er begann, Schnurren zu

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So der Untertitel der Zeitschrift. Lionel van der Meulen in einem Interview mit der Autorin am 3.11.2010; van der Meulen amtierte bis 1983 als Chefredakteur. Hans Zippert: Sie Schwein. In memoriam Walter Boehlich. In: Titanic (2006) H. 5, S. 22–25, hier S. 22. Hans Zippert in einem Interview mit der Autorin am 1.10.2010. Interview mit van der Meulen (wie Anm. 4). Hans Zippert glossiert die „Boehlich-Betreuung“ in seinem „In memoriam“ von 2006 liebevoll-despektierlich: Bei den beiden erforderlichen Anrufen „blaffte“ Boehlich normalerweise in den Hörer, führte den Anrufer als Dummkopf vor und ließ die Redaktion erst einmal warten, bis er sich wieder meldete mit: „‚Warum rufen Sie denn nicht mehr an?‘“ Dann setzte sich der Fahrradbote in Bewegung zu seiner Wohnung, deren Eingangstür sich wegen der Bücherstapel nur einen Spaltbreit öffnen ließ und holte das Manuskript ab. Der Hund, wurde kolportiert, sei darauf abgerichtet gewesen, Bücher in alphabetischer Reihenfolge zu apportieren und Druckfehler zu riechen. Vgl. Zippert: In memoriam (wie Anm. 5).

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erzählen.“9 Bei der Titanic gebe es, so Zippert, immer noch einen Raum, der ‚der Boehlich‘ heißt. Von der umfassenden Bildung, dem schier unerschöpflich scheinenden Reservoir an Wissen zeugen auch die 251 Kolumnen, die Boehlich von November 1979 bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden im Februar 2001 jeden Monat pünktlich lieferte.10 Schon alleine die Zitate, mit denen er ab Mitte der achtziger Jahre seine Texte begleitete, lassen die Reichweite seines Leseinteresses ahnen: Neben Fundstellen aus Texten, die seinem engeren Arbeitsgebiet als Lektor und Übersetzer entsprangen, schöpfte er aus der Bibel, dem Talmud oder lateinischen Quellen, er tauchte ab in den historischen Fundus der letzten 500 Jahre und rief längst vergessene Gewährsmänner auf (und gelegentlich auch Frauen), war aber auch nicht verlegen um ein Zitat aus der aktuellen politischen Diskussion, das er seinen Beiträgen kommentierend beistellte. Walter Boehlichs genuines Interesse galt dem Zustand des eigenen Landes und seiner Institutionen, den er vor dem Hintergrund seines ausgreifenden historischen Wissens und seiner Erfahrung beleuchtete. Insofern war die Glosse, die er zum Auftakt im Novemberheft 1979 veröffentlichte, eine Ausnahme. Unter dem Titel Wie grau ist der Ostblock arbeitet sich der Autor anlässlich einer Konferenz der blockfreien Staaten in Kuba an der „bürgerlichen“ Berichterstattung über Castros Inselreich ab: In Havanna, moniere die Springer-Presse, gebe es keine Kinos, kein Theater, keine Konzerte, nur triste Langeweile, „der reine Leerlauf“.11 Zwar konstatierten die Berichterstatter Fortschritte im Sozialen, und manchmal, auf der Schauseite, sogar verputzte Kirchtürme. Was aber suchen die Reporter?, fragt Boehlich. Hot Dogs, das Hilton oder den Luxus der Bordelle, „die das Ostblockgrau“ vertreiben? „Wo steht geschrieben, dass die Cubaner ihre verrotteten Gesellschaftsstrukturen erhalten sollten,

  9 Interview mit Zippert (wie Anm. 6). 10 In der „Titanic“ vom März 2001 ist von „255 gezählten“ Texten die Rede (vgl. Titanic (2001) H. 3, S. 9); die Redaktion hat offenbar übersehen, dass ihr Kolumnist aufgrund einer Krankheit zwischen Februar und April 1998 eine Pause einlegen musste; im Juni-Heft 2000 erscheint ein Walter Boehlich-Spezial „Das Beste aus zwanzig Jahren“ mit ausgewählten Zitaten; im Februarheft 2001 zeigt das Magazin unter dem Titel „Neues aus der Birthler-Behörde“ an, dass sich Walter Boehlich „nicht wohlfühle“. Unter den „Briefen an die Leser“, findet sich auch einer an den Kolumnisten: „Sauerei“, schimpft die Redaktion, dass es diesmal keine Kolumne von ihm gebe, und fordert: „Also werden Sie gefälligst wieder gesund, und zwar ganz schnell und ganz doll.“ (Titanic (1998) H. 2, S. 8) Die Seite ist illustriert mit einer Karikatur, die Walter Boehlich mit überdimensionalem Kopf und Pfeife rauchend zeigt. In der Märznummer wird der Irrtum, Boehlich habe 19 Jahre für die „Titanic“ gearbeitet, in einem weiteren Brief an ihn korrigiert und erklärt, man werde die quälenden Anrufe, wo denn sein Text bleibe, vermissen. Man sieht einen gewaltigen Boehlich an der Schreibmaschine und eine Redaktionssekretärin, die in einem Sektkübel steckt und ihm das Manuskript abringt. 11 Walter Boehlich: Wie grau ist der Ostblock? In: Titanic (1979) H. 11, S. 28.

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nur um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, ihre vermenschlichte Gesellschaft sei eine langweilige Leerlaufgesellschaft?“12 Doch schon im Jahr darauf kristallisieren sich Boehlichs Interessenschwerpunkte heraus: Die NS-Vergangenheit und Erinnerungskultur,13 der Verfassungsstaat und der Schutz der Freiheitsrechte, der Zustand der SPD und – allerdings erstaunlich selten –14 Kunst und Literatur. In den Kolumnen bildet sich nicht nur das Weltbild des „begnadeten Querkopfes“, wie ihn Lionel van der Meulen respektvoll nennt,15 ab, sondern sie führen wie bei einem weit angelegten Spaziergang durch die politische Landschaft zuerst der alten Bundesrepublik und später des vereint-zerrissenen Deutschland. In den Anfangsjahren umreißt Boehlich aber nicht nur sein Themenspektrum, er sucht auch noch nach der Form. Bis zur Jahresmitte 1980 beschränken sich seine Texte noch auf eine Druckseite mit geringem Bildanteil. Dann weitet sich der Umfang auf zwei Druckseiten aus und es scheint eine Phase des Experimentierens zu beginnen, die ihren Höhepunkt in Heft 3 von 1981 erreicht, in dem der dreiseitige ‚Boehlich‘ begleitet wird von zwei großen Zeichnungen von Alex Ignatius.16 In den Jahren darauf verändern sich nach jedem Relaunch immer einmal wieder Typographie und Titelei und ein redaktioneller Vorspann führt zum Thema hin, doch der Textumfang pendelt sich bei zwei Druckseiten ein und die Aufmachung bleibt vergleichsweise puristisch. Van der Meulen glaubt sich daran zu erinnern, dass Boehlich in der Regel nicht nur die Themen, sondern auch die Längen seiner Kolumnen selbst bestimmte;17 später haben die Beiträge jedoch ein einheitliches Format, das redaktionell vorgegeben scheint.

Wider die „schön geredete Diktatur“ Ein wichtiger historischer Anknüpfungspunkt ist die demokratische Tradition in Deutschland: Die Revolution von 1848, der Boehlich politisch und sammelleidenschaftlich verbunden ist, und, eingeschränkt, die Weimarer Republik, wird immer wieder in Stellung gebracht gegen die tatsächlichen autoritären Entwicklungen, die im Nationalsozialismus kulminieren und die Boehlich mit der Gründung der Bundesrepublik nicht erledigt sieht. Mit der Autorität seines Wissens und stilistischer Verve stemmt er sich gegen historische 12 Ebd. Wenn von anderen Ländern die Rede ist wie Polen, Tschechien oder Israel, dann meist mit innenpolitischem Bezug; drei Beiträge befassen sich mit den USA bzw. deren Präsidenten, siehe Titanic (1981) H. 6; (1987) H. 4; (1998) H. 10; je ein Beitrag mit dem Falkland-Krieg (1983) H. 6, mit Pinochet (1998) H. 12, mit dem Irak-Krieg (1991) H. 3 und dem Krieg in Jugoslawien (2000) H. 5. 13 Fast ein Drittel aller Beiträge kreisen um die deutsche Geschichte, den Nationalsozialismus und seine Folgen. 14 In engerem Sinne aus diesem Spektrum stammen 19 Beiträge, darunter handeln mehrere von der Rechtschreibreform, über die sich Boehlich lustig machte. 15 Interview mit van der Meulen (wie Anm. 4). 16 Walter Boehlich: Kommt ein Vogel geflogen. In: Titanic (1981) H. 3, S. 12–14. Der Text handelt von Berlins „Rettung“ durch den künftigen Regierenden Bürgermeister Hans-Jochen Vogel. 17 Interview mit van der Meulen (wie Anm. 4).

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Umschreibungen und Geschichtsklitterungen, bürstet offizielle Lesarten gegen den Strich und kämpft für eine Erinnerungskultur, die die Täter nicht rein wäscht und die Opfer im Blick behält. Im Juliheft 1980 geißelt der Kolumnist die „widerwärtige Traditionspflege“ in der Bundeswehr, die von Rekruten öffentliche Gelöbnisse erpresst und die Erinnerung an die Offiziere der Hitler-Wehrmacht wach hält, indem sie Kasernen nach ihnen benennt.18 Im gleichen Jahr gerät Kurt Biedenkopf ins Visier, der „die Freiheit, für die unsere Väter gefallen sind, für unsere Kinder erhalten“ will; „als wären“, kontert Boehlich, „unsere Väter“ „die Män­ner des Widerstandes gewesen“.19 Seinen Sarkasmus bekommen insbesondere die offiziellen Repräsentanten der Republik zu spüren: Eine Rede des damaligen Bundespräsiden­ten Karl Carstens ist für ihn nicht nur Anlass, gegen den alljährlich am 20. Juli gefeierten „begrenzten Widerstand“20 all jene mutigen Männer und Frauen ins Recht zu setzen, die zwölf Jahre lang tatsächlich gegen Hitler gekämpft hatten. Er nimmt Carstens und seine oberschülerhaft geziehene „Verlegenheitsarbeit“ vielmehr in Schutz vor sich selbst, denn wir müssen, so seine ironische Auslegung, „gegen bessere Vermutung für Worte des Präsidenten nehmen, was seine Worte entweder nicht gewesen sein können oder nicht gewesen sein dürften“, wenn dieser von den „wegen ihres Glaubens und ihrer Rasse“ Verfolgten spricht: „Will uns jemand weismachen, der Bundespräsident spreche von einer jüdischen Rasse?“21 Ähnlich subtil wird sieben Jahre später in einem ähnlichen Fall Philipp Jenninger anlässlich seiner entgleisten Rede vor dem Bundestag vorgeführt – nur dass Boehlich dem Redenschreiber in diesem Fall eine für den Bundestagspräsidenten uneinholbare Intelligenz bescheinigt: „Wer immer Jenningers Rede geschrieben haben mag, er muss vergessen haben, wer sie halten sollte.“22 Immer wieder findet Boehlich Anlässe, mit der Gedenkkultur der Bundesrepublik und später des vereinten Deutschland ins Gericht zu gehen: 1986 ist es die Debatte um ein Natio­nales Ehrenmal für die toten Soldaten,23 1988 polemisiert er gleich in zwei aufeinander folgenden Heften gegen die schwelende Vergessenskultur (in Bezug auf den österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim)24 oder zweifelhafte Erinnerungen (etwa an einen Ehren­bürger der Stadt Frankfurt namens Adolf Hitler).25 Der „bequemste Weg“, resümiert Boehlich 1992, die so genannten ‚schlimmen Jahre‘ vergessen zu machen, war „die Erfindung positiver Legenden – man könnte auch sagen Lügen“.26 Der erste Schritt sei die „gründlich verfälschte Geschichte vom deutschen Widerstand“ gewesen, der nächste „die 18 Walter Boehlich: Nun singt mal schön. In: Titanic (1980) H. 7, S. 38/39. 19 Walter Boehlich: Der Toten Taten Ruhm. In: Titanic (1980) H. 10, S. 22. 20 Walter Boehlich: Der Klassenprimus. In: Titanic (1981) H. 9, S. 20–22, hier S. 22. 21 Ebd. 22 Walter Boehlich: Remember, remember. In: Titanic (1988) H. 12, S. 20–25, hier S. 25. 23 Walter Boehlich: Ein nationales Ehrenmal. In: Titanic (1986) H. 2, S. 26–30, hier S. 30. 24 Walter Boehlich: Gedächtnisschwund. In: Titanic (1988) H. 4, S. 30–33. 25 Walter Boehlich: Glimpf und Unglimpf. In: Titanic (1988) H. 5, S. 24–27. 26 Walter Boehlich: Herren über Leben und Tod. In: Titanic (1992) H. 12, S. 20/21, hier S. 20.

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Selbstverklärung der christlichen Kirchen“, und „als man unbedingt wieder Soldaten brauchte, wurde die Wehrmacht exculpiert“.27 Man verabredete sich darauf, „zwar nicht die Diktatur, aber die Menschen in der Diktatur schönzureden“.28 Und mit den ‚schön geredeten Menschen‘ werden auch die ‚schlimmen Jahre‘ wieder hoffähig. Als 1987 die Goebbels-Tagebücher erscheinen – „kein zweites Tagebuch auf der Welt von so bedrückender Langweiligkeit und Öde“ –, räsoniert Boehlich über das Phänomen des „Nazis sell“ und eine historische Zunft, die, wie ungewollt auch immer, mit dem „Reiz der Sensation“ Politik macht: „Eben dies ist der wundeste Punkt künftiger Aneignung dieser Tagebücher. Kaum dass sie ein Schuft geschrieben hat, wird bei vielen haften bleiben, sondern ein dunkles Gefühl, es sei am Ende doch um eine gute Sache gegangen“.29 Dass sich bei diesen Umschreibungsprozessen die Täter zu Opfern stilisierten, während sich die tatsächlichen Opfer entweder nicht mehr wehren konnten, weil sie tot waren, oder aber in juristischen Auseinandersetzungen gedemütigt wurden von ehemaligen Nazi-Richtern, die geschmeidig in die neue Bundesrepublik gerutscht waren, ließ Boehlich immer wieder auffahren vor Empörung. Was darf erforscht werden und welcher Widerstand zählt, fragt er nicht nur angesichts der Auseinandersetzung um die Wehrmachtsausstellung, mit der er sich mehrmals befasst.30 Helmut Kohl, der sich gerne als „gelernter Historiker“ stilisierte, schreibt Boehlich das zweifelhafte Verdienst zu, die Neue Wache in Berlin in einen Ort umgemünzt zu haben, an dem endlich Schluss sein soll „mit der Unterscheidung von Opfern und Tätern, Schuldigen und Unschuldigen, eine einzige Gedenkstätte für alle, für ein einziges Volk von Opfern“.31

Es weht ein frischer Wind von Osten her Geschichtsumdeutung, Relativierung und Revanchismus nahm Boehlich auch im Umgang mit den Nachbarländern wahr, und er scheute sich nicht, die Nation gelegentlich bei ihm ‚nachsitzen‘ zu lassen. So holt er, um die reaktionären Flüchtlingsverbände zu desavouieren, 27 Ebd. 28 Ebd. 29 Walter Boehlich: Viel Geschrei und wenig Wolle. In: Titanic (1987) H. 11, S. 30–33, hier S. 33. 30 Zuerst in: Wasch mir den Pelz. In: Titanic (1999) H. 12, S. 48–51, drei Monate später noch einmal grundsätzlich im Hinblick auf die Rolle der Geschichtswissenschaft als Legitimationswissenschaft: „Das bestehende Schlechte wird immer seine Verteidiger finden, solche die man mit einem unmodern gewordenen Ausdruck ‚Zionswächter‘ nennt“, vgl. Walter Boehlich: Zionswächter. In: Titanic (2000) H. 2, S. 20–23, hier S. 20. 31 Walter Boehlich: Die Alte Wache. In: Titanic (1994) H. 1, S. 23. Böse setzte sich Boehlich 1985 und 1997 mit der Tatsache auseinander, dass Freislers Witwe nicht nur eine Witwenpension erhielte, sondern auch in den Genuss einer „Schadensausgleichsrente“ käme und die Tochter Himmlers eine Kriegsopferrente bezöge, weil ihr Vater Heinrich im Mai 1945 eine Giftkapsel schluckte. Dagegen, rechnet er vor, seien KZ-Häftlinge mit fünf Mark Entschädigung pro Hafttag abgefunden worden und eine Zigeunerin für sechs Jahre Zwangsarbeit mit 50 Mark, vgl. Walter Boehlich: Freislers Witwe. In: Titanic (1985) H. 4, S. 32–35; Walter Boehlich: Täter als Opfer. In: Titanic (1997) H. 3, S. 20–23.

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weit in die Zeit des alten Fritz und Maria Theresias aus, um zu erklären, warum Kolonisierung immer mit der Beugung des Schwächeren unter das Recht des Stärkeren einhergeht und mit Verlusten verbunden ist. Die Polen hätten das viele Male erlebt, und als Hitler seinen Siedlungstraum im Osten zu realisieren begann, bekanntlich auch die Völker Mittelosteuropas. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es dann einen Teil der Deutschen getroffen, die aus Schlesien oder dem Sudetenland fliehen mussten, die seither aber glauben, dass dies Unrecht unrechter sei als alles Vorige. Deshalb harrten sie auf den „dritten Weltkrieg“, der ihnen Schlesien zurückerobere: „Ein Schlesier nämlich, muss man wissen, hört nicht auf Schlesier zu sein, auch wenn er im Rheinland oder in Bayern hockt“, verspottet der aus Breslau stammende Flüchtling Boehlich seine Landsleute.32 „Mag sein“, glossiert er in gleicher Sache, „dass auch die Polen Rechte haben, aber doch keinesfalls eines auf Schlesien. […] Es weht ein frischer Wind, ein Ostwind offenbar, in den wir entschlossen unsere Fahne heben wollen, ein Wind, der unser verstocktes Nationalbewusstsein endlich wieder durchlüften wird.“33 Den Sudetendeutschen, „Hätschelkinder des Freistaats Bayern“, hält Boehlich vor, ihren Opferstatus als Flüchtlinge zu verewigen und mit zweierlei Maß zu messen: „Auf keinen Fall wünschten wir so behandelt zu werden, wie wir unsere selbstgesuchten Kriegsgegner behandelt hatten.“34 Den Mauerfall versteht Boehlich deshalb als Präzedenzfall des Kolonialisierungstheorems. Die Wende ist für ihn aber auch Maßstab dafür, was die alte Bundesrepublik aus der Geschichte gelernt hat. Die DDR in Springer-Manier in Anführungszeichen zu setzen als quasi heimzuholendes Teilstück der BRD, lehnte er stets kategorisch ab; ihren schnellen Niedergang hat Boehlich indessen, wie die meisten Zeitgenossen, nicht vorhergesehen. Man könne nicht beides haben, „die Wiedervereinigung und die Ostgebiete“, mahnt er und setzt – im September 1989! – hinzu: „Angenommen, es käme vor dem Sanktnimmerleinstag zu ihr [der Wiedervereinigung, U.B.], dann würden die, die sie uns gewährten, sie uns nicht gewähren, wenn wir auch noch auf den Grenzen von 1937 herumritten.“35 Merklich konsterniert begleitet Boehlich ab November 1989 das Wiedervereinigungsszenario und die Selbst­aufrüstung der DDR-Bürger als „Deutsche“: „Den Deutschen ist schwer zu helfen, und wenn sie sich entschließen, sich selbst zu helfen, geht es meist schief“, so seine pessimistische Einlassung in Unheilbares Deutschland.36 Wieder in die Geschichte ausgreifend, rekapituliert er die fatalen Folgen ‚deutscher‘ Blutsabstammung. Das „Phantom der Wiedervereinigung“, das sich jetzt so realitätsmächtig zu Wort meldete, ließe „alles vergessen, was wir in den langen Jahren gelernt haben, als sei der Messias schon da, der uns ein neues, aber Kleindeutsches Reich bescherte“ und ans Ziel aller „deutschen Wünsche“ brächte.37 „Es darf

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Walter Boehlich: Schlesien bleibt unser. In: Titanic (1985) H. 2, S. 28–31, hier S. 31. Walter Boehlich: In den Ostwind hebt die Fahnen. In: Titanic (1983) H. 8, S. 18–21, hier S. 21. Walter Boehlich: Einsichten? Und Aussichten? In: Titanic (1997) H. 2, S. 20–23, hier S. 20. Walter Boehlich: Ich esse meine Suppe nicht. In: Titanic (1989) H. 9, S. 20–23, hier S. 23. Walter Boehlich: Unheilbares Deutschland. In: Titanic (1989) H. 11, S. 20–23. Ebd. S. 23.

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nicht Ernst werden mit diesem deutschen Nationalgefühl“, gab er 1992 gegenüber Gert Mattenklott zu Protokoll.38 Boehlich ist allerdings Realist genug, um zu erkennen, dass die von ihm favorisierte Zweistaatlichkeit keine Chance haben wird. So verlegt er sich im folgenden Jahr darauf, den Prozess der Wiedervereinigung kritisch zu begleiten. Zum einen gelten seine Kommentare der fortschreitenden ökonomischen Kolonisierung, zum anderen der verfassungsrechtlichen ‚Einverleibung‘ der DDR. „Die Bundesrepublik hat die DDR tatsächlich gekauft, mit Mann und Maus“, konstatiert er im Dezemberheft 1990 und prophezeit, dass die einstigen volkseigenen Betriebe bald „zum Nullwert“ an das westdeutsche Kapital fallen werden.39 Als das „Junkerland“ am Ende doch nicht an die alten Eigentümer zurückgegeben, sondern die Bodenreform juristisch bestätigt wird, vermerkt er mit Genugtuung, dass sich die Geschichte doch nicht in jeder Hinsicht als ungerecht erweise.40

Siegerrecht auf Säuberung Im Wissen darum, dass „Kassandras Chancen allemal gering“ sind und „es gekommen ist, wie es kommen musste“ bei den ersten freien gesamtdeutschen Wahlen,41 konzentriert sich Boehlich fortan auf die Verfassungsdiskussion. Unter der Überschrift Das überflüssige Volk moniert er, dass der Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes dazu führe, das Volk, wie schon bei der Weimarer Verfassung und der Diskussion des Parlamentarischen Rates, außen vor zu halten. „Über das Grundgesetz ist nie abgestimmt worden“ und ein solcher „kurze[r] Prozess“ bahne sich nun wieder an.42 Nach der Einsetzung des Verfassungsausschusses fordert er erneut eine Verfassungsdiskussion ein, denn erst „die Annahme einer Verfassung macht den Staat, für den sie Geltung haben soll, seinen Bürgern heimisch […]. Da kann und darf nicht die Mehrheit des größeren Teilstaates kalt über die Mehrheit des kleineren hinweggehen“.43 Ein gutes Jahr später stellt er resigniert fest, dass daraus nichts geworden ist: Weder wurden neue Staatszielbestimmungen wie das Recht auf Arbeit oder der Schutz der Umwelt in die neue Verfassung aufgenommen, noch schien sich überhaupt jemand für die Arbeit des Verfassungsgremiums zu interessieren: Daran könne man sehen, „wie sehr die Parteien sich im Besitze des Staates und des Staatsvolkes zu wissen meinen“.44 38 Gert Mattenklott: [Gespräch mit Walter Boehlich]. In: ders: Über Juden in Deutschland. Frankfurt/M.: Jüdischer Verl. 1992, S. 163–175, hier S. 167. 39 Walter Boehlich: Neuland. In: Titanic (1990) H. 12, S. 20–23, hier S. 23. 40 Vgl. Walter Boehlich: Blut und Boden. In: Titanic (1991) H. 6, S. 20–23. 41 Walter Boehlich: Einheit ohne Opposition. In: Titanic (1991) H. 1, S. 20–23. 42 Walter Boehlich: Das überflüssige Volk. In: Titanic (1990) H. 4, S. 20–23. 43 Walter Boehlich: Die Verfassungsfrage. In: Titanic (1992) H. 1, S. 20–23. 44 Walter Boehlich: Wer ist das Volk? In: Titanic (1993) H. 4, S. 22/23, hier S. 23. In dieser Sache wird Boehlich auch in anderen Gazetten, den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ etwa oder in der „Süddeutschen Zeitung“ vorstellig: „Die beste Verfassung nützt nichts, wenn niemand sie mehr schützt und wenn der Souverän, das Volk, von allen Entscheidungen ausgeschlossen ist, der Staat nicht

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Als das deutsche Feuilleton im Sommer 1990 ausgerechnet die Schriftstellerin Christa Wolf zum Sündenbock auserkor, um stellvertretend mit den DDR-Intellektuellen abzurechnen, interpretierte Boehlich dies scharfsichtig als symptomatisch für das sich verändernde Verhältnis zwischen BRD und DDR, das auch die nachfolgenden, bis heute nicht endenden Stasi-Debatten bestimmte: „Die Säuberungsmentalität, die dem Stalinismus vorgeworfen wird, [hat] Eingang in die Bundesrepublik und in die Spalten der FAZ gefunden.“45 Wiederholt kommt Boehlich auf das „Siegerrecht auf Säuberung“ zurück, als ob die BRD nachholen müsse, was sie nach 1945 versäumt habe: Ob nun in „Hilde Benjamins Justizapparat“ oder in Bezug auf die literarische Szene des Prenzlauer Berg; „ein Berg zwar, aber kein Parnass“, wie Boehlich süffisant anmerkt.46 Die Doppelmoral und Selbstgerechtigkeit, die ihn schon in den achtziger Jahren im Zusammenhang mit NS- und Entschädigungs-Prozessen erregte, bringt auch den älter Gewordenen noch in rhetorische Wallung. Dass der eine Teil des einig Volkes „die Angeklagten stellte“, der andere „die Richter“, habe nicht nur das Ressentiment der DDR-Bürger befördert, es handele sich auch, so Boehlich, um den „zum Scheitern verurteilten Versuch […], einer gewalttätigen Vergangenheit auf dem Rechtsweg beizukommen“.47 „Unsere Neigung, Geschichte justizförmig aufzuarbeiten“, hatte er schon vier Jahre zuvor gewarnt, „wird uns auch im Falle der DDR straucheln machen. Von dem Unterschied zwischen moralischer Schuld und strafrechtlicher Verantwortung scheinen wir nichts zu wissen. Man kann nicht beides haben: die sanfte Revolution mit Kerzen, die eben keine ist, und Rache. Wenn man Rache will, muss man eine Revolution machen, die eine ist.“48

Die Beleidigung als Kunstform Die Milde, mit der Boehlich den ‚einverleibten‘ Volksteil beurteilt, wird den Verfassungsorganen, mit denen sich viele seiner Kolumnen befassten, nicht zuteil. Wenig übrig hat er für das Institut des Bundespräsidenten, das er schlicht für „überflüssig“ hält, „ein Luxus, es ginge auch ohne ihn“.49 Zwar bescheinigt er dem 1988 amtierenden Präsidenten Richard von Weizsäcker, dass er immerhin gebildet sei und seine Geschäfte „gar nicht schlecht“ verrichte, im Kern sieht er jedoch den „Beschwichtiger und Abwiegler“ in ihm.50 Allerdings: Für ihn „zu schämen braucht sich niemand“.51

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länger ihm, sondern den Parteien gehört.“ Walter Boehlich: Verfassung ohne Hüter. In: Süddeutsche Zeitung, 14.10.1994. Walter Boehlich: Kommunizierende Röhren. In: Titanic (1990) H. 7, S. 22–25, hier S. 25. Walter Boehlich: Ein völlig aufgebauschtes Ding. In: Titanic (1992) H. 2, S. 60–63, hier S. 63. Walter Boehlich: Gnade vor Recht. In: Titanic (1995) H. 4, S. 20–23. Walter Boehlich: Siegerrecht. In: Titanic (1991) H. 10, S. 20–23, hier S. 23. Walter Boehlich: Auf dem Repräsentierteller. In: Titanic (1988) H. 2, S. 26–29, hier S. 26. Ebd., S. 29. Walter Boehlich: Präsidiale Halbherzigkeit. In: Titanic (1992) H. 7, S. 20/21, hier S. 20.

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Hohn und Spott ergießen sich dagegen über Weizsäckers Vorgänger und Nachfolger, den schon erwähnten „Klassenprimus“ Karl Carstens,52 vor allem aber Roman Herzog und selbst Johannes Rau. Herzog, „diese zweite Wahl des Kanzlers“, wirke „wie der falsche Mann im falschen Kostüm, einer aus der Provinz, der sich auf den Thron verirrt“ habe und zudem noch ein schauderhaftes Deutsch spreche, von der mangelnden Gewandtheit in fremden Sprachen, die seinen Vorgänger auszeichnete, ganz abgesehen.53 Aber auch Rau, „der es mit allen gut meinen will, nie aber hätte gewählt werden dürfen“,54 findet wenig Gnade. Möglicherweise während seiner Amtszeit von „mentalen Ausfällen“ heimgesucht und ganz gewiss „ohne Visionen“, sei er als „Ersatz-Kaiser“ untauglich und schlicht auch zu teuer.55 Rau ist für Boehlich ein typischer ‚Partei-Kandidat‘, ein „Menschenfischer als Stimmenfänger“ und die ganze Wahl ein „scheindemokratischer Rummel“.56 Auch wenn die Präsidenten zu spüren bekommen, was Titanic-Chefredakteur van der Meulen als Spezialität Boehlichs bezeichnete – „die Beleidigung als Kunstform beherrschte er perfekt“57 –, zielt der vergiftete Pfeil des Kolumnisten mehr noch auf die Verkommenheit der Parteien. Die Flick-Parteispenden-Affäre gibt ihm schon Anfang der achtziger Jahre den willkommenen Anlass, über den ‚Erinnerungsverlust‘ der politischen ‚Lügenbarone‘ herzuziehen58 und ihnen jede Fähigkeit zur „Selbstreinigung“ abzusprechen.59 Im Umgang mit den aufstrebenden Grünen und später der Linkspartei attestiert er den etablierten Parteien, es ginge ihnen lediglich um die Aufrechterhaltung von Feindbildern zwecks eigenen Machterhalts.60 Die Barschel-Affäre lässt Boehlich, wie eingangs vorgeführt, über die Korruptheit des Personals und die Verkommenheit der politischen Kultur schäumen. Die Parteienschelte gewinnt nach der Wende sogar noch an Fahrt, unzählig Boehlichs Ausfälle gegen die Mentalität der „Selbstbedienung“,61 gegen politische „Nibelungentreue“,62 gegen Seilschaften und Kohls „Kanzlerwahlverein“. „Die Arbeit, die der Politruk Wehner für die SPD erledigt hat, die Eliminierung aller selbstständig Denkenden […] hat für die CDU Kohl übernommen“.63 Am Bein der Sozialdemokraten zerrt Boehlich denn auch wie ein bissiger Spitz: Die SPD, hebt er programmatisch schon 1981 an, sei einmal „eine sozialistische Partei gewesen“, die sich nun darauf verlege, die „kleinen Leute“ zu denunzieren und den Sozialstaat als

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Wie Anm. 20. Walter Boehlich: Am Ziel der Wünsche. In: Titanic (1995) H. 2, S. 20–22. Walter Boehlich: Der Ersatz-Kaiser. In: Titanic (1999) H. 7, S. 18–21, hier S. 18. Ebd., S. 21. Ebd., S. 18. Interview mit van der Meulen (wie Anm. 4). Walter Boehlich: Vom Erinnern. In: Titanic (1983) H. 2, S. 22–25. Walter Boehlich: Kein Grund zur Selbstreinigung. In: Titanic (1984) H. 12, S. 38–41. Walter Boehlich: Politische Farbenlehre. In: Titanic (1986) H. 9, S. 22–25. Walter Boehlich: Der Schlag ins Wasser. In: Titanic (1995) H. 11, S. 20–23. Walter Boehlich: Der Fisch stinkt vom Koch her. In: Titanic (2000) H. 10, S. 18–21. Walter Boehlich: Abgekanzelt. In: Titanic (1998) H. 11, S. 20–23.

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„soziale Hängematte“.64 Abweichler wie Hansen, Duve oder Coppik,65 die auf ihr Gewissen bestünden, würden diffamiert und aus der Partei ausgeschlossen. „Sie hat die hundert Jahre alten Sozialistengesetze so sehr verinnerlicht, dass sie mit Sozialisten wirklich nichts mehr zu tun haben will.“66 Dass die SPD „immer weiter nach rechts“ rücke, „um den Kommunisten bloß keinen Vorwand zu liefern, sich ihr anzuschließen“,67 war für Boehlich ausgemachte Sache. Wie „Buridans Esel“ könne sie sich zwischen zwei Lockungen nicht entscheiden, nämlich der, an der Macht zu bleiben, „indem sie ein paar plumpe Schritte nach rechts stolperte“, und gleichzeitig glauben zu machen, sie sei die alte SPD geblieben, um die Stammwähler zu halten.68 Im Regierungswechsel von 1982 sieht Boehlich die Quittung für diesen Schleuderkurs. Der vom damaligen Bundesgeschäftsführer Peter Glotz beschworene Tanker habe, so Boehlich, nicht nur linken „Ballast“ „über Bord geworfen“ und „nicht viel Tiefgang“, sondern ihm fehle nach Willy Brandt überhaupt ein „Navigator“, der den Kurs bestimme.69 Die Hassliebe für die SPD70 braucht eine Figur, an der sie sich abarbeiten kann, und für Boehlich war das der „machtbesessene“ Herbert Wehner, der die SPD mit welchen Mitteln auch immer“71 an der Regierung sehen wollte. Immer wieder spiegelt er den ‚Guten‘, Willy, in Kontrast zu Wehner, der „Kohls Strauß noch immer in den schwarzen Schatten stellen kann“.72 Noch nach Wehners Tod, als die ‚Akte Wehner‘ des ZK der KPdSU an die Öffentlichkeit gelangt,73 bleibt Boehlich an dem „brüllenden, maßregelnden, verfolgenden Polit­ ruk“, dem „Schmerzensmann“, dem „Zuchtmeister“ der Partei, hängen.74 Die Enkel Brandts, insbesondere Rudolf Scharping,75 bedachte er meist mit beiläufigem Spott. Was er diesem und seiner SPD tatsächlich übel nahm, war, dass er das Land erstmals wieder in einen Krieg verwickelte.76

64 Walter Boehlich: Ein innerparteiliches Sozialistengesetz. In: Titanic (1981) H. 8, S. 17/18, hier S. 17. 65 Die Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Hansen, Freimut Duve und Manfred Coppik gehörten zu den innerparteilichen Kritikern des Nato-Doppelbeschlusses, Hansen und Coppik gründeten 1982 die Demokratischen Sozialisten, später engagierten sie sich für die PDS. 66 Boehlich: Sozialistengesetz (wie Anm. 64), S. 18. 67 Walter Boehlich: Kämmerchen zu vermieten. In: Titanic (1981) H. 12, S. 26–28, hier S. 26. 68 Walter Boehlich: Das Ende vom Lied. In: Titanic (1982) H. 5, S. 23. 69 Walter Boehlich: Der Tanker schwoit. In: Titanic (1985) H. 1, S. 36–39, hier S. 36. 70 „Das Problem mit der SPD“, sagt Lionel van der Meulen (vgl. Anm. 4), „hatten wir alle, da war Boehlich keine Ausnahme.“ 71 Walter Boehlich: Der Bonner Denkmalsturz. In: Titanic (1987) H. 5, S. 22–25, hier S. 22. 72 Walter Boehlich: Ich bin doch kein Schwätzer. In: Titanic (1986) H. 4, S. 26–31, hier S. 29. 73 Vgl. Walter Boehlich: Der Fall Wehner. In: Titanic (1993) H. 5, S. 22/23. 74 Walter Boehlich: Wieder einmal Wehner. In: Titanic (1994) H. 3, S. 22/23, hier S. 22. 75 Den er im Jargon des damals bekannten „Titanic“-Comic „Die roten Strolche“ als „die Ziege“ titulierte. 76 Vgl. Walter Boehlich: Keiner wird gewinnen. In: Titanic (1999) H. 5, S. 20–23. Es ging um das militärische Engagement Deutschlands auf dem Balkan.

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Obwohl Boehlich entgegen heutigen publizistischen Gewohnheiten als ‚Kopf‘ selbst nur ein einziges Mal in der Titanic auftauchte,77 hat er als Glossenschreiber natürlich immer Köpfe im Visier, darunter, kaum verwunderlich, auch Helmut Kohl. Mit vielen anderen teilte Walter Boehlich die Neigung, den Mann sträflich zu unterschätzen, selbst dann noch, als dieser auf dem Höhepunkt der Macht war. An diesem Repräsentanten deutschen Mittelmaßes scheint die unangenehmere Seite des Bildungsbürgers auf, der selbstgewiss und mitunter überheblich das eigene Vermögen gegen die politischen ,Parvenüs‘ in Anschlag bringt, im Einverständnis mit den satisfaktionsfähigen Gleichgesinnten, versteht sich. Dass das „genetische Chamäleon Kohl“ gegenüber dem „alten Fritz“ „Referenz“ erweist statt seine „Reverenz“,78 sein Redenschreiber nur rund „1500 oder 2000 Standardsätze“ für ihn bereit hält und Grammatik-Schnitzer Legion sind,79 mag die Schulmeister der Nation erheitert haben, dem physischen und politischen Schwergewicht Kohl wird es kaum gerecht. Und mit welchem Genuss der Linke Boehlich den provinziellen Kleinbürger Kohl ausgerechnet gegen den Aristokraten von Weizsäcker ausspielt und „Kohl“ nur auf „hohl“ zu reimen weiß,80 zeugt, wenn schon nicht von Arroganz, so doch von bemerkenswerter Distanz zur inkriminierten kleinbürgerlichen Mehrheit. In glücklicheren Fällen immerhin trieb Boehlich seinen Stichel in schon entzündetes Fleisch, das dann schmerzhaft aufflammte: Der Vergleich der Tagebücher Goebbels-Kohl gehört zum Bösesten, was Boehlich der Titanic vermacht hat.81 Im besten Sinne Satire sind Glossen wie Ausländer raus! 82 und in Altherrenmanier erfrischend die über die Strauß-Freundin Renate Piller.83

Überzeugter Föderalist und Demokrat ‚Provinziell‘ war Boehlich in gewisser Hinsicht selbst, und wenn man ihn politisch irgendwo zweifelsfrei verorten kann, dann als kompromisslosen Verteidiger des Föderalismus. „Wie vielen seiner Generation“, meint Lionel van der Meulen, schien ihm das föderale Prinzip ein wesentlicher Schutz gegen die Diktatur, denn Boehlich sei der Überzeugung gewesen, dass „Machtteilung das beste Mittel gegen Extremismus“ sei.84 Berlin dagegen schien dem Kolumnisten schon vor dem Mauerfall suspekt: eine teuer alimentierte Frontstadt „ohne zivilen

77 Abgesehen von den erwähnten Karikaturen sieht man in der Februarnummer 1992 über dem Titel der Kolumne Walter Boehlich in ulkiger Verkleidung mit einer Bohrmaschine in der Hand. Den Hintergrund erhellt Hans Zippert: Der Bohrmaschinen-Hersteller Metabo hatte in der „Titanic“ eine Anzeige geschaltet, in der ein Mann zu sehen war, der Boehlich offenbar sehr ähnelte. Daraufhin beschwerten sich die Leser, ob Boehlich es denn nötig habe, für Bohrmaschinen Modell zu stehen. 78 Walter Boehlich: Preußische Restauration. In: Titanic (1991) H. 9, S. 20–23, hier S. 23. 79 Walter Boehlich: Was Hänschen nicht lernt … In: Titanic (1984) H. 7, S. 18–21, hier S. 18. 80 Walter Boehlich: Der Spielverderber. In: Titanic (1992) H. 8, S. 20/21, hier S. 20. 81 Vgl. Walter Boehlich: Die geschälte Birne. In: Titanic (1991) H. 11, S. 20–23. 82 Walter Boehlich: Ausländer raus! In: Titanic (1982) H. 7, S. 32/33. 83 Walter Boehlich: Das schöne Mädi. In: Titanic (1989) H. 8, S. 30–32. 84 Interview mit van der Meulen (wie Anm. 4).

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Nutzen“85 und unfähig, sich selbst zu regieren. Das Problem immerhin, orakelte er, könnte sich demographisch bald von selbst erledigen. „Die Wahrheit ist, dass Berlin längst aufgegeben worden ist.“86 Als Berlin als Hauptstadt dann auf der Bonner Agenda steht, stichelt ­Boehlich gegen den „vorgeblichen Großstadtgeist“ Berlins, den „Muff und Mief“ der zusam­ mengewürfelten Kieze und den „Plunder der Vergangenheit“.87 Doch die „grenzenlose Feigheit“ in Bonn habe sich gegen die Vernunft durchgesetzt und sei den Ansprüchen Berlins, das ohne „Hauptstadt-Fetisch nicht leben kann“, erlegen.88 „Berlin nämlich musste es werden“, grantelt Boehlich in der folgenden Nummer, „weil wieder einmal die Zukunft im Osten liegt“.89 Obwohl Boehlich seine Heimat Frankfurt durchaus distanziert wahrnahm und insbesondere den Umgang der Stadt mit ihrem jüdischen Erbe scharf kritisierte,90 gab es eine Institution, die für ihn ein bezugsreiches Symbol blieb, die Paulskirche. Immer wieder finden sich Texte, die an die Tradition der Paulskirche anknüpfen und den dort aufbewahrten politischen Dissens mit den Mächtigen verteidigen. Rechtsstaatliche Prinzipien, insbesondere die Meinungsfreiheit und die Gleichheit vor dem Gesetz, sind wiederkehrende Gegenstände der Kolumnen. Anfang der achtziger Jahre geht Boehlich scharf ins Gericht mit den „zur Eindämmung des Terrorismus“ durchgepeitschten Rechtseinschränkungen: Rasterfahn­ dung,91 Kontaktsperregesetz und die so genannten Maulkorb-Paragraphen92 oder die Kronzeugenregelung. „Ist es verständig, die Bundesrepublik immer mehr zu einem Staat zu machen, in dem sich die RAF zu erkennen glaubt?“, fragt er und folgert luzide: „Nach allem, was wir wissen, ist das eine so geschlossene Gruppe, dass keiner den anderen ‚verraten‘ wird.“93 Zehn Jahre später, anlässlich des Prozesses gegen das ehemalige RAF-Mitglied Birgit Hogefeld, nennt Boehlich eher nebenher den Grund, warum die RAF-Diskussion bis heute kein Ende findet: „Plötzlich waren die selten Bedrohten bedroht, nicht weil sie Geld hatten, sondern weil sie einflussreich und mächtig waren.“94 Von dieser Angst, so impliziert die Kolumne, hätten sich die Mächtigen nie mehr erholt.

85 86 87 88 89 90

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Walter Boehlich: Kommt ein Vogel geflogen. In: Titanic (1981) H. 3, S. 12–14, hier S. 13. Ebd., S. 14. Walter Boehlich: Die unheimliche Hauptstadt. In: Titanic (1990) H. 8, S. 22–25. Walter Boehlich: Buridans Esel. In: Titanic (1991) H. 7, S 20–23. Walter Boehlich: Der Nabel der Welt. In: Titanic (1991) H. 8, S. 21–27, hier S. 27. 1996 etwa setzt sich Boehlich kritisch mit der geplanten Gedenkstätte am Börneplatz auseinander und schreibt: „Sie [die Frankfurter Juden, U.B.] wurden im Tode, was sie nicht mehr hatten sein wollen. Juden.“ Vergangenheitsentsorgung. In: Titanic (1996) H. 6, S. 20–23, hier S. 20. Walter Boehlich: Wo sind sie geblieben. In: Titanic (1980) H. 8, S. 27. Walter Boehlich: Ein Gesetzesbalg wechselt sich. In: Titanic (1980) H. 2, S. 46. Walter Boehlich: Hans-Dietrich Genscher sieht rot. In: Titanic (1986) H. 12, S. 30–32. Walter Boehlich: Langer Prozeß – kurzer Prozeß. In: Titanic (1996) H. 12, S. 20–23.

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Besonders empfindlich reagiert Boehlich auf die Einschränkung der Meinungsfreiheit95 und des Asylrechts.96 Ob Sitzblockaden oder Hausbesetzungen, Zensur oder Memminger Prozesse – es geht um die Gewaltdefinition des Staates97 und sein Gewaltmonopol, das darauf abzielt: „Wer die Ordnung stört, muss vernichtet werden.“98 Aus dem Erfahrungshorizont mit einer NS-Justiz, deren Personal bruchlos in die neue Republik übernommen wurde und die seit der Weimarer Republik auf dem „rechten Auge“ blind ist, polemisiert er gegen juristische Willkür,99 Berufsverbote100 und die Schonung von Rechtsextremisten.101 Alles andere als ein Extremist oder gar gewaltbereit, sieht Boehlich zwischen den beiden Spielarten des Extremismus einen entscheidenden Unterschied: „Den Linken fehlt, um es prägnant zu sagen, das pathologische Element und schon gar das, was Meinungsforscher den Siegfriedkomplex genannt haben und unter dem die Verklärung angeblicher nationaler Tugenden, der Glaube, diese seien nur bei einem selbst zu finden, zu verstehen ist“.102 Boehlich suchte sich, wie erwähnt, seine Themen selbst. Zielscheibe waren die tragenden Institutionen des Staates, neben der Justiz gelegentlich die Bundeswehr103 und der Bundesnachrichtendienst, ausgesprochen selten dagegen und nur in den Anfangsjahren die Kirchen. Überraschend uninteressiert zeigt er sich auch an den sozialen Verhältnissen: Von der Arbeitswelt ist kaum die Rede, von den Gewerkschaften nur dann, wenn sie in Skandale – Neue Heimat- oder Coop-Skandal – verwickelt sind. Das ‚Proletariat‘ ist für ihn sichtlich eine eher theoretische Größe und wird wahrgenommen vor allem dann, wenn es akademisch vorgebildet oder weit weg ist, wie die englischen Bergarbeiter.104

 95 Walter Boehlich: Noch einmal davongekommen. In: Titanic (1986) H. 7, S. 32–36; dabei geht es um den Fall des Journalisten Kraft Wetzel, der auf Intervention des „Zeit“-Herausgebers Helmut Schmidt entlassen werden sollte, weil diesem Wetzels Beitrag über den historischen Verrat der SPD nicht genehm war.  96 Walter Boehlich: Asyl, Asyl! In: Titanic (1986) H. 10, S. 22–25.  97 Walter Boehlich: Wie es euch gefällt. In: Titanic (1987) H. 1, S. 30–33.  98 Walter Boehlich: Erlebnisraum an der Elbe. In: Titanic (1988) H. 1, S. 22–25, hier S. 25.  99 Walter Boehlich: Repräsentanten des Staates. In: Titanic (1984) H. 10, S. 24–28. 100 Walter Boehlich: Ein Gemüsehändler als Verfassungsfeind. In: Titanic (1991) H. 11, S. 20–22. 101 Walter Boehlich: Schuld und Sühne. In: Titanic (1994) H. 6, S. 22/23. 102 Walter Boehlich: Die Bombe im Kanzleramt. In: Titanic (1981) H. 5, S. 22–24, hier S. 24. 103 Mehrmals befasste sich Boehlich auch mit der verfassungsrechtlichen Diskussion um die Aussage ‚Soldaten sind Mörder‘. 104 Im Märzheft kritisiert er die deutschen Gewerkschaftsführer für ihre mangelnde Solidarität mit den britischen Bergarbeitern, die, so glaubt er, die ‚Systemfrage‘ stellten, vgl. Walter Boehlich: Englische Klassenkämpfe. In: Titanic (1985) H. 3, S. 30–35.

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Die so genannten Deutschen Einen herausragenden Stellenwert hat bei Boehlich dagegen das, was man die Identitätsdebatte nennen könnte. Schon in der Durchsicht der Kolumnen, die vom Verhältnis der Deutschen zu ihren Nachbarländern handeln, wurde seine Abneigung gegen alles genuin ‚Deutsche‘, zumal wenn es chauvinistisch oder gar rechtsradikal daherkommt, deutlich: „Muss sich denn der Mensch mit etwas ihm äußerlich Zugeordneten identifizieren?“105 Dass er die Auseinandersetzung mit dem ‚Deutschen‘ aber immer auch im Verhältnis zum Jüdischen und zur Geschichte sieht und sich gegen rassi(sti)sche Klassifizierungen verwahrt, wird schon in einigen frühen Titanic-Texten deutlich: Im Dezember 1979 kommentiert er ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das die Ehre der jüdischen Opfer zu einer nur privat einklagbaren Sache erklärt. Damit, so Boehlich, perpetuiere der BGH „die Sonderstellung der Juden […] für alle Zeiten“ und mache aus den nachgeborenen Enkeln Opfer.106 Das „Jubiläum“ der Nürnberger Gesetze 1985 liefert ihm den Anlass „zum Nachdenken über das, was Deutsche Minderheiten anzutun imstande sind“, im Namen des „deutschen Blutes“.107 Ob in Bezug auf die in den achtziger Jahren schon einmal geführte Demografiedebatte108 oder auf die in Deutschland lebenden Ausländer, ob über ‚biologisches‘ oder ‚kulturelles‘ Deutschtum verhandelt wird: Immer weist Boehlich darauf hin, dass die ‚so genannten Deutschen‘ neben dem gemeinsamen Schuldzusammenhang nur die Sprache teilen.109 Aber auch nach anderer Seite hin grenzt er sich gegen Identitätsdenken ab: Bezogen auf die Kritik an Begins Palästinenser-Politik vermerkt er, es sei „ein merkwürdiges Verständnis von Moral, daß einer gar nicht jüdisch genug sein könnte, um Kritik an dem üben zu dürfen, was Begin […] anrichtet. Trotzdem, selbst wenn ein Kritiker so jüdisch ist, wie man nur sein kann, er erleidet das Schicksal der Nicht-Juden, mit dem kleinen Unterschied, dass er kein schlichter Antisemit ist, sondern ein jüdischer Antisemit.“110 Die Rede Martin Walsers in der Paulskirche 1993 liefert Boehlich die Steilvorlage, grundsätzlich mit dem ‚Nationalen‘ abzurechnen: Der von Walser reklamierte Heimat-Begriff, so Boehlich, sei zunächst einmal „ein Luxus von immer wenigeren und für immer wenigere“. Die Erinnerung an eine „‚Heimat‘, die im Hafenschlick versunken“ oder „vom Braunkohleabbau weggeräumt“ sei, treibe weniger sentimentale Blüten. Wenn Walser sein Regional-Idyll nun aber mit Nation und Vaterland überhöhe, wolle er vielleicht „das Gute“, rede jedoch denen das Wort, die die Nation restituieren wollen, „etwas ganz und gar Überholtes“. Walser indessen halte „das Nationale für ein Stück Natur, nicht für etwas Ver­mit­

105 Mattenklott: Gespräch (wie Anm. 38), S. 166. 106 Vgl. Walter Boehlich: Erbgut. In: Titanic (1979) H. 12, S. 22. 107 Walter Boehlich: Ein Herrenmenschen-Jubliäum. In: Titanic (1985) H. 10, S. 28–33. 108 Walter Boehlich: Die Deutschen sterben aus. In: Titanic (1984) H. 4, S. 19–32 ist ein Beispiel einer wirklich den Namen verdienenden Glosse, die zudem auf einige Denkfiguren in der heutigen Debatte verweist. 109 Vgl. Walter Boehlich: Die Sieger der Geschichte. In: Titanic (1991) H. 2, S. 20–23. 110 Walter Boehlich: Der Kollektivmaulkorb. In: Titanic (1982) H. 9, S. 18/19, hier S. 19.

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teltes“.111 Unterstellte Boehlich 1993 Walser noch die gute Absicht, zerschneidet er 1999 endgültig das Tischtuch zwischen sich und dem Großschriftsteller. An gleichem Ort und damit symbolisch aufgeladen, hält Walser seine berühmte Rede, die ihm den Vorwurf des in der allgemeinen Vergessenskultur eingebetteten Geschichtsrelativismus einbringen wird.112 Nicht dass Walser sich Rechenschaft abgibt über seine Gefühle im Hinblick auf die NSVergangenheit, ist für Boehlich Stein des Anstoßes, sondern dass er es explizit als „nichtjüdischer Deutscher“ tut und damit in die alten Kategorien verfällt: „Es hilft uns keinen Schritt weiter, wenn wir nach wie vor unterscheiden zwischen Deutschen und Juden, als könne es keine deutschen Juden geben, als hätte es sie nie gegeben, obgleich es sie doch in großer Zahl gab“.113 Was Boehlich bei Walser noch als „Seelenarbeit“ und „individuelle Entschuldung“ diagnostiziert,114 spukt in der Leitkultur-Debatte als politisches Phantom durch die Republik. Die deutsche Wertewelt, mit der die ausschlagende Rechte in die Mitte heimgeholt werden solle, habe qua „Nibelungentreue“, „Kadavergehorsam“ und „Mangel“ an „Zivilcourage“ eben jene Ausrottungspolitik hervorgebracht, von der heute keiner mehr wissen wolle.115 Mit Diderot, dem großen Enzyklopädisten, besteht Boehlich darauf, gegen die „deutsche Leitkultur“ das Glück der größten Zahl zu setzen: „Alle Menschen sind sich einig in dem Wunsch nach Glück. […] Alles, was kein Glück ist, ist uns fremd; einzig das Glück hat eine unverkennbare Macht über unser Herz.“116

Bindeglied zwischen den Generationen Vielleicht ist es kein Zufall, dass es sich bei der zweitletzten Kolumne, die Boehlich in der Titanic veröffentlichen konnte, um ein engagiertes Plädoyer für das Glück handelt. Boehlich war ein Spötter, aber er war auch ein Moralist, wenn auch „kein Missionar“,117 nicht nur in seiner Abwägung von juristischem und moralischem Recht. Seine Verteidigung Christa Wolfs etwa, die er als Schriftstellerin kritisch beurteilte, hob darauf ab, dass der Angriff nicht auf sie zielte, „weil sie sich verändert hätte“, sondern „weil sich etwas verändert hat“.118 Am Beispiel des historischen Falles Walter Janka/Anna Seghers dekliniert er die Fährnisse persönlicher Unzulänglichkeit und Feigheit.119

111 Walter Boehlich: Walsers Sorgen. In: Titanic (1993) H. 8, S. 22/23. 112 Vgl. hierzu den Aufsatz von Matthias N. Lorenz in diesem Band. 113 Walter Boehlich: Ich, ich – wir. In: Titanic (1999) H. 1, 20–23, hier S. 20. 114 Ebd. S. 20. 115 Walter Boehlich: Von deutscher Leitkultur. In: Titanic (2000) H. 12, S. 20–23, hier S. 23. 116 Ebd. 117 So charakterisiert ihn van den Meulen im Interview (wie Anm. 4). 118 Boehlich: Kommunizierende Röhren. (wie Anm. 45), S. 25. 119 Walter Boehlich: Der gerechte Richter. In: Titanic (1990) H. 10, S. 20–23.

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Gefeit gegen politische Irrtümer – nicht nur im Hinblick auf Helmut Kohls „Inter­ regnum“120 – war Walter Boehlich trotz allen Wissens121 und aller Erfahrung indessen nicht: Auch angesichts des Wiederaufbaus des Stadtschlosses und der Umbettung feudaler Gebeine kann von einer „Rekonstruktion Preußens“ bis heute wohl keine Rede sein,122 eine „Regionalpartei“ ist die PDS auch nicht geblieben123 und ob Jürgen Trittin als „Bewahrer der grünen Werte“124 in die Geschichte eingehen wird, bleibt noch abzuwarten. Eine Vorliebe hatte Boehlich für bestimmte Bilder und Redewendungen: Buridans Esel 125 hat es ihm, wenn es um die Wahl zwischen zwei ‚Heuhaufen‘ geht, besonders angetan, und wenn er Uneindeutigkeit kritisiert, bemüht er immer mal wieder die Wendung ‚Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass‘.126 Er greift in die Märchenkiste, beleiht bekannte und weniger bekannte Volkslieder (Der Hans im Schnakenloch)127 und Schlager (Der Nowak)128, aber am liebsten lässt er den ‚Schwanz mit dem Hund‘ wedeln, eine Reminiszenz vielleicht an den eigenen Hund, der Boehlich begleitete. Ob die Essays des „letzte[n] Mohikaner[s] der linken Publizistik“ wie ein „Fremdkörper in einem Heft, das ansonsten nur wenig für die politische Bewußtseinsbildung seiner Leserschaft beitrug“, gewirkt haben mögen, womit sie Klaus Cäsar Zehrer in seiner Dissertation auch gleich in einem Satz erledigt,129 sei dahingestellt; in den Leserumfragen, sagt Hans Zip­ pert, sei Boehlichs Kolumne jedenfalls immer „gut weggekommen“.130 Was Boehlich über zwei Jahrzehnte bei der ‚Nonsens-Fraktion‘ namens Titanic gehalten haben mag, lässt sich nach Lektüre des Konvoluts indessen nur ahnen. Vielleicht blieb er dort hängen, weil die Arbeit zwischen Redaktion und Autor nach Aussagen beider Chefredakteure immer ohne Konflikte verlief; vielleicht, weil es für einen wie Boehlich gar keine andere publizistische „Heimat“ gegeben hätte – „wo hätte die denn sein sollen?“, fragt Zippert. „Wir waren seine Bühne und wir waren dankbar, dass er sie gewählt hatte“, erklärt Lionel van der Meulen: „Für uns war er ein Bindeglied zwischen uns Achtundsechzigern und unseren politisch belasteten Eltern, der Nachfahre von Tucholsky und Polgar, der uns mit den Gescheiten von früher verband.“131 Die nachgeborene ‚Spaßgeneration‘, die die Titanic später übernahm, 120 Walter Boehlich: Kanonen statt Butter. In: Titanic (1992) H. 11, S. 21–32. 121 Und manchmal irrte der Belesene auch da: den wissenssoziologischen Begriff „freischwebende Intelligenz“ etwa schreibt er Max Weber statt Karl Mannheim zu, vgl. Boehlich: Kommunizierende Röhren (wie Anm. 45), S. 21. 122 Walter Boehlich: Die unheimliche Hauptstadt. In: Titanic (1990) H. 8, S. 22–25. 123 Walter Boehlich: Partei der Schuldigen. In: Titanic (1994) H. 2, S. 22/23. 124 Walter Boehlich: Lachnummer der Nation. In: Titanic (1999) H. 8, S. 18–21. 125 Boehlich: Buridans Esel (wie Anm. 88). 126 Vgl. Walter Boehlich: Wasch mir den Pelz. In Titanic (1999) H. 12, S. 48–51. 127 Walter Boehlich: Hans im Schnakenloch. In: Titanic (1998) H. 8, S. 18–21. 128 Walter Boehlich: Aber der Nowak. In: Titanic (1982) H. 2, S. 14–16. 129 Klaus Cäsar Zehrer: Dialektik der Satire. Zur Komik von Robert Gernhardt und der „Neuen Frankfurter Schule“. Osnabrück: Der andere Verlag 2002. Online Zugriff: http://preview.tinyurl.com/3aa88r, S. 254. 130 Interview Hans Zippert (wie Anm. 6). 131 Interview van der Meulen (wie Anm. 4).

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wollte sich dieser Devotion offenbar nicht mehr anschließen: „Walter Boehlich ist gewiss ein ehrwürdiger Mann“, konzedierte Max Goldt, seine Rubrik würde jedoch von den meisten Lesern überblättert und überlebe nur, „weil sich die Titanic ,vom Image her‘ doch eher ‚links‘ geben möchte“.132 Dieses Urteil stammt aus dem Jahr 1995. Hans Zippert behauptet, Goldt habe es inzwischen revidiert. Boehlich sei diesem am Ende doch sehr ans Herz gewachsen.133

132 Was wäre, wenn ein Löwe aus dem Frankfurter Zoo alle Titanic-Redakteure aufäße? In: Hans Zippert (Hrsg.): Genschman war Engholms Lutscher bei Thomas Gottschalk. Die besten Titanic-Satiren aus ­sieben Jahren 1988–1994. Berlin: Elefanten-Press 1995, o. S. 133 Interview mit Hans Zippert (wie Anm. 6).

Anhang

Walter Boehlich auf der Buchmesse, Frankfurt/M., 8. 10. 1969 © Erika Sulzer-Kleinemeier

Helen Thein

Walter Boehlich – Bibliographie

Walter Boehlich mag auf den ersten Blick als ein Autor ohne eigenes Werk erscheinen, als Kritiker anderer. Diesen Eindruck revidieren und einen zu engen Werkbegriff kritisieren will die nachstehende Bibliographie der Arbeiten Walter Boehlichs. Ziel war eine vollständige Übersicht über Boehlichs Schaffen. Doch die Recherchen ergaben, dass es noch unentdeckte Publikationen geben muss. So befinden sich im Nachlass undatierte Manuskripte, denen bislang keine Veröffentlichung zugeordnet werden konnte. Die Bibliographie ist nach dem Autopsieprinzip erstellt worden. Nicht eingehalten werden konnte dieser Anspruch für die Radio- und Fernseharbeiten. Hier beruhen die Recherchen auf der Sichtung von Programmheften, Anfragen bei den Sendeanstalten und der Auswertung von Honorarabrechnungen im Nachlass. So konnten zahlreiche, als solche gekenn­­zeichnete Sendemanuskripte gefunden werden, was in der Bibliographie vermerkt wird. Begonnen wurde mit den Recherchen für die Bibliographie, als im Jahre 2008 im Auftrag des Moses Mendelssohn Zentrums die Nachlassbibliothek Walter Boehlichs aufgenommen wurde. In den folgenden Jahren haben mich viele unterstützt: Die ersten Recherchen wurden von Sabine Boehlich fundiert, die mir nicht nur alle Texte ihres Onkels, die sich in ihrem Besitz befinden, zur Verfügung stellte, sondern auch die von Walter Boehlich selbst angelegten Listen seiner frühen Veröffentlichungen. Karlheinz Braun überließ mir leihweise Teile des Nachlasses, der von der Autorenstiftung Frankfurt/Main verwaltet wird, und teilte zudem mit uns seine Erinnerungen an seinen Freund und Kollegen. Dies gilt auch für Peter Urban, der für uns sein Privatarchiv sichtete, und für die Verlegerin Katharina WagenbachWolff, die uns Exemplare aller Bücher schenkte, die Boehlich mit der Friedenauer Presse machte. Leo Fischer, Chefredakteur der Titanic, ließ eine erste Bibliographie von Boehlichs Kolumnen erstellen. Mehrere Nachmittage durfte ich am Schreibtisch von Norbert Gravius im Titanic-Verlag das Archiv der Zeitschrift sichten, eine unschätzbare Hilfe, denn nur dort fand ich eine vollständige Sammlung aller Titanic-Ausgaben. Wolfgang Hempel half, ebenso wie Simone Krull, bei den Recherchen der Rundfunkarbeiten von Boehlich. Herzlich zu

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danken ist auch den Archivarinnen und Archivaren in den Sendeanstalten, die auf unsere gezielten Nachfragen umsichtig und umgehend reagierten: Christine Pasdera vom Bayerischen Rundfunk, Henning von Gruenenwald vom Norddeutschen Rundfunk, Harald Loe­wenich vom Westdeutschen Rundfunk. Von unschätzbarem Wert für die Erstellung der Bibliographie waren die zahlreichen Funde von Christoph Kapp, die er im Rahmen seiner Forschung zu einer Biographie von Walter Boehlich machte. Brigitte Thein hat mit liebevoller Akribie die bibliographischen Listen Korrektur gelesen.

Siglen BR Bayerischer Rundfunk DLF Deutschlandfunk DLR Deutschlandradio Kultur Hessischer Rundfunk HR ORF Österreichischer Rundfunk RIAS Rundfunk im amerikanischen Sektor

Sender Freies Berlin SFB SDR Süddeutscher Rundfunk SR Saarländischer Rundfunk SWF Südwestfunk WDR Westdeutscher Rundfunk FS Fernsehen

Bibliographie – Übersicht I Selbständige Veröffentlichungen Autor (alphabetisch) Herausgeber (alphabetisch) Übersetzer (alphabetisch) II Unselbständige Veröffentlichungen Beiträge in Sammelbänden (chronologisch) Interviews (chronologisch) Petitionen/Offene Briefe (chronologisch) Vor- und Nachworte (alphabetisch) Vorworte in Rowohlt Jahrhundert (alphabetisch) Übersetzungen (alphabetisch)

Zeitschriften Wochenzeitungen Tageszeitungen III Arbeiten für Radiostationen Autor (chronologisch) Diskussionsteilnehmer (chronologisch) Hörspiele, Features, Lesungen nach Vorlagen von Walter Boehlich IV Arbeiten für das Fernsehen Autor (chronologisch) Diskussionsteilnehmer (chronologisch) Fernsehsendungen nach „1848“

Walter Boehlich – Bibliographie 

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I Selbständige Veröffentlichungen Autor (alphabetisch) 1848. Dokumentation in neun Szenen. Eingerichtet nach dem „Stenographischen Bericht über die Verhandlungen der Deutschen Constituirenden Nationalversammlung“. Frank­ furt/M.: Verlag der Autoren 1991 (= Theaterbibliothek). Andere Ausg.: 1973 [als Manuskript gedruckt]. Hörspielfassung: 1848. Das Wort ist aufgeblüht zur Tat. Regie: Ulrich Heising. Ursendung: HR, 18. 5. 1998, 75'33 Min. Die Antwort ist das Unglück der Frage. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Helmut Peitsch und Helen Thein. Frankfurt/M.: Fischer 2011.

Herausgeber (alphabetisch) Basile, Giambattista: Das Märchen aller Märchen „Der Pantamerone“. Dt. v. Felix Liebrecht. Bd. 1–5. Frankfurt/M.: Insel 1982 (= Insel Taschenbuch; 354). Als Lizenzausgabe unter dem Titel: Italienische Märchen: der Pentamerone des Giambattista Basile. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1982. Inhaltlich identisch mit: Italienische Märchen: der Pentamerone des Giambattista Basile. Frankfurt/M. [u. a.]: Insel 1991. Beckett, Samuel: Auswahl in einem Band. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1967.1 Der Berliner Antisemitismusstreit. Frankfurt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 6). 2. Aufl. 1965. Neuaufl.: 1988 (= Insel Taschenbuch; 1098). Freud, Sigmund: Jugendbriefe an Eduard Silberstein. Frankfurt/M.: Fischer 1989. Darin: Editorische Vorbemerkung, S. VII–IX; Nachwort, S. 229–244. Engl. Ausg.: The Letters of Sigmund Freud to Eduard Silberstein. Cambridge, Mass.: Belknap Press of Harvard Univ. Press 1990. Rumänische Ausg.: Scrisori din tinerete · c˘atre Eduard Silberstein, 1871–1881. Introducere ¸si note de Walter Boehlich; traducere din limba german˘a de Ioan Milea; editie · îngrijit˘a de Florin Vl˘adescu. Binghamton, N.Y.: Editura Sigmund Freud 1993 (= Biblioteca psihanalitic˘a). Ital. Ausg.: Querido amigo …: lettere della giovinezza a Eduard Silberstein, 1871–1881. Torino: Boringhieri 1991 (= Saggi). Portug. Ausg.: As cartas de Sigmund Freud para Eduard Silberstein. Rio de Janeiro: Imago 1995.

1

Es ist kein Hrsg. angegeben, auf Boehlich als Herausgeber weist aber Wolfgang Hildesheimer hin: vgl. ders.: Zu deuten gibt es nichts. In: Der Spiegel, 26. 12. 1967, S. 98; vgl. auch: Herrschaft ohne Ende. Walter Boehlich über Samuel Beckett „Watt“. In: Der Spiegel, 21. 12. 1970, S. 110.

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Helen Thein



Franz. Ausg.: Lettres des jeunesse. Trad. de l’allemand par Cornélius Heim. Paris: Gallimard 1990 (= Connaissance de l’inconscient), Notiz des Hrsg.: S. 11–13; Walter Boehlich: Introduction, S. 17–31. Span. Ausg.: Cartas de juventud: con correspondencia en Español inédita. Edición de la versión esp. a cargo de Angela Ackermann Pilári. Barcelona: Gedisa 1992 (= Psicoteca mayor). Darin: Walter Boehlich: Cartas a Eduard Silberstein (1871–1881): Presentación de la edición alemana, S. 31–34; ders.: Epílogo a las cartas de Sigmund Freud a Eduard Silberstein, S. 270–286. Germanistik – eine deutsche Wissenschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1967 (= edition suhrkamp; 204).2 Gervinus, Georg Gottfried: Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 24,1). Der Hochverratsprozeß gegen Gervinus. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 24,2). Gutzkow, Karl: Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 36). Mann, Thomas: Schriften zur Politik. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970 (= Bibliothek Suhrkamp; 243). Proust, Marcel: Briefe zum Werk. [Übers. v. Wolfgang A. Peters]. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1964. Andere Ausg.: 1977 (= suhrkamp taschenbuch; 404). Daraus: Briefe Marcel Prousts an Louis de Robert. Deutsch von Walter Boehlich. In: Neue Zürcher Zeitung, 27. 6.1964. Daraus: Die beschworene Zeit. Briefe von Marcel Proust. In: Süddeutsche Zeitung, 22./23. 8.1964. Strauß, David Friedrich: Soirées de Grandval. Berlin: Friedenauer Presse 1996.

Übersetzer (alphabetisch) Andersen, Hans Christian: Die Frau mit den Eiern. Erzählendes Gedicht. Odense: Lactosan 1953. Bang, Herman: Eine Geschichte vom Glück. Berlin: Friedenauer Presse 1993. 2. Aufl. 1993. Bang, Herman: Sommerfreuden. Reinbek: Rowohlt 1993 (= Rowohlt Jahrhundert; 100, rororo; 40100). Neuaufl. 1996 (= rororo; 13912). 2

Es ist kein Hrsg. in dem Buch angegeben, jedoch geht sowohl aus den Briefen an Peter Wapnewski wie aus dem Grußwort von Eberhard Lämmert für die Konferenz „Walter Boehlich – Kritiker“ hervor, dass Walter Boehlich den Band zusammengestellt hat, vgl. die Briefe vom 2. 10., 26. 6. und 2. 9. 1966 an Peter Wapnewski im Archiv der Künste, Bestand Wapnewski, Sign. 31 sowie den Brief von Lämmert an Helmut Peitsch vom 28. 11. 2009, im Privatbesitz des Adressaten.

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Bang, Herman: Das weiße Haus. Das graue Haus. Zürich: Manesse 1958 (= Manesse Bibliothek der Weltliteratur). Andere Ausg.: Göttingen: Steidl 1998 (= Bibliothek der Romane; 5). Andere Ausg.: Frankfurt/M.: Insel 2007 (= Insel Taschenbuch; 3256). Bang, Herman: Das graue Haus. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978 (= Bibliothek Suhrkamp; 587). Bang, Herman: Das weiße Haus. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978 (= Bibliothek Suhrkamp; 586). 5. Tsd. 1980. Blicher, Steen Steensen: Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters. Aus dem Däni­ schen übers. und hrsg. von Walter Boehlich. Berlin: Friedenauer Presse 1993 (= Ein Win­ terbuch). 2. Aufl. 1993. In Auszügen nachgedruckt in: Keel, Aldo (Hrsg.): Skandinavische Erzähler. Von „Thorstein Stangenhieb“ bis August Strindberg. Zürich: Manesse 1998, S. 38–86. Blixen, Tania: Moderne Ehe und andere Betrachtungen. Nachw. v. Hanns Grössel. Frank­ furt/M.: Suhrkamp 1987 (= Bibliothek Suhrkamp; 886). Andere Ausg.: 1992 (= Suhrkamp Taschenbuch; 1971). Dagan, Gabriel: Die Verabredung. Schauspiel in 2 Akten. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1986 [als Manuskript gedruckt]. Debray, Régis, Salvador Allende: Der chilenische Weg. Essay. Neuwied u.a.: Luchterhand 1972 (= Sammlung Luchterhand; 42). Duras, Marguerite: Der Nachmittag des Herrn Andesmas. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1963 (= Bibliothek Suhrkamp; 109). 7. Tsd. 1986. Andere Ausg.: 1997 (= Suhrkamp Taschenbuch; 2644). Duras, Marguerite: Zerstören, sagt sie. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1969. Andere Ausg.: Neuwied u.a.: Luchterhand 1970 (= Sammlung Luchterhand; 12). Andere Ausg.: Berlin: Brinkmann & Bose 1984. Andere Ausg.: Zerstören, sagt sie. Deutschsprachige Erstaufführung [mit Roman-Abdruck]. Frankfurt/M.: Gesellschaft für die Frankfurter Kunsthalle in der Schirn und weitere kulturelle Aktivitäten 1985 (= Dramatiker-Werkstatt; 3). Andere Ausg.: München: dtv 1989 (= dtv; 11063). Duras, Marguerite: Suzanna Andler. Ein Dialogstück. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1969 [als Manuskript gedruckt]. Giraudoux, Jean: Simon. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1961 (= Bibliothek Suhrkamp; 73). 9. Tsd. 1964. Jara, Víctor: Víctor Jara. Sein Leben, seine Lieder. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1976. Kierkegaard, Søren: Briefe. Ausgew., übers. und mit einem Nachw. versehen v. Walter Boehlich. Köln, Olten: Hegner 1955. Andere Ausg.: Frankfurt/M.: Insel 1983 (= Insel Taschenbuch; 727). Lascano Tegui, Vizconde de: Von der Anmut im Schlafe. Aus dem argent. Spanisch übers. und hrsg. von Walter Boehlich. Berlin: Friedenauer Presse 1995 (= Ein Winterbuch).

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2. Aufl. 1995. Auszüge nachgedruckt in: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur und kulturelle Initiativen (1997) H. 49, S. 69–76. Modigliani, Amedeo: Modigliani. Einl. v. Renzo Modesti. Übers. v. Walter Boehlich u. Silja Wendelstadt. [Stuttgart, Hamburg]: Deutscher Bücherbund 1961 (= Kleine Galerie großer Meister). Die Ostindienfahrer. Ein Abenteuerbuch. Kindertheatergruppe Göteborg. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1970 [als Manuskript gedruckt]. Als Hörspiel: Die Ostindienfahrer. Abenteuer-Hörspiel für Menschen ab 8. HörspielBearb.: Peter Tiefenbrunner. Vorlage: Kindertheatergruppe Göteborg. Lohr: Modus Viven­di 1990 (MC). Pommeret, Xavier: Kommissar Felix Kulpa schafft Ordnung. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1971 [als Manuskript gedruckt]. Als Hörspiel: Regie: Walter Adler. WDR, 1974. Ronild, Peter: Die Körper. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971 (= edition suhrkamp; 462). Saint-Hélier, Monique: Die Weisen aus dem Morgenland. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1958 [Privatdruck für die Freunde des Verlages]. Sender, Ramón José: Requiem für einen spanischen Landmann. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1964 (= Bibliothek Suhrkamp; 133). 7. Tsd. 1980. 3. Aufl. 1991. Lizenzausg. DDR: Berlin: Volk und Welt 1985 (= Spektrum; 202). Sender, Ramón José: Der Verschollene. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1961 (= Bibliothek Suhrkamp; 69). Lizenzausg. DDR: Berlin: Aufbau 1963. Andere Ausg.: Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984 (= Suhrkamp Taschenbuch; 1037). Söderberg, Hjalmar: Abendstern. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1980 [als Manuskript gedruckt]. Söderberg, Hjalmar: Gertrud. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1981 (= Theaterbibliothek; 15). Andere Ausg.: [1979] [als Manuskript gedruckt]. Söderberg, Hjalmar: Gertrud. Zwei Stücke. [Enth. auch: Abendstern]. Vorw. v. Botho Strauß. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1997 (= Theaterbibliothek). Vega Carpio, Lope de: Die Irren von Valencia. Schauspiel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1967 [als Manuskript gedruckt]. Woolf, Virginia: Mrs Dalloway. Frankfurt/M.: Fischer 1997 (= Gesammelte Werke, Prosa; 5). Andere Ausg.: Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuchverl. 1997 (= Fischer; 14002); auch als (= Fischer; 1982). Andere Ausg.: Frankfurt/M.: Fischer 1999. Andere Ausg.: Mit einem Nachw. v. Sibylle Lewitscharoff. Zürich: Manesse 2004 (=  Ma­nes­se-Bibliothek der Weltliteratur).

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Limitierte Sonderausg.: Frankfurt/M.: Fischer 2006. Sonderausg.: Frankfurt/M.: Fischer 2006 (= Fischer-Jahrhundertwerke). Limitierte Sonderausg.: Frankfurt/M.: Fischer 2007. Lizenzausg.: München: Süddt. Zeitung 2007 (= Süddeutsche Bibliothek; 54). Neuausg.: Frankfurt/M.: Fischer 2008. Lesung: Gelesen v. Angela Winkler; Regie: Kai Luehrs-Kaiser. 5 CDs. München: Der Hörverlag 2001.

II Unselbständige Veröffentlichungen Beiträge in Sammelbänden (chronologisch) Die fehlende Generation. In: Joachim Moras, Hans Paeschke (Hrsg.): Deutscher Geist zwischen Gestern und Morgen. Bilanz der kulturellen Entwicklung seit 1945. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1954, S. 382–397. Heliodorus Christianus. Cervantes und der byzantinische Roman. In: Freundesgabe für Ernst Robert Curtius zum 14. April 1956. Bern: Francke 1956, S. 103–124. Bibliographie Ernst Robert Curtius 1907–1956. In: Freundesgabe für Ernst Robert Curtius zum 14. April 1956. Bern: Francke 1956, S. 213–234. Ein Pyrrhussieg der Germanistik. In: Joachim Schickel (Hrsg.): Weltbetrachtung 10 Uhr abends. Hamburg: Hoffmann und Campe 1962, S. 229–257. Gekürzter Nachdruck aus: Der Monat 13 (1961) H. 154, S. 38–53. Kritik und Selbstkritik. In: Gert Kalow (Hrsg.): Sind wir noch das Volk der Dichter und Denker? 14 Antworten. Reinbek: Rowohlt 1964 (= rororo; 681), S. 39–49. Vorabdruck: Sind wir noch ein Volk der Dichter und Denker? In: Die Zeit, 14. 2. 1964. Auch Rundfunkvortrag im HR, 1963/64. Was man aus der Geschichte lernen soll [zu Golo Mann: Geschichte und Geschichten]. In: Kalevi Tarvainen, Helmut Henning (Hrsg.): Pro Exercitio. Moderne deutsche Texte. Jyväskylä: Gummerus 1964, S. 109–115.3 Nachdruck aus: Die Zeit, 21. 9. 1962. Montesquieu: Moralia Geographica. In: Joachim Schickel (Hrsg.): terra incognita. Der Mensch und seine Landschaft. 12 Essays. Bergisch-Gladbach: Lübbe 1965, S. 225–247. Vgl.: Lettres Persanes. Montesquieus moralische Geographie. NDR 3 – Weltatlas, 26. 3. 1964, 57'14 Min. Aus dem Zeughaus der Germanistik. Die Brüder Grimm und der Nationalismus. In: „Herausgegriffen“ aus deutschen Zeitungen, Zeitschriften und Büchern. Bern: Deutsche Botschaft der Bundesrepublik Deutschland 1966, S. 8–25. Nachdruck in: Der Monat 18 (1966) H. 217, S. 56–68.

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Das ist eine Textsammlung für Übersetzungsübungen an Universitäten und Hochschulen, die Beiträge wurden mehrheitlich der „Zeit“ entnommen.

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Friedrich Sieburgs Unmut. In: Reinhard Lettau (Hrsg.): Die Gruppe 47. Bericht, Kritik, Polemik. Neuwied, Berlin: Luchterhand 1967, S. 347–352. Nachdruck aus: Die Zeit, 7. 12. 1962. Kann man Lope retten? In: Programmheft. Theater am Turm: Frankfurt/M., 27. 9. 1967. Herrschaft ohne Ende. Über Samuel Beckett „Watt“. In: Hans Ulrich Gumbrecht: Literaturkritik. München: Bayerischer Schulbuch-Verl. 1973, S. 75/76. Nachdruck aus: Der Spiegel, 21. 12. 1970, S. 110. Thomas Manns „Doktor Faustus“. In: „Als der Krieg zu Ende war“. Literarisch-politische Publizistik 1945–1950. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im SchillerNationalmuseum Marbach a. N. Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 1973, S. 284/285. 4. Aufl. 1995. Auszugsweise Nachdruck aus: Merkur 2 (1948), S. 588–603. Zu spät und zu wenig. Thomas Mann und die Politik. In: Heinz L. Arnold (Hrsg.): Thomas Mann. München: edition text & kritik 1976 (= Text & Kritik: Sonderband), S. 45–60. 2., erw. Aufl. 1982. Zuvor als Rundfunksendung: Thomas Mann: Zu spät und zu wenig. Über die politischen Schriften. NDR – Kulturelles Wort, 15. 4. 1975, 57'35 Min. Die Farbe der Hoffnung ist rot. In: Karola Bloch, Adelbert Reif (Hrsg.): Denken heißt überschreiten. In memoriam Ernst Bloch 1885–1977. Köln u.a.: EVA 1978 (= Studien zur Gesellschaftstheorie), S. 122–124. Nachdruck aus: Vorwärts, 11. 8. 1977. Schleyers Kinder. In: Tatjana Botzat, Elisabeth Kiderlen, Frank Wolff (Hrsg.): Ein deutscher Herbst. Zustände, Dokumente, Berichte, Kommentare. Frankfurt/M.: Verl. Neue Kritik 1978, S. 73–75. Neuausg. 1997. Nachdruck aus: Konkret (1977) H. 10, S. 6. Linker Antisemitismus. In: Horst Laube (Hrsg.): Theaterbuch 1. München: Hanser 1978, S. 277–281. Nachdruck in: Das Buch vom Verlag der Autoren 1969–1989. Beschreibung eines Modells und seiner Entwicklung. Zusammengestellt von Peter Urban. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1989, S. 138–140. Autodafé. In: Hermann Glaser (Hrsg.): Bundesrepublikanisches Lesebuch. Drei Jahrzehnte geistiger Auseinandersetzung. München: Hanser 1978, S. 643–646. 2. Aufl. 1979. Nachdruck aus: Kursbuch (1968) H. 15, Kursbogen. Angst vor der Neutralität. In: Heinar Kipphardt (Hrsg.): Vom deutschen Herbst zum bleichen Winter. Ein Lesebuch zum Modell Deutschland. München, Königstein: AutorenEdition 1981, S. 378–383. Nachdruck aus: Titanic (1981) 4, S. 20–22. Springprozession zwischen Himmel und Hölle. Zu Julio Cortázars „Rayuela“. In: Jürgen Lodemann (Hrsg.): Das sollten Sie lesen. Aktuelle Empfehlungen der „Bestenliste“ des

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SWF-Literaturmagazins. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982, S. 43–50 (= suhrkamp taschen­ buch; 852). Nachdruck aus: Lesezeichen: LZ. Zeitschrift für neue Literatur (1982) H. 4, S. 28/29. [mit Hans Jürgen Heinrichs:] Dritte Welt. In: Harald Eggebrecht (Hrsg.): Goethe – ein Denkmal wird lebendig. Dialoge. München, Zürich: Piper 1982, S. 107–115. Publ. von [mit Hans Jürgen Heinrichs im Gespräch] [Dritte Welt und Goethe]. NDR – Kulturelles Wort [innerhalb einer Sendereihe zum 150. Todestag von Goethe, Folge 7], 24. 3. 1982, 29'02 Min. Autodafé. In: Schnell, Ralf: Die Literatur der Bundesrepublik. Autoren, Geschichte, Literaturbetrieb. Stuttgart: Metzler 1986, S. 250. Nachdruck aus: Kursbuch (1968) H. 15, Kursbogen. „Wie die Deutschen mit ihrer Geschichte umgehen.“ In: Hilmar Hoffmann (Hrsg.): Gegen den Versuch, Vergangenheit zu verbiegen: Eine Diskussion um Politische Kultur in der Bundesrepublik aus Anlaß der Frankfurter Römerberg-Gespräche 1986. Frankfurt/M.: Athenäum 1987, S. 61–66. Nachdruck von: Keine Spur von Geschichte. Über den selektiven Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit. Eine Rede von Walter Boehlich, gehalten bei den diesjährigen Römerberg-Gesprächen. In: Konkret (1986) H. 7, S. 44–46. Der Dichter im Arztkittel. Gottfried Benns neue Prosa. In: Bruno Hillebrand (Hrsg.): Über Gottfried Benn. Kritische Stimmen. Bd. 1: 1912–1956. Frankfurt/M.: Fischer 1987, S. 216–218. Nachdruck aus: Die Welt, 13. 5. 1950. Café Laumer. In: Peter Hahn (Hrsg.): Literatur in Frankfurt. Ein Lexikon zum Lesen. Mit Fotos von Andreas Pohlmann. Frankfurt/M.: Athenäum 1987, S. 68.4 Grüneburgpark. In: Peter Hahn (Hrsg.): Literatur in Frankfurt. Ein Lexikon zum Lesen. Mit Fotos von Andreas Pohlmann. Frankfurt/M.: Athenäum 1987, S. 69.5 Schleyers Kinder. In: Hermann L. Gremliza (Hrsg.): 30 Jahre Konkret. Magazin für Politik und Kultur. Hamburg: Konkret Literatur Verl. 1987, S. 221. Nachdruck aus: Konkret (1977) H. 10, S. 6. Plagiarius Raddatz. Vom Rechthaben und vom Rechtbekommen. In: Hermann L. Gremliza (Hrsg.): 30 Jahre Konkret. Magazin für Politik und Kultur. Hamburg: Konkret Literatur Verl. 1987, S. 199/200. Nachdruck aus: Konkret (1975) H. 10, S. 47/48. Der Friedenspreis oder: Die honorige Gesellschaft. Warum gerade die Deutschen und unter ihnen gerade die Buchhändler einen Friedenspreis erfinden und vergeben mußten. In: Hermann L. Gremliza (Hrsg.): 30 Jahre Konkret. Magazin für Politik und Kultur. Ham­burg: Konkret Literatur Verl. 1987, S. 143/144. Nachdruck aus: Konkret (1970) H. 10, S. 53/54. 4 5

Das ist die Hälfte eines Dialogs, die andere ist von Silvia Bovenschen und findet sich S. 88. Das ist die Hälfte eines Dialogs, die andere ist von Silvia Bovenschen und findet sich S. 89.

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Das Loch von Frankfurt. Ein Fall von Vergangenheitsbewältigung. In: Michael Best (Hrsg.): Der Frankfurter Börneplatz. Zur Archäologie eines politischen Konflikts. Frankfurt/M.: Fischer 1988, S. 38–41. Nachdruck aus: Die Zeit, 10. 7. 1987. Wahr oder unwahr? Erich Hackl erzählt eine spanische Geschichte: „Auroras Anlaß“. In: Deutsche Literatur 1987. Stuttgart: Reclam 1988, S. 215–220. Nachdruck aus: Süddeutsche Zeitung, 25. / 26. 4. 1987. Praz und Basile und dies und das. In: Rebekka Habermas, Walter H. Pehle (Hrsg.): Der Autor, der nicht schreibt. Versuche über den Büchermacher und das Buch. Frankfurt/M.: Fischer 1989, S. 28–34. Wie das Modell entstanden ist. In: Das Buch vom Verlag der Autoren 1969–1989. Beschreibung eines Modells und seiner Entwicklung. Zusammengestellt von Peter Urban. Frank­ furt/M.: Verlag der Autoren 1989, S. 9–11. Der Sinn dafür wird vorausgesetzt. April 1970. In: Buch vom Verlag der Autoren 1969– 1989. Beschreibung eines Modells und seiner Entwicklung. Zusammengestellt von Peter Urban. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1989, S. 81–84. Deutschland erwacht. In: Manfred Kluge (Hrsg.): Schwarz-rot-gold. Ein politisches Lesebuch. München: Heyne 1990 (= Heyne Sachbuch; 19/131), S. 310–315. Nachdruck aus: Der Spiegel, 12. 3. 1990, S. 34–37. Deutsche Kontinuität. In: Wilhelm von Sternburg (Hrsg.): Für eine zivile Republik. Ansichten über die bedrohte Demokratie in Deutschland. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verl. 1992. S. 20–22. Übers. Nachdruck: German Continuity. In: The Future of German Democracy with an Essay „On loss“ by Günter Grass. Hrsg. v. Robert Gerald Livingston, Volkmar Sander. New York: Continuum 1993, S. 19–22. „Wie sind wohl die Menschen zu dem Begriff von Freiheit gelangt? Es ist ein großer Gedanke gewesen.“ In: Jörg-Dieter Kogel, Wolfram Schütte, Harro Zimmermann (Hrsg.): Lichtenbergs Funkenflug der Vernunft: Eine Hommage. Frankfurt/M.: Insel 1992, S. 24/25. Parallel in: Frankfurter Rundschau, 27. 6. 1992. Mehr Macht und weniger Kultur. In: Oskar Negt (Hrsg.): Die zweite Gesellschaftsreform. 27 Plädoyers. Göttingen: Steidl 1994, S. 229–235. Laudatio [auf Juan Goytisolo]. In: Kulturpreis der Stadt Dortmund. Nelly Sachs Preis 1993. Dortmund: Kulturbüro Stadt Dortmund 1994, S. 9–12. Vom „freiesten Staat“ und KW. In: „Al dente, forever!“ Für KW zum unglaublichen 65., einmalige, zarte Aufl. zum 65. Geb. von Klaus Wagenbach im Juli 1995. [Berlin]: Wagenbach 1995, S. 37–40. Erinnerung an Lourmarin. In: Iso Camartin (Hrsg.): Wer Europa sagt … Essays und Ehrungen von und für François Bondy. München, Wien: Hanser 1995 (= Dichtung und Sprache; 13), S. 144/145. Autodafé. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Die deutschen Literaturen seit 1945. [Bd. 6] Deutschstunden 1967–1971. München: dtv 1997, S. 140–142.

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Nachdruck aus: Kursbuch (1968) H. 15, Kursbogen. Das ‚deutsche‘ Volk bei ‚seiner‘ Arbeit. Ein befremdeter Blick auf Gustav Freytags Soll und Haben. In: Silvia Bovenschen u.a. (Hrsg.): Der fremdgewordene Text. Festschrift für Helmut Brackert zum 65. Geburtstag. Berlin, New York: de Gruyter 1997, S. 311–319. Germanien und Europa. In: Frank Fürbeth u.a. (Hrsg.): Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien in Europa. 150 Jahre Erste Germanistenversammlung in Frank­ furt/M. (1846–1996). Tübingen: Niemeyer 1999, S. 287–294. Ungeschätzte Schätze. Eine Erwiderung auf Klaus Garbers Kritik an der Benjamin-Ausgabe. In: Klaus Garber, Ludger Rehm (Hrsg.): Global Benjamin. Internationaler Walter-Benjamin-Kongreß 1992. Bd. 3. München: Fink 1999, S. 1819–1821. Nachdruck aus: Frankfurter Rundschau, 29. 6. 1992. Autodafé. In: Protest! Literatur um 1968. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs in Verbindung mit dem Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg und dem Deutschen Rundfunkarchiv im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 1998, S. 99/100 (= Marbacher Kataloge; 51). 2., korr. Aufl. 2000. Nachdruck aus: Kursbuch (1968) H. 15, Kursbogen. Tod einer Buchhändlerin [Nachruf auf Melusine Huss]. In: Die Freundinnen der Bücher. [Bd. 1]: Buchhändlerinnen. Hrsg. v. Bärbel Wegner. Sulzbach/Ts.: Helmer 2001, S. 177– 180. Nachdruck aus: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 2. 6.1989, S. 1810. Leider, ich kann keine Vierzeiler schreiben … In: Werner Vaudlet u.a. (Hrsg.): Das große Nashornbuch. Mit einem Vornashorn von Michael Krüger und einem Nachnashorn von Roger Willemsen. München: dtv 2001 (= Reihe Hanser), S. 100. Autodafé. In: Sascha Michel (Hrsg.): Texte zur Theorie der Literaturkritik. Stuttgart: Reclam 2008 (= Reclam Universal-Bibliothek; 18549), S. 236–239. Nachdruck aus: Kursbuch (1968) H. 15, Kursbogen.

Interviews (chronologisch) „Nehmen sie uns ruhig als Arbeiterbewegung“. Spiegel-Gespräch mit den „Literaturproduzenten“ Dr. Frank Benseler und Walter Boehlich. In: Der Spiegel, 6. 10. 1969, S. 204–210. Boehlich, Walter u.a.: „Macht Fortes Stück Luther kleiner oder menschlicher?“ [Diskussion über „Luther & Münzer“]. In: Theater heute (1971) H. 6, S. 1–4. „Was sollen da noch die Intellektuellen?“ Auch für die kritische Intelligenz darf die SPD nicht zu einer Partei „wie jede andere“ werden. Gespräch mit dem Literaturkritiker Walter Boehlich. In: Vorwärts, 10. 3. 1977. Mattenklott, Gert: Gespräch mit Walter Boehlich. In: ders.: Jüdische Intelligenz in deutschen Briefen. 1619–1988. Frankfurt/M.: Frankfurter Bund für Volksbildung 1988, S. 198–218.

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Nachdruck in: Mattenklott, Gert: Über Juden in Deutschland. Frankfurt/M.: Jüdischer Verl. 1992, S. 163–175. „Optimistisch zu denken ist kriminell“. Eine Fernsehdiskussion über Samuel Beckett [u.a. mit Boehlich]. In: Frankfurter Adorno Blätter 3 (1994), S. 78–122. Überarb. Nachdruck von: Beckett – gegen seine Liebhaber verteidigt, oder Versuch, einen Mythos zu verhindern. HR, FS – Kultur und Musik: Ende offen. Red. Martin Lüdke. Diskussionsleiter: Hans-Geert Falkenberg. Mit: Theodor W. Adorno, Martin Esslin, Ernst Fischer, Walter Boehlich, 2. 2. 1968, 139'57 Min. [Sendeprotokoll, 55 S.]. Letztes Monument der bürgerlichen Kulturgeschichte. In diesen Tagen wird der 24. und damit abschließende Band der großen Brockhaus-Enzyklopädie ausgeliefert. Grund zum Feiern? Grund zum Trauern? Das Börsenblatt befragte den Kritiker und Gelehrten Walter Boehlich. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 30. 6. 1994, S. 44–53.

Petitionen/Offene Briefe (chronologisch) Erklärung über den Krieg in Vietnam. In: Das Argument 8 (1966) H. 36, S. 67–71. Protest, Mahnung, öffentliche Erklärung. Forderung die Umstände des Todes von Benno Ohnesorg unabhängigen Instanzen zu übergeben. In: Die Zeit, 9. 6. 1967. Gegen die Verurteilung von Beate Klarsfeld, November 1968. In: Die Zeit, 2. 11. 1968. „Die neue Linke bekämpft seit Jahren …“. Leserbrief zur Verteidigung Herbert Marcuses. In: Der Spiegel, 29. 7. 1969. Nachdruck in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946–1995. Bd. 2: Dokumente. Hamburg: Rogner & Bernhard 1998, S. 661. Freiheit für Angela Davis. In: Deutsche Volkszeitung, 28.1.1971. Demokratie statt Terrorismus. In: Konkret (1977) H. 12, S. 2. Parallel gedruckt in: Wespennest (1977) Nr. 28, S. 7–9. Aufruf zum Protest gegen die Absicht, das vormalige NSDAP-Mitglied Karl Carstens zum Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland zu wählen. In: Konkret (1979) H. 4, S. 13.

Vor- und Nachworte (alphabetisch) Nachwort. In: Alegria, Ciro: Die hungrigen Hunde. Roman. Aus dem Span. v. Wolfgang A. Luchting. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978 (= Suhrkamp Taschenbücher; 447), S. 157–161. 7. Tsd. 1981. Nachwort. In: Bang, Herman: Das graue Haus. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978 (= Bibliothek Suhrkamp; 587), S. 171–182. Nachwort. In: Bang, Herman: Das weiße Haus. Das graue Haus. Zürich: Manesse 1958 (= Manesse Bibliothek der Weltliteratur), S. 421–436. Andere Ausg.: Göttingen: Steidl 1998 (= Bibliothek der Romane; 5), S. 273–285.

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Nachbemerkung [zu: Bang, Herman: Über das Ende des Sozialismus]. In: Heinrich Detering, Stephan Opitz (Hrsg.): Der nordische Rabe. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1998 (= Der Rabe. Magazin für jede Art von Literatur; 52), S. 119–122. Nachwort. In: Basile, Giambattista: Das Märchen aller Märchen. „Der Pentamerone“. Dt. v. Felix Liebrecht. Frankfurt/M.: Insel 1982 (= Insel Taschenbuch; 354), S. 140–154. Nachdruck in: Italienische Märchen: der Pentamerone des Giambattista Basile. Frank­ furt/M. [u.a.]: Insel 1991, S. 715–729. Nachwort. In: Der Berliner Antisemitismusstreit. Frankfurt/M.: Insel 1965 (= sammlung insel; 6), S. 237–263. 2. Aufl. 1965. Erw. und überarb. Nachwort in der Neuaufl.: Frankfurt/M.: Insel 1988 (= Insel Taschenbuch; 1098), S. 239–266. Nachwort. In: Blicher, Steen Steensen: Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters. Berlin: Friedenauer Presse 1993, S. 81–94. Anmerkungen. In: Blixen, Tania: Moderne Ehe und andere Betrachtungen. Nachw. v. Hanns Grössel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987 (= Bibliothek Suhrkamp; 886), S. 97–101. Andere Ausg.: Frankfurt/M.: Suhrkamp 1992 (= suhrkamp taschenbuch; 1971), S. 97– 101. Vorwort. In: Flaubert, Gustave, Ivan Turgenev: Briefwechsel. 1863–1880. Aus dem Franz. v. Eva Moldenhauer. Hrsg. und komm. v. Peter Urban. Berlin: Friedenauer Presse 1989, S. 7–14. Andere Ausg.: Diogenes 2008. Nachwort. In: Flaubert, Gustave: Trois Contes – Drei Erzählungen. [Aus dem Franz. ins Dt. übertr. v. Ernst Hardt]. Frankfurt/M., Hamburg: Fischer 1961 (= Exempla classica; 44), S. 194–201. Biographische Notiz, S. 202. [mit Max Rychner] Vorspruch. In: Freundesgabe für Ernst Robert Curtius zum 14. April 1956. Bern: Francke 1956, S. 7. Editorische Vorbemerkung. In: Freud, Sigmund: Jugendbriefe an Eduard Silberstein 1871– 1881. Frankfurt/M.: Fischer 1989, S. VII–IX sowie Nachwort, S. 229–244. Nachwort. In: Gervinus, Georg Gottfried: Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 24,1), S. 179–211. Nachbemerkung. In: Der Hochverratsprozeß gegen Gervinus. Frankfurt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 24,2), S. 231. Nachwort. In: Gutzkow, Karl: Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe. Frankfurt/M.: Insel 1969 (= sammlung insel; 36), S. 135–147. Nachwort. In: Kierkegaard, Søren: Briefe. Köln, Olten: Hegner 1955, S. 149–161. Andere Ausg.: Frankfurt/M.: Insel 1983 (= Insel Taschenbuch; 727), S. 139–148. Nachwort. In: Lascano Tegui, Vizconde de: Von der Anmut im Schlafe. Berlin: Friedenauer Presse 1995, S. 139–146. Nachwort. In: Müller, Richard Matthias: Über Deutschland. 103 Dialoge. Olten, Freiburg/ Br.: Walter 1966, S. 165–170.

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Übers. Nachdruck in: Müller, Richard Matthias: dialoog over duitsland. Met een nawoord van Walter Boehlich. [Uit het Duits vert. door Johan Veeninga]. Amsterdam: ABC-Boeken De Arbeiderspers 1966. Nachwort. In: Niebelschütz, Wolf von: Der blaue Kammerherr. Stuttgart, München: Deutscher Bücherbund [1991] (= Bibliothek des 20. Jahrhunderts), S. 3–10. Nachwort. In: Nossack, Hans Erich: Der Untergang. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1961 (= Suhrkamp Texte; 9), S. 55–60. 6.–10. Tsd. 1962. 2. Aufl. 11.– 20. Tsd 1963 (= edition suhrkamp: Suhrkamp Texte; 19), mit Bibliographie H. E. Nossack, S. 84–88. 3. Aufl. 1967. 4. Aufl. 1969. 5. Aufl. 1971 (= edition suhrkamp; 19). Zuerst in: Traditionen. Jahrbuch / Freie Akademie der Künste in Hamburg (1960), S. 115– 121. Nachbemerkung. In: Proust, Marcel: Briefe zum Werk. Übers. v. Wolfgang A. Peters. Frank­ furt/M.: Suhrkamp 1964, S. 499–506. Andere Ausg.: 1977 (= suhrkamp taschenbuch; 404), S. 499–506. Nachwort. In: Retz, Jean François Paul de Gondi: Aus den Memoiren. Dt. v. Walter Maria Guggenheimer. Frankfurt/M.: Fischer 1964 (= Exempla classica; 79), S. 320–325. Nachwort. In: Söderberg, Hjalmar: Gertrud. Frankfurt/M.: Verlag der Autoren 1981 (= Theaterbibliothek; 15), S. 71/72; Einige Bemerkungen zur Entstehung und Überlieferung des Stückes, S. 73/74. Nachwort. In: Strauß, David Friedrich: Soirées de Grandval. Berlin: Friedenauer Presse 1996, S. 27–32.

Vorworte in Rowohlt Jahrhundert6 (alphabetisch) Almquist, Carl: Der Juwelenschmuck der Königin. Aus dem Schwed. v. Ellen de Boor. Rein­ bek: Rowohlt 1989 (= Rowohlt Jahrhundert; 65). Bang, Herman: Sommerfreuden. Erzählung. Aus dem Dän. v. Walter Boehlich. Reinbek: Ro­wohlt 1993 (= Rowohlt Jahrhundert; 100). Céline, Louis-Ferdinand: Reise ans Ende der Nacht. Roman. Aus dem Franz. v. Isak Grünberg. Reinbek: Rowohlt 1992 (= Rowohlt Jahrhundert; 98). 6

Die Reihe „Rowohlt Jahrhundert“ wurde ursprünglich von Bernd Jentzsch herausgegeben. Ab 1. Februar 1989 übernahm Walter Boehlich als Herausgeber die Reihe. Im Mai 1993 erschien der 100. und letzte Band: „Sommerfreuden“ von Herman Bang. In einer Mail vom 15. 9. 2009 vermutet Michael Naumann, damaliger Geschäftsführer des Verlages, dass Boehlich die einführenden Worte für die von ihm herausgegebenen Bände geschrieben hat. Christa Loose, Assistentin des damaligen Lektors Georg Heppe, bestätigte ebenfalls auf Nachfrage, dass Boehlich die Vorworte der von ihm herausgegebenen Bände selbst verfasste.

Walter Boehlich – Bibliographie 

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Cummings, Edward E.: Der ungeheure Raum. Dt. v. Elisabeth und Helmut M. Braem-Kaiser. Reinbek: Rowohlt 1993 (= Rowohlt Jahrhundert; 38). Faulkner, William: Absalom, Absalom! Aus dem Amerikan. v. Hermann Stresau. Reinbek: Rowohlt 1991 (= Rowohlt Jahrhundert; 80). Gaboriau, Émile: Der Strick um den Hals. Reinbek: Rowohlt 1992 (= Rowohlt Jahrhundert; 94). Goncarov, Ivan A.: Die Fregatte Pallas. Roman. Dt. v. Arthur Luther. Reinbek: Rowohlt 1991 (= Rowohlt Jahrhundert; 89). Goytisolo, Juan: Das Fest der anderen. Aus dem Span. v. Gerda v. Uslar. Reinbek: Rowohlt 1990 (= Rowohlt Jahrhundert; 74). Hardy, Thomas: Im Dunkeln. Aus dem Engl. übers. v. Eva Schumann. Reinbek: Rowohlt 1990 (= Rowohlt Jahrhundert; 76). Krleža, Miroslav: Beisetzung in Theresienburg. Roman. Aus dem Serbokroat. v. Klaus Winkler. Reinbek: Rowohlt 1991 (= Rowohlt Jahrhundert; 83). Nerval, Gérard de: Die Töchter der Flamme. Roman. Aus dem Franz. v. Anjuta AignerDünnwald, Friedhelm Kemp. Reinbek: Rowohlt 1991 (= Rowohlt Jahrhundert; 81). Olbracht, Ivan: Von den traurigen Augen der Hana Karadžicová. Erzählung. Reinbek: Rowohlt 1990 (= Rowohlt Jahrhundert; 77). Otero Silva, Miguel: Fieber. Aus dem Span. übers. v. Lene Klein. Reinbek: Rowohlt 1990 (= Rowohlt Jahrhundert; 67). Pynchon, Thomas: Die Versteigerung von No. 49. Roman. Dt. v. Wulf Teichmann. Reinbek: Rowohlt 1991 (= Rowohlt Jahrhundert; 84). Ranke-Graves, Robert von: Strich drunter! Aus dem Engl. v. Gottfried Treviranus. Durchges. und überarb. v. Birgit Otte. Reinbek: Rowohlt 1990 (= Rowohlt Jahrhundert; 69). Reger, Erik: Union der festen Hand. Roman einer Entwicklung. Reinbek: Rowohlt 1992 (= Rowohlt Jahrhundert; 95). Rivera, José Eustasio: Der Strudel. Aus dem Span. v. Hellmuth Neuendorff. Reinbek: Rowohlt 1990 (= Rowohlt Jahrhundert; 73). Sarraute, Nathalie: Martereau. Aus dem Franz. v. Elmar Tophoven. Reinbek: Rowohlt 1993 (= Rowohlt Jahrhundert; 49). Scheerbart, Paul: Münchhausen und Clarissa. Roman. Reinbek: Rowohlt 1991 (= Rowohlt Jahrhundert; 87). Söderberg, Hjamar: Doktor Glas. Roman. Aus dem Schwed. v. Verena Reichel. Reinbek: Rowohlt 1992 (= Rowohlt Jahrhundert; 85). Svevo, Italo: Die Novelle vom guten alten Herrn und vom schönen Mädchen. Dt. v. Piero Rismondo. Reinbek: Rowohlt 1990 (= Rowohlt Jahrhundert; 70). Turgenev, Ivan S.: Ein Adelsnest. Reinbek: Rowohlt 1990 (= Rowohlt Jahrhundert; 72). Ungar, Hermann: Die Klasse. Roman. Reinbek: Rowohlt 1991 (= Rowohlt Jahrhundert; 82). Vallès, Jules: Jacques Vingtras. Das Kind. Roman. Aus dem Franz. v. Christa Hunscha. Reinbek: Rowohlt 1992 (= Rowohlt Jahrhundert; 88).

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Übersetzungen (alphabetisch) Bang, Herman: Über das Ende des Sozialismus. In: Heinrich Detering, Stephan Opitz (Hrsg.): Der nordische Rabe. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1998 (= Der Rabe. Magazin für jede Art von Literatur; 52), S. 116–119. Barral, Carlos: Ledig-Rowohlt. In: Heinrich Maria Ledig-Rowohlt zuliebe. Festschrift zu seinem 60. Geburtstag am 12. März 1968. Hrsg. v. Siegfried Unseld. Reinbek: Rowohlt 1968, S. 8–10. Blicher, Steen Steensen: Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters [Auszüge]. In: Keel, Aldo (Hrsg.): Skandinavische Erzähler. Von „Thorstein Stangenhieb“ bis August Strindberg. Zürich: Manesse 1998, S. 38–86. Duras, Marguerite: Seen und Schlösser. Stück in einem Akt. In: dies.: Dialoge. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1966, S. 199–236. Auch als Einzeldruck gebunden. „Den Bühnen und Vereinen gegenüber als Manuskript gedruckt“. Duras, Marguerite: La Musica. Stück in einem Akt. In: dies.: Dialoge. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1966, S. 237–266. Auch als Einzeldruck gebunden. „Den Bühnen und Vereinen gegenüber als Manuskript gedruckt“. Lascano Tegui, Vizconde de: Von der Anmut im Schlafe. Intimes Tagebuch [auszugsweise nachgedruckt: Tagebucheinträge vom 26. 9 18.., 31. 12. 18.., 19. 5. 18.., 9. 8. 18.., 6. 11. 18., 28. 11. 18..]. In: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur und kulturelle Initiativen (1997) H. 49, S. 69–76. Proust, Marcel: [Briefe an Louis de Robert]. In: Marcel Proust: Briefe zum Werk. Frank­ furt/M.: Suhrkamp 1964, S. 216–219, S. 248–251, S. 258–263, S. 265–268. Andere Ausg.: 1977 (= suhrkamp taschenbuch; 404). Daraus: Briefe Marcel Prousts an Louis de Robert. In: Neue Zürcher Zeitung, 27. 6. 1964. Daraus: Die beschworene Zeit. Briefe von Marcel Proust. In: Süddeutsche Zeitung, 22. / 23. 8. 1964. Sender, Ramón: Das Geständnis. In: Hilde Domin (Hrsg.): Spanien erzählt. Sechsundzwanzig Erzählungen. Frankfurt/M., Hamburg: Fischer 1963, S. 102–104 (= Fischer Bücherei; 503). Sender, Ramón J.: Das „Paar“ im Jahre 1910. In: Hans Leopold Davi (Hrsg.): Spanische Erzähler der Gegenwart. Eine Anthologie. Stuttgart: Reclam 1968, S. 40–50.7 Valle-Inclán, Ramon del: Blutbund. Schattenspiel. In: Spiele in einem Akt. 35 exemplarische Stücke. Hrsg. v. Walter Höllerer. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1961, S. 275–284. Weitere Ausg. 1963. Auch als Sonderdruck gedruckt.

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Das ist das 8. Kapitel aus: Ramón José Sender: Der Verschollene.

Walter Boehlich – Bibliographie 

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Zeitschriften AKUT. DAS NACHRICHTENBLATT DER BONNER STUDENTENSCHAFT Der neue Bonner Rektor. Die Maßlosigkeit und die Mäßigung eines Philologen. In: akut (1964) Sonderausgabe, S. 2/3. Nachdruck aus: Die Zeit, 23. 10. 1964. AKZENTE Untergang und Erlösung [zu Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften]. In: Akzente 1 (1954) H. 1, S. 35–50. Nachdruck in: Akzente. Bd. 1: 1954 bis 1957. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1975, S. (I) 35–50. Die Romanze vom Grafen Arnaldos. In: Akzente 30 (1983), S. 393–404. Vgl.: Meine Gedichte. Autoren und Kritiker geben Auskunft über ihre Lieblingsgedichte und Lieblingsdichter [zu „Die Romanze vom Grafen Arnaldos“]. NDR – Kulturelles Wort, 15. 7. 1982, 28'50 Min. AUS DEM ANTIQUARIAT: ZEITSCHRIFT FÜR ANTIQUARE UND BÜCHERSAMMLER Untunliches Nennen von Preisen [Leserbrief ]. In: Aus dem Antiquariat (1983) H. 25, S. A78/A79. BLÄTTER FÜR DEUTSCHE UND INTERNATIONALE POLITIK Mit Glanz und Gloria … Die Bundeswehr im fünfundzwanzigsten Jahr. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 25 (1980) H. 12, S. 1498–1501. Benseler, Frank, Hans H. Holz, Walter Boehlich: Der Fall Jünger und die „Wende“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 27 (1982) H. 10, S. 1236–1249, hier: Noch einmal Ernst Jünger, S. 1245–1249. Dem Unbekannten Deserteur. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 34 (1989) H. 4, S. 408/409. Ein Ruf wie Donnerhall. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 38 (1993) H. 10, S. 1172–1174. Schweigen im Walde. Oder: Vom Recht des Volkes auf eine Verfassung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 38 (1993) H. 12, S. 1428–1432. Vgl.: Das Schweigen im Walde. Vom Recht des Volkes auf eine Verfassung. NDR – Gedanken zur Zeit, 12. 6. 1993, 14'21 Min. Widerständler und „Rassegedanke“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 39 (1994) H. 9, S. 1045/1046. Vgl.: Die Offiziere und die Juden [zur Kontroverse um den deutschen Widerstand]. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 6. 7. 1994, 6'15 Min.

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BÖRSENBLATT FÜR DEN DEUTSCHEN BUCHHANDEL Eine Angst namens Bibliophobie. Geschichte der Bücherverbrennung. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 14. 6. 1983, S. 1413–1415.8 „Wie ihre Autoren mögen sie uns nicht behandeln“ [Preisrede zur Verleihung des HelmutM.-Braem-Übersetzerpreises an Wilfried Böhringer]. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 25. 11. 1988, S. 3476–3478. Eine etwas erweiterte Version in: Wie – wenn es uns nicht gäbe? Bedenkworte für Übersetzer und deren lesende Nutznießer. In: Frankfurter Rundschau, 3. 12. 1988. Tod einer Buchhändlerin [Nachruf auf Melusine Huss]. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 2. 6. 1989, S. 1810. Nachdruck in: Die Freundinnen der Bücher. [Bd. 1]: Buchhändlerinnen. Hrsg. v. Bärbel Wegner. Sulzbach/Ts.: Helmer 2001, S. 177–180. BR GEHÖRT GELESEN. DIE BESTEN SENDUNGEN DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS Schwierigkeiten mit dem Nobelpreis. Kulturkommentar. In: BR gehört gelesen 31 (1984) H. 1, S. 7–9. CAMP DE L’ARPA [Boelich Walter:] Muerte del dictator sin nombre [zu Gabriel García Márquez: El otoño del patriarca]. In: Camp de l’arpa (1978) H. 10, S. 70–72. Übers. Nachdruck von: Die Grausamkeit und das Zarte. Gabriel García Márquez’ gewagtestes Buch „Der Herbst des Patriarchen“, auf deutsch erschienen. In: Die Weltwoche, 10. 5. 1978. DÄNISCHE RUNDSCHAU Kierkegaard und Deutschland. In: Dänische Rundschau. Mitteilungen des dänischen Außenministeriums. Bonn (1955) H. 8, S. 7–11. DICHTEN UND TRACHTEN Die wiedergefundene Zeit. In: Dichten und Trachten (1957) 10, S. 50/51. Nahezu identisch mit: Die wiedergefundene Zeit. In: Morgenblatt für Freunde der Literatur (1957) Nr. 11: Zum Abschluss des deutschen Proust, den 4. Oktober 1957, S. 5. Beim Wiederlesen des „Blauen Kammerherrn“. In: Dichten und Trachten (1961) 18, S. 70– 73. Nachdruck von: Verklärung des Barock. In: Der Monat 8 (1955) H. 85, S. 73–78. Marcel Proust. Briefe zum Werk. Aus dem Nachw. v. Walter Boehlich. In: Dichten und Trachten (1964) 24, S. 70–73. Hat die spanische Literatur kein Publikum? In: Dichten und Trachten (1966) 28, S. 50–54.

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Vgl.: Vortrag „Bibliophobie“ von Boehlich bei den Römerberggesprächen am 6. 5.1983.

Walter Boehlich – Bibliographie 

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DISKUS. FRANKFURTER STUDENTENZEITUNG Erzwungene Loyalität. In: Diskus 27 (1977) H. 4/5, S. 9. Dr. jur. Hans Puvogel. In: Diskus 28 (1978) H. 2, S. 10. Eine Feier in der Paulskirche. In: Diskus 30 (1980) H. 4, S. 3. DU Ein Vulkan, der Träume ausspie [zu Gabriel García Márquez: Hundert Jahre Einsamkeit]. In: Du (1988) H. 9, S. 88/89. EPD / KIRCHE UND FERNSEHEN Die unfreien Mitarbeiter. Gedanken über eine besondere Kategorie von Ausgebeuteten. In: epd / Kirche und Fernsehen, 27. 10. 1973, Nr. 39, S. 1–3. Nachdruck in: Frankfurter Rundschau, 10. 11. 1973. Nachdruck in: Hörfunk – Fernsehen – Film 17 (1973) H. 6, S. 18–21. Nachdruck als: Honorar als Gnadenakt. In: Der Journalist (1973) H. 12, S. 39/40. L’ESPRESSO [Boehilich, Walter:] Separati dall’indio. In: L’Espresso, 25. 2. 1994, S. 102/103. Übers. Nachdruck von: Ein Bruderzwist in Mexiko. Octavio Paz und Carlos Fuentes. In: Die Zeit, 21. 1. 1994. EUPHORION Die historisch-kritische Hamann-Ausgabe. In: Euphorion 50 (1956), S. 340–356. DIE FEDER Bibliothek zum Vorzeigen und kaum je zum Lesen. Insel-Verlag will in 30 Jahren 720 tausendseitige „Klassiker“-Bände herausgeben. In: Die Feder (1982) H. 3, S. 32/33. Wieder einmal an der Pressefreiheit herumgeknabbert. In: Die Feder (1983) H. 2, S. 3. FRANKFURTER ADORNO BLÄTTER Ein Platz für Adorno. In: Frankfurter Adorno Blätter 5 (1998), S. 208/209. FRANKFURTER HEFTE Nationale Echtbürtigkeit. Thomas Mann: Briefe 1889–1936. In: Frankfurter Hefte 17 (1962) H. 12, S. 854–856. Folklore in ihrem Recht. Jorge Amado: Gabriela wie Zimt und Nelken. In: Frankfurter Hefte 18 (1963) H. 7, S. 498–501. Gesendet in: HR – Kulturelles Wort, 19. 5. 1963. Irrte hier Walter Boehlich? [zu Leo Weisgerber]. In: Frankfurter Hefte 19 (1964) H. 10, S. 731–734.

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Helen Thein

Eine öffentliche Figur. Thomas Mann: Briefe 1937–1947. In: Frankfurter Hefte 20 (1965) H. 2, S. 136–138. FREIBEUTER Mit fremdem Kalbe pflügen [zu Ria Endres’ Celan-Interpretation]. In: Freibeuter (1983) H. 15, S. 154–156. Das freche lüderliche Weib [zu Hans Magnus Enzensberger: Requiem für eine romantische Frau]. In: Freibeuter (1988) H. 39, S. 150–155. FREITAG Egomanenschlacht [zu Wolf Biermann]. In: Freitag, 16. 12. 1994. THE GERMAN TRIBUNE Hermann Hesse and the Politics of Inaction [zu Hermann Hesse: Politische Schriften]. In: The German Tribune, 12. 3. 1978. Übers. Nachdruck aus: Frankfurter Rundschau, 25. 2. 1978. HAMBURGER AKADEMISCHE RUNDSCHAU Akademisches Proletariat. In: Hamburger Akademische Rundschau 1 (1946/47), S. 445/446. Lion Feuchtwanger: Der Tag wird kommen. In: Hamburger Akademische Rundschau 2 (1947/48), S. 57–59. Studenten über Goethe. In: Hamburger Akademische Rundschau 2 (1947/48), S. 129/130. Geist im Wandel. In: Hamburger Akademische Rundschau 2 (1947/48), S. 285/286. Wölfflins kleine Schriften. In: Hamburger Akademische Rundschau 2 (1947/48), S. 376– 378. Christian Reuter […]. Die Nachtwachen des Bonaventura. In: Hamburger Akademische Rundschau 2 (1947/48), S. 336/337. B. Croce: Europa und Deutschland. In: Hamburger Akademische Rundschau 2 (1947/48), S. 537. G. F. Hartlaub: Die Graphik des Expressionismus. In: Hamburger Akademische Rundschau 2 (1947/48), S. 538. Eine Duplik. In: Hamburger Akademische Rundschau 2 (1947/48), S. 543–545.9 De historia conscribenda [zu Paul Lüth, Paul Rilla]. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948–50), S. 57/58. Wilhelm Pinder. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948–50), S. 150–155. Von schweizer Verlegern. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948–50), S. 155/156. Adolf Beck: Griechisch-deutsche Begegnung. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948–50), S. 456. 9

Der Text reagiert auf A. E. Brinckmann: Geist im Wandel – Eine Entgegnung. In: Hamburger Akademische Rundschau 2 (1947/48), S. 542/543.

Walter Boehlich – Bibliographie 

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Der vergessene Klassiker. Friedrich Sengle: Wieland. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948–50), S. 790–792. Goethe und seine Zeit [zu Georg Lukács]. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948– 50), S. 700–703. J. Hofmiller: Wege zu Goethe. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948–50), S. 654/655. Zur Kunstgeschichte [zu Heinrich Wölfflin]. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948–50), S. 831. HÖRFUNK – FERNSEHEN – FILM Die unfreien Mitarbeiter. Gedanken über eine besondere Kategorie von Ausgebeuteten. In: Hörfunk – Fernsehen – Film 17 (1973) H. 6, S. 18–21. Nachdruck aus: epd / Kirche und Fernsehen, 27. 10. 1973. JAHRBUCH / FREIE AKADEMIE DER KÜNSTE IN HAMBURG Hans Erich Nossack – 60 Jahre. In: Traditionen. Jahrbuch / Freie Akademie der Künste in Hamburg (1960), S. 115–121. Nachdruck in: Hans Erich Nossack: Der Untergang. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1961 (= Suhrkamp Texte; 9), S. 55–60. JAHRBUCH / DEUTSCHE AKADEMIE FÜR SPRACHE UND DICHTUNG Lobrede auf Anneliese Botond [anlässlich der Verleihung des Johann-Heinrich-Voß-Preises für Übersetzung]. In: Jahrbuch (1984), S. 56–59. Nachdruck in: Der Übersetzer 21 (1984) Nr. 5/6, S. 3/4. „Die Antwort ist das Unglück der Frage“. Dankrede. In: Jahrbuch (1990), S. 98–102. Nachdruck in: Neue Rundschau 102 (1991) H. 1, S. 173–176. [Vorstellung neuer Mitglieder] Walter Boehlich. In: Jahrbuch (1996), S. 165/166. Kein Wandelstern, sondern ein Fixstern. Laudatio auf Ilse Grubrich-Simitis [anlässlich der Verleihung des Sigmund Freud-Preises]. In: Jahrbuch (1998), S. 155–157. JAHRBUCH POLITIK Schleyers Kinder. In: Jahrbuch Politik 8 (1978), S. 7–9 (= Politik; 82). Nachdruck aus: Konkret (1977) H. 10, S. 6. DER JOURNALIST Honorar als Gnadenakt. In: Der Journalist (1973) H. 12, S. 39/40. Nachdruck von: Die unfreien Mitarbeiter. Gedanken über eine besondere Kategorie von Ausgebeuteten. In: epd / Kirche und Fernsehen, 27. 10. 1973, Nr. 39, S. 1–3.

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KANTSTEIN Wird man aus Fehlern klug? Der Streit um den Friedhof in Ottensen kann nicht als Rechtsstreit geführt werden. In: Kantstein (1992) H. 6, S. 23. KONKRET Der Friedenspreis oder: Die honorige Gesellschaft. Warum gerade die Deutschen und unter ihnen gerade die Buchhändler einen Friedenspreis erfinden und vergeben mußten. In: Konkret (1970) H. 10, S. 53/54. Nachdruck in: Hermann L. Gremliza (Hrsg.): 30 Jahre Konkret. Magazin für Politik und Kultur. Hamburg: Konkret Literatur Verl. 1987, S. 143/144. „Zwischen allen Stühlen“. Warum und wofür ZEIT-Gräfin Dönhoff mit dem „Friedenspreis“ gekrönt wird. In: Konkret (1971) H. 6, S. 53. Gewalt. Der Bundestag will die Befürwortung von Gewalt in der Literatur verbieten. Walter Boehlich findet die Motive so zweifelhaft wie die Folgen gefährlich. In: Konkret (1975) H. 6, S. 37/38. Ein hübscher Mann, ein feiner Mann. 1975 – Jahr der Frau und Jahr des Thomas Mann. Wie sich die Bourgeoisie in ihrem Dichter feiert und warum, beschreibt Walter Boehlich. In: Konkret (1975) H. 8, S. 43/44. Plagiarius Raddatz. Vom Rechthaben und vom Rechtbekommen. In: Konkret (1975) H. 10, S. 47/48. Nachdruck in: Hermann L. Gremliza (Hrsg.): 30 Jahre Konkret. Magazin für Politik und Kultur. Hamburg: Konkret Literatur Verl. 1987, S. 199/200. Zensur? Bei uns?? In: Konkret (1976) H. 3, S. 52/53. Juden sind berührbar. In: Konkret (1976) H. 5, S. 47/48. Nachdruck in: Tintenfisch (1977) H. 11, S. 24–28. Die Freiheit stirbt zeilenweise. Während bürgerliche Verleger noch mit dem 88a werbewirksam Vorzensur üben, ist der „Gewalt“-Paragraph in Polizei-Aktionen gegen linke Buchläden zum ersten Mal massiv angewendet worden. Inzwischen starb die Freiheit um eine Buchlänge: Das Landshuter Amtsgericht verfügte am 24. August die Beschlagnahme von „Haymarket“, ein[em] Wagenbach-Buch über die deutschen Anarchisten von Chicago im 19. Jahrhundert. In: Konkret (1976) H. 10, S. 47/48. Ein ehrenwertes Syndikat. Ehemalige Suhrkamp-Lektoren wollten einen Verlag gründen, der genossenschaftlich den Autoren gehört. Doch das bundesdeutsche Gesellschaftsrecht verlangt kapitalistische Unternehmens-Strukturen. Walter Boehlich beschreibt, wie den Leuten von Syndikat dennoch ein kleiner Geniestreich gelang. In: Konkret (1977) H. 3, S. 36/37. Ernsthafter Versuch, die Verfassung der Verfassungswirklichkeit anzupassen. Die ersten neunzehn Artikel des Grundgesetzes garantieren nach dem Willen der Verfassungsväter unveräußerliche Grundrechte – mit dem Ergebnis, daß sie nach hunderten von Verfassungsänderungen heute als Makulatur dastehen. Walter Boehlich macht einen durchaus

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nicht satirischen Vorschlag für die realitätsgerechte Fassung der Verfassung. In: Konkret (1977) H. 4, S. 26–28. Schleyers Kinder. In: Konkret (1977) H. 10, S. 6. Nachdruck in: Jahrbuch Politik 8 (1978), S. 7–9. Nachdruck in: Tatjana Botzat u.a. (Hrsg): Ein deutscher Herbst. Zustände, Dokumente, Berichte, Kommentare. Frankfurt/M.: Verl. Neue Kritik 1978, S. 73–75. Neuausg. 1997. Nachdruck in: Hermann L. Gremliza (Hrsg.): 30 Jahre Konkret. Magazin für Politik und Kultur. Hamburg: Konkret Literatur Verl. 1987, S. 221. Frieden, Preis, Buch, Handel, Börse, Verein, deutsch. Leszek Kolakowsky hat den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommen. „The same procedure as last year? Same procedure as every year“. In: Konkret (1977) H. 11, S. 41–43. Wann wir hinken Seit’ an Seit’. Über die Feier zum hundertsten Jubiläum des Sozialistengesetzes. In: Konkret (1978) H. 8, S. 13. Rot – Stifter. Lieber stiften gehen als eine Stiftung gründen sollen Marx-Engels-Freunde in Wuppertal. In: Konkret (1978) H. 8, S. 31. „Mutti, erzähl uns vom Führer!“ Anmerkungen zu Haffner. In: Konkret (1978) H. 10, S. 12/13. … für die, die es nicht lesen können … „Garambo, der Unsichtbare“ heißt die Chronik von Manuel Scorza über einen Aufstand peruanischer Indios. Eine Chronik darüber, daß Ausbeutung eines nicht kann: Erinnerung, Geschichte auslöschen. In: Konkret (1978) H. 12, S. 43/44. Minderheiten Maul halten! Warum Karl Carstens jene repräsentiert, die ihn wählen wollen, erklärt Konkret-Autor Walter Boehlich. In: Konkret (1979) H. 4, S. 15. Die Sprengung des Viehmarkts. NS-Verbrechen vor Gericht: Dokumente aus hessischen Gerichtsakten zeigen, warum die Bundesrepublik bei der juristischen Bewältigung des Nationalsozialismus versagt hat. In: Konkret (1979) H. 9, S. 44/45. Wie die Witwen … Die deutsche Justiz soll wieder einmal ein Buch ausbürgern: Robert Minders Döblin-Biographie. In: Konkret (1979) H. 12, S. 38. Der Mohr muß gehen. Nicht zum ersten Mal hat Fritz J. Raddatz, Feuilleton-Chef der „Zeit“, ein Pamphlet geschrieben. Nun hört man, daß er gehen muß. Weil er sich an einigen heiligen Kühen der Bourgeoisie vergriffen hat oder weil oder wenn „Die Zeit“ liberal ist? In: Konkret (1980) H. 1, S. 31/32. Wider die Wöchner der Brüderlichkeit. Juden in Deutschland, deutsche Juden, jüdische Deutsche haben über ihre Lage in der Bundesrepublik nachgedacht. In: Konkret (1980) H. 3, S. 22/23. Die neue EVA. Der DGB hat sie verkommen lassen, Axel Rütters, Kurt Groenewold und Günther Busch bauen sie wieder auf: die Europäische Verlagsanstalt. In: Konkret (1980) H. 7, S. 41.

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Die uneinnehmbare Festung. Über das Moskauer Tagebuch des Walter Benjamin. In: Konkret (1980) H. 8, S. 44/45. Bürgerkrieg als Sexschnulze. Ein Fernseh-Spielfilm über die 68er kommt daher wie ironische Anklage und ist doch nur schiere Denunziation [zu Peter Stripps Film „und raus bist du“]. In: Konkret (1980) H. 12, S. 62/63. Über den expansiven Faschismus. Irgendetwas haben die Deutschen immer parat, woran die Welt genesen soll, mal ihr Wesen, mal ihre Waffen, mal ihr Herrenmenschentum, mal ihre Weltökonomie. Ruhe jedenfalls mögen sie den anderen nicht lassen. Sie mischen sich ein, wie damals in Spanien [zu Karl Otten]. In: Konkret (1981) H. 2, S. 46/47. Preußen. In: Konkret (1981) H. 5, S. 59. Ein juristisches Fiasko. Walter Boehlich über den exzessiven Rechtsformalismus von Düsseldorf. In: Konkret (1981) H. 8, S. 18. Briefe voller List und Hoffnung. Von den zweieinhalbtausend Briefen Brechts, die erhalten sind, wurden 887 veröffentlicht. Sie enthalten wenig Sensationelles, erschweren aber die Vereinnahmung: Brecht bleibt ein (listiger) Sozialist. In: Konkret (1981) H. 12, S. 53/54. Vgl.: Briefe von Bertolt Brecht. Zur Auswahl der Korrespondenz. WDR 3 – Am Abend vorgestellt, 18. 11. 1981, 29'05 Min. Des Kanzlers Kunst. Walter Boehlich über Helmut Schmidt und seine neue Liebe zur Kultur. In: Konkret (1982) H. 4, S. 112–117. Auf der alten Deutschen Welle. Den mit 50.000 Mark dotierten Goethe-Preis verleiht die Stadt Frankfurt in diesem Jahr einem ehemaligen Kriegstreiber und Faschisten: Ernst Jünger. Und der Klett-Cotta Verlag eröffnet seine neue „Bibliothek der Moderne“ mit dem „Arbeiter“, einem Jünger-Buch von 1932. In: Konkret (1982) H. 7, S. 110. Eine deutsche Verlagsanstalt. Ein „steinernes Zeughaus der Reaktion“ nannte Alfred Andersch die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Daneben gibt es noch ein Zeughaus aus Elfenbein, die Deutsche Verlagsanstalt (DVA). Die Zusammenarbeit zwischen beiden funktioniert wie geschmiert. In: Konkret (1983) H. 1, S. 66–68. Die Mörder siegen. Walter Boehlich über Marguerite Duras’ Aufzeichnungen aus dem Widerstand: „Der Schmerz“. Buch des Monats. In: Konkret (1986) H. 6, S. 8/9. Keine Spur von Geschichte. Über den selektiven Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit. Eine Rede von Walter Boehlich, gehalten bei den diesjährigen Römerberg-Gesprächen. In: Konkret (1986) H. 7, S. 44–46. Ein Ende ohne Schrecken. Die Mörder des nationalsozialistischen Volksgerichtshofes werden nicht zur Rechenschaft gezogen: Sie waren nur deutsche Richter an einem deutschen Gericht. Walter Boehlich findet die Entscheidung nur logisch aus der Entwicklung eines Staates abgeleitet, der sich von Beginn an als Nachfolger des 3. Reiches verstanden hatte. In: Konkret (1986) H. 12, S. 31/32. Broder versus Fried. In: Konkret (1987) H. 6, S. 38. Reisen bildet. Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen“ sind ein beträchtliches Stück Literatur. Jetzt hat der Eiserne Kanzler Nr. 2 seine Erinnerungen und Gedanken aufge-

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schrieben: trostlose Aufzählungen eines Renommierhansels [zu Helmut Schmidt: Menschen und Mächte]. In: Konkret (1988) H. 1, S. 24/25. Polen hätt’ste erschießen sollen. Schon kurz nach 1945 erlahmte der Eifer deutscher Gerichte, Verbrechen, die während der Nazizeit verübt wurden, zu verurteilen. Die Integration der großen und kleinen Braunen war viel zu wichtig. Damit eine Verurteilung nicht möglich wurde, half jeder jedem. Ärzte den Ärzten, Juristen den Juristen, Militärs den Militärs. Der Bundestag tat ein Übriges und half mit entsprechenden Gesetzen nach [zu Barbara Just-Dahlmann, Helmut Just: Die Gehilfen. NS-Verbrechen und die Justiz nach 1945]. In: Konkret (1988) H. 7, S. 62/63. Böse, krank und seelisch abnorm. Entmündigt, vom Vater denunziert, drogenabhängig und zwangspsychiatrisiert: Das Leben und die Texte des schweizerischen Kohlengräbers, Gärtners, Fremdenlegionärs und Schriftstellers Friedrich Glauser zeugen von der Brutalität, mit der eine selbstgerechte Gesellschaft einen Außenseiter zur Strecke brachte, der lieber Landstreicher als Offizier sein wollte. In: Konkret (1988) H. 11, S. 73–75. Die größere Hoffnung. „Le sacre du printemps“, der vorletzte Roman des kubanischen Dichters Alejo Carpentier, handelt von der Hoffnung im zwanzigsten Jahrhundert und endet rechtzeitig vor ihrer Enttäuschung. In: Konkret (1994) H. 4, S. 52/53. Opfer oder Täter? [zu Lothar-Günther Buchheim]. In: Konkret (1995) H. 8, S. 57. Aktualisierter Nachdruck unter: Propaganda-Abteilung Buchheim. Wie der BuchheimKritiker Matthias Wegner verleumdet wird. In: junge welt, 26. 8. 1995. LITERATUR KONKRET Thomas Mann – Leiden an Deutschland? In: Literatur konkret (1978) H. 2, S. 47/48. Identifikation. Eine Biografie gibt oft ein erstaunlich gutes Bild von dem Biografen: Hier Gerhard Zwerenz (Tucholsky) und Barthold C. Witte (Niebuhr). In: Literatur konkret (1979) H. 4, S. 37/38. Ein unordentliches, schlampiges, unzuverlässiges Buch. Ein Geschichts-Taschenbuch will zeigen, daß alle auf Hitler „hereingefallen“ sind [zu Fabry: Mutmaßungen über Hitler]. In: Literatur konkret (1979) H. 4, S. 39. Schlachtplatte. Die hundert Bücher der „Zeit“ und ihre Rezensenten: Missmut regiert, Hilflosigkeit herrscht. In: Literatur konkret (1980) H. 5, S. 45/46. Eingestaubte Paradiesvögel gehen im Lotterlook. Das nunmehr gedruckt vorliegende Kulturkonzept der ehemaligen Schattenministerin Alfred Dreggers ist die intellektuelle Entsprechung dessen, was ihr als „Schmuddellook“ erscheint [zu Gertrud Höhler: Die Kinder der Freiheit. Träume von einer besseren Welt]. In: Literatur konkret (1983/84) H. 8, S. 87–89. Einhundertundsechs Jahre Haft: Der Mensch ist ein Lebewesen, oder kann es sein. Bei dem neuesten Glassbrenner-Herausgeber meldet Walter Boehlich diesbezüglich starke Zweifel an. In: Literatur konkret (1985/86) H. 10, S. 50–53.

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Unser aller Lust am Verborgenen. Janet Malcolms Begabung, die richtigen Fragen zu stellen, bringt Licht ins Dunkel der vorläufig letzten „Vatermörder“-Affäre in der Geschichte der Psychoanalyse. In: Literatur konkret (1986/87) H. 11, S. 86–88. KURSBUCH Autodafé. In: Kursbuch (1968) H. 15, Kursbogen. Ins Norwegische übersetzt in: Vinduet 23 (1969) H. 2, S. 106/107. Nachdruck in: Glaser, Hermann (Hrsg.): Bundesrepublikanisches Lesebuch. Drei Jahrzehnte geistiger Auseinandersetzung. München: Hanser 1978, S. 643–646. 2. Aufl. 1979. Auszugsweise nachgedruckt in: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart: Metzler 1979, S. 487. Nachdruck in: Schnell, Ralf: Die Literatur der Bundesrepublik. Autoren, Geschichte, Literaturbetrieb. Stuttgart: Metzler 1986, S. 250. Nachdruck in: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Die deutschen Literaturen seit 1945. [Bd. 6:] Deutschstunden 1967–1971. München: dtv 1997, S. 140–142. Nachdruck in: Protest! Literatur um 1968. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs in Verbindung mit dem Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg und dem Deutschen Rundfunkarchiv im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 1998, S. 99/100 (= Marbacher Kataloge; 51). 2. Aufl. 2000. Nachdruck in: Michel, Sascha (Hrsg.): Texte zur Theorie der Literaturkritik. Stuttgart: Reclam 2008 (= Reclam Universal-Bibliothek; 18549), S. 236–239. Diese unsere Regierungserklärung in dieser unserer Sprache. In: Kursbuch (1983) H. 73, S. 37–43. LESEZEICHEN. LZ: ZEITSCHRIFT FÜR NEUE LITERATUR Die Angestellten der herrschenden Klasse. Über die Dienstbarkeit von Intellektuellen. Unter Vorsitz des italienischen Psychiaters Franco Basaglia hat eine Gruppe von Wissenschaftlern versucht, die gesellschaftliche Rolle der Intellektuellen zu analysieren. In: Lesezeichen (1981) H. 2, S. 18. Springprozession zwischen Himmel und Hölle. Julio Cortázars Roman „Rayuela“. In: Lesezeichen (1982) H. 4, S. 28/29. Nachdruck in: Lodemann, Jürgen (Hrsg.): Das sollten Sie lesen. Aktuelle Empfehlungen der „Bestenliste“ des SWF-Literaturmagazins. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982, S. 43–50. Längere Fassung: Julio Cortázars Roman: Rayuela – Himmel und Hölle. DLF – Bücher im Gespräch, 21. 2. 1982. Kuddl Carstens sein Gemischtwarenladen. Karl Carstens’ Gedichtauswahl. In: Lesezeichen (1983) H. 6, S. 18/19.

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Peru den Peruanern. José Maria Arguedas’ Roman „Trink mein Blut, trink meine Tränen“. In: Lesezeichen (1984) H. 8, S. 14/15. DIE LINKSKURVE Es liegt in der Luft [zum „Stern“]. In: Die Linkskurve (1983) H. 3, S. 6/7. LIT: LITERATURMAGAZIN FÜR KUNDEN DES BUCHHANDELS. HRSG. BÖRSENVEREIN DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS Carlo Ginzburg: Die Welt eines Müllers [zu Ginzburg: Der Käse und die Würmer]. In: LIT, Mai 1980, S. 38. Opfertier – Opfertaube. Wer kennt schon Mercè Rodoreda? Ein leidenschaftlicher Appell von Walter Boehlich, ihr Buch „Auf der Plaça del Diamant“ zu lesen. In: LIT, Mai 1980, S. 46/47. Bürde der Erinnerung. Salvatore Satta hat im hohen Alter seinen ersten Roman geschrieben. Ein Werk der Literatur meint Walter Boehlich. In: LIT, Juni 1981, S. 38/39. Unangepaßt – angepaßt. Walter Boehlich entdeckt für LIT einen zu Unrecht Vergessenen neu: den Radikal-Demokraten Adolf Streckfuß. In: LIT, August 1983, S. 28/29. MARBACHER MAGAZIN Das ungeschriebene Meisterwerk [zu Walter Benjamin: Das Passagenwerk]. In: Marbacher Magazin (1990) H. 55: Walter Benjamin. 1892–1940. Eine Ausstellung des Theodor W. Adorno Archivs Frankfurt/M., S. 260/261. 2. durchges. Aufl., 1990. 3. durchges. und erw. Aufl., 1991. MERKUR Thomas Manns „Doktor Faustus“. In: Merkur 2 (1948), S. 588–603. Auszugsweise nachgedruckt in: „Als der Krieg zu Ende war“. Literarisch-politische Publizistik 1945–1950. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Natio­ nalmuseum Marbach a. N. Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 1973, S. 284/285. 4. Aufl. 1995. Kritik als Beruf. Zu Max Rychners literarischen Aufsätzen. In: Merkur 4 (1950), S. 346– 353. Mehr Schärfe! In: Merkur 4 (1950), S. 1137–1140. Die Bücher und wir [zu Josef Hofmiller: Die Bücher und wir, 1950]. In: Merkur 5 (1951), S. 699/700. Ein grundgescheuter Antiquarius [zu Josef Körner: Bibliographisches Handbuch des deutschen Schrifttums, 1949]. In: Merkur 5 (1951), S. 1099–1101.

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Orpheus [zu Walther Rehm: Orpheus. Der Dichter und die Toten. Selbstdeutung und Totenkult bei Novalis, Hölderlin, Rilke, 1950]. In: Merkur 6 (1952), S. 190/191. Säkularfeier oder Säkulartrauer? Das deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm. In: Merkur 6 (1952), S. 779–786. Antikes, Antikisches, Modernes [zu Arnold von Salis: Antike und Renaissance, 1947; Walther Rehm: Götterstille und Göttertrauer, 1951; J. W. Rosteutscher: Die Wiederkehr des Dionysos, 1947]. In: Merkur 6 (1952), S. 1094–1096. Die Wahrheit wird euch frei machen [zu L. von Pastor: Tagebücher, Briefe, Erinnerungen, 1950]. In: Merkur 7 (1953), S. 96–98. Vom Mythos der Einfalt [zu Hermann Pongs: Im Umbruch der Zeit. Das Romanschaffen der Gegenwart]. In: Merkur 7 (1953), S. 497/498. Sphären der Bücherwelt [zu Josef Hofmiller: Letzte Versuche; Max Rychner: Sphären der Bücherwelt; Karl Viëtor: Geist und Form]. In: Merkur 7 (1953), S. 592–596. Neues über Goethe [zu Emil Staiger: Goethe 1749–1789; J. W. Goethe: West-östlicher Diwan. Vorw. und Erl. v. Max Rychner; Hans Gabriel Falk: Und sei dir selbst ein Traum. Ursprung und Gestalt der dichterischen Welt Goethes]. In: Merkur 7 (1953), S. 893– 896. Geist und Geschichte [zu Rudolf Stadelmann (Hrsg.): Große Geschichtsdenker, 1949; Heinrich Ritter von Srbik: Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart. 2 Bde., 1950/51; Heinz Gollwitzer: Europabild und Europagedanke, 1951]. In: Merkur 7 (1953) H. 7, S. 689–694. Kierkegaard als Verführer. In: Merkur 7 (1953), S. 1075–1088.10 Altes und Neues von Thomas Mann. In: Merkur 8 (1954), S. 83–87. Zur R. A. Schröder Gesamtausgabe. In: Merkur 8 (1954), S. 191–193. Sören Kierkegaard: Briefe. Eingeleitet und übertragen. In: Merkur 8 (1954), S. 758–769. Marcel Proust in Frankreich, Deutschland und anderswo. In: Merkur 9 (1955), S. 173–190. Ernst Stadlers Werk. In: Merkur 9 (1955), S. 789–792. Über die Sprache [zu Karl Kraus: Die Sprache; Leo Weisgerber: Vom Weltbild der deutschen Sprache. 2 Bde. 2. Aufl.]. In: Merkur 9 (1955), S. 889–894. Literaturforschung auf Holzwegen [zu Johannes Klein: Geschichte der deutschen Novelle von Goethe bis zur Gegenwart, 1954; Martin Greiner: Zwischen Biedermeier und Bourgeoisie, 1953]. In: Merkur 10 (1956), S. 186–189. Das Sonett [zu Walter Mönch: Das Sonett. Gestalt und Geschichte; Sonette der Völker. 700 Sonette aus 7 Jahrhunderten]. In: Merkur 10 (1956), S. 391/392. Spanier über Spanien [v.a. zu Ramón Menéndez Pidal: Die Spanier in der Geschichte; Salvadore de Madariaga: Spanien. Wesen und Wandlung; Américo Castro: La Realidad His­ torica de España]. In: Merkur 10 (1956), S. 715–720.

10 Darauf reagiert Paul Hühnerfeld: Kierkegaard und die Verführten. Anmerkung zu einer Übersetzung und einer Polemik. In: Die Zeit, 11. 2.1954.

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Schweizer Literaturforschung [zu Emil Staiger: Die Kunst der Interpretation; Walter Muschg: Die Zerstörung der deutschen Literatur; Beda Allemann: Ironie und Dichtung]. In: Merkur 11 (1957), S. 494–498. Deutsche Alexandriner. Zu R. A. Schröders Übertragungen aus dem Grand Siècle. In: Merkur 12 (1958), S. 19–26. Epistola conchiusa a Cesare Cases. In: Merkur 18 (1964), S. 696–699.11 MESSE-EXTRA / LITERATURPRODUZENTEN Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In: Messe-Extra (1969) Oktober, S. 1. DER MONAT Sören, Prinz von Dänemark. In: Der Monat 6 (1953/54) H. 66, S. 628–634.12 Hofmannsthal und Borchardt. Gedanken zu einem Briefwechsel. In: Der Monat 7 (1955) H. 77, S. 462–466. Verklärung des Barock [zu Wolf von Niebelschütz: Der blaue Kammerherr, 1949]. In: Der Monat 8 (1955) H. 85, S. 73–78. [unter Pseudonym Valeriano Bajocapa] Die Petition und das blutgetränkte Hemd. Ein Bericht über die Studentenunruhen. In: Der Monat 8 (1956) H. 91, S. 22–30. Vom Kreuz des Übersetzens. Zu einer neuen Strindberg-Ausgabe. In: Der Monat 9 (1956/57) H. 105, S. 63–70. Der Unpolitische und der Bücherverbrenner. Noch einmal Thomas Mann als Briefsteller. In: Der Monat 13 (1960/61) H. 150, S. 74–80.13 Ein Pyrrhussieg der Germanistik. Die Vollendung des „Deutschen Wörterbuchs“ der Brüder Grimm. In: Der Monat 13 (1961) H. 154, S. 38–53. Gesendet als: Ein Universum des Alphabets. Nach einem Jahrhundert beendet. Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm. HR – Abendstudio, 25. 4. 1961. Gekürzter Nachdruck in: Joachim Schickel (Hrsg.): Weltbetrachtung 10 Uhr abends. Hamburg: Hoffmann und Campe 1962, S. 229–257. Blick zurück im Grimm. In: Der Monat 14 (1961/62) H. 159, S. 80–85.14 11 Boehlich antwortet hier auf einen offenen Brief von Cesare Cases (in: Merkur 18 (1964), S. 266–274), in dem dieser Boehlichs Artikel: Kontroversen über den Mann ohne Eigenschaften. Robert Musils schwieriges Werk – Lehren aus einer unhaltbaren Kritik. In: Die Welt, 22.6.1963, kritisiert. Darauf wiederum antwortet Cases mit einer Duplik. In: Merkur 18 (1964), S. 897–900. 12 Der Text reagiert, im Auftrag vom „Merkur“, auf Denis de Rougemont: Kierkegaard und Hamlet. In: Der Monat 5 (1953) H. 56, S. 115–124. Dem Text von Boehlich vorangestellt ist als weitere Reaktion auf de Rougemont: Salvador de Madariaga: War Hamlet melancholisch? In: Der Monat 6 (1953/54) H. 66, S. 625–628. 13 Der Text reagiert auf Max Rychner: Von der Politik der Unpolitischen. Die Briefe Thomas Manns an Paul Amann und Ernst Bertram. In: Merkur 13 (1960/61) H. 148, S. 45–53. 14 Der Text reagiert auf die Kritik von Hans Neumann und Theodor Kochs: Religion – ja, Manöver – nicht. Das Deutsche Wörterbuch und seine Kritikaster. In: Der Monat 14 (1961) H. 158, S. 54–61, an Boehlichs „Ein Pyrrhussieg der Germanistik“.

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Das Faustische. Gedanken zu einem ideengeschichtlichen Buch [zu Hans Schwerte: Faust und das Faustische]. In: Der Monat 15 (1963) H. 178, S. 26–29. Der Dilettant als Fachmann. Über ein Wörterbuch der deutschen Umgangssprache [zu Heinz Küpper: Wörterbuch der Deutschen Umgangssprache]. In: Der Monat 17 (1964) H. 194, S. 58–63. Der Berliner Antisemitismus-Streit. In: Der Monat 17 (1965) H. 204, S. 40–54.15 Aus dem Zeughaus der Germanistik. Die Brüder Grimm und der Nationalismus. In: Der Monat 18 (1966) H. 217, S. 56–68. Auch in: „Herausgegriffen“ aus deutschen Zeitungen, Zeitschriften und Büchern. Bern: Deutsche Botschaft der Bundesrepublik Deutschland 1966, S. 8–25. MORGENBLATT FÜR FREUNDE DER LITERATUR Die Einheit der Recherche. In: Morgenblatt für Freunde der Literatur (1957) Nr. 11: Zum Abschluss des deutschen Proust, den 4. Oktober 1957, S. 1, 6. Die wiedergefundene Zeit. In: Morgenblatt für Freunde der Literatur (1957) Nr. 11: Zum Abschluss des deutschen Proust, den 4. Oktober 1957, S. 5. Blochs Träume vom besseren Leben. Zum „Prinzip Hoffnung“. In: Morgenblatt für Freunde der Literatur (1959) Nr. 14: Sondernummer Ernst Bloch, am 2. November 1959, S. 1, 5, 6. NEUE DEUTSCHE HEFTE Geist und Politik [zu Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke. Prosa IV]. In: Kritische Blätter (1956) H. 4, S. 7/8, Beilage zu Neue Deutsche Hefte 2 (1955/56) H. 22. Zwischen Marx und Proust [zu Walter Benjamin: Schriften]. In: Kritische Blätter (1956) H. 6, S. 2–4, Beilage zu Neue Deutsche Hefte 2 (1955/56) H. 24. Das Deuten von Dichtungen [zu Emil Staiger: Die Kunst der Interpretation]. In: Kritische Blätter (1956) H. 8, S. 13/14, Beilage zu Neue Deutsche Hefte 3 (1956/57) H. 26. Von antiker Frömmigkeit [zu Walter F. Otto: Die Gestalt und das Sein]. In: Kritische Blätter (1956) H. 10, S. 9–11, Beilage zu Neue Deutsche Hefte 3 (1956/57) H. 28. Verwandlung und Läuterung [zu Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke. Lustspiele III]. In: Neue Deutsche Hefte 3 (1956/57) H. 29, S. 396–397. Politik und Dichtung [zu Hugo von Hofmannsthal, Carl J. Burckhardt: Briefwechsel]. In: Neue Deutsche Hefte 3 (1956/57) H. 32, S. 679–681. Religion und Literatur [zu Herbert Schöffler: Deutscher Geist im 18. Jahrhundert, Lichtenberg]. In: Neue Deutsche Hefte 4 (1957/58) H. 35, S. 271–273. Bewährung und Erlösung. Hugo von Hofmannsthal: Dramen III. In: Neue Deutsche Hefte 4 (1957/58) H. 42, S. 933–935.

15 Ursprünglich Vortrag, gehalten an der FU Berlin, später als Vorlage für das Nachwort zum gleichnamigen Band 6 der „sammlung insel“.

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NEUE RUNDSCHAU Ramiro Pinilla: Die blinden Ameisen. In: Neue Rundschau 75 (1964) H. 2, S. 329–334. Gesendet in: HR – Kulturelles Wort, 9. 2. 1964. Beliebigkeit der Form. „Die andere Seite des Lebens“ von Vargas Llosa. In: Neue Rundschau 88 (1977) H. 3, S. 461–466. Gekürzte Version des Rundfunkmanuskripts: Mario Vargas Llosa: Die andere Seite des Lebens. DLF – Literatur und Kunst: Bücher im Gespräch, 20.2.1977. „Die Antwort ist das Unglück der Frage“. Dankrede zur Verleihung des Johann Heinrich Merck-Preises. In: Neue Rundschau 102 (1991) H. 1, S. 173–176. Nachdruck aus: Jahrbuch / Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (1990), S. 98–102. NEUE SCHWEIZER RUNDSCHAU Die Mär der Weltgeschichte. Ranke nach seinen Briefen. In: Neue Schweizer Rundschau 20 (1952) H. 1, S. 21–27. Winckelmanns Sudelbuch in Montpellier. In: Neue Schweizer Rundschau 20 (1953) H. 9, S. 531–548.16 Erwiderung [auf Rehm]. In: Neue Schweizer Rundschau 20 (1953) H. 10, S. 631/632. Zu Walter Muschgs Tragischer Literaturgeschichte. In: Neue Schweizer Rundschau 22 (1955) H. 11, S. 686–694. ORBIS LITTERARUM Die zweifache Wirklichkeit von Herman Bangs „Mikaël“. In: Orbis litterarum 10 (1955) H. 4, S. 417–428. Hans Zeller: Winckelmanns Beschreibung des Apollo im Belvedere. In: Orbis litterarum 12 (1957) H. 1, S. 55–57. LE PAUVRE HOLTERLING. BLÄTTER ZUR FRANKFURTER HÖLDERLIN-AUSGABE Der arme Hölderlin und der reiche Hofmannsthal. Auszüge aus dem Manuskript einer Sendung im Hessischen Rundfunk vom 23.3.1977. In: Le pauvre Holterling (1977) H. 2, S. 54–56. PÄD. EXTRA Akad. Proletariat. In: päd. extra (1974) Nr. 9, S. 7/8. Sprache der Obrigkeit. In: päd. extra (1974) Nr. 24, S. 22. SCHWARZBOLD’S PHILOLOGISCHE HANDKARTEI Der Sprachbrockhaus. In: Schwarzbold’s philologische Handkartei [Juni 1952]. Karl Viëtor, Geist und Form. In: Schwarzbold’s philologische Handkartei [Juni 1952]. 16 Darauf reagiert Walther Rehm. In: Neue Schweizer Rundschau 20 (1953) H. 10, S. 630/631.

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SPIEGEL-SPEZIAL Deutschland erwacht. In: Spiegel-Spezial (1990) H. 2: 162 Tage deutsche Geschichte. Das halbe Jahr der gewaltlosen Revolution, S. 32/33. Nachdruck aus: Der Spiegel, 12. 3. 1990, S. 34–37. SPRACHE IM TECHNISCHEN ZEITALTER Für wen oder was „dichten“ die „Dichter“? In: Sprache im technischen Zeitalter (1968) H. 26, S. 106–110. STREIT-ZEIT-SCHRIFT Kritik der Kritik. In: Streit-Zeit-Schrift 1 (1956) H. 2, S. 88–101.17 TELE-CONTROL: DER KRITISCHE FERNSEH- UND RUNDFUNKDIENST [„… alle überlebenden Mitglieder des Parlamentarischen Rates]. In: Tele-Control (1974) H. 11. 6. 1974. Auszug aus: WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 24. 5. 1974. TEMPO Ist Oskar noch zu retten? In: Tempo (1990) Nr. 10, S. 14. TINTENFISCH: JAHRBUCH FÜR LITERATUR Juden sind berührbar. In: Tintenfisch (1977) H. 11, S. 24–28. Nachdruck aus: Konkret (1976) H. 5, S. 47/48. TITANIC Wie grau ist der Ostblock? In: Titanic (1979) H. 11, S. 28. Erbgut. Wie der Bundesgerichtshof die Ehre der Juden zur Privatsache erhob. In: Titanic (1979) H. 12, S. 22. Ach Ernst, ach Ernst, was du mir alles lernst. Der größte Monopol-Knacker der Republik ist Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht. In: Titanic (1980) H. 1, S. 27. Ein Gesetzesbalg wechselt sich. Der Abbau des Abbaus oder eine neue Propaganda-Masche der sozialliberalen Koalition: Der „Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der demokratischen Freiheitsrechte“. In: Titanic (1980) H. 2, S. 46. Die braune Liesel kenn ich am Geleit. Nichts ist gefährlicher als das Vertrauen in deutsche Geschichte. In: Titanic (1980) H. 3, S. 24.

17 Dem vorangestellt ist eine Karikatur, die Walter Boehlich Zeitung lesend zeigt und mit dem Zitat untertitelt ist: Wir haben Fußballzeitungen, aber keine Literaturzeitschriften. In: Streit-Zeit-Schrift 1 (1956) H. 2, S. 87.

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Im Inhaltsverz. angekündigt als: Freies Geleit in den Knast. Von einem Schweizer Zeugen, der einem deutschen Richter vertraute. Wer zahlt, schafft an. Was hat Kunst mit politischer Willensbildung zu tun? Im Grundgesetz ist von ihr nicht die Rede. Sollte ihre Preiswürdigkeit deshalb nicht besser von Politikern entschieden werden? In: Titanic (1980) H. 4, S. 34. Im Inhaltsverz. angekündigt als: Staatspreise her. Willem hat ein Schloß. Oder: Warum der Sozialstaat ein Herz für die Elite hat. In: Titanic (1980) H. 5, S. 24. Die Oder, Deutschlands Strom? Dreigeteilt? Freilich! Aber auch selbstgeschaffene Tatsachen helfen nicht über revanchistische Träume hinweg. In: Titanic (1980) H. 6, S. 34. Nun singt mal schön! In der Bundeswehr gibt es etwas Widerwärtiges, das Traditionspflege heißt. Diese Traditionspflege besteht unter anderem darin, daß man den Offizieren aus Hitlers Wehrmacht, die die Bundeswehr aufgebaut haben, erlaubt hat, ihre schönsten Erinnerungen wachzuhalten. In: Titanic (1980) H. 7, S. 38/39. Nachdruck in: Deutsche Volkszeitung, 28. 8. 1980, S. 5. Wo sind sie geblieben? Wenn es so populär wäre, Blutrichter wie Terroristen zu jagen, wäre der BKA-Computer sicher schon fündig geworden. Aber das Raster-Instrument vermag die Beamten nicht aufzufinden. In: Titanic (1980) H. 8, S. 27. Rechts-Pflege oder Vom 11. Gebot. Zwar verpflichtet uns die Verfassung, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, doch wenn es um Verunglimpfung und freie Meinungsäußerung geht, gilt für manche Staatsanwälte zweierlei Recht. Der Grund: Sie scheinen nicht zu kennen, worauf sie vereidigt wurden. In: Titanic (1980) H. 9, S. 15–18. Der Toten Taten Ruhm. Lange genug haben ehrvergessene Linke unsere Nation beschmutzen dürfen; nun aber hat Professor Biedenkopf der Wahrheit eine Gasse geschlagen: Die Bundesrepublik ist gegründet auf den Leibern von vielen Millionen Freiheitskämpfern – den Soldaten der Hitler-Wehrmacht. In: Titanic (1980) H. 10, S. 22. Der Herr ist mein Hirte. Wir haben nicht nur Volkskirchen, sondern auch Volksparteien, und die halten es nicht anders als die Volkskirchen: Auch sie haben keine Lust von den freiwilligen Beiträgen ihrer Anhänger zu leben. In: Titanic (1980) H. 11, S. 23/24. Im Inhaltsverz. angekündigt als: Unter Hirten und Schafen. Des Fleisches Lust und der Augen Lust. Instinkt und Trieb, Herz und Libido, Lust und Pflicht – der Papst muß sich wieder mal um wichtige Dinge kümmern. In: Titanic (1980) H. 12, S. 18. Verhindert, verdrängt, verjährt? Der Majdanek-Prozeß geht ins sechste Jahr – so lange brauchen deutsche Richter um über elf KZ-Wächter zu befinden, die der Beihilfe am Mord von 200 000 Menschen angeklagt sind. Wer behauptet da noch, unsere Justiz urteile vorschnell und unbedacht? In: Titanic (1981) H. 1, S. 19/20. Der letzte Ausweg. Je weniger wirtschaftliche Macht einer hat, desto eher gibt er Ursache, das Verursacherspiel mit ihm zu spielen. Einer wird gewinnen, bloß nicht er. In: Titanic (1981) H. 2, S. 32/33. Im Inhaltsverz. angekündigt als: Verursacherspiel.

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Kommt ein Vogel geflogen. In: Titanic (1981) H. 3, S. 12–14. Angst vor der Neutralität. „Wer heute“, so sagt Hans Apel, „die Umrüstung der Bundeswehr auf eine sogenannte reine Verteidigung fordert, kennt weder die Realität noch die Bedingungen der Verteidigung!“ Ein bemerkenswerter Satz. Wen soll er beruhigen? Uns? Die UdSSR? Oder wollen wir die gar nicht beruhigen? In: Titanic (1981) H. 4, S. 20–22. Nachdruck in: Heinar Kipphardt (Hrsg.): Vom deutschen Herbst zum bleichen Winter. Ein Lesebuch zum Modell Deutschland. München, Königstein: Autoren-Edition 1981, S. 378–383. Die Bombe im Kanzleramt. Bundeskanzler Helmut Schmidt hat aus einer Untersuchung über den Rechtsradikalismus soviel erfahren, daß er es lieber für sich behalten möchte. In: Titanic (1981) H. 5, S. 22–24. Amis raus? In Bonn ist es wieder einmal in Mode gekommen, über einen wachsenden Antiamerikanismus zu lamentieren. Nach den Ursachen fragt jedoch niemand. In: Titanic (1981) H. 6, S. 20–22. Ungleicher Tod. Mögen die Privilegierten auch unter uns als Sünder gewandelt sein, sie verlassen die Erde als Heilige. In: Titanic (1981) H. 7, S. 24. Im Inhaltsverz. angekündigt als: Ungleiche Tote. Ein innerparteiliches Sozialistengesetz. Widerstand gegen die Weisheit des Fraktionsvorstandes kann nach Ansicht der Funktionäre in der SPD zu nichts führen als zur Spaltung. Die aber wäre das Schlimmste, denn sie könnte den Pragmatismus, der jetzt das „Machen“ heißt, als Vehikel des Machterhalts entlarven. In: Titanic (1981) H. 8, S. 17/18. Im Inhaltsverz. angekündigt als: Neue Sozialistengesetze. Der Klassenprimus. Ist Bundespräsident Karl Carstens das Opfer einer gemeinen Intrige oder seiner eigenen Unbedarftheit geworden? Eine Rede zum Widerstand im Dritten Reich gibt Rätsel auf. In: Titanic (1981) H. 9, S. 20–22. Wie wird man Neonazi? Neonazis stammen in der Regel aus der sozialen Gruppe, die immer auf den Putsch gesetzt hat, den man wollen kann ohne zu denken und ohne etwas verstanden zu haben. In: Titanic (1981) H. 10, S. 18. Ein Gemüsehändler als Verfassungsfeind. Drei Kabinettstücke der deutschen Justiz: Wie man verhindert, daß ein Kommunist als Richter, ein Gemüsehändler als Antifaschist und ein Nazirichter als Verfassungsfeind anerkannt wird. In: Titanic (1981) H. 11, S. 20–22. Kämmerchen vermieten. Politisch sind die deutschen Kommunisten ein abgemeldeter Haufen. Ihr Fehler: Sie nehmen ihr Programm so schrecklich ernst. Um Erfolg zu haben, sollten sie sich, wie alle anderen Parteien, nach allen Seiten öffnen, und, ja warum eigentlich nicht, sich mal den Forderungen der CDU anschließen … In: Titanic (1981) H. 12, S. 26–28. Ein Nürnberger Prozeß. Wie spielt der Zufall im Prozeß gegen die Demonstranten aus dem KOMM? Bei den Akten der Staatsanwälte Hubmann und Horn fanden sich nur Protokolle, die ihre Anklage auf schweren Landfriedensbruch stützen. So spielt der Zufall. In: Titanic (1982) H. 1, S. 20–22.

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Aber der Nowak. Die Parteien klagen, jeder Kaninchenzüchterverein sei finanziell besser gestellt als sie. Dafür könnte es zwei Gründe geben: Der mündige Bürger spendet lieber einem Kaninchenzüchterverein; die Kaninchenzüchter teilen ihren Etat besser ein und leben nicht über ihre Verhältnisse. In: Titanic (1982) H. 2, S. 14–16. Satelliten-Gespräche. Plump und peinlich: Mit dem, was im Deutschen Bundestag in den letzten Wochen zu Polen gesagt wurde, verdient dieses Parlament noch nicht einmal das Prädikat „Quasselbude“. In: Titanic (1982) H. 3, S. 20–22. Das Maul des Ochsen. Man kann dem Mann, der gemeinnützige Wohnungen baut, nicht den Appetit auf eigenen Besitz verübeln. Denn Albert Vietor hielt sich streng an die Spielregeln unseres Staates. In: Titanic (1982) H. 4, S. 16–18. Das Ende vom Lied. Der Kanzler wurschtelt von Krise zu Krise, und seine Partei weigert sich, darüber nachzudenken, ob es sinnvoll ist, daß wir so weiterleben sollen, in einer Umwelt, die keinem mehr Spaß macht. In: Titanic (1982) H. 5, S. 23. Unfreiwilliger Arbeitsdienst. Hamburgs Erster Bürgermeister, Klaus von Dohnanyi, hat einen Vorschlag zur Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit unter Akademikern gemacht, der nur einen Vorteil hat: Er fügt Klaus von Dohnanyi sicherlich keinen Schaden zu. In: Titanic (1982) H. 6, S. 58/59. Ausländer raus! Rund 50 Prozent der Wähler von CDU und SPD wollen die Ausländer lieber heute als morgen aus dem Land haben. Da kann man sich ausrechnen, was demnächst passieren wird. In: Titanic (1982) H. 7, S. 32/33. Die entsetzlichen Kinder. Der Sozialminister Fahrtmann hat Grund zum Jammern: Eine Studie bescheinigt ihm, daß das Vertrauen der Jugendlichen in den Staat im Schwinden ist. Was aber wollen diese Leute? Nicht arbeiten und das Paradies auf Erden? Oder eine menschenwürdige Gesellschaft, die der Minister nicht anbieten kann? In: Titanic (1982) H. 8, S. 18/19. Der Kollektivmaulkorb. Heißt gegen Begin zu schreien automatisch, gegen Israel und gegen die Juden schreien? Und sollen Deutsche zum Libanon-Krieg schweigen, nur weil sie Deutsche sind? In: Titanic (1982) H. 9, S. 18/19. Sturmfestes Niedersachsen. Gesetzgeber, Verwaltung und Justiz wollen natürlich keinen Nazi im Amt sehen, deshalb putzen sie, falls sie doch einmal einen aufspüren, ihn zum Demokraten heraus, um ihn behalten zu dürfen. In: Titanic (1982) H. 10, S. 31–33. Kanonen statt Butter. In: Titanic (1982) H. 11, S. 21/22. Zimmermann. In: Titanic (1982) H. 12, S. 41/42. Hoch die Waffen! In: Titanic (1983) H. 1, S. 24–27. Vom Erinnern. In: Titanic (1983) H. 2, S. 22–25. Deutsche Verhältnisse. In: Titanic (1983) H. 3, S. 24–27. Dieser Abgrund an Unmenschlichkeit. In: Titanic (1983) H. 4, S. 18–21. Achtung, Stolpersteine! In: Titanic (1983) H. 5, S. 16–19. Die Spesen des Krieges. In: Titanic (1983) H. 6, S. 18–21. Der Hinterhof. In: Titanic (1983) H. 7, S. 18–21. In den Ostwind hebt die Fahnen. In: Titanic (1983) H. 8, S. 18–21.

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Kriegsvorbereitungen. In: Titanic (1983) H. 9, S. 18–21. Freitagsphilosophie. In: Titanic (1983) H. 10, S. 24–27. Kein Pfennig den Fürsten. In: Titanic (1983) H. 11, S. 18–21. Kultur für alle. In: Titanic (1983) H. 12, S. 18–21. Wer zerstört die Republik? In: Titanic (1984) H. 1, S. 22–25. Hinrichtungsjournalismus. In: Titanic (1984) H. 2, S. 28–31. Das Sicherheitsrisiko. In: Titanic (1984) H. 3, S. 26–29. Die Deutschen sterben aus. In: Titanic (1984) H. 4, S. 19–23. Kritische Nächstenliebe. In: Titanic (1984) H. 5, S. 16–19. Der deutschen Eintracht mitten ins Herz. In: Titanic (1984) H. 6, S. 19–23. Was Hänschen nicht lernt … In: Titanic (1984) H. 7, S. 18–21. Von der Zweieinigkeit. In: Titanic (1984) H. 8, S. 28–31. Militärseelsorge. In: Titanic (1984) H. 9, S. 21–25. Repräsentanten des Staates. In: Titanic (1984) H. 10, S. 24–28. Erziehung vor Verdun. In: Titanic (1984) H. 11, S. 22–25. Kein Grund zur Selbstreinigung. In: Titanic (1984) H. 12, S. 38–41. Der Tanker schwoit. In: Titanic (1985) H. 1, S. 36–39. Schlesien bleibt unser. In: Titanic (1985) H. 2, S. 28–31. Englische Klassenkämpfe. In: Titanic (1985) H. 3, S. 30–35. Freislers Witwe. In: Titanic (1985) H. 4, S. 32–35. Geschlagen ziehen wir nach Haus. In: Titanic (1985) H. 5, S. 31–35. Der Mai ist gekommen. In: Titanic (1985) H. 6, S. 27–31. Es grünt so grün. In: Titanic (1985) H. 7, S. 27–31. Wasch mir den Pelz. In: Titanic (1985) H. 8, S. 26–29. Menschen zum Anfassen. Rechte Einfalt hat einen Namen: Helmut Herles, FAZ-Hofberichterstatter in Bonn, Autor der Anekdotenfibel „Fürchtet Euch nicht“. In: Titanic (1985) H. 9, S. 28–33. Ein Herrenmenschen-Jubiläum. Der 7. Reichsparteitag der NSDAP im Jahre 1935 bescherte Deutschland einen Strauß sehr deutscher Gesetze. Die Nürnberger Gesetze. In: Titanic (1985) H. 10, S. 28–33. Die lästige Alternative. Die Bundeswehr hat Personalprobleme. Und die Regierung hat sie nun per Verfassungsbruch zu lösen. In: Titanic (1985) H. 11, S. 30–34. Eigentum verpflichtet. Die Flucht – eine der bewährtesten Maßnahmen des Kapitals gegen jeden Versuch, Demokratie zu praktizieren. In: Titanic (1985) H. 12, S. 22–25. Vorsicht, Selbstschutzanlage. Ein Kontrollausschuß hat sich davon überzeugt, daß die Privatisierung des Bundesnachrichtendienstes bisher ordnungsgemäß abgewickelt wurde. In: Titanic (1986) H. 1, S. 9–23. Ein Nationales Ehrenmal. Vielleicht wird’s diesjahr was mit dem Bonner Opferstein. Motto: Ehr’ mal wieder. In: Titanic (1986) H. 2, S. 26–30. Böcke und Gärtner. In Karlsruhe beobachtet man mit wachsender Sorge verfassungsfeindliche Tendenzen im Grundgesetz. In: Titanic (1986) H. 3, S. 18–21.

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Ich bin doch kein Schwätzer. Herbert Wehner hat immer noch nichts begriffen. Die SPD ist stolz auf ihn. In: Titanic (1986) H. 4, S. 26–31. Legal, illegal, scheißegal. Wie albern darf man sich im Kulturbetrieb eigentlich aufführen? Gerhard Zwerenz und Jörg Schröder haben es ausprobiert. In: Titanic (1986) H. 5, S. 30–54. Die Blutspur. Die sozialdemokratische Pressepolitik wird von ‚Zeit‘-Herausgeber Helmut Schmidt zurechtgerückt; und zwar mit links. In: Titanic (1986) H. 6, S. 22–25. Noch einmal davongekommen? Es gibt Zwischenfälle, in denen die Justiz wirklich für den Angeklagten entscheidet. Und gegen besseres Wissen. In: Titanic (1986) H. 7, S. 32– 36. Mit dem Holzhammer polemisieren. Antisemitismus in allem und jedem zu sehen, ist auch eine Möglichkeit ihn zu verharmlosen: das Beispiel Henryk M. Broder. In: Titanic (1986) H. 8, S. 26–29. Politische Farbenlehre. Als Schutz vor Terroranschlägen verliert die Fünf-Prozent-Hürde immer mehr an Bedeutung. In: Titanic (1986) H. 9, S. 22–25. Asyl! Asyl! In: Titanic (1986) H. 10, S. 22–25. Der Bäcker hat gerufen. Die Streikkassen waren proppenvoll; da musste der Deutsche Gewerkschaftsbund die überzähligen Mitgliederbeiträge leider den Banken rüberschieben. In: Titanic (1986) H. 11, S. 22–25. Hans-Dietrich sieht rot. Wie der größte angestrebte Umfall in der Rechtspolitik die FDP in die braune Mühle der Bazi-Partei geraten lässt. In: Titanic (1986) H. 12, S. 30–33. Wie es euch gefällt. Wie die Anzahl der Richtersitze im 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Beurteilung der Verfassungsgemäßheit der Urteile gegen Sitzblockierer blockierte. In: Titanic (1987) H. 1, S. 30–33. Heimliche Rassenverbesserung. Ausgerechnet zur 750-Jahr-Feier der ehemaligen Reichshauptstadt suchen Berliner Staatsanwälte Berliner Ärzte an der Fortführung einer Tradition des letzten Reiches zu hindern: der Euthanasie. In: Titanic (1987) H. 2, S. 32–35. Nobel geht die Welt zugrunde. Weil das norwegische Preiskomitee sich fortwährend weigerte, Friedens- und Literaturnobelpreise an die richtigen Leute zu verleihen, sinnt man im Freistaat Bayern auf Ersatz: den „Deutschen Kulturpreis“ für noble Strammdeutsche. In: Titanic (1987) H. 3, S. 24–27. Ronald Reagans ‚Abirrungen‘. Der amerikanische Präsident macht so gut wie jeden nur möglichen Fehler und regiert trotzdem weiter: Der Sieg des guten Herzens über Wahrheit und Vernunft. In: Titanic (1987) H. 4, S. 25–31. Im Inhaltsverz. angekündigt als: Ökumenisches Tagebuch. Der Bonner Denkmalssturz. Von der SPD können halt nicht alle Mitglieder leben, geschweige denn ein weibliches, ausländisches Nichtmitglied. Und das hätte Brandt halt nicht vergessen dürfen. In: Titanic (1987) H. 5, S. 22–25. Unser Mann in Wiesbaden. Es wundert wirklich nicht: Ein ehemaliges, engagiertes Nazi­ schwein war nach dem Kriege als starker Mann im Statistischen Bundesamt in Sachen Mikrozensus und erster Volkszählung 1960/61 engagiert. In: Titanic (1987) H. 6, S. 22–25.

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Alt-Heidelberg, du braune … An deutschen Universitäten kann man fast alles studieren. Bis auf die Universitätsakten aus den Jahren 1933 bis 1945. Da herrscht der totale Numerus clausus. In: Titanic (1987) H. 7, S. 24–27. Danke! Vielen Dank! Wenn der Lyoner Prozeß gegen Klaus Barbie peinlich war, dann weniger für die Franzosen als vielmehr für die Bundesrepublik. Vielleicht zum letztenmal in der Geschichte wurden deutsche Behörden beschämt, in ihrer ganzen Verfolgungsunwilligkeit und Verhandlungsunfähigkeit bei Naziverbrechern. In: Titanic (1987) H. 8, S. 28–31. So haben wir nicht gewettet. Daß Schriftsteller meistens nichts vom Geschäft verstehen, bzw. verstehen wollen, ist eine altbekannte Tatsache. Der Fall Luchterhand sollte inzwischen aber auch den Unbedarftesten gezeigt haben, dass es dringend geboten ist, diese Einstellung zu ändern. In: Titanic (1987) H. 9, S. 20–24. Sensibler Einsatz. In Frankfurt sollen die Reste der alten Judengasse weggebaggert, das Kundenzentrum der Stadtwerke an deren Stelle gesetzt und Teile der Ghettoreste in der Kundenhalle ausgestellt werden. Vermutlich direkt neben dem Infostand „Kochen mit Gas“. In: Titanic (1987) H. 10, S. 34–37. Viel Geschrei und wenig Wolle. Der sogenannte „Teufel in Menschengestalt“ hat also auch Tagebücher geschrieben. Sie sind sogar echt und obwohl ihre Lektüre sterbenslangweilig ist, nicht ganz ungefährlich [zu Goebbels: Tagebücher]. In: Titanic (1987) H. 11, S. 30–33. Vgl.: Goebbels-Tagebücher in 10 Bänden hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte in München. NDR – Texte und Zeichen, 9.10.1987, 11'07 Min. Politische Kultur. Es mag durchaus lustige Paradoxa geben wie etwa im Kindervers „Dunkel war’s, der Mond schien helle …“: die Kollokation „politische Kultur“ aber ist nichts als ärgerlich. In: Titanic (1987) H. 12, S. 34–37. „Erlebnisraum an der Elbe“. In Hamburg kann nun mit der Räumung eines vom organisiertem Mob besetzten Gebäudes begonnen werden: dem großen am Rathausmarkt. In: Titanic (1988) H. 1, S. 22–25. Auf dem Repräsentierteller. Es ist Richard von Weizsäckers Sache, nur windelweiche Posi­ tionen zu beziehen. Und er macht seine Sache gut. In: Titanic (1988) H. 2, S. 26–29. Ende schlecht, alles schlecht. Das Ende von Fällen wie dem Fall Höfer ist endlich in Sicht: Wer 1945 als Vierjähriger seine Eltern oder Geschwister beim Kinderhortleiter denunziert hatte, dürfte allerspätestens im Jahre 2050 der öffentlichen Kritik nicht mehr zur Verfügung stehen. In: Titanic (1988) H. 3, S. 22–25. Gedächtnisschwindel. Im März hat der österreichische Bundespräsident die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Anschlusses der Ostmark an das Reich eröffnet. Auch die Trauerfeierlichkeiten im Mai 1995 zum 50. Jahrestag der Kapitulation wird der österreichische Bundespräsident eröffnen. Und der wird, wenn’s nach Kurt geht, immer noch Waldheim heißen. In: Titanic (1988) H. 4, S. 30–33.

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Glimpf und Unglimpf. 1933 hat die Stadt Frankfurt Adolf Hitler zu ihrem Ehrenbürger gemacht. Warum sollte sie ihm heute seine alten Rechte formal aberkennen? Der Mann ist doch schon tot. In: Titanic (1988) H. 5, S. 24–27. Die Täterschaft Hitlers. Wenn ein ehemaliger KZ-Spieß und späterer BRD-Lehrer einen deutschen Kommunisten umgebracht hat, kann aus einem BRD-Strafverfolger schon einmal ein Strafvereitler werden, gell, Herr Staatsanwalt Korsch. In: Titanic (1988) H. 6, S. 24–27. Gewissensfragen. Wer das Kapital hat, braucht kein Gewissen, und wer von der Ungnade der Kapitalisten abhängig ist, kann sich sowieso keins leisten. An dieser Binsenweisheit hat sich scheinbar auch heute nichts geändert. In: Titanic (1988) H. 7, S. 30–33. Messepoker. Wenn sich eine Geldstadt wie Frankfurt eine Kultur wie die Buchmesse leistet, muß aus der Kultur unweigerlich ein Geschäft werden. Ein Geschäft für Frankfurt. In: Titanic (1988) H. 8, S. 22–25. Heim ins Reich. Woher nehmen und nicht stehlen? Der Rechtsnachfolger des III. Reiches braucht Bevölkerung, und das heißt: Aussiedler rein! In: Titanic (1988) H. 9, S. 24–27. Bayerische Spielregeln. Der Saubazi als Nachfolger vom Saupreiß: Wie der letzte deutsche Obrigkeitsstaat eine Buchhändlerin in die Mangel nimmt. In: Titanic (1988) H. 10, S. 30–33. Alles vergeben, alles vergessen? Wenn Freund Hein zugeschlagen hat, mag sich niemand mehr konsequent erinnern. Aus klein wird groß, aus schwein wird rein und aus Strauß ein philantropischer Demokrat. In: Titanic (1988) H. 11, S. 22–25. remember, remember. Man klagt nicht, man schweigt nicht, man spricht. Und das möglichst unbedacht. In: Titanic (1988) H. 12, S. 20–25. Im Inhaltsverz. angekündigt als: Pogrom & Kristall. Das co-operative Mandat. Weil der Deutsche Gewerkschaftsbund noch immer nicht mit Geld umgehen kann, bleibt das Programm weiterhin: Gemeinwirtschaften, abwirtschaften. In: Titanic (1989) H. 1, S. 20–23. Rehtšrajbung. In: Titanic (1989) H. 2, S. 22–25. Kein Geld für Schmuddelkinder. Parteinahe Stiftungen sind seit jeher angenehme Geldeinnahmequellen der etablierten Parteien. Da die Grünen mit dem Geld für eine eigene Stiftung unangenehme Bildungsarbeit leisten könnten, versuchen die Etablierten, den Stiftungsgeldhahn für die Grünen kurzerhand zuzudrehen. In: Titanic (1989) H. 3, S. 24–27. Rushdie-Hour. Der einmalige multimediale Aufruf zu einem Verbrechen erregt die Gemüter selbstverständlich stärker als der tägliche ordinäre Mord ohne Live-Schaltung. So bequem und populär läßt’s sich nur selten entrüsten. In: Titanic (1989) H. 4, S. 22–25. Helfen und heilen. Hier irrt der Wahlanalytiker: Rechtsextremismus ist nicht nur Tumult auf den billigen Plätzen. Auch der hochbezahlte Akademiker trägt gerne einen Bummskopf. In: Titanic (1989) H. 5, S. 28–31.

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Memminger Schlachtvieh. In Bayern spricht man ein ganz besonderes Recht. Die jüngste Kostprobe lieferte ein Trio in Memmingen. Erste Ermittlungen haben ergeben, dass alle drei Beteiligten den Richterberuf ausüben. In: Titanic (1989) H. 6, S. 30–33. Sie und nicht wir. Eine Nation von Bahnsteigkartenlösern feiert die französische Revolu­ tion. In: Titanic (1989) H. 7, S. 22–25. Das schöne Mädi. Eines Tages passiert es. Da klopft die Liebe an. Wie z.B. auch bei Frau Piller und ihrem Mann. In: Titanic (1989) H. 8, S. 30–33. Ich esse meine Suppe nicht. Pünktlich zum 50. Jahrestag des Überfalls auf Polen sorgt man sich in Bayern wieder einmal ums rechte Geschichtsbewusstsein. Die deutsche Frage sei immer noch offen – so weit wie manch Politikergesäß. In: Titanic (1989) H. 9, S. 20–23. Rechts schwenkt, marsch! Laut Statistik neigt ein durchschnittlicher Pfälzer, der unbedingt Kanzler bleiben will, zum Äußersten. Rechten. In: Titanic (1989) H. 10, S. 20–22. Unheilbares Deutschland. Deutsch zu sein, bedarf es wenig, doch wer deutsch ist, wird leicht dösig. In: Titanic (1989) H. 11, S. 20–23. Jeder Schuß ein Russ’. Nach dem rechtsgültigen Urteil des Frankfurter Landgerichts darf zwar nicht jeder jeden Soldaten einen potentiellen Mörder nennen, aber jeden Politiker einen permanenten Arschredner. In: Titanic (1989) H. 12, S. 20–23. Öffentliche Verschwendung. Da beißt auch die RAF keinen Faden ab: Die Berufssparten Banker, Haushaltsexperte und Verwaltungsrat müssen endlich als Tatbestand ins StGB aufgenommen werden. In: Titanic (1990) H. 1, S. 20–23. Das große Halali. Auf dem Symposion einer angesehenen deutschen Lehrerzeitschrift heilig gesprochen: der Kapitalismus. Kann machen, dass die Blinden gehen und die Lahmen wieder sehn. In: Titanic (1990) H. 2, S. 22–25. Destruktiver Nationalismus. Eine der schlimmsten Seuchen ist der Nationalismus. Taubund Blindheit gehören zu seinen ersten Symptomen. Begeistert feiern die Deutschen ihre neuerliche Infektion. In: Titanic (1990) H. 3, S. 20–23. Das überflüssige Volk. Weil das Volk der BRD damals nicht über das Grundgesetz abstimmen durfte, hat es jetzt wenigstens bei der Wiedervereinigung nichts zu melden. In: Titanic (1990) H. 4, S. 20–23. Rettung durch Arbeit? Arbeit macht niemanden frei. Höchstens den, der andere für sich arbeiten läßt, wie unsere Geschichte zeigt. In: Titanic (1990) H. 5, S. 22–25. Augen zu und durch. Die baldige ehemalige DDR ist – Nationalismus und ähnlichen Schnickschnack beiseite – nichts weiter als eine gigantische Marktlücke. Und noch eins: Geben Sie ein paar Glasperlen. Die freuen sich. In: Titanic (1990) H. 6, S. 20–23. Kommunizierende Röhren. Weil es auf deutschem Boden nicht mehr zwei Staaten, sondern nur noch „ein Volk“ geben darf, kommt der Volksfeind zu neuen Ehren. An der Spitze der nationalen Erhebung: Das Feuilleton der FAZ. In: Titanic (1990) H. 7, S. 22–25. Die unheimliche Hauptstadt. Ein Pfannkuchen soll Hauptstadt werden, weil er so schön dick ist. In: Titanic (1990) H. 8, S. 22–25.

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Erblasten. Bisher stand noch jeder Zusammenbruch eines deutschen Staatswesens unter dem Motto: Alles verstehen heißt alles vergessen. Bzw.: Reißwolf weiß, was Denunzianten wünschen. In: Titanic (1990) H. 9, S. 20–23. Der gerechte Richter [zu Anna Seghers] In: Titanic (1990) H. 10, S. 20–23. Die Ohrfeige. Ein Urteil des höchsten deutschen Gerichts zwingt die Parteien CDU, CSU, FDP und SPD zu einem ungewohnten Verhalten: Sie müssen das Grundgesetz beachten. In: Titanic (1990) H. 11, S. 20–23. Neuland. In der ehemaligen DDR geht die Kolonisation zügig voran. Die alten Räuber fordern ihr Diebesgut zurück. In: Titanic (1990) H. 12, S. 20–23. Einheit ohne Opposition. Bei den ersten freien, geheimen, großdeutschen Wahlen seit 1933 hat die CDU das gute Ergebnis der NSDAP nur um 0,1% verfehlt. Deshalb wird sie auch die Autobahnen weiterbauen lassen. In: Titanic (1991) H. 1, S. 20–23. Die Sieger der Geschichte. Über die Muttersprache hinaus existiert ein Volk nur, wenn es Andersdenkende verfolgt, verurteilt und ausgrenzt. In: Titanic (1991) H. 2, S. 20–23. Die Zwickmühle. Bündnisfall oder doch? Mitmachen oder andere fürs Sterben bezahlen? Wie auch immer – ein Weltkrieg ohne Deutschland ist einfach kein richtiger Weltkrieg. In: Titanic (1991) H. 3, S. 28–31. Na und … Die kniffelige Wiedervereinigung hätte man doch besser in die Hände irgendeines Biertisches oder Manta-Clubs legen sollen, allein schon wegen der Kompetenz. In: Titanic (1991) H. 4, S. 20–23. Raus oder rein? Die Aufnahme der ostdeutschen, ehemals regimetreuen Schriftsteller in den neuen Verband zu verweigern, wäre nicht nur ein moralisch einwandfreier Entschluß. Es wäre auch eine große Dummheit. In: Titanic (1991) H. 5, S. 24–27. Blut und Boden. Ein kleines Bonbon versüßt den Annektionsvertrag: Die Junker erhalten ihre Güter nicht zurück. In: Titanic (1991) H. 6, S. 20–23. Buridans Esel. Wir leben in blödsinnigen Zeiten: Immer mehr Menschen haben neuerdings einen Koffer in Berlin, aber dafür nicht mehr alle Tassen im Schrank. In: Titanic (1991) H. 7, S. 20–23. Der Nabel der Welt. „Du bist verrückt, mein Kind, Du ziehst nach Berlin, wo die Verrückten sind, da gehörst Du hin.“ In: Titanic (1991) H. 8, S. 24–27. Preußische Restauration. „Wir wollen unseren alten König Friedrich wiederham. Aber nur, aber nur, aber nur innem Sarg.“ In: Titanic (1991) H. 9, S. 20–23. Siegerrecht. Gegen die Verbrechen des DDR-Regimes war Auschwitz ein Eierdiebstahl. Jeder Volksgenosse ist deshalb aufgerufen, sich an der strafrechtlichen Verfolgung der Täter zu beteiligen. In: Titanic (1991) H. 10, S. 20–23. Die geschälte Birne. Zwei deutsche Erfolgstagebücher mit kleinen Duplizitäten [zu Horst Teltschik: 329 Tage; Joseph Goebbels: Vom Kaiserhof zur Staatskanzlei]. In: Titanic (1991) H. 11, S. 20–23. Die fünfte Gewalt. Neues vom Geheimdienst Ihrer Abstrusität: Israel will demnächst Panzer in der Landwirtschaft einsetzen. Der BND hat schon die Bestellung. In: Titanic (1991) H. 12, S. 20–23.

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Die Verfassungsfrage. Das neue Grundrecht. Bonn wird’s den Ossis schon besorgen. In: Titanic (1992) H. 1, S. 20–23. Ein völlig aufgebauschtes Ding. Verfolgte Unschuld oder Arsch im Wolfspelz? Akteneinsicht am Prenzlauer Berg. In: Titanic (1992) H. 2, S. 60–63. Noch einmal: Die fünfte Gewalt. Unser Geheimdienst ist vor allem eines: gewaltig unfähig. In: Titanic (1992) H. 3, S. 26–29. Nur die vollständige Hinrichtung. Bei einem Arbeitsunfall im Parlament ist ein Todesopfer zu beklagen. In: Titanic (1992) H. 4, S. 20/21. Wenn die Toten erwachen. Heutzutage kann ein Friedhof ein ziemlich unruhiger Ort sein, vor allem, wenn er in Hamburg liegt. In: Titanic (1992) H. 5, S. 20/21. Die fingierte Staatsferne. „Geld macht nicht glücklich, es beruhigt nur die Nerven, doch man muß es schon besitzen, um’s zum Fenster raus zu werfen.“ In: Titanic (1992) H. 6, S. 20/21. Präsidiale Halbherzigkeit. Im Gegensatz zur Satire darf der Präsident nicht alles, sondern eher wenig. Eines aber muß er: eine gute Figur machen! In: Titanic (1992) H. 7, S. 20/21. Der Spielverderber. „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen, und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?“ In: Titanic (1992) H. 8, S. 20/21. Angeschmiert und abgemeiert. Da kann der Inquisitor (West) sein Maul noch so weit aufreißen: Gerechtigkeit ist keine Hexerei. In: Titanic (1992) H. 9, S. 22/23. Der Gebrauch des Menschen. Das geeinte Europa verurteilt den Schuldigen im jugoslawischen Bürgerkrieg – und damit die eigene Geschichte. In: Titanic (1992) H. 10, S. 22/23. Die Unschuld von Lande. Der diesjährige Bücherherbst hat vor allem zwei Fragen aufgeworfen: Sind Schriftsteller die besseren Spitzel oder sind alle Spitzel per se Schriftsteller? In: Titanic (1992) H. 11, S. 22/23. Herren über Tod und Leben. Die deutsche Vergangenheit ist eher ein Fall für die Märchendenn für die Geschichtsbücher. In: Titanic (1992) H. 12, S. 20/21. Paulskirchenfreiheit. Die Deutschen mögen ihre Gedenkfeiern, solange die mit Denken nichts gemein haben: Ein Lehrstück aus Frankfurt. In: Titanic (1993) H. 1, S. 20/21. Rundfunkfreiheit. Die politischen Parteien haben nur ein Radioprogramm: Wer ihnen nicht paßt, der wird geschaßt. In: Titanic (1993) H. 2, S. 22/23. Hessen vorn. Skandal am Main: In Frankfurt werden die Jusos noch ernst genommen. In: Titanic (1993) H. 3, S. 22/23. Wer ist das Volk? Die neue Verfassung entsteht wie einst das Grundgesetz: im Namen und unter Ausschluß des Volkes. In: Titanic (1993) H. 4, S. 22/23. Der Fall Wehner. Die Kunst des Zwischenrufs beherrschte Onkel Herbert wie kein anderer: In Bonn gab’s Heiterkeit, in Moskau Tote. In: Titanic (1993) H. 5, S. 22/23. Der Landesverräter. Vor einem BRD-Gericht muß sich ein Bürger der DDR dafür verantworten, daß es diese einmal gab. In: Titanic (1993) H. 6, S. 22/23. Wie die großen Hunde. Ein altes Sprichwort besagt: Sie wollen pinkeln wie die großen Hunde und können das Bein nicht heben. In: Titanic (1993) H. 7, S. 22/23.

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Walsers Sorgen. Deutsch oder doch deutsch, das ist hier die Frage, die sich ein großer deutscher Autor erstaunlicherweise stellen zu müssen glaubt. In: Titanic (1993) H. 8, S. 22/23. Spare in der Not. Der Finanzminister versteht sich auf Kultur: Gezielt streicht er die Mittel dort, wo sie einen Zweck hätten. In: Titanic (1993) H. 9, S. 22/23. Die Schlapphut-Saga. Die Hauptarbeit eines guten Nachrichtendienstes besteht darin, die eigene Tätigkeit möglichst geheim zu halten. Diese Tätigkeit besteht in der Geheimhaltung der Hauptarbeit. Wirkliche Erkenntnisse können so nicht zustande kommen. Ein guter Ausschnittdienst wäre effektiver. In: Titanic (1993) H. 10, S. 20/21. Im Namen des Volkes. Ein Jude, der nicht begreifen will, wie butterweich die deutsche Justiz mit einem Judenmörder umspringt, bekommt ihre Härte zu spüren. In: Titanic (1993) H. 11, S. 24/25. Wer wählt den Bundespräsidenten? Je machtferner ein Amt, desto ärgerlicher das Gerangel um seine Besetzung – Vorschlag zur Lösung eines hausgemachten Problems. In: Titanic (1993) H. 12, S. 22/23. Im Inhaltsverz. angekündigt als: Die Qual der Wahl. Vgl.: Der Mann mit dem Goldrand. Überlegungen zur bundesdeutschen Suche nach einem neuen Präsidenten. BR – der Kulturkommentar, 19. 9. 1993, 10 Min. Die Alte Wache. Nicht jeder Historiker hat das Glück, eine seiner größten Dummheiten in Granit gemeißelt zu sehen. Kohl darf sich also freuen. In: Titanic (1994) H. 1, S. 22/23. Partei der Schuldigen. Wenn in einer Demokratie große Minderheiten nicht dasselbe wollen wie die regierende Mehrheit, muß man ihnen das abgewöhnen. In: Titanic (1994) H. 2, S. 22/23. Wieder einmal Wehner. Mit ihrer Wahlkampfhilfe für die CDU/CSU verhindert Brigitte Seebacher-Brandt eine Auseinandersetzung der SPD mit Wehners Moskauer Vergangenheit. In: Titanic (1994) H. 3, S. 22/23. Kultur kaputt, alles kaputt. Trotz umfangreicher Einsparungen werden die Deutschen auch in Zukunft große kulturelle Leistungen produzieren können. Allerdings nur auf dem Gebiet der Militärkultur. In: Titanic (1994) H. 4, S. 24/25. Das gebrechliche Recht. Daß ihm nicht der Prozeß gemacht wird, könnte Schönhuber gelegen kommen, aber es beraubt ihn auch der Möglichkeit, sich als Märtyrer in Szene zu setzen. In: Titanic (1994) H. 5, S. 22/23. Schuld und Sühne. Daß erwiesene Idioten nicht strafmündig sind, ist eine jener guten Regeln, die von Ausnahmen bestätigt werden wollen. In: Titanic (1994) H. 6, S. 22/23. Die Wahl des Geißeltierchens. Der neue Bundespräsident hat zwar nichts zu sagen, aber was er sagt, ist deutlich genug. In: Titanic (1994) H. 7, S. 22/23. Die Taten der Treuhand. Hinz und Kunz, Pleitiers und Spekulanten, Dilettanten und Schwindler konnten sich bei der Treuhand bedienen. So hat sich das östliche Volksvermögen in Wohlgefallen aufgelöst. In: Titanic (1994) H. 8, S. 21/22. Rede, daß ich dich sehe. Zwei Männer. Zwei Reden. Beide daneben. In: Titanic (1994) H. 9, S. 22–25.

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Vom Richterprivileg. Eine Justiz, die ihre rechten Mäuler nicht mehr halten kann, mag auf eine Weise krank sein. Aber über Lohnfortzahlung sollte sich doch streiten lassen. In: Titanic (1994) H. 10, S. 20–23. In Worten und in Taten. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet und Politiker werden pampig. Sie machen aus ihren Herzen keine Soldatengruben. In: Titanic (1994) H. 11, S. 20–23. Aus alt macht neu. Einmal SED, immer SED. Während die Schmuddelkinder nach 1945 wenig Probleme hatten, im Bundestag wieder Fuß zu fassen, wird die PDS heutzutage ausgegrenzt. In: Titanic (1994) H. 12, S. 22–25. Reform der Vernunft? Die „kleine Reform“ der Rechtschreibung: halbe Lösungen und komplette Idiotien. In: Titanic (1995) H. 1, S. 20–23. Am Ziel der Wünsche. Bundespräsident R. Herzog ist des Hebräischen zwar nicht mächtig, dafür spricht er aber, wie ihm der Schnabel verwachsen ist. In: Titanic (1995) H. 2, S. 20–23. Die lustlose Witwe. Brigitte Seebacher-Brandt ist es gelungen, in Verruf zu bringen, was sie für sich reklamiert hat, ihr Studienfach, die SPD und Willy Brandt. In: Titanic (1995) H. 3, S. 20–23. Gnade vor Recht? Der DDR-Vergangenheit ist auf dem Rechtsweg nicht beizukommen. Es wird nur eine Lösung geben: eine Amnestie für Bagatelltaten. In: Titanic (1995) H. 4, S. 20–23. Der 8. Mai. Staatsakt statt Volksfest: weil sie vom Ende des Faschismus nicht reden und von dem des Krieges nicht schweigen wollen. In: Titanic (1995) H. 5, S. 20–23. War da was? 50 Jahre später hat Deutschland endgültig den Krieg gewonnen. Einigen ist das noch immer nicht genug. In: Titanic (1995) H. 6, S. 24–27. Gleichheit und Willkür. Klaus Kinkel wegen Landesverrat und Bestechung verurteilen? Die Karlsruher Richter winken ab. In: Titanic (1995) H. 7, S. 20–23. Sorglose Entsorgung. Eine Welt, die zum Verkauf ansteht, muß auf die Umwelt pfeifen. In: Titanic (1995) H. 8, S. 20–23. Übergeordnete Interessen. Chirac und deutsche Frankreichboykotteure haben eines gemeinsam: Sie gehen auf die Nerven. In: Titanic (1995) H. 9, S. 20–23. Sturm in der Maß. Muß er hängen? Nein, das muß er nicht. Endgültiges zum neuesten Kreuz-Zeugs. In: Titanic (1995) H. 10, S. 20–23. Der Schlag ins Wasser. Weihnachtsgeld macht unabhängig. Aber nicht Frau Süssmuth und Herrn Klose. Da hilft kein Jammern, Schimpfen, Toben. In: Titanic (1995) H. 11, S. 20–23. Auch ein Lügner hat seine Ehre. Besitzt Björn Engholm schon zu Lebzeiten eine „postmortale Menschenwürde“? Und wenn ja: Ist sie wirklich 40.000 Mark wert? In: Titanic (1995) H. 12, S. 20–23. Das Wunder von Mannheim. Seit dem letzten Parteitag ist die SPD in Aufbruchstimmung. Aber am Ende wird es bei Hoffnungen bleiben. In: Titanic (1996) H. 1, S. 20–23.

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Operation Hades. Wahlschlachten kommen meist ohne Bomben aus. Ein paar hundert Gramm Plutonium können allerdings nicht schaden. In: Titanic (1996) H. 2, S. 20–23. Sieger und Verlierer. Juristen sind zu allem fähig; das zeigt die Geschichte. Nur nicht zur Aufarbeitung eigenen Versagens; das zeigt die Gegenwart. In: Titanic (1996) H. 3, S. 20–23. Wehrkraftzersetzung. Potentielle Mörder sollen bald wieder Soldaten heißen. Wenn das der Führer wüßte! In: Titanic (1996) H. 4, S. 20–23. Vorwärts, Genossen! Wer studiert, taucht in keiner Arbeitslosenstatistik auf; jedenfalls bis zum Ende seines Studiums. Soll er dafür noch zahlen? In: Titanic (1996) H. 5, S. 20– 23. Vergangenheitsentsorgung. Gegen die Art, wie Frankfurt seiner jahrhundertelang verfolgten und schließlich ermordeten Juden gedenkt, können die sich nicht wehren. In: Titanic (1996) H. 6, S. 20–23. Eile mit Weile. Der Geist der Wissenschaft durchdringt vieles. Aber kaum die Geschichte der deutschen Universitäten zwischen 1933 und 1945. In: Titanic (1996) H. 7, S. 20–23. Wer Pech angreift. Unter Anleitung seines Freundes Wehner gelang Karl Wienand eine äußerst lukrative Ostpolitik. Jetzt wurde er dafür verurteilt. In: Titanic (1996) H. 8, S. 20–23. Wen stört das schon. Tausende Italiener protestierten gegen den Freispruch von Erich Priebke. Und das alles nur, weil die SS fünf Morde mehr beging als erlaubt. In: Titanic (1996) H. 9, S. 20–23. Großstadtnöte. Frankfurt/Main, Ende des 20. Jahrhunderts: Es wird immer häßlicher, zum Glück aber auch teurer. In: Titanic (1996) H. 10, S. 20–23. Unrecht Gut gedeiht. Das Schweizer Bankgeheimnis nützt vor allem den Schweizer Banken: Jüdisches Beutegold machte sie noch reicher. In: Titanic (1996) H. 11, S. 20–23. Langer Prozeß – kurzer Prozeß. Zumindest eines konnte man Birgit Hogefeld nachweisen: daß ihre Verfolgung teuer war. Sie bezahlt mit „lebenslänglich“. In: Titanic (1996) H. 12, S. 20–23. Wem gehört die Sprache? Ob gestern oder heute: Kaum ist Deutschland einig Vaterland, verordnen seine Bürokraten, wie das blöde Volk zu schreiben hat. In: Titanic (1997) H. 1, S. 20–23. Einsichten? Und Aussichten? Deutsche waren sie nur während der Nazizeit, und in den Sudeten wohnten sie nicht mehr als andere: Gibt es die Sudetendeutschen wirklich? In: Titanic (1997) H. 2, S. 20–23. Täter als Opfer. Die Tochter Himmlers bezieht Kriegsopferrente, weil Vater Heinrich im Mai ’45 eine Giftkapsel schluckte. Näheres regelt das Bundesversorgungsgesetz. In: Titanic (1997) H. 3, S. 20–23. Der Jude Rifkind. Wenn ein schottischer Jude als britischer Außenminister in Deutschland Luther zitiert, steht genau das am nächsten Tag in der FAZ. In: Titanic (1997) H. 4, S. 20–23.

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Fuchs, du hast die Gans gestohlen. Kaum ist die Mauer geschleift, meldet eine vorzeitliche Ausbeuterkaste ihre alten unverschämten Rechte an: das ostelbische Landjunkertum. In: Titanic (1997) H. 5, S. 20–23. Mit der Lüge leben? Nur Peter Gauweiler kann ihn stoppen: den moralischen Vernichtungsfeldzug gegen das wehrlose deutsche Volk. In: Titanic (1997) H. 6, S. 20–23. Immer wieder Wehner! Wer hat euch verraten, Sozialdemokraten? Herbert Wehner! Oder: Nicht viel Neues in Markus Wolfs Memoiren. In: Titanic (1997) H. 7, S. 20–23. Ein Berliner Skandal. In der alten und neuen deutschen Hauptstadt werden Menschen jüdischen Glaubens nicht ermordet, sondern entlassen. In: Titanic (1997) H. 8, S. 26–29. Schweizer Listen. Nachrichtenlose Konten aus dem Zweiten Weltkrieg: Nur widerwillig lüftet die Schweiz ihr wertvollstes Bankgeheimnis. In: Titanic (1997) H. 9, S. 26–29. Gruppenbild mit Damen. Ein literarisches Kartell gegen das Banausentum Nachkriegsdeutschlands: Warum die „Gruppe 47“ ihren 50. Geburtstag nicht erlebt. In: Titanic (1997) H. 10, S. 26–29. Voschi ade, scheitern tut weh. Abtritt eines Autokraten: Der große alte Sack der Hamburger SPD will von Demokratie nichts mehr hören. In: Titanic (1997) H. 11, S. 20–23. Ein Haus der Betulichkeit? Jeder rechte Depp ein Kulturexperte: Wie Konservative sich die historische Bedeutung der Paulskirche zurechtbiegen. In: Titanic (1997) H. 12, S. 20– 23. No future. Unter den Talaren fehlt’s wieder mal am Baren: Für politisch motivierte Studentenunruhen ist zur Zeit einfach nicht genügend Geld da. In: Titanic (1998) H. 1, S. 20– 23. Es grünt so grün! Verliebt in die Macht, schlau in der Taktik, versiert in der Lüge: So mögen deutsche Wähler die Parteien. Also wird es für die Grünen immer enger. In: Titanic (1998) H. 5, S. 22–25. Der verhinderte Kronprinz. Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören. Und wenn’s am schlimmsten ist, erst recht. Nur dumm, daß Könige, Diktatoren, Päpste und Bundeskanzler das meist nicht einsehen wollen. In: Titanic (1998) H. 6, S. 18–21. Brüsseler Ordnungswahn. Bumm, bumm, bumm! Der EG-Kommissar geht um und feuert gegen die Buchpreisbindung. Drohen jetzt haufenweise Schnäppchenpreise? In: Titanic (1998) H. 7, S. 20–23. Vgl.: Buchpreisbindung. WDR – Kritisches Tagebuch, 5. 6. 1998, 4'14 Min. Hans im Schnakenloch. Verhätschelte Vertriebene: Von Bonn umschleimt, schauen sie wieder hoffnungsfroh nach Osten. Der Pole will ja was von uns, und gelitten hat man schließlich ganz allein. In: Titanic (1998) H. 8, S. 18–21. Sowas kommt von sowas. Fremdes ist willkommen, weil es eine kulturelle Bereicherung bedeutet. Es darf nur nicht fremd aussehen, sich fremd benehmen oder sonst wie fremdartig wirken. Und es darf schon gar kein Kopftuch tragen. In: Titanic (1998) H. 9, S. 20– 23.

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Täter? Opfer? Lügner? Eines zumindest hat Sonderermittler Kenneth Starr geschafft: Er zerrt eine USA ans Licht, wie sie sich ihre Gegner nur wünschen können. In: Titanic (1998) H. 10, S. 18–21. Abgekanzelt. Im Kampf um kommende Macht und Pfründen haben Kohl und seine lahme alte CDU mit viel Geschick das einzig Richtige getan: Sie haben verloren. In: Titanic (1998) H. 11, S. 20–23. Dirty old man. Auf den chilenischen General Pinochet wartet in England die verdiente Höchststrafe: Tee bis zum Tod mit Margaret Thatcher! In: Titanic (1998) H. 12, S. 20– 23. Ich, ich – wir. Daß der Wahrheitsgehalt einer Rede sich nach der Lautstärke des Beifalls bemißt, glaubt nach A. Hitler nun auch Martin Walser. In: Titanic (1999) H. 1, S. 20–23. Das Pferd am Schwanz aufzäumen. Das Boot ist längst nicht so voll wie Stoiber. Und die doppelte Staatsbürgerschaft längst nicht die Lösung. In: Titanic (1999) H. 2, S. 18–21. Außen hui und innen pfui. Die Deutsche Bank muß gestehen, sich an Auschwitz bereichert zu haben. Wenn das der Abs noch erlebt hätte. In: Titanic (1999) H. 3, S. 18–21. Der Lohn der Angst. Die Türkei erntet, was sie bei den Kurden säte: Terror und Gewalt. Das sollte ihr den EU-Beitritt versalzen. In: Titanic (1999) H. 4, S. 18–21. Keiner wird gewinnen. Eines hat die SPD aus ihrer Geschichte gelernt: Von deutschem Boden soll nie wieder ein verlorener Krieg ausgehen. In: Titanic (1999) H. 5, S. 20–23. Rudolf Ziege von Ludendorff. Wer hätte das gedacht: Kriegsminister Scharping hat sich vom Paulus zur Kampfsau gewandelt. Dabei erlitt er einen schweren Kollateralschaden im Zerebralbereich. In: Titanic (1999) H. 6, S. 20–23. Der Ersatzkaiser. Man sollte es Johannes Rau ersparen, sich in die lange Garde unnützer Repräsentanten einzureihen. Geschätzter Gewinn vor Steuer: 30 Millionen. In: Titanic (1999) H. 7, S. 18–21. Vgl.: Schafft den Ersatzkaiser ab. WDR – Kritisches Tagebuch, 21. 6. 1999, 7 Min. Lachnummer der Nation. Für das Versagen seines Kanzlers kann Jürgen Trittin nichts. Dafür, daß er sich als Watschenaugust aushalten läßt, aber schon. In: Titanic (1999) H. 8, S. 18–21. Kunstraub. Wer hat, der hat: Daß im Krieg Kunst geklaut wird, ist immer normal gewesen. Daß nur der Beklaute rückgabewillig ist, erst recht. In: Titanic (1999) H. 9, S. 18–21. Vgl.: Kunstraub oder das Recht des Stärkeren – Anmerkungen zum Streitthema Beutekunst. WDR – Kritisches Tagebuch, 18. 8. 1999, 9'38 Min. Noch ist Polen nicht verloren. Vor 60 Jahren wurden Polen von Deutschen noch ermordet. Heute, vorm baldigen EU-Beitritt ihres Landes, haben sie gute Chancen, eine deutsche Herrschaft zu überleben. In: Titanic (1999) H. 10, S. 20–23. Vgl.: Noch ist Polen nicht verloren – über ein immer noch gestörtes Nachbarschaftsverhältnis. WDR – Kritisches Tagebuch, 17. 9. 1999, 6'35 Min. Schaf im Wolfspelz. Ich, ich, ich: Erst hat Scharping einen schlechten Krieg gewonnen, jetzt ein noch schlechteres Buch geschrieben. Wahrscheinlich hält er beides für nobelpreiswürdig. In: Titanic (1999) H. 11, S. 22–25.

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Wasch mir den Pelz. Das Dritte Reich war böse, aber Papi nicht dabei: Auch die neuen Kritiker der Wehrmachtausstellung bestechen durch Ignoranz und infantilen Trotz. In: Titanic (1999) H. 12, S. 48–51. Allzu große Zuversicht. Wie schön, daß aus den Tiefen landesweiter Korruption ein Mann herausragt wie die Lotusblüte aus dem Bracksumpf. Sein Name: Walter Leisler Kiep. In: Titanic (2000) H. 1, S. 18–21. Zionswächter. Gute alte Wehrmachtsausstellung: Endlich darf man Ressentiment als Kritik verkaufen. Denn wer ein rechtes Schaf ist, will halt blöken. In: Titanic (2000) H. 2, S. 20–23. Vgl.: Zionswächter – zur Wiederauflage der Debatte um die Wehrmachtssausstellung. WDR – Kritisches Tagebuch, 26. 1. 2000, 9'34 Min. Verblaßter Heiligenschein. Was ist das für ein Bundespräsident, der sich zu Staatskrisen nicht äußern kann? Immerhin ein erfreulich abwesender. In: Titanic (2000) H. 3, S. 18–21. Außer Spesen nichts gewesen? Wie du mir, so ich dir: Schröder erledigt die Drecksarbeit für eine CDU, die ihn zum Dank an der Regierung hält. In: Titanic (2000) H. 4, S. 20–23. Freunde und Feinde. Jetzt, da die Vernichtungspläne der Serben sich als Nato-Lüge erwiesen haben, sollte man die Kollateraltoten wieder aufwecken. In: Titanic (2000) H. 5, S. 18– 21. Das Beste aus zwanzig Jahren. In: Titanic (2000) H. 6, S. 18–21. Im Inhaltsverz. angekündigt als: Spezial: Smash Hit Compilation. Das Chamäleon. Je geistloser Jockel Fischer an jener Macht klebt, von der er seine Partei entfernt, desto näher rückt sein Wechsel in die SPD. In: Titanic (2000) H. 7, S. 20–23. Adel. Was soll das? Sie wissen nichts. Sie können nichts. Sie bringen nichts. Sie hocken in zu großen Häusern, lungern in zu großen Autos und pinkeln in die Umwelt. In: Titanic (2000) H. 8, S. 20–23. Joschka Mastermind. Weil er nichts gelernt hat, ging er in die Politik. Nun will er ausgerechnet auch bei der Kultur ein Wörtchen mitzureden haben. In: Titanic (2000) H. 9, S. 22–25. Der Fisch stinkt vom Koch her. Nu’ aber mal Hand aufs Herz: Wie will man „brutalstmögliche Aufklärung“ verlangen von einem, der einen brutalstmöglichsten Visagisten viel nötiger hätte? In: Titanic (2000) H. 10, S. 18–21. K. Business as usual bei der CDU: Die Partei leckt noch immer die Hand, die sie schon längst nicht mehr füttert. Und auch Schäubles Ehre heißt weiterhin Treue. In: Titanic (2000) H. 11, S. 22–25. Im Inhaltsverz. angekündigt als: Keine Abrechnung. Von deutscher Leitkultur. Was ist deutsch? Erst war’s der Endsieg, dann Coca-Cola. Heute ist es Johannes Rau plus Bundesgrenzschutz. In: Titanic (2000) H. 12, S. 20–23. Ehrenbürger ohne Ehre. Kohl und wie er die Welt sah: Ein Tagebuch, das keines ist, über Verdienste, die keine waren. In: Titanic (2001) H. 1, S. 20–23.

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Neues aus der Birthler-Behörde. In: Titanic (2001) H. 2, S. 22.18 TRIBÜNE. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums Reflexionen über ein beschädigtes Leben. Ein Versuch über Hans Mayer. In: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 22 (1983) H. 87, S. 172–176. DER ÜBERSETZER Lobrede auf Anneliese Botond [anläßlich der Verleihung des Johann-Heinrich-Voß-Preises für Übersetzung]. In: Der Übersetzer 21 (1984) Nr. 5/6, S. 3/4. Nachdruck aus: Jahrbuch / Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (1984), S. 56–59. VINDUET Autodafé. [Norweg.] In: Vinduet 23 (1969) H. 2, S. 106/107. Übers. Nachdruck aus: Kursbuch (1968) H. 15, Kursbogen. ZEITSCHRIFT FÜR DEUTSCHE PHILOLOGIE (ZfdPh) Harald Henry: Herder und Lessing. Umrisse ihrer Beziehung. In: ZfdPh 68 (1943/44), S. 188/189. Fritz Moser: Die Anfänge des Hof- und Gesellschaftstheaters in Deutschland. In: ZfdPh 69 (1944/45), S. 243/244. L. Pietsch-Ebert: Die Gestalt des Schauspielers auf der deutschen Bühne des 17. und 18. Jahrhunderts. In: ZfdPh 69 (1944/45), S. 244–247. Rudolf Unger. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft. In: ZfdPh 70 (1947–49), S. 418–447. Meinung und Gegenmeinung. Fritz Strich: Goethe und die Weltliteratur. In: ZfdPh 71 (1951/52), S. 94–96.19 Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung I. In: ZfdPh 71 (1951/52), S. 385–399. Karl Viëtor: Georg Büchner. In: ZfdPh 73 (1954), S. 228/229. Walther Rehm: Experimentum Medietatis – Kierkegaard und der Verführer – Orpheus, Der Dichter und die Toten – Götterstille und Göttertrauer. In: ZfdPh 75 (1956), S. 204–213. J. J. Winckelmann: Briefe. Hrsg. von Walther Rehm. 1. Bd. In: ZfdPh 75 (1956), S. 426– 438.

18 Auf der Seite ist nur die Überschrift zu lesen und der Vermerk: „Walter Boehlich fühlt sich nicht wohl. Wir hoffen, daß er im nächsten Monat seine Kolumne wieder schreiben kann.“ 19 Boehlichs Rezension ist die Gegenmeinung zur Meinung von Erich Trunz, S. 92/93.

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ZELLULOID Was wäre wenn? Syberbergs Denunziation deutscher Filmer in Frankreich. In: Zelluloid (1983) H. 15, S. 38/39.

Wochenzeitungen BERLINER EXTRADIENST [Röhl contra Extra-Dienst]. In: Berliner Extradienst, 15. 8. 1975. Nachdruck von: WDR – Kritisches Tagebuch, 7. 8. 1975. CHRIST UND WELT Das Unvereinbare. Walter Boehlich antwortet Siegfried Unseld. In: Christ und Welt, 7. 2. 1969. DEUTSCHE VOLKSZEITUNG Der Schock von Song My. In: Deutsche Volkszeitung, 19. 12. 1969. Gekürzte Fassung des Sendemanuskripts. WDR, 30. 11. 1969. Wer sind die Geiseln? Betrachtungen zur Frage des beruflichen Risikos. In: Deutsche Volkszeitung, 11. 2. 1971. Gekürzte Fassung von: Wer sind die Geiseln? WDR – Kulturelles Wort: Gedanken zur Zeit, 27. 12. 1970. Das Hamburger Beispiel [zur Nicht-Verbeamtung von radikalen Linken]. In: Deutsche Volkszeitung, 9. 12. 1971. Verfassungsfeinde. In: Deutsche Volkszeitung, 30. 8. 1973. Vgl.: Der Begriff „Verfassungsfeind“. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 22. 8. 1973. Reinhard Hoffmeister und die Folgen. In: Deutsche Volkszeitung, 28. 3. 1974.20 Die Geschichte von Dr. Francia. „Ich, der Allmächtige“. Ein Roman Paraguays. In: Deutsche Volkszeitung, 7. 7. 1977. Der verdrängte Antifaschismus. In: Deutsche Volkszeitung, 13. 10. 1977. Schreibtischtäter und Mörder. In: Deutsche Volkszeitung, 20. 4. 1978. Diktator und Gott. „Der Herbst des Patriarchen“, Roman des Kolumbianers Gabriel García Márquez. In: Deutsche Volkszeitung, 4. 5. 1978. Gekürzte Fassung von: Die Grausamkeit und das Zarte. Gabriel García Márquez’ gewagtestes Buch „Der Herbst des Patriarchen“. In: Die Weltwoche, 10. 5. 1978. Vgl.: Gabriel García Márquez: Der Herbst des Patriarchen. HR, FS – Kunst und Literatur: Kultur aktuell, Für Leser. Ein Bücherjournal, 24. 4. 1978, 22'12 Min.

20 Zur Beurlaubung des Leiters der ZDF-Sendung „Aspekte“. Die Redaktion des DVZ weist darauf hin, dass der Kommentar von Walter Boehlich zuvor im „Kritischen Tagebuch“ des WDR gesendet wurde. Der SWF, der sich sonst immer an der Sendung beteiligte, verweigerte kommentarlos die Ausstrahlung.

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„Was sie für lesenswert halten – eine DVZ-Umfrage“ [zu Zacheusz Pawlak: Ich habe überlebt – ein Häftling berichtet über Majdanek]. In: Deutsche Volkszeitung, 29. 11. 1979. Bourgeoiser Antifaschismus. Die nie abgeschickten Briefe der Mathilde Mönckeberg. In: Deutsche Volkszeitung, 26. 6. 1980. Nachdruck aus: Frankfurter Rundschau, 14. 6. 1980. Nun singt mal schön! Gedanken zur Rekrutenvereidigung und „Traditionspflege“. In: Deutsche Volkszeitung, 28. 8. 1980. Nachdruck aus: Titanic (1980) H. 7, S. 38/39. Wenn der Staat aus Schwäche hart ist. Zum Hungerstreik in den Hochsicherheitstrakten. In: Deutsche Volkszeitung, 23. 4. 1981. Deutschland ist Hamlet? Zu Gordon Craigs „Deutsche Geschichte 1866–1945“. In: Deutsche Volkszeitung, 30. 4. 1981. Der Fall Breker. In: Deutsche Volkszeitung, 4. 6. 1981. Das Zeughaus der Reaktion. Die FAZ stellt sich vor. In: Deutsche Volkszeitung, 8. 4. 1982. DER SPIEGEL Halbzeit [Leserbrief ]. In: Der Spiegel, 10. 2. 1964, S. 9.21 Formeln zur Nacht. Walter Boehlich über Wilhelm Fucks: „Nach allen Regeln der Kunst“. In: Der Spiegel, 28. 4. 1969, S. 193/194. Radioaktiv [Leserbrief ]. In: Der Spiegel, 5. 1. 1970, S. 12.22 Herrschaft ohne Ende. Walter Boehlich über Samuel Beckett „Watt“. In: Der Spiegel, 21. 12. 1970, S. 110. Nachdruck in: Hans Ulrich Gumbrecht: Literaturkritik. München: Bayerischer Schulbuch-Verl. 1973, S. 75/76. Wildwuchs, nicht länger geduldet. Dokumentation zum Sozialistischen Patientenkollektiv. In: Der Spiegel, 31. 1. 1972, S. 122. Das Gesetz zu stärken. Walter Boehlich über Dolf Sternberger: „Heinrich Heine“. In: Der Spiegel, 22. 1. 1973, S. 100/101. Sprache und Herrschaft. Walter Boehlich über das neue Duden-Wörterbuch. In: Der Spiegel, 13. 9. 1976, S. 180–183. Antisemitismus oder Unbefangenheit? Walter Boehlich zur Kontroverse um den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. In: Der Spiegel, 2. 10. 1978, S. 252–257. Ein Schuß im Nebel. Walter Boehlich über Werner Fuld: „Walter Benjamin. Zwischen den Stühlen“. In: Der Spiegel, 21. 5. 1979, S. 212–217.

21 Zu Baumgart, Reinhard: Beckmesser oder de Gaulle? Marcel Reich-Ranicki „Deutsche Literatur in West und Ost“. In: Der Spiegel, 20. 1. 1964, S. 58/59 sowie den dazu in: Der Spiegel, 3. 2. 1964, S. 8–11, veröffentlichten Leserbriefen. 22 Richtigstellung zu einer mißverständlichen Äußerung in: Fernsehvorschau über Porträt von Samuel ­Beckett in: Der Spiegel, 8. 12. 1969, S. 197.

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Verbessern oder verändern. Martin Greiffenhagen: „Kampf um Wörter?“ In: Der Spiegel, 29. 9. 1980, S. 259–261. Fuenteovejuna in der Karibik. García Márquez: „Chronik eines angekündigten Todes“. In: Der Spiegel, 3. 8. 1981, S. 132–136. Erw. Fassung: Gabriel García Márquez: Chronik eines angekündigten Todes. DLF – Literaturkritik: Bücher im Gespräch, 2. 8. 1981. Die bedingte Karriere. Benno von Wiese: „Ich erzähle mein Leben“. In: Der Spiegel, 28. 6. 1982, S.153–155.23 „Wider den deutschen Ungeist“. Walter Boehlich zum Thema Bücherverbrennung. In: Der Spiegel, 9. 5. 1983, S. 186–189. „Die Gesellschaft ist ein Irrenhaus“. Walter Boehlich über August Strindberg und sein „Blaubuch“. In: Der Spiegel, 27. 8. 1984, S. 153–155. Exil im Prager Kaffeehaus. Walter Boehlich über Justin Steinfelds einzigen Roman: „Ein Mann liest Zeitung“. In: Der Spiegel, 28. 1. 1985, S. 165–167. Großmaultaschen für Klassiker: Walter Boehlich über das „Jahrhundertunternehmen“ des Deutschen Klassiker Verlages. In: Der Spiegel, 8. 4. 1985, S. 202–208. [anonym] Goethe gegen Goethe. Der groß angekündigten 40bändigen Goethe-Ausgabe bei Suhrkamp, die das Herzstück der neuen Suhrkamp-Klassiker-Edition bildet, schickt Hanser nun einen 26bändigen Goethe entgegen: Im Unterschied zum Frankfurter Suhrkamp-Goethe ist der Hanser-Goethe nicht nach Gattungen, sondern chronologisch geordnet. In: Der Spiegel, 5. 8. 1985, S. 132/133. Frankfurt, Fassbinder und die Juden. In: Der Spiegel, 4. 11. 1985, S. 294/295. Aus einer verdrängten Jugend. Erstaunliche Einblicke in die Jugendbiographie Sigmund Freuds gibt eine Sammlung von Briefen an einen engen Schulfreund, die nun erstmals veröffentlicht wird. Der Publizist Walter Boehlich, 67, Entschlüssler und Herausgeber dieser frühen Freud-Korrespondenz, beschreibt das Überraschende dieses Funds. In: Der Spiegel, 11. 9. 1989, S. 209–217. Das Buch des Grauens. Gabriel Garcías Márquez: „Der General in seinem Labyrinth“. In: Der Spiegel, 27. 11. 1989, S. 233–235. Deutschland erwacht. In: Der Spiegel, 12. 3. 1990, S. 34–37. Nachdruck in: Spiegel-Spezial (1990) H. 2, S. 32/33. Nachdruck in: Manfred Kluge (Hrsg.): Schwarz-rot-gold. Ein politisches Lesebuch. München: Heyne 1990 (= Heyne Sachbuch; 19/131), S. 310–315. „Ich war nichts als Deutscher“. Walter Boehlich über die Lebenserinnerungen des deutschjüdischen Gelehrten Victor Klemperer. In: Der Spiegel, 7. 5. 1990, S. 264–267. Stein des Anstoßes. Walter Boehlich über den israelischen Dissidenten Jeschajahu Leibowitz. In: Der Spiegel, 1. 4. 1991, S. 240–243.

23 Boehlich reagiert auf Benno von Wiese: Ein Hexenjäger und sieben Schwaben auf Mückenjagd. In: Die Welt, 27.3.1982.

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VORWÄRTS Die Farbe der Hoffnung ist rot. Zum Tode von Ernst Bloch am 4. August 1977. In: Vorwärts, 11. 8. 1977. Nachdruck in: Karola Bloch, Adelbert Reif (Hrsg.): Denken heißt überschreiten. In memoriam Ernst Bloch 1885–1977. Köln u.a.: EVA 1978 (= Studien zur Gesellschaftstheorie), S. 122–124. Andere Ausg.: München: Ullstein 1982 (= Ullstein-Buch; 35152), S. 122–124. Die richtige Seite der Barrikade. Jean Paul Sartre starb im Alter von 74 Jahren in Paris. In: Vorwärts, 24. 4. 1980. DIE WELTWOCHE Die Grausamkeit und das Zarte. Gabriel García Márquez’ gewagtestes Buch „Der Herbst des Patriarchen“, auf deutsch erschienen. In: Die Weltwoche, 10. 5. 1978. Kürzere Version: Diktator und Gott. „Der Herbst des Patriarchen“, Roman des Kolumbianers Gabriel García Márquez. In: Deutsche Volkszeitung, 4. 5. 1978. Solidarität mit den Machtlosen. Der Literatur-Nobelpreisträger Gabriel García Márquez. In: Die Weltwoche, 27. 10. 1982. Nachdruck von: Gewalt, Tod und Hoffnung. Gabriel García Márquez erhielt den diesjährigen Nobelpreis für Literatur. In: Süddeutsche Zeitung, 22. 10. 1982. Die Schriftstellerin, die aus der Verblendung kam. Das seltsame Vorleben einer bedeutenden dänischen Autorin – Karen Blixen in ihren „Briefen aus Afrika“. In: Die Weltwoche, 12. 5. 1988. In fötaler Hockstellung erwirbt er die Weisheit. Belacquas Leben und Tod – Samuel Becketts erstes Buch „More Pricks than Kicks“ erschien erst jetzt auf deutsch. In: Die Weltwoche, 9. 11. 1989. Kapricen und Kapriolen. Walter Benjamin als jugendlicher Briefschreiber. Zum Beginn einer neuen Edition. In: Die Weltwoche, 9. 5. 1996. DIE WOCHE Die Fremde, der Tod. Geschichten aus Paris, Rom und Barcelona, Geschichten vom Dandy Billy und von der Hure María: Das neue Buch von Gabriel García Márquez [zu: Die zwölf Geschichten aus der Fremde]. In: Die Woche, 18. 3. 1993. DIE ZEIT [Boeleich, W.:] Europäische Literatur. Über die Kontinuität in der Dichtkunst von Homer bis heute. In: Die Zeit, 9. 12. 1948. Welt von gestern – auch die unsere. Ein Leben verwirklicht durch „Zufall“ [zu Ludwig Curtius: Deutsche und antike Welt]. In: Die Zeit, 11. 1. 1951. [Bh., W.:] Das Mühelose [zu Paul Hazard: Stendhal]. In: Die Zeit, 8. 2. 1951.

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Der ideale Rezensent. In: Die Zeit, 2. 12. 1960.24 Am Rand des unsichtbaren Abgrunds. Hans Erich Nossack zum 60. Geburtstag. In: Die Zeit, 3. 2. 1961. Die Einheit der europäischen Literatur. Viele berufen sich gern auf Ernst Robert Curtius, aber er hatte am Ende keine Schüler mehr. In: Die Zeit, 10. 3. 1961. Nachdruck in: Die Tat, 18. 3. 1961. Nachdruck unter dem Titel: Die Summe eines Gelehrten. Zum 5. Todestag von E. R. Curtius. In: Süddeutsche Zeitung, 22. / 23. 4. 1961. Magie des gesprochenen Wortes. Die schwierige Einfachheit der Gertrude Stein [zu: Drei Leben]. In: Die Zeit, 30. 6. 1961. Deutsche Literatur im Dritten Reich? Franz Schonauers Kritik – kritisch betrachtet. In: Die Zeit, 13. 10. 1961. Sechsundsechzig Tage in der Sierra Morena. Ein polnischer Aufklärer und der Bürgerkrieg von Granada [zu Jan Potocki: Die Handschrift von Saragossa]. In: Die Zeit, 27. 10. 1961. Das Unbehagen an der Moderne. Zu einem neuen Lexikon der Weltliteratur [zum Lexikon der Weltliteratur im 20. Jahrhundert]. In: Die Zeit, 29. 12. 1961. Ein Buch von der Liebe und den Liebenden. Arabische Poesie im mittelalterlichen Spanien [zu Ibn Hazm al Andalusi: Das Halsband der Taube. Von der Liebe und den Liebenden, aus dem Arabischen von Max Weisweiler]. In: Die Zeit, 9. 2. 1962. Der Lebenslauf eines Haudegens. Die Erinnerungen des Capitán Alonso de Contreras [zu Das Leben des Capitán Alonso de Contreras, von ihm selbst erzählt]. In: Die Zeit, 20. 7. 1962. Was man aus der Geschichte lernen soll. Aufsätze eines politischen Historikers [zu Golo Mann: Geschichte und Geschichten]. In: Die Zeit, 21. 9. 1962. Nachdruck in: Kalevi Tarvainen, Helmut Henning (Hrsg.): Pro Exercitio. Jyväskylä: Gummerus 1964 (= Moderne deutsche Texte), S. 109–115. Versuch einer Ästhetik [zu Wolfgang Hirsch: Substanz und Thema in der Kunst]. In: Die Zeit, 28. 9. 1962. Wie fühlen Sie sich so als Schriftsteller? Horst Bieneks Werkstattgespräche mit fünfzehn deutschen Autoren. In: Die Zeit, 26. 10. 1962. Der größte spanische Roman unseres Jahrhunderts. Ein Kapitel europäischer Kulturgeschichte, das sträflich vernachlässigt worden ist [zu Valle-Inclán: Tyrann Banderas]. In: Die Zeit, 23. 11. 1962. Friedrich Sieburgs Unmut. In: Die Zeit, 7.12.1962.

24 Boehlich antwortete auf: Rudolf Walter Leonhardt: Bitte, korrigieren Sie mich … In: Die Zeit, 2. 12. 1960. Der Aufforderung folgten auch Hans Magnus Enzensberger, Marcel Reich-Ranicki und Ludwig Marcuse. Die Beiträge wurden unter dem Obertitel „Die drei Möglichkeiten der Literaturkritik. E ­ inige provozierte Stellungnahmen zu Buch-Rezensionen im allgemeinen und einigen Zeit-Rezensionen im besonderen“ auf einer „Zeit“-Seite abgedruckt.

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Nachdruck in: Die Gruppe 47. Bericht, Kritik, Polemik. Hrsg. v. Reinhard Lettau. Neuwied, Berlin: Luchterhand 1967, S. 347–352. Todesfall in der Familie. Ein Autor, der es verdient, bekannt zu werden [zu James Agee: Ein Schmetterling flog auf ]. In: Die Zeit, 21. 12. 1962. Verteidigung des Wolfes gegen das Schaf. Über einen Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt [zu Karl Marx privat. Unbekannte Briefe]. In: Die Zeit, 8. 3. 1963. Idee und Wirklichkeit einer Buchreihe. Zehn Fragen an die Herausgeber der Bibliothek Suhrkamp. In: Die Zeit, 12. 4. 1963. Literaturgeschichte für Bildungsbürger. Aus alt mach neu, aus eins mach zwei – Gedanken zum Prinzip Hohoff. In: Die Zeit, 19. 4. 1963. Der große goldne Meister und sein Lieblingsjünger. Zum Briefwechsel Stefan Georges mit Friedrich Gundolf. In: Die Zeit, 5. 7. 1963. Sind wir noch ein Volk der Dichter und Denker? In: Die Zeit, 14. 2. 1964. Vorabdruck von: Kritik und Selbstkritik. In: Gert Kalow (Hrsg.): Sind wir noch das Volk der Dichter und Denker? 14 Antworten. Reinbek: Rowohlt, 1964 (= rororo; 681), S. 39–49. Auch Rundfunkvortrag im HR, 1963/64. Unsere Universitäten haben versagt. Ein offener Brief. In: Die Zeit, 8. 5. 1964. Zum Lesen nichts und nichts zum Nachschlagen. Weltliteratur oder „Literaturen der Welt“? In: Die Zeit, 22. 5. 1964. Der neue Bonner Rektor. Die Maßlosigkeit und die Mäßigung eines Philologen. In: Die Zeit, 23. 10. 1964. Noch einmal. Der neue Bonner Rektor. Universität Bonn. In: Die Zeit, 6. 11. 1964, hier: Antwort.25 Unsere Antwort. In: Die Zeit, 11. 12. 1964.26 Der deutsche Germanistentag. Aufforderung, das Kind mit dem Bade auszuschütten. In: Die Zeit, 28. 10. 1966.27 Der Knecht singt gern ein Freiheitslied [zu Uwe Schultz: Freiheit die sie meinen. 17 Beispiele]. In: Die Zeit, 13. 10. 1967. Der Berliner Germanistentag. Studenten bestimmten die Spielregeln. In: Die Zeit, 18. 10. 1968. Der deutsche Germanistentag. Oder: Lehren aus einem unfreiwilligen Lernprozeß. In: Die Zeit, 25. 10. 1968. 25 Dazu: In Sachen der Universität Bonn und ihres neuen Rektors. In: Die Zeit, 13. 11. 1964; Die Universität Bonn und ihr neuer Rektor. In: Die Zeit, 20. 11. 1964; Die Universität Bonn und ihr neuer Rektor. Dokumentation. In: Die Zeit, 27. 11. 1964; Zum Beispiel Bonn. Dokumentation. Die Erklärung der Sieben. In: Die Zeit, 4. 12. 1964. 26 Auf Berichtigungsverlangen eines Rechtsanwalts wegen des Artikels: Der neue Bonner Rektor. In: Die Zeit, 23. 10. 1964. 27 Dazu: Benno von Wiese, Hugo Kuhn, Peter Schütt: Ist die deutsche Germanistik nationalistisch? In: Die Welt, 5. 11. 1966; Rudolf Goldschmit: Eine Wissenschaft übt Selbstkritik. In: Süddeutsche Zeitung, 25. 10. 1966; Peter Schütt: Streit um das Erbe der Brüder Grimm. In: Die Welt, 27. 10. 1966.

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Baumgart, Reinhard, Walter Boehlich, Horst Krüger: Was ist bürgerlich? In: Die Zeit, 14. 3. 1969, hier: Eine gescheiterte Klasse. Manche freilich müssen drunten sterben. Zwei Anthologien, zwei Bilder deutscher Geschichte [zu Deutsches Mosaik, Klassenbuch]. In: Die Zeit, 6. 10. 1972. Vom deutschen Wesen. Aus der Geschichte des Deutschunterrichts. Ein Tausend-SeitenWälzer über die Vergangenheit eines Faches [zu Horst Joachim Frank: Geschichte des Deutschunterrichts. Von den Anfängen bis 1945]. In: Die Zeit, 31. 8. 1973. Herders unkritische Wälder. Im Geschwindschritt durch Epochen und Gattungen. Mangel an Methode: „Wege zum Verständnis der Literatur“. In: Die Zeit, 26. 4. 1974. Ich, aus den Wäldern. Der chilenische Dichter in den Händen der „Experten für Verständlichkeiten“, Pablo Neruda: Autobiographie und Gedichte. In: Die Zeit, 12. 11. 1976. Descartes und der Diktator. Ein großer politischer Roman: Wie europäische Traditionen die Verhältnisse in Lateinamerika bestimmen. Alejo Carpentier: „Staatsraison“. In: Die Zeit, 10. 12. 1976. Den Erben laß verschwenden … Kritisches zur Hugo-von-Hofmannsthal-Ausgabe. In: Die Zeit, 3. 6. 1977. Das verlorene Paradies. O dunkel, du mein Licht: Ein zukünftiger und rückwärtsgewandter Roman aus Cuba. José Lezame Lima: „Paradiso“. In: Die Zeit, 10. 8. 1979. Gesendet in: DLF – Literaturkritik: Bücher im Gespräch, 24. 9. 1979. Vorhang auf – für Siegfried Jacobsohns „Schaubühne“. Zum Neudruck der Theaterzeitschrift, aus der 1918 die „Weltbühne“ wurde. Eine große Zeitschrift vom Anfang des Jahrhunderts. In: Die Zeit, 5. 9. 1980. Buch der Rettung. Arnold Zweigs Roman „Das Beil von Wandsbek“. In: Die Zeit, 3. 10. 1986. Das Loch von Frankfurt. Der Börneplatz alias Karmeliterplatz alias Judenmarkt: ein Fall von Vergangenheitsbewältigung. In: Die Zeit, 10. 7. 1987. Nachdruck in: Best, Michael (Hrsg.): Der Frankfurter Börneplatz. Zur Archäologie eines politischen Konflikts. Frankfurt/M.: Fischer 1988, S. 38–41. Die falschen Patrone. Walter Meckauer-Medaille. In: Die Zeit, 8. 12. 1989. Schöne Demokraten. Börsenverein und Kerr-Preis: der wahre Skandal. In: Die Zeit, 10. 5. 1991.28 Nachdruck unter dem Titel: Ade Freiheit und aufrechter Gang, Anstand und Loyalität. In: Neues Deutschland, 13. 5. 1991. Vgl.: Alfred-Kerr-Preis. NDR – Texte und Zeichen, 7. 5. 1991, 6'32 Min. Ohne Goj und Tacheles. Endlich: eine Neubearbeitung des „Deutschen Wörterbuches“ von Hermann Paul. In: Die Zeit, 6. 11. 1992. Ein Bruderzwist in Mexiko. Octavio Paz und Carlos Fuentes, die bedeutendsten Schriftsteller Mexikos, einst voller Bewunderung füreinander, sind im Streit über den Aufstand 28 Dazu: Michael Naumann: Noch einmal: der Kerr-Preis. Eine Antwort auf Walter Boehlich. In: Die Zeit, 24. 5. 1991.

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der Indianer in der Provinz Chiapas. Paz sorgt sich um das Ansehen Mexikos, Fuentes beklagt die Brutalität der Oligarchie. In: Die Zeit, 21. 1. 1994. Übers. Nachdruck in: L’Espresso, 25. 2. 1994, S. 102/103. Ein Unfriedlicher. Unbeirrbar auf der Suche nach Wahrheit: der erste Band der Briefe Gershom Scholems. In: Die Zeit, 17. 2. 1995. Der stumme Diener. Zum Tode des Lektors Günther Busch. In: Die Zeit, 30. 6. 1995. Das Ende des Artusreiches. Ein kostbarer Fund aus der mittelalterlichen Traum- und Abenteuerwelt: Der altfranzösische „Lancelot“ in einer neuhochdeutschen Übersetzung. In: Die Zeit, 22. 9. 1995. Sara fragt: „Wus noch?“ Yoel Hoffmanns Geschichten spielen in Israel und handeln von Europa. In: Die Zeit, 1. 12. 1995. Geist und Gewissen. Zum Tode des Verlegers und Autors Rudolf Hirsch. In: Die Zeit, 8. 11. 1996. Ein Haus, in dem wir atmen können. Das Neueste zum Dauerstreit um den Romanisten Ernst Robert Curtius. In: Die Zeit, 6. 12. 1996.

Tageszeitungen BERLINER ZEITUNG Handlangerdienst für den Kalten Krieg? Vor 40 Jahren: Die Berliner Mauer. In: Berliner Zeitung, 11./12. 8. 2001. Nachdruck aus: Süddeutsche Zeitung, 19. 9. 1969. DEUTSCHE ZEITUNG, Köln [B., W.:] Der König und die Königin. Zu unserem heute beginnenden Fortsetzungsroman [zu Ramon J. Sender]. In: Deutsche Zeitung, 14. 9. 1962. DÜSSELDORFER NACHRICHTEN Der Lektor: Das Drama findet im Buche statt. In: Düsseldorfer Nachrichten, 18. 3. 1961.29 Angst vor der Freiheit. In: Düsseldorfer Nachrichten, 10. 3. 1962.30 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Die Briefe Georg Brandes’. Ein Beitrag zum Thema „Dänemark und Europa“. In: FAZ, 22. 10. 1952. Kosmos und Sympathie. Zum Tode Karl Reinhardts. In: FAZ, 13. 1. 1958.

29 Der Text antwortet auf die Umfrage der Zeitung: Findet das Theater im Buche statt? Das abendliche Drama in Serienbänden. 30 Erwiderung auf: Der Streit um Bert Brecht. Rudolf Krämer-Badoni: Die Maske des guten Menschen. In: Düsseldorfer Nachrichten, 25. 11. 1961.

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Helen Thein

Ein Meer von lauter Titeln. Zur Eppelsheimer-Bibliographie der deutschen Literaturwissenschaft. In: FAZ, 21. 1. 1958. [Boelich, Walter:] Der Dichter als Schöpfer der Welt. Zum Tode des spanischen Nobelpreisträgers Juan Ramón Jiménez. In: FAZ, 2. 6. 1958. [B., W.:] „Simon“ von Giraudoux. Unser neuer Roman. In: FAZ, 27. 10. 1961.31 Die Bäume stören nicht [Leserbrief ]. In: FAZ, 23. 1. 1964. Wer verhetzt hier wen? [Leserbrief ]. In: FAZ, 25. 4. 1968. Die Literatur-Produzenten und die Buchmesse [Leserbrief ]. In: FAZ, 10. 9. 1969. Todestanz? [Leserbrief ]. In: FAZ, 24. 12. 1971. Alles andere als jiddisch [Leserbrief ]. In: FAZ, 19. 9. 1972. Tränen in den Augen [Leserbrief ]. In: FAZ, 5. 9. 1973. Gertrude Stein [Leserbrief ]. In: FAZ, 9. 2. 1974. Ziviler Tod [Leserbrief ]. In: FAZ, 11. 5. 1974. [Auszug aus Leserbrief zu Suhrkamp und Biermann]. In: FAZ, 24. 1. 1976. Boehlich, zitiert. In: FAZ, 27. 9. 1978. Nicht ernst genommen [Leserbrief zu Joachim Kaiser über Schultz-Gerstein]. In: FAZ, 4. 11. 1978. „Schmeißfliege“ Kotzebue [Leserbrief zu Thomas Nipperdey über ‚Schmeißfliege‘ bei Arndt]. In: FAZ, 20. 8. 1980. Viel Mehr? [Leserbrief ]. In: FAZ, 21. 11. 1980. Die Universität Göttingen [Leserbrief ]. In: FAZ, 6. 6. 1987. Gegendarstellung [Leserbrief zu Jens Jessen: Der Zwang der Leere]. In: FAZ, 16. 2. 1990. Die Mayas nicht prähistorisch [Leserbrief ]. In: FAZ, 25. 1. 1994. FRANKFURTER RUNDSCHAU (FR) „In Sachen Benjamin“ [Leserbrief ]. In: FR, 2. 2. 1968. Rettung eines „Stümpers“ [zu Klaus Reicherts Joyce-Ausg.]. In: FR, 9. 12. 1972. Traum von der deutschen Republik. Frank Eycks materialreiches Buch über die Nationalversammlung 1848. In: FR, 19. 5. 1973. Die unfreien Mitarbeiter. Gedanken über eine besondere Kategorie von Ausgebeuteten. In: FR, 10. 11. 1973. Nachdruck aus: epd / Kirche und Fernsehen, 27. 10. 1973. Überlebensgroß Horst Krüger. Zehn Regeln zum Verständnis des „Zeitgelächters“. In: FR, 29. 12. 1973. Erstmals: die Hintergründe. Thomas Mann und die Bonner Universität [zu Paul Egon Hübinger: Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte]. In: FR, 21. 6. 1975. Der Prosaiker der deutschen Freiheit. Briefwechsel eines aufrechten Demokraten: Johann Jacoby. In: FR, 12. 7. 1975. „Deutschland ist ja mein Markt“. Hermann Hesses „Politische Schriften“. In: FR, 25. 2. 1978. 31 Abdruck des Romans in 34 Teilen vom 28. 10.–7. 12. 1961.

Walter Boehlich – Bibliographie 



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Überarb. Fassung von: Hermann Hesse: Politik des Gewissens – Die politischen Schriften 1914–1962. DLF – Literatur und Kunst: Bücher im Gespräch, 4. 12. 1977, 20 Min. Übers. Nachdruck in: The German Tribune, 12. 3. 1980. Madonna und Hure. Strindbergs „Plädoyer eines Irren“ liegt erstmals unbearbeitet vor. In: FR, 13. 6. 1978. Die Liberalen – besiegt und blamiert. Manfred Botzenharts Untersuchung der Anfänge des deutschen Parlamentarismus. In: FR, 12. 8. 1978. Das unbeirrte Gewissen. Weitere Briefe des Demokraten Johann Jacoby. In: FR, 7. 10. 1978. Erziehung zum Aufstand. Zwischen „Anton Reiser“ und „Padre Padrone“: Jules Vallès’ autobiographischer Roman „Jacques Vingtras“. In: FR, 29. 12. 1979. Teilweise gesendet als: Jacques Vingtras: Autobiographischer Roman von Jules Vallès. NDR – Kulturelles Wort: Zum Lesen empfohlen, 25. 11. 1979, 30 Min. Bourgeoiser Antifaschismus. Die nie abgeschickten Briefe der Mathilde Mönckeberg. In: FR, 14. 6. 1980. Nachdruck in: Deutsche Volkszeitung, 26. 6. 1980. Die Wiederkehr eines Mitläufers. Der Restaurationskritiker Friedrich Sieburg. In: FR, 1. 8. 1981. Ein Jude aus Deutschland. Nach Gershom Scholems Tod. In: FR, 25. 2. 1982. Juristische Weltkunde. Uwe Wesels „Einführung in das Recht“. In: FR, 17. 11. 1984. „Größter Lump oder Erster Mann“? Die Bismarck-Biographie des DDR-Historikers Ernst Engelberg. In: FR, 12. 10. 1985. Furchtbare Juristen. Ein Rundblick auf eine spezifisch deutsche Malaise. In: FR, 22.8.1987. Doch: mit den Opfern identifizieren! Detlev Claussens Grenzen in seinen „Grenzen der Aufklärung“. In: FR, 26. 3. 1988. Vgl.: Die Grenzenlosigkeit der Unaufgeklärtheit. Über Detlev Claussen’s Buch „Grenzen der Aufklärung“. WDR 3 – Kultur und Wissenschaft: Am Abend vorgestellt, 22. 1. 1988, 28'49 Min. Wie – wenn es uns nicht gäbe? Bedenkworte für Übersetzer und deren lesende Nutznießer. In: FR, 3. 12. 1988. Gekürzter Nachdruck von: Wie ihre Autoren mögen sie uns nicht behandeln [Preisrede zur Verleihung des Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreises an Wilfried Böhringer]. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 25. 11. 1988. Ein gehorsamer Sohn. Gershom Scholem im Briefwechsel mit seiner Mutter. In: FR, 23. 12. 1989. Fragment eines Abschieds vom Überlebten. „Familie Maschber“: der große Roman von Pinchas Kahanowitsch über das Schtetl. In: FR, 27. 4. 1991. „Wie sind wohl die Menschen zu dem Begriff von Freiheit gelangt? Es ist ein großer Gedanke gewesen.“ In: FR, 27. 6. 1992. Nachdruck in: Lichtenbergs Funkenflug der Vernunft: Eine Hommage. Hrsg. v. JörgDieter Kogel u.a. Frankfurt/M.: Insel 1992, S. 24/25.

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Helen Thein

Ungeschätzte Schätze. Eine Erwiderung auf Klaus Garbers Kritik an der Benjamin-Ausgabe. In: FR, 29. 6. 1992. Nachdruck in: Global Benjamin. Internationaler Walter-Benjamin-Kongreß 1992. Hrsg. v. Klaus Garber, Ludger Rehm. München: Fink 1999. Bd. 3, S. 1819–1821. Verachte mich, aber behalte mich lieb. Der Briefwechsel zwischen George Sand und Gustave Flaubert. In: FR, 29. 8. 1992. Die alte Unübersichtlichkeit. Das Eco-Prinzip: eine kritische Nahaufnahme. In: FR, 8. 4. 1995. Ein Liebhaber der Freiheit. Jean Starobinski zum 75. Geburtstag. In: FR, 17. 11. 1995. Wie man das Volk aus der Geschichte entfernt. „Aufbruch zur Freiheit“, Ausstellung zum 150jährigen Jubiläum der Revolution von 1848/49. In: FR, 26. 5. 1998. GENERALANZEIGER, Bonn „Damals Übliches ermöglichte die Diktatur“. Boehlisch [sic] hält an Vorwürfen fest – Rektorat nur für „Vorbilder“. In: Generalanzeiger, 27. 10. 1964. JUNGE WELT, Berlin Propaganda-Abteilung Buchheim. Wie der Buchheim-Kritiker Matthias Wegner verleumdet wird. In: junge welt, 26. 8. 1995. Aktualisierter Nachdruck aus: Konkret (1995) H. 8, S. 57. DER MITTAG, Berlin Weltanschauung oder Wissenschaft. Zu einer neuen Charakteristik der Moderne. In: Der Mittag, 18./19. 2. 1950. Die NEUE ZEITUNG, München Kritische Schärfe tut not. In: Die Neue Zeitung, 14. 10. 1950. Redaktionell kommentierter Auszug aus: Mehr Schärfe! In: Merkur 4 (1950) H. 10, S. 1137–1140. Geologische Schichten im Grimm. In: Die Neue Zeitung, 12.3.1952. Die Philosophen sollten ihre Urtexte kennen. Grenzgebiete zwischen Philosophie und Philologie. In: Die Neue Zeitung, 24. 6. 1952. Faulheit als literarhistorisches Phänomen. In: Die Neue Zeitung, 8. 7. 1952. Der „Sprung ins Helle“. Erich Kahlers „Verantwortung des Geistes“. In: Die Neue Zeitung, 6./7. 9. 1952. Welttheater und Weltgericht. Zum 175. Geburtstag von Heinrich von Kleist am 18. Oktober. In: Die Neue Zeitung, 17. 10. 1952. Mißbrauchte Liebesbriefe. Stefan und Friederike Zweig: „Briefwechsel 1912–1942“. In: Die Neue Zeitung, 18./19. 10. 1952. Windfahnenliteratur. In: Die Neue Zeitung, 17. 12. 1952. Das Ende der Universitäten? In: Die Neue Zeitung, 31. 1./1. 2. 1953.

Walter Boehlich – Bibliographie 

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Reflektierte Selbstspiegelung [zu Jürgen Rausch: In einer Stunde wie dieser]. In: Die Neue Zeitung, 21./22. 3. 1953. Das Mißvergnügen an der Aufklärung. In: Die Neue Zeitung, 28./29. 3. 1953. Strindbergs unentdeckte Welt. Über die Notwendigkeit einer Neuübersetzung. In: Die Neue Zeitung, 18./19. 4. 1953. Aus der Pause des Verstummens. Rilkes verstreute und nachgelassene Gedichte. In: Die Neue Zeitung, 23./24. 5. 1953. Wir kommen nicht ohne die Vergangenheit aus. Bilanz philologischer Arbeit. In: Die Neue Zeitung, 13./14. 6. 1953. Jean-Jacques über sich selbst. Zum 175. Todestag Rousseaus. In: Die Neue Zeitung, 2. 7. 1953. Ein humanistischer Kunstkenner [zu Bernard Berenson: Ästhetik und Geschichte]. In: Die Neue Zeitung, 5./6. 9. 1953. Gang Gottes über die Nationen. Zu Herders 150. Todestag. In: Die Neue Zeitung, 18. 12. 1953. NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (NZZ) Der chiffrierte Brief. Zu einer Erzählung von Javier Tomeo. In: NZZ, 6./7. 1. 1985. Nichts ist schwieriger als die Liebe. Zu einem Buch von Gabriel García Márquez [zu Liebe in Zeiten der Cholera]. In: NZZ, 19. 6. 1987. NEUES DEUTSCHLAND, Berlin (ND) Ade Freiheit und aufrechter Gang, Anstand und Loyalität. In: ND, 13. 5. 1991. Auszug aus: Schöne Demokraten. Börsenverein und Kerr-Preis: der wahre Skandal. In: Die Zeit, 10. 5. 1991. NÜRNBERGER NACHRICHTEN Kassandra der ersten Republik. Zum Nachdruck der „Weltbühne“ 1918–1933. In: Nürnberger Nachrichten, 2./3. 12. 1978. RHEIN-ZEITUNG, Koblenz [Boelich, Walter:] Liebe und Poesie [zu Vicente Aleixandre]. In: Rhein-Zeitung, Koblenz, 7. 10. 1977. Parallel und weniger gekürzt in: Süddeutsche Zeitung, 7. 10. 1977. STUTTGARTER ZEITUNG Abgesang 48. Boehlich zur Absage der Paulskirchenfeier [Leserbrief ]. In: Stuttgarter Zeitung, 18. 4. 1973. Befreiung durch Theologie. Der Dichter Cardenal und die Revolution. In: Stuttgarter Zeitung, 13. 10. 1980. Vgl.: BR – Kulturkritik, 12. 10. 1980.

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Helen Thein

Haar gewaschen und mit Kissen geschlafen. Thomas Manns Tagebücher 1937 bis 1939 und die entliehene Sprache – Goethe sich anzuähneln. In: Stuttgarter Zeitung, 14.2.1981. Gekürzter Druck von: Thomas Manns: Tagebücher 1937–1939. DLF – Literaturkritik: Bücher im Gespräch, 8. 2. 1981. Auf der Suche nach menschlicher Wahrheit. Zum Tode des spanischen Schriftstellers Ramon J. Sender – Meister der Geschichtsdeutung. In: Stuttgarter Zeitung, 18.1.1982. Deutschland kämpft den reinen Daseinskampf. Unsere Universitäten im ersten Weltkrieg, danach und der Pazifismus – Aufklärung im „Fall Nicolai“. In: Stuttgarter Zeitung, 27. 2. 1982. Die realen Dingen [sic] nicht beim realen Namen nennen. „Alexanders neue Welten“ von Fritz Rudolf Fries – ein akademischer Kolportageroman über die DDR. In: Stuttgarter Zeitung, 14. 4. 1984. Im Falschen mann- und standhaft sein. Eine Odysee [sic]: Heinrich Mann und der Roman „Lidice“. In: Stuttgarter Zeitung, 3. 8. 1985. SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, München Die Summe eines Gelehrten. Zum 5. Todestag von E. R. Curtius. In: Süddeutsche Zeitung, 22./23. 4. 1961. Nachdruck von: Die Einheit der europäischen Literatur. Viele berufen sich gern auf Ernst Robert Curtius, aber er hatte am Ende keine Schüler mehr. In: Die Zeit, 10. 3. 1961. Auch Leipzig ist eine Messe wert. In: Süddeutsche Zeitung, 25./26. 9. 1965. Wiedersehen mit der Leipziger Buchmesse. In: Süddeutsche Zeitung, 24./25. 9. 1966. Sprachheger und Sprachpfleger. In: Süddeutsche Zeitung, 11./12. 2. 1967. Erheblich gekürzt aus: Vom Geist der Zeit. Sprachheger und Sprachpfleger. HR – Kulturelles Wort, 29. 1. 1967. Neun Tage in Leipzig. In: Süddeutsche Zeitung, 23./24. 9. 1967. Alles für die Katz? Zu neuen Wörterbüchern. In: Süddeutsche Zeitung, 16. 11. 1967. Suhrkamp: Donald Barthelme. In: Süddeutsche Zeitung, Sonderbeilage zur Buchmesse, 1968. Handlangerdienst für den Kalten Krieg? [Antwort mit Erich Kuby, Hermann Schauer auf: Ivan Nagel: Ist die DDR-Zensur für uns verbindlich? unter dem Titel: Rowohlt, Bonn und die DDR. Antworten auf einen offenen Brief ] In: Süddeutsche Zeitung, 19. 9. 1969. Nachdruck in: Berliner Zeitung, 11./12. 8. 2001. Nachdruck in: Ivan Nagel: Streitschriften. Politik, Kulturpolitik, Theaterpolitik 1957– 2001. Berlin: Siedler 2001, S. 32/33. Die Liebe und die Poesie [zu Vicente Aleixandre]. In: Süddeutsche Zeitung, 7. 10. 1977. Parallel und gekürzt in: Rhein-Zeitung, Koblenz, 7.10.1977. Literatur über Literatur über Literatur. Das Sandbuch des Jorge Luis Borges. In: Süddeutsche Zeitung, 12. 10. 1977. Ernst Jüngers Antisemitismus [Leserbrief ]. In: Süddeutsche Zeitung, 20. 12. 1977.

Walter Boehlich – Bibliographie 

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Der jüdische Christophorus. Zu Alejo Carpentiers Columbus-Roman. In: Süddeutsche Zeitung, 5./6. 1. 1980. Welt-Geschichte, anschaulich gemacht. Vergleichende Anmerkungen zu einem neuartigen Historischen Atlas [zu Knaurs Großer Historischer Weltatlas]. In: Süddeutsche Zeitung, 22./23. 3. 1980. Das Reich von dieser Welt. Zum Tode des cubanischen Schriftstellers Alejo Carpentier. In: Süddeutsche Zeitung, 28. 4. 1980. Danke schön. Bis hierher und nicht weiter. Anmerkungen zu Henryk M. Broders anklagendem Deutschland-Buch. In: Süddeutsche Zeitung, 31. 1./1. 2. 1981. Ängste eines wohltuenden Rumpelstilzchens. Rahel Hutmachers märchenhafte Geschichten vom Anderssein [zu Hutmacher: Wettergarten]. In: Süddeutsche Zeitung, 18.–20. 4. 1981. Weder befreite Bauernhütten noch königlicher Galgen. Adolf Glassbrenner – ein Kämpfer gegen die Restauration des Vormärz. In: Süddeutsche Zeitung 16./17. 1. 1982. Finkielkrauts Beschwerden. Anmerkungen zu dem Pamphlet „Der eingebildete Jude“. In: Süddeutsche Zeitung, 25./26. 9. 1982. Gewalt, Tod und Hoffnung. Gabriel García Márquez erhielt den diesjährigen Nobelpreis für Literatur. In: Süddeutsche Zeitung, 22. 10. 1982. In leicht veränderter Fassung: Solidarität mit den Machtlosen. Der Literatur-Nobelpreisträger Gabriel García Márquez. In: Die Weltwoche, 27. 10. 1982. Aus der Zeit, in der die Menschen Menschen waren. Paradies und Hölle der Bourgeoisie im „Zerbrochenen Spiegel“ der Mercè Rodoreda. In: Süddeutsche Zeitung, 8./9. 1. 1983. Spanien im Zerrspiegel. Übersetzt, aber dem deutschen Leser nicht nahegebracht: Ramón del Valle-Inclán. In: Süddeutsche Zeitung, 15./16. 3. 1983. „Erklärungen der Freiheit sprechen wenig an“. Zum 200. Geburtstag von Jacob Grimm. In: Süddeutsche Zeitung, 4. 1. 1985. „Die klugen Weiber aus der Judenschaft“. Materialien zu einem Porträt der Henriette Herz. In: Süddeutsche Zeitung, 16./17. 2. 1985. Blut auf dem Eßzimmerboden. Anmerkungen zu Gertrude Steins „Kriminalroman“. In: Süddeutsche Zeitung, 28./29. 9. 1985. Wahr oder unwahr? Erich Hackl erzählt eine spanische Geschichte: „Auroras Anlaß“. In: Süddeutsche Zeitung, 25./26. 4. 1987. Nachdruck in: Deutsche Literatur 1987. Stuttgart: Reclam 1988, S. 215–220. Der Streich des Brunelleschi. Eine Verwandlungskomödie aus der Frührenaissance [zu Antonio Manetti: Die Novelle vom dicken Holzschnitzer]. In: Süddeutsche Zeitung, 11./12. 6. 1994. Verfassung ohne Hüter. Anmerkungen zum Verfall der politischen Kultur. In: Süddeutsche Zeitung, 14. 10. 1994. Walter Boehlich u.a. (Klaus Reichert, Dorothea Razumovsky, Hermann Schweppenhäuser, Joachim Kaiser, Detlev Claussen, Ellen von Friedeburg, Bernhard Böschenstein, Wolf Lepenies, KD Wolff ): Haben Sie schon mal etwas von Adorno gehört? Minima Memo-

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rabilia: Vom Nachleben des Unvergesslichen in der Anekdote. In: Süddeutsche Zeitung, 11. 9. 2003. DER TAGESSPIEGEL, Berlin Ein Rilke von innen? Zu Else Buddebergs Rilke-Biographie. In: Der Tagesspiegel, 8.5.1955. Narrheiten aus Saarbrücken. Ueber eine neue Rilke-Biographie [zu J.-F. Angelloz: Rainer Maria Rilke]. In: Der Tagesspiegel, 19. 7. 1955. Der geschändete Dichter oder Vom Recht der Toten. Zu einer neuen Uebertragung der Fleurs du mal. In: Der Tagesspiegel, 25. 9. 1955. Nihilismus und Orthodoxie [zu Paul Claudel, Jacques Rivière: Briefwechsel]. In: Der Tagesspiegel, 1. 1. 1956. Christ und Humanist. Kritische Anmerkungen zu einer neuen Hamann-Ausgabe. In: Der Tagesspiegel, 30. 12. 1956. Ueber den Reichtum des Nebenbei. Robert Musils Tagebücher. In: Der Tagesspiegel, 10. 3. 1957. E.T.A. Hoffmanns Phantasiestücke [zu Hoffmann: Poetische Werke, Bd. 1]. In: Der Tagesspiegel, 16. 6. 1957. Er gründete unser literarisches Wertsystem. Kommt endlich die große Schlegel-Renaissance? In: Der Tagesspiegel, 1. 12. 1957. Die Aufgabe ist gestellt. Aus Anlaß des letzten Bandes von Robert Musils Werken. In: Der Tagesspiegel, 29. 12. 1957. Sie will bloß schöne Bücher. Katharina Wagenbach, der Verlegerin, zum Siebzigsten. In: Der Tagesspiegel, 19. 7. 1996. TAGESZEITUNG, Berlin Gedächtnistrübungen. Weder demokratisch noch liberal? Wie ein ehemaliger Sponti-Linker und Grüner die 68er-Bewegung umschreibt. In: die tageszeitung, 7. 9. 1995. DIE TAT, Zürich [Boehlich, Wallter:] Formlose Formgeschichte der deutschen Literatur. In: Die Tat, 24. 2. 1951.32 Evolution statt Revolution. Zum Methodenstreit in der Literaturwissenschaft. In: Die Tat, 28. 4. 1951.33 Das Lebenswerk Josef Körners. Eine Rettung des Forschers und Finders. In: Die Tat, 8. 9. 1951. Jacob Burckhardt: Briefe. Zu der Ausgabe des Insel-Verlags. In: Die Tat, 22. 3. 1952. Martin A. Hansen. Ein dänischer Erzähler. In: Die Tat, 7. 3. 1953.

32 Dazu: Herbert Cysarz: Die Literarhistorie und der Verfall der Gelehrsamkeit [Entgegnung]. In: Die Tat, 17. 3. 1951. 33 Antwort auf Cysarz’ Replik.

Walter Boehlich – Bibliographie 

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Das Bild des 18. Jahrhunderts. Zu den Büchern von F. J. Schneider und Franz Schultz. In: Die Tat, 20. 6. 1953. Ist Jacobsen übersetzbar? [zu J. P. Jacobsen: Frau Marie Grubbe]. In: Die Tat, 3. 4. 1954. „Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen …“. Zu Ronald D. Gray: „Goethe, the Alchemist“, Cambridge. In: Die Tat, 28. 8. 1954. Christen, Mauren und Juden. Américo Castros Deutung der spanischen Geschichte. In: Die Tat, 21. 5. 1955. Das Werk des Nibelungendichters. Zu Friedrich Panzer: „Das Nibelungenlied“. In: Die Tat, 20. 7. 1957. Fundamentalpoetik und Interpretation. Zu zwei Schriften Beda Allemanns. In: Die Tat, 17. 8. 1957. Die Einheit der europäischen Literatur. Zu Ernst Robert Curtius: „Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie“. In: Die Tat, 18. 3. 1961. Nachdruck aus: Die Zeit, 10. 3. 1961. DIE WELT, Hamburg [Böhlich, Walter:] Götterdämmerung. In: Die Welt, 28. 5. 1946. Der Dichter im Arztkittel. Gottfried Benns neue Prosa. In: Die Welt, 13. 5. 1950. Nachdruck in: Bruno Hillebrand (Hrsg.): Über Gottfried Benn. Kritische Stimmen 1912–1956. Frankfurt/M.: Fischer 1987, S. 216–218. Köpfe und Tröpfe. Bemerkungen zu einem neuen Buch von Kurt Hiller. In: Die Welt, 13. 9. 1950. [Bh., W.:] Kochen in zehn Minuten [zu E. de Pomiane: Kochen in zehn Minuten]. In: Die Welt, 7. 10. 1950. Ist die Bildung in Gefahr? Über die Würde des wissenschaftlichen Handwerks. In: Die Welt, 14. 10. 1950. Kontroversen über den Mann ohne Eigenschaften. Robert Musils schwieriges Werk – Lehren aus einer unhaltbaren Kritik [zu Ernst Kaiser, Eithne Wilkins: Robert Musil]. In: Die Welt, 22. 6. 1963. Proust [Leserbrief. Bitte um Hilfe bei Entschlüsselung von Proust-Zitaten]. In: Die Welt der Literatur, 25. 6. 1964.

III Arbeiten für Radiosender Autor (chronologisch) Ein Universum des Alphabets. Nach einem Jahrhundert beendet. Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm. HR – Abendstudio, 25. 4. 1961, 59'19 Min. [Sendemanuskript, 41 S.]. Vgl.: Ein Pyrrhusieg der Germanistik. Die Vollendung des „Deutschen Wörterbuchs“ der Brüder Grimm. In: Der Monat 13 (1961) H. 154, S. 38–53.

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Helen Thein

Ein Buch und eine Meinung. Über das Buch „Faust und das Faustische“ von Hans Schwerte. SR – Radio-Essay, 30. 1. 1963. Vgl.: Das Faustische. Gedanken zu einem ideengeschichtlichen Buch [zu Hans Schwerte: Faust und das Faustische, 1962]. In: Der Monat 15 (1963) H. 178, S. 26–29. Jorge Amado: „Gabriela wie Zimt und Nelken“. HR – Kulturelles Wort, 19. 5. 1963 [Sendemanuskript, 9 S.]. Etwas längere Version in: Frankfurter Hefte 18 (1963) H. 7, S. 498–501. Kritik und Selbstkritik. HR, 1963/1964. Nachdruck in: Sind wir noch das Volk der Dichter und Denker? 14 Antworten. Reinbek: Rowohlt 1964 (= rororo; 681), S. 39–49 . Ramiro Pinilla: Die blinden Ameisen. HR – Kulturelles Wort, 9. 2. 1964 [Sendemanuskript, 10 S.]. Etwas längere Version in: Neue Rundschau 75 (1964) H. 2, S. 329–334. Die Literaturen der Welt in ihrer mündlichen und schriftlichen Überlieferung. HR – Kulturelles Wort, 18. 5. 1964. Vgl.: Zum Lesen nichts und nichts zum Nachschlagen. Weltliteratur oder „Literaturen der Welt“? In: Die Zeit, 22. 5. 1964. Thomas Mann. Briefe Bd. II (1937–1947). HR – Kulturelles Wort, 5. 7. 1964 [Sendemanuskript, 9 S.]. Leicht erw. Version aus: Frankfurter Hefte 20 (1965), S. 136–138. Ignacio Aldecoa: Mit dem Ostwind, Julio Cortázar: Das besetzte Haus. HR – Kulturelles Wort. 17. 7. 1964 [Sendemanuskript, 10 S.]. Ein Kampf um Ruhm. Marcel Proust und die Verleger: Zur ersten deutschen Ausgabe seiner Briefe. HR – Kulturelles Wort, 28. 7. 1964, 58'55 Min. [Sendemanuskript, 45 S.]. Lettres Persanes. Montesquieus moralische Geographie. NDR 3 – Weltatlas, 26. 3. 1964, 57'14 Min. Vgl.: Montesquieu: Moralia Geographica. In: Joachim Schickel (Hrsg.): terra incognita. Der Mensch und seine Landschaft. 12 Essays. Bergisch-Gladbach: Lübbe 1965, S. 225– 247. Gespräche über die Unsitte, moralische Ideen an gewisse physische Handlungen zu knüpfen, zu denen sie nicht passen. Von Denis Diderot. Für den Funk bearbeitet und kommentiert von Walter Boehlich. WDR – Kulturelles Wort, 11. 1. 1965 [Sendemanuskript, 36 S.].34 Der Berliner Antisemitismusstreit 1879/1880. WDR – Kulturelles Wort, 7. 6. 1965 [Sendemanuskript, 37 S.]. Tausend Zungen und Sprachen. NDR, 7. 11. 1965, 57'04 Min. 34 Vgl. dazu den Band 4 der sammlung insel: Diderot, Denis: Nachtrag zu „Bougainvilles Reise“ oder Gespräch zwischen A. und B. über die Unsitte, moralische Ideen an gewisse physische Handlungen zu knüpfen, zu denen sie nicht passen. Nachw. von Herbert Dieckmann. [Übers. von Theodor Lücke]. Frank­ furt/M.: Insel 1965.

Walter Boehlich – Bibliographie 

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Dialoge der Weltliteratur. Unterhaltung mit dem Teufel bei Dostojewskij und Thomas Mann. Einführung und Bearbeitung für den Funk von Walter Boehlich. WDR – Kulturelles Wort, 28. 3. 1966 [Sendemanuskript, 56 S.]. Es begann mit Jacob Grimm. Kritische Fußnoten zur Methodologie und Geschichte der Germanistik. NDR – Kulturelles Wort, 12. 5. 1966, 57'00 Min. [Sendemanuskript, 29 S.]. Publ. leicht erw. als: Aus dem Zeughaus der Germanistik. Die Brüder Grimm und der Nationalismus. In: Der Monat 18 (1966) H. 217, S. 56–68. Der Hochverratsprozess gegen Georg Gottfried Gervinus. WDR – Kulturelles Wort, 12. 12. 1966 [Sendemanuskript, 46 S.]. Vgl. dazu: Der Hochverratsprozeß gegen Gervinus. Hrsg. von Walter Boehlich. Frank­ furt/M.: Insel 1967 (= sammlung insel; 24,2). Der Rundfunkessay ist nicht identisch mit dem sehr kurzem Nachwort dieser Dokumentensammlung. Vom Geist der Zeit. Sprachheger und Sprachpfleger. HR – Kulturelles Wort, 29. 1. 1967 [Sendemanuskript, 8 S.]. Erheblich gekürzt in: Süddeutsche Zeitung, 11./12. 2. 1967. Über moderne Literatur: Die Auseinandersetzung zwischen Max Frisch und Emil Staiger. NDR, 2. 5. 1967. Thesen zur Literaturkritik. BR – Der Kulturspiegel, 27. 11. 1968, 7'00 Min. Der Vernunftrepublikaner. Über Macchiavelli. Zu seinem 500. Geburtstag. HR – Kulturelles Wort, 29. 4. 1969 [Sendemanuskript, 46 S.]. Wiederholung: HR 2, 22.8.2010. Die Kunst ist tot – Es lebe die Kunst. Wandlungen des kulturellen Bewusstseins in Deutschland VIII. Friedhöfe und Treibhäuser. HR – Kulturelles Wort, 27. 7. 1969 [Sendemanuskript, 18 S.]. Wiederholung: HR, […]. 8. 1970. James Joyce: Briefe. NDR – Zum Lesen empfohlen, 17. 11. 1969, 24'09 Min. Was bedeutet der Schock. WDR – Kulturelles Wort: Gedanken zur Zeit, 30. 11. 1969 [Sendemanuskript, 8 S.]. Gekürzter Nachdruck als: Der Schock von Song My. In: Deutsche Volkszeitung, 19. 12. 1969. Die unsozialen Verträge. WDR – Kulturelles Wort: Gedanken zur Zeit, 26. 7. 1970 [Sendemanuskript, 11 S.]. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Geschichte einer honorigen Gesellschaft, WDR – Kulturelles Wort, 26. 9. 1970 [Sendemanuskript, 28 S.]. Nicht identisch mit: Der Friedenspreis oder: Die honorige Gesellschaft. Warum gerade die Deutschen und unter ihnen gerade die Buchhändler einen Friedenspreis erfinden und vergeben mußten. In: Konkret (1970) H. 10, S. 53/54. Wer sind die Geiseln? WDR – Kulturelles Wort: Gedanken zur Zeit, 27. 12. 1970 [Sendemanuskript, 8 S.].

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Gekürzter Nachdruck in: Wer sind die Geiseln? Betrachtungen zur Frage des beruflichen Risikos. In: Deutsche Volkszeitung, 11. 2. 1971.35 Ramón José Sender: Die Heilige und die Sünder. HR – Kulturelles Wort: Das Buch der Woche, 21. 2. 1971 [Sendemanuskript, 7 S.]. Preußische Hegemonie oder demokratischer Verfassungsstaat. Ein Deutschlandplan aus dem Jahre 1848. HR – Kulturelles Wort, 29. 6. 1971 [Sendemanuskript, 39 S.]. Freie Buchmarktwirtschaft. WDR – Kulturelles Wort: Gedanken zur Zeit, 11. 7. 1971 [Sendemanuskript, 9 S.]. Hessische SPD fordert mehr Mitbestimmung für Redakteure. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 12. 7. 1972. Internationale Bibliographie zur Geschichte der deutschen Literatur. HR – Kulturelles Wort: Neue Bücher, 21. 10. 1972 [Sendemanuskript]. Die Mitarbeiter von Rundfunksendungen. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 30. 12. 1972. Reprint vom „Vorwärts“. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 27. 2. 1973. Frank Eyck: Deutschlands große Hoffnung, HR – Kulturelles Wort: Neue Bücher, 17. 3. 1973 [Sendemanuskript]. Vgl.: Traum von der deutschen Republik. Frank Eycks materialreiches Buch über die Nationalversammlung 1848. In: Frankfurter Rundschau, 19. 5. 1973. Klage des Betriebsrates im S. Fischer Verlag. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 19. 3. 1973. Die Polenfrage in den deutschen Parlamenten. Debatten aus der Paulskirche und der Weimarer Nationalversammlung. HR – Kulturelles Wort, 3. 4. 1973 [Sendemanuskript, 43 S.]. Paulskirche 1848/49. Streitfragen des ersten deutschen Parlaments, im Wortlaut rekonstruiert: Die Linke denkt, die Rechte siegt. WDR 3 – Kultur und Wissenschaft, 21. /22. 5. 1973. 91'00, 86'30 Min. Historische Reportagen aus dem Parlament der Paulskirche in 3 Teilen. HR – Kulturelles Wort, 27. 5., 10. 6., 24. 6. 1973 [Sendemanuskript, 64 S.]. Reform des Sexualstrafrechts. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 7. 6. 1973. Ricarda Huch: Gesammelte Werke I–XI. HR – Kulturelles Wort, 1. 7. 1973 [Sendemanuskript, 7 S.]. Der Begriff „Verfassungsfeind“. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 22. 8. 1973. Vgl.: Verfassungsfeinde. In: Deutsche Volkszeitung, 30. 8. 1973. Kritische Chronik. Aus Kultur und Politik. Mit Beiträgen von Jörn Kraft, Walter Boehlich u.a. WDR – Kulturelles Wort, 8. 3. 1974. [Reinhart Hoffmeister und die Folgen]. WDR – Kritisches Tagebuch, […]. 3. 1974. Vgl.: Reinhard Hoffmeister und die Folgen. In: Deutsche Volkszeitung, 28. 3. 1974. Paulskirche Teil 1: Boden der Revolution, Amnestie, Abschaffung der Todesstrafe. WDR 3 – Kulturelles Wort, 14. 7. 1974, 57'03 Min. 35 Im Nachdruck in der „Deutschen Volkszeitung“ wird darauf hingewiesen, dass die „Betrachtungen Boehlichs zum Geiselproblem“ einen Juristen veranlasst haben, „gegen den WDR Strafanzeige wegen ‚Billigung und Aufruf zu Gewaltverbrechen‘ zu stellen“.

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Paulskirche Teil 2: Recht auf Arbeit, Gleichheit vor dem Gesetz. WDR 3 – Kulturelles Wort, 21. 7. 1974, 57'51 Min. Paulskirche Teil 3: Polenfrage, Entwaffnung Europas. WDR 3 – Kulturelles Wort, 28. 7. 1974, 58'11 Min. Kommentar zur Frankfurter Buchmesse 1974. SFB – Gulliver – Sätze und Gegensätze: Literatur, SFB, […]. 11. 1974, 3'45 Min. Thomas Mann: Zu spät und zu wenig. Über die politischen Schriften. NDR – Kulturelles Wort, 15. 4. 1975, 57'35 Min. Vgl.: Zu spät und zu wenig. Thomas Mann und die Politik. In: Heinz L. Arnold (Hrsg.): Thomas Mann. München: edition text & kritik 1976 (= Text & Kritik: Sonderband), S. 45–60. 2., erw. Aufl. 1982. [mit Eberhard Rondholz] Berufsverbot – juristisch, ständisch, politisch. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 10. 7. 1975. [Röhl contra Extra-Dienst]. WDR – Kritisches Tagebuch, 7. 8. 1975. Wiederholung: SFB, 11. 8. 1975. Nachdruck in: Berliner Extradienst, 15. 8. 1975. Eduardo Galeano: „Die offenen Adern Lateinamerikas – Die Geschichte eines Kontinents“. NDR – Kulturelles Wort, 5. 12. 1976, 26'34 Min. Mario Vargas Llosa: Die andere Seite des Lebens. DLF – Literatur und Kunst: Bücher im Gespräch, 20. 2. 1977, 20 Min. [Sendemanuskript, 10 S.]. Leicht erw. Version von: Beliebigkeit der Form. „Die andere Seite des Lebens“ von Vargas Llosa. In: Neue Rundschau 88 (1977) H. 3, S. 461–466. Die Buchhaltung deutscher Tugenden. Warum es lohnt Gustav Freytags Roman „Soll und Haben“ wieder zu lesen. DLF – Literatur und Kunst, 7. 7. 1977, 25 Min. [Sendemanuskript, 12 S.]. Überarb. Version als: Das ‚deutsche‘ Volk bei ‚seiner‘ Arbeit. Ein befremdeter Blick auf Gustav Freytags Soll und Haben. In: Silvia Bovenschen u.a. (Hrsg.): Der fremdgewordene Text. Festschrift für Helmut Brackert zum 65. Geburtstag. Berlin, New York: de Gruyter 1997, S. 311–319. Der arme Hölderlin und der reiche Hofmannsthal. HR, 23. 3. 1977. In Auszügen nachgedruckt in: Le pauvre Holterling (1977) H. 2, S. 54–56. Für uns „Ein Mann mit Schnauzbart, Gitarre und Revolver“ – Warum haben die lateinamerikanischen Literaturen in der Bundesrepublik Deutschland keine Chance? WDR 3 – Samstagabend in WDR 3, 28. 5. 1977, 103'40 Min. Not und Gebot. Sympathisant als Sündenbock und wie man sich von schwarzen Schafen am besten unterscheidet. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 13. 9. 1977, 4'30 Min. Verleihung des Literaturnobelpreises an den spanischen Schriftsteller Vicente Aleixandre. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 6. 10. 1977, 5'00 Min. Datenschutz – nur eine „ornamentale Einrichtung“? Ein Gespräch zwischen Walter Boehlich und Professor Spiros Simitis. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 29. 10. 1977.

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Ein jüdisches Bild vom Juden – aus Anlaß von Isaac Deutschers „Non Jewish Jew“. WDR – Kultur und Wissenschaft, 1. 11. 1977, 58'52 Min. [Sendemanuskript, 38 S.]. Hermann Hesse: Politik des Gewissens – Die politischen Schriften 1914–1962. DLF – Literatur und Kunst: Bücher im Gespräch, 4. 12. 1977, 20 Min. [Sendemanuskript, 10 S.]. Überarb. Version als: „Deutschland ist ja mein Markt“. Hermann Hesses „Politische Schriften“. In: Frankfurter Rundschau, 25. 2. 1978. Davon übers. Nachdruck in: The German Tribune, 12. 3. 1978. Aus der Geschichte lernen. Absichtserklärungen der Väter des Radikalenerlasses, die Überprüfungspraxis einzuschränken. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 11. 5. 1978, 4'30 Min. Deutscher Parlamentarismus und österreichische Aufklärung. Manfred Botzenhart: Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848–1850. DLF – Wissenschaft und Bildung, 19. 6. 1978. Vgl.: Die Liberalen – besiegt und blamiert. Manfred Botzenharts Untersuchung der Anfänge des deutschen Parlamentarismus. In: Frankfurter Rundschau, 12. 8. 1978. Geld und Macht. Fritz Stern: Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder. DLF – Wissenschaft und Bildung, 21. 8. 1978, ca. 15 Min. Sprachregelung im Dritten Reich. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 19. 9. 1978. [Die beflissene Provokation] [zur Kontroverse um Marcel Reich-Ranicki]. WDR, 1978. Vgl. Hinweis im Spiegel, 2. 10. 1978, S. 252. [mit Jörg-Adrian Huber] Vom „kurzen Prozeß“ und seinen zwei Seiten. Zur Problematik der Beschleunigung von Gerichtsverfahren [Gespräch mit Staatsrechtler Erhard Denninger]. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 7. 11. 1978. Fröhliche Tropen. Ausstellung des Ibero-Amerika-Instituts Preußischer Kulturbesitz und was nicht auf ihr zu sehen ist. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 8. 12. 1978, 7'25 Min. Ich, der Allmächtige – Diktatoren-Romane aus Lateinamerika: gelesen, verglichen und analysiert von Walter Boehlich. NDR 3 – Kulturelles Wort, 19. 12. 1978, 58'57 Min. Wdhlg.: NDR, 7. 9. 1980. Justizkritik und beleidigte Richter. Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die Frankfurter Journalistin Barbara Dickmann „Verunglimpfung eines Gerichts“. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 7. 2. 1979, 6'20 Min. Hörsaalpolizei. Eine bemerkenswerte Neuerung an der Münchener Universität. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 1. 3. 1979, 5'40 Min. Hymnenlektion. Merkwürdiger Erlaß des bayerischen Kultusministers. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 8. 3. 1979, 4'00 Min. Warum ein Gedichtband bei der Deutschen Verlagsanstalt nicht gedruckt wird. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 27. 3. 1979, 3'40 Min. Verjährungsdebatte im Deutschen Bundestag. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 29. 3. 1979, 7'05 Min. Das Devisengesetz als Knüppel. Mögliche Strafmaßnahmen der DDR wider die West-Veröffentlichungen ihrer Schriftsteller. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 25. 4. 1979, 5'30 Min.

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Eine Leseempfehlung zum 30. Geburtstag des Grundgesetzes. Die Protokolle des Parlamentarischen Rats. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 23. 5. 1979, 6'30 Min. NS-Verbrechen vor Gericht 1945 bis 1955. Klaus Moritz und Ernst Noam über NS-Prozesse in Hessen. WDR 3 – Am Abend vorgestellt, 20. 6. 1979, 28'40 Min. José Lezama Lima: Paradiso. DLF – Literaturkritik: Bücher im Gespräch, 24. 6. 1979, 20 Min. [Sendemanuskript, 10 S.]. Gekürzt publiziert als: Das verlorene Paradies. O dunkel, du mein Licht: Ein zukünftiger und rückwärtsgewandter Roman aus Cuba. José Lezama Lima: „Paradiso“. In: Die Zeit, 10. 8. 1979. Der große Gesang. Leben und Werk des Pablo Neruda. NDR, 10. 7. 1979, 58'13 Min. Ein Mann sieht rot. Warum der Frankfurter Staatsanwalt ein Theaterprogrammheft nach wie vor „mehrdeutig“ findet. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 30. 7. 1979, 5'40 Min. Zum 10. Todestag von Theodor W. Adorno. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 6. 8. 1979. Unbewältigte Geschichte. Über einen hessischen Lehrer und seine Meinung zum Holocaust. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 5. 9. 1979, 5'00 Min. Worte sind frei. Rituales Geschwätz auf der Frankfurter Buchmesse. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 10. 10. 1979, 6'20 Min. Public Relation. Nachfragen zu einer erpressten Anzeige in der FAZ. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 17. 10. 1979, 5'45 Min. Jacques Vingtras: Autobiographischer Roman von Jules Vallès. NDR – Kulturelles Wort: Zum Lesen empfohlen, 25. 11. 1979, 28'56 Min. [Sendemanuskript, 16 S.]. Die ersten fünf Seiten gedruckt als: Erziehung zum Aufstand. Zwischen „Anton Reiser“ und „Padre Padrone“: Jules Vallès’ autobiographischer Roman „Jacques Vingtras“. In: Frankfurter Rundschau, 29. 12. 1979. Gesetzentwurf einiger Bundestagsabgeordneter zum Wieder-Aufbau demokratischer Freiheitsrechte. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 14. 12. 1979, 6'10 Min. Ein Kompendium der Kritischen Theorie. Rezension des Taschenbuchnachdrucks der „Zeitschrift für Sozialforschung“. WDR 3 – Am Abend vorgestellt, 9. 4. 1980. Wofür die Väter gefallen sind. Über die umstrittene Äußerung des CDU-Politikers Kurt Biedenkopf über die Freiheit, die es am 5. Oktober zu verteidigen gilt. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 8. 8. 1980, 4'45 Min. Eine linke Leitfigur. Über die Verleihung des Adorno-Preises der Stadt Frankfurt an Jürgen Habermas. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 11. 9. 1980, 4'20 Min. Kritische Justiz. 12 Jahre Rechtskritik im Rechtsstaat. WDR 3 – Am Abend vorgestellt, 8. 10. 1980. Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Ernesto Cardenal. BR – Kulturkritik, 12. 10. 1980, 24'25 Min. Vgl. Befreiung durch Theologie. Der Dichter Cardenal und die Revolution. In: Stuttgarter Zeitung, 13. 10. 1980. Bilderdiebe. Zum Stand im Prozeß gegen 6 Mitarbeiter der Frankfurter Redaktion der BildZeitung. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 30. 10. 1980, 6'40 Min.

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Thomas Manns: Tagebücher 1937–1939. DLF – Literaturkritik: Bücher im Gespräch, 8. 2. 1981, 19'05 Min. [Sendemanuskript, 9 S.]. Gekürzt publiziert als: Haar gewaschen und mit Kissen geschlafen. Thomas Manns Tagebücher 1937 bis 1939 und die entliehene Sprache – Goethe sich anzuähneln. In: Stuttgarter Zeitung, 14. 2. 1981. [mit Claudia Wolff, Jürgen Holtkamp] Berufsverbote aus „der Lammäng“ oder – Wohin es mit dem Radikalenerlaß gekommen ist. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 11. 3. 1981. Gabriel García Márquez: Chronik eines angekündigten Todes. DLF – Literaturkritik: Bücher im Gespräch, 2. 8. 1981, 20 Min. [Sendemanuskript, 11 S.]. Gekürzt und überarb. als: Fuenteovejuna in der Karibik. García Márquez: „Chronik eines angekündigten Todes“. In: Der Spiegel, 3. 8. 1981, S. 132–136. Das Kriegerdenkmal und der Immigrant. Saalverweis für Milan Horacek. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 1. 9. 1981, 4'10 Min. Briefe von Bertolt Brecht. Zur Auswahl der Korrespondenz. WDR 3 – Am Abend vorgestellt, 18. 11. 1981, 29'05 Min. Vgl.: Briefe voller List und Hoffnung. Von den zweieinhalbtausend Briefen Brechts, die erhalten sind, wurden 887 veröffentlicht. Sie enthalten wenig Sensationelles, erschweren aber die Vereinnahmung: Brecht bleibt ein (listiger) Sozialist. In: Konkret (1981) H. 12, S. 53/54. Julio Cortázars Roman: Rayuela – Himmel und Hölle. DLF – Bücher im Gespräch, 21. 2. 1982, 20 Min. [Sendemanuskript, 10 S.]. Gekürzt nachgedruckt als: Springprozession zwischen Himmel und Hölle. Julio Cortá­ zars Roman „Rayuela“. In: Lesezeichen: LZ: Zeitschrift für neue Literatur (1982) H. 4, S. 28/29. Musik und Kultur in Lateinamerika: Wer hat die Lateinamerikaner entdeckt. BR – Kulturkritik, 31. 3. 1982, 28'35 Min.36 Musik und Kultur in Lateinamerika: Versuche über die Gewalt. Der Erzähler Gabriel García Márquez. BR – Kulturkritik, 5. 4. 1982, 27'16 Min.37 Die Judenfrage vor 100 Jahren. Ein Streit an der Berliner Universität: Dokumentarisches Hörstück. WDR – Kultur und Wissenschaft, 15. 4. 1982, 60 Min. [Sendemanuskript, 36 S.].38 Meine Gedichte. Autoren und Kritiker geben Auskunft über ihre Lieblingsgedichte und Lieblingsdichter [zu „Die Romanze vom Grafen Arnaldos“]. NDR – Kulturelles Wort, 15. 7. 1982, 28'50 Min. Wdhlg.: NDR 3, 29. 3. 1990. 36 Sendemanuskript im Nachlass Anton Kenntemich. Hier ist der 4.4.1982 als Sendedatum angegeben. 37 Sendemanuskript im Nachlass Anton Kenntemich. 38 Liegt auch als Manuskript, frühere Fassung, vor, unter dem Titel: Der pontinische Sumpf [zum Berliner Antisemitismusstreit unter Verwendung von Ausschnitten aus sammlung insel-Bd.], ohne Datum, [Sendemanuskript, 32 S.].

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Vgl.: Die Romanze vom Grafen Arnaldos. In: Akzente 30 (1983), S. 393–404. Edition – Frühe Texte der Moderne: Rezension. WDR 3 – Am Abend vorgestellt, 28. 7. 1982. Legalität und Legitimität. Über Machtfragen und politische Moral. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 4. 10. 1982, 5'45 Min. Hell klingen unsere Lieder. Das Liederbuch der deutschen Bundeswehr. WDR 3 – Am Abend vorgestellt, 9. 3. 1983. Deutsche Lebensläufe [über die Folgen der Mitgliedschaft in der DKP]. NDR, […]. 5. 1983, 14'25 Min. Macht sich der linke Flügel stark. Zur hessischen Initiative für ein Friedensgesetz. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 29. 9. 1983, 3'40 Min. „Dann wird es Briefe regnen“ [zu Lichtenbergs Briefen]. WDR – Am Abend vorgestellt, 5. 12. 1983. Über den Begriff „Die politische Klasse“, bevor er richtig in Mode kommt. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 31. 1. 1984, 4'40 Min. Die enzyklopädische Katze. Wie Diderot mit einem Bestseller die Aufklärung beförderte. WDR – Kultur und Wissenschaft, 5. 7. 1984, 60 Min. [Sendemanuskript, 28 S.]. Der Guru als Jüngling. Über den „Aufklärer“, den Schriftsteller Peter Handke. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 31. 7. 1984, 4'55 Min. Machiavellis Blick auf Bonn. Rückschau. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 22. 10. 1984, 6'40 Min. Reise ins Land der verlorenen Mädchen. Erinnerungen an die katalanische Schriftstellerin Mercè Rodoreda. NDR – Kulturelles Wort: Bibliothek, 15. 11. 1984, 24'21 Min. Die Verabschiedung der Scham. Zur Politik der neuen Unbefangenheit. WDR 1 – Gedanken zur Zeit, 17. 11. 1984, 14'18 Min. Spanien im Herzen. Porträt des spanischen Schriftstellers Juan Goytisolo. NDR – Kulturelles Wort, 27. 11. 1984, 58'50 Min. Aus Ruinen neues Leben. Walter Boehlich kommentiert die Inkubationszeit vor dem 8. Mai. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 14. 1. 1985. A–Z – Acht bis Zwölf. rororo-Taschenbücher. WDR 2 – Sonntagsmagazin, 17. 6. 1985. 23. Oktober 1890 – Der Berliner Polizeipräsident erklärt zu seinem Verbot eines Theaterstücks „Die ganze Richtung passt uns nicht“. WDR 2 – Zeitzeichen, 23. 10. 1985, 13'35 Min. Philologie in finsteren Zeiten. Zum 100. Geburtstag von Ernst Robert Curtius. NDR 3 – Kulturelles Wort, 22. 4. 1986, 59'40 Min. [Sendemanuskript, 22 S.].39 Experimente. Opfer experimentiert worden. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 5. 5. 1986. Würdigung des argentinischen Schriftstellers Ernesto Sabatos und seines Werkes anläßlich seines 75. Geburtstages. NDR – Das Kulturjournal, 23. 6. 1986.

39 Manuskript im Nachlaß Ernst Robert Curtius; Sammlung, Boehlich, Walter, Sign.: NL Curtius, E.R. III, 44.

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6. Juli 480 vor Christus – Heldenhafte Verteidigung des Thermophylen-Passes durch Leonidas, König von Sparta. WDR 2 – Zeitzeichen, 6. 7. 1986. Das Bild vom vollen Boot. Zu den Versuchen, den Artikel 16 Grundgesetz zu revidieren. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 23. 7. 1986, 19'12 Min. 12. Dezember 1821 – Geburtstag des französischen Schriftstellers Gustave Flaubert. WDR 2 – Zeitzeichen, 12. 12. 1986, 15'16 Min. Die Nase hoch. Über die Bemühungen, einen neuen Kulturpreis in der Bundesrepublik zu installieren. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 14. 1. 1987. Die Liebe in den Zeiten der Cholera. Roman von Gabriel García Márquez. NDR – Kulturelles Wort: Zum Lesen empfohlen, 13. 3. 1987, 30 Min. [Sendemanuskript, 13 S.]. Nicht identisch mit: Nichts ist schwieriger als die Liebe. Zu einem Buch von Gabriel García Márquez [zu Liebe in Zeiten der Cholera]. In: NZZ, 19. 6. 1987. 17. Mai 1847 – Bismarck prägt das Wort „Zivilcourage“. WDR 2 – Zeitzeichen, 17. 5. 1987, 15'12 Min. Goebbels-Tagebücher in 10 Bänden hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte in München. NDR – Texte und Zeichen, 9. 10. 1987, 11'07 Min. Vgl.: Viel Geschrei und wenig Wolle. Der sogenannte „Teufel in Menschengestalt“ hat also auch Tagebücher geschrieben. Sie sind sogar echt und obwohl ihre Lektüre sterbenslangweilig ist, nicht ganz ungefährlich. In: Titanic (1987) H. 11, S. 30–33. Sprachliche Bedeutung von „Verantwortung“ im politischen Leben. Über den Begriff der „Verantwortung“ am Beispiel der Bürgerinitiative Startbahn West. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 3. 11. 1987. Die Grenzenlosigkeit der Unaufgeklärtheit. Über Detlev Claussen’s Buch „Grenzen der Aufklärung“. WDR 3 – Kultur und Wissenschaft: Am Abend vorgestellt, 22. 1. 1988, 28'49 Min. Vgl.: Doch: mit den Opfern identifizieren! Detlev Claussens Grenzen in seinen „Grenzen der Aufklärung“. In: FR, 26. 3. 1988. 22. Juni 1933 – Erlaß des preußischen Innenministerts zur Bekämpfung des „Miesmachertums“. WDR 2 – Zeitzeichen, 22. 6. 1988, 14'42 Min. Über die Zeiten. Kommentar zur Neugründung der Universalbibliothek von Alexandria. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 27. 6. 1988, 4'05 Min. Die Zeitschrift „Babylon“ – Beiträge zur jüdischen Gegenwart. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 23. 9. 1988, 5'50 Min. Zwischen Oggersheim, Puppenheim und Niebelheim – Eine Würdigung der Würdigung des Kulturbeauftragten des Kanzlers in der FAZ. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 2. 5. 1989, 4'55 Min. Auf der falschen Hochzeit tanzen? Red.: Andreas Wang [zum 17. 6. 1953]. NDR 3 – Zeit­ zeichen, 17. 6. 89.40 40 Vgl. Hinweis in Joachim Wendorf: Über den Quellenwert historischer Film-, Photo- und Tonaufnahmen. Eine Untersuchung am Beispiel des 17. Juni 1953. Göttingen: Univ. Diss. 1999, S. 149.

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Denk ich an Deutschland. Eine Broschüre des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 27. 7. 1989, 5'14 Min. Entbehren sollst Du, sollst entbehren. Sigmund Freuds Jugendbriefe an Eduard Silberstein. NDR – Kulturelles Wort, 28. 3. 1989, 56'54 Min. Wdhlg.: NDR 3, 17. 9. 1989. Wdhlg.: WDR 3 – Kultur und Wissenschaft, 19. 10. 1989, 59'02 Min. 31. Mai 1830 – Zum ersten Mal fällt das Wort „Wir tanzen auf einem Vulkan“. WDR 2 – Zeitzeichen, 31. 5. 1990, 14'58 Min. Der neue Nationalismus. BR, 15. 7. 1990, 10 Min. [Sendemanuskript, 5 S.]. „Ein alter Herr mit verschollenen Manieren“. Zum 100. Geburtstag von Peter Suhrkamp. BR – Kulturkritik, 27. 3. 1991, 52'18 Min. [Sendemanuskript, 26 S.]. Alfred-Kerr-Preis. NDR – Texte und Zeichen, 7. 5. 1991, 6'32 Min. Vgl.: Schöne Demokraten. Börsenverein und Kerr-Preis: der wahre Skandal. In: Die Zeit, 10. 5. 1991. 13. Dezember 1797 – Geburtstag des Dichters Heinrich Heine. WDR 2 – Zeitzeichen, 13. 12. 1992. Das Schweigen im Walde. Vom Recht des Volkes auf eine Verfassung. NDR – Gedanken zur Zeit, 12. 6. 1993, 14'21 Min. Vgl.: Schweigen im Walde. Oder: Vom Recht des Volkes auf eine Verfassung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 38 (1993) H. 12, S. 1428–1432. Der Mann mit dem Goldrand. Überlegungen zur bundesdeutschen Suche nach einem neuen Präsidenten. BR – der Kulturkommentar, 19. 9. 1993, 10 Min. [Sendemanuskript]. Vgl.: Wer wählt den Bundespräsidenten? Je machtferner ein Amt, desto ärgerlicher das Gerangel um seine Besetzung – Vorschlag zur Lösung eines hausgemachten Problems. In: Titanic (1993) H. 12, S. 22/23. Der Wüste entgegen. Wie man Kultur zu Tode spart. WDR 3 – Gedanken zur Zeit, 12. 2. 1994. Die Offiziere und die Juden [zur Kontroverse um den deutschen Widerstand]. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 6. 7. 1994, 6'15 Min. Vgl.: Widerständler und „Rassegedanke“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 39 (1994) H. 9, S. 1045/1046. 14. September 1769 – Geburtstag des Forschungsreisenden Alexander von Humboldt. WDR 2 – Zeitzeichen, 14. 9. 1994, 9'05 Min. Starkes Motiv [zu Noel Coward, Zuträger des englischen Geheimdienstes, sowie der Doppelmoral der Deutschen beim Umgang mit Spionen]. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 24. 1. 1995, 4'55 Min. PEN-Vereinigung. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 15. 2. 1995, 6'20 Min. Modernes Antiquariat [zur Entscheidung des Piper Verlags, das Buch „Opfer des Holocaust als Täter“ von John Sack nicht zu drucken]. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 20. 2. 1995, 4'13 Min. Starqualität [Nachruf auf Wolfgang Harich]. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 20. 3. 1995, 6'35 Min.

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Partnerschaftsangebot der italienischen Gemeinde Caiazzo. [zu dem Nazi-Verbrecher Wolfgang Lehnigk-Emden]. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 16. 5. 1995, 5'00 Min. […]. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 1. 12. 1995, 3'10 Min. Theodor und der treue Husar. Der Geehrte bedankt sich [zur Umbenennung des Frankfurter Königsplatzes in Theodor-W.-Adorno-Platz]. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 10. 7. 1995, 4'10 Min. Streit in der „Times“. Streit um den Oxforder Lehrstuhl für Europäische Geistesgeschichte aus Flick-Geldern. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 29. 11. 1995, 5'20 Min. Bubis liest Jenninger. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 1. 12. 1995, 3'10 Min. Überfahren. Prozess gegen Monika Haas. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 1. 2. 1996, 4'55 Min. Zensur während der Weimarer Republik. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 12. 2. 1996, 5'30 Min. Die Wahl von Bundesrichtern. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 14. 5. 1996, 4'48 Min. Wiederherstellung von Doktorwürden für Naziopfer. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 12. 6. 1996, 4'45 Min. Bubis’ Kandidatur für den Frankfurter Stadtrat. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 13. 6. 1996, 1'45 Min. Gehören unsere Erinnerungen ins Museum? WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 8. 7. 1996, 4'30 Min. Vererbung des Intelligenzquotienten. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 9. 7. 1996, 1'40 Min. Die Frankfurter Buchmesse. Auf dem Zahnfleisch. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 2. 10. 1996, 3'05 Min. Michail Gorbatschows Friedensinitiative. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 26. 11. 1996, 4'15 Min. Sätze, die wir nie mehr hören wollen: Wie die Arbeit, so der Lohn. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 27. 12. 1996, 2'10 Min. Wem gehört die Sprache. HR – Der Tag, 15. 8. 1997. Vgl.: Wem gehört die Sprache? Ob gestern oder heute: Kaum ist Deutschland einig Vaterland, verordnen seine Bürokraten, wie das blöde Volk zu schreiben hat. In: Titanic (1997) H. 1, S. 20–23. Kommentar zur Frankfurter Buchmesse. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 15. 10. 1997, 5'30 Min. Paulskirche 1848. DLR – Fazit: Wir erinnern, 18. 5. 1998, 15 Min. Neue Lorca-Übersetzungen. WDR – Kritisches Tagebuch, 22. 5. 1998, 4'24 Min. Wdhlg.: NDR 3 – Texte und Zeichen, 28. 5. 1998. Buchpreisbindung II. WDR – Kritisches Tagebuch, 5. 6. 1998, 4'14 Min. Vgl.: Brüsseler Ordnungswahn. Bumm, bumm, bumm! Der EG-Kommissar geht um und feuert gegen die Buchpreisbindung. In: Titanic (1998) H. 7, S. 20–23. 50 Jahre Buchmesse. Dreimal Schweiz und einmal Zypern. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 7. 10. 1998, 4'18 Min.

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Schafft den Ersatzkaiser ab. WDR – Kritisches Tagebuch, 21. 6. 1999, 7 Min. Vgl.: Der Ersatzkaiser. Man sollte es Johannes Rau ersparen, sich in die lange Garde unnützer Repräsentanten einzureihen. Geschätzter Gewinn vor Steuer: 30 Millionen. In: Titanic (1999) H. 7, S. 18–21. Die Koalition spart. Auch beim Goethe-Institut. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 28. 6. 1999, 5'42 Min. Kunstraub oder das Recht des Stärkeren – Anmerkungen zum Streitthema Beutekunst. WDR – Kritisches Tagebuch, 18. 8. 1999, 9'38 Min. Vgl.: Kunstraub. Wer hat, der hat: Daß im Krieg Kunst geklaut wird, ist immer normal gewesen. Daß nur der Beklaute rückgabewillig ist, erst recht. In: Titanic (1999) H. 9, S. 18–21. Noch ist Polen nicht verloren. Über ein immer noch gestörtes Nachbarschaftsverhältnis. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 17. 9. 1999, 6'35 Min. Vgl.: Noch ist Polen nicht verloren. Vor 60 Jahren wurden Polen von Deutschen noch ermordet. Heute, vorm baldigen EU-Beitritt ihres Landes, haben sie gute Chancen, eine deutsche Herrschaft zu überleben. In: Titanic (1999) H. 10, S. 20–23. Schlangengrube Buchmarkt. Ein Vorschlag zum Hingehen. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 13. 10. 1999, 4'10 Min. Zionswächter. Zur Wiederauflage der Debatte um die Wehrmachtssausstellung. WDR – Kritisches Tagebuch, 26. 1. 2000, 9'34 Min. Vgl.: Zionswächter. Gute alte Wehrmachtsausstellung: Endlich darf man Ressentiment als Kritik verkaufen. Denn wer ein rechtes Schaf ist, will halt blöken. In: Titanic (2000) H. 2, S. 20–23. Jetzt geht’s los – Die Buchmesse hat begonnen. WDR – Kritisches Tagebuch, 18. 10. 2000.

Diskussionsteilnehmer Je preiser gekrönt – Warum sind Literaturpreise in Deutschland ein Problem? Diskussion zwischen den Autoren Franz Mon und Walter Boehlich, dem Verleger Ivo Frenzel und dem Juror Hans-Winfried Sabais. Diskussionsleiter: Hans-Götz Oxenius. WDR 3 – Kultur und Wissenschaft, 2. 3. 1963, 50'11 Min. Wieviel Freiheit braucht die Literatur? Ein Streitgespräch zwischen Klaus Gysi, Leiter des Aufbau Verlages, Ostberlin und Walter Boehlich, Cheflektor des Suhrkamp Verlages zur Frage: Wozu und für wen wird Literatur geschrieben und gemacht? SFB, 20. 10. 1965, 28'30 Min. Tausend Zeugen und Sprachen. Diskussion mit Walter Boehlich, Walter Höllerer und Erich Fried. NDR – Wort-Zentralredaktion, 7. 11. 1965. Germanen und Germanisten. Nationalismus in der Germanistik. Ausschnitte vom Deutschen Germanistentag mit Kommentaren und Diskussionen – mit Walter Boehlich. WDR, 7. 1. 1967 [Sendemanuskript, 58 S.].

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Walter Boehlich im Gespräch mit Marcel Reich-Ranicki und Hans Mayer. NDR – Im literarischen Caféhaus, 13. 12. 1967, 61'23 Min. Was ist Stürmerstil? Mit Beiträgen von Carl Linfert, Carlo Schmid, Sebastian Haffner, Erwin K. Scheuch, Walter Boehlich. Moderation: Marianne Lienau. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 26. 6. 1972 Recht und bürgerliche Gewalt bei Walter Benjamin. Exkurse: […] Walter Boehlich. WDR – Kulturelles Wort, 24. 3. 1973 [Sendemanuskript, 59 S.]. Interview mit Thomas Ellwein zum Thema Bundeswehrhochschulen mit Kommentaren von Jürgen Holtkamp, Walter Boehlich und Claus Menzel. Moderation: Hanno Reuther. WDR 3 – Kritisches Tagebuch, 1. 10. 1973, 19'56 Min. Thomas Mann: Eine Diskussion (Folge 10). Diskussionsleitung: Heinz Ludwig Arnold. Mit: Walter Boehlich, Yaak Karsunke, Hanjo Kesting, Martin Walser, Peter Wapnewski. NDR –Kulturelles Wort, 6. 5. 1975, 89'37 Min. Verbreitung und Präsentation lateinamerikanischer Literatur in der Bundesrepublik – Überlegungen anlässlich der Frankfurter Buchmesse 1976 mit dem Schwerpunkt Lateinamerika. WDR 3 – Proben und Stichproben, 20. 10. 1976, 25'12 Min. Literatrubel: „Eine Zensur findet nicht statt“. Diskussionsleiter: Christian Berg. Mit: Walter Boehlich, Ulrich K. Preuß, Dieter Richter, Christian Schultz-Gerstein, Dietrich Walter, Ulrich Böhme. NDR 3 – Kulturelles Wort, 2. 7. 1977, 28'52 Min. Diskussion zwischen Walter Boehlich, Literaturkritiker, und Klaus Wagenbach, Verlagsleiter. Über die Auswirkungen der Paragraphen der Paragraphen 88a und 131 des Strafgesetzbuchs (StGB) auf Buchproduktion und Handel. WDR – Zeitfragen-Streitfragen, 13. 10. 1977. Gespräch mit dem Lektor Axel Rütters über Vermittlungsprobleme elitärer Literatur. Am Beispiel der Frankfurter Autoren- und Verlagsgesellschaft Syndikat. WDR 3 – Am Abend vorgestellt, 17. 11. 1977, 27'46 Min. Das literarische Rätsel (Folge 13) [zu Gutzkow: Wally, die Zweiflerin]. Mod.: Roland H. Wiegenstein. Mit: Walter Boehlich (Textauswahl), Erich Fried, Jürg Laederach. NDR 3 – Bibliothek, 2. 3. 1978, 24'42 Min. Was ist an den anderen Verlagen so anders? Eine Diskussion zwischen der Schriftstellerin Ursula Krechel und Walter Boehlich vom Verlag der Autoren und Axel Rütters, Gründer des Syndikat Verlags. Red. Hans-Götz Oxenius. WDR 3 – Zeitfragen-Streitfragen, 5. 3. 1978. Das literarische Rätsel (Folge 14) [zu Bahro: Die Alternative]. Mod.: Alfred Blatter. Mit: Erich Fried (Textauswahl), Walter Boehlich, Karin Kiwus. NDR 3 – Bibliothek, 13. 4. 1978, 28'59 Min.

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[Geschichte]. Diskussion mit Walter Boehlich, Michael Stürmer, Reinhart Koselleck, Dieter Wellershoff. Diskussionsleiter: Alexander Mitscherlich. HR – Hauptworte-Hauptsachen, 18. 4. 1978.41 Das literarische Rätsel (Folge 15) [zu Storm: Immensee; Keller: Die mißbrauchten Liebesbriefe]. Mod.: Roland H. Wiegenstein. Mit Alfred Blatter (Textauswahl), Erich Fried, Walter Boehlich. NDR 3 – Bibliothek, 11. 5. 1978, 25'43 Min. Vom Cheflektor zum freien Autor. Walter Boehlich im Gespräch mit Heinrich von Nussbaum. DLF – Über Bücher und andere Drucksachen, 19. 1. 1982, 23'40 Min. Dritte Welt. Walter Boehlich und Hans Jürgen Heinrichs im Gespräch [Folge 7 innerhalb einer achtteiligen Sendereihe Goethe-Dialog]. NDR – Kulturelles Wort, 24. 3. 1982, 29'02 Min. Publ. in: Harald Eggebrecht (Hrsg.): Goethe – ein Denkmal wird lebendig. Dialoge. München, Zürich: Piper 1982, S. 107–115. Diskussion zwischen Trude Simonsohn und Walter Boehlich über die geplatzte Premiere des Theaterstückes „Der Müll, der Tod und die Stadt“ in Frankfurt. Red. und Moderation Hans-Götz Oxenius. WDR 3 – Zeitfragen-Streitfragen, 10. 11. 1985, 29'11 Min. Das Ende der Nachkriegsliteratur. Red. und Moderation Wend Kässens. Eine Diskussion mit Walter Boehlich, Heinz Czechowski, Günter Grass und Peter von Becker. NDR – Texte und Zeichen, 3. 10. 1990, 65'03 Min. Wer war’s? Literarische Nach-Denk-Spiele. BR – Nachtstudio: Quiz, 16. 8. 1991, 28'10 Min. Wer war’s? Literarische Nach-Denk-Spiele: Texte über Kunst. BR – Nachtstudio: Quiz, 13. 9. 1991, 28'50 Min. Proben und Stichproben. Wie funktioniert der Literaturbetrieb? Diskussionsleitung: Walter von Rossum. Mit: Jochen Schimmang, Mechthild Kaiser, Stefan Wanzen, Walter Boehlich, Marianne Fricke, Wilfried Schoeller. WDR 3 – Literatur im Gespräch, 9. 10. 1991, 56'50 Min. Wer war’s? Literarische Nach-Denk-Spiele: Texte: Schiller, Schnitzler, Frisch. Mit: Silvia Bovenschen, Walter Boehlich, Michael Krüger, Joachim Kaiser. BR – Nachtstudio: Quiz, 18. 10. 1991, 29'05 Min. Was war jüdisch – was ist jüdisch? Einige Thesen und eine Diskussion. Mit Walter Boehlich, Efrat Gal-Ed, Henryk M. Broder, Micha Brumlik, Michael Wolffsohn. BR – Kulturkritik, 13. 11. 1991, 83'45 Min. Wer war’s? Literarische Nach-Denk-Spiele: Texte: Goethe, Schiller. Mit: Silvia Bovenschen, Walter Boehlich, Michael Krüger, Joachim Kaiser. BR – Nachtstudio: Quiz, 15. 11. 1991, 28'00 Min. Wer war’s? Literarische Nach-Denk-Spiele: Texte: Benn, Fontane. Mit: Silvia Bovenschen, Walter Boehlich, Michael Krüger, Joachim Kaiser. BR – Nachtstudio: Quiz, 13. 12. 1991, 28'14 Min. 41 Vgl. Hinweis in: Tobias Freimüller: Alexander Mitscherlich. Gesellschaftsdiagnosen und Psychoanalysen nach Hitler. Göttingen: Wallstein 2007, S. 417.

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Wer war’s? Literarische Nach-Denk-Spiele: Texte: Hugo von Hofmannsthal und Nikolaus Lenau. Mit: Walter Boehlich, Michael Krüger, Joachim Kaiser. BR – Nachtstudio: Quiz, 14. 2. 1992, 28'35 Min. Wer war’s? Literarische Nach-Denk-Spiele: Texte: Thomas Bernhard, Ibsen. Mit: Walter Boehlich, Michael Krüger, Joachim Kaiser. BR – Nachtstudio: Quiz, 10. 4. 1992, 28'35 Min. Wer war’s? Literarische Nach-Denk-Spiele: Texte: Franz Kafka, Richard Wagner. Mit: Walter Boehlich, Michael Krüger, Joachim Kaiser. BR – Nachtstudio: Quiz, 5. 6. 1992, 28'50 Min. „Es will mer net in de Kopp enei“. Bekenntnisse zu einer Stadt [Track 6]. In: „Vergangen, vergessen, vorüber“ [CD 8]. In: Frankfurt: eine deutsche Stadt erinnert sich. Ein akustisches Porträt von den Anfängen des Jahrhunderts bis in die 60er Jahre. Von Monika Held, Inge Kurtz und Florian Schwinn. Bekenner/innen: Walter Boehlich, Heinrich Droege, Matthias Beltz, Hanna Lambrette, Liesel Christ, Arthur Roth, Johnny Klinke, Horst Krüger, Helga Einsele. HR, Berlin: Pool Musikproduktion 1994, 10'56 Min. Gesendet: SR, 1994. Übersetzen und Übertragen. Über kulturelle Vermittlungsprozesse. Eine Diskussion, zusam­ mengestellt und kommentiert von Peter Laemmle. Mit Verena Reichel, Walter Boehlich, Hanno Helbling, Antonio Pellegrino, Klaus Reichert. BR – Nachtstudio, 16. 2. 1994, 82'45 [Sendemanuskript, 12, 36 S.]. Wdhg.: DLF, 22. 2. 1995. Rundgespräch „Literatur um 1955, wiedergelesen“. Moderation: Walter Boehlich. Mit Sarah Kirsch, Fritz Rudolf Fries, Gerhard Rühm und Urs Widmer. Begrüßung: Eberhard Lämmert. Stuttgart: SDR, 14. 5. 1995. Kunst, Kommerz, Kritik – Ein Radioabend zum 15. Geburtstag des Kulturjournals. Mit: Günter Grass, Hanjo Kesting, Peter Rühmkorf, Wulf Herzogenrath, Ingo Waszerka, Hartmut Heinicke, Helga Schuchardt, Marianne Tidick, Joachim Kümmritz, Jobst Plog, Walter Boehlich, Cora Stephan, Mathias Greffrath. NDR – Texte und Zeichen, 23. 2. 1996, 1'51'27 Min. Der Publizist und Übersetzer Walter Boehlich befragt von Mechthild Zschau. NDR 3 – Das Gespräch, 4. 7. 1996, 45'02 Min. Kommunalwahlen [Studio Live Gespräch]. HR – Der Tag, 28. 2. 1997. Nationaler Zankapfel Paulskirche [Studio Live Gespräch]. HR – Der Tag, 13. 3. 1997. Gespräch: Gedenken in der Nachkriegszeit, Erinnerungskonjunktur. HR – Der Tag, 9. 11. 1998. Gespräch: Krieg [zu Jugoslawien]. HR – Der Tag, 29. 3. 1999. Gespräch: Schmutziges Geld und Outfit. HR – Der Tag, 25. 11. 1999.

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Hörspiele, Features, Lesungen nach Vorlagen von Walter Boehlich Hörspielfassung von 1848 1848. Das Wort ist aufgeblüht zur Tat. Regie: Ulrich Heising. Ursendung: HR [Serie: 150 Jahre Frankfurter Nationalversammlung], 18. 5. 1998, 75'33 Min. Feature zum Berliner Antisemitismusstreit Der Berliner Antisemitismusstreit. Eine Dokumentation. NDR – Kulturelles Wort, 11. 9. 1966, 40'23 Min. Hörspiele, Lesungen nach Übersetzungen von Walter Boehlich (alphabetisch) Bang, Herman: Sommerfreuden. Regie: Thomas Werner. Sprecher: Werner Eichhorn. WDR 3 – Wir lesen vor, 8 Folgen, 14. 10.–23. 10. 1992 [Prod.: 8. 10. 1992]. Bang, Herman: Weihnachten im weißen Haus [Lesung aus Roman]. Red. Hanns Grössel, Sprecher: Gert Westphal. WDR 3 – Am Abend vorgestellt, 20. 12. 1991 [Prod.: 30. 9. 1991], 27'17 Min. Bang, Herman: Das weiße Haus. Ein Spiel für Stimmen. Musik zum Skript von P. Zwetkoff. Regie: Gert Westphal. Red. Dieter Hasselblatt. BR, 3. 1. 1978, 98'50 Min. Wdhlg.: BR, 15. 12. 1991. Bang, Herman: Das weiße Haus. Regie: Ursula Langrock. SDR, 26. 12. 1983, 96'20 Min. Wdhlg.: DLF, 9. 1. 1993. Wdhlg.: DLF, 22. 4. 2007. Bang, Herman: Das weiße Haus. Romanauszug. Lesung. Red. Walter Münz. BR 2 – Literatur, 8. 12. 1998, 27'54 Min. Bang, Herman: Das weiße Haus, Das graue Haus [verm. als Lesung]. DLR – Lesezeit, 17. 2. 1999, 25 Min. Blicher, Steen Steensen: Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters. Regie: Hans Gerd Krogmann. SDR, 25. 12. 1993, 84'40 Min. Wdhlg.: SDR, 5. 1. 1997. Duras, Marguerite: Der Nachmittag des Herrn Andesmas. Für den Funk bearbeitet von Walter Boehlich. WDR – Kulturelles Wort, 3. 4. 1965 [Sendemanuskript, 45 S.]. Duras, Marguerite: Der Nachmittag des Herrn Andesmas. Regie: Cläre Schimmel. Ursendung: SDR, NDR, 5. 7. 1967. Duras, Marguerite: Suzanna Andler. Ein Dialogstück in vier Akten. Regie: Ernst Wolfram Marboe. Ursendung: ORF, 11. 7. 1971, 75 Min. Wdhlg.: ORF, 6. 4. 2004. Duras, Marguerite: Seen und Schlösser. Ursendung: SWF, 11. 7. 1967. Giraudoux, Jean: Auf in den Kampf [Lesung aus: Simon]. RIAS – Literatur, 29. 4. 1962, 28'38 Min. Lascano Tegui, Vizconde de: Von der Anmut im Schlafe. Regie: Ulrich Gerhardt. SDR, 29. 8. 1996, 75'10 Min.

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Die Ostindienfahrer: ein Abenteuerbuch. Kindertheatergruppe Göteborg. Hörspielbearb.: Peter Tiefenbrunner. SR, 24. 12. 1987, 66'31 Min. Pommeret, Xavier: Kommissar Felix Kulpa schafft Ordnung. Regie: Walter Adler. WDR, 1974. Scorza, Manuel: Der jammervolle Weg von Yanacocha in die Zukunft. Regie: Hein Bruehl. WDR 2, 24. 5. 1978, 36'55 Min. Sender, Ramón José: Requiem für einen spanischen Landmann. Hörspielbearb. und Regie: Bernd Lau. Ursendung: NDR, 24. 11. 1984, 79'05 Min.42 Wdhlg.: NDRinfo, 29. 12. 2002. Sender, Ramón José: Der Verschollene. Regie: Walter Adler. Ko-Prod. SFB, HR. Erstsendung: SFB, 15. 3. 1994, 89'40 Min. Söderberg, Hjalmar: Gertrud. Ein Drama aus dem Jahre 1905. Regie: Ernst Wendt, mit: Barbara Freier, Lambert Hamel, Felix Manteuffel und Dieter Borsche. SDR, 20. 1. 1980, 92'40 Min. Söderberg, Hjalmar: Gertrud. Regie: Peter Groeger, mit: Eva Weißenborn, Roland Hemmo, Jörg Kleinau, Wolf Dieter Panse, Marion van de Kamp, Birgit Frohriep. Radio DDR II, 20. 10. 1985, 82'30 Min. Söderberg, Hjamar: Abendstern. Regie: Hans Gerd Krogmann. NDR, 21. 1. 1982, 53'30 Min. Woolf, Virginia: Mrs Dalloway. 24teilige Lesung. SFB, 1998. Als CD erschienen: Gelesen von Angela Winkler; Regie: Kai Luehrs-Kaiser. München: Der Hörverlag 2001. 5 CDs in 3 Schachteln (ca. 358 Min.). Woolf, Virginia: Mrs Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selbst kaufen. Lesung. BR – Kulturkritik und Literatur, 13. 1. 2006 (T.1), 20. 1. 2006 (T.2).

IV Arbeiten für das Fernsehen Autor (chronologisch) Literatur und Gewalt in Südamerika. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Mit: Mario Vargas Llosa, Salvador Garmendi, Miguel Angel Asturias, Hans Magnus Enzensberger, Jorge Edwards, S. Garmendi, 5. 10. 1970, 19'53 Min.43 Manager-Magazin im Spiegel-Verlag. Der Spiegelverlag als Hauptgesellschafter einer neuen Zeitschrift „Nur für Manager“. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Mit: Detlev Becker, 8. 10. 1971, 5'55 Min. Kundenfang. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Mit: Ingomar Hauchler, Wolf Braun, Eberhard Kleinmann, 14. 1. 1972, 13'01 Min.44 42 Hörspiel des Monats November 1984, Ehrenpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste. 43 Bericht über den Besuch von lateinamerikanischen Schriftstellern in der BRD. 44 Stuttgart. Kundenschutzorganisation ‚Aktion Bildungsinformation‘ hat gegen die Firma ‚Buch und Wissen‘ (Vertriebsorganisation für Bücher) eine einstweilige Verfügung erwirkt.

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Denkmalschutz am Beispiel Lübecks. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente, 28. 1. 1972, 10'38 Min. PEN-Kongreß. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Mit: Richard Hey, Ulrich Sonnemann, Yaak Karsunke, 7. 4. 1972, 9'58 Min.45 Familie und Weltmacht [zu David Mantell: Aggression und Weltmacht]. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente, 19. 5. 1972, 9'30 Min. Das neue Buch. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente, 30. 6. 1972, 15'05 Min.46 Neue Bücher über Hunde. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Mit Eberhard Trumler, 25. 8. 1972, 13'09 Min.47 125 Jahre deutsches Parlament. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente, 4. 5. 1973, 23'20 Min. Deutsch für Deutsche. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Mit: Paul Grebe, Heinrich Heger, Martin Heidegger, 1. 6. 1973, 17'33 Min.48 Rechtschreibung oder ortografi. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Mit: Ingeborg Drewitz, Ernst Klett, 4. 10. 1973, 12'14 Min.49 Die Löffel des Uri Geller. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Red.: Wilfried F. Schoeller, Hansgeorg Dickmann, 24. 1. 1974, 20'27 Min. Religion gut – Betragen schlecht. Schwierigkeiten für die Theologin Dorothee Sölle. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Red: Hansgeorg Dickmann. Mit u.a.: Dorothee Sölle, Eckhard Lessing, Manfred Mezger, 7. 2. 1974, 9'37 Min. Kein Geld für private Forscher. Zum Beispiel Eberhard Trumler. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente, 13. 6. 1974, 10'17 Min. Von Wölfen und Hunden. HR, FS – Kunst und Literatur, 8. 10. 1974, 55'45 Min. Subventionierter Geniekult: Das Intendantenkarussell. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Mit: Christoph von Dohnanyi, August Everding, Hans Maier, Hans Herdlein, Dieter Biallas, 14. 11. 1974, 13'37 Min. ‚Ich bekenne, ich habe gelebt‘. Pablo Nerudas Memoiren. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente: Red.: Swantje Ehrentreich, 9. 1. 1975, 14'07 Min. [mit Wilfried Scharlau] Kunst für die Welt. „Prinzip Weiß“ als Entwicklungshilfe. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente. Mit: Hans Arnold, Thomas Grochowiak, 20. 2.1975, 12'16 Min.50 Von Wölfen und Hunden. HR, FS – Kunst und Literatur, 28. 2. 1976, 44'07 Min.

45 Zur Tagung des Deutschen PEN-Club (P.E.N.-Zentrum BRD) 1971. 46 Interview mit Urie Bronfenbrenner, Autor des Buches Zwei Welten – Kinder in USA und UdSSR. 47 Zu I. P. Pawlow ‚Die bedingten Reflexe‘, Erik Zimen ‚Wölfe und Königspudel‘, Lawick-Goodall ‚Unschuldige Mörder‘, Eberhard Trumler ‚Mit dem Hund auf Du‘. 48 Zur neuen Rechtschreibung. 49 Zum Kongreß ‚vernünftiger schreiben‘, veranstaltet von der GEW und dem PEN. 50 Zum Beitrag der Bundesrepublik auf der Triennale in New Dehli.

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Helen Thein

Gabriel García Márquez: Der Herbst des Patriarchen. HR, FS – Kunst und Literatur: Kultur aktuell, Für Leser. Ein Bücherjournal, 24. 4. 1978, 22'12 Min. Vgl.: Die Grausamkeit und das Zarte. Gabriel García Márquez’ gewagtestes Buch „Der Herbst des Patriarchen“, auf deutsch erschienen. In: Die Weltwoche, 10. 5. 1978. Wiederentdeckung der Literatur der Zwanziger Jahre. HR, FS – Kunst und Literatur: Kultur aktuell, Bücherreport. Mod.: Wilfried F. Schoeller, 13. 11. 1978, 11'25 Min.51

Diskussionsteilnehmer Über Deutschland [Fernsehspiel und Diskussion zu Müller: Über Deutschland]. NDR, FS – Spiel. Red.: Egon Monk, Autor: Richard Matthias Müller, Diskussionsleiter: Roland H. Wiegenstein. Mit: Johannes Gross, Richard M. Müller, Walter Boehlich, 2 Teile und Diskus­sion, 22. 9. 1965, 15. 12. 1965, 139'15 Min. Wdhlg.: NDR, 2. 12. 1966. Bildung und Gesellschaft: Buch und Öffentlichkeit. HR, FS – Erwachsenenbildung. Red.: Wolfgang Vogel. Diskussionsleiter: Ludwig von Friedeburg. Mit: Helmut Heißenbüttel, Rolf Becker, Ulrich Sonnemann, Walter Boehlich, 5. 12. 1966, 75'02 Min. Beckett – gegen seine Liebhaber verteidigt, oder Versuch, einen Mythos zu verhindern. Red. Martin Lüdke. Diskussionsleiter: Hans-Geert Falkenberg. Mit: Theodor W. Adorno, Martin Esslin, Ernst Fischer, Walter Boehlich. HR, FS – Kultur und Musik: Ende offen, 2. 2. 1968, 139'57 Min. [Sendeprotokoll, 55 S.]. Wdhlg.: NDR 3, 17. 2. 1968. Wdhlg.: HR, FS,1968. Überarb. publ. als: „Optimistisch zu denken ist kriminell“. Eine Fernsehdiskussion über Samuel Beckett. In: Frankfurter Adorno Blätter 3 (1994), S. 78–122. Theater-Donner 69. Diskussion zum Film „Das Stück heißt Revolution“. Red.: Klaus Simon. Diskutierende: Peter Stolzenberg, Boleslav Barlog, Martin Walser, Rudolf Krämer-Badoni, Kurt Hübner, Henning Rischbieter, Jürgen Fischer, Karlheinz Braun, Walter Boehlich, Wolfgang Wiens, Fritz Kortner. WDR, 12. 6. 1969, 31'39 Min. Alle Macht den Lektoren? Diskussion im Vorgriff auf die Frankfurter Buchmesse. Diskus­ sionsleiter: Hans-Geert Falkenberg, Diskutierende: Fritz J. Raddatz, Frank Benseler, Günter Grass, Walter Boehlich, Carl Hansen, Heinz Friedrich. WDR – Ende offen. 10. 10. 1969, 125'00 Min. Deutsche Kultur auf zwei Gleisen. Autor: Dieter Hildebrandt. Interview mit Walter Boehlich. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente, 23. 3. 1970, 13'45 Min.52 51 Boehlich sprach über Oskar Maria Graf: Wir sind Gefangene, Arnold Zweig: Der Streit um den Sergeanten Grischa, Lion Feuchtwanger: Erfolg, Erik Reger: Union der festen Hand, Theodor Plivier: Der Kaiser ging, die Generäle blieben, Edlef Köppen: Heeresbericht. 52 Zum Kulturaustausch BRD-DDR.

Walter Boehlich – Bibliographie 

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Die Literaten organisieren sich. Autor: Peter Hamm. Mit: Frank Benseler, Heinrich von Nussbaum, Walter Boehlich, Hans Noever, Dieter Lattmann, Ingeborg Drewitz, Dolf Sternberger, Heinrich Böll. HR, FS – Kunst und Literatur: Titel, Thesen, Temperamente, 20. 4. 1970, 9'20 Min. Es war einmal ein Parlament: Zum 125. Jahrestag der Nationalversammlung in der Pauls­ kirche zu Frankfurt am Main. WDR – Kultur aktuell, Ende offen: großer Abend. Diskussionsleiter: Fritz J. Raddatz, Diskutanten: Dieter Rebentisch, Dieter Hartmann, Walter Boehlich, Bernd Schriewer, Wilhelm Vollmann, Klaus Ewertz u.a., 18. 5. 1973, 97'20 Min. Der neue Brockhaus und sein Weltbild. WDR – Ende offen. Autor: Otto Köhler. Diskussionsleiter: Peter Laudan. Red. Zuständigkeit: Michael Gramberg; Diskussionsteilnehmer: Wilhelm Hennis, Immanuel Geiss, Walter Boehlich, Otto Köhler, 22. 11. 1974, 90'34 Min. Thomas Mann als politischer Schriftsteller. SWF – Information, Open-End. Regie: W. Ruch. Mod.: Jürgen Lodemann, mit: Peter Wapnewski, Gerd Haedecke, Walter Boehlich, Kurt Sontheimer, Martin Walser, Marcel Reich-Ranicki, Sabine Schmitz, Christel Körner, Roland Mayer, 7.  6. 1975, 112'10 Min. Das Geschäft des Übersetzens: Frankfurter Buchmesse [Live-Diskussion]. WDR – Ende offen: Wochenendforum. Diskussionsleiter: Hans-Geert Falkenberg. Red. Zuständigkeit: Annelen Kranefuss. Diskussionsteilnehmer: Günther Danehl, Helmut Scheffel, Walter Boehlich, Wieland Schulz-Keil, 17. 9. 1976, 89'10 Min. Intellektuelle und Antisemitismus. SFB, FS – Kultur: Arena, Streit vor Mitternacht. Red.: Justus Boehncke. Mit: Eberhard Knoedler-Bunte, Henryk M. Broder, Cilly Kugelmann, Walter Boehlich, 22. 11. 1983, 69'25 Min.53 „Spanien im Herzen“ – Nachdenken über eine spröde Liebe. HR, FS – Politik und Gesellschaft: Blickpunkt Ausland. Red.: Rüdiger Hertzog, Mod.: Wolf Hanke. Mit: Manfred Buchwald, Angel Vinas, Walter Boehlich, Enrique Baron, 6. 6. 1985, 44'00 Min. Unglaublich aber wahr? Hermann der Cherusker. HR, FS – Jugend- und Familienprogramm: Reportagen und Gespräche über Legenden und Tatsachen. Red.: Wolfgang Vogel. Mod.: Peter Milger, Hanne Rosemann. Mit: Horst Callies, Walter Boehlich, Hellmut Diwald, Heinz Brakemeier, Helmut Holländer, 13. 1. 1986, 68'10 Min. In der Schirn: 13. Römerberggespräche. HR, FS – Kunst und Gestaltung: Kulturkalender Frankfurt. Red. und Autorin Lucie Herrmann. Interview mit Walter Boehlich. 5. 6. 1986, 3'00 Min. Beckett-Abend. Gespräch: Martin Lüdke, Walter Boehlich [zur Fernsehdiskussion „Über Samuel Beckett“ vom 2. 2.1968]. HR, FS – Kultur und Musik. Red. und Interview: Martin Lüdke, 30. 12. 1989, 10'40 Min.

53 Anlässlich eines offenen Briefes von Broder in der „Zeit“ zu Antisemitismus unter deutschen Intellektuellen.

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Helen Thein

Peter Weiss – eine Wiederentdeckung. Talkshow für Peter Weiss. HR, FS – Literatur. Red.: Wilfried F. Schoeller, Mod.: Wilfried F. Schoeller, Martin Lüdke. Mit: Gunilla Palmstierna-Weiss, Walter Boehlich, Karlheinz Braun, Rolf Hochhuth, Hellmuth Karasek, Burkhardt Lindner, Ulrich Schreiber, 8. 9. 1990, 126'41 Min. Bücher, Bücher [zum Werk des Literaturnobelpreisträgers 1990 Octavio Paz]. HR, FS – Literatur. Red. und Interview: Wilfried F. Schoeller, Studiogast: Walter Boehlich. 2. 10. 1990, 8'00 Min. Gespräch mit den Intellektuellen Walter Boehlich und Lothar Baier [Gespräch über den Golfkrieg]. HR, FS – Kultur und Musik: City. Red.: Barbara Dickenberger, Mod.: Samuel H. Schirmbeck, 19. 1. 1991, 50'17 Min. Die Fassbinder-Kontroversen. HR, FS – Kunst und Gestaltung: Kulturkalender. Red.: ­Regina Heidecke, Autorin: Christa Spatz. Interview mit Walter Boehlich, 3. 5. 1992, 4'02 Min. [zu Fassbinder: Der Müll, die Stadt und der Tod]. Studiogäste: Trude Simonson, Walter Boehlich. HR, FS – Kultur und Musik: City. Mod.: Ruth Fühner, 9. 5. 1992, 12'00 Min. Studiogast: Walter Boehlich [als Träger des Hessischen Kulturpreises in der Sparte Kulturvermittlung]. HR, FS – Kultur und Musik. City. Red.: Franziska Kutschera, Günter Lüdcke, Mod.: Ruth Fühner, 4. 12. 1996, 7'10 Min.

Fernsehsendungen nach „1848“ Es war einmal ein Parlament. Collage von Dieter Mendelsohn unter Verwendung von Ausschnitten aus der szenischen Dokumentation „1848“ von Walter Boehlich. WDR, 18. 5. 1973, 59'53 Min. Die Paulskirche. Regie: Carlheinz Caspari. Produktion: TDF/SRG/ORF. Ursendung: ZDF, [17.] 20. 3. 1980. Walter Boehlich: 1848. HR, FS – Aktuelle Kultur: Bücher, Bücher. Red.: Anke Schnackenberg, Autor: Thomas Rautenberg, 15. 3. 1998, 2'16 Min.

Die Autoren / Autorinnen

Ulrike Baureithel geb. 1957, Studium der Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie, lebt seit 1990 als Redakteurin der Wochenzeitung Freitag, freie Journalistin und Lehrbeauftragte in Berlin. Neben journalistischen Veröffentlichungen zahlreiche Aufsätze zur Literatur der Weimarer Republik und zeithistorischen Themen. Roland Berbig geb. 1954, Promotion 1981, anschließend Lehrtätigkeit an der Hochschule für Film und Fernsehen, Potsdam-Babelsberg, seit 1985 Wissenschaftlicher Assistent an der Sektion Germanistik der Humboldt-Universität zu Berlin, seit 1992 verantwortlich für das Archiv für Regionalliteratur am Institut für deutsche Literatur, 1994 Habilitation über Schriftstellerprofile und literarische Vereine im 19. Jahrhundert, seit 2000 Akademischer Oberrat und Professor. Publikationen u.a. (Hrsg.) Fontane als Biograph. Berlin: de Gruyter 2010. (Hrsg.) Theodor Storm – Gebrüder Paetel. Briefwechsel. Kritische Ausgabe. Berlin: Schmidt 2006. Stille Post. Inoffizielle Schriftstellerkontakte zwischen West und Ost. Von Christa Wolf über Günter Grass bis Wolf Biermann. Berlin: Links 2005. Manuela Böhm geb. 1972, Studium der germanistischen Linguistik, Literatur- und Politikwissenschaften sowie der Philosophie in Potsdam, Paris und Rennes, seit 2000 Mitarbeiterin, seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für deutsche Sprachgeschichte des Instituts für Germanistik der Universität Potsdam, seit 2010 an der Universität Kassel. Derzeit Arbeit an der Herausgabe und Übersetzung der kulturkritischen Schriften von Friedrich II. (gemeinsam mit Joachim Gessinger).

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Publikationen u.a.: Sprachenwechsel. Akkulturation und Mehrsprachigkeit der Brandenburger Hugenotten vom 17. bis 19. Jahrhundert. Berlin: de Gruyter 2010 (= Studia Linguistica Germanica). (Mithrsg.) Hugenotten zwischen Migration und Integration. Neue Forschungen zum Refuge in Berlin und Brandenburg. Berlin: Metropol 2005. (Mithrsg.) Ein gross vnnd narhafft haffen. Festschrift für Joachim Gessinger. Potsdam: Universitätsverlag 2005. Richard Faber geb. 1943, Studium der Germanistik, Geschichte, Politologie, Philosophie, Religionswissenschaft und Soziologie an der Freien Universität Berlin, 1973 Promotion in Philosophie. 1977 Habilitation mit einer Arbeit zur Kritik der Konservativen Revolution. Privatdozent für Soziologie (insbesondere Soziologie der Literatur) an der Freien Universität Berlin, seit 2006 Honorarprofessor. Publikationen u.a.: (Mithrsg.) Aufklärung in Geschichte und Gegenwart. Würzburg: Königshausen & Neumann 2010. (Mithrsg.) Leidenschaft und Vernunft. Die öffentliche Intellektuelle Susan Sontag. Würzburg: Königshausen & Neumann 2010. Deutschbewusstes Judentum und jüdischbewusstes Deutschtum. Der Historische und Politische Theologe Hans-Joachim Schoeps. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008. Stefan Goldmann geb. 1957, Studium der Germanistik, Ethnologie, Literaturwissenschaft und Psychologie an der Freien Universität Berlin. 1991 Promotion, 2003 Habilitation, seither Privatdozent für Neuere deutsche Literatur an der Universität Potsdam, seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Karl-Philipp-Moritz-Ausgabe an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, dort mit der Edition der Psychologischen Schriften beauftragt. Beteiligt an der digitalisierten Ausgabe des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde (1783–1793). Publikationen u.a.: (Hrsg.) Hermann Sudermann: Der Wunsch. Hannover: Wehrhahn 2009. (Hrsg.) Traumarbeit vor Freud. Quellentexte zur Traumpsychologie im späten 19. Jahrhundert. Gießen: Psychosozial 2005. Via regia zum Unbewußten. Freud und die Traumforschung im 19. Jahrhundert. Gießen: Psychosozial 2003. Peter Uwe Hohendahl geb. 1936, Studium der Deutschen Literatur, Geschichte und Philosophie. 1964 Promotion. Ab 1968 Associate Professor an der Washington University, St. Louis, seit 1972 Leiter der Deutschen Abteilung. 1977 Wechsel zur Cornell University, ab 1981 Leiter der dortigen

Die Autoren und Autorinnen 

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Deutschen Abteilung, 1992–2007 Leiter des interdisziplinären Institute for German Cultural Studies. Seither Jacob Gould Schurman Professor of German and Comparative Literature. Mitherausgeber der Reihen Probleme der Dichtung und Signale. Modern German Letters, Cultures, and Thought. Publikationen u.a.: Heinrich Heine: Europäischer Schriftsteller und Intellektueller. Berlin: Schmidt 2008. German Studies in the United States. New York: Modern Language Association of America 2003. Öffentlichkeit. Geschichte eines kritischen Begriffs. Stuttgart: Metzler 2000. Peter Jehle geb. 1954, Gymnasiallehrer für Spanisch und Französisch, seit 1987 Redakteur, seit 2005 Mitherausgeber der Zeitschrift Das Argument. Ab Band 7 Mitherausgeber der Gefängnishefte von Antonio Gramsci. Seit 2008 Mitherausgeber des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus. Publikationen u.a.: Zivile Helden. Theaterverhältnisse und kulturelle Hegemonie in der französischen und spanischen Aufklärung. Hamburg: Argument 2010 (= Argument-Sonderband; 306). (Hrsg.) Werner Krauss: Briefe 1922–1976. Frankfurt/M.: Klostermann 2002. Werner Krauss und die Romanistik im NS-Staat. Hamburg, Berlin: Argument 1996 (= Argument-Sonderband; 242). Christoph Kapp geb. 1977, Studium der Philosophie, Literaturwissenschaft und Neueren Geschichte von 1998 bis 2009 an der Freien Universität Berlin und der Universität Potsdam. Seit Mai 2010 Stipendiat am Walther Rathenau Graduiertenkolleg des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam, promoviert zu Walter Boehlich. Claus Kröger nach kaufmännischer Ausbildung und Tätigkeit Studium der Geschichtswissenschaft, Philosophie und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bielefeld. Schreibt an einer Dissertation zur Politisierung des westdeutschen Buchmarktes 1959–1976. Seit 2010 Koordinator des Bielefelder Sonderforschungsbereichs „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“. Publikationen u.a.: (Mithrsg.) Siegfried Unseld, Chronik 1970. Mit den Chroniken Buchmesse 1967, Buchmesse 1968 und der Chronik eines Konflikts 1968. Berlin: Suhrkamp 2010. (Mithrsg.) „fuer Zwecke der brutalen Verstaendigung“. Hans Magnus Enzensberger – Uwe Johnson. Der Briefwechsel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009. „Establishment und Avantgarde zugleich“? Siegfried Unseld und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1967/68. In: Ingrid Gilcher-Holtey (Hrsg.): Zwischen den

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Fronten. Positionskämpfe europäischer Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Akademie 2006, S. 311–331. Matthias N. Lorenz geb. 1973, Studium der Kulturwissenschaften in Leipzig und Lüneburg, 2000-2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Lüneburg im Fachbereich Kulturwissenschaften, 2004 Promotion mit einer Arbeit über Martin Walser, seit 2006 Wissenschaftlicher Assistent für Germanistische Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Universität Bielefeld, Vertretungsprofessur an der TU Dortmund, 2010 Ludwig Hirschfeld-MackGastprofessor für German Studies an der University of Western Australia, Perth. Publikationen u.a.: (Mithrsg.) Täter und Tabu: Grenzen der Toleranz in deutschen und niederländischen Geschichtsdebatten. Essen: Klartext 2011. (mit Torben Fischer) Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld: Transcript 2007, (2. Aufl.) 2009. „Auschwitz drängt uns auf einen Fleck.“ Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. Stuttgart: Metzler 2005. Helmut Peitsch geb. 1948, Studium der Germanistik, Politologie und Philosophie an der Freien Universität Berlin, Staatsexamen, Promotion zu Georg Forster, Wissenschaftlicher Assistent am Fachbereich Germanistik der FU Berlin, 1983 Habilitation. Ab 1985 Lecturer in Leeds und Swansea, ab 1992 Professor an der New York University, ab 1994 an der University of Wales, Cardiff, seit 2001 in Potsdam für Neuere deutsche Literatur. Publikationen u.a.: (Mithrsg.) Walter Boehlich: Die Antwort ist das Unglück der Frage. Ausgewählte Schriften. Frankfurt/M.: Fischer 2011. Nachkriegsliteratur 1945–1989. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. „No Politics“? Die Geschichte des deutschen PEN-Zentrums in London 1933–2002. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. Berthold Petzinna geb. 1954 in Essen, Studium der Geschichte, Philosophie und Kunstgeschichte an der Ruhr-Uni Bochum, Promotion bei Hans Mommsen mit einem Thema zum Jungkonservatismus in der Weimarer Republik, Tätigkeit im Schuldienst, Hochschuldienst, Archivwesen und der Markt- und Medienforschung. Publikationen u.a.: „Todesglöckchen des bürgerlichen Subjekts“ – Joyce, Beckett, Eliot und Pound. In: Simone Barck, Siegfried Lokatis (Hrsg.): Fenster zur Welt. Eine Geschichte des DDRVerlages Volk & Welt. Berlin: Links 2003.

Die Autoren und Autorinnen 

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Erziehung zum deutschen Lebensstil. Ursprung und Entwicklung des jungkonservativen Ring-Kreises. Berlin: Akademie 2000. Im Spiegelkabinett. Zum Bild der Romantik im Umkreis der Konservativen Revolution. In: Hartwig Schulz (Hrsg.): „Die echte Politik muß Erfinderin sein“. Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloqiums zu Bettina von Arnim. Berlin: Saint-Albin 1999. Julius H. Schoeps geb. 1942 in Schweden, Studium der Geschichte, Geistesgeschichte, Politik- und Theaterwissenschaft in Erlangen und Berlin, ab 1974 Professor für Politische Wissenschaft und Direk­tor des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts an der Universität Duisburg, ab 1991 Professor für Neuere Geschichte (Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte), seit 1992 Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums an der Universität Potsdam. Seit 2009 Seniorprofessur und Mitbegründer des Kollegiums Jüdische Studien am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin. Publikationen u.a.: (Mithrsg.) Verfemt und Verboten. Vorgeschichte und Folgen der Bücherverbrennungen 1933. Hildesheim: Olms 2010. Das Erbe der Mendelssohns. Biographie einer Familie. Frankfurt/M.: Fischer 2009. (Mithrsg.) Feindbild Judentum. Antisemitismus in Europa. Berlin: vbb 2009. Jürgen Schutte geb. 1938, Promotion 1973, Habilitation 1981, ab 1992 am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin tätig, Kurator der Ausstellung über die Gruppe 47 (1988) und der Peter Weiss-Retrospektive in Berlin und Stockholm (1991), zusammen mit Gunilla Palmstierna-Weiss. Publikationen u.a.: (Mithrsg.) Diesseits und jenseits der Grenze: Peter Weiss – Manfred Haiduk. Der Briefwechsel 1965–1982. St. Ingbert: Röhrig 2010. (Mithrsg.) Peter Weiss: Kopenhagener Journal. Wallstein: Göttingen 2006. (Hrsg.) Peter Weiss: Die Notizbücher. Kritische Gesamtausgabe [CD-ROM], Berlin: directmedia 2006 (Digitale Bibliothek; 149). Helen Thein geb. 1969, Ausbildung zur Bibliotheksfacharbeiterin, Studium der Gender Studies und Jüdische Studien in Berlin und Potsdam, 2005–2008 Stipendiatin des Graduiertenkollegs „Makom“, promoviert zum Antijudaismus von Simone Weil, 2008–2010 Mitarbeiterin der Walter Boehlich-Bibliothek am Moses Mendelssohn Zentrum, seit 2010 Bibliotheksmitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Publikationen u.a.: (Mithrsg.) Walter Boehlich: Die Antwort ist das Unglück der Frage. Ausgewählte Schriften. Frankfurt/M.: Fischer 2011.

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Anhang

„Die Schindergäßchen der Kritik“. Die Bibliothek von Walter Boehlich (1921–2006). In: Sünje Prühlen u.a. (Hrsg.): Sammler und Bibliotheken im Wandel der Zeiten. Frankfurt am Main: Klostermann 2010, S. 237–257. (mit Helmut Peitsch) Walter Boehlich (1921–2006). „Wer nicht las, galt nicht“. In: Ines Sonder u.a. (Hrsg.): „Wie würde ich ohne Bücher leben und arbeiten können?“ Privatbibliotheken jüdischer Intellektueller im 20. Jahrhundert. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2008, S. 83–112. Matthias Uecker geb. 1962, Studium der Germanistik, Geschichte und Erziehungswissenschaft an der Universität Essen, Promotion über Kulturpolitik im Ruhrgebiet der Weimarer Republik (1993), Lehrtätigkeit an britischen und irischen Universitäten, seit 2005 Professor of German an der University of Nottingham. Publikationen u.a.: Wirklichkeit und Literatur. Strategien dokumentarischen Schreibens in der Weimarer Republik. Bern: Lang 2007. Berlin – Wien – Prag. Moderne, Minderheiten und Migration in der Zwischenkriegszeit / Modernity, Minorities and Migration in the Inter-War Period. Bern: Lang 2001. Antifernsehen? Alexander Kluges Fernsehproduktion. Marburg: Schüren 2000. Peter Urban geb. 1941, Studium der Slawistik in Würzburg und Belgrad, ab 1966 Lektor im Suhrkamp Verlag, 1968-1974 freier Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt/M., anschließend Dramaturg im Hörspiel des WDR, 1977–1989 Lektor und Delegierter im Verlag der Autoren (Gründungsmitglied), 2001 Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Erhielt u.a. 2008 den Turgenev-Preis, 2000 den Anerkennungspreis des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung. Publikationen u.a.: (Übers.) Nikolaj Gogol: Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen. Berlin: Friedenauer Presse 2009. (Übers.) Leonid Dobycin: Die Stadt N. Berlin: Friedenauer Presse 2009. (Übers.) Michail Lermontov: Ein Held unserer Zeit. Berlin: Friedenauer Presse 2006. Thomas Wegmann geb. 1962, Studium der Germanistik, Philosophie und Anglistik in Essen, Dublin und Berlin. 1995–2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Germanistik der Freien Universität Berlin, 2000 Promotion. Seit 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Literatur. 2005 und 2008 Visiting Professor an die University of Virginia sowie die Cornell University der USA. Seit 2010 am Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ (SFB 626) an der Freien Universität.

Die Autoren / Autorinnen 

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Publikationen u.a.: Dichtung und Warenzeichen: Zur Beobachtung und Bearbeitung von Reklame im literarischen Feld 1850-2000. Göttingen: Wallstein 2011. (Hrsg.) Markt literarisch. Bern: Lang 2005. (Gastredakteur) Text und Kritik, H. 31/32: Walter Benjamin, 3. Aufl., Neufassung 2009. Daniel Weidner geb. 1969, Studium der Philosophie, Soziologie, Germanistik und Wissenschaftstheorie in Freiburg, Jena und Wien, Promotion am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der FU Berlin mit einer Arbeit über Gershom Scholems esoterisches und historiographisches Schreiben (2000), seither wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin, 2009 Habilitation. Publikationen u.a.: Bibel und Literatur um 1800. Paderborn: Fink 2011. (Hrsg.) Profanes Leben. Walter Benjamins Dialektik der Säkularisierung. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2010. (Mithrsg.) Bibel als Literatur. Paderborn: Fink 2008.

Bildnachweise

S. 2: Widmung: Harry Rowohlt, Walter Boehlich-Bibliothek des Moses Mendelssohn Zentrums, Potsdam, mit freundlicher Genehmigung von Harry Rowohlt S. 16, 42, 68, 132: Familienarchiv Boehlich, Mappe Walter Boehlich, mit freundlicher Genehmigung von Sabine Boehlich S. 56, 252: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin S. 84: Widmung: Ernst Robert Curtius, Walter Boehlich-Bibliothek des Moses Mendelssohn Zentrums, Potsdam S. 100, 180: mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages S. 142: Foto: Elisabeth Johnson, mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages S. 114: mit freundlicher Genehmigung des Verlages Hoffmann und Campe S. 164: Peter Weiss-Archiv, Akademie der Künste, Berlin S. 214: Lukács-Archiv, mit freundlicher Genehmigung von Frank Benseler S. 228: Foto: Hans Puttnies S. 266: Foto: Isolde Ohlbaum S. 272: mit freundlicher Genehmigung von Katharina Wagenbach-Wolff S. 286: Zeichnung: Hilke Raddatz, Grafik im Besitz der Walter Boehlich-Bibliothek des Moses Mendelssohn Zentrums, Potsdam, mit freundlicher Genehmigung von Hilke Raddatz S. 306: Foto: Erika Sulzer-Kleinemeier