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German Pages 379 Year 1999
Barbara Stollberg-Rilinger . Vonnünder des Volkes?
Historische Forschungen Band 64
Vormünder des Volkes? Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Reiches
Von Barbara Stollberg-Rilinger
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stollberg-Rilinger, Barbara: Vonnünder des Volkes? : Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Reiches / von Barbara Stollberg-Rilinger.Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Historische Forschungen ; Bd. 64) Zugl.: Köln, Univ., Habil.-Schr., 1994 ISBN 3-428-09470-0
Alle Rechte vorbehalten
© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0344-2012 ISBN 3-428-09470-0
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Vorwort Im Februar 1994 wurde diese Arbeit von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Habilitationsschrift angenommen. Seither sind mehr als viereinhalb Jahre vergangen. Es waren vor allem außerwissenschaftliche Gründe, die das Erscheinen der Arbeit so lange verzögert haben. In der Zwischenzeit hat sich nicht nur der Forschungsstand verändert, sondern auch meine eigenen wissenschaftlichen Fragestellungen und Zugangsweisen haben sich gewandelt. Dennoch habe ich mich entschlossen, die Arbeit in aktualisierter und geringfügig modifizierter Form, aber ohne grundlegende Änderungen - gewissermaßen mit historischer Distanz - zu veröffentlichen, anstatt sie neu zu schreiben. Ich möchte an erster Stelle meinem Mann Rolf Rilinger danken. Während der Entstehungszeit der Arbeit hat er mir Tag für Tag moralisch den Rücken gestärkt, und nur unserer paritätischen häuslichen Arbeitsteilung ist es zuzurechnen, daß ich überhaupt die Zeit und Energie zur wissenschaftlichen Forschung aufbringen konnte. In den verschiedenen Phasen der Fertigstellung und der Veröffentlichung haben Aloys Winterling, Antje Flüchter-Sheryari, Michael Sikora und Wolfhart Beck mir unschätzbare Dienste geleistet. Wertvolle Anregungen und kritische Hinweise verdanke ich auch den Gutachtern, den Professoren Jürgen Heideking, Eberhard Kolb, Erich Meuthen, Karin Nehlsen-von Stryk und Wolfgang Schieder. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Mein Dank gebührt darüber hinaus dem Geschäftsführer des Verlags Duncker & Humblot, Herrn Prof. Dr. Norbert Simon, für die Aufnahme der Studie in die Reihe "Historische Forschungen", und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung. Meine ganz besondere Verbundenheit gilt meinem akademischen Lehrer Johannes Kunisch. Seiner Freundschaft und seinem Vertrauen verdanke ich den Mut und die Zuversicht, die nötig waren, um den Weg der Habilitation überhaupt einzuschlagen und ihn trotz aller Hindernisse zu Ende zu gehen. Münster, im Dezember 1998
Barbara Stollberg-Rilinger
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung: "Wahre Volksrepräsentanten" oder "partikulare Interessenvertreter"? .................................................................... . 1. Die Problemlage vom 19. Jahrhundert bis heute ............................ ..
2. Die Landstände zwischen 1648 und 1806 - zum verfassungsgeschichtlichen Rahmen ......................................................................
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3. Die Landstände in der Theorie zwischen 1648 und 1806 - zu den theoretischen Disziplinen und öffentlichen Diskursformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Vorgehensweise ..............................................................
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11. Die landständische Verfassung zwischen Souveränitätstheorie und Territorialstaatsrecht . .. .. . .. . . . .. .. . .. . . .. . . . .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. . . .. . . .. . .. . .. .. .. . .. . .
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1. Die absolutistische Herausforderung - "Discurs von Land-Ständten" (1709) ..
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2. Die Antwort des Territorialstaatsrechts - David Georg Strube .................
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik .......
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1. Landstände als Herrschaftsstände, Bürger oder Untertanen .................. ;.
77
2. Repräsentation in der Korporationstheorie ....................................
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3. Landständische Repräsentation als formales Zurechnungsprinzip
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4. Landständische Repräsentation als vormundschaftliche Fürsorge
103
IV. Landstände und Repräsentation im Naturrecht ............................... 111 1. Repräsentation und Herrschaft................................................ 112
2. Der Ort der Landstände im Naturrecht........................................ 115 3. Landständische Repräsentation als Volksvertretung kraft Mandats ............ 120
V. "Virtual representation" und "representation de la nation" .......... . ....... 127 1. Die angelsächsische Repräsentationsdebatte .................................. 130
2. Die französische Repräsentationsdebatte .. . . .. . .. . .. . .. . .. . . .. . .. .. .. . . . . . . . .. 140
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Inhaltsverzeichnis
VI. "Landständische Renaissance"? Forderungen nach Landtagsreform in deutschen Territorien............................................................... 152 1. Lüttich ................................... . ........ . . . ...... . ................. 155
2. Württemberg ................................................................. 159 3. Bayern................................... . .......... . ........................ 164 4. Kursachsen ....... .. ..... .. ........ .... .............. .. ...... .. ....... .. ...... 169 5. Kurhannover ................................................................. 172 6. Hildesheim ............. . . . .. . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . .. 177 7. Die habsburgischen Erbländer ................................................ 181 8. "Ständische Renaissance"? - eine Bilanz der Reformversuche ................ 185
VII. Drei Reformkonzepte der landständischen Repräsentation ................... 189 I. Reform im Geist der Reichspublizistik - Häberlin ............................ 190 2. Reform im Geist Montesquieus und der englischen Mischverfassung - Justi und Schlözer ................................................................. 200 3. Reform im Geist der aufgeklärten Bürokratie - Hertzberg und Sonnenfels .... 220
VIII. Der Streit um die Geschichte der landständischen Verfassung und die Abwehr der Reformkonzepte ..................................................... 234 1. Reichsstände, Landstände und germanische Freiheit .......................... 234 2. Landstände und demokratische Eigentümergenossenschaft: Justus Möser ..... 241 3. Die "teutsche Freiheit" als Argument der Reform: Johann Ludwig Ewald ..... 250 4. "Repräsentation des Eigentums": Adolf Felix Heinrich Posse ................. 258 5. "Die Stände sind das Volk": Johann Christi an Majer .......................... 267 6. "Landed interest" oder Landaktien: Ludwig Timotheus Spittler und August Wilhelm Rehberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 275
IX. Das nachrevolutionäre Naturrecht und die Landstände: Andreas Ludolph Jacobi und Wilhelm Joseph Behr .............................................. 285 X. Was heißt landständische Repräsentation? - Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 298 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 305 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 361
I. Einleitung: "Wahre Volksrepräsentanten" oder "partikulare Interessenvertreter"? 1. Die Problemlage vom 19. Jahrhundert bis heute Die historische Ständeforschung in Deutschland war seit jeher von dem Bemühen um Traditionsstiftung geleitet. Das gilt nicht erst für die bundesrepublikanische Forschung seit den 1960er Jahren, sondern auch schon für die Anfänge der modemen Verfassungsgeschichtsschreibung im frühen 19. Jh. Gerade Zeiten des Kontinuitätsbruches haben dieses Bemühen offenbar besonders stimuliert. Die historische Rekonstruktion der deutschen landständischen Verfassungen hat von solchem Erkenntnisinteresse einerseits ohne Zweifel profitiert. Andererseits befand sie sich stets in dem Dilemma, gerade dann besonders große Aufmerksamkeit zu erfahren, wenn zugleich die Gefahr politischer Rückprojektionen besonders nahelag. Auch in jüngster Zeit werden die ständisch-korporativen Traditionen des Alten Reiches und seiner Länder einem breiteren Publikum wieder zur politischen Identifikation nahegelegt. Der Bedeutungsverlust des modemen souveränen Staates, der für die Lösung der globalen Probleme zu klein und für die Lösung der regionalen Probleme zu groß geworden ist, hat den Blick sowohl auf die übergreifenden föderativen Strukturen des Reiches als auch auf die regionalen ständisch-korporativen Strukturen in seinem Inneren gelenkt. Zum einen scheint sich das Alte Reich als föderativ strukturierte, vertraglich geordnete Friedens- und Rechtsgemeinschaft der Deutschen zur Orientierung anzubieten, wenn es gilt, freiheitlich-rechts staatliche mit unbelasteten nationalen Traditionselementen zu versöhnen. 1 Zum anderen hat die wachsende Modernisierungsskepsis dazu geführt, daß man der kleinräumigen ständischkorporativen Vielfalt innerhalb der alten Reichsverfassung mehr Sympathie entgegenbringt als zuvor. Für die politische Gegenwartsorientierung spielt die Vormoderne eine zunehmend größere Rolle: Es geht etwa darum, sich eine "große 1 Je nach politischer Präferenz können entweder die konsensual-partizipatorischen oder die sakral-hierarchischen Züge der ständisch-korporativen Verfassung des Reiches zur Orientierung angeboten werden. Vgl. etwa Wilhelm Brauneder, Hrsg., Heiliges Römisches Reich und modeme Staatlichkeit, Frankfurt/Main 1993, besonders pointiert die Beiträge von Heinz Angermeier, Nationales Denken und Reichstradition am Ende des alten Reiches, 169 - 186; und Hans Hattenhauer, Über die Heiligkeit des Heiligen Römischen Reiches, 125 - 146; vgl. dazu meine Rezension in: ZHF 24, 1997, 158 f.
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I. Einleitung
deutsche Freiheitsgeschichte anzueignen,,2, eine tausendjährige RechtsstaatsTradition zu rekonstruieren 3 oder eine fünthundertjährige Vision von Demokratie aufzuspüren4 . Die Rolle des modernen Staates im allgemeinen und des frühmodernen absoluten Fürstenstaates im besonderen wird dabei zunehmend entzaubert; als "Agentur von Freiheit und Gleichheit" scheint er mehr oder weniger ausgedient zu haben. 5 Von dem Interesse an nicht- oder vorstaatlichen, ständisch-korporativen Strukturen, die nun ihrerseits unterschwellig oder auch explizit als "freiheitliche" Traditionen erscheinen, profitierte nicht nur die Analyse der föderativen Strukturen des Reiches 6 und der genossenschaftlichen Strukturen der städtischen und ländlichen Gemeinden7, sondern auch die Beschäftigung mit den landständischen Verfassungen der Territorien. So begrüßenswert und fruchtbar dieses Forschungsinteresse ist, so anfällig ist es doch andererseits für aktualisierende Vereinnahmung. Die Hochkonjunktur der deutschen Ständeforschung der letzten vier Jahrzehnte beruhte von Anfang an darauf, daß man sich der Tradition "ständischer Freiheit" wieder als einer spezifisch deutschen zu besinnen suchte. 8 In den ständischen VerSo Günter Barudio, Die verspottete Nation, in: DIE ZEIT Nr. 45, 4. Nov.1994, 58. So Ernst Pitz, Der Untergang des Mittelalters. Die Erfassung der geschichtlichen Grundlagen Europas in der politisch-historischen Literatur des 16. bis 18. Jahrhunderts, Berlin 1987; vgl. dazu Barbara Stollberg-Rilinger, Sechzig Generationen auf der Suche nach dem Rechtsstaat, in: Rechtshistorisches Journal 7, 1988,56 - 62. 4 Thomas Schmid, Gemeindefreiheit. Über die Kontinuität einiger staatsabgeneigter Traditionen, in: ders., Hrsg., Entstaatlichung. Neue Perspektiven auf das Gemeinwesen, Berlin 1988,117 -136, hier 118. S Vgl. die Kritik an der hegelianisch inspirierten Absolutismus-Forschung bei Reinhard Blänkner, "Der Absolutismus war ein Glück, der doch nicht zu den Absolutisten gehört." Eduard Gans und die hegelianischen Ursprünge der Absolutismusforschung in Deutschland, in: HZ 256, 1993,31-66; zuletzt Ronald G. Asch/Heinz Duchhardt, Hrsg., Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550 - 1700), Köln I Weimar I Wien 1996. 6 Programmatisch: Peter Moraw IVolker Press, Probleme der Sozial- und Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, 13.-18. Jh., in: ZHF 2, 1975,95 -108; ferner statt vieler anderer: Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648 - 1806, 3 Bde., Stuttgart 1993 - 1997. 7 Statt vieler Nachweise: Peter Blickle, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, in: HZ 242, 1986, 529 - 556; ders., Kommunalismus. Begriffsbildung in heuristischer Absicht, in: ders., Hrsg., Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. Ein struktureller Vergleich, München 1991. - Zu Blickles Kommunalismus-Konzept Dietmar Willoweit, Genossenschaftsprinzip und altständische Entscheidungsstrukturen in der frühneuzeitlichen Staatsentwicklung, in: G. Di1cher IB. Diestelkamp, Hrsg., Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie, Berlin 1986, 126-138. 8 Zur Forschungsgeschichte vgl. Günter Birtsch, Die landständische Verfassung als Gegenstand der Forschung, in: D. Gerhard, Hrsg., Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jh., Göttingen 1969,32-55; Gerhard Oestreich/Inge Auerbach, Die ständische Verfassung in der westlichen und in der marxistischen Geschichtsschreibung, in: Anciens pays et 2
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1. Die Problemlage vorn 19. Jahrhundert bis heute
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fassungen auf Reichs- wie auf Länderebene erblickte man das rechtsstaatliehe Erbe, das man der Machtstaatsgeschichte entgegensetzen konnte, und die vordemokratischen Partizipationsformen, die den Kontrapunkt zum Obrigkeitsstaat absolutistischer bis totalitärer Prägung zu bilden geeignet waren. Der Blick in die frühe Neuzeit sollte lehren, daß nicht Untertanengehorsam, sondern Freiheitsgeist einmal als Nationalcharakter der Deutschen gegolten hatte. 9 Im Zuge einer gemeineuropäischen Neubewertung des Ständewesens, 10 dessen Tradition in anderen Ländern allerdings weniger gebrochen verlaufen war, begann man seit den 60er Jahren auch in den deutschen ständischen Verfassungen nach den "Grundlagen des modemen Parlamentarismus" zu suchen. 11 Die Erforschung der Landtage erfuhr offizielle politische Unterstützung und schien geeignet, die Loyalität der Bürger gegenüber der parlamentarischen Demokratie zu festigen. 12 Gerade in der Bundesrepublik lag assemblees d'etats 67, 1976, 5 - 54; Ulrich Lange, Der ständestaatliche Dualismus. Bemerkungen zu einern Problem der deutschen Verfassungsgeschichte, in: BlldLG 117, 1981,311334; zuletzt Peter Moraw, Zu Stand und Perspektiven der Ständeforschung im spätmittelalterlichen Reich, in: H. Boockrnann, Hrsg., Die Anfange der ständischen Vertretungen in Preußen und seinen Nachbarländern, München 1992, I - 33. 9 Peter Blickle, Landschaften im Alten Reich. Die staatliche Funktion des gemeinen Mannes in Oberdeutschland, München 1973, kommt das Verdienst zu, den Blick auf die adelslosen bäuerlichen Landschaften in den meist kleineren Territorien mit niedrigem politischem Integrationsniveau gelenkt zu haben. Dieser Sonderfall der Ständebildung ist überall da anzutreffen, wo der niedere Adel nicht in die Territorien integriert und die Landesherren daher zugleich die wichtigsten Grundherren waren. - Dazu Volker Press, Herrschaft, Landschaft und "Gemeiner Mann" in Oberdeutschland vorn frühen 15. bis zum frühen 19. Jh., in: ZGORh 123, 1975, 169 - 214; dagegen die Erwiderung: Peter Blickle, Deutsche Untertanen. Ein Widerspruch, München 1981. - Auch ein breiteres Publikum hat Peter Blickle auf die weltgeschichtliche Sendung des südwestdeutschen Ständewesens aufmerksam gemacht: Durch Konflikt zum Gemeinwohl. Erinnerung an die Anfange des Parlamentarismus im deutschen Südwesten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 102, 2. Mai 1992, Beilage, während er in seinen eigenen Forschungsarbeiten durchaus auf den Graben hinweist, der den Kommunalismus der "Landschaften" vorn Konstitutionalismus des 19. Jhs. trennt. 10 Wichtigstes Forum dieser Bemühungen ist die schon 1933 gegründete Commission Internationale pour I' Histoire des Assemblees d' Etats / International Commission for the Study of Representative und Parliamentary Institutions, deren Veröffentlichungsreihen und Zeitschriften schon wissenschaftsorganisatorisch den Bogen vorn Konziliarismus des hohen Mittelalters bis zum Parlamentarismus der Gegenwart schlagen. 11 So der Titel des Tagungsbandes von Karl Bosi/Karl Möckl, Hrsg., Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation. Beiträge des Symposions der Bayer. Akad. der Wiss. vorn 20.-25. April 1975, Berlin 1977. 12 So gaben einzelne Landesparlamente die Geschichte ihrer "Vorgänger" in Auftrag: Walter Grube, Der Stuttgarter Landtag 1457 - 1957. Von den Landständen zum demokratischen Parlament, Stuttgart 1957; Karl Bosl, Hrsg., Repräsentation und Parlamentarismus in Bayern vorn 13. bis zum 20. Jh. Eine politische Geschichte des Volkes in Bayern, Bd. 1 (mehr nicht erschienen), München 1974; Von der Ständeversammlung zum demokratischen Parlament. Die Geschichte der Volksvertretungen in Baden-Württemberg, hrsg. von der Landeszentrale für polit. Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 1982; Walter Ziegler, Hrsg., Der bayerische Landtag vorn Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Probleme und Desiderate der Forschung, München 1995 (mit einern Vorwort des Landtagspräsidenten); Der Lippische Landtag. Eine
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I. Einleitung
es wesentlich näher, an dieses Erbe anzuknüpfen als an das der "deutschen Jakobiner", deren Demokratieverständnis den Makel hatte, importiert worden zu sein, und das zudem bereits die DDR-Historie vereinnahmt hatte. Die Verdienste der Bemühungen um die Revision der klassischen deutschen Machtstaatshistorie, die sich mit den Namen von Emigranten wie Francis L. Carsten 13 und Dietrich Gerhard,14 aber auch von Wemer Näfl5 und Gerhard Oestreich 16 verbinden, sind unbestreitbar. Allerdings ist man auch in dem Bemühen um eine Apologie des Landständewesens lange Zeit der herkömmlichen staatszentrierten Perspektive verpflichtet geblieben und hat vielfach nur den Spieß umgedreht. Gegenüber der älteren Forschung, die in den Landständen einen Hemmschuh für das Wachstum der modemen Staatsgewalt erblickt hatte, galt es nun umgekehrt den positiven Beitrag der Landstände zur Staatsbildung hervorzukehren. I? parlamentarische Tradition in Nordrhein-Westfalen (Veröff. der staatlichen Archive des Landes NRW, D/ 19), Detmold 1984. 13 Francis L. Carsten, Princes and Parliaments in Germany from the 15th to the 17th Century, Oxford 1. Aufl. 1959; dazu Peter Herde, Deutsche Landstände und englisches Parlament. Bemerkungen zu F. L. Carsten, Princes and Parliaments in Germany, in: HJb 80, 1961, 286 - 297; Gerhard Oestreich, Zur Vorgeschichte des Parlamentarismus: ständische Verfassung, landständische Verfassung und landschaftliche Verfassung, in: ZHF 6, 1979,63 - 80. 14 Dietrich Gerhard, Regionalismus und ständisches Wesen als ein Grundthema europäischer Geschichte (zuerst 1952), wieder in: ders., Alte und neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung, Göttingen 1962, 40 - 56; ders., Problems of Representation and Delegation in the Eighteenth Century, in: APAE 37, 1965, 117 - 149; ders., Hrsg., Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Ih., Göuingen 1969; ders., Ständische Vertretungen und Land (zuerst 1971), wieder in: ders., Gesammelte Aufsätze, Göuingen 1977, 13-37. - Vgl. zu Gerhard zuletzt Iohannes Kunisch, Alteuropa - der Ursprung der Modeme, in: Gedenkschrift für Andreas Hillgruber, Berlin 1990,21- 36. 15 Wemer Näf, Frühformen des "modemen Staates" im Spätmiuelalter, in: HZ 171, 1951, 225 - 243; ders., Herrschaftsverträge und die Lehre vom Herrschaftsvertrag (1949), wieder in: H. Rausch, Hrsg., Die geschichtlichen Grundlagen der modemen Volksvertretung, Bd. 1, Darmstadt 1980,212 - 245. 16 Gerhard Oestreich, Ständeturn und Staatsbildung in Deutschland (zuerst 1967), wieder in: ders., Geist und Gestalt des frühmodemen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, 277 - 289; ders., Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Brigitta Oestreich, Berlin 1980. - Impulse gingen schon zuvor aus von Kurt von Raumer, Absoluter Staat, korporative Libertät, persönliche Freiheit (zuerst 1957), wieder in: H. H. Hofmann, Hrsg., Die Entstehung des modemen souveränen Staates, Köln/Berlin 1967, 173 -199. - Stets wurde auch zurückgegriffen auf die großen Gesamtentwürfe von Ouo Hintze, die geeignet sind, die Vorwürfe gegen die "borussische Machtstaatshistorie" zu relativieren: Typologie der ständischen Verfassungen des Abendlandes (zuerst 1930), in: ders., Staat und Verfassung. Ges. Abh., Bd. 1, 3. Aufl. Göttingen 1970, 120-139; ders., Weltgeschichtliche Bedingungen der Repräsentativverfassung (zuerst 1931), in: ebd., 140-185, Vgl. dazu Gerhard Oestreich, Ständestaat und Ständewesen im Werk OUo Hintzes, in: D. Gerhard, Hrsg., Ständische Vertretungen, 56 - 71. 17 Vgl. zuletzt die Kritik von Reinhard Blänkner, ,,Absolutismus" und "frühmoderner Staat". Probleme und Perspektiven der Forschung, in: R. Vierhaus, Hrsg., Frühe Neuzeit Frühe Modeme?, Göuingen 1992,48 -74, hier 58 f.
1. Die Problemlage vorn 19. Jahrhundert bis heute
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Inzwischen hat man sich von dem dualistischen ,,ständestaats"-Modell weitgehend distanziert. Die modeme Verfassungsgeschichte hat sich durch die Offenheit gegenüber sozialgeschichtlichen Fragestellungen zu einer allgemeinen Strukturgeschichte weiterentwickelt, die der vormodernen Verflechtung von sozialem und politischem Bereich besser gerecht zu werden vermag, als es unter dem Vorzeichen des konstitutionellen Staatsmodells möglich war. Die Stände gelten nicht mehr als Gegenspieler des Fürsten, sondern die Entstehung des korporativ verfestigten Ständewesens und die Verdichtung der Territorialherrschaft erscheinen als zwei Seiten einer Medaille. Statt die Landstände am Maßstab der Staatlichkeit des 19. Jahrhunderts zu messen, wendet man sich zunehmend dem ständischen "Unterbau" auf allen Stufen des sozialen und politischen Alltags ZU. 18 Das größte Potential der Ständeforschung liegt gegenwärtig in einer distanzierten und "verfremdenden" Sicht des Alten Reiches und seiner Glieder und gerade nicht in einer vordergründigen Aktualisierung vermeintlich freiheitlicher Traditionen. Es ist bekanntlich das Verdienst der Begriffsgeschichte, die Sensibilität der Historiker gegenüber der Geschichtlichkeit politisch-sozialer Kategorien geweckt zu haben. Die genuine Aufgabe der Begriffsgeschichte ist es daher, die Ständeforschung dagegen zu immunisieren, daß sie ihren Gegenstand im Sinne gegenwärtiger Orientierungsbedürfnisse verzeichnet. Während es an strukturgeschichtlichen Studien zur "ständischen Repräsentation" einzelner Länder nicht mangelt, fehlt es indessen noch an einem begriffs geschichtlichen Pendant dazu. Gerade der Repräsentationsbegriff ist es aber, der überzeitliche Kontinuität suggeriert und damit politische Traditionsstiftung nahelegt. Bezeichneten nicht schon die Zeitgenossen die vormodernen Landstände als "Repräsentanten des ganzen Landes"? Bei der skizzierten Neubewertung der Landstände seit den 60er Jahren spielte die Frage nach ihrem Repräsentantencharakter eine wesentliche Rolle. Die ältere Forschung hatte im landständischen Partikularismus eine Hypothek nicht nur für die Entwicklung moderner Staatlichkeit, sondern auch für die Entwicklung eines eigenständigen deutschen Parlamentarismus erblickt. 19 Wollte man nun demgegenüber die Stände tnit einem gewissen moralischen Nachdruck als die aus dem Feld 18 Die Vielzahl der Monographien kann hier nicht im einzelnen gewürdigt werden; daher sei nur auf einige aktuelle Beiträge verwiesen: Hartrnut Boockrnann, Hrsg., Die Anfänge der ständischen Vertretungen in Preußen und seinen Nachbarländern, München 1992; Wolfgang Neugebauer, Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von den alten Ständen zum Konstitutionalismus, Stuttgart 1992; Werner Buchholz, Öffentliche Finanzen und Finanzverwaltung im entwickelten frühmodernen Staat. Landesherr und Landstände in SchwedischPommern 1720-1806, Köln/Weimar/Wien 1992; Gabrie1e Haug-Moritz, Württembergischer Ständekonflikt und deutscher Dualismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Reichsverbands in der Mitte des 18. Jhs., Stuttgart 1992. 19 So aus der Perspektive der Politikwissenschaft: Klaus von Beyme, Repräsentatives und parlamentarisches Regierungssystem. Eine begriffsgeschichtliche Analyse, in: PVS 6, 1965, 145 -159.
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I. Einleitung
geschlagene bessere Alternative der Verfassungsentwicklung in den Blick rükken,2o so mußte man vor allem dem Vorwurf begegnen, es habe sich stets nur um eine partikularistische Interessenvertretung der Privilegierten gehandelt. Ständische Politik ließ sich als Rechtswahrung nur dann gegen landesfürstliche Modernisierung ausspielen, wenn sie die höhere Dignität einer Landesrepräsentation genoß. Man bemühte sich daher, die Landstände - mit mehr oder weniger klaren Einschränkungen - als Repräsentanten des Volkes bzw. des Landes zu rehabilitieren. Dabei erlag man dem methodischen Irrtum, die Annahme eines hinreichend uns pezifischen Repräsentationsbegriffs reiche schon aus, um strukturelle Kontinuitäten zu erfassen und zugleich die Gefahr des begrifflichen Anachronismus zu bannen. 21 Indessen ist die Gegenüberstellung vop. "wahrer Volksrepräsentation" einerseits und "partikularer Interessenvertretung" andererseits selbst eine historisch erklärungsbedürftige Dichotomie, die das deutsche Parlamentarismusverständnis seit dem frühen 19. Jh. geprägt22 und den Zugang zum Verständnis des vormodernen Begriffs der landständischen Repräsentation nachhaltig verstellt hat. Die Gegenüberstellung von "Volksrepräsentation" und "Partikularismus" ist ebenso alt wie 20 Das nachdrücklichste moralische Engagement für die "libertäre" ständische Verfassung als die - am Maßstab einer vermeintlich universalen politischen Moral gemessen - bessere Alternative der Staatlichkeit begegnet in den Arbeiten von Günter Barudio, etwa in: Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, 1648 - 1779 (Fischer Weltgeschichte, 25), zuletzt Frankfurt/Main 1988, vgl. etwa die Schlußbemerkung, 383 ff., zur "Absolutismus-Lüge". Konsequent vertritt Barudio die These, die Französische Revolution habe das "gute alte Recht" wiederhergestellt und die Errungenschaften der Aufklärung seien universalistisch gewendete Formen "aristokratischer Werte" gewesen. 21 So vor allem der oben Anm. 11 genannte Sammelband von Bosl und Möckl, Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen; darin am entschiedensten im Sinne der Kontinuität die Beiträge von Bosl selbst, Repräsentierte und Repräsentierende. Vorformen und Traditionen des Parlamentarismus an der gesellschaftlichen Basis der deutschen Territorialstaaten vom 16. bis 18. Ih., ebd., 99 - 120, und Heinz Rausch, Repräsentation. Wort, Begriff, Kategorie, Prozeß, Theorie, ebd., 69 - 98. Am vorsichtigsten gegenüber der Kontinuität des Repräsentationsbegriffs: Michael Mitterauer, Grundlagen politischer Berechtigung im mittelalterlichen Ständewesen, ebd., 11-41; und Ulrich Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung. Zur Theorie der Volksvertretung in Deutschland 1815 -1848, ebd., 297 - 340. Vgl. ferner das Resümee von Richard Löwenthai, Kontinuität und Diskontinuität: Zur Grundproblematik des Symposions, ebd., 341- 356. - Wahrend sich die von Heinz Rausch herausgegebene Sammlung klassischer Texte: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung (Wege der Forschung, 184), Darmstadt 1968, noch auf das 19. und 20. Ih. konzentriert, geht derselbe Herausgeber in dem späteren Sammelband von einem erheblich erweiterten Repräsentationsbegriff aus: Heinz Rausch, Hrsg., Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Volksvertretung. Die Entwicklung von den mittelalterlichen Korporationen zu den modernen Parlamenten, 2 Bde. (Wege der Forschung, 196), Darmstadt 1974 - 1980. - Sehr pointiert gegen die Indienstnahme der Ständeforschung für politische Gegenwartsinteressen: Panajotis Kondylis, Konservativismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang, Stuttgart 1986, bes. 110ff.; zur Unvereinbarkeit der älteren societas civilis mit dem parlamentarischen Repräsentationsbegriff 115 ff. 22 Vgl. Ernst Fraenkel, Historische Vorbelastungen des deutschen Parlamentarismus, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien (zuerst 1964), 6. Auf!. Stuttgart 1976, 13 - 31.
1. Die Problemlage vom 19. Jahrhundert bis heute
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die Kontroverse um den Charakter und die Kontinuität der landständischen Verfassung selbst. Es ist die gleiche Gegenüberstellung, die Friedrich Gentz in restaurativer Absicht zugespitzt hat und die sich als Maßstab der historischen Beurteilung noch immer hartnäckig behauptet. Als der Art. 13 der Deutschen Bundesakte allen Mitgliedsländern eine "landständische Verfassung" vorschrieb,23 die einige der souverän gewordenen deutschen Staaten in der Rheinbundzeit gerade erst abgeschafft hatten, wurde das Problem politisch überall virulent und in einer Flut von Schriften öffentlich diskutiert, ob und wie traditionelle Landstände und modeme Nationalrepräsentation vereinbar seien. 24 Vor diesem Hintergrund unternahm es Friedrich Gentz für den Karlsbader Kongreß, "landständische Verfassung" so zu definieren, daß sie mit den monarchischen Interessen in Einklang gebracht wurde, zur modemen Nationalrepräsentation aber in scharfen Gegensatz trat. Auch wenn Gentz sich damit politisch nicht durchsetzen konnte, war diese Gegenüberstellung von alter landständischer und moderner Repräsentativverfassung doch für die Forschungsgeschichte folgenreich, denn sie bildete die Negativfolie, von der sich der liberale Konstitutionalismus abzusetzen suchte?5 23 Zu Art. 13 DBA vgl. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungs geschichte, Bd. I, 640ff.; Wolfgang Mager, Das Problem der landständischen Verfassungen auf dem Wiener Kongreß, in: HZ 217, 1973,296 - 346; Bernd Wunder, Landstände und Rechtsstaat. Zur Entstehung und Verwirklichung des Art. 13 DBA, in: ZHF 5, 1978, 139 - 185. 24 Vgl. etwa die Bibliographien von Johann Samuel Ersch, Handbuch der deutschen Literatur seit der Mitte des 18. Jhs. bis auf die neueste Zeit, Bd. III, neue Ausg. Leipzig 1823, ND Hildesheim 1982, Sp. 384ff., und Johann Ludwig Klüber, Öffentliches Recht des Teutsehen Bundes und der Bundesstaaten, 4. Aufl. Frankfurt/Main 1840, ND Frankfurt/Main 1970, II. Theil, 393 f. - Grundlegend zum Repräsentationsbegriff des 19. Jhs.: Hartwig Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz. Politisches Denken im Einflußfeld des monarchischen Prinzips (Politica, 31), Neuwied I Berlin 1968. - Die ältere Arbeit von Emil Gerber kann danach als weitgehend überholt gelten: Der staatstheoretische Begriff der Repräsentation in Deutschland zwischen Wiener Kongreß und Märzrevolution, Diss. Bonn 1929. - Vgl. ferner Hans Boldt, Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus. Zur Entwicklung vorparlamentarischer Theorien in der deutschen Staatslehre des Vormärz, in: G. A. Ritter, Hrsg., Gesellschaft, Parlament und Regierung, Düsseldorf 1974, 77 -101; ders., Deutsche Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf 1975, 85 ff.; Klaus Bosselmann, Der Widerstand gegen die Repräsentativverfassung. Die Bemühungen um die Errichtung des Repräsentativsystems bis zu ihrer Absage durch den kk. Hofrath Friedrich von Gentz (1819), jur. Diss. Berlin 1979. 25 Friedrich Gentz, Über den Unterschied zwischen den landständischen und Repräsentativ-Verfassungen, in: J. L. Klüber I K.Th. Welcker, Hrsg., Wichtige Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation, Mannheim 1844,213 - 242. Die sogenannte "KarIsbader Denkschrift" wurde erstmals 1844 von Karl Theodor Welcker herausgegeben, und zwar mit polemischem Kommentar. Vgl. zu Gentz und zur vormärzlichen Diskussion allgemein Brandt, Landständische Repräsentation, 51 ff.; Bosselmann, Der Widerstand gegen die Repräsentativverfassung, 236 ff.; Hermann Reuss, Zur Geschichte der Repräsentativverfassung in Deutschland (1936), in: Rausch, Hrsg., Repräsentation und Repräsentativverfassung, 1- 27; Rolf K. Hocevar, Der Anteil Gentz' und Hegels an der Perhorreszierung der Repräsentativverfassung in Deutschland, in: Archiv f. Rechts- und Sozialphil. 52, 1966, 117 -133; Udo Bermbach,
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I. Einleitung
Landständische Verfassungen sind nach Gentz "die, in welchen Mitglieder oder Abgeordnete durch sich selbst bestehender Körperschaften ein Recht der Theilnahme an der Staatsgesetzgebung überhaupt, oder einzelnen Zweigen derselben, die Mitberathung, Zustimmung, Gegenvorstellung, oder in irgend einer andern verfassungsmäßig bestimmten Form ausüben"; in dieser traditionellen Form wolle sie Art. 13 BA wiederherstellen. Im Gegensatz dazu seien Repräsentativ-Verfassungen "solche, wo die zur unmittelbaren Theilnahme an der Gesetzgebung und zur unmittelbaren Theilnahme an den wichtigsten Geschäften der Staatsverwaltung bestimmten Personen, nicht die Gerechtsame und das Interesse einzelner Stände, oder doch diese nicht ausschließend zu vertreten, sondern die Gesammtmasse des Volks vorzustellen berufen sind." Dieser Repräsentationsbegriff, so Gentz, könne nicht auf die landständische Verfassung angewendet werden. Während die landständischen Rechte alter Art "aus der eigenthümlichen Stellung der Classen und Corporationen, auf denen sie haften", hervorgegangen seien und vor allem "die wesentlichen landesherrlichen Rechte" nicht verkürzten, gründe sich jede Repräsentativverfassung auf den Begriff der Volkssouveränität, tendiere notwendig zu dem "Wahn allgemeiner Rechtsgleichheit" und führe über den Grundsatz der Gewaltenteilung zur ,,reinen Anarchie". 26 Gentz vereinbarte auf diese Weise das monarchische Prinzip, wie es in Art. 57 der Wiener Schlußakte verbindlich formuliert wurde, mit der altständischen Verfassung, indem er diese von allem Anschein einer Verwandtschaft mit der modernen Nationalrepräsentation reinigte. Die für den vorliegenden Zusammenhang relevante Pointe der Gegenüberstellung lag darin, daß sie die Landstände als Vertreter privater Interessen definierte, so daß es dem Monarchen vorbehalten blieb, die politische Einheit als Ganzes zu repräsentieren - was nach dem "verkehrten Begriff vOn einer obersten Souveränetät des Volkes" ja der Liberalismus für das Parlament beanspruchte. Das Gegenüber des souveränen Monarchen als dem Repräsentanten des Ganzen bzw. des Gemeinwohls auf der einen Seite und der Landstände als Vertreter der verschiedenen - durchaus legitimen - partikularen Interessen einer gegliederten Gesellschaft von Untertanen auf der anderen Seite - diese Polarisierung war von der Restauration diktiert und fand sich bei zahlreichen anderen konservativen Theoretikern eines romantisch verklärten Ständewesens wieder: so etwa bei Adam Müller und Friedrich Schlegel, Karl Ernst Jarcke und Karl Friedrich Vollgraff. 27 Stets beruhte sie auf der anachronistischen Prämisse des Gegenübers vOn Staat und Gesellschaft und setzte eine einheitliche souveräne Staatsgewalt voraus - auch da, Über Landstände. Zur Theorie der Repräsentation im deutschen Vormärz, in: Sprache und Politik. Festgabe für Dolf Sternberger, Heidelberg 1968, 241 - 262; zuletzt knapp Günther Kronenbitter, Wort und Macht. Friedrich Gentz als politischer Schriftsteller, Berlin 1994, 202ff. 26 Gentz, Über den Unterschied, 214f., 218. 27 Vgl. allg. Brandt, Landständische Repräsentation, Kap. IV.
1. Die Problemlage vom 19. Jahrhundert bis heute
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wo Monarch und Landtag als Organe einer übergeordneten abstrakten Staatspersönlichkeit gedacht wurden. Diese Prämisse teilten auch die liberalen Gegner der von der Restauration verfochtenen Polarisierung "altständisch" - "repräsentativ". Während Anhänger des bürokratischen Reformabsolutismus und des liberalen Vernunftrechts unter entgegengesetzten Vorzeichen zu einer ebenso deutlichen Akzentuierung dieses Gegensatzes neigten wie die ständische Reaktion,28 mußten die Anwälte eines gemäßigtliberalen Konstitutionalismus, die eine zeitgemäße, "organische" Reform der alten Landstände im Sinne der modernen Nationalrepräsentation für möglich und wünschenswert hielten, eine Gegenüberstellung von "landständischer" und ,,repräsentativer" Verfassung ablehnen und den Unterschied zwischen alten und neuen Landständen tendenziell nivellieren. Das rheinbündische Zäsurbewußtsein war unter den Bedingungen der Restauration nicht mehr opportun. Auch der Sache nach moderne Forderungen nach Volksrepräsentation wurden von den diskreditierten französischen Einflüssen gereinigt und auf autochthone Wurzeln zurückgeführt. Daß dieses Bemühen um ständische Kontinuität die Repräsentationsdiskussion im konstitutionell-liberalen Lager wesentlich geprägt hat, ist von Hartwig Brandt präzise und detailliert nachgewiesen worden. 29 Dieses Kontinuitätsbedürfnis hat auch die liberale Verfassungsgeschichtsschreibung seit ihren Anfängen nachhaltig inspiriert, wie sich von Friedrich Wilhelm 28 Vgl. z. B. als Anwälte eines vernunftrechtlichen Liberalismus: Ludwig Harscher von Almendingen, Politische Ansichten über Deutschlands Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft,o.O. 1814; und vor allem Karl von Rotteck, Ideen über Landstände, Karlsruhe 1819 (vgl. Brandt, Landständische Repräsentation, 190ff., 255 ff.) - Das Zäsurbewußtsein aus der Sicht des Rheinbund-Absolutismus dokumentieren die Aufsätze in der von Johann Christoph Freiherr von Aretin herausgegebenen Zeitschrift "Alemannia": Die alten Landstände und die neuen National-Repräsentanten. Versuch einer Darstellung der öffentlichen Meinung über beide, in: Alemannia 6, 1816, 230 - 267, 7, 1816, 193 - 298; Haben die alten Landstände in den teutschen Bundesstaaten ein Recht, ihre Wiederherstellung zu fodern?, in: Neue Alemannia 1, 1816, 1-41. - Zum Repräsentationsverständnis der preußischen Reformbürokratie Brandt, Landständische Repräsentation, 122 ff.; Herbert Obenaus, Verwaltung und ständische Repräsentation in den Reformen des Freiherrn vom Stein, In: Jb.f.Gesch.Mittel- und Ostdeutschlands 18, 1969, 130-179; ders., Anfange des Parlamentarismus in Preußen bis 1848 (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus, 3), Düsseldorf 1984, 34 ff.; Ernst Walter Zeeden, Hardenberg und der Gedanke einer Volksvertretung in Preußen 1807 -1812, Berlin 1940, ND Vaduz 1965; Manfred Botzenhart, Verfassungsproblematik und Ständepolitik in der preußischen Reformzeit, in: P. Baumgart, Hrsg., Ständeturn und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen, Berlin 1983,431-455. 29 Brandt, Landständische Repräsentation, 71, 160ff., zur "liberal-romantischen" Theorie Welckers, Dahlmanns, Waitz' u. a.; zuletzt ders., Über Konstitutionalismus in Deutschland. Eine Skizze, in: J. Kocka u. a., Hrsg., Von der Arbeiterbewegung zum modernen Sozialstaat, München 1994, 261- 275; ferner Boldt, Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus, 87 ff.; Volker Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, Berlin 1979, 35 ff. - Vgl. auch Friedrich August Campe, Die Lehre von den Landständen nach gemeinem Deutschen Staatsrechte, 2., völlig umgearbeitete Auf!. Lemgo 1864.
2 Stollberg-Rilinger
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1. Einleitung
Ungers "Geschichte der deutschen Landstände" über Georg Waitz' "Deutsche Verfassungs geschichte" bis zu Otto von Gierkes "Deutschem Genossenschaftsrecht" vielfältig zeigen läßt. 3o Die Crux der liberal-konstitutionellen Verfassungshistoriker bestand allerdings darin, einerseits nachweisen zu wollen, daß "es den landständen des mittelalters so wenig an einem repräsentativ-charakter gefehlt habe, als irgend einer volksvertretung unsrer tage",31 andererseits aber konstatieren zu müssen, daß die Landstände, an diesem Maßstab gemessen, ihre Aufgabe seit jeher meist schlecht erfüllt bzw. "nur einer Stufe mangelhafter Staatsentwicklung" entsprochen hätten. 32 Stets dominierte im 19. Jh. ein tendenziell sozialständisches Bild der alten Stände, die als korporativ herausgehobene Schichten der Untertanengesellschaft er30 Vgl. Ernst Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jh. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder, Berlin 1961, 74ff.; allg. Frantisek Graus, Verfassungsgeschichte des Mittelalters, in: HZ 243, 1986, 529 - 589; zuletzt Gerd Althoff, Hrsg., Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, Darmstadt 1992 (vor allem die Beiträge von G. Althoff, O. G. Oexle und D. Mertens). 31 Friedrich Wilhelm Unger, Geschichte der deutschen Landstände, II. Teil: Vom Schlusse des großen Interregnums bis zum Ewigen Landfrieden, Hannover 1844, ND Glashütten/Taunus 1972, 427 ff., hier 432: Die Idee der Volksvertretung sei nicht erst modernen philosophischen Systemen oder der ungereimten Anwendung des Römischen Rechts entsprungen, sondern gehe auf die Volksversammlungen der fränkischen Zeit zurück. Unabhängig von der Zusammensetzung der Landtage und vom Umfang ihrer Befugnisse komme den Landständen von alters her das Recht zu, "anstatt und namens des volkes" sprechen. - Ähnlich Karl Theodor Welcker in seiner Kritik an Gentz' Karlsbader Denkschrift, 235. - Johann Ludwig Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes, II. Theil, III. Cap.: Die Landstände, 392 ff., z. B. 394: "Die Anstalt der Volkvertretung (NationalStellvertretung), ward in Teutschland seit Jahrhunderten Landschaft genannt, das heißt, eine das ganze Land vorstellende Corporation, und jedes Mitglied derselben hieß Landstand, weil es berufen war, für das ganze Land, die Gesammtheit der Einwohner, auf dem Landtage zu stehen." - Georg Waitz, Grundzüge der Politik, Kiel 1862, 40f., 57f.: "Die Idee der Vertretung (Repräsentation) ist, daß das Volk in geordneter Weise einen Antheil am Staatsleben nehme: mit der Volkssouveränität, der Auffassung, daß alle Gewalt im Volke liege, hat sie nichts gemein. Die Vertretung braucht nicht auf Wahl zu beruhen, auch wo einzelne Stände oder Personen einen Antheil am Staatsleben haben, aber dabei für die Gesammtheit handeln, ist das Wesen einer solchen schon vorhanden. Es besteht kein bestimmter Gegensatz zwischen einer reichs- oder landständischen und sogenannten Repräsentativ-Verfassung. Die wahre Vertretung bezieht sich aber auf den Staat als Ganzes, stellt die Gesammtheit des Volkes in seiner Mannigfaltigkeit, aber zu einer einheitlichen Bildung zusammengefaßt, dar". 32 So Waitz, Grundzüge der Politik, 58; vgl. Unger, Landstände, II, 427 ff.; Karl Friedrich Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 5., verbesserte Ausg., Göttingen 1844, Bd. III, § 423 ff., 223 ff.: Die Landstände beanspruchten, für das Beste des Landes zu sorgen, und rechneten insofern ein "Landesrepräsentationsrecht" zu ihren Befugnissen, das sie allerdings zunehmend mißbrauchten; ein Steuerbewilligungsrecht, das sich auf mehr als ihre eigenen Güter erstreckte, besaßen sie hingegen nie, denn dazu hätte es einer "Vollmacht vom ganzen Lande" bedurft. - Johann Caspar Bluntschli / Karl Brater, Hrsg., Deutsches Staatswörterbuch, Bd. 8, Stuttgart/Leipzig 1864, 586ff., s.v. Repräsentativverfassung: Die ständische sei eine "halbe und unvollkommene Repräsentation" gewesen, da sie keine Garantie dafür geboten habe, daß die Repräsentanten im Interesse der Repräsentierten handelten.
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schienen und als solche an der staatlichen Gewalt stellvertretend in bestimmten gewohnheitsrechtlichen Formen teilgenommen hätten. Die Auffassung der Landstände als vorkonstitutioneller Repräsentanten der Volks gesamtheit einte im Streit um den "Staat des Mittelalters" selbst die ansonsten unversöhnlichen Kontrahenten Otto von Gierke und Georg Below, nämlich gegen den gemeinsamen Gegner einer Patrimonialstaatslehre, die in den Ständen nur private Eigentümer mit "negativer Beziehung zum Staat" sah. Gierke verstand die Ständekorporationen als freie Einungen, gewillkürte genossenschaftliche Bildungen, die im Wechselspiel mit der Landesherrschaft den Grund zur modemen Staatlichkeit gelegt hätten. Er wies nach, daß es seit dem späten Mittelalter die Vorstellung gegeben habe, daß "die Gesamtheit der Landeseinwohner durch die ständische Genossenschaft vertreten und dargestellt" wurde, wenn auch nicht im modemen Sinne aufgrund eines ausdrücklichen Mandats. Mit dem Sieg des herrschaftlichen Moments sei diese landständische Vertretung indessen zu einer partikularistischen Interessenvertretung verkommen. Die Landstände unter dem Absolutismus "hörten auf', "das Land oder Volk in eigenthümlicher Form zu repräsentiren" und waren "engherzig und muthlos, nur noch für sich thätig".33 Gierkes wissenschaftlicher Hauptgegner Below stimmte mit ihm in diesem Punkt durchaus überein und ging sogar so weit zu behaupten, man könne von einem ,,Mandat des Landes" sprechen, auch wenn dieses nicht aufgrund besonderer Verfahren zuerkannt worden sei. 34 Für Gierke wie Below gilt, daß sie den "politi33 Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, 4 Bde., Berlin 1868-1913, ND Graz 1954, Bd.l: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, § 51, 534 - 581, § 60, 801843; Bd.lV: Die Staats- und Korporationslehre der Neuzeit, 229 - 233, die Zitate I, 573, 579. - Vgl. zu Gierke Otto Brunner, Land und Herrschaft, Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter (zuerst 1939), ND der 5. Aufl. Wien 1965, Darmstadt 1985, 156ff.; Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, 147ff.; Hans Boldt, Otto von Gierke, in: H. U. Wehler, Hrsg., Deutsche Historiker, Bd. VIII, Göttingen 1982,723; Otto Gerhard Oexle, Otto von Gierkes "Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft". Ein Versuch wissenschaftsgeschichtlicher Rekapitulation, in: N. Hammerstein, Hrsg., Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, Stuttgart 1988, 193 - 218; ferner Albert Janssen, Otto von Gierkes Methode der geschichtlichen Rechtswissenschaft. Studien zu den Wegen und Formen seines juristischen Denkens, Göttingen 1974, 20ff. zum politischen Anliegen des "Genossenschaftsrechts", mit dem Gierke nach eigener Aussage eine historische "Grundlage der Selbstverwaltung" liefern wollte. 34 Georg von Below, System und Bedeutung der landständischen Verfassung, in: ders., Territorium und Stadt. Aufsätze zur deutschen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, München I Leipzig 1900, 243 ff., würdigt ausdrücklich die "staatsbildenden" Leistungen der Landstände, auch wenn er den Territorialstaat als herrschaftliche Bildung versteht. In der üblichen Frage, ob die Landtage "Vertretung des ganzen Landes" oder nur der verschiedenen "Klassen" waren, kommt er (in Anlehnung an die Begriffsbestimmung Robert von Mohls) zu dem Ergebnis: "Wenn nun die Repräsentation oder Vertretung im staatlichen Sinne diejenige Einrichtung ist, vermöge welcher der einem Theile oder der Gesamtheit der Unterthanen zustehende Einfluß auf Staatsgeschäfte durch eine kleinere Anzahl aus der Mitte der Beteiligten, in ihrem Namen und verpflichtend für sie besorgt wird, so findet die Bezeichnung Repräsentation auf die Stände der älteren deutschen Territorien Anwendung" (ebd., 246). - Vgl. das ausführliche Forschungsreferat von dems., Der deutsche Staat des Mittel-
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I. Einleitung
schen", nicht "privaten" Charakter der ständischen Teilhabe nur retten zu können glaubten, indem sie die Stände als Vertreter der Rechte einer "Volksgesamtheit" auffaßten. In der um die Jahrhundertwende auflebenden Kontroverse präzisierte Felix Rachfahl gegen die grundsätzlichen Einwände Friedrich Tezners ausführlich, in welchem Sinne man in bezug auf die Landstände von einer Volksvertretung sprechen könne: Die Funktion der Stände sei seit jeher gewesen, die Rechte der "Untertanen insgemein", die ihnen vom Fürsten als dem alleinigen Inhaber der Staatsgewalt zugestanden worden seien, gegenüber diesem geltend zu machen - und dies, obwohl es kein Mandat seitens des Volkes dazu gab, dieses überhaupt kein selbständiges Rechtssubjekt war und seine Interessen von den Ständen auch nicht immer wahrgenommen wurden. Stände und übrige Untertanen hätten sich zueinander dennoch verhalten wie Vormund und Mündel oder wie Aktiv- und Passivbürger. 35 Dem Bemühen, trotz aller Einschränkungen den Charakter der Landstände als Volksrepräsentanten zu behaupten, korrespondierte die von Gierke angeregte geistesgeschichtliche Deutung, wonach die Monarchomachen und insbesondere Althusius als Theoretiker der Volkssouveränität in eine gerade Traditionslinie mit dem revolutionären Naturrecht des späten 18. Jahrhunderts gestellt wurden. 36 Das ständische Widerstandsrecht des konfessionellen Zeitalters wurde im Licht einer monarchomachischen ,,Revolutionstheorie" gesehen und aus einer ursprünglichen Rechtsrnacht des gesamten Volkes, gelegentlich sogar aus subjektiven individuellen Freiheitsrechten aller einzelnen Untertanen hergeleitet, die die Stände als deren Repräsentanten und in deren Namen geltend gemacht hätten. Diesen subjektiven alters. Eine Grundlegung der deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 1925, 1 ff. - Vgl. auch Hans Spangenberg, Vom Lehnstaat zum Ständestaat. Ein Beitrag zur Entstehung der landständischen Verfassung, München 1912, ND Aalen 1964, 143 ff. - Zu Below zuletzt Otto Gerhard Oexle, Ein politischer Historiker: Georg von Below, in: N. Hammerstein, Hrsg., Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, Stuttgart 1988, 283312. 35 Felix Rachfahl, Der dualistische Ständestaat in Deutschland, in: Schmollers Jahrbuch 26, 1902, 165 - 219; ders., Alte und neue Landesvertretung in Deutschland, in: Schmollers Jahrbuch 33, 1909, 89-130; ders., Waren die Landstände eine Landesvertretung?, in: Schmollers Jahrbuch 40, 1916,55 - 94 (dort 64ff. Aktiv 1Passivbürger; das Zitat 78). - Dagegen Friedrich Tezner, Technik und Geist des ständisch-monarchischen Staatsrechts (Staatsund sozialwiss. Forschungen, 19/3), Leipzig 1901, 69ff.; ders., Die Volksvertretung, Wien 1912, 724ff.; ebenso Wilhelm Schiefer, Der Repräsentantencharakter der deutschen Landstände, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 32, 1913,261- 335. - Hintze, Typologie der ständischen Verfassungen, 121 f., schränkt zwar ein, die Landstände hätten nicht das Volk als handlungsfähiges Rechtssubjekt vertreten, schon gar nicht kraft Mandats, und es habe insofern einen "guten Sinn" zu sagen, daß die Stände keine Vertretung des Landes, sondern "das Land sind". Trotzdem hält er daran fest, daß es sich "um eine Vertretung auf Grund einer traditionellen Rechtsanschauung" handele. 36 Otto von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Heft 7), (zuerst 1913), ND Aalen 1981,211 ff. zum Repräsentativprinzip.
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Freiheitsrechten aller Einzelnen als Glieder des Staatsvolks habe es auch keinen Abbruch getan, daß sie nur durch "nicht gekorene, sondern geborene Vertretung" geltend gemacht werden konnten und daß sie überhaupt nicht rechtlich einklagbar waren. Mit dieser Argumentation bemühte sich Kurt Wolzendorff im Anschluß an Felix Rachfahl ausdrücklich, die rechtliche Wesensverschiedenheit zwischen moderner Volksvertretung und ständischer Verfassung als nur scheinbare zu erweisen. 37 Otto Brunner kommt bekanntlich das Verdienst zu, die perspektivischen Verzerrungen der Verfassungs geschichte durch das Staatsrecht des liberalen Konstitutionalismus aufgedeckt zu haben. 38 Die forschungs geschichtliche Tragweite dieses Verdiensts wird nicht dadurch geschmälert, daß - wie inzwischen eindringlich nachgewiesen worden ist - Brunners methodische Distanz zur traditionellen Verfassungsgeschichte sich seiner politischen Distanz zum liberalen Verfassungsstaat verdankte und seine Infragestellung des Gegensatzes von Staat und Gesellschaft der nationalsozialistischen Volksgemeinschafts-Mythologie nahestand?9 All das ändert nichts an der epochemachenden Wirkung seiner methodischen Einsichten. Brunner hat sich in seinem Bemühen, das Verständnis der Landstände von der anachronistischen Gegenüberstellung zwischen öffentlichem und privatem Recht zu befreien, bekanntlich vehement gegen die Übertragung des Vertretungsbegriffs auf die Landstände des Spätmittelalters gewandt und der schon von Tezner vorgebrachten Formel "Die Stände sind das Land" ihre quellengemäße Bedeutung zurückzugeben versucht. 4o Brunners Kritik konzentrierte sich darauf, daß die moder37 Kurt Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes, Breslau 1916,71 ff., hier 77 f.: "Die Rechtsstellung der Landstände enthält die Befugnis zur Wahrung der politischen und öffentlichrechtlichenInteressen der Gesamtheit der Untertanen", und zwar die Rechte aller Einzelnen auf "Freiheit vom Staate"; folglich sei "der Kern der naturrechtlichen Revolutionslehre dem positiven Recht entnommen". 38 Brunner, Land und Herrschaft; ders., Moderner Verfassungsbegriff und mittelalterliche Verfassungsgeschichte, in: H. Kaempf, Hrsg., Herrschaft und Staat im Mittelalter, Darmstadt 1956, 1- 19. 39 Vgl. Otto Gerhard Oexle, Sozialgeschichte - Begriffsgeschichte - Wissenschaftsgeschichte. Anmerkungen zum Werk Otto Brunners, in: VSWG 71, 1984, 305-341; Hans Boldt, Otto Brunner. Zur Theorie der Verfassungsgeschichte, in: Annali des ISIG Trento 13, 1987, 43 - 52; Christoph Dipper, Otto Brunner aus der Sicht der frühneuzeitlichen Historiographie, in: ebd., 73 - 96; Klaus Schreiner, Wissenschaft von der Geschichte des Mittelalters nach 1945, in: E. Schulin, Hrsg., Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem 2. Weltkrieg (1945 - 1965), München 1989, 87 - 145; Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1990, 281 f.; zuletzt James van Horn Melton, From Folk History to Structural History. Otto Brunner and the Radical-Conservative Roots of German Social History, in: H. Lehmann, Hrsg., Paths to Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge 1993, 273 ff. 40 Brunner, Land und Herrschaft, 413 ff. Brunners einprägsame Formel: ,.Landesherr und Landstände zusammen sind das Land im vollen und ursprünglichen Sinn", bezieht sich auf das "Land" des späten Mittelalters. Im Rahmen von Tezners und Hintzes staatsrechtlicher Begrifflichkeit habe die Formel, so Brunner, ein unverständlicher Fremdkörper bleiben müssen. Für die spätere Entwicklung des Ständewesens galt die Formel nach Brunners eigener Aus-
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I. Einleitung
nen verfassungsrechtlichen Begriffe der einheitlichen Staatsgewalt und der Volksrepräsentation den Zugang zum spätmittelalterlichen Begriff des "Landes" verstellt hätten. Für die zeitgenössische Bedeutung des Repräsentationsbegriffs indessen interessierte sich Brunner selbst erstaunlicherweise nicht, wie schon Karl Kroeschell kritisch bemerkt hat. 41 Der deutschen Frühneuzeitforschung seit den 60er Jahren war in ihrem Bemühen um Kontinuitätsstiftung und um Anschluß an die internationale Parlamentarismusforschung an der historisierenden Verfremdung der Landstände nicht gelegen. Deshalb blieb die Ständeforschung nach wie vor belastet durch die vermeintliche argumentative Notwendigkeit, die Landstände in der modernen Polarisierung zwischen partikularer Interessenvertretung einerseits und freier Repräsentation des ganzen Landes andererseits auf der einen oder der anderen Seite einzuordnen. In der einflußreichen Formulierung des Repräsentationsbegriffs durch Gerhard Leibholz fand diese Gegenüberstellung eine nachhaltig wirksame Grundlage. 42 Noch Gerhard Oestreichs Urteil liegt dieser Gegensatz zugrunde, wenn er schreibt, die Landstände hätten sich "aus Vertretern des allgemeinen Interesses zu Vertretern ihrer korporativen Interessen" gewandelt. 43 Es begegnet aber gelegentlich auch die umgekehrte Auffassung, daß die Stände eine gemeineuropäische Normalentwicklung "vom engen Klassengeist zur Gemeinverantwortung" in mehr oder weniger hohem Maße mitvollzogen hätten. 44 Trotz aller fortschreitenden sage nicht; seit dem 16. Ih. könne man vielmehr von dem Auseinanderbrechen von Landesherrn und Landständen in einen ständischen Dualismus sprechen, der die Frage "erzwungen" habe, ob "der Landesherr oder die Landstände das Land repräsentieren" sollten. 41 Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, Reinbek 1973, 194: "Offenbar bemerkt Brunner nicht, daß gerade diese Verkörperung des Landes in den Ständen ihren Repräsentativcharakter ausmacht!" - Vgl. die grundsätzliche Auseinandersetzung mit Brunner: ders., Haus und Herrschaft im frühen deutschen Recht, Göttingen 1968, 48 ff. 42 Gerhard Leibholz, Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems. Ein Beitrag zur allgemeinen Staats- und Verfassungslehre, Berlin / Leipzig 1929, zu den alten Landständen etwa 53 f. mit Anm. 2: Von Repräsentanten im strengen Sinne werden "immer nur die Interessen des gesamten Volkes, des ,Allgemeinwohls' wahrgenommen, nicht aber bestimmte Privilegien und Rechte einzelner Bevölkerungsgruppen und deren partikulare Interessen wie z. B. im altständischen System geltend gemacht". Vgl. dazu Christoph Müller, Das imperative und freie Mandat. Überlegungen zur Lehre von der Repräsentation des Volkes, Leiden 1966, 13 ff.; Dolf Sternberger, Zur Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, in: ders., Nicht alle Staatsgewalt geht vorn Volke aus. Studien über Repräsentation, Vorschlag und Wahl, Stuttgart 1971, 9 - 39. 43 Oestreich, Ständeturn und Staatsbildung, 288. 44 So z. B. Wilhelm F. Bofinger, Zur Rolle des Luthertums in der Geschichte des deutschen Ständeparlamentarismus, in: Geist und Geschichte der Reformation. Festgabe Hanns Rückert, Berlin 1966, 397 -417, hier 414: "Dieser für die Neuzeit grundlegende Prozeß konnte [in Brandenburg-Preußen] nie zur Reife kommen." Ebd. 401: In Religionssachen waren die ständischen "Parlamente", wie Bofinger sie in Anlehnung an den "internationalen Sprachgebrauch" ausdrücklich nennt, "nicht mehr nur eine Vertretung auf Grund von Privilegien und Immunitäten; dieser alte Rahmen war gesprengt. Der Landtag stellte in neuer Form
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historischen Präzisierungen hält sich ebenso hartnäckig wie unterschwellig die Vorstellung, daß die Stände ursprünglich dem "Volk" zukommende Rechte vertreten und dessen "Interessen" wahrgenommen hätten oder doch hätten wahrnehmen sollen. Die präzisen ideen- und rechtshistorischen Forschungen Hasso Hofmanns über die Entwicklung des Repräsentationsbegriffs seit dem Mittelalter45 , die mehr Klarheit hätten verschaffen können, sind von den Ständehistorikern zwar meistens zitiert, aber tatsächlich nicht hinreichend zur Kenntnis genommen worden. Von wenigen hervorragenden Ausnahmen abgesehen46 gibt es kaum Bemühungen, der zeitgenössischen Verwendung des Repräsentationsbegriffs in den Quellen genauer nachzugehen. Die lange Tradition der Repräsentationskontroverse hält die Frühneuzeithistoriker offenbar sowohl von eigenen begriffsgeschichtlichen Untersuchungen als auch von Bemühungen um einen terminologischen Konsens untereinander ab. Daß gerade der Repräsentationsbegriff für fortgesetzte Mißverständnisse unter Ständehistorikern sorgt, liegt unter anderem an dem immer noch großen Einfluß Karl Bosls in dieser Frage. Gerade Bosl, der mit seiner ubiquitären und methodisch besonders unbekümmerten Verwendung dieses Begriffes nachhaltige Verwirrung gestiftet hat, wird nach wie vor als Autorität in der Frage der Kontinuität des Ständetums und des Repräsentationsbegriffs zitiert. 47 In der Absicht, "das Volk als eine Repräsentation des Landesganzen dar, denn er handelte im Auftrag einer öffentlichen Meinung." 45 Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jh., Berlin 1974; ders., Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeit. Zur Frage des Repräsentativprinzips in der ,Politik' des Johannes Althusius, in: ders., RechtPolitik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt/Main 1986, 1 - 30; ders., Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Reich und Kirche, in: Der Staat 27, 1988, 523 - 546. Vgl. ferner zusammenfassend Adalbert Podlech, Repräsentation, in: Geschichtliche Grundbegriffe 5, 1984,509 - 547. 46 So vor allem Rainer Walz, Stände und frühmoderner Staat. Die Landstände von JülichBerg im 16. und 17. Jh., Neustadt! Aisch 1982, der den flexiblen argumentativen Einsatz des Repräsentationsbegriffs im 16. und 17. Jh. an einem landeshistorischen Beispiel nachzeichnet, und Herbert Obenaus, Versuch einer Reform der Hildesheimer Ritterschaft im ausgehenden 18. Jh., in: Nieders. Jb. f. LG. 37, 1965,75 - 121. 47 Vgl. z. B. für die Rechtsgeschichte Dieter Wyduckel, lus publicum, Berlin 1984, 125; für die Begriffsgeschichte Otto Gerhard Oexle, Stand, Klasse, in: Geschichtliche Grundbegriffe 6, 1990, 199,208. - Neuerdings hat, um noch ein aktuelles Beispiel zu nennen, Ernst Schubert anläßlich einer Tagung zum Thema "Ständische Repräsentationen in niedersächsischen Territorien der frühen Neuzeit" noch einmal die alte Formel wiederholt, wonach der "Schritt zur Repräsentation des Landes" durch die Stände mit der "Wahrung allgemeiner Interessen" getan worden sei: ,,zunächst repräsentieren die Stände nur sich selbst, sie vertreten allein ihre Interessen, und lernen erst langsam gemeinsam Verantwortung für ihr Land zu tragen." Schubert beklagt das Fehlen einer "eindeutigen" Definition des Begriffs der "Landesvertretung" und verwirft die präzise Analyse von Walz (s.o. Anm. 46) als "bis zur Unbrauchbarkeit kompliziert" (Ernst Schubert, Steuer, Streit und Stände. Die Ausbildung ständischer Repräsentation in niedersächsischen Territorien des 16. Jhs., in: Nieders. Jb. f. LG. 63,
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politisch handelnde Kraft" aufzuspüren, hat Bosl die "Volksrepräsentation" zur politischen Universalie erhoben und die verschiedenen Stadien ihrer "Entfaltung" in Bayern nachvollzogen. Dazu dient ihm ein historisch völlig unpräziser, aber normativ eingesetzter Repräsentationsbegriff, der doch seine Herkunft aus dem 19. Jh. nicht verleugnen kann. 48 Schon das ständische "Repräsentativsystem" war danach eine legitime Vertretung "aller", die vom Liberalismus lediglich "wiederaufgenommen" wurde. Allerdings habe die Landschaft das Volk bisweilen "nicht voll repräsentiert", nur "in zunehmendem Maße" repräsentiert oder gar "nicht vertreten, aber mitrepräsentiert".49 Der gegenwärtige Umgang mit dem Repräsentationsbegriff läßt mehr Fragen offen, als er beantwortet. Wer repräsentiert da wen gegenüber wem, wie kommt diese Repräsentation zustande und worin besteht sie überhaupt? Kann man sich selbst repräsentieren? Gibt es mehr oder weniger, "wahre" oder "falsche" Repräsentation? Solche und ähnliche Konfusion hat ihre Ursache vor allem darin, daß zwei ganz unterschiedliche Fragen fortgesetzt miteinander verwechselt werden: Zum einen handelt es sich um die Frage, wessen Interessen die Landstände tatsächlich wahrgenommen haben - eine Frage, die auf ein rückblickendes wertendes Urteil zielt und die nur im Detail auf der politikgeschichtlichen Ebene und im landesgeschichtlichen Kontext beantwortet werden kann. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob und in welchem Sinne die Landstände als "Repräsentanten" (des "Volkes", des "Landes", der "Untertanen" oder wie auch immer) galten - die Frage also nach der politisch-sozialen Wahrnehmung und Argumentation der Zeitgenossen, die nur mit begriffsgeschichtlichen Mitteln beantwortet werden kann. Um diese zweite Frage geht es in der vorliegenden Arbeit. Repräsentation ist eine Fiktion und kein Faktum. 5o Mittels der politischen Repräsentationsfiktion werden stets Handelnde und Nichthandelnde in eine 1991, 1- 58, bes. 34ff., 45, 56ff.). - Vgl. auch das weite Bedeutungsspektrum der verwendeten Repräsentationsbegriffe in zahlreichen Territorialstudien, z. B. Dietmar Storch, Die Landstände des Fürstentums Calenberg-Göttingen 1680-1714, Hildesheim 1972, 280ff.; Bernd Kappelhoff, Absolutistisches Regiment oder Stände herrschaft? Landesherr und Landstände in Ostfriesland im ersten Drittel des 18. Jhs., Hildesheim 1982, 64ff.; Carl-Hans Hauptmeyer, Souveränität, Partizipation und absolutistischer Kleinstaat. Die Grafschaft Schaumburg-Lippe als Beispiel, Hildesheim 1980, 24 ff. für viele andere. 48 Repräsentation definiert er u. a. als "legitime Vertretung des Landes, des Volkes, der Gesellschaft und ihrer Stände" (Karl Bosl, Die Geschichte der Repräsentation in Bayern. Landständische Bewegung, Landständische Verfassung, Landesausschuß und altständische Gesellschaft. Repräsentation und Parlamentarismus in Bayern vom 13. bis zum 20. Jh., Bd. I, München 1974, IX). - Ähnlich anachronistisch die Verwendung des Repräsentationsbegriffs bei Emilio Bussi, Diritto e politica in Germania nel XVIII secolo, Mailand 1971, 155 - 273 (,,La Democrazia [tl nel Primo Reich"), bes. 179ff.: "Democrazia e Stati territoriali". 49 Bosl, Geschichte der Repräsentation in Bayern, 215, 220 u.ö. 50 Ich folge darin Edmund S. Morgan, Government by Fiction, in: The Yale Review 72, 1983,321- 339; vgl. dens., Inventing the People, New York/London 1988. - Ähnlich Niklas
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bestimmte Beziehung zueinander gesetzt, so daß es möglich wird, das Handeln bestimmter Akteure den selbst nicht Handelnden zuzurechnen. Die Fiktion dient der Formierung, Selbstdefinition und Legitimierung politisch handelnder Gruppen. Unter den Bedingungen herrschafts ständisch-korporativer politischer Organisation muß sie eine andere Beschaffenheit haben als unter den Bedingungen individueller staatsbürgerlicher Rechtsgleichheit, weil die strukturellen Grundlagen politischen HandeIns jeweils anders beschaffen sind. Die Frage ist, wann und in welchem Argumentationszusammenhang diese Fiktion aufkam und wie sie zu dem Wandel der Grundlagen politischer Partizipation in Beziehung stand. Mit anderen Worten: Welche Rolle spielte die Repräsentationsfiktion bei dem säkularen Prozeß der Ablösung von Herrschaftsständen durch politische Funktionseliten? Dazu ist zunächst einmal der zeitgenössische Gehalt dieser Fiktion präzise zu rekonstruieren. Die Untersuchung der ständischen Verfassungsrealität bedarf also einer theoriegeschichtlichen Ergänzung, nämlich einer Analyse des zeitgenössischen Begriffshorizonts von "landständischer Repräsentation" und dessen Wandel. S! Die vorliegende Arbeit ist dem begriffsgeschichtlichen Ansatz von Reinhart Koselleck verpflichtet,S2 der ein besonders ertragreiches Pendant in der angelsächLuhmann, Politische Verfassungen im Kontext des Gesellschaftssystems, in: Der Staat 12, 1973, 1-22, 165 - 182, der Repräsentation unter den Bedingungen der Trennung von Staat und Gesellschaft als die Fiktion auffaßt, die das politische System gesellschaftlich kompatibel macht. - In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen von Pierre Bourdieu, Die politische Repräsentation, in: Berliner Journal für Soziologie I, 1991,489-515, der politische vor allem als symbolische Repräsentation versteht und so eine Brücke schlägt zwischen modernem Parlamentarismus einerseits und vormodernen Stände-, Rats- und Gerichtsversammlungen andererseits (ebd. 496). Auch die Repräsentation moderner Parlamente funktioniert nach Bourdieu weniger als Interessenvertretung sozialer Gruppen qua Auftrag oder ähnlicher demokratischer Mechanismen, sondern als symbolische Beziehung: Das "politische Theater" bilde die Struktur der sozialen Welt ab, weil es selbst eine homologe Struktur habe. Auch moderne Parlamente erscheinen in erster Linie als "Theatralisierungsakte", in denen eine Gesellschaft sich selbst und ihre Einteilungsprinzipien zur Schau stellt. 51 Es gibt keine Untersuchung, die dem Buch von Hartwig Brandt, das erst mit der Kontroverse um Art. 13 der Bundesakte einsetzt, für die frühe Neuzeit zur Seite gestellt werden könnte. Erste Ansätze zur Beantwortung der Frage nach der Geschichte des Begriffs landständischer Repräsentation finden sich bei Gierke, AltilUSius, 220 ff.; ders., Genossenschaftsrecht, I, § 51 und § 60; in den 1960er Jahren zuerst (aber m.E. irreführend) bei Reinhard Renger, Landesherr und Landstände im Hochstift Osnabrück in der Mitte des 18. Jhs. Untersuchungen zur Institutionengeschichte des Ständestaates im 17. und 18. Jh., Göttingen 1968, bes. 46ff., dem viele Ständehistoriker gefolgt sind. - Wegweisend die Skizze der landständischen Repräsentation bei Hofmann, Repräsentation, 342 ff.; ferner Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung, 310 ff.; Podlech, Repräsentation, 516 ff. - Einzelne Hinweise auch bei Rudolf Vierhaus, Land, Staat und Reich in der politischen Vorstellungswelt deutscher Landstände im 18. Jh., in: HZ 223, 1976, 40 - 60; ders., Politisches Bewußtsein in Deutschland vor 1789, in: Der Staat 6, 1967, 175-196; Birtsch, Die landständische Verfassung als Gegenstand der Forschung, 52 ff. - Eher Verwirrung stiftet Heinz Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung. Anmerkungen zur Problematik, München 1979,207 ff. 52 Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhard Koselleck, Hrsg., Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in
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sischen Geschichte der politischen Sprachen hat. 53 Das heißt: Die Geschichte der politisch-sozialen Sprache wird nicht als Hilfswissenschaft der Politischen oder Sozialgeschichte betrieben, sondern ist genuiner Erkenntnisgegenstand. Die methodische Prämisse lautet: Was politisch-soziale Wirklichkeit war, ist niemals ohne Rücksicht auf deren zeitgenössische sprachliche Erfassung zu begreifen. Es kann also nicht abgesehen werden von der sprachlich vermittelten Wahrnehmung politisch-sozialer Phänomene durch die Zeitgenossen und deren fortgesetzter Rezeption durch die Nachlebenden bis hin zur Gegenwart des Historikers. Der begriffsgeschichtliche Ansatz in Deutschland war von Beginn an auf die Frage nach der Kontinuität zwischen altständisch-traditionaler und moderner Welt ausgerichtet. Das epochemachende begriffsgeschichtliche Unternehmen von Brunner, Conze und Koselleck hat im einzelnen den heuristischen Vorgriff von der ,,sattelzeit" eingelöst, mit dem es aus der Taufe gehoben worden war. Die meisten Artikel haben aber auch deutlich gemacht, daß die Frage nach Kontinuität oder Bruch nicht mit einfachen Antworten zu erledigen ist. Im Übergang vom 18. zum 19. Jh. hat man es vielmehr mit einer spezifischen Gemengelage zu tun: Traditionelle Institutionen konnten durch neue Deutungsmuster rationalisiert und legitimiert werden,54 und umgekehrt konnten effektiv zukunftsweisende Programme sich im GeDeutschland, 7 Bde., Stuttgart 1972 - 1992, hier I, XIV ff.; ders., Begriffsgeschichtliche Probleme der Verfassungsgeschichtsschreibung, in: Gegenstand und Begriffe der Verfassungsgeschichtsschreibung (Der Staat, Beih. 6), Berlin 1983, 7 - 21; ders., Sozialgeschichte und Begriffsgeschichte, in: W. Schieder u. a., Hrsg., Sozialgeschichte in Deutschland. Entwicklungen und Perspektiven im internationalen Zusammenhang, Bd. 1, Göttingen 1986, 89 - 109. 53 Wahrend man sich in Deutschland damit immer noch hin und wieder dem Idealismusvorwurf ausgesetzt sieht, geht man im angelsächsischen Raum wesentlich unbefangener mit der politischen Theoriegeschichte um. Zum aktuellen Stand des Konzepts der "political languages" (die einschlägigen Studien sind inzwischen Legion) vgl. etwa John G. A. Pocock, Hrsg., The Varieties of British Political Thought, 1500-1800, Cambridge 1993; Nicholas Phillipson/Quentin Skinner, Hrsg., Political Discourse in Early Modern Britain, Cambridge 1993; ferner Terence Ball / James Farr / Russell L. Hanson, Hrsg., Political Innovation and Conceptua! Change, Cambridge 1989. - Zur Einordnung des begriffsgeschichtlichen Ansatzes knapp Melvin Richter, Zur Rekonstruktion der Geschichte der politischen Sprachen: Pocock, Skinner und die Geschichtlichen Grundbegriffe, in: H. E. Bödeker / E. Hinrichs, Hrsg., Alteuropa - Ancien Regime - Frühe Neuzeit. Probleme und Methoden der Forschung, Stuttgart - Bad Cannstatt 1991, 134-174; zuletzt Georg Iggers, Zur ,Linguistischen Wende' im Geschichtsdenken und in der Geschichtsschreibung, in: GG 21, 1995, 557 - 570. 54 So bemerkt hinsichtlich der Landstände schon Birtsch, Landständische Verfassungen als Gegenstand der Forschung, 52, daß "sämtliche nur denkbaren traditionellen und zukunftsträchtigen Argumente zur Unterstützung der ständischen Position herangezogen wurden". - Dietrich Gerhard spricht für das 18. Jh. von der Entwicklung von "elaborate theories ... in order to justify institutions which were a true image of the corporate social-politica1 order of Old Europe and of its underiying concepts of authority and of inequality" (Assemblies of Estates and the Corporate Order, in: ders., Gesammelte Aufsätze, Göttingen 1977, 38 - 54, hier 54). - Ähnliche Hinweise auch bei Vierhaus, Politische Vorstellungswelt deutscher Landstände, 60; zuletzt Diethelm Klippei, Politische Theorien im Deutschland des 18. Jhs., in: R. Vierhaus, Hrsg., Aufklärung als Prozeß, Hamburg 1987, 57 - 88, bes. 65 und 68ff.
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häuse traditioneller Begriffe entwickeln. 55 "Rezeption einer scheinbar ungebrochenen Tradition, abbröckelnde und kritisierte Traditionen, Innovationen und rückwirkende Traditionsstiftungen prägen - einander überlappend - die Selbstdeutungen und Selbstwahrnehmungen der bürgerlichen Gesellschaften".56 Mehrere neuere Forschungsansätze konvergieren gegenwärtig, wie eingangs erwähnt, in ihrer Tendenz, die Kontinuität zwischen den vormodernen ständisch-korporativen Traditionen und dem Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts zu betonen. 57 Nicht einig ist man sich allerdings bisher darüber, ob die altständische societas civilis moderner oder vielmehr umgekehrt der Frühliberalismus traditionsverhafteter war als bisher gedacht. 58 Theoriegeschichtliche Nachweise dieser Kontinuitätsthesen sind allerdings noch eher selten. 59 Auch die Ständehistoriker haben schon seit längerem nach zukunftsweisenden theoretischen Potentialen in der "ständischen Renaissance" des späten 18. Jhs. gesucht. 6o Die Stände, so heißt es, seien Kristallisationspunkte für neue, zukunftswei55 So betont vor allem die neuere Forschung zum Untertanenprotest, daß Forderungen grundSätzlich in altrechtlichem Gewand vorgetragen werden mußten, um Aussicht auf Durchsetzung zu haben; vgl. zuletzt Andreas Würgler, Das Modemisierungspotential von Unruhen im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehung der politischen Öffentlichkeit in Deutschland und der Schweiz, in: GG 21, 1995, 191- 213, hier 203 f. 56 So zuletzt Reinhart Koselleck/Klaus Schreiner, Einleitung zu: dies., Hrsg., Bürgerschaft. Rezeption und Innovation der Begrifflichkeit vom hohen Mittelalter bis ins 19. Jh., Stuttgart 1994, 11 - 39, hier 12. 57 Eine gewisse Parallele zu den aktuellen deutschen Ansätzen einer rückwirkenden Traditonsstiftung gegenüber dem Alten Reich findet sich im angelsächsischen Revisionismus, wonach nicht nur der amerikanische Konstitutionalismus, sondern auch der englische Radikalismus und die Parlamentsreform vom Geist eines traditionsverhafteten, antiliberalen und antimodernen "klassischen Republikanismus" geleitet worden seien. Pococks "civic humanism" dient inzwischen den kommunitaristischen Liberalismus-Kritikern als historisches Traditionsangebot. Vgl. Jeffrey C. Isaac, Republicanism vs. Liberalism? A Reconsideration, in: History of Political Thought 9, 1988,349 - 377. 58 So stellt sich die Sache für Historiker des 19./20. Jhs. dar: vgl. Paul Nolte, Der südwestdeutsche Frühliberalismus in der Kontinuität der Frühen Neuzeit, in: GWU 43, 1992, 743 -756; ferner Dieter Langewiesche, Spätaufklärung und Frühliberalismus in Deutschland, in: E. Müller, Hrsg., " ... aus der anmuthigen Gelehrsamkeit". Tübinger Studien zum 18. Jh. Dietrich Geyer zum 60. Geburtstag, Tübingen 1988,67 - 80. 59 Vgl. jetzt Peter Blickle, Hrsg., Theorien kommunaler Ordnung in Europa (Schriften des Histor. Kollegs, Kolloquien, 36), München 1996, insbesondere die Einleitung des Hrsgs., die anderen Beiträge mahnen eher zur Skepsis gegenüber einer Fixierung auf "historische Ursprünge". - Differenziert aus rechtsgeschichtlicher Sicht: Gerhard Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, in: Der Staat 27, 1988, 16'1 -193, der die Bedeutung der Reichspublizistik als "Kontinuitätsbrücke" betont. 60 Schon Fritz Valjavec, der viele neuere theoriegeschichtliche Arbeiten geprägt hat, hat auf die neugewonnene Bedeutung "altständischer Tendenzen als Grundlage politisch-fortschrittlicher Wünsche" seit 1789 hingewiesen: Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770-1815 (zuerst Wien 1951), Düsseldorf 1978, 42; zur Rezeption Valjavecs vgl. das Nachwort von Jörn Garber zu dieser Neuausgabe, wieder abgedruckt unter dem Titel: Politische Spätaufklärung und vorromantischer Frühkonservativismus. Aspekte der For-
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sende Vorstellungen von Repräsentation und Partizipation geworden, wobei Montesquieu-Rezeption und Englandbegeisterung die wesentlichen Impulse gegeben hätten. Auf diese "modeme" Auffassung des Landständewesens hätten die Zeitgenossen zur Abwehr radikal-revolutionärer Forderungen zurückgreifen können. So hat vor allem Volker Press nicht nur eine politische Einflußsteigerung ständischer Korporationen, sondern auch deren "Popularität" und "öffentliche Hochschätzung" als "Repräsentanten des Landes,,61 konstatiert und vom "Aufschwung des Ständetums in der öffentlichen Meinung unter dem Einfluß von Aufklärung und Naturrecht" gesprochen. 62 Obwohl Press für diese weitreichende These eine theoriegeschichtliche Einlösung schuldig geblieben ist, hat sie weite Verbreitung gefunden. Die Aufklärung, so wird nun oft akzentuiert, habe die ständischen Traditionen keineswegs gesprengt, sondern vielmehr aus diesen Traditionen ihre frühliberalen und frühkonstitutionellen Begriffe entwickelt. 63 Die allgemeine Neubewertung der ständischen Verfassungen gegenüber dem Absolutismus hat neuerdings das gewichtigste theoriegeschichtliche Pendant in den Arbeiten von Horst Dreitzel gefunden. 64 Dreitzel zieht die von den Ständehistorikern betonten Kontinuitätslinien zwischen ständischer und konstitutioneller Monarchie auch im Bereich der Theoriegeschichte kräftig nach: Der vermeintliche Fortschritt von der ständischen über die aufgeklärt-absolutistische zur konstitutioschung, in: ders., Spätabsolutismus und bürgerliche Gesellschaft. Studien zur deutschen Staats- und Gesellschaftstheorie im Übergang zur Moderne, Frankfurt/Main 1992,31-76. 61 Press, Landstände des 18. und Parlamente des 19. Jhs., 142f. - Vgl. auch dens., Landtage im Alten Reich und im Deutschen Bund, 109, dort spricht Press von der "Popularität der altständisch-oligarchischen Repräsentation", die den französischen Revolutionsideen in Deutschland die Spitze hätten abbrechen können. 62 Volker Press, Der Württembergische Landtag im Zeitalter des Umbruchs 1770 - 1830, in: ZWLG 42, 1983, 255 - 281, hier 262. Noch deutlicher ders., Herrschaft, Landschaft und "Gemeiner Mann", 213: "Die aufkommenden naturrechtlichen Vorstellungen, die Ideen der Aufklärung ... begünstigten ebenfalls die Landstände und Landschaften in ihrem Fortbestand gegenüber einern sich abschwächenden Absolutismus. " 63 Vgl. aber die Gegenstimmen vieler Rechtshistoriker, etwa Diethelm Klippei, Naturrecht als politische Theorie, in: H. Bödeker/U. Herrrnann, Hrsg., Aufklärung als Politisierung Politisierung der Aufklärung, Harnburg 1987,267 -293, und ders., Politische Theorien im Deutschland des 18. Jhs., hier 78, der die ständekritische Haltung des ,jüngeren" Naturrechts betont und darauf hinweist, daß erst aus der Perspektive des 19. Jhs. "die Verteidiger des Ständestaats im Ancien Regime und der Liberalismus Seite an Seite im Kampf gegen den Absolutismus" gestanden hätten; ebenso Brandt, Über Konstitutionalismus in Deutschland, 261 ff.; für viele andere. 64 Horst Dreitzel, Ständestaat und absolute Monarchie in der politischen Theorie des Reiches in der frühen Neuzeit, in: G. Schmidt, Hrsg., Stände und Gesellschaft im Alten Reich, Stuttgart 1989, 19-50; ders., Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland. Ein Beitrag zu Kontinuität und Diskontinuität der politischen Theorie in der frühen Neuzeit, Mainz 1992; beide Veröffentlichungen sind essayistisch zugespitzte Kurzfassungen der ungeheuer materialreichen und vielschichtigen Habilitationsschrift: Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz, 2 Bde., Köln/Weimar/Wien 1991.
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nellen Theorie sei auf die optische Täuschung einer entwicklungslogischen Sehweise zurückzuführen, die einen tatsächlich pennanenten Konflikt in ein zeitliches Nacheinander umgedeutet habe. Von der Lehre der monarchia limitata bei Grotius und Pufendorf über den "territorialstaatlichen Liberalismus" des 18. Jhs. bis zum Kompromiß der Liberalen mit dem monarchischen Prinzip im 19. Jh. reiche eine von der Revolution kaum irritierte Traditionslinie. Der Begriff der landständischen Repräsentation erscheint dabei als eines der durchgängigen Theorieversatzstücke oder "Motive" von den Monarchomaehen bis zum Frühkonstitutionalismus. Als Kontinuitätselement vennag der Repräsentationsbegriff indessen nur herzuhalten, weil seine argumentative Zielrichtung, sein präziser Gehalt und dessen Wandel kaum thematisiert werden. 65 Vor allem: Bei seiner Kernthese beruft sich Dreitzel unter anderem auf eben jenes oben skizzierte liberale Kontinuitätsbewußtsein, das unter den Bedingungen der Restauration notwendig geworden war. 66 Die Kontinuitätsromantik der Freiheitskriege und des Vonnärz ist aber noch kein zuverlässiges Indiz für eine tatsächliche Begriffskontinuität. Zwischen tatsächlicher inhaltlicher Übereinstimmung der Begriffe und rückblikkender Traditionsstiftung zu unterscheiden ist das Anliegen der vorliegenden Arbeit. Gerade die Geschichte des Repräsentationsbegriffs erscheint geeignet, Brüche in der politischen Theoriegeschichte sichtbar zu machen und zugleich die Ursprünge und strukturellen Bedingungen des zeitgenössischen Kontinuitäts- bzw. Zäsurbewußtseins aufzudecken. Zu diesem Zweck soll gefragt werden, in welchen theoretischen und praktischen Zusammenhängen, in welcher argumentativen Absicht und in welchem präzisen Sinne man die deutschen Landstände im späten 17. und 18. Jh. als "Repräsentanten" bezeichnet hat. Mit anderen Worten: Die Genese der geschilderten Kontroverse um die landständische Repräsentation, die im späten 18. Jh. begann und in modifizierter Fonn bis heute eine so erstaunliche Beharrungskraft aufweist, soll selbst in die Untersuchung einbezogen werden. Damit soll unter anderem eine Antwort auf die Frage ennöglicht werden, was man beibehalten wollte und was man preisgeben mußte, wenn man die Landstände am Ende des 18. Jhs. für regenerationsfähig hielt, d. h. inwiefern die Konzepte ständischer Repräsentation der Reichspublizistik schon die gleichen oder inwiefern sie qualitativ andere waren als im 19. Jh.
65 Vgl. zum Begriff landständischer Repräsentation Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung, 109 f., 122 ff., 133 ("die Verbindung von Repräsentation und sozial ständischer Gliederung" wird ausdrücklich als eines der "traditionellen Theorie-Elemente" aufgeführt). Vgl. auch ders., Monarchiebegriffe I, 104, lO7f., 375 Anm. 108, 112f.; 11, 542, 636, 959 Anm. 67, u.ö. Das fehlende Register und das kaum differenzierte Inhaltsverzeichnis machen es schwer, aus den über das ganze Werk verstreuten einzelnen Bemerkungen zum Repräsentationsbegriff eine stringente These über dessen Entwicklung herauszulesen. 66 Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung, 132 ff.; distanzierter hingegen Monarchiebegriffe I, 117.
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2. Die Landstände zwischen 1648 und 1806 zum verfassungsgeschichtlichen Rahmen Der gewählte Untersuchungszeitraum vom Westfälischen Frieden bis zum Ende des Reiches stellt hinsichtlich der landständischen Rechte im Reich eine verfassungsgeschichtlich deutlich markierte Epoche dar, an deren Beginn die Landstände den Tiefstand ihrer Bedeutung erreicht hatten und in deren Verlauf sich ihre Position - nicht ohne einige spektakuläre Konfliktfälle - in vielen Territorien auf der Ebene institutionalisierter Steuerverwaltung wieder stabilisierte. 67 Die Westfälischen Friedensbestimmungen hatten die superioritas territorialis der Landesherren zementiert, aber auch die Güter, Rechte und Privilegien der mittelbaren Untertanen garantiert. 68 Doch hatte sich die Position der Landstände durch den Krieg aufs Ganze gesehen verschlechtert: Der wirtschaftliche Niedergang traf sie härter als die Landesherren, weil ihre politische Partizipation an ihrer Rolle als Kreditgeber hing und durch den Verlust ihrer wirtschaftlichen Potenz grundlegend erschüttert wurde. Vor allem die Städte verloren so erheblich an politischer Bedeutung. 67 Vg!. zur Situation nach dem Westfälischen Frieden die Zusammenfassungen der umfangreichen neueren Ständeforschung von Volker Press, Vorn "Ständestaat" zum Absolutismus. 50 Thesen zur Entwicklung des Ständewesens in Deutschland, in: P. Baumgart, Hrsg., Ständeturn und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen, 319 - 326; Johannes Kunisch, Absolutismus. Europäische Geschichte vorn Westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien Regime, Göttingen 1986, 54ff.; Ronald G. Asch, Estates and Princes after 1648: The Consequences of the Thirty Years' War, in: Gerrnan History 6, 1988, 113 - 132; Christoph Dipper, Deutsche Geschichte 1648-1789, Frankfurt/Main 1991, 245ff.; Rudolf Vierhaus, Staaten und Stände. Vorn Westfälischen Frieden bis zum Hubertusburger Frieden 1648 - 1763, Berlin 1984, 105ff.; Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600-1715, München 1991, 328 ff.; Karl Otmar von Aretin, Heiliges Römisches Reich 1776 - 1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität, Wiesbaden 1967, 26 ff.; ders., Das Alte Reich 1648 - 1806. Bd. 1: Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648 - 1684), Stuttgart 1993. - Aus der älteren Literatur zur reichsrechtlichen Entwicklung sind ferner immer noch zu nennen: Hans Erich Feine, Zur Verfassungsentwicklung des Heiligen Römischen Reiches nach dem Westfälischen Frieden, in: ZRG GA 52, 1932,65 -133; Heinz-Rudolf FeIler, Die Bedeutung des Reiches und seiner Verfassung für die mittelbaren Untertanen und die Landstände im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden, phi!. Diss. Marburg 1953. 68 Vg!. zum Verhältnis der Reichsstände zu ihren Landständen und Untertanen bes. IPO Art. III.l (die Besitzstände, Rechte, Freiheiten und Privilegien nicht nur der Reichsstände, sondern auch ihrer Vasallen, Untertanen, Bürger und Hintersassen werden wiederhergestellt); Art. Y.31 und 33, Art. VII. 1 (Wahrung des Religionsstatus der reichsständischen Untertanen gemäß dem Stichjahr 1624) und VIII. 1 (Bestätigung des reichsständischen ius territoriale). Vg!. Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden und die Reichsverfassung, in: Forschungen und Studien zur Geschichte des Westfälischen Friedens, Münster 1965, 5 - 32; J. Hardeland, Der Westfälische Frieden im Urteil der deutschen Wissenschaft und Publizistik 1648 - 1848, phi!. Diss. Bonn 1955; Anton Schindling, Der Westfälische Frieden und der Reichstag, in: H. Weber, Hrsg., Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980, 113 - 153; zuletzt Georg Schmidt, Der Westfälische Frieden - eine neue Ordnung für das Alte Reich?, in: Wendemarken der deutschen Verfassungsgeschichte (Der Staat, Beiheft 10), Berlin 1993, 45 - 84.
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Der Jüngste Reichsabschied von 1654 begann überdies das Steuerbewilligungsrecht als Kern der ständischen Partizipation auszuhöhlen, indem er nicht nur festschrieb, daß die Reichsstände ihre Untertanen ohne deren Zustimmung mit den Reichs- und Kreissteuern belasten konnten, sondern vor allem die Landstände dazu verpflichtete, "zu Besetz- und Erhaltung der einem oder anderen Reichs-Stand zugehörigen Vestungen, Plätzen, und Guarnisonen, ihren Lands-Fürsten, Herrschafften und Obern mit hülfflichem Beytrag gehorsamlieh an Hand zu gehen".69 Auch wenn dies streng genommen nur zur Reichsverteidigung dienen sollte, kam es tatsächlich dem landesfürstlichen Herrschaftsausbau zugute und entsprach der seit langem verfolgten Strategie, auf dem Umweg über überhöhte Reichssteuern, die nicht bewilligungsbedürftig waren, das ständische Bewilligungsrecht zu unterminieren. Die Wahlkapitulation Leopolds I. von 1658, die auf einem Tiefpunkt kaiserlicher Macht den fürstlichen Interessen in besonderem Maße entgegenkam, sprach darüber hinaus den Landständen die Rechte ab, sich ohne fürstliche Einberufung zu versammeln und die Steuern ohne fürstliche Oberaufsicht zu verwalten; sie untersagte erneut den Zusammenschluß der Untertanen verschiedener Länder und betonte das Zwangsrecht der Landesherren gegenüber widersetzlichen Untertanen. Schließlich sollte die Möglichkeit beschnitten werden, in Streitfällen um die Steuerbewilligung nach § 180 des Jüngsten Reichsabschieds die Reichsgerichte anzurufen, was sich indessen nicht durchsetzte. 7o Damit war reichsrechtlich der Tiefpunkt landständischer Rechte markiert, der nicht mehr unterschritten wurde. Der Vorstoß der Kurfürsten von Köln, Brandenburg und Bayern, durch eine extensive Auslegung des § 180 JRA dem ständischen Steuerbewilligungsrecht vollends den Boden zu entziehen, scheiterte. 71 Das Ver69 Jüngster Reichsabschied (1654), § 14 (die Reichsstände dürfen ihre "Landstände, Bürger und Unterthanen" wegen des Kammerzielers "zur Beyhülff ziehen"); § 105 f. (Klagen der reichsständischen Untertanen "wider ihre Obrigkeiten" vor den Reichsgerichten sind "nicht leichtlich" anzunehmen); vor allem § 180 (Festungs- und Garnisonskosten müssen von den Untertanen aufgebracht werden); abgedruckt in: Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Frankfurt/Main 1747, III, 645, 660, 674. - Vgl. allg. Karl Ludwig Lohmann, Das Reichsgesetz von 1654 über die Steuerpflicht der Landstände, Diss. Bonn 1893. Press, 50 Thesen, 324, nennt den Jüngsten Reichsabschied geradezu die ,,Magna Charta des Absolutismus"; zuletzt Aretin, Das Alte Reich I, 91 ff. 70 Wahlkapitulation Leopolds I. vom 18. Juli 1658, Art. 111.6 (Verbot rein landständischer Steuerverwaltung; Verbot der landständischen Versammlung ohne landesherrliche Einberufung; Bekräftigung der landständischen Pflicht zur Zahlung der Garnisons- und Festungskosten und des Kammerzielers); III.7 (Klagen der Untertanen wegen dieser Sachen sind von den Reichsgerichten nicht anzunehmen); 111.8 (Aufhebung kaiserlicher Privilegien an mittelbare Untertanen, soweit sie Reichssatzungen widersprechen oder ohne Wissen der Landesherren erteilt wurden); Art. VII. 1 f. (Verbot überterritorialer Zusammenschlüsse der Untertanen; Bekräftigung des landesherrlichen Zwangsrechts gegenüber den Untertanen). Zitiert nach: Joseph Anton von Riegger, Hrsg., Kaiser Josephs des 11. harmonische Wahlkapitulation mit allen den vorhergehenden Wahlkapitulationen der vorigen Kaiser und Könige, 2 Bde., Prag 1781- 82,11,7,9, 12f., 17. - Vgl. allg. Gerd Kleinheyer, Die kaiserlichen Wahlkapitulationen. Geschichte, Wesen und Funktion, Karlsruhe 1968.
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I. Einleitung
langen der "Extendisten", daß die Landstände reichsrechtlich verpflichtet werden sollten, "ihren Landsfürsten, Herrschafften und Oberen die jedesmahls erforderte Mittel, und folgentlich alles, was an sie, und so offt es begehrt wird, gehorsam und unweigerlich darzugeben", ohne in Streitfällen von den Reichsgerichten gehört zu werden - ein Verlangen, das schon unter Kurfürsten und Fürsten selbst umstritten war - , wies der Kaiser mit der Begründung ab, er habe jeden im Besitz seiner Rechte zu schützen. 72 In der Wahlkapitulation Karls VI. von 1711 wurde der kaiserliche Schutz der Mediatuntertanen schließlich ausdrücklich verankert. 73 Damit ist der reichsgrundgesetzliche Rahmen abgesteckt, in dem sich die Auseinandersetzungen in den einzelnen Territorien abspielten. Die ständischen Verfassungen der Länder konnten fortan als fester Bestandteil der Reichsverfassung gelten, da sie. ausdrücklich den Schutz der Reichsgrundgesetze genossen. Diese Sicherung änderte zwar nichts daran, daß das Steuerbewilligungsrecht als solches in den meisten Ländern zu einer bloßen Forrnalie herabsank. Die reichsrechtliche Absicherung führte aber auf anderen Ebenen zu einer Festigung der ständischen Partizipationsstrukturen und bildete vor allem die rechtliche Grundlage für die Behauptung der Stände in einzelnen Verfassungskonflikten. Innerhalb des gemeinsamen reichsrechtlichen Rahmens waren die Unterschiede der landständischen Lage in den einzelnen Territorien erheblich. Sicher wäre es verfehlt, das Verhältnis zwischen Ständen und Landesherren durchgängig als Antagonismus zu beschreiben. Nach dem Westfälischen Frieden kam es indessen in zahlreichen Ländern zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen zwischen Landesherren und Ständen, die sich im Kern stets um die Verfügungsrnacht über die Finanzkraft des Landes drehten, d. h. weniger um die Steuerbewilligung selbst als vielmehr um Steuererhebungs- und Verwaltungsmodus. Ob sich dabei die Landesherren nach brandenburgischem Modell durchsetzten oder ob und in welchem Maße es den Ständen gelang, ihre Partizipationsrechte festzuschreiben, hing dabei von einer Vielzahl von Faktoren ab und läßt sich nicht auf einzelne typische Verläufe reduzieren. Nicht nur Größe und Geschlossenheit des Territoriums, soziale Struktur, wirtschaftliche Potenz und konfessionelle Zugehörigkeit der Stände und Zusammensetzung ihrer Partizipationsorgane spielten dabei eine Rolle, sondern auch die Verflechtung des Territoriums in das europäische Mächtesystem und seine Stellung im Reichsverband. 74 Zwei wesentliche Faktoren, die zur Behauptung des 71 Reichsgutachten vom 29. 10. 1670. - Allerdings entschied 1670 ein kaiserliches Kommissionsdekret, daß die Landstände die Kosten für die Reichs- und Kreistagsgesandtschaften zu tragen hätten (Kaiserliches Kommissionsdekret vom 17.127.6. 1670, in: Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede IV, 80, Nr. XXXVIII). - Zum Streit um die Extension des § 180 JRA im einzelnen Feiler, Bedeutung des Reiches, 121 ff. 72 Kaiserliches Kommissionsdekret vom 3./13.2. 1671, in: Vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede IV, 83 ff., Nr.xU. 73 Art. 15, § 1; Riegger, Hrsg., Harmonische Wahlkapitulation, 11, 2. 74 Vgl. dazu zuletzt die differenzierte Faktorenanalyse bei Haug-Moritz, Württembergischer Ständekonflikt, 15 ff.
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politischen Gewichts der Stände beitrugen, verdienen hervorgehoben zu werden: zum einen deren innere Homogenität bzw. das deutliche Übergewicht einer ständischen Kurie gegenüber den anderen, wie der Ritterschaft in Mecklenburg und Schwedisch-Pommern oder der bürgerlichen Ämter und Gemeinden in Württemberg; zum anderen die personelle Verflechtung zwischen Ständen und Zentralregierung, wie ebenfalls in Württemberg oder in Kurhannover.
In einigen Territorien spitzten sich die strukturellen Konflikte zwischen Landesherren und Ständen in besonders spektakulärer Weise zu. Drei Fälle waren es vor allem, die die Möglichkeiten und Grenzen der Landstände zur Selbstbehauptung reichsweit vor Augen führten: In Ostfriesland gipfelte der Widerstand gegen die landesherrliche Souveränitätspolitik 1725 in einem militärischen Konflikt, in dem beide Seiten sich der Unterstützung interessierter Reichsstände versicherten und der mit der Niederlage der Stände endete, zumal der Kaiser aufgrund deren politischer Verflechtung mit den Vereinigten Niederlanden auf der Seite des Landesherrn stand?5 In Mecklenburg kam es nach jahrzehntelangen Prozessen zwischen Herzog und Ständen, vornehmlich um die Steuerfrage, gar zur Regierungsübernahme durch die Exekutionskommission des Kaisers und schließlich zur Absetzung des Herzogs Karl Leopold. Auf dem Tiefpunkt landesherrlicher Macht und unter fortgesetzter Anwesenheit der Exekutionsmächte konnten die Stände im "Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich" von 1755 ihre Bedingungen diktieren und das Exempel einer nachhaltig erfolgreichen ständischen Reaktion statuieren. 76 In Württemberg schließlich wendeten die Stände mit Unterstützung ihrer protestantischen Garantiernächte und mit Hilfe eines günstigen Reichshofratsurteils die absolutistischen Vorstöße des Herzogs Karl Eugen ab und bekamen nach den Auseinandersetzungen eines sechsjährigen Landtags im Erbvergleich von 1770 ihre Rechte noch einmal umfassend verbrieft. 77 Für die These, daß sich die Stellung der Landstände in den meisten Territorien insgesamt stabilisierte, lassen sich verschiedene generell zu beobachtende Tendenzen anführen. 1. Der Streit um die Bestimmungen des § 180 JRA führte letztlich zu einer reichsgesetzlichen Festschreibung der Trennung von landesherrlicher Kammer und ständischer Landeskasse und trug so zur Institutionalisierung und Rationalisierung Kappelhoff, Absolutistisches Regiment oder Ständeherrschaft? Manfred Hamann, Das staatliche Werden Mecklenburgs, Köln/Graz 1962; Hans-Joachim Ballschmieter, Andreas Gottlieb von Bernstorff und der Mecklenburgische Ständekampf (1680-1720), Köln/Graz 1962; Peter Wiek, Versuche zur Entwicklung des Absolutismus in Mecklenburg in der ersten Hälfte des 18. Jhs. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Territorialabsolutismus, Berlin (Ost) 1964. 77 Grube, Der Stuttgarter Landtag, 379 ff.; Carsten, Princes and Parliaments, 123 ff.; zuletzt Haug-Moritz, Ständekonflikt; ferner dies., Die Behandlung des württembergischen Ständekonflikts unter Herzog Carl Eugen durch den Reichshofrat (1763/64 - 1768/70), in: B. Diestelkamp, Hrsg., Die politische Funktion des Reichskammergerichts, Köln 1993, 105133. - Vgl. zur besonderen Struktur der württembergischen Stände unten Kap. V1.2. 75
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I. Einleitung
der selbständigen ständischen Steuerverwaltung (sofern es sie noch gab) bei. Die Übernahme der fürstlichen Schulden durch die Landschaftskassen diente nicht allein dem landesherrlichen Handlungsspielraum, sondern verstetigte grundsätzlich auch die Position seiner Gläubiger. 78 Diese Verstetigung führte indessen auch dazu, daß das Interesse der Landesherren wie der Stände an regelmäßigen Gesamtlandtagen zunehmend geringer wurde. 2. Der schwindenden Rolle der Gesamtlandtage stand die wachsende Bedeutung der ständischen Ausschüsse gegenüber. Praktische politische Handlungsfähigkeit konnte nur durch Perpetuierung, Institutionalisierung und Spezialisierung gewahrt werden. Erkauft wurde diese Anpassung in der Regel durch die oligarchische Abschließung der Ausschüsse, ihre enge personelle Verflechtung mit der fürstlichen Bürokratie und die daraus sich ergebende Instrumentalisierbarkeit durch den Landesherrn. 3. Die Position der Stände unterhalb der Ebene ihrer Teilhabe an der Zentralgewalt ist territorial zu unterschiedlich, und die Forschung hat ihr noch zu wenig Beachtung geschenkt, als daß sich präzise sagen ließe, wie sich der Fortbestand der ständischen Verfassungen auf die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Stände ausgewirkt hat. Als allgemeine Tendenz wird man aber festhalten können, daß im Laufe des 18. Jhs. Rechte und Freiheiten wie patrimoniale Herrschaft, Steuerprivilegien etc. in der Regel erfolgreich behauptet wurden. Noch kaum hinreichend beachtet ist die soziale Funktion der Landstandschaft für den Adel, die gerade in dieser Spätphase des Reiches immer wichtiger geworden zu sein scheint: Von der exklusiven Behauptung bzw. dem Erwerb der Landtagsfähigkeit hing der Erhalt bzw. die Erhöhung von Status und Rang einschließlich weitreichender sozialer, rechtlicher und ökonomischer Konsequenzen ab. 4. Konflikte zwischen Landesherren und Ständen wurden durch das immer öfter in Anspruch genommene Medium der Reichsgerichtsbarkeit i,n justizförrnige Bahnen gelenkt. 79 Die tatsächliche Effizienz der beiden höchsten Reichsgerichte hinsichtlich der Urteile und deren Exekution ist zwar umstritten, doch unbestreitbar ist der insgesamt verrechtlichende Einfluß auf die Konfliktkultur, eine Wirkung, 78 V gl. allg. Rudolf Vierhaus, Ständewesen und Staatsverwaltung in Deutschland im späteren 18. Jh., in: R. Vierhaus/M. Botzenhart, Hrsg., Dauer und Wandel in der Geschichte. Aspekte europäischer Vergangenheit. Festgabe für Kurt von Raumer, Münster 1966, 337360. 79 Vgl. allg. zuletzt Bemhard Diestelkamp, Hrsg., Die politische Funktion des Reichskammergerichts, Köln 1993 (darin bes. die Beiträge von JÜfgen Weitzel und Gabrie1e HaugMoritz); Bemhard Diestelkamp, Hrsg., Das Reichskammergericht in der deutschen Geschichte. Stand der Forschung, Forschungsperspektiven, Köln 1990; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2 Bde., München 1988 - 1992, I, 134ff.; Michael Hughes, The Imperial Aulic Council ("Reichshofrat") as Guardian of the Rights of Mediate Estates in the Later Holy Roman Empire. Some Suggestions for Further Research, in: R. Vierhaus, Hrsg., Herrschaftsverträge, Wahlkapitulationen, Fundamentalgesetze, Göttingen 1977,192-204.
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die schon durch die bloße Möglichkeit der Klage bzw. durch die Anhängigkeit von Verfahren und nicht erst durch Endurteile bewirkt wurde. Die Folge dieser Verrechtlichung politischer Konflikte war ein zunehmender reichsrechtlicher Positivismus, der nur solche Positionen schützte, die sich auf nachweisbare Rechtstitel stützen konnten, und kaum Spielraum für legitimen Wandel ließ. Die Reichsgerichte dienten indessen nicht nur als Rückhalt der landständischen Rechte und Freiheiten gegen die Landesherren, sondern die Klagen der Landstände vor dem Reichshofrat gaben auch dem Kaiser eine zunehmend öfter genutzte Handhabe zu Eingriffen in die Territorien. Unter dem Einfluß der Französischen Revolution und des Reichskrieges gegen Frankreich spitzten sich die skizzierten Entwicklungen für die Landstände zu einer schweren Legitimationskrise zu. Die ungleiche Verteilung der Kriegslasten, der in vielen Ländern durchgesetzte Ausschluß bürgerlicher oder neunobilitierter Rittergutsbesitzer von den Rechten der Landstandschaft, die oligarchische Erstarrung der ständischen Ausschüsse und der Niedergang der Generallandtage - all das wurde im Zeichen der Revolution einer fundamentalen öffentlichen Kritik unterworfen. Wahrend einerseits die Folgen des Revolutionskrieges den Landständen bzw. deren institutionalisierten Vertretungsorganen mancherorts, etwa wegen der Flucht des Landesherrn, einen erweiterten Handlungsspielraum eröffneten, wurden zugleich andererseits in vielen Territorien Rufe nach Wiedereinberufung eines Gesamtlandtages laut. An die Gesamtlandtage konnten sich neue Reforrnhoffnungen sehr unterschiedlicher Provenienz und Zielrichtung knüpfen. Das durchgängige Scheitern dieser Landtagsreformbewegungen zeigt indessen, daß die Modernisierungskapazität der traditionellen Partizipationsformen im Rahmen des Alten Reiches sehr begrenzt war. Der Zusammenbruch des Reiches, das die Rechte und Freiheiten der Stände so nachhaltig konserviert hatte, schuf eine vollkommen veränderte Situation. Zwar existierten manche landständischen Verfassungen dennoch fast unangefochten im 19. Jh. fort, wie in Mecklenburg, und manche wurden scheinbar nur geringfügig modifiziert, wie in Hannover, aber andere wurden bekanntlich sofort abgeschafft, wie in Bayern und Württemberg. Inwiefern die im Anschluß an Artikel 13 der Deutschen Bundesakte modifizierten oder neugeschaffenen "landständischen Verfassungen" tatsächlich noch in struktureller Kontinuität zu den alten Landständen standen und inwiefern nicht, ist vielfach untersucht worden und nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Arbeit. 80 Hier interessiert vielmehr umgekehrt die Frage, 80 Friedrich Strathmann, Altständischer Einfluß auf die deutschen Territorialverfassungen der Jahre 1814 - 1819, jur. Diss. Mainz 1955; Rudolf Vierhaus, Von der altständischen zur Repräsentativverfassung. Zum Problem institutioneller und personeller Kontinuität vom 18. und 19. Jh., in: Bosl/Möckl, Hrsg., Der moderne Parlamentarismus, 177 -194; Volker Press, Landtage im Alten Reich und im deutschen Bund. Voraussetzungen ständischer und konstitutioneller Entwicklungen 1750-1830, in: ZWLG 39, 1980, 100-140; dasselbe leicht gekürzt unter dem Titel: Landstände des 18. und Parlamente des 19. Jhs., in: H. Berding/H. P. Ullmann, Hrsg., Deutschland zwischen Revolution und Restauration, Düsseldorf 1981, 133-
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I. Einleitung
ob und inwiefern die landständischen Verfassungen im Rahmen des Alten Reiches und unter dessen Bedingungen modernisierungsfähig waren, wofür ihr Repräsentationsverständnis als wichtiges Indiz gelten kann.
3. Die Landstände in der Theorie zwischen 1648 und 1806 zu den theoretischen Disziplinen und öffentlichen Diskursformen Eine wissenschaftliche Disziplin, die die landständische Verfassung zu ihrem spezifischen Thema gehabt hätte, gab es im in Rede stehenden Zeitraum nicht. Fragt man, im Rahmen welcher theoretischer Diskurse das Verhältnis zwischen Landesherm und Ständen im Reich thematisiert wurde, so ist man mit einer komplexen Vielfalt von Textgattungen und akademischen Disziplinen konfrontiert, die sich dieses Themas aus unterschiedlichen Perspektiven und in unterschiedlicher Absicht angenommen haben. Zwei große Bereiche sollen hier zunächst unterschieden werden, obwohl zwischen ihnen mannigfaltige Überschneidungen und Wechselwirkungen bestanden und einzelne Autoren durchaus in beiden Bereichen zu Hause sein konnten: der politische und der juristische Diskurs. sl Verwalterin der politischen Theorietradition war zunächst die universitäre Disziplin der Politica, die ihren Gegenstand, die societas civilis schlechthin, anband eines festen methodischen Regelwerks und eines Kanons überlieferter aristotelischer Begriffe zu meistem suchte. Diese ältere Politica-Tradition riß im späten 17. Jh. 157; Eberhard Weis, Kontinuität und Diskontinuität zwischen den Ständen des 18. Jhs. und den frühkonstitutionellen Parlamenten von 1818/1819 in Bayern und Württemberg, in: ders., Deutschland und Frankreich um 1800. Aufklärung, Revolution, Reform, München 1990, 218-242; Kurt G.A. Jeserich/Hans Pohl/Georg Christoph von Unruh, Hrsg., Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1983, Kap.! und II; umfangreiche Materialzusammenstellung bei Peter Michael Ehrle, Volksvertretung im Vormärz. Studien zur Zusammensetzung, Wahl und Funktion der deutschen Landtage im Spannungsfeld zwischen monarchischem Prinzip und ständischer Repräsentation, 2 Bde., Frankfurt/Main 1979; zuletzt Wilfried Peters, Späte Reichspublizistik und Frühkonstitutionalismus. Zur Kontinuität von Verfassungssystemen an nord- und mitteldeutschen Konstitutionalismusbeispielen, Frankfurt/Main 1993. 81 Vgl. die Syntheseversuche von Horst Denzer, Spätaristotelismus, Naturrecht und Reichsreform: Politische Ideen in Deutschland 1600 - 1750, in: I. Fetscher / H. Münkler, Hrsg., Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 3, Müchen / Zürich 1985, 233 - 273; Jutta Brückner, Staatswissenschaften, Kameralismus und Naturrecht. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Wissenschaft im Deutschland des späten 17. und frühen 18. Jhs., München 1977; Wolfgang Reinhard, Vom italienischen Humanismus bis zum Vorabend der Französischen Revolution, in: H. Fenske u. a., Geschichte der politischen Ideen von Homer bis zur Gegenwart, Königstein/Taunus 1981, 201- 316; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, I; zuletzt J. H. Bums, Hrsg., The Cambridge History of Political Thought 14501700, Cambridge 1991; einen knappen Überblick über die verwickelten disziplinären Zusammenhänge gibt Dreitze1, Monarchiebegriffe, II, bes. 465 ff.
3. Die Landstände in der Theorie zwischen 1648 und 1806
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aus methodischen und inhaltlichen Gründen ab, womit nicht gesagt ist, daß ihr Methoden- und Wissensbestand nicht in vielfacher Hinsicht in andere Disziplinen eingeflossen wäre. Zum einen entsprach die Kommentierung eines kanonisierten Autors immer weniger dem zeitgenössischen Wissenschaftsverständnis; zum anderen bot die Aristotelische Politik inhaltlich zu wenige Lösungsansätze für die konkreten Probleme des modernen Fürstenstaates. Hinzu kam, daß sich einer ihrer wichtigsten Zweige als "monarchomachisch" disqualifiziert sah, eine Position, die nach dem Dreißigjährigen Krieg vollständig diskreditiert war. Symptomatisch ist, daß die bedeutendste deutsche "Politica", die des Johannes Althusius, seit der Mitte des 17. Jhs. nicht mehr aufgelegt und kaum noch zitiert wurde,82 so daß sie für lange Zeit völlig in Vergessenheit geriet. Daneben existierten verschiedene stärker praxisbezogene, nicht-universitäre Gattungen politischer Literatur, die die ältere Tradition der Fürstenspiegel fortsetzten, daraus indessen in dem Maße herauswuchsen, als sie eine Fülle neuer regierungstechnischer Fragestellungen integrierten. Der klassische Kanon zeitloser Fürstentugenden trat zunehmend zurück hinter pragmatisch-technischen Sachinstruktionen; christliche Lehren vom guten Regiment verbanden sich mit Handlungsanweisungen für die Verwaltung von Land und Leuten. Das berühmteste Beispiel für diese Regimentstraktate ist der "Teutsche Fürstenstaat" des sächsischen Kanzlers Veit Ludwig von Seckendorff, ein Handbuch, das die Gattungsform sprengt und mit bemerkenswerter Systematik das komplexe Beziehungsgeflecht der fürstlichen Herrschaft zwischen Kaiser und Reich, Mitfürsten, Verwandten, Landständen und Untertanen beschreibt. 83 Außerhalb der Universitätsgelehrsarnkeit, im Arkanbereich der Fürstenhöfe, entstanden auch jene neuen Gattungen politischer Handlungslehren wie der Neustoizismus und die sogenannte Staatsräsonliteratur, die der fürstlichen Machtpolitik die erforderlichen ethischen und politischen Handreichungen leisteten. 84 Diese politische Literatur kann hier außer Betracht bleiben, denn es lag nicht in ihrem Interesse, das Verhältnis des Fürsten zu seinen Ständen zu thematisieren. Ähnliches gilt - mit einigen wesentlichen Einschränkungen - auch für diejenigen neuen ökonomisch-politischen Lehren, die sich im 18. Jh. aus den Traditionen 82 VgI. Denzer, Spätaristotelismus, 244; Dreitzel, Monarchiebegriffe 11,539 ff., 591 f. VgI. zu Althusius unten Kap. 111.2. 83 Veit Ludwig von Seckendorff, Teutscher Fürsten-Staat (1. Aufl. Frankfurt I Leipzig 1656), samt des seI. Herrn Autoris Zugabe sonderbarer und wichtiger Materien, verb., mit Anm., Summarien und Register vers. von Andreas Simson Biechling, Jena 1737, ND Aalen 1972. - VgI. dazu zuletzt Michael Stolleis, Veit Ludwig von Seckendorff, in: ders., Hrsg., Staatsdenker im 17. und 18. Jh., 2. Aufl. Frankfurt/Main 1987, 148 - 173. - Zur Gattung der Regimentstraktate insgesamt vgI. zuletzt Wolfgang Weber, Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jhs. (Studia Augustana, 4), Tübingen 1992. 84 VgI. Dreitzel, Monarchiebegriffe 11, 567 ff.; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts I, 93 ff., 197 ff.
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I. Einleitung
der älteren Kameralistik und der Regimentslehren herausbildeten, den Status einer neuen Universitätsdisziplin erlangten und unter dem Einfluß moderner philosophischer Methoden einen exakten Wissenschaftlichkeitsanspruch erhoben: die sogenannten Ökonomischen, Kameral- und POliceywissenschaften. 85 Ursprünglich dem Ziel einer möglichst wohlgefüllten fürstlichen Kammer verpflichtet, erfaBten die Vertreter dieser Disziplinen das ganze Gemeinwesen unter dem Gesichtspunkt der Steigerung der Wirtschaftskraft und deren Abschöpfung durch die fürstliche Finanzverwaltung. Wohlfahrt der Untertanen und Interesse des Landesherm wurden zu einem einheitlichen Staatszweck verschmolzen, aus dem sich die wachsende fürstliche Regelungs- und Gestaltungstätigkeit systematisch deduzieren ließ. Die Landstände erschienen aus dieser Perspektive entweder als (unzulängliches) Instrument oder als Hindernis des fürstlichen Gestaltungsspielraums. Der prominenteste Vertreter der Ökonomischen, Policey- und Kameralwissenschaften, Johann Heinrich Gottlob Justi,86 überschritt diese Disziplinen zugleich schon in Richtung auf eine neue allgemeine Staatswissenschaft, indem er sich von der rein finanzund wirtschaftspolitischen Perspektive löste und traditionelle Gegenstände der Politik wie vor allem die Staatsformenlehre in sein System aufnahm. Sieht man von dieser neuen allgemeinen Staatslehre und der vor allem von Montesquieu ausgelösten Staatsformendiskussion in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. einmal ab, so wurde das Verhältnis zwischen Fürst und Ständen allerdings seit dem Verfall der älteren Politica von der Jurisprudenz monopolisiert, aus den anderen Disziplinen hingegen tendenziell verdrängt. Juristische Disziplinen waren es, die die ständische Verfassung im hier behandelten Zeitraum in erster Linie zum Thema machten. Auf die Gründe dafür wird noch einzugehen sein. Rechtsgeschichtlich läßt sich die in Rede stehende Epoche durch die Abkehr vom Römischen Recht und die Hinwendung zur Historie einerseits und zum Vernunftrecht andererseits charakterisieren. Als große Disziplinen sind das positive öffentliche Recht des Reiches (im weitesten Sinne, einschließlich der einzelnen Territorien), Jus publicum Jmperii Romani-Germanici, und das Staatsrecht im Rahmen der Naturrechtstheorien, Jus publicum universale, zu unterscheiden. Das eine beschrieb das Recht des Römisch-deutschen Reiches in seiner ständisch strukturierten, historisch gewachsenen Vielfalt; das andere suchte den Staat schlechthin, die societas civilis, in seiner vernunftgemäßen Grundstruktur zu erfassen. 85 Vgl. allg. zur Entwicklung der Disziplinen Brückner, Staatswissenschaften, Kameralismus und Naturrecht; Hans Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Wissenschaft in Deutschland, 2. Auf]. München 1980; zu deren politischer Perspektive Peter Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre. Die Entwicklung des Polizeibegriffs durch die Rechts- und Staatswissenschaften des 18. Ihs. (Göttinger Rechtswiss. Studien, 124), Göttingen 1983; Barbara Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats (Historische Forschungen, 30), Berlin 1986 (dort eHe umfangreiche ältere Literatur); zuletzt Keith Tribe, Goveming Economy. The Reformation of German Economic Discourse, 1750 - 1840, Cambridge 1988. 86 Zu lusti s. unten Kap. VII.2.
3. Die Landstände in der Theorie zwischen 1648 und 1806
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Die Reichspublizistik87 wuchs um 1600 als eigenständige wissenschaftliche Disziplin aus einer Jurisprudenz heraus, die noch weitgehend rörnisch-, d. h. zivilrechtlich geprägt war, und trug dem Bedarf der Reichsverfassungsinstitutionen nach spezifisch geschultem Personal Rechnung. Konfessionalisierung und Territorialisierung hatten zwar innerhalb des Reiches zu einer immensen Vervielfältigung des Konfliktstoffs geführt; zugleich hatte das Reich als fortbestehender Rechtsverband der konfessionell divergierenden Territorialgewalten es aber auch ermöglicht, rechtliche Verfahrensregeln auszubilden, die die Verhältnisse der Reichsglieder über den konfessionellen Graben hinweg formal handhabbar machten. 88 Das Westfälische Friedenswerk knüpfte daran nach dem Krieg erfolgreich wieder an; es fixierte die Reichsverfassung als Rechtsordnung und richtete sie ganz auf die Friedenswahrung, Rechtssicherheit und reichsständische Interessenbalance aus. Die Reichspublizistik sammelte, ordnete, systematisierte und kommentierte die heterogene Masse des geltenden Rechts im Reich und verfuhr dabei gemäß der Hierarchie ihres Gegenstandes, indem sie die Rechte vom Kaiser als dem Haupt bis hinunter zu den geringsten Gliedern des Reiches, den immediaten Städten und 87 Vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, I, 126ff.; ders., Glaubensspaltung und öffentliches Recht in Deutschland, in: ders., Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frankfurt / Main 1990, 268 - 297; sowie die knappe Skizze von dems., Tradition und Innovation in der Reichspublizistik nach 1648, in: W. Barner, Hrsg., Tradition, Norm, Innovation. Soziales und literarisches Traditionsverhalten in der Frühzeit der deutschen Aufklärung, München 1989, 1 - 17. - Ferner Friedrich Hermann Schubert, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit, Göttingen 1966, 467 ff.; Rudolf Hoke, Die Emanzipation der deutschen Staatsrechtswissenschaft von der Zivilistik im 17. Jh., in: Der Staat 15, 1976,211- 230; ders., Die Reichsstaatsrechtslehre des Johannes Limnaeus. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft im 17. Jh., Aalen 1968; Hanns Gross, Empire and Sovereignty. A History of the Public Law Literature in the Holy Roman Empire, 1599-1804, Chicago/London 1975; Notker Hammerstein, Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an den deutschen Universitäten im späten 17. und 18. Jh., Göttingen 1972; ders., Jus publicum Romano-Germanicum, in: Diritto e potere nella storia Europea, Florenz 1982,717 -753; Dieter Wyduckel, Ius publicum. Grundlagen und Entwicklung des öffentlichen Rechts und der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1984; Bernd Roeck, Reichssystem und Reichsherkommen. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jhs., Wiesbaden 1984; Denzer, Spätaristotelismus, Naturrecht und Reichsreform, 264 ff. Veraltet sind inzwischen Emilio Bussi, 11 diritto pubblico dei SacrQ Romano Impero alla fine dei XVIII secolo, 2. Aufl. Mailand 1970; ders., Das Recht des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation als Forschungsvorhaben der modemen Geschichtswissenschaft, in: Der Staat 16, 1977, 521 - 537 (mit ausgeprägter Neigung zu modernisierenden Anachronismen); Peter Rathjen, Die Publizisten des 18. Jhs. und ihre Auffassung vom Begriff des Staatsrechts, Bonn 1968; Ernst Rudolf Huber, Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jhs., in: Zs.f.d.gesamte Staatswiss. 102, 1942,593 - 627. - Zu einzelnen Autoren immer noch heranzuziehen: Roderich Stintzing/Emst Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 3 Abt. in 4 Bdn., München / Leipzig / Berlin 1880 - 1910, ND Aalen 1957, bes. Bd. 311. 88 Stolleis, Glaubensspaltung und öffentliches Recht, 287 ff.; Martin Heckei, Die reichsrechtliche Bedeutung der Bekenntnisse, in: ders., Gesammelte Schriften. Staat, Kirche, Recht, Geschichte, hrsg. von Klaus Schlaich, Tübingen 1989,11,737 -772.
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Dörfern behandelte - allerdings nicht bis hinunter zu den einzelnen Untertanen. Diese Hierarchie diente als Rahmen für die Ordnung des vorgegebenen Stoffes: Den Kern bildeten die "Reichsgrundgesetze" von der Goldenen Bulle über die kaiserlichen Wahlkapitulationen bis zu den großen Friedenswerken von 1555 und 1648. Hinzu kam die ganze Fülle des zwischen den Reichsgliedern vertraglich vereinbarten Rechts, schriftliche Fixierungen, die sich wiederum nur wie "Inseln" aus dem Meer des gewohnheitlich geltenden Reichsherkommens erhoben. 89 Diese Rechtsmaterien wuchsen ständig weiter an: Einerseits durch neue Verträge, Reichsgesetze, Wahlkapitulationen, die Spruchpraxis der Reichsgerichte. Andererseits wuchs zugleich die Kenntnis des überkommenen Rechtsbestands durch die fortschreitende reichsgeschichtliche Forschung und Dokumentation. Einen ersten wesentlichen Impuls erfuhr die Reichspublizistik durch die Staatsformenlehre Bodins, die eine intensive theoretische Auseinandersetzung mit der Reichsverfassung auslöste. Der Bodinsche Souveränitätsbegriff und die daran ausgerichtete Staatsformenlehre dienten als Katalysatoren für die Entwicklung gegensätzlicher Konzepte des Verhältnisses von Kaiser und Reichsganzem, Reichsganzem und einzelnen Ständen, bevor diese Fragen im späten 17. Jh. obsolet wurden und man daher auch die Kategorien Bodins als für das Reich unangemessen beiseite lassen konnte. Der zweite wichtige Impuls für die Reichspublizistik bestand in der Historisierung und Relativierung des Römischen Rechts: Der Helmstedter Polyhistor Hermann Conring beschrieb 1643 die Umstände und Bedingungen der Rezeption und führte den Nachweis, daß das Römische Recht zu keiner Zeit im Reich zu positiver Geltung erhoben worden sei. Damit gab er den Anstoß zur intensiven Erforschung und Dokumentation der heimischen Rechte, die im Reich vor allem lokale und partikulare Rechte waren. Der vornehmste Gegenstand des Reichsstaatsrechts war und blieb stets das Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsständen, seine Perspektive war eine reichsständische und zugleich auf das Reichsganze gerichtete. Es bewahrte generell den Reichsrahmen, selbst da, wo seine Vertreter für die Stärkung der landesherrlichen Gewalt eintraten. Auch das allgemeine Territorialstaatsrecht, das sich zur gleichen Zeit herauszubilden begann, das sich wegen der Vielfalt der territorialen Verhältnisse aber nicht überregional als universitäres Lehrfach etablierte und das auf die Formulierung der landesherrlichen superioritas territorialis konzentriert war, respektierte den reichsrechtlichen Rahmen und ging von diesem aus. 90
89 So die Fonnulierung von Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, 17l. 90 Vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, I, 185 f.; grundlegend Dietmar Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt. Landesobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, 11), Köln/Wien 1975.
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Die landständischen Verfassungen hatten ihren festen Ort in der Reichspublizistik, weil sie von den Reichsgrundgesetzen geschützt wurden und insofern Bestandteile des Reichsverfassungsrechts waren. Das Verhältnis zwischen Landesherrn und Landständen wurde nicht nur in den einschlägigen Hand- und Lehrbüchern thematisiert, sondern seit dem späten 17. Jh. auch zum Gegenstand juristischer Dissertationen und Disputationen gemacht. Diese Erträge des akademischen Unterrichts enthielten meist reichspublizistisches Gemeingut und reihten Zitate der Autoritäten einschließlich abweichender Lehrmeinungen aneinander, sind aber gerade deshalb aufschlußreich für die herrschende Lehre und deren allmählichen Wande1. 91 Die Tendenzen zur Partikularisierung und historischen Positivierung des Rechts, die die Reichspublizistik des 18. Jhs. kennzeichnen, gingen mit der verstärkten Thematisierung der landständischen Rechte einher. Die Beschäftigung der Reichsgerichte mit landständischen Verfassungskonflikten trug dazu erheblich bei. Symptomatisch ist, daß um die Mitte des 18. Jhs. der für die reichsrechtliche Stellung der Landstände zentrale § 180 des Jüngsten Reichsabschiedes ausführlich kommentiert und die Geschichte seiner kontroversen Auslegungen aufgearbeitet wurde. 92 Die rechtswahrende und positivierende Tendenz der Reichspublizistik wirkte 91 Zum Gegenstand einer juristischen Dissertation wurden die Landstände zuerst bei dem Conring-Schüler und späteren hannoverschen Vizekanzler Ludolph Hugo, De statu regionum Germaniae, et regimine principum, summae imperii reipublicae aemul0, Helmstedt 1661; dann unter Samuel Stryk, dem berühmten Begründer des Usus modernus und späteren Organisator der Hallenser Juristenfakultät (Respondent: Erasmus Diederich von Reder), De statibus provincialibus, Frankfurt/Oder 1679; unter dem Gießener StaatsrechtIer Johann Nicolaus Hertius (Resp.: Wilhelm Ludwig Ehrhard), De consultationibus, legibus et iudiciis in specialibus Germaniae rebuspublicis. Von Land-Tägen, Gesetzen und Gerichten besonderer Republiquen in Teutschland, Halle 1686; und unter dem Jenenser StaatsrechtIer und Sachsen-Eisenacher Rat Christian Wildvogel (Resp.: Johann Emanuel Rudolphi), Dissertatio de statibus provincialibus, Jena 1711. - Ferner Friedrich Ulrich Pestel (Resp.: Philipp Becker), Dissertatio de comitiis provincialibus vulgo Land-Tagen, Rinteln 1732; Johann Theophilus Seger (Resp.: Christi an Gottfried Heyme), De conjunctione loci et suffragii in cornitiis provincialibus cum dominio praediorum nobiliorum, Leipzig 1769; Johann August Reichardt (Resp.: Michael von Hutter), De statibus provincialibus eorumque variis juribus, Jena 1768; ders. (Resp.: Christoph Christian Ludwig Hönniger), Disputatio de jure statuum provincialium concurrenti circa legislatoriam potestatem, Jena 1769; Johann Christian Francke (Resp.: Carl Christian Kohlschütter), Dissertatio de iure standi in comitiis provincialibus, Wittenberg 1787. - Im folgenden werden Dissertationen, der zeitgenössischen Übung entsprechend, stets unter dem Namen des Praeses zitiert und nicht unter dem des Respondenten. Eine Ausnahme bildet die ungewöhnlich renommierte und daher schon damals stets unter dem Verfassernamen zitierte Arbeit von Ludolph Hugo. (Vgl. dazu allg. Gertrud Schubart-Fikentscher, Untersuchungen zur Autorschaft von Dissertationen im Zeitalter der Aufklärung, Berlin 1970; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, I, 252 ff.) - Neuerdings ist diese Literatur unter anderem Gesichtspunkt ausgewertet worden von Andreas Schwennicke, "Ohne Steuer kein Staat". Zur Entwicklung und politischen Funktion des Steuerrechts in den Territorien des Heiligen Römischen Reiches (1500-1800), Frankfurt/Main 1996, 196ff. 92 Vgl. Georg Melchior von Ludolf, Umständliche Nachricht, wie und auf was Weise bey noch währendem Reichs-Tag unterschiedene Stände des Heiligen Römischen Reiches die
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sich - wie ehemals für die protestantischen Reichsstände - nun vor allem für die Landstände in den einzelnen Territorien günstig aus. Etwa zur gleichen Zeit wie die Reichspublizistik etablierte sich auch die Naturrechtslehre und das Ius publicum universale als dessen Teildisziplin als Universitätsfach. 93 Auch das neuzeitliche Vernunftrecht reagierte auf das Zerbrechen der alten Einheit von Rechtsordnung und Glaubenswahrheit, indem es nach einer den konfessionellen Graben überwindenden Normbegründung suchte. Es entlehnte indessen seinen methodisch-traditionskritischen Impetus von den modemen Naturwissenschaften, übernahm deren Erkenntnisgewißheit verheißende Methoden und übertrug sie auf den Gegenstandsbereich der klassischen Politica. Nicht in der Jurisprudenz, sondern in der praktischen Philosophie hatte daher das Naturrecht ursprünglich seinen wissenschaftsdisziplinären Ort. Es wurde in Auseinandersetzung mit der Aristotelischen Tradition und gegen diese formuliert, behielt aber deutliche Spuren dieser Herkunft zurück. Von dieser Verwandtschaft zeugt auch der Umstand, daß das Naturrecht noch im 18. Jh. oft an den Philosophischen Fakultäten gelehrt wurde und sich erst spät als allgemeine Propädeutik auch an den Juristenfakultäten etablierte. Daß die Naturrechtslehre dem geltenden Recht ein geometrisch deduziertes Normensystem unterlegte, kam in erster Linie der staatsrechtlichen Rationalisierung der absoluten Fürstengewalt zustatten. Das sogenannte "ältere" deutsche Naturrecht begründete nicht nur einen voluntaristischen Gesetzesbegriff, sondern gab den Fürsten und ihren Räten auch Maßstäbe für eine rationale politische Gestaltungstätigkeit an die Hand und diente in der Praxis vor allem als GesetzgebungsExtension § 180 ... gesuchet, in: ders., Symphorema consultationum et decisionum forensium, I, Frankfurt / Main 1731; Severin Theodor Neurod, Gegenwärtige Verfassung des heiligen Römischen Reiches in Staats- und Justitz-Sachen, oder pragmatische Erläuterung des Jüngsten Reichs-Abschieds de anno 1654, Jena 1752; David Georg Strube, Erläuterung des Reichsabschieds de anno 1654 § 180, in: ders., Neben-Stunden, Th. IV, Hannover 1755, Nr. XXX; Johann Jacob Moser, Geschichte des § 180 Reichs-Abschieds vom Jahr 1654 der Land-Stände und Unterthanen Bey trag zu der Militar-Verfassung ihrer Landesherren betreffend, in: ders., Nebenstunden von Teutschen Staats-Sachen, Frankfurt/Leipzig 1758, Th.V, 727 -746; Th.VI, 747 - 876; ders., Betrachtungen über die Reichstagshandlungen 1670 wegen Ausdehnung des § 180 des Reichsabschieds 1654 und über die kaiserliche Resolution vom 19. /20. Oktober 1670, in: ders., Abhandlung verschiedener besonderer Rechts-Materien, Frankfurt/Leipzig 1772 - 74, 8. Stück, 732 -770. 93 Zum modemen Naturrecht vgl. zuletzt Stolleis, Öffentliches Recht, I, 268 ff.; Christoph Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit. Grenzen der Staatsgewalt in der älteren deutschen Staatslehre, Wien / Köln / Graz 1979; Diethelm Klippei, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jhs., Paderbom 1976; ders., Naturrecht als politische Theorie, in: H. Bödeker / U. Herrmann, Hrsg., Aufklärung als Politisierung - Politisierung der Aufklärung, Hamburg 1987, 267 - 293; Eckhart Hellmuth, Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Werthorizont. Studien zur preußischen Geistes- und Sozialgeschichte des 18. Jhs. Göttingen 1985; zuletzt Otto Dann/Diethelm Klippei, Hrsg., Naturrecht - Spätaufklärung - Revolution, Hamburg 1995. - Dreitzel, Monarchiebegriffe, 591 ff., spricht eigenwilligerweise stets von "eklektischer Philosophie", wenn er die Vemunftrechtslehre meint.
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lehre. 94 Der kritische Impetus der Naturrechtslehre gegenüber ständisch-korporativen Strukturen, intermediären Gewalten und anderen Traditionsbeständen darf indessen nicht überschätzt werden. Das historische Recht konnte zwar einerseits am naturrechtlichen Maßstab kritisiert werden; es konnte aber auch ebenso gut naturrechtlich deduziert und damit rational legitimiert werden. Das galt, wie zu zeigen sein wird, nicht zuletzt für die Landstände, die im Rahmen des lus publicum universale und seiner Staatsformenlehre durchaus ihren theoretischen Ort hatten. Schon im 18. Jh. empfand man Reichspublizistik und ,,Natürliches Staatsrecht" als gegensätzliche Arten, das Gemeinwesen juristisch zu erfassen. Während das Naturrecht vielen Reichspublizisten als "Mißgeburt der Modephilosophen" galt, hielten Naturrechtier umgekehrt der Reichspublizistik vor, sie sichere die Privilegien tausender kleiner Despoten und konserviere "gotische Monstrositäten". In der Praxis, darauf ist neuerdings in unterschiedlichen Zusammenhängen hingewiesen worden,95 konvergierten allerdings beide Disziplinen. Zum einen: Für ihre Entfaltung im 18. Jh. spielten dieselben Universitäten, nämlich Halle und später Göttingen, Schlüsselrollen. 96 Vor allem aus dem Umkreis von Christian Thomasius, aber auch von Christian Wolff gingen sowohl bedeutende Reichspublizisten als auch einflußreiche Naturrechtslehrer hervor. Beide Disziplinen wurden sogar gelegentlich von denselben Gelehrten vertreten. 97 Zum anderen: Beide Disziplinen gehörten im 18. Jh. gleichermaßen zum weitgehend konfessionsübergreifenden Ausbildungsprogramm einer relativ homogenen Juristen- und Beamtenelite. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß beide Disziplinen von ihren Methoden her gegensätzlich beschaffen waren und daß ihnen im Laufe des 17. und 18. Jhs. immer deutlicher gegensätzliche Funktionen zuwuchsen. Das Naturrecht abstrahierte 94 Dazu zuletzt Jan Schröder, "Naturrecht bricht positives Recht" in der Rechtstheorie des 18. Jhs.? in: D. Schwab u. a., Hrsg., Staat, Kirche und Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift Paul Mikat, Berlin 1989,419 - 433. 95 Vgl. etwa Jan Schröder, Wissenschaftstheorie und Lehre der "praktischen Jurisprudenz" auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jh., Frankfurt/Main 1979; Di1cher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, 188ff.; Jürgen Weitzel, Das Reichskammergericht und der Schutz von Freiheitsrechten seit der Mitte des 18. Jhs., in: B. DiesteIkamp, Hrsg., Die politische Funktion des Reichskammergerichts, Köln 1993, 157 - 180, hier 169 ff. 96 Vgl. Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, I, 298 ff.; Hammerstein, Jus und Historie, 148 ff.; zu Halle ders., Jurisprudenz und Historie in Halle, in: N. Hinske, Hrsg., Halle. Aufklärung und Pietismus (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, 15), Heidelberg 1989, 239 - 254; Günter Jerouschek/ Arno Sames, Hrsg., Aufklärung und Erneuerung. Beiträge zur Geschichte der Universität Halle im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1694 -1806), Halle 1994; zu Göttingen vgl. Götz von Selle, Die Georg-August-Universität zu Göttingen 17371937, Göttingen 1937; Jürgen von Stackelberg, Hrsg., Zur geistigen Situation der Zeit der Göttinger Universitätsgründung 1737, Göttingen 1988; Luigi Marino, Praeceptores Germaniae. Die Universität Göttingen 1770 bis 1820, Göttingen 1994. 97 Man denke etwa an den berühmten Hallenser Nikolaus Hieronymus Gundling, den einflußreichen Reichshistoriker und Reichspublizisten, der zugleich ein Lehrbuch des Naturund Völkerrechts geschrieben hat.
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von der chaotischen Vielgestaltigkeit der historisch gewachsenen Rechtsbestände, um die positive Ordnung rational konstruieren zu können und der theoretischen Vernunft verfügbar zu machen. Es diente neu entstandenen politischen Bedürfnissen und sozialen Interessen, es schaffte Hindernisse aus dem Weg und schuf Legitimationsspielraum für Wandel. Die Reichspublizistik hingegen katalogisierte und verwaltete das geltende Recht und suchte es damit der Verfügung gerade zu entziehen. Beiden Disziplinen kam daher gewissermaßen komplementäre Bedeutung zu. Da beide Disziplinen bei aller latenten Gegensätzlichkeit der Methoden und Begriffe aber Bestandteile einer Rechtskultur waren, kam es, wie zu zeigen sein wird, zu jenen Umdeutungen und Ambivalenzen, die gerade für die zeitgenössische Beurteilung der landständischen Verfassungen im späten 18. Jh. so charakteristisch sind. Träger einer spezifisch ständefreundlichen Theorie waren vor allem jene Juristen meist bürgerlicher Herkunft, die als Landschaftskonsulenten, Syndici und Sekretäre die Geschäfte der ständischen Korporationen oft mit sehr weitgehenden Befugnissen und großem Einfluß führten. Das bekannteste Beispiel ist der ältere Moser selbst, der sich als Reichpublizist durch seine immense juristische Sammlungs- und Ordnungsleistung ebenso um die Wahrung ständischer Rechtspositionen verdient gemacht hat wie als württembergischer Landschaftskonsulent durch seinen engagierten politischen Kampf gegen den Herzog Karl Eugen und der bekanntlich geradezu als Märtyrer der ständischen Opposition gelten konnte. 98 Ein weiteres signifikantes Beispiel ist der schwedisch-pommersche Landsyndikus Georg Adolf earoc, der an der Universität Greifswald schon in der zweiten Generation die Rechte lehrte und zugleich erfolgreich die Anliegen der Ritterschaft gegenüber der schwedischen Krone vertrat. 99 Der Vorwurf des jüngeren Moser, wonach die gelehrten Juristen in der Regel als fürstliche Hofräte von den Reichsständen abhängig und daher daran gehindert seien, "das Staatsrecht unpartheyisch und freymüthig vorzutragen", 100 traf also durchaus nicht allgemein zu, auch wenn in Rechnung zu stellen ist, daß die theoretische Perspektive von der jeweils bekleideten Position kaum unabhängig war. Betrachtet man die Biographien der hier herangezogenen Autoren, so fällt auf, daß es einen hohen Grad an personeller Fluktuation zwischen den verschiedenen Posten gab, die eine qualifizierte juristische Ausbildung erforderten. Es waren vielfach dieselben Männer, die nacheinander oder sogar gleichzeitig juristische Lehrstühle, Justizämter im Reich, hohe Verwaltungs- und Justizämter in den Ländern, Adelskorporationen oder Reichsstädten innehatten, also zwischen reichsgerichtlichen, 98 Vgl. Reinhard Rürup, Johann Jacob Moser. Pietismus und Reform, Wiesbaden 1965; Erwin Schömbs, Das Staatsrecht Johann Jakob Mosers (1701-1785). Zur Entstehung des historischen Positivismus in der deutschen Reichspublizistik des 18. Jhs., Berlin 1968; Mack Walker, Johann Jakob Moser and the Holy Roman Empire of the German Nation, Chapel Hili 1981. 99 Zu Caroc vgl. unten Kap. 11.1. 100 Friedrich Carl von Moser, Von dem Deutschen Nationalgeist, 0.0. 1766, 14ff.: nur die Göttingerbildeten hier eine Ausnahme.
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reichsstädtischen, landesherrlichen und landständischen Diensten oft mehrfach wechselten. Der Wechsel vom fürstlichen zum ständischen Amt oder gar die gleichzeitige Bekleidung solcher Ämter läßt die allgemein beobachtete Tendenz zu einem Ineinandergreifen von ständischer und fürstlicher Verwaltung personell greifbar werden. 101 Auch dafür ist Johann Jakob Moser ein Beispiel, der Wirklicher Regierungsrat in Stuttgart gewesen war, bevor er ständischer Syndikus wurde. Vor allem Justus Möser verkörpert als Ritterschaftssyndikus und zugleich faktischer Leiter der Regierungsgeschäfte des Hochstifts Osnabrück diese doppelte Perspektive lO2, aber auch der für Theorie und Historie der ständischen Verfassung besonders einflußreiche Hildesheimer Landsyndikus und spätere hannoversche Vizekanzler David Georg Strube. 103 Schon ein zeitgenössischer preußischer Beobachter gab zu bedenken, daß "unsre allgemeinen Behauptungen gar oft ihren Grund in unsrer Local- und Personal-Verfassung haben", und folgerte: "würde Pütter eben so allgemein die Parthie der Landstände nehmen, wenn er in einer Provinz ohne Landstände, oder nicht grade im Hannöverschen, und grade so lebte, wie er lebt?,,104 Tatsächlich bildeten neben Württemberg die welfischen Territorien den wichtigsten Nährboden ständefreundlicher Theorie, was aber nur zum Teil an den intakten ständischen Traditionen dort lag, sondern vor allem auf die Bedeutung Göttingens für die Jurisprudenz im Reich zurückzuführen ist, das alle anderen Universitäten einschließlich Halles in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. an Ausstrahlungskraft überragte. 105 Im Vergleich dazu brachte etwa Mecklenburg kaum einflußreiche Beiträge zur theoretischen Diskussion hervor, obwohl es sich ja ebenfalls dazu eignete, von ständefreundlicher Seite zum exemplarischen Fall stilisiert zu werden. 106 101 Vgl. Vierhaus, Ständewesen und Staatsverwaltung, 350ff.; Press, Vom ,Ständestaat' zum Absolutismus, Thesen 8 und 21. 102 Vgl. zu Möser unten Kap. VIII.2. 103 Vgl. zu Strube unten Kap. 11.2. 104 Mit, oder ohne Landstände, in: Berlinisches Archiv der Zeit 5, 1799,11 14 f. lOS Zu denken ist vor allem an L. Hugo, Treuer, Strube, Achenwall, C.P. Häberlin, Spittler, Pütter u.v.a. - Zur Universität Göttingen vgl. die oben Anm. 96 genannte Literatur; zur ständischen Tradition in den welfischen Territorien allg. die Überblicke von Rudolf Vierhaus, Die Landstände in Nordwestdeutschland im späteren 18. Jh., in: D. Gerhard, Hrsg., Ständische Vertretungen, 72 - 93; Carl Haase, Das ständische Wesen im nördlichen Deutschland (Calenberg-Grubenhagensche Studien), Göttingen 1964; zu Kurhannover unten Kap. V1.5. 106 Zwar wurden zahlreiche Dokumente des Mecklenburger Ständekonfliktes veröffentlicht (die meisten gesammelt in: Collectanea Mecklenburgica de annis 1717 et 1718,4 Bde., Rostock 1718; vgl. auch die Bibliographie unten Anm. 113), doch gerade am Mecklenburger Fall zeigt sich, daß Veröffentlichung und abstrakte theoretische Durchdringung zweierlei waren. - Eine Ausnahme ist der auf Anregung seiner Mecklenburger Hörer verfaßte Traktat von Burchard Gotthe1f Struv, Diseurs vom Uhrsprung, Unterscheid und Gerechtsahmen der LandStände in Teutsch1and, Insonderheit im Herzogthum Mecklenburg, mit nöthigen Anmerckungen versehen von C(hristoph) G(eorg) J(argow), Hamburg 1741.
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Das Verhältnis zwischen Landesherrn und Ständen war bis ins späte 18. Jh. hinein nicht Gegenstand eines allgemeinen öffentlichen Diskurses unter Gebildeten. Überall, wo in den genannten Disziplinen das Verhältnis von Landesherrn und Ständen thematisiert wurde, geschah dies im Rahmen eines Diskurses unter Gelehrten, Syndici und Räten, die sich qua wissenschaftlicher Profession oder qua Amt mit der Materie beschäftigten. 107 Und selbst in diesem Rahmen war die Behandlung verfassungspolitischer Gegenstände nicht unumstritten und hatte sich noch lange gegen den Vorwurf zu behaupten, sie verletze den politischen Arkanbereich. So mußte sich z. B. der renommierte Jenaer Reichspublizist Burchard Gotthelf Struv, als er auf Bitten seiner mecklenburgischen Hörer 1715 ein Collegium über die Rechte der deutschen Landstände hielt, ausdrücklich gegen den Vorwurf rechtfertigen, solche Materien gehörten nicht veröffentlicht. 108 Die internen Rechtsverhältnisse der einzelnen Länder genossen sehr viel geringere Publizität als das allgemeine Reichsrecht. Das hatte naheliegende Gründe: Während es auf Reichsebene durch die Vielzahl der beteiligten Herrschaftsträger unmöglich war, eine effektive reichsweite Publikationskontrolle durchzusetzen, konnten die Landesobrigkeiten die entsprechenden Archivalien entweder verschlossen halten oder deren Publikation zumindest den eigenen Landesuntertanen untersagen und den Inhalt der einschlägigen staatsrechtlichen Schriften kontrollieren. 109 Auf Reichsebene ließ sich hingegen Publizität nicht vermeiden; seit dem frühen 17. Jh. schon hatte sich die alsbaldige Veröffentlichung aller wichtigen Urkunden und Schriftstücke eingebürgert und wurde von niemandem mehr beanstandet, von den kaiserlichen Wahlkapitulationen bis hin zu den Reichstagsprotokollen, den Sprüchen der Reichsgerichte und den dort vorgelegten Deduktionen. Wien, Regensburg und Speyer bzw. Wetzlar wurden schon im 17. Jh. zu Zentren einer reichsweiten gelehrten Öffentlichkeit. HO Johann Jakob Moser beklagte noch 1739, daß im Gegensatz zum Reichsverfassungsrecht das Staatsrecht der einzelnen Länder "etwas fast noch gantz und gar unbekanntes" sei. Traditionell würden Archivalien immer noch geheimgehalten; die Kenntnis sogar der Fürsten selbst und ihrer Räte über die eigene Landesverfassung 107 Auch Mitglieder der landsässigen Ritterschaften beteiligten sich, wenn sie nicht juristisch gebildete Fachleute waren, nicht selbst an der theoretischen Diskussion, zumindest nicht vor dem Ende des 18. Jhs. Eine aufschlußreiche Ausnahme stellt das Werk des thüringischen erbeingesessenen Ritters Johann Wilhelm Neumayr von Ramsla dar: Von Schatzungen und Steuren sonderbahrer Tractat, Schleusingen 1632. 108 Struv, Diseurs, Vorrede. 109 Vgl. Johann Jakob Moser, Von der Reichsverfassungsmäßigen Freyheit, von Teutschen Staatssachen zu schreiben, Göttingen / Gotha 1772, bes. 58, 74: " ... die meiste Höfe lassen es nicht geschehen, daß ihre Staatsverfassung im ganzen und nach ihrem völligen Umfang abgehandelt werden." 110 Vgl. dazu zuletzt Andreas Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jhs., Göttingen 1994, bes. 96 ff.; Andreas Würgler, Unruhen und Öffentlichkeit. Städtische und ländliche Protestbewegungen im 18. Jh., Tübingen 1995, bes. 184ff.
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sei oft beklagenswert gering. Moser nennt eine Reihe von Gründen dafür, warum den Reichsständen an einer Änderung dieses Zustands vielfach gar nicht gelegen war: Einzelne Reichsstände müßten rechtliche Einbußen, Bloßstellung ihrer Schwäche oder Aufdeckung mißliebiger juristischer Details befürchten, wenn die Einzelheiten ihrer Landesverfassung an die Öffentlichkeit gebracht würden. Vor allem aber: die Rekonstruktion des Territorialstaatsrechts stehe der Ausweitung landesherrlicher Macht auf Kosten der Stände im Wege. Von der Dokumentation und historischen Erschließung der Landesrechte versprach man sich größere Sicherheit der ständischen Gerechtsame vor landesherrlichem Zugriff. 111 Deshalb kam der Reichsgerichtsbarkeit eine zentrale Rolle für die reichsweite Kenntnis innerterritorialer Rechtsverhältnisse zu: Wenn ein Konflikt zwischen Landesherrn und Ständen die Ebene der reichsgerichtlichen Auseinandersetzung erreichte, hatten die Landesintema an der allgemeinen Publizität der Reichsgerichtsbarkeit und ihrer Entscheidungen teil. 112 Die spektakulären Ständekonflikte in Ostfriesland, Mecklenburg 113 und anderswo, vor allem aber in Württemberg trugen deshalb erheblich dazu bei, die landständischen Gerechtsame ins Zentrum historisch-juristischer Aufmerksamkeit zu rücken. 114 Auch in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. änderte sich die Situation des Territorialstaatsrechts erst ganz allmählich, nachdem es selbst dem unermüdlichen Moser 111 Johann Jakob Moser, Allgemeine Einleitung in die Lehre des besonderen Staats-Rechts aller einzelnen Stände des Heiligen Römischen Reiches, Frankfurt/Leipzig 1739, das Zitat 3, die Gründe für die mangelnde Kenntnis 21 ff., ihr Nutzen für die Landstände JOf. - Vgl. auch Johann Stephan Pütter, Litteratur des Teutschen Staatsrechts, 3 Thle., Göttingen 1776 - 1783, 11, 220 ff., III, 280 f., der ebenfalls noch beklagt, daß das Staatsrecht der einzelnen Territorien kaum bearbeitet sei; ebenso David Georg Strobe, Observationes Juris et Historiae Germanicae, Hildesheim 1735, Obs. IV, § 4, 170. - Allg. dazu Dreitzel, Monarchiebegriffe 11, 946; ferner Manfred Friedrich, Die Erarbeitung eines allgemeinen deutschen Staatsrechts seit der Mitte des 18. Jhs., in: Jb.öff.Recht NF 34,1985,1-33. 112 Medien zur Dokumentation solcher Konflikte gegenüber der gelehrten Öffentlichkeit waren vor allem die Sammlungen und Periodika: Anton Faber, Hrsg., Europäische StaatsCantzley, Frankfurt/Leipzig 1697 -1760; Neue Europäische Staats-Cantzley, Frankfurt/ Leipzig 1760-1782; Johann Christian Lünig, Hrsg., Teutsches Reichs-Archiv, Leipzig 17101772; ders., Teutsche Reichs-Cantzley, Leipzig 1714; Johann Jakob Moser, Hrsg., ReichsFama, Frankfurt/Nürnberg 1727 -1737; ders., Hrsg., Merkwürdige Reichshofraths-Conc1usa, Frankfurt 1726-1745; ders., Hrsg., Teutsches Staatsarchiv, Frankfurt 1751-1757. - Vgl. auch die Bibliographie von Johann Christian Lünig, Bibliotheca Deductionum Sancti Romani Imperii, verbessert und vermehrt von Gottlob August Jenichen, 2 Thle., Leipzig 1745. 113 Heinrich Nette1bladt, Succincta Notitia Scriptorum ... Ducatus Megapolitani, Rostock 1745,206 - 246, führt über den Verfassungskonflikt bis zum Jahre 1739 nicht weniger als 340 einzelne Dokumente und Schriften an. 114 ..Die Schriften, welche zum systematischen Unterricht der Landständischen Rechte dienen könnten, sind auch noch allzusparsam", beklagte noch Friedrich Carl von Moser, ..erst seit wenigen Jahren haben die Angelegenheiten der Land-Stände des Herzogthums Würtemberg die Veranlaßung gemacht, daß die Haupt-Entscheidungs-Principien in Streitigkeiten zwischen Herm und Unterthanen mitte1st besonderer Abhandlungen beleuchtet und ... in ein näheres Licht gesetzt worden sind"; Patriotische Briefe, 0.0. 1767, 202.
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nicht gelungen war, sein Projekt einer Sammlung sämtlicher Partikularstaatsrechte - bis hinunter zu den "Staaten" der Reichsritter - zu verwirklichen. Die schon zu Beginn des 18. Jhs. von Johann Christi an Lünig zusammengeteIlte Dokumentation der Rechte und Freiheiten der Landstände in verschiedenen Territorien blieb lange die einzige dieser Art. Erst um die Wende zum 19. Jahrhundert setzten umfangreiche Editionen der Landesverträge, -privilegien und Landtagsakten in den einzelnen Ländern ein, nun schon im Zeichen eines neuartigen historischen Interesses. 1 15 Die Thematisierung der landständischen Verfassungen läßt im Zeitalter der Revolutionen, d. h. im letzten Viertel des 18. Jhs., einen auffälligen Wandel in der Qualität des öffentlichen Diskurses erkennen. Dies ist zu betonen gegenüber neueren Ansätzen in der Öffentlichkeits- und Presseforschung, die das Habermassche Konzept der Entstehung einer diskursiven "bürgerlichen" Öffentlichkeit im späten 18. Jh. in Frage gestellt haben." 6 Zwar ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß politische Zeitungen, Zeitschriften und andere schriftliche Medien gerade im Reich bereits seit dem 17. Jh. in hohen Auflagen verbreitet waren und einem überregionalen Publikum politische Gegenstände zur Kenntnis brachten. Daß gerade die juristische Gelebrtenöffentlichkeit des Reiches, die aufgrund der Reichsverfassungsinstitutionen früher und intensiver als anderswo in Europa überregionale Kommunikationsformen ausgebildet hatte, der Entwicklung einer neuen Form von Öffentlichkeit Vorschub leistete, steht nicht in Frage. Dennoch ist daran festzuhalten, daß im späten 18. Jh. der öffentliche Diskurs eine neue Qualität annahm, wie an der Behandlung des hier in Rede stehenden Themas exemplarisch deutlich wird. 115 Johann Christian Lünig, Collectio nova, Worinn der Mittelbahren, oder Landsäßigen Ritterschafft in Teutschland ... Sonderbahre Praerogativen und Gerechtsame, auch Privilegia und Freyheiten, enthalten sind, 2 Bde., Frankfurt/Leipzig 1730. - Einzelne verstreute und unsystematische Editionen von Landesverträgen und dergl. verzeichnet Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13 / 2, 949 ff.; vgl. Pütter, Litteratur III, 280 f. - Große Publikationen um die Wende zum 19. Jahrhundert waren z. B.: Johann Carl Dähnert, Hrsg., Sammlung gemeiner und besonderer Pommerseher und Rügischer Landes-Urkunden, Gesetze, Privilegien, Verträge, Constitutionen und Nachrichten, 7 Bde., Stralsund 1765 - 1802; Friedrich Christoph Jensen/Dietrich Herrnann Hegewisch, Hrsg., Privilegien der schleswig-holsteinischen Ritterschaft, Kiel 1797; Joseph Elias Seyfried, Hrsg., Zur Geschichte Bairischer Landschaft und Steuern, München 1800; Franz von Krenner, Hrsg., Bairische Landtags-Handlungen in den Jahren 1429-1513, 18 Bde., München 1803-1805. 116 Vgl. oben Anm. 110; für viele andere sei hier nur verwiesen auf Hans-Wolf Jäger, Hrsg., "Öffentlichkeit" im 18. Jahrhundert, Göttingen 1997; sowie auf die Skizze von Hans Erich Bödeker, Journals and Public Opinion. The Politicization of the German Enlightenment in the Second Half of the Eighteenth Century, in: E. Hellmuth, Hrsg., The Transformation of Political Culture, Oxford 1990,423 -445, dort weitere Nachweise aus der neueren Presseforschung. - Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einern Vorwort zur Neuauflage, Frankfurt / Main 1990; zur Begriffsgeschichte Lucian Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit, Stuttgart 1979; vgl. zuletzt Craig Calhoun, Hrsg., Habermas and the Public Sphere, Cambridge 1992.
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Erst jetzt wurde aus einem Diskurs der gelehrten politisch-juristischen Fachöffentlichkeit ein Diskurs der gebildeten Laien. Äußerlich ablesbar ist das schon am nahezu völligen Verschwinden des Lateinischen, dem allerdings einzelne Juristen wie vor allem Johann Jakob Moser schon den Weg bereitet hatten. Erst jetzt wurden bei der Behandlung verfassungsrechtlicher Gegenstände die wissenschaftlichen Disziplingrenzen überschritten; erst jetzt äußerten sich dazu nicht nur Gelehrte aufgrund amtlicher oder professioneller Qualifikation, sondern auch Gebildete, die ihren Anspruch auf politisches Urteil gerade nicht auf Amt und Profession stützten. Erst jetzt entstand jenes neue Selbstverständnis des gebildeten Publikums von seiner eigenen grenzüberschreitenden Urteilskraft, das Kant in seiner Definition des "öffentlichen Vernunftgebrauchs" (im Gegensatz zum "privaten" Vernunftgebrauch im bürgerlichen Amt) auf den Punkt gebracht hat. Der Wandel betraf nicht die politische Informationsvermittlung schlechthin, sondern den Umgang damit und den Anspruch derjenigen, die in neuer Weise daran teilhatten. Greifbar wird dieser Wandel insbesondere in einem neuen Typ politischer Periodika, die einem Landes-, Stände- und Professionsgrenzen überschreitenden Publikum nicht nur politische Themen zur Kenntnis brachten, sondern auch wertend kommentierten und in Leserzuschriften diskutierten. Der Quellenbefund zum Thema Landstände spiegelt diesen Wandel. Zwar gab es zuvor schon gelegentlich in der Tagespresse Nachrichten über landständische Verfassungskonflikte, doch die Zeitungen waren bis zum Ende des 18. Jhs. keine Orte theoretischen Räsonnements. ll7 Erst gegen Ende des 18. Jhs., und auch dann erst zögernd, wandte man sich in politisch räsonierender Form diesem Gegenstand in überregional verbreiteten, allgemeinen politischen Periodika zu. 1I8 117 Die Tagespresse ist daher hier außer Betracht geblieben. - Vgl. zuletzt zusammenfassend Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit, 168 ff.; Würgler, Unruhen und Öffentlichkeit, 202 ff.; vgl. auch die Ergebnisse der jüngsten Studien von Brigitte Tolkemitt, Der Hamburgische Correspondent. Zur öffentlichen Verbreitung der Aufklärung in Deutschland, Tübingen 1995, 233 ff.; und Ulrike Möllney, Norddeutsche Presse um 1800. Zeitschriften und Zeitungen in Flensburg, Braunschweig, Hannover und Schaumburg-Lippe im Zeitalter der Französischen Revolution, Bielefeld 1996, 263 ff., die in Pädagogisierung und Unterhaltung die wesentlichen Funktionen der Zeitungen sieht, während ..politischen Beiträgen nur eine unwesentliche Rolle für die inhaltliche Gestaltung zukam". 118 Der von der Göttinger Akademie der Wissenschaften herausgegebene Index deutschsprachiger Zeitschriften 1750 -1815, Hildesheim 1989, ist für die vorliegende Fragestellung nicht ganz zuverlässig, da er unter den Stichwörtern ..Landstände" und ..Landtag" längst nicht alle einschlägigen Artikel verzeichnet. Da eine lückenlose inhaltliche Auswertung der umfangreichen Publizistik kaum zu leisten ist, lassen sich präzise quantitative Angaben zur Thematisierung von Landständekonflikten nicht machen. Auch auf die neuere Presseforschung kann man nicht zurückgreifen, denn sie konzentriert sich bisher auf die unmittelbare Revolutionsrezeption und gibt kaum Auskunft über innerdeutsche Vorgänge, die nur indirekt durch die Revolution beeinflußt sind. Für die vorliegende Arbeit wurden daher systematisch die renommiertesten, überregional verbreiteten politischen Periodika ausgewertet, nämlich: Annalen der leidenden Menschheit, 0.0. 1795 ff., ND Nende\n 1971; Heinrich Christian Boie I Christian Wilhelm Dohm, Hrsg., Deutsches Museum, Leipzig 1776-1788; dies., Hrsg., Neues Deutsches Museum, Leipzig 1789 - 91; Heinrich von Bibra, Hrsg., Journal von und für
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I. Einleitung
Landesinterne Verfassungsfragen publik zu machen, die bisher nur der gelehrten Fachöffentlichkeit zugänglich gewesen waren, hielten nicht nur die betreffenden Höfe, sondern auch manche renommierten Publizisten immer noch nicht für gut. Justus Möser etwa rechtfertigte in seinem Osnabrücker Intelligenzblatt, warum die Verfasser deutscher Wochenschriften sich nicht nach dem Beispiel der Engländer "in die öffentlichen Staatsangelegenheiten einlassen" und "Landtagshandlungen und andre öffentliche Staatssachen dem Publikum mitteilen": Trotz allem Guten, das damit beabsichtigt werde, schien ihm die Sache doch "zu spitzig", und er hielt es für unüberlegt, die Öffentlichkeit über die Motive der politisch Handelnden aufzuklären. 119 1784 mußte sich Schlözer, Begründer der Prototypen aller kritisch räsonierenden politischen Periodika im Reich, gegen den Vorwurf eines Mecklenburger Lesers zur Wehr setzen, seine ,StatsAnzeigen' stellten "keinen anständigen Platz zum Vortrage der Differenzen zwischen einem LandesHerm und seinen Ständen" dar und es sei unschicklich, ein Journal zum Tummelplatz solcher Fehden zu machen. Gegen solche Auffassungen eben richte sich sein Unternehmen: "Gerade solche Anzeigen, sind für dieses Journal, seinem bekannten Plane zufolge, die zweckmäßigsten. - Oder will der Hr. Verf. sagen, dergleichen Differenzen sollten überhaupt nicht ins Publikum kommen? Da sind wir Deutsche, Gottlob! seit einiger Zeit, Brittischer und Schwedischer Meinung ... und rufen: Es sterbe die Geheimnismacherei!,,120 Deutschland, Ellrich 1784 - 92; Johann Heinrich Campe u. a., Hrsg., Braunschweigisches Journal philosophischen, philologischen und pädagogischen Inhalts, Braunschweig 1788 - 91, ND Nendeln 1972; ders., Hrsg., Schleswigsches Journal, Altona 1792 - 93; Friedrich Christoph Cotta, Hrsg., Teutsche Stats-Literatur, Tübingen 1790; ders., Hrsg., Straßburgisches Politisches Journal. Eine Zeitschrift für Aufklärung und Freiheit, Straßburg 1792 - 93; Johann Christoph Gatterer, Hrsg., Allgemeine historische Bibliothek, Halle 1767 - 71; Friedrich Gedike/Johann Biester, Hrsg., Berlinische Monatsschrift, Berlin 1783 ff.; Carl Friedrich Häberlin, Hrsg., Staats-Archiv, Helmstedtl Leipzig 1796 - 180 I; August Wilhelm Hennings, Hrsg., Der Genius der Zeit, Altona 1794 - 1800; Christoph Meiners / Ludwig Timotheus Spittler, Hrsg., Göttingisches Historisches Magazin, Hannover 1787 - 1791; Friedrich Carl von Moser, Patriotische Briefe, 0.0. 1767; ders., Hrsg., Patriotisches Archiv für Deutschland, Frankfurt! Leipzig 1784 - 90; Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andem Sachen, hrsg. von einer Gesellschaft von Gelehrten, Harnburg 1781-1806; Ernst Ludwig Pos seit, Hrsg., Europäische Annalen, Tübingen 1795 - 1820; August Ludwig Schlözer, Hrsg., Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts, Göttingen 1776 - 82; ders., Hrsg., StatsAnzeigen, Göttingen 1782 - 93; Christi an Friedrich Daniel Schubart, Hrsg., Deutsche Chronik, Augsburg 1774-1778, ND Heidelberg 1975; Wilhelm Ludwig Wekhrlin, Hrsg., Chronologen. Ein periodisches Werk, Frankfurt/Leipzig 1779-81, ND Nendeln 1976; ders., Hrsg., Das Graue Ungeheur, 0.0.1784-87, ND Nendeln 1976; ders., Hrsg., Hyperboreische Briefe, Nürnberg 1788 - 90, ND Nendeln 1976; Christoph Martin Wieland, Hrsg., Neuer Teutscher Merkur, Weimar 1791 - 1810; Albert Wittenberg, Hrsg., Historisch-politisches Magazin, Hamburg 1787 -95. 119 Justus Möser, Patriotische Phantasien, III (Sämtliche Werke, hist.-krit. Ausg., hrsg. von der Akademie der Wiss. zu Göttingen, Oldenburg 1964 ff., Bd. VI), Nr. 24, 85 ff. 120 StatsAnzeigen, Bd. 6, 1784, 384 Anm. I; ebenso Häberlin in der Fortsetzung der StatsAnzeigen: Staats-Archiv, Bd. 1, 1796,5 f. (Vorbericht).
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Schlözers Journale bildeten noch bis zur Revolution eine Ausnahme; kaum eine andere überregionale historisch-politische Zeitschrift brachte vor der Revolution Interesse für Landtagskonflikte auf. l21 Erst durch die spektakulären ständischen Oppositionsbewegungen in Frankreich, in den Habsburgischen Niederlanden, in Ungarn und anderswo wurden Landstände mit einem Mal ein populäres Thema. Die Französische Revolution und ihre Auswirkungen auf das Reich schließlich verliehen der Diskussion über die landständischen Verfassungen eine völlig neue Dimension. In zahlreichen Territorien wurde eine Flut von Streitschriften zur Landtagsreform ausgelöst. 122 Daß die Lage nun eine andere war als in der Ära des Mecklenburger oder Württemberger Ständekonflikts ist schon daran abzulesen, daß es nun meist die Stände selbst waren, die sich der Publikation ihrer Landtagsangelegenheiten widersetzten. Auch in den 1790er Jahren konnte man sich noch über die Geschehnisse im Ausland besser unterrichten als über das, was in anderen deutschen Ländern vorging. Das Hamburger Historisch-politische Magazin, im letzten Jahrhundertdrittel wohl die am genauesten unterrichtende politische Zeitschrift, beschäftigte sich beispielsweise mit Begebenheiten innerhalb der Reichsterritorien (mit Ausnahme Lüttichs) kaum. Schlözers StatsAnzeigen, später Häberlins Staats-Archiv waren weiterhin in dieser Hinsicht die herausragenden Ausnahmen, in geringerem Umfang auch Spittlers und Meiners' Göttingisches Historisches Magazin und Campes Schleswigsches Journal. Eine Reihe nach 1789 neugegründeter revolutionsfreundlicher Periodika wie die Annalen der leidenden Menschheit oder der Genius der Zeit veröffentlichten dann in den 90er Jahren häufiger Forderungen zur Steuerund Landtagsreform oder dokumentierten die daraus entstandenen Konflikte. Betrachtet man die theoretischen Schriften der 1790er Jahre zur Landtagsreform unter dem Gesichtspunkt, welche Beispiele und Vorbilder aus anderen Reichsterritorien sie angaben, so zeigt sich, daß zum einen die württembergischen, zum anderen die nordwestdeutschen Vorgänge am häufigsten genannt wurden. Die Ausstrahlung insbesondere Göttingens in den Süden des Reiches führte dazu, daß man auf innere Landesangelegenheiten Kurhannovers oder Hildesheims etwa in Bayern Bezug nehmen konnte, während der umgekehrte Fall erheblich seltener vorkam. Die Klage des "Journals von und für Deutschland" von 1784, daß es dringend nötig sei, "die verschiedenen voneinander abgesonderten Staaten Deutschlands miteinander bekannter zu machen",123 war also auch um die Jahrhundertwende noch nicht überholt. Doch seit der Revolution verstummte die Diskussion um die landständische Verfassung nicht mehr, und der Begriff der Repräsentation stieg zu einem Schlüssel121 Eine weitere Ausnahme war Friedrich earl von Mosers Patriotisches Archiv, Bd. 1, Frankfurt/Leipzig 1784, Einleitung (unpaginiert), der ausdrücklich "interessante Vorstellungen von Landständen ... gegen üble Handlungen der Regenten" "vors Hochgericht des Publikums" bringen wollte, sich dabei allerdings meist auf historische Fälle beschränkte. 122 Vgl. dazu Kap. VI. 123 Journal von und für Deutschland Bd. 1, 1784, Vorbericht des Hrsg.
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1. Einleitung
begriff der politischen Auseinandersetzungen auf. Die Vielzahl der Diskussionsbeiträge läßt sich nun kaum noch bestimmten politischen oder juristischen Disziplinen zuordnen. Stattdessen bildeten sich nun inhaltliche Polarisierungen heraus, die mit den hergebrachten Disziplingrenzen nichts mehr zu tun hatten.
4. Vorgehensweise Die vorliegende Arbeit geht der Erörterung der ständischen Verfassung in den genannten juristischen und politischen Diskursen nach, um auf die eingangs formulierte Frage nach dem Begriff der landständischen Repräsentation antworten zu können. Auch wenn in vielen Disziplinen das Thema nur gestreift oder gar tendenziell verdrängt wurde, so mindert das nicht den Wert der betreffenden Quellen für die vorliegende Fragestellung. Der Stellenwert, den die verschiedenen Diskurse der ständischen Verfassung beimaßen, ist als Gegenstand in die Untersuchung ebenso einzubeziehen wie der jeweilige formale und inhaltliche Rahmen, in dem sie thematisiert wurde. Zunächst soll anhand einer theoretischen Extremposition die Herausforderung beschrieben werden, der sich die landständische Verfassung durch den absoluten Fürstenstaat auch in der Theorie gegenübergestellt sah. Die unterschiedlichen Reaktionen auf diese Herausforderung spiegeln verschiedene Abwehrstrategien, die unterschiedlich erfolgreich waren (Kap. 11.1). Die langfristig tragfähigste Antwort auf die absolutistische Herausforderung war eine juristische, die anhand ihres prominentesten Vertreters, des Hannoveraners David Georg Strube, im einzelnen dargestellt werden soll (Kap. 11.2). Anschließend soll rekonstruiert werden, in welcher Absicht und in welchem argumentativen Zusammenhang der Begriff der Repräsentation im Rahmen des Reichsstaatsrechts auf die Landstände übertragen wurde. Das lenkt den Blick auf die spätmittelalterliche Korporationstheorie, die unter den verschiedenen Theorietraditionen, die zur begrifflichen Erfassung der Landstände herangezogen wurden, eine Schlüsselrolle spielte. Allerdings ist zu zeigen, zu welchen Brüchen, Inkonsistenzen und Umdeutungen der korporationsrechtliche Repräsentationsbegriff führte, wenn man ihn auf die Landstände übertrug (Kap. III). Von der korporationsrechtlichen Tradition, aus dem er stammte, löste sich der Repräsentationsbegriff des modemen Naturrechts in einigen grundsätzlichen Punkten. Zunächst soll gefragt werden, welcher Ort den Landständen in den Systemen des "älteren" deutschen Naturrechts überhaupt zugewiesen wurde, bevor der Einfluß des naturrechtlichen Repräsentationsbegriffs auf die Deutung der landständischen Verfassungen untersucht wird (Kap. IV). Da sich die beginnende öffentliche Diskussion über Stände und Repräsentation an den politischen Vorgängen außerhalb des Reiches entzündet hat, sollen die
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wichtigsten dort diskutierten und praktizierten Repräsentationskonzepte, nämlich die angelsächsischen und die französischen, knapp skizziert werden. Dabei ist zugleich zu berücksichtigen, inwiefern diese Debatten im Reich wahrgenommen wurden (Kap. V). Die Revolution löste kurz vor dem Ende des Reiches eine Welle von Landtagsreformprojekten aus, die auf eine Erweiterung der ständischen Partizipation zielten. In der Ständeforschung hat man diese "landständische Renaissance" als Indiz für das Modernisierungspotential der ständischen Verfassungen genommen. Ein Blick auf einzelne Territorien, die Reformansätze von ganz unterschiedlicher Intensität aufwiesen, soll zeigen, welche Reformerwartungen hier von welchen Interessenten mit welchen Argumenten formuliert wurden und welche unterschiedlichen Begriffe von landständischer Repräsentation dabei im Spiel waren (Kap. VII). Aus der Vielfalt sehr heterogener und meist theoretisch diffuser Verwendungen der Worte "landständische Repräsentation" im späten 18. Jh. sollen drei Konzepte herausgegriffen werden, die exemplarisch für drei unterschiedliche Reformmodelle stehen können. An dem Konzept earl Friedrich Häberlins sollen die Möglichkeiten und Grenzen der reichspublizistischen Reformdebatte gezeigt werden; Johann Heinrich Gottlob Justi und August Ludwig Schlözer stehen für die Aufnahme der Reformimpulse, die der am englischen Ideal gewonnene Repräsentationsbegriff Montesquieus ausgelöst hatte; Ewald Friedrich von Hertzberg und Joseph von Sonnenfels schließlich werden als Vertreter innerbürokratischer Reformdebatten und des dort entwickelten spezifischen Repräsentationsverständnisses herangezogen. Bei allen Reformmodellen ist zu fragen, ob und inwiefern sie mit dem traditionellen Begriff ständischer Repräsentation brachen (Kap. VII). Seit der Revolution wurde die politische Debatte um neue Partizipationsforderungen vor allem als historische Debatte um das Alter und wahre Wesen der ständischen Verfassung geführt. Es soll zunächst zurückverfolgt werden, inwiefern die Geschichte der landständischen Verfassung seit den Anfangen ihrer Erforschung von rechtshistorischen Kontinuitätskonstruktionen geprägt war. Anschließend soll gezeigt werden, wie angesichts der radikalen Umbruchserfahrung der Revolution ein Konkurrenzkampf um historische Legitimität ausbrach und die Geschichte der landständischen Verfassung sowohl in radikal reformerischer als auch in kompromißlos restaurativer Absicht fruchtbar gemacht wurde. Dabei kristallisieren sich die Ursprünge jenes begrifflichen Gegensatzes im Verständnis landständischer Repräsentation heraus, die sich durch das 19. Jahrhundert hindurch weiterverfolgen lassen: quasi-private "Repräsentation des Eigentums" hier, "wahre Nationalrepräsentation" dort (Kap. VIII). In einem Blick auf das nachrevolutionäre Naturrecht soll sich abschließend zeigen, wie die kompromißbereite Haltung des Frühliberalismus eine Kontinuitätsbrücke zum Alten Reich schlug (Kap. IX).
11. Die landständische Verfassung zwischen Souveränitätstheorie und Territorialstaatsrecht 1. Die absolutistische Herausforderung "Diseurs von Land-Ständten" (1709) Sowohl durch die verfassungsrechtliche Realität und die politische Praxis als auch durch die Theorie der monarchischen Souveränität schienen die Landstände im Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Krieg in den meisten Territorien zur Marginalisierung verurteilt. An dieser Ausgangssituation gemessen, gelang es ihnen bis zum Ende des Reiches erstaunlich gut, sich zu behaupten - in der Verfassungswirklichkeit zahlreicher Länder ebenso wie in der Theorie. Es stellt sich die Frage, auf welche Weise dies geschah. Im folgenden soll anhand exemplarischer Texte aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gezeigt werden, im Rahmen welcher Disziplinen und mit welchen Argumentationsmustem der absolutistischen Herausforderung begegnet wurde. Die existenzielle Bedrohung der ständischen Verfassung durch das Souveränitätsprinzip wurde im Jahre 1709 von einer kleinen Schrift mit dem Titel "Discurs von Land-Ständten" provokativ auf den Punkt gebracht. 1 Der Autor des "Discurses" läßt sich nicht identifizieren, wurde aber schon von Zeitgenossen in Kursachsen vermutet, 2 wo sich Friedrich August I. nach dem Nordischen Krieg anschickte, das ständische condominium zu brechen? Die Schrift hatte für die Reichspubli1 Diseurs von Land-Ständten, Cölln 1709 (unpaginiert); der Text ist jeweils mitabgedruckt bei den Gegenschriften: (Hermann Burkhard Roesler), Ungegründeter Diseurs von LandStänden Nebst desselben Wohlgegründeten Refutation, 0.0. l7I1, 2. Auf!. Leipzig 1716. (Georg Adolf Caroc), Begründete Deduction von Land-Ständen I Derselben Befugnissen I Pflichten und Nutzen I absonderlich in denen Landen I des Reichs Teutscher Nation, 0.0. 1718, dort ist als Erscheinungsdatum des Diseurses 1710 angegeben. 2 Roesler, Refutation, 9 und 24, hält den Druckort für falsch und vermutet den Autor des Diseurses in Sachsen, nennt aber keinen Namen. Vgl. jetzt zu dem anonymen Diseurs und den Gegenschriften Horst Dreitzel, Vom reichspatriotischen Konstitutionalismus zum nationalen Liberalismus, in: H. E. Bödeker I E. Fran~ois, Hrsg., Aufklärung I Lumieres und Politik. Zur politischen Kultur der deutschen und französischen Aufklärung, Leipzig 1996,399 - 432, hier 405 ff., der ebenfalls auf den kursächsischen Kontext hinweist. - Die gleiche extrem ständekritische Tendenz vertrat eine weitere anonyme Schrift, die zur gleichen Zeit ebenfalls in Kursachsen handschriftlich kursierte und die dem kursächsischen Geheimen Rat Bemhard Zech zugeschrieben wurde: Das sich selbst kennende Sachßen (1707), später unter dem Titel "Das sich selbst nicht kennende Sachsen oder Politische Rathschläge über Chur-Sachsens Stärke und Schwäche" abgedruckt in: F. C. von Moser, Hrsg., Patriotisches Archiv für Deutschland 8; 1788, 249 - 386, zu den Landständen bes. 280 ff.
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zistik eine geradezu aufrüttelnde Wirkung. Sie fand eine erstaunliche Resonanz bei einer Reihe von Gelehrten und wurde - trotz ihres geringen theoretischen Niveaus und ihres mangelnden Aufwandes an Gelehrsamkeit - in mehreren Monographien einer ausführlichen Widerlegung für wert gehalten. 4 Wegen dieser Resonsanz, der Radikalität und der prägnanten Kürze der Schrift soll sie hier als Exempel dienen, um die theoriegeschichtliche Herausforderung der ständischen Verfassung durch die Souveränitätstheorie zu erhellen. Der Traktat reklamierte für die Reichsfürsten volle Souveränität in ihren Territorien und führte klipp und klar vor Augen, was das für die Landstände bedeutete. Erstens bestritt der Anonymus den Landständen jede Partizipation, die über eine bloße unverbindliche Beratung des Fürsten hinausging. Zwar pflegten sie "zu denen Berathschlagungen von des Landes Wohlfahrt und Aufnehmen ... gezogen zu werden". Höchst schädlich, gefährlich und "irrig absurd" sei es aber, wenn sie sich anmaßten, "ein independentes Collegium und also Rempublicam in Republica" zu formieren und ein Mitspracherecht bei der Regierung zu beanspruchen, das es ihnen erlaubte, die Handlungen der Regierung zu examinieren und sich ihnen gegebenenfalls zu widersetzen. Den Landständen komme allenfalls aufgrund ihrer genauen Kenntnis des Landes die Rolle fürstlicher Berater zu. Unter Berufung auf Leibniz' Schrift "De iure suprematus"S faßte der Autor die Landeshoheit als Inbegriff aller Majestätsrechte. Die deutschen Fürstentümer seien "pur Monarchisch" und ohne jede "Mixtur von einer Aristocratie". Ständische Partizipation wurde als unvereinbar mit der Einheit und Unteilbarkeit der landesherrlichen Majestät zurückgewiesen: Sie mache das Gemeinwesen zu einem "zweyköpffigte[n] Monstrum". Die Verbindlichkeit der Verträge zwischen Fürst und Ständen, die rechtliche Basis der landständischen Verfassungen schlechthin, sei so zu interZu Kursachsen s. unten Kap. VI.4. Zur allgemein negativen Aufnahme der Schrift vgl. Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/1, 314ff.; Pütter, Litteratur des teutschen Staatsrechts 3, 276. - Biechling in den Anm. zu Veit Ludwig von Seckendorff, Teutscher Fürstenstaat, hrsg. von Andreas Simson Biechling, Jena 1737, ND Aalen 1972,64 und 127, erwähnt die "wiedrige doctrin" gemeinsam mit Wilhelm von Schröders berüchtigtem Tractat vom absoluten Fürsten-Recht und bemerkt zu den "wohlbekanten authoribus", nämlich dem anonymen Diseurs und dessen "wohlgegründeter Refutation", daß "beyde der sachen zu viel gethan" hätten. - Noch Carl Friedrich Häberlin zitiert den "Diseurs" und die von ihm ausgelöste Diskussion ausführlich zur Majestätsproblematik in: Repertorium des Teutschen Staatsrechts, III, Leipzig 1793, s.v. Landstand, 112 f. 5 Caesarinus Fuerstenerius, De iure suprematus ac legationis principum Germaniae (1677), in: G.w. Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe, hrsg. von der Akad. der Wiss. Berlin, 4.Reihe, Bd.II, Berlin 1963, 3 - 270, bes. c.19, 89 ff.: das ius suprematus als Inbegriff aller Regalien werde von den Fürsten frei ausgeübt, allerdings "quando non pacto aut consuetudine ... prohibentur". Gegenüber der einheitlichen superioritas territorialis seien alle gleichermaßen subiecti, der landsässige Adel ebenso wie seine Hintersassen. Ein Widerstandsrecht stehe ihnen nicht zu. Vgl. zuletzt Hans-Peter Schneider, Leibniz, in: Stolleis, Hrsg., Staatsdenker im 17. und 18. Jh., 197 - 226, bes. 206ff. Zur sehr zögernden Durchsetzung des Majestätsbegriffs in bezug auf die Reichsterritorien und zu Leibniz' Außenseiterposition in der Souveränitätsfrage vgl. Willoweit, Territorialgewalt, 138 ff., 154 ff. 3
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pretieren, "daß die Souverainete des Fürsten dabey bestehen kan"; das heißt: Versprechen, die die Hoheitsrechte des Monarchen einschränken würden, seien unwirksam. 6 Dessen Verpflichtung sei eine freiwillig eingegangene; unter veränderten Umständen könne sie seine Nachfolger nicht binden. 7 Zweitens nivellierte die Souveränitätsdoktrin die Landstände zu fürstlichen Untertanen und reduzierte sie von Herrschafts- zu Sozialständen. Dazu wurde der engere Begriff der Landstände einem sehr allgemeinen sozialen Ständebegriff untergeordnet und damit entpolitisiert: Mit Ständen bezeichne man "die fast ohnzehliche[n] Beschaffenheiten und Characteres der Leute", "nach Welchen immer eine Person in Absicht der Burgerlichen Gesellschaft ein anderes Recht, Vorzug, Freyheit, auch wohl bißweilen Beschwehrde hat als die andere". Unter diesen vielfältigen Ständen seien die Landstände nur die vornehmsten. Dem Begriff der unteilbaren Majestät entsprach ein einheitlicher Begriff von Untertänigkeit. Die Landstände waren für den Anonymus sowohl einzeln als auch kollektiv "pure Unterthanen des Fürsten". Eine abgestufte Untertänigkeit wurde verworfen, die Instanz einer ständischen Zwischengewalt über die mittelbaren Untertanen bestritten: "Das ganze Land und alle Bauren darinnen sind des Fürsten." Die "publiquen onera" seien ebenso wie die Kammereinkünfte "des Fürsten Unterthanen Gelder", zu denen die Stände selbst nichts beitrügen. Wie allen Untertanen wurde auch den Ständen unter Berufung auf die christliche Lehre jede ,,renitenz" verboten. 6 Dies war eine vergröbernde und verkürzende Auslegung Bodins. Bei Bodin hieß es, daß der Souverän zwar nicht an die eigenen Gesetze oder die seiner Vorgänger gebunden sei, wohl aber - wie jeder Privatmann - an ,,rechtmäßige und vernünftige Verträge", auch an die seiner Vorgänger, deren Erbe er sei (Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von B. Wimmer, hrsg. von P. C. Mayer-Tasch, München 1981,1,8; 214f., 232f., 237f. u.ö.). Dies ergab sich aus der immer wieder betonten Bindung des Souveräns an göttliches und natürliches Recht. Allerdings findet sich bei Bodin die bemerkenswerte Einschränkung: ,,Aus den gleichen Gründen, aus denen der einzelne von einem ungerechten oder unvernünftigen Versprechen ... entbunden werden kann, kann auch der Fürst, wenn er souveräner Fürst ist, von allem wieder freigestellt werden, was eine Beeinträchtigung seiner Hoheitsrechte bedeuten würde." - Der Anonymus nahm hier und in anderen Fällen zu Unrecht die Autorität Grotius' für sich in Ansprnch. Irreführend war etwa die Bezugnahme auf De iure belli ac pacis 1,3,16, für die Behauptung, die Vertragsbindung des Fürsten müsse so aufgefaßt werden, daß sie dessen Souveränität keinen Abbruch tue; Grotius ging es hingegen gerade darum, daß die höchste Gewalt des Fürsten durch dessen Bindung an sein eigenes Versprechen eingeschränkt, aber gleichwohl nicht aufgehoben wurde. - Ebenso zitierte der Anonymus De iure belli ac pacis 1,3,10 für die Behauptung, die Stände seien nur ein consilium des Königs. Grotius räumte hingegen ausdrücklich den Fall ein, daß die Stände das Recht hätten, die Regierung des Königs zu kontrollieren und Gesetze zu erlassen, denen auch der König unterworfen sei. 7 Bodin, Sechs Bücher über den Staat 1,8, 216, sprach von dem "Rechtsgrundsatz", "daß ein souveräner Fürst von Gesetzen, deren Einhaltung er geschworen hat, ohne Zustimmung der Untertanen dann abgehen kann, wenn sie aufgehört haben, gerechte Gesetze zu sein". Vgl. allg. Helmut Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1, Frankfurt/Main 1971, 333 ff.; Ulrich Scheuner, Ständische Einrichtungen und innerstaatliche Kräfte in der Theorie Bodins, in: H. Denzer, Hrsg., Jean Bodin, München 1973, 379 - 397.
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Drittens wurde der Reichsnexus als Hindernis landesherrlicher Souveränität und wesentlicher Rückhalt landständischer Gerechtsame aus dem Weg geräumt. Dabei griff der anonyme Autor selektiv auf Argumente aus verschiedenen Theoriezusammenhängen zurück und ignorierte hundert Jahre reichspublizistischer Gelehrsamkeit, die darum gekreist war, den modemen Souveränitätsbegriff mit der reichsständischen Realität zu vereinbaren. 8 Im Sinne Pufendorfs, aber ohne ihn zu zitieren, klassifizierte er das Reich als systema plurium rerum publicarum, also als losen, vertraglich konstituierten Verband einzelner souveräner Staaten, der der höchsten Gewalt der Fürsten keinen Abbruch tue. 9 Dahinter stand eine historische Konstruktion der Lehnsverfassung, wie sie ebenfalls Pufendorf entworfen und Thomasius weiterentwickelt hatte: Nach dem Aussterben der Karolinger habe ein Reichskonnex nicht mehr existiert, und die Fürsten hätten ihre Länder dem König aus freien Stücken zu Lehen aufgetragen. Die Lehnsbindung, die sonst in der Regel zur Herleitung der Landeshoheit aus der Reichsgewalt diente, wurde so zum Bundesvertrag umgedeutet und als Schranke landesherrlicher Souveränität beseitigt. 10 Schließlich galt es, die Reichsgerichtsbarkeit als Einschränkung der Unabhängigkeit der Reichsstände herunterzuspielen. Dazu bemerkte der Anonymus knapp, die Sprüche der Reichsgerichte über Reichsfürsten seien nur iudicia compromissoria, wie sie selbst der Kaiser über sich erkennen müsse, der bekanntlich der Gerichtsbarkeit des Pfalzgrafen unterstehe. 11 8 Zur Bodin-Rezeption im Reich vgl. Gerhard Henkel, Untersuchungen zur Rezeption des Souveränitätsbegriffs durch die deutsche Staatstheorie in der ersten Hälfte des 17. Jhs., Diss. Marburg 1967; Schubert, Die deutschen Reichstage; ders., Französische Staatstheorie und deutsche Reichsverfassung im 16. und 17. Jh., in: H. Lutz, Hrsg., Frankreich und das Reich im 16. und 17. Jh., Göttingen 1968,20 - 35; Hoke, Bodins Einfluß; Quaritsch, Staat und Souveränität, 400ff.; Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung, 44ff.; zuletzt Klaus Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jh. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit, Marburg 1994, 116 ff.; zusammenfassend Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, I, 174 ff. 9 Allerdings unter Berufung auf Grotius, De iure belli ac pacis I,3,7 und I,3,23, nicht auf Pufendorfs Verfassungsschrift, der er tatsächlich folgt (De statu imperii Germanici 6,9; De jure naturae et gentium 7,5,16). Dabei wich der Verfasser von Bodin ab, der das Reich als Aristokratie beschrieben und die Souveränität den Reichsständen in ihrer Gesamtheit beigelegt hatte (Sechs Bücher über den Staat, H, 6; 381 ff.). Zur Lehre vorn Reich als systema plurium civitatum oder civitas composita vgl. Gierke, Althusius, 245 ff.; Roeck, Reichssystem und Reichsherkommen, 26 ff. 10 Pufendorf, De statu Imperii Gerrnanici 3,4; Christian Thomasius, De feudis oblatis, Halle 1687; vgl. dazu Rüdiger Freiherr von Schönberg, Das Recht der Reichslehen im 18. Jh., Heidelberg I Karlsruhe 1977, 29 ff. Der Anonymus führte als zusätzliches Argument an, auch der König von Dänemark sei nicht deshalb weniger souverän, weil er ein Lehen vorn Hause Lüneburg innehabe. 11 Eine Behauptung, die von der extrem reichsständefreundlichen Marburger Schule der frühen Reichspublizistik und vor allem von Bogislav Philipp von Chemnitz im Anschluß an Bodin aufgestellt worden war, von der Mehrzahl der Reichsjuristen aber in der Folgezeit als fabula iudicii Palatin i verworfen wurde. (Hippolithus a Lapide, Dissertatio de ratione status
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Der anonyme Autor führte mit wünschenswerter Klarheit vor Augen, daß die Souveränitätstheorie die Axt an die Grundpfeiler der ständischen Verfassung legte: an die ständischen Partizipationsrechte, an die ständischen Herrschaftsrechte und an die Garantie dieser Rechte durch die Reichsverfassung. Das provozierte eine Reihe empörter Widerlegungen und trug dazu bei, daß der landständischen Verfassung in den Territorien gesteigerte juristische und historische Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Verschiedene Ansätze, landständische Partizipationsansprüche gegen die landesherrliche maiestas zu behaupten, finden sich in sehr unterschiedlichen theoretischen Diskursen - von der protestantischen Regimentslehre bis zum Territorialstaatsrecht der juristischen Spezialisten -, waren aber langfristig durchaus nicht gleichermaßen tragfähig. Auch das soll an der Diskussion um den "Diseurs von Land-Ständten" exemplarisch gezeigt werden. Die erste "Refutation" des anonymen Diskurses stand in der Tradition der ethisch-politisch und theologisch argumentierenden christlichen Fürstenspiegel. 12 Der Autor, Regierungsbeamter in den Diensten verschiedener ernestinisch-sächsischer Häuser, verwarf mit großer Wortgewalt die "despotische strenge absolute und ... gottlose Regiments-Art,,13 des Diskurses, die die hergebrachte Regimentsart der "teutschen Nation" im Reich und in den Ländern einer "gewaltthätigen Mutation" unterwerfe, "von der Frantzösischen Staats-Einrichtung entnommen" sei und "zum Teutschen Genio sich gar übel schicket",14 und zeichnete mit Hilfe traditioneller Topoi das Ideal einer gottgefälligen "Temperatur und Mischung" aus in imperio nostro Romano-Germanico, Freystadt 1647,1,5,1.3; dagegen z. B. Pufendorf, De statu Imperii Germanici 6,7.) Vgl. Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, I, 159; Rudolf Hoke, Hippolithus a Lapide, in: M. Stolleis, Hrsg., Staatsdenker, 118 -128. - Zur Frage der nur "compromissorischen" Unterwerfung der einzelnen Reichsstände unter die Reichsgesetze Christoph Link, Das Gesetz im späten Naturrecht, in: O. Behrends und ders., Hrsg., Zum römischen und neuzeitlichen Gesetzesbegriff, Göttingen 1987, 150 - 177, hier 165 f. 12 Der vollständige Titel der Publikation s.o. Anm. 1. Die "Refutation" selbst trägt im Text den Titel "Eines Teutschen unverfängliche Gedanken über den Diseurs von Land-Ständen"; "Refutation" und "Unverfangliehe Gedanken" sind also ein und dieselbe Schrift, was in den zeitgenössischen Bibliographien nicht deutlich wird (Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/1,316; Pütter, Litteratur des teutschen Staatsrechts III, 276). - Der Autor, Hermann Burkhard Roesler (auch: Rosler oder Roßler) (geb. 1671), stammte aus einer pietistisch geprägten sächsischen Juristenfamilie, sein Vater war Kanzler am Coburger Hof. Der Sohn trat nach seinem Jurastudium u. a. in Gießen, Utrecht und Jena 1697 ebenfalls in Sachsen-Coburg-Meiningischen Dienst und wurde als Legationssekretär zu den Friedensverhandlungen nach Rijswijk geschickt. Kurze Zeit war er für die Reichsritterschaft am Reichshofrat tätig, dann bekleidete er wechselnde Verwaltungsämter in verschiedenen sächsischen Fürstentümern. Eine Berufung zum Württembergischen Regierungsrat nach Stuttgart 1716 lehnte er ab und hielt stattdessen seit 1717 juristische Kollegien an der Universität Jena, wo er mit der protestantischen Orthodoxie in Konflikt geriet. Sein Todesdatum ist nicht belegt. (löcher, Allgemeines Gelehrten-Lexicon III, 1751,2232, s.v. Rosler.) 13 Roesler, Refutation, 26. 14 Ebd., 10, 38 f.
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,,Freyheit und Unterthänigkeit", die im Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsständen ebenso wie zwischen Fürst und Landständen verwirklicht sei. 15 Die "Refutation" war als moralische Belehrung beider Seiten angelegt, als christliche Ermahnung zu beiderseitigem Wohlwollen, gestützt auf die Autorität der biblischen Offenbarung, die menschliche Natur und die politische Klugheit. Damit "der Regent und die Land-Stände wie Haupt und Glieder zusammen halten und in ihrer Connexion bleiben", hätten beide Seiten die ihnen nach göttlicher Ordnung der Dinge zukommenden Pflichten zu erfüllen: Die Landstände hätten sich mit "Submission, Ehrerbietung und Dependenz" gegenüber ihrem "Haupt" zu bescheiden; sie dürften nicht aus eigener Initiative tätig werden; sie dürften sich den "gemeinnützigen Anstalten" des Fürsten nicht widersetzen und hätten auch einen sündhaften und verstockten Regenten als von Gott verhängte Strafe zu ertragen. 16 Umgekehrt wurde dem Fürsten im Geiste des christlichen Amtsverständnisses nahegelegt, sich als demütiger "Diener des gemeinen Wesens und aller seiner Unterthanen" aufzuführen 17 und "der Stände Rath und Concurrenz nicht zu leicht [zu] übergehen". 18 Dabei verband der Autor in charakteristischer Weise moralische mit herrschaftspsychologischen Argumenten: Wenn der Fürst die Stände bei "starcken Geld-Bedörffnissen", bei der Einrichtung von Landesordnungen und anderen wichtigen Regimentsanstalten zu Rate ziehe, so seien Stände und Untertanen desto williger bereit, zur "gemeinen Notdurft" beizutragen und sich ihrer Gehorsamspflicht nicht zu entziehen. 19
Im Effekt tastete die "Refutation" die Position ihres Gegners mit alldem kaum an. Ansprüche auf Partizipation an der Herrschaft, so beschwichtigte der Verfasser, würden tatsächlich schon lange von niemandem mehr erhoben; selbstverständlich seien die Stände nicht befugt, sich Maßnahmen zu widersetzen, die der Landesherr zu des Landes wahrer Wohlfahrt treffe. 2o Was der Autor der "Refutation" für die Stände reklamierte, war schließlich nichts anderes, als was ihnen auch der Verfasser der absolutistischen Streitschrift zugestanden hatte: das Recht, den Fürsten in wichtigen Landesangelegenheiten zu beraten, für die Untertanen zu sprechen, dem Fürsten Beschwerden vorzutragen und ihn allenfalls persönlich zu kritisieren. 21 15 Ebd., 10 ff., 18. - Der Topos von der Harmonie und rechten Proportion zwischen Majestät des Fürsten und Freiheit des Volkes, deren Extreme mit der orientalischen Despotie einerseits und der "unsinnigen Licentz des Pöbels" andererseits markiert werden, ebenfalls z. B. bei Speidei, Speculum, s.v. Landschafft, 770; Wildvogel, Oe statibus provo § 50, 33; Treuer, Disquisitio politica, 129 ff.; Caroc, Begründete Deduction, 2. 16 Ebd., 21 ff., 29f., 33. 17 Ebd., 15. Zu diesem Topos, der fälschlich oft erst dem aufgeklärten Absolutismus zugeschrieben wird, vgl. Dreitzel, Monarchiebegriffe 11, 779 ff. IS Ebd., 31, 36 u.ö. 19 Ebd., 19,21 u.Ö. - Das gleiche Argument auch bei Besold, Oe consilio politico, c. ult., § 13; Seckendorff, Fürsten-Staat, 126; Stryk, Oe statibus prov., 9; Fritsch, Von Landtagen, 39; Caroc, Begründete Deduction, 101 f. 20 Ebd. 29, 43.
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Die "Refutation" läßt die Grenzen der traditionellen christlichen Fürstenspiegel exemplarisch deutlich werden. 22 Der politische Konflikt wurde in moralische Kategorien übersetzt und dabei falschlieh ein grundsätzlicher Konsens beider Seiten über das Gute und Richtige unterstellt. Dabei übersah man, daß dem beklagenswerten Zustand, "da man nicht die einst vergönnete Freyheit denen Ständen unangefochten lässet",23 mit moralischen Appellen nicht beizukommen war. Niemand sprach dies klarer aus als der spätere Syndikus der Hildesheimer Stände und Hannoversche Kanzleidirektor David Georg Strube. 24 Im Rahmen seiner akademischen Doktor-Dissertation25 beschäftigte er sich zum erstenmal ausführlich mit dem Recht der Landstände und würdigte nicht nur den anonymen "Discurs", sondern auch dessen ,.Refutation" einer eingehenden Kritik. Strube verwarf Roeslers Biblizismus und nannte es abwegig, die Heilige Schrift als regulatives Prinzip in politischen Fragen heranzuziehen. Roesler habe den Kern der Kontroverse gar nicht erkannt; seine Schrift erweise der Sache der Landstände einen schlechten Dienst. Man könne nicht die Verbindlichkeit des ständischen Votums in wichtigen Landesangelegenheiten von dem Kriterium abhängig machen, ob dieses Votum gut und dem Landeswohl dienlich sei oder nicht - eben dies sei ja in der Regel zwischen Landesherm und Ständen strittig. Ein Fürst, der diese Frage verbindlich entscheiden könne, beweise gerade damit seine absolute Gewalt. 26 Die Problematik moralisch-politischer Argumentation hätte kaum klarer benannt werden können, als es hier geschah. Strube führte den nüchtern relativistischen Einwand gegen eine Argumentation, die sich noch auf traditionelle ethische Belehrung verließ, wo Herrschafts- und Rechtspositionen grundsätzlich in Frage standen. Wenn der Fürst allein zu definieren hatte, was für das Gemeinwesen gut oder schlecht sei, dann taugte dieses Kriterium ebensowenig zur Unterscheidung zwi21 Zu den Befugnissen der Landstände ebd., 18 f., 20 f., 31 ff. - Wo nicht ausdrücklich anders üblich, hätten die Landstände nur ein votum deliberativum, 43. 22 Eine ähnliche Argumentation wie die Roeslers etwa bei: Dietrich Reinkingk, Biblische Policey, Frankfurt 1656, 41 ff.; Veit Ludwig von Seckendorff, Christenstaat, Leipzig 1685, 1.2, c.11, § 9; Julius Bernhard von Rohr, Einleitung zur Staats-Klugheit, Leipzig 1718, 50ff. - Allg. zur Tradition der Politica christiana Dreitzel, Monarchiebegriffe H, 484 ff., allerdings mit einseitiger Betonung der Kontinuität bis in die Aufklärung hinein. 23 Roesler beurteilte den gegenwärtigen Zustand in den deutschen Territorien durchaus als den Landständen nachteilig und ließ durchblicken, daß die eingangs gepriesene "Temperatur und Mischung" von Gehorsam und Freiheit tatsächlich längst zu Lasten der Landstände verschoben sei; ebd. 29. 24 Zu Strohe vgl. ausführlich unten Kap. H.2. 25 Hier wird zitiert nach der späteren Ausgabe: David Georg Stroben, Commentatio de origine nobilitatis Germanicae et praecipuis quibusdam eius iuribus, Jena 1745. Die Kritik am "Discurs" dort sect. H, cap. I, 83 ff.; zu Roeslers "Refutation" ebd., 84 f. - Die Dissertation wird von Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/ 1,316, auf 1711 datiert; nach Frensdorff, ADB 36,1893,636, promovierte Strobe erst 1718. 26 Strobe, De origine nobilitatis, 84 f.
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sehen berechtigten und unberechtigten ständischen Mitspracheansprüchen wie zur Unterscheidung zwischen guten und schlechten Fürsten. 27 Moralisch-politisches Urteilen war relevant nur, solange seine Gegenstände nicht einseitiger Definitionsgewalt unterworfen waren. Die moralisch-religiöse Didaktik der Fürstenspiegel setzte relativ stabile politische und soziale Rollen voraus, denen ein fester Tugendkanon zugeordnet werden konnte. Verschoben sich diese Rollen unter dem Einfluß politischer Strukturveränderungen, so erwiesen sich die Tugendspiegel als hilflos und wurden obsolet, wenn sie sich nicht den neuen politischen Strukturen anzupassen vermochten. Die Fürstenspiegelliteratur trug der politischen Entwicklung insofern Rechnung, als sie die Landstände zunehmend ausblendete und sich entweder dem Fürsten und seiner Dienerschaft allein zuwandte oder sich in eine technische Lehre der Regierungskunst verwandelte. 28 Allein der Jurisprudenz blieb es daher in der Folgezeit überlassen, dem landesherrlichen Anspruch auf uneingeschränkte Majestät wirksame Grenzen zu setzen. Eine dritte Gegenschrift gegen den anonymen "Diseurs" wurde 1718 von dem Greifswalder Juristen und Syndikus der schwedisch-pommerschen Ritterschaft Georg Adolf Caroc 29 verfaßt. Sie markierte eine ständische Extremposition, die sich ebenfalls reichsrechtlich nicht durchsetzen konnte. 3o Die Schrift entstand im un27 Vgl. die Argumentation von Thomas Hobbes, De cive II,7 und Leviathan II,19; und von Grotius, De iure belli ac pacis 1,3,9: Die Qualität einer herrscherlichen Handlung tauge nicht zum Kriterium für die Gehorsamspflicht des Volkes. 28 Vgl. Rainer A. Müller, Die deutschen Fürstenspiegel des 17. Jhs. Regierungslehren und politische Pädagogik, in: HZ 240, 1985, 571 - 597 mit Nachweis der älteren Literatur; Dreitzei, Monarchiebegriffe II, 468 ff.; ders., Absolutismus und ständische Verfassung, 21 ff., 88 ff.; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, I, 113 ff.; vgl. zuletzt zum Gesamtzusammenhang der Politik als praktischer Philosophie und Herrschaftslehre, aus der die Landstände mehr und mehr verschwanden, Weber, Prudentia gubernatoria. In dem Sammelband von Hans-Otto Mühleisen / Theo Stammen, Hrsg., Politische Tugendlehre und Regierungskunst. Studien zum Fürstenspiegel der Frühen Neuzeit, Tübingen 1990, wird dies kaum reflektiert. - V gl. Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 63 f. zur "Emigration der Politik aus der Staatsrechtslehre". - Stolleis, Tradition und Innovation in der Reichspublizistik, 7, bemerkt, daß "die normative Bändigung der Politik durch die Mittel der praktischen Philosophie immer weniger aussichtsreich [schien] ... Einzig die Verrechtlichung der Politik versprach hier Erfolg." 29 Georg Adolf Caroc, Begründete Deduction von Land-Ständen, Derselben Befugnissen, Pflichten und Nutzen absonderlich in denen Landen des Reichs Teutscher Nation, 0.0. 1718. - Caroc (auch: Carok) (1679 - 1730/32 ?) lehrte nach dem Studium in Tübingen seit 1705 an der Universität Greifswald als einer der ersten im Reich Natur- und Völkerrecht nach Grotius. Als Syndikus der Ritterschaft ebenso wie als Universitätsprofessor folgte er seinem Vater nach dessen Tod im Amt und machte sich mit Arbeiten zu Verfassung und Geschichte des Herzogtums Pommern einen Namen. 1720 wurde er als Delegierter der schwedisch-pommerschen Ritterschaft nach Stockholm vor den Reichsrat geschickt, um die Restitution ihrer Privilegien zu erwirken. V gl. ADB 4, 1876, 5 f.; Stintzing / Landsberg, Rechtswissenschaft, III / 1, 35; Johann Gottfried Ludwig Kosegarten, Geschichte der Universität Greifswald, Greifswaid 1856- 57, I, 279; zuletzt Buchholz, Finanzen, zu Caroc bes. 139 ff., 228 f., 327, 423.
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mittelbaren Zusammenhang mit dem Kampf der Ritterschaft von SchwedischPommern um die Restitution der ständischen Verfassung und die Erweiterung ihrer Privilegien, woran der versierte Ständeanwalt Caroc selbst als Delegierter vor dem schwedischen Reichsrat maßgeblichen Anteil hatte. Caroc entwickelte über die üblichen ständefreundlichen Topoi hinaus eine unorthodoxe eigene juristische Argumentation, um die Rechte der Stände dem landesherrlichen Zugriff zu entziehen und zu stärken. Die Pointe seines Ansatzes lag darin, daß er die Landstände als autonome Korporationen, als collegia [icita im Sinne der hergebrachten gemeinrechtlichen Korporationslehre ausgab. 31 Diese Argumentation verortete die Mehrzahl der ständischen Rechte auf derselben Ebene wie die Rechte bloßer privati: Soweit ihre Rechte die landesherrlichen Regalien nicht berührten, folgten sie, so Caroc, "theils aus der Privat-Freyheit eines jedweden Unterthanen, theils ... aus der allgemeinen Beschaffenheit eines jeden Collegii Liciti". Was ein collegium licitum sei, war in der zeitgenössischen Korporationslehre allerdings umstritten. Das von Caroc selbst herangezogene korporationsrechtliche Standardwerk formulierte vielmehr als Regel, daß prinzipiell jedes collegium unerlaubt sei, sofern es nicht specialiter zugelassen worden sei, und zwar vel a jure, vel a Principe. 32 Caroc hingegen definierte ein collegium licitum als eine Korporation, die nach gemeinem Recht generell erlaubt sei, also weder landesherrlicher Konzession noch eines besonderen Rechtstitels bedürfe, z. B. religiöse Bruderschaften, Bursen oder Zünfte. Zu einem solchen Collegium erklärte Caroc nun die landständische Korporation. 33 Die aus diesem Status fließenden Rechte seien folglich nicht als Privilegien anzusehen, auch wenn die Stände sie sich vom Landesherm gemeinhin konfirmieren ließen. Im Zweifel, darum ging es Caroc, liege hinsichtlich solcher Rechte daher immer die Vermutung bei den Landständen. Unter diesen Rechten einer Ständekorporation als collegium licitum verstand Caroc nun indessen nicht nur solche, die nach herrschender Lehrmeinung jedem privaten Collegium zustanden. 34 Er zählte dazu vielmehr auch alle traditionellen Gerechtsame, bei deren Ausübung die Landstände korporativ in Erscheinung traten, nämlich Landesgravamina vorzutragen, Landesschlüsse zu machen, den Reli30 Als maßgeblicher Theoretiker der ständischen Verfassung kann Caroc daher keinesfalls gelten, wie Birtsch, Die landständische Verfassung als Gegenstand der Forschung, 41 und 53 f., und Buchholz, Finanzen, 228 f., annehmen. Das Urteil von Buchholz, Carocs Schrift sei "von prinzipieller Bedeutung für die landständische Theoriebildung", ist nicht haltbar. Auch daß Caroc Locke und Sidney einmal zitiert (Deduction, 7), ändert daran nichts. 31 Unter Berufung auf das gängige Handbuch von Nicolaus Losaeus, Tractatus de iure universitatum, Speyer 1611, bes. I, c.2, §§ 74 ff., 44 ff. zu den collegia licita; vgl. zur Korporationstheorie ausführlich unten Kap. 111.2. 32 Losaeus, De iure universitatum I, c.2, § 75, 44. 33 Begründete Deduction, 21 f.; 39 ff. 34 Nämlich z. B. die Rechte, als Collegium Bediente anzustellen (Deduction, 51 f.), Schulden zu machen (64 f.) oder von den Mitgliedern Beiträge zu erheben (66 f.).
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gionsstatus zu wahren, ja sogar bei Landesteilungen oder -veräußerungen um Zustimmung angegangen zu werden. Selbst das Recht der Subkollektion, also das Recht, die Landeskontributionen zu verwalten und den Kontributionsmodus festzulegen, berührte nach earoc kein landesherrliches Majestätsrecht und zählte daher zu den Rechten der Stände als collegium licitum. 35 Schließlich blieben nur einige wenige Rechte übrig, durch die die Stände "an denen Regalien der Landes-Fürsten Theil nehmen" und deren Behauptung daher auch für earoc des Besitztitelnachweises bedurfte, nämlich die ständischen Konsensrechte bei der Gesetzgebung, bei Kriegen und Bündnissen und das Präsentationsrecht bei Ämterbesetzungen. 36 Auch das essentielle Steuerbewilligungsrecht zählte er dazu. Indessen entzog earoc auch dieses der landesherrlichen Verfügbarkeit, indem er es auf Reichsrecht und natürliche Billigkeit gründete. 37 Die Problematik dieser an zivilrechtlichen Kategorien ausgerichteten Argumentation liegt auf der Hand: Sie spaltete die historisch gewachseJ:le Gesamtheit der ständischen Gerechtsame in zwei ungleiche und unverbundene Hälften, eine "private" gemäß gemeinem Recht und eine "politische" gemäß Reichs- und Territorialstaatsrecht. Die Qualität des collegium licitum war mit der ständischen Teilhabe an den landesherrlichen Majestätsrechten nicht vereinbar. Eine darauf gegründete Argumentation war der Behauptung dieser politischen Partizipation letztlich abträglich, weil sie die Stände zu einem quasi-privaten Verein reduzierte. earocs zivilrechtliche Begründung der landständischen Rechte setzte sich im Reich ebensowenig durch wie die des anonymen "Discurses", gegen den sie gerichtet war. 38 Das erklärt sich auch daraus, daß die Argumentation sehr genau auf die Verhältnisse in Schwedisch-Pommern zugeschnitten war, wo die von der Ritterschaft klar dominierte Ständekorporation eine besonders günstige Rechtsstellung hatte durchsetzen können,39 vergleichbar nur mit der Position der mecklenburgischen Ritterschaft nach der erfolgreichen Abwehr des herzoglichen Absolutismus. Darüber hinaus befand sich Schwedisch-Pommern reichsrechtlich in einer Sonderstellung: Seit dort das (ständisch kontrollierte) Obertribunal in Wismar als Oberappellationsinstanz diente, vor dem auch Konflikte zwischen der schwedischen Krone und den Ständen ausgetragen wurden, war das Territorium von der Reichsgerichtsbarkeit abgeschnitten. Dadurch entfernte sich auch die Publizistik an der Universität Greifswald von der Gesamtentwicklung im Reich. 4o Zum dritten Ebd., 39 ff., 52 ff., 61 f., 63 f., 70 ff., 73 f. Ebd., 80 ff. 37 Ebd., 77 ff., 87 ff., hier folgt earoc der sonst üblichen juristischen Argumentation. 38 Erst die Restauration im 19. Jh. provozierte wieder eine entfernt ähnliche Argumentationsstrategie, die die ständischen Rechte als private Privilegien unter Eigentumsschutz zu stellen suchte, vgl. unten Kap. VIII.4 und VIII.5. 39 Vgl. Buchholz, Finanzen; ferner Pär-Erik Back, Die Stände in Schwedisch-Pommern im späten 17. und im 18. Jahrhundert, in: D. Gerhard, Hrsg., Ständische Vertretungen, 120130; ders., Herzog und Landschaft. Politische Ideen und Verfassungsprogramme in Schwedisch-Pommern um die Mitte des 17. Jhs., Lund 1955. 35
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- und dies galt ebenso für Mecklenburg und erklärt auch dessen verhältnismäßig geringe Bedeutung für die Theorie der ständischen Verfassung - teilte Pommern nicht die Geschichte derjenigen Länder, die zum fränkischen Reich gehört hatten, und partizipierte nicht an der zunehmend beschworenen Tradition der "teutschen Freiheit". Schwedisch-Pommern mußte daher wie Mecklenburg bei der Begründung der ständischen Position ohne die Historie auskommen, die seit Conring immer mehr an Bedeutung gewann. 41 Eine von den historischen Zusammenhängen derart absehende Deutung der ständischen Rechte, wie sie Caroc vornahm, hatte im Reichsstaatsrecht des 18. Jahrhunderts keine Chance auf Durchsetzung. Weder Zivilrecht (Caroc) noch traditionelle christliche Fürstenethik (Roesler) gaben eine zukunfts weisende und tragfähige Antwort auf die absolutistische Herausforderung der Souveränitätstheorie. Dies geschah vielmehr im Rahmen der Reichspublizistik, genauer: des Territorialstaatsrechts, das die landständischen Rechte sowohl systematisierte als auch historisch positivierte.
2. Die Antwort des Territorialstaatsrechts David Georg Strube Die Frage, die sich seit dem Westfälischen Frieden den landständischen Juristen stellte, lautete: Wie konnte das Reichsstaatsrecht, das sich um 1600 als Instrument der Verrechtlichung des Verhältnisses zwischen Kaiser und Reichsständen etabliert hatte, für die Behauptung und Konsolidierung der noch übrig gebliebenen landständischen Partizipationsrechte nutzbar gemacht werden? Der heute kaum mehr bekannte, von den Zeitgenossen aber hochgeschätzte Jurist David Georg Strube formulierte die bis zum Ende des Reiches gültigen Antworten auf diese Frage. Seine verschiedenen Ausführungen über Geschichte und Rechte der Landstände setzten für das 18. Jh. den Maßstab der juristischen Argumentation zu diesem Thema. Alle großen Reichspublizisten von Moser über Pütter bis zu Häberlin folgten der Autorität des "eben so gründlich gelehrten als patriotisch gesinnten und rechtschaffenen" Mannes. In der ersten Hälfte des 19. Jhs. war sein Ruhm noch nicht verblaßt; auch Eichhorn stützte sich vielfach noch auf seine historischen Arbeiten. 42 Daß Strubes Name inzwischen völlig in Vergessenheit geraten ist,43 hat ver40 Zur rechtlichen Sonderstellung des Wismarer Obertribunals vgl. Buchholz, Finanzen, 341 ff.; zum mangelnden Anschluß an die Reichspublizistik und zur Verfestigung der partikularrechtlichen Tradition an der Universität Greifswald unter der Ägide des berühmten David Mevius (1609 - 1670) vgl. Hammerstein, Jus und Historie, 292 ff. 41 Zur historischen Herleitung der ständischen Verfassung vgl. das folgende und Kap. VIII. - Zur abweichenden Entstehung der ständischen Verfassungen in den ehemals slawischen Gebieten jenseits des Frankenreiches ausführlich etwa Struv I J argow, Diseurs, 49 ff. 42 Das Urteil stammt von Moser, der in bezug auf das Thema landständische Geschichte und Gerechtsame Strube weitgehend folgte und dessen Grundpositionen nur durch unzählige
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schiedene Gründe. Zum einen hat Strube seine unüberschaubar zahlreichen Arbeiten nicht wie Moser oder Pütter in Kompendien systematisch niedergelegt. Zum anderen war er kein Universitätslehrer und hat deshalb keine Schule gebildet. Schließlich trat er, was seine rechtsgeschichtlichen Forschungen betrifft, später ganz hinter dem glanzvolleren Möser zurück, den die deutsche Rechts- und Verfassungsgeschichte lange Zeit als ihren ersten Ahnherrn verehrte. 44 Strube, der einer im Lande begüterten Hannoverschen Beamtenfamilie entstammte,45 spielte für die historisch-juristische Hinwendung zu den landständischen Verfassungen eine Schlüsselrolle. Aus der berühmten Halleschen Schule von Thomasius, Gundling und Böhmer kommend, verband er die Kenntnis des modernen Naturrechts mit der Hinwendung zum gemeinen deutschen Recht und damit zur Historie;46 in Leiden hatte er sich bei Gerhard Noodt, dem zu seiner Zeit beFallschilderungen anreicherte. Vg!. aus der großen Zahl der zustimmenden Urteile Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/1, 317 ff.; Pütter, Litteratur des teutschen Staatsrechts I, 394 ff., 441, 11, 273; Möser, Osnabrückische Geschichte (Werke, Akad.-Ausg.), XII, 44; Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, III, 227. - Zu Strubes Schriften über Landstände heißt es bei Lipenius, Bibliotheca juridica, Supp!., 382, niemand habe das Thema mit größerer Solidität und Fruchtbarkeit behandelt. Selbst ein juristischer Laie wie Lessing bezog seine Kenntnisse über die Geschichte der Landstände von Strube (Collectanea, in: Sämtliche Schriften, hrsg. von K. Lachmann/F. Muncker, Bd. XV, 3. Aufl. Leipzig 1900,227 f.) 43 Gerd Kleinheyer / Jan Schröder, Hrsg., Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, Heidelberg 1983; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, und ders., Hrsg., Juristen. Ein biographisches Lexikon, München 1995, erwähnen Strube nicht. 44 Verstärkt durch Friedrich Meineckes Urteil, Die Entstehung des Historismus, München 1959,303 ff.; vg!. z. B. Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, 23 ff. 45 Strube (1694 - 1776) studierte zunächst an der Haller Juristenfakultät, bevor er in Leiden sein Studium mit einer Dissertation über den Ursprung des deutschen Adels abschloß. Nach akademischer Reise und kurzer Advokatentätigkeit wurde er schon 1720 zum Syndikus der Ritterschaft und Städte des Hochstifts Hildesheim gewählt und war fast zwanzig Jahre lang in diesem Amt tätig. 1739 wurde er vorn Freiherrn von Münchhausen in den Hannoverschen Staatsdienst berufen und vertrat dort als Geheimer Justizrat und advocatus patriae die königlichen Gerechtsame in Prozessen und Gutachten, bevor er 1758 zum Direktor der Justizkanzlei berufen wurde. Dieses Amt hatte er (seit 1772 mit dem Titel eines Vizekanzlers) bis zu seinem Tod inne. Mit zahlreichen Rechtsgutachten beriet Strube die Hannoversche Regierung; maßgeblichen Einfluß nahm er auch auf die Entwicklung der juristischen Fakultät der neugegründeten Universität Göttingen, die sich anschickte, der Universität Halle ihren Ruf als führende Schule der Geschichte und Jurisprudenz streitig zu machen. Vg!. Frensdorff, ADB 36, 1893,635 - 639, der Strubes zahlreiche juristische Schriften (besonders einflußreich darunter die zum niedersächsischen Meierrecht) als "Grundpfeiler des gemeinen deutschen Rechts" rühmt; Stintzing /Landsberg, Rechtswissenschaft III/ 1,255 ff., 171 ff.; w.G. Wesenberg, Der Vicekanzler David Georg Strube, ein hannoverscher Jurist des 18. Jhs. Seine staatsrechtlichen Anschauungen und deren Ergebnisse, Hannover / Leipzig 1907; zum Einfluß auf Göttingen Hammerstein, Jus und Historie, 320ff. (fälschlich unter dem Namen Daniei Georg Strube). 46 Zur "Historisierung" des Naturrechts durch die Hallesche Schule vgl. Hans Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts. Eine privatrechtsgeschichtliche Studie, in: ZRG GA 56, 1936, 202-263; Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, 314ff.; Brückner, Staatswissenschaften, Karneralismus und Naturrecht, 171 ff., 189f.; Hin5 Stollberg·Rilinger
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rühmtesten Vertreter der antiquarisch orientierten eleganten Jurisprudenz, mit den Methoden der Quellenkritik vertraut gemacht. 47 Als langjähriger ständischer Syndikus in Hildesheim, später Prozeßvertreter und Rechtsberater der Regierung und schließlich Leiter der Justizkanzlei in Hannover gehörte Strube zu jenen Juristen, die in ihrer Person die ständische und die landesherrliche Perspektive miteinander vereinbarten und zu einem rechtlichen Ausgleich zwischen beiden theoretisch und praktisch beitrugen. Strubes Schriften48 können als Leitfaden dienen, um die Antwort des deutschen Territorialstaatsrechts auf die absolutistische Herausforderung in ihren argumentativen Grundzügen zu skizzieren. Sie zeigen erstens, wie die Rechtsfigur des Vertrages, als naturrechtliche Kategorie und geschichtliche Tatsache zugleich verstanden, zur historisch-juristischen Begründung der landständischen Rechte diente, zweitens, nach welchen methodischen Regeln den Landständen bestimmte Rechte beigelegt wurden, und drittens, auf welche Weise landesherrliche Majestät und landständische Mitwirkung miteinander harmonisiert wurden. 1. Zunächst zur Vertragsfigur, dem Prinzip der freien Übereinkunft verschiedener Partner, die eine wechselseitige Rechtsverbindlichkeit stiftet. 49 Wenn Strube rich Rüping, Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius und ihre Fortbildung in der Thomasius-Schu1e, Bonn 1968, 166ff.; Hammerstein, Jus und Historie, 109ff., 205 ff. 47 Zur eleganten Jurisprudenz vgl. Stintzing I Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft III/I, 233 ff.; zuletzt Ulrich Muhlack, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung, München 1991, 227 ff.; Reinhard Zimmermann, Römisch-holländisches Recht - ein Überblick, in: R. Feenstra I R. Zimmermann, Hrsg., Das römisch-holländische Recht. Fortschritte des Zivilrechts im 17. und 18. Jh., Berlin 1992, 9 - 58, hier 22 ff. zur Rolle Leidens, 52 ff. zure1eganten Jurisprudenz in der Tradition des französischen Humanismus. 48 Einschlägig zum Thema Landstände sind außer der oben Anm. 25 genannten Disputation De origine nobilitatis vor allem folgende Schriften: David Georg Strube, De statuum provincialium origine et praecipuis iuribus. Observatio IV, in: ders., Observationum iuris et historiae Germanicae decas, Hildesheim 1735, 157 - 209 (zitiert: Obs.IV); ders., De collectarum et aerariorum provincialium origine, in: ebd., 2. Aufl. Hannover 1769, 89 - 163. - Ferner zahlreiche Aufsätze in der Sammlung: Neben-Stunden, I.Ausg. Bd.I: Hildesheim 1742, Bd.II-V Hannover 1747 -1757, darin vor allem: Von Land-Ständen, (hier zitiert nach der späteren Aufl. Darmstadt 1789, II, 136 -186, als: Von Landständen); ferner: Von dem Steuer-Wesen und des Adels Steuer-Freyheit in den mittlern Zeiten, ebd. II, 1747, 337 -423; Von Regierungs- und Justiz-Sachen, ebd. III, 1750,52-123; Von dem Ursprung und Vorrechten des alten niedern Teutschen Adels, ebd. III, 489 - 553; Vom Ursprung der Landes-Hoheit in Teutschland, ebd. IV, 1755, 1 - 83; Vom Alter des niedern Teutschen Adels, ebd. IV, 436457; Erleuterung des Reichs-Abschiedes de 1654 § 180, ebd. IV, 458-491; Von dem Misbrauch und guten Gebrauch der alten Teutschen Rechte, ebd. V, 1757, 1-83; Von dem Ursprung der jetzigen Staats-Verfassung in den Chur- und Fürstlich Braunschweig-Lüneburgisehen Landen, ebd. V, 346 - 396; Betrachtungen über das Buch L'Esprit des loix genannt, ebd. V, 397 - 456. - Ders., Wiefern in Teutschland der Landesherren gesetzgebende Gewalt von ihren Landständen eingeschränket wird, und wer die darüber entstandenen Streitigkeiten zu entscheiden hat?, in: ders., Rechtliche Bedenken (1. Aufl. Hannover 1768), neu hrsg. von E.Spangenberg, Hannover 1827, Bd.II, 310 - 316. 49 Vgl. allg. zur ständischen Tradition der Herrschaftsverträge Werner Näf, Herrschaftsverträge und Lehre vom Herrschaftsvertrag, in: Rausch, Hrsg., Die geschichtlichen Grund-
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den Vertrag als Konstruktionsprinzip menschlicher Gesellschaften, insbesondere der Staaten, einführte, so meinte er damit nicht etwa eine reine Idee der Vernunft, noch verfügte er über ein Naturzustandstheorem. Er verstand den Herrschaftsvertrag, die primaeva fonnula delati imperii, vielmehr als eine empirisch auffindbare Realität, die sowohl historisch nachzuweisen als auch anthropologisch zu unterstellen war. Die aus römischem Recht und Naturrecht vertraute Annahme einer ursprünglichen Herrschaftsübertragung verband Strube in der Tradition Conrings mit den historischen Nachrichten über die "ältesten Zeiten": Das angeborene Freiheitsbedürfnis der Menschen im allgemeinen ebenso wie die von Tacitus gerühmte germanische Freiheitsliebe im besonderen machten es wahrscheinlich, und nachweisbare historische Fälle belegten es, daß die Menschen sich ursprünglich nicht bedingungslos einem Herrscher unterworfen, sondern vielmehr einen Teil der Gewalt (aliquid potestatis) zurückbehalten hätten. 50 Die durch Mitwirkungsrechte des "Volkes" beschränkte Monarchie, so der zeitgenössische Gemeinplatz, sei die allen "teutschen", d. h. germanischen Völkern gemeinsame Verfassungsform. In diesem Sinne seien Landstände nicht etwa erst durch den korporativen Zusammenschluß von Rittern und Städten und die Institutionalisierung der Landtage ins Leben getreten, sondern so alt wie die "teutsche Freiheit" selbst. 51 Gegen die Lehrmeinung einflußreicher Reichshistoriker suchte Strube nachzuweisen, daß auch die ersten fränkischen Könige in allen wichtigen Landesangelegenheiten an den Konsens, nicht den bloßen Rat ihrer Stände gebunden waren, die nicht nur als consiliarii, sondern cooperatores et veri adjutores anzusehen seien. 52 Dabei ging es ihm darum zu zeigen, daß diese Mitwirkungsrechte auf Reichsebene nicht allein dem hohen lagen der modernen Volksvertretung, I, 212 - 245; Oestreich, Vom Herrschaftsvertrag zur Verfassungsurkunde, in: ebd., 246 - 277; Rudolf Vierhaus, Hrsg., Herrschaftsverträge, Wahlkapitulationen, Fundamentalgesetze, Göttingen 1977; Gierke, Althusius, 286ff.; Hasso Hofmann, Zur Idee des Staatsgrundgesetzes, in: ders., Recht - Politik - Verfassung, Frankfurt/Main 1986,261 ff.; Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 178ff.; ders., Anfange des Rechtsstaatsgedankens in der deutschen Staatsrechtslehre des 16. bis 18. Jhs., in: R.Schnur, Hrsg., Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986, 775795; Wyduckel, Ius publicum, 161 ff.; Di1cher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz; zuletzt Wolfgang Kersting, Vertrag, Gesellschaftsvertrag, Herrschaftsvertrag, in: Geschichtliche Grundbegriffe 6, 1990,901-954. - Zur Abgrenzung gegenüber dem modernen Verfassungsbegriff Dieter Grimm, Entstehungs- und Wirkungsbedingungen des modernen Konstitutionalismus, in: D. Simon, Hrsg., Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, Frankfurt I Main 1987, 45 - 76, bes. 46 ff. 50 Strube, De origine, 46ff.; Von Landständen, § I, 136ff. - Insbesondere die Steuerfreiheit des Adels wird von Strube als Relikt der germanischen Freiheit aufgefaßt; vgl. Von dem Steuer-Wesen, in: Neben-Stunden H, 413 ff. 51 Später hat Strube dies erheblich modifiziert, vgl. unten Kap. VIII.! zur Debatte um das Alter der Landstände. 52 Strube, De origine nobilitatis, 51 ff., das Zitat 65; gegen die Lehrmeinungen von Hertius, Notitia veterum regum Francorum cA, § 3; und Burchard Gotthelf Struv, Syntagma iuris publici Imperii Romano-Germanici, 2. Auf!. Jena 1720, c.22, § I, wonach die ..teutsche Freiheit" der fränkischen Lehnsverfassung zum Opfer gefallen sei. 5*
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Adel, also den späteren Reichsständen und Landesherren, sondern dem "ganzen Volk" (was er darunter verstand, darauf ist noch einzugehen) zugekommen seien. 53 Auf dieser historischen Grundlage rekonstruierte Strube die Rechtsstellung der Stände in den allmählich sich herausbildenden einzelnen Ländern des Reiches. Dabei vereinbarte er die traditionelle Lehre, wonach die Territorialgewalt historisch aus der Reichsgewalt hergeleitet wurde,54 mit dem Gedanken eines - ausdrücklichen oder stillschweigenden - Vertrages zwischen Landesherm und Volk. 55 Der hohe Reichsadel, dessen Gewalt auf Kosten der kaiserlichen seit dem Erblichwerden der herzoglichen Ämter stetig gewachsen sei, schob sich nach Strubes Verständnis allmählich zwischen den Kaiser und das übrige Volk. Dabei blieb die ursprüngliche kaiserliche Gewalt das Maß der landesherrlichen Gewalt und konnte von dieser nicht überschritten werden: Indem die Reichsfürsten sich Teile der Reichsgewalt aneigneten, konnten sie keine größere Gewalt beanspruchen, als der Kaiser ehedem in den Ländern innegehabt hatte. Dieser konnte nicht über die Rechte Dritter verfügen und den Fürsten eine absolute Gewalt übertragen, die er selbst nicht besaß. 56 Daraus folgt, daß das Volk in den "Provinzen" seine althergebrachte Freiheit durch die Entstehung der Landeshoheit nicht einbüßte. Nur das ehemals allen Freien zukommende Recht, auf den Reichsversammlungen zu er53 Zur Zusammensetzung dieser "Volksversammlungen" bzw. "Stände" nach Strube und anderen Reichshistorikern s.u. Kap. VIII.l. 54 Vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht IV, 229 ff., dessen Urteil für das 18. Jh. nicht zutrifft: " ... da bei allen Meinungsverschiedenheiten kein Zweifel daran aufkam, daß die partikuläre Staatsgewalt nicht aus dem von ihr ergriffenen Territorialverbande, sondern lediglich aus der Reichsgewalt stamme, so war es weder erforderlich noch zulässig, bei der Konstruktion der deutschen Territorien die Lehre von der Begründung der Staatsgewalt durch die ihr unterworfene Gesamtheit zu verwenden." - Ferner Karl Kormann, Die Landeshoheit in ihrem Verhältnis zur Reichsgewalt im alten Deutschen Reich seit dem Westfälischen Frieden, in: Zs. f. Politik 7, 1914, 139 - 170, hier 160 ff.; Schubert, Reichstage, 509 ff.; Willoweit, Territorialgewalt, 113 ff., 132 ff., 160 ff.; Dreitzel, Monarchiebegriffe I, 100 f., 371 Anm. 87 f. - Trotz des fortbestehenden kaiserlichen Anspruchs, die Quelle aller Herrschaftsrechte im Reich zu sein, setzte sich schon seit dem 17. Jh. die Lehre von der Allodialität der Territorien und der Ausübung der Landeshoheit iure propria zunehmend durch; die historische Herleitung der Territorialgewalt und ihre juristische Konstruktion kamen nicht zur Deckung. 55 Daß die Landeshoheit nicht vom Kaiser herrühre, sondern schon den Stammesherzögen von ihren V61kern übertragen worden sei, lehrten die preußischen "Kurfürstenerianer" Heinrich Cocceji, Iuris publici prudentia compendio exhibita, Frankfurt/Main 1695; und Johann Peter Ludewig, Rechtliche Erläuterung der Reichs-Historie, Halle 1735, 671 ff. - Strube folgte dieser Lehre, die unbekümmert um methodische-kritische Rücksichten zeitgenössische Verfassungsverhältnisse in das frühe Mittelalter projizierte, ansonsten nicht; vgl. De origine nobilitatis, 68 ff.; Vom Ursprung der Landeshoheit, Neben-Stunden IV, 3 ff. - Ludewig faßte in diesem Sinne auch die Kameralgüter als vom Volk dem Landesherrn zur Verfügung gestellte Ressourcen für die Bestreitung der Landesbedürfnisse auf, die folglich ohne landständische Zustimmung nicht veräußert werden dürften; diese Auffassung diskutiert Strube, Obs.lV, § 18, 192 ff. - Vgl. zu Ludewig Hammerstein, Jus und Historie, 186ff.; zu Cocceji Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, I, 247. 56 De origine nobilitatis, 75 f., 87; Obs. IV, 3, 163 ff.
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scheinen, ging nach Strube verloren, nicht aber die auctoritas des Volkes in den einzelnen Ländern, seine Heranziehung zu "Provinzialversammlungen".57 Der Aufstieg der Herzöge, Grafen, Bischöfe und Äbte von kaiserlichen Amtsträgern und Vasallen zu Inhabern der Landeshoheit, so lautete die Pointe dieser historischen Rekonstruktion, habe nur mit dem Konsens des betroffenen Volkes vor sich gehen können. Die Landesherren hätten ihre Gewalt nicht auf Kosten der kaiserlichen ausdehnen können, wenn sie sich dazu nicht der Unterstützung der im Land Angesessenen versichert und ihnen im Gegenzug ihre hergebrachten Rechte und Freiheiten bestätigt oder gar erweitert hätten. 58 Hier lag für Strube der historische Ursprung der deutschen Länderverfassungen, den er zugleich mit der Vertragskategorie interpretierte. Die Landeshoheit war aus dieser Sicht gleichermaßen dem Kaiser und den Landständen geschuldet: " ... pactis cum Imperatoribus & Statibus provincialibus initis Principes Germanicos superioritatem territorialem debere". Sie konstituierte sich einerseits durch vertragsweise Unterwerfung seitens des Volkes, andererseits durch Herrschaftsübertragung seitens des Kaisers - allerdings nicht durch einen einmaligen Gründungsakt, der einen zuvor bestehenden Naturzustand beendet hätte, sondern durch schrittweise, teils ausdrückliche, teils stillschweigende Übereinkunft zwischen Herrn und Ständen, die durch kaiserliche Konfirmation bestätigt wurde. 59 Mit dieser zugleich historischen und naturrechtlichen Begründung gewann Strube ein tragfähiges Argument gegen die Lehre der "Hofjuristen", wonach die ständischen Rechte gnaden weise verliehene Privilegien des Landesherrp. seien und daher 57 Strube stützt sich dabei auf Hugo, De statu regionum Gennaniae c.4, §§ 4 - 6, § 28. Ausführlicher dazu unten Kap. VIII. I. 58 De origine nobilitatis, 73ff.; Obs. IV, 163ff.; Von Landständen, § 8, 143; § 30, 181; Vorn Ursprung der Landeshoheit, in: Neben-Stunden IV, 44, 76 f. - Ebenso Wildvogel, De statibus provo § 12, 9 f.; earoc, Begründete Deduction, 17 ff.; Johann Deneken, Neuvennehrtes Dorff- und Land-Recht, Frankfurt a. M./Leipzig 1739, 11, 126f.; Pestei, De cornitiis prov., § 5,9 ff.; Reichardt, De statibus prov., § 1,2 f.; Reinharth, De statibus provo quatenus ad Iegislationem concurrant, § 5; Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13 /1, 346 ff., 840 u.ö.; Pütter, Vorn Ursprung der Landeshoheit, in: Beyträge I, 107 - 133; als Gründungsvertrag im naturrechtlichen Sinne deutet die Entstehung der Landeshoheit außer Strube vor allem Jargow in seinen Anmerkungen zu Struv /Jargow, Diseurs, 31, 33 ff., 39. - Vgl. auch Johann Jacob Schmauss, Kurtzer Begriff der Reichs-Historie, Leipzig 1720, 116ff.: die Herzöge wurden in ottonischer Zeit "von den Land-Ständen erwählt und von den Kaysem bestätigt"; "wenn auf allgemeinen Land-Tagen wichtige Dinge abgehalten werden sollten, so giengen in ieder Provintz besondere Land-Tage vorher, auf welchen die Land-Stände mit ihrem Hertzoge Schlüsse machten, nach denen dann die auf dem Reichs-Tage in Berathschlagung gebrachte Materien ausgemacht wurden". 59 Obs. IV, § 3, 163. - Wenn im Laufe des 18. Jhs. demgegenüber wieder versucht wurde, die Landeshoheit als reine "Reichsanstalt" zu deuten, so geschah dies in der Absicht, die Landesherren von jeder Verpflichtung gegenüber den Ständen zu entbinden. So argumentierten lekstatt, Rettung der Landes-Hoheit, 33 ff., und zuletzt Gönner, Teutsches Staatsrecht, 376 ff., daß der Landesherr kein Recht habe, in Landesverträgen und Reversalien seine Hoheit einzuschränken und sich ihrer teilweise zu begeben, da er sie allein Kaiser und Reich und nicht den Ständen verdanke.
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unter bestimmten Bedingungen seiner Verfügung unterlägen. 6o Wenn die ständischen Freiheiten in die entstehenden Territorien vertragsweise immer schon eingebracht worden waren - sei es durch ausdrückliche Landesverträge und Reversalien, sei es durch rechtmäßiges Herkommen, das als stillschweigender Vertrag aufgefaßt wurde61 -, so waren sie wie die Reichsgrundgesetze Bestandteile der Landesverfassung, die nicht einseitig angetastet oder aufgekündigt werden konnte. 62 Der Geltendmachung des landesherrlichen ius eminens und der Berufung auf salus publica, necessitas oder Landesnotdurft als den Haupteinfallstoren absoluter Gewalt und Rechtsgründen zur Beseitigung ständischer Schranken galt die eindringliche Kritik aller ständefreundlichen Autoren. Die necessitas publica legitimiere zwar Eingriffe in vertraglich bestehendes Recht, doch nur beide Vertragspartner gemeinsam könnten über das Vorliegen eines solchen Notfalles urteilen und von der Vertragsbindung dispensieren. 63 60 So z. B. Stryk, De statibus prov., 5 ff.: Die landständischen Gerechtsame beruhten auf landesherrlicher Freigiebigkeit; ilrr Konsultationsrecht auf dessen Konzession, an die er selbst allerdings prinzipiell vertraglich gebunden bleibe. Christoph Lorenz von Bilderbeck, Teutscher Reichs-Staat, Leipzig 1715,239 f.: Mitspracherechte in Steuersachen genössen die Stände "melrr aus vergünstigung und indult des Fürsten als jure proprio", mit der Einsclrränkung: "wiewol sich dieses allezeit so generaliter nicht sagen läßt, indem entweder pacta expressa, oder die observanz den Ständen hierunter ein jus proprium geben und beylegen kan." - Am konsequentesten im Sinne des landesherrlichen Absolutismus Christian Thomasius, De statuum Imperii potestate legislatoria contra ius commune, Halle 1703. 61 Vgl. etwa Struv /Jargow, Diseurs, 139: "Es proponiret solches Herkommen ein zwischen dem Landes-Herren und denen Land-Ständen tacito consensu von beyden vollenzogenes Pactum, welches ohnstreitig eben die Verbindlichkeit sowohl nach denen Gesetzen der Vernunft, als denen Reichs- und bürgerlichen Rechten hat, als die ausdrückliche Pacta". Moser, Von dem Herkommen in Landes-Verfassungs-Sachen, in: ders., Rechts-Materien, 518609, referiert sämtliche Autoritäten zu diesem Thema. - Zur römisch-rechtlichen Herkunft der Lelrre von der consuetudo oder observantia als auf stillschweigendem Konsens des Volkes beruhender, unwidersprochener, gleichmäßiger und langjähriger Übung vgl. Roeck, Reichssystem, 82 ff. 62 Zum reichspublizistischen Verfassungsbegriff allg. Eberhard Schmidt-Assmann, Der Verfassungsbegriff in der deutschen Staatslelrre der Aufklärung und des Historismus. Untersuchungen zu den Vorstufen eines hermeneutischen Verfassungsdenkens, Berlin 1967, 33 ff.; zuletzt knapp Heinz Mohnhauptl Dieter Grimm, Verfassung, in: Geschichtliche Grundbegriffe 6,1990,831-899, hier 852f., 856ff., 863f.; sowie die oben Anm. 49 genannte Literatur. 63 Struv /Jargow, Diseurs, 142: "Der Vorwand, daß zuweilen salus Populi suprema Lex, eine Abweichung von solchen Pactis erfordere, ist nicht hinlänglich eine solche Abweichung zu justificiren, denn in solchen Pactis ist eben salus publica etabliret." Ähnlich Treuer, Disquisitio politica, 26; Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/1,841, 13/2, 1146ff., 1151 f., 1187f. u.ö. - Nach Caroc, Begründete Deduction, 28 ff., galt selbst für die Revokation von Privilegien, daß dies nur im beiderseitigen Einverständnis möglich sei; dagegen allerdings Strube, Von Landständen, § 29, 180 f. - Vgl. dazu vor allem die Kontroverse zwischen Moser und Ickstatt: Johann Adam Freiherr von Ickstatt, Rettung der Landes-Hoheit gegen den Mißbrauch derer Capitulationen, Landes-Verträge und Reversalien. In das Teutsche übers. und mit Anm. versehen (von Johann Jakob Moser), Frankfurt/Main 1765; dazu Fritz Kreh, Leben und Werk des Reichsfreiherrn Johann Adam von Ickstatt, Paderborn 1974, 126ff., 290
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Strobes historischem Verständnis der Landesverfassung entsprach es, das rechtliche Verhältnis zwischen Landesherrn und Ständen nicht statisch auf einen Gründungsakt zurückzuführen und als unverrückbaren Maßstab aufzufassen, sondern es als stetig in der Auseinandersetzung zwischen den Vertragspartnern und unter dem Einfluß des übergeordneten Reichsrechts sich entwickelnde Beziehung zu verstehen. Für die ständische Position war dabei wesentlich, daß nicht nur die bei der Entstehung der Landeshoheit ausgehandelten Vertragsverhältnisse den Landesherrn vollkommen banden, sondern auch die später vom bereits etablierten Inhaber der summa potestas eingegangenen Verpflichtungen den Charakter und die Bindungswirkung von Verträgen hatten 64 und sich darin als leges fundamentales von obrigkeitlicher Gesetzgebung grundsätzlich unterschieden. Darüber hinaus war den Ständen daran gelegen, daß auch dynastische Erbverträge, Hausgesetze und dergleichen, die für das Land ebenfalls den Charakter von leges fundamentales hatten und willkürlicher Änderung entzogen sein sollten, mit ihrem Konsens ausgestattet wurden. 65 Da die Landeshoheit nicht, wie man über die höchste Gewalt in anderen Ländern lehrte, allein dem Volk geschuldet war, sondern ebenso dem Kaiser, kam auch den Reichsgrundgesetzen eine wesentliche Bedeutung als Bestandteil der Landesverfassungen zu, obwohl ihr Zustandekommen der landständischen Mitwirkung entzogen war. Seit der kaiserlichen Resolution von 1671 zum § 180 des Jüngsten Reichsabschieds und seit den spektakulären Präzedenzfällen ständefreundlicher Reichsgerichtsverfahren erschien das Reichsrecht als zuverlässiger Hort landständischer Rechte. Angefangen beim Reichsweistum von 1231 und dem Reichslandfrieden Rudolfs von Habsburg von 1287 über die Wahlkapitulationen, die OsnaAnm. 1037; Rürup, Moser, 159 ff.; Schömbs, Das Staatsrecht Mosers, 272 ff.; Walker, Moser and the Holy Roman Empire, 260 ff. 64 Strube, De origine nobilitatis, 90 ff.; Von Landständen, § 27 ff., 177 ff.: Nicht nur landesherrliche Reversalien und Landtagsabschiede, sondern auch bloße landesherrliche Resolutionen und scheinbar gnadenweise erteilte Privilegien seien in der Regel "pactsweise" zustandegekommen, beruhten auf einer Gegenleistung der Landstände und seien daher für den Landesherrn verbindlich, und zwar auch ohne kaiserliche Bestätigung. Ebenso Seckendorff, Fürstenstaat, 61 f., mit Additiones, 122 f.; Caroc, Begründete Deduction, 27 ff.; Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/2, 942ff., 1124ff.; ders., Von landesherrlichen Resolutionen, so Landständen ertheilet werden, und derselben Verbindlichkeit, in: ders., Staats-Schriften, 292316; Johann Stephan Pütter, Elementa iuris publici Gerrnanici, I. Auf!. Göttingen 1754, § 692 f. 6S Strube, Obs. IV, § 19, 194f., Von Landständen, § 20, 165ff. bestreitet allerdings, daß die Landstände ein generell zu unterstellendes Konsensrecht in diesem Punkt hätten; zum ständischen Konsultationsrecht ferner Struv, Syntagma juris publici, 1323 ff., 1328 f.; Stryk, De statibus prov., 50f.; Wildvogel, De statibus prov., § 51, 33 f., § 60, 41 f.; Caroc, Begründete Deduction, 76; Pestei, De comitiis prov., § 19, 37; Deneken, Landrecht 11, 164f. u. a. Vgl. dazu Johannes Kunisch, Staatsbildung als Gesetzgebungsproblem. Zum Verfassungscharakter frühneuzeitlicher Sukzessionsordnungen, in: Gesetzgebung als Faktor der Staatsentwicklung, Berlin 1987,63 - 88, bes. 73; Heinz Mohnhaupt, Die Lehre von der "Iex fundamentalis" und die Hausgesetzgebung europäischer Dynastien, in: J. Kunisch, Hrsg., Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates, Berlin 1982,3 - 33; Jürgen Weitzel, Die Hausnorrnen europäischer Dynastien im Rahmen der Entwicklungen von Recht und Gesetz, ebd., 35 - 48.
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brücker Friedensbestimmungen und den Jüngsten Reichsabschied bis hin zu den reichsgerichtlichen Sprüchen wurde das Reichsrecht seither zunehmend im Sinne der Begründung und Befestigung landständischer Rechte vor allem im Bereich der Steuerbewilligung und der Wahrung des Religionsstatus ausgelegt. 66 Die reichsrechtliche Garantie der Landesverträge nahm vor allem der Diskussion um das ständische Widerstandsrecht gegen den vertragsbrüchigen Landesherrn die Schärfe. Der ohnehin als pestilentissimum dogma diskreditierten Lehre der Monarchomachen 67 bedurfte man nicht hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Landesherrn und Landständen, weil die Problematik des rechtmäßigen Widerstands reichsrechtlich aufgefangen wurde. 68 Da die Landeshoheit nicht allein auf einem Gründungsvertrag zwischen Herrn und Ständen beruhte, sondern stets in den Reichsrahmen eingebettet blieb, war zwischen beiden Seiten kein vorgesellschaftlicher Zustand denkbar, so daß die Frage nicht virulent wurde, ob die Hoheitsgewalt im Falle des fürstlichen Vertragsbruchs, der Thronvakanz, des Erbfolgekonflikts u.ä. an das Volk zurückfalle oder nicht. 2. Das Reichsrecht als übergeordneter Rahmen des unter Kaiser und Reichsständen vertraglich vereinbarten Rechts einerseits, die Landesverfassung als Ensemble der zwischen Landesherrn und Landständen auf Verträge bzw. Observanz 66 Zur landständefreundlichen Wirkung des Reichsrechts vgl. Strube, De origine nobilitatis, 88; Obs.IV, § 8, 176 f., § 24, 204 u.ö., Von Landständen §§ 17 f., 157 ff.; Treuer, Disquisitio politica, 27 ff.; Caroc, Begründete Deduction, 89 ff.; Deneken, Landrecht 11, 170 ff.; Moser, Abhandlung von Receß-widrigen, oder doch unbewilligten Land-Steuern, 0.0. 1765; vgl. ferner die oben Kap. 1.3, Anm. 92 zitierte Literatur zum § 180 des Jüngsten Reichsabschieds. 67 Zu den Topoi ständefreundlicher Autoren gehörte die ausdrückliche Distanzierung von monarchomachischem Gedankengut und insbesondere von Althusius; vgl. z. B. Caroc, Begründete Deduction, 2; Treuer, Disquisitio politica, 133; Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/2, 1281; vgl. auch Dreitzel, Monarchiebegriffe 11, 539 ff. - Zur Althusius-Rezeption zuletzt Gerhard Menk, Iohannes Althusius und die Reichstaatsrechtslehre. Ein Beitrag zur Wirkung der Althusianischen Staatstheorie, in: K.w. Dahm u. a., Hrsg., Politische Theorie des Iohannes Althusius, Berlin 1988, 255 - 300. Menk weist zu Recht darauf hin, daß sich die monarchomachischen Widerstandslehren auf Reichsebene nach dem Westfälischen Frieden erübrigten und auch auf der Länderebene keine direkte Rolle spielten, weil sie eine "zu gefährliche Mixtur" darstellten. Dennoch behauptet er eine über Leiden vermittelte indirekte Althusius-Rezeption Wildvogels, Treuers und Strubes, die noch auf 1.1. Moser und Pütter fortgewirkt habe (280ff.). Diese Konstruktion ist allenfalls für Wildvogel belegbar, für Strube aber völlig spekulativ, denn alle Elemente seiner Theorie lassen sich aus anderen Quellen herleiten, ohne daß man dazu der Hilfsannahme einer unterschwelligen Abhängigkeit von Althusius bedürfte. 68 Zur legalen Möglichkeit des Widerstands, gegen unrechtmäßiges Vorgehen des Landesherrn vor den Reichsgerichten zu klagen, vgl. etwa Strube, De origine nobilitatis, 66; Obs.IV, § 9, 177 ff.; Wildvogel, De statibus prov., § 72, 48; Caroc, Begründete Deduction, 29 f., 90 u.ö.; Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/1, 842ff., 13/2, 1178ff., 1191 ff., 1322ff.; H. F. Schorch, Dissertatio de limitibus superioritatis territorialis secundum leges fundamentales Imperii, Erfurt 1744, 12 ff. - Zum Abreißen der ständischen Tradition des Widerstandsrechts Wolzendorff, Widerstandsrecht, 326ff.; zuletzt Christoph Link, Jus resistendi. Zum Widerstandsrecht im deutschen Staatsdenken, in: Convivium utriusque iuris. Alexander Dordett zum 60. Geb., Wien 1976, 55 - 68.
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gegründeten Rechte andererseits schufen eine doppelte Einbindung des Landesherrn, die seiner einseitigen Verfügung entzogen war. Bei diesem Verständnis der Landesverfassung kam dem differenzierten und präzisen historischen Nachweis und der quellenmäßigen Dokumentation sämtlicher ständischer Gerechtsame in jedem einzelnen Territorium zentrale juristische Bedeutung zu. Strube machte die Historie für die Rekonstruktion der Landesverfassungen in einer pragmatischen, unparteilichen Weise dienstbar, die noch von Pütter als mustergültig gerühmt wurde. 69 Das Verhältnis der Reichsstände zu ihren Untertanen, so Strube, dürfe nicht einfach "nach der alten Latte abgemessen" werden, etwa "um eine in Abgang gerathene Befugnis den Landständen zuzueignen, die in die Zeiten des Faustrechts zurückgeht." Vielmehr bestehe "der Gebrauch, welchen Rechtsgelehrte von den Alterthümern zu machen haben, ... vornehmlich darin, daß sie die annoch gültige Befugnisse, Gesetze und Gewohnheiten daraus erklären, und, wenn keine Änderung erweislich ist, für diejenigen den Ausspruch thun müssen, so sich in der Daurung eines vor Alter üblich gewesenen Rechts gründen.,,7o Mit dieser methodischen Maxime sah sich Strube vor das Problem gestellt, einen Gegenstand theoretisch abhandeln zu wollen, der sich nach seiner eigenen Aussage verallgemeinerndem Zugriff gerade verschloß und die historische Rekonstruktion jedes einzelnen Falles erforderte. 71 Johann Jakob Moser zog daraus die Konsequenz eines ins Extrem gesteigerten positivistisch-kasuistischen Sammeleifers, der nur dank ungeheurer Ordnungs anstrengung nicht vor der Materialfülle des rechtlich Hergebrachten kapitulierte. 72 Insgesamt ging im Laufe des 18. Jhs. nicht zu69 Vgl. Pütter, Litteratur I, 441. - Zum Verhältnis von Reichshistorie und Jurisprudenz bei Strube vgl. Hammerstein, Jus und Historie, 320f.; allg. ferner zum methodischen Verhältnis von Jurisprudenz und Geschichte im 18. Jh. Joachim Rückert, Justus Möser als Historiker, in: Möser-Forum 2, 1994,47 - 67, hier 55 ff. 70 Strube, Neben-Stunden I, Vorrede, sowie dessen Aufsatz: Von dem Misbrauch und guten Gebrauch der alten deutschen Rechte, in: Neben-Stunden V, I ff.; ferner Von Landständen § 26, S. 175 ff. - Kein Geringerer als Lessing hat Strube später zum Vorwurf gemacht, daß er aus seinen historisch-juristischen Erkenntnissen keine politischen Argumente gezogen habe. Er erinnerte an die alte "deutsche Freiheit" des Volkes und die Mitregierungsrechte der Landstände "in den mittleren Zeiten", die Strube "bewiesen und belegt" habe, und bemerkte: "Das historische an dieser Abhandlung ist sehr gut, aber das politische und pragmatische desto schlechter und Sklavischer. Denn warum sollten nicht ... auch noch heutiges Tages den Landschaften alle Rechte beyzulegen seyn, womit sie vor 3 oder 400 Jahren versehen gewesen? ... Sollten wir wenigstens nicht in unseren Schriften unaufhörlich gegen diese ungerechten Veränderungen protestiren ... ?" (Collectanea, in: Sämtliche Schriften, hrsg. von K. Lachmann/F. Muncker, Bd. XV, 3. Aufl. Leipzig 1900, 227f.). 71 De origine nobilitatis, 85, 76 (unterschiedliche auctoritas der Landstände in den Territorien), 80 (unterschiedliche Gegenstände der Landtage); zur Vielfalt der Länderrechte, die eine generalisierende Behandlung erschwerten, einschränkend schon Hugo, De statu regionum Imperii, c.4, § 41, § 29; sehr skeptisch Stryk, De statibus prov., 20; ferner Fritsch, Von Landtagen, 29 f.; Hertius, De consultationibus, § 3, 5; § 6, 7; Pestei, De comitiis prov., § 3, 6 ff.; Reichardt, De iure statuum provo concurrenti circa legislatoriam potestatem, § 3,6 f. u.v.a. n Zu Mosers Methode, zu jedem staatsrechtlichen Problem sämtliche ihm bekannten Einzelfälle nach der reichsrechtlichen Rangfolge der Territorien aufzuzählen, das Material nach
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letzt dank Strubes Impulsen die Tendenz dahin, das vertraglich gesicherte Recht der einzelnen Länder zu dokumentieren und zu beschreiben. Obwohl diese Entwicklung eindeutig auf Positivierung und damit zugleich territoriale Partikularisierung der ständischen Rechte zielte, verzichteten weder Strube und andere Reichsjuristen noch selbst Moser darauf,73 allgemeine Regeln über das Verhältnis zwischen Landesherren und Ständen zu formulieren. Ein Bedürfnis nach juristischer Systematisierung ergab sich schon daraus, daß man angesichts der noch völlig mangelhaften Erschließung der Territorialgeschichte die zahlreichen Lücken in der historischen Beweisführung mit dem Rückgriff auf allgemeine Regeln und Analogieschlüsse überbrücken mußte. Für die systematische Behandlung der Länderverfassungen spielte die bei den Zeitgenossen berühmte Dissertation des Conring-Schülers Ludolph Hugo - ein Vorgänger Strubes im Amt des hannoverschen Kanzleidirektors - eine selten hinreichend gewürdigte Rolle. Nahezu alle juristischen Arbeiten des 18. Jhs. über Landstände beriefen sich auf seine Autorität. 74 Die Pointe von Hugos Arbeit lag darin, daß er für das Reich und die Länder eine streng analoge ständische Verfassungsstruktur nachwies und dies aus ihrer historischen Genese begründete. Die Analogie, wonach die Landstände sich zum Landesherrn grundsätzlich ebenso verhielten wie (ehemals) die Reichsstände zum Kaiser,75 fungierte seither als Ordnungsprinzip, um die strukturellen Gemeinsamkeiten der Länder beschreiben und erklären zu können, und diente so - trotz der Einschränkung, daß die landständiverschiedenen Klassen von Fällen zu ordnen und schließlich die Ausnahmen und Spezialprobleme zu erörtern, vgl. zuletzt Mack Walker, Johann Jakob Moser, in: H.E. Bödeker u. a., Hrsg., Aufklärnng und Geschichte, Göttingen 1986, 105 -118; ferner ders., Moser and the Holy Roman Empire, 129ff.; Schömbs, Das Staatsrecht Mosers, 196ff.; zum PositivismusVorwurf Rürup, Moser, 102 ff.; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, I, 261 f. 73 Vgl. Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1, 838 f.; ansonsten war Moser von der despotischen Wirkung generalisierender Sätze des allgemeinen Staatsrechts überzeugt; vgl. etwa seine anonym erschienene Schrift: Gedanken über das neu-erfundene vernünftige StaatsRecht des Teutschen Reichs, Frankfurt/Main 1767. 74 Ludolph Hugo, De statu regionum Germaniae (Helmstedt 1661), wieder in: ders., Exercitationes iuris publici collectae, 2. Aufl. Gießen 1689, Bd.III, Nr. 1. - Hugo (gest. 1704), war nach dem Studium in Helmstedt seit 1661 am Reichskammergericht tätig, trat 1665 als Hofrat in den Dienst Kurhannovers, wirkte u. a. als Komitialgesandter in Regensburg und wurde 1677 Vizekanzler (vgl. ADB 13, 1881, 329; Stintzing/Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, III/1, 40). Eine theoriegeschichtliche Analyse des Werkes dieses einflußreichen Politikers steht noch aus. Hugo wird in der Literatur stets neben Besold als Fortsetzer des Bundestaatsgedankens erwähnt, nicht aber in seiner erheblichen Bedeutung für das Territorialstaatsrecht. 7S Vgl. Hugo, De statu regionum, c.4, §§ 9 ff.; danach etwa Heinrich Christian von Senckenberg, Selecta iuris et historiarum, 6 Bde., Frankfurt/Main 1734 - 1742, V, praefatio, 4; Philipp Reinhard Vitriarius, Institutiones iuris publici Romano-Germanici selectae, Nürnberg / Leipzig 1727, III, 290 ff.; noch Carl Friedrich Häberlin, Handbuch des teutschen Staatsrechts, 3 Bde., Berlin 1794, II, § 197, für viele andere. Als Argument für ein Mitwirkungsrecht der Landstände bei der Gesetzgebung wurde die Analogie zum Reich z. B. ausdrücklich herangezogen von Reinharth, De statibus provo quatenus ad legislationem concurrant, § 1.
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schen Rechte seit dem Mittelalter ab-, die reichsständischen hingegen erheblich zugenommen hatten - zur Grundlage für Analogieschlüsse vom Reich auf die Länder und von einem Land auf das andere. 76 Allgemeine Regeln für die Beurteilung der landständischen Verfassungen ergaben sich also zum einen aus den Gemeinsamkeiten ihrer Entstehung, zum anderen aus ihrer fortbestehenden gemeinsamen Einbettung in die Reichsverfassung und aus den daraus resultierenden Gemeinsamkeiten ihrer Struktur. Dabei folgte man einer festen Hierarchie von Rechtsquellen, die zur Rekonstruktion der landständischen Gerechtsame heranzuziehen waren: An erster Stelle standen die zwischen Herrn und Ständen ausgehandelten und reichsrechtlich bestätigten Landesverträge, gefolgt von den einseitig erteilten, aber ebenfalls nicht willkürlich kündbaren landesherrlichen Privilegien und schließlich vom Landesherkommen, das, sofern es unangefochten war, als stillschweigende Übereinkunft beider Seiten galt. 77 All dies durfte freilich mit allgemeinem Reichsrecht nicht kollidieren. 78 Wo diese Rechtstitel nicht hinreichten, um einen Anspruch zu begründen, durfte auf Analogieschlüsse zurückgegriffen werden. Schließlich konnte - selbst von einem Rechtspositivisten wie dem älteren Moser - auch das "allgemeine natürliche Staatsrecht" als subsidiäre Instanz bei der Klärung strittiger Positionen zu Rate gezogen werden. 79 Trotz der allgemeinen Tendenz zur Positivierung des Landesrechts suchten daher Strube und andere Autoren verallgemeinernde Kataloge der landständischen Gerechtsame aufzustellen, d. h. vor allem der Hoheitsrechte, bei denen die Stände korporativ auf Landtagen beratend oder beschließend mitwirkten. Der Argumentationsspielraum lag dabei im wesentlichen darin, welche Gerechtsame man zur Regel, welche hingegen zur Ausnahme erklärte und wem man die Beweislast bei der Inanspruchnahme eines bestimmten Rechts beilegte. Daß in allen Zweifelsfällen für die Landstände zu präsumieren sei, behauptete selbst unter ständefreundlichen Autoren kaum jemand. 8o Strube legte die Beweislast jeweils demjenigen bei, der 76 Vgl. dazu Gierke, Genossenschaftsrecht I, 813 Anm. 35; Willoweit, Territorialgewalt, 114 f.; Mohnhaupt, Landstände und Gesetzgebung, 261. 77 Vgl. oben Anm. 61. 78 Zum Verhältnis von Landesverträgen und Reichsgesetzen ausführlich J.1. Moser, Von der Collision widriger neuerer Reichs-Gesetze mit älteren Landes-Compactaten, in: NebenStunden IV, 506 - 568: Danach brechen neuere "gemeine Reichsnormen" älteres Landesrecht. Ausführlich zum Rechtsquellensystem Mosers: Schömbs, Das Staatsrecht Mosers, 230 ff. Die von Strube, Moser und der Mehrzahl der Reichspublizisten vertretene Auffassung vom Vorrang des Reichsrechts vor dem Landesrecht galt allerdings nicht unangefochten; vgl. Link, Gesetz im späten Naturrecht, 166. 79 Vgl. die Rechtsquellenhierarchie bei Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/1, 838f.; Wildvogel, Oe statibus provincialibus, § 47, 31 f.; Caroc, Begründete Deduction, 26 ff.; Deneken, Landrecht 11, 131 ff.; Struv / Jargow, Diseurs, 138 ff.; Johann Stephan Pütter, Neuer Versuch einer juristischen Encyc10pädie und Methodologie, Göttingen 1767, § 6;;; Zedler, Universal-Lexicon, Bd. 16, Halle / Leipzig l737, 559 f., s. v. Land-Stand. 80 Moser, Neues Teutsches Staatsrecht, 13/2, 1150: "Die Landes-Hoheit, wie selbige durch die Landes-Freiheiten und Verträge gemäßiget ist, bleibt die Regel, und nach deren
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einen Anspruch gegen das geltende, vertraglich verbriefte Recht, das Herkommen oder die "Natur des Staates" (in dieser Reihenfolge) behauptete - eine Regel, die durchaus nicht notwendigerweise die Position der Stände begünstigte. SI WO ein ehemals geübtes ständisches Recht einmal in Abgang geraten war, blieb nach dieser Regel kaum eine Möglichkeit, es zu restaurieren. Historisch gingen Strube und nach ihm die Mehrzahl der Reichspublizisten von einem ursprünglich umfassenden und undifferenzierten Recht aus, an allen das Land betreffenden Sachen und allen Fragen der Regierung teils beratend, teils beschließend zu partizipieren. Für die Gegenwart galt indessen, daß sich diese Rechtsfülle in eine Reihe teils behaupteter, teils preisgegebener, teils umstrittener Einzelgerechtsame aufgespalten hatte. Eine allgemeine Beschränkung der landesherrlichen Hoheitsrechte, so Strube pragmatisch, widerstreite der allgemeinen Erfahrung. Durch den Verlust des adligen Fehderechts, den Wandel der Militärverfassung und die verminderte Macht des Kaisers habe sich die Rechtslage für die Landstände derart verschlechtert, daß "heutiges Tages nicht immer die Vermuthung für se1bige [streitet], wann sie behaupten wollen, daß ein Hoheitsrecht ohne ihr Zuthun nicht geübet werden könne, sondern ihnen lieget so1chenfalls der Beweiß ob."s2 Wo ein Konsensrecht der Stände nicht behauptet werden konnte, da wurde immerhin ein Recht, zur Beratung hinzugezogen zu werden, geltend gemacht. Den festen Kanon beanspruchter Rechte bildeten die Teilnahme bei der GesetzgeAnalogie haben in denen durch die Verträge und das Herkommen nicht bestimmten Fällen bald die Herrschaft, bald die Unterthanen, die rechtliche Vermuthung für oder wider sich."Schnaubert, Ist im Zweifel die Vermuthung einzelner Landesangelegenheiten für den Landesherrn oder die Landstände gegründet?, in: ders., Bey träge zum teutschen Staats- und Kirchenrecht I, Gießen 1782, 96 - 100, lehnte eine allgemeine Rechtsvermutung für die eine oder andere Seite ab und stellt die Regel auf: "Wenn ausgemacht ist, daß eine gewisse Gerechtsame ... vorhin von diesen (den Landständen) ausgeübt worden sey: so streitet in Ansehung derselben die Vermuthung für die Landstände so lange, bis der Landesherr beweißt, daß sie auf eine rechtsbeständige Weise um dieselbe gekommen seyen." Sei diese Voraussetzung aber nicht gegeben, so liege die Beweislast beim Landesherrn nur dann, wenn die Stände "ordentlicher Weise eine Konkurrentz bey wichtigem Landesangelegenheiten hergebracht haben". - Nur Caroc, Begründete Deduction, 19f., vertrat die Außenseiterposition, im Zweifel sei immer für die landständischen Rechte zu präsumieren. - Wildvogel, De statibus prov., § 46, 30 f., und Peste!, De comitiis prov., § 18, 33 f., § 20, 39 f., machten dies davon abhängig, ob es sich bei einem Land um eine monarchisch-aristokratische Mischverfassung handele oder nicht, und verlagerten damit das Problem lediglich auf die Ebene der Regierungsformendiskussion. 81 Dies zeigt sich bei der Erörterung der einzelnen von Landständen beanspruchten Rechte in Obs.lV, wo Strube z. B. in den Fragen der Landesteilung und der Thronfolge (§ 19, § 23) die Beweislast demjenigen zuwies, der ein Mitspracherecht der Landstände behauptete, in Fällen wie der Wahrung des Religionsstatus und der Steuerbewilligung hingegen demjenigen, der ein ständisches Mitspracherecht bestritt. 82 Strube, Von Landständen, § 26, 175f.; vgl. Obs.lV, § 22,199: "Obloqueretur experientiae, qui universalem lirnitationem jurium superioritatis vellet asserere." - Vgl. den Überblick über die Rechtslage der Stände in den einzelnen Territorien bei Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1, 398 ff.
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bung,83 bei Bündnissen und Entscheidungen über Krieg und Frieden,84 bei Landesteilung oder Domänenveräußerung, 85 bei Sukzessionsregelungen, Erbverträgen und ähnlichem,86 ferner die Wahrung des Religionsstatus,87 der Vortrag von Landesbeschwerden 88 und die Beteiligung an der Vormundschaft über minderjährige Regenten. 89 Der am heftigsten umkämpfte und am erfolgreichsten behauptete Kern der ständischen Rechte war und blieb das Recht zur Bewilligung der Landessteuern, das aus der alten deutschen Freiheit und der Unantastbarkeit des Eigentums hergeleitet wurde, einschließlich des Rechts der Steuererhebung, der Festlegung des Kontributionsmodus und der Verwaltung der Landeskasse. ,,verum in multis Rebuspublicis Ordines nisi in tributis fere non audiuntur,,:90 Nur in diesem Bereich galt das Kon83 Zur Teilnahme bei der Gesetzgebung vgl. Stryk, De statibus prov., 46; Wildvogel, De statibus prov., § 54, 36f.; Caroc, Begründete Deduction, 80ff.; Iargow, Einleitung zur Lehre von den Regalien, 122ff.; Deneken, Landrecht H, 160ff.; Reinharth, De statibus provo quatenus ad legislationem concurrant; Iohann Ulrich von Cramer, Von den Schranken der landständischen Concurrenz circa potestatem legislatoriam, in: ders., Wetzlarische Nebenstunden, Ulm 1766, Th.l04, 198 ff. - 1.1. Moser, Von der Teutschen Landstände Gerechtsamen bey Errichtung neuer oder Abänderung alter Landes-Gesetze, in: ders., Nebenstunden, I, 77 - 152; H, 165 - 223, und Reichardt, De iure statuum provo concurrenti circa legislatoriam potestatem, referieren sämtliche älteren Autoritäten zu dieser Frage. - Ausführlich dazu Heinz Mohnhaupt, Die Mitwirkung der Landstände an der Gesetzgebung. Argumente und Argumentationsweise in der Literatur des 17. und 18. Ihs., in: M. Stolleis, Hrsg., Die Bedeutung der Wörter. Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, München 1991, 249 - 264; ferner Link, Gesetz im späten Naturrecht, 168 ff. 84 Zur Teilnahme bei Bündnissen und Entscheidungen über Krieg und Frieden vgl. Strube, Obs. IV, § 16, 188 ff.; Von Landständen, § 13 f., 150ff.; Stryk, De statibus prov., 44f.; Fritsch, Von Landtagen, 30f.; Caroc, Begründete Deduction, 81 ff.; Deneken, Landrecht 11, 159ff.; Pestei, De comitiis prov., § 20, 39 f. u. v.a. - Vgl. Bruno Rieder, Die Entscheidung über Krieg und Frieden nach deutschem Verfassungsrecht, Berlin 1984, 54 - 88. 85 Zum Konsensrecht bei Landesteilung oder Domänenveräußerung vgl. Struv, Syntagma iuris publici, c.26, § 23, 1359; Stryk, De statibus prov., 45; Fritsch, Von Landtagen, 38 f.; Wildvogel, De statibus prov., § 53, 35 f.; Deneken, Landrecht 11, 165 ff.; Pestei, De cornitiis prov., § 19, 34ff.; Reichardt, De iure statuum prov., 15; Cramer, Von dem Recht der Landstände, bey vorgehenden Alienationibus pro conservanda salute publica sich zu interessiren, in: ders., Wetzlarische Nebenstunden, Th.64, 46ff.; ein striktes Konsensrecht behauptet nur Caroc, Begründete Deduction, 70 ff. 86 Vgl. die oben Anm. 65 zitierten Belege. 87 Zur Beteiligung bei Religionssachen vgl. Seckendorff, Fürstenstaat, 59; Stryk, De statibus prov., 51 ff.; Wildvogel, De statibus prov., § 52, 35; Caroc, Begründete Deduction, 53 ff.; Deneken, Landrecht H, 148 ff.; Pestei, De comitiis prov., 41 f.; ausführlich Christian Gottlieb Buderus, Observationes de statuum provo consensu et concursu in causis religionem remque sacrarn concernentibus, in: ders., Amoenitates iuris publici, 12 ff. 88 Zum Recht, Gravamina vorzutragen, vgl. Stryk, De statibus prov., 50; Fritsch, Von Landtagen, 39; Wildvogel, De statibus prov., § 66, 45; Caroc, Begründete Deduction, 39 ff.; Deneken, Landrecht 11,175 ff.; Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/2, 1189ff. 89 Vgl. Christian Gottlieb Buderus, De concursu statuum provincialium Gerrnaniae in tutela et cura principum suorum, in: ders., Observationes iuris publici, Nr. 10. 90 So die später vielfach zitierte Feststellung von Hertius, De consultationibus, § 6, 7.
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sensrecht der Stände als - auch reichsrechtlich gesicherte - Regel und die Abweichung davon als Ausnahme, ja als Folge landesherrlicher "Staats-Streiche".91 Die ausführliche Diskussion des ständischen Steuerbewilligungsrechts, seiner reichsrechtlichen Modifikationen und Sicherungen in der landständefreundlichen juristischen Literatur92 hatte einen defensiv-rechts wahrenden Charakter; ihr gegenüber standen die neuen kameralwissenschaftlichen Disziplinen, die entweder auf dem landesherrlichen dominium eminens und dem daraus fließenden ius collectandi oder auf der naturrechtlichen Staatszwecklehre praktisch-technische Staatsfinanzund Staatswirtschaftslehren aufbauten und in denen die Landstände als Störfaktoren tendenziell ignoriert wurden. 93 Neben den ständischen Rechten, die als Relikte eines unterstellten, ehemals allgemeinen Mitwirkungsrechts bei allen Landesangelegenheiten galten, inzwischen aber (mit Ausnahme des Steuerbewilligungsrechts) historisch nachweisbarer oder zumindest auf Analogie gründbarer Besitztitel bedurften, wurden gelegentlich auch solche Rechte aufgezählt, die den Landständen nach gemeinem Recht auf91 So Christian Georg Jargow, Einleitung zur Lehre von den Regalien, Rostock/Leipzig 1726, 523f. 92 Steuerbewilligung, -erhebung und -verwaltung als Kern der Kataloge landständischer Rechte bei Struhe, De origine nobilitatis, 80f.; Obs. IV, § 5, 170ff.; Von Landständen, §§ 911, 143 ff.; Stryk, De statibus prov., 48; Fritsch, Von Landtagen, 31 ff.; Wildvogel, De statibus prov., § 56, 38 ff.; Caroc, Begründete Deduction, 61 ff., 77 ff.; Deneken, Landrecht 11, 167 ff.; Pestei, De comitiis prov., § 19, 35 f., § 20, 41. - Auf die Einzelheiten der Steuerdiskussion, das Zentrum aller Kontroversen in den einzelnen Ländern, braucht hier nicht eingegangen zu werden, zumal ihr theoretischer Kern sich stets auf die oben genannten Grundsätze reduzieren läßt. - Aus der Vielzahl der Quellen vgl. nur etwa Struv, Syntagma iuris publici c.26, § 77, 1309 ff.; Kaspar Klock, Tractatus nomico-politicus de contributionibus in Romano-Germanico Imperio, Köln 1699, c.4, § 49; c.7, §§ l6ff.; JohannWilhelm Neumayr von Ramsla, Von Schatzungen und Steuren, Schleusingen 1632, bes. c.6, 312 ff.; F. Gerdes, De collectis et contributionibus Imperii ac Provinciarum, Greifswald 1681, § 19; D.H. Kemmerich, De jure collectarum provincialium, Jena 1732, § 12ff., 24ff.; Chr. Wildvogel, Commentatio iuridica de iure collectarum, Jena 1750, § 30, 32 f. - Historische Herleitung bei Strube, Vom Steuerwesen und des Adels Steuerfreyheit, in: Neben-Stunden 11, 337 ff.; ders., De collectarum et aerariorum provo origine, in: Obs. 111, 89 - 163; Cramer, Reliquien der alten Teutschen Freyheit, mittels welcher sich die Landesherren ... verbindlich gemacht, ohne der Landstände Einwilligung keine Onera auf das Land zu legen, in: ders., Wetzlarische Nebenstunden, Th. 64, 20-46; ferner J.J. Moser, Grund-Säze des Besteuerungs-Rechts derer Teutschen Reichs-Stände, 0.0. 1765; ders., Abhandlung von Receß-widrigen, oder doch unbewilligten Land-Steuern, 0.0. 1765; ders., Von dem Recht, die Besteuerungs-Art, oder den Modum contribuendi, zu bestimmen, in: ders., Neueste kleine Staatsschriften, Frankfurt/Leipzig 1768, 151- 164; ders., Von der Landeshoheit in Steuer-Sachen, Frankfurt/Leipzig 1773 (Neues Teutsches Staatsrecht 16/4), c.6, 585 ff. 93 Vgl. Fritz Karl Mann, Steuerpolitische Ideale. Vergleichende Studien zur Geschichte der ökonomischen und politischen Ideen und ihres Wirkens in der öffentlichen Meinung 1600-1935, Jena 1937, 11 ff.; Hermann Schulz, Das System und die Prinzipien der Einkünfte im werdenden Staat der Neuzeit, Berlin 1982; vgl. auch Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 167 ff.; zuletzt ausführlich Schwennicke, "Ohne Steuer kein Staat", 201 ff., bes. 222ff., 348, zur "verfassungsrechtlichen Steuerdiskussion", der die enge Anlehnung der Autoren an die jeweilige politische Praxis hervorhebt.
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grund ihrer Autonomie als Collegium zuzuschreiben waren, etwa das Recht, Kollekten untereinander zu erheben, das Recht, Bedienstete einzustellen, das für die Wahrung der hergebrachten Gerechtsame wesentliche Recht, ein eigenes Archiv zu führen, u.ä. 94 Die publizistischen Traktate und Dissertationen entwarfen durchaus das Bild einer ,,regulären" landständischen Verfassung, das einen tatsächlich schwankenden, umstrittenen oder kaum noch geübten Rechtsbrauch zur Norm stilisierte. So erschien etwa die Einberufung von Gesamtlandtagen noch als die unangefochtene Regel ständischer Partizipation, obwohl sie tatsächlich fast überall längst die Ausnahme geworden war. Daß überdies die einem Juristen jeweils besonders vertraute heimatliche Verfassung die Formulierung von Regel und Ausnahme beeinflußten, kann nicht verwundern. Die ständischen Verfassungen Braunschweig-Lüneburgs, Mecklenburgs, Schwedisch-Pommerns oder - trotz ihrer in vielem völlig untypisehen Struktur - Württembergs prägten daher in besonderem Maße die jeweilige Vorstellung von einer ,,regulären" Landesverfassung. Die generalisierende Beschreibung der ständischen Verfassungen, die Aufstellung von Rechtekatalogen durch Strube und andere Juristen täuscht aber darüber hinweg, wie wenig formalisiert und wie sehr von tatsächlicher Übung abhängig diese "Verfassungen" wirklich waren, und suggeriert einen höheren Grad an institutioneller Verfestigung und struktureller Einheitlichkeit, als der historischen Realität angemessen war. 3. Daß bei aller Vielfalt der Länderverfassungen auf theoretische Abstraktion nicht verzichtet werden konnte, erwies sich am deutlichsten bei der Frage, wie sich die Gesamtheit der landständischen Gerechtsame mit der landesherrlichen Hoheitsgewalt vereinbaren ließ. Für das Verhältnis zwischen Herrn und Ständen mußte eine theoretisch-abstrakte Formel, ein "allgemeiner Satz" jenseits der Einzelrechte gefunden werden, dies gestand selbst Moser als der strengste unter den reichsrechtlichen Positivisten ZU. 95 Auf die epochale Herausforderung der Bodinschen Souveränitätslehre, die das Wesen der höchsten Gewalt in ihrer Unteilbarkeit und Unabhängigkeit vom Gesetz eines Höheren oder Gleichen erblickte, hatte die Reichspublizistik eine Reihe von Antworten zur Verfügung gestellt, die sich indessen stets auf das Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsständen bezogen. 96 Gerade der "Monstrosität" der Reichsverfassung wußte die Reichspublizistik ja erheblichen Wert abzugewinnen; auf die historische Dignität des ganz und gar "irregulären" Reiches konnte sich daher Strube berufen, um den Angriff der Souveränitätstheorie gegen die landständischen Verfassungen abzuwehren. 97 Doch die Analogie in der ständestaatlichen Struktur 94 Korporationsrechte der Landstände verzeichnet etwa ausdrücklich Wildvogel, § 68 ff., 46 ff.; vor allem Caroc, Begründete Deduction, passim, vgl. dazu oben Kap. II.1. 95 Auch Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/ 1,839, zog in diesem Punkt das ,,Naturund allgemeine Staats-Recht" heran. 96 Zur Bodin-Rezeption in der Reichspublizistik vgl. die oben Anm. 8 genannte Literatur. 97 Vgl. etwa De origine nobilitatis, 89f.; Strube sprach den ,,regulären" Fonnen Bodins schlicht die historische Realität ab.
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H. Die landständische Verfassung
des Reichs und der Länder reichte nicht so weit, daß sie es erlaubt hätte, die im Reichsrecht ausgearbeiteten Kategorien umstandslos auf das Territorialstaatsrecht zu übertragen. So wurden die klassischen ständestaatlichen Ausprägungen der Souveränitätslehre, insbesondere die Theorie von der doppelten Majestät und der Grundsatz princeps maior singulis, minor universis, im Staatsrecht der Länder ausdrücklich verworfen. 98 Statt dessen fand man andere, über das Ende des Reiches hinaus wirkende Kompromißformein. Vom Charakter der fürstlichen Landeshoheit als quasi-souveräner, einheitlicher Hoheitsgewalt gingen selbst die ständefreundlichsten Juristen aus. Um die ständischen Partizipationsrechte damit gleichwohl zu vereinbaren, ohne sie auf abgeleitete, rein konsultative Funktionen zu reduzieren, wurden im wesentlichen zwei geringfügig voneinander abweichende Möglichkeiten erörtert. Die eine Lösung bestand darin, daß man die Gesamtkorporation der Stände da, wo sie einen größeren Einfluß bewahrt hatte, als aristokratischen Bestandteil einer monarchia mixta verstand: "In illis territoriis, ubi major quadam est Statuum Provincialium autoritas, isti speciem quandam aristocratiae, non purae quidem, sed mixtae constituunt. Etenim est quidem Principum Imperii in suis territoriis potestas monarchica, verum aristocratice tunc per ordines provinciales temperata. ,,99 Dies war allerdings nicht so zu verstehen, daß die Hoheitsrechte im Sinne einer Gewaltentrennung unter Landesherrn und Ständen aufgeteilt wären und die Stände einzelne dieser Rechte privative an sich ziehen könnten,100 sondern so, daß die Hoheitsrechte gemeinschaftlich innegehabt würden: "majestas, vel aliqua ejus particula, cum ordinibus communicatur".101 Die Stände waren allerdings nach dieser Auffassung, insofern sie korporativ an den Hoheitsrechten teilhatten und darin mit dem Landesherrn "communicirten" oder "concurrirten", als Gesamtkorporation keine Untertanen, sondern coimperantes. 102 98 Zur Lehre von der doppelten Majestät, wonach nur die maiestas personalis dem Monarchen, die maiestas realis aber den Ständen bzw. dem "Volk" zukomme, das damit als universitas dem Monarchen übergeordnet sei, ablehnend z. B. Strube, De origine nobilitatis, 66 Anm. d. - Vgl. allg. Dreitzel, Monarchiebegriffe I, 99ff. 99 Wildvogel, De statibus provincialibus, § 46, 30 ff., in Anlehnung an Grotius, De jure belli ac pacis, 1,3, I O. Ebenso z. B. Pestei, De comitiis prov., § 18, 33 f. 100 Strube, Obs. IV, 186: " ... tarn irregulares Respublicae Germanicae non sunt, ... ut in iis superioritas pluribus divisim competat". Caroc, Begründete Deduction, 22, 36ff. 101 So und in ähnlichem Wortlaut Strube, De origine nobilitatis, 48, 86 ff. gegen den anonymen "Discurs" von 1709; ferner die Diskussion des Majestätsproblems in Obs. IV, 201 f. Nach Caroc, Begründete Deduction, 22, 36ff., nehmen die Landstände "an den Regalien des Landesherrn theil". 102 Strube, De origine nobilitatis, 93: "Quatenus participes fiunt status jurium quorundam majestaticorum, v.g. legum ferendarum, collectandi &c. eatenus non sunt subditi, sed coimperantes". - Vgl. Obs. IV, § 23, 201 f., wo Strube noch einmal ausführlich die Majestätsproblematik erörtert. Ebenso noch Pütter, Ob und wie weit in Teutschen Fürstenthümem und Grafschaften den Landständen ein Mitregierungsrecht beygelegt werden könne?, in: ders., Bey träge I, 179 - 185.
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Wem diese Fonnel zu weit ging und wer stattdessen die Landstände nicht nur einzeln, sondern auch korporativ als Untertanen qualifizierte - und dazu zählten in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. die meisten Juristen einschließlich des älteren Moser _,103 der griff auf die Unterscheidung zwischen dem Besitz der summa potestas selbst und deren bloßer Ausübung zurück und wies den Ständen eine korporativ geübte Teilhabe nur an der letzteren zu. 104 Damit war allerdings keinesfalls eine bloße Delegation von öffentlichen Funktionen an die Stände als Werkzeuge der monarchischen Vollgewalt gemeint, wie sie selbst Bodin einräumte;105 die ständische Teilhabe an der Ausübung der landesherrlichen summa potestas wurde gerade nicht als ein delegiertes, sondern als ein beiderseits vertraglich vereinbartes Recht aufgefaßt. Bestimmte landesherrliche Hoheitsrechte, so hieß es vielmehr, könnten ohne Konsens der Stände nicht rechtmäßig ausgeübt werden. Ob die Landstände nun "Mitregenten" seien oder nicht, ob sie an der summa potestas selbst teilhätten oder ob nur deren Ausübung an ihren Konsens gebunden sei - das faßten Strube und andere ständefreundliche Juristen gern als scholastischen Streit um Worte auf,106 der ihnen durch die Bodinsche Souveränitätstheorie aufge103 So die herrschende Meinung der Reichspublizisten, z. B. Gabriel Schweder, Introductio in ius publicum Imperii Romano-Germanici novissimum, 7. Auf!. Stuttgart 1711, 823 f.; Seckendorff, Fürstenstaat, 125f. - Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1,715, 839ff.; 13/2, 947f., 1187ff.: Landstände seien ,,keine Cor- oder Mitregenten ihres Landes-Herrns", denn Staatsrecht und Erfahrung aller Zeiten und Völker "wissen eigentlich und ordentlicher Weise nur von Regenten und Unterthanen"; sie seien aber ebensowenig bloße Ratgeber oder gar Werkzeuge des Regenten, denn dieser sei in bestimmten Fällen an ihren Konsens gebunden. - Die Formulierung, daß die Stände keine Mitregenten seien, sondern nur bei der Ausübung gewisser Hoheitsrechte konkurrierten, setzte sich allgemein durch; vgl. z. B. Schnaubert, Staatsrecht der gesammten Reichslande, 41; Häberlin, Teutsches Staatsrecht 11, 74; für viele andere. 104 Im Anschluß an Grotius, De jure belli ac pacis 1,3,16 - 18; Pufendorf, De jure naturae et gentium VII,5,13 und VII,6,lO; vgl. Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 184 ff.; Dreitzel, Monarchiebegriffe I, 99 ff., H, 634 ff.; ders., Absolutismus und ständische Verfassung, 45 ff., 96 ff.; vgl. dazu unten Kap. IY.2. lOS Bodin, Sechs Bücher über den Staat 11,2, 337, unterschied bekanntlich Staatsform ("estat") und Regierungsform ("gouvernement") und reduzierte die ständische wie die magistratische Teilnahme auf letztere; dazu Quaritsch, Staat und Souveränität, 308 ff. - Ebd. III,7, 524ff., 543ff. rubrizierte Bodin die Stände gemeinsam mit Zünften, Universitäten, Gemeinden etc. unter dem Oberbegriff Kollegien und Korporationen als ..gesetzmäßige Rechtsgemeinschaft[en] unter der souveränen Gewalt" und betonte deren administrative Nützlichkeit für die Zentralgewalt und ihren integrierenden Effekt. - Vgl. in diesem Sinne z. B. Peter von Ickstatt, Säze von dem Majestäts-Recht der Obristen Herrschaft und dessen Folgen; mit Anm. darüber (von J.J. Moser), 0.0. 1765, 14: "Die obriste Herrschaft darf von niemand anderem ausgeübet werden, als von dem, welchem die Regierung des Staats zukommt; mithin können Unter-Obrigkeiten, auch andere Unterthanen, sich derselben nicht, als eines eigenen Rechts, anmaßen, wohl aber aus Befehl des Regentens, oder kraft eines allgemeinen oder besonderen Gesetzes, sich zu der Ausübung derselbigen gebrauchen lassen"; was Moser in der Anm. heftig bestritt. 106 Strube, Obs. IV, 202; Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/ I, 839; ebenso noch August Ludwig Schlözer, Allgemeines StatsRecht und StatsVerfassungsLere, Göttingen 1793, ND 1970,95, 144.
6 Stollberg·Rilinger
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II. Die landständische Verfassung
nötigt worden sei, aber am Kern der Sache vorbeigehe. Das eigentliche Anliegen von Strube über Moser bis zu Häberlin 107 offenbart sich erst bei der Frage, was übereinstimmend als unantastbarer Kern landständischer Teilhabe jenseits aller territorialer Unterschiede fixiert wurde. Geht man dieser Frage nach, so zeigt sich, daß von einem Anspruch auf aktive politische Partizipation kaum noch die Rede sein konnte, sondern daß es nur noch um die Konservierung überkommener Rechtsbestände ging. Besonders deutlich läßt sich dies etwa an der Frage der ständischen Teilhabe an der Gesetzgebung, aber auch am Begriff der Landesgravamina nachweisen. Strobe leitete das Recht zur Mitwirkung bei der Gesetzgebung historisch daraus her, daß ,,keine Landesobrigkeit durch willkührliche Gesetze ihrer Unterthanen Frey- und Gerechtigkeiten schmälern" dürfe. 108 Daraus folge für die Gegenwart, die ja durch eine erhebliche Ausweitung der landesherrlichen Gesetzgebung gekennzeichnet war, daß der ständische Konsens immer da, aber auch nur da unbedingt erfordert werde, wo die geplanten Gesetze das mit der Landschaft vertraglich gesicherte Recht berührten. Aus demselben Grund gehörten etwa der Religionsstand und nicht zuletzt die Steuererhebung zum Bereich dessen, wozu ständischer Konsens unbedingt reklamiert wurde. In allen darüber hinausgehenden Fällen sprach Strobe den Ständen hingegen ein regelmäßig anzunehmendes Konsensrecht grundsätzlich ab: Mache der Landesherr "in der Absicht das gemeine Beste zu befördern, Verfügungen, welche niemandens unwiderrufliche Rechte schmälern, die Landstände zögen jedoch deren Nutzen in Zweifel, und widerriethen die Neuerung, alsdenn ist der Landesherr unverbunden, ihrem Rath zu folgen." 109 Die gleiche Unterscheidung begegnet in der Frage, inwiefern der Landesherr verpflichtet sei, den von den Ständen vorgetragenen Beschwerden stattzugeben und die beklagten Mißstände zu beheben. Strobes Antwort lautete, daß - unabhängig davon, ob es sich um "gemeine oder besondere" Beschwerden handele - der Landesherr nur solche Gravamina abzustellen verpflichtet sei, die "den Rechten und Landesgesetzen" zuwiderliefen. Hingegen könne er alle Klagen, die auf "Verbesserung" abzielten und die man deshalb mancherorts "und zwar sehr wohl, Monita politica" nenne, nach Willkür behandeln, je nachdem, ob er sie "der Billigkeit und den Regeln der politischen Klugheit gemäß zu seyn findet".11O
Zu Häberlin ausführlich unten Kap. VII. 1. Strube, Von Landständen, § 12, 148ff.; vgl. Obs. IV, § 15, 187ff.; Rechtliche Bedenken, Nr. 473, 3IOff.; Von Regierungs- und Justiz-Sachen, in: Neben-Stunden III, 52ff. 109 Strube, Rechtliche Bedenken, Nr. 473, 311; ebenso Reinharth, De statibus provo quatenus ad legislationem concurrant, § 12; Reichardt, De iure statuum circa 1egislatoriam potestatem, § 15, 32 ff.; Häberlin, Teutsches Staatsrecht, II, 52. 110 Strube, Von Landständen, § 22f., 168ff., hier 171. - Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1, 1189 ff., folgte Strube darin wörtlich (1193 f.), unterschied beide Arten von Klagen auch terminologisch und sprach von Landesbeschwerden im Gegensatz zu bloßen Landesdesiderien. Danach noch Häberlin, Repertorium, s. v. Landesbeschwerden. 107 108
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Formulierungen wie diese offenbaren die grundsätzliche Antinomie, auf die sich das ständefreundliche Territorialstaatsrecht seit Strube zunehmend zurückzog. Der Politik, die sich mit Fragen des Gemeinwohls als des bloß Nützlichen (utile) beschäftigte, stand das vertraglich gesicherte und beiderseits verbindliche Recht gegenüber. Die Definition des Gemeinwohls, der wichtigste Schlüssel zur Ausdehnung der Herrschaftsrechte und des politischen Gestaltungsspielraums, wurde dem Landesherm kampflos und - nach dem kritischen Urteil Mosers - auch bereitwillig überlassen,111 wenn nur das vertraglich fixierte Recht dieser Gestaltung entzogen blieb - und zwar auch dann entzogen blieb, wenn es der vom Landesherm definierten necessitas oder salus publica entgegenstand. Das Nützlichkeitskriterium, das stets gegen die landständischen Konsensrechte geltend gemacht wurde, gab Strube freiwillig preis. Er gestand wie viele andere Reichspublizisten gern zu, daß unter Effizienzkriterien die ständisch beschränkte der absoluten Monarchie unterlegen sei. Dagegen machte er geltend, mangelnde Effizienz könne kein Argument gegen bestehende Rechtsverhältnisse abgeben. Nicht von Nützlichkeit (utile), sondern von Gerechtigkeit (iustum) sei im Verhältnis zwischen Landesherm und Ständen die Rede. 112 Dieses Verhältnis seines politischen Charakters zu entkleiden und als reines Rechtsverhältnis zu begreifen, erschien als sicherste Zuflucht gegenüber dem absolutistischen Zugriff, nicht zuletzt deshalb, weil so die politischen Konflikte zwischen Fürst und Ständen in Form von Reichsgerichtsprozessen ausgetragen werden konnten. Die Verrechtlichung politischer Auseinandersetzungen, zu der die Reichspublizistik einen unerläßlichen Beitrag leistete, kam den Landständen im Abwehrkampf gegen den fürstlichen Absolutismus ebenso zustatten wie zuvor den prote111 Moser bemerkte gelegentlich kritisch, daß "die wenigste Land-Stände sich um das lucrum captandum, oder wie das Land in einen besseren Nahrungs-Zustand und in eine bessere Policey-Verfassung zu bringen seye, bekümmern" (Neues teutsches Staatsrecht, 13/2, 1305), und konnte sich "des Gedanckens nicht erwehren", daß Staatsklugheit und Staatsrecht miteinander verbunden werden müßten, "wann ein Staat glücklich seyn solle" (ebd., 1380). An anderer Stelle trug er den Landständen ausdrücklich auf, sie sollten "sich ein Haupt-Geschäffte daraus machen, daß das Land in einen immer blühenderen Zustand versezet und dem Unterthanen immer mehr Nahrung verschaffet werde, daß das Geld nicht zum Land hinausgehe, sondern darinn bleibe und circulire, auch fremdes hineingezogen werde; daß man die Natur Gaben des Landes immer besser erkenne, ben uze und erhöhe, den Mängeln desselben durch Kunst und Fleiß immer mehrers und möglich abhelffe etc. . .. nicht aber, aus einem schwachen und thörichten Vorurtheil gegen alle eingebildete Neuerungen, alles ungeprüft verwerffen, sich bloß paßiv verhalten, und sich gleichgültig seyn lassen, ob die Landes-Nahrung und Kräfften zu- oder abnehmen" (ebd. 13/1, 846). 112 Strube, De origine nobilitatis, 89: "Licet enim concederemus sub eiusmodi imperio [i.e. limitato1 difficilius posse obtineri finem reipublicae, tarnen paralogismus est ... , quod ea, quae incommoda trahere possunt, nullo modo ferenda sint." Ebd. 94: "Nobis enim non est quaestio de eo quod utile, sed quod iustum est." Vgl. Von Landständen, § 15, 154. - Abwägend zur politischen Nützlichkeit starker Landstände ferner earoc, Begründete Deduction, 7 ff.; Struv / Jargow, Diseurs, 112 f. (Anm. Jargows); Referat verschiedener Autoritäten zu dieser Frage bei Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1, 485 ff.
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II. Die landständische Verfassung
stantischen Reichsständen im Konflikt mit dem Kaiser. Der Preis dieser Juridifizierung war indessen ein struktureller Konservatismus, ja Immobilismus und der Verzicht auf Partizipation in all jenen Bereichen, die nicht rechtlich fixiert waren oder sich rechtlicher Fixierung überhaupt entzogen. 113 Mit ihrem Rückzug aus der Politik auf das vertraglich gesicherte Recht leisteten die Stände selbst der Entwicklung Vorschub, daß Landesrechte und -freiheiten einerseits und das aktiv vom Landesherm gestaltete Gemeinwohl andererseits begrifflich in Gegensatz zueinander gerieten, wie etwa der ältere Moser beklagte. Während es den Landesherren vielfach gelang, die Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt für sich in Anspruch zu nehmen, fiel es andererseits leicht, die Stände eines Landes als Privilegienwahrungsverein und - mit den Worten des anonymen Diseurses von 1709 - als respublica in republica zu disqualifizieren. Der Blick wurde im Laufe des 18. Jhs. zunehmend auf die Frage gelenkt, wessen wohlerworbene Rechte und Freiheiten da eigentlich gewahrt wurden, wenn von Landesgrundgesetzen oder Landesgravarnina die Rede war. Die Ambivalenz dieser Begriffe trat zunehmend ins Bewußtsein: ,,Landes-Freyheiten heissen eigentlich diejenige Rechte und Befügnisse, welche einem jeden Einwohner eines Landes, oder doch wenigstens einem jeden Bürger desselbigen ... zustehen. In engerem Verstand nennet man auch diejenige Rechte Landes-Freyheiten, welche denen Land-Ständen, als Vorstehern und Repräsentanten des ganzen Landes, zukommen. Ja man begreiffet auch wohl unter diesem Namen mit diejenige besondere Gerechtsamen, welche einer oder der andern Classe derer Land-Stände oder Unterthanen, z.E. dem Adel, denen Stätten, u.s.w. allein gehören; zumalen wann selbige in denen allgemeinen Landes-Freyheits-Briefen und Urkunden gegründet seynd.,,114 Die umstandslose Gleichsetzung von "Ständen" und "Volk" oder "Land", wie sie noch für Strube durchaus selbstverständlich war,115 begann problematisch zu werden. Der Punkt, an dem diese Problematisierung des Verhältnisses zwischen den Ständen und der Gesamtheit der Untertanen in der theoretischen Diskussion am deutlichsten greifbar wird, ist der Repräsentationsbegriff.
113 Vgl. die übereinstimmenden Urteile etwa von Brüclener, Staatswissenschaften, 258, 288; Willoweit, Territorialgewalt, 169; Roeck, Reichssystem, 151 ff.; Stolleis, Glaubensspaltung und öffentliches Recht, 289 ff.; ders., Tradition und Innovation in der Reichspublizistik nach 1648. - Zu Strobe im besonderen ferner Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 47ff.; 84ff.; 190ff., bes. 85: Die Verhältnisbestimmung zwischen Polizei (im älteren Sinne) und Justiz könne geradezu als ,,Indikator für das Verhältnis von fürstlicher Gewalt und ständischer Gesellschaft gelten". 114 Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/ I, 942. 115 Strohe sprach in der Regel von Rechten des Landes, gelegentlich aber in dem gleichen Kontext auch nur von Rechten der Stände, die zu wahren seien, so z. B. Von Landständen, § 22f., 169f.
III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik Der Begriff der Repräsentation kam zur Kennzeichnung der landständischen Verfassungen keineswegs erst, wie oft behauptet worden ist, im Laufe des 18. Jhs. unter dem Einfluß der Aufklärung ins Spiel. 1 Vielmehr hieß es schon in dem ersten nachweisbaren juristischen Spezialtraktat zum Thema Landstände,2 daß die Landstände die Untertanen "vorstellten" bzw. "repräsentierten". Die Wendung "subditi vel Ordines, qui subditos repraesentant, die Landstände" war ein fester Topos. Um zu klären, was damit gemeint war und was nicht, muß etwas weiter ausgeholt werden.
1. Landstände als Herrschaftsstände, Bürger oder Untertanen Das Reichs- und Territorialstaatsrecht beschäftigte sich, wie gezeigt worden ist, vornehmlich mit den Rechten der Landstände und deren Verhältnis zu den landesherrlichen Hoheitsrechten und definierte die Stände von ihrem Verhältnis zum Landesherrn her: ,,Land-Stände seynd und heisset das Corpus derjenigen Unterthanen, welche, Krafft der Landes-Freyheiten und Herkommens, von dem LandesHerrn in gewissen Landes-Angelegenheiten um ihren Rath, oder auch Bewilligung, angesprochen werden müssen".3 Die Frage, was denn eigentlich zur Landstandschaft qualifiziere, d. h. wer denn eigentlich die Landstände seien, die diese Rechte innehätten und auf Landtagen ausübten, wurde im Sinne des reichspublizistischen Positivismus - gewissermaßen tautologisch - so beantwortet: Ein Landstand, hieß es in der Regel, sei eine einI So vor allem Renger, Landesherr und Landstände, 46 f., unter Berufung auf Moser, Möser und Pütter: "Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. wurde der Begriff in das Staatsrecht eingeführt" und fortan "als alleinige Rechtfertigung der landständischen Verfassung angesehen". Renger deutet die Aufnahme des Begriffs als Indiz für eine ,,Fortbildung des landständischen Selbstverständnisses aus der privatrechtlichen Privilegierung zur verfassungsmäßigen Aufgabe", sieht den Prozeß also umgekehrt verlaufen wie Gierke oder Oestreich (vgl. oben I.1). - Vgl. dagegen schon Walz, Stände und frühmoderner Staat, 26ff. - Rengers These und seine Quellenbelege sind in der Folgezeit von den meisten Ständehistorikern übernommen worden. 2 Nämlich in dem Traktat des Schwarzburg-Rudolstädter Hof- und Justizrats und späteren Kanzlers Ahasver Fritsch, Tractatio de conventibus provincialibus. Von Landtagen, Gera 1670,31. 3 Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1, 322.
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
zeIne Person oder eine Korporation, die das Recht der Landstandschaft nachweislich besitze, d. h. im Lande angesessen sei und über Sitz und Stimme auf Landtagen verfüge. Mit den Worten des älteren Moser: bei der Bestimmung der Landstandschaft komme es "einig und allein auf das Sitz- und Stimm-Recht auf LandTagen an ... : Wer dieses hat, ist ein Land-Stand; und wer es nicht hat, ist keiner. ,,4 Viel juristische Mühe wurde in der Regel noch bis ins 18. Jh. verwandt auf die Frage der Unterscheidung zwischen Landsassen und Landständen, das Problem der Landstandschaft von Grafen und Herren, die zugleich Reichsstände waren und über Landeshoheit in eigenen Territorien verfügten, und die Frage, inwiefern aus der Landstandschaft auf Landsässigkeit bzw. Untertänigkeit geschlossen werden könne. Man referierte damit die überkommenen juristischen Lösungen für das Konfliktpotential, das sich aus der Durchsetzung der Landeshoheit und des Territorialprinzips gegenüber konkurrierenden adligen Herrschaftsträgern ergeben hatte. 5 Das Recht der Standschaft, so lautete die herrschende Lehre, hänge entweder an bestimmten herrschaftlichen, "freien" Gütern, die in Landesmatrikeln verzeichnet seien, wobei die Rezeption des Inhabers durch die ritterschaftliche Korporation hinzukommen müsse,6 oder es komme Korporationen - Städten, geistlichen Kollegien, Universitäten, im Ausnahmefall auch bäuerlichen Gemeinden oder Ämtern 7 - aufgrund von Herkommen oder Privilegien zu. Dabei führte man 4 Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/ I, 322ff. - Vgl. Zedler, Universal-Lexicon, XVI, Sp. 558, s.v. Land-Stand: "eine Landeseingesässene eintzele Person oder commun, welche mit unbeweglichen Gütern im Lande angesässen, daneben Stimme und Sietz auf denen LandTagen hergebracht hat." In Anlehnung an Hugo, De statu regionum Germaniae, cA, §§ 12 ff., wurde stets auf die Analogie zur Reichsstandschaft hingewiesen. Vgl. ferner Schweder, lus publicum, 868 f.; Fritsch, Von Landtagen, 11 f.; Stryk, De statibus prov., 11 f.; Wildvogel, De statibus prov., §§ 14 - 21, 11 ff.; Pestei, De comitiis prov., § 11, 19 ff.; Deneken, Landrecht 11, 146; Reichardt, De statibus provo eorumque juribus, 4, u.v.a. 5 Vgl. dazu Karl Heinrich Geisler, Commentationes de Landsassiatu, Marburg 1781; die meistzitierte Autorität in diesen Fragen, Johann Schilter, Dissertatio de Land-sassiis, de Schrift-sassiis et de Amt-sassiis, war mir nicht zugänglich. 6 Ludolph Hugo, der den Gang der Diskussion vorzeichnete, setzte die Landstandschaft in Analogie zur Reichsstandschaft, die in der Regel ebenfalls an die Herrschaft über ein Reichsterritorium gebunden sei. Hugo formulierte als Regel, daß ein adlig Geborener ohne Rittergut nicht, ein bürgerlicher Erwerber eines Ritterguts hingegen sehr wohl in den Genuß der Standschaft gelange. Die abweichende Praxis, bürgerliche Eigentümer nicht zuzulassen, wurde in der Regel ausdrücklich kritisiert. Vgl. Hugo, De statu regionum Germaniae, cA, § 13; danach Fritsch, De conventibus prov., 11 f.; Reichardt, De statibus prov., § 4, 7 f.; § 7 f., 11 ff.; Caroc, Begründete Deduction, 12ff. - Andere Autoren diskutierten die "Mischung" personaler und realer Gründe der Standschaft, da für den Zugang zur Standschaft der bloße Besitz des Gutes nicht ausreiche, sondern in der Regel als persönliche Qualifikation auch die Aufnahme seitens der Ritterkurie erforderlich sei. Vgl. Stryk, De statibus prov., 11 f.; Wildvogel, De statibus prov., §§ 15f., 11 ff.; § 29, 19f., der das Recht der Standschaft deshalb als teils personal, teils real bezeichnete; Pestei, De comitiis prov., § 12,21 ff. - Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1, 499 ff., lehnte jede "gewisse Regul" ab, verwies auf das jeweilige Herkommen und referierte eine Reihe einzelner Fälle, wo die Landstandschaft nicht oder nicht allein an den Güterbesitz gebunden sei (Personalisten; konfessionelle Qualifikation etc.). - Vgl. dazu auch unten Kap. VIIIA.
I. Landstände als Herrschaftsstände, Bürger oder Untertanen
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auch die Landstandschaft der Prälaten auf die territoriale Zugehörigkeit der Stiftsgüter zurück, nicht auf das Recht der geistlichen Korporation als solcher. 8 Das Recht der Standschaft werde entweder persönlich kraft Eigentumsrecht oder von Korporationen durch deren Vorsteher kraft Amtes ausgeübt. Was bei dieser und ähnlichen Definitionen gerade nicht in den Blick genommen wurde, war das Verhältnis der so Herausgehobenen zu allen anderen Untertanen, wie es für die Stände anderer Länder, etwa die französischen Generalstände, zur Definitionsgrundlage diente. 9 So hieß es z. B. in einer frühen einschlägigen Disputation, im allgemeinen verstehe man unter Ständen ..certum corpus, collectum ex certis viris deputatis, qui ex deputatione publica vel privata, ordines et populum totius provinciae repraesentant". Im Gegensatz dazu sei in den Ländern des Reiches ein Landstand, ..qui vel ex possessione bonorum, vel privilegio aliquo ac observantia, votum ac sessionem in comitiis seu diaetis provincialibus obtinuit".l0 Wer nicht persönlich oder als Mitglied einer Korporation landtags berechtigt war, von dem wurde bei der Erörterung verfassungsrechtlicher Fragen gar nicht gehandelt: ..De coeteris subditis, qui Status non sunt, quoniam in administratione Reip. momentum non habent, non attinet multa dicere. ,,11 7 Daß darunter gelegentlich auch bäuerliche Gemeinden bzw. Ämter zu verstehen seien, war der Reichspublizistik im 17. und 18. Jh. zwar noch präsent, wurde aber stets als seltene Ausnahme verzeichnet, wobei Ostfriesland die prominenteste war. Vgl. Schilter, Institutiones iuris publici I, 256; Hugo, De statu regionum Germaniae, cA, § 25; Fritsch, De comitiis prov., 12; Stryk, De statibus prov., 5f.; Wildvogel, De statibus prov., § 34, 22; Strube, Obs. IV, 175, 205; Deneken, Landrecht H, 146; Reichardt, De statibus prov., § 6, IOf. (Friesland als einzige Ausnahme). - Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1, 484, bezeichnete es als natürlich, daß in Ländern ohne Städte (nicht: ohne Adel) ..die Bauernschafft der Land-Standschafft fähig" sei, wie etwa in Kempten oder Hadeln; ganz außerordentlich aber sei der Fall Ostfrieslands, wo die Deputierten des platten Landes neben Ritterschaft und Städten eine eigene ..Klasse" darstellten. Eine größere Zahl von Fällen nannte Häberlin, Teutsches Staatsrecht H, § 199,58 f., der auch den Zusammenhang mit dem Fehlen des landsässigen Adels erkannte; ebenso Adolf Felix Heinrich Posse, Über das Staatseigenthum in den deutschen Reichslanden und das Staatsrepräsentationsrecht der deutschen Landstände, Rostock I Leipzig 1794, 205 ff.; vgl. zu diesem strukturellen Zusammenhang Blickle, Landschaften im Alten Reich. 8 Zur Standschaft der Prälaten Hugo, De statu regionum IV, 15 - 17; Johann Nikolaus Myler von Ehrenbach, De principibus et statibus Imperii Romano-Germanici eorumve praecipuis iuribus, 2. Aufl. Stuttgart 1658, H, cA5, § 4; Stryk, De statibus provo 4 ff.; Wildvogel, De statibus provo § 22, 16; Caroc, Begründete Deduction, 13. 9 Eine Ausnahme machte Speidei, Speculum, 765, S.V. Landräth/Landschafft; dort ist die Rede von ..personae ... eiusmodi Conventus constituentes, Status seu Ordines ex uni verso corpore sumpti". In dem Artikel Stände I Landständ I Landschafft, (ebd., 1178f.) zitierte Speidei die Definition von Althusius: ..Ephori sunt, quibus populi in Corpus Politicum consociati consensu, demandata est summa Reip. universalis consociationis, ut repraesentantes eandem, potestate et iure illius utantur in Magistratu summa constituendo", die in der Folge nur ablehnend oder gar nicht mehr angeführt wurde (vgl. z. B. Moser, Neues teutsches Staatsrecht 131 1,342). - Zur am französischen Modell ausgerichteten Definition von status provinciales bei Althusius (Politica VIII, 40 - 49) vgl. unten bei Anm. 51. 10 Wildvogel, De statibus prov., § 13, IOf. 11 So lakonisch Hugo, De statu regionum Germaniae, cA, § 26.
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
Dem entsprach, daß die Stände mit den cives der aristotelischen Politik identifiziert wurden. 12 In diesem Sinne hatte Conring die Reichsstände als Bürger des Reiches definiertY Conrings für die Theorie der landständischen Verfassung höchst einflußreicher Schüler Ludolph Hugo übertrug dessen Begriff der Reichsstände als Reichsbürger auf die Landstände und prägte damit eine feste Lehrtradition: "Illi [status provinciales] proprie cives sunt, qui ab Aristot.2 Polit.l tes arches politikes koinonia censentur.,,14 Auch der römische Bürgerbegriff wurde herangezogen, um den Status der Landstände zu fassen; so bemerkte der sächsische Zivilist Schilter, was die Römer cives genannt hätten, das nenne man nun status oder ordines. 15 Der klassische Bürgerschaftsbegriff erfaBte die Landstände als Gesamtheit der politisch Mitspracheberechtigten, der an der res publica Beteiligten, und konnte so mit dem Begriff des populus, des Volkes, identifiziert werden; 16 die Landtage 12 Zum aristotelischen Bürgerbegriff und seiner Rezeption vgl. Manfred Riedei, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, in: Geschichtliche Grundbegriffe I, 1972,672 ff.; Wolfgang Mager, Republik, in: ebd. V, 563 ff.; ders., Res publica und Bürger, in: G. Di1cher, Hrsg., Respublica. Bürgerschaft in Stadt und Staat, Berlin 1988, 67 - 84; Michael Stolleis, Untertan, Bürger, Staatsbürger, in: ders., Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, Frankfurt/Main 1990, 299-339, bes. 300f.; Horst Dreitzel, Grundrechtskonzeptionen in der protestantischen Rechts- und Staatslehre im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: G. Birtsch, Hrsg., Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1987, 180214, hier 200ff.; zuletzt die präzise Studie von Andrea Löther, Bürger-, Stadt- und Verfassungsbegriff in frühneuzeitlichen Kommentaren der Aristotelischen Politik, in: R. Koselleck/K. Schreiner, Hrsg., Bürgerschaft. Rezeption und Innovation der Begrifflichkeit vom Hohen Mittelalter bis ins 19. Ih., Stuttgart 1994,90-128. - Wenig hilfreich für diesen Zusammenhang ist Paul Weinacht, "Staatsbürger". Zur Geschichte und Kritik eines politischen Begriffs, in: Der Staat 8, 1969,41- 63. 13 Hermann Conring, Exercitatio de Germanici imperii civibus, Helmstedt 1641, in: ders., Opera, hrsg. von I. W. Goebel, 7 Bde., Braunschweig 1730, ND Hildesheim 1970 - 1973, I, 516 - 528. - Zu Conring vgl. unten Kap. VIII. I mit Lit. Anm. 6. Zu Conrings Verständnis der Reichsstände als Reichsbürger insbesondere Willoweit, Kaiser, Reich und Reichsstände bei Hermann Conring, in: M. Stolleis, Hrsg., Hermann Conring (1606-1681). Beiträge zu Leben und Werk, Berlin 1983,321- 334. 14 So Fritsch, Von Landtagen, 11, nach Hugo, De statu regionum Germaniae, c.4, § 12, dort wiederum in Anlehnung an die Aristoteliker Conring und Paurmeister: "Optime omnium Paurmeisterus definitionem Civis Aristotelicam secutus, Cives ac Status Imperii sola Tij~ a(Jxij~ JlOAmxij~ xovwvi{l censendos putat. Sunt igitur, qui jus suffragii in Comitiis Imperii habent ... Similiter Status provinciales dicendi sunt, qui personam legitimam standi in Conciliis provincialibus habent." - Landstände als cives auch bei Hertius, De consultationibus, § 5, 5: "Subjectum [conventuum provincialium] sunt Ordines provinciales, Landstände, quos politikos cives diceres"; ders., Dissertatio de subjectione territoriali, in: Commentationes atque Opuscula, Frankfurt/Main 1700, Vol. I, Tom. H, 377 f.; ferner Caroc, Begründete Deduction, 13 ("cives Patriae"); Pestei, De comitiis prov., 19 ff. - Ablehnend dagegen Pufendorf, De statu Imperii Germanici VI,3; Wildvogel, De statibus provo § 7, 6f., der einen neuen Bürgerbegriff prägte und die Gleichsetzung von Landstandschaft, d. h. Stimmrecht, mit Bürgerqualität ablehnte (vgl. dazu unten Kap. IV.l). Aber auch Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13 I I, 342, 13 12, 942, unterscheidet die "würklichen Burger" von Landständen "in engerem Verstand". 15 Zitiert bei Wildvogel, De statibus prov., § 6, 5.
2. Repräsentation in der Korporationstheorie
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konnten dann entsprechend als Gesamtversamrnlungen des Volkes erscheinen. Für Repräsentation war im Rahmen dieser aristotelischen Begriffstradition kein Platz; das Verhältnis zwischen Landständen und übrigen Landeseinwohnern war in diesem Rahmen begrifflich kaum reflektierbar. Erschienen die Landstände einerseits als Herrschaftsstände und als politisch vollberechtigte Bürger, so erschienen sie doch andererseits und zugleich auch als Untertanen des Landesherrn. 17 Dabei wurden Begriffe aus unterschiedlichen Theorietraditionen unvermittelt nebeneinander gestellt, die die landständische Realität jeweils nur partiell trafen. Daß die Landstände (im Gegensatz zu den Reichsständen) im Begriff der Untertanen mit eingeschlossen waren, stand nach dem Westfälischen Frieden nicht mehr in Frage. Der mit der landesherrlichen summa potestas zugleich etablierte Begriff der Untertänigkeit als Komplement zu Obrigkeit erlaubte es erstmals, politisch Konsensberechtigte und Nichtberechtigte gleichermaßen zu erfassen, und begann allmählich, die ständisch gestufte Verfassungsrealität begrifflich zu nivellieren und die Stände zu entpolitisieren. 18 Indessen hob man die Stände zugleich rechtlich über die übrigen Untertanen heraus, wenn es hieß, daß sie die Gesamtheit der Untertanen "repräsentierten". Damit kam eine dritte Theorietradition ins Spiel, die wiederum auf einen anderen Aspekt der ständischen Realität verwies und einem anderen argumentativen Kontext entstammte.
2. Repräsentation in der Korporationstheorie Die Formel "subditi, vel ii qui suditos repraesentant, die Landstände" begegnete in den reichspublizistischen Handbüchern, Dissertationen und Traktaten in der Regel als fester Topos, ohne näher erläutert oder präzisiert zu werden. 19 Damit war 16 V gl. Bernd Schönemann / Karl Ferdinand Werner, Volk, Nation, Nationalismus, Masse (IV-IX), in: Geschichtliche Grundbegriffe 7,1992, bes. 204ff. 17 Zum Untertanenbegriff vgl. die oben Anm. 12 genannte Literatur; ferner Peter Blickle, Untertanen in der Frühneuzeit. Zur Rekonstruktion der politischen Kultur und der sozialen Wirklichkeit Deutschlands im 17. Jh., in: VSWG 70, 1983, 483 - 522. - V gl. auch unten Kap.IV.3. 18 Vgl. zum Untertanenbegriff etwa Hertius, De subiectione territoriali, § 1 -7, 367 ff., zu den verschiedenen Abstufungen und Qualitäten (subiectio adstrictior - liberior; cives - incolae etc.); oder Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/2, 903 ff.: "in gewissen Stücken" seien alle Untertanen "von einerley Beschaffenheit"; aufschlußreich die matte Kritik ebd. 13 /1, 341: Zwar seien alle Landstände Untertanen, aber bei weitem nicht alle Untertanen Landstände, deshalb sei es "unschicklich", Landstände als Untertanen zu bezeichnen. 19 Besold, De consilio politico, c.19, 323 ff.; ders., Thesaurus practicus, no.51, 788; Myler von Ehrenbach, De principibus et statibus Imperii Romani Germanici, c.45, § 3, 416f.; Pufendorf, De jure naturae et gentium 7,6,12; Schweder, lus publicum 11, c.13, § 17,869; Speidei, Speculum, s.v. Landsteuer, Landbethe, 771 f.; Fritsch, Von Landtagen, 31; Stryk, De statibus prov., 48; Vitriarius, Institutiones III, 314 f.; Wildvogel, De statibus prov., § 39, 25 f.; § 13, lOf.; Pestei, De comitiis prov., § 11, 19; Deneken, Landrecht, 11, 146f.; Zedler, Univer-
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
allerdings - ebenso wie bei den anderen Definitionen der Landstandschaft - nicht der Versuch verbunden, durch irgendeinen Bezug auf den Willen der Repräsentierten - etwa durch den Bestellungsmodus, also Wahl oder Amtsmandat - die Legitimität der Repräsentanten zu begründen. Faßt man dies als Mangel auf, so legt man indessen ein modemes Verständnis zugrunde, das politische Repräsentation als Auftrag seitens der Repräsentierten versteht und daraus die Legitimität der Beauftragten ableitet. 20 Darum ging es indessen nicht, wenn von den Landständen als Repräsentanten der Untertanen die Rede war. Worum es sich handelte, geht vielmehr aus den meisten Belegen zweifelsfrei hervor, liest man sie vollständig: "Conjunctim considerati, [status provinciales] constituunt unum corpus, quod vocatur eine gemeine Landschafft ... ac subditos universos et singulos repraesentant, eorumque nomine in conventibus provincialibus deliberant et concludunt, adeo, ut, quicquid constituunt, ab universo populo et ab universis constitutum censeatur".21 Noch bei Johann Jakob Moser findet sich die gleiche althergebrachte Formulierung, wörtlich ins Deutsche übersetzt: "Ein Land-Ständisches Corpus stellet in Landes-Sachen die gesammte Landes-Innwohnerschafft vor", das bedeutet: "so, daß dasjenige, was man auf einem allgemeinen Land-Tag beschliesset, eben so angesehen wird, als wann die sammtliche Landes-Eingesessene Mann vor Mann darein bewilliget hätten; dahero dergleichen Schlüsse eine allgemeine Verbindlichkeit nach sich ziehen". Mit anderen Worten, die Landstände "seynd befugt, von dem Land Schadloshaltung und Vertrettung in Ansehung desjenigen zu verlangen, was sie Amts- und Pflichten-halber auf eine der Landes-Verfassung gemässe Weise gehandelt, gethan oder unterlassen haben; sie können verlangen, daß dasjenige genehm gehalten und vom Land vollzogen werde, was sie in desselbigen Namen versprochen haben, usw."; nichts anderes hieß es, wenn man sagte, "sie seynd Repräsentanten des Landes in favorabilibus et odiosis, Custodes Legum et Jurium Patriae".22 sal-Lexicon, 16, s.v. Land-Stand, 563; Johann Georg Estor, De comitiis et ordinibus Hassiae praesertim Castellanae provincialibus, Marburg 1745, 4; Gottfried Achenwall, Die Staatsklugheit nach ihren ersten Grundsätzen, 3. Aufl. Göttingen 1774,46; Andreas Joseph Schnaubert, Anfangsgründe des Staatsrechts der gesammten Reichslande, Jena 1787, I, § 54, 46; Johann Stephan Pütter, Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reiches, 2 Bde., Göttingen 1788, II, 169; Johann Richard Roth, Staatsrecht deutscher Reichslande, 1. Theil Mainz 1788, 2. Theil Frankfurt/Leipzig 1792, II, 57f.; zuletzt in dem gleichen Sinne noch Nicolaus Thaddäus Gönner, Teutsches Staatsrecht, Landshut 1804, 380 f. 20 Vgl. zum heutigen Verständnis Vilmos Ho1czhauser, Konflikt und Repräsentation, in: Der Staat 27, 1988,351- 370, hier 358; ferner Dolf Stemberger, Zur Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, in: ders., Nicht alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Studien über Repräsentation, Vorschlag und Wahl, Stuttgart 1971, 9 - 39. 21 So Wildvogel, De statibus prov., § 39, 25 f., im Anschluß an Myler und Schweder (beide oben Anm. 19). Myler, der württembergische Landschaftskonsulent, hatte allerdings die spezifisch württembergischen Verhältnisse vor Augen und sprach daher von "selecti viri" "ex singulis oppidis"; Schweder, Wildvogel und die späteren Autoren ließen diese Spezifikation weg, so daß ihre Formulierung für andere Territorien ebenso zutraf. 22 Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1,716,843.
2. Repräsentation in der Korporationstheorie
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Es handelte sich also bei diesem Repräsentationsbegriff um ein formales Prinzip, eine Rechtsfiktion, die es erlaubte, die in bestimmten Rechtsformen vollzogenen Handlungen der Stände allen Untertanen rechtlich zuzurechnen. Das hieß: die Landtagsbeschlüsse, sofern sie förmlich gefaßt worden waren, verbanden nicht nur die einzelnen Anwesenden, die dazu ihre Stimme gegeben haben mochten. Sie verbanden ebenso die geladenen, aber nicht erschienenen Landtagsberechtigten; sie verbanden die dissentierende Minderheit; sie verbanden die Nachkommen der gegenwärtig Handelnden; sie verbanden die Mitglieder der Korporationen, deren Mandatare anwesend waren; sie verbanden möglicherweise auch die Untertanen der landesherrlichen Domänen;23 und sie verbanden alle die, die selbst keine Landtagsberechtigung hatten - kurz, "alle Untertanen", das "ganze Volk". Um das Verhältnis der Landstände zu ihren eigenen grundherrschaftlichen Untertanen ging es dabei gar nicht, denn die Verbindlichkeit von Landtagsschlüssen für die Hintersassen des Adels, der Stifter oder der Städte stand nicht in Frage. Diese Verbindlichkeit folgte vielmehr aus ohnehin bestehenden Herrschaftsrechten, die auf einer ganz anderen rechtlichen Ebene angesiedelt waren als die ständischen Partizipationsrechte. Der Repräsentationsbegriff wurde vielmehr gerade da eingeführt, wo es um die Eigenschaft der Landstände als Gesamtkorporation und nicht als einzelner Inhaber von Herrschaftsrechten ging. 24 Er diente als formales Zurechnungsprinzip, 25 um 23 Dieser umstrittene Punkt war ein zentrales Argument in der Debatte um den Repräsentationscharakter der Landstände, vgl. weiter unten und Kap. III.4. 24 Vgl. den Kontext bei Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/1, 2. Buch, 15. Cap., 716ff.: "Von denen Land-Ständen, so ferne sie ein eigenes Corpus ausmachen". Bei Moser findet sich eine ganze Filiation von Autoritäten zu dieser Frage, allerdings, wie für seine kasuistische und kompilatorische Vorgehensweise typisch, versteckt in Zitaten aus Deduktionen zu konkreten Rechtsfällen. Die Fälle, die Moser als Beispiele anführte, machen deutlich, zur Lösung welcher Rechtsprobleme der Repräsentationsbegriff eingeführt worden war. Daß die Landstände alle Untertanen repräsentierten, karn dort in zwei Fällen als Argument ins Spiel: Zum einen ging es um die Frage, ob von den Ständen eingegangene Verpflichtungen mit dem Tod der einzelnen konsentierenden Personen erloschen oder ob vielmehr "nomine totius regni populi" geschlossene Verträge die Nachkommen der Vertragschließenden ebenfalls verpflichteten. Diskutiert wurde dies anhand einer Deduktion der böhmischen Stände von 1619, wobei sich Moser der Gegenposition anschloß und die korporative Bindungswirkung der Verträge vertrat. Zum anderen wurde der Repräsentationsbegriff in der Frage angeführt, ob und inwieweit ständische Mehrheitsentscheidungen auch zu Lasten dissentierender Mitglieder rechtswirksam seien. Moser behandelte dies anband des Falles der Grafen Waldeck gegen die Stadt Corbach vor dem Reichskammergericht 1620; vgl. dazu Gerhard Menk, Rechtliche und staatstheoretische Aspekte im Waldeckischen Herrschaftskonflikt 1588 - 1624, in: Gesch.bll. Waldeck 72, 1984, 45 ff. 25 Zum Repräsentationsbegriff im Sinne eines formalen Zurechnungsprinzips vgl. Hanna F. Pitkin, The Concept of Representation, Berkeley I Los Angeles I London 1967, 38 ff. - Vgl. die Definition bei Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972, 171: "Unter Repräsentation wird primär der ... erörterte Tatbestand verstanden: daß das Handeln bestimmter Verbandszugehöriger (Vertreter) den übrigen zugerechnet wird oder von ihnen gegen sich als "Iegitim" geschehen und für sie verbindlich gelten gelassen werden soll oder tatsächlich wird." Ähnlich Hans Julius Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2: Theorie der Vertretung, Berlin 1934, 16f., 56ff.
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IlI. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
die rechtliche Handlungsfähigkeit der Landstände als Korporation sicherzustellen, d. h. zu gewährleisten, daß die je aktuell Anwesenden und Konsentierenden namens und anstelle der Gesamtheit handeln und ihre Entscheidungen dieser verbindlich zurechnen konnten. Nur als Repräsentanten des Ganzen waren die Landstände nicht einzelne privati, sondern persona publica 26 und als solche rechtlich befähigt, ein pactum publicum mit dem Landesherm zu schließen, das für alle einzelnen verbindlich war. Die oben zitierte Formulierung Mosers kann also keineswegs, wie gelegentlich geschehen, als Beleg für das Aufkommen eines modemen, aufklärerischen oder gar parlamentarischen Repräsentationsverständnisses angeführt werden,27 sondern sie stand in einer langen juristischen Tradition. Der Repräsentationsbegriff, der die Korporationsqualität der Landstände, ihr Handeln ut universi als persona publica thematisierte, war der von den Legisten und Kanonisten des späten Mittelalters entwickelten Korporationstheorie entnommen, die bis ins 17. Jh. hinein nahezu unverändert rezipiert worden war?8 Das klassische Problem der Korporationslehre war die Frage nach der Willensund Handlungsfähigkeit einer universitas, d. h. einer Personengesamtheit, die eine andere Rechtsqualität hatte als die Summe ihrer einzelnen Mitglieder. 29 Eine uniVgl. Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1,718. So Renger, Landesherr und Landstände im Hochstift Osnabrück, 46ff.; danach z. B. I. Reiter, Repräsentation, in: HRG IV, 1990,904-911; Walker, Moser and the Holy Roman Empire, 269. 28 Den Begriffshorizont des 17. und 18. Jhs. erhellt ein damals weitverbreitetes Handbuch der Korporationslehre, das von Theoretikern der landständischen Verfassung oft und gern zitiert wurde: Nicolaus Losaeus, Tractatus de iure universitatum (1. Aufl. Venedig 1601), Speyer 1611. Losaeus (auch: Lossaeus) war Rat des Herzogs von Savoyen; vgl. Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexicon 11, Sp. 2538; zu seiner mangelnden Originalität und seinem Einfluß bis ins 18. Jh. Gierke, Genossenschaftsrecht IV, 3 ff.; Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. I, München 1985, 262ff. Daneben wurden zur Korporationstheorie im späten 17. und 18. Jh. überwiegend zitiert: Heinrich Bruning, De variis universitatum speciebus earumque iuribus, Marburg 1609 (vgl. dazu Gierke, Genossenschaftsrecht IV, 9f.); ferner Ulrich Huber, De iure civitatis, 1. Aufl. Franeker 1672. - Der politische Begriff der Repräsentation wurde bis zur Mitte des 18. Jhs. außerhalb der Korporationstheorie kaum technisch verwendet. Dies zeigt sich etwa darin, daß er in den zeitgenössischen Lexika im politischen Sinne überhaupt noch nicht als Stichwort vorkommt. So z. B. weder bei Besold, Thesaurus practicus, noch bei SpeideI, Speculum; selbst Zedler, Universal-Lexicon, Bd. 31, Sp. 649 f., s.v. Repraesentant, führte nur die erbrechtliche Repräsentation der Eltern durch die Kinder und die zeremonielle Repräsentation einer "hohen Person" durch ihren Gesandten an. 29 Vgl. allg. vor allem Gierke, Genossenschaftsrecht IlI, 218ff.; ders., Althusius, 4. Kap.: Das Repräsentativprincip, 211 ff.; Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters (I. Ausg. 1957), München 1990; Hofmann, Repräsentation, Kap. 5; ders., Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation; Pierre Michaud-Quantin, Universitas. Expression du mouvement communautaire dans le moyen age latin, Paris 1970, 201 ff., 305 ff.; kurz und präzise Podlech, Repräsentation, 509 ff.; ferner Winfried Eberhard, Herrscher und Stände, in: Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 2, München I Zürich 1993, 492 ff. 26 27
2. Repräsentation in der Korporationstheorie
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versitas wurde als künstliche Person (persona jicta, mystica oder repraesentata) vorgestellt, die durch eine rechtliche Fiktion zustandekomme und die daher im strengen Sinne keinen Willen habe und nicht selbst handeln könne. 3o Um Willensund Handlungsfähigkeit der universitas zu begründen, bediente man sich der Prinzipien der Repräsentation und der Stellvertretung, mit deren Hilfe das Handeln einzelner oder mehrerer der universitas rechtlich zugerechnet werden konnte. Um Stellvertretung handelte es sich, wenn Vorsteher, Beamte, Syndici oder dergl. ähnlich wie in einem Vormundschafts verhältnis die Korporation nach außen, etwa vor Gericht, aufgrund einer Vollmacht vertraten. Man sprach dann davon, die universitas handele per alium. 31 Repräsentation im engeren Sinne hingegen ("Identitätsrepräsentation") bezog sich auf die inneren Verhältnisse der universitas und bestand in der rechtlichen Fiktion, daß das, was ein herausgehobener Teil der Gesamtheit will oder tut, so anzusehen sei, als ob es alle wollten oder täten; d. h. daß ein bestimmter Teil der Gesamtheit - pars pro toto - mit der Gesamtheit selbst identifiziert wurde. Zu beachten ist dabei, daß selbst die Gesamtversammlung aller Mitglieder stets eine "repräsentative" Versammlung war, da die universitas selbst als überzeitliche, quasi unsterbliche Gemeinschaft überhaupt nicht anders als repräsentativ in Erscheinung treten konnte. Handelte also ein bestimmter repräsentativer Teil für die universitas, so konnte man davon sprechen, die universitas handele per se ipsum. 32
Der wesentliche Unterschied dieser "Identitätsrepräsentation" gegenüber der Stellvertretung bestand darin, daß die Gesamtheit keine größere Rechtsrnacht hatte als das Kollegium der Repräsentanten. Wenn aber kollektive Handlungsfähigkeit immer nur der repräsentativen Versammlung zukam, war eine klare begriffliche Unterscheidung zwischen dempopulus und der denpopulus repräsentierenden Korporation überhaupt nicht erforderlich. Deshalb konnten die Autoren beide Begriffe 30 Losaeus, Oe iure universitatum, I, c.l, §§ 5 ff., 7f.: "Universitas secundum fictionem iuris repraesentat unum personam ... Universitas est nomen iuris, et non personarum, non habens animum, intellectum, consensum, nec etiam corpus. Universitas legitime congregata, et convocata vicem personae sustinet." Über die mangelnde Handlungsfähigkeit des Volkes schrieb Losaeus I, c.3, §§ 4 ff., 56: "Quia igitur ubi est maximus populus, ibi difficilis est eius congregatio .... In populo enim inest plebs .... Homines enim faciles sunt ad dissentiendum . . . . Hinc propter difficultatem, quae est in congreganda universitate totius populi dicitur universitatem consentire non posse. . .. Hac igitUf ratione et antiquitus decuriones constituti et creati fuerunt, et postea consiliarii civitatum, et aliarum universitatum, qui decurionum loco suffecti et subrogati sunt, ut scilicet facilius simul convenire et se congregare possent, pro publicis negotiis expediendis ... " 31 Loseaeus, Oe iure universitatum, 11, c.l, §§ 2 ff., 84f.: "Universitas non potest per se in iudicio stare, sed per suos syndicos, seu actores .... Universitas aequiparatUf pupillo .... Syndicus habet mandatum generale cum libera administratione... 32 Losaeus, Oe iure universitatum I, c.3, §§, 63 f., 47 ff.: "Repraesentat enim [ordo decurionum vel concilium civitatisJ totum populum, et totam civitatem. Et factum a concilio civitatis ... videtur et censetur factum a toto populo, et universa civitate .... Et ob id concilium civitatis, seu ordo decurionum videtur habere eandem potestatem, et omnia ea posse facere, quae potest totus populus, et adunantia generalis", vorausgesetzt allerdings, daß dies "expressim per legern, statuta vel consuetudinem sit introducturn...
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
austauschbar verwenden, ohne Mißverständnisse zu befürchten: Das consilium civitatis konnte mit der civitas, die Stände mit dem Land identifiziert werden?3 Wesentlich (und eben für das modeme Verständnis befremdlich) war dabei dies: Immer schon vorausgesetzt und nicht thematisiert wurde eine ständisch-korporativ gegliederte Verfassungsrealität, die die Regeln dafür bereitstellte, wer das repräsentative Kollegium bildete und auf welche Weise es formal korrekt zusammentrat. 34 Die oben genannten Prinzipien waren geeignet, über die Verhältnisse zwischen Kirche und Konzil bzw. zwischen Bürgergemeinde und Rat hinaus, für die sie entwickelt worden waren, in vielfältigen politischen Zusammenhängen Verwendung zu finden, nämlich überall da, wo ähnliche korporative Strukturen ausgebildet wurden. Genuinen Korporationscharakter hatten Städte, Gemeinden 35 , Universitäten, geistliche Kollegien etc., die im Innern repräsentativ verfaßt und nach außen auf Reichs- wie auf Landtagsebene durch verschiedene Formen der Stellvertretung gegenwärtig waren. Begegneten also korporationstheoretische Kategorien auf allen Ebenen des Verfassungslebens, so kann es nicht verwundern, daß sie auch auf das Verhältnis zwischen Reichsständen und Reich bzw. Landständen und Land Anwendung fanden. Vorbilder für diese Anwendung der Korporationstheorie fanden sich in den stän33 Daß Gesamtheit der Bürger, Gesamtversammlung der Bürger und Versammlung eines repräsentativen Kollegiums korporationstheoretisch nicht präzise unterschieden wurden (vgl. Hofmann, Repräsentation, 221), vermag zu erklären, warum die Landstände zum einen in Analogie zu den römischen comitia als Gesamtversammlung, zum anderen aber auch in Analogie zum Senat als herausgehobenes Ratskollegium gesehen werden konnten. In ihrer Eigenschaft als Berater des Fürsten wurden sie als Senat z. B. bezeichnet von Besold, De consilio politico, c.ult. § 4; danach SpeideI, Speculum, s.v. Landschafft, 765; Fritsch, Von Landtagen, 40. - Als "prima pars Reip. quae ad deliberationes pertinet, & Aristoteli Senatus vocatur", bei Hugo, De statu regionum Germaniae, c.4, § 34. Analogie zum römischen Senat: Wildvogel, De statibus prov., § 1, 1. 34 Entsprechend war von Repräsentation in den hier herangezogenen Quellen stets in bezug auf das Verhältnis der Stände als Gesamtkorporation zum Land als Ganzem die Rede, selten aber in bezug auf die unterschiedlichen Vertretungsverhältnisse auf den untergeordneten Ebenen, also etwa in bezug auf das Verhältnis städtischer Abgeordneter zur Stadt, bäuerlicher Deputierter zur Gemeinde oder dergleichen. Es wurde also gerade da nicht von Repräsentation gesprochen, wo die Verhältnisse dem modemen Verständnis von Vertretung qua Mandat am nächsten kamen. - Mandatsverhältnisse verschiedenster Art, von denen hier im folgenden abgesehen werden soll, etwa zwischen einem Inhaber der Standschaft und seinem Stellvertreter, zwischen der ständischen Korporation und ihrem Syndikus, zwischen städtischem Korporationsvertreter und Stadtgemeinde oder zwischen Landtag und Ausschuß, wurden thematisiert z. B. bei Fritsch, Von Landtagen, 18; Strube, Obs. IV, § 25; Caroc, Begründete Deduction, 44ff., 95ff.; Stryk, De statibus prov., 12ff.; Peste!, De comitiis prov., § 17; Reichardt, De statibus provo eorumque variis iuribus, § 7; Johann Uirich Cramer, Status provinciales per deputationes cum tertiis valide contrahunt, in: ders., Observationes juris 11, Nr. 465, 65 ff.; Häberlin, Teutsches Staatsrecht 11,64, u.v.a. 35 Vgl. dazu jetzt Peter Blickle, Hrsg., Theorien kommunaler Ordnung in Europa, München 1996, bes. die Beiträge von Blickle, Klaus Schreiner und Anthony Black. - Eine Studie von Wolfgang Mager über das Repräsentationsprinzip in den städtischen Kommunen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit ist in Vorbereitung'.
2. Repräsentation in der Korporationstheorie
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destaatlichen Theorien der Nachbarländer ebenso wie in der Reichspublizistik selbst, die das Verhältnis zwischen Kaiser und Reich ebenfalls auf dieser Grundlage diskutierte. So diente der von den Konziliaristen übernommene Repräsentationsbegriff den französischen Monarchomachen dazu, das "Volk" als universitas dem König ebenso überzuordnen, wie das Konzil dem Papst oder das Kapitel dem Bischof übergeordnet worden war, nach dem Grundsatz princeps maior singulis, minor universis. Denn nur indem sie Stände, Große, Magistrate etc. als Repräsentanten der universitas begriffen, konnten sie ihnen ein Widerstandsrecht beilegen, das sie weder denselben Personen als privati noch dem Volk als Masse zugestehen wollten oder konnten. 36 Dabei setzten sie die ständisch-korporative Verfassungsrealität des jeweiligen Landes als legitime Ordnung des Volkes in seiner Gesamtheit immer schon voraus und thematisierten nicht, auf welche Weise die Repräsentanten zu solchen wurden. Der von Otto von Gierke eingeführte und dann allgemein etablierte Begriff der Volkssouveränitätstheorie führt zur Bezeichnung dieser Lehren in die Irre, indem er eine gerade Linie vom monarchomachischen Widerstandsrecht zum Revolutionsrecht des Volkes im späten 18. Jh. zieht?7 Souveränität des Volkes meinte aber dort keineswegs, wie etwa später bei Rousseau, daß eine durch autonome individuelle Willensakte hervorgebrachte Gesamtheit die ganze soziale und politische Ordnung ihrer Disposition unterwarf. Volkssouveränität war dort vielmehr nur, wie Hasso Hofmann treffend formuliert hat, ein anderes Wort für "die Heiligkeit und Unübersteigbarkeit der allemal gestuften Ordnung von Kollegien und Korporationen, Ständen und Ämtern,,?8 36 Vgl. Hofmann, Repräsentation, 351 ff.; Jiirgen Dennert, Einleitung zu: ders., Hrsg., Beza, Brutus, Hotman. Calvinistische Monarchomaehen, Köln / Opladen 1968, LV ff., beide betonen gegen Gierke, Althusius, den vormodernen, nicht-individualistischen Gehalt des Begriffs der Identitätsrepräsentation. 37 Gierke, Althusius, 217ff.; Wolzendorff, Widerstandsrecht, 198ff.; ebenso noch Friedrich Hermann Schubert, Volkssouveränität und Heiliges Römisches Reich, in: H. Rausch, Hrsg., Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Volksvertretung, II, Darmstadt 1974, 279 - 314, und ders., Reichstage, 400 ff., der den Monarchomaehen nachsagt, sie hätten das "eigentliche Volk" als "selbstständigen Inhaber der obersten Souveränität herausgestellt", die "von diesem nur in einem freien Willensakt an die Privilegierten delegiert war", so daß sich der "Repräsentativcharakter der Stände von einer Vertretung des Landes zu einer Vertretung der Bevölkerung im modernen Sinn" verschoben habe. Nach dieser Deutung verwickelten sich die Monarchomaehen allerdings stets in einen Widerspruch, wenn sie mit dem "universus populus" doch nur die Privilegierten im Auge hatten (z. B. ebd. 403 f.). - Dagegen Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeit, I ff.; ders., Repräsentation, 352 ff.; ders., Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff, 532; Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung, 304 ff.; Wolfgang Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, Darmstadt 1994, 219 ff. 38 So Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeit, 23; ähnlich Dreitzel, Monarchiebegriffe II, 534, der die Lehre der Monarchomaehen als "normative Theorie zur Verteidigung der auf feudalen und genossenschaftlichen Verträgen und ,Freiheiten' aufgebau-
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
Aus diesem Grund war es den Monarchomachen gleichgültig, ob es sich bei den "Volksrepräsentanten" um ,;Fürsten, Älteste, Patrizier, Optimaten ... , Parlament, Landtag oder sonstige Versammlungen" handelte 39 - waren diese nur in legitimer Weise versammelt, so galt es nach korporationsrechtlicher Lehre gleichviel, als wäre das Volk selbst versammelt. Nicht vom Modus ihrer Bestellung, sondern von ihrer korporativen Funktion als Repräsentanten der Gesamtordnung gegenüber dem Monarchen hing die Legitimität der Stände, Magistrate etc. ab. Dies erklärt sich aus der Argumentationsrichtung der Theorien: Es ging den Monarchomachen nicht um das Verhältnis der Repräsentanten zur Gesamtheit der Untertanen, sondern um ihr Verhältnis zum Herrscher; sie suchten nach einem Rechtsgrund für ihren konfessionell begründeten Widerstand gegen den Monarchen, nicht etwa nach einem Rechtsgrund für die Infragestellung der sozialen, ständisch-korporativen Ordnung. 4o Auch die Reichsstände bzw. das Kurfürstenkolleg wurden in diesem Sinne als Gesamtkorporationen und damit als Repräsentanten des Reichs aufgefaßt. 41 Die Deutung des Kurfürstenkollegs als Repräsentativorgan des Reiches war schon für die Konziliaristen des SpätmiUelalters der klassische Anwendungsfall der Korporationstheorie gewesen, anhand dessen der Begriff der repraesentatio identitatis unter anderem entwickelt worden war. Nur indem die Kurfürsten als Kollegium etabliert wurden, konnte ihre Wahlkompetenz namens und anstelle des Ganzen gelten und für das ganze Reich verbindlich institutionalisiert werden. 42 Für die Reichsstände in ihrer Gesamtheit ließ man trotz ihrer wesentlich geringer ausgeprägten korporativen Geschlossenheit ebenfalls gelten, daß sie das ganze Reich repräsentierten. Auch hier handelte es sich um den klassischen Fall einer Identitätsrepräsentation: "Totum Imperii corpus in comitiis praesens est. ,,43 Die ten Herrschaftsordnung des Mittelalters mit dem modemen Instrumentarium römisch-rechtlicher und aristotelischer Sozialbegriffe" deutet. 39 Vindiciae contra tyrannos, quaest. 11, zitiert nach: Dennert, Hrsg., Beza, Brutus, Hotman, 94, vgl. 93: mit dem "ganzen Volk" waren "die vom Volk gewählten Magistratspersonen ... oder auf andere Weise bestimmte Männer" gemeint oder auch Ständeversammlungen als "epitome regni". 40 Hofmann, Repräsentation, 353. - Analoges galt im übrigen auch für das ältere parlamentarische Repräsentationsverständnis in England, wie etwa neuerdings betont wird von John PhilIip Reid, The Concept of Representation in the Age of the American Revolution, Chicago 1989, 2 ff.; Edmund S. Morgan, Government by Fiction: The Idea of Representation, in: The YaIe Review 72, 1983,321- 339. Vgl. dazu unten Kap. V.1. 41 Vgl. Z. B. Vindiciae contra tyrannos, quaest. III, bei Dennert, Hrsg., Beza, Brutus, Hotman, 121. - Vgl. Schubert, Reichstage, 391 ff.; Eberhard, Herrscher und Stände, 494ff. 42 Vgl. Hofmann, Repräsentation, 225 ff., insbes. zu Lupold von Bebenburg; ferner Winfried Becker, Der KurfÜfstenrat. Grundzüge seiner Entwicklung in der Reichsverfassung und seine Stellung auf dem Westfälischen Friedenskongress, Münster 1973,91 ff. 43 So Johannes Limnaeus, Ius publicum Imperii Romano-Germanici, 3 Bde., Straßburg 1629 - 1634, IX,I, 33; vgl. Hoke, Limnaeus, 114 mit Anm. 413. - Ferner Hippolithus a Lapide, De ratione status 1,17, 302 f.; Tobias Paurmeister, De iurisdictione Imperii Romani Iibri duo, 2. Auf). Frankfurt/Main 1616, 11,1,2 (vgl. Schubert, Reichstage, 507 f.); Christoph
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Argumentationsrichtung war dabei ursprünglich wie bei den Monarchomachen die, das Reich als Gesamtkörper, universitas, dem Kaiser als dessen Haupt überzuordnen, es im Extremfall gar als Aristokratie zu klassifizieren. Übertrug man gar den Souveränitätsbegriff auf das Reich als eine Personenmehrheit, so setzte dies erst recht voraus, daß die Reichsstände korporationsrechtlich als Einheit aufgefaßt wurden. So konnte Bodin dem Reichstag die Souveränität nur beilegen, indem er die Versammlung der Reichsstände als Repräsentation der Reichseinheit auffaßte. 44 Die Reichspublizistik entwickelte als Antwort darauf bekanntlich die Unterscheidung von maiestas realis und maiestas personalis. Legte man den Reichsständen kollektiv die maiestas realis zu, so kam man ebenfalls nicht ohne die korporationsrechtliche Annahme aus, daß ihnen in ihrer Gesamtheit Korporations- und damit Repräsentantenqualität zukomme. Dies hatte nichts mit der Annahme einer Stellvertretung des Reichsvolkes oder gar der jeweiligen Landesuntertanen kraft Mandats zu tun, sondern nur mit der Frage, in welchem Maße man die Reichsstände in das Reichsganze einbinden und in welches Verhältnis man sie zum Kaiser stellen wollte. Noch Pütter begriff in eben diesem Sinne die Reichsstände als diejenigen, welche die "Nation" "zu repräsentiren berechtiget sind", um zu begründen, daß ihnen nur als repräsentativer Gesamtversammlung, nicht als einzelnen Ständen ein "Mitregierungsrecht" im Reich beizulegen sei. 45 Ähnliches galt im übrigen selbst für die Repräsentationstheorie von Johannes Althusius, der seit Gierkes epochemachender Studie lange als Ahnherr des individualistisch-kontraktualistischen Naturrechts mißverstanden worden ist. 46 Auch für Besold, Disputatio de maiestate, Tübingen 1621,1,1,5 (vgl. Quaritsch, Staat und Souveränität, 365). - Vgl. insgesamt Gierke, Althusius, 219 mit Anm. 28; Schubert, Reichstage, 404 f., 508 ff., der Repräsentation des Reiches stets als Stellvertretung kraft Volksmandats mißversteht und dann feststellt, die Reichspublizistik habe sich bemüht, den Mandatscharakter der Reichsstände wegen seiner gefährlichen Konsequenzen zurückzudrängen. Dagegen Hofmann, Repräsentation, 354 f. 44 Sechs Bücher über den Staat, 11,6, 383: "Das Reich wird von der Versammlung der Generalstände als Einheit repräsentiert"; zu Bodins Sicht der Reichsverfassung Schubert, Reichstage, 360ff.; ähnlich Charles Loyseau und Cardin Le Bret, vgl. Klaus Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jh., Marburg 1994, 116 ff. - Gierke, Althusius, 216 Anm. 16, bestreitet bezeichnenderweise, daß der Repräsentationsbegriff bei Bodin irgend eine Rolle spiele. 45 Pütter, Bey träge zum Staats- und Fürsten-Rechte, Göttingen 1777, 39ff. (bes. 53) und 58ff. 46 Gierke, Althusius; ders., Genossenschaftsrecht m, 673 ff.; Wolzendorff, Staatsrecht, 198 ff.; Schubert, Reichstage, 407 ff.; zuletzt noch Dieter Wyduckel, Althusius - ein deutscher Rousseau?, in: Karl-Wilhelm Dahm u. a., Hrsg., Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988,465 -493. - Pointiert gegen diese Auffassung zuletzt in demselben Sammelband die Beiträge von Hendrik van Eikema Hommes, Naturrecht und positives Recht bei Althusius, 371 - 390, bes. 380 ff., und Wemer Krawietz, Kontraktualismus oder Konsozialismus?, ebd. 391-423; ebenso Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 222 ff.; zuletzt Manfred Walther, Kommunalismus und Vertragstheorie, in: Blickle, Hrsg., Theorien kommunaler Ordnung, 127 - 161, hier 131 ff., 157 f. - Zu Althusius' Repräsentationskonzept ausführlich und präzise Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre der frühen 7 Stollberg-Rilinger
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
ihn repräsentierte die Versammlung der Reichsstände den populus bzw. die universitas des Reiches im Sinne der korporations theoretischen Tradition, wie sie u. a. von Losaeus vermittelt war. 47 Der politische Sinn dieser Konstruktion lag auch hier darin, die Gesamtkorporation dem summus magistratus, also dem König bzw. Kaiser, überzuordnen und ihr ein korporatives Wahl-, Konsens- und Widerstandsrecht beizulegen. Allerdings baute Althusius die consociatio universalis, also auch das Reich, als Stufenfolge von consociationes von unten her auf, legte auf allen Ebenen das korporationsrechtliche Modell der universitas zugrunde und operierte dabei stets mit der Fiktion eines Mandats. Wie auf der Ebene der Gemeinde der Rat, so würden auch auf der Ebene des Reiches die Volksrepräsentanten, die er "Ephoren" nannte, mit Konsens des ganzen Volkes gewählt und eingesetzt. 48 Diese Mandatsfiktion brachte Althusius mit der ständischen Realität dadurch in Übereinstimmung, daß er einräumte, das Volk habe sich seines Rechtes begeben und es den ,,Ephoren" ein für allemal übertragen, so daß das, was diese täten, so anzusehen sei, als tue es das ganze Volk. 49 Was Althusius Ephoren nannte, das konnten indessen konkret patricU, seniores, status et regni primores, custodes et defensores iustitiae et iuris u. v.a. sein; im Reich waren es z. B. die Kurfürsten. 5o Die Mandatsfiktion vertrug sich durchaus mit der Möglichkeit, daß die Ephoren nicht - wie ihre antiken Vorbilder - gewählt oder ausgelost, sondern etwa vom Regenten ernannt wurden. Die Landesherrschaft der Reichsstände leitete Althusius nämlich - wie die Mehrzahl der Reichspublizisten, aber entgegen seinem eigenen Konsoziationenschema - nicht vom Volk der jeweiligen "Provinz", sondern von der Reichsgewalt her. 51 Neuzeit (auch ebd. 513 - 542); ferner schon Peter Jochen Winters, Die "Politik" des Johannes Althusius und ihre zeitgenössischen Quellen. Zur Grundlegung der politischen Wissenschaft im 16. und im beginnenden 17. Jh., Freiburg 1963, 235 ff.; zuletzt Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung, 17 ff.; ders., Monarchiebegriffe 11, 529 ff.; Thomas Hüglin, Sozietaler Föderalismus. Die politische Theorie des J ohannes Althusius, Berlin 1991, 165 - 196 47 Althusius, Politica methodice digesta, 3. Auf!. Herborn 1614, ND Aalen 1981, V, 55: "collegium [civitatis] legitime consociatum ... repraesentat totum populum et totam civitatem"; IX, 16-27, bes. 18 (über aus mehreren Ländern zusammengesetzte Reiche und Republiken, die "consociationes universales", für die das römisch-deutsche Reich Pate steht: "maiestatis ius non singulis, sed coniunctim universis membris et toti corpori consociato regni competit"); XVII, 56 - 61 und XXXIII (über die concilia generalia regni und ihre Kompetenzen, speziell XXXIII, 46 ff. zum Reichstag); XVIII, 48 ff. (über die Ephoren); XIX,2 - 18 (über das Verhältnis der universitas, des populus, zum summus magistratus, dem princeps). 48 Politica XVIII, 48: ,,Ephori sunt, quibus populi in corpus politicum consociati consensu demandata est summa Reip. seu universalis consociationis, ut repraesentantes eadem." 49 Politica XVIII, 56: "Nam hisce Ephoris populus se tuto credidit, suasque actiones omnes in eos transtulit, ita ut, quod hi faciunt, totus populus facere videatur." 50 Politica XVIII, 56 - 59. Eine strenge begriffliche Trennung zwischen Ephoren und Ständen, wie sie Dreitzei, Absolutismus, 27 f., bei Althusius annimmt, erscheint mir daher nicht sinnvoll. 51 Politica XVIII,59; VIII,50. - D.h.: der föderative Aufbau des Ganzen von unten nach oben konkurrierte mit dem reichsrechtlichen Schema einer Delegation von oben nach unten.
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Eine ähnliche Inkonsistenz begegnet bei Althusius' Konzeption auf der Ebene der Länder. Dort waren "Glieder der Provinz", die totam provinciam in ihrer korporativ gegliederten Struktur repräsentierten, die Provinzialstände - nicht, wie zu erwarten wäre, die einzelnen Gemeinden, aus denen sich die Provinz nach Althusius' Konsoziationenschema eigentlich autbaute. Dabei war gemäß dem französischen Modell von Deputierten die Rede, die Mandat und Instruktion von ihrem jeweiligen Stand - Klerus, Adel, Städte und Bauern - empfingen. Die deutschen Landstände wurden von Althusius zwar genannt, ihre Struktur aber nicht erfaßt. 52 Auch für Althusius galt also, daß Mandat und Instruktion der "Volksrepräsentanten" nicht präzise thematisiert wurden, weil die Repräsentantenrolle der empirischen Stände sich nicht kausal vom Modus ihres Zustandekomrnens her zu legitimieren hatte. Sie war vielmehr immer schon final von der politischen Funktion der Stände her legitimiert, nämlich durch gestufte Prozesse der Konsensregelung den summus magistratus auf das Recht zu verpflichten und seine Amtsführung zu kontrollieren. 53 Deshalb konnte Althusius über die Schwierigkeiten hinweg gehen, die die Anwendung des korporationsrechtlichen Repräsentationsbegriffs auf die empirischen Stände sowohl auf Reichs- als auch auf Länderebene bereitete. In der Reichspublizistik bezog man sich nach dem Westfälischen Frieden kaum noch auf Althusius, erst recht nicht auf andere "monarchomachische" Autoren; ihr pestilentissimum dogma verschwand nahezu ganz. 54 Zu dem Zeitpunkt, als das Territorialstaatsrecht sich mit den Landständen zu beschäftigen begann, verabschiedete sich die Reichspublizistik bereits von der Lehre der doppelten Majestät; im 18. Jh. war von der Überordnung der Gesamtheit über den princeps selbst auf Reichsebene kaum noch die Rede. Es bedurfte indessen keiner Vermittlung durch Althusius oder gar die Monarchomachen, daß der traditionelle korporationstheoretische Repräsentationsbegriff, wie er auf die Reichsstände Anwendung gefunden hatte, auch auf die Landstände übertragen wurde. In welcher argumentativen Absicht das geschah, soll im folgenden untersucht werden.
Harmonisiert wurden beide konkurrierenden Schemata allerdings dadurch, daß sowohl die Majestät des Volkes als auch die Autorität der Amtsträger auf allen Ebenen als von Gott vermittelt galten. - Aus der Perspektive der kaiserlichen Gewalt konnte die Reichspublizistik auch die Reichsstände als Repräsentanten des Kaisers gegenüber den Mediatuntertanen auffassen, so z. B. Hugo, De statu regionum Gerrnaniae, c.4, § 10; Schweder, lus publicum, 833. 52 Politica V,52; VIII, 1 - 50; VIII,64 - 70. Vgl. dazu Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre, 5f., 15, 17; Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung, 26f. 53 Vgl. Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre, 18; modifizierend Hüglin, Sozietaler Föderalismus, bes. 174 ff. 54 Zu den "deutschen Monarchomachen" vgl. Dreitzel, Monarchiebegriffe 11, 529 ff., zum Abreißen der Tradition mit Ausnahme einzelner Motive ebd., 539 ff. 7*
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
3. Landständische Repräsentation als formales Zurechnungsprinzip Die seit der Zeit der Kommentatoren des Römischen Rechts gängige Formel "populus vel consilium quod populum [civitatem etc.] repraesentat" wurde in den Traktaten der Reichspublizistik zu "populus [vel subditi] sive qui populum [vel subditos] repraesentant, status". Daß ein Land, provincia, den Charakter einer universitas habe, war korporationstheoretisch unbestritten;55 der Korporationscharakter konnte daher wie selbstverständlich auch den Landständen als Gesamtheit zugesprochen werden, in deren verfassungsmäßigem Zusammentreten das Land sich als universitas überhaupt erst konstituierte. So schrieb z. B. Kaspar Klock in einem Consilium zu Anfang des 17. Jhs. unter Berufung auf eine ganze Reihe älterer Autoritäten, es sei "gewiß und unzweiffentlich, daß eine Landschafft / Königreich / Ertz-StifftlFürstenthum/Grafschafft/und deren Stände [!] pro universitate, collegio vel corpore zu achten seyn".56 Die Übertragung korporationsrechtlicher Kategorien auf die Ebene der Reichsterritorien lag also nahe. Allerdings setzte die komplexe ständische Realität der Korporationstheorie erhebliche Widerstände entgegen. Da die Landstände sich aus höchst heterogenen Kurien zusammensetzten, die sich hinsichtlich der Herkunft ihrer Partizipationsrechte, ihrer internen Struktur und ihrer politischen Interessen extrem unterschieden, konnten sie als Gesamtheit nicht die gleiche Korporationsqualität beanspruchen wie die einzelnen Kurien ihrerseits, geschweige denn wie die einzelnen Städte, Gemeinden oder Kollegien in ihrem Inneren. In der Kurienorganisation war der Mangel an korporativer Einheit der Gesamtstände also manifest. Aber auch die einzelnen Kurien, insbesondere die aus einer Summe eigenberechtigter Einzelner bestehende Ritterkurie, waren keine klassischen Korporationen im Sinne der Theorie. Wenn die Landstände in ihrer Gesamtheit trotzdem in Analogie etwa zum Ratskollegium einer Stadt als Repräsentanten des Ganzen aufgefaßt wurden, so hob man sich damit, wie schon ein Staatsrechtler des späten 18. Jahrhunderts bemerkte, "über alle Zweifel hinweg und verschaffte [sich] einen runden Begriff, der bis in die neueren Zeiten, seiner Bequemlichkeit wegen, so vielen Beyfall gefunden hat". 57 Als Korporation konnten die Landstände, wie oben ausgeführt, nur in dem Maße gelten, wie die einzelnen an den ständischen Rechten und Pflichten nicht als einzelne, sondern in ihrer Eigenschaft als Glieder des Ganzen teilhatten. Welche Faktoren diese institutionelle Verfestigung ständischer Partizipation vorantrieben und welchen Anteil die Stände bzw. der Landesherr an diesem Prozeß hatten, ist seit jeher so umstritten wie die Frage der landständischen Repräsentation selbst. Die 55 Losaeus, De iure universitatum, I, c.2, 21 ff., nennt vier verschiedene Arten von universitates: provincia, civitas, castrumloppidum und collegium. 56 Kaspar Klock, Consilia, 3. Aufl. Nürnberg 1703, I, cons.28, 436. 57 Posse, Staatseigenthum, 203, 211 ff. - Vgl. dazu unten Kap. VIll.4.
3. Landständische Repräsentation als formales Zurechnungsprinzip
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Priorität des entweder genossenschaftlichen oder herrschaftlichen Moments bei der Entstehung der Landschaften und der Grad ihrer korporativen Verfestigung bildet seit Gierke und Below den Kern der Kontroverse um die landständische Verfassung. 58 Die neuere Forschung sieht beides nicht mehr als Gegensatz an, sondern verweist auf die Komplementarität zwischen territorialer herrschaftlicher Verdichtung und korporativer Verfestigung der Stände, wobei dem Landesherrn eine aktive Rolle zugewiesen wird. 59 Der landesherrliche Zugriff auf die Finanzkraft der Städte und der Hintersassen des Adels vollzog sich seit dem Spätmittelalter als korporative Integration, d. h. vor allem über die kollektive Privilegierung der Stände und zugleich über die Steuer- bzw. Schuldenübernahme durch die Gesamtheit. 60 Die korporative Formierung der Landstände und die Integration der einzelnen Ritter, Prälaturen und Städte in das Territorium waren also zwei Seiten einer Medaille. Zum Zwecke allgemeiner Besteuerung und damit territorialer Integration mußte auch und gerade den Landesherren an der korporativen Einheit, Handlungs- und Durchsetzungsfahigkeit der Landtage gelegen sein. Das jeweilige Maß der korporativen Integration eines Landtags läßt sich unter anderem daran ablesen, in welchem Umfang die Gesandten auf volle Vertretungsmacht (plena potestas) gegenüber ihren Auftraggebern festgelegt werden konnten und in welchem Umfang dem Mehrheitsprinzip Geltung verschafft werden konnte. 61 Beides lag im Interesse des Landesherrn; beides konnte aber unter Umständen von Seiten der einzelnen Stände bestritten werden. Je nach dem Ausmaß der Interessengegensätze innerhalb und vor allem zwischen den Kurien, insbesondere zwischen Ritterschaft und Städten, widersetzten sich die einzelnen Stände einer straffen Institutionalisierung und kor58 Gierke, Genossenschaftsrecht I, § 51, und II, § 33, 855 f., ging es darum, den genossenschaftlichen Impuls der ständischen Zusammenschlüsse hervorzukehren, daher betonte er den Korporationscharakter der Stände (vgl. dazu Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, 160 f.), während die Gegenseite das herrschaftliche Moment hervorkehrte und den Ständen die Fähigkeit zur korporativen Einigung absprach; vgl. Below, Territorium und Stadt, 236 f.; Spangenberg, Vom Lehnstaat zum Ständestaat, 135 ff.; Hintze, Typologie, 133. - Tezner, Technik und Geist, 56 ff., sprach von der "Karikatur einer Korporation" und wies darauf hin, daß "der Zusammenschluß der Landschaft zu einer organischen Einheit ... sehr viel zu wünschen übrig läßt, und daß selbst nach dem dreißigjährigen Kriege die koerzitive Seite der Landstandschaft schwächlich ausgebildet ist, und von den ständischen Monarchen mit größerer Entschiedenheit betont wird als von den Ständen selbst." 59 Vgl. etwa Press, 50 Thesen, 320, sowie zuletzt den Forschungsüberblick mit ausführlicher Bibliographie zur Entstehung des Ständewesens von Peter Moraw, Stand und Perspektiven der Ständeforschung, in: Boockmann, Hrsg., Die Anfänge der ständischen Vertretungen in Preußen, I - 33. 60 Vgl. schon Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 637 ff.: Zur Aufbringung besonderer Steuermittel war "eine immer erneute Verständigung und zu diesem Zweck eine Vergesellschaftung der einzelnen Gewaltenträger in Gestalt eines geordneten korporativen Zusammentritts unvermeidlich. Eben diese Vergesellschaftung ist es, welche mit dem Fürsten sich vergesellschaftet oder Privilegierte zu ,Ständen' macht und damit aus dem bloßen Einverständnishandeln der verschiedenen Gewaltenträger ... ein perennierendes politisches Gebilde entstehen läßt." 61 Vgl. insgesamt Müller, Imperatives Mandat, 206 und passim.
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
porativen Verfestigung. In diesem generellen Kontext stand die Anwendung der korporationstheoretischen Kategorie der Repräsentation auf die Landstände, die damit von vornherein nicht unproblematisch war. In welcher argumentativen Absicht die Juristen den korporativen Repräsentationsbegriff auf die Landstände übertragen haben, läßt sich am deutlichsten an der Diskussion des Mehrheitsprinzips ablesen. Der Charakter von Repräsentanten des Ganzen kam den Landständen nach dem oben Gesagten nur insofern zu, als sie ein "gemeinschaftliches Corpus" ausmachten, d. h. insofern sie ut universi handelten. Umgekehrt stellte also mangelnde korporative Geschlossenheit ihre Repräsentantenrolle in Frage. Wesentliches Mittel zur Herstellung der Willenseinheit einer Korporation und zugleich ein Indiz für ihren Korporationscharakter war die Geltung des Mehrheitsprinzips,62 d. h. der rechtlichen Fiktion, als sei das, was die Mehrheit beschlossen hat, von allen beschlossen. Nach dieser Konstruktion fügte sich nicht die Minderheit der Mehrheit, wozu unter einzelnen rechtlich Gleichen ja keine Verpflichtung bestand, sondern einzelne fügten sich der Gesamtheit. Vorausgesetzt wurde dabei also die Korporationsqualität der beschließenden Versammlung. Diese Rechtsfiktion, eine Variante des Prinzips der Identitätsrepräsentation,63 stellte eines der wesentlichsten Probleme dar, zu deren Lösung der Repräsentationsbegriff von der noch romanistisch geprägten Jurisprudenz auf die Landstände übertragen wurde. Das Mehrheitsprinzip abstrahierte von dem unterschiedlichen, etwa ständisch oder sachlich bedingten Gewicht der Stimmen und setzte deshalb eine gewisse ständische Gleichheit der Stimmberechtigten voraus. 64 Seine Durchsetzung stand und fiel mit der prinzipiellen Homogenität der Interessen aller Beteiligten und mit dem Grad ihrer kollektiven Integration. Nur wenn die Dissentierenden sich primär als Glieder des Ganzen und nicht primär als Glieder einer habituellen Minderheit verstehen konnten, ließ sich ihre Unterordnung unter die Mehrheitsentscheidung erwarten. Daß das Mehrheitsprinzip sich zwischen den Landtagskurien nicht etablieren konnte, liegt daher auf der Hand. Innerhalb der einzelnen Kurien hingegen wurde das Prinzip in dem hier behandelten Zeitraum in der Regel praktiziert, wie die Juristen übereinstimmend konstatierten. 65 62 Allg. dazu Otto von Gierke, Über die Geschichte des Majoritätsprinzipes, in: Schmollers Jahrbuch 39/2, 1915, 7 - 29; Ulrich Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, Opladen 1973; Klaus Schlaich, Majoritas, protestatio, itio in partes, Corpus Evangelicorum, in: ZRG KA 63, 1977, 264 - 299; 64, 1978, 139 - 179; ders., Die Mehrheitsabstimmung im Reichstag zwischen 1495 und 1613, in: ZHF 10, 1983,299 - 340; Winfried Schulze, Majority Decision in the Imperial Diets of Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: JMH 58, 1986, Suppl., 46 - 63. 63 Zur Verwandtschaft zwischen dem Mehrheitsprinzip und dem Prinzip der kollegialen Repräsentation als zwei Erscheinungsfonnen der Identitätsrepräsentation vgl. Hofmann, Repräsentation, 219 ff. 64 Vgl. z. B. grundsätzlich Johann Stephan Pütter, Ob in Fällen, da die drey Reichscollegien auf dem Reichstage verschiedener Meynung sind, eine Mehrheit der Stimmen gelte?, in: ders., Beyträge zum Teutschen Staats- und Fürsten-Rechte, I, 77 - 88, hier 79.
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Allerdings galten einige sehr wesentliche Ausnahmen, nämlich immer da, wo Rechte und Freiheiten der einzelnen als einzelner berührt wurden. Dies war zum einen der Bereich der Religionssachen, die dem Gewissen des einzelnen überlassen waren, und zum anderen gerade derjenige Bereich der Landtagsange1egenheiten, der das unangefochtene Zentrum landständischer Partizipation darstellte, der Bereich der "Contributionssachen". Gerade im Zusammenhang mit der Steuerbewilligung wurde aber die Repräsentationsfunktion der ständischen Gesamtkorporation von Juristen und frühen Finanztheoretikern reklamiert und gefordert: "Majoris autem partis vota praevalent", und: "Collectarum indictio ita rite facta obligat Subditos etiam absentes, et contradicentes".66 Die Problematik der korporativen Mehrheitsentscheidung in Steuersachen war genau der Punkt, an dem der Repräsentationsbegriff als Argument eingeführt wurde, und zugleich der Punkt, an dem seine Anwendbarkeit besonders strittig war. Als Argument gegen das Mehrheitsprinzip in Steuersachen wurde erstens angeführt, daß ,,keiner dem andem das Geld aus seinem Säckel votiren kann",67 d. h. es 65 Zur Geltung des Mehrheitsprinzips allg. Grotius, De iure belli ac pacis II,5,17; Pufendorf, De iure naturae et gentium VII,2,15; Losaeus, De iure universitatum 1,3, 69 ff.; David Mevius, Nuc1eus iuris naturalis et gentium, Frankfurt/Leipzig 1686, V,44,3, 305; Besold, Thesaurus practicus, 544 ff., s. v. Meiste Stimmen; zur Geltung auf Reichs- und Landtagen Limnaeus, Ius publicum IX,I,176; sehr ausführlich mit Anführung zahlreicher Belege Klock, De contributionibus c.6, 142 ff.; Hugo, De statu regionum Germaniae IV,34; im Anschluß daran Stryk, De statibus provincialibus, 41 ff.; Fritsch, De conventibus provincialibus, 36 ff., 39 f.; Hertius, De consultationibus, 9 f.; Wildvogel, De statibus provinicialibus § 44, 29; Caroc, Begründete Deduction, 64, 68, 87f.; Strobe, Obs.IV, § 26f., 206ff.; Pestei, De comitiis provincialibus, § 22, 44 f.; Reichardt, De statibus provincialibus eorumque variis iuribus, 27 ff.; Häberlin, Repertorium des teutschen Staats- und Lehnrechts, III, 141, s.v. Landtag. 66 So Heinrich Bocer, Tractatus de iure collectarum (1. Auf!. 1617), Tübingen 1689, c.4, § 8 ff., 26 ff., hier 33; als Autoritäten werden in der Regel angeführt: Klock, De contributionibus, c.6; ferner Aegidius Thomatus, De muneribus patrimonialibus sive collectis tractatus, Frankfurt/Main 1598; Christoph Wintzler, Synopticae observationes de collectis seu contributione Imperii ac Provinciarum, vulgo Reichs- und Landsteuren, Frankfurt/Main 1612. Die oben Anm. 19 zitierten Traktate übernahmen die Formel aus den finanzwissenschaftlichen Kompendien zusammen mit diesem ursprünglichen Kontext. 67 Besold, Thesaurus practicus, 544ff., s.v. Meiste Stimmen, zählte einen ausführlichen Katalog von Ausnahmen auf, in denen das Mehrheitsprinzip nicht gelte. - Klock, De contributionibus, c.6, § 95 -126, führte alle gängigen Argumente gegen das Mehrheitsprinzip auf, um sie ausführlich zu widerlegen. Zum entgegengesetzten Urteil kam er in anderem Zusammenhang (Consilia, Nümberg 1703, cons.28, 424-471), wo er ebenfalls den ganzen Katalog von Argumenten für und wider das Mehrheitsprinzip in Steuerfragen verzeichnete. In diesem konkreten Fall ging es darum, daß die vier höheren Stände des Bistums Bremen dem fünften Stand (den fünf Marschländern) gegen dessen Votum Steuern aufbürden wollten, von denen sie selbst sich als eximiert betrachteten, und sich dazu auf das Mehrheitsprinzip beriefen. Vgl. auch den Autoritätenkatalog zu dieser Frage bei Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/1,721 ff. - Die übrigen Traktate brachten keine eigenen Argumente, die über die bei Besold, Klock oder Moser angeführten hinausgegangen wären. - Gegen das Mehrheitsprinzip wandte sich nachdrücklich Johann Wilhe1m Neumayr von Ramsla, Tractatus von Schatzungen und Steuern, Schleusingen 1632, bes. 416f.; danach Fritsch, De conventibus provincialibus, 37. - Der Traktat von Ramsla, einem im thüringischen Sachsen "Erbeingesessenen", der
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
könne nicht in Sachen gelten, die des einen Nutzen, des anderen Schaden sind, nach dem Grundsatz ,,nemo ex facto alterius gravari debet".68 Zweitens hieß es, Steuern seien freiwillige Hilfen, "in Freywilligkeiten aber kan die Verstimmung [d.i. Überstimmtwerden] nicht statt finden".69 In Fällen von Freiwilligkeit liege das größere Recht immer bei dem Dissentierenden, der durch die Mehrheit nicht zu einer Leistung genötigt werden könne. Drittens schließlich wurde geltend gemacht, die Mitglieder eines ständischen Kollegiums seien einander an Würde gleich, und unter Gleichen gebe es keine Zwangsgewalt. 7o Das Hauptargument, das alle vorgenannten in sich schloß, bestand darin, den korporativen Charakter landständischer Beschlüsse in Steuersachen zu bestreiten: Hier seien die Mitglieder der Korporation ut singuli betroffen; das, worüber man beschließe, gehöre nicht dem Gesamtkollegium, sondern den einzelnen Mitgliedern. In diesen Fällen sei daher der Konsens aller einzelnen erforderlich, gemäß dem Grundsatz quod omnes tangit, ab omnibus debet approbari. 71 Wer diese Argumente entkräften wollte, mußte umgekehrt den Charakter der Landstände als Korporation und als Repräsentanten der gesamten universitas hervorkehren. Die Mehrheitsentscheidung galt danach auch in Steuerfragen, wenn die jeweilige Steuer die Untertanen nicht als einzelne, sondern als universi betraf. Dies sei dann der Fall, so hieß es, wenn die Steuer von der publica utilitas et necessitas erfordert werde, denn dann gehe sie grundsätzlich omnes status provinciae ut universos an, auch wenn sekundär - wie bei fast allen die universitas betreffenden Sachen - die Güter der einzelnen belastet würden. 72 Liege ein Fall von publica necessitas et utilitas vor, so handele es sich zudem nicht mehr um eine freiwillige Steuer, zu deren Leistung die Stimme jedes einzelnen einzuholen wäre. 73 Denn: Ohne das Mehrheitsprinzip würde "nicht ein einig Diet, Convent, Land-Tag, als politischer Schriftsteller dilettierte, enthielt unter anderem einen Katalog aller denkbaren echten oder auch als Vorwände empfohlenen Argumente gegen landesherrliche Steuerforderungen, umrahmt von wortreichen und mit historischen Exempeln belegten Mahnungen an die Fürsten, sich in Steuersachen zurückzuhalten. Der für eine genuin ritterschaftliche Perspektive überaus aufschlußreiche Traktat verwandte bezeichnenderweise an keiner Stelle den Repräsentationsbegriff. 68 Klock, Consilia, 438; ders., De contributionibus, c.6, § 1Ol. 69 So Besold, Thesaurus practicus, 544f.; vgl. Klock, Consilia, 440. 70 Klock, Consilia, 439. 71 Besold, Thesaurus practicus, 546; Klock, Consilia, 438 f.; ders., De contributionibus, c.6, §§ 143 ff. 72 So Klock, De contributionibus, c.6, §§ 113 ff., §§ 152 f.; darin folgte ihm von den oben Anm. 64 zum Mehrheitsprinzip genannten Autoren nur Hertius, De consultationibus, § 8, 9: ,,Nam quod obtendunt ... , in rebus quae ad singulos spectant singulorum consensionem esse necessariam, si admittatur ad hanc causam nihil facit, cum tributorum onus ad singulos, non qua tales, sed qua pars Reip. sunt, pertineat." Die anderen zitierten Autoren begnügten sich in der Regel damit, auf die Umstrittenheit der Frage hinzuweisen. 73 Ebd. - Unstrittig war allerdings auch für Klock die allgemeine Regel, daß die Mehrheit die Minderheit nicht überstimmen könne, wenn iura quaesita der letzteren davon betroffen seien; ebd. § 142, 154.
3. Landständische Repräsentation als fonnales Zurechnungsprinzip
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Reichs- und Kreis-Versammlung I Congregation und Consultation mit Nutzen abgehen I weil unter einer großen Heerde zum wenigsten ein räudig Schaf ist"; nur mithilfe dieses Prinzips sei es möglich, die Angelegenheiten einer Gesamtheit effizient zu betreiben, und zwar so, daß die publica utilitas der privaten vorgezogen werde. 74 In diesem Sinne urteilte auch Johann Jakob Moser: "Ich zweifle aber sehr daran, ... daß alle die Landes-Freyheiten betreffende Sachen Jura Singulorum und dahero denen mehreren Stimmen nicht unterworffen seyen. Jura Singulorum heißen sonst in der ganzen Welt diejenige Sachen, wovon nicht alle Mit-Glieder eines Staats, Collegii, u.s. w. gleichen Nuzen oder Schaden haben: So bald aber etwas eine allgemeine Landes-Freyheit ist, haben auch alle gleiches Recht daran, und, wenigstens von Rechts-wegen, et positis ponendis, gleichen Nuzen und Schaden davon; so können es also auch keine Gerechtsamen einzelner Personen seyn; mithin haben auch die mehrere Stimmen statt".75 In der Steuerfrage kollidierte also das als Einstimmigkeitsprinzip ausgelegte quod omnes tangit, ab omnibus approbari debet76 , das die Stände als Summe einzelner Konsensberechtigter faßte, mit dem korporativen Mehrheitsprinzip, das eine Willenseinheit oberhalb der Summe aller einzelnen Willen konstruierte. Es liegt auf der Hand, daß das Prinzip quod omnes tangit in der Regel im Interesse jedes einzelnen ständisch Berechtigten lag, der seine Rechte und Güter vor dem Zugriff möglicher Mehrheiten zu schützen suchte, während dem Landesherrn daran gelegen sein mußte, die Korporationsqualität der Landstände hervorzuheben und die Geltung des Mehrheitsprinzips zu behaupten, um die allgemeine Verbindlichkeit von Landtagsbeschlüssen sicherzustellen. 77 Mit dem Mehrheitsprinzip - ähnlich Klock, Consilia, 438. Moser, Neues Teutsches Staatsrecht 13/1,725. 76 Zur Herkunft des Prinzips vor allem Yves M.-J. Congar, Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet, in: H. Rausch, Hrsg., Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Volksvertretung, Darmstadt 1980, 115 - 182, bes. 119 f.; Gaines Post, A Romano-Canonical Maxime, Quod Omnes Tangit, in Bracton and in Early Parliaments, in: ders., Studies in Medieval Legal Thought. Public Law and the State 1100- 1322, Princeton 1964, 163 - 238; zur Limitierung dieses Prinzips durch das der Stimmenmehrheit vgl. ders., A Roman Legal Theory of Consent, Quod Omnes Tangit, in Medieval Representation, in: Wisconsin Law Review 1950, 66 - 78; Ralph Giesey, "Quod omnes tangit" - A Post Scriptum, in: Festschrift Gaines Post (Studia Gratiana, 15), Rom 1972; ferner Müller, Imperatives Mandat, 86 f.; Walz, Stände und frühmoderner Staat, 31 ff.; Mohnhaupt, Die Mitwirkung der Landstände bei der Gesetzgebung, 257 mit Anm. 38. 77 Ein instruktives Fallbeispiel dafür bringt Rudolfine Freiin von Oer, Quod omnes tangit as Legal and Political Argument: Gennany, Late Sixteenth Century, in: Parliaments, Estates and Representation 3, 1983, 1 - 6: Bei dem Steuerkonflikt im Fürstbistum Münster in den 1590er Jahren zwischen den Städten einerseits und Ritterschaft, Domkapitel und Regierung andererseits beriefen sich die Städte bei ihrer Steuerverweigerung auf das quod omnes tangit-Prinzip, während sich ihre Gegner auf Ius commune und Majoritätsprinzip stützten. Die Städte argumentierten unter anderem, das gemeinrechtliche Majoritätsprinzip diene zur Beförderung der fürstlichen absoluta auctoritas et potestas. - Die gleiche Diskussion um das Mehrheitsprinzip findet sich auf Reichsebene; vgl. die oben Anm. 62 angegebene Literatur von Schulze und Schlaich sowie die unveröff. Magisterarbeit von Stephanie Schmitz, Der 74 75
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
wie mit dem Prinzip des (relativ) freien Mandats der Korporationsvertreter - stand und fiel aber der Korporations- und damit der Repräsentantencharakter der Landstände. So hieß es, das Mehrheitsprinzip gelte nur dort, wo die Mitglieder einer Korporation nicht iure suo, sondern ut tutores, Curatores, Decuriones et similes handelten. Daraus konnte man dann umgekehrt folgern, daß die Landstände in puncto Steuern eben nicht als tutores handelten. 78 Insofern ist Ulrich Scheuner zuzustimmen, der resümiert: "Innerhalb der ständischen Körper kam es [das Mehrheitsprinzip], je stärker das individuelle Denken in Privilegien sich ausprägte, schwächer zum Ausdruck, während es an Bedeutung dort gewann, wo diese Vertretung einen nationalen, repräsentativen Charakter gewann."79 Pütter, der große Systematiker der späten Reichspublizistik, 80 rief die konkrete staatsrechtliche Relevanz des Repräsentationsbegriffs im letzten Viertel des 18. Jhs. noch einmal kurz und klar in Erinnerung. Pütter war mit der Steuerbewilligungs- und Repräsentationsfrage unmittelbar befaßt, als er 1774/75 eine Klage der Geraischen Ritter- und Landschaft gegen die Grafen Reuss vor dem Reichskammergericht in drei Rechtsgutachten vertrat. 81 Im Anschluß an den erfolgreich geführten Prozeß erörterte Pütter in seinen "Beyträgen zum teutschen Staats- und Fürsten-Rechte" die Frage auf abstrakterem Niveau, "Ob und in wie weit in Teutsehen Fürstenthümern und Grafschaften den Landständen ein Mitregierungs-Recht beygelegt werden könne?"s2 In diesem Aufsatz band Pütter die ,,Repräsentation sämmtlicher Unterthanen" an die ständische "Mitregierung" und unterschied beides von der bloßen VerteidiReichstag in der Krise des konfessionellen Zeitalters. Das Beispiel 1613, (masch.) Köln 1993,79ff. 78 Besold, Thesaurus practicus, 544 f. - Diesen Zusammenhang verkennt die ältere Forschung; so etwa, wenn es bei Spangenberg, Vom Lehnstaat zum Ständestaat, 143, heißt: "Während das Mehrheitsprinzip sich nur unter günstigsten Verhältnissen durchsetzen ließ, gehörte die Vertretungsbefugnis zum Wesen der landständischen Verfassung." 79 Scheuner, Mehrheitsprinzip, 27. - Vgl. auch Gierke, Genossenschaftsrecht I, 571 f. 80 Zu Pütter (1725 - 1807), dessen Bedeutung als Lehrer des Reichsstaatsrechts kaum zu überschätzen ist und dessen Einfluß selbst bis weit in die katholischen Territorien ausstrahlte, vgl. Wilhelm Ebel, Der Göttinger Professor Johann Stephan Pütter aus Iserlohn, Göttingen 1975, bes. 71 ff.; Ulrich Schlie, Johann Stephan Pütters Reichsbegriff, Göttingen 1961, bes. 52 ff.; Christoph Link, Zur Entstehung des modernen Staatsgedankens: Der Beitrag Göttingens, in: Jb.d.Öff.Rechts der Gegenwart, N.F.30, 1981, 1- 20; zuletzt ders., Johann Stephan Pütter, in: Stolleis, Hrsg., Staatsdenker, 310 - 331, bes. 324 ff.; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts 11,312 ff. - Ferner zu Pütters ständischem Konservativismus Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 141 ff., 167 ff. 81 Dokumentiert in: Pütter, Auserlesene Rechtsfälle aus allen Theilen der in Teutschland üblichen Rechtsgelehrsarnkeit in Deductionen, rechtlichen Bedenken, Relationen und Urtheilen, 4 Bde., Göttingen 1767 - 1809, hier Bd.III, Nr. 267 - 270, 277 - 558. Das Urteil des Reichskammergerichts im Jahre 1777 fiel zugunsten der Stände aus. 82 Beyträge zum Teutschen Staats- und FÜfsten-Rechte, Göttingen 1777, I, 179 - 185. Zum Zusammenhang mit dem Prozeß der Geraischen Landschaft ebd. 183 Anm. b). - Zur Frage des "Mitregierungsrechts" allgemein und bei Pütter vgl. oben Kap. 1I.2.
3. Landständische Repräsentation als formales Zurechnungsprinzip
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gung der Freiheiten und des Eigentums der einzelnen Stände. Wo die Einwilligung der Landstände nur zu Eingriffen in ihre und ihrer Hintersassen Güter und Rechte erforderlich sei, so Pütter, da könne nicht von einer Teilnahme an der Regierungsgewalt die Rede sein, sondern nur von der "Wegräumung eines Hindernisses" für deren Ausübung. 83 Anders verhalte es sich aber in den meisten deutschen Ländern, wo vielmehr "Herr und Stände in Sachen, welche die gemeine Landesverfassung betreffen, nie anders als gemeinschaftliche Schlüsse fürs ganze Land gefasset haben". Konkret war dies nach Pütter vor allem darin greifbar, daß die Steuerbewilligungen nicht nur für das jeweilige Eigentum der einzelnen Stände, sondern auch für die landesherrlichen Ämter und Domänen galten: "Alsdann können allerdings solche Landschaften als Repräsentanten der sämmtlichen Unterthanen eines ganzen Landes angesehen" und es könne ihnen ein Mitregierungsrecht ähnlich dem der Reichsstände im Reich beigelegt werden. 84 Auch diese seien - wie das englische Parlament - Mitregenten und damit Repräsentanten des Ganzen nur als Gesamtkorporation, als einzelne hingegen Untertanen. 85 Die Absicht hinter dieser juristischen Klarstellung liegt auf der Hand: Als aufgeklärtem Anwalt der landständischen Verfassung war Pütter daran gelegen, dem Bild der Stände als einem Verein privater Privilegierter entgegenzutreten, die nur ihre iura singularia verfochten. Ähnlich wie schon Moser setzte daher Pütter das korporative Repräsentationsprinzip dem Rückzug der Stände auf ein partikularistisches Selbstverständnis entgegen - nicht nur im landesherrlichen, sondern auch im wohl verstandenen ständischen Sinne. Indem er ihren Repräsentationscharakter und zugleich - anders als andere Reichspublizisten - ihr Mitregierungsrecht als Gesamtkorporation beschwor, verpflichtete Pütter sie ebenso wie den Landesherrn auf das "wahre Wohl" des Landes, gerade weil er ihre tatsächliche Neigung zur Obstruktion aus "Rücksicht auf ihre Privat-Vortheile" illusionslos einschätzte. 86 Ebd.,180f. Ebd., 182f.; vgl. auch ders., Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung, 11, 169. - Vgl. ebenso schon earoc, Begründete Deduction, 12; Strobe, Von Landständen § 9, 144 f.: wo die ständischen Bewilligungen auch bezüglich der Kammerbauern gelten, da nur aufgrund besonderer Verträge. - Georg Johann Baptist Panzer, Versuch über den Ursprung und Umfang der landständischen Rechte in Bayern o. 0. 1798, 32: Der Bauemkrieg habe dazu geführt, daß auch Kammerbauern allgemein nur aufgrund von Landtagsbeschlüssen besteuert werden dürften. - Dagegen Johann Heinrich Gottlob Justi, System des Finanzwesens, Halle 1766, ND Aalen 1969, § 674; Posse, Über das Staatseigenthum, §§ 22- 23. 85 Zum Mitregierungsrecht der Reichsstände vgl. den Aufsatz Pütters "Ob und wie weit den Teutschen Reichsständen ein Mitregierungsrecht an der kayserlichen Regierung beygelegt werden könne?", in: Beyträge, 58 -76, bes. 62. 86 Bey träge, 184f. Vgl. die abwägende Kritik von dems., Historische Entwickelung, 11, 171. - Pütter stand damit wie Moser in der Tradition des korporativen Repräsentationsbegriffs, was Vierhaus, Politisches Bewußtsein, 190, übersieht. - Gänzlich irreführend ist es, wenn Thomas Würtenberger die zitierte Schrift Pütters aus den "Bey trägen" als Beleg dafür anführt, daß "Volkssouveränität nicht mehr in ständischer Gliederung verwurzelt" gewesen sei, "sondern ... die bürgerliche Gesellschaft zum Bezugspunkt" erhalten habe (Thomas Würtenberger, An der Schwelle zum Verfassungsstaat, in: Aufklärung 3/2, 1988, 53 - 88, hier 65). 83
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IlI. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
Festzuhalten ist: Der schon im 17. Jh. geläufige juristische Topos, daß die Landstände die Gesamtheit der Untertanen repräsentierten, war der spätmittelalterlichen Korporationstheorie entlehnt. Dort diente der Repräsentationsbegriff dazu, die kollektive Einheit und Handlungsfähigkeit einer Korporation zu fassen. Mit dem Begriff der Identitätsrepräsentation wurde ein herausgehobenes Kollegium pars pro toto an die Stelle der Gesamtheit gesetzt, wobei der Gesamtheit keine größere Rechtsrnacht zukam als der repräsentativen Versammlung. Wo dieser Begriff auf die Landstände und ihr Verhältnis zum Land als universitas übertragen wurde, da ging es ursprünglich keineswegs etwa darum, die Position der Stände zu legitimieren, indem man sie etwa als ausdrücklich oder stillschweigend von den Untertanen Beauftragte ausgab. Schon gar nicht lassen sich die Belege so deuten, daß die Untertanen durch Stellvertreter eigentlich ihnen selbst zustehende Rechte geltend gemacht hätten. 87 Wenn Moser den Landständen bescheinigte, sie seien ,,Repräsentanten des Landes in favorabilibus et odiosis, Custodes Legum et Jurium Patriae", so handelt es sich um die Rechte und Freiheiten des ,,Landes" als eines immer schon ständisch gegliederten Ganzen, d. h. um immer schon ständisch vermittelte Rechte. 88 Die Rechte und Freiheiten des Landes, die zwischen Fürst und Ständen verbrieft waren und die zu wahren allein den Ständen zukam, waren deshalb etwas grundsätzlich anderes als individuelle Grundrechte der einzelnen Untertanen. 89 Wenn etwa Moser von den Rechten aller Reichsuntertanen auf einen ordentlichen Prozeß, auf Konfessionsfreiheit oder Freizügigkeit sprach, so faßte er dies ausdrücklich als Rechte auf, die jedem einzelnen qua natürlichem und allgemeinem Reichsrecht zustanden und gerade nicht erst aus den Landesverträgen flossen. 9o Sofern also in der Reichspublizistik tatsächlich erste Ansätze zur Formulierung individueller Grundrechte aller, auch der mittelbaren Untertanen zu finden sind,91 so lagen diese gerade jenseits der ständischen Rechte und Freiheiten des jeweiligen Landes. Eines 87 So das für modeme Mißverständnisse typische Fazit von Rausch, Repräsentation, 227: "Die Stände waren die Repräsentanten des Volkes als Summe der Untertanen, die ihren Freiheitsanspruch innerhalb des Landes nicht selbst, sondern nur in Vertretungskörperschaften geltend machen konnten." 88 Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1,716,843. 89 Vgl. Dreitzel, Grundrechtskonzeptionen, 191 f., der darauf hinweist, daß Grundrechte im Sinne fundamentaler, herrschaftsbegrenzender, konkreter, aus der Natur des Menschen oder des Bürgers abgeleiteter Rechtsnormen das Gleichheitsprinzip implizieren und daher in der ständisch-korporativ organisierten Gesellschaft Fremdkörper waren. 90 Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/2, 944; vgl. ebd. 937 ff.: bei der Behandlung "der mittelbaren Glidere Rechte" war von Landständen nicht die Rede. - Vgl. Dreitzel, Grundrechtskonzeptionen, 188 f. 91 So etwa Winfried Schulze, Ständische Gesellschaft und Individualrechte, in: G. Birtsch, Hrsg., Grund- und Freiheitsrechte von der altständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1987, 161-179; JÜfgen Weitzel, Das Reichskammergericht und der Schutz von Freiheitsrechten seit der Mitte des 18. Jhs., in: B. Diestelkamp, Hrsg., Die politische Funktion des Reichskammergerichts, Köln 1993, 157 - 180.
3. Landständische Repräsentation als fonnales Zurechnungsprinzip
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der wichtigsten Untertanenrechte im Rahmen der Reichsverfassung, die Klagemöglichkeit vor den Reichsgerichten bei Rechtsverweigerung, konnte ja u.U. gerade auch gegen die Grundherren, also die Landstände selbst, geltend gemacht werden. Individueller Grundrechtscharakter kann einem solchen Recht nur zugesprochen werden, wenn und so weit der einzelne zu seiner Geltendmachung die intermediären Herrschaftsträger und Korporationen gerade zu überspringen vermochte. Von einem individuellen Recht aller Reichs- bzw. Landesuntertanen, beispielsweise vor willkürlicher Besteuerung geschützt zu sein, kann man also nicht sprechen, da ein Steuerbewilligungsrecht nicht anders denn als ständisches existierte. Das schloß allerdings nicht aus, daß ständefreundliche Autoren die Wahrung der Landesfreiheiten und den Vortrag der Gravamina gelegentlich als Schutz der Rechte aller Untertanen interpretierten, indem sie Stände und Untertanen im Begriff des Landes ineinssetzten und deren gemeinsames Interesse, vor allem an der Abwehr fürstlicher Finanzforderungen, betonten. 92 Die Stände machten also nicht individuelle Rechte aller Untertanen geltend, auch wenn die ständischen Landesfreiheiten diesen unter Umständen durchaus zugute kommen konnten. Vielmehr war es umgekehrt: Die Entscheidungen einer Gruppe von ständisch herausgehobenen Personen bzw. Korporationen erstreckten sich dadurch auf die Gesamtheit, daß diese Gruppe insgesamt rechtlich als Korporation institutionalisiert war. 93 Der fundamentale Gegensatz zum modernen Verständnis politischer Repräsentation wird vor allem daran deutlich, daß die ständisch gegliederte Verfassungsrealität der magistratischen Ämter, adligen Her92 So die schon oben 11.2 zitierte Stelle bei Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13 / 2, 942: die "Landesfreiheiten" kämen "eigentlich ... einem jeden Einwohner eines Landes, oder doch wenigstens einem jeden Burger desselbigen" bzw. jedem, der bürgerliche Freiheiten genieße, zu. Dann räumte er bezeichnenderweise ein, es handele sich im engeren Sinne um die Rechte der Landstände "als Vorstehern und Repräsentanten des ganzen Landes", gelegentlich auch nur um die Rechte einer "Classe" von Landständen. Im folgenden war dann stets summarisch von "Landständen und Untertanen" die Rede. - Ähnlich etwa Seckendorff, Fürstenstaat, 1.2,c.4, §§ I ff., der ebenfalls Rechte der Untertanen und Rechte der Landstände nicht streng auseinanderhält. - Der Moserschen Interpretation entsprach, daß in Württemberg im Zuge der Abwehr des landesherrlichen fiskalischen Zugriffs tatsächlich ständisch-korporative Freiheiten zunehmend, wenn auch nur bruchstückhaft, zu Individualrechten der einzelnen Untertanen ausgestaltet wurden; vgl. Bernd Wunder, Grundrechte und Freiheit in den württembergischen Verfassungskämpfen 1815 -1819, in: G. Birtsch, Hrsg., Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, Göttingen 1981,435 -459, hier 442 f. 93 Vgl. Hofmann, Repräsentation, 225. - Vgl. schon die treffende Definition der ständischen Repräsentation bei Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 172: "Die ständische (eigenrechtliche) Repräsentation ... ist insofern nicht ,.Repräsentation", als sie primär als Vertretung und Geltendmachung lediglich eigener (appropriierter) Rechte (Privilegien) angesehen wird. Aber sie hat insofern Repräsentationscharakter (und wird daher auch gelegentlich als solche angesehen), als die Rückwirkung der Zustimmung zu einem ständischen Rezeß über die Person des Privileginhabers hinaus auf die nicht privilegierten Schichten, nicht nur der Hintersassen, sondern auch anderer, nicht durch Privileg ständisch Berechtigter, wirkt, indem ganz regelmäßig deren Gebundenheit durch die Abmachungen der Privilegierten als selbstverständlich vorausgesetzt oder ausdrücklich in Anspruch genommen wird."
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
renrechte etc. immer schon Voraussetzung für die erst sekundär hinzukommende Repräsentationsfiktion war, während es im modemen Parlamentarismus umgekehrt die Vertretungsfunktion ist, die ihrem Inhaber Macht und Würde erst verleiht. 94 Festzuhalten ist also: Die Formel ordines subditos repraesentant diente den Juristen und Finanztheoretikern ursprünglich als Argument vor allem in der Steuerfrage, nämlich dazu, die Handlungsfähigkeit der Landstände als Korporation und die Zurechenbarkeit ihrer korporativ gefaßten Beschlüsse sicherzustellen - und zwar nicht zuletzt im landesherrlichen Interesse: 95 Daß die Stände alle Untertanen repräsentierten, sollte nichts anderes heißen, als daß förmlich gefaßte Landtagsbeschlüsse allen rechtlich zugerechnet werden konnten, d. h. daß sie verbindlich waren auch für eine dissentierende Minderheit, für die Rechtsnachfolger der Beschließenden, für die nicht auf dem Landtag Anwesenden und die nicht selbst Landtagsberechtigten. Die Repräsentationsfiktion diente nicht, wie heute, zur Konstituierung und Legitimierung einer politischen Elite, sondern vielmehr dazu, einzelne Konsensberechtigte zu einer handlungsfähigen Einheit mit gemeinverbindlicher Entscheidungskompetenz zusammenzuschließen. Der Repräsentantencharakter der Landstände hing an ihrer Korporationsqualität, und diese war eben durchaus nicht unumstritten, wie sich an der Diskussion um die Geltung des Mehrheitsprinzips ablesen läßt. Als repräsentative Korporation für das Ganze zu handeln stand im Konflikt mit dem Beharren, gerade in Steuersachen die Einzelrechte ut singuli zu wahren. Der klassische korporationsrechtliche Repräsentationsbegriff, so wie er ursprünglich auf die Landstände übertragen wurde, betraf also primär den Verfahrensmodus innerhalb der ständischen Korporation, während das Verhältnis der Korporation zu den nicht politisch Berechtigten gar nicht thematisiert wurde. Dies Vgl. Wolff, Theorie der Vertretung 59, der von "appropriierter Repräsentation" spricht. Symptomatisch für moderne Mißdeutungen ist, welchen Fall Gierke, Genossenschaftsrecht I, 580, zum Beleg dafür anführt, daß "eine der modernen Idee der Volksvertretung" nahestehende Auffassung Eingang in einzelne Verfassungen gefunden habe: Es handelt sich um den Fall des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt, dessen Untertanen 1719 vor dem Reichskammergericht klagten, weil der Landesherr weder Landtag noch Ausschuß mehr konsultiert und eigenmächtig die Steuern vermehrt hatte. Auf das Drängen von Ritterschaft und Städten nach Wiederherstellung der Landesverfassung erließ der Landesherr am 4. 3. 1722 eine "Landschaftskonstitution", die in der zeitgenössischen Literatur als bemerkenswerter Fall einer neugestifteten Verfassung erwähnt wurde. Diese Konstitution installierte ein zehnköpfiges Kollegium ständischer Deputierter, die von ihren Konstituenten unabhängig sein und "das ganze Land repraesentiren, auch vor dasselbe sich verbindlich machen" sollten. Das Kollegium bestand indessen nur bis 1733 und agierte in dieser Zeit ausschließlich als Werkzeug des Fürsten in dessen Reichsgerichtsprozessen gegen seine Untertanen, wozu es gerade seine Repräsentationsbefugnis, nämlich seine korporativen Beschlüsse dem ganzen Land zurechnen zu können, besonders befähigte - was schon Häberlin zu der Bemerkung veranlaßte: ,,Bewahre doch Gott ein jedes Land für eine solche fürstliche Generosität und gnädige Intention!" (Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1, 379ff.; Häberlin, Repertorium III, 110f., s.v. Landstand. - Zum historischen Verlauf vgl. Ermentrude von Ranke, Das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt zu Beginn des 18. Jhs., Halle 1915.) 94
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4. Landständische Repräsentation als vormundschaftliche Fürsorge
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änderte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts. Je mehr die Stände als "privilegierte Korporation im Land,,96 wahrgenommen wurden, je weniger die korporationsrechtliche Identifikation von Ständen und Volk akzeptiert wurde und je deutlicher die Frage nach den rationalen Geltungsgriinden ihrer ständischen Rechte gestellt wurde, als desto unbefriedigender wurde ein rein formales Repräsentationsprinzip empfunden, das nicht auch mit inhaltlichen Anspriichen zur Deckung kam. Dem suchten einzelne Ständeanwälte zu begegnen, indem sie den Repräsentationsbegriff anders akzentuierten und im landständischen Interesse argumentativ fruchtbar machten.
4. Landständische Repräsentation als vormundschaftliche Fürsorge Daß die Sorge für das Landeswohl dem Fürsten und den Ständen gleichermaßen aufgegeben sei, war ein traditioneller Gemeinplatz - ungeachtet der konkreten Divergenzen dariiber, worin denn im Einzelfall das Landeswohl bestehe. Ganz gleich, auf welche politische Einheit die Kategorie bezogen wurde,97 - in der deutschen politischen Theorie bis weit ins 18. Jh. hinein faßte man das Gemeinwohl als ein homogenes auf, nicht als Resultat widerstreitender Partikularinteressen. 98 Brunner, Land und Herrschaft, 414ff. Dietmar Willoweit, Struktur und Funktion intermediärer Gewalten im Ancien Regime, in: Gesellschaftliche Strukturen als Verfassungsproblem, Berlin 1978,9 - 27, hier 15 f., weist auf die prinzipielle Unvereinbarkeit traditioneller genossenschaftlicher Strukturen mit dem modemen Staatszweckbegriff des allgemeinen Wohls hin. Im Gegensatz dazu stellt Blickle, Kommunalismus, 544, die These auf, daß die Kategorie des gemeinen Nutzens eine ursprünglich genossenschaftliche Kategorie darstelle, die vom Fürstenstaat übernommen worden sei. Eine Auseinandersetzung darüber ist müßig, da Inhalt und Reichweite der Gemeinwohl-Kategorie sich selbstverständlich immer danach richten, auf welche politische Integrationsebene sie sich beziehen, d. h. welche größere oder kleinere Einheit jeweils als Gemeinwesen unterstellt wird. - Bei der Frage nach der historischen Herkunft der GemeinwohlKategorie setzt sich augenscheinlich die alte Kontroverse um die Priorität von Herrschaft oder Genossenschaft fort. 98 Dies läßt sich ungeachtet einzelner früher Gegenbeispiele über die politische Theorie im allgemeinen aufrechterhalten. Vgl. Winfried Schulze, Vom Gemeinnutz zum Eigennutz. Über den Normenwandel in der ständischen Gesellschaft der frühen Neuzeit, in: HZ 243, 1986, 591 - 626. - Allg. zur Geschichte des Gemeinwohlbegriffs Walter Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen' Staats- und Rechtsentwicklung, 2. Auf!. Darmstadt 1968; Ulrich Scheuner, Die Staatszwecke und die Entwicklung der Verwaltung im deutschen Staat des 18. Jhs., in: G. Kleinheyer /P. Mikat, Hrsg., Beiträge zur Rechtsgeschichte, Paderborn 1979, 467 -489; Reiner Schulze, Policey und Gesetzgebungslehre im 18. Jh., Berlin 1982; Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre. - Vgl. zur Herausbildung des Konzepts von Gemeinwohl als Ergebnis antagonistischer Interessen Walther Euchner, Egoismus und Gemeinwohl. Studien zur Geschichte der bürgerlichen Philosophie, Frankfurt/Main 1973; Ulrich Scheuner, Konsens und Pluralismus als verfassungsrechtliches Problem, in: G. Jakobs, Hrsg., Rechtsgeltung und Konsens, Berlin 1976,33-68; H. J. FuchsN. Gerhardt, Interesse, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 4,1976,479-494; Jörg Fisch/Reinhart Koselleck/Ernst Wolfgang Orth, Interesse, in: Geschichtliche Grundbegriffe 3,1982,305-365; 96 97
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
Das heißt nicht, daß die Kategorie des Eigennutzes nicht geläufig gewesen wäre. Sowohl der Landesherr als auch die Landstände beanspruchten indessen für sich, daß das Landeswohl notwendig mit dem jeweils eigenen wohlverstandenen Nutzen zur Deckung komme. Die fürstliche Seite konnte sich dabei auf eine breite kameralistische Literatur stützen, deren zentrales Dogma die Interessenidentität von Landesherrn und Untertanen war. Das landesherrliche Finanzinteresse galt danach als mit dem Wohl der Untertanengesamtheit notwendig kongruent, weil eine zahlreiche und wohlhabende Bevölkerung nicht nur die fürstliche Kammer fülle, sondern auch die "wahre Macht des Staates" und den dauerhaften Ruhm des fürstlichen Hauses begründe. Nur der Landesherr bzw. seine Zentralbehörden erschienen durch ihre über alle partikulären Perspektiven herausgehobene Lage sowohl willens, das Wohl des Ganzen zu befördern, als auch fähig, die dazu tauglichen Mittel zu erkennen und auszuführen. 99 Diesem bürokratischen Ethos setzten die Ständeanwälte ein traditionales Partizipationsverständnis entgegen, indem sie umgekehrt argumentierten: Nur die im Land angesessenen und begüterten Stände seien in der Lage, das Landeswohl zu beurteilen, und notwendig daran interessiert, es zu befördern. loo Die Zielrichtung dieses ständischen Arguments war zunächst nicht ihre Legitimation gegenüber den nicht begüterten und nicht partizipationsberechtigten Untertanen, sondern die Behauptung des landständischen Einflusses gegenüber der Konkurrenz nicht landsässiger fürstlicher Räte in den Zentralbehörden und gegenüber dem unkontrollierbaren, nicht institutionalisierten Einfluß anderer Ratgeber am Hof. Ihnen galt das größte Mißtrauen ständefreundlicher Autoren. Im Gegensatz zu willkürlich herangezogenen, womöglich landfremden "Aulico-Politici" und "Hof-Teufeln" seien die Landstände die "geborenen Räte" des Landesherrn. Da jene im buchstäblichen Sinne "am Land nicht teilnahmen", so wurde unterstellt, könne nur persönlicher Eigennutz ihren Rat leiten. Auch die Kritik am Landesherrn selbst wurde meist indirekt vorgetragen als Kritik an dessen falschen Beratern und schmeichlerischen Günstlingen,IOI eine prinzipielle Interessenidentität von Landesherrn und Landständen also postuliert. Albert O. Hirschman, Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg, Frankfurt/Main 1980. 99 Vgl. zuletzt Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine, 101 ff. mit weiteren Nachweisen. 100 Vgl. zu den unterschiedlichen Vorstellungen von "Beratung" jetzt Wolfgang Weber, "Ein vollkommener Fürstlicher Staats-Rath ist ein Phönix", in: ZHF 21, 1994,221- 233. 101 Vgl. z. B. Neumayr von Ramsla, Von Schatzungen und Steuern, 312f.; Fritsch, Von Landtagen, 10; Caroc, Begründete Deduction, 4ff.; lOOff., alle mit starkem antihöfischem Affekt; Roesler, Refutation, § 14, 19f.; Struv/Jargow, Diseurs, 112f. (Anm. von Jargow); Zedler, Universal-Lexicon, s.v. Landstand. - Das klassische Argument, nur im Lande Begüterte seien zu politischer Partizipation berechtigt, wandte sich zunächst gegen landfremde Höflinge und Räte, konnte aber später ebenso gegen die Mitsprache nicht begüterter Landesuntertanen gewendet werden; vgl. zur Eigentumsqualifikation für die Landstandschaft unten Kap. VIII.4.
4. Landständische Repräsentation als vormundschaftliche Fürsorge
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Demgegenüber wiesen engagierte Despotismus-Kritiker wie der ältere Moser auf die Relativität der Gemeinwohl-Definitionen des Regenten einerseits und des "Landes" andererseits hin. 102 Es sei durchaus ein Unterschied, "was ein Regent und Sein Haus für ein Glück und für gut halte, und was das Land dafür ansehe". Das Wohl des "Landes" wiederum sei - ganz im Gegensatz zum Wohl der Dynastie - mit dem Wohl der Landstände identisch: "Ueberhaupt endlich ist, und", so fügt Moser einschränkend hinzu, "solle ordentlicher Weise der Land-Stände und des Landes Nuzen und Schaden von einander unzertrennlich seyn ... dann ihr eigenes Interesse treibet sie ohnehin darzu an ... ".103 Daß das Landeswohl im Interesse der Stände liege, war so lange eine bloße Tautologie, als Land und Stände umstandslos identifiziert wurden. Indem aber der Landesherr seinen politischen Gestaltungsspielraum zunehmend ausdehnte und den administrativen Zugriff auf alle einzelnen, gleich ob mittel- oder unmittelbare Untertanen intensivierte, ergab sich eine zunehmende Konkurrenz zwischen Fürst und Ständen hinsichtlich der Sorge für die "gemeinen Untertanen". Wie der Landesherr selbst, aber anders als Landfremde konnten die Stände das traditionelle adlige Herrschaftsethos der Schutz- und Fürsorgepflicht gegenüber den ihrer Herrschaft Unterworfenen für sich in Anspruch nehmen und ihre hergebrachten Rechte in diesem Sinne interpretieren. Die Stände reklamierten daher ausdrücklich für sich, das Wohl der "armen Untertanen" besser zu kennen und angelegentlicher zu befördern als die landesherrlichen Beamten. Vor allem ihr Steuerbewilligungsrecht übten sie zum Wohle ihrer eigenen Untertanen aus, so wurde argumentiert, da der ungehinderte Zugriff des Landesherrn auf das Hab und Gut der ständischen Hintersassen mittelbar auch die eigenen Einkünfte der Stände schmälere. 104 Die hergebrachten Gemeinwohl- und Fürsorgeansprüche der Stände gegenüber ihren Untertanen wurden nun aus ständischer Perspektive mit dem Repräsentationsbegriff verknüpft, der, wie oben gezeigt, ursprünglich in ganz anderer Absicht formuliert worden war. Zu dieser Begriffsverbindung, die das formale Zurechnungsprinzip zu einer Art vormundschaftlicher Interessenvertretung der "gemeinen Untertanen" gegenüber dem Landesherrn umdeutete, kam es nicht zuletzt deshalb, weil die Landstände in zunehmend ernstere Legitimationsschwierigkeiten gerieten und in der Konkurrenz mit dem Landesherrn um die Definition des Gemeinwohls zu unterliegen drohten. Der Repräsentationsbegriff wurde daher argumentativ anders akzentuiert und für die Stärkung der landständischen Position fruchtbar gemacht. So hieß es z. B., die Landstände seien "ein gantz besonderer Auszug ... in Republica ... / die das ganze Land collective repraesentiren und gleichsam als Vormündere vor dasselbe stehen und sprechen sollen / was heilsam ist. Welche sich 102 103 104
Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1, 490 ff. Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/1,491,493. Vgl. z. B. Strube, Von Landständen, § 9, 143 ff.
8 Stollberg-Rilinger
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
also billig gesagt seyn lassen / was Salomo (1) saget: Time deinen Mund auff für die Stummen/und für die Sache aller/die verlassen sind.,,105 Noch bei Moser stehen beide Bedeutungsvarianten nebeneinander. Im Anschluß an die oben zitierte Erwähnung des korporativen Repräsentationsbegriffs heißt es dort, die Landstände seien "Repraesentanten des Landes in favorabilibus et odiosis, Custodes legum et Jurium Patriae, Vorstehere, und gleichsam Vormündere, des Landes." Damit befanden sie sich in Konkurrenz mit dem Fürsten selbst, worauf Moser anspielte, wenn er hinzufügte: "Ob man sie auch Landes-Vater nennen könne und dörffe? dabey würde wohl wenigen ein Zweiffel einfallen, daß solches in seiner Maaße wohl geschehen könne: Indessen ist es doch zu unserer Zeit, als etwas dem Regenten und alleinigen Landes-Vater nachtheiliges in öffentlichem Druck geahndet worden.,,106 Die Begriffsvariante einer quasi vormundschaftlichen Vertretungsrepräsentation einer Korporation nach außen durch ihre Vorsteher, Prokuratoren oder Syndici fand sich ebenfalls schon in der spätmittelalterlichen Korporationstheorie, wie oben angedeutet. 107 Danach waren die administratores publici einer Korporation insoweit tutoribus vergleichbar, als ihr Mandat frei und uneingeschränkt war; die universitas erschien insofern als pupillus, als sie selbst nicht rechtlich handlungsfähig war. 108 In bezug auf die Landstände wurden also beide Varianten des korporationstheoretischen Repräsentationsbegriffs herangezogen: Sie erschienen nicht nur als concilium universitatis im Sinne der Identitätsrepräsentation, sondern auch als procuratores universitatis, als Vorsteher im Sinne der Stellvertretung der Gesamtheit gegenüber Dritten, nämlich dem Landesherrn. 105 So Roesler, Refutation, § 22, 28. "Worzu aber freilich Verstand und Weisheit samt Muth und Krafft gehöret/und von Gott zu erbitten ist", fügt der Autor hinzu und deutet damit an, wie umstritten dieser Anspruch der Stände ist, d. h. wie sehr seine Einlösung von der perc sönlichen Qualität einzelner Landschaftsmitglieder abhängt. 106 Moser, Neues teutsches Staatsrecht 13/ 1, 843. - Ähnlich noch Roth, Staatsrecht deutscher Reichslande, 11, 58. 107 Vgl. oben Kap. III.l; dazu Gierke, Genossenschaftsrecht III, bes. 398; Hofmann, Repräsentation, 215 ff.; Michaud-Quantin, Universitas, 307 f.; Achille Darquennes, Representation et bien commun, in: Etudes presentees a la C.I.H.A.E. 11, 1952, 33 - 52, hier 39 ff. Allg. zur Vormundschaftsanalogie auch Pitkin, Concept of Representation, 130 ff. 108 Vgl. z. B. Losaeus, De iure universitatum I, c.3, § 52f. und § 100ff.: "Isti igitur administratores particulares ab universitatibus constituti, veluti syndici, procuratores, actores, seu negotiorum gestores possunt intentare, & movere actiones competentes ipsi universitati. ( ... ) dicuntur enim habere liberam, & generalern administrationern, seu mandatum, & potestatem generalern cum libera. ( ... ) aequiparantur enim isti syndici tutoribus, qui habent potestatem cum libera" (I, c.3, § 108 ff.). Dies galt vor allem für die Vertretung der universitas vor Gericht; vgl. ebd. 11, c.l, § 4 und § 28: "Universitas aequiparatur pupillo"; "Syndicus habet mandatum generale cum libera administratione". - Die Vorsteher oder Syndici waren nach dieser Theorie allerdings vom "concilium universitatis" eingesetzt und mit "potestas cum libera administratione" ausgestattet, was man bei den Landständen allenfalls von den Vertretern der Städte, Gemeinden, Ämter, Universitäten und ähnlicher korporativer Gemeinschaften sagen konnte, nicht aber von den eigenberechtigten Mitgliedern der Ritterkurien.
4. Landständische Repräsentation als vormundschaftliche Fürsorge
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Die Analogie zu den römisch-rechtlichen Vormundschaftsbegriffen der cura und tutela 109 ruckte das Verhältnis der Landstände zur Gesamtheit der Untertanen im allgemeinen und des Adels zu seinen Hintersassen im besonderen in ein den ständischen Anspruchen besonders günstiges Licht. Erstens war das Volk als Mündel selbst nicht rechtlich handlungsfähig, aber die Handlungen der Tutoren gegenüber Dritten wurden ihm rechtli.ch zugerechnet - soweit der formale Repräsentationsbegriff. Zweitens nahm der Tutor Rechte des Mündels wahr und war verpflichtet, zu dessen Wohl zu handeln - damit geriet der Fürsorgegedanke in den Blick. Drittens war der Tutor in seinem Handeln zum Wohle des Mündels frei und nicht an dessen Weisungen gebunden. Viertens, und darin ging der Vergleich weiter als der Vertretungsbegriff der klassischen Korporationslehre: Ein Vormundschaftsverhältnis grundete sich eben nicht auf einen Auftrag seitens des Mündels, sondern kam unabhängig von dessen Willen zustande. Und schließlich hatte fünftens der Vormund nicht nur das Recht, stellvertretend für das Mündel zu handeln, sondern er hatte unter Umständen auch Gewalt über das Mündel selbst. Alle diese Implikationen machten die Vormundschaftsanalogie in hohem Maße tauglich, das landschaftliche Selbstverständnis gegenüber den gemeinen Untertanen auf den Begriff zu bringen. Die Analogie ließ das traditionelle Herrschaftsund Schutzverhältnis des Adels gegenüber seinen Hintersassen mit dem formalen korporativen Repräsentationsverhältnis verschmelzen und war überdies dazu geeignet, eine offensive Wendung gegenüber dem Landesherm und dessen konkurrierenden Repräsentations- und Fürsorgeanspruchen auszudrücken. In der Verbindung mit dem korporativen Repräsentationsbegriff veränderten allerdings die Anspruche patriarchalischer Fürsorge und herrschaftlichen Schutzes ihren Charakter. Sie konnten sich dann nicht allein auf die jeweils eigenen Schutzunterworfenen beziehen, sondern darüber hinaus auf die Gesamtheit der Untertanen erstrecken: auf alles, quae universae provinciae salutem concemunt. I1O Greifbar wird dies wiederum vor allem in dem Verhältnis der Stände zu den Untertanen der fürstlichen Domänen. Während einerseits jedem Patrimonialherm als solchem die Fürsorge für seine eigenen Untertanen oblag und insofern der Landesherr selbst für seine Domänenuntertanen ebenso zu "sorgen" hatte wie jeder andere für die seinen, beanspruchten andererseits die Landstände als Repräsentanten des Ganzen, auch für die Domänenuntertanen zu sprechen. Beide Auffassungen kamen vor, entsprechend den unterschiedlichen Rechtsverhältnissen in den Ländern. Während es z. B. bei Seckendorff hieß, der Landesherr selbst müsse auf Landtagen für seine unmittelbaren Untertanen "mit sorgen und handeln" 11 I , meinte etwa der pommer109 Ein Bild von der zeitgenössischen zivilistischen Vormundschaftstheorie vennittelt z. B. Christoph Besold, Tractatio de tutela et cura, Tübingen 1620. - Die Vormundschaftsanalogie begegnet auch in der neueren Ständeforschung im Anschluß an Hintze, Typologie, 121; etwa bei Bussi, Diritto e politica, 179 ff. 110 Z. B. Caspar Ziegler, De iuribus maiestatis tractatus academicus, Wittenberg 1710, I, 500. 111 Seckendorff, Fürstenstaat, 71.
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
sehe Landsyndikus earoc, der Landesherr könne zwar durch seine Räte auf einem Landtag "vor die Aembter mit sorgen und sprechen", aber betonte, "daß die Domainen nicht dem Landes-Herrn allein eigenthümlich zugehören / sondern gesambte Landes-Einwohner / welche durch die Land-Stände repraesentiret werden / daran theil haben. Dannenhero Land-Ständen nicht unbillig zugelassen wird/bey Land-Tägen und andern vorkommenden Landes-Angelegenheiten in Nahmen und von wegen der Domainen oder Aembter das Nöthige mit zu beobachten.,,1l2 Aus landesherrlicher Perspektive wurde hingegen genau umgekehrt betont, daß der Fürst als Landesvater für die Hintersassen der Stände genauso wie für seine unmittelbaren Untertanen zu sorgen und darüber "Aufsicht zu führen" habe, "daß die Untersassen der Stände nicht zu sehr mitgenommen ... werden".ll3 Daß das "Wohl der armen Untertanen" bei den Ständen in besseren Händen sei als beim Landesherrn und seiner Verwaltung, darüber mehrten sich im späten 18. Jh. selbst unter Absolutismuskritikern die Zweifel. Auch der jüngere Moser, obwohl er ähnlich wie sein Vater die Landstände als "Wächter und Vormünder der Freyheit eines Volcks" apostrophierte, gab zu bedenken: "die Interessen der beyden [der Landstände und des Landesherrn] seynd zu mercklich unterschieden, als daß nicht immerwährende und dem Volck selten vortbeilhafte Widersprüche und Uneinigkeiten im Weg liegen, welche zwischen den zwo Haupt-Parthien selten ins reine kommen".1l4 Festzuhalten ist also: Aus ständischer Perspektive wurde der korporationsrechtliehe Repräsentationsbegriff mit dem herrschaftlichen Fürsorgeanspruch verbunden, mit dem Anspruch also, das Wohl der "armen Untertanen" gegenüber der landesherrlichen Regierung wie "Vormünder" wahrzunehmen. Das an sich formale Zurechnungsprinzip der Repräsentation wurde durch den Fürsorgeanspruch inhaltlich legitimiert, ohne daß dies an dem Rechtsverhältnis zwischen Landtagsberechtigten und übrigen Untertanen irgend etwas geändert hätte. Die formale Kompe112 Caroc, Begründete Deduction, 12. - Dies entsprach den Rechtsverhältnissen in Schwedisch-Pommern (vgl. Helmut Backhaus, Reichsterritorium und schwedische Provinz. Vorpommern unter Karls XII. Vormündern, Göttingen 1969, 94 f.). Nicht in allen Territorien galt die ständische Steuerbewilligung auch für die landesherrlichen Domänen, sondern nur da, wo dies landesvertraglich ausdrücklich so geregelt war; vgl. Strube, Von Landständen § 9, 145. Vgl. weitere Lehrmeinungen zu dieser Frage oben Anm. 84. 113 So Biechling in einer Anmerkung zu Seckendorff, FÜfstenstaat, Additiones, 29. 114 Friedrich Carl von Moser, Beherzigungen, Frankfurt/Main 1762,614. Vgl. dens., Von dem Deutschen Nationalgeist, 0.0. 1766, 36: "An den Höfen, Cabinetten, Ministerien und Collegien der Stände werden die Principien immer willkürlicher, gesetzloser und despotischer. Der Patriotische Trieb vors Ganze artet in lauter Eigennutz aus." - Ähnlich Johann Georg Schlosser, Politische Fragmente, I, Leipzig 1777, 14ff. - Zum Mißbrauch des ständischen Beschwerderechts z. B. Seckendorff, FÜfstenstaat, 72 (Anm. von Biechling). Zur Unterdrückung von Gravamina der Untertanen durch die Stände schon Wildvogel, De statibus prov., § 67, 45. Andererseits legte z. B. ein kompromißloser Verfechter ständischer Rechte wie Caroc den Ständen ans Herz, das "Mecontentement" des Volkes nicht zu befördern, das meist weit verderblicher sei als das zugrundeliegende Gravamen selbst (Begründete Deduction, 99).
4. Landständische Repräsentation als vormundschaftliche Fürsorge
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tenz, die korporativ getroffenen Entscheidungen auf die Gesamtheit zu erstrecken, wurde inhaltlich als ein Handeln wenn nicht im Auftrage der Gesamtheit, so doch zu deren Wohl interpretiert. Adressat dieses Arguments war indessen der Landesherr, nicht etwa die Untertanen selbst. Gegen Ende des 18. Jhs. gab es aus ständischer Sicht tendenziell zwei Argumentationsstrategien. Die Landstände standen vor der Wahl, sich der Konkurrenz mit dem Landesherrn um die Beförderung des Gemeinwohls gar nicht zu stellen und sich stattdessen auf die kollektive Wahrung ihrer Eigentumsrechte und Privilegien zurückzuziehen - oder als Repräsentanten der Untertanengesamtheit die Relikte ihrer Mitgestaltungsrechte geltend zu machen und als Vormünder des Volkes aufzutreten. Im ersten Fall setzten sie sich dem Vorwurf aus, eine gemeinwohlschädliche respublica in republica zu bilden. Doch auch die andere Legitimationsstrategie hatte eine zweischneidige Wirkung. In dem Anspruch, das Wohl aller Untertanen wahrzunehmen, konnten sie sich aus strukturellen Gründen mit dem Landesherrn in den meisten Territorien kaum messen und zogen damit erst recht den Partikularismusvorwurf auf sich. Die ständische Politik der Privilegienwahrung stieß auf desto schärfere Kritik, wenn sie "unter dem schönen Titel der Vertreter des Landes,,115 betrieben wurde. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür sei aus Schlözers StatsAnzeigen zitiert. Dort berief sich ein Mitglied der Mecklenburger Ritterschaft auf die naturrechtliche Vertragsiehre und gab sich als ,,Repräsentanten" der "sämmtlichen Mitglieder" des Staats aus. Es ging darum, die umstrittene, die Ritterschaft begünstigende Agrarhandelspolitik des Herzogtums zu verteidigen. 116 Die zahlreich eingestreuten polemischen Anmerkungen des Herausgebers Schlözer führten sehr eindrucksvoll vor Augen, wie zweischneidig sich der Maßstab der "Volksrepräsentation" für die Stände auswirken konnte - nicht nur in bezug auf Mecklenburg, das allerdings schon vielen Zeitgenossen als Musterexemplar einer versteinerten Ständeoligarchie galt. Der adlige Verfasser beschwor die Heiligkeit und Unverbrüchlichkeit der hergebrachten Rechte und "Praedicata des Volkes", zu deren Sicherung gewisse politische "Unvollkommenheiten" als geringeres Übel in Kauf zu nehmen seien, und fuhr fort: "Ein weiser und rechtschaffener Regent wird dies [die Aufopferung alter Gerechtsame] gewiß auch niemals verlangen, indem er sehr wohl erkennet, daß sämmtliche Mitglieder eines Stats, oder deren Repräsentanten, allemal weit zuverlässiger wissen und beurteilen können, was zu ihrem gemeinschaftlichen Wol gereichet". Schlözer polemisierte in seinem Kommentar dagegen, der Mecklenburger maße sich die Verwendung des Begriffs "Volk" an, wo er tatsächlich allein den "ErbAdel" meine, während "die eigentliche Nation für Nichts" geachtet werde. So Wekhrlin, Chronologen, Bd. 3, 1779, 361 ff., bes. 370. StatsAnzeigen Bd. 6, Heft 21, 1784, Nr. I C"Mecklenburgische Staatskunde betreffend"), 3ff., bes. 16.- Vgl. auch Schlözers Briefwechsel, Bd. 7, Heft 39,1780, Nr. 32 C,,Münstersche Land-Miliz"), 160ff., wo sich ein Mitglied der Münsteraner Ritterschaft auf seine Verantwortung als "Mit-Repräsentant der Nation" berief, um eine Reform der Landmiliz abzuwehren. 115
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III. Landstände und korporative Repräsentation in der Reichspublizistik
Schlözer, sonst durchaus kein Freund unumschränkter Monarchie, kommentierte den Repräsentationsanspruch der Ritterschaft mit der rhetorischen Frage: "Hat denn das Volk, d. i. der bei weitem größere Teil, die eigentliche Nation von Meklenburg, außer ihrem Fürsten, auch Repräsentanten?,,117 Den Schlüssel zu dieser gewandelten Auffassung des Verhältnisses zwischen Landständen, Fürst und Volk lieferte, wie im folgenden zu zeigen ist, die naturrechtliche Staatslehre.
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Ebd., 16 f., Anm. 22 und 26.
IV. Landstände und Repräsentation im Naturrecht Das oben angeführte Zitat Schlözers illustriert, daß die Stände sich mit dem Landesherrn in der Konkurrenz um die vormundschaftliche Fürsorge für die "gemeinen Untertanen" im Urteil der aufgeklärten Öffentlichkeit immer weniger messen konnten. Der Fürst erschien in diesem Sinne als der "bessere", der eigentliche Repräsentant des Ganzen. Daß auch der Regent, das Oberhaupt - allerdings in einem anderen Sinne als die Stände - das Gemeinwesen repräsentiere, dieses Konzept stand ebenfalls in einer langen juristischen Tradition. Bereits seit seinem Ursprung im späten Mittelalter hatte der Repräsentationsbegriff eine zweifache Bedeutung. Man sprach nicht nur von der Repräsentation der Korporation durch einen Auszug ihrer Mitglieder, wodurch die Willenseinheit hergestellt wurde, sondern auch von der Repräsentation der Korporation durch ihr "Haupt", wodurch die Einheit personifiziert und dargestellt wurde, und zwar so, daß die Handlungen des Oberhauptes gegenüber Dritten der Gesamtheit rechtlich zugerechnet werden konnten. l Beide Begriffstraditionen begegneten noch im 18. Jh. gelegentlich nebeneinander, so z. B. bei Christian Wildvogel: Wenn man sage, der Fürst repräsentiere das Gemeinwesen, so beziehe sich dies nur auf die völkerrechtliche Vertretung nach außen - "tunc enim personam populi mysticam Princeps recte sustinere dicitur". In allen Dingen aber, die das Verhältnis zwischen Fürst und Ständen betreffen, stelle der Fürst eine Person und die Respublica, "et illam hoc casu repraesentantes Status Provinciales", eine andere Person dar? Selbst noch in einem Lehrbuch des späten 18. Jhs. findet sich dieser Gedanke, formuliert in der klassischen Metaphorik des politischen Körpers: " ... gleichwie der gesarnmte Staatscörper von der Landesherrschaft in capite vorgestellt wird, also hingegen hat die Landschaft den Überrest von dem ganzen Land in corpore & membris zu repräsentiren.,,3 1 ",Repräsentation' heißt sowohl das Verhältnis der Konsenserklärenden ... zu denjenigen, für die sie dabei handeln, wie dasjenige des konsentierten Jurisdiktionsträgers zur Gesamtheit der Körperschaft" (Podlech, Repräsentation, 513). - Vgl. Hofmann, Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation, 526 ff., mit einer pointierten Gegenüberstellung der beiden Begriffstraditionen seit dem späten Mittelalter; ferner ders., Repräsentation in der Staatslehre der friihen Neuzeit, 7 ff. 2 Wildvogel, De statibus provincialibus, § 13, 1Of.; in diesem Sinne auch etwa Besold, De maiestate, sect.I, c.l, § 4 (vgl. dazu Hofmann, Repräsentation, 381, 392); vgl. auch Locke, Second Treatise on Govemment, § 151, § 154. 3 Wiguläus Xaver Aloys von Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechtes, München 1770, § 182,412.
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IV. Landstände und Repräsentation im Naturrecht
Diesem älteren, doppelten Verständnis von politischer Repräsentation - Darstellung des Ganzen nach außen durch den Monarchen, Repräsentation der Willenseinheit im Innern durch die Stände - stellte das modeme Naturrecht eine revolutionär neue Konzeption von Repräsentation entgegen. Um zu klären, auf welche Weise dadurch das Verhältnis zwischen Monarch, Ständen und Untertanen betroffen wurde, sind drei Fragen zu erörtern: erstens, welchen Repräsentationsbegriff das rationale Naturrecht im Rahmen seiner Vertragslehre ausbildete; zweitens, welcher Platz den Ständen in den Verfassungskonzepten des Naturrechts eingeräumt wurde; und drittens, inwiefern dabei das Verhältnis der Landstände zur Untertanengesamtheit in einem grundsätzlich anderen Licht erschien.
1. Repräsentation und Herrschaft Es war Thomas Hobbes, der den Vertragsgedanken revolutionierte und mit einem neuen Repräsentationsbegriff verband. 4 Nach Hobbes konstituiert sich der Staat, indem er sich in der Person des Souveräns restlos verkörpert: "A multitude of men, are made one person, when they are by one man, or one person, represented; so that it be done with the consent of every one of that multitude in particular. For it is the unity of the representer, not the unity of the represented, that maketh the person one. And it is the representer that beareth the person, and but one person; and unity cannot otherwise be understood in multitude."s Dies geschehe durch den Herrschaftsvertrag aller mit allen, der den Souverän als solchen autorisiert, so daß dessen Handlungen als Handlungen aller gelten. Die Errichtung einer "allgemeinen Gewalt" sei nur so denkbar, daß alle einzelnen vertraglich übereinkämen, ihren Willen dem Willen dessen zu unterwerfen, der die Einheit verkörpere: "This is more than consent, or concord; it is areal unity of them all, in one and the same person".6 Repräsentation, "Verkörperung" in diesem Sinne stellt die politische Einheit nicht nur dar, sie stellt sie zugleich allererst her.? Der Gedanke der Herr4 Zum Repräsentationsbegriff bei Hobbes, Leviathan, c.16 und 17, vgl. Hofmann, Repräsentation, 382ff.; Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 24f.; Pitkin, The Concept of Representation, 14 ff.; dies., Hobbes's Concept of Representation, in: American Political Science Review 58, 1964, 328 - 340, 902 - 918; zuletzt Lucien Jaume, Hobbes et l'Etat representatif moderne, Paris 1986; ders., Peuple et individu dans le debat Hobbes - Rousseau, in: F. d' Arcy, Hrsg., Representation, Paris 1985,39 - 53; zuletzt Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 86 ff. - An Hobbes' Begriff orientiert sich Carl Schmitt, Verfassungslehre, 6. Aufl. Berlin 1983, 204 ff., der Repräsentation als "Darstellung der politischen Einheit" definiert und von allen Momenten privatrechtlicher Vertretung freihält. 5 Thomas Hobbes, Leviathan, c.16, The English Works, ed. William Molesworth, Vol.III, London 1839, ND Aalen 1966, 151. 6 Ebd. c.17, 157f. 7 Mit größter Klarheit in diesem Sinne später Emer de Vattel, Le Droit des Gens ou Principes de la Loi Naturelle, 3 Bde., London 1758,1,72: Durch die Übertragung der Souveränität auf den Regenten "c'est en lui que se trouve la personne morale, qui sans cesser absolument
1. Repräsentation und Herrschaft
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schaftsrepräsentation bedeutete also weit mehr als nur die Verkörperung des Gemeinwesens nach außen, sondern vielmehr die Identifikation von Herrscher und Staatsperson schlechthin. Der Souverän "stellt danach das als moralische Person begriffene Gemeinwesen dar und verkörpert zugleich dessen gesamte Gewalt".8 Hobbes formulierte die radikalste Lösung für das Problem, das seit der Auseinandersetzung mit den Monarchomachen die Staatsrechtslehre beschäftigte, nämlich die Herrschaftsgewalt als abgeleitete, aber dennoch dadurch nicht notwendig eingeschränkte zu begreifen. Schon Grotius fand für die monarchomachische Herausforderung durch die doppelte Majestät eine Formel, die den potentiell zerstörerischen Widerstreit der Gewalten im Staat beseitigte: Der Inhaber der Herrschaftsgewalt absorbiere alle einzelnen Willen der Vertragschließenden, so daß sie ihm auch als Gesamtheit nicht übergeordnet werden konnten. 9 Indem er die res publica repräsentiere, sei der Inhaber der summa potestas dieser gegenüber nicht mehr minor sed ipsi aequalis. 10 Im Reich wurde diese Lösung in modifizierter Form durch Pufendorf vermittelt. Auch Pufendorf konstruierte in Anlehnung an Hobbes den Staat als moralische Person, d. h. als Willenseinheit, die alle einzelnen Willen absorbiere: " ... so werden viele Willen als vereint verstanden, wenn jeder einzelne seinen Willen dem Willen eines einzigen Menschen oder eines Conciliums unterwirft, so daß für den Willen aller insgesamt und einzeln gehalten wird, was dieser ... Will".ll In der Monarchie, so hieß es bei Pufendorf, repräsentiere der öffentliche Wille des Monarchen den Willen der gesamten civitas, während die gegen oder ohne den Befehl d'exister dans la nation, n'agit desormais qu'en lui et par lui. Teile est l'origine du caractere representatif que I'on attribue au souverain ... par-la le monarque reunit en sa personne toute la majeste qui apartient au corps entier de la nation". 8 So Hofmann, Der spätmiuelalterliche Rechtsbegriff, 544; ausführlich ders., Repräsentation, 374 ff.; ferner Podlech, Repräsentation, 514 f. 9 Grotius, De iure belli ac pacis, 1,3,7; dazu Hofmann, Repräsentation, 375 ff.; Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung, 44 f. 10 So Johann Christoph Beckmann, De maiestate, in: ders., Meditationes politicae XXIV dissertationibus academicis expositae, Frankfurt I Oder 1672, 89 - 96. 11 ..... hoc demum modo multae voluntates unitae intelliguntur, si unusquisque voluntatem suam voluntati unius hominis, aut unius concilii subiiciat, ut pro voluntate omnium et singulorum habendum sit, quicquid de rebus ad securitatem communem necessariis ille voluerit" (De iure naturae et gentium VV,2,5; vgl. 1,1,13). - Zu Pufendorfs Staatslehre vgl. Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutsChen Geistesgeschichte, 4. Aufl. Tübingen 1963, 354 ff.; Hans Welze!, Die Naturrechtslehre Sanmel Pufendorfs. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des 17. und 18. Jhs., Berlin 1958, 58 ff.; Leonard Krieger, The Politics of Discretion. Pufendorf and the Acceptance of Natural Law, London I Chicago 1965, 117 ff.; Horst Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf. Eine geistes- und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung zur Geburt des Naturrechts aus der Praktischen Philosophie, München 1972, 171 f., 187: ..Identifikation von Herrschaftsorgan und Staatspersönlichkeit"; Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 225 ff. - Die jüngste Arbeit von Thomas Behme, SanlUel von Pufendorf: Naturrecht und Staat. Eine Analyse und Interpretation seiner Theorie, ihrer Grundlagen und Probleme, Göuingen 1995, geht auf den Repräsentationsbegriff nicht ein.
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IV. Landstände und Repräsentation im Naturrecht
des Monarchen begangenen Handlungen einzelner oder selbst aller Untertanen nicht für den Willen oder die Handlung der civitas genommen werden könnten. In diesem Sinne sei es zu verstehen, wenn man sage: Rex est populus. 12 Der wesentliche Unterschied gegenüber Hobbes bestand allerdings darin, daß das Volk durch den Vertragschluß nicht schlechthin als Vertragspartner und Rechtssubjekt aufhörte zu existieren und der Souverän daher durch vertraglich gesetzte Normen eingebunden werden konnte. Pufendorfs Konstruktion, die Verkörperung der staatlichen Willenseinheit allein durch den Inhaber der summa potestas, setzte sich im deutschen Naturrecht weithin durch: 13 "Qui maiestatem habent, civitatem repraesentant, adeo ut civitas sint et ut civitas agent.,,14 So war es auch für Christian Wolff der jeweilige Inhaber der summa potestas, der, da ihm "das Recht des Volkes überlassen worden", das "ganze Volk vorstellt": der Monarch in der (unumschränkten) Monarchie, die "Vornehmsten zusammen genommen" in der Aristokratie. 15 Friedrich der Große schließlich folgte einem Gemeinplatz, wenn er schrieb: "Le souverain represente l'etat".16 Noch der kritische Reflex darauf bestätigte zu Ende des 18. Jhs. die Bedeutung des Begriffs der absorptiven monarchischen Herrschaftsrepräsentation. So hieß es in Ernst Ferdinand Kleins 1790 erschienenem Dialog über "Freyheit und Eigenthum": "Der Wille der Nation wird durch ihre Repräsentanten erklärt .... unter einem Repräsentanten verstehe ich hier einen General-Bevollmächtigten, dessen Vollmacht nicht widerrufen werden kann, und dessen Macht also uneingeschränkt ist." Dem wurde in dem Dialog entgegengehalten: " ... er kann also thun, was ihm beliebt, und hat nicht nöthig, sich nach dem Willen dessen, der ihn bestellt hat, zu richten. Der Constituent hat nun keinen Willen mehr; und da die dem Repräsentanten ertheilte Vollmacht unwiderruflich ist, so hat er gar keine Hoffnung, jemals wieder zu dem Rechte zu gelangen, dessen Ausübung er dem Repräsentanten übertragen hatte. Das ist ja eine Veräußerung des Rechts, und kein bloßer Auftrag."I? 12 De iure naturae et gentium VII,2,14 in Anlehnung an Hobbes. Folglich nennt Pufendorf es unmöglich, ,,rebelasse civitatem contra regern". 13 Der Sache nach ist dies meist auch dann gegeben, wenn nicht ausdrücklich von Repräsentation, sondern von "gemeinschaftlichem Willen" o.ä. die Rede ist. 14 Johann Heinrich Boecler, Institutiones politicae, Straßburg 1674, V,92. - Vgl. Huber, De iure civitatis 11, sect.2, c.6, § 2: "in republica, summa potestas est persona civitatis". Mevius, Nucleus iuris naturalis, Inspectio V de gentium iure secundario, § 44, 305. 15 Christian Wolff, Grundsätze des Natur- und V6lckerrechts, Halle 1754 (Ges. Werke, I. Abt., Bd. 19, Hildesheim 1980), § 991 f., 709f. - Allerdings: da einem Gemeinwesen als Ganzem stets unumschränkte Gewalt zukomme und es unabhängig von der internen Teilung oder Beschränkung der Herrschaft "wie eine Person" anzusehen sei, so folgerte Wolff an anderer Stelle, stellten in einer gemischten Verfassung Regent und Konsensberechtigte zusammen "das gantze gemeine Wesen vor" - womit er bereits von der Souveränität der Herrschaftsträger abstrahierte zugunsten der Souveränität des Staates selbst (Vernünfftige Gedancken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen, 4. Aufl. Frankfurt/Leipzig 1736 [Ges. Werke, I. Abt., Bd. 5, Hildesheim 1975],451, 484f.). 16 Friedrich der Große, Essai sur les formes de gouvernement et sur les devoirs des souverains, in: Oeuvres, hrsg. von J.D.E. Preuss, Bd. 9, Berlin 1848,229 f.
2. Der Ort der Landstände im Naturrecht
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2. Der Ort der Landstände im Naturrecht Ebenso wie der Begriff der einheitlichen Staatsgewalt den herkömmlichen theoretischen Raum für ständische Partizipation einschränkte, so setzte auch der Begriff der Herrschaftsrepräsentation dem .herkömmlichen Verständnis ständischer Repräsentation erhebliche Widerstände entgegen. 18 Indessen waren die Staatslehren des sogenannten "älteren" deutschen Naturrechts gedanklich nur so radikal, wie es die gegebenen Verfassungsstrukturen zuließen und die politischen Absichten erforderten. Zu fragen ist daher zum einen, auf welchem Wege sie die politischen Teilhaberechte der Stände theoretisch integrierten, und zum andern, ob und gegebenenfalls in welchem Sinne sie deren Charakter als Repräsentanten trotz des tendenziell absolutistischen Begriffs der Herrschaftsrepräsentation behaupteten. Die deutschen Naturrechtslehrer neigten im allgemeinen zu einem sehr weitgehenden Verfassungsrelativismus, d. h. sie suchten mittels der Vertragsfiktion die Vernünftigkeit und auf freiwillige Übereinkunft gegründete Rechtmäßigkeit aller möglichen sozialen und politischen Verhältnisse darzutun. Mit anderen Worten: das allgemeine Staatsrecht, das Ius publicum universale, 19 rationalisierte in hohem Maße empirische Gegebenheiten, so daß das Territorialstaatsrecht sich umgekehrt wiederum der bereitgestellten Kategorien bequem bedienen konnte. Dies galt insbesondere für die ständische Partizipation. Die Staatsformenlehre des Ius publicum universale suchte ihre Kategorien so zu formulieren, daß sie es ermöglichten, die ganze Bandbreite ständischer Verfassungen vom Reich bis zu den einzelnen Territorien zu erfassen. Pufendorf2o und in seinem Gefolge die überwiegende Mehrzahl der deutschen Naturrechtslehrer unterschieden bekanntlich eine Stufenfolge von Gründungsverträgen, in denen die einzelnen Hausväter untereinander übereinkommen, eine Gemeinschaft zu gründen, die Einführung einer bestimmten Regierungsform be17 Ernst Ferdinand Klein, Freyheit und Eigenthum, abgehandelt in acht Gesprächen über die Beschlüsse der Französischen Nationalversammlung, Berlin 1790, ND Kronberg/Taunus 1977, 125 f. - Vgl. zuletzt Eckhart Hellmuth, Ernst Ferdinand Klein: Politische Reflexion im Preußen der Spätaufklärung, in: H. E. Bödeker IV. Herrmann, Hrsg., Aufklärung als Politisierung - Politisierung der Aufklärung, Hamburg 1987, 222 - 236. 18 Vgl. z. B . die Kritik von Besold, De maiestate, I, c.l, § 4: "Nunquam sane censendum est, totam et universam Rempublicam per Principem repraesentari. Caput est, non totum Corpus." Dazu Hofmann, Repräsentation, 381. 19 Allg. zum Ius publicum universale, dem Ort der naturrechtlichen Konzepte im Rahmen des Staatsrechts, vgl. Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 45 ff.; Stolleis, Öffentliches Recht I, 268 ff.; Dreitzel, Monarchiebegriffe II, 630 ff.; zusammenfassend ferner Diethelm Klippei, Naturrecht als politische Theorie. Zur politischen Bedeutung des deutschen Naturrechts im 18. und 19. Ih., in: H. E. Bödeker/V. Herrmann, Hrsg., Aufklärung als Politisierung, 267 - 293. 20 Pufendorf, De iure naturae et gentium VII,3,1; VII,2,7 - 8 (verschiedene pacta); VII,5 (verschiedene Regierungsforrnen); VII,5, 13 - 14 (Ablehnung der Mischverfassung und der Gewaltentrennung); VII,6,7 -12 (Möglichkeiten der Herrschaftsbeschränkung).
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IV. Landstände und Repräsentation im Naturrecht
schließen, die Regierung einer (natürlichen oder juristischen) Person übertragen und sich dieser zugleich unterwerfen. Die vertragliche Festlegung der forma reipublicae war der theoretische Generalschlüssel zu allen denkbaren empirischen Verfassungsvarianten. 21 Pufendorf selbst unterschied zwischen uneingeschränkten und eingeschränkten einfachen Regierungsformen, was insbesondere für seine Sicht der Monarchie relevant war: Um eine eingeschränkte Monarchie handele es sich dann, wenn der Monarch die Herrschaft nicht nur mit der allgemeinen, womöglich nur stillschweigenden Zusage übernommen habe, sie rechtmäßig auszuüben - daran sei selbst der unumschränkte Monarch gebunden - , sondern wenn er auch spezielle Verpflichtungen über Art und Mittel der Herrschaftsausübung eingegangen sei - Verpflichtungen, die sich unschwer mit den bestehenden Herrschaftsverträgen identifizieren ließen. Unter den eingeschränkten Monarchien wiederum unterschied Pufendorf solche, in denen der Monarch nur durch sein Gewissen an die Einhaltung der ihm auferlegten Bedingungen gebunden sei, und solchen, bei deren Gründung zwischen Regent und Volk "ausdrücklich ausgemacht und festgestellet worden, daß er das Regiment nach gewissen Fundamental-Gesetzen führen, daß er verschiedene seiner Macht entzogene Sachen der Versammlung des ganzen Volckes oder der Grossen des Reiches vortragen und ohne darzu erhaltene Einwilligung darinnen nichts vornehmen oder auf den widrigen Fall erwarten und geschehen lassen wolle, daß ihm die Unterthanen dißfalls nicht gehorchen".22 Dennoch bleibe die höchste Gewalt ungeteilt beim Monarchen, solange nur er die Versammlung einberufen, deren Gegenstände bestimmen und sie wieder auflösen könne und solange "ohne des Königs Genehmhaben kein gültiger und Rechts-kräfftiger Schluß gemacht" werde. 23 Daß bei der Installierung der monarchischen Staatsform dem Inhaber der summa potestas Bedingungen über deren Ausübung auferlegt werden könnten, die ihn auf den Konsens des "Volkes" bzw. der Stände verwiesen, lehrten im Anschluß an Pufendorf die meisten Naturrechtler, von Ulrich Huber, dem Begründer des Ius publicum universale als einer eigenständigen Disziplin,24 bis zu späten Vertretern dieses 21 Vgl. KlippeI, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 54 ff.; Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 180ff.; ders., Anfange des Rechtsstaatsgedankens, 788ff.; Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung, 44ff.; ders., Monarchiebegriffe I, 94ff., 11,561 ff., 634 ff.; zuletzt Wolfgang Kersting, Vertrag, Gesellschaftsvertrag, Herrschaftsvertrag, in: Geschichtliche Grundbegriffe 6, 1990,901- 954, hier 926; ders., Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 235 f. 22 De iure naturae et gentium VII,6,1O, zitiert nach der zeitgenössischen Übersetzung: Acht Bücher vom Natur- und VdIcker-Rechte, Frankfurt/Main 1711, VII, 618, die dazu in der Anmerkung ausdrücklich auf die kaiserlichen Wahlkapitulationen und die polnischen pacta conventa hinweist. 23 Ebd., VII,6,12, 625f. 24 Huber, De iure civitatis, Franeker (1. Aufl. 1672), hier zitiert nach: 2. Aufl. 1684, 1.1, c.18 (Grundlage der Herrschaftsbeschränkung sei, daß das Volk durch den Vertragsschluß nicht seine Qualität als universitas einbüße); c.19 (leges fundamentales als constitutiones, die die summa potestas einschränkten, und zwar nicht nur im Gründungsvertrag, sondern auch
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Faches im letzten Drittel des 18. Jhs. wie Achenwall25 oder Scheidemante1,26 ja sogar bis hin zu einem Physiokraten wie Schlettwein. 27 Die Möglichkeit vertraglicher Bindung des Souveräns räumten in der Regel selbst solche Theoretiker ein, die dem monarchischen Absolutismus in den Territorien den Weg bereiten, wie Thomasius,28 Boehmer,29 Gundling 30 oder Darjes,31 wobei sie allerdings in ihren etiam stabilito Imperio; dazu gehöre auch das rechtmäßige Herkommen, nicht aber gnadenweise verliehene Privilegien, § 55 ff. - Verschiedene Träger könnten die Majestätsrechte communicative non separatim innehaben; die Collegien, die an der Ausübung der Hoheitsrechte teilhätten, seien partes civitatis integrantes, non ministrantes, § 42). - Vgl. dazu Wolzendorff, Widerstandsrecht, 308 ff.; Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 45 ff.; Stolleis, Öffentliches Recht 1,291 f. 25 Das von Achenwall zunächst mit seinem Göttinger Kollegen Pütter gemeinsam begonnene, später allein zu Ende geführte Naturrechtslehrbuch veranschaulicht die prinzipielle Übereinstimmung von allgemeinem Staatsrecht und positiver Reichspublizistik: Gottfried Achenwall/ Johann Stephan Pütter, Elementa iuris naturae additis iuris gentium Europaearum practici primis lineis, (1. Auf!. 1750), hier: Göttingen 1753, l.III, c.3, §§ 772ff., 286ff. (leges jundilmentales); §§ 783 f., 292 f. (Wenn das Urteil über das Gemeinwohl nicht allein beim Inhaber des Imperiums liegen solle, sei es am besten, die Herrschaft durch Konsensrechte des Volkes bzw. eines Kollegiums aus dem Volk einzuschränken); § 813,303 (Fundamentalgesetze verpflichteten den Herrscher, die zurückbehaltene [reservata] Freiheit der Untertanen zu achten und in bestimmten Fällen den Konsens der Stände einzuholen); § 821, 305 (verschiedene Mischungen der Regierungsformen seien möglich). - Vgl. den Thomasius-Schüler Johann GottIieb Heineccius, Elementa juris naturae et gentium, Halle 1738, l.lI, c.6, §§ 110 ff., 450ff. (vertragliche Bindung des imperans an legesjundamentales); ebd. § 126,467 (in der respublica mixta würden alle oder einige Hoheitsrechte von verschiedenen Inhabern gemeinsam, nicht getrennt ausgeübt, communicari); l.lI, c.7, §§ 129ff., 470ff. (Unteilbarkeit der summa potestas selbst in der gemischten Verfassung). 26 Heinrich Gottfried Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, Jena 1775, Th.!, §§ 250-261, 247ff. (legesjundamentales); Th.lI, §§ 1-5, 280 ff. (Konstituierung der Regierungsformen); § 52, 324 f. (eingeschränkte Monarchie); §§ 106 ff., 387 ff. (Diskussion der Mischverfassungsproblematik); §§ 127 - 129, 406 ff. (Stände). - Die Kontinuität wird darin greifbar, daß Scheidemantel noch die gleichen Argumente gegen Rousseau richtete, die Pufendorf und Huber ein Jahrhundert zuvor gegen die Monarchomachen gerichtet hatten. 27 Johann August Schlettwein, Die Rechte der Menschheit oder der einzig wahre Grund aller Gesetze, Verordnungen und Verfassungen, Gießen 1784, ND 1980, § 291,491 ff. 28 Christian Thomasius, Institutiones iurisprudentiae divinae, Frankfurt/Leipzig 1688; deutsche Übers.: Drey Bücher der Göttlichen Rechtsgelahrtheit, in das Teutsche übers. mit einer Vorrede von E. Gerhards, Halle 1709, l.III, c.6, §§ 128 ff., 492 f.; allerdings mit scharfer Ablehnung eines aktiven Rechtes zum Widerstand gegen den vertragsbrüchigen Fürsten. Vgl. zu Thomasius' Staatslehre Klaus Luig, Christian Thomasius, in: Stolleis, Hrsg., Staatsdenker, 228 - 246, bes. 245; Hinrich Rüping, Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius und ihre Fortbildung in der Thomasius-Schule, Bonn 1968, 62 ff.; Wolfgang Wiebking, Recht, Reich und Kirche in der Lehre des Christian Thomasius, jur. Diss. Tübingen 1973, 97ff.; Werner Schneiders, Hrsg., Christian Thomasius (1655 - 1728). Interpretationen zu Werk und Wirkung (Studien zum achtzehnten Jahrhundert, 11), Hamburg 1989; Christoph Bühler, Die Naturrechtslehre und Christian Thomasius (1655 - 1728), Regensburg 1991. 29 Justus Henning Boehmer, Introductio in ius publicum universale ex genuinis iuris naturae principiis deductum, Halle/Magdeburg 1710, pars specialis, 1.1, c.5: De limitibus summae in republica potestatis, bes. §§ 31 ff., 300f.: Die summa potestas könne durch Verträge
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Ansichten über den Verpflichtungscharakter, d. h. die Erzwingbarkeit der Vertragspflichten, erheblich voneinander abwichen. Im Verlauf des 18. Jhs. läßt sich ein steigendes Gefährdungsbewußtsein gegenüber der unumschränkten Monarchie beobachten, das sich in einer allgemeinen öffentlichen Diskussion über die Gefahren des Despotismus artikulierte. Während für Pufendorf, Thomasius oder Gundling noch die naturrechtliche Konstituierung des monarchischen Handlungs- und Gestaltungsspielraums im Vordergrund gestanden hatte, ging es nun zunehmend wieder um die Einhegung dieses Spielraums und den Schutz vor den daraus sich ergebenden Gefahren. So kehrte die von Pufendorf, Gundling und anderen noch als monströs verworfene Mischverfassung auch in die Naturrechtslehren wieder ein,32 vor allem bei Christian Wolff33 und seinem Schümit den Untertanen eingeschränkt werden, die den Regenten zwar naturrechtlich verpflichteten, deren Einhaltung von den Untertanen allerdings auf keine Weise erzwungen werden könne. 30 Noch eindeutiger im absolutistischen Sinne: NicoIaus Hieronymus Gundling, Ausführlicher Discours über das Natur- und Völcker-Recht, (1. Aufl. Frankfurt/Leipzig 1734), hier: 2. Aufl. Frankfurt/Leipzig 1747, c.36, §§ 31 ff., 463, der jede Art der Mischverfassung aufs schärfste als monströs ablehnte, und zwar nicht nur die des Reiches, sondern auch die englische, und zu den leges jundamentales bemerkte, "daß zwischen der summa potestate und denen Unterthanen pacta seyn können, die pacta müssen aber den imperantem nicht zwingen können". - Vgl. Rüping, Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius, 166ff. 31 Joachim Georg Darjes, Institutiones iurisprudentiae universalis (1. Aufl. Jena 1748), hier: 5., verm. und verb. Aufl., Jena 1757, sect.V, c.3, §§ 747ff., 431 ff. (Staatsformenlehre). Ebd. §§ 785 ff., 450 ff. (Grenzen der Majestät in der Monarchie seien entweder natürliche oder vertraglich vereinbarte, jedenfalls aber obligationes perfectae, d. h. erzwingbare Verpflichtungen. Habe der Monarch in einem pactum commissorium die Majestät ausdrücklich unter der Bedingung übernommen, daß er sie im Falle der Vertragverletzung verliert, so könne ihm die Majestät wieder entzogen werden). Ebd. § 794, 454 (In der durch Verträge eingeschränkten Monarchie würden klugerweise zur Kontrolle der Grundgesetze Männer eingesetzt, die man ordines imperii nenne: "viri constituantur, quorum partium est, leges fundamentales vel capitulationes a violatione custodire"). - Zu Darjes vgl. die differenzierte Analyse von Hellmuth, Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Werthorizont, 27 ff.; bes. 78 ff., 95: Wolff, Darjes und Nettelbladt bewirkten "eher die Rationalisierung des Bestehenden als die gedankliche Transzendierung der ständischen Gesellschaft". 32 V gl. oben Kap. 11.2 zu den bei den konkurrierenden Lösungen, der monarchia limitata und monarchia mixta, in bezug auf die Reichsterritorien. - Zur im 18. Jh. schwindenden theoretischen Differenz zwischen den beiden Möglichkeiten, die gelegentlich auch gleichgesetzt wurden, vgl. DreitzeI. Absolutismus und ständische Verfassung, 96 f. (zu Treuer, Hanovius, Wolff und Achenwall). 33 Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, §§ 982 ff., 702 ff. (verschiedene Arten, die Herrschaft ganz oder teilweise, mit oder ohne bestimmte Bedingungen, widerruflich oder unwiderruflich etc. zu übertragen). Ebd. § 984, 704f.; § 989, 707f. (legesjundamentales seien im weiteren Sinne alle "Gesetze, an welche die Verwaltung der Herrschaft gebunden ist"; Kapitulationen im engeren Sinne seien positive Verträge zwischen dem Volk bzw. denen, "die das Recht des Volkes haben", und dem Regenten über die Art, die Herrschaft zu verwalten; sie könnten nur mit beiderseitiger Zustimmung geändert werden). Ebd. §§ 991 ff., 709 f. (Als Monarchie galt nur die "völlige, uneingeschränkte und höchste" Herrschaft eines einzelnen; alle eingeschränkten Formen der Monarchie wurden als "vermischte Republiken" auf-
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ler Nettelbladt. 34 Das durch Grundgesetze beschränkte Reich eines einzelnen Regenten (regnum legitimum) wurde von Wolff stets als gemischte Verfassung verstanden, gleich, ob das Volk bzw. die Stände sich selbst im Gründungsvertrag einen Anteil an der summa potestas vorbehalten oder nur dem Regenten vertragliche Bedingungen für die Ausübung seiner Herrschaft auferlegt hätten. In dem Bestreben, alle erdenklichen Herrschaftsformen begriffssystematisch zu erfassen, ließ Christian Wolff sogar die sonst stets als monarchomachisch perhorreszierte Form eines Reiches wieder aufleben, in dem die Herrschaft zwar einem einzelnen aufgetragen sei, aber "die Vollstreckung der Herrschaft nach dem Willen des Volcks, oder der Stände besorget werden muß".35 Alle Naturrechtslehrer schufen also einen verfassungsrechtlichen Platz für die verschiedenen Abstufungen ständischer Partizipation. Sie unterschieden sich allerdings erheblich hinsichtlich der Bindungswirkung, die sie den auf positive oder stillschweigende Verträge gegründeten ständischen Rechten beimaßen - also darin, wie hoch sie die Schwelle der ständischen iura quaesita gegenüber dem landesherrlichen ius eminens ansetzen und welche Sanktionsmöglichkeiten sie dem Volk gegenüber dem Inhaber der Hoheitsgewalt einräumten. Unter den Bedingungen, auf die der Souverän vertraglich verpflichtet wurde, waren stets nicht nur die positiven Herrschaftsverträge zu verstehen; vielmehr stellte die aus der Ratio des Gründungsvertrags selbst hergeleitete Bindung an den Staatszweck die allgemeinste gefaßt.) - Ebenso ders., Vernünfftige Gedancken von dem gesellschaftlichen Leben, §§ 436 ff., 463 ff. (uneingeschränkte und eingeschränkte Obrigkeit); § 440, 470 ff. (Beschränkung nicht allein durch Grundgesetze, sondern auch durch Stände, an deren Konsens die Herrschaftsausübung gebunden wird); §§ 451 ff., 484ff. (souverän sei ein Gemeinwesen unabhängig von den Inhabern der Majestät, also auch dann, wenn die Obrigkeit eingeschränkt oder geteilt sei). 34 Daniei Nettelbladt, Systema elementare universae iurisprudentiae naturalis, (1. Auf!. Halle 1749), hier: 5. Auf!. Halle 1785, §§ 1161 ff., 480 ff. (monarchia peifecta oder impeifecta, bei letzterer sei die potestas civilis des Fürsten vel minus plena; vellimitata; vel in totum seu in tantum cum populo in communione). Ebd. §§ 1200f., 494f. (Fürst und Volk seien hinsichtlich der Majestätsrechte gegenüber Dritten als eine Person anzusehen; allerdings trete das Volk dem nicht absoluten Fürsten hinsichtlich der Volks- bzw. Reservatrechte als eigenständige moralische Person gegenüber; insofern Fürst und Volk die Majestätsrechte gemeinsam ausübten, stellten sie gemeinsam eine Person dar). Ebd. §§ 1210 ff., 498 ff. (Stände übten vom Volk übertragene Rechte aus); §§ 1278 ff., 525 ff. (Erwerb der Standschaft). - Vgl. die deutsche Übersetzung: Anfangsgründe der natürlichen Rechtsgelehrsarnkeit. Eine abgekürzte freye Übers., mit einigen Erläuterungen und Zusätzen von J. G. Heineccius, Halle 1779, 310 ff. - Ferner Daniel Nettelbladt, Systema elementare universae iurisprudentiae positivae, Halle 1749, Th.lI, § 1758: Landstände als Immediatuntertanen der deutschen Länder, die an der superioritas provincialis partizipieren. - Zu Nettelbladt vgl. ausführlich weiter unten IY.3. 35 Wolff, Natur- und Vö1ckerrecht, § 1003, 718 f. - Zu Wolffs Staatsforrnenlehre vgl. Hans-Martin Bachmann, Die naturrechtliche Staatslehre Christian Wolffs, Berlin 1977, 147 ff.; Christoph Link, Die Staatstheorie Christian Wolffs, in: W. Schneiders, Hrsg., Christian Wolff 1679-1754, Hamburg 1983, 171-192, bes. 174ff.; Hellmuth, Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Werthorizont, 38 ff.; Dreitzel, Monarchiebegriffe lI, 619, 636 f.; als ..friihliberal" neuerdings eingeschätzt bei Uwe Wilhelm, Der deutsche Friihliberalismus. Von den Anfangen bis 1789, Frankfurt/Main u. a. 1995, 78ff.
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und "natürliche" Beschränkung dar, wobei die Beurteilung der dem Staatszweck dienenden Mittel dem Inhaber der summa potestas allein vorbehalten bleiben konnte. Daher war das Naturrecht je nach politischer Argumentationsabsicht in der Lage, den Gestaltungsspielraum des Souveräns gegenüber der komplexen Realität ständischer und sonstiger hergebrachter Rechtsbestände ebenso einzuschränken wie auch erheblich auszudehnen.
3. Landständische Repräsentation als Volksvertretung kraft Mandats In welchem Sinne war nun in diesen naturrechtlichen Konstruktionen von ständischer Repräsentation die Rede, inwiefern veränderten sie das Verständnis dieses Begriffs? Zunächst fällt auf, daß das Ius publicum universale das Verhältnis der Stände zum Volk bzw. zur Gesamtheit der Untertanen in der Regel ebensowenig thematisierte wie das Reichsstaatsrecht. Es war vom "Volk" die Rede, gelegentlich auch von denen, "so das Recht des Volkes haben",36 von dem concilium universi populi, seu eorum, qui illum in classes divisum repraesentant. 37 Stände, Reichsstände oder Landstände wurden nur implizit eingeführt als "bestimmte Personen", an deren Konsens der Regent möglicherweise gebunden sei, es wurde indessen nicht theoretisch expliziert, woraus diese Personen ihre Berechtigung ableiteten. Die Naturrechtslehren wiesen in diesem Punkt einen signifikanten Widerspruch auf: Einerseits wurden die Stände als immer schon präsente Vertragspartner des Regenten vorgestellt, wie es den tatsächlichen Umständen der Landesverträge entsprach?8 Andererseits implizierte der Gedanke des Gründungsvertrags, der politische Rechte allererst konstitutierte, daß auch die Stände diesem ihre Teilnahmerechte erst verdankten. Das Verhältnis zwischen Ständen und Gesamtheit der Untertanen wurde nun genau in dem Maße problematisch, wie der Vertragsgedanke von allen empirisch-historischen Anklängen an reale Herrschaftsverträge befreit wurde. Es war die analytische Kategorie der Naturzustandsfiktion, die dies ermöglichte, indem sie alle empirisch vorgegebenen, d. h. auch ständischen Bindungen zunächst theoretisch auflöste und dann auf individualistisch-voluntaristischer Grundlage neu konstruierte, so daß die ganze Stufenfolge sozialer und politischer Gemeinschaftsbildung von Grund auf zur Disposition gestellt wurde?9 HinsichtWolff, Natur- und V