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German Pages 447 [451] Year 2005
PHENOMENOLOGY & MIND Herausgegeben von / Edited by Arkadiusz Chrudzimski • Wolfgang Huemer Band 4 / Volume 4
Ralf Busse
Wahrnehmung, Indexikalität und Reflexion Hector-Neri Castañedas Ontologie und Wahrnehmungstheorie und die Möglichkeit einer phänomenologischen Reflexion
ontos verlag Frankfurt I Paris I Ebikon I Lancaster I New Brunswick
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2005 ontos verlag P.O. Box 15 41, D-63133 Heusenstamm nr Frankfurt www.ontosverlag.com ISBN 3-937202-76-5
2005
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Für Moni und Horst
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EINS Die phänomenologische Reflexion und Loars und Sellars‘ Scheitern an ihrer Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die reflexive Aufweisbarkeit phänomenaler Züge . . . . . . . . . . . II. Brian Loars Theorie phänomenaler Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die zentrale Rolle ‚phänomenaler‘ Begriffe bei Loar . . . . . . 2. Phänomenale Begriffe als besondere selbst-orientierte Rekognitionsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wilfrid Sellars: Sinneseindrücke ohne ‚Mythos des Gegeben‘ 1. Sellars‘ Versuch: Ablehnung des ‚Mythos des Gegebenen‘, aber positive Funktion für Sinneseindrücke . . . . . . . . . . . . . . 2. Sellars‘ via antiqua: Postulieren von Sinneseindrücken, analogisch-modellbezogene Begriffsbildung und ultimative Homogenität der wahrnehmbaren Eigenschaften . . . . . . . . . . 3. Sellars‘ via moderna: Phänomenologie und Rekategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Konsequenzen aus der Diskussion von Loar und Sellars . . . . . .
7 11 11 17 17 24 30 30
39 60 73
ZWEI Castañedas Projekt einer phänomenologischen Ontologie . . . . . 81 I. Castañedas Methodologie und das Projekt einer phänomenologischen Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Grundzüge von Castañedas Methode und die strikt internalistische Fassung des phänomenologisch-ontologischen Projekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Gewöhnliche Gegenstände in einer internalistischen Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 II. Grundzüge und Probleme der allgemeinen Theorie der Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Wesentliche Prinzipien der Gestaltungstheorie und Erläuterung ihrer ‚kanonischen Notation‘. . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Probleme: Konflation, Konsoziation und relationale Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
DREI Der erfahrungshafte und ausführungshafte Charakter von Bezugnahmen in der ersten Person Singular . . . . . . . . . . . . Castañedas These des erfahrungshaft-präsentational-ausführungshaften Charakters indexikalischer Bezugnahmen und ihre besondere Problematik hinsichtlich der ersten Person Singular . II. Die begriffliche Falschheit der Beispielaussage (BA) als Datum und das Problem ihrer Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die begriffliche Falschheit der Beispielaussage (BA) . . . . . . 2. Erklärungsversuch mit D. Lewis‘ funktionalistischer Theorie 3. Das Verbindungsproblem und seine Lösung durch eine Verbindungsklausel mit Striktheitsanforderungen . . . . . . . . . III. Die Ganzheits- und Organisationsgestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I.
VIER Manifest präsentierendes Bewußtsein, abstraktes Denken und Daten über den demonstrativen Inhalt des Wahrnehmens . . I. Manifest präsentierendes Bewußtsein und abstraktes Denken . . 1. Der Begriff der manifeste Präsenz eines Inhaltes und zwei Anwendungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der zeichenhafte und operational-diagrammatische Charakter des abstraktes Denken und die natürliche Sprache als Mittel des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutungskonstitutive Dispositionen und die Inhalte des abstrakten Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutungskonstitution durch Gebrauchsdispositionen . . . . . 2. Einige Aspekte von Horwichs Theorie und Differenzen zu Castañedas Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aspekte der phänomenologischen Linguistik der Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wichtige Aspekte der phänomenologische Linguistik der Wahrnehmung: Zuschreibungs- und Ausdrucksformen von perzeptuellen Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwendungen von Demonstrativa zum Ausdruck perzeptueller Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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FÜNF Wahrnehmungsfelder und die Reflexion auf ihre Inhalte . . . . . . I. Wahrnehmungsfelder und ihre räumliche Struktur . . . . . . . . . . . 1. Wesentliche Bestimmungen und Probleme von Castañedas Theorie der Wahrnehmungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Deutung eines antireduktionistischen Argumentes: Die Vereinbarung von interner Perspektivität und voluminöser Dreidimensionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweite Deutung: Die natürliche Räumlichkeit von Feldelementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Demonstrativ-perzeptuelle Inhalte, Revision der Gestaltungstheorie und eine Erklärung der phänomenologischen Reflexion 1. Die offizielle Form demonstrativer Gestaltungen und ihre Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eine revidierte Auffassung perzeptueller Felder und Konsequenzen für Grundbegriffe der Gestaltungstheorie . . . . 3. Das bewußte ‚Eindringen‘ in Felder und die Hierarchie propositionaler Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Einheit des abstrakten Dies-Denkens und des manifesten Präsentierens eines Gestaltcharakteristikums und die phänomenologische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang: Die wichtigsten Notationen der Gestaltungstheorie . . . . . . . . . 427 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
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Einleitung Viele Philosophen sind überzeugt, daß unsere bewußten Erlebnisse durch besondere Charakteristika gekennzeichnet sind – durch Qualia oder, um einen kategorial neutralen Ausdruck zu verwenden, durch phänomenale Züge. Viele halten sie für intrinsische Charakteristika der Erlebnisse, andere hingegen für externe Bestimmungen, die aufgrund kontingenter Verhältnisse Inhalte der Erlebnisse sind. Im zweiten, externalistischen Lager wird eingeräumt, daß diese Auffassung erhebliche Probleme hat zu erklären, wie wir wissen können, daß wir phänomenale Erlebnisse haben – daß wir keine ‚Zombies‘ sind.1 Die Internalisten sind hier sicherlich im Vorteil. Ihnen zufolge sind phänomenale Züge intrinsische Bestimmungen der je eigenen Erlebnisse selbst. Jeder sollte ihrer daher grundsätzlich habhaft werden können, indem er sich auf seinen eigenen geistigen Zustand besinnt. Internalistische Qualia-Freunde nehmen typischerweise diese Fähigkeit in Anspruch, phänomenale Züge in der Einstellung der ersten Person auszumachen. Viele von ihnen ergreifen jedoch zugleich Sicherheitsmaßnahmen, die es ihnen erlauben zu behaupten, die wahre Natur dieser Phänomene lasse sich grundsätzlich in der unpersönlichen Sprache der Naturwissenschaft erfassen. Aber reicht die bloße Annahme, phänomenale Züge seien intrinsische Bestimmungen von Erlebnissen, bereits aus, um erklären zu können, wie wir in einer phänomenologischen Reflexion von ihnen als ausgezeichneten Charakteristika unseres geistigen Lebens wissen können? Ich werde zunächst im ersten Teil der Arbeit an zwei physikalistisch gesonnenen Qualia-Internalisten zeigen, daß es sich keineswegs so einfach verhält: Die ganz unterschiedlichen Konzeptionen B. Loars und W. Sellars‘ scheitern beide beim Versuch, das Ausmachen phänomenaler Züge in der Einstellung der ersten Person zu erklären. Dieses zweifache Scheitern läßt den Schluß zu, daß physikalistisch-internalistische Qualia-Freunde das Problem der reflexiven Einsicht in das Auftreten von Qualia erheblich unterschätzen. Das bedeutet zunächst, daß wir es uns einfach nicht leisten können, die Aufklärung der Möglichkeit eines reflexiven Ausmachens phänomenaler Züge durch physikalistische Vorannahmen zu belasten. Allgemeiner bedeutet es, daß wir diese Aufklärung mit gar keiner objektivisti1
Siehe F. Dretske, Zombie.
8 schen Annahme dahingehend belasten sollten, daß sich die wahre Natur phänomenaler Qualitäten in einer wissenschaftlichen, gänzlich unpersönlichen Theorie angeben läßt. Darüber hinaus bedeutet es aber, daß die Aufklärung am ehesten von einer Theorie zu erwarten ist, die unseren gesamten kognitiven Weltumgang internalistisch konzipiert: Sie sollte alle Inhalte und Strukturen der Welt, soweit sie Gegenstand unserer denkenden Erfahrung sein können, in unserem bewußten Geist konstituiert sehen. Das heißt nicht, daß die Wahrheit von Gedankeninhalten von unserem Erleben abhängig gemacht wird. Das Vorgehen in dieser Arbeit beruht auf der Entscheidung, in Hector-Neri Castañedas theoretischer Philosophie das konzeptionelle Material zu suchen, mit dem sich eine internalistische Aufklärung des reflexiven Gewahrseins phänomenaler Züge erreichen läßt. Entgegen dem verbreiteten Umgang mit Castañedas Werk, der sich weitgehend darauf beschränkt, einige seiner Beobachtungen zu quasiindexikalischen Zuschreibungen aufzugreifen, werde ich mich im Detail auf seine Ontologie und Wahrnehmungstheorie einlassen. Viele der einzelnen Diskussionen sollten auch für Leser interessant sein, die nicht durch die Präsenz phänomenaler Züge umgetrieben werden. Dem Schwerpunkt von Castañedas Arbeiten entsprechend konzentriere ich mich auf phänomenale Züge perzeptueller Art und hier insbesondere auf visuelle Phänomene. Mein Vorgehen ist folgendes. In Teil EINS diskutiere ich die Vorschläge Loars und Sellars‘ und ziehe programmatische Konsequenzen aus ihrem Scheitern an der Erklärung der Reflexion. In Teil ZWEI präsentiere ich Castañeda als jemanden, der diesen Konsequenzen in ausgezeichneter Weise genügt. Zunächst erläutere ich die methodischen Auffassungen, die seinem Projekt einer phänomenologischen Ontologie zugrunde liegen. Vor dem Hintergrund der aus dem ersten Teil hervorgegangenen Erfordernisse lege ich dieses Projekt auf eine internalistische Konzeption geistiger Inhalte fest. Anschließend präsentiere und diskutiere ich detailliert seine allgemeine Ontologie, die Gestaltungstheorie, insbesondere hinsichtlich der Pluralität von Prädikationsformen, welche sie vorsieht. In Teil DREI erläutere ich Castañedas besondere Auffassung der ausführungshaft-erfahrungshaften Rolle indexikalischer Bezugnahmemechanismen. Diese Auffassung ist in der gegenwärtigen sprachphilosophischen Debatte besonders problematisch hinsichtlich der Bezugnahme in der er-
9 sten Person Singular. Da das Verständnis von ‚ich‘-Bezugnahmen jedoch sowohl für die Aufklärung der phänomenologischen Reflexion als auch für Castañedas metaphysische Deutung seiner gestaltungstheoretischen Ontologie wichtig ist, führe ich eine eigene Argumentation zugunsten des ausführungshaft-erfahrungshaften Charakters von ‚ich‘-Bezugnahmen. Den Kern bildet eine kritische Auseinandersetzung mit D. Lewis‘ funktionalistischer Theorie, die das Vokabular für geistige Zustände in Analogie zum genuin theoretischen Vokabular einer Wissenschaft versteht. Dem ersten Teil zufolge besteht das Hauptproblem bei der Erklärung der phänomenologischen Reflexion darin, ein geeignetes Verhältnis zwischen nicht-begrifflichem und begrifflichem Bewußtsein zu konzipieren. In Teil VIER lote ich zunächst die Reichweite der manifesten Präsenz nichtbegrifflicher Bewußtseinsinhalte aus. Dann entwickle ich auf der Basis von Castañedas Aussagen zur gedanklichen Aktivität und zur Bedeutungstheorie ein Konzept abstrakt-begrifflicher Inhalte – jedenfalls so weit, wie es für die weitere Diskussion erforderlich ist. Eine Brücke zur Wahrnehmungstheorie bildet der letzte Abschnitt, in dem ich Beobachtungen Castañedas zur ‚phänomenologischen Linguistik‘ demonstrativer Bezugnahmen kritisch untersuche. Teil FÜNF ist Castañedas gestaltungstheoretischer Konzeption des visuellen Wahrnehmungsbewußtseins gewidmet. Die erste Hälfte, FÜNF I, befaßt sich mit seiner Theorie der Wahrnehmungsfelder insgesamt, insbesondere hinsichtlich ihrer räumlichen Struktur und der räumlichen Lokalisierung einzelner Inhalte darin, die mit perzeptuell-demonstrativen Gestaltungen identifiziert werden. Es zeigt sich, daß Castañeda einerseits recht hat, die räumliche Struktur visueller Felder überaus ernst zu nehmen. Andererseits sind jedoch ziemlich fundamentale Änderungen an seiner Theorie perzeptueller Räume und der darin auftretenden Inhalte erforderlich. In der zweiten Hälfte, FÜNF II, wende ich mich den einzelnen Inhalten von Wahrnehmungsfeldern zu. Ich gelange zu einer revidierten Auffassung von Feldern als ganzen, ihrer einzelnen Inhalte und dem Verhältnis zwischen basalen und begrifflich verarbeiteten Wahrnehmungsinhalten. Ferner ergeben sich daraus spezifischere Auskünfte über fundamentale Kategorien der Gestaltungstheorie, besonders über die Prädikationsformen. Dieses konzeptionelle Material bildet die Basis der abschließenden Erklärung des phänomenologisch-reflexiven Gewahrseins perzeptueller Inhalte.
10 Grundlage der Arbeit ist meine Dissertationsschrift, die die PhilosophischHistorische Fakultät der Universität Heidelberg angenommen hat. Nach der Überarbeitung ist es mein dringendstes Bedürfnis, mich bei Friedrich Fulda und Andreas Kemmerling herzlich dafür zu bedanken, daß sie die Mühe der Begutachtung auf sich genommen haben. Darüber hinaus danke ich ihnen beiden, ganz besonders aber Harald Pilot für die philosophische Ausbildung und vielfältige Unterstützung. Ohne Harald wäre ich sicherlich mit Hector-Neri Castañedas Werk nicht in einer Intensität bekannt geworden, die diesen schließlich zum Helden meiner Dissertation werden ließ. Harald und Tobias Rosefeldt haben freundlicherweise verschiedene Ausschnitte der Arbeit in früheren Fassungen gelesen. Miriam Wildenauer aber, die wirklich den ganzen Text durchgearbeitet und tausende von kleinen, mittleren und großen Fehlern und Unklarheiten verhindert hat, danke ich dafür von ganzem Herzen. Ohne Tobias‘ und Miriams stabilisierende Ermunterungen wäre die Arbeit wohl nicht fertig geworden. Hans Rotts großartige Unterstützung ermöglichte mir die Überarbeitung. Dem Land Baden-Württemberg sowie Andreas Kemmerling danke ich schließlich für die finanzielle Unterstützung.
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EINS Die phänomenologische Reflexion und Loars und Sellars‘ Scheitern an ihrer Erklärung
I. Die reflexive Aufweisbarkeit phänomenaler Züge 1. Credo: In einer Reflexion auf Wahrnehmungsepisoden läßt sich die Existenz phänomenaler Züge aufweisen. Ich glaube folgendes: Sofern ich2 mich in einer geeigneten Situation visueller Wahrnehmung befinde, kann ich in eine Reflexion eintreten, in der ich einzelne Fälle von phänomenalen Zügen thematisieren kann. Um ein Beispiel für einen solchen Einzelfall eines phänomenalen Zuges zu nennen, muß ich mich Formulierungen der folgenden vorsichtigen Art bedienen: Ich meine beispielsweise dieses auf irgendeine Weise rote Etwas, das ich zwar gewöhnlich auf irgendeine Art einfach für meine Sammelmappe für Castañedas Aufsätze über das Privatsprachenargument halten würde und auch jetzt dafür halte, das ich in der Reflexion jedoch auf irgendeine außergewöhnliche Weise thematisiere, bei der ich davon absehe, daß es sich um diese Mappe handelt.3 Zunächst einige terminologische Erläuterungen: Aus hauptsächlich zwei Gründe sage ich „phänomenale Züge“, statt den in gegenwärtigen Debatten eingebürgerten Ausdruck „Qualia“ zu verwenden: Erstens sind die Standard-Umschreibungen dafür, was mit „Qualia“ gemeint ist, vom Typ „die Art, wie es ist, eine Erfahrung von der-und-der Sorte zu machen“ oder „die Art, wie rote Dinge (normalerweise) für uns aussehen“.4 Aber keine der beiden Umschreibungen überzeugt mich völlig als bloße, von theoreti2
Ich unterstreiche den Anfang der Pronomina der ersten Person Singular, die ich nicht qua Autor verwende. 3 Die Art der Abschwächung durch „irgendein“ und „irgendwie“ entnehme ich Wilfrid Sellars‘ späten Arbeiten. Ich übernehme jedoch nicht seine damit verbundene Konzeption der phänomenologischen ‚Einklammerung‘. Siehe dazu Unterabschnitt III.3.
12 schen Hintergrundannahmen unbeeinflußte Charakterisierung dessen, was ich in solchen Reflexionen auf meine Wahrnehmungserlebnisse thematisieren kann. Wenn Qualia Arten sind, wie es ist, eine gewisse Erfahrung zu machen, dann müßte ein Einzelfall eines Quale wohl so etwas wie eine Erfahrung sein. Doch in der genannten Reflexion kommt mir das irgendwie rote Etwas nicht klarerweise wie eine Erfahrung vor. Und wie ein Einzelfall einer Art, wie Dinge aussehen, kommt es mir erst recht nicht vor. Zweitens sollen Qualia auf jeden Fall Typen sein, die von etwas exemplifiziert werden können. Ich möchte hingegen einen Ausdruck verwenden, der selbst gegenüber den abstraktesten kategorialen Kontrasten neutral ist. Man kann unter Zügen5 kategorial ganz Verschiedenes verstehen: konkrete Einzeldinge wie die Kreidespur an der Tafel; Universalien wie einen Zug im Charakter, der einem bei mehreren Menschen auffällt; zu abhängigen Einzelnen individuierte Universalien, also im eingebürgerten Sprachgebrauch Tropen wie die Weiße dieses Blattes Papier, unterschieden von der qualitativ vollkommen gleichen Weiße des anderen Blattes – und womöglich noch weiteres. In einigen dieser Fälle ist die Ergänzung zu „Einzelfälle von phänomenalen Zügen“ offenbar redundant, in anderen nicht, speziell wenn man unter Zügen Universalien versteht. Einzelfälle phänomenaler Züge sind also einfach solche Züge, soweit diese schon etwas Einzelnes sein sollen, oder Exemplifizierungen solcher Züge, sofern diese etwas Typenhaftes sein sollen. Schließlich sage ich „phänomenal“ und nicht etwa „sinnlich“, weil letzteres zu stark konnotiert, daß es sich um etwas Rohes, Unverarbeitetes handelt, und auch darüber kann ich in der Reflexion nichts ausmachen. Daß ich in meiner Reflexion Einzelfälle phänomenaler Züge thematisieren kann, umfaßt zumindest folgendes, wobei ich nur bei einigen Charakterisierungen das Sellars’sche „irgendwie“ für erforderlich halte: Ich kann mich auf einen Einzelfall konzentrieren; ich kann meine Aufmerksamkeit auf ihn lenken und eine Zeitlang auf ihn oder vielleicht eine geeignete Abfolge von solcher Einzelfälle gerichtet halten kann. Ich kann sie auch zum Gegenstand eines begrifflichen Denkens machen. Dabei zeigen sich aller4
Zur ersten Redeweise siehe Th. Nagel, Bat, S. 519: „... there is something it is like to be that organism – something it is like for the organism“; zur zweiten D. Dennett, InsteadQualia, S. 142: „the ways things look to us (sound to us, smell to us, etc.)“. 5 Ich denke an eine Entsprechung des englischen Ausdrucks „features“.
13 dings extreme Unterschiede zwischen den Begriffen, die mir für eine urteilende Prädikation von diesen Einzelfällen zur Verfügung stehen: Ich hielte es auf keinen Fall für richtig, das in dieser Reflexion Thematisierte als einen Komplex organischer Moleküle zu beurteilen, nicht einmal ‚irgendwie‘; ich würde es auch nicht ohne Zögern irgendwie als Mappe für Aufsätze beurteilen; doch ich würde es ohne weiteres als irgendwie rot beurteilen. Mir stehen auch Mittel zur Verfügung, um meinem urteilenden Denken einen sprachlichen Ausdruck zu geben, wobei jedoch verschiedene Mittel Vor- und Nachteile aufweisen: Eine bloße demonstrative Phrase wie „das da“ scheint zunächst am ehesten geeignet, da ich mich nicht genötigt sehen muß, ein abschwächendes „irgendwie“ hinzuzufügen; doch ist dieses Mittel in der Mitteilung an andere oder der Notiz für sich selbst zu unspezifisch. Eine indexikalische Kennzeichnung wie „Das Objekt, das ich gerade mit voller Aufmerksamkeit sehe“ verlangt dagegen nach solchen „irgendwie“-Distanzierungen. Jedenfalls aber kann ich irgendwie auf den Einzelfall eines phänomenalen Zuges sprachlich bezug nehmen. Da sich die in der Reflexion gefällten Urteile demnach am besten unter Verwendungen singulärer Termini formulieren lassen, wobei die Verwendung schlichter demonstrativer Phrasen am unproblematischsten ist, dürfen wohl auch die Urteile selbst als singuläre oder spezifisch als demonstrative Urteile angesehen werden. Ich glaube, daß diese Urteile ein Wissen darstellen oder jedenfalls wissensartige epistemische Errungenschaften sind. Ich glaube ferner, daß eine ausführlichere Reflexion der angegebenen Art zu einem Bündel solcher singulärer Urteile über einen Einzelfall eines phänomenalen Zuges führen kann und dieses Bündel zu einem komplexen, in irgendeiner Art existenziellen Urteil berechtigt, nämlich daß es da in irgendeinem Sinne etwas gab oder gibt, das die-und-die Bestimmungen irgendwie aufweist. Und ich glaube, daß diese komplexen existenziellen Urteile eine sehr abstrakte Bestimmung enthalten, daß nämlich das Etwas, mit dem man es in dieser Reflexion zu tun hatte, etwas dem Typ nach ganz und gar Verschiedenes von den Einzeldingen ist, über deren Dasein man in der gewöhnlichen Welteinstellung urteilt oder das man in gewöhnlichen Urteilen voraussetzt, oder daß man ihm wenigstens in der gewöhnlichen Einstellung in einem ganz anderen Sinn Dasein zugesprochen hätte als in diesem Urteil, das aus einer Reflexion auf Wahrnehmungserlebnisse hervorgeht.
14 2. Die Erklärung der Möglichkeit einer gehaltvollen phänomenologischen Reflexion ist ein erhebliches Problem. Derartige Reflexionen mich in eine ernste Lage bringen, sofern ich mir Klarheit über das Thematisierte verschaffen möchte: Auf der einen Seite kann ich die begrifflichen Mittel, die mir inklusive ihrer sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten tatsächlich zur Verfügung stehen, nicht in der gewohnten unproblematischen Weise auf das Thematisierte anwenden. Genauer sehe ich mich zum einen gezwungen, die Anwendung passend erscheinender inhaltlicher Begriffe durch Modifizierung etwa durch ein „irgendwie“ vom gewöhnlichen Gebrauch abzusetzen; zum anderen kann ich auch kategoriale Begriffe wie ‚Es gibt‘ oder ‚Dasein‘ nur in modifizierter Form verwenden. Auf der anderen Seite gelange ich zu dem Urteil, daß es da irgendetwas gibt, dessen Dasein ich in meiner gewöhnlichen Einstellung nicht oder nicht in diesem Sinne in Rechnung gestellt hätte; und die nötigen Modifikationen, die die begriffliche Charakterisierung sowohl in inhaltlicher als auch in kategorialer Hinsicht zumindest stark entwerten, sowie der Umstand, daß ich nicht aus dem Stand angeben kann, welche Weise und welcher Sinn es sind, in denen es da etwas irgendwie Rotes in irgendeinem Sinne gibt, lassen mich zwar einsehen, daß meine begrifflichen Mittel in der Reflexion äußerst unbefriedigend sind; aber sie bringen mich nicht dazu, das Ergebnis der Reflexion zu verwerfen und zu sagen: da war gar nichts. Ich stehe deshalb nicht bloß vor der Frage, was es denn tatsächlich ist, worauf ich aufmerksam geworden bin. Selbst wenn jemand eine gehaltvolle Antwort auf diese Frage vorschlüge, bliebe das brisante Problem zu erklären, wie es möglich ist, in einer solchen eigenartigen Reflexion auf das Dasein dessen aufmerksam zu werden, womit man es diesem Vorschlag zufolge zu tun hat. Auf den Status dessen, worauf ich aufmerksam geworden bin, werde ich in dieser Einleitung mit Wendungen hinweisen, die das Adjektiv „anspruchsvoll“ enthalten (z.B. „phänomenale Züge mit einem anspruchsvollen Status“). Wenn die Reflexion auf Wahrnehmungserlebnisse nicht fehlgeleitet ist, dann verschafft sie einem Einsicht in die Existenz von phänomenalen Zügen mit einem anspruchsvollen Status. Ich kann keine scharfe Grenze angeben, jenseits deren ein solcher Status anspruchsvoll wird. Auf jeden Fall möchte ich mich damit nicht von vornher-
15 ein auf einen Status der Unbeschreibbarkeit mit idealen physikalischen Mitteln festlegen und nicht einmal darauf, daß erst eine wesentlich verbesserte Naturwissenschaft die Beschreibungsmittel zur Verfügung stellen kann. Für den Zweck dieser Einleitung genügt es, daß nicht hinreichend komplexe Zustände oder Prozesse beliebiger Art diese in der Reflexion bemerkten Züge ausmachen können, sofern sie nur auf die richtige Weise in den kognitiven Apparat integriert sind. Beispielsweise macht D. Dennett sicherlich keinen Vorschlag, was anspruchsvolle phänomenale Züge sein können, wenn er ‚anstelle von Qualia‘ dispositionale Eigenschaften komplexer diskriminatorischer Zustände anbietet, die im Prinzip etwa in nTupeln von elektrischen Spannungen für Farbton, Sättigung und Helligkeit bestehen könnten.6 Ich werde in den nächsten beiden Abschnitten Vorschläge Brian Loars und Wilfrid Sellars‘ diskutieren, die beide zweifellos so verstanden werden müssen, daß sie etwas wie phänomenale Züge in einem anspruchsvollen Sinn annehmen. Beide sehen für die ‚phänomenalen Qualitäten‘ bzw. ‚Sinneseindrücke‘ einen naturalistischen Status vor, wobei Sellars allerdings viel dramatischere ontologische Probleme sieht als Loar. Beide erörtern die Weise, wie solche Qualitäten bzw. Sinneseindrücke phänomenal aufgewiesen werden. Während jedoch Loar seinen Physikalismus dadurch zu retten versucht, daß er besondere, aber gänzlich adäquate Begriffe von phänome6
Siehe InsteadQualia S. 146: „... sensory qualities are nothing other than the dispositional properties of cerebral states to produce certain further effects in the very observers whose states they are.“; S. 149: „... while voltages in memory registers is surely not the way your brain represents colors, it will do as a stand-in for the unknown cerebral variables.“ Dennett selbst bietet in dem Aufsatz zwei Grenzziehungen zwischen anspruchslosen und anspruchsvollen Charakteristika an: Anfangs nennt er offiziell Qualia ‚im umstrittenen Sinn‘ solche, die vertauschte und fehlende Qualia ermöglichen (S. 141); im Text spielt zunächst die Frage eine Rolle, ob außer diskriminatorischen Zuständen mit bestimmten dispositionalen Eigenschaften noch irgendein unmittelbarer und intimer Zugang zu ‚intrinsischen‘ Eigenschaften unserer bewußten Zustände (S. 146) angenommen werden muß. Ich bezweifle, daß, wer auf besonderen intrinsische Charakteristika besteht, auch vertauschte und fehlende Qualia für möglich halten muß, jedenfalls wenn es, wie Dennetts solidarischer Verweis auf D. Chalmers (S. 141) nahelegt, um naturgesetzlich, nicht um logische oder ‚metaphysische‘ Notwendigkeit geht. Siehe Chalmers, ConsciousMind Kap. III.7, 247-75.
16 nalen Qualitäten annimmt, stehen uns nach Sellars für die phänomenologische Aufweisung keine adäquaten Begriffe zur Verfügung; vielmehr müssen wir unsere gewöhnlichen Begriffe für wahrnehmbare Eigenschaften in der Phänomenologie der Wahrnehmung so stark ausdünnen, daß erst eine ergänzende theoretisch-postulierende Erklärung die Existenz von Sinneseindrücken einzusehen erlaubt. Beide Autoren treffen bestimmte Grundsatzentscheidungen, die es ihnen ermöglichen sollen, die Existenz phänomenaler Qualitäten bzw. von Sinneseindrücken mit ihrer naturalistischen Auffassung sowie, in Sellars‘ Fall, mit der Ablehnung eines ‚Mythos des Gegebenen‘ in der Semantik und der Epistemologie zu vereinbaren. Bei Loar ist handelt es sich um die These, daß der ohne Bezug auf begriffliche Repräsentationsmittel spezifizierbare Inhalt geistiger Einstellungen sie psychologisch-epistemisch nicht vollständig charakterisiert. Sellars‘ zentrale Entscheidung ist der kategoriale Schnitt zwischen sensorischen und begrifflichen Zuständen. Gerade diese Grundsatzentscheidungen verhindert, daß die phänomenologische Reflexion als Aufweisen bzw. als Grundlage des erklärenden Postulierens von phänomenalen Qualitäten bzw. Sinneseindrücken in einem anspruchsvollen Sinn gelten kann. Loar und Sellars versuchen konsequent, mittels geradezu entgegengesetzter theoretischer Grundentscheidungen die Existenz phänomenaler Züge mit ihrem Naturalismus zu vereinbaren. Da sie gerade wegen dieser Grundlagen scheitern, sind ihre Schwierigkeiten exemplarisch für die ganze naturalistische Position. Ich werde dann denjenigen, die die Erfahrung der phänomenologischen Reflexion nicht zu verwerfen vermögen, vorschlagen, eine alternative Konzeption auszuprobieren, die explizit die Gegenteile der Grundentscheidungen zu Prinzipien erhebt, welche zu Loars‘ und Sellars‘ Schwierigkeiten führen.
17 II. Brian Loars Theorie phänomenaler Begriffe 1. Die zentrale Rolle ‚phänomenaler‘ Begriffe bei Loar 1.a Loar versucht mit seinem Konzept des phänomenalen Begriffes die phänomenologische Intuition mit einer physikalistischen Auffassung phänomenaler Qualitäten zu vereinbaren. Wie Sellars ist Loar überzeugt, daß der Zustand, auf den man in einer phänomenologischen Reflexion aufmerksam wird, letztlich mit naturwissenschaftlichen Mitteln beschreibbar ist. Die Zustandstypen, welche in solchen Fällen exemplifiziert sind und die Loar phänomenale Zustände („phenomenal states“) nennt, sollen allesamt physisch-funktionale Zustände sein. Damit sind offensichtlich Zustände gemeint, deren theoretische Beschreibung sich entweder nur spezifisch physikalischer Termini oder einer neutralen Charakterisierung einer funktionalen Rolle oder einer Mischung aus beidem bedient. Er sieht die Lage dabei ausdrücklich nicht so dramatisch wie etwa Sellars und erwartet nicht erst von einer in der fundamentalen Theorie revolutionierten Naturwissenschaft die adäquaten Beschreibungen, sondern im Prinzip schon von der gegenwärtigen Hirnwissenschaft.7 Doch es ist klar, daß die phänomenalen Zustandstypen für ihn etwas Besonderes sind. Im Unterschied zu Sellars und Lewis glaubt Loar jedoch, daß es besondere Begriffe von diesen Zuständen gibt, nämlich phänomenale Begriffe („phenomenal concepts“), die eine besondere Klasse der sogenannten Rekognitionsbegriffe bilden. Phänomenale Begriffe soll man in Urteilen ohne Einschränkung prädikativ verwenden können; sie sind allerdings nicht theoretischer Art, man kann über sie erst verfügen, wenn man Erfahrungen des betreffenden Typs gemacht hat, und sie sollen keinerlei inhaltliche oder kategoriale Inadäquatheit aufweisen. 7
Anders kann man diese Aussage wohl nicht verstehen: „We may ... take phenomenal qualities to be indentical with physical-functional properties of the sort envisaged by contemporary brain sciences“ (PhenStates, S. 598). In Sellars‘ Terminologie wären phänomenale Qualitäten für Loar physisch2, während die Charakteristika von Sinneseindrücken für Sellars nur physisch1 sind. Physisch2 sollen solche Bestimmungen von Gegenständen sein, die im Prinzip mittels Attributen definierbar sind, die schon vor dem Erscheinen empfindender Wesen in der Welt exemplifiziert waren; Bestimmungen sind physisch1, wenn sie in die kausale Ordnung integriert sind; siehe PureProcess III, S. 89 Anm. 15.
18 Loar präsentiert seine Konzeption phänomenaler Begriffe in erster Linie als Antwort auf gewisse Argumentationen gegen den physikalischen Charakter8 des phänomenalen Bewußtseins, insbesondere gegen F. Jacksons ‚Wissens-Argument‘. Dieses Argument basiert auf der Intuition, eine in einer farblosen Umgebung aufgewachsene Wissenschaftlerin, die über sämtliches physikalisch-theoretische Wissen über die Welt und speziell über Farben und ihre Wahrnehmung verfüge, lerne etwas Neues, sobald sie zum erstenmal etwas Rotes sehe.9 A. Beckermann hat Loars Verteidigung des physikalischen Charakters phänomenalen Bewußtseins dahingehend erläutert, die Wissenschaftlerin erwerbe, nachdem sie etwas Rotes gesehen hat, kein Wissen um eine neue Tatsache im Sinne eines Komplexes aus Gegenständen der Welt sowie Eigenschaften und Relationen in einem ontologisch ernstzunehmenden Sinn. Vielmehr lerne sie eine derartige Tatsache, von der sie in theoretisch-physikalischer Beschreibung bereits wußte, in einer neuen feinkörnigen Gestalt kennen, d.h. einen neuen wahren Gedanken, verstanden als einem Kompex aus fregeschen Sinnen, durch die uns die Gegenstände, Eigenschaften oder Relationen der ontologisch ernstzunehmenden Tatsache gegeben sind.10 Beckermann findet Loars Vorschlag jedoch nicht überzeugend, da doch auch „Sinne in ein physikalistisches Weltbild integrierbar sein“ müssen.11 Doch es ist fraglich, ob das den wesentlichen Punkt an Loars Konzept trifft. Loar besteht nämlich mit großer Entschiedenheit darauf, daß sich phänomenale Begriffe direkt auf Typen von Zuständen beziehen. Das bedeutet für ihn, daß mit phänomenalen Begriffen keine kontingenten Gegebenheitsweisen („mode of presentation“) verbunden sein sollen, d.h. ein derartiger Begriff bezieht sich nicht dadurch auf einen Zustandstyp, daß er 8
Eigentlich paßt das Adjektiv „physikalisch“ nur zu so etwas wie Theorien oder Beschreibungen; entsprechende Eigenschaften sollte man besser „physisch“ nennen. Aber die beiden Adjektive unterscheiden sich nicht ausschließlich in diesem kategorialen Punkt: Jemand kann leugnen, daß sich alles letztlich mit physikalischen Mitteln beschreiben läßt, und dennoch vertreten, daß alles Wirkliche physisch ist. Deshalb verwende ich „physikalisch“ auch für Eigenschaften und verstehe darunter den spezielleren Fall physischer Eigenschaften, die sich im Prinzip vermittels einer physikalischen Theorie beschreiben lassen. 9 Siehe F. Jackson, EpiphQualia, bes. S. 471-72, sowie Mary. 10 Siehe Einführung, S. 389-90. 11 Siehe S. 390 Anm.
19 irgendwie eine höherstufige Eigenschaft identifiziert, welche dieser Typ kontingenterweise besitzt. Letztendlich faßt er die Direktheit der Bezugnahme so, daß solche Begriffe genau dieselbe Eigenschaft ausdrücken, also als Gegebenheitsweise nutzen, auf die sie sich beziehen. „Mode of presentation“ ist jedoch eine gebräuchliche englische Übertragung von Freges Terminus „Sinn“. Wenn nach Loar Bezug und Gegebenheitsweise in diesen Fällen sogar identisch sein sollen, läßt sich Beckermanns kategoriale Unterscheidung zwischen Eigenschaften in der Welt und Weisen, wie sie uns gegeben sind, gar nicht sinnvoll anwenden. 1.b Diese Vereinbarung gelingt jedoch nur mithilfe der These, daß der ‚reale Inhalt‘ geistiger Einstellungen sie psychologisch-epistemisch nicht vollständig charakterisiert. Loar malt schließlich das folgende Gesamtbild von den bezeichneten und den als Gegebenheitsweisen eintretenden Eigenschaften phänomenaler und physikalischer Begriffe: Ein phänomenaler Begriff bezieht sich auf (bezeichnet) eine gewisse Eigenschaft, die zugleich auch als Gegebenheitsweise eintritt, und es gibt einen möglichen physikalischen Begriff, der sich auf genau dieselbe Eigenschaft bezieht, also auf eine physikalische Eigenschaft, und der ebenfalls genau diese Eigenschaft auch ausdrückt, d.h. als Gegebenheitsweise seines Bezuges nutzt.12 12
Die Direktheit betont Loar bereits in der Originalversion seines Aufsatzes Phenomenal States von 1990 (siehe PhenStatesOrig, S. 84). In der überarbeiteten Version PhenStates (1997) ergänzt er das Direktheits-Postulat dadurch, daß er mit phänomenalen Begriffen nicht-kontingente Gegebenheitsweisen („modes of presentation“) verbunden sieht. In einem noch späteren Vortrag heißt es dann: „...phenomenal concepts refer to phenomenal qualities directly. (Another way to put the point is that the very property a phenomenal concept refers to is its own mode of presentation.)“ (ExplanatoryGap, S. 101) Diese Identitätsthese läßt allerdings die nichtkontingenten Gegebenheitsweisen kategorial von den kontingenten divergieren, denn diese sollten höherstufige Eigenschaften sein, d.h. Eigenschaften der Eigenschaften (Zustandstypen), auf die bezug genommen wird. Doch bietet sich eine triviale Vereinheitlichung an: Man nehme als nicht-kontingente Gegebenheitsweise nicht den Zustandstyp selbst, sondern die Eigenschaft, mit ihm identisch zu sein. Loars Gesamtbild ergibt sich am klarsten aus seiner Stellungnahme zu D. Chalmers Buch The Conscious Mind: „..phenomenal concepts express (and refer to) properties that are identical with properties expressed by certain physical concepts.“ (ChalmersReview, S. 467) „I assume that physical-theoretical concepts express and pick out
20 Wenn demnach „PHÄN“ einen geeigneten Ausdruck eines gewissen phänomenalen Konzeptes vertritt und „THEO“ einen Ausdruck für den korrespondierenden möglichen theoretisch-physikalischen Begriff, so verhalten sich die Aussagen (P)
Unter den-und-den Umständen hat eine normale Person ein Erlebnis vom Typ PHÄN
und (T)
Unter den-und-den Umständen hat eine normale Person ein Erlebnis vom Typ THEO
auf der Ebene des Bezuges und der des Ausgedrückten (der Gegebenheitsweisen) exakt gleich. Und dasselbe gilt für die linke und rechte Seite der Identitätsaussage (ID)
PHÄN = THEO.13
Loars These ist dementsprechend, daß sich folgende zwei Umstände nicht schon mit Hilfe der Bezüge und der Gegebenheitsweisen der in diesen Aussagen enthaltenen Ausdrücke bzw. der korrespondierenden Begriffe erklären lassen: erstens der Umstand, daß eine Person unabhängig voneinander Überzeugungen haben kann, die sie korrekterweise unter Verwendung von (P) bzw. von (T) ausdrücken kann, sowie zweitens der Umstand, daß eine Person nur aufgrund zusätzlicher empirischer Information gerechtfertigt zu einer Überzeugung gelangen kann, die sie korrekterweise unter Verwendung von (ID) ausdrücken kann. the same property.“ (S. 468 Anm.) – Von dem Umstand, daß die Rede von Sinnen überhaupt nicht so recht zum nachfregeschen Konzept der direkten Bezugnahme paßt, sehe ich hier ganz ab. Es ist insgesamt nicht vollständig klar, ob Loar unter den Eigenschaften, die als Gegebenheitsweisen dienen, etwas versteht, was in der Art des kaplanschen semantischen Charakters der Indikatoren in einem Kontext einen Bezug festlegt (dann müßten es hier eher höherstufige Eigenschaften sein); oder etwas, das wie sogenannte primäre Intensionen selbst im Kontext eine Extension festlegt; oder gar keinen semantischen Aspekt, sondern etwas, das metasemantisch als Bezug-Festleger identifiziert wird, um zu erklären, weshalb der Begriff diesen speziellen Bezug hat. (Siehe dazu R. Stalnaker, Introduction, S. 12-15; F. Jackson, Metaphysics, S. 75-77; D. Chalmers, ConsciousMind, S. 56-65.) 13 Loar diskutiert Jacksons und Kripkes antiphysikalistische Argumente im Zusammenhang. Das Paar (P) und (T) paßt zu Jackson, (ID) paßt zu Kripke.
21 Mit einem genügend weiten Konzept des Vorstellens kann man Bezug und Gegebenheitsweise als den vorgestellten Inhalt zusammenfassen. Die psychisch-epistemischen Eigenschaften von Einstellungen wie dem Urteilen und Überzeugtsein werden also nicht allein durch den vorgestellten Inhalt erklärt; sondern es reicht ein Unterschied in den Vorstellungsmitteln: Der pure Unterschied zwischen dem phänomenalen Begriff selbst, der für Loar ein geistiger Zustand ist14, also wohl eine begriffliche Kompetenz, und dem physikalischen Begriff, der denselben Inhalt vorstellt, soll ausreichen, um die beiden genannten psychisch-epistemische Umstände zu erklären. Man kann allerdings, wie Loar in ChalmersReview bemerkt, ein mengentheoretisches Gebilde definieren, das formal wie eine Komponente des vorgestellten Inhaltes aussieht und die erforderliche psychischepistemische Trennschärfe besitzt, nämlich eine Funktion, die eine Menge möglicher Welten in eine Menge von Extensionen von Begriffen abbildet und die Loar mit Chalmers und anderen Anhängern der ‚zweidimensionalen‘ Semantik primäre Intension („primary intension“) zu nennen bereit ist. Die Extensionen wären im vorliegenden Fall Mengen solcher in einer bestimmten möglichen Welt existierenden Erfahrungs- oder Bewußtseinsepisoden, die unter den fraglichen Begriff fallen. Aber dazu muß man aus Loars Sicht von einer Grundmenge von möglichen Welten ausgehen, deren Elemente begrifflich individuiert sind, indem nämlich zwei Welten bereits dann verschieden sind, wenn in ihrer idealen vollständigen Beschreibung verschiedene, genauer gesagt: voneinander unabhängige Begriffe verwendet werden. Faßt man mögliche Welten etwa als maximalkonsistente Mengen von Propositionen auf, so dürften diese Propositionen weder bloße Komplexe aus möglichen Bezügen von Begriffen wie konkreten Einzeldingen, Eigenschaften oder Relationen sein; noch dürften es bloße Komplexe aus möglichen Gegenheitsweisen in Loars Sinn sein, die mit Begriffen verbunden sind. Es dürfen keine gänzlich realen Entitäten sein, wobei etwas Reales nicht immer auch wirklich, jedoch geeignet sein muß, einen Unterschied in der Wirklichkeit auszumachen. Sondern es müßten solche Komplexe sein qua vorgestellt durch einen geeigneten Komplex von Begriffen, also etwa Paare aus den genannten realen Komplexen und einer Spezifikation, durch was für Begriffe die Konstituenten dieser Komplexe vorgestellt 14
Siehe PhenStates, S. 605: „psychological state“; siehe auch ExplanatoryGap, S. 101.
22 werden. Damit es zwei verschiedene Welten w1 und w2 gibt, so daß eine Proposition p1 zu w1 sowie p2 zu w2, nicht jedoch p2 zu w1 und p1 zu w2 gehören, müßte der reale Aspekt beider Propositionen gar nicht verschieden sein, sondern es reichte, daß die beiden begrifflichen Aspekte unabhängig voneinander sind; und da Begriffe geistige Zustände sein sollen, handelte es sich dabei einfach um eine bestimmte kausale Unabhängigkeit der beiden konzeptionellen Zustände voneinander in dem relevanten vorstellenden Wesen, etwa darum, daß die erstgenannte konzeptionelle Kompetenz nicht durch eine begriffliche Rolle charakterisiert ist, derzufolge ihre Ausübung in einem geistigen Akt immer mit einer entsprechenden Ausübung der letzteren begrifflichen Kompetenz einhergeht.15 Es lassen sich also Entitäten konstruieren, die die Struktur des Vorstellungsmittels reflektieren, doch zugleich als abstraktes Relatum eines geistigen Aktes oder Zustandes eintreten und so in gewisser Weise zum vorgestellten Inhalt gezählt werden könnten. Man sollte deshalb den Inhalt, der im Prinzip ohne Bezug auf die Mittel seines Vorgestelltwerdens spezifizierbar ist, als realen Inhalt auszeichnen. Loars Ansicht ist, daß der reale Inhalt geistiger Einstellungen psychisch-epistemisch nicht vollständig charakterisierend ist, d.h. daß nicht alles Wesentliche der einstellungsartigen geistigen Zustände und Akte eines Wesens schon festgelegt ist, wenn die Einstellungstypen und die zugehörigen realen Inhalte spezifiziert sind. Insbesondere besteht für gewisse Einstellungstypen E (etwa: Glauben) die Möglichkeit, daß ein Wesen denselben realen Inhalt E-t und nicht E-t (glaubt und nicht glaubt): Es E-t ihn in der einen begrifflichen Gestalt, und es E-t ihn nicht in einer anderen. Das bedeutet zunächst, daß ein Unterschied im realen Gehalt nicht notwendig ist, damit zwei mögliche Zustände desselben Einstellungstyps verschieden sind; aber er ist sicherlich hinreichend. Es ist jedoch fraglich, ob ein Unterschied im realen Gehalt zweier Begriffe immer für einen wesentliche Unterschied im kognitiven Status von Anwendungen der Begriffe 15
Siehe hierzu ChalmersReview, S. 466-67; daß Loar sich die Unabhängigkeit der Begriffe mit dem Konzept der begrifflichen Rolle („conceptual role“) zurechtlegt, wird ganz deutlich in PhenStates, S. 602; und daß er eine kausale Unabhängigkeit von geistigen Zuständen im Blick hat, geht am klarsten aus seiner zuspitzenden Formulierung hervor, man könne phänomenale und theoretische Begriffe als in unterschiedlichen Teilen des Gehirns realisiert ansehen (ExplanatoryGap, S. 101).
23 hinreicht. In der folgenden Diskussion verstehe ich unter dem kognitiven Status eines Zustandes, speziell der Anwendung eines Begriffes, das Ganze seiner systematischen Zusammenhänge mit anderen geistige Zustände, soweit die Zusammenhänge epistemisch positiv bewertet werden können. Ein Element des kognitiven Status der Anwendung eines Begriffes kann etwa darin bestehen, daß seine Anwendung typischerweise die Anwendung eines anderen Begriffes auslöst und diese kausale Beziehung die kognitive Implementation einer korrekten Schlußweise darstellt. Oder die Anwendung des einen Begriffes verstärkt systematisch die Neigung, den anderen anzuwenden, so daß die kausale Beziehung als Implementation einer rationalen Weise, andere Überzeugungen als Belege für eine bestimmte Überzeugung zu betrachten. Dabei kann man das Ganze seiner systematischen Auswirkungen auf andere Zustände als Output-Aspekt dieses Status von seinem Input-Aspekt unterscheiden, der die epistemisch positiv zu bewertenden systematischen Weisen umfaßt, in diesen Zustand zu treten. Wenn man dann wie Loar auf der Seite des begrifflichen Vorstellungsmittels ein zusätzliches wesentliches Moment von Einstellungszuständen sieht, ist sehr zweifelhaft, ob ein Unterschied im realen Gehalt grundsätzlich für einen Unterschied im Output-Aspekt des kognitiven Status eines Zustandes ausreicht. Denn sofern der Unterschied im realen Gehalt zweier möglicher Zustände mit der geringstmöglichen damit vereinbaren Differenz auf der Seite des begrifflichen Vorstellungsmittels kombiniert ist, könnten die beiden Zustände denselben Output-Aspekt besitzen, und der Input-Aspekt wäre vielleicht nicht identisch, jedoch der Art nach so gleich, daß analoge Exemplifikationen beider Zustände epistemisch gleichermaßen positiv bewertet werden müssen, etwa als nicht-inferentieller Wissenserwerb. Um das auszuschließen, wären sehr starke Prinzipien für das ‚Spiegeln‘ der Gehalte von Zuständen durch die begriffliche, kausale oder kognitive Rolle der Vorstellungsmittel erforderlich, folglich eine sehr starke systematische Integration des betreffenden Zustandes in das System der Zustände, in dem sein kognitiver Status bestimmt ist. Der Witz von Loars These, daß phänomenale und allgemein Rekognitionsbegriffe von theoretischen Begriffen unabhängig sind, besteht jedoch gerade darin, eine solche starke Integration zu bestreiten. Ich werde entsprechend versuchen zu zeigen, daß der abstrakt skizzierte Fall, daß unterschiedliche reale Inhalte zweier gleichartiger Begriffe keinen wesentlichen Unterschied im kogniti-
24 ven Status ihrer Anwendungen garantieren, bei Loar’schen phänomenalen Begriffen tatsächlich gegeben ist und diese Konzeption daher das Besondere der phänomenologischen Reflexion nicht erklären kann. 2. Phänomenale Begriffe als besondere selbst-orientierte Rekognitionsbegriffe 2.a Phänomenale Begriffe unterscheiden sich von anderen auf interne Eigenschaften bezogenen Rekognitionsbegriffen bloß durch das Faktum, daß sie sich auf phänomenale Qualitäten beziehen. Phänomenale Begriffe bilden für Loar eine besondere Klasse der Rekognitionsbegriffe. Deren wichtigsten allgemeinen Charakteristika dürften sein: i. Sie beziehen sich auf Typen oder Eigenschaften. ii. Ihr angemessener sprachlicher Ausdruck ist demonstrativ, etwa „... ist von dieser Sorte“16, wobei die Bezugnahme auf einen Typ unmittelbar sein kann und sich nicht etwa auf die Identifizierung eines erinnerten oder gegenwärtigen Einzelfall stützen muß.17 iii. Die Bezugnahme hängt von keiner bewußt zugänglichen Analyse des Gegenstandstyps in ihn konstituierende Merkmale ab.18 Genauer gesagt gehören phänomenale Begriffe zu einer Teilklasse einer Teilklasse der Rekognitionsbegriffe; sie sind nämlich Spezialfälle von selbst-orientierten („self-directed“) Rekognitionsbegriffen.19 Das sollen einfach solche Begriffe der Kategorie sein, die sich auf eine interne Eigen16
PhenStates, S. 600 Siehe S. 601, Punkt 2. 18 Siehe S. 601, Punkt 3. Die Idee ist offenbar, daß man, wenn man etwa in einem fremden Land einer eigenartig aussehende Sorte von Bäumen begegnet, anhand weniger Exemplare einen primitiven Begriff bilden kann, so daß man mit Blick auf ein weiteres Exemplar urteilen kann ‚Da ist ja noch so einer‘, ohne dabei denken zu müssen ‚Der ist ja von derselben Sorte wie die drei, die ich gestern gesehen habe‘ und ohne die Merkmale aufführen können zu müssen, die die Besonderheit des Typs ausmachen; und der Begriff ist auch ohne Anwesenheit eines weiteren Exemplars anwendbar, etwa in ‚Wenn ich morgen noch so einen finde, fotografiere ich ihn‘. 19 „Selbst-orientiert“ beinhaltet nicht etwa, daß die Begriffe irgendwie von sich selbst handeln, sondern daß sie von inneren Zuständen dessen handeln, der den Begriff besitzt. 17
25 schaft ihres Besitzers beziehen. Was macht die phänomenalen Begriffe unter den selbst-orientierten so besonders? Loar nennt zwei Sorten nichtphänomenaler selbst-orientierter Begriffe: Erstens können wir vermittels eines charakteristischen Gefühls einen Rekognitionsbegriff von eigenen körperlichen Zuständen besitzen, beispielsweise von Muskelkrämpfen. („Jetzt habe ich das schon wieder!“) Zweitens könnte man sich Begriffe denken, die auf einem internen Analogon zum sogenannten Blindsehen beruhen: So wie Personen mit bestimmten Hirnschädigungen mit gewisser Erfolgsquote ‚raten‘ können, was sich für ein Gegenstand vor ihren Augen befindet, ohne – nach eigener Auskunft – etwas zu sehen, so könnte es eine begriffskonstituierende Fähigkeit geben, innere Zustände zu unterscheiden, die nicht durch eine charakteristische phänomenale Qualität vermittelt ist wie der rekognitionale Krampf-Begriff durch das Krampfgefühl, also ‚phänomenal leer‘ sind.20 Demnach sind die phänomenalen unter den selbst-orientierten Rekognitionsbegriffen einfach dadurch unterschieden, daß sie sich eben auf phänomenale Qualitäten beziehen. In ChalmersReview sieht es einmal so aus, als formuliere Loar eine Art von formeller Differenz: Phenomenale Begriffe seien einzigartig unter den Erfahrungsbegriffen, indem sie dieselben Eigenschaften ausdrückten, auf die sie sich beziehen.21 Aber zum einen ist überaus fraglich, ob sie auch gegenüber den Begriffen des internen ‚Blindsehens‘ in dieser Weise ausgezeichnet sein können. Denn Loar bemerkt, diese unterschieden sich von den phänomenalen Begriffen eben darin, daß sie nicht deren nichtkontingente Gegebenheitsweisen aufwiesen. Das sollen jedoch die identifizierten phänomenalen Qualitäten selbst sein (oder Exemplifizierungen von ihnen, so eine in PhenStates erwogene Alternative)22. Demnach dürften die Begriffe des internen ‚Blindsehens‘ entweder mit gar keinen Gegebenheitsweisen ausgestattet sein; in diesem Fall wären sie jedenfalls nach der 20
Siehe zu alledem PhenStates, S. 603. – Die Deutungen des Phänomens des Blindsehens gehen allerdings auseinander. Castañeda etwa bestreitet die phänomenale Leere und diagnostiziert einen Integrationsmangel, der letztlich verhindert, daß der ‚blinde‘ visuelle Inhalt der selbstbewußten Registrierung zugänglich ist. (Siehe IStructures, S. 279-80; deutsch: Reflexivität, S. 128-29.) 21 Siehe ChalmersReview, S. 468: „Phenomenal concepts are unique among experiential concepts in this respect: they express the very properties they pick out...“ 22 Siehe PhenStates, S. 604.
26 Originalversion des Aufsatzes von gleicher Art wie die phänomenalen Begriffe, die ihren Bezug direkt, nämlich ohne kontingente Gegebenheitsweise konzipieren. Oder man erklärt die nicht-phänomenale Eigenschaft, auf die sich diese Begriffe beziehen, auch zu ihrer nicht-kontingenten Gegebenheitsweise, so daß sie in der semantischen Struktur gänzlich mit den phänomenalen Begriffen gleichgestellt wären. Dieser Zug in der überarbeiteten Version ist, wie aus weiteren Aussagen Loars hervorgeht23, bloß ein formalen Kniff, um trotz der Direktheit der begrifflichen Bezugnahme von Gegebenheitsweisen sprechen zu können; man kann ihn also ebenso bei den Begriffen des internen ‚Blindsehens‘ anwenden. Die einzige Alternative bestünde darin, daß man einen anderen phänomenalen Inhalt mit ihnen verbunden finden könnte, der kontingenterweise mit der identifizierten nicht-phänomenalen Eigenschaft zusammenhängt. Beim wirklichen Phänomen des Blindsehens liegt vielleicht eine Art von Gefühl vor, als solle man urteilen, daß sich ein gewisser Gegenstand vor einem befindet. Aber in diesen Fällen verwenden die Betroffenen beim ‚Raten‘ gewöhnliche, mit dem Vokabular der öffentlichen Sprache verbundene Begriffe, die ihre Semantik – Sinn und Bezug – unabhängig von Anwendungen in solchen epistemisch absonderlichen Situationen besitzen. Im hypothetischen Fall des internen ‚Blindsehens‘ müßte man hingegen die Gegebenheitsweise des betreffenden Rekognitionsbegriffs als so etwas wie ein Gefühl charakterisieren, eben diesen Begriff anwenden zu sollen. Dazu müßte man den Begriff, diese konzeptionelle Kompetenz, über die man selbst verfügt, bereits identifizieren können – offenbar ebenfalls demonstrativ, unter irgendeiner Gegebenheitsweise. Dieser alternative Weg ist wohl aussichtslos. Begriffe des internen ‚Blindsehens‘ wären also wie die phänomenalen solche, die ihren Bezug in Loars Sinn direkt konzipieren. Zum anderen betont Loar in PhenStates selbst, daß wir von der Besonderheit phänomenaler unter den selbst-orientierten rekognitionalen Begriffe wiederum nur einen irreduzibel demonstrativen Begriff haben.24 Insgesamt ergibt sich also, daß phänomenale Begriffe letztlich nicht durch eine strukturelle Besonderheit wie die Direktheit ausgezeichnet sind, sondern 23
Siehe ExplanatoryGap, S. 101; „...phenomenal concepts refer to phenomenal qualities directly. (Another way to put the point is that the very property a phenomenal concept refers to is its own mode of presentation.)“ (meine Unterstreichung; RB) 24 Siehe PhenStates, S. 604
27 einfach durch die Tatsache, daß sie Begriffe von phänomenalen Qualitäten sind. 2.b Loars Konzeption verleiht Anwendungen phänomenaler Begriffe keinen besonderen kognitiven Status und erklärt daher die Möglichkeit einer phänomenologischen Reflexion nicht. In der Präambel seines Aufsatzes verspricht Loar: „We may take the phenomenological intuition at face value...“ – und das ohne Beschädigung der physikalistischen Auffassung phänomenaler Qualitäten.25 Wie sollen sich aber mit Loars Konzeption die dramatischen Züge der phänomenologischen Reflexion aufklären lassen? Für Loar muß die Reflexion im wesentlichen darin bestehen, daß ich Erfahrungsepisoden von einem gewissen Typ durchlebe, der de facto eine physikalisch-funktionale Eigenschaft ist, und daß ich mindestens einen passenden phänomenalen Begriff spontan ausbilde und vielleicht wieder und wieder anwende. Aber daß das, was ich ausbilde und anwende, ein phänomenaler Begriff ist, ist einfach ein Faktum, welches darin besteht, daß die Eigenschaft, auf die sich der Begriff bezieht, eine phänomenale Eigenschaft ist. Der semantischen Struktur nach könnte es jedoch ebensogut ein Begriff des internen ‚Blindsehens‘ sein. Beide Sorten von Begriffen sind darüber hinaus im gleichen Maße vom theoretischen Begriffsarsenal abgekoppelt. Das bloße Faktum, daß ich in Wirklichkeit direkt eine phänomenale Qualität konzipiere und in der möglichen Alternative ins phänomenal Leere stoße und mich auf einen nichtphänomenalen Zustand beziehe, kann für den kognitiven Status meines Zustandes keinen wesentlichen Unterschied machen. Es kann überhaupt keinen Unterschied für den Output-Aspekt des kognitiven Status machen, d.h. speziell dafür, daß der Zustand sich in einer epistemisch positiv zu beurteilenden Weise dahingehend auf das Gesamtsystem von Einstellungszuständen auswirkt, daß ich zu dem Urteil gelange, ich hätte Exemplifizierungen von sehr besonderen Qualitäten registriert. Und obwohl der InputAspekt trivial verschieden ist, da eben unterschiedliche innere Zustände systematisch für die Anwendung beider Begriffe verantwortlich sind, ist doch der Charakter dieses Aspektes gleich; d.h. in dem Maße, wie die entsprechende Anwendung des phänomenalen Begriffes epistemisch positiv 25
Siehe PhenStates, S. 598
28 bewertet werden muß, muß es auch die analoge Anwendung des ‚Blindsehens‘-Begriffes. Damit manifestierte aber auch das in beiden Fällen bewirkte oder wenigstens beförderte Urteil, es mit sehr besonderen Qualitäten zu tun zu haben, im gleichen Maße ein Wissen. Auch die höherstufige Reflexion auf meinen Reflexionszustand fördert keinen Unterschied zutage. Denn was in Loars Konzeption allein zur Verfügung steht, ist die Ausbildung eines Begriffes von meinen in der Reflexion gebildeten und angewandten Begriffen. Aber solche höherstufigen Begriffe können, wie erläutert, für Loar nur dieselbe semantisch-kognitive Struktur auf höherer Ebene wiederholen: „Our higher-order concept ‚phenomenal concept‘ cannot be reductively explicated, any more than can our concept ‚phenomenal quality‘. The higher-order concept ‚phenomenal concept‘ is as irreducibly demonstrative as phenomenal concepts themselves.“ (PhenStates, S. 604)
Daß meine Reflexion auf höherer Ebene eine Konzeption von phänomenalen Begriffen und nicht etwa von Begriffen des internen ‚Blindsehens‘ ist, ist folglich ebensosehr ein bloßes Faktum, dessen epistemische Zugänglichkeit unaufgeklärtt bleibt, wie daß ich überhaupt einen Begriff von phänomenalen Qualitäten ausgebildet habe. Dieses Faktum kann im Kontrast zu seinem Gegenteil, daß es sich nämlich um ‚Blindsehens‘-Begriffe handelte, wiederum keinen kognitiven Unterschied ausmachen. Es hat offensichtlich wenig Sinn, das Glück auf noch höheren Reflexionsebenen zu suchen. Um nicht falsch verstanden zu werden, kontrastiere ich meinen Punkt ausdrücklich mit zwei Themen, die Loar in PhenStates diskutiert: 1. Mein Punkt betrifft nicht, zumindest nicht unmittelbar, die von Loar in Zweifel gezogene Inkorrigierbarkeit des Wissens, daß es phänomenale Qualitäten gibt.26 Das Problem ist vielmehr, daß Loars Konzeption nicht erklärt, wie ich in einer Weise, die irgendeine Art von Wissen konstituiert, in der Reflexion auf die Idee kommen kann, ich hätte es mit Einzelfällen von größerer Besonderheit zu tun, so daß überhaupt die Frage interessant wird, was das denn bloß sein mag. Man muß nicht annehmen, das in Frage stehende Wissen sei durch Gewißheit, Inkorrigierbarkeit oder Infallibilität gekennzeichnet, um ein Problem an Loars Konzeption nachzuweisen. 26
Siehe PhenStates, S. 612
29 2. Es geht auch um etwas anderes als in Loars Erklärung, wie es zu der verbreiteten antiphysikalistischen Intuition kommen kann. Er hebt die Unähnlichkeit von rekognitionalen und theoretischen Begriffen als geistigen Zuständen hervor und bemerkt insbesondere, daß die Ausübung einer phänomenalen rekognitionalen Begriffskompetenz häufig über die Realisierung einer Wiedererkennungsdisposition hinaus ein bildhaftes Moment einschließt, also etwas, das einem phänomenalen Zustand weitaus ähnlicher ist als die Anwendung eines theoretischen Begriffes. Seine Diagnose lautet, daß diese krasse Unähnlichkeit der Begriffe zu der Illusion führt, auch die Eigenschaften, auf die phänomenale und theoretische Begriffe Bezug nehmen, müßten verschieden sein; und zwar, so darf man wohl in Loars Sinne ergänzen, ihrer Natur nach verschieden.27 Doch das ist ein Versuch zu erklären, wie der nach Loar falsche, nämlich der antiphysikalistische Aspekt der ‚Intuition‘ in unseren philosophischen Grübeleien entsteht. Ich bezweifle demgegenüber, daß man mit Loars Konzeption verstehen kann, wie es in der Reflexion auf eine irgendwie Wissen konstituierende Weise zu der richtigen ‚Intuition‘ kommt, daß wir es mit Einzelfällen von Qualitäten einer sehr besonderen Sorte zu tun haben. Mein Punkt hängt nicht davon ab, daß Loar Begriffe des internen ‚Blindsehens‘ als eine Möglichkeit darstellt. Auch wenn er nicht ausdrücklich eine solche Option zu schildern versuchte, wäre es immer noch in seiner Konzeption von phänomenalen Begriffen angelegt, daß es Begriffe geben kann, die den phänomenalen in der semantischen Struktur sowie in der kausalen Einbettung in das System möglicher Zustände gleichen, folglich auch in dem, was ich den kognitiven Status nenne. Sie beziehen sich nur de facto nicht auf phänomenalen Qualitäten. Sicher, die Ausübung dieser begrifflichen Kompetenzen kann kein echtes bildhaftes Moment einschließen, sofern Bildbewußtsein selbst phänomenalen Charakter hat. Doch so, wie ein phänomenaler Begriff ein Bildmoment enthalten kann, das Ähnlichkeit mit Exemplifikationen der phänomenalen Qualität aufweist, von denen er ein Begriff ist, so mag eine begriffliche Kompetenz der angenommenen Sorte ein Bild-Surrogat aufweisen, welches Exemplifikationen des Typs ähnlich ist, von dem er ein Begriff ist. Damit wäre auch dieser Strukturaspekt gewahrt, und auf der höheren Reflexionsebene bliebe erneut das bloße Fak27
Siehe PhenStates, S. 605.
30 tum übrig, daß das Bildmoment phänomenaler Natur ist und das BildSurrogat nicht. III. Wilfrid Sellars: Sinneseindrücke ohne ‚Mythos des Gegeben‘ 1. Sellars‘ Versuch: Ablehnung des ‚Mythos des Gegebenen‘, aber positive Funktion für Sinneseindrücke 1.a Der ‚Mythos des Gegebenen‘ beruht nach Sellars letztlich auf fehlender Einsicht in die kategoriale Kluft zwischen nicht-begrifflichen und begrifflichen geistigen Zuständen. Wilfrid Sellars28 ist in erster Linie bekannt als Autor von Empiricism and the Philosophy of Mind (1956), einer bedeutenden Kritik des klassischen Empirismus, in der er die Wendung vom ‚Mythos des Gegebenen‘ geprägt hat. Mit diesem anti-empiristischen Image kontrastiert, daß er sich in einem beträchtlichen Teil seines Werkes, darunter auch in Abschnitten dieser frühen Arbeit, mit einer positiven Charakterisierung von etwas befaßt, das er in einem bestimmten Kontext „Sinneseindrücke“ („sense impressions“) nennt. Berücksichtigt man sein Werk bis hin zu den spätesten Arbeiten29, so wird ganz deutlich, daß die überaus dramatischen ontologischen Aspekte seiner philosophischen Gesamtauffassung durch die Problematik der Sinneseindrücke motiviert sind. Die Wissenschaft der Zukunft müsse, so seine Forderung, ihre fundamentalen Kategorien hin zu einer Ontologie ‚reiner‘ Prozesse umorientieren, d.h. solcher, die nicht an in zeitlicher Ausdehnung existierende Objekte gebunden sind. Für jemanden, der aufgrund seiner Reflexion von der Existenz phänomenaler Züge überzeugt ist, bilden die Kritik am ‚Mythos des Gegebenen‘ und die positive Konzeption von Sinneseindrücken ein attraktives Paar: Vielleicht läßt sich mit Sellars verstehen, worauf man in der Reflexion irgendwie aufmerksam geworden ist und wie diese Reflexion strukturiert ist, ohne daß man sich auf erkenntnistheoretisch oder ontologisch bedenkliche 28
Ich ergänze den Haupttext in den Fußnoten durch oft etwas ausführlichere Zitate. Sellars‘ durch Einrückung kenntlich gemachte Beispielsätze setze ich kursiv, die originalen Kursivsetzungen ersetze ich durch Unterstreichung. 29 Am wichtigsten ist die letzte umfassende Darstellung in den ‚Carus Lectures‘, PureProcess (1981). Sie dazu J. Seibt, Processes, und J. Rosenberg, SellarsColor.
31 Positionen etwa der empiristischen Tradition festlegen muß. Zwar dürfte der ontologische Status, den Sellars selbst letztendlich in einer aus Prozessen bestehenden Natur für Sinneseindrücke vorsieht, bei etwas näherem Hinsehen überhaupt nicht dem entsprechen, was man sich als ontologisch sparsame Integration phänomenaler Züge in eine naturalistische Weltauffassung erträumt hat. Doch vielleicht kann man, nachdem Sellars uns zwischen der Scylla einer glatten Leugnung phänomenaler Züge und der Charybdis des Mythos des Gegebenen hindurchgesteuert hat, das Schiff noch verlassen, bevor es weiter Richtung Prozeßontologie segelt.30 So attraktiv Sellars‘ Angebot klingen mag, so weckt doch die bloße Formulierung prima facie Zweifel: Vielleicht waren oder sind einige Mythen über ‚das Gegebene‘ im Umlauf; aber untergräbt eine radikale Leugnung, daß etwas dem kognitiven Aparat gegeben sein kann, nicht die Möglichkeit einzusehen, daß es phänomenale Züge gibt? Ich werde zu zeigen versuchen, wie sich dieser Zweifel an Sellars‘ positiver Konzeption von Sinneseindrücken so weit erhärten läßt, daß die Suche nach einer Alternative unumgänglich wird. Worin genau der Mythos des Gegebenen bestehen soll, ist nicht leicht zu sagen. Sellars Kampf gegen den Mythos soll nämlich keineswegs etwa auf eine Kritik an Sinnesdatentheorien beschränkt sein, sondern sie nur als eine erste Schlacht einschließen.31 Im Zusammenhang mit phänomenalen Zügen kann man sich jedoch auf die Kritik an klassisch-empiristische Auffassungen konzentrieren. In dieser Beziehung stechen zwei Bestimmungen des Mythos‘ heraus, die eine aus Sellars‘ erster, die andere aus seiner spätesten großen Arbeit: Nach der ersten Bestimmung besteht der Kern des Mythos des Gegebenen in dem Gedanken, daß Beobachtung ‚im strikten und eigentlichen Sinn‘ in gewissen selbst-beglaubigenden nichtverbalen Episoden besteht, deren Autorität verbalen und quasi-verbalen Ausführungen mitgeteilt wird, wenn diese Ausführungen ‚in Übereinstimmung mit den semantischen Regeln 30
So folgt Michael Williams in Kapitel 15 von Knowledge (speziell S. 180-84) weitgehend der in EPM entwickelten Konzeption der Wahrnehmung inklusive der Einführung von Sinneseindrücken, ohne aber eine Verbindung zu Sellars‘ dramatischen ontologischen Konsequenzen herzustellen. 31 Siehe EPM § 1, S. 127-8.
32 der Sprache‘ geschehen.32 Nach der zweiten Bestimmung besteht er in dem Gedanken, daß sich die kategoriale Struktur der Welt – falls sie eine kategoriale Struktur hat – dem Geist aufdrückt, wie ein Siegel dem geschmolzenen Wachs ein Bild aufdrückt.33 Der Mythos nach der ersten Bestimmung schließt offenbar ein (i) eine Unterscheidung zwischen sprachunabhängigen und sprachabhängigen kognitiven Aktivierungen des Geistes34, (ii) die These, daß zumindest gewisse Aktivierungen der sprachunabhängigen Sorte bereits für sich betrachtet und jedenfalls unabhängig von jeglichen sprachabhängigen Aktivierungen einen positiven epistemischen Status besitzen, d.h. etwas wie Wissen darstellen, (iii) die These, daß sie diesen epistemischen Status auf sprachabhängige Aktivierungen übertragen können, wobei zweifellos die ergänzende These implizit ist, daß jegliches in der Form von sprachabhängigen Aktivierungen auftretende sachhaltige (im Kontrast zu logischem oder mathematischem) Wissen diesen Status von sprachunabhängigen Aktivierungen bezieht.35 Zur zweiten Bestimmung bemerke ich nur vorausblickend, daß es mit dem besonderen Akzent der späten Beschäftigung mit Sinne32
EPM § 38, S. 169: „The idea that observation ‚strictly and properly so-called‘ is constituted by certain self-authenticating nonverbal episodes, the authority of which is transmitted to verbal and quasi-verbal performances when these performances are made ‚in conformity with the semantical rules of the language‘, is, of course, the heart of the Myth of the Given.“ 33 Siehe PureProcess I § 45, S. 12. 34 Mein Ausdruck „Aktivierung“ soll sowohl Konnotationen der Aktivität („Akt“) wie auch der Passivität („Betätigung“) vermeiden. 35 Der Mythos nach der ersten Bestimmung erfüllt die Bedingungen dessen, was Williams als substanzielle Fundierungsauffassung („substantive foundationalism“, Knowledge, S. 83) bezeichnet. Diese macht nicht bloß die strukturelle Annahme, daß jede Überzeugung nur durch inferentielle Verbindung zu anderen gerechtfertigten Überzeugungen und letztlich zu solchen Überzeugungen gerechtfertigt ist, die selbst ohne weitere Belege („evidence“) gerechtfertigt sind (S. 82). Das läßt noch zu, daß in verschiedenen Kontexten verschiedene Sorten von Überzeugungen ohne weitere Belege gerechtfertigt sind. Sondern darüber hinaus sollen bestimmte Arten von Bewußtseinszuständen gewissermaßen von Natur aus als Rechtfertigungsbasis geeignet sein, weil sie aus sich heraus glaubwürdig oder selbst-belegend sind („intrinsically credible or self-evidencing“, S. 83). Nach Sellars‘ Bestimmung bilden die oder doch einige der sprachunabhängigen geistigen Aktivierungen so eine von Natur aus als Rechtfertigungsgrundlage geeignete Art.
33 seindrücken zusammenhängt, wenn Sellars dort so redet, als sei es die kategoriale Struktur der Welt, die im Mythos als etwas dem Geist Gegebenes dargestellt wird. Weitaus prägnanter und für die folgende Diskussion wichtiger als Sellars‘ Diagnose, was für ein Mythos weite Bereiche der Philosophie präge, ist die zentrale Formel der Therapie, die er vorschlägt. Sie lautet, daß man radikal zwischen sensorischen und begrifflichen geistigen Zuständen unterscheiden muß.36 In der kritischen Diskussion sowohl der klassischen Sinnesdatentheorien37 als auch der Ideenlehren von Locke, Berkeley und Hume im Empirismus-Aufsatz instrumentiert Sellars den Unterschied mithilfe des Gegensatzes von erworbenen und nicht-erworbenen Fähigkeiten: Sinnesdatentheoretiker müssen eine nicht-erworbene Fähigkeit postulieren, sinnliche Gehalte zu erfahren, deren Aktivierung immer mit einer begrifflichen Klassifikation des Gehaltes einhergeht, obwohl die Fähigkeit zur Klassifikation erworben werden muß.38 Und die drei klassischen Empiristen sind alle auf eine nicht-erworbene Fähigkeit zum Gewahrsein von Typen festgelegt, mögen es auch determinierte Typen, etwa spezifische Farbeigenschaften, und nicht generische Eigenschaften sein.39 Erst Kant soll den Unterschied in seiner Radikalität gesehen zu haben.40 Daß eine Fähigkeit erworben werden muß, leuchtet allerdings nicht ohne weiteres als ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu anderen Fähigkeiten ein. Man findet bei Sellars leicht drei bessere Kandidaten für den 36
PureProcess III § 2, S. 66: „... the radical difference between sensory states and conceptual states...“. Ich verwende „Zustand“ wie Sellars „state“ im folgenden sehr weit, insbesondere nicht eingeschränkt auf langfristige Einstellungen wie das Überzeugtsein. Was Sellars also häufig als „episode“ bezeichnet, fällt ebenfalls unter diesen weiten Zustandsbegriff. 37 Sellars betont die Einschränkung auf klassische Sinnesdatentheorien; siehe EPM § 6, S. 131. 38 Siehe EPM § 6, S. 131-32. 39 Siehe EPM § 28, S. 159: „... Hume is in the same boat as Berkeley and Locke, sharing with them the presupposition that we have an unacquired ability to be aware of sense repeatables.“ 40 Das ist die zentrale historisch-hermeneutische Aussage des ersten Kapitels von S&M; allerdings sei auch Kant dem Unterschied mit seinen Konzepten der Anschauung und der Formen der Anschauung nicht voll gerecht geworden; siehe S&M I § 17, S. 7 sowie § 75, S. 29.
34 wesentlichen Unterschied zwischen sinnlichen und begrifflichen Zuständen: i. Begriffliche Zustände sind intentional, sinnliche nicht.41 ii. Zu begrifflichen Zuständen kann man nur befähigt sein, wenn man eine öffentliche Sprache spricht; die Fähigkeit zu sinnlichen Zuständen ist unabhängig von der Sprachkompetenz.42 iii. Das System der begrifflichen Zustände steht unter einer Art von Sollen: Man soll etwa, wenn man urteilt, daß ein Gegenstand zur Gänze rot ist, nicht auch urteilen, daß er an einer Stelle grün ist; das System der sinnlichen Zustände steht unter keinem solchen Sollen.43 Hinter dieser Triade von Unterscheidungspunkten verbirgt sich jedoch eine fundamentalere Differenzierung. Mit ihr läßt sich Sellars‘ Weise, begriffliche von nicht-begrifflichen Zuständen zu unterscheiden, gut als Rezept gegen den Mythos des Gegebenen verstehen. Sellars trennt nämlich das Begriffliche vom Sensorischen durch einen kategorialen Schnitt: Begriffliche wie sensorische Zustände sind zwar, in kantischer Redeweise, beide Vorstellungen.44 Während jedoch sensorische Zustände einfach aufgrund ihrer internen Beschaffenheit die Vorstellungen sind, die sie sind, sind es begriffliche Zustände allein aufgrund ihrer funktionalen Rolle, d.h. ihren Beziehungen zu etwas anderem, speziell zu anderen möglichen begrifflichen Zuständen.45 Diese kategoriale Kluft zu erkennen bildet den wesentlichen 41
Siehe etwa S&M I, § 59, S. 23, wo es bezüglich des Beispielpaares „Jones has an impression of a red rectangle“ und „Jones is conceiving of a red rectangle“ heißt: „Only the latter is ‚intentional‘ ..., where the intentional is that which belongs to the conceptual order.“ 42 Siehe etwa Image, S. 32 „It is no accident that one learns to think in the very process of learning to speak.“ 43 Siehe etwa Image, S. 16-17: „Yet the essentially social character of conceptual thinking comes clearly to mind when we recognize that there is no thinking apart from common standards of correctness and relevance, which relate what I do think to what anyone ought to think. The contrast between ‚I‘ and ‚anyone‘ is essential to rational thought.“ 44 In S&M folgt Sellars von Beginn an Kants weiter Verwendung von „Vorstellung“ („representation“ im Sinne von „representing“; siehe speziell S&M I §§ 3-4, S. 2; I §§ 19-20, S. 8-9). 45 Die Seiten 34-35 von Image vermitteln einen guten Eindruck von dieser Differenz, und zwar im Zusammenhang sowohl mit der Frage, worauf unsere alltäglichen Be-
35 Schritt, um ein Konzept von begrifflichem Denken und empirischer Erkenntnis zu entwickeln, das dem Mythos abschwört. Denn angesichts dieser Kluft wird sowohl der Gedanke haltlos, begriffliche Inhalte ergäben sich durch eine einigermaßen triviale Operation der Abstraktion aus nichtbegrifflichen Vorstellungen, als auch der Gedanke, durch das bloße Vorliegen einer nicht-begrifflichen Vorstellungen könne ein geeigneter Urteilsinhalt unabhängig von jedem anderen Inhalt des Wissens epistemisch gestützt werden.46 1.b Sellars‘ diskutiert die epistemischen Rolle von Sinneseindrücken im Kontext zweier aufeinanderfolgender Weltbilder: eines manifesten, das auf beobachtbare Dinge beschränkt ist, und eines wissenschaftlichen, welches das Postulieren unbeobachtbarer fundamentaler Entitäten erlaubt. Sellars‘ positive Behandlung von Sinneseindrücken eingehen kann ist in der zeitlichen Dimension auf einen schematisierten Zivilisationsprozesses bezogen. Sellars teilt diesen Prozeß in zwei große Epochen, die er mit den Begriffen eines manifesten und eines wissenschaftlichen Bildes vom Menschen in der Welt erfaßt.47 Was den Status der beiden Weltbilder angeht, so dürften folgende Bestimmungen Sellars‘ Intentionen entsprechen, obwohl sie von seiner eigenen recht verwickelten Darlegung ein wenig abweichen: griffe von Vorstellungen beider Sorten beruhen, als auch der Frage, wie sie sich in ein wissenschaftliches Weltbild einfügen lassen. Siehe bes. S. 35: „Whereas both thoughts and sensations are conceived by analogy with publicly observable items, in the former case the analogy concerns the role and hence leaves open the possibility that thoughts are radically different in their intrinsic character from the verbal behaviour by analogy with which they are conceived. But in the case of sensations, the analogy concerns the quality itself.“ 46 Siehe den Hinweis auf den ‚klassischen aristotelischen Abstraktionismus‘ sowie auf Kants Korrelation von Synthesis der produktiven Einbildungskraft und Analyse durch den urteilenden Verstand in S&M I, S. 4-5, besonders § 11; siehe besonders Phen S. 90: „...the abstractive theory [of concept formation], as Kant saw, makes the mistake of supposing that the logical space of the concept simply transfers itself from the objects of direct perception to the intellectual order ...“, wobei man unter dem logischen Raum eines Begriffes den Bereich aller möglichen mit ihm konzipierbaren Sachverhalte verstehen sollte (siehe dazu deVries/Triplett, KnowledgeMindGiven, S. 189). 47 Siehe Image, S. 4-5: „the manifest and the scientific images of man-in-the-world“.
36 (i) Die Bilder, von Sellars auch Konzeptionen oder Rahmen genannt48, sind tatsächlich vorkommende historisch-soziale Objekte, nämlich zwei in sich kohärente, jedoch grundverschiedene Weisen, die Welt zu erfahren.49 (ii) In reflektierter Form liegen beide Konzeptionen auch der Entwicklung philosophischer Gedanken zugrunde. (iii) Sellars‘ Begriffe von beiden Bildern sind von der Art weberscher Idealtypen, d.h. es sind Begriffe von komplexen, vielgestaltigen und eine zeitliche Entwicklung zeigenden historischen Phänomenen, die bestimmte als wesentlich erscheinende Charakteristika des jeweiligen Phänomens aus der Mannigfaltigkeit tatsächlich auftretender Gestalten aussondern.50 Inhaltlich kommt es auf folgendes an: Erstens ist das manifeste Bild vom Menschen in der Welt in dem Sinne das ursprüngliche Bild, daß der Mensch auf diese Weise des Erfahrens sich seiner selbst als Mensch in der Welt bewußt geworden ist.51 Zweitens: So, wie das manifeste Weltbild jedoch idealtypisch konzipiert wird, ist es keine unkritische und naive Konzeption, die Sellars vielmehr davon als ursprüngliches Weltbild unterscheidet. Es ist vielmehr selbst ein Produkt wissenschaftlicher Methoden, soweit diese anwendbar sind, ohne das zu tun, was das wissenschaftlichen Weltbild wesentlich auszeichnet, nämlich unbeobachtbare fundamentale Entitäten zu postulieren. Das manifeste Weltbild gestattet es nur, in sehr begrenztem Umfang unbeobachtbare Zustände von beobachtbaren Gegenständen zu postulieren.52 Drittens unterscheiden sich die beiden Weltbilder 48
Siehe Image, S. 6: „conceptions“; S. 5: „framework“. Siehe Image, S. 5: „ways of experiencing the world“; zur historischen Existenz siehe S. 5 „These images exist and are as much a part and parcel of the world as this platform or the Constitution of the United States.“ sowie S. 13 die Wendung: „the early stages of the development of the manifest image“. 50 Zu den letzten beiden Bestimmungen siehe Image, S. 5: „... they are both ‚idealizations‘ ... designed to illuminate the inner dynamics of the development of philosophical ideas ... they can be compared to ‚ideal types‘ of Max Weber’s sociology.“ Siehe Weber, Objektivität, bes. S. 191. 51 Siehe Image, S. 6: „It is ... the framework in terms of which man came to be aware of himself as man-in-the-world“ 52 Siehe Image, S. 6: „... the manifest image is a refinement or sophistication of ... the ‚original‘ image ...“; „... the manifest image ... makes use of ... aspects of scientific method ...“; „... however, ... it, by stipulation, does not include ... the postulation of imperceptible entities ...“; siehe auch S. 19 u. Siehe Knowledge II § 55, S. 329: „... 49
37 in kategorialer Hinsicht: Die fundamentalen Gegenstände des manifesten Weltbildes sind die beobachtbaren Makroobjekte, zu denen sowohl materielle Dinge als auch Personen gehören. Diese Gegenstände sind Ding-artig, indem sie eine gewisse Zeit lang existieren, während der sie Eigenschaften erwerben und verlieren und untereinander in Beziehung treten. Das wissenschaftliche Weltbild beginnt historisch mit dem Postulieren unbeobachtbarer Entitäten, die ebenfalls die kategorialen Bestimmungen von Dingen erfüllen. In dieser auf Dinge fixierten Phase der Wissenschaft befinden wir uns laut Sellars noch immer. Doch das wissenschaftliche Weltbild ist im Prinzip offen für eine kategoriale Revolution, nach der nicht mehr Dinge die fundamentalen Entitäten sind und Ereignisse als Zustandsänderungen von Dingen konzipiert werden, sondern Ereignisse selbst fundamental sind: ‚reine‘ Prozesse, die keiner Dinge als Träger bedürfen.53 Sellars‘ positive Auseinandersetzung mit Sinneseindrücken nimmt Mitte der siebziger Jahre einen neuen Charakter an, so daß man geradezu eine via antiqua und eine via moderna unterscheiden muß.54 Die klassische Abhandlung nach alter Art findet sich im Empirismus-Aufsatz (1956). Dort what the theory postulates in the way of new entities are processes and acts rather than individuals. In this sense, it remains within the manifest image. Persons remain the basic individuals...“ 53 Siehe Image S. 9, S. 37; insbesondere aber TimeWorldOrder: S. 594: „... the basic individuals of this universe of discourse [d.i. ‚ordinary‘ temporal discourse] are things and persons – in short the ‚substances‘ of classical philosophy.“ S. 550: „[in a World of Things] events ... have a derivative status ... statements about events are, in principle, translatable into statements about changeable things.“ S. 577-78: „... it might be argued that although the basic individuals of ordinary discourse and, indeed, of physical science, are continuants or changing things ..., we can perfectly well conceive of a framework in which the basic individuals are the counterparts of the point-instant events of a sophisticated thing framework, and the counterpart of things are ‚genidentical‘ series of basic individuals ...“; siehe auch PureProcess II, §§ 12-13 (S. 39), §§ 28-29 (S. 43-44), §§ 50-55 (S. 48-49); Counterfactuals §§ 5152, S. 263-264. Zu Sellars‘ Prozeßkonzeption siehe besonders die von ihm sehr gelobte Arbeit J. Seibts, Processes, bes. Part III. 54 Die Autoren zweier neuerer Arbeiten, die sich mit Sellars‘ Wahrnehmungstheorie beschäftigen, führen hingegen in einigen Passagen Stellen aus älteren und aus späteren Texten Sellars‘ derart zusammen, daß der Eindruck einer immer gleichen Argumentationsweise entstehen könnte; siehe J. Bremer, Rekategorisierung, S. 123-24, sowie J. Haag, Blick, S. 271-72.
38 versucht Sellars in Form eines Gegenmythos zum Mythos des Gegebenen zu zeigen, daß innerhalb eines rudimentären manifesten Weltbildes, welches Dingen und Personen nur öffentlich beobachtbare Zustände zuzusprechen gestattet, auf vernünftige Weise unbeobachtbare Zustände von Personen, insbesondere Sinneseindrücke theoretisch postuliert werden können. Im ersten Kapitel von Science and Metaphysics (1968) findet sich eine Argumentation gleicher Art, nur daß sie aus dem mythischen Kontext herausgelöst und klarer in voller Verantwortung des Autors vorgetragen ist. Doch bereits der Umstand, daß die Argumentation dort mit einer KantAuseinandersetzung verwoben ist, legt nahe, daß auch sie als im Rahmen des manifesten Weltbildes vorgetragen angesehen werden muß. Daß eine Diskussion von einer mythisch-historischen auf eine philosophische Ebene gehoben wird, entspricht ganz dem erläuterten Status der Weltbilder. Die via moderna der späteren Argumentationen zeichnet sich dadurch aus, daß Sellars die Sinneseindrücke zwar weiterhin als theoretische Entitäten bezeichnet, jedoch nicht mehr von einem theoretischen Einführen neuer Entitäten, etwa in Analogie zu Einführung von Molekülen durch die kinetische Gastheorie, sprechen will.55 Mit dieser Änderung geht einher, daß Sellars zumindest viel intensiver und offener phänomenologische Betrachtungen in seine Argumentation einbezieht. Daß sich eine positive Behandlung von Sinneseindrücken, die ausdrücklich nicht in den Mythos des Gegebenen zurückfallen soll, auf phänomenologische Überlegungen stützt, ist jedoch sicherlich nicht unproblematisch. Ich werde deshalb zuerst auf die Argumentationen nach alter Art eingehen. Anschließend läßt sich der phänomenologisch gestützte neue Weg leichter beurteilen.
55
Siehe etwa Knowledge II § 2, S. 317: „... the concept of the sensation of the pink ice cube is a theoretical concept ...“; PureProcess III §§ 36 und 44, S. 72-73: „When one comes to think, as we eventually must, of sense impressions as theoretical constructs, it is tempting ... to think of the theory as introducing a new domain of entities ...“; „... the theory of sense impressions does not introduce, for example, cubical volumes of pink.“ Die via moderna erreicht in Knowledge (1975) einen ersten Höhepunkt, durchzieht Arbeiten wie Imagination (1978) PercCons (1978) und Sensa (vorgetragen 1976; veröff. 1982) und findet ihre umfassende Darstellung in PureProcess (1981).
39 2. Sellars‘ via antiqua: Postulieren von Sinneseindrücken, analogischmodellbezogene Begriffsbildung und ultimative Homogenität der wahrnehmbaren Eigenschaften 2.a Der ‚Schluß auf Sinneseindrücke‘ soll erklären, daß minimierte Wahrnehmungsauffassungen sowohl beim Vorliegen eines entsprechenden Gegenstandes als auch in davon systematisch abweichenden Situationen vorkommen. Im Empirismus-Aufsatz läßt Sellars seinen mythischen Helden Jones nacheinander beide Sorten von unbeobachtbaren Episoden theoretisch postulieren: zunächst begriffliche Episoden, die er Gedanken nennt56, und nichtbegriffliche Episoden, die er als Eindrücke bezeichnet.57 Da es mir um die Sinneseindrücke geht, werde ich Sellars‘ Vorgehen im ersten Kapitel von S&M folgen und die begriffliche Zustände zunächst einmal als unproblematisch voraussetzen. Das halbfertige manifeste Weltbild, welches gedankliche Episoden, aber noch keine Sinneseindrücke zu konzipieren erlaubt, werde ich gelegentlich als „manifestes Weltbild o.S.E.“ (für: „ohne Sinneseindrücke“) bezeichnen. Vorläufig genügt es zu wissen, daß für Sellars einzelne begriffliche Episoden in einer Weise Analoga zu sinnvollen sprachlichen Äußerungen darstellen, daß man sie als Verwendungen von syntaktisch strukturierten Ausdrücken einer „Mentalisch“ genannten Sprache auffassen kann.58 56
Siehe Abschnitt XV, S. 186ff; „thoughts“, § 58, S. 187. Siehe Abschnitt XVI, S. 190ff.; „impressions“, § 60, S. 191. 58 Sellars schließt sich hier einer gewissen Tradition an: „Occurrent acts of belief were ... construed ... as having, so to speak, a syntactical form which parallels or is analogous to the syntactical form of the sentence which would express it in overt speech. Believings, so to speak, occur in Mentalese.“ Siehe auch Knowledge II, § 5, S. 317. Er warnt allerdings regelmäßig davor, die Analogie dahingehend zu deuten, daß gedankliche Episoden irgendwelche inneren bildhaften Entsprechungen zu verwendeten Wötern einschließen; siehe etwa EPM §§ 56-57, S. 186-87; Knowledge II § 53, S. 328-29. Wenn Sellars etwa seinen mythischen Helden Jones unbeobachtbare begriffliche geistige Zustände auf der Grundlage von beobachtbarem Sprachverhalten theoretisch postulieren läßt, dann heißt das gerade nicht, daß intentionale Zustände allererst zur Erklärung des Auftretens von bislang als bloßes Verhalten beschreibbaren Schallerzeugungen postuliert werden. Sondern der beobachtbare Sprachgebrauch besitzt schon Intentionalität, und nur deshalb kann er als Modell für innere Zustände 57
40 Damit läßt sich der Kern von Sellars‘ Konzeption der Wahrnehmung angeben59: Ein Wahrnehmungserlebnis ist danach eine einzigartige abgestimmte Mischung eines begrifflichen und eines nicht-begrifflichen Zustandes.60 Der begriffliche Zustand besteht in einer komplexen demonstrativen Phrase des Mentalischen, die als Subjektterm in Wahrnehmungsurteile eingehen kann und die Sellars als Wahrnehmungsauffassung bezeichnet, etwa Dieser Ziegel mit einer roten und rechteckigen zugewandten Seite (ist zu groß für diesen Zweck).61 Die über das reine Demonstrativum „dieser“ in der Auffassung enthaltenen Elemente bestimmen, als was der betreffende Gegenstand wahrgenommen wird. Die demonstrative Phrase repräsentiert auch, woran der Wahrnehmende in der Situation glaubt, während die ergänzende prädikative Phrase „ist zu groß...“ repräsentiert, was er über den Gegenstand glaubt.62 Den korrelierten nicht-begrifflichen Zustand identifiziere ich mit dem, was Sellars Sinneseindruck nennt. Allerdings soll er letztlich Elemente enthalten, die in keinem guten Sinne durch das wahrgenommene Objekt ‚eingedrückt‘ sind. Das nicht-begriffliche Korrelat der Wahrnehmungsauffassung soll nämlich eine ‚Empfindungs-BildStruktur‘ (kurz: „Bildstruktur“) sein, wobei etwa beim Sehen eines roten Apfels die Empfindungselemente der zugewandten Apfeloberfläche und die Bildelemente der abgewandten Seite sowie dem weißen Apfelinneren dienen. Siehe N&O V S. 117, § 17: „... the ‚languagings‘ of the first stratum are already and as such characterized by meaningfulness and intentionality. Indeed, their ‚semantical properties‘ are the model ...“; § 19: „To fail to appreciate this is to confuse the concept of verbal behavior in the full-blooded sense of the term with the concept of verbal ‚behavior‘ as the patterned emission of phonemes...“ Zu gedanklichen Episoden und ihrer Erkennbarkeit in der ersten Person siehe CastañedaSellars. 59 In den Details orientiere ich mich hier an den in diesem Punkt etwas gehaltreicheren späteren Texten. 60 Siehe RealismTenable § 91, S. 329: „unique blend“. 61 Siehe Imagination § 10, S. 233: „... I suggest that in such a perceptually grounded judgment as This brick with a red and rectangular facing side is too large for the job at hand the perceptual belief proper is that tokening of a complex Mentalese demonstrative phrase which is the grammatical subject of the judgment as a whole.“ Wahrnehmungsauffassung ist meine Übersetzung für „perceptual taking“ (etwa Imagination § 10; RealismTenable § 95 und § 99, S. 330-31). 62 Siehe Imagination § 10, S. 233: „believed in“ vs. „believed about“; § 11: „what the visual object is seen as“.
41 entsprechen.63 Unter der ‚Mischung‘ des begrifflichen und des nichtbegrifflichen Faktors darf aber gerade nicht verstanden werden, daß, wie Sellars mit Blick auf Kant erläutert, ein begriffliches Vorstellungsvermögen eine sinnliche Mannigfaltigkeit derart ‚aufnimmt‘ (apprehendiert), daß sie gewissermaßen körperlich oder buchstäblich ein Teil der resultierenden begrifflichen Vorstellung, also der Wahrnehmungsauffassung, wird. Sondern der nicht-begriffliche Zustand kann den ganz verschiedenen begrifflichen Zustand, d.h. die Wahrnehmungsauffassung, nur ‚von außen führen‘.64 Kennt man diesen Kern von Sellars‘ Konzeption der Wahrnehmung, so läßt sich die Struktur des ‚Schlusses auf Sinneseindrücke‘ angeben, den er besonders in Science and Metaphysics herauspräpariert hat:65 Es handelt sich um einen Schluß vom begrifflichen Faktor der Wahrnehmung, genauer vom Auftreten eines spezielleren Typs von Wahrnehmungsauffassungen in gewissen Situationen, auf den nicht-begrifflichen Faktor, der dieses Auftreten erklären soll. Der relevante Typ umfaßt minimierte Auffassungen der Form Dieses B, wo der deskriptive Bestandteil B auf Begriffe für im engeren Sinn wahrnehmbare Eigenschaften, bei visueller Wahrnehmung etwa auf Begriffe für Farben und sichtbare räumliche Formen beschränkt ist. In einer Situation, in der beim Wahrnehmenden normalerweise die Auffassung Dieser (auf der zugewandten Seite) rote und rechteckige Ziegel auftritt, könnte statt dessen die minimierte Auffassung Dieser (auf der zugewandten Seite) rote und rechteckige Gegenstand66 auftreten, wenn er ir63
Siehe Imagination, S. 236-37; § 24: „sense-image structure“; in § 25 heißt dasselbe „sense-image model[s]“, dann kurz „image-model[s]“. Die Behandlung der Bildstrukturen in Imagination ist allerdings kategorial neutral gehalten. Doch es ist klar, daß sie im manifesten Weltbild als Zustände konzipiert werden müssen, sofern sie überhaupt kategorial eingeordnet werden. 64 Siehe S&M § 39, S. 16: „that it [the manifold], so to speak, bodily or literally becomes a part of the resulting intuitive representation“; „it can only guide ‚from without‘ the unique conceptual activity ...“; den Terminus „führen“ („guide“) übernimmt er von Wittgenstein, PU § 170. 65 Siehe S&M § 42, S. 17; „sense impression inference“ im Kontrast zum Schluß auf Sinnesdaten („sense-data inference“), den Chisholm in Appearing kritisiert. Zum Argument siehe besonders S&M §§ 41-59, S. 16-23. 66 Wie Sellars‘ Anmerkung auf S. 9 verdeutlicht, ist eine die räumliche Perspektive enthaltende Bestimmung wie die hier in Klammern gesetzte Beschränkung auf die
42 gendeinen Anlaß hat zu bezweifeln, daß sich wirklich ein echter und ganzer Ziegel vor ihm befindet.67 Es kommt hier auf zwei Punkte an: Erstens sind die begrifflichen Vorstellungen, die über das Demonstrativum hinaus in Wahrnehmungsauffassungen eingehen, genau vom selben Typ wie Vorstellungen, die in Urteilsprädikaten auftreten können. In der Auffassung Dieser rote Ziegel werden genau dieselben Begriffe des Rotseins und des Ziegels gebraucht wie in dem Urteil Das Haus ist aus roten Ziegeln erbaut. Zweitens handelt es sich um Begriffe von Sorten, Eigenschaften etc. von physischen Gegenständen. Auch die inhaltliche Beschränkung ändert nichts an dem kategorialen Status der gebrauchten Begriffe. So sind die relevanten Farbbegriffe Begriffe von intersubjektiv wahrnehmbaren Farben von Gegenständen. Auf den Seiten 17-18 in S&M finden sich vier Versuche, das Explanandum des Schlusses auf Sinneseindrücke genauer zu bestimmen, wobei die erste Formulierung aus § 44 die offizielle sein dürfte: in § 42: Der primäre Zweck des Schlusses auf Sinneseindrücke ist es, das Vorkommen bestimmter begrifflicher Vorstellungen in der Wahrnehmungsaktivität zu erklären, nämlich ‚minimaler begrifflicher Vorstellungen‘. in § 43: Das Ziel ist, die Korrelation der fraglichen begrifflichen Vorstellungen mit denjenigen Charakteristika der Gegenstände der Wahrnehmung zu erklären, die sie gelegentlich sowohl wahr machen als auch hervorbringen. in § 44 [i]: Es ist ein Versuch, die Tatsache zu erklären, daß normale Wahrnehmende begriffliche Vorstellungen von einem roten und rechtekzugewandte Seite immer wenigstens implizit vorhanden, zumindest bei den minimierten Auffassungen. 67 Ich vereinfache die Darstellung in S&M hier insofern, als Sellars eine zweifache Minimierung annimmt, nämlich über die inhaltliche Beschränkung auf Begriffe für eigentlich wahrnehmbare Eigenschaften hinaus noch eine weitere Abschwächung durch den Operator „Es scheint mir, als ob ...“ (§ 34, S. 13f.). Die doppelte Minimierung dient ihm aber nur dazu, um eine traditionelle Verwechselung doppelt minimierter begrifflicher Vorstellungen mit Sinneseindrücken zu erläutern (§§ 36-37, S. 14-15). Hingegen spielt im Schluß auf Sinneseindrücke offenbar nur der Verweis auf inhaltlich minimierte begriffliche Vorstellungen eine Rolle, die ich einfach mit Wahrnehmungsauffassungen der Art Dieser rote und rechteckige Gegenstand identifiziere.
43 kigen Gegenstand haben sowohl (a) wenn sie unter normalen Umständen von einem roten und rechteckigen Objekt affiziert werden als auch (b) wenn sie in anormalen Umständen von Gegenständen affiziert werden, die andere, aber darauf systematisch bezogene Charakteristika besitzen. In § 44 [ii]: Selbst in normalen Fällen gibt es die echte Frage „Warum stellt der Wahrnehmende in Anwesenheit eines Gegenstandes mit diesen Qualitäten begrifflich einen roten (blauen, usw.) rechteckigen (runden, usw.) Gegenstand vor?“
Der an § 44 [ii] anschließende erste Antwortversuch lautet: „Die Antwort scheint zu erfordern, daß all die möglichen Weisen, in denen begriffliche Vorstellungen von Farbe und Gestalt einander ähneln und sich unterscheiden können, den Weisen korrespondieren, in denen ihre unmittelbare nicht-begrifflichen Anlässe, die sicherlich als Zustände des Wahrnehmenden aufgefaßt werden müssen, einander ähneln und sich un68 terscheiden können.“
Man kann ohne weiteres folgende Punkte zugestehen: i. Wahrnehmungsauffassungen sind begriffliche Zustände, die normalerweise in systematischer Form in kausalen Beziehungen mit der Umgebung stehen. Schon das macht es plausibel, daß Wahrnehmungsauffassungen andere Zustände des Wahrnehmenden als unmittelbare Ursachen haben, die die vorläufigen Endpunkte der Einwirkung der Umwelt auf ihn dar68
Siehe § 42: „... its primary purpose [d.i.: of the ‚sense impression inference‘] is to explain the occurrence of certain conceptual representations in perceptual activity. ... I have in mind ... ‚minimal conceptual representations‘.“ § 43: „... the aim is to explain the correlation of the conceptual representations in question with those features of the objects of perception which, on occasion, both make them true and are responsible for bringing them about.“ § 44: „... an attempt to account for the fact that normal perceivers have conceptual representations of a red and rectangular object both (a) when they are being affected in normal circumstances by a red and rectangular object; and (b) when they are being affected in abnormal circumstances by objects which have other, but systematically related characteristics.“ § 44: „... even in normal cases there is the genuine question, ‚Why does the perceiver conceptually represent a red (blue, etc.) rectangular (circular, etc.) object in the presence of an object having these qualities? The answer would seem to require that all the possible ways in which conceptual representations of colour and shape can resemble and differ correspond to ways in which their immediate non-conceptual occasions, which must surely be construed as states of the perceiver, can resemble and differ.“
44 stellen, und daß die Typen der Auffassungen und die Typen dieser Zustände systematisch korreliert sind. ii. Diese Plausibilität wird sicherlich dadurch größer, daß in Situationen, die von der Normalität systematisch abweichen, dieselben begrifflichen Vorstellungen auftreten wie im Normalfall. iii. Daß Wahrnehmende, wenn sie ihr Wahrnehmungsurteil vorsichtig gestalten, den Spielraum für die Bestimmungen in der Auffassung auf ein bestimmtes Repertoire von Begriffen einschränken, etwa auf Begriffe für Farbe und Gestalt, die auf die zugewandte Oberfläche bezogen werden, spricht sehr dafür, daß die Typen der als unmittelbare Ursache fungierenden Zustände mit den Typen möglicher minimierter Auffassungen korreliert sind. So wird es zu dem Paar Dieser rote ... Gegenstand und Dieser grüne ... Gegenstand verschiedene Typen ursächlicher Zustände geben, während dem Paar Dieser rote und rechteckige Gegenstand und Dieser rote und rechteckige Ziegel derselbe ursächliche Typ entspricht. iv. An Typen ursächlicher Zustände darf man nicht bloß so viele annehmen, wie unser tatsächliches minimiertes Begriffsrepertoire Typen von Auffassungen erlaubt. Sondern man darf zu jeder möglichen inhaltlichen Varianz in der minimierten Begrifflichkeit einen unterschiedenen ursächlichen Typ postulieren. Andernfalls ergäben sich beispielsweise in der Farbdimension bloß so viele ursächliche Typen, wie wir über generische Farbbegriffe verfügen. Die entscheidende Frage lautet: Weshalb und inwieweit ist es für den im manifesten Weltbild o.S.E. lebenden Menschen vernünftig, den zur Erklärung angenommenen Zuständen irgendeinen anspruchsvollen Status zuzusprechen? Sellars wirft im wesentlichen dieselbe Frage in S&M § 41 in der Form auf, ob es wirklich notwendig sei, nicht-begriffliche Vorstellungen, die Bewußtseinszustände sind, einzuschieben, und nicht einfach irgendwelche ‚rein physischen‘ Zustände.69 Ich werde nicht versuchen zu explizieren, worin ein anspruchsvoller Status der Zustände bestünde. Es genügt ein Maßstab, an dessen einem Ende physikalisch beschreibbare Zustände liegen, wie man sie auch beliebigen materiellen Dingen zuschreibt, und an 69
Siehe § 41, S. 16: „But is it really necessary to interpose non-conceptual representations as states of consciousness ...? Can we not interpret the receptivity involved in terms of ‚purely physical‘ states...?“
45 dessen anderem Ende Bewußtseinszustände mit einer Charakteristik liegen, die ausreicht, um einen vernünftigen Menschen wie Sellars dazu zu bringen, eine prozeßtheoretische Revolutionierung der Fundamentalwissenschaften für nötig zu halten. Zwei Punkte muß man bei der Beantwortung der Frage im Auge behalten: Erstens gibt es im manifesten Weltbild o.S.E. keine Probleme speziell mit den Farbeigenschaften. Sie werden als Eigenschaften intersubjektiv wahrnehmbarer Dinge in Raum und Zeit konzipiert, und diese Konzeption zeigt keinerlei innere Spannung. Zweitens geht in die anstehende Überlegung keinerlei phänomenologisches Element ein. Ausgangspunkt ist ein begrifflich charakterisiertes Explanandum, welches das Auftreten gewisser begrifflicher Vorstellungen betrifft, die, wie bemerkt, ihrem Inhalt nach gänzlich unproblematisch sind, da sie von physischen Gegenständen handeln. Erforderlich ist eine zusätzliche Anforderung, die die ursächlichen Zustände erfüllen müssen. Sie müßte sich aus der Natur des Explanandum oder aus methodischen Eigenschaften etwa des Schlusses auf die beste Erklärung ergeben, und sie dürfte nur von ‚anspruchsvollen‘ Zuständen erfüllt werden können. In den nach der via antiqua verfaßten Arbeiten finden sich nach meiner Einschätzung genau zwei Vorschläge für diese Anforderung. Die Analogie-Anforderung, wie ich den einen Vorschlag bezeichne, ist eher methodischer Natur, die Homogenitäts-Anforderung betrifft eindeutig die Natur des Explanandum. 2.b Die Forderung, Sinneseindrücke müßten den wahrnehmbaren Dingen formal analog sein (Analogie-Anforderung), rechtfertigt den Schluß auf anspruchsvolle Sinneseindrücke nicht. In S&M herrscht völlig die Analogie-Anforderung vor: „Diese nicht-begrifflichen Zustände müssen Charakteristika besitzen, die, ohne Farben zu sein, ausreichend farb-analog sind, um diese Zustände dazu zu befähigen, diese Rolle des Führens zu spielen.“ Erforderlich ist „die Existenz von Hinweisen, die systematisch ... den Familien der Farb- und Gestaltattribute korrespondieren. ... Physische Zustände bringen Zustände des Wahrnehmenden hervor, die Attribute haben,
46 die wahrnehmbarer Farbe und Gestalt systematisch analog sind, ohne daß 70 sie buchstäblich wahrnehmbare Farbe und Gestalt haben.“
Wie in anderen Arbeiten der via antiqua unterstreicht Sellars, daß das theoretische Postulieren von Sinneseindrücken im manifesten Weltbild gerade mit Blick auf die Rolle von Analogien eine ähnliche Struktur wie das wissenschaftliche Postulieren theoretischer Entitäten besitzt.71 Der wichtige Punkt ist, daß die Theorie in beiden Fällen neue Begriffe für das Postulierte benötigt. Im Fall der Sinneseindrücke handelt es sich dabei um Begriffe für einzelne Typen solcher Eindrücke, also um Begriffe wie (ist) ein Eindruck von einem roten Rechteck.72 Worauf es Sellars im Zusammenhang mit der Analogie-Anforderung ankommt, ist, daß der entsprechende Ausdruck „(ist) ein Eindruck von einem roten Rechteck“ nicht so verstanden werden darf, als enthielte er eine Kennzeichnung eines Zustandstyps – etwa eine, die Fälle des Typs als normale Wirkungen von roten Rechtecken im gewöhnlichen physischen Sinn charakterisiert. Vielmehr sei die Bildung dieses Ausdrucks eine analogische Einführung eines neuen Prädikates. Der Hinweis, daß man andernfalls einem kruden Physikalismus in die Hände spielte, kann allerdings sicherlich nicht als Begründung dienen. Tatsächlich ist es eine generelle These Sellars‘, daß theoretische Termini keine Kennzeichnungen sind, die bloß vortheoretisches deskriptives Vokabular enthalten.73 70
Siehe § 45, S. 18; § 47, S. 19. Siehe S&M § 45, S. 18. Diese Ähnlichkeit beschädigt nicht den in bestimmten Sinn vortheoretischen Charakter des manifesten Weltbildes; denn mit den Sinneseindrükken postuliert man nur zusätzliche Zustände derselben grundlegenden Entitäten, während die moderne Wissenschaft neue grundlegende Entitäten postuliert. Knowledge II § 55, S. 329: „... what the theory postulates in the way of new entities are processes and acts rather than individuals. In this sense, it remains within the manifest image. Persons remain the basic individuals...“ 72 Siehe etwa § 54, S. 21: „an impression of a red rectangle“ 73 S&M § 57, S. 22: „... by construing the reference to the characters of the nonconceptual state as a definite description of unknown attributes in terms of their causal connections, rather than as analogical introduction of new predicates, ... [one] plays into the hands of a crude physicalism.“ Siehe besonders auch EPM § 45, S. 175; § 61, S. 192 Punkt (2). Sellars These, theoretische Terme seien nicht als abgekürzte Kennzeichnungen zu verstehen und seien nicht explizit durch nichttheoretisches Vokabular definierbar (siehe EPM § 54, S. 185), wird in der Literatur 71
47 Die wichtigsten Erläuterungen zum Konzept der analogischen Einführung theoretischer Begriffe finden sich im Realismus-Aufsatz von 1965. Sellars kritisiert dort E. Nagels Auffassung, derzufolge Modelle bloß eine heuristische Rolle in der Wissenschaft spielen, der Inhalt der Theorie hingegen darauf beruht, daß die Postulate der Theorie zusammen mit den Korrespondezregeln die theoretischen Terme implizit definieren. Dabei macht er hauptsächlich die Realität der wissenschaftlichen Praxis geltend. Damit meine ich nicht etwa die experimentelle Praxis, sondern die ‚postulierende Begriffsbildung‘74, d.h. die Ausbildung von Begriffen für theoretisch postulierte Entitäten. Nach Sellars schließt diese konzeptionelle Praxis aus prinzipiellen Gründen den Bezug auf Modelle ein. Die folgende Skizze einer konzeptionellen Dynamik sollte hinreichend genau Sellars‘ Intention trefen: (i) Der Wissenschaftler identifiziert eine in ihrem Verhalten bereits bekannte Klasse von Modellobjekten, etwa eine Klasse völlig gleichartiger und einander vielfach anstoßender Billardkugeln.75 (ii) Er ergänzt das Konzept des Modelles durch einen Kommentar, der bestimmte tatsächliche Charakteristika der Modellobjekte aus dem Konzept eliminiert und andere modifiziert76; er eliminiert etwa den Aspekt der Reibung zwischen den Kugeln, und er modifiziert die Bestimmung ihrer Größe. (iii) Indem er von einem Terminus für die Objekte des Modelles, etwa „(ist eine) Billardkugel“ einen Gebrauch macht, der ‚intuitiv‘ am tatsächlichen Verhalten des
eher referiert als rekonstruierend begründet; siehe etwa Bremer, Rekategorisierung, S. 122-23, sowie Haag, Blick, S. 274-75 (Haags Arbeit hat allerdings Sinneseindrükke nicht zum eigentlichen Thema). In SyntheticApriori spielt Sellars das Konzept der impliziten Definition gegen den Gedanken der expliziten aus, etwa S. 316: „One can, indeed, say that all the other descriptive predicates of a language must be ‚defined‘ in terms of observation predicates; but it would be a mistake to suppose that in every case these definitions will be explicit definitions.“ Dieser Zug müßte aber hinterfragt werden angesichts der Tatsache, daß ein wissenschaftsphilosophischer und geistesphilosophischer Realist wie D. Lewis einen vielbeachteten Vorschlag entwickelt hat, wie man für ein Vokabular, das im Rahmen einer Theorie implizit definiert ist, prinzipiell eine explizite Definition angeben kann. (Siehe Lewis, PsychoTheoIdent.) Meine Einwände sind davon unabhängig. 74 Siehe § 67, S. 196: „postulational concept formation“. 75 Siehe EPM § 51, S. 182; Realism § 25, S. 180. 76 Siehe § 32, S. 182; siehe auch EPM § 51.
48 Modelles orientiert ist77, den er aber anhand der kommentierenden Bestimmungen der Elimination und Modifikation kontrolliert, gibt er dem Terminus einen neuen Gebrauch und damit einer neue Bedeutung und gewinnt so einen theoretischen Begriff, etwa den des Gasmoleküls. Ob am Ende der alte Terminus doppeldeutig verwendet oder ein neues Prädikat für die neue begriffliche Rolle eingeführt wird, ist nebensächlich.78 Ein zentraler Punkt, den Sellars gegen Mary Hesses Konzeption der Rolle von Modellen geltend macht, muß hinzugefügt werden. Er kritisiert den Gedanken, die Analogie zwischen den Objekten des Modells und den postulierten Objekten, welche der Begriffs- und Theoriebildung zugrunde liegt, bestehe in einer Ähnlichkeit zwischen beiden Sorten von Objekten, und diese könne so verstanden werden, daß die Objekte beider Sorten gewisse Attribute teilen, andere hingegen nicht.79 Für die Theoriebildung seien nicht derartige Ähnlichkeiten erster Stufe relevant, sondern solche zweiter Stufe, d.h. es kommt nicht darauf an, daß die Objekte beider Klassen bestimmte Attribute teilen, sondern daß sie unterschiedliche Attribute besitzen, welche aber ihrerseits gemeinsame Charakteristika besitzen. Mit diesen gemeinsamen Attributen meint er formale Charakteristika von Attributen erster Stufe; wenn er explizit welche angibt, so sind es Bestimmungen wie die Transitivität, welche beispielsweise sowohl auf die räumliche Beziehung von Punkten einer Linie als auch auf die von Momenten in der Zeit zutrifft.80 In Kurzform lautet Sellars‘ Konzeption: 77
Siehe Realism § 32, S. 182: „intuitive grasp of the framework of the model“. Siehe Realism § 33, S. 183: „... the same designs may be used ...“; “„... the predicates ... may be subtly ambiguous ...“ Die Schritte (i)-(iii) sind als eine idealerweise zeitlich gerichtete konzeptionelle Entsprechung zu Sellars‘ Unterscheidung von drei Objektklassen (a)-(c) in Realism § 34, S. 183, gedacht. In EPM § 61, S. 191-94 folgt die analogische Einführung von Sinneseindrücken klarer als in anderen Texten dieser Dreiteilung: Sellars unterscheidet dort (i) wahrnehmbare Objekte von (ii) zunächst als deren innere Kopien („inner replicas“, S. 191 Punkt (1)) gedachten Objekten mit wahrnehmbaren Eigenschaften wie Röte oder Dreieckigsein und schließlich von (iii) Sinneseindrücken, die keine Objekte, sondern Zustände sind und nur den wahrnehmbaren Eigenschaften analoge Bestimmungen aufweisen. 79 Siehe Realism § 24, S. 179-80: „The key feature of this [d.i.: Hesse‘s] account is the fact that it is in terms of the identity and difference of attributes of particulars.“ Sellars bezieht sich auf M. Hesse, Models. 80 Siehe Siehe Realism § 26, S. 180. 78
49 „In erster Annäherung kann man sagen, daß Modelle in der Theoriekonstruktion gebraucht werden, um neue Attribute als diejenigen Attribute zu spezifizieren, welche mit zum Modell gehörigen Attributen bestimmte höherstufige Attribute teilen, bestimmte andere nicht teilen (die negative Analogie) – und die zusätzlich die Bedingungen erfüllen, die in den relevanten Korrespondenzregeln niedergelegt sind.“ (Realism § 27, S. 181)
An dieser Stelle kann man zwei entscheidende Feststellungen machen. 1. Sobald klar ist, daß es auf die formalen, höherstufigen Bestimmungen ankommt, fragt sich, ob nicht gerade diese ohne Bezug auf Modelle, nämlich in expliziten Postulaten beispielsweise der Form ‚∀x∀y∀z ((xRy ∧ yRz) → xRy)‘ (Transitivität) spezifiziert werden können. Sellars lehnt das insbesondere mit dem Hinweis ab, die wissenschaftlich relevanten formalen Attribute träten in so großer Zahl und hoher Komplexität auf81, daß die theoretische Begriffbildung eine Basis für einen mehr oder weniger vagen Bezug auf einen Rahmen von höherstufigen Bestimmungen und die kommentierenden Eliminationen und Modifikationen einen Kontext des intuitiven Erfassens des Rahmens des Modells erfordern.82 Das alles sind zwar prinzipielle Gründe, soweit es um die menschlichen Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Betätigung geht. Aber es ist sehr fraglich, ob sie auch für eine theoretische Begriffsbildung unter idealen kognitiven Umständen gelten, in denen es kein Problem ist, mit der Komplexität und Vielgestaltigkeit formaler Charakteristika umzugehen. Zu Nagel bemerkt Sellars jedenfalls, daß die Struktur der theoretischen Begriffe in der wirklichen Praxis reichhaltiger und feinkörniger ist als die Strukur, die durch explizite theoretische Postulate generiert wird, daß sie es aber idealerweise nicht sein muß.83 2. Sellars besteht gegen M. Hesses Konzept der Ähnlichkeiten erster Stufe darauf, die für die Theoriebildung relevanten Analogien seien solche, in denen die zu den bekannten und zu den postulierten Objekten gehörenden Attributfamilien bloß formale Charakteristika gemeinsam haben müssen. 81
Siehe Realism § 28, S. 181 Siehe Realism § 32, S. 182: „... models provide a basis for a more or less vague and open-textured reference to a framework of propositional functions which the predicates of a theory are to satisfy.“ „... these ... qualifications operate within the context provided by an intuitive grasp of the framework of the model ...“. 83 Siehe Realism § 21, S. 178; siehe auch §§ 22-23, S. 179. 82
50 Dann kann aber der analogisierend-modellbezogene Faktor der theoretischen Begriffsbildung alleine nicht ausreichen, um einen gehaltvollen Begriff von den erststufigen Attributen der postulierten Objekte zu konstituieren; denn ein solcher Begriff kann nicht ausschließlich auf formalen Bestimmungen wie der Transitivität beruhen. Deswegen muß Sellars in der angegebenen kompakten Formulierung seiner Konzeption (Realism § 27, S. 181) fordern, daß die ‚neuen‘ Attribute zusätzlich durch die Bedingungen spezifiziert werden, die ‚in den relevanten Korrespondenzregeln niedergelegt sind‘, d.h. in Regeln, die Ausdrücke für theoretisch postulierte Entitäten mit solchen für bekannte Phänomene in Beziehung setzen. Wendet man das zur analogisch-modellbezogenen Begriffsbildung Gesagte auf die Frage an, ob dieser methodische Punkt bereits zur Einsicht verhilft, daß der Schluß auf Sinneseindrücke tatsächlich die Existenz sehr anspruchsvoller, jedenfalls nicht auf unproblematische Weise physischer Zustände, sondern von eigenartigen Bewußtseinszuständen rechtfertigt, so muß man den beiden aufgeführten Punkten entsprechend folgendes konstatieren: 1*. Angenommen, daß der Mensch des manifesten Weltbildes allein aufgrund seiner Beschränkungen auf analogisch-modellbezogene Begriffsbildung im Zusammenhang mit dem Schluß auf Sinneseindrücke zu keiner anderen Begriffsbildung fähig ist als zu einer solchen, die die postulierten Zustände als etwas Besonderes erscheinen läßt. Dann ist es für ihn doch nicht vernünftig, auf dieser Besonderheit zu beharren, die sich bloß einer kognitiven Beschränkung verdankt. Vernünftig wäre es, seine Theorie mit dem Kommentar zu versehen, sie weise sicherlich in die richtige Richtung, sei aber in ihren Begriffen beim gegenwärtigen Wissensstand unvermeidlicherweise inadäquat; speziell müsse man die-und-die anscheinende Besonderheit nicht ernst nehmen.84 2*. Der nach sellarsscher Manier analogisch-modellbezogen Faktor der Begriffsbildung kann keine Einsicht in die eigentliche Natur der postulierten Attribute von Sinneseindrücken verschaffen, sondern bloß eine Einsicht in die formalen Charakteristika der Attributfamilie. Um dennoch einzusehen, daß die postulierten unmittelbaren Ursachen von Wahrnehmungs84
Da das manifeste Weltbild eine reflektierte Variante des ursprünglichen Weltbildes ist, sind in ihm also durchaus kritische Erwägungen möglich.
51 auffassungen von sehr besonderer Art sind, müßte der Schluß auf Sinneseindrücke irgendwelche bestimmten ihrer formalen Charakteristika auszumachen gestatten, und man müßte begreifen können, daß nur besondere Zustände, etwa Bewußtseinszustände, die keine simplen physischen Zustände sind, Attribute mit diesen Charakteristika besitzen können. Das bedeutet aber, daß der methodisch orientierte Versuch, den Schluß auf Sinneseindrücke im Ergebnis zu verstärken, soweit er bisher diskutiert wurde, allenfalls zusammen mit einem Versuch gelingen kann, der einen besonderen inhaltlichen Aspekt des Explanandum ins Spiel bringt. Das kann bei Sellars aber nur der Versuch sein, der mit der Homogenitäts-Anforderung arbeitet. 2.c Die Anforderung der ultimativen Homogenität kann den Schluß auf Sinneseindrücke nur tragen, wenn an den entsprechenden Schlußmustern für perzeptuelle Ausdrücken angesichts eines aufkommenden Partikel-Weltbildes vernünftigerweise festgehalten werden muß. Die Homogenitäts-Anforderung spielt besonders im Weldbild-Aufsatz eine explizit große Rolle – sie soll nämlich für das Aufeinanderprallen des manifesten und des wissenschaftlichen Weltbildes verantwortlich sein.85 Tatsächlich kann man sich, wenn man die Homogenitäts-Anforderung diskutiert, nicht auf das manifeste Weltbild beschränken, sondern muß die erste Epoche des wissenschaftlichen Weltbildes mit berücksichtigen. Es handelt sich um die Epoche des ‚hobbesianischen‘ Rahmens86; ich werde sie als Partikel-Weltbild bezeichnen, da sie durch die Grundeinstellung gekennzeichnet ist, daß die letzten Konstituenten Partikel sind, die immer komplexere Systeme von Partikeln bilden.87 Ausgangspunkt der Reibereien zwischen manifestem und Partikel-Weltbild ist die Art, wie im manifesten Bild wahrnehmbare Qualitäten aufgefaßt werden: Sehen wir einen rosa gefärbten Eiswürfel, so präsentiere er sich uns, so Sellars, als etwas, das durch und durch rosa ist, als ein rosa Kontinuum, dessen sämtliche Teilbereiche, wie klein sie auch sein mögen, rosa sind; er präsentiere sich uns als
85
Siehe Image Abschnitt V., S. 25ff.: „The Clash of the Images“. Siehe Phen, S. 105; siehe auch Image, S. 26. 87 Siehe Image, S. 37. 86
52 ultimativ homogen.88 An der grammatischen Oberfläche klingt das so, als wäre ultimative Homogenität eine Eigenschaft von Gegenständen, etwa des Eiswürfels. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Eigenschaft von wahrnehmbaren Qualitäten89, also um eine Eigenschaft zweiter Stufe. Die Homogenität der wahrnehmbaren Qualitäten erscheint damit als Bestimmung der passenden Art, um in einer analogisch-modellbezogenen theoretischen Begriffsbildung, wie Sellars sie konzipiert, auf postulierte Attribute übertragen zu werden. Genau diese Übertragung spielt im Weltbild-Aufsatz eine entscheidende Rolle.90 Das erste Aufeinanderprallen des manifesten und des wissenschaftlichen Weltbildes ereignet sich jedoch unabhängig von dieser Übertragung. Es ist daher zunächst einmal das manifeste Weltbild o.S.E., das mit dem wissenschaftlichen, genauer mit dem Partikel-Weltbild in Konflikt kommt. Ich werde versuchen, einen erheblichen Zweifel am Bestehen dieses Konfliktes zu begründen. Ich bezweifle nämlich, daß es für den Menschen des manifesten Weltbildes o.S.E. vernünftig ist, dann, wenn die PartikelVariante des wissenschaftlichen Bildes ausgebildet ist, auf denjenigen Bestimmungen zu beharren, die für den Konflikt beider Bilder verantwortlich sind. Dabei unterstelle ich dreierlei, wogegen weder sachlich noch in Sellars‘ Ausführungen etwas spricht: i. Das manifeste Weltbild o.S.E. kann im Prinzip den vollen Grad an Rationalisierung aufweisen, den Sellars für das volle manifeste Bild in Abhebung vom ursprünglichen Weltbild idealtypisch annimmt. Diejenige Überlegung, die zum Postulieren von Eindrücken führt, ist also von der allgemeinen Rationalisierung abtrennbar, auch wenn eine solche Trennung historisch unplausibel sein mag. ii. Die Einführung einer Partikel-Theorie als einer ersten konkreten Gestalt des wissenschaftlichen Bildes erfordert nicht, daß zuvor das manifeste Weltbild zum Bild cum Sinneseindrücke vervollständigt wurde.
88
Siehe Image, S. 26: „The manifest ice cube presents itself to us as something which is pink through and through, as a pink continuum, all the regions of which, however small, are pink. It presents itself to us as ultimately homogeneous ...“. 89 Siehe Image, S. 35. 90 Siehe Image, S. 34-35.
53 iii. Der Mensch des manifesten Weltbildes kann seine Weltauffassung in reflektierter Form durchschauen. D.h. er kann sich selbst als der Jones von Sellars‘ Mythos begreifen, abgesehen bloß von seiner letzten Glanzleistung, dem Postulieren der Sinneseindrücke. Die folgende Darstellung der Struktur des Weltbildkonfliktes soll alles Wesentliche treffen, obwohl sie bei Sellars selbst etwas komplizierter erscheint91: Man kann diejenigen Teile eines Gegenstandes als genuine Bestandteile bezeichnen, die als Gesamtheit schlicht identisch mit dem Gegenstand sind.92 Dann besteht die ultimative Homogenität einer Qualität darin, daß, wenn etwas die Qualität besitzt, auch alle seine genuinen Bestandteile sie besitzen müssen. Drei Aussagen ergeben sich: a. Bestimmte Wasserstoffatome sind genuine Bestandteile des rosa Eiswürfels; d.h. der Würfel ist nichts weiter als eine Gesamtheit gewisser Wasserstoff-, Sauerstoff- und sonstiger Atome. (Ergebnis der Wissenschaft) b. Der Eiswürfel ist rosa; daher sind alle seine genuinen Bestandteile rosa. (Ultimative Homogenität der Qualität Rosa) c. Kein Atom ist rosa. (‚Ergebnis‘ der Wissenschaft93) Damit die ultimative Homogenität der Farbe zu dieser inkonsistenten Triade beitragen kann, muß sie im Begriffssystem des manifesten Weltbildes erfaßt sein. Da begriffliche geistige Zustände für Sellars durch die Rolle gekennzeichnet sind, die sie spielen, muß sich die Homogenität irgendwie in den Rollen der Begriffe niederschlagen, die man von den wahrnehmbaren Qualitäten besitzt. Die verschiedenen Elemente solcher Rollen bezeichnet Sellars als musterbeherrschtes Verhalten94, und es kommt ihm sehr darauf an, diesen Verhaltensformen einen Status zwischen einem Verhalten, bei dem man bestimmten Regeln gehorcht, und einem Verhalten in 91
Zu Sellars‘ Darstellung siehe besonders Image, S. 26-27. Die Bäume eines Waldes sind jedenfalls weitaus eher dessen genuine Teile, als etwa die Bürger genuine Teile eines Staates sind. Zum Wald-Beispiel siehe Image, S. 26. 93 (c.) wird kaum im selben Sinn wie (a.) Ergebnis der Wissenschaft sein. Eher muß der bloße Status von Atomen als unbeobachtbarer Objekte ausreichen, um es begrifflich unmöglich erscheinen zu lassen, daß Atome rosa sind: „... it doesn’t make sense to say of the particles of physical theory that they are coloures“ (Image, S. 35). 94 Siehe N&O IV. § 31, S. 81: „pattern-governed [linguistic] behavior“. 92
54 bloßer Übereinstimmung mit einer Regel zu sichern.95 In der anstehenden Diskussion kommt es weit mehr auf die Inhalte der Rollenelemente an als auf diesen prekären Zwischenstatus. Auf jeden Fall existieren die Elemente im banalsten Sinn in Form von Tendenzen der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft, in Situationen angebbarer Art bestimmte öffentliche Ausdrükke bzw. ihre Entsprechungen im postulierten Mentalischen zu verwenden; und darüber hinaus ist es sinnvoll, bestimmte Mitglieder der Gemeinschaft als besonders kompetent hervorzuheben und ihr Verhalten als Maß anzusehen, anhand dessen das der anderen als korrekt oder inkorrekt eingestuft werden kann.96 Relevant sind folgende beiden Sorten von Verhaltensformen: Spracheingangs-Übergänge: Der Sprecher [und Denker; RB] reagiert ceteris paribus auf Objekte in Wahrnehmungssituationen mit geeignetem sprachlichem [inklusive ‚Mentalischem‘; RB] Verhalten. Innersprachliche Übergänge: Die sprachlich-begrifflichen Episoden des Sprechers tendieren dazu, in Mustern gültiger Schlüsse aufzutreten.97 Offensichtlich kann sich der Homogenitätscharakter nur in innersprachlichen Übergängen niederschlagen. In Sellars‘ Konzeption kann er tatsächlich in derartige Formen eingehen, weil zu den gültigen Schlüssen, denen ein bedeutungsvoller Zeichengebrauch genügen muß, auch materiale Schlußformen der Art ‚α ist rot. Also: α ist nicht grün‘ zählen, d.h. verein95
Siehe LangGames § 12, S. 325: „obeying rules“ vs. „merely conforming to rules“. Meine Formulierung stellt eine Bypass-Operation um die schwierige Frage dar, worin genau in sprachlichen Zusammenhängen das Sollen („ought-to-be“, etwa N&O V. §§ 28-32, S. 80-82) bestehen soll. Ich fühle mich zu der Operation insbesondere aufgrund eines Prinzips berechtigt, das Sellars in Truth formuliert und welches immerhin das Scharnier zwischen dem rollentheoretischen und dem abbildtheoretischen Aspekt seiner Semantik darstellt: „... the statement that a person or group of people think of something as something that ought (or ought not) to be done in a certain kind of circumstance entails that ceteris paribus they actually do (or refrain from doing) the act in question whenever the circumstance occurs“ (21516; auch in: N&O V., S. 139) 97 Siehe N&O IV. § 31, S. 81. Zur Rollensemantik siehe J. Seibt, Processes, bes. S. 2957. 96
55 facht solche, deren Gültigkeit nicht allein auf der Bedeutung des relevanten logischen Vokabulars beruht.98 Meine Aussage (b.) in der obigen inkonsistenten Triade Der Eiswürfel ist rosa; daher sind alle seine genuinen Bestandteile rosa. darf als Einsetzungsinstanz einer Schlußform gelten, die die Homogenität der Rosa-Qualität in das Begriffssystem integriert.99 2.d Die Homogenitäts-Anforderung rechtfertigt keinen Schluß auf anspruchsvolle Sinneseindrücke, da der reflektierte Mensch des manifesten Weltbildes die Bestimmungen der ultimativen Homogenität harmonisch an das aufkommende Partikel-Weltbild anpassen sollte. Um meinen Einwand zu begründen, möchte ich im Sinne meiner Unterstellungen (i) – (iii) eine Person annehmen, die in einem gänzlich rationalisierten und reflektierten manifesten Weltbild o.S.E. lebt. Sie ist sich eines Kontrastes zwischen eigentlich wahrnehmbaren und anderen Eigenschaften bewußt. Eigenschaften beider Sorten sind für sie allerdings solche möglicher Dinge, die in einem allgemeinen Raum existieren und intersubjektiv wahrnehmbar sind. Sie kennt die funktionalistische Theorie der Bedeutung oder des Inhaltes sprachlicher Ausdrücke und begrifflicher Episoden: Die relationale Oberflächengrammatik von „eine Bedeutung haben“ darf nicht ernstgenommen werden; eine Bedeutung zu haben heißt einfach, eine bestimmte Rolle zu spielen.
98
Siehe Particulars, S. 293: „... material rules of inference ... are as essential to a language as ... formal rules of inference.“ Siehe auch LangGames §§ 25-29, S. 330-31; SyntheticApriori § 9, S. 316-17. Die These, daß materiale Schlußformen auch die Rolle von Beobachtungsprädikaten charakterisieren müssen, ist wesentlicher Bestandteil von Sellars‘ Ablehnung des Mythos des Gegebenen; siehe etwa LangGames, § 46 S. 339. Siehe dort auch zu meinem Beispielschluß: „... material moves which characterize colour words as a family of mutually incompatible predicates.“ 99 Ich formuliere so vorsichtig, weil es sich wohl eher um die rationalisierte und pointierte Fassung eines Bündels solcher Schlußformen handeln dürfte, die eine Art von realer Geltung in einer Sprachgemeinschaft besitzen. Das hängt offenbar mit dem kontextuellen und intuitiven Charakter der modellbezogenen Begriffsbildung zusammen, welchen Sellars so betont.
56 Sie ist sich speziell der semantischen Besonderheit bewußt, welche Ausdrücke für eigentlich wahrnehmbare Qualitäten im manifesten Weltbild aufweisen. Sellars lehnt zwar die ‚Thermometer-Auffassung‘100 der Semantik etwa von Farbprädikaten ab, derzufolge ein Ausdruck wie „rot“ im wesentlichen einfach dadurch die Qualität der Röte bedeutet, daß es unter bestimmten Umständen in Reaktion auf rote Gegenstände verwendet wird.101 Der zentrale Punkt seiner Gegenposition, daß auch solche Prädikate für eigentlich wahrnehmbare Eigenschaften aufgrund ihrer Rolle Bedeutung besitzen, ist jedoch, daß auch zur Rolle solcher Prädikate innersprachliche Übergangsformen gehören, die sie mit dem gesamten Sprachsystem verbinden. Doch diese Position ist damit vereinbar, daß Spracheingangs-Übergangsformen in die Rolle solcher Prädikate in einer unmittelbaren Weise eingehen, in der sie es bei dem sonstigen Vokabular nicht tun. Daß es sich im manifesten Weltbild so verhält, ist für Sellars sogar per definitionem wahr: Das manifeste Bild sei nämlich definiert als Begriffsrahmen, in dem Begriffe für Arten von Dingen und für kausale Eigenschaften aus Begriffen aufgebaut sind, die sich auf manifeste wahrnehmbare (wörtlich: empfindbare!) Eigenschaften physischer Gegenstände beziehen.102 100
Siehe EPM § 31, S. 162: „thermometer view“; siehe die Diskussion der zweiten Variante des Begriffsempirismus („concept empiricism“) in SyntheticApriori Abschnitt 8, S. 311-316. 101 Siehe EPM § 31, S. 162: „... there is a temptation to suppose that the word ‚red‘ means the quality red by virtue of these two facts: briefly, the fact that it has the syntax of a predicate, and the fact that it is a response (in certain circumstances) to red objects.“ Siehe auch LangGames § 32, S. 332-33, § 38, S. 335, § 46, S. 339; SyntheticApriori S. 316. 102 Siehe RealismTenable § 44, 318: „... can we conceive of a conceptual framework in which the resources of the second type (i.e., concepts pertaining to thing kinds and causal properties) are built out of the resources of the first type (concepts pertaining to the occurrent sensible properties of physical objects). I have argued that the answer is yes. Indeed, what I have called the ‚manifest imgage‘ of the physical world was defined as just such a structure.“ Siehe auch Knowledge II § 57, S. 329: „The attributes which it [d.i. the manifest image] ascribes to material things include, in the first instance, the proper and common sensibles. But it also allows in its universal discourse attributes which are definable [!] in terms of sensible attributes, and of which the most interesting are the powers and propensities of material things ...“ – Unglücklicherweise scheint „manifest“ auch die beste Übersetzung für Sellars‘ „occurrent“ im Zusammenhang mit Qualitäten zu sein.
57 Unter den manifesten Eigenschaften, deren Begriffe die Bausteine bilden, versteht Sellars tatsächlich, wie er am Beispiel des rosa Eiswürfels erläutert, solche Eigenschaften wie kalt, glatt, durchsichtig rosa oder würfelförmig zu sein.103 Die anderen im manifesten Weltbild konzipierbaren Eigenschaften physischer Dinge bezeichnet er insgesamt als kausale Eigenschaften, wozu etwa Vermögen, Neigungen und dispositionale Eigenschaften gehören.104 Aufschlußreicher ist allerdings, daß er sie „iffy properties“, auf Deutsch vielleicht: konditionale Eigenschaften nennt; konditionale Eigenschaften seien nämlich solche, die in erster Annäherung mittels eines Konditionalsatzes expliziert werden können, während die manifesten Eigenschaften gerade diejenigen sind, die nicht durch ein Konditional expliziert werden müssen.105 Man darf wohl unterstellen, daß die Leistung, die von einem Ausdruck bezeichnete Eigenschaft durch bestimmte Sätze zu explizieren, eine Form ist, die semantische Rolle des Ausdruckes anzugeben. Ein Konditional der Art, wie Sellars sie für die Explikation konditionaler Eigenschaften vorsieht, expliziert aber sicherlich eine innersprachliche Übergangsform. So wird die Tatsache, daß die Eigenschaft der Wasserlöslichkeit durch den offenen Satz ‚Wenn x in Wasser getaucht wird, löst sich x auf‘ explizierbar ist, der Übergangsform entsprechen, tendenziell dem folgenden Schlußmuster entsprechend zu sprechen und zu denken: α ist wasserlöslich, α wird in Wasser getaucht, Also: α löst sich auf.106 103
Siehe Knowledge I § 28, S. 302: „It is cold, smooth, transparently pink, and cubical. ... these ... occurrent attributes ...“. 104 Siehe Knowledge I § 28, S. 303: „causal properties“; § 27, S. 302: „powers, propensities, dispositional properties“. 105 Siehe Knowledge I § 24, S. 301-302: „... an ‚iffy‘ property ... is to be explicated, in first approximation, by means of ... [a] hypothetical ... Whereas an occurrent property ... is one that is not to be explicated by a hypothetical.“ 106 Zur Analyse kausaler Eigenschaften und zu Schlußmustern der relevanten „materialen“ Art siehe Sellars‘ ausführlichen Aufsatz Counterfactuals, besonders § 31, S. 248: „... there is clearly a close connection between x1 is (water-) soluble and If x1 were put in water, it would dissolve. ... It is tempting to claim, at least as first approximation, that statements of these two forms have the same sense. I believe that this claim, or something like it, would stand up under examination ...“; § 32: „Per-
58 Das bedeutet, daß Spracheingangs-Übergangsformen in die Rolle von Ausdrücken für nicht-manifeste Eigenschaften wie „... ist wasserlöslich“ allenfalls mittelbar eingehen, nämlich indem sie in die Rolle der Prädikate eingehen, die in solchen Schlußmustern abgesehen von diesen Ausdrücken selbst vorkommen, im Beispiel „... wird in Wasser getaucht“ und „... löst sich auf“. Und das bedeutet letztendlich, daß die einzigen SpracheingangsÜbergangsformen solche sind, die beinhalten, daß die Ausdrücken für manifeste Eigenschaften unter gewissen Umständen typischerweise in Reaktion auf Gegenstände in der Umgebung verwendet werden, welche diese Eigenschaft besitzen.107 Es fragt sich nun, ob man einer im manifesten Bild lebenden Person angesichts ihres so beschaffenen Selbstverständnisses raten sollte, gegen ein aufkommendes Partikel-Weltbild an den Homogenitäts-Bestimmungen der ihr bekannten manifesten Eigenschaften in einer Form festzuhalten, die zum geschilderten Konflikt führt. Zwei Punkte sind entscheidend: 1. Der scheinbare Bezug auf Eigenschaften ist in Wahrheit bloß ein Spielen einer Rolle. Die Person kann diesem Selbstverständnis zufolge nicht annehmen, ihr Begriffssystem könne ein tatsächliches manifestes Sosein von Gegenständen in einer generalisierten Form, d.h. als generische Eigenschaft, einfach abgreifen und der Intellekt könne diese Eigenschaft in einer Kontemplation derart erfassen, daß ein formales Charakteristikum wie die ultimative Homogenität dabei einsehbar wäre. Denn das widerspricht in aller Klarheit und Deutlichkeit der funktionalistischen Auffassung des begrifflichen Denkens, die zur Hauptformel in Sellars‘ Rezept gegen den Mythos des Gegebenen gehört. Nach dieser Auffassung bleibt von dem Gedanken, begriffliche Episoden bestünden in einer Beziehung zu abhaps the simplest way ... is to represent the analysis of concepts like ‚(water-) soluble‘ by the schema D(x,t) =Df φ(x,t) implies ψ(x,t) ...“. Zur Entwicklung dieser Konzeption siehe ConceptsLaws und InferenceMeaning. 107 Zumindest muß das für genuine Eingangs-Übergänge gelten, wenn auch nicht für vermittelte Welt-Sprache-Übergänge, die eine Kombination aus genuinen Eingangsund innersprachlichen Übergängen darstellen; siehe dazu S&M IV. § 61, S. 114, Punkt II. (b). Ich unterstelle, daß Sellars mit der Explizierbarkeit einer Eigenschaft durch ein Konditional in erster Näherung meint, daß sie vollständig in erster Näherung so explizierbar ist, so daß eine Verfeinerung nichts der Art nach Neues hinzufügte.
59 strakten Entitäten wie Eigenschaften, nichts übrig als ein oberflächengrammatischer Anschein: Was wie eine relationale Tatsache aussieht, derzufolge ein Zeichentyp in einer bestimmten Beziehung zu einer Eigenschaft steht, ist in Wahrheit die Tatsache, daß die Exemplare des Typs eine bestimmte Rolle spielen. Vereinfacht lautet die These, daß eine oberflächlich betrachtet relationale Aussage wie ‚rot‘ bedeutet rot (Form: aRb) in Wahrheit die allgemeine kategorische Aussage Jedes ‚rot’ ist ein ⋅rot⋅ (Form in moderner Notation: ∀x (Fx → Gx)) ist. Die Punktanführung „⋅...⋅“ in „⋅rot⋅“ erlaubt es dabei, aus dem Ausdruck „rot“ der Sprache, in der die Aussage gemacht wird, einen prädikativen Ausdruck für die Sorte derjenigen Ausdrücke beliebiger Sprachen, letztlich auch des Mentalischen, zu bilden, die dieselbe Rolle spielen wie „rot“ in der verwendeten Sprache.108 Wenn man an der relationalen Redeweise festhalten möchte, ist das nicht-zeichenartige Relatum so etwas wie eine verdinglichte semantische Rolle. 2. Ausdrücke für manifeste Eigenschaften spielen einfach eine besondere Art von Rolle. In ihrer reflexiven Selbstverständigung kann die Person einsehen, daß die manifesten unter den ihr bekannten Eigenschaften keinen prinzipiellen Sonderstatus etwa von dem Schlage besitzen, daß die konditionalen Eigenschaften begriffliche Konstrukte darstellen, die manifesten hingegen so etwas wie reale Bestimmungen der Wirklichkeit selbst sind. Alle Eigenschaften sind durch eine farçon de parler verdinglichte Rollen. Manifeste Eigenschaften sind nicht dadurch etwas besonderes, daß sie keine Rollen sind, sondern daß sie Rollen besonderer Art sind, nämlich solche, die auf basale Weise Spracheingangs-Übergänge einschließen. Und wenn die Person solche Eingangs-Übergänge beschreiben oder korrespondierende Regeln formulieren möchte, wie ein Mitglied der Sprachgemein108
Siehe etwa S&M III, besonders § 57, S. 82: „... statements of the surface form (the) ‚---‘ (in L) stands for (abstract singular term) are classificatory in nature, and have, from a more searching point of view, the form ‚...‘s (in L) are ⋅---⋅s“; siehe auch N&O IV (Meaning and Ontology), besonders § 78, S. 95: „... ‚rot‘ (in G) means red is to be reconstructed as ‚rot’s (in G) are ⋅red⋅s ...“.
60 schaft seine Zeichen verwenden soll, kann sie die Art von Dingen, auf die in visueller Präsenz korrekterweise mit ‚rot‘ reagiert wird, nicht anders spezifizieren, als daß sie ihren Ausdruck ‚rot‘ verwendet; im manifesten Rahmen besitzt sie keinen direkteren Zugriff auf die relevante Sorte. Hat sie sich diese Punkte vor Augen geführt, so muß sie prima facie keinen Konflikt fürchten, wenn ihr Weltzugang um eine Partikel-Theorie ergänzt wird. Sie kann der Theorie vertrauen und sich sagen lassen, wie die Dinge, die sie im manifesten Bild als rot auffaßt, ‚wirklich‘ beschaffen sind. Das Vernünftigste wäre offenbar, ihre bisherige und die neue Auffassung nach Möglichkeit in eine harmonische Beziehung zu bringen. Und das würde am besten dadurch geschehen, daß sie im Lichte der neuen Weltsicht ihre bisherige Auffassung reinterpretiert. Der wichtigste Zug wäre dabei, sämtliche alten innersprachlichen Beziehungen, die wesentlich den Begriff des genuinen Bestandteils involvieren, nun dahingehend zu verstehen, daß beobachtbare genuine Bestandteile gemeint sind. In dieser Form könnte die Homogenitätsklausel für manifeste Farben in Geltung bleiben: Wenn etwas rot ist, dann sind alle seine beobachtbaren genuinen Bestandteile rot. Über ein Konzept von Beobachtbarkeit muß sie nach obiger Voraussetzung verfügen; denn die grundlegenden Gegenstände des Partikel-Weltbildes werden postuliert als unbeobachtbare Entitäten. Insgesamt läßt sich auf Sellars‘ via antiqua folglich kein Schluß auf anspruchsvolle Sinneseindrücke rechtfertigen. 3. Sellars‘ via moderna: Phänomenologie und Rekategorisierung 3.a Sellars‘ spätere Vorgehensweise besteht aus einem ersten phänomenologischen und einem zweiten theoretisch-postulierenden Schritt. Methodisch unterscheiden sich die Arbeiten der via moderna dadurch von den älteren, daß Sellars offen von phänomenologischen Überlegungen Gebrauch macht. Seine eigene Charakterisierung solcher Überlegungen weist allerdings eine Merkwürdigkeit auf: Während phänomenologische Forschung in der von Husserl etablierten Form, den Sellars auch mehrfach erwähnt, zweifellos ein anschauliches Unternehmen sein sollte, betont Sellars die Ähnlichkeit von philosophischer Analyse und Phänomenologie und spricht von ‚Phänomenologie oder begrifflicher Analyse‘, als sei beides im
61 Wesentlichen dasselbe.109 Wenn der begrifflich-analytische Charakter ernst genommen werden muß, handelt es sich sicherlich um eine Analyse der manifesten Weltkonzeption; denn in einer Arbeit beginnt Sellars die Überlegungen mit der Erklärung, das theoretische Weltbild einklammern und das manifeste explizieren zu wollen.110 Doch eine bloße begriffliche Analyse scheint nicht sehr vielversprechend zu sein. Entweder wäre sie nämlich eine Analyse des manifesten Bildes o.S.E.; dann dürfte gegenüber der via antiqua methodisch nichts gewonnen sein. Oder es handelte sich um eine Analyse des vollständigen manifesten Bildes; dann gehören Begriffe für postulierte Sinneseindrücke bereits zum Analysandum, so daß man auf diesem Weg nicht verstehen kann, wie und mit welchem Recht die Eindrücke postuliert wurden. Vielleicht müßte man eine nicht bloß begrifflich-analytische Einsicht der Menschen annehmen, deren Welterfahrung auf das manifeste Weltbild beschränkt ist. Dann wäre es aber viel überzeugender, wenn wir uns als Philosophen selbst zu derjenigen Einsicht bringen könnten, die schließlich die Annahme von Sinneseindrücken motiviert. Man sollte daher entsprechende Hinweise bei Sellars ernstnehmen, die die phänomenologische Einstellung eher als eine erscheinen lassen, in der wir, als Philosophen, unseren konzeptionellen Horizont auf das manifeste Weltbild o.S.E. einschränken und in diesem Rahmen zu einer Einsicht in die Natur der Wahrnehmung zu gelangen versuchen. Diese Einsicht wird demnach keiner bloßen Analyse einer gegebenen Weltauffassung entstammen, sondern muß einen der anschauenden Einsicht vergleichbaren Status besitzen, wie sie die klassische Phänomenologie beansprucht hat. Daß phänomenologische Überlegungen in Sellars‘ späteren Arbeiten eine besondere Rolle spielen, bedeutet allerdings nicht, daß Sellars die fundamentale These aufgibt, Sinneseindrücke würden im manifesten Weltbild theoretisch postuliert. Die via moderna gliedert sich vielmehr in zwei Pha-
109
PercConsc § 5, S. 170: „philosophical analysis (and synthesis) as akin to phenomenology“; § 35, S. 178: „phenomenology or conceptual analysis“; ähnlich § 6, S. 170; § 41, S. 179. 110 Knowledge I § 23, S. 301: „... I shall (to borrow Husserl’s useful term) ‚bracket‘ the theoretical picture of the world and concern myself with explicating what I have called the Manifest Image.“
62 sen, eine phänomenologische (I) und eine theoretische (II). Beide Phasen lassen sich wiederum als zwei Teilphasen umfassend begreift:111 Teilphase I.a: Wir schalten in der phänomenologischen Einstellung alle konzeptionellen Elemente aus, die über das manifeste Bild hinaus gehen. Im Rahmen dieses Bildes, das sicherlich als manifestes Bild o.S.E. verstanden werden muß, können wir unterscheiden: i. zwischen dem Sehen eines Gegenstandes vom Typ F und dem (bloß) anscheinenden Sehen eines solchen Gegenstandes;112 ii. zwischen dem Gegenstand, den man sieht, und dem, was man von dem Gegenstand sieht.113 Teilphase I.b: In der eigentlichen phänomenologischen Teilphase sehen wir, d.h. die Phänomenologen, ein, daß in einem anscheinenden Sehen eines Gegenstandes vom Typ F unabhängig von der Frage, ob ein tatsächliches oder ein bloß anscheinendes Sehen vorliegt, irgendetwas, das irgendwie Fmin ist, in anderer Weise präsent ist, als daß bloß die begrifflich gefaßte Überzeugung vorliegt, man sei mit einer Fmin-Entität konfrontiert. Ich werde das im weiteren kurz so ausdrücken, daß irgendetwas, das irgendwie Fmin ist, actualiter präsent ist.114 ‚Fmin‘ ist dabei meine schematische Bezeichnung für eine auf Ausdrücke für eigentlich wahrnehmbare Eigenschaften beschränkte Variante der Beschreibung F. Nach der oben erläu111
Diese Phasen sind nicht etwa wiederum zeitliche Abschnitte in Sellars‘ intellektueller Biografie, sondern große Einheiten in der argumentativen Ordnung. 112 Etwa PercConsc § 39, S. 179: „We can use the phrase „ostensible seeing of a cube of pink ice ... as a cube of pink ice ...“ to refer to a visual experience which would be a case of seeing a cube of pink ice ... as a cube of pink ice ... if there was such a cube of pink ice and it was ... causally responsible for the ostensible seeing.“; der Begriff findet sich bereits in EPM § 7, S. 133; siehe auch PureProcess I § 70, S. 16. Ein anscheinendes Sehen in Sellars‘ Verständnis kann ein Sehen oder ein bloß anscheinendes Sehen sein; deshalb ist „anscheinend“ die korrekte Übersetzung, nicht „scheinbar“; siehe PercConsc § 41, S. 179. 113 Etwa PercConsc § 7, S. 170. 114 Siehe etwa PercConsc § 36, S. 178: „... something, somehow a cube of pink in physical space is present ... other than merely believed in.“ Die Pointe des „actualiter” liegt darin, daß die actualiter-Präsenz eines Fmin unabhängig davon ist, ob mein (des Phänomenologen) anscheinendes Sehen eines Fmin wirklich ein solches Sehen ist oder nicht.
63 terten Deutung muß es sich bei dem Ergebnis dieser Teilphase um eine irgendwie anschauliche Einsicht des Phänomenologen handeln. Teilphase II.a: Beim Eintritt in die erste theoretische Teilphase geben wir unsere Einschränkung auf den konzeptuellen Rahmen der Menschen, die im manifesten Weltbild o.S.E. denken, auf, so daß uns die Kompetenzen zur theorieartigen Erweiterung des Bildes o.S.E. zur Verfügung stehen. Mit ihnen können wir Sinneseindrücke postulieren, um den phänomenologischen Befund aus I.b zu erklären.115 Teilphase II.b: Abschließend gelangen wir zu einer Deutung dieses theoretischen Postulats: Wir führen damit keine neuen, unbeobachtbaren Entitäten gewissermaßen in unsere Ontologie ein, wie es in den Wissenschaften beim Postulieren neuer Teilchen geschieht. Sondern wir lösen eine bekannte Sache, nämlich wahrnehmbare Eigenschaften, aus ihrer kategorialen Form heraus, in der wir sie im manifesten Weltbild o.S.E. auffassen, und rekategorisieren sie als Typen von inneren Zuständen von Wahrnehmenden. Letztendlich sehen wir ein, daß visuelle Wahrnehmung im manifesten Weltbild einen systematischen kategorialen Fehler116 aufweist: Das, was wir vermeintlich von dem wahrgenommenen Gegenstand sehen, seine eigentlich wahrnehmbaren Charakteristika sind in Wahrheit Eigenschaften unseres Sinneseindrucks, den wir fälschlicherweise begrifflich als ein physisches Objekt auffassen.117
115
In den späteren Texten spricht Sellars oft von einer Proto-Theorie, etwa PercConsc § 41-41, S. 179: „... introduce visual sensations as proto-theoretical states ...“ Ich nehme an, daß dieses Präfix „Proto“ gegenüber der alten Ausdrucksweise betonen soll, daß man hier inhaltlich von einer detaillierten Theorie, speziell aber kategorial von einem Postulieren neuer fundamentaler Entitäten weit entfernt ist. 116 Siehe RealismTenable § 95, S. 330: „... perception involves a category mistake“. 117 Siehe RealismTenable § 93, § 99; besonders Anm. 29 zu § 93 (S. 333): „Thus, after many years, I have returned to the view of my teacher, H.A. Prichard, that seeing a colored object consists in having a sensation of a color and mistaking the sensation for a colored physical object, a view which was first ridiculed and then forgotten.“
64 3.b Sinneseindrücke können nur als etwas Besonderes etabliert werden, wenn der phänomenologische Befund auch die abschließende Deutung des Postulierens als Rekategorisierung rechtfertigt. Um die große Bedeutung von Phase II.b hervorzuheben, möchte ich zweierlei feststellen: Erstens: Die Deutung in II.b hat dramatische Konsequenzen für das manifeste Weltbild. (i) Wenn man einsieht, daß das vermeintliche Sehen eines roten physischen Dinges in Wahrheit im Haben eines RotSinneseindruckes besteht, den man fälschlicherweise als rotes Ding auffaßt, so ist die unabweisbare Konsequenz, daß es die vermeintliche Röte als Eigenschaft eines physischen Dinges gar nicht gibt.118 (ii) Da das manifeste Weltbild dadurch definiert ist, daß sämtliche Begriffe von physischen Objekten aus Begriffen für ihre manifesten wahrnehmbaren Eigenschaften ‚aufgebaut‘ sind119, ergibt sich, wenn man die Existenz manifester Eigenschaften aufgibt und konsequent verfährt, etwas, das man treffend als Zusammenbruch des manifesten Weltbildes bezeichnen kann. (iii) In die Überlegungen aller vier Phasen, auch von II.b, gehen nur Konzepte ein, die im manifesten Bild verfügbar sind.120 Wenn man das manifeste Weltbild idealtypisch als vollkommen reflektiert und rationalisert versteht, ist die Diagnose in II.b sowie die Zusammenbruchs-Konsequenz (ii) im vollständig entwickelten manifesten Weltbild enthalten. Das gilt natürlich nicht für das manifeste Weltbild o.S.E.. Zweitens: Wenn der neue Weg Sinneseindrücke als etwas Anspruchsvolles ausweisen soll, so kann er das nur inklusive seiner Phase II.b. Denn der wesentliche Vorteil dieses Weges gegenüber dem alten besteht darin, daß nicht mehr irgendwelche Zustände postuliert werden, deren Bestimmungen 118
Sellars formuliert diesbezüglich seltsam zurückhaltend: „... there need be no such thing as occurrent physical redness in the external world.“ (RealismTenable § 96, S. 331; Unterstr. RB) Aber es wäre doch offensichtlich inkonsequent, die Struktur des falschen Auffassens zu durchschauen und an der Existenz manifester Farben zusätzlich zu den postulierten Sinneseindrücken festzuhalten. 119 Siehe nochmals RealismTenable § 44, 318. 120 In PureProcess III ab § 17 kommt allerdings wieder der Konflikt zwischen manifestem und Partikel-Weltbild zur Sprache. Aber wenn der neue Weg weiter führen soll als der alte, darf die rekategorisierende Einführung von Sinneseindrücken davon nicht abhängen.
65 gewisse höherstufige Charakteristika erfüllen müssen, die durch analogisch-modellbezogene Erwägungen gerechtfertigt werden müssen.121 Vielmehr wird das ganze (vermeintlich) manifeste Sosein der physischen Welt in neuem kategorialen Gewand in die wahrnehmenden Personen übertragen. Das Resultat dieser dramatischen Übertragung dürfte man mit vollem Recht für etwas Anspruchsvolles halten. Vor diesem Hintergrund läßt sich die zentrale Frage hinsichtlich des neuen Weges formulieren. Wir Phänomenologen arbeiten im Rahmen des manifesten Weltbildes o.S.E. und in Kenntnis der funktionalistischen Auffassung begrifflicher geistiger Zuständen. Wir sollen in Phase I und besonders in der eigentlichen phänomenologischen Teilphase I.b einsehen können, daß irgendetwas irgendwie Fmin-haftes in einem bloß anscheinenden und einem wirklichen Sehen actualiter präsent sein muß. Die entscheidende Frage ist, ob es wirklich um eine Einsicht handelt, die uns berechtigt, Sinneseindrücken in der dramatischen Form zu postulieren, die in Phase II.b festgestellt wird. Auf die in Phase I.a erreichte Unterscheidung zwischen dem gesehenen Gegenstand und, dem, was man von ihm sieht, muß man sicherlich anwenden, was ich in bezug auf die via antiqua zur Unterscheidung der eigentlich wahrnehmbaren von den anderen Eigenschaften physischer Gegenstände festgestellt habe: In Kenntnis der funktionalistischen Auffassung 121
Sellars nimmt die Orientierung an der analogischen Begriffseinführung in der Wissenschaft immer mehr zurück: in PercConsc (1978) hält er an der analogischen Einführung fest, verlangt jedoch, daß sie in solcher Weise formuliert werden muß, daß die strikte Erhaltung des begrifflichen Gehaltes evident wird, und gesteht, daß er nicht weiß, was außer einem genaueren Ausbuchstabieren der Analogie dazu erforderlich ist. Siehe §§ 45-46, S. 180-81: „... that it is made evident that the analogy preserves in a strict sense the conceptual content ...“; „Just what more (if anything) this would involve than spelling out in greater detail the analogies ... I am not able to say.“ In PureProcess III, S. 72-73, wird der Gedanke der analogischen Einführung nur noch im Konjunktiv referiert: § 36: „... it is tempting to follow a familiar paradigm and to think of the theory as introducing a new domain of entities“; § 39: „One would ... be disposed to think of the pinkness of a pink sensation as analogous to the pinkness of a manifest pink cube ...“ Anschließend steht im Indikativ der Gedanke der kategorialen Reinterpretation; § 44: „... the theory of sense impressions does not introduce ... cubical volumes of pink. It reinterprets the categorial status of the cubical volumes of pink ...“.
66 begrifflichen Denkens handelt es sich letztlich um eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Rollen, die sprachliche Zeichen inklusive der mentalischen Vorkommnisse spielen können. Die neue Unterscheidung wendet das Konzept der eigentlich wahrnehmbaren Eigenschaften nur auf Einzelfälle an: In einer einzelnen Situation sehen wir von dem Gegenstand einige seiner eigentlich wahrnehmbaren Eigenschaften; und darüber hinaus kann man sagen, wir sehen von ihm gewisse Teile oder Momente, welche solche Eigenschaften exemplifizieren. So sehen wir von einem opaken Gegenstand bestimmte Ausschnitte seiner Oberfläche.122 Das methodische Merkmal der eigentlich phänomenologischen Teilphase I.a ist, daß sich die anschauliche Einsicht des Phänomenologen mit begrifflich ausgedünnten Mitteln ausbildet.123 Die Etablierung von Sinneseindrücken beginnt, so kann man sagen, mit einer Entkategorisierung der Begriffe für wahrnehmbare Eigenschaften; erst zusammen mit der theoretisch postulierenden Leistung in Phase II.a ergibt sich etwas, das in Phase II.b als Rekategorisierung begriffen werden kann. Setzt man die in der letzten Phase entwickelte Auffassung bereits voraus, so könnte sich ein plausibles Bild dessen ergeben, was uns als Phänomenologen widerfährt: In einer visuellen Wahrnehmungssituation haben wir einen bestimmten Sinneseindruck (genauer betrachtet handelt es sich um eine komplexe Struktur aus erlebnishaften und bildhaften Elementen); in gewöhnlicher Einstellung fassen wir diesen Eindrück fälschlicherweise als ein in gewisser Art beschaffenes physisches Objekt auf. Immer noch im Prinzip in gewöhnlicher Einstellung können wir unsere Auffassung auf Begriffe für eigentlich wahrnehmbare Eigenschaften einschränken, etwa in der Art Dieser seitwärts zugewandte durchsichtig rosafarbene und würfelförmige physische Gegenstand. Jetzt aber führen wir das durch, was Sellars eigentlich als phänomenologische Reduktion bezeichnet: Wir ‚klammern‘ den kategorialen Status ‚ein‘, den unserer Wahrnehmungsauf122
Sellars spricht hier von abhängigen Einzeldingen („dependent particulars“; etwa Sensa § 2, S. 83; PercConsc § 27, S. 177); siehe dazu unten meine abschließenden Anmerkungen zu Sellars‘ Argumentation, Punkt (i). 123 Siehe PercConsc § 58, S. 184: „... the thinning out of perceptual commitment which is implied by phenomenological reduction“; da das, worauf man sich in der Wahrnehmung festlegt, der Inhalt der begrifflichen Wahrnehmungsauffassung ist, handelt es sich tatsächlich um ein begriffliches Ausdünnen.
67 fassung im manifesten Weldbild naturgemäß besitzt, nämlich den Status des physischen Dinges124; und wir sehen ein, daß das so Aufgefaßte präsent ist, ob die durchlebte anscheinende Wahrnehmung nun ein wirkliches oder ein bloß anscheinendes Sehen ist. So gelangen wir zu dem Ergebnis, daß irgendein in irgendeinem Sinn rosafarbener und würfelförmiger physische Gegenstand in beiden Fällen actualiter präsent ist. Dabei ist der Quantifikationsausdruck „irgendein“ nicht in dem kategorial bestimmten Sinn von „irgendein Ding“, im Gegensatz zu einem Zustand, einer Eigenschaft etc., zu verstehen, sondern im Sinne von Transzendentalien, welche gegenüber den Kategorien noch abstraktere Bestimmungen sein sollten.125 3.c Legt man ein reflektiertes manifestes Weltbild ohne Sinneseindrücke zugrunde, so muß man den phänomenologischen Befund auf eine Weise deuten, die die These der Rekategorisierung nicht stützt. Aber die Frage ist, ob wir Phänomenologen in Phase I.b unsere Erfahrung wirklich vernünftigerweise im Sinne einer Rekategorisierung ein und desselben Inhaltes deuten sollten. Sellars‘ ideal-historischer Dramaturgie zufolge arbeiten wir Phänomenologen im Rahmen eines intakten manifesten Weltbildes. Man darf wieder annehmen, daß wir es philosophische bereits so weit reflektiert haben, daß wir über eine funktionalistische Theorie begrifflicher Akte verfügen. Doch dann müssen wir unsere phänomenologische Erfahrung folgendermaßen deuten:
124
Siehe PureProcess I § 84, S. 20: „We, as phenomenalists, can bracket the concept of an expanse of red in that radical way ...“. Husserls Einklammerungs-Metapher verwendet Sellars, wie gesehen, auch schon für unser Zurückziehen auf das manifeste Weltbild. Für Husserl besteht der wesentliche Punkt der Reduktion allerdings in der „Beschränkung auf die Sphäre der reinen Selbstgegebenheiten, auf die Sphäre dessen, ... was genau in dem Sinn, in dem es gemeint ist, auch gegeben ist und selbstgegeben im strengsten Sinn, derart daß nichts von dem Gemeinten nicht gegeben ist“ (IdeePhän, S. 60-61), so daß sich zumindest den Worten nach eine beträchtliche Spannung ergibt; denn seine phänomenologische Überlegung versteht Sellars sicherlich nicht als Rückkehr zum Mythos des Gegebenen. 125 RealismTenable, Anm. 26 zu § 92, S. 329-330: „Notice that ‚something‘ is a transcendental so that ‚somethings‘ are not limited to objects.“ PureProcess III § 45, S. 73: „... one refers to them [d.i. to sensory states] by the use of the category neutral (i.e., in scholastic terminology, transcendental) expression ‚entity‘.“
68 Zwischen eigentlich wahrnehmbaren und anderen Eigenschaften läßt sich tatsächlich ein bemerkenswerter Kontrast feststellen. Wenn wir nämlich in einer Wahrnehmungssituation einsehen, daß unsere spontane begrifflich reichhaltige Auffassung als F (als roter Ziegel) fragwürdig ist, und es uns gelingt, sie durch eine minimierte Auffassung als Fmin (als rotes Rechteck) zu ersetzen, so reduziert sich damit zumindest der Impuls126, die Situation auch vermittels des über Fmin (‚rotes Rechteck‘) hinausgehenden begrifflichen Materials (körperliche Massivität, Schwere etc.) aufzufassen. Wir können uns also bei Zweifel an der Normalität der Wahrnehmungssituation auf den minimierten Auffassungsinhalt zurückziehen: Die nicht-minimalen Auffassungsinhalte können aufgegeben werden, ohne daß jegliches begriffliches Auffassen wegfällt. Wir können aber auch in eine Situation geraten, in der wir zweifeln müssen, ob dort überhaupt etwas ist, das unserer begrifflichen Auffassung genügt. Oder wir führen uns ad hoc vor Augen, daß so eine Situation prinzipiell vorliegen könnte. Selbst unsere minimierte Auffassung als Fmin (rotes Rechteck) könnte falsch sein, weil tatsächlich gar kein Fmin-Ding vorhanden ist. Im Gegensatz zur weniger dramatischen Situation, in der wir die Auffassung als F (roter Ziegel) aufgeben und uns auf die als Fmin zurückziehen, ändert die Erwägung einer dramatischeren Ausnahmesituation doch nichts an dem Impuls zur Auffassung als Fmin (rotes Reckteck). Mangels einer begrifflichen Alternative wäre nämlich die Reduzierung des Impulses zu dieser Auffassung zugleich eine Reduzierung jeglichen Impulses zur begrifflichen Auffassung. Es ist nicht unplausibel, daß wir aufgrund dieses Gegensatzes hinter den Impulsen zur minimierten Auffassung einen Bereich innerer Vorkommnisse annehmen. Ein Element dieses Bereiches können wir spontan als irgendein irgendwie Fmin-iges Objekt begreifen, das actualiter präsent ist. Diese spontane Ausdünnung der Begriffe für wahrnehmbare Eigenschaften kann dann vielleicht als Ausgangspunkt eines Selbst-Trainings dienen, in dem wir uns ein System kategorial neu gefaßter Begriffen aneignen, nämlich Begriffe von diesen inneren Vorkommnissen – darunter etwa einen Begriff von einem rotes-Rechteck-Sinneseindruck. Diese Begriffe teilten mit den Begriffen für eigentlich Wahrnehmbare Eigenschaften äußerer 126
„Impuls“ soll, im Unterschied zu „Tendenz“ oder „Neigung“, einen in einer Einzelsituation wirksamen kausalen Faktor bezeichnen.
69 Dinge die Besonderheit, daß Spracheingangs-Übergangsformen unmittelbar in ihre Rolle eingehen. Das ganze neue Begriffssystem bildete eine detaillierte Postulierung von Charakteristika innerer Zustände, die den eigentlich wahrnehmbaren Eigenschaften äußerer Dinge korrespondieren. Aber ausgehend von unserem intakten manifesten Weltbild können wir sellarsianische Phänomenologen dieses Postulieren nicht als Rekategorisierung ein und desselben qualitativen Inhaltes verstehen. Nach unserem Selbstverständnis spiegeln die inferenziellen Beziehungen zwischen den neuen Begriffen nämlich zwar diejenigen zwischen den Begriffen für wahrnehmbare Eigenschaften. Doch die Spracheingangs-Übergangsformen setzen bei ganz Verschiedenem an: einmal bei den manifesten Beschaffenheiten der wahrnehmbaren Dinge, das andere Mal bei den postulierten inneren Vorkommnissen. Von einer kategorialen Neufassung eines identischen Inhaltes kann keine Rede sein; vielmehr sind wir bestenfalls auf das analogisch-modellhafte Postulieren von Sinneseindrücken zurückgeworfen, wie es Sellars‘ via antiqua kennzeichnet. Es steht aber bereits fest, daß auf diesem Weg anspruchsvolle Sinneseindrücke nicht berechtigterweise angenommen werden können. Abschließend möchte ich auf drei wichtige Aspekte von Sellars neuer Argumentationsweise eingehen und erklären, weshalb sie an meinem Zweifel nichts ändern, den ich an meine Darstellung angeschlossen habe, die diese Aspekte weitgehend ignoriert. (i) Die Rede von der Rosafarbenheit höchstselbst eines Gegenstandes („its very pinkness“). Ich habe die Unterscheidung zwischen dem gesehenen Gegenstand und dem, was man von ihm sieht, und die Einsicht, daß irgendetwas von der-und-der Beschaffenheit actualiter in jeglichem anscheinendem Sehen präsent ist, auf die eigentlich vorphänomenologische Phase I.a und die durch eine Reduktion gekennzeichnete Phase I.b aufgeteilt. Sellars selbst bemerkt allerdings, daß die phänomenologische Reduktion mit der Unterscheidung zwischen dem Gegenstand und dem von ihm Gesehenen bereits beginnt.127 Damit hängt zusammen, daß er im Fall des transparent rosafarbenen Eiswürfels die Unterscheidung mit dem Ergebnis anwendet, wir sähen von dem Würfel seine Rosafarbenheit höchstselbst.128 127 128
Siehe PercConsc § 7, S. 170. Etwa PureProcess III § 13, S. 67: „its very pinkness“.
70 Diese Formulierung ergibt wiederum nur vor dem Hintergrund einen Sinn, daß Sellars zu dem Ergebnis kommt, wir sähen von einem Gegenstand einerseits bestimmte seiner abhängigen Einzeldinge, bei opaken Objekten insbesondere gewisse Ausschnitte ihrer Oberfläche, andererseits jedoch gewisse seiner Eigenschaften.129 Alles in allem kann man sagen, daß Formulierungen der Art Wir sehen seine Rosafarbenheit höchstselbst genau zum Übergang von Teilphase I.a zu I.b gehören. Was zum Übergang noch fehlt, ist der explizite Kontrast zwischen wirklichem und bloß anscheinendem Sehen. Doch die „höchstselbst“-Formulierungen sind erste suggestive Versuche, eine Einsicht des Phänomenologen auszudrücken, die tatsächlich schon eine kategoriale Ausdünnung involviert. Das Adverb „höchstselbst“ drückt, so denke ich, ein wirkliches Exemplifiziertsein der in Frage stehenden wahrnehmbaren Eigenschaft aus, die auf jeden Fall neutral gegenüber dem kategorialen Gegensatz zwischen eigenständigen physischen Objekten und ihren abhängigen Einzeldingen ist.130 Sobald der Unterschied zwischen wirklichem und scheibaren Sehen thematisiert wird, wird uns Phänomenologen klar, daß die Rosafarbenheit höchstselbst, auf die wir in der suggestiven Formel aus waren, in keinem Sinn eine physische Exemplifikation von Rosafarbenheit sein kann; denn eine solche fehlt bei bloß anscheinendem Sehen. Stattdessen formulieren wir nun, daß irgendetwas actualiter präsent sein muß, das natürlich nicht mehr schlichtweg, sondern nur noch irgendwie rosafarben sein kann. Entsprechend stellt Sellars fest, das Sehen der Rosafarbenheit höchstselbst müsse mittels der ‚irgendwie‘Präsenz von etwas Rosafarbenen analysiert werden.131 Offenbar ist mit die129
PercConsc S. 170-71, § 7: „... of the brick we see certain of its surfaces. These surfaces are ... dependent particulars“. § 8: „... what we see of an object also includes ... certain universals (attributes, relational properties) ...“; ähnlich Sensa §§ 2-3, S. 83. 130 Dazu paßt die Aussage in PureProcess I § 75, S. 18: „... an opaque object ... is red in the adjectival sense, if it has an expanse of red stuff as an ingredient in the relevant way, thus at the surface. Let us, as suggested here, speak of this expanse of red as ‚the apple’s very redness‘.“ Denn diese Aussage wird gemacht im Rahmen eines primitiven ‚Ur-‘Konzeptes von Farbe. Siehe dazu Punkt (ii). 131 Siehe PercConsc § 37: „Seeing of the cube its very pinkness ... would be analyzed in terms of this somehow, other than merely believed presence of a cube of pink ...“ Sellars erreicht die „irgendein-irgendwie“-Formel in PercConsc (§ 35) schon kurz vor der Unterscheidung zwischen Sehen und scheinbarem Sehen (§ 39) (S. 178-79). Doch daß die Existenzaussage von jeder kategorialen Festlegung auf physische
71 ser Zwischenphase der suggestiven und anschließend zu analysierenden Formulierung kein wesentlicher inhaltlicher Punkt verbunden, den meine Darstellung und Kritik nicht berücksichtigt hätte. (ii) Juniors Ur-Begriff von physischer Röte. Das unter (i) Gesagte stellt auch eine Basis zur Verfügung, um deutlich zu machen, daß Sellars‘ Diskussion eines plausiblen kindlichen ‚Ur-Begriffes‘ von physischer Röte kein Element hinzufügt, das meine Kritik an der via moderna entwertet. Sellars‘ Skizze eines Ur-Begriffes von Röte ist zunächst ein Gegenvorschlag zu einer These von Roderick Firth, der zufolge die kindliche Entwicklung von Farbbegriffen mit Begriffen von ‚farbigen‘ subjektiven Erlebnissen beginnt.132 Für Sellars unterscheidet sich der primitive RotBegriff des Modellkindes Junior vom voll ausgebildeten in zweierlei Hinsicht: (a) Es ist ein Begriff von physischem Stoff, d.h. kategorial nicht geschieden etwa vom Wasserbegriff. Rote Gegenstände bestehen für Junior aus Rot.133 (b) Der Begriff erlaubt keinen Gegensatz zwischen dem tatsächlichen Rot-Sein eines Dinges und seinem bloßen Rot-Aussehen.134 Was (a) betrifft, so entspricht unsere Reflexion, daß ein solcher primitiver Vorgängerbegriff möglich ist, dem unter (i) skizzierten Absehen von dem kategorialen Gegensatz zwischen Gegenständen und abhängigen Einzeldingen. Denn nach allem, was Sellars in verschiedenen Texten sagt, kann der Unterschied zwischen Juniors und unserem Konzept davon, daß ein Apfel rot ist, nur darin liegen, daß Junior meint, eine Kugel aus Weiß-Stoff sei gewissermaßen mit Rot-Stoff überzogen, während wir die rote OberfläWirklichkeit gereinigt werden muß, dürfte erst mit Blick auf diese Unterscheidung einsehbar sein. In PureProcess I ist das Vorgehen entsprechend: Ab § 61 (S. 14-15) arbeitet er mit der Formulierung „die Röte höchstselbst“ („the very redness“); ab § 70 (S. 16) spielt der Kontrast zwischen Sehen und bloß anscheinendem Sehen eine Rolle; ab § 77 (S. 18) führt er beide Linien zu der Frage zusammen, was denn bei bloß anscheinendem Sehen die Röte höchstselbst sein soll; und in § 91 (S. 21) erreicht er eine Variante der „irgendetwas-irgendwie“-Formulierung. 132 Die Auseinandersetzung mit Firth beginnt in § 7 von PureProcess I. 133 Siehe PureProcess I § 61, S. 14: „Junior has an ur-concept of volumes and expanses of red stuff.“ § 65, S. 15: „... [ur-]redness ... is the very stuff of which physical objects are made.“ Siehe hierzu J. Rosenberg, SellarsColor. 134 PureProcess I § 64: „... ur-concepts ... are taken to be „prior to“, i.e., conceptually more basic than, the contrast between physical object (merely) looks red and physical object is (really) red.“
72 che nicht als eigenständige stoffliche Menge, sondern als abhängiges Einzelding des Apfels begreifen. Hinsichtlich Unterschied (b) muß man bedenken, daß wir, die wir auf der Grundlage eines intakten manifesten Weltbildes arbeiten, zwar die Möglichkeit des begrifflichen Stadiums von Junior einsehen können; aber dabei geben wir doch nicht die Einstellung auf, daß unser Weltbild und nicht das von Junior das richtige ist. In dem Maße, indem wir Juniors Weltbild verstehen, werden wir es gegenüber dem unsrigen als fehlerhaft, weil undifferenziert verstehen. Ich denke, wir werden Juniors kleine Welt erst verstehen, wenn wir bereits Sinneseindrück postuliert haben; dann können wir seinen Fehler darin sehen, daß sein Begriffssystem nicht eindeutig zwischen solchen SpracheingangsÜbergangsformen, in denen Sinneseindrücke eine Wahrnehmungsauffassung, d.h. eine komplexe demonstrative Phrase im Mentalischen auslösen, und solchen, in denen in unserem Sinn farbige Gegenstände dies tun, zu unterscheiden erlaubt. Die Reflexion auf Juniors primitives Begriffssystem kann folglich eine rekategorisierende Etablierung von Sinneseindrücken nicht eigenständig motivieren. (iii) Perspektivität. Ein letzter zentraler Aspekt, den Sellars sehr betont, ist die räumliche Perspektivität der Wahrnehmung: Das primäre Datum sei, daß wir physische Gegenstände von einem Standpunkt im physischen Raum sehen, etwa einen seitwärts zugewandten roten Ziegel dort hinten.135 Möglicherweise kann man aus der Perspektivität der Wahrnehmung dramatische Konsequenzen zu ziehen.136 Aber das setzt voraus, daß man bereits phänomenale Züge als etwas Anspruchsvolles etablieren kann. Im manifesten Weltbild o.S.E. reduziert sich das ‚Datum‘ der Perspektivität der Wahrnehmung auf die Unterscheidung zwischen dem gesehenen Gegenstand und dem, was man von ihm sieht. Ich habe zu zeigen versucht, daß sich, wenn man Sellars‘ strikte Trennung der begrifflichen von der nicht-begrifflichen Ebene des Geistes in der positiven Form seiner funktio135
Siehe PercConsc § 6, S. 170. Nicht zufälligerweise in einer späten Auseinandersetzung mit Kant findet man eine klare Formulierung: „The perspectival character of the image model is one of its most pervasive and distictive features. It constitutes a compelling reason for the thesis of the transcendental ideality of the image-model world.“ (Imagination § 28, S. 237) Was meint er mit der Bildstruktur-Welt? Es muß die Welt des rekategorisierten, also des zusammengebrochenen manifesten Weltbildes sein.
136
73 nalistischen Theorie des begrifflichen Gehaltes zugrundelegt, diese Unterscheidung keine Annahme anspruchsvoller Sinneseindrücke rechtfertigt. IV. Konsequenzen aus der Diskussion von Loar und Sellars a. Loars und Sellars‘ Positionen repräsentieren die beiden Möglichkeiten, eine physikalistische Auffassung mit der phänomenologischen Reflexion zu vereinbaren: Entweder werden darin adäquate, doch nichtintegrierte, oder integrierte, doch inadäquate Begriffe verwendet. Ich unterstelle, viele können meine in Teil EINS als ‚Credo‘ vorgetragene Erfahrung nachvollziehen, daß ihnen eine phänomenologische Reflexion die Existenz von phänomenalen Zügen mit einem anspruchsvollen Status vor Augen führt. Vielleicht vermag es jemand, aufgrund einer Kritik, wie ich sie an Loars und Sellars‘ Theorien geübt habe, diese vermeintliche Einsicht zu verwerfen. Für die anderen ist das primäre Problem nicht, aller Welt zu beweisen, daß es solche Züge tatsächlich gibt und welche Struktur und Bestimmungen sie ‚wirklich‘ besitzen. Unser primäres Problem ist es vielmehr zu verstehen, wie sich diese Erfahrung so einstellen kann, daß sie in irgendeinem Sinn Wissen konstituiert. Die beiden physikalistisch inspirierten Vorschläge, die ich in Teil EINS diskutiert habe, sind durchaus repräsentativ für einen großen Bereich möglicher Konzeptionen der phänomenologischen Reflexion. Wenn meine Kritik an ihnen stimmt, sollte man nicht erwarten, daß kleinere Korrekturen die Probleme beseitigen können. Man kann ganz im Gegenteil nicht erkennen, von welcher Art eine physikalistisch inspirierte Auffassung sein müßte, um die Schwierigkeiten zu beseitigen. Denn erstens scheitern Loars und Sellars‘ Vorschläge nicht an Detailfragen, sondern gerade an den Grundsätzen, welche es vereinbar machen sollen, daß sich phänomenale Züge in der Reflexion offenbaren und letztlich in eine physikalistische Weltauffassung integrieren lassen. Zweitens weisen diese Grundsätze in entgegengesetzte Richtung, und ein Abweichen von der durch diese Richtungen bestimmten Achse ist kaum möglich: Loar konzipiert eine spezielle Sorte völlig adäquater Begriffe von phänomenalen Qualitäten. Den Physikalismus rettet er durch den Grundsatz, der reale Inhalt geistiger Einstellungen sei psychisch-epistemisch nicht vollständig charakterisierend. Diese Annahme ermöglicht es, die phänomenalen Begriffe als weitgehend vom
74 System deskriptiver Begriffe abgekoppelt zu betrachten. Wie sehr diese Konzeption in entgegengesetzte Richtung zu Sellars‘ Auffassung weist, ist daraus erkennbar, daß Loars Konzept phänomenaler Begriffe wenigstens im reinen Fall nicht weit von der ‚Thermometer-Auffassung‘ entfernt ist, die Sellars als zweite Variante der empiristischen Begriffstheorie kritisiert.137 Völlig im Gegensatz zu einer derartigen Konzeption verwendet der Mensch des manifesten Weltbildes nach Sellars in der Reflexion auf sein Wahrnehmungserlebnis dieselben Beobachtungsbegriffe, die er üblicherweise auf physische Gegenstände anwendet oder genauer auf das, was er dafür hält. Diese Begriffe sollen jedoch durch komplexe und theoriebeladene inferentielle Beziehungen in das Begriffssystem integriert sein. In der Reflexion sind sie nur deshalb brauchbar, weil der Reflektierende ihre kategoriale Bestimmung, Begriffe von physischen Dingen zu sein, ‚einklammern‘ kann. Wegen dieser Ausdünnung muß man sie im Unterschied zu Loars phänomenalen Begriffen als inadäquate Konzepte dessen beurteilen, wovon sie Begriffe zu sein versuchen. Es ist aber dieser Gedanke kategorial ausgedünnter Begriffe, welcher es Sellars gestattet, eine schrittweise theoretische Rekategorisierung des sinnlichen Inhaltes teils festzustellen, teils zu antizipieren, die den Inhalt letztlich in eine physikalistische Auffassung einer Welt reiner Prozesse zu integrieren ermöglicht. Und diesem Gedanken liegt das Prinzip einer strikten, kategorialen Unterscheidung nicht-begrifflicher von begrifflichen geistigen Episoden zugrunde. In der Reflexion auf Wahrnehmungserlebnisse sollen also nach Loar Begriffe verwendet werden, die völlig adäquat sind, aber wegen ihrer Abkopplung vom System deskriptiver Begriffe keine anti-physikalistischen Schlußfol137
Mit dem reinen Fall meine ich die engere Konzeption von Rekognitionsbegriffen, die nicht deskriptiv abgestützt sind, die also die Form von diesem Typ sein haben und nicht etwa eine Pflanze von diesem Typ sein. Der Thermometer-Auffassung kommt das Konzept besonders nahe, wenn man die von Loar genannten Aspekte der Erinnerung an frühere Exemplare und des Formens von Bildern ausblendet und es auf den Gedanken einer Klassifikationsdisposition konzentriert. Tatsächlich sind diese ausgeblendeten Aspekte für Loar nicht wesentlich: „These dispositions are typically [also nicht wesentlich; RB] linked with capacities to form images...“ (PhenStates, S. 600); „A recognitional concept need involve no reference to past instances ... (S. 601) Und nimmt man sie hinzu, dürfte das Sellars auch nicht milder stimmen. Zur „Thermometer-Auffassung“ siehe etwa EPM § 31, S. 162; inhaltlich SyntheticApriori Abschnitt 8, 311ff.
75 gerungen erlauben, während darin nach Sellars die ins Begriffsystem voll integrierten Beobachtungsbegriffe verwendet werden, allerdings in kategorial ausgedünnter, folglich inadäquater Fassung, so daß ebenfalls keine derartigen Schlußfolgerungen möglich sind. Es ist schwer zu sehen, welche Richtung außer der des Abkoppelns und der des Ausdünnens ein Physikalist sonst mit Erfolgsaussicht einschlagen könnte. b. Eine geeignete Konzeption muß beinhalten, daß den involvierten Begriffen Universalien zugeordnet sind, die die Integration ins Begriffssystem widerspiegeln. Die phänomenologische Reflexion wird demnach unverständlich, wenn man in eine der beiden Richtungen läuft. Das heißt aber nicht, daß sich schon Klarheit verbreitet, wenn man stehen bleibt und nichts tut. Das Resultat der Reflexion mit seinen durch „irgendetwas“ und „irgendwie“ abgeschwächten Formulierungen stellt in jedem Fall ein Problem dar. Das Scheitern der beiden diskutierten physikalistisch inspirierten Auffassungen verdeutlicht eher allgemein, daß es ein anspruchsvolles und höchste theoretische Prinzipien betreffendes Unterfangen ist, eine Konzeption zu entwickeln, die zu verstehen erlaubt, was in solchen Reflexionen vor sich geht. Soweit man von ihnen beeindruckt ist, ist es den Versuch wert, diesen Reflexionen eine philosophische Theorie auf den Leib zu schneidern. Bei diesem Projekt ist man gut beraten, (i) in den Grundsätzen wie (ii) in den die Reflexion näher betreffenden Details ausdrücklich und in aller Klarheit jeden Schritt in eine der beiden Richtungen zu vermeiden. Stellt man zu beiden Hinsichten die zu vermeidenden Fehler heraus, so kann man antizipieren, von welcher Art eine angemessene Theorie sein muß: (i) In den Prinzipien muß die gesuchte Konzeption in Absetzung von Sellars eine Auffassung von nicht-begrifflichen und begrifflichen Episoden und ihrem Aufeinanderbezogensein einschließen, die trotz aller Unterschiede eine kategoriale Kontinuität zwischen beiden Arten feststellt. In der Suche nach einer Theorie sollte man daher entschieden auf eine Kategorie setzen, deren Fälle mit hoher Plausibilität sowohl sensorische als auch begriffliche Episoden charakterisieren können. Weit und breit ist keine andere geeignete Kategorie in Sicht als die, zu der Qualitäten, Eigenschaften, Beziehungen oder allgemein Universalien gehören. In diesem Punkt gibt eher Loar das richtige Vorbild ab, weil für ihn die phänomena-
76 len Qualitäten sowohl in phänomenalen Zuständen exemplifiziert als auch Inhalte phänomenaler Begriffe sind. Aber das heißt nicht, daß man sämtliche Einsichten Sellars‘ ignorieren und erneut ein primitives kognitives Gewahrsein von Phänomentypen postulieren muß. Denn ebenso muß die gesuchte Konzeption in Absetzung von Loar den realen Inhalt geistiger Einstellungen grundsätzlich als psychisch-epistemisch vollständig charakterisierend behandeln. Man sollte in diesem Punkt eher Sellars folgen und alles darauf ausrichten, daß solche begrifflichen Kompetenzen, deren Ausübungen typischerweise in Wahrnehmungsepisoden involviert sind, in das Gesamtsystem von Begriffen integriert sind. Anders als in Sellars‘ funktionalistischem Nominalismus muß sich diese Integration jedoch in den realen Inhalten dieser Begriffe, d.h. in den von ihnen begriffenen Universalien, vollständig widerspiegeln. (ii) In den die phänomenologische Reflexion betreffenden Details muß die gesuchte Konzeption annehmen, daß die darin ausgeübten begrifflichen Kompetenzen weder abgekoppelte Spezialbegriffe wie bei Loar noch gewöhnliche, jedoch kategorial ausgedünnt verwendete Beobachtungsbegriffe wie bei Sellars sind. Es muß sich vielmehr um voll integrierte und zugleich adäquate Begriffe handeln. Diese Alternative kann allerdings grundsätzlich in zwei Varianten vorgebracht werden: (a) In der Sellars näher stehenden Variante reflektiert man tatsächlich mithilfe der gewöhnlich in die Wahrnehmung involvierten Begriffe. Sie werden jedoch in der phänomenologischen Reflexion auf gegenüber dem Standard-Gebrauch modifizierte Weise verwendet. Die Modifikation ist allerdings keine inhaltliche Ausdünnung wie bei Sellars. Vielmehr wechselt der Reflektierende von der Verwendung der Begriffe innerhalb einer auf gewöhnliche Wahrnehmungssituationen passenden kategorialen Struktur zu der Verwendung in einer anderen kategorialen Struktur, die er aber konzeptionell ebenso beherrscht wie die gewöhnlich passende und die an sich selbst einen vergleichbaren Grad an inhaltlicher Bestimmtheit aufweist. Die die Modifikation formulierenden Ausdrücke wie „irgendein“ oder „irgendwie“ fungieren dann nicht als inhaltliche Ausdünner, sondern signalisieren eine bestimmte von der gewöhnlich passenden unterschiedene Verwendungsstruktur, für die im Vokabular und in der Syntax der gewöhnlichen Sprache keine eindeutigen Formulierungsmittel zur Verfügung stehen. (b) In der Loar näher stehenden Variante werden die in der phänomenologischen Re-
77 flexion verwendeten begrifflichen Kompetenzen ad hoc ausgebildet. Die Ausbildung integriert sie jedoch von Natur aus in das vorhandene Begriffssystem. Falls meine Darstellung in Teil EINS, Abschnitt I angemessen ist, kann Variante (b) in reiner Form die dort zugrunde gelegte Situation nicht treffen. Möglicherweise paßt die Loar-Variante auf die Phänomenologie anderer als der visuellen Wahrnehmung besser. Wichtiger ist, daß Mischformen aus (a) und (b) gut denkbar sind. So könnten die gewöhnlichen Begriffe in der Reflexion ad hoc modifiziert werden. Auch könnte die ungewöhnliche Verwendungsstruktur wohl nicht ad hoc aus dem Nichts geschaffen sein; aber vielleicht werden gewisse im gewöhnlichen Denken zur Verfügung stehende kategoriale Strukturen ad hoc ausgewählt, modifiziert und zu einem auf diese Reflexion passenden Strukturkonzept gebündelt. c. Die besten Chancen, die phänomenologische Reflexion aufzuklären, bietet eine Theorie, derzufolge sich unsere gesamte Konzeption der Welt im manifesten Weltbild vollzieht; Castañeda akzeptiert diese Auffassung. Ausgehend von den Grundzügen, die eine Theorie, welche für das Verstehen der phänomenologischen Reflexion geeignet ist, hinsichtlich der Grundsätze sowie der die Reflexion betreffenden Details aufweisen muß, kann man einen allgemeinen theoretischen Charakter angeben, der besonders erfolgversprechend erscheint. Man kann ganz abstrakt annehmen, es sei prinzipiell möglich, daß eine Theorie in ihren Grundsätzen sowohl eine Kontinuität zwischen sensorischen und begrifflichen Episoden herstellt als auch eine solche Integration der begrifflichen Kompetenzen gewährleistet, daß der reale Gehalt begrifflicher Episoden psychisch-epistemisch charakterisierend ist. Man muß jedoch angeben, wie eine Theorie diese Prinzipien hinsichtlich der geistigen Leistungen, die für die Reflexion relevant sind, spezifizieren muß, damit sich die Reflexion verstehen läßt. Wie ich mit Blick auf die Details der Reflexion erläutert habe, müssen die in der Reflexion verwendeten Begriffe sowohl voll in das begriffliche Gesamtsystem einer Person integriert als auch ihrem Gegenstand kategorial angemessen sein. Die Frage ist, unter welchen Umständen das ermöglicht, daß ich in der Reflexion auf die phänomenalen Züge aufmerksam werde und erkenne, daß sie etwas sind, was sich von dem in meinem gewöhnlichen Denken Thematisierten grundlegend unterscheidet oder wenigstens darin auf ganz andere Art thematisiert ist, nämlich irgendwie nicht als das, was es ist.
78 Im Moment kann offen bleiben, inwieweit die in der Reflexion verwendeten Begriffe als spontan ausgebildet (Variante (b)) und inwieweit sie als gewöhnliche Begriffe beurteilt werden müssen, die die reflektierende Person bereits besitzt, jedoch in einem neuen kategorialen Format gebraucht (Variante (a)). In beiden Fällen kann man von speziell für die Reflexion geeigneten begrifflichen Kompetenzen sprechen. Indem die gesuchte Auffassung eine kategoriale Kontinuität zwischen nicht-begrifflichen und begrifflichen Episoden annimmt, ermöglicht sie, daß solche speziellen begrifflichen Kompetenzen etwas von der Natur der nicht-begrifflichen phänomenalen Züge in ihren realen Inhalt aufnehmen. Diesen speziellen Kompetenzen stehen unsere in der gewöhnlichen Welteinstellung verwendeten Begriffe gegenüber. Damit die phänomenologische Reflexion verständlich wird, muß sie auf der begrifflichen Ebene als ein vom Reflektierenden kontrollierter Wechsel vom Gebrauch dieser gewöhnlichen Begriffe zum Gebrauch der reflexions-spezifischen begrifflichen Kompetenzen beschrieben werden können. Die im kognitiven Umgang mit gewöhnlichen Dingen gebrauchten Begriffe besitzen ebenfalls einen realen Inhalt. Ihr Inhalt muß zwar die Integration in das Begriffssystem spiegeln; aber er kann nicht ausschließlich diese Integrationsstruktur reflektieren, sondern muß, je nach Begriff mehr oder weniger mittelbar, etwas von den Bestimmungen gewöhnlicher Gegenstände einschließen, damit die Begriffe Begriffe von gewöhnlichen Gegenständen sein können. Das Problem ist, wie die gesuchte Theorie der Diagnose gerecht werden kann, weshalb Loars Vorschlag in die entwickelten Schwierigkeiten führt. Sie muß dazu sicherstellen, daß ein Unterschied im psychischepistemischen Status zweier begrifflicher Kompetenzen wirklich immer auf einem Unterschied im realen Inhalt von gedanklichen Episoden beruht, in denen die Kompetenzen ausgeübt werden. Die allgemeine Weise, wie Begriffskompetenzen auf ihre realen Inhalte bezogen sind, muß also garantieren, daß nur ein Unterschied in der Realität, die der Begriffsbildung zugrunde liegt, zu einem Unterschied in der Position der Kompetenzen im begrifflichen Gesamtsystem führen kann. Das ist jedoch um so schwerer erreichbar, je disparater die zugrundeliegenden Realitäten und damit die Beziehungen des Begriffssystems zu ihnen sind. So läßt Loar als der Begriffsbildung zugrundeliegende Realitäten sowohl innere phänomenale Zustände als auch Bestimmungen der äußeren physischen Welt zu, und dem-
79 entsprechend nimmt er zwei verschiedene Weisen an, wie Begriffe auf diejenigen Realitäten bezogen sein können, die ihrem begrifflichen Inhalt zugrunde liegen: einerseits selbst-orientierte rekognitionale Dispositionen, andererseits eine Beziehung zur physischen Umwelt, die als Input für ein System theoretisch-deskriptiver Begriffe dienen kann. Gerade dadurch ermöglicht er es, daß zwei verschiedenartige begriffliche Kompetenzen denselben realen Inhalt haben können, bloß weil die Typen innerer Zustände mit gewissen Typen von Zuständen der physischen Umwelt identisch sind. Die geradlinige Alternative besteht darin, daß das Begriffssystem in einheitlicher Weise auf einen einzigen Realitätsbereich bezogen ist. Doch wenn die Reflexion ernst genommen werden kann, besteht die Realität, die den darin speziell verwendeten begrifflichen Kompetenzen zugrunde liegt, in phänomenalen Zügen. Daher müßten phänomenale Züge den vollständigen Realitätsbereich bilden, auf dessen Grundlage alle Elemente des Begriffssystems ihren realen Inhalt besitzen. Nach einer solchen Auffassung hätte unser Begriffssystem einen Status, der weitgehend dem manifesten Weltbild in Sellars‘ Sinn entspräche. Es handelte sich allerdings um das manifeste Weltbild, sofern man es um die Information ergänzt, daß die manifesten Eigenschaften, die wir normalerweise für Bestimmungen von Dingen in Raum und Zeit halten, in Wahrheit Bestimmungen unserer perzeptuellen Inhalte sind. Von Sellars‘ manifestem Weltbild müßte sich unser Begriffssystem in folgenden Punkten unterscheiden: i. Die Auffassung phänomenaler Inhalte als äußerer Gegenstände sowie die Konzeptualisierung ihrer Charakteristika als Eigenschaften solcher Gegenstände darf keine Fehlauffassung, kein kategorialer Fehler sein. ii. Der Übergang von der gewöhnlichen Einstellung in die phänomenologische Reflexion muß anstelle einer Ausdünnung der verwendeten Begrifflichkeit eine Modifikation einschließen, die in den gewöhnlichen Konzepten wahrnehmbarer Eigenschaften gerade den Faktor ausschaltet, der dafür verantwortlich ist, daß es Konzepte von äußeren Gegenständen sind. iii. Das Begriffssystem soll weder in der gewöhnlichen Verwendung noch mit den Modifikationen, die für die Reflexion erforderlich sind, fehlerhaft sein. Deshalb muß und kann es kein grundsätzlich abweichendes ‚wissenschaftliches‘ Weltbild geben, welches das manifeste ablösen muß, damit wir zu einer adäquaten Weltsicht gelangen.
80 Wenn H.-N. Castañeda seine eigene ontologische Theorie von der Auffassung seines Lehrers Sellars absetzt, geschieht das im Geiste dieser Punkte: „Mit Kant glaube ich, daß die Wissenschaft der Erfahrung intern ist. Ich weiche also von Sellars in seiner Behauptung ab, daß das wissenschaftliche Weltbild im ultimativen Zustand der Wissenschaft in irgend einer Weise noumenal ist. ... Ich behaupte folglich, daß das manifeste Weltbild, das die Gestaltungstheorie so weit, wie es reicht, angemessen zu beschreiben scheint, nicht eliminierbar ist, nicht in sich falsch ist, und daß es vielmehr der Ausgangspunkt und der Ort der Bestätigung für das wissenschaftliche Weltbild ist. Die Wissenschaft liefert nicht das transzendente Noumenon; ihre Rolle liegt innerhalb des manifesten Weltbildes und besteht darin, unser Verständnis der phänomenalen Welt zu erweitern.“138
Ich schlage daher vor, für das Problem der phänomenologischen Reflexion eine Lösung in Castañedas Ontologie zu suchen.
138
Siehe Tomb86RosenbergAntwort, S. 338-39: „... with Kant ..., I believe that science is internal to experience. Thus, I depart from Sellars in claiming that the Scientific Image of the world in the ultimate state of science is in any way noumenal. This claim is perfectly grounded on my non-reductionist position. Hence, I claim that the manifest Image, which Guise Theory seems to describe adequately as far as it reaches, is not eliminable, is not intrinsically false, and is, rather, the point of departure and of confirmation for the Scientific Image. Science does not deliver the transcendent noumenon; its role lies within the Manifest Image and it is to extend our understanding of the phenomenal world.“ (meine Unterstr.; RB) Ich sage „im Geiste”, da die Stelle eine Grundeinstellung wiedergibt und naturgemäß den Punkt (ii), der spezifisch die Reflexion betrifft, nicht unmittelbar stützt.
81
ZWEI Castañedas Projekt einer phänomenologischen Ontologie Am Ende von Teil EINS habe ich abstrakt eine Auffassung charakterisiert, die die phänomenologische Reflexion verständlich zu machen verspricht. Hector-Neri Castañeda hat eine allgemeine Ontologie und Wahrnehmungstheorie entwickelt, die eindeutig von dem abstrakt angegebenen Typus ist. In diesem Teil ZWEI werde ich Castañedas methodologische Auffassungen und seine allgemeine ontologische Theorie, die Theorie der Gestaltungen, so weit einführen, daß ich über eine stabile Grundlage verfüge, auf der ich seine Theorie der Wahrnehmung diskutieren kann. In Abschnitt I stelle ich zunächst seine Methodologie und sein Programm einer phänomenologischen Ontologie dar (Unterabschnitt 1). Dann entwickle ich aus einem strikt internalistischen Verständnis der Ontologie eine Proto-Konzeption davon, wie gewöhnliche Gegenstände in einer solchen Ontologie aufgefaßt werden müssen (Unterabschnitt 2). Abschnitt II dient der genaueren Vorstellung und internen Diskussion der allgemeinen Gestaltungstheorie. Ich unterscheide zwischen wesentlichen Prinzipien von Castañedas ontologischem Projekt und zentralen Prinzipien der ausgeführten Theorie (Unterabschnitt 1). Da eine Auseinandersetzung mit Castañedas Wahrnehmungstheorie detaillierte Kenntnisse der Gestaltungstheorie erfordert, diskutiere ich zentrale Problembereiche der Theorie (Unterabschnitt 2). I. Castañedas Methodologie und das Projekt einer phänomenologischen Ontologie 1. Grundzüge von Castañedas Methode und die strikt internalistische Fassung des phänomenologisch-ontologischen Projekts 1.a Castañedas Projekt einer phänomenologischen Ontologie ist methodisch durch den Dualismus von Datenerhebung und Theoriebildung sowie durch einen Theorienpluralimus gekennzeichnet. Castañeda hat seinen methodologischen Auffassungen ein ganzes Buch mit dem Titel On Philosophical Method (1980) gewidmet hat, doch wichtige
82 Erläuterungen und Ergänzungen finden sich verstreut im ganzen Werk.1 Vier zentrale Aspekte lassen sich unterscheiden: 1. Ontologisches Programm. Das philosophische Programm, auf das die Methodologie zugeschnitten sein soll, ist das einer phänomenologischen oder auch primären Ontologie. 2. Systematik der Disziplinen. Die Methodologie sieht eine Systematik der philosophischen Disziplinen vor, nach der auf eine datensammelnde und -aufbereitende Proto-Philosophie eine pluralistische theoriebildende Sym-Philosophie und schließlich eine Dia-Philosophie folgen soll, der die entwickelte Theorienvielfalt als Informationsinput dient. 3. ‚Metaphysischer Internalismus‘. Der durch das Adjektiv „phänomenologisch“ ausgedrückte Status des philosophischen Programms ist insbesondere motiviert durch die Auseinandersetzung mit radikalen skeptischen Angriffen. Zumindest in der Spezifikation, in der Castañeda das Programm selbst verfolgt, liegt ihm eine minimale metaphysische Position zugrunde, die seine Reaktion auf die skeptischen Angriffe darstellt und die er Metaphysischen Internalismus nennt. 4. Sprachliche Daten. Eine wichtige Unterdisziplin der Proto-Philosophie bildet die phänomenologische Linguistik, die aus sogenannten semantisch-syntaktischen Kontrasten ontologisch relevante Aspekte herausarbeiten soll. Aufgrund der zentralen Stellung dieser Teildisziplin bezeichnet Castañeda seine Methode auch als empirischen semantischsyntaktischen Strukturalismus.2 Die phänomenologische Ausrichtung als Reaktion auf radikale skeptische Angriffe diskutiere ich ab 1.b; einen kleinen, für die Wahrnehmungstheorie wichtigen Ausschnitt der phänomenologischen Linguistik werde ich in Abschnitt III von Teil VIER diskutieren. Hier werde ich andere Aspekte der Methodologie erläutern, die im weiteren entweder keine besondere Rolle
1 2
Der zweite große methodologisch relevante Text ist T86SelfProfile. Siehe OPM, S. 13; inhaltlich siehe OPM, S. 44-56. Ich werde nicht versuchen, aus Castañedas beispielorientierter Exposition des Konzepts solcher Kontraste eine systematische Auffassung herauszuarbeiten; siehe aber VIER III. Der Begriff ist de Saussures Konzept der Opposition verpflichtet; siehe Grundfragen, S. 101-102.
83 spielen werden oder wenigstens an der Oberfläche so einfach sind, daß eine kurze Erörterung ausreicht.3 i. Erforschung der allgemeinsten Struktur von Welt und Erfahrung. Die offizielle Bestimmung des phänomenologisch-ontologischen Programms besagt, es bestehe in der Erforschung der allgemeinsten Strukturen der Welt, in der man sich selbst vorfindet sowie der durchdringensten Muster des eigenen Erfahrens und Denkens dieser Welt.4 Wichtig ist hier zuallererst, mit „Welt“ nicht einseitig den Gedanken an eine Ganzheit theoretisch erfahr- und erforschbarer wirklich existierender Dinge oder Teilchen zu verbinden und das ‚Erfahren und Denken dieser Welt‘ entsprechend zu verstehen. Man kommt dem Gemeinten näher, wenn man von dem Erfahren und Denken ausgeht. Castañeda versteht hier unter Welt eher ein strukturiertes Ganzes der objektiven Korrelate unseres Erfahrens und Denkens, wobei alle Typen von Erfahren und Denken in Betracht kommen: Es sei ein und dieselbe Welt, die wir erkennen, über die wir Theorien bilden, auf die wir handelnd einwirken, auf die wir emotional und auf die wir ästhetisch reagieren.5 ii. Keine methodische Kluft zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften. Die Philosophie unterscheidet sich als phänomenologisch Ontologie von den empirischen Einzelwissenschaften nicht durch eine methodische Kluft, sondern durch ihren extrem allgemeinen Charakter. Dieser eher relative Unterscheidungsgrund bringt es mit sich, daß häufig Probleme nicht eindeutig einer Einzelwissenschaft oder der Philosophie zugeordnet werden können.6
3
Sofern ich nichts Kritisches anmerke, beurteile ich das Gesagte entweder als derart offensichtlich korrekt, daß man es nur auszusprechen braucht, oder wenigstens als prima facie hinnehmbar, solange die Anwendung nicht im Einzelfall zu Schwierigkeiten führt. Castañeda ist sich vollkommen im Klaren über den problematischen Status methodologischer Maximen in der Philosophie; siehe OPM, S. 16. 4 OPM, S. 13: „the world one finds oneself in“; „most pervasive patterns“. 5 J/P-Objects, S. 95 „... it is one and the same world that we cognize, theorize about, act upon, suffer emotionally, and react aesthetically to.“ 6 OPM, S. 25-27; exemplarisch von S. 26: „Physics, the queen of sciences, studies structural aspects of maximal pervasiveness and generality among the sciences. Characteristically philosophical problems are ... of even greater pervasiveness and
84 iii. Allgegenwärtige, doch nichtsdestotrotz empirische Daten. Wegen der extremen Allgemeinheit der Philosophie kann letztlich jedes erfahrene Einzelelement der Welt als philosophische Informationsquelle dienen.7 Doch diese weitgehende Beliebigkeit dessen, woran man philosophische Daten auffindet, darf nicht so mißdeutet werden, als erfolge der Informationsinput in der Philosophie apriori.8 iv. Drei Datenquellen. An Sorten von Datenquellen, die Castañeda für sinnvoll hält und aus denen er selbst dann und wann schöpft, kann man mindestens unterscheiden: 1. sogenannte introspektive Reflexion auf die eigene momentane Erfahrung; 2. Ergebnisse der Einzelwissenschaften; 3. Ergebnisse der phänomenologischen Linguistik, speziell solche, die semantisch-syntaktische Kontraste betreffen.9 Da die introspektive Reflexion die phänomenologische Methode im klassischen Sinn kennzeichnet, Castañeda jedoch sein ganzes Projekt als phänomenologisch und seine Methode zugleich als Strukturalismus bezeichnet, unterscheide ich die klassische phänomenologische Reflexion als lokale Phänomenologie. v. Reichhaltige vielgestaltige Daten und Versuch der Ausschaltung theoretischer Hintergrundannahmen. Im ersten Moment klingt die Rede von ‚Daten‘ als Grundlage der philosophischen Theoriebildung so, als würde eine ohnehin fragwürdige fundamentalistische Auffassung des Verhältnisses wissenschaftlicher Theorien zu Beobachtungen auf die Philosophie übertragen. Doch ganz im Gegenteil steht hinter Castañedas Konzept der Proto-Philosophie die skeptische Überzeugung, daß keine philosophische Theorie endgültig beweisbar ist.10 Zum einen kann jede vermeintliche Ingenerality.“ S. 27: „The difference between philosophy ... and the sciences is to a large extent arbitrary ...“. 7 OPM, S. 29: „Any experience whatever, or any entity whatever is a source of philosophical questions. Consider, for instance, a comma, the one I have just written ...“ Das Beispiel zeigt, daß auf der allerletzten Ebene wirklich Einzelphänomene die Informationen liefern, obwohl man oft abkürzend auf Erfahrungstypen verweist. 8 Siehe OPM, S. 30. 9 Alle drei Sorten von Quellen findet man etwa im großen Wahrnehmungsaufsatz PBS genutzt; Sorte 1 etwa in Abschnitt 4, S. 289-90; Sorte 2 in Abschn. 5 zur Geometrie visueller Felder, S. 290; Sorte 4 in Abschn. 9 zur Attribution von Wahrnehmungsepisoden, S. 293. 10 OPM, S. 115: „... it is very common to find philosophers asking other philosophers for proofs ... for their philosophical theories. Clearly, the request that a philosopher
85 formation, die als Input philosophischer Überlegungen geeignet scheint, im Prinzip ignoriert werden. Zum anderen ist das Verhältnis von Einzelinformationen zu theoretischen Prinzipien allenfalls scheinbar das einer logischen Implikation. Wo eine Information einen Theoriebestandteil oder seine Negation logisch zu implizieren scheint, erweist sich die Beziehung tatsächlich als durch Hintergrundannahmen vermittelt, die dem Theoretiker gar nicht explizit bewußt sein müssen.11 Castañedas zentrale Maximen für den Umgang mit Daten lassen sich am besten als Reaktion auf diese heikle epistemische Lage verstehen: (a) Man sollte zu einem philosophischen Thema reichhaltige und komplexe, verschiedenartige Daten sammeln.12 Die Verschiedenartigkeit erhöht nämlich die Wahrscheinlichkeit, daß man auf Aspekte trifft, die mit den impliziten theoretischen Hintergrundannahmen zumindest nicht auf den ersten Blick harmonieren. Dadurch steigt die Chance, sich der eigenen Hintergrundannahmen bewußt zu werden und Alternativen zu ihnen sowie alternative Spezifikationen oder Verallgemeinerungen von ihnen zu erwägen. (b) In der Proto-Philosophie gilt es, die eigenen theoretischen Hintergründe nach Möglichkeit nicht wirksam werden zu lassen, sondern in dem Feld reichhaltiger und verschiedenartiger Daten Muster zu erkennen und sich von den erkennbaren Mustern einen Ansatz für eine möglichst einfache Theorie vorschlagen zu lassen.13 deduce his theory from his data is a grave error.“ Siehe T83PlantingaAntwort, S. 333: „...the connection from the data to theory is not deductive.“ Er fügt hinzu, das Verlangen nach einer Implikation zwischen Daten und Theorien führe zu einer starken Version epistemologischen Fundamentalismus, und macht deutlich, daß ihm diese nicht attraktiv erscheint. 11 Refutations, S. 240: „... perhaps no theory can be refuted, except within a network of assumptions within its own approach. Obviously, a refutation will have its premises. Equally obvious, the one who defends a theory through thick and thin can always find in those refutations at least one premise that he can reject. ... Philosophical theories, at least the comprehensive ones, cannot be refuted.“ 12 Siehe OPM, S. 112, Prinzip (C.P.7); „rich and complex data that can reveal many points and constraints on the pattern of reality or of experience ...“ 13 ThLE11Fiction, S. 184-85: „In general, the best policy is to examine complex data and let the data suggest the simplest theory.“ In diesem Punkt beruft er sich ausdrücklich auf Husserls Programmformel „Zu den Sachen selbst!“: „This is one thing I remember well from Husserl: to go to the things themselves without theories,
86 vi. Drei Anwendungen logischer Deduktion, aber keine Deduktion von Theorien aus Daten. Deduktive Beziehungen spielen methodisch andere Rollen, als eine direkte Beziehung zwischen Daten und Theorie zu etablieren: (a) In der Datenexegese können zwischen gleichermaßen plausibel wirkenden Beschreibungen logische Widersprüche nachgewiesen werden. Derartig konstruierte Paradoxa sind naturgemäß Ansatzpunkte für alternative Theorien, die das Paradoxon durch Aufgabe oder Abschwächung unterschiedlicher anfänglich plausibel wirkender Aussagen beseitigen.14 (b) Beim Aufbau einer Theorie muß gezeigt werden, daß die akzeptierten theoretischen Prinzipien die zugrundeliegenden Daten tatsächlich erklären. Da es nicht etwa um singuläre kausale Erklärungen gehen kann, werden deduktive Beziehungen zwischen theoretischen Hypothesen und Randbedingungen einerseits und Datenbeschreibungen andererseits eine tragende Rolle spielen. (c) Die Bestätigung einer Theorie ergibt sich, wenn sich beim fortschreitenden Aufbau mit Prinzipien, die zur Erklärung gewisser Daten akzeptiert worden sind, neu auftretende oder in Betracht gezogene Daten erklären lassen, so daß sich die Theorie als fruchtbar erweist.15 vii. Theorienpluralismus ermöglicht diaphilosophische Meta-Reflexion. Die Entwicklung alternativer plausibler Theorieansätze zu umfassenden, alle bekannten Daten gleichermaßen erklärenden Theorien ist wünschenswert.16 Daß sich die Daten nämlich in den unterschiedlichen Arten organiwithout the prejudices, whether for or against, we carry with us, when we approach the phenomena wading through established theories.“ (J/P-KünneAntwort, S. 176) Siehe auch Knowledge, S. 229. Das Ideal einer apriorischen, letztbegründenden und rein beschreibenden Forschung lehnt er hingegen vollständig ab. Wichtig für die interne Dynamik der Theoriebildung ist außerdem der Primat der informellen Formulierung vor der Entwicklung logischer Kalküle und schließlich mengentheoretisch formulierter formaler Semantiken; siehe OPM, S. 17 sowie 128-132. 14 Siehe OPM, S. 113, und für ein Beispiel S. 105f. 15 Siehe OPM, S. 114, Prinzip (C.P.16), sowie S. 115. 16 Hinsichtlich zweier philosophischer Themen spezifiziert Castañeda die Mehrzahl von Theorietypen, die er für möglich hält (beides OPM, S. 107): 1. An Theorien der Individuation und der Natur gewöhnlicher Objekte hält er grundsätzlich eine Substrat- und eine Bündel-Auffassung für möglich 2. An Theorien des Inhaltes propositionaler Einstellungen hält er grundsätzlich die Theorie der Selbstattribution von Eigenschaften (D. Lewis Attitudes, R. Chisholm FirstPerson), die auf D. Kaplan zurückgehende Konzeption eines doppelten Inhaltes (semantischer Charakter und
87 sieren und erklären lassen, ist eine Art Meta-Datum, das einer höheren philosophischen Reflexion zugrunde gelegt werden kann: Die Aufgabe der Diaphilosophie ist es, in den alternativen Theorien ‚Invarianten‘ zu finden. Wenn sich solche einheitliche Strukturen entdecken lassen, können sie als tatsächliche Strukturen der Realität angesehen werden, so daß die DiaPhilosophie über das phänomenologisch-ontologische Projekt hinaus in eine interne Metaphysik münden kann.17 Sicherlich besteht keine Garantie, daß sich Invarianten finden lassen.18 Doch ohnehin ist die Zeit für eine gehaltvolle Dia-Philosophie noch nicht reif, weil die in ihr zu betrachtenden philosophischen Theorien noch nicht entwickelt genug sind.19 1.b Das phänomenologische Programm soll metaphysisch neutral sein soll, doch seine Motivierung durch die skeptische Reflexion führt zu einer internalistische Fassung, die metaphysische Implikationen hat. Castañeda unterscheidet sein Vorhaben einer phänomenologischen Ontologie, die die Struktur der Welt, ‚in der man sich selbst vorfindet‘, und der Erfahrung erforschen soll, von einer metaphysischen Ontologie, welche sich mit der Realität an sich selbst befasse.20 Das klingt so, als seien das Projekt und die zu erwartenden Resultate der phänomenologischontologischen Forschung völlig unabhängig von allen metaphysischen Powahrheitsfähiger Gehalt) und eine um ein Konzept demonstrativer Komponenten erweiterte neo-fregeanische Theorie für entwicklungsfähig, derzufolge die Inhalte Propositionen sind. 17 Siehe OPM, S. 103-108; S. 104: „These invariances may be properly said to constitute the ultimate underlying structure of the world and of experience.“ 18 Die folgende Stelle klingt eher so, als rechne Castañeda gerade beim Dualismus von Substrat- und Bündeltheorien nicht mit interessanten Invarianten; DirectAwareness, S. 20: „... I hold that the substrate view is irrefutable: that is, a carefully developed substrate theory is as irrefutable as a carefully developed bundle theory. Here I am envisioning an ultimate impasse [Sackgasse], even more profound than Kant's antinomies in that it cannot be solved in one supersystem in the way that Kant proposed for his antinomies. I envision two irreconcible systems of structure in the world. The choice is in the end a matter of personality – or perhaps the physicochemistry of one's body. The crucial task is to face up to the problems within each view squarely and deal with them fully.“ [meine Unterstr.; RB] 19 Siehe OPM, S. 14-15. S. 107: „... we do not have as yet the systems for a diaphilosophical exercise.“ 20 OPM, S. 18: „reality in itself“.
88 sitionen. In diesem Sinn hat Castañeda sein Programm explizit präsentiert.21 Aber es ist fraglich, wie strikt diese Unabhängigkeit wirklich gilt. Denn wie auch immer man die Welt, in der man sich selbst vorfindet, und die Erfahrung dieser Welt derartig charakterisiert, daß offen bleibt, wie sich diese Welt und Erfahrung zur Realität an sich selbst verhält: Es ist gut möglich, daß ein Philosoph bestreitet, daß die Unterscheidung überhaupt sinnvoll gemacht werden kann.22 Jedenfalls aber ist eine Weise der Motivierung des phänomenologischontologischen Programms, die für Castañeda eine große Rolle spielt, sicherlich nicht völlig unabhängig von Ansichten, die man nach seiner Unterscheidung zu den metaphysischen rechnen muß. An mehreren Stellen präsentiert er nämlich eine skeptische Überlegung, die Elemente aus Descartes‘ und Kants Philosophie zu verbinden beansprucht. Diese Überlegungen führen ihn zu einer Auffassung, die er als Metaphysischen Internalismus bezeichnet. Sie beinhaltet, daß ‚alles Denken und Reden über die Welt und die ihr zugrunde liegende Realität der Erfahrung intern sind, was auch immer die Realität an sich selbst jenseits der Erfahrung sein mag, ja selbst wenn es keine Realität jenseits der Erfahrung gibt‘.23 Unter Berufung auf Kant erklärt er, diese Auffassung breche mit der transzendenten Metaphysik und beschränke uns auf eine phänomenologische Ontologie.24 Es gibt jedoch offenbar Philosophen, die sich von extremen skeptischen Angriffen ganz unbeeindruckt zeigen und mitnichten bereit sind, auf sie mit einer Beschränkung ihres philosophischen Programmes zu reagieren. Da sie zweifellos metaphysischen Positionen anhängen, die dem Metaphysischen Internalismus widersprechen, ist diese Motivierung des phänomenologischen Programmes nicht metaphysisch neutral. Weitaus offensichtlicher fehlt eine solche Neutralität, wenn man dem phänomenologischen Projekt eine Fassung gibt, die Castañedas Darstellung der skeptischen Angriffe und der adäquaten Reaktion auf sie sehr nahelegt. In dieser Fassung muß die Rede von der Welt, ‚in der man sich selbst vorfindet‘, strikt internalistisch verstanden werden: Diese Sachverhalte sind 21
OPM, S. 19: „The metaphysical question is left entirely open...“ Wenn ich D. Davidson etwa in Metaphysics, MythSubjective und PresentMind richtig verstehe, würde er wohl gegen jede solche Unterscheidung rebellieren. 23 ThLE10Noumenon, S. 160. 24 ThLE10Noumenon, S. 161. 22
89 Inhalte von möglichen geistigen Einstellungen, und das Bezogensein der denkenden und erfahrenden Person auf diese Inhalte ist dieser Person intern, ist also nicht von ihren Beziehungen insbesondere kausaler Art zu Gegenständen abhängt, die nicht, wie etwa die Teile ihres Gehirns, in einem gute Sinn zu ihr gehören. Ich bezeichne die Erwägung solcher Angriffe und Reaktionen durch uns Philosophen als skeptische Reflexion. Castañedas Darstellung schließt u.a. folgende wesentliche Elemente ein: (a) Der wirkliche oder imaginierte skeptische Diskurspartner konfrontiert uns Philosophen mit Szenarien, die das, wovon wir gewöhnlich überzeugt sind, seiner Glaubwürdigkeit berauben soll. (Das kann offenbar geschehen, indem sie diesen Überzeugungen entweder unmittelbar entgegenstehen oder die Zuverlässigkeit von Informationsquellen untergraben, auf die wir die Ansichten stützen.) Die skeptischen Herausforderungen kulminieren in extremen Szenarien wie dem, man sei bloß ein isoliertes Gehirn, in dem ein Wissenschaftler eine kohärente Illusion initiiert.25 (b) Die extremen Szenarien veranlassen uns Philosophen, alle vermeintlichen Wahrheiten über die ‚äußere Welt‘26 als ein Ganzes zu begreifen („conceive“), das man Den Ballon („The Balloon“) nennen kann, und uns selbst jeweils als jemanden zu verstehen, der mit der Welt als einem Ganzen umgeht, indem er Den Ballon denkt. Dieses Denken läßt sich durch „Ich denke, daß (Der Ballon)“ beschreiben.27 (c) Während der Philosoph einsieht, daß ihn die skeptischen Herausforderungen an den Inhalten des Des Ballons zweifeln lassen, gerät er nicht in Zweifel an dem Präfix Ich denke, daß ..., das Castañeda das transzendentale Präfix nennt. „Der Ballon mag eine Fiktion sein, aber daß ich existiere als den Ballon oder Teile von ihm denkend ist KEINE Fiktion.“28 25
Siehe ThLE10Noumenon, S. 160. Siehe S. 162, „First“: „external world“; ich verwende hier die Distanzierungsanführung, da noch keine Explikation vorliegt, worin die Äußerlichkeit der Welt besteht. Es ist jedenfalls keine räumliche Äußerlichkeit; denn die Bestimmungen meines Körpers gehören mit zu dem, was der skeptische Angriff in Frage stellt. 27 Siehe S. 162. 28 Siehe S. 162u.; Der Ballon soll eindeutig ein Ganzes von Inhalten, nicht von Zeichen sein; daß er mit den ‚vermeintlichen Wahrheiten‘ im Ballon nicht Zeichen, sondern wahrheitsfähige Inhalte meint, wird besonders in einer Aussage über Ich26
90 Weshalb die Motivierung durch die skeptische Reflexion dem phänomenologischen Projekt eine bestimmte Fassung verleiht, versuche ich in den folgenden Punkten zu entwickeln. 1. Zunächst muß man dreierlei festhalten: Erstens geht es um eine bestimmte Sorte von Skepsis, nämlich diejenige, die die Erkennbarkeit der ‚äußeren Welt‘ angreift. Zweitens müssen wir Philosophen selbst keine Skeptiker, selbst wenn wir meinen, dramatische Konsequenzen aus den Angriffen ziehen zu müssen. Jedenfalls müssen wir nicht die skeptische Auffassung teilen, daß wir bezüglich der ‚äußeren Welt‘ zu gar nichts fähig sind, was als Wissen bezeichnet zu werden verdient. Castañeda selbst versteht sich drittens nicht als Skeptiker.29 2. Wir gehen auf die skeptischen Angriffe ein, indem wir aus ihnen Konsequenzen bezüglich der Frage ziehen, wie es um unser Wissen der ‚äußeren Welt‘ bestellt ist. Doch wir akzeptieren nicht, daß die Angriffe ins Bodenlose gehen; d.h. wir gestehen dem Skeptiker nicht zu, daß er über einen Argumentationsmechanismus verfügt, mit dem er von beliebigen Inhalten unseres Denkens zeigen kann, daß wir unsere gewöhnlichen Wissensansprüche modifizieren müssen. Wir gestehen ihm einen solchen Mechanismus nämlich nicht bezüglich Tatsachen der Art zu, daß ich, der einzelne Philosoph, als die-und-die Inhalte Des Ballons denkend existiere. Wenn man seine relevanten Aussagen insgesamt betrachtet, scheint Castañeda gegen skeptische Angriffe nicht behaupten zu wollen, beliebige Detailbeschreibungen des eigenen Denkens und Erfahrens zeichneten sich durch eine Gewißheit aus, die Infallibilität impliziert.30 Nach meiner Einschätzung sollte man die philosophische Reaktion auf die skeptischen Angriffe Inhalte klar: „There are inside The Balloon many first-person propositions (possible states of affairs, thought contents) ...“ Daher muß man unter dem Präfix wohl ebenfalls etwas typischerweise durch „Ich denke, daß ...“ Ausdrückbares verstehen und nicht etwa diese Zeichen oder irgendwelche internen Analoga zu ihnen selbst. 29 Siehe ThLE10Noumenon, S. 160-62: „I am not concerned with building an argument that finally, and conclusively, establishes radical skepticism. ... obversely, I desire NOT to engage in a refutation of radical skepticism ...“ 30 Dafür, daß Castañeda die Frage der Infallibilität nicht für wesentlich hält, spricht in ThLE10Noumenon, S. 168, die folgende Erwägung: „Can He [d.i. the Evil Demon; RB] make me believe that I have a pain that does not exist. Here I want to set this question aside. Here is something of much greater importance.“
91 so darstellen, daß wir uns eines äußerst markanten Unterschiedes im epistemischen Status der Balloninhalte einerseits und der Registrierung unseres Denkens und Erfahrens dieser Inhalte andererseits bewußt werden. Welchen Status die verschiedenen Sorten dieses Registrierens genau besitzen, ist eine sekundäre Frage. 3. Ein naheliegender Ansatz, Herausforderungen der ‚Außenwelt‘-Skepsis zurückzuweisen, ist der folgende: Man versucht offenzulegen, daß der Angreifer nur scheinbar unschuldige Fragen stellt, sondern in Wahrheit fragwürdige epistemologische Prinzipien unterstellt. Das ist Teil von Michael Williams Strategie.31 Seiner Diagnose nach ist der, wie er ihn nennt, Cartesianische Skeptiker auf zwei epistemologische Auffassungen festgelegt, nämlich auf einen substanziellen Fundamentalismus sowie den Mythos des Gegebenen.32 Der substanzielle Fundamentalismus beinhaltet, daß gerechtfertigte Überzeugungen entweder selbst zu einer ausgezeichneten Klasse von Überzeugungen gehören oder letztlich durch inferenzielle Beziehun31
Siehe Knowledge, S. 199: „... we cannot take Cartesian scepticism to be the intuitive problem that it is often assumed to be. The problem is deeply imbedded in obscure and controversial theoretical commitments, epistemological and semantic.“ Tatsächlich ist seine Strategie zweigliedrig: „It involves, first, tying sceptical doubts to questionable epistemological views and, second, presenting a way of thinking about knowledge and justification that makes the sceptic’s questions look like bad questions.“ (S. 191) 32 Siehe Knowledge, S. 189: „... Cartesian scepticism presupposes substantive foundationalism, with the foundations of knowledge set at the level of experience; and... the sceptic’s conception of experience incorporates the Myth of the Given.“ Zumindest eine wichtige propagandistische Rolle spielt außerdem der Vorwurf eines epistemologischen Realismus. Dabei soll es sich jedoch um eine metaphilosophische Position handeln, derzufolge die philosophische Epistemologie eine dauerhafte [permanent] epistemische Struktur als Gegenstand hat, den sie, ähnlich wie die Physik die atomare Struktur, ausgehend von ihrer Manifestation in oberflächlichen epistemischen Prozeduren erforschen muß. (Vgl. S. 193) Die Aussage, der substanzielle Fundamentalismus sei eine Artikulation des epistemologischen Realismus (S. 193), muß man wohl so verstehen, daß dieser Fundamentalismus eine Position in der philosophischen Epistemologie ist, die nur sinnvoll vertreten kann, wer ein realistisches Verständnis vom Status der Epistemologie besitzt. In Doubts ist jedenfalls ganz klar, daß der substanzielle Fundamentalismus selbst eine epistemologische und keine meta-epistemologische Position ist, S. 114: „Substantive foundationalism is a theory of knowledge...“
92 gen zu Elementen dieser Klasse gerechtfertigt sind. Dabei müssen die Überzeugungen der ausgezeichneten Klasse solche sein, die aufgrund ihrer Natur, d.h. aufgrund ihres Gehaltes dazu ausersehen sind, die Endpunkte von Rechtfertigungsketten zu bilden, die also epistemologisch grundlegend sind, weil sie an sich selbst glaubwürdig oder selbst-belegend sind.33 Genauer betrachtet unterstellt der Skeptiker einen solchen Fundamentalismus, der die Endpunkte der Rechtfertigung ‚auf der Ebene der Erfahrung‘ ansiedelt. Das Verpflichtetsein auf den Mythos des Gegebenen ergänzt bei Williams diesen Fundamentalismus um die Annahme, die selbst-belegenden Überzeugungen auf der Erfahrungsebene seien solche darüber, wie Dinge erscheinen, und der spezifische Inhalt dieser Überzeugungen, etwa daß einem gerade etwas rot und rund zu sein scheint, ergebe sich irgendwie trivial aus den Erfahrungserlebnissen, liege jedenfalls völlig unabhängig davon fest, ob skeptische Szenarien wie das, man sei Opfer des Bösen Täuschers, zutreffen oder nicht.34 Bei der Frage, wie man auf diese Zurückweisung der skeptischen Herausforderung reagieren soll, muß man unterscheiden zwischen der Teilfrage, wie die Situation des Skeptikers selbst beurteilt werden muß, und der Teilfrage, wie wir Philosophen mit der Zurückweisung umgehen sollten. Zur ersten Teilfrage glaube ich hier nicht mit Erkenntnisanspruch Stellung nehmen zu müssen. Ich möchte mich nicht auf Details von Williams‘ Diagnose festlegen, doch es ist sehr einleuchtend, daß der ‚Außenwelt‘Skeptiker auf gewisse Hintergrundannahmen über Wissen, Belege, Rechtfertigung oder Begründung festgelegt ist, die man nicht teilen muß. Zumindest gilt das, wenn das Ziel seines Angriffes die Einsicht ist, daß wir in keinerlei plausiblem Sinn Wissen über die Außenwelt besitzen können.35 4. Wenn diese Beurteilung der Lage des Skeptikers richtig ist, so folgt für die Umgangsweise von uns Philosophen mit ihm, daß wir, wenn wir teilweise vor seinem Angriff zurückweichen und entsprechende Konsequen33
Ich habe hier Williams‘ Bestimmungen des strukturellen und des ihn verstärkenden substanziellen Fundamentalismus von Knowledge, S. 82-83, zusammengezogen. 34 Siehe Knowledge, S. 198: „Even as victims of the Evil Deceiver, we are supposed to know all about how things appear to us.“ „... the Myth of the Given: the assimilation of sapience to sentience, of contentful thought to mere sensation.“ 35 Castañedas Aussage auf S. 161, ‚die meisten von uns glaubten den skeptischen Argumenten nicht‘, muß man wohl so verstehen.
93 zen ziehen, auch selbst nicht gänzlich voraussetzungslos agieren. Ich nehme an, daß Castañeda auch aus diesem Grund den ausführungshafterfahrungshaften Charakter unserer skeptischen Reflexion hervorhebt: Diese Reflexionen seien Tätigkeiten („doings“), und sie endeten mit dem metaphysisch-phänomenologischen Erfassen einer ultimativen Realität (das ist der metaphysische Aspekt des Erfassens) durch den Zweifler, die als ein denkendes Ich erscheint (das ist der phänomenologische Aspekt), das mit einer ganzen, aber vielleicht völlig leeren Welt konfrontiert ist, eingeschlossen die eigenen Verkörperungen des Ichs in dieser Welt.36 Diese Betonung schließt offenbar ein, daß die skeptischen Attacken uns nicht so sehr auf einer rein intellektuellen Ebene etwas erschließen lassen, sondern daß sie uns selbst zu einer bestimmten reflektierenden Erfahrung veranlassen, für die das Schema ‚Ich denke, daß (Der Ballon)‘ steht. Das bedeutet jedoch, daß unser Vollzug dieser reflektierenden Erfahrung für die Motivierung des phänomenologischen Projektes wesentlich ist. Man kann diese Erfahrung als ein Datum im Sinn von Castañedas allgemeinem methodologischem Schema auffassen. Wie bei anderen Daten kann man dann aber einen Philosophen weder dazu zwingen, dieses Datum überhaupt zu akzeptieren, da er ein Theorie entwickeln kann, die das vermeintliche Datum zu purem Schein erklärt, noch dazu, das Datum in der Weise zu beschreiben, in der Castañeda es tut, und die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen. Über den Appell hinaus, die Reflexion anzustellen und ihre Struktur zu erfassen, werde ich folgendes tun: (i) Ich werde rekapitulieren, welche Weltbild-Struktur sich als Konsequenz der Diskussion von Loars und Sellars‘ Konzeptionen für eine Theorie nahegelegt hat, die die phänomenologische Reflexion erklären kann. (ii) Ich werde deutlich machen, inwiefern Castañedas Darstellung der skeptischen Reflexion eine Affinität mit der Struktur der phänomenologischen Reflexion aufweist, wie ich sie abstrakt als Resultat der Loar-Sellars-Diskussion umrissen habe, und (iii) erklären, wieso diese Auffassung der skeptischen Reflexion eine Fassung des phänomenologisch-ontologischen Projektes nahelegt, die die unter (i) erläuterte Weltbild-Struktur zugrunde legt.
36
Siehe nahezu wörtlich ThLE10Noumenon, S. 163.
94 i. Dem Ergebnis des von Teil EINS zufolge besitzt eine Theorie die besten Chancen, die phänomenologische Reflexion zu erklären, wenn sie unser gesamtes Weltbild inklusive seiner wissenschaftlichen Aspekte in der Weise des Sellars’schen manifesten Weltbildes konzipiert. Das bedeutet, daß sie die spezifischen wahrheitsfähigen Inhalte, die im Rahmen unseres Weltbildes Elemente der wirklichen Welt sein können, als irgendwie aus unmittelbar beobachtbaren Aspekten aufgebaut verstehen muß. Schon bei Sellars erweisen sich die unmittelbar beobachtbaren Qualitäten letztlich als Charakteristika von Sinneseindrücken. Die gesuchte Theorie soll von Sellars‘ Konzeption im wesentlichen dadurch abweichen, daß sie eine kategorial adäquate begriffliche Registrierung der theoretischen Nachfolger Sellars‘scher Sinneseindrücke konzipieren kann, d.h. der theoretischen Spezifizierung dessen, was ich vorläufig als phänomenale Züge bezeichnet habe. ii. Der gesuchten Theorie zufolge registriert der phänomenologisch Reflektierende die ihm zugehörigen phänomenalen Züge, indem er von seinem gewöhnlichen, auf den kognitiven Umgang mit weltliche Gegenständen zugeschnittenen kategorialen Rahmen auf eine andere, jedoch ebenfalls bestimmte kategoriale Struktur umschaltet. So, wie die erforderliche Theorie bisher umrissen ist, ist sie nicht darauf festgelegt, daß das Registrieren phänomenaler Züge und ihrer Bestimmungen unfehlbar ist. Obwohl ich für eine inhaltliche Kontinuität zwischen der nicht-begrifflichen und der begrifflichen Ebene argumentiert habe, ist sie ebensowenig darauf festgelegt, daß in der phänomenologischen Registrierung kein Unterschied zwischen Nicht-Begrifflichem und Begrifflichem gemacht werden kann, also Empfinden und denkendes Erkennen (‚sentience and sapience‘) zusammengeworfen werden. Meine Forderung nach begrifflicher Integration spricht vielmehr für eine aufwendige Struktur auf der begrifflichen Ebene, folglich für eine markante Differenz zwischen Vorbegrifflichem und Begrifflichem, trotz der prinzipiellen inhaltlichen Kontinuität, die durch die Kategorie der Universalien gewährleistet wird. Aber die Theorie soll die Reflexion als ein Registrieren von Zügen begreifen; Sellars‘ Idee eines Postulierens letztlich sogar der eigenen Bewußtseinsvorkommnisse soll sie nicht übernehmen. Das Registrieren ist demnach epistemisch gegenüber dem Erkennen von Sachverhalten eigenständig, die von gewöhnlichen weltlichen Gegenstände handeln.
95 Angenommen es ist richtig, sich von der phänomenologischen Reflexion beeindrucken zu lassen und die erläuterten Konsequenzen hinsichtlich ihrer Struktur zu ziehen. Dann kann die skeptische Reflexion gewissermaßen eine phänomenologische Komponente einschließen und den Reflektierenden erfahren lassen, daß es außer den Ballon-Inhalten, die die ‚äußere Welt‘ betreffen, einen Bereich von begrifflich gefaßten Inhalten gibt, der tatsächlich seiner Natur nach einen epistemischen Endpunkt in dem Sinn bildet, daß die Inhalte dieses Bereiches keiner Rechtfertigung durch Inhalte eines anderen bedürfen. Damit ist nicht gesagt, daß dieser Bereich auch den Endpunkt einer Rechtfertigungs- oder Begründungskette darstellen muß oder auch nur kann, an deren anderem Ende Inhalte hängen, die die ‚äußere Welt‘ betreffen. Sicherlich ist die Affinität erst zufriedenstellend aufgeklärt, wenn man darlegen kann, daß sich das Registrieren phänomenaler Züge und das Bewußtsein seiner selbst als das-und-das denkend und erfahrend auf derselben ontologischen und als Folge davon derselben epistemischen Ebene befinden. Das wird eine Aufgabe von Teil DREI sein. iii. Ich unterstelle, daß wir Philosophen unter dem skeptischen Angriff tatsächlich in eine Reflexion eintreten, aus der wir bemerkenswerte Konsequenzen hinsichtlich des epistemischen Status der Balloninhalte, also der Inhalte unserer gewöhnlichen weltbezogenen Ansichten ziehen. Ich sage unbestimmt ‚bemerkenswert‘, weil wir uns nicht die Konsequenz des Skeptikers zu eigen machen müssen, bezüglich dieser Inhalte sei überhaupt nichts möglich ist, was die Bezeichnung als Wissen verdient. Im Sinne von (ii) kann die skeptische Reflexion gut eine phänomenologische Komponente einschließen, in der wir uns der epistemischen Selbständigkeit der Registrierung phänomenaler Züge bewußt werden. Doch um bezüglich der weltbezogenen Inhalte bemerkenswerte Konsequenzen durch das Erfahren der skeptischen Reflexion zu motivieren, reicht es nicht aus, diese Eigenständigkeit sowie zusätzlich einzusehen, daß das Registrieren phänomenaler Inhalte einfach ungeeignet ist, um weltbezogene Inhalte zu rechtfertigen oder zu begründen, ganz zu schweigen von einer logischen Implikation. Wir mögen uns einer solchen epistemischen Kluft bewußt werden: Die phänomenalen Registrierungen benötigen die Stützung durch weltbezogene Inhalte nicht, und diese können keine Stützung durch jene erfahren. Damit ist solange nichts über die Erkennbarkeit weltbezogener Inhalte ausge-
96 macht, wie offen ist, daß diese ihrerseits einen epistemisch selbständigen Bereich bilden. Angenommen wir Philosophen durchdenken tatsächlich einige Balloninhalte, und wir denken an sie als Inhalte des Ballons, etwa als Teil von ‚all den Ansichten, die ich eigentlich über die Welt habe‘. Als Kontrast zu diesem Denken von Balloninhalten ereignet sich zugleich eine phänomenologische Komponente der Reflexion, d.h. wir registrieren einen Bereich phänomenaler Züge. Die Frage ist, wie wir innerhalb der ganzen Reflexion das Denken von Balloninhalten erfahren müssen, damit das Ganze eine Erfahrung sein kann, die bemerkenswerte Konsequenzen hinsichtlich des epistemischen Status der Balloninhalte motiviert. Wenn die Gesamterfahrung so beschaffen ist, daß sie offen läßt, daß Episoden des Denkens von Balloninhalten aufgrund irgendwelcher mysteriösen Zusammenhänge ihre bestimmten Inhalte besitzen, dann muß sie auch offen lassen, daß sie aufgrund derartiger Zusammenhänge eine ausgezeichnete epistemische Qualität besitzen. Die einzige Alternative ist, daß uns die Erfahrung der ganzen Reflexion einsehen läßt, daß die Inhalte der Episoden des Ballon-Denkens durch Zusammenhänge mit den in der phänomenologischen Komponente der Reflexion registrierbaren Inhalten konstituiert sind. Dann können wir zugleich einsehen, daß die phänomenologisch registrierbaren Inhalte die einzige Ebene bilden, die eigenständig eine ausgezeichnete epistemische Qualität besitzt und geeignet wäre, die Balloninhalte in starkem Grad zu rechtfertigen oder zu begründen, vielleicht gar zu implizieren; dabei können sich die Balloninhalte jedoch, obwohl sie durch Bezug auf phänomenale Inhalte konstituiert sind, als derart systematisch verstärkt erweisen, daß eine starke Begründung bis hin zur Implikation durch phänomenale Registrierungen offensichtlich nicht gegeben bzw. vorliegen kann. Diese Anerkennung der ausgezeichneten epistemischen Qualität reflektierender Einsichten und der inhaltlichen Konstitution ‚weltlicher‘ Propositionen auf der Grundlage perzeptueller Inhalte ist grundsätzlich mit vielen Auffassungen der epistemischen Qualität weltlicher Überzeugungen vereinbar.37 Eine deutliche Aussage dahingehend, daß die Inhalte des Ballons genau dieselben sind unabhängig davon, ob wir einer totalen Illusion unterliegen oder nicht, macht Castañeda mit Verweis auf Leibniz: 37
Castañeda selbst vertritt eine Variante des Kontextualismus; siehe Knowledge.
97 „According to Metaphysical Internalism I must not try to break my possibly nonexisting head attempting to beat the skeptical arguments: I must yield to the deepest skeptical doubts and concede that all my experiences could, in principle and in fact, be illusory. I must, then, turn to inside experience and follow Leibniz’s internalist advice, making my problem that of understanding the contents and the structure of the experienced world, however illusory these may be.“38
2. Gewöhnliche Gegenstände in einer internalistischen Ontologie 2.a Die durch die skeptische Reflexion motivierte internalistische Auffassung der die äußere Welt betreffenden Inhalte läßt sich nicht im Stil einer ‚Zwei-Faktoren-Semantik‘ um eine Ebene von Sachverhalten ergänzen, die in einem robusteren Sinn Elemente der äußeren Welt sind. Die Diskussion der folgenden drei Punkte soll die Explikation des internalistisch gefaßten Projektes abrunden. 1. Man sollte nicht ‚hinter‘ den vermeintlichen Wahrheiten im Ballon die wahrhaften Elemente der Wirklichkeit suchen. Selbst wer zugesteht, daß es eine gänzlich interne Ebene von Inhalten gibt, wird vielleicht geneigt sein, auf einer Ergänzung durch eine Ebene von Inhalten zu bestehen, die Eigenschaften und Beziehungen von Gegenständen der ‚äußeren‘ Welt oder gar solche Gegenstände selbst involvieren.39 Das Gewünschte kann man als robuste Eigenschaften, Beziehungen, Gegenstände und Inhalte bezeichnen. Eine vergleichbare Zwei-Ebenen-Struktur konzipiert Ned Block in seiner Zwei-Faktoren-Version einer mit begrifflichen Rollen arbeitenden Seman38
Siehe ThLE10Noumenon, S. 161 (meine Unterstr.; RB). Er beruft sich auf eine Stelle aus Leibniz‘ ‚Über die Methode, reale Phänomene von imaginären zu unterscheiden‘ (1690), Hauptschriften II, S. 125, Gerhardt VII, S. 320: Selbst wenn das ganze Leben ein Traum wäre, wäre er genügend real, sofern er beim richtigen Gebrauch der Vernunft nicht täuscht; siehe ThLE10ThLE10Noumenon, S. 174 Anm. 4; sehr ähnlich übrigens Hauptschriften I, S. 287, „Zu Art. 4“, Gerhardt IV, S. 355. 39 Das Involvieren muß nicht im Sinn eines Zusammensetzens verstanden werden, bei dem die Konstituenten irgendwie im Produkt erhalten bleiben. Ein Menge genau der möglichen Welten, in denen ein bestimmter Gegenstand existiert und eine bestimmte Eigenschaft hat, d.h. zu einer bestimmten Menge möglicher Gegenstände gehört, involviert beispielsweise in dem hier relevanten weiten Sinn diesen Gegenstand und diese Eigenschaft.
98 tik.40 Es handelt sich nicht um eine Semantik der öffentlichen, sozialen Sprache41, sondern einer idiolektalen internen Sprache des Geistes.42 Der erste, interne semantische Faktor besteht in der kausalen Rolle eines Ausdrucks dieser Sprache in (theoretischen und praktischen) Begründungen („reasoning and deliberation“), in der Weise, wie der Ausdruck mit anderen Ausdrücken kombiniert wird und interagiert, so daß zwischen sinnlichem Input und Verhaltensoutput vermittelt wird. Wie diese Bestimmung von Input und Output bereits andeutet, ist diese Rolle und entsprechend die ‚enge Bedeutung‘ der Ausdrücke in dem Sinn der betreffenden Person intern, als die kausalen Beziehungen über ihrer physischen Beschaffenheit supervenieren43, unter Absehung der Beschaffenheit der Umwelt. Hinsichtlich des zweiten, externen Faktors zeigt Block sich offen,44 doch ist seine Sympathie für kausale Theorien von Eigen- und Artnamen offenkundig. Bemerkenswert ist, was Block über das Verhältnis beider Faktoren sagt: Erstens heißt es, der erste, also der Rollen-Faktor lege die Natur des zweiten Faktors fest, den er auch als Bezugnahme-Faktor bezeichnet; zweitens erklärt er, der Rollen-Faktor lege die Funktion von fest, die Kontexten Bezugsgegenstände zuordnet.45 Ich diskutiere jetzt nicht das Verhältnis beider Aussagen; offensichtlich betrifft die erste eher Namen und die zweite eher Indikatoren. Es ist überhaupt nicht klar, wie der erste Faktor ohne weitere Postulate, die externe Umstände betreffende, die Art des externen Faktors bestimmen soll. Die interne Rolle hat keinen Kontakt zu Dingen und Sachverhalten der Umgebung. Wie soll sie ohne einen solchen Kontakt die Art beinhalten, wie eine Person auf äußere Dinge bezogen ist? In unserem phänomenologischen Projekt sollten wir diese Frage einfach ignorieren. Die Wahrheiten und Falschheiten, mit denen wir es zu tun haben, sind danach näm-
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Alle folgenden Angaben zu Block beziehen sich auf Advertisement. Siehe S. 633. 42 Siehe S. 615 sowie S. 632-33. 43 Im vorliegenden Fall läuft die Supervenienz wohl einfach auf eine logische Implikation hinaus. 44 Siehe S. 628. 45 Siehe S. 643-44; die Originalausdrücke sind „referential factor“ und „conceptual role factor“. 41
99 lich Inhalte, die durch so etwas wie Blocks ersten Faktor konstituiert sind. Solche Inhalte bilden die Welt, mit der wir es im Denken zu tun haben. Vielleicht zeigt eine voll entwickelte internalistische phänomenologische Ontologie einmal in der dia-philosophischen Betrachtung Strukturgleichheiten mit weniger strikt entwickelten Ontologien, die gewissermaßen aus ihr selbst heraus verständlich machen, wie ‚robuste‘ Sachverhalte den intern konzipierten Inhalten korrespondieren. Dann wäre eine letzte metaphysische Stellungnahme dazu möglich, was die ‚wirklichen‘ Konstituenten der ultimativen Realität sind – vielleicht auch eine physikalistische Abschlußentscheidung über das, womit wir in der phänomenologischen Reflexion konfrontiert sind. Vorerst sind wir aber hinreichend damit beschäftigt zu verstehen, wie so eine Reflexion möglich ist. 2. Trotz einer anderes andeutenden Aussage betreffen wissenschaftliche Resultate gehören die phänomenalen Welt. Ich möchte auf eine kleine philologische Spannung eingehen, da die mit ihr verknüpfte sachliche Frage ziemlich wichtig ist. Die in der phänomenologischen Ontologie zu erforschende Welt, die Castañeda als phänomenale oder erscheinende Welt46 bezeichnet, umschreibt er häufig auch mit Wendungen wie ‚die Welt, mit der wir konfrontiert sind‘. In Ontology and Grammar von 1976 gebraucht er dieselbe Wendung, um eine Unterscheidung zwischen zwei Schichten der Realität, der Welt und dem Universum zu treffen: Die Welt sei die Realität der Makro-Gegenstände, mit der wir in unserem gewöhnlichen Leben und unserer gewöhnlichen Erfahrung konfrontiert sind; sie sei eine persönliche Angelegenheit, jeder sei das Zentrum seiner Welt. Demgegenüber sei das Universum die intersubjektive und unpersönliche Realität, die durch wissenschaftliche Forschung konstruiert oder entdeckt wird.47 Ohne nähere Erläuterung der Unterschiede behauptet Castañeda dort eine starke Ähnlichkeit zu Sellars‘ Unterscheidung von manifestem und wissenschaft46 47
T86SelfProfile, S. 99: „the world, phenomenal or apparent“. OntGram, S. 50: „... we should distinguish two layers of reality: the world, and the universe.“ „By world I refer to the reality we confront in our daily ordinary life and experience. It is the reality of macro-objects... The world is a personal matter: each one has his/her own world, and each one is the center of his/her world...“ „The universe is, on the other hand, the intersubjective reality constructed or discovered by scientific research. It is impersonal. It has no room for ... demonstratives...“
100 lichem Weltbild.48 Das kontrastiert ziemlich mit seiner bereits erwähnten Feststellung in T83RosenbergAntwort, die wissenschaftlichen Inhalte gehörten für ihn zum manifesten Weltbild. Auch in den späteren Texten hebt Castañeda eine fundamentale Differenzierung hervor. Es handelt sich bei ihr jedoch um die Unterscheidung innerhalb Des Ballons zwischen Erfahrung und (strikter) Welt,49 d.h. zwischen dem Bereich von Inhalten, die die strikten Bezüge indexikalischer Ausdrücke bilden, und den restlichen Inhalten. Diese Unterscheidung geht also mitten durch das hindurch, was er in OntGram als Welt im Kontrast zum Universum bezeichnet. Ganz klar ist, daß die später so genannte (strikte) Welt alle nicht-indexikalischen vermeintlichen Wahrheiten enthält inklusive der wissenschaftlichen.50 Die frühere Aussage läßt sich sinnvoll integrieren, indem man eine Unterscheidung innerhalb der späteren (strikten) Welt vornimmt, nämlich in solche Inhalte, die ausschließlich von Gegenständen solcher Arten handeln, deren Fälle prinzipiell einen indexikalisch aufweisbaren Aspekt von sich im erfahrungshaften Teil Des Ballons auftauchen lassen können, und Gegenständen, die das nicht können.51 3. Thematische statt epistemische Bestimmung des phänomenologischen Programms. Daß sich das phänomenologisch-ontologische Programm durch eine skeptische Reflexion motivieren läßt, darf nicht zu einem simplen epistemologischen Verständnis des Programms führen. Das simple Verständnis beinhaltet, die philosophische Theoriebildung dürfe sich aus48
Siehe S. 50: „What we call world here has strong family resemblance to what Sellars has called ... the Manifest Image of the World.“ 49 Siehe bereits DirectAwareness (1979), S. 37: „the strict world, or the world (simpliciter)“; „... the world (broadly speaking) divides neatly into the world and experience.“ 50 Siehe PhLI-I-Guises, S. 131: „... in the rest of the subordinated BALLOON all the nonindexical facts of the world ... the intersubjective, physical, psychological and sociological contents of the world.“ 51 Ich werde hier nicht diskutieren, wie unscharf und konventionell die Grenze ist, d.h. insbesondere, inwieweit Beobachtungsinstrumente wie Fernrohre und Mikroskope uns indexikalisch aufweisbare Aspekte vermeintlich unbeobachtbarer Entitäten zugänglich machen oder ob sie bloß indexikalische Aspekte von Makro-Objekten liefern, die mit den unbeobachtbaren Entitäten systematisch korreliert sind, oder gar freischwebende indexikalische Aspekte von gar nichts, die aber im Gegensatz zu bloßen Illusionen als ‚wohlfundiert‘ eingeordnet werden können.
101 schließlich auf Informationen stützen, die nicht von den extremen skeptischen Attacken bedroht sind. Offenbar blieben dabei nur Registrierungen eigener momentaner perzeptueller, emotionaler und gedanklichen Erlebnisse als Daten übrig. Dem stehen jedoch andere methodologische Aussagen Castañedas sowie seine philosophische Praxis entgegen. So ist es unvereinbar mit der methodologischen Aussage, der Unterschied zwischen Philosophie und den Wissenschaften, etwa der Physik, sei weitgehend willkürlich und im wesentlichen einer im Grad der Allgemeinheit.52 In der Praxis widerspricht es etwa der Berufung auf neurophysiologische und empirisch-psychologische Ergebnisse in der Theorie der Wahrnehmungsfelder.53 Vielmehr dient die Reflexion dazu, ein Thema der Ontologie herauszupräparieren, nämlich die Struktur der phänomenalen Welt. Diese thematische Bestimmung ist vollkommen vereinbar damit, daß wir unter der Annahme, daß die Balloninhalte tatsächlich im Großen und Ganzen wahr sind, Informationen über die ‚äußere Welt‘ benutzen, um eine Theorie der Struktur der phänomenalen Welt aufzubauen.54 2.b Bereits das internalistisch verstandene Projekt einer phänomenologischen Ontologie legt eine Proto-Konzeption nahe, derzufolge gewöhnliche wirkliche Dinge Bündel von Eigenschaften sind, die von einer nur mit einem empirischen Begriff erfaßbaren Beziehung zusammengehalten werden. Sicherlich gilt auch von der strikt internalistischen Fassung des phänomenologischen Projektes, daß mit dem Projekt allein noch keine genaue ontologische Theorie determiniert ist und man daher mit einer Pluralität von Theorien rechnen muß. Dennoch legt die internalistische Projektfassung allein schon in einer rohen Gestalt eine ontische Grundstruktur nahe, die 52
Siehe OPM, S. 27: „The difference between philosophy ... and the sciences is to a large extent arbitrary...“; siehe auch S. 25-26. 53 Siehe PBS, S. 291; PBS, S. 290. 54 Wenn man etwa unterstellt, daß die Grundzüge des menschliche Geist in allen seinen Exemplaren gleich beschaffen sind, kann man empirisch-psychologische Ergebnisse heranziehen. Sicherlich ist die thematische Bestimmung jedoch auch damit vereinbar, daß man eine epistemisch zugespitzte Version des phänomenologischen Programms formuliert, etwa OPM, S. 47: „... the philosophical given for each philosopher is the totality of his [!] diverse experiences and the whole of each of his [!] thinking idiolects...“
102 zum Projektkern von Castañedas eigener ontologischer Theorie, der Theorie der Gestaltungen (Guise Theory) gehört. Ich habe die strikt internalistische Fassung des phänomenologischen Projekts dadurch charakterisiert, daß die Inhalte des Ballons durch Zusammenhänge mit den in der phänomenologischen Komponente der Reflexion registrierbaren Inhalten konstituiert sind. Um die Situation abzuschätzen, ist die Modellannahme nützlich, Denkepisoden bestünden tatsächlich in komplexen Verwendungen von Symbolen des ‚Mentalischen‘, deren Bedeutung durch ihre kausalen Beziehungen zu anderen Symbolen des internen Sprachsystems sowie zu Input- und Outputfaktoren konstituiert wird. Der einfachste denkbare Fall entspräche der von Sellars kritisierten ‚Thermometer-Auffassung‘: Ein bestimmtes zur Kategorie der Prädikate gehörendes Symbol des Mentalischen ist derart kausal vernetzt, daß es typischerweise in einem positiven prädikativen Zusammenhang verwendet wird, wenn die betreffenden Person in der Wahrnehmung mit einer sinnlichen Qualität aus einem bestimmten Bereich konfrontiert ist. Es ist dann plausibel, daß das prädikative Symbol die generische Qualität als Bedeutung besitzt und als Beitrag zum Inhalt von Denkepisoden beisteuert, deren Spezifikationen zum Bereich der die Verwendung auslösenden Qualitäten gehört. Tatsächlich muß die Struktur, aufgrund derer selbst die primitivste Denkepisode ihren Inhalt besitzt, viel komplizierter sein. Doch der Modellfall zeigt, daß es im internalistischen Rahmen kein prinzipielles Problem darstellt, Qualitäten oder allgemein Universalien als Inhalte gedanklicher Episoden bereit zu stellen. Da ich mich auf intern konstituierte Gedankeninhalte festgelegt habe, können wahrheitsfähige Inhalte, die aus solchen intern zugänglichen Universalien aufgebaut sind, nicht per se ‚robuste‘ Weltkonstituenten festlegen, etwa Sachverhalte, die sich als Paare aus robusten Gegenständen und entsprechenden Eigenschaften auffassen lassen. Das bedeutet unter anderem, daß die intern zugänglichen Universalien die falsche Art von Entitäten sind, um von robust konzipierten Gegenständen exemplifiziert zu werden. Es sind aber die intern zugänglichen Universalien, die in die wahrheitsfähigen Balloninhalte eingehen, die wir also irgendwie zuschreiben oder prädizieren, wenn wir von Balloninhalten überzeugt sind. Folglich sind die robust konzipierten Gegenstände nicht das, dem wir Eigenschaften zuschreiben. Vielleicht durchzieht unser Leben die Illusion, daß wir mit sol-
103 chen Gegenständen umgehen. Jedenfalls muß es eine philosophische Illusion sein, daß unsere gewöhnliche Konzeption der Gegenstände, mit denen wir umgehen, die robuste Konzeption ist. Die Frage ist, wie eine Alternative aussehen könnte. Als Herangehensweise bietet es sich an zu untersuchen, welche Struktur eine einfache Aussage über gewöhnliche Gegenstände haben muß, um möglicherweise wahr zu sein. Einfache Aussagen, die zumindest oberflächengrammatisch betrachtet einen singulären Term enthalten, für dessen Funktionsweise gute Vorschläge existieren, wären etwa Aussagen mit Kennzeichnungen der Form ‚Der F ist G‘. Den expliziten Prädikatterm G wie auch den in die Kennzeichnung eingelassenen prädikativen Ausdruck F werde ich als Namen verstehen, die intern begreifbare Eigenschaften bezeichnen. Die entsprechend angepaßte Russell-Analyse ergibt: ∃x (x hat F ∧ ∀y (y hat F → x = y) ∧ x hat G) Wenn wir dieser Analyse folgen, bilden wir uns ein, wir quantifizierten über gewöhnliche Gegenstände im robusten Sinn. Aber wie erläutert kann kein robuster Gegenstand die betreffenden Eigenschaften haben.55 Die Aufgabe besteht darin, möglichst viel von dieser auf den ersten Blick und bezüglich vieler Fälle plausiblen Analyse mit robust verstandenen Quantifikationen zu reproduzieren, ohne aber Quantifikationen über robust Verstandenes zu verwenden. Es ist hilfreich, eine zur angegebenen Analyse logisch äquivalente Konjunktion mit einem Einmalige-ExemplifikationGlied und einem Gemeinsame-Exemplifikation-Glied zu betrachten: ∃x (x hat F ∧ ∀y (y hat F → x = y)) ∧ ∃x (x hat F ∧ x hat G) Wenn man sich auf das zweite Konjunkt konzentriert, so wird deutlich: Man benötigt ein Konzept von der Koexemplifikation zweier Eigenschaften, das nicht die Fähigkeit erfordert, in quantifizierter Form auf Gegenstände in einem robusten Sinn bezug zu nehmen. Um die robuste Suggestion in der Redeweise ganz zu beseitigen, sollte man statt von einem Konzept der Koexemplifikation besser von dem eines speziellen Zusammen-
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Sofern man die relationale Struktur der Prädikation ‚x hat F‘ ernst nimmt, muß man beachten, daß auch der Beziehungsausdruck „hat“ für eine intern begreifbare Universalie stehen muß.
104 sein56 zweier Eigenschaften sprechen. Das Quantifikationsschema ‚∃x (x hat F ∧ x hat G)‘ kollabiert demnach zu einem unanalysierten relationalen Schema ‚Z2 (F, G)‘. Aufklärung über die Beziehung Z2 sollte man sich nicht von einer syntaktischen Zergliederung erhoffen, die doch nur zurück zum Quantifikationsschema führt. Vielmehr sollte man sich bemühen, die Beziehung inhaltlich zu bestimmen. Ich werde hier nur einerseits beispielhaft ein zentrales formales Bedeutungspostulate angeben, d.h. ein die Bedeutung von ‚Z2‘ partiell explizierendes Prinzip, das an Konstanten außer ‚Z2‘ nur das logische Vokabular enthält, und andererseits deutlich machen, von was für einer Art der mit ‚Z2‘ verbundene Begriff sein muß. An erster Stelle der plausiblen Bedeutungspostulate steht zweifellos das Prinzip, daß zwei logisch inkompatible Eigenschaften niemals auf Z2-Art verbunden (‚zusammen‘) sind.57 Es ist jedoch absehbar, daß ausschließlich formale Prinzipien nicht ausreichen, um den Z2-Begriff vollständig zu explizieren. Solche Prinzipien können zwar absichern, daß sich Eigenschaften in konsistente Mengen miteinander in Z2 stehender Eigenschaften einsortieren lassen. Aber Konsistenz reicht nicht aus für ein Zusammensein, das die Idee der Koexemplifikation realisieren soll, die man ursprünglich mit dem Konjunkt ‚∃x (x hat F ∧ x hat G)‘ verbunden hat; denn nicht alles Konsistente ist nach dieser Idee exemplifiziert, sondern nur das, was eben von irgendeinem robusten Gegenstand exemplifiziert wird. Es fehlt jedoch die Möglichkeit, den Unterschied einfach mit Hilfe eines Existenzquantors, also mittels logischen Vokabulars auszudrücken. Allgemeiner gilt für kein mit Recht so zu nennendes logisches Vokabular V, daß der mit Z2 verbundener Begriff von der Art ist, daß die Bedeutung von Z2 vollständig mittels formaler Bedeutungspostulate auf der Basis von V ex-
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In seiner vortheoretischen Entwicklung in ThLE11Fiction verwendet Castañeda den Ausdruck „togetherness“; siehe S. 193-94. 57 Damit dieses Prinzip sinnvoll ist, benötigt man offenbar primäre logische Operationen auf Eigenschaften; man braucht also etwa einen Prädikatnegator, -konjunktor und -disjunktor, die unabhängig von ihren Pendants für Sätze Bedeutung haben, jedenfalls für Sätze, die ein Z2-Zusammensein von Eigenschaften ausdrücken.
105 plizierbar ist.58 Den schärfsten Kontrast zu gänzlich durch formale Bedeutungspostulate explizierbaren Begriffen bilden beobachtungsnahe Begriffe wie etwa die von Farbeigenschaften, die man ohne Zögern als empirische Begriffe bezeichnen würde. Obwohl das Konzept von existenziellem Zusammensein, das sich als die richtige Ausformung des hier nur in einem ersten Versuch vorgestellten Z2-Begriffs erweist, viel abstrakter als solche beobachtungsnahen Begriffe sein muß, wird er dennoch solchen Begriffen ähnlicher sein als Konzepten etwa von logischer Konjunktion und Allquantifikation. Man muß sich demnach darauf einstellen, daß sich der Begriff eines derartigen Zusammenseins, das so etwas wie Eigenschaften zu gewöhnlichen wirklichen Gegenständen zusammenfaßt, in einem genügend weiten Sinn selbst ein empirischer Begriff ist. Nach Castañedas Ontologie, der Theorie der Gestaltungen, ist dieses Konzept das der Konsubstantiation. Die Konsubstantiation soll eine zweistellige Beziehung sein, für die in der ‚kanonischen Notation‘ der Gestaltungstheorie das Symbol „C*“ steht. Die Relata sind jedoch nicht einzelne Eigenschaften, sondern Mengen von Eigenschaften, die vorab durch die Anwendung eines Individuations- oder Konkretisierungsoperators in denkbare Individuen, sogenannte individuelle Gestaltungen, transformiert wurden.59 In der spezifischen Form, die Castañedas Ontologie vorsieht, sind die gewöhnlichen Gegenstände gemäß einer internalistischen Ontologie Systeme von solchen durch einen einheitlichen Operator in konkrete Individuen transformierte Eigenschaftsmengen, die durch eine bestimmte Beziehung zusammengehalten werden, deren Ausdruck jedenfalls nicht zum logischen Vokabular gezählt werden kann. Meinen Vorschlag, wie unser Begriff des konsubstantiativen Zusammenseins konstituiert ist, werde ich erst in Teil FÜNF (II) unterbreiten können.
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V kann plausiblerweise jedenfalls die aussagenlogischen, zusätzlich die prädikatenlogischen und obendrein die mengentheoretischen fundamentalen Konstanten (etwa: Negator und Konjunktor, Allquantoren, das Elementschaftssymbol „∈“) enthalten. 59 Zum empirischen Status dieses Begriffs siehe RefRealPerc, S. 805: „... a suitable and useful concept of existence is a general empirical concept of existence...“
106 2.c Belege dafür, daß unsere philosophische skeptische Reflexion bereits im Alltagsbewußtsein vorgezeichnet ist, kann nur eine Untersuchung der Semantik indexikalischer Ausdrücke ans Licht bringen. Sobald man eine solche internalistische Bündelkonzeption wirklicher Gegenstände formuliert, drängt sich die Frage auf, wie denn diese Konzeption die tatsächliche, philosophisch unreflektierte Auffassung wiedergeben soll, die wir in unserem alltäglichen kognitiven Umgang von gewöhnlichen Dingen haben. Die Frage gewinnt ihre Stoßkraft aus der Imagination, man würde einem philosophisch unverdorbenen Zeitgenossen diese Konzeption als seine vorstellen und höchstwahrscheinlich dankende Ablehnung ernten. Ich möchte zu diesem Problem zunächst zwei Punkte von sehr unterschiedlichem Status anmerken. Erstens ist der innertheoretische Hinweis wichtig, daß die internalistische Auffassung der Inhalte des Ballons gerade keine internalistische Auffassung der Wahrheit dieser Inhalte einschließt. Es ist geradezu das eigentliche Ergebnis der skeptischen Reflexion, daß sich die Wahrheit der Balloninhalte nicht per logischer oder einer anderen starken Implikation aus den Registrierungen von Erfahrungserlebnissen ergibt.60 Zumindest ein Teil des imaginierten spontanen Widerstandes des philosophisch unverdorbenen wie auch des philosophisch informierten Zeitgenossen läßt sich darauf zurückführen, daß sie unter dem Eindruck der behaupteten Internalität der Inhalte die Externalität ihrer Wahrheit nicht beachten. Zweitens sollte man sich in zwischen-theoretischer Hinsicht klar machen, daß es bemerkenswert leichter fällt zu behaupten, eine explizite Theorie gewöhnlicher Dinge widerspreche krass dem gesunden Menschenverstand, als eine Konzeption zu formulieren, die ganz ohne Zumutungen für den unverdorbenen Zeitgenossen ist. An relevanten semantisch-ontologischen Auffassungen erwähne ich nur (i) Sellars‘ letztlich eliminativistische Auffassung, daß es tatsächlich solche Dinge, wie der Alltagsverstand sie kon60
Der strikte Internalismus bezüglich der Inhalte hat also nichts mit einem Idealismus zu tun, wie ihn D. Chalmers in ConsciousMind, S. 75 charakterisiert: „... the facts about the external world do not supervene logically on the facts about our experience (Idealists, positivists, and others have argued controversially that they do. ...)“ Er fügt treffend hinzu: „Note that if these views are accepted the skeptical problem falls away.“
107 zipiert, nicht gibt;61 (ii) die Auffassung, gewöhnliche in der Zeit erstreckte Dinge seien tatsächlich Systeme aus momentanen Stücken des Raumes, deren Elemente bestimmte interne Eigenschaften exemplifizieren.62 Insgesamt ist es ein Fehler anzunehmen, daß sich an der Oberfläche unserer alltäglichen Einstellung zur Welt eine wohlartikulierte, jedoch aus Gründen der Trivialität verschwiegene Konzeption der Kategorie des gewöhnlichen existierenden Dinges befindet, der eine ontologische Theorie offensichtlich widersprechen kann. Vielmehr bildet diese Kategorie ein zentrales Element der Struktur der erfahr- und denkbaren Welt, d.h. des Gegenstandes der phänomenologischen Ontologie in ihrem weitestmöglichen, noch nicht in eine strikt internalistische Fassung gebrachte Sinn, und muß auf der Grundlage mannigfaltiger Daten herausdestilliert werden. Mein Proto-Konzept des existenziellen Zusammenseins, d.h. der Relation Z2, habe ich ausgehend von der internalistischen Fassung und folglich mittelbar gestützt auf ein sehr spezielles und umstrittenes Datum entwikkelt, nämlich die Erfahrung der skeptischen Reflexion. Dieses Datum besitzt den Nachteil, daß es eine nicht alltägliche Erfahrung des Philosophen selbst und keine Mannigfaltigkeit alltäglicher Erfahrungen darstellt, die wir Philosophen nur beschreiben und interpretieren, um ein theoriefähiges Muster zu entdecken. Zweifellos wäre es hilfreich, außer Daten, die unmittelbar den Aufbau gewöhnlicher Dinge betreffen, auch solche zu finden, die dafür sprechen, daß in der Gesamtkonzeption des Alltagsverstandes vom Verhältnis seines Erfahrens und Denkens zur Welt die Möglichkeit der skeptischen Reflexion vorgezeichnet ist. Das Schema des Totalinhaltes der Reflexion ist ‚Ich denke, daß (Der Ballon)‘; doch in meiner Darstellung spielten außerdem die intern registrieren Inhalte von der Art der phänomenalen Züge eine Rolle, nämlich als epistemischer Kontrast zu den fragwürdigen Balloninhalten. Die alltägliche Auffassung zeichnet dann die Möglichkeit der skep61
Eine sehr deutliche Formulierung findet sich in einem Zusammenhang, in dem ‚Beobachtungsrahmen‘ im wesentlichen die Rolle von ‚manifestes Weltbild‘ spielt; siehe LangTheories, S. 126: „According to the view I am proposing, correspondence rules would appear in the material mode as statements to the effect that the objects of the observational framework do not really exist - there really are no such things. They envisage the abandonment of a sense and its denotation.“ 62 Das ist im wesentlichen D. Lewis‘ Ansicht.
108 tischen Reflexion vor, wenn sie ein latentes Wissen einschließt, daß ein korrekter Gebrauch des Indikators „ich“ mit einer sehr speziellen aktualen, d.h. nicht bloß in einer Disposition zur Informationsaufnahme bestehenden Erfahrung einhergeht. Darin müßte ein bestimmter Bereich von bewußten Inhalten in einem basalen Sinn als ‚meine‘ erfahren werden; es muß sich um einen Sinn handeln, in dem Inhalte unabhängig von der Frage ‚meine‘ sind, ob ich als volle Person, die einen mannigfaltig beschreibbaren Körper besitzt und durch ihn mit den Dingen der Welt in kausaler Beziehung steht, bestimmte geistige Eigenschaften besitze, wie ich sie auch Personen zuschreiben kann, die von mir verschiedenen sind. Daß eine derartige Erfahrungshaftigkeit nicht nur den Gebrauch des Indikators der ersten Person63 kennzeichnet, sondern die gesamte Kategorie der Indikatoren unter den singulären Termen auszeichnet, ist erstens das zentrale Ergebnis der phänomenologischen Linguistik, soweit Castañeda sie betrieben hat; dementsprechend stellt zweitens die konsequente Umsetzung dieses Befundes in der Semantik und Ontologie der Gestaltungstheorie das Charakteristikum dar, welches seine Theorie am schärfsten von verbreiteten zeitgenössischen Auffassungen der Semantik der Indikatoren unterscheidet, insbesondere von den Theorien der ‚direkten Bezugnahme‘ der Indikatoren.64 Hinsichtlich des Indikators ‚ich‘ ist der Unterschied besonders deutlich, und deswegen werde ich den Indikator der ersten Person Singular im anschließenden Teil DREI ausführlich behandeln: Einerseits ist der Widerstand dagegen, ein aktual-erfahrungshaftes Moment von Bezugnahmen mit ‚ich‘ anzuerkennen, in den vorherrschenden Theorieansätzen besonders groß. Andererseits betraf Castañedas ursprüngliche Entdeckung in der phänomenologischen Linguistik zunächst Bezugnahmen in der ersten Person Singular.
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Man muß unterscheiden zwischen dem ‚Mechanismus‘, in der ersten Person Singular auf sich selbst bezug zu nehmen, und den verschiedenen Termini und Strukturen der natürlichen Sprachen, mit denen sich solche Bezugnahmen formulieren oder ausdrücken lassen. Der Einfachheit halber spreche ich trotzdem häufig von dem Indikator ‚ich‘ und meine damit den allgemeinen Mechanismus. 64 Der klassische Text ist D. Kaplans Demonstratives. Castañeda diskutiert Kaplans Theorie ausführlich in DirectReference.
109 Die Entdeckung besteht in folgendem Kontrast zwischen der Zuschreibung von Bezugnahmen mittels nicht-indexikalischer singulärer Termini einerseits und mittels Indikatoren, speziell mit dem Indikator ‚ich‘: Eine Bezugnahme mit einem nicht-indexikalischen Term (bzw. eine geistige oder epistemische Einstellung oder Episode, die der Inhaber durch Verwendung eines solchen Ausdrucks korrekt formulieren könnte) schreiben wir jemandem typischerweise zu, indem wir denselben Ausdruck in indirekter Rede verwenden. Dagegen verfügen wir über spezielle semantische Mechanismen, um jemanden eine Verwendung eines Indikators als solche zuzuschreiben (bzw. eine geistige oder epistemische Einstellung oder Episode, die er durch Verwendung eines solchen Ausdrucks korrekt formulieren könnte). Speziell fand Castañeda, daß eine Bezugnahme in der ersten Person Singular durch einen besonderen Gebrauch der Pronomina „er“/„sie“ zugeschrieben wird, wobei die Pronomina syntaktisch innerhalb der indirekten Rede vorkommen. Zur Beseitigung der Ambiguität schreibt er für diesen Gebrauch als Quasi-Indikatoren entweder informell „er selbst“/„sie selbst“ oder halb-formal „er*“/„sie*“. Beispielsweise fungiert das Pronomen „sie“ in einer plausiblen Verwendung des deutschen Satzes „Erst später wurde Maria klar, wie sehr sie Peter verletzt hatte“ als ein solcher Quasi-Indikator für die Zuschreibung von (möglichen) Bezugnahmen in der ersten Person Singular.65 Bemerkenswert mit Blick auf die skeptische Reflexion ist der Kontext der ursprünglichen Entdeckung. In seiner frühen Auseinandersetzung mit von Wittgensteins Spätwerk inspirierten Versuchen, die Möglichkeit privater Sprachen zu widerlegen, hält Castañeda diesen Argumentationen nämlich
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Quasi-Indikatoren der ersten Person Singular sind der meist diskutierte Fall. Castañeda beschreibt jedoch ein ganzes System quasi-indexikalischer Mechanismen zur Zuschreibung von indexikalischen und demonstrativen Bezugnahmen; siehe bes. J/P-Indicators. Ich benötige in dieser Arbeit nicht mehr als die Annahme, daß es solche besonderen Zuschreibungsmechanismen gibt – ob Castañedas Beschreibung von ihnen und insbesondere seine Irreduzibilitätsthese korrekt ist oder nicht. Siehe dazu bes. ThLE, Kap. 5, 9 und 11. Zur jüngeren Diskussion siehe Boër/Lycan KnowingWho; dazu Castañedas Reaktion in PHLI-SelfAscription, 175-177; C. Jäger Selbst, Kap. 5; W. Künne FirstPerson, S. 58-62; T. Spitzley Facetten; T. Kapitan ThLOnt-Kapitan; E. Corazza ThLOnt-Corazza sowie Reflecting, Kap. 8-9.
110 ein Reihe angeblicher Bedeutungspostulate66 entgegen, die insbesondere die Begriffe des Wissens und des Schmerzes in Beziehung setzen und belegen sollen, daß die ‚Logik‘ unserer Umgangssprache die Privatheit bestimmter Phänomene anerkennt. So lautet ein Postulat der Unkorrigierbarkeit: Wenn x glaubt, daß er Schmerzen hat, während er auf seine Gefühle acht gibt, dann weiß x, daß er Schmerzen hat.67 Da Wissen Wahrheit impliziert68, handelt es sich eigentlich um ein Prinzip der Infallibilität. Es gibt einige Hinweise, daß Castañeda später auf der Infallibilität nicht besteht. So arbeitet er in DirectAwareness ausdrücklich mit einem schwächeren Begriff von Unkorrigierbarkeit, der keine Garantie der Wahrheit der betreffenden Propositionen impliziert, sondern nur verlangt, daß diese Propositionen in einem wichtigen Sinn von „Belegtsein“ das stärkste Belegtsein für die jeweilige Person besitzen, selbst wenn sie sich im Prinzip irren kann.69 66
Zum Status von Bedeutungspostulaten siehe insb. Holism, S. 108. Folgende Bestimmung scheint mir Castañedas Gebrauch des Terminus auf den Punkt zu bringen: Bedeutungspostulate zu einem Ausdruck A sind begrifflich wahre Aussagen, deren begriffliche Wahrheit wesentlich vom Vorkommen dieses Ausdrucks abhängt; es gibt also Varianten der Aussage, in denen statt A ein anderer Ausdruck vorkommt und die nicht begrifflich wahr sind. Ich vermute und möchte es jedenfalls selbst vertreten, daß unter den Bedeutungspostulaten in diesem Sinn einige ausgezeichnet sind, die für die Bedeutung des Ausdrucks konstitutiv sind. 67 Die ursprüngliche lange Liste von ‚Schmerz-Postulaten‘ findet sich in PrivLangReductio (1962/71), S. 138-40; eine knappere Variante steht in ConsBehav, S. 127; meine etwas einfachere Formulierung entspricht einem späteren Selbst-Referat in Colors, S. 199-200: „...the private language problems and arguments ... led me to the pain postulates. Among them is a postulate of incorrigibility of the form "If X believes that HE is in pain while attending to his feelings, then he knows that HE is in pain." And this led to the discovery of the capitalized quasi-indicator 'he himself', and from this many exciting things followed.“ Zu dieser Geschichte siehe auch PrivLangReductio, S. 134. 68 Das ist auch nach Castañedas Epistemologie so; siehe Knowledge, S. 196: ‚The knower’s beliefs must guarantee truths‘. 69 Siehe DirectAwareness, S. 9 Anm. 5: „It is sufficient that in some important sense of evidence, they have the strongest evidence for X, even if X can be in principle, or sometimes is in fact, mistaken about some of those propositions.“ Dazu paßt, daß
111 In Teil DREI werde ich von einer konkreten, alltäglichen Aussage ausgehen, die wir offenbar als begriffliche Falschheit einstufen und die sich auch im Geiste von Castañedas Schmerz-Postulaten als solche verstehen läßt. Ich werde dafür argumentieren, daß die Tatsache, daß die involvierten Begriffe die Aussage zu einer begriffliche Falschheit machen und wir das auch sofort einzusehen vermögen, zur Erklärung erfordert, daß korrekte Verwendungen des Indikators ‚ich‘ tatsächlich mit einer bestimmten aktualen Erfahrung verknüpft sind. Sofern die Argumentation erfolgreich ist, liegt zugleich dreierlei vor: a. ein Beleg für die Erfahrungshaftigkeit von Verwendungen des umstrittenen paradigmatischen Indikators ‚ich‘; b. eine Aufklärung der Weise, wie die skeptische Reflexion im alltäglichen Bewußtsein vorgezeichnet ist; c. eine proto-theoretische Grundlage für die Entwicklung einer Theorie des spezifischen Inhaltes des durch Verwendungen von ‚ich‘ formulierbaren und ausdrückbaren Selbst-Bewußtseins im Kontrast zu bloßem Bewußtsein. Bevor ich mich jedoch mit den besonderen Problemen indexikalischer Bezugnahmen und ihrer Inhalte beschäftige, präsentiere ich im nächsten Abschnitt die Grundzüge der davon unabhängigen Theorie der Gestaltungen, die ich als ‚allgemeine Gestaltungstheorie‘ bezeichne, und diskutiere einige zentrale Probleme. II. Grundzüge und Probleme der allgemeinen Theorie der Gestaltungen Bevor ich die allgemeine Gestaltungstheorie genauer darstelle und diskutiere, möchte ich das Verhältnis spezifizieren, das ich zu ihr in dieser Arbeit habe. Der Schlußabschnitt von Teil EINS und der erste Abschnitt dieses Teils enthalten meine Gründe, weshalb sich bei dem Projekt, die in Teil EINS charakterisierte phänomenologische Reflexion zu verstehen, eine Grundpostion von der Art empfiehlt, wie Castañeda sie einnimmt. Ich bin in dieser Arbeit demnach primär dieser Grundposition verpflichtet. Aber Castañeda in ThLE10Noumenon die Frage, ob der Böse Dämon uns über unsere Schmerzen täuschen kann, als weniger wichtig übergeht.
112 mit einer bloßen Grundposition kann man nicht arbeiten; für die Diskussion von Castañedas Wahrnehmungstheorie benötige ich seine allgemeine Ontologie in ihren Details. Ob diese Theorie die einzig mögliche und die beste Ausführung der Grundauffassung ist, kann ich nicht entscheiden; sie ist zur Zeit sicherlich die am besten ausgearbeitete. Daraus erklären sich zwei Aspekte meiner Vorgehensweise in der Arbeit: (a) Ich stelle mich auf den Boden der allgemeinen Ontologie und versuche zu zeigen, daß sie grundsätzlich mit der Vielfalt ontologischer Probleme zurecht kommt. Deswegen diskutiere ich in Unterabschnitt 2 den gut studierbaren und vielfältige Beispielkonstruktionen erlaubenden ‚Testfall‘ gemischt wirklichkeitsbezogener und fiktionaler Diskurse. (b) Ich diskutiere hier in Teil ZWEI zunächst Details und Probleme, die sich aus den strukturellen Prinzipien ergeben, die Castañeda für die Elemente seiner ontologischen Theorie formuliert, insbesondere für die verschiedenen Prädikationsformen oder Selbigkeitsbeziehungen.70 Solche strukturellen Prinzipien können diese Elemente jedoch nicht vollständig spezifizieren. Eine weitere inhaltliche Bestimmung ist aber mit Blick auf die Wahrnehmungstheorie erforderlich. Ich werde deshalb in Abschnitt II von Teil FÜNF, nachdem ich große Bereiche der Wahrnehmungstheorie bereits diskutiert habe, auf Grundbegriffe der Gestaltungstheorie zurückkommen und im Kontext der Wahrnehmungstheorie inhaltliche Spezifizierungen sowie einige Veränderungen vorschlagen; sie werden hauptsächlich die perzeptuelle Konsoziation und die Konsubstantiation betreffen. 1. Wesentliche Prinzipien der Gestaltungstheorie und Erläuterung ihrer ‚kanonischen Notation‘ 1.a Die allgemeine Gestaltungstheorie (GT) ist eine ontologische Semantik ohne Dualismus von Sinn und Bedeutung, mit mehreren Prädikationsformen und mit gegenüber Existenz neutralen Quantifikationen. Um die allgemeine Gestaltungstheorie so weit vorzustellen, daß ich mit ihr im weiteren arbeiten kann, möchte ich zwischen drei Prinzipien, die den 70
Eine ausführliche, zunächst rekonstruktive und schließlich revisionistische Auseinandersetzung mit der Gestaltungstheorie, die sich ganz auf die strukturellen Prinzipien konzentriert, ist Francesco Orilias GuiseTheory.
113 Geist des Projektes ausmachen, und einigen zentralen Prinzipien der eigentlichen Theorie unterscheiden. Würde eines der ersten drei für das Projekt wesentlichen Prinzipien aufgegeben, wäre das gestaltungstheoretische Projekt beendet. Eines der nur für die Theorie zentralen spezifischeren Prinzipien aufzugeben bedeutete zwar einen massiven Eingriff in die Theorie, doch wäre wohl eine alternative Theorie im selben Geiste möglich.71 Für das Projekt wesentliche Prinzipien der Gestaltungstheorie: I.
II.
71
Der semantische Bezug eines bestimmten singulären Terms ist, wenn man eine Kennzeichnung der Form „der/die/das so-und-so“ als paradigmatisch betrachtet und von lexikalischer Ambiguität, Kontextsensitivität und Indexikalität absieht, (a) eine einzige Entität, nicht etwa ein Sinn und außerdem eine Bedeutung oder ein Bezug, und diese Entität entspricht ontologisch betrachtet eher dem gewöhnlichen Sinn als der gewöhnlichen Bedeutung eines Namens bei Frege, (b) und diese Entität ist immer dieselbe, nicht etwa bei gewöhnlicher Verwendung ein bestimmter Gegenstand und bei Verwendung in einem modalen oder Attributionskontext ein Sinn.72 Es gibt eine Pluralität von Prädikationsformen, die von dem durch einen (oder mehrere) singulären Term (oder singuläre Terme) Bezeichneten auf verschiedene Weise eine Eigenschaft (oder eine geeignete Beziehung) auszusagen erlauben. Insbesondere gibt es einer-
Denkbare massive Eingriffe wären: (i) die Aufgabe der Konsoziation als eigenständiger Prädikationsform; noch massiver wohl (ii) die Aufgabe der Reduktion relationaler auf monadische Prädikationen. 72 Siehe folgende zwei Punkte in ThStrW, S. 235: „... the system ... (v) eschews representationalism; (vi) drops the dichotomy sense-referent, by making, so to speak, the sense of a single term its referent ...“; siehe zur anti-fregeschen Einstellung besonders T83PerryAntwort, S. 314-15; S. 314: „My non-representationism has led me to a comprehensive, thoroughly non-Fregean theory of reference, meaning, and objects...“; siehe auch T86RosenbergAntwort, S. 339-40, zur Unterscheidung eines Repräsentationalismus im Sinn der Auffassung, daß semantisch vermittelnde Entitäten den primären Bezug von Ausdrücken bilden (was Castañeda ablehnt), und im Sinn der Auffassung, daß Denken einen symbolisch-repräsentationalen Charakter hat (was er akzeptiert).
114
III.
seits notwendige Prädikationsformen73, die das Bezeichnete unabhängig davon zu charakterisieren erlauben, ob es in der Wirklichkeit eine Rolle spielt, und andererseits kontingente Prädikationsformen, die das Bezeichnete als etwas zu charakterisieren gestatten, das in der Wirklichkeit eine gewisse Rolle spielt. Die sogenannte Existenzquantifikation in Positionen singulärer Terme, die für gewöhnliche Gegenstände stehen, drückt keine Wirklichkeit aus und sollte daher besser als partikuläre Quantifikation bezeichnet werden.
Zentrale Prinzipien der Gestaltungstheorie: 1. Individuelle Gestaltungen. Das durch einen singulären Term Bezeichnete ist ein Bündel von endlich oder unendlich vielen einfachen oder komplexen monadischen Eigenschaften74, die durch Anwendung immer desselben Operators zu einem konkreten Individuum vereinigt sind, das auch individuelle Gestaltung genannt wird. Der Grenzfall, daß nur eine einzige Eigenschaft zu dem ‚Bündel‘ gehört, ist zugelassen. Eine solche Gestaltung besitzt intern genau die Eigenschaften, aus denen sie durch den Operator gebildet wurde. Details: (a) Individuationsoperator. Die Vereinigung wird als zweischrittig dargestellt: Zunächst bildet der durch ‚{...}‘ dargestellte Mengenoperator aus einer Mehrzahl monadischer Eigenschaften F1, F2, ... die Menge {F1, F2, ...}, die als abstraktes Individuum gilt; dann bildet der durch ‚c‘ dargestellte Individuations- oder Konkretisierungsoperator aus der Menge die individuelle Gestaltung c{F1, F2, ...}75. (b) Kern. Die Menge {F1, F2, ...} heißt Kern der Gestaltung c{F1, F2, ...}, gekennzeichnet auch durch /c{F1, F2, ...}/.76 73
Daß eine Prädikationsform notwendig oder kontingent ist, heißt einfach, daß die einfachsten sie einschließenden Propositionen notwendigerweise bzw. bloß kontingenterweise wahr oder falsch sind. 74 Zur Rede von Eigenschaftsbündeln siehe PBS, S. 313. 75 „Konkretes Individuum“ ist die ursprüngliche Bezeichnung in ThStrW 2.2, S. 240; später heißen diese Individuen „Gestaltungen“ („guises“); so in PBS (1977). 76 Siehe ThLE11Fiction, S. 200; T83ClarkAntwort, S. 195.
115 (c) Meinongsche Prädikation. Unter den Prädikationsformen findet sich die interne oder auch Meinongsche Prädikation,77 dargestellt durch ‚α(φ)‘. ‚α(φ)‘ ist wahr genau dann, wenn die durch φ bezeichnete monadische Eigenschaft Element des Kerns der durch α bezeichneten Gestaltung ist.78 Erläuterungen: Auf den Hinweis hin, die Eigenschaftsmenge sei bereits ein Individuum, ändert Castañeda die Bezeichnung von „Individuations-“ zu „Konkretisierungsoperator“.79 Außerdem erwägt er eine Variante, in der eine individuelle Gestaltung in einem einzigen Schritt gebildet wird, so daß ‚c{...}‘ für einen unzerlegbaren Operator stünde. Die Individuenbildung als solche hat nichts damit zu tun, daß Eigenschaften einer bestimmten Raumzeitstelle oder –region zugeordnet werden.80 Die Rede von Operatoren ist abstrakt zu verstehen, nicht im Sinn einer von der Natur oder einem Geist vorgenommenen Operation in der Zeit.81 2. Relationale und monadische Prädikation. Relationale Prädikationen sind in dem Sinn auf monadische zurückführbar, daß die in der Gestaltungstheorie vorgesehenen verschiedenen Prädikationsformen es nur erlauben, eine monadische Eigenschaft von einer individuellen Gestaltung zu prädizieren.82 Die prädizierte Eigen77
„Meinongsche Prädikation“ ist die ursprüngliche Bezeichnung in ThStrW 2.3, S. 240; in PBS heißt sie interne Prädikation im Unterschied zu all den anderen Prädikationsformen, die als externe zusammengefaßt werden; siehe etwa S. 318. 78 Siehe knapp ThLE11Fiction, S. 200, Prinzip (1P.T1). 79 Siehe T86RosenbergAntwort, S. 335 80 Das Mißverständnis findet sich in T83Clark, S. 126: „Evidently „concretizing“ something involves locating it, placing it in a system of spatial and temporal things, whether actual or not.“ Es findet sich auch kein Hinweis darauf, daß die Individualisierung von Eigenschaften zur Gestaltung etwas mit dem Übergang von echten Universalien zu sogenannten Tropen (abstrakten Einzelmomenten) zu tun hat. 81 Im Sinn einer geistigen Produktion hat K. Jacobi die Rede von Operatoren mißverstanden; siehe dazu J/P-JacobiAntwort, S. 532-34; S. 532: „These operators were conceived platonistically...“ 82 Siehe besonders die Berufung auf Leibniz‘ Reduktion von Relationen auf Qualitäten in ThStrW 2.5.5, S. 244.
116 schaft kann allerdings komplex sein und eine relationale Universalie einschließen, etwa die Eigenschaft, vom Kanzler entlassen zu werden. 3. Prädikation und Selbigkeitsbeziehungen. Alle Prädikationen außer der internen Meinongschen sind auf Aussagen über die Selbigkeit von Gestaltungen zurückführbar. Die externen Prädikationsformen sind demnach Beziehungen zwischen Gestaltungen und werden als Selbigkeitsbeziehungen bezeichnet.83 Details: (a) φ-Erstreckung. Die Schreibweise ‚α[φ]‘ kürzt einen Ausdruck ab, der die Gestaltung bezeichnet, die sich ergibt, wenn man den Kern der durch α bezeichneten Gestaltung um die durch φ ausgedrückte Eigenschaft erweitert. Die durch ‚α[φ]‘ bezeichnete Gestaltung heißt φ-Erstreckung („φ-protraction“) der durch α bezeichneten.84 (b) Eine Prädikation der Form ‚α ist φ‘ ist analysierbar entweder als ‚α(φ)‘ oder als ‚C(α, α[φ])‘, wobei C für eines der Symbole „*C“, „C*“ oder „C**“ oder Varianten von ihnen steht.85 83
Castañeda hat mehr oder weniger versuchsweise die Meinongsche Prädikation auf eine der externen Selbigkeitsbeziehungen, nämlich die Konflation, zurückgeführt, da sie ihm als struktureller Ausreißer mißfiel; siehe T86RosenbergAntwort, S. 336-37; T83PlantingaAntwort, S. 346. 84 ‚α[φ]‘ wird nicht als Element der ‚kanonischen Notation‘ von GT eingeführt, sondern als metasprachliche Abkürzung von Ausdrücken in dieser Notation; siehe ThStrW, S. 243. 85 Castañedas ursprüngliche Analyse der extern verstandenen Aussageform ‚α ist φ‘ ist ‚∃x (C(x, α) ∧ x(φ))‘ (ThStrW, S. 242). Diese Analyse hat den Vorteil, daß sie zwischen ‚Der F, G ist F‘ und ‚Der F, G ist G‘ zu unterscheiden erlaubt. Um diese Unterscheidung auch mit der Notation der φ-Erstreckung zu ermöglichen, veränderte Castañeda in Reaktion auf entsprechende Hinweise von A. Plantinga GT dahingehend, daß der Konkretisierungsoperator c auf geordnete Mengen wirken soll, etwa auf 〈F, G〉. (Siehe T83PlantingaAntwort, S. 346, 353.) Das Problem ist, daß er nach meiner Kenntnis nirgends erklärt, wie dann mit Gestaltungen mit Kernen unendlicher Mächtigkeit umgegangen werden soll. Da eine entsprechende Anpassung zweifellos zu einer Kompliziertheit führen wird, deren weitere Vorteile nicht leicht zu erkennen sind, werde ich GT mit ungeordneten Mengen als Kernen verwenden. – Das Plantinga-Problem kann man entweder als durch die Prädikationsanalyse mit partikulärer Quantifikation gelöst betrachten; dann enthielte allerdings jede einfache Prädikation eine solche Quantifikation. Oder man nimmt eine objektsprachliche Ent-
117 4. Kontingente Selbigkeitsbeziehungen. Es gibt zwei kontingente Selbigkeitsbeziehungen, die durch ‚C*(..., ---)‘ ausgedrückte Konsubstantiation und die durch ‚C**(..., ---)‘ ausgedrückte Konsoziation. Man muß allerdings mit verschiedenen Varianten sowie mit Mischformen von ihnen rechnen. Details: (a) Konsubstantiation. ‚C*(α, β)‘ ist wahr, wenn eine entsprechende natürlichsprachliche Aussage der Form ‚Der/die/das ... ist (der/die/das-selbe wie) der/die/das ---‘ im gewöhnlichsten Verständnis wahr ist. ‚C*(α, α[φ])‘ ist wahr, wenn eine entsprechende natürlichsprachliche Aussage ‚Der/die/das ... ist so-und-so‘ im gewöhnlichsten Verständnis wahr ist. Für die Konsubstantiation gelten eine Reihe von Gesetze, die im wesentlichen folgendes beinhalten: - die Reflexivität der Beziehung in ihrem Bereich (C*(α, β) → C*(α, α)), - ihre Symmetrie (C*(α, β) → C*(β, α)), - ihre Transitivität (C*(α, β) ∧ C*(β, γ) → C*(α, γ)), - die Konsistenz von konsubstantiierten Gestaltungen (C*(α, β) → ¬∃F (α[F] ∧ α[¬F])), - und, vermittels mehrerer Gesetze, daß jede konsubstantiierte Gestaltung mit genau einer sogenannten ‚Leibnizschen‘ Gestaltung konsubstantiiert ist, die nicht nur konsistent, sondern auch in dem Sinn vollständig ist, daß sie für jede Eigenschaft diese selbst oder ihre Negation im Kern enthält (C*(α, β) 86 → ∃!λ∀F (C*(α, λ) ∧ (λ[F] ∨ λ[¬F]))). sprechung der metasprachlichen Abkürzungsnotation ‚α[φ]‘ an; so könnte ‚c{F, G}[G]‘ für ‚c({F, G}∪{G})‘ stehen oder allgemein ‚x[F]‘ für ‚c(/x/∪{F})‘. 86 Zum Begriff der Leibnizschen Gestaltung siehe ThSTrW 2.11, S. 249-50; PBS, 21213. Insgesamt sollen die Gesetze dafür sorgen, daß jedes System miteinander konsubstantiierter Gestaltungen ein Halbverband ist; siehe ThStrW, S. 250; PBS, S. 32526. Nach Dunn, RelevanceLogic, S. 183, ist ein Halbverband eine Struktur (S, ∨), für die gilt: Idempotenz a ∨ a = a, Kommutativität a ∨ b = b ∨ a, Assoziativität a ∨ (b ∨ c) = (a ∨ b) ∨ c. Bei den konsubstantiierten Gestaltungen entspricht dem ‚∨‘ die Bildung der Vereinigung der Kerne zweier Gestaltungen. Konsubstantiationsysteme sind nur Halbverbände und keine Verbände, da keine ähnlichen (sowie weiteren)
118 (b) Konsoziation. ‚C**(α, β)‘ drückt die Selbigkeit zweier Gestaltungen qua Inhalte geistiger Einstellungen aus; etwa daß das durch α und das durch β Bezeichnete für dasselbe gehalten werden oder, beispielsweise in einem fiktionalen Diskurs, als dasselbe hingestellt werden. ‚C**(α, α[φ])‘ drückt die entsprechende Prädikationen aus. Insbesondere soll diese Form dazu dienen, zurückhaltende Urteile in Wahrnehmungssituationen der Art ‚Das F dort sieht G aus‘ oder ‚Das F dort scheint G zu sein‘ zu verstehen. (Nähere Details zur Konsoziation, besonders in ihrer logischen Interaktion mit der Konsubstantiation in Unterabschnitt 2, 2.b-d.) 5. Existenz und Wirklichkeit. Wirklichkeit ist analysierbar als Selbst-Konsubstantiiertsein einer Gestaltung, also durch ‚C*(α, α)‘. Gelegentlich werde ich kurz ‚E!α‘ schreiben. Das Selbst-Konsoziiertsein ‚C**(α, α)‘ beinhaltet nicht die Wirklichkeit des von α Bezeichneten, doch kann man von einer Existenz qua Inhalt einer geistigen Einstellung sprechen. 6. Notwendige Selbigkeitsbeziehungen. Es gibt drei notwendige Prädikationsformen, nämlich die Meinongsche Prädikation, die in der Form ‚α(φ)‘ ausgedrückt wird, sowie die beiden Selbigkeitsbeziehungen Identität (‚α = β‘) und Konflation (‚*C(α, β)‘). Details: (a) Identität. Es gelten das üblichen Axiom der Reflexivität (‚x = x‘) und die übliche Regel des Prädikatenkalküls ‚x = y‘, ‚φx‘ ⇒ ‚φy[x/y]‘87 sowie eine bikonditionale Verstärkung von Leibniz‘ Gesetz der Identität des Ununterscheidbaren, nämlich ‚x = y ↔ ∀F(x(F) ↔ y(F))‘.88 Gesetze für die Schnittbildung von Gestaltungskernen gelten: Wenn α und β miteinander konsubstantiiert sind, dann sind sie auch mit der Gestaltung konsubstantiiert, die in ihrem Kern die Kerneigenschaften von α und β vereinigt, deren Kern also /α/ ∪ /β/ ist; sie ist aber nicht immer mit der Gestaltung konsubstantiiert, falls überhaupt ein nicht-leerer Schnitt existiert, deren Kern /α/ ∩ /β/ ist. 87 φx ist eine Aussage, in der „x“ frei vorkommt; φx[x/y] ist die Aussage, die aus φx entsteht, wenn man alle freien Vorkommnisse von „x“ durch solche von „y“ ersetzt. – Castañeda selbst nimmt ein Axiom: ‚x = y → (φ[x] ↔ φ[x/y])‘ (ThStrW, S. 241). 88 Zur Identität siehe ThStrW 2.4, S. 241.
119 (b) Konflation. Der zentrale Gedanke hinter der Konflation ist, daß ‚*C(α, β)‘ gerade dann wahr ist, wenn jede Eigenschaft im Kern der ersten involvierten Gestaltung von irgendeiner endlichen Teilmenge von Eigenschaften im Kern der zweiten Gestaltung logisch bzw. analytisch impliziert wird und umgekehrt. Die Konflation verbindet nicht nur in diesem Sinne äquivalente individuelle Gestaltungen miteinander, sondern auch in der logischen Form unterschiedene Gestaltungen derselben Proposition, genannt propositionale Gestaltungen. (Einige Details und Probleme diskutiere ich in Unterabschnitt 2, 2.a. Siehe außerdem FÜNF II.) 1.b Weitere wichtige Aspekte: 1. Individuum und Operator; 2. Variablenschreibweise; 3. Eigenschafts- und Propositionen-Ebene; 4. Abkürzungen für Prädikationen 1. Weitgehendes Ignorieren des Kontrastes zwischen Individuum und Operator. Einen wichtigen kategorialen Kontrast, den Castañeda ausdrücklich anerkennt, werde ich in der allgemeinen Darstellung weitgehend ignorieren und allenfalls im relevanten Einzelfall erwähnen. Ich meine den Gegensatz von Operator und Individuum, es sei konkret oder abstrakt,89 oder in Freges Redeweise von Ungesättigtem und Gesättigtem. Der Konkretisierungsoperator c soll ausdrücklich etwas Ungesättigtes im Kontrast zu den Eigenschaftsmengen sein, auf die er anwendbar ist.90 Da die so gebildeten Gestaltungen Individuen sind, müssen die sie verknüpfenden Selbigkeits89
In ThStrW, S. 239, heißt es allerdings: „... non-vacuous quantifiers ... diminish the nadic rank of properties. ... Individuals are operators that diminish a properties rank ...“ (Unterstr. RB) F. Orilia vermerkt diese Stelle ebenfalls als einzigen Ausreißer; GuiseTheory, S. 137 Anm. 4. 90 Siehe PBS, S. 312. – Ein Problem stellt die zugrundeliegende Mengenbildungsoperation dar. Wenn ‚{...}‘ wirklich für einen Operator steht, kann Castañeda unter Operatoren nicht durchgängig etwas verstehen, das eine bestimmte Stelligkeit besitzt. Denn was soll das Argument des Operators sein? Entweder ist es die Menge der Eigenschaften, die dann Element des Wertes sein soll, so daß der Operator einstellig ist; doch dann sind seine Argumente mit seinen Werten identisch. Oder der Operator ist mehrstellig und nimmt die Eigenschaften selbst als Argumente. Dann kann er entweder keine bestimmte Stelligkeit besitzen, oder Mengen verschiedener Mächtigkeit werden durch unterschiedliche Operatoren gebildet, notierbar in der Form ‚{...}n‘.
120 beziehungen ebenfalls ungesättigt sein.91 All das betrifft das logische oder quasi-logische Vokabular der ‚kanonischen Notation‘ von GT. Doch darüber hinaus unterscheidet Castañeda zwischen Eigenschaften als abstrakten Individuen und prädizierbaren Eigenschaften.92 Auf sprachlicher Ebene entspricht dem der Kontrast zwischen einem Nomen, genauer einem singulären Term wie „Müdigkeit“, das ein abstraktes Individuum bezeichnet, und dem Adjektiv „müde“, das einen prädizierbaren Aspekt ausdrückt.93 In der halb-formalen Notation steht ein Prädikatbuchstabe φ für das Prädizierbare und ‚φ-heit‘ oder auch ‚φ sein‘ („φ-ness“, „being φ“) für die Eigenschaft als Individuum.94 Castañeda formuliert dementsprechend oft in der Art Es gibt eine Eigenschaft F-heit, so daß F-heit eine Rotschattierung ist und dieser Fleck F ist.95 Wenn es auf den Unterschied nicht ankommt, werde ich in solchen Fällen gelegentlich etwas ungenau formulieren und etwa „F“ sowohl als Prädikat bzw. als Variable für Prädizierbares als auch als singulären Term für Eigenschaften verwenden. Ontologisch betrachtet Castañeda die Eigenschaften qua abstrakte Individuen als grundlegend.96 2. Variablen-Schreibweise von Ausdrücken für Eigenschaften und Gestaltungen. Wenn ‚c{..., φ, ---}‘ eine Gestaltung bezeichnen soll, so muß φ ein Ausdruck für eine monadische Eigenschaft sein. φ kann jedoch sehr komplex und insbesondere aus prädikativen Ausdrücken höherer Stelligkeit 91
Siehe F. Orilia, GuiseTheory, S. 94. Siehe besonders OntGram, 76: „abstract individual“ vs. „ predicable property“. 93 Siehe OntGram, S. 58: „the abstract object tiredness“; „the predicable (is) tired.“ Es ist hier nicht klar, ob das „is“ mit zum Ausdruck für das Prädizierbare gehören soll; siehe dazu Teil FÜNF II, 3.b. 94 Siehe OntGram, S. 58. 95 Vgl. OntGram, S. 62, Bsp. (18a). In der Behandlung von Attributionsaussagen mit der sogenannten Eigenschafts-Analyse tritt der Dualismus durchgängig auf; etwa ThLE12I&QI, S. 217: „(7N) There are properties φ-ness and µ-ness such that: I am the only person who is φ, this is the only place which is µ, and ...“ 96 Siehe das Bekenntnis zur „Eigenschafts-konstitutiven“ Auffassung in OntGram, S. 78. Der Operator, der aus Eigenschaften qua abstrakten Individuen etwas Prädizierbares macht, wird im System von OntGram durch doppelte Unterstreichung notiert; siehe S. 79-80. 92
121 aufgebaut sein. In einfachen Fällen lassen sich die Eigenschaften in der Art „von der Schauspielerin geküßt werden“ umschreiben. In komplexeren Fällen bietet sich die Verwendung von Variablen an. φ muß dann eine einstellig offene Formel sein, d.h. eine Formel, in der genau eine Variable frei vorkommt, etwa „Küßt2(die Schauspielerin, x)“. Der Kontext ‚c{...}‘ muß dann jedoch Variablen binden können, und dementsprechend notiert Castañeda in solchen Fällen häufig in der Art ‚cu{Rua}‘. Das „u“ hinter „c“ ist erforderlich, um bei Quantifikationen in Positionen innerhalb eines Kontextes ‚cu{...}‘ Eindeutigkeit zu gewährleisten, etwa in ∀x [C*(cu{Rux}, cu{Rux}) → C*(cu{Rux}, cu{Rux, Ruu})]. (Etwa: Wenn das zu einem beliebigen x in R stehende Individuum existiert, so steht das zu x in R stehende Individuum auch in R zu sich selbst.). Ich werde in 1.c eine Grammatik für GT angeben, die konsequent die Schreibweise mit Variablen verwendet und das Zeichen „u“ als Sondervariable auszeichnet, die ausschließlich durch den Operator „cu“ gebunden werden kann. Tatsächlich benötigt man abzählbar unendlich viele Sondervariablen ‚ui‘ und Operatorsymbole ‚cui‘. In der weiteren Arbeit werde ich in der Regel in einfacheren Fällen die variablenfreie und in komplizierteren die Variablennotierung verwenden, wobei „u“ als vom Kontext ‚c{...}‘ gebundene Variable gilt. 3. Abkürzungen für Selbigkeitsaussagen und Prädikationen. Gelegentlich werde ich Abkürzungen der folgenden Art verwenden: Zur Abkürzung von ‚C(..., ---)‘, worin C eines der Symbole „*C“, „C*“, „C**“ oder eine Variante von ihnen ist, schreibe ich mit Infixstellung ‚... ≈ ---‘, wobei ich „≈“ mit den jeweils an „C“ üblichen Indizes versehe. So steht ‚α ≈* β‘ für ‚C*(α, β)‘, ‚α *≈ β‘ für ‚*C (α, β), ‚α ≈**i β‘ für ‚C**i(α, β)‘ etc. Zur Abkürzung von ‚C(..., ...[---])‘ schreibe ich ‚... ist ---‘, wobei ich „ist“ mit den jeweils an „C“ üblichen Indizes versehe. So steht ‚α ist* φ‘ für ‚C*(α, α[φ])‘ etc. ‚E!α‘ steht für ‚C*(α, α)‘. 4. Der Dualismus von Eigenschafts- und Propositionen-Ebene in GT. Die Gestaltungstheorie besteht aus zwei Ebenen, erstens einer Theorie der Ei-
122 genschaften und zweitens einer Theorie der Propositionen.97 Die Ebenen lassen sich am besten charakterisieren, indem man den rekursiven Aufbau von wohlgeformten Ausdrücken in GT skizziert. Ebene der Eigenschaften. Ausdrücke wie „F1“, „G1“, „R2“ oder „R3“ bezeichne ich als Universalienkonstanten. Ihrem oberen Index entsprechend bezeichnen sie n-stellige Universalien. Im einfachsten Fall lassen sich mit den üblichen Mitteln prädikatenlogischer Sprachen Prädikate wie „F1u1“, „R2u1u1“ oder „∃x(R2xu1 ∧ G1u1)“ bilden. Solche Prädikate nenne ich basale Prädikate, da sie keinen der genuin gestaltungstheoretischen quasilogischen Ausdrücke für den Konkretisierungsoperator oder eine Prädikationsform enthalten. Solche Prädikate können verwendet werden, um Gestaltungsnamen zu bilden, wie etwa „∃xR2xu1“ als Komponente von „cu1{F1u1, ∃xR2xu1}“. Gestaltungsterme selbst können wiederum dort vorkommen, wo Individuenvariablen vorkommen können. Prädikate wie „R2cu1{F1u1}u1“ nenne ich C-freie Prädikate, da sie keine Ausdrücke für Prädikationsformen enthalten. Solche C-freien, aber nicht basalen Prädikate können ebenfalls in Gestaltungsnamen eingehen. Varianten der genannten Ausdruckssorten, in denen eine Variable frei vorkommt, die keine der Sondervariablen ‚ui‘ ist, bezeichne ich als (basale, C-freie) Prädikatformeln bzw. Gestaltungsterme. Ebene der Propositionen. Im einfachsten Fall können ein Gestaltungsname und ein Prädikat bzw. zwei Gestaltungsnamen mit einem der Ausdrücke für Prädikationsformen zu atomaren Sätzen verbunden werden, etwa „cu1{F1u1, R2cu1{F1u1}u1}(R2cu1{F1u1}u1)“ (Meinongsche Prädikation) oder „C*(cu1{F1u1}, cu1{F1u1, ∃xR2xu1})“. („R2cu1{F1u1}u1“ bezeichnet tatsächlich eine monadische Eigenschaft, denn das zweite Vorkommnis von „u1“ ist frei, da es nicht im Bereich von „cu1“ liegt.) Erneut können die üblichen Ausdrücke für logische Verknüpfungen verwendet werden, um komplexe Aussagen zu bilden. Varianten von Sätzen mit freien Variablen, die keine Sondervariablen sind, heißen C-Formeln. Mit Quantoren erlauben sie die Bildung komplexer C-Formeln. Letztendlich umspannt die Rekursion beide Ebenen, indem C-Formeln, in denen eine Sondervariable außerhalb eines entsprechenden Gestaltungsterms vorkommt, wieder als Prädikatformeln gelten und auf der Ebene der Eigenschaften zur Bildung von 97
Siehe ThLE11Fiction, S. 201; T83ClarkAntwort, S. 196.
123 Gestaltungstermen dienen können, z.B. „C*(cu1{G1u1}, u2)“ mit freiem „u2“ in „cu2{F1u2, C*(cu1{G1u1}, u2)}“. Die Unterscheidung beider Ebenen zu beachten ist erforderlich, um die Analyse relationaler Prädikationen in GT zu verstehen. Wenn R3 ein Ausdruck für eine dreistellige Relation ist, d.h. in meiner späteren Terminologie eine dreistellige Universalienkonstante, dann ist ‚R3uxy‘ eine dreistellige Prädikatformel. Möchte man zu einem atomaren Satz gelangen, d.h. einem Satz ohne Junktoren und Quantoren, so müssen die durch die drei Variablen markierten Stellen irgendwie gesättigt werden. Der Punkt ist, daß das bezüglich „x“ und „y“ auf der Ebene der Eigenschaften, folglich ohne Einsatz der für GT typischen Prädikationsformen geschieht, während es bezüglich „u“ auf der Ebene der Propositionen geschieht. Auf der ersten Ebene kann man „x“ und „y“ einfach durch Ausdrücke für Gestaltungen (Gestaltungsnamen) ersetzen, so daß man beispielsweise erhält: „R3uc{F1}c{G1}“.98 Die Sondervariable „u“ darf hingegen nicht in gleicher Weise einfach durch einen Gestaltungsnamen ersetzt werden; „R3c{H1}c{F1}c{G1}“ ist kein wohlgeformter Ausdruck in GT. Vielmehr muß das einstellige Prädikat „R3uc{F1}c{G1}“ mittels einer der Prädikationsformen von einer Gestaltung ausgesagt werden, etwa in „C*(c{H1}, c{H1} [R3uc{F1}c{G1}])“.99 Der Ordnung halber gebe ich eine Grammatik für GT in einer Weise an, die die beiden Ebenen deutlich auseinander hält. 1.c Eine Grammatik für GT muß die Eigenschafts- und die propositionale Ebene auseinander halten. Sprache GT Vokabular: Konstanten: logische: 98
Junktoren ¬, ∧; Quantorsymbole ∃, ∀
In Variablenschreibweise wäre korrekt: „R3u2cu1{F1u1}cu1{G1u1}“. 99 In Variablenschreibweise „C*(cu1{H1u1}, cu2{H1u2}[R3u2cu1{F1u1}cu1{G1u1}])“. Die drei fett gedruckten Vorkommnisse von Sondervariablen müssen übereinstimmen; andernfalls wäre die φ-Erstreckungs-Notierung der Form ‚α[φ]‘ keine Abkürzung eines (wohlgeformten) Gestaltungsnamens, hier von „cu2{H1u2, R3u2cu1{F1u1}cu1{G1u1}}“.
124 quasi-logische: {...}, c, =, (...), C*, C**, *C nicht-logische: abzählbar viele Universalienkonstanten für jedes Standardzahlzeichen n für natürliche Zahlen (ohne 0) und jedes Standardzahlzeichen i für natürliche Zahlen (ohne 0): Fni. (Vertreten häufig durch: F1, G1, R2, R3 etc.) Die von n bezeichnete Zahl ist die Stelligkeit des Prädikates. Metavariablen für Universalienkonstanten: φn (mit Standardzahlzeichen n) Anm.: φ und ψ ohne Index werden im folgenden auch als Metavariablen für Prädikate, Sätze und (Prädikat- oder Satz-)Formeln verwendet. Variablen: Gestaltungsvariablen: für jedes Standardzahlzeichen i für natürliche Zahlen (ohne 0): xi (vertreten häufig durch: x, y, z); Metavariable: ξ Sondervariablen: für jedes Standardzahlzeichen i für natürliche Zahlen (ohne 0): ui (vertreten häufig durch: u, v); Metavariable: υ Universalienvariablen: für jedes Standardzahlzeichen i für natürliche Zahlen (ohne 0) und jedes Standardzahlzeichen i für natürliche Zahlen: Pni (Vertreten häufig durch: P1, Q1, Q2, Q3); Metavariable: Πn (mit Standardzahlzeichen n) Gestaltungs- und Universalienvariablen sind echte Variablen. Hilfszeichen: (, ) (Anm.: „(“ und „)“ sind also sowohl Hilfszeichen als auch Teile eines quasi-logischen Zeichens.) Grammatik: Vorbemerkungen: i. Die folgende rekursive Definition ist in Regeln für Prädikate (P-...) und in Regeln für Sätze (S-...) gegliedert. Die P- und die S-Regeln definieren jedoch nur zusammen, was ein Prädikat und was ein Satz ist. (Siehe insb. den Rückverweis bei der letzten S-Regel.) ii. Das Vokabular von GT wird autonym (d.h. als für sich selbst stehend) verwendet; bei Komplexen aus dem Vokabular von GT und Metavariablen ist Quasi-Zitierung implizit. Prädikate und Gestaltungsnamen (Kennzeichnungen): (P-1)
Gestaltungsvariablen und Sondervariablen sind Gestaltungssymbole.
125 (P-2.a)
(P-2.b)
(P-3.a) (P-3.b) (P-3.c) (P-3.d) (P-4.a)
(P-4.b)
(P-4.c)
(P-5.a)
(P-5.b)
Wenn φn eine Universalienkonstante der Stelligkeit n ist, dann ist φn gefolgt von n Vorkommen von Gestaltungssymbolen, darunter mindestens einem Vorkommen einer Sondervariablen ui, eine Prädikatformel. Wenn Πn eine Universalienvariable der Stelligkeit n ist, dann ist Πn gefolgt von n Vorkommen von Gestaltungssymbolen, darunter mindestens einem Vorkommen einer Sondervariablen ui, eine Prädikatformel. Wenn φ und ψ Prädikatformeln sind, dann sind ¬φ und (φ ∧ ψ) Prädikatformeln. Wenn φ eine Prädikatformel ist und ξ eine Gestaltungsvariable, dann sind ∀ξφ und ∃ξφ Prädikatformeln. Wenn φ eine Prädikatformel ist und Πn eine Universalienvariable ist, dann sind ∃Πnφ und ∀Πnφ Prädikatformeln. Prädikatformeln sind Formeln. Der Bereich eines Vorkommens eines Quantors ist das auf es folgende Vorkommen einer Formel. Eine Gestaltungsvariable ξ bzw. Universalienvariable Πn kommt in einer Prädikatformel genau dann frei vor, wenn mindestens ein Vorkommen von ihr nicht im Bereich eines Vorkommens eines Quantors ∀ξ oder ∃ξ bzw. ∀Πn oder ∃Πn liegt. Eine Sondervariable υ kommt in einer Prädikatformel genau dann frei vor, wenn mindestens ein Vorkommen von ihr nicht in einem Vorkommen eines Gestaltungsterms liegt, der mit cυ beginnt. Eine Prädikatformel ist genau dann ein Prädikat, wenn keine Gestaltungsvariable und keine Universalienvariable und genau eine Sondervariable in ihr frei vorkommt. Wenn φ1, φ2, ... φn Prädikatformeln sind (n>0), so daß in allen die Sondervariable υ frei vorkommt, dann ist cυ{φ1, φ2, ... φn} ein Gestaltungsterm. Wenn φ1, φ2, ... φn Prädikate sind, so daß in allen genau die Sondervariable υ frei vorkommt, dann ist cυ{φ1, φ2, ... φn} ein Gestaltungsname (oder auch eine Kennzeichnung). (Gestaltungsnamen sind also Gestaltungsterme.)
126 (P-5.c)
Gestaltungsterme sind (neben Gestaltungsvariablen und Sondervariablen) Gestaltungssymbole.
Sätze: Wenn α und β Gestaltungsterme sind und φ eine Prädikatformel ist, dann sind α(φ), α=β, C*(α, β), C**(α, β), *C(α, β) (atomare) C-Formeln.100 (S-1.b) Wenn φn1 und φn2 Universalienkonstanten und Πn1 und Πn2 Universalienvariablen durchgängig gleicher Stelligkeit sind, dann sind φn1 = φn2 und Πn1 = Πn2 sowie φn1 = Πn1 und Πn1 = φn1 (atomare) C-Formeln.101 (S-2.a) Wenn φ und ψ C-Formeln sind, dann sind ¬φ und (φ ∧ ψ) CFormeln. (S-2.b) Wenn φ eine C-Formel ist und ξ eine Gestaltungsvariable ist, dann sind ∀ξφ und ∃ξφ C-Formeln. (S-2.c) Wenn φ eine C-Formel ist und Πn eine Universalienvariable ist, dann sind ∃Πnφ und ∀Πnφ C-Formeln. (S-2.d) C-Formeln sind Formeln. Prädikatformeln bzw. Prädikate, die keine C-Formeln enthalten, heißen C-freie Prädikatformeln bzw. C-freie Prädikate. C-freie Prädikatformeln bzw. C-freie Prädikate, die kein Vorkommnis eines Gestaltungsterms enthalten, heißen basale Prädikatformeln bzw. basale Prädikate. (S-4) Der Bereich eines Vorkommens eines Quantors ist das auf es folgende Vorkommen einer Formel. Eine Gestaltungsvariable ξ bzw. eine Universalienvariable Πn kommt in einer C-Formel frei vor, wenn mindestens ein Vorkommen von ihr nicht im Bereich eines Vorkommens eines Quantors ∀ξ oder ∃ξ bzw. ∀Πn oder ∃Πn liegt. (S-1.a)
100
Man kann, sofern man strikt in der angegebenen Sprache formuliert, auch ohne Klammern und Komma C*αβ, C**αβ, *Cαβ schreiben. Bei halb-formalen Einmengungen sind die Klammern oft nötig. 101 Es ist nicht ganz korrekt, Eigenschaftsidentitäten so zu behandeln, als enthielten sie einen der Ausdrücke für Selbigkeitsbeziehungen. (S-1.b) ist jedoch der einfachste Weg, solche Identitäten in die Sprache zu integrieren.
127 (S-5)
(S-6)
Eine Formel, in der jedes Vorkommen von Sondervariablen υ innerhalb eines Vorkommens eines Gestaltungsterms liegt, der mit cυ beginnt, ist eine Satzformel. Eine Satzformel, in der keine Gestaltungsvariable und keine Universalienvariable frei vorkommt, ist ein Satz. Eine Formel, in der mindestens ein Vorkommen einer Sondervariablen υ nicht innerhalb eines Vorkommens eines Gestaltungsterms liegt, der mit cυ beginnt, ist eine Prädikatformel.Æ (P.3-ac)
2. Probleme: Konflation, Konsoziation und relationale Aussagen 2.a Die nicht-fregesche Analyse von mittelbaren Bezugnahmen auf Gestaltungen mit der Konflation *C führt prima facie zu inadäquaten Analysen von Beispielaussagen. Ein für das Projekt von GT wesentliche Prinzip besagt, der semantische Bezug eines bestimmten singulären Terms sei eine einzige und, anders als im orthodoxen Fregeanismus, auch in modalen und Zuschreibungskontexten dieselbe Entität. Das erweckt zunächst den Eindruck, als betreffe der nicht-fregesche Charakter von GT in erster Linie solche Kontexte. Den wirklichen nicht-fregeschen Geist begreift man erst, wenn man den engen Zusammenhang zwischen diesem Prinzip und dem Postulat einer Pluralität von Prädikationsformen erkennt. Dazu möchte ich kurz ein Problem betrachten, das Alvin Plantinga in GT zu sehen glaubte. Plantinga orientiert sich an der Lehre von GT, daß wir, wenn wir an einen gewöhnlichen wirklichen Gegenstand denken und ihn für so-und-so beschaffen halten, tatsächlich bloß an eine ‚Gestaltung‘ genannte Facette des Gegenstandes denken, der ontologisch betrachtet nichts weiter ist als ein System konsubstantiierter Gestaltungen. Er konzentriert sich dann auf eine bestimmte Gestaltung, nämlich c{Allwissenheit, Allmächtigkeit, Allgüte}, und fragt, wie wir uns auf diese Gestaltung beziehen können. Er findet außer der Kennzeichnung „der Allwissende, Allmächtige und Allgütige“ noch indirekte wie „Anselms Lieblingsgestaltung“, ‚das zweite Element in 〈c{...}, c{Allw., Allm., Allg.}〉‘, ‚das dritte Element in 〈c{...}, c{---}, c{Allw., Allm., Allg.}〉‘ etc. Im Prinzip kann jedoch jemand etwas glauben, das er durch Verwendung einer dieser Kennzeichnungen in einer Aussage formu-
128 lieren könnte, ohne auch das zu glauben, was er durch die Verwendung einer der anderen Kennzeichnungen in einer ansonsten gleichen Aussage formulieren könnte. Dann beziehen sich die indirekten Kennzeichnungen aber gar nicht auf c{Allw., Allm., Allg.}, sondern jeweils auf verschiedene Gestaltungen. Da GT keine Unterscheidung von Sinn und Bedeutung kennt, müssen diese Gestaltungen als Gestaltungen zweiter Stufe der Gestaltung c{Allw., Allm., Allg.} angesehen werden. Dann ist aber, in Analogie zur Analyse gewöhnlicher Gegenstände, diese Gestaltung in Wahrheit ein System solcher Gestaltungen höheren Grades. Nach der gleichen Überlegung gibt es jedoch Gestaltungen dritter Stufe von diesen vermeintlichen Gestaltungen zweiter Stufe – und so weiter. Es droht ein infiniter Regreß.102 Castañedas Antwort lautet, daß Plantinga zu unrecht eine asymmetrische Aspekt-von-Beziehung zwischen vermeintlich höherstufigen Gestaltungen und den Gestaltungen unterstellt, von denen sie Gestaltungen sind. Tatsächlich sollen sich die Gestaltungen, auf die sich die erwähnten Kennzeichnungen beziehen, alle auf derselben Ebene befinden,103 und die Beziehungen zwischen ihnen sollen symmetrisch sein und in einer der Selbigkeitsbeziehungen von GT bestehen. Typisch in solchen Fällen ist das Konflatiertsein, etwa: *C(c{Allw., Allm., Allg.}, c{das zweite Element in 〈c{...}, c{Allw., Allm., Allg.}〉 sein}) Da der Ein-Ebenen-Charakter für das Projekt von GT wesentlich ist, kann Castañeda gar nicht anders antworten. Doch die Antwort ist nicht ohne Probleme. So muß man genauer fragen, aufgrund welcher Gesetze für die Konflation die genannte Selbigkeit gelten soll. In ThStrW nennt Castañeda an plausiblen Kandidaten nur ein ganz beschränktes Gesetz der Internalität für *C: „*C(c{..., F, ... G}, c{..., F ∧ G, ...})“104
102
Das ist eine sehr gedrängte und recht eigenhändig formulierte Darstellung eines Überlegungsstranges in T83Plantinga, S. 65-70. 103 S. 277: „They are democratically at the self-same level.“ 104 Siehe S. 246, Gesetz *C.4.
129 Das reicht jedoch sicherlich nicht aus, da sonst nicht einmal c{F} und c{¬¬F} konflatiert wären. In PBS nennt er eine etwas üppigere Weiterentwicklung: „*C(c{P1, ..., Pn, F1, F2, ...}, c{Q, F1, F2, ...}), sofern der Allabschluß von ‚(P1 ∧ ... ∧ Pn) ↔ Q‘ eine logisch wahre propositionale Gestaltung ist.“105 Im diskutierten Fall müßte offenbar eine gewöhnliche prädikatenlogische Aussage wie ∀u [Allw1u ∧ Allm1u ∧ Allg1u ↔ Ist-das-zweite-Element-in-〈c{...}, c{Allw., Allm., Allg.}〉1u] eine logische Wahrheit sein bzw. ausdrücken. Das gilt in der üblichen Prädikatenlogik sicherlich nicht, da diese Logik die innere Struktur des komplexen, durch Bindestriche gebildeten Prädikates nicht ‚sieht‘.106 In späteren Arbeiten finden sich weniger spezifische Angaben, die einen flexibleren Umgang mit der Konflation zulassen, etwa: ‚*C(a, b)‘ ist wahr, genau dann, wenn /a/ und /b/ logisch äquivalent sind.107 Angenommen es gibt eine brauchbare Logik, die die gestaltungstheoretischen Konstanten auf eine derartige Weise als logische Konstanten behandelt, daß sich die erforderliche logische Wahrheit ergibt. Dann stellt sich weiterhin das folgende Problem: Die Konflation soll eine unbeschränkte Äquivalenzrelation sein, also reflexiv, symmetrisch und transitiv. Wenn man eine Aussage wie „Anselm dachte häufig an das zweite Element in 〈c{...}, c{Allw., Allm., Allg.}〉“ mittels Konflation analysiert, nämlich als ∃x [*C(x, c{das zweite Element in 〈c{...}, c{Allw., Allm., Allg.}〉 sein}) ∧ Anselm dachte häufig an x]108,
105
Siehe S. 330, Gesetz *C4i. Im Gesetz der logischen Geschlossenheit für die Konsubstantiation, PBS, S. 324, C*.7., findet sich der Verweis: „a theorem of standard quantificational logic“. 107 Siehe ThLE11Fiction, S. 200; in T83ClarkAntwort, S. 195, steht sogar nur „equivalent“, ohne „logically“. 108 „Anselm dachte häufig an x“ harrt hier noch der gestaltungstheoretischen Analyse. 106
130 so besagt die Analyse nicht genau das, was man möchte. Sofern nämlich c{Allw., Allm., Allg.} die quantifizierte Formel erfüllt, erfüllt sie aufgrund der Transitivität und Symmetrie auch jede Gestaltung, die mit dieser konflatiert ist. Darunter befindet sich nicht nur c{Allw. ∧ Allm. ∧ Allg.}, also eine Gestaltung mit einer einzigen konjunktiven Kerneigenschaft, sondern unter Zugrundelegung der Standardlogik auch c{Allw. ∧ φ, Allm., Allg.}, wobei φ für irgend eine beliebig komplexe und im involvierten prädikativen Material beliebig abwegige logisch wahre Formel steht.109 Wegen der Reflexivität von *C gehört sogar c{das zweite Element in 〈c{...}, c{Allw., Allm., Allg.}〉 sein}) selbst dazu. Aus Castañedas Arbeiten ist mir kein Lösungsvorschlag bekannt, und ich selbst kann keine endgültige Lösung präsentieren. Zwei Wege muß man in Betracht ziehen: Erstens kann man nach Logiken Ausschau halten, die einerseits stark genug sind, um die benötigten logischen Wahrheiten zur Verfügung zu stellen, die jedoch gegenüber der Standardlogik Einschränkungen machen, so daß insbesondere in Implikationen das involvierte begriffliche Material nicht beliebig erweitert werden kann. Das Problem dabei ist, daß Abweichungen von der Standardlogik nicht bloß generell auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen und jedenfalls typischerweise zu viel größerer Kompliziertheit führen, sondern daß zur Lösung des vorliegenden Problems eine sehr spezielle Abweichung erforderlich wäre.110 Ein zweiter Weg ist weit weniger problematisch: Man kann eine Gestaltung, auf die man sich nicht mit einem singulären Term bezieht, auch anders als vermittels der Konflation oder einer anderen geeigneten Selbigkeit mithilfe des quasi-logischen Vokabulars von GT charakterisieren, das die Bildung von Gestaltungen aus Eigenschaften darstellt. Beispielsweise kann man die Bedingung, daß eine Gestaltung mindestens drei Elemente haben soll, mit der Bezeichnung für Meinongsche Prädikation folgendermaßen schreiben: Man denke etwa an: „∀x((Waschmaschine1x ↔ (Proton1x ∨ ¬Proton1x) ∧ Waschmaschine1x))“. 110 Das ist ein weites Feld; siehe J. Michael Dunn, Relevance Logic. – Castañeda betont die Rolle von Brücken-Implikationen („bridging implications“) in der Etablierung der Einheit der Welt und der Erfahrung und nennt als Beispiel klare logische Irrelevanzen wie ‚¬p ⇒ ¬(p ∧ q)‘ und ‚p ⇒ p ∨ Fx‘ (siehe OPM, S. 77). Einer grundsätzlichen Beschränkung der Logik auf relevante Implikationen hätte er demnach nicht zugestimmt. 109
131 ∃F ∃G ∃H (F ≠ G ∧ G ≠ H ∧ H ≠ F ∧ x(F) ∧ x(G) ∧ x(H)) Für inhaltliche Charakterisierungen benötigt man auf dieser Linie Prädikationen höherstufiger Eigenschaften von Eigenschaften, also etwa ‚∃F (F ist eine Farbeigenschaft ∧ ...)‘.111 2.b In einem halb-weltlichen Gebrauch dient die Konsoziation C** besonders zur Analyse fiktionaler Diskurse, die sich einer Analyse mittels Geschichten-Operatoren entziehen. Für die Wahrnehmungstheorie sind zwei Aspekte der Gestaltungstheorie besonders wichtig: Zum einen muß die Theorie mit Relationen und relationalen Prädikationen umgehen können, da man der raumzeitlichen Struktur des Wahrgenommenen gerecht werden muß. Zum anderen muß der Dualismus innerhalb der kontingenten Prädikationen geklärt werden, d.h. wie die konsubstantiative und konsoziative Prädikationsform sich zueinander verhalten und in ein und derselben Aussage miteinander interagieren können. Es zeigt sich, daß besonders diskussionsbedürftige Schwierigkeiten bei Fällen auftreten, in denen in derselben Aussage relationale Prädikate mit beiden kontingenten Prädikationsformen verbunden werden. Ich werde deshalb im folgenden die Analyse gewöhnlicher relationaler Aussagen zusammen mit den formalen Charakteristika erörtern, durch die die Konsoziation auf die Konsubstantiation bezogen ist. GT ist zunächst auf die monadische Prädikation zugeschnitten. Doch der Anspruch ist, daß sich auch gewöhnliche relationale Aussagen beliebiger Art in GT analysieren lassen. Das Ausgangsproblem einer GT-Analyse gewöhnlicher relationaler Aussagen ist folgendes: Bei der monadischen Prädikation wird in der GT-Form C---(a, a[F]) der existenzielle Status des betreffenden Individuums eindeutig festgelegt. Eine gestaltungstheoretische Analyse gewöhnlicher relationaler Aussagen wie „Peter küßt Maria“ muß hingegen den existenzielle Status beider Relata festlegen. In ThStrW führt Castañeda zwei grundlegend verschiedenen Arten der konsoziativen Prädikation ein. Ich bezeichne sie einerseits als attribuieren111
In diese Richtung geht die Analyse von „wissen-wer“ in ThStrW, S. 256; wenn „w“ für eine Menge von Identifikationsverfahren steht, so lautet die Analyse (leicht vereinfacht): ‚s weißw, wer der φ ist‘ = ‚Es gibt eine Eigenschaft ψ, so daß ψ zu w gehört und s weiß, daß C*(der φ, der φ[ψ])‘.
132 de und andererseits als halb-weltliche konsoziative Prädikationen. (Ich spreche auch von ‚Konsoziation in attribuierenden bzw. halb-weltlichen Kontexten‘ oder von ‚attribuierendem bzw. halb-weltlichem Gebrauch der Konsoziation‘.)112 In attribuierenden Kontexten soll der Konsoziationsbegriff dazu dienen, das intentionale Bezogensein einer Person auf ein denkbares Individuum zu analysieren. So soll die Analyse von „Meinong dachte oft an das runde Quadrat“ eine Komponente der Form C**(das runde Quadrat[von Meinong gedacht werden]) enthalten.113 Offenbar kommt dieser Gebrauch nur im Zusammenhang mit Relationen der Art x denkt an y und x hält y für eine Frau ins Spiel, die ich als intentionale Relationen bezeichnen werde. Der in ThStrW behandelte Fall der halb-weltlichen konsoziativen Prädikation ist die Analyse von Aussagen über fiktionale Gegenstände.114 So soll „Don Quijote genoß seine Mißgeschicke“ durch „C**(Don Quijote, Don Quijote[seine Mißgeschicke genießen])“ analysiert werden. In solchen Kontexten müssen die Prädikate nicht relational und gar nicht von einer besonderen Art sein. Es treten jedoch Probleme auf, wenn von fiktionalen Gegenständen relationale Prädikate ausgesagt werden, die sich auf (wie ich sagen möchte) weltliche Relationen beziehen, zu denen man paradigmatisch raumzeitliche wie x liegt neben y und kausale wie x erwärmt y zählen muß. Ich werde zuerst die halb-weltlichen und dann die attribuierenden Kontexte betrachten. In der folgenden Diskussion werde ich mich auf die fiktionale Variante der halb-weltlichen Konsoziation konzentrieren. Das zentrale Theorem in Castañedas Prädikationsform-Auffassung fiktionaler Kontexte besagt:115 „Eine fiktionale Einheit („piece of fiction“) ist ein geordnetes Paar (S, λ), wobei S ein Geschichten-Operator und λ eine Klasse von Sachverhalten 112
Die Unterscheidung entspricht weitgehend F. Orilias Differenzierung von Gebrauch I und Gebrauch II des Konsoziationsbegriffes; GuiseTheory, S. 124. 113 Siehe Abschnitt 2.6. in ThStrW, S. 244f. 114 Ich habe „halb-weltlich“ in Analogie zum Ausdruck „half-belief“ gewählt, den Castañeda in J/P-Objects für fiktionale Kontexte verwendet; S. 96: „... half-beliefs (to use H. H. Price’s term for the doxastic attitude of acceptance involved in reading a novel through).“ 115 Siehe J/P-KünneAntwort, S. 275: „the Forms-of-Predication-View, incorporated in Guise Theory“.
133 oder Propositionen ist, von denen einige fiktional sind, indem sie eine fiktionale Prädikation besitzen.“116
Eine zusammenfassende Erläuterung lautet: „Die fundamentalsten Kategorien, die das Reich des Fiktionalen beherrschen, sind die Konsoziation und die Geschichten-Operatoren der Form ‚in so-und-so einer Geschichte von dem-und-dem ist es der Fall, daß‘. Andere Operatoren können abgeleitet werden. Die Konsoziation sollte auch mit einem Index versehen werden, der sie ebenfalls auf Mengen von Personen, Zeiten und Orte relativiert.“117
Eine fiktionale Proposition ist im einfachsten Fall das mit einer Aussage wie „Der Gelehrte im gotischen Zimmer ist verzweifelt“ Ausgedrückte, sofern es durch eine konsoziative GT-Aussage der Art C**(der Gelehrte ..., der Gelehrte ...[verzweifelt sein]) analysiert werden kann. Mit den Elementen des durch die erforderlichen Indizes Bezeichneten sind die Personen gemeint, die die Geschichte hervorgebracht haben, sowie Zeit und Ort des Hervorbringens.118 An anderer Stelle findet sich allerdings die Alternative, als Indizes Verweise auf die literarischen Werke selbst zu verwenden, und ihr werde ich weitgehend folgen, da es meistens einfacher ist, das Werk anzugeben als den Autor und die genaue Zeit der relevanten Produktion.119 In dieser Alternative wird besonders deutlich, daß nach Castañedas Auffassung im Unterschied zur reinen Operator-Auffassung fiktionaler Diskurse die Inhalte etwa einer Erzählung gewissermaßen zweifach auf das literarische Werk relativiert sind. Nach der Operator-Auffassung, die etwa W. Künne gegen Castañeda zu verteidigen versucht hat, hat ein Element einer Erzählung die Form In-Geschichte-G-ist-es-der-Fall-daß: (a ist F),
116
ThLE11Fiction, S. 191, Prinzip FC**.5. Siehe S. 203. 118 Siehe T83ClarkAntwort, S. 375: „... consociations created by a person must be indexed to the creating person, and the place and time of creation.“ 119 Siehe J/P-Objects, S. 129: „... we could in general call the fictional predication consociation and then introduce indices signalling the works in which those predications were created, or indices pointing to the creating authors.“ 117
134 worin ‚a ist F‘ in derselben Bedeutung verwendet wird, in der man den Satz zur gewöhnlichen Beschreibung der Wirklichkeit verwendete. Nach Castañedas Prädikationsform-Auffassung hat es die Form In-Geschichte-G-ist-es-der-Fall-daß: C**Geschichte G (a, a[F]). Mit dieser Doppelung versucht Castañeda, u.a. den folgenden Phänomenen gerecht zu werden: i. Geschichteninterne Wirklichkeitselemente: Es gibt literarische Formen, etwa Satiren oder historische Romane, in denen wirkliche Personen als solche zusammen mit bloß fiktionalen Figuren auftreten. Die Prädikationsform-Auffassung wird dem gerecht, indem sie im Bereich eines Geschichten-Operators sowohl entsprechende konsoziative als auch konsubstantiative Aussagen zuläßt.120 ii. Zwischen-geschichtliche Selbigkeit von Figuren: Fiktionale Figuren, die ursprünglich im Rahmen einer bestimmten Geschichte entwickelt worden sind, können in anderen Geschichten wieder aufgenommen werden. Es muß einen Sinn geben, in dem die Figuren beider Geschichten dieselben sind; und vergleichende Aussagen über beide Figuren müssen möglich sein. Da verschiedene Geschichten involviert sind, können die identifizierenden und vergleichenden Phrasen nicht im Bereich eines Geschichten-
120
Bei Castañeda heißt das Phänomen ‚mixtures of fiction and reality‘; J/PKünneAntwort, S. 172. Wegen solcher Fälle heißt es im zentralen Theorem, daß nur einige Elemente von λ fiktional sein müssen. Siehe ThLE11Fiction, S. 180, (C9) zu Geschichten über reale Gegenstände. Seltsam ist allerdings, daß (C10) gleich darauf betont, Fiktionen über reale Personen seien dies nur extern. Klar ist Castañedas Auffassung in J/P-Objects, 127-28, wo er ein Erzählungsfragment über Kennedy präsentiert und zur Konjunktion „(L.1) Kennedy was F and did A“ feststellt: „... the first conjunct is meant to be factually true and the second is a fictional truth proposed by the novel.“ – „There are literary operators; but they do not help us understand the duality of fictional statements of the form (L.1).“ W. Künne schlägt in J/PKünne vor, anstelle eines Dualismus von wirklichkeitsbezogenen und fiktionalen Prädikationen innerhalb des Bereiches eines Geschichten-Operators bei einer einheitlichen Prädikation zu bleiben und ein externes Konjunkt anzuhängen, also insgesamt etwas wie ‚F(Kennedy) ∧ OPERATOR (F(Kennedy) ∧ A(Kennedy))‘ zu schreiben; siehe S. 266. Castañeda akzeptiert den Vorschlag für den gegebenen Fall als äquivalent mit seinem eigenen; J/P-KünneAntwort, S. 273.
135 Operators liegen. Es sind aber auch keine Aussagen über wirklich existierende Dinge oder Personen.121 iii. Geschichtenunabhängige, kulturalisierte fiktionale Figuren: Der Weihnachtsmann ist eine fiktionale Figur. Doch wir haben keine klare Idee davon, wie die Fiktion begann, noch wissen wir, wie man die Sätze über den Weihnachtsmann dem richtigen Geschichten-Operator unterordnet. Der Weihnachtsmann ist gemeinsamer Besitz. Er gehört zu unserer Kultur und unter keinen Geschichten-Operator.122 Auch vielfach und vielfältig aufgegriffene literarische Figuren wie Hamlet oder Faust können zu einer kulturellen Institution werden, auf die man nicht eingebettet in einen Geschichten-Operator bezug nimmt.123 Dennoch ist die Rede über solche kulturalisierten Figuren keine Rede über wirkliche Dinge. Dem kann mit der konsoziativen, jedoch ohne Operator konstruierten Prädikation Rechnung getragen werden. Castañeda formuliert sogar die stärkere These, daß die Konsoziation in solchen Fällen als unindiziert angesehen werden muß.124 Er sagt allerdings selbst, solche Figuren gehörten zu unserer Kultur im ganzen.125 Doch in der einen Kultur bringt der Weihnachtsmann die Geschenke, in der anderen der Nikolaus, in der dritten das Christkind. Man sollte daher in solchen Fällen einen Index vorsehen, der sich auf die relevante Kultur, Region, kulturelle Phase etc. bezieht.126 121
Castañedas Bezeichnung lautet ‚trans-fictional identifications‘, J/P-KünneAntwort, S. 273. Er übernimmt das Adjektiv „trans-fictional“ zusammen mit „inter-fictional“ offiziell von Künne (J/P-Künne, S. 264); siehe J/P-KünneAntwort, 269, scheint dann aber mit „trans-fictional“ das zu bezeichnen, was Künne „inter-fictional“ nennt, während „inter-fictional“ nicht mehr vorkommt. Sein Beispiel ist, S. 270: „(6*I) Marguerite Gautier [Dumas] is the same as Violetta [Verdi].“ S. 274: „This identity is external to the two stories. Yet it is not an actual truth.“ 122 So nahezu wörtlich ThLE11Fiction, S. 188. 123 Siehe J/P-Objects, S. 130f.; J/P-KünneAntwort, S. 270 u. 124 Siehe T83ClarkAntwort, S. 375: „It is for this impersonal public consociation that the original unindexed consociation ... seems suitable.“ 125 Siehe J/P-Objects, S. 130: „to our culture at large“. 126 Der Bezug kann wie in anderen Fällen stillschweigend durch den Kontext hergestellt werden. F. Orilia schlägt vor, in den kulturalisierten Fällen den Index partikulär abzuquantifizieren, etwa in der Art ‚∃s C**s(der Weihnachtsmann, der Weihnachtsmann[bringt Geschenke])‘; GuiseTheory, S. 125. Angesichts der Vielfalt der Kulturen, Unterkulturen und Subkulturen würden dann jedoch regelmäßig gewöhn-
136 iv. Darstellende Selbigkeit zwischen Fiktion und Realität: Eine auf bestimmte historische Personen gemünzte Satire kann die Form einer Fabel annehmen, in der etwa ein bestimmtes Tier einen wirklichen Diktator darstellt. Dann muß es einen Sinn geben, in dem eine identifizierende Aussage wie „Der Diktator ist die Hyäne“ wahr ist. Die Identifizierung kann nicht innerhalb eines Geschichten-Operators stehen, und sie kann nicht von einer Art sein, die beide Relata als wirkliche Gegenstände hinstellt. Es muß sich um eine Form der Konsoziation handeln.127 2.c Kein vorgeschlagenes Kompossibilitätsprinzip für C* ist mit Castañedas Auffassung fiktionaler Diskurse vereinbar; doch relationale Aussagen über Wirkliches erfordern ein solches Prinzip. In ThStrW gibt Castañeda folgende GT-Analyse für eine gewöhnliche relationale Aussage der Art ‚a liebt b‘ an, mit der also beide Relata qua wirklich existierend als in einer gewissen Beziehung stehend hingestellt werden: a küßt b werden]
=GT-Analyse C*(a, a[küßt b]) ∧ C*(b, b[von a geküßt
oder mit der Sondervariablen „u“ =GT-Analyse C*(a, a[u küßt b]) ∧ C*(b, b[a küßt u] Eine umgangssprachliche Aussage, die üblicherweise in eine atomare Aussage einer prädikatenlogischen Sprache mit Individuenkonstanten übertragen wird, etwa „K2ab“, wird demnach durch eine Konjunktion in GT analysiert. Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß jedes Konjunkt bereits dasselbe beinhaltet wie die Konjunktion. Die Konjunktion könnte dann allenfalls als Standardformulierung für solche propositionalen Geliche Aussagen wie ‚Nikolaus bringt Geschenke‘ und ‚Nikolaus bringt keine Geschenke‘ beide wahr. 127 Siehe J/P-KünneAntwort, S. 274, wo sich auch das Diktator-Hyäne-Beispiel findet; Castañeda klassifiziert die relevante Selbigkeit als trans-kategorial (S. 275). Das ist einleuchtend, da ein fiktionaler mit einem wirklichen Gegenstand identifiziert wird. Seine Klassifikation erstreckt sich allerdings auch auf Identifizierungen von Typ (ii) (Zwischen-geschichtliche Selbigkeit). Aber wenn man bloß Figuren verschiedener Geschichten in Beziehung setzt, sollte man wohl nicht von einer kategorienüberschreitenden Selbigkeit sprechen.
137 staltungen gelten, in welchen die relationale Struktur und das Enthaltensein zweier Relata offengelegt ist, während die beiden Konjunkte für sich solche Gestaltungen formulieren, in denen sich nur eines der Relata als solches präsentiert. All diese propositionalen Gestaltungen wären jedoch äquivalent, also untereinander konflatiert. In ThStrW scheint Castañeda das für bestimmte Relationen so zu sehen, nämlich für sogenannte existenz-implizierende Relationen. Für eine zweistellige Relation R2 dieser Art würde gemäß dem Prinzip der Kompossibilität, das er für die Konsubstantiation aufstellt, in jedem Fall gelten: C*(a, a[R2ub]) → C*(b, b[R2au])128 Raumzeitliche sowie Kausalität involvierende Relationen wie x schiebt y oder x stößt y an dürften paradigmatische Fälle sein. Laut F. Orilia hat Castañeda dieses Prinzip allerdings in Gesprächen zurückgezogen oder jedenfalls modifiziert. Er störte sich nämlich an Aussagen der Art (S-L)
„Superman ist schneller als Carl Lewis“,129
in denen eine plausiblerweise existenz-implizierende Beziehung wahrheitsgemäß einerseits von einem wirklichen Individuum qua wirklich und andererseits von einem bloß fiktional existierenden Individuum ausgesagt wird. Sicherlich sollte „C*(Lewis, Lewis[Superman ist schneller als u])“ nicht „C*(Superman, Superman[u ist schneller als Lewis])“ und damit die Wirklichkeit von Superman implizieren.130 Verfährt man analog zur konjunktiven Analyse einer gewöhnlichen relationalen Aussage, d.h. zum Schema C*(a, a[R2ub]) ∧ C*(b, b[R2au], so ergibt sich die hinsichtlich Lewis konsubstantiative, doch hinsichtlich Superman konsoziative Analyse
128
Vgl. das für n-stellige Relationen formulierte Prinzip der Kompossibilität S.C*.9., ThStrW, S. 244. 129 Vgl. Castañedas Beispiel „Jimmie Carter was somewhat more assertive than Hamlet“ in J/P-Objects, S. 103, das er allerdings in etwas anderem Zusammenhang vorbringt. 130 Vgl. Orilia, GuiseTheory, 118-19.
138 C*(Lewis, Lewis[Superman ist schneller als C**i(Superman, Superman[u ist schneller als Lewis].
u])
∧
Die konjunktive Form wäre dann auch im beidseitig konsubstantiativen Fall wesentlich. Orilia selbst schlägt sowohl eine andere Analyse der Superman-LewisAussage als auch eine andere Variante des Kompossibilitätsprinzips vor, welcher sich auch Castañeda im Gespräch angeschlossen habe. Die Reichweite der Analyse ist allerdings so gering, daß sie jedenfalls nicht alle relationalen Aussagen über kulturalisierte fiktionale Entitäten erfaßt, sofern man sie in Castañedas Sinn versteht. Doch dann kann, wie sich zeigen wird, auch Orilias Kompossibilitätsprinzip nicht für die Konsubstantiation gelten, die in gewöhnliche Propositionen über Wirkliches eingeht. Orilias alternative Analyse erfordert, daß es zwei Prädikate V und V‘ gibt, welche die maximale Geschwindigkeit von Superman bzw. Lewis ausdrücken, und daß das Bedeutungspostulat gilt ‚∀x∀y (Vx & V’y → SchnellerAls2xy)‘. Doch es ist erstens fraglich, ob eine Analyse, die sich dieses Postulates bedient, nicht zumindest eine Formulierung für eine andere logische Form der Proposition ist, die man umgangssprachlich mit (SL) ausdrückt. Zweitens ist zweifelhaft, ob der gewöhnliche Verstand in allen solchen Fällen entsprechende Postulate in einer derart expliziten Form beherrscht, daß die Analyse gerechtfertigt ist. Drittens ist es hinsichtlich kausaler Prädikate wie x stößt y sicher falsch, eine Analyse durch zwei einstellige Prädikate zu unterstellen, die metrische Bestimmungen ausdrükken.131 Falls man jedoch an Castañedas Verständnis der Aussagen über kulturalisierte Fiktionen festhält, so ist man reihenweise mit Aussagen konfrontiert, die ohne Einbettung in einen Geschichten-Operator eine solche kausale Relation zwischen fiktionalen und wirklichen Gegenständen beinhalten und als wahr betrachtet werden müssen. Ein Beispiel ist „Der Weihnachtsmann bringt lieben Kindern Geschenke“. Castañeda muß das verstehen als
131
Siehe GuiseTheory, S. 232-34. – W. Künne schlägt für „Don Quijote is taller than H. N. Castañeda“ eine Analyse im selben Geiste vor, nämlich dem Sinn nach: ∃x∃y(LautDonQuijote(x = Don Quij. Größe) ∧ y = Cast.s Größe ∧ x < y)“; J/PKünne , S. 266-67. Mindestens das dritte Problem besteht auch dabei.
139 ∀x (C*(x, x[ein liebes Kind sein]) → (C**unsere Kultur(der W.M., der W.M.[x Geschenke bringen]) ∧ C*(x, x[vom W.M. Geschenke gebracht bekommen]). Orilias alternatives Kompossibilitätsprinzip beinhaltet für zweistellige Relationen R2: C*(a, a[R2ub]) ∧ C*(b, b) → C*(b, b[R2au])132 Das Problem ist, daß eine wirklich existierende Person auch in einer Fiktion auftreten kann und gemäß der Geschichte andere Eigenschaften haben kann, als sie wirklich hat. Beispielsweise ist eine Komödie denkbar, die sich einen Spaß daraus macht, den Präsidenten der Vereinigten Staaten als völlig machtlos hinzustellen. Dann wäre es mit Blick auf den Präsidenten qua Figur in dieser Komödie richtig zu sagen, der wirkliche Berliner Regierende Bürgermeister sei mächtiger als der Präsident. Doch außerdem existiert der Präsident auch wirklich. Die Konsequenz, daß der Berliner Regierende mächtiger ist als der US-Präsident qua wirklich existierende Person, ergibt sich nur deshalb nicht, weil der Inhalt der Komödie einem Geschichten-Operator untergeordnet ist. Das soll jedoch bei kulturalisierten Fiktionen gerade nicht der Fall sein. Gibt es derartige fiktionale Gegenstände, die auch wirklich sind? Kaiser Friedrich II. hat es wohl wirklich gegeben, und der Legende nach sollte er einst wieder auftauchen, das Reich in Ordnung bringen und für Gerechtigkeit sorgen. Analog zum Weihnachtsmann, der lieben Kindern Geschenke bringt, gibt es demnach Friedrich II., der den Armen hilft. Für alle existierenden Armen würde gelten: C**unsere Kultur(Fr.-II., Fr.-II.[x helfen]) ∧ C*(x, x[von Fr.-II. Hilfe bekommen]), und da „C*(Fr.-II., Fr.-II.)“ wahr ist, folgte mit Orilias Prinzip „C*(Fr.-II., Fr.-II.[x helfen])“. Sofern man demnach an der Operator-freien Analyse von Aussagen über kulturalisierte Fiktionen festhält, muß man sowohl das ursprüngliche Kompossibilitätsprinzip mit seiner Auszeichnung existenz-implizierender 132
Vgl. sein für n-stellige Relationen formuliertes (C*10), S. 112. S. 118 verweist Orilia zwar zurück auf sein (C*9), doch das muß ein Fehler sein, denn auf derselben Seite heißt es zuvor: „(C*10) is a modified form of Castañeda [TSW]‘s S.C*.9.“
140 Relationen als auch Orilias Alternative aufgeben. Die Frage ist dann, wie die konjunktiven relationalen Analysen genauer zu verstehen sind und ob sie vor dem Hintergrund der übrig gebliebenen Prinzipien beinhalten, was sie beinhalten sollen. Man könnte das folgende Bedenken dagegen haben, gewöhnliche einfache Prädikationen in GT durch eine Konjunktion zu analysieren: Der Wahrheitswert einer Konjunktion ergibt sich aus den Wahrheitswerten der Konjunkte. Dann müssen die Konjunkte jedoch für sich gesehen bereits Wahrheitsbedingungen haben. Doch wenn die Wahrheitsbedingungen des ersten Konjunktes ‚C*(a, a[R2ub])‘ nicht derart sind, daß es das zweite Konjunkt ‚C*(b, b[R2au])‘ impliziert, dann ist unklar, was ‚C*(a, a[R2ub])‘ überhaupt besagen soll. Es besagt dann im Beispiel nicht, daß a qua wirklich existierend b qua wirklich existierend küßt, sondern bloß, daß a qua wirklich existierend b küßt, welchen existenziellen Status b auch immer haben mag. Zwei Spezifikationen des Bedenkens kann man zurückweisen: (a) Bedenkenträger: „Wenn der existenzielle Status von a in der Aussage nicht spezifiziert ist, dann bezieht sich ‚C*(b, b[R2au])‘ auf gar keine eindeutige mögliche Tatsache, auf kein mögliches Element der Wirklichkeit, auf keine mögliche Facette der Wahrheit.“ Dem liegt eine anspruchsvolle Idee von einer Beziehung von Aussagen zu Tatsachen zugrunde, durch welche sie wahr werden. Das Problem verschwindet, wenn man Tatsachen mit wahren Propositionen identifiziert. (b) Bedenkenträger: „Wenn der existenzielle Status von a durch das eine Konjunkt ‚C*(b, b[R2au])‘ nicht spezifiziert ist, dann kann der Ausdruck für die Konsubstantiatiation nur einen eindeutigen Sinn bekommen, wenn ein Bedeutungspostulat der folgenden Art gilt: Für gewisse R2: C*(a, a[R2ub]) → [C*(b, b[R2au]) ∨ ∃i C**i(b, b[R2au])].133 Aber dann analysiert man das fragliche Konjunkt vermittels einer Disjunktion, die selbst ein Disjunkt gleicher Form enthält, und das ist zirkulär.“ Ich denke tatsächlich, daß ein derartiges Postulat wesentlich ist. Doch ein als Bedeutungspostulat dienendes Konditional ist keine Definition des Ante133
D.h. wenn von a qua wirklich R2ub gilt, dann gilt von b qua wirklich R2au, oder es gilt für irgend eine Fiktion i von b qua i-fiktional, daß R2au.
141 zedenz durch das Sukzedenz. Es muß als teilweise Explizitmachung von etwas, etwa eines Systems von Akzeptanzdispositionen, angesehen werden, das insgesamt die Bedeutung von ‚C*‘ und womöglich zugleich die von ‚C**‘ konstituiert. Das wirkliche Problem ist, daß ohne jegliches Kompossibilitätsprinzip die beidseitig konsubstantiative relationale Prädikation nicht eindeutig beinhaltet, was sie soll. C*(a, a[R2ub]) ∧ C*(b, b[R2au] könnte bloß deshalb wahr sein, weil sowohl ‚C*(a, a[R2ub]) ∧ C**i(b, b[R2au])‘ als auch ‚C**j(a, a[R2ub]) ∧ C*(b, b[R2au])‘ wahr sind (für gewisse Einsetzungen für i, j). So ein Fall ist etwas seltsam, aber ebenso möglich der geschilderte Fall um Friedrich II. möglich ist. Wir könnten nicht eindeutig ausdrücken, daß a qua wirklich in Beziehung R zu b qua wirklich steht. Das Problem läßt sich nicht beseitigen, indem man etwa ‚¬C**i(a, a[R2ub]) ∧ ¬C**i(b, b[R2au])‘ hinzufügt; denn wenn man sagt, a qua wirklich stehe in R zu b qua wirklich, so braucht man die korrespondierenden fiktionalen Aussagen nicht zu verneinen. Was tun? Ich habe bereits erläutert, weshalb ich auch bei Aussagen über Kulturalisiert-Fiktionales eine Indizierung des Konsoziationssymbols für erforderlich halte. Man könnte vielleicht für Diskurse über kulturalisierte Figuren auch einen Kultur-Operator postulieren, der die Aussagen abschirmt. Doch formal bliebe es dabei, daß eine beidseitig konsubstantiative relationale Aussage aus einem Paar geeigneter teils konsubstantiativer, teils konsoziativer Aussagen folgt; und wenn diese Menge überhaupt einen umgangssprachlich ausdrückbaren Inhalt hat, ist es sicherlich nicht der gewünschte, daß zwei Individuen qua wirklich in Beziehung stehen. Ein kleinerer, lokaler Eingriff wäre dieser: Für die allseitig konsubstantiativen Relationsaussagen nimmt man eine Variante der Konsubstantiation an, welche durch Orilias Kompossibilitätsprinzip verstärkt ist. Dann sind die Aussagen ‚C*(a, a[R2ub]) ∧ C*(b, b)‘, ‚C*(b, b[R2au]) ∧ C*(a, a)‘ und ‚C*(a, a[R2ub]) ∧ C*(b, b[R2au])‘ alle miteinander äquivalent, ohne jede Rücksicht auf die Wahrheit oder Falschheit konsoziativer Aussagen. Das Aussagenpaket besagt dann tatsächlich, daß a und b beide qua wirkliche Individuen in R zueinander stehen. Ich werde im weiteren diese Variante
142 nicht besonders herausheben, sondern unterstellen, daß „C*“ in beidseitig konsubstantiativen Kontexten entsprechend verstanden werden muß. 2.d Castañedas explizite Prinzipien für C** in attribuierenden Kontexten erfordern besonders hinsichtlich der Beziehung von C** zu C* Korrekturen; doch läßt sich ein allgemeines Kopplungsprinzip angeben. Während Castañeda die Konsoziation in ThStrW nur an Beispielen erläutert, setzt er in ThLE11Fiction zur Formulierung von Wahrheitsbedingungen für Aussagen nach dem Schema ‚C**(a, b)‘ an. In meiner Notation und mit einer Ergänzung lauten sie: ‚C**(a, b)‘ ist wahr gdw. gilt: (i) die Gestaltungen a und b werden als dasselbe Objekt gedacht, ob nun als fiktionales oder als wirkliches; oder134 (ii) b ist eine Erstreckung der Form a[s glaubt (denkt, vermutet, bildet sich ein ...), daß u φ ist], und s glaubt (denkt, vermutet, bildet sich ein ...), daß a φ ist; oder ...135 „s“ soll eine Person bezeichnen; „u“ ist die Sondervariable; „φ“ bezeichnet einen (d.h. φ ist ein) adjektivischer Ausdruck. Klausel (i) entspricht zweifellos dem halb-weltlichen Gebrauch des Konsoziationsbegriffs, (ii) dem attribuierenden. In T83ClarkAntwort kritisiert Castañeda seine beiden Klauseln und formuliert fünf neue. Die Kritik besagt, (i) mache zwar die „minimale Idee“ hinter dem Konsoziationskonzept klar, doch werde nicht richtig zwischen der gelegentlich durch einen Denker hervorgebrachten Konsoziation und der ausgearbeiteten Konsoziation unterschieden, die in eine fiktionalen Figur eingehe. Die neuen Klauseln passen allerdings zumindest oberflächlich betrachtet besser auf Attributionskontexte, und des134
Das exklusive „either“–„or“ im Text ist problematisch, sofern nicht näher bestimmt wird, worin das Denken als dasselbe Objekt gemäß (i) bestehen soll. Denn in dem Sinn, daß C**(a, b) für wahr gehalten werden kann, können auch Gestaltungen a und b gemäß (ii) als dasselbe Objekt gedacht werden. 135 Siehe S. 201. - Im Original steht tatsächlich „etc.“, und Castañeda merkt ausdrücklich an, die Explikation müsse fortgeführt werden. - Die Ergänzung „und s glaubt ..., daß a φ ist“ entnehme ich T83ClarkAntwort, S. 374-75; ohne sie wäre (ii) eine nichtempirische Klausel.
143 halb erwähne ich sie in diesem Zusammenhang. Die besonders interessierenden vier Klauseln bilden zwei Paare. Zum ersten Paar B*.1. – B**.1.: Mit Vorspann lautet das erste Paar (ich unterstreiche zweifelhafte Aspekte doppelt und füge in eckigen Klammern meine Alternativvorschläge hinzu, die ich anschließend erläutern werde): „Ich würde es jetzt vorziehen, die zwei Klauseln von (C**.T1) durch indizierte Klauseln wie die folgenden zu ersetzen, wobei ‚*‘ und ‚**‘ zur Linken eines Verbs konsubstantiative bzw. konsoziative Prädikation anzeigen und ‚ist-j‘ eine variable Kopula ist, wobei ‚j‘ über verschiedene Arten der Prädikation („copulation“) variiert, ‚a‘ eine metalinguistische Variable ist, die über Individuenkonstanten variiert, und ‚u‘ über freie Variablen variiert: ... B*.1.
Zur Zeit t glaubt* x, daß a F ist-j ⇔ (x, t) C*(x, x[u(u glaubt*, daß a F ist-j)]). [ ⇔ RB: C*t (x, x[u glaubt(*), daß a F ist-j]). ]
B**.1.
Zur Zeit t glaubt** x, daß a F ist-j ⇔ (x, t) C**(x, x[u glaubt**, daß a F ist-j)]). 136
[ ⇔ RB: C**i, t (x, x[u glaubt, daß a F ist-j]). ]“
Allgemein fragt sich: Wofür steht jeweils „(x, t)“? Es kann kaum ein zweifacher Allquantor „∀x∀t“ sein. Da Castañeda zuvor ankündigt, die alte Formulierung durch indizierte Klauseln zu ersetzen und ansonsten kein Index zu erkennen ist, kann „(x, t)“ nur der erforderliche Index sein. In meiner Reformulierung werde ich statt „(x, t) C** ...“ „C**x, t ...“ schreiben.137 B*.1. weist ein paar Merkwürdigkeiten auf.
136
Siehe T83ClarkAntwort, S. 376; meine Übersetzung, aber mit allen typographischen Details. 137 Andernfalls müßte konsequenterweise auch in der allerersten, hier nicht wiedergegebenen Klausel B.M.R ein Quantor „(x)“ vorkommen, was nicht der Fall ist. Quantoren wären hier nur sinnvoll, wenn der ganze durch „⇔“ gebildete Ausdruck ein objektsprachliches Bikonditional wäre, das insgesamt den Bereich des Doppelquantors bildet. „⇔“ ist aber vermutlich ein metasprachliches Zeichen für die Äquivalenz von Ausdrücken. Vgl. etwa den Pfeil in den Prinzipien in PhLI-I-Structures, S. 262ff., der laut S. 262 logische oder analytische Implikation ausdrücken soll.
144 i. Ein Index „x, t“ ist im Analysans von B*.1. nicht sinnvoll, da nur die Konsoziation, nicht die Konsubstantiation mit Indizes für Personen versehen werden soll. Allenfalls der Zeitindex ist bei der Konsubstantiation sinnvoll. Man sollte statt „(x, t) C* ...“ demnach wohl „C*t ...“ lesen. ii. Die eckigen Klammern müssen für die φ-Erstreckung einer Gestaltung stehen. Wofür steht aber die Konstruktion „u(u...)“ innerhalb dieser Klammern? Innerhalb der Klammern, die für die φ-Erstreckung stehen, muß ein Ausdruck für eine monadische Eigenschaft stehen. Die Konstruktion „u(u...)“ ist wohl fehlerhaft, und in den eckigen Klammern soll bloß das Prädikat „u glaubt*, daß a F ist-j“ stehen. Das entsprechend modifizierte Analysans „C*t (x, x[u glaubt*, daß a F ist-j])“ würde dann angewandt auf die Gestaltung der G, also c{G}, zu „C*t (c{G}, c{G}[u glaubt*, daß a F ist-j])“, und das wäre nach Auflösung der ErstreckungsKonstruktion dasselbe wie „C*t (c{G}, cu{Gu, u glaubt*, daß a F istj})“.138 iii. Wieso tritt im Analysans hinter „glaubt“ wieder das „*“ für die Konsubstantiation auf? Wenn eine gewöhnliche Aussage wie „Peter läuft*“ 138
Angenommen es liegt kein Fehler vor. Dann müssen die runden Klammern in „u(u glaubt*, daß a F ist-j)“ für Meinongsche Prädikation stehen. Man kann diesen Ausdruck allerdings nicht so verstehen, als sei er aus einer Instanz wie „s(s glaubt*, daß a F ist-j)“ entstanden, indem man beide Vorkommen des Namens für eine Gestaltung „s“ durch solche derselben Variablen u ersetzt. Denn diese vermeintliche Instanz ist kein wohlgeformter Ausdruck, da in den runden Klammern ein Satz und kein Prädikat steht. Also muß „u(u glaubt*, daß a F ist-j)“ als Ausdruck angesehen werden, dessen Instanzen von der Art „s(u glaubt*, daß a F ist-j)“ sind. Zur Verdeutlichung kann man das Prädikat in den runden Klammern ohne Variable u formulieren, d.h. als „u(glaubt*, daß a F ist-j)“. Dieses Prädikat muß man im Sinne des Prädikates lesen „eine Gestaltung sein, die im Kern die Eigenschaft zu glauben*, daß a F ist-j, enthält“. Das ganze Analysans wäre demnach zu verstehen im Sinne von „C*t (x, x[eine Gestaltung sein, die im Kern die Eigenschaft zu glauben*, daß a F ist-j, enthält])“, und das ergäbe angewandt auf die Gestaltung der G letztendlich „C*t (c{G}, c{G, eine Gestaltung sein, die im Kern die Eigenschaft zu glauben*, daß a F ist-j, enthält})“. Sofern das überhaupt einen Sinn ergeben soll, muß die Gestaltung c{G, eine Gestaltung sein, die im Kern die Eigenschaft zu glauben*, daß a F ist-j, enthält}) mit der Gestaltung c{G, glauben*, daß a F ist-j}) konflatiert sein. Dann ist die zuletzt angegebene Aussage jedoch genau dann wahr, wenn „C*t (c{G}, cu{Gu, u glaubt*, daß a F ist-j})“ wahr ist, also genau dasselbe, was sich als Analysans ergeben hat, wenn man die Konstruktion „u(u...)“ ignoriert.
145 oder „Peter ist* müde“, die durch Hinzufügung von „*“ zum Prädikat als konsubstantiativ zu verstehende gekennzeichnet wird, in GT wiedergegeben wird, dann ergibt sich doch „C*(Peter, Peter[läuft/ ist müde])“ und nicht „C*(Peter, Peter[läuft*/ ist* müde])“. Es nicht zu sehen, wieso das bei dem Prädikat „glaubt*, daß...“ anders sein soll. Zu B**.1.: i. Bei aller Parallelität zu B*.1. fehlt hier die seltsame „u(u...)“Konstruktion; nur die schließende, sinnlose Klammer steht dort. ii. Der Index „x“ an „C**“ ist ganz unplausibel. Denn hinter dem Doppelstern in „glaubt**“ kann sich doch keine Konsoziation verbergen, die unbedingt auf x’s Glauben beruhen muß. Vielmehr ist eine sinnvolle Instanz der linken Seite des Doppelpfeils etwas wie „Zur Zeit nach der ersten Begegnung glaubt**(im Faust) Faust, daß Gretchen begehrenswert ist*. Der richtige Index wäre dann „Goethes Faust“. In meiner Alternativformulierung oben habe ich deshalb einen schematischen Index „i“ gesetzt. iii. Wie zuvor das „*“ ist hier das „**“ in „u glaubt**, daß ...“ überflüssig. Zum zweiten Paar B*(**).1. - B*(**).2.: Das zweite Klauselpaar lautet: „B*(**).1.
Zur Zeit t glaubt* x, daß a F ist-j ⇔ (x, t) C**(a, a[u(Fu)]). [ RB: ⇒ C**x, t (a, a[Fu]) ]
B*(**).2.
Zur Zeit t glaubt* x, daß a F ist-j ⇔ (x, t) C**(a, a[u glaubt, daß u F ist-j]).“ [sic! „believes“ im Analysans ohne „*“.] [RB: ⇒ C**x??, t (a, a[x glaubt, daß u F ist-j]).]“
i. B*(**).1. entspricht am ehesten Klausel (i) in der Charakterisierung der Wahrheitsbedingungen in ThLE11Fiction. Doch der Doppelpfeil kann schon deshalb nicht stimmen, weil aus der rechten Seite nicht hervorgeht, ob „a F ist-j“ geglaubt, vermutet, oder gedacht wird. Auch der Charakter der Kopula „ist-j“ ist nicht festgelegt. Es kann also nur eine Implikation von links nach rechts vorliegen. ii. B*(**).2. entspricht recht gut der alten Klausel (ii). Das erste „u“ in „u glaubt, daß ...“ muß zweifellos durch ein „x“ ersetzt werden, da „a“ für den Gegenstand der Überzeugung und nicht für die glaubende Person steht. Nach dieser Korrektur ist jedoch fraglich, ob in dieser Konstruktion das Konsoziationssymbol wirklich mit einem Index für eine Person versehen
146 werden muß. Die Person, um deren Überzeugung es geht, ist doch bereits im Prädikat genannt. Wenn die Konstruktion wirklich „Zur Zeit t glaubt* x, daß a F ist-j“ wiedergeben soll, ist die ursprüngliche Fassung in ThStrW einleuchtender, in der die Konsoziation ohne personalen Index auftritt.139 iii. Wie aus der Diskussion des ersten der beiden folgenden Probleme hervorgehen wird, muß der Doppelpfeil auch in B*(**).2. durch einen Pfeil von links nach rechts ersetzt werden. Problem 1: Drei der diskutierten Klauseln, nämlich B*.1., B*(**).1. und B*(**).2, besitzen dieselbe linke Seite. Wenn die Doppelpfeile korrekt sind, müßten insbesondere die rechten Seiten der ersten und der letzen Klauseln (B*.1. und B*(**).2) äquivalent sein, d.h. mit den Korrekturen: ‚C*t (x, x[u glaubt(*), daß a F ist-j])‘ ⇔ ‚C**t (a, a[x glaubt, daß u F ist-j])‘. Doch dann müßte die konsoziative Klausel die konsubstantiative implizieren. F. Orilia schlägt in GuiseTheory eine solche Äquivalenz vor und bemerkt dazu, Castañeda habe sie im Gespräch abgelehnt und auf eine bloße Implikation von links nach rechts einschränken wollen.140 Ein Grund dürfte sein, daß die Äquivalenz einer Reduktion der Konsoziation im attribuierenden Gebrauch nahe kommt.141 Ein spezifischerer Grund ergibt sich, wenn man Castañedas Konzeption der kulturalisierten fiktionalen Entitäten akzeptiert. Dann gibt es nämlich mit Sicherheit wahre Aussagen der Art ‚C**unsere Kultur, t (Faust, Faust[u glaubt, daß Gretchen begehrenswert ist])‘, die wohl ebenfalls konsoziative Aussagen der Form ‚C**t (a, a[x glaubt, daß u F ist-j])‘ implizieren, aber keine konsubstantiative Aussage. Da ich in bezug auf die Wahrnehmungstheorie mit dem Konsoziationskonzept arbeiten möchte, folge ich hier der orthodoxen Linie, die nicht auf eine Re139
In meiner Alternativklausel habe ich zur Vorsicht „x??“ als Index geschrieben. – Daß der personale Index hier problematisch ist, erkennt man, wenn man probehalber einen anderen Index als „x“ setzt. ‚C**i, t (a, a[x glaubt, daß u F ist-j])‘ scheint eher eine Umsetzung von ‚i glaubt/denkt zu t, daß x von a glaubt, daß es F ist-j‘. 140 Siehe GuiseTheory, S. 135; Orilia schreibt „biconditional“ und „conditional“, da er sein Prinzip als objektsprachliches Axiomenschema formuliert. 141 Es ist kein Zufall, daß die Konsoziation in Orilias eigenem System keine Rolle spielt; siehe seine Erklärung in GuiseTheory, S. 136.
147 duktion der Konsoziation abzielt. B*(**).2 muß demnach zu einer bloßen Implikation abgeschwächt werden. Es fragt sich allerdings, ob es gar keine interessante Implikation von ‚C**t (a, a[x glaubt, daß u F ist-j])‘ gibt. Eine Aussage dieser Form scheint nur wahr sein zu können, wenn von x konsubstantiativ oder konsoziativ prädizierbar ist zu glauben, daß a F ist-j; also: ‚C**t (a, a[x glaubt, daß u F ist-j])‘ ⇒ ‚C*(x, x[u glaubt, daß a F ist-j]) ∨ ∃i∃tC**i, t(x, x[u glaubt, daß a F ist-j])‘ Das ähnelt dem Bedeutungspostulat, das ich hinsichtlich des halbweltlichen Gebrauchs der Konsoziation akzeptiert habe: Für gewisse R2: C*(a, a[R2ub]) .→. C*(b, b[R2au]) ∨ ∃i C**i(b, b[R2au]). Ich schlage daher ein allgemeines Prinzip für die Kopplung von Konsubstantiation und Konsoziation bei beliebigen relationalen Prädikationen vor: (REL*/**) Für gewisse R2 gilt: C*(a, a[R2ub]) ∨ C**(j,) t (a, a[R2ub]) .→. C*(b, b[R2au]) ∨ ∃i∃t C**i, t(b, b[R2au])142 Das gilt sowohl für weltliche als auch für intentionale R2. Allgemein gilt es für alle R2, die man als kontingent in dem Sinn bezeichnen kann, daß auf sie zutrifft: ‚MÖGLICH ∃x [∃y C*(x, x[R2uy]) ∧ ∃z C*(x, x[¬R2uz])]‘.143 Problem 2: Das zweite Problem hat R. Clark in T83Clark formuliert: ‚C*(a, a[u denkt an b])‘ ist unproblematisch, ebenso ‚C**(b, b[a denkt an u])‘. Doch was ist mit der konsubstantiativen Variante des letzteren, d.h. mit ‚C*(b, b[a denkt an u])‘? Wenn das logisch oder begrifflich falsch ist, dann enthalten Konsubstantiationsbündel niemals Gestaltungen mit Ker142
Darin sind im Grunde zwei Prinzipien, nämlich „C*(a, a[R2ub]) .→. C*(b, b[R2au]) ∨ ∃i∃t C**i, t(b, b[R2au])“ und „C**(j,) t (a, a[R2ub]) .→. C*(b, b[R2au]) ∨ ∃i∃t C**i, 2 t(b, b[R au])“, zusammengezogen. Es ist übrigens nicht einsichtig, daß allgemein gilt „C**j, t (a, a[R2ub]) → C**j, t(b, b[R2au])“. „i“ könnte für eine kulturalisierte Fiktion stehen, in der es eine von a bezeichnete Person und einen von „b“ bezeichneten Gegenstand gibt. Wenn „R2“ eine intentionale Relation bezeichnet, ist im Sukzedenz der Index „i“ unpassend. 143 Nicht in diesem Sinn kontingent wäre etwa eine Relation R2, die sich in der Form ‚R2xy := F1x ∧ (G1y ∨ ¬G1y)‘ analysieren läßt.
148 neigenschaften der Art von a gedacht werden oder von a für ein F gehalten werden. Wenn es wahr sein kann, dann folgt nach den Prinzipien der Konsubstantiation gegebenenfalls für jede beliebige Gestaltung g, die de facto mit b konsubstantiiert ist, auch ‚C*(g, g[a denkt an u])‘, obwohl sicherlich nicht für alle g auch ‚C**(g, g[a denkt an u])‘ wahr ist.144 Castañeda geht in T83ClarkAntwort auf viele Mißverständnisse Clarks ein, doch diese Frage entscheidet er nicht eindeutig. Sämtliche Eigenschaften der Art von a gedacht werden aus konsubstantiierten Gestaltungen auszuschließen wäre gänzlich ad hoc. Ich akzeptiere daher in einer Variante einen Vorschlag von Orilia und betrachte ‚C*(b, b[a denkt an u])‘ als äquivalent mit ‚∃x [C*(x, b) ∧ C**(b, b[a denkt an u])]‘.145
144
Siehe T83Clark, S. 113-14 und 128 Anm. 3a. Die Implikation ist genauer folgende: ‚C*(a, a[F]) ∧ C*(b, a)‘ impliziert wg. Transitivität von C* ‚C*(b, a[F])‘, und das impliziert aufgrund des Nachbarschaftsprinzips für C* ‚C*(b, b[F])‘. 145 Siehe Orilia, GuiseTheory, S. 132; er denkt eher an eine Äquivalenz mit ‚∃x [C*(x, b) ∧ C*(a, a[u denkt an b])]‘. Es ist wichtig, daß diese Äquivalenz nicht auch im Fall negierter Eigenschaften wie ¬(a denkt an u) gilt, sonst ergeben sich Widersprüche. Nach meiner Erläuterung reicht es für die Wahrheit von ‚C*(b, b[a denkt an u])‘ aus, daß a eine kulturalisierte fiktionale Figur ist und „der Legende nach“ an ein Individuum d denkt, das de facto dasselbe wie b ist. Man kann immerhin durchaus sagen, der 1142 m hohe Berg im Harz habe die Eigenschaft, daß Faust an ihn denkt, d.h. daß C*(der 1142 m hohe Berg im Harz, der 1142 m hohe Berg im Harz[Faust denkt an u]).
149
DREI Der erfahrungshafte und ausführungshafte Charakter von Bezugnahmen in der ersten Person Singular In diesem Teil möchte ich hauptsächlich die Besonderheit von Castañedas Auffassung der Semantik indexikalischer Ausdrücke, derzufolge ihre Verwendungen ‚ausführungshaft‘, ‚erfahrungshaft‘, ‚präsentational‘ und ‚kreativ‘ sind, an dem heiklen Fall des Indikators der ersten Person Singular diskutieren. In Abschnitt I erläutere ich Castañedas Sonderstellung unter den zeitgenössischen Theoretikern der Semantik der Indikatoren und erkläre, weshalb Castañedas These eines ausführungshaft-erfahrungshaftpräsentationalen Charakters im Fall des Indikators der ersten Person Singular dem großen Strom in der gegenwärtigen Semantik besonders entgegensteht. In Abschnitt II argumentiere ich eigenständig für diese These Castañedas. Den Schlachtplan erläutere ich am Beginn dieses Abschnittes. Das Hauptergebnis lautet, daß wir einen beobachtungsnahen Begriff von Episoden des Ich-Denkens haben müssen. In Abschnitt III schlage ich genauer vor, daß unabhängig davon, ob wir von uns selbst eine geistige oder eine sonstige Eigenschaft prädizieren, ‚ich‘-Bezugnahmen wesentlich mit einer Reorganisation der gesamten momentan durchlebten Erfahrungsepisode verbunden sind, die der Gesamterfahrung eine Ganzheits- und Organisationsgestalt verleiht. I. Castañedas These des erfahrungshaft-präsentational-ausführungshaften Charakters indexikalischer Bezugnahmen und ihre besondere Problematik hinsichtlich der ersten Person Singular 1. Castañeda unterscheidet indexikalische Ausdrücke von bloß kontextuellen aufgrund ihrer ausführungshaft-erfahrungshaften Rolle. Castañeda unterscheidet zwischen bloß kontextuellen und indexikalischen singulären Termen.1 Bloß kontextuelle Terme – er denkt hier an kontextuelle definite Beschreibungen wie „die Nachbarin mit der Perserkatze“ – 1
Siehe z.B. PhLI-I-Guises, S. 107-8.
150 gewinnen ihre Eindeutigkeit2 in einem Kontext möglicher Sprechakte bereits dadurch, daß die Umstände des Kontextes zu den allgemeinen Bedeutungen der Terme passen, die durch die Regeln eines Sprachsystems festgelegt sind. Indexikalische singuläre Ausdrücke hingegen, also Indikatoren oder Indikatoren enthaltende Beschreibungen, gewinnen einen Bezug in einem Kontext C erst durch die Ausführung („execution“) eines geeigneten Verwendungsaktes: „Briefly, a token T of an indexical singular term gains a referent by virtue of an actual experience lived through the tokening in context C of some sentence containing the token T.”3
Für Castañeda sind demnach indexikalische Bezugnahmen durch zwei Charakteristika ausgezeichnet: Sie sind ausführungshaft und erfahrungshaft.4 Beide Momente hängen eng zusammen. Wie aus anderen Stellen hervorgeht soll sich das ausführungshafte Moment nämlich nicht auf den Akt beschränken, ein Vorkommnis eines indexikalischen Ausdrucks zu erzeugen. Dann wäre es nämlich für die Semantik gleichgültig, ob man sich auf wirkliche oder auf bloß mögliche solche Zeichenerzeugungen bezieht. Der Gedanke ist vielmehr folgender: Bei einem bloß kontextuellen Ausdruck ist durch das Paar aus einem Kontext möglicher Zeichenverwendungen und der sprachlichen Bedeutung des Ausdrucks in abstracto eindeutig ein Bezugsgegenstand festgelegt; für diese Festlegung bedarf es keines besonderen Charakteristikums eines in dem Kontext tatsächlich stattfindenden Verwendungsaktes über die Bestimmung hinaus, daß es sich um die Verwendung eines Zeichens von dem-und-dem (disambiguierten) Typ handelt. Im Gegensatz dazu reicht es bei indexikalischen Ausdrücken für die Festlegung des Bezugsgegenstandes nicht aus, daß ein Kontext einer möglichen Verwendung des Zeichens spezifiziert wird. Vielmehr muß in dem Kontext, relativ zu dem der Bezugsgegenstand bestimmt werden soll, ein tatsächlicher Akt der Erzeugung des Zeichens stattfinden. Ein solcher 2
Siehe S. 107: „their singularity“; gemeint ist der Umstand, daß sie eindeutig auf etwas bezug nehmen. 3 Siehe PhLI-I-Guises, S. 107. Dem scheint allerdings eine Aussage in J/P-Indicators § 8, S. 66 entgegenzustehen, die ich hermeneutisch nicht integriert bekomme. Ich halte sie für nicht vereinbar mit Castañedas sonstiger Lehre. 4 Siehe PhLI-I-Guises, S. 108: „executional and experiential“.
151 Verwendungsakt ist deswegen erforderlich ist, weil das Zeichenexemplar in eine derartige Beziehung mit der gerade durchlebten Erfahrung treten muß, daß die Erfahrung selbst auf eine für den Ausdruckstyp charakteristische Weise modifiziert wird. Die bei der Verwendung demonstrativer Ausdrücke in Episoden visueller Wahrnehmung nötige Transformation bestimmt Castañeda beispielsweise kurz in folgender Aussage: „... if one is to perceive an object one has to create a boundary within the visual field, cutting off a visual sector as a here, as a there, or as a yonder. Within that sector what is seen is perceptually individuated, and established as a this or a that.“5
Seine Verwendung der Adjektive, mit denen er indexikalische Bezugnahmen auszeichnet, ist nicht ganz einheitlich. Der Übersichtlichkeit zuliebe wage ich hier vorausschauend einen Differenzierungsvorschlag: Indexikalische Bezugnahmen werden ausgezeichnet als: i. „performative“/„executive“: Es ist ihnen (im Kontrast zu bloß kontextuellen Bezugnahmen) wesentlich, daß im Rahmen einer besonderen geistigen Aktivität tatsächlich ein Vorkommnis des Indikators erzeugt wird; ii. „experiential“: Es ist wesentlich, daß die Zeichenverwendung mit einer manifesten Erfahrungsepisode einherheht (auch im Kontrast zu einer bloßen Disposition zur Informationsaufnahme, die in einem schwächeren Sinn als ‚erfahrungshaft‘ bezeichnet werden kann; siehe die Absetzung von Evans und Recanati unten); iii. „reference to item presented in experience“6: (a) das Verhältnis des erzeugten Zeichens zur aktualen Erfahrungsepisode hat den besonderen Charakter des Präsentseins oder Gegenwärtigseins von etwas der Erfahrung Internem in dieser Episode; (b) das Gegenwärtigsein im Sinne von (a) ist typischerweise in einem weiteren Sinn ein Gegenwärtigsein eines ganzen weltlichen Gegenstandes, etwa eines gesehenen Dinges, auf das man demonstrativ bezug nimmt, oder der eigenen Person, auf die man in der ersten Person singular Bezug nimmt. iv. „creative“: Das im Sinne von (iii.a) Präsente wird in der geistigen Aktivität, zu der im Sinne von (i) die Erzeugung eines indexikalischen Zeichens gehört, erst hervorgebracht; freilich nicht aus dem Nichts, sondern 5 6
Siehe T86SelfProfile, S. 111. Siehe J/P-Indicators, S. 67.
152 auf der Grundlage des in der Erfahrungsepisode Enthaltenen, so daß die Rede von einem Hervorbringen in unterschiedlichem Grade angemessen sein kann.7 Darin, daß er die erfahrungshafte Rolle indexikalischer Bezugnahmen betont, identifiziert Castañeda den Hauptunterschied seiner Auffassung der Semantik und Pragmatik der Indikatoren zu David Kaplans ‚exzellenter‘ Semantik für Indikatoren8. Ein speziellerer Unterschied zeigt sich jedoch, wenn man Castañedas Gegensatz von bloß kontextuellen und indexikalischen Ausdrücken mit Kaplans Unterscheidung zwischen reinen Indikatoren und echten Demonstrativa vergleicht. Nach Kaplan bedürfen die echten Demonstrativa9 eines mit ihnen assoziierten Zeigens10, um im Kontext den allgemeinen sprachlichen Regeln gemäß einen Bezugsgegenstand zugeordnet zu bekommen, typischerweise einer visuellen Präsentation eines nahen Objektes, das durch eine Zeigegeste unterschieden wird.11 Von den reinen Indikatoren gilt hingegen, daß die sprachlichen Regeln, die ihren Gebrauch beherrschen, für jeden Kontext vollständig den Bezugsgegenstand bestimmen.12 Kaplans Verweis auf eine visuelle Präsentation deutet an, daß er hinsichtlich echter Demonstrativa den erfahrungshaften Aspekt keineswegs gänzlich ignoriert. Wenn er später in den Afterthoughts die Wichtigkeit des äußerlichen Zeigens zugunsten der ausrichtenden Intentionen13 des Zeichenverwenders zurücknimmt, vergrößert er eher die Diskussionsgrundlage mit Castañeda.14 7
Gelegentlich scheint der kreative Aspekt schon in (i) ‘ausführungshaft’ mitgemeint zu sein; siehe etwa J/P-PilotAntwort, S. 117 Anm.: „... executive role of creating indexical guises”. 8 Siehe J/P-Objects, S. 117 Anm. 9 Siehe Dem, S. 490: „true demonstratives“. 10 Siehe S. 490: „demonstration“. 11 Siehe Dem., S. 490: „typically, though not invariably, a (visual) presentation of a local object discriminated by a pointing.“ 12 Siehe Dem., S. 491. 13 Siehe Afterthoughts, S. 588: „directing intentions“. 14 Siehe Afterthoughts, S. 582: „I am now inclined to regard the directing intention, at least in the case of perceptual demonstratives, as criterial, and to regard the demonstration as a mere externalization of this inner intention.“ Die Übereinstimmung liegt nicht darin, daß Kaplan die Bedeutung des Faktums des äußeren Zeigens zugunsten einer Kommunikationsintention zurücknimmt. Vielmehr muß der inneren Absicht,
153 Dessen Identifizierung des Unterschiedes zu Kaplans Theorie wird jedoch in spezieller Weise nachvollziehbar, wenn man folgendes registriert: Für ihn ist das erfahrungshafte und damit zusammenhängend das ausführungshafte Moment wesentlich für sämtliche gewöhnlich als solche bezeichneten Indikatoren, während Kaplan einige von ihnen, darunter den Indikator der ersten Person Singular ‚ich‘, als ‚reine‘ Indikatoren bezeichnet und ihre Semantik bemerkenswert ähnlich beschreibt wie Castañeda die der nichtindexikalischen kontextuellen Termini. Ihre sprachliche Bedeutung soll nämlich allein in jedem Kontext den Bezugsgegenstand festlegen, ohne daß eine Verwendung des Zeichens und mit ihr verknüpfte besondere Leistungen des Verwenders im Kontext nötig sind. In der zitierten Stelle schildert Castañeda den ausführungshaften Charakters von demonstrativen Bezugnahmen, die mit einer visuellen Wahrnehmung verbunden sind, etwas konkreter dahingehend, daß eine Grenze innerhalb des visuellen Feldes hervorgebracht und es dadurch in Sektoren unterteilt wird, die ein Hier, ein Dort und ein Jenseits sind, und erst so das in einem Sektor Gesehene als ein Dies oder Jenes etabliert (established) wird. Angesichts dieser exemplarischen Bestimmung der Weise, wie bei Verwendungen von Indikatoren die durchlebte Erfahrung modifiziert werden muß, dürften viele zu der Ansicht neigen, daß gerade für kompetente Verwendungen eines prominenten Indikators, nämlich des Pronomens der ersten Person Singular ‚ich‘, keinerlei vergleichbare kreative Erfahrungsmodifikation erforderlich ist. Ihnen wird daher Kaplans Angebot attraktiv erscheinen, in diesem Fall auf jede Ergänzung der sprachlichen Bedeutung zu verzichten, wie sie für die echten Demonstrativa typisch ist. Castañeda rechnet demgegenüber das Pronomen der ersten Person Singular nicht bloß zu den Indikatoren, für die das ausführungshaft-erfahrungshafte Moment wesentlich ist, sondern er bemerkt sogar, unsere ausführende und kreative Rolle in der Bezugnahme sei in diesem Fall besonders komplex.15 jemandem etwas über ‚das da‘ mitzuteilen, doch irgendein innerer (geistiger) Zustand zugrunde liegen, der keine Handlungsabsicht ist, sondern auf gewisse Weise den Gegenstand festlegt, über den man zu sprechen beabsichtigt – etwa ein Zustand der Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Teil des Sehfeldes. 15 Siehe T86SelfProfile, S. 112: „In brief, although in general with less complexity than in the case of the I-guises, we have an executive or creative role in the determination of our own indexical guises.“
154 Allerdings gibt es Weiterentwicklungen der von Kaplan entwickelten Theorie der direkten Bezugnahme der Indikatoren, in denen auch der Bezugnahme in der ersten Person Singular etwas zugeschrieben wird, was man als ein erfahrungshaftes Moment bezeichnen kann. Im Kontrast zu solchen Varianten wird deutlich, in welcher besonderen Weise Castañeda den ausführungs- und erfahrungshaften Charakter von Bezugnahmen mit dem Indikator ‚ich‘ (in seinen verschiedenen Kasus)16 versteht. Beispielsweise lassen sich an F. Recanatis Variante zwei zentrale Thesen herausstellen. Erstens vertritt er einen Dualismus von sprachlicher und psychologischer Präsentationsweise eines Bezugsgegenstandes.17 Die sprachliche Präsentationsweise ist schon durch konventionelle Sprachregeln18 mit Verwendungen des Indikators ‚ich‘ verbunden. Sie identifiziert den Bezugsgegenstand vorkommnis-reflexiv19, nämlich als denjenigen, der das jeweilige Vorkommnis von ‚ich‘ äußert. Doch diese vorkommnisreflexive Weise kann nach Recanati nicht auch die Weise sein, auf die man
16
Ich spreche im weiteren oft kurz von ‚ich‘-Bezugnahmen. Überhaupt werde ich zur Abkürzung Bezeichnungen für sprachliche Zeichen, geistige Zustände oder Akte und ihre Gehalte durch den Vorsatz ‚ich‘- spezifizieren. So ist ein ‚ich‘Vorkommnis ein Vorkommnis des Indikators ‚ich‘; ein ‚ich‘-Satz ist ein Satz des Deutschen, der den Indikator ‚ich‘ (in irgendeinem Kasus) enthält; eine ‚ich‘Bezugnahme ist eine Bezugnahme mit dem Indikator ‚ich‘; ‚ich‘-Überzeugungen oder ‚ich‘-Urteile sind solche, die sich korrekt mit einem ‚ich‘-Satz ausdrücken lassen; ein ‚ich‘-Charakter ist der kaplansche semantische Charakter eines ‚ich‘-Satzes. Im Deutschen kann man ‚ich‘-Sätze wohl in der angegebenen Art definieren. Aber es ist für die Sache unerheblich, ob auch andere Sprachen ein spezielles Wort haben, dessen grammatische Formen alle Bezugnahmen in der ersten Person singular abdecken; das zeigen schon typische lateinische Sätze in der ersten Person singular, etwa: „Ceterum censeo...“ 17 Siehe DirectReference, Ch. 4.; „linguistic“ bzw. „psychological mode of presentation“. Ich übersetze hier mit ‚Präsentationsweise‘, damit die theoretischen Differenzen zu Freges Wendung „Art des Gegebenseins”, verkürzt „Gegebenheitsweise”, nicht verwischt wird. Ich folge außerdem möglichst nah der englischen Formulierung, obwohl inhaltlich betrachtet „psychisch” das bessere Pendant zu „sprachlich” wäre als „psychologisch”. 18 Siehe DirectReference, S. 69 Punkt 1. 19 „token-reflexive words“, siehe Hans Reichenbach, Elements, S. 284f.; deutsch: Grundzüge, S. 269ff.
155 auf sich selbst bezogen ist, wenn man etwas durch einen ‚ich‘ enthaltenden Satz Ausdrückbares denkt oder glaubt20: „I think of myself as myself, not as the utterer of such and such a token.“21
Zweitens greift er hinsichtlich der psychologischen Präsentationsweisen, die ein solches Denken oder Glauben kennzeichnen, Gareth Evans‘ Vorschlag auf, durch indexikalische Sätze ausdrückbare Gedanken seien informationsfundiert22. Recanati bezeichnet die durch Indikatoren ausdrückbaren psychologischen Präsentationsweisen als egozentrische Konzepte23. Um in einer derartigen Weise an einen Gegenstand zu denken, muß man zu ihm in einer solchen kausalen Beziehung stehen, die einem perzeptive (im Gegensatz zu deskriptiven) Informationen über ihn zu erhalten erlaubt (S. 119). Das dem Indikator ‚ich‘ korrespondierende egozentrische Konzept Ego soll jedoch zu einer Teilklasse von Konzepten gehören, bei denen man perzeptive Informationen nicht wirklich erhalten, sondern zur Informationsaufnahme nur disponiert sein muß. Dieses Disponiertsein zur Aufnahme perzeptiver Informationen ist das Moment, das man als ‚erfahrungshaft‘ bezeichnen kann und um das Recanati Kaplans Theorie erweitert hat.24 Ganz eindeutig denkt jedoch Castañeda keineswegs an eine Disposition, wenn er als wesentlichen Zug indexikalischer Bezugnahmen herausstellt, bei der Verwendung des Zeichens müsse eine wirkliche Erfahrung durchlebt werden.25 Daß es ihm bei der Erfahrungshaftigkeit gerade auf den nicht-dispositionalen Charakter ankommt, zeigt der Kontext, in dem er seine Differenz zu Kaplan angibt. Wieder mit Blick auf visuelle Wahrnehmung stellt er fest: „... to perceive is to make singular references to items presented as parts of a whole and unified field. That presentedness is the nuclear element in the meaning of demonstratives.“ „This experiential role [of indexical ref-
20
Recanati schreibt als Nomen „belief“ und als Verb „(to) think“, ohne inhaltlich zu unterscheiden, etwa DirectReference, S. 71. 21 Siehe DirectReference, S. 71. 22 „information-based“; Evans führt den Begriff in Varieties, Kapitel 5 ein. 23 DirectReference, S. 119: „egocentric concepts“. 24 Vgl. Evans, Varieties, S. 161 und 207. 25 Vgl. das Zitat oben aus PhLI-I-Guises, S. 107.
156 erence] is the main difference between David Kaplan’s excellent semantics for indicators and my views.“26
Der zweite Satz paßt nur zum ersten, wenn die erfahrungshafte Rolle jeglicher indexikalischer Bezugnahme in etwas ganz Ähnlichem wie dem besteht, was er hinsichtlich der Demonstrativa als Präsentiertsein von Elementen im Wahrnehmungsfeld bezeichnet. Für das Präsentierte Etwas im Fall der Bezugnahme in der ersten Person Singular hat er eine vortheoretische Bezeichnung: Er nennt es das Subjekt einer Erfahrung.27 Die Theorie identifiziert solche Subjekte mit Ich-Gestaltungen.28 Mit dieser Auffassung befindet sich Castañeda im gegenwärtigen Diskurs der analytisch arbeitenden Sprach- und Geistesphilosophie in einer besonderen Lage. Einerseits werden sich zwar viele der Beteiligten unter einem präsentational-erfahrungshaften Zug demonstrativer Bezugnahmen noch etwas vorstellen können. Daß aber Bezugnahmen in der ersten Person Singular an die Präsentation eines Subjektes der durchlebten Erfahrung gebunden sein soll, dürften die meisten als schwer nachvollziehbares, nicht leicht verständliches und etwa wegen des gut entwickelten Konzeptes der direkten Bezugnahme unnötiges Theorem empfinden. Andererseits ist der präsentationale Charakter von Bezugnahmen mit dem Indikator ‚ich‘ für Castañedas Gesamttheorie ausgesprochen wichtig. Denn ohne ihn wäre nicht nur die These von der wesentlich präsentational-erfahrungshaften Rolle aller indexikalischen Bezugnahmemechanismen unhaltbar. Sondern die unter den Indikatoren besondere Rolle, die ‚ich‘ zusammen mit ‚hier‘ und ‚jetzt‘ im sogenannten transzendentalen Präfix „Ich denke hier und jetzt, daß...“ spielen soll, erfordert in Castañedas Deutung ein präsentationales Moment. 2. Vorhaben: eine eigenständige Argumentation für das präsentationale Moment bei ‚ich‘-Bezugnahmen. Um Castañedas Position zu stärken, ist es angesichts dieser Diskussion wünschenswert, daß sich eine speziell auf das präsentationale Moment von ‚ich‘-Bezugnahmen abzielende Argumentation vortragen läßt, die auf ver26
Siehe J/P-Objects, S. 117 und 117 Anm. Siehe etwa PhLI-I-Guises, S. 106. 28 Siehe PhLI-I-Guises, S. 106: „An I-guise is the subject of an experience...“. 27
157 breitete theoretische Konzepte eingeht. Eine solche Argumentation muß sich auf der Ebene der Proto-Philosophie abspielen, da sie den präsentationalen Charakter nur in vortheoretischen Begriffen und keineswegs in der spezifisch gestaltungstheoretischen Form zu etablieren unternehmen kann. Vor dem Hintergrund von Castañedas theoriepluralistischer Haltung kann der Anspruch nur sein zu zeigen, daß jede Theorie diesem Charakter in einer ihr möglichen Form gerecht werden muß, was allerdings auch mehr oder weniger einschneidende Revisionen von Theorien erzwingen kann. Allerdings muß eine derartige Argumentation hinter Castañedas Anforderungen an protophilosophische Untersuchungen zurückbleiben: Sie wird erstens nicht auf eine systematische Theoriebildung abzielen, sondern ziemlich isoliert auf den präsentationalen Charakter von ‚ich‘Bezugnahmen. Zweitens wird sie dementsprechend keine umfangreichen Daten berücksichtigen können, sondern sich auf wenige unmittelbar ‚ich‘Bezugnahmen betreffende Phänomene konzentrieren. Drittens wird sie nicht auf das Ideal der theorieunabhängigen Datenauswertung ausgerichtet sein können, sondern die aufgezeigten Phänomene mit verbreiteten theoretischen Annahmen konfrontieren. Im folgenden werde ich eine Argumentation vortragen, die der phänomenalen Grundlage sowie dem Ziel nach an Castañedas Ausführungen orientiert ist, in der ich jedoch eigene begründende Schritte gehen muß. Ein Vorteil der Argumentation ist, daß sie das präsentationale Moment nicht in abstracto rechtfertigt, sondern zu ihm nur in einer Weise gelangt, die Züge der mit Verwendungen von ‚ich‘ verkoppelten Präsentation, die für Castañeda fundamental sind, mit entwickelt und so zu einem guten Ausgangspunkt für eine detaillierte Theoriebildung führt. Im Zusammenhang mit dem vortheoretischen Status der Argumentation möchte ich einer möglichen Irritation über die bereits verwendete Terminologie begegnen. Die angegebenen Stellen zeigen, daß Castañeda unter dem erfahrungshaften und dem präsentationalen Charakter indexikalischer Bezugnahmen dasselbe versteht. Das Substantiv „Präsentation“ scheint jedoch nur auf eine relationale Struktur zu passen, gleichgültig ob es ein Ereignis des Präsentierens oder das dabei Präsentierte bezeichnen soll. Die relationale Konnotation von „Präsentation“ wird deutlich bei Russell:
158 „... I think the relation of subject and object which I call acquaintance is simply the converse of the relation of object and subject which constitutes presentation“.29
Demgegenüber ist die relationale Konnotation von „Erfahrung“ zumindest dann schwach, wenn man damit – der angelsächsischen Tradition des Gebrauchs von „experience“ entsprechend – eine sensorische oder basale perzeptuelle Episode meint und nicht etwa – der kantianischen Verwendungstradition gemäß – einen auf solche Episoden gestützten Akt der Begriffsanwendung. Castañeda selbst verwendet Formen von ‚präsentieren‘ eindeutig relational. Eine typische Formulierung findet sich in folgender Frage: „But what exactly is that I content one is presented to in episodes of selfconsciousness?“30
Es besteht kein Zweifel, daß die Relationalität zu seiner Theorie gehört, und sicherlich sieht er sie durch die Daten motiviert. In der gesamten eigentlichen Argumentation, die ich im folgenden vortragen werde und die zur prototheoretischen Ebene gehören soll, werde ich jedoch von dem relationalen Aspekt absehen. Sie zielt nur auf das Ergebnis ab, daß mit ‚ich‘Bezugnahmen wesentlich Erfahrungsepisoden verknüpft sind, die eine spezielle vereinheitlichende Form aufweisen. Deshalb sollte dieses Ergebnis auch von denen rezipiert werden können, die sich nur zu nicht-relationalen wesentlichen Eigenschaften von Erfahrungsepisoden durchringen können. II. Die begriffliche Falschheit der Beispielaussage (BA) als Datum und das Problem ihrer Erklärung Der Schlachtplan dieses Abschnittes ist folgender: In Unterabschnitt 1 präsentiere ich als Datum den Umstand, daß wir Äußerungen einer Beispielaussage (BA) schlichtweg als falsch zurückweisen, und argumentiere, daß dies die begriffliche Falschheit von (BA) belegt. Diese begriffliche Falschheit läßt sich nicht erklären, wenn man als Beitrag von ‚ich‘ zur Gesamtbedeutung einer Aussage nur den kaplansche ‚semantische Charakter‘des Indikators annimmt. In Unterabschnitt 2 wende ich mich D. Lewis‘ 29 30
Siehe Acquaintance, S. 201. Siehe PhLI-I-Structures, S. 268.
159 funktionalistischer Auffassung zu, die grundsätzlich geeignet ist zu erklären, wie statt dessen ein so reichhaltiger Beitrag zur Gesamtbedeutung von (BA) erbracht werden kann, daß sich tatsächlich ihre begriffliche Falschheit ergibt. Lewis gibt selbst ein Beispiel für eine Art von theoretischer Klausel, nämlich die Infallibilitätsklausel, die innerhalb einer Alltagstheorie des Geistes begriffliche Wahr- oder Falschheiten in bezug auf mentales Vokabular konstituieren kann. Mit einigen Modifikationen könnte sie tatsächlich für die begriffliche Falschheit von (BA) sorgen. Dazu muß die Klausel aber gewährleisten, daß ein Wesen, das zu propositionalen Einstellungen fähig ist, die jedenfalls auch Einstellungen zu einem kaplanschen ‚ich‘-Charakter sind, auch die prinzipielle, aber allgemeine Fähigkeit besitzen muß, einen bestimmten Bereich seiner eigenen Zustände zu erkennen. Diejenige Theorie, die plausiblerweise die des Alltagsverstandes sein kann, löst dieses Verbindungsproblem jedoch nicht ohne weiteres. Unterabschnitt 3 zeigt, daß der Funktionalist das Verbindungsproblem nur durch folgende Annahme lösen kann: Die Alltagstheorie des Geistes enthält eine Verbindungsklausel, derzufolge ein Wesen die Fähigkeit zu Einstellungen mit ‚ich‘-Charakter (d.h. in etwa: die Fähigkeit zum Selbstbewußtsein) immer zusammen mit der allgemeinen Fähigkeit zur Selbsterkenntnis besitzt, und diese Klausel erfüllt zwei Striktheitsanforderungen. Es ergibt sich, daß eine derart strikt verstandene Verbindungsklausel vernünftigerweise nur dann in der Alltagstheorie enthalten sein kann, wenn der Alltagsverstand annimmt oder unterstellt, die Selbstbewußtseins- und die Selbsterkenntnisfähigkeit sei in Wahrheit eine einzige Fähigkeit. Am Analogon zweier physikalischer Größen, der dynamischen und der schweren Masse, zeigt sich, daß sie erst aufgrund einer äußerst aufwendigen und beobachtungsfernen Einsichttheoretisch identifiziert werden konnten. Das sind aber andere epistemische Bedingungen, als sie an die Alltagstheorie des Geistes gestellt werden können. Der Alltagsverstand wäre demnach extrem unvernünftig, wenn er angesichts seiner epistemischen Situation die strikt verstandene Verbindungsklausel in seine Theorie aufgenommen hätte. Meine Konsequenz aus dem vorigen ist, daß sich die begriffliche Falschheit von (BA) nur erklären läßt, wenn man anstelle eines common sense-theoretischen einen beobachtungsnahen Begriff des Selbstbewußtseins annimmt. Das ist die Grundlage für den dritten Abschnitt.
160 1. Die begriffliche Falschheit der Beispielaussage (BA) 1.a Die im Alltagsdiskurs zu erwartende Reaktion auf die Aussage (BA) belegt ihre begriffliche Falschheit. Angenommen ich treffe Mark. Er hält sich die Wange und zeigt ein konstant verzerrtes Gesicht. Das bringt mich auf den Gedanken, daß er Zahnschmerzen hat, und anteilnehmend frage ich ihn danach. Mark antwortet: „Keine Ahnung. Da müßte ich zuerst meinen Zahnarzt fragen.“ Ich weise Mark irritiert darauf hin, daß er doch keinen Arzt benötigt, um die Frage beantworten zu können, sondern das einfach so feststellen kann. Doch Mark beharrt: „Ich habe schon davon gehört, daß andere Leute dies können. Sehr praktisch. Aber bei mir ist es anders: Wenn ich wissen möchte, ob ich Zahnschmerzen habe, muß ich einen Zahnarzt fragen.“ Die folgende etwas stilisierte Fassung bezeichne ich als Beispielaussage: (BA)
Die einzige mir verfügbare Weise zu wissen, ob ich gerade Zahnschmerzen habe, besteht darin, daß ich einen Zahnarzt konsultiere.
Ich beanspruche, daß meine folgende Reaktion auf Marks Äußerung stellvertretend für die eines nicht allzu naiven Alltagsverstandes steht: Ich gestehe Mark die behauptete Anormalität weder zu, noch ziehe ich in Betracht, daß eine solche Sonderbarkeit wohl vorkommen könnte, jedoch eine derart krasse Abweichung darstellte, daß mein Schulfreund angesichts seiner insgesamt ganz gesunden Erscheinung davon nicht betroffen sein kann. Vielmehr erwäge ich allenfalls, daß der Kollege seine Ausdrücke nicht in der gewöhnlichen Weise verwenden könnte, vielleicht weil ihn ein längerer Auslandsaufenthalt des Deutschen entwöhnt hat; ansonsten aber weise ich seine Aussage schlichtweg als falsch zurück. Die Zurückweisung ist derart trivial und so offensichtlich nicht auf die Kenntnis einer empirisch-psychologischen oder neurophysiologischen Gesetzmäßigkeit gestützt, daß die Deutung berechtigt ist, (BA) sei begrifflich falsch. Man muß allerdings zwei Sorten von Bedenken gegen diese Deutung berücksichtigen. Erstens könnte jemand zwar zugestehen, daß man sich bei der Zurückweisung von (BA) auf eine begriffliche Beziehung stützt, jedoch unsicher sein, ob die Beziehung nicht doch krasse Ausnahmefälle zuläßt. Immerhin ken-
161 nen Psychologen, Psychiater und Neurophysiologen die seltsamsten Krankheitsbilder. Sicherlich hat der Alltagsverstand von einer solchen Ausnahme keinen positiven Begriff, aber wenn er nicht allzu naiv ist, könnte er pauschal mit krassen Krankheitsfällen rechnen. Man muß aber dieses Bedenken richtig einordnen und methodisch vorsichtig vorgehen. Es ist gänzlich durch die Erfahrung des Philosophen motiviert, daß die Wissenschaften mit äußerst erstaunlichen Resultaten zu Fall bringen können, was der Alltagsverstand als strikte Gesetzmäßigkeit verkündet hat. Und methodisch betrachtet besteht nicht einseitig die Gefahr, daß man die Striktheit der begrifflichen Beziehung überinterpretiert, die der Reaktion des Alltagsverstandes zugrunde liegt. Es besteht ebenso sehr die Gefahr, daß man wirkliche oder als möglich plausibilisierte wissenschaftliche Fälle leichtfertig als Ausnahmen hinstellt, ohne daß es wirklich Ausnahmen zu dem vom Alltagsverstand gemeinten Zusammenhang sind. Wer jedoch die geschilderte Situation überdenkt, wird Schwierigkeiten haben, an der Reaktion des gewöhnlichen Verstandes auszuweisen, daß er krasse Ausnahmen zuläßt, so daß zunächst einmal ein positiver Beleg für eine strikt geltende begriffliche Beziehung vorliegt. Eine weitere Abwägung wäre an dieser Stelle nicht erfolgversprechend. Ich gehe daher im Umgang mit diesem Bedenken folgendermaßen vor: Ich werde in der weiteren Argumentation die Annahme zugrunde legen, daß (BA) eine schlichte begriffliche Falschheit ist. Unter dieser Annahme wird meine Argumentation schließlich zu einem Vorschlag führen, wie der Alltagsverstand auf vernünftige Weise zu den dahinter liegenden strikten begrifflichen Beziehungen gelangt und was er genauer damit meint. Sobald der Vorschlag vorliegt, wird auch deutlich werden, wie er Platz für absonderlichste Krankheitsfälle läßt und so den Bedenken des Philosophen Rechnung zu tragen erlaubt, ohne daß aber an den für die Falschheit von (BA) relevanten begrifflichen Beziehungen gekratzt werden muß. Ich erhebe also den Anspruch, daß mein unter der Annahme der schlichten begrifflichen Falschheit entwickelter Vorschlag dem doppelten Datum, daß wir Aussagen wie (BA) im Alltag schlichtweg zurückweisen und daß man zugleich aus einer reflektierten Position heraus Ausnahmen nicht ausschließen möchte, besser gerecht wird, als wenn man einfach die schlichte begriffliche Falschheit von (BA) fallen läßt.
162 Zweitens kann man bezweifeln, ob es sich wirklich um eine begriffliche Falschheit handelt. Vielleicht gibt jemand zu, daß es begriffliche Wahrheiten und Falschheiten gibt, meint aber im vorliegenden Fall, die Falschheit von (BA) beruhe auf einer schwächeren Beziehung, vielleicht einer alltagspsychologischen Gesetzmäßigkeit. Oder jemand bestreitet generell, daß es eine Unterscheidung zwischen begrifflichen und sonstigen Wahrheiten und Falschheiten gibt. Ich kann solche Bedenken undiskutiert lassen, da der Status der begrifflichen Falschheit in der Diskussion nicht den eigentlichen Streitpunkt ausmachen wird und sowohl die diskutierten Versuche als auch mein abschließender Vorschlag die relevanten begrifflichen Beziehungen auf eine Weise zu erklären unternehmen, auf die auch eine eventuelle schwächere Verknüpfung erklärbar ist. Wenn man die begriffliche Falschheit von (BA) zugesteht, bekundet man kein übertriebenes Vertrauen in die Fähigkeit, sich einfach so über die eigenen Zahnschmerzen klar zu werden. Zum einen ist noch ganz offen, wie genauer die Einfach-so-Weise zu verstehen ist; deshalb vermeide ich den bei manchen allergische Reaktionen auslösenden Ausdruck „Introspektion“. Zum anderen ist die begriffliche Falschheit von (BA) vereinbar damit, daß die Einfach-so-Weise allzu allgemeine, unpräzise oder fallible Ergebnisse liefert. Der Punkt ist einfach, daß die ebenfalls fallible Zahnarztbefragung nicht die einzige Mark verfügbare Weise ist herauszufinden, wonach ich ihn gefragt habe. Ein kleiner Test zeigt, daß die Formulierung in der ersten Person für die begriffliche Falschheit von (BA) nicht wesentlich ist, sondern eine entsprechende Aussage in der dritten Person ebenfalls diese Eigenschaft besitzt. Allerdings muß dabei das in die Zuschreibungskonstruktion „... herauszufinden, ob...“ eingebettete Vorkommen von ‚ich‘ durch den QuasiIndikator „er*“ ersetzt werden: (BA-2)
Die einzige Mark verfügbare Weise festzustellen, ob er* gerade Zahnschmerzen hat, besteht darin, daß er einen Zahnarzt konsultiert.
163 Die Parallelität von (BA) und (BA-2) legt die Deutung nahe, daß das eingebettete ‚ich‘ in (BA) nur eine lexikalische Variante des Quasi-Indikators „er*/sie*“ ist. Ich lasse hier offen, ob das die ganze Wahrheit ist.31 Mit einem Prädikat wie „... stellt fest, ob er* gerade Zahnschmerzen hat“ schreibt man jemandem sicherlich keine tatsächliche Verwendung eines Satzes zu, der den Indikator ‚ich‘ enthält, aber doch den Erwerb oder das Explizitmachen eines Wissens, das er im Deutschen durch Verwendung eines solchen Satzes ausdrücken könnte. Daher ist es ausgeschlossen, daß das Wissen in gar keiner erhellenden Weise durch die sprachliche Bedeutung eines derartigen Satzes charakterisiert werden kann. Für die weitere Diskussion hat es den Vorteil der Vereinfachung, ohne daß ein Nachteil erkennbar wäre, wenn sich die sprachlichen Bedeutungen indexikalischer Sätze so konzipieren lassen, daß sie prinzipiell auch als Gehalte intentionaler geistiger Zustände in Frage kommen. Ich werde mich deshalb an David Kaplans ursprünglicher Fassung der Theorie der direkten Bezugnahme der Indikatoren orientieren, die diese Vereinfachung ermöglicht, und nicht an Recanatis Versionen, die die sprachliche Bedeutung in einem strengeren Sinne als vorkommnis-reflexiv konzipieren, indem sie den Bezugsgegenstand durch eine Relation zu einem wirklichen Vorkommen eines sprachlichen Zeichens bestimmen lassen. Kaplans Fassung besitzt den weiteren Vorteil, daß sie eine mit üblichen modelltheoretischen Mitteln aufgebaute Theorie der Semantik indexikalischer Sätze und speziell darauf zugeschnitten ist, die für solche Sätze besonderen logischen Eigenschaften zu erklären, etwa die logische Wahrheit des Satzes „Ich bin jetzt hier“. Kaplan spricht von einer logischen Wahrheit in der Logik der Demonstrativa32. Damit eignet sich die Theorie gut als Ausgangspunkt einer Untersuchung, wie sich die begriffliche Falschheit von (BA) und (BA-2) erklären läßt. Sie erlaubt nämlich, in einem allerersten Schritt zu prüfen, ob sich diese begriffliche Falschheit schon ergibt, wenn man annimmt, das eingebettete ‚ich‘ beziehungsweise das eingebettete „er*“ trage zur Bedeutung der beiden Gesamtaussagen nichts 31
Siehe Castañedas These, ein „cartesisch“ eingebettetes ‚ich‘ weise eine Ambiguität auf, so daß es sowohl als Indikator als auch als Quasi-Indikator verstanden werden kann, in J/P-Indicators, S. 82-87. Siehe kritisch dazu Spitzley Facetten, 192-202. 32 Siehe Dem., S. 538; „logical truth (in the logic of demonstratives)“.
164 weiter als die von der Theorie vorgesehene sprachliche Bedeutung des Indikators ‚ich‘ bei.33 Nach Kaplan ist mit der Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks ein doppelter Gehalt verbunden: Erstens muß der Verwendung eines Aussagesatzes ein Gehalt zugewiesen werden, der einen absoluten Wahrheitswert besitzt. Wie üblich wird dieser „absolute“ Wahrheitswert dem Gehalt tatsächlich relativ zu einer möglichen Welt zugeordnet. (Bei Kaplan ist die Zuordnung außerdem relativ zu einer Zeitstelle, doch dieses Spezifikum werde ich hier ignorieren.) Auch Verwendungen subsentenzieller Ausdrücken wird ein Gehalt zugeordnet, den man als den Beitrag dieser Teilverwendung zum Gehalt des Gesamtsatzes verstehen kann. Kaplan nennt diese Sorte von Gehalt „content“. Im Deutschen kann man vom wahrheitsdefiniten Gehalt oder kurz vom W-Gehalt sprechen. Die Besonderheit indexikalischer Sätze besteht darin, daß die W-Gehalte von Verwendungen desselben Satzes nicht identisch sein können, da sie verschiedene Wahrheitswerte besitzen. Deshalb postuliert Kaplan zweitens eine mit Zeichentypen verbundene Sorte von Gehalten, die er als „character“ bezeichnet. Im Deutschen werde ich diese Sorte semantischen Charakter nennen34. Intuitiv besteht der semantische Charakter eines Indikators in einer Regel, die es erlaubt, zu jeder Verwendung des Ausdrucks den W-Gehalt zu finden. Der genannte dritte Vorteil, daß die mit Zeichentypen verbundene semantische Einheit, die deswegen plausibel als sprachliche Bedeutung betrachtet werden kann, auch zur Charakterisierung von Denken und Glauben dienen kann, ergibt sich aus Kaplans technischem Konzept von einzelnen Vorkommnissen von Ausdrücken. Ein solches Vorkommnis35 ist für Kaplan 33
Vgl. Recanati, S. 67: „In this picture, which I call the ‚Simplified Picture‘, the narrow content of the thought expressed by an utterance is the meaning of the uttered sentence... ... Kaplan and Perry used ‚character‘ (or equivalent expressions such as ‚sense‘ and ‚role‘) interchangeably to mean the meaning of the sentence or the narrow content of the thought expressed by the utterance.“ Recanati bezieht sich hier auf John Perrys Frege on Demonstratives von 1977. 34 Wenn klar ist, worum es geht, sage ich auch einfach Charakter oder kaplanscher Charakter. Speziell ist ein ‚ich‘-Charakter der semantische Charakter eines ‚ich‘Satzes. 35 Das Konzept wird erläutert in Dem., Abschnitt XIII, bes. S. 522: „...occurrence ... my technical term for the combination of an expression and a context...“
165 weder ein konkretes Zeichenexemplar wie eine Tintenspur auf Papier (ein Token eines Zeichentyps) noch das Ereignis der Erzeugung eines solchen Exemplars, sondern ein abstraktes Paket aus einem möglichen Verwendungskontext und einem Zeichentyp. Ein solcher Kontext ist ein Konkretum, das durch Aspekte wie einen räumlichen Ort, eine Zeitstelle und einen möglichen Zeichenverwender oder Akteur („agent“) gekennzeichnet ist. Eine Person gehört also wesentlich zu einem Kontext, nicht aber eine tatsächliche Zeichenverwendung oder ein Zeichenexemplar. Kaplans technisches Konzept des semantischen Charakters eines Ausdrucks, demzufolge er eine Funktion ist, die beliebige Kontexte auf W-Gehalte abbildet, kann deshalb auch zur Charakterisierung von geistigen Zuständen und Akten dienen wie etwa einem stillen Akt des Denkens, die gar nicht mit einem tatsächlichen Gebrauch öffentlicher Zeichen in Verbindung stehen. Die Theorie der direkten Bezugnahme der Indikatoren besagt, daß der Beitrag der Verwendung eines Indikators zum W-Gehalt des Gesamtsatzes einfach der durch die Verwendung bezeichnete Gegenstand ist. Der semantische Charakter von ‚ich‘ ist demnach die Funktion, die jeden Verwendungskontext auf seinen Akteur (möglichen Sprecher oder Schreiber) abbildet. Den beiden Sorten von Gehalten entsprechend unterscheidet Kaplan zwei Sorten von Eigenschaften: Die Paradigmata der ersten sind die Analytizität und logische Wahrheit, die eine mögliche Eigenschaft eines semantischen Charakters eines Satzes ist; das Paradigma der zweiten Sorte ist die Notwendigkeit, die eine mögliche Eigenschaft von W-Gehalten von Sätzen ist. Ein semantischer Charakter ist logisch wahr genau dann, wenn er alle Kontexte auf wahre W-Gehalte abbildet. Ein W-Gehalt ist notwendig wahr genau dann, wenn er in allen möglichen Welten wahr ist.36 Nur den Eigenschaften von der Sorte der Notwendigkeit korrespondieren allerdings objektsprachliche Satzoperatoren; es gibt laut Kaplan keine objektsprachlichen Kontextoperatoren37.
36 37
Siehe Dem., S. 538 Siehe Dem., S. 510 „Monsters begat by elegance“.
166 1.b Die begriffliche Falschheit der Beispielaussage läßt sich nicht durch die Annahme erklären das eingebettete ‚ich‘ trage bloß den semantischen Charakter des Indikators ‚ich‘ zur Bedeutung von (BA) bei. Ich werde nun in einem ersten Schritt ausprobieren, ob Kaplans Theorie schon alle Ressourcen enthält, um die begriffliche Falschheit der Beispielaussage zu erklären.38 Eine Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß in dieser Aussage der Indikator ‚ich‘ (bzw. in (BA-2) „er*“) im Skopus eines Präfixes vorkommt, das eine Selbst- (bzw. Fremdzuschreibung) einer epistemischen Einstellung ausdrückt. Das Problem besteht darin, daß Kaplans Apparat eine solche Zuschreibungskonstruktion nicht erklärt.39 Ich werde daher einen in Kaplans Rahmen naheliegenden lokalen, d.h. nicht systematischen, sondern nur auf den vorliegenden Satz zugeschnittenen Vorschlag machen: (i) Die Attribution wird relational verstanden; (ii) der eingebettete daß-Satz bezeichnet einen Gehalt (keinen Wahrheitswert und keinen Sachverhalt); (iii) da es um begriffliche Wahrheit oder Falschheit geht, also um die Sorte von Eigenschaften, die nach Kaplan semantischen Charakteren zukommen, bezeichnet der daß-Satz nicht (nur) den normalerweise ihm im Kontext zugeordneten W-Gehalt, sondern seinen semantischen Charakter; (iv) die folgende Kritik soll nicht den Ad-hocCharakter dieser Konstruktion betreffen. Ich mache (i)-(iii) explizit, indem ich das zweistellige Zuschreibungsprädikat herausstelle und durch eckige Klammern signalisiere, daß der semantische Charakter des Teilsatzes auf allen Ebenen der semantische Wert ist, der ihm zugeordnet ist40: 38
Wenn sich herausstellt, daß das nicht so ist, ist es keine wirkliche Kritik an Kaplans Semantik. Denn um Zuschreibungskonstruktionen hat er sich in Dem. gar nicht gekümmert. 39 Dem. enthält die Ankündigung eines Abschnittes, der die Semantik um eine für ‚says‘ ergänzt; siehe Dem., Abschnitt XX., S. 553-57. Speziell verspricht Kaplan, Zuschreibungen der Form ‚x says-himself to be a fool‘ zu behandeln (S. 557). 40 „Auf allen Ebenen“ bedeutet insbesondere: auf der Ebene des W-Gehaltes. Hinsichtlich zweier auf dasselbe direkt bezunehmender Ausdrücke a und b kann gelten: ‚Person s Glaubt2 [Fa] ∧ Person s Glaubt2 [Fb]‘. Mit Blick auf solche Möglichkeiten scheint es daher das Beste zu sein, wenn a und b ihren semantischen Charakter in den W-Gehalt einspeisen. Meine Klammerung scheint nicht sehr weit entfernt von den „meaning marks“ zu sein, die Kaplan selbst in QuantifyingIn, S. 214 einführt: „The meaning of ‚brother‘ = mmale siblingm.“
167 Ich StelleFest2 [ich habe Zahnschmerzen] nur wenn: ich konsultiere einen Zahnarzt. Daß die vorliegende Konstruktion die begrifflich begründete Falschheit nicht verständlich macht, wird hinreichend deutlich, sobald man den semantischen Charakter von ‚ich‘ mit anderen möglichen kontrastiert. Ich nehme hier an, eine Person, welche eine psychische Einstellung zu einem semantischen Charakter eines ‚ich‘-Satzes besitzt, verfüge über ein womöglich implizites Konzept von Kontexten und ihren verschiedenen Aspekttypen: etwa dem Akteur, dem Ort, der Zeit eines Kontextes, einem in ihm durch Zeigen herausgehobenen Gegenstand, einem durch die Aufmerksamkeit oder eine Intention des Akteurs herausgehobenen Gegenstand und trivialerweise einem durch Beschreibung identifizierten Gegenstand. Stellt man das Konzept des Akteurs eines Kontextes beispielsweise dem eines aufgezeigten Gegenstandes gegenüber, der auch eine Person sein und daher gerade Zahnschmerzen erleiden kann, so zeigt sich, daß das eine im Gegensatz zum anderen Konzept nichts aufweist, was einen besonderen epistemischen Zugang zum derart festgelegten Gegenstand und seinen Zuständen verlangt. Es gibt zwei naheliegende Bedenken gegen diese Diagnose. Die Diskussion des ersten wird den entscheidenden Punkt deutlicher herausstellen, die des zweiten leitet zur Betrachtung alternativer Konzepte des semantischen Beitrags eines eingebetteten ‚ich‘ über. i. Man könnte befürchten, daß die Diagnose auf einer zu starken Annäherung der direkten Bezugnahme an eine deskriptiv vermittelte Bezugnahme beruht. Man könnte nämlich die Rede von einem Konzept von Kontexten und Kontextaspekten so mißverstehen, als wenn ‚ich‘ im Sinne einer Beschreibung der Art „der Akteur in Kontext c“ verstanden wird. Gerade die Direktheit der Bezugnahme mit ‚ich‘ erkläre allerdings, daß gewisse mit ‚ich‘-Aussagen formulierbare Wahrheiten auf besondere, unmittelbare Weise erkennbar sind. Man kann dieses Bedenken ausräumen, indem man probeweise das theoretische Konzept des Kontextes modifiziert und einen Kontext einfach mit einer Person zu einer Zeit identifiziert.41 Dann ist die
41
Siehe Lewis, Attitudes, S. 136: „... each subject of attitudes inhabits only one world. He may have counterparts to stand in for him at other worlds, related to him by
168 charakteristische Beziehung zwischen Kontext und Bezug von ‚ich‘ die Identität, also so unvermittelt wie nur möglich. Man kann zugestehen, daß nach diesem Konzept ein durch „Ich habe Zahnschmerzen“ ausdrückbares Denken oder Überzeugtsein notwendigerweise und unmittelbar von der jeweiligen Person handelt. Aber daraus ergibt sich nicht auf begriffliche Weise, daß die Person einen besonderen epistemischen Zugang zu diesem Inhalt hat, obwohl es tatsächlich so sein mag. ii. Man kann einwenden, daß die Aufmerksamkeit allzu sehr auf das semantische Verhalten des eingebetteten ‚ich‘ beschränkt ist. Immerhin tritt die begrifflich begründete Falschheit nur auf, weil von den eigenen Zahnschmerzen und nicht etwa von den eigenen Leberwerten die Rede ist. Könnte nicht die sprachliche Bedeutung von ‚ich‘ sich, auch wenn es in eine Selbstzuschreibungskonstruktion eingelassen ist, im kaplanschen semantischen Charakter erschöpfen und eine Spezialität in der Bedeutung von „Zahnschmerzen“ für die begrifflich begründete Falschheit verantwortlich sein? Ich diskutiere diesen Einwand zuerst in formaler und dann in inhaltlicher Hinsicht. In formaler Hinsicht ist die Frage, wie es überhaupt der Fall sein kann, daß für die begriffliche Wahrheit oder Falschheit der eine im Satz enthaltene Ausdruck verantwortlich ist, der andere hingegen nicht, obwohl die semantische Eigenschaft nicht immer erhalten bleibt, wenn man den letzteren Ausdruck durch einen kategorial und grammatisch passenden anderen ersetzt. Ein einfacher Modellfall ist die Aussage „Junggesellen sind unverheiratet“. Wie könnte es sein, daß für ihre begriffliche Wahrheit nicht die Bedeutung von „unverheiratet“, sondern nur die von „Junggeselle“ verantwortlich ist? Die einzige Möglichkeit, eine solche Asymmetrie zu behaupten, dürfte die These sein, die Bedeutung von Ausdrücken werde durch die Akzeptanz von sie enthaltenden Sätzen in gewissen Typen von Umständen konstituiert.42 Es ist denkbar, daß die Formulierung der Akzeptanzbedingung für „unverheiratet“ weder auf den Ausdruck „Junggeselle“ bezug nimmt noch ihn oder einen synonymen Term in der Sprache der Formulierung enthält, während die Akzeptanzbedingung für „Junggebonds of similarity, but he himself is not there.“ Wenn konkrete Individuen genau eine Welt bewohnen, legt eine Person-zu-einer-Zeit auch den Welt-Parameter fest. 42 Horwich, Meaning, besonders Kap. 3, S. 44-46. Siehe genauer Teil VIER.
169 selle“ in etwa lautet: „Der Ausdruck x wird von den relevanten Personen so verwendet, daß ein Aussagesatz ϕ, in dem x vorkommt, genau dann akzeptiert wird, wenn der Satz ϕ‘ akzeptiert wird, der aus ϕ entsteht, wenn man alle Vorkommnisse von x durch Vorkommnisse von ‚unverheirateter nicht verwitweter Mann‘ in passender grammatischer Form ersetzt. Aber erstens impliziert sie, auch wenn sie bezüglich der fraglichen ‚ich‘Aussage eine kompliziertere Realisierung erfordert als die für den Modellfall angedeutete, daß die Bedeutung von ‚ich‘ (eingebettet oder nicht) einfacher oder fundamentaler als die von „Zahnschmerzen“ ist, und das ist ziemlich unplausibel. Zweitens tendieren die nächstliegenden Vorschläge, die den „Geruch der Analytizität“43 Aussagen zu erklären geeignet sind, dazu, die geistige Zustände in Beziehung, zu einer holistischen, folglich symmetrischen Vernetzung der Bedeutung von Termen für geistige Zustände. In inhaltlicher Hinsicht ist die Frage, ob sich die begriffliche Falschheit nicht schon dadurch erklären läßt, daß für die Kenntnis der Bedeutung von „Zahnschmerzen“ eine bestimmte Disposition konstitutiv ist, diesen Ausdruck urteilend zu verwenden, wenn man tatsächlich gerade Zahnschmerzen hat. Irgend eine Annahme dieser Art wird man zwar zur Erklärung auf jeden Fall brauchen. Aber sie reicht alleine allenfalls aus, die begriffliche Falschheit einer Aussage zu erklären, deren halbtheoretische Entsprechung wäre Ich Weiß2 [Das sind Zahnschmerzen] nur wenn: ich konsultiere einen Zahnarzt, vorausgesetzt, daß es eine der Aussage „Das sind Zahnschmerzen“ zugrunde liegende innere demonstrative Bezugnahme auf Schmerzerlebnisse geben kann.44 43
Vgl. Lewis, PsychTheoIdent, S. 259.: „There is a strong odor of analyticity about the platitudes of common-sense psychology“. 44 In Castañedas Terminologie handelte es sich um unkorrigierbare CogitatumPropositionen im Kontrast zu Cogito-Propositionen; siehe DirectAwareness, S. 9: „(A) Cogito propositions: first-person present-tense propositions about states of consciousness: they are of the form „I am now E’ing such-and-such,“ where ‚E‘ing‘ is a variable standing for any occurrent state of consciousness.“ „(B) Incorrigible cogitatum-propositions, which are about incorrigible items, like pains, itchings, tin-
170 Sieht man von der Vertröstung im letzten Absatz ab, so wurde bisher gezeigt, daß sich die begrifflich begründete Falschheit der in Frage stehenden Aussage nicht erklären läßt, wenn ein in eine Selbstzuschreibungskonstruktion eingelassener ‚ich‘-Satz nichts weiter als seinen gewöhnlichen semantischen Charakter zur Bedeutung des Gesamtsatzes beiträgt. Die nächstliegende Alternative besteht darin, einen anderen semantischen Beitrag des eingebetteten Satzes zu postulieren, der dann die begriffliche Falschheit zu erklären gestattet. Den Vorwurf, diese Alternative sei ad hoc, kann man zurückweisen. Wie schon gesehen ist es nämlich alles andere als unplausibel, daß das eingebettete ‚ich‘ in Ich stelle fest, daß ich Zahnschmerzen habe bloß eine lexikalische Variante des Quasi-Indikators „er*“ in Mark stellt fest, daß er* Zahnschmerzen hat ist, und es besteht kein Anlaß, sich bei der Suche nach einer Theorie der Semantik dieses „er*“ voreilig auf Bedingungen einzulassen. Für Theorien, die daran festhalten, daß der kaplansche semantische Charakter die sprachliche Bedeutung von ‚ich‘-Sätzen ausmacht, und die eine relationale Deutung von Ausdrücken für propositionale Einstellungen zulassen, ist jedoch eine Bedingung unumgänglich: Die theoretische Analyse einer ‚er*‘-Zuschreibung, etwa von Mark bemerkt, daß er* Zucker verschüttet, muß implizieren, daß die betreffende Person in einer gewissen, für die zugeschriebene Einstellung charakteristischen Relation zum semantischen Charakter eines entsprechenden ‚ich‘-Satzes steht, d.h. sie muß in der eingeführten Notation folgendes implizieren: Mark Bemerkt2 [ich verschütte Zucker]. Ich möchte diese Bedingung durch zwei Anmerkungen erläutern. Erstens kann „Bemerkt2“ für ein theoretisches Konstrukt stehen. Es wird nicht verlangt, daß diese Beziehung eine irgendwie konkrete Komponente einer Beziehung ist, die gemäß der jeweiligen Theorie durch umgangssprachliglings, sensory-presentations ... Propositions of this type are, whether formulated in language or not, of the form „There is such and such (over there),“ where the such and such is not a physical object.“
171 che Ausdrücke für propositionale Einstellungen ausgedrückt wird. Der Punkt ist einfach, daß, falls man den kaplanschen Charakter als Bedeutung von ‚ich‘-Aussagen akzeptiert, man nicht jegliches Angebot einer theoretisch beschriebenen Beziehung ablehnen kann, in der Personen zu passenden ‚ich‘-Charakteren stehen, wenn ein Prädikat wie „bemerkt, daß er* Zucker verschüttet“ auf sie zutrifft. Zweitens gilt diese Bedingung sogar für weite Bereiche möglicher Theorien, die die sprachliche Bedeutung von Indikatoren nicht mit ihrem kaplanschen semantischen Charakter identifizieren. Zum einen ist Kaplans Kontextkonzept nämlich für vielfache Realisierungen offen, so daß kaum eine Theorie die Existenz sämtlicher Realisierungen ausschließen wird: Es muß sich im wesentlichen um etwas handeln, das eindeutig Kontextaspekte wie Akteur, Ort und mögliche Welt festlegt. Zum anderen sollte eine Theorie, die etwas anderes, womöglich sogar gar nichts als sprachliche Bedeutung der Indikatoren identifiziert, dennoch zulassen, daß die einzelnen Indikatoren in einer aufschlußreichen Beziehung zu Funktionen von Kontexten auf semantisch relevante Gegenstände stehen. 2. Erklärungsversuch mit D. Lewis‘ funktionalistischer Theorie 2.a Zur Erklärung der begrifflichen Falschheit bedarf es einer Theorie, derzufolge die Bedeutung alltagspsychologischer Ausdrücke durch epistemisch gehaltvolle Prinzipien konstituiert sein kann. Damit ein Satz wie Um festzustellen, ob ich gerade Zahnschmerzen habe, muß ich einen Zahnarzt konsultieren eine sprachliche Bedeutung erhält, die ihn zu einer begrifflichen Falschheit macht, ist es nach der bisherigen Diskussion unumgänglich, daß die Bedeutungen der Konstruktion Ich ϕ-e, daß ... ich ... und analog der Konstruktion in der dritten Person s ϕ-t, daß ... er*/sie* ... durch gehaltvolle Prinzipien konstituiert werden. Falls man grundsätzlich Bedeutungen nicht durch Prinzipien konstituiert sehen möchte, müßten sie
172 durch derartige Prinzipien doch wenigstens expliziert werden können. Gehaltvoll müssen sie sein im Kontrast zu der abstrakten Zuordnung zwischen Kontexten und Objekten, die der kaplansche semantische Charakter darstellt. Speziell müssen diese Prinzipien etwas über epistemische Zusammenhänge aussagen. Sie müssen etwa einen Zusammenhang herstellen zwischen dem Haben einer Eigenschaften F-heit, die zu einer gewissen Sorte gehört, und dem Wissen, Feststellen oder Sichbewußtmachen der betreffenden Person, daß sie* F ist. Tatsächlich existiert ein verbreiteter Theorierahmen, der es systematisch gestattet zu rekonstruieren, wie faktisch bestehende allgemeine Zusammenhänge zwischen Zuständen in die Bedeutung von Ausdrücken integriert sind, die diese Zustände bezeichnen. Es ist die funktionalistische Auffassung, wonach die Bedeutung eines Ausdrucks für einen geistigen Zustand45 in der kausalen Rolle besteht, welche der Zustand im System möglicher Zustände geistiger Wesen spielt, jedenfalls soweit die Verwender des Ausdrucks es wissen. Ich werde mich an Lewis‘ Kanonisierung halten und alle Ausdrücke für geistige Zustände in singuläre Terme transformieren. „Mark hat Zahnschmerzen“ kann stehen bleiben, sofern „Zahnschmerzen“ als singulärer Term für einen Zustandstyp und „hat“ als Relationsterm für die Beziehung des Besitzens eines Zustandes verstanden wird. „Zahnschmerzen“ bezeichnet dann einen Typ von Zustand von Organismen, der nach physikalistischer Auffassung im Prinzip mit naturwissenschaftlichen Mitteln beschreibbar ist. Die sprachliche Bedeutung von „Zahnschmerzen“ hingegen charakterisiert diesen Zustand durch seine kausalen Beziehungen zu anderen möglichen Zuständen des Organismus sowie, unmittelbar oder mittelbar, zu unabhängig beschreibbaren Zuständen, die geistige Zustände des Organismus bewirken oder von ihnen verursacht werden. Das Ganze dieser charakteristischen kausalen Beziehungen ist die kausale oder funktionale Rolle des durch „Zahnschmerzen“ be-
45
Zustand ist hier und im folgenden in der Regel ganz allgemein gemeint, also nicht im Gegensatz zu kurzzeitigen Episoden oder Ereignissen. In einigen Zusammenhängen werde ich hingegen ausdrücklich zwischen enger verstandenen geistigen Zuständen wie dem Überzeugtsein und geistigen Episoden oder Akten wie dem Urteilen unterscheiden. Siehe Lewis, Causation, Events.
173 zeichneten Zustandes. Diese Rolle ist eine Eigenschaft des Zustandes, also ein Zustandstyp zweiter Stufe.46 Etwas genauer lautet die funktionalistische These, daß der Alltagsverstand über eine Theorie des menschlichen Geistes verfügt. Nach Lewis‘ ursprünglichem Vorschlag sollte sich die Theorie aus alltagspsychologischen Platitüden, also in der Umgangssprache formulierbaren und gelegentlich formulierten Aussagen zusammensetzen. Später zieht er das zurück und bezeichnet das alltagspsychologische Wissen als stillschweigend.47 Die Theorie des Alltagsverstandes besagt letztendlich dasselbe, was sich in ihrem modifizierten Ramsey-Satz48 formulieren läßt, nämlich daß es genau eine geordnete Menge von Zustandstypen gibt, so daß T(z1, z2, ..., zn). „T(z1, z2, ..., zn)“ kürzt dabei einen komplexen n-fach offenen Satz ab, der vielfältige, insbesondere kausale Beziehungen der Zustandstypen untereinander sowie zu anderen Zuständen aussagt. Die kausale Rolle Ri des i-ten Zustandstyps in der geordneten Menge läßt sich dann folgendermaßen angeben: Ri(z) = es gibt genau eine geordnete Menge von Zuständen , so daß T(z1, z2, ..., zn) und z = zi.49 Die im funktionalistischen Rahmen betrachteten Terme sind solche für geistige Zustände. Im Beispielsatz ist jedoch vom Wissen die Rede, und das ist keine bloß geistige, sondern eine epistemische Angelegenheit. Da Wis46
Der Dualismus von physischen Zuständen und ihren funktionalen Eigenschaften macht Lewis zu einem funktionalistischer Identitätstheoretiker oder, wie G. Bealer sagt, zu einem ideologischen im Kontrast zu ontologischen Funktionalisten; siehe Bealer, Self-Consciousness, S. 69, S. 106ff. Siehe Lewis, Identity, Pain, Qualia. 47 Siehe Lewis, PsychTheoIdent, S. 257; Lewis, Reduction, S. 298 und 298 Anm. Siehe auch TheoTerms. 48 Siehe PsychTheoIdent, S. 254. 49 Das „genau ein“ steht in der Einzel-Rollenangabe, damit ein Zustand wie Kopfschmerzen als der Inhaber der Rolle Ri definiert werden kann. Da es im weiteren nur um den grundsätzlichen Gedanken geht, daß gewöhnliche Ausdrücke für geistige Zustände ihre Bedeutung aufgrund einer Theorie des Alltagsverstandes besitzen, lasse ich Details und Probleme des Common-Sense-Funktionalismus undiskutiert, darunter das Problem der multiplen Realisierung, Lewis‘ Speziesismus (siehe Pain, Reduction) und Brian Loars Relativierung der Theorie auf einzelne Organismen (siehe Loar, M&M, Kap. 3, besonders 3.3, S. 48ff.).
174 sen der zentrale dispositionale epistemische Zustandstyp ist, korrespondiert ihm der zentrale dispositionale Typ einer propositionalen Einstellung, das Glauben oder Überzeugtsein. Ich werde hier zur Vereinfachung Wissen mit dem Glauben von etwas Wahrem identifizieren. Eine generelle Fähigkeit zum wahren Überzeugtsein über eigene Bewußtseinsvorkommnisse dürfte nämlich von einer generellen Fähigkeit zum Wissen von ihnen nicht allzu weit entfernt sein. Solange es nicht erforderlich ist, den syntaktischen Aufbau von Zuschreibungsprädikaten zu berücksichtigen, werde ich Nominalisierungen der Art ‚der Glaube, daß so-und-so‘ als singuläre Terme für Zustandstypen verwenden. ‚Mark hat den Glauben, daß so-und-so‘ besitzt demnach dieselbe relationale Struktur wie „Mark hat Zahnschmerzen“ in der angegebenen Interpretation.50 Um zu zeigen, daß seine funktionalistische Konzeption der Infallibilität der Introspektion gerecht werden kann, falls sie tatsächlich besteht und zur Alltagsauffassung des Geistes gehört, hat D. Lewis vorgeschlagen, gegebenenfalls eine Alltags-Platitüde der folgenden Art in die Theorie aufzunehmen, die der Definition der kausalen Rollen geistiger Zustände zugrunde gelegt wird: ‚belief that one is in pain never occurs unless pain occurs’.51 2.b Lewis‘ Infallibilitätsklausel muß entschärft und spezifiziert werden. Zu dieser Formulierung, die Lewis nicht mit dem Anspruch der Ausgefeiltheit vorbringt, lassen sich einige Anmerkungen machen: i. Es geht bei dem Beispielsatz nicht, wie bei Lewis‘ Vorschlag, um Infallibilität. Das Problem ist nämlich, seine begriffliche Falschheit zu erklären, d.h. die Falschheit der Aussage, daß man keine andere Option hat, sich über die eigenen Zahnschmerzen zu informieren, als einen Zahnarzt zu fragen. Diese andere Option muß nicht unfehlbar sein. Jedenfalls bedürfte es einer zusätzlichen Überlegung, um einzusehen, daß ein Zusammenhang zwischen dieser Option und der Infallibilität besteht.
50
Ich vermeide so die Wendung ‚Mark befindet sich im Zustand des Glaubens, daß sound-so‘. 51 Siehe PsychTheoIdent, S. 261.
175 ii. Da Lewis‘ Formulierung ein allquantifiziertes indikativisches Konditional ist und Kontraposition nur bei kontrafaktischen Konditionalen problematisch ist, ist sie äquivalent zu Wenn der Glaube, daß man* Schmerzen hat, auftritt, dann tritt immer auch Schmerz auf. Das ist sicherlich selbst für jemanden zu stark, der einen infalliblen Zugang zu eigenen Gefühlszuständen annimmt. Denn auch er wird zugestehen, daß man unter ungünstigen Umständen aufgrund irgend welcher Indizien kurzzeitig zu der Ansicht kommen kann, man habe geringfügige Schmerzen, ohne daß man wirklich welche erleidet.52 iii. Das unter (ii) positiv formulierte quantifizierte Konditional ist nicht einmal ein erster Schritt, um eine Gesetzmäßigkeit für einen kausalen Prozeß anzugeben. Denn die erforderliche alltagspsychologische Platitüde wird mit Sicherheit den Glauben, daß man* Schmerzen hat, nicht als einen Aspekt der Ursache von Schmerzen auszeichnen. Richtig ist, daß es keine Garantie gibt, daß alltagspsychologische Prinzipien sorgfältig verursachende und bewirkte Aspekte differenzieren. Ein solches Prinzip könnte den Glauben, daß p und q, und den Glauben, daß q und non-p als (normalerweise) kausal inkompatibel hinstellen, ohne festzulegen, welcher Zustand welchen verursacht. Doch bei Schmerzen und dem Glauben, daß man* Schmerzen hat, dürfte der Alltagspsychologe in uns eine klare Meinung haben: Schmerzen bringen den Leidenden unter gewissen Umstände zu dem Glauben, er* habe Schmerzen. Analog bringt das Fehlen von Schmerzen jemanden zu dem Glauben, daß er* keine Schmerzen hat, wodurch sich die Unvereinbarkeit des Glaubens, man* habe Schmerzen, mit der Abwesenheit von Schmerz erklärt. (iv) Was auch immer die Alltagsauffassung über die ursächlichen Faktoren festlegt, so ist doch ganz unplausibel, daß sie über nichts Spezifischeres als über ein Prinzip verfügt, wonach diese Faktoren bewirken, daß man glaubt, man* habe Schmerzen. Da man nämlich unter Glauben oder Überzeugtsein 52
Das kann wohl geschehen, wenn eine Autorität wie ein Arzt oder psychologischer Versuchsleiter ankündigt, man werde Schmerzen von der-und-der Art spüren, sobald das-und-das passiert, und man dann das angeblich schmerzauslösende Ereignis beobachtet. Allerdings ist auch nicht ausgeschlossen, daß man tatsächlich bloß aufgrund der Suggestion Schmerzen spürt.
176 den zentralen kontemplativen dispositionalen geistigen Zustand versteht, ist ebenso wie bei der Wahrnehmungsverarbeitung offenkundig, daß tatsächlich wie auch nach der Alltagsauffassung etwas im Spiel ist, das im Kontrast zu dispositionalen Zuständen als manifeste propositionalen Einstellung oder als propositionaler psychischer Akt bestimmt werden kann.53 Ich bezeichne die relevante manifeste Einstellung als Urteilen, daß man* Schmerzen hat. Man muß sich hier sowohl vor unbedachten Identifizierungen als auch vor Isolierungen hüten: Einerseits ist das Konzept der Veränderung eines Überzeugtseins nicht identisch mit dem des Urteilens, weil z.B. beim Vergessen eine Überzeugungsänderung auftritt, aber gewiß kein Urteilen; andererseits muß das Urteilen kein kausal vermittelndes Ereignis zwischen dem Urteilsanlaß und einer Überzeugungsänderung sein, weil der Begriff des Urteilens der von einer Denkaktivität sein könnte, die, im Unterschied zum bloßen Erwägen, kausal in einen Überzeugungswandel eingebettet ist. (v) Die Alltagsauffassung scheint ein explizites, mit umgangssprachlichen Ausdrücken verknüpftes Konzept von einem entscheidenden kausalen Faktor zu besitzen, der zum Haben von Schmerzen hinzutreten muß, damit es zu einem Urteilen des Leidenden kommt, daß er* Schmerzen hat: Er muß auf sein Gefühlsleben aufmerksam sein, er muß auf es achtgeben. Wie das Anreiben eines Streichholzes im Gegensatz zu dem Umstand, daß es trocken ist, als ursächliches Ereignis für sein Brennen gelten kann, kann der Komplex aus einem Schmerzerlebnis und einem solchen Achtgeben gut als ursächliches Ereignis für ein Urteilen gelten, daß man* Schmerzen hat, während weitere in einer kausalen Regel zu nennende Faktoren eher situationsbedingungen sind. Das ist sowohl damit vereinbar, daß starke Schmerzen sich selbst die nötige Achtung verschaffen, als auch damit, daß unter gewissen Situationsbedingungen Schmerzen und Achtgeben kein solches Urteil hervorrufen. Was diese zweite Möglichkeit betrifft, so ist es zumindest eine noch nicht ausgeschlossene Ansicht, daß das Achtgeben auf Gefühlserlebnisse manchmal nicht zu einem Urteil über sich selbst führt, sondern zu einem demonstrativen Urteil z.B. über Schmerzen, wel-
53
Die beiden Alternationsglieder sollen keine sachlichen Alternativen, sondern nur terminologische Varianten darstellen.
177 ches sich vielleicht in dem Satz „Diese Kopfschmerzen sind viel unangenehmer als diese Schmerzen im Hals“ formulieren läßt. (vi) Eine Bedingung, die die Angabe der ursächlichen Faktoren implizieren muß, damit sich ein glaubwürdiges Prozeßgesetz ergibt, ist die Fähigkeit des Leidenden zu Urteilen über sich selbst, d.h. zu Urteilen, die er im Deutschen typischerweise in Sätzen formulieren würde, die den Indikator ‚ich‘ in irgendeinem Kasus enthalten. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sollte ich meinen Modifikationen noch zwei Erläuterungen hinzufügen. Erstens sage ich nicht, daß die Alltagstheorie ein perfektes Prozeßgesetz für die Erkenntnis eigener Schmerzen enthält. Ich behaupte vielmehr, daß der Alltagsverstand eine solche Erkenntnis als eine komplexe geistige Episode ansieht, daß er darin wichtige ursächliche Faktoren wie das Achtgeben unterscheidet und das Resultat als Urteilen und nicht als eine bloße Veränderung von Überzeugungen ansieht.54 Zweitens ist damit, daß dabei die Aufmerksamkeit eine zentrale kausale Rolle spielt, keine spezifische Auffassung von der Selbsterkenntnis als einem inneren Beobachten oder Wahrnehmen impliziert. Sondern ich möchte nur im Rahmen des lewisschen Projektes die Feststellung machen, daß die Alltagspsychologie über solche Ausdrücke wie ‚auf etwas aufmerksam sein‘, ‚auf etwas achtgeben‘ und auch ‚auf die eigenen Gefühle achtgeben‘ verfügt und sie derartig verwendet, daß gewisse die Verwendungsweise explizit machende Aussagen die gemeinten Zustände in positiver Weise mit dem Wissen verknüpfen, ob man* Zahnschmerzen hat. „Aufmerksamkeit“ kann dann ebenso durch die Gesamttheorie eine Bedeutung erhalten wie die anderen Ausdrücke für geistige Zustände auch.
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Die Annahme von Komplexität und ursächlichen Faktoren muß nicht beinhalten, daß die Episode eine klare zeitliche Sequenzialität aufweisen muß in der Art: Aufmerksamkeit zu t, Urteil zu t + 2 Millisekunden.
178 3. Das Verbindungsproblem und seine Lösung durch eine Verbindungsklausel mit Striktheitsanforderungen 3.a Die begriffliche Falschheit von (BA) läßt sich nur erklären, wenn man eine begriffliche Verbindung zwischen der allgemeinen Fähigkeit zum Selbstbewußtsein und einer umfassenden Fähigkeit zur Erkenntnis eigener geistiger Zustände erklären kann. (Verbindungsproblem). Ich habe die Beispielaussage bereits als Konditional in der Form s stellt fest, daß er* Zahnschmerzen hat nur wenn: s konsultiert einen Zahnarzt paraphrasiert. Das „nur wenn“ muß ziemlich stark verstanden werden, damit an der These der begrifflichen Falschheit festgehalten werden kann. Ein einfacher materialer Konditionalsatz wie Mark stellt fest, daß er* Zahnschmerzen hat → Mark konsultiert einen Zahnarzt ist jedenfalls mit Sicherheit nicht begrifflich falsch.55 Nach den Diskussionen zur funktionalistischen Konzeption läßt sich jedoch festhalten, daß die Beispielaussage begrifflich falsch ist, weil eine gewisse andere Aussage begrifflich wahr ist, die durchaus als materialer Konditionalsatz gelesen werden kann. Dabei handelt es sich um eine Aussage der Form s stellt fest, daß er* Zahnschmerzen hat → A(s), worin A(s) aussagt, daß die Person s jedenfalls fähig ist, über einen anderen Weg zur Erkenntnis zu gelangen, daß sie* Zahnschmerzen hat, als über eine Untersuchung durch einen Zahnarzt. Ein entscheidender Teil dieses Weges wird darin bestehen, daß s auf sein Gefühlsleben acht gibt, ob er das nun einfach so tut oder ein Schmerz die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dabei ist die Frage aufschlußreich, ob dieses Sukzedenz A(s) schon für sich betrachtet begrifflich wahr ist. Das muß zumindest dann verneint werden, wenn die Alltagstheorie, wie wohl anzunehmen ist, auch für den Geist kleiner Kinder gelten soll. Da diese nämlich allem Anschein nach noch 55
Das Konditional ist nämlich z.B. schon wahr, wenn Person s irgendwie herausfindet, daß sie* Zahnschmerzen hat, und außerdem einen Zahnarzt konsultiert.
179 keine Gedanken haben können, die sich korrekt mit einem ‚ich‘-Satz ausdrücken lassen, besitzen sie auch nicht die Fähigkeit, auf die mit A(s) angegebene Weise festzustellen, ob sie* Zahnschmerzen haben. Daß jedoch kleine Kinder und vergleichbare Fälle als einzige Ausnahme auffallen, die die eigenständige begriffliche Wahrheit einer plausibel ausformulierten Fähigkeitszuschreibung A(s) verhindern, spricht stark für folgendes: Der für die begriffliche Wahrheit wesentliche Beitrag des Antezendenz besteht in der Absicherung, daß die betreffende Person s überhaupt fähig ist, eine durch „Ich habe Zahnschmerzen“ formulierbare Überzeugung zu besitzen oder ein entsprechendes Urteil zu fällen, und das heißt letztlich: daß sie einen Begriff von Zahnschmerzen sowie die dem Indikator ‚ich‘ entsprechende begriffliche Kompetenz besitzen. Da es um die ‚ich‘-Kompetenz geht, werde ich im weiteren den Besitz eines Schmerzbegriffes aus der Betrachtung ausklammern. Der interessante Aspekt der begrifflichen Wahrheit des Konditionals besteht dann in der begrifflichen Wahrheit, daß eine Person, die überhaupt zu ‚ich‘-Überzeugungen oder -Urteilen fähig ist, die also eine allgemeine Selbstbewußtseinsfähigkeit besitzt, auch die Fähigkeit besitzt, durch Aufmerksamkeit auf ihr Gefühlsleben zu erkennen, ob sie* Zahnschmerzen hat. Ich werde nun versuchen zu zeigen, daß die funktionalistische Auffassung mit einem ernsten Problem konfrontiert ist. Das Phänomen, das in Abschnitt II den Ausgangspunkt bildete, bestand darin, daß wir Marks Aussage, er könne nur durch einen Arzt wissen, ob er* Zahnschmerzen habe, schlichtweg als falsch zurückweisen und keineswegs mit der Möglichkeit rechnen, daß Mark in dieser Hinsicht einfach etwas seltsam ist. Aufgrund der gerade angestellten Überlegungen ist es daher eine begriffliche Wahrheit, daß zwischen der allgemeinen Fähigkeit, ‚ich‘-Überzeugungen zu haben, und der Fähigkeit, durch Aufmerksamkeit das eigene Haben von Zahnschmerzen zu erkennen, nicht bloß normalerweise, sondern ausnahmslos ein Zusammenhang besteht. Ich bezeichne im folgenden das Problem, diese ausnahmslose Verbindung zwischen der allgemeinen Selbstbewußtseinsfähigkeit und einer Fähigkeit zur unmittelbaren Selbsterkenntnis, die derart umfassend ist, daß sie speziell auch die Fähigkeit zum Erkennen eigener Zahnschmerzen einschließt, als das Verbindungsproblem.
180 Obwohl es mit Blick auf die Beispielaussage nicht auf Infallibilität ankommt, benötigt man in einem funktionalistischen Rahmen Klauseln, die ähnlich wie Lewis‘ Infallibilitätsklauseln intentionale Zustände in epistemisch relevanter Weise mit anderen Zuständen verknüpfen. Ich werde Zusammenhänge zwischen geistigen Zuständen, die durch solche Klauseln ausgesagt werden, als epistemisch relevante kausale Beziehungen56 bezeichnen. Solche Beziehungen erschöpfen gewiß nicht die kausale Rolle, die ein Funktionalist für den Glauben, daß man* so-und-so ist, annehmen möchte. Dennoch kann man an dieser Stelle der Frage nachgehen, wie sich Zustände der Art Glauben, daß man* F ist, wenn man von ihrer Rolle ausschließlich die epistemisch relevanten kausalen Beziehungen berücksichtigt, zu dem Umstand verhalten, daß die betreffende Person in einer charakteristischen Beziehung zum kaplanschen semantischen Charakter eines ‚ich‘-Satzes steht. Genauer kann man fragen, ob, wenn man gewisse Hintergrundprinzipien voraussetzt, das eine das andere impliziert oder umgekehrt. Mit diesen Hintergrundprinzipien meine ich folgendes: Es ist sehr plausibel und zweifellos zentraler Glaubensartikel des Funktionalismus, daß intentionale Zustände, paradigmatisch Zustände des Überzeugtseins, in besonderer Weise Systeme bilden. So wird weithin angenommen, geistige Zustände könnten nur dadurch Gehalte besitzen, daß sie auf eine Weise in ein System von Zuständen integriert sind, die Beziehungen zwischen Gehalten widerspiegelt. Dann kann aber die funktionalistische Theorie über die Art, wie intentionale Zustände aufgrund ihrer kausalen Rolle auf einen Gehalt bezogen sind, nicht für zwei Zustände etwas ganz Verschiedenes bestimmen. Vielmehr muß sie allgemeine Prinzipien enthalten, die auf einheitliche Weise die Elemente des Systems intentionaler Zustände auf ihre Gehalte bezieht. Ich bezeichne sie als allgemeine Prinzipien für die Beziehung zwischen Rolle und Gehalt, speziell zwischen kausal relevanten Beziehungen und semantischem Charakter. Für die erste Implikationsrichtung ergibt sich leicht eine Begründung: Die Implikation in dieser Richtung bestünden darin, daß Aussagen der Form ‚s glaubt, daß er* F ist‘ implizieren, daß die betreffende Person in einer be56
Das Adjektiv ‚kausal‘ kann gelegentlich ausfallen, und mit Blick auf die Zustände des Glaubens kann auch von epistemisch relevanten kausalen Anbindungen die Rede sein.
181 stimmten Beziehung zum semantischen Charakter eines ‚ich‘-Satzes steht. Prinzipiell gibt es zwei Optionen: Entweder ist die Implikationsbeziehung trivial, weil die Bedeutung von ‚Glauben, daß man* F ist‘ ein Komplex aus Klauseln etwa von der lewisschen Sorte und irgendwelchen Bestimmungen ist, die unabhängig davon eine Beziehung zu Charakteren von ‚ich‘-Sätzen herstellen. Oder es sind gerade solche die epistemische Besonderheit gewisser Fälle von Glauben, daß man* F ist, ausmachenden kausalen Beziehungen, die auch die semantische Besonderheit solcher Zustände festlegen, nämlich ihren Bezug auf einen ‚ich‘-Charakter. Um diese zweite Option geht es hier. Tatsächlich erweist sich diese Option als keineswegs chancenlos. Falls nämlich eine funktionalistische Theorie der inneren Struktur von propositionalen Einstellungen gerecht werden können soll, die die syntaktische Komplexität der daß-Sätze in Zuschreibungsprädikaten wie „daß Mark Zucker verschüttet“ nahelegt, dürfte sie eine positive kausale Beziehung zwischen dem Glauben, daß man* F ist, und dem Glauben, daß irgend jemand F ist, konstatieren, die der Implikationsbeziehung zwischen Ich bin F und Jemand ist F korrespondiert. Dann muß man jedoch einem Zustand des Glaubens, der zuverlässig zustande gebracht wird, wenn die jeweilige Person eine Eigenschaft F von einer gewissen Sorte gerade besitzt, und der in einer für Implikationsbeziehungen typischen Form den Glauben befördert, daß irgend jemand F ist, einen semantischen Charakter zuordnen, der dem Zustand genau dann einen wahren W-Gehalt zuordnet, wenn die Person diese Eigenschaft besitzt. In der entgegengesetzten Richtung lautet die Frage, auf welche Weise die funktionalistische Konzeption umgekehrt erlauben könnte, vom Vorliegen einer durch einen ‚ich‘-Charakter gekennzeichneten propositionalen Einstellung auf das Vorliegen eines Zustandes zu schließen, der in epistemisch relevanten kausalen Beziehungen etwa zu Gefühlszuständen wie Schmerzen steht. Hinsichtlich dieser Richtung muß man allerdings einige Konsequenzen berücksichtigen, die der holistische Charakter der Festlegung von kausalen Rollen hat. Da nach der funktionalistischen Konzeption die gesamte funktionalistische Theorie, d.h. hier die Alltagstheorie des menschlichen Geistes der Festlegung der kausalen Rolle eines jeden Zustandes zugrunde liegt, impliziert die Tatsache, daß ein gewisses System sich in einem Zustand befindet, der eine solche Rolle spielt, trivialerweise, daß die gesamte Theorie das Sy-
182 stem korrekt beschreibt. Deshalb kann die Zuschreibung eines gewissen Zustandes im Prinzip andere Prädikationen implizieren, die mit dieser Zuschreibung nichts Besonderes zu tun haben. Wenn beispielsweise die Alltagstheorie des Geistes einschlösse, daß die beschriebenen Systeme die Fähigkeit besitzen, Überzeugungen zu haben, dann impliziert die Tatsache, daß eine Person gerade ein Kitzeln am Rücken spürt, ihre Fähigkeit zu Überzeugungen. Man kann dementsprechend Zweifel daran hegen, daß es überhaupt eine interessante Frage ist, ob das Haben einer durch einen ‚ich‘Charakter gekennzeichneten propositionalen Einstellung wie dem Überzeugtsein impliziert, daß ein Zustand mit gewissen epistemisch relevanten kausalen Beziehungen exemplifiziert ist. Ohne weiteres läßt sich nämlich nicht ausschließen, daß eine solche Implikation ein ähnlich triviales Produkt der holistischen Rollenfestlegung ist. In Unterabschnitt 3 werde ich untersuchen, ob gerade dieser Effekt des Holismus eine Erklärung der begrifflichen Falschheit der Beispielsaussage ermöglicht. An dieser Stelle möchte ich jedoch einfach annehmen, es ließen sich etwas abstraktere Varianten von Begriffen von propositionalen Einstellung wie dem Glauben bilden, in denen solche Effekte ausgeschaltet sind. Es ist dann immer noch eine aufschlußreiche Frage, ob ein solcher abstrakterer Begriff von einem Zustand des Glaubens mit einem ‚ich‘-Charakter vor dem Hintergrund der allgemeinen Prinzipien für die Beziehung von Rolle und Gehalt auch eine epistemisch relevante kausale Anbindung des Zustandes erzwingt. Tatsächlich gibt es wie bei der ersten Betrachtung Anlaß zur Hoffnung, eine solche Implikation aufzeigen zu können. Wenn sich nämlich aus der kausalen Rolle von intentionalen Zuständen auf systematische Weise ihre Gehalte, speziell ihr semantischer Charakter ergeben soll, und von dieser Anforderung wird auch in einem abstrakteren Konzept von propositionalen Einstellungen nicht abgesehen, so ist schwer vorstellbar, wie kausale Beziehungen zwischen einem Zustand des Glaubens und verschiedenen anderen, die ausschließlich inferenziellen Beziehungen zwischen den ihnen letztendlich zugeordneten Gehalten korrespondieren, diesen Zustand auf einen ‚ich‘-Charakter festlegen sollen. Zumindest gilt das, sofern unter den Gehalten der anderen Zustände kein kontextsensitiver ist. Sollen hingegen kontextsensitive semantische Charaktere wesentlich dabeisein, so ist äußerst zweifelhaft, ob die Festlegung des semantischen Charakters von ‚ich‘ durch inferenzielle Beziehungen nicht auf eine explizite Definition von
183 ‚ich‘ mittels anderer indexikalischer Termini hinausläuft, etwa durch die (rigidifizierte) Kennzeichnung „die Person, die jetzt hier ist“. Dann bedarf es also charakteristischer Beziehungen, die keine inferenziellen Strukturen von Gehalten spiegeln, und dafür dürften nur solche in Frage kommen, die einerseits als verläßliche Informationsmechanismen und andererseits als Mechanismen der Verhaltenssteuerung gedeutet werden müssen. 3.b Das Verbindungsproblem erweist sich im funktionalistischen Theorierahmen als ernste Schwierigkeit. Es spricht demnach eine Menge dafür, daß unter der Annahme allgemeiner Prinzipien für die systematische Beziehung zwischen den kausalen Anbindungen eines Zustandes des Glaubens und dem ihm zugeordneten semantischen Charakter zweierlei gilt: i. Das Konzept eines solchen Zustandes des Glaubens, der in epistemisch relevanten Beziehungen zu Schmerzen (Kopfschmerzen, Halsschmerzen, oder alternativ ein Kitzelgefühl etc.) steht, impliziert ein abstrakteres Konzept von einem Zustand des Glaubens, der durch einen ‚ich‘-Charakter (der eine Prädikation von Schmerzen etc. einschließt) gekennzeichnet ist. ii. Ein abstrakteres Konzept eines Zustandes des Glaubens, der durch einen ‚ich‘-Charakter gekennzeichnet ist, impliziert ein Konzept eines Zustandes des Glaubens, der in charakteristischen epistemischen (oder verhaltenssteuernden) Beziehungen zu irgendwelchen Zuständen der betreffenden Person steht, beispielsweise zu ihren Schmerzen. Was sich aber nicht ergibt, ist eine Implikation zwischen dem Begriff eines Zustandes des Glaubens mit einem ‚ich‘-Charakter und dem eines Zustandes des Glaubens, der in epistemisch relevanten kausalen Beziehungen zu sämtlichen Zuständen wie Schmerzen oder Kitzelgefühl steht. Die allgemeinen Prinzipien für die Beziehung zwischen Rolle und Gehalt sind jedoch vorerst die einzigen, die man berechtigterweise mit dem Anspruch formulieren kann, daß sie ausnahmslos von allen menschenartigen Wesen mit intentionalen Zuständen erfüllt werden müssen. Denn sie sind diejenigen Prinzipien, die bei aller Varianz der Rollen von Zuständen, in denen sich ein bestimmtes Wesen wirklich befindet oder zu denen es in einem engeren Sinne fähig ist, den Zuständen auf einheitliche Weise ihre Gehalte zuordnen. In den einzelnen Rollen ihrer Zustände, so scheint es,
184 können geistige Wesen sich mehr oder weniger deutlich unterscheiden, während sie wohl die angesprochenen allgemeinen Prinzipien erfüllen müssen, um sich überhaupt in intentionalen, d.h. gehaltvollen Zuständen zu befinden. Bloß unter Annahme solcher allgemeinen Prinzipien gibt es jedoch nach den vorhergehenden Überlegungen keine begriffliche Garantie, daß die Fähigkeit zu Glaubenszuständen mit ‚ich‘-Charakter nur in der Form einer Fähigkeit auftreten kann, die in charakteristischen epistemisch relevanten kausalen Beziehungen ausgerechnet zu Zahnschmerzen stehen – zumindest sofern die betreffende Person Zahnschmerzen haben kann. Das Verbindungsproblem stellt daher im funktionalistischen Theorierahmen eine ernste Schwierigkeit dar. Denn in diesem Rahmen zeigt sich eine starke Spannung zwischen der ausnahmslosen Allgemeinheit der genannten begrifflichen Beziehung und dem Umstand, daß nicht erkennbar ist, wie solche allgemeinen Prinzipien, die wirklich für alle Personen mit gehaltvollen Zuständen gelten müssen, gelegentliche Fälle von Zuständen mit ‚ich‘-Charakter ausschließen sollten, die die eine oder andere epistemisch relevante kausale Anbindung an Schmerzen, Kitzelgefühl usw. nicht aufweisen – wohl aber genügend solcher Anbindungen, um festzulegen, daß ein ‚ich‘-Charakter ihr Gehalt ist. 3.c Für die Verbindung zwischen allgemeiner Selbstbewußtseinsfähigkeit und umfassender Selbsterkenntnisfähigkeit müßten zwei Striktheitsanforderungen erhoben werden, um das Verbindungsproblem zu lösen. Man kann leicht einsehen, daß Lewis sich mit seiner holistischen Auffassung von der funktionalistischen Organisation des Systems geistiger Zustände in einer vergleichsweise günstigen Ausgangsposition befindet, um das am Ende des vorigen Unterabschnittes aufgeworfene Verbindungsproblem zu lösen. Denn er kann durchaus im Geiste dieser Auffassung versuchen zu bestreiten, daß die Theoriebestandteile, welche die Verbindung zwischen der allgemeinen Fähigkeit zu ‚ich‘-Zuständen und der umfassenden Fähigkeit zur unmittelbaren Erkenntnis eigener geistiger Zustände bestimmter Arten garantieren, besonders ad hoc wären: All die in die Theorie eingehenden Klauseln sind ja, zumindest in der ursprünglichen lewisschen Version, Platitüden des common sense, und daher ist die eine so sehr oder so wenig ad hoc wie die andere.
185 Was ein funktionalistischer Holist genauer behaupten muß, um die Spannung zu beseitigen, läßt sich an Lewis‘ Vorschlag erkennen, wie in seinem Theorierahmen die Infallibilität der Introspektion gesichert werden könnte, falls man sie sichern müßte. Das erforderliche Theorieelement besteht nach Lewis aus Klauseln der Art der Glaube, daß man* Schmerzen hat, tritt niemals auf, wenn keine Schmerzen vorliegen.57 Lewis macht jedoch zusätzlich zwei Angaben über den Status dieser Klauseln in der Theorie, die ich als Striktheitsanforderungen bezeichne. Die erste besagt, die Klauseln müßten in das Postulat der Theorie, d.h. in den einen Satz, der den gesamten Inhalt der Theorie angibt, einfach als Konjunkte eingehen. Im Gegensatz dazu können nämlich andere Klauseln in große Konjunktionsketten eingehen, die ihrerseits disjunktiv miteinander verbunden sind. Man kann diese großen Konjunktionen als geringfügig voneinander abweichende Versionen der Theorie ansehen, von denen nur behauptet wird, mindestens eine beschreibe jedes System im Gegenstandsbereich (beinahe) richtig. So betrachtet besagt die erste Striktheitsanforderung, daß die Klauseln für die Infallibilität der Introspektion in jeder der Theorievarianten enthalten sind. Die zweite Striktheitsanforderung lautet, ein System von Zuständen, welches diese Klauseln nicht perfekt erfüllt, sei nicht einmal eine Beinahe-Realisierung der Alltagspsychologie.58 Die beiden Striktheitsanforderungen sind darauf zugeschnitten zu garantieren, daß die Infallibilitätsklauseln oder auch andere Klauseln, für die die Anforderungen ebenfalls erhoben werden, jedes einzelne System, das zum Gegenstandsbereich der Theorie gehört, präzise beschreiben. Wie Lewis ausdrücklich bemerkt, bedeutet das, daß ein System, welches solche Klauseln verletzt, sich nach der Alltagspsychologie in überhaupt keinem geistigen Zustand befindet, also kein geistiges Wesen ist59. Der Alltagsverstand machte folglich eine überaus starke Annahme, wenn er an bestimmte Theorieelemente diese Forderungen stellte. Man kann dieser Feststellung einer ‚überaus starken Annahme‘ auf folgende Weise entgegentreten: Wenn man die Verbindungsklausel inklusive 57
Vgl. PsychTheoIdent, S. 261 Siehe PsychTheoIdent, S. 262: „near-Realization“. 59 Siehe S. 262: „Indeed, the victim no longer is in any mental state whatever...“ 58
186 beider Striktheitsforderungen zur Alltagstheorie des Geistes hinzufügt, so verändert man zugegebenermaßen den Begriff des Geistes auf eine Weise, daß die Menge der möglichen Individuen, auf die er zutrifft, verkleinert wird. Aber eine Begriffsveränderung ist keine Annahme, folglich auch keine ‚überaus starke‘. Wenn wir unseren Begriff des Hauses so verändern, daß das Haben eines Spitzdaches zum Merkmal des Begriffes wird, dann machen wir keine ‚überaus starke‘ Annahme über Häuser, sondern erhalten bloß einen Begriff, der auf weniger Dinge zutrifft. Die Begriffswahl mag nützlich oder schädlich sein, aber sie ist weder wahr noch falsch noch ‚stark‘. Wir müssen nun einmal aus unserer alltäglichen epistemischen Situation heraus unsere Begriffe formen oder historisch und sozial geformt haben; wieso sollten wir dabei nicht die zweifach strikte Verbindungsklausel einfach in die Theorie eingebaut haben, die unsere Ausdrücke für geistige Zustände implizit definiert? Meine Antwort ist vierfach: Erstens wäre angesichts der Tatsache, daß Klauseln ohne eine der beiden Striktheitsforderungen in die Theorie eingehen und dennoch zur impliziten Definition der ‚theoretischen‘ Ausdrücke beitragen können, eine solche Begriffsbildung völlig irrational, sofern sie ganz ohne Grund in der Sache erfolgt. Zweitens wäre sie ohne einen solchen Grund historisch äußerst instabil: Jede Erwägung, ob ein Wesen, welches die Klausel nicht erfüllt, vielleicht doch wenigstens als geistiges Wesen zu zählen ist, müßte die bisherige Begriffsbildung ins Wanken bringen. Drittens wäre sie sozial instabil: Es ist nicht erkennbar, wie eine solche Klausel ohne einen positiven, für alle einsehbaren Grund zum ‚gemeinsamen Wissen‘ einer Sprachgemeinschaft werden könnte. Viertens wäre sie interkulturell instabil, da ebensowenig erkennbar ist, wieso ohne einen solchen Grund alle Sprachgemeinschaften in diesem Punkt einheitlich verfahren sollen. Denn die sicherlich vorkommenden eher willkürlichen Nuancen in den Begriffsbildungen scheinen gerade die zu sein, in denen sich vergleichbare Begriffe verschiedener Sprachen typischerweise unterscheiden.60 60
In diesem Zusammenhang muß man sich den gewaltigen Kontrast vor Augen führen, der bei Lewis zwischen dem Status der Infallibilitätsklausel und einem Prinzip wie dem der instrumentellen Rationalität herrscht; siehe Plurality, S. 36: „We suppose that people tend to behave in a way that serves their desires according to their beliefs. We should take this principle of instrumental rationality to be neither descriptive nor normative but constitutive of belief. It enters into the implicit definition
187 Im folgenden wird es darum gehen, wie sich diese Anforderungen an die Kopplung der Fähigkeit zu ‚ich‘-Einstellungen und der umfassenden Fähigkeit zur Erkenntnis eigener geistiger Zustände stellen lassen und welche Konsequenzen es für die Gesamttheorie hat, wenn der Alltagsverstand in diesem Fall eine derartig starke Annahme macht. Da dabei die Art zur Diskussion steht, wie die Verbindung zwischen den Fähigkeiten in die Theorie integriert wird, darf man sich eine etwas schematische Herangehensweise gestatten und Fähigkeiten einfach als Zustände behandeln, die eine eigene kausale Rolle besitzen.61 Ein Nominalausdruck wie „die Fähigkeit zu ϕ-en“ soll also ähnlich einem nominalisierten Dispositionsprädikat wie „Zerbrechlichkeit“ funktionieren, sofern man es so versteht, daß es die physische Dispositionsbasis bezeichnet. In diesem Sinne könnte man etwa sagen, daß die Zerbrechlichkeit von Glas von vollkommen anderer Art als die Zerbrechlichkeit von Porzellan ist, falls Glas und Porzellan aufgrund sehr verschiedener Materialstrukturen leicht zerbrächen. Ein recht gutes Beispiel für Fähigkeiten aus der Physik geben „Wärmleitfähigkeit“ und „elektrische Leitfähigkeit“ ab: Ein und dieselbe physikalische Struktur von Festkörpern, nämlich die Ausbildung von Energiebändern, die nicht vollständig mit Elektronen gefüllt sind und ihnen daher kontinuierliche Energiezunahmen gestatten, läßt bei Anlegen einer Spannung eine gerichtete Eletronenbewegung entstehen (elektrische Leitung) und läßt eine ungeordnete Elektronenbewegung sich im Körper ausbreiten (Wärmeleitung).62 Die in die Theorie einzubringende Klausel hat dann die Form Fähigkeit 1 und Fähigkeit 2 treten immer zusammen auf oder Fähigkeit 1 liegt genau dann vor, wenn Fähigkeit 2 vorliegt. of what it is for someone to have a certain system of belief.“ Wir würden offenbar jeglichen Begriff des Überzeugtseins verlieren, wenn wir dieses – freilich recht vage gefaßtes („tend“) – Prinzip aufgäben. Nichts dergleichen wird von der Infallibilitätsklausel oder gar von ihrer zweifach strikten Integration in die Alltagstheorie des Geistes behauptet. 61 Zur Erinnerung werde ich gelegentlich etwas holprig von Fähigkeits-Zuständen sprechen. 62 Genau betrachtet spielen bei der Wärmeleitung auch die Atomrümpfe eine Rolle.
188 Wenn die eine Fähigkeit die zu ‚ich‘-Überzeugungen oder -Urteilen überhaupt und die andere die zur umfassenden Erkenntnis eigener geistiger Zustände von gewisser Art ist, gilt die eine Richtung des (quantifizierten) Bikonditionals trivialerweise, da die Fähigkeit festzustellen, ob man* in einem gewissen Zustand ist, sicherlich die Fähigkeit zum Glauben oder Urteilen impliziert, daß man* irgendwie ist. Diese Zusammenhänge legen eine Version der Verbindungsklausel nahe, die konkreter ist und die Problemlage plastischer repräsentiert: Sie besagt, daß die Fähigkeit, eigene Gefühlsepisoden, und die Fähigkeit, eigene gedankliche Episoden zu erkennen, strikt korreliert auftreten. Diese folgende kritische Diskussion werde ich nahand dieser zugespitzten Verbindungsklausel führen. An dieser Stelle ist es wichtig, den Sinn-Bedeutungs-Dualismus in Lewis‘ Konzeption im Auge zu behalten. In Lewis‘ Theorieschema sind die Ausdrücke für geistige Zustände, die in der Umgangssprache meist als Prädikate auftreten, in singuläre Terme verwandelt. Die Bedeutung dieser Terme sind die Zustände (Zustandstypen), welche die fragliche kausale Rolle spielen. Physikalisten glauben, dabei handle es sich um physikalische Zustände. Der Sinn der Terme enthält die kausale Rolle. Wenn man sich vorstellt, man hätte einen direkten Zugriff auf die physikalischen Zustände, so lassen sich zwei Fälle unterscheiden: Im ersten Fall treten Zwei verschiedene Zustände aufgrund eines kausalen Zusammenhangs immer gemeinsam auf. Es wäre denkbar, daß sich bei typischen Menschen Zahnschmerzen und eine grünliche Trübung des Sehfeldes so verhalten. Im zweiten Fall identifiziert man bloß auf verschiedene Weise etwas, das in Wahrheit ein einziger Zustand ist. Falls die Gesamttheorie die mittels verschiedener Rollen identifizierten Fähigkeits-Zustände im ersten Sinne in Beziehung setzte, so daß eine Verschiedenheit der Zustände ausgesagt oder jedenfalls nicht ausgeschlossen wird, wäre es äußerst unvernünftig, an die Verbindungsklausel die Striktheitsanforderungen zu stellen. Denn selbst wenn niemals beobachtet worden ist, daß die beiden Fähigkeiten auseinanderfallen, fehlte doch jede Rechtfertigung für die sehr starke Position, die einem möglichen, vielleicht durch gentechnische Experimente in der Zukunft hervorgebrachten Wesen, das die Gesamttheorie lediglich hinsichtlich der Verbindungsklausel verletzt, jeglichen geistigen Zustand abspricht. Hält man sich vor Augen, wie sehr besonders in ethischen Debatten die Überzeugungen darüber ausein-
189 andergehen, welche Grenzfälle noch als menschliche Personen gelten müssen, so ist ganz undenkbar, daß diese Position zum Konsens an Selbstverständlichkeiten über den menschlichen Geist gehört. Wenn die Alltagstheorie des Geistes also an die Verbindung zwischen den Fähigkeiten die Striktheitsanforderungen stellen soll, dann muß sie das in einer Weise tun, daß sie die Identität des ersten und des zweiten Fähigkeits-Zustandes aussagt. Dazu genügt es jedoch keineswegs, daß die Theorie statt der beiden Rollen R1 und R2, von denen bisher angenommen wurde, sie dienten jeweils zur Bezugnahme auf einen Fähigkeits-Zustand, nur eine einzige Gesamtrolle R konzipiert, die dann einem einzigen Zustand zukommt. Wenn nämlich R1 die Rolle ist, die ein Zustand Z1 spielt, und R2 die, die ein Zustand Z2 spielt, und Z1 und Z2 im Sinne des ersten Falles durch wechselweise Kausalität immer gemeinsam exemplifiziert sind, so gibt es immer einen komplexen Zustand (Z1 ∧ Z2), der ebenfalls durch eine kausale Rolle R identifiziert werden kann. Allerdings wird diese Rolle nicht einfach die konjunktive Rolle (R1 ∧ R2) sein, da R1 und R2 auf der Grundlage einer Theorie definiert sind, die zwei Zustände postuliert. Beispielsweise enthält R1 die Bestimmung, daß es zu dem Rollenspieler noch einen weiteren Zustand gibt, mit dem er in wechselweiser Kausalität steht, und das darf die Rolle von (Z1 ∧ Z2) sicher nicht enthalten. Jedoch wird das korrekte Resultat von der Konjunktion nur durch entsprechende formelle Anpassungen abweichen, so daß man einfach ‚(R1 + R2)‘ für die Rolle des komplexen Zustandes schreiben kann. Eine Umformierung der Theorie, so daß sich statt zweier Rollen R1 und R2 nur eine Rolle R = (R1 + R2) ergibt, schlösse demnach noch nicht aus, daß der eine mittels R identifizierte Zustand ein konjunktiver Zustand der Form (Z1 ∧ Z2) ist. Sie schlösse also nicht aus, daß die Rolle R zerlegbar ist in die Teilrollen R1 und R2, die zwei verschiedene Zustände identifizieren, welche nur aufgrund kausaler Wechselwirkung immer koexemplifiziert sind.63 Die Striktheitsanforderungen können folglich vernünftigerweise an die Verbindungsklausel nur gestellt werden, wenn man eine unzerlegbare Gesamtrolle annimmt.
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Unzerlegbarkeit einer Rolle heißt nicht, daß es keine Teilrollen wie R1 und R2 gibt, sondern daß die beiden durch R1 und R2 identifizierten Zustände identisch sind.
190 3.d Analogie: Die Proportionalität von träger und schwerer Masse rechtfertigt eine strikte Verbindungsklausel, doch ein einheitliches Massekonzept beruhte im klassischen Rahmen auf einer zerlegbaren Rolle. Um sich darüber klar zu werden, welche Gestalt die Alltagstheorie des Geistes annehmen müßte, um zu gewährleisten, daß die Gesamtrolle unzerlegbar ist, bietet es sich an, die Strukturgleichheit auszunutzen, die Lewis für die Definition wissenschaftlich-theoretischer Ausdrücke und für die Definition der gewöhnlichen Ausdrücke für geistige Zustände annimmt. Ich habe bereits das, was ich unter Fähigkeits-Zuständen verstehe, an dem Paar aus elektrischer und Wärmeleitfähigkeit erläutert. Aber es wird sich herausstellen, daß dieses Paar nicht das richtige Analogon zum Paar der geistigen Fähigkeiten darstellt. Ich führe deshalb ein treffendes Analogon ein. In der Physik findet sich ein Paar von Größen, das sich bemerkenswert ähnlich verhält wie das Paar der beiden diskutierten Fähigkeiten, und zwar im Dualismus von träger und schwerer Masse. Der Ausdruck für die träge Masse „mt“ geht in das dynamische Grundgesetz „F = mt ⋅ a“ ein, worin „F“ für die auf einen Körper wirkende Kraft und „a“ für seine Beschleunigung steht. Der Ausdruck für die schwere Masse „ms“ geht hingegen in das Gravitationsgesetz ein, wonach die zwischen zwei Körpern herrschende Gravitationskraft proportional ist zum Quotienten aus dem Produkt ihrer schweren Massen und dem Quadrat ihres Abstandes, d.h. zu ms(Körper 1) ⋅ ms(Körper 2) / r². Zur Vereinfachung sehe ich von den quantitativen Bestimmungen ab und verwende „TRÄGEMASSE“ und „SCHWEREMASSE“ als singuläre Terme für die Zustände, irgendeine träge bzw. irgendeine schwere Masse größer als Null zu besitzen. Dann kann man mit folgenden sehr vereinfachten funktionalen Definitionen arbeiten: TRÄGEMASSE = derjenige Zustand Z, so daß für alle x gilt: x hat Z ↔ x wird genau dann beschleunigt, wenn eine Kraft auf x wirkt SCHWEREMASSE = derjenige Zustand Z, so daß für alle x, y gilt: x hat Z und y hat Z ↔ zwischen x und y herrscht eine gravitationale Kraftkomponente Vereinfacht sind die Definitionen insbesondere, weil sie ganz offensichtlich nicht aus so etwas wie dem Ramsey-Satz einer physikalischen Theorie hervorgegangen sind. Sonst dürfte im Definiens nicht, wie es in beiden De-
191 finitionen der Fall ist, der Ausdruck „Kraft“ verwendet werden, der sicherlich ebensosehr ein theoretischer Term ist wie „Masse“. Der entscheidende Punkt ist jedoch, daß im Rahmen der klassischen Physik eine gesetzmäßige Beziehung zwischen träger und schwerer Masse für die funktionale Definition der beiden Terme ganz unwesentlich ist. Läßt man jede Aussage über eine solche Beziehung aus der klassischen physikalischen Theorie fort, so erlaubt die verbleibende Theorie eine Lewisianische Definition beider Terme, die der klassische Physiker als gute Analysen seiner Begriffe akzeptieren muß. Das dynamische Grundgesetz bzw. das Gravitationsgesetz wegzulassen bedeutete dagegen, daß man beide Massebegriffe aufgibt. De facto besteht allerdings ein experimentell hervorragend belegter ganz einfacher Zusammenhang zwischen den beiden Größen: Die schwere Masse ist proportional zur trägen Masse, so daß bei entsprechender Wahl der Einheiten ms = mt gilt. Entsprechend gilt für die simplifizierten Zustände ein Analogon zur Verbindungsklausel für die beiden Fähigkeits-Zustände: Etwas besitzt SCHWEREMASSE genau dann, wenn es TRÄGEMASSE besitzt. Wegen dieses einfachen Zusammenhangs kann ein klassischer Physiker den Unterschied von träger und schwerer Masse in der Praxis vergessen. Ein begrifflich ungenügend reflektierter Theoretiker könnte auch die Theorie mit einem einzigen Term für Masse „m“ formulieren, was vereinfacht auf folgende funktionale Definition hinausläuft: MASSE = derjenige Zustand Z, so daß • für alle x: x hat Z ↔ x wird genau dann beschleunigt, wenn eine Kraft auf x wirkt • ∧ für alle x, y: x hat Z und y hat Z ↔ zwischen x und y herrscht eine gravitationale Kraftkomponente Dieser Theoretiker kann sich einbilden oder unartikuliert für selbstverständlich halten, er verfüge damit über einen Begriff von einem nicht zusammengesetzten fundamentalen Charakteristikum aller Materie. Nach Max Jammer wurde die Dichotomie der beiden Massekonzepte tatsächlich vor dem zwanzigsten Jahrhundert allenfalls selten hervorgehoben.64 Aber 64
Siehe Jammer, Mass, S. 91.
192 die klassische Theorie selbst schließt nicht aus, daß die Rolle des Zustandes MASSE zerlegbar und dieser Zustand in Wahrheit der Komplex (TRÄGEMASSE ∧ SCHWEREMASSE) ist. Bei aller Analogie zwischen dem Verhältnis der beiden geistigen Fähigkeiten einerseits und dem Verhältnis von träger und schwerer Masse andererseits muß auf eine Disanalogie hingewiesen werden. Im physikalischen Fall ist es eher vernünftig als unvernünftig, angesichts des ausnahmslos beobachteten exakten Zusammenfallens der beiden Größen ein strikt geltendes Naturgesetz aufzustellen. Denn es paßte kaum zum fundamentalen Status von physikalischen Größen wie Kraft und Masse, wenn man behauptete, daß ein bestimmter Zusammenhang zwischen ihnen nur normalerweise oder typischerweise besteht. Die Äquivalenz von träger und schwerer Masse ist daher in der Physik ein Problem, denn die klassische Theorie steht da mit einem völlig isolierten nomologischen Anhängsel65, das dennoch mit derselben Striktheit und für dieselben fundamentalen Größen gilt wie das eigentliche Theoriegebäude. Eine Revision der Theorie ist unvermeidbar. Demgegenüber wäre die vernünftige Reaktion auf die beobachtete Koexemplifikation der beiden geistigen Fähigkeiten, daß die Verbindung beider Fähigkeiten bei Menschen ziemlich stabil ist, nicht aber, daß ein Wesen, welches die Verbindung nicht aufweist, in überhaupt keinem geistigen Zustand sein kann. Wenn jedoch die Alltagstheorie des Geistes die Striktheitsanforderungen an diese Verbindung stellt und nicht ganz unvernünftig ist, dann muß sie eine analoge Gestalt, wie sie die physikalische Theorie mit Blick auf den Massebegriff erst noch annehmen mußte, bereits besitzen. 3.e Eine unzerlegbare Rolle für Masse ergibt sich erst nach einer beobachtungsfernen theoretischen Revision; in der Alltagspsychologie muß sich die Einsicht in die unzerlegbare Rolle beobachtungsnah ergeben. Auch in der Physik ist die Revision längst Geschichte: In der allgemeinen Relativitätstheorie ist der klassische Dualismus von träger und schwerer Masse beseitigt. Mit Blick auf die hier allein interessierende Analogie genügt es, einige ihrer ganz allgemeinen Charakteristika festzuhalten: Erstens transformieren die Revisionisten die beobachtete Gleichheit der klassi65
Siehe J. J. C. Smart, Sensations: „nomological danglers“.
193 schen trägen und schweren Masse in ein Postulat, nämlich in die Forderung, die revidierte Theorie möge über Vorgänge in Gravitationsfeldern und über Beschleunigungsvorgänge die gleichen Aussagen machen.66 Zweitens ist die Revision äußerst aufwendig. Drittens führt sie nicht zu einer partiellen Korrektur, sondern zu einer Umgestaltung der ganzen Theorie. Viertens betrifft die Umgestaltung die fundamentalen Konzepte der Theorie, so daß man sagen muß, sie verändere die Auffassung vom Wesen des Gegenstandes der Physik. Versteht man unter diesem Gegenstand materielle Gegenstände in Raum und Zeit, so besteht nach der neuen Auffassung ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der geometrischen Struktur der Raumzeit und Bestimmungen der Körper in ihr. Fünftens entfernt sich die revidierte Theorie von mit alltäglichen Mitteln beobachtbaren Phänomenen. Sechstens: Während zumindest primär Bedürfnisse nach theoretischer Vereinheitlichung die Revision motivierten, wird die neue Theorie anhand von Konsequenzen für Einzelphänomene bestätigt, in denen sie von der klassischen Theorie abweicht.67 Kurz gefaßt ist diese Revision einer Theorie einerseits durch Relevanz für das Wesen des Gegenstandes und andererseits durch Beobachtungsferne gekennzeichnet. Auf die Frage, inwiefern die beiden Charakteristika auf die Gestalt übertragen werden müssen, welche die Alltagspsychologie bereits besitzen muß, wenn sie ohne unvernünftig zu sein die Striktheitsanforderungen an die Verbindungsklausel stellt, ergeben sich entgegengesetzte Antworten: Hinsichtlich der Relevanz für das Wesen des Gegenstandes der Theorie: Es wird kaum zu vermeiden sein, daß das an der Theorie, was dafür sorgt, daß die Striktheitsanforderungen vernünftigerweise gestellt werden, das Wesen ihres Gegenstandes betrifft, jedenfalls soweit eine solche Theorie überhaupt fähig ist, über dieses Wesen etwas auszusagen. Denn es geht um eine 66
Damit ist das der allgemeinen Relativitätstheorie zugrunde liegende Einsteinsche Äquivalenzprinzip gemeint, das in einem einführenden Lehrbuch so formuliert wird: „Sein [Einsteins; RB] Postulat lautet: In einem frei fallenden KS [Koordinatensystem; RB] laufen alle Vorgänge so ab, als ob kein Gravitationsfeld vorhanden wäre.“ (Fließbach, AllgemeineRelativitätstheorie, S. 48) 67 Es handelt sich um Phänomene wie die Lichtablenkung durch große Massen, die Gravitationsrotverschiebung und die Periheldrehung des Merkur, die nicht alltäglich zugänglich sind (Fließbach, Allgemeine Relativitätstheorie, S.141ff., 58ff., 145ff.).
194 strikt universelle Verknüpfung zwischen fundamentalen Typen von geistigen Zuständen – in der zugespitzten Form der Verbindungsklausel um die zwischen der Fähigkeit zur Erkenntnis eigener Gefühls- und der zur Erkenntnis eigener gedanklicher Episoden, die schwerlich bloß komplexe Ausübungen mehrerer anderer Fähigkeiten sind. Hier zeigt sich, weshalb elektrische und Wärmeleitfähigkeit als Analogon ungeeignet sind: Die Konzepte beider Fähigkeiten sind keine von fundamentalen physikalischen Größen oder Eigenschaften. Hinsichtlich der Beobachtungsferne: Die in Frage stehende Theorie ist eine Theorie des Alltagsverstandes, von dem nicht erwartet werden darf, daß er eine Tiefendeutung der geistigen Wirklichkeit entwickelt, die sich radikal von für ihn beobachtbaren Abläufen entfernt. Abgesehen davon, daß ihm die Kompetenz dazu zu fehlen scheint, ist er auch durch nichts dazu genötigt: Einerseits fehlt das im physikalischen Fall wirkende Movens des Vereinheitlichungsbedürfnisses, da die Beobachtung ihn gar nicht nötigt, die Verbindungsklausel strikt universal zu verstehen. Andererseits dürfte er von vergleichbar ausgefallenen Erscheinungen, wie sie am Ende die allgemeine Relativitätstheorie bestätigen, ebenso wenig Notiz nehmen wie der klassische Physiker. Obwohl man mit diesem Vergleich vorsichtig sein sollte, haben Vereinheitlichungsbedürfnisse und seltsame Sonderphänomene den Alltagsverstand auch nicht zu einer tiefschürfenden Theorie der körperlichen Erscheinungen veranlaßt. Es wäre also einerseits eine Einsicht des Alltagspsychologen in das Wesen des Gegenstandes seiner psychologischen Theorie erforderlich; andererseits kann sie nicht analog zur Situation in der Physik in einer sich von alltäglicher Beobachtung entfernenden aufwendigen Theoriebildung gewonnen werden kann, da der Alltagsverstand diese Einsicht erwerben können soll. So bleibt nur der Ausweg, eine beobachtungsnahe Einsicht in das Wesen der Sache anzunehmen. Es muß nicht die Verbindungsklausel selbst sein, die eine Einsicht mit diesem epistemischen Vorzug zum Ausdruck bringt. Im Prinzip könnte es sich um andere Klauseln handeln, sofern sie nur die ganze Theorie derartig prägen, daß es vernünftig ist, die Striktheitsanforderungen an die Verbindungsklausel zu stellen. Allerdings erscheint es mir vollkommen hoffnungslos, nach einer Beobachtung äußeren Verhaltens zu suchen, die zwangsläufig irgendwo in der Theorie zu einer Klausel führt, welche sich derartig auf die Verbindungsklausel auswirkt.
195 Wer das für möglich hält, ist aufgerufen, erstens eine andere plausible Klausel auszuformulieren, zweitens darzulegen, wieso sie eine beobachtungsnahe wesentliche Einsicht ausdrücken soll und drittens vorzuführen, wie sie sich auf die Verbindungsklausel auswirkt. Ich schließe, daß die erforderliche beobachtungsnahe Einsicht recht unmittelbar die Verbindungsklausel betreffen muß. Da sicherlich ausgeschlossen ist, daß eine Beobachtung äußeren Verhaltens die Klausel unmittelbar mit dem geforderten Status zu versehen erlaubt, werde ich etwas anderes vorschlagen. III. Die Ganzheits- und Organisationsgestalt 1. Die Verbindung zwischen Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis ist einsehbar durch einen beobachtungsnahen Begriff einer ‚Ganzheitsund Organisationsgestalt‘ der momentanen Bewußtseinsepisoden. Mein Vorschlag betrifft wieder die ursprüngliche Variante der Beziehung zwischen den mit der Kompetenz zur Verwendung des Indikators ‚ich‘ verbundenen Fähigkeiten, d.h. die Beziehung, aufgrund derer die Fähigkeit zu intentionalen Zuständen mit ‚ich‘-Charakter (Selbstbewußtsein) nur zusammen mit der generellen Fähigkeit zur Erkenntnis gewisser Sorten von eigenen geistigen Zuständen (Selbsterkenntnis) auftreten kann. Es ist klar, daß eine Ausübung der ersten Fähigkeit nicht immer auch eine der zweiten sein muß, da man beispielsweise urteilen kann, man* besitze gewisse körperliche Eigenschaften, ohne daß das Urteil auf eine für ‚ich‘-Urteile spezifische Weise gerechtfertigt ist. Ebenso übt man etwa beim Urteilen, daß man* gerade Zahnschmerzen hat, die zweite Fähigkeit nur in einer speziellen Weise aus. Doch angenommen erstens, daß die Ausübung der ersten Fähigkeit in geistigen Episoden, also etwa in Denk- oder Urteilsepisoden mit ‚ich‘Charakter, eine geistige Aktivität einschlösse, die der momentanen Gesamtheit durchlebter Bewußtseinsepisoden eine spezielle Struktur oder, wie ich sagen werde, Gestalt68 verleiht, und zweitens, daß man von dieser Gestalt einen unmittelbaren Begriff bilden könnte. Dann könnte auch ein Begriff von dieser Fähigkeit die generelle Möglichkeit einschließen zu re68
Der Ausdruck „Gestalt“ soll hier nicht auf Castañedas Theorie der Gestaltungen verweisen, sondern ist eher im Sinne der Gestalttheorie gemeint.
196 gistrieren, ob sich unter den eigenen, nämlich den insgesamt in dieser Gestalt gefaßten gerade durchlebten Episoden solche von einem bestimmten Typ befinden. Zur Erläuterung möchte ich eine weitere Analogie bemühen. Es ist gut denkbar, daß wir zu irgendeinem kognitiven oder kommunikativen Zweck über einen speziellen Indikator verfügten, vielleicht „DIES“: Mit ihm könnten wir auf unser momentanes visuelles Feld in seiner Gesamtheit bezug nehmen, im Unterschied zum gewöhnlichen Demonstrativum ‚dies’, mit dem wir nur auf einzelne Aspekte unseres visuellen Felds bezug nehmen. Eine gewöhnliche kompetente Bezugnahme mit einem demonstrativen Ausdruck pflegt, sofern sie sich auf visuelle Informationen über die Umgebung stützt, mit einer Konzentration der Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Aspekt des visuellen Feldes einherzugehen. Mit ein wenig Konzentration können wir wohl tatsächlich auch auf ein visuelles Feldganzes acht geben, und diese Fähigkeit wäre in perfektionierter und automatisierter Form mit der Verwendung von „DIES“ verbunden. Je nach theoretischem Hintergrund kann man zu verschiedenen Ansichten darüber neigen, worauf eine Verwendung von „DIES“ bezug nähme: etwa auf einen Ausschnitt der physischen Umgebung, auf einen vereinheitlichten Komplex von Sinnesdaten, von sinnlichen Qualitäten oder von perzeptuellen Episoden. Auf jeden Fall könnten wir von Bezugsobjekten von „DIES“ einen vergleichbar beobachtungsnahen Begriff besitzen wie ein normal Sehender von den Farben. Wenn wir ferner vermittels dieses Begriffs einen Begriff von der Fähigkeit zur ‚DIES‘-Bezugnahme besäßen, so schlösse dieser Begriff sicherlich die Fähigkeit ein, durch ein wenig Aufmerksamkeit gewisse Dinge über das jeweilige DIES festzustellen, etwa ob es links etwas Rotes oder rechts etwas Dreieckiges enthält. Um die hypothetische mit „DIES“ verbundene Bezugnahmeweise als Modell für die ‚ich‘-Bezugnahme brauchbar zu machen, muß man einen Aspekt besonders hervorheben: Lenkt man die Aufmerksamkeit auf etwas, so kann das diese Sache selbst oder ihre Erscheinungsweise modifizieren (die Sache, wenn es sich etwa um Sinnesdaten oder sensorische Inhalte handelte, ihre Erscheinungsweise, wenn es sich um Aspekte der Umgebung handelte). So wie die Gestalt eines Körpers plastisch hervortritt, wenn er ins Zentrum des Blickes und der Aufmerksamkeit gerät, so dürfte auch die mit ‚DIES‘-Bezugnahmen einhergehende Aufmerksamkeit das
197 Feldganze so formieren, daß seine ganzheitliche Gestalt hervortritt. Diese Formierung ist an der räumlichen Struktur des visuellen Feldes orientiert, jedoch dadurch noch nicht gegeben, so wenig wie die räumliche Form eines Körpers schon dadurch plastisch als Gestalt hervortritt, daß er in dieser Raumstruktur erscheint. Mein Vorschlag lautet, daß zwischen ‚DIES‘- und ‚ich‘-Bezugnahmen keine bloße strukturelle Analogie, sondern eine große inhaltliche Ähnlichkeit besteht: Der Indikator ‚ich‘ ist tatsächlich ein sehr spezielles Demonstrativum, eine radikalisierte Variante von „DIES“ mit folgenden Besonderheiten: i. Verwendungen von ‚ich‘ sind nicht mit einer Aufmerksamkeit auf das Ganze eines visuellen Feldes, sondern mit einer speziellen Aufmerksamkeit auf das Ganze aller Bewußtseinsepisoden der unterschiedlichsten Arten verbunden, die die betreffende Person im Moment durchlebt. ii. Dieser Aufmerksamkeit liegt nichts vergleichbar Manifestes wie die Raumstruktur eines Wahrnehmungsfeldes zugrunde, und das Ganze, worauf geachtet wird, ist sowohl quantitativ viel umfassender als auch qualitativ heterogener, da es jedenfalls die Wahrnehmungsfelder sämtlicher sinnlicher Modalitäten umfaßt. Deshalb ist der Aufmerksamkeitsakt zum einen eine viel spezifischere Leistung als die Aufmerksamkeit auf ein visuelles Feldganzes und läßt sich kaum noch als extreme Variante der gewöhnlichen Aufmerksamkeit auf einen einzelnen präsentierten Aspekt verstehen. Zum anderen ist das modifizierende Moment des Aktes weitaus größer: Der Akt schließt eine Reorganisation des Komplexes gerade erlebter Episoden ein, die eine spezifische Gestalt des Komplexes erst schafft und nicht bloß eine gegebene Form hervortreten läßt, wie man von der an der Raumstruktur orientierten ‚DIES‘-Aufmerksamkeit sagen muß. In dieser Gestalt erscheinen die Elemente des Komplexes als Elemente eines Ganzen und als untereinander organisiert, so daß man von der Ganzheits- und Organisationsgestalt (kurz G-O-Gestalt) des Komplexes sprechen kann. Ich bezeichne den Aufbau einer solchen G-O-Gestalt als eine Reorganisation der momentanen Gesamterfahrung. Doch besonders der Gegensatz zur ‚DIES‘-Aufmerksamkeit, die eine eindeutige Grundlage in der Raumstruktur eines Feldes besitzt, macht deutlich, daß dabei etwas ganz Neues in die Gesamterfahrung hineinkommt. So wird die Konzeption auch Castañedas Aussage gerecht, der kreative Charakter indexikalischer Be-
198 zugnahmen liege bei ‚ich‘-Bezugnahmen besonders prägnant vor. Von der räumlichen Konnotation von „Gestalt“ muß man dabei abgesehen; sie wäre vermeidbar, wenn man statt dessen von einer Struktur spräche, doch dann käme nicht zum Ausdruck, daß ähnlich wie beim Aspektsehen plötzlich etwas heraussticht, das ein eigenes Ziel der Aufmerksamkeit ist. iii. Aufgrund der Neuartigkeit der G-O-Gestalt kann man sich an die ‚ich‘Aufmerksamkeit nicht spontan heranpirschen, wie wir es tatsächlich bei der ‚DIES‘-Aufmerksamkeit vermögen. Vielmehr beruht die Ausbildung dieser Fähigkeit auf Grundlagen in der Hardware, mit der die Evolution den normalen menschlichen Geist ausgestattet hat. Von einer derartig verankerten Fähigkeit darf man erwarten, daß sie, sobald sie einmal ausgebildet ist, stark automatisiert ist, also zur vollen Ausübung keiner besonderen Anstrengung, sondern bloß eines geeigneten Anlasses bedarf. Man darf dann auch erwarten, daß ihre Ausübung einen zwar nicht allzu lange andauernden, jedoch recht stabilen Zustand hervorbringt, der nicht schon durch eine spontane Aufmerksamkeit auf irgendein Einzelelement zusammenbricht. Ähnlich wie bei ‚DIES‘-Bezugnahmen würde eine beobachtungsnahe Begriffsbildung, die sich an durchlebten Episoden einer solchen ‚ich‘Aufmerksamkeit orientiert, zu einem Begriff von ‚ich‘-Bezugnahmen führen, der ganz selbstverständlich die Möglichkeit einschlösse, durch Achtgeben auszumachen, was für Einzelelemente in dem Komplex enthalten sind, dessen Ganzheitsgestalt präsent ist. Man kann zu bedenken geben, genau an dieser Stelle breche die Analogie zwischen ‚DIES‘- und ‚ich‘-Bezugnahmen, selbst wenn diese mit der postulierten Aufmerksamkeit einhergehen. Denn die ‚DIES‘-Bezugnahme weiche zwar bereits von unserer gewöhnlichen kognitiven Verarbeitung des Gesehenen arg ab, sei jedoch immerhin noch mit visueller Wahrnehmung verbunden, so daß ein Beobachtungsbegriff von dem, worauf man bei einer solchen Bezugnahme aufmerksam ist, noch im Rahmen des Möglichen liege. Bei der ‚ich‘-Bezugnahme hingegen gehe gerade dieser Wahrnehmungsbezug verloren, und damit sei die Forderung nach einem Beobachtungsbegriff prinzipiell fehl am Platz. Doch erstens soll die geführte Argumentation eine Datenauswertung sein, deren vortheoretisch formuliertes Resultat in jede Theoriebildung eingehen muß. Selbst wenn sämtliche bisherigen Theorien Beobachtungskonzepte
199 strikt an Wahrnehmung binden sollten, ergeht an sie durch dieses Resultat die Forderung, ein allgemeineres oder analoges Konzept zu entwickeln, das auf die Aufmerksamkeit auf eine G-O-Gestalt anwendbar ist und die begriffliche Verknüpfung zu erklären erlaubt. Zweitens bieten Theorien, die überhaupt Differenzen der Beobachtungsnähe von Begriffen zulassen, auch Ressourcen, um die Bindung beoachtungsnaher Begriffe an die Wahrnehmung äußerer Dinge und ihrer Eigenschaften und Beziehungen abzuschwächen. Denn wesentlich für die Differenzierung ist nicht die Äußerlichkeit des Wahrgenommenen, sondern ob jemand einen bestimmten Begriff nur entwickeln kann, wenn das, wovon der Begriff handeln soll, gelegentlich anwesend ist und in einem bestimmten Kontakt mit ihm steht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich die erforderliche Anwesenheit und die Art des Kontaktes recht leicht über die Wahrnehmung äußerer Dinge hinaus generalisieren läßt. Sobald es an die Theoriebildung geht, können beispielsweise physikalistische Gesonnene an B. Loars Konzept der phänomenalen Begriffe anknüpfen: Phänomenale Begriffe sollen direkt konzipierende Begriffe von Erfahrungsqualitäten sein. Loar entwickelt dieses Konzept aus einer Generalisierung des Konzeptes der Rekognitionsbegriffe für Typen wahrnehmbarer äußerer Dinge.69 Da es auf den präsentationalen Charakter der G-O-Gestalt ankommt, ist die Frage berechtigt, ob man an einem Phänomen belegen kann, daß ‚ich‘Urteile mit einer solchen Reorganisation des geistigen Lebens verbunden ist. Etwas Ähnliches wie Anette dürfte jedem schon einmal passiert sein: Anette, eine Philosophiestudentin, hat den ganzen Tag über H.-N. Castañedas späten Aufsätzen zum Selbstbewußtsein gebrütet. Abends steigt sie auf ihr Fahrrad, um nach Hause zu fahren und dort etwas zu essen, doch Castañedas kryptische Ausführungen lassen sie nicht los. Als sie ankommt, stellt sie gedankenverloren ihr Rad ab und kramt den Schlüssel hervor, um die Haustür zu öffnen. Beim ersten Versuch bekommt sie ihn nicht ins Schlüsselloch, doch auch weitere sorgfältigere Versuche scheitern. Der Schlüssel paßt nicht. Ein unbestimmtes Gefühl von Ärger durchzieht sie, aber auf einmal wird ihr klar: Sie* ist ja letzte Woche umgezogen, und vor lauter Grübeln ist sie* aus Gewohnheit zu dem Haus gefahren, in dem sie* vorher ein Zimmer bewohnte!
69
Siehe Loar, PhenStates, besonders S. 600-603. Siehe genauer Teil EINS.
200 In dieser Anekdote verweist die Phrase „auf einmal wird ihr klar“ auf eine Zäsur. Wie das dreifache Vorkommen des Quasi-Indikators „sie*“ verdeutlicht bilden nach der Zäsur ‚ich‘-Urteile den der Situation angemessenen kognitiven Modus. Anette wird wohl bestätigen, daß die Zäsur mit einem schlagartigen Gestaltwechsel ihres Gesamterlebens einhergeht: Zuvor ist sie den verschiedenen Inhalten ihres Bewußtseins hingegeben; sie vollzieht wie programmiert die für das Nachhausekommen erforderlichen Handlungen, und zugleich sortiert sie im Geiste Aspekte von Castañedas Theorie. Doch eine Störung des gewohnten Ablaufes beendet dieses naive Hingegebensein und erzwingt eine Neugestaltung, die man so charakterisieren kann: Die verschiedenen Inhalte bilden plötzlich ein Gesamtpanorama, das so organisiert ist, daß sich die Aufmerksamkeit frei den heterogenen Inhalte zuwenden und alles mit allem in Beziehung setzen kann. Sicherlich kommen auch neue Inhalte hinzu, besonders die Erinnerung an den Umzug. Doch es treten nicht bloß Einzelinhalte, sondern das ganze Erleben erscheint plötzlich in einer Gesamtgestalt. 2. Einwände: Erfahrungssubjekt, ‚ich‘-Charakter, Integration Einige weitere Aspekte des Vorschlages kann ich am besten erläutern, indem ich auf mögliche Einwände oder Bedenken eingehe. Einwand 1 lautet, der Vorschlag laufe doch darauf hinaus, daß sich Verwendungen des Indikators ‚ich‘ auf die Gesamtheit aller momentanen Erlebnisse einer Person beziehen. Eine solche kategoriale Festlegung des Bezuges sei jedoch an der Weise, wie ‚ich‘ gebraucht wird, gar nicht erkennbar. Zum einen schreiben wir mit ‚ich‘-Sätzen auch körperliche Eigenschaften zu, und das könne allenfalls bei einer ganz außergewöhnlichen Interpretation der Prädikation zu wahren Aussagen führen. Zum anderen müßte die Selbstzuschreibung geistiger Eigenschaften eine semantische Struktur aufweisen, die, an die grammatische Oberfläche gebracht, in Sätzen der Art „Ich enthalte ein Schmerzerlebnis“ erscheinen müßte. Das klinge aber so skurril, daß es kaum die wahrhafte semantische Struktur auf den Punkt bringen kann. Zum einen beinhaltet der Vorschlag jedoch keineswegs, daß man sich mit einer Verwendung von ‚ich‘ auf ein Gesamterlebnis bezieht. Ganz sicher gilt das nicht in einem theoretisch geschärften Sinn von ‚beziehen‘, in dem ein moderner Fregeaner darauf bestehen wird, daß sich ein singulärer Term
201 in gewöhnlicher Verwendung auf seine fregesche Bedeutung, nicht aber auf seinen Sinn bezieht. Der Vorschlag ist noch kein Glied in einer Theorie der Bezugnahme, der propositionalen Einstellungen und des Selbstbewußtseins, sondern informelles Resultat einer Datenauswertung. Vorausgesetzt daß die Auswertung den Vorschlag wirklich motiviert, sollte jede Theorie ihn in einer ihr möglichen Form zu integrieren versuchen. Was speziell die Zuschreibung körperlicher Eigenschaften angeht, so kann man allerdings voraussagen, daß die semantische Relevanz der ‚ich‘-Aufmerksamkeit in einer Freges Dualismus verpflichteten Theorie die Ebene des gewöhnlichen Sinnes und nicht die der Bedeutungen betreffen wird. Zum anderen beinhaltet der Vorschlag keineswegs, daß man sich mit einer Verwendung des Indikators ‚ich‘ auf ein Gesamterlebnis bezieht. Wie aus der Unterscheidung (ii) hervorgeht, kann man die ‚ich‘-Aufmerksamkeit nicht mehr als Achtgeben auf eine bereits vorhandene Gesamtheit verstehen, sondern es ist eine Aufmerksamkeit auf eine im Akt erst hergestellte Ganzheits- und Organisationsgestalt. Das Konzept einer G-O-Gestalt stützt sich bislang nur auf eine durch Hinweise auf Disanalogien kommentierte Analogie. Man kann allerdings vorsichtig extrapolieren, in welche Richtung eine Theoriebildung gehen muß: Die heterogenen Elemente des Erlebens, etwa die Aspekte des visuellen Feldes, offenbaren normalerweise etwas über die wirkliche Welt. Im unreflektierten Denken unterstellen wir naiv diesen Status, indem wir auf ihrer Grundlage ‚weltliche‘ Urteile fällen. Doch erst in dem Moment, in dem die G-O-Gestalt des Komplexes dieser heterogenen Elemente hervortritt, erscheinen sie als Elemente, welche trotz aller Heterogenität organisiert sind und ein Ganzes bilden. Es ist nachvollziehbar, daß sie dabei ihren naiv hingenommenen welterschließenden Status verlieren und als Inhalte erscheinen, die günstigenfalls auf verschiedene Weise die Welt charakterisieren. Wie soll man unter diesen Umständen die spezielle Aufmerksamkeit auf die G-O-Gestalt selbst theoretisch einordnen? Sie ist keine Aufmerksamkeit auf den einen oder anderen typischerweise welterschließenden Inhalt, sondern auf dasjenige, was diese Elemente als typischerweise welterschließend erscheinen läßt. Das berechtigt dazu, in traditioneller Terminologie zu sagen, die Aufmerksamkeit auf die G-O-Gestalt sei ein Gewahrsein des Umstandes, daß all diese Elemente einem Subjekt zugehören. Dann spricht auch alles dafür, die Aufmerksam-
202 keit auf die G-O-Gestalt einfach als ein Achtgeben auf das Subjekt des ganzen Erlebens zu beschreiben. Denn daß Selbstbewußtsein im Denken an sich selbst als sich selbst besteht, darf man als Ausgangspunkt nehmen; und wenn überhaupt von einem Achtgeben auf das Subjekt des Erlebens die Rede sein kann, muß es mit diesem Denken identisch sein. Es ist jedoch nichts anderes in Sicht, was mit einem Denken an sich selbst als sich selbst identifiziert werden könnte, als das Achtgeben auf die ausgebildete G-O-Gestalt. Selbstbewußtsein ist damit tatsächlich ein Denken an sich selbst als Subjekt der gegenwärtigen Gesamterfahrung. Einwand 2 besagt: Tatsächlich mag ein Begriff von der angeblich mit ‚ich‘-Bezugnahmen verbundene Aufmerksamkeit auf eine G-O-Gestalt die Möglichkeit einschließen, einzelne Elemente in dem Ganzen zu registrieren. Aber es fehlt ein Nachweis, daß eine urteilende Episode mit ‚ich‘Charakter so eine Aufmerksamkeit einschließen muß, und der ist erforderlich, um die wesentliche Verbindung zwischen den in Frage stehenden Fähigkeiten zu sichern. Der Vorschlag enthält jedoch noch keine Theorie über die allgemeine Art, wie geistige Zustände und Episoden ihre Gehalte bekommen. Von welcher Art müßte eine passende allgemeine Theorie sein? Angenommen die mit ‚ich‘-Verwendungen verknüpfte Aufmerksamkeit läßt sich tatsächlich als Achtgeben auf das Subjekt des Gesamterlebens verstehen. Da man unter Personen Wesen versteht, deren geistige Kompetenz eine Stufe erreicht hat, die der Fähigkeit zu ‚ich’-Verwendungen entspricht, kann man Personen als Wesen bestimmen, für die es wesentlich ist, ihr Leben in regelmäßigen Episoden eines solchen Subjektbewußtseins praktisch zu gestalten.70 Die passende Theorie muß dann eine solche sein, 70
Castañeda betont die zentrale Bedeutung des Selbstbewußtseins für das menschliche Leben besonders in seinem unveröffentlichten Typusskript zur Handlungstheorie HumanAction: S. 3: „To live as a human being is not merely to exist as a biological creature satisfying one’s urgent needs. To live as a human being is to create one’s biography...“; S. 5: „Human living ... consists of being engaged in plans and projects. This requires some knowledge of oneself...“; S. 9: „...human living requires some significant amount of self-knowledge.“ DoingThinking, S. 5: „...there is in human agency a special type of phenomenon: we intend; we make decisions after carefully weighing reasons pro and con; we adopt plans of action, and we choose particular acts. Here we have both episodes of mental activity and dispositional states of mind involving higher-order awareness. ... we are thinking of ourselves as
203 in der der kaplansche semantische Charakter von „ich“, also die Funktion, die Kontexte auf die Personen abbildet, die Sprecher oder Denker im Kontext sind, nicht den eigentlichen Beitrag zum Inhalt einer durch ‚ich‘Sätze ausdrückbaren gedanklichen Episode darstellt. Der eigentliche inhaltliche Beitrag ist etwas anderes. Aber er ist in der Weise mit so etwas wie dem kaplanschen ‚ich‘-Charakter verknüpft, daß nur bei Episoden mit diesem Typ von inhaltlichem Beitrag garantiert ist, daß die denkende Person die Satzfunktion „x bezieht sich auf x“ erfüllt. Die Theorie muß demnach mit singulären Termen inhaltliche Beiträge derart verbinden, daß man in einer gedanklichen Episode mit dem zu einer Kennzeichnung „Die Person, die F ist“ gehörenden Beitrag gelegentlich die Satzfunktion „x bezieht sich auf x“ erfüllt, aber nur in Episoden mit einem Beitrag des zu „ich“ gehörenden Typs das immer der Fall ist. Das läßt sich unter zwei Bedingungen bewerkstelligen: Erstens muß die Theorie die im Subjektbewußtsein präsente G-O-Gestalt oder etwas sie wesentlich Einschließendes mit dem Subjekt des momentanen Erlebens identifizieren und dieses Subjekt zum inhaltlichen Beitrag von ‚ich‘-Episoden erklären. Zweitens muß sie Personen als Systeme auffassen, die in ihrer Lebensgeschichte derart organisiert sind, daß sie sich im Denken an das Subjekt einer Gesamterfahrung auf sich selbst beziehen. Das wäre einfach konstitutiv für den Personbegriff. Der dritte und wichtigste Einwand besteht in dem Hinweis, der Vorschlag könne doch nur erklären, weshalb ein Begriff von ‚ich‘-Bezugnahmen die Möglichkeit einschließt, solche episodischen Elemente als von einem selbst erlebte zu registrieren, die de facto zu einem Komplex gehören, auf dessen G-O-Gestalt man aufmerksam ist. Es bestehe aber keine Garantie, daß ein solcher Komplex immer mit dem Komplex sämtlicher Episoden zusammenfällt, die eine Person momentan durchlebt. Denn gerade wenn man betont, daß diese Gestalt im Akt der ‚ich‘-Aufmerksamkeit erst hervorgebracht wird, indem der Komplex von Episoden reorganisiert wird, muß man die prinzipielle Möglichkeit einräumen, daß die Reorganisation nur unvollständig gelingt und ein Teil des Komplexes außerhalb des Reorganisationsproduktes verbleibt. agents in the first person way. For this we must be aware of our mental acts and states.“ PhLI-I-Guises, bes. S. 136: „Persons are complexes of bodies that ... are ... connected to particular families of I-guises along their histories.“
204 Ich stimme dieser Diagnose im vollen Umfang zu. Doch das Diagnostizierte ist keine Krankheit meines Vorschlages. Personen gestalten, so habe ich angenommen, ihr Leben wesentlich in Bewußtseinsepisoden, die durch ein Subjektbewußtsein organisiert sind. Dann sollte man jedoch einen strikten Begriff davon zugrunde zu legen, welche geistigen Episoden einer Person zugehören: Ihm zufolge gehören in einer Phase des Subjektbewußtseins diejenigen Episoden zu der Person, die bei der Reorganisation mit erfaßt werden, aus der das Subjektbewußtsein hervorgeht, und in anderen Phasen solche Episoden, die bei Ausbildung eines Subjektbewußtseins mit erfaßt würden. Dieser strikte Begriff ist der fundamentale Begriff von der Zugehörigkeit von geistigen Episoden zu Personen, weil er für den Begriff der Person konstitutiv ist. Sobald verschiedene Grade entdeckt werden, in denen Subkomplexe von Episoden nicht in ein wirkliches oder mögliches Subjektbewußtsein integriert sind, kann man abgeschwächte Konzepte entwickeln, gemäß denen solche desintegrierten Teile dennoch einer Person zugeschrieben werden können, etwa weil sie integrierbare Episoden oder das Verhalten beeinflussen.71 Damit lassen sich auch die anfänglichen Bedenken ausräumen, ob Aussagen wie die Beispielaussage wirklich begrifflich falsch sind: Sie sind es, wenn man die Frage, ob eine gewisse Person Zahnschmerzen hat, im Sinn des strikten Begriffes von der Zugehörigkeit geistiger Episoden versteht. Die äußerst starke Neigung, solche Aussagen als begrifflich falsch zu beurteilen, stammt daher, daß der strikte Begriff der gewöhnliche und dem Alltagsverstand am nächsten liegende ist – nicht bloß, weil Desintegrationen im Alltag schwerlich diagnostiziert werden, sondern weil es der fundamentale Begriff ist. Die Bedenken, ob Ausnahmen möglich sind, stammen demnach tatsächlich von unserer theoretischen Vorbelastung, die uns empfiehlt, Fälle von Desintegration nicht voreilig auszuschließen.
71
Ich orientiere mich an Castañedas Deutung des Blindsehens als unvollständiger Integration eines visuellen Wahrnehmungsfeldes in ein Ich-Bewußtsein; siehe PhLI-IStructures, S. 280, S. 284-5; Apperception, 153-155; analog könnte es „Blindschmerzen“ geben, d.h. Schmerzerlebnisse, die nicht in ein Selbstbewußtsein integriert sind. Siehe zu einer anderen Auffassung Loar, PhenStates, 604f. (Teil EINS). Die Deutung des Blindsehens-Phänomens ist ziemlich umstritten; das ändert aber nichts an der prinzipiellen Möglichkeit nichtintegrierter Erlebnisse.
205 Allerdings fragt sich, ob nicht jede beliebige Theorie einen strikten Begriff zulassen und mit ihm die begriffliche Falschheit der relevanten Aussagen erklären kann. Mag sich auch nicht garantieren lassen, daß Zustände mit ‚ich‘-Charakter epistemisch relevante Beziehungen zu sämtlichen geistigen Episoden der Person aufweisen: Wir erklären einfach nur solche Episoden für im strikten Sinne der Person zugehörig, die derart angebunden sind, und schon ist die strikte Universalität des Umstandes erklärt, daß Zustände mit ‚ich‘-Charakter in epistemisch relevanten Beziehungen zu sämtlichen der Person zugehörigen Zuständen stehen. Aber eine solche Begriffsbildung wäre ebenso ad hoc und willkürlich wie die zuvor diskutierten Versuche, eine strikte Universalität beanspruchende Verbindungsklausel in die Alltagstheorie des Geistes zu integrieren. Um das klar zu erkennen, muß man vergleichen, wie dieser Zug in einer Theorie ohne G-O-Gestalt, kurz: einer GOG-losen Theorie, im Kontrast zu meinem Vorschlag aussieht. Jeder Theoretiker könnte und sollte die Fähigkeit zur ‚ich‘-Bezugnahme in den Personbegriff aufnehmen. Jede Theorie sollte angeben können, zu welchen zusätzlichen kognitiven Leistungen ein Wesen fähig ist, sobald es die Kompetenz zu gedanklichen Episoden mit ‚ich‘-Charakter besitzt. Ich werde einfach zugestehen, daß etwas in der Art auch ohne das Konzept der G-O-Gestalt möglich ist. Dann kann der GOG-lose Theoretiker zwischen geistigen Episoden der Person unterscheiden, die auf die richtige Weise mit der Kompetenz zu ‚ich‘-Gedanken verknüpft sind, und solchen, bei denen das ausnahmsweise nicht der Fall ist. Wegen der angenommenen großen kognitiven Bedeutung von ‚ich‘-Gedanken kann er ein engeres Konzept davon bestimmen, daß geistige Episoden diejenigen einer bestimmten Person sind. Doch wenn er annimmt, dieses Konzept liege der begrifflichen Falschheit von (BA) zugrunde, so wiederholt er nur in einer Variante den unter der Formel „Begriffe sind keine Annahmen“ diskutierten Vorschlag, daß der Alltagsverstand die zweifach strikte Verbindungsklausel eben einfach in seine Theorie des Geistes aufnehmen kann, ohne damit eine theoretische Annahme zu machen.72 Die einzigen Unterschiede sind folgende: Erstens sollte dem früheren Vorschlag zufolge die strikte Verbindungsklausel den ganzen Begriff des menschlichen Geistes mitbestimmen, während sie jetzt nur ein enges Konzept der Zugehörigkeit von geistigen 72
Siehe im vorigen Abschnitt II Sektion 3.c.
206 Episoden zu Personen auszeichnen soll; zweitens gibt der GOG-lose Theoretiker mit der bedeutenden kognitiven Rolle von ‚ich‘-Gedanken einen Grund für die Begriffsbildung an. Aber das ist kein Grund in der Sache; weder was der Alltagsverstand über geistige Episoden noch was er über ‚ich‘-Denken und -Urteilen weiß, erfordert nach dieser Auffassung die zweifach strikte Verbindungsklausel. Er reicht nicht aus, um einem vernünftig organisierten Alltagsverstand diese enge Zugehörigkeit als die für Personen grundlegende erscheinen zu lassen und ihn auf das enge Konzept zu fixieren, wenn ihm eine Aussage wie (BA) unterkommt. Zum Einwand ‚Begriffe sind keine Annahmen‘ habe ich festgestellt, daß die Einfügung der strikten Verbindungsklausel ohne Grund in der Sache unvernünftig sowie historisch, sozial und interkulturell instabil wäre. Dasselbe gilt aber für die ad hoc-Fixierung auf das enge Konzept der Zugehörigkeit. Das Konzept der G-O-Gestalt stellt demgegenüber einen Grund in der Sache zur Verfügung. Die Sache, in welcher der Grund liegt, sind nicht die geistigen Episoden; man sollte kein theoretisches Problem mit Tieren oder Kleinkindern haben, die geistige Episoden durchleben, ohne zum Selbstbewußtsein auch nur fähig zu sein. Der Grund liegt vielmehr im Phänomen des Selbst- oder Subjektbewußtseins. Wenn ‚ich‘-Bezugnahmen mit einer Präsentation der G-O-Gestalt eines durchlebten Episodenkomplexes verbunden sind, dann kann jeder unmittelbar erfahren, wie diejenigen Episoden, die in einem grundlegenden Sinne seiner* Person zugehören, gerade die sind, die er als seine* registrieren kann: ‚Seine*‘ Person ist das personale System, in dem ‚dieses Subjekt‘ Element ist; in einem grundlegenden Sinn gehören diejenigen Episoden zu ‚seiner*‘ Person, die in ‚dieses Subjekt‘ integriert sind, d.h. die gewissermaßen von ‚dieser‘ G-O-Gestalt umrahmt sind; und worin immer ein unmittelbares Registrieren solcher Episoden bestehen mag – die Episoden, welche tatsächlich von ‚dieser‘ G-OGestalt umrahmt sind, werden auch die sein, die bei angemessener Aufmerksamkeit als so umrahmt registriert werden können. Das ist eine bildhaft-suggestive Formulierung73, die in der Theoriebildung nicht das letzte Wort bleiben kann. Doch sie stellt den entscheidenden Unterschied zur Lage der GOG-losen Theorie heraus. 73
Um der Suggestion willen habe ich mir in distanzierenden Anführungszeichen eine Mischung aus indexikalischen und quasi-indexikalischen Termini gestattet.
207
VIER Manifest präsentierendes Bewußtsein, abstraktes Denken und Daten über den demonstrativen Inhalt des Wahrnehmens
In diesem Teil werde ich allgemeinere Grundlagen für die Wahrnehmungstheorie entwickeln, die ich dann in den beiden Abschnitten von Teil FÜNF diskutieren werde. Die Diskussion in Teil EINS hat zu dem Ergebnis geführt, daß eine Theorie, die die phänomenologische Reflexion verständlichen machen soll, sowohl die nach Sellars vorhandene Kluft zwischen nicht-begrifflichen und begrifflichen geistigen Episoden überbrücken als auch gegen Loars Abtrennung ‚phänomenaler Begriffe‘ eine starke Integration des begrifflichen Systems konzipieren muß. Einer der großen Vorzüge von Castañedas Gesamttheorie besteht in der einheitlichen Behandlung geistiger Phänomene: Sie werden durchgängig als intentional konzipiert, sollen also allesamt durch intentionale Inhalte gekennzeichnet sein. Diese Einheitlichkeit ist von besonderer Bedeutung für die Wahrnehmungstheorie. Philosophische Überlegungen können ihrer Natur nach nur auf die allgemeinsten Strukturen der thematisierten Phänomene abzielen. Eine abstrakte philosophische Theorie sollte daher für jegliche Resultate einzelwissenschaftlicher Forschung offen sein. Beispielsweise macht es einen offenkundigen Unterschied, ob jemand Rede in einer ihm ganz fremden Sprache oder Rede in einer Sprache hört, in der er immerhin Wörter unterscheiden und Satzstrukturen erkennen kann. Es ist überaus einleuchtend, daß dies auch ein Unterschied im bewußten Wahrnehmen ist. Wie auch immer naturwissenschaftliche, psychologische oder lokal-phänomenologische Forschung diesen Unterschied im Bewußtsein bestimmen wird: Eine Theorie, die Wahrnehmungsbewußtsein einheitlich durch intentionale Inhalte charakterisiert sieht, kann einfach diesen Bestimmungen entsprechende Charakteristika annehmen, die in die Inhalte der beiden akustischen Wahrnehmehmungen eingehen. Keine andere Konzeption erreicht diese beeindruckende Flexibilität. Die durchgängig intentionalistische Konzeption vermeidet insbesondere Sellars‘ harten Dualismus von sinnlichen Zuständen, die durch intrinsische Bestimmungen re-
208 präsentieren, und begrifflichen Zuständen, die durch eine quasi-sprachliche semantische Rolle repräsentieren. Die Flexibilität hat allerdings eine Kehrseite. Die verschiedenartigen Inhalte des perzeptuellen Bewußtseins sind sicherlich nicht alle auf ganz dieselbe Weise Inhalte des Bewußtseins. Sellars hat recht, daß etwa spezifische Farbqualitäten das visuelle Bewußtsein anders bestimmen als Eigenschaften wie ein Haus sein oder vom Wind umgeworfen werden. Falsch ist seine Verabsolutierung dieses einen Kontrastes. Vielmehr sollte die philosophische Rezeption einzelwissenschaftlicher Ergebnisse letztlich in eine komplexe Theorie aller Arten von Inhalten des Bewußtseins und aller ihrer Weisen des Inhalt-Seins münden. Über eine solche umfassende und ins Detail gehende philosophische Theorie der internen Inhalte des Wahrnehmungsbewußtseins verfügen wir nicht. Wenn wir philosophische Einsicht in das Zusammenspiel verschiedener Bewußtseinsformen gewinnen wollen, bleibt nichts übrig, als mit einigen stilisierten Konzepten solcher Formen zu arbeiten. Ich werde in diesem Teil solche Konzepte von Bewußtseinsformen entwickeln. Sie vereinfachen, vernachlässigen Details, spitzen Aspekte stärker zu, als es psychologisch plausibel sein mag, und gewisse Phänomene lassen sich ihnen nicht unterordnen. Dennoch bieten sie eine Grundlage für die Diskussion der Wahrnehmungstheorie in Teil FÜNF. In Abschnitt I exponiere ich ein Konzept der manifesten Präsenz von Inhalten (Unterabschnitt 1). Nachdem es sehr unplausibel ist, daß allgemeinbegriffliche Inhalte in diesem Sinn manifest präsent sind, orientiere ich mich in Unterabschnitt 2 einfach an Castañedas Auskünften über gedankliche Bewußtseinsepisoden. Abschnitt II zielt auf ein Konzept der Inhalte abstrakten Denkens. Anhand von Castañedas Aussagen zur Bedeutungstheorie versuche ich, der strukturell gut passenden ‚Gebrauchstheorie‘ P. Horwichs eine internalistische Fassung zu geben. Abschnitt III bildet die Brücke zwischen diesen bedeutungstheoretischen Überlegungen und der in Teil FÜNF dargestellten Wahrnehmungstheorie. Ausgehend von Castañedas Programmformel der ‚phänomenologischen Linguistik‘ diskutiere ich seine Texte zu Zuschreibungs- und Formulierungsformen von perzeptuellen Erfahrungen und komme zu dem Ergebnis, daß wir im Standardfall interne begriffliche demonstrative Inhalte als die ‚eigentlichen‘ Inhalte der Wahrnehmung ansehen. Dieses Resultat ist Ausgangspunkt für die Diskussion in FÜNF.
209 I. Manifest präsentierendes Bewußtsein und abstraktes Denken 1. Der Begriff der manifeste Präsenz eines Inhaltes und zwei Anwendungsprinzipien 1.a Manifeste Präsenz erfordert ein intrinsisches, kausal unvermitteltes und irreduzibel relationales Bezogensein auf Inhalte. Bevor man etwas über die Inhalte des abstrakten Denkens sagen kann, muß man sich einen Unterschied in der Art vor Augen führen, wie etwas Inhalt einer Bewußtseinsepisode sein kann. Zu Beginn von Teil ZWEI habe ich zwar einerseits zu begründen versucht, daß eine Theorie, die die phänomenologische Reflexion zu verstehen erlaubt, am besten eine inhaltliche Kontinuität zwischen nicht-begrifflichen und begrifflichen geistigen Zuständen annimmt, indem sie Universalien oder aus Universalien aufgebaute Entitäten als Inhalte beider Zustandsarten betrachtet. Doch andererseits habe ich die internalistische Fassung des phänomenologischen Projektes so charakterisiert, daß Inhalte, die die ‚äußere Welt‘ betreffen, irgendwie durch einen Bezug auf intern registrierbare Inhalte konstituiert sind. Demnach muß es eine Ebene geben, auf der eine Person auf Inhalte, zu denen einige Inhalte nicht-begrifflicher Episoden gehören, in einer fundamentalen Weise bezogen ist, so daß es überhaupt eine Konstitution anderer Inhalte geben kann. Meine Formulierung für diese fundamentale Weise lautet, daß ein gewisser Inhalt einer Person manifest präsent ist. Ich werde in der folgenden Diskussion meistens allgemein von ‚Inhalten‘ sprechen, um keine Vorentscheidung über ihre Kategorie zu treffen. Ich denke allerdings, daß die fraglichen Inhalte im einfachsten Fall Qualitäten oder Eigenschaften sind. Da es zunächst nicht um mögliche kategoriale Differenzen innerhalb der Gruppe dessen geht, was Inhalt geistiger Episoden sein kann, kann man statt „Inhalt“ im folgenden in der Regel auch „Qualität oder Eigenschaft“ lesen, um sich eine konkretere Vorstellung zu machen. Die manifeste Präsenz ist plausiblerweise eine derart fundamentale Angelegenheit, daß sich ihr Begriff nicht leicht definieren läßt. Doch selbst eine partielle Exposition stößt mindestens auf folgende Probleme: i. Die Exposition muß in einem bestimmten kategorialen Rahmen formuliert sein. Dabei besteht die Gefahr, daß dem Phänomen der manifesten Präsenz eine kategoriale Struktur zugeschrieben wird, die es ‚an sich‘ so
210 nicht hat. Wie in der ganzen Theoriebildung muß man die mögliche Pluralität kategorialer Rahmen zunächst einmal ignorieren, die Theorie in einem bestimmten Rahmen entwickeln und auf künftige diaphilosophische Einsichten hoffen. Dementsprechend werde ich die Charakterisierung der manifesten Präsenz in einem Rahmen vornehmen, dessen Grundkategorien einerseits Individuen und andererseits Universalien wie Eigenschaften oder Relationen sind, die von Individuen exemplifiziert werden können. ii. Der Inhalt des Begriffs der manifesten Präsenz muß im internalistischen Verständnis selbst von der Art der konstituierten Inhalte sein, aus denen die ‚Balloninhalte‘ aufgebaut sind (siehe Teil ZWEI). Eine Konzeption dieser Konstitution muß jedoch noch entwickelt werden. Ich werde dieses Problem hier umgehen, indem ich kurzfristig vom internalistischen Pfad abweiche und unterstelle, wir könnten auf Individuen, Eigenschaften und Beziehungen in einem robusten Sinn bezug nehmen. Sachverhalte sollen allerdings weiterhin gänzlich aus Universalien aufgebaute Entitäten sein, also keine robusten Substanzen als Konstituenten einschließen. (Deshalb verwende ich in den folgenden Formulierungen zur Bezeichnung von Personen immer Kennzeichnungen wie ‚die Person, die F ist‘.) Im Folgenden werde ich dreierlei tun: (1) Ich werde mit den genannten Vorbehalten drei Formulierungen von notwendigen Bedingungen für die manifeste Präsenz angeben. Um den Begriff der manifesten Präsenz handhabbar zu machen, werde ich diese abstrakte Exposition durch zwei schematische, d.h. der Anwendung des Begriffs dienende Prinzipien ergänzen, und zwar (2) ein negatives Prinzip, das die Anwendung in bestimmten Fällen untersagt, sowie (3) ein positives Prinzip, das die Anwendung in bestimmten Fällen erlaubt, vorausgesetzt daß von diesen Schemata unabhängige Informationen vorliegen, daß ein Inhalt gewisser Art manifest präsent ist. Die beiden schematischen Prinzipien sollen allerdings nicht dazu dienen herauszufinden, ob überhaupt irgendwelche Inhalte, gegebenenfalls welche und in Episoden welcher Art sie manifest präsent sein können. Sie handeln vielmehr von Situationen, in denen man bereits als bekannt voraussetzt, daß gewisse Episoden gewisse Inhalte manifest präsentieren, und in denen man aufgrund von Verknüpfungen solcher Episoden auf den Gedanken kommen kann, dann seien auch weitere Inhalte manifest präsent, die möglicherweise von anderer Art sind als die bekanntermaßen manifest präsenten Inhalte. Das negative Prinzip untersagt für eine gewisse Art von
211 Situationen einen derartigen Schluß auf weitere manifest präsente Inhalte; das positive Prinzip erlaubt für einen anderen Situationstyp grundsätzlich die Annahme weiterer manifest präsenter Inhalte, sofern unabhängige Informationen für ihre Präsenz vorliegen. Ich schlage folgende Formulierungen notwendiger Bedingungen für manifeste Präsenz vor: (i)
Inhalt I ist zu t der Person, die F ist, nur dann manifest präsent, wenn gilt: Es gibt eine Beziehung R, so daß die Person, die F ist, zu t in R zu I steht, wobei der Sachverhalt, daß die Person, die F ist, zu t in R zu I steht, nicht auf einen nicht-relationalen Sachverhalt reduzierbar ist.1 (Es ist möglich, daß die präsentierende Relationalität in einer abschließenden metaphysischen Stellungnahme auf komplexe, etwa physikalisch beschreibbare Vorkommnisse zurückgeführt werden kann, die keine eigentümliche Bezogenheit auf Inhalte einschließen. Solange wir aber phänomenologische Ontologie betreiben, muß die Bezogenheit auf Inhalte einfach hingenommen werden.) (Relationalität) (ii) Inhalt I ist zu t der Person, die F ist, nur dann manifest präsent, wenn gilt: Es gibt eine Beziehung R, so daß die Person, die F ist, zu t in R zu I steht, wobei das Stehen in R zu I zu t eine intrinsische Eigenschaft der Person ist, die F ist.2 (Internalität) (iii) Inhalt I ist zu t der Person, die F ist, nur dann manifest präsent, wenn gilt: Es gibt eine Beziehung R, so daß die Person, die F ist, zu t in R 1
Ich werde nicht versuchen zu definieren, was man hier unter Reduzierbarkeit verstehen muß, sondern nur den Fall nennen, den ich mit (i) ausschließen möchte: Der Sachverhalt, daß die Person, die F ist, die Eigenschaft E besitzt (exemplifiziert), ist ein relationaler Sachverhalt, der für einige Eigenschaften E auch Internalität und kausale Unvermitteltheit erfüllt. Aber dieser Sachverhalt ist auf den nichtrelationalen Sachverhalt reduzierbar, daß die Person, die F ist, E ist. Es ist möglich, daß die präsentierende Relationalität in einer abschließenden metaphysischen Stellungnahme auf komplexe, etwa physikalisch beschreibbare Vorkommnisse zurückgeführt werden kann, die keine eigentümliche Bezogenheit auf Inhalte einschließen. Solange wir aber phänomenologische Ontologie betreiben, muß die Bezogenheit auf Inhalte einfach hingenommen werden. 2 Intuitiv impliziert das Haben einer intrinsischen Eigenschaft nichts über die Existenz oder Beschaffenheit anderer Gegenstände. Siehe genauer Lewis, Extrinsic, Intrinsic.
212 zu I steht. Dabei impliziert für jede beliebige Eigenschaft E der Sachverhalt, daß die Person, die E ist, zu t in R zu I steht, nur solche Sachverhalte, die der Person, die E ist, eine kausale Beziehung zu anderen Objekten, ihren eigenen (etwa körperlichen) Teilen oder möglichen eigenen Zuständen zuschreiben, die auch von dem bloßen Sachverhalt impliziert werden, daß die Person, die E ist, existiert.3 (kausale Unvermitteltheit) Manifeste Präsenz eines Inhaltes ist demnach ein intrinsisches (ii), kausal unvermitteltes (iii) und irreduzibel relationales (i) Bezogensein auf ihn. Wie aus Klausel (iii) deutlich wird, spielen bei der Frage, ob ein Inhalt manifest präsent sein kann oder nicht, kausale Beziehungen die zentrale Rolle. Als Grundlage der Entwicklung der beiden schematischen Prinzipien ist dementsprechend eine Vorüberlegung zu Kausalbeziehungen zwischen Zuständen eines bewußten Wesens erforderlich. Zur Vereinfachung werde ich allerdings einige Spezifika der Kausalbeziehung ignorieren und nur den Gedanken einer gesetzmäßigen Verknüpfung berücksichtigen: Erstens sehe ich von dem weitgehend akzeptierten Umstand ab, daß zumindest die paradigmatischen Relata der Kausalbeziehung Ereignisse oder Veränderungen sind und nicht etwa Eigenschaften oder Propositionen. Auch die zeitliche Aufeinanderfolge spielt keine Rolle. Zweitens sehe ich von solchen Aspekten kausaler Beziehungen ab, die insbesondere zwischen hinreichenden und notwendigen Ursachen zu unterscheiden erlauben und die genuin statistische Verursachung zulassen. Wegen dieser Vereinfachung spreche ich von notwendiger Verknüpfung statt von Kausalität. Die Relata notwendiger Verknüpfungen sollen Eigenschaften, also Zustandstypen sein. Eine einfache, aber für das weitere wichtige Einteilung ist die von Fällen notwendiger Verknüpfungen in solche, die man als gesetzmäßige, und solche, die man als systemische Verknüpfungen bezeichnen kann. Eine Eigenschaft ζ1 ist gesetzmäßig mit einer Eigenschaft ζ2 genau dann verknüpft, wenn sich allein aus den Naturgesetzen ergibt, daß gilt: ∀x ∀t (x besitzt ζ1 zu t → x besitzt ζ2 zu t). 3
Der Gedanke ist: Daß die Person, die F ist, in einer manifest präsentierenden Relation R zu einem Inhalt steht, impliziert über ihre kausalen Eigenschaften nicht mehr, als schon in der bloßen Charakterisierung als Person, die F ist, enthalten ist.
213 Aus dieser Allaussage folgt trivialerweise für jedes bestimmte System s und jeden Zeitpunkt t: s besitzt ζ1 zu t → s besitzt ζ2 zu t. Eine systemische notwendige Verknüpfung besteht zwischen zwei Eigenschaften hingegen relativ zu einem bestimmten System, das die Eigenschaften exemplifizieren kann, und relativ zu einem bestimmten Zeitpunkt, an dem das System existiert. ζ1 und ζ2 sind genau dann systemisch verknüpft relativ zu System x und Zeitpunkt t, wenn sich aus den Naturgesetzen zusammen mit der Beschreibung einer gewissen strukturellen Beschaffenheit von s zu t ergibt, daß gilt: s besitzt ζ1 zu t → s besitzt ζ2 zu t. Wenn ζ1 und ζ2 gesetzmäßig verknüpft sind, sind diese Bedingungen für systemische Verknüpfung trivialerweise erfüllt – die Beschaffenheit des Systems ist dann gleichgültig. Eine bloß systemische Verknüpfung soll demgegenüber vorliegen, wenn zwei Eigenschaften systemisch, aber nicht gesetzmäßig verknüpft sind. Ein physikalisches Beispiel für eine gesetzmäßige Verknüpfung wäre, daß die konjunktive Eigenschaft von Körpern, die Masse m zu besitzen und die Gesamtkraft F zu erfahren, gesetzmäßig mit dem Zeigen einer bestimmten Beschleunigung a verknüpft ist. Ein entsprechendes Beispiel für eine bloß systemische Verknüpfung findet sich in jeder Schreibtischlampe: Die Eigenschaft, den Schalter in der Position „An“ gelagert zu haben, ist nur relativ zu einer bestimmten Lampe und einer bestimmten Zeit mit der Eigenschaft notwendig verknüpft, eine brennende Glühbirne aufzuweisen. Sicherlich steckt hinter jeder bloß systemischen eine gewisse gesetzmäßige Verknüpfung, nämlich die Tatsache, daß ein System von einer gewissen strukturellen Beschaffenheit ζStruktur, das die Eigenschaft ζ1 besitzt, mit naturgesetzlicher Notwendigkeit auch die Eigenschaft ζ2 besitzt. Deshalb besteht jede systemische Verknüpfung von ζ1 und ζ2 letztlich in einer gesetzmäßige Verknüpfung der konjunktiven Eigenschaft (ζ1 ∧ ζ2) und der Eigenschaft ζ2. Es wird sich jedoch als wichtig erweisen, die strukturellen Randbedingungen des Systems ζStruktur, aufgrund derer ζ1 und ζ2 verknüpft sind, von dem eigentlich interessierenden Zustand ζ1 zu trennen. Im folgenden wird es ausschließlich um Verknüpfungen zwischen Zuständen ge-
214 hen, in denen sich eine Person zur selben Zeit befindet, also nicht um Sukzessionen von Zuständen. Ich lasse daher den Bezug auf Zeiten weg. 1.b Negatives schematisches Prinzip: Eine systemische notwendige Verknüpfung zwischen manifest präsentierenden Zuständen und einem anderen Zustand reicht nicht für die manifeste Präsenz eines abstrakteren Inhalts aus. Mein Vorschlag zu Punkt (2), also das negative schematische Prinzip für den Begriff der manifesten Präsenz lautet so: (MP-neg) Angenommen von einer Menge von Episodentypen Em.p. ist bereits bekannt, daß es sich um solche der manifesten Präsenz bestimmter Inhalte handelt. Angenommen diese Typen sind bloß systemisch notwendig mit einem anderen Episodentyp E verknüpft. Allein aufgrund dessen soll man nicht annehmen, daß eine als Inhalt geeignete Entität I, und mag sie in einer noch so engen Beziehung zu den Inhalten der Typen in Em.p. stehen, in Episoden des Typs E oder in Episoden eines Typs E*, der zumindest systemisch notwendig mit E verknüpft ist, manifest präsent ist. (Wohl aber mag I in einem schwächeren Sinn Inhalt der Episoden vom Typ E oder E* sein.) Die folgenden Punkte sollen schrittweise Aspekte von (MP-neg) erläutern und insgesamt dieses schematische Prinzip rechtfertigen. Abschließend werde ich es auf einen zentralen Fall anwenden. Zuvor eine Bemerkung zur Terminologie und Notation: Ein Zustand der manifesten Präsenz ist ein Zustandstyp, also eine Eigenschaft. Doch der einfachste denkbare Inhalt eines solchen Zustandes ist ebenfalls eine Eigenschaft. Zur Unterscheidung spreche ich im allgemeinen von Zuständen des manifesten Präsentierens und bezeichne nur ihre möglichen Inhalte als Eigenschaften, und ich bezeichne die Zustände mit kleinen griechischen Buchstaben plus Indizes, etwa „ζ1“, und die Inhalte mit großen lateinischen, etwa „F1“. (Meine Wahl von Buchstaben wie „F1“ und „F2“ soll zu der konkreteren Vorstellung passen, daß im einfachsten Fall die relevanten Inhalte Qualitäten oder Eigenschaften sind.) 1. Ich erläutere zuerst die Redeweise, man nehme aufgrund einer gegebenen notwendigen Verknüpfung an, es gebe Episoden mit einem gewissen
215 Inhalt. Solche Annahmen gehen davon aus, daß bereits gewisse Inhalte als manifest präsente ausgewiesen sind. Zu diesem Ausgangspunkt tritt der aus funktionalistischen Konzeptionen von intentionalen Zuständen bekannte Gedanke, daß kausale Beziehungen zwischen geistigen Zuständen strukturelle Beziehungen zwischen den intentionalen Gehalten dieser Zustände ‚spiegeln‘ können.4 Sofern die kausalen Beziehungen eines gewissen Zustandstyps zu einer Klasse anderer Zustandstypen und außerdem die Gehalte all dieser Typen bekannt sind, kann man vielleicht dazu gelangen, dem fraglichen Zustand einen Gehalt zuzuordnen, der sich auf systematische Weise aus den bekannten Gehalten ergibt. 2. Als nächstes muß man erwägen, welche besondere Situation dadurch eintritt, daß die Zustandstypen mit gegebenem Inhalt solche von Episoden der manifesten Präsenz sein sollen. Gemäß der gegebenen Charakterisierung der manifesten Präsenz von Inhalten ist dieser Zustandstyp einfach eine (d.h. ist strikt identisch mit einer) Eigenschaft mit einer relationalen Binnenstruktur, nämlich einer Eigenschaft der Form in Rm.p. zu F stehen, wobei ‚Rm.p.‘ für eine Beziehung des manifesten Präsentierens steht. Die auf Inhalte bezogenen Episoden, um die es hier geht, sind daher keine primitiven Partikularien, die eine bestimmte intrinsische Beschaffenheit aufweisen und denen erst aufgrund einer Einbettung in ein Netz kausaler Beziehungen etwa zu Aspekten der Umwelt irgendwie ein Gehalt zugeschrieben werden kann. Vielmehr sollte man die einzelnen Episoden als Exemplifizierungen der relationalen Eigenschaft der Form in Rm.p. zu F stehen konzipieren, etwa als geordnetes Paar aus einer Person-zu-einer-Zeit und dieser Eigenschaft 〈〈s, t〉, in Rm.p. zu F stehen〉. 3. Ich unterstelle, daß keine physische Eigenschaft, jedenfalls keine Eigenschaft, die mit dem Vokabular einer Theorie ausdrückbar ist, die noch eine erkennbare Ähnlichkeit zu den heutigen physikalischen Theorien zeigt, eine solche Eigenschaft der Form in Rm.p. zu F stehen ist. Dennoch ist es schon in einer phänomenologischen Ontologie vernünftig, sich an einem methodologischen Physikalismus zu orientieren. Er besagt, man solle grundsätzlich damit rechen, daß physikalisch nicht ausdrückbare Zustände
4
Zur Spiegel-Metapher siehe Loar, M&M, S. 62.
216 eine physikalisch beschreibbare Basis besitzen.5 Für die anstehenden Überlegungen genügt sogar ein schwächeres Prinzip: Man soll eine derartige Basis wenigstens für möglich halten, selbst wenn es keinen prima facie-Anlaß gibt, mit ihrer Existenz zu rechnen. Die folgende Präzisierung genügt hier: Ich schreibe schematisch „ψm.p.(F)“ als Ausdruck einer Eigenschaft des manifesten Präsentiertseins mit (im einfachsten Fall: einer Qualität) F. Man sollte dann jeden Fall, in dem ψm.p.(F) als tatsächlich exemplifiziert gelten kann, so betrachten, daß es einen physikalisch beschreibbaren Zustand φ gibt, so daß „∀x (x ist φ → x ist ψm.p.(F))“ eine gesetzesartige Generalisierung ist6. Aus rein methodologischen Gründen möchte ich dem Physikalisten noch zwei Schritte entgegenkommen: Ich unterstelle zunächst, daß es zu jedem solchen Zustand φ mindestens einen minimalen Zustand φmin gibt, mit dessen Bezeichnung sich ebenfalls die wahre Aussage „∀x (x ist φmin → x ist ψm.p.(F))“ formulieren läßt. Minimal ist dieser Zustand, weil zwar „φ“ „φmin“ logisch impliziert, aber „φmin“ selbst nicht wiederum eine andere Zustandsbezeichnung impliziert, mit der sich ebenfalls eine wahre Aussage dieser Art formulieren läßt. Ich unterstelle ferner, daß es dann auch eine Zustandbezeichnung „φ↔“ gibt, so daß das allquantifizierte Bikonditional „∀x (x ist φ↔ ↔ x ist ψm.p.(F))“ zumindest dann wahr ist, wenn man den Quantifikationsbereich auf eine bestimmte Art von Systemen einschränkt, etwa auf Wesen mit menschlichen Gehirnen.7 4. Wie sähe eine Situation aus, in der man in Gefahr stünde, aufgrund bloß systemischer Verknüpfungen zwischen einigen bekannten Zuständen des 5
Castañeda formuliert einen methodologischen Physikalismus in Holism, S. 124-25: „... nonreductionist methodological epistemological physicalism ... is the hypothesis, for the purpose of guiding research, that every mental state or episode has some distinctive physical manifestation.“ 6 Möglicherweise wird die Allaussage nur von einem System von Aussagen impliziert, die man als die eigentlichen physico-psychischen Gesetzmäßigkeiten ansehen muß. Was jedoch ohne Randbedingungen allein von einem solchen Gesetzessystem impliziert wird, kann selbst als gesetzesartig bezeichnet werden. Der Kürze wegen verwende ich „ist“ für die Exemplifikation; eigentlich müßte dafür „ist in“ oder „besitzt“ oder „befindet sich in“ stehen. 7 Vielleicht sollte man eine so beschränkte Aussage nicht mehr schlichtweg als gesetzesartig bezeichnen. Gegebenenfalls kann man sich zur Bezeichnung als ‚bereichsspezifizierte gesetzesartige Aussage‘ flüchten. Im weiteren hängt davon nichts ab.
217 manifesten Präsentierens und einem zusätzlichen Zustand zu postulieren, es gebe einen weiteren Zustand des manifesten Präsentierens mit einem bestimmten Inhalt, in den das betrachtete System zumindest treten kann? Eine auf das Wesentliche zugespitzte Situation wäre die folgende: Es ist bekannt, daß das System in zwei Zustände des manifesten Präsentierens der Eigenschaften F1 und F2 treten kann, nämlich in die Zustände ψm.p.(F1) und ψm.p.(F2). Darüber hinaus ist es auch zu dem manifest präsentierenden Zustand ψm.p.(X) fähig, dessen Inhalt X gleichgültig ist. Ich mache die weitere Annahme, daß ψm.p.(F1) und ψm.p.(F2) je für sich bloß systemisch mit ψm.p.(X) notwendig verknüpft sind. Die beiden Allaussagen (1) (2)
∀x (x ist ψm.p.(F1) → x ist ψm.p.(X)) ∀x (x ist ψm.p.(F2) → x ist ψm.p.(X))
folgen also aus einem gewissen System von Naturgesetzen zusammen mit einer Beschreibung der Beschaffenheit des Systems zur betrachteten Zeit t, nicht aber aus den Naturgsetzen allein. Auf dieser Grundlage mag man auf den Gedanken kommen, dem Zustand ψm.p.(X) neben seinem internen Inhalt X noch einen weiteren Inhalt zuzuordnen. Wenn man weitere Annahmen über die Einbettung der verknüpften Zustände in das kognitive System macht, könnte dieser Inhalt mit einiger Plausibilität mit einem disjunktiven Komplex aus den Eigenschaften F1 und F2 identifiziert werden. Dieser Komplex D(F1, F2)8 ist offenbar kein Inhalt, der in dem Zustand ψm.p.(X) manifest präsent ist; denn dieser Zustand hat bereits seinen internen Inhalt X, von dem ich einfach annehme, daß er von D(F1, F2) verschieden ist. Aber man könnte meinen, die ganze Konstellation zeige, daß mit Exemplifizierungen von ψm.p.(X) zumindest relativ zu dem betrachteten System notwendigerweise ein weiterer Zustand der manifesten Präsentation ψm.p.(D(F1, F2)) verknüpft ist. 5. Sobald man aber die Bestimmung der bloß systemischen Verknüpfung und den methodologischen Physikalismus zusammenführt, zeigt sich, daß Überlegungen dieser Form unzulässig sind. Der methodologische Physika8
Je nachdem, wie man die Eigenschaften F1 und F2 konzipiert, können die Eigenschaften F1 und F2 in D(F1, F2) als Teile identifizierbar sein oder auch nicht. Wenn man Eigenschaften als Mengen und D als Vereinigungsmengenbildung versteht, ist es z.B. nicht so.
218 lismus erlaubt es nämlich, die für die systemische Verknüpfung relevante Beschaffenheit des System schematisch ins Spiel zu bringen. Die relativ zur Beschaffenheit des Systems geltenden Allaussagen sind zusammengefaßt (1)/(2)
∀x (x ist ψm.p.(F1/ F2) → x ist ψm.p.(X)).
Dem methodologischen Physikalismus gemäß gibt es drei physikalisch beschreibbare Zustände φ(F1), φ(F2) und φ(X)9, so daß gilt: (φ-ψF1) (φ-ψF2) (φ-ψX)
∀x (x ist φ(F1) ↔ x ist ψm.p.(F1)) ∀x (x ist φ(F2) ↔ x ist ψm.p.(F2)) ∀x (x ist φ(X) ↔ x ist ψm.p.(X))
Demnach gibt es wahre physikalische Bilder der Aussagen (1) und (2), nämlich zusammengefaßt: (φ1)/(φ2)
∀x (x ist φ(F1/ F2) → x ist φ(X)).
Damit die angenommenen bloß systemischen Verknüpfungen bestehen, genügt es jedoch, daß sich (φ1)/(φ2) zu allein aus den Naturgesetzen folgenden Aussagen vervollständigen lassen, indem man in den konditionalen Vordergliedern eine Bezeichnung für die physikalisch beschreibbare Gesamtstruktur des Systems φStruktur einfügt: (φ1)/(φ2)
∀x (x ist φ( F1/ F2) ∧ x ist φStruktur → x ist φ(X)).
Hinter der bloß systemischen Verknüpfung der Zustände manifesten Präsentierens ψm.p.(F1) bzw. ψm.p.(F1) und ψm.p.(X) steckt dann als gesetzmäßige Verknüpfung, daß folgende Aussagen allein aus den Naturgesetzen folgen: (1ges)/(2ges) ∀x (x ist ψm.p.(F1/ F2) ∧ x ist φStruktur → x ist ψm.p.(X)), und es ist gut möglich und äußerst einleuchtend, daß sich keine Analoga finden, in denen „φStruktur“ durch eine Beschreibung eines Zustandstyps des manifesten Präsentierens ersetzt ist. Daß sich (1ges) und (2ges) aus den Naturgesetzen ergeben, mag zwar eine Basis abgeben, um dem Zustand 9
Der Übersichtlichkeit wegen differenziere ich auch die Bezeichnungen der φZuständen mithilfe der Bezeichnungen für die Inhalte der korrelierten ψ-Zustände.
219 ψm.p.(X) in einem gewissen Sinn einen weiteren Inhalt wie etwa D(F1, F2) zuzuordnen. Aber es reicht gewiß nicht aus, um einen weiteren Zustand des manifesten Präsentierens zu postulieren. Denn ein solcher Zustand soll in einem intrinsischen Bezogensein auf einen Inhalt bestehen, das im Prinzip auch vorliegen kann, wenn es keine kausalen oder gesetzmäßigen Interaktionen physikalisch beschreibbarer Zustände untereinander oder mit anderartigen Zuständen gibt. 6. Auf der Grundlage der allgemeinen Erläuterung und Begründung des schematischen Prinzips ist die Anwendung auf den Fall, für den man sich zuallererst interessieren muß, recht einfach. Ausgangspunkt muß ein Typ von Zuständen manifesten Präsentierens sein, dessen mögliche Exemplifizierung man ohne Schwierigkeiten annehmen kann. Wenn es überhaupt Fälle von manifester Präsenz gibt, dann gehört die Konfrontation geistiger Wesen mit sinnlichen und gefühlshaften spezifischen Qualitäten sicherlich dazu. Wenn man einen gewissen Bereich von Zuständen der manifesten Präsenz solcher spezifischer Qualitäten ψm.p.(SENSi) annimmt, so könnte es ähnlich wie in der allgemeinen Diskussion erläutert einen weiteren Zustand ψm.p.(X) geben, so daß sämtlich Zustände ψm.p.(SENSi) mit ihm einzeln relativ zu einem bestimmten System zu einer Zeit notwendig verknüpft sind. Auf dieser Grundlage könnte man versucht sein, einen weiteren, mit ψm.p.(X) korrelierten Zustand des manifesten Präsentierens zu postulieren, dessen Inhalt diejenige generische Qualität ist, von der genau die Qualitäten SENSi Determinationen sind. Damit wäre der elementarste Fall etabliert, in dem eine generische Eigenschaft den Inhalt exemplifizierbarer Zustände des manifesten Präsentierens bildet. Aber diese Struktur ist der zuvor allgemein geschilderten derart ähnlich, daß auch ihr Vorliegen nicht ausreicht, um die manifeste Präsenz generischer Qualitäten annehmen zu dürfen. Es kommt jedoch hinzu, daß irgendeine Form von Disposition, auf die Präsenz spezifischer Qualitäten aus einem bestimmten Bereich auf gewisse Weise zu reagieren, das einzige ist, was gemäß einer internalistischen Auffassung die Grundlage abgeben kann, um generische Eigenschaften einem Wesen als intentionale Inhalte oder als Komponenten solcher Inhalte zuzuschreiben.10
10
Um eine entsprechende Konzeption bemühe ich mich in Abschnitt II.
220 Diese Überlegung läßt sich umgehen, indem man so etwas wie geeignete irreduzible Dispositionen postuliert, deren Vorliegen also keine kontingenten Naturgesetze und keine systemische Einbettung erfordert. Für gewisse Formen der Intentionalität ist das ein interessanter Ansatz. Er würde aber sicherlich überfordert, wenn damit Zustände des manifesten Präsentierens generischer Eigenschaften wie Röte überhaupt erklärt werden sollen. Ich schließe, daß es keine solchen Zustände und per Analogie auch kein manifestes Präsentieren generischer n-stellige Beziehungen sowie generischer Operatoren gibt. 1.c Positives schematisches Prinzip: Wenn ein manifest präsentierender Zustand x bekannten Inhalts naturgesetzlich einen Bereich manifest präsentierender Zustände Y ausschließt, so kann ein gewisser weiterer Inhalt grundsätzlich ebenfalls als in x manifest präsent gelten. Anders als das negative schematische Prinzip läßt sich das positive nicht leicht in eine Formel pressen. Ich werde einen Typ von Situationen charakterisieren, in denen man zur Annahme der manifesten Präsenz eines Inhaltes über bereits bekannte manifeste Präsentationen hinaus grundsätzlich berechtigt ist, sofern entsprechende Hinweise vorliegen. Für die Entwicklung eines positiven Prinzips ist es nützlich zu fragen, was der Grund war, weshalb in 1.b der Gedanke zurückgewiesen werden mußte, auf der Grundlage einer bloß systemischen Verknüpfung zwischen bekanntermaßen manifest präsentierenden Zuständen und einem weiteren Zustand Inhalte eines bestimmten Typs ebenfalls als mögliche Inhalte manifest präsentierender Zustände auszuweisen. Der Grund war, daß die systemische Verknüpfung auf einem Zustand der physikalisch beschreibbaren Beschaffenheit des Systems beruht, der selbst keinen manifest präsentierenden Zustand konstituiert. Dieser Umstand brachte den Versuch in 1.b, aufgrund systemischer Verknüpfung einen weiteren Inahlt als maifest präsent zu qualifizieren, in Schwierigkeiten, weil in ihm drei Aspekte zusammen kamen: erstens der Gedanke, daß kausale Beziehungen – oder in der verwendeten Vereinfachung: notwendige Verknüpfungen – zwischen Zuständen strukturelle Beziehungen zwischen intentionalen Gehalten von Zuständen „spiegeln“ können; zweitens der angegebene methodologische Physikalismus, der es erlaubte, in einer Eins-zu-eins-Beziehung physische Zuständen zu den Zuständen manifesten Präsentierens anzunehmen und so
221 die kausalen Beziehungen zwischen letzteren Zuständen auf die physikalisch beschreibbare Ebene herunterzuprojizieren; drittens der intrinsische Charakter des Bezogenseins auf einen Inhalt, der zum Konzept des manifesten Präsentierens gehört. Die Tatsache, daß die physischen Entsprechungen der betrachteten manifest präsentierenden Zustände nur aufgrund des kontingenten Umstandes miteinander verknüpft sind, daß das System eine bestimmte physische Strukturbeschaffenheit φStruktur aufweist, paßt nicht zu dem intrinsischen Bezogensein auf einen Inhalt. Die Frage ist, ob sich wirklich an der Diagnose etwas ändert, wenn man anstelle einer bloß systemischen eine gesetzmäßige Verknüpfung annimmt. Prima facie könnte man zu einer verneinenden Antwort neigen, da doch in dem relevanten Sinn nicht nur die Strukturbeschaffenheit eines gegebenen Systems, sondern auch die Naturgesetze kontingent sind. Eine zuversichtlichere Perspektive eröffnet sich allerdings, wenn man den angegebenen methodologischen Physikalismus in Betracht zieht. Er gibt uns nämlich auf, mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die manifest präsentierenden Zustände eine physikalisch beschreibbare Basis besitzen. Die Beziehung zwischen der physischen Basis und den m.p.-Zuständen ist jedoch ohnehin bloß von naturgesetzlicher Art, und deshalb gilt: Wenn man annehmen kann, ψ(I) sei ein m.p.-Zustand, wenn es dem methodologischen Physikalismus entsprechend ein physikalisch beschreibbares Korrelat φ(I) zu ψ(I) gibt, so daß ‚∀x (x ist φ(I) ↔ x ist ψ(I))‘ wahr ist, und wenn sich außerdem zeigt, daß der Basiszustand φ(I) nicht bloß systemisch, sondern gesetzmäßig mit anderen physischen Basiszuständen verknüpft ist, denen m.p.Zustände mit bekannten Inhalten korrespondieren, dann liegt eine ganz andere Situation vor als bei den vorhergehenden Überlegungen. Dasjenige an φ(I), wodurch dieser Zustand gesetzmäßig mit anderen Zuständen interagiert, die die physische Basis von m.p.-Zuständen darstellen, kann durchaus ebenfalls gesetzmäßig einen Aspekt zum Inhalt I beitragen, mit dem der Zustand ψ(I) das System konfrontiert, dessen Basis φ(I) ist. Es ist also gut möglich, daß solchen gesetzmäßigen Verknüpfungen Aspekte des Inhalts I korrespondieren. Ich versuche, diese sehr abstrakte Einsicht anhand einer spezifizierten Situation zu stabilisieren, die im weiteren als paradigmatischer Fall dienen wird. Wenn es überhaupt Zustände des manifesten Präsentierens gibt, dann
222 können sicherlich nicht bloß isolierte einfache sinnliche oder gefühlshafte spezifische Qualitäten Inhalte solcher Zustände sein. Sofern man nämlich aufgrund eines phänomenologischen Befundes m.p.-Zustände mit derartigen Inhalten annimmt, muß man ebenso das Datum hinnehmen, daß zumindest die sinnlichen Qualitäten der Wahrnehmungsmodalitäten des Sehens, Hörens und Tastens in aller Regel in einer kopräsenten Vielfalt und grundsätzlich in räumlichen oder raum-analogen Strukturen auftauchen. Es ist undenkbar, daß diese strukturelle Einbettung als ein nicht manifest präsentes Charakteristikum von den manifest präsenten einzelnen Qualitäten abgelöst wäre. Der eigentliche elementare Fall von manifester Präsenz ist demnach die Präsenz einer raumartigen Struktur, in die eine Vielzahl von Qualitäten eingelassen ist (siehe dazu FÜNF I). Wenn ψm.p.(FELD*) ein solcher Zustand ist, in dem sich eine zusammenhängende räumliche Struktur mit ihrer Qualitätsverteilung präsentiert, so ist folgende Konstellation denkbar: Dem Zustand ψm.p.(FELD*) korrespondiert ein physischer Basiszustand φ(FELD*); außerdem gibt es eine gewisse Menge M anderer m.p.-Zustände ψm.p.(S-FELDi), die ebenfalls eine räumliche Struktur, allerdings mit jeweils anderen Qualitätsverteilungen präsentieren, sowie zu jedem Zustand in M das physische Korrelat φ(SFELDi). Die Kennzeichnung der Inhalte der Zustände aus dieser Menge durch „S-FELD“ soll anzeigen, daß sie wirklich ausschließlich sinnliche Qualitäten mit ihrer räumlichen Einbettung einschließen. Die Kennzeichnung „FELD“ für den Inhalt des zuerst eingeführten Zustandes soll demgegenüber offen lassen, daß der sinnlich-räumliche Inhalt noch mit einem zusätzlichen Aspekt versehen ist.11 Gesetzmäßige Verknüpfungen kommen auf eine etwas andere Weise ins Spiel als die systemischen Verknüpfungen beim vorigen Versuch. In einem ersten Versuch soll für eine Teilmenge M‘ von M gelten, daß φ(FELD*) mit der Negation der physischen Korrelate ihrer Elemente gesetzmäßig notwendig verknüpft ist, so daß sich das Aussageschema ∀x (x ist φ(FELD*) → x ist nicht φ(S-FELDi)) 11
Das Sternchen „*“ wird im weiteren bei Bezeichnungen für Zustände auftreten, die unmittelbar mit dem Zustand ψm.p.(FELD*) zusammenhängen, während „i“ ein Platzhalter für Bezeichnungen von Elementen eines Systems von Parametern – etwa den reellen Zahlen – ist, denen sich die Elemente der Menge M zuordnen lassen.
223 für gewisse Einsetzungen für „i“ allein aus Naturgesetzen ergibt. Die Idee dabei ist, daß der Zustand φ(FELD*) einen bestimmten Bereich von Zuständen φ(S-FELDi) gesetzmäßig ausschließt. Das Problem dieses ersten Versuches besteht darin, daß es überaus plausibel ist, daß φ(FELD*) sämtliche Zustände φ(S-FELDi) gesetzmäßig ausschließt; denn all diese Zustände legen eine andere Qualitätsverteilung über die präsente Raumstruktur fest als φ(FELD*). Ein zweiter Versuch muß daher verlangen, daß über diese triviale Ausschließung sämtlicher φ-Zustände hinaus, die alternative Qualitätsverteilungen festlegen, φ(FELD*) die physischen Korrelate der Zustände aus der Teilmenge M‘ noch in besonderer Weise ausschließt. Es ist denkbar, daß der Zustand φ(FELD*) einen Zustand φ(S-FELD*) impliziert, ohne daß das Umgekehrte gilt, und daß φ(S-FELD*) die physische Basis eines m.p.Zustandes ψm.p.(S-FELD*) darstellt, dessen Inhalt genau dieselbe Verteilung primitiver sinnlicher Qualitäten über eine Raumstruktur einschließt wie der Inhalt von ψm.p.(FELD*). Dann kann φ(FELD*) außerdem einen Zustand φ(PLUS*) implizieren, der seinerseits keinen Zustand impliziert, der die Basis eines Zustandes der manifesten Präsenz primitiver sinnlicher Qualitäten in einer räumlichen Struktur bildet.12 Die besondere ausschließende Kraft von φ(FELD*) kann jetzt darin bestehen, daß φ(PLUS*) einen gewissen Bereich von Zuständen φ(S-FELDi) gesetzmäßig ausschließt, daß sich also Aussagen der Form (*)
∀x (x ist φ(PLUS*) → x ist nicht φ(S-FELDi))
allein aus Naturgesetzen ergeben. Die Möglichkeit von Konstellationen der beschriebenen Sorte gestattet es, die prinzipielle Möglichkeit von folgendem einzusehen: φ(FELD*) ist die physische Basis des Zustandes ψm.p.(FELD*); das Moment φ(PLUS*) ist am Zustand φ(FELD*) über den Zustand φ(S-FELD*) hinaus vorhanden, der bereits die Verteilung primitiver sinnlicher Qualitäten festlegt; aufgrund der Ausschließungen (*) legt φ(PLUS*) einen zusätzlichen Aspekt im vollen Inhalt FELD* des manifest präsentierenden Zustandes 12
Möglicherweise ist φ(PLUS*) nicht isoliert exemplifizierbar, d.h. daß die Gesetze verlangen, daß mit φ(PLUS*) immer ein Zustand φ(S-FELD...) exemplifiziert ist.
224 ψm.p.(FELD*) fest. Dazu muß man die Menge der Inhalte S-FELDi derjenigen Zustände ψm.p.(S-FELDi) in M betrachten, deren physische Basen φ(SFELDi) nicht durch φ(PLUS*) ausgeschlossen werden. Es ist denkbar, daß all diese Inhalte im Kontrast zu den Inhalten der über ihre Basis ausgeschlossenen Zustände eine besondere Ähnlichkeit aufweisen. Dann ist aber auch denkbar, daß der Ausschluß von Zuständen, deren Korrelate ψm.p.(SFELDi) ihrem Inhalt nach aus diesem System der Ähnlichkeit herausfallen, einfach ein unvermeidlicher Nebeneffekt der Tatsache ist, daß durch das Moment φ(PLUS*) am Zustand φ(FELD*) der primitiv-sinnliche Inhalt SFELD* des festgelegten manifest präsentierenden Zustandes ψm.p.(FELD*) mit einem zusätzlichen Charakteristikum versehen und zum Inhalt FELD* erweitert wird. Ein konstruiertes Beispiel soll verdeutlichen, welche Art von Fällen denkbar sind: Ein visueller Feldinhalt FELD* könnte so beschaffen sein, daß sein primitiv sinnlicher Aspekt S-FELD* eine durchgängig einheitliche Farbqualität zeigt, etwa ein durchgängiges Schwarz, nur daß es an einer gewissen Position eine gleichmäßig gefärbte einfache geometrische Figur enthält, etwa eine rote Kreisfläche in gewisser räumlicher Tiefe. Der dem primitiv sinnlichen Zustand ψ(S-FELD*) korrelierte physische Zustand φ(S-FELD*) schließt auf jeden Fall die physischen Basen anders gearteter sinnlicher Zustände φ(S-FELDi) aus. (Ich rede ausschließlich über zur selben Zeit vorliegende Zustände.) Aber ψ(FELD*) kann über seinen bloß sinnlichen Aspekt ψ(S-FELD*) hinaus noch einen Zustandsaspekt ψ(PLUS*) implizieren, und ihm entspricht ein physischer Zustand φ(PLUS*). φ(PLUS*) kann mit vielen Basen primitiv sinnlicher Zustände φ(S-FELDi) naturgesetzlich vereinbar sein, denen sinnliche Felder S-FELDi entsprechen, die vom gegebenen SFELD* (roter Kreis auf Schwarz) verschieden sind. So kann es dem hinzukommenden Zustandsaspekt φ(PLUS*) gleichgültig sein, ob das sinnliche Feld, zu dessen physischer Basis er hinzutritt, in einer Ecke noch eine Grün- oder Gelbqualität enthält. Aber es ist gut denkbar, daß er einen Bereich sinnlicher Zustände φ(S-FELDi) gesetzmäßig ausschließt, deren entsprechende sinnliche Feldinhalte FELDi eine charakteristische Ähnlichkeit aufweisen. Er könnte beispielsweise genau die φ(S-FELDi) ausschließen, deren entsprechende S-FELDi keine so positionierte kreisförmige Figur in
225 einer gewissen räumlichen Tiefe enthalten, die sich durch die sie ausfüllende Qualität vom Hintergrund unterscheidet. Der Zustandsaspekt φ(PLUS*) hat dann die Kraft, mit naturgesetzlicher, also nicht bloß mit systemischer Notwendigkeit einen bestimmten Bereich von manifest präsentierenden Zuständen auszuschließen, indem er deren physische Korrelate ausschließt. Dann steht jedoch auch der Annahme prinzipiell nichts im Weg, daß sein Enthaltensein in φ(FELD*) dem manifest präsenten Inhalt von ψ(FELD*) über den in ψ(S-FELD*) präsenten ‚primitiven‘ Inhalt hinaus einen zusätzlichen, ebenfalls manifesten Charakter aufprägt. Wir können uns einer Bestimmung dieses Charakters annähern, indem wir uns folgendes vor Augen führen: Solche Inhalte, die die ‚primitiven‘ Inhalte S-FELDi der (durch den Umweg über die physische Ebene) ausgeschlossenen Zustände ψ(S-FELDi) aufweisen, können diesen Charakter nicht besitzen, in einem sehr starken Sinn von „können“. Ich möchte allerdings zwei Dinge anmerken: Erstens soll das charakterisierte positive schematische Prinzip kein Rezept enthalten, um aus bekanntermaßen manifest präsentierenden Zuständen vermittels ihrer physischen Korrelate andere manifest präsentierende Zustände zu konstruieren. Zweitens sehe ich keine Berechtigung, mögliche zusätzliche Charaktere als generische Universalien im Kontrast zu den determinierten Qualitäten zu klassifizieren, die in Zuständen der Art ψ(S-FELD*) präsent sind. Auch darf man nicht annehmen, solche Charaktere könnten isoliert, also losgelöst von Inhalten vom Typ S-FELD manifest präsent sein.13 2. Der zeichenhafte und operational-diagrammatische Charakter des abstraktes Denken und die natürliche Sprache als Mittel des Denkens 2.a ‚Denken ist symbolisch‘: Abstraktes Denken ist auf der manifest präsentierenden Ebene zeichenhaft und operational-diagrammatisch. Man kann mindestens drei Arten der theoretischen denkenden Aktivität unterscheiden: (a) das Denken an einzelne beobachtbare Dinge und ihre beobachtbaren Eigenschaften und Beziehungen in der zumindest anscheinenden perzeptuellen Anwesenheit solcher Dinge; (b) das Denken an sol13
Bei einigen der von D. Marr in Vision, Kap. 3 behandelten Phänomenen wäre eine manifeste Präsenz denkbar.
226 che Dinge und Eigenschaften, es sei im einzelnen oder allgemeinen, bei perzeptueller Abwesenheit entsprechender Dinge; (c) das Denken an theoretisch postulierte Gegenstände oder wenigstens an unbeobachtbare Eigenschaften von Dingen, also an prinzipiell nicht beobachtbare Entitäten. In Fall (a) sind zumindest Aspekte dessen manifest präsent, woran gedacht wird. In Fall (b) kann der Denkende immerhin durch Imagination etwas Ähnliches wie die manifeste Präsenz von Aspekten des Gedachten erzeugen, etwa durch Imagination einer Farbqualität beim Denken an einen abwesenden so-und-so gefärbten Gegenstand. Erst in Fall (c) fällt auch diese Möglichkeit weg; allenfalls kann ein Bildbewußtsein von einem beobachtbaren Modell oder Diagramm des gedachten Gegenstandes dem Denken zugrunde liegen.14 Ich bezeichne Episoden vom Typ (c), in denen nichts vom Gedachten manifest präsent ist, als völlig abstraktes Denken. Ganz sicher involvieren bereits die ersten beiden Fälle geistige Leistungen, die bei (c) im reinen Fall auftreten. Um dieses abstrakte Moment des Denkens zu verstehen, möchte ich das begriffliche Denken zunächst so diskutieren, als sei es durchgängig völlig abstrakt. Aufgrund des negativen schematischen Prinzips zum Begriff der manifesten Präsenz können die begrifflichen Inhalte des völlig abstrakten Denkens nicht manifest präsent sein.15 Man muß daher fragen, inwieweit sich das abstrakte Denken dennoch auf der Ebene des manifest Präsenten abspielt. Daß es überhaupt eine Ebene der manifesten Präsenz gibt und daß man zu einfachen lokal-phänomenologischen Feststellungen durchaus Zutrauen haben kann, liegt in dem Programm, das diese Arbeit verfolgt. Hinzu kommen einzelne Resultate der bisherigen Teile. Auf dieser Grundlage läßt sich folgendes festhalten: Schon eine oberflächliche lokal-phänomenologisch Reflexion offenbart, daß beim Nachdenken tatsächlich irgend etwas auf der Ebene der manifesten Präsentation abläuft. Besonders in längeren theoretisch-grübelnden 14
Wer etwa den Aufbau des Heliumatoms in Gedanken rekapituliert, wird in sich wahrscheinlich ein Bildbewußtsein einer typischen Lehrbuchabbildung erzeugen. 15 D. Pitt argumentiert in Phenomenology dafür, daß Gedankenepisoden hinsichtlich ihres Inhaltes durch die Art unterschieden sind, wie es ist, die Inhalte zu denken. Es liegt nahe, das so zu verstehen, daß (primäre) Gedankeninhalte durchaus manifest präsent sein sollen. Pitt entwickelt aber keinen Theorieansatz, wie das der Fall sein könnte.
227 oder deliberativen Phasen des stillen Denkens ist deutlich, daß auf der manifesten Ebene Zeichen der gewöhnlichen Umgangssprache auf imaginierte Weise präsent sind, hauptsächlich als Lautbilder und gefühlte Stimulierungen des Sprachapparates, die allerdings nicht für die laute Rede ausreichen. Vielfältige Indizien (etwa daß Menschen bei einem längeren Auslandsaufenthalte ‚in der Fremdsprache‘ zu träumen anfangen) ebenso wie spontane Reflexionen auf den ‚Nachklang‘ des gerade Gedachten in der Kurzerinnerung offenbaren, daß solche Abfolgen imaginierter Zeichen unser ganzes bewußtes Leben begleiten. Ebenso kennt man aber Situationen des Nachdenkens, in denen an der entscheidenden Stelle gerade kein Bild eines gewöhnlichen Ausdrucks auftritt. Zum einen kann man gelegentlich an das Richtige denken, ohne daß einem beispielsweise der passende Fachterminus einfällt. Zum anderen kann man im kreativen, etwa wissenschaftlichen oder planenden Denken sich mit gewöhnlichen sprachlichen Mitteln eine Ausgangssituation klar machen und auf dieser Grundlage ein neues Phänomen ersinnen, für das und dessen Teilaspekte man erst noch einen treffenden Ausdruck finden muß. Obwohl in solchen Fällen ein bildhaftes normalsprachliches Zeichen für das Neue fehlt, ist es dennoch irgendwie auf der manifesten Ebene repräsentiert. Insgesamt kann kein Zweifel bestehen, daß Prozesse des abstrakten Denkens spezifische Phänomene auf der Ebene des manifest Präsenten involvieren, seien es imaginierte Zeichen der gewöhnlichen Sprache oder andere repräsentierende Strukturen. Es schließt sich jedoch die Frage an, ob diese manifesten Phänomene bloß ein zufälliges Beiwerk sind, das die wahrhaften gedanklichen Abläufe tief in unseren Gehirnen begleitet, oder ob sie wesentlich zum Denken gehören. Wieder soll eine lokal-phänomenologische Erwägung genügen: Sowohl die theoretische wie die deliberative Variante konzentrierten Nachdenkens können sehr anstrengend sein. Wir versuchen, für einige Zeit die Konzentration auf die Sache aufrecht zu erhalten; zwischendurch bricht die Konzentration zusammen, so daß wir einen neuen Anlauf nehmen müssen. Es ist ein klarer Befund, daß die Phänomene auf der manifesten Ebene dabei nicht einfach nebenher laufen. Vielmehr richten sich die Konzentrationsversuche gerade darauf, eine manifeste Struktur aufrecht zu erhalten oder wieder und wieder zu reproduzieren. Sicherlich ist mit dieser Präsenz kausal eine aufwendige Gehirntätigkeit verbunden. Doch gerade das Erzeugen, Kopräsent-Haben und Modifizieren
228 der manifesten Phänomene ermöglicht uns eine kontrollierte Reorganisation von tiefer sitzenden Strukturen unseres Geistes. Wir benutzen die manifesten Phänomene demnach gewissermaßen als Handgriffe, um bewußt kontrollierte Überzeugungen und Intentionen auszubilden und zu verändern. Demzufolge ist gerade die zentrale Funktion des Denkens, nämlich die kontrollierte und nicht durch sinnliche und emotionale Inputs determinierte Modifikation von Einstellungen, dadurch realisiert, daß wir mit manifest präsenten Phänomenen umgehen. Man kann offen lassen, ob die Funktion prinzipiell ohne ein solches Bewußtsein realisierbar ist. Für uns jedoch gehört es wesentlich zum Denken. Damit ist eine Grundlage gegeben, um wesentliche Züge der Konzeption zu verstehen, die mit Castañedas Slogan ‚Denken ist symbolisch‘ verbunden ist. Wenn man zusammenstellt, welche Spezifizierungen der Formel Castañeda an verschiedenen Stellen diskutiert, wird deutlich, daß meine vorsichtigere Redeweise angemessen ist, gedankliche Episoden enthielten ein zeichenartiges Moment. Zunächst einmal gehören die Elemente, die tatsächlich oder eventuell als solche zeichenartigen Momente dienen sollen, zu zwei verschiedenen Ebenen: zum einen zu dem, was ich als die Ebene des manifest Präsenten bezeichne, und zum anderen zur Ebene der dahinter liegenden Gehirnstrukturen und -abläufe. Hinsichtlich der ersten, manifesten Ebene kann man bei Castañeda drei Aspekte unterscheiden: i. Zum einen denkt er an sensorische Varianten der Symbole der gewöhnlichen Sprache, die man beherrscht.16 Ausdrücklich hält er solche Symbole nicht in jedem Fall von Denken für notwendig.17 16
Siehe etwa HumanAction, S. 4.45: „... your mental images, your mutterings, your gestures in sign language, your motor sensation in your vocal cords, etc. ... these are the items you become aware of when you become aware of your having been thinking ...“; OPM, S. 44: „... we leave it open that a thinker, call him Intimus, may have as his symbolic medium for his thoughts his own private symbolism. For instance, Intimus could think through sequences of mental auditory or visual images...“ S. 46: „... even if the words and symbols of my idiolect are simply images or sensory contents of my experiences.“ 17 HumanAction, S. 4.33: „Often we think of things and their properties and do not recall the appropriate words...“; siehe auch 4.51. Siehe auch J/P-Indicators, S. 62: „... one can incur in lapsus linguae: one can utter expressions that have, by the se-
229 ii. An inneren Bilder erwähnt er nicht nur solche vom gewöhnlichen Symbolismus, sondern auch visuelle Bilder etwa von einer abwesenden Person, an die man denkt.18 Der entscheidende Unterschied zu (i) besteht darin, daß solche Bilder sich nicht in Typen einordnen lassen, die schon als Elemente eines Sprachsystems bzw. als solchen Elementen eindeutig zugeordnete Typen eine Bedeutung haben können. Da man unter Symbolen eher Zeichen versteht, deren Typen bereits einer Bedeutung oder in Fällen von Mehrdeutigkeit einer endlichen Menge von Bedeutungen zugeordnet sind, bleibe ich bei der vorsichtigeren Rede von Zeichen. Wichtig ist, daß nach Castañeda solche nicht symbolhaften Bilder jedoch auch nicht ikonisch repräsentieren müssen;19 die Person, an die man denkt, muß beispielsweise nicht weitgehend so aussehen, wie das visuelle Bild sie darstellt, ‚mittels dessen‘ man an sie denkt.20 Das bedeutet aber, daß die Beschaffenheit des visuellen oder sonstigen Bildes in diesem zweiten, nicht wahrhaft symbolischen Einsatz gleichgültig ist: Sie muß weder äußerlich produzierten Zeichentypen korrespondieren noch Ähnlichkeit mit dem gedachten Gegenstand garantieren. Diese beiden Punkte betreffen in erster Linie das zeichenhafte Material, das auf der manifesten Ebene präsent ist. Sie eröffnen außerdem weite Möglichkeiten für das Material, da es auf die Beschaffenheit der nicht symbolischen Zeichen nicht ankommt. Der dritte Punkt betrifft unseren Umgang mit den Zeichen: iii. In einer späten Stellungnahme in J/P-KapitanAntwort ergänzt Castañeda seine beständige Betonung des zeichenhaften (‚symbolischen‘) Charakters des Denkens durch einen Hinweis auf die operationale Dimensimantical rules of one’s idiolect or language, denotations one is not thinking of, yet the very tokening of the sentences containing such expressions may ... be causally involved in one thinkingly referring to other entities... such cases cannot be the groundfloor cases of thinking and speaking.“ 18 Siehe hierzu die Diskussion in HumanAction, S. 4.38-4.51. 19 Castañeda bemerkt HumanAction, S. 40: „... those images must function symbolically, not iconically.“ Es ist aber keine symbolische Funktion im engeren Sinn. 20 Später in HumanAction findet man allerdings wieder ein ikonisches Moment erwähnt; S. 4.51: „Perhaps the characterization ran like this: the man whose complexion is of this color, where the image in her mind functioned as a symbol and as presentation of the color in question.“
230 on.21 Ein etwas näherer Blick auf seine beiden Beispiele lohnt sich. Zu dem etwas einfacheren Fall erklärt er, einen konjunktiven Satz P ∧ Q zu behaupten bestehe darin, eine konjunktive Proposition für das Denken zu repräsentieren oder zu konstruieren.22 Im Kontext der Stelle muß man das so verstehen, daß wir zwei Repräsentationen der propositionalen Glieder P und Q auf der manifesten Bewußtseinsebene buchstäblich zusammenführen und verknüpfen oder als nun verknüpft auffassen. Das deutlich kompliziertere Beispiel ist das Denken einer allquantifizierten Proposition mit beschränktem Quantifikationsbereich. Castañedas zusammenfassende Aussage hierzu besagt, das Denken eines allquantifizierten Satzes („sentence“!) bestehe darin, ein Bild einer Regel zu produzieren und zu betrachten („contemplate“), die angibt, wie man vom Quantifikationsbereich zur entsprechenden singulären Proposition übergeht. Castañeda spricht von einer operationalen Dimension und meint damit sicherlich einen zeitlich erstreckten Umgang mit etwas. Doch dieses Operieren muß auf irgend einem ‚Spielfeld‘ stattfinden, und die Rede vom ‚Betrachten‘ („contemplate“) verweist eher auf das Präsentieren einer zeichenartigen, jedoch nicht notwendigerweise sprachartigen Struktur. Ich halte es daher für treffend, insgesamt von einer operational-diagrammatischen Dimension des Denkens zu sprechen.23 Castañedas Beschreibung der Operation beim Denken eines 21
Siehe S. 464; soweit ich die Arbeiten überblicke, ist es in dieser Deutlichkeit die einzige Stelle dieser Art. 22 So fast wörtlich S. 465. 23 Die Bezeichnung als diagrammatisch halte ich für treffend, da Castañedas an der Stelle auf Ch. S. Peirce als einen der wenigen verweist, die den operationalen Charakter des Denkens ernst genommen haben, und es etwa die folgende passende Stellungnahme von Peirce gibt; siehe N&Z, S. 133-34: „Wörter, obwohl zweifellos für die Entwicklung des Denkens unabdingbar, spielen bei diesem Vorgang nur eine untergeordnete Rolle, wohingegen das Diagramm oder Ikon, das sich manipulieren läßt, von entscheidender Bedeutung ist. ... Und wozu sind diese Diagramme gut? Um Experimente mit ihnen anzustellen. ... Gutes Schlußfolgern betrifft visuelle und muskuläre Bilder. Auditive Ideen bilden die Quelle des meisten verkehrten Denkens.“ Peirce unterscheidet hier sowohl das Diagramm selbst von seiner Manipulation (dem Operieren mit ihm) als auch diagrammatische Zeichen, die ikonisch sein, also durch Ähnlichkeit repräsentieren sollen, von Wörtern, also echten Symbolen. Im gewöhnlichen, nicht genuin mathematischen Denken handelt es sich, so denke ich, um eine strukturelle Ähnlichkeit des Diagramms und des gedachten Inhaltes.
231 quantifizierten Inhaltes ist noch recht allgemein, doch er nimmt zweifellos ein wirkliches konkretes Operieren mit manifest präsenten Zeichen an.24 Insgesamt kann man so Castañedas Erläuterungen zwei einigermaßen plastische und konkrete Charakterisierungen der manifesten zeichenhaften Beschaffenheit des abstrakten Denkens entnehmen: Auf der einen Seite soll das Denken einen sprachartigen Charakter haben; einseitig konkretisiert bedeutet das, daß in einer Denkepisode visuell-auditiv-motorische Bildkomplexe von gewöhnlichen Sätzen oder Texten das sinnliche Bewußtsein durchströmen. Auf der anderen Seite soll das Denken einen operational-diagrammatischen Charakter haben. Man kann allgemein Bedenken gegen die Konzeption einer sprachartigen und operational-diagrammatischen manifesten Ebene des Denkens geltend machen, und zwar im wesentlichen dasselbe Bedenken gegen beide Charakteristika: (a) Es ist sehr zweifelhaft, ob wir selbst in einer vorbildlich, dabei allerdings psychologisch realistischen sprachlich durchgestalteten gedanklichen Phase klar strukturierte und voneinander abgegrenzte Sätze repräsentieren, die propositionalen Inhalte entsprechen. Gerade in Phasen des konzentrierten Nachdenkens scheinen allenfalls Sequenzen von Satzfragmenten, Wendungen, Phrasen oder bloß Wörtern unser Bewußtsein zu durchziehen. (b) Ähnlich unplausibel ist es, daß wir immer, wenn wir beispielsweise einen quantifizierten Inhalt denken, im Bewußtsein eine solche diagrammatische Zeremonie veranstalten, wie Castañedas Erläuterungen der operationalen Dimension beim Denken quantifizierter Inhalte sie suggerieren. Es ist noch fraglicher, wenn es sich um einen mehrfach quantifizierten oder weitere logische Strukturen aufweisenden Inhalt handelt. 24
Ich gebe die ganze Originalstelle zur Quantifikation an; S. 464-65: „To apply the universal quantifier (and a quantifier matrix as Kapitan calls its linguistic expression) to a propositional function (a sentential matrix) is not to assert that a certain domain of individuals is the domain of values of the related quantifiable propositional function. The operation involved is one of making, not describing or predicating, such a connection, as well as showing in a schematic example how the use of those values is to proceed: the quantified sentence shows the form of the sentence that result from using the values of the variable in determining the corresponding value of the quantificational operation. In brief, to think a universally quantified sentence is not to describe but to produce and contemplate a picture of a rule which governs how to go from the domain of quantification to the corresponding singular proposition.“
232 Diese Bedenken können aber nichts gegen die lokal-phänomenologische Einsicht ausrichten, daß manifeste bewußte Prozesse oder Operationen wesentlich zum Denken gehören: Denken besteht wesentlich darin, auf das eigene Überzeugungssystem durch bewußte Vergegenwärtigungen Einfluß zu nehmen, wie flüchtig und andeutungshaft diese auch sein mögen. Ein konzentriertes Denken, das explizit auf die logische Struktur eines Inhaltes gerichtet ist, schließt sicherlich Zeichenmanipulationen ein, die mehr oder weniger von der Art sein dürften, wie Castañeda sie für das Denken konjunktivischer und quantifizierter Inhalte angegeben hat. Man darf annehmen, daß im raschen, unproblematischen Erfassen eines Sachverhaltes knapp unter der Bewußtseinsoberfläche irgendeine geistige Struktur etabliert ist, die solchen manifesten Vergegenwärtigungen formal ähnelt.25 Welche Hardware-Ausstattung unseres Geistes diese Strukturen bestimmen – man kann hier an angeborene Symbolsysteme denken –, kann dabei offen bleibe. Möglicherweise liegt nicht völlig fest, bis zu welchem Grad die Substrukturen, zu deren diagrammatischer Darstellung bloß eine Bereitschaft besteht, als tatsächlich gedacht gelten können; und es kann sein, daß man auf alternative Bereitschaften zur Darstellung von Substrukturen stößt, zwischen denen nicht mit absolutem Recht entschieden werden kann. Es ergibt sich demnach ein doppelter Spielraum für eine Angabe des gedachten Inhaltes, der jedoch nichts daran ändert, daß die Angaben eine Grundlage in der Sache haben. Im weiteren werde ich die Ebene der mobilisierten Bereitschaften zur manifesten zeichenartigen Präsentation als sub-manifeste von der manifesten Ebene unterscheiden und fasse beide der Kürze wegen als manifeste* Ebene zusammen. Castañeda selbst bekennt sich zum einen unter Berufung auf Sellars zu dem Gedanken, Denken bestehe in der Verwendung eines Elementes eines Symbolsystems irgendwo im Denkzentrum, welches zweifellos das Gehirn
25
Ein Teil der Anstrengung des konzentrierten grübelnden Nachdenkens dürfte darin bestehen, daß wir ein großes Geflecht solcher Bereitschaften aufrechterhalten und beständig partiell realisieren, bis wir die Antwort auf unsere Frage (Ist das alles kompatibel? Was ist der treffende Begriff für all das? Wer ist der Mörder?) gewissermaßen ‚sehen‘.
233 sei.26 Im (etwas früheren) Typuskript HumanAction läßt er allerdings dieselbe Konzeption gewissermaßen auf sich beruhen, indem er darauf beharrt, die im Bewußtsein auftauchenden zeichenartigen Vorkommnisse bildeten die eigentliche Zeichenebene des Denkens.27 Jedenfalls steht fest, daß in dem Maße, wie solche inneren Symbole den Zeichen der öffentlichen Sprache analog sind, sie nicht mit logischer, metaphysischer oder auch bloß naturgesetzlicher Notwendigkeit einen bestimmten Inhalt besitzen. Allenfalls besitzen sie einen Inhalt aufgrund systemischer kausaler Verknüpfungen. Zum anderen arbeitet Castañeda mit einem Konzept von etwas, das nur noch gewisse Analogien mit gewöhnlichen Zeichen aufweist, nämlich von Begriffen („concepts“). Ein Begriff soll eine Fähigkeit sein, an Sachverhalte zu denken, die einen gewissen Inhalt, paradigmatisch eine Universalie, als Bestandteil oder als strukturellen Aspekt besitzen.28 Da Begriffe demnach wesentlich auf inhaltliche Aspekte des Denkbaren bezogen sind, kommt es auf die Verknüpfung der manifesten* Phänomene mit solchen begrifflichen Fähigkeiten an, wenn man nach dem gedachten Inhalt fragt. 26
Siehe RosenbergAntwort, 339-40: „... to think is somehow, as I learned from Sellars, to token some piece of symbolism somewhere in my thinking centers, undoubtedly in my brain.“ 27 HumanAction 4.44: „Sometimes it has been said that an episode of conceptual consciousness consists of some event in the brain analogous to the production of an utterance of a sentence describing what one is consciousness of. ... a sequence of events in your brain that was your basic, and true symbolic act, your true and intimate speech, so to speak.“ (Der Hinweis auf den Analogie-Gedanken ist eine eindeutige Anspielung auf Sellars.) Darauf bezogen ist das bereits Zitierte von S. 4.49: „... we are better off by taking our mental images, or our motor sensations, or something else, which is sensorily present, as the representative before consciousness of that absent teacher.“ 28 HumanAction, S. 4.32-33: „Concepts are powers to think of states of affairs. They are powers to think of concept2s. ... One has a concept A only to the extent to which one can think of states of affairs having the concept2 corresponding to A as a constituent or as a structure.“ Begriffe1 sind Universalien (S. 4.28); das Konzept der Begriffe2 ist eine Verallgemeinerung auf beliebige Aspekte, für die ein sprachlicher Ausdruck stehen kann (S. 4.29), insbesondere auf logische Strukturen. Begriffe sind ebensowenig wie Zeichen denkbare Inhalte, und ihre Ausübungen sind ähnlich wie Verwendungen verschiedener Zeichentypen kombinierbar.
234 2.b Die Inhalte des abstrakten Denkens sind die Inhalte unserer gewöhnlichen Sprache, sofern sie als Mittel des Denkens eingesetzt wird. Das Komplement zu Castañedas Slogan ‚Denken ist symbolisch‘ ist der Slogan ‚Sprache ist ein Mittel des Denkens‘. Er meint sicherlich nicht bloß, daß visuelle oder auditive Bilder von Zeichen der gewöhnlichen Sprache neben anderen Arten von Bildern als diagrammatische Elemente auf der manifesten* Ebene dienen können. Angenommen ein deutschsprachiger Denker durchlebt eine gedankliche Episode, in der unter anderem ein visuell-auditives Bild des deutschen Ausdrucks „Elektron“ manifest präsent ist. Im Prinzip kann das Bild für ihn in dem Moment ein manifestes Mittel sein, um an seine Tante zu denken. Doch wir haben zweifellos eine Vorstellung von einer etwas gelungeneren Episode, in der etwas, das in einem wichtigen Sinn die Bedeutung des Ausdrucks „Elektron“ oder vielleicht gewisser mit ihm gebildeter komplexer Ausdrücke wie „... ist ein Elektron“ ein Teil des Inhaltes ist, der in dieser Episode gedacht wird. Man kann sich ein entsprechendes idealisiertes Konzept von einem Denker zurecht legen, der über eine Sprache wie das Deutsche verfügt und in einem gewissen Moment eine abstrakte Denkepisode durchlebt: Er könnte in dem Sinn, in dem die Bedeutung von „Elektron“ im gerade skizzierten Fall Teil des Gedachten ist, alle Aspekte des Inhaltes seines abstrakten Denkens durch bildhafte Verwendungen von Zeichen seiner gewöhnlichen Sprache repräsentieren. Man kann dann außerdem annehmen, daß er diese Zeichen zugleich in einer ihrer gewöhnlichen äußerlich wahrnehmbaren Formen verwendet. Die Möglichkeit dieser idealisierten Situation spricht sehr für die einfache Auffassung, daß bei uns, die wir eine Umgangssprache beherrschen, die begrifflichen Kompetenzen, die unseren manifesten* gedanklichen Operationen einen Inhalt verschaffen, de facto mit den Kompetenzen identisch sind, Ausdrücke der Umgangssprache als Mittel des Denkens zu verwenden, sei es inklusive der Produktion äußerlich wahrnehmbarer Zeichen oder bloß in inneren Bildern. Selbstverständlich dient unsere Fähigkeit zur Produktion wahrnehmbarer Realisierungen der Zeichentypen unserer natürlichen Sprache der Interaktion mit anderen Sprachteilnehmern. Doch hier kommt es darauf an, daß das System von Mechanismen, das uns zu einer geordneten Produktion solcher Zeichen befähigt, auf jeden Fall auch auf die Erfordernisse zugeschnitten sein muß, denen es als Mittel des indi-
235 viduellen Denkens unterliegt. Für das Projekt dieser Arbeit ist der kommunikative Aspekt des Sprachgebrauchs nicht zentral. Der Gedanke, daß die natürliche Sprache ein Mittel des individuellen Denkens ist, läßt sich jedoch etwas schärfen, wenn man einige Dinge über das Verhältnis dieser Rolle der Sprache zu ihrer kommunikativen konstatiert. i. In einer typischen Kommunikationssituation durchlebt der Sprecher (oder Schreiber) parallel zur Produktion der als Kommunikationsmittel dienenden Zeichen eine gedankliche Episode, in der er wenigstens zu einem gewissen Grade seinen Kommunikationsakt unter Kontrolle hält. Auf der primären Ebene ist dieses Denken nicht reflexiv, etwa mit dem Inhalt ‚Ich werde versuchen, dem anderen mitzuteilen, daß so-und-so‘; sondern idealerweise nutzt der Sprecher gerade die Zeichen seiner Sprache als Mittel des Denkens, die er zum Zweck der Kommunikation hervorbringt. Analog denkt der Zuhörer (oder Leser) beim Verstehen typischerweise etwas, für das idealerweise die vom Sprecher produzierten Zeichen oder eine ziemlich nahe Entsprechung als Mittel des Denkens dienen kann. (Mit ‚Entsprechung’ meine ich insbesondere, daß indexikalische Termini ausgetauscht werden müssen, etwa ‚du‘ und ‚ich‘.) ii. In einer typischen Situation produziert der Sprecher gerade diese wahrnehmbaren Zeichen, weil er zu dem, was er zugleich unter ihrem Einsatz als Mittel des Denkens denkt, eine Pro-Einstellung wie das Fürwahrhalten einnimmt. Umgekehrt gehört es zu einer erfolgreichen Kommunikation, daß der Hörer zu dem, was er unter Einsatz einer nahen Entsprechung der vom Sprecher produzierten Zeichen denkt, eine solche Pro-Einstellung einnimmt. Man kann sogar stärker formulieren, daß es in einer typischen Situation für den Erfolg der Interaktion ausreicht, daß ein solches Denken beim Hörer stattfindet. iii. Die ersten beiden Punkte lassen den Schluß zu, daß der primäre Zweck von sprachlichen Interaktionen darin besteht, den Hörer auf eine von ihm denkend kontrollierte Weise zu einer bestimmten Art des Denkens zu veranlassen oder sein Denken wenigstens zu beeinflussen. Wenn das stimmt, dann sind die Inhalte, die mit sprachlichen Zeichen in ihrem Einsatz als
236 Mittel des Denkens verbunden sind, zugleich auch die Inhalte, auf die es bei ihrem Einsatz als Kommunikationsmittel ankommt.29 Ich möchte bezüglich einer wichtigen Auffassung sprachlicher Bedeutung, die auf die kommunikative Rolle der Sprache konzentriert ist, deutlich machen, daß die intersubjektive strikte Identität der Bedeutungen für sie nicht wesentlich ist. D. Lewis unterscheidet Sprachen in einem abstrakten Sinn von Sprache als einer sozialen Praxis. Eine abstrakte Sprache ist im Kern eine Funktion, die Sätzen Entitäten zuweist, die ihren Wahrheitswert absolut besitzen. Ich werde einfach von Propositionen sprechen; daß es sich für Lewis um Mengen möglicher Welten handelt, ist hier nicht wichtig. Eine abstrakte Sprache ist in einer Gemeinschaft im Gebrauch genau dann, wenn eine bestimmte Regularität dort den Status einer Konvention hat. Die Regularität besteht darin, als Sprecher nur solche Sätze zu verwenden, von deren zugeordneter Proposition man überzeugt ist, und als Hörer auf die Äußerung eines Satzes durch einen anderen hin von der zugeordneten Proposition überzeugt zu sein.30 Das Postulat identischer Bedeutungen besteht 29
Frege argumentiert in dem Nachlaßmanuskript ‚Logik‘, ein Widerspruch zwischen den Behauptungen verschiedener Menschen sei nur möglich, wenn genau von demselben Gedanken einerseits die Wahrheit und andererseits die Falschheit behauptet wird. Aufgrund dieser Überlegung könnte man auf die Idee kommen, daß zwei Personen nur dann sinnvoll über etwas diskutieren können, wenn ihre Ausdrücke identische Bedeutungen haben. Das läßt sich aber ohne weitere Annahmen nicht begründen. Denn für einen sinnvollen Diskurs reicht es aus, daß die Bedeutungen, die die ausgetauschten Zeichen für die Beteiligten haben, in einem schwächeren Sinn als dem der Identität äquivalent sind und daß die Beteiligten zu Recht unterstellen, die Bedingungen für diese schwächere Äquivalenz seien erfüllt. Die Äquivalenz muß insbesondere garantieren, daß sie oder die mit ihnen aufgebauten wahrheitsfähigen Inhalte denselben Wahrheitswert haben. Wenn man das unterstellt, kann der eine dem anderen durchaus widersprechen, obwohl die Inhalte, die beide mit dem fraglichen Satz formulieren, weder identisch noch notwendig äquivalent sind und sich die Inhalte selbst nicht widersprechen. Ein solcher Streit über die Wahrheit wäre nicht ‚eitel‘, wie Frege suggeriert. Siehe LogikSprachphilosophie, S. 46. 30 Siehe Languages, bes. S. 163-171; meine Darstellung ist vereinfacht. Lewis umschreibt die Regularität so, daß der Sprecher Sätze äußert, die er für wahr in der abstrakten Sprache L hält, und der Hörer auf die Äußerung hin zu derselben Überzeugung gelangt (S. 167). Mir erscheint die Charakterisierung besser, daß der Sprecher von der Proposition überzeugt ist, die die Bedeutung-in-L des geäußerten Satzes ist;
237 in dieser Konzeption darin, daß es um den Gebrauch einer einzigen Sprache im abstrakte Sinn geht. Die Grundidee wird aber überhaupt nicht beschädigt, wenn man den Sprachteilnehmern verschiedene abstrakte Sprachen zuordnet, solange diese dieselben Sätze im Argumentbereich haben und die zugeordneten Propositionen in einer geeigneten schwächeren Beziehung der Äquivalenz stehen. Ein Sprecher darf dabei einen Satz nur dann verwenden, wenn er von der Proposition überzeugt ist, die für ihn dem Satz zugeordnet ist; und der Hörer soll auf die Äußerung hin von der Proposition überzeugt sein, die für ihn mit dem Satz verknüpft ist. Die schwächere, kontingente Äquivalenz garantiert mindestens, daß der Wahrheitswert und die inferenziellen Beziehungen zu den anderen Propositionen der jeweiligen abstrakten Sprache erhalten bleiben. Der Gedanke der Konventionalität von Bedeutungen ist folglich gerade nach Lewis‘ Analyse nicht wesentlich mit dem Postulat strikt identischer Bedeutungen verknüpft.31 Man kann also festhalten: (a) Dem bloßen Konzept der sprachlichen Interaktion läßt sich nicht entnehmen, daß man zusätzlich zu den Inhalten des sprachlich gestützten Denkens noch eine besondere Sorte von Inhalten der sprachlichen Kommunikation annehmen muß. (b) Ebensowenig läßt sich ihm entnehmen, daß man Inhalte postulieren muß, auf die die Sprachteilnehmer auf weitgehend einheitliche Weise bezogen sind: etwa einen identischen Inhalt, den der eine Teilnehmer aussagt und der andere im günstigen Fall versteht. Einem Verzicht auf ein derartiges Postulat steht auch der Gedanke der Konventionalität oder sozialen Kontrolliertheit von Bedeutungen nicht entgegen. (c) Ihm läßt sich auch nicht entnehmen, daß die für die Kommunikation relevanten Inhalte von subjektiven Elementen gereinigt sein müssen, die möglicherweise in Inhalten des sprachlich gestützten Denkens enthalten sind. Es gibt demnach keine prinzipiellen Gründe dagegen, sich auf die Inhalte zu konzentrieren, die mit sprachlichen Zeichen in ihrer Funktion als Mittel entsprechend für den Hörer. Ein Punkt ist, daß man dabei den Beteiligten nicht einmal andeutungsweise die Fähigkeit zu metasprachlichen Überzeugungen zuschreibt. 31 Hinsichtlich der Farbprädikate rechnet Lewis tatsächlich mit einer Divergenz der Bedeutungen für die verschiedenen Sprachteilnehmer oder zumindest für Teilgruppen der Sprachgemeinschaft; siehe Colours, S. 354-358.
238 zum Denken verbunden sind, und zu erwarten, daß das, was an ihrem kommunikativen Einsatz speziell erscheint, weniger durch das Postulieren zusätzlicher Sorten von Bedeutungen oder Inhalten als durch die Annahme komplexer Mechanismen erklärt werden muß, die das Auftreten gedanklicher Inhalte koordinieren. Castañeda unterscheidet in weitgehender Übereinstimmung damit zwei primäre Typen der Bezugnahme: (A) Die denkende Bezugnahme in der ersten Person ist die Bezugnahme auf eine Entität, indem man an sie denkt. (B) Die kommunikative Sprecher-Bezugnahme ist die in Worten ausgedrückte denkende Bezugnahme in der ersten Person, die mit der Intention vorgenommen wird, andere Personen zur denkenden Bezugnahme in der ersten Person auf das zu veranlassen, worauf man sich selbst denkend bezieht.32 Für die Zwecke einer phänomenologischen Linguistik verknüpft er die beiden Konzepte zu einem künstlichen Begriff der SprecherBezugnahme.33 Dabei handelt es sich um eine in wahrnehmbaren Zeichen formulierte denkende Bezugnahme in der ersten Person (Typ (A)), die als identisch mit der kommunikativen Sprecher-Bezugnahme betrachtet werden kann. Wie eine Reihe von einschränkenden Wendungen deutlich machen, kommt es dabei auf den kommunikativen Aspekt nicht wesentlich an, sondern darauf, daß der Denkende seine Gedanken in offenen Worten seiner Sprache formuliert.34 Das idealisierte Konzept von einem in offenen Worten gefaßten abstrakten Denken soll eine zunächst noch auf völlig abstraktes Denken beschränkte und theoretisch etwas anspruchsvollere Version von Castañedas Begriff der Sprecher-Bezugnahme sein: Es ist das Konzept von einem abstrakten Denken, dessen diagrammatischen Strukturen auf der manifesten* Ebene Verwendungen von Zeichen der natürlichen 32
Siehe (A) und (B) in J/P-Indicators, S. 61. Siehe auch FoundationsCommunication, S. 126. Dort bezeichnet Castañeda die Wendung „denkende Bezugnahme in der ersten Person“ („first-person thinking reference“; S. 63: „thinking reference in the first person“) als ‚etwas ungenau‘ und meint damit offenbar, daß es sich um keine Bezugnahme in der ersten Person, also etwa durch eine Verwendung von ‚ich‘ handeln muß. Wie die Typen (C) und (D) in J/P-Indicators, S. 61, deutlich machen, kontrastiert ‚in der ersten Person‘ einfach mit ‚Zuschreibung von Bezugnahmen‘. 33 Siehe J/P-Indicators, S. 63. 34 Siehe etwa die Formulierung S. 63: „... they articulate sentences that formulate what they are thinking, so that any hearer can, to the extent that communication is viable, think the same as what our speakers are thinking.“
239 Sprache des Denkenden derartig korrespondieren, daß die Kompetenzen zur Verwendung der offenen Zeichen zugleich die begrifflichen Kompetenzen sind, die mit den manifesten* symbolischen Elementen verknüpft sind und ihnen einen Inhalt geben. II. Bedeutungskonstitutive Dispositionen und die Inhalte des abstrakten Denkens 1. Bedeutungskonstitution durch Gebrauchsdispositionen Castañeda hat keine ausführliche Bedeutungstheorie formuliert. Seine mehr oder weniger verstreuten Hinweise deuten allerdings darauf hin, daß er die allgemeinen Prinzipien einer Theorie der Bedeutung sprachlicher Zeichen in ihrem Gebrauch als Mittel des Denkens für recht einfach hält und Kompliziertheiten eher dort erwartet, wo man etwas über die Bedeutung bestimmter Ausdrücke oder Ausdruckstypen einer gegebenen Sprache auszumachen versucht. Man kann wiederum unterscheiden zwischen seinen ganz allgemeinen und grundsätzlichen Auffassungen über Bedeutungen und einigen Spezifikationen, die sich wenigstens teilweise aus dem phänomenologischen Programm nahelegen. Ich werde in diesem Unterabschnitt 1 Castañedas grundsätzliche Aussagen erläutern und diejenige ausgeführte Bedeutungstheorie der jüngeren Zeit nennen, die mir mit seiner Auffassung in diesen allerallgemeinsten Punkten am besten übereinzustimmen scheint. Im nächsten Unterabschnitt 2 werde ich diskutieren, inwieweit das phänomenologische Programm wichtige Spezifikationen motiviert. 1.a Castañeda: Bedeutungen sind intensionale Abstrakta, die Konstituenten des gedachten Inhaltes sind und durch ausgezeichnete Anwendungsdispositionen festgelegt sind. Zu Castañedas allgemeinsten Auffassungen über Bedeutungen gehören die folgenden: i. Bedeutungen in dem für den denkenden Spracheinsatz grundlegenden Sinn sind intensionale Abstrakta wie Eigenschaften und Relationen.
240 ii. Diese Bedeutungen sind Konstituenten (‚Teil‘) des Inhaltes, den man denkt, wenn man die entsprechenden Ausdrücke korrekt als Mittel des Denkens verwendet. iii. Die Bedeutung eines Ausdrucks für einen bestimmten Sprecher zu einer bestimmten Zeit ist festgelegt durch Sprechtendenzen („speech propensities“) des Sprechers. Einige philologische Varianten zu diesen allgemeinsten Punkten möchte ich kurz diskutieren. Zu (i) und (ii): An einer Stelle spricht Castañeda von Bündeln von Eigenschaften als Bedeutungen.35 Er erläutert allerdings nicht den Charakter der Bündelung, etwa ob es sich eher um eine konjunktive oder eine disjunktive Verknüpfung handelt.36 Eine andere Stelle sugeriert eine Unterscheidung zwischen Bedeutung und bezeichneter Eigenschaft eines Ausdruckes.37 Ein wenig sieht es dort so aus, als gäbe es eine strukturelle Ebene von Bedeutungen, die logische oder analytische Beziehungen zwischen Ausdrücken reflektiert, und eine andere, eigentlich inhaltliche Ebene dessen, was die Ausdrücke bezeichnen, die allerdings von intensionalen Entitäten wie Eigenschaften gebildet wird. So könnten die Farbeigenschaften auf der ‚inhaltlichen‘ Ebene liegen, während auf der ersten, der strukturellen Ebene 35
Siehe Holism, S. 106: „The meanings of a predicate, which are thinkable contents, are not extensions, but intensions: unified bundles of properties, which in their turn unify the manifolds of speech propensities to use the predicate in question.“ 36 An einer Stelle kommt er der Rede von ‚Bündeln‘ in bezug auf einen konkreten Fall nahe: In J/P-PilotAntwort, S. 300, bemerkt er, die semantische Bedeutung des spanischen Ausdrucks „azul“ sei ‚ein Bereich von Farbschattierungen, die ein sehender Sprecher des Spanischen als azul zu identifizieren vermag‘. Das spricht eher für ein disjunktives Verständnis der Bündelung. In Color, S. 186-87, kritisiert er allerdings selbst eine Theorie der Semantik der Farbwörter, derzufolge sie eine ‚quantifizierte‘ Bedeutung haben, so daß ‚x ist blau‘ tatsächlich von der Form ‚x hat eine (Farb)Schattierung vom Typ Blau‘ wäre; die Quantifikationsstruktur sei zu anspruchsvoll, um das Erlernen der Farbwörter von Kindern erklärbar zu machen. Die ‚disjunktive‘ Bündel-Auffassung steht aber in der Gefahr, eine ähnlich komplexe Semantik der Farbwörter im generischen Gebrauch erforderlich zu machen, etwa ‚x ist blau‘ als ‚x besitzt irgendeine der Schattierungen aus diesem Bündel‘ oder gar als ‚x ist blau1 ∨ x ist blau2 ∨ x ist blau3 ...‘ zu verstehen. 37 Siehe Holism, S. 108: „... semantic postulates constituting the meaning of an expression E that denotes [a property] P ...“
241 die Beziehungen zwischen diesen wie Implikation und Inkompatibilität liegen. Andererseits sollen Bedeutungen einen ‚Teil‘ dessen bilden, was unter Einsatz der fraglichen Ausdrücke gedacht wird, und sicherlich gehören auch die Eigenschaften und Beziehungen zu dem gedachten Inhalt.38 Letztlich sollen sich Bedeutungen und bezeichnete Eigenschaften demnach wohl doch auf der selben Ebene befinden und beide in denselben gedachten Inhalt eingehen. Ein ernsthafter Dualismus von semantischen Ebenen widerspräche auch Geist und Buchstaben von Castañedas semantischontologischer Gestaltungstheorie. Insgesamt ist es das Beste, Castañedas Andeutungen nicht im Sinn eines Dualismus zweier semantischer Ebenen, sondern im Sinn einer Unterscheidung zu verstehen, die er explizit macht, nämlich der zwischen der semantischen Bedeutung eines Ausdruckes bloß als Element eines Sprachsystems und dem, was der Ausdruck in einer konkreten Verwendung bezeichnet. Er rechnet zum einen mit rein kontextuellen Spezifikationen der semantischen Bedeutung und zum anderen damit, daß die generische Bedeutung indexikalischer Ausdrücke durch ein perzeptuelles Feld spezifiziert wird.39 Die semantische Bedeutung ist dabei ‚Teil‘ des gedachten Inhaltes nicht in der Weise eines Bausteins neben anderen, sondern ist ein Schema, das ausgefüllt werden muß.40 Da ich jedoch eine Auffassung zu entwickeln versuche, die die phänomenologische Reflexion zu verstehen erlaubt, empfiehlt es sich unabhängig von philologischen Fragen, einen Dualismus von semantischen Ebenen strikt zu vermeiden. Wenn man nämlich zwei solche Ebenen unterscheidet, so wird am ehesten die Ebene der bezeichneten Eigenschaften dem entsprechen, was ich in Teil EINS realen Inhalt genannt habe.41 Wenn umge38
Siehe Holism, S. 103: „The meanings of one’s words and sentences are a part of what one thinks when one uses a token T of a sentence containing these words as a means of thinking, or as an expression of what one thinks. Then one uses the word tokens in T to refer to individuals, properties, and relations that conform to the meanings of their constitutive word types.“ (Meine Unterstr.; RB) 39 Siehe Holism, S. 108: „For instance, the pair of expressions ‚long‘/‚short‘ is at the purely semantic, dispositional level a schema of a family of relations of height. On occasions of use it gains specificity.“ Zu den Indikatoren siehe PBS, S. 321; J/PPilotAntwort, S. 303-304, sowie den zweiten Abschnitt von Teil FÜNF der Arbeit. 40 Siehe Holism, S. 108: „... a schema which is filled in in an actual speech-thinking act.“ 41 Siehe die Loar-Diskussion in Teil EINS, Abchnitt II.
242 kehrt auch die erste Ebene einen Aspekt des realen Inhaltes darstellen soll, so spricht prinzipiell nichts gegen eine einfache Auffassung, die auf einer einzigen Ebene alle Aspekte des realen Inhaltes vereinigt. Zu (iii): Gelegentlich spricht Castañeda davon, man könne eine Bedeutung in unterschiedlichen Graden kennen. Es ist aber klar, daß er an solchen Stellen unter Bedeutungen einen Standard versteht, der durch gewisse kompetente Sprecher der Sprachgemeinschaft gegeben ist.42 Das ändert nichts daran, daß die ‚persönlichen Bedeutungen‘ von Ausdrücken für jemanden durch die Sprechtendenzen bestimmt werden, die sie oder er zu einem gegebenen Zeitpunkt internalisiert hat.43 Zu den Sprechneigungen erfährt man im wesentlichen folgendes: (a) Es handelt sich, jedenfalls im zentralen Fall von prädikativen Ausdrücken, um Dispositionen zur Anwendung des Terminus.44 (b) Sprechneigungen sind Internalisierungen von Regeln.45 (c) Es ist wesentlich, daß ein Ausdruck in aller Regel aus Gewohnheit und korrekt angewendet wird; nur auf dieser gewohnheitsmäßigkorrekten Basis sind Korrekturen einzelner Fehlanwendungen möglich.46 (d) Sprechneigungen lassen sich durch kausal-semantische Schemata beschreiben, und zwar hinsichtlich eines Prädikats F erstens durch solche, die im ursächlichen Faktor die Präsenz von etwas F-Artigem einschließen und 42
Das wird etwa in der folgenden Stelle durch den Hinweis auf den sozialen Kontext des Lernens deutlich; Holism, S. 107-08: „To know the meaning is to know how to use the expression... Palpably this allows of degrees. ... the manifold of propensities to use a word as a means of thinking may be acquired piecemeal – in social interaction to be sure.“ Siehe auch S. 110: „This central role of the speaker is ... compatible with the speaker using meanings given to her by her community of speakers.“ 43 Siehe Holism, S. 103: „personal meanings“; S. 104: „... a mature speaker has internalized the rules of the language she speaks as speech propensities…“; S. 107: „One must use the meanings currently at one’s disposal.“ S. 118: „Social origin of language is fine. In the end, however, a speaker cannot help but speak from his ressources and his meanings as these are built into his speech propensities.“ 44 Siehe die ganze Darstellung in Holism, S. 104-05, bes. S. 105 u.: „The criteria for correctly applying ... an expression E built into the speech propensities of a person P at a given time t determine the meaning(s) of E for P at t.“ 45 Siehe Holism, S. 104: „speaker has internalized the rules ... as speech propensities“. 46 Siehe Holism, S. 104: „... normally speakers perform speech acts in a habitual manner ...“; S. 105: „... a speaker must normally apply his linguistic rules correctly. ... Within a background of correctly used expressions a speaker can ask whether a particular use of an expression is correct ...“.
243 zweitens durch solche, in denen das nicht der Fall ist.47 (e) Bedeutungspostulate, die Beziehungen der Implikation, Inkompatibilität etc. zwischen Eigenschaften aussagen, konstituieren die Bedeutungen der Ausdrücke, die die Eigenschaften bezeichnen.48 Einige wichtige Zusammenhänge zwischen den genannten Aspekten lassen sich ausmachen: (1) Die Bedeutung eines Ausdrucks wird durch die basale Fähigkeit zu seiner gewohnheitsmäßig-korrekten Anwendung konstituiert. (2) Bedeutungspostulate wie ‚Alles Farbige hat auch eine räumliche Ausdehnung‘ sind inhaltlich nicht weit von normativ gefaßten Regeln entfernt wie etwa ‚Sprich einer Sache niemals eine Farbe zu, während du die Anwendung jeglicher Bestimmungen von räumlicher Ausdehnung grundsätzlich verweigerst‘. Man kann einfach eine Meta-Regel annehmen, die vorschreibt, die Sprache den Bedeutungspostulaten gemäß zu verwenden, und so von einem Postulat zur inhaltlich entsprechenden Regel überzugehen erlaubt. (3) Die kausal-semantischen Schemata der zweiten Sorte sind recht gut geeignet, die dispositionalen Internalisierungen solcher Systeme von Regeln zu beschreiben, die den Bedeutungspostulaten korrespondieren. Das ist besonders dann der Fall, wenn eine Regel, die vielleicht eine Konsequenz aus einem System grundsätzlicherer Regeln ist, von der konditionalen Form ist ‚Wenn du eine Sache für G1, G2, G3... hältst, dann wende auch das Prädikat F auf sie an‘; denn der konditionalen Form kann gut ein kausaler Ablauf entsprechen, in dem der Sprecher sich der Reihe nach bewußt wird, daß eine Sache G1, G2, G3... ist, und daraufhin das Prädikat F auf sie anwendet. Allerdings ist es nicht sinnvoll, die Charakterisierungen bedeutungskonstitutiver Dispositionen zur Zeichenanwendung generell auf die Bestimmung solcher kausalen Abläufe einzuschränken. 47
Siehe Holism, S. 104-05: „... we must hold on to serial causal-semantic schemata. ... The first clauses of a schema for an expression F pertain to situations containing external, perceptual outputs originating in inputs containing something F-like that causes the perceiving speaker to think (even express verbally) a content of the form „That is an F,“ or „That F is G.“ Other clauses present the tokening of sentences containing the term F as outputs of sequences of events in which nothing F-like occurs.“ 48 Siehe Holism, S. 108: „The propositions formulating those structural relationships as they intersect at a property P are postulates in the logic of P. They are ... semantic postulates constituting the meaning of an expression E that denotes P ...“
244 1.b Trotz fundamentaler Differenzen kommt P. Horwichs Konzeption der Konstitution semantischer Eigenschaften durch ausgezeichnete Akzeptanzdispositionen Castañedas Intentionen sehr nahe. Trotz gewaltiger Differenzen scheint mir Paul Horwich derjenige Philosoph zu sein, dessen ausgeführte Bedeutungstheorie in ihren obersten Prinzipien am eindeutigsten den Gedanken einer individualistischen, in einfacher Weise auf Dispositionen zur Anwendung von Ausdrücken rekurrierenden Ein-Ebenen-Konzeption der Bedeutung umsetzt, wie sie sich aus Castañedas Aussagen sowie dem internalistischen Projekt nahegelegt. An obersten Prinzipien kann man bei Horwich die folgenden ausmachen: i. Die grundlegenden semantischen Tatsachen sind solche über die syntaktischen Konstituenten bzw. Strukturen, d.h. ganz allgemein über die syntaktischen Elemente49 von Sätzen, und die semantischen Tatsachen über Sätze werden durch sie bestimmt.50 ii. Der Bedeutungshaftigkeit eines Ausdrucks liegt kein eigentümlicher kommunikativer Effekt zugrunde.51
49
Horwich spricht in der Regel von der Bedeutung von Wörtern (etwa Meaning, S. 4445), jedoch auch von der von Schemata (S. 154). Mein Begriff des syntaktischen Elementes soll alles umfassen, was Bedeutung haben kann. So könnte die Negation statt durch besondere Ausdrücke („nicht“, „un“ etc.) allein durch Wortstellung, die Tonhöhe oder einen begleitenden Tanz ausgedrückt werden oder, wenn die Sprache Verwechslungen zu vermeiden erlaubt, dadurch, daß man das Negierte rückwärts ausspricht. Zu einer jüngeren Version der Theorie siehe Horwich UseTheory. 50 Diese Auffassung steht im Gegensatz etwa zu der Konzeption, die D. Lewis in Languages entwickelt: Ihr zufolge determinieren unter gewissen Umständen die propositionalen Einstellungen eines Subjektes die Wahrheitsbedingungen ganzer Sätze seiner Sprache, und, da Lewis Wahrheitsbedingungen mit Propositionen im Sinn von Mengen von möglichen Welten identifiziert, damit dasjenige, was sie bedeuten. Ob die Bedeutungen ganzer Sätze jedoch eindeutig eine ‚Grammatik‘, folglich die Bedeutungen der subsentenziellen Ausdrücke festlegen, ist damit nicht ausgemacht, und Lewis äußert sich skeptisch zu dieser Frage. (Siehe bes. S. 177-78.) Folglich rechnet er mit der Möglichkeit, daß es eindeutige Tatsachen über die Bedeutung von Sätzen gibt, ohne daß es welche über die subsentenziellen Bedeutungen gibt. 51 Das ist eine abstrakte Formulierung für Horwichs Ablehnung einer Grice’schen Analyse von ‚bedeuten‘ in semantischen Zusammenhängen; siehe Meaning, S. 4-5, Punkt (3).
245 iii. Bedeutungen sind abstrakte Entitäten (Horwich bezeichnet sie als Begriffe), zu denen die bedeutungsvollen Zeichen in Relation stehen und die Konstituenten der psychisch charakteristischen Inhalte sogenannter propositionaler Einstellungen sind.52 iv. Man kann die Menge aller geordneten Paare 〈A, st〉 aus einem syntaktischen Element A und einer Person s zugrunde legen, die zu einer bestimmten Zeit t eine Fähigkeit besitzt, es bedeutungsvoll zu verwenden. Jedem solchen Paar ist im Sinn von (iii) die Bedeutung von A im Gebrauch von s zu t zugeordnet. Dann ist außerdem jedem solchen Paar derartig eine Teilmenge der Menge von dispositionalen Eigenschaften zugeordnet, die zu t den Gebrauch von A durch s betreffen, daß zwei Paaren 〈A1, s1t1〉 und 〈A2, s2t2〉 genau dann dieselbe Bedeutung zugeordnet ist, wenn ihnen dieselbe Teilmenge dispositionaler Eigenschaften zugeordnet ist.53 Einige Details von Horwichs Konzeption sind für den Erfolg äußerst wichtig und gehören zugleich zum Gegenstandsbereich harter Debatten. Ich werde nur auf eines dieser Details genauer eingehen. Aus der Perspektive meines Projektes spricht nichts prinzipiell gegen Horwichs Vorschlag, sondern eher alles für eine Konzeption dieser Art. Über die großen Debatten kann ich hier allerdings nicht mit Gründen entscheiden. Das Detail, das ich diskutieren möchte, ist die Antwort auf die Frage, von welcher Art die dispositionalen Eigenschaften sind, die dem Haben einer Bedeutung korrespondieren, und insbesondere wozu ein Sprecher disponiert ist, wenn er eine solche Eigenschaft besitzt. Castañedas Antwort lautet, es handle sich um Dispositionen zur Anwendung von (prädikativen) Ausdrücken unter bestimmten Bedingungen. Horwichs Antwort kann man als plausible Verallgemeinerung dieser Bestimmung verstehen: Die semantisch konstitutiven Eigenschaften sind Akzeptanzeigenschaften („acceptance properties“), d.h. wer sie besitzt, ist disponiert, unter bestimmten Umständen einen Satz bestimmter Art zu akzeptieren, der den betreffenden 52
Siehe Meaning, S. 4-5; S. 44, Punkt (I); S. 44, Anm. 2: „constituents of ... thought character“. 53 Ich versuche mit dieser Formulierung, die Aussage, daß eine gewisse Teilmenge dispositionaler Eigenschaften von Ausdrücken eins-zu-eins mit ihren Bedeutungen korreliert, unabhängig von der Beantwortung der Frage zu machen, wie diese Teilmenge festgelegt ist.
246 Ausdruck enthält (oder allgemein: das syntaktische Element aufweist).54 Das zentrale Problem ist allerdings, daß Horwich verlangt, die dem Bedeutung-Haben zugrunde liegenden Akzeptanzeigenschaften müßten vollkommen nicht-semantisch sein.55 Das erfordert nämlich insbesondere, daß das Akzeptieren von Sätzen eine nicht-semantische Relation ist und sich ‚auf nicht-semantische Weise explizieren läßt‘.56 Um darzulegen, daß das möglich ist, skizziert Horwich eine äußerst vereinfachte Theorie, die unter anderem die Relation des Akzeptierens ‚charakterisieren‘ soll.57 Es ist aber fraglich, ob die Theorie wirklich ganz ohne semantisches Vokabular formuliert werden kann. Horwich postuliert, es gebe, sofern man von Mehrdeutigkeiten absieht, zu jedem bedeutungsvollen Ausdruck genau eine bedeutungskonstitutive dispositionale Eigenschaft. Außerdem sei diese einfach und leicht erkennbar.58 Die Annahme der Einzigkeit enthält keine wirkliche Beschränkung. Nach Horwich kann nämlich die Bedeutung eines Ausdrucks dadurch festgelegt sein, daß man eine Menge von theoretischen Postulaten akzeptiert, die ihn enthalten.59 Die basale Akzeptanzeigenschaft eines solchen Ausdrucks „f“ sei dann die, daß „#f“ als wahr angesehen wird60, wobei „#f“ die Menge theoretischer Postulate ist. Diese Bestimmung der Akzeptanzeigenschaft enthält allerdings einen semantischen Ausdruck, nämlich „wahr“, und gibt jedenfalls nicht an der Oberfläche Bedingungen an, unter denen gewisse Sätze akzeptiert werden. Die naheliegende alternative Bestimmung der Akzeptanzeigenschaft wäre, daß der Sprecher einfach „#f“ ak54
Der Vorteil ist, daß man sich des Problems entledigt zu erklären, was es heißen soll, man wende Ausdrücke wie „aber“ oder „sehr“ auf einen Gegenstand an. 55 Siehe etwa S. 6: „... the non-semantic characteristic to which the meaning property of a word reduces is ... the property that every use of the word is explained in terms of the fact that we accept certain specified sentences containing it.“ Siehe S. 58: „... a use property must be non-semantic“. Siehe auch S. 94-95. 56 Siehe S. 94-95. 57 Ich nehme an, daß die Theorieklauseln die Relation des Akzeptierens charakterisieren, indem sie ungefähr diejenigen Klauseln sind, deren explanatorisch grundlegende Akzeptanz die Bedeutung von „akzeptieren“ konstituiert. 58 Siehe etwa S. 6. S. 44, Punkt (II): „simple“; S. 58: „readily detectable“; Horwich spricht durchgängig von der bedeutungskonstitutiven Eigenschaft eines Wortes. 59 Siehe S. 50: „accepting a body of postulates“. 60 Siehe S. 50: „“#f“ is regarded as true“.
247 zeptiert, oder genauer: daß er jeden Satz in „#f“ akzeptiert. Es macht dann nur noch einen formalen Unterschied, wenn man statt dieser einen Eigenschaft eine Menge mehrerer Eigenschaften als bedeutungskonstitutiv betrachtet, die die Akzeptanz einzelner Sätze (unter gewissen Bedingungen) beinhalten. Der Vorteil daran ist, daß man den Sprechern keine Dispositionen zur Verwendung von Sätzen zuschreiben muß, die psychologisch eher unrealistisch ist. Statt einer Neigung, einen komplexen Bedingungssatz etwa der Form ‚α1 ∧ α2 ∧ α3 → β‘ zu akzeptieren, kann man dem Sprecher z.B. die Disposition zuschreiben, bei Akzeptanz von α1, α2 und α3 auch β zu akzeptieren.61 61
Ich sehe nur einen Anlaß dafür, daß Horwich eine einzige Eigenschaft als bedeutungskonstitutiv ansetzt: Besonders hinsichtlich solcher Ausdrücke, deren Bedeutung durch die Akzeptanz theoretischer Postulate konstituiert wird, präzisiert er nämlich seine Konzeption dahingehend, daß die Bedeutung nicht wirklich durch ein Akzeptieren konstituiert wird, das eine ‚substanzielle Verpflichtung‘ auf eine Theorie einschließt. Die konstitutive Eigenschaft ist eigentlich nicht die, eine Menge theoretischer Postulate zu akzeptieren, sondern konstitutiv ist die konditionale Eigenschaft, diese den fraglichen Ausdruck enthaltenden Postulate zu akzeptieren, falls man die entsprechende Theorie akzeptiert. Die Theorie, von der in der Bedingung die Rede ist, soll nicht unter Verwendung des fraglichen Ausdrucks formuliert sein, sondern mittels einer Existenzquantifikation in die entsprechenden Positionen der theoretischen Postulate. (Siehe S. 45-46 Anm. sowie Kap. 6, bes. S. 135-36, wo Horwich auf Vorschläge von Ramsey, Carnap und D. Lewis verweist.) Um diese konditionale Eigenschaft anzugeben, muß man jedoch die Konjunktion aller Postulate der Theorie bilden und ihr einen einzigen Existenzquantor voranstellen, nachdem man den theoretischen Ausdruck durch eine Variable ersetzt hat. Man muß dem Sprecher also auf jeden Fall die mögliche Akzeptanz eines sehr komplexen Satzes zuschreiben. Es scheint aber nichts gegen eine metalinguistische Fassung der EntSubstanzialisierung von Akzeptanzeigenschaften zu sprechen: Die Disposition, einen bestimmten theoretischen Ausdruck in der-und-der Weise zu verwenden, könnte seinerseits unter der dispositionalen Bedingung stehen, daß es irgendeinen Ausdruck gibt, dessen Gebrauch durch all die Dispositionen geprägt ist, die den Postulaten der betreffenden Theorie entsprechen. Um ein Beispiel mit einem einzigen theoretischen Postulat zu formulieren: Man kann die Disposition besitzen, unter der Bedingung, daß man bezüglich irgendeines Ausdrucks A disponiert ist, von „Hier fließt Strom“ zu ‚Hier bewegen sich As‘ überzugehen, disponiert zu sein, von „Hier fließt Strom“ zu „Hier bewegen sich Elektronen“ überzugehen. Nach dieser Auffassung sind zwar manche Akzeptanzeigenschaften recht komplex, aber nicht notwendigerweise auch die Sätze, deren mögliche Akzeptanz man Sprechern zuschreibt.
248 Wenn aber die Bedeutung theoretischer Ausdrücke tatsächlich durch die Akzeptanz entsprechender theoretischer Postulate konstituiert werden sollen, dann kann es mit der Einfachheit der Akzeptanzeigenschaften nicht weit her sein. Horwichs eigener Vorschlag für eine Theorie der Akzeptanz von Sätzen etwa enthält bereits fünf Klauseln, die zum Teil explikationsbedürftige Ausdrücke wie „Einfachheit“ und „Konservativität“ enthalten, und er bezeichnet sie selbst als ‚grotesk vereinfacht‘. Je weniger das Ideal der Einfachheit erfüllt wird, umso unplausibler wird auch die Annahme, die konstitutiven Akzeptanzeigenschaften seien ‚leicht erkennbar‘.62 Interessant ist Horwichs Begründung dieser Annahme, daß wir nämlich aufgrund der Weise, wie jemand ein Wort gebraucht, sagen können, ob er es versteht. Ohne weiteres leuchtet sie nicht ein. Wenn man jemanden mit dem Fahrrad herumfahren sieht, kann man mit einiger Sicherheit schließen, daß er Arme und Beine in der für das Radfahren erforderlichen Weise zu gebrauchen weiß. Ebenso kann man schließen, daß sein Gehirn die erforderlichen Stimulationsmuster an seine Muskeln senden kann. Diese Muster werden dadurch aber nicht leicht erkennbar. Das gleiche gilt für die Bewegung der Stimmbänder und sonstigen Sprechwerkzeuge, wenn jemand offensichtlich ein Wort richtig aussprechen kann. Auf ähnliche Weise kann man grundsätzlich schließen, daß jemand ein syntaktisches Element mit der richtigen Verwendungsdisposition verknüpft hat, wenn man beobachtet, daß er es systematisch in den Situationen benutzt, in denen man es selbst auch tun würde.63 62
Horwichs genaue Ansicht dazu ist schwer einzuschätzen, da er in der Exposition seiner Theorie nur zu drei Ausdrücken explizit grundlegende Akzeptanzeigenschaften angibt; obendrein gehören zwei davon, nämlich „und“ sowie „wahr“, zum im weiteren Sinn logischen Vokabular, und Horwichs Formulierung zum dritten Beispielausdruck „rot“ ist durch ein „roughly“ abgeschwächt. Später (S. 129) finden sich noch drei Beispiele zu Namen. Den Kritikpunkt der sehr reduzierten Beispielwahl erwähnen auch E. Borg, HorwichRez, S. 103, St. Schiffer, HorwichRez, S. 534 Punkt (a). 63 Ein zweiter umstrittene Punkt betrifft die semantische Kompositionalität, genauer die Frage, wie man bloß dadurch, daß man die Bedeutung von endlichen vielen syntaktischen Elementen kennt, auch die Bedeutung von potentiell unendlich vielen und systematisch variierenden komplexen Ausdrücken und insbesondere von Sätzen kennt. Horwich plädiert für eine triviale Antwort: Wenn jemand die Bedeutung zweier Wörter sowie die eines geeigneten strukturellen Schemas kennt und wenn er
249 2. Einige Aspekte von Horwichs Theorie und Differenzen zu Castañedas Konzeption 2.a Die Auszeichnung der konstitutiven Akzeptanzdispositionen erfordert eine spezielle Rolle oder eine besondere Weise der Realisierung. Die zentrale Ausfüllung des bisher angegebenen Theorierahmens betrifft die Festlegung derjenigen Akzeptanzeigenschaften von Ausdrücken, die eineindeutig ihrer Bedeutung korrespondieren. Horwichs Vorschlag lautet, für die Bedeutung eines Ausdrucks sei diejenige Akzeptanzeigenschaft ausschlaggebend, die für seinen gesamten Gebrauch explanatorisch grundlegend ist.64 Der Gedanke ist, daß sich die Gesamtheit der Dispositionen einer Person, sprachliche Zeichen zu gebrauchen, durch eine relativ kleine und einfache Menge von Faktoren und Prinzipien vereinheitlichen und erklären läßt und daß sich darunter für jedes Wort nur eine recht einfache Akzeptanzeigenschaft befindet. Sie ist die explanatorisch grundlegende Akzeptanzeigenschaft.65 Die Konzeption ähnelt auffällig einer Variante einsieht, daß ein vorliegender Satz dadurch entstanden ist, daß man die beiden Wörter in das Schema einfügt, so kennt er ipso facto die Bedeutung des Satzes. Da die Situation für Horwich derart trivial ist, ergibt sich für ihn aus der Kompositionalität von Bedeutungen keinerlei Einschränkung dafür, was Bedeutung überhaupt sind. Siehe dazu G. Fodors und E. Lepores Kritik in OnHorwich, sowie Horwichs recht überzeugende Reaktion in DeflatComp. 64 Siehe S. 44: „explanatorily basic properties“. 65 Siehe S. 45. Wörtlich schreibt Horwich, unter den Faktoren und Prinzipien müsse sich eine grundlegende Gebrauchsregularität zu jedem Wort befinden, und die Beispiele, auf die er zurück verweist, zeigen, daß er damit Prinzipien der Form ‚Alle Verwendungen von Wort w stammen daher, daß es die Akzeptanzeigenschaft A(x) besitzt‘ meint. Doch daß der gesamte Gebrauch von dem einen Prinzip ‚herstammt‘, liegt bereits darin, daß das Prinzip zur Menge der vereinheitlichenden und erklärenden Faktoren und Prinzipien gehört. Das ein bestimmtes Wort betreffende Prinzip sollte daher einfach beinhalten, daß das Wort die-und-die Akzeptanzeigenschaft besitzt. Man kann dann immer noch darauf bestehen, daß die eigentlich bedeutungskonstitutive Eigenschaft eines Wortes diejenige ist, den Besitz von der-und-der Akzeptanzeigenschaft als Erklärung des totalen Gebrauch zu haben. Auf S. 45 heißt es auch nicht, daß die Gesamtheit von Gebrauchsdispositionen erklärt werden soll, sondern alles das, was eine Person unter welchen Umständen sagen wird. Auf S. 49 spricht er jedoch von der Gesamtdisposition zum Gebrauch von Wörtern („the overall disposition for their use“). Dieses totale Dispositionengefüge ist das richtige Ex-
250 regularistischer Auffassungen der Naturgesetze, derzufolge Naturgesetze sich gegenüber beliebigen wahren Regularitäten nicht durch einen besonderen metaphysischen Status auszeichnen, sondern bloß solche Regularitäten sind, die als Theoreme (oder Axiome) in einer zugleich möglichst einfachen und möglichst starken Theorie der wirklichen Welt auftreten.66 Das Eingehen einer Regularität in eine solche Theorie soll danach nicht etwa nur ein starkes Indiz dafür sein, daß ein entsprechendes Naturgesetz gilt; vielmehr beinhaltet das Naturgesetz-Sein nichts weiter als dies. Analog soll der Umstand, daß der Besitz einer Akzeptanzeigenschaft zu der Menge von Prinzipien gehört, die den gesamten Sprachgebrauch zu erklären erlauben, kein bloßes Indiz dafür sein, daß diese Eigenschaft einen besonderen Status besitzt, der sie bedeutungskonstitutiv macht; sondern das
planandum, da eine Person vielleicht de facto zu wenig redet, um eine hinreichende Datenbasis zur Verfügung zu stellen. (Der Kontrast zwischen Quines Konzentration auf die Disposition zur Akzeptanz auf Nachfrage hin und Horwichs Betonung dessen, ‚was tatsächlich akzeptiert wird‘ im Quine-Kapitel 9, S. 205, steht dem nicht entgegen; dabei geht es eher um einen Unterschied im Auslöser der Disposition, d.h. ob man sich auf Dispositionen zur Reaktion auf Nachfragen konzentrieren soll.) 66 Siehe D. Lewis‘ Reformulierung eines Vorschlags von F. P. Ramsey; siehe Counterfactuals, S. 72-77, insb. S. 73: „... a contingent generalization is a law of nature if and only if it appears as a theorem (or axiom) in each of the true deductive systems that achieve a best combination of simplicity and strength.“ Eine spätere Fassung findet sich in Debugged, Abschn. 3, S. 231-233. Eine ähnliche Analogie stellen Fodor und Lepore zwischen Lewis‘ Auffassung der Zuschreibung intentionaler Zustände und seinem Konzept der Naturgesetzlichkeit her; siehe Holism, S. 107. Anhand der Horwich-Lewis-Analogie wird auch meine kleine Korrektur oben verständlicher: Horwich sagt, der Gesamtgebrauch eines Wortes könne, im Lichte von Faktoren der Umstände, aus einem grundlegenden ‚Gesetz‘ des Gebrauches („basic ‚law‘ of use“) abgeleitet werden (S. 47 u.). Dieses ‚Gesetz‘ ist zweifellos dasselbe wie die grundlegende Gebrauchsregularität, von der er auf S. 45 spricht. Aber wenn dieses Regularität, wie Horwich auf S. 45 andeutet, selbst schon die Form hätte ‚Der gesamte Gebrauch von w stammt von seinem Besitz der Akzeptanzeigenschaft A(x)‘, dann wäre das so, als sagte Lewis, eine Regularität, die sich dadurch als Naturgesetz qualifiziert, daß sie in der besten Theorie enthalten ist, wäre selbst etwa von der Form ‚Daß auf F immer G folgt, gehört zur besten Theorie‘. Auf S. 113 deutet Horwich in einem anderen Zusammenhang selbst eine Analogie zwischen grundlegenden Gebrauchsregularitäten und Naturgesetzen an.
251 Bedeutungs-Konstitutiv-Sein beinhaltet nichts weiter als diese explanatorisch-grundlegende Rolle hinsichtlich des Gesamtgebrauchs. Daß sich in der Verteilung von Eigenschaften über Raum und Zeit sehr allgemeine Regularitäten finden lassen, die zusammen andere implizieren, kann und muß man gegebenenfalls einfach als kontingente Tatsache hinnehmen. Daß hingegen eine bestimmte Akzeptanzdisposition hinsichtlich des Gesamtgebrauchs eines Ausdrucks als explanatorisch grundlegend heraussticht, bedarf durchaus einer weiteren Erklärung. Das wird besonders deutlich, wenn jemand ein neues Wort zu gebrauchen lernt und über das hinaus, was an dem Gelernten konstitutiv für die Bedeutung ist, zugleich von einigen seiner Anwendungen auf besondere Fälle erfährt. Sehr vereinfacht gedacht lernt vielleicht jemand den Gebrauch von „Elektron“, indem er von der Akzeptanz von ‚In Situation S fließt elektrischer Strom‘ zu der von ‚In Situation S bewegen sich Elektronen (auf geordnete und gerichtete Weise)‘ überzugehen lernt. Zugleich erfährt er womöglich, daß β-Strahlen aus Elektronen bestehen. Die ‚Strom‘-‚Elektron‘-Übergangsdisposition soll sich als explanatorisch grundlegend für den gesamten Gebrauch von „Elektron“ erweisen, nicht jedoch die Akzeptanz von „β-Strahlen bestehen aus Elektronen“. Damit so ein Unterschied vorliegen kann, muß sicherlich die eine Disposition im Gegensatz zur anderen eine spezielle Rolle spielen oder auf besondere Weise realisiert sein. Man darf annehmen, daß diese Rolle oder Weise etwas für bedeutungskonstitutive Akzeptanzdispositionen Charakteristisches aufweist. Allerdings kann ich mit keiner funktionstüchtigen Bestimmung der charakteristischen Rolle oder Realisierungsweise dienen.67 67
Hinsichtlich der Rolle ist der erste plausible Gedanke, eine bedeutungskonstitutive Disposition sei eine solche, deren Aufgabe oder Wegfallen tendenziell dazu führt, daß der Sprecher den gesamten Gebrauch des Ausdrucks aufgibt, also gar keine ihn enthaltenden Sätze mehr akzeptiert. Aber es kann auch sein, daß er die alte Disposition durch eine neue ersetzt und dasselbe Wort in ganz anderer oder auch nur veränderter Weise gebraucht. Man könnte als nächstes denken, eine bedeutungskonstitutive Disposition sei eine solche, deren Wegfallen trotz unveränderter Informationslage des Sprechers tendenziell zu veränderten Anwendungen führt. Aber wenn eine Akzeptanzdisposition nicht konstitutiv ist, entspricht ihr Wegfallen ohnehin einer Informationsänderung (im Beispiel etwa: daß β-Strahlen doch nicht aus Elektronen bestehen) und führt daher ebenfalls typischerweise zu verschiedenen veränderten Anwendungen. Wenn es stimmt, daß der explanatorisch grundlegenden Status einer
252 Vor dem Hintergrund von Unterabschnitt 1.b und des hier in 2.a bisher Gesagten kann ich zu zwei Aspekten Stellung beziehen: i. Möglichkeit der Internalität von Akzeptanzeigenschaften. In 1.b habe ich erläutert, weshalb es zum einen auch nach Horwichs Auffassung mit der Einfachheit der grundlegenden Akzeptanzeigenschaften in vielen Fällen nicht weit her sein kann und weshalb seine knappe Begründung dafür, daß Akzeptanzeigenschaften leicht erkennbar sein müssen, nicht ausreicht. Hier in 2.a habe ich erklärt, weshalb hinter dem explanatorisch grundlegenden Rang gewisser Akzeptanzeigenschaften eine bestimmte Rolle oder Realisierungsweise stecken muß. Auf dieser Grundlage sehe ich keine prinzipiellen Gründe dagegen, daß Bestimmungen, die die manifeste Präsenz eines bloß sensorischen oder eines mit zusätzlichen ‚Charakteren‘ versehenen Inhaltes68, in grundlegende Akzeptanzeigenschaften eingehen. Es gibt auch keine strukturellen Gründe dagegen, daß derartige Bestimmungen die einzigen ‚Input‘-Aspekte von Akzeptanzeigenschaften sind. ii. Konstitution. Ich folge St. Schiffers Hinweis, daß die grundlegenden Akzeptanzeigenschaften (oder vielmehr der Umstand, daß sie grundlegend sind) die semantische Eigenschaft eines Wortes, das-und-das zu bedeuten, in dem Sinn konstituieren, daß ein Ausdruck, der die Gebrauchseigenschaft
Verwendungsdisposition auf einer charakteristischen Tatsache über die Rolle oder Realisierung der Disposition beruht, dann darf man hoffen, daß die partielle Unbestimmtheit der grundlegenden Akzeptanzeigenschaften, die Horwich einräumt, nicht wirklich droht. Damit hängt eine weitere Diskussion zusammen, zu der ich nicht endgültig Stellung beziehen muß und werde: Daß sich eine einigermaßen scharfe Grenze zwischen bedeutungskonstitutiven und anderen Gebrauchsdispositionen ziehen läßt, ist sicherlich eine notwendige Bedingung dafür, daß man in einer Gebrauchstheorie bestimmte Aussagen als analytisch oder als begrifflich wahr bzw. falsch auszeichnen kann. Horwichs argumentiert in Kapitel 6, bes. S. 138 sowie S. 141-42, daß selbst eine derartige Grenzziehung nicht hinreichend für Analytizität ist. Eine wichtige Stellungnahme Castañedas zur Analytizität findet sich in PBS, S. 324, und der zugehörigen Anmerkung, S. 348 Anm. 21. Dort gibt er sich mit einer Analytizität zufrieden, die relativ zu den ‚Stipulationen‘ und ‚Demarkationen‘ des Sprechers ist; für Analytizität in seinem Sinn ist also die genannte Grenzziehung hinreichend. Siehe zu Castañedas Konzepten der ‚begrifflicher Analytizität‘ und Apriorität auch Consc&Behav, S. 122-23. 68 Siehe oben Abschnitt I.
253 besitzt, mit ‚metaphysischer Notwendigkeit‘ auch die semantische Eigenschaft besitzt und umgekehrt.69 2.b Castañedas semantischen Holismus muß man im Sinne von Horwichs ‚Bedeutungs-Interdependenz‘ verstehen. Castañeda bezeichnet sich selbst als Anhänger des Holismus in der Bedeutungstheorie.70 Horwich hingegen lehnt einen Bedeutungsholismus klar ab.71 Bevor man allein aufgrund dieser Deklarationen auf eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit schließt, muß man betrachten, wie Castañeda seinen Holismus genauer bestimmt und welche Phänomene Horwich in seiner Diskussion des Holismus unterscheidet. Horwich nennt ‚Bedeutungsholismus‘ die Auffassung, jeder einzelne Aspekt des Gebrauchs eines Ausdrucks ergebe einen Unterschied in seiner Bedeutung.72 In dem Rahmen, in dem Sprecher ihre Überzeugungen sprachlich formulieren oder ausdrücken können, und mit der Annahme, daß man einen Satz akzeptiert (oder dazu disponiert ist), wenn er eine Überzeugung formuliert oder ausdrückt, die man besitzt, handelt es sich um einen ÜberzeugungsBedeutungs-Holismus, demzufolge jeder Unterschied in den Überzeugungen des Sprechers einen Unterschied in der Bedeutung seiner Ausdrücke 69
Siehe Schiffer, HorwichRez, S. 528-29. In Abschnitt I habe ich als eine der notwendigen Bedingungen für manifest präsentierende Zustände angegeben, daß der Sachverhalt, daß sich die Person, die F ist, in einem solchen Zustand befindet, nichts weiter über ihre kausalen Eigenschaften impliziert, als bereits der Sachverhalt impliziert, daß die Person, die F ist, existiert. Die relevante Implikation verstehe ich in demselben Sinn von ‚metaphysischer Notwendigkeit‘ wie hier. Damit wird der Unterschied deutlich: Wenn eine Episode des abstrakten Denkens ihren Inhalt von der Ausübung einer begrifflichen Kompotenz bezieht und diese Kompetenzen, jedenfalls soweit man vom Ideal der ‚Sprecher-Bezugnahme‘ ausgeht, eine Kompetenz zum bedeutungsvollen Gebrauch eines Ausdrucks α ist, dann impliziert im relevanten Sinn tatsächlich das Denken eines bestimmten abstrakten Inhaltes gewisse besondere kausale Eigenschaften der denkenden Person, nämlich den Besitz der basalen Gebrauchsdisposition, die mit metaphysischer Notwendigkeit der semantischen Eigenschaft des Ausdrucks α. Ich kümmere mich nicht um Horwichs AntiGrice’schen Versuch auf S. 19-20; siehe Schiffers Kritik in HorwichRez, S. 536. 70 Siehe Holism, S. 124: „I have always been opposed to atomisms and reductionisms, and I am fond of unity and holisms.“ 71 Siehe Meaning, S. 59-61. 72 Siehe S. 61. C. Peacocke spricht von „global holism“; siehe Holism, S. 227.
254 impliziert. Für eine derartige Auffassung gibt es bei Castañeda keine Hinweise. Castañedas Holismus fällt vielmehr unter das, was Horwich als Bedeutungs-Interdependenz bezeichnet.73 Knapp gesagt besteht zwischen zwei Ausdrücken A1 und A2 Bedeutungs-Interdependenz genau dann, wenn man die Bedeutung des einen Ausdrucks nicht ändern kann, ohne auch die des anderen zu ändern. Nach Horwichs Theorie hat dieses Phänomen folgenden Hintergrund: Wenn ein Ausdruck A1 bezüglich eines Sprechers eine bestimmte grundlegende Akzeptanzeigenschaft besitzt, dann ist der Umstand, daß der Sprecher unter bestimmten Bedingungen disponiert ist, einen A1 enthaltenden Satz zu akzeptieren, konstitutiv für die Bedeutung von A1. Doch der Satz, der möglicherweise akzeptiert wird, enthält zumindest auch einen anderen Ausdruck74, etwa A2. Auf S. 61-62 stellt Horwich es so dar, als sei diese Situation bereits hinreichend dafür, daß A1 und A2 bedeutungs-interdependent sind. Man kann diese Auffassung als SymmetrieAnnahme bezeichnen. Diese Annahme ergibt sich jedoch keineswegs aus Horwichs Theorie. Diese verlangt nämlich als zusätzliche Bedingung, daß die fragliche Disposition zur Akzeptanz eines A1 und A2 enthaltenden Satzes für die Bedeutung beider Ausdrücke konstitutiv ist. Horwichs Beispiele deuten darauf hin, daß er keineswegs der Meinung ist, dies sei allgemein der Fall.75 Auf den ersten Blick scheint das allerdings kaum vermeidbar zu sein; denn die konstitutiven Dispositionen sollen die explanatorisch grundlegenden sein, und die sind in Horwichs offizieller Charakterisierung dadurch bestimmt, daß sie zu einer Menge gehören, die der Erklärung des gesamten Sprachgebrauchs des betreffenden Sprechers dient. Eine Relativierung auf 73
Siehe S. 61-62: „meaning interdependence“. In vielen Fällen wird der Satz, den zu akzeptieren der Sprecher disponiert ist, nur allgemein charakterisiert. Aber dabei muß doch in aller Regel über das syntaktische Element hinaus, um dessen Bedeutung es geht, zumindest noch ein struktureller Zug angegeben werden, und sei es bloß die prädikative Form. 75 Ein Beispiel bilden explizite Definitionen der Form „A2 möge dieselbe Bedeutung haben wie A1“. Horwich begreift sie als Annahmen der Schlußregeln der Form ... A1 ... ⇒ ... A2 ... und ... A2 ... ⇒ ... A1 ... und erklärt, diese Regeln lieferten die grundlegende Regularität für den Gebrauch des Wortes A2, nicht jedoch für den von A1 (siehe S. 142 Anm.). 74
255 den Gebrauch des einen im Unterschied zu dem des anderen Ausdrucks ist nicht vorgesehen. Sie dürfte sich aber ziemlich leicht herstellen lassen.76 Castañedas Hinweis, semantische Postulate konstituierten die Bedeutung aller in der Formulierung auftretenden Ausdrücke, muß man wohl als Variante der Symmetrieannahme einschätzen.77 Da er jedoch keinen prinzipiellen Grund anführt und man an Horwichs Theorie sehen kann, wie sich die Symmetrieannahme vermeiden läßt, sollte man diesem Hinweis nicht folgen. Sowohl Horwichs als auch Castañedas Andeutungen, daß BedeutungsInterdependenzen schon aufgrund der Symmetrieannahme sehr weit verbreitet sein müssen, sind demnach irreführend. Horwich nennt jedoch einen paradigmatischen Fall, in dem sich die Interdependenz tatsächlich prinzipiell nicht vermeiden läßt: nämlich die Festlegung der Bedeutung eines gewissen theoretischen Vokabulars dadurch, daß man die zugehörigen theoretischen Postulate akzeptiert bzw. entsprechende Übergangsdispositionen erwirbt. Wenn man Castañedas genauere Aussagen über Bedeutungsholismus einordnen möchte, sollte man jedenfalls das Phänomen als Orientierungspunkt wählen, das Horwich als Bedeutungs-Interdependenz bezeichnet. Dann lassen sich zwei Dimensionen unterscheiden, in denen eine Bedeutungstheorie mehr oder weniger holistisch sein kann: Erstens kann die Anzahl der syntaktischen Elemente größer oder kleiner sein, mit denen ein gegebener Ausdruck in der Beziehung der Bedeutungs-Interdependenz steht. Zweitens können die Akzeptanzdispositionen, die zugleich für mehrere Ausdrücke bedeutungskonstitutiv sind, mehr oder weniger zahlreich bzw. 76
Etwa folgendermaßen: Angenommen ein Sprecher besitzt eine bestimmte Gebrauchsdisposition D, unter gewissen Umständen einen A1 und A2 enthaltenden Satz zu akzeptieren. Man kann einerseits die Totalität der Gebrauchsdispositionen des Sprechers betrachten abzüglich der Dispositionen zur Verwendung von Sätzen, die A2 enthalten. Es ist gut denkbar, daß zur Erklärung dieser reduzierten Totalität ein Verweis auf die Disposition D gar nicht erforderlich ist. Dann ist D nicht konstitutiv für die Bedeutung von A1. Andererseits kann man die Dispositionstotalität abzüglich der Dispositionen zur Verwendung von A1 betrachten. Es ist denkbar, daß sie ohne Verweis auf D nicht erklärbar ist; der Gebrauch von A2 hängt ohne den von A1 gewissermaßen in der Luft. Dann ist D insgesamt für die Bedeutung von A2 konstitutiv, ohne es für die von A1 zu sein. 77 Siehe Holism, S. 108.
256 mehr oder weniger gehaltvoll sein.78 Außerdem kann man verschiedener Meinung darüber sein, wie weit das Phänomen im gesamten Sprachsystem verbreitet ist, mit welchem Grad in beiden Dimensionen auch immer. Der grundsätzliche Kontrast zwischen Horwichs und Castañedas Auffassung ist klar: Während Horwichs Betonung der Einfachheit von Akzeptanzeigenschaften schließen läßt, daß er die Bedeutungs-Interdependenz in beiden Dimensionen sowie in ihrer Ausbreitung für recht begrenzt hält, betrachtet Castañeda den ‚Holismus‘ als durchgängiges Grundphänomen bei sprachlichen Bedeutungen. Obwohl Castañedas ‚Holismus‘ sicherlich von höherem Grad ist als die Bedeutungs-Interdependenz, mit der Horwich rechnet, vertritt er keinen totalen Holismus in dem Sinn, daß alle Ausdrücke einer Sprache untereinander bedeutungs-interdependent sind. Seine zentralen Aussagen beinhalten vielmehr, daß Eigenschaften Familien bilden, daß diese Familien in strukturellen Beziehungen etwa der Implikation oder Inkompatibilität stehen und daß die Aussagen, welche diese strukturellen Beziehungen formulieren, konstitutiv für die Bedeutung der involvierten Ausdrücke sind.79 Wie solche Eigenschaftsfamilien genauer beschaffen sind, erklärt er an der betreffenden Stelle nicht. An anderem Ort behandelt er jedoch ‚verschiedene Typen der Negation‘ und die ‚Familie der Farben‘ als ‚Familien von Begriffen und Eigenschaften‘.80 Offenbar sollen gleichartige Eigenschaften wie die Farbqualitäten untereinander nicht oder nicht generell durch bedeutungsrelevante strukturelle Beziehungen aufeinander bezogen sein, während Gruppen gleichartiger Eigenschaften in solchen Beziehungen zu anderen Gruppen stehen. Diese unterschiedliche Beurteilung der Beziehungen zwischen gleichartigen Eigenschaften und der zwischen verschiedenen Eigenschaftsgruppen hängt eng mit Castañedas Begründung seines Bedeutungsholismus zusammen. Die zentrale Passage lautet: „Die Welt ist eine, und die Sprache erfaßt diese Einheit [oneness] durch ihre eigene semantische Einheit [unity]. Die Einheit [unity] der Welt er-
78
Letzteres gilt, wenn man wie Horwich alles für die Bedeutung eines Wortes Konstitutive in einer einzigen Eigenschaft zusammenzieht. 79 Siehe Holism, S. 108. 80 Siehe Colors, S. 169-70.
257 zwingt [imposes] einen semantischen Holismus als eine epistemologische und psychologische Grundlage.“81
In anderen Zusammenhängen finden sich zwei wichtige Ergänzungen: Erstens seien zwei Aspekte der Welt um so mehr der Verknüpfung durch Brückenimplikationen („bridging implications“) bedürftig, je disparater sie seien82; zweitens tendierten wir dazu, die abstrakten Prinzipien der Ordnung der Welt als Schlußmechanismen aufzunehmen und nicht als ausformulierte Überzeugungen und explizite Prämissen im Schlußfolgern.83 Alles in allem ist demnach der Kerngedanke, daß die Einheit der Welt bedeutungskonstitutive Verknüpfungen insbesondere zwischen Ausdrücken für disparate Aspekte der Welt erfordert. 2.c Castañedas Begründung eines semantischen Holismus aus der ‚Einheit der Welt‘ ist in einem phänomenologischen Rahmen plausibel. Ich möchte in den folgenden Punkten diskutieren, weshalb und inwieweit man sich den Gedanken zu eigen machen sollte, daß die Einheit der Welt einen semantischen Holismus erfordert. Zur Vorbereitung diskutiere ich in drei Punkten, inwieweit semantische Interdependenzen auch innerhalb von Eigenschaftsfamilien oder zwischen Elementen benachbarter Familien auftreten können. i. Man sollte sich nicht darauf festlegen, daß zwischen Eigenschaften derselben Familie niemals bedeutungsrelevante strukturelle Beziehungen bestehen. Nimmt man die Familie der Farbeigenschaften als Vorbild, so gibt es zumindest zwei plausible Kandidaten: zum einen Implikationsbeziehungen zwischen spezifischeren und allgemeineren Farbeigenschaften (Kaminrotsein impliziert Rotsein), zum anderen Inkompatibilitätsbeziehungen zwischen Eigenschaften derselben Allgemeinheitsstufe (Nichts ist überall rot und grün). Die Implikationen sind allerdings ziemlich uninteressant, und die Inkompatibilitäten erlauben keinen positiven Schluß von der Präsenz von etwas auf die von etwas anderem. 81
Siehe Holism, S. 108. Ich sehe keine subtilen Unterschiede zwischen „oneness“ und „unity“. Vielleicht drückt „oneness“ eher die Einzigkeit der Welt aus. Aber sie beruht doch auf dem Zusammenhang aller weltlicher Aspekte, auf den „unity“ abzielt. 82 Siehe OPM, S. 76-77. 83 Siehe Knowledge, S. 124, Prinzip PIAWO.
258 ii. Wenn Eigenschaften derselben Familie nicht zu den in einem engeren Sinn beobachtbaren gehören, sondern nur auf eine Weise konzipiert werden können, die dem Konzipieren theoretischer Bestimmungen strukturell ähnelt, dann muß man grundsätzlich mit Bedeutungs-Interdependenzen zwischen Ausdrücken für Elemente derselben Familie rechnen. Eine theorieartige Konzeptionsweise ist demnach hinreichend für Interdependenzen, und die entsprechenden Bedeutungskonstitutiva können im Gegensatz zu solchen, die den unter (i.) genannten Beziehungen entsprechen, durchaus interessante und positive inferentielle Übergänge unterstützen. Wichtig ist dabei eine Eigenschaft von Horwichs Theorie: Man kann generell von einer theorieartigen Bedeutungskonstitution in dem Maße sprechen, in dem die Bedeutung mehrerer Ausdrücke dadurch festgelegt ist, daß die Akzeptanz von Sätzen, welche die Ausdrücke enthalten, für sie alle konstitutiv ist und diese Postulate theorieartige Verallgemeinerungen oder Regeln sind. Es gibt jedoch in Horwichs Konzeption keinen prinzipiellen Grund, daß die Bedeutung auch nur eines einzigen Ausdrucks nicht auf eine derartige Weise festgelegt wird. Es besteht also kein Anlaß, in der gewöhnlichen Sprache nach theorieunabhängig bedeutungsvollen Ausdrücken zu fahnden und die Bedeutung des gesamten theorieartigen Vokabulars gewissermaßen an deren ‚ursprüngliche‘ Bedeutungshaftigkeit anzuhängen. iii. Zu den wenigen Beispielen für grundlegende Akzeptanzeigenschaften, die Horwich angibt, zählt ein Vorschlag für das Farbwort „rot“: Die grundlegende Eigenschaft sei die Disposition, „rot“ auf eine beobachtete Oberfläche genau dann anzuwenden, wenn sie klarerweise rot ist.84 Er markiert den Vorschlag zwar als vorläufig, deutet jedoch nicht an, von welcher Art eine Präzisierung sein müßte. Zumindest hinsichtlich der einen Richtung des ‚genau dann, wenn‘, nämlich von links nach rechts gelesen, kann die Formulierung kaum so stehen bleiben; denn was immer das „klarerweise“ bedeuten soll, es wird Situationen geben, in denen man disponiert ist, „rot“ auf eine beobachtete Fläche anzuwenden, obwohl sie nicht klarerweise rot ist, einfach weil sie gar nicht rot ist.85 Wenn ich die Ge84 85
Siehe Meaning, S. 45. Derartige Situationen müssen nicht von der simplen Art sein, daß eine teilweise weiße Umgebung zur Gänze in rotem Licht liegt. So etwas kann unser Wahrnehmungsapparat ‚durchschauen‘. Ich denke eher an eine insgesamt normal ausgeleuchtete durchschnittlich bunte Umgebung, in welcher ein einzelner weißer Gegen-
259 samttendenz von Horwichs Theorie richtig auffasse, dann läßt sie prinzipiell ein externalistisches Rettungsmanöver zu: Eine verbesserte Formulierung der Akzeptanzeigenschaft für „rot“ könnte etwa lauten, der Sprecher sei in tatsächlich durch und durch normalen Situationen visueller Wahrnehmung disponiert, „rot“ genau dann anzuwenden, wenn die betreffende Sache klarerweise rot ist. Diese Formulierung könnte die richtige grundlegende Akzeptanzeigenschaft angeben, auch dann, wenn der Sprecher selbst über keinerlei Konzept von normalen und anormalen Situationen verfügt. Von einer strikt internalistischen Position aus betrachtet, auf die ich in Teil ZWEI das Projekt der Arbeit festgelegt habe, muß man eine solche wesentlich externalistische und offensichtlich auf kausalen Beziehungen zu Gegenständen und ihren Eigenschaften in einem ‚robusten‘ Sinn setzende Akzeptanzdisposition sicherlich ablehnen. Doch man muß sich keineswegs dieser strikten Position anschließen, um der Ansicht zu sein, dafür, daß jemand einen Begriff von objektiven Farben besitzt, sei erforderlich, daß er eine Konzeption davon in diesen Begriff aufgenommen hat, wie Farben unter verschiedenen Umständen erscheinen.86 Wenn man überhaupt eine Gebrauchstheorie der Bedeutung vertritt, die insoweit individualistisch ist, als sie die primäre Ebene der Bedeutungskonstitutiva als in den einzelnen Sprechern existierend ansieht,87 dann sollte man erwarten, daß ein Sprecher stand geschickt vom normalen Licht abgeschirmt ist und eine rötliche Sonderbeleuchtung erhält. 86 Wie in Teil EINS erläutert müssen nach W. Sellars Beobachtungsbegriffe allgemeine Gesetzmäßigkeiten einschließen. D. Lewis behandelt in Colours die Farbkonzepte ebenso wie die Konzepte von geistigen Zuständen als theoretische Begriffe. 87 Auch Horwich muß man wohl so verstehen. Mit der primären Ebene meine ich folgendes: Horwich gesteht T. Burge zu, daß Sprecher, die den richtigen Gebrauch eines Wortes nicht beherrschen, es dennoch mit der Bedeutung verwenden, die es ‚in der Sprachgemeinschaft‘ besitzt. Dazu fordert er aber, daß es anerkannte Experten gibt, deren grundlegende Gebrauchsdisposition diese ‚offizielle‘ Bedeutung konstitutiert, daß der inkompetente Sprecher disponiert ist, sich dem Urteil dieser Experten zu unterwerfen, und daß sein Gebrauch wenigstens in gewissem Umfang dem ‚offiziellen‘ entspricht. (Siehe Meaning, S. 85-86.) Der inkompetente Sprecher drückt demnach nicht automatisch, ohne sein Wissen oder gar gegen seinen Willen die ‚offizielle‘ Bedeutung aus, sondern dafür müssen auf der primären, individuellen Ebene die genannten Dispositionen vorliegen. Vgl. zum Thema der Bedeutungs-Experten Castañeda, Holism, S. 109 u.: „If one needs to rely on linguistic experts to speak, one must have some access to those experts.“
260 mit einer ausgereiften Sprachkompetenz gewisse Prinzipien über das Erscheinen von Farben unter verschiedenen Umständen so internalisiert hat, daß entsprechende Dispositionen seinen Anwendungen der Farbwörter zugrunde liegen. Demnach dürfte bereits die scheinbar primitive Ebene einfacher Beobachtungsbegriffe eine Komplexität aufweisen, die theorieartige Elemente einschließt und daher unvermeidlich zu Bedeutungs-Interdependenzen führt. Daß dieses Phänomen bei beobachtungsferneren Alltagsbegriffen wieder verschwindet, kann man wohl ausschließen. Nach diesen Punkten zu semantischen Interdependenzen innerhalb von Eigenschaftsfamilien oder zwischen Elementen benachbarter Familien möchte ich Castañedas These nachgehen, die Einheit der Welt erfordere einen semantischen Holismus, und zwar besonders in Form von Postulaten, die strukturelle Beziehungen zwischen disparaten Aspekten der Welt angeben. Ich schlage folgende Bestimmung der ‚Einheit der Welt‘ vor: (a) Jedes identifizierbare Einzelphänomen der Welt besitzt ein Charakteristikum F1, so daß es ein anderes Einzelphänomen mit einem derartigen Charakteristikum F2 gibt, daß eine allgemeine Regel vermittels dieser Charakteristika von der Präsenz des einen Phänomens auf die des anderen schließen läßt. Die Regeln sollen einen nicht bloß akzidentellen Status besitzen. (b) Dabei gilt für jede Teilmenge der Phänomene der Welt, daß ein Element dieser Menge durch derartige allgemeine Regeln auf etwas in der restlichen Welt bezogen ist.88 Dabei lege ich eine phänomenologische Einstellung in einem weiteren Sinn zugrunde, also nicht spezifisch die strikt internalistische Position von Teil ZWEI. Ich versuche, zwei zentrale Glaubenssätze der allgemeineren phänomenologischen Position anzugeben: Das empiristische Dogma beinhaltet, daß auf die eine oder andere Weise die Entwicklung eines Bildes der Welt letztlich durch die manifest präsenten Inhalte bestimmt ist, die das betreffende Individuum erlebt bzw. die Mitglieder der betreffenden Ge-
88
Klausel (b) ist durch W. Spohns Kohärenzprinzip inspiriert, das ‚die Einheit unseres empirischen Weltbildes‘ behaupten soll; siehe CoherencePrinc, S. 159.
261 meinschaft erleben.89 Das kopernikanische Dogma beinhaltet, daß die Welt als Ganzheit der objektiven Korrelate von welterschließenden geistigen Einstellungen des Individuums konzipiert werden muß, die von den unterschiedlichsten Arten sein können. D.h. wenn ein Individuum (oder eine ganze Gemeinschaft) auf der Grundlage seiner manifesten Erlebnisse auf rationale Weise zu einem System von Einstellungen gelangt, von denen einige einen gewissen Typ von Aspekt oder Entität als real (als wirklich, wahr, legitim etc.) hinstellen, dann sollte man nach Möglichkeit annehmen, daß die Welt des Individuums tatsächlich Aspekte von diesem Typ enthält oder wenigstens in einem starken Sinn enthalten kann. In meiner Bestimmung der ‚Einheit der Welt‘ verstehe ich daher unter ‚Welt‘ ein Ganzes aus den objektiven Korrelaten möglicher realitätsgetreuer geistiger Einstellungen. Unter ‚Einzelphänomen‘ verstehe ich Elemente einer solchen Welt. Solche Phänomene sollen einen höheren Grad an Realität besitzen als bloße denkbare Inhalte, die weder in der raumzeitlichen Wirklichkeit auftreten noch in eine Beziehung zu einem denkenden Geist treten. Elemente der Welt müssen jedoch nicht den paradigmatischen Status physischer Wirklichkeit aufweisen. Mit ‚Präsenz‘ meine ich nicht das tatsächliche Wahrgenommenwerden, sondern daß die Phänomene eine für ihre Kategorie passende Art der Realität besitzen.90 Wenn man ein Prinzip der Einheit der Welt von der angegebenen Art akzeptiert, so fragt sich, weshalb diese Einheit überhaupt und besonders im Fall von disparaten Phänomenen durch bedeutungskonstitutive Bestimmungen des mit dieser Welt konfrontierten Denkenden aufgenommen werden muß. Man sollte meinen, die relevanten allgemeinen Regeln könnten einfach besondere Inhalte des Überzeugtseins sein, statt als konstitutive 89
Die Beziehung zwischen manifest präsenten Inhalten und abstrakten Inhalten des Denkens-mit-Überzeugung muß nicht im Sinne des epistemologischen Fundamentalismus konzipiert werden muß. 90 Einige Realitätsformen neben der physischen Wirklichkeit können sein: die bloße Präsenz eines Inhaltes in der Wahrnehmung; die Realität einer fiktionalen Figur als Element einer Geschichte oder als Kulturbestandteil; die Legitimität einer Absicht. Ich lasse offen, ob rein statistische allgemeine Regeln für die Einheitsstiftung ausreichen, sei es generell oder in einigen Fällen. Vgl. hierzu Castañedas ‚Schema struktureller Verbindung‘ (S.C*) in OPM, S. 75; er betont dort, daß es nicht-kausale Instanzen des Schemas gibt.
262 Akzeptanz- oder Übergangsdispositionen internalisiert zu werden. Möglicherweise können Termini für verschiedene disparate Phänomentypen grundsätzlich nur durch eine gemeinsame theorieartige Konzeption eine Bedeutung erhalten; dann stünde die Interdependenz ihrer Bedeutungen fest. Obwohl ich einen solchen Zusammenhang nicht ausschließen möchte, werde ich nur versuchen, ein etwas schwächeres Resultat zu begründen. Wenn man zwischen zwei Typen von Einzelphänomenen eine nicht bloß akzidentelle Regelmäßigkeit feststellen und sie gegebenenfalls in einen besonderen Überzeugungsinhalt aufnehmen möchte, so muß man festlegen, welchen Status diese Regel hat, d.h. in welchem Sinn sie nicht bloß akzidentell ist. Das erfordert aber, daß die beiden Phänomensorten bereits auf einer gemeinsamen ontologischen Bühne erscheinen, durch die dieser Status bestimmt ist. Das wird an dem zentralen Fall deutlich, den ich vor Augen habe: Wenn von allgemeinen Regeln die Rede ist, die besondere Überzeugungsinhalte sein können, denkt man wohl primär an Regeln, die kausale oder eng mit der besonderen kausalen Ordnung verbundene Zusammenhänge beschreiben. Damit man den Regeln aber den Status kausaler Verallgemeinerungen zuschreiben kann, müssen die Phänomene der betreffenden Typen wirkliche Ereignisse, Zustände oder Abläufe in der einheitlichen Raumzeit sein. Mit den ausgesprochen disparaten Phänomenen meint Castañeda jedoch zweifellos solche, die auf sehr verschiedenen ontologischen Bühnen auftauchen, etwa den Schöpfer einer Geschichte und eine ihrer fiktionale Figuren. Nun können diese verschiedenen Bühnen selbst als Phänomene angesehen werden, die in die Einheit der Welt integriert sein müssen. Es leuchtet ein, daß die Prinzipien, die die fundamental verschiedenen ontologischen Gebiete miteinander verbinden, nicht selbst wieder mit einem spezifischen ontologischen Status versehen sein können. Darüber hinaus leuchtet ein, daß es nicht so dringend nötig ist, zu zwei auf demselben ontologischen Boden auftretende Einzelphänomene eine bestimmte vereinigende Regelmäßigkeit festzustellen. Der gemeinsame Boden garantiert nämlich schon, daß sich bei näherem Interesse vielfältige solcher Beziehungen nach und nach feststellen lassen. Bei disparaten Phänomenen fehlt diese Garantie, so daß ihre bestimmte Weise der Integration nicht dahingestellt bleiben darf. Da es also für die Integrationsregeln für disparate Bereiche keinen spezifischen Modus geben kann, der sie etwa als Naturgesetze auszeichnet, müssen sie in bedeutungskonstitutiven Disposi-
263 tionen internalisiert sein, um nicht bloß akzidentelle Generalisierungen zu sein.91
91
Das folgende Beispiel dürfte ziemlich genau treffen, was Castañeda mit seiner Rede von verknüpfungsbedürftigen disparaten Aspekten der Welt im Blick hat: Wir sagen von einer Person, sie habe einer anderen Person versprochen, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Ebenso sagen wir daraufhin von der ersten Person, sie solle sich auf diese Weise verhalten, jedenfalls insofern sie es versprochen hat. Aussagen dieser beiden Sorten beinhalten etwas offenkundig verschiedenes: Im ersten Fall schreiben wir jemandem eine Handlung von einem gewissen Typ zu, nämlich ein Versprechen, sich so-und-so zu verhalten; im zweiten Fall sprechen wir ihr eine sogenannte deontische Eigenschaft zu. Wir können nämlich von der Aussage, die Person solle sich so verhalten, jedenfalls insofern sie es der anderen versprochen hat, umstandslos zu der entsprechenden Aufforderung „Person, verhalte dich so-und-so“ übergehen, falls wir die Feststellung hinzunehmen, daß es keine andere ‚insofern‘Bedingung K gibt, so daß die Person das fragliche Verhalten unterlassen soll, insofern K, etwa: insofern die Straßenverkehrsordnung dagegen spricht. Falls man mit Castañeda derartige Übergänge von einer Menge von Aussagen, die einer Person allesamt deontische Eigenschaften zusprechen, zu einer Aufforderung zu den logischen Schlüssen zählt, die eine Chance auf Korrektheit haben, so folgt sicherlich im skizzierten Fall aus einer Menge deontischer Aussagen eine Aufforderung. Aus einer Menge von Aussagen, die ihr Handlungen zuschreiben, folgt sie hingegen sicherlich nicht. Aber zweifellos stehen die Handlungs- und die SollensZuschreibungen ihrerseits in einem äußerst engen Verhältnis: Man wird es wohl als begriffliche Wahrheit einstufen, daß die Person, wenn sie das Verhalten versprochen hat, sich entsprechend verhalten soll, jedenfalls insofern sie es versprochen hat. Es leuchtet ein, daß wir nicht akzeptieren würden, daß so etwas wie Versprechen vorkommen und daß Leute unter einem Sollensanspruch stehen, jedenfalls insofern sie ein gewisses symbolisches Verhalten an den Tag gelegt haben, wenn wir nicht zugleich eine strikte allgemeine Regel akzeptieren könnten, die beide Phänomene verbindet. Ebenso leuchtet ein, daß beide Phänomene zu ungleichartig sind, als daß die allgemeine Regel ihrer Verbindung ein spezielles kausales Gesetz sein könnte. Man möchte sicherlich nicht allen Ernstes behaupten, die Handlung des Versprechens einer Person habe ihren entsprechenden Sollenszustand verursacht. (Dies sind Themen von Thinking and Doing und Structure of Morality.)
264 III. Aspekte der phänomenologischen Linguistik der Wahrnehmung 1. Wichtige Aspekte der phänomenologische Linguistik der Wahrnehmung: Zuschreibungs- und Ausdrucksformen von perzeptuellen Erfahrungen 1.a Castañedas Programmformel: Eine Konzeption des Geistes ist in die semantische Syntax der natürlichen Sprache eingebaut, die grundlegender ist als die Bedeutungen des mentalen Vokabulars. Die folgende Passage enthält Castañedas Programmformel der phänomenologischen Linguistik, soweit sie zur proto-philosophischen Grundlage der Philosophie gehört: „It is rewarding to ponder the fact that a conception of the mind may be built deeply into the semantical syntax of our natural languages. Such a conception of the mind would be harder to give up, because it underlies the most superficial theories of the mind embodied in the semantics of the customary lexicon.“92
Der Gedanke ist: Wenn man annimmt, daß der Alltagsverstand eine Art von Theorie über den menschlichen Geist besitzt, so sollte man die wesentlichen Inhalte dieser Theorie nicht in den Bedeutungen einzelner mentaler Wörter wie „Schmerz“, „denken“, „glauben“ oder „wollen“ suchen, sondern in der semantisch konstitutiven Gebrauchsweise syntaktischer Strukturen. Um eine proto-theoretische Grundlage für den folgenden Teil FÜNF zu gewinnen, werde ich in diesem Abschnitt zentrale Aspekte der sprachlichen Zuschreibungs- und Ausdrucksformen perzeptueller Erfahrungen diskutieren.93 92 93
Siehe J/P-Indicators § 28, S. 87. Zweifellos verweist Castañedas Rede von ‚semantic syntax‘ in der Programmformel auf seine Konzeption der semantisch-syntaktischen Kontraste. Da sie sehr schwer auf den Punkt zu bringen ist, nenne ich nur einige nach meiner Einschätzung zentrale Aspekte: (1) Castañeda hebt die philosophische Wichtigkeit solcher Kontraste vor dem Hintergrund seiner Kritik an philosophische Methoden hervor, die sich entweder auf die Analyse des Gebrauches einzelner Wörter (J. Austins ‚descriptiver Lexikalismus‘, siehe OPM, S. 87-89) oder auf die Darlegung des korrekten Gebrauches eines einzelnen Satzes in verschiedenen Situationen (wittgensteinianischer ‚syntaktischer Atomismus‘, siehe OPM, S. 89-100) konzentrieren. (2) Der Grundgedanke ist, daß die strukturellen Charakteristika der Sprache auch die besten Hinwei-
265 1.b Die Assoziation dreier Konstruktionstypen von Wahrnehmungszuschreibungen mit drei Weisen des Wahrnehmens beruht auf einer Überinterpretation syntaktischer Unterschiede. Ich möchte einige der eher sprachlichen angeblichen Daten betrachten, die Castañeda seiner Wahrnehmungstheorie zugrunde legt. Die hauptsächliche Stoßrichtung seiner Datenerhebung und -auswertung soll sein, daß sie die Annahme eines ‚subjektiven Elementes‘ in der (visuellen) Wahrnehmung motivieren. Falls die Überlegungen darin erfolgreich sind, so verfügt man über etwas sehr Interessantes: Man wäre im Besitz einer Motivierung der Annahme eines ‚subjektiven Elementes‘, die sich nicht auf ein subjektives Auffinden und ‚Inspizieren‘ solcher Elemente stützt wie in einer lokalphänomenologischen Reflexion; vielmehr rekurriert sie nur auf unser alltägliches mehr oder weniger explizites Wissen davon, wie natürlichse auf das enthalten, was in der Philosophie interessiert, nämlich die allgemeinsten Strukturen der Welt und der Erfahrung. (3) Daß er das Adjektiv ‚semantisch‘ in der Standardbezeichnung der Kontraste hinzufügt, deutet nicht nur die Trivialität an, daß nicht die Struktur der Zeichen als solcher philosophisch aufschlußreich ist; sondern er unterstreicht damit, daß den syntaktischen Strukturen ihre Bedeutung nicht so einfach abzulesen ist. (4) Der Ausdruck ‚Kontrast‘ entspricht der Einsicht, daß eine syntaktische Struktur einen charakteristischen inhaltlichen Unterschied im Vergleich mit alternativen Strukturen machen muß, um eine Bedeutung zu haben. Der wichtige Punkt mit Blick auf (3) ist, daß ein und dieselbe syntaktische Form in verschiedenen syntaktischen Zusammenhängen verschiedene Unterschiede ausmachen kann (ich nehme an, das Castañedas Rede von ‚gemeinsamen Basen‘, auf denen die Kontraste erscheinen, jedenfalls auch solche Zusammenhänge meint). Ein Beispiel wäre, daß die Infinitivklausel „zu gehen“ sicherlich in vielen Zusammenhängen derartig mit ganzen Prädikationen kontrastiert, daß sie dem Ausdruck für eine Eigenschaft im Kontrast zu einer Proposition dient. Aber das heißt nicht, daß sie etwa in der Zuschreibung „Peter beschließt zu gehen“ im selben Sinn mit „Peter denkt, daß jemand geht“ kontrastiert und für einen bloßen Handlungstyp steht; sondern in dieser Gegenüberstellung kann sie einen anderen Unterschied ausmachen; nach Castañeda ist es der Unterschied zwischen einer praktitionalen und einer propositionalen Prädikation (siehe dazu Thinking and Doing). Die ab 1.b diskutierten Kontraste zwischen den perzeptuellen Zuschreibungsformen bilden ebenfalls ein Beispiel dafür, daß man an den oberflächlichen syntaktischen Unterschieden nicht einfach Bedeutungsdifferenzen ablesen kann. Wichtige Passagen finden sich in: OPM, S. 46-51; OntGram, S. 48; J/P-Indicators, S. 59; ThLE5AttributingReference, S. 95, S. 107; ThLE12I&QI, S. 224-25.
266 sprachliche Ausdrücke und grammatische Strukturen korrekt gebraucht werden. Eine erste Datenbetrachtung Castañedas betrifft die Zuschreibung von Wahrnehmungen. Er selbst interpretiert in PBS verschiedene Zuschreibungsformen bereits auf der Grundlage vorhergehender Daten, die ihm die Existenz visueller Felder nahelegten. Man kann jedoch in Castañedas Diskussion der Wahrnehmungszuschreibung eine autonome phänomenologisch-linguistische Studie identifizieren, die ohne vorgehende Annahme von Wahrnehmungsfeldern nennenswerte Ergebnisse liefert. Man kann drei allgemeine Typen von Konstruktionen perzeptueller Zuschreibungen unterscheiden: Typ OBJ: Die Konstruktion mit Akkusativ-Objekt, etwa „Peter sieht Maria“; Typ DASS: die Konstruktion mit daß-Satz, etwa „Peter sieht, daß Maria zu spät kommt“; Typ ACI: die Konstruktion mit Akkusativ-cum-Infinitiv, etwa „Peter sieht Maria zu spät kommen“, sowie verwandte Konstruktionen wie „Peter sieht Maria, wie sie sich die Treppe hinaufschleppt“.94 In RefRealPerz diskutiert Castañeda die verschiedenen Konstruktionstypen von Wahrnehmungszuschreibungen in einem Kontext, in dem er zwei Grundauffassungen der Wahrnehmung, nämlich den perzeptuellen Objektualismus und den perzeptuellen Propositionalismus unterscheidet und zwei Fragen stellt: Erstens fragt er nach dem Gegenstand oder, neutraler formuliert, dem Akkusativ (dem Was) des Wahrnehmens, und damit meint 94
Vgl. PBS, S. 293 sowie ThLE6Perception, S. 118; an beiden Stellen ist Satz 1 vom Typ OBJ, die Sätze 2-4 sind vom Typ ACI, und Satz 5 ist vom Typ DASS. Nur die Konstruktion (2) („John saw Mary arrive late“) ist wirklich eine Akkusativ-cumInfinitiv-Konstruktion. Ich bezeichne den Typus einfach nach diesem Fall, der jedenfalls im Deutschen sehr natürlich ist. Zur Unterscheidung bezeichne ich ‚echte‘ Akkusativ-cum-Infinitiv-Strukturen durch „A.c.I.“. (Im Englischen erscheint der Konstruktionstyp „John saw Mary arriving“ natürlicher. Doch wie Dretske feststellt, können Ambiguitäten auftreten, wenn statt eines Namens eine Kennzeichnung vorkommt wie in „John saw the man arriving“; siehe S&K, S. 34. Es ist daher auch hinsichtlich des Englischen sinnvoll, den Typus nach der eindeutigen A.c.I.Konstruktion zu bezeichnen.)
267 er im wesentlichen, ob die Akkusative des Wahrnehmens Propositionen (oder Sachverhalte) oder eher Einzeldinge irgendeiner Kategorie sind. Zweitens fragt er, welche Zuschreibungskonstruktion die grundlegende ist.95 Auf den ersten Blick paßt die These, die OBJ-Konstruktion sei die grundlegende, gut zur These, der Akkusativ des Wahrnehmens sei ein Einzelding, während besonders die Konzentration auf die DASS-Konstruktion zur These paßt, der Akkusativ sei eine Proposition (oder ein Sachverhalt). Man kann aus Castañedas Diskussion am meisten Gewinn ziehen, wenn man über die Möglichkeit hinaus, daß der Objektualismus oder der Propositionalismus richtig ist, die Auffassung in Betracht zieht, es gebe verschiedene Typen des Wahrnehmens, die sich gerade in der Kategorie ihres Akkusativs unterscheiden. Wenn man mit einer derartigen Typendifferenzierung rechnet, dann liegt nämlich der Gedanke nahe, daß die drei Zuschreibungsarten gerade drei nach der Kategorie ihres ‚Gegenstandes‘ unterschiedene Wahrnehmungstypen korrespondieren, und zwar folgendermaßen: Konstruktion der Zuschreibung: OBJ (... sieht Maria) DASS (... sieht, daß Maria kommt) ACI (... sieht Maria kommen)
‚Akkusativ‘: Einzeldinge Propositionen oder Sachverhalte Ereignisse, Abläufe, Prozesse
Außerdem liegt dann nahe, zumindest zwei der drei angeblichen Typen als Typen geistiger Zustände oder Akte unterschiedlichen kognitiven Niveaus anzusehen: OBJ-Konstruktionen könnten im visuellen Fall ein einfaches ‚Gegenstands-Sehen‘ zuschreiben, das noch keine begriffliche Verarbeitung einschließt, während DASS-Konstruktionen ein ‚propositionales Sehen‘ zuschreiben, das Ergebnis einer Verarbeitung ist, in der der Sehende einige seiner begrifflichen Kompetenzen gebraucht. Wenn man Ereignisse eher als besondere konkrete Einzeldinge denn als abstrakte Inhalte einstuft, wäre es konsequent, die durch ACI-Konstruktionen zugeschriebenen Fälle des Sehens dem ‚Gegenstands-Sehen‘ weitgehend gleichzustellen und nicht dem ‚propositionalen Sehen‘.
95
Siehe RefRealPerz, S. 766; ähnlich ThLE6Perception, S. 111-12; dort bezeichnet er Objektualismus und Propositionalismus als verschiedene Auffassungen über die ‚Akkusative des Wahrnehmens‘ („the accusatives of perceiving“).
268 Tatsächlich ist aber eine derartige Assoziation verschiedener Typen des Wahrnehmens mit den drei allgemeinen Konstruktionen des Zuschreibens nicht gut motiviert; eher spricht alles gegen. Insgesamt ist meine Diagnose, daß sie auf einem unzulässigen Schluß aus der Oberflächengrammatik der Konstruktionen beruht. 1. OBJ-Zuschreibungen besitzen keine Kern-Bedeutung, die kein begriffliches bewußtes Wahrnehmen impliziert. Als erstes möchte ich den Zuschreibungstyp OBJ in seinem angeblichen Kontrast zur Konstruktion DASS betrachten. (a) Zunächst einmal folgt bloß aus dem Kontrast zweier solcher grammatischer Konstruktionen nicht, daß es zwei verschiedene Typen des Sehens gibt, einen, in dem Leute nur auf einzelne Gegenstände, jedoch nicht auf diese Gegenstände betreffende Propositionen bezogen sind, sowie einen, in dem sie auf Propositionen bezogen sind. Ebensowenig würde man aus der nominalen Form der Zuschreibung „Peter denkt an Maria“ entnehmen wollen, daß Peter an Maria denkt, ohne ihr irgendwelche Eigenschaften zuzuschreiben, und sei es bloß erwägend: wie sie gestern so grantig zu ihm war, was er ihr bloß getan habe, ob sie morgen trotzdem mit ihm essen gehen werde.96 Z.B. könnte das folgende Konditional ein Bedeutungspostulat für ‚sehen‘ darstellen: Person s sieht Gegenstand a → ∃F Person s sieht, daß Gegenstand a F ist Dieses Postulat selbst ist zwar, wie sich zeigen wird, falsch.97 Aber die Möglichkeit seiner Geltung verdeutlicht, daß sich bloß aus dem grammatischen Kontrast nichts Interessantes über Typen des Wahrnehmens schließen läßt, die wir unterscheiden. (b) Es reicht auch nicht aus, einen bestimmten Typ von Beispielen anzuführen, um zu zeigen, daß die OBJKonstruktion zumindest eine Kern-Bedeutung hat, die im Gegensatz speziell zur PROP-Konstruktion keine begriffliche Verarbeitung impliziert. 96
Der Fehlschluß ist nicht viel subtiler, als wenn man etwa aus der Doppelung von „Peter läuft“ und „Peter läuft schnell/langsam...“ schlösse, es gebe zwei Arten des Laufens, nämlich elementares Laufen ohne besondere Geschwindigkeit und komplizierteres Laufen mit Geschwindigkeit. 97 Die Analyse von ‚S sieht A‘ durch ‚S sieht, daß A F ist‘ lehnt etwa Jackson, Perception, S. 155 explizit ab.
269 Denn es mag sein, daß man in gewissen Situationen, in denen Person s klarerweise keine begrifflich gefaßte Überzeugung über g ausbildet, dennoch eine OBJ-Konstruktion ‚Person s sieht Gegenstand g‘ wahrheitsgemäß verwenden kann. Aber daraus darf man nicht schließen, daß ‚sehen‘ in dieser Konstruktion eine Kern-Bedeutung hat, die kein Vorliegen begrifflicher Verarbeitung impliziert und die, sei es durch pragmatische Effekte oder durch semantische Anreicherungen, in normalen Verwendungen ergänzt wird durch einen Inhalt der Art, daß Person s natürlich über Gegenstand g Überzeugungen von einem bestimmten Typ hat. Sondern es kann ebensogut sein, daß „sehen“ in OBJ-Konstruktionen eine Standard-Bedeutung hat, die durchaus ein begriffliches Bewußtsein impliziert, die allerdings in gewissen Verwendungen eine solche Abschwächung zuläßt, daß ‚Person s sieht Gegenstand g‘ darin ausnahmsweise diese Implikation nicht besitzt.98 (c) Mit diesen beiden Abweisungen von Argumentationslinien im Rücken möchte ich zu einer positiven Aussage kommen: Es ist sehr unplausibel, daß wir mit OBJ-Konstruktionen im Gegensatz zu DASS-Konstruktionen ein begrifflich unverarbeitetes Wahrnehmen zuschreiben. Wenn man eine Nachbarin nach dem Hausmeister fragt, kann sie antworten „Ich habe ihn vor zehn Minuten gesehen“, „Ich habe ihn in den Keller gehen sehen“ oder „Ich habe gesehen, daß er in seiner Wohnung ist“. Diese Varianten sind sicherlich nicht dafür gemacht, damit die Nachbarin Unterschiede dahingehend zum Ausdruck bringen kann, ob sie ihre begrifflichen Kompetenzen in Gebrauch hatte oder vielleicht nicht. Die OBJ-Variante scheint eher dafür gemacht zu sein, ein volles begriffliche verarbeitetes Wahrnehmen zuzuschreiben, dabei jedoch das Wahrnehmen inhaltlich weitgehend unspezifiziert zu lassen. Ich möchte zur Sicherheit betonen, was ich nicht bestreite. Ich leugne erstens nicht, daß wir fähig sind, unter verschiedenen Umständen mit Zuschreibungskonstruktionen, die wesentlich ein perzeptuelles Verb enthalten, Wahrnehmungszustände von unterschiedlicher Qua98
Eine einfache Analogie: Die Kern-Bedeutung von „Hocker“ könnte sein Fläche von der-und-der Größe mit vier Beinen, und eine gewöhnliche Verwendung könnte ‚konnotieren‘, daß man darauf sitzen kann. Oder aber die Standard-Bedeutung von „Hocker“ wäre Artefakt, auf dem man sitzen kann, aber ohne Lehne, und in manchen Situationen wird sie abgeschwächt zu Ding von der Art, wie es Artefakte sind, auf denen man sitzen kann (aber ohne Lehne), doch in diesem Fall zu wackelig, als daß man wirklich darauf sitzen könnte.
270 lität zuzuschreiben. Ich bestreite zweitens auch nicht, daß diese Qualitätsdifferenzen etwas mit verschiedenen Graden und im Grenzfall gar völlig fehlender begrifflicher Verarbeitung zu tun haben. Drittens leugne ich nicht einmal, daß die PROP-Konstruktion besonders eindeutig eine Involvierung begrifflicher Kompetenzen zum Ausdruck bringt. Ich bestreite hauptsächlich, daß die Schöpfer unserer natürlichen Sprache gewissermaßen die drei Konstruktionstypen geschaffen hat, damit ein Kontrast zwischen vorhandener und nicht vorhandener begrifflicher Verarbeitung ausdrückbar ist.99 99
Beispielsweise ist es schwer, bei der folgenden Passage, die ziemlich am Anfang von F. Jacksons Perception steht, nicht den Eindruck zu bekommen, daß er umstandslos von der Feststellung einer grammatischen Differenzierung („We talk of...“) zu der Annahme übergeht, man habe es mit zwei Arten des Sehens zu tun, die sich in der Kategorie ihrer Objekte unterscheiden: Perception, S. 6: „We talk of seeing things and seeing that...: ‚I see the tomato‘, ‚I see that the tomato is red.‘ In the first case, ‚see‘ is followed by a singular term putatively naming something; in the second, by a sentence prefixed by ‚that‘. ... In starting with the question ‚What are the immediate objects of perception‘, I am opting for the view that seeing things is more basic than seeing-that.“ Siehe auch R. Chisholm, Perceiving, S. 142ff. Obwohl F. Dretske sich nicht absolut klar festlegt, kann ich doch auch an seinen Überlegungen in Seeing and Knowing (1969) beispielhaft deutlich machen, wogegen ich mich wende. Ich hätte prima facie nichts gegen Dretskes Unterscheidung verschiedener ‚Weisen‘ des Sehens einzuwenden. Vielleicht würde ich eine davon nicht als Sehen bezeichnen; doch das ist kein Punkt gegen die Sache. Aber Dretske assoziiert seine Unterscheidung einer nicht-epistemischen Weise des Sehens („Non-Epistemic Seeing“ heißt das zweite Kapitel) von epistemischen Weisen recht eindeutig mit verschiedenen Zuschreibungskonstruktionen; und zwar assoziiert er die nichtepistemische Weise mit der einfachen OBJ-Konstruktion. Sein Hauptziel im zweiten Kapitel von S&K ist es zu zeigen, daß es eine nicht-epistemische Weise des Sehens gibt, d.h. in etwa eine Weise des Sehens, deren Fälle nicht implizieren, daß der Wahrnehmende bestimmte Überzeugungen hat. (Siehe S. 6 u.: „,... there is a way of seeing such that for any Proposition P, the statement ‚S sees D‘ does not logically entail the statement ‚S believes P‘“) Seine Argumentation rekurriert jedoch auf verschiedene denkbare Situationen, in denen es korrekt ist zu sagen, jemand habe eine Sache gesehen (OBJ-Konstruktion), ohne daß er aber etwas Bestimmtes geglaubt haben muß; etwa S. 10 u.: „... this fact ... would not tend to show ... that seeing a candle-stick holder involves, as part of its meaning, the percipient’s believing something of this sort.“ (Unterstr. RB; vgl. S. 11 u., S. 17 u., S. 42 m.) Auch seine Bedeutungsexplikation von ‚S seesn D‘ auf S. 20ff. suggeriert stark, daß er bean-
271 2. ACI-Zuschreibungen sind nicht allemal Zuschreibungen des Wahrnehmens von Ereignissen. Einen ähnlichen ‚grammatischen Fehlschluß‘ sehe ich im Fall der ACI-Konstruktion. Die Einschätzung, perzeptuelle Attributionssätze mit ACI-Konstruktion schrieben das Wahrnehmen eines Ereignisses oder Prozesses zu, wird durch die Natürlichkeit von Prädikaten wie „... sieht Maria vorbeihuschen“ oder „hörte ein Auto auf sich zukommen“ suggeriert, die jedenfalls im Deutschen den nicht wohlgeformten Prädikaten der Art „... sieht Maria rot sein“ gegenüberstehen. Tatsächlich liegt die grammatische Kluft jedoch nicht zwischen Ereignis-Prädikaten wie „... huscht vorbei“ und Zustands-Prädikaten wie „... ist rot“, sondern zwischen Prädikatbildungen ohne Kopula „ist“ und solchen mit ihr. So sind „Peter sieht Maria an der Bushaltestelle stehen“ und „Maria sieht die Blumen blühen“ ebenfalls korrekt gebildet. Die Kluft erweist sich so als eine Laune des Deutschen ohne inhaltliche Relevanz. Das Beispiel der Suche nach dem Hausmeister spricht wie bei der OBJ-Konstruktion auch in diesem Fall stark dafür, daß sich ACI-Konstruktionen von DASS-Konstruktionen nicht darin unterscheiden, ob sie ein Wahrnehmen zuzuschreiben erlauben, das begriffliche Kompetenzen involviert oder nicht.100 Es kommt hinzu, sprucht, die gewöhnliche Bedeutung von ‚to see‘ in der OBJ-Konstruktion anzugeben. Am deutlichsten ist vielleicht ein Vergleich, den er auf S. 40-41 mit Blick auf die Tatsache zieht, daß gewisse Abläufe einfach sehr selten stattfinden, ohne daß es bei den Beteiligten zu bestimmten Überzeugungen kommt: „The rarity ... of such phenomena has nothing to do with whether seeing an angry tiger, or being eaten by an angry tiger, have, as an essentiell ingredient, the possession on the part of the agent of a particular belief ...“ Seine Diagnose ist offenbar, daß die häufige Begleitung von Objekt-Sehen durch bestimmte Überzeugungen dazu führt, daß die bloße Aussage, daß das (Objekt-)Sehen stattfindet, in normalen Konversationssituationen konnotiert, daß die Überzeugungen vorliegen (vgl. S. 41). Damit meint er wohl die pragmatische Ergänzung einer Kernbedeutung, wie ich sie im Haupttext angedeutet und der ich die Konzeption der Abschwächung einer Standard-Bedeutung entgegengesetzt habe. F. Jackson greift Dretskes Unterscheidungen zwischen epistemischem und nicht-epistemischem wie auch zwischen primärem und sekundärem epistemischen Sehen auf; siehe Kapitel 7 „Seeing things and seeing that“ in Perception. 100 Vgl. etwa Dretske in Kap. II von S&K; auf Seite 33-34 unterscheidet er drei Lesarten der Aussage „S saw the man waving to his wife“: Nach der ersten ist ‚the man waving to his wife‘ einfach eine Kennzeichnung für den betreffenden Mann, in der das Partizip ‚waving...‘ als Attribut dient. Interessant sind nur die anderen beiden:
272 daß in dem Umfang, wie verschiedene Sprachen (echte) A.c.I.Konstruktionen mit nicht-perzeptuellen Einstellungsverben zulassen, es sich um Mittel der Zuschreibung propositionaler Einstellungen handelt, die mit entsprechenden daß-Konstruktionen, sofern auch sie in der jeweiligen Sprache zulässig sind, weitgehend gleichbedeutend sind.101 1.c Unterschiede zwischen den drei Zuschreibungskonstruktionen sind aufschlußreich für den ‚eigentlichen‘ Inhalt des Wahrnehmens. Die angeführte Assoziation zwischen den drei Zuschreibungskonstruktionen und drei Typen des Wahrnehmens, wobei insbesondere eine Unterscheidung zwischen involvierter und eventuell fehlender begrifflicher Verarbeitung im Spiel ist, ist die einzig sich aufdrängende derartige Zuordnung. Ich schließe also, daß Mehrzahl von Zuschreibungsarten nicht der Unterscheidung von Wahrnehmungsarten dient. Dementsprechend sollte man bei der Betrachtung der drei Konstruktionstypen ganz von dem Gegensatz zwischen begrifflich unverarbeiteter und begrifflich artikulierter Wahrnehmung absehen. Positiv sollte man die beiden Extreme unter den drei Konstruktionstypen perzeptueller Zuschreibungen, nämlich die OBJ- und die DASS-Konstruktion, in Analogie zu dem Paar „Peter dachte an Maria“ und „Peter dachte, daß Maria kommt“ verstehen und die ACI-Konstruktion in das aufgespannte Feld einordnen. Die drei Konstruktionen dienen demnach letztlich dazu, eine einzige Form des Wahrnehmens zuzuschreiben. Es ist nicht der Zweck dieser Mehrzahl von Konstruktionstypen, eventuelle Unterschiede zwischen begrifflich verarbeitetem und unverarbeitetem Wahrnehmen ausdrückbar zu machen. Die zweite Lesart ist (ii) „S saw the man wave to his wife“, die dritte (iii) „S saw that the man was waving to his wife“. Lesart (ii) ist also eine englische A.c.I.Konstruktion. Die dritte Lesart versteht Dretske naturgemäß als Ausdruck eines epistemischen Sehens: „... not only that S saw the event, but that he identified it as described ...“. Entscheidend ist, daß Dretske die zweite, d.h. die A.c.I.-Konstruktion als mit der Konstruktion ‚S saw the man’s wave to his wife‘ gleichbedeutend hinstellt. Er versteht also den Akkusativ-cum-Infinitiv wie die Kennzeichnung eines Ereignisses und subsumiert Lesart (ii) unter die Zuschreibungen von nichtepistemischem Sehen, nur daß kein (bloßes) Sehen von gewöhnlichen Einzeldingen, sondern ein Sehen von Ereignissen zugeschrieben wird. 101 Im Lateinischen ist die A.c.I.-Konstruktion der Zuschreibung propositionaler Einstellungen Standard.
273 Dann ist die Frage sinnvoll, ob eine der Konstruktionen dem einheitlich zugeschriebenen Phänomen besonders nahe kommt, indem sie am besten zum Ausdruck bringt, worin es eigentlich besteht. Damit ist unvermeidlich die Frage verknüpft, wie gegebenenfalls diese Konstruktion genauer verstanden werden muß. Jetzt stellen sich allerdings nicht nur bezüglich der DASS-Konstruktion, sondern auch hinsichtlich der anderen beiden Konstruktionen die in der Diskussion von modalen und von Attributionskontexten üblich gewordenen Fragen: Aus der Theorie modaler Kontexte stammt die Frage, ob ein bestimmter Ausdruck in der Aussage de re oder de dicto auftritt; von Quine stammt die Fragestellung, ob die Position eines bestimmten singulären Terms in einem Kontext bezugnahme-transparent oder bezugnahme-opak ist.102 Castañedas Gegenstücke zu diesen Unterscheidungen sind erstens die zwischen dem internen oder dem externen Vorkommen eines Ausdrucks an einer Position in einem Zuschreibungskontext und zweitens die zwischen seinem propositional transparenten oder propositional opaken Vorkommen. Hier soll die folgende Bestimmung des internen Vorkommens genügen: Ein Ausdruck kommt an einer Position in einem Zuschreibungskontext intern genau dann vor, wenn er verwendet wird, um dem Subjekt, dem etwas zugeschrieben wird, einen Bezugnahmemechanismus zuzuschreiben. Sonst kommt er dort extern vor. (Eine syntaktisch durchsichtige ‚kanonische Repräsentation‘ würde nur Termini, die intern vorkommen, im syntaktischen Bereich der Zuschreibungskonstruktion auftreten lassen.)103 102
Siehe W&O, § 30. Ich folge hier Shavy, der nicht wie Quine die Kontexte selbst transparent oder opak nennt, sondern einzelne Positionen für singuläre Terme („noun positions“) in ihnen; siehe Shavy, Opacity, S. 153-54. 103 Vgl. fast wörtlich RefRealPerz, S. 778. An der de re/de dicto-Unterscheidung kritisiert Castañeda in erster Linie, daß sie in ihrem verbreiteten Gebrauch die Unterscheidung zwischen internem und externem Vorkommen mit einer ontologischen Annahme über das von de re vorkommenden Termen Bezeichnete konfundiert; vgl. RefRealPerz, S. 777-783; I-Guises, S. 125-26. Der Kerngedanke der propositionalen Transparenz lautet: Ein Ausdruck kommt in einem Zuschreibungskontext genau dann propositional transparent vor, wenn er eine Komponente der Proposition offenlegt („reveals“), die der Akkusativ des zugeschriebenen (geistigen) Zustandes ist (siehe fast wörtlich RefRealPerz, S. 784 o.). Das ist offensichtlich vom Konzept des
274 internen Vorkommens nicht allzu weit entfernt, so daß sich allerlei Zusammenhänge ergeben (vgl. RefRealPerz, S. 784-786; auch die rhetorische Pointe gegen Quine ist offenkundig). In FoundationsCommunication gibt Castañeda eine genauere Bestimmung an. Ihr zufolge sind Konstruktionen mit ‚kognitiven Verben‘ propositional transparent, wenn sie eine Proposition im Geist der betreffenden Person vollständig offenlegen (siehe S. 127: „... cognitive verbs that, used in accordance with the rules of the language, appear in grammatical constructions that fully reveal to Y some propositions in Z’s mind. The uses of such cognitive verbs in such constructions and the constructions themselves are, we shall say, propositionally transparent.“ „... In this case „George believes that 3 + 1 = 4“ reveals fully to anyone who hears it the proposition which is alleged to be in George’s mind“.) In dieselbe Richtung geht die noch etwas komplizierte Bestimmung in ThLE5AttributingReference; dort verlangt Castañeda von transparenten Vorkommnissen, daß jeder kompetente Interpret das sprachliche Know-How besitzt, um das, was der aufrichtige Sprecher im Gebrauch des Terms gedacht hat, festzustellen und selbst zu denken (siehe S. 93: „... a competent interpreter of T, on the assumption that C(T) is a candid use of T, has the linguistic know-how to ascertain, and hence think himself/herself, what the speaker of C(T) has thought with tE.) Ich stimme T. Kapitan zu, daß derartige Bestimmungen zu stark sind (siehe ThLOnt-Kapitan, S. 200 Anm. 20). Nach Castañeda sollen nämlich jedenfalls einige Fälle von quasi-indexikalischen Attributionen propositional transparent sein. Aber nach dem, was zumindest der späte Castañeda lehrt, ist die durch ‚(daß) er* F ist‘ in einer Zuschreibung ‚s denkt, daß er* F ist‘ vom Sprecher der Zuschreibung ausgedrückte und sicherlich auch gedachte quasi-indexikalische Proposition nicht identisch mit der günstigenfalls von der Person s gedachten indexikalischen Proposition, die sie im Deutschen korrekt durch eine Verwendung von ‚Ich bin F‘ ausdrücken könnte. Diese Einsicht hat erst R. M. Adams Castañeda in voller Schärfe nahegebracht (siehe den Briefwechsel Adams – Castañeda in ThLE9Omniscience; M. Textor kritisiert in Portraying Adams‘ Argumentation, die Castañeda letztlich akzeptiert, und präsentiert S. 147-50 ein ‚neues Gegenbeispiel‘; bei näherem Hinsehen, so glaube ich, erweist es sich jedoch als nicht wesentlich verschieden von den Beispielen, die Adams formuliert hat). Vor diesem Hintergrund halte ich die im Haupttext wiedergegebene Bestimmung der Internalität eines Vorkommens für angemessener. Sie verlangt nämlich nur, daß ein intern vorkommender Ausdruck einen Mechanismus der Bezugnahme festlegt, den die Person, der man etwas zuschreibt, verwendet oder verwenden kann oder würde. Das ist klar unterschieden von den externen Konstruktionen, und doch wird nicht gefordert, daß die propositionale Komponente, die unter Einsatz des Mechanismus ausgedrückt wird, vollständig offengelegt wird und der Zuschreibende sie selber denken kann. Überzogen ist hingegen Kapitans Kritik am Konzept der propositionalen Opakheit: Er findet, wenn Opakheit darin bestehe, daß nicht festgelegt wird, was der Betreffende denkt, dann komme nie ein Ausdruck opak vor; denn irgendein vermittelndes Attri-
275 Wenn man sich auf manifeste (aktartige, episodische) geistige Vorkommnisse wie das Denken oder Urteilen konzentriert und das Ideal der Sprecher-Bezugnahme unterstellt, dann ist die Zuschreibung eines Bezugnahmemechanismus‘ mit der seiner Verwendung identisch.104 Castañeda macht zwei Beobachtungen über die Attributionskonstruktionen geltend, die für die Beantwortung solcher Fragen nach dem internen oder externen Vorkommen von Ausdrücken in perzeptuellen Zuschreibungen aufschlußreich sind: 1. Er stellt hinsichtlich der Aussage „John sah das jüngste Mädchen der Gruppe“105 fest, daß die enthaltene Kennzeichnung in Quines Kategorien gefaßt referenziell transparent, und das heißt im gegebenen Fall extern vorkommt.106
but müsse man immer zuschreiben: „We must say that the subject referred to something qua individual (logical subject), or, more specifically, qua horse, qua flower, etc.; otherwise, we attribute nothing.“ Aber der Status des ‚logischen Subjekts‘ ist schon durch den grammatischen ‚Rahmen‘ festgelegt, in dem der opake Ausdruck vorkommt; und der Betreffende muß nicht ‚qua Pferd‘ auf die fragliche Sache bezug nehmen, selbst wenn er dann von ihr prädiziert, das sie ein Pferd ist (etwa wenn man über jemanden sagt „Er denkt von unserem Esel, er sei ein Pferd“, und in der Tat denkt er ‚Das ist ein Pferd‘). 104 Bei artikulationsfähigen zustandsartigen Einstellungen wie dem Glauben müßte man auf die Fähigkeit und Disposition zu seiner Verwendung verweisen. 105 Vgl. PBS, S. 293. 106 Zu den verschiedenen Kriterien, die Quine für Bezugnahme-Transparenz angibt, siehe FoundationsCommunication, S. 127-28. Es genügt im vorliegenden Fall als Test, daß aus „John sah das jüngste Mädchen der Gruppe“ und „Maria ist das jüngste Mädchen der Gruppe“ folgt „John sah Maria“, sofern man alle Aussagen in der gewöhnlichsten, wirkliche Personen in der konkreten Welt betreffenden Weise versteht. Ich selbst würde den Punkt ein wenig schwächer formulieren: Der externe Gebrauch der Konstruktion kommt jedenfalls so regelmäßig vor, daß er der Standard sein dürfte und gelegentliche interne Verwendungsweisen vermutlich Anreicherungen dieser Verwendung darstellen. Das klingt etwas wie Dretskes Auffassung; aber der Standard-Gebrauch ist kein ‚nicht-epistemischer‘. Diese Beobachtung der Bezugnahme-Transparenz von g in ‚s sieht g‘ ist keine Errungenschaft Castañedas; Jackson bemerkt den Punkt gleich in der Einleitung zu Perception, S. 5; siehe auch S. 155. In dem externen Vorkommen der Kennzeichnung kontrastiert ‚sehen‘ etwa mit ‚denken an‘; „John dachte an das jüngste Mädchen der Gruppe“ kann jedenfalls
276 2. Außerdem stellt er fest, daß die DASS-Aussage „John sah, daß Maria zu spät kam“ die korrelierte OBJ-Aussage „John sah Maria“ nicht impliziert oder jedenfalls ‚vielleicht nicht‘, d.h. wohl: jedenfalls in einer Gebrauchsweise nicht.107 Interessant wird diese Beobachtung erst zusammen damit, daß die entsprechende ACI-Aussage „John sah Maria, wie sie zu spät kam“ die OBJ-Aussage durchaus impliziert.108 Der Kontrast springt wohl anhand des folgenden Beispielpaares in die Augen: „John öffnete die Tür zu Marias Zimmer und sah, daß Maria sich schon wieder draußen herumtrieb“ – „John öffnete die Tür zu Marias Zimmer und sah Maria sich schon wieder draußen herumtreiben.“ Es ist wichtig, daß der Schluß von der DASS- auf die OBJ-Aussage selbst dann nicht korrekt ist, wenn man „Maria“ in der DASS-Aussage ganz klar als intern vorkommend versteht und sicherheitshalber hinzu nimmt, daß Maria wirklich existiert. Dem kann man hinzufügen:
sehr natürlich intern konstruiert werden („Wen wollte John denn den Ball eröffnen lassen?“ – „Er dachte an das jüngste Mädchen der Gruppe.“). 107 Vgl. PBS, S. 295. Auch das ist nicht neu; siehe Jackson, Perception, wo er im Anschluß an Dretske (S&K, S. 78ff.) einen primären von einem sekundären Fall von Sehen-daß unterscheidet (S. 154) und als eine notwendige Bedingung für ‚s siehtprimär, daß g F ist‘ gerade angibt, daß s Gegenstand g sieht (S. 160); im sekundären Fall muß das nicht der Fall sein. Doch ganz offensichtlich scheint die Sache nicht zu sein; vgl. Chisholm, Perceiving, S. 164: „The statement „Jones saw that a boy was running away,“ which has a propositional object, entails „Jones saw a boy,“ which has only a noun object. More generally, whenever we can say, „S perceives that x is f“ or „S perceives x to be f,“ we can infer „S perceives x“ and „S perceives an f.“ 108 Castañeda scheint das so offenkundig zu finden, daß er es nicht besonders betont. Da Dretske die ACI-Konstruktionen in ihrer Kernbedeutung als Zuschreibung eines nicht-epistemischen Sehens von Ereignissen deutet, liegt es für ihn nahe, die Implikation von ACI auf OBJ einfach so zu verstehen, daß, wer ein an einer Sache ablaufendes Ereignis sieht, auch diese Sache sieht; vgl. S&K, S. 33-34. Ich bin nicht ganz sicher, wie man einzelne anscheinende Gegenbeispiele einordnen soll. Kann man im buchstäblichen Sinn wahrheitsgemäß von einer Person sagen „Sie sah ihn noch lange winken, bis der Zug im Tunnel verschwand“, obwohl sie tatsächlich nur das Taschentuch sah? Jedenfalls sind andere Konstruktion aus der ACI-Familie, etwa „Sie sah ihn noch lange, wie er winkte...“ klarerweise unangebracht.
277 3. Die eingebetteten Termini in einer DASS-Konstruktion lassen sich allesamt recht natürlich als intern vorkommend verstehen, ähnlich wie bei nicht-perzeptuellen Zuschreibungen. 4. Der singuläre Term g in der ACI-Zuschreibung ‚s sieht g F-en‘ ist im Standardgebrauch ebenso extern wie in der entsprechenden OBJKonstruktion ‚s sieht g‘, die sie impliziert. 1.d Die Konstruktion ‚Person s sieht Gegenstand g F-en‘ erweist sich als grundlegende Zuschreibungsform, die der Zuschreibung eines demonstrativen Inhaltes dient. Auf die in aufgeführten Beobachtungen lassen sich zwei Punkte stützen: (a) Die ACI-Konstruktion, nicht die DASS-Konstruktion, dient der Zuschreibung der eigentlichen begrifflich gefaßten Wahrnehmungsinhalte. Ich nehme in Anspruch, daß der bloße weitverbreitete Gebrauch der OBJZuschreibungsform belegt, daß diese Zuschreibung etwas Wesentliches wenigsten an typischen Fällen des Sehens trifft. Daß das in der OBJ-Form Zuschreibbare wesentlich ist, findet eine Bestätigung in dem Umstand, daß es auch in der durch „John öffnete die Tür zu Marias Zimmer und sah, daß Maria sich schon wieder draußen herumtrieb“ beschriebenen Situationen nicht völlig fehlt: John sieht zweifellos allerlei Dinge in Marias Zimmer; er sieht nur Maria nicht. Man kann daher schließen, daß die DASSKonstruktion weiter vom eigentlich zugeschriebenen Phänomen des Wahrnehmens entfernt ist als die ACI-Konstruktion, und kann Castañedas Diagnose folgen, derzufolge „sehen“ in der visuellen Variante der DASSKonstruktion eigentlich bemerkt oder stellt fest („realized“) bedeutet. Die DASS-Zuschreibung im Beispiel beinhaltet vielleicht genauer etwas wie „John öffnete die Tür zu Marias Zimmer, und aufgrund dessen, was er sah, wurde ihm klar, daß sich Maria schon wieder draußen herumtrieb.“109 Der Punkt ist, daß der daß-Satz in einer DASS-Konstruktion, selbst wenn er durch und durch propositional transparent verstanden wird, den Inhalt eines Wissens spezifiziert, das sich in irgendeinem Sinn auf ein Wahrneh109
Siehe PBS, S. 295: „John sees all sorts of things that he construes as establishing that Mary (had) arrived late. ‚John saw‘ on this interpretation ... is tantamount to ‚John realized‘, or ‚It dawned upon John‘.“ Ähnlich RefRealPerz, S. 774: „One sees something, say, some person at a certain location in one’s visual field, and one infers that the person is Mary jumping.“
278 men stützt, aber nicht notwendigerweise den eigentlichen Inhalt des Wahrnehmens selbst. Vorausgesetzt daß der Kontrast zwischen den Zuschreibungsformen nicht der zwischen begrifflichem und womöglich nichtbegrifflichem Bewußtsein ist, bedeutet das, daß wir mit der Unterscheidung zwischen der DASS- und der ACI-Konstruktion zwischen dem eigentlichen, aber nichtsdestotrotz begrifflich gefaßten Inhalt des Wahrnehmens und allerlei weiteren auf das Wahrnehmen gestützten begrifflichen Inhalten des Urteilens oder Glaubens unterscheiden. (b) Die ACI-Konstruktion dient der Zuschreibung einer demonstrativen Bezugnahme. Die interessante Frage lautet dann, von was für einer Art die eigentlichen perzeptuellen Inhalte sind. Wenn der eingebettete singuläre Term in einer ACI-Zuschreibung ‚s sieht g F-en‘ natürlicherweise nicht intern vorkommt, also nicht dazu dient, dem Wahrnehmenden die Verwendung eines entsprechenden Bezugnahmemechanismus‘ zuzuschreiben, so steht die Frage im Raum, welchen Mechanismus der Wahrnehmende denn tatsächlich eingesetzt hat. Hier ist interessant zu sehen, welche Versuche F. Jackson durchgeht, um zu prüfen, ob sich das Gegenstands-Sehen (‚s sieht g‘) durch ein Sehen-daß (‚s sieht, daß ...‘) analysieren läßt. Da, wie gesehen, g in ‚s sieht g‘ extern (oder mit Quine: bezugnahme-transparent110) vorkommt, kann keine Instanz dieses Schemas durch eine Instanz von ‚s sieht, daß g F ist‘ analysiert werden. Jackson erwägt daraufhin, ob sich die OBJ-Form dadurch analysieren läßt, daß mindestens eine Einsetzungsinstanz von ‚s sieht, daß --- F ist‘ wahr ist. Er prüft dann einerseits Namen und definite Beschreibungen (Kennzeichnungen) und andererseits indefinite Beschreibungen als zulässige Einsetzungen für ‚---‘ und formuliert das Dilemma, daß Namen und Kennzeichnungen es Sehens-Zuschreibungen zu schwierig machen, wahr zu sein, während indefinite Beschreibungen es ihm zu leicht machen.111 Doch damit hat Jackson nicht alle Sorten von singulären Termen ausprobiert: Es fehlen die (reinen) Indikatoren, Demonstrativa und indexikalischen Kennzeichnungen. Es ist klar, weshalb er sie nicht erwähnt. Der plausibelste Kandidat wäre wohl ein einfaches oder komplexes Demonstrativum. Jackson ist jedoch auf der Suche nach ‚ausgewählten Einset110 111
So Jackson, Perception, S. 155. Vgl. Perception, S. 155-57.
279 zungsinstanzen des ‚Sehen-daß‘-Schemas‘.112 Probiert man eine demonstrative Einsetzung, etwa ‚s sieht, daß das da F ist‘, so ist offenkundig, daß das Demonstrativum gar nicht (in Castañedas Terminologie) intern vorkommt; denn man schreibt dem Wahrnehmenden durch die oberflächlich gesehen syntaktisch interne Verwendung von ‚das da‘ keine Verwendung eines demonstrativen Bezugnahmemechanismus zu.113 Doch damit wird auch klar, daß gerade die Zuschreibung einer demonstrativen Bezugnahme erforderlich wäre. Genau so lautet Castañedas Deutung der ACIKonstruktion ‚s siegt g F-en‘: Das tatsächlich extern vorkommende ‚g‘ markiert durch seine oberflächen-syntaktische interne Stellung die Position, an der ein demonstrativer Ausdruck stünde, wenn der Wahrnehmende seinen eigentlichen visuellen Inhalt selbst zum Ausdruck brächte. Die ganze ACI-Konstruktion mit ihrem standardmäßig externen eingebetteten singulären Term dient der Zuschreibung einer demonstrativen Bezugnahme des Wahrnehmenden und fungiert folglich als ein Quasi-Indikator für Demonstrativa, für den wir keinen eigenen Ausdruck geprägt haben.114 112
Siehe S. 157. Hier findet sich eine Inkongruenz mit Quines Konzept der Bezugnahme-Opakheit: ‚das da‘ kommt extern vor; aber aus ‚s sieht, daß das da F ist‘ und ‚Das da ist Maria‘ folgt nicht einfach ‚s sieht, daß Maria F ist‘. 114 Daß Jackson die demonstrativen Bezugnahmemechanismen nicht in Betracht zieht, generiert Folgeprobleme in seiner Behandlung des ‚primären Sehens-daß‘. Obwohl er das Gegenstands-Sehen für grundlegend hält, ist ihm klar, daß es ein ‚epistemisches‘ oder propositionales Sehen geben muß; und der Umstand, daß die DASSZuschreibung gelegentlich wahr ist, weil eine korrelierte OBJ-Zuschreibung wahr ist, während der weil-Zusammenhang manchmal auch nicht besteht, legt es ihm nahe, eine primäre Variante des propositionalen Sehens zu postulieren (siehe Perception, S. 154; mit Berufung auf Dretske). Er hält jedoch auch hinsichtlich dieser primären Variante an dem Attributionsschema ‚s sieht daß g F ist‘ fest, wobei er die ‚g‘-Position bezugnahme-opak (also in etwa: intern) versteht. Dann kommen als Einsetzungen für ‚g‘ aber wieder nur nicht-indexikalische Termini wie Namen und Kennzeichnungen in Frage. Naturgemäß erweist es sich dann als das Hauptproblem für Jackson, die Bedingung anzugeben, unter der die in der ‚g‘-Position opake (interne) Konstruktion wirklich ein primäres Sehen-daß zuschreibt. Er diskutiert verschiedene Vorschläge und Gegenbeispiele und schlägt schließlich als relevante Klausel vor: ‚s glaubt von g, daß es von ihm gesehen wird‘ (S. 164). Dazu merkt er ausdrücklich an, das ‚ihm‘ könne nicht durch ‚s‘ ersetzt werden (Anm. 9); die ‚ihm‘Position betrachtet er folglich nicht als bezugnahme-transparent. Dann ist die einzig 113
280 Ingesamt ergibt sich damit folgendes: Der Kontrast zwischen der DASSund der ACI-Konstruktion hinsichtlich der Implikation einer entsprechenden OBJ-Konstruktion dokumentiert, daß wir klar zwischen dem eigentlichen Inhalt des Wahrnehmens und allerlei darauf gestützten weiteren Inhalten des Urteilens und Überzeugtseins unterscheiden, ohne daß wir uns in irgendeiner Weise bereits darauf festgelegt hätten, daß der eigentlich Inhalt des Wahrnehmens frei von begrifflichen Aspekten ist. Die standardmäßige Internalität des zentralen singulären Terms in der ACIKonstruktion läßt ferner erkennen, daß wir diesen eigentlichen Inhalt für einen solchen halten, auf den der Wahrnehmende durch eine demonstrativ bezug nimmt.115 1.e Castañedas Interpretation der grundlegenden perzeptuellen Zuschreibungsform richtet sich gegen die Annahmen (i) nichtdemonstrativer primärer propositionaler Inhalte des Wahrnehmens, (ii) eines primitiven perzeptuellen Kontaktes mit physischen Dingen, aber ebenso gegen (iii) Sinnesdatentheorien. Um dieses Ergebnis einschätzen zu können, erinnere ich an die anscheinend naheliegende Deutung der ACI-Konstruktion ‚Person s sieht Gegenstand g F-en‘: Sie sollten den Spezialfall der Zuschreibung eines begrifflich unverarbeiteten Sehens zuzuschreiben erlauben, in dem das Gesehene jedoch kein Einzelding, sondern ein Ereignis ist. Angesichts meiner Hinplausible Deutung des ‚ihm‘ jedoch die, das es hier als Quasi-Indikator für eine mögliche Bezugnahme in der ersten Person Singular fungiert, dem Wahrnehmenden also eine Überzeugung zuschreibt, die er gegebenenfalls durch einen Satz der Form ‚Ich ...‘ ausdrücken würde. Das bedeutet jedoch, daß primäres propositionales Sehen nach Jacksons Analyse eine Überzeugung des Wahrnehmenden erfordert, die seine Fähigkeit zu ‚ich‘-Bezugnahmen, also zum Selbstbewußtsein einschließt. Jackson klärt nicht auf, worin eine solche Überzeugung bestehen kann, ohne daß die Analyse fragwürdig wird. Wenn man, wie ich es für richtig halte, die Fähigkeit zur ‚ich‘Bezugnahme als eine anspruchsvolle kognitive Eigenschaft einstuft, dann ist extrem fragwürdig, daß die primäre Variante des propositionalen Sehens diese Fähigkeit implizieren soll. Sicherlich kann man definieren, was man möchte; doch es fragt sich, ob man dabei ein der Sache nach abgegrenztes Phänomen trifft. Ich ziehe die Konsequenz, daß Jacksons ‚primäres Sehen-daß‘ ein artifizielles Konstrukt ist. 115 Vgl. genauer PBS, S. 296-98; ausführlich RefRealPerz, S. 770-804, bes. S. 792-94; ThLE6Perception, S. 120-123; J/P-Indicators § 30, S. 89-90.
281 weise darauf, daß sich diese Deutung einer Überinterpretation eines oberflächlichen grammatischen Verhaltens der Konstruktion verdankt, legt sie sich bloß mangels Alternative nahe. Castañeda hat mit der quasiindexikalischen Deutung der ACI-Konstruktion eine solche Alternative entwickelt und gut motiviert. Verfügt man über diese Interpretation, so bietet sich auch eine andere Auffassung der OBJ-Konstruktion an: Statt die OBJ-Konstruktion ‚Person s sieht Gegenstand g‘ als Zuschreibung des begrifflich unartikulierten Sehens eines Gegenstandes zu verstehen und die ACI-Konstruktion als die Variante, in der man das Sehen eines Ereignisses zuschreibt, läßt sich jetzt die OBJ-Konstruktion als Verkürzung der quasiindexikalisch interpretierten ACI-Konstruktion verstehen. ‚Person s sieht Gegenstand g‘ müßte danach als ‚Person s sieht Gegenstand g [irgendetwas tun]‘ gelesen werden, also gewissermaßen als ACI-Konstruktion, in der der Infinitiv unbestimmt bleibt und daher einfach wegfällt. Auch die OBJKonstruktion wäre nach diesem Verständnis bloß scheinbar ohne internes Element in Castañedas Sinn; zwar kommt der Akkusativ ‚Gegenstand g‘ tatsächlich bloß extern vor, aber wie in der vollständigen ACIKonstruktion dient er dazu, eine demonstrative Bezugnahme zuzuschreiben. Ein erster Schritt der Analyse von ‚Person s sieht Gegenstand g‘ wäre demnach: Person s sieht von Gegenstand g: er* [ist irgendwie], worin ‚er*‘ ein Quasi-Indikator für eine demonstrative Bezugnahme auf den Gegenstand g ist – oder vielmehr auf etwas, das tatsächlich der Gegenstand g ist, in einem zu erforschenden Sinn von ‚ist‘.116 Auf eine Formel gebracht lautet das Resultat dieser Diskussion der perzeptuellen Zuschreibungsformen so: Unser Gebrauch der gewöhnlichen Zuschreibungsformen beinhaltet, daß wir eine bestimmte Sorte von ‚Akkusativen‘ von geistigen Episoden als den eigentlichen Inhalt des Wahrnehmens auszeichnen und daß wir diesen Akkusativ als den einer geistigen Episode verstehen, die jedenfalls eine demonstrative Bezugnahme ein-
116
Ich kenne keine Passage, in der Castañeda eine solche Deutung der OBJKonstruktion als ‚Verkürzung‘ der ACI-Konstruktion ausführt; doch ich halte sie für die geradlinige Umsetzung seiner Aussage, die ACI-Konstruktion sei unsere grundlegende Form der Wahrnehmungszuschreibung.
282 schließt; dabei kann vorläufig offen bleiben, ob und in welchem Sinn diese Bezugnahme erfolgreich sein muß. Mit Blick auf die anfänglichen Deutungen der PROP-Konstruktion einerseits und der OBJ-Konstruktion andererseits kann man die doppelte Stoßrichtung dieses Ergebnisses verdeutlichen: Nach der einen Seite zielt der Stoß offenkundig gegen den Gedanken, es gebe eine primäre Ebene begrifflich artikulierten Bewußtseins, dessen Inhalt nicht-demonstrative Propositionen oder Sachverhalte sind. Nach der anderen Seite zielt der Stoß zunächst gegen die Annahme eines primitiven perzeptuellen Kontaktes mit äußeren physischen Gegenständen. Aber die alternative Konzeption der grundlegenden Zuschreibungsform ist ebenso dagegen gerichtet, anstelle eines primitiven Kontaktes mit ‚äußeren‘ Gegenständen eine primitive Begegnung mit isolierten konkreten Einzeldingen anderer Art, etwa mit Moore-Russell’schen Sinnesdaten anzunehmen. Genauer richtet sie sich in zweifacher Weise dagegen: Erstens ist ein gewöhnliches demonstratives Bezugnehmen immer ein Auswählen von etwas aus einer Mannigfaltigkeit. (‚Auswählen‘ bedeutet hier natürlich kein absichtliches Handeln.) Schon die Kontraste zwischen den gegenständlichen Demonstrativa „das“, „dies“, „jenes“ wie der zwischen den örtlichen Demonstrativa „da“ und „dort“ weisen darauf hin. Wenn unsere gewöhnliche Zuschreibungskonstruktionen den eigentlichen Inhalt des Wahrnehmens also als einen demonstrativen Inhalt hinstellen, dann stellen sie einen Wahrnehmenden zugleich als jemanden hin, der mit einer Mannigfaltigkeit konfrontiert ist, aus der er auswählt. Eine Theorie des Wahrnehmens darf sich also nicht auf eine Konzeption isolierter Einzeldinge konzentrieren, die in irgend einem Sinn ‚gesehen‘ werden, sondern sie muß in einem eine Konzeption des eigentlich zugeschriebenen demonstrativen perzeptuellen Inhaltes und der Mannigfaltigkeit entwickeln, aus der der Wahrnehmende auswählt. Deswegen steht im Zentrum von Castañedas Wahrnehmungstheorie eine Konzeption perzeptueller Felder. Zweitens ist ein demonstratives Bezugnehmen die Ausübung einer begrifflichen Kompetenz. Die Indikatoren und Demonstrativa sind ebensosehr Elemente des Sprachsystems wie etwa Verben oder Adjektive; es lassen sich plausible Bedeutungspostulate hinsichtlich der Indikatoren formulieren. Sie haben demnach eine allgemeine, abstrakte Bedeutung wie andere Ausdrücke auch, und diese Bedeutung bezieht sie in vielfacher Weise auf andere Termini. Castañedas
283 Stellungnahmen zum begrifflichen Gehalt der indexikalischen Ausdrücke fügen sich tatsächlich ohne weiteres in seine allgemeinen Aussagen zur Semantik.117 Er wendet sich demnach nicht nur dagegen, sich auf eine perzeptuelle Konfrontation mit isolierten Sinnesdaten zu fixieren, sondern gegen die ganze Idee einer primitiven, vorbegrifflichen Begegnung mit vorgefertigten Einzelobjekten. Es ist vor diesem Hintergrund nicht ganz ohne Tragik, daß er sich in Diskussionen über seine Wahrnehmungstheorie regelmäßig gegen den Vorwurf verteidigen mußte, die, wie einfach unterstellt wird, aus angeblich hinreichenden Gründen verabschiedete Sinnesdatentheorie zu rehabilitieren.118 Der Beitrag einer demonstrativen Bezugnahme zum Inhalt des Wahrnehmens besteht jedoch auch nicht einfach in der allgemeinen sprachlichen Bedeutung von „dies“. Die zentrale Frage der Wahrnehmungstheorie lautet daher: FRAGE: Wie kommen die perzeptuellen Mannigfaltigkeiten, d.h. in Castañedas Theorie die perzeptuellen Felder, und die allgemeine Bedeutung des Demonstrativum so zusammen, daß sich die demonstrativen Beiträge zu den Inhalten des Wahrnehmens ergeben? 2. Verwendungen von Demonstrativa zum Ausdruck perzeptueller Erfahrung 2.a Castañedas ‚Wanderer‘-Beispiel enthält eine Wahrnehmungssituation, die hinsichtlich der doxastischen Einstellung des Wahrnehmenden und hinsichtlich der Realität variiert wird; in allen Varianten soll sich ein Demonstrativum auf ein Element im visuellen Feld beziehen, während die doxastische Einstellung in der Kopula zum Ausdruck kommt. Meine Diskussion von Castañedas Analyse der üblichen Konstruktionen, mit denen wir Wahrnehmungen zuschreiben, zielte auf folgendes ab: Ich 117
Siehe J/P-PraussAntwort, S. 317-19; J/P-KochAntwort, bes. S. 351-57. Siehe etwa J/P-KünneAntwort, S. 276-77; J/P-SchantzAntwort, insb. S. 332-34. Siehe auch PerceptionHallerFS, S. 284: „The default case of perception is not only veridical but doxastically committal to the existence of the perceived physical objects and their perceptible properties. This crucial fact is the Waterloo of sensedatum theories.“ Man kann natürlich den Begriff des Sinnesdatum so weit dehnen, wie man möchte. In rehabilitierender Absicht dehnt ihn B. Mates in SenseData aus.
118
284 suchte in unserem gewöhnlichen Wissen über den korrekten Gebrauch solcher Konstruktionen in verschiedenen Situationen nach eigenständige Informationen darüber, inwieweit wir unterstellen, daß es einen eigentlichen, von anderen Inhalten des Denkens und Glaubens unterschiedenen Inhalt der Wahrnehmung gibt, und von welcher Art er unserer Unterstellung nach gegebenenfalls ist. ‚Eigenständig‘ sollten die Informationen in der Weise sein, daß sie nicht schon Thesen über den Charakter von Wahrnehmungen voraussetzen, zu denen man auf anderem Wege, etwa durch lokalphänomenologische Reflexionen gelangt ist. Unter demselben Blickwinkel möchte ich auf zwei Beobachtungen eingehen, die Castañeda über die demonstrativen Inhalte der Wahrnehmung macht. Die Beobachtungen sind von besonderem Interesse, weil es zu der ersten zwischen Castañeda und W. Künne eine explizite Debatte gegeben hat und die zweite auf einem Hinweis beruht, den Künne in seinem Debattenbeitrag gegeben hat. Mein Ergebnis lautet zusammengefaßt: (a) Die erste Beobachtung, die das ‚Wanderer-im-Nebel‘-Beispiel betrifft, läßt sich klarer als eigenständiges phänomenologisch-linguistisches Ergebnis darstellen, als Castañeda es tut. (b) Künne unterschätzt die Stärke dieser ersten Beobachtung gegen eine Auffassung der Art, wie er sie selbst vertritt. (c) Umgekehrt überschätzt Castañeda vielleicht die Stärke der zweiten Beobachtung, die das ‚Winziger-weißer-Punkt‘-Beispiel betrifft. (d) Die zweite Beobachtung sollte eher zur Absicherung der ersten eingesetzt werden. Das erste Beispiel besteht in einer Situation, die Castañeda in zwei Dimensionen variiert, so daß sich insgesamt vier Varianten ergeben.119 Der Geschichte zufolge bricht jemand zu einer morgendlichen Wanderung durch einen nahegelegenen Wald auf, meint plötzlich einen Ruf „Ich ertrinke!“ zu vernehmen und erlebt, nachdem er dem vermeintlichen Ruf gefolgt ist, eine visuelle Erfahrung, die in einem Urteil der Art „Das ist ein ertrinkender Mann“ kulminiert. Die beiden Dimensionen der Variation betreffen zum einen die Realität, nämlich die Frage, ob sich an Ort und Stelle wirk119
Das Beispiel findet sich mit gewissen Änderungen in ThLE6Perception, S. 112116; DirectReference, S. 122-125; J/P-Objects, S. 117-120; J/P-KünneAntwort, S. 277-281; PerceptionHallerFS, S. 286-90; PeirceAufsatz Abschnitt III.
285 lich ein ertrinkender Mann befindet, und zum anderen die doxastische Einstellung des Wanderers, nämlich ob sein Urteil von der gewöhnlichen Stärke ist, so daß der Wanderer einen wirklichen ertrinkenden Mann annimmt, oder ob er es so abschwächt, daß es nicht die Wirklichkeit eines ertrinkenden Mannes beinhaltet. Ich bezeichne die beiden Dimensionen als die Realitäts- und die doxastische Dimension. Die beiden Varianten in der Realitätsdimension bezeichne ich als veridische und als nicht-veridische visuelle Erfahrung; Castañeda klassifiziert den nicht-veridischen Fall als einen, in dem der Wanderer halluziniert.120 In der doxastischen Dimension unterscheide ich das starke vom vorsichtigen Wahrnehmungsurteil. Castañeda wählt als Ausdruckweisen für das starke Urteil „Das ist ein ertrinkender Mann“ und für das vorsichtige „Das scheint ein ertrinkender Mann zu sein“.121 Es ergeben sich so vier Fälle: (A) veridische Erfahrung (B) nicht-veridische Erfahrung (Halluzination) (C) veridische Erfahrung 120
+ starkes Urteil + starkes Urteil + vorsichtiges Urteil
In PerceptionHallerFS spricht Castañeda von einem (nicht-)veridischen Wahrnehmungsurteil, von einer veridischen Präsentation, auf die es gestützt sein kann, und von veridischen Erfahrungen; siehe S. 287. Obwohl es nicht leicht ist, präzise anzugeben, unter welchen Bedingungen eine perzeptuelle Erfahrung veridisch ist, betrachte ich die dritte Formulierung als zentral; denn die Rede von einem veridischen Urteil scheint mir nur einen eigenständigen Sinn zu haben, wenn sie impliziert, daß das Urteil wahr ist; es scheint jedoch massenhaft Situationen zu geben, die man als veridisches Wahrnehmen bezeichnen möchte, obwohl ein darin gefälltes Wahrnehmungsurteil einen Fehler aufweist; im Beispiel könnte der Wanderer es etwa statt mit einem ertrinkenden Mann mit einer ertrinkenden Frau zu tun haben; sein Fehler in der Prädikation macht aus ihm noch keinen Halluzinierenden. 121 Castañeda bezeichnet das vorsichtige Urteil als das ‚skeptische‘, was mir etwas zu philosophisch klingt; siehe etwa J/P-Objects, S. 119; ThLE6Perception, S. 113. Ich kontrastiere nicht „stark“ mit „schwach“, da sehr fraglich klar ist, ob das eine Urteil das andere impliziert. Meine Bezeichnung entspricht Künnes „cautiously“ in J/PKünne, S. 261 o. Sind die Formulierungen in den Situationen wirklich natürlich? Vielleicht wäre für das starke Urteil eine Formulierung mit räumlichem Demonstrativum „Da hinten/dort ist ein ertrinkender Mann“ üblicher. Aber auch der Diskurs „Was ist das?“ – „Das ist ein ertrinkender Mann (oh Schreck)!“ ist in Ordnung. Wichtig ist, daß die Formulierung des vorsichtigen Urteils natürlich ist.
286 (D) nicht-veridische Erfahrung (Halluzination)
+ vorsichtiges Urteil
Castañedas Hauptbeobachtungen an diesem vierfältigen Beispiel lauten: i.a Das Demonstrativum „das“ besitzt in allen vier Fällen, ob es nun in der Formulierung des starken oder des vorsichtigen Urteils vorkommt, dieselbe sprachliche Bedeutung i.b Das Demonstrativum „das“ bezeichnet in allen vier Fällen ein Element im visuellen Feld des Wahrnehmenden. ii. Der Einstellungs-Unterschied („difference in attitude“) zwischen dem starken und dem vorsichtigen Urteil besteht nicht im Subjekt DAS, also wohl: in dem, was das Demonstrativum bezeichnet, sondern im Unterschied der Prädikationsform, d.h. dem Kontast zwischen ‚ist ...‘ und ‚scheint ... zu sein‘.122 Zweifellos sind die Punkte i.b und ii. die in theoretischer Hinsicht schwergewichtigen. Denn Punkt i.b steht jedenfalls der beliebten Theorie der direkten Bezugnahme der Demonstrativa entgegen, derzufolge ein in einer normalen Situation gebrauchtes Demonstrativum einen Gegenstand im objektiven Raum bezeichnet, während Castañeda unter einem perzeptuellen Feld etwas versteht, das gegenüber der Realitäts-Dimension neutral ist.123 Und Punkt ii. klingt sehr danach, daß man ihm in einer Theorie, die wie GT eine Mehrzahl an Prädikationsformen postuliert, besonders gut gerecht werden kann. Bemerkenswert ist, daß Castañeda für Punkt i.a, also für die Einheit der sprachlichen Bedeutung, eine Begründung angibt, die zugleich i.b begründen soll: Wegen der Einheit der Erfahrung müsse die Sprache der Erfahrung genau dieselbe Semantik und Pragmatik besitzen unabhängig vom Typ der Erfahrung124; und mit dem Typ der Erfahrung meint er sicherlich zumindest, ob es sich um eine veridische oder eine nicht-veridische Erfahrung handelt.
122
Siehe PerceptionHallerFS, S. 287, Punkte (TH) für i. und (PRED) für ii.; weitgehend gleichlautend sind andere Darstellungen, bes. J/P-KünneAntwort, S. 278-79. 123 Vgl. Castañedas Diskussion von Kaplans Semantik, DirectReference. 124 Siehe PerceptionHallerFS, S. 287.
287 2.b Eine erfolgversprechende Argumentationsstrategie wäre, die einheitliche sprachliche Bedeutung des Demonstrativum zugrunde zu legen und dann für einen kategorial einheitlichen Bezug zu argumentieren. Mein Argumentationsplan ist, daß man, ohne sich schon auf die Existenz realitätsneutraler perzeptueller Felder zu berufen, die Einheit der Semantik der Demonstrative (i.a) als Tatsache unserer natürlichen Sprache ansehen kann. Künne jedenfalls räumt diesen Punkt rückhaltlos ein125, während er keine Sympathien für visuelle Felder in Castañedas Sinn erkennen läßt.126 Ein solches Vorgehen hätte folglich einen beträchtlichen dialektischen Vorteil. Dem schließt sich ein weiterer Argumentationsschritt an: Wenn die Einheit der Semantik feststeht und die Rede von dieser Einheit nicht bloß verbal ist127, ist es nicht denkbar, daß das Demonstrativum kategorial 125
Siehe J/P-Künne, S. 261 Anm. 4. Unter Verweis auf Husserl spricht er sich für die Existenz eines repräsentierenden Inhaltes, nämlich von gewissen Empfindungen („visual sensations“) aus, die er explizit von Sinnesdaten unterschieden wissen möchte und die in keinem Sinn der Bezug des Demonstrativum in irgendeiner der Situationen A bis D seien (J/P-Künne, S. 260 u.). Es kommt Künne offenbar insbesondere darauf an, daß Empfindungen Zustände von (oder Ereignisse ‚in‘) wahrnehmenden Personen und keine Objekte irgendeiner Kategorie sind, zu denen Personen in einer bestimmten Beziehung stehen (abgesehen allenfalls von der Beziehung, sie als Zustände zu haben). Obwohl Castañeda‘sche Wahrnehmungsfelder explizit keine Sinnesdaten sind, sind sie doch ‚Objekte‘ geistiger Vorkommnisse in diesem weiten Sinn; siehe die Diskussion in Abschnitt II. Allerdings habe ich in Teil EINS die Position des späten Sellars dargestellt, der Empfindungen ebenfalls mit Zuständen bzw. Ereignissen identifiziert und trotzdem zu dem Ergebnis kommt, unter bestimmten Umständen seien Empfindungen durchaus Bezüge von gewöhnlichen demonstrativen Phrasen. 127 ‚Bloß verbal‘ wäre die Rede, wenn sie der folgenden Position analog wäre: „Bank“ ist nicht mehrdeutig, sondern hat eine einzige sprachliche Bedeutung, die jedoch eigentümlich kontext-sensitiv ist: In Kontexten, in denen es um Geld geht, sind die Erfüllungsbedingungen von „x ist eine Bank“ die-und-die, doch wenn es ums Sitzen geht, sind es andere. Mein Konzept einer sprachlichen Bedeutung, die keine Kontextsensitivitäten der angedeuteten Art zuläßt, soll das umfassen, was Castañeda in der Diskussion als semantisch und pragmatisch unterscheidet: Die Sprache der Wahrnehmung, heißt es etwa in PerceptionHallerFS, S. 287 u., müsse genau dieselbe Semantik (allgemeinen Bedeutungen) und dieselbe Pragmatik (Prinzipien der Anwendung der allgemeinen Bedeutungen auf einzelne Sprechsituationen) besitzen, unabhängig vom Typ der perzeptuellen Erfahrung. Denn zweifellos gehören pragmatische Prinzipien in diesem Sinn auch zum allgemeinen System der Sprache, 126
288 Verschiedenes bezeichnet, je nachdem ob der Wanderer es in einer Situation wie der im Beispiel geschilderten zum Ausdruck einerseits des starken Urteils oder andererseits des vorsichtigen verwendet. Bemerkenswert ist, daß Künne auch diese Konsequenz offenbar akzeptiert. Doch er akzeptiert sie nicht in einem Sinn, in dem sie zu der These überzugehen erlaubt, der Bezug von „das“ sei immer ein Element im visuellen Feld, d.h. zu Castañedas Punkt i.b. Künne wendet gegen Castañedas Darstellung zunächst einmal ein, seine Einstufung der beiden nicht-veridischen Situationsvarianten (B) und (D) als Halluzinationen des Wanderers entspreche nicht ganz der Art, wie er die Geschichte ursprünglich präsentiert.128 Damit gliedert sich die Diskussion in die Frage, wie Künne die nicht als Halluzination gedeutete Situation behandelt, und in die Frage, was er über halluzinatorische Erfahrungen sagt. Die Antwort auf die zweite Frage wird zum einen das beinhalten, was Künne im Zusammenhang der Wanderer-Geschichte dazu sagt, und zum anderen das, was er darüber hinaus in seinem Beitrag zu Castañeda über Halluzinationen bemerkt. Künne schlägt vor, daß sich das Demonstrativum in allen vier Situationsvarianten auf ein ‚externes physisches Ziel‘ bezieht, ‚das man fotografieren kann‘. In den veridischen Varianten handle es sich tatsächlich um einen ertrinkenden Mann, während es in den nicht-veridischen ‚ein Fels, ein Schatten oder sonst etwas‘ sei.129 Die Struktur des starken Wahrnehmungsurteils betrachtet er dann als unproblematisch, und bezüglich der des vorsichtigen Urteils schlägt er vor, der Wanderer prädiziere in ihm von dem seiner genaueren Beschaffenheit nach unbekannten externen physischen Gegenstand, auf den er sich mit dem Demonstrativum „das“ bezieht, die
nicht zu einer einzelnen Anwendungssituation. Castañeda spricht auch kurz darauf zusammenfassend von ‚grundlegenden Regeln der Sprache‘. Eine explizite Unterscheidung zwischen pragmatischen, semantischen und syntaktischen Eigenschaften von Indikatoren trifft Castañeda in J/P-Indicators, S. 64. In der vorliegenden Diskussion sind tatsächlich solche Eigenschaften relevant, die er dort als semantisch bezeichnet, nämlich solche, die sich darauf beziehen, wie Indikatoren in einzelnen Gebrauchssituationen ihre Bezüge auswählen („pick out“). 128 Siehe S. 260 m.; Castañeda reagiert darauf in J/P-KünneAntwort, S. 279-80. 129 Siehe S. 260; Castañeda kritisiert die Identifizierung des ‚externen Zieles‘ beim vorsichtigen Urteil in J/P-KünneAntwort, S. 280.
289 Eigenschaft, wie ein ertrinkender Mann auszusehen.130 Ich bezeichne hier diesen Übergang von einer Eigenschaft F von gewöhnlichen Dingen zu Eigenschaften der Form ‚wie ein F/etwas F-iges aussehen‘, die jedoch im selben Sinn Eigenschaften gewöhnlicher Dinge sind, als Künnes prädikative Form der Abschwächung eines Wahrnehmungsurteils.131 In diesem Zusammenhang merkt Künne zu wirklichen Halluzinationen nur an: ‚Wenn der Wanderer halluziniert hätte, hätte sich sein ‚das‘ auf gar nichts bezogen. Aber natürlich wäre die sprachliche Bedeutung von ‚das‘ immer noch dieselbe gewesen.‘132 Doch an dieser Stelle wird er der Stärke der Beobachtungen nicht gerecht wird, die sich im Rahmen einer phänomenologischen Linguistik an dem vierfältigen Wanderer-Beispiel anstellen lassen. Zu diesen Beobachtungen gehören nämlich folgende: i. Wir verfügen in unsere Alltagskonzeption tatsächlich über einen Begriff von halluzinatorischen perzeptuellen Erfahrungen. ii. Gegen die prinzipielle Möglichkeit der Situationsvariante (D) (nichtveridische Erfahrung, vorsichtiges Urteil) haben wir ausgehend von dieser Konzeption nichts einzuwenden. iii. Die Verwendung des Satzes „Das scheint ein ertrinkender Mann zu sein“ zum Ausdruck eines entsprechenden Wahrnehmungsurteils halten wir in dieser Situation für korrekt und adäquat. iv. Die Adäquatheit schließt ein, daß das so ausgedrückte Urteil durchaus wahr sein kann. 130
Siehe S. 260: „In all four cases the reference of ‚that‘ is to one and the same entity, namely to what looks like a man drowning.“; S. 261: „the phrase ‚what looks like an X‘ for cautiously describing the referent of a perceptually used ‚that‘...“. Was solche ‚scheint‘- oder ‚sieht ... aus‘-Eigenschaften genauer sind, erläutert Künne nicht; doch vermutlich hat er Standarddiskussionen wie die von R. Chisholm, Perceiving, S. 43-53, im Sinn. 131 Dabei sei ‚Ding‘ so weit verstanden, wie es erforderlich ist, um auch Fälle wie die von Künne angedeuteten Schatten einzuschließen; offenbar soll ein Künne’sches ‚externes physisches Ziel‘ jedoch immer fotografierbar sein (siehe S. 260). Die Ablehnung einer Fixierung auf ‚materielle Gegenstände‘ sowie die Freude am Fotografieren geht wohl auf J. L. Austin zurück; vgl. S&S, S. 2-5 bzw. S. 31. 132 Siehe J/P-Künne, S. 261 Anm. 4; vgl. Chisholm, Perceiving, S. 162-64, bes. 16364: „When the victim of hallucination uses a demonstrative term, saying, „That is a rat“, the term „that“ may seem to indicate, or purport to indicate, but actually it indicates nothing.”
290 Unter diesen Umständen kann das Demonstrativum nicht in der Weise fungieren, wie Künne es annimmt. Denn entweder führt der fehlende Bezug zu einem wahrheitswertlosen Urteil, oder es führt zu einem falschen Urteil; beides widerspricht der vierten Beobachtung.133 Die vier soeben angeführten Punkte haben eine erhebliche Reichweite: Sie gelten auch etwa in dem Fall, daß der Wanderer weiß, daß er morgens manchmal ‚seltsame Dinge sieht‘ oder eben halluziniert, und aus diesem Grund sein Urteil vorsichtig formuliert. Es gibt keinerlei Anzeichen in unserem gewöhnlichen Sprachgebrauch, daß wir seine demonstrative Formulierung selbst in diesem Fall für inkorrekt, inadäquat oder auch nur unnatürlich fänden.134 In einem etwas anderen Zusammenhang geht Künne in seinem Beitrag noch einmal auf halluzinatorische Erfahrungen ein. Dort schlägt er für eine veridische Wahrnehmung, die die Beispielperson Mary spontan in dem Satz „Ich sehe einen vielfach gestreiften Tiger“ beschreibt, die ausführlichere Formulierung „Mir ist, als wenn ich einen vielfach gestreiften Tiger sähe“.135 Das ‚Mir ist, als wenn ...‘ klassifiziert er als einen intensionalen 133
Selbst wenn sich entgegen Künnes eigener Einschätzung das Demonstrativum etwa auf eine bestimmte mehr oder weniger gefüllte Region des Raumes bezieht, die zufällig vor den Augen des Wanderers liegen, kann man unterstellen, daß dieser Bezug nicht die in Künnes Sinn abgeschwächte Eigenschaft besitzt, wie ein ertrinkender Mann auszusehen. 134 Vgl. Castañedas Hinweis, der Wanderer habe selbst in weniger drastischen Fällen als Halluzinationen ‚nicht die geringste Intention, auf den Fels bezug zu nehmen, den Künne da gefunden hat‘ (J/P-KünneAntwort, S. 280 m.), sowie auf den Fall des „illusory innocent bystander“ (u.). Natürlich ist hier der bloße Hinweis als Einwand ausgeschlossen, ein so verwendetes Demonstrativum könne grundsätzlich nicht zur Kommunikation verwendet werden und sei daher nicht korrekt gebraucht. Denn einerseits kann man sich gewisse kommunikative Effekte so verwendeter Demonstrativa durchaus denken. Zum anderen setzte der Einwand einfach voraus, daß unsere natürliche Sprache in ihrem primären oder grundlegenden Gebrauch der Kommunikation im Sinne einer Übermittlung identischer Gedankeninhalte dient. Die angeführten Beobachtungen sind aber durchaus auch Belege dafür, daß unsere Sprache auf mindestens gleichberechtigte Weise ein Mittel des individuellen Denkens ist. 135 Siehe S. 262-63; die zweite Formulierung lautet „I feel as if I were seeing a manystriped tiger“. Alternativ bietet er an „It sensibly seems to me just as if“. Wie er den Operator versteht, ist nicht so klar. Doch eine Interpretation, auf die man wegen Künnes konjunktivischer Formulierung ‚... as if I were seeing ...‘ kommen könnte, darf man ausschließen: ‚I feel as if S‘ ist nicht analysierbar als ‚Ich befinde mich in
291 Satzoperator. Den Übergang von einem Satz S zu dem Satz ‚Mir ist, als wenn S‘ bezeichne ich als Künnes propositionale Form der Abschwächung eines Wahrnehmungsurteils. Künne betont, der abgeschwächte Satz sei mit dem ursprünglichen kompatibel und stelle daher ein Charakteristikum heraus, das einer entsprechenden veridischen Wahrnehmung und solchen Situationen, in denen der Sprecher unter einer Art von Wahnvorstellung („delusion“) leidet, gemeinsam ist, und dem Kontext zufolge soll der letztere Situationstyp Halluzinationen einschließen.136 Die in der propositionalen Form abgeschwächten Aussagen wären wohl Kandidaten für Formulierungen von Urteilen, die auch in Fällen von Halluzination wahr sind. Doch dieser Vorschlag ändert nichts an den Beobachtungen, denen zufolge eine demonstrative Aussage wie „Das sieht wie ein ertrinkender Mann aus“ ebenfalls wahre Urteile formulieren kann. Es kommt zweierlei hinzu, das die Natürlichkeit solcher demonstrativer Aussagen unterstreicht. Zum einen ist „Mir ist, als wenn ich einen Tiger sehe“ das vorsichtige Gegenstück zu „Ich sehe einen Tiger“, also zur Selbstzuschreibung eines Sehens, nicht zu „Das ist ein Tiger“, also dem gewöhnlichen Wahrnehmungsurteil über die gesehene Sache.137 Zum anderen ist der dem Fühlens-(oder Empfindungs-)Zustand, in dem ich mich befände, wenn S der Fall wäre‘. Denn in dieses Schema wäre auch mit gutem Sinn etwas wie ‚Ich befinde mich in dem-und-dem neurophysiologischen Zustand‘ für S einsetzbar, und das paßt absolut nicht zu der Situation, die Künne auf S. 262-63 skizziert. Um diese Deutung auszuschließen, formuliere ich im Deutschen das von „Mir ist, als wenn ...“ Eingebettete im Indikativ. 136 Siehe S. 263. Da Künne im Beitrag selbst auf Austins S&S verweist, in dem Austin den Sinnesdaten-Theoretikern eine Verwirrung von „illusion“ und „delusion“ vorwirft (siehe S. 20-32, bes. die zentrale Diagnose des Fehlers im ‚Argument aus der Illusion‘ auf S. 25), dürfte er „delusion“ mit voller Absicht verwenden. 137 Hier liegt wieder ein Fall vor, in dem sich Quasi-Indikatoren der ersten Person Singular allzu leicht einschmuggeln. So kann man, beeindruckt vom anscheinend grundlegenden ‚Erfolgs-Charakter‘ der perzeptuellen Verben, denken: „Der normale Fall ist, daß jemand ein gewöhnliches Ding sieht, etwa ein Pferd. Wenn er, aus welchen Gründen auch immer, die Augen offen hat und da ist gar kein Pferd, dann ‚sieht‘ er nicht etwa etwas anderes, vielleicht ein pferdiges Sinnesdatum; vielmehr sieht er gar nichts, sondern er scheint nur ein Pferd zu sehen.“ Das kann sicherlich nicht bedeuten, daß es uns scheint, als sehe er ein Pferd, denn es ist gar kein Pferd da. Es kann aber auch nicht heißen, daß es ihm scheint, als sehe er ein Pferd; daß ‚er‘ in dieser Auflösung muß nämlich als Quasi-Indikator verstanden werden, und es
292 Satzoperator „Mir ist, als wenn ...“ zwar auch auf anderes als solche Selbstzuschreibungen plausibel anwendbar. Doch eine unproblematische Formulierung wäre zunächst einmal etwas wie „Mir ist, als wenn hier irgendwo ein Tiger ist“. Es sind auch reichhaltigere Beschreibungen denkbar, etwa „Mir ist, als wenn sich hier, nur drei Meter frontal vor mir ein Tiger befindet, der auf mich zukommt“. Doch konfrontiert mit einem solchen Angebot zur Beschreibung einer perzeptuellen Erfahrung wissen wir einfach oder unterstellen jedenfalls, daß der Halluzinierende noch einen treffenderen Ausdruck für seine Erfahrung finden kann, indem er einen demonstrativen Ausdruck verwendet: „Das ...“. geht an der Sache vorbei, wenn wir dem Betreffenden, bloß weil kein Pferd da ist, einen selbstbewußten Gedanken über sein eigenes Sehen zuschreiben. Er kann einen solchen Gedanken haben, aber er muß es nicht. Tatsächlich liefert uns der Vorschlag nur zusätzlich zu ‚sehen ...‘ ein komplexes Prädikat ‚scheinbar-sehen ...‘ (oder schwächer: ‚anscheinend-sehen‘), dessen Funktionsweise noch nicht aufgeklärt ist. Man kann probieren: „Wer ein Pferd scheinbar-sieht, befindet sich in der-und-der Hinsicht in demselben Zustand, indem er sich befände, wenn er ein Pferd sähe.“ So plausibel das klingt, so sehr ist es nur der allererste Schritt in der erforderlichen Arbeit. Nur durch die Unterscheidung zwischen ‚sehen‘ und ‚scheint zu sehen‘ hat man jedenfalls nichts erreicht. Recht nahe kommt dem Kritisierten Pitcher, Perception, S. 17: „... is it necessarily true ... that a visually hallucinated man must at least be seeing or „see“ something? Well, that depends, naturally, on what it means to say that someone is seeing, or „sees“, something. If it means merely that the hallucinator thinks he sees something ... or that he has some inclination to think that he sees something ... then it can hardly be denied that a hallucinator always „sees“ something.“ (meine Unterstr. der Quasi-Indikatoren; RB) Man kann es sehr wohl leugnen; denn wer eine visuelle Erfahrung irgendeiner Art hat, muß nicht den selbstzuschreibenden Gedanken haben oder zu ihm geneigt sein, daß er* das-und-das sieht. Vgl. auch Pitcher, Perception, S. 25-26: „I take it that the words ‚a tiny white dot is before his (visual) consciousness‘ cannot mean more than (a) It looks to him as if he were seeing a tiny white dot.“ [meine Unterstr.; kursiv für Einrückung; RB.] Vgl. auch Putnam, Cord, S. 29: „Of course, if the claim that „Helen had qualitatively identical sense data on the two occasions“ is no more than philosophical newspeak for „It seemed to Helen when she dreamt as if she were seeing just what she later saw when she actually saw the Taj Mahal,“ then ... the claim is perfectly intelligible...“ Siehe dazu J/P-DöringAntwort, S. 273-74, wo Castañeda explizit ‚Das scheint F zu sein‘ von ‚Das scheint mir F zu sein‘ und ‚Es scheint mir, als sei das F‘ unterscheidet. In Künnes Fall existiert das Problem nicht, da er schon von einer Selbstzuschreibung Marys („Ich sehe ...“) ausgeht.
293 2.c Wir gestehen auch einem bewußt Halluzinierenden einen Gebrauch von Demonstrativa zu, die wir trotz der außergewöhnlichen Situation als bezugnehmend verstehen und die daher auf etwas anderes als auf Gegenstände der objektiven Welt bezug nehmen müssen. Der naheliegend Schritt ist, auf das starke demonstrativen Wahrnehmungsurteil nicht Künnes prädikative Form, sondern die propositionale Form der Abschwächung anzuwenden, so daß sich die Formulierung „Mir ist, als wenn das ein ertrinkender Mann ist“ ergibt. Das ist jedoch aus verschiedenen Gründen eine sehr problematische Position, insbesondere aufgrund der folgenden beiden theoretischen und datenbezogenen Schwierigkeiten: (a) Das Verhalten indexikalischer Ausdrücke in intensionalen Kontexten ist im allgemeinen von anderer Art als etwa das Verhalten von Kennzeichnungen. In der üblichen Terminologie ausgedrückt müssen jedenfalls Aussagen, die (oberflächlich betrachtet) einen Indikator im Bereich eines modalen Operators enthalten, als de re-Modalitäten verstanden werden. Beispielsweise muß man „Der da hätte auch gewinnen können“ so verstehen, daß von der durch das Demonstrativum bezeichneten Person eine modale Eigenschaft ausgesagt wird, also in etwa, daß eben diese Person in irgendeiner möglichen Welt das Spiel gewinnt.138 Die Funktionsweise eines Demonstrativums, das derartig in einen intensionalen Kontext eingebettet ist, daß die Wahrheit des Satzes gerade vom Vorkommen des Demonstrativums abhängt, kann man nicht wie etwa bei Kennzeichnungen als grundsätzlich bekannt und erforscht voraussetzen. (b) Es ist denkbar, daß sich jemandem auch ohne besondere perzeptuelle Grundlage massiv der Eindruck aufdrängt, der König von Frankreich befände sich in seiner Wohnung. Er weiß ganz genau, daß dieser König nicht (mehr) existiert, und trotzdem wird er den Eindruck nicht los. So jemandem gegenüber wäre die folgende Empfehlung angebracht: Ein gutes Mittel, um deine Erfahrung zum Ausdruck zu bringen, ist die Aussage „Mir ist, 138
Das bedeutet auch, daß die bereits anmerkungsweise verworfene Interpretation von „Mir ist, als wenn S“ als „Ich befinde mich in demselben Zustand, in dem ich mich befände, wenn S der Fall wäre“ hier endgültig ausgeschlossen ist; denn ein kontrafaktisches Konditional bildet einen solchen modalen Kontext, in dem Indikatoren grundsätzlich de re verstanden werden müssen. Die Wendung ‚eben diese Person‘ beinhaltet kein Vorurteil zugunsten einer strikten Trans-Welt-Identität von Einzeldingen und zuungunsten von Lewis ‚Gegenstück‘-Konzeption.
294 als wenn der König von Frankreich bei mir wohnt.“ Allerdings ist deine Verwendung von „der König von Frankreich“ dabei nicht erfolgreich; du sprichst nicht wirklich über etwas, du beziehst dich mit „der König von Frankreich“ nicht auf etwas, das du dann zu beschreiben versuchst. Wenn die demonstrative Aussage „Das sieht wie ein ertrinkender Mann aus“ des wissentlich halluzinierenden Wanderers tatsächlich die Semantik von „Mir ist, als wenn das ein ertrinkender Mann ist“ besäße und analog zur KönigsFormulierung verstanden werden müßte, dann müßte dem Wanderer gegenüber die analoge Empfehlung angebracht sein: Ein gutes Mittel, um deine Erfahrung zum Ausdruck zu bringen, ist die Aussage „Das sieht wie ein ertrinkender Mann aus.“ Allerdings ist deine Verwendung von „das“ dabei nicht erfolgreich; du sprichst nicht wirklich über etwas, du beziehst dich mit „das“ nicht auf etwas, das du dann zu beschreiben versuchst.“ Aber im Kontrast zur Geschichte mit dem König von Frankreich neigen wir, wenn wir dem wissentlich Halluzinierenden die Verwendung einer demonstrativen Aussage „Das sieht wie ein ... aus“ anraten, nicht dazu, den zweiten Satz der zitierten Empfehlung als Kleingedrucktes hinzuzufügen. Der Wanderer könnte mit einem vollem Recht zurückfragen Wieso sollte ich „das“ verwenden, wenn es sich doch auf nichts bezieht, das ich zu beschreiben versuche? – während er keineswegs mit demselben Recht eine entsprechende Rückfrage hinsichtlich der Kennzeichnung „der König von Frankreich“ formulieren könnte.139 Der Hinweis (a) ist nur eine Herausforderung an jemanden, der für den Fall des wissentlichen Halluzinierens ein Urteil der Struktur ‚Mir ist, als wenn das F ist‘ vorschlägt, die Funktionsweise des intern vorkommenden, aber 139
Diese Hinweise sind nicht einfach schematische Anwendungen der bereits im Hintergrund liegenden Theorie der Gestaltungen. Denn dieser Theorie zufolge bezieht man sich auch mit der Kennzeichnung „der König von Frankreich“ auf etwas, nämlich auf eine Gestaltung. Der Kontrast zwischen der Königs- und der WandererGeschichte zeigt vielmehr, daß die Unterstellung, ‚empfehlenswerte‘ Verwendungen von Demonstrativa seien grundsätzlich erfolgreich, viel massiver ist, als was für ein gestaltungstheoretisches Verständnis von Kennzeichnungen spricht. Künne präsentiert seine propositionale Abschwächungsform übrigens nicht etwa als subtile philosophische Analyse des Gebrauchs von „Ich sehe einen vielfach gestreiften Tiger“, die dem Sprecher womöglich gar nicht zur Verfügung steht, sondern diese Formulierung soll elliptisch sein; siehe J/P-Künne, S. 263.
295 angeblich nicht bezug nehmenden Demonstrativum zu klären. Hinweis (b) enthält einen positiven Grund, weshalb das Demonstrativum in einem solchen Fall tatsächlich nicht ohne Bezug ist oder wir es jedenfalls nicht so einschätzen. Die Tatsache, daß wir dem Wanderer auch dann, wenn er halluziniert und sich seiner psychischen Lage bewußt ist, den Gebrauch einer demonstrativen Aussage empfehlen, muß demnach folgendermaßen gedeutet werden: Wir unterstellen durchaus, der Wanderer könne in dieser Situation demonstrativ auf etwas bezug nehmen, es zu beschreiben versuchen und dabei grundsätzlich wahre Urteile fällen. Sicherlich ist der Bezugsgegenstand dabei kein fotografierbares Einzelding in der objektiven räumlichen Welt, es sei ein materieller Gegenstand oder so etwas wie ein Schatten. Falls man außerdem, wie Künne es explizit tut, eine einheitliche Semantik der Demonstrativa in veridischen und nicht-veridischen Situationen annimmt und diese Annahme nicht bloß verbal ist, dann hieße das: Der Wanderer nimmt auch in der veridischen Situationsvariante mit seinem Demonstrativum auf etwas wenigstens vom selben kategorialen Typ bezug, wie er es in der Halluzinations-Situation tut. Für diese Argumentationslinie hängt folglich einiges davon ab, wie sehr sich die Beobachtung absichern läßt, daß die Demonstrativa in beiden Situationstypen in einem ernst zu nehmenden Sinn mit derselben sprachlichen Bedeutung verwendet werden. Castañeda greift in seiner Antwort auf Künne und in seinen späten Papieren zur Wahrnehmungstheorie140 ein Beispiel Künnes auf, um auf einem direkten Weg zu belegen, daß Demonstrativa sich auch in gewöhnlichen veridischen Situationen auf ‚subjektive Elemente‘ beziehen. Das Beispiel ist die Aussage „Dieser winzige weiße Punkt ist mein Haus“, die die Beispielperson Mary aus der Ferne macht. Die Pointe des Beispiels ist, daß aus der Aussage sicherlich nicht folgt, Marys Haus sei ein winziger weißer Punkt. Künnes Lösung lautet, die Aussage enthielte implizit die prädikative Form der Abschwächung und müsse im Sinne von „Das Ding da hinten, das wie ein winziger weißer Punkt aussieht, ist mein Haus“ verstanden werden.141 Er meint selbstverständlich, darin bezöge sich das Demonstrativum auf ein Haus in der objektiven Welt und Mary prädiziere von ihm die 140 141
Damit meine ich PerceptionHallerFS und den ungedruckten PeirceAufsatz. Siehe J/P-Künne, S. 261. Das Beispiel stammt von J. Austin, S&S.
296 Eigenschaft, so-und-so auszusehen – so wie der Wanderer in seiner illusorischen, jedoch nicht halluzinatorischen Wahrnehmung von dem, worauf er sich mit „das“ bezieht. Castañeda akzeptiert ausdrücklich Künnes Beobachtungen inklusive der Explikation der ursprünglichen Aussage Marys durch die ‚sieht aus‘Formulierung. Doch er richtet gerade auf die Frage seine Aufmerksamkeit, wie dieses ‚sieht aus‘ verstanden werden muß. Er geht drei Optionen durch und schließt die ersten beiden aus: i. Das durch „Dieses Ding da hinten“ Bezeichnete hat mit dem eine Eigenschaft gemeinsam, womit es verglichen wird. ii. Die verglichenen Entitäten („items“) besitzen ähnliche Eigenschaften. iii. Das durch „Dieses Ding da hinten“ Bezeichnete ist, wie es aussieht („is what it looks like“), und das ist das Wesen von Erscheinungen.142 Es ist jedoch fraglich, ob Castañeda mit diesen Hinweisen jemanden überzeugen kann, der Künnes Grundauffassungen hat. Zum einen weisen die ausgeschlossenen Optionen (i) und (ii) offenbar auf irgendwelche komparativen Auffassungen von ‚sieht aus wie‘ hin, die sich nur darin unterscheiden, ob Identität oder Ähnlichkeit von Eigenschaften erforderlich ist. Doch eine komparative Deutung des ‚sieht aus wie‘ in einer Aussage der Austin-Künne-Art hat G. Pitcher immerhin vertreten: Der Wahrnehmende sehe am Horizont etwas, das wie ein winziger weißer Punkt aussieht, d.h. es sehe so aus, wie ein wirklicher weißer Punkt etwa aus einer Armlänge Abstand aussieht.143 Richtig ist, daß die relevante gemeinsame Eigenschaft nach dieser Auffassung wiederum eine ‚sieht aus‘-Eigenschaft ist, die nicht ebenfalls komparativ sein kann. Doch zum anderen führt Castañedas Triade nicht alle Optionen auf, die jemand mit anfänglicher Plausibilität vorschlagen kann, der ‚sieht aus‘-Eigenschaften für Eigenschaften sogenannter gewöhnlicher Dinge in der objektiven Welt und von sonst nichts hält. 142
Siehe J/P-KünneAntwort, S. 283; PerceptionHallerFS, S. 292. Siehe Pitcher, Perception, S. 25-26: [A4] „I see my house“; „[B4] I see a tiny white dot on the horizon.“; „A tiny white dot is a fairly definite sort of a physical „thing“; it is a small area of white ...“; „(B4), then, is false, if construed literally ... (B4) would naturally be understood as asserting not that the speaker sees what is in fact a tiny white dot on the horizon, but rather that he sees on the horizon something that looks like a tiny white dot – i.e., it looks the way a real white dot looks from, say, arm’s length away.“
143
297 So könnte man im Sinne einer ‚adverbialen‘ Theorie vorschlagen, ein gewöhnlicher Gegenstand sehe für den Betrachter genau dann F aus, wenn er auf die-und-die Weise kausal dafür verantwortlich ist, daß der Betrachter eine F-liche Erfahrung durchlebt.144 Diese Auffassung mag interne oder jedenfalls von der gegenwärtigen Diskussion unabhängige Probleme haben. Doch es ist sicher wünschenswert, daß die Stärke von Castañedas Deutung der Austin-Künne-Fälle nicht davon abhängt, daß zuvor auf unabhängige Weise andere nichtkomparative Auffassungen von ‚sieht aus wie‘ ausgeschlossen worden sind. Aus diesen Gründen ist es die erfolgversprechendere Strategie, die AustinKünne-Fälle nicht zu verwenden, um unmittelbar ein ‚subjektives Element‘ in der gewöhnlichen veridischen Wahrnehmung, sondern um die Einheit der Semantik abzusichern, die die Demonstrativa in der veridischen Wahrnehmung und in bewußten Halluzinationen besitzen. Die Basis für ein solches Vorgehen findet sich in dem Umstand, daß auch die Demonstrativa, deren Gebrauch wir dem bewußt halluzinierenden Wanderer anempfehlen, von der komplexen Sorte wie „Dieser winzige weiße Punkt ...“ sein können. Während der Wanderer in der gewöhnlichen Situation (A) sein starkes Wahrnehmungsurteil in die Worte (A)
Diese verschwommene Gestalt ist ein ertrinkender Mann
kleiden kann, kann er in der wissentlichen Halluzination, d.h. dem so spezifizierten Fall (D), sein vorsichtiges Urteil in der Form (D)
Diese verschwommene Gestalt sieht wie ein ertrinkender Mann aus
formulieren. Jetzt ist auf jeden Fall eine Interpretation der Juxtaposition des bloßen Demonstrativum „diese“ und der Charakterisierung „ver144
Zur Grundlegung einer solchen Auffassung siehe Chisholm, Perceiving, bes. Kapitel 8 „Sensing“ und Kapitel 10 „The Perception of Things“. Pitcher diskutiert die adverbiale Auffassung als Variante der Sinnesdaten-Theorie, die mit der ursprünglichen Auffassung von Sinnesdaten als Objekten des Gewahrseins („awareness“) konkurriert; siehe Perception, S. 38-41. Wenn Künne also sein Bekenntnis zu repräsentierenden Empfindungen (im Kontrast zu vorgestellten sinnesdatenhaften Objekten) mit einer adverbialen Charakterisierung verbände, dann liefe er Gefahr, selbst ein Sinnesdaten-Theoretiker in Pitchers Sinn zu sein. Er befände sich allerdings mit dem offiziellen Sinnesdaten-Kritiker Sellars in derselben Fraktion.
298 schwommene Gestalt“ in (D) erforderlich, die offenbar nicht auf eine solche ‚sieht aus wie‘-Eigenschaft rekurrieren kann, die nur Dinge in der objektiven Welt besitzen können. Das ist bereits ein kraftvoller Hinweis darauf, daß das komplexe Demonstrativum in (A) nicht von ganz anderer Art sein kann. Es kommt jedoch hinzu, daß sich die folgende disjunktive Aussage mit einem einzigen komplex-demonstrativen Subjektterm bilden läßt: (A/D) Diese verschwommene Gestalt ist entweder ein ertrinkender Mann oder sieht nur wie ein ertrinkender Mann aus.145 Wenn sich der Wanderer in Fall (D) hinsichtlich seiner psychischen Verfassung nicht sicher ist, ist das eine geeignete Formulierung eines Urteils, mit dem er sich die Optionen vor Augen führt.146
145
Diese Aussage unterstreicht auch die Problematik von Künnes propositionaler Form der Abschwächung, wenn man sie auf demonstrative Urteile in halluzinatorischen Erfahrungen anwenden wollte. Eine Analyse gelingt jedenfalls nicht, indem man den umgangssprachlichen pronominalen Rückbezug durch eine gewöhnliche partikuläre Quantifikation wiedergibt. Man erhielte so (A/D*): „∃x (x = diese verschwommene Gestalt ∧ (x ist ein ertrinkender Mann ∨ MIR-IST-ALS-WENN(x ist ein ertrinkender Mann)))“. Offenbar müssen gewöhnliche Dinge den Quantifikationsbereich bilden, damit das erste Disjunkt erfüllt sein kann; doch dann kann das zweite Disjunkt jedenfalls nicht in dem Sinn erfüllt sein, wie es für den Vorschlag erforderlich ist, nämlich derart, daß die demonstrative Bezugnahmeweise wesentlich ist und das Disjunkt wahr sein kann, ohne daß die Bezugnahme gelingt. 146 Falls jemand das „sie“ in (A/D) für eine ‚faule‘ Anapher hält, die durch ihr Antezendenz ersetzbar ist, so daß die beiden demonstrativen Phrasen in der resultierenden Aussage verschieden fungieren können. Ich glaube das nicht. Doch hier ist eine Aussage, die eindeutig nicht so behandelbar ist: „Genau eine von dieser verschwommenen Gestalt (links) und jener verschwommenen Gestalt (rechts) ist ein ertrinkender Mann, und genau eine sieht bloß wie ein ertrinkender Mann aus“.
299
FÜNF Wahrnehmungsfelder und die Reflexion auf ihre Inhalte I. Wahrnehmungsfelder und ihre räumliche Struktur Ich werde in diesem ersten Abschnitt von Teil FÜNF Castañedas Theorie der Wahrnehmungsfelder einführen und hauptsächlich mit Blick auf die räumliche Struktur solcher Felder diskutieren. In Unterabschnitt 1 nenne ich die zentralen Daten, die Castañeda in seiner Theorie umzusetzen versucht, und erläutere die beiden strukturellen Dimensionen von Feldern, nämlich die räumliche Struktur und die Hierarchie der Klarheit von perzeptuellen Inhalten. Dann diskutiere ich den allgemeinen ontologischen Status, den Castañeda Wahrnehmungsfeldern zuspricht. Besonders zwei Schwierigkeiten werden im weiteren eine Revision erzwingen. Die räumliche Feldstruktur läßt sich gut ausgehend von einer Argumentation gegen die physikalistische Reduzierbarkeit von visuellen Feldern diskutieren, die Castañeda an einer Stelle skizziert. In Unterabschnitt 2 präsentiere ich eine erste plausible Deutung von Castañedas Skizze. Darin wird der physikalistische Reduktionist mit zwei angeblichen räumlichen Charakteristika von Feldern konfrontiert, die Castañeda selbst in seiner Theorie der Felder umzusetzen versucht, der internen Perspektivität und der voluminöse Dreidimensionalität. Anhand einer weiteren Diskussion von W. Sellars‘ Wahrnehmungstheorie zeigt sich, daß basale Felder die volle Dreidimensionalität nicht besitzen und zusammen mit der internen Perspektivität gar nicht besitzen können. Eine Gestaltungstheorie von Wahrnehmungsfeldern muß daher so geändert werden, daß sie dieses problematische Charakteristikum nicht mehr im Konzept basaler Felder umzusetzen versucht. In Unterabschnitt 3 gebe ich eine zweite Deutung von Castañedas Argumentationsskizze an. Zusammen mit Teilen einer generellen Überlegung zur räumlichen Struktur von Feldern, die auch für sich gegen eine physikalistische Reduktion spricht, wird sie zeigen, daß die räumliche Struktur von Feldern vorbehaltlich einer abschließenden metaphysischen Reduktion ernst genommen werden muß. Das bestätigt die Entscheidung, auch primitivste visuelle Bestimmungen als intentionale Inhalte zu konzipieren.
300 1. Wesentliche Bestimmungen und Probleme von Castañedas Theorie der Wahrnehmungsfelder 1.a Castañeda nimmt vier zentrale Daten über die Wahrnehmung auf: die Feldhaftigkeit ihrer Objekte; die Homogenität ihrer Inhalte; die raumzeitliche Strukturierung; die Hierarchie der Klarheit. Man kann vier ganz allgemeine Charakteristika aufführen, die Castañeda auf dem Weg einer lokalen phänomenologischen Reflexion aufnimmt und denen er in seiner Theorien der Wahrnehmungsfelder möglichst unmittelbar gerecht zu werden versucht: i. Die primären Objekte der (visuellen) Wahrnehmung sind Felder, nicht etwa einzelne gewöhnliche Gegenstände oder Repräsentanten von ihnen und auch nicht einzelne Sachverhalte oder Propositionen.1 ii. Die Inhalte der Felder sind homogen oder einheitlich, d.h. sie sind von gleicher Art unabhängig von der Realitätstreue des jeweiligen Inhaltes.2 iii. Wahrnehmungsfelder besitzen eine räumliche, genauer eine raumzeitliche Struktur. iv. Wahrnehmungsfelder weisen eine Hierarchie der Klarheit der Inhalte in ihnen auf; zumindest in der visuellen Wahrnehmung gibt es einen Kern in der Mitte des Feldes, in dem Inhalte mit besonderer Klarheit erscheinen.3 Castañeda orientiert seine Datenaufnahme und Theoriebildung weitgehend am paradigmatischen Fall der visuellen Wahrnehmung, erhebt jedoch explizit den Anspruch, die Diskussion treffe mit entsprechenden Änderungen auch auf Hören und Tasten zu.4 Um diesen allgemeinen Anspruch anzu1
Siehe PBS, S. 287: „To perceive is not so much to perceive this or that, but to perceive a perceptual field, in which there is, often, this or that. Visual fields ... are the primary objects of visual consciousness.“ Die Gegenposition klassifiziert er als Atomismus (S. 287). Ob das ‚Atom‘ ein Gegenstand oder ein Sachverhalt sein soll, ist zweitrangig. 2 Siehe PBS, 286; der ‚beeindruckende einheitliche Charakter aller visuellen Erfahrung‘ zählt zum ‚wichtigsten Einzeldatum‘ über das Sehen. In PBS, S. 291f. heißt der Aspekt „homogeneity“ statt „unity“. 3 Siehe PBS, S. 289-90; die Termini dort sind „stratification“ und „nuclear core“; im Deutschen vermeide ich „nuklearer Kern“. 4 Siehe PBS, S. 286. Essenziell für die Übertragbarkeit der ontologischen Resultate auf andere Sinnesmodalitäten ist vor allem die den einzelnen Wahrnehmungsinhalten
301 deuten, werde ich weitgehend von perzeptuellen Feldern oder Wahrnehmungsfeldern, -räumen etc. sprechen. Die Art, wie eine Theorie die beiden die Struktur der Wahrnehmungsfelder betreffenden Punkte (iii) und (iv) umsetzt, ist sehr eng damit verbunden, welchen ontologischen Status sie solchen Feldern und ihren Inhalten überhaupt zuspricht. Ich werde diese Punkte daher genauer diskutieren. Für den ontologischen Status ist in Castañedas Theorie die räumliche Strukturierung sogar wichtiger als die Klarheitshierarchie. Ich werde sie deshalb in diesem Abschnitt ausführlich behandeln und die Hierarchie der Klarheit zuvor nur soweit skizzieren, wie es für die Behandlung der Raumstruktur unbedingt erforderlich ist. Essenziell an Castañedas Konzeption der Klarheitshierarchie ist die Unterscheidung dreier Ebenen: Erstens unterscheidet er den Grenzfall eines Wahrnehmungsbewußtseins, dem sich keinerlei Struktur seines visuellen Feldes in irgendeiner Klarheit darbietet, von höheren perzeptuellen Bewußtseinsformen; er bezeichnet den Grenzfall als sensorisches Bewußtsein und entsprechende Felder als sensorische.5 Zweitens gibt es höhere Stufen des Wahrnehmungsbewußtseins, in denen gewisse Strukturen des Feldes klarer werden; er spricht hier im Kontrast zu bloßem (sensorischem) Bewußtsein von Gewahrsein und nennt entsprechende Felder (in einem ‚eigentlichen‘ Sinn) Wahrnehmungsfelder im Kontrast zu sensorischen.6 Drittens soll das Gewahrsein in Wahrnehmungsurteilen kulminieren, die typischerweise von Gegenständen handeln, die sich im Kern des Wahrnehmungsfeldes präsentieren.7 Zum kumulativen Charakter des Bewußtzugrunde liegende räumliche Struktur, da sie überhaupt von einem Feld zu sprechen gestattet. Beim Geruchssinn ist schon das zweifelhaft. Auch weist keine andere Modalität etwas wie den scharf umrissenen Kern im visuellen Feld auf. Die häufig unreflektierte Orientierung am visuellen Paradigma kritisiert und korrigiert etwa C. D. Broad in Perception (1952), doch gerade seine Differenzierungen zwischen Sehen und Hören berühren keine fundamentalen ontologischen Fragen. Die zentralen ontologischen Resultate der Diskussion visueller Wahrnehmung lassen sich jedenfalls auf Hören und Tasten übertragen, da der Feldcharakter offenkundig ist. 5 Siehe PBS, S. 336: „purely sensory consciousness“, „sensory fields“. 6 Siehe PBS, S. 338: „In episodes of (full, or genuine) perceptual awareness a person confronts a genuine perceptual field, not a merely sensory one.“ 7 S. 340: „The culmination of an episode of perceptual awareness is a hierarchical bundle of perceptual judgments.“
302 seins gehört es, daß auf den höheren Stufen Aspekte der niedrigeren erhalten bleiben. So befinden sich typischerweise die periphären Partien genuiner Wahrnehmungsfelder auf der Stufe bloßen sensorischen Bewußtseins, und Wahrnehmungsurteile lassen sich als besonders prägnante Fälle des genuinen perzeptuellen Gewahrseins verstehen, neben denen immer auch weniger ausgeprägte Formen eines nicht mehr bloß sensorischen Bewußtseins existieren.8 Wichtig am Verhältnis der drei Ebenen ist folgendes: Die Strukturen der allgemeinen Gestaltungstheorie lassen sich am einfachsten auf die explizit begrifflich artikulierten Wahrnehmungsurteile anwenden, da die Theorie ursprünglich für explizite Prädikationen entwickelt wurde. Doch die Inhalte auf den beiden unteren Ebenen sollen nicht von vollkommen anderer Art sein, sondern eher weniger artikulierte Varianten der propositionalen Inhalte von Wahrnehmungsurteilen sein, bis hin zu völlig unartikulierten sensorischen Inhalten. Man kann sich daher an Castañedas ausdrücklichen Bestimmungen über die gestaltungstheoretische Form der Inhalte von Wahrnehmungsurteilen orientieren, wenn man sich über die Inhalte der niedrigeren Ebenen Klarheit verschaffen möchte. 1.b Castañedas Reduktion der Wahrnehmung auf das Vorkommen von Feldern verlangt, daß Positionen von Wahrnehmungsräumen zu der in GT nicht vorgesehenen Kategorie primitiver Einzelner gehören. Wenn man sich an der allgemeinen Gestaltungstheorie orientiert, so erwartet man, daß zweierlei in keiner Erweiterung oder Spezifizierung der Theorie aufgegeben wird: erstens daß abstrakte Universalien die inhaltlichen Grundbestandteile sind9, die durch eine Anwendung ebenfalls abstrakter Operatoren auf denkbare Individuen abgebildet werden sowie schließlich Objekte in einem robusteren Sinn bilden, besonders gewöhnliche wirkliche Einzeldinge; zweitens daß Vorkommnisse von Geistigkeit in einem Bezogensein auf denkbare Individuen der genannten Art oder besser
8
9
Zum ‚kumulativen‘ Charakter siehe neben PBS, S. 336-37 und S. 340-41 besonders PhLI-I-Structures Abschnitt 3.2, S. 277-282. Siehe die eindeutige Stellungnahme in TSW, S. 239: „In good old Platonistic style, the abstractist conception of the world takes properties by themselves, that is, separated from particulars, to be the ultimate components of the world.“
303 auf propositionale Inhalte bestehen, die vermittels verschiedener Selbigkeitsbeziehungen wie C* oder C** aus solchen Individuen gebildet sind.10 In seiner Wahrnehmungsontologie hält Castañeda allerdings einige Besonderheiten parat, die es zweifelhaft erscheinen lassen, daß diese zwei Punkte wirklich zum unveränderbaren Kern von GT gehören. Lediglich auf den ersten Blick erfüllt sich die genannte Erwartung. Es heißt nämlich in PBS ausdrücklich, Bewußtsein sei ‚nichts an sich selbst als reine Intentionalität‘, es sei ‚nichts außer der Offenlegung von diesem oder jenem‘, ‚sein Sein sei eben seine Intentionalität oder sein Sein auf etwas anderes hin‘, und dabei zählt Castañeda sensorisches Bewußtsein ausdrücklich zu den intentionalen Phänomenen.11 In der zweiten großen Arbeit zur Wahrnehmungstheorie RefRealPerz von 1980 betont er, der Gehalt des Bewußtseins ‚sei einfach das Universale‘, und daher müßten Eigenschaften und abstrakte Entitäten unterschiedlicher Art die ultimativen Konstituenten des Denkbaren sein.12 Diesen allgemeinen Auskünften Castañedas, die mit dem Kern der allgemeinen Gestaltungstheorie übereinstimmen, stehen jedoch Formulierungen gegenüber, die den perzeptuellen Feldern eine starke ontologische Eigenständigkeit zusprechen und schließlich in folgendem Prinzip kulminieren: „(P.A.*2) Reines perzeptuelles Gewahrsein ist einfach die Realität von Wahrnehmungsfeldern, ebenso wie sensorisches Bewußtsein bloß die Realität sensorischer Felder ist.“13
Aufgrund dieser Eigenständigkeit der Felder muß die Theorie zusätzlich zum Vorkommen sensorischer oder perzeptueller Felder eine primitive Ap-
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Ich zähle hier die Selbigkeitsbeziehungen zu den Operatoren, da sie aus Gesättigtem (Individuen) etwas Gesättigtes erzeugen (Propositionen). 11 Siehe PBS, S. 338: „... consciousness exists spread about in the world and is nothing in itself but pure intentionality.“ S. 286 „...consciousness is nothing except the relevation of this or that: its being is just its intentionality or its being toward something else.“ S. 337: „the intentionality of sensory consciousness“. 12 Siehe RefRealPerz, S. 814: „Since the content of consciousness is simply the universal, properties and abstract entities of different sorts must be the ultimate constituents of the thinkables.“ S. 792: „...the contents of the mind are universal.“ 13 Siehe PBS, S. 338.
304 prehension von Feldern annehmen.14 An Bewußtsein im strikten Sinne von (P.A.*2), d.h. als Realität eines Feldes, ist kein ‚Sein auf etwas anderes hin‘ zu erkennen; erst die Apprehension eines solchen Feldes durch ein geistiges Wesen scheint ein intentionales Bezogensein herzustellen.15 Dasjenige Theorieelement, welches eine solche grundlegende Bestimmung von Wahrnehmungsfeldern angibt, die die in (P.A.*2) formulierte ontologische Eigenständigkeit der Felder ermöglicht, ist sicherlich die Aussage, alle Wahrnehmungsfelder besäßen einen eigenen Raum, der von den Räumen der Felder anderer Sinnesmodalitäten sowie vom physischen Raum verschieden ist. Genauer soll es sich um Raumzeiten handeln; ich werde den zeitliche Aspekt jedoch im allgmeinen außer acht lassen. Ich werde nun sechs Erläuterungen zum Status der perzeptuellen Räume und ihrer Elemente geben, die zum Teil Probleme aufwerfen. Zwei der Probleme halte ich für unüberwindbar, so daß Castañedas Theorie abgeändert werden muß. Da Castañedas Angaben hinsichtlich der Ebene der Wahrnehmungsurteile am detailliertesten sind, was den Status und die Struktur der Inhalte von Wahrnehmungsfeldern betrifft, orientiere mich primär an diesen Angaben. Ich unterstelle dabei, daß für Castañeda auch auf der Ebene des perzeptuellen Gewahrseins, das noch nicht den Rang von Urteilen erreicht, und letztlich auch auf der Ebene bloßen sensorischen Bewußtseins perzeptuelle Inhalte vorliegen, die sich nicht grundsätzlich von den Inhalten der Wahrnehmungsurteile unterscheiden. Es geht mir hier um den Status von Wahrnehmungsfeldern im weitesten Sinn im Hinblick auf ihre räumliche Struktur. Ob sie bloß sensorische oder genuin perzeptuelle Felder sind oder darunter gar solche, die Wahrnehmungsurteile einschließen, spielt zunächst keine entscheidende Rolle; allerdings läßt sich zumindest eines der Hauptprobleme (Punkt 6) besonders klar für Felder jenseits des bloß Sensorischen feststellen.
14
Siehe PBS, S. 298. „Apprehension“ steht allerdings im proto-theoretischen Teil von PBS; es findet sich kein bestimmtes Element der im zweiten Teil präsentierten Theorie, das die proto-theoretische Annahme einer primitiven Apprehension umsetzt. 15 Die Eigenständigkeit der Felder betont Castañeda auch später; siehe PhLI-IStructures, S. 290 Anm. 2, mit Verweis auf PBS: „There is ... a reductionism I have adopted: the economical view that reduces visual consciousness to the occurrence of visual content.“
305 1. Perzeptuelle Raumpositionen müßten primitive Einzelne sein, die zu keiner in GT vorgesehenen Kategorie gehören. Castañeda meint mit der Pluralität von perzeptuellen Räumen keinen Unterschied in der allgemeinen räumlichen Struktur der Felder bzw. der physischen Welt, obwohl Daten über Differenzen in der Geometrie eine große Rolle für die Annahme eigenständiger perzeptueller Räume spielen16, sondern eine Pluralität von Entitäten. Wichtig ist, daß jeder visuelle Raum eine eigene dreidimensionale ‚Mannigfaltigkeit‘ sein soll17 und daß Castañeda klar zwischen den Räumen selbst und ihren Inhalten unterscheidet, die nur zusammen ein visuelles Feld ausmachen sollen18; er läßt sogar leere („void“) visuelle Raumzeiten zu.19 Die Inhalte eines visuellen Feldes sind demonstrative Einzelndinge20, und damit meint er zweifellos spezielle individuellen Gestaltungen, nämlich demonstrative Gestaltungen. Ausdrücklich gehören zu diesen Inhalten nicht nur Gestaltungen, die mit ‚dinglichen‘ demonstrativen Phrasen wie „Dieser rote Ball ...“ ausdrückbar sind, sondern auch solche, die durch ‚positionale‘ Demonstrative wie „hier“ oder „jetzt“ ausgedrückt werden.21 Das kann man nur so verstehen, daß die Elemente der Mannigfaltigkeiten, die die visuellen Räume sind, im Gegensatz zu den Inhalten der Felder keine demonstrativen Gestaltungen sind. Die Elemente der Mannigfaltigkeit können treffend als Positionen bezeichnet werden, obwohl Castañeda diese Bezeichnung auch für gewisse demonstrative Gestaltungen zu verwenden scheint. Legt man die allgemeine GT zugrunde, so wird es jedoch schwierig, eine Kategorie von GT zu finden, unter die solche Positionen perzeptueller Räume gehören können. Positionen sind sicherlich keine ein- oder mehrstelligen Universalien, weder individuelle (F-heit) noch prädizierbare (F). Operatoren sind sie ganz gewiß nicht. Sie sind aber gewiß auch keine nicht-demonstrativen individuellen Gestaltungen. Falls man, und das ist 16
Siehe etwa PBS, S. 290; siehe meine Bedenken unten. Siehe PBS, S. 308 (VS.2.) und (VS.3.). 18 Siehe dort (VS.7.). 19 Siehe (VS.1.). 20 Siehe (VS.8.). 21 Siehe (VS.8).: „Special cases of these [i.e. of the ‚contents‘ which are ‚all demonstrative particulars‘] are the two visual aspects of the Origin ...“ mit Verweis auf (VS.4.): „... Origin separates into the Here ... and the Now ...“. 17
306 wohl alternativlos, die Verschiedenheit selbst strukturgleicher perzeptueller Räume auf die Verschiedenheit ihrer Elemente zurückführt, dann bedeutet die Annahme derartiger perzeptueller Räume eine Erweiterung des in GT vorgesehenen ontologischen Bestandes um eine Kategorie, die ich als die primitiver Einzelner bezeichne.22 Der Unterschied dieser Kategorie zu den individuellen Gestaltungen läßt sich auf zwei Weisen bestimmen: Erstens gibt es Gestaltungen ganz unabhängig davon, ob sie auf stärkere (konsubstantiative) oder schwächere (konsoziative) Weise in der Wirklichkeit eine Rolle spielen. So gilt etwa, wenn α eine Gestaltung bezeichnet, nicht generell ‚∃x x = α → C*(α, α)‘, d.h. in etwa ‚Wenn es die Gestaltung α überhaupt gibt, dann ist sie auch wirklich im Sinn des Selbst-Konsubstantiiertseins‘. Ähnlich gilt auch, wenn φ eine Eigenschaft bezeichnet, nicht generell ‚∃F F = φ → ∃x [x(F) ∧ C*(x, x)]‘, d.h. daß die betreffende Eigenschaft konsubstantiativ exemplifiziert ist. In bezug auf primitive Einzelne dagegen wäre der partikuläre Quantor zugleich ein existenzieller. Zweitens können Gestaltungen mit Eigenschaften nur vermittels der Prädikationsformen von GT eine Proposition, d.h. einen wahrheitsfähigen Inhalt bilden. Wenn π1 ein primitives Einzelnes ist, so dürfte es mit einer beispielsweise räumlichen Relation R2 eine monadische Eigenschaft R2π1u bilden; insoweit verhält es sich genauso wie eine Gestaltung c{F}, die auf der Ebene der Eigenschaften in GT mit einer Relation R2 eine Eigenschaft R2c{F}u. Doch auf der Ebene der Propositionen von GT kann man eine zweite Gestaltung c{G} nicht einfach an die andere Stelle setzen kann, um eine vollständige Proposition zu bilden; die Theorie verlangt nämlich, daß in die Bildung jeder Proposition eine der Prädikationsformen von GT involviert ist, so daß etwa ‚C*(c{G}, c{G}[R2c{F}u])‘ eine Proposition ausdrückt.23 Im scharfen Kontrast zu diesem Verhalten von Gestaltungen spricht jedoch nichts dagegen, daß für 22
Im Englischen würde ich sie „primitive particulars“ nennen. „Einzeldinge“ suggerierte u.a. eine zeitliche Erstreckung. ‚Primitiv‘ nenne ich sie, weil sie anders als Gestaltungen nicht gänzlich aus Entitäten anderer Kategorien aufgebaut sind. 23 Zur Unterscheidung zwischen der Eigenschafts- und der Propositionen-Ebene in GT siehe Teil ZWEI. Diese Unterscheidung ist kein idiosynkratisches Postulat der Theorie, sondern eine Theorie wie GT ist naturgemäß darauf verpflichtet, daß bei der Bildung wahrheitsfähiger Inhalte der existenzielle Status von Gestaltungen festgelegt werden muß.
307 ein zweites primitives Einzelnes π2 R2π1π2 ein wahrheitsfähiger Inhalt ist. Was wollte man mehr an Wahrheitsfähigkeit, wenn etwa π1 und π2 Positionen in demselben visuellen Feld sind und R2 eine räumliche Beziehung? Entweder stehen sie in der Beziehung oder nicht. 2. Der Dualismus von Raumpositionen und Gestaltungen wäre ein Fremdkörper in GT. In PBS führt Castañeda zunächst allein in bezug auf visuelle Räume, also unabhängig von der Frage ihrer Inhalte, einen ‚Ursprung‘ („Origin“) des Koordinatensystems für solche Räume ein, den Castañeda auch als Hier-Jetzt bezeichnet.24 Unter den Inhalten eines visuellen Feldes sollen sich speziell ‚visuelle Aspekte‘ dieses Ursprungs befinden, die ausdrücklich ‚demonstrative Einzeldinge‘, also individuelle Gestaltungen sein sollen.25 Das suggeriert einen Dualismus von Positionen, also den Elementen von perzeptuellen Räumen, und Gestaltungen, welche ‚Aspekte‘ von ihnen sind, der von der nicht-fregeschen, nämlich den Dualismus von Sinn und Bedeutung ablehnenden Grundposition abwiche. Womöglich rechtfertigt die Einzigartigkeit von Wahrnehmungsfeldern eine solche Abweichung. Auffällig ist jedoch, daß im Zusammenhang mit dem Raum dieser Felder ganz analog vom physischen Raum die Rede ist, so als wären seine Positionen ebenfalls primitive Einzelne.26 Unser semantisches und kognitives Verhältnis zu Raumpositionen ist allerdings kein prinzipiell anderes als das zu gewöhnlichen Dingen im Raum. Im allgemeinen geht Castañeda tatsächlich mit Gestaltungen von objektiven Raumpositionen um, die Konsubstantiationsbündel bilden, und er propagiert ausdrücklich eine Gestaltungstheorie von Zeiten und Orten.27 Es ist 24
Siehe PBS, S. 308, (VS.3-4). Siehe dort (VS.8.): „two visual aspects of the Origin“. Castañedas Rede vom Ursprung ist ziemlich verzwickt; nach PBS, S. 310, soll der Ursprung sogar mehreren Feldern desselben Wahrnehmenden gemeinsam sein: „The Origin common to several perceptual fields ...”. Von Hinweisen im Text abgesehen findet sich mein wichtigster Grund dafür, daß Castañeda zwischen primitiv-einzelnen perzeptuellräumlichen Positionen, darunter dem Ursprung, und perzeptuellen Gestaltungen unterscheiden muß, in der nächsten Sektion 1.c, Punkt 3. 26 Siehe besonders PBS, 307, wo perzeptuelle Raumzeiten mit der physischen zu einem vieldimensionalen System von Raumzeiten verknüpft auftreten. 27 Siehe PBS selbst, S. 346 (1.e.1): „There exists a physical (guise) place p‘ such that p‘ is consubstantiated with ...“; siehe besonders ThLE10Noumenon, S. 173: „Pat25
308 auch nicht erkennbar, wieso die Überlegungen, aufgrund deren er gewöhnliche Gegenstände als Systeme von Gestaltungen konstruiert, nicht ebenso auf Orte zutreffen sollen. Besonders plastisch gilt das für das sogenannte ‚Kant-Frege-Verschwinden der primären Gegenstände‘: Wenn nach Frege Ausdrücke in indirekter Rede ihre gewöhnlichen Sinne bezeichnen und nach Kant alle meine Vorstellungen von einem stillen ‚Ich denke‘ begleitet werden, dann sei letztlich jegliche Rede und jegliches Denken indirekt, und die von Frege vorgesehenen primären Gegenstände seien nie semantische Bezüge.28 Es macht dabei keinen wesentlichen Unterschied, ob in der vermeintlich direkten, doch tatsächlich verschwiegen-indirekten Rede eine Kennzeichnung für einen Blumentopf oder für einen Ort liegt. 1.c Weitere Aspekte und Probleme: das Eingehen primitiv-einzelner Positionen in Gestaltungen; die fehlende Erklärungskraft primitiver Einzelner; der ontologische Primat der perzeptuellen Räume; die Unmöglichkeit des Vorkommens der Prädikationsformen in Feldern. 3. Einige in demonstrative Gestaltungen eingehende Eigenschaften müßten primitiv-einzelne Raumpositionen einschließen. Der erläuterte Dualismus suggeriert zunächst eine strikte Trennung der Ebenen der perzeptuell relevanten Gestaltungen und der Ebene der ‚wirklichen‘ räumlichen Positionen von Wahrnehmungsfeldern. Orientiert man sich an Castañedas Angabe der Form demonstrativer Gestaltungen, so läßt sich die Trennung jedoch nicht aufrechterhalten. Demonstrative Gestaltungen, wie sie in Wahrnehmungsurteile eingehen, sollen die Form haben ‚c{φ1, ..., φn, in R sein zum visuellen Hier-Jetzt[s, p, t]}‘29, worin ‚R‘ für eine räumliche Beziehung, ‚s‘ für einen Wahrnehmenden, ‚p‘ für einen Ort sowie ‚t‘ für eine Zeit in der physischen Raumzeit stehen. Die ausgezeichneten Kernelemente von der Art in R sein zum visuellen Hier-Jetzt[s, p, t] bezeichne ich als lokalisierende Eigenschaften. Im Kontext ist vom ‚Ursprung Hier-Jetzt‘ die Rede ist,30 ently we need the Guise Theory of times and places to go hand in hand with that of the I-guises and selves, and of physical objects.“ 28 Siehe etwa I-Guises, S. 122f. Castañeda bemerkt, daß Kants und Freges Auffassungen darin verkürzt und vielleicht verzerrt sind. 29 Siehe PBS, S. 343: „c{being φ1, ..., being φn, being R to visual Here-Now[John, p, t]}“. 30 S. 342: „the origin Here-Now“.
309 und das legt nahe, daß der Ursprung selbst und nicht etwa Gestaltungen ‚von‘ ihm die räumliche Beziehung, ausdrückbar beispielsweise durch „dort drüben“31, an der einen Stelle absättigen. Die räumliche Eigenschaft in R sein zum visuellen Hier-Jetzt schlösse dann den Ursprung selbst ein. Der entscheidende Punkt ist, daß man Castañedas Aussagen nicht einfach zu seinen Gunsten glätten und die durch ‚visuellen Hier-Jetzt[s, p, t]‘ bezeichnete Entität, die die zweistellige Eigenschaft R zu einer monadischen Eigenschaft herunterstuft, mit einer Hier-Jetzt-Gestaltung identifizieren kann. Denn wenn solche Ursprungs-Gestaltungen an die eine ungesättigte Stelle der von R bezeichneten Beziehung treten sollten, dann bliebe der Aufbau dieser Hier-Jetzt-Gestaltungen selbst ungeklärt. Sie könnten nur dann von der Form c{ein Ort sein, in R sein zum visuellen Hier-Jetzt[s, p, t]} sein, wenn R etwa für die Identitätsbeziehung oder die Beziehung des Abstand-Null-Habens-zu steht und ‚Hier-Jetzt[s, p, t]‘ für etwas Primitiveres als eine Hier-Jetzt-Gestaltung steht, und für dieses Primitivere kommt wieder nur eine primitiv-einzelne Position in einem perzeptuellen Raum in Frage. Andernfalls ergäbe sich ein Regreß von Hier-Gestaltungen, die zu ihrem Aufbau immer wieder andere Hier-Gestaltungen erforderten, die die Beziehung R jeweils zu einer monadischen Eigenschaft herunterstufen.32 Castañeda ist demnach auf eine substanzielle Unterscheidung zwischen perzeptuell-räumlichen Mannigfaltigkeiten von Positionen und den demonstrativen Inhalten perzeptueller Felder verpflichtet. 4. Ein Erfahren von Qualitäten als in Einzelnem exemplifiziert wird nicht erklärt durch die Präsenz primitiver Einzelner, sondern von Intensionen wie dem c-Operator. Castañeda formuliert in PBS eine knappe lokalphänomenologischen Charakterisierung eines visuellen Feldes, in der sich folgende Aussagen über die erfahrenen Qualitäten und Beziehungen finden: Diese Qualitäten und Relationen seien dem Wahrnehmenden nicht als abstrakte Entitäten präsent, fern in ihrem platonischem Reich, sondern konkret, als an verschiedenen Positionen in seinem visuellen Feld exempli31 32
S. 342: „over there“. Diese Überlegung zeigt endgültig, daß die Positionen eines Wahrnehmungsraumes selbst keine individuellen Gestaltungen sein können; denn zumindest die Ursprungsposition ist nach Castañedas Konzeption erforderlich, um allererst die Eigenschaften im Kern von demonstrativen Gestaltungen zu bilden, die eine räumliche Verortung der Gestaltung im visuellen Feld beinhalten.
310 fiziert und als in Einzeldingen inhärent.33 Die Frage ist, was von diesem Datum durch die Theorie der Wahrnehmungsräume erklärt wird. Wenn visuellen Feldern ein System primitiver räumlicher Einzelner zugrunde liegt, so werden die unterschiedenen Einzelnen sicherlich mithelfen müssen, die erfahrenen Qualitäten räumlich zu differenzieren. Aber daß sie als exemplifiziert und als in Einzeldingen inhärent erfahren werden, wird nicht durch die primitiven Raumpositionen erklärt, sondern dadurch, daß die Qualitäten in Gestaltungen eingehen, also dem Konkretisierungsoperator c unterworfen sind. Ironischerweise ist eine unmittelbare Präsentation mit primitiven Einzelnen, falls es so etwas geben sollte, denkbar ungeeignet, um ein Gewahrsein von etwas als konkretem Einzelnen zu konstituieren. Denn es ist unbegreiflich, wie der Geist aus einem solchen kompakten Einzelnen den Charakter der Einzelheit einfach herauslesen soll. Vielmehr muß ein unmittelbares Gewahrsein von etwas als konkretem Einzelnen auf der Präsenz einer Universalie oder allgemeiner einer wiederholbaren Form oder Intension wie dem c-Operator beruhen. Der phänomenologische Befund, daß man in der Wahrnehmung mit Einzelnem zu tun hat, spricht daher nicht im mindesten dafür, daß man in der Wahrnehmung unmittelbar mit primitiven Einzelnen konfrontiert ist, seien es physische Dinge, Sinnesdaten oder primitiv-einzelne Positionen von Wahrnehmungsräumen. 5. Wenn Bewußtsein auf das Vorkommen perzeptueller Felder reduziert werden soll, so müssen die perzeptuellen Räume die eigentlich vorkommenden Realitäten sein. Ein perzeptuelles Feld soll ein entsprechender Raum zusammen mit seinen Inhalten sein, wobei die Inhalte demonstrative Gestaltungen sind.34 Nach den letztlich gültigen Angaben Castañedas sollen die Inhalte eher strikt perzeptuelle Propositionen sein, in die solche Gestaltungen als Subjektkomponenten eingehen. Davon hängt der Punkt jedoch nicht ab, um den es hier geht. Aufgrund ihres unter (1.) angegebenen 33
Siehe PBS, S. 292: „(a) he [die Beispielperson Tomas] experiences the same patterns of the same colors, shapes, lines, and distances; (b) those qualities and relations are presented to him, not as abstract entities, aloof in their Platonic realm, but concretely, as exemplified at different positions in this visual field and as inherent in particulars, ...“ 34 Siehe PBS, S. 308, VS.8.: „The contents ... are all demonstrative particulars.“ Das theoretische Analogon zum Begriff des demonstrativen Einzeldings ist klarerweise der Begriff der demonstrativen Gestaltung (PBS Abschnitt 8, S. 320f.).
311 per se existenziellen Status führen die Räume selbst zu keinen grundsätzlichen Problemen, wenn es um die These geht, daß perzeptuelles Bewußtsein einfach das Vorkommen eines entsprechenden Feldes ist. Sobald prädikative Mittel zur Verfügung stehen, um solche Räume strukturell zu beschreiben und ihre Plazierung in der physischen Raumzeit anzugeben, genügt der partikuläre Quantor, um auszusagen, ein so-und-so beschaffenes Feld komme da-und-da vor. Viel problematischer steht es um die Feldinhalte. Qualitäten und Beziehung an sich stehen beständig in ihrem ‚Platonischem Reich‘ bereit. Ebenso ‚gibt es‘ die aus ihnen komponierten Gestaltungen in dem Sinn, daß sie im Bereich des unbeschränkten partikulären Quantors liegen. Angenommen R2 ist eine zweistellige Universalie. Wenn außerdem π eine Raumposition eines tatsächlich auftretenden Feldes ist, vielleicht sein räumlicher Ursprung, dann läßt sich gar nicht verhindern, daß es auch die monadische Eigenschaft R2πu gibt. Legt man ein paar Qualitäten Q1, ... Qn zugrunde, dann gibt es auch die Gestaltung c{Q1, ... Qn, R2πu}. Diese Gestaltung muß jedoch keineswegs ein Inhalt des Feldes sein, zu dessen Raum π gehört. Das Vorkommen eines Feldes mitsamt seinen Inhalten, worauf sich perzeptuelles Bewußtsein reduzieren lassen soll, kann daher nicht bloß mittels des partikulären Quantors spezifiziert werden.35 Der Standardschritt in GT ist in solchen Situationen, den partikulären Quantor durch die Forderung zu verstärken, die Gestaltungen müßten Bündel unter einer gewissen Selbigkeitsbeziehung bilden. Im vorliegenden Fall wäre C* sicherlich unangebracht, da den Gestaltungen nicht allesamt zugeschrieben werden soll, in einen wirklichen Gegenstand eingebunden zu sein. Es geht nur um ihr Auftreten in einem Wahrnehmungsfeld. Vielmehr ist die Konsoziation die rechte Wahl; denn sie bündelt in ihren mannigfachen Varianten Gestaltungen qua zusammengehörig durch geistige Aktivität, und Wahrnehmungsbewußtsein ist eine Art geistiger Aktivität. Wie üblich muß die Konsoziation allerdings durch die Verwendung eines Indi35
D.h. ein wenig ausformuliert: Wenn ‚WF(...)‘ für einen prädikativen Kontext steht, der Wahrnehmungsfelder zu charakterisieren erlaubt, so kann man das Vorkommen eines bestimmten Inhaltes in einem vorkommenden Feld nicht auf folgende Art spezifizieren: ‚∃f [WF(f) ∧ ∃π (π ∈ f ∧ ∃g(g(Q1) ∧ g(Q2) ∧ ... ∧ g(R2πu)))]‘ (mit ‚f‘ als Feld-, ‚π‘ als Positions- und ‚g‘ als Gestaltungsvariable; ‚g(...)‘ steht wie üblich für Meinongsche Prädikation).
312 zes spezifiziert werden, und das kann hier nur einer für die wahrnehmende Person sein. Man erhält folglich eine Spezifikation mit einem eingeschränkten Quantor für Gestaltungen, etwa ‚... ∃g (C**Wahrnehmender, t(g, g) ∧ ---) ...‘. Da aber eine Bezugnahme auf den Wahrnehmenden unerläßlich ist, realisiert diese Spezifikation nicht den ursprüngliche Gedanken, das bloße Vorkommen des Feldes sei selbst die perzeptuelle Erfahrung. Eine Lösung böte eine sehr grundlegende Relation P2 („P“ für Positionierung), die demonstrative Gestaltungen δ in der Form P2πδ an den richtigen Feldpositionen verankert, gewissermaßen wie Blumen im Rasen. Daß bezüglich einer bestimmten Position π etwa P2πc{Q1, ...} wahr ist, P2πc{Q27, ...} jedoch nicht, wäre ein ultimatives kontingentes Faktum. Sachverhalte der Form P2πδ fielen allerdings aus dem gestaltungstheoretischen Rahmen, da sie keine der Prädikationsformen von GT enthielten. Erstens erweist sich demnach die Reduktion perzeptuellen Bewußtseins auf das Vorkommen perzeptueller Felder hinsichtlich der Feldinhalte insoweit als problematisch, als sie mit den allgemeinen Strukturen von GT nicht dargestellt werden kann. Zweitens zeigt sich, daß die eigentlich eigenständig vorkommende Realität die perzeptuellen Räume sind, d.h. die Systeme von primitiv-einzelnen räumlichen Positionen, während Inhalte sich nur in dem Sinn als in einem Feld vorkommend auszeichnen lassen, daß sie auf spezielle Weise auf perzeptuelle Räume bezogen sind, etwa durch die aus dem gestaltungstheoretischen Rahmen fallende Positionierungsbeziehung P2. Dieses Resultat deckt sich mit Castañedas Aussage, die totale Realität zu einer gewissen Zeit sei ein System von Raumzeiten, nämlich der einen physischen vereinigt mit allen zu der Zeit vorkommenden perzeptuellen.36 6. Abstrakte Inhalte wie die Prädikationsformen können in einem Feld nicht unabhängig von Begriffskompetenzen eines Wahrnehmenden einfach vorkommen. Ein Problem sticht hervor, sobald man anstelle der demonstrativen Gestaltungen die sie involvierenden Propositionen als Feldinhalte in Betracht zieht. Solche Propositionen müssen nämlich mithilfe der in GT 36
Siehe PBS, S. 307: „the total reality at each time t is a system of spacetimes that have all together 4(n + 1) dimensions ...“; hinter der ‘4’ verbergen sich drei Raumund eine Zeitdimension pro Feld; n ist die Anzahl sämtlicher Wahrnehmungsfelder, also in etwa die Zahl der Sinnesmodalitäten multipliziert mit der der existierenden Wahrnehmenden; die ‘1’ steht für die physische Raumzeit.
313 vorgesehenen Prädikationsformen aufgebaut sein. Dabei ist es eine zentrale These in Castañedas Wahrnehmungstheorie, die Standard-Prädikationsform sei die Konsubstantiation.37 Die Selbigkeitsbeziehungen sind sicherlich sehr abstrakter Natur. Daher ist es ausgeschlossen, daß sie als manifest präsente Inhalte auftreten können. Ein denkender Geist kann wohl auf ein solches inhaltliches Moment bezogen sein, das ihm grundsätzlich nicht manifest präsent sein kann, nämlich indem er entsprechende konzeptionelle Kompetenzen ausübt. Aber es ist nicht zu begreifen, wie ein solcher abstrakter Inhalt einfach in einem Feld vorkommen könnte. Falls man Castañedas Rede von der ‚primitiven Apprehension‘ von Feldern ernst nehmen muß, so muß man ihm vielleicht zugestehen, daß aus einer tiefen metaphysischen Notwendigkeit heraus jedes vorkommende, d.h. einfach jedes existierende Feld in der Apprehensions-Beziehung zu einem wahrnehmenden Wesen steht, das auf irgend eine Weise physisch an der objektiven Raumzeitstelle existiert, mit der sich der Ursprung des Feldes überlappt. Aber Castañedas Rede von der Reduktion des Wahrnehmungsbewußtseins auf das Vorkommen von Wahrnehmungsfeldern ist nur sinnvoll, wenn sich alle Unterschiede im Bewußtsein auf Unterschiede der Felder zurückführen lassen, auf die das betreffende wahrnehmende Wesen in dem jeweiligen Fall von Bewußtsein bezogen ist. Dann kann man jedoch den Umstand, daß ein abstrakter Inhalt Teil eines Feldes ist, nicht darauf zurückführen, daß der Wahrnehmende bestimmte allgemeinbegriffliche Kompetenzen besitzt. Das Enthalten eines abstrakten Inhaltes muß vielmehr eine interne Bestimmung des Feldes selbst sein; der Wahrnehmende tritt zu dem Feld nur in eine bestimmte Beziehung, in die er in anderen Situationen auch zu Feldern ohne abstrakte Inhalte tritt. Wenn meine Unterstellung berechtigt ist, daß eine Entität, die intern auf einen abstrakten Inhalt bezogen ist, etwa indem sie diesen Inhalt auf gewisse Weise ‚enthält‘, eine begriffliche Kompetenz besitzen muß, dann müßte das Feld selbst über eine solche Kompetenz verfügen. Die eigentlich eigenständig vorkommende Realität der Felder kann jedoch nach Castañedas Konzeption nur ihr perzeptueller Raum sein. Aber der einem Feld zugrunde liegende Wahrnehmungsraum selbst verfügt sicherlich nicht über Begriffskompe37
Besonders prägnant J/P-PilotAntwort, S. 306: „... the default judgment is the consubstantiational one; moreover, the consociational one pressupposes the default judgment.“
314 tenzen, aufgrund derer man ihm ein Bezogensein auf abstrakte Inhalte zuschreiben kann. Die angeführten Probleme sollte man folgendermaßen bewerten: Daß die Erweiterung von GT auf Wahrnehmungsphänomene zu einigen Besonderheiten führt, ist per se kein Einwand. Untragbar wäre es, sofern man an der allgemeinen Gestaltungstheorie festhalten möchte, wenn auch physische Raumpositionen als primitive Einzelne behandelt würden. Dagegen lassen sich Probleme mit den perzeptuellen Räumen aus primitiv-einzelnen Positionen und den zugehörigen Inhalten prinzipiell lösen. Dramatisch hingegen ist erstens Punkt 4 (primitive Einzelne erklären Gewahrsein als Einzelne nicht), da er die Möglichkeit unterläuft, den phänomenalen Befund, daß Charakteristika in der Wahrnehmung als in Einzelnem exemplifiziert erfahren werden, als Beleg für den primitiv-einzelnen Status der Positionen zu nutzen; und zweitens Punkt 6, da der propositionale Status der Wahrnehmungsinhalte für Castañeda essenziell ist, hier jedoch grundsätzlich keine Lösung in Sicht ist. Diese beiden Probleme erzwingen also auf jeden Fall Änderungen der Theorie der Wahrnehmungsfelder. Wie angekündigt werde ich in den folgenden beiden Unterabschnitten 2 und 3 anhand von zwei plausiblen Deutung einer Argumentation, die Castañeda gegen die physikalistische Reduzierbarkeit von visuellen Feldern formuliert, angebliche speziellere Charakteristika der räumlichen Struktur von Feldern diskutieren. Die Diskussion wird Castañedas antireduktionistische Auffassung letztlich stärken, jedoch weitere erhebliche Änderungen an seiner Theorie motivieren. 2. Erste Deutung eines antireduktionistischen Argumentes: Die Vereinbarung von interner Perspektivität und voluminöser Dreidimensionalität 2.a Erste Deutung eines anti-reduktionistischen Arguments Castañedas: internen Perspektivität und voluminöse Dreidimensionalität der Felder Im späten Selbstbewußtseinsaufsatz greift Castañeda ein Datum aus PBS auf und knüpft eine knappe, jedoch anspruchsvolle anti-reduktionistische Argumentation daran. Er erwägt die visuelle Wahrnehmung einer Szenerie, in welcher der Mond, der Polarstern und der Schornstein auf einem Haus ein Dreieck bilden. Aufgrund der endlichen Lichtgeschwindigkeit und der
315 Bewegung von Mond und Stern relativ zur Erde sei das Dreieck illusorisch, d.h. dieses Dreieck habe im physischen Raum nie existiert.38 Die Argumentation zielt in zwei Richtungen: (a) Aufgrund des illusorischen Charakters seien die Inhalte kein Teilbereich der gesehenen physischen Entitäten; (b) die visuelle Erfahrung sei jedoch auch nicht mit physischen Ereignissen im Gehirn identisch. Mich interessiert hier die Begründung für (b): a
Meine visuelle Erfahrung ist genau die visuelle Präsentation dessen, was ich sehe, das heißt die bloße Existenz meines visuellen Feldes. b Meine visuelle Erfahrung besteht aus [consists of] der visuellen Erfahrung, die das soeben beschriebene Dreieck enthält. c Sie findet nicht in meinem Gehirn statt [occurs] (oder was immer mein Denkbehälter sein mag). d Natürlich haben Ereignisse in meinem Gehirn die Existenz des präsentierten visuellen Feldes verursacht. e Meine Erfahrung jedoch findet vor meinen Augen statt [occurs], ausgebreitet [spread about] über das Stück des physischen Raumes, das die Gegenstände enthält, die ich sehe. f Meine visuelle Erfahrung ist nicht reduktionistisch äquivalent zu, geschweige denn identisch mit, Ereignissen in meinem Gehirn (oder Denkapparat).
Satz [e] soll offensichtlich einen phänomenologischen Befund formulieren, der mit der Annahme unvereinbar ist, die Erfahrung sei reduzierbar auf Ereignisse im Gehirn. Der Befund ist zweiteilig: (1) die Erfahrung finde „vor meinen Augen“ statt; (2) sie sei ausgebreitet über ein gewisses Stück des physischen Raumes. Satz [a] muß, um das Ergebnis nicht vorwegzunehmen, von dem visuellen Feld ohne ontologische Festlegung, also ebenfalls bloß auf der Ebene der phänomenologischen Befunde handeln. Daß die Erfahrung nichts sei als die Existenz des Feldes ist dann aber zu stark formuliert. Dasselbe gilt für die Redeweise in den weiteren Sätzen, die das Feld mit der Erfahrung identifiziert.39 Der minimale Gedanke scheint zu sein, daß es in der visuel38
Siehe PLI-I-Structures, S. 289. Es ist wichtig, daß der Wahrnehmungsinhalt auch zeitlich strukturiert ist: Die drei Gegenstände erscheinen als in einem Moment so ein Dreieck bildend. 39 Ich stimme mit der sogenannten repräsentationalistischen Richtung in der ‚analytischen‘ Bewußtseinstheorie darin überein, daß es jedenfalls kein phänomenologischer Befund ist, daß perzeptuelle Felder Erfahrungszustände, -ereignisse oder –episoden sind. Aber das war es dann auch. Diese Bewegung scheint durch die Einsicht angetrieben zu sein, daß etwa Eigenschaften, derer man beim Sehen einer Szenerie
316 len Erfahrung inhaltlich ausschließlich auf das Feld ankommt. Man kann demnach schwächer formulieren: Was auch immer das sein mag, das ich in meiner Reflexion als visuelles Feld bezeichne (ein Ausschnitt des physischen Raumes, ein Konglomerat von Oberflächen, ein System von Tropen, ein Komplex von Gehirnvorgängen etc.), ich bin als Wahrnehmender und auf mein Erleben Reflektierender in bestimmter Weise auf dieses Feld bezogen;40 der spezifische Charakter des Erlebens ist jedoch gänzlich durch das Feld bestimmt, nicht durch weitere Bestimmungen von mir als Wahrnehmenden außer denen, auf so ein Feld bezogen zu sein, und auch nicht durch Unterschiede im Bezogensein. Da das Beschreiben von Feldern plausiblerweise einen kausalen Kontakt des kognitiven Systems mit oder eine kontrafaktische Abhängigkeit von ihnen erfordert, kann man sagen, aus Gegenständen oder gegenständlichen Oberflächen gewahr ist, nicht als Eigenschaften des eigenen Erfahrens erfahren werden; siehe etwa M. Tyes phänomenologische Meditation in CCC 3.1, bes. S. 46: „None of the qualities of which you are directly aware in seeing the various surfaces look to you to be qualities of your experience. You do not experience any of these qualities as qualities of your experience.“ Diese Einsicht kann ich zwar nachvollziehen. Daß die Qualitäten jedoch in einer solchen Weise als Qualitäten von ‚öffentlich beobachtbaren physischen Oberflächen‘ erfahren werden, daß man unsere alltägliche Erfahrung eines ‚unglaublichen‘ ‚massiven Fehlers‘ für schuldig befinden müßte, wenn sie nicht tatsächlich solche Qualitäten wären, folgt daraus jedoch nicht (vgl. Schritte 1 und 2 bei Tye, S. 46). Sicherlich identifiziere ich die Elemente meiner visuellen Felder im Alltag irgendwie mit physischen Dingen oder ihren Oberflächen. Das sollte nicht sonderlich verwundern angesichts der höchstwahrscheinlichen Tatsache, daß die Erfahrung der Felder samt ihrer ganzen kognitiven Verarbeitung dafür gemacht sind, uns zum erfolgreichen Umgang mit solchen Dingen zu verhelfen. Aber „irgendwie identifizieren“ kann vieles heißen. Und je mehr ich den Eindruck habe, daß es mir gelingt, von meinen mehr oder weniger tief sitzenden Überzeugungen abzusehen, daß dies ein Baum und das der Himmel ist, umso weniger könnte ich sagen, daß mir die Feldelemente in der Reflexion überhaupt klar zu irgendeiner Kategorie der Art ‚öffentlich beobachtbare physische Oberfläche‘ oder ‚Ereignis des Erfahrens von mir‘ zu gehören scheinen oder daß ich sie als einer solchen Kategorie zugehörig erfahre. Deshalb halte ich eine genauere Auseinandersetzung mit den Theorien B. Loars und Sellars‘ für interessanter und ergiebiger. 40 Jedenfalls scheint ein Bezogensein vorzuliegen, auch wenn es sich vielleicht bei genauerer Betrachtung auf nicht-relationale Tatsachen reduzieren läßt, etwa wie nach Sellars das Haben einer Bedeutung auf die Eigenschaft, eine gewisse Rolle zu spielen.
317 der kausale Input des Beschreibens bestehe darin, in relevanter Weise auf das-und-das Feld bezogen zu sein.41 Alles, was die Beschreibung des Feldes liefert, muß also durch Besonderheiten des Feldes erklärt werden. Ich bezeichne dieses fundamentale, weil unmittelbar mit der korrekten Identifizierung des besprochenen Phänomens zusammenhängende Ergebnis über den Status visueller Felder als die inhaltliche Eigenständigkeit solcher Felder. Die drängende Frage bezüglich der Teilaussagen (1) und (2) von Satz [e] lautet, was Castañeda damit vernünftigerweise gemeint haben kann, wenn man seine tatsächliche Auffassung von Wahrnehmungsfeldern als hermeneutischen Hintergrund voraussetzt. Der Punkt von (1) (‚vor meinen Augen‘) kann nicht sein, das Feld stehe in einer bestimmten physischräumlichen Beziehung Vor2 zu meinen Augen. Nicht nur sollen die Felder keine Gegenstände im physischen Raum sein, sondern die Angabe ‚vor meinen Augen‘ verfehlt das Thema, wenn es um eine Beschreibung des Feldes geht. Ähnlich kann der Punkt von (2) (Ausgebreitetsein über physischen Raumausschnitt) nicht sein, die Partien meines visuellen Feldes befänden sich buchstäblich an Orten des gesehenen physischen Raumes. Sicherlich muß Castañeda in dem beschriebenen Fall annehmen, die Positionen des Feldes seien mit physischen Raumpositionen korreliert. Doch selbst das ist nicht wesentlich für Felder; denn nur in veridischer Wahrnehmung sollen sich perzeptueller und physischer Raum an anderen Stellen als dem Feldursprung überlappen.42 Ich möchte zunächst eine erste Deutung der beiden Teilaussagen vorschlagen. Sie paßt nach meiner Beurteilung zu Castañedas eigener expliziter Theorie von Wahrnehmungsfeldern, und es leuchtet auf den ersten Blick durchaus ein, sie als phänomenologischen Befund auszugeben. Die erste Deutung ist auf doppelte Weise interessant: Erstens findet sich in W. Sellars ein Theoretiker, der das, was man als Wahrnehmungsfeld ausmachen kann, tatsächlich letztlich mit einem Komplex von Gehirnereignissen 41
Für den Unterschied in Beschreibungen ist das Relatum des Bezogenseins verantwortlich; das heißt aber nicht, daß das Relatum Ursache von kognitiven Aktivitäten sein muß, sondern Ursache kann der Zustand sein, auf das Feld bezogen zu sein. Damit erledigen sich Einwände gegen Theorien, nach denen Felder Entitäten sind, die schwerlich als kausale Faktoren auftreten können. 42 Siehe PBS, S. 309, (VS.12.).
318 identifiziert und der die Charakteristika von Wahrnehmungsfeldern, die sich aus der ersten Deutung ergeben, selbst anerkennt und theoretisch umzusetzen versucht. Ich werde allerdings versuchen zu zeigen, daß eine derartige Theorie darin nicht erfolgreich sein kann. Zweitens wird sich jedoch zeigen, daß Castañedas eigene Theorie diese Charakteristika ebensowenig umsetzen kann. Das Ergebnis wird sogar sein, daß die vermeintlichen Charakteristika gar nicht zugleich auf Wahrnehmungsfelder zutreffen können, daß man als Konsequenz am besten an dem zu Teilsatz (1) gehörenden Charakteristikum festhält und das zu (2) gehörige aufgibt. Während sowohl Castañeda als auch Sellars beide Charakteristika von Wahrnehmungsinhalten vertreten, stellt am Ende die Notwendigkeit, das zweite fallen zu lassen, für Castañedas Theorie ein größeres Problem dar als für Sellars‘. Ich werde dann in Unterabschnitt 3 eine zweite Deutung von Castañedas Argumentation entwickeln, die zusammen mit einigen Zusatzüberlegungen zur räumlichen Struktur von Feldern tatsächlich gegen Theorien vom sellarsschen Typ einsetzbar ist. Die erste Deutung der Aussagen (1) und (2) ergibt sich aus den folgenden beiden Überlegungen: Zu (1): Wie könnte die Rede von mir, sieht man einmal von meinen Augen ab, überhaupt für die Beschreibung des Feldes relevant sein?43 Offenbar nur, wenn ich irgendwie zum Feld gehöre. Das ergibt tatsächlich Sinn, da ich mich zumindest bei geistiger Gesundheit und sofern ich mir überhaupt entsprechende Fragen stelle grundsätzlich mit etwas in jedem Feld identifiziere, das ich erfahre, nämlich mit dem Inhaber der Hier-Position des Feldes.44 Allerdings ist fragwürdig, ob sich das Feld gerade in dem Sinn, in dem ich zum Feld gehöre, zur Gänze vor mir befindet. Soweit es um die 43
Ich unterstreiche wieder beim Pronomen der ersten Person Singular den ersten Buchstaben, wenn ich es nicht verwende, um als Autor zu reden. Ich möchte so komplizierte quasi-indexikalische Konstruktionen der Art ‚Man kann in der-und-der Situation von sich sagen, daß man*...‘ vermeiden. 44 Siehe PBS Klausel VS.11., S. 309: „... there is a demonstrative particular ... which is the representation of S [d.i. des Wahrnehmenden; RB] as occupying the Origin ... Such demonstrative particular is of course S’s I.“ (Zur Zeit der späten Selbstbewußtseinsaufästze hätte Castañeda diese Gestaltung wohl zumindest nicht schlichtweg das Ich des Wahrnehmenden genannt.) Schon gemäß der Stelle in PBS muß die Selbigkeit zwischen mir und dem Objekt an der Hier-Jetzt-Position nicht immer aktuell gedacht werden, sondern es genügte eine entsprechende dispositionale Einstellung.
319 Wahrnehmung der äußeren Sinne geht, sind jedoch die inhaltlich interessanten Partien des Feldes andere als die Hier-Region; von ihnen kann ich rein auf das Feld bezogen sagen, sie seien vor mir. Den Umstand, daß Felder gewissermaßen von Natur aus eine Position in sich auszeichnen, die der Wahrnehmende mit der Position identifizieren muß, an der er* sich befindet, bezeichne ich als die interne Perspektivität der Felder. Zu (2): Daß das Feld über die physische Umgebung ausgebreitet ist, kann man im Sinne eines phänomenologischen Befundes so verstehen, es müsse per se so beschaffen sein, daß in veridischer Wahrnehmung ein solches großflächiges Überlappen möglich ist. Da der den Wahrnehmenden umgebende Raum ein dreidimensionales System von Positionen ist, beinhaltet das, daß auch das visuelle Feld eine dreidimensionale räumliche Struktur aufweisen muß. Dementsprechend formuliert die Rede vom Ausgebreitetsein den Umstand, daß das Feld nicht nur Tiefe besitzt, indem seine Inhalte irgendwie vom Standpunkt des Wahrnehmenden abgerückt erscheinen; vielmehr ist es ein wirklich dreidimensionales System, besitzt also nicht bloß Tiefe, sondern Volumen. Diesen Befund bezeichne ich als die voluminöse Dreidimensionalität der Felder. Insgesamt haben sich drei angebliche phänomenologische Befunde ergeben: (D) inhaltliche Eigenständigkeit der Felder (IP) interne Perspektivität der Felder (3D) voluminöse Dreidimensionalität der Felder Die beiden angeblichen phänomenologischen Befunde lassen sich so verstanden gegen jemanden, der das Feld für ein System aus Gehirnereignissen hält, nicht mit der simplen, aber auch unplausiblen Stoßrichtung einsetzen, etwas, das wenigstens zum Teil vor den Augen des Wahrnehmenden liege und über die Umgebung ausgebreitet sei, könne sich nicht zur Gänze in seinem Gehirn befinden. Ich werde in den folgenden Sektionen versuchen herauszufinden, auf welche Weise sich die Befunde in einer Theorie der Wahrnehmungsfelder umsetzen lassen. Dazu werde ich zuerst mit Sellars‘ Theorie experimentieren, die ein geeignetes Angriffsziel für Castañeda darstellt.
320 2.b Interne Perspektivität der Felder: Bei einer Objektivierung ihrer Inhalte ist zugleich der Standpunkt des Wahrnehmens festgelegt. Da es besonders auf Datum (IP) ankommt, charakterisiere ich die interne Perspektivität der Felder zunächst auf etwas andere Art. Angenommen man befindet sich in folgender Situation: Man sitzt mit ein wenig Abstand vor einem Schreibtisch, der eine weiße Tischplatte und schwarze runde Beine besitzt, und blickt schräg von oben darauf. Um sich über die Struktur des Feldes Aufschluß zu verschaffen, ist die Frage hilfreich, wie ein genaues objektives Korrelat des Feldes beschaffen sein müßte. Die Frage ist also, wie die objektive Welt beschaffen sein muß, wenn genau dem, was das visuelles Feld darbietet, etwas in der Welt entspricht, d.h. von welcher Art von Szenerie man allein aufgrund des Erfahrens dieses Feldes günstigenfalls weiß, daß sie in der Welt existiert. Die Aufgabe läßt sich plastischer dahingehend formulieren, was für ein Modell man basteln müßte, um die Szenerie darzustellen. Offenbar berechtigt einen allein das gegebenen Feld nicht dazu, ein massives Modell von einem Schreibtisch in ein Szeneriemodell zu stellen. Man müßte eher eine rechteckige Fläche installieren, die auf der einen Seite weiß angemalt ist und durch zwei einseitig schwarze lange Röhrenhälften mit dem Modellboden verbunden ist. Allerdings tritt das Problem auf, daß auch die Unterseite der Modelltischfläche und die Innenseiten der Rohre irgendwie beschaffen sein muß. Man kann sie grau anmalen und mit einem Fragezeichen versehen, doch diese Symbole bedürfen der Interpretation; sie haben einen völlig anderen Status als die Weiße der Oberseite und die Schwärze des Rohräußeren im Modell. Das Problem scheint auf den ersten Blick zu sein, daß das System der den physischen Raum betreffenden Propositionen, von denen man auf der Grundlage meines visuellen Feldes überzeugt sein kann, eine bloß partielle Charakterisierung eines Ausschnittes des objektiven Raumes bietet, während keine objektive Szenerie, die mit diesen Propositionen kompatibel ist, unvollständige Objekte einschließt. Aber mit dem Hinweis, die Feldinhalte wiesen eine Unvollständigkeit auf, welche ein objektives Korrelat naturgemäß nicht besitzen könne, ist der Punkt nicht richtig getroffen. Denn dann müßte jede einzelne derartige objektive Situation als umfassende, wenn auch überbestimmte Objektivierung des Feldes gelten können. Indem die Unvollständigkeit der Inhalte bei der Objektivierung beseitigt wird, geht aber tatsächlich eine im Feld enthaltene Information verloren. Es han-
321 delt sich um einen Aspekt der Struktur des Feldes, den man bei der Objektivierung nur wiedergeben kann, indem man zusätzlich zur Anfertigung eines Modells noch markiert, von welcher Stelle aus die Gegenstandsgruppierung betrachtet wird. Der vollständige Gehalt des Feldes muß demnach in der Art formuliert werden ‚so-und-so beschaffene Gegenstände in denund-den räumlichen Beziehungen, betrachtet von dieser Stelle aus‘. Die Bezeichnung als interne Perspektivität ist deswegen angemessen: Das Feld selbst weist ein strukturelles Charakteristikum auf, das bei der Objektivierung nur umsetzbar ist, indem man zusätzlich zu einer passenden Szenerie im physischen Raum noch einen Standpunkt angibt, von dem aus die Szenerie erfahren wird. 2.c Sellars‘ Konzeption der Sinneseindrücke kann intern-perspektivische Tiefe prinzipiell erklären. Sellars‘ Vorschläge zur Wahrnehmungstheorie lassen sich gut mit den Befunden der internen Perspektivität und der voluminösen Dreidimensionalität konfrontieren. Besonders in seinen späten Arbeiten hat er nämlich beide Punkte selbst hervorgehoben. Eine Wahrnehmungsepisode schließt nach Sellars auf der nicht-begrifflichen Ebene den Aufbau eines EmpfindungsBild-Modells ein, kurz Bild-Modell genannt.45 Die Perspektivität ist für Sellars ein derart hervorstechendes Merkmal solcher Modelle, daß er in ihr den besten Beleg für die ‚transzendentale Idealität der Bild-Modell-Welt‘ sieht.46 Die voluminöse Dreidimensionalität erkennt er an, indem er darauf besteht, daß typischerweise auch solchen gegenständlichen Partien, die von anderen gesehenen Partien verdeckt werden, ein Moment im Bild-Modell des Wahrnehmenden entspricht, auch wenn es sich um kein Empfindungs-, sondern um ein imaginiertes Moment handelt.47 Beispielsweise soll das weiße Innere eines gesehenen roten Apfels in Form von imaginierten ‚Weiß‘-Momenten des Bild-Modells ‚körperlich anwesend‘ sein.48 Wichtig 45
Siehe Imagination § 25, S. 236-37: „... perceptual consciousness involves the constructing of sense-image models of external objects.“ 46 Siehe Imagination § 28, S. 237. 47 In der vollständigen Bezeichnung „sense-image model“ steht das „sense...“ für die Empfindungs- und das „image...“ für die imaginierten Momente. 48 Siehe Imagination, §§ 12-16, S. 234-35: „... the quantity of red which is a constituent of the visual experience of the apple ... is actually or ... bodily present in the ex-
322 ist dabei, daß Sellars ausdrücklich von einer vereinheitlichten Bild-Struktur spricht.49 Damit möchte er zweifellos betonen, daß die Empfindungs- und die Imaginationsmomente nicht zu zwei getrennten Zustandssystemen gehören, sondern zu einem einzigen. Ich habe die interne Perspektivität der visuellen Felder mithilfe des Konzeptes eines Modells im physischen Raum expliziert, das die gesamten Feldinhalte ‚objektivieren‘ soll. Die Art, wie in Sellars‘ Theorie Sinneseindrücke die räumliche Struktur des Wahrgenommenen repräsentieren sollen, läßt sich gut mit bezug auf meine Explikation diskutieren, da er komplexe Sinneseindrücke explizit als Analoga von bildartigen Repräsentationen der wahrgenommenen Arrangements von Gegenständen konzipiert.50 Der Kommentar zur positiven Analogie soll jedoch verhindern, daß der kategoriale Status der Bilder als komplexe Einzeldinge auf die Sinneseindrücke übertragen wird. Da sich gezeigt hat, daß ein dreidimensionales Modell im physischen Raum die perspektivische Struktur der Felder gerade nicht ohne weiteres wiedergeben kann, empfiehlt sich eine zweischrittige Modellbildung: Zuerst sollen komplexe Sinneseindrücke in grundsätzlich sellarsschem Sinn charakterisiert werden, die als neu kategorisierte Analoga von zweidimensionalen Bildern aufgefaßt werden können. Sie sollen zweitens durch einen zusätzlichen Aspekt zu perspektivischen Repräsentationen räumlicher Tiefe werden ergänzt werden. Damit wäre man in modellhafter Form Datum (IP) gerecht geworden. Ziel dieser Modellbildung ist es, die Struktur einer interne Perspektivität aufweisenden Raumrepräsentation durchsichtig zu machen. Tatsächlich ist das Modell nicht sehr realistisch. Ich werde dann drittens zeigen, daß zwar ein Eindruckskomplex modelliert werden kann, der volle, voluminöse Dreidimensionalität repräsentiert, so daß auch Datum (3D) Rechnung getragen wäre. Dieses volldreidimensionale Modell kann aber grundsätzlich keinen Faktor enthalten, der die Rolle der perspektivischen Tiefenrepräsentation in dem Modell perience. ... an actual volume of white is present in the experience in a way which parallels the red. ... a volume of white apple flesh ... is present by virtue of being imagined.“ 49 Siehe Imagination, § 23, S. 236: „unified image-structure“. 50 Siehe seine ursprüngliche Darstellung der analogischen Einführung von Sinneseindrücken in EPM XVI, wo nicht die wahrnehmbaren Dinge selbst, sondern innere Kopien („inner replicas“, S. 191) als Modell für Sinneseindrücke dienen.
323 spielt, das zunächst entwickelt wurde. Ergänzt man diese modellhaften Überlegungen durch entsprechende phänomenologische Betrachtungen, so muß man schließen, daß kein Sellars’scher Sinneseindruckskomplex zugleich perspektivische Tiefe und volle Dreidimensionalität repräsentieren kann: Sellars‘ Gedanke einer vor-intentionalen, rein sinnlichen internperspektivischen Repräsentation dreidimensionaler räumlicher Volumina ist unhaltbar. i. Sinneseindrücke als Analoga zweidimensionaler Bilder. Ein zweidimensionales Bild enthält primitive Einzelne als Elemente, die zum einen jeweils einen Farbwert aufweisen und zum anderen untereinander in räumlichen Beziehungen stehen. Die Analoga der Bildelemente sollen Zustände, genauer Zustandstypen sein. Die Analoga der Farbwerte und Beziehungen müssen irgendwelche allgemeineren Klassifikationen dieser Zustände sein. Die Analogie läßt sich einfach durch die folgende Annahme umsetzen: Es gebe im Gehirn eine bestimmte Oberfläche, auf der Nervenzellen in bestimmte Zustände treten können, die den Farbwerten korrespondieren. Spezifische Zustände, die einzelnen Elementen des Bildes entsprechen, können als Tripel 〈x, y, f〉 dargestellt werden, worin ‚〈x, y〉‘ zweidimensionale Koordinaten für eine Position auf der Oberfläche und ‚f‘ einen spezifischen Nervenzustand bezeichnen, der einem Farbwert entspricht. Man kann f als Farbzustand bezeichnen. Daß sich jemand im Zustand 〈x, y, f〉 befindet, besagt demnach, daß die Nervenzellen an 〈x, y〉 sich im Farbzustand f befinden. Da das System der Zustände für jedes Paar 〈x, y〉 nur einen Farbzustand f zuläßt, so wie ein Foto an jeder Stelle nur einen Farbwert aufweisen kann, kann man den Farbzustand als Funktion von 〈x, y〉 schreiben, also als 〈x, y, fxy〉. ii. Erweiterung ‚zweidimensionaler‘ Sinneseindrücke um eine Tiefendimension. Damit das Zustandssystem räumliche Tiefe darstellen kann, muß es einen weiteren Parameter erhalten. Die an einer Stelle 〈x, y〉 der Oberfläche befindlichen Nervenzellen könnten zusätzlich zum Farbzustand fxy in einen gewissen Zustand r treten, der die korrespondierende Farbqualität räumlich abgerückt erscheinen läßt. Wenn das System der r-Werte eine Metrik besitzt, kann es in etwa die Entfernung der gesehenen Oberflächen vom Betrachter repräsentieren. Wie bei den Farbzuständen kann einer
324 Stelle 〈x, y〉 nur ein einziger derartiger Tiefenzustand korrespondieren, so daß ein Gesamtzustand in der Form ‚〈x, y, rxy, fxy〉‘ notiert werden kann. Doch damit wird die Konzeption der Perspektivität noch nicht gerecht. Eine variierende Verteilung von Tiefenzuständen über die Stellen 〈x, y〉 kann vielleicht eine Wölbung oder auch eine variierende Krümmung des gesehenen Farbmusters repräsentieren. Damit ist allerdings noch nicht festgelegt, von welcher Seite aus das gewölbte Muster gesehen wird. Angenommen jedoch, zwei zusammenhängende Gebiete (1) und (2) der durch die xund y-Koordinaten aufgespannten Oberfläche zeigten dieselbe Verteilung von Farbzuständen. Beispielsweise könnten zwei gleich große kreisförmige Ausschnitte der Oberfläche konstant mit dem Zustand fweiß besetzt sein, während außerhalb der Kreise andere Zustände exemplifiziert sind. Dabei kann der eine Ausschnitt durchweg den Tiefenzustand r1 und der andere r2 aufweisen. Wenn r1 die eine weiße Kreisfläche weniger weit abgerückt erscheinen läßt als r2 die andere, dann muß als das objektive Korrelat der Wahrnehmung eine Szenerie gelten, in der der durch (1) repräsentierte Kreis tatsächlich kleiner ist als der durch (2) repräsentierte. Der Sinneseindruckskomplex repräsentiert die Wahrnehmungssituation demnach als eine solche, in der der Standpunkt des Betrachters sich auf einer bestimmten Seite der gesehenen Szenerie befindet, nämlich an einer Stelle, von der aus Kreis (1) vor Kreis (2) liegt. Doch man kann zu Recht einwenden, das setze bereits voraus, daß die Hinzufügung von r1 den einen Kreis als weniger weit weg repräsentiert, als die Hinzufügung von r2 den anderen Kreis erscheinen läßt. Unter den gegebenen Modellbedingungen ist nur eine Lösung denkbar: Die Menge der möglichen Tiefenzustände besitzt unter der auf ihr existierenden Ordnungsrelation ein erstes Element r0. Dieses Element fügt im Kontrast zu den anderen dem Tripel 〈x, y, fxy〉 jedoch keinen zusätzlichen Zustandsaspekt hinzu, sondern verlangt bloß, daß keiner der anderen Tiefenzustände vorliegt. Der Zustand 〈x, y, r0, fxy〉 wäre dann mit dem Zustand 〈x, y, fxy〉 identisch. Ein Zustand 〈x, y, fxy〉 läßt die fxy entsprechende Qualität sicherlich nicht irgendwo in der Tiefe des Raumes erscheinen, und es ist nicht völlig unplausibel, daß er qua kontrastierend mit den anderen Zuständen 〈x, y, r≠0, fxy〉 die fxy-Qualität als hier exemplifiziert repräsentiert. Tatsächlich ist für diese Lösung gar nicht wesentlich, daß die Menge der Tiefenzustände ein kleinstes Element besitzt. Sie muß nur einen
325 natürlichen Nullpunkt besitzen, d.h. ein Element r0, so daß 〈x, y, r0, fxy〉 mit 〈x, y, fxy〉 zusammenfällt. Ein Feld könnte durchaus an einigen Stellen ‚nach vorne‘ und an anderen ‚nach hinten‘ gewölbt sein, auch wenn es sich bei der menschlichen visuellen Wahrnehmung sicherlich nicht wirklich so verhält. iii. Das Problem der Erweiterung zur voluminösen Dreidimensionalität. Das unter (ii) skizzierte Zustandssystem kann vielleicht perspektivische Tiefe darstellen. Datum (3D) wird es jedoch noch nicht gerecht, da es jede Stelle 〈x, y〉 mit nur einem einzigen Tiefenzustand rxy zu verknüpfen gestattet. Man könnte erwägen, eine Vielzahl solcher Zustandssysteme zu kompilieren, um das Gesamtsystem räumliches Volumen darstellen zu lassen. Aber wenn in der Formulierung von Datum (3D) von einem Ausgebreitetsein die Rede ist, so ist zweifellos gemeint, daß die den verschiedenen Positionen des physischen Raumes korrespondierenden Positionen des Feldes als Positionen einer einzigen räumlichen Struktur repräsentiert werden. Die Kompilation würde hingegen bloß eine Vielzahl von Feldern zusammenhanglos ineinander schieben. 2.d Eine große Herausforderung für Sellars‘ Theorie ist es, die perspektivische Tiefe mit voluminöser Dreisimensionalität zu kombinieren. Gesucht ist demnach eine Konzeption, nach der die Positionen in den verschiedenen Tiefen des Raumes als allesamt räumlich verbunden repräsentiert werden können. Sobald man diese Forderung erhebt, wird allerdings ein anderer Mangel deutlich. Die einfache Art, wie bisher die Analogie zwischen den räumlichen Beziehungen der gesehenen Elemente und den Charakteristika der sie repräsentierenden Sinneseindrücke umgesetzt werden sollte, ist unhaltbar. Denn zwei Exemplifikationen von Farbzuständen f1 und f2 repräsentieren nicht einfach dadurch zwei die Qualitäten Q1 bzw. Q2 aufweisende Elemente als auf gewisse Weise räumlich aufeinander bezogen, daß die Exemplifikationen selbst an verschiedenen Positionen einer räumlichen Oberfläche auftreten, die mit x- und y-Koordinaten spezifizierbar sind. Für eine erfolgversprechende Konzeption gelten die folgenden Überlegungen: Zunächst kann man sich noch einmal auf eine zweidimensionale Struktur beschränken. Wenn jemand unter Standardbedingungen eine Szenerie betrachtet, in der an zwei verschiedenen Stellen dieselbe Qualität Q exempli-
326 fiziert ist, so muß in ihm derselbe Q korrespondierende Farbzustand fQ auf irgendeine Art zweifach exemplifiziert sein. Der Wahrnehmende muß gewissermaßen auf eine Weise fQ sein und außerdem noch auf eine andere Weise fQ sein. Das kann nicht einfach der Fall sein, indem er sich in zwei verschiedenen komplexen Zuständen ρ1 ∧ fQ sowie ρ2 ∧ fQ befindet, da ρ1 ∧ fQ allein schon fQ impliziert und so schon allein mit ρ2 auch ρ2 ∧ fQ impliziert.51 Man sollte vielmehr eine Menge E von möglichen Zuständen e annehmen, in die der Wahrnehmende treten kann. Zu dieser Menge gibt es zwei Mengen X und Y von Eigenschaften zweiter Stufe X und Y sowie eine Menge F von Eigenschaften zweiter Stufe F. Die X, Y und F sind mögliche Eigenschaften der Zustände e. Idealisiert gilt dann folgendes: (a) Jeder Zustand e aus E besitzt je genau eine Eigenschaft aus X, aus Y und aus F. (b)Für jeden Zustand e* aus E gilt: Die Tatsache, daß sich ein Wahrnehmender s in e* befindet, impliziert, daß s sich für jede höherstufige Eigenschaft X aus X und für jede Eigenschaft Y aus Y in irgend einem Zustand e befindet, der X und Y besitzt; offen ist nur, welches F aus F e exemplifiziert.52 Klausel (b) beseitigt die ursprüngliche Isolation der Zustände 〈x, y, fxy〉: Jeder der Zustände e ist von Natur aus ein Element in einem raumanalogen System von Zuständen. Um Datum (3D) der vollen Dreidimensionalität gerecht zu werden, müssen die Tiefenzustände r, die in die bisherigen Zustände 〈x, y, rxy fxy〉 eingehen sollten, nach der neuen Konzeption eine Entsprechung finden. Offenbar kann die Entsprechung nur in einer weiteren Menge R von höherstufigen Eigenschaften R bestehen. Klausel (b) muß dann dahingehend erweitert werden, daß sich der Wahrnehmende für jedes Tripel 〈X, Y, R〉 in einem Zustand e befinden muß, der die Eigenschaften X, Y und R besitzt. Die Frage ist, ob nach einer solchen Konzeption ein intern perspektivischer und zugleich voluminöse Dreidimensionalität repräsentierender Komplex von Sinneseindrücken möglich ist. Orientiert man sich an der Konzeption, 51 52
Das Symbol „ρ“ soll an räumliche Bestimmungen erinnern. Wegen (a) besitzt dieser Zustand auch irgendeine Eigenschaft F aus F; doch nicht jedes F muß exemplifiziert sein.
327 die dem System von Zuständen 〈x, y, rxy, fxy〉 eine intern perspektivische Tiefe zusprechen konnte, so gibt es ein Problem: Indem man das System der Zustände e zur Repräsentation voluminöser Dreidimensionalität befähigt, beseitigt man zugleich jede Entsprechung dessen, was in der Konzeption perspektivischer Tiefe den Tiefenzuständen r einen natürlichen Nullpunkt r0 verschafft. Es gibt nach der neuen Konzeption keine zweidimensionale Struktur 〈x, y, fxy〉, die durch Ergänzung eines Aspektes rxy in die Tiefe gewölbt wird, wobei einer der Tiefenzustände, nämlich r0, einfach im Fehlen jeder Herauswölbung besteht. Denn um voluminöse Dreidimensionalität zu ermöglichen, muß jeder Zustand e durch je eine Eigenschaft aus X, Y und R bestimmt sein. Man könnte meinen, für die interne Perspektivität reiche es aus, daß es in R einen unter der zugehörigen Ordnungsrelation ‚kleinsten‘ Zustand R0 gibt; ein solcher kleinster Zustand könne nämlich nichts anderes repräsentieren als die Hier-Plazierung einer Qualität. Aber erstens ist es ohnehin plausibel, daß die räumlich relevanten Repräsentationsmittel begrenzt sind, daß wir also nicht unendliche Breiten und Weiten anschaulich repräsentieren können. Alle drei Dimensionen X, Y, und R könnten demnach ein ‚kleinstes‘ und ein ‚größtes‘ Element enthalten. Die bloße Möglichkeit der beidseitigen Endlichkeit von X, Y, und R zeigt, daß das ‚kleinste‘ Element in R nicht per se eine Hier-Plazierung darstellt. Zweitens hat sich in der Diskussion der perspektivischen Tiefe des Systems der Zustände 〈x, y, rxy, fxy〉 gezeigt, daß nicht der Status des ‚kleinsten‘ Elementes wesentlich ist, sondern daß dieses r0 mit dem Fehlen einer Erweiterung der Zustände 〈x, y, fxy〉 zusammenfällt und durchaus ein teils ‚nach vorne‘, teils ‚nach hinten‘ gewölbtes Feld mit der internen Perspektivität vereinbar ist. Damit die Repräsentation voller Dreidimensionalität intern-perspektivisch ist, muß sie ein Charakteristikum aufweisen, das dieselbe Rolle spielt wie der natürliche Tiefen-Nullpunkt r0 in dem vorhergehenden Modell spielt. Es hat sich gezeigt, daß es jedenfalls kein solches Charakteristikum geben kann, das diese Rolle in ähnlicher Weise spielt wie r0 – und es ist nicht erkennbar, was an der dreidimensionalen Repräsentation diese Rolle auf andere Weise spielen könnte. Ich schließe daraus, daß Sellars’sche Sinneseindrücke nicht zugleich intern perspektivisch sein und volle Dreidimensionalität repräsentieren können.
328 2.e Da keine primitiv-einzelne Raumposition in einer Mannigfaltigkeit per se als Ursprung ausgezeichnet ist, kann Castañedas Konzept nicht einmal interne Perspektivität erklären. Nachdem die Schwierigkeiten, den drei Daten gerecht zu werden, an einer Auffassung deutlich geworden sind, die eine Variante eines von Castañeda explizit abgelehnten Typs darstellt, gilt es zu prüfen, ob seine eigene Theorie sich damit leichter tut. Datum (D) setzt seine Theorie perfekt um, indem sie das bloße Vorkommen von Feldern mit der visuellen Erfahrung identifiziert. Datum (3D) der vollen Dreidimensionalität setzt sie um, indem sie konstatiert, die den Feldern zugrunde liegenden perzeptuellen Räume seien dreidimensionale Mannigfaltigkeiten. In der Sellars-Diskussion hat sich gezeigt, daß man gerade dann, wenn die Konzeption voluminöse Dreidimensionalität zu repräsentieren erlaubt, dem Datum der internen Perspektivität nicht mehr gerecht werden kann. Schließt Castañedas geradlinige Umsetzung der voluminösen Dreidimensionalität womöglich ebenfalls Perspektivität aus? Ich erinnere zunächst an zwei Resultate aus der Darstellung seiner Theorie der Felder: i. Die Reduktion visueller Erfahrung auf das Vorkommen von Feldern ist allenfalls haltbar, wenn dabei die perzeptuellen Räume die eigentlich auftretende Realität bilden. Die Feldinhalte können ihren ontologischen Status, an einer physischen Raumzeitposition einfach aufzutreten, nur derivativ besitzen, indem sie in irgendeiner sehr speziellen und formal aus dem Rahmen der allgemeinen Gestaltungstheorie fallenden Relation zu den primitiv-einzelnen Positionen eines perzeptuellen Raumes stehen. ii. Der Ursprung eines Wahrnehmungsraumes selbst muß nach Castañedas Konzeption in Eigenschaften einer speziellen Sorte eingehen, nämlich in die Eigenschaften der Art sich in R befinden zum Hier-Jetzt[s, p, t]. Das muß jedenfalls für Hier-Gestaltungen gelten, da sonst ein Regreß droht; und wenn man das zuläßt, ist es die einfachste und theoretisch einheitlichste Konzeption, daß auch in andere demonstrativen Gestaltungen, die Inhalte von Feldern sind, jeweils eine Eigenschaft dieser Sorte eingeht. Aufgrund von Resultat (i) müssen zweifellos perzeptuellen Räume selbst interne Perspektivität besitzen, wenn die Felder dieses Charakteristikum aufweisen sollen. Denn die Perspektivität ist etwas derart Manifestes und
329 ‚Gegebenes‘, daß die räumliche Mannigfaltigkeit als die eigentlich vorkommende Realität an einem Feld dem Feld mit seinen Inhalten diese Struktur vorgibt, sie also nicht etwa erst dadurch hinzutritt, daß der Raum um Inhalte erweitert wird. Ähnlich erfordert Punkt (ii), daß im Wahrnehmungsraum selbst bereits die Ursprungsposition Hier-Jetzt ausgezeichnet ist, die einheitlich in Eigenschaften der Art sich in R zu Hier-Jetzt[s, p, t] befinden oder jedenfalls in die konstitutive Eigenschaft von HierGestaltungen eingeht. Aber man kann gar nicht begreifen, was es heißen soll, daß ein System räumlicher Positionen, die primitive Einzelne sind, eine der Positionen per se als Ursprung auszeichnet. Wie an der Überlegung zu dem dreidimensionalen Modell eines Schreibtisches deutlich geworden ist, verhält sich jedenfalls kein Ausschnitt des physischen Raumes derartig, wenn man ihn als Mannigfaltigkeit primitiver Einzelner auffaßt. Perzeptuelle Räume, die Systeme primitiver Einzelner sind, wären solchen physischen Raumgebieten kategorial so gleich, daß man dieses negative Ergebnis hinsichtlich physischer Räume auf perzeptuelle übertragen muß. Ein System primitiv-einzelner Positionen mit einer vollen dreidimensionalen Struktur kann demnach nicht intern-perspektivisch sein. Einen zusätzlichen Aspekt in Castañedas Charakterisierung perzeptueller Felder muß man allerdings berücksichtigen. In seinen Prinzipien für die visuellen Felder postuliert er bestimmte Koordinatensysteme für die visuellen Räume. Seine zentralen Angaben lauten, (a) Raum und Zeit eines visuellen Feldes hätten eine Ursprungsposition („point of Origin“) für ihr natürliches Koordinatensystem, nämlich ein polares System, das mit Entfernungen vom Ursprung und Winkeln arbeitet, die von vom Ursprung ausgehenden Linien gebildet werden;53 und (b) der visuelle Raum, der jedem visuellen Feld zugrunde liegt, sei ein endliches oder unbegrenztes („indefinite“) System von Vektoren mit einer natürlichen Ursprungsposition („point of origin“); diese Vektoren und ihre Winkel konstituierten einen intern organisierten Raum.54 In (a) unterscheidet er klar den Raum (und die Zeit) selbst von seinem Koordinatensystem. Daß es sich um Polarkoordinaten handeln soll, scheint zum Gedanken der internen Perspektivität zu passen. Aber erstens legt die Art des Koordinatensystems nicht die 53 54
Siehe PBS, S. 308, (VS.3.). Siehe nahezu wörtlich PBS, S. 305.
330 Struktur des damit beschriebenen Raumes fest, da grundsätzlich eine Umrechnung in ein System anderer Art möglich ist. Zweitens setzt das Koordinatensystem, wenn es die Perspektivität des Feldes bestimmen soll, bereits voraus, daß die räumliche Mannigfaltigkeit per se eine ihrer Positionen als Ursprung des Systems auszeichnet. Formulierung (b) irritiert, indem sie wörtlich genommen den visuellen Raum mit einem Vektorensystem identifiziert. Daß jedoch zusätzlich noch eine Ursprungsposition gefordert und die schwächere Formulierung folgt, Vektoren und Ursprung konstituierten nur den Raum, zeigt, daß Castañeda auch hier zwischen Raum und Koordinatensystem unterscheidet und unter den Vektoren eher die im System möglichen Koordinaten als die Elemente des Raumes selbst versteht.55 2.f Interne Perspektivität und voluminöse Dreidimensionalität sind unvereinbar. Nach diesen desaströsen Ergebnissen des Versuchs, den Befunden (D), (IP) und (3D) allesamt mit zwei ganz verschiedenen Theorien gerecht zu werden, sollte man die Befunde selbst noch einmal begutachten. (D) steht so fest wie nur möglich. Denn zum einen ist es gar kein spezifisches Datum über das betrachtete Phänomen, sondern nur ein Ausdruck dafür, das man es richtig identifiziert hat. Zum anderen aber kann man anhand des möglichen Umgangs der diskutierten Theorien mit (IP) erkennen, wie irregeleitet es wäre, (D) aufzugeben. Man könnte in diesem Fall nämlich etwa in Castañedas Theorie (IP) dadurch gerecht zu werden versuchen, daß man visuelle Felder mit schlichtweg vorkommenden dreidimensionalen Systemen primitiver Einzelner identifiziert, wobei die Einzelnen irgendwie auf qualitative Inhalte bezogen sind. Dann könnte man annehmen, die Perspektivität käme dadurch in die Wahrnehmungsepisode hinein, daß der Wahrnehmende in eine spezielle Beziehung zu einem bestimmten klei55
Daß ein System von Vektoren in der Weise primitiver Einzelner schlichtweg irgendwo vorkommt, wäre auch sachlich fragwürdig. D. Lewis hält es für möglich, daß Raumzeitpunkte nicht nur interne („intrinsic“) Eigenschaften exemplifizieren, sondern an ihnen punktgroße Stücke von Materie oder von Feldern positioniert sind. Als Beispiele nennt er unter anderem die Feldstärke und meint vermutlich die elektrische oder magnetische, also jedenfalls ein Vektorfeld. (Plurality, S. 14). Doch solche vektoriellen Feld-Elemente würden keine Raumstruktur konstituieren.
331 nen Gebiet in dem System tritt. Verhielte es sich jedoch derartig, so könnte man im Prinzip nacheinander zu verschiedenen Gebieten des Feldes (oder auch bloß strukturell und inhaltlich völlig gleichartiger Felder) in diese Beziehung treten, gewissermaßen in ihnen herumwandern und ein und dasselbe Feld unter verschiedenen Perspektiven erfahren. Das ist gewiß nicht die Art, wie unsere Wahrnehmung beschaffen ist. Steht der fundamentale Status von (D) fest, so kann man auch an der internen Perspektivität (IP) nicht rütteln. Wie sie auch immer genau bestimmt werden muß:56 ohne Zweifel weisen die Felder eine interne Einseitigkeit auf. Anders steht es hingegen mit der voluminösen Dreidimensionalität (3D). Sie zu negieren führt keineswegs zu völligen Kuriositäten; vielmehr besitzt (3D) in der Annahme einer bloßen räumlichen Tiefe der visuellen Felder eine diskutable Alternative. Man kann sich tatsächlich durch eine phänomenologische Betrachtung vor Augen führen, daß (3D) mit (IP) gar nicht vereinbart werden kann. Ich möchte das anhand von Sellars’ rosafarbenem Eiswürfel erläutern. Es kommt dabei nicht auf Sellars‘ Auffassung vom Status der Bild-Modelle an; ich verwende Sellars‘ Konzept solcher Modelle hier nur stellvertretend für beliebige Konzepte von voluminös-dreidimensionalen Feldern. Es ist also völlig offen gelassen, ob solche Modelle komplexe physische Ereignisse oder irreduzible geistige Vorkommnisse sind. Im Beispiel sieht jemand einen halbdurchsichtigen rosafarbenen Eiswürfel; in etwas ausgedünnten Begriffen gesprochen handelt es sich um ein würfelförmiges Volumen von (halbtransparentem) Rosa. Nach Sellars ist in der Wahrnehmung nicht bloß das Rosa der gesehenen Würfeloberfläche, sondern auch das des Würfelinneren ‚körperlich anwesend‘ („bodily present“), nämlich in Form eines entsprechenden Momentes in dem ausgebildeten BildModell („image-model“). Das hängt nicht an der Durchsichtigkeit des Würfels; sondern ganz ähnlich stünde es mit dem weißen Inneren eines Apfels mit roter Schale, nur daß das entsprechende Moment des BildModells gänzlich imaginiert, doch nichtsdestotrotz ‚körperlich anwesend‘ wäre. Ich möchte zusätzlich annehmen, daß der Eiswürfel auf einem an56
Ich denke, daß meine obigen Charakterisierungen sowohl treffend als auch weitgehend theorieneutral sind.
332 sonsten leeren weißen Teller liegt. Sicherlich korrespondieren den unbedeckten Partien des Tellers kraftvolle ‚weiße‘ Momente des visuellen BildModells. Die Frage ist, wie es sich mit der Partie verhält, auf der der Würfel liegt. Immerhin ist der Würfel halbdurchsichtig, und das Sehen der unverdeckten weißen Tellerpartien dürfte die imaginative Rekonstruktion des verdeckten Teils gut unterstützen. Wenn also dem weißen Inneren eines Apfels ein Moment des Bild-Modells entspricht, so erst recht und mit größerer Intensität der bedeckten Tellerpartie. Es fällt zunächst schwer, jemals auch nur ansatzweise ein einigermaßen stabiles qualitatives Element im eigenen visuellen Feld auszumachen, das einer bedeckten Partie eines Gegenstandes entspricht. Der eigentliche Punkt ist jedoch, daß man sich gar nicht ausdenken kann, wie ein der bedeckten Tellerpartie korrespondierendes ‚Weiß‘-Moment auftreten könnte, ohne daß das ‚darüber‘ liegende ‚Rosa‘-Moment verschwindet. Daraus muß man schließen, daß das ‚oben‘ liegende ‚Rosa‘-Moment und das ‚bedeckte‘ ‚Weiß‘-Moment gar nicht zugleich in ein und derselben Empfindungs-Bild-Struktur enthalten sein können. Man kann sich etwa vorstellen, wir könnten, indem wir uns stark auf eine Position im visuellen Feld konzentrieren und einen geeigneten Befehl vor uns hinmurmeln, die Position mit einer einfachen visuellen Qualität ‚füllen‘. Wir murmeln etwa „Weiß dorthin!“, und schon füllt sich die Position in voller Lebendigkeit mit paradigmatischer ‚Weiße‘. Man könnte so dem angeblichen Imaginieren der ‚verdeckten‘ Partien kraftvoll nachhelfen. Ich denke, es ist offenkundig, daß das Feld einfach keine bisher nahezu ‚leere‘ Position ‚hinter‘ dem ‚rosa Würfel‘ bereithält, die wir mit kraftvoller ‚Weiße‘ füllen können, ohne an dem kraftvollen ‚Rosa‘ davor etwas zu ändern. Sellars‘ Idee einer voluminös-dreidimensionalen und intern perspektivischen Bild-Struktur ist unrealisierbar; das fällt nur solange nicht auf, wie man sich mit dem Hinweis tröstet, die imaginierten ‚verdeckten‘ Momente des Modells seinen nicht lebendig und kraftvoll genug, um per Reflexion so eindeutig registrierbar zu sein wie die Empfindungsmomente. Diese lokalphänomenologische Überlegung macht keinen Gebrauch von speziellen Annahmen über Bild-Modelle. Sie läßt daher zusammen mit dem Scheitern der Versuche, in Sellars‘ oder Castañedas Art eine entsprechende Theorie zu formulieren, den folgenden Schluß zu: Voluminöse Dreidimensionalität und interne Perspektivität sind grundsätzlich nicht zusammen in einem
333 komplexen Vorstellungsinhalt realisierbar, dessen Elemente alle von derselben Kategorie sind, etwa so wie Sellars’sche Sinneseindrücke oder Castañedas Mannigfaltigkeiten perzeptueller primitiv-einzelner Positionen. Für Castañedas Auffassung der visuellen Felder stellt dieses Ergebnis jedoch ein großes Problem dar. Es bedeutet nämlich keineswegs für jeden theoretischen Versuch eine Entlastung, wenn man (3D) aufgibt. Sondern sobald man Castañedas Auffassung so abändert, daß sie die voluminöse Dreidimensionalität nicht mehr umsetzt, beraubt man sie zugleich der Ressourcen, um der internen Perpektivität (IP) gerecht zu werden. Denn die Änderung kann nur darin bestehen, daß man anstelle eines dreidimensionalen Systems primitiv-einzelner räumlicher Positionen ein nur noch zweidimensionales System annimmt. Das Problem ist, wie ein derartiges zweidimensionales System eine interne Perspektivität aufweisen können soll. Zum einen wäre dafür ohne Zweifel erforderlich, daß sich die zweidimensionale Gesamtheit von Positionen als vom Standpunkt des Wahrnehmenden abgerückt präsentiert. Für dieses Abgerücktsein steht in Castañedas Theorie aber nur die Konzeption zur Verfügung, daß das Feld selbst eine Hier-Jetzt-Position enthält und die Positionen der zweidimensionalen Gesamtheit zu ihr in gewissen räumlichen Beziehungen stehen, die jedenfalls die Identität der Relata ausschließen. Doch wenn das Feld selbst nichts weiter als diese zweidimensionale Gesamtheit ist, dann kann es in ihm keine solche Hier-Jetzt-Position geben. Zum anderen muß man zwar zugestehen, daß ein zweidimensionales Positionensystem wohl per se gewisse Herauswölbungen und Einbuchtungen enthalten kann.57 Doch auch ein so ausgeformtes zweidimensionales Feld legt in keiner Weise fest, von welcher Seite aus seine Entsprechung im physischen Raum betrachtet wird, folglich erst recht nicht in einer spezifischeren Weise, wo sich der Standpunkt des Betrachters relativ zu der physischen Entsprechung des Feldes sein muß. Ich ziehe aus der Diskussion von Castañedas antireduktionistischer Argumentskizze in der ersten Deutung das folgende Fazit: (i) Angesichts der offenkundigen internen Perspektivität des totalen visuellen Wahrnehmungsinhaltes, die zweifellos in seiner basalen räumlichen oder Räumlichkeit repräsentierenden Struktur vorhanden sein muß, zweigt das Scheitern 57
Siehe etwa die Darstellung von L. Sklar in Spacetime, II.B.4, S. 27-42.
334 von Sellars‘ und Castañedas‘ offizieller Theorie, daß diese basale Struktur nicht zugleich volle räumliche Dreidimensionalität besitzt oder repräsentiert. (ii) Da wir aber im Wahrnehmen offenbar irgendwie volle dreidimensionale Räumlichkeit repräsentieren, muß es über den intern-perspektivisch strukturierten basalen Wahrnehmungsinhalt eine davon kategorial verschiedene Repräsentation voller Dreidimensionalität geben. (iii) Dieses Desiderat einer zusätzlichen Repräsentationsebene trifft Sellars‘ Theorie ins Mark: Die perzeptuelle Repräsentation voller Dreidimensionalität ist kategorial verschieden von der basalen perzeptuellen Raumrepräsentation; aber sie ist sicherlich nicht von der Art begrifflichen Denkens. Daher ist Sellars‘ als erschöpfend konzipierter Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand, d.h. von nicht-intentionalen, einfach durch ihre intrinsische Beschaffenheit repräsentierenden Zuständen einerseits und sprachanalogen intentionalen Zuständen unhaltbar. Die Repräsentation voller Dreidimensionalität ist nicht-begrifflich, aber sie muß intentional sein, um von der basalen Repräsentation kategorial verschieden zu sein – ein nicht-begriffliches manifest erlebtes Meinen von etwas räumlich Bestimmten, das aber selbst in keiner Weise ‚körperlich anwesend‘ (bodily present) ist. (iv) Für Castañeda ist die Problemlage in einer Hinsicht dramatischer, in einer anderen jedoch entspannter. Zum einen erweist sich bereits das Konzept der Raumstruktur basaler Wahrnehmungsinhalte als unhaltbar, zu dem ihn seine Auffassung von Wahrnehmungsfeldern als selbständig vorkommenden Entitäten verpflichtet: Basale Wahrnehmungsräume können keine Systeme primitiveinzelner Positionen sein, mögen sie nun eine zwei- oder eine dreidimensionale Struktur aufweisen. (v) Zum anderen aber stellt das Desiderat einer nicht-begrifflichen intentionalen Repräsentation von dreidimensionaler Räumlichkeit Castañeda nicht vor ähnlich fundamentale Probleme wie Sellars. Denn da sein Intentionalitätskonzept ohnehin derartig weit ist, daß es sogar sensorisches Bewußtsein umfaßt, läßt es grundsätzlich auch ein nicht-begriffliches Meinen räumlicher Volumina zu. Damit ist die Besonderheit dieses Meinens allerdings nicht im Mindesten verstanden. (v) Tatsächlich ist die Theorie der nicht-begrifflichen Intentionalität, spezifischer die eines manifest erlebten, aber ‚leeren‘ Meinens eine überaus heikle Aufgabe. Als einzige Entwicklungsrichtung sehe ich eine Verallgemeinerung der in Teil VIER angelegten Konzeption nicht-sensorischer, aber manifest präsenter Bewußtseinsinhalte. Da eine ausgeführte Theorie fehlt,
335 werde ich im folgenden von dem Problem der vorbegrifflichen Intentionalität absehen und nur den in VIER entwickelten Ansatz zu einer Theorie nicht-sensorischen manifesten Bewußtseins verwenden. 3. Zweite Deutung: Die natürliche Räumlichkeit von Feldelementen 3.a Zweite Deutung: Castañeda schließt daraus, daß sich Feldelemente anders als ‚meine‘ Gehirnereignisse in bestimmter Weise räumlich zu mir verhalten, auf deren Verschiedenheit. Die beiden der ersten Deutung zugrunde liegenden Teilaussagen Castañedas lauteten: (1) „Meine Erfahrung jedoch findet vor meinen Augen statt“, (2) „ausgebreitet über das Stück des physischen Raumes, das die Gegenstände enthält, die ich sehe.“
Sie wurden im Sinn der internen Perspektivität (IP) und der vollen Dreidimensionalität (3D) gedeutet. Da die volle Dreidimensionalität für basale Wahrnehmungsinhalte aufgegeben werden muß, versuche ich es nun mit einer Deutung von Teilsatz (1), die besonders gegen Theorien des sellarsschen Typs zielt. Die einfache Lesart von Teilsatz (1), daß die Elemente des visuellen Feldes sich buchstäblich an verschiedenen58 vor meinen Augen liegenden Positionen des physischen Raumes und folglich nicht im Gehirn befinden, leuchtet weder sachlich ein, noch kann sie angesichts von Castañedas eigener Theorie intendiert sein. Man kann es jedoch mit einer Abschwächung versuchen, deren Grundidee sich so formulieren läßt: Die Elemente meines visuellen Feldes sind auf eine gewisse Weise ‚vor meinen Augen‘; die Ereignisse in meinem Gehirn sind auf keine Weise ‚vor meinen Augen‘; also sind die Elemente meines Feldes nicht mit irgendwelchen meiner Gehirnereignisse identisch. Ich versuche eine genauere Darstellung in vier Schritten i-iv: Schritt i: Unabhängig von der Frage, ob visuelle Felder Komplexe von Gehirnereignissen sind und als solche Positionen im physischen Raum einnehmen oder ob sie Entitäten ganz anderer Art sind, deren Elemente keine 58
Daß es sich um eine Vielfalt solcher Positionen handelt, nimmt etwas von Teilsatz (2) auf.
336 physisch-räumlichen Positionen einnehmen, kann man festhalten: Erstens sollen wenigsten in der veridischen Wahrnehmung Feldelemente und physische Positionen der Umgebung des Wahrnehmenden einander zugeordnet sein, so daß sich Feld und Umgebung in nennenswertem Ausmaß ‚überlappen‘. Zweitens stehen die Elemente des Feldes untereinander auf irgendeine Weise in räumlichen Beziehungen, und ebenso stehen die Positionen der physischen Umgebung untereinander in räumlichen Beziehungen. Drittens ist die Korrelation von Feldelementen und Umgebungspositionen von anderer Art als das räumliche Bezogensein der Feldelemente einerseits und der Umgebungspositionen andererseits untereinander. Viertens manifestiert sich letzteres insbesondere darin, daß in einer durchgängig illusorischen Wahrnehmung von einer Korrelation von Feld und Umgebung keine Rede sein kann, während das Bezogensein innerhalb des Feldes wie auch unter den Umgebungspositionen bestehen bleibt. Das leuchtet sowohl ein, wenn Felder komplexe Gehirnereignisse sind, als auch dann, wenn sie Systeme primitiver Einzelner sind. Fünftens kann man daher sagen, daß Feldelemente einerseits und Umgebungspositionen andererseits ihre natürliche Weise besitzen, in räumlichen Beziehungen zu stehen. Feldelemente stehen auf ihre natürliche Weise mit Elementen desselben Feldes in solchen Beziehungen, und Umgebungspositionen stehen auf ihre natürliche Weise mit anderen Positionen der Umgebung in räumlichen Beziehungen. Nicht aber stehen Feldelemente auf ihre natürliche Weise in räumlichen Beziehungen mit Umgebungspositionen, und diese stehen nicht auf ihre natürliche Weise in solchen Beziehungen zum Feld.59 59
Auf den ersten Blick kann die Rede von einer bestimmten Entitäten ‚natürlichen Weise‘, in räumlichen Beziehungen zu stehen, seltsam erscheinen: Entweder stehen sie in solchen Beziehungen oder nicht, mag man sagen. Ich habe als eine Möglichkeit, dieser Rede Sinn und Relevanz zu geben, Castañedas Theorie der Pluralität von Prädikationsformen im Blick, und zwar angewandt auf den folgenden Fall: Individuelle Gestaltungen, die zu solchen Bündeln gehören, die man mit gewöhnlichen physischen Gegenständen identifizieren kann, stehen untereinander sicherlich in räumlichen Beziehungen, indem in bezug auf sie bestimmte konsubstantiative Prädikationen wahr sind, wobei die paradigmatische und zentrale Variante der Konsubstantiation involviert ist. Doch auch Elemente von Wahrnehmungsfeldern, d.h. demonstrative Gestaltungen, und zu solchen Bündeln gehörige ‚objektive‘ Gestaltungen sollen in räumlicher Beziehung stehen können; sie sollen nämlich sicherlich am selben Ort sein können; sonst könnte von einer Überlappung perzeptueller Räume
337 Schritt ii: Vor dem Hintergrund dieser Differenzierungen kann man in Castañedas Teilsatz (a) den folgenden phänomenologischen Befund ausgedrückt sehen: In der ihnen natürlichen Weise, in der die Feldelemente in räumlichen Beziehungen stehen, stehen sie auf jeden Fall nicht in der Beziehung des Am-selben-Ort-Seins-wie zu mir. Sofern man eine bestimmtere Beziehung angeben kann, sind sie in ihrer natürlichen Weise vor mir. Schritt iii: Aber Ereignisse in meinem Gehirn stehen in ihrer natürlichen Weise, in räumlichen Beziehungen zu stehen, sehr wohl in der Beziehung des Am-selben-Ort-Seins-wie zu mir, und jedenfalls befinden sie sich nicht vor mir. Schritt iv: Gehirnereignisse besitzen daher eine Eigenschaft nicht, die die Feldelemente ihrer phänomenologischen Inspizierung zufolge besitzen, nämlich die Eigenschaft, die durch die Formel „x steht in der für x natürlichen Weise, in räumlichen Beziehungen zu stehen, nicht in der Beziehung des Am-selben-Ort-Seins-wie zu mir“ ausgedrückt wird, und sind folglich nicht mit den Feldelementen identisch. Sofern es für die Nicht-Identität ausreicht, daß zwei Sachen sich in einer Eigenschaft unterscheiden, von welcher Art sie auch sein mag, dann scheint man gegen die Korrektheit der Argumentation nichts einwenden zu
mit dem physischen Raum keine Rede sein. Während Castañeda ursprünglich in PBS für beide Fälle ein und dieselbe Konsubstantiation vorsah, unterscheidet er später eine transkategoriale Variante der Konsubstantiation für die Verknüpfung perzeptuell-demonstrativer Gestaltungen mit anderen. (Siehe PerceptionHallerFS, S. 293-296; PeirceAufsatz, bes. Abschnitt V. ‚Conclusion‘; J/P-KünneAntwort, S. 283-84.) Es gibt sicherlich andere Möglichkeiten, die ‚natürliche‘ Art, wie physische Dinge in räumlichen Beziehungen stehen, von der Art zu unterscheiden, wie ein Element eines Wahrnehmungsfeldes, und sei’s ein Gehirnereignis, sich am selben Ort wie die betrachtete Kuh auf der Wiese befindet. Es könnte sich um eine etwas andere Beziehung als die paradigmatische Beziehung handeln; oder die Weise der Prädikation im letzteren Fall ist tatsächlich modalisiert, etwa in der Form ‚MOD AmSelbenOrt2(Feldelement, Kuh)‘. Ich unterstelle nur, daß es irgendeinen solchen Unterschied gibt. Darüber hinaus soll die Redeweise offenlassen, daß die physischen Dinge und die Feldelemente vielleicht verschiedene natürliche Weisen besitzen, in räumlichen Beziehungen zu stehen. Solange man sich über die Natur des Feldes nicht im Klaren ist, sollte man nämlich nicht annehmen, daß die Feldelemente vom selben ontologischen Typ sind wie physischen Gegenstände.
338 können.60 Was die verwendeten Annahmen betrifft, so drängen sich drei Einwände auf. Zwei von ihnen kann ich recht kurz in dieser Sektion erörtern. Der dritte jedoch führt in eine eigene Debatte über die anscheinend räumliche Struktur von Wahrnehmungsfeldern, die ich in den beiden folgenden Sektionen 3.b-3.c führen werde. In 3.d werde ich zur eigentlichen Diskussion der zweiten Deutung von Castañedas Argumentation zurückkehren. Einwand (a): Unterschied in der Verwendung von ‚ich‘ bezüglich Feld und Umgebungsraum. Der argumentative Umgang mit der Eigenschaft, die durch die Formel „x steht in der für x natürlichen Weise, in räumlichen Beziehungen zu stehen, nicht in der Beziehung des Am-selben-Ort-Seinswie zu mir“ ausgedrückt wird, unterstellt, daß ich sowohl zum Bereich dessen gehöre, wozu Positionen der Umgebung in räumlicher Beziehung stehen können, speziell in der Beziehung des Am-selben-Ort-Seins-wie, als auch zum Bereich dessen, wozu sich Elemente meines visuellen Feldes in einer derartigen Weise räumlich verhalten können, daß sie sich jedenfalls nicht am selben Ort wie ich befinden. Man kann aber bezweifeln, ob die Unterstellung zulässig ist, daß ich gewissermaßen sowohl in dem räumlichen System, zu dem meine physische Umgebung gehört, als auch in dem räumlichen System meines visuellen Feldes vorkomme. Darauf kann man jedoch entgegnen, die Argumentation erfordere keineswegs, daß ich als eine strikt identische Entität in beiden Systemen vorkomme. Es kann sein, daß das, worüber man mit Verwendungen von ‚ich‘ redet, ein System aus verschiedenen Teilen, Momenten oder Aspekten ist; man wird dem Bedenken hier wohl hinreichend gerecht, indem man zwei Aspekte unterscheidet, einen ‚weltlichen‘ und einen ‚feldlichen‘. Mit dieser Unterscheidung können die Gehirnereignisse eines Wahrnehmenden in ihrer natürlichen Weise in der Beziehung des Am-selben-Ort-Seins-wie zu dem weltlichen Aspekt dessen stehen, was er als ‚ich‘ bezeichnet; entsprechend können die Feldelemente sich in der ihnen natürlichen Weise so zum feldlichen Aspekt des mit ‚ich‘ Bezeichneten verhalten, daß jedenfalls ausgeschlossen ist, daß sie sich am selben Ort wie dieser Aspekt befinden. Mit dieser Aspektunter-
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Wenn ich recht sehe, sind die involvierten Eigenschaften sogar nicht-intensionaler, speziell nicht-modaler Art.
339 scheidung fällt die Differenz in den Eigenschaften der Gehirnereignisse und der Feldelemente demnach sogar noch schärfer aus. Einwand (b): Die Rede vom auf natürliche Weise räumlichen Verhältnis der Feldelemente zu mir ist unklar. Der Umstand, daß sich meine Gehirnereignisse ungefähr am selben Ort befinden wie ich bzw. der weltliche Aspekt von mir, läßt sich einigermaßen klar konstatieren und formulieren. Wie ein Feld hingegen beschaffen sein muß, um eine interne Perspektivität aufzuweisen, ist bislang nicht klar. Daher kann man bemängeln, der Umstand, daß sich die Feldelemente in ihrer natürlichen Weise räumlich zu mir oder einem Aspekt von mir verhalten, lasse sich nicht mit genügender Klarheit konstatieren und formulieren. Angesichts der Schwierigkeiten, die Castañedas eigene Auffassung der Felder mit dieser perspektivischen Struktur hat, kann man jedenfalls nicht einfach sagen, der feldliche Aspekt dessen, was der Wahrnehmende ‚ich‘ nennt, sei ein Element wie die anderen Feldelemente und stehe zu ihnen in gewissen räumlichen Beziehungen, die die Identität der eingenommenen Positionen ausschließen. Das ändert jedoch nichts daran, daß die intern-perspektivische Struktur in dem abstrakten Sinn, den ich zu charakterisieren versucht habe, zweifellos vorhanden ist: Eine Objektivierung eines Feldes im physischen Raum muß nicht bloß verschiedene qualitative, etwa farbliche Bestimmungen von gegenständlichen Oberflächen enthalten, sondern darüber hinaus eine Angabe, von wo aus die Szenerie wahrgenommen wird. Für die Argumentation reichte es aus, wenn sich aufgrund der räumlichen Bestimmungen, welche die Feldelemente in ihrer natürlichen Weise des räumlichen Bestimmtseins aufweisen, etwas über ihr Verhältnis zu mir sagen ließe, das sich hingegen nicht über das Verhältnis meiner momentanen Gehirnereignisse aufgrund ihres natürlichen räumlichen Bestimmtseins sagen läßt. Das konstatierte Verhältnis muß keineswegs von der Art sein, daß ein Aspekt von mir einfach ein Element des Feldes unter all den anderen ist. Entscheidend ist vielmehr, daß etwas konstatiert wird, das wirklich nur durch solche räumlichen Bestimmungen der Feldelemente festgelegt ist, die sie in ihrer natürlichen Weise des räumlichen Bestimmtseins besitzen. Denn was die konstatierten Verhältnisse ausschließen müssen, läßt sich klar angeben: Es muß ausgeschlossen sein, daß das Feld tatsächlich ein System von Gehirnereignissen ist, die in ihrer natürlichen Weise des räumli-
340 chen Bestimmtsein in einer kleinen Region des physischen Raumes vorkommen, nämlich ungefähr an meiner physischen Raumposition, und daß mein sonstiger kognitiver Apparat diesen Ereigniskomplex nur in einer Weise behandelt, daß man einen Aspekt des Komplexes als Darstellung meiner physischen Raumposition ansehen kann.61 Das bedeutet jedoch, daß es eine Frage gibt, die grundlegender ist als die Frage, ob die Feldelemente ein besonderes räumliches Sichverhalten zu einem Aspekt von mir zeigen: Ein intellektuell entsprechend befähigter Wahrnehmender kann in einer phänomenologischen Reflexion sein visueller Feld identifizieren; wenn er es einfach als solches zu beschreiben versucht, wird er sich seiner Begriffe für räumliche Plazierungen, Formen und Verhältnisse bedienen; die Frage ist, ob die Elemente des Feldes wirklich räumliche Bestimmungen in ihrer natürlichen Weise, räumlich bestimmt zu sein, aufweisen, die einigermaßen den Beschreibungen des Reflektierenden entsprechen.62 3.b Die anscheinend räumlichen Beziehungen im Feld können nicht die physisch-räumlichen Beziehungen zwischen Teilen eines komplexen Gehirnereignisses sein. Eine dritte Problematisierung der Argumentation lautet, man dürfe nicht einfach annehmen, die anscheinend auf natürliche Weise räumliche Struktur des Feldes sei tatsächlich eine solche. Die Frage ist allerdings, wie sich mit der Auffassung, das Feld sei ein komplexes Gehirnereignis, der Anschein einer räumlichen Struktur erklären läßt. Grundsätzlich gibt es dabei 61
So könnte der Ereigniskomplex ein charakteristisches Muster aufweisen, wenn ich etwas Großes schnell auf mich zukommen sehe, und mein kognitiver Apparat könnte darauf in der begrifflichen Verarbeitung und in der Verhaltenssteuerung so reagieren, daß man sagen kann, er deute das Muster als ein ‚Auf-mich-Zukommen‘. 62 Die Betonung liegt hier nicht auf dem epistemischen Punkt, inwieweit man die räumliche Struktur des Feldes in einer detaillierten Beschreibung erfassen kann. Die Frage ist vielmehr, ob man überhaupt eine Argumentation mit der Grundannahme führen darf, daß das Feld in einer ihm natürlichen Weise eine räumliche Struktur besitzt. Mein Hinweis, daß es um diejenige Struktur geht, die in der Reflexion konstatierbar ist, soll nur die folgende nicht relevante Antwort ausschließen: Ein Feld, das mit einem komplexen Gehirnereignis identisch ist, besitze sicherlich in natürlicher Weise räumliche Bestimmungen, nämlich solche, gleichgültig welche es sein mögen, die das Ereignis deshalb hat, weil es im physischen Raum vorkommt und vielleicht darin ausgebreitet ist.
341 zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt an, das komplexe Gehirnereignis besitze als solches eine physisch-räumliche Struktur; wenn das Feld räumlich erscheine, so liege das daran, daß es tatsächlich im physischen Raum des Gehirns ausgebreitet ist; allerdings seien die sich eventuell in einer phänomenologischen Inspizierung aufdrängenden Bestimmungen fehlerhaft, etwa daß sich weite Gebiete des Feldes ‚vor mir‘ befinden. Oder man bestreitet dem Feld jede innere räumliche Strukturierung oder jedenfalls eine solche, die im mindesten der phänomenologisch zugänglichen Struktur entspricht, und erklärt den Anschein einer so inspizierbaren Raumstruktur zur Fehlauffassung.63 Mit einem weiteren Blick auf Sellars‘ Theorievariante kann man zunächst eine Variante der ersten Konzeption ausprobieren: Die einzelnen identifizierbaren Elemente des Feldes sind tatsächlich verschiedene Gehirnereignisse, die über eine physisch-räumliche Fläche im Gehirn verteilt sind, also eine vielleicht gekrümmte, jedoch (so gut wie) zweidimensionale räumliche Mannigfaltigkeit; die räumlichen Tiefenphänomene bestehen in besonderen internen Charakteristika dieser lokalisierten Ereignisse. Das entspricht meinem allerersten Versuch in 2.c, eine sellarssche Konzeption von der räumlichen Tiefe von Feldern zu entwickeln. Wenn man beispielsweise in einem Augenblick ein visuelles Feld erfährt, das in seiner linken Hälfte eine kleine ‚rote‘ und in seiner rechten eine ‚grüne‘ Figur zeigt, dann sind 63
In beiden Fällen ist es angemessen, von einem komplexen Gehirnereignis zu sprechen. Nach der ersten Hypothese erscheint es wenigstens dann, wenn man sie in einer rohen Fassung vorbringt, spezieller angebracht, von einem Komplex aus Gehirnereignissen zu sprechen; denn nach dieser Hypothese setzt sich das Feld wirklich aus einer Pluralität einzelner Ereignisse zusammen, die über eine Region des physischen Raums verteilt sind. Demgegenüber kann man ein Ereignis komplex nennen, wenn auf es viele gut differenzierbare Bestimmungen zutreffen, so daß man von verschiedenen Momenten in dem Ereignis sprechen kann, ohne daß es jedoch Teile besitzt, die selbst Einzelereignisse sind, oder gar insbesondere solche, die an verschiedenen Orten geschehen. All das hängt davon ab, welchen ontologischen Status man Ereignissen zugesteht. In der folgenden Diskussion soll mein Wechsel zwischen der Verwendung von ‚komplexes Ereignis‘ einerseits und ‚Komplex von Ereignissen‘ oder ‚Ereigniskomplex‘ andererseits und entsprechend zwischen ‚Teilereignis‘ und ‚Moment eines komplexen Ereignisses‘ dem Unterschied zwischen beiden Hypothesen gerecht werden, ohne daß ich mich hinsichtlich des ontologischen Status von Ereignissen festlege.
342 die beiden Elemente dieser Konzeption zufolge zwei unabhängige, verschieden lokalisierte Gehirnereignisse;64 das räumliche Verhältnis zwischen ihnen, das man durch Aufmerksamkeit auf das Feld registrieren kann, ist nichts anderes als die relative physische Lokalisierung beider Ereignisse im eigenen Gehirn, besteht also beispielsweise darin, daß die beiden Ereignisse in einem Abstand von 6,7 cm auftreten. Eine wichtige Frage ist dabei, ob jemand, der Feldelemente mit Gehirnereignissen identifiziert, auch der Ansicht sein muß oder vernünftigerweise sein sollte, daß es eine interne, nicht-relationale Bestimmung der betreffenden Ereignisse ist, Feldelemente zu sein. Zum einen ist recht klar, daß jedenfalls für Sellars die reinen Prozesse, die letztlich sensorische geistige Episoden sein sollen, dies einfach an sich sind und nicht erst aufgrund weiterer externer Bestimmungen. Zum anderen muß wohl eine Version der Identifizierung von Feldelementen mit Gehirnereignissen, die in einer Auseinandersetzung mit Castañedas phänomenologischen Aussagen über Wahrnehmungsfelder interessant ist, die Feldzugehörigkeit als interne Bestimmung ansehen. Zunächst steht nämlich fest, daß nach einer solchen Auffassung Gehirnereignisse nicht mögliche Objekte des Erfahrens sind, die ähnlich wie die Sinnesdaten oder ‚Empfindbarkeiten‘ etwa bei G. E. Moore im Prinzip unerfahren existieren können und erst zu einem Geist oder etwas anderem in die Beziehung der ‚unmittelbaren Apprehension‘ treten müssen, damit sich ein Erfahren von ihnen ereignet.65 Sondern die Gehirnereignisse sollen selbst die Erfahrungsereignisse sein, und ein unmittelbares Objekt sollen sie gar nicht haben. Wenn die betreffenden Ereignisse demnach die Eigenschaft, Feldelemente zu sein, nicht intern besitzen, dann ist das, was hinzutreten muß, damit sie es werden, keine Beziehung auf irgendetwas, durch die sie zu erfahrenen Objekten werden; sondern es muß sich um eine Einbettung in eine Struktur handeln, aufgrund derer sie selbst Erfahrungen, also Ereignisse des Erfahrens werden. Dabei besteht das folgende Problem: Es gibt zwei entgegengesetzte Richtungen, in die eine Konzeption der hinzutretenden Struktur entwickelt werden kann, und beide Richtungen lassen es zweifelhaft erscheinen, ob man 64
Ich sehe davon ab, daß die Figuren selbst schon ausgedehnt sind und die Elemente folglich jeweils schon Ereigniskomplexe sind. 65 Siehe etwa Moore, StatusSenseData, bes. S. 174-75, 180-183; Moore bevorzugt in dem Text den Terminus „sensible“ gegenüber „sense-datum“.
343 wirklich das Ereignis, das in die Struktur eingebettet ist, als Element eines Wahrnehmungsfeldes ansehen kann. In der einen Richtung liegen mögliche Konzeptionen, denen zufolge ein Ereignis sich dadurch als Feldelement qualifiziert, daß es eine für Feldelemente charakteristische Rolle spielt, die aber weitgehend von der internen Beschaffenheit des Ereignisses unabhängig ist. Damit meine ich nicht den Umstand, daß ein komplexer funktionaler Zustand grundsätzlich in den unterschiedlichsten Materialien realisierbar ist; sondern ich meine mögliche Konzeptionen, nach denen die relevante Rolle so unspezifisch ist, daß selbst in demselben Material und selbst dann, wenn die Art der Realisierung anderer Rollen weitgehend festliegt, fast jeder beliebige Zustand oder Ereignisse beliebiger Art, die in dem Material möglich sind, diese Rolle spielen können. Ich denke, wenn Ereignisse beliebiger Art durch die richtige funktionale Anbindung an ein komplexes funktionales System den gewünschten Status erwerben können, dann sollte man nicht diese beliebigen Entitäten als Ereignisse des Erfahrens bezeichnen, die Elemente von Wahrnehmungsfeldern sind; sondern allenfalls kann es in dem funktionalen System eine Teilstruktur geben, die man als ein einzelnes Ereignis oder ein Einzelmoment des Erfahrens ansehen kann, etwa eine Teilstruktur, die eine besondere Sensitivität für mögliche Variationen des angebundenen Ereignisses zeigt. In der anderen Richtung liegen mögliche Konzeptionen, denen zufolge die Bedingungen sehr anspruchsvoll sind, unter denen ein Ereignis so in einen vorliegenden Zustand eingebettet werden kann, daß es sich als Element eines Feldes qualifiziert. Der einbettende Zustand soll danach nur mit Ereignissen von ganz bestimmter Natur so zusammentreten können, daß ein Erfahrungsereignis stattfindet, welches als Element eines Wahrnehmungsfeldes erscheint. In einer solchen Situation sollte man jedoch nicht das eingebettete Ereignis als das Erfahrungsereignis ansehen, sondern allenfalls das Ganze aus dem Ereignis, das als eingebettetes konzipiert wird, und dem Vorliegen des einbettenden Zustands.66 Diesen abstrakten Überlegungen 66
Ich unterstelle hier, daß das Vorliegen eines solchen einbettenden Zustands, der aufgrund seiner eigenen Natur den Umfang der Ereignisse sehr stark einschränkt, die mit ihm kombinierbar sind und sich dadurch als Feldelemente qualifizieren, selbst ein einzelnes Gehirnereignis oder einen Teil eines solchen darstellt. Deshalb kann in einem solchen Fall auch das Ganze aus dem eingebetteten Ereignis und der einbettenden Struktur als ein Einzelereignis gelten.
344 zufolge mögen also in beiden Richtungen Konzeptionen liegen, die ein Ereignis nur kontingenterweise und aufgrund externer Bestimmungen als Erfahrungsereignis, das als Element eines Wahrnehmungsfelder vorkommt, erscheinen lassen. Aber bei genauerer Betrachtung ist gar nicht dieses eingebettete Ereignis selbst der plausibelste Kandidat für das relevante Ereignis des Erfahrens. An diesem Ergebnis würde sich auch dadurch nichts ändern, daß man konkretere und weniger eindeutig in einer der beiden Richtungen liegende Konzeptionen in Betracht zöge. Vor diesem Hintergrund ist die Konzeption, derzufolge lokalisierte Gehirnereignisse einfach die Elemente von Feldern sind und im Feld gewissermaßen mitsamt ihren physisch-räumlichen Beziehungen untereinander vorkommen, jedenfalls in dieser rohen Fassung unhaltbar: Erstens ist nämlich die Eigenschaft eines Feld-Ereignisses, in 6,7 cm Abstand von einem weiteren Feld-Ereignis aufzutreten, sicherlich keine seiner internen Eigenschaften. Es fehlt also eine Erklärung, wieso sich die räumliche Beziehung der beiden Ereignisse in dem Feld bemerkbar machen sollte. Immerhin besitzen beide Ereignisse zahllose andere nicht-interne Eigenschaften, die sich nicht im Feld bemerkbar machen. Zweitens ist es, falls man sich auf diese Konzeption einläßt, plausibel, daß auch die Elemente von Feldern anderer Wahrnehmungsmodalitäten lokalisierte Gehirnereignisse sind. Dann finden jedoch ein bestimmtes visuelles Feld-Ereignis und ein auditives Feld-Ereignis ebenso sehr in einer bestimmten physisch-räumlichen Beziehung zueinander statt wie zwei visuelle Feld-Ereignisse. Die räumliche Beziehung zwischen Feld-Ereignissen verschiedener Modalität müßte sich ebenso als ein Feldcharakteristikum bemerkbar machen wie die zwischen Ereignissen derselben Modalität. Eine räumlich koordinierte synästhetische Wahrnehmung wie das Sehen-cum-Hören eines mit Blaulicht und Horn vorbeifahrenden Polizeiwagens wäre dann aber nur in der Weise möglich, daß Feld-Ereignisse verschiedener Modalitäten an derselben Stelle des Gehirns auftreten. Das darf man wohl ausschließen. Drittens könnten einzelne Ereignisse des ‚Feldes‘ ausfallen, ohne daß sich an den anderen etwas ändern müßte. Es könnte auch ein ganzer Streifen von Ereignissen derartig fehlen, daß zwei räumlich unverbundene Gebiete von Feld-Ereignissen übrig bleiben. Obwohl dann gar kein zusammenhängendes Feld mehr bestünde, bliebe die physisch-räumliche Beziehung zwi-
345 schen Ereignissen der einen und der anderen Region erhalten und müßte weiterhin erfahren werden. Das ist extrem unplausibel.67 Man kann daher diese rohe Fassung der Theorie zu den Akten zu legen, daß die räumliche Struktur des Feldes einfach die physisch-räumliche Struktur eines komplexen Gehirnereignisses ist. Die Anschlußfrage lautet, ob sich die Theorie so verfeinern läßt, daß jedenfalls die genannten Einwände sie nicht mehr treffen. Dazu müßte offenbar ein Faktor hinzutreten, durch den gewisse räumliche Beziehungen zwischen Feld-Ereignissen zu im Feld enthaltenen Beziehungen werden; daß dieser Faktor demgegenüber bei dem räumlichen Verhältnis zwischen einem visuellen und einem auditiven Feld-Ereignis fehlt, könnte dann erklären, weshalb diese Beziehung in keinem Feld registrierbar ist. Die einzige erfolgversprechende Möglichkeit besteht darin, daß der zusätzliche Faktor die beiden Ereignisse, deren physisch-räumliche Beziehung sich im Feld bemerkbar machen soll, derartig umfaßt, daß er ihr Bezogensein in der erforderlichen Weise qualifiziert. Der Zusatzfaktor verhält sich demnach zu dem Ereignispaar mit seiner räumlichen Beziehung ähnlich, wie sich nach den oben erwogenen Konzeptionen der einbettende Zustand zu dem Ereignis verhält, das sich aufgrund dieser Einbettung kontingenterweise und extern als in einem Feld vorkommendes Erfahrungsereignis qualifizieren sollte. Ich möchte mich hier auf Konzeptionen der zweiten Richtung konzentrieren, denen zufolge der einbettende Zustand nur mit Ereignissen von sehr bestimmter Natur so kombinierbar sind, daß ein Feld-Ereignis zustande kommt.68 67
Bei diesem Punkt muß man beachten, daß die Region ausfallender Feld-Ereignisse nicht etwa als ein Erfahren eines leeren oder dunklen Raumgebietes gewertet werden muß, sondern gar kein Erfahren ist; denn die diskutierte Konzeption identifiziert erfahrene Felder mit räumlich ausgebreiteten Ereigniskomplexen. 68 Wenn meine Reaktion auf die ‚funktionalistische‘ Konzeption der Einbettung oben gerechtfertigt ist, so gilt hier analog: Wenn eine funktionale Einbettung die physisch-räumliche Beziehung zwischen zwei Ereignissen, die womöglich intern die Eigenschaft besitzen, Feld-Ereignisse zu sein, als im Feld vorkommend qualifizieren soll, dann kommt gar nicht diese räumliche Beziehung im Feld vor, sondern allenfalls irgend eine Bestimmung der Struktur, die für die vermeintliche Qualifizierung sorgt. Also kann diese Konzeption sicherlich nicht gewährleisten, daß eine im Feld registrierbare räumliche Beziehung eine physisch-räumliche Beziehung zwischen lokalisierten Gehirnereignissen ist.
346 Insgesamt wären folgende Ereignisse oder Teilereignisse im Spiel: (a) die beiden an verschiedenen Positionen 1 und 2 und in der physischräumlichen Beziehung R stattfindenden Ereignisse e1 und e2, die Elemente eines Feldes sein sollen; (b) der triviale Ereigniskomplex e1+2, der die Teilereignisse e1 und e2 enthält; (c) ein Ereignis E, das als ergänzender Faktor zu e1+2 hinzutritt; (d) das Gesamtereignis E*, das E und e1+2 umfaßt. Man kann dabei eine derartige Aufteilung des Gesamtereignisses E* in die Teile (a)-(c) annehmen, daß die lokalisierten Ereignisse e1 und e2 jeweils alle Teilmomente des Gesamtereignisses E* einschließen, die an ihren Positionen 1 bzw. 2 vorkommen. Damit steht fest, daß kein Moment des Zusatzfaktors E, das auf die Position 1 bzw. 2 beschränkt ist, ausreicht, um e1 und e2 als Feld-Ereignisse auszuzeichnen, falls sie es per se nicht sind. Es gibt dann zwei Möglichkeiten: Entweder sind e1 und e2 per se Feld-Ereignisse; dann besteht das Feld einfach aus den Ereignissen e1 und e2 sowie anderen Ereignissen dieser Art. Das Gesamtereignis E ist dann kein Feldereignis; das könnte es nämlich nur in dem Sinn sein, daß außer seinen Komponenten e1 und e2 auch die Komponente E per se ein Feld-Ereignis ist; der Zusatzfaktor E sollte aber bloß anderes als im Feld vorkommend qualifizieren, nicht selbst per se Element eines Feldes sein. Oder e1 und e2 sind nicht schon per se Feld-Ereignisse. Dann muß etwa e1 aufgrund eines Momentes des Zusatzfaktors E zum Feld-Ereignis aufgewertet werden, das woanders als an Position 1 vorkommt; etwas stilisierend darf man wohl annehmen, daß dieses Moment an Position 2 vorkommt. Das Analoge gilt für e2. Aber nach meiner obigen Überlegung besitzen Ereignisse die Eigenschaft, FeldEreignisse zu sein, intern. Folglich sind e1 und e2 keine Feldelemente, da sie diese Eigenschaft nicht intern besitzen; sondern Feldelemente sind allenfalls zwei verschiedene Ereignisse, die beide über die Positionen 1 und 2 verstreut sind. Diese beiden Ereignisse stehen aber offenbar nicht in der physisch-räumlichen Beziehung R. Also kann die in einem Feld registrierbare räumliche Beziehung zwischen zwei Elementen nicht einfach die physisch-räumliche Beziehung sein, die zwei unterschiedlich lokalisierte Gehirnereignisse tatsächlich besitzen.
347 3.c Vorbehaltlich einer metaphysischen Reduktion besteht visuelle Wahrnehmung in der Konfrontation mit einem tatsächlich räumlich strukturierten Feld. Insgesamt sind demnach Konzeptionen aussichtslos, die visuelle Felder einfach mit komplexen Gehirnereignissen und die im Feld registrierbaren anscheinend räumlichen Beziehungen mit den physisch-räumlichen Beziehungen identifizieren, die die Teilereignisse des Komplexes tatsächlichen untereinander besitzen. Das gilt aus recht trivialen Gründen für ‚rohe‘ Konzeptionen dieser Art, doch es gilt auch für subtilere Varianten, die einen Zusatzfaktor annehmen, der bestimmte physisch-räumliche Beziehungen für das Erscheinen im Feld qualifizieren soll. Das ist ein ziemlich einschneidendes Ergebnis; denn wenn man Wahrnehmungsfelder mit komplexen Gehirnereignissen identifiziert, dann besteht die einzige Möglichkeit, die anscheinend räumliche Struktur der Felder wirklich als eine solche zu konzipieren, darin, daß man sie mit dem System der physisch-räumlichen Beziehungen von physischen Teilereignissen identifiziert. Wenn visuelle Felder folglich komplexe Gehirnereignisse wären, dann könnte ihre anscheinend räumliche Struktur nicht einmal in ihrem zweidimensionalen Aspekt tatsächlich eine solche sein. Daß die Bestimmungen von Sinneseindrücken oder Bild-Strukturen, die wir selbst noch in der inhaltlich zurückhaltendsten konzeptionellen Verarbeitung mittels unserer Begriffe für räumliche Verhältnisse auffassen, tatsächlich keine räumlichen Bestimmungen sind, ist Sellars explizite Lehre. Vielmehr soll das Haben eines visuellen Sinneseindrucks darin bestehen, daß man sich in einer Mehrzahl von Zuständen aus einem Fundus möglicher Zustände befindet, und diese möglichen Zustände sollen formal analoge Bestimmungen zu den Bestimmungen aufweisen, die physische Dinge dadurch besitzen, daß sie im physischen Raum existieren.69 Meine Punkte gegen den Gedanken, anscheinend räumliche Beziehungen in Feldern einfach mit physisch-räumlichen Beziehungen von Ereignissen zu identifizieren, sind daher nicht unmittelbar gegen Theorien der sellarsschen Sorte ge69
Siehe dazu die Darstellung in Teil EINS. Ich wechsle hier von der Rede über (Einzel-)Ereignisse zu der über (allgemeine) Zustände, da Sellars die Analogie-Theorie für Systeme solcher Zustände formuliert hat. Im manifesten Weltbild jedenfalls sind paradigmatische Ereignisse Zustandswechsel an Substanzen; hier darf man wohl das kurzzeitige Vorliegen eines Zustandes ‚in‘ einer Person als Ereignis werten.
348 richtet. Aber für weitere Überlegungen zur anscheinenden räumlichen Struktur der Felder halte ich es für wertvoll, wenn man sich zuvor in aller Klarheit den Fluchtweg versagt hat, in der registrierbaren Struktur von visuellen Feldern irgendwie doch physisch-räumliche Beziehungen von neuronalen Zuständen oder Prozessen durchschimmern zu sehen. Denn je mehr Auswege versperrt sind, um so pointiertere Fragen lassen sich stellen, wenn man in eine phänomenologische Reflexion auf das eigene augenblickliche visuelle Feld eingetreten ist. So ist in einer durchschnittlichen Wahrnehmungssituation eine Reflexion der folgenden Art möglich: Der Wahrnehmende kann seine Aufmerksamkeit nacheinander auf etwas Bestimmtes auf der linken Seite seines Gesichtsfeldes und auf etwas Bestimmtes auf der rechten Seite lenken. Typischerweise wird er dabei den Kopf wenden, so daß die entsprechenden Sachen jeweils im Zentrum des Blickes liegen. Doch mit ein wenig Konzentration wird er schließlich fähig sein, in demselben Augenblick auf etwas ‚links‘ und etwas ‚rechts‘ besonders zu achten.70 Ich setze voraus, daß der Wahrnehmende sich bereits daran gewöhnt hat, daß das, was er in seiner Reflexion thematisiert, wenigstens nicht im gewöhnlichen Sinne ein Baum und ein Busch ist, die als räumlich aufeinander bezogen existieren. Doch die sellarssche Auffassung konfrontiert den Reflektierenden damit, daß das, worauf er aufmerksam ist, in keinem buchstäblichen Sinn eine räumliche Beziehung ist oder zwei räumlich aufeinander bezogene Elemente sind oder das räumliche Bezogensein zweier Elemente ist. Das wäre für einen idealen Reflektierenden, der noch kein langes Training im Akzeptieren theoretischer Seltsamkeiten besitzt, eine schockierende Zumutung.71 Sobald er Sellars‘ positives Angebot begutachtet, nämlich die Konzeption von Zustandssystemen, die räumlichen Dingen formal analog sind, so gibt es einen angemessenen Ausdruck für seine Reaktion: Er kann nämlich bezweifeln, daß irgendwelche Beziehungen zwischen geistigen Zuständen räumlichen Verhältnissen derartig ähneln können, daß er in seiner Reflexion unter dem stabilen Eindruck stehen kann, es buchstäblich mit räumlichen Beziehungen zu tun zu haben. 70
Die Distanzierungs-Anführung sollen die explizite räumliche Bedeutung von „links“ und „rechts“ neutralisieren. 71 Mit „ideal“ meine ich insbesondere, daß er die phänomenologisch reflektierende Einstellung zu seinem Wahrnehmungsfeld bestmöglich beherrscht.
349 Es liegen jedoch zwei Hinweise nahe, die geeignet erscheinen, die Zumutung zu entschärfen. Erstens kann man betonen, daß Sellars keine inhaltliche Ähnlichkeit, sondern eine Ähnlichkeit in höherstufigen Charakteristika wie der Transitivität im Auge hat, die sowohl die Entfernungsrelation unter physischen Dingen als auch die entsprechende Beziehung unter möglichen Sinneseindrucks-Zuständen besitzen. Dieser Hinweis läßt sich dahingehend auf die Spitze treiben, zur Erklärung der scheinbaren Räumlichkeit visueller Felder reiche es aus, daß sich das System möglicher visueller Sinneseindrucks-Zustände mit vergleichbaren geometrischen Mitteln beschreiben läßt, wie sie auf den physischen Raum anwendbar sind. Die nachvollziehbare Reaktion des Wahrnehmenden auf den zugespitzten Hinweis ist zu bedenken, daß die mathematische Behandlung von Räumen gegenüber Realitäten, die in einer erfahrbaren Welt vorkommen können, völlig neutral ist.72 Jedenfalls wenn man mit einer Mengenlehre keine Probleme hat, die ohne Urobjekte auskommt, besitzen geometrische Axiomensysteme Modelle, die ihrer Natur nach nichts mit räumlichen Strukturen gemein haben, mit denen man in einer erfahrbaren Welt rechnet. Der Wahrnehmende wird letztlich etwa so reagieren: „Man sagt mir, die Beziehung, die ich zwischen dem da ‚links‘ und dem da ‚rechts‘ registriere, sei zwar keine physisch-räumliche Beziehung, sie sei aber in dem Sinn räumlich, daß sie zu einem Modell eines geometrischen Axiomensystems gehört, und meine Irritation beruhe bloß darauf, daß ich unreflektiert etwas, dem ich gewissermaßen ansehe, daß es ein derartiges Modell und folglich räumlich im abstrakten mathematischen Sinn ist, als zu der Raumstruktur gehörig ansehe, von der ich annehme, daß sie die wirkliche physische Welt prägt. Doch das beruhigt mich gar nicht; denn was ich nicht glauben kann, ist gerade, daß die anscheinende Beziehung zwischen dem da ‚links‘ und
72
Mit der Rede von der ‚erfahrbaren Welt‘ meine ich hier keine Beschränkung auf ein phänomenologisches Programm; sondern ich meine die konkrete Welt im Kontrast zur ‚Welt‘ der rein mathematischen Gegenstände, sofern es eine solche gibt, und zögere nur, sie als konkrete zu unterscheiden, da die (anscheinend) räumlichen Beziehungen, um die es hier geht, qua Universalien ebenfalls Abstrakta sind. Mit ‚Realitäten in der erfahrbaren Welt‘ meine ich hier nicht etwas konkretes Existierendes, sondern so etwas wie eine in der Welt exemplifizierbare Universalie. Es soll jedoch offen bleiben, ob die registrierte Realität relational oder monadisch ist.
350 dem da ‚rechts‘ keine der Realitäten ist, von denen ich annehme, daß sie die Raumstruktur der wirklichen Welt bilden.“ Der zweite Hinweis versucht, die Berechtigung zu dieser Reaktion zu unterminieren. Er lautet, der reflektierende Wahrnehmende könne gar nicht berechtigterweise wegen der Schwierigkeit beunruhigt sein, etwas NichtRäumliches zu finden, das dennoch der Räumlichkeit täuschend ähnlich sieht; denn er sei doch nicht in vergleichbarer Weise mit seinem visuellen Feld und dem physischen Raum unmittelbar konfrontiert, so daß er beides vergleichen könnte. Die Reaktion des reflektierenden Wahrnehmenden soll etwa in folgendem bestehen: Er sollte darauf bestehen, daß er nicht bloß begrifflich reagiert auf Zustände eines Systems, das mit mathematischgeometrischen Mitteln beschreibbar ist, sondern in seiner Aufmerksamkeit auf das ‚links‘ und dies ‚rechts‘ eine bestimmte Realität registriert; er sollte diese Realität zu charakterisieren versuchen und kann so zu dem Ergebnis kommen, daß er von räumlichen Beziehungen in der erfahrbaren Welt gerade erwartet, daß sie dasjenige sind, worauf die Charakterisierung zutrifft. Die Charakterisierung sollte die folgenden Punkte einschließen: (a) Elemente der anscheinend räumlichen Struktur des visuellen Feldes wie die anscheinende Relation zwischen den beiden besonders beachteten Feldelementen kontrastieren scharf mit den anscheinend qualitätshaften Bestimmungen des Feldes, und zwar zunächst darin, daß die Strukturelemente irgendwie stoff- oder materielos sind, während die qualitätshaften Bestimmungen als die eigentlichen Feldinhalte erscheinen. (b) Die Strukturelemente kontrastieren außerdem mit den Bestimmungen zumindest analog zu der Art, wie Beziehungen mit Qualitäten kontrastieren. (c) Die anscheinend räumlichen Strukturen erweisen sich wenigstens insoweit als neutral gegenüber den in ihnen auftretenden qualitätshaften Bestimmungen, als in einer durchschnittlichen Erfahrungsepisode diese Bestimmungen umstandslos durch die Struktur ‚wandern‘, wenn sich der Wahrnehmende gegenüber der gesehenen Umgebung bewegt. (d) Die anscheinend räumliche Gesamtstruktur besitzt eine eigene Stabilität wenigstens insoweit, als sie auch bestehen bleibt, wenn das ganze Feld von einer ziemlich einheitlichen und ausgesprochen unspektakulären Bestimmung durchsetzt ist, wie wenn
351 man in einen völlig dunklen Raum oder in dichten Nebel blickt.73 Zusammenfassend ist die wesentliche Charakterisierung der anscheinend räumlichen Struktur die als einer für sich bestehenden74 und inhaltlich neutralen Realität, die die eigentlichen Inhalte des Bereiches, den sie strukturiert (wie etwa Farbqualitäten), auszubreiten gestattet. Die so zusammengefaßten Charakteristika (a) bis (d) ergeben eine recht spezielle Anforderung an die Feldstruktur. Wir kennen genau eine Struktur, von der wir gewöhnlich annehmen, daß sie diese Anforderung erfüllt: die räumliche Struktur unserer Welt. Wir verfügen über keinerlei Konzept von einer Struktur, die gänzlich von dieser Raumstruktur verschieden ist und dennoch die Anforderung erfüllt. Nur etwas, das der Raumstruktur aufs Engste ähnelt, kann eine für sich bestehende inhaltlich neutrale Weise des Ausbreitens spezifischer Inhalte sein.75 Insbesondere ist es gänzlich uneinsichtig, wie eine nicht-räumliche Surrogatstruktur komplexer Gehirnereignisse die Anforderung erfüllen sollte. Und der Ausweg ist ein für allemal versperrt, die anscheinende räumliche Feldstruktur mit der physisch-räumlichen Struktur eines Gehirnereignisses zu identifizieren. Wenn man demnach Wahrnehmenden überhaupt eine reflexive Einsicht in die Beschaffenheit ihrer perzeptuellen Inhalte einräumt – und das ist die Voraussetzung dieser Arbeit –, dann muß man auch den Befund ernst nehmen, daß wir mit räumlich strukturierten visuellen Feldern konfrontiert sind. Vielleicht ist letztendlich eine metaphysische Stellungnahme möglich, die das Konfrontiertsein mit räumlich verfaßten Feldern auf einen komplexen physiologischen Prozeß reduziert. Aber in der phänomenologischen Ontologie, die jeder metaphysischen Stellungnahme vorhergehen muß, dürfen wir nicht von vornherein die anscheinend räumlich strukturierten Felder selbst mit bloß raumanalog strukturierten komplexen Zuständen oder Ereignissen identifizieren.
73
Auch ein Dunkelfeld besitzt ‚Ränder‘, wie unscharf sie auch sein mögen; auch in einem Dunkelfeld kann man die Aufmerksamkeit auf Positionen richten. 74 Gemeint ist eine Eigenständigkeit gegenüber den spezifischen Inhalten, nicht eine des Vorkommens perzeptueller Räume, wie Castañeda sie offiziell vertritt. 75 Erwägungen alternativer Beziehungssysteme, die unseren raumzeitlichen Beziehungen analog sind, finden sich bei D. Lewis, Plurality, S. 75-76.
352 3.d Die Diskussion der räumlichen Struktur der Felder stützt Castañedas Argument in der zweiten Deutung. Diese Diskussion der anscheinend räumlichen Feldstruktur zeigt bereits, daß visuelle Felder in einer phänomenologischen Ontologie nicht mit komplexen Gehirnereignissen identifiziert werden können: Die Feldstruktur muß tatsächlich als eine räumliche konzipiert werden, und dabei kann es sich nicht um die räumliche Struktur eines Hirnprozesses handeln. Diese Argumentation läßt sich jetzt durch Castañedas anti-reduktionistisches Argument in der zweiten Deutung bekräftigen. Die Hauptlinie dieser Argumentation lautet: Die Elemente des visuellen Feldes besitzen in ihrer natürlichen Weise, in räumlichen Beziehungen zu stehen, eine räumliche Struktur, die festlegt, daß sich die Elemente jedenfalls nicht am selben Ort wie ich oder besser gesagt: nicht am selben Ort wie ein gewisser IchAspekt befinden; die Elemente eines Komplexes von Gehirnereignissen besitzen in ihrer natürlichen Weise, in räumlichen Beziehungen zu stehen, keine solche räumliche Struktur, die festlegt, daß sie sich jedenfalls nicht (ungefähr) am selben Ort wie ich befinden. Die zweite Hälfte der Diskussion der anscheinenden Raumstruktur fördert tatsächlich das Erforderliche zutage: Wenn man überhaupt reflexiv die Präsenz eines Feldes ausmachen kann, kann man auch registrieren, daß die Elemente des Feldes, etwa ‚das links‘ und ‚dies rechts‘, in eine räumliche oder raumartige strukturelle Realität eingebettet sind. Zusätzlich läßt sich aber festhalten: So wie der Wahrnehmende bloß im Hinblick auf das momentane visuelle Feld ausmachen kann, daß sich das da, auf der Linken, befindet, und daß sich dies dort, auf der Rechten, befindet, so ist ihm allein im Hinblick auf das Feld klar: Ich befinde mich weder da noch dort, sondern hier. Daß diese Verortung seiner selbst (des ich) allein und natürlicherweise durch das Feld selbst festgelegt ist, sobald er sich nach seiner* Plazierung fragt, ergibt sich daraus, daß diese Verortung unverändert bleibt, wenn man den Wahrnehmenden mit Hypothesen konfrontiert, die dem Feld externe Umstände betreffen und eine andere Verortung seiner selbst suggerieren. Eine erste Test-Hypothese wäre etwa, daß die Inhalte des visuellen Feldes des Wahrnehmende gar nicht auf dem Input beruhen, den die auf gewöhnliche Weise in seinen Körper integrierten Augen liefern; vielmehr stammt er von weit außerhalb seines Körpers künstlich am Leben erhaltenen Augen, von wo die Informationen mit einigen technischen Tricks in
353 sein Sehzentrum übertragen werden. Wie es der Zufall will, befindet sich sein gewöhnlicher Körper im Blickfeld dieser externen Augen. Zweifellos wird er unter dieser Hypothese in einem guten Sinn sich selbst mit dem da hinten identifizieren. Aber ebenso klar ist, daß er bloß in der Reflexion auf sein visuelles Feld weiterhin sich selbst hier und nicht da oder dort verorten wird.76 Eine zweite Hypothese wäre, die visuellen Inhalte korrespondierten gar keiner außerhalb seines Körpers befindlichen Umgebung, wohl aber einem räumlich ausgebreiteten Bereich von Abläufen in seinem Körper, ein wenig wie die Inhalte unseres Sinns für die innere Muskelspannung solchen Muskelzuständen korrespondieren. Der Wahrnehmende könnte dann hinsichtlich seiner ‚visuellen‘ Feldelemente mit gutem Recht urteilen, das dies und das sich in ihm* befinden.77 Aber solange das Feld seine intern-perspektivische Struktur behält, wird er in der Reflexion bloß auf das Feld sich selbst hier und nicht etwa da, wo all die farbigen Sachen auftauchen, verorten. Ich sehe keine Alternative zu der Auffassung, die offenbar Castañedas ist, daß ein notwendiger Zusammenhang zwischen dem Ausbilden eines bloß zu einem bestimmten Feld gehörenden Ich-Aspektes und seiner Verortung im Hier des Feldes und nicht an den Positionen der eigentlichen Feldinhalte besteht.78 Doch für die Argumentation genügt we76
Zu solchen Szenarien siehe etwa G. Evans, Varieties Kap. 6, S. 164-68. Er täte es vielleicht nicht ganz mit demselben Recht, mit dem er hinsichtlich eines Schmerzes urteilen kann, dieser befinde sich im Bauch. Denn es ist introspektiv und evolutionstheoretisch einleuchtend, daß das Schmerz-Feld eng mit anderen Feldern, speziell dem für die innere Muskelerfahrung koordiniert ist, so daß ein Schmerz in einer primitiven Weise als im Körper befindlich erscheint. Ironischerweise scheint die Verbindung am schärfsten aufzufallen, wenn der betreffende Körperteil fehlt; vgl. Melzack/Wall, Pain, S. 62-64, über Phantomschmerzen: „The pain is felt in definite parts of the phantom limb ...“ 78 Siehe wieder PBS Klausel VS.11., S. 309. Dort bezeichnet Castañeda das demonstrative Individuum im Kern des visuellen Feldes, das die Repräsentation des Wahrnehmenden ‚als den Ursprung des Feldraumes einnehmend‘ ist, als das Ich des Wahrnehmenden. Siehe auch PhLI-I-Structures, S. 280-81; dort sagt er über das höchste Niveau solchen Bewußtseins, das noch kein Selbstbewußtsein einschließt („level 3“), darin trete eine perspektivische Organisation der Inhalte des Wahrnehmungsfeldes auf, doch ohne Selbstbewußtsein werde sie nicht als solche aufgefaßt („... in the absence of self-consciousness the perspective is not apprehended as such.“). Es liegt dann nahe, daß die primitivste Form des Ich-Bewußtseins (Niveau 4) darin besteht, die Perspektivität eines Feldes ‚als solche‘ aufzufassen. 77
354 niger: Es reicht aus, daß der Wahrnehmende tatsächlich etwas, das er ‚ich‘ nennen kann, bloß in der Reflexion auf sein visuelles Feld ausmacht, es am visuellen Hier verortet und daß sich diese Verortung als stabil erweist, auch wenn er die wildesten Hypothesen über den Realitätsbezug der Feldinhalte ausprobiert. (In der Antwort auf Problem (a) oben habe ich zugelassen, daß das, worüber man mit Verwendungen von ‚ich‘ redet, ein System von Aspekten ist, zu dem jedenfalls ein ‚weltlicher‘ und ein ‚feldlicher‘ Aspekt gehört. Mit diesem System meinte ich die ganze Person (in einem bestimmten Moment), die in gestaltungstheoretischer Sicht ein Konsubstantiationsbündel ist, zu dem, sofern die Person gerade an sich selbst als sich selbst denkt, eine Ich-Gestaltung gehört, zu dem jedoch ebenso unendlich viele Gestaltungen gehören, die etwa körperliche Eigenschaften der Person in ihrem Kern enthalten und an die gerade gar keiner denken muß. Das Sub-System dieser weiteren Gestaltungen wäre der ‚weltliche‘ Aspekt der Person. Eine andere Theorie könnte anstelle des Sub-Systems der nicht ich-haften Gestaltungen ein kompaktes Substrat annehmen, das den ganzen weltlichen Aspekt der Person ausmacht. Hier am Schluß kommt es darauf an, daß man spezifischer von einem ‚ich‘-Aspekt sprechen kann, den der Wahrnehmende bloß in der Reflexion auf sein visuelles Feld ausmacht. Dieser feldspezifische Aspekt steht also zunächst einmal nicht den ‚weltlichen‘ Aspekten der Person gegenüber, sondern anderen Aspekten des momentanen IchInhaltes des reflektierenden Wahrnehmenden. Vor dem Hintergrund meiner Proto-Theorie der Ich-Inhalte in Teil DREI stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Der gesamte momentane Ich-Aspekt der Person des Wahrnehmenden ist eine Ich-Gestaltungen, die der Ganzheits- und Organisationsgestalt der gesamten momentanen Erfahrungsepisode des Wahrnehmenden entspricht79; der spezifisch visuelle ‚ich‘-Aspekt ist ein SubAspekt dieses gesamten Ich-Aspektes, der einer Sub-Gestalt in der Ganzheits- und Organisationsgestalt entspricht, nämlich der G-O-Gestalt des visuellen Feldes. Die einzelnen perzeptuellen Felder besitzen, falls ihr Inhaber gerade selbstbewußt ist, in diesem Sinn ihre eigenen Subjekte, die jedenfalls normalerweise zu einem Gesamt-Subjekt, dem Ich der Person, 79
Ich sage „entspricht“, da meine G-O-Gestalten proto-theoretisch beschrieben sind, während die Ich-Gestaltungen zur Theorie der Gestaltungen gehören.
355 integriert sind. Sind die feldspezifischen Subjekte jeweils eigene IchGestaltungen? Normalerweise sind sie es wohl nicht, aber eine spezifische auf das visuelle Feld konzentrierte Aufmerksamkeit löst aus der gesamten Ich-Gestaltung eine spezifisch visuelle Ich-Gestaltung heraus.) 3.e ERGÄNZUNG: Castañedas Geometrie-Einwand dagegen, den visuellen Raum als Teil des physischen aufzufassen, ist wenig tragfähig. Castañeda schreibt in PBS B. Russell die Auffassung zu, visuelle Räume befänden sich im physischen Raum, ‚vielleicht im Gehirn des Wahrnehmenden‘, und kritisiert sie in sechs Punkten, die er jedoch selbst als nicht eindeutig widerlegend bezeichnet.80 Ich möchte kurz auf den fünften Punkt eingehen. Dort macht er den Unterschied in der Geometrie des physischen und der visuellen Räume geltend, die mit Russells These nur vereinbar sei, wenn der physische Raum irgendwo im Gehirn eine ‚geometrische Diskontinuität‘ zeige, und das beurteilt er nachvollziehbarerweise als unwahrscheinlich. Aber zum einen ist es sehr zweifelhaft, ob sich in einer derart voraussetzungslosen Weise, daß man für die Ergebnisse den Anspruch von Daten erheben kann, absichern läßt, daß die empirisch-psychologischen Methoden zur Messung von geometrischen Eigenschaften visueller Felder wirklich ein striktes Analogon zu dem zu messen gestatten, was Kosmologen ebenfalls mit einigem Aufwand über den physischen Raum herausfinden. Bereits die Frage, ob man im kosmologischen Fall objektive Bestimmungen des Raumes herausfindet oder vielmehr bloß eine Konvention zugrunde liegt, war jedenfalls einmal umstritten.81 Es ist noch weitaus fragwürdiger, ob man dadurch, daß man Testpersonen beispielsweise fragt, ob sie eine Linie als gerade sehen oder ob ihnen zwei gesehene Strecken parallel erscheinen oder nicht, wirklich ‚die Geometrie des visuellen Raumes‘ mißt.82 Beispielsweise wird man die Aussage einer Testperson, ihr erschei80
Siehe PBS, S. 305-306; Castañedas Ausdrücke sind „inconclusive“ und „by itself ... not refuting“. Die Auffassung ist allenfalls eine zu dem Thema, die Russell irgendwann vertreten hat. Um 1914-15 liest es sich anders: „... each person, so far as his sense-data are concerned, lives in a private world. This private world contains its own space, or rather spaces...“ (SenseDataPhysics, S. 152-53) 81 Siehe einführend z.B. Sklar, Spacetime, bes. S. 88-146. 82 Siehe Roberts/Suppes, Geometry, etwa S.175-76. In diesem Aufsatz, auf den Castañeda sich stützt, werden sehr verschiedenartige Aspekte der visuellen Wahrnehmung berücksichtigt, etwa auch Auswirkungen des Lernens. Er liefert keine di-
356 ne die eine Strecke einer Müller-Lyer-Figur länger als die andere, nicht umstandslos als Information über die Geometrie ihres basalen Feldes werten wollen. Zum anderen ist die Frage, ob zwei Räume erheblich in ihrer Geometrie abweichen, nur sinnvoll, wenn man es mit zwei im vollen Sinn dreidimensionalen räumlichen Mannigfaltigkeiten zu tun hat. In Unterabschnitt 2 hat sich jedoch gezeigt, daß basale ‚visuelle Räume‘ keine voluminös-dreidimensionalen Systeme sein können. Wenn ‚visuelle Räume‘ beispielsweise bloß gekrümmte zweidimensionale Mannigfaltigkeiten wären, so könnten sie durchaus in physische dreidimensionale Mannigfaltigkeiten eingebettet sein. Tatsächlich beruft sich Castañeda für seine These, visueller und physischer Raum besäßen in einer solchen Weise unterschiedliche Geometrien, daß die Annahme äußerst problematisch ist, der eine Raum sei ein Teil des anderen, auf eine Quelle, die zur Stützung ungeeignet ist: R. B. Angell erklärt nämlich in The Geometry of Visibles ausführlich, das Feld, mit dessen Geometrie er sich beschäftigt, sei ein zweidimensionales Kontinuum.83
rekten Informationen über die Geometrie eines vollen dreidimensionalen Systems von visuellen Raumpositionen. Angell, Geometry, S. 117 Anm. 3 kritisiert, Roberts und Suppes unterschieden nicht klar genug zwischen Urteilen über geometrische Verhältnisse physischer Gegenstände und solchen Verhältnissen unter ‚wirklichen Sichtbarkeiten‘ („actual visibles“). Das ist ein entscheidender Unterschied, wenn es um ‚die Geometrie‘ möglicherweise eigenständiger visueller Räume geht. 83 Siehe Angell, Geometry, S. 91: „The term ‚visual field‘ refers to the twodimensional continuum which contains visibles.“
357
FÜNF II II. Demonstrativ-perzeptuelle Inhalte, Revision der Gestaltungstheorie und eine Erklärung der phänomenologischen Reflexion Der vorhergehende Abschnitt behandelte das visuelle Feld als Ganzes, insbesondere hinsichtlich seiner räumlichen Struktur. Ein wesentliches Ergebnis ist, daß diese Struktur weder die räumliche Struktur der physiologischen Basis des Wahrnehmens noch die eines Systems primitiv-einzelner Feldpositionen ist. Vorbehaltlich einer abschließenden metaphysischen Reduktion muß die räumliche Struktur des Feldes vielmehr als ein System räumlicher oder raumartiger Beziehungen konzipiert werden, das zum manifest präsentierten Inhalt der Wahrnehmung gehört. Da offenkundig selbst die primitivsten Inhalte des visuellen Wahrnehmens in diese Struktur eingebettet sind, müssen alle, auch die sensorischen Inhalte als Aspekte eines intentionalen Gesamtinhalts des perzeptuellen Bewußtseins verstanden werden. Dieser Abschnitt wendet sich den perzeptuellen Inhalten zu. Mit Blick auf die phänomenologische Reflexion geht es um zwei Fragen: Was sind erstens einzelne perzeptuelle Inhalte des Feldes, auf die man in der Reflexion aufmerksam sein kann? Wie interagieren zweitens sensorisches und begriffliches Bewußtsein im Gewahrsein eines perzeptuellen Inhaltes miteinander? Die erste Frage liegt Castañedas Charakterisierung des perzeptuellen Gewahrseins als des ‚Ausfüllens eines Schemas‘ nahe, die auf seine Angabe der Form demonstrativ-perzeptueller Gestaltungen verweist (Unterabschnitt 1). Die kritische Diskussion dieser Form führt insgesamt zu einem revidierten Verständnis von Wahrnehmungsfeldern. Auf dieser Basis lassen sich außerdem zentrale Konzepte der Gestaltungstheorie, insbesondere die der Konsubstantiation und der Konsoziation, in einer Weise spezifizieren, die sich für die Erklärung der phänomenologischen Reflexion als entscheidend erweisen wird (Unterabschnitt 2). Die zweite Frage führt auf Castañedas Charakterisierung des Wahrnehmungsbewußtseins als des ‚Eindringens in ein Wahrnehmungsfeld‘. Sie hängt mit seiner Theorie logisch strukturierter ‚propositionaler Gestaltungen‘ zusammen, indem die Hierarchie perzeptueller Inhalte für ihn nur ein Sonderfall der Ordnung
358 propositionaler Gestaltungen nach der Komplexität ihrer logischen Struktur ist. Die kritische Diskussion führt zu einer veränderten Einschätzung dessen, was dem Konzept der logischen Struktur zugrunde gelegt werden muß (Unterabschnitt 3). Mit diesen teils revidierenden, teils spezifizierenden Ergebnissen liegt das Material bereit, um das reflektierende Gewahrsein phänomenaler Züge als solcher zu verstehen (Unterabschnitt 4). 1. Die offizielle Form demonstrativer Gestaltungen und ihre Probleme 1.a Das ‚Zusammenkommen‘ abstrakt-begrifflicher Inhalte und perzeptueller Felder muß im Sinne des ‚Ausfüllens eines Schemas‘ und des ‚Eindringens in ein Feld‘ verstanden werden. In Abschnitt III von Teil VIER habe ich als die für mein Projekt zentrale Frage der Wahrnehmungstheorie formuliert: Wie kommen die perzeptuellen Mannigfaltigkeiten, d.h. in Castañedas Theorie die perzeptuellen Felder, und die allgemeine Bedeutung der Demonstrativa so zusammen, daß sich die demonstrativen Konstituenten der Inhalte des Wahrnehmens ergeben? Diese Formulierung habe ich vor dem Hintergrund der Diskussion in Teil VIER gewählt, in der ich grundsätzlich zwischen der manifesten Präsenz von Inhalten (Abschnitt I) und dem abstrakten begrifflichen Denken eines Inhaltes (Abschnitt II) unterschieden habe. Die Frage ergibt daher zunächst einen Sinn, wenn man unterstellt, die ‚perzeptuellen Mannigfaltigkeiten‘ oder Felder seien manifest präsente Inhalte oder enthielten ausschließlich solche, während die allgemeine Bedeutung der Demonstrativa ein abstrakt-begrifflicher Inhalt ist. Im ersten Abschnitt von Teil FÜNF habe ich allerdings in Grundzügen erläutert, daß für Castañeda perzeptuelle Felder nicht nur eine räumliche Struktur besitzen, sondern qua Felder eine Hierarchie von Bewußtseinsniveaus aufweisen. Genauer lassen sich drei Hauptniveaus unterscheiden: erstens Inhalte des bloß sensorischen Bewußtseins, zweitens Inhalte eines perzeptuellen Gewahrseins und drittens Inhalte von Wahrnehmungsurteilen. Inhalte von Wahrnehmungsurteilen, die durch demonstrative Aussagen ausgedrückt werden können, sollen demnach selbst Inhalte gewisser perzeptueller Felder sein. Doch die Frage, wie Wahrnehmungsfelder und die begriffliche Bedeutung der Demonstrativa zusammenkommen, ist dadurch keineswegs obsolet, und zwar aus folgenden Gründen:
359 i. Wenn es richtig ist, daß Felder von einem höheren Niveau als dem sensorischen die Ausübung begrifflicher Kompetenzen erfordern und nur solche Ausübungen geistigen Episoden einen abstrakt-begrifflichen Inhalt verleihen können, dann können jedenfalls die Inhalte bloß sensorischer Felder sowie die Inhalte derjenigen Partien von perzeptuellen Feldern, die sich auf bloß sensorischem Niveau befinden, nur manifest präsente Inhalte sein. Es bleibt also die Frage, wie ein Wahrnehmender dadurch, daß er begriffliche Kompetenzen ausübt, aus den manifest präsenten Inhalten eines bloß sensorischen Feldes die Inhalte perzeptuellen Gewahrseins oder gar Urteilens ‚macht‘. ii. Wenn Castañeda die Struktur demonstrativer Gestaltungen erläutert, welche die Subjekt-Konstituenten der Inhalte demonstrativer Wahrnehmungsurteile bilden, dann läßt er Inhalte in diese Gestaltungen eingehen, die sicherlich Inhalte des manifesten Präsentseins sind. Er verwendet tatsächlich selbst das Adjektiv bzw. Adverb ‚manifest‘ mit Bezug auf solche Inhalte.1 Das deutet darauf hin, daß man selbst dann, wenn das Gesamtfeld perzeptuellen Gewahrseins nicht manifest präsent, sondern ein Korrelat eines begriffliche Episoden einschließenden Bewußtseins ist, manifest präsente inhaltliche Momente in diesem Feld unterscheiden kann. Allerdings entsprechen der Unterscheidung von manifest präsenten und abstrakten Inhalten in Teil VIER einerseits und andererseits der bisher in Teil FÜNF vorgestellten Hierarchie der Bewußtseinsniveaus in perzeptuellen Feldern zwei Weisen, wie man über das ‚Zusammenkommen‘ der abstrakten Bedeutung der Demonstrativa und der perzeptuellen Mannigfaltigkeit denken kann, und zwei Redeweisen Castañedas: (a) Wenn man die allgemeine Bedeutung der Demonstrativa als einen abstrakten begrifflichen Inhalt auffaßt, dann liegt es nahe, ihn als ein Schema zu verstehen, das in der Anwendung auf eine bestimmte Mannigfaltigkeit mit ihrem ‚Material‘ausgefüllt wird.2 1
Siehe PeirceAufsatz, IV.5: „... demonstrative individuals ... manifestly have properties that presentationally represent certain properties of ... objects.“; „... taking a perceptual demonstrative individual that manifests a[n] ... property B ...“. 2 Siehe etwa PBS, S. 321: „The purely demonstrative expressions ... express a demonstrative property that is in a guise core ... This generic property contains a blank, so to speak, that is to be filled in, or specified, once the perceptual field is selected.“ In
360 (b) Wenn man andererseits den Inhalt demonstrativer perzeptueller Urteile als Inhalt eines solchen Sonderfalls des perzeptuellen Bewußtseins versteht, indem die Inhalte eines Wahrnehmungsfeldes besonders klar hervortreten, dann liegt es nahe, sich die Ausbildung eines demonstrativen Inhaltes als ein Eindringen des Wahrnehmenden in die Struktur eines im Prinzip bereits vorhandenen komplexen Inhaltes zu denken.3 Unter der Fragestellung, wie die phänomenologische Reflexion verständlich gemacht werden kann, zielt dieser Kontrast zwischen der Konzeption des Ausfüllens und der des Eindringens auf das Kernproblem: Die Frage ist, wie der reflektierende Wahrnehmende in eine phänomenologische Einstellung wechseln kann, in der er sich gewisser Entitäten, die ich vortheoretisch als phänomenale Züge bezeichnet habe, derartig bewußt werden kann, daß er in irgendeinem ernstzunehmenden Sinn weiß, er habe es mit etwas wesentlich Anderem als dem zu tun hat, womit er in seiner gewöhnlichen Weltbegegnung umgeht. Einerseits ist diesbezüglich der in Redeweise (b) enthaltene Gedanke erfolgversprechend, der Reflektierende könne mit seinem begreifenden Geist einfach in die Struktur eindringen, sich einfach die Struktur klar machen, die eine sensorische Mannigfaltigkeit besitzt. Andererseits ist, um den Wissensstatus zu erklären, sicherlich die Annahme erforderlich, der Wahrnehmende übe allgemeinbegriffliche Kompetenzen aus, und das ist eher nach der Redeweise (a) der Fall. Ich habe bereits im letzten Abschnitt von Teil VIER im Zusammenhang mit Castañedas Analyse der perzeptuellen Zuschreibungsformen unterstrichen, daß seine Datenbetrachtung sowie seine ganze Wahrnehmungstheorie nicht nur gegen einen primitiven Realismus gerichtet ist, sondern ebenso gegen klassische Sinnesdatentheorien. Es ist hilfreich, sich einen Gegensatz-in-der-Parallelität vor Augen zu führen, den J. Hintikka mit Bezug auf Husserl und Russell herausgearbeitet hat. Hintikka beobachtet zunächst eine Parallelität zwischen Husserls Projekt phänomenologischen Reduktion, die er als Zurückführung von Jeglichem auf Selbstgegebenes versteht,
3
DirectReference, S. 137, wo er seine Auffassung als eine Alternative zu Kaplans Theorie der Indikatoren entwickelt, identifiziert er ‚kognitive Signifikanz’ (das ist Kaplans Terminus) eines singulären Terms als „individual guise schema”. Siehe etwa PBS, S. 338: „Attention is the power to penetrate into the zero-guises given in a perceptual field ...“
361 und Russells Projekt einer Reduktion von allem Gewußten auf solches, das durch Bekanntschaft, nicht durch Beschreibung gewußt wird. Die konverse Relation zur Reduktion ist demzufolge bei Husserl die Beziehung der Konstitution und bei Russell die logische Konstruktion. Dann macht Hintikka jedoch einen zentralen Unterschied aus: Für Russell sei das durch Bekanntschaft Gewußte sowohl kognitiv zugänglich als auch an sich kategorial bestimmt und differenziert, nämlich in partikuläre Sinnesdaten sowie Universalien und logische Formen; für Husserl dagegen besitze die phänomenologische Reduktion weder absolute Endpunkte, noch sei das Gegebene an sich kategorial strukturiert.4 Betrachtet man diesen deutlichen Gegensatz, dann ist Castañeda ganz eindeutig auf Husserls Seite: Es gibt kein ‚Eindringen in die Struktur‘ eines gegebenen sinnlichen Mannigfaltigen in der primitiven Weise, daß man einfach der fertigen kategorialen Struktur dieses Gegebenen gewahr würde. Ein ‚nicht-begrifflicher Gedanke an ein Dies‘ würde nämlich ‚darauf hinauslaufen, einen verstohlenen Blick in das Noumenon zu werfen oder in das sinnliche Mannigfaltige, unorganisiert wie es an sich selbst ist‘.5 4 5
Siehe PhenDimension, bes. Abschnitte XVII und XVIII, S. 97-99. Siehe J/P-PraussAntwort, S. 318: „A non-conceptualized thought of a this would amount to having a peek into the noumenon, or the sensible manifold unorganized as it is in itself.“ Siehe auch seine Ablehnung einer epistemischen ‚Konstruktion‘, die der Terminologie nach zweifellos gegen Russell gerichtet ist; PBS, S. 337: „Obviously, no set of sensory fields can provide premises from which to infer, or construct, one’s knowledge of the physical world.“ Ob Hintikkas Darstellung Husserls und Russells korrekt ist, kann ich hier offen lassen. Daß Castañeda in dem angegebenen Gegensatz auf Husserls Seite steht, heißt nicht, daß er sich das Programm einer Zurückführung auf Gegebenes zu eigen macht. Es gibt bei ihm keinerlei Hinweis auf ein solches Projekt. Einmal skizziert er jedoch den Gedanken an einen Rückgang auf das ‚empirische Fundament‘; seine Stellungnahme ist eindeutig kritisch und stimmt jedenfalls mit der laut Hintikka Husserl’schen Position überein, daß ein kognitiver Rückgang zu absoluten Endpunkten nicht möglich ist; siehe OPM, S. 35: „...the principles of individuation, identity and difference governing the entities we find (or posit) in the world are molded by our thinking language, but they must have a foundation beyond language. Our recognition of similarities and differences in experienced entities is molded by the language we use; but our recognition is always an attempt at grasping the foundations of similarity or of difference beyond language. To the extent that linguistic structures belong in a hierarchy and we can move from higher to lower rungs in the hierarchy, we can peel off some of the linguistic
362 Die Rede vom ‚Eindringen‘ (b) scheint demnach diejenige zu sein, die mehr Hintergrund erfordert, um bezüglich Castañedas Theorie verständlich zu sein. Ich gehe deshalb hier in Unterabschnitt 1 zunächst auf Castañedas ausdrückliche Angabe der Form demonstrativer Gestaltungen ein, die die Subjekte von Wahrnehmungsurteilen bilden. Sie liegt der Rede vom ‚Ausfüllen eines Schemas‘ näher. Meine Kritik an Castañedas Auffassung des ontologischen Status und der räumlichen Struktur von Wahrnehmungsfeldern in Abschnitt I hat unmittelbare Auswirkungen auf die Form solcher Gestaltungen. Ich werde jedoch einige Kritikpunkte hinzufügen, die auch das Verhältnis zwischen sensorischem und begrifflichem Bewußtsein betreffen. Im nächsten Unterabschnitt 2 werde ich zuerst, ausgehend von den Kritikpunkten in Abschnitt I sowie der Schwierigkeiten mit der offiziellen Form perzeptueller Gestaltungen, angeben, von welcher Art meiner Einschätzung nach perzeptuelle Felder sein müssen und insbesondere das sein muß, was ich als die ‚manifest präsente Basis von Wahrnehmungsfeldern‘ bezeichnen werde. Dann werde ich auf Konsequenzen eingehen, die sich aus meiner Revision der Wahrnehmungstheorie für Grundkonzepte der Gestaltungstheorie ergeben. Schließlich werde ich Castañedas Konzeption der Hierarchie propositionaler Gestaltungen diskutieren, die mit der Rede vom ‚Eindringen‘ in ein Wahrnehmungsfeld verbunden ist. 1.b Es ist nicht klar, ob die prädikativen Konstituenten der Inhalte von Wahrnehmungsurteilen im selben Sinn wie ihre Subjekt-Konstituenten Teile von Wahrnehmungsfeldern sein sollen. Ich habe in Abschnitt III von Teil VIER Castañedas ‚Entdeckung‘ der grundlegenden Form der Zuschreibung, nämlich der ACI-Form ‚Person s sieht Gegenstand g F-en‘, und ihrer stillschweigende quasi-indexikalischen Funktionsweise diskutiert. Das Ergebnis habe ich so formuliert, die Kontraste zwischen den Zuschreibungsformen zeigten, daß wir einen ‚eigentlichen‘ Inhalt des Sehens insbesondere von all den propositionalen Inhalten unterscheiden, die in der DASS-Form ‚Person s sieht, daß p‘ zuschreibbar sind, und daß wir diesen ‚eigentlichen‘ Inhalt als Inhalt einer geistigen Episode auffassen, die eine demonstrative Bezugnahme einschließt. Meine structures and approach the empirical foundations of similarity and of difference. But we cannot discard all of the linguistic structures. We cancel ones and we introduce others.“ (meine Unterstr.; RB)
363 Rede von einem ‚eigentlichen‘ Inhalt sollte eine vorsichtige Entsprechung zu der Bezeichnung sein, die Castañeda in diesen Diskussionen verwendet: Seine zentrale Frage bezüglich der DASS-Zuschreibung „John sah, daß Maria zu spät kam“ lautet, ob ‚der Sachverhalt Maria kam zu spät Teil von6 Johns visuellem Feld‘ ist. Er verneint das und gelangt zu dem Konzept eines ‚Sachverhaltes, der einen angestammten Platz in dem Feld hat, d.h. der inhärent visuell ist‘.7 Seine Erläuterung des Konzepts eines inhärent visuellen Sachverhaltes lautet8, es handle sich um ‚einen singulären Sachverhalt, der als Konstituenten nur visuelle Eigenschaften oder visuelle Subjekte habe‘, wobei die visuellen Subjekte demonstrative Einzeldinge wie dies oder das, dieser Tisch oder das blaue Ding da hinten seien.9 Jedenfalls die perzeptuellen oder demonstrativen Gestaltungen, um deren Aufbau es hier geht, sollen sich demnach als ‚inhärent visuell‘ auszeichnen. Obwohl das Konfrontiertsein mit dem ‚eigentlichen‘ Inhalt der visuellen Wahrnehmung eine Ausübung begrifflicher Kompetenzen einschließt, impliziert vermutlich der Umstand, daß der Inhalt ‚inhärent visuell‘ ist, eine Einschränkung der relevanten Kompetenzen oder eine Besonderheit ihrer Ausübung. Bevor ich unter diesem Blickwinkel die offizielle Form demonstrativer Gestaltungen betrachte, werde ich kurz auf die prädikative Komponente solcher Inhalte eingehen. Damit ein ganzer Inhalt oder Sachverhalt als inhärent visuell bezeichnet werden kann, muß sicherlich seine prädikative Komponente ähnliche Bedingungen erfüllen, die sich für ihre demonstrativen Subjekte ergeben. Es ist allerdings nicht völlig klar, wie Castañeda die Situation hinsichtlich des Bewußtseinsniveaus beurteilt, das im Zentrum der Debatte steht, solange sprachlich artikulierte oder leicht artikulierbare Inhalte betrachtet werden, nämlich hinsichtlich der Wahrnehmungsurteile. In PBS unterscheidet er ausdrücklich zwischen ‚strikt perzeptuellen Urteilen über Facetten, die im Wahrnehmungsfeld präsent sind und gewisse perzeptuelle Eigenschaften 6
Siehe S. 295: „part and parcel of“. Siehe PBS, S. 295. Ich folge hier Castañedas Rede von Sachverhalten statt von Propositionen. In RefRealPerc identifiziert er beides, S. 765. 8 Siehe auch ThLE6Perception, S. 120. 9 Siehe PBS, S. 295: „... has as constituents visual properties or visual subjects only“; ebenso in ThLE6Perception, S. 120. 7
364 exemplifizieren‘, und einer Menge von Überzeugungen mit dem Inhalt, daß die im Feld präsenten Facetten im physischen Raum mit anderen Facetten einen physischen Gegenstand konstituieren.10 Auch in RefRealPerc betont er die Unterscheidung zwischen den Inhalten von Wahrnehmungsurteilen, die man im Feld findet, und den Schlußfolgerungen, die man aus ihnen zieht.11 Später gibt er allerdings als Form des ‚grundlegenden Standard-Wahrnehmungsurteils‘ an ‚Dieses A1 ... An ist [dasselbe wie] das F1 ... Fm‘, und dem Kontext zufolge möchte er als Instanz von „das F1 ... Fm“ beispielsweise zulassen „mein Haus, in dem ich wohne“.12 Das ist jedoch schwerlich ein Ausdruck einen inhärent visuellen Inhalt. Wie schon in Teil VIER erläutert unterscheidet Castañeda in späteren Arbeiten außerdem zwischen Urteilen wie Das ist ein ertrinkender Mann und Das sieht wie ein ertrinkender Mann aus, deutet deren Differenz als einen Unterschied zwischen der konsubstantiativen Prädikation ist... und der konsoziativen Prädikation sieht aus wie... und stellt fest, das Feld selbst sei hinsichtlich der doxastischen Einstellung neutral.13 Insgesamt ist es das Beste, die Frage auf sich beruhen zu lassen, ob auch die prädikativen Komponenten der Inhalte von Wahrnehmungsurteilen ‚inhärent visuell‘ sein müssen, und sich auf die demonstrativen Subjekte zu konzentrieren.14 1.c Kritik an der Absonderung einer lokalisierenden Eigenschaft, wiederholbaren Qualitäten im Gestaltungskern sowie beobachtungsfernem Vokabular im Ausdruck von demonstrativen Gestaltungen. Die offizielle Form der ‚inhärent visuellen‘ demonstrativen Gestaltungen, die die Subjekt-Konstituenten der Inhalte von Wahrnehmungsurteilen bilden, ist diese: 10
Siehe PBS, S. 301. Siehe RefRealPerz, S. 777. 12 Siehe PerceptionHallerFS, S. 294. 13 Siehe PerceptionHallerFS, S. 287. 14 Über Zuschreibung in der grundlegenden ACI-Form bemerkt Castañeda in RefRealPerc, S. 793, daß das Prädikat ‚F-en‘ in ‚Person s sieht Gegenstand g F-en‘ intern oder extern (in dem in Teil VIER, Abschnitt III erläuterten Sinn) verstanden werden kann. Es steht folglich nicht grundsätzlich für eine Bestimmung, die im strikten Sinn im Feld des Wahrnehmenden enthalten ist. 11
365 ‚c{φ1, ..., φn, in R sein zum visuellen Hier-Jetzt[s, p, t]}‘15. Es handelt sich tatsächlich um einen Sonderfall von individuellen Gestaltungen, wie Castañeda sie in seiner allgemeinen Gestaltungstheorie konzipiert: Der Individuations- oder auch Konkretisierungsoperator c wird angewandt auf eine Menge von Eigenschaften, die als Kern der resultierenden Gestaltung bezeichnet wird; die Elemente im Kern sind allesamt monadische Eigenschaften, auch wenn jedenfalls eine von ihnen, nämlich die in der Formangabe als letzte aufgeführte, eine relationale Binnenstruktur aufweist. Ich bezeichne die Eigenschaften der Form in R sein zum visuellen Hier-Jetzt[s, p, t] als die lokalisierenden Eigenschaften der Gestaltung. Zweifellos fügen sich die so bestimmten demonstrativen Gestaltungen problemlos in die weiteren Strukturen ein, die in GT vorgesehen sind. Insbesondere sind die verschiedenen kanonischen Ausdrücke für die Selbigkeitsrelationen, an prominentester Stelle die Konsubstantiation C*, mit Instanzen dieser Formangabe und Ausdrücken für weitere Gestaltungen zu Aussagen in GT verknüpfbar, etwa zu konsubstantiativen Selbigkeitsaussagen der Form C*(c{φ1, ..., φn, in R sein zum visuellen Hier-Jetzt[s, p, t]}, c{F, G}), d.h. halb-formal etwa ‚Das φ1, ..., φn dort-in-R ist in Wirklichkeit dasselbe wie das Ding, das F und G ist‘. Auch ist eine prädikative Aussage der Form ‚c{φ1, ..., φn, in R sein zum visuellen Hier-Jetzt[s, p, t]} ist-wirklich F‘, also in einem einfachen Fall etwa ‚Das rote Ding dort hinten istwirklich ein Ball‘, gemäß der in GT vorgesehenen Weise auf die Selbigkeitsaussage C*(c{rot, dort-hinten ...}, c{rot, dort-hinten ...}[ein Ball sein]) zurückführbar.16 Diese Form demonstrativer Gestaltungen fügt sich demnach so problemlos in die Strukturen der allgemeinen Gestaltungstheorie ein, daß man sich auch um die Fähigkeit von GT nicht sorgen muß, in der Siehe PBS, S. 343: „c{being φ1, ..., being φn, being R to visual Here-Now[John, p, t]}“ 16 Nach Auflösung des eckigen Klammern, die die φ-Erstreckung einer Gestaltung ausdrücken, ergibt sich ‚C*(c{rot, dort-hinten ...}, c{rot, dort-hinten ..., ein Ball sein})‘. 15
366 Wahrnehmungstheorie mit komplexeren Situationen als einfachen Selbigkeiten oder Prädikationen monadischer Eigenschaften zurecht zu kommen. Insbesondere lassen sich die in Teil ZWEI diskutierten gestaltungstheoretischen Analysen relationaler Propositionen auf perzeptuelle Inhalte übertragen. Dasselbe gilt für solche Propositionen in perzeptuellen Zusammenhängen, die, analog zu Propositionen, die zugleich von wirklich existierenden und von fiktionalen Entitäten handeln, mehrere individuelle Gestaltungen involvieren, denen ein unterschiedlicher existenzieller Status zukommt. Zu der offiziellen Angabe der Form demonstrativer oder perzeptueller Gestaltungen möchte ich fünf Kritikpunkte formulieren: i. Das Problem der Bezugnahme auf den primitiv-einzelnen Ursprung im Ausdruck der lokalisierenden Eigenschaft. Ich habe schon in Abschnitt I über die räumliche Feldstruktur darauf hingewiesen, daß „Hier-Jetzt[s, p, t]“ nach Castañeda jedenfalls im speziellen Fall von Hier-Gestaltungen für den räumlichen Ursprung des visuellen Feldes selbst, nicht für eine ihn repräsentierende Gestaltung stehen muß, da andernfalls ein Regreß unvermeidbar ist; die einfachste und einheitlichste Konzeption besagt dann, in alle lokalisierenden Eigenschaften gehe der primitiv-einzelne Ursprung selbst ein. Als Konsequenz aus meiner Ablehnung perzeptueller Räume, die Systeme aus primitiv-einzelnen Positionen sind, muß ich auch diese Angabe der Struktur lokalisierender Eigenschaften ablehnen. Sie ist außerdem aus zwei weiteren Gründen fragwürdig (Punkte (ii) und (iii)): ii. Das Problem des kognitiven Primats der Bezugnahme auf die HierPosition. Die Strukturangabe schreibt der Hier-Position einen gewissen kognitiven Primat zu. Doch es ist fraglich, ob wir räumliche Positionen mittelbar über die Hier-Position identifizieren müssen und ob wir das wirklich tun. Zum einen leuchtet dann, wenn wir überhaupt fähig sind, Positionen im visuellen Raum zu identifizieren, nicht ein, weshalb wir die Hier-Position unmittelbar ausmachen können, die verschiedenen Da- und Dort-Positionen hingegen mittelbar identifizieren müssen, nämlich als die in einer Beziehung R zum Hier stehenden. Zum anderen ist eine HierBezugnahme phänomenologisch betrachtet einfach etwas anderes als eine Dort-Bezugnahme; die Aufmerksamkeit ist auf Verschiedenes gerichtet, und es ist nicht nachvollziehbar, daß die Dort-Aufmerksamkeit immer eine
367 Hier-Aufmerksamkeit involviert.17 Das spräche unmittelbar gegen eine Konzeption, die das Hier-Jetzt in der lokalisierenden Eigenschaft doch mit einer Gestaltung identifiziert. Aber wenn es sich nicht um eine solche Gestaltung handeln soll, dann ist umso rätselhafter, wie wir in jeder demonstrativen Bezugnahme primär den primitiv-einzelnen Ursprung und eine Beziehung R identifizieren sollen, um beides zu einer monadischen Eigenschaft in R zum Hier sein zu verknüpfen und erst vermittelst dieser komplexen Eigenschaft einen anderen gesehenen Ort zu identifizieren. Das spricht sehr dafür, auf die Reduktion von dort auf die Position in R zu Hier in jeder Form zu verzichten.18 iii. Das Problem der Reduktion von ‚dies‘- auf ‚da/dort‘-Bezugnahmen. Castañeda interpretiert seine offizielle Formangabe in RefRealPerc selbst als eine Reduktion: ‚... dieses Φ-Ding und jenes Φ-Ding ist reduzierbar auf das Φ-Ding hier vorne bzw. dieses Φ-Ding dort (hinten).‘19 Wenn man eine solche einfache Gestaltung der Form c{F, in R sein zum visuellen HierJetzt[John, p, t]} betrachtet, so steht wohl fest, daß der Wahrnehmende auf die beiden Kerneigenschaften nicht völlig unabhängig voneinander bezug nehmen kann. Unsere Fähigkeit, auf ein bestimmtes von mehreren sich inhaltlich abhebendes Dieses bezug zu nehmen, ist nämlich viel besser als die Fähigkeit, in einem qualitativ einheitlichen Feld auf verschiedene Da-s und Dort-s bezug zu nehmen.20 Aber es ist auch nicht leicht zu erklären, wie die Bezugnahme auf die nicht-lokalisierende Eigenschaft F im Gestaltungskern etwa kausal die Bezugnahme auf den richtigen visuellen Ort unterstützen soll. Denn wenn die Gestaltung etwa c{rot, da vorne sein re17
Castañeda selbst betont die äußerste Einfachheit demonstrativen Denkens; siehe J/PPilotAntwort, S. 303: „Primitive thinking stages include the ability to think of something as a this or a that without categorizing the something in question ... indexical thought contents are as primitive as any thought content can be.“ 18 Die Ablehnung eines kognitiven Primats von Hier-Bezugnahmen ist vereinbar mit ihrem epistemischen Vorrang: Wenn wir mit dem Hier-Mechanismus bezug nehmen, nehmen wir mit Sicherheit auf etwas Wirkliches bezug; das gilt nicht für Dies- und wohl auch nicht für Dort-Bezugnahmen. 19 Siehe S. 801: „... Abel’s this Φ thing and that Φ thing are reducible, respectively, to his the Φ thing (over) here and the Φ thing (over) there.“ 20 Siehe G. Evans‘ Beispiele der schnellen Bewegung eines gesehenen Dinges und der vielen qualitativ ununterscheidbaren farbigen Pillen, unter denen man auf eine bestimmte demonstrativ bezug nehmen kann, in Varieties Kap. 6, S. 172-73.
368 lativ zum visuellen Hier-Jetzt[John, p, t]} ist, dann steht ‚rot‘ für eine echte, nicht-individualisierte und nicht per se lokalisierte qualitative Universalie; in Castañedas Theorie steht für die Individuierung nur der Operator c und für die Lokalisierung eine lokalisierende Eigenschaft zur Verfügung.21 Demnach müßte ‚rot‘ bereits so etwas wie einen demonstrativen Inhalt (‚dieses Rot da‘) bezeichnen, damit diese Rot-Bezugnahme der Bezugnahme auf die lokalisierende Eigenschaft da vorne sein... die erforderliche Treffsicherheit- und Genauigkeit verleihen kann. Tatsächlich ist wohl die umgekehrte Reduktion von gewissen Dort-Bezugnahmen auf Bezugnahmen mit einem Inhalt der Art wo sich das da gerade befindet einleuchtender. iv. Das Problem der Bezeichnung determinierter Farbqualitäten durch Ausdrücke in komplexen demonstrativen Phrasen. Wenn man nach Konstituenten eines ‚inhärent visuellen‘ Inhaltes Ausschau hält, der sich von den Inhalten anderer, nämlich nicht-perzeptueller Episoden unterscheidet, dann drängen sich sicherlich spezifische sinnliche Qualitäten als Kandidaten auf. Castañeda spricht sich mehrfach für eine Konzeption aus, derzufolge Farbwörter in nicht-perzeptuellen Situationen eine generische Eigenschaft bezeichnen, während sie in einem visuell-perzeptuellen Gebrauch für spezifische farbliche Qualitäten stehen. Genauer sollen sich die generischen und spezifischen Eigenschaften zueinander als determinierbare und determinierte Bestimmungen verhalten. Das strukturelle Charakteristikum solcher Bestimmungen lautet, die determinierten Bestimmungen seien nicht in der Weise definierbar, daß die zugehörige determinierbare Eigen-
21
Zu den spezifischen farblichen Qualitäten siehe Kritikpunkt (iv). – Daß „rot“ nach Castañeda im visuell-perzeptuellen Gebrauch für eine ‚wiederholbare‘ Universalie steht, belegen die folgenden Zitate: J/P-PilotAntwort, S. 304: „... regardless of how more determination we pursue, the determinates we find are universal qualities in that they can have, and many in fact do have, many instances.“ OPM, S. 33: „... to see an object as having this or that particular shade of red is to think of it as having a color that could be illustrated by other objects ... This element of universality in the apprehension of a fully determinate quality ... is a placing of the object and the color in the context of the world at large.“ ThLE4IndexRef, S. 76: „The color determinates are specific: They are truly universals: they can have many instances.“
369 schaft durch eine spezifische Differenz ergänzt wird, die von der definierten determinierten Qualität verschieden ist.22 Ich sehe folgendes Problem mit dieser Konzeption: Castañeda selbst betont in PBS mit Blick auf Debatten über perzeptuellen Realismus, die sich in einem ‚atomistischen‘, d.h. auf einzelne wahrgenommene Objekte und ihre Bestimmungen fixierten Grundkonsens abspielt, man habe es in der visuellen Wahrnehmung in aller Regel ohnehin mit einem komplizierten, über das visuelle Feld verteilten Muster farblicher Qualitäten zu tun, das genau so, wie es erscheint, nie die ‚wirkliche‘ Farbigkeit der Umgebung wiedergebe.23 Doch dieser Muster-Charakter gilt zweifellos auch für einzelne gesehene Dinge, auf die wir uns demonstrativ beziehen. Ein einfaches Beispiel ist die visuelle Wahrnehmung einer Umgebung, in der sich ein roter Ball befindet. In aller Regel ist die Szenerie nicht derart gleichmäßig ausgeleuchtet, daß das Feld des Wahrnehmenden in dem räumlichen Gebiet, das der physisch-räumlichen Region des Balles korrespondiert, eine völlig 22
Zu der auf W. E. Johnson zurückgehenden Konzeption determinierbarer und determinierter Bestimmungen siehe besonders J/P-PilotAntwort, S. 305: „The specific properties are non-Aristotelian in character: they are the same as their specific differences. For instance, to the determinable blue no specific difference other than the whole of navy-blue can be „added“ to obtain the specific shade navy blue.“ Zur Bezeichnung spezifischer Farbqualitäten in Wahrnehmungssituationen siehe besonders: J/P-PilotAntwort, S. 300: „The thinker-speaker who thinks something through tokening a Spanish sentence containing the word ‚azul‘ will either think of a particular shade of azul – e.g. if he is thinking a perceptual judgment –, or of the generic property ...“ ThLE4IndexRef, S. 76: „In the language system we have the word ‚blue‘ denoting a generic, determinable property; in a given perceptual judgment to think attentively That is blue is to think a determinate property.“ ThLE11Fiction, S. 182: „Whenever a person uses (3) („This is red.“) with the intention of stating a truth in an actual context of experience, ‚this‘ being used as a genuine demonstrative, that person is thinking of a specific shade of red. He is attributing in his thoughts at least that specific color to the object he calls ‚this‘.“ Knowledge, S. 214: „In perceptual uses color words and the sentences containing them need an association with actual shades of color...“ OPM, S. 69: „... one’s language is not the limit of one’s experience, or of one’s world. One must be able to identify the qualities and relations presented in one’s experience.“ Siehe dort auch S. 32-33. 23 Siehe PBS, S. 291: „We enquire not about the color of each object, but about the color pattern. ... the seen color pattern is only exceptionally the real (physical) color pattern of the seen objects.“
370 einheitliche farbliche Qualität zeigt. Vielmehr wird die Rot-Qualität an den Positionen, die den von der Lichtquelle eher abgewandten physischen Positionen entsprechen, eine dunklere Qualität zeigen als an den zugewandten Stellen, und fast immer werden sich einige Glanzlichter zeigen, die bei größerer Intensität womöglich kaum einen rötlichen Ton besitzen. Unsere visuelle Verarbeitung geht damit kompetent um, aber sie rechnet solche Schattierungen offenkundig nicht automatisch ganz heraus. Die Frage ist, welche determinierte Farbqualität das Adjektiv ‚rot‘ in einem solchen Fall die auf den Ball bezogene demonstrative Phrase „dieser rote runde Ball...“ bezeichnen soll. Die eine einfache determinierte Rot-Qualität, welche der Ball in dem ganzen korrespondierenden Gebiet des Feldes zeigt, gibt es nicht. Es gibt nur drei Möglichkeiten, von denen die ersten beiden inakzeptabel sind, während die dritte eine Revision der offiziellen Formangabe erfordert: (a) Die bezeichnete Rot-Qualität ist in einem solchen Fall keine determinierte Bestimmung, sondern diejenige generische Farbqualität, von der all die verschiedenen an den Einzelpositionen erscheinenden Qualitäten Determinationen sind. Aber erstens ist ganz unklar, wie sich die Bezugnahme auf eine solche ‚Durchschnittsqualität‘ ergeben soll. Zweitens wird diese Durchschnittsqualität jedenfalls dann fast keine Bestimmtheit besitzen, wenn sie auch die nahezu farbtonlosen Glanzlichter mit umfassen soll und das Feld in der relevanten Region ein Kontinuum von Qualitäten von abgedunkeltem Rot bis zu diesem fast tonlosen Glanz enthält. (b) Eine Alternative wäre, daß Farbadjektive nur in Bezeichnungen solcher visueller demonstrativer Einzeldinge, d.h. solcher perzeptueller Gestaltungen determinierte Farbqualitäten bezeichnen, deren lokalisierende Eigenschaft nur ein sehr kleines Gebiet des visuellen Feldes identifiziert. Man könnte dann annehmen, die farbliche Qualität in diesem Gebiet sei konstant. Doch dann funktionierte die semantische Annahme über Farbadjektive nicht für solche Gestaltungen, auf die wir uns in sprachlich artikulierbaren Wahrnehmungsurteilen über gewöhnliche Dinge beziehen, wie Castañeda sie selbst als Beispiele anführt. Darüber hinaus ist fraglich, ob wir eine solche Gestaltung, die nur winzige Feldgebiete okkupiert, jemals in einem Bezug-
371 nahmeakt konstituieren.24 (c) Schließlich könnten Farbadjektive in ihrem perzeptuellen Gebrauch nicht einfach spezifische Farbqualitäten bezeichnen, sondern bei der Wahrnehmung schattierter Gegenstände das ganze Muster der farblichen Verteilung in der Feldregion, die die lokalisierende Eigenschaft im Kern der Gestaltung identifiziert. Dann spezifiziert die determinierte Farbeigenschaft im Gestaltungskern jedoch zugleich auch die räumliche Form, da zur Farbverteilung auch die räumlichen Grenzen des Musters gehören. Darüber hinaus muß das determinierte Farbmuster des Gegenstandes sicherlich auch Bestimmungen der räumlichen Tiefe der verschiedenen gesehenen Partien des Gegenstandes einschließen, also Bestimmungen, die eigentlich zur lokalisierenden Eigenschaft gehören sollten. Diese dritte Alternative ist die einzige, die überhaupt funktioniert. Aber sie hat die Konsequenz, daß man den Gedanken aufgeben muß, eine einfache demonstrative Gestaltung wie dieses rote runde Ding da sei in ihrem Kern gewissermaßen aus drei unabhängigen determinierten Eigenschaften zusammengesetzt, nämlich einer determinierten Farbqualität rot, einer determinierten Formeigenschaft rund und einer determinierten lokalisierenden Eigenschaft da. Vielmehr müßten in der determinierten Farbmuster-Eigenschaft die spezifische Form und jedenfalls wesentliche Aspekte der Lokalisierung bereits mitbestimmt sein. v. Das Problem des verschiedenartigen deskriptiven Vokabulars in demonstrativen Phrasen. Farbwörter und Ausdrücke für einfache Formen von Makroobjekten wie „rund“ oder „Punkt“ (etwa in „that tiny white dot“)25 sind jedoch keineswegs die einzigen, die Castañeda in Beispielen für Ausdrücke von demonstrativen Gestaltungen verwendet. Andere Beispiele sind die folgenden: die schöne Frau dort (mit ‚eine schöne Frau sein‘ als Ausdruck der nicht-lokalisierenden Kerneigenschaft)26 die Frau dort 24
Castañeda betont den ‚kreativen‘ Charakter demonstrativer Bezugnahmen; siehe T86SelfProfile, S. 111-12: „But if one is to perceive an object one has to CREATE a boundary within the visual field...; PeirceAufsatz, II.3: „Perceptual demonstrative reference ... pins down, by constructing it, an internal individual ...“. 25 Siehe die Diskussion des ‚Austin-Künne-Beispiels‘ in J/P-KünneAntwort, PerceptionHallerFS und PeirceAufsatz; siehe dazu Teil VIER, Abschnitt III. 26 Siehe PBS, S. 342-43.
372 jene schöne junge Person jener häßliche junge Mann jenes jämmerliche, erbärmliche Monster27 Ich kenne keine Aussage Castañedas dahingehend, Ausdrücke wie „Frau“, „Mann“ und „jung“ bezeichneten ähnlich wie Farbwörter als Elemente des Sprachsystems eine generische oder genauer gesagt determinierbare Qualität, deren Spezifikationen oder Determinationen in visuellen Feldern auftauchen können. Sachlich betrachtet ist der Gedanke eines determinierten visuellen Frau-Seins, Mann-Seins und Jung-Seins etwa in Analogie zu determinierter Röte sehr fragwürdig. Was immer an spezifischen visuellen Inhalten als Determination etwa des Frau-Seins denkbar ist, dürfte bereits in dem lokalisierten und geformten farblichen Muster enthalten sein, das das spezifische Denotat von deskriptiven Ausdrücken in demonstrativen Phrasen sein kann. Noch klarer ist das wohl bei evaluativ oder emotional gefärbten Ausdrücken wie „schön“, „häßlich“, „erbärmlich“ und „Monster“ der Fall. Darüber hinaus gibt es Hinweise, daß Castañeda sogar genuin theoretische Termini in demonstrativen Phrasen zuläßt, die sich auf perzeptuelle Gestaltungen beziehen.28 1.d Castañedas Alternative: Das bloße Demonstrativum sei bezugnehmend, und die komplexe demonstrative Phrase ist implizit prädikativ. Meine Kritikpunkte betreffen die offizielle Bestimmung der Form demonstrativer Gestaltungen, die Castañeda im großen Wahrnehmungsaufsatz PBS (1977) entwickelt hat; in der zweiten großen Arbeit zum Thema Re27
Siehe RefRealPerc, S. 799. Siehe auch J/P-PilotAntwort, S. 301: „...‚that beautiful young woman now crossing the garden in front of the azaleas‘ ...“. 28 Die relevante Stelle ist allerdings nicht eindeutig, da Castañeda sich der OBJKonstruktion von Zuschreibungen bedient; siehe OPM, S. 36: „We see persons, not only their bodies; we see a person's actions, not only her bodily movements or position; we see rocks and their shadows; we see rocks and persons in mirrors; we see their pictures and the photographs of their shadows ... A physicist sees molecules and electrons through their works on some screens, while seeing the works themselves.“ (meine Unterstr.; RB) Sicherlich verwendet er die Ausdrücke ‚Person‘, ‚Handlung‘, ‚Schatten‘, ‚Molekül‘ etc. hier intern, also zur Zuschreibung eines gedanklichen Inhaltes von Wahrnehmenden; denn sonst verliert die Aussage ihre Pointe. Nicht so klar ist, ob diese Inhalte wirklich im visuellen Feld enthalten oder bloß erschlossen sein sollen.
373 fRealPerc (1980) hält er offensichtlich an ihr fest.29 Ein charakteristischer Zug dieser Auffassung besteht darin, daß ihr zufolge eine komplexe demonstrative Phrase wie „Dieser rote runde Ball ...“ als ganze eine Gestaltung bezeichnet, die deskriptiven Ausdrücke „rot“, „rund“ und „Ball“ also für Kerneigenschaften der einen denotierten demonstrativen Gestaltung stehen. In späteren Arbeiten entwickelt Castañeda allerdings eine etwas andere Auffassung der semantischen Funktionsweise komplexer demonstrativer Phrasen; sie ermöglicht eine alternative Konzeption der perzeptuellen Gestaltungen, mit der sich die aufgeführten Mängel und Fragwürdigkeiten vermeiden lassen. „Das Wahrnehmungsurteil Dieser braune Tisch ist F ist in Wahrheit von der Form Dieses, was ein brauner Tisch IST, IST F. Wenn das so ist, dann schließt die perzeptuelle Erfahrung eine Überzeugung ein, die das, womit man konfrontiert ist, zweifach transzendiert: offensichtlich in der expliziten Prädikation IST F und in der impliziten Prädikation was ein brauner Tisch IST. Das Demonstrativum ‚dieses‘ ist für sich die HauptNominalphrase; die sogenannte Nominalphrase ‚brauner Tisch‘ ist logisch gesehen bloß adjektivisch. Klarerweise gelten dieselben Überlegungen für alle Indikatoren: Logisch gesehen sind Indikatoren immer Substantive.“ (meine Unterstr.; RB)30
Ich lasse die sprachlichen Betrachtungen unberücksichtigt, aufgrund derer Castañeda zu dieser Analyse gelangt. Mir genügt als Motivation, daß sie die genannten Probleme der ursprünglichen Auffassung zu vermeiden hilft. Entscheidend ist: Die Aussage, die Überzeugung des Wahrnehmenden transzendiere sowohl in der expliziten als auch in der impliziten Prädikation das, womit der Wahrnehmende konfrontiert ist, impliziert, daß das reine Demonstrativum „dieses“, das ‚logisch gesehen‘ ein Substantiv sein soll, ‚für sich‘ das bezeichnet, womit der Wahrnehmende konfrontiert ist. Angesichts Castañedas sonstigen Gebrauch von ‚konfrontiert‘ bezüglich perzeptueller Zusammenhänge meint er damit zweifellos, das reine Demon29
So spricht er erst in RefRealPerc ausdrücklich von einer Reduktion von ‚dies ...‘ auf ‚... da/dort ...‘. 30 Siehe ThLE6Perception, S. 118. Siehe auch J/P-PilotAntwort, S. 301: „... the adjectival uses of ‚this‘ and ‚that‘ reveal also to be singular terms. E.g., in the locution ‚that beautiful young woman now crossing the garden in front of the azaleas‘ the demonstrative ‚that‘ is customarily parsed as an adjective; yet logically it is the main noun ...“
374 strativum bezeichne die demonstrativ-perzeptuelle Gestaltung, die im vollen Sinn Teil des perzeptuellen Feldes ist. Castañeda sagt hier auch von der impliziten Prädikation, sie transzendiere das Konfrontierte. Das kann man nur so verstehen, daß auch diese implizite Prädikation eine externe Prädikationsform einschließt, also nicht die interne oder Meinongsche, sondern etwa die konsubstantiative oder konsoziative. (Die die logische Analyse betreffende Konflation kann man wohl unberücksichtigt lassen.) Denn da man in der internen Prädikationsform ‚c{F, G ...}(F)‘ von einer Gestaltung c{F, G ...} wahrheitsgemäß gerade ihre Kerneigenschaften prädizieren kann, kann man mit Bezug auf sie nicht sinnvoll von einem ‚Transzendieren‘ sprechen. Mit Blick auf meine letzten beiden Kritikpunkte an der ursprünglichen, offiziellen Angabe der Form demonstrativer Gestaltungen möchte ich erläutern, was für eine alternative Konzeption diese späteren Aussagen Castañedas ermöglichen. Mein Kritikpunkt (iv) lautet, in gewöhnlichen Wahrnehmungssituationen müsse ein plausibler Kandidat für die determinierte qualitative Eigenschaft, die etwa von einem Farbwort in einer komplexen demonstrativen Phrase bezeichnet wird, bereits räumliche Formbestimmungen sowie lokalisierende Bestimmungen enthalten; ich werde eine solche Eigenschaft als ein geformtes und lokalisiertes Farbmuster bezeichnen. Punkt (v) lautet, hinsichtlich weniger beobachtungsnaher deskriptiver Ausdrücke wie „Frau“ oder „jung“, ganz zu schweigen von „Monster“ und „erbärmlich“, sei alles, was plausiblerweise ein determiniertes Denotat der Ausdrücke in einem visuellen Feld sein kann, bereits in dem geformten und lokalisierten Farbmuster enthalten, dessen Präsenz im Feld man ohnehin annehmen muß. Damit drängt sich eine Auffassung auf, die folgendes beinhaltet: (a) Die eigentliche, im vollen Sinn im visuellen Feld enthaltene demonstrative Gestaltung wird allein von dem puren Demonstrativum „dies“ oder „das“ bezeichnet und hat die Form c{geformtes und lokalisiertes Farbmuster}, besitzt also nur eine einzige determinierte Kerneigenschaft, mag sie auch komplex und in sich strukturiert sein. (b) Die deskriptiven Ausdrücke in einer demonstrativen Phrase, ob sie nun „rot“, „rund“, „Frau“, „Monster“ oder vielleicht gar „Elektron“ lauten, bezeichnen allesamt keine determinierten Qualitäten, sondern in etwa
375 die abstrakt-begrifflichen Eigenschaften, die sie auch im Gebrauch in nicht-perzeptuellen Kontexten bezeichnen. Jedenfalls typischerweise stehen diese Eigenschaften, die von den Ausdrücken in der Phrase (etwa: „Dieser rote Ball...“) bezeichnet werden, allerdings in einer engeren Beziehung zu der unter (a) charakterisierten demonstrativen Gestaltung als solche Eigenschaften, die im eigentlichen Prädikat der Formulierung des Wahrnehmungsurteils ausgedrückt werden (etwa: „... gehört meiner Schwester“). Diese engere Beziehung ist klärungsbedürftig. 2. Eine revidierte Auffassung perzeptueller Felder und Konsequenzen für Grundbegriffe der Gestaltungstheorie 2.a Eine alternative Konzeption: Perzeptuelle Felder enthalten als manifest präsente Basis eine komplexe räumlich strukturierte Universalie. Ich möchte nun erklären, wie eine Konzeption von perzeptuellen Feldern beschaffen sein muß, die die Probleme vermeidet, die ich in Abschnitt I hinsichtlich Castañedas Theorie der räumlichen Struktur von Feldern formuliert habe. Sie soll zugleich eine Konzeption von einzelnen Feldinhalten einschließen, die den im vorigen Unterabschnitt 1 vorgebrachten Kritikpunkten an Castañedas ursprünglicher Auffassung der demonstrativen Gestaltungen entgeht. Ich entwickle zuerst eine Konzeption, die der perspektivisch-räumlichen Struktur von Feldern gerecht wird, und werde anschließend auf dieser Grundlage einen Vorschlag zur Struktur perzeptueller Gestaltungen machen. Wenn man nicht sämtliche Einsichten insbesondere aus Castañedas Diskussion der Zuschreibungs- und Formulierungsweisen perzeptueller Inhalte über Bord werfen möchte und ihm, bezogen auf Hintikkas Unterscheidung, auf seinem anti-Russell‘schen und pro-Husserl’schen Weg folgt, dann sollte man einerseits an einer Konzeption von Wahrnehmungsfeldern festhalten, die solche Felder als Korrelate einer komplexen geistigen Episode darstellt, die im Normalfall begrifflich-gedankliche Aktivitäten einschließt. Gibt man, und dafür habe ich in Abschnitt I argumentiert, Castañedas Konzept von schlichtweg in der Realität vorkommenden Feldern auf und identifiziert man vielmehr das Vorkommen solcher Felder in der Realität mit dem Umstand, daß sie in bestimmter Weise auf wahrnehmungsfähige
376 Wesen bezogen sind, so fällt auch jegliche Schwierigkeit mit der Annahme weg, perzeptuelle Felder enthielten abstrakte Inhalte, auf die ein Wesen nur aufgrund seiner begrifflichen Kompetenzen bezogen sein kann. Aber auf der anderen Seite ist klar, daß, wenn überhaupt irgendwelche Inhalte die Bestimmungen erfüllen, die ich für manifest präsente Inhalte angegeben habe, das sicherlich von gewissen inhaltlichen Aspekten perzeptueller Felder gilt. Castañeda schreibt dem untersten Niveau perzeptuellen Bewußtseins bloß sensorische, nicht genuin perzeptuelle Felder zu; selbst die Felder genuin perzeptuellen Bewußtseins sollen weite Regionen aufweisen, die sich nur auf dem sensorischen Niveau befinden. Auch die auf höherem Niveau bewußten Feldgebiete, auf deren Inhalte man etwa explizit demonstrativ bezug nimmt, dürften Binnenstrukturen aufweisen, die nicht selbst wieder durchgängig auf höherem als bloß perzeptuellem Niveau bewußt sind. Demnach ist das ganze Feld an jeder Stelle jedenfalls auch mit bloß sensorischen Inhalten gefüllt. Das Bewußtsein solcher Inhalte schließt sicherlich keine Ausübung begrifflicher Kompetenzen ein. Ich schließe daraus, daß das perzeptuelle Feld in seiner ganzen räumlichen Ausbreitung eine manifest präsente Basis enthält; diese manifest präsente Feldbasis enthält sowohl im Großen, d.h. in die bloß sensorisch bewußte Peripherie hinein, als auch im Kleinen, d.h. in die Binnenstruktur genuin perzeptuell bewußter Regionen hinein, die räumliche Struktur des Feldes.31 In Abschnitt I dieses Teils FÜNF habe ich insgesamt vier kritische Punkte gegen Castañedas Theorie der Felder entwickelt, die wirkliches Gewicht besitzen. Zwei Punkte haben sich zunächst in Unterabschnitt 1 ergeben: 31
Bei der Frage nach der Beschaffenheit dieser Feldbasis tritt unvermeidlich ein Problem auf: Da ich diese Basis unabhängig von den begrifflich-gedanklichen Aktivitäten in der Wahrnehmung zu betrachten versuche, fragt sich, ob auf sie überhaupt solche Kategorien anwendbar sind, wie wir sie vermittels unserer natürlichen Sprache denken, und sei es bloß vermittels ihrer syntaktischen Strukturen und nicht vermittels einzelner Wörter für Kategorien. Zum einen ist die Erinnerung an Husserl eine Warnung, der nach Hintikkas Charakterisierung anders als Russell bestreitet, daß das ‚Selbstgegebene‘ kategorial differenziert ist. Zum anderen muß man Castañedas methodologische Auffassung beachten, daß grundsätzlich alternative kategoriale Auffassungen der erfahrenen Welt möglich sind. Ich sehe keine Alternative, als mit möglichst abstrakten Kategorien, über die wir verfügen, eine Konzeption der manifest präsenten Basis zu skizzieren und zu hoffen, daß man dabei etwas von ihrer wirklichen Struktur trifft, auch wenn die Konzeption sie vielleicht kategorial überbestimmt.
377 (1) Der ontologische Status von Positionen in perzeptuellen Räumen, primitiv Einzelne zu sein, wäre für den Geist gewissermaßen opak. (2) Abstrakte Inhalte wie die Konsubstantiationsbeziehung können nicht einfach in einem Feld enthalten sein, dessen Vorkommen, d.h. Existenz unabhängig davon ist, ob es auf einen Wahrnehmenden bezogen ist, der über die erforderlichen Begriffskompetenzen verfügt. Ein drittes und ein viertes Problem traten in der Diskussion der perspektivischen Struktur von Wahrnehmungsfeldern zutage: (3) Ein Feld mit einem zugrundeliegenden intern perspektivischen und zugleich im vollen Sinn dreidimensionalen Raum kann es nicht geben. (4) Man kann aber auf die volle Dreidimensionalität auch nicht einfach verzichten und Feldern einen zweidimensionalen Raum zugrunde legen, da so die offenkundige interne Perspektivität nicht erklärt werden kann. In dieser letzteren Diskussion hat sich allerdings auch herausgestellt, daß die Struktur der Felder nicht mit der komplexer Gehirnereignisse identifiziert werden kann. Meine Überlegung zur manifest präsenten Basis von Feldern geht von diesen Ergebnissen und Problemen aus: Zum einen muß die anscheinend räumliche Struktur der Felder wirklich als eine solche konzipiert werden. Doch eine räumliche Beziehung kann in einer Entität auch auf andere Weise enthalten sein, als daß sie zwei primitiv-einzelne Elemente dieser Entität wirklich räumlich aufeinander bezieht, d.h. als daß die Beziehung in einen singulären relationalen Sachverhalt eingeht. Sie kann auch bloß als relationale Universalie in einen Komplex eintreten, etwa in der Weise, wie F-heit in (F und G)-heit auftritt. Zum anderen besteht ein verbleibendes Problem darin, der internen Perspektivität von Feldern theoretisch gerecht zu werden. Diese Perspektivität ist ein äußerst abstraktes Charakteristikum von Feldern, und es hat sich gezeigt, daß ein System von Primitiv-Einzelnen dieses Charakteristikum nicht besitzen kann, weder zusammen mit der vollen Dreidimensionalität noch ohne sie. Wenn die Perspektivität jedoch ein offenkundiges Charakteristikum von Feldern ist, dann sollte man Felder mit Entitäten einer Sorte identifizieren, die von Natur aus dazu geeignet sind, einfach ein geeignetes Charakteristikum aufzuweisen oder einzuschließen, gewissermaßen Entitäten, die den Status von bloßen ‚Irgendwies‘ besitzen. Die Anforderungen an solche bloßen ‚Irgendwies‘ erfüllen
378 wiederum Universalien. Ich sehe daher keinen anderen Weg, als Wahrnehmungsfelder mit ziemlich reichhaltigen sowie auf erläuterungsbedürftige Weise komplexen und strukturierten Universalien zu identifizieren. Eine Annäherung an eine solche Universalie ergibt sich, wenn man annimmt, es sei das semantisches Korrelat eines vielfach offenen Satzes etwa der folgenden Art: x≠y ∧ x≠z ∧ y≠z ∧ Rot1x ∧ Grün1y ∧ Gelb1z ∧ Neben2xy ∧ Links1x ∧ Rechts1z.32 Korrekt an dieser Annäherung ist besonders der Gedanke, die Feldbasis enthalte monadische räumliche Charakteristika wie Links1x und Rechts1x. Solche Charakteristika erklären nämlich die intern-perspektivische Struktur des Feldes.33 Die Annäherung ist jedoch auch problematisch. Man sollte sich sicherlich nicht ohne Not auf eine Position festlegen, die in einem Wahrnehmungsfeld nur endlich viele Elemente und nur endlich viele räumliche Positionen zuläßt. In der gewöhnlichen Prädikatenlogik enthalten Formeln aber nur endlich viele freie Variablen. Selbst die Annahme unendlich langer Formeln ermöglicht allenfalls abzählbar unendlich viele Variablen. Man sollte jedoch auch die räumliche Kontinuität der Felder nicht ausschließen. Der nächstliegende Ausweg ist die Annahme, die manifest präsente Feldbasis als ganze sei eine in sich komplexe, jedoch selbst einstellige Universalie. Als Exemplifikationen dieser Universalie kommen dann ganze Szenen in Frage und nicht, wie es hinsichtlich der genannten Annäherung der Fall ist, n-Tupel von einzelnen Dingen oder dinglichen Teilen. Nichts steht jedoch der Annahme im Weg, daß diese einstellige Universalie eine riesige Menge solcher mehrstelligen Annäherungen impliziert. Analog kann man sagen, daß die einfach offene Formel „x ist ein Ganzes aus etwas Rotem und etwas Grünem“ die zweifach offene Formel „x ist Rot und y ist Grün“ impli32 33
Vgl. Evans‘ Art, den Inhalt einer Fotografie anzugeben, in Varieties, S. 125. Diese monadischen räumlichen Bestimmungen entsprechen ungefähr den ‚Tiefenzuständen r‘, die ich erwogen habe, als ich in Abschnitt I eine sellarsianische Auffassung daraufhin untersucht habe, ob sie der Perspektivität gerecht werden kann. Was in der sellarsianischen Variante Zustandsaspekte an geistigen Episoden hätten sein sollen, sind hier monadische Aspekte in einer komplexen Universalie, die Inhalt einer geistigen Episode ist, und zwar einer manifest präsentierenden.
379 ziert, nämlich in der Weise, daß der existenzielle Abschluß des einen den (zweifachen) des anderen impliziert.34 Ich hege keine große Hoffnung, den relevanten Begriff der Implikation auf eine metaphysisch unbedenkliche Weise zu erklären. Vielmehr muß ich eine metaphysische Art der Implikation postulieren, die sich womöglich auf irgend etwas, aber wohl nicht auf etwas metaphysisch Anspruchsloses zurückführen läßt.35 2.b Konsequenzen der Revision für GT: i. Relativierung von C*; ii. irreduzibel konsoziative Prädikation in demonstrativen Phrasen; iii. Konstitution der perzeptuellen Konsoziation Die Revision der Auffassung perzeptueller Felder und ihrer Raumstruktur, die ich in der vorigen Sektion vorgeschlagen habe, hat Konsequenzen für die Grundkonzeption der Theorie der Gestaltungen. Die Diskussion dieser Konsequenzen führt schnell zu Fragen nach zentralen Konzepten von GT, insbesondere nach denen der Selbigkeitsbeziehungen. i. Die Eindeutigkeit der demonstrativen Bezugnahmen muß statt durch primitiv-einzelne Raumpositionen durch eine Relativierung der Konsubstantiationsbeziehung auf ich-hier-jetzt gewährleistet werden. Ich habe im Kontext meiner Kritik an Castañedas offizieller Angabe der Form demonstrativer Gestaltungen seine Auffassung der Semantik etwa von Farbadjektiven erläutert, wenn sie in Episoden visueller Wahrnehmung verwendet werden. Sie sollen in solchen Verwendungen Determinationen der determinierbaren Eigenschaften bezeichnen, welche die Farbwörter als Elemente des Sprachsystems bedeuten. Castañeda schlägt nun vor, die Semantik der Demonstrativa ebenfalls mit dem Konzept determinierbarer und determinierter Eigenschaften zu erfassen: Das Demonstrativum „dies/das“ bezeichne als Element des Sprachsystems eine durch den Operator c individuierte generische Diesheit, die bei der Verwendung in einem perzeptu34
D.h. „∃x x ist ein Ganzes aus etwas Rotem und etwas Grünem“ impliziert „∃x∃y (x ist Rot und y ist Grün)“; in jeder möglichen Welt, in der „x ist ein Ganzes aus etwas Rotem und etwas Grünem“ erfüllt ist, ist auch die Formel „x ist Rot und y ist Grün“ erfüllt. 35 Eine Reduktion etwa auf mengentheoretische Beziehungen zwischen Mengen realer möglicher Individuen wäre eine metaphysisch anspruchsvolle Reduktion.
380 ellen Kontext zu einer determinierten Diesheit spezifiziert wird.36 Im Unterschied zu den determinierten Farbqualitäten, die ‚wiederholbare‘ Universalien seien, sollen die determinierten Diesheiten ‚partikularisierte determinierte Eigenschaften‘ sein, nämlich ‚nicht-wiederholbare Eigenschaften‘, die jeweils ‚genau eine Exemplifikation haben müssen‘.37 Die Exemplifikation kann er nicht einfach im Sinn der meinongschen oder internen Prädikation verstehen; denn wenn es die Gestaltung c{determinierte-Diesheit} gibt, die determinierte-Diesheit meinongisch ex36
Eine erste Formulierung findet sich schon in PBS, S. 321: „The purely demonstrative expressions ... include in their meanings the individuator c ... those words express a demonstrative property that is in a guise core, namely, the property of being presented in some perceptual field. This generic property contains a blank, so to speak, that is to be filled in, or specified, once the perceptual field is selected.“ Siehe jedoch besonders J/P-PilotAntwort, S. 303-305, etwa S. 303: „... the property P(i)ness, which is the semantic meaning of the indicator i as a mere noun in the language, turns out to be a generic property, a primitive and unanalyzable determinable; the properties P(t(i))-nesses, which are the semantico-pragmatic meanings of the tokens of i, are thus determinates under their determinable P(i)-ness.“ Etwas kompliziert wird es bei der Frage, wie der Individuator c ins Spiel kommt. Castañeda unterscheidet mindestens folgendes: (a) Einen Ausdruck wie „dieses“ oder „ich“ als Nomen des Sprachsystems; sie bezeichnen generische Eigenschaften Diesheit und Ichheit. Sie sollen prinzipiell prädikativ (wohl im konflationären Sinn) verwendet werden können: x ist*C ein Dies, y ist*C ein Ich. (b) Ausdrücke wie „dieses“ oder „dort“ als singuläre Terme des Sprachsystems; Castañeda bezeichnet sie nur als Schemata singulärer Terme; sicherlich meint er, daß sie für Schemata individueller Gestaltungen der Form c{Diesheit} bzw. c{Dortheit} stehen. (Jedenfalls steht in DirectReference, S. 137: ‚Cognitive significance of a singular term[:] individual guise schema.‘ Wenn allerdings generische Diesheit eine Eigenschaft ist, dann ist gemäß GT c{generische-Diesheit} eine individuelle Gestaltung und nicht bloß ein Schema.) (c) In einer perzeptuellen Verwendung eines Indikators als singulärer Term wird die im Gestaltungs-Schema enthaltene generische Eigenschaft Diesheit zu einer determinierten Eigenschaft Diesheit spezifiziert. (d) Insgesamt bezeichnet ein als singulärer Term perzeptuell verwendeter Indikator „dies“ oder „dort“ eine individuelle Gestaltung der Form c{determinierte-Diesheit} bzw. c{determinierte-Dortheit}. Siehe hierzu bes. J/P-PilotAntwort, S. 305. 37 Siehe J/P-PilotAntwort, S. 304: „non-repeatable properties“; S. 305: „... a particularized property that must have just one instance.“ Sehr ähnlich ThLE4IndexRef, S. 76: „... the indexical determinate properties are particularized: They can have only one instance.“
381 emplifiziert, also einfach diese Diesheit in ihrem Kern enthält, dann gibt es sicherlich allerlei weitere Gestaltungen der Form c{determinierte-Diesheit, F, G, ...}, die das auch tun. Ich nehme an, die relevante Exemplifikation muß mit Hilfe der Konsoziation in ihrem attribuierenden Gebrauch analysiert werden. Es genügt jedoch die Erläuterung, daß eine solche diesGestaltung c{determinierte-Diesheit} nur in einem einzigen perzeptuellen Feld enthalten sein kann. Insbesondere können danach Felder verschiedener Personen oder Felder derselben Person zu verschiedenen Zeiten niemals demonstrative Gestaltungen gemein haben. Deswegen besteht eine recht gute Chance, daß unsere demonstrativ-perzeptuellen Gestaltungen in Konsubstantiationsbündel integriert sind, die auch physische Gestaltungen umfassen, oder vortheoretisch formuliert: daß die strikten demonstrativen Inhalte der Wahrnehmung eindeutig gewöhnliche Einzeldinge der Welt präsentieren. Es liegt auf der Hand, was nach Castañedas Theorie der Felder für diese Eindeutigkeit demonstrativer Gestaltungen verantwortlich ist: Es sind die lokalisierenden Eigenschaften oder Eigenschaftskomponenten38, und sie besitzen diese Fähigkeit, weil sie primitiv-einzelne perzeptuelle Raumpositionen in propria persona einschließen, sei es die Ursprungsposition oder eine andere und sei es unmittelbar, wie es bei Hier-Gestaltungen wegen der Regreßgefahr unvermeidbar ist, oder mittelbar, indem andere Gestaltungen in ihren lokalisierenden Eigenschaften in R zum Hier sein solche HierGestaltungen enthalten. Daß zwei Felder niemals demonstrative Inhalte gemeinsam haben, ist also eine Konsequenz daraus, daß die raumzeitlichen Positionen zweier Felder niemals identisch sind. Genau diese primitiv-einzelnen perzeptuellen Feldpositionen habe ich jedoch in meiner Revision der Theorie ausgeschlossen. Ich muß folglich einen Weg finden zu ermöglichen, daß demonstrative Bezugnahmen eindeutig ein System konsubstantiierter Gestaltungen identifizieren, zu dem die jeweilige demonstrativ-perzeptuelle Gestaltung gehört. Ich sehe keine an-
38
Das zweite Disjunkt gilt, wenn Castañeda wirklich bereit ist, die ursprüngliche Form demonstrativer Gestaltungen mit ihrer Pluralität von Kerneigenschaften aufzugeben. Dann kann die Lokalisierung nur noch ein Moment einer einzigen komplexen Kerneigenschaft determinierte-Diesheit sein.
382 deren Weg, als daß die Konsubstantiationsbeziehung C*, die ich39 mit meinen gewöhnlichen Verwendungen prädikativer Strukturen, also des prädikativen oder identifizierenden „ist“, der Endungen der Verben etc. ausdrücke, implizit und in einer für mich (und ebenso für mich) vielleicht annäherungsfähigen, aber nicht in propria persona erfaßbaren Weise auf mich relativiert ist. Genauer gesagt ist sie sogar auf mich-hier-jetzt relativiert; ich drücke also mit den prädikativen Strukturen nicht einmal immer genau dieselbe Beziehung aus. Diese Entscheidung hat erhebliche Konsequenzen für die Semantik von Aussagen, in denen wir anderen Personen oder uns selbst zu anderen Zeiten konsubstantiative Inhalte zuschreiben. ii. Die implizite Prädikation in komplexen demonstrativen Phrasen ist konsoziativ. Am Ende von Unterabschnitt 1 habe ich die späteren Passagen erläutert, in denen Castañeda seine ursprüngliche Auffassung der Semantik komplexer demonstrativer Phrasen wie „dieser rote Ball...“ zu revidieren scheint. Die Konzeption von determinierbaren und determinierten Diesheiten, die den Kern von Gestaltungen bilden, paßt zu meiner Revision, die nur noch eine einzige Kerneigenschaft in demonstrativen Gestaltungen vorsieht. Nachdem Castañeda jedoch die reinen Demonstrativa als die eigenständigen ‚logischen Substantive‘ identifiziert und die implizite prädikative Struktur in den komplexen Phrasen hervorgehoben hat, steht die Frage im Raum, wie diese Prädikation beschaffen ist. Dazu finden sich sehr unterschiedliche Hinweise: Erstens habe ich bereits die Passage kommentiert, in der Castañeda die implizite Prädikation in der demonstrativen Phrase durch einen Relativsatz explizit macht, der ebenso wie die eigentliche Prädikation des ganzen Wahrnehmungsurteiles ein „IST“ enthält, und von einem ‚zweifachen Transzendieren dessen, womit man konfrontiert ist‘ spricht.40 Das deutet stark auf ein konsubstantiatives Verständnis der impliziten Prädikation hin. Nachdem W. Künne ihn auf Beispiele der Art „Dieser winzige weiße Punkt ist mein Haus“ aufmerksam gemacht hat, muß Castañeda klar ge39
Ich unterstreiche wieder den Anfang der Pronomina der ersten Person singular, die ich nicht qua Autor verwende. 40 Siehe nochmals ThLE6Perception, S. 118: ‚‚...die perzeptuelle Erfahrung [schließt] eine Überzeugung ein, die das, womit man konfrontiert ist, zweifach transzendiert: offensichtlich in der expliziten Prädikation IST F und in der impliziten Prädikation was ein brauner Tisch IST.‘
383 worden sein, daß er die erste, implizite Prädikation nicht einfach konsubstantiativ verstehen kann; denn die Äquivalenzeigenschaften der Konsubstantiation hätten den Schluß erlaubt, mein Haus sei ein winziger weißer Punkt. In seinen Diskussionen solcher Beispiele muß man zwei Arten unterscheiden, in denen er die implizite Prädikation in der Phrase „Dieser winzige weiße Punkt“ explizit macht. Die beiden Explikationen, die er angibt, sind (a) „Dies sieht wie ein winziger weißer Punkt aus“ und (b) „Dies ist ein winziger weißer Punkt“.41
Wichtig ist, daß er die Wendung ‚sieht wie ... aus‘ jedenfalls nicht bloß als Ausdruck einer Prädikationsform deutet, etwa der konsoziativen, sondern als etwas, das zum Ausdruck der prädizierten Eigenschaft gehört. Nach der Explizierungsform (a) wird demnach eine ‚sieht aus‘-Eigenschaft prädiziert42, nämlich die Eigenschaft, wie ein winziger weißer Punkt auszusehen. Vermutlich enthält diese Eigenschaft die Konsoziationsbeziehung als Konstituens. Doch eine andere Frage ist, in welcher Form diese Eigenschaft von der durch „dies“ bezeichneten Gestaltung ausgesagt wird. Ich denke, daß die Prädikation der ‚sieht aus‘-Eigenschaften konsubstantiativ sein muß.43 Die eigentlich interessante Frage ist dann, welche Form der Prädikation das ‚ist‘ in Explikation (b) ausdrückt. 41
Die Rede von zwei Explikationen derselben impliziten Prädikation ist, wie in der weiteren Diskussion deutlich werden wird, nicht ganz korrekt. Künne meinte, die Form (a) sei nur eine ausführliche Fassung der elliptischen Aussage „Dieser winzige weiße Punkt ist mein Haus“; siehe J/P-Künne, S. 261. Castañeda verstehe ich insgesamt so, daß Form (b) die eigentlich richtige Explikation der umgangssprachlichen Aussage ist; nach PhLI-Persons, S. 235, soll (a) jedenfalls nur ‚in der Logik der Wahrnehmung äquivalent, aber nicht identisch mit‘ (b) sein; auch in PerceptionHallerFS, S. 292, steht „equivalent“. 42 Siehe PhLI-Persons, S. 238; „looks-like properties“ PerceptionHallerFS, S. 294: „appearance-properties“; „an appearance-property of the form appears to be A“ PeirceAufsatz IV.4: „look-like properties“; IV.5: „appearance properties“; „LOOKproperties“; ich schreibe lieber „‚sieht aus‘-Eigenschaft“ als „ErscheinungsEigenschaft“, da dadurch deutlicher wird, daß die Eigenschaften selbst von der Form ‚sieht F aus‘ sind und nicht etwa bloß mit einer ‚sieht aus‘-Kopula prädiziert werden. Ich bin nicht ganz sicher, ob Castañeda beides immer genau auseinander hält. 43 Allgemein gesagt muß sie von derselben Art sein wie die eigentliche, explizite Prädikation der Gesamtaussage.
384 Zweitens schlägt Castañeda in Persons, Egos, and I‘s tatsächlich ‚tentativ‘ vor, die Prädikation der ‚sieht-aus‘-Eigenschaft in (a) sei konsubstantiativ. Das paßt zu seiner Beobachtung, die Sieht-aus-Eigenschaften ließen sich durchaus auf die Gestaltung mein Haus übertragen. Für die ist-Prädikation in (b) hingegen schlägt er dort eine konsoziative Deutung vor.44 Drittens weisen jedoch andere Stellen auf ein anderes Verständnis der istPrädikation in (b) hin. In ihnen interpretiert er die Beobachtungen an Beispielen wie „Dieser winzige weiße Punkt ...“ dahingehend, sie zeigten, daß das, worauf das bloße Demonstrativum „dies“ bezug nimmt, ist, wie es aussieht oder ist, wie es scheint („it is what it looks like“), und das sei die Natur einer Erscheinung.45 In einer Debattenreaktion greift Castañeda eine sehr ähnliche Formulierung auf und nimmt explizit zur Prädikationsform Stellung: „Der Sinn, in dem Gestaltungen nur bestimmte Eigenschaften haben, die sie zu haben scheinen, wird als interne Prädikation erklärt.“46 Da eine Gestaltung gerade ihre Kerneigenschaften intern oder meinongisch besitzt, läuft diese dritte Interpretation im wesentlichen auf die ursprüngliche Angabe der Form demonstrativer Gestaltungen hinaus, nach der sie eine Pluralität von im Feld präsenten Eigenschaften im Kern enthalten. Es fragt sich, was dann eigentlich noch von der Entdeckung der implizit prädikativen Struktur komplexer demonstrativer Phrasen übrig bleibt. Meine Diskussion am Ende von Unterabschnitt 1 kulminierte in einer ersten Annäherung an eine revidierte Konzeption visueller demonstrativer Gestaltungen, die mir erfolgversprechend erscheint. Danach haben solche Gestaltungen die Form c{geformtes und lokalisiertes Farbmuster}, besitzen also nur eine einzige komplexe Kerneigenschaft. Die konsubstantiative Deutung der impliziten Prädikation in typischen komplexen demonstrativen Phrasen kann man ausschließen; die Deutung als interne Prädikation 44
Siehe PhLI-Persons, S. 239: „... (b1) The is-predication of the subjective element: THAT IS A TINY WHITE DOT; ... (b2) The looks-like-predication of the subjective element: THAT LOOKS LIKE A TINY WHITE DOT ... I propose, tentatively,...: ... (b1) is consociational; (b2) is consubstantiational; ...“. Es kann sich übrigens um keine Verdrehung handeln, da das „IS“ in (b1) einfach nicht konsubstantiativ sein kann. 45 Siehe bes. PerceptionHallerFS, S. 292; vgl. dort auch die Wendung „it is only what it is like“. 46 Siehe J/P-SchantzAntwort, S. 333.
385 paßt nicht zu meiner Alternative; folglich muß es sich um eine konsoziative Prädikation handeln. iii. Für den Ausdruck der Konsoziationsbeziehung in seinem perzeptuellen Gebrauch in ‚sieht aus‘-Formulierungen läßt sich eine bedeutungskonstitutive Akzeptanzeigenschaft angeben. Wenn hinter dem Umstand, daß demonstrative Individuen die Eigenschaften, die deskriptive Ausdrücke in komplexen demonstrativen Phrasen ausdrücken, zu haben scheinen, letztlich die Tatsache steckte, daß sie diese Eigenschaften tatsächlich im internen, meinongschen Sinn besitzen, dann wäre die Rede von ‚aussehen‘ und ‚scheinen‘ bezüglich solcher Phrasen wohl präzise explizierbar. Diese Option steht mir wie gesehen nicht zur Verfügung. Daher muß ich auf eine hinreichende Explizierbarkeit derjenigen konsoziativen Prädikation setzen, die in perzeptuellen Situationen gebraucht wird. Ein Problem ist, daß die Konsoziation so, wie sie in der allgemeinen Gestaltungstheorie vorkommt, nicht sehr genau bestimmt ist. Vieles hängt von dem Index ab, mit dem konsoziative Prädikationen in der Regel versehen sein sollen. Da die perzeptuell gebrauchte Konsoziation insbesondere determinierte und generische Eigenschaften in Beziehung setzen muss, was etwa die fiktional gebrauchte Konsoziation nicht leisten muss, dürfte sie einen recht speziellen Charakter besitzen. Ich bezeichne die perzeptuelle Konsoziation durch „C**perz“. Es liegt nahe, daß diese Besonderheit etwas mit den Eigenschaften zu tun hat, von denen man plausiblerweise sagen kann, etwas scheine sie visuell zu haben oder sehe so aus. Ohne Zweifel bilden unsere gewöhnlichen deskriptiven prädikativen Ausdrücke eine Hierarchie, die danach aufgebaut ist, wie offensichtlich etwas die entsprechenden Eigenschaften zu haben scheinen kann. Farb- und einfache Formkonzepte bilden wohl das eine Extrem, während jedenfalls für den Laien nichts wie ein Boson aussieht.47 In Teil VIER habe ich dafür argumentiert, daß sich die wesentlichen Strukturen von P. Horwichs Bedeutungstheorie in einen internalistischen Rahmen übertragen lassen. Auf dieser Grundlage schlage ich vor, daß die 47
Ich wähle hier mit Absicht nicht bloß einen theoretischen, sondern einen äußerst allgemeinen Begriff. (Die Einteilung von Teilchen in Bosonen und Fermionen, also solche mit ganzzahligem und solche mit halbzahligem Spin liegt auf der höchsten Ebene der physikalischen Klassifikation.)
386 bedeutungskonstitutiven Akzeptanzeigenschaften solcher prädikativer Termini, die sich gut in die ‚sieht aus‘-Kontexte fügen, eine Disposition oder Neigung einschließen, gewisse Sätze mit diesen Ausdrücken zu akzeptieren, wenn der Sprecher-Denker mit einem visuellen Feld, insbesondere mit einer manifest präsenten Feldbasis bestimmter Art konfrontiert ist. Mit ‚enthalten‘ meine ich nicht, daß die so charakterisierte dispositionale Eigenschaft ein konjunktiver Bestandteil der gesamten grundlegenden Akzeptanzeigenschaft ist (bzw. ein Element in einer Menge von Akzeptanzeigenschaften, die insgesamt bedeutungskonstitutiv sind). Sondern die Akzeptanzeigenschaften solcher Ausdrücke haben folgende Form: (AE-BeobPräd) s neigt dazu, den Satz „Das ist F“ zu akzeptieren, wenn s mit einem visuellen Feld des Typs V konfrontiert ist, es sei denn daß s den Satz σ akzeptiert.48 Die Kopula „ist“ muß hier konsubstantiativ verstanden werden. Welchen genauen Rang der Ausdruck in der ‚sieht aus‘-Hierarchie einnimmt, hängt davon ab, von welcher Art der Satz σ ist. Die Farbwörter erreichen eine Spitzenposition in der Hierarchie, da der Satz nur ungefähr so lautet: „Ich befinde mich in einer außergewöhnlichen visuellen Wahrnehmungssituation“.49 Bei anderen Ausdrücken, die in ‚sieht aus‘-Konstruktionen einen guten Sinn ergeben, ist der Satz komplizierter. Bei der Akzeptanz von „Das ist ein Hund“ aufgrund einer visuellen Präsentation muß ich etwa nicht bloß ausschließen, daß die Lichtverhältnisse ganz außergewöhnlich 48
Der Einfachheit halber versuche ich hier, die Beschreibung einer Komponente der Akzeptanzeigenschaft in einen einzigen Satz zusammenzuziehen. Daher geht es auch in der ‚es sei denn, daß‘-Klausel um die Akzeptanz eines einzelnen Satzes. Tatsächlich kann das, was die Bedeutung konstituiert, ein komplexes Geflecht von Übergangsdispositionen sein. 49 Um ein Beherrschen der Farbwörter zu ermöglichen, das vor dem Erwerb der Selbstbewußtseinskompetenz liegt, könnte auch ein Satz wie „Hier herrschen jetzt normale Bedingungen des Sehens“ eintreten. Ich bezweifle, daß unbedingt auch eine Klausel dahingehend erforderlich ist, daß man selbst ein normal visuell Wahrnehmender ist. Jemand, dessen Farbverarbeitung mehr oder weniger deutlich vom Normalfall abweicht, kann durchaus einen bedeutungskonstitutiven idiosynkratischen Gebrauch etwa von „grün“ pflegen und zugleich einen Gebrauch desselben Farbadjektivs, der die korrekte Anwendung an die Farbidentifikation der Normalverarbeitenden bindet.
387 sind, sondern auch, daß etwa niemand Hunde-Attrappen in der Umgebung verteilt hat, also Dinge, die die Gestalt, Farbe, Bewegungsweise usw. von Hunden haben, jedoch keine sind. Wenn man derartige Komponenten von Akzeptanzeigenschaften für ‚sieht aus‘-taugliche prädikative Ausdrücke annimmt, dann läßt sich auch eine grundlegende Akzeptanzeigenschaft für die Konsoziation C**perz in ihrem Gebrauch in perzeptuellen Aussagen der Art ‚Das sieht F aus‘ angeben. Genauer gesagt kann man zunächst nur das zentrale Moment der Akzeptanzeigenschaft angeben; denn sicherlich steht der Konsoziationsbegriff in vielfältigen bedeutungskonstitutiven Beziehungen zu anderen Begriffen, besonders zu denen der anderen Selbigkeitsbeziehungen. In der nächsten Sektion werde ich erläutern, welche wichtige Rolle solche Beziehungen innerhalb der Familie der Selbigkeitsbegriffe spielen. Hier schlage ich als recht gute Annäherung vor, daß die Bedeutung von „sieht ... aus“, wenn man es perzeptuell in der Form „Das sieht ... aus“ (halb-formal „Das istC**perz F“) gebraucht, durch eine grundlegende Akzeptanzeigenschaft konstituiert wird, die das folgende zentrale Moment enthält: (AE-C**perz) (i) (ii)
s ist geneigt, einen Satz „Das sieht F aus“ (halbformal „Das istC**perz F“) zu akzeptieren, wenn F ein Ausdruck ist, dessen grundlegende Akzeptanzeigenschaft von der Form (AE-BeobPräd) ist und s mit einem visuellen Feld des in dieser Akzeptanzeigenschaft spezifizierten Typs V konfrontiert ist.
Es handelt sich insbesondere deshalb nur um eine Annäherung, weil ich der Einfachheit halber in den Formulierungen (AE-BeobPräd) und (AEC**perz) nicht bestimmt habe, worauf sich das bloße Demonstrativum „das“ bezieht; dieser Bezug ist sicherlich genauer derjenige Ausschnitt des Feldes, welcher der Neigung zugrunde liegt, das Prädikat F anzuwenden. 2.c Konsubstantiation als ultimative kontingente ‚Zusammenseinsweise‘. Castañeda erklärt meines Wissens nirgendwo, wie wir die Konsubstantiationsbeziehung erfassen. Vielleicht hält er die Frage für nicht beantwortbar. Wichtig ist eines: Im Gegensatz zur Konsoziation gelten für die Konsubstantiation zwar bereits gemäß der allgemeinen Gestaltungstheorie, d.h. ohne Berücksichtigung irgendwelcher spezifizierender Indizes, recht aus-
388 sagekräftige Gesetze; doch soweit die Gesetze rein struktureller Art sind, etwa wie das der Transitivität von C*, reichen sie sicherlich nicht aus, dem Schema ‚C*(..., ---)‘ oder, in meiner übersichtlicheren Infixschreibweise, ‚... ≈* ---‘ seinen bestimmten Inhalt zu verleihen. Die strukturellen Gesetze für C* garantieren - die Reflexivität der Beziehung in ihrem Bereich (α ≈* β → α ≈* α), - ihr Symmetrie (α ≈* β → β ≈* α), - ihre Transitivität (α ≈* β ∧ β ≈* γ → α ≈* γ), - die Konsistenz von konsubstantiierten Gestaltungen (α ≈* β → ¬∃F (α[F] ∧ α[¬F])), - und, vermittels mehrerer Gesetze, daß jede konsubstantiierte Gestaltung mit genau einer ‚Leibnizschen‘ Gestaltung konsubstantiiert ist, die konsistent und vollständig ist, also für jede Eigenschaft diese selbst oder ihre Negation im Kern enthält (α ≈* β → ∃!λ∀F (α ≈* λ ∧ (λ[F] ∨ λ[¬F]))). Diese Gesetze reichen nicht aus, um festzulegen, welche der vielen konsistent vollständigen Gestaltungen konsubstantiiert sind. Was die bloß strukturellen Gesetzen nicht zu erfassen vermögen, ist offenbar der existenzielle Aspekt der Konsubstantiation, also das Gesetz ‚C*(α, α) → α existiert‘. Die Frage ist, wie sich in einem internalistischen Rahmen erklären läßt, daß wir über ein existenzielles Konzept von Selbigkeit oder Prädikation verfügen. Eine denkbare Überlegung lautete: Existenz ist doch wohl überall, wo etwas existiert, und da ich selbst existiere, ist Existenz schon derartig bei mir, daß ich ein Konzept von ihr haben kann. Doch wie man diese Existenz an sich selbst erfaßt, ist damit nicht geklärt. Ich schlagen daher eine andere Erklärung vor, die wesentlich auf den holistischen Charakter unseres Begriffssystems rekurriert: Man sollte den Begriff der Konsubstantiation als Element in einer Familie von Begriffen von Selbigkeiten betrachten und nach Implikationsbeziehungen zwischen den Begriffen suchen. Ich beschränke mich auf die kontingenten Selbigkeitsbeziehungen und lege meinen im vorigen Punkt formulierten Vorschlag für den Kern der konstitutiven Akzeptanzeigenschaft für die perzeptuelle konsoziative Prädikation C**perz zugrunde. Der Konsubstantiationsbegriff ge-
389 hört damit zu einer Begriffsfamilie, für deren eines Mitglied schon das zentrale Moment einer Akzeptanzeigenschaft bestimmt ist. Der Gedanke ist nun, daß die Implikationsbeziehungen in der Familie den Konsubstantiationsbegriff als Begriff von einer fundamentaleren Selbigkeit auszeichnen, die insbesondere fundamentaler als die perzeptuelle Konsoziation ist. Konsubstantiation wird als fundamentale Selbigkeit ausgezeichnet, indem eine Asymmetrie in der Begriffsfamilie herrscht: Konsoziative Propositionen der verschiedenen Arten, darunter die perzeptuelle ‚sieht aus‘Konsoziation C**perz, verweisen generell unmittelbar oder mittelbar auf gewisse konsubstantiative Propositionen; aber konsubstantiative Propositionen verweisen umgekehrt nicht generell auf konsoziative. Ganz vereinfacht bestünde dieses Verweisen von C** auf C* darin, daß jede Proposition mit einer indizierten Konsoziation im ‚halb-weltlichen‘ Gebrauch, etwa eine fiktionale Proposition, eine gut bestimmte konsubstantiative Proposition impliziert. Mit „s“ für denkende Subjekte gilt: (Cs**/C*.1)
Cs**(α, β) → C*(s, s[α und β als dasselbe denken]).
Das ist so allerdings nicht richtig, da das Subjekt s vielleicht selbst nur eine fiktionale Figur und die Selbigkeit von α und β gewissermaßen eine Fiktion in einer anderen Fiktion ist. Aber für die perzeptuelle Konsoziation, die nicht indiziert ist, möchte ich eine unmittelbare Implikation eines konsubstantiativen Inhaltes behaupten, nur daß es zunächst einmal ein partikulär quantifizierter Inhalt ist: (C**perz/C*)
C**perz(α, β) → ∃sC*(s, s[α und β als dasselbe denken])
Für selbstbewußtseinsfähige Wesen gilt wohl das stärkere Postulat C**perz(α, β) → C*(ich, ich[α und β als dasselbe denken]) Als korrekte Variante von (Cs**/C*.1) schlage ich folgendes Postulat vor: (Cs**/C*.2) Wenn Cs0**(α, β), dann gibt es ein n-Tupel (Grenzfall: n=1) von wahren Propositionen 〈p1, p2, p3, ..., pn〉, so daß jedes pi die Form C(αi, βi) hat (wobei C die perzeptuelle oder eine indizierte Konsoziation ist) und so daß gilt: - jedes pi mit i