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German Pages 286 Year 2015
Michael Schetsche, Martin Engelbrecht (Hg.) Von Menschen und Außerirdischen
MICHAEL SCHETSCHE, MARTI N ENGELBRECHT (HG.)
Von Menschen und Außerirdischen. Transterrestrische Begegnungen im Spiegel der Kulturwissenschaft
[ transcript]
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INHALT
Von Menschen und Außerirdischen zur (Er-)Öffnung der Diskussion MARTIN ENGELBRECHT UND MICHAEL SCHETSCHE
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Von Aliens erzählen MARTIN ENGELBRECHT
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Dialektik des Aliens. Darstellungen und Interpretationen von Außerirdischen in Film und Fernsehen MA TTHIAS HURST
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Transterrestrik in der Renaissance: Nikolaus von Kues, Giordano Bruno, Johannes Kepler MARIE-LUISE HEUSER
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Aliens im kulturellen Gedächtnis? Die projektive Rekonstruktion der Vergangenheit im Diskurs der Präastronautik INGBERT JÜDT
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UFOs in den Massenmedien - Anatomie einer Thematisierung ÜERHARD MA YER
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UFO-Sichtungen. Ein Versuch der Erklärung äußerst menschlicher Erfahrungen INA SCHMIED-KNITTEL UND EDGAR WUNDER
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Entführt! Von irdischen Opfern und außerirdischen Tätern MICHAEL SCHETSCHE
157 Vernünftiges Reden und technische Rationalität. Erkenntnistheoretische Überlegungen zu Grundfragen der UFO-Forschung GERD H. HÖVELMANN
183 SETI. Die wissenschaftliche Suche nach außerirdischer Intelligenz im Spannungsfeld divergierender Wirklichkeitskonzepte MARTIN ENGELBRECHT
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Auge in Auge mit dem maximal Fremden? Kontaktszenarien aus soziologischer Sicht MICHAEL SCHETSCHE
227 Weltraumpolitik, Weltraumrecht und Außerirdische(s) KAI-UWE SCHROGL
255
Prekäre Wirklichkeiten am Himmel eine wissenssoziologische Schlussbemerkung MICHAEL SCHETSCHE UND MARTIN ENGELBRECHT
267 Autorinnen und Autoren
279 Danksagung
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VON MENSCHEN UND AUSSERIRDISCHEN ZUR (ER-)ÖFFNUNG DER DISKUSSION MARTIN ENGELBRECHT UND MICHAEL SCHETSCHE
Ist die Menschheit allein im Kosmos oder ist das Universum angefüllt mit Leben? Seit mehr als zweitausend Jahren befeuert diese Frage philosophisch-wissenschaftliches, religiöses und künstlerisches Nachdenken und Arbeiten. Im Verlauf der Neuzeit drang sie zunächst über die Literatur und in jüngerer Zeit über Rundfunk, Kino und Fernsehen ins Bewusstsein immer weiterer Bevölkerungskreise vor. Spätestens mit dem Beginn des Raumfahrtzeitalters erfuhr sie eine zusätzliche Aufwertung und erhält durch einen Strom von Entdeckungen der Astronomie, der Biologie und weiterer Wissenschaften unablässig Nahrung. So setzt sich in den Naturwissenschaften zunehmend die Überzeugung durch, dass es im Universum zahlreiche Planetensysteme ähnlich dem unseren gibt, und dass Leben unter extremen Bedingungen zu existieren vermag - gedeiht es doch schon auf der Erde in Eiswüsten ebenso wie in kochendheißen Quellen oder in den dunkelsten Tiefen der Ozeane. Zwar stehen empirische Beweise für Leben außerhalb der Erde bislang aus, die Ansicht, dass außerirdisches Leben und außerirdische Zivilisationen existieren, wird aber von einer wachsenden Anzahl von Menschen geteilt. Neben oder vielleicht sogar noch vor den Erkenntnissen aus Astronomie, Physik und Biologie bestimmen dabei vor allem Erzählungen und Filme des Science-Fiction-Genres die Bilder und Vorstellungen zum Thema. Während so viele Menschen von der Möglichkeit, ja sogar von der Wahrscheinlichkeit außerirdischen intelligenten Lebens ausgehen, ist eine nicht gerade kleine Minderheit darüber hinaus noch davon überzeugt, deren Vertreter bereits gesehen zu haben, mit ihnen in (unfreiwilligen) Kontakt getreten zu sein, oder nachweisen zu können, dass jene die Erde in früheren Zeiten bereits besucht haben. , UFOlogie', ,Abduction' und ,Paläoastronautik' sind die Stichworte, unter denen die entsprechenden Diskurse in der breiteren Öffentlichkeit bekannt sind. In der Einordnung dieser Phänomene nimmt freilich kaum jemand je ernsthaft auf die von ihnen behaupteten Inhalte Bezug. Vielmehr werden sie in den wissenschaftlichen und massenmedialen Diskursen fast durchgän-
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gig durch ihnen vorgängige soziale, psychologische oder religionswissenschaftliche Faktoren erklärt, die eine Überprüfung einer wie auch immer gearteten möglichen Sachhaltigkeit ihrer Anliegen in der Regel schon vorab überflüssig zu machen scheinen. Wie bei den meisten ,Randbereichen' unseres derzeitigen Wissensbestandes, so existieren offenbar auch bei der Beschäftigung mit der Frage außerirdischen Lebens und außerirdischer Intelligenz epistemologisch ,saubere' Diskurse an den Rändern einer breiten Grauzone. Diese Einordnung folgt der überkommenen und Sicherheit versprechenden Dichotomie von ,harten Fakten' und ,Phantasie'. So lange beide Größen sauber getrennt bleiben - so scheint uns der gesunde Menschenverstand zu raten- können (naturwissenschaftliche) ,Fakten' diskutiert und (künstlerische) ,Phantasie' goutiert werden. Vorsicht scheint aber angebracht, sobald sie sich zu vermischen drohen. Liegt es aber nicht gerade in der Natur der Grenzbereiche jedes Wissens, dass hier die im Alltag so solide wirkende Wand zwischen gesichertem Wissen und visionärer Vorstellungskraft brüchig wird und dass die überkommenen Kriterien zur Einstufung des Realitätsgehalts immer wieder neu bestimmt werden müssen? ,Fakten' existieren nie für sich selbst, sondern stets in Bezug auf einen Theorierahmen, der sie überhaupt erst zu ,Fakten' macht. Gerade die Beschäftigung mit einem empirisch nicht gesicherten Phänomen wie außerirdischer Intelligenz bildet ein Musterbeispiel für die Vorgängigkeit solcher Theorierahmen in der Einschätzung des Realitätsgehalts einzelner Berichte, Beobachtungen und so weiter. Es war genau dieser Umstand, der uns als Herausgeber des vorliegenden Bandes anregte, das Denken, Erzählen und Forschen über ,Aliens' einmal gerrauer in den Blick zu nehmen und nach den sozialen, ideengeschichtlichen und epistemologischen Konstruktionen zu fragen, die hinter den unterschiedlichen Zugängen zu den potentiellen Außerirdischen und ihren Beziehungen zur Menschheit stehen. Die Aufsätze dieses Bandes versuchen dabei, das ganze Spektrum der unterschiedlichen Bereiche und Perspektiven, in denen das Thema angegangen wird, zu beleuchten. Den Anfang bilden zwei Texte zur künstlerischen Darstellung von Außerirdischen. MARTIN ENGELBRECHT erkundet in seinem Aufsatz "Von Aliens erzählen" Bereiche und Mechanismen der Erzeugung fremder Wesen durch die Variation des Eigenen in klassischer und neuerer Science-Fiction-Literatur. In seinem Beitrag "Dialektik des Aliens" verbindet MATTRIAS HURST einen umfassenden Überblick über die Alienbilder der jüngeren Film- und Fernsehgeschichte mit einer Einführung in die wichtigsten
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Perspektiven der filmwissenschaftliehen Deutung der Aliens. Dabei fokussiert er besonders auf das "Star Trek"-Universum als das vielleicht einflussreichste Panoptikum möglicher (allerdings primär anthropoider) Aliens in der Geschichte der elektronischen Medien. Mit MARIE-LUISE HEUSERS Beitrag "Transterrestrik in der Renaissance" betreten wir das Gebiet der philosophischen Spekulation über Außerirdische. Schon in der Renaissance schlägt die Geburtsstunde jener Erzählgattung, in der Menschen auf Reisen im All den ,exotischsten Fremden' begegnen. Denker wie Kepler und Bruno entwickelten ihre Ideen über fremde Planeten und deren Bewohner. In dieser Epoche wurde das geozentrische Weltbild, nach dem die Erde den Mittelpunkt des Kosmos darstellt, abgelöst durch die Idee eines grenzenlosen Universums ohne Mittelpunkt - ein Konzept des Kosmos, dessen zumindest astronomische Richtigkeit heute kaum noch jemand anzweifelt. Dabei gingen nicht neue Beobachtungsdaten dem Weltbildwechsel voraus, sondern frische Ideen über den Kosmos und die Stellung des Menschen im Universum regten neue empirische Beobachtungen an, ja machten sie in gewisser Weise sogar erst möglich. Nach den Blicken auf die künstlerische und philosophische Bearbeitung des Themas verlassen wir den epistemologisch ,sicheren' und betreten den ,schwankenden' Boden der in erster Linie von Nichtwissenschamern verfochtenen Perspektiven und Deutungswelten. Mit der , Präastronautik' oder , Paläo-SETI '-Bewegung setzt sich INGBERT JÜDT in seinem Aufsatz "Aliens im kulturellen Gedächtnis?" auseinander. Nach einem Überblick über die Kernthesen älterer Vertreter dieser Denkrichtung, beschreibt er den Ansatz des derzeit prominentesten Verfechters Erich von Däniken. Jüdt skizziert die zugrundeliegende Idee einer Präsenz überlegener außerirdischer Zivilisationen in der Frühgeschichte der Menschheit, die in entscheidender Weise die menschliche Zivilisation angestoßen und beeinflusst haben sollen. Dabei kann er zeigen, wie die Vertreter der ,Präastronautik' gegen die historisch-hermeneutischen Ansätze der entsprechenden Fachwissenschaftler ein Programm der Interpretation historischer Berichte und Artefakte setzen, die die formale und inhaltliche Eigengesetzlichkeit dieser Überlieferungen ignoriert und sie im Lichte eines modernen, technologisch geprägten Alltagsverständnisses deutet. Jüdt weist jedoch auch zu Recht auf die Vitalität solcher ,heterodoxen' Wissensbestände hin, die in entscheidender Weise auf "mangelnder Vermittlung wissenschaftlicher Resultate mit der zeitgenössischen Alltagsvernunft" beruht. Den schillerndsten Bezugspunkt des öffentlichen Nachdenkens über Außerirdische bildet zweifellos das Thema ,UFOs'. Welche Bedeutung dabei der Presse zukommt, beleuchtet der Beitrag "UFOs in den Mas-
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senmedien" von GERHARD MAYER. Anhand einer systematischen Untersuchung der Presseartikel in DER SPIEGEL und BILD wird die wechselhafte Themenkarriere der , UFO-Frage' seit Mitte des 20. Jahrhunderts nachgezeichnet und auf den grundlegenden Wandel der deutschen Presselandschaft durch die Etablierung des Online-Journalismus seit den 90er Jahren eingegangen. Innerhalb des sechzigjährigen Untersuchungszeitraums ist eine immer stärkere Vereinheitlichung der Darstellungen zu beachten. Die Berichterstattung zu ,UFOs' und ,Aliens' bedient sich heute weitgehend feststehender Interpretationsschemata und stellt diese den Rezipienten (oftmals geradezu normativ) anheim; inhaltlich (re-) produziert sie dabei eine reduktionistische Deutung des Themenkomplexes als Kuriosität und ,Aufreger'. Weiche Auswirkungen dies für die Menschen hat, die entsprechende Phänomene am Himmel beobachtet haben, untersucht der Aufsatz "UFOSichtungen" von INA SCHMIED-KNITTEL und EDGAR WUNDER. Diese Sichtungen werden darin aus soziologischer Warte als subjektiv evidente außergewöhnliche Erfahrungen untersucht. In den wiederkehrenden Beschreibungen und Deutungsmustern identifizieren die Autoren eine "spezifische Rhetorik", die regelmäßig die Realität des Erlebten betont und gleichzeitig den ,Normalitätsstatus' des Beobachters verteidigt. Diese in vielen Berichten auffallende kommunikative Strategie erklärt sich durch die fast zwangsläufig einsetzende, mal mehr, mal weniger schwerwiegende Stigmatisierung der , UFO-Beobachter'. Vor diesem Hintergrund ist die bei der Erklärung entsprechender Sichtungen häufig herangezogene Bedeutung spezifischer Persönlichkeitsmerkmale oder psychologischer Modelle (wie insbesondere von der psychologische Fachliteratur seit Jahrzehnten praktiziert) neu zu bewerten. Noch schärfer stellt sich diese Problematik beim Phänomen der Entführung durch Außerirdische (,alien abduction') dar. In seinem Beitrag "Entführt!" geht MICHAEL SCHETSCHE auf die Schilderungen von Menschen ein, die glauben, auf der Erde Außerirdischen begegnet zu sein. In der großen Mehrheit zeichnen sie ein wenig erfreuliches Bild dieses Zusammentreffens, in dem sie selbst als hilflose Opfer technisch weit überlegener und gleichzeitig moralisch skrupelloser außerirdischer Eindringlinge erscheinen. Die Wissenschaft tut sich mit solchen Entführungsberichten bis heute schwer. Nach einer weit verbreiteten Hypothese sind die Erinnerungen der ,Alien-Opfer' als Spezialfall des ,False-memory-Syndroms' anzusehen, eine Erklärung, die wegen des hohen Grads an Übereinstimmungen zwischen den Berichten um die Dimension (medial verbreiteter) kollektiver Deutungsmuster erweitert werden muss. Ein solches integratives Erklärungsmodell kann einen Großteil der Entführungserin-
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nemngen schlüssig erklären, ohne die reale Existenz von Außerirdischen auf der Erde voraussetzen zu müssen. In seinem diesen inhaltlichen Block abschließenden Beitrag "Vernünftiges Reden und technische Rationalität" formuliert GERD H. HöVELMANN aus philosophischer und epistemologischer Warte Grundvoraussetzungen einer ernsthaften wissenschaftlichen UFO-Forschung: die strikte Trennung zwischen beobachteten Phänomenen und ihrer subjektiven Deutung, die Unterscheidung zwischen der Fähigkeit des Beobachters und jener der Wissenschaft zur Identifizierung von Himmelsphänomenen, ein notwendiger theoretischer wie methodischer Anschluss an anerkannte Disziplinen und Forschungszweige und die unverzichtbare Kooperation zwischen Natur- und Kulturwissenschaften. Letztlich bleibt der Autor bezüglich der Möglichkeiten einer ,objektzentrierten' UFO-Forschung jedoch eher skeptisch. Während , UFOlogie', ,Abduction' und ,Paläoastronautik' Skeptikern in der Einordnung wenig Probleme bereiten, erweist sich die von amerikanischen Radioastronomen seit den sechziger Jahren immer intensiver betriebene "Search for Extraterrestrial Intelligence" (SETI) aufgmnd ihrer Hybridität als ebenso wissenschaftliches wie visionäres Projekt epistemologisch weit sperriger. In seinem Beitrag "SETI" versucht MARTIN ENGELBRECHT die Suche nach außerirdischem Leben "im Kontext der sich im Für und Wider dieses Projekts berührenden, karrtligierenden Wirklichkeitskonzepte zu beschreiben und zu zeigen, wie die wissenschaftliche Suche nach außerirdischem Leben und außerirdischer Intelligenz in entscheidender Weise existenzielle Fragen nach dem Sinn und den Chancen unseres eigenen Lebens und unserer eigenen Zivilisation anstößt und unablässig bearbeitet. Darin liegt der Grund für ihre Brisanz und Umstrittenheit". Was aber wäre, wenn SETI eines Tages Erfolg beschieden wäre oder die Menschheit auf anderem Wege in Kontakt mit einer außerirdischen Zivilisation käme? Der Beitrag "Auge in Auge mit dem maximal Fremden?" von MICHAEL SCHETSCHE untersucht die möglichen Folgen des ,Erstkontakts' aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht. In Form prognostischer Szenarien werden vier mögliche Varianten eines solchen Zusammentreffens hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und der jeweiligen massenpsychologischen und kulturellen Folgen untersucht: (1) der Fernkontakt mittels Radiowellen, (2) das Auffinden fremdartiger Artefakte in der Nähe der Erde, (3) der direkte physische Kontakt zwischen Menschen und Aliens sowie (4) die Möglichkeit, dass die Fremden bereits im Verborgenen auf der Erde oder im erdnahen Raum präsent sind. Alle diese Szenarien werfen nicht nur bedeutsame Fragen hinsichtlich der kurz- und langfristigen Auswirkungen eines solchen Ereignisses
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MARTIN ENGELBRECHT UND MICHAEL SCHETSCHE
für die menschliche Zivilisation auf, sie provozieren auch Überlegungen nach der Möglichkeit und Notwendigkeit der Geheimhaltung eines solchen Kontakts durch staatliche Stellen (die schon heute Gegenstand diverser Verschwörungstheorien ist). Abschließend zeigt der Aufsatz "Weltraumpolitik, Weltraumrecht und Außerirdische(s)" von KAI-UWE SCHROGL, wie schwer sich die Verantwortlichen in Politik und staatsfinanzierter Weltraumforschung mit dem Thema ,Außerirdische' tun. Doch selbst in diesem Bereich haben sich einige Unermüdliche auf den Weg gemacht, das offenbar Undenkbare zu denken. So haben Rechtswissenschaftler ein Papier mit dem Titel "Declaration ofPrinciples Concerning Activities Following the Detection of Extraterrestrial Intelligence" auf den Weg gebracht, mittels dessen das Zusammentreffen mit Außerirdischen völkerrechtlich verhandel- und handhabbar gemacht werden könnte. Trotzdem bleibt der Autor skeptisch, was das Szenario eines potentiellen Kontakts mit Außerirdischen in näherer Zukunft angeht: ,Die Erde' ist politisch, ideologisch und ethisch auf so ein Zusammentreffen nicht vorbereitet, ganz zu schweigen von verbindlichen rechtlichen Mechanismen der formalen und inhaltlichen Bearbeitung eines solchen Ereignisses durch einzelne Nationalstaaten oder die internationale Staatengemeinschaft. Die Beiträge zu diesem Band bilden eine breites Spektrum von Momentaufnahmen der unterschiedlichen Perspektiven und Zugänge zu potentiellem intelligenten Leben im All. Ihre Offenheit und Unabgeschlossenheit spiegelt den umstrittenen und auf allen Ebenen ungeklärten Status des Themas wieder. Tatsächlich scheint es zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch weit eher darauf anzukommen, Diskursräume zu öffnen, als zu ,eindeutigen' Schlüssen zu kommen. Das Nachdenken an einer der ,Frontiers' menschlichen Wissens ist notwendigerweise immer ,wildes' Denken. Der vorliegende Band will dazu anregen, diesem ,wilden' Denken statt mit einer generellen apriorischen Skepsis eher mit einer allgemeinen Offenheit bei gleichzeitiger präziser, kritischer Nachfrage im Detail zu begegnen.
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VON ALIENS ERZÄHLEN MARTIN ENGELBRECHT
1. Science-Fiction: Wirklichkeit plus X Trotz ihres immer wieder vorgetragenen Anspruchs ist die ScienceFiction (im Weiteren: SF) im Grunde nie wirklich ,wissenschaftlich' gewesen. Viel eher könnte man die dezidiert nichtphantastische ,anspruchsvolle Literatur' wissenschaftlich nennen, die das ,unrealistische' ängstlich meidet und schon das Happy End fürchtet, kommt es schließlich im ,wirklichen' Leben so gut wie nicht vor. 1 Tatsächlich ist die SF und ihre Verwandtschaft, das Fantasy-, das Horrorgenre und die surrealistischen Erzähltraditionen aller Kontinente das genaue Gegenteil. Gemeinsam feiern sie die "Milliarden Jahres Sause", 2 das große Phantasiefest der Modeme. Zwar hat sich die SF an die Natur- und Humanwissenschaften als Quelle der Inspiration genauso angelagert wie das Horrorgenre an die Märchen-, Mythen- und Sagentraditionen der Welt und folgt - weniger wie ein Parasit, sondern eher wie ein Symbione - den wissenschaftlichen Diskursen in ihrem Verlauf. Doch ihre eigentliche Kraft beginnt sie zu entfalten, wenn sie sich von der erzählenden Aufbereitung von Wissenschaft löst, um den Welten des skeptischen, szientistischen ,Realismus' die stets neu zu erfindende Größe ,X' der menschlichen Phantasie hinzuzufügen. Die endlose Wandelbarkeit der so erzeugten künstlerischen "Wirklichkeiten plus X" (vgl. Engelbrecht 2004) ist denn auch der Grund, warum eine Taxonomie des Genres stets mehr Ausnahmen als Normalfälle enthält. Die phantastische Literatur ist ein in alle
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Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der renommierte SF-Autor und Historiker des Genres, Brian Aldiss (Aldiss 1987: 32). "The Billion Year Spree", Originaltitel der eben zitierten umfassenden Geschichte der SF von Mary Shelley bis zu den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, im Deutschen eher spröde als "Der Milliarden Jahre Traum" betitelt (a.a.O.). Vgl. die Beiträge zur gegenseitigen Inspiration von "Science" und "Fiction" in Iglhaut und Spring (Hg.): 2003.
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Richtungen davon strebendes Diskursbündel, dessen einzige konstante Metaregel darin besteht, dass jede bewusst werdende Regel sofort erzählerisch durchbrachen werden kann. Der vorliegende Text, in dem es um die Konstruktion von Außerirdischen in der SF geht, versucht sich deshalb auch gar nicht an Systematisierungen, sondern lotet eine Reihe von Dimensionen aus, die so etwas wie grundsätzliche inhaltliche und strukturelle Herausforderungen des Erzählens über alle ,fremden Wesen' darstellen, die nicht in den Horizont unserer normalen Alltäglichkeiten passen. Vorher nur noch ein paar kurze Bemerkungen zur Perspektive: Der Autor der vorliegenden Analyse ist hermeneutisch arbeitender Wissenssoziologe (vgl. zu diesem Ansatz z.B. Hitzler 1999) und gleichzeitig langjähriger aufmerksamer und enthusiastischer Leser phantastischer Literatur. Die hier durchgeführte, in jeder Hinsicht skizzenhafte Untersuchung, betrachtet die Erzählungen über außerirdische Lebewesen in einer doppelten Sicht: Zunächst sieht sie sie als Geschichten, deren Elemente als Teil der Handlung das künstlerische Gesamt vorantreiben sollen. Gleichzeitig lassen sich all diese Elemente aber auch als zwar eindeutig künstlerische, nichtsdestotrotz aber deutlich identifizierbare diskursive Stellungnahmen zu soziologischem, ethnologischem, biologischem, und anderem Nachdenken über die Möglichkeiten intelligenten Lebens jenseits der Erde betrachten. Selbst wenn die Beschreibungen der Aliens klischeehaft ausfallen und wenig mehr bilden als die Staffage eines ins Weltall verlegten Krimis oder Westerns, so sortieren sie sich doch immer in dieses Spektrum ein. Daneben (und von den Lesern keineswegs immer wahrgenommen) führen die Romane und Geschichten aber stets noch einen weiteren Diskurs und zwar einen im doppelten Sinne reflexiven. Indem Fremdheiten und Vertrautheiten der Aliens konstruiert und dargestellt werden, definieren die Autorinnen und Autoren - manche unfreiwillig, viele aber wohldurchdacht- zwangsläufig immer auch sich selbst und ihre Leser mit ihren kulturellen, psychologischen und gesellschaftlichen Normalitäten. Diesen Dynamiken soll im Folgenden nachgegangen werden. Dabei wird zu Illustrationszwecken gelegentlich über das Genre der Alienerzählung im engeren Sinne hinaus auch auf andere Genres sowie auf Film und Fernsehen zurückgegriffen- die Ähnlichkeiten sind hinsichtlich der hier diskutierten Gesichtspunkte weit größer als die Unterschiede. Geschichten zu erzählen ist die älteste und universellste Methode des Menschen, sozialen Sinn herzustellen. Erzählungen machen das Unvertraute vertraut, ordnen das Ungeordnete, stiften Sinn aus dem Sinnlosen. ,Fremdes', Unverstandenes und Unvertrautes in eine Erzählstruktur zu packen, mag damit logisch paradox erscheinen, ist aber, mit Piaget gesprochen, eine unserer typischen "Zirkulärreaktionen" (vgl. Piaget 1989),
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mit denen wir uns quasi am eigenen Schopf an das Unbekannte ,heranziehen'- fundamentale Irrtümer stets mit inbegriffen. Die Fähigkeit zum Phantasieren führt dabei die Erzählenden immer schon über das unmittelbar Wahrnehmbare hinaus zur Konstruktion des Unsichtbaren und Unberührbaren. Der vielleicht wichtigste Grundmechanismus im Entwurf des fiktiven Fremden ist - und dies ist nur scheinbar eine Tautologie - die Verfremdung. Scheinbar deshalb, weil eine gelungene Verfremdung eine intensive intuitive oder reflexive Erfassung des Vertrauten als nur einer Möglichkeit von vielen voraussetzt. 4 Wie schnell etwas Vertrautes in der Literatur zu verfremden ist, lässt sich an einem simplen Beispiel illustrieren. In einer Kurzgeschichte über ein Forscherteam, das zu einem neuen Planeten unterwegs ist, führt die SF-Autorin Ursula LeGuin einen Chemiker namens Porlock ein, ein Mann mit Neigung zu Alkoholexzessen und Macho-Gehabe. Um zu verhindern, dass einzelne Leser sich eventuell allzu sehr mit dieser Figur identifizieren, verwendet sie in seiner Beschreibung ein ebenso schlichtes wie effektives Mittel der Verfremdung: "Little blobs of spittle appeared on his moustache", schreibt sie und schon verwandelt sich die Skizze eines potentiellen Helden in den Augen der Leser zu einer Karikatur: ,Harte Männer' sabbern bekanntlich nicht (LeGuin 1989a: 183).
2. ,Frontiers' der Verfremdung 2.1 Natur vs. Kultur Die Gestalt der Aliens war - zumindest bis die Computeranimation der filmischen Tricktechnik den Unendlichkeitsfaktor hinzufügte -in der geschriebenen SF schon immer wesentlich vielfältiger als in Film und Fernsehen, die sich schon aus finanziellen und logistischen Gründen auf menschenähnliche Aliens fokussierten. 5 Vor allem auf diesem Gebiet war und ist die sogenannte "Hard SF" (vgl. Pringle 1997: 57) angetreten, um für ihre konstruierten Aliens hohe naturwissenschaftliche Plausibilität zu beanspruchen und dafür auch nicht selten wissenschaftliche Kontakte zu pflegen (vgl. Cohen und Stewart 2004). Daneben entwickelte 4
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"Wenn der Alien plausibel sein soll, müssen wir uns selbst erst einmal implausibilisieren und muss das Staunen bei den grundlegendsten Fragen der Existenz anfangen: Was ist Leben? Was ist Denken? Was ist Geschichte?" (Pias 2004: 83). Vgl. dazu den Beitrag "Dialektik des Aliens" in diesem Band.
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sich spätestens seit den siebziger Jahren eine kulturanthropologisch und linguistisch informierte Sparte der SF, die ihre Schauplätze und Protagonisten meist weit erd- bzw. menschenähnlicher gestaltet und die eigentliche Fremdheit dann in den Bereich von Sprache und Kultur verlegt. Denn nicht selten sind die Aliens der Hard SF zwar körperlich hochexotisch, von ihrem Denken her aber erstaunlich vertraut. Das ist z.B. der Fall in Hal Clements Klassiker "Schwere Welten" (Clement 1968). Hauptheld ist Barlennan, der raupenähnliche Bewohner eines Riesenplaneten mit enorm schneller Rotation und deshalb extrem unterschiedlichen Schwerkraftverhältnissen, der für seine neuen irdischen Handelspartner (die selbst nur am Äquator des Planeten existieren können) am Pol des Planeten eine abgestürzte Rakete bergen soll. Er ist ein pragmatischer Händler, der unverzüglich beginnt, mit den eben erst gelandeten ,Aliens' Geschäfte zu machen. Von fortgeschrittener Wissenschaft völlig unbeleckt besitzt er als Mitglied einer quasi jungsteinzeitlichen Kultur jedoch offenbar mühelos die kulturellen Kapazitäten, komplexe naturwissenschaftliche Erkenntnisse in sein Weltbild zu integrieren und fast sofort praktisch umzusetzen, ohne dass sein Selbstbewusstsein oder seine kulturelle Identität auch nur im mindesten ins Wanken geraten. Bis heute scheint die Galaxis voll von interkulturell versierten Abenteuerkapitalisten zu sein, die sich ihren Platz an der(n) Sonne(n) in den Wirren der ,Globalisierung' (Galaktisierung?) der Galaxis suchen, egal, ob sie zwölf oder mehr Beine, Flügel oder Flossen, Sauerstoff- oder Fluoratmung aufweisen.6 Liegt der Schwerpunkt der Verfremdung auf der Ebene der Kulturen, sind die Akteure physisch in der Regel deutlich menschenähnlicher, kulturell jedoch weit exotischer, wie z.B. in Ursula LeGuins "The Word for World is Forest'' (LeGuin 1991). 7 Bei den Ashtheans bilden die Nachtträume der einzelnen Wesen Kern und Nährboden der gemeinsamen Kultur. Göttlichen Status besitzen die "großen Träumer" unter ihnen, Kulturträger, die neue Artefakte und soziale Muster aus der Traumzeit in die Weltzeit transferieren. Die Aggression wird über Sängerduelle sozial kanalisiert, Mord kommt nicht vor. Seiver ist ein begabter Übersetzer und der wichtigste Informant für die irdischen Anthropologen, die mit den Holzfällern gekommen sind, die die Wälder der Ashtheans industriell ausbeuten. Als ein Mensch seine Frau vergewaltigt und umbringt, wird 6
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So beschrieben in einer ganzen Reihe neuerer "Space Operas", z.B. von Vemor Vinge oder !an Banks. Die berühmteste Parodie dieses Subgenres lieferte Douglas Adams mit seinem "Hitchhiker's Guide to the Galaxy". Eine vergleichbar komplexe Kultur zeichnet z.B. Michael Swanwick in seinem "In Zeiten der Flut", (Swanwick 1997).
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Selver zum ,Gott des Todes', als er seinem Volk seinen Traum lehrt, sich gegen die Menschen zur Wehr zu setzen. Ähnlich wie in den wissenschaftlichen Diskursen selbst, verläuft die Annäherung zwischen den unterschiedlichen Paradigmen der SF zögerlich und spiegelt bemerkenswert präzise die vielschichtigen erkenntnistheoretischen, methodischen und philosophischen Frontverläufe aktueller Wissenschaftsdiskussionen wieder. So setzt sich beispielsweise Peter Watts in seinem Roman "Blindflug" (Watts 2008) satirisch mit der aktuellen Diskussion um die evolutionsbiologische und neurologische Geringschätzung des menschlichen Bewusstseins auseinander: Im Erstkontakt mit einer Rasse intelligenter Wesen ohne jedes reflexive Selbst erweist sich, dass die von bewusstem Denken dominierte Intelligenz der Menschen der unbewussten Intelligenz der Aliens völlig unterlegen ist. Die Menschen haben nur so lange überlebt, weil sie in ihrer Isolation keinem evolutionären Druck durch solche Rassen ausgesetzt waren. Dieser Zustand findet mit dem Erstkontakt sein trauriges Ende und Siri, der Held des Buches, ist das letzte reflexive Selbst in einem Universum "voller sich selbst replizierender Maschinen, die sich ihrer eigenen Existenz nicht bewusst sind" (ebd.: 414). Wegen ihrer engen Verbindung zu den wissenschaftlichen Diskursen ist die SF von vielen Seiten immer wieder als ein Genre von Gedankenexperimenten gedeutet worden. Die Romane und Geschichten sollten allerdings- schon wegen ihres primär künstlerischen Charakters- sinnvollerweise weniger als ,wissenschaftliche Gedankenexperimente', sondern eher als ,Gedankenexperimente zur Wissenschaft' verstanden werden; womit nicht gesagt sein soll, dass die Wissenschaften nicht u.U. Beträchtliches aus ihnen lernen können (vgl. Engelbrecht 2005). Denn noch eine weitere fundamentale Eigenschaft trennt "Science" und "Fiction". So umstritten Werte in den wissenschaftlichen Diskursen sind, so konstitutiv sind sie für die SF: sie diskutiert die potentielle Begegnung zwischen Menschen und Aliens nie nur als eine Frage ungelöster wissenschaftlicher Rätsel. Schon allein dadurch, dass die Autorinnen und Autoren diese Fragen in Erzählungen einbinden, stellen sie quasi zwangsläufig den Zusammenhang zu den Fragen nach Ethik und Sinn wieder her. Und mit den in die Erzählungen eingeflochtenen Haltungen und Ansichten nehmen sie zur (Un-)Lösbarkeit alldieser Fragen diskursiv Stellung.
2. 2 Kommunikation Menschen kommunizieren mittels Symbolsystemen, in erster Line mit Sprachen. Dabei macht jedes intensive Erlernen einer Fremdsprache den
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Lernenden mit der Erfahrung abweichender semantischer Felder und grammatischer Strukturen vertraut- eine jede Sprache konstruiert , Welt' anders. Ist dieses Problem schon in der interkulturellen Begegnung von eminenter Bedeutung, so ist das im Kontakt mit Aliens in noch grundsätzlicherer Weise der Fall. Freilich ist das Sprachproblem für den Spannungsbogen von Geschichten und filmischen Handlungen eine meist eher hinderliche künstlerische Herausforderung. 8 Nur selten fokussiert sich eine Erzählung so auf diese Ebene wie H. Beam Pipers Kurzgeschichte "Die universelle Sprache" (Piper 1974), in der er das Periodensystem der Elemente als den Rosettastein der Erschließung einer versunkenen technischen Zivilisation beschreibt. In der Regel ist eine detailliertere Problematisierung von Sprache selbst für die komplexesten SF Geschichten zu sperrig, da deren Plots fast immer eine ebenso flüssige wie subtile Kommunikation zwischen den Protagonisten fremder Völker erforderngerade um kulturelle und/oder physische Unterschiede deutlicher herausarbeiten zu können. So tritt die Sprache meist erstaunlich schnell in den Hintergrund9 oder manifestiert sich nur in einigen wenigen Schlüsselkonzepten. 10 Doch es gibt noch weitere Ebenen potentieller Verfremdung kommunikativer Situationen: Nach Joscha Bach gehören zu den notwendigen Vorbedingungen einer gelingenden Kommunikation "eine kommensurable Weltrepräsentation (also eine solche, die einen gemeinsamen Weltbereich in übertragbarer Weise zu konstituieren vermag), eine angleichbare Sprache und eine hinreichende Verständigungsabsicht" (Bach 2004: 46). Eine kommensurable Weltrepräsentation wird in der SF fast immer vorausgesetzt, weil sich die entsprechenden Wesen ansonsten aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht bemerken würden. Eine schöne Illustration dieses Problems liefert der deutsche Fantasy-Autor Michael Ende. In einem gigantischen Gebirge leben die "Eisbolde": "[ ... ] sie bewegten sich so unvorstellbar langsam, daß sie Jahre zu einem einzigen Schritt brauch8
Eine gelungene filmische Darstellung des Erlemens einer Fremdsprache findet sich in dem auf einem Roman von Michael Crichton beruhenden Fantasyfilm "Der dreizehnte Krieger". 9 Eine bemerkenswerte Ausnahme ist z.B. die als paradigmatischer Klassiker geltende Kurzgeschichte "A Martian Odyssey" (Weinbaum 1980). 10 So z.B. das "Shifgrethor" in Ursula LeGuins "The Left Hand ofDarkness" (LeGuin 1992). LeGuins Gethenianer sind die meiste Zeit geschlechtslos und nehmen nur periodisch in der Begegnung mit einem attraktiven Partner ein Geschlecht an, das sich nach Zufallsprinzip komplementär ausdifferenziert. ln einer solchen Gesellschaft wandelt sich das Konzept der Ehre (Shifgrethor) in einer subtilen Weise, mit der die Autorin spielt.
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ten und Jahrhunderte zu einem kleinen Spaziergang. So war es klar, daß sie nur mit ihresgleichen verkehren konnten [... ]. Sie hielten sich für die einzigen Wesen des Universums" (Ende 1979: 179). 11 Nur wenn ein Minimum an Überschneidung der Weltrepräsentation gefunden werden kann, ist Kommunikation möglich. Die zweite Bedingung Bachs jedoch öffnet durch das wohlweisliehe Fehlen der Einschränkung, es müsse sich um eine symbolische Sprache handeln, ein weites Feld, das von der SF in Breite ausgelotet wird. Neben den verbreiteten Motiven der Telepathie und der ,Online'-Kommunikation mittels Bioschnittstellen erkundet z.B. Octavia Butler die Potentiale biochemischer (Butler 1997a,b,c) und Harry Harrison in seinem Eden-Zyklus nichtsymbolisch biologischer Informationsübermittlung (seine Echsenwesen kommunizieren über Veränderung der Hautfarbe und über Bewegung). Beide Kommunikationsformen prägen die beschriebenen Kulturen substanziell, da sie es den Individuen unmöglich machen, zu lügen und das Verschweigen der Wahrheit nur durch Selbstisolation ermöglichen. In "Diesseits von Eden" erkennt eines der Echsenwesen das enorme politische Potential der menschlichen Fähigkeit zu lügen und macht einen Menschen zu seinem Botschafter (Harrison 1984). Ein in dieser Sicht einzigartiges Buch stellen Naiomi Mitchisans "Memoiren einer Raumfahrerin" (Mitchison 1980) dar, in dem sie die durchaus realen Potentiale menschlicher nichtsymbolischer lautlicher und taktiler Kommunikation auslotet und dabei die Grenze zwischen Menschen (symbolvermittelt kommunizierend) und Tieren (nichtsymbolvermittelt kommunizierend) auflöst. Nebenbei spielt Mitchisan ironisch mit Mustern menschlicher Körperlichkeitsregelungen. Eine Alienrasse kommuniziert ebenfalls taktil und nutzt aufgrund ihres den ganzen Körper bedeckenden Panzers dafür ihre einzig verfügbaren taktil sensiblen Körperzonen: die Geschlechtsorgane. Kleidung hielt diese Rasse beim Erstkontakt für den Ausdruck eines Kommunikationstabus. Den irdischen Kommunikationsspezialisten "zogen sie die Hosen herunter, und dann fragten sie teilnahmsvoll, ob sie sich jetzt nicht glücklicher fühlten" (ebd.: 76). Bachs dritte Bedingung der "hinreichenden Verständigungsabsicht" weist in zwei Richtungen. Zunächst sind da die Zivilisationen, die gar
11 Eine weitere, ironische Variante liefert Terry Pratchett in seinem Roman "Die Teppichvölker" (Pratchett 1992). Die einen Teppich bewohnenden Zivilisationen sind mit den Menschen nur in Gestalt schrecklicher, durch deren Staubsauger ausgelöster Wirbelstürme konfrontiert.
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keinen Wert auf Kontakt legen, 12 deutlich verbreiteter in der Literatur sind aber jene, die die Menschen aus unterschiedlichen Motiven täuschen wollen (und umgekehrt). Stanislaw Lern beschreibt beispielsweise in "Fiasko" das Scheitern des Erstkontakts eines menschlichen Raumschiffs mit den sich im Quasi-Krieg befindlichen Machtblöcken eines fremden Planeten (Lern 2000). Die strategischen Überlegungen aller Seiten führen zu einem Wechselspiel der Täuschungen, das in einer Katastrophe endet. Bach weist darauf hin, dass die Kommunikation einer komplexeren Intelligenz mit einer weniger komplexen gelingen kann, wenn die erstere ein "emulierendes Modell" der anderen entwickelt (Bach 2004: 51). Von menschlicher Seite aus ist es nach Ansicht vieler SF-Autorinnen und Autoren die Aufgabe ethnologisch und linguistisch trainierter Kommunikationsexperten, solche Emulationen zu entwickeln - ganz im Sinne der Kulturanthropologie Geertzscher Prägung. 13 In der umgekehrten Richtung scheint die quasimediale ,Übernahme' oder Modifikation einzelner Menschen durch überlegene Alienkulturen ein plausibler und erzählerisch attraktiver Weg zu sein, sich die ,Emulation' eines Ansprechpartners für die Menschen vorzustellen. So ,übernimmt' der "Gott" in Sheri Teppers "Hobbs Land" (der sich später selbst als ,Emulation' einer Alienrasse entpuppt) einzelne Menschen, zunächst um mehr über die Menschheit zu erfahren, später um seinen Einflussbereich zu erweitern (Tepper 1998). Die Rolle einer solchen ,Emulation' muss dabei keineswegs mit einem besseren Verständnis der anderen Zivilisation einhergehen. Der Diplomat Müller in Robert Silverbergs "Exil im Kosmos" (Silverberg 1971) wurde von einer Alienrasse so modifiziert, dass er permanent seine innersten Seelenregungen nach außen abstrahlt, eine Eigenschaft, die ihn befähigt, mit anderen Aliens über unüberwindliche Sprach- und Kulturbarrieren Kontakt aufzunehmen, die ihn aber gleichzeitig unter seinesgleichen isoliert, weil es niemand mehr in seiner Gegenwart aushält. 14 12 So z.B. die meisten der "transzendenten Mächte" in Vemor Vinges "Ein Feuer auf der Tiefe" (Vinge 2007). 13 Clifford Geertz beschreibt programmatisch Ziel und Legitimation ethnologischen Forschens: "So betrachtet ist das Ziel der Ethnologie die Erweiterung des menschlichen Diskursuniversums ... Das Verstehen eines Volkes führt dazu, seine Normalität zu enthüllen, ohne daß seine Besonderheit dabei zu kurz käme" (Geertz 1987: 20t). Eine in diesem Sinne gelungene ,Emulation' könnte dabei sicher als eine Erweiterung des menschlichen Diskursuniversums eingeschätzt werden. 14 Ähnliche ,inkarnierte' Emutationen sind z.B. auch der Mensch "Pham Nuwen" in Vinges erwähntem "Ein Feuer auf der Tiefe" als "Abgesandter
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2.3 Macht ist realistisch -Tugend utopisch Die Schwierigkeiten einer komplexeren Rasse und Kultur, sich emer simpleren mitzuteilen, führen uns zur nächsten Herausforderung der Darstellung von Aliens in der SF. Die Beschreibung ,primitiver' Alienkulturen scheint unproblematisch zu sein, erfordert sie doch nur den analogischen Rückgriff auf die Menschheitsgeschichte bzw. auf die Wissensbestände der Ethnologie. Chad Oliver, selbst Anthropologe, und eine Reihe anderer Autorinnen und Autoren spielen allerdings mit den Tücken dieses Analogieschlusses. Oliver greift dabei des Öfteren auf das Motiv des ,edlen Wilden' zurück und zeichnet Alienrassen mit steinzeitlicher Technologie, die sich aber gelegentlich den Menschen als weit überlegen erweisen. 15 Die Erfindung von Aliens, die die Menschen an Macht übertreffen, stellt scheinbar ebenfalls kein größeres Problem dar, verlangt sie als notwendige Bedingung zunächst doch lediglich das Phantasieren unüberwindlicher Technologien 16 und/oder enormer zahlenmäßiger Überlegenheit. Die kulturelle Logik hinter diesen ,Supermächten' bleibt dann nicht selten simpel, so z.B. in Robert Heinleins militaristischem Klassiker "Stemenkrieger" (Heinlein 1979). Die Feinde in diesem Roman sind nach dem Vorbild staatenbildender Insekten konzipiert, 17 was einerseits die in der "Space Opera" wie in der Fantasy beliebten ,blindwütigen fremden Killerhorden' plausibel macht und andererseits ihre Ausrottung leichter legitimiert, sind sie doch nichts als- Ungeziefer. 18 Eine der eher
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Apparat" einer "transzendenten Macht" (Vinge 2007: 110), oder das Mädchen Tess in Robert C. Wilsons "Quarantäne" (Wilson 2007). So z.B. in seinem bekanntesten Roman "Brüder unter fremder Sonne", (Oliver 1977). Ähnlich geht Murray Leinster in seiner Kurzgeschichte "Schlüsselloch" vor (Leinster 1980). Dass das nicht bei einer simplen projektiven Vergrößerung eigener Waffenkonzepte stehen bleiben muss, zeigen z.B. Stanislaw Lern in "Der Unbesiegbare" (Lern 1995), oder Octavia Butler in ihrem "Patternist"-Zyklus (z.B. Butler 1996). Orson Scott Card gab dem Bild der ameisengleichen Aliens in seinem "Ender"-Zyklus eine positive Wendung (z.B. Card 1996). Einer parallelen Konstruktion macht sich selbst der ,Erzvater' der Fantasy schuldig. J.R.R. Talkiens "Orks" sind praktisch ausschließlich dazu da, von den Helden der Trilogie unter voller Zustimmung der Leser massenweise umgebracht zu werden. Erst Stan Niehalls erwies den Orks die Genugtuung, eine Geschichte aus deren eigener Sicht zu erzählen (Nicholls 2005).
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seltenen komplexeren Konstruktionen findet sich z.B. in John Varleys "Der heiße Draht nach Ophiuchi" (Varley 1981 ). Eine der schwierigsten und gleichzeitig interessantesten Herausforderungen der SF ist jedoch der erzählende Entwurf ethisch und sozial fortgeschrittenerer Aliengesellschaften, im Grunde das Geschäft einer anderen und weit zurückreichende Wurzeln aufweisenden SF-Sparte, nämlich der Utopie (vgl. z.B. Voßkamp 1985 oder Carey 1999). Mehr als an jedem anderem Punkt dürften sich in der Einschätzung utopischer Alienkulturen die Geschmäcker scheiden, denn vermutlich würde sich jede Leserirr und jeder Leser in einer anderen von ihnen wohlfühlen. Während ein Teil der Autorinnen und Autoren sich damit begnügt, einzelne Menschen (vgl. z.B. Pangborn 1972) oder kleine Gruppen (vgl. z.B. Tiptree 1980) mit den utopisch konstruierten Aliens in Kontakt zu bringen und so die Wucht des Kulturzusammenpralls auszublenden, unternehmen andere den Versuch nachzuzeichnen, welche hochambivalenten Folgen der Kontakt mit einer gleichzeitig sozial und technologisch fortgeschritteneren und leistungsfähigeren Kultur haben könnte. Ein bemerkenswertes Beispiel ist Octavia Butlers bereits erwähnte "Xenogenesis"-Trilogie (Butler 1997a,b,c): Die Oankali, eine dreigeschlechtliche Rasse begnadeter Genetiker, deren wichtigstes genetisches Instrument ihr drittes Geschlecht (die "Ooloi") sind, bergen die Reste der Menschheit auf der durch einen Atomkrieg zerstörten Erde. Ihr Ziel, das sie mit mehr oder weniger sanfter Gewalt anstreben, ist die Rettung des genetischen Potentials der Menschheit durch Verschmelzung beider Rassen. Trotz ihrer überlegenen Kultur und ihrer hocheffektiven biochemischen Kommunikation machen die Oankali in der Behandlung der Menschen einen gravierenden Fehler nach dem anderen und die Kassandrarufe von Lilith, ihrer wichtigsten ,Emulation', finden kein Gehör. Die Konsequenz ist eine fortgesetzte blutige Rebellion der Menschen. Erst den neuen, menschengeborenen Ooloi gelingt eine Versöhnung beider Rassen. Doch die Frage nach den Grenzen der Begegnung mit überlegenen Kulturen lässt sich noch grundsätzlicher stellen. In gewisser Weise ist Edwin Abbotts Geschichte "Flatland" in ihrer Beschreibung der Reaktion der Bewohner einer zweidimensionalen Weltangesichts eines dreidimensionalen Besuchers paradigmatisch für die Frage nach den Grenzen menschlicher Erkenntnisangesichts ,höherer' Wirklichkeiten (vgl. Watzlawick 1978: 214-219). In satirischem Spiel mit der katholischen Überbewertung sexueller Enthaltsamkeit diskutiert die bereits erwähnte Naiomi Mitchisou das Problem einer Kultur, deren Mitglieder sich in immer höheren und glücklicheren Daseinsformen reinkamieren können und die die beobachtenden Forscher auf telepathischem Wege an ihrer Seligkeit teilhaben lassen. Der glückselige Zustand ist aber nur für wenige Indivi-
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duen erreichbar - die Voraussetzung ist, dass es den höheren Inkarnationen gelingt, ihrer niedrigsten Daseinsform ein Leben in konsequenter Keuschheit aufzuzwingen. Das am höchsten entwickelte Wesen wird von einer der Forscherinnen aus Wut über die Unterdrückung seiner unentwickelten Artgenossen getötet (Mitchison 1980: 11 0-162). 19
2.4 Die Dialektik des Kontakts In seinem Überblick über die Konstruktion von Aliens in den SF-Filmen und Fernsehserien erwähnt Matthias Hurst (in diesem Band) die Kritik Volker Gentejohanns an "Star Trek", die Enterprise würde auf ihrer Suche nach neuen Zivilisationen vor allem Amerikaner entdecken. Es wäre freilich hinzuzufügen, dass H.G. Wells und seine Zeitgenossen aufkolonialistische Europäer stießen (Wells 2005), Lern und die anderen SFSchriftsteller des Ostblocks auf ,kalte Krieger', und Mary Shelley - so könnte man hinzufügen - auf Romantiker. 20 Der intensive Zeit- und Leserbezug ist also für die SF genauso konstitutiv wie für jedes andere Literaturgenre. Dem Mechanismus der Verfremdung sind Grenzen gesetzt. Einerseits modifizieren sich die Effekte von Verfremdungen gegenseitig und erhöhen so die Komplexität der literarischen Konstruktionen exponentiell, andererseits schmälert jede Verfremdung die Basis der 19 Ursula LeGuin diskutiert ein ähnliches Problem in einer Kurzgeschichte mit satirischem Bezug auf evangelikale Bekehrungskonzepte: Eine außerirdische Rasse hinterlässt in Erdnähe ein Artefakt, das die Menschen, die mit ihm in Kontakt kommen, zwingt, ,die Wahrheit' über das Universum zu erkennen. Auch der Astronaut Hughes kann ihr nicht mehr länger aus dem Weg gehen. Während die Welt um ihn herum sich ,der Wahrheit' hingibt, begehter-der letzte selbstständig denkende Intellektuelle der Weltin einem Irrenhaus Selbstmord (LeGuin 1989b ). 20 Auch wenn es flir Kenner der Verfilmungen mit Boris Karloff kaum vorstellbar ist: Das ursprüngliche, von Shelley kreierte Monster von Frankenstein liest mit innerer Ergriffenheit eine Ausgabe von Goethes "Die Leiden des jungen Werther", auf die es im Verlauf seiner Wanderungen stößt (Shelley 1969: 128). Shelley verknüpfte so die Tragik des Monsters mit der des Werther (ein Schlüsselwerk der deutschen Romantik!), eine Verbindung, die vielen von den Bildern Hollywoods geprägten Horrorfans absurd und grotesk erscheinen dürfte, den mit dem "Werther" gut vertrauten Leserinnen und Lesern zu Zeiten der Erstveröffentlichung von "Frankenstein" aber völlig plausibel erscheinen musste. Das Monster erweist sich so in gleicher Weise als Romantiker wie als Geschöpf der Romantik- Zeitbezüge enthüllen sich deutlicher, wenn ihre Aktualität Vergangenheit ist.
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Gemeinsamkeiten, von denen Leserinnen und Leser noch ausgehen können, und macht so die Lektüre anspruchsvoller. Doch die Amerikaner, auf die "Star Trek" stößt, sind keineswegs eins zu eins die Nachbarn der Leser und Fernsehzuschauer. Sie sind vielmehr die ,Nachbarn plus X', um die Formel vom Anfang noch einmal aufzugreifen. Die Annahme, Sinn der SF sei die Konstruktion möglichst fremder Aliens geht erkennbar am Wesen phantastischen Erzählens vorbei. Vielmehr gleicht das Ausgreifen des Genres ins Unbekannte (wenn auch nicht immer in jeder einzelnen Erzählung) der erwähnten ,Zirkulärbewegung': Die durch die Verfremdung des Vertrauten erzeugte Fremdheit wird in der detaillierten erzählenden Beschreibung wieder an das Vertraute herangeholt- es wird eine Brücke der Bedeutung zwischen beiden gebaut, die freilich "Wir können sie besiegen" genauso besagen kann wie "Wir können sie kennenlernen". Je ausführlicher bzw. je öfter von einer Alienrasse erzählt wird, desto vertrauter wird sie zwangsläufig. An den Alienrassen des "Star Trek"-Universums lässt sich das mühelos nachvollziehen. Ein illustratives Beispiel, wie ein ganzes Genre den Kurs wechselt, findet sich aber auch im Bereich von Horrorliteratur und -film. Die Spezies der Vampire, die, seit Bram Stoker sie erzählerisch definierte, (Stoker 1966) über lange Zeit ein bedeutendes Chiffre für die jenseits unserer Normalität lauernden Schrecken bildete, unterliegt seit geraumer Zeit dem Prozess einer wachsenden erzählerischen Vertrautmachung. Angestoßen u.a. von dem entsprechenden Romanzyklus von Anne Rice (etwa 1993 und 2004) oder Filmen wie "Underworld" erkunden zahlreiche Autorinnen und Autoren das Alltagsleben der Spezies Vampir und führen es so immer näher an die von Geertz proklamierte "Normalität[ ... ] ohne daß seine Besonderheit dabei zu kurz käme" heran (Geertz 1987: 20±). 21 Das zentrale erzählerische Mittel, die Fremdheit einer Alienkonstruktion beizubehalten, liegt dementsprechend darin, möglichst wenig von ihr preiszugeben. 22 Denn Beschreibung macht vertraut und die Beschreibung von zuvor Verfremdetem holt es wieder in die Vertrautheit zurück. Freilich wird in vielen Erzählungen und Filmen immer wieder in entschei21 Bei Terry Pratchett findet sich das ironische Konzept der Vampirbewegung "Schwarzbandler": Er deutet Vampire als um ihre soziale Anerkennung ringende Randgruppe, die in Anlehnung an die AA-Bewegung die Enthaltsamkeit vom Blutsaugen einüben, um so das Vertrauen der Mehrheit zu gewinnen (Pratchett 2002). 22 So hält z.B. Stanislaw Lern in "Fiasko" den mysteriösen Charakter seiner Aliens nur dadurch aufrecht, dass er an keiner Stelle ihre körperliche Gestalt beschreibt (Lern 2000). Vgl. für ein ähnliches Vorgehen im Film "Alarm im Weltall" ("Forbidden Planet", 1956).
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dender Weise deutlich, dass Vertrautheit niemals automatisch mit Freundschaft gleichgesetzt werden darf.
3. Ein Phasenraum der Konstruktion von Aliens Das Gesagte sollte hinreichend deutlich gemacht haben, dass die SF sich nie auf die ,objektive' Konstruktion von Aliens beschränkt. Es ist stets die Beziehung zwischen Menschen und Aliens, die allen Geschichten und Romanen gleichsam eine zweipolige Grundstruktur gibt. Natur- oder humanwissenschaftliche Erkenntnisse bilden den Nährboden und die Inspiration für das Genre, der Löwenanteil der Spannung und Faszination rührt von der Begegnungssituation her, die sich stets auf der Grenze zwischen einer Ich-Du- und einer Ich-Es-Beziehung bewegt, je nach Position der Autorirr oder des Autors. Vor diesem Hintergrund lässt sich so etwas wie ein "Phasenraum" 23 möglicher Beziehungen zwischen Menschen und Aliens in der SF konzipieren: Abbildung 1: "Phasenraum" möglicher Beziehungen zwischen Menschen und Aliens in der Science-Fiction Größere Macht
,Götter'
,Monster'
,Verbündete'
Menschen
,Ungeziefer'
,Edle Wilde' Geringere Macht
,Feinde'
Gut . . - - - - - - - - - - - - - - - Böse
23 Vgl. mm Ko11Zept des Phasenraums in der Konstruktion außerirdischen Lebens Cohen und Stewart 2004: 18f.
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Das vorliegende Schema ordnet die möglichen Beziehungskonstellationen zwischen Menschen und Aliens nach den drei Dimensionen der Macht (vertikal), der moralischen Qualität (horizontal) und der Fremdheit der Aliens (ausgedrückt durch den räumlichen Abstand- je ähnlicher die Aliens den Menschen sind, desto näher bei ihnen wären sie einzutragen). Die Leser sind selbst gehalten, z.B. die Positionsveränderungen der Klirrgonen im Laufe der Entwicklung des "Star Trek"Universums in das Schema einzuzeichnen. Angemerkt sei dabei, wie ,anthropomorph' die Darstellung selbst ausfällt: Während es noch wenig Phantasie kostet, die traditionelle Anordnung, die das Gute stets vor dem Bösen (und damit bei einer von links nach rechts geschriebenen Schrift links) platziert, umzukehren, wäre eine Positionierung der ,größeren Macht' am unteren Rand des Schemas intuitiv schon sehr unplausibel (wir sind es gewohnt, dass Gott, die absolute Macht, ,oben' ist). 24 Noch schwieriger wäre es für uns als zweidimensional mobile Wesen, uns vorzustellen, dass das Fremde räumlich nicht weiter weg ist als das Vertraute. Doch vielleicht ist auch unser Dualismus von naher Vertrautheit und weit entfernter Fremdheit nur ein gewohntes, aber kein sehr wirklichkeitsnahes Konzept.
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24 Ursula LeGuin spielt mit diesem Motiv in "The Author of the Acacia Seeds" (LeGuin 1995). Eine intelligente Ameise schreibt in einem Gedicht die Zeile "Up with the Queen". Erst als sie die umgekehrte Bewertung der Richtungen ,oben' und ,unten' bei den Ameisen verstehen, finden die Literaturwissenschaftler heraus, dass das Gedicht einen Aufruf zum Umsturz darstellt.
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DIALEKTIK DES ALIENS. DARSTELLUNGEN UND INTERPRETATIONEN VON AUSSERIRDISCHEN IN FILM UND FERNSEHEN MATTRIAS HURST
1. ,Kosmisches Rauschen' "You know, there are four hundred billion stars out there, just in our galaxy alone. If only one out of a million of those had planets, if just one out of a million of those had life, and if just one out of a million of those had intelligent life, there would be literally millians of civilizations out there." "lfthere wasn't, it would be an awful waste of space." (Ellie Arroway und Palmer Joss in "Contact", USA 1997) "Doctor, you insist on applying human standards to non-human cultures. I remind you that humans are only a tiny minority in this galaxy." (Mr. Spock zu Dr. McCoy in der "Star Trek"-Episode "The Apple", USA 1967) "I have encountered 1754 non-human races during my tenure with Starfleet" " ... and we still can't even say ,Hello' to these people." (Data und Deanna Troi in der "Star Trek - The Next Generation"-Episode "Darmok", USA 1991) "No one would have believed in the early years of the 21st century that our world was being watched by intelligences greater than our own, that, as men busied themselves about their various concems, they observed and studied the way a man with a microscope might scrutinize the creatures that swarm and multiply in a drop of water. With infinite complacency, men went to and fro about the globe, confident of our empire over this world. Yet, across the gulf of space, intellects vast and cool and unsympathetic regarded our planet with envious eyes, and slowly and surely drew their plans against us." (Prolog in "War ofthe Worlds", USA 2005) "l'm the key figure in an ongoing govemment charade, a plot to conceal the truth about the existence of extraterrestrials. lt's a global conspiracy actually, with key players in the highest Ievels of power, and it reaches down into the
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MATTHIAS HURST
Jives of every man, woman and child on this planet. So, of course, no one believes me." (Fox Mulder in "The X-Files: Fight the Future", USA 1998) "Everyone ofyou listening to my voice: Tell the world! Tell this to everybody, wherever they are: Watch the skies! Everywhere! Keep looking! Keep watehing the skies!" (Ned Scott in "The Thing From Another World", USA 1951) "1 don't think we could ask for a more beautiful evening, do you? - Okay, watch the skies, please!" (Ansage eines Wissenschaftlers in "Close Encounters of the Third Kind", USA 1977)
2. Medienbilder Gibt es außerirdisches Leben? Wie könnte dieses Leben beschaffen sein? Kreuzen Ufosam Himmel? Besuchen Wesen von anderen Planeten unsere Erde? Wird es Kontakte und bedeutungsvolle Kommunikation zwischen Menschen und Außerirdischen geben? Die Fragen nach der Existenz und Motivation extraterrestrischer Intelligenz und den Möglichkeiten eines Kontakts beschäftigen und beunruhigen die Menschen. Auch wenn diese Fragen nicht ständig im Vordergrund wissenschaftlicher Debatten, gesellschaftlich relevanter Diskussionen und medialer Berichterstattung stehen, bilden sie doch ganz entscheidende Schnittstellen in elementaren anthropologischen, philosophischen und mithin auch politischen Diskursen. Mit zunehmenden Erkenntnissen über die Dimensionen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Weltalls erweisen sich Spekulationen über außerirdische Intelligenz und deren Bedeutung für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unserer Art, als zentrale Fragestellungen hinsichtlich menschlicher Selbstwahrnehmung und globaler Identitätsfindung. Und es besteht kaum Zweifel, dass der endgültige, unwiderlegbare Beweis für die Existenz außerirdischer Wesen unser Denken, unser anthropozentrisches Weltbild und unsere sozialen Gefüge fundamental erschüttern würde. 1 Da diese Thematik aus dem menschlichen Leben nicht wegzudenken ist, aber objektiv nur schwer verhandelbar zu sein scheint, wurde sie zu einem wichtigen und profitablen Element der populären Kultur und Un-
Vgl. den Beitrag "Auge in Auge mit dem maximal Fremden?" in diesem Band.
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terhaltungsindustrie. In zahllosen Büchern, Filmen und Fernsehserien des Science-Fiction-Genres finden Begegnungen mit außerirdischen Wesen statt: Was in der Realität Spekulation bleiben muss, wird in der Imagination kreativer Autoren und Filmemacher und in der kollektiven Phantasie eines weltweiten Publikums zum bedeutungsvollen Erlebnis. Kunst und Massenmedien reflektieren die Bedürfnisse der Gesellschaft, bilden soziale Phänomene wie auch individuelle Wunschträume und Angstvisionen ab. Dass dies vor allem auch im Bereich der Darstellung von Außerirdischen und deren Einfluss auf die Menschheit geschieht und wegen des Mangels an zuverlässigen Quellen und Korrektiven aus anderen Bereichen menschlicher Sinnproduktion auf große Resonanz stößt, liegt auf der Hand. Medienbilder und Filmerfindungen werden so zum Testgebiet und zum Verständigungsfeld hinsichtlich unserer Vorstellungen von extraterrestrischem Leben und damit auch zu einem prägenden Teil des gesellschaftlichen Diskurses über Ufos und Aliens. Die Darstellungen von außerirdischen Wesen in den Massenmedien Film und Fernsehen sind aufgrund ihrer weiten Verbreitung und Popularität wirkungsmächtiger als die Schilderungen vorgeblich authentischer Begegnungen mit Ufos und deren Piloten durch Betroffene. Da die Medienbilder aber in der Regel nicht isoliert auftreten, sondern in spezifische narrative Kontexte eingebettet sind, repräsentieren sie stets mehr als nur tentative Abbilder oder Mutmaßungen über extraterrestrisches Leben.
3. Möglichkeiten des Fremden Das Fremde und Unbekannte weckt unsere Neugier, das Fremde und Unheimliche erzeugt Angst, das Fremde und Verheißungsvolle vermag unsere Sehnsüchte zu stillen. In diesem Spannungsfeld verschiedener Konnotationen und Funktionen des Fremden entfaltet sich das Motiv des Außerirdischen als zentrales Element der Science-Fiction in Literatur, Film und Fernsehen (vgl. Kuhn 2003; Seeßlen/Jung 2003; Sobchack 2004). Das Fremde, nicht nur in seiner Verkörperung als extraterrestrische Intelligenz, sondern in all seinen interkulturellen Spielarten und soziologischen Erscheinungsformen, ist ein faszinierender Aspekt des menschlichen Lebens, der in seiner kulturwissenschaftlichen Bedeutung sowie seiner gesellschaftlichen und sozialpolitischen Relevanz kaum überschätzt werden kann (vgl. dazu die Beiträge in Schetsche 2004). Vorstellungen von Außerirdischen sind nur ein Teil dieses Themenkomplexes und nicht selten werden sie auch nur stellvertretend für andere Formen der Fremdartigkeit eingesetzt. So erzählt der Film "The Brother From
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Another Planet" ("Der Typ vom anderen Stern", USA 1984, Regie: John Sayles) beispielsweise von einem dunkelhäutigen Alien, der in New York mit den Problemen afroamerikanischer Bewohner konfrontiert wird, "Alien Nation" ("Alien Nation- Spacecop L. A. 1991", USA 1988, Regie: Graham Baker) schildert die Integrationsversuche einer Gruppe außerirdischer Flüchtlinge auf der Erde und die überdrehte SFKomödie "Men In Black" (USA 1997, Regie: Barry Sonnenfeld) handelt auf vergleichbare Weise von illegalen Immigranten von anderen Planeten, die in der OS-amerikanischen Gesellschaft unterzutauchen versuchen und von einer Spezialeinheit der Regierung, den geheimnisvollen Männern in Schwarz, aufgespürt und unschädlich gemacht werden. So unterschiedlich die genannten Filme in Machart und Stil sein mögen, sie alle nutzen das Bild des Außerirdischen, um überaus irdische Kontroversen wie Ethnozentrismus, Rassismus, Minderheitenpolitik sowie Einwanderungs- und Integrationsprobleme in plakativer Weise zu thematisieren. Aliens repräsentieren in geradezu prototypischer Weise das Transkulturelle, das Unbekannte, das Andere; dies kann einerseits eine wünschenswerte Alternative zum Bekannten und Konventionellen darstellen oder andererseits zur finsteren Bedrohung des Etablierten und der geschätzten Tradition werden. Das Andere in der Gestalt außerirdischer Lebewesen konfrontiert uns mit positiven wie auch negativen Gegenentwürfen zur menschlichen Natur und Zivilisation. Friedliebende Besucher aus dem All, die den Menschen mit Hoffuung auf eine bessere Zukunft erfüllen, existieren in den phantastischen Film- und TV-Welten neben aggressiven Kreaturen aus fernen Sternensystemen, die unseren Planeten mit Krieg und Zerstörung überziehen oder unsere Gesellschaft heimlich durch subversive Aktionen und Verschwörungen zu unterminieren versuchen. So werden außerirdische Wesen in den Filmen der "Alien"-Serie2 zur tödlichen Bedrohung mit alptraumhaften Dimensionen. In der Gestalt unheimlicher Monster attackieren sie blitzschnell aus der Dunkelheit und nisten sich im Verlauf ihres parasitären Lebenszyklus in die Körper ihrer menschlichen Opfer ein, um am Ende dieser forcierten ,Schwangerschaft' gewaltsam nach außen durchzubrechen. In "Predator" (USA 1987, Regie: John McTiernan) und "Predator 2" (USA 1990, Regie: 2
"Aiien" ("Aiien - Das unheimliche Wesen aus einer anderen Welt", OB/USA 1979, Regie: Ridley Scott), "Aliens" ("Aliens - Die Rückkehr", USA 1986, Regie: James Cameron), "Aiien 3" (USA 1992, Regie: David Fincher), "Alien: Resurrection" ("Alien - Die Wiedergeburt", USA 1997, Regie: Jean-Pierre Jeunet).
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Stephen Hopkins) suchen Außerirdische als gnadenlose Jäger auf Beutezug unseren Planeten heim, um Menschenschädel als Trophäen zu sammeln.3 In "Lifeforce" ("Lifeforce- Die tödliche Bedrohung", GB 1985, Regie: Tobe Hooper) nähern sich extraterrestrische Vampirwesen im Schutz des Halleyschen Kometen der Erde; im Körper einer schönen jungen Frau landet eines dieser Wesen in England und beginnt, den Menschen die Lebensenergie auszusaugen und London in einen apokalyptischen Kriegsschauplatz zu verwandeln. Die Außerirdischen in einer ganzen Reihe anderer Filme des Genres 4 erscheinen hingegen wie Heilsboten eines säkularisierten Zeitalters, sympathische Wesen mit Erlöserfunktion, die den Menschen mit Freundschaft und Liebe begegnen, verlorengeglaubte spirituelle Kräfte wiederbringen oder zu einem gesunden Ausgleich zwischen rationaler Vernunft und vertrauensvollem Glauben verhelfen (vgl. Ruppersberg 2003). War der Ruf "Watch the skies!" in "The Thing From Another World" ("Das Ding aus einer anderen Welt", USA 1951, Regie: Christian Nyby, Howard Hawks) noch als Mahnung und eindringliche Warnung vor einem Angriff aus dem Weltraum gemeint, so hört man dieselben Worten in "Close Encounters of the Third Kind" nun als optimistische und verheißungsvolle Aufforderung, den Besuch unserer kosmischen Freunde zu erwarten.
4. Aliens in Serie Wenn der Mensch seinerseits seinen Heimatplaneten verlässt und beginnt, das Weltall zu erforschen - "to boldy go, where no man has gone
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Während es zwischen Menschen und Aliens lediglich in Form des mit außerirdischem Erbmaterials gekreuzten Ripley-Hybrid-Klons (in "Alien: Resurrection") zu einer Art von Austausch auf genetischer Ebene kommt, kann man in dem Film "Alien vs. Predator" (USA 2004, Regie: Paul W. Anderson), der beide Serien verbindet, erste Anzeichen einer Kommunikation zwischen Menschen und dem extraterrestrischen Jäger angesichts des gemeinsamen Feindes, des Aliens, beobachten. "The Day the Earth Stood Still" ("Der Tag, an dem die Erde stillstand", USA 1951, Regie: Robert Wise), "Close Encounters of the Third Kind" ("Unheimliche Begegnung der dritten Art", USA 1977, Regie: Steven Spielberg), "E.T." ("E.T.- Der Außerirdische", USA 1982, Regie: Steven Spielberg), "Starman" (USA 1984, Regie: John Carpenter), "Cocoon" (USA 1985, Regie: Ron Howard) und "Contact" (USA 1997, Regie: Robert Zemeckis).
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before" 5 - stößt er auf fremde Kulturen und Wesen in mannigfacher Ausprägung. Den ganzen Ideenreichtum an interstellaren Lebensformen zeigen uns Fernsehserien, die Woche für Woche über die Bildschirme flimmern und neue außerirdische Kreaturen in der vertrauten Umgebung unseres Heims präsentieren. Die sukzessive Erforschung des Weltraums und seiner Bewohner als imaginierte Begegnung mit dem Unerwarteten und Fremden verbindet sich mit dem seriellen Prinzip populärer TVUnterhaltung und erzeugt so den paradoxen Eindruck der Gewohnheit und Verlässlichkeit. An erster Stelle stehen hier natürlich die weltweit erfolgreiche Serie "Star Trek" ("Raumschiff Enterprise", USA 1966-1969) und deren Fortsetzungen und spin ojfs, 6 die mit insgesamt über 720 Fernsehepisoden und inzwischen auch zehn Kinofilmen einen reichen Fundus an Aliens geschaffen haben. 7 Im "Star Trek"-Universum begegnen uns beispielsweise die kriegerischen Klingonen, die arglistig gegen die Menschen und die Planeten der demokratisch organisierten Föderation opponieren, die militaristischen Romulaner, die einem ungebremsten Expansionswillen, aber auch einem strengen Ehrenkodex gehorchen, und die Ferengi, die eigennützigen Handel und extremen Kapitalismus zur Lebenskunst erhoben haben. Weitere Aliens sind die Q, scheinbar allmächtige Intelligenzen aus einem anderen Raum-Zeit-Kontinuum, die Trill, die als symbiotische Wesen eine wurmartige Kreatur mit einem humanoiden Wirtskörper verbinden, sowie die Borg, eine furchterregende Rasse halb organischer, halb kybernetischer Wesen, die jegliche Form von Individualität auslöschen, als Kollektiv mit zentralisierter Schaltstelle funktionieren und erbarmungslos andere Welten und Völker assimilieren, d.h. vereinnahmen und ins Kollektiv zwingen. Sie stellen den Alptraum der Zukunftsvision McLu-
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So ein Teil des bekannten Anfangsprologs der populären TV-Serie "Star Trek" ("Raumschiff Enterprise", USA 1966-1969). "Star Trek - The Animated Series" ("Die Enterprise", USA 1973-1974), "Star Trek - The Next Generation" ("Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert", USA 1987-1994), "Star Trek: Deep Space Nine" (USA 1993-1999), "Star Trek: Voyager" (USA 1995-2001) und "Star Trek: Enterprise" (USA 2001-2005). In einer Vielzahl von medienwissenschaftlichen, soziologischen, philosophischen und populärwissenschaftlichen Publikationen wurden das "Star Trek"-Universum und seine Bewohner erforscht und gedeutet. Vgl. dazu beispielsweise Anijar 2000; Dillard 1995; Gentejohann 2000; Gerrold 1996; Gregory 2000; Hahn 1993; Kanzler 2004; Rogotzki/Richter/Brandt et al. 2003; Sander 1990; Weber 1997.
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hans dar, in der Technologie und Kommunikationsmedien in der Tat zur körperlichen und neuralen Verlängerung des Menschen geworden sind (vgl. McLuhan 2001). Sehr viel sympathischer sind dagegen die spitzohrigen Vulkanier, die Emotionen aus ihrem Leben verbannt haben und logisches Denken sowie die Ideologie einer unbegrenzten Vielfalt des Lebens in unbegrenzten Kombinationen ("infinite diversity in infinite combinations") als wichtigste kulturelle Errungenschaften ansehen. Der bekannteste Vertreter dieses Volkes, und wahrscheinlich der populärste TV-Außerirdische überhaupt, ist Spock, erster Offizier an Bord des Raumschiffs Enterprise, der als Sohn eines Vulkaniers und einer Erdenfrau den Konflikt zwischen Gefühl und Logik am eigenen Leibe verspürt. In seinem inneren Kampf gegen Emotionalität und Irrationalismus erkennen wir sinnbildlich unsere eigenen Bemühungen um Vernunft und logisches Handeln wieder, gleichermaßen aber auch die Bedeutung von Emotionen für unser Selbstverständnis als menschliche Wesen. Spock wird zu einem humanistischen Leitbild. Selbst die ungewöhnlichsten und verstörendsten Phänomene des Universums findet er "faszinierend" und signalisiert den Zuschauern dadurch, dass nicht Furcht und Ablehnung, sondern Neugier und Interesse die angemessenen Reaktionen auf das Unbekannte und Fremde sind. Dies geschieht ganz im Sinne der Toleranz-Ideologie des "Star Trek"Erfinders Gene Roddenberry, die ein Bekenntnis zu kultureller Vielfalt ist und maßgeblich für den Erfolg der Serie und all ihrer Ableger verantwortlich zu sein scheint: "Intolerance in the 23rd century? Improbable! Ifman survives that Iong, he will have leamed to take a delight in the essential differences between men and between cultures. He will learn that differences in ideas and attitudes are a delight, part of life's exciting variety, not something to fear. [... ] This infinite variation and delight, this is part of the optimism we built into Star Trek" (Whitfield/Roddenberry 1986: 40). In vielen der nicht-menschlichen Völker zeigen sich Eigenschaften der Menschen oder bestimmte historische Phänomene der Menschheitsgeschichte in extremer Ausprägung; dieser allegorische Charakter der Aliens macht "Star Trek" - wie so viele andere Science-FictionGeschichten auch - zu einem Medium der Extrapolation und der Auseinandersetzung mit anthropologischen Phänomenen und zeitgenössischen gesellschaftlichen Problemen in futuristischer Verkleidung. Im Spiegel außerirdischer Kulturen erkennt sich der Mensch selbst. In der deutschen Serie "Raumpatrouille - Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion" (BRD 1966) treten als extraterrestrische
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Feinde die Frogs auf, flirrende Lichtwesen ohne materiellen Körper. Als deutliches Produkt der Zeit des Kalten Krieges sind sie auf aggressive Eroberung aus und nutzen dazu direkte Angriffe wie auch Subversion und Konspiration. Mehr erfahren wir allerdings nicht über sie; Kommunikation mit ihnen findet nicht statt, und selbst der Name ,Frogs' ist ihnen von Menschen gegeben worden - obschon sie keine Ähnlichkeit mit Fröschen aufweisen. Die Serie wurde in Schwarz-Weiß gedreht und vermittelt auch eine einsinnige Schwarz-Weiß-Ideologie: Das Fremde ist Bedrohung, anonym und unmenschlich, und muss daher radikal bekämpft werden. Selbst alternative Lebensentwürfe der Menschen, wie die (in der Episode "Kampf um die Sonne") auf dem Planeten Chroma existierende Gesellschaft, die von Frauen regiert wird und Männern nur untergeordnete Tätigkeiten zuweist, werden kurzerhand in Frage gestellt und müssen durch Zugriff des männlich-chauvinistischen OrionKommandanten im Sinne einer traditionellen patriarchalischen Ordnung korrigiert werden. "Space: 1999" ("Mondbasis Alpha 1", GB 1975-1977) berichtet von der Irrfahrt des aus seiner Umlaufbahn gesprengten Mondes und den Begegnungen der Mondbasis-Mannschaft mit fremden Intelligenzen und Kräften des Universums. Diese sind den Menschen in den meisten Fällen so haushoch überlegen, dass ein Überleben häufig nur durch geduldiges Ertragen und Schicksalsergebenheit gewährleistet ist: So studiert zum Beispiel der Wissenschaftler Raan vom Planeten Zenno in der Episode "Missing Link" ("Koenig: 2") menschliche Verhaltensweisen, entführt zu diesem Zweck den Geist des Mondbasis-Kommandanten Koenig in seine Welt und lässt lediglich dessen bewusstlosen Körper auf der Station zurück. Die Bewohner von Ariel wollen in "The Last Sunset" ("Die Verwandlung") den Kontakt mit den Menschen gänzlich vermeiden und schenken ihnen daher für kurze Zeit eine Sauerstoffatmosphäre auf dem Mond, um sie von der Landung auf ihrer Heimatwelt abzuhalten. Und die machtvollen Wesen eines namenlosen Planeten provozieren in "War Games" ("Angriff aus dem Weltraum") die Menschen bei der Erstbegegnung zu einer aggressiven Reaktion und gaukeln ihnen dann mit Hilfe telepathischer Kräfte einen ganzen Krieg im Weltall und furchtbare Zerstörungen auf der Mondbasis vor, um zu demonstrieren, dass menschliches Verhalten immer destruktiv sei und sie deshalb unmöglich mit ihnen zusammenleben könnten. Gleichberechtigte Interaktion oder gar freundschaftliche Kooperation ist nur selten möglich; stattdessen lernen die Menschen der Mondbasis immer wieder aufs Neue, wie klein und ohnmächtig sie angesichts der Wunder des Kosmos sind. Nur in der Außerirdischen Maya, die von ihrem sterbenden Heimatplaneten Psychon geflohen ist, finden die Men-
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sehen in der zweiten Staffel der Serie eine vertrauensvolle und sympathische Gefährtin. Maya ist von humanoider Gestalt, verfügt aber über die Fähigkeit, sich in beliebige andere Wesen verwandeln zu können 8 - eine Eigenschaft, die in vielen Episoden als äußerst hilfreiches dramaturgisches Element genutzt wird und zudem das Auftreten weiterer außerirdischer Kreaturen garantiert. "Babylon 5" (USA 1994-1998) schildert eine epische Geschichte über die Bestimmung der Menschheit in einem multikulturellen Universum. Auf der Babylon-Raumstation, einer Art ,Vereinte Nationen im All', begegnen den Menschen die Völker der Minbari, der Centami und der Narn, dietrotzihrer Unterschiede alle um Macht und Einfluss ringen. Die Minbari verkörpern eine technologisch und spirituell hochentwickelte Art, deren Gesellschaft streng in Priester-, Krieger- und Arbeiterkaste aufgeteilt ist; die Centami sind ein Volk von Eroberern, das einst sehr mächtig war, nun aber weitestgehend von Dekadenz geprägt ist und den alten ruhmreichen Tagen nachtrauert; die Narn sind eine reptilienartige Rasse, die sich in langen entbehrungsreichen Kämpfen von der Unterdrückung der Centami befreit hat und nun - ebenso wie die Menschen mit Mut und Entschlossenheit das Feld der interstellaren Politik stürmt. Ähnlich wie in den "Star Trek"-Serien verkörpern diese außerirdischen Völker Spiegelbilder menschlicher Eigenschaften und Entwicklungsstufen und erleichtern damit die Identifikationsbereitschaft der Zuschauer. Von großer Bedeutung sind allerdings auch die sogenannten "First Ones", die allerersten Völker- die Vorlonen und die Schatten-, die das Schicksal der jüngeren Spezies seit Urzeiten mit gottähnlicher Macht manipulieren und aufgrund ihrer Überlegenheit unangreifbar und oftmals unverständlich erscheinen. Wie schwierig sich die Verständigung und Zusammenarbeit der einzelnen Völker gestaltet, zeigt schon der Name der Raumstation Babylon 5, der biblische Assoziationen an Sprachverwirrung und an ambitionierte, aber letztendlich gescheiterte Pläne weckt. Aber durch die spannungsgeladene, fünf Jahre überdauernde Darstellung des vielfältigen Lebens an Bord der Station, geprägt von diplomatischen Bemühungen und Ränkespielen, militärischen Konflikten und persönlichen Freundschafts- und Liebesbeziehungen, entsteht für den Zuschauer eine beinahe familiäre Vertrautheit mit den Charakteren. Schließlich achtet man kaum noch auf das fremdartige Aussehen G'Kars, des Botschafters der Narn, mit seiner schwarzgefleckten Echsenhaut, seinem markanten Kinn und seinen stechenden roten Augen oder auf den bizar-
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Somit wird sie quasi zu einer Vorläuferin des Gestaltwandlers Odo in der "Star Trek"-Serie "Deep Space Nine".
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ren Anblick des Repräsentanten der Centauri-Republik, Londo Mollari, mit seinem imposanten, wie Pfauenfedern aufgerichteten Haarkranz und seinen exzentrischen Uniformen im Empire-Stil des frühen 19. Jahrhunderts. Wie andere extraterrestrische Figuren der Serie "Babylon 5" sind sie zu vertrauten Gesichtern und sympathischen, durchaus komplexen Charakteren mit individuellen Zügen geworden. Zahlreiche weitere außerirdische Lebewesen bevölkern den Fernsehbildschirm: • in Serien wie "Stargate SG-1" (USA, 1997 -2006) und "Stargate: Atlantis" (USA, seit 2004), diebeidethematisch von dem erfolgreichen Spielfilm "Stargate" (USA 1994, Regie: Roland Emmerich) inspiriert wurden und mit den Goa'uld, den Ori und den Wraith mächtige Feinde der Menschheit präsentieren; • in "Lexx" ("Lexx- The Dark Zone", Kanada/BRD 1997-2002), einer teils unsinnigen, teils subversiven TV-Serie, die ausschließlich Aliens zeigt, die noch wirrköpfiger und lüsterner sind als Menschen, eine ungezügelte galaktische Menagerie, triebgesteuert und obsessiv, diealldie Makel der menschlichen Spezies in potenzierter Form widerspiegelt; • in "Farscape" ("Farscape - Verschollen im All", Australien!USA 1999-2003), in der ein Astronaut der Erde in einen entlegenen Teil der Galaxis verschlagen und dort in die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der humanoiden Gruppierung der aggressiven Peacekeeper und Völkern wie den Luxanern und Scarranern verwickelt wird; • in der Serie "Andromeda" ("Gene Roddenberry's Andromeda", USA 2000-2005), die mit der gentechnisch manipulierten Kriegerrasse der Nietzscheaner das einzige Volk darstellt, das seinen Namen und seine Ideologie von einem deutschen Philosophen herleitet.
5. Funktionen und Interpretationen Darstellungen von außerirdischen Lebensformen in den audiovisuellen Medien erfüllen zahlreiche Funktionen und lassen sich auf vielfältige Weise interpretieren.
5.1 Anthropologie Zunächst reflektieren die Erfindungen des Fremden und der Drang, immer neue Konzepte für außerirdisches Leben zu entwerfen, menschliche
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Neugier wie auch die Freude an der Vorstellung vielfältiger Existenzund Kulturformen und am spielerischen, kreativen Akt der Imagination gewissermaßen anthropologische Konstanten des menschlichen Daseins. Der Reiz des Neuen und das Bedürfnis nach Exploration und Kommunikation - Kommunikation gerade auch mit dem vormals Unbekannten, Unerreichbaren - sowie die damit verbundenen Erwartungen und Herausforderungen hinsichtlich unserer (gedanklichen, ideologischen oder konkret-physischen) Besitzergreifung des Alls, bilden ein funktionales Fundament für Alien-Phantasien jeglicher Art. Gäbe es im Universum außer unserer Erde wirklich nur unbewohnte Sternensysteme und leblose Planeten, wären die Ausdehnungen des Raums in der Tat eine entsetzliche Platzverschwendung, ja die ganze Idee des Universums wäre in gewisser Weise eine Illusion, eine Täuschung, eine Enttäuschung.
5. 2 Unterhaltungsindustrie Als grundlegende Funktion der massenmedialen Vermittlung muss außerdem das Bedürfnis des Publikums nach Unterhaltung und Nervenkitzel befriedigt werden. Zuschauer wollen durch fesselnde Geschichten, spektakuläre Bilder und durch neue, interessante Ideen stimuliert werden. Drehbuchautoren, Regisseure, Kameraleute, Make-Up-Künstler und die Erfinder von Spezialeffekten finden im Bereich des Science-FictionFilms ein reiches Betätigungsfeld, um phantastische Visionen zu produzieren und den Hunger der Rezipienten nach sensationellen Aufnahmen und schockierenden Enthüllungen außerirdischer Machenschaften zu stillen. Neue Darstellungsweisen für fremde Wesen zu finden, ist, künstlerisch wie kommerziell, Reiz und Herausforderung zugleich. Darüber hinaus ist Innovation im Bereich der Unterhaltungsindustrie eine Notwendigkeit. Die Aliens der fünfziger Jahre- wie beispielsweise die Kreatur aus "The Thing From Another World" oder die Marsianer aus "The War ofthe Worlds" ("Kampf der Welten", USA 1953, Regie: Byron Haskins) - erschrecken heute keinen Filmzuschauer mehr; die Masken und Trickeffekte der originalen "Star Trek"-Serie aus den sechziger Jahren wecken nostalgische Gefühle und lassen uns bestenfalls schmunzeln. Daher wird in der Regel viel Zeit und Geld in die konzeptuelle Entwicklung von Außerirdischen und deren Raumschiffen investiert. Das Außergewöhnliche muss glaubwürdig aussehen, denn nicht selten bilden genau diese Elemente die Höhepunkte der filmischen Präsentation. Wie sehen die Aliens aus? Welche Technologie benutzen sie? Die befriedigende Beantwortung dieser Fragen kann einen erfolgreichen Kino-Abend, hohe Gewinne und hohe Verkaufszahlen bei der Video- und DVD-Auswertung garantieren.
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5.3 Hermeneutische Kulturwissenschaft Neben dieser elementaren- und zugegebenermaßen prosaischen- Funktion der Unterhaltungsmedien können spezifischere Funktionen der Darstellung erkannt werden. Dabei begibt man sich in den Bereich der Interpretation und weist den Abbildern und Geschichten von Außerirdischen bestimmte Bedeutungen zu, die sich durch hermeneutische Verfahren oder aus sozialen und historischen Rahmenbedingungen, bzw. aus theoretischen Überzeugungen ergeben. Die Interpretation imaginierter Wesen ermöglicht einen Verständniszugang, der das Phantastische mit dem Konkreten der menschlichen Erfahrung verbindet. Dies ist freilich nicht die Wirkung von Rezeption und Interpretation allein. Bereits im Produktionsprozess treten diese Faktoren in Kraft: Soziale Wirklichkeit beeinflusst Autoren und Filmproduzenten ebenso wie Filmrezipienten, und Konzepte des Fremden und Unbekannten lassen sich vermutlich nur auf der Grundlage des Vertrauten und Bekannten entwerfen. Ist es so, wie Roland Barthes in seinen Überlegungen zum Phänomen der Ufos und zu den anthropomorphen Schilderungen außerirdischer Wesen beklagt, dass wir in unseren Vorstellungen des Fremden absolut befangen sind? "Denn eines der konstanten Merkmale jeder kleinbürgerlichen Mythologie ist die Unfähigkeit, das andere zu imaginieren. Die Andersartigkeit ist das Konzept, das dem ,gesunden Menschenverstand' am meisten zuwider ist" (zit. nach Jullier 2007: 189). Gleichwohl können bei der Produktion der Bilder von Aliens aber zwei prinzipiell differierende Absichten festgestellt werden. Zum einen die von Neugier und Forschergeist beflügelte Absicht, Möglichkeiten fremder Intelligenz zu entwerfen und filmisch zu realisieren, die jenseits unserer irdischen Parameter liegen, Alternativen zu finden, die unsere eigenen (beschränkten) Existenzgrundlagen relativieren oder transzendieren- eine Befreiung von jener "kleinbürgerlichen Mythologie", die Barthes kritisiert. Man könnte auch sagen: die Konzeption außerirdischer Wesen als Gedankenspiel und Selbstzweck. Zum anderen die narrative Absicht, durch die dramatische Präsentation der Außerirdischen Rahmenbedingungen für Geschichten zu schaffen, die tatsächlich von Menschen und menschlichen Verhaltensweisen erzählen. Zugespitzt formuliert: Aliens werden hier nur zum Vorwand für die Darstellung des Menschlichen in extremen Situationen oder in allegorischer Verfremdung. Im Zentrum des Interesses solcher extrapolierenden Präsentationsformen stehen nicht mehr außerirdisches Leben per se und dessen Existenzmöglichkeiten, sondern allein menschliche Belange in der für das Genre üblichen phantastischen Überhöhung und Verzer-
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rung. Entsprechende Lesarten bestätigen bzw. verstärken diesen Eindruck noch. Im Bereich der Kunst und Unterhaltungsindustrie sind diese zwei Tendenzen natürlich aufs engste miteinander verknüpft und lassen sich im konkreten Fall nicht immer sauber voneinander trennen. Und was in der Produktion möglicherweise noch unbeabsichtigt sein mag, wird in der Rezeption zur komplexen Sachlage: In der Interpretation der Filme über Außerirdische mischen sich Wahrnehmungen des Fremden als Fremdes und des Fremden als bloße Verjremdung des Menschlichen. Der Zugriff des Interpreten auf das Fremde ist gleichsam Vereinnahmung, ist Aneignung durch die Zuschreibung von Bedeutung. Das Unbestimmte wird durch Interpretation jeglicher Provenienz zum Objekt einer explikativen Betrachtungsweise, es wird einer Theorie oder einer vergleichenden Beobachtung unterworfen, es wird in etwas Verstehbares, etwas Vertrautes verwandelt. Das menschliche Bedürfnis nach explorativer und kommunikativer Erschließung des Unbekannten, das Entwürfe fiktiver außerirdischer Lebensformen ganz grundlegend bedingt und daher die Existenz und Popularität solcher Phantasien überhaupt erst ermöglicht, ist auch verantwortlich zu machen für den Willen zur Interpretation. Denn diese ist ja nichts anderes als eine Form der Kommunikation, ein Erforschen und Verstehen der medialen Vermittlungsformen, eine Verständigung zwischen Rezipient und Werk. Die Interpretation der Film- und Fernsehbilder, die Fremdes darstellen, ist also nur der zweite, konsequente Schritt in unserer Aneignung des Fremden generell. Statt mit Aliens zu kommunizieren und deren Wesensgrund zu erforschen, treten wir in Kommunikation mit Filmen über Aliens und erforschen deren Bedeutung. Beides kann nur auf der Basis unserer Erfahrungen und unseres eigenen Weltbilds geschehen. Es muss betont werden, dass dies prinzipiell nichts Verwerfliches ist. Der Rekurs auf Wissensbestände und bereits existierende Theorien, um das Neue und Unbekannte zu erklären, scheint vielmehr ein unvermeidlicher und notwendiger Bestandteil aller Dialoge und aller kulturwissenschaftlicher Diskurse zu sein. Die fremden Wesen aus einer anderen Welt werden durch die Deutungen ihrer medialen Präsentation zum Ausdruck von etwas Menschlichem, zu einem ästhetischen, einem politischen, einem soziologischen oder einem psychologischen Phänomen. Als Artefakte unserer Kultur integrieren wir sie gleichsam durch Anwendung kulturwissenschaftlich fundierter Betrachtungsmethoden in einen sozialhistorischen oder individuellen Verständniszusammenhang.
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So reflektieren die klassischen Invasionsfilme der fünfziger Jahre wie auch die der neunziger Jahre politische und gesellschaftliche Tendenzen und verleihen der Angst vor Krieg, Eroberung oder globaler Zerstörung, vor ideologischer Zersetzung oder ideologischer Gleichschaltung, vor technologischen Neuerungen oder ökonomischen Wandlungsprozessen expressive Formen (vgl. Koch 2002). Was in der Produktion dieser Filme sicherlich bereits angelegt war, wird durch die Rezeption- vor allem mit zeitlichem Abstand - noch verstärkt: Aliens werden zu Platzhaltern für jeweils zeitgenössische Phänomene realer oder imaginierter Bedrohung, und der Krieg der Welten wird zu einem Symbol für schwelende Konflikte zwischen den Nationen oder zur Kulisse für die allegorische Inszenierung gesellschaftspolitischer Veränderungsprozesse. Im Einzelnen las sen sich dabei durchaus unterschiedliche Darstellungsabsichten und politische Botschaften erkennen: Zum Beispiel propagiert "Independence Day" (USA 1996, Regie: Roland Emmerich) auf ebenso spektakuläre wie naive Weise einen heroischen Patriotismus, der den Herrschaftsanspruch der USA in einer von amerikanischen Vorstellungen geprägten Weltordnung legitimiert. Die Satire "Mars Attacks!" (USA 1996, Regie: Tim Burton) karikiert dieses Szenario mit den Mitteln einer Trivial- und Trash-Ästhetik und entlarvt jegliche Anwandlungen ideologischer Überheblichkeit oder politischer Führungsansprüche als Anmaßung. Und "Starship Troopers" (USA 1997, Regie: Pau1 Verhoeven) suggeriert, dass ein globaler Kampf gegen Aliens nur auf Kosten demokratischer Werte organisiert und geführt werden kann. Im Gegensatz zu "Independence Day" und dessen Verherrlichung des American way of life als demokratisches Globalisierungsmodell erscheint die Menschheit hier als expandierende Macht mit faschistischer Gesellschaftsordnung und manipulativer Medienpropaganda, die einen Vernichtungsfeldzug gegen alles Andersartige gutheißt. Steven Spielbergs neue Variante des "War of the W orlds" ("Krieg der Welten", USA 2005) nutzt modernste Film- und Computertechnik, um überzeugende Bilder der außerirdischen Angreifer zu präsentieren, doch eigentlich sind die Aliens hier nur von marginalem Interesse. Die Invasion der aggressiven Spezies aus dem Weltall dient nur als Katalysator, um die Verhaltensweisen der Menschen angesichts einer globalen Katastrophe zu studieren und vor allem um die Loyalität und Verantwortungsbereitschaft eines von seiner Familie entfremdeten Vaters zu testen - eines der Lieblingsthemen von Spielberg. Darüber hinaus bestimmen politische Erfahrungen und soziale Wirklichkeit die phantastische Vision, zeigt sich in dem Film doch auch deutlich eine Verarbeitung des terroristischen Anschlags auf das W orld Trade Center im September 2001
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und die daraus resultierende Verunsicherung und Angst der Bevölkerung der westlichen Nationen. "Battlestar Galactica" ("Kampfstern Galactica", USA, seit 2003), die Neuauflage der gleichnamigen TV-Serie aus den späten siebziger Jahren, erfüllt eine ähnliche Funktion. Waren die Feinde der Menschheit, die Cylonen, in der alten Serie noch deutlich als Roboterwesen zu erkennen, so wurden sie in der aktuellen Serie zu geldorrten Wesen, die von Menschen nicht zu unterscheiden sind. Waren sie in der alten Serie eine fremde Spezies, so sind sie nun ein technologisches Produkt der Menschen selbst. Die Angst vor den Folgen neuer Gen- und Klontechniken verdichtet sich zum paranoiden Science-Fiction-Szenario: Das Verderben lauert in den eigenen Reihen, menschenähnlich, und doch fremdartig, Agenten des Chaos und der Vernichtung, ,Schläfer', unerkannt und unverdächtig, bis sie zuschlagen. Der hinterhältige und präzis organisierte Großangriff der Cylonen auf die Kolonien und Städte der Menschen weckt natürlich auch Erinnerungen an das Trauma des 11. Septembers. Und die Reaktion auf den Anschlag der Cylonen ist eine Neuorganisation und Militarisierung der menschlichen Überlebenden: Neben der zivilen Präsidentin wird der Kommandant des Kriegsschiffs Galactica zur gleichberechtigten Führungsperson, wodurch der Konflikt zwischen demokratischen Regierungsprinzipien und einer militärischen Befehls- und Ordnungsstruktur angesichts einer kriegsrechts-ähnlichen Situation immer wieder neu thematisiert werden kann und muss. Die verschiedenen, jeweils aktualisierten Fassungen der "Invasion der Körperfresser" 9 wie auch die äußerst erfolgreiche Fernsehserie "The X-Files" ("Akte X- Die unheimlichen Fälle des FBI", USA 1993-2002) werden unter einem interpretierenden, kulturwissenschaftlichen Blickwinkel zum Sinnbild einer sich ausbreitenden Paranoia, eines Gefühls der individuellen Entfremdung und des sozialen Unbehagens angesichts der soziokulturellen Entwicklungen und Krisen der Moderne. Fremde Organismen, die sich im menschlichen Körper einnisten, und weltweite Verschwörungen, die eine geplante Invasion der Erde durch extraterrestrische Völker vorbereiten, spiegeln diffuse Ängste, die weniger die Möglichkeiten und Existenzbedingungen außerirdischer Intelligenzen auslo-
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"Invasion ofthe Body Snatchers" ("Die Dämonischen", USA 1956, Regie: Don Siegel), "Invasion of the Body Snatchers" ("Die Köperfresser kommen", USA 1977, Regie: Philip Kaufman ), "Body Snatchers" ("Body Snatchers- Die Körperfresser", USA 1993, Regie: Abel Ferrara) und "The Invasion" ("Invasion", USA 2007, Regie: Oliver Hirschbiegel, James McTeigue).
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ten als vielmehr die beunruhigenden Aspekte menschlicher Befindlichkeit in unserer Zeit beleuchten.
5.4 Tiefenpsychologie "Das Alien ist mal gieriges Es, mal rationales Ich, mal mahnendes ÜberIch", stellen Seeßlen und Jung (2003: 427) fest und ordnen damit die filmischen Gestaltungen außerirdischer Lebensformen einem von psychoanalytischen Ideen geprägten Diskurs ein, eine weitere Lesart und Aneignung des Fremden in der Kunst. So lassen sich beispielsweise die außerirdischen Kreaturen in der "Alien"-Serie oder in "Species" (USA 1995, Regie: Roger Donaldson) tiefenpsychologisch als Verkörperungen einer unkontrollierten, aggressiven Sexualität deuten und werden dadurch zu Trägern inhärenter Wesensmerkmale des Menschen, die durch kulturelle oder individuelle Repression unterdrückt und als negative Eigenschaften auf andere Objekte projiziert werden. Oder die Besucher aus fernen Welten werden als göttliche Intelligenzen wahrgenommen, die eine Antwort auf die spirituellen Bedürfnisse der Menschen darstellen oder vagen Vorstellungen von Transzendenz Form und Bedeutung verleihen. In der psychoanalytisch fundierten Betrachtungsweise stellt die Begegnung mit dem Anderen in der Regel eine Grenzerfahrung dar, in der nicht nur das Fremde erforscht, sondern auch das eigene Wesen, das Fremdartige und bislang Unverständliche in uns selbst erkundet wird (vgl. Kearney 2003: 65ff.). Mediendarstellungen von Aliens funktionieren dann als narrative Projektionen individueller oder auch kollektiver Wunsch- und Alpträume, als Repräsentationen regressiver Triebe, narzisstischer Phantasien oder idealisierter Selbstbilder.
5.5 Dialektik Je fremdartiger das Dargestellte ist, desto hartnäckiger und unbarmherziger zeigen sich die Interpreten; je unspezifischer und vieldeutiger außerirdisches Leben vorgestellt wird, desto stärker versucht man, das Wahrgenommene an konkrete Erfahrungen oder spezifische Deutungsmuster und Theorien zu binden. Ein gutes Beispiel hierfür ist Stanley Kubricks Film "2001: A Space Odyssey" ("2001 -Odyssee im Weltraum", USA/GB1968), der in enigmatischer Weise eine Begegnung des Menschen mit einer außerirdischen Intelligenz schildert. Die fremde und gottähnlich agierende Macht bleibt völlig rätselhaft; lediglich die Erscheinung eines schwarzen, monolithi-
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sehen Blocks zu verschiedenen Zeiten der Menschheitsentwicklung zeugt von der Präsenz und Einflussnahme der extraterrestrischen Kraft. Gerade aber weil die Darstellungsweise so mysteriös und ambivalent ist und keine näheren Auskünfte über die Natur oder die Absichten des Fremden liefert, hat "200 1" unzählige Interpretationen provoziert. Der Film wird zur hermeneutischen Herausforderung. Die Rezipienten verharren keineswegs in der Situation der Unschlüssigkeit und der Ungewissheit, sondern konstruieren sich ihre eigenen Erklärungen und Deutungen des Gesehenen. Dabei bleibt der Mensch zunächst in seiner je spezifischen Denkweise, seiner Tradition, seiner Kultur gefangen. Dies zeigt auch die vielfach interpretierte letzte Szene des Films, in der der Astronaut Bowman nach seiner Weltraumodyssee sein Leben in einem geheimnisvollen, musealen Raum mit klassizistischem Mobiliar fristet. Erst als er stirbt, d.h. im Augenblick der Transzendenz, wenn die bisherige Existenz ein Ende findet, das Denken ausgelöscht und alles Konventionelle überwunden werden kann, erst dann taucht der Monolith wieder aufund Bowman gelingt der Kontakt mit der außerirdischen Intelligenz. Erst wenn wir uns selbst verleugnen und den Ballast unserer Kultur vollständig abwerfen, werden vorurteilsfreie Erkenntnis und Kommunikation möglich. Solange wir aber im Kontext unserer Tradition und unserer herkömmlichen Denkmuster leben und befangen sind, solange lässt das wahrhaft Fremde auf sich warten, und jegliche Visualisierung kann nur ein Abbild von bereits Bekanntem sein. Diese letzte Szene aus "200 1" spiegelt also in metafiktionaler und selbstreflexiver Weise die Problematik der Darstellung und der Wahrnehmung von fremdem Leben wider, das jenseits menschlicher Vorstellungskraft existiert. Aber auch das ist nur wieder eine Interpretation. Scheinbar unvermeidlich sind sowohl Entwürfe als auch Wahmehmungen von Außerirdischen den tendenziell gegenläufigen Prozessen von freier Imagination und explikativer Interpretation ausgesetzt. So entsteht ein doppeltes dialektisches Spannungsfeld zwischen der Darstellung extraterrestrischer Wesen als fremder Lebensform und der allegorischen Präsentation menschlicher Belange in der Produktion einerseits sowie zwischen der unvoreingenommenen Betrachtung des Fremden und der vereinnahmenden Deutung in der Rezeption andererseits, eine bilaterale Dialektik des Aliens.
6. Dialektik des Aliens in "Star Trek" Dem bisher hauptsächlich theoretisch vorgestellten Paradigma der Dialektik des Aliens sollen abschließend einige konkrete Beispiele folgen.
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Dazu dient noch einmal das umfassende "Star Trek"-Universum, die international populärste Medienpräsentation außerirdischen Lebens. Kreativität, Innovationswille und Sendungsbewusstsein, aber auch Befangenheit und ideologische Rückkopplungen in der Konzeption und Wahrnehmung des Fremden prägen "Star Trek" und veranschaulichen so die diagnostizierte Dialektik in vielfältiger Form. Obschon Roddenberrys Idee eines multikulturellen, von Toleranz und Gleichberechtigung erfüllten Universums nach wie vor den Kern aller "Star Trek"-Serien und -Filme bildet, wurde mehrfach kritisch angemerkt, dass sich durchaus ideologische Spannungen und Widersprüche in der Gesamtheit der Geschichten und Darstellungen außerirdischer Kulturen abzeichnen (vgl. Anijar 2000; Gentejohann 2000; Kanzler 2004). Es sei "typical for ,Star Trek' to address progressive issues together with often extremely conservative ones", stellt Kanzler (2004: 122) fest, und Gentejohanns Resümee seiner post-kolonialen Betrachtung ethnozentrischer Tendenzen in der ersten "Star Trek"-Serie lautet: "Accordingly the Enterprise, on her mission to search out new civilizations, discoversAmericans" (2000: 65). In der Tat erscheinen die Völker und fremden Wesen in den Weiten der Galaxis oftmals nur als Zerrbilder der menschlichen, genauer: der amerikanischen Gesellschaft. Deren Verständnis von Politik, Diplomatie, Demokratie und Lebensführung allgemein wird zum Raster, dem sich (fast) alle Formen extraterrestrischen Lebens unterwerfen müssen; dass es dabei nicht immer tolerant und vorurteilsfrei zugeht, sondern mit allgemeinen Konzeptionen häufig auch stereotypes Denken und einseitiges, chauvinistisches Gedankengut exportiert werden, zählt zu den eher bedenklichen Merkmalen des "Star Trek"-Universums. Extrem kritisch charakterisiert Anijar "Star Trek" als "a narcissistic love letter to (white) America" (2000: 226), als "a bourgeois myth" (ebd.: 229), in der die Zukunft und das Weltall fest in der Hand der weißen, heterosexuellen Leitkultur der USA seien. Diese ideologische Haltung beeinflusse natürlich ganz entschieden die Darstellung außerirdischer Völker und leiste rassistischen Tendenzen Vorschub: "In ,Star Trek', species becomes a signifier for race [ ... ]. Furthermore, the biologically determined view of other ,species' in ,Star Trek' reinscribes specific learned attitudes, stereotypes, and behaviors that have developed out of particular historical, economic, and cultural milieus right here on planet Earth" (ebd.: 154). Auffallend ist natürlich die überwiegend anthropomorphe Gestaltung der Außerirdischen in "Star Trek" (aber nicht nur in "Star Trek", sondern in vielen anderen TV-Serien auch): Sie haben humanoide Körperformen, Extremitäten wie Menschen und lediglich im Gesicht oder am Schädel anatomische Veränderungen, die für Make-Up-Spezialisten leicht appli-
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zierbar sind. Dies hat aber vor allem produktionstechnische und finanzielle Gründe: "Frankly, STAR TREK has no choice but to use humanoid aliens. The actors playing these humanoids are human. It's the same old story. You have to use what's available. [... ] Unfortunately, we have to do these things within the Iimits of our budgets. We are also limited by the amount of time we can take to make up someone as a radically different alien, or to create the special costume needed" (Whitfield/Roddenberry 1986: 207f.). Gleichwohl liefern die "Star Trek"-Produzenten in der "Next Generation"-Episode "The Chase" ("Das fehlende Fragment") auch eine innerfiktionale Erklärung für das häufige Auftreten des humanoiden Phänotyps in der Galaxis. Captain Picard und seine Crew entdecken einen Planeten, dessen inzwischen untergegangene humanoide Zivilisation vor Millionen von Jahren genetisches Material in der gesamten Galaxis verstreut hat, um die Entwicklungen intelligenten Lebens auf vielen Welten zu manipulieren und sich dadurch im Universum zu verewigen. Es stellt sich heraus, dass alldie Völker, die nun verfeindet sind, Menschen, Klingonen, Romulaner, Cardassianer und viele mehr, einen gemeinsamen genetischen Ursprung haben, der die biologische Grundlage für ihre ähnlichen humanoiden Erscheinungsformen darstellt. Als wahrer Ausdruck der Dialektik des Aliens zeigt sich hingegen die in auffälliger Weise thematisierte Kombination des Fremden mit dem Vertrauten, wie zum Beispiel in der Episode "The Devil in the Dark" ("Horta rettet ihre Kinder") aus der Original-Serie. Hier geht es um eine extraterrestrische Lebensform auf Silikonbasis, Horta, ein bizarres Steinwesen, das sich durch Felsen bohren kann und die Arbeiter einer Minenkolonie auf dem fernen Planeten Janus VI bedroht. Horta scheint eine feindselige Kreatur zu sein, bis es Spock gelingt, durch Gedankenverschmelzung zu kommunizieren und die Motive des Aliens zu ergründen. Es ist die Mutter der nächsten Generation von Silikonwesen, und seine Absicht ist lediglich, die Brut zu verteidigen und vor den Zugriffen der Minenarbeiter zu schützen. Ein fremdes Geschöpf zeigt ,menschliche' Gefühle; seine Funktion als Mutter relativiert die Fremdartigkeit und erzeugt Verständnis, ja sogar Sympathie. In ähnlicher Weise erzählt die Folge "Metamorphosis" ("Metamorphose") von einem gasförmigen Wesen, das sich in einen Menschen verliebt. Dieser kann die Liebe des Alien erst dann begreifen und erwidern, als es den Körper einer menschlichen Frau annimmt. Bereits im gasförmigen Zustand zeigt die außerirdische Lebensform menschliches Verhalten und beweist durch ihre (weiblichen) Gefühle gewissermaßen transkulturelle Kompetenz, doch der geliebte Mann ist erst dann fähig, dieses Verhalten zu verstehen und
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angemessen zu interagieren, als das Fremde auch physisch als Frau zu erkennen ist. Seine anthropozentrische Haltung macht ihn blind für die Gefühle des fremden Wesens. Man könnte diese Episode auch als selbstreflexiven Kommentar zur Problematik der Wahrnehmung des Fremden und zur dialektischen Aneignung des Aliens verstehen. Im ersten Kinofilm, "Star Trek - The Motion Picture" ("Star Trek Der Film", USA 1979, Regie: Robert Wise), nähert sich eine komplexe, außerirdische Intelligenznamens V'ger der Erde, ein gigantisches Raumschiff in einem blauschimmernden wolkenförmigen Energiefeld. Das fremde Wesen sucht seinen Schöpfer, und völlig überrascht entdeckt die Mannschaft der Enterprise, dass V'ger tatsächlich die alte irdische Erkundungssonde Voyager 6 ist, die auf der langen Reise durchs Universum und nach einer Begegnung mit einer hochentwickelten Maschinenkultur ein eigenes Bewusstsein entwickelt hat. Das Fremde erweist sich als etwas im Kern Vertrautes, als Schöpfung der Menschen selbst. Gleichsam wie eine Parabel auf all die menschlichen Erfindungen außerirdischer Lebensformen in SF-Romanen und -Filmen und als selbstreferentielle Veranschaulichung des Prinzips der Dialektik des Aliens präsentiert "Star Trek - The Motion Picture" ein extraterrestrisches Geschöpf, das sich als menschliches Artefakt entpuppt. Die Rückkehr der NASA-Sonde Voyager 6 zum Planeten des Schöpfers, zeigt, dass alles, was wir als außerirdisches Leben zwischen den Sternen imaginieren, eigentlich von der Erde stammt. Wirklich fremd und mysteriös erscheint die interplanetarische, walzenförmige Sonde in "Star Trek IV: The Voyage Horne" ("Star Trek IV -Zurück in die Gegenwart", USA 1986, Regie: Leonard Nimoy), die Signale aussendet, um mit Walen auf der Erde zu kommunizieren. Warum sie dies tut, und was sie mit den Walen zu besprechen hat, erfahren wir nie. Mit Menschen tritt sie nicht in Kontakt, ihre Motivation wird nicht offenbart. Dies steigert nur noch die Rätselhaftigkeit ihres Erscheinens und ihres Ursprungs. Hier gelingt es, eine wahrhaft fremdartige, unergründliche Lebensform darzustellen, die bis über das Ende des Films hinaus fremdartig und unergründlich bleibt. Um die Zuschauer aber nicht durch zuviel Fremdheit und die dadurch entstehende semantische Leerstelle zu überfordern - "Star Trek" ist eben nicht "200 1: A Space Odyssey" -, werden Captain Kirk und Mr. Spock in eine sehr vertraute Umgebung geschickt, um ihre Mission zu erfüllen: Um Wale zu finden, die den Rufen der Sonde antworten könnten, kehren die Helden des 23. Jahrhunderts per Zeitreise in die Stadt Los Angeles des späten 20. Jahrhunderts zurück. Quasi als dialektisches Gegengewicht zum Unbekannten, das die geheimnisvolle außerirdische Sonde als Auslöser der ganzen Geschichte darstellt, konfrontiert der Film die Rezipienten mit dem absolut
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Bekannten. Der vertraute Anblick einer Großstadt und der Phänomene der zeitgenössischen Kultur, die hier natürlich durch die Augen der Zeitreisenden als ihrerseits fremdartig, aber auch als rückständig und somit als leicht nachvollziehbar wahrgenommen werden, entschädigt gewissermaßen für die Unerklärlichkeit des Aliens. Der amüsierte Blick auf das, was wir Menschen sind und tun, tritt in dialektische Wechselwirkung mit der Erfahrung des Fremden und erzeugt so den Reiz des Films und das Vergnügen der Zuschauer. Ein weiteres interessantes Beispiel für die Dialektik des Aliens ist die Darstellung und Entwicklung der Klirrgonen in den "Star Trek"-Serien und -Filmen. Waren sie in der originalen Serie noch eindimensionale Schurken, die symbolisch als Feindbild des Kalten Krieges, die Sowjetunion, verstanden werden konnten, so erfuhren sie im Laufe der Zeit eine erhebliche Aufwertung. Um sie als Aliens glaubwürdiger zu gestalten, erhielten sie mithilfe einer prägnanten, durch Knochen geformten Stirnpartie ein neues, exotischeres Aussehen; um simple Stereotypisierung zu überwinden, wurden spezifische Details ihrer Kultur präsentiert, individuelle Charaktere und deren Funktionen akzentuiert- wie beispielsweise Lt. Worfin "The Next Generation" und "Deep Space Nine" und Kanzler Gorkon in "Star Trek VI: The Undiscovered Country" ("Star Trek VIDas unentdeckte Land", USA 1991, Regie: Nicholas Meyer)- und sogar eine eigene klinganisehe Sprache entworfen (vgl. Rohr 2003). All das führte aber dazu, dass sie den Zuschauern und Fans der Serie als fremdes Volk eher vertrauter und sympathischer wurden, d.h. in einer dialektischen Verkettung von Produktionsaspekten und Rezeptionsprozessen erwiesen sich die Bemühungen, Fremdheit zu steigern und Unterschiede zur menschlichen Kultur zu betonen, als erfolgreiche Strategie, Klischees abzubauen und die Klirrgonen als extraterrestrische Spezies zu etablieren, die hohes Ansehen unter den Fans genießt. Aus der Aggressivität und Verschlagenheit der ursprünglichen Konzeption wurden nun Werte wie Mut, Entschlossenheit und Ehrenhaftigkeit. Das Fremde hat seine kulturelle Unbestimmtheit verloren und kann nun mit mehr Toleranz akzeptiert, mitunter sogar bewundert werden. In "Star Trek VI: The Undiscovered Country" zitieren die Klirrgonen Shakespeare ,im klingonischen Original'; man mag dies als interstellare Hommage an den großen Dichter werten oder als einen Akt kultureller Aneignung von Seiten der Klingonen, auf alle Fälle ahnen wir, dass Aliens, die Shakespeare kennen und zitieren, so schlecht und so verschieden von uns Menschen nicht sein können. Mit Blick auf das "Star Trek"-Universum stellt Weber fest: "Wohin wir auch immer gehen, wie weit wir auch immer in den Weltraum vordringen, wir begegnen immer nur Varianten von uns selbst. [ ... ] Die
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Hoffuung auf das völlig Unbekannte wird stets neu geweckt und stets enttäuscht" (2003: 126). Die Dialektik des Aliens ist eben nicht leicht zu überwinden; möglicherweise ist es sogar völlig unmöglich, sich dem dialektischen Spannungsfeld zwischen Fremdem und Vertrautem wahrnehmungspsychologisch und kognitiv zu entziehen. Aber dies ist auch kein Grund, rundum enttäuscht zu sein. Bis die Menschheit zum ersten Mal wirklich in Kontakt mit außerirdischer Intelligenz tritt, müssen uns die filmischen Annäherungen an das Fremde und die wöchentlichen TV-Begegnungen ausreichen - als Zeugnis unserer Neugier auf das Nicht-Menschliche, als Schulung unserer Toleranz gegenüber dem Anderen und als kulturwissenschaftliche Einübung, wenn schon nicht Fremdes, dann zumindest Fremdartiges wahrzunehmen und in Relation zu uns selbst zu verstehen.
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TRANSTERRESTRIK IN DER RENAISSANCE: NIKOLAUS VON KUES, GIORDANO BRUNO, JOHANNES KEPLER* MARIE-LUTSE HEUS ER
Spekulationen über die Existenz außerirdischer Planetenbewohner sind alt. Vor allem in kosmologischen Entwürfen, die das Universum als belebt und mit einer Weltseele begabt annehmen, findet sich die Idee, dass nicht nur die Erde, sondern auch andere Himmelskörper Lebewesen hervorgebracht haben. 1 Während des scholastisch geprägten Mittelalters wird diese Idee auf der Grundlage der aristotelisch-ptolemäischen Kosmologie zurückgedrängt. Erst zu Beginn der Neuzeit, in der Renaissance, deren ideelle Substanz ein neu erwachter Platonismus ist (Beierwaltes 1978), rücken außerirdische Wesen wieder in den Bereich des Möglichen. Die Renaissance als Übergangsepoche vom Mittelalter in die Neuzeit war eine Zeit der Transterrestrik par excellence. Mit den Philosophen Nikolaus von Kues und Giordano Bmno, den Naturwissenschaftlern Nikolaus Kopemikus, Galileo Galilei und Johannes Kepler sowie den ersten Science-Fiction-Autoren Francis Godwin und John Wilkins wurde das Irdische überschritten, transformiert und transzendiert. Der Geozentrismus wurde durch den Heliozentrismus abgelöst und zu einem Kosmozentrismus erweitert, die Zentriemng schließlich zugunsten eines mittelpunktlosen und grenzenlosen Universums aufgehoben, in welchem zahllose Welten angenommen wurden, die aufgmnd unseres begrenzten irdischen Sehfeldes nicht alle sichtbar sind. Diese Dezentriemng und
* Ich widme diesen Aufsatz
Norbert Henrichs in Verehrung, der an der Heinrich-Beine-Universität eine ganze Generation (mich eingeschlossen) in die Geheimnisse der neuplatonischen Philosophie einwies und uns mit Nikolaus von Kues vertraut machte. Vgl. Platons "Timaios" (42 d) und die lange Tradition der "Timaios"Kommentare mit den Marksteinen Chalcidius 1976: 193-194 und Guillaume de Conches 1965: 221.
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Pluralisiemng des Universums ging einher mit der Imagination außerirdischer Wesen, die mit den Lebensformen auf der Erde "nicht vergleichbar" sind, so Nikolaus von Kues, sondern andere, inkompatible Eigenschaften aufweisen. Statt das Universum in der Phantasie mit erdähnlichen Formen des Lebens zu bevölkern, dachte man eher an Verschiedenheit, Heterogenität und Mannigfaltigkeit, an Welten also, die nicht nur das uns Bekannte, sondern auch unsere Vorstellungskraft überschritten. Die transterrestrische Perspektive führte zu einer Überwindung auch des Anthropozentrismus. Der Blick für Neues wurde entwickelt und mehr zugelassen als das, was wir kennen. Diese Pluralisiemng und Heterogenisiemng wurde als Bereicherung empfunden und nicht als Angst einflößend. Sie blieb immer auf eine ursprüngliche Einheit bezogen, die nun nicht mehr als logische Einheit, sondern als produktiver Grund gedacht wurde. In der Philosophie der Renaissance wurden schließlich die finiten, irdisch-gegenstandsbezogenen Erkenntismodi transformiert in infinite. Die Transzendenz wurde in die Immanenz gezogen. Die Erde war fortan nicht mehr, wie noch im Mittelalter, das Zentrum der Welt, auf das hin alle Bewegungen des Universums und alle Sinnstiftungen orientiert waren. Die aristotelisch-ptolemäische Kosmologie, die in der Scholastik des Mittelalters vorherrschte, ging von der sinnlichen Wahrnehmung aus, die uns die Bewegung der Himmelskörper als sich um die Erde drehend erscheinen lässt. Darauf aufbauend wurde eine Theorie entworfen, die konzentrisch um die Erde angeordnete Schalen annahm, an denen die Planeten angeheftet waren. Die Sterne wurden als leuchtende Punkte angesehen, die an der "Fixsternsphäre" hingen, die als äußerste Schale des Universums den Abschluss des Universums bildete. Gemäß Aristoteles "Oe caelo" ("Über den Himmel"), auf das sich die Scholastiker beriefen, wurde dieses Schalenuniversum von einem "unbewegten Beweger" angetrieben. Die dadurch verursachte kontinuierliche Bewegung der Fixsternsphäre wurde an die inneren Planetenschalen weitergegeben, womit die Gesamtbewegung der Planeten und Sterne um die Erde eine "natürliche" Erklärung erhielt.
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Abbildung 1: Das Ptolemäische und das Kopernikanische Weltsystem
Quelle: Kirchho.flJ980: 16 und 17
Wie Kuhn (1973) und Holton (1988) gezeigt haben, war die Überwindung des geozentrischen Weltbildes in der Renaissance nicht primär das Resultat von Beobachtungen, sondern das Ergebnis imaginativer Prozesse, die zu einem anderen Grundmodell des Universums führten. Die Beobachtungen der Astronomen waren durchaus in das zur Verfeinerung des groben Schalenmodells entwickelte Epizyklenmodell integrierbar, wenngleich dieses so immer komplexer wurde. Die Revolution kosmologischer Vorstellungen war in der Renaissance mit einer gesellschaftlichkulturellen Revolution verbunden, die zu einer Neustmkturiemng des gesamten Feldes philosophischer, wissenschaftlicher und literarischer Denkschemata führte. Das hierarchisch strukturierte Feudalsystem wich zunehmend der städtisch-bürgerlichen Kultur, in welcher die individuelle, produktive Freiheit eine immer größere Rolle spielte. Die Renaissance ist nicht nur eine Zeit des Aufbruchs, der Entdeckungen, der Erfindung der Perspektive und der beginnenden Naturwissenschaften, sondern auch der Gedankenflüge zu anderen Planeten und "Stemengemeinschaften". Das mittelalterliche System wurde als zu eng, als Kerker empfunden. Nun öffneten die Philosophen der Renaissance, insbesondere Nikolaus von Kues und Giordano Bmno, das Universum zu einem homogenen, grenzenlosen Raum mit zahllosen Welten, die jeweils ihr eigenes Zentrum besitzen. Die philosophischen Entwürfe des Cusaners und Nolaners 2 gingen über das heliozentrische Modell der Naturwissenschaftler Kopemikus, Galilei und Kepler weit hinaus, indem sie die Fixstemsphäre, die die Naturwissenschaftler bislang noch beibehielten, 2
Nikolaus von Kues wurde von seinen italienischen Freunden nach seinem Geburtsort Kues an der Mosel "Cusanus" genannt; Giordano Bmno gab sich nach seinem Geburtsort Nola bei Neapel den Namen "Nolanus". Daraus wurde im Deutschen der Cusaner und der Nolaner.
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gedanklich abschafften und damit zudemjegliche Vorstellung eines fixen Mittelpunkts des Universums überwanden. Besonders deutlich werden diese Zusammenhänge in der Philosophie des Nikolaus von Kues, mit der die Neuzeit eingeläutet wird.
1. Das Universum ohne Mittelpunkt und Peripherie: Nikolaus von Kues (1401-1464) In der Renaissance verlor die Erde ihre Stellung als Zentralgestirn des Universums. Dies war nicht primär ein Ergebnis der Beobachtung, sondern des Denkens. Es war der Philosoph Nikolaus von Kues, der in seiner Schrift "De docta ignorantia", die 1440 abgeschlossen wurde, noch vor Kopernikus, 3 die mittelalterlich-scholastische Kosmologie mit ihren konzentrischen und hierarchisch um die Erde kreisenden, kristallirren Sphären aufbrach und ein homogenes Universum dachte, in welchem es keinen ausgezeichneten Mittelpunkt und keine begrenzende Peripherie mehr gab. Als Kardinal und Berater des Papstes war er in Glaubensfragen noch dem Mittelalter verhaftet, in metaphysischer, erkenntnistheoretischer und kosmologischer Hinsicht neuzeitlich. Ihm zufolge ist es nur die täuschende Folge unserer sinnlichen Wahrnehmung, dass die Erde als Zentrum der Welt angesehen wird: "Wo auch immer einer sich befindet, er glaubt sich im Mittelpunkt" (v. Kues 1967 II: 93). Erst mit den "Augen des Geistes" ist es möglich, Gedankenexperimente durchzuführen und sich vorzustellen, man befände sich auf einem anderen Gestirn, auf der Sonne, dem Mars oder auf einem anderen Stern. "Und da es stets jedem, ob er sich auf der Erde oder der Sonne oder auf einem anderen Stern befindet, so vorkommt, daß er sich gleichsam an einem unbeweglichen Mittelpunkt befindet und daß alles andere sich bewegt, deshalb würde jener, wenn er sich auf der Sonne, der Erde, dem Mond, dem Mars usw. befände, sich sicherlich immer neue Pole bilden" (ebd.: 93, 95). Gleichgültig, wo wir uns im Universum befinden, uns würde es immer so erscheinen, als ob wir uns im Mittelpunkt des Universums befänden. "Der Bau der Welt ist deshalb so, als hätte sie überall ihren Mittelpunkt und nirgends ihre Peripherie[ .. .]" (ebd.: 95). Cusanus gelangte auf rein spekulativem Wege zu der Einsicht, dass die Erde sich nicht in Ruhe befindet, sondern in Bewegung ist, da sie zur Sphäre der Erscheinung gehört, wo es niemals ein absolutes Minimum oder Maximum geben kann. Hoffmann (1930: 11) wertet Cusanus' Kos-
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Kopernikus kannte Nikolaus von Kues' "De docta ignorantia".
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mologie als einen "radikalen Sieg des Platonismus", da sie den platonischen Gegensatz von Erscheinung und Idee mit dem Gegensatz von Endlich und Unendlich verschmolz. 4 Das Universum ist für Cusanus eine "infinitas contracta" (ebd.: 32), d.h. eine eingeschränkte Unendlichkeit (und nicht, wie Gott, die absolute Unendlichkeit). Zur Verdeutlichung dieser Idee führt er das eindimensionale Beispiel der Linie heran, welches er im ersten Teil der "Docta ignorantia" als mathematisches Gleichnis für seine neue Lehre entwickelt hatte. Verlängert man eine Seite eines Dreiecks oder den Durchmesser eines Kreises bis ins Unendliche, so koinzidieren Dreieck und Kreisumfang in der einen geraden Linie. Die Linie ist dennoch, trotz ihrer Unendlichkeit, nur ein eingeschränkt Unendliches. Auch die Möglichkeit der Dinge im Universum ist eingeschränkt, da sich ansonsten kein Grund für die Dinge angeben ließe, sondern alles zufällig wäre (ebd.: 63). Die einzelnen Geschöpfe des Universums werden von Cusanus als "infinitas finita" (ebd.: 20), d.h. als endliche Unendlichkeit, bestimmt. 5 Mit Platon und den mittelalterlichen Platonikern ist Cusanus davon überzeugt, dass die irdischen Organismen nicht die einzigen Lebewesen im Weltall sind, sondern dass es auf anderen Planeten und Sternen ebenfalls Bewohner, möglicherweise sogar "anderer Gattungen" (v. Kues 1967 II: 101) geben kann. 6 Es ist ihm zufolge unwahrscheinlich, dass nur 4
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Hoffmann betont, dass in Europa die Nova astronomia nur durch eine veränderte Logik, nicht durch eine Verbesserung der Beobachtung auf den Weg gebracht wurde: "Es genügte nicht, daß es exakte Astronomen gab wie Toscanelli; denn daß man subtilster Beobachter sein und trotzdem bei der ptolemäischen Denkform verharren konnte, zeigte noch Tycho Brahe" (Hoffmann 1930: 11). Georg Cantor, der Begründer der transfiniten Mengenlehre, bezog sich im 19. Jhd. auf diese Idee von Nikolaus von Ku es und auf ihre Weiterführung bei Giordano Bruno, um das von ihm eingeführte "Transfinitum" sowohl vom potentiell Unendlichen als auch vom absolut Unendlichen abzugrenzen (vgl. Heuser 1991 ). Platon hatte in seiner Kosmogonie, dem "Timaios", beseelte Wesen "auf die Erde, auf den Mond, wieder andere auf die übrigen Werkzeuge der Zeit, so viele da sind" (42 d) setzen lassen. Die Gestirne werden hier als "Werkzeuge der Zeit" bezeichnet, da Platon erst mit ihren Umläufen die Zeit und das Maß der Zeit entstehen lässt. Der "Timaios" blieb im Mittelalter ein viel gelesenes Buch und damit immer eine Konkurrenz zur scholastisch-aristotelischen Kosmologie. So kommentierte der aus der "Schule von Chartres" stammende Wilhelm von Conches in der ersten Hälfte des 12. Jhds.: "Et non est credendum, ut quidam exponunt, Platonem voluisse animam fuisse prius in planetis, deinde descendisse in terram. Sed voluit
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die Weltstelle ("locus mundi"), die unsere Erde einnimmt, bewohnt ist, denn es gibt keinen Grund dafür, dass die "Vielzahl von Stätten des Himmels und der Sterne leer" und nur "diese Erde, die vielleicht zu den geringsten zählt", bewohnt sei. (ebd.: 101) Da das Universum zahllose realisierbare Möglichkeiten beinhaltet, ist anzunehmen, dass diese auch realiter umgesetzt werden. Es ist zu vermuten, "daß keine der anderen Sternregionen frei von Bewohnern ist, daß es gleichsam so viele einzelne Teilwelten des einen Universums gibt, wie es Sterne gibt, deren Zahl unendlich ist" 7 (ebd.: 103, 105). Cusanus erwägt dabei eine Differenzierung in verschiedene Vollkommenheitsstufen. Es könnte durchaus sein, dass die Menschen, Tiere und Pflanzen der Erde "geringer in ihrer Stufe sind gegenüber den Bewohnern der Region der Sonne und anderer Sterne" (ebd.: 101). Er nivelliert die möglichen Lebewesen nicht auf das Niveau erdgebundener Lebewesen. Es kann vollkommen andere Formen geben, die mit den uns bekannten unvergleichbar ("improportionabiles", ebd.: 100) sind, auch dann, wenn angenommen werden kann, dass die Regionen des Universums in wechselseitigem Bezug zueinander stehen und insbesondere je verschiedene, uns unbekannte Verhältnisbezüge zur Zielvollendung des Universums angenommen werden können. Selbst wenn wir Zugang zu extraterrestrischen Wesen hätten, würden diese uns wahrscheinlich völlig fremd bleiben. Cusanus verdeutlicht dies anhand einer Analogie aus der irdischen Biosphäre: "Da uns also jene Region in ihrer Gesamtheit unbekannt ist, so bleiben ihre Bewohner uns völlig unbekannt, wie das auch auf dieser Erde vorkommt, daß die Lebewesen einer Art sich vereinigen, indem sie gleichsam eine Artregion bilden und wechselseitig vermöge dieser gemeinsamen Artregion an dem teilhaben, was zu ihrer Region gehört, von anderem aber nichts begreifen, entweder weil sie sich daran hindern, oder weil sie es nicht wirklich erfassen. Das Lebewesen einer Art kann nämlich den Begriff eines anderen, den es durch lautliches Zeichen ausdrückt, nur äußerlich in ganz wenigen Zügen erfassen, und auch das nur in langer Gewöhnung und lediglich vermutungsweise. Noch
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Plato exordia humani generis fuisse in terra et planetis quia sine sustentatione et fructibus terre, sine calore planetarum, corpus non esset idioneum vite, nec sine vita anima esset" (Guillaume de Conches 1965: 221). lm lateinischen Original heißt es "non est numerus", übersetzt demnach "zahllos" und nicht "unendlich". Wilhelm von Conches vertrat bereits eine ähnliche Ansicht: "numerus enim stellarum sciri non potest" (Guillaume de Conches 1965: 211).
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weniger aber können wir über die Bewohner einer anderen Region wissen, wobei unser Wissenjeder Vergleichsmöglichkeit entbehrt" (ebd.: 103). Die kosmologische Transterrestrik geht bei Cusanus mit einer erkenntnistheoretischen Transterrestrik einher, d.h. mit der Überschreitung gegebener, irdischer Wissenssysteme. Gemäß Cusanus' Erkenntnistheorie sind einzelne Systeme des Wissens ähnlich wie die einzelnen biologischen "Artregionen" oder stellaren "Teilwelten" jeweils durch "proportional" mit einander in Beziehung stehende Elemente definiert. Ein Wissen innerhalb eines Systems kommt durch Vergleich und das Auffinden von Proportionen zu dem, was bereits gewusst wird, zustande. Ein Überschreiten der jeweiligen Wissenssysteme ist logisch deduktiv, bzw. diskursiv nicht möglich. Nur mittels Hypothesen oder Vermutungen ("coniecturae") können neue Welten des Wissens erschlossen werden. Mit dieser Erkenntnistheorie verabschiedet sich Cusanus von der logizistisch geprägten Scholastik und legt die Weichen für die in der Renaissance entstehenden Naturwissenschaften. Für Cusanus ist auch ein Wissen über Außerirdische nicht diskursiv oder mittels Extrapolationen auf der Grundlage unserer irdischen Wissenssysteme zu gewinnen, da uns dafür jegliche Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Nur vermutungsweise können Annahmen über sie gemacht werden. Selbst dann, wenn wir Kontakt zu ihnen aufnehmen könnten, ist nicht ausgemacht, dass wir sie auch erkennen und verstehen würden. Außerirdische sind durch die Region geprägt, in der sie entstanden sind. Diese können ganz andere Eigenschaften aufweisen als unsere Region und damit für uns "unvergleichbar" und damit auch unerkennbar sein. Eine Ausnahme sieht Cusanus in der Geistnatur ("intellectuali natura") des Menschen. Auch wenn es auf weit entfernten Planeten und Sternen Bewohner anderer Gattungen ("alterius generis inhabitatores") gibt, so kann man doch annehmen, dass es keine edlere und vollkommenere Geistnatur geben kann als die, die hier auf dieser Erde und in ihrer Region zu Hause ist (ebd.: 101 ). Diese Bewertung der Geistnatur hat ihre Grundlage in der Cusanischen Theorie des Geistes, die er in den auf seine "De docta ignorantia" nachfolgenden Schriften immer weiter differenziert, umgestaltet und ausarbeitet. Demzufolge hat der menschliche Geist nicht nur trotz, sondern gerade wegen seiner individuellen Kreativität, die als Bild der göttlichen Produktivität gefasst wird, eine universale und nicht nur lokal regionalisierte Bedeutung. Der monadologische Geist ist durch die "visio intellectualis", d.h. der geistigen Schau, in der Lage, die Relativiemngen und Entgegensetzungen finiter Wissenssysteme durch die "coincidentia oppositomm", d.h. den Zusammenfall der Gegensätze, in der alle Gegensätze komplikativ zusammenfallen und ex-
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plikativ entstehen, zu überwinden. 8 Dieses Kernstück der Cusanischen Philosophie hat die Implikation, dass die unendliche Heterogenität und Mannigfaltigkeit des Universums, die aus dem ursprünglich Einen hervorgegangen ist und hervorgeht, damit ein inneres Band besitzt, welches den Zusammenhang der zahllosen Welten garantiert. 9 Jede einzelne Entität des Universums, also auch ein Lebewesen, existiert Cusanus' früher Philosophie in "De docta ignorantia" zufolge nur als "Einschränkung aus allem Einfluß der Sterne" (ebd.: 105). Jeder Gegenstand, jeder Körper, jede Art, jede Gattung ist ein kosmisches Produld, gerrauer eine Kontraktion oder Verdichtung der unendlichen, stellaren Einflüsse auf etwas Endliches. Der Tod bedeutet nur, dass sich die Lebewesen wieder in ihre kosmischen Bestandteile auflösen. "Und wer kann wissen, ob solche Auflösung nur bei Erdbewohnern statthat?" Cusanus kommt zu der aufregenden Idee, dass der Tod eines Lebewesens bedeutet, dass "die Form nur zu dem ihr zugehörigen Stern zurückkehrt, von dem jene Art ihr Vorhandensein auf unserer Muttererde empfing" (ebd.: 105).
2. Die Raumfahrtphilosophie Giordano Brunos (1548-1600) Bruno gibt Nicolaus Cusanus vielfach als seinen Vorläufer und auch als Vorläufer von Kopemikus an (vgl. Bruno 2000, III: 82). In Brunos Spätwerk, welches als Trilogie 1591 in Frankfurt am Main erschien, ist eine Schrift als "Oe immenso" 10 betitelt. Darin fliegt Bruno "mit den Flügeln des Geistes" wie Cusanus zum Mond, zur Sonne und zu anderen Sternen und Planeten, deren Bewohner er gerne kennen lernen würde, davon ausgehend, dass sie ganz anders sind als alles, was wir auf der Erde kennen. Das über weite Strecken in Gedichtform geschriebene, achtbändige Werk "Oe immenso" enthält im ersten Buch folgende Zeilen:
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Die Termini "complicatio" und "explicatio" übernahm er aus der Spekulation des Thierry von Chartres. Siehe auch Beierwaltes 1988. Flasch fand für diese Konzeption des Cusanus die schöne Metapher: "Sein Gott war ein unendliches Meer, in dem alle Prädikate ertranken" (Flasch 2004: 40).
10 Gerrauer "Oe 1nnumerabilibus, 1mmenso et Infigurabili, seu Oe Universo et Murrdis libri octo" (vgl. Bruno 1591 ), in der Bruno-Forschung jedoch als "De immenso" abgekürzt.
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"Wenn du dich in Gedanken bewegen kannst, dann geh' zu den Orten, wohin dich die Füße nicht tragen, geh' zu entfernten Sternen und lerne all ihre Welten kennen" (Bruno 1999, 1: 23). Und im dritten Buch dichtet er: "Wohlan denn, stelle dir als erstes vor - wenn man nicht verraten will, daß es wirklich ist ich sage auch, erdichte dir, du verläßt die Erde, und fliegst direkt zum nahen Mond. Sag nun, wenn Du nach oben fliegst -wenn man noch von ,oben' sprechen kannwird dann nicht ein größerer Teil der Erde sichtbar, und erstreckt sich der Horizont nicht immer weiter?
Abbildung 2: " Wie sich der sichtbare Bereich des Umkreises der Erde bis zum Anblick einer Halbkugel vergrößert. "
Quelle: Bruno 2000, 111: 18 Wird dann die Erde mit größerer Entfernung nicht immer kleiner, so daß sie schon bald 63
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nicht mehr den ganzen Himmel verdeckt? Wird nun nicht der deutlich größere Teil von den Lichtem des Himmels erfüllt? Du mußt nicht viel weiter nach oben fliegen, bis die Erde wie der Mond erscheint. Denn in einer Entfernung von wenigstens sechstausend Fuß siehst du keine Bäume mehr oder Berge, sondern du siehst dir gegenüber nur mehr einen Globus oder einen Kreis, in dem du dunkle Flecken unterscheiden kannst, die mit den hellen Strahlen der Sonne Farben bilden" (Bruno 2000, lll: 12-13). Mit den "Flügeln des Geistes" erschuf Giordano Bruno eine über Cusanus hinausgehende Philosophie der Transterrestrik. Man könnte Bruno als den ersten Raumfahrt-Philosophen bezeichnen, da er als erster Philosoph nicht nur in Gedanken die Erde verließ und den Mond sowie andere Gestirne aufsuchte, sondern systematische Gedankenexperimente auf kopernikanisch-wissenschaftlicher Grundlage über die Frage anstellte, wie die Erde wohl vom Mond und anderen Himmelskörpern aus erscheinen würde. In Ansätzen entwickelte er dabei eine Mondastronomie, die offenbar Kepler zwei Jahre später, als dieser noch Tübinger Student war, zu seinen eigenen Überlegungen zum Thema anregte. 11 Giordano Bruno entwickelte ein ausgeprägtes Gefühl für die - alle Größenordnungen des menschlichen Vorstellungsvermögens sprengende - Weite des Universums. Unermüdlich forderte er seine Zeitgenossen auf, zu erkennen, dass unsere Sonne nur ein Zentrum unter vielen ist, dass es unzählige Sonnensysteme mit Planeten wie den unseren gebe. Er wollte, dass die Menschen endlich den Kerker des mittelalterlichen Systems durchbrechen, um sich frei bewegen zu können.
11 Brunos Philosophie, insbesondere seine metaphysische Schrift "De Ia causa, principio et uno" ("Über die Ursache, das Prinzip und das Eine") hatte zudem eine nicht zu überschätzende Wirkung auf den europäischen Idealismus, vor allem auf Leibniz, Spinoza, Goethe und Schelling. Überdies inspirierte sie auch die ersten ,Science-Fiction' -Erzählungen, so z.B. Francis Godwins "The Man in the Moone" von 1638.
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Abbildung 3: Giordano Brunos neue Weltsicht (Holzschnitt von Robert Budzinski)
Quelle: Budzinski-Wecker 1927: 163
Bruno war derjenige, der in der Renaissance - antike Konzeptionen wieder aufnehmend - erstmals die Äther-Konzeption des Raumes aufgab und ein "vacuum" postulierte. In "De immenso" heißt es: "So ist es nicht widersprüchlich, zu lehren, daß sich das Vakuum sowohl zwischen den Körpern befindet, als auch die Körper umgibt" (Bruno 2001, VII: 35). Erst Otto von Guericke führte im 17. Jahrhundert dazu die experimentellen Beweise durch. Bruno gibt in "De immenso" nicht nur eine Darstellung seines kosmologischen Entwurfs. Er fragt auch nach den Gründen, die dazu führen, finite und erdzentrierte Konzepte in Frage zu stellen. Er spürt den inneren Triebkräften nach, die Begrenzungen immer wieder aufheben. Er fragt: Was führt uns dazu, eine unendliche Welt anzunehmen, obwohl wir immer nur endliche Objekte wahrnehmen? Was führt uns dazu, die Erde überhaupt verlassen zu wollen und sei es auch nur in Gedanken? Brunos Reflexionen über die Motive der Raumfahrt führen zu Antworten, die seiner Zeit weit voraus waren. Er entwickelte eine erstaunliche Anthropologie der Raumfahrt, die die libidinösen, also affektiven Energien des Menschen für die extraterrestrische Sehnsucht verantwortlich machte. 12 12 Es sind also für Bruno keine utilitaristischen Gründe, die die Menschheit zur Raumfahrt motivieren. Nachdem seit den 1980er Jahren mit der Satellitenproduktion utilitaristisch-ökonomistische Gründe überwogen, erleben wir heute erneut eine Wende in der Wertediskussion der Raumfahrt. Nun
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In Buch I, Kap. 1, besingt Bruno zunächst in Versform noch recht traditionell den Geist ("mens"), der ihm Flügel verleiht, womit er die Kerker der eingebildeten scholastischen Himmelssphären zerbricht und als Furchtloser den unendlichen Raum zerteilt und sich von dieser Welt erhebt. Im anschließenden Kommentar differenziert er die Natur des Menschen zunächst auch noch klassisch in Seele ("animus") und Körper, greift dann aber einen Gedanken von Pico della Mirandola auf, dass der Mensch dadurch, dass er weder das eine, also Seele, noch das andere, also Körper, ganz ist, er sich in einem "Grenzbereich" aufhalte, in einem Grenzbereich zwischen der Ewigkeit und der Zeit, zwischen dem Archetypus und seinem Abbild, zwischen der intelligiblen und der sinnlich wahrnehmbaren Welt. So hat er zwar am Wesen beider Teil, steht aber zwischen den Extremen und ist auf einer "Mittellinie" zwischen beiden angesiedelt. Diese Grenzgänger-Position führt dazu, dass die Menschen das Universale, Ewige immer bloß anstreben, aber nicht erreichen können. Dadurch entwickeln sie ein Verlangen, welches nicht gestillt werden kann. Bruno hat für dieses Begehren verschiedene Ausdrücke: "appetitus" (Verlangen), "expetere" (wünschen), "contendere" (streben), "desidere" (sich sehnen). 13 Der Natur selbst ist zwar dieses Verlangen schon eingepflanzt, "damit alles entsteht" (Bruno 1999 1: 10), aber in der Natur wird dieses Verlangen durch die Kreation immer wieder neuer Formen befriedigt, während der Mensch dadurch, dass er in der Mitte zwischen dem Universalen und Einzelnen, dem Unendlichen und Endlichen steht, als Einzelwesen dieses unendliche Verlangen empfindet. So findet das Streben des Einzelwesens keine Erfüllung. "Es ist mit dem Erreichten nicht zufrieden, solange noch irgend etwas zu erreichen bleibt" (ebd.: 10). Das Verlangen, über gesetzte Grenzen hinaus zu gehen und mit keinem Erreichten zufrieden zu sein, dieses letztlich unstillbare Sehnen ist Folge der Doppelnatur des Menschen als Körper und Seele. Als Körper ist der Mensch immer endlich und eine konkrete Realisation aus der unendlichen Vielfalt möglicher Realisationen. Als Seele aber strebt er nach dem höchsten Gut und dem universalen Wahren. Diese kann die Seele aber nicht mit einem endlichen Körper erreichen. Daher kommt die Seele des Menschen nicht zur Ruhe. Das Fahrt- und Reisemotiv ist die natürliche Folge. werden wieder vermehrt nicht-utilitaristische Motive wie die Neugierde, die Grundlagenforschung und die Suche nach extraterrestrischem Leben genannt. 13 Das Begehren hat im Lateinischen schon rein sprachlich etwas mit dem Fliegen zu tun (volo = ich wünsche/begehre, von velle; volo = ich fliege, von volare).
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Aus der Sicht des Reisenden bleibt der Mensch trotz Bewegung selber immer im Mittelpunkt eines Sichtfeldes. Daraus schließt Bruno, dass der Wahrnehmung keine festen Grenzen gesetzt sind, denn, so Bruno, "in welche Richtung sie auch blickt, sieht sie immer und überall, daß sie sich in der Mitte des Horizonts befindet [und nicht etwa an einer Grenze derselben, M.H.], auf der Erdoberfläche ebenso wie im allumfassenden Ganzen, und sie wendet sich anderen zu betretenden Welten und anderen ausersehenen Orten zu" (ebd.: 10). Auch das Bewusstsein und die Phantasie kennen keine fixen Grenzen, denn sie können beispielsweise über jede festgelegte Zahl und Größe, über jeden festgelegten Raum hinausgehen und machen weder bei einem mathematischen noch bei einem physischen Objekt jemals Halt. "Denn", so Bruno resümierend, "sie sind Kinder des Unendlichen" (ebd.: 10). An dieser Stelle bringt Bruno im Rückschluss auf das anthropologische Argument ein zweites, naturphilosophisches Argument ins Spiel: Wenn es so ist, dass dem Menschen ein unendliches Streben und Begehren eigen ist, dann muss auch das Universum so eingerichtet sein, dass es dieses Streben trägt. Wenn es nicht so wäre, wäre es gewissermaßen ein geiziges Universum, welches das "unendliche Streben der Einzelwesen unredlich beschneiden, es unterdrücken und enttäuschen" (ebd.: 11) würde. Es wäre ein dem Menschen nicht angemessenes Universum. Es wäre weniger großartig als der Mensch. Dies kann nicht sein, so Bruno. Das Universum muss die Verwirklichung aller möglichen Formen erlauben, es muss ein unerschöpfliches Universum sein. Nur ein solches Universum ist ein dem Menschen würdiges Universum. Bruno verwirft die traditionellen kosmologischen Konzepte also aus humanistischen Gründen. Wie Cusanus in der Tradition des "Timaios", so denkt sich auch Giordano Bruno das Universum belebt und andere Planeten bewohnt. Während es für Cusanus wichtig ist, die Heterogenität und Nichtvergleichbarkeit außerirdischer Wesen hervorzuheben, geht es Bruno eher darum, die Einheitlichkeit des Universums zu betonen. Ein zentrales Motiv von "De immenso" ist es, das aristotelische Schalenuniversum mit seiner Trennung von sublunarer und supralunarer Sphäre zu überwinden.14
14 Die Termini "sublunar" und "supralunar" wurden nicht von Aristoteles selbst, sondern seinen Nachfolgern geprägt, womit sie seine Ansicht gut auf den Punkt brachten.
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Abbildung 4: Supralunare-Sublunare Welt (Nicole Oresme 13 77)
Quelle: Lombardi 2000: 80
Die supralunare Sphäre beinhaltet die Fixsternsphäre, die Planetensphäre, die Sonne und den Mond. Diese Sphäre ist unvergänglich, vollkommen, d.h. mit vollkommenen, runden Schalen ausgestattet, an denen die Fixsterne, bzw. die Planeten fest installiert sind. Ihre Substanz, die sog. "quinta essentia", ist eine nichtirdische und wird als eine Art "Äther" aufgefasst. Die Sterne sind edlere Wesen als die Erde, sie sind gelenkt von reinen Intelligentien, sie sind näher bei Gott, sind strahlende Körper in einem eigenen, unsichtbaren Element. Diese Sphäre ist eine nicht nur überirdische, sondern auch übermenschliche, von Menschen nicht zu erreichende Welt. Die sublunare Welt dagegen ist das Jammertal der irdischen Welt, eine Welt des Leidens, der Unzuverlässigkeit, des Unvollkommenen. Während die himmliche Sphäre ewig und unveränderlich ist, ist die sublunare Sphäre dem Wechsel des Werdens und Vergehens unterworfen. Die vier Elemente Feuer, Luft, Wasser, Erde sind die Substanzen des Sublunaren, denen jeweils natürliche Bewegungen zugeordnet sind: das Feuer strebt nach oben, das Erdhafte nach unten, Luft und Wasser vollziehen gemischte Bewegungen. Die sublunare Sphäre ist daher gemäß Aristoteles' Lehre wiederum in vier Sphären unterteilt, je nach Grad der Schwere: in der Mitte die feste Erde, darüber die Wassermassen, darüber die Luftsphäre und zum Abschluss die Feuersphäre. Das gesamte Schalenuniversum mit der kristallirren Sphäre als Abschluss wird angetrieben
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von dem unbewegten Beweger, der in der christlichen Lehre mit Gott identifiziert wurde. Bruno gibt diese Konzeption folgendermaßen wieder: "Das gestirnte Firmament hoch oben am glänzenden Himmel soll nie altern, unwandelbar sein und sicher und unversehrt beständig dieselbe Kraft bewahren. Was auch immer die Kreisbahn des Mondes in ihrem Schoß umfaßt, soll sich dagegen ständig verändern und wechseln, und heftig wogen und wanken, so daß kein Teil je zur Ruhe kommt" (Bruno 1999, V: 43-44). Dagegen betont Bruno die Einheit und wechselseitig-systemischen Bezüge des Universums. Ihm ist es wichtig zu zeigen, dass es nur einen universalen Raum gibt, dass die Materie überall gleich aufgebaut ist, gleichen Gesetzen unterliegt und dass die unendlich vielen Sonnen und Erden als die ersten Produkte des Universums den "Archetypus alles Zusammengesetzten" (Bruno 2000, V: 40) enthalten. Die Materie besteht im Universum überall aus den gleichen Elementen. Seine Naturphilosophie legt es demnach nahe, die Gleichartigkeit auch der Lebewesen im All anzunehmen: "Es wird dir helfen, hierfür die Lehre von der Natur zu betrachten und dich zu erinnern, daß die Welten und die Arten auf ihnen, die Pflanzen, Steine, ganze Lebewesen und ihre Teile aus denselben Elementen gebildet sind, ja daß sogar ihre Glieder im selben Verhältnis zueinander stehen" (ebd.: 40). Die Materie ist für Bruno nicht leblos und passiv, sondern mit aktiven Kräften der Selbstgestaltung und Selbstorganisation versehen. Nicht nur die organische, sondern auch die anorganische Materie besitzt diese Fähigkeit: "Weil sie ungestaltet erscheinen, haben die Steine, das Pulver und die Asche keine weniger fruchtbare Natur, denn was nicht auf bestimmte Weise geformt ist, kann sich eher in alles verwandeln" (ebd.: 41). Diese aktive Potenz der Selbstgestaltung wird von Bruno als "Monade" bezeichnet (ebd.: 42). Brunos Monadologie ist die philosophische Grundlage für seine Annahme, dass die aktiven Gestaltungspotenzen der Materie überall im Universum "beständig erstaunliche Arten" (ebd.: 48) hervorbringen, Lebewesen, die trotz ihrer Vielfalt und Heterogenität ähnliche Grundcharakteristika besitzen, beispielsweise einen flüssigen Kreislauf (ebd.: 81-87). 15 "Was wäre, wenn die Natur nicht alles in einem Kreislaufwiederherstellen würde, und alles
15 Üblicherweise wird William Harvey (1578-1657) die Entdeckung des Blutkreislaufs um 1628 zugeschrieben, nachdem für vierzehn Jahrhunderte die Lehre Galens die medizinische Lehrmeinung bestimmt hatte. Inwiefern Bruno dafür Pate gestanden hat, muss wissenschaftshistorisch weiter untersucht werden. Bruno lehrte von 1591 bis 1592 in Padua. Sechs Jahre später nahm Harvey ein Medizinstudium in Padua auf.
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von neuem entstünde?" (ebd.: 85). Diese Grundcharakteristika können jedoch zu sehr unterschiedlichen Formen von Lebewesen fuhren: "Es ist töricht zu glauben, nur dies seien Lebewesen, welche dieselbe Art von Fleisch und Blut haben wie wir. In den Pflanzen ist der Saft ihr Blut, die Knochen sind ihre härteren Substanzen, die Sehnen sind die sich ausstreckenden Fasern und die Venen sind jene verborgenen Bahnen, durch welche die Säfte, das heißt ihr Blut, durch ihren ganzen zusammengesetzten Körper fließen. Andere Arten von Körperteilen gibt es in Fliegen, Spinnen oder Würmern, in denen all dies, was unseren Körper bildet, auf ähnliche Weise zusammenwirkt" (ebd.: 52). Ernnos Beweisführung zielt hier auf den Körper der Erde, der seiner Auffassung nach ebenfalls ein dynamischer ist, der unter anderem den lebenswichtigen Wasserkreislauf besitzt, in dem das Wasser "einmal als Regen oder Hagel herabfällt, als Dunst nach oben steigt oder als Wind um die gewölbte Oberfläche unserer Erde weht" (ebd.: 115). Statt wie Aristoteles und die Peripatetiker zu postulieren, dass alles seinem natürlichen Ort zustrebt und dort zur Ruhe kommt, dynamisiert Bmno die gesamten Bewegungsabläufe. "Nicht Ruhe wird angestrebt, noch ist sie für natürlich zu halten, denn nichts bleibt sich gleich, sondern alles ist in ständiger Bewegung und verhält sich immer wieder auf andere Weise. Nicht nur das Ganze und all seine Teile verändern sich ständig, sondern es ist auch das Ganze nie wieder dasselbe, denn keiner seiner Teile bleibt am selben Ort, [... ]" (ebd.: 118-119). So erkannte er auch bereits die zentrale Bedeutung des Wasserkreislaufs für die Existenz des Lebens auf einem Planeten: "Auch das Wasser kreist und strömt aus dem Schoß der Erde hervor. Jedoch fließt nicht mehr Wasser zu uns herauf, als wiederum in die Tiefe hinabströmt, um dann wieder nach oben zu steigen und von neuem die Quellen zu füllen, aus denen es bereits einmal floß. [... ]Wie könnte Leben existieren, wenn das Meer das ganze Wasser aufsaugen und nicht dem ewigen Kreislauf zurückgeben würde? Es wäre, als sammelte sich unser ganzes Blut an einem einzigen Ort, um dort zu bleiben, ohne zu seinem Ursprung zurückzukehren und wieder in seinen alten Bahnen zu fließen" (ebd.: 85). Neben einem eigenen Wasserkreislaufbesitzt die Erde- wie alle anderen Planeten auch- die Fähigkeit der planetaren Eigenrotation und der Rotation um das Zentralgestirn der jeweiligen "Sternengemeinschaft" (ebd.: 121 ). Gegen Aristoteles und die Scholastiker macht er geltend: "Es gibt keinen Gott oder eine äußere Intelligenz, der sie im Kreis dreht und herumführt" (ebd.: 53). Die Erde hat auch die Mannigfaltigkeit der Arten
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und Gattungen der Lebewesen hervorgebracht und diese sind nach wie vor Teil des Gesamtsystems der Erde. "Alles kreist", ist Brunos dynamistisches Credo (ebd.: 120). Eine Belebung der anderen Welten schien Bruno selbstverständlich: "Denn weshalb sollte das kunstvolle Gebäude dieser ungeheuer großen Welt leer sein? Warum sollten die Bedingungen dort schlechter sein als aufunserer viel kleineren Welt?" (Bruno 2000, III: 144). Oder noch deutlicher: "Es ist jedoch nicht zutreffend zu glauben, daß es irgendeinen Teil der Welt gibt, der ohne Seele, Leben, Wahrnehmung und folglich auch Lebewesen ist. Auch ist jene gewöhnliche Meinung töricht, daß es keine anderen Lebewesen, keine anderen Sinne und keine andere Erkenntnisfähigkeit gibt als sich unseren Sinnen zeigen können." (ebd.: 145) Da die Planeten aus denselben Grundstoffen bestehen, die sich jeweils zu einem heterogenen Ganzen verbinden, werden auf anderen Planeten auch ähnliche Lebensverhältnisse wie auf der Erde herrschen: "Wie auf der Oberfläche der Erde manche Lebewesen im Meer leben, manche in unterschiedlichen anderen Bereichen, ebenso muß man es sich auch auf jedem anderen Stern vorstellen, bei dem sich dieselben Arten von Grundstoffen zur Zusammensetzung eines heterogenen Ganzen verbinden" (ebd.: 140). Andere Verhältnisse herrschen nur auf der Sonne und den sonnenähnlichen Sternen. Dort kann es nur wenige Bereiche geben, "die für Lebewesen von unserer Art bewohnbar sind, wie es auch auf der Erdoberfläche nur selten feurige Bereiche gibt, deren Lebewesen wir wegen der Feinheit ihrer Körper nicht wahrnehmen können. Auch können sie ihre Bereiche nicht ungestraft verlassen, wie auch wir unsere Bereiche nicht verlassen und zu ihnen eilen können" (ebd.: 145). Bruno ist überzeugt, dass in der Sphäre der Sonne göttlichere Wesen als auf der Erde wohnen. Wenn wir mit ihnen kommunizieren könnten, würden wir dies sicher in Erfahrung bringen: "Ich weiß nicht, welche Lebewesen würdig sind, in der Sphäre der Sonne zu leben. Wenn wir sie mit unserem trägen Körper und Geist sehen könnten, und sie aufirgendeine Weise mit uns kommunizieren könnten, dann müßten wir sie in jeder Hinsicht als göttlicher erfahren. Sie müssen sich von etwas wie Feuer ernähren und ihre Lebensweise muß völlig anders sein als unsere. Denn das Feuer oder, um es besser auszudrücken, das Licht, kann besser an sich existieren als wir durch eine gewisse Teilhabe am Licht, die sich im Spirituellen befindet. Deshalb ist es auch nicht möglich, die Materie unserer lebendigen Substanz an ein einziges Leben zu binden" (ebd.: 140). Wie Cusanus ist Bruno davon überzeugt, dass es auch andere Formen von Lebewesen geben kann, die sich unserer empirischen Erkenntnis entziehen. 71
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3. Der "Traum" Johannes Keplers (1571-1630) Mit der Erkenntnis, dass die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt ist, begann eine neue Ära, sowohl in den Wissenschaften mit Kopernikus, Galilei und Kepler, als auch in der Literatur, die zur Bestätigung kopernikanischer und galileischer Entdeckungen geschrieben wurde. "Das neue Weltbild brach sich mit der Phantasie unaufhaltsam Bahn" (Jaritz 1965: 5). Im Jahre 1593, d.h. zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Brunos "De Immenso", verfasste Kepler als junger Student für seinen Freund Besold einige Thesen zum Mond. In seinem Traktat ging es ihm darum, zu zeigen, wie wohl die Phänomene des Himmels einem Beobachter erscheinen müssten, wenn dieser sie, auf dem Monde weilend, beobachten würde. Die Disputation stieß wegen ihrer stark von Kopernikus beeinflussten Denkansätze an der Tübinger Universität auf Widerstand. 1609 überarbeitete Kepler die Schrift von neuem, reicherte sie mit Einzelheiten über die Mondgeographie an und verlieh ihr die endgültige Form, die 1634 nach Keplers Tod von seinem Sohn Ludwig unter dem Titel "Somnium, seu opus posthumum de astronomia lunari" (Traum, oder posthumes Werk über die Astronomie des Mondes) veröffentlicht wurde. Dieser kurzen und auf den ersten Blick nur aus der Phantasie schöpfenden Erzählung hatte Kepler 223 erklärende Noten angefügt, die dreimal so lang wie der Text selbst sind und die Beschreibung der Himmelserscheinungen zum Inhalt haben. Dem ersten Teil, d.h. dem Traum und den erklärenden Noten, waren zwei weitere Teile beigefügt: Keplers Brief an Paul Guldin samt Annotationen betitelt mit "Appendix Geographica, seu mavis, Selenographica", der sich vor allem mit den Mondbewohnern und ihren angenommenen technischen Leistungen beschäftigt, und seine kommentierte Übersetzung von Plutarchs "Mondgesicht" aus dem Griechischen ins Lateinische. 16 Kepler selbst hatte sein Werk als dreiteiliges Ganzes konzipiert. 17 Als selbstverständliche Voraussetzung gilt ihm dabei das Kopernikanische Weltsystem, auf dessen Grundlage er erstmals eine wissenschaftlichen Ansprüchen folgende Mondastronomie und Mondgeographie (Selenographie) entwickelte. 16 Appendix Geographica, seu mavis, Selenographica (Kepler 1993: 368379); Plutarchi philosophi chaeronensis, libellus de facie, quaein orbe Lunae apparet (ebd.: 380-409); Notae J. Kepleri in librum Plutarchi de facie in orbe lunae (ebd.: 410-436). 17 Siehe dazu den "Nachbericht" von Volker Bialas und Helmuth Grössing (Kepler 1993: 473-497).
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Kepler verband mit seinem "Somnium" aber bewusst auch utopische Gesellschaftsentwürfte, wenn auch nur implizit. Die verbotenen Utopien von Campanella, Thomas Morus und Erasmus von Rotterdam waren ihm wohlvertraut und bildeten einen fiktionalen Hintergrund für seine Erzählung. Am 4. Dezember 1623 schrieb Kepler an seinen Freund, den Professor für Geschichte und Rhetorik, Matthias Bernegger: "Campanella hat vom Reich der Sonne geschrieben, warum ich nicht von dem des Mondes? Thue ich etwas Ungeheuerliches, wenn ich die Cyklopensitten unserer Zeit lebhaft schildere, aber aus Vorsicht die Scene von der Erde auf den Mond verlege? Helfen wird es freilich nicht. Weder Morus mit seiner ,Utopia', noch Erasmus mit seinem ,Lob der Narrheit' blieben unangefochten und mussten sich vertheidigen. Wir wollen lieber das Pech der Politik dahinten lassen und auf den grünen Auen der Philosophie verbleiben" (Günther 1898: 11 ). Obwohl er seine Abhandlung "Somnium" wohlweislich nicht selbst veröffentlichte, holte ihn die Inquisition ein. Eine Abschrift seines Manuskripts von 1609 gelangte 1611 gegen seinen Willen von Prag nach Leipzig und von dort nach Tübingen, wo sie kursierte und eine gefährliche Gerüchteküche in Gang setzte. Die Folge war eine "sechsjährige Qual" seiner Familie, die das "Umherirren" Keplers in Schwaben und seinen "einjährigen Aufenthalt im Ausland" bedingte (ebd.: 27-28). Kepler spielt hier auf die Verfolgung seiner Mutter durch die Inquisition an. Sie wurde im August 1621 als Hexe angeklagt und Kepler musste sich um die Freilassung seiner Mutter bemühen, was er im Oktober 1621 durchsetzte. Sie war in den Verdacht der Hexerei geraten, da sie mit Fiolxhilde in Keplers "Somnium" in Verbindung gebracht wurde. Nicht nur Giordano Bruno riskierte sein Leben, als er die neue Weltsicht verkündete, auch Kepler war der Feindseligkeit der damaligen Machthaber ausgesetzt. Daraus resultierte bei Kepler eine Art Eskapismus, wie sich einer ironisch-sarkastischen Bemerkung in einem seiner Briefe an seinen Freund Bernegger von 1629 über sein "Somnium" entnehmen lässt: "Verjagt man uns von der Erde, so wird mein Buch als Führer den Auswanderern und Pilgern zum Monde nützlich sein" (Günther 1898: 12). Keplers "Somnium" ist eine raffiniert aus magischen Erzählelementen, wissenschaftlichen Ergebnissen und Hypothesen gewobene Darstellung, die mit Duracoto, dessen Mutter Fiolxhilde und einem Dämon, der vom des öfteren von ihm besuchten Mond berichtet, ihre Haupthelden hat. Obwohl sich Kepler der Traumerzählung als Mittel bedient, kann seine kleine Geschichte zugleich als erstes wissenschaftliches Werk der vergleichenden Himmelskörperkunde gelten. Kepler war zudem der Erste, der sich extraterrestrische, nicht-menschenähnliche Wesen in concreto ausdachte. Er versuchte ihnen eine Gestalt zu geben, die der von ihm 73
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angenommenen Mondtopographie angemessen sein sollte. Die Bewohner des Mondes sind der veränderten Topographie und Geographie des Mondes angepasst und sehen daher anders aus als wir Menschen. Kepler schreibt in der Anmerkung 212: "Ich glaubte annehmen zu müssen, dass die Lebewesen auf dem Monde nach Analogie ihrer Berge gestaltet seien" (ebd.: 140). Kepler war der Auffassung, dass die Lebewesen inklusive der vernunftbegabten Lebewesen der sie umgebenden Natur, wir würden heute sagen "umweltangepasst" sind, dass sich ihre Gestalt sowie ihre Physiologie an den Lebensbedingungen orientieren. Weil die Berge auf dem Mond höher sind als auf der Erde, so Kepler, müssen die Kreaturen, die auf dem Mond leben, einen größeren Körperwuchs haben. Obwohl Kepler noch keinen Begriff von den unterschiedlichen Schwereverhältnissen auf dem Mond im Vergleich zur Erde hatte; so besaß er doch eine Vorstellung von den Proportionen der Massenverhältnisse. Nur so ist es wohl zu erklären, dass er die Mondbewohner auch massiger macht, sie schneller wachsen und schneller sterben lässt. Diese Proportionalität bezieht Kepler aber nicht nur auf die Masse und die Gestalt, sondern auch auf die physiologischen Funktionen: Er schreibt: "Diese Proportion ist nicht nur auf ihre Körper im Vergleich zu den terrestrischen Körpern anwendbar, sondern lässt sich auch auf ihre Funktionen, ihre Fähigkeit zu athmen, zu hungern, zu dursten, zu wachen, zu schlafen, zu arbeiten und zu ruhen, anwenden" (meine Übersetzung nach Rosen 1967: 129). 18 Kepler wusste, dass der Mond immer eine der Erde zugewandte und eine abgewandte Seite hat. Die Bewohner der erdzugewandten Seite nannte er "Subvolvaner" die der abgewandten Seite "Privolvaner". Die Letzteren beschrieb er so: "Bei den Privolvanern giebt es keinen sicheren und festen Wohnsitz, schaarenweise durchqueren die Mondgeschöpfe während eines einzigen ihrer Tage ihre ganze Welt, indem sie theils zu Fuss, mit Beinen ausgerüstet, die länger sind als die unserer Kameele, theils mit Flügeln, theils zu Schiff den zurückweichenden Wassem folgen, oder, wenn ein Aufenthalt von mehreren Tagen nöthig ist, so verkriechen sie sich in Höhlen, wie es Jedem von Natur gegeben ist.- Die meisten sind Taucher, alle sind von Natur sehr langsam athmende Geschöpfe, können also ihr Leben tief am Grunde des Wassers zubringen, wobei sie der Natur durch die Kunst zu Hülfe kommen. Denn in jenen sehr tiefen Stellen der Gewässer soll ewige Kälte herrschen, während die oberen Schichten von der Sonne durchglüht werden. Was dann an der Oberfläche hängen bleibt,
18 Günther hat nicht alle Anmerkungen Keplers übersetzt, so dass ein Rückgriff auf die englische von Rosen nötig war.
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wird Mittags von der Sonne ausgesiedet und dient den herankommenden Schaaren der Wandertbiere als Nahrung" (Günther 1898: 20). Im Allgemeinen seien aber die Bewohner des Mondes "schlangenförmig". Die Möglichkeit, dass auf dem Mond auch intelligente Wesen wohnen, schließt Kepler im "Selenographischen Anhang" 19 aus den exakt runden Höhlungen in den Mondflecken, die mit Galieilischen Fernrohren gesichtet werden konnten. Diese gerrau runden Höhlen seien nicht auf die zufällige Bewegung der Elemente oder die Notwendigkeit des Stoffes zurückführbar, wie etwa die gerade Linie der Bewegung einer aus einem Geschoss herausgeschleuderten bleiernen Kugel der Notwendigkeit des Materials geschuldet sei. Diese kreisrunden Gebilde deuten eher auf einen "architektonischen Verstand". Kepler stellte sich mit runden Wällen befestigte Städte vor, die von den Mondbewohnern, den "Endymioniden", gebaut worden seien, um sich gegen die sumpfige Feuchtigkeit, die heiße Sonne und eventuell gegen Feinde zu schützen (Günther 1898: 157). Immer dann also, wenn wir eine Ordnung sehen, die nicht natürlich entstanden sein kann, müssen wir auf eine künstliche, durch Vernunft herbeigeführte Ordnung schließen. Dieser Ansatz Keplers ist bis heute gültig, mit dem Unterschied, dass gerraue Beobachtungen von Raumsonden sowohl des Mondes als auch des Mars die angeblich künstlichen Formen als Chimäre entlarvten.
4. Ausblick Die transterrestrische Philosophie von Nikolaus von Kues und Giordano Bruno beeinflusste nicht nur Keplers Erzählung "Somnium", mit der das neue Genre der Science-Fiction-Story begründet wurde. Auch die ersten angelsächsischen Science-Fiction-Erzählungen wurden von Nikolaus von Kues und Giordano Bruno (sowie von Keplers "Somnium") angeregt. So hat Giordano Bruno auf Francis Godwin gewirkt, der in Oxford studierte, als Giordano Bruno dort 1583 einen Vortrag über Kosmologie und mögliche Mondfahrten hielt, die damals einen Skandal auslösten.(Godwin 1638, Singer 1968) 1638 schlug der anglikanische Bischof John Wilkins mit explizitem Rekurs auf Nikolaus von Kues "De docta ignorantia" und 19 Siehe insbesondere die "Noten zum Selenographischen Anhang" ab XXVI (Günther 1898: 164-174). Günther verweist in diesem Zusammenhang auf folgende Briefstelle Keplers: "Nicht allein jener unglückliche Bruno, sondern auch mein Tycho Brahe war der Meinung, dass in den Sternen Inwohner seien, welcher Meinung ich gleichfalls beitrete" (ebd.: 166).
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Keplers "Somnium" vier Mondreisemethoden vor: mit Hilfe von Geistern, mit Hilfe von Vögeln, mit Flügeln oder mit einem noch zu erfindenden fliegenden Wagen. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er die letzte Methode favorisierte. (Wilkins 1970) Bis zur Realisierung dieser kognitiven Möglichkeit war es noch ein langer Weg von mehr als 350 Jahren. Die transterrestrische Öffnung des Denkens zur Zeit der Renaissance, die mit Nikolaus von Kues und Giordano Brunos Philosophie sowie Keplers "Somnium" durchgeführt wurde, hat über diesen langen Zeitraum in Science-Fiction-Geschichten fortgelebt. In diesen Geschichten wurden nicht nur fremdartige Bewohner des Mondes und anderer Gestirne erdichtet, sondern beispielsweise von Ludwig Holberg auch fremdartige, unterirdische Wesen. Seine Satire zu "Niels Klims unterirdische Reisen" von 1766 enthält erstmals auch Zeichnungen der ausgedachten Lebensformen. Abbildung 5: Unterirdische (Original: 1766)
Quelle: Holberg 1983:23
Ab dem 19. Jahrhundert entfalteten schließlich die Werke Jules Vernes eine enorme F aszinationskraft. Georges MeW:s, der 1902 den ersten Spielfilm produzierte, schrieb das Drehbuch dazu nach einer Vorlage von Jules Verne und nannte seinen Streifen "Le voyage dans la lune". Auch die frühen Raumfahrtpioniere, wie Konstantirr Ziolkowskij, Hermann 76
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Oberth, Rudolf Nebel oder Wemher von Braun, waren tief beeindruckt von Jules Vemes Science-Fiction-Geschichten und ließen sich durch sie inspirieren, die fiktionale Möglichkeit des Verlassens der Erde auch als real technische Möglichkeit umzusetzen.
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ALIENS IM KULTURELLEN GEDÄCHTNIS? DIE PROJEKTIVE REKONSTRUKTION DER VERGANGENHEIT IM DISKURS DER PRÄASTRONAUTIK lNGBERT JÜDT
Als im Verlauf des Jahres 1968 das Buch "Erinnerungen an die Zukunft" (Däniken 1968) des Schweizers Erich von Däniken, eines gelernten Hotelfachmanns, zum Bestseller wurde, fand der Gedanke, dass es in prähistorischen und historischen Zeiten folgenreiche Begegnungen zwischen Menschen und Außerirdischen gegeben haben könnte, den Weg aus der Randständigkeit in eine breite Öffentlichkeit. In der "Spiegel"-Ausgabe vom 9. Dezember 1968 sprang der Titel in der Bestsellerliste für Sachbücher auf Platz 1. Mit diesem Durchbruch zum Erfolgsautor konnte Däniken nicht nur eine finanzielle Krise als Hotelpächter auffangen, sondern darüber hinaus ein Hobby, das ihn bereits seit der Gymnasialzeit am Jesuiteninternat Fribourg fasziniert hatte, zu seiner Haupterwerbsquelle und Lebensaufgabe machen (Däniken 2003: 29-30). Den Grundgedanken, dass außerirdische Besucher nicht nur einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung der menschlichen Hochkulturen genommen, sondern sie als externe "Kulturheroen" erst gestiftet hätten, hatte er zuvor schon in marginal gebliebenen Zeitungsaufsätzen geäußert. 1 Es bedurfte jedoch eines umfänglichen professionellen Lektorats und der Veröffentlichung beim renommierten Econ-Verlag, um seinem ersten Buchmanuskript zum Erfolg zu verhelfen (Däniken 2003: 84-92). Erich von Däniken war nicht der Erste, der mit dieser These an die Öffentlichkeit trat - französische Autoren wie Louis Pauwels, Jacques
Genannt werden eine deutschsprachige Zeitung in Kanada, "Der Nordwesten", Ausgabe vom 8.12.1961 (Däniken 2003: 29), sowie eine Artikelserie in "Neues Europa" in den Jahrgängen 1965 und 1966 (Benzin 2006: 22).
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Bergier2 und Robert Charroux 3 sowie historische Vorläufer wie Charles Fort4 hatten bereits ähnliche Gedankengänge publiziert. Zeitgleich mit Däniken erschienen in Italien Peter Kolasirnos "Non e terrestre" (Kolosimo 1968) sowie in England W. Raymond Drake's "Spacemen in the Ancient East" (Drake 1968 5). Im Vergleich zu anderen Autoren hatte Däniken über themenbezogene Detailkenntnisse hinaus jedoch ein (besonders in Vorträgen zur Geltung kommendes) von seinem persönlichen Charisma getragenes messianisches Sendungsbewusstsein anzubieten. Es blieb daher ihm vorbehalten im Laufe der folgenden Jahre - vermittelt über den Erfolg seiner Bücher und Vortragsreisen - einen eigenständigen subkultureBen Wissensdiskurs ins Leben zu rufen, der inzwischen zu einem festen und nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil des zeitgenössischen heterodoxen Ideengutes und mithin zu dem geworden ist, was die Alltagssprache als "Institution" bezeichnet. Obwohl Erich von Däniken das Zentrum einer Bewegung geworden und geblieben ist, deren Struktur man aufgrund ihrer Personenorientierung und ihres geringen formalen Organisationsgrades in Anlehnung an Max Weber als "charismatisch" bezeichnen kann, gehören zur Präastronautik- oder "Paläo-SETI"-Bewegung, wie sie sich seit nunmehr zwanzig Jahren selbst nennt, neben dem Kreis der aktiven Rezipienten, außer Däniken selbst, eine Vielzahl von Autoren - vorwiegend, aber keinesfalls ausschließlich aus dem deutschen Sprachraum. Diese Autoren haben den Diskurs der Präastronautik wesentlich erweitert und vertieft.
1. Von der Botschaft der Ahnen zu den Außerirdischen Das "ursprüngliche" Thema der Präastronautik sind Außerirdische, die sich nach ihrer Ankunft auf der Erde als Schöpfer und Geburtshelfer der 2 3 4
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Pauwels/Bergier 1962. Die französische Originalausgabe erschien 1960 unter dem Titel "Le Matin des Magiciens". Charroux 1970. Die französische Originalausgabe erschien 1963 unter dem Titel "Histoire inconnue des hommes depuis cent mille ans". Charles Fort kann als Stammvater einer "Anomalistik" gelten, welche sich mit Phänomenen befasst, welche im jeweils aktuellen wissenschaftlichen Weltbild (noch) keinen Platz finden. Fort bezeichnet solche aus dem wissenschaftlichen Weltbild ausgeschlossenen Beobachtungsaussagen als "Verdammte" (vgl. Magin 1997). Eine Neuauflage von 1973 erweiterte den Titel zur präastronautischen Grundformel "Gods and Spacemen in the Ancient East".
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menschlichen Zivilisation betätigt haben. Diese These beruft sich zunächst auf eine ganze Reihe als anomal bewerteter historischer und prähistorischer Überlieferungen und Artefakte, die einen einstmals existierenden und heute verloren gegangenen technischen und spirituellen Stand der Zivilisation belegen sollen. 6 Bei frühen Autoren wie Drake, Charroux und Pauwels/Bergier ist das Thema des außerirdischen Einflusses jedoch noch nicht dominant. Im Zentrum dieser frühen Veröffentlichungen steht die Idee einer zugleich spirituell und technisch hoch stehenden menschlichen Urkultur, die zwar als von Außerirdischen beeinflusst gedacht wird, aber primär aufgrund ihrer geistigen und moralischen Kompetenzen für bemerkenswert gehalten wird. W. Raymond Drake ( 1973: 9) sieht die Extraterrestrier nicht primär als Technologielieferanten, sondern als spirituelle Lehrer: "In those glorious days when our Earth was young and Nature shone in newness, Celestials winged down from the stars to teach the arts of civilisation to unsophisticated Man creating that Golden Age sung by all the poets of Antiquity. [ ... ] (H)umanity prospered under the benign rule of the Space Kings, who mastered a psychic science attuned to the cosmic forces of the universe and the powers within the human soul". Robert Charroux ( 1970: 106-136) schildert unter der Kapitelüberschrift "Wesen von anderen Gestirnen sind auf der Erde gelandet" nicht primär diese Extraterrestrier, sondern die Legenden um das von Menschen bewohnte unterirdische "Reich von Agartha", das entstanden sein soll, als sich außerirdische Besucher unter die Erdoberfläche zurückgezogen hätten. Aber das Hauptthema seiner "Phantastischen Vergangenheit" sind nicht Aliens, sondern ist eine moralische Botschaft: moderne Wissenschaft und Technik hat es aufunserer Erde schon einmal gegeben, und schon einmal hat ihr zerstörerisches Potential Unheil über die Menschheit gebracht:
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Zu den ältesten behaupteten Anomalien gehören babylonische ,Batterien', als Atomexplosionen gedeutete Schilderungen in altindischen Überlieferungen und die Bodenreliefs von Nazca, die im deutschen Sprachraum zwar erst durch Däniken popularisiert, aber nicht von ihm entdeckt wurden. Charles Fort hat den Gedanken eines außerirdischen Einflusses bereits selbst ins Spiel gebracht: "Ich glaube, wir sind Besitz. Daß die Erde früher einmal Niemandsland war, daß andere Welten sie erforschten und kolonisierten und um die Vorherrschaft kämpften, daß wir aber jemandem gehören: Daß Etwas Eigentümer der Erde ist - alle anderen haben keinen Zutritt" (zit. n. Magin 1997: 108).
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"Vor unserer Zivilisation hat es schon eine viel ältere gegeben. Sie hat das Radio, das Fernsehen, die Raumrakete, die Wasserstoffbombe gekannt und ist in einer furchtbaren Atomkatastrophe untergegangen. Vor ihrem Tode haben unsere urältesten Vorfahren, die wußten, daß Überlebende nach einem langen und beschwerlichen Weg versuchen würden, das Abenteuer "Mensch" neu zu bestehen, unsem unmittelbaren Vorfahren eine Botschaft hinterlassen, die künftige Generationen vor ihrem eigenen furchtbaren Schicksal bewahren sollte: Hütet euch vor der Wissenschaft. Hütet euch vor dem Feuer" (ebd.: 11-12). Es sind unsere eigenen Ahnen, die in den verborgenen Traditionen zu uns sprechen, und deren Rat wir in jenem Zeitalter äußerster spiritueller Not, als welches sich die Moderne ihren esoterischen Kritikern präsentiert,7 erfragen können. Auch Pauwels und Bergier interessieren sich mehr für die geistigen Qualitäten der Menschenjener ursprünglichen Hochkultur als für die Details außerirdischer Entwicklungshilfe: "In diesem Teil unserer Arbeit, den wir als "Vergangene Zukunft" betitelt haben, gehen wir von der folgenden Überlegung aus: Es ist möglich, daß das, was wir als Esoterik bezeichnen, also die Grundlage aller Geheimgesellschaften und Religionen, in Wahrheit der schwer verständliche und schwer anwendbare Rest einer sehr alten technischen Erkenntnis ist, die sich sowohl auf die Materie wie auf den Geist bezieht. Die sogenannten Geheimnisse sind keine Fabeln, Erfindungen oder Spiele, sondern sehr präzise technische Anweisungen, Schlüssel zu Kräften, die im Menschen und in den Dingen enthalten sind" (Pauwels/Bergier 1979: 87). Die Autoren geben als Quelle solchen Wissens ebenfalls "interplanetarische Reisende" (ebd.: 231) an, aber sie interessieren sich vor allem für das Entwicklungspotential des menschlichen Geistes, der dieses Wissen in Kulturen integriert, "die technisch und wissenschaftlich auf gleicher Stufe standen wie wir, wenn nicht sogar auf einer ungleich höheren" (ebd.: 228). Wo Däniken menschliche Primitivität mit außerirdischem High-Tech-Wissen kontrastiert, sind die Ausführungen von Pauwels und Bergier eher mit der Haltung des späteren "Human Potential Movement" verwandt (vgl. Murphy 1994). In der bei den beiden Autoren kolportierten Vorstellung von einer prähistorischen menschlichen Superkultur, die vielfach mit der Atlantissage assoziiert wird, betreten die Außerirdischen die Bühne zunächst
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Paradigmatisch hierfür ist Rene Guenons erstmals 1927 erschienene Schrift "La crise du monde moderne" (vgl. Guenon 1999).
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durch einen Seiteneingang und werden als Nebendarsteller auf der Bühne einer primär menschlichen Kultur präsentiert. Wo Däniken von einem forcierten Vertrauen in die moderne Naturwissenschaft und Technik durchdrungen ist, sehen Pauwels und Bergier in der hypothetischen Hochkultur der Vergangenheit die Tugenden der Selbstbeschränkung am Werk: "Es ist denkbar, daß eine frühere Technik den Menschen Kräfte verliehen hat, die äußerst gefährlich waren und infolgedessen der Allgemeinheit nicht zugänglich gemacht werden konnten" (Pauwels/Bergier 1979: 87). Diese Einbettung der Idee vom außerirdischen Kultureinfluss als Nebenthema in einen nicht leicht zugänglichen Zusammenhang esoterischen Ideenguts dürfte ihre Popularisierung zunächst erschwert haben. 8
2. Dänikens "materialistische" Präastronautik Däniken beerbt das von ihm vorgefundene Arsenal behaupteter historischer Anomalien, modifiziert das Deutungsmuster seiner Vorgänger und Zeitgenossen aber in entscheidenden Hinsichten. Zum einen werden von dem Religion und Esoterik gegenüber skeptisch gestimmten Autor die spiritualistischen Deutungselemente ausgeschlossen, und die Vorstellung von einer verlorenen menschlichen Hochkultur wird strikt materialistisch gefasst. Zum anderen tritt diese als nur noch formal genannte Möglichkeit in den Hintergrund, während ein ursprünglicher Zustand menschlicher Primitivität mit einer außerirdischen Hochkultur kontrastiert wird. Dem korrespondiert ein Misstrauen in die Fähigkeit der "Schulwissenschaften", Prozesse der menschlichen Kulturentstehung, wie die Entstehung von Ackerbau und Viehzucht, oder die Begründung der Hochkultur in den ersten staatlich organisierten Gesellschaften, aus immanenten Faktoren und Zusammenhängen zu erklären. Dieses Misstrauen wird von zahlreichen Autoren der Präastronautik mit Nachdruck artikuliert: "[ ... ]jedes Faktum würde die Feststellung erhärten, dass im geographischen Raum Sumer vor rund 40.000 Jahren ein Gemisch von primitiven Menschen lebte. Plötzlich, aus bisher unerfindlichen Gründen 8
Ich bin geneigt, in den Arbeiten der französischen Autoren einen Nachklang der esoterischen Antimoderne zu sehen, wie sie insbesondere das Werk von Rene Guenon verkörpert. Hier sind nicht Außerirdische, sondern ist der Agartha- und Tibetmythos in der Tradition von Helen Blavatsky und Niebolas Roerich von Belang. Louis Pauwels war, obwohl selbst eher dem Werk George Gurdjieffs verpflichtet, mit dem Gedankengut Guenons vertraut und hat über seine publizistische Tätigkeit zu dessen Verbreitung beigetragen (vgl. Sedgwick 2004, bes. S. 207-210).
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waren die Sumerer da mit ihrer Astronomie, ihrer Kultur und ihrer Technik" (Däniken 1971: 33). "Nachdem der Mensch über 2.000.000 Jahre früher angefangen hatte, Steine als Werkzeuge zu benutzen, erreichte er diese noch nie dagewesene Zivilisation in Sumer um das Jahr 3.800 v. Chr. Verblüffend daran ist, daß die Gelehrten auch heute noch keine Ahnung haben, wer die Sumerer waren, woher sie kamen und wie und warum ihre Zivilisation erschienen ist. Denn sie erschien plötzlich, unerwartet, wie aus dem Nichts" (Sitchin 2003: 54). "The linked cultures of Egypt and Sumer in the Mediterranean area simply came out of nowhere. That is not to say there were no people alive before that. W e lmow there were lots ofpeople, but we have found no traces ofhigh civilization. And people and civilization are vastly different things" (Temple 1998: 47). In dem neuen Deutungszusammenhang erscheint die Existenz der menschlichen Hochkultur nicht mehr als Nachschein eines verlorenen hoch entwickelten Urzustands, sondern selbst als unerwartete Anomalie vor dem Hintergrund eines Urzustands der Primitivität. Erst diese Konstruktion ermöglicht es, Außerirdische als Kulturheroen der menschlichen Zivilisation plausibel zu machen. Und schließlich sind bei Däniken und seiner Schule sowohl die Außerirdischen als auch die von ihnen beeinflussten Menschen zwar in technologischer, aber nicht mehr in "spiritueller" Hinsicht hochstehend. Stattdessen führen verfeindete Alien-Fraktionen Kriege gegeneinander und züchten sich menschliche Populationen als Arbeitssklaven, welche wiederum bewaffnete Aufstände gegen ihre Unterdrücker anzetteln. Die Produkte fehlgeschlagener genetischer Experimente werden quasi ,nebenher' mit Nuklearwaffen ausgelöscht: "Für sie war unsere Erde ein Testlabor. Sie schufen den Menschen als Produkt wissenschaftlicher Tests, vermutlich in einer klinisch-manipulierbaren Miniaturwelt auf dem Meeresgrund. Sie wählten Exemplare aus, die überleben und sich vermehren durften. Alle übrigen Exemplare wurden vernichtet. [... ] Die Versuche gingen weiter. Immer wieder wurde selektiert, wurden atomare Vernichtungen inszeniert, grausam berechnend" (Langbein 1995: 280). Von Drake's Goldenem Zeitalter einer "benign rule ofthe Space Kings" ist keine Rede mehr. Däniken entwirft Szenarien, die sich wie Exposes für die Science-Fiction-Heftromanserie "Perry Rhodan" ausnehmen: "Gab es Schlachten im Weltall, dann hatten sie (wie alle hirnrissigen Auseinandersetzungen mit Gewalt) Sieger und Besiegte. Die Sieger konnten unangefochten auf ihrem Planeten bleiben, die Unterlegenen aber mussten fliehen: sie waren gezwungen, in kürzester Frist mit einem noch intakten Raumschiff einen anderen Planeten anzusteuern. Energiereserven und Nahrungsmittel sind in einem Raumschiff nur für begrenzte Zeit unterzubringen. Also bleibt dem Sieger
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nur eine bestimmte Zeitspanne, deren Zeitmaß er kennt, um den Feind endgültig zu vernichten, auszurotten. [... ] Der Sieger will keine Überlebenden: Erreicht nur ein Paar der Geschlagenen ein sicheres Ziel, wird es Nachkommen zeugen, zu einem Volk heranwachsen, das Rache für seine Niederlage nehmen wird. [ ... ] Fanden die Besiegten nach der Schlacht im Kosmos, 28.000 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis entfernt, den von der Sonne aus dritten Planeten, unsere Erde?" (Däniken 1975: 48-49) Däniken kritisiert diese Verhaltensweisen zwar als "hirnrissig", scheint sie sonst aber nicht weiter unplausibel zu finden. Er legt großen Wert darauf, dass die "Astronautengötter" in jeder, auch in moralischer Hinsicht, den Menschen ähneln. Darin liegt sein Programm einer Entzauberung der Religion. Das Zeitgemäße des von Däniken präsentierten Paradigmas lag seinerzeit zum einen in der unproblematischen Kompatibilität mit einem naturwissenschaftlich-technischen Fortschrittsoptimismus, der sich in der 60er Jahren augenfällig im Raumfahrtenthusiasmus manifestierte, zum anderen in der ebenfalls zeitgemäßen Verabschiedung theologischer Deutungen der menschlichen Vergangenheit, dem konsequenterweise nicht nur die christliche, sondern auch die Derivate und Restbestände der theosophischen Dogmatik geopfert wurden. Auf diese Weise kann Däniken seinen Denkansatz zunächst als genuin wissenschaftliche Alternativhypothese präsentieren: "Es scheint, als wäre Borniertheit immer ein besonderes Merkmal vor dem Beginn neuer Ideenwelten gewesen. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert allerdings sollte der forschende Intellekt für phantastische Realitäten bereit sein. Er sollte begierig darauf sein, Gesetze und Erkenntnisse, die über Jahrhunderte als Tabu galten, durch neue Erkenntnisse jedoch in Frage gestellt sind, zu revidieren." (Däniken 1971: 36-37) Diese Aussage nimmt sich wie ein klares Bekenntnis zum empirischen Falsifikationismus aus. Wie ich weiter unten aufzeigen werde, liegt die Grundproblematik des präastronautischen Denkansatzes jedoch gerade darin, dass seine Vertreter sich hier nicht nur zu theologischer Dogmatik, sondern auch zu einem legitimen Erben der Theologie, nämlich zur geschichtswissenschaftliehen Hermeneutik, in Gegensatz bringen. Denn das obige methodische Bekenntnis ist strikt im Sinne einer naturwissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Engführung der Argumentation zu verstehen. Auf Grund dessen bleiben Erich von Däniken
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und seinen Anhängern Methodiken und Erkenntnisfortschritte der Kulturwissenschaften vom Ansatz her verschlossen. 9
3. Technologischer Kreationismus Ein zweites zentrales Element der Präastronautik ist die Idee einer Beeinflussung des menschlichen Organismus durch von Außerirdischen vorgenommene genetische Manipulationen. Auch dieses Thema wurde durch Erich von Däniken popularisiert: "Ich postuliere, daß unbekannte Wesen die menschliche Intelligenz durch eine gezielte, künstliche Mutation schufen und daß Außerirdische die Hominiden ,nach ihrem Ebenbild' veredelten" (Däniken 1979 10 : 249). Ähnlich wie die These von den außerirdischen Kulturschöpfern eine implizite Zurückweisung von Prozessen einer sozialen Evolution ist, so weist die These von der extraterrestrischen Genmanipulation zumindest partiell eine Theorie der natürlichen Evolution zurück. Auch hier steht eine spezifische Umformung religiösen Gedankenguts im Hintergrund, nämlich eine Adaption der religiös motivierten Theorien des Kreationismus. Dänikens evolutionskritischer Gewährsmann im Jahre 1974 ist der britische Kreationist Arthur Ernest Wilder-Smith (1915-1995), aus dessen Büchern und aus Gesprächsnotizen er in "Beweise" ein ausführliches Kapitel mit Argumenten gegen die Evolutionstheorie zusammenstellt (Däniken 1979: 249331 ). Dänikens Schlussfolgerung ist freilich eine andere: nicht ein Schöpfergott, sondern außerirdische Gentechniker werden zur Erklärung der vermeintlichen Anomalien und Lücken der biologischen Evolutionstheorie herangezogen. Die präastronautische Grundthese wird auf diese Weise durch einen technologischen Kreationismus ergänzt. Markus Pössel (2000: 152) hat darauf hingewiesen, dass Dänikens Evolutionskritik nicht einheitlich ist. In späteren Texten begnügt er sich damit, die Verantwortung Außerirdischer auf die Entstehung der menschlichen Intelligenz einzugrenzen. Da der wichtigste Gegenstand der Präastronautik die Entstehung der menschlichen Hochkultur ist, bewegen sich die Argumente anderer Vertreter dieser These üblicherweise innerhalb derselben thematischen Grenzen. Neben Däniken ist hier beispielsweise der 1922 in Baku geborene und im britischen Mandat Palästina aufgewachsene amerikanische Autor Zecharia Sitchin zu nennen. Während Däniken sich nicht auf detaillierte Szenarien festlegt, wann und unter 9
Eine seltene Ausnahme hiervon, die Arbeit der Brüder Fiebag, diskutiere ich weiter unten. 10 Erstausgabe: 1974.
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welchen Umständen solche genetischen Manipulationen stattgefunden haben sollen, erzählt Sitchin (2003) eine - aus einer simplen Transposition sumerischer Mythen in eine technologische Lesart gewonnene -alternative Geschichte des alten Orients, in dem diese Eingriffe aus einem gerrau definierten Anlass erfolgten: der Erschaffung einer abhängigen Arbeitsbevölkerung für extraterrestrische Flüchtlinge von einem zerstörten zwölften Planeten unseres Sonnensystems. Für das Thema einer präastronautischen Kritik der Evolutionstheorie bietet Arthur David Horn den interessanten Fall eines mehrfachen "Renegaten", der in den USA in einem strenggläubigen christlichen Umfeld aufwächst, sich als Erwachsener davon distanziert, eine Karriere als Universitätsdozent in Anthropologie einschlägt und in dieser Funktion die biologische Evolutionstheorie lehrt, aber in fortgeschrittenem Alter (noch vor seiner Pensionierung) eine entgegengesetzte Bekehrung zu einem von der Präastronautik geprägten Anti-Darwinisten durchläuft. Horn bezieht sich ausführlich auf die Theorien Sitchins, er schreibt das Szenario einer außerirdischen "Pflege" des menschlichen Genpools jedoch in die Gegenwart fort und bezieht neuere Diskurse um Entführungen von Menschen durch Außerirdische in seine Thesen mit ein. Horn ist auch einer der Autoren, die die These von der außerirdischen Genmanipulation in eine umfassende Verschwörungstheorie einbauen: Er stellt die Behauptung auf: "daß die Erde und die Entwicklung des irdischen Lebens wohl ursprünglich von liebevollen Lichtwesen geplant und überwacht wurde, daß aber außerirdische Repräsentanten der Mächte der Finsternis vor 300.000 Jahren oder mehr die Erde überfallen und seither die Art, in der wir die Realität erfahren, weitgehend kontrolliert haben. [... ] In diesem Zusammenhang habe ich dann die These aufgestellt (und zu beweisen versucht), daß die Gesamtheit der Weltanschauungen, die heute gesellschaftliches Gewicht besitzen und die das Rätsel unserer Herkunft und unseres Wesens zu lösen vorgeben- von der anthropologisch-darwinistisch-wissenschaftlichen bis zu den religiösen -, schlicht Elemente einer weltumspannenden Vertuschungsstrategie bilden, die uns verheimlichen soll, daß wir seit Urzeiten Opfer umfangreicher Manipulation und Kontrolle seitens übelwollender irdischer und nichtirdischer Wesen sind" (Horn 1997: 457).
4. Geheimwissen und Verschwörungen Dieser zweifache Angriff auf das Prinzip einer immanenten Entwicklung in Natur- und Kulturgeschichte zieht einige grundlegende Probleme nach
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sich. Dies ist vor allem die Frage, ob die Zurückweisung einer immanenten Genese biologischer und kultureller Formen nicht dazu führen müsse, immanente Entwicklungsprozesse generell aus dem Weltbild auszuschließen und alle wesentlichen Weichenstellungen der natürlichen und menschlichen Geschichte auf externe Einflüsse zurückzuführen. Eine konsequente Frage wäre dann beispielsweise, ob nicht auch der Aufstieg des okzidentalen Rationalismus und letztlich die industrielle Revolution das Resultat eines Eingreifens von Außerirdischen sein müsse. Es gibt tatsächlich Autoren, die in ihren Antworten diese Richtung einschlagen. Der Schlüssel zu dieser Konstruktion ist die Behauptung, dass am Ende des Mittelalters, in der Renaissance, eine Reihe von Gelehrten, die im Begriff waren, sich aus dem allumfassenden Einfluss der Kirche zu lösen, Quellen alten Geheimwissens erschlossen hätten, welches letztlich auf Außerirdische zurückgehe. Ein mehr oder weniger bekanntes Faktum wie beispielsweise die Wiedererarbeitung des antiken Platonismus bei Marsilio Ficino und seiner Schule wird dazu verwendet, den Inhalt dieser Wiederentdeckung zu überhöhen und zu mystifizieren. So möchte Erdogan Ercivan (2001: 31-32) die technischen Ideen Leonardo da Vincis nicht als Neuentwicklung bewerten, sondern als bloß rezeptiven Rückgriff auf antikes Geheimwissen: "Das sogenannte ,Genie' da Vinci [... ] war weder der lateinischen noch der griechischen Sprache mächtig. Dann lernte da Vinci Marsilio Ficino kennen, der ihn mit alten unzugänglichen Schriften vertraut machte. Urplötzlich konnte Leonardo da Vinci eine ziemlich flugtüchtige Flugmaschine auf dem Reißbrett konstruieren. [... ] Warum gelang es Leonardo da Vinci aber nicht, seine Erfindungen auch in die Praxis umzusetzen? Vielleicht deshalb, weil das sogenannte Genie gar nicht der geistige Urheber dieser technischen Ideen war, sondern lediglich ältere Ideen aus der Bibliothek der Cosimo de'Medici unverstanden kopiert hatte. [... ] Fortan gingen die Beobachtungen und Messungen der natürlichen Umwelt in Riesenschritten voran. Man erfand wie aus dem Nichts 1609 das Fernrohr, 1618 das Mikroskop, 1622 den Rechenschieber, 1641 das Thermometer und 1644 das Barometer. [... ] Erklärt sich all dies möglicherweise nur mit dem neu errungenen Zugang zu der Weisheit der Alten?" Ercivan überträgt hier das "klassische" präastronautische Argument, das eine angeblich voraussetzungslose Entstehung von kulturellen Errungenschaften als historische Anomalie werten möchte, vom Neolithikum auf die Renaissance. Die eigenständige Leistung der Renaissance und der darauf folgenden Zeit bis zur Modeme wird gleichsam heteronomisiert und letztlich auf das Wirken eines kleinen Kreises von in die außerirdischen Offenbarungen Eingeweihten zurückgeführt.
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Ein Brennpunkt des kombinierten Glaubens an außerirdische Kulturbringer, vergangene Hochtechnologie, gentechnische Experimente, antikes Geheimwissen und moderne Verschwörungen ist die Archäologie des alten Ägypten. Unter Überschriften wie "Verbotene Archäologie" (Cremo/Thompson 2006/1993), "Verbotene Ägyptologie" (Ercivan 2001) oder "Stargate-Verschwörung" (Retyi 2000) wird unterstellt, dass das alte Ägypten über hochtechnologische Errungenschaften verfügte, die die heutigen zum Teil übertreffen, dass Geheimgesellschaften existierten und existieren, die dieses Wissen oder Teile davon, insgeheim dazu verwenden, um den Gang der menschlichen Geschichte zu steuern, und dass heutige geheime Forschungsprojekte die archäologischen Stätten Ägyptens nach Spuren dieses Wissens durchwühlen, um es sich für proprietäre Zwecke anzueignen: "In einer von Geheimniskrämerei eingehüllten fieberhaften Suche wollen in sich geschlossene Zirkel eine reiche Ernte an uralten Schätzen halten - Schätzen, bestehend aus heute längst verlorenem Wissen, das einst von fremden Kulturbringern zu den Ägyptern kam. [... ] Geheimdienste und offizielle Behörden, Rüstungskonzerne und archäologische Forschungsinstitute, geheime Gesellschaften und alle möglichen anderen Gruppierungen scharen sich allesamt um die alten Monumente, um dort Schätze für sich zu gewinnen, natürlich unerkannt von der übrigen Welt" (Retyi 2000: 209). Indem der Geschichte der Geheimgesellschaften ein extraterrestrisches Geheimnis unterlegt wird, kann sich das präastronautische Narrativ zwanglos an einen zeitgenössischen Verschwörungsglauben anschließen, für welchen die Weltgeschichte eine Kulisse ist, hinter welcher Rosenkreuzer, Freimaurer und Illuminaten einen umfassenden Geheimplan verfolgen. Hier befinden wir uns freilich in einer Grenzzone, in die auch Autoren aus primär verschwörungstheoretischen Diskursen eintreten können, welche Elemente der Präastronautik in ihr System einbauen. In Jim Marrs' Bestseller über die Geschichte der heimlichen Weltherrschaft alter und neuer Geheimgesellschaften steht die präastronautische Wahrheit nicht am Anfang, sondern am Ende der Darstellung - sie ist gleichsam das neue Antlitz der ,konspirologisch' entschleierten Isis: "So we have arrived at the Secret of Secrets, the hidden lmowledge passed down through ages by the Mystery Schools and secret societies - not only is humankind not alone in the universe but nonhuman intelligences most probably had a hand in our creation" (Marrs 2001: 405). Die "klassische" Präastronautik steht einer solchen Omnipräsenz außerirdischen Wissens eher distanziert gegenüber - sie greift zwar auch das moderne UfoPhänomen auf, sieht darin aber eher die Wiederkehr der alten Astronautengötter nach Jahrtausenden ihrer Absenz oder mindestens Zurückhal91
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tung: "Vor vielen Jahrtausenden kamen Außerirdische aus dem All auf die Erde. Sie erzeugten den Menschen im , Testlabor Erde', experimentierten auch mit gespenstischen Monstern aus der Retorte. Diese Astronautengötter sind heute auf die Erde zurückgekehrt. Was haben wir von ihnen zu erwarten?" (Langbein 1995: 281 ).
5. Präastronautische Hermeneutik Die zur Präastronautik vorgebrachte Kritik ist umfangreich und schwerwiegend, greift aber teilweise zu kurz. Zu den frühen Kritikpunkten gehört der wohl unvermeidliche, aber wohlfeile Vorwurf, es handele sich um nicht mehr als eine intelligente Geschäftspraktik (Coll 1970). Dieser Einwand verkennt, dass sich Protagonisten einer Weltanschauung oder Religion zwar in der einen oder anderen Weise alimentieren müssen, diese Tatsache aber im Allgemeinen nicht als Grund genommen wird, um eine immanente Auseinandersetzung mit der betreffenden W eltanschauung zu verweigern. Es müssen, wie z.B. im Falle von Scientology, schon besondere Verdachtsmomente hinzutreten, wenn die Umstände einer erfolgreichen Selbstalimentierung zum Hauptkritikpunkt erhoben werden sollen. Eine Vielzahl von Autoren haben, nicht zuletzt im Internet, die unterschiedlichsten Einzelbehauptungen der Präastronautik im Großen und Ganzen erfolgreich dekonstruiert. 11 Es dürfte derzeit nicht viele von der Paläo-SETI-Szene reklamierte historische Anomalien geben, die nicht auf nachdrücklichen Widerspruch seitens der wissenschaftlichen Gemeinschaft bzw. von Personen, die sich der "Schulwissenschaft" verpflichtet fühlen, gestoßen sind. Es ist hier nicht der Raum, um solche Einzeldiskussionen auch nur ansatzweise zu resümieren. Stattdessen möchte ich eine kritische Annäherung über eine Kritik der sprachlichen Mittel versuchen und an jeweils einem Beispiel von Erich von Däniken und Peter Fiebag exemplarisch zeigen, wie in der Präastronautik Argumentationsstil und Hermeneutik miteinander zusammenhängen: "Der Dogon-Mythos gilt mir als exemplarisches Beispiel dafür, daß alle Mythen im Sinne ihrer Übersetzung aus dem Griechischen "Wort", "Aussage" und "Erzählung" beinhalten. Sie melden in ihrer zeitlosen Überlieferung einen Wahrheitsanspruch an, der zur Kenntnis zu nehmen ist. Einmal, als sie entstan11 Weiterführende Anlaufstellen im 1ntemet sind etwa: http://www.mysteria 3000.de; http://doemenburg.alien.de; http://www.sagenhaftezeiten.com; http://tatjana.ingold. eh.
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den, waren sie Reportagen erlebter Ereignisse. Die ersten Mythenerzähler brauchten keine vieldeutigen Kommentare: Sie wußten nicht, wovon sie sprachen" (Däniken 1979: 113). Däniken besteht darauf, dass Mythen im Unterschied zu Märchen einen besonderen Wahrheitsanspruch erheben: "als sie entstanden, waren [die Mythen] Reportagen erlebter Ereignisse". Und er unterstellt, dass diese "Reportage", für den er den Mythos hält, gleichsam in der Art einer historischen Fotografie einen Sinngehalt in sich aufuimmt, der sich den ursprünglichen Beobachtern der unterstellten Ereignisse selbst nicht erschließt ("sie wußten nicht, wovon sie sprachen"), der aber im Verständnishorizont eines späteren Zeitalters, nämlich des unseren, dechiffriert werden kann. Diese Behauptung hat Folgen für die Art und Weise in der Däniken einen konkreten Mythos deutet und die hermeneutische Spannung auflöst, die zwischen dem in der Vergangenheit befindlichen Entstehungszusammenhang eines Mythos und seinem in unserer zeitgenössischen Gegenwart befindlichen Deutungszusammenhang besteht. Einer der Väter der sprachpragmatischen Wende in der Linguistik, John Searle, hat hinsichtlich der mit Sprache bezeichenbaren Sachverhalte zwischen natürlichen Tatsachen und institutionellen Tatsachen unterschieden (Searle 1983: 78-83). Die Basis der "natürlichen Tatsachen" sind "einfache empirische Beobachtungen, in denen Sinneserfahrungen registriert werden" (ebd.: 79), also beispielsweise die Sinneseindrücke, die der Gebrauch komplexer moderner technischer Gerätschaften bei einem Beobachter hinterlässt. Die Basis institutioneller Tatsachen besteht dagegen nicht in Sinneseindrücken, obwohl Sinneseindrücke in ihnen eine Rolle spielen können. Sie beruhen vielmehr auf der Kenntnis sozialer Regeln. Wenn Herr Schmidt Frau Jones heiratet, dann bedeuten bestimmte beobachtbare Verhaltensweisen von Herrn Schmidt nur deshalb Heirat mit Frau Jones und umgekehrt, weil es die gesellschaftliche Institution der Heirat gibt, welche per Konvention festlegt, dass eine bestimmte Abfolge von Verhaltensweisen diese Bedeutung des Heiratens hat. Dementsprechend ist auch der Satz "Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau" nur im pragmatischen Kontext der Institution Heirat gültig. Dieser Unterschied bietet sich als analytische Leitunterscheidung an, um zu zeigen, welche Klasse von Tatsachen die Präastronautik verarbeitet und welche sie ignoriert. Es erscheint mir offensichtlich, dass sich die präastronautische Deutungsregel, "Religion" durch "Technologie" gleichsam zu substituieren, ausschließlich für die Anwendung auf Sätze über natürliche Tatsachen im Sinne Searles eignet. Denn für die Sinneserfahrung natürlicher Tatsachen kann ein Bewertungsmaßstab verwendet werden, dem so etwas wie
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eine überhistorische Objektivität zukommt, da diese Erfahrungen mit allgemeinen Naturgesetzen in Einklang stehen müssen und auch technisch verursachte Sinneserfahrungen nur ein Spezialfall der Anwendung von Naturgesetzen sind. Nur in diesem Sinne erscheint es legitim, Berichte aus der Vergangenheit umstandslos in den Kontext der Gegenwart zu stellen. Würde es sich dagegen um Berichte über institutionelle Tatsachen handeln, wäre eine Bewertung der entsprechenden Aussagen als einfache Sinneswahrnehmungen oder anhand gegenwärtiger naturwissenschaftlich-technischer Kenntnisse eine Verfälschung ihrer ursprünglichen Bedeutung. Genau dies ist eine fundamentale Einsicht der modernen Geschichtswissenschaften, durch die sie sich von der Geschichtsdeutung früherer Epochen unterscheidet, welche jeweils primär im Dienste des kulturellen Gedächtnisses, aber nicht im Dienste der historischen Tatsachen um ihrer selbst willen stand. Die meisten präastronautischen Texte zeichnen sich durch eine stillschweigende Ignoranz jener grundsätzlichen Einsicht aus: sie unterstellen, dass sich praktisch alle überlieferten mythologischen Texte als Aussagen über natürliche Tatsachen verstehen lassen. Das, was die Hermeneutik dagegen als Einbeziehung des Entstehungskontextes bezeichnet, ist die Berücksichtigung der Auswirkungen institutioneller Tatsachen der Vergangenheit auf die den Überlieferungen ursprünglich zugrunde liegenden Sprechakte. Und die Berücksichtigung solcher Kontexte wird in präastronautischen Texten in der Regel geradezu systematisch verweigert. Markus Pössel beispielsweise hat in seiner Kritik der These von den so genannten "Glühbirnen von Dendera" gezeigt, dass Peter Krassa und Reinhard Habeck sowohl die Zugehörigkeit der entsprechenden Wandbilder zur ägyptischen Sonnenmythologie ignorieren, die schon eine vollständige konventionelle Erklärung der Bildsymbolik bieten würde, als auch in der Ägyptologie bekannte Zuordnungsregeln von Bildern und Textelementen nicht beachten, weil sie dadurch Aussagen, die eigentlich zu anderen Bildern gehören, auf die angebliche Glühbirnendarstellung beziehen können (Pössel2000: 29-56 12). Für diese bewusst eingenommene Frontstellung gegen die Geschichtswissenschaften zahlt die Präastronautik einen Preis, der nicht nur darin besteht, dass sie im geschichtswissenschajilichen Sinne ganz überwiegend unbrauchbare Geschichtsdeutungen produziert. Sondern er besteht auch darin, dass das Insistieren auf dem Vorrang natürlicher Tatsachen die Präastronautiker unempfindlich macht für die Wahrnehmung der Einflüsse, welche moderne institutionelle Tatsachen auf die Präastro-
12 Pössel bezieht sich auf die Ausruhrungen bei Krassa/Habeck 1992.
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nautiker selbst ausüben. Däniken hält seine Sicht der Dinge gewissermaßen für eine ,natürliche Weltanschauung', die sich aus dem modernen natur- und ingenieurwissenschaftlichen Wissen gleichsam zwanglos ergebe. Es ist der naturwissenschaftliche Bias der Präastronautik, der ihr das Selbstvertrauen und die Legitimation verleiht, die Geistes- und Kulturwissenschaften im Bilde der von ihnen gezeichneten Karikatur zu verachten. Es kommt zu einer eigentümlichen Verkehrung von Mythos und Aufklärung: das, was die Präastronautik selbst einübt - die Lust an der phantastischen Aufschließung undurchsichtiger Überlieferungen - wird den Schöpfern des Mythos abgesprochen: sie sollen nicht mehr als nüchterne Notare empirischer Protokollsätze sein. Der Geist des Mythos, derart der antiken Quelle ausgetrieben, zieht nunmehr ein in die sich positivistisch gebende Auslegung der präastronautischen Autoren - und wohnt ihr dauerhaft inne. Auch Peter Fiebag, der einer der wenigen Autoren der Paläo-SETISzene ist, die sich (durchaus rezeptionskundig) auf eine Lektüre kulturwissenschaftlicher Texte einlassen, folgt diesem Grundsatz der vorgeblich natürlichen Evidenz. Dies illustriert seine Interpretation der ägyptischen Obelisken als Abbilder von raketenähnlichen Fluggeräten. Fiebags These lautet folgendermaßen: "Der Obelisk symbolisiert eine Art Rakete, mit der einst Atum-Re vom Himmel zur Erde kam und zur Entstehung der ägyptischen Hochkultur beitrug. Das wahrscheinlich metallene Raumschiff wurde wegen der Härte und Festigkeit des Materials als "Art harter Stein" bezeichnet, der "glänzt" und "in den Himmel aufschießt".[ ... ] Die enge Verbindung zum Gott des Donners deutet neben dem optischen Lichtaspekt auf den akustischen Aspekt eines Raketenstarts oder einer -Iandung hin. [ ... ] Der aus seiner eigenen Asche aufsteigende Phönix/ben-Vogel versinnbildlicht die am Startplatz ("Flammeninsel") entstandenen Verbrennungen ("Asche"), aus der periodisch wieder dasselbe Fluggerät zum Himmel stieg, das zum allgemeinen Erstaunen nicht verbrannt war" (Fiebag 1999: 108-111 ).
Fiebag stellt zwar die ägyptologische Deutung jeweils sauber neben die präastronautische, trifft aber seine Entscheidung zwischen beiden Deutungen schließlich allein anhand des subjektiven Plausibilitätseindrucks. Er erwähnt eine Deutung des "benben" als Zapfen, mit dem der Himmelspfeiler in der Himmelsdecke verdübelt war, um dann zu fragen: "Welcher Gedanke ist hier wohl abwegiger? Ein verkorkter Zapfen oder eine Rakete?" (ebd.: 116) Mit dieser rhetorischen Frage, die sich allein an heutigem Evidenzempfinden orientiert, ist innerhalb der Fiebagschen Argumentation die Frage der Auswahl einer Deutung im Prinzip entschieden. Indem die Rhetorik hier an entscheidender Stelle das Argument 95
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ersetzt, tritt der Appell an das spontane Evidenzempfinden an die Stelle einer philologisch korrekten Aufschlüsselung der Symbolik ägyptischer Obelisken. Was die Präastronautik durch solche Kunstgriffe gewinnt, ist die Entfernung von "Fremdheit" aus den Quellen. Die Aussage einer Quelle wird einer modernen Erwartungshaltung angepasst, die sich mit ihrer vermeintlichen Sinnlosigkeit oder Unverständlichkeit nicht zufrieden geben mag - selbst um den Preis, dass die Orientierung an wissenschaftlichen Regeln dabei zu Gunsten der "Story" gänzlich auf der Strekke bleibt. Und ebenso, wie die Präastronautik, gleichsam mit vorgehaltener Waffe, unverständliche Quellen in verständliche transformiert, ist für sie das "Alien" eben nicht der "maximal Fremde" (vgl. Schetsche 2004), sondern trotz aller technischen Überlegenheit zugleich ein leicht wiedererkennbares Spiegelbild menschlicher Unzulänglichkeit. Die Vergangenheit ist unser Spiegelbild, und was uns in Zukunft bevorstehen mag, ist am Ursprung der Zeiten bereits da gewesen, muss bei den verschütteten Wurzeln des kulturellen Gedächtnisses gesucht und für die Gegenwart geborgen werden. In diesem Insistieren auf der "Natürlichkeit" der präastronautischen Perspektive kann man geradezu ein Gegenprogramm gegen die hermeneutische Vorgehensweise sehen, welche sich weigert, mit dem "Vorurteil" als impliziter Vorstruktur der Erfahrung ein Bündnis einzugehen. Was den Kritikern der Präastronautik als Schwäche des analytischen Verstandes ihrer Vertreter erscheint, kann man daher auch als Akt der Selbstbehauptung des praktischen Menschen verstehen, welcher sich den Zumutungen oftmals kontraintuitiver wissenschaftlicher Modelle und der "innewendigen Seiltänzerei" des Intellektualismus verweigert. Der Anthropologe Clifford Geertz hat diesen Aspekt des Common-SenseDenkens treffend illustriert: "Die Welt ist das, was der aufmerksam schauende, unkomplizierte Mensch über sie denkt. Nüchternheit, nicht Spitzfindigkeit, Realismus und nicht Phantasie sind die Schlüssel zur Weisheit. Die wirklich wichtigen Tatsachen im Leben liegen offen zutage und nicht schlau verborgen in der Tiefe. Es ist überflüssig, sogar ein großer Fehler, die Offensichtlichkeit des Offensichtlichen zu leugnen, wie es so oft die Dichter, Intellektuellen, Priester und andere tun, die von Berufs wegen die Welt verkomplizieren. Die Wahrheit ist so deutlich wie eine Pike über dem Wasser, sagt ein holländisches Sprichwort" (Geertz 1991: 282). Diese Deutung nicht um der Sache willen, sondern "für uns" stellt im hermeneutischen Kontinuum den Gegenpol zur "philologischen Wortklauberei" (Däniken 1979: 117) dar. Der Ägyptologe Jan Assmann ordnet dieses Kontinuum zwischen die Pole von "Geschichte" und "Gedächtnis" ein: 96
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"Gedächtnis und Geschichte sind Pole auf derselben Skala historischer Arbeit, von denen manche dem einen, manche dem anderen näherstehen. [... ] Das Gedächtnis will die Vergangenheit bewohnen und mit seinen eigenen Bildern ausstatten, während die Geschichtswissenschaft in ihrer radikalen Form des historischen Positivismus die Vergangenheit neutralisieren und in ihren eigenen Stimmen zum Sprechen bringen will, wie fremd sie auch klingen mögen" (Assmann 1998: 42). In diesem Sinne leistet die Präastronautik Arbeit am kollektiven Gedächtnis. Und unter diesem Aspekt lässt sich auch ihr Erfolg am besten verstehen. In einem früheren Aufsatz habe ich das Auftreten der PaläoSETI-Literatur als eine Form der subkulturellen, "wilden" Kolonisierung jener brachliegenden Sinnprovinzen bezeichnet, die sich das kulturelle Gedächtnis der westlichen Zivilisation bisher nicht verbindlich angeeignet hat und die, wie ihre religiöse und philosophische Tradition selbst, mit dem Aufstieg der modernen Wissenschaften entzaubert worden sind (Jüdt 2003: 192). Diese Aussage benennt genau genommen unterschiedliche, aber konvergierende Trends, die alle auf den Umgang mit gesellschaftlichen Deutungsmonopolen verweisen.
6. Ursachen des Erfolgs und die Kurzschlüsse der Kritik Die Ursachen für den Erfolg präastronautischen Ideenguts lassen sich m. E. mit den drei folgenden Punkten benennen: (1) Der Fortschritt in den historischen Wissenschaften erschließt kontinuierlich Zeiten und Regionen, die zuvor nur aus mythischen Erzählungen oder selektiv kodifizierten Erinnerungen bekannt waren. Die traditionellen Narrationen der etablierten Kirchen verfügen nicht mehr über die Autorität, das kollektive Gedächtnis der Menschen in ihrem Einzugsbereich in Bezug auf diese Gegenstände verbindlich zu strukturieren. Gleichzeitig werden die Deutungskompetenzen der neu entstehenden Geschichtswissenschaften hinter relativ hohen Zugangshürden von einer gesellschaftliche Elite ausgeübt, sodass ein großer Nachfrageüberschuss an ideellen Gütern der Weltdeutung entsteht, der von "wildwüchsigen" Weltanschauungen bedient wird. (2) Parallel dazu erodiert, mit zeitlichem Versatz, auch das Deutungsmonopol der modernen Naturwissenschaften. Die Legitimitätskrise der Naturwissenschaften gründet in der Ambivalenz ihrer Errungenschaften und der skeptischen Brechung des ursprünglich von ihnen getragenen naiven Fortschrittsoptimismus. Damit ist neben den aus der Vormodeme überlieferten Weltanschauungen auch eine genuin moderne Quelle der Legitimation von Weltbildern tendenzi97
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ell in Frage gestellt. (3) Dem spezifisch auslegungsbehafteten Charakter der Kulturwissenschaften schließlich ist eine Tendenz zur Entstehung alternativer und oppositioneller Diskurse von vornherein inhärent. Für den Mensch als "animal symbolicum" sind "Deutungen" eine konstitutive Ressource für den Aufbau von Selbstbild, Weltdeutungskompetenz und Handlungskompetenz. Ein Kampfum Deutungen involviert stets Prozesse der Aneignung und Enteignung von Definitionsmacht über die eigene, individuelle und kollektive, Identität. Insoweit solche Deutungskämpfe auch die Legitimation von zukunftsbezogenen Handlungsentwürfen umfassen, gehört zur Vergangenheitsdeutung der Präastronautik auch ein Zukunftsentwurf Man kann dies, wie in einem Brennglas, an der neureligiösen Rael-Bewegung studieren, die alle wesentlichen Elemente der präastronautischen Weltsicht bündelt und zu einer messianischen Verheißung verdichtet. Die RaelBewegung wurde 1974 von dem französischen Rennfahrer und Sportjournalisten Jean-Claude Vorilhon gegründet und beansprucht heute eine Zahl von 60.000 Mitgliedern in 90 Ländern für sich (Sentes/Palmer 2007: 59). Ihr religiöser Führer, Vorilhon alias Rael, ist ein Ufo-"Kontaktler", der ein präastronautisches Vergangenheitsbild mit einer auf dem technischen Fortschritt im Allgemeinen und der Gentechnik im Besonderen beruhenden optimistischen Zukunftserwartung verbindet. Die Außerirdischen des Rael-Glaubens versprechen Unsterblichkeit durch physisches Klonen des Gläubigen. Der Rael-Glaube ist radikal immanent und lehnt jegliche transzendente Sphäre als Illusion ab, ebenso wie er jegliche Vorstellung natürlicher Evolution durch eine infinite Kette geziehen gentechnischen Designs seitens Außerirdischer substituiert. "Briefly, Raelianism replaces the supernatural with the extraterrestrial and technological in order to demystify and demythologize primarily the Abrahamitic religions, simultaneously (if unconsciously) mythologizing and ideologizing science and technology" (Sentes/Palmer 2007: 59). Die von den präastronautischen Aufklärern als hochtechnologisch demaskierte Vergangenheit dient zur mythischen Beglaubigung einer ebenso hochtechnologisch geprägten Zukunft, welche die Begrenzungen und Engpässe des menschlichen Daseins auf radikale Weise aufheben wird. Däniken weist diese hoch organisierte und autoritär geführte Ausprägung der Präastronautik ausdrücklich zurück. 13 Dennoch ist auch er ein entschiedener Befürworter von Technologien wie Kernenergie, Gentechnik und Raum-
13 Däniken zu Vorilhon, der ihn für einen Vortrag anfragte: "Du, ich kann keinen Vortrag halten. Was du hier machst, ist Religion, und damit will ich einfach nichts zu tun haben" (Däniken 2003, S. 354-356).
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fahrt und neigt dazu, deren Kritiker als zukunftsfeindliche "Bedenkenträger" abzutun. Andererseits sollten diese Berührungspunkte auch nicht überbewertet werden. Strukturell gesehen ist die Präastronautik eine offene Bewegung mit fließenden Übergängen zu anderen Diskursen und mit unterschiedlich tiefer biografischer Einwirkung auf ihre Gefolgschaft. Däniken zu lesen ist längst Bestandteil einer intellektuellen Generationserfahrung, und der Unterhaltungswert seiner Bücher und Vorträge ist hoch. Um sich für das Themenfeld zu interessieren, bedarf es oft nicht mehr als eines Interesses an populärwissenschaftlich aufbereiteter Archäologie oder an der Raumfahrt. So wenig man auf eine immanente Kritik des sachlichen Anspruchs der Präastronautik verzichten kann, so wenig zureichend ist es, es dabei bewenden zu lassen. Auf diese Weise entsteht lediglich eine halbierte skeptische Kritik, die zwar die Sachbehauptungen der Paläo-SETI-Szene i. d. R. recht gut zu widerlegen weiß, hinsichtlich der Gründe für die Popularität solcher Behauptungen jedoch eher ratlos bleibt und sich auf soziologische Naivitäten zurückzieht. "Angesichts der vielen Widerlegungen wundert man sich, warum dennoch immer wieder Bücher mit präastronautischen Themen erscheinen, warum es weiterhin Zeitschriften und Magazine mit prä-astronautischem Inhalt gibt und dieses Gedankengut gelegentlich sogar von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen aufgegriffen wird. Letzteres lässt sich sicherlich auch mit dem Hauch der Sensation erklären, der prä-astronautischen Behauptungen anhaftet" (Richter 2002: 14). Richters Forderung "Gefragt ist Aufklärungsarbeit durch die Wissenschaft, in einer breiteren Front als das bisher geschehen ist" (ebd.: 21 ), möchte ich dabei zustimmen. Ebenso wichtig ist es meines Erachtens aber, den Charakter der Präastronautik als soziale Bewegung zu berücksichtigen. Das bedeutet, ihre Ansprüche nicht nur dem Wortlaut nach ernst zu nehmen und gegebenenfalls zu dekonstruieren, sondern sie zugleich in ihrer sprachpragmatischen Funktion zu berücksichtigen. Wir können Präastronautik als soziale Bewegung meines Erachtens als einen Angriff auf die etablierten Deutungsmonopole einer immer stärker wissensbasierten Gesellschaft auffassen. Die Entstehung heterodoxer, sich im Kern gegen Kritik immunisierender Diskurse und die fortgesetzte Polemik, die gemeinsam mit den Sachbehauptungen gegen die Institutionen der "Schulwissenschaft" vorgetragen wird, ergänzen und begründen sich gegenseitig. Man kann dies als "falsches Bewusstsein" bewerten und muss der präastronautischen Bewegung dennoch eines zugestehen: sie thematisiert in der pragmatischen Stoßrichtung ihrer Attakken implizit die Problematik einer Schließung gesellschaftlicher Wissensdiskurse. Das Wissenschaftssystem ist seit jeher von exklusiven Zu-
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gangsbeschränkungeil umgeben gewesen. Präastronautik nimmt sich demgegenüber, wie andere alternative Weltanschauungen auch, ein unveräußerliches Menschenrecht auf kollektive Selbstdeutung heraus. Den offenkundigen Fehlleistungen bei der Ausübung dieses Rechts ist durch autoritäre Gesten eines "Kampfes gegen den Aberglauben" oder gar durch eine Stigmatisierung zu psychopathalogischen Fällen nicht beizukommen. Wem die Verteidigung der Werte der wissenschaftlichen Gemeinschaft wichtig ist, darf auf eine solche Situation nicht mit bloßen Abwehrgesten und nicht mit dem Rückzug in einen zur Festung ausgebauten Elfenbeinturm reagieren. Es kann nicht darum gehen, nur die Dämme gegen eine ,steigende Flut des Aberglaubens' höher zu ziehen. Auch wissenschaftliche ,gated communities' sind eine Form des Rückzugs vor vermeintlichen Barbaren. Die Forderung nach wissenschaftlicher Aufklärungsarbeit im Umfeld der "Pseudowissenschaften" ist wohlfeil, solange in einem reputationsgesteuerten und zusehends an ökonomischen Kriterien ausgerichteten Wissenschaftssystem das Interesse für bestimmte randständige Themen zum Karrierekiller werden kann. Ebenso fehlt ein Bewusstsein dafür, dass es sich bei einem solchen Engagement um eine erweiterte Form der wissenschaftlichen Lehre halten würde und als solche in irgendeiner Form der Budgetplanung zu berücksichtigen wäre. Darüber hinaus wäre es nicht vertrauensbildend, den gesellschaftlichen Potentialen einer Laienforschung in der Haltung von Exorzisten und Vampirjägern zu begegnen. Zuletzt sollten uns die fließenden Übergänge, die zwischen dem heterodoxen Diskurs der Präastronautik und paranoidem Verschwörungsglauben möglich sind, eine Warnung sein. Eine Gesellschaft, die sich vor dem Entstehen von "Parallelgesellschaften" fürchtet, sollte auch darauf achten, wenn im Bereich der Wissensvermittlung geschlossene Parallelwelten entstehen. Es geht mir hier weder um ein "postmodernes" Plädoyer für eine Gleichheit aller Diskurse, noch möchte ich einen "Opferdiskurs" eröffnen, in dem die Vertreter heterodoxen Wissens idealisierend als enteignete Sozialrebellen hingestellt werden. Stattdessen plädiere ich gegen die gesellschaftliche Schließung von Wissensdiskursen, mit der wir nicht nur auf der Seite von Akteuren rechnen müssen, denen wir sektiererische Selbstabgrenzung vorwerfen. Sie findet auch dort statt, wo Bildung wieder stärker als zuvor exklusiv gemacht und als Ware definiert wird, wo die Produktion von Wissen primär der firmeneigenen Kapitalbildung dient, während ihre "Public Domain"-Vermittlung bereits den Geruch betrieblichen Geheinmisverrats trägt. An den unterprivilegierten Orten der Wissensgesellschaft verdichten sich die Ausschließungsfaktoren zu bedrohlichen Kreuzseen. Der Vorwurf der Paläo-SETISzene, die Historiker übten einen falschen Umgang mit ihren Quellen,
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läuft in Wahrheit auf eine Kritik mangelnder Vermittlung wissenschaftlicher Resultate mit der zeitgenössischen Alltagsvernunft hinaus. Diese Problemverschiebung nicht zu erkennen, macht das falsche Bewusstsein der Präastronautik aus. Aber das Gefühl der Präastronautiker, einer institutionell verfestigten kulturellen Exklusion zu unterliegen, ist ihr richtiges Bewusstsein im falschen.
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INGBERT JÜDT
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UFOS IN DEN MASSENMEDIEN ANATOMIE EINER THEMATISIERUNG GERHARD MAYER
Am 30.10.2007 war es wieder soweit: Nachdem lmapp drei Wochen zuvor die Buchautorirr und ehemalige Tagesschausprecherirr Eva Herman die Talkshow von Johannes 8. Kerneraufgrund ihrer umstrittenen Äußerungen zur Familienpolitik im Dritten Reich verlassen musste, 1 erlebte Deutschland spätnachts einen weiteren "TV-Eklat". In der Talkshow Menschen bei Maischberger verabschiedete sich der ZDF-Wissenschaftsjournalist Joachim Bublath vorzeitig nach ca. 55 Minuten aus der Gästerunde, was die von der Situation überforderte Moderatorirr mit der Äußerung "Wir haben jetzt den vernünftigen Menschen in dieser Runde verloren - ich bedaure das sehr" kommentierte. Es hätte eigentlich eine "augenzwinkernde Diskussion über ein Thema, das man gar nicht so ernst nehmen kann" 2 werden sollen: "Ufos, Engel, Außerirdische- sind wir nicht allein?" Aber Maischberger und ihr Redaktionsteam erlagen hier einer Fehleinschätzung, denn es handelt sich um ein Thema, bei dem - ganz ähnlich wie bei ojjf:nsichtlichen Tabuthemen- nicht jeder gewillt ist, es gelassen mit Humor oder Augenzwinkern zu behandeln, vor allem, wenn es öffentlich in einem Massenmedium behandelt wird. Aus dem geplanten ,leichten Plausch' zu später Stunde wurde also nichts, denn das Gespräch über UFOs und Engel rührte an die weltanschaulichen Grundfesten der Diskussionsteilnehmer. Es weckte in erstaunlicher Weise deren missionarische Impulse, so dass auch ein ,nüchterner' Wissenschaftsjournalist seine Contenance verlor und in die Niederungen emotionaler Verstrickungen versank.
Siehe SPIEGEL ÜNLINE vom 09. Oktober 2007: "TV-Ek!at: Kerner wirft Eva Herman aus seiner Sendung". Online-Quelle: http://www.spiegel.de/ 2
kultur/gesellschaft/0, 1518,51 0469,00.htm1- Zugriff: 17.01.2008. Maischberger in SPIEGEL ÜNLINE vom 04. November 2007: "Maischberger von TV-Eklat überrascht". Online-Quelle: http://www.spiegel.de/ku1tur/ gesellschaft/0, 1518,515272,00.htm1- Zugriff: 17.01.2008.
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GERHARD MAYER
Nach dieser Sendung ,rauschte es im Blätterwald'. Kaum eine Tageszeitung ließ die Gelegenheit aus, über den "Eklat" zu berichten. Der Kanon der kommentierenden Äußerungen in den Artikeln war - von einigen Ausnahmen abgesehen - relativ einheitlich: Die Rolle einer "Stimme der Vernunft" wurde, wie von Maischberger vorgeschlagen, dem Wissenschaftsjournalisteil Bublath zugeschrieben und der Talkmasterirr selbst Überforderung in der Situation und schlechte Wahl der Gäste attestiert. Nina Hagen wurde- als Gegenpol- zur Personifizierung abstruser UFOund Alien-Beliefs stilisiert und als schräg, schrill und abstoßend (und damit aber auch anregend) abgetan. Einer wissenschaftlich offenen, nämlich die UFO/Alien-Hypothese als Denkmöglichkeit und Herausforderung zulassende Position wurde aufgrund der attraktiven Polarisierungsmöglichkeit in den Massenmedien kein Platz eingeräumt. 3 Man könnte aus den Reaktionen auf diesen Vorfall auf die Attraktivität des Themas UFO/Alien für die Massenmedien schließen, doch garantierte wohl eher der Mix aus ,Promis' und ,Eklat' ein kurzes, aber heftiges Aufflammen öffentlicher Aufmerksamkeit. Als eindeutigeres Indiz für eine solche Attraktivität lassen sich eher die massenmedialen Reaktionen auf ein zweites Vorkommnis aus dem Themenkreis UFO verstehen, das zum Ende des Jahres 2007 ähnlich markant seinen Niederschlag in der Presse fand: In der zweiten Dezemberhälfte erregten offizielle Äußerungen japanischer Regierungsvertreter, in denen sie die Existenz von UFOs bestätigten, internationales Aufsehen. Der japanische Verteidigungsminister forderte sogar, dass die Armee für einen eventuellen Angriff von Aliens vorbereitet sein sollte. 4 Mit den Meldungen aus Japan wurde in der Presse auf zweierlei Art umgegangen: Entweder sie wurden mehr oder wenigerunbearbeitet (bzw. leicht gekürzt) unter Beibehaltung eines neutralen, nicht wertenden Tonfalls von den Nachrichtenagenturen übernommen. Oder es wurde ironisierend berichtet, wobei der Grad der Ironie unterschiedlich ausgeprägt war und sich z.B. nur in der Wahl der Rubrik ("Auch das noch", "Kaum zu glauben [ ... ]", "Nicht zu fassen") oder eines beigefügten Bildes zeigte; zum Teil wurde aber auch durch-
3
4
Maischberger selbst rechtfertigte in ihrem Kommentar zum "Eklat" die Wahl Nina Hagens als Gast, weil sie der "Unangepasstheit" Raum geben wollte. Gesprächsrunden würden gegenwärtig viel zu glatt ablaufen. Letztlich ginge es um Unterhaltung; und in diesem Punkt kritisierte sie Bublath, der bei seiner Zusage zur Teilnahme an der Gesprächsrunde den Unterhaltungsaspekt nicht wahrhaben wollte. Im IGPP-Pressearchiv befinden sich 81 Presseartikel zum ersten (Maischberger) und 64 Presseartikel zum zweiten Vorfall (japanische Statements).
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gängig ironisch - etwa in einer Art Glosse - berichtet (z.B. die NEUE RUHR ZEITUNG vom 19.12.2007: "Alien stiehlt Sushi"). In beiden Fällen sind es die weltanschaulichen oder politisch handlungsrelevanten Positionierungen zur UFO-Thematik, die zum ,TVEklat' führten oder- wie im zweiten Beispiel- direkt den Nachrichtenwert generierten. Doch auch UFO-Sichtungen, eine neue astronomische Erkenntnislage oder theoretische Spekulationen können das Thema auf die Agenda der Medien bringen, wie ein Blick auf deren Berichterstattung während der letzten sechzig Jahre zeigt. UFOs stellen einen Gegenstand dar, der aufgrund seiner unklaren und mehrdeutigen Bestimmung eine Projektionsfläche für viele Fantasien bildet. Seinen besonderen Reiz gewinnt er aus der Tatsache, dass es, im Unterschied zu vielen anderen Gegenständen ,aus derselben Abteilung in der Buchhandlung' (wie z.B. Engel), dazu eine objektive Faktenlage gibt, die zwar keine einheitliche und unstrittige Interpretation erfährt, aber dennoch auf politischer und teilweise auch auf wissenschaftlicher Ebene eine gewisse Handlungsrelevanz besitzt. Damit können verschiedene Interessenlagen bedient werden: die des an quasi-wissenschaftlichen Utopistischen Entwürfen orientierten Science-Fiction-Fans ebenso wie die des Prä-Astronautikers, die des religiöse Sonderformen suchenden Sektierers ebenso wie die des Exo-Soziologen oder Exo-Politikers, die des an Anomalien interessierten Menschen oder schlicht und einfach die des an sensationellen oder skurrilen Ereignissen sich Amüsierenden. Der prinzipiell mit der UFO-Thematik verlmüpfte utopische Aspekt legt eine Abhängigkeit der Presseberichterstattung von zeitgeistbedingten Faktoren nahe, da sowohl soziale Utopien als auch die Funktion von Massenmedien Veränderungen unterliegen und den Zeitgeist widerspiegeln. So ist die ursprüngliche Hauptaufgabe der Informationsvermittlung immer mehr dem Anspruch der Unterhaltung gewichen (,Infotainment'). Der Wandel der Funktion, aber auch mentalitäts-und sozialgeschichtlich bedingte Veränderungen bleiben in der Regel nicht ohne Einfluss auf Themenkarrieren und deren inhaltliche Bearbeitung. Ein Ziel dieses Beitrags ist es, die Karriere des Themas UFO für die letzten sechzig Jahre bundesrepublikanischer Pressegeschichte nachzuzeichnen und die Art der Berichterstattung exemplarisch zu analysieren. Dabei konnte auf Daten zurückgegriffen werden, die im Rahmen eines umfangreichen Projekts zur Presseberichterstattung über Themen aus dem Bereich der Anomalistik erhoben worden waren (Mayer 2004). In jener Studie wurden die beiden populären Printmedien DER SPIEGEL und
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BILD für den Zeitraum von 1947-1999 systematisch untersucht. 5 Beide Presseorgane begleiten die Bundesrepublik fast seit ihrer Gründung, stellen in ihrem selbst definierten Anspruch und in ihrer Zielgruppe Gegenpole dar und eignen sich deshalb in besonderem Maße zum Vergleich und als Repräsentanten für das Feld. In einer zweiten Erhebungsphase wurden Daten aus dem Zeitraum von 2000-2007 gesammelt, wobei insofern den jüngeren Entwicklungen der Medienlandschaft Rechnung getragen wurde, als für die Analyse auch die Publikationen des SPIEGEL ONLINE zu diesem Themenfeld berücksichtigt wurden. In einem ersten Schritt soll nun die UFO-Berichterstattung in ihrer Entwicklung vor dem jeweiligen mentalitätsgeschichtlichen Hintergrund nachgezeichnet werden, um dann in einem zweiten Schritt eine Analyse der Art der Berichterstattung durchzuführen.
1. Berichterstattung über UFOs im Wandel der Zeit 1.1
BILD
UFO-Sichtungen und außerirdische Intelligenz sind von Beginn an und vor allem in den ersten Jahrgängen wichtige Themen für BILD. Schon in der allerersten Ausgabe vom 24.06.1952 hieß es: "Untertassen über Norwegen". In den sieben Stichprobenjahrgängen wurden insgesamt 75 Artikel zum Thema "UFO" erfasst. Bemerkenswert ist die Fülle der Arti-
5
Für die Untersuchung wurden Artikel erfasst, die Themen aus den Bereichen ,Parapsychologie/Psi', ,Okkultismus', ,UFO', ,Wunder/Wunderheilung', ,Esoterik/NewAge' oder ,Sekten' behandelten. Da fiktionale Medienangebote wie z.B. der Spielfilm "Unheimliche Begegnungen der dritten Art" solche Themen in ähnlicher Weise in das Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen und eine Modewelle auslösen können, wie dies bei spektakulären Ereignissen, z.B. bei UFO-Sichtungen oder den Uri Geiler Fernsehauftritten gelegentlich der Fall war, wurden auch Artikel zu entsprechenden Medienangeboten oder zur Rezeption erhoben. Es wurden sämtliche Artikel des SPIEGEL aus dem gesamten Zeitraum vom Jahr 1947 bis zum Ende des Jahres 1999 erfasst. Bei der BILD fand eine Beschränkung auf sieben Stichprobenjahrgänge des Zeitraums von 1952 bis 1999 statt. Als drittes Printmedium wurde die BILD AM SONNT AG untersucht, die aber in diesem Aufsatz aus Platzgründen nicht berücksichtigt wird. Insgesamt wurden 1698 SPIEGEL-Artikel und 724 BILD-Artikel erfasst und unter verschiedensten Perspektiven analysiert.
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kel (n = 21) während der ersten sechs Monate des Erscheinens der BILD in der zweiten Hälfte des Jahres 1952. Die beiden Jahrgänge 1990 (n = 17) und 1998 (n = 15) weisen ebenfalls hohe Fallzahlen auf. Unter den nachträglich erfassten Jahrgängen 2000 bis 2007 fallen die Jahre 2001 (n = 21) und 2004 (n = 16) aus dem Rahmen. Hingegen zeichnen sich die Stichprobenjahrgänge 1960 (n = 1) und 1968 (n = 4) sowie der Jahrgang 2007 (n = 4) durch eine deutlich unterdurchschnittliche Anzahl von Artikeln aus. Man kann in der Berichterstattung zum Themenkreis ,UFO' eine deutliche Entwicklung feststellen. Im ersten Jahrgang erschienen sehr viele Artikel, die die große Aktualität des Themas widerspiegelten. Der interpretatorische Grundtenor war in den meisten Fällen ein politischer: UFOs existieren, stammen jedoch nicht von außerirdischen Intelligenzen, sondern von Militärs. Sie sind Ausdruck des Kalten Krieges und des Wettrüstens zwischen den USA und der UdSSR. Darüber hinaus sind viele Sichtungen auf die Hysterie der Menschen ("viele Frauen [... ] mit aufgeregten Stimmen"; "überreizte Einwohner", BILD vom 22.07.1952) oder auf natürliche Ursachen ("Lichtkegel zweiergroßer Scheinwerfer", ebd.) zurückzuführen. Im Jahr 1960 hatte das Thema seine Brisanz verloren: UFOs existierten nur noch als Elemente der Unterhaltungs- und Spielzeugindustrie. In den folgenden Jahren war eine erneute Änderung der Einstellung zu verzeichnen. Die erste Mondlandung hatte stattgefunden, Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum hatte den Blick für die Weiten des Universums geöffnet und neue UFO-Sichtungen aus dem Jahr 1974 blieben für die BILD-Journalisten mysteriös und rätselhaft. Diese Haltung änderte sich in der Folge nicht mehr wesentlich. Seit 1982 wurden zwar des Öfteren natürliche Erklärungsmöglichkeiten genannt und es wurde auch über Aufklärungen von angeblichen UFO-Sichtungen berichtet, doch wurde den Behauptungen der Existenz von UFOs extraterrestrischen Ursprungs hohe Plausibilität zugemessen. Die Haltung der BILD blieb dabei uneinheitlich und in gewisser Weise beliebig. Sie hing (und hängt immer noch) offenbar von dem Ziel ab, die Leser mit Sensationen zu beliefern und zu unterhalten- und auch von den persönlichen Einstellungen der jeweiligen Autoren. Diese Ambivalenzen zeigen sich manchmal innerhalb eines einzigen Artikels, wenn Bildsprache und Übertitelung anderes suggerieren als Bildunterschriften oder Textteile dann bieten. Insgesamt findet man gleichermaßen Aufklärungen von UFOSichtungen und Mystifizierungen, die eine Alien-Hypothese stützen. Der Aspekt der Beliebigkeit und der ausschließlichen Sensations- oder Unterhaltungsorientierung verstärkt sich seit der Jahrtausendwende tendenziell. Skurrile Pseudo-UFO-Sichtungen stehen neben Nachrichten über
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den Bau einer UFO-Landebahn und mit Alien-Fratzen garnierten Artikel zu Themen aus dem Bereich des SETI-Programms und der Astronomie (Entdeckung erdähnlicher Planeten). Im artikelreichen Jahrgang 2001 ist ein Drittel der Texte dem medialen Rummel um die UFO-Sekte der Raelianer geschuldet, die mit ihren Menschenklonungsbehauptungen und -plärren Aufsehen erregten. Darüber hinaus lancierte BILD eine Serie "Wir sind nicht allein", in der die UFO- und Alien-Thematik vor dem Hintertergrund des SETI-Projekts und der Entdeckung extrasolarer Planeten, die die Voraussetzungen für Leben erfüllen, diskutiert wird.
1. 2
DER SPIEGEL
In den 61 SPIEGEL-Jahrgängen bis zum Jahr 2007 sind insgesamt 63 Beiträge erschienen, in denen das Thema "UFO" im Mittelpunkt steht. 6 Schwerpunkte der Berichterstattung liegen in den Jahrgängen 1952, 1959 und 1994 bis 1997. Im Folgenden soll die Entwicklung der SPIEGELBerichterstattung und die Bewertung des UFO-Phänomens anhand markanter Texte nachgezeichnet werden. Der erste Artikel (DER SPIEGEL 29/1947) aus dem Jahr 1947 mit dem Titel "Transatlantisches Sausen. Jeder Erdteil hat seine Untertassen" ist stark ironisch geschrieben und sieht die UFO-Sichtungen in einer Linie mit dem Ungeheuer von Loch Ness, "das [... ] aus den schottischen Gewässern [... ] mit freundlicher Regelmäßigkeit in den Zeitungen auf(taucht), sobald die sommerliche Zeit des Mangels an Neuigkeiten gekommen war. Jetzt sieht sich dieser Veteran unter den Sommerzei-
6
Zum Vergleich seien einige Zahlen angeführt, alle bezogen auf den Zeitraum der ersten Erhebungsphase, 1947 bis 1999: Während 3,3% der erhobenen Artikel der Kategorie "UFO" zuzuordnen sind (N=56), fallen 1,6% (N=28) in die Kategorie "Okkultismus/Spiritismus" und 1,5% (N=25) in die Kategorie "Parapsychologische Forschung". Zu Nahtoderfahrungen gab es in dem Zeitraum 9 Artikel (0,5%), ebenso zum Satanismus und zur Kryptozoologie. Ähnlich stark sind Berichte über "Exorzismus/ Besessenheit/Dämonismus" (2,8%; N=47) und "Wunder/ProphetieNision" (4,2%; N=72) vertreten. Häufiger wurde über "Medien/Personen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten" (7,8%; N=132) und "Sekten/Neue religiöse Gruppen" (13%; N=220) berichtet. In der Rangliste der BILD nimmt die Kategorie "UFO" eine prominentere Position ein: 10% der aus den Stichprobenjahrgängen der ersten Erhebungsphase in die Auswertung eingegangenen Artikel sind dieser Kategorie zuzuordnen (siehe Mayer 2004: 318319).
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tungs-Enten von den ,fliegenden Untertassen' in den Hintergrund gedrängt". In einer Magazingeschichte von 1950 (DER SPIEGEL 13/1950: "Sie fliegen aber doch") über die "Epidemie der fliegenden Scheiben" wird der Vergleich mit der "Seeschlange von Loch Ness" noch einmal gezogen, doch hat der Tonfall an Ironie verloren. Neben einigen Berichten von UFO-Sichtungen werden die Reaktionen der Menschen und der Medien auf solche Meldungen geschildert wie auch verschiedene natürliche Erklärungen für die Sichtungen angeführt. Die OS-Luftwaffe hatte ein "Project Saucer" zur Beobachtung unbekannter Luftphänomene gestartet. DER SPIEGEL dazu: "Das Untertassen-Delirium schlug sich in den Washingtoner Regierungsstuben nieder". Immerhin wird dem Hinweis auf die Konstruktionszeichnungen verschiedener Ingenieure, die in Fluggeräten solcher Gestalt eine wichtige Entwicklung in der Flugtechnik sehen, großzügig Raum zugestanden. Damit wird das Phänomen aus dem reinen Reich der Phantasie und der Halluzinationen herausgeholt und es werden implizit Geheimwaffen "fremder Mächte" als eine Erklärungsmöglichkeit von UFO-Sichtungen vorgeschlagen. Im Jahr 1952 brachte DER SPIEGEL eine Magazingeschichte mit dem Titel "Geheimnisse: Die Untertassen-Saga" (DER SPIEGEL 11/ 1952). Sie berichtet über neue UFO-Sichtungen in Korea, über die Rezeption der UFO-Berichte und die Häufung der Fälle in den vergangenen fünf Jahren. Bisher unerklärbare UFO-Sichtungen werden angeführt. Als wissenschaftliche Referenz wird der Raketeningenieur Walther Riedel genannt, der "zu dem Schluß gekommen (ist), daß die Untertassen nicht irdischen Ursprungs sein können [.. .]". 7 Die Ironie ist nun verschwunden, und es wird auf das widersprüchliche Verhalten der OS-Luftwaffe hingewiesen, die auf die aktuellen Sichtungen in einerneuen Art und Weise reagierte: Entgegen ihrer bisherigen Vorgehensweise gab sie bekannt, dass sie die Phänomene für echt, d.h. als nicht von der Erde stammend und natürlich erklärbar halte. Die Autoren stellen die Plausibilität vieler Erklärungen in Frage, etwa, es handle sich nur um optische Täuschungen oder um 7
Walther Riedel (1903-1974) war Mitglied im Team von deutschen Raketenpionieren, die von 1936 bis 1943 in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde tätig waren und zu denen auch Wemher von Braun gehörte (Bode/Kaiser 1995: 44; Wiechmann 2006: 222). Im Jahr 1947 wurde Riedel im Rahmen der Geheimoperation "Overcast"/"Paperclip" in die USA gebracht, wo er mit anderen deutschen Raketentechnikern für die NASA arbeitete. Riede! war ein prominentes Mitglied der von Edward J. Sullivan im Jahr 1951 ins Leben gerufenen ersten privaten UFO-Untersuchungsgruppe CSI (Civilian Saucers Investigation).
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Geheimwaffen der US-Luftwaffe bzw. der Sowjetunion. Der Artikel schließt mit einem bezüglich der Klärungsmöglichkeit resignierenden Absatz: "Keiner durchdringt das Geheimnis der Untertassen, mit dem sich die ruhesuchende Menschheit des 20. Jahrhunderts - vorausgesetzt, es bleibt weiterhin stumm und ungefährlich - ebenso abzufinden scheint, wie mit dem stummen, ungefährlichen Mysterium des Alls". 1954 gibt es erneut einen langen Bericht über den neuesten Stand in Sachen UFOs (DER SPIEGEL 17/1954: "Besucher aus dem All"). Was der SPIEGEL über die amerikanische Zeitschrift LIFE schreibt, trifft dabei auch tendenziell auf ihn selbst zu: "Die Zeitschrift hatte ihre ursprüngliche Haltung belustigter Skepsis aufgegeben und glaubte nach Durchsicht des Untersuchungsmaterials ernsthaft an die Realität der fliegenden Untertassen." Der Artikel beruht vor allem auf der neuen Buchveröffentlichung des UFO-Experten Donald E. Keyhoe (,,Der Weltraum rückt uns näher"). 8 Keyhoe hatte Einsicht in geheime Unterlagen der OSLuftwaffe bekommen. In einem Bericht des Untersuchungsausschusses "Blue Book" werden 34 Vorfälle als "nicht erklärt" gekennzeichnet. Der Geheimwaffen-Hypothese wird nur noch wenig Plausibilität zugesprochen. Hingegen wird auf Zusammenhänge zur Raumfahrtforschung hingewiesen: "Nach außen war die Intensivierung der Raumfahrtforschung auffällig, die kurz nach den ersten Untertassen-Sichtungen vom Verteidigungsministerium betrieben wurde. Innerhalb weniger Monate ließ das Pentagon ernsthafte Pläne für eine Mondrakete und einen künstlichen Mond ausarbeiten". Keyhoe bekommt in einem Zitat das letzte Wort, in dem er von einer "amtlichen Bestätigung der Luftwaffe" spricht, "dass die Untertassen aus dem Weltraum kamen!". Im Jahr 1966 brachte DER SPIEGEL in einer Magazingeschichte einen Rückblick auf die bisherigen "UFO-Wellen" und reagierte auf eine aktuell neue Häufung von UFO-Sichtungen (DER SPIEGEL 17/1966: "Saison eröffnet"). Der Text ist einseitig-kritisch verfasst, mit stark ironischen Tönen. Der UFO-Spezialist Keyhoe wird nun als eine Art Sektenführer charakterisiert: "Daß sie [die UFOs- G.M] aus fernen Welten stanunen, glauben die Anhänger zahlloser Ufo-Sekten und -Vereine. Ihr Evangelium ist der von dem pensionierten Marineflieger Major Donald E. Keyhoe verfasste Bestseller ,Flying Saucers from Outer Space' [... ]. Keyhoe verbrämte seine gesammelten UfoLegenden noch mit pseudowissenschaftlicher Spekulation [... ] , Wir haben 8
Keyhoe 1954a. Im amerikanischen Original: "Flying Saucers from Outer Space" (Keyhoe 1954b).
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hier', analysierte der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung solchen UfoUnfug, ,Gelegenheit zu sehen, wie eine Sage entsteht [... ] eine Wundererzählung von[ ... ] der Annäherung außerirdischer himmlischer' Mächte."
Der neue UFO-Spezialist, auf den sich DER SPIEGEL nun berief, war Allen Hynek. Hynek hatte einige aktuelle UFO-Sichtungen als brennende Sumpfgase aufgeklärt. In Bezugnahme auf das "Project Blue Book" berichtete der SPIEGEL, dass von insgesamt 10.147 registrierten Himmelsphänomenen 646 als bisher nicht aufgeklärt anzusehen sind. 9 Ein Jahr später, im April 1967, wurde ein vom SPIEGEL eingeleiteter Auszug des Berichts von Allen Hynek über seine Untersuchungen der UFO-Phänomene publiziert (DER SPIEGEL 17/1967: "Da ist es! Es bewegt sich!"). Hynek schließt hier die Alien-Hypothese nicht grundsätzlich aus. In der den Text promovierenden Einleitung wird auf die oben erwähnte Wissenschaftlerkommission zur Untersuchung der Phänomene und auf die unaufgeklärten UFO-Meldungen hingewiesen. Ironie fehlt in dem von der journalistischen Haltung her neutral geschriebenen Text völlig. 1973 hatte sich die Bewertung erneut gewandelt. Es waren wieder gehäuft UFO-Meldungen registriert worden, über die in ironischer Art und Weise berichtet wird (DER SPIEGEL 4411973: "Mit Spitzohren "): "Es ist wieder soweit. Wie einst im Mittelalter der Veitstanz von den Bewohnern ganzer Gemeinwesen Besitz ergriff, so sind es nun wieder die kleinen grünen Männer und die Fliegenden Untertassen, die in den Köpfen der Irdischen spuken: Das Ufo-Fieber, seit zwei Wochen im Schwange, ist weltweit. Die Signale gehört hatten wieder einmal sowjetische Wissenschaftler". Neben der Aufzählung verschiedener Sichtungen wurde auch die ,UFO-Entführung' in Pascagoula erwähnt. In diesem Zusammenhang geriet nun Allen Hynek in scharfe Kritik. Er sei ein "bekannter Ufo-Anhänger" und habe "sich als ,wissenschaftlicher Berater' in die Ufo-Untersuchungskommission der US-Luftwaffe (gedrängelt)". Im Jahr 1978 schließlich erschien eine Titelgeschichte unter der Schlagzeile auf dem Umschlag: "Spuk oder Wirklichkeit? I Die UFOs kommen" (Der Spiegel 17/1978). Die Magazingeschichte selbst trug den Titel "So wurde die Weltöffentlichkeit getäuscht", was ihren Inhalt besser charakterisiert als die etwas irrefuhrende Titelgestaltung. Es geht in 9
Bei dem "Project Blue Book" handelte es sich um ein 1951 eingesetztes Ermittlungsteam des Geheimdienstes der US-Luftwaffe zur systematischen und wissenschaftlichen Untersuchung von UFO-Sichtungen. Der Astronom Hynek war Berater des Projekts.
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dem Beitrag um das Konstatieren eines "Rückfalls in den Irrationalismus". Den Anlass nennt der Spiegel im einführenden Textblock, in dem es heißt: "Der stupende Erfolg von Superproduktionen wie , Unheimliche Begegnung' und ,Krieg der Sterne' brachte die Auseinandersetzung über die Ufos wieder in Gang. US-Präsident Carter schlug eine neue Untersuchung durch die Weltraumbehörde NASA vor". Neben dem UFO-Glauben wird auf den "Hang zum Hellsehen und Sternedeuten, de(n) Glaube(n) an Poltergeister und Gespenster", auf von Däniken, Uri Geller, das Bermuda-Dreieck, Zen-Buddhismus, transzendentale Meditation usw. eingegangen- ein SPIEGEL-typischer Rundumschlag, der all diese Inhalte unter die Überschrift "Aberglaube" zusammenfasst, ausgelöst durch einen "schier unersättliche(n) Hunger nach Übersinnlichem, Irrationalem". In der Mitte der 90er Jahre häuften sich noch einmal die Artikel zum Thema UFO. Die Diskussion hatte insofern eine neue Qualität bekommen, als nicht mehr nur Sichtungen ins Blickfeld rückten, sondern der tatsächliche Kontakt in Form von UFO-Entführungen und der angeblichen Obduktion eines Aliens ausgiebig diskutiert wurde. 10 John Mack veröffentlichte 1994 sein Buch "Abduction", auf das der SPIEGEL mit einer Glosse reagierte (DER SPIEGEL 21/1994: "Liederliches Treiben"). In dem Buch geht es um UFO-Entführungen, die der Psychiater unter Einsatz von Hypnose diagnostiziert hatte. Im SPIEGEL-Artikel werden Vergleiche zur Diagnose und Behandlung der Multiplen Persönlichkeitsstörung (MPS) gezogen. Die Berichterstattung in der zweiten Hälfte der 90er Jahre bezog sich vor allem auf zwei Aspekte. Der erste betraf das UFO-Phänomen im Zusammenhang mit seiner öffentlichen Rezeption, vor allem seitens der Ufologen. Die empörten Töne sind eher einem Belächeln gewichen. Exemplarisch ist diese Haltung in der Glosse "Happy Birthday, Ufo!" (DER SPIEGEL 25/1997), die folgendermaßen eröffnet wird: "Das Pulver hat er erfunden, die Zweitwohnungssteuer und das Girlie. Aber keine Erfindung des Menschen barg so reiche Frucht wie das Ding aus dem All, das Ufo. Vor genau 50 Jahren, im Juni 1947, war es dem Kopfe eines Amerikaners namens Kenneth Arnold entsprungen. ,Fliegende Untertasse' nannte er das Flackern vor den Augen, aber Ufo (,unidentified flying object') klang imposanter. Wie jede gute Erfindung setzte sich das Ding schnell durch".
10 Vgl. dazu den Beitrag "EntfUhrt! Von irdischen Opfern und außerirdischen Tätern" in diesem Band.
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Die Glosse enthält noch Seitenhiebe auf C.G. Jung ("der das ,kollektive Unbewusste' erfand") und John Mackund endet wie folgt: "Da draußen, hinter dem Mond, lauem kleine grüne Männchen, und die scheuen keine lange Reise, um den Erdlingen den Himmel näher zu bringen. Das geschieht immer öfter per Entführung, und ein Mann namens Mack, PsychiatrieProfessor an der Harvard-Uni, hat das mit schönem Ernst beschrieben. Manch ein Fräulein, das mit keiner Entführung mehr rechnet, kam so zu einem Abenteuer, und der Beweis war das Nachthemd; es war nachher verkehrt herum angezogen. Wenn es Gott nicht gäbe, sprach Voltaire, müßte man ihn erfinden. Dito das Ufo". Der zweite Aspekt betrifft die Aufklärung der Rolle, die der CIA und der Luftwaffe in der "Ufornanie" zukam. Die UFO-Gläubigkeit der Amerikaner sei bewusst geschürt worden. Schon 1956 hätte man gewusst, "dass 96 Prozent aller angeblichen Ufo-Sichtungen in Wahrheit Testund Einsatzflüge ihrer eigenen Himmelsspäher" gewesen seien. Die Bevölkerung sei dann aber absichtlich mit Alternativerklärungen irregeführt worden und der CIA hätte alle Versuche, "der Öffentlichkeit den Glauben an den Ufo-Unfug mit Aufklärungskampagnen in Medien und Schulen auszutreiben", verhindert (DER SPIEGEL 33/1997). Das UFO-Thema scheint nun also für den SPIEGEL endgültig erledigt, das Urteil darüber gefällt. Die konkreten Anlässe für die Berichterstattung häuften sich in den 90er Jahren, kulminierend 1997 in den Anniversarien der ,ersten' UFO-Sichtung durch den OS-amerikanischen Piloten Kenneth Amold am 24.06.1947 und des ,Roswell-Zwischenfalls', d.h. des angeblichen Absturzes eines UFOs bei Roswell, dessen Trümmer am 14.06.1947 von einem Farmer gefunden worden waren. Sie wurden auch vom SPIEGEL aufgegriffen. Bei den Anlässen handelte es sich nicht um Ereignisse jener Art, die zu den früheren UFO-Wellen in den Medien geführt hatten, nämlich aktuelle UFO-Sichtungen, sondern um Fakten, die im Sinne der Bedeutungszuschreibung (Anniversarien) und interpretativen Auslegung (UFO-Entführungen) generiert worden sind. Das an die Öffentlichkeit gebrachte Filmmaterial einer angeblichen Alien-Obduktion und die Aufklärung über die Rolle des CIA usw. betrifft ebenfalls schon vergangenes Geschehen. Die wenigen Beiträge nach 1999 betreffen vornehmlich Begleitaspekte der UFO- bzw. Alien-Thematik, etwa das Auftreten und die Erklärung von geografischen ,Anomalien' wie Feen- und Komkreise oder eine ungewöhnliche Gesteinsformation in China (DER SPIEGEL 34/2001, 35/2001 und 28/2002), sowie den Einsatz eines Rechtsanwalts für Opfer angeblicher UFO-Entführungen (DER SPIEGEL 2/2007). Drei weitere Artikel betreffen massenmediale Behandlungen des Themas bzw. deren Re115
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zeption: zur wissenschaftlichen Beratung der Serie Akte X (DER SPIEGEL 9/2000), über einen extremen E.T.-Fan (DER SPIEGEL 18/2002) und über den zu Beginn erwähnten Maischberger-TV-Eklat (DER SPIEGEL 45/2007). Im Überblick zeigt sich der Verlauf der UFO-Berichterstattung im SPIEGEL so: In den ersten Jahren war die Haltung des SPIEGEL stark von der allgemeinen Bewertung des Phänomens in der Öffentlichkeit und in anderen Printmedien geprägt. Der Einschätzung als Sommerloch-Zeitungsente folgte das vorsichtige Ernstnehmen, das sich an den Ergebnissen von Keyhoes Untersuchungen orientierte. In der Magazingeschichte aus dem Jahr 1966 war Keyhoe zu einer Art Märchenerzähler und Sektenführer degradiert worden. Seine Stelle als ernstzunehmender UFOSpezialist hatte nun Hynek eingenommen. Dass der Forscher die AlienHypothese nicht von vornherein ausschloss und auch von einem geringen Prozentsatz mit herkömmlichen Erklärungsansätzen nicht aufklärbarer UFO-Sichtungen ausging, wurde zunächst akzeptiert. Sieben Jahre später war aus dem UFO-Spezialisten Hynek ein "schon bekannter UfoAnhänger" geworden, der "sich als ,wissenschaftlicher Berater' in die Ufo-Untersuchungskommission der US-Luftwaffe (drängelte)". 11 Ein weitgehendes Einschwenken auf die Linie der Skeptiker fand während der 70er Jahre mit dem Auftauchen von Personen wie James Randi und Paul Kurtz in der Öffentlichkeit statt, die den ideologischen Kampf gegen den "Aberglauben", aber auch gegen die unvoreingenommene wissenschaftliche Untersuchung von Themen der Parapsychologie organisierten, popularisierten und damit selbst eine gewisse Prominenz erlangten. 12 Diese Grundtönung ist seither geblieben, wenngleich das Thema an sich in den letzten Jahren kaum mehr Raum in der Berichterstattung des SPIEGEL fand.
11 Der Zungenschlag in diesen Äußerungen erinnert an die Argumentation von Skeptikern. Allerdings fallen in dem Artikel noch keine Namen prominenter Skeptiker; es ist - etwas kryptisch - von "Kennern der übersinnlichen Szene" die Rede, denen Hynek "schon seit 1948 [ ... ] bekannt" sei (DER SPIEGEL
44/1973: "Mit Spitzohren ").
12 Deramerikanische Psychologe Paul Kurtz gründete im Jahr 1976 die international operierende Skeptikerorganisation CSICOP (Commitee for the Scientific Investigation of Claims ofthe Paranormal-seit 2006 umbenannt in: Committee for Skeptical Inquiry, CSI), der auch der Bühnenzauberer James Randi als prominentes Mitglied angehört. Randi wurde vor allem als "debunker" bekannt, d.h. als Entlarver von Personen, die behaupten, über außergewöhnliche (paranormale) Fähigkeiten zu verfügen.
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Eine wichtige Neuerung der letzten beiden Jahrzehnte war die zunehmende Vermittlung von Nachrichten und Informationen via Internet. Die Massenmedien begannen, sich im Netz zu präsentieren und ,OnlineJournalismus' zu betreiben. 13 SPIEGEL ÜNLINE ist eines der ersten ,Kinder' dieser Entwicklung, das mit erheblichem journalistischem und finanziellem Aufwand produziert wird. 14 Ein zentraler Unterschied zur Berichterstattung im Printmedium ist das Fehlen einer Bindung an einen periodischen Publikationstermin und damit die permanente Aktualisierungsmöglichkeit. Ein fortlaufend zu aktualisierendes Angebot erfordert allerdings einen Durchsatz an Informationen, der die Möglichkeit gründlicher Recherche und vollständiger redaktioneller Eigenarbeit sprengt und die Übernahme von Artikeln aus Nachrichtenagenturen verständlich (notwendig?) macht, wie es auch bei SPIEGEL ÜNLINE der Fall ist. Die andere Zielsetzung 15 und inhaltliche Struktur als beim Printmedium zeigt sich auch hinsichtlich der UFO-Thematik: Während wir beim SPIEGEL ein fast völliges Versiegen der Berichterstattung zu konstatieren haben, finden wir im SPIEGEL ÜNLINE eine Fülle von Artikeln, die der von BILD fast entspricht: In den acht Jahrgängen 2000 bis 2007 erschienen 72 Beiträge zu diesem Themenkomplex. Auch inhaltlich gibt es starke Überschneidungen zu dem, was BILD bietet, wenn auch in einer etwas anderen Aufmachung. 16 Man findet das ganze Spektrum von Berichten über 13 Siehe dazu die Beiträge im entsprechenden Abschnitt des von Kai Lehmann und Michael Schetsche herausgegebenen Sammelbands "Die Google-Gesellschaft" (Lehmann und Schetsche 2005: 203-240); dort befindet sich auch ein Interview mit dem SPIEGEL-Journalisten Markus Deggerich (Lehmann 2005). 14 SPIEGEL ÜNLJNE verfügt über eine eigene Stamm-Redaktion, die unabhängig von der Redaktion des Printmagazins arbeitet und deren "Verzahnung mit der Magazin-Redaktion weitgehend dem Zufall überlassen" ist (Schwarz 2007). Die Seite hat sich als ein "Online-Leitmedium" in Deutschland etablieren können: Der Redaktionsleiter der "tagesschau.de", Jörg Sadrozinsky, äußerte in einem Gespräch zu den Online-Medien über SPIEGEL ÜNLJNE: "Für viele Leute ist diese Website das Maß aller Dinge" (Golz 2007). 15 Das betrifft vermutlich auch die Beurteilung des Zielpublikums: OnlineUser werden anders eingeschätzt als Printmedien-Leser- sie neigen etwa dazu, sich mehrere Meinungen zu einer Sache einzuholen und sind damit anders und in gewisser Hinsicht besser informiert. 16 Der Sensations- und Unterhaltungsaspekt dominiert nicht so stark wie bei BILD.
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UFO-Sichtungen, Pseudo-UFO-Sichtungen, 17 "UFO-Alarmen", Thesen zu historischen Ereignissen im Umfeld der UFO-Diskussion (z.B. zum Tunguska-Vorfall), Meldungen über neue Entwicklungen in der SETIForschung usw. Zwei weitere inhaltliche Schwerpunkte, die sich in der Berichterstattung zur UFO-Thematik in den letzten Jahren gebildet haben, sind zum einen die Veröffentlichung von bisher geheim gehaltenen staatlichen UFO-Akten, die teilweise per Gerichtsbeschluss erzwungen werden soll, teilweise aber auch selbsttätig von einigen Regierungen (z.B. Frankreich und England) vorgenommen wird, 18 und zum anderen die auf der Basis neuer astronomischer Erkenntnisse entflammten Diskussionen um die Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit intelligenten außerirdischen Lebens, die sich auch in neuen SETI-Projekten wie etwa der Inbetriebnahme des Allen Telescope Array (ATA) im Oktober 2007 niederschlagen.
2. Formen des Umgangs mit Themen aus dem Bereich der Anomalistik Ein zentraler Unterschied zwischen der Berichterstattung im SPIEGEL und in der BILD ist der journalistische Stil. Die Artikel des SPIEGEL waren bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre geprägt durch eine ungewöhnliche Homogenität und durch eine weitgehende Anonymität (sie waren nur vereinzelt namentlich gezeichnet). Erich Kuby berichtete in seiner Ana-
17 Unter Pseudo-UFO-Sichtungen sollen Sichtungsmeldungen verstanden werden, deren Ursachen schnell und unproblematisch aufgeklärt wurden bzw. von vornherein offensichtlich sind. Sie bekommen meistens als Kuriositäten Nachrichtenwert 18 Es liegt nahe, einen Zusammenhang zu dem seit den Anfang der 1990er Jahre stattfindenden fundamentalen Wandel in der globalen politischen Situation zu sehen, denn vormals gehörte die UFO-Thematik zum semantischen Cluster des Kalten Krieges, der Arbeit der Geheimdienste und der Militärs. Diese Tendenz zur Enthüllung von bisher Geheimgehaltenen meist im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der politischen Vergangenheit- treibt durchaus auch kuriose Blüten, etwa in einem BILD-Artikel mit der Schlagzeile .,KGB bespitzelt sogar Außerirdische. Russische Zeitungen enthüllen jetzt, wie Rote Armee und Geheimdienst jahrelang Jagd auf Ufos machten" (BILD vom 31.01.2004). Das öffentliche Interesse an diesen Vorgängen ist groß, wie die Breite der Presseberichterstattung, aber auch die Zugriffszahlen auf die entsprechenden Server zeigen, auf denen solche UFO-Akten einsehbar sind.
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lyse des Magazins anlässlich dessen 40jährigen Besteheus von einer völligen Selbstpreisgabe der Autoren als Bedingung für die Mitarbeit und damit auch von einem im vorauseilenden Gehorsam etablierten Mechanismus der Selbstzensur (Kuby 1987: 43-58). Eine solche Homogenität ließ sich auch für die Berichterstattung zu Themen aus dem Bereich der Anomalistik feststellen. Ein weiteres wichtiges Merkmal der Arbeit für den SPIEGEL ist die intensive Nutzung des berühmten Archivs: Beim Verfassen von Artikeln wird auf die archivierten Ergebnisse vorangegangener Recherchen und Artikel zurückgegriffen (ebd.: 23). In der BILD hingegen war der Stil der Beiträge stärker persönlich gefärbt. Auch im SPIEGEL ÜNLINE fehlt eine so ausgeprägte Homogenität. Zwar findet man nach wie vor Artikel im typischen SPIEGEL-Stil, doch gibt die redaktionelle Arbeitsweise (zwangsläufig) einer größeren Vielfalt von Stilformen Raum, und durch die unveränderte Übernahme von Texten aus Presseagenturen ist der Anteil neutraler, d.h. ohne wertenden Kommentar versehener Artikel auch zu Themen aus dem Bereich der Anomalistik höher, als dies beim SPIEGEL der Fall ist. Generell kann man drei Hauptformen des Umgangs mit Themen aus dem Bereich der Anomalistik feststellen: Entschärfung, Ambivalenz oder Beliebigkeit (Gleichgültigkeit). Die Letztgenannte findet sich hauptsächlich bei der BILD. Hier steht der Aspekt des Spektakulären und Sensationellen im Vordergrund. Der Bewertungsaspekt spielt im Großen und Ganzen eine geringe Rolle. Zwar finden sich durchaus immer wieder wertende und moralisierende Töne in (scheinbar?) engagierten Artikeln von Journalisten, die sich jedoch meist der allgemeinen Stimmungslage anpassen und von keiner durchgängigen einheitlichen eigenen Haltung geprägt sind. Die zu dem Zweck Sensationelles zu liefern, verwendeten Methoden der Spektakularisierung, wie etwa das Platzieren von inhaltlich irreführenden ,Köder-Informationen' in der Titelzeile, das ,Frisieren' von Fakten und die mystifizierende und reißerische Darstellung, sind typisch für die BILD-Berichterstattung und nicht spezifisch für Themen der Anomalistik, d.h. über außergewöhnliche Phänomene wird nicht anders berichtet als über andere spektakularisierbare Themen (vgl. Mayer 2004: 251-268). Während man also BILD mit dem Ausdruck Lieferantfür Sensationen charakterisieren kann, würde im anderen Fall die Beschreibung DER SPIEGEL als ,Aufklärer' passen. Vom SPIEGEL nämlich werden Themen aus dem Bereich der ,Grenzgebiete' hauptsächlich unter dem Aspekt der Bedrohung der Gesellschaft durch anti-aufklärerische Umtriebe und der Gefahr des Rückfalls in den ,Irrationalismus' wahrgenommen. Die Berichterstattung ist ganz unter dem Aspekt von Maßnahmen gegen solche Entwicklungen zu verstehen. Die Furcht vor dem Irrationalismus stellt
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einen durchgängigen Bestandteil der SPIEGEL-Berichterstattung über Themen aus dem Bereich der ,Grenzgebiete' dar: Zu jeder Zeit scheint die Welt von einer neuen Weile der Gegenaufklärung bedroht zu sein. Der Kampf des SPIEGEL gegen irrationale und oldmltistische Glaubensvorstellungen fand deshalb in vielen Bereichen statt: Er führte z.B. zum Skandal in den Niederlanden im Jahr 1956, als in einer Titelgeschichte über den Einfluss der Gesundbeterirr Greet Hofmans am Königshof berichtet worden war (DER SPIEGEL 24/1956). In einer Titelstory aus dem Jahr 1997 über die "Magie der Gefühle" (DER SPIEGEL 39/1997) wird vor der "archaischen Macht einfachster Gefühle" gewarnt: "Sind die globalen Herzensergießungen bedrohliche Vorzeichen eines neuen Irrationalismus?" Die Esoterik-Szene ("massive Anti-Aufklärung mit einer geradezu marodierenden Emotionalität") wird kritisiert und die Autoren ldagen: "Die Herrschaft selbstbewusster Vernunft lässt auf sich warten". Gefühle stehen synonym für deren Missbrauch durch Verführer, und das Fazit zu einer Titelgeschichte von 1987, die "Die Macht des Mondes" zum Thema hatte, zeigt deutlich eine Einstellung, die alles, was sich dem rationalistisch-materialistischen Verständnis entzieht, als Beleidigung des menschlichen Geistes empfindet: "Wir sollten uns an die Paradoxie gewöhnen, dass der Mond sehr wohl wirkt [... ], auf den Menschen aber keinen sonderlich großen Einfluss ausübt: Denn was von dem Erdtrabanten ausgeht, ist schließlich bloß ein Informationskomplex in dem gigantischen Ansturm, dem der Mensch in seiner natürlichen und erst recht in seiner künstlichen Umwelt ausgesetzt ist. Wenn er will, kann er den Mond wie eine große Trommel benutzen, um seine Rhythmen, die nun einmal das Grundprinzip des Lebens sind, in einem Takt von kosmischer Harmonie zu halten. Irgendeinen Takt braucht schließlich jeder, es kann aber auch ein ganz anderer sein. Denn es wäreja wirklich das Letzte, wenn der grüne Käse da oben irgend jemanden zu irgend etwas zwingen würde" 17/1987: "Hautnah wie ein Liebhaber"- Hervorhebung G.M.).
(DER SPIEGEL
Die SPIEGEL-Berichterstattung zu Themen aus dem Bereich der Anomalistik ist geprägt von den beiden erstgenannten Umgangsformen: Inhalte, die auf den ersten Blick beunruhigen, indem sie das rationalistischnaturwissenschaftliche Weltbild bedrohen, werden möglichst schnell und radikal entschärft. Manchmal ist auch eine ambivalente Haltung zu spüren, weil die Zielrichtung des Artikels nicht den Schwerpunkt rationalistischer Aufklärung hat, etwa wenn alternative Heilansätze der entmenschlichten Apparatemedizin entgegengesetzt werden. Die Bemühungen um Entschärfung sind von zwei Strategien getragen, einer modellbezogenen und einer kontextbezogenen. Bei der modellbezogenen Methode werden Fakten, die zu den jeweils gerade von den 120
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Mainstream-Wissenschaftlern anerkannten Erklärungsmodellen nicht mehr passen, uminterpretiert oder sie werden schlicht und einfach nicht mehr angeführt. So wird beispielsweise im Rahmen der weiter oben erwähnten großen Titelgeschichte aus dem Jahr 1978 "Spuk oder Wirklichkeit? I Die UFOs kommen" (DER SPIEGEL 17/1978) auf die Arbeit der in den 1960er Jahren eingesetzten wissenschaftlichen Untersuchungskommission zur Untersuchung des UFO-Phänomens nicht mehr eingegangen. Im Umgang mit den nicht aufgeklärten UFO-Meldungen wird in eigenartiger und an Selbstimmunisierung gemahnender Weise argumentiert: "Bei den restlichen zwei Prozent [nicht aufgeklärter UFO-Sichtungen G.M.]) waren die Angaben der Beobachter so mangelhaft oder widersprüchlich, dass ihnen nicht nachgegangen werden konnte". Um die Marginalität und Unwichtigkeit dieser 2% ungeklärter Fälle zu betonen, wird dieses Argument in eine Fußnote gerückt. 19 Die Vorverurteilung oder Disqualifizierung von am berichteten Geschehen beteiligten Personen stellt eine kontextbezogene Strategie der Entschärfung dar, die man als häufig augewandte Methode der SpiegelBerichterstattung im Kontext der Anomalistik feststellen kann. Solche Mittel werden meist offensichtlich, manchmal aber auch sehr subtil eingesetzt. Das Vorgehen ist so, dass im Umfeld einer Person (eines Wissenschaftlers oder Mediums) kritische Merkmale gesucht werden, die nichts mit den berichteten Inhalten aus dem Bereich der Grenzgebiete zu tun haben, jedoch generalisiert werden. In der Glosse (DER SPIEGEL 21/1994: "Liederliches Treiben") anlässtich der Veröffentlichung von John Macks Buch "Abduction" wird beispielsweise auf Äußerungen des Autors hingewiesen, die nichts mit der Sache an sich zu tun haben: dass er nämlich an Reinkarnation glaube und schon mehrere Male wiedergeboren sei. Die Glosse endet mit folgendem Spiegel-Kommentar: "Seine letzte Reinkarnation, darüber herrscht Einigkeit bei allen, die noch halbwegs bei Trost sind, wäre besser unterblieben". 20 19 Die modellbezogene Strategie der Entschärfung kann man gut am Beispiel der Berichterstattung zu den Themen Hypnose und Placebo-Effekt aufzeigen, wo sie besonders deutlich zutage tritt (vgl. Mayer 2003 und Mayer 2004: 215-229). 20 Was hier in einer vermeintlich witzigen Wendung die Glosse abschließen soll, ist bei genauer Betrachtung ein expliziter Todeswunsch, der kein gutes Licht auf die SPIEGEL-Redaktion wirft (die Glosse ist nicht mit einen Autorennamen versehen). Andersdenkende sind also unerwünscht in der Gruppe der Menschen, die nach der Auffassung des SPIEGEL "noch halbwegs bei Trost" sind, d.h. die die gleiche weltanschauliche Position wie der SPIEGEL vertreten, und sollten besser verschwinden.
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Auch das Mittel der spezifischen Bebilderung des Textes sowie einer entsprechenden Bilduntertitelung wird von SPIEGEL-Autoren genutzt, um einen falschen Kontext zu suggerieren und damit die Glaubwürdigkeit der fokussierten Person oder Sache zu schädigen. 21 Eine weitere Möglichkeit, die Seriosität der Protagonisten in einem Bericht in Frage zu stellen, ist die Unterstellung materieller oder sonstiger ,diesseitiger' Interessen. Lassen sich solche potenziell dem Geschehen zuordnen, dann genügt dies der SPIEGEL-Redaktion offenbar meistens, das Berichtete in einer bekannten Kategorie (z.B. Betrug aus niederen Motiven) verorten zu können. Selten fehlt deshalb in Berichten und bei Porträtierungen von Personen aus dem ,Feld' der Hinweis auf Honorare, Geldsummen und Verdienst. Er wird oft unscheinbar als Anhängsel zu einer einen anderen Gegenstand betreffenden Information platziert auch in Kontexten, in denen man es kaum vermuten würde. Als Beispiel sei ein Ausschnitt aus einer Magazingeschichte zum Stand der UFOForschung aus dem Jahr 1966 (DER SPIEGEL 17/1966) angeführt, in der auch über den ,ersten Abduktionsfall' von Barney und Betty Hill berichtet wird, die beide an einer Amnesie über einen Zeitraum von zwei Stunden litten: "Der Sostoner Psychiater Benjamin Sirnon füllte- zwei Jahre nach dem Vorfall und mittels Hypnose - die Bewusstseinslücke. Zutage traten: ein diskusförmiges Lichtobjekt, das den Wagen verfolgt habe, und ,humanoide Wesen', welche die Straße versperrten, das Paar in den Flugkörper entführten und dort zwei Stunden lang anatomisch untersuchten. Bisheriges Illustriertenhonorar für das Ehepaar Hill: 96.000 Mark". Diese letzte Information bleibt unkommentiert und isoliert von den anderen inhaltlichen Schwerpunkten. Es wird in diesem Artikel nicht weiter darauf eingegangen. Eine Bewertung findet indirekt statt, nämlich durch die Art und Weise, wie das an sich neutral berichtete Faktum in einen ganz bestimmten Kontext gestellt und dadurch Geldgier als Motiv suggeriert wird. So verhält es sich auch in der weiter oben zitierten Kritik an Allen Hynek aus dem Jahr 1973: "Daß amerikanische Zeitungsleser solche Erzählungen für glaubwürdig halten möchten, dafür sorgte ein schon bekannter Ufo-Anhänger, der einen Professoren-Titel trägt: der Astronom J. Allen Hynek [... ] Hynek, der in nützlichem Zusammentreffen mit der jüngsten Ufo-Welle soeben eine neues Buch (,The Ufo Experience') gestartet hat, ist Kennern der übersinnlichen Szene schon seit 1948 bekannt; damals drängelte er sich als , wissenschaftlicher Berater' in die Ufo-Untersuchungskommission der US-Luftwaffe" (DER SPIEGEL 4411973: "Mit Spitzohren "). 21 Beispiele dazu sind in Mayer 2003 und Mayer 2004: 229-234 nachzulesen.
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Neben dem Motiv geldgieriger Geschäftstüchtigkeit ("in nützlichem Zusammentreffen mit der jüngsten Ufo-Welle") werden implizit auch unberechtigte Titelführung und wissenschaftliche Unseriosität (Gänsefüßchen!) unterstellt, ohne dass man sich die Mühe gemacht hätte, eine dieser Unterstellungen mit Fakten zu stützen. Diese Formen der Argumentation erinnern stark an Texte, die von ideologischen Skeptikern verfasst werden. Bei der diachronen Analyse der SPIEGEL-Berichterstattung wurden verschiedentlich Ambivalenzen, allmähliche oder abrupte Wandel in der Bewertung und Argumentation bei einzelnen Themenbereichen festgestellt, an denen sich der Einfluss dieser Gruppe manchmal direkt nachweisen lässt, sei es als Referenzen in den Artikeln, sei es, dass sich ein Artikel direkt auf eine Veröffentlichung aus Skeptikerkreisen bezieht (Mayer 2003). 22 Deren Argumente wurden meistens unhinterfragt und unkritisch übernommen. Ein Beispiel für eine leichtfertige Übernahme von Meinungen ,skeptischer' Wissenschaftler, die als ,Wahrheit' verkauft werden, auch wenn sie sich in zentralen Aspekten widersprechen, betrifft die Berichterstattung zu dem obskuren Alien-Obduktionsfilm, der 1995 von verschiedenen Fernsehsendern ausgestrahlt worden war und angeblich die Untersuchung eines Alien-Leichnams durch amerikanische Militärs zeigt. Im Abstand von ca. einem halben Jahr veröffentlichte DER SPIEGEL zwei unterschiedliche Interpretationen dieses Videos (DER SPIEGEL 45/1995: "Elefant im Garten" und 17/1996: " Wie im Lehrbuch"). Im ersten Bericht mit dem Zweittitel "Die Wahrheit über den angeblichen Absturz eines Ufos bei Raswelt 1947" wird der Film als Fälschung charakterisiert. Mehrere Details würden eine solche Deutung nahe legen, so etwa ein Wandtelefon, das im Jahr 1947 noch nicht auf dem Markt gewesen sei, und der Sektionstisch, der sich nicht für Sektionen eignen würde. Im Fazit des als Experten angeführten Rechtsmediziners Eiseurnenger heißt es, es sei "kaum vorstellbar [... ] dass ,man bei einer Jahrtausend-Autopsie solche Dilettanten heranließe"'. Die zweite ,Wahrheit' steht in einem Artikel mit dem Titel " Wie im Lehrbuch" und wurde von dem Dermatologen Thomas Jansen verfasst. In dem Text heißt es, es handele sich beim Film keinesfalls um eine Fälschung mit Gummipuppe, wie die Skeptiker behaupten würden, sondern "die Wahrheit ist viel makabrer: Auf dem Seziertisch der Pathologen lag, wie ein Münchner Mediziner jetzt nach22 In der Titelgeschichte über UFOs von 1978 tauchen einige wichtige Skeptiker namentlich auf (Paul Kurtz, Sprague de Camp, Hoimar v. Ditfurth); die Gründung der CSICOP (1976) wird erwähnt und der Kampfruf von Sprague de Camp gegen die "Antiwissenschaft" ("Wir müssen der Hydra den Kopf abschlagen, wo immer wir können") wird zitiert.
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weist, ein erbkrankes Mädchen. ,Die circa 13jährige Tote hatte eindeutig Progerie, alles paßt zusammen' [... ] Progeriekranke altern mit rasanter Geschwindigkeit, schon als Kinder sehen sie wie Greise aus". Für Jansen, der seinen Indizienbeweis in der MÜNCHNER MEDIZINISCHEN WOCHENSCHRIFT veröffentlicht hatte, bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit seiner Hypothese. Zwar seien noch keine Hinweise über die gerrauen Umstände der Obduktion bekannt, jedoch stehe fest, "dass die Autopsie , fachmännisch durchgeführt wurde'." Diese Aussage steht in deutlichem Widerspruch zur Expertenmeinung des ersten Artikels. Das scheint die Spiegel-Redaktion nicht zu kümmern, wie es überhaupt erstaunlich ist, dass auf andere wichtige Fakten, etwa die Art des OP-Tisches oder die Wunde am Bein, überhaupt nicht eingegangen wird. Die identifizierende Übernahme der Position von Jansen ["die Wahrheit ist makabrer", "wie ein [... ] Mediziner jetzt nachweist"- Hervorhebungen G.M.], ohne auf anders lautende und durchaus gewichtige Argumente aus dem eigenen früheren Artikel einzugehen, legt die Vermutung nahe, es gehe vor allem um eine Darstellung des Sachverhalts, bei der ein angemessener Differenziertheitsgrad zugunsten einer vermeintlich schlüssigen und mögliche Widersprüche meidenden Argumentation geopfert wurde. Was man von Boulevardblättern und der Regenbogenpresse gewöhnt ist, nämlich eine reißerische und sensationsheischende Darstellung, findet sich verschiedentlich auch in der SPIEGEL-Berichterstattung. Häufig ist es die Bebilderung inklusive der Bildunterschriften, die das reißerische Element eines Artikel ausmacht. Als Eye-Catcher dienen auch plakative Titelbilder und simple Überschriften, die Inhalte mit einer bestimmten Stoßrichtung vortäuschen und etwas versprechen, was im eigentlichen Text nicht geboten wird. So verhält es sich bei der schon erwähnten UFO-Titelgeschichte aus dem Jahr 1978 (DER SPIEGEL 17I 1978): Auf dem Titelblatt befindet sich ein unscharfes Bild zweier anfliegenden UFOs im Gegenlicht. Die markante Titelzeile lautet viel versprechend: "Die UFOs kommen". In der Überschrift zur Magazingeschichte im Heftinneren hingegen steht: "So wurde die Weltöffentlichkeit getäuscht". Ein weiteres Beispiel: Im Lead einer Titelgeschichte über aktuelle astronomische Entdeckungen im Jahr 1999 (DER SPIEGEL 22/1999: "Oasen des Lebens im All") heißt es: "Mit Superteleskopen wollen die Planetenjäger nach Außerirdischen fahnden". Die Jagdmetapher entwirft Science-Fiction-Szenarios mit Aliens, während die Astronomen tatsächlich auf der Suche nach neuen Planeten und extraterrestrischen Lebensformen (Bakterien, Mikroben o.ä.) sind. Dieses Vorgehen entspricht genau den Methoden der BILD, die eine Nachricht zum gleichen Thema mit "Gezielte Suche nach Außerirdischen" (BILD vom 22.07 .1998) betitelte.
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Aber auch innerhalb der Artikel finden sich immer wieder reißensehe Formulierungen, die die berichteten Inhalte mit Ironie färben sollen, etwa in einer Titelstory aus dem Jahr 1996 über die Geschichte des Bösen bzw. des Teufels (DER SPIEGEL 52/1996: "Gott ist tot, Satan nicht"). Dort finden sich solche Sätze und Wortspiele: "Noch vor zehn Jahren verlängerte Papst Johannes Paul II. Satans Aufenthaltsgenehmigung", "Eva, eher schillemde Schlange denn willige Schlampe [... ]"oder "Hampelmänner, die sich Satanisten nennen, geifern nun nach dem Höllenfürsten, imitieren Hexensabbate und Schwarze Messen oder meucheln gar, wie Mickerling Charles Manson, in Teufels Namen." Zu den aktuellen Erscheinungsformen der Incubi und Succubi zählen für den Autor dabei auch Aliens: "in den USA gibt es schon ein(en) [Grammatik?] Gutachter namens Dr. John Made, der Entführten die Couch anbietet und darüber ein Buch verfasst hat; es heißt, leider, nicht ,Der Ufo-Hammer'."
3. Zusammenfassung und abschließende Überlegungen Mit den ,Überschriften': BILD - Lieferant für Sensationen und DER sind auch die beiden die massenmedialen Presseberichterstattung dominierenden Varianten der Behandlung des UFO/ Alien-Themenkomplexes angesprochen. Es wird ,aufgeklärt' und entschärft, oder aber spektakularisiert; dabei konnten modellbezogene und kontextbezogene Entschärfungsstrategien festgestellt werden. Während wir bei der BILD im Verlauf eine hohe Beliebigkeit in der Haltung zum UFO-Thema finden, das allein dem Zweck der Unterhaltung und des Spektakels untergeordnet wird, zeigt der SPIEGEL eine starke Tendenz zur vereinfachend-einseitigen Darstellung mit dem Zweck der Entschärfung. Beim SPIEGEL ONLINE ist aufgrund der größeren Heterogenität der journalistischen Arbeit eine weniger einheitliche Haltung als beim SPIEGEL festzustellen. Neben Artikeln im typischen SPIEGEL-Stil und -Tonfall finden sich viele neutral gehaltene Beiträge, die teilweise kaum bearbeitet, von großen Nachrichtenagenturen übernommen werden. Es lässt sich außerdem eine klare Entwicklung in der Berichterstattung zur UFO-Thematik nachweisen - und man kann den UFO-Wellen folgende die Berichterstattung prägende historische Ereignisse zuordnen: • Die erste Welle fiel in die Anfangsphase des Kalten Krieges. UFOs wurden häufig als Geheimwaffen der eigenen oder der feindlichen Streitkräfte interpretiert, Sichtungen stellten u.a. entdeckte Spionageflüge dar. SPIEGEL als ,Aufklärer'
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Die zweite und die dritte Welle standen im Zeichen der beginnenden Raumfahrt (erster Satellit: 1957) und der bemannten Raumfahrt im Vorfeld der ersten Mondlandung (Gemini-Flüge: 1965 und 1966, erste Mondlandung: 1969). Die vierte größere Thematisierung fiel in den Beginn der Esoterikund der New Age-Bewegung (und der Skeptiker-Bewegung) während der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Eine fünfte UFO-Welle ging mit dem Programm zur Erforschung extraterrestrischen Lebens (SETI), das 1992 gestartet worden war, mit der Entdeckung von Spuren bakterienähnlicher Lebewesen im Marsgestein (1996) und natürlich mit den oben genannten Anniversarien im Jahr 1997 einher. In der zweiten Hälfte des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts gewinnt das beinahe schon tot geglaubte bzw. von entsprechenden , UFO-Gruppen' künstlich am Leben gehaltene Thema neue Impulse durch die Veröffentlichung bisher geheim gehaltener UFO-Akten wie auch durch neue astronomische Anstrengungen (Allen Telescope Array) und Befunde (Entdeckung extrasolarer Planeten).
Folgende Anlässe für die Berichterstattung aus dem Themenfeld UFO lassen sich aufzählen: Echte UFO-Sichtungen (im ursprünglichen Sinn des Wortes,f 3 Pseudo-UFO-Sichtungen, Positionierungen von Wissenschaftlern oder Prominenten zur Existenz von UFOs/Aliens, und, in jüngerer Zeit, Regierungserklärungen und -aktivitäten (Archive, Forschungsprojekte) sowie historische Aufarbeitungen der Thematik (z.B. anlässlich Anniversarien). Die Presselandschaft hat sich im Laufe der 1990er Jahre stark gewandelt. Auch einer ,Institution' wie dem SPIEGEL ist ernstzunehmende Konkurrenz erwachsen (1993 kam das Nachrichtenmagazin Focus auf den Markt), was nicht ohne Auswirkung auf die Berichterstattung des Magazins blieb. 24 Vor allem aber stellt der ,Online-Journalismus' einen weiteren wichtigen Beitrag zur Veränderung auf dem Informationsmarkt
23 Vgl. dazu die Beiträge " UFO-Sichtungen. Ein Versuch der Erklärung äußerst menschlicher Erfahrungen" und "Vernünftiges Reden und technische Rationalität" in diesem Band. 24 Siehe dazu auch Mayer 2004: 247-250. Patrik Schwarz schreibt zur gegenwärtigen Krise des SPIEGEL: "Derzeit steckt das Magazin und sein Verlag in einer halben Modernisierung fest. Manchen Trend zur leichten Kost hat das Blatt mitgemacht, ohne dass das Ergebnis überzeugend war" (Schwarz 2007: 4).
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dar. Durch die schnelle und permanente Aktualisiemngsmöglichkeit sowie die leichte Verfugbarkeit der Informationen beschleunigt er den täglichen Informationsdurchsatz. Aufwendige Recherchen werden zum Luxus, eine intensive Nutzung vorgefertigter Nachrichten seitens der Presseagenturen eine Notwendigkeit. Damit bekommen diese Faktoren eine große Macht über die Zusammensetzung des täglichen ,Informationsmenüs', das überall ähnlich schmeckt. Man kann dies beispielsweise an der schon erwähnten erheblichen inhaltlichen Schnittmenge der Nachrichten zur UFO-Thematik in BILD und SPIEGEL 0NLINE erkennen. Die immense Rolle, die die Nachrichtenagenturen für die Presselandschaft spielen, kann gut an einer relativ jungen Entwicklung verdeutlicht werden, nämlich an dem verstärkten Aufkommen der hier so bezeichneten Pseudo-UFO-Sichtungen und der regelmäßig gemeldeten "UFOAlarme". Letztere stehen in Deutschland in direktem Zusammenhang mit der offensiven Öffentlichkeitsarbeit der CENAP (= Centrales Erforschungsnetz außergewöhnlicher Himmelsphänomene), deren Niederschlag man etwa seit Mitte des Jahres 2002 in der deutschen Presse-also auch in BILD und SPIEGEL ONLINE - findet: In regelmäßigen Abständen wird via Meldungen an Presseagenturen von "UFO-Alarmen" berichtet- von solchen, die stattgefunden haben und solchen, die zu erwarten sind (z.B. aufgmnd des in lauen Sommernächten zu erwartenden Aufkommens von Mini-Heißluftballans oder aber aufgmnd der temporären guten Sichtbarkeit eines Planeten am Horizont). Durch die massive Präsenz in den Medien25 wurde der Leiter der CENAP, Wemer Walter, schließlich zum "UFO-Experte(n)" und "erfahrene(n) Forscher" (SPIEGEL ONLINE vom 29 .12.2002), zu "Deutschlands größte(m) UFOSpezialist(en)" (BILD vom 13.02.2006) gemacht. Ohne an dieser Stelle auf die damit zusammenhängenden Problematik der Laienforschung einzugehen26 und eine inhaltliche Bewertung der Arbeit der CENAP vornehmen zu wollen, wird hier evident, wie bestimmte Personen bzw. Gruppen interessengeleitet Phänomene generieren und agenda setfing betreiben, um die Deutungshoheit für einen Phänomenbereich zu erlangen bzw. zu postulieren und ihn nach ihren Deutungsmustern zu kartographieren. Dies gelingt ihnen umso leichter, als ihre Deutungen der Phänomene mit dem naturwissenschaftlich dominierenden Weltbild
25 In der BILD wird der Experte Wemer Walter seit dem ersten Auftauchen seines Namens in ca. 23% aller Artikel zu diesem Themenkreis genannt, in
SPIEGEL ÜNLTNE ist dies in ca. 14% der Fall. 26 Zur "Problematik der Laienforschung" vgl. Schetsche 2004 und Hövelmann 2005.
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kompatibel sind und sich die Mainstream-Wissenschaften scheuen, sich diesem Themenfeld zuzuwenden. 27 Inwieweit dies so bleiben wird, ist nur schwer abzuschätzen. Die zwei schon erwähnten neuen inhaltlichen Schwerpunkte der massenmedialen Berichterstattung zum UFO/Alien-Komplex, nämlich die Veröffentlichung bisher geheim gehaltener staatlicher UFO-Akten sowie neue Entdeckungen und Erkenntnisse in der Astronomie, könnten Indikatoren für eine Veränderung sein. Der zweite Punkt ist dabei für die wissenschaftliche Community der weitaus gewichtigere: Die Frage nach der Möglichkeit außerirdischen Lebens blieb lange Zeit im Bereich hochspekulativer theoretischer Überlegungen, die auf der Basis von nur wenigen ausreichend fundierten astronomischen Parametern vorgenommen wurden. Seit einigen Jahren bietet sich hier ein verändertes Bild: Erste Planeten mit erdähnlichen atmosphärischen Bedingungen wurden entdeckt. Damit kommt den theoretischen Spekulationen eine neue Triftigkeit zu, die auch das Interesse von Wissenschaftlern in weniger marginalen Positionen und außerhalb der hochspezifischen Nischen zu wecken vermag. 28 27 Dass der von den meisten öffentlichen Medien akzeptierte Expertenstatus skeptisch-orientierter Untersucher bzw. Untersuchergruppen (wie Wemer Walter und die CENAP) ggf. auch funktionalisiert werden kann, ist als Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen. In dieser Lesart könnte man zumindest den in Walters Buch "UFOs- Die Wahrheit" publizierte Antwortbrief des Bundesamts flir Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) vom 14.11.1994 interpretieren, in dem es auf das "Amtshilfe-Ersuchen" von Walter bezüglich der Aufklärung der Lichterscheinungen über Greifswald am 24.08.1990 knapp (und sehr schwammig) heißt: "Wie unsere Recherchen ergaben, wurden an diesem Tage entsprechende Versuche [gemeint sind militärische Versuche mit Leuchtbomben-Zielen- G.M] durchgeführt. Ihre Beobachtungen und die dazugehörigen Erklärungen kann ich daher bestätigen" (Walter 1996: 126). Dem Autor liegen hingegen Kopien von Schreiben aus verschiedenen Ämtern der Bundeswehr vor, die ein völlig anderes Bild ergeben. Darin wird deutlich, dass es neben der offiziellen, wenig aussagekräftigen Stellungnahme intern völlig abweichende und differenzierte Positionierungen gibt, die die betreffenden Phänomene in ein ganz anderes Licht rücken. Über den medienwirksamen Multiplikator Werner Walter wird hier also offenbar ein irritierendes und möglicherweise beunruhigendes Ereignis zu entschärfen versucht, ohne dass die Pressestelle der Bundeswehr offiziell Position beziehen oder gar auf die Berichterstattung in den Massenmedien direkten Einfluss nehmen müsste. 28 In einem Artikel des SPIEGEL ÜNLTNE, in dem es um ein Rauking von Planeten geht, auf denen man am wahrscheinlichsten Leben vermuten kann, finden wir ganz in diesem Sinne den einleitenden Satz: "Durch die populä-
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Auch die SETI-Projekte gingen im Oktober 2007 mit der Inbetriebnahme des Allen Telescope Array in die nächste Runde. Im SPIEGEL ONLINE wird dazu der SETI-Astronom Seth Shostak zitiert: "Das Allen Telescope Array ist ungefähr so, als würden 200 Millionen Jodie Fosters ins All lauschen". Die neue technische Apparatur bedeute "eine exponentielle Zunahme für die Fähigkeit der Suche nach außerirdischen Signalen" (SPIEGEL ONLINE vom 12.10.2007: "Forscher starten neue Großfandung nach Aliens "). Möglicherweise erleben wir also gerade einen erneuten Wandel in der Einschätzung des UFO/Alien-Komplexes auf der Grundlage einer neuen Offenheit seitens der wissenschaftlichen Community. Was lange als verrückte These abgewertet wurde, die weder in das dominierende wissenschaftliche noch in das ideologische Weltbild passte, gewinnt nun auf der Basis empirischer Fakten eine neue Valenz. Mit der Entdeckung von erdähnlichen Planeten und Lebensspuren im All wird auch die Wahrscheinlichkeit von intelligenten extraterrestrischen Lebensformen als immer höher eingeschätzt. Das Überschreiten von bisherigen Grenzen menschlicher Wahrnehmungsmöglichkeit, das vom Gewinn interessanter empirischer Fakten begleitet wird, sensibilisiert im gleichen Zug den Blick für diese Grenzen und für die Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit. Wird die Wahrscheinlichkeit nicht-menschlicher Intelligenz jenseits religiöser Spekulationen erst einmal ernst genommen, dann liegt auch der Gedanke an Intelligenzausprägungen weit jenseits menschlichen Maßes nahe - mit all den Konsequenzen, die aus dieser Möglichkeit resultieren.29 Vielleicht wird damit der Faktor der Abwegigkeit, mit dem die UFO/Alien-Thematik traditionell versehen wird, um jenes Maß reduziert, das benötigt wird, um aus einer bizarren These einen wissenschaftlich akzeptierten und ernst zu nehmenden Untersuchungsgegenstand werden zu lassen. Dazu bedürfte es aber - zumindest temporär - einer stärkeren Trennung der derzeit noch weitgehend konfundierten Themenbereiche ,UFOs' (unidentifizierte Flugobjekte) und ,Aliens' (extraterrestrische Intelligenzen). Denn in der Einschätzung des erstgenannten Bereichs durch die Mainstream-Wissenschaft dürfte sich auch in jüngster Zeit kaum etwas geändert haben.
re Literatur spuken Außerirdische seit Urzeiten- durch die Köpfe der Wissenschaftler erst seit kurzem" (SPIEGEL ÜNLTNE vom 20.02.2006: "Forscher stellen die Top 10 der Alien-Planeten vor'). 29 Siehe dazu den Beitrag "Auge in Auge mit dem maximal Fremden?" in diesem Band.
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In den Massenmedien sind solche Unterscheidungsversuche allerdings bislang kaum sichtbar. 30 Die Unschärfe des Deutungsmusters ,UFO', das eben nicht zwingend ,Aliens' beinhalten muss, macht es flexibel und reizvoll. Unter ,UFO-Sichtung' können ganz unterschiedliche Erfahrungen subsumiert werden. Wenn man im alltäglichen Kontext über UFOs spricht, muss man sich üblicherweise nicht festlegen, und eine UFOSichtung macht nicht automatisch stark betroffen oder wird als existenzielle Bedrohung erlebt, da der Status des Wahrgenommenen nicht gerrau bestimmt werden kann. Die Distanz zum Menschlichen wird in der Regel als zu groß wahrgenommen und das Geschehen besitzt daher wenig Handlungsrelevanz. Mit dieser Unbestimmtheit lässt sich gut leichte Unterhaltung transportieren, die man augenzwinkernd als nicht ganz ernst zu nehmendes Thema am vorweihnachtlichen ,Kaminfeuer' gemeinsam mit Engeln und Geistern ("Sind wir nicht alleine?") serviert. Der potenzielle Pferdefuß dabei ist das Risiko einer weltanschaulichen Aufladung, die bei einer entsprechenden Zusammensetzung der Talkshowgäste zu unvorhersehbaren Reaktionen führen kann - bis hin zu dem zu Beginn berichteten TV-Eklat. Für die Presse gewann die Kombination von UFOThematik und Medien-Eklat eine besondere Attraktivität. Die ebenfalls am Anfang des Beitrags erwähnten Meldungen aus Japan beinhalten hingegen eine unzeitgemäße Position, wie man sie aus den 1950er und 1960er Jahren kennt: Die Alien-Thematik wird, wie häufig in den Massenmedien üblich, mit der UFO-Thematik verschmolzen, dies aber nicht durch entsprechende Interessensträger zu Unterhaltungszwecken, sondern von hochrangigen Politikern als durchaus ernst gemeinte Option. Solange daraus keine Konsequenzen auf Handlungsebene öffentlich bekannt werden, werden diese Meldungen als Kuriositäten bewertet und schnell vergessen werden können. Sie haben dann einen Stellenwert entsprechend der Meldung, dass sich das isländische Parlament vor dem Bau einer Straße das Gutachten eines Elfenbeauftragten einhole, damit der geplante Straßenbau keine derartigen Wesen stören möge. 31 Fremde Länder, fremde Sitten ...
30 Allerdings macht sich auch Werner Walter seit kurzem in einigen Artikeln, in denen die UFO-Meldestelle der CENAP in Mannheim porträtiert wird, für eine notwendigen Trennung der Alien-Frage und der UFO-Diskussion stark (z.B. im Artikel " Wenn unbekannte Flugobjekte gesichtet werden" in der LAUSTTZER RUNDSCHAU vom 29 .12.2007). 31 in der MÄRKISCHE ALLGEMEINE vom 22.12.2007 wird der Artikel so eingeleitet: "Offenbar ganz ohne Alkoholeinwirkung kam Japans Verteidigungsminister Shigeru Ishiba auf die Idee [ ... ]".
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Als Kuriosität und beliebter Gegenstand der Unterhaltungsindustrie unterliegt die Themenkonfiguration ,UFO'/,Alien' zwar gewissen Konjunkturen, doch hat sie sich als kulturelles Schema etabliert. Sie bietet eine Form für alle möglichen positiven und negativen Utopien, für Projektionen des Fremden und des das menschliche Maß in jeder Hinsicht Überschreitenden, für Verschwörungstheorien, Phantasmen des Schönen, des Hässlichen, für weltanschaulich-religiöse Entwürfe usw. Allein aus diesem Grund wird sie die Massenmedien nicht mehr verlassen. 32 Ob "UFOs in den Massenmedien" eine dauerhafte Karriere über diesen Aspekt hinaus machen werden, hängt stark von den Ergebnissen der jüngeren Entwicklungen in der astronomischen Forschung und vor allem des SETI-Programms ab. Und ob es aus einer wissenschaftlichen Perspektive jemals wieder zu so einer innigen Verbindung der beiden gemeinsam entstandenen Themen ,UFOs' und ,Aliens' kommen wird, wie es in der Aufbruchphase der irdischen Raumfahrt der Fall war, bleibt abzuwarten.
Literatur Bode, Volkhard/Kaiser, Gerhard ( 1995): Raketenspuren. Peenemünde 1936-1994, Berlin: Ch. Links. Golz, Sandra (2007): "Spiegel Online ist das Maß aller Dinge". Onlinequelle: http://www.medien-mittweida.de/aktuelles/artikel/ 1218 .html -Zugriff: 26.11.2007. Hövelmann, Gerd H. (2005): "Laienforschung und Wissenschaftsanspruch". Zeitschrift für Anomalistik, 5(1), S. 126-135. Keyhoe, Donald E. (1954a): Der Weltraum rückt uns näher, Berlin: Blanvalet. Keyhoe, Donald E. (1954b): Flying Saucers from Outer Space, London: Hutchinson. Kuby, Erich (1987): Der Spiegel im Spiegel, München: Heyne. Lehmann, Kai (2005): "Neuer Wein in neuen Schläuchen. 10 Jahre Online-Journalismus". Interview mit Markus Deggerich. In Kai Lehmann/Michael Schetsche (Hg.), Die Google-Gesellschaft, Bielefeld: transcript, S. 229-233. 32 Darüber hinaus erfüllen UFO-Sichtungen das Kriterium der Seltenheit. Das Sensationelle ist in der Regel das Seltene oder Singuläre, das Abweichende vom Alltäglichen und allseits Bekannten, weshalb sich solche Phänomene - vergleichbar mit der so genannten "Elusivität" oder "Beobachterscheu" paranormaler Phänomene - strukturell für sensationsorientierte Presseberichterstattung eignen.
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Lehmann, Kai/Schetsche, Michael (Hg.) (2005): Die Google-Gesellschaft. Vom digitalen Wandel des Wissens, Bielefeld: transcript. Mayer, Gerhard (2003): "Über Grenzen schreiben. Presseberichterstattung zu Themen aus dem Bereich der Anomalistik und der Grenzgebiete der Psychologie in den Printmedien Spiegel, Bild und Bild am Sonntag". Zeitschrift für Anomalistik, 3(1 ), S. 8-46. Mayer, Gerhard (2004): Phantome- Wunder- Sensationen. Das Übernatürliche als Thema der Presseberichterstattung, Sandhausen: Gesellschaft für Anomalistik. Schetsche, Michael (2004): "Zur Problematik der Laienforschung". Zeitschrift für Anomalistik, 4(1-3), S. 258-263. Schwarz, P. (2007): "Frau im Spiegel?" Die Zeit, 52, 4. Walter, Wemer (1996): UFOs. Die Wahrheit, Königswinter: Heel-Verlag. Wiechmann, Günter (2006): Peenemünde- Karlshagen 1937-1943. Die geheime Siedlung der Wissenschaftler, Techniker und Arbeiter, Frankfurt/Main: Peter Lang.
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UFO-SICHTUNGEN. EIN VERSUCH DER ERKLÄRUNG ÄUSSERST MENSCHLICH ER ERFAHRUNGEN lNA SCHMIED-KNITTEL UND EDGAR WUNDER
1. Einleitung Verfolgt man die zahlreichen Einträge in den Datenbanken ebenso zahlreicher UFO-Forschungsgruppen, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Beobachtungen rätselhafter Himmelserscheinungen gemeldet werden.1 Der Realitätsstatus dieser Sichtungserfahrungen ist äußerst umstritten - vor allem, wenn die Beobachtungen leuchtender, scheiben-, zigarren- oder tellerförmiger Flugobjekte von den Beobachtenden als Belege der Existenz oder gar einer Kontaktaufnahme extraterrestrischer Lebensformen interpretiert werden. Handelt es sich - auch weil es nun einmal keine eindeutigen Beweise in diese Richtung gibt - nicht eher um Sinnestäuschungen, um Fehlinterpretationen von Naturphänomenen, um phantasierende oder gar um wahrnehmungsgestörte, psychisch auffällige Beobachterinnen oder Beobachter? Mit diesem Beitrag wollen wir versuchen, dem Phänomen der UFOSichtungen bzw. ihren Beobachtern auf die Spur zu kommen. Dazu werden in einem ersten Schritt Überlegungen zur Häufigkeit des Phänomens und seiner empirischen Erfassung angestellt, bevor im zweiten Schritt entsprechende Augenzeugenberichte hinsichtlich wiederkehrender und als typisch anzusehender Inhalts- und Deutungsstrukturen beschrieben werden. Hier kann gezeigt werden, dass es sich bei den Sichtungen im Grunde genommen um recht unspektakuläre, wenngleich für die Beobachter und Beobachterinnen durchweg unerklärliche Erscheinungen handelt. Deren kontingenter Interpretationsspielraum fordert dabei nicht nur zur Wahl zwischen verschiedenen- auch "außergewöhnlichen" - Deu-
Vgl. für Deutschland z.B. die Sichtungsdatenbank http://www.ufodatenbank.de, in der Meldungen der Untersuchungsgruppen CENAP, DEOUFO e.V., GEP e.V. und MUFON-CES e.V. dokumentiert werden.
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tungsmöglichkeiten heraus, sondern zwingt die Sichter offensichtlich dazu, permanent die Evidenz und Realität des Erlebten zu versichern und regelmäßig den eigenen "Normalitätsstatus" herauszustellen. Dieser spezifischen Redeweise widmet sich der dritte Teil des Artikels. Er rekonstruiert und erklärt jene wiederkehrende rhetorischkommunikative Strategie in den Erlebnisberichten als "geschützte Kommunikation" (Schetsche/Schmied-Knittel 2003), als antizipierte Reaktion der UFO-Sichter auf mehr oder weniger schwerwiegende Stigmatisierungs- und Pathologisierungsprozesse, die auf jene - eigentlich ja recht trivialen - UFO-Erscheinungen bzw. -Deutungen regelmäßig zu folgen scheinen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob tatsächlich spezifische Persönlichkeitsmerkmale oder psychologische Charakteristika eine Rolle bei solchen Sichtungserfahrungen spielen und sich UFO-Sichter in dieser Hinsicht von anderen Menschen abheben. Jenem Aspekt geht der letzte Teil des Artikels nach.
2. Probleme der Interpretation von Sichtungsquoten Sowohl (repräsentative) Umfrageergebnisse als auch Fallsammlungen liefern Hinweise darauf, dass UFO-Sichtungen relativ häufig vorkommen, obwohl im internationalen Vergleich deutliche Unterschiede feststellbar sind. So beobachteten nach den Befunden etlicher USamerikanischer Untersuchungen ca. 10% der Gesamtbevölkerung, hochgerechnet also nicht weniger als etwa 25 Millionen US-Bürger, schon einmal ein UFO (vgl. im chronologischen Verlauf etwa die Umfrageergebnisse von Westrum 1979; Zimmer 1984; Saliba 1995). Im direkten Vergleich damit fällt die Sichtungsrate in der Bundesrepublik deutlich niedriger aus, wofür mehrere Gründe denkbar sind: Zum einen sind UFO-Sichtungen in urbanisierten Regionen (bezogen auf die Bevölkerungsdichte) seltener als im nicht-urbanisierten Raum (Westrum 1979: 108) - und in den USA ist der prozentuale Anteil nicht-urbanisierter Gebiete nun einmal wesentlich größer als in Deutschland. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass gerade in den Vereinigten Staaten der UFO-Diskurs in einem Ausmaß zu einem integralen Bestandteil der Kultur avancierte (man denke z.B. an "Roswell"), der in Deutschland keine Parallele fand (und wohl auch in Zukunft nicht finden wird). Insofern dürfte im direkten Vergleich mit den Vereinigten Staaten hierzulande sowohl die Wahrnehmungsquote als auch die Tabuschwelle in der Mitteilung von UFO-Erfahrungen signifikant herabgesetzt sein.
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Tatsächlich haben nach einer der wenigen repräsentativen deutschen Umfragen zu diesem Gegenstand nicht mehr als zwei bis drei Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung schon einmal ein UFO gesehen (SchmiedKnittel/Schetsche 2003: 28). Allerdings wurde damals die zugrunde liegende Frage nach eigenen UFO-Sichtungen nur denjenigen Personen gestellt, die sich überhaupt vorstellen konnten, dass es UFOs (im Sinne von außerirdischen Flugobjekten) gibt. Da dies (nur) von rund 25% der Stichprobe bejaht wurde, wurden folglich drei Viertel der Befragten gar nicht nach eigenen UFO-Erlebnissen befragt. Inwiefern dieses Ergebnis mit den für die USA ermittelten Sichtungsquoten sinnvoll vergleichbar ist, ist demnach ungewiss. Eher kann vermutet werden, dass der tatsächliche Prozentsatz in Deutschland etwas höher liegt. Bedauerlicherweise lassen auch die von engagierten UFO-Forschern und -Gruppen dokumentierten Fallsammlungen in der Regel kaum repräsentative Rückschlüsse auf nationale oder internationale Verbreitungsraten zu. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass in diesen Dokumentationen regelmäßig bestimmte Erlebnisse auf der Grundlage externer Verifikations- und Evaluationskriterien im Vorhinein ausgeschlossen werden. Damit in Zusammenhang stehende Differenzierungen nach beispielsweise "UFO", "IFO" oder "Hoax" (z.B. Herrdry 1979) oder aber "problematic", "good" oder "best" UFOs (ebd.) repräsentieren solche Klassifikationen, (de-)legitimieren aber zugleich immer auch die Zuverlässigkeit subjektiver Erlebnisse. Dies verweist auf ein weiteres, durchaus grundsätzliches Problem, namentlich die Mehrdeutigkeit der Kategorie "UFO" bzw. "UFO-Sichtung". Allein lebensweltlich - dies lässt sich an entsprechenden Augenzeugenberichten zeigen - wird darunter nämlich recht Unterschiedliches verstanden: So beziehen sich UFO-Berichte entweder auf Beobachtungen unerklärter Himmelserscheinungen im Sinne der ursprünglichen (militärischen und/oder astronomischen) Bedeutung als "unidentifiziertes Flugobjekt"; oder aber diese Erscheinungen werden (z.B. als Raumschiff außerirdischer Herkunft) mit einem über den an sich wertfreien UFOBegriff hinausgehenden Be-Deutungsüberschuss versehen. Dies hat natürlich Auswirkungen auf die empirische Erhebung entsprechender Sichtungserfahrungen. Stimmt beispielsweise ein Befragter in einer Umfrage einer Aussage wie z.B. "Ich habe schon einmal ein UFO gesehen" zu, bleibt letztlich unklar, was die Befragten mit "ihrem UFO" gemeint haben: Ist damit eine UFO-Sichtungserfahrung im Sinne der ursprünglichen Definition ("unidentifiziertes Flugobjekt") erfasst? Oder meinte der Begriff "außerirdisches Raumschiff' (denn auch diese Konnotation hat der Terminus "UFO" für nicht wenige Menschen)? Da im populären Diskurs der UFO-Begriff zudem auch noch mit ganz be-
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stimmten Formen und Gestalten einer Erscheinung assoziiert wird - am bekanntesten ist wohl das Stereotyp der "fliegenden Untertasse" (vgl. Sirnon 1984: 365) -, ist sogar in dieser Hinsicht noch mit selektivem Antwortverhalten zu rechnen. Letztlich hat, wie an anderer Stelle gezeigt wurde (Wunder 2006), keine einzige der bekannten Studien das hier angedeutete Problem wirklich zufrieden stellend gelöst, und es bleibt zumeist unklar, in welchem Sinne die UFO-Sichtungen gedeutet wurden. Durchaus anzunehmen ist, dass dieses Verständnis je nach Kontext und befragter Gruppe sehr unterschiedlich ausfällt, womit Zweifel in Bezug auf die Validität und die Vergleichbarkeit der Ergebnisse der meisten Studien angebracht scheinen. Ungeachtet der Frage nach den tatsächlichen Hintergründen von UFO-Sichtungen oder dem Problem der individuellen Einordnungsversuche solcher Erfahrungen im Sinne heterodoxer, konventioneller oder ambiguitätstoleranter Deutungsmuster (vgl. dazu Wunder 2004; Wunder 2006: 167 f.), wollen wir zunächst die Struktur solcher Sichtungserfahrungen rekonstruieren. Jenes Interesse verdeutlicht zugleich unser Anliegen, die Untersuchungsperspektive nicht auf die "Natur" des (beobachteten) UFO-Phänomens als solchem zu lenken, sondern auf die zugrunde liegenden menschlichen Erfahrungen und ihre Erfahrungsträger. Entsprechend bildet die empirische Basis Erlebnisschilderungen von Personen, die schon einmal ein UFO gesehen haben, konkret die persönlichen Auskunftsberichte, die im Rahmen der oben erwähnten Umfrage des IGPP (Schmied-Knittel/Schetsche 2003) eingeholt wurden.
3. Phänomenologie 3.1 Triviale Motive? Wie erwähnt, ermittelte diese repräsentative Umfrage unter erwachsenen Bundesbürgern zunächst knapp 3 Prozent, die glaubten, schon einmal ein UFO gesehen zu haben. Im Rahmen einer qualitativen Nachbefragung, für die etliche Befragte ihr Einverständnis gegeben hatten, wurden dann noch einmal 15 ausführlichere Interviews geführt, bei denen einige UFOSichter von ihren Erlebnissen berichteten (Schmied-Knittel2003). 2
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Von insgesamt 44 Personen mit UFO-Sichtungserlebnissen gaben 24 ihr Einverständnis zu einer Nachbefragung; 15 Interviews wurden schließlich realisiert. (Zu Erhebungs- und Auswertungsfragen dieser Umfrage vgl.
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Bei der Auswertung dieser Interviews ließen sich zunächst etliche inhaltliche und strukturelle Elemente feststellen, die in abgewandelter Form in allen Sichtungsberichten wiederkehrten. 3 Zumeist wurden Licht- und Leuchterseheirrungen thematisiert, ebenso wie Farben, Formen, Körper und deren Bewegungen. Fast durchweg berichteten die Erzähler und Erzählerinnen jedoch von relativ unspezifischen Licht- und Leuchterseheirrungen am nächtlichen Himmel. 4 Überhaupt blieb es in fast allen Fällen bei ausschließlich visuellen Wahrnehmungen, das heißt auffällig "trivialen" Lichterscheinungen. Nur in einem Fall war die eigentliche Sichtungserfahrung mit einem Bericht über andere ungewöhnliche Phänomene verbunden (konkret Bodenspuren, die als mögliche Wechselwirkungen zwischen einem UFO und der Umgebung interpretiert wurden). 5 Keiner der Erzählerinnen und Erzähler erwähnte Begegnungen mit außerirdischen Lebensformen (also sog. UFO-Kontakte oder UFO-Entführungen).
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Schmied-Knittel/Schetsche 2003; zur detaillierten Beschreibung der UFOStichprobe vgl. Schmied-Knittel 2003). Dennoch glich in all den Erzählungen keine Sichtung der anderen: Offensichtlich wurden jedes Mal andere Phänomene beobachtet. So berichtete schon ein einzelner Befragter von zwei unterschiedlichen Beobachtungen. Dabei handelte es sich beim ersten Mal um einen mit hoher Geschwindigkeit fliegenden, sich unruhig nach oben und unten bewegenden Körper in Form eines Tellers; eine zwei Jahre später beobachtete Erscheinung hatte hingegen die Form einer großen Birne, die durchsichtig und heller werdend in der Luft schwebte, bevor sie sich auflöste. Wir verwenden hier zumeist die Bezeichnung "Erzähler" bzw. "Erzählerin" und lehnen uns damit an Rarendarskis (2003) semiotische Untersuchung zu UFO-Entführungserzählungen an. Im Unterschied zu Tatsachen- bzw. Erlebnisberichten besteht der analytische V orteil der Kategorie "Erzählung" vor allem darin, dass damit nicht von vomherein die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Berichteten mitschwingt. Erzählungen werden vielmehr als narrative Erinnerungen betrachtet, in denen Deutung und Erlebtes verschmelzen; wobei sich aber nicht unbedingt eine "andere" Realität manifestieren muss. Tatsächlich stellt diese Erzählung thematisch einen Sonderfall dar. Anders als bei den genannten Fällen beschrieb die Erzählerin keine eigentliche Himmelsbeobachtung, sondern die artifiziellen Spuren einer (möglichen) UFO-Landung in ihrem Vorgarten. In der Gesamtheit der dokumentierten UFO-Fälle sind solche Beschreibungen über andere ungewöhnliche Phänomene, wie z.B. Bodenspuren, jedoch bekannt und nicht selten interpretieren die Sichter diese als direkte Wechselwirkung zwischen UFOs bzw. Aliens und Umgebung.
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Gleichwohl konnten gewisse Spezifika festgestellt werden. Quasi als "Minimaltypus" kristallisierte sich eine erste Gruppe von Erzählungen heraus, die hinsichtlich der inhaltlichen Beschreibung der UFO-Sichtung spärlich, knapp und wenig detailliert ausfielen. Meist handelte es sich bei den geschilderten Beobachtungen, die von den Erzählern in der Regel nachts bzw. am dunklen Himmel gemacht wurden, um nicht mehr als unspezifische Lichter - bestenfalls unter Erwähnung von gleichzeitig beobachteten Bewegungen dieser Leuchterscheinungen, wie etwa im folgenden Beispiel: "Das passiert hier eigentlich ständig oder immer, also öfters. Wir wohnen hier so'n bisscheu ländlich, also in der Nähe von D., 'n bisscheu ländlich aber. Und dann sind da eben so Lichter überm Feld, die sich kreisen. Also ich bin nicht die Einzige, die das sieht. Mein Mann sieht das auch und andere Leute auch. Und man liest nie was da drüber, was es is. Es kann keine Disco-LightGeschichte sein, wissen Sie, dieses komische Laserstrahlzeug da, weil da ist keine Disco. Und wir wissen nicht, was das is! Und das bewegt sich, das sind Lichter, die sind da und kreisen da rum, keine Ahnung" [weiblich, 39 Jahre]. Dass bestimmte lebensräumliche oder infrastrukturelle Besonderheiten der Wohngegend, wie beispielsweise einsame, ländliche Gegenden, die (un-)mittelbare Nähe zu Flughäfen oder die Lage der Wohnung (z.B. Hochhaus mit Aussicht) berichtet wurden, scheint in Zusammenhang mit den relativ hohen W ahmehmungsfrequenzen dieser Sichter zu stehen: Im Unterschied zu den restlichen Befragten gaben die Erzählerinnen und Erzähler dieser Gruppe an, mehrfach und wiederholt solche Erlebnisse gehabt zu haben. Von diesen unspezifischen Fällen unterschieden sich solche Erzählungen, denen jeweils eine singuläre UFO-Sichtung mit relativ hoher W ahmehmungsintensität zugrunde lag. Diese zweite Gruppe bildete sozusagen den "Maximaltyp", und tatsächlich stachen ihre Berichte gegenüber der zuerst erwähnten Gruppe sowohl hinsichtlich ihrer inhaltlichen als auch narrativen Detailliertheit hervor. Im Mittelpunkt dieser Erzählungen standjeweils die relativ detaillierte Schilderung einer UFO-Sichtung, die zugleich immer in eine ausführliche "Geschichte" eingebunden wurde, welche sowohl die situativen Umstände des Geschehens als auch weiter gehende Reflexionen bezüglich einer als wirklich außergewöhnlich charakterisierten Beobachtung enthielt. Auch fiel (in Kontrast zu den minimalistischen Erzählungen) die Prozesshaftigkeit der eigentlichen UFO-Sichtung sehr viel deutlicher aus. Diese bestand typischerweise aus (a) dem plötzlichen Auftauchen (bzw. Gewahrwerden) der Erscheinung- üblicherweise eingebettet in irgendeine Alltagshandlung der Erlebenden -, (b) der kurzen Präsenz dieser 138
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"Erscheinung" sowie (c) ihrem meist ebenso plötzlichen Verschwinden. Ein Beispiel: "Ich war in Chile und es war 'ne klare Nacht, es war so bestimmt halb zwölf in der Nacht. Und wir ham also zwei Häuser weiter von meiner Oma gewohnt, und da musste ich irgendwas abgeben. Da bin ich da kurz geblieben, dann musste ich zurück nach Hause, weil es war sehr spät. Es war in den Sommerferien, eine klare Nacht. Und da war niemand auf der Straße, und da lief ich zu mir nach Hause, das sind bestimmt zwanzig Meter gewesen oder fünfzig Meter, und da bleib ich mitten auf der Straße stehen, weil ein komisches Licht ist mir aufgefallen im Himmel. Und es war so ein ... (stockt) -- eine Art-- so wie eine Riesenkugel, so wie wenn man zum Beispiel so fünfzehn oder zwanzig Meter einen Strandball hochwirft, so die Größe ungefähr. Und es kam mir sehr nah vor. Es war ganz bunt, hatte viele Lichter in allen möglichen Farben, und da plötzlich war es rot, und dann wieder die ganzen Farben, und die haben sich angefangen sich zu drehen. Und da wurde es größer, also in meine Richtung größer. Ich hab's ganz groß gesehen und ich hab wirklich solche Angst gekriegt, und da hat es angefangen, sich zu drehen, und dann plötzlich, also wirklich schnell, so schnell hat sich gedreht und gleichzeitig langsam kleiner geworden[ ... ] wahrscheinlich hat sich's da entfernt, weil es hat sich so dermaßen gedreht, dass die ganzen bunten Lichter verschwunden waren. Und es war nur noch weiß, grellweiß und hat sich gedreht und gedreht, bis es nicht mehr zu sehen war. Es ist immer kleiner geworden. Je schneller es sich gedreht hat, desto kleiner ist es geworden" [weiblich, 30 Jahre, ursprünglich aus Chile]. Wie in diesem Beispiel, endeten fast sämtliche Erzählungen dieses Typs nicht nur damit, dass die- immerhin zumeist Jahre zurückliegenden Erfahrungen(!)- von den Erlebenden auf Dauer als sehr "ungewöhnlich", "ziemlich komisch" oder "sehr eigenartig" herausgestellt wurden, sondern sie enthielten immer auch mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, abschließend die Ursache der Wahrnehmung zu erklären. Nur in Ausnahmefällen rekurrierten die Augenzeugen dabei jedoch auf "außergewöhnliche" Deutungen im engeren Sinne.
3.2 Banale Deutungen? Generell fanden solche Erklärungsversuche ihren Ausdruck in emer Narrationsstruktur, die sich als interpretatives Ausschlussverfahren charakterisieren lässt. Dabei verbalisierten fast alle Erzählerinnen und Erzähler zunächst Hypothesen im Sinne denkbarer bzw. nahe liegender "natürlicher" Erklärungsmöglichkeiten und wogen diese Alternativerklärungen jeweils kritisch gegeneinander ab - um dann doch das Meiste wieder zu verwerfen. So blieben, als die für die Beobachter plausibelste 139
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Lesart, am Ende schließlich entweder die Betonung der Un- bzw. Nichterklärbarkeit der Sichtung im Sinne eines anomalen Phänomens (d.h. UFO im ursprünglichen "unerklärlichen" Sinne) oder eine recht unspezifische "UFO-/Alien-These" übrig (vgl. Wunder 2004). Stellvertretend für diese unmittelbar an Deutungsakte gekoppelten Schilderungen sei hier noch einmal die eingangs zitierte Interviewpartnerin erwähnt, die von mehrfach beobachteten, eigenartigen Licht- und Himmelserscheinungen berichtete. Ausgehend von der Beschaffenheit dieser Phänomene ("so Lichter überm Feld, die sich kreisen"), erwähnte sie zunächst als für sie nahe liegende Überlegung die Möglichkeit von Laserstrahlen einer Diskothek; verwarf dies allerdings insofern gleich wieder, da es in unmittelbarer Nähe keine solche Diskothek gibt. Neben Augenzeugen und weiteren (unabhängigen) Beobachtern ("Also ich bin nicht die einzige, die das sieht. Mein Mann sieht das auch und andere Leute auch.") erwähnte die Erzählerirr zudem ihre Verwunderung, keine entsprechenden Nachrichten in der Presse gefunden zu haben. Dieser Umstand ließ sie jedoch nicht an der Evidenz und Deutung ihrer Wahrnehmung zweifeln, sondern plausibilisierte (und immunisierte) ihre - im Rahmen eines spezifischen Verschwörungsmusters und durch bestimmte Medienformate geförderte- Vorstellung von außerirdischen UFOs, deren Existenz im Rahmen konspirativer Absprachen vermeintlich absichtlich geheim gehalten würde: "Und man hört da nix drüber, und ich denk mir immer, solche Sachen würden wahrscheinlich auch totgeschwiegen werden, wenn es wirklich was wäre. Also die würden wir nich so erfahren. Wenn tatsächlich da was is." 6 Auch die folgende Erzählung lässt die Erklärungs- und Plausibilisierungsversuche der UFO-Sichterin deutlich hervortreten. So reflektierte die weiter vorne zitierte Erzählerirr ihre in Chile gemachte Beobachtung folgendermaßen: "[ ... ] Ich dachte, Flugzeug, nee nee, das war ziemlich bunt, Flugzeug nicht. Oder-- nee, das war ziemlich komisch, also so was hab ich nie wieder gesehen. Davor und danach nie gesehen und ich glaub, ich werd das auch nie wieder sehen, weil das ist wirklich... es war sehr eigenartig. Und da hab ich überlegt, ein Satellit, aber so was macht 'n Satellit nicht. Ich hab immer mich dann gefragt, was gibt's überhaupt im Himmel, was sich so bewegen kann, dann ja, das aus6
ln einerneueren Umfrage zum UFO-Glauben (in Österreich) stieß die Untersuchergruppe auf eine "herrliche Inkonsistenz: Das Misstrauen gegenüber Regierungen ist offenbar so groß, dass man ein Zurückhalten von UFO-Informationen eher für möglich hält, als dass UFOs überhaupt existieren" (Ponocny et al. 2002: 5).
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UFO-SICHTUNGEN zureden, dass es ein UFO war, weil es hätte was anderes sein können, aber ein Flugzeug dreht sich nicht dermaßen schnell, weil die Lichter, die einzelnen Lichter nicht mehr erkennt, nicht mehr die Farbe, es war nur weiß und grellweiß, das war viel zu schnell." Wie in den meisten anderen Fällen verwarf auch diese Beobachterin technische und astronomische Hypothesen (Flugzeuge, Satelliten, Sternschnuppen, Kometen etc.) und gelangte schließlich zu einer Einschätzung, bei der das lebensweltlich weithin bekannte UFO-Muster noch am ehesten zur Einordnung der eigenen - eben nicht anders erklärbaren Sichtungserfahrung geeignet schien. Die Rolle öffentlicher Diskurse, insbesondere der Einfluss medialer Darstellungen, können als eine Ursache für die gesellschaftliche Etablierung dieses weit verbreiteten Deutungsmusters erachtet werden. Talkshows und Spielfilme, TV -Serien und Zeitschriftenartikel sind jedenfalls ein nicht unwesentlicher Multiplikator für die Bekanntheit und Popularität des UFO-Musters, das durch diese Verbreitung- sei es nun in fiktiver oder dokumentarischer Form - eine "Quasi-Realität" erhält. Diese medialen Darstellungen führen nämlich nicht nur zur Diffundierung entsprechender Bilder, Vorstellungen und Wissensbestände und insofern zu einer zumindest kulturellen Faktizität von UFOs. Sondern sie erschweren zugleich immer auch die Realitätskontrolle der Rezipienten hinsichtlich einer häufig akategorialen, das heißt nicht mehr eindeutigen Unterscheidungs-"Logik", die die "Realität" von UFOs in ein hybrides Vorstellbarkeits- und Möglichkeitsfeld zwischen (reiner) Fiktionalität und (reiner) Faktionalität verschwimmen lässt. Schlussendlich muss auch der Umstand angeführt werden, dass das UFO-Muster durchaus mit wissenschaftlich anerkannten (Welt-)Deutungen korrespondiert, konkret im Sinne eines "heute wissenschaftlich anerkannten Bild[es] von der Stellung des Menschen im Kosmos" (Schetsche 1997: 271 ). Tatsächlich ist die Frage nach außerirdischem Leben heute keinesfalls nur mehr Sache der Science-Fiction, sondern beschäftigt Wissenschaftler in aller Welt. 7 Insbesondere astronomische Beobachtungen und astrobiologische Theorien bilden so eine zumindest partielle ideelle Grundlage des "außerirdischen" UFO-Musters, das deshalb gar nicht so "absonderlich" ist, wie es zumindest auf den ersten Blick vielleicht scheint.
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Vgl. hierzu den Beitrag "SETI. Die wissenschaftliche Suche nach außerirdischer Intelligenz im Spannungsfeld divergierender Wirklichkeitskonzepte" in diesem Band.
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Besonders diese wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden so oder ähnlich in nicht wenigen UFO-Erzählungen aufgegriffen und die eigene Sichtung quasi im Rahmen philosophischer Fragestellungen reflektiert: "Ein interessantes Thema ist immer die letztere Frage da, mit den UFOs und so weiter. Also darüber könnte man sich, man könnt sich immer wieder darüber unterhalten, nicht? [... ] Viele glauben ja gar nicht... viele sagen: ,Ach, was soll ich denn damit!" und so was alles. "Nee! Weltall interessiert mich nicht." Aber ich finde, da sind die Menschen -- wie nennt man das? Primiti ... oder naiv oder primitiv oder weiß nicht, wie man das sagt, ne? Man denkt dann ach! Die sind ... man wär die einzigen hier, nicht? Aber das glaub ich nicht" [männlich, 28 Jahre]. Oder auch rationalisiert: "Ich ... also wir ham noch nie außer zu diesem Zeitpunkt irgendetwas gesehn oder so, aber ich bilde mir nicht ein, dass wir allein hier auf unserm Erdenball, im Weltall leben, also ich kann mir vorstelln, dass es irgendwelche Planeten gibt, wo die Lebensbedingungen genauso sind wie auf der Erde, warum soll's das nicht geben?" [weiblich, 60 Jahre] Die Beispiele verdeutlichen noch einmal, wie die Berichterstatter bei der kognitiven Bewältigung ihrer UFO-Erfahrung an bekannte und verfestigte soziale Deutungsmuster anlmüpfen. Hier spielt primär die Einbettung wissenschaftlichen Wissens eine Rolle, das als ideelle Stütze häufig mehr zur Erklärung und/oder Verfestigung der UFO-Deutung beiträgt als individuell-weltanschauliche (Vor-)Einstellungen der Sichter und Sichterinnen. Tatsächlich rekurrierten nur einige wenige Erzähler unseres Sampies auf ihre besondere Affinität zu paranormalen Themen im Allgemeinen und höchst selten auf einen ausgedehnten "UFO-Glauben" im Speziellen. Wenn dies der Fall war, handelt es sich allerdings um die (seltenen) Fälle, bei denen die UFO-Sichter noch am ehesten auf eine paranormale (sprich außerirdische) Qualität der beobachteten Himmelserscheinung insistierten. Dass sie damit in deutlichen Widerspruch zur traditionell wissenschaftlichen Einschätzungen der UFO-Thematik treten, die den Wirklichkeitsstatus solcher Erfahrungen zumeist generell in Frage stellen, scheint ihnen bewusst zu sein. Denn regelmäßig finden sich (nicht nur in diesen Berichten) bestimmte "Verteidigungsmaßnahmen" der Erzähler, denen wir uns im folgenden Abschnitt zuwenden.
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3.3 "Geschützte Rede" Dass das UFO-Thema und dazugehörige Vorstellungen Bestandteile des gesellschaftlichen Wissensvorrats und der populären Kultur sind, ermöglicht nicht automatisch eine unproblematische Verständigung mit der sozialen Umwelt. Dies ist vor allem dann nicht der Fall, wenn es darum geht, eine eigene UFO-Erfahrung gegenüber Dritten zu kommunizieren. Dann nämlich, so lässt sich feststellen, haftet den UFO-Erzählungen jeweils etwas auffällig Zurückhaltendes, ja fast Entschuldigendes an; etwa wenn die Interviewten wiederholt die Glaubwürdigkeit sowohl ihrer Beobachtungen als auch ihrer eigenen Person herausstellen. 8 Dies hat in spezifischer Weise Einfluss auf die Erzählstruktur der Erlebnisberichte und äußert sich, wie Schetsche/Schmied-Knittel (2003: 180 ff.) feststellen, empirisch in einer Art abgesichertem Sprachmodus, den sie "geschützte Kommunikation" nennen. In diesem Zusammenhang können in UFO-Berichten insbesondere drei narrative Vorsichtsmaßnahmen festgestellt werden, auf die die Erzählenden regelmäßig und gleichsam automatisch zurückgreifen (vgl. Schmied-Knittel 2003: 162166): 1. Die Betonung der eigenen "Normalität": Quasi in Vorwegnahme alternativer Erklärungen und/oder antizipierter Zuschreibungen versicherten alle Befragten, zum Zeitpunkt der Beobachtung bei ungetrübtem Bewusstsein ("nüchtern", "wach" etc.) gewesen und auch ansonsten keinesfalls "verrückt" zu sein. Wiederholt eingeflochten, dienten diese "Normalitätsbeteuerungen" vor allem dazu, die eigene Beobachtung gegen die Annahme von W ahmehmungsstörungen zu immunisieren und natürlich sich selbst von "Spinnern" oder leichtgläubigen Zeitgenossen abzugrenzen. 9 2. Eine argumentative Ausschlusslogik: Wie beschrieben, signalisieren jeweils unmittelbar an die Schilderung der Sichtung gekoppelte Deutungsakte dem Gegenüber, dass man zur UFO-Deutung "nur" ge-
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Ein Beispiel: "Wissen Sie, abergläubisch bin ich sowieso net. Es gibt ja Leute, die Halluzinationen haben und Dinge sehen, die es nicht gibt. Und das ist bei mir net der Fall, da bin ich zu realistisch" [weiblich, 65 Jahre]. In einem ähnlich funktionalen Kontext stehen auch die überexakten Schilderungen alltäglicher Situationen, in welche die Erzählung über die eigentliche UFO-Sichtung regelmäßig eingebettet wurde. Es kann vermutet werden, dass mit der Darstellung eigentlich nebensächlicher Details das ungetrübte ("gesunde") Erinnerungsvermögen der Beobachter demonstriert werden soll.
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langte, weil alle anderen in Betracht gezogenen "natürlichen" Erklärungen aufgrund Plausibilitätsmangels ausgeschlossen werden mussten. 3. Die Herstellung von Intersubjektivität Regelmäßig wurden durch die Erzähler zudem Personen erwähnt, die (als direkte Augenzeugen) sowohl das Sichtungserlebnis selbst, als auch (als unabhängige Dritte) die "seelische Gesundheit" des Berichterstatters bestätigen könn(t)en. Ähnlich dienten auch Verweise auf andere Personen, die identische Beobachtungen berichten sowie die Benennung (quasi-) wissenschaftlicher Experten, die UFO-Erscheinungen für möglich halten, zur "Normalisierung" der eigenen Erfahrung. Dass von den Betroffenen über ihre UFO-Sichtungen in dieser bemerkenswert vorsichtigen Weise gesprochen wird, mag angesichts einer eher zunehmenden ,Normalisierung' des Themas auf den ersten Blick erstaunen: So können erstens die entsprechenden Erfahrungen in einem lebensweltlich-biografischen Sinne nicht unbedingt als ein außergewöhnliches Gesprächsthema, sondern als recht bekannter Topos betrachtet werden. Allein die Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung solche Erfahrungen kennt - sei es aus mündlichen Überlieferungen, aus den Medien oder sogar als subjektiv erfahrene Erlebnisse-, macht UFOs zu einem "normalen" Ausschnitt des menschlichen Erfahrungs-, Wissens- und natürlich auch Kommunikationsspektrums. Zudem stehen, wie zahlreiche Umfragen zeigen, die Menschen dem "Übersinnlichen" im Allgemeinen und dem UFO-Thema im Speziellen recht aufgeschlossen gegenüber. Dafür spricht nicht nur das relativ hohe Vorkommen eigener Erlebnisse in diesem Bereich, 10 sondern auch, dass das Interesse, die generelle Vorstellbarkeit oder der Glaube an UFOs unter der Bevölkerung relativ weit verbreitet sind. 11 10 So ergab, um nur ein Beispiel zu nennen, die erwähnte Repräsentativbefragung des IGPP, dass fast die Hälfte der Deutschen schon einmal selbst etwas "Übersinnliches" (neben UFO-Sichtungen wurde z.B. nach telepathischen Erfahrungen, Wahrträumen oder Erscheinungen Verstorbener gefragt) erlebt hat (Schmied-Knittel/Schetsche 2003). Etliche Untersuchungen zeigen, dass ähnliches auch für andere Länder gilt. So hatten 60% der Amerikaner und durchschnittlich 46% der Europäer mindestens einmal in ihrem Leben eine "übersinnliche" Erfahrung (Gallup/Newport 1991; Greeley 1975, 1991; Haraldsson/Houtkooper 1991; Newport/Strausberg 2001 ). 11 Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Emnid aus dem Jahre 2006 glauben vier von zehn Deutschen an die Existenz Außerirdi-
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Zweitens: Einen ähnlichen Eindruck in Richtung "Veralltäglichung" vermitteln insbesondere die Massenmedien, denn bekanntermaßen wird die Themenkonfiguration UFOs und Außerirdische durch Presse, Kino und Fernsehen sowohl fiktional als auch dokumentarisch in großem Umfang verbreitet. Feststellen lässt sich dort nicht nur ein relativ unbekümmerter Umgang, sondern auch ein fester Platz, den die entsprechenden Themen, Erfahrungen und Deutungen (mittlerweile) in öffentlichen Diskursen einnehmen bzw. der ihnen seitens der Massenmedien - insbesondere unter deren ökonomischer Verwertungslogik - sogar ganz gezielt zugewiesen wird. 12 Schließlich sprechen - und dies ist neben der lebensweltlichen und medialen "Normalität" der dritte Aspekt- die eigentümlich unspektakulären Beobachtungen und verhaltenen Deutungen seitens der Beobachtersubjekte gegen die festgehaltenen kommunikativen Vorsichtsmaßnahmen. Denn tatsächlich berichten die meisten UFO-Sichter ja eher triviale Erscheinungen und beurteilen ihre Beobachtungen zumeist selbst als unspektakulär, als eher banal denn beunruhigend - und als Erlebnisse, die sie zunächst mit traditionellen wissenschaftlichen (Alternativ-)Erklärungen abgleichen, bevor sie sich (falls überhaupt) auf extraterrestrische Hypothesen oder übersinnliche Spekulationen einlassen. Mit anderen Worten: Der absiehemde Sprachmodus ist auch deshalb bemerkenswert, weil eine gewisse Banalität der Beobachtungen und Rationalität der nachträglichen Deutungen nicht von der Hand zu weisen sind. Wenn nun aber -wie die Augenzeugenberichte durchgängig zeigen die gegenüber Dritten vorgebrachten Beschreibungen und Beurteilungen so unspektakulär ausfallen, woran liegt es dann, dass über die Primärerfahrungen (nur) mit besonderen Vorkehrungen gesprochen wird? Es hat, so die Antwort, damit zu tun, dass- jenseits der lebensweltlichen Normalität des Außergewöhnlichen- die entsprechenden Erfahrungen letztlich doch als "unorthodox" beurteilt und als der wissenschaftlich dominierenden Denktradition widersprechende Phänomene marginalisiert werden. Und in diesem Sinne ist eine entsprechende Vorsicht nicht unbegründet: Denn schließlich wissen die Befragten, dass sie sich - bei aller Banalität der "Erscheinungen" - mit ihren Erfahrungen in einen scher (Online-Quelle: www.focus.de/wissen/wissenschaft/umfrage_ aid_ 121719.html- Zugriff: 10.03.2008). Ähnlich ermittelte das Institut für Demoskopie Allensbach in unregelmäßigen Abständen eine Quote von 13% bis 18% der deutschen Bevölkerung, die glauben, dass es UFOs gibt (vgl. z.B. Institut für Demoskopie Allensbach 2001 ). 12 Vgl. dazu den Beitrag "UFOs in den Massenmedien - Anatomie einer Thematisierung" in diesem Band.
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Deutungsraum vorwagen, der nicht nur in Widerspruch mit dem vorherrschenden rational-aufgeklärten Welt- und Wissenschaftsbild steht, sondern in dem es auch passieren kann, als Anhänger para-normaler, sprich abweichender Deutungen bezichtigt, der Lächerlichkeit preisgegeben oder unter Umständen sogar als "verrückt" erklärt zu werden (vgl. Meusburger/Welker/Wunder 2008). Insbesondere die mediale Berichterstattung kann herangezogen werden, um beispielhaft zu verdeutlichen, wie die öffentliche Meinung über das UFO-Thema ausfällt. Zwar etablierte sich, wie etwa Gerhard Mayer (in diesem Band) aufzeigt, das UFO-/Alien-Thema zu einem durchgängigen medialen Sujet der bundesdeutschen Presselandschaft, so wie in den letzten Jahrzehnten etwa im Kontext von "Galileo Mystery", "Akte X" und diversen anderen TV-Sendungen insgesamt ein breiter Thematisierungsraum feststellbar ist. Allerdings, so der Autor, folgt der Umgang mit diesem Thema gleichsam eigenen (Medien-)Gesetzen (vgl. auch Mayer 2003). Grob vereinfacht, lassen sich in der Medienöffentlichkeit insbesondere zwei wiederkehrende Bewertungstendenzen ausmachen: Entweder wird das UFO-Thema als "nicht ernsthaß denkbar" behandelt und findet sich entsprechend in primär fiktional-phantastischen Formaten oder als Aufmerksamkeit, Quoten und Verkaufszahlen garantierender skurriler Unterhaltungs- und Kuriositätengegenstand wieder. Oder aber es dominiert ein prinzipieller Skeptizismus, der den Realitätsstatus von vomherein bestreitet, entsprechende Erfahrungen an den Rand drängt, die Erfahrungs- und Deutungsträger stigmatisiert und im Zweifelsfall auch der Lächerlichkeit preisgibt. Doch nicht nur der Umgang der Medienöffentlichkeit, namentlich deren Tendenz zur Skandalisierung unter einer primär ökonomischen Verwertungslogik, zur Verunglimpfung oder "Aufklärung", zeigt, wie das UFO-Thema mit einem Stigma der Unseriosität versehen wird. Denn nicht zuletzt aufgrund der wissenschaftlichen Abwegigkeit, mit der das UFO-Thema traditionell versehen wird, riskieren die Augenzeugen entsprechend skeptische Reaktionen seitens der gesellschaftlichen Umwelt. Insbesondere die den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs beherrschende Einschätzung, wonach sich die lebensweltlichen Beobachtungen nicht identifizierbarer Flugobjekte zumeist (bzw. immer) auf bekannte Ursachen zurückführen lassen, führt dazu, dass den Zeugenaussagen seitens wissenschaftlicher Experten misstraut wird und die Beobachter Gefahr laufen, ihren "Normalitätsstatus" zu verlieren. Dies ist nach allem, was wir bislang festgehalten haben, bemerkenswert; denn angesichts der trivialen Inhalte und verhaltenen Deutungen spricht eigentlich sehr wenig für eine entsprechende Abweichungshypothese. Worum geht es also? Steht hier "Aussage gegen Aussage"? Oder
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sind die Negativzuschreibungen aus wissenschaftlicher Sicht durchaus berechtigt? Leiden also, anders gefragt, UFO-Sichter vielleicht doch unter Fehlinterpretationen, Wahrnehmungsstörungen oder einem Mangel an kritischem Denken?
4. Abweichungs- oder Normalitätshypothese: Wie ("para"-)normal sind UFO-Sichter? Vor diesem Hintergrund ist es lohnenswert zu fragen, ob Menschen mit UFO-Sichtungserfahrungen tatsächlich besondere soziale, weltanschauliche, psychische oder gar psychopathalogische Charakteristika aufweisen, die sie von "Nicht-Sichtern" unterscheiden. Jene Frage war Gegenstand einer ausführlichen Untersuchung eines der Autoren (Wunder 2006), deren Hauptbefunde im Folgenden referiert werden.
4.1 Soziodemographische Variablen Hinsichtlich soziodemographischer Variablen wie Geschlecht, Alter, Bildung oder sozialem Status zeigen entsprechende Erhebungen, wenn überhaupt, dann höchst geringfügige Effekte. Gleichwohl können gewisse Trends festgestellt werden, etwa hinsichtlich eines in mehreren Untersuchungen betonten Geschlechter- und Alterseffekts zugunsten jüngerer und männlicher Personen unter den UFO-Sichtern (Schmied-Knittel/ Schetsche 2003; Saliba 1995; Westrum 1977, 1979, 1981). Wie an anderer Stelle ausführlich gezeigt (Wunder 2006), lassen sich die entsprechenden Zusammenhänge jedoch zumeist im Rahmen von Scheinkorrelationen aufklären. So liegt die Vermutung nahe, dass der jeweils geringfügig überrepräsentierte Anteil von Jüngeren und Männern unter den UFO-Sichtern auf deren stärker ausgeprägtes Interesse und Glauben an UFOs zurückführbar ist. Im Unterschied zu den jeweils nicht durchgängig signifikanten, manchmal auch widersprüchlichen Befunden hinsichtlich entsprechender Einflussfaktoren ist jedenfalls sowohl die größere Neigung von Männern zum Glauben an UFOs als auch eine negative Korrelation zwischen Alter und UFO-Glauben belegt, und zwar in hoher Effektstärke (vgl. z.B. Billig 1982: 157; Clarke 1991; Institut für Demoskopie Allensbach 2001; Lee 1968; Saliba 1995: 15; Zimmer 1984). Im Großen und Ganzen decken sich diese Befunde mit den Ergebnissen von Untersuchungen zu außergewöhnlichen Erfahrungen insgesamt, die darauf hinweisen, dass solche Erfahrungen einerseits zumeist unab-
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hängig von soziodemographischen Faktoren auftreten, andererseits jedoch deutliche Zusammenhänge zwischen dem Auftreten eigener Erfahrungen und einer entsprechenden positiven Einstellung gegenüber den Phänomenen bestehen (vgl. lrwin 1993; Schmied-Knittel/Schetsche 2003; Wunder 2002; Zahradnik 2007: 174).
4.2 "Glauben" vs. "Wissen" Während also festgehalten werden kann, dass die Wahrscheinlichkeit, eine UFO-Sichtung zu erleben, im Grunde genommen nicht von soziodemographischen Variablen beeinflusst wird, werden solche Erfahrungen relativ stark mit weltanschaulichen Orientierungen, insbesondere Affinitäten zu UFO- und (anderen) paranormalen Themen assoziiert. In entsprechenden, zumeist statistischen Untersuchungen (z.B. Wunder/Henke 2003; Zimmer 1985) rangiert ein entsprechender Korrelationskoeffizient zwischen 0,2 und 0,3. Jene Zahlenwerte repräsentieren häufig signifikante, wenngleich schwache Effekte zwischen Sichtungserfahrungen auf der einen sowie einem (entsprechenden?) Glauben an die Existenz intelligenten außerirdischen Lebens und/oder an die außerirdische Herkunft von UFOs auf der anderen Seite. 13 Allerdings muss die Frage, wie diese statistische Korrelation kausal zustande kommt, offen bleiben. Denkbar wäre entweder, dass der Glaube an UFOs entsprechende Sichtungen kognitiv eher zulässt bzw. (erst) hervorbringt, oder dass vorausgegangene UFO-Sichtungserfahrungen zur Bildung und Verfestigung eines entsprechenden Glaubens (erst) beitragen. Beide Möglichkeiten scheinen plausibel und aufgrund der Datenlage kann nicht entschieden werden, welche davon den größeren Anteil der ohnehin schwachen statistischen Zusammenhänge erklärt. 14 Auch hinsichtlich der Frage nach sog. "paranormal beliefs", d.h. positiven Einstellungsmustern gegenüber außergewöhnlichen Glaubensund Erfahrungsformen, zeigen sich nur schwache bis kaum vorhandene 13 Es ist jedoch zu bedenken, dass der Glaube an entsprechende Phänomene generell stärker verbreitet ist als das Vorliegen persönlicher Erfahrungen in diesem Bereich (Gaynard 1992; lrwin 1993; Schmied-Knittel/Schetsche 2003). 14 Ein ähnliches Problem ist bezüglich parapsychologischer Spontanerfahrungen bekannt, wonach es positive Korrelationen zwischen Einstellungen und Erfahrungen in Bezug auf solche Phänomene gibt (z.B. Gaynard 1992; Irwin 1993), die Kausalitätsfrage aber fast immer unklar bleibt (vgl. Wunder 2002).
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Effekte. Zwar behauptet beispielsweise Zimmer (1984) für seine nichtselektierte Studentenstichprobe eine signifikante Korrelation zwischen UFO-Sichtungserfahrungen und dem Glauben an Astrologie sowie an oldmlte Phänomene; eine weitere Überprüfung dieser Stichprobe ergab jedoch, dass jene ohnehin schwachen Korrelationen nur für diejenigen UFO-Sichter galten, die UFOs auch für außerirdische Raumschiffe hielten (Wunder 2006: 197). Dies wirft erneut die Frage auf, ob es sich bei den behaupteten Korrelationen nicht um Scheineffekte handelt, sie also letztlich nur auf den Glauben an UFOs zurückgehen, jedoch mit der eigentlichen UFOSichtung an sich nichts zu tun haben. Mit anderen Worten: Die Effekte sind auf der Ebene von Einstellungsmustern und nicht auf der Ebene von Erfahrungen angesiedelt. 15 Es kommt hinzu, dass wir bei der (statistischen) Abfrage solcher Erfahrungen (aufgrund der mehrdeutigen UFO-Kategorie) häufig gar nicht wissen können, ob eine mögliche Prädisposition dazu führt, dass bekannte Stimuli (wie z.B. helle Planeten, Modell-Heißluftballons, Flugzeuge etc.) als UFOs interpretiert wurden, oder ob tatsächlich rätselhafte Phänomene - vielleicht sogar "außerirdische Raumschiffe" - von Personen, die grundsätzlich nicht an "Paranormales" glauben, nur deshalb seltener gesehen werden, weil dies ihrem Weltbild stärker widersprechen würde. Es wäre jedenfalls vorstellbar, dass sie solche Erscheinungen tendenziell zwanghaft "wegerklären" oder vielleicht auch einfach dazu neigen, solche Erfahrungen zu verschweigen, weil sie sich nicht lächerlich machen möchten. Kurzum: Es gibt hier viele Erklärungsmöglichkeiten, aber gleichzeitig wenig zu erklären. Ebenso geringe Belege existieren auch dafür, dass UFO-Sichtungen womöglich auf einen Mangel an astronomischem Wissen seitens der Sichter zurückführbar seien. Hinter dieser im öffentlichen Diskurs häufig anzutreffenden Hypothese steht eine szientistische Perspektive, wonach ganz gewöhnliche, sprich natürliche Stimuli UFO-Sichtungen provozieren würden; die (meisten) "Betroffenen" hingegen schlichtweg unfähig seien, jene natürlichen Stimuli auch als solche zu erkennen. Abgesehen davon, dass von durchschnittlich gebildeten Personen kein entsprechendes Spezialwissen erwartet werden kann - zumal dieses nur selten Gegenstand systematisch vermittelter Lernprozesse ist (Schetsche 2003: 180) -, vernachlässigt eine solche Unterstellung aber die Tatsache, dass 15 Die Vermutung wird von Wunder/Henke (2003) bestätigt, die unter den von ihnen untersuchten Besuchern von UFO-Vorträgen keinerlei Zusammenhang zwischen Sichtungserfahrungen und dem Grad des Interesses an esoterischen oder parawissenschaftlichen Themen fanden.
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sich die unter Berufsastronomen ermittelte Sichtungsquote in der gleichen Größenordnung bewegt wie in der Allgemeinbevölkerung (vgl. dazu Sturrock 1994).
4.3 "Psychische Gesundheit" Als ein Zwischenfazit sei also festgehalten, dass bei der Betrachtung sozialer und sozialstruktureUer Merkmale die Unterschiede zwischen UFOSichtern und Nicht-Sichtern vernachlässigbar sind. Wie steht es jedoch hinsichtlich psychologischer Variablen? Im öffentlichen Diskurs werden vielfach Wechselbeziehungen mit spezifischen, häufig gerade auch klinischen Persönlichkeitsmerkmalen behauptet. Bevor wir nach den Gründen für solche pejorativ geprägten Vorannahmen fragen, sollen zunächst die Ergebnisse wissenschaftlicher, zumeist (sozial-)psychologischer Untersuchungen referiert werden. Um es kurz zu machen, sei das Fazit des umfangreichen ReviewArtikels von Wunder (2006) wiedergegeben: Die öffentlich und nicht selten auch wissenschaftlich dominante Meinung, wonach UFOSichterinnen und UFO-Sichter nicht ganz "normal" seien, stimmte mit den Befunden empirischer Studien nicht überein. Im Gegenteil: Zusammengefasst lassen die Ergebnisse mit hoher Sicherheit den Schluss zu, dass -von wenigen Ausnahmen abgesehen- UFO-Sichtungen nichts mit psychopathalogischen Störungen zu tun haben, sondern die Sichter in dieser Hinsicht typischerweise geistig völlig "normal" sind. (Die ganz wenigen Ausnahmen betreffen vor allem die Extremgruppe der sog. "Kontaktler", also Personen, die mit Außerirdischen persönlich kommuniziert haben wollen; hingegen noch nicht einmal die "UFO-Entführten".) Auch bezüglich nichtpathologischer, d.h. allgemeiner psychologischer Persönlichkeitsmerkmale sind die Befunde uneinheitlich, nicht kohärent und generell wenig überzeugend. So sind beispielsweise Thesen, wonach Menschen mit UFO-Sichtungserfahrungen zu übersteigerter Fantasie ("fantasy proneness"), Schizotypie, Absorption, Dogmatismus oder Dissoziativität tendieren, nicht haltbar. Auch experimentelle Wahrnehmungstests konnten Zusammenhänge mit veränderten Perzeptions- und Wahrnehmungsmechanismen nicht aufzeigen. Und hinsichtlich der testpsychologischen Explorationen, die mittels psychologischer Persönlichkeitsinventare durchgeführt wurden, verweist Wunder (2006) auf verschiedene konzeptionelle Schwächen der Untersuchungen, die eine gene-
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ralisierende Annahme, wonach sich UFO-Sichter von Nicht-Sichtem unterscheiden, schon allein aus methodischen Gründen kaum zulassen. 16
5. Fazit Im öffentlichen Diskurs wird oft mit großer Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, UFO-Sichter seien "nicht ganz normal". Wie dargelegt, stehen solche kausalen und pejorativen Vorannahmen nicht nur in einem unübersehbaren Kontrast zur lebensweltlichen Verbreitung entsprechender Erfahrungen, sondern stimmen auch mit den (meisten) Befunden wissenschaftlicher Untersuchungen nicht überein: diese zeigen vielmehr, dass sich UFO-Sichter im Großen und Ganzen kaum vom Rest der Bevölkerung unterscheiden. Es stellt sich die Frage, weshalb sich dann die gegenteilige Unterstellung recht hartnäckig hält; und dies selbst im wissenschaftlichen Diskurs. Denn tatsächlich spiegelt sich die Vermutung der Abwegigkeit, mit der UFO-Erfahrungen und ihre Erlebnisträger traditionell versehen werden, in einer ganzen Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen, insbesondere in solchen, die in testpsychologischer Manier zu eruieren versuchen, welches besondere psychische Profil UFO-Sichter wohl aufweisen könnten. Hier lassen sich spezifische Vorannahmen vermuten, namentlich eine normierende Leitdifferenz in normal vs. abweichend bzw. gesund vs. krank des psychologischen Mainstreams (und ihre Überprüfung mittels differentialdiagnostischer Konstrukte). Es ist anzunehmen, dass solche Unterstellungen darin begründet liegen, dass UFO-Erfahrungen implizit die Geltung des in unserer Gesellschaft konsensfähigen szientistischen Deutungsmusters in Frage stellen. Das erklärt, weshalb entsprechendes Erleben dann als abweichend gewertet und dieses "Abweichende" - ungeachtet der weitgehenden Unspezifität der Sichtungserfahrungen! schließlich auf die Subjekte attribuiert wird, nicht selten mit einer Pathologisierungstendenz.17 16 Die Probleme beziehen sich entweder auf äußerst selektive Stichproben und/oder fehlende Vergleiche mit Kontrollgruppen sowie die unreflektierte wissenschaftliche Verdopplung des Hybridcharakters der lebensweltlichen UFO-Kategorie. 17 Diese Annahme bestätigt auch Schetsche (2003), der am Beispiel der gesellschaftlichen Reaktionen auf UFO-Sichter und sog. schizotypen Persönlichkeiten zeigt, wie eigentlich recht verbreitete Erfahrungsformen vor dem Hintergrund eines szientistischen Verständnisses ihres lebensweltlichen
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Wie an anderer Stelle gezeigt (vgl. Schetsche 2003; Schetsche/SchmiedKnittel 2005; Wunder 2004), liegt die Ursache dafür in der Deutungshoheit und dem spezifischen Umgang (psycho-)wissenschaftlicher (Kontroll-)Instanzen mit außergewöhnlichen Erfahrungen, zu denen von Anfang an auch UFO-Erlebnisse gezählt wurden: "Erst indem die Wissenschaften, namentlich die Psychologie, bestimmten menschlichen Erfahrungen den Status des Alltäglichen absprechen, konstituieren sie diese diskursiv als außergewöhnliche Erfahrungen. Diesen Erfahrungen werden spezifische Merkmale wissenschaftlich zugewiesen, die ihren lebensweltlichen Wirklichkeitsstatus in Frage stellen und ihre intersubjektive Nachvollziehbarkeit zerstörten. Die wissenschaftlich unerwünschten Erfahrungen wurden und werden durch ,psycho-logische' Dekonstruktion eliminiert, gleichzeitig wird der lebensweltliche Transfer der unerwünschten Deutungen durch die Pathologisierung der Erfahrungsträger unterbrochen. Den Betroffenen wird damit die Möglichkeit genommen, über ihr Erleben in einem alltäglichen Modus des Selbstverständlichen zu kommunizieren. Mit anderen Worten: Der Status des ,Außergewöhnlichen' resultiert überhaupt erst aus einer spezifischen kollektiven Attribuierung dieses Erfahrungsbereiches, die einen geschützten Modus der Kommunikation ebenso hervorbringt, wie sie durch ihn reproduziert wird" (Schetsche/Schmied-Knittel 2005: 190). Und so zeugt die offensichtlich verschämt-zurückhaltende Sprachwahl der UFO-Sichter gleichermaßen von der Kenntnis wie der Angst vor solchen Negativzuschreibungen und muss deshalb als ein kommunikatives Artefakt antizipierter Stigmatisierungs- und Pathologisierungsprozesse gelesen werden.
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ENTFÜHRT! VON IRDISCHEN OPFERN UND AUSSERIRDISCHEN TÄTERN MICHAEL SCHETSCHE
1. Betroffenenberichte Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts dringen in verschiedenen Ländern der Welt eigentümliche Berichte in die Öffentlichkeit: Immer mehr Menschen, schließlich sind es Tausende, behaupten von sich, sie seien Nachts, entweder auf einsamer Landstraße oder aus ihrem Schlafzimmer heraus, 1 gekidnapped und zum Opfer grauenvoller Experimente gemacht worden. Die vermeintlichen Täter: außerirdische Eindringlinge - technisch weit überlegen, dabei aber erschreckend rücksichtslos. Ende der achtziger Jahre sind diese Entführungen ("alien abduction experiences") in vielen Ländern der Erde 2 bekannt und werden in der Öffentlichkeit überaus kontrovers diskutiert (Klass 1989; Bynum 1993; Spanos u.a. 1993; Johnson 1994; Newman/Baumeister 1996; Paley 1997; Schetsche 1997; Lynn u.a. 1998). Anfang der Neunziger erreicht die ,Entführungswelle' Deutschland und regt auch hier die Entstehung von Betroffenenberichten und nationale Dokumentationen an. 3
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Dies sind auch die beiden klassischen, sich in ihrer Dominanz zeitlich abwechselnden Entführungsszenarien (vgl. Bullard 1999: 188; Schetsche 2000: 184-186). Schwerpunkte sind die USA und Kanada, Großbritannien und Australien sowie Argentinien und Brasilien. Neben Übersetzungen von Dokumentationen (Jacobs 1995; Alien Discussions 1996; Fowler 1995 und 1995a; Mack 1996; Turner 1996; Hall 1997; Day 1998; Bryan 1999) und Autobiographien (Haley 1996; Jordan!Mitchel 1996; Wilson 1996) aus dem englischsprachigen Raum, treten erste deutsche Sachbücher (Fiebag 1994; Lammer/Lammer 1997; Horn 1997; Brachthäuser 2001) und Betroffenenberichte (Feistle/Feistle 1996; Lehar 1998; Rosenberg 1999). Im deutschsprachigen Raum bleibt die Zahl der Entführungsberichte trotzdem recht überschaubar (vgl. den Überblick bei Magin 1999).
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Wenn man sich die in zahlreichen Einzelfallstudien und diversen Fallsammlungen4 veröffentlichten Berichte der selbstdeklarierten Entführungsopfer gerrauer anschaut, fällt zunächst auf, dass die Erzählungen zwar in vielen Details variieren, der Ablauf der Entführungen und mancherlei Einzelbeobachtung jedoch in zunächst verblüffendem Maße übereinstimmen. In der Zusammenschau der von verschiedenen Autoren (Whitmore 1993; Newman/Baumeister 1996: 101-102; Bullard 1987a und 1987b; Jacobs 1995: 51-224) vorgenommenen Rekonstruktion einer Vielzahl von Entführungsfällen findet sich folgender typischer Ablauf: 1. Das Opfer sieht zunächst eine ungewöhnliche Himmelserscheinung oder erwacht durch ein strahlend helles Licht. 2. Wie aus dem Nichts erscheinen fremdartige Gestalten, die dem Betroffenen mit unbekannten Methoden Willenskraft und Empfindungsvermögen rauben. 3. Durch diese Gestalten (oder durch eine Art Lichtstrahl) wird das Opfer in einen hell erleuchteten, oftmals mit fremdartigen Maschinen angefüllten Raum gebracht, der sich an Bord eines Raumschiffs befinden soll. 4. Hier wird es - meist fixiert auf einer Art Tisch oder Bett - verschiedenen, oftmals sehr schmerzhaften Untersuchungen oder Experimenten unterzogen: Es werden Blut und Gewebeproben entnommen, dünne Sonden in verschiedene Körperöffnungen oder durch die Haut eingeführt, manchmal Implantate eingesetzt. 5. Das besondere Interesse der Entführer gilt dabei in vielen Fällen5 dem Fortpflanzungsapparat der Entführten. Sperma bzw. Eizellen werden entnommen, in einigen Fällen kommt es zu sexuellen Interaktionen zwischen Mensch und menschenähnlichem Alien. 6. Am Ende der Untersuchungen werden entweder die Erinnerungen an die Ereignisse gelöscht oder der Verstand der Opfer wird so manipuliert, dass diese nicht über ihre Erlebnisse sprechen können. 6 Die Rekonstruktionen in der Sekundärliteratur enthalten etliche autorenspezifische Schwerpunktsetzungen, vielfach leitet das jeweils favorisierte
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Hier ist insbesondere auf den Tagungsbericht (Alien Discussions 1996) zur "Abduction Study Conference" am MIT im Jahre 1992 hinzuweisen, in dem sich viele Betroffenenberichte und Falldiskussionen finden. Dies ist einer der Punkte, in der sich die Rekonstruktionen in der Sekundärliteratur auffallig unterscheiden. Eine ausführliche Diskussion der Bedeutung von Mind-Control-Techniken für die Entführungsberichte findet sich bei Kottmeyer 2001.
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Erklärungsmodell die Konstruktion des idealtypischen Entführungsverlaufs an; trotzdem lässt sich aus den primären und sekundären Quellen ein recht homogenes Grundmuster der Entführungen entnehmen (vgl. Magin 1991: 55-57; Newman/Baumeister 1996: 100; Showalter 1997: 258; Luckhurst 1997: 30-31; Brookesmith 1998: 7-9; Bullard 2003: 88). Auf Basis dieser strukturell ähnlichen Berichte hat sich im Laufe der Zeit in den sozialen Netzwerken aus Betroffenen, 7 selbsternannten UFOund Entführungs-Experten und einigen wenigen Wissenschaftlern ein umfangreiches Hintergrundwissen zum Phänomen ausgebildet (vgl. Mack 1995: 45-73; Rodeghier 1996a: 25). Dazu gehören auch Annahmen über die psychischen und psychosozialen Auswirkungen der Entführungen auf die Betroffenen und die damit verbundenen ethischen Bewertungen. In der Frühphase des Phänomens gingen Betroffene wie Beobachter häufig von einer eher positiven Wirkung aus: Die Interaktion mit den Aliens sollte den Entführten zu ,höheren Einsichten' über sich selbst oder die Zukunft der Menschheit verholfen haben. In der großen Mehrzahl der Berichte der achtziger und neunziger Jahre werden die Entführungen und ihre Nachwirkungen jedoch außerordentlich negativ beschrieben (vgl. Whitmore 1993: 316-317; Newman/Baumeister 1996: 100; Porter 1996; Goldberg 2000: 311 ). Die Entführungen und insbesondere die schmerzhaften und entwürdigenden medizinischen Experimente werden nun als traumatisierende Erlebnisse eingeordnet; entsprechend wird berichtet, die Entführungsopfer würden mehrheitlich unter Symptomen posttraumatischer Belastungsstörung leiden (Vacarr 1993: passim; Powers 1994 und 1996; Johnson 1996; Jacobs 1995: 255-263; Boylan 1996; Cromie 2003).
2. Wissenschaftliche Erklärungsversuche Im englischsprachigen Raum finden sich seit Ende der achtziger Jahre zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema. Die große Mehrheit der Autoren und Autorinnen geht - im Gegensatz zu etlichen , UFO-Experten' und Tausenden von selbstdeklarierten Entführungsopfern - davon aus, dass die Entführungen als reale Ereignisse in der von den Betroffenen geschilderten Weise nicht stattgefunden haben können. In der wissenschaftlichen Literatur dominiert bis heute vielmehr eine phänomenkritische psychologisch-psychiatrische oder ethnologisch-
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Heute finden sich Fallgeschichten und Diskussionen von Betroffenen vielfach im Internet, etwa unter http://www.iwasabducted.com.
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sozialwissenschaftliche Sicht. Unabhängig von dieser Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher und lebensweltlicher Einschätzung des Realitätsgehalts der Entführungen, muss jedoch von dem - wissenschaftlich weitgehend unumstrittenen - sozialen Sachverhalt ausgegangen werden, dass Tausende von Betroffenen bis heute subjektiv von der Realität ihrer Entführungen durch außerirdische Mächte überzeugt sind, ihre Biographien und Familiengeschichten entsprechend re-konstruieren und ihr Alltagslehen an dieser Überzeugung ausrichten. Mindestens hinsichtlich ihrer psychosozialen Folgen sind die Entführungen damit außerordentlich real. Diese Realität des sozialen Phänomens "Entführungen durch Außerirdische" wirft eine Reihe von Fragen auf: (1) Sind es spezifische Gruppen von Menschen, die sich bevorzugt als Opfer solcher Entführungen ansehen? (2) Warum haben gerade in den achtziger Jahren so viele Menschen ihren Status als Entführungsopfer entdeckt? (3) Woraus resultiert der hohe subjektive Überzeugungsgrad der Betroffenen hinsichtlich des Realitätsgehaltes ihrer außergewöhnlichen Erfahrungen? (4) Wie sind die großen Strukturähnlichkeiten in den Erfahrungsberichten zu erklären? Wenn man - gemäß des Vorschlags von Eberlein (200 1) - die wissenschaftlich marginalisierte Hypothese von der Realität der Entführungen (vgl. Kapitel 5) und eher metaphysische Erklärungen außer Acht lässt, finden sich in der Literatur zwei sehr unterschiedliche Antworten auf die generelle Frage nach dem Ursprung der Berichte: Nach einem "psychoreduktionistischen" Erklärungsmuster sind die Entführungserfahrungen Folge einer (wie auch immer gearteten) individuellen psychischen Desorganisation der Subjekte, die über solche Erlebnisse berichten. Die "konstruktionistischen" Erklärungen hingegen versuchen, die Berichte im Kontext historisch-kultureller Prozesse einzuordnen und als kollektive Narration deutend zu verstehen. Beginnen wir mit drei Varianten des letztgenannten Erklärungsmusters: Einige Autoren (Kirkpatrick/Tumminia 1992; Porter 1996) sehen die Entführungen primär als religiöse Erlebnisse an; sie erscheinen als eine Art Initiation, die Kontakt zu einer neuen Art von Göttern herstellt. Andere Wissenschaftler (Bullard 1988; Elwood 1992; Whitmore 1993; Bynum 1993; Harvey-Wilson 2001) interpretieren die Berichte als Fortsetzung einer folkloristischen Tradition: Die Entführungen seien lediglich eine moderne Variante der Verschleppung von Menschen durch Feen oder Kobolde. Ebenfalls angesprochen wird hier auch die Ähnlichkeit mit traditionellen spirituellen Erfahrungen, die - so die These heutzutage nicht mehr auf herkömmliche Weise formuliert und kommuniziert werden können. In einer dritten Variante schließlich werden die Entführungserfahrungen als kollektive Reaktion auf die moderne Massenkultur angesehen: Berichte über UFO-Sichtungen und Kontakte zu
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Außerirdischen seien psychische Verarbeitungen moderner Kulturprodukte- seien es phantastische Romane (Pilkington 1996; Thieme 1996; Luckhurst 1997), moderne Mythen (Meheust 1990) oder Legenden von der Eroberung des Westens (Pfitzer 1995). Diese drei Erklärungssubtypen sind meines Erachtens sehr unterschiedlich zu beurteilen: Die religiöse Interpretation ist hinsichtlich der Kontakte in den fünfziger Jahren und bezüglich einiger aktuellen ,Kontaktler-Gruppen' durchaus nachvollziehbar, verfehlt jedoch die Erklärung des später dominierenden Entführungsmusters vollständig: Weder besitzen hier die Aliens eine göttliche Qualität, noch können die entwürdigenden medizinischen Experimente ernsthaft als irgendeine Art spiritueller Erfahrung interpretiert werden. Die ethnologisch-volkskundlichen Modelle weisen lediglich auf gewisse Ähnlichkeiten zwischen den aktuellen und früheren Entführungserzählungen hin, können jedoch weder die Entstehung der einen noch der anderen Erfahrung erklären. Ihre Modelle verbleiben auf der Ebene der reinen Narration, sagen aber nichts darüber aus, wie aus ,Geschichten' subjektive Realität wird. Ähnlich verhält es sich mit den medienwissenschaftlichen bzw. kulturkritischen Interpretationen, auch hier bleibt ungeklärt, warum angesichts der Millionen von Menschen, die tagtäglich mit solchen Kulturprodukten konfrontiert sind, nur wenige Tausende zu Entführungsopfern ,werden'. Alle drei Erklärungstypen vermögen - mehr oder weniger gut - die weltweite Ähnlichkeit der Erfahrungen zu erklären, weil sie auf den kollektiven Status der jeweiligen Narrationen abstellen. Sie bleiben jedoch die Antwort schuldig, warum sich gerade bestimmte Menschen für Entführungsopfer halten und welches die konkreten Ursachen für die (angenommene) Übertragung von Narrationen aus der Welt des Fiktiven in die des Realen sind. Erklärungsdesiderate finden wir auch bei den "psychoreduktionistischen" Erklärungen, die eher auf die Erfahrungs- als auf die Narrationsdimension abzielen. Viele hier anfänglich vorgeschlagene Erklärungen haben sich empirisch schnell als unhaltbar erwiesen. So haben psychologische Untersuchungen bei den Betroffenen - von den Symptomen der bereits erwähnten posttraumatischen Belastungsstörung einmal abgesehen- kaum auffällige Befunde erbracht (Laibow/Laue 1993; Spanos u.a. 1993; Spanos/Burgess/Burgess 1994; Rodeghier 1996b; Johnson 1996). Einige Autoren haben deshalb vorgeschlagen, die Ursachen für die eigentümlichen Erfahrungen in neuronalen Störungen zu suchen, die sich jenseits der klassischen psychopathalogischen Modelle manifestieren. Konkret wird über drei unterschiedliche Ursachen diskutiert: ( 1) durch magnetische Felder ausgelöste neuronale Anomalien, die zu Halluzinationen führen (Paley 1997), (2) außergewöhnliche Bewusstseinszustände
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durch Schlafparalyse und ähnliche Störungen (Spanos u.a. 1993; Blackmore 1998; Cheyne/Rueffer/Newby-Clark 1999; Cromie 2003) 8 oder (3) die visionsartige Wiederkehr von unverarbeiteten visuellen Außenreizen der frühesten Kindheit (Cozolino 1997). Alle drei Thesen zeigen, jeweils auf ihre Weise, wieso manche Menschen ,Opfer' bedrohlicher Erinnerungen werden, andere jedoch nicht; und teilweise machen sie auch das hohe Maß an subjektiver Gewissheit hinsichtlich ihres Realitätsstatus der Erfahrungen nachvollziehbar. Allerdings können sie nicht erklären, warum halluzinatorische Bilder und Erinnerungsfetzen gerade seit den achtziger Jahren von einer Vielzahl von Personen als wiedererlangte Erinnerungen an Entführungen durch Außerirdische gedeutet werden - und warum die gedeuteten Erinnerungen sich weltweit in so verblüffender Weise ähneln.
3. "False Memory Syndrome" In den letzten Jahren haben verschiedene Autoren (Schnabel 1994; Spanos/Burgess/Burgess 1994; Clark/Loftus 1996; Lynn/Kirsch 1996; Newman/Baumeister 1996; Nick 1996; Ome u.a. 1996; Lynn u.a. 1998; Appelle/Lynn/Newman 2000), zum Teil gänzlich unabhängig voneinander, eine alternative psychologische Erklärung für die massenhaften Entführungserfahrungen vorgelegt: Das F alse Memory Syndrome. 9 Ausgangspunkt dieser Erklärungshypothese ist der Sachverhalt, dass die eigentümlichen Erinnerungen sich nicht immer, aber doch sehr oft im Kontext einer therapeutischen Situation einstellen. Am Anfang stehen unspezifische psychische und psychosomatische Symptome (wie Schlaflosigkeit, Dunkelangst oder das Gefühl des Zeitverlusts), wie sie sich bei vielen Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung finden. Zu konkreten Erinnerungen an Entführungen durch Außerirdische kommt es meist aber erst dann, wenn die Betreffenden die Hilfe von Psychotherapeuten suchen, die bereits mit dem Entführungsphänomen vertraut sind (so Spanos u.a. 1993; Vacarr 1993: 25-30; Rodeghier 1996a: 25; Eberlein 1995: 172-174; Showalter 1997: 258-261; Mack 1995: 45-73; Newman/Baumeister 1996: 101-102; Newman 1997: 151-154).
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Einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Zusammenhang von hypnagogen Zuständen und außergewöhnlichen Erfahrungen liefert Sherwood 2002. Eine kritische Diskussion dieses Erklärungsmodells findet sich bei Bullard 2003: 102-113.
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In der Therapie werden die konkreten Erinnerungen an die Entführung meist mittels Regressionshypnose (und ähnlicher Verfahren) ,zurückgeholt'. Der therapeutische Kontext dieser Verfahren ist das so genannte Recovery-Paradigma, nach dem Traumatisierungen regelmäßig mit psychischen Prozessen einhergehen, die zur- therapeutisch zu behebendenUnfähigkeit führen, sich an das traumatisierende Ereignis zu erinnern (vgl. Fiedler 2001: 392-402; Endres/Moisl 2002: 14-18; van der Kolk/ Weisaeth/van der Hart 2000: 76-81; Douglas Brown/Goldstein/Bjorklund 2000: 8-11, 16-17). Das genannte Paradigma und die mit ihm verbundenen therapeutischen Praxisformen hatten sich in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, im Kontext der Behandlung von Opfern sexuellen oder rituellen Missbrauchs, unter Therapeuten, besonders in den USA, durchgesetzt, gerieten schließlich jedoch in die Kritik, weil eine experimentelle Untersuchung sowie klinische Studien zeigten, dass unter Hypnose erlangte tatsächliche Erinnerungen nicht sicher von im hypnotischen Prozess erzeugten Pseudoerinnerungen unterschieden werden können (vgl. Streeck-Fischer/Sachsse/Özkan 2001: 20; Lindsay/ Read 1994: 325; Fiedler 2001: 116; Schacter 2001: 443). Zwar ist der Anteil derjenigen, bei denen sich die konkreten Entführungserinnerungen erst im therapeutischen Kontext eingestellt haben, nicht abschließend geklärt, die angenommenen Werte zwischen 60 und 90 Prozent (vgl. Newman/Baumeister 1996: 105; Webb 1996; McLeod/Corbisier/Mack 1996: 165 10) sprechen jedoch für einen Zusammenhang zwischen massenhaftem Auftreten der Entführungserfahrungen und der Verwendung entsprechender psychotherapeutischer Verfahren seit den achtziger Jahren des vergangeneu Jahrhunderts. 11 Wie die Untersuchung von Yapko (1996) zeigte, war die Problematik der Erinnerungsgewinnung unter Hypnose in dieser Zeit vielen Psychotherapeuten schlicht nicht bekannt. Beim Phänomen der Entführung durch Außerirdische könnte es sich deshalb um einen spezifischen Fall des in der psychologischen Fachöffentlichkeit vielfach diskutierten ,False Memory 10 Laibow/Laue (1993: 98) sind die einzigen, die sich auf konkrete Zahlen festlegen: Im englischsprachigen Raum sollen 75 Prozent aller Entführungserinnerungen auf den Einsatz regressionshypnotischer Verfahren zurückgehen. 11 Einen entsprechenden kausalen Zusammenhang stellen übereinstimmend Autoren mit ganz unterschiedlicher Intention her: Clamar 1988; Laibow/Laue1993: 98; Vacarr 1993: 9-10; Whitmore 1993: 314-315; Spanos/Burgess/Burgess 1994: 438; Mack 1995: passim; Bullard 1996; Webb 1996; Newman 1997; Luckhurst 1997: 32-38; Paley 1997: 50; Hopkins 2000.
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Syndromes' handeln: Iatrogen erzeugte Erinnerungen werden fälschlich für die Erinnerung an reale Ereignisse gehalten. Diese Hypothese kann zum einen das Zustandekommen der spezifischen Opfergruppen erklären: Es handelt sich um Menschen, die - zufällig oder mit Bedacht 12 - wegen der genanntenunspezifischen Symptome einen Therapeuten aufgesucht haben, der mit dem Entführungsphänomen besonders ,vertraut' war. Zum anderen macht sie verständlich, warum die Betroffenen vollständig von der Realität ihrer Erfahrungen überzeugt sind- dies ist ein typisches Merkmal aller iatrogen erlangten Erinnerungen. Und schließlich wird sogar der Zeitpunkt des vermehrten Auftretens von Entführungserinnerungen erklärt: Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts begann in den USA und einigen anderen Staaten der systematische Einsatz von regressionshypnotischen Verfahren zur Aufdeckung verborgener Traumata. Ungeklärt bleibt allerdings, warum die im Rahmen der Behandlung bei verschiedenen Therapeuten wiedererlangten Erinnerungen einer Vielzahl von Patienten so verblüffende Übereinstimmungen aufweisen, dass schließlich selbst etablierte Wissenschaftler (wie etwa der US-amerikanische Psychiatrie-Professor John E. Made) zu glauben begannen, dass die Erinnerungen an die außerirdischen Besucher zumindest tendenziell realitätsgerecht sein müssten.
4. Kulturelle Deutungsmuster Wenn man davon ausgeht, dass bruchstückhafte Erinnerungen, Einzelbilder und halluzinatorische Eindrücke, wie sie etwa im Rahmen der Regressionshypnose entstehen, von den Betroffenen wie von ihren Therapeuten zunächst gedeutet werden müssen, um verstehbare und kommunizierbare szenische Erinnerungen zu ergeben, stellt sich die Frage, mittels welcher Interpretationsfolien oder kognitiven Schemata dies geschieht. Da die Interpretationen des Typus ,Entführungserinnerung' keiner individuellen, sondern einer kollektiven Logik folgen (die zwar nicht identische, aber strukturell übereinstimmende Erinnerungen hervorbringt), kann es sich hier nur um intersubjektiv geteilte, also kulturelle 12 Zahlreiche Bücher (und Websites) fordern Menschen mit den oben genannten Symptomen und einem Entführungsverdacht ausdrücklich auf, sich nur in die Behandlung von Therapeuten zu begeben, die bereits Erfahrungen mit dem Entführungsphänomen und dessen Opfern haben. Einige dieser Therapeuten haben sich in der internationalen "ACADEMY OF CLINICAL CLOSE ENCOUNTER THERAPISTS" (ACCET) zusammengeschlossen (siehe deren Website: http://www.drboylan.com/accetpg2.html).
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Interpretationsfolien handeln- Folien einer Art, wie sie in den oben zitierten kulturwissenschaftlichen Arbeiten diskutiert worden sind. Falls die Entstehung der individuellen Entführungserinnerungen sich auf solche kulturell vorhandenen Interpretationsmuster zurückführen lässt, bedarf es keiner wissenschaftlich umstrittenen Annahmen mehr (vgl. Eberlein 2001 ), um die Ähnlichkeit der Erzählungen Tausender Betroffener einleuchtend zu erklären: Die Übereinstimmung der Grundstruktur von Erfahrungsberichten beim Vorliegen von Differenzen in den Narrationsdetails ist typische Folge der individuellen Anwendung und Ausgestaltung kollektiver Schemata, wie sie etwa die wissenssoziologische Deutungsmustertheorie beschreibt (vgl. Plaß/Schetsche 2001: 530-531 ). Zu klären wäre hier allerdings noch, ob die jeweiligen Kulturen der Entführungsopfer tatsächlich zum richtigen Zeitpunkt passende Deutungsschemata (einschließlich der grundlegenden N arrationsszenarien und Bildwelten) zur Verfügung gestellt haben, aus denen die scheinbar wiedererlangten Erinnerungen sich hätten speisen können. Da die große Mehrheit der Entführungsopfer bis heute vom nordamerikanischen Kontinent kommt (Bynum 1993: 88; Showalter 1997: 270), können wir uns auf diesen Teil der Welt konzentrieren und uns zur Klärung der zeitlichen Abläufe die Geschichte des Enffuhrungsphänomens einmal etwas gerrauer aus dieser speziellen Perspektive anschauen. Da kulturell neue Deutungsschemata im späten 20. Jahrhundert primär von Massenmedien verbreitet wurden (Schetsche 2000: 117-118, 120-121; Plaß/Schetsche 2001: 524), muss der Blick sich vorrangig auf deren Darstellungen richten. Geschichten über Außerirdische im Allgemeinen waren im 20. Jahrhundert zunächst im Bereich des Fiktionalen angesiedelt, traditionell in der Science-Fiction, in einigen Fällen auch im Bereich der Horrorliteratur. In den neunziger Jahren konstituierten nicht zuletzt die hier behandelten Entführungserzählungen mit dem ,Mystery'-Genre eine neue Gattung im Bereich des Phantastischen. Pilkington (1996) stellt in seiner (allerdings nicht sehr systematischen) Untersuchung fest, dass viele Einzelheiten der Entführungsberichte - sei es das Aussehen der Aliens oder der Ablauf der Abduktionen - seit Jahrzehnten in weit verbreiteten SFRomanen und -Filmen zu finden gewesen wären. Und Shaeffer (1996: 350) meint gar, die Hauptelemente der zeitgenössischen ,Entführungserzählungen' bereits in Comics aus den dreißiger Jahren des vergangeneu Jahrhunderts entdeckt zu haben. Wenn man die explizit fiktionalen Medienprodukte aus dem Bereich der Science-Fiction mit den Kontakt- und Entführungsnarrationen vergleicht, stößt man- nach meinem Verständnis- jedoch auf eine auffällige Asynchronizität: In den fünfziger und sechziger Jahren schwelgten
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Romane, erste SF-Fernsehserien und Kinofilme 13 in Invasionsphantasien a la Robert A. Heinlein, während gleichzeitig frühe ,Contactees', wie George Adamski, von wundersamen Begegnungen mit freundlichfriedliebenden Außerirdischen zu berichten wussten, die der Menschheit zivilisatorischen und spirituellen Fortschritt zu bringen versprachen. Erst nach dem (möglicherweise vom Ende des Kalten Krieges ausgelösten 14) ,Bad-to-good-turn' der Alienbilder 15 in der Science-Fiction machten Filme wie "Unheimliche Begegnung der Dritten Art" (1977), "E.T." (1982), oder "Cocoon" (1985) und Fernsehserien wie "Alf' (ab 1986) die Öffentlichkeit mit jenen ,netten Außerirdischen' vertraut, von denen Adamski und seine Epigonen in den fünfziger Jahren gesprochen hatten - auch wenn aus den erotischen Venus-Blondinen kindgerechte Knuddelgestalten geworden waren (vgl. Shostak 1999: 21-22). Just zu der Zeit, als die Außerirdischen in den Medien friedlich und freundlich wurden, entdeckten immer mehr Menschen ihre Erinnerungen an ,Realkontakte' mit Wesenheiten, die alles andere als friedliebend und hilfsbereit waren. Die Berichte wechselten zunehmend in den Modus des Bedrohlichen: Die Rede war nun von brutalen medizinischen Untersuchungen, gefühllos-roboterhaften ,Eindringlingen' und verwerflichen biologischen Zuchtprogrammen. Erst einige Jahre nach dem Höhepunkt der großen Erinnerungswelle, in der Mitte der neunziger Jahre nämlich, fand in Kino und Fernsehen der ,Good-to-bad-turn' der Alienbilder statt: Niedliche ET's verwandelten sich in die Invasionstruppen von "The Puppet Masters" (1994) oder "lndependence-Day" ( 1996), in die tödlichen Kriegsmaschinen von "Starship Troopers" (1997) und schließlich - in kongenialer Adaption der Entführungsnarration- in die erbarmungslos-undurchschaubaren Experimentatoren von "Taken" (2002). Die Entwicklung der Vorstellungen von den Außerirdischen in als real verstandenen Kontakten geht - trotz mancher Ausnahmen in einer nie eindeutigen Filmlandschaft - der Änderung in den fiktionalen Thematisierungen also zeitlich voran und folgt ihr nicht nach, wie man nach der kulturwissenschaftlichen Erklärungshypothese annehmen müsste (vgl. Luckhurst 1997). Selbst wenn die Bildwelten älterer Filme den 13 "War of the Worlds" (1953), "Invaders from Mars" (1953), "Killers from Space" (1954), "Target Earth" (1954), "Invasion of the Body Snatchers" (1956), "Invisible Invaders" (1959) - um nur die prominentesten Filmbeispiele zu nennen. 14 Zum Zusammenhang zwischen Science-Fiction-Literatur und politischideologischem Zeitgeist vgl. Hurst (2004: 98-99). 15 Die Dichotomisierung der Alienbilder in der Science-Fiction konstatierte bereits Bauer (1967: 41).
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symbolischen und ikonographischen ,Input' (etwa für das Aussehen der verschiedenen Alientypen oder die Inneneinrichtung der Raumschiffe) geliefert haben sollten - die zeitlichen Abläufe, wie ich sie wahrnehme, sprechen gegen eine dominierende Rolle von Science-Fiction-Filmen bei der Entstehung und Verbreitung der Entführungsdeutung. Außerdem ließen die meisten Filme und Fernsehserien, von denen hier die Rede ist, beim Rezipienten keinerlei Zweifel darüber aufkommen, dass in ihnen erfundene Geschichten erzählt werden. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Befunde der Medienwirkungsforschung 16 scheint es fraglich, dass solche explizit fiktionalen Produkte, Menschen dazu bringen können, sich in der Realität für Alienopfer zu halten. Anders ist dies bei medialen Formaten, die mit einem dokumentarischen Anspruch auftreten. Den Berichten über die Entführungen durch Außerirdische gingen mehr als drei Jahrzehnte öffentliche Thematisierung von UFO-Sichtungen voraus. 17 In diesem Zusammenhang fanden sich seit den fünfziger Jahren auch erste veröffentlichte Berichte von Personen über Interaktionen mit den Besatzungen der außerirdischen Raumschiffe. Die ,Contactees' erzählten von ihren Treffen mit Bewohnern verschiedener Planeten und von der Teilnahme an ,Besichtigungstouren' durch das Sonnensystem (vgl. Ellwood 1992). Diese und ähnliche Darstellungen unterschieden sich jedoch grundlegend von den späteren Entführungsberichten: Die Kontaktler der fünfziger und sechziger Jahre wurden nicht gegen ihren Willen entführt, an ihnen wurden keine medizinischen Experimente vorgenommen, die Interaktion mit den Aliens war - trotz aller beschriebenen zivilisatorischen Asymmetrien eher die zwischen Gleichgestellten (vgl. Newman/Baumeister 1996: 112). Erste Presseberichte über eine Entführung durch Außerirdische im heutigen Verständnis finden sich Ende der fünfziger Jahre, 1957, in Brasilien.18 Von weit größerer Bedeutung für die Entwicklung des Entführungsszenarios war jedoch der in der Sekundärliteratur immer wieder diskutierte Fall des OS-amerikanischen Ehepaars Hill aus dem Jahre
16 Einen Überblick über den Forschungsstand liefern Halff 1998; Bonfadelli 2001 und Schenk 2002. 17 Vgl. den Beitrag "UFOs in den Massenmedien- Anatomie einer Themati-
sierung" in diesem Band. 18 Ähnliche Vorfalle aus den zwanziger und dreißiger Jahren wurden von den
Betroffenen oder Berichterstattern erst nachträglich (also nach Entstehung des entsprechenden Deutungsmusters) als Entführungen durch Außerirdische interpretiert (so Randles 1999: 11-19).
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1961. 19 Große öffentliche Aufmerksamkeit erlangte er durch das Buch "The Interrupted Journey" von John Fuller (1966), über das auch international in der Presse berichtet wurde (in Deutschland etwa in Heft 51/1966 des Spiegel). Allerdings erlangte das Thema erst nach dem sprunghaften Anstieg der Entführungsberichte Mitte bzw. Ende der siebziger Jahre 20 die nachhaltige Aufmerksamkeit der Massenmedien; im Laufe der Achtziger wurden die "alien abduction experiences" schließlich zu einem weltweit kolportierten Phänomen (vgl. Whitmore 1993; Eberlein 1995; Klass 1996; Pilkington 1996; Thieme 1996; Bullard 2003). Während in den Zeitungen und Zeitschriften, im Radio und Fernsehen über die Entführungsberichte - damals wie heute - eher skeptisch und vielfach mit ironischem Unterton berichtet wurde, erschien zwischen dem Ende der siebziger und dem Ende der achtziger Jahre im englischsprachigen Raum eine Vielzahl von autobiographischen Erfahrungsberichten, von Fallsammlungen und Überblicksdarstellungen, in denen die Entführungen als Realphänomene einem breiten Publikum vorgestellt wurden: 21 1978: Travis Walton: "The Walton Experience", David Haisell: "The Missing Seven Hours"; 1979: Yurko Bondarchuk: "UFO Sightings, Laudingsand Abductions", Raymond E. Fowler I Betty Andreasson: "The Andreasson Affair"; 19 Hier fand wahrscheinlich auch zum ersten Mal eine Rekonstruktion der Erlebnisse unter Hypnose statt. "Under hypnosis the Hills remernbered having encountered a roadblock manned by short beings with !arge heads and eyes, small ears and mouths and hairless ashen-coloured skin. The aliens apparently controlled the Hills by hypnosis and took them into the saucershaped craft, whereupon the aliens performed a gruesome medical examination" (Bynum 1993: 88). 20 Bullards (1987a, 1987b) Fallsammlung der bis 1985 berichteten Entflihrungen zeigt einen ersten Anstieg der Berichte ab 1975. In seiner aktuellen Veröffentlichung unterscheidet der Autor drei zeitliche Phasen der Entflihrungsberichte: Die frühen Fälle bis zum Jahr 1977, die von den Büchern von Strieber und Hopkins beeinflussten Berichte zwischen 1978 und 1987 und die Erzählungen seit 1988. Die Fallsammlung weist für die entsprechenden Zeiträume 52, 131 und 254 berichtete Entführungsfälle auf (Bullard 2003: 88). Da die Zeiträume unterschiedlich lang sind und seine Quellen sehr disparat, können diese Daten lediglich als Indiz daflir angesehen werden, dass die Zahl der veröffentlichten Berichte seit Ende der siebziger Jahre stark angestiegen ist (vgl. auch Maginl991: 38). 21 Berücksichtigt sind hier lediglich die in der Sekundärliteratur immer wieder genannten Bände.
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1980: Frank Johnson: The Janos People: "a Close Encounter ofthe Fourth Kind", Judith M. Gansberg I Alan L. Gansberg: "Direct Encounters", D. Scott Rogo: "Alien Abductions. Tme Cases of Alien Kidnapping", Ann Druffel I D. Scott Rogo: "The Tujunga Canyon Contacts"; 1981: Budd Hopkins: "Missing Time", Jenny Randles I Paul Whetnall: "Alien Contact", Clive Harold: "The Uninvited"; 1982: Raymond E.Fowler I Betty Andreasson: "The Andreasson Affair: Phase Two"; 1984: John Rimmer: "The Evidence for Alien Abductions", Hilary Evans: "Visions, Apparitions, Alien Visitor"; 1987: Budd Hopkins: "Intmders", Whitley Strieber: "Communion- a Tme Story"; 1988: Richard Hall: "Uninvited guests", Jenny Randles: "Abduction", Brad Steiger: "The UFO abductors", Jacques Vallee: "Dimensions: A Casebook of Alien Contact"; 1989: Edith Fiore: "Encounters", Edwar Conroy: "Report on Communion", D. Scott Rogo: "The Return from Silence". Einige der Bände erreichten hohe Auflagen, wurden sehr populär und regten die Entstehung weiterer Medienprodukte an; so wurden etwa die Berichte von Strieber, Hopkins und Walton, jeweils einige Jahre nach ihrem Erscheinen, verfilmt. 22 Autoren mit ganz unterschiedlichen Intentionen (wie Made 1995: 2629; Pilkington 1996 und Paley 1997: 48) führen den starken Anstieg des öffentlichen Interesses am Thema in den achtziger Jahren übereinstimmend auf derartige ,Tatsachenberichte' zurück. Und tatsächlich liefert die massenhafte Verbreitung einer Vielzahl von Sachbüchern und (Auto-)Biographien, in denen die Entführungen als Realerlebnisse ebenso 22 "Communion" (1989), "lntruders" (1992) und "Fire in the Sky" (1993). Die Bedeutung des Spielberg-Films "Unheimliche Begegnung der Dritten Art" aus dem Jahre 1977 für die Verbreitung des Entführungsmusters wird hingegen in der Sekundärliteratur stark überschätzt: Erstens ist der Film für die Rezipienten deutlich erkennbar dem Bereich des Märchenhaft-Phantastischen zuzuordnen, und zweitens weicht das von ihm vermittelte Alienbild in zentralen Punkten von den Vorstellungen ab, die im Zentrum der Entführungsdeutung stehen.
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detailliert wie moralisch anklagend geschildert werden, eine plausible Erklärung nicht nur für den in der Bevölkerung um sich greifenden Verdacht, selbst Alienopfer zu sein, sondern ebenso für die auffälligen strukturellen Ähnlichkeiten der ,wiedererlangten' Erinnerungen der Betroffenen. Diese Bücher und die auf ihnen basierenden Filme generierten einen Korpus an ,gesichertem' Wissen über die Entführungen (etwa über den typischen Ablauf der Entführungen, das Aussehen und das Verhalten der Außerirdischen oder über die durchgeführten medizinischen Experimente), auf den zukünftige Opfer und deren Therapeuten zurückgreifen konnten. Viele der Bände forderten zudem von ihren Lesern explizit, auf die beschriebenen Symptome zu achten und sich gegebenenfalls an eine spezielle Beratungsstelle, entsprechende Selbsthilfegruppen oder einen mit dem Phänomen vertrauten Therapeuten zu wenden.
5. Entführung durch Außerirdische ein Phantom-Phänomen Die ,Entführungen durch Außerirdische' sind ein psychosoziales Phänomen, das dank der ausführlichen Berichterstattung in den Massenmedien öffentlich gut bekannt ist, dessen Realitätsstatus jedoch zwischen wissenschaftlichen Experten, Laienforschern und Betroffenen umstritten ist. Aus wissenssoziologischer Sicht handelt sich um ein Phantom-Phänomen, 23 das gleichermaßen zwei Segmenten der Realität angehört: Als Erzählung über die Konfrontation des Menschen mit nonhumanen, außerirdischen Akteuren entstammt es der Welt des Fiktional-Phantastischen. Als subjektiv sichere Erinnerungen an solche Konfrontationen gehört es zur kollektiv geteilten Realität von Betroffenen, ihren Unterstützern und des Publikums, das geneigt ist, an die Wirklichkeit jener Berichte zu glauben. Die soziale Realität der Entführungen wird dabei in einem Rückkoppelungskreislauf zwischen öffentlicher Thematisierung und individueller Opferkarriere konstituiert; in ihm spielen veröffentlichte Betroffenenberichte und die - sie gleichermaßen hervorrufenden wie von ihnen angeleiteten - psychotherapeutischen Praxisformen die entscheidende Rolle. Der Verlauf der individuellen Opferkarriere folgt im Wesentlichen dem Schema, wie es von Plaß und Schetsche (2000) für die "mediale Op23 Phantom-Phänomene nenne ich hybride Formen sozialer Wirklichkeit, bei denen aus strukturellen Gründen nicht mehr zwischen den traditionellen Modi ,fiktiv' und ,real' unterschieden werden kann (vgl. Schetsche 2000: 49-50 und Schetsche 2002).
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ferwerdung" bei modernen sozialen Problemen beschrieben worden ist: Vor dem Hintergrund einer entsprechenden Medienberichterstattung nähren unspezifische Symptome bei einigen Rezipienten den Verdacht, selbst zur Gruppe der Betroffenen zu gehören. Die nähere Beschäftigung mit dem Thema, etwa der Besuch von Vorträgen oder die Lektüre von Sachbüchern und Autobiografien zum Thema, erzeugt das Bedürfnis, sich Gewissheit zu verschaffen, was die Betreffenden in die Arme von Selbsthilfegruppen, Laienhypnotiseuren oder ,aufgeschlossenen' Therapeuten treibt. Im fortlaufenden Gespräch mit anderen ,Betroffenen' oder unter Hypnose wird der Verdacht schließlich zur vermeintlichen Gewissheit: Im interaktiven Prozess stellen sich mehr und mehr Bilder ein, die sich zu einem Entführungsszenario zusammensetzen lassen. Aus unscharfen Erinnerungsfetzen werden detailreiche Bilder und Szenen, aus unspezifischen Symptomen spezifische Anzeichen mit dem Status von Beweisen. Stück für Stück entsteht ein subjektiv sicheres Wissen über ein traumatisierendes Erlebnis, die Entführung durch Außerirdische. Am Ende dieses Prozesses steht für das Subjekt die unerschütterliche Gewissheit, in der Vergangenheit das Opfer von Aliens geworden zu sein. Eine zunächst mediale Wirklichkeit hat sich damit in eine subjektive Realität verwandelt, die jedoch aufgrund der sozialen Herkunft der Deutungslogik und des verwendeten symbolischen Materials eine in weiten Teilen intersubjektiv geteilte ist. Die Entführungsberichte sind also nicht deshalb strukturähnlich, weil sie auf übereinstimmenden Inhalten von Erinnerungen oder gar identischen Realerfahrungen beruhen würden, sondern weil unspezifische Symptome, kurze Erinnerungsfetzen und bizarre Traumbilder mit Hilfe kollektiv geteilter Wissensbestände und Interpretationslogiken gedeutet und in individuelle Erinnerungen verwandelt werden. Die medialen Darstellungen liefern dabei das erzählerische und visuelle Grundmaterial für die Erinnerungsproduktion, die veröffentlichten Erinnerungen wiederum die Basis für neue mediale Darstellungen. Soweit das wissenschaftliche Modell, das die zu Beginn des zweiten Kapitels gestellten Fragen zu beantworten vermag, ohne die Existenz von Außerirdischen und die Realität der erinnerten Entführungen voraussetzen zu müssen. Die subjektive Evidenz der Entführungserfahrungen kann dabei auch ohne das Vorliegen wissenschaftlicher Evidenz für die (scheinbar) erinnerten Erlebnisse anerkannt werden. Damit könnte der Fall wissenschaftlich als abgeschlossen gelten, die Akte ,alien abduction experiences' geschlossen werden. Allerdings bleiben, zumindest im Kontext des vorliegenden Buches, noch einige Fragen offen. Da ist zunächst die Frage nach den Entführungserlebnissen, die (a) von den Betroffenen permanent erinnert oder spontan (also ohne thera-
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peutischen Einfluss) wiedererlangt werden, die (b) aus der Zeit vor dem regelmäßigen Einsatz von Regressionshypnosen und der allgemeinen Bekanntheit des Deutungsmusters stammen oder bei denen (c) die Opfer bei Entführungsbeginn nicht geschlafen haben, sondern auf einsamer Landstraße usw. unterwegs waren, als etwas Ungewöhnliches geschah. Bei diesen Fällen, insbesondere bei jenen, die sich vor Ende der siebziger Jahre des vergangeneu Jahrhunderts ereigneten (vgl. Bullard 1999: 188), versagt nicht nur das hier vorgestellte Erklärungsmodell, das die große Mehrheit der neueren Berichte als iatrogene Erinnerungsproduktion auf Basis des sozial verbreiteten Deutungsmusters ,Entführung durch Außerirdische' zu erklären vermag, sondern es entfällt auch ein Großteil der für die oben diskutierten "psychoreduktionistischen" Erklärungshypothesen notwendigen Vorannahmen. Es spricht vieles dafür, dass wir es zumindest in einigen der berichteten frühen Fälle mit ganz außergewöhnlichen Realerfahrungen der Betroffenen zu tun haben, die mit herkömmlichen wissenschaftlichen Modellen nur schwer zu erklären sind. Zu denken wäre hier etwa an ungewöhnliche Bewusstseinszustände, spirituelle Erfahrungen, an ein Zusammentreffen mit einer unbekannten physikalischen Anomalie - oder eben vielleicht sogar an eine Begegnung mit fremdartigen Entitäten. Dies führt unmittelbar zu der Frage, wie begründet die vorgängige wissenschaftliche Zurückweisung der ,ET-Hypothese' ist, bei der letztlich auch die Ausführungen dieses Beitrags und das hier vorgeschlagene Erklärungsmodell ihren Ausgang genommen haben. Die von den Betroffenen selbst, ihren Advokaten und manchen UFO-Forschern vertretene These geht davon aus, dass es Tausende von Menschen gibt, die tatsächlich Kontakte mit Extraterrestriern erlebt haben - auch wenn die Erinnerungen die Kontakte nicht immer realitätsgerecht wiedergeben mögen. In der überwältigenden Mehrheit der von mir rezipierten fachwissenschaftliehen Beiträge zum Thema wird diese Hypothese zurückgewiesen, ohne sie auch nur ansatzweise einer ernsthaften Prüfung unterzogen zu haben. Falls eine solche Möglichkeit, was jedoch nur ausnahmsweise der Fall ist, überhaupt in Erwägung gezogen wird, wird sie sehr schnell mit dem Argument verworfen, dass die geschilderten Entführungen real nicht stattgefunden haben können, weil die Erde nun mal keinen Besuch von Außerirdischen erhält: Erstens sei die Existenz intelligenten Lebens außerhalb der Erde aus wissenschaftlicher Warte höchst zweifelhaft und zweitens wäre, selbst wenn diese Außerirdischen existieren würden, ein Besuch der Erde aufgrund der mit den großen Entfernungen im Weltraum verbundenen langen Reisezeiten so gut wie unmöglich. Wie ich in meinem anderen Beitrag in diesem Band ("Auge in Auge mit dem maximal Fremden?") deutlich gemacht habe, erweisen sich die-
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se Argumente bei gerrauerer Betrachtung jedoch als nicht übermäßig stichhaltig. Wenn man allein auf sie angewiesen wäre, um die Möglichkeit von Mensch-Alien-Kontakten der geschilderten Art zu negieren, müssten die zahlreichen Erfahrungsberichte sicherlich noch einmal unter völlig neuen Vorzeichen wissenschaftlich analysiert werden. Basieren also alle diskutierten wissenschaftlichen Erklärungshypothesen auf einer falschen Vorannahme und müssen dementsprechend negiert werden? Ich denke nicht. Meines Erachtens kann die von den Betroffenen und ihren Advokaten vertretene These, die Entführungen wären in der erinnerten Form tendenziell realitätsgerecht, wissenschaftlich nicht von vomherein ausgeschlossen werden - dass sie zutreffend ist, erscheint mir gleichwohl doch überaus unwahrscheinlich. Erstens liegen bis heute keine von den Erinnerungen der Betroffenen unabhängigen Hinweise (wie etwa Videos oder materielle Artefakte) auf die Entführungen von Menschen durch außerirdische Wesen vor, die einer wissenschaftlichen Nachprüfung standgehalten hätten (vgl. Basterfield 2003). Zweitens sind die Aliens in ihren Darstellungen in so extremem Maße vermenschlicht, dass ihr Status als reale nonhumane Akteure fraglich erscheint (vgl. dazu die grundlegenden Ausführungen bei Cohen 2002: passim). Drittens sind die Aussagen der Entführungsberichte hinsichtlich der technischen Möglichkeiten der Aliens außerordentlich widersprüchlich (etwa was das Verhältnis zwischen extrem fortschrittlicher Reise- und eher rückständiger Medizintechnologie angeht). Und viertens entsprechen die Details der technischen Ausrüstung der Fremden (etwa die beschriebenen medizinischen Geräte) in auffälliger Weise dem Stand der menschlichen Technologien zum jeweiligen Entführungszeitpunkt Letztlich sind es also die Inhalte der Entführungsberichte selbst, die gute Gründe für eine generelle Skepsis gegenüber dem von den Betroffenen favorisierten Erklärungsmuster liefern. Dies ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit, in der wissenschaftlichen Diskussion dieses außergewöhnlichen Phänomens, selbst eine zunächst unwahrscheinliche Erklärungshypothese zumindest ernsthaft zu prüfen und sie eben nicht, wie dies heute meistens geschieht, vorschnell aus der Diskussion auszuschließen. Schließlich bleibt noch die Frage, welche gesellschaftliche Bedeutung den Entführungserzählungen zukommt, wenn man sie - nach Prüfung aller Hypothesen und Argumente- letztlich nicht für die Folge realer Traumatisierung durch außerirdische Angreifer halten mag. Hier ist zunächst an den eigentümlichen Widerspruch zwischen der öffentlichen Karriere der Entführungsdeutung und den zur selben Zeit massenmedial dominierenden Alienbildem zu erinnern: Je freundlicher und friedlicher die kollektiv inszenierten Fremden (etwa in den Hollywoodfilmen) er-
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schienen, desto aggressiver und rücksichtsloser agierten ihre individuell imaginierten Verwandten - ganz so, als müsse sich eine bei Tage medial nicht thematisierte Furcht vor dem und den Fremden, bei Nacht in alptraumhaften Szenen ihr Recht verschaffen. Unabhängig davon, ob psychologisierende Deutungen dieser Art zutreffen mögen oder nicht, lernen wir aus den nächtlichen ,Begegnungen' doch etwas über das spezielle Verhältnis zwischen Menschen und Außerirdischen - seien diese nun real, hypothetisch oder imaginiert: Unerwartet, unvorbereitet und ungewollt auf den "maximal Fremden" (Schetsche 2004) zu treffen, muss weder ein Vergnügen sein, noch einen ,Quantensprung des spirituellen Bewusstseins' bei den Betroffenen auslösen. Ebenso möglich scheint eine überaus gewalthaltige Begegnung, welche die Betreffenden als verstörte Opfer einer in jeder Beziehung unverstandenen fremden Macht zurücklässt. Zumindest wenn wir von den zahlreichen Berichten über Begegnungen zwischen Menschen und Außerirdischen seit den achtziger Jahren des vergangeneu Jahrhunderts ausgehen, scheint die zweite Alternative sogar die deutlich wahrscheinlichere - und zwar weitgehend unabhängig von der Frage, ob wir es mit realen oder imaginären Erlebnissen zu tun haben. In beiden Fällen hätten wir etwas über die menschlichen Reaktionen im Angesicht des maximal Fremden gelernt.
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VERNÜNFTIGES REDEN UND TECHNISCHE RATIONALITÄT. ERKENNTNISTHEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN ZU GRUNDFRAGEN DER UFO-FORSCHUNG GERD H. HÖVELMANN
1. Einleitung: Erste Sichtungen Die Frage, ob auch andere Himmelskörper als die Erde biologisches Leben, eventuell auch dem Menschen vergleichbare, ebenbürtige oder möglicherweise gar überlegene intelligente Lebensformen hervorgebrachten haben, hat den Menschen schon beschäftigt, seit er einst fremde Himmelskörper als nicht selbst zur Erde gehörig, mithin als außer-irdisch, erkannt hat. Entsprechende Reflexionen haben folglich eine ehrwürdige, bis in die frühe Antike reichende Tradition. Selbst das Motiv der Begegnung mit vorgestellten Bewohnern dieser anderen Himmelskörper, mit Außerirdischen, ist antiken Ursprungs. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert tritt es dann nicht nur in okkulten, weltanschaulichen und später populären Darstellungen, sondern auch in zahlreichen wissenschaftlichen und philosophischen Überlegungen, Spekulationen und Utopien abermals in den Vordergrund. 1 Seit rund sechzig Jahren besteht zudem ein wissenschaftlich potentiell - und alltagsweltlich allemal - bedeutsamer zusätzlicher Anlass, im Hinblick auf die mögliche Existenz (und die erdnahe Präsenz) außerirdischer Lebewesen über Erwiesenes und Erdachtes, über Szenarien und Handlungsoptionen nochmals genauer nachzudenken. Die Sichtung so genannter "Fliegender Untertassen" durch den Amerikaner Kenneth
Instruktive Übersichten über wissenschaftliche, philosophische und literarische Diskussionstraditionen zum Motiv außerirdischer Lebewesen bieten beispielsweise Dick (1982); Guthke (1990); Crowe (1999); Akerma (2002); Lang (2004) und Wille (2005).
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Arnold im Jahr 19472 hat uns erstmals mit der Wahrnehmung Unidentifizierter Fliegender Objekte (UFOs) konkreter vertraut gemacht. Die Vorstellung, dass es sich bei diesen UFOs um von intelligenten Wesen gelenkte Raumschiffe handeln könnte, ist - auch wenn diese Auffassung durch den tatsächlichen Forschungs- und Diskussionsstand durchaus nicht gedeckt ist- die bevorzugte journalistische Deutung von UFOs 3 • Zugleich ist sie jene, die sich, wie angreifbar auch immer, in den Köpfen der Menschen anscheinend unverrückbar festgesetzt hat. Seit nunmehr sechs Jahrzehnten sind UFOs, zumeist von den genannten Mutmaßungen und Anspielungen auf Außerirdische(s) begleitet, weltweit so häufig in den Nachrichten, dass man ihnen kaum mehr Nachrichtenwert zubilligen mag. Jeder weiß heute, oder er glaubt doch wenigstens zu wissen, was er sich unter einem UFO vorzustellen hat. Wissenschaftler von hinlänglichem Rang haben sich jedoch allenfalls sporadisch mit dem fraglichen Phänomenbereich befasst, 4 wenngleich viele von ihnen bereitwillig zugestehen, dass er gegebenenfalls, sofern die Behauptungen über UFOs ausreichende Bestätigung erführen, von einiger wissenschaftlicher und auch sozialer Tragweite wäre (vgl. Swords 1992; Sturrock 1994). Die Fragwürdigkeit der Mehrzahl der wenigen tatsächlich staatlich, militärisch oder universitär verantworteten Untersuchungsberichte - etwa des notorischen Condon-Report (Condon/Gillmor 1968; zur Kritik vgl. Sturrock 1987) - steht darüber hinaus der von ihnen untersuchten Behauptungen, Berichte und Befunde kaum nach (zuverlässige Chronologien der kontroversen Diskussionsgeschichte bieten Jacobs 1975 und Swords 1989). Dessen ungeachtet ist es, im übrigen sehr häufig den sogenannten UFO-Forschern selbst, gelungen, die ganz überwiegende Mehrzahl behaupteter UFO-Sichtungen zuverlässig auf sicher identifizierbare, mehr oder weniger alltägliche Ursachen oder Anlässe zurück-
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Die journalistische Bezeichnung "flying saucers" (fliegende Untertassen) tauchte schon 1947 in den ersten Presseberichten aus Oregon über Amolds Sichtung aufund fand in der Öffentlichkeit rasche Verbreitung. Vgl. dazu den Beitrag "UFOs in den Massenmedien - Anatomie einer Thematisierung" in diesem Band. Hackett (1948) setzt sich allerdings bereits frühzeitig, nur ein knappes Jahr nach der Amold-Sichtung, in einer soziologischen Fachzeitschrift mit den "flying saucers" auseinander und sieht in ihnen ein "manufactured concept", das so rasch wieder verschwinden werde, wie es aufgetaucht sei. Davon abgesehen, dass dieser Prognose empirisch geringer Erfolg beschieden war, muss man sich klarmachen, was es heißt, die Objekte oder Auslöser von Beobachtungs- und Erfahrungsberichten seien "manufactured concepts".
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zufuhren. Missdeutete Planeten, Sterne, Meteore, eigentümliche Wolkenformationen, Kugelblitze, Wetterballone, zivile oder militärische Flugkörper, verwehte Kondensstreifen, Leuchtkegel von Disco-Scheinwerfern und Laser-Light-Shows, ferner Halluzinationen, Erinnerungs- und Sinnestäuschungen, vergleichsweise wenige absichtliche Inszenierungen und mancherlei anderes, ganz und gar Unspektakuläres, zählen zu den häufigsten und plausibelstell Erklärungskandidaten (geradezu lehrbuchmäßig dazu: Rendry 1979). Der Anteil dertrotzumfassender Recherche und im Wesentlichen ausreichender Datenlage5 dauerhaft unerklärt gebliebenen UFO-Berichte dürfte kaum 5% aller gemeldeten Fälle ausmachen.6 Das (günstigenfalls) desinteressierte Beiseitestehen der meisten Wissenschaftler, die geringe und unter dem Einfluss der Medien7 zweifellos nicht zum Wachstum neigende Reputation des Unternehmens sowie das Ausbleiben einer entsprechenden Forschungsförderung macht die UFOForschung zu einer wissenschaftlich marginalen Erscheinung und stellt sie, wie viele andere Bereiche der legitimen Erforschung wissenschaftlicher Anomalien, vor eine Reihe nichttrivialer Probleme. Die nach wie vor beteiligten Wissenschaftler haben vordringlichere Verpflichtungen und gehen der UFO-Forschung lediglich in ihrer Freizeit nach. Der weitaus größte Anteil der tatsächlichen Ermittlungs- und Überprüfungsarbeit wird daher von Laien und wissenschaftlichen Amateuren geleistet - mit allen Konsequenzen und Unwägbarkeiten, die dies unvermeidlich mit sich bringt (vgl. Schetsche 2004; Hövelmann 2005a, 2005b ). Für sorgsame Interpretation, theoretische Gewichtung und wissenschaftliche Einordnung der Resultate praktischer Untersuchungsarbeit bleibt kaum Zeit, und nicht selten fallen sie dilettantisch aus. All dies trägt zu einem zumindest umstrittenen Wissenschaftlichkeitsstatus der UFO-Forschung und ihrer Methoden maßgeblich bei - auch ohne dass sie dazu selbst das immerhin mögliche Szenario "Außerirdischer Besuch" in den Vordergrund hätte stellen müssen. 5
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Es ist einerseits den soziologischen und finanziellen Rahmenbedingungen der UFO-Forschung, andererseits der Nichtvorhersagbarkeit der Beobachtungsanlässe geschuldet, dass das Problem standardisierter Datenerhebung und Spurensicherung und deren auswertungsfreundlicher Dokumentation bis heute nicht zufriedenstellend gelöst ist (vgl. Rendry 1979; Westrum 1981: 18; lckinger 2006). Selbst dieser geringe prozentuale Anteil ergibt aber immer noch eine hohe drei-, wenn nicht vierstellige FallzahL Vgl. hierzu den Beitrag "UFOs in den Massenmedien -Anatomie einer Thematisierung" in diesem Band.
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Dies hat schon bald die Auffassung laut werden lassen, es möchten sich, wenn schon nicht die Wissenschaftler selbst, so doch wenigstens die Philosophen und Wissenschaftstheoretiker der systematischen erkenntnistheoretischen und methodologischen Verortung der UFO-Forschung und der Klärung ihres wissenschaftlichen Status annehmen (ähnlich zuletzt Ammon 2006a: 146, 2006b: 211). Versuche dazu hat es in der Tat gegeben, wenigstens auf den ersten Blick. In der praktischen Durchführung haben diese sich jedoch trotz bisweilen anderweitiger Titelversprechen als in erster Linie wissenschaftspsychologische (Price-Williams 1972) oder -soziologische (Westrum 1977b; Blake 1979; Rardin 1982) Untersuchungen erwiesen, oder sie haben sich weniger einer wissenschaftsoder erkenntnistheoretischen Perspektive als einer zeitgenössisch populären Theorie der Wissenschaftsgeschichtsschreibung im Sinne von Kuhn und Lakatos verpflichtet gefühlt (Kornwachs 1975; Ferrera 1976).
2. Braucht die UFO-Forschung eine Wissenschaftstheorie? Wer allerdings Begutachtungen und Ratschläge seitens der Wissenschaftstheorie einfordert, tut gut daran, sich zunächst einmal der prinzipiellen Zuständigkeit dieser Disziplin zu vergewissern. Die Wissenschaftstheorie ist systematisch, wenn auch nicht ihrem historischen Ursprung nach, eine etablierte Abteilung der philosophischen Erkenntnistheorie. Sie befasst sich traditionell unter theoretischen und praktischen Aspekten mit den Wissenschaften und im Besonderen mit den Geltungsgründen für wissenschaftliche Aussagen. Unter anderem werden allgemeine, d.h. alle oder die meisten Wissenschaften betreffende Fragen, wie beispielsweise die Rolle der Sprache, des Experiments, der Begriffs- und Theorienbildung für wissenschaftliches Wissen oder die Definition von Wissenschaftlichkeit, d.h. die Abgrenzung von Wissenschaft und Nichtwissenschaft, diskutiert. Es werden aber auch spezielle, fächerspezifische Probleme bearbeitet, wie etwa Messprobleme in der Physik oder Fragen experimenteller Wiederholbarkeit in den unterschiedlichen Erfahrungswissenschaften. Wenn also die UFO-Forschung den Anspruch erhebt, wissenschaftlich zu sein oder werden zu wollen, und wenn außerdem noch einerseits ein hoher Erwartungsdruck der Öffentlichkeit, andererseits verbreiteter Argwohn der etablierten Wissenschaft auf ihr lasten, dann ist grundsätzlich durchaus die Wissenschaftstheorie zuständig. Freilich ist gleich einzuräumen, dass "die" Wissenschaftstheorie sich - von der vorstehend skizzierten, allgemein gehaltenen und daher unter Wissenschaftstheoretikern selbst weitgehend konsensfähigen Aufgaben-
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beschreibungihres Fachs einmal abgesehen- genauso wenig als ein einheitliches, fest gefügtes Unternehmen präsentiert wie die "UFOlogie". Dieser Umstand verdankt sich dem historischen Faktum, dass die Wissenschaftstheorie zunächst nicht als ein Ableger der philosophischen Erkenntnistheorie von Fachphilosophen entwickelt worden ist, sondern Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Grundlagendebatte philosophisch interessierter Vertreter von Fachwissenschaften wie der Mathematik und Physik, die sich disziplininternen Grundlagenkrisen ausgesetzt sahen. Die beiden wohl prominentesten der seinerzeit etablierten Strömungen in der Wissenschaftsphilosophie, der Logische Empirismus des Wiener Kreises und der Kritische Rationalismus Poppers, haben nun allerdings zu einer bis heute vorherrschenden Richtung der Wissenschaftstheorie geführt, die sich damit bescheidet, Wissenschaften selbst nur wieder analytisch-empirisch wie vorfindliehe (Natur-)Gegenstände zu erforschen und zu beschreiben. Die Wissenschaften mit ihren Theorien, Methoden und ihrer Geschichte werden dabei so, wie sie nun einmal faktisch betrieben werden, zwar besser verstanden (oder wenigstens besser verstehbar), ansonsten aber in keiner Weise gestört. Die lediglich beschreibende, bloß deskriptive und als solche szientistische Wissenschaftstheorie bleibt damit grundsätzlich affirmativ. Sie bleibt affirmativ im übrigen auch dann, wenn sie über Normen oder Vorschriften, zu denen bereits Definitionen und Messvorschriften zählen, bloß beschreibend spricht. Wissenschaftstheorie (oder synonym: die Philosophie der Wissenschaften) muss jedoch einer derartigen Selbstbeschränkung nicht unterliegen. Die Alternative zum Beschreiben ist bekanntlich das Vorschreiben, denn neben dem Behaupten ist in allen Lebensbereichen auch das Auffordern eine unentbehrliche Kommunikationsleistung. Eine präskriptive oder normative Wissenschaftstheorie arbeitet entsprechend Aufforderungen, Regeln oder Vorschriften aus, wie Wissenschaft zu betreiben, wie Theorien zu bilden und wie Behauptungen zu überprüfen seien. Sie versteht die Gegenstände der Wissenschaften als "Konstruktionen", d.h. als Produkte zweckrationalen, an praktischen Erfolgen und Misserfolgen ausgerichteten und erprobten menschlichen Handelns, und sie sieht ihre Aufgabe eben in der methodischen "Re-Konstruktion" dieser regelgeleiteten Gegenstandskonstitution. Auf dieser Grundlage unterzieht sie die faktischen Wissenschaften einer kritischen Überprüfung ihres methodischen, letztlich auf alltagspraktische Handlungskompetenz zurückführbaren Aufbaus. Ein solches Programm der Rekonstruktion und Fundierung komplexer Wissenschaftssprachen und der von ihnen beschriebenen wissenschaftlichen Praxen und Wissensbestände begreift die Wissenschaften als Hochstilisierungen solcher lebensweltlicher Handlungskompetenzen.
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Sie unterstellt für alle Fundierungsprobleme folglich die Möglichkeit, in letzter Instanz auf alltagsweltlich "immer schon beherrschtes" Handlungswissen und die mit ihm verknüpfte Praxis zurückzugreifen (Hövelmann 1989; Janich 1992, 1997). Ausführlicher müssen wir uns zu den Aufgaben von Wissenschaftstheorie zunächst gar nicht äußern. Denn bereits jetzt dürfte hinreichender Anlass zum Zweifel bestehen, dass eine so verstandene konstruktive, handlungsbasierte Wissenschaftstheorie (oder irgendeine andere) der UFO-Forschung, wie zuweilen erhofft, tatsächlich etwas zu sagen haben könnte, das gegebenenfalls über das von ihr zu anderen Wissenschaften bereits Gesagte hinausginge. Die vorstehenden knappen, aber notwendigen Erläuterungen machen vermutlich auch bereits etwas nachvollziehbarer, weshalb die angesprochenen früheren Autoren wissenschaftspsychologischen, -soziologischen oder -historiographischen Perspektiven den Vorzug vor einer im eigentlichen Sinne erkenntnistheoretischen Betrachtung gegeben haben. Denn wie könnte man hoffen, zu einer dann handlungstheoretisch zu unterlegenden Gegenstandskonstitution der UFO-Forschung philosophisch beizutragen, solange keineswegs (und noch nicht einmal) sicher ausgemacht ist, was denn der Gegenstand des Wissenschaftsaspiranten "UFOlogie" eigentlich ist - oder ob er einen solchen überhaupt hat? Das bedeutet nicht, dass über bestimmte Probleme der UFO-Forschung nicht auch mit philosophischem Klärungs- und Sicherungsanspruch sinnvoll und erfolgführend geredet werden könne. Es zeigt jedoch, sofern wir dies aus anderen Gründen nicht bereits wüssten, dass die UFO-Forschung sich mit einer beachtlichen Zahl von Nachweis-, Begründungs- und Rechtfertigungspflichten konfrontiert sieht, die keiner der etablierten, weil im genannten Sinne praktisch erfolgsbewährten wissenschaftlichen Disziplinen mehr abverlangt werden müssen. Bereits dieser letzte Satz ist jedoch kein selbst (fach-)wissenschaftlicher, sondern ein philosophischer. Dies gibt Anlass zu der Vermutung, dass die philosophische Reflexion über die Wissenschaften und ihre Erkenntniszwecke und -mittel zumindest bei der Erwägung einiger grundsätzlicher Fragen und Probleme der UFO-Forschung dann doch von Nutzen sein könntevielleicht gar längerfristig auch bei der Erörterung der Frage, was denn von der sogenannten "extraterrestrischen Hypothese" zu halten sei.
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3. Einige philosophische Probleme der UFO-Forschung Eine wissenschaftstheoretische Betrachtung der UFO-Forschung und ihrer konkreten Anliegen und Probleme steht also, bei Licht besehen, einstweilen vor der wenig beneidenswerten Aufgabe, theoretische und methodologische Richtlinien für die Beantwortung einer Forschungsfrage zu entwickeln, ohne dass sie bereits eine zufriedenstellende Antwort auf die Vorfrage hätte, ob die in dieser Forschungsfrage vorkommenden Wörter überhaupt reale Referenten haben. 8 Gibt es UFOs überhaupt? Wenn ja, in welchem Sinne? Wie reden wir eigentlich über UFOs? Welche systematischen Unterscheidungen treffen wir dabei? Und welche Konsequenzen haben sie für die Forschungspraxis, die Darstellung dieser Praxis und die Deutung und Einordnung ihrer Resultate?
3.1 Sprachliche Unterscheidungen Wissenschaft ist sprachgestütztes Handeln. Von der Art und Weise, wie wir nicht nur über unsere wissenschaftliche Handlungspraxis, sondern auch über das die Forschung begleitende und ausdeutende Reden sprechen, hängt folglich einiges ab. Betrachten wir, damit dies nicht hypothetisch bleibt, den zentralen Terminus unseres Untersuchungsgebiets, die Wendung "Unidentifiziertes Fliegendes Objekt". Schon diese Bezeichnung ist höchst voraussetzungsreich und hat zu lange währenden kontroversen Diskussionen mit immer wieder neuen Definitionsvorschlägen, immer raffinierteren Konkretisierungs- und Ausschlussklauseln und entsprechend zunehmender kommunikativer Unhandlichkeit geführt (vgl. z.B. Hynek 1972, 1983; Martin 1982, 1983; Evans 1983). Ist das Wort "unidentifiziert" noch einigermaßen unproblematisch, 9 weil es nur der 8
9
Dies impliziert nicht, dass nicht auch über nur behauptete, imaginierte, hypothetische oder mutmaßlich nicht existente Gegenstände (einschließlich entsprechender Lebensformen) unabhängig von jeweils aktuellen Realitätszuschreibungen wissenschaftlich und philosophisch sinnvoll und erkenntnisträchtig geredet werden könnte, was im Übrigen auch dauernd und in ganz beträchtlichem Umfang geschieht (vgl. Ellerbroek 1987; Hövelmann 2007; Hövelmann im Druck). Die UFO-Forschung tritt demgegenüber jedoch mit dem prinzipiellen Anspruch an, eine Wissenschaft über lebensweltlich Vorfindliches und Aufweisbares zu sein. Dass manche Autoren den Buchstaben "U" des Akronyms "UFO" nicht als "unidentifiziert", sondern als "unidentifizierbar"/"unidentifiable" auflösen
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verständigungssicheren Kennzeichnung eines aktuellen, aber reversiblen (Un-)Wissensstandes zu einem gegebenen Zeitpunkt dient, so macht sich "fliegendes Objekt" gleich mehrerer Unterstellungen schuldig, die, was übrigens im Forscherkreis weitgehend konsensfähig ist, aufgrunddes aktuellen Forschungsstandes kaum gerechtfertigt sind: "Fliegendes Objekt" unterstellt beispielsweise im Normalverständnis, man wisse bereits, könne davon ausgehen oder habe Anlass zu der Vermutung, dass UFOs natürliche oder (von wem auch immer) künstlich hergestellte, jedenfalls aber materiale und damit prinzipiell manipulierbare Gegenstände seien, die zudem eine eigenständige oder aber von Lebewesen technisch implementierte Bewegungs- und Manövrierfähigkeit besäßen. Jede einzelne dieser durch die Wortwahl nahe gelegten Deutungen ist in der UFO-Forschungsgemeinschaft zumindest umstritten, und sie geben zu weiteren Missverständnissen, Fehldeutungen und fragwürdigen Interpretationen Anlass: Ist ein mutmaßliches UFO, das auf dem Erdboden stehend von Zeugen entdeckt und beobachtet wird, noch ein "fliegendes" Objekt? Oder auch nur ein flugfähiges? Inwiefern sind am Himmel beobachtete Lichterscheinungen, über deren Gestalt, Abmessungen und Konturen angesichts der Beobachtungsbedingungen nichts weiter festgestellt und folglich auch nichts ausgesagt werden kann, überhaupt "Objekte"? Wird dies (vernünftiger- oder vorsichtigerweise) verneint, was soll es dann heißen, dass da "etwas fliege"? Und bedeutet, dass ein "Objekt fliege", zugleich bereits, dass es als ein dirigibles Objekt durch jemanden oder etwas auch "geflogen werden" könne? In welchem Sinne soll einem der behaupteten flugzeugbegleitenden und von Piloten wahrgenommenen, vom Radar aber nicht aufgezeichneten UFOs Objekt-Charakter zugebilligt werden, wenn schon eine der Registrierapparaturen, deren expliziter technischer Zweck die Identifizierung und Verfolgung von Objekten ist, ein solches nicht festzustellen vermag? Und überhaupt: Sind wir uns denn sicher, dass mein UFO auch dein UFO ist? Statt herkömmlicher, in der Literatur zumindest bis vor kurzem gängiger, aber in mancher Weise vorbelasteter oder irreführender Definiti-
und damit die prinzipielle Nichtautklärbarkeit der behaupteten Phänomene unterstellen, wollen wir hier nicht weiter verfolgen. Denn die Auffassung, UFOs seien grundsätzlich "unidentifizierbar", nimmt faktisch unverfügbare Kenntnisse nicht nur einer bestimmten, sondern jeder möglichen, gegenwärtigen oder künftigen, wissenschaftlichen oder sonstigen kommunikablen Erkenntnisfahigkeit für sich in Anspruch und ist damit selbst keine wissenschaftliche.
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onsversuche, 10 wollen wir im Folgenden Begriffsbestimmungen im Sinne einstweiliger sparsamer Redekonventionen verwenden, die möglichst ohne Vorannahmen auskommen, welche empirisch erst noch festzustellende Sachverhalte präjudizieren. Dabei wird es sich indessen nicht vermeiden lassen, den eingeführten und in zeitgenössischen Diskussionen kaum adäquat ersetzbaren Begriff "Unidentifiziertes Fliegendes Objekt" (UFO) weiterhin zu verwenden, seinen Gebrauch aber in der folgenden Weise zu beschränken: "Das Kürzel UFO steht für ,Unidentifiziertes Fliegendes Objekt' und hat für UFO-Forscher keinen darüber hinausgehenden Bedeutungsüberschuss" (Wunder 2006a: 7). Diese Redenorm legt - ungeachtet der Weiterverwendung der vorstehend als semantisch unnötig vorbelastet kritisierten Wörter - ausdrücklich keine Deutungen nahe, erlaubt keine Annahmen über Formen oder Wirkungen, Eigenschaften oder Objektcharakter, Herkunft oder Zweckbestimmung. Sie impliziert insbesondere nicht das populäre Deutungsstereotyp "außerirdisches Raumschiff'. Da Menschen immer wieder charakteristisch beschriebene Erscheinungen am Himmel und in manchen Fällen auch am Erdboden sehen, ist die Existenz von UFOs in diesem Verständnis völlig unstrittig. Eine Frage wie "Gibt es UFOs wirklich?" (Obemdorfer 1985) muss dann als terminologisch unreflektiert und wenig zielführend gelten. Wie bereits angesprochen, findet die Mehrzahl der berichteten UFOSichtungen nach der Untersuchung durch Experten, die sogenannten UFO-Fallermittler, und von diesen hinzugezogenen Spezialisten diverser Fachdisziplinen, zufriedenstellende herkömmliche Erklärungen. Solche aufgeklärten einstmaligen UFOs werden als "IFOs", nämlich als "Identifizierte Fliegende Objekte", bezeichnet (Hendry 1979). Nur in einem vergleichsweise geringen Prozentsatz der gemeldeten Fälle gelingt letztlich keine befriedigende oder als hinreichend wahrscheinlich geltende Zurückführung von UFO-Sichtungen auf bekannte Ursachen oder Umstände. Solche weiterhin ungeklärt bleibenden UFOs heißen "UFOs im engeren Sinne". Auch deren Existenz als Residualkategorie ist nicht strittig. Unser jeweils aktuelles Erklärungsvermögen ist ersichtlich von der Genauigkeit der Fallaufzeichnungen, von der Verfügbarkeit der erforderlichen technisch-apparativen Ausstattung, von unserer Zugriffsmöglichkeit auf einschlägige, etwa meteorologische oder gegebenenfalls auch militärische Daten, von der Kompetenz und Findigkeit des betreffenden UFO-FaHermittlers und der hinzugezogenen Experten und allemal min-
10 Auf eine terminologische Einsicht Allan Hyneks kommen wir jedoch in einem anderen Zusammenhang sogleich zurück.
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destens vom gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnis überhaupt abhängig. Dies hat weitere bedeutende Konsequenzen: etwa die, dass auch die Zuweisung von UFOs zur Residualkategorie der "UFOs im engeren Sinne" revisionsoffen ist. Das heißt, dass selbst diese "UFOs im engeren Sinne" mit einiger Wahrscheinlichkeit nur "UFOs auf Zeit" sein werden. Es ist möglich, kann aber freilich nicht garantiert werden, dass eine Zunahme einschlägigen technischen Vermögens und wissenschaftlichen Wissens, mithin Wissenschaft der Zukunft, dereinst auch vorläufige "UFOs im engeren Sinne" zuverlässig identifizieren und sie in "IFOs" verwandeln wird. Eben darauf gezielt hinzuarbeiten, ihre gebietseigenen Anomalien aufzuklären und sie möglichst auch theoretisch an den Korpus wissenschaftlichen Wissens anschlussfähig zu machen, kann nicht nur, sondern muss letzten Endes die legitime Aufgabe jeder UFO-Forschung sein, die Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch nehmen und sich vom Vorwurf des Obskurantismus freihalten will. Der Zweck der UFOForschung, wie jeder anderen Forschungsbemühung im weiten Bereich der wissenschaftlichen Anomalistik, ist es mithin, sich selbst als eigenständiges Unternehmen tendenziell oder doch immer wieder punktuell entbehrlich zu machen - auch wenn ein solches Szenario sich realiter bisher am Horizont allenfalls weniger Teilgebiete der Anomalistik abzeichnet. Dabei ist, recht verstanden, für das Phänomen der UFOSichtungen wenigstens logisch keineswegs ausgeschlossen, dass eine künftige Wissenschaft ein "UFO" dereinst dadurch zu einem "IFO" macht, dass sie es als ein (dann) so alltäglich vertrautes Objekt wie ein "außerirdisches Raumschiff' erklärt.
3.2 Wie "normalwissenschaftlich" ist die UFO-Forschung? In der öffentlichen Diskussion gerne übersehen, in wissenschaftlichen Kontexten aber meist berücksichtigt, wird der Umstand, dass selbst UFO-Fallermittler sich in den seltensten Fällen mit UFOs oder deren unmittelbaren Spuren befassen. Untersuchungsgegenstand sind vielmehr ganz überwiegend Schilderungen von UFO-Sichtungen, mithin sogenannte UFO-Berichte oder UFO-Meldungen. Allan Hynek, der als der Mentor der wissenschaftlichen UFO-Forschung gilt, hat schon früh versucht, dieser Tatsache in seinen eigenen Definitionsbemühungen Rechnung zu tragen. Seine Definition eines UFOs hat er folglich aus mehreren Hilfsdefinitionen konstruiert, deren systematisch grundlegende die Definition des UFO-Berichts ist (Hynek 1972: 3-4, 10). Ob dieses definitori-
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sehe Gesamtkonstrukt im Detail geglückt (vgl. die Einwände von Martin 1982: 84-86) oder auch nur erforderlich gewesen ist, mag hier dahingestellt bleiben. Wissenschaftspraktisch folgenreich ist indessen, dass insbesondere Naturwissenschaftler, die um die Vielfalt und Komplexität möglicher Himmelserscheinungen wissen, durch bloße Berichte über ungewöhnliche Wahrnehmungen und Erlebnisse selbst dann schwerlich zu beeindrucken sind, wenn diese von ansonsten durchaus unverdächtigen, als gewissenhaft geltenden Zeugen oder Gruppen von Zeugen stammen. Der Psychologie und gegebenenfalls der Pathologie von Wahrnehmungsund Verarbeitungsprozessen, den forensischen und kommunikationswissenschaftliehen Disziplinen und der Soziologie tritt der Naturwissenschaftler dann (und meist nicht ungern) die wissenschaftliche Zuständigkeit ab. Es gibt jedoch eine nach inzwischen immerhin rund sechs Jahrzehnten durchaus respektable Zahl von UFO-Sichtungsfällen, in denen berichtete Unidentifizierte Fliegende Objekte mit ihrer Umgebung wechselwirken und dabei identifizierbare und analysierbare physikalische, biologische, medizinische oder physiologische Spuren oder Folgeerscheinungen zurücklassen. Solche Hinterlassenschaften stellen selbstredend auch für den Naturwissenschaftler legitime Untersuchungsgegenstände dar (vgl. Haines 1979; Ludwiger 1992; vor allem Sturrock et al. 1998), zumal diese Spuren selbst ja meist nur insofern als ungewöhnlich anzusehen sind, als sie mit Behauptungen ungewöhnlicher Weisen, Ursachen oder Umstände ihrer Entstehung verlmüpft sind. Ohne dass an dieser Stelle auf deren Resultate detaillierter eingegangen werden könnte oder müsste, existiert eine beträchtliche Anzahl entsprechender Publikationen zu Untersuchungen, die sich solcher Spuren mit dem gängigen naturwissenschaftlichen oder medizinischen Methodeninventar und oft auch mit aller wünschenswerten Akribie angenommen haben. Detaillierte Forschungsberichte liegen unter anderem vor zu fotografischen und filmischen Dokumenten mutmaßlicher UFOs (vgl. z.B. Nixon 1974; Schneider 1976; Haines 1987; Maccabee 1987; Wieder 1993; Mosbleck 1998; Druffel et al. 2000), zu Radaraufzeichnungen (vgl. Societe Belge d'Etude des Phenomenes Spatiaux 1994; Haas 1995), zu Funktionsbeeinträchtigungen an Fahrzeugen und Maschinen (vgl. Falla 1979; Rodeghier 1981 ), zu Gravitations-, Trägheits- und elektromagnetischen Effekten (vgl. Hall 1960; Brand 1978; Zeidman 1979; Maccabee 1994, 1999; Vallee 1998a), zu nach einer mutmaßlichen "UFOLandung" verbliebenen Bodenspuren (vgl. Phillips 1975; Faruk 1989; Velasco, 1990; Vallee, 1998b; Budinger 2003) und Vegetationsschäden (vgl. Bounias 1990; Vallee 1990a; Simakov 1995), zu physiologischen Wirkungen aufund medizinischen Folgen für beteiligte menschliche Be-
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obachter und zu einigen weiteren mit traditionellem naturwissenschaftlichen Handwerkszeug analysierbaren Spuren und Proben (vgl. Haines 1980; Schuessler 1996; Don/Moura 1997). Nicht nur die schiere Existenz, sondern auch der wissenschaftliche Kenntnisertrag dieser recht zahl- und nicht selten auch umfangreichen Studien belegt einerseits, dass die UFO-Forschung zur Stimulation und auch zur eigenen kompetenten Durchführung ganz und gar normalwissenschaftlicher Forschung geeignet, bereit und in der Lage ist, sofern qualifizierte Fachwissenschaftler zur Mitarbeit gewonnen werden können. Die verwendeten Methoden gehören zum Standardrepertoire diverser Teilgebiete der Physik, wie der Optik, Elektrotechnik und Ballistik, ferner der Antriebs- und Raketentechnik, der Astronomie, der Biologie und Biochemie, der Meteorologie, der Materialkunde und Ingenieurwissenschaften, der Pflanzenphysiologie, der Geologie, der Medizin und mancherlei weiterer Disziplinen. 11 Solche Studien demonstrieren - eben dadurch- auch, dass die UFO-Forschung auf dieser Ebene keiner gesonderten wissenschaftstheoretischen Begleitung bedarf, die über diejenige, die sich für die traditionellen wissenschaftlichen Disziplinen bewährt hat, in irgendeiner Weise hinausginge. Was die Studien der genannten Art dokumentieren, ist im Wesentlichen gediegenes wissenschaftspraktisches Alltagsgeschäft Insofern geschieht nichts, was sich methodologisch von herkömmlicher Wissenschaft unterschiede und was diese insofern besorgen müsste - außer dass sich, manchmal vielleicht, das eine oder andere etwas verstörende Resultat einstellt, mit dem man unter einer herkömmlichen wissenschaftlichen Hypothese nicht hätte rechnen müssen.
11 Freilich lässt schon diese Aufzählung beteiligter Wissenschaften keinen Zweifel an dem Umstand, dass selbst der Teil der UFO-Forschung, der sich auf greif- und vorweisbare Spuren mutmaßlicher UFOs konzentrieren kann, bislang über keinerlei eindeutige disziplinäre Verortung, geschweige denn über eine entsprechende Einbettung verfUgt. Eben dies aber zeigt, dass die UFO-Forschung, wenigstens bis auf Weiteres, ein legitimes Teilgebiet der Anomalistik ist, die als ein transdisziplinäres Unternehmen flir solche Anomalien zuständig ist, die den alleinigen Kompetenzbereich einzelner Fachdisziplinen überschreiten. Im Gegensatz dazu werden intradisziplinär verhandelbare Anomalien, deren es ebenfalls zahlreiche gibt, nicht oder nur in Ausnahmefällen zu Gegenständen eines semi-institutionalisierten Forschungszusammenhangs der Anomalistik - beispielsweise dann, wenn die Biologie als dominant zuständige Disziplin die Befassung mit mit kryptazoologischen Problemen oder die Archäologie die Kenntnisnahme von Zeugnissen präkolumbianischer Kultur- und Handelsbeziehungen zwischen den Kontinenten tabuisiert bis verweigert.
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3.3 "Wunder, von denen ich nur historisch weiß" Wie wir gesehen haben, ist die UFO-Forschung also nicht allein aufverbale Wiedergaben von Sichtungserfahrungen angewiesen. Vielmehr kann sie in manchen Fälle auch auf materiale Spuren zurückgreifen und diese traditioneller wissenschaftlicher Begutachtung, Analyse und Beurteilung unterziehen. Gleichwohl ist es so unbestreitbar wie faktisch unbestritten, dass der UFO-Forscher es bei der ganz überwiegenden Mehrzahl selbst der "UFOs im engeren Sinne" ausschließlich mit mündlichen oder schriftlichen, allenfalls um krude Handskizzen ergänzten Erfahrungsberichten deljenigen zu tun hat, die UFO-Sichtungen melden, und bei denen es sich wiederum nur um eine Teilklasse derjenigen handelt, die UFO-Sichtungserfahrungen machen. Alle greifbaren repräsentativen Stichproben stimmen darin überein, dass nur ein sehr geringer Prozentsatz der UFO-Sichter ihre Sichtungen und Erfahrungen in irgendeiner zur Auswertung geeigneten Form tatsächlich auch zur Kenntnis gibt. 12 Dem Sozialwissenschaftler bieten solche UFO-Meldungen reichhaltiges Studienmaterial (vgl. besonders Wunder 2006b). Er muss jedoch stets der Einsicht Rechnung tragen, dass es sich bei denjenigen Berichten, die ihn erreichen, um eine in hohem Maße nicht zufällige Auswahl aus den tatsächlich erstellten Meldungen handelt, die ihrerseits wiederum eine vielerlei Einflüssen geschuldete Selektion eigentlicher Sichtungserfahrungen darstellen. Von publizierten UFO-Berichten auf UFO-Meldungen und von diesen wiederum auf UFO-Sichtungen hochzurechnen, ist zweifellos ebenso wenig statthaft wie der Rückschluss von berichteten UFO-Erfahrungen aufreale Ereignisse. Eine subjektzentrierte, sozialwissenschaftliche, an der jeweils persönlichen Sichtungserfahrung Einzelner, an deren Deutung und individuellen Bewältigung interessierte UFOForschung verfügt mithin über umfangreiches Material. Demgegenüber steckt die objektzentrierte UFO-Forschung, die sich aus solcherlei UFOMeldungen Aufklärung über die mutmaßlichen Objekte oder Ereignisse erhofft, die solche UFO-Sichtungserfahrungen hervorrufen, in einem unauflösbaren Dilemma. UFO-Sichtungen können prinzipiell nicht beliebig induziert, die Bedingungen ihres Zustandekoromens mithin nicht experimentell kontrolliert und variiert und damit auch Forschungsdaten nicht nach Belieben neu erhoben werden (zur Konzeptualisierung experimenteller Wiederholbarkeit vgl. Hövelmann 1984). Entsprechend bleibt der UFO-Forscher meistens, abgesehen von den relativ zur gesamten Fall-
12 Vgl. hierzu den Beitrag "UFO-Sichtungen. Ein Versuch der Erklärung äußerst menschlicher Erfahrungen" in diesem Band.
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zahl wenigen zuvor diskutierten Fällen mit erhalten bleibenden materialen Spuren, allein auf die Verfügbarkeit von Erfahrungsberichten mit all ihren unabschätzbaren Zufälligkeiten, Unwägbarkeiten und Fragwürdigkeiteil verwiesen, 13 unter denen die Reliabilitäts- und Glaubwürdigkeitsprüfung von Zeugenaussagen nur eines der prominenteren Problemfelder markiert (vgl. z.B. Loftus 1996; Amtzen/Michaelis-Amtzen 2007 sowie speziell zur Zeugenschaft bei UFO-Sichtungen Westrum 1977 a; Greenwell1979; Keul/Phillips 1984). 14 In Fällen juristischer Beweisführung mögen - trotz der hohen Ansprüche, die aus guten Gründen an die Begutachtung der Glaubwürdigkeit von Zeugen gestellt zu werden pflegen - Unwägbarkeiten der genannten Art, obgleich höchst risikobehaftet, noch in Kauf zu nehmen sein. Denn die Alternative wäre, auf zeugengestützte Rechtsprechung gänzlich zu verzichten, woran niemandem ernstlich gelegen sein kann. Wenn es indessen um wissenschaftliche Wahrheits- und Geltungsansprüche geht, dann sind auch wohlmeinend und subjektiv aufrichtig vorgetragene, gar mit vorfindliehen materialen Spuren verträgliche Erfahrungsanekdoten ganz ungeeignet, um wissenschaftliche Gewissheiten zu begründen (zumal in Fällen wie der UFO-Forschung, in denen die etablierte Wissenschaft ohnehin keinen drängenden Entscheidungsbedarf zu erkennen vermag). Schon Lessing versucht in seiner klugen Streitschrift "Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft" (Lessing 1777/1875) dieses Problems ausschließlich anekdotischer historischer Evidenz Herr zu werden, findet aber ebenfalls keine überzeugenden Gründe zur Zuversicht:
13 Die Annahme, UFO-Berichte und Berichte über Entführungen durch Außerirdische seien nichts weiter als Erzählungen, damit genau genommen "Literatur", allerdings zur notwendigen Voraussetzung einer kommunikationsanalytischen Untersuchung zu machen, die hernach empirisch herausgefunden zu haben behauptet, dass derartige Berichte eben "bloß Literatur" seien (Harendarski 200 I; deutlich differenzierter allerdings Harendarski 2003), ist freilich methodologisch angreifbar (Hövelmann 2001). Eine solche Sicht vernachlässigt zudem, dass derartigen Berichten zwar ggf. "literaturgewordene", ansonsten aber in vielen Fällen durchaus nicht zweifelhafte außergewöhnliche Erfahrungen zugrunde liegen, die sehr wohl ergiebiger Gegenstand psychologischer oder sozialwissenschaftlicher Analyse werden können (und sollten). 14 Zu den spezifischen Problemen der Übertragbarkeit bewährter methodischer Standards der Erforschung von Spontanfällen auf die UFO-Forschung vgl. Mayer/Schetsche (2006).
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"Ein Andres sind erfüllte Weissagungen, die ich selbst erlebe, ein Andres erfüllte Weissagungen, von denen ich nur historisch weiß, daß sie Andre wollen erlebt haben. Ein Andres sind Wunder, die ich mit meinen Augen sehe und selbst zu prüfen Gelegenheit habe, ein Andres sind Wunder, von denen ich nur historisch weiß, daß sie Andre wollen gesehen und geprüft haben[ ... ] Wenn ich zu Christi Zeiten gelebt hätte, so würden mich die in seiner Person erfüllten Weissagungen allerdings auf ihn sehr aufmerksam gemacht haben. Hätte ich nun gar gesehen ihn Wunder thun, hätte ich keine Ursache zu zweifeln gehabt, daß es wahre Wunder gewesen [... ] [W]enn noch jetzt von gläubigen Christen Wunder gethan würden, die ich für ächte Wunder erkennen müßte: was könnte mich abhalten, mich diesem Beweise des Geistes und der Kraft[ ... ] zu fügen? Daran liegt es, daß dieser Beweis des Geistes und der Kraft jetzt weder Geist noch Kraft mehr hat, sondern zu menschlichen Zeugnissen von Geist und Kraft herabgesunken ist. Daranliegt es, daß Nachrichten von erfüllten Weissagungen nicht erfüllte Weissagungen, daß Nachrichten von Wundem nicht Wunder sind. Diese, die vor meinen Augen erfüllten Weissagungen, die vor meinen Augen geschehenen Wunder, wirken unmittelbar. Jene aber, die Nachrichten von erfüllten Weissagungen und Wundern, sollen durch ein Medium wirken, das ihnen alle Kraft benimmt. [... ] Wenn keine historische Wahrheit demonstriret werden kann, so kann auch nichts durch historische Wahrheit demonstriret werden [... ] [!]eh leugne gar nicht, daß Christus Wunder gethan, sondern ich leugne, daß diese Wunder, seitdem ihre Wahrheit völlig aufgehöret hat, durch noch gegenwärtig gangbare Wunder erwiesen zu werden, seitdem sie nichts als Nachrichten von Wundern sind (mögen doch diese Nachrichten so unwidersprochen, so unwidersprechlich sein, als sie immer wollen) mich zu dem geringsten Glauben [... ] verbinden können und dürfen" (Lessing 177711875: 271-273, 275). Nachrichten von Wundern sind eben keine Wunder. Hätte Lessing, sagt er, die biblischen Wunder nur selbst erlebt, wäre er bei der Heilung des Aussätzigen, der Erweckung des Toten, nur selbst zugegen gewesen, er zögerte nicht, sie als wahre Wunder anzuerkennen. Würden Wunder nur zu seiner wunderarmen Zeit noch auftreten, er würde sich ihnen und dem durch sie vermittelten persönlichen Evidenzerleben bereitwillig fügen. Was aber wäre denn, Lessing, wenn Dein Wunsch Dir erfüllt worden wäre, wenn Du Dich von der "Ächtheit" der Wunder selbst hättest überzeugen dürfen? Brächte nicht auch Dein nachträglicher Bericht nur eine subjektive Gewissheit des Wunders zum Ausdruck? Wäre auch er nicht längst zum unverbindlichen Zeugnis "herabgesunken"? Würden so nicht auch "Deine" Wunder für jeden anderen zu bloßen "Nachrichten von Wundem"?
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Dieses Problem historischer Zeugenschaft mag in den von Lessing bemühten religiösen Kontexten, in denen auch "Jesus [... ]uns vornehmlich als erzählte Person, häufig auch als erzählter Erzähler, entgegen" tritt (Weinrich 1973: 330), durch Glaubensbereitschaft aufgelöst werden. Glauben, bloßes Fürwahrhalten, ist in wissenschaftlichen Zusammenhängen freilich keine zulässige Option. Berichten, auch solchen über UFOs, kommt keinerlei berechtigten wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Beweiskraft hinsichtlich der Faktizität des Berichteten zu. Solche Zeugnisse können zwar unter Umständen zur Persistenz, auch zur Virulenz, des Diskussionszusammenhangs beitragen, die zur Diskussion stehenden Fragen selbst aber nicht beantworten. Oder wiederum mit Lessing: "Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von nothwendigen Vernunftwahrheiten nie werden" (Lessing 177711875: 273).
Schlussbemerkung: UFOs und Außerirdische Das Wort "Außerirdischer" oder eine äquivalente Bezeichnung ist im bisherigen Verlauf dieses Beitrags noch an keiner systematisch erheblichen Stelle vorgekommen. Dies lässt vermuten, dass die Deutungsoption "UFOs sind Raumschiffe oder sonstige Wirkungen Außerirdischer" für die UFO-Forschung zumindest nicht konstitutiv ist, auch wenn die Berichterstattung der Massenmedien eine gegenteilige Auffassung nahezulegen scheint. Bis heute hat sich nur eine geringe Zahl gestandener Wissenschaftler darauf verstehen können, UFOs selbst bzw. Berichte über UFOs für eine wissenschaftlich ernst zu nehmende und entsprechend untersuchungswürdige Erscheinung zu halten. Diese Zurückhaltung verstärkt sich zusehends insbesondere dann, wenn die Vermutung ausgesprochen wird, UFOs könnten als Indizien für die wenigstens zeitweilige Anwesenheit Außerirdischer auf der Erde ausgelegt werden- über "Aliens" entrüstet man sich eben noch behaglicher als über bloß "unidentifizierte" Himmelserscheinungen. Zugleich billigt jedoch auch die mutmaßliche Mehrheit aktuell tätiger UFO-Forscher den Deutungsoptionen, die das Wirken Außerirdischer in Anspruch nehmen, eine durchaus geringe Wahrscheinlichkeit zu, obgleich auch solche Vorstellungen einige eloquente Fürsprecher haben und das Thema in der Literatur beidseits engagiert diskutiert wird (vgl. etwa Swords 1989, 1992, 2006; Vallee 1990b, 1991; Wood 1991; Haines 1994). Außerirdische(s) ins Kalkül zu ziehen, ist mithin- wenigstens bis auf Weiteres- keine vordringliche Verpflichtung einer UFO-Forschung, insofern sie wissenschaftspraktisch um empirische Faktenfeststellung und die Sicherung ihres Forschungsgegenstandes bemüht ist. Dies kann hin-
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gegen sehr wohl Aufgabe einer (dann tunliehst handlungstheoretisch geschulten) Erkenntnistheorie der UFOlogie sein, die darüber nachdenkt, ob etwas (und dann ggf. was) durch UFO-Forschung über ein zu technischer Intelligenz herangereiftes nichtmenschliches Leben außerhalb der Erde gewusst oder erfahren werden kann.
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SET I. DIE WISSENSCHAFTLICHE SUCHE NACH AUSSERIRDISCHER INTELLIGENZ IM SPANNUNGSFELD DIVERGIERENDER WIRKLICHKEITSKONZEPTE MARTIN ENGELBRECHT
1. Diskursdimensionen Die wissenschaftliche Suche nach außerirdischem intelligenten Leben, die unter dem Akronym ,SETI' 1 mittlerweile weltbekannt geworden ist, in ihren Annahmen und Ansprüchen und im Für und Wider ihrer Verfechter und Kritiker ,objektiv' zu beschreiben, scheint schwierig, wenn nicht unmöglich. Die von SETI aufgeworfenen Fragen reichen erkennbar so tief, dass sie geeignet sind, sogar hinter den scheinbar sicheren Rückzugsräumen dessen, was üblicherweise als ,Boden der Tatsachen' etikettiert wird, die unterschiedlichsten Perspektiven, Prämissen und Grundannahmen herauszuschälen: Bezüglich SETI scheint es nicht einen, sondern viele ,Böden der Tatsachen' zu geben. Im Folgenden wird deshalb versucht, die Affinitäten und Zusammenhänge der Diskurse um SETI in einer Weise nachzuzeichnen, die man vielleicht als ,wissenssoziologische Ethnographie.2 beschreiben könnte: Nicht von einem- häufig impliziten - ,Boden der Tatsachen' aus, sondern im Spannungsfeld einer Fülle von Diskursen, die zwar durchweg eigenständig sind, sich aber im Für und Wider um SETI wie in einem Brennglas bündeln.
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SETI steht für ,Search for Extraterrestrial Intelligence' . Zur Vermeidung der Tautologie ,SETI-Forschung' wird im Folgenden dem sich zunehmend einbürgernden Sprachgebrauch folgend nur das Akronym ohne Pronomen benutzt. Die sich auf Seiten der Wissenssoziologie z.B. auf Hitzier 1999, im Bereich der Ethnologie etwa auf Ansätze von Geertz 1987 oder Koepping 1984 stützt.
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Noch vor jeder wissenschaftlichen Diskussion stößt die Frage nach Leben außerhalb unseres Planeten aufunterschiedliche Paradigmen ,gesunden Menschenverstands'. Wenn etwa Thomas Weber (2004b: 7) schreibt: "Die menschliche Phantasie scheint was das Weltall betrifft von einem unheilbaren horror vacui befallen zu sein", markiert er damit - wenn auch wenig schmeichelhaft- eines von ihnen: Die Überzeugung, die gigantischen Räume des uns bekannten Universums könnten nicht lediglich die Menschheit als einzige denkende Rasse hervorgebracht haben. Diese Überzeugung ist nicht selten verbunden mit einer mehr oder weniger intensiven Faszination und einem Interesse daran, dieses Leben forschend oder wenigstens in der Phantasie auszuloten; die Frage nach Kosten und Nutzen einer solche Suche beantwortet sich hier von der Überzeugung her, dass es sich um eine zivilisatorische Pflicht handelt (vor dem Hintergrund dessen, was Marie-Luise Heuser in diesem Band über Giordano Bruno berichtet, könnte man diese Haltung als ,Alltagsgiordanismus' bezeichnen.) Wie so oft markiert Weber mit seinem Verdikt gleichsam spiegelbildlich noch ein weiteres, ebenfalls intuitives und vorwissenschaftliches Paradigma, und zwar eines, das den "Unendlichkeiten, die mich umschließen" (Pascal o.J.: 5) in einer Art ,Alltagsaristotelismus' (siehe unten) den Rücken zuwendet. Ist bereits die Frage der Existenz außerirdischen Lebens völlig offen, so ist ihre Relevanz für die Menschheit noch viel unsicherer, schon angesichts der Distanzen im Universum. Und überdies lässt bereits ein oberflächlicher Blick auf unser eigenes Leben und unsere eigene Welt die Faszination und die Hoffuung der ersten Haltung naiv und vielleicht sogar gefährlich erscheinen - ist es nicht aus vielen Gründen eventuell sogar besser, diese Büchse der Pandora ungeöffuet zu lassen? 3 Beide Positionen tragen viele Namen. Die eine Seite versteht den Streit gern als eine Auseinandersetzung zwischen ,Visionären' und ,Engstirnigen', die andere belegt ihn vorzugsweise mit Etiketten wie ,(Quasi-) Religion' vs. ,Realismus'. In einer gewissen Weise stehen hier zwei ,unheilbare', weil vorwissenschaftliche grundlegende Intuitionen gegeneinander, ein unheilbarer Optimismus bezüglich einer potentiellen Lebensfreundlichkeit von Welt und Weltraum und ein mindestens ebenso un3
Interessanterweise darf dieses zweite Paradigma in keiner Weise mit Technikfeindlichkeit gleichgesetzt werden, im Gegenteil: Die Erforschung und Erschließung des- in erster Linie erdnahen- Weltraums durch die Raumfahrt stößt als ,realistischer' und pragmatischer Zugang durchaus auf Verständnis, ein Punkt der hier aus Platzgründen leider nicht weiter verfolgt werden kann (vgl. als Beispiel für diese Haltung Walter 2001).
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heilbarer Pessimismus, der weder dem Weltall noch dem Leben allzu viel zutraut - schon gar nicht dem intelligenten Leben. Interessanterweise können sich beide Paradigmen auf eine lange Reihe prominenter Vorläufer bis in die antike Philosophie hinein berufen. 4 Die Reihe der philosophischen Verfechter der Idee vieler belebter Welten beginnt mit Demokrit und Lukrez und reicht, angefüllt mit zahlreichen prominenten Namen, bis in die Gegenwart. So schreibt beispielsweise selbst Immanuel Kant, ein auch für skeptische deutsche Geister des Schwärmerturns eher unverdächtiger Denker, in seiner "Kritik der reinen Vernunft": "Daher sage ich, ist es nicht bloß Meinung, sondern ein starker Glaube (auf dessen Richtigkeit ich schon viele Vorteile des Lebens wagen würde), daß es auch Bewohner anderer Welten gebe" (Kant 1977: 691). Auf der anderen Seite hat der bereits erwähnte Aristoteles als einer der ersten ein philosophisches Paradigma bereitgestellt, das aus je unterschiedlichen kosmologischen, aber auch pragmatischen Gründen von einer Zentralität und qualitativen Herausgehobenheit von Erde und Menschheit ausgeht (vgl. Walter 2001: 5-7). Die an dieses Konzept anschließende Vorstellung einer Menschheit "Einsam im All" (Weber 2004c) findet bis in die Gegenwart ebenfalls ungebrochen prominente Fürsprecher, darunter beispielsweise den Nobelpreisträger Jacques Monod (Davies 2008: 42, vgl. zu weiteren prominenten Vertretern dieser Position Weber 2004c und Snyder 2004). Parallel zum Streit um die Suche nach außerirdischer Intelligenz (allerdings auch von hier aus angestoßen und fortgesetzt inspiriert, vgl. Drake/Sobel 1994: 81) verlaufen die naturwissenschaftlichen Debatten um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Leben im All überhaupt. Die grundlegende Relevanz, die die religiösen Diskurse der USA 5 in diesem Kontext für SETI besitzen, wird allerdings in Deutschland mit seinen zum Thema überaus schweigsamen Großkirchen 6 kaum oder nur einseitig wahrgenommen. Das ohnehin vorhandene intellektuelle Unbeha4
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Vgl. dazu die Überblicksdarstellungen in Walter (2001: 1-52); Michaud (2007: 9-24); verschiedene Beiträge in Weber (2004a) und den Beitrag "Transterrestrik in der Renaissance" von Marie-Luise Heuser in diesem Band. Vgl. zur substanziellen und tendenziell eher zunehmenden Bedeutung christlicher Diskurse und Organisationen für die USA Kalischeuer 1994 oder Finke/Stark 2005. Die in den USA aktuelle und brisante Debatte um den eng mit diesem Fragenkreis verbundenen Kreationismus flammt im deutschsprachigen Raum nur gelegentlich auf (vgl. etwa Schönborn 2005 und Rosien 2005).
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gen europäischer Skeptiker gegenüber der Fülle an durch die Vision außerirdischen Lebens inspirierter Kultur, die in erster Linie von den USA ausgehend durch die Welt schwappte (vgl. Pincio 2007), wird dementsprechend durch das, was sie in diesem Kontext als "metaphysische" Aufladung von SETI interpretieren, noch verstärkt (vgl. von Rauchhaupt 2004). Doch während es für ,Alltagsaristoteliker' problemlos möglich ist, UFOlogie, SF und noch mehr die sich auf Außerirdische richtenden Kulte (vgl. zu diesen Roth 2005 oder Battaglia 2005) problemlos in stabile Konzepte "moderner Mythologie" einzusortieren, 7 sperrt sich SETI aufgrund dessen, was Bruno Latour (1998) als dessen "Hybridität" 8 bezeichnen würde: Ein ,mythisches' Ziel, aber von kompetenten (und anerkannten) Wissenschaftlern als dezidiert wissenschaftliches Unternehmen verfolgt; mit modernster Technik arbeitend, sich dabei aber gleichzeitig auf die finanzielle und ideelle Hilfe zahlloser Fans und Visionäre stützend. Im Folgenden wird vor diesem Hintergrund zunächst ein kleiner Einblick in den kulturellen und ideengeschichtlichen Kontext zur Zeit des Beginns von SETI gegeben (Abschnitt 2.1 ). Anschließend erfolgt eine Skizze wichtiger Grundannahmen und technischer Rahmenbedingungen dieser Forschungsrichtung (2.2). Kapitel 3 thematisiert die Grundfragen der natur- und kulturwissenschaftlichen Diskussionen um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Leben im All, die sich aufgrund dieser Rahmenbedingungen stellen, und in Kapitel 4 wird der Bogen zurück zum Anfang geschlagen und die "Hybridität" von SETI vor diesem Hintergrund noch einmal beleuchtet. Einschränkend sei noch bemerkt, dass an dieser Stelle schon aus Platzgründen keine vollständige Einführung in Ansatz und Problemstel-
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Vgl. hierzu die Beiträge "UFO-Sichtungen. Ein Versuch der Erklärung äußerst menschlicher Efahrungen" und "UFOs in den Massenmedien - Anatomie einer Thematisierung" in diesem Band. Latour unterscheidet freilich nicht zwischen "hybriden" und "nicht hybriden" Phänomenen. Es geht ihm vielmehr darum, die Unzulänglichkeit der fortgesetzten theoretischen Dichotomisierung von ,Kultur' und ,Natur' und von ,Technischem' und ,Sozialem' anhand der allerorten existierenden "hybriden" Phänomene aufzuzeigen. "Hybride" sind demnach nicht Phänomene in denen sich ,Technisches' und ,Soziales' vermischt, sondern vielmehr Phänomene, an denen die immer schon bestehende, unaufhebbare Vermischung dieser herkömmlicher Weise als getrennt betrachteten Bereiche augenfällig und unabweisbar wird (Latour 1998).
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Iungen von SETI gegeben werden kann. 9 So wird beispielsweise die grundlegende Frage nach den Problemen der sprachlichen Verständigung mit den potentiellen Gesprächspartnern außen vor gelassen. Ziel des vorliegenden Textes ist es, SETI im Kontext der sich im Für und Wider dieses Projekts berührenden, karrtligierenden Wirklichkeitskonzepte zu beschreiben und zu zeigen, wie die wissenschaftliche Suche nach außerirdischem Leben und außerirdischer Intelligenz in entscheidender Weise existenzielle Fragen nach dem Sinn und den Chancen unseres eigenen Lebens und unserer eigenen Zivilisation anstößt und unablässig bearbeitet. Darin liegt der Grund für ihre Brisanz und Umstrittenheit.
2. SETI - Hintergrund und Struktur 2.1 "Space ... the final frontier" 10 Mitte des 20. Jahrhunderts wechselte der ,amerikanische Traum' innerhalb weniger Dekaden seine Richtung: Statt wie bisher auf die zwei Dimensionen der Erdoberfläche, besonders den magischen ,Westen' fokussiert zu sein, wandte er sich nun der dritten Dimension zu: Die ,frontier', die Grenze zwischen geordneter Zivilisation und unerschlossener Wildnis, die dem Pioniergeist seine Chance auf Erfolg und Wohlstand versprach, wanderte vom Horizont an den Zenit. In engem Zusammenhang stand diese Entwicklung mit einer immer umfassenderen Technologisierung des Alltags: Das Flugzeug wurde zunehmend zum Massenverkehrsmittel und mit ihm wuchs die enorme kulturelle und wirtschaftliche Prägekraft einer Industrie, für die in Theorie und Praxis Luft- und Raumfahrt zwei im Grunde nie wirklich getrennte Bereiche bildeten. Gleichzeitig technisierten sich die Haushalte. Die von Industrie und Werbung verfochtene "Kalifomisierung" des Alltags, das Versprechen eines mühelosen, angenehmen und sicheren Lebens auf der Basis moderner und preisgünstiger Technik verbanden sich zu einer einzigartigen, optimistischen Vision der Zukunft einer technisierten Menschheit auf Erden und im Himmel. 11
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Vgl. dafür von Hoemer 2003; Shostak und Barnett 2003; Ekers et al. 2002; Michaud 2007. 10 Mit diesen Worten beginnt der berühmte von Gene Roddenberry verfasste Prolog der klassischen "Star Trek"-Serie. II Wer sich einen visuellen Eindruck der Mächtigkeit dieser Vision verschaffen will, sei beispielsweise aufHeimarm 2005a und b verwiesen.
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Natürlich hatte diese Vision von Anfang an eine Kehrseite, die ihr wie ein Schatten folgte. Der Himmel war nicht nur Zone der Hoffnung, er war auch Quelle einer Bedrohung vollkommen neuer Qualität: Es bestand die Gefahr einer völligen Vernichtung des eigenen, bislang als unantastbar betrachteten Lebensraums vom Himmel herab. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass die Zeit der Ausbreitung auf der Erdoberfläche zu Ende war: Allüberall wurden politisch-militärische Einflusszonen abgesteckt und die Suche nach Räumen für das , freie Pionierleben' stieß nach Umrundung der Erde wieder auf sich selbst. So wurde der Weltraum die "final frontier" im doppelten Wortsinn - sowohl der endgültige, als auch der letzte Entfaltungsraum des amerikanischen Traums. Die amerikanische Kultur vollzog diese Wendung in ihrer ganzen (auch politischen) Breite mit, wobei SETI in vielfacher Weise für die Reaktion gebildeter und liberaler Teile dieses Spektrums steht. Schon die Gründer von SETI machen aus ihrer eigenen Ausgangsposition dabei kein Geheimnis. So beschreibt beispielsweise Frank Drake in seiner autobiographisch angereicherten Einführung in SETI seine Ablehnung der christlichen Überzeugungen, die ihm in der (protestantischen) Sonntagsschule beigebracht wurden, 12 und stellt in unmittelbarem Anschluss daran einen Zusammenhang dieser Frage mit SETI her: "Wenn Religion willkürlich war - wovon ich überzeugt war - dann war Menschlichkeit vielleicht auch willkürlich- so lautete eine von vielen möglichen Wahrheiten. Es gab für mich keinen Grund anzunehmen, daß die Menschheit das einzige Beispiel für Zivilisation und einzigartig im Universum sein sollte" (Drake/Sobel 1994: 23). Dieser für deutsche Leser keineswegs auf Anhieb einleuchtende Schluss belegt wie eine Reihe anderer Aussagen von SETI-Protagonisten die von den deutschen Debatten abweichenden ,Frontverläufe'. Üben hierzulande die ,linkend 3 Diskurse nach wie vor eine relativ strikte Selbstabgrenzung gegen ,Metaphysik', so sind die Grenzen innerhalb der amerikanischen Debatten weit durchlässiger. Und so wies SETI von Anfang an mehr als nur einen "weltanschaulichen Oberton" (von Rauchhaupt 2004: 222) auf. Wie in einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen deutlich wird, war und ist SETI eng mit humanistischen und pazifistischen Zielen und Idealen verbunden, 14 die aber stets 12 Kritik am Christentum, wenn auch anderer Art, übt z.B. auch der deutsche SETI-Experte Sebastian von Hoerner (2003: 107). 13 Von Rauchhaupt (2004: 222) weist zu Recht auf die grundlegenden Unterschiede zwischen europäischen und OS-amerikanischen ,Linken' hin. 14 So kritisiert z.B. Sebastian von Hoerner (2003: 101-108) in zwei Kapiteln die aktuellen Kriegs- und Wettrüstungsszenarien. Noch pointierter suchte besonders Carl Sagan in zahlreichen Veröffentlichungen Wege aus den ak-
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gut mit spirituellen Zielen und Lebensstilen kompatibel waren und sich auch oft mit ihnen verbanden und verbinden. Die Affinität zwischen Naturwissenschaft, humanistisch-pazifistischen Bemühungen und spirituellutopisch anmutenden Überzeugungen scheint schon 1961 auf, zum Beispiel in der Bezeichnung "Delphin Orden", die sich die Teilnehmer der ersten SETI Konferenz in Green Bank in spielerischer Weise selbst verliehen (Drake/Sobel 1994: 106). 15 Freilich - und daran lassen sämtliche Vertreter von SETI keinen Zweifel- verstehen sie sich selbst als Naturwissenschaftler und SETI als naturwissenschaftliches, empirisches Projekt, ein Anspruch, der von allen Beobachtern ungeachtet ihrer Skepsis bezüglich der Grundidee durchgängig anerkannt wird. Trotz seiner für manch europäisches Auge irritierenden , Sinnbefrachtung' ist SETI selbst kein Sinnsystem. Eher ist es - ähnlich wie zum Beispiel die Idee des Fliegens - zu den vielfältigen menschlichen Visionen zu rechnen, die lange Zeit als mehr oder minder belächelte ,Spinnereien' in den kollektiven Wissensbeständen ,aufbewahrt' werden. Doch immer wieder versuchen Menschen diese Visionen in die Tat umzusetzen, manchmal vergebens, manchmal (im Rückblick) erkennbar verfrüht, manchmal aber mit durchschlagendem Erfolg, wie eben die Fliegerei, die nach Jahrhunderten einer Existenz als ,unerfüllbarer Menschheitstraum' mittlerweile zum Standardrepertoire menschlicher sozialer und technischer Optionen gehört. Die oben skizzierte Neuausrichtung der amerikanischen Idee der ,Frontier' auf den Weltraum bot einen Rahmen, der die Vision einer wissenschaftlich durchgeführten Su-
tuellen (Selbst-)Gefährdungen unserer Zivilisation (vgl. z.B. Sagan und Druyan 1993: 11). 15 Die Rolle der Wale und Delphine (Cetacea) als ,Fall Eins' eines Kontaktes mit einer ,fremden' Intelligenz würde eine ausführliche Erörterung verdienen, die hier schon aus Platzgründen nicht geleistet werden kann. Die damals hochpopuläre Vision der Menschenähnlichkeit der Delphine (und ihrer moralischen Überlegenheit) scheint inzwischen weitgehend verflogen, die Debatte um "Anthropomorphismus" bzw. "Anthropoleugnung" (Bradshaw und Sapolsky 2007: 104) in der Interpretation tierischen Bewusstseins jedoch bildet bis heute eine in ihrer Bedeutung völlig unterschätzte Facette des Verstehens fremden Lebens, die eindrucksvoll demonstriert, dass dieses Fremdverstehen stets mindestens ebensoviel mit den Menschen und ihren Selbstkonzepten wie mit den- in diesem Fall recht alltäglichenFremden zu tun hat: Wann suchen wir anderes Bewusstsein und wann suchen wir uns im anderen Gewande? (Vgl. dazu auch Daston und Mitman 2005; Hurley und Nudds 2006).
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ehe nach außerirdischer Intelligenz sowohl technisch als auch sozial zum ersten Mal realisierbar erscheinen ließ. 16
2.2 Eine alte Idee und eine neue Methode Als Beginn von SETI gilt nach übereinstimmender Meinung der 8. April 1960. An diesem Tag nahm der Physiker Frank Drake zum ersten Mal mit Hilfe eines Radioteleskops die Suche nach außerirdischen Intelligenzen auf: 200 Stunden lang wurden zwei erdnahe Sterne auf einem Kanal nach eindeutig technisch erzeugten Signalen abgehört (Drake/Sobel 1994: 64-66, 113). Die Ausgangsintuition, die Drake und seine Mitstreiter bewegte, war dabei denkbar einfach: ausgerüstet mit einem der besten Radioempfänger ihrer Zeit stellten sie sich die Frage, ob sich nicht vielleicht ein außerirdischer Sender einstellen lässt - irdische Radiospezialisten suchten nach außerirdischen Radiospezialisten. Als naturwissenschaftliche Ausgangsbasis für die Annahme, es könne solche Sender geben, fuhrt Sebastian von Hoemer u.a. drei physikalische Grundprinzipien an: • Überall im Weltall existiert Materie, wie wir sie kennen. • Überall im Weltall gelten die Naturgesetze, wie wir sie kennen (vgl. von Hoemer 2003: 12). • "Alles, was nach den Naturgesetzen möglich ist, passiert auch tatsächlich, wenn genug Zeit und Raum gegeben ist" (Ergodisches Prinzip, S. 102). Die kosmologische Idee, die sich auf diese Prinzipien stützte, war einfach: Wenn sich an einer Stelle des Universums Leben ereignet hat, dann müsste es sich nach diesen Prinzipien auch an anderen Stellen ereignen. Die naturwissenschaftliche Diskussion um die Frage nach Leben im Universum schließt an dieser Stelle an und untersucht die vielfältigen Probleme, die sich im Gefolge dieser Annahmen bezüglich der Existenz von Leben ergeben (vgl. Kapitel 3). Für die Protagonisten von SETI war dies zumindest am Anfang kein Problem. Sie sind durchweg Vertreter der in-
16 "Es schien fast so, also ob die Existenz von Radioteleskopen die Thematik interstellarer Kommunikation geradezu erzwang, da diese Instrumente uns die Mittel zur Suche auf solch nachdrückliche Weise in die Hände legten" (Drake/Sobel 1994: I07). Es ist auch kein Zufall, dass die einzige Nation, in der sich parallel zu den USA SETI-Bemühungen entfalteten, die UdSSR als die zweite raumfahrende Nation war (ebd.: 146-176).
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tuitiven, optimistischen Überzeugung eines lebensfreundlichen Alls (vgl. von Hoerner 2003: 11 ). Geht man von einer grundsätzlichen Wahrscheinlichkeit der Existenz von ,Radiospezialisten' im All aus, dann müsste man sich eigentlich nur noch an sein ,Radio' setzen und lauschen- vorausgesetzt, man hat die finanziellen und technischen Mittel für eine lückenlose Überwachung: "The ideal detector would cover the whole sky, all the time, at all frequencies with very good sensitivity" (Ekers et al. 2002: 112). Über einen solchen idealen Empfänger verfügt SETI aber bis heute nicht, auch wenn enorme technische Verbesserungen eine Reihe von wichtigen Problemen lösen oder zumindest deutlich reduzieren konnten. Das Fehlen einer lükkenlosen Überwachungsmöglichkeit erforderte jedoch eine theoriegeleitete Forschung. Diese Anforderung brachte die Forscher in die von ihnen wohlreflektierte Lage, "verlorene Schlüssel unter einer Straßenlaterne" suchen zu müssen (Drake/Sobel 1994: 46): Die Suchparameter bestimmten sich (und tun es bis heute) in doppelter Weise: sowohl von den Annahmen über die Befindlichkeit der gesuchten intelligenten Zivilisationen, als auch - und in entscheidender Weise - von den technischphysikalischen Mitteln und Grenzen der Suche her. Nur solange sich beide decken, ist eine sinnvolle Suche überhaupt möglich - was fast zwangsläufig zu dem Suchkonstrukt eines ,Netzwerks technologisch überlegener Zivilisationen' führte: • Potentielle Kulturen, die nicht oder noch nicht über eine solche Technologie verfügen, oder solche, die sie aus welchen Gründen auch immer nicht nutzen, bleiben qua Methode zwangsläufig außen vor. 17 • Durch die Vielzahl der Quellen natürlicher Radiostrahlung in und jenseits unserer Galaxis ist das All, was Radiowellen angeht, ein außerordentlich ,lauter' Ort. Je weiter ein potentieller Sender entfernt ist, desto mehr Energie müssen seine Sendungen besitzen, um durch diesen ,Lärm' noch wahrnehmbar zu sein (vgl. Swenson 2002: 74). Sebastian von Hoerner verweist auf eine Schätzung, laut der potentielle Hörer mit einem der Erde vergleichbaren technischen Stand die von unserem eigenen Planeten ausgehenden militärischen Radioemissionen in maximal einhundert, die kommerziellen Fernsehsender in maximal zwanzig Lichtjahren Entfernung wahrnehmen könnten, eineangesichtsdes 100.000 Lichtjahre messenden Durchmessers un17 Diese Feststellung gilt im Wesentlichen auch flir andere Suchansätze, z.B. "Optical SET!", das hier aus Raumgründen nicht vertieft diskutiert werden kann (vgl. dazu Ekers et al. 2002: 200-228).
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serer Galaxis keine allzu große Distanz (vgl. von Hoerner 2003: 131 ). Um für die Erde erkennbar zu werden, müssen potentielle Gesprächspartner demnach entweder sehr nahe angesiedelt sein, oder erheblich stärker als die Erde senden. ,Unabsichtliche' Signale wie unsere eigenen Radioemissionen werden "isotrop" abgestrahlt, also in alle Richtungen, wobei die Stärke der Signale "umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung abnimmt" (Swenson 2002: 74). Die Reichweite von Richtsignalen ist bei gleicher Energieleistung beträchtlich höher, sie zu empfangen ist aber nur möglich, wenn der potentielle Sender aus welchen Gründen auch immer auf die Erde gerichtet ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies zufällig geschieht, ist minimal; nach Richtfunksignalen zu suchen macht also nur Sinn, wenn man davon ausgeht, dass enorm viele davon unterwegs sind, sprich, dass eine große Anzahl Sender regelmäßig miteinander kommuniziert und/oder dass diese Sender gezielt nach neuen Gesprächspartnern suchen - der "galaktische Club" (vgl. Drake/Sobell994 in Verweis aufein Buch von Ron Bracewell). Ein wichtiges Mittel, eine Sendung durch den irdischen wie den kosmischen ,Radiolärm' zu bringen, besteht darin, sie auf einer möglichst engen Bandbreite zu senden. Dieser Überlegung entsprechend jedoch einen Sektor des Himmels über die gesamten auf der Erde empfangbaren Frequenzen von einem bis fünfzehn Gigahertz auf der "günstigen engen Bandbreite von 1 Hz" zu durchsuchen, bedeutet, 14 Milliarden Bänder gleichzeitig abhören zu müssen (vgl. von Hoerner 2003: 119-127). DieSETI-Forscher suchten deshalb von Anfang an bevorzugt eine Reihe von Frequenzen mit niedrigem kosmischen Rauschen ab, darunter das berühmte "Wasserloch" (ebd.: 124), in der Hoffnung, dass die angenommenen Sender parallele Überlegungen anstellen.
Die drei letztgenannten Probleme sind freilich in entscheidendem Maße von der Entwicklung der irdischen Technik abhängig: So hat sich zum Beispiel die technische Fähigkeit, möglichst viele Bänder simultan abzuhören, seit den Anfangstagen von SETI enorm erhöht. Während Frank Drake noch mit lediglich einem einzigen Kanal arbeitete, so war es dem "NASA SETI" Projekt Anfang der neunziger Jahre bereits möglich, die Suche auf 28 Millionen Kanälen durchzuführen (vgl. Drake/Sobel 1994: 323). Die vorauszusetzende Leistung außerirdischer Sender sinkt also mit den steigenden technischen Möglichkeiten der irdischen Hörer. Doch es gibt noch weitere Einschränkungen:
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Die lange Laufzeit der Radiowellen sorgt dafür, dass potentielle Botschaften stets Botschaften aus der Vergangenheit sind: Mitteilungen eines 1000 Lichtjahre entfernten Senders würden auf der Erde eben erst 1000 Jahre nach der Sendung ankommen. Je weiter potentielle Sender also von der Erde entfernt sind, desto früher hätten sie mit ihren Sendungen beginnen müssen, um jetzt von uns gehört zu werden. Die Erde beispielsweise sendet seit ca. achtzig Jahren und ist dementsprechend derzeit maximal achtzig Lichtjahre weit wahrzunehmen. Da die populäre und von der SF in Romanen wie Filmen und Fernsehen in Breite bekannt gemachte Idee des überlichtschnellen Raumflugs von den SETI-Vertretern nahezu einstimmig in den Bereich der Phantasie verwiesen wird, 18 sind "ausgiebige Monologe, die sich auf dem interstellaren Postweg in der Ewigkeit kreuzen werden" (Drake/Sobel 1994: 329) die wahrscheinlichste Kommunikationsmethode unter diesen Prämissen. Das wiederum legt die Idee nahe, auf eine , Online-Version' einer "galaktischen Enzyklopädie" zu hoffen (ebd.: 238). Ein weiteres Schlüsselproblem ist der Zeitraum, der mit dem Belauschen eines einzelnen Sterns verbracht werden kann und der aus finanziellen wie technischen Gründen bislang sehr beschränkt war. Je größer die Empfindlichkeit eines Radioteleskops ist, desto kleiner ist der Himmelsabschnitt, den es überwachen kann, was die möglichen Beobachtungszeiträume für einzelne Sektoren aufkurze Perioden beschränkt (vgl. von Hoerner 2003: 155-156). Sterne nur punktuell abzuhören, macht jedoch nur Sinn, wenn man davon ausgeht, dass die potentiellen Sender (so wie wir) ununterbrochen auf Sendung sind (vgl. Lepage 2002)- eine Annahme, die noch mehr als die skizzierten anderen darauf verweist, wie stark die Suche nach außerirdischen
18 So etwa von Drake/Sobel (1994: 181) oder von Hoemer (2003: 114-9). Diese Frage ist eine der vielen in diesem Bereich, bei der zwei scheinbar unüberwindliche Paradigmen des ,gesunden Menschenverstands' einander gegenüberstehen: Das feste Wissen der Physiker um die unerbittlichen Grenzen, die die spezielle Relativitätstheorie der Fortbewegung mittels Raumschiffen setzt, steht gegen die durch Bilder von überlichtschnellen Raumschiffen gesättigte vorwissenschaftliche Intuition der Laien, die sich auf die Idee stützen, eine hinreichend fortgeschrittene Naturwissenschaft würde dafür schon eine Lösung finden. Genährt wird diese Überzeugung nicht selten von der verkürzten Rezeption aktueller Diskussionen aus der Physik (vgl. Ford und Roman 2005).
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Radioquellen von der Prämisse geprägt ist, potentielle technische Zivilisationen müssten sich auch sozial so verhalten wie unsere eigene. Der bislang letzte, spektakuläre Schritt in Richtung einer weit besseren, wenn auch keineswegs lückenlosen Überwachung gelang SETI in Gestalt der Inbetriebnahme des ATA (Allen Telescope Array) am 11. Oktober 2007 (vgl. www.seti.org/ata/; Stand vom 20.03.2008). 19 Anders als bei den meisten früheren Unternehmen kann das ATA gleichzeitig Daten für die radioastronomische Physik und für SETI liefern 20 und so eine der Haupteinschränkungen der Suche beseitigen, nämlich die Konkurrenz mit der konventionellen Radioastronomie um die Nutzungszeiten der vorhandenen Teleskope. Den Quantensprung, den das AT A für SETI darstellt, formulieren die Forscher selbstbewusst: "Because of its ability to study many areas in the sky at once, with more channels and for 24 hours a day, the Allen Telescope Array will permit an expansion from Project Phoenix's 21 stellar reconnaissance of 1,000 stars to 100 thousand or even 1 million nearby stars" (a.a.O.).
3. ,Natur' und ,Kultur' außerirdischer Radioexperten Ob außerirdisches Leben existiert, ist im Grunde eine empirische Frage und keine sonderlich komplizierte dazu - man muss eigentlich ,nur' nachschauen. Angesichts der schieren Größe des Untersuchungsraums kann die Frage jedoch nie abschließend negativ beantwortet werden. Nur wenn Leben entdeckt wird, ist die Suche (vorläufig) zu Ende, wenn nicht, könnte es immer noch just einen Stern weiter zu finden sein. Diese einseitig offene Struktur des Unternehmens bildete neben der notwendigen Anleitung der Suche durch hypothesengeleitete Überlegungen den zweiten und wahrscheinlich sogar wichtigeren Grund, warum die SETIProtagonisten sich schnell daran machten, ihre Bemühungen theoretisch zu fundieren und (Spendern wie Kritikern gegenüber) zu legitimieren. Gleichsam als "Tagesordnung" für die theoretische Arbeit auf der bereits erwähnten ersten SETI-Tagung in Green Bank entwickelte Frank Drake 19 Dem ATA liegen Ideen zugrunde, die bereits 1971 von SET!-Vertretern als "Project Cyclops" konzipiert wurden (vgl. von Hoerner 159-160). 20 Erstere werden von der University of California in Berkeley verarbeitet, die mit SET! kooperiert. 21 Das Projekt Phoenix gehört zu den den AT A Aktivitäten unmittelbar vorangehenden Forschungen von SETI (vgl. Ekers et al. 2002: 25-26).
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die vielzitierte "Drake'sche Gleichung", die er selbst weitsichtig als "Kompositum von Unsicherheiten" bezeichnet hat (Drake/Sobel 1994: 79): "N = R fP ne fj t; fc L", oder ausformuliert: "Die Anzahl (N) der entdeckbaren Zivilisationen im Weltraum ist gleich der Summe (R) von Sternenformationen mal dem Bruchteil (fp) der Sterne, die Planeten bilden, mal der Anzahl (ne) bewohnbarer Planeten, mal dem Bruchteil (fj) der Planeten, auf denen Leben tatsächlich entsteht, mal dem Bruchteil (f;) der Planeten, wo Leben zu intelligenten Wesen führt, mal dem Bruchteil (fc) der Planeten mit intelligenten Wesen, die eine interstellare Kommunikation führen können, mal der Zeit (L), während der eine solche Zivilisation entdeckbar bleibt" (ebd.: 89). Als sie die Gleichung mit Zahlen füllten, kamen die Teilnehmer der Tagung auf die nicht gerade kleine Spanne von 1000 bis 100 Millionen möglicher technisch fortgeschrittener (!) Zivilisationen in unserer Galaxis (vgl. Drake/Sobel 1994: 104). Die Überlegungen fokussierten sich dabei im Einklang mit dem Optimismus der Gründer (und dem eben skizzierten technischen Rahmen) auf deutlich überlegene Kulturen, deren zivilisatorische Spuren in Gestalt elektromagnetischer Strahlung unterschiedlicher Art mittels der SETI zur Verfügung stehenden Technik nicht allzu schwer aufzuspüren sein müssten (ebd.: 111-112). Entsprechend wurde im Laufe der Zeit ein dreistufiges Raster für die Einordnung potentieller Zivilisationen nach der Größe ihrer Energieerzeugung erstellt (vgl. Lepage 2002). Selbst die in Green Bank angenommene Untergrenze von 1000 solcher hochentwickelten Zivilisationen schien in doppelter Weise ermutigend. Sie bestätigte die Intuition des Unternehmens und legitimierte gleichzeitig die Suche mit (den damals noch) extrem eingeschränkten Mitteln. Wie schon frühere Vertreter einer optimistischen Haltung zu den Chancen des Lebens im All gelangten auch die SETI-Protagonisten zu dem Schluss, ein lebensfreundliches All würde zwangsläufig eine flächendeckende, gleichmäßige Verteilung von Biosphären mit intelligentem Leben implizieren. Darüber hinaus gingen sie auch davon aus, dieses Leben müsste mehr oder weniger zwangsläufig zu einer wissenschaftlich-technischen Meisterung elektromagnetischer Strahlung gelangen, ein Schluss, dessen Hintergrund Frank Drake im Rückblick so kommentiert: "Elektromagnetische Strahlung hatte auch das Leben der Astronomen und Physiker in unserer Gruppe aufbestimmte Weise geformt: Wir widmeten unser eigenes intelligentes Leben der Analyse des elektromagnetischen Spektrums [... ]. Es schien uns vernünftig, anzunehmen, daß andere Intelligenzen den gleichen Weg wählen würden" (Drake/Sobel 1994: 101).
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Skeptische Gegenpositionen setzten praktisch sofort mit ihrer Kritik ein. Bezüglich der Annahme des "galaktischen Clubs" verdichteten sie sich schnell im sogenannten "Fermi-Paradoxon", das sogar schon vor dem Beginn von SETI von dem gleichnamigen Nobelpreisträger formuliert wurde: 22 "Wenn sie so häufig sind, [... ] warum sehen und spüren wir dann nichts von ihren Taten?" (von Hoeruer 2003: 207). Anders gesagt: Würden die von den SETI-Vertretem vorausgesagten zahlreichen technisch fortgeschrittenen, elektromagnetische Strahlung emittierenden Zivilisationen existieren, hätte die Suche sie bereits ans Tageslicht fördern müssen (Lepage - 2002 - beispielsweise kommt zu dem Schluss, dass die bisherige Suche Zivilisationen solcher Art ausschließen kann). Viele Kritiker setzten jedoch schon weit vor dem Einwand des FermiParadoxons an. Von Anfang an war dabei sowohl den an der Suche Beteiligten wie den Gegnern die volle weltanschauliche Bedeutung des Unternehmens nur zu präsent. SETI fand die Unterstützung einzelner christlicher Theologen, so etwa Theodore Hesburgh (Drake/Sobel 1994: 7172), wurde aber von vielen abgelehnt und bekämpft. Frank Drake bringt pointiert deren Verbindung christlicher und aristotelischer Argumentation auf den Punkt: "Die Erde, so argumentierten diese, muß Gottes kleiner, blauer Schemel sein, die einzige Hochburg des Lebens in der ganzen unendlichen Weite des Kosmos" (ebd.: 293). Hauptsächlich aufgrund ihrer didaktischen Plausibilität erwarb die Drake'sche Gleichung im Folgenden so etwas wie Modellcharakter für die Struktur der Debatte, so dass sich fast alle umfassenderen Beiträge mehr oder weniger an ihr orientieren. Im Folgenden werden deshalb die wichtigsten Punkte der natur- und kulturwissenschaftlichen Diskussionen über die Möglichkeit außerirdischen Lebens entlang der Faktoren der Gleichung skizzenhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit nachgezeichnet. Die Frage nach der Häufigkeit planetarer Systeme (fp) und nach der Wahrscheinlichkeit, dass sie "bewohnbare" Planeten (in der Regel als ,erdähnliche' gedeutet) aufweisen (ne), ist derzeit in schneller Bewegung.23 Eine sich intensivierende astronomische Suche mit einem sich schnell verbessemden Methodeninstrumentarium (vgl. Neuhäuser 2008) 22 Dass eine substanzielle theoretische Kritik bereits vor dem ersten praktischen Versuch formuliert wurde, weist auf die weite Verbreitung der SETI zugrundeliegenden Ideen hin. Das Neue an SET! war nur, die Ideen in praktisches Forschungshandeln zu überführen. 23 Ständig aktualisierte Listen der entdeckten Welten werden u.a. auf www.exoplanet.eu und www.exoplanet.de geführt (vgl. dazu Neuhäuser 2008).
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fördert eine wachsende Anzahl an Planeten zu Tage, wobei die verfeinerten Messmethoden auch zunehmend kleinere, potentiell erdähnliche Planeten registrieren (vgl. Doyle u.a. 2001). Der Einwand, ob überhaupt hinreichend planetarer Raum für die Entfaltung potentiellen Lebens vorhanden sei, verliert mit jeder dieser Entdeckungen an Bedeutung. Ebenso ungeklärt wie umstritten ist "f1", also der Bruchteil der Planeten, auf denen tatsächlich Leben existiert. Hinter ihm steht die naturwissenschaftlich ebenso grundlegende wie für alle interessierten Wirklichkeitskonzepte religiöser oder nichtreligiöser Natur hochrelevante Frage nach der Entstehung des Lebens überhaupt. Dabei scheint sich in jüngerer Zeit der Fokus der naturwissenschaftlichen Diskussion zu verschieben. Paul Davies (seinerseits SETI-Unterstützer) beschreibt den Paradigmenwechsel: "So glaubte vor dreißig Jahren die Mehrzahl der Biologen, das Leben hätte mit einem chemischen Zufall seinen Anfang genommen, einem Ereignis von so geringer Wahrscheinlichkeit, dass sich dergleichen im Universum kein zweites Mal zugetragen haben dürfte. [... ] Inzwischen herrscht eine völlig andere Auffassung vor. Vor gut zehn Jahren nannte der belgisehe Biochemiker und Nobelpreisträger Christian de Duve Leben eine ,kosmische Zwangsläufigkeit'" (Davies 2008: 42).
Für diese Überlegungen gab und gibt es jedoch auch empirische Anhaltspunkte. Nicht zuletzt die auf der Erde zahlreich entdeckten "extremophilen" Kleinstiebewesen erweiterten den Blick für das Spektrum potentieller Lebensräume zumindest von Bakterien und Einzellern beträchtlich (vgl. Stan-Lotter 2002; Dieckmann u.a. 2002; Fredrickson/Onstott 2002). Es ist demnach kein Zufall, wenn die aktuelle Verteidigungslinie der naturwissenschaftlichen Verfechter eines lebensarmen Alls nicht mehr bei der Frage des Lebens überhaupt, sondern bei dem Faktor ,,ft, der Frage nach hochentwickeltem, nach intelligentem Leben angesiedelt ist. Nicht ohne Grund heißt der Untertitel des Buches der derzeit populärsten Kronzeugen gegen ein lebensfreundliches All: "Why Camplex Life is Uncommon in the Universe" (Ward/Brownlee 2000- Hervorh. M.E.). Der Versuch, vor der Auftindung einer zweiten Biosphäre zu einer theoretischen Klärung der Frage "Sind wir nun typisch, selten oder einmalig?" (von Hoerner 2003: 207) zu kommen, steht dabei vor einem entscheidenden logischen Problem: "Kann man Statistik machen mit N = 1" (ebd.: 56), oder anders formuliert: Welche der Faktoren, die zu unserer Existenz geführt haben, sind über die Erde hinaus verallgemeinerbar ("universal features") und welche sind spezifisch für uns ("parochial features"; Cohen/Stewart 2004: 103). Das eben skizzierte Beispiel der ex-
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tremophilen Bakterien illustriert die dabei in der Regel verwendete Vorgehensweise, Analogieschlüsse aufgrund auf der Erde beobachtbarer Sachverhalte zu ziehen. Dabei ergeben sich eine Fülle von Fragen, die hier aus Platzgründen nicht einmal in Ansätzen diskutiert werden können: Wie viel Wärme ist notwendig? Ist flüssiges Wasser unverzichtbar? Muss Leben stets auf Kohlenstoffbasis aufbauen, und so weiter (vgl. dazu Ward/Brownlee 2000; Darling 2001; Cohen/Stewart 2004). Die philosophisch-kosmologischen Paradigmen der Diskussion haben sich jedoch auch nach der Verschiebung von "fj" nach "ft nicht gewandelt: Nach wie vor stehen ,Aristoteliker' (Leben stellt die Ausnahme im Kosmos dar und kann sich wenn überhaupt, dann nur genauso wie unser eigenes entwickeln) gegen ,Giordanisten' (Leben ist die Regel im Kosmos und kann eine Fülle von Formen annehmen). Wenn nach den Zusammenhängen zwischen physischer Gestalt des Lebens und der Entwicklung von Intelligenz gefragt wird, wird damit auch gleichzeitig die Grenze zum Gegenstandsbereich der Kulturwissenschaften überschritten: Müssen die Träger einer technischen Zivilisation immer bipedale Säugetiere sein? Wie beeinflusst Anordnung und Aufbau der Sinnesorgane mögliche Intelligenz, und so weiter. 24 Mit dem Faktor, "fc", dem Bruchteil der intelligenten Zivilisationen, die eine interstellare Kommunikation führen können, kehrt die Gleichung auch wieder zur Kritik des Fermi-Paradoxons zurück. Die Fokussierung auf technische Zivilisationen methodenbedingt vorausgesetzt, hatten die SETI-Protagonisten lange Zeit keinen Zweifel, dass die von ihnen für zahlreich gehaltenen überlegenen Zivilisationen überaus kommunikationsfreudig sind. Seitdem wird für das fortgesetzte "Schweigen des Weltalls" (von Hoerner 2003: 207) eine Fülle von ganz oder teilweise kulturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen diskutiert (vgl. dazu in großer Ausführlichkeit Michaud 2007). Genau wie im Bereich der Naturwissenschaften ist dabei die methodische Grundfrage die Unterscheidung zwischen "universal" und "parochial features": Welche unter Menschen (oder vielleicht nur in bestimmten menschlichen Kulturen, vgl. Michaud 2007: 171) verbreiteten sozialen Muster können über die Menschheit hinaus verallgemeinert werden, und welche nicht? Sozialwissenschaftlich gesehen würde ein potentieller ,Fall Zwei' einer intelligenten Zivilisation es in diesem Kontext zum ersten Mal erlauben, die Zusammenhänge zwischen ,Natur' und ,Kultur' im Vergleich mit einer wirklich abweichenden genetisch-morphologischen 24 Vgl. dazu neben den bislang genannten Quellen auch Jonas und Jonas (1979), eine der seltenen kulturwissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema.
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Ausstattung zu untersuchen, 25 weshalb die Entdeckung einer solchen Zivilisation- egal wie ,fortgeschritten' -wohl die faszinierendste Herausforderung der Wissenschaftsgeschichte wäre. Mehr als jeder der anderen führt der letzte Faktor "L" (der Zeitraum der Entdeckbarkeit solcher Zivilisationen) zurück in das dichte Geflecht aus wissenschaftlichen, politischen und spirituellen Perspektiven in und um SETI. Hinter dem Zeitraum der Entdeckbarkeit von Zivilisationen steckt in erster Linie die Frage nach ihrer Lebensdauer. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Kalten Krieges und der drohenden nuklearen Vernichtung der Erde war der unmittelbare Rückbezug dieser Frage auf unsere eigene Zivilisation deutlicher als bei jedem anderen theoretischen Problem, das sich SETI stellte. Im Zentrum stand und steht dabei die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Entwicklung und Anwendung der Technologie und ihrer Kontrolle oder noch grundsätzlicher formuliert, der Zusammenhang zwischen instrumenteller und ethischer Intelligenz.
4. Das ,hybride' Projekt: SETI und Sinn "Ich stelle mir vor, daß bei den Entwicklungen im Weltall die Technik als Filter wirkt. Als ein Filter, der nur solche Kulturen in eine weitere Zukunft hindurchläßt, die neben der technischen Intelligenz auch ein gleiches Maß an Vernunft und Weisheit entwickelt haben" (von Hoerner 2003: 108, Hervorh. im Orig.). Diese einfache, aber von anderen SETI,Klassikern' in ähnlicher Weise vertretene Formel (vgl. Drake/Sobel 1994: 103) bildet die Gelenkstelle, an der die wissenschaftliche Suche nach außerirdischer Intelligenz mit den humanistischen Idealen ihrer Gründer und der vielkritisierten ,metaphysischen' Befrachtung verbunden ist. Die optimistische Hoffnung (wenn man von Hoerners Aussage überhaupt optimistisch nennen kann), die sich auf die Außerirdischen richtet, ist damit zunächst einmal keineswegs die von Ulf von Rauchhaupt diagnostizierte "Sehnsucht nach den ,Overlords', jenen mächtigen benevolenten Aliens, die in dem Roman Childhood's End (1953) des Science-Fiction-Autors und SETI-Förderers Arthur C. Clarke die Menschheit zu ihrem galaktischen Glück zwingen" (von Rauchhaupt 2004: 223). Die Idee, von möglichen Zivilisationen lernen zu können, die die technologisch-ethische Herausforderung, inmitten der sich unsere ei25 Die Erkenntnis, dass dieser Vergleich innerhalb der Menschheit nicht möglich ist, weil wir eine Rasse bilden, ist noch lange nicht so wohletabliert, wie es notwendig wäre (vgl. dazu Cavalli-Sforza/Cavalli-Sforza 1994).
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gene Welt befindet, gemeistert haben, ist bei den Gründem von SETI zunächst weit simpler und hat gerade keinen soteriologischen Unterton. Ihre Hoffnung war es, Hilfe zur Selbsthilfe zu bekommen und keinen außerirdischen Messias, es ging um Lernen, nicht um Glauben? 6 Kann SETI so dem Vorwurf, "Metaphysik für die Wissensgesellschaft" (ebd.: 226) sein zu wollen, enthoben werden? Nach herkömmlichem Konsens wohl kaum. Trotz der Relativierung bestätigt sich seine eingangs erwähnte "Hybridität". SETI war nie nur ,wertfreie' Grundlagenforschung. Die humanistischen und pazifistischen Ziele seiner Gründer bildeten sowohl ein substanzielles Motiv für die Suche selbst als auch ein zentrales Element der Attraktivität von SETI für die große Mehrzahl seiner Unterstützer. Die gebildeten liberalen Diskurse der USA hatten hier einen Ansatz, um ihre Vorstellungen bezüglich der neuen ,Frontier' umzusetzen: Möglichen Fremden nicht nur als potentieller Bedrohung zu begegnen, sondern als möglichen Freunden, und sie nicht nur als Anwärter für den eigenen ,way of life' zu sehen, sondern auch als Leute, von denen man vielleicht etwas lernen könnte. Darüber hinaus hatte diese Vision, wie schon mehrfach erwähnt, auch spirituelle Implikationen. Wenn es weiteres Leben im Weltraum gäbe, dann wäre dieses All vielleicht nicht nur die gigantische, leblose Bühne eines monotheistisch-theologischen Dramas auf einer Nadelspitze, 27 sondern dann wäre die Menschheit möglicherweise, "at home in the universe" (Kauffman 2000: 9). In seinem Versuch, die skizzierten Affinitäten zwischen SETI und (wie er es etikettiert) "NewAge" nachzuvollziehen, schreibt von Rauchhaupt, dass es sich bei SETI "um ein Epiphänomen des Trends zur Wissensgesellschaft handelt, also einer Gesellschaft, in der auch außerhalb des wissenschaftlichen Sektors immer mehr Wissen nach dem ,Prinzip der Forschung, des hypothetischen und experimentellen, lernenden Umgangs mit Information' abgesichert wird. Wird dieses Prinzip nun universalistisch verstanden, muss alles auf diese Weise abgesichert werden, auch die Antworten auf letzte Fragen. Gesucht ist dann ein wissenschaftlicher Religionsersatz" (ebd.: 226, in Zitation von Peter Weingart). Diese Beschreibung trifft in der Tat einen wichtigen Aspekt des Anliegens der SETI Protagonisten. In dessen Etikettierung als "Epiphänomen" und 26 Freilich sind die von Ulf von Rauchhaupt beschriebenen soteriologischen Vorstellungen im weiteren Umfeld von SETI durchaus vorstellbar und könnten auch die von ihm ebenfalls wiedergegebene Abgrenzung der Leiterin des SET! Instituts, Jill Tarter gegen den Verdacht, eine "Religion" zu sein, mit angestoßen haben (vgl. von Rauchhaupt 2004: 205). 27 Oder in einer areligiösen Variante: die gigantische, leblose Bühne einer existenzialistischen Tragikomödie auf einer Nadelspitze.
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"wissenschaftlicher Religionsersatz" wird freilich ein weiteres mal eine klassische Arbeitsteilung beschworen: Wissenschaft hat sinnfrei zu sein, Sinnstiftung wiederum hat Abstand von Zugriffen auf die Wissenschaften zu nehmen. Die von Bruno Latour (1998: 7-9) beschriebene Ausbreitung von "Hybriden", für die SETI geradezu ein Musterexemplar darstellt, wird sich allerdings gerade in der von Ulf von Rauchhaupt diagnostizierten Wissensgesellschaft fortsetzen und es nötig machen, die gewohnten Verhältnisbestimmungen von wissenschaftlichem und sinnstiftendem Tun (,religiösem' ebenso wie ,nichtreligiösem') unablässig neu zu vermessen. Und das genau scheint doch das klassische Anliegen Max Webers (1988) zu sein: nicht von einer statischen Objektivität auszugehen, die Wissenschaftler qua Methode beanspruchen können, sondern wissenschaftliche Tätigkeit und Werte (die sie implizierenden Kosmologien inbegriffen) reflektiert zu halten und aufeinander zu beziehen, ohne dabei das Leitideal wissenschaftlicher Objektivität den eigenen Werten auszuliefern. So gesehen hat SETI ein eindeutig empirisches Ziel, das nachhaltig anzustreben allerdings wegen der oben skizzierten einseitig offenen Struktur (vgl. Kapitel 3, Abs. 1) einen visionären Ansatz geradezu notwendig zu brauchen scheint (vgl. Kapitel 2.1, letzter Absatz). Die Art und Weise der Verlmüpfung von Empirie und Vision kritisch zu beleuchten, ist unbedingt angebracht, die eigenen Werte sollten dabei jedoch stets reflektiert werden- egal ob es ,giordanistische' oder ,aristotelische' sind. Dass die Frage nach den Chancen intelligenten Lebens im All dabei immer auch gleichzeitig die Frage nach den Chancen unserer eigenen Zivilisation ist, bildet die existenzielle Herausforderung für beide Intuitionen.
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AUGE IN AUGE MIT DEM MAXIMAL fREMDEN? KONTAKTSZENARIEN AUS SOZIOLOGISCHER SICHT MICHAEL SCHETSCHE
Die Suche nach außerirdischen Intelligenzen mit technischen Hilfsmitteln (bekannt geworden unter dem Stichwort "SETI") ist jetzt lmapp ein halbes Jahrhundert alt. Seit den ersten Versuchen Anfang der sechziger Jahre, Radiosignale fremder Zivilisationen aufzufangen, hat die Technik große Fortschritte gemacht. Heute wird der Himmel mit hochauflösenden Radioteleskopen durchmustert und es werden Tausende von Radiofrequenzen gleichzeitig abgehört. Zusätzlich wird noch mit anderen Techniken gesucht - etwa nach Signalen im Bereich des sichtbaren Lichts. Seit Beginn der Suche wurde vehement über die erfolgversprechendsten Strategien, die geeignetsten Horchtechniken und über mögliche Kommunikationscodes gestritten. Häufig ausgeblendet blieb dabei jedoch die Frage, welches die sozialen Folgen wären, wenn eines der SETI-Projekte tatsächlich Erfolg haben sollte -oder wenn die Menschheit auf andere Weise mit der Existenz einer außerirdischen Zivilisation konfrontiert würde. Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema waren lange rar 1• das Problem blieb der Science-Fiction2 überlassen. Für diese ,wissenschaftliche Abstinenz' gibt es auf den ersten Blick eine Reihe guter Gründe: Der Verzicht auf die scheinbare Verschwendung wissenschaftlicher Ressourcen durch Beschäftigung mit hypothetischen Fragen, ein mangelndes Interesse staatlicher Geldgeber an entsprechenden Forschungen (vgl. Shostak 1999: 198-201, 207) oder der negative Kompetenzkonflikt zwischen den Natur- und Kulturwissenschaften für Fragestellungen an der Schnittstelle zwischen Mensch und Kosmos (vgl. Finney 1990: 120). Zusätzlich könnte noch ein psychologischer Grund eine Rolle gespielt haben: die Angst, ernsthaft über die irdischen Konsequenzen der Konfrontation mit Außerirdischen nachzudenken. Bis
2
Vgl. aber die aktuellen Ausführungen bei Michaud (2007a: passim). Siehe dazu die Beiträge "Von Aliens erzählen" sowie "Dialektik des Aliens. Darstellungen und Interpretationen von Außerirdischen in Film und Fernsehen" in diesem Band.
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in die Gegenwart wird von der Mehrheit der SETI-Forscher versucht, die Aliens gedanklich in eine möglichst große Entfernung zu verbannen, gleichsam in eine fiktive Quarantäne, aus der heraus sie mit uns kommunizieren dürfen. "It is further assumed that the ETis are located in or near their own solar system, at immense distances form Earth" (Billingham 2002: 668). Dass die Aliens, falls es sie denn gibt, dauerhaft dort bleiben werden, wo sie herkommen (nämlich "in ihrem eigenem Sonnensystem"), ist jedoch eine wissenschaftlich letztlich nicht plausible Vorannahmen. Dazu gleich mehr. Zunächst ist jedoch zu fragen, wie man wissenschaftlich etwas über die Folgen eines Ereignisses erfahren kann, das noch gar nicht stattgefunden hat.
1. Szenarioanalyse - Erforschung des Hypothetischen Zur Prognose zukünftiger Entwicklungen und Ereignisse bedienen die Sozialwissenschaften sich u.a. einer Methode, die Szenarioanalyse genannt wird (vgl. Kahn/Wiener 1967; Mißler-Behr 1993). Jedes gedanklich konstruierte Szenario soll dabei wesentliche Merkmale einer erwarteten Situation oder eines wahrscheinlichen Ablaufs möglichst realitätsgerecht abbilden, um diese auf ihre Auswirkungen hin zu untersuchen. Im hier interessierenden Falle haben wir es mit Szenarien zu tun, in denen es nicht um kontinuierliche gesellschaftliche Entwicklungen geht, sondern um einschneidende Ereignisse, welche den Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung nachhaltig beeinflussen könnten3 (vgl. Schetsche 2005a und 2007). Eine Szenarioanalyse, die gesellschaftliche Folgen des Kontakts der Menschheit zu einer außerirdischen Zivilisation untersucht, basiert dabei auf einer Reihe notwendiger Vorannahmen: 1. Die Koexistenz kommunikationsbereiter Zivilisationen: Die Menschheit ist zum Zeitpunkt ihrer Existenz als technische Zivilisation nicht allein im Universum; es gibt vielmehr heute in den Weiten des Alls eine ganze Reihe von außerirdischen Zivilisationen, mit denen ein Kontakt - auf welche Art auch immer - hergestellt werden könnte.
3
Gleichsam das historische Gegenstück hierzu bilden retrospektive Szenarien, mit deren Hilfe alternative geschichtliche Entwicklungsverläufe skizziert werden, die in hypothetischen Modifikationen historischer Schlüsselereignisse ihren Ausgang nehmen (vgl. Demandt 1984).
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AUGE IN AUGE MIT DEM MAXIMAL FREMDEN?
(Dies ist die Vorannahme, die auch für jede Art von SETI-Forschung unentbehrlich ist. 4 ) 2. Die minimale Kompatibilität der Wahrnehmungsräume: Ein erfolgter Kontakt muss von den Menschen als solcher überhaupt erkannt, das heißt die Anderen müssen als intelligente nichtirdische W esenheiten identifiziert werden. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr lassen sich Situationen vorstellen (die Science-Fiction kennt entsprechende Gedankenexperimente ), in denen intelligente Wesen sich selbst bei unmittelbar physischem Kontakt wechselseitig nicht als solche zu erkennen vermögen- etwa weil ihre Wahrnehmungsräume nicht kompatibel sind oder weil ihre Zeitempfindungen zu stark auseinanderklaffen. Vor allem anderen müssen wir die Fremden oder ihre Signale also erst einmal als das erkennen, was sie sind. 3. Die Faktizität des Nichtwissens: Trotz aller astrobiologischen Gedankenspiele (etwa bei Fuchs 1973; Heidmann 1995 oder Clark 2000) wissen wir vor dem tatsächlichen Kontakt so gut wie nichts über die physische und psychische Verfasstheit, über mögliche gesellschaftliche Strukturen oder gar die Interessen der Fremden. Es ist deshalb unmöglich, Faktoren wie deren Motive oder Verhaltensweisen in Szenarien über die Folgen eines Erstkontaktes einzubeziehen (vgl. Shostak 1999: 132). Das faktische Nichtwissen um die ontischen Dimensionen (die materiell-biologischen wie die gesellschaftlichen oder ethischen) einer außerirdischen Zivilisation zwingt uns, bei der Betrachtung der Konsequenzen eines Erstkontakts alle ,Qualitäten der Anderen' zu ignorieren. Trotzdem können wir über einen Erstkontakt und seine Folgen nachdenken- und zwar auf Basis unseres Wissens über unsere eigenen kollektiven Denkstrukturen und Verhaltensweisen. 4. Die prognostische Minimierung anthropozentrischer Vorannahmen: Da wir vor dem Kontakt buchstäblich nichts über die Aliens wissen können (Vorannahme 3), müssen wir uns von einer Vielzahl anthropozentrischer Vmannahmen verabschieden - dies bezieht sich zu Beginn der Analyse vorgängig auf die Frage, in welcher Weise der Kontakt zustande kommen wird. Wie bereits erwähnt, vertreten die meisten SETI-Forscher bis heute die Auffassung, ein Kontakt zwischen den Zivilisationen sei ausschließlich als Fernkontakt mittels
4
Siehe den Beitrag "SET!. Die wissenschaftliche Suche nach außerirdischer Intelligenz im Spannungsfeld divergierender Wirklichkeitskonzepte" in diesem Band.
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Radiowellen oder Ähnlichem realisierbar (vgl. Michaud 2007a: 123). Die Möglichkeit eines direkten physischen Zusammentreffens hingegen wird meist kategorisch ausgeschlossen. Zentrales Argument dabei sind die großen Entfernungen zwischen den Planetensystemen; aus ihnen wird auf- für Menschen kaum vorstellbare - Reisezeiten von Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden geschlossen (so etwa Hoemer 2003: 112-119). Dieses Argument 5 ist allerdings nur schlüssig, wenn man eine Reihe anthropozentrischer Vorannahmen macht: menschenähnliche Reisetechnologie und Zeitlichkeit der Reisenden, subjektorientierte Reiseplanung oder auch die ,biologische Qualität' potentieller Besucher (vgl. Kuiper/Morris 1977; Michaud 2007b: 2). Dies alles wird in den Debatten über den Kontakt zu außerirdischen Zivilisationen fraglos unterstellt. Dabei sind solche V mannahmen tatsächlich alles andere als selbstverständlich. Aliens könnten die hundertfache Lebenserwartung von Menschen besitzen, sie könnten Generationenraumschiffe benutzen, sie könnten hoch entwickelte Roboter schicken, sie könnten völlig andere Reisetechnologien verwenden als wir usw. Dies alles wissen wir einfach nicht. Und deshalb können wir auch nichts darüber sagen, ob der erste Kontakt im Fall des Falles tatsächlich durch ein Radiosignal oder auf ganz anderem Wege hergestellt würde. Eine Szenarioanalyse hat dies zu berücksichtigen.
2. Vier Kontakt-Szenarien Unter den genannten Vorannahmen lassen sich vier fundamentale Szenarien des Erstkontakts mit jeweils ganz spezifischen soziokulturellen Folgen unterscheiden:
5
Auf die Bedeutung als Standardargument in den Debatten über die ,Natur' des UFO-Phänomens wies bereits Brand (1975: 93) hin. Diese Argumentationslinie ist auch insofern verwunderlich als schon auf Basis des irdischen Standes der Technik über die Möglichkeit zumindest automatischer interstellarer Sondern unter Raumfahrtexperten seit den sechziger Jahren intensiv diskutiert wird (vgl. exemplarisch Dysen 1968, Bond 1971, Forward 1976, Freitas 1983a). Tatsächlich sind es weniger die Anhänger der ETHypothese als deren Kritiker, die fraglos unterstellen, extraterrestrische Flugkörper, falls es sie den gäbe, müssten von biologischen Entitäten ,bemannt' sein.
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• • • •
Das Fernkontakt-Szenario: Informationsaustausch über ,sichere' Entfernungen hinweg; das Artefakt-Szenario: materielle Hinterlassenschaften belegen einen Besuch der Fremden in jüngerer oder fernerer Vergangenheit; das Direktkontakt-Szenario: ein physisches Zusammentreffen auf der Erde oder irgendwo im Sonnensystem; das Agenten-Szenario: die Fremden sind insgeheim schon hier auf der Erde.
Schauen wir uns diese Szenarien eines nach dem anderen etwas genauer an.
2.1 Das Fernkontakt-Szenario Bei diesem Szenario fangen Radioteleskope oder andere technische Einrichtungen Signale aus den Weiten des Weltalls auf, die künstlichen Ursprungs sein könnten, Unregelmäßigkeiten im kosmischen Rauschen, die einer intelligenten Ordnung zu folgen scheinen. Was aber nicht unbedingt heißt, dass sie dies auch tun. Die Geschichte der Radioastronomie kennt mehrere Entdeckungen scheinbar künstlicher Signale, die sich im Nachhinein als entweder irdischen oder natürlichen Ursprungs erwiesen (vgl. Heidmann 1994: 167-175). 6 Nehmen wir aber einmal an, dass in einem zukünftigen Falle Erklärungen dieser Art versagen und die Signale aller Wahrscheinlichkeit nach von einem intelligenten Sender stammen. 7 Was können wir dann aus ihnen erfahren? Entgegen aller optimistischen Annahmen, wie wir sie etwa aus dem Kinofilm "Contact" (USA 1997; Regie: Robert Zemeckis) kennen, ist es eher unwahrscheinlich, dass wir aus einem Fernkontakt sehr viele Informationen über ,die Anderen' zu gewinnen vermögen. Beim Empfang eines Radio- oder Lichtsignals wird es nur wenige ,harte' Daten geben: Aus den technischen Parametern der Sendung lassen sich wahrscheinlich Ursprungskoordinaten, die Distanz und die relative Geschwindigkeit des 6
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Siehe auch das Interview mit Jocelyn Bell-Bumell, die im Jahre 1967 den ersten Pulsar entdeckt hatte. Online-Quelle: http://www.astronomie.de/ bibliothek/interview/bell-burnell/bell-bumell.htm- Zugriff: 03.07.2007. Hinzu kommen einige Fälle, bei denen auch durch umfangreiche spätere Analysen nicht definitiv entschieden werden konnte, ob ein bestimmtes außergewöhnliches Signal natürlichen oder künstlichen Ursprungs war (vgl. Shostak 1999: 203-204; Walter 2001: 162-164; Wabbel2002: 74-77; Jones 2002).
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Absenders erschließen sowie vielleicht noch etwas über dessen technischen Möglichkeiten in Erfahrungen bringen (vgl. Harrison 1997: 199200; Shostak 1999: 231-232; Harrison/Johnson 2002: 100; Hoerner 2003: 133). Welche Informationen einer Sendung darüber hinaus entnommen werden könnten, ist in der SETI-Forschung seit Jahrzehnten umstritten (vgl. Schmitz 2002). Zwar sind vielfältige Überlegungen zur Dekodierung von Radio- oder Lasersignalen angestellt worden (etwa Freudenthai 1960: passim; Minsky 1985; Fuchs 1973: 47-93; McConnell 2001: 181-346), sie alle basieren jedoch auf menschlichem Denken. In ihnen wird fraglos unterstellt, dass Fremde ein Signal ebenso verschlüsseln würden wie wir, und dass wir ihre Signale ebenso decodieren könnten, wie sie die unseren. Dies ist jedoch selbst dann unwahrscheinlich, wenn wir nicht nur eine für andere bestimmte Botschaft mithören, sondern ein vorsätzliches Kontakt-Signal (vgl. Hoerner 1967: 14) empfangen. Neben informationstechnischen und kognitionswissenschaftlichen Argumenten gegen die Idee einer unmittelbaren Verständlichkeit fremder Botschaften8 treten generelle kulturwissenschaftliche Einwände: Bereits unter Menschen ist wechselseitiges Fremdverstehen von einer Vielzahl von Vorannahmen abhängig. Verstehen basiert hier auf anthropologischen Konstanten, die es ermöglichen, dem Gegenüber ähnliche leibliche Bedürfnisse, sensorische Möglichkeiten, Modi der W eltwahrnehmung, Motivlagen usw. zu unterstellen (vgl. Bach 2004; Schetsche 2004). Dies alles sind Voraussetzungen, die beim Kontakt mit Außerirdischen nicht gegeben sind (vgl. Finney 1990; Shostak 1999: 123-133). Diese treten uns vielmehr als vollends fremdartige Akteure gegenüber, bei denen selbst die allgemeinsten Vorannahmen, wie wir sie beim Versuch des transkulturellen Verstehens selbst noch bei den entlegensten irdischen Kulturen zugrunde legen können, ungewiss bleiben müssen. In der Realität hätten wir bei diesem Szenario deshalb keine Möglichkeit, vorgängig irgendetwas über die physische Konstitution, geschweige denn die psychosoziale, ethische oder spirituelle Verfasstheit des Gegenübers in Erfahrung zu bringen. Es ist mehr als zweifelhaft, ob der von einigen der SETI-F arseher (etwa McConnell 2001) zur Schau gestellte Optimismus hinsichtlich der Entschlüsselung und Interpretation außerirdischer Botschaften angebracht ist. Wahrscheinlicher ist, dass die eher skeptischen SETI-Forscher Recht behalten: "Eine fremde Botschaft zu entziffern 8
Vgl. die grundlegende Kritik bei Schmitz 2002 und die Ausflihrungen im
Beitrag "SETI. Die wissenschaftliche Suche nach außerirdischer Intelligenz im Spannungsfeld divergierender Wirklichkeitskonzepte" in diesem Band.
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kann lange, vielleicht sogar ewig dauern. Signale, die wir entdecken, stammen mit allergrößter Wahrscheinlichkeit von einer Zivilisation, die sehr viel höher entwickelt ist als die des Menschen. Es könnte sich leicht herausstellen, daß die extraterrestrische Botschaft überhaupt nicht zu entschlüsseln ist" (Shostak 1999: 233). Was wir aus der Botschaft erfahren, ist also zunächst einmal nicht viel mehr als die Tatsache: Es gibt uns - richtiger: es gab uns. Das Auffangen eines Signals, das beispielsweise 10009 Lichtjahre zurückgelegt hat, heißt nicht nur, dass der Absender 1000 Lichtjahre von uns entfernt existiert(e), sondern eben auch, dass das Signal vor 1000 Jahren ausgesendet wurde. Dieser Zusammenhang ist zunächst einmal in Bezug auf die Idee eines kosmischen Dialogs von Bedeutung: Die Zivilisation, von der die Botschaft stammt, muss zum Zeitpunkt des Signalempfangs nicht einmal mehr existieren, aber falls doch, würde eine wechselseitige Kommunikation in 1000-J ahres-Schritten stattfinden - für unsere heutige Zivilisation schwer vorstellbar. Auf der anderen Seite würde dieser räumliche Zusammenhang, der gleichzeitig ja ein zeitlicher ist, auch mögliche negative Auswirkungen des Kontakts auf der Erde (von ihnen ist im folgenden Abschnitt noch ausführlich die Rede) minimieren helfen: Die Fremden scheinen - aus irdischer Sicht wenigstens - zu weit entfernt, um das Gefühl einer Bedrohung aufkommen zu lassen (vgl. Shostak 1999: 235). Sie existieren schlicht außerhalb unseres alltäglichen räumlichen und zeitlichen Horizonts. Der Umfang dieser doppelten Entfernung dürfte auch ausschlaggebend für die konkreten Reaktionen auf der Erde sein: Je größer Raum und Zeit sind, die die Botschaft zurücklegen musste, desto indifferenter dürften die psycho-sozialen Botschaften auf der Erde ausfallen. Ein Signal aus jenen 1000 (Licht-)Jahren Entfernung etwa würde primär die wissenschaftlichen, philosophischen und religiösen Subsysteme der Erde tangieren, für das Leben der Menschen und ihr Alltagsbewusstsein jedoch eher irrelevant sein. Und der wohl eher spärliche Umfang der erhaltenen Informationen würde diesen Effekt noch weiter verstärken. Im Anschluss an die öffentliche Bestätigung der Existenz eines außerirdischen Signals (siehe Kapitel 3 dieses Beitrags) wird es sicherlich zunächst ein großes öffentliches Interesse und auch intensive Diskussionen in den verschiedensten Massenmedien geben. Angesichts der (hier einmal unterstellten) Tatsache, dass die erhaltene Informationsmenge gering ist, und wegen der Unmöglichkeit eines unmittelbaren Dialogs, wird das
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Hoemer (2003: 111) schätzt die Entfernung bis zur nächsten kommunikationsbereiten Zivilisation sehr optimistisch auf 300 bis 1.000 Lichtjahre.
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Thema jedoch auch schnell wieder aus der Öffentlichkeit verschwinden. Folgen wird der Signalempfang in erster Linie für religiös-philosophische Systeme und für die Wissenschaften haben - nicht jedoch für den Alltag der Erdbewohner (vgl. Shostak 1999: 228-234). Es würden wissenschaftliche Programme aufgelegt, um ein Maximum an Informationen aus den empfangenen Signalen zu extrahieren, und vielleicht auch solche, die sich mit der Frage beschäftigen, ob und wie geantwortet werden sollte. Wegen des Missverhältnisses zwischen menschlicher Lebenserwartung und Laufzeit des Signals ist im hier diskutierten Beispiel bestenfalls an zwei parallele Monologe, nicht aber an einen tatsächlichen Dialog zu denken. Nicht zuletzt wegen der monologischen Situation und der langen Zeiträume der Sendung dürfte das Interesse der meisten Menschen an einem solchen ,Kontakt' sehr schnell erlahmen. Anders sähe die Situation wohl aus, wenn das Signal aus der unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft der Erde käme. 10 Die hier sozialpsychologisch zu vermutende Entfernungsschwelle dürfte in dem Bereich liegen, der dem lebenszeitliehen Horizont der durchschnittlichen Mitglieder unserer Gesellschaft entspricht, also dreißig, fünfzig oder aber wenn man einen intergenerativen Faktor einberechtet - maximal achtzig bis einhundert (Licht-)Jahre. 11 Nur innerhalb dieses Zeitraums und damit auch dieser Entfernung würden fremde Zivilisationen kognitiv wie emotional als ,erreichbare Nachbarn' wahrgenommen - erreichbar sowohl was die Möglichkeit eines zivilisatorischen Dialoges mittels Funkwellen oder anderer Signale angeht, als auch bezüglich der zumindest (heute auf der Erde) theoretisch vorstellbaren Möglichkeit eines Direktkontaktes in absehbarer und planbarer Zukunft. Die Folgen eines solchen (statistisch
10 "Distance is critical because it structures the nature of the contact [ ... ] the closer the contacting civilisation, the greater the impact" (Michaud 2007a: 211). 11 Dieser Faktor entspricht, lediglich mit umgekehrten zeitlichen Vorzeichen, dem "recent past", von dem Jan Vansina (1985: 23-25) in seinem Buch "Oral Tradition as History" spricht: Der gleiche Zeithorizont, der rückwärts gerichtet von einem zeitgenössischen Gedächtnis durch Erfahrung und persönliches Hörensagen erfasst wird, erscheint zukunftsgerichtet als Zeitraum einer möglichen subjektiv-familiären oder auch gesellschaftlichen Vorausplanung. Weder Individuen und Familien noch gesellschaftliche oder politische Instanzen (zumindest der heutigen westlichen Gesellschaften) scheinen in der Lage, einen Zeithorizont prospektiv-gedanklich und planerischhandelnd zu bewältigen, der über die nächste oder maximal die übernächste Generation hinausgeht.
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allerdings höchst unwahrscheinlichen 12 ) ,nahen Fernkontakts' könntenneben dem religiösen und philosophischen Weltbildwechsel, der von der Entfernung der fremden Zivilisation eher unabhängig ist - einerseits in einem massiven Wandel der nationalen und internationalen Strategien der Forschungspolitik bestehen, um einen entsprechenden Dialog oder gar Direktkontakt zu realisieren. Andererseits dürften auch die Befürchtungen hinsichtlich eines solches Kontaktes in der irdischen Bevölkerung mit der Abnahme der Entfernung exponentiell zunehmen. Dazu in den folgenden beiden Kapiteln mehr.
2.2 Das Artefakt-Szenario Kommen wir zum zweiten Fall, dem Artefakt-Szenario (vgl. Harrison/Johnson 2002: 113; Michaud 2007a: 135-140). Bekannt ist es in seiner fiktionalen Form etwa aus dem Film "200 1: A Space Odyssey" (USA/GB 1968, Regie Stanley Kubrick). In dieser Erzählung stoßen Menschen bei der Erkundung des Mondes auf die Hinterlassenschaft einer fremden Zivilisation, ein Artefakt in Form eines schwarzen Monolithen, das dort vor mehreren Millionen Jahren offenbar zum Zweck einer zukünftigen Kontaktaufnahme zurückgelassen wurde. Nach einer unbeabsichtigten Aktivierung durch die Menschen beginnt der Monolith eine automatische Botschaft in die Tiefen des Alls abzustrahlen (vgl. Hurst 2004: 104). Damit ein solcher Fund in der Realität überhaupt kulturelle Folgen haben kann, die prognostisch diskutiert werden können, muss er zwei spezifische Bedingungen erfüllen: Das Objekt, das auf der Erde oder im erdnahen Weltraum (bzw. zukünftig auch irgendwo in unserem Sonnensystem) gefunden wird, muss - nach der wissenschaftlich und/oder gesellschaftlich dominierenden Deutung - erstens künstlichen Ursprungs sein und zweitens mit Sicherheit von außerhalb der Erde stammen. 13 Die 12 Die Zahl der Nachbarsterne unserer Sonne steigt tendenziell mit der dritten Potenz ihrer Entfernung: Bei etwa 150 Sternen bis zu 30 Lichtjahren (Hipparcos-Daten: http://www.rssd.esa.int/Hipparcos/table361.html, 09.07. 2007) sind es, statistisch betrachtet, schon 150.000 Sterne bei bis zu 300 Lichtjahren Abstand und gar 150 Millionen Sterne bei einer Entfernung von bis zu 3000 Lichtjahren. 13 Ausgeschlossen aus der Argumentation ist damit ein Großteil der materiellen ,Beweise', die im Rahmen der Paläo-SETI-These für den Einfluss außerirdischer Mächte auf die Entwicklung der Menschheit gesammelt wurden. Bei diesen Artefakten handelt es sich in aller Regel um Produkte ver-
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beiden Voraussetzungen realisieren sich im Rahmen unterschiedlich großer Interpretationsspielräume: Während die außerirdische Herkunft eines Artefakts - unter der weitgehend anerkannten Annahme, dass die Erde heute ihr erstes Raumfahrtzeitalter erlebt - sich bereits aus einem Fundort jenseits der Erde sicher ableiten lässt, 14 könnte das Problem der Natürlichkeit oder Künstlichkeit eines entsprechenden Objekts sich umso nachhaltiger stellen, je weiter die technischen Fähigkeiten der Ursprungskultur über jene der irdischen hinausreichen (oder zumindest von ihr abweichen). Vorstellbar sind Objekte einer solchen Fremdartigkeit, dass bei ihnen nicht nur jede heute bekannte Methode der technischen Untersuchung versagt, 15 sondern dass bereits die Einordnung nach der Leitdifferenz ,künstlich-natürlich' zunächst zweifelhaft bleiben muss. Letzteres gilt insbesondere dann, wenn das gefundene Objekt keine für Menschen erkennbaren Symbole fremden Ursprungs enthält. Doch selbst wenn sich ,Inschriften' finden, ist Skepsis hinsichtlich ihrer Entschlüsselung angebracht: Bereits bei menschlichen Kulturen stellt eine unbekannte Schrift, solange es keine Referenzquellen gibt, die Wissenschaft vor unüberwindliche Interpretationsprobleme. Für entsprechende Hinterlassenschaften vergangener irdischer Kulturen - wie etwa den "Diskos von Phaistos" - gibt es zwar eine Vielzahl konkurrierender Interpretationsvorschläge, bis heute aber keine wissenschaftlich anerkannte Entzifferung der Inschrift (vgl. Duhoux 2000). Dieses Problem stellte sich bei außerirdischen Artefakten in unvergleichlich größerem Maße. Selbst eine reiche symbolische Ausstattung eines gefundenen Artefakts würde also wohl keine Informationen über die Denkstrukturen oder gar die Motive der außerirdischen ,Verfasser' liefern. 16
gangeuer irdischer Kulturen, die lediglich im Kontext der genannten These als Ausdruck historisch erlebter transterrestrischer Kulturkontakte interpretiert werden. Es kommt hinzu, dass diese Deutung gesellschaftlich höchst umstritten ist und vom Mainstream der Geschichtswissenschaft nachdrücklich zurückgewiesen wird. (Siehe dazu den Beitrag "Aliens im kulturellen Gedächtnis?" in diesem Band.) 14 Bei Funden, die auf der Erde gemacht werden, dürfte es deutlich schwerer fallen, eine außerirdische Herkunft zweifelsfrei zu konstatieren. 15 Ein gutes Beispiel aus der Science-Fiction ist hier die fremdartige "Sphere" in dem gleichnamigen Kinofilm (USA 1998, Regie: Barry Levinson). 16 Zu fragen bleibt allerdings, welchen Unterschied es für die Informationsgewinnung macht, ob ein Artefakt vorsätzlich zum Zwecke der Kommunikation zurückgelassen wurde oder ob es eine mehr zufällige Hinterlassenschaft darstellt. Freitas ( 1985) etwa unterscheidet drei grundlegende Fälle: (I) Artefakte sind für die Kontaktaufnahme vorgesehen, (II) Artefakte ver-
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Da wahrscheinlich auch der Fundort bzw. die Auffindesituation der Artefakts nur wenig sichere Rückschlüsse erlauben (weil wir nichts über die Motivstruktur der Fremden wissen, können wir auf Basis unserer menschlichen Überlegungen eben nicht auf mögliche Motive der Anderen schließen- was uns als wohlbedacht platziert erscheint, kann tatsächlich planlos weggeworfen sein und umgekehrt), werden die Konsequenzen auf der Erde sich primär aus der Tatsache des Fundes selbst, also aus der Interpretation des Objekts als von außerirdischen Intelligenzen hergestellt, ergeben. Diese Konsequenzen dürften, wie im oben diskutierten ersten Szenario, zunächst einmal die wissenschaftlichen, philosophischen und religiösen Denksysteme betreffen. Eine gegenüber dem Fernkontakt ,erhöhte Brisanz' ergibt sich in diesem Szenario allerdings aus der Tatsache, dass die fremde Zivilisation nicht gleichsam aus weiter Feme zu uns spricht, sondern dass sie (je nach Fundort) bereits auf der Erde oder in ihrer Nähe zumindest mit Stellvertretermaschinen, vielleicht aber sogar selbst physisch präsent war. Die Es-gibt-uns-Botschaft des Fernkontakts wird in diesem Szenario durch eine Wir-waren-hier-Botschaft nicht nur überlagert, sondern auch wissenschaftlich und psychosozial dominiert (vgl. Michaud 2007a: 211 ). Spätestens mit einem solchen Fund wären alle (den Bereich der traditionellen SETI-Forschung bis heute dominierenden) Thesen über die raumfahrttechnische Unüberbrückbarkeit interstellarer Entfernungen auf einen Schlag als anthropozentrisches Vorurteil entlarvt. Es wäre bewiesen, dass andere kosmische Zivilisationen sehr wohl in der Lage und willens sind, die entsprechenden Entfernungen mit Raumsonden (und seien es auch ,nur' automatische) zu überbrücken. Diese Tatsache allein würde die menschlichen Gesellschaften zum Umdenken in wissenschaftlicher wie in weltanschaulicher Hinsicht zwingen. Wie massiv die kulturellen Auswirkungen einer solchen Entdeckung über diese Notwendigkeit des weltanschaulichen Umdenkens hinaus sein würden, dürfte insbesondere von zwei Faktoren abhängen: (1) der Möglichkeit einer Altersbestimmung des Objekts und (2) der Identifizierung technischer Funktionen. zu 1) Im Gegensatz zur Kontaktaufnahme mittels elektromagnetischer Wellen, bei der die Raumdistanz automatisch auch die Zeitdistanz der Botschaft bestimmt, haben wir es hier mit einer zeitlichen Differenz meiden Entdeckung und (III) die Frage einer Entdeckung durch Dritte ist für die Aufgabe des Artefakts ohne Bedeutung. Wenn man von der Annahme des Autors ausgeht, das Artefakte im zweiten Falle aufgrund ihrer fortschrittlichen Technologie auch tatsächlich nicht entdeckt werden können, müssten hier analytisch lediglich Fall I und Fall III unterschieden werden.
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zwischen Zurücklassen und Auffinden des Objekts zu tun, die gänzlich unabhängig von der räumlichen Distanz zwischen den Zivilisationen ist. Falls eine Altersbestimmung (etwa durch die Stratigraphie des Fundortes oder durch gewisse physikalische Eigenschaften des Objekts selbst) leidlich sicher möglich ist, würde auch hier die bereits diskutierte Frage der Einordnung des Objekts in menschliche Zeithorizonte eine große Rolle spielen. Ein geschätztes oder berechnetes Alter von einhundert Jahren hätte hier eine völlig andere Bedeutung als eines von zehn Millionen Jahren. Im ersteren Falle wären wir mit unmittelbaren ,zeitlichen Nachbarn' konfrontiert, die mit großer Wahrscheinlichkeit über die Existenz einer Zivilisation auf der Erde informiert sind - was auf der Erde Anlass zu verschiedensten Spekulationen, etwa über weitere bevorstehende Besuche, geben würde. Im letzten Falle hingegen würden sich alle derartigen Überlegungen von selbst erübrigen, da der Besuch lange vor dem Erscheinen der menschlichen Rasse auf unserem Planeten stattgefunden hat (vgl. Michaud 2007a: 212). Außerdem würden die Fremden damit als Zivilisation vollständig aus unserem menschlichen Zeithorizont hinausrücken. zu 2) Eine Struktur des gefundenen Objekts, die sich als materielle Basis irgendeiner Art technischer Funktionalität interpretieren ließe, würde unmittelbar zu Spekulationen über die Art jener Funktion(en) und sicherlich auch über die aktuelle Funktionsfähigkeit des Objekts führen. Die Frage wäre dann nicht nur, was das Artefakt tun kann, sondern auch, was es unter welchen Bedingungen tun wird -und natürlich welche Konsequenzen dies für seine nähere oder weitere Umgebung haben könnte. Folge wären mit großer Wahrscheinlichkeit heftige Diskussionen über die Möglichkeit und die Notwendigkeit des Versuchs einer Manipulation an dem entsprechenden ,Mechanismus' und damit die Einflussnahme auf die fremdartige Funktionalität (falls diese überhaupt von einer Art ist, die uns auch nur rudimentär verständlich ist). Noch komplizierter wäre die Sache, wenn das Objekt über ein erkennbar ablaufendes Handlungsprogramm verfügte, das auf Veränderungen in seiner Umgebung (etwa menschliche Aktivitäten) mit einem wahrnehmbaren Zustandswechsel reagieren würde. 17 17 Dabei ist ein Szenario wie in "2001: ASpace Odyssey", bei dem das Artefakt durch menschliche Manipulationen aktiviert wird und anschließend eine Botschaft in die Weiten des Raums sendet, nur vordergründig der ,worst case'. Er wirkt zwar bedrohlich, weil der Menschheit die aktive Entscheidung über eine Kontaktaufnahme abgenommen wird, lässt aber keinen Zweifel daran, dass etwas möglicherweise Konsequenzenreiches geschehen
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Solche und ähnliche Faktoren würden nicht nur den wissenschaftlichen Umgang mit dem gefundenen Objekt beeinflussen, sondern mit Sicherheit auch die Meinung der Öffentlichkeit und der verantwortlichen politischen Entscheidungsträger. Soll das Objekt möglichst ignoriert oder soll es systematisch wissenschaftlich untersucht werden? Kann und soll es an einen anderen Ort transportiert, gegebenenfalls sogar aus dem Weltraum auf die Erde gebracht werden? Soll es - falls technisch möglich - in irgendeiner Weise manipuliert, verändert oder gar zerlegt werden? Allesamt Fragen, die nicht nur bezüglich der Fähigkeiten der Fremden von wissenschaftlich-technischer Bedeutung, sondern auch hinsichtlich der ihnen von Öffentlichkeit und Entscheidungsträgern zugewiesenen Motive und Interessen außerordentlich brisant sind. Wie der massenpsychologisch-kulturelle Kontext aussieht, in dem diese Fragen auch bei einem Artefaktfund diskutiert werden dürften, sollte der nächste Abschnitt deutlich machen.
2.3 Das Direktkontakt-Szenario Mit einem Direktkontakt haben wir es zu tun, wenn im erdnahen Weltraum (oder auch nur in unserem Sonnensystem) ein nichtirdisches Objekt auftaucht, von dem aufgrundseines ,Verhaltens' anzunehmen ist, dass es von einer Intelligenz oder wenigstens einem klug geschriebenen Programm gesteuert wird. 18 Es könnte Signale in Richtung Erde aussenden, eines oder mehrere solcher Objekte könnten in den Erdorbit eintreten oder auf der Erde landen, schließlich könnten sogar fremdartige Entitäten auf der Oberfläche unseres Planeten abgesetzt werden. Die ScienceFiction kennt unzählige Varianten dieses Szenarios. Bei einer Diskussion der kulturellen Konsequenzen eines solchen im wahrsten Sinne des Wortes epochalen Ereignisses ist zwischen kurzfristigen und langfristigen Folgen zu unterscheiden. Bezüglich der kurzfristigen Folgen verfügt die Sozialpsychologie immerhin über einige empirische Daten: Befunde von quasi natürlichen Experimenten, die von den ist. Massenpsychologisch noch problematischer scheint der Fall, in dem unklar bleibt, ob nach einer - gewollten oder ungewollten - Aktivierung durch die menschlichen Finder auf für uns unentdeckbaren Kanälen eine Botschaft an den Erzeuger des Objekts gesandt wurde. 18 Tatsächlich dürfte eine Unterscheidung, ob es sich um einen Kontakt mit einer primären (biologischen) Lebensform oder deren sekundären (künstlichen) Ablegern bzw. Repräsentanten handelt, lange Zeit, wenn nicht auf Dauer, unmöglich sein (vgl. dazu auch Michaud 2007a: 128-130).
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Massenmedien gelegentlich durchgeführt werden, indemfiktive Berichte über die Landung Außerirdischer auf der Erde in einem pseudodokumentarischem Format ausgestrahlt und zumindest von Teilen der Rezipienten für real gehalten werden. Den wahrscheinlich ersten, bis heute zumindest aber spektakulärsten Fall der Schaffung einer entsprechenden Pseudorealität stellt die Ausstrahlung des Hörspiels "Krieg der Welten" (nach dem Roman von H. G. Wells) im Jahre 1938 dar. Dieser Fall wird in der Literatur bis heute kontrovers diskutiert (vgl. Harrison/Johnson 2002; Bartholomew/Evans 2004: 40-55), die vielfach berichteten Panikreaktionen bei den Radiohörern werden von einigen Autoren für einen Teil der anschließenden Medienkampagne und damit für genauso irreal gehalten, wie die Landung angriffslustiger Marsianer auf der Erde selbst, welche Gegenstand des Hörspiels war. Eine zeitgenössische wissenschaftliche Quelle spricht hingegen eine andere Sprache: Nach den von Cantril (1940: 57-58) verwendeten Daten einer Umfrage des American Institute of Public Opinion (AIPO) nur sechs Wochen nach dem Ereignis, hörten etwa sechs Millionen US-Amerikaner die Sendung. 28 Prozent der von AIPO Befragten hielten die Sendung für eine reale Reportage und wiederum gut 70 Prozent von diesen berichteten über negative emotionale Reaktionen. Cantril schließt daraus, "that about 1.200.000 were excited by it" (58). Wie diese konkreten Reaktionen allerdings ausfielen und ob tatsächlich Tausende von Zuhörern versuchten, in Panik einen möglichst großen räumlichen Abstand zwischen sich und die fiktiven Landeplätze der Marsianer zu bringen, ist heute umstritten (vgl. Harrison/Elms 1990: 214, KramerlEahme 1992: 467-468). Aus diesem und einigen ähnlichen Medienereignissen wird immerhin zweierlei deutlich: Erstens ist die Bereitschaft der Medienrezipienten, an die Realität entsprechender Kontaktereignisse zu glauben, durchaus vorhanden.19 Und zweitens sind die mit einem solchen Ereignis verbundenen Emotionen der Menschen nicht unbedingt positiver Natur - und zwar unabhängig vom konkreten Verhalten der ,Besucher'. Hier kommt wahrscheinlich ein psychischer Mechanismus zum Tragen, den wir aus der unerwarteten Konfrontation mit einem gänzlich unbekannten (und damit zumindest potentiell gefährlichen) irdischen Gegenüber kennen: ein kreatürlicher Angstimpuls, der umso stärker ist, je nachdrücklicher der eigene psychosoziale Schutzraum verletzt wird. Wenn man die Befunde der Psychologie, dass Menschen sich am stärksten beunruhigt fühlen, wenn 19 Der Glaube an die Möglichkeit des Besuchs Außerirdischer auf der Erde ist
in vielen Gesellschaften weit verbreitet; in Deutschland können sich dies 24,6 Prozent der Bevölkerung zumindest vorstellen (Schmid-Knittel/ Schetsche 2003: 21).
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ihnen das als bedrohlich Empfundene in den eigenen vier Wänden gegenübertritt, auf die kollektiven Reaktionen im Rahmen eines solchen globalen Szenario überträgt, müssten wohl zumindest die Erde selbst und der Erdorbit - verglichen mit den Weiten des Sonnensystems - als besonders problematischer Raum für einen Erstkontakt betrachtet werden. Bei einem unerwarteten Zusammentreffen mit Außerirdischen in diesem Bereich ist das Auftreten eines kollektiven existenziellen Schocks, mit schwerwiegenden psychosozialen Folgen für Individuum und Gesellschaft, sehr wahrscheinlich. Wie aber sieht es mit den mittel- und langfristigen Folgen20 eines solchen Direktkontaktes aus? Wenn man hier die Erfahrungen mit Kontakten zwischen menschlichen Kulturen in vergangenen Jahrhunderten zugrunde legt, dürfte ein Zusammentreffen auf der Erde selbst oder irgendwo in den Weiten ,unseres' Sonnensystems mittelfristig kaum einen Unterschied machen. Bei Kontakten zwischen sich fremden menschlichen Kulturen spielte es in der Vergangenheit keine Rolle, ob die ,Entdecker' irgendwo vor der Küste oder erst an Land auf die ,Entdeckten' trafen. In allen Fällen waren die beiden genannten Rollen dieselben: Für die ,Entdecker' bewies die Entdeckung fern ihrer eigenen Heimat ihre eigene Überlegenheit- für die ,Entdeckten' entsprechend die Tatsache, im eigenen Territorium mit den Fremden konfrontiert zu werden, ihre Unterlegenheit. 21 Die systematische Untersuchung solcher asymmetrischen Kulturkontakte auf der Erde (Bitterli 1986, 1991) zeigt, dass Begegnungen dieser Art nicht nur die kulturelle Existenz des ,entdeckten' Volkes bedrohen,
20 Nach einem Direktkontakt der geschilderten Art dürfte es für die lebensweltlichen Subjekte wie für die politischen Entscheidungsträger deutlich schwieriger sein, wieder zur Tagesordnung überzugehen als nach dem Empfang eines kurzen Signals aus den Weiten des Weltalls. 21 In den meisten historischen Fällen wurde die Diskrepanz hinsichtlich des Stands der Transporttechnik von beiden Seiten als Zeichen allgemeiner Unter- bzw. Überlegenheit interpretiert. Im Falle eines Kontakts mit Raumschiffen oder Raumsonden einer außerirdischen Zivilisation innerhalb unseres Sonnensystems ließe sich aus der unzweifelhaft vorhandenen extremen Diskrepanz in den technischen Möglichkeiten - die Menschheit ist heute weit davon entfernt, fremde Sonnensysteme auch nur mit automatischen Sonden zu erforschen - ein deutlicher Unterschied im ,Lebensalter' der fremden Zivilisation zumindest in Hinblick auf deren technische Entwicklung ableiten. Es spricht viel dafür, dies gedanklich mit einem entsprechenden Fortschritt im Bereich einer Vielzahl anderer kultureller Bereiche zu parallelisieren (Shostak 1999: 121).
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sondern oftmals auch dessen physische - und das weitgehend unabhängig vom konkreten Ablauf des Erstkontakts (vgl. Rausch 1992: 19). 22 Die Zerstörung der sich als unterlegen ansehenden Kultur war in vielen Fällen nicht das Ergebnis böser Motive und militärtechnischer Überlegenheit von ,Eroberern', sondern Folge des massenpsychologischen Impakts der Konfrontation mit einer fremdartigen Kultur (vgl. Michaud 1999: 272). So erlitten zahlreiche Völker Amerikas und Ozeaniens nach Ankunft der ,Weißen' einen nachhaltigen Kulturschock, der ihr religiöses und kulturelles Vorstellungssystem zusammenbrechen ließ, was mittelfristig zur kompletten Desintegration der ökonomischen und sozialen Systeme führte. In einigen Fällen kam es als Reaktion auf den Kulturkontakt zum kollektiven Suizid ganzer Bevölkerungsgruppen. 23 In der theoretisch orientierten Zusammenschau solcher empirischen Befunde kommt Groh (1999) zu dem Ergebnis, dass ein Zusammentreffen von technisch unterschiedlich weit entwickelten Kulturen stets zu einem ökonomischen und kulturellen Dominanzgefälle führt, das die Existenz der unterlegenen Kultur unmittelbar bedroht. "Im Kulturkontakt läßt sich der Auslöser flir die Löschung kultureller Information verorten. So werden Kulturen destabilisiert, die über lange Zeiträume existiert haben, ohne sich oder ihre Umwelt zu zerstören. Eine Begegnung zwischen Kultur A und Kultur B verläuft umso nachteiliger für Kultur B, je größer das Elaborations- und damit das Dominanzgefälle von A nach B ist. Treffen sich Gruppen, die von den Enden des kulturellen Spektrums stammen, so ist dies für die Unterlegenen die größtmögliche Form des kulturellen Ausgeliefertseins" (Groh 1999: 1079; vgl. Jastrow 1997: 63). Für den hier konkret interessierenden Fall der Mensch-Alien-Kontakte vertritt Shostak ( 1999: 236) entsprechend die Auffassung, dass die Konfrontation mit einer technisch überlegenen außerirdischen Zivilisation mit großer Wahrscheinlichkeit das Ende der menschlichen Kultur bedeuten würde. Wie gut diese Prognose ist, wird sich im Falle des Falles zei-
22 Bereits beim (asymmetrischen) Erstkontakt zwischen irdischen Kulturen waren die wechselseitigen Zuschreibungen durch zahlreiche schwerwiegende Missverständnisse geprägt (vgl. Connolly/Anderson 1987: passim; Finney 1990). 23 So brach etwa auf den Antillen "nach Ankunft der Spanier eine wahre Selbstmordepidemie aus, die fast zum Untergang der gesamten indigenen Bevölkerung flihrte. Die Menschen, so heißt es in zeitgenössischen Quellen, ,tödteten sich auf Verabredung gemeindeweise theils durch Gift, theils durch den Strick'" (Müller 2004: 196; vgl. auch Müller 2003: 270-271).
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gen. Hier und heute kann zumindest aber festgehalten werden, dass bei einem Erstkontakt zwischen menschlichen Kulturen stets diejenige existenziell gefährdet war, auf deren Territorium der Kontakt stattfand. Auf das Zusammentreffen mit einer außerirdischen Zivilisation übertragen, hieße dies wohl: Die Erde selbst, der heute technisch genutzte Erdorbit und vielleicht sogar unser Sonnensystem insgesamt, stellen in massenpsychologischer Hinsicht das , Territorium der Menschheit' dar. Jeder Kulturkontakt in diesem Bereich hieße: wir sind die ,Entdeckten', die anderen die ,Entdecker'. Und alle Erfahrungen, die wir auf der Erde mit solchen asymmetrischen Kulturkontakten machen mussten, sprechen für die Wahrscheinlichkeit eines globalen Kulturschocks, 24 der - völlig unabhängig von den Motiven und Zielen der Außerirdischen25 - zum Zusammenbruch einer Vielzahl sozialer, religiöser und politischer Institutionen auf der Erde führen könnte. 26
24 Bereits Kuiper und Morris (1977: 620) wiesen in ihrem grundlegende Beitrag zur SETI-Forschung auf die möglichen Folgen eines asymmetrischen Kulturkontakts hin: "Before a certain threshold is reached, complete contact with a superior civilization [... ] would abort further development through a ,culture shock' effect." 25 Im Gegensatz zu vielen andere SETI-Forscher nimmt Shostak bezüglich der ,friedlichen Absichten' raumfahrender Zivilisationen eine eher skeptische Haltung ein: "Interstelleare Raumreisen sind mit Risiken verbunden. Das Aussenden starker Signale ist teuer und vielleicht gefährlich. Passive Aliens werden vor beiden Möglichkeiten zurückschrecken. Wenn also alle hochentwickelten Gesellschaften ihre aggressiven Neigungen unter Kontrolle bringen, werden wir ihnen nie begegnen [... ] Es ist unvermeidlich, daß Aliens, die durch Signale vorsätzlich auf sich aufmerksam machen oder sich selbst über die Grenzen des eigenen Sonnenssystems hinaus verfrachten, per definitionem aggressiv sind. Die Annahme, daß es viele solcher Zivilisationen gibt, wird durch den Überlebenswert aggressiven Verhaltens untermauert" (Shostak 1999: 157-158; vgl. Michaud 2007a: 235236). 26 Hierbei wird das Wissen über diese Zusammenhänge ein Übriges bewirken: Jeder Analogieschluss (wie berechtigt er auch immer sein mag- vgl. Schetsche 2005a: 61-63) von asymmetrischen Kulturkontakten in der irdischen Vergangenheit auf die Situation eines Direktkontaktes mit Außerirdischen auf oder in der Nähe der Erde, wird die Befürchtungen hinsichtlich der mittel- und langfristigen Folgen eines solchen ,Zusammentreffens' vermehren und als sich selbst erfüllende Untergangsprophezeiung funktionieren.
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2.4 Das Agenten-Szenario Bei Überlegungen hinsichtlich der möglichen kulturellen Folgen eines zukünjiigen Kontakts zwischen Menschen und Außerirdischen wird meist die Option übersehen, dass dieser Kontakt schon lange stattgefunden haben könnte, die Außerirdischen also schon hier sind, sie ihre Existenz aber bislang zumindest vor der Öffentlichkeit verborgen hielten. Dieses Szenario, es ist vielen deutschen Science-Fiction-Lesern etwa durch den Klassiker von Kurd Laßwitz "Auf zwei Planeten" (1897) bekannt, geht entweder davon aus, dass es den Fremden (für eine gewisse Zeit) gelingt, ihre Anwesenheit gänzlich vor der Menschheit zu verbergen, oder dass lediglich gewisse - unterstellt meist: staatliche - Stellen und damit nur wenige auserwählte Menschen definitiv von deren Existenz wissen. In der jüngeren Vergangenheit ist ein solches Szenario öffentlich insbesondere im Kontext der UFO-Sichtungen und der so genannten ,Entführungen durch Außerirdische' diskutiert worden. In beiden Fällen geht es um die zwar gesellschaftlich heftig diskutierte, von den meisten Wissenschaftlern jedoch vehement abgelehnte These, dass außerirdische Raumschiffe bereits in direkter Nähe der Erde operieren, regelmäßig Tochterschiffe oder automatische Sonden in die Erdatmosphäre schicken (wo sie von irdischen Beobachtern als UFOs registriert werden) oder sogar Kontaktzu-mehr oder weniger erfreuten- Erdbewohnern herstellen. Die psychosozialen Konsequenzen der besonders ,invasiven' Variante solcher Kontakte wird im Beitrag "Entführt! Von irdischen Opfern und außerirdischen Tätern" in diesem Band ausführlich diskutiert. Es genügt an dieser Stelle deshalb, auf die dramatischen Folgen für die selbst deklarierten Alien-Opfer hinzuweisen: Unabhängig von der Frage, ob die berichteten Erlebnisse real sind oder auf Erinnerungstäuschungen beruhen, empfinden die meisten Betroffenen die erinnerten Begegnungen mit den Fremden als hochgradig beängstigend, oftmals geradezu als grauenerregend, viele leiden an posttraumatischen Belastungsstörungen, haben ihr Leben unter dem Eindruck der (vermeintlichen) Erfahrungen völlig umstrukturiert und sind vielfach psychisch und sozial aus der Bahn geworfen. Die Entführungserzählungen sagen nicht nur etwas über das kognitiv-emotive Alienbild der Betroffenen, ihrer Therapeuten und Unterstützer aus, sie lehren uns auch generell etwas über menschliche Reaktionen im Angesicht des "maximal Fremden" (Schetsche 2004). Es spielt dabei nur eine nachgeordnete Rolle, dass der Realitätsgehalt dieser Erfahrungen gesellschaftlich und wissenschaftlich umstritten ist - für die Entstehung der traumatisierenden psychischen Folgen reicht die subjektive Gewissheit einer erlebten Konfrontation mit Außerirdischen völlig aus. Aus
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den dramatischen individuellen Folgen der (hier einmal unterstellt: imaginierten27) Begegnung mit bereits geheim auf der Erde operierenden Außerirdischen kann auf die kollektiven massenpsychologischen und kulturellen Folgen geschlossen werden, die zu erwarten wären, wenn ein solches Szenario zur gesellschaftlich anerkannten Wirklichkeit würde. Wenn, ob zufällig oder geplant, die Anwesenheit außerirdischer ,Agenten' auf der Erde oder gar die Existenz geheimer Experimente oder aktiver Eingriffe in unsere kulturelle Entwicklung bekannt würde, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit dem Ausbruch einer globalen massenpsychologischen Krise zu rechnen. Die kurz-, aber auch die mittelfristigen kulturellen Auswirkungen dürften den oben beschriebenen Fall des Direktkontakt-Szenarios noch bei weitem übertreffen zum einen, weil alle zukünftigen Kulturkontakte mit extremem Misstrauen hinsichtlich der Motive, Interessen und ethischen Orientierung der Fremden belastet wären, und zum anderen, weil die gegebenenfalls offenbar werdende Beteiligung irdischer Stellen (Regierungen, Militär oder Geheimdienste) an solch einer ,transterrestrischen Verschwörung' zu einem extremen Glaubwürdigkeitsverlust dieser Instanzen - national wie international - und damit zu einer umfassenden politischen Destabilisierung auf der Erde führen würden. Dies führt unmittelbar zur abschließenden Frage nach der Möglichkeit und vielleicht auch Notwendigkeit der Geheimhaltung einer eingetretenen Erstkontakt-Situation.
3. Geheimhaltungspolitik Weiche Auswirkungen der Kontakt mit einer außerirdischen Zivilisation hätte, ist in erster Linie zunächst einmal davon abhängig, ob und in welchem Kontext die Weltöffentlichkeit überhaupt über das Ereignis informiert wird. 28 In allen diskutieren Szenarien würde die große Mehrheit der Menschen nichts von den Außerirdischen, sondern nur etwas über sie hören und sehen (Harrison 1997: 199, 206; Harrison/Johnson 2002: 101102). Selbst die Landung eines Raumschiffs werden nur wenige Menschen direkt beobachten können; alle anderen sind auf die Berichte von Massenmedien angewiesen, die schon wegen ihrer typischen Arbeitsweise- Informationsaufbereitung unter Zeitdruck, Vermischung von Fakten 27 Siehe zur Begründung dieser Annahme den Beitrag "Entführt! Von irdi-
schen Opfern und außerirdischen Tätern" in diesem Band. 28 Das entsprechende Problem diskutiert für drohende Asteroiden-/Kometenimpakte Hermelin 2007.
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und Fiktionen, Strategien der Dramatisierung und Skandalisierung usw. (vgl. Schetsche 1996: 115-117)- eine problematische wie problematisierende sein wird. Entscheidend für die kulturellen Folgen eines Erstkontakts wird deshalb sein, ob, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form die Bevölkerung über dieses Ereignis informiert wird. Über diese Frage ist- hinsichtlich eines möglichen Fernkontaktesin der SETI-Forschung nachhaltig diskutiert worden. Die hierzu von einigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften vor Jahren verabschiedete "Declaration ofPrinciples Concerning Activities Following the Detection of Extraterrestrial Intelligence" 29 sieht vor, nach der technisch-wissenschaftlichen Verifizierung des Empfangs von Signalen einer außerirdischen Zivilisation zunächst verschiedene internationale Organisationen einschließlich des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu informieren. Erst im Anschluss daran soll auch die Öffentlichkeit via Fach- und Massenmedien informiert werden. Der verlangte Prozess der Verifizierung der Daten würde sich dabei sicherlich über einen längeren Zeitraum hinziehen; an ihm wären eine ganze Reihe von Forschungseinrichtungen mit einer Vielzahl von Einzelpersonen beteiligt. Es ist daher fraglich, wie realistisch der in der Deklaration vorgeschlagene Ablauf ist (vgl. Harrison 1997: 207; Shostak 1999: 225-227). Als unumstritten unter den SETI-Forschern gilt, dass ein entsprechendes Signal bzw. gar ein Direktkontakt zu den schwerwiegendsten Entdeckungen in der gesamten Menschheitsgeschichte gehören würde (so bereits Hoerner 1967: 1; vgl. Heidmann 1995: 195; Davies 1999: 14)- entsprechend hoch dürfte der ,Nachrichtenwert' einer solchen Information sein und damit auch entsprechend kurz der Zeitraum, bis erste Gerüchte die Massenmedien und damit die Öffentlichkeit erreichen (vgl. Shostak 1999: 226; Shostak 2006). Dies gilt allerdings - und das wird in den fachöffentlichen Debatten oftmals übersehen- nur für den Fall, dass es sich bei den ,Entdeckern' bzw. Kontaktpersonen überhaupt um Wissenschaftler handelt, die sich an die entsprechenden Protokolle gebunden fühlen. Die genannte Vereinbarung ist weder von der UN anerkannt noch in irgendeinem Staat rechtlich verbindlich (vgl. Harrison 1997: 209; Billingham 2002: 671). Deshalb sind auch völlig andere Abläufe vorstellbar, ja wahrscheinlich - etwa wenn Artefaktfunde, Signalempfang oder Direktkontakt unter der Kontrolle nationalstaatlicher Einrichtungen wie Militär oder Geheimdienst stünden (vgl. Michaud 2007a: 3). Für das Zurückhalten entsprechender 29 Abgedruckt im Anhang des Beitrags "Weltraumpolitik, Weltraumrecht und Außerirdische(s)" in diesem Band; für einen Überblick über die Hintergründe der Verabschiedung siehe Michaud 2007a: 359-363.
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Informationen durch staatliche Stellen sind zwei Motivlagen vorstellbar: Versuche des , Fürsorgestaates', die Bürger und die sozialen Institutionen vor negativen Auswirkungen der Bekanntgabe einer solchen Information zu schützen und Bestrebungen des ,Machtstaates', sich den exklusiven Zugang zu bestimmten Informationen zu sichern und sich damit als Nationalstaat politische und/oder militärische Vorteile zu verschaffen (vgl. Harrison 1997: 202). In der Praxis dürften diese beiden Motive allerdings kaum zu trennen sein - nicht zuletzt weil das Handeln auf Basis des zweiten Motivs (zumindest in demokratischen Staaten) im Zweifelsfalle mit legitimatorischen Begründungen gemäß des ersten Motivs einhergehen dürfte. Argumentationen dieser Art sind regelmäßig Bestandteil von Verschwömngstheorien, die behaupten, schon heute würden einige Regierungen, namentlich die der USA, der Öffentlichkeit das Wissen um bereits existierende Kontakte zwischen staatlichen Stellen und Außerirdischen vorenthalten (vgl. Schetsche 2000: 188-189, 213-214). Bei allen wissenschaftlich gebotenen Vorbehalten gegenüber Verschwörungstheorien generell (vgl. Schetsche 2005b; Schetsche/Schmied-Knittel 2004), finden sich im hier interessierenden speziellen Falle doch einige Grundannahmen, die zumindest einer wissenschaftlichen Prüfung wert sind. Zu diskutieren sind insbesondere drei Sachverhalte: ( 1) Es gibt eine Vielzahl inzwischen freigegebener und wissenschaftlich ausgewerteter Akten, die für die USA und andere westliche Staaten eine jahrzehntelange Praxis von Verschwörungen, Geheimprojekten und Desinformationskampagnen nicht nur im Bereich des direkten militärisch-geheimdienstliehen Handeins belegen (vgl. Bamford 2001 und Koch/Wech 2002; jeweils passim). Die nachgewiesene Existenz einer Vielzahl von Geheimprojekten ist auch einer der Gründe dafür, warum heute die übergroße Mehrheit der US-Bürger der Meinung ist, ihre Regierung würde im Ernstfall versuchen, die Tatsache eines Kontakts von Regierungsstellen zu Außerirdischen zu verschweigen bzw. zu vertuschen. 30 (2) Vom Bau der ersten Atombombe wissen wir, dass es- zumindest in Kriegszeiten - möglich ist, die Öffentlichkeit und fremde Regiemngen über mehrere Jahre hinweg über ein äußerst umfangreiches Geheimprojekt im Unklaren zu lassen bzw. zu täuschen, in das Hunderte von Personen vollständig und Tausende partiell eingeweiht waren 30 Nach einer 1999 durchgeführten Repräsentativbefragung waren 81 Prozent der US-Bürger dieser Meinung (zitiert bei Harrison und Johnson 2002: 114).
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(vgl. Groves 1965; Rhodes 1988). Wenn die Zahl der Eingeweihten kleiner ist, kann ein entsprechendes Regierungsgeheimnis auch außerhalb von Kriegszeiten und über Jahrzehnte hinweg sicher bewahrt werden. Als exemplarisches Beispiel kann hier der Fall der NavajoCodesprecher dienen: Während des Pazifikkrieges der USA gegen Japan wurde die, mit keinem europäischen oder asiatischen Idiom verwandte, Sprache dieses Indianerstammes zur Verschlüsselung militärischer Anweisungen benutzt. Die US-Regierung schaffte es, die Existenz dieses "Windtalkers" auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges für Jahrzehnte geheim zu halten- obwohl nicht nur die Beteiligten, sondern auch Hunderte anderer Soldaten Bescheid wussten. Die Öffentlichkeit erfuhr von all dem erst, als man 1986 beschloss, die Geheimhaltung aufzugeben (vgl. Singh 2001: 235-247). Dieser Fall belegt, dass es auch in Friedenszeiten möglich ist, ein als sicherheitsrelevant eingestuftes Geheimnis vollständig vor der Öffentlichkeit und vor anderen Regierungen geheim zu halten, solange nur eine streng begrenzte Zahl von Personen eingeweiht ist. (3) Im Falle der Atombombe wie auch der Codesprecher basiert der Erfolg dieser Geheimhaltung auf zwei Faktoren: erstens auf der militärischen bzw. geheimdienstliehen Disziplin, welcher die Beteiligten sich im festen Glauben, ihrem Land zu dienen, freiwillig unterwerfen, und zweitens auf der nachdrücklichen Drohung mit Gefahr für Leib und Leben, falls jemand die Geheimhaltungspflicht verletzen würde. Interessanterweise funktioniert das Zusammenspiel dieser beiden Methoden umso besser, je schwerwiegender die Informationen sind, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden sollen. Dies liegt daran, dass mit der Brisanz der Information sowohl die Einsicht in die Notwendigkeit der Geheimhaltung als auch der Glaube an die Ernsthaftigkeit der Drohung und die damit verbundene Angst steigt. Eine brisantere Information als die über den hergestellten Kontakt zu Außerirdischen ist in der Gegenwart aber kaum denkbar: Wie meine bisherigen Ausführungen deutlich gemacht haben sollten, könnten die psychosozialen und kulturellen Auswirkungen der Veröffentlichung eines Kontaktes mit einer außerirdischen Zivilisation außerordentlich schwerwiegend sein. Es gibt deshalb, selbst für eine demokratisch legitimierte Administration ohne nationalstaatliche Eigeninteressen, gute Gründe, ihrer Bevölkerung entsprechende Informationen zumindest für einen begrenzten Zeitraum vorzuenthalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine ungeplante Veröffentlichung der Information weitgehend auszuschließen ist - und wenn die Art des
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Kontakts besonders nachhaltige psychosoziale Auswirkungen befürchten lässt. Aus diesen Überlegungen kann allerdings nicht abgeleitet werden, dass aktuell eine Regierungsverschwörung der geschilderten Art existiert - sie sprechen allerdings dafür, dass eine solche Geheimhaltung denkbar wäre und dass sie für einen begrenzten Zeitraum funktionieren könnte. Entgegen der Absichtserklärungen vieler SETI-Forscher könnte es also durchaus sein, dass die Öffentlichkeit für einen kürzeren oder längeren Zeitraum über einen erfolgten Erstkontakt im Unklaren gelassen würde. Die diskutierten psychosozialen Auswirkungen würden in diesem Falle nicht alle Individuen der (Welt-)Gesellschaft, sondern nur die informierten Mitglieder des politisch-administrativen bzw. militärisch-geheimdienstliehen Systems betreffen. Deren mögliche Reaktionen könnten auf Basis von Untersuchungen der generellen Handlungsstrategien von politischen oder militärischen Entscheidungsträgem beim Eintreten unerwarteter Ereignisse prognostiziert werden. Bereits 1961 hatte ein im Auftrag der NASA erstellte Bericht (Brookings-Report 1960: 182-18431 ) die Frage aufgeworfen, unter welchen Umständen und zu welchem Zeitpunkt die Öffentlichkeit über die Tatsache der erfolgten Kontaktaufuahme zu Außerirdischen am Besten informiert werden sollte - und die Durchführung entsprechender Studien zu diesem Thema angeregt. Ob solche Studien tatsächlich durchgeführt worden sind und welches gegebenenfalls ihre Ergebnisse waren, ist öffentlich nie bekannt geworden.
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Man könnte es sich leicht machen mit dem Thema dieses Beitrags. Denn vordergründig nimmt die Weltraumpolitik von Außerirdischen keine Kenntnis und im Weltraumrecht findet sich nicht einmal der kleinste Hinweis auf mögliche extraterrestrische Lebensformen. Außerirdische haben es noch nicht geschafft, in die staatlichen W eltraumpolitiken, -Strategien und -plärre oder in weltraumrechtliche Gesetzestexte einzudringen und sich dort bemerkbar zu machen. Das Thema ist damit aber noch nicht gänzlich abgehandelt. Vor den Türen der verabschiedeten oder ratifizierten Dokumente stehen nämlich die Außerirdischen - oder zumindest ihre terrestrischen Sachverwalter - fast schon Schlange, um programmatische Akzente zu setzen, Budgetlinien einzuführen und rechtliche Bestimmungen zu verankern. Dieser Beitrag wird sich deshalb in den Vorhöfen der Politik und des Rechts bewegen und sich erst einmal auf Spurensuche begeben müssen.
1. Außerirdische in der Weltraumpolitik Außerirdische Intelligenz ist zwar auch für unsere politischen Entscheidungsträger ein interessantes Thema, aber ernst nehmen sie es nicht. Zumindest nicht so ernst, dass sie darüber in den offiziellen Raumfahrtpolitiken spekulieren ließen oder dafür Geld zur Verfügung stellten. Sieht man sich die aktuellen Raumfahrtpolitiken von Deutschland und Frankreich oder ganz generell die ,European Space Policy' an, so wird man dort vergeblich nach dem Thema ,extraterrestrische Intelligenz' suchen. Was hingegen sehr stark verfolgt wird, ist die Suche nach extraterrestrischen Lebensformen auf dem Mars oder auf Monden in unserem Planetensystem, wie etwa dem Saturnmond Titan. Dieses Forschungsgebiet, die sogenannte Exobiologie oder Astrobiologie, ist eine sehr dynamische Disziplin, die derzeit forschungspolitisch viel Rückenwind erhält. Sie sucht aber nicht nach Intelligenzen, sondern wäre schon glücklich, auch nur die primitivsten Einzeller im Eis des Planeten Mars zu finden.
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Jüngst haben sich auf europäischer Ebene die Forscher auf dem Feld der Exobiologie zu einem Verband, der European Astrobiology Network Association (EANA) zusammengeschlossen - ein Zeichen dafür, dass ein eigenes Feld sichtbar abgesteckt werden kann und die Hoffnung existiert, als Interessensgruppe erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen. 1 Erstes großes Ereignis für die europäischen Exobiologen soll die für 2013 anstehende Mission "Exomars" werden, die einen Rover auf dem Mars absetzen wird, um den Boden des Planeten bis in zwei Meter Tiefe zu untersuchen. Die Kosten dafür: knapp 600 Millionen Euro. Noch in den Sternen steht hingegen ein anderes Projekt: die "Mars Sample Return Mission", mit der Bodenproben vom Mars zur Erde geholt werden sollen. Die dafür nötigen mehreren Milliarden Euro gilt es erst noch aufzubringen. Während sich die Wissenschaftler, angespornt durch bereits durchgeführte und konkret geplante Missionen zum Mars, nahe an der Entdeckung außerirdischer Lebensformen wähnen, floriert ein weiteres Forschungsgebiet, das zumindest einen indirekten Zusammenhang mit der Suche nach Lebensformen aufweist. Es handelt sich um die Identifizierung von Planeten außerhalb unseres eigenen Sonnensystems. Seit der ersten Entdeckung von Planeten unter anderen Sonnen im Jahr 1995 hat die Zahl beobachteter Systeme rapide zugenommen. Hinter dieser Suche steht auch die Idee, auf eine "zweite Erde" zu stoßen, auf der sich Lebensformen entwickelt haben könnten. Schon 1996 hat man einen Planeten entdeckt, auf dem Wasser in flüssiger Form existieren könnte. Dass dort auch Außerirdische leben könnten, will natürlich kein seriöser Wissenschaftler behaupten (auch wenn gerne mit Wahrscheinlichkeiten gespielt wird) und Politiker wollen schon gar nicht, dass solche Projekte als ,Suche nach Aliens' verstanden werden. Dennoch haben Pläne, wie der Bau von sechs in Konstellation fliegenden Infrarotsatelliten zur Untersuchung der Atmosphäre extrasolarer Planeten (Projektplan Darwin-IRSI) keine schlechten Aussichten auf eine Verwirklichung in den nächsten zwei oder drei Jahrzehnten. Stellen demnach Exobiologie und die Suche nach Planetensystemen im Universum zumindest eine Vorform ernsthafter Suche nach Außerirdischen dar? Bislang hat einzig die NASA eine substanzielle Budgetlinie für SETI aufgelegt. Sie hat diese aber in den frühen 90er Jahren wieder eingestellt; eher aus finanziellen als aus politischen Gründen. Die Politiker haben anscheinend genug damit zu tun, die Öffentlichkeit vom Nutzen der bemannten Raumfahrt zu überzeugen und wollen sich nicht auch noch einem Rechtfertigungsdruck hinsichtlich der Ausgaben für die Su-
Weitere Informationen unter http://www.spaceflight.esa.int/exobio.
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ehe nach Aliens ausgesetzt sehen. Außerdem legen die aktuellen Raurnfahrtstrategien besonderen Wert auf Satellitenanwendungen und den direkten Nutzen der Weltraumforschung für die irdische Gesellschaft (Gethmann/Rohner/Schrogl 2007). Da passen Tagträume und "Geldverschwendung" nicht ins politische Konzept- zumindest derzeit nicht. Versuche, die Tür einen Spalt breit zu öffnen, gibt es allerdings. Im Oktober 2007 führten die European Science Foundation (ESF), die European Space Agency (ESA) und das European Space Policy Institute (ESPI) eine Veranstaltung mit dem Titel "Humans in Outer Space- Interdisciplinary Odysseys" durch. Im Rahmen dieser Konferenz wurde die augenblicklich politisch hoch gehandelte ,Space Exploration' einer transdisziplinären Untersuchung unterzogen. Naturwissenschaftler und Ingenieure traten in einen Dialog mit Sozial-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaftlern sowie Psychologen und Religionswissenschaftlem, um der Frage nachzugehen, welche Zukunft der Mensch auf und außerhalb der Erde haben könnte. Neben der Nutzung des Erdorbits und der Erforschung von Mond und Mars befasste sich ein Themenschwerpunkt mit der "Auswanderung" des Menschen von seinem Heimatplaneten sowie mit der möglichen Begegnung der Menschheit mit außerirdischen Zivilisationen. Diese Konferenz hat damit zum ersten Mal für die offizielle Weltraumforschung in wissenschaftlich fundierter Weise den Bogen von der bemannten Raumfahrt über die ,Space Exploration' bis hin zu den ,Aliens' geschlagen. Unmittelbare Folgen für Raumfahrtstrategien oder Programmatiken hatte diese Konferenz mit der von ihr erarbeiteten "Vienna Vision on Humans in Outer Space" zwar nicht. Doch die Tür für eine seriöse Betrachtung des Themas ,Menschen und Außerirdische' wurde zumindest einen Spaltbreit aufgestoßen. Die "Vienna Vision" ist mittlerweile im Rahmen mehrerer wissenschaftlicher und politisch orientierter Konferenzen vorgestellt und von der Fachöffentlichkeit diskutiert worden. 2 Das Abschlussdokument beinhaltet zwar keine konkreten Forderungen nach Budgets oder rechtlichen Rahmensetzungen, verleiht aber der Suche nach außerirdischen Lebensformen und außerirdischer Intelligenz zumindest eine breitere Fundierung sowie eine größere fachliche und öffentliche Aufmerksamkeit, als dies in Europa bislang der Fall war.
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Weitere Informationen unter http://www.espi.or.at/index.php?option=com_ content&task=view&id= 13 S&Itemid=37.
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2. Außerirdische im Weltraumrecht Fiel schon die Spurensuche im Bereich der Weltraumpolitik recht bescheiden aus, so darf man vom Weltraumrecht noch weniger erwarten. Angefangen mit dem "Weltraumvertrag" von 1967 über die weiteren Verträge zur Rettung von Astronauten, der Weltraumhaftung, der Registrierung von Weltraumgegenständen bis hin zum Mondvertrag finden sich an keiner Stelle Bezüge zu Außerirdischen. Auch die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten Prinzipienkataloge der 80er und 90er Jahre zu Sachfragen wie der Fernerkundung oder dem Einsatz von Nuklearquellen an Bord von Satelliten bieten keinerlei Hinweise. 3 Entsprechend wird das Thema auch in der weltraumrechtlichen Literatur nicht aufgegriffen (vgl. als Grundlagenwerke: Böckstiegel 1991 und von Kries/Schmidt-Tedd/Schrogl2002). Natürlich könnte man die abenteuerlichsten Konstrukte bilden und versuchen, die weltraumrechtlichen Prinzipien auf Außerirdische anzuwenden. Beispielsweise ergäbe sich aus dem Prinzip der Nichtaneignung des Weltraums (Artikel2 des Weltraumvertrags), dass niemand das Recht hätte, sich außerirdische Lebensformen anzueignen, die ihm irgendwo in den Weiten des Alls begegnen. Doch auch in diesem Bereich gibt es verschiedene Ansatzpunkte, um der Fragestellung in seriöser Weise weiter nachzugehen. Zum einen wird bereits seit Jahren an Bestimmungen gearbeitet, um den Schutz des Weltraums vor Kontamination durch irdische Lebensformen im Rahmen von Weltraummissionen sicherzustellen (Stichwort "Planetary Protection"). Solche Bestimmungen werden derzeit im Rahmen nichtstaatlicher internationaler Wissenschaftsorganisationen erarbeitet (insbesondere im ,Committee on Space Research', COSPAR sowie im ,International Council of Scientific Unions', ICSU). 4 Es gibt bereits Leitlinien, die zwar nicht völkerrechtlich bindend sind, aber doch eine gewisse Autorität besitzen, da Experten der wichtigsten Raumfahrtagenturen an ihrer Ausarbeitung beteiligt waren. Diese Standards sind nicht nur technischer Natur, sondern auch ethisch fundiert (Cockell 2005). Sie regeln beispielsweise die Einteilung der Monde und Planeten im Sonnensystem bezüglich der Kontamination durch biologisches Material von der Erde, in 3
4
Die Weltraumverträge und die Prinzipienkataloge finden sich auf der Website des, United Nations Office for Outer Space Affairs' (UNOOSA) unter http://www. unoosa.org/ oosa/en/SpaceLaw/index.html. Informationen zu COSPAR und seinen Arbeiten bezüglich der Planetary Protection finden sich unter http://www.cosparhq.cnes.fr/Scistr/Scistr. htm#PPP.
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schützenswerte und nicht schützenswerte Himmelskörper. Darauf aufbauendlistensie Verfahren und Vorkehrungen auf, die sicherstellen sollen, wie etwa die Kontamination fremder Himmelskörper durch irdische Bakterien bei der Entnahme von Bodenproben verhindert werden kann. Ein weiterer, direkterer Ansatzpunkt sind die Vorschläge einzelner Rechtswissenschaftler für Verhaltensregeln im Falle eines Kontaktes mit Außerirdischen. Auch wenn man gerade den- gemeinhin ja als ,verknöchert' oder ,phantasielos' verschrienen- Juristen nicht unbedingt zutraut, sich an solch eine Materie zu wagen, finden sich doch bereits seit den 50er Jahren seriöse Vorschläge zu diesem Thema. Auch das geschah außerhalb der zwischenstaatlichen Verhandlungsmaschinerie des Weltraumausschusses der Vereinten Nationen. Beheimatet waren und sind diese Bemühungen in der ,International Academy of Astronautics' (IAA), die bereits eine Reihe von einschlägigen Dokumenten herausgegeben hat (Michaud 2007: 359-363). Hauptprodukt ist die "Declaration of Principles Concerning Activities Following the Detection of Extraterrestrial Intelligence", die im vollständigen Wortlaut im Anhang zu diesem Beitrag wiedergegeben ist, da sie den einzigen international anerkannten Versuch darstellt, Regeln für den Umgang mit Außerirdischen zu formulieren. Sie wurden zwar bereits dem Weltraumausschuss der Vereinten Nationen vorgelegt; dieser hat sich bisher jedoch geweigert, das Thema zu behandeln. Solche und ähnliche Vorschläge dürften wohl bis zur zwischenstaatlichen Anerkennung noch einen weiten Weg vor sich haben. Der genannte Prinzipienkatalog gibt in seinen neun Absätzen vor, auf welcher Grundlage und in welcher Form die Öffentlichkeit von der Entdeckung außerirdischer Lebensformen informiert werden soll und wie eine Kontaktaufnahme in Signa{form vonstattengehen soll. Er ist nicht dafür gedacht, Handlungsempfehlungen für den Fall eines unerwarteten Besuchs von Aliens auf der Erde zu geben. Mit ihm werden vielmehr Fragen aufgegriffen, die die Handhabung von Informationen ebenso betreffen wie das Management daraus entstehender Beziehungen. Dahinter stehen politische Prinzipien wie eine offene internationale Kooperation und auch die Idee, durch die Antizipation des Kontakts unsere eigenen technologischen Fähigkeiten zu erhöhen und denen möglicher Kontaktpartner anzugleichen. Ebenfalls könnte man sich vorstellen, dass der Kontakt mit fremden Zivilisationen die Expansion der menschlichen Zivilisation auf andere Himmelskörper fördert (Michaud 2003, 135). Die Rechtswissenschaftler haben also ihre Hausaufgaben gemacht. Sie haben einen durchdachten, international abgestimmten und formell runden Vorschlag unterbreitet. Zwischenstaatliche Gremien arbeiten im Bereich des Weltraumrechts allerdings nur unter hohem Entscheidungs-
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druck. Wenn der Weltraumausschuss der Vereinten Nationen bereits erheblich mehr als zehn Jahre braucht, um Regelungen zu finden, die Unfälle mit Nuklearquellen an Bord von Satelliten vermeiden sollen (und dies nachdem der Wiedereintritt eines sowjetischen Satelliten ein großes Gebiet in Kanada verseucht hatte), dann darf man nicht erwarten, dass in absehbarer Zeit völkerrechtlich verbindliche Regeln verabschiedet werden. Doch allein schon die Vorarbeiten der IAA sind ein guter Ausgangspunkt für ein besonnenes und koordiniertes Vorgehen, falls der Fall der Fälle tatsächlich einmal eintreten sollte. Einen Schritt weiter geht der Österreichische Weltraumrechtsspezialist Ernst Fasan, der in seiner Aufstellung grundlegender Prinzipien für den tatsächlichen physischen Kontakt ein universell gültiges "Metalaw" vor Augen hat (zitiert nach Michaud 2007: 374): • "No partner ofMetalaw may demand an impossibility. • No rule of Metalaw must be complied with when compliance would result in the suicide of the obligated species. • All intelligent species have in principle equal rights and values. • Every partner of Metalaw has the right to self-determination. • Any act which causes harm to another species must be avoided. • Every species is entitled to its own living space. • Every species has the right to defend itself agairrst any harmful act performed by another species. • The principle of preserving one' s species has priority over the development of another species. • In case of damage, the damager must restore the integrity of the damaged party. • Metalaw agreements must be kept. • To help the other species by one's own activities is an ethical principle, notalegal one." Auch wenn hier ein recht pessimistischen Bild der von vielen herbeigesehnten Kontaktaufnahme entworfen und tendenziell ein irdisches (Kriegs-)Völkerrecht als Modell vorausgesetzt wird, so macht dieser Entwurf doch deutlich, dass man sich durchaus die spekulative Frage stellen kann, mit welchen Rechtssystemen und welchem Rechtsverständnis man bei den Aliens, neben Fragen wie nach der physischen Gestalt und Art der Bewaffnung, konfrontiert werden kann. Kriegerisch, wenn auch nicht kriegslüstern, erscheint der Ansatz, weil der Autor in seiner eher pessimistischen Herangehensweise unterschiedliche Konfliktformationen wie Angriff, Schadensverursachung oder gar Auslöschung in den Vordergrund stellt und dadurch eher den konfrontativen Bedrohungsaspekt als den konsensualen Ergänzungsaspekt zum Ausgangspunkt
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nimmt. In vergleichbarer Weise hat die historische Anthropologie beispielsweise am "Columbian Encounter", der europäischen Entdeckung Amerikas, die Problematik konfrontativer asymmetrischer Begegnungen herausgearbeitet (Muldoon 1999). 5
3. Bilanz Wie eingangs bereits erwähnt, haben weder die offizielle Weltraumpolitik noch das etablierte Weltraumrecht offene Augen, Ohren oder Arme für die Außerirdischen. Es konnten jedoch verschiedene Ansatzpunkte für Vorformen der Befassung mit extraterrestrischer Intelligenz identifiziert werden, von der "Planetary Protection" bis zur Formulierung von Verhaltenskodizes durch Wissenschaftler. Sollten Aliens heute die Erde besuchen oder zumindest eine Botschaft schicken, dann wären wir nicht besonders gut vorbereitet und die staatlichen und internationalen Instanzen würden sich wahrscheinlich so verhalten, wie wir (und sie) es aus den jüngeren amerikanischen Kinofilmen kennen. 6 Ein solches Szenario würde wahrscheinlich kein gutes Ende nehmen - und auch der persönliche Einsatz heldenhafter Kampfpiloten-Präsidenten dürfte aus diesem umgekehrten "Columbian Encounter" kein besseres Resultat als die Zerstörung unserer Zivilisation herausholen. Da würden wohl auch die Selbstverteidigungsaspekte des vorgestellten "Metalaw" nicht helfen. Um initiale Missverständnisse zu vermeiden, müssten tatsächlich Verfahren entwickelt werden, die übereilte und einseitige Schritte unterbinden. Das betrifft alle drei Ebenen der Konfrontation mit fremdem Leben: die Entdeckung primitiver Lebensformen im Sonnensystem, der Empfang von Signalen fremder Zivilisationen und die physische Begegnung mit Außerirdischen. Für jedes dieser drei Ereignisse müsste ein weltweiter Konsens hinsichtlich seiner Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit, aber auch für eine international koordinierte Reaktion entwickelt werden. Weil es sich zweifellos um Fragen handelt, welche die gesamte Menschheit betreffen, darf und kann es hier keine nationalen Alleingänge geben. Entsprechende Regeln müssten beispielsweise die Pflicht zur Weiterleitung von Erkenntnissen an andere Nationen und die Weltöffentlichkeit umfassen, sie müssten die Einrichtung von Koordinationsforen vorsehen 5 6
Vergleiche dazu auch den Beitrag "Auge in Auge mit dem maximal Fremden?" in diesem Band. Siehe dazu den Beitrag "Dialektik des Aliens. Darstellungen und Interpretationen von Außerirdischen in Film und Fernsehen" in diesem Band.
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und sie müssten erste grundlegende Leitlinien für den Umgang mit entscheidungsrelevanten Informationen und für mögliche Reaktionen staatlicher und internationaler Stellen beinhalten. Da es keine vergleichbaren Situationen auf der Erde gibt und da mit Menschheitsproblemen wie dem Klimawandel auch nicht eben zielgerichtet und gemeinschaftlich umgegangen wird, erscheint es bei diesem hypothetischen Problemkomplex noch unwahrscheinlicher, dass er in absehbarer Zeit auch nur abstrakt angegangen wird. Interessant wäre der Vergleich mit einem ganz anderen, aber doch gar nicht so unähnlichen Problem: der Gefahr, dass ein Asteroid die Erde konkret bedrohen könnte. Wie will die Weltgemeinschaft damit umgehen? Wie erfährt sie dies? Wer entscheidet was? Wer trägt welche Kosten? Zwar hat uns Hollywood mit den "Space Cowboys" hier einen Weg gewiesen, aber leider finden sich in der terrestrischen Politik und Diplomatie kaum solche zupackenden Akteure. Hinter dem Scherz verbirgt sich allerdings eine ernste Lektion über die fehlenden Grundstrukturen gemeinsamen globalen Handeins in Situationen existenzieller Bedrohung oder zumindest grundlegender Richtungsentscheidungen. Vielleicht hilft sogar der erste Kontakt mit fremden Zivilisationen oder zumindest die klare Erkenntnis, dass es weitere Lebensformen im Sonnensystem gibt, damit Menschheitsprobleme wie Hunger, Klima oder Ressourcen anders angegangen und möglicherweise sogar gelöst werden. Politisches Träumen sollte deshalb erlaubt sein- es ist ja auch den eingefleischten SETI-Anhängern vergönnt.
Anhang Declaration of Principles Concerning Activities Following the Detection of Extraterrestrial Intelligence7 (Adopted by the International Academy of Astronautics, 1989)
We, the institutions and individuals participating in the search for extraterrestrial intelligence, Recognizing that the search for extraterrestrial intelligence is an integral part of space exploration and is being undertaken for peaceful purposes and for the common interest of all mankind,
7
Online-Quelle: http://www.setileague.org/generallprotocol.htm.
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Inspired by the profound signifieanee for mankind of deteeting evidenee of extraterrestrial intelligenee, even though the probability of deteetion maybe low, Reealling the Treaty on Prineiples Governing the Aetivities of States in the Exploration and Use of Outer Spaee, Including the Moon and Other Celestial Bodies, whieh eommits States Parties to that Treaty "to irrform the Seeretary General of the United Nations as well as the publie and the international seientifie eommunity, to the greatest extent feasible and praetieable, of the nature, eonduet, loeations and results" of their spaee exploration aetivities (Article XI), Reeognizing that any initial deteetion may be ineomplete or ambiguous and thus require eareful examination as well as eonfirmation, and that it is essential to maintain the highest standards of seientifie responsibility and eredibility, Agree to observe the following prineiples for disseminating information about the deteetion of extraterrestrial intelligenee: 1. Any individual, publie or private researeh institution, or governmental ageney that believes it has deteeted a signal from or other evidenee of extraterrestrial intelligenee (the diseoverer) should seek to verify that the mostplausible explanation for the evidenee is the existenee of extraterrestrial intelligenee rather than some other natural phenomenon or anthropogenie phenomenon before making any publie announeerneut If the evidenee eannot be eonfirmed as indieating the existenee of extraterrestrial intelligenee, the diseoverer may disseminate the information as appropriate to the diseovery of any unknown phenomenon. 2. Prior to making a publie announeerneut that evidenee of extraterrestrial intelligenee has been deteeted, the diseoverer should promptly irrform all other observers or researeh organizations that are parties to this declaration, so that those other parties may seek to eonfirm the diseovery by independent observations at other sites and so that a network ean be established to enable eontinuous monitaring of the signal or phenomenon. Parties to this declaration should not make any publie announeerneut of this information until it is determined whether this information is or is not eredible evidenee of the existenee of extraterrestrial intelligenee. The diseoverer should irrform his/her or its relevant national authorities. 3. After eoncluding that the diseovery appears to be eredible evidenee of extraterrestrial intelligenee, and after informing other parties to 263
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4.
5.
6.
7.
this declaration, the discoverer should inform observers throughout the world through the Central Bureau for Astronomical Telegrams of the International Astronomical Union, and should inform the Secretary General of the United Nations in accordance with Article XI of the Treaty on Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space, Including the Moon and Other Bodies. Because of their demonstrated interest in and expertise concerning the question of the existence of extraterrestrial intelligence, the discoverer should simultaneously inform the following international institutions of the discovery and should provide them with all pertinent data and recorded information concerning the evidence: the International Telecommunication Union, the Committee on Space Research, of the International Council of Scientific Unions, the International Astronautical Federation, the International Academy of Astronautics, the International Institute of Space Law, Commission 51 of the International Astronomical Union and Commission J of the International Radio Science Union. A confirmed detection of extraterrestrial intelligence should be disseminated promptly, openly, and widely through scientific channels and public media, observing the procedures in this declaration. The discoverer should have the privilege of making the first public announcement. All data necessary for confirmation of detection should be made available to the international scientific community through publications, meetings, conferences, and other appropriate means. The discovery should be confirmed and monitared and any data bearing on the evidence of extraterrestrial intelligence should be recorded and stored permanently to the greatest extent feasible and practicable, in a form that will make it available for further analysis and interpretation. These recordings should be made available to the international institutions listed above and to members of the scientific community for further objective analysis and interpretation. If the evidence of detection is in the form of electromagnetic signals, the parties to this declaration should seek international agreement to protect the appropriate frequencies by exercising procedures available through the International Telecommunication Union. Immediate notice should be sent to the Secretary General of the ITU in Geneva, who may include a request to minimize transmissions on the relevant frequencies in the W eekly Circular. The Secretariat, in conjunction with advice of the Union's Administrative Council, should explore the feasibility and utility of convening an Extraordinary Administra-
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tive Radio Conference to deal with the matter, subject to the opinions of the member Administrations of the ITU. 8. No response to a signal or other evidence of extraterrestrial intelligence should be sent until appropriate international consultations have taken place. The procedures for such consultations will be the subject of a separate agreement, declaration or arrangement. 9. The SETI Committee of the International Academy of Astronautics, in coordination with Commission 51 of the International Astronomical Union, will conduct a continuing review of procedures for the detection of extraterrestrial intelligence and the subsequent handling of the data. Should credible evidence of extraterrestrial intelligence be discovered, an international committee of scientists and other experts should be established to serve as a focal point for continuing analysis of all observational evidence collected in the aftermath of the discovery, and also to provide advice on the release of information to the public. This committee should be constituted from representatives of each of the international institutions listed above and such other members as the committee may deem necessary. To facilitate the convocation of such a committee at some unlmown time in the future, the SETI Committee of the International Academy of Astronautics should initiate and maintain a current list ofwilling representatives from each of the international institutions listed above, as well as other individuals with relevant skills, and should make that list continuously available through the Secretariat of the International Academy of Astronautics. The International Academy of Astronautics will act as the Depository for this declaration and will annually provide a current list of parties to all the parties to this declaration.
Literatur Böckstiegel, Karl-Heinz (Hg.) (1991): Handbuch des Weltraumrechts, Köln: Carl Beymanns Verlag. Cockell, Charles S. (2005): "Planetary protection - A microbial ethics approach". Space Policy 21, S. 287-292. Gethmann, Carl Friedrich/Rohner, Nicola/Schrogl, Kai-Uwe (Hg.) (2007): Die Zukunft der Raumfahrt. Ihr Nutzen und ihr Wert, Bad Neuenahr-Ahrweiler (Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen, Graue Reihe Nr. 40).
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von Kries, Wulf/Schmidt-Tedd, Bemhard/Schrogl, Kai-Uwe (2002): Grundzüge des Raumfahrtrechts - Rahmenbestimmungen und Anwendungsgebiete, München: Verlag C. H. Beck. Michaud, Michael A.G. (2003): "Ten decisions that could shake the world". Space Policy 19, S. 131-136. Michaud, Michael A.G. (2007): Contact with Alien Civilizations. Our Hopes and F ears about Encountering Extraterrestrials, N ew Y ork: Copernicus Books. Muldoon, James (1999): Empire and Order: The Concept of Empire, New York: St. Martin's Press.
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PREKÄRE WIRKLICHKEITEN AM HIMMEL- EINE WISSENSSOZIOLOGISCHE SCHLUSSBEMERKUNG MICHAEL SCHETSCHE UND MARTIN ENGELBRECHT
Außerirdische und mögliche Beziehungen zwischen ihnen und Menschen bilden einen hinsichtlich seines Realitätsstatus derzeit hochumstrittenen Themenkomplex, dem man nach unserer Überzeugung nicht gerecht wird, wenn man ihn stets in einen rigorosen Dualismus von ,Phantasie' und ,harten Fakten' zu pressen versucht. Vielmehr haben wir es, dies zeigte etwa der Beitrag von Marie-Luise Heuser in diesem Band, bereits seit Jahrhunderten mit einer engen Verbindung zwischen beiden Wirklichkeitsebenen zu tun: Von Beginn an lieferte das fiktionale und spekulative Nachdenken über Mensch-Alien-Begegnungen zahllose wissenschaftlich verwertbare Ideen und Gedankenexperimente, beispielsweise zur Bewohnbarkeit fremder Welten oder zu Ablaufund Folgen hypothetischer Realkontakte, und machte dieses Thema im wissenschaftlichen Kontext (so etwa in Gestalt der SETI-Forschung) überhaupt erst denkbar und erforschbar. Auf der anderen Seite stellte die wissenschaftliche Weltraumforschung vielfältige Anregungen, Szenarien und Hintergrundinformationen für fiktionale Formate bereit: Die Beobachtung solarer und extrasolarer Planeten, Theorien zur Entstehung und Verbreitung von Leben und so weiter. In Phänomenen wie der UFO-Forschung der Gegenwart verschmelzen beide Bereiche zu einer Art , Phantomphänomen', dessen Realitätsstatus möglicherweise auf Dauer ungeklärt bleiben wird. Doch gerade an diesem UFO-Phänomen (verschiedene Beiträge in diesem Band haben es aus ganz unterschiedlicher Perspektive beleuchtet) lässt sich geradezu idealtypisch zeigen, wie bei Themen mit unklarem Realitätsstatus die konkurrierenden Realitätskonzepte die scheinbar ,objektiven' Fakten erst hervorbringen, auf die sie sich anschließend berufen -ein Befund, der interessanterweise in der Regel für alle beteiligten Akteure gilt. 1 Während die Leichtgläubigen unter den sogenannten UfoloTheoretisch beschreibt dies Jean Baudrillard, nach dessen Auffassung so genannte Tatsachen oder Ereignisse symbolisch im Schnittpunkt von Modellen erzeugt werden: "Die Tatsachen besitzen keine eigene Flugbahn, sie entstehen im Schnittpunkt von Modellen, so daß eine Tatsache von allen
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gen in jeder auch nur ansatzweise ungewöhnlichen (durch Fachkundige aber meist sehr schnell aufklärbaren) Himmelserscheinung einen Beleg für die Existenz Außerirdischer sehen, führen die sogenannten Skeptiker auch die sonderbarsten (und selbst für Experten der Himmelsbeoachtung nur schwer erklärbaren) Phänomene vorschnell auf unproblematische Kategorien zurück: Venus oder Wolke, Discobeamer oder Partyballon. Und selbst jene Akteure, die sich redlich bemühen, nicht vorschnell über ungewöhnliche Sichtungen zu urteilen, bleiben in der Regel in der Dichotomie der deutungsgeleiteten Faktenerzeugung stecken, in der zwischen UFO-ET-Hypothese 2 auf der einen und einer reduzierenden ,Normalisierung des Außernormalen' auf der anderen Seite kaum Raum bleibt. Das Phänomen muss klassifiziert und die Akte geschlossen werden, da hat die zerbrechliche Existenz von Ambiguitäten, Ambivalenzen und multiplen Realitäten der Beteiligten auf allen Seiten wenig Chancen. Entsprechend empört werden kulturwissenschaftliche Versuche der Formulierung multiperspektivischer, offener und damit auch relativierender Deutungen zurückgewiesen- meist wiederum von allen Beteiligten. Die etwa von Gerd H. Hövelmann für dieses Buch skizzierte philosophische und erkenntnistheoretische Problematik, die momentane (vielleicht sogar dauerhafte) Unmöglichkeit, den Realitätsgehalt vieler UFOSichtungen sicher zu bestimmen, ist offenkundig einer der Gründe, warum dieses Thema seit den ersten öffentlichen Diskussionen stets nur am Rande des wissenschaftlichen Feldes als Forschungsgegenstand akzeptabel war. Einen weiteren- mit jenen erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten zusammenhängenden - Grund für die Distanz etablierter Wissenschaftler zu UFO-Fragen stellt die erhebliche soziale Stigmatisierung dieser Themen dar. 3 Nicht nur im deutschen Wissenschaftssystem gilt das UFO-Phänomen mit allen seinen Nebenaspekten als abwegig und indiskutabel - mit Ausnahme natürlich der ,subjektiven' Perspektive, die die Sozialwissenschaften als , UFO-Glaube als Religionsersatz', als mas-
2 3
Modellen gleichzeitig erzeugt werden kann" (Baudrillard 1978: 30). Es scheint uns nur wenige Phänomene zu geben, bei denen dies in stärkerem Maße zutrifft als für die so genannten UFOs. Die Extraterrestrische (kurz: ET-)Hypothese erklärt zumindest einen Teil der UFOs zu außerirdischen Raumschiffen. Ein dritter, in manchen Staaten (namentlich in den USA) bedeutsamer Grund kann hier nur benannt, aber aus Raumgründen nicht diskutiert werden: Die Verknüpfung des UFO-Phänomens mit militärischen und geheimdienstlichen Interessen, Programmen und Aktivitäten. Den bislang wohl fundiertesten historischen Überblick über diese Dimension liefert die Untersuchung von Richard M. Dolan aus dem Jahr 2000.
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senmedial induzierte ,UFO-Hysterien' in der Bevölkerung, als ,Verschwörungsdenken' und so weiter untersuchen. Wie Ina Schmied-Knittel und Edgar Wunder in ihrem Beitrag für dieses Buch zeigen konnten, setzen sich Akteure bei diesem Thema selbst in seinen unschuldigsten Varianten (etwa der Wahrnehmung eines für den Beobachter subjektiv zunächst einmal einfach unerklärlichen Himmelsphänomens) der Gefahr massiver sozialer Stigmatisierungsprozesse aus. Hier ist nicht nur an das auflagenfördernde Jonglieren der Massenmedien mit Berichten über das Unglaubliche in (gelegentlich pseudo-)aufklärerischer Attitüde zu denken, von dem Gerhard Mayer in seinem Beitrag berichtet, sondern auch an sich als ,kritisch' verstehende UFO-Forschungsgruppen und Einzelpersonen, die ebenfalls schnell bereit sind, eine pathologisierende 4 und/oder moralisierende Rhetorik einzusetzen. Dabei fallen nicht selten die Regeln des rationalen wissenschaftlichen Diskurses einer Bereitschaft zur Durchsetzung eigener szientistischer Weltbilder zum Opfer. Diese Mechanismen halten derzeit ein öffentliches Diskursklima aufrecht, bei dem über Außerirdische und Außerirdisches im Grunde nur in zwei Modi nachgedacht, gesprochen und diskutiert werden kann: dem der Fiktionalisierung und dem einer (mehr oder weniger expliziten) Lächerlichkeit. Eine gewisse AufWeichung hat die Stigmatisierung des Themenkomplexes ,Menschen und Außerirdische' zumindest in den USA während der letzten Dekaden durch die wachsende wissenschaftliche Dignität der SETI-Forschung und der Astrobiologie erfahren. 5 Freilich erkaufte sich vor allem SETI sein Billet zu den seriösen wissenschaftlichen Diskursen auch mit einer nachhaltigen Selbstdistanzierung vom Themenkomplex UFO. Exemplarisch sei hier nur auf die Veröffentlichung eines international führenden SETI-Protagonisten verwiesen: In seinem Buch "Nachbarn im All" aus dem Jahre 1999 richtet sich Seth Shostaks Rhetorik zum Thema UFOs (ebd.: 167-175) nicht nur gegen die UFO-ET-Hypothese, sondern gegen jede Art von UFO-Forschung generell. Sie kulminiert in dem tautologischen Argument, der Beweis für die wissenschaftliche Irrelevanz des UFO-Phänomens sei schon allein dadurch erbracht, dass sich kein Universitätsdozent ernsthaft mit dem Thema beschäftigen würde (ebd.: 173). Den wissenschaftspolitischen Hintergründen dieser Distanzierungsbemühungen der SETI-Forscher ging der Wissenschaftssoziologe Daniel Romesberg (1992) nach und kam zu dem Ergebnis, dass das 4 5
Zum Problem der gesellschaftlichen Pathologisierung von Sichtungen vgl. Schetsche 2003. Vgl. dazu den Beitrag "SETI" in diesem Band.
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Verhältnis zur UFO-Forschung von Beginn an einer der zentralen Gegenstände wissenschaftsstrategischer Auseinandersetzungen zwischen SETI und seinen Kritikern war. Während die SET!-Wissenschaftler versuchten, einen möglichst großen argumentativen wie organisatorischen Abstand zwischen der eigenen Arbeit und der - wissenschaftlich für illegitim geltenden- UFO-Forschung 6 zu schaffen, bemühten sich ihre Kritiker gerade diesen Zusammenhang herzustellen, um die SETI-Forschung via UFO-Thema wissenschaftlich zu delegitimieren (vgl. Romesberg 1992: 242-248). 7 Die von Romesberg (ebd.: 245) zitierte Aussage eines der führenden SETI-Forscher der achtziger und neunziger Jahre (John Billingham in einem Interview aus dem Jahre 1990), "We don't have anything to do with UFO's at all", erhält ihren eigentlichen Sinn erst wenn man ihre strategische Bedeutung versteht: Wir dürfen nicht mit der UFOForschung gleichgesetzt werden. Freilich erklärt sich die Gleichsetzung von SETI und UFOForschung nicht nur aus den Diskriminierungsabsichten ihrer Gegner, sondern auch aus der Tatsache, dass beide eine ganze Reihe von Grundüberzeugungen hinsichtlich der Stellung des Menschen im Kosmos und der Frage nach außerirdischen Zivilisationen teilen, die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen (im Weiteren als ,Kontakt-Paradigma' bezeichnet): • Das Universum hat die inhärente Tendenz, Leben hervorzubringen: Die Entstehung von Leben ist in unserem Universum nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Wo Leben (von den physikalischchemischen Bedingungen her) entstehen kann, entsteht es über kurz oder lang auch- und wo es überleben kann, überlebt es auch. • Biologische Evolution ist ein kosmisches Grundprinzip: Einmal entstandenes Leben entwickelt sich weiter - und zwar zu immer komplexeren Formen und ökologischen Systemen. • Bewusste Intelligenz ist ein inhärentes Potential biologischer Evolution: Die evolutionären Prozesse bringen mit ihrer Tendenz zur Komplexitätserhöhung, wenn auch nicht immer, so doch regelmäßig oder zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, Lebewesen
6 7
Wie Romesberg in seiner Arbeit zeigt, betraf dies in gleicher Weise auch die Paläo-SETI-Forschung. Typisch ist hier etwa der von Romesberg (1992: 24 7) zitierte Beitrag des SETI-kritischen Astronomen Frank Tipler: " [ ... ] a belief in the existence of extraterrestrial intelligent beings anywhere in the galaxy is not significantly different from the widespread beliefthat UFO's are extraterrestrial spaceships".
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•
hervor, die sich ihrer selbst bewusst sind und intentional handeln (also nach unserem Verständnis ,Intelligenz' aufweisen). Die Häufigkeit des Lebens macht die riesigen raum-zeitlichen Abstände im Universum wett: Die Entstehung intelligenter Spezies geschieht so häufig, dass außerirdische Zivilisationen mit hoher Wahrscheinlichkeit zeitlich parallel zur irdischen Zivilisation existieren und zwar in einer Entfernung von der Erde, die sich durch technisch vermittelte Kommunikation prinzipiell überbrücken lässt.
Neben diesem grundlegenden astrobiologischen ,Giordanismus' 8 teilen SETI und die UFO-Forschung noch zwei weitere Ebenen von Annahmen, auf denen sie allerdings inhaltlich ganz unterschiedliche Richtungen einschlagen: • Intelligenz, Motive und Interessen folgen stets universellen Gesetzen: Außerirdische Intelligenzen sind uns, sowohl was ihre kognitiven Fähigkeiten und Wahrnehmungshorizonte angeht, als auch was ihre Motive und Interessen betrifft, so ähnlich, dass wir sie und ihr Handeln als intelligent erkennen können und zu einer Deutung ihres Handeins kommen können. Was die Motivlagen der Außerirdischen gegenüber dem "maximal Fremden" (Schetsche 2004a) -in diesem Fall dem Menschen- angeht, gehen SETI und die UFO-Forscher jedoch deutlich getrennte Wege. Während bei den SET!-Vertretern der Optimismus bezüglich der ethischen Absichten und der Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft potentieller technisch fortgeschrittener Partner überwiegt, so dominieren auf Seiten der UFOProtagonisten negative Erwartungen, die speziell bei den Erzählungen über Entführungen bis zu einem regelrechten Leidensdruck reichen können. 9 • Die räumlichen Distanzen des Alls sind technisch überwindbar: Sowohl SETI als auch die UFO-Forscher gehen davon aus, dass Kontakte stattfinden oder stattfinden werden. Solange keine wissenschaftliche Revolution es anders erweist, lässt sich dabei die Option eines überlichtschnellen Raumflugs ausschließen. Während sich die SETI-Forscher von dieser Idee stets distanziert haben, sind die Positionen innerhalb der UFO-Forschung diesbezüglich hingegen alles andere als eindeutig. Die von SETI stattdessen favorisierte Kommunikation mittels elektromagnetischen Signalen spielt wiederum im
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V gl. den Beitrag "SET!" in diesem Buch. Siehe dazu den Aufsatz "Entführt!" in diesem Band.
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Bereich der UFO-Forschung keine nennenswerte Rolle. Hoch umstritten- und deshalb am interessantesten- ist die dritte Variante einer unterlichtschnellen Raumfahrt, die eine ausführlichere Erörterung verdient: SETI-Vertreter treten aktiv der Option unterlichtschneller interstellarer Raumfahrt und damit auch der Möglichkeit entgegen, dass gegenwärtig oder in der Vergangenheit bereits Kontakte stattgefunden haben (vgl. z.B. Shostak/Bamett 2003: 71-58). Dies hat nicht zuletzt, wenn auch keineswegs nur die oben bereits skizzierten strategischen Gründe (vgl. von Hoemer 2003: 112-119). Dagegen wird interessanterweise von Gegnern der Idee im All verbreiteten Lebens damit argumentiert, intelligentes Leben müsste zwangsläufig in jedem Fall den Weltraum besiedeln und es würde deswegen notwendig zu einem Kontakt kommen. Den bislang nicht nachweisbaren Kontakt betrachten sie deshalb in umgekehrter Richtung als Beweis für das generelle Fehlen von (intelligentem) Leben im All (vgl. Crawford 2002). Gegen solche ,starken' Auslegungen des FermiParadoxons10 hat die SETI-Forschung in den letzten Jahrzehnten eine ganze Reihe von Argumenten entwickelt (vgl. Geiger 2005: 318-352; Deardorffu.a. 2005). 11 Nach unserem aktuellen Wissensstand über die im Universum herrschenden Gesetzmäßigkeiten können die eben skizzierten Thesen empirisch zutreffen oder auch nicht. Neben der grundsätzlichen Auseinandersetzung um die Frage der Wahrscheinlichkeiteil von Leben im All (Prämissen 1-4), ist es vor allem die Einschätzung der in den letzten beiden Prämissen implizierten W ahrscheinlichkeiten, die in entscheidender W eise den Realitätsstatus von Aliens in den aktuellen Diskussionen festlegt: Die Frage nach der Zivilisation und der Technik des "maximal Fremden" (Schetsche 2004a) und die hinter den theoretischen Überlegungen dazu steckende Frage nach der Verallgemeinbarkeit unserer eigenen Wissenschaft und Technik. Schon angesichts der zahlreichen ,Kuhnschen' Re-
10 Vgl. dazu wiederum den Beitrag "SETI". 11 Eine der immer wieder gegebenen Antworten kritisiert indirekt den Kontext, in dem Fermi und seine Kollegen damals forschten: am Los Alamos National Labaratory an der Weiterentwicklung der Atombombe. Diese Arbeit könnte nach Meinung nicht weniger SETI-Forscher einen guten Grund für eine vorsätzliche Isolierung der Menschheit durch eine galaktische Multizivilisation darstellen (Quarantäne-Theorie). So gesehen könnte die Auflösung für Fermis Paradoxon in dessen eigener Forschungstätigkeit bestehen.
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volutionen in unserer eigenen Wissenschafts- und Technikgeschichte scheint hier freilich Vorsicht gegenüber allzu vielen selbstbewussten Schlüssen geboten. Anders als die SETI-Forscher gehen die Vertreter der Paläo-SETIund der UFO-ET-Hypothese noch einen entscheidenden Schritt weiter und stellen Fermis Prämisse selbst in Frage. Erstere, indem sie die These vertreten, die Erde hätte in ihrer Vergangenheit tatsächlich schon mehrfach Besuch von außerirdischen Zivilisationen erhalten, Letztere gar durch die Behauptung, zumindest in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert sei der irdische Himmel geradezu überfüllt von den fremden Raumschiffen. Bei Akzeptanz der Grundannahmen des ,Kontakt-Paradigmas' kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass es außerirdische Zivilisationen gibt, die älter als die Menschheit und technisch weiter fortgeschritten sind, und dass von ihnen ausgehende ,bemannte' Raumschiffe oder automatische Sonden der Erde in den letzten 10.000 Jahren einen Besuch abgestattet haben. Ob das im Falle des Falles von unseren Vorfahren (oder uns) beobachtet werden konnte bzw. kann, ob es zu Kontaktaufnahmen kam und ob diese ihrerseits dann tatsächlich zu einem nachhaltigen kulturellen Impakt führten, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt. "Paläo-SETI" meint genau dies mittels kultureller Artefakte, die solche Besuche widerspiegeln sollen, ,beweisen' zu können 12 der Mainstream der Geschichtswissenschaft hingegen hält alle diese ,Beweise' für reinen Unfug. Damit sind wir zu der eingangs diskutierten Frage des Zusammenstoßes von vorherrschenden orthodoxen und konkurrierenden heterodoxen Wissensbeständen zurückgekehrt: ein weitgehend von wissenschaftlichen Laien 13 getragenes, höchst voraussetzungsreiches Forschungs-, richtiger vielleicht Denkprogramm opponiert gegen das von der überwältigenden Mehrheit wissenschaftlich ausgebildeter Geschichtsforscher getragene Standardmodell einer ohne Einfluss von außen nur ihren inneren Dynamiken folgenden Menschheitsgeschichte. Aus wissenssoziologischer Sicht schiene es freilich angebracht, über den Wahrheitsgehalt beider Wissenssysteme nur relativ, nicht jedoch absolut entscheiden zu wollen. Wie die Paläo-SETI-These, basiert auch das geschichtswissenschaftliehe , Standardmodell' auf vielfältigen epistemologischen Prämissen, die einem zeitlichen Wandel unterliegen und in 12 Siehe dazu den Aufsatz "Aliens im kulturellen Gedächtnis?" in diesem Band. 13 Zur generellen Problematik der Laienforschung aus wissenschaftlicher Sicht vgl. Schetsche 2004b und Mayer/Schetsche 2007.
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manch einem Einzelfall (gelegentlich auch im großen Stil) innerwissenschaftlichen Kontroversen unterworfen sind. Was das Paläo-SETI-Programm vom traditionellen wissenschaftlichen Modell unterscheidet, scheinen weniger die inhaltlichen Behauptungen zu sein, sondern die Tatsache, dass es außerhalb des universitär-wissenschaftlichen Kontextes mit seinen ebenso komplexen wie wohlüberlegten institutionellen, theoretischen und methodischen ,Spielregeln' entstanden ist und auch (nur) dort Karriere gemacht hat - eine Überlegung, die in gleichem Maße für die UFO-ET-Laienforschung gilt. Vieles, was beim Themenkomplex Außerirdische und ihrer potentiellen Kontakte zu Menschen auf den ersten Blick als Frage vorhandener (oder eben gerade nicht vorhandener) ,Fakten' erscheint, erweist sich so auf den zweiten Blick als Folge der Auseinandersetzung konkurrierender gesellschaftlicher Deutungsprozesse - in den Wissenschaften ebenso wie der massenmedial geprägten (Fach-)Öffentlichkeit. Am leichtesten haben es in diesem Kontext die Science-Fiction und die sie untersuchende Literatur- und Filmwissenschaft. 14 Der Realitätsanspruch der betreffenden Dokumente ist ebenso eindeutig wie der ontologische Status des Untersuchungsgegenstandes- Romane und Filme beschreiben fiktive Welten, existieren dabei als Produkte menschlichen Geistes selbst aber völlig unstrittig. Schon bei der SETI-Forschung ist der ,Realitätsstatus' deutlich prekärer. SETI versucht den Kontakt der Menschheit mit einer realen außerirdischen Zivilisation herzustellen, ein Ereignis das wissenschaftlich zwar vorstellbar ist, aber keineswegs eintreten muss (nicht einmal innerhalb eines sehr großen Zeithorizonts). Doch erst wenn dieser Erstkontakt zustande käme, würden die zentralen Prämissen und Annahmen der SETI-Forschung in den Status tatsächlich empiriebasierter ,Tatsachen' avancieren. SETI würde zu CETI, der "Communication with Extraterrestrial Intelligence" (vgl. Drake/Sobel 1994: 229). Bis dahin bleibt SETI eine Wissenschaft auf der Suche nach ihrem Gegenstand (eine Einschränkung, die freilich eher unter budget- und wissenschaftsstrategischen als unter erkenntnis- oder wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten problematisch zu sein scheint). Paläo-SETI- und UFO-Forschung freilich trifft es noch deutlich härter: Als primär 15 von Laien getragene Forschungsprogramme (die freilich
14 Vergleiche dazu die Aufsätze "Von Aliens erzählen" und "Dialektik des Aliens" in diesem Band. 15 Eine ,Liste der Ausnahmen' reicht hier von C. G. Jung über Hans Bender bis hin zu J. Allen Hynek und Jacques Vallee -um nur die bekanntesten
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auch in grundsätzlicher Weise mit den dementsprechenden methodischtheoretischen Problemen behaftet sind) haben sie nicht nur mit dem zweifelhaften, weil auf der Ebene kultureller Basisannahmen umstrittenen Realitätsstatus ihrer Forschungsgebiete und Prämissen zu kämpfen, sondern auch mit der Stigmatisierung durch das Wissenschaftssystem Die Zurückweisung ihrer Ideen und Varschläge gerade auch aus der wissenschaftlichen SETI-Forschung ist dabei wissenschaftsstrategisch nur zu verständlich: Ist deren Anliegen erst einmal mit dem sozialen Stigma der UFO-ET-These ,infiziert', besteht die Gefahr, dass die vorhandene wissenschaftliche Kompetenz der SETI-Forscher aus dem Blick gerät. UFO-Forschung und Paläo-SETI verlieren damit aber einen potentiellen Bundesgenossen für das ihnen zugrundeliegende "Kontakt-Paradigma" (von dem sie auch einiges lernen könnten). In den letzten Jahren mehren sich freilich die Zeichen für eine, wenn auch nur sehr zögerliche Etablierung des ,enfant terrible' Alien als potentiell diskursfähiges Objekt. Eine Weltkultur, die sich technisch und kulturell auf den Spuren der amerikanischen "final frontier" zunehmend den sie umgebenden "unendlichen Weiten" zuwendet, wird es mit der Zeit als immer weniger exotisch empfinden, über andere in diesen Weiten potentiell vorhandene Lebensinseln und den Kontakt mit ihnen nachzudenken. Ein schönes, wenn auch für deutsche Beobachter auf den ersten Blick noch eher erheiterndes Beispiel dafür kann die von Kramer und Bahme bereits 1992 herausgegebene zweite Ausgabe eines Handbuchs für Feuerwehroffiziere bieten: Dort wird im 13. Kapitel über "Enemy Attack und UFO Potential" nachgedacht. Was auch immer man davon halten möge, amerikanische Feuerwehrleute wollen sich offensichtlich nicht irgendwann einmal sagen lassen müssen, sie hätten sich über ein solches Szenario keine Gedanken gemacht - eine Überlegung, die doch einiges für sich hat. 16 Wenn die Möglichkeit der Existenz außerirdischen Lebens nicht mehr unter dem stigmatisierenden Druck des Eugen Rothschen "Weil nicht sein kann, was nicht sein darf' steht, dann kann auch die Analyse der Thesen und Belege von "Paläo-SETI" und UFO-Laienforschung in einem entspannteren Rahmen erfolgen, in dem sich methodisch-kritische Präzision im Detail mit einer grundsätzlicheren Offenheit im Allgemeinen verbinden.
Wissenschaftler zu nennen, die sich im Rahmen ihrer jeweiligen Fachdisziplinen intensiv mit dem UFO-Phänomen auseinandergesetzt haben. 16 Vgl. Michaud 2007 sowie die Beiträge "Auge in Auge mit dem maximal Fremden?" und "Weltraumpolitik, Weltraumrecht und Außerirdische(s)" in diesem Band.
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Literatur 8audrillard, Jean (1978): Agonie des Realen, 8erlin: Merve. Crawford, Ian (2002): "Ist da draußen wer?" Spektrum der Wissenschaft Dossier: Leben im All, S. 66-72. Deardorff, J./Haisch, 8./MacCabee, 8./Puthoff, H. E. (2005): "InflationTheory Implications for Extraterrestrial Visitation". JBIS (Journal of the British Interplanetary Society) 58, S. 43-50. Dolan, Richard M. (2000): UFOs and the National Security State. An Unclassified History (Volume One: 1941-1973), Rochester: Keyhole Publ. Drake, Frank/Sobel, Dava (1994): Signale von anderen Welten. Die wissenschaftliche Suche nach außerirdischer Intelligenz, Essen/München: Bettendorfsehe Verlagsanstalt; Orig. 1992. Geiger, Hansjürg (2005): Auf der Suche nach Leben im Weltall. Wie Leben entsteht und wo man es finden kann, Stuttgart: Kosmos-Verlag. Hoerner, Sebastian von (2003): Sind wir allein? SETI und das Leben im All, München: C.H. 8eck. Kramer, William M./8ahme, Charles W. (2006): Fire Officer's Guide to Disaster Control, Tulsa: Pennwell Publishing Company. Mayer, Gerhard/Schetsche, Michael (2007): "Selbstbeschränkung als Chance: Ausgangspunkte für die Kooperation von Wissenschaft und Laienforschung bei UFO-Untersuchungen". Zeitschrift für Anomalistik 6, s. 150-157. Michaud, Michael (2007): Contact with Alien Civilisations. Our Hopes and Fears about Encountering Extraterrestrials, New York: Copernicus 8ooks. Romesberg, Daniel Ray ( 1992): The Scientific Search for Extraterrestrial Intelligence: A Sociological Analysis, Ann Arbor: UMI Dissertation Services. Schetsche, Michael (2003): "Soziale Kontrolle durch Pathologisierung? Konstruktion und Dekonstruktion ,außergewöhnlicher Erfahrungen' in der Psychologie". In: 8irgit Menzel/Kerstin Ratzke (Hg.), Grenzenlose Konstruktivität? Standortbestimmung und Zukunftsperspektiven konstruktivistischer Theorien abweichenden Verhaltens, Opladen: Leske + 8udrich, S. 141-160. Schetsche, Michael (2004a): "Der maximal Fremde- eine Hinführung". In: Michael Schetsche (Hg.), Der maximal Fremde, Würzburg: Ergon, S. 13-21. Schetsche, Michael (2004b ): "Zur Problematik der Laienforschung". Zeitschrift für Anomalistik 4, S. 258-263.
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Shostak, Seth (1999): Nachbarn im All. Auf der Suche nach Leben im Kosmos, München: Herbig. Shostak, Seth/Barnett, Alex (2003): Cosmic Company. The Search for Life in the Universe, Cambridge: Cambridge University Press. Sturrock, Peter: (1987): "An Analysis ofthe Condon Report on the Colorado UFO Project". Journal ofScientific Exploration 1, S. 75-101.
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AUTORINNEN UND AUTOREN Engelbrecht, Martin, Dr. phil., Soziologe, derzeit Habilitation am Institut für Soziologie der Universität Erlangen; Arbeitsgebiete: Wissenssoziologie, Religionssoziologie, Wissenschafts- und Erkenntnistheorie, Formen der Unterhaltungskultur als philosophische Diskurse. Heuser, Marie-Luise, Dr. phil., Philosophin und Historikerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Philosophie der Technischen Universität Braunschweig; seit 2005 Leitung des interdisziplinären Forschungsverbundes "Kultur und Raumfahrt" (www.kultur-raumfahrt.de); Arbeitsgebiete: Naturphilosophie, Philosophie der Mathematik, Raumtheorien, Metaphysik, Modalontologie, Technikphilosophie, Philosophiegeschichte der Raumfahrt. Hövelmann, Gerd H., M.A., Philosoph und Linguist, von 1984 bis 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Marburg; seither freier Autor, Übersetzer, Unternehmensberater. Über 180 wissenschaftliche Veröffentlichungen zur Philosophie, Wissenschaftstheorie der Natur- und Sozialwissenschaften, Linguistik, Semiotik, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, Evolutionsbiologie, Raumfahrt und zu diversen Grenzgebieten der Wissenschaften. Hurst, Matthias, PD Dr. phil., Literatur- und Filmwissenschaftler, Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Psychologie; danach Lehrtätigkeit im Bereich Literaturwissenschaft und Filmwissenschaft an der Universität Heidelberg und am European College of Liberal Arts (ECLA) in Berlin. Publikationen über Erzähltheorien und Literaturverfilmungen sowie über Phantastik in Literatur und Film. Jüdt, Ingbert, M.A., studierte von 1987 bis 1994 in Heidelberg Soziologie und Politikwissenschaft mit einem Schwerpunkt im Bereich Kultursoziologie und Soziologische Theorien. Er arbeitet als freiberuflicher Softwareentwickler, zuletzt in der Multimediabranche.
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AUTORINNEN UND AUTOREN
Mayer, Gerhard, Dr. phil., Psychologe, seit 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter am IGPP Freiburg; seit 2002 Mitarbeiter in der Abteilung Empirische Kultur- und Sozialforschung; Arbeitsgebiete: kulturwissenschaftliche Fragestellungen aus dem Bereich der Anomalistik, Medienpsychologie, (Neo-)Schamanismus, magische Handlungspraxen und Betiefs, wissenschaftliche Erforschung der Astrologie. Schetsche, Michael, PD Dr. rer. pol., Politologe und Soziologe, Privatdozent am Institut für Soziologie der Universität Freiburg; seit 2002 Leiter der Abteilung Empirische Kultur- und Sozialforschung am IGPP Freiburg; Arbeitsgebiete: Wissens- und Mediensoziologie, Soziologie sozialer Probleme und Anomalien, Futurologie und qualitative Prognostik. Schmied-Knittel, lna, M.A., Soziologin und Politologin, seit 1998 wissenschaftliche Mitarbeiterin am IGPP Freiburg; seit 2002 Mitarbeiterin in der Abteilung Empirische Kultur- und Sozialforschung; Arbeitsgebiete: kulturwissenschaftliche Analyse paranormaler Erfahrungen, mediale Repräsentationen oldmlter Phänomene, gesellschaftliche Diskurse über außerkirchliche Religion und Religiösität. Schrogl, Kai-Uwe, Prof. Dr. rer. soc., Politologe, Direktor des European Space Policy Institute (ESPI), Wien; Honorarprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen; Arbeitsgebiete: Weltraumpolitik und Weltraumrecht, Telekommunikationspolitik und internationale Technologiepolitik Wunder, Edgar, Dr. phil., Soziologe und Geograph, Dozent in der Abteilung für Wirtschafts- und Sozialgeographie des Geographischen Instituts der Universität Heidelberg; Arbeitsgebiete: Religionssoziologie und -geographie, insb. nicht-institutionalisierte Sozialformen von Religion, Säkularisierungsprozesse, Anomalistik, sozialräumliche Verortungen und Dynamiken heterodoxen Wissens.
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DANKSAGUNG Das erste Dankeschön der Herausgeber geht natürlich an die Autorinnen und Autoren, ohne deren wissenschaftliche Beiträge eine solche Anthologie gar nicht zur Welt kommen kann. Bei Kirsten Krebber bedanken wir uns besonders für ihr engagiertes Lektorat und ihren unermüdlichen Einsatz bei der Korrektur und dem Layout der Texte. Das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V. (IGPP) hat durch seine organisatorische und infrastrukturelle Unterstützung dieses Buchprojekt überhaupt erst ermöglicht - auch ihm gilt unsere Dankbarkeit. Und schließlich noch ein ganz herzliches Danke dem transcript-Team, namentlich Birgit Klöpfer und Kai Reinhardt, für die gewohnt professionelle, äußerst zuverlässige und angenehm verbindliche Zusammenarbeit. Freiburg und Nürnberg, im Sommer 2008 Michael Schetsche & Martin Engelbrecht
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ZfK- Zeitschrift für Kulturwissenschaften BirgitAithans, Kathrin Audem, Beate Binder, Moritz Ege, Alexa Färber (Hg.)
Kreativität. Eine Rückrufaktion Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2008 März 2008, 138 Seiten, kart., 8,50 € ISSN 9783-9331
ZFK- Zeitschrift für Kulturwissenschaften Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent: Neben innovativen und qualitativ hochwertigen Ansätzen besonders jüngerer Forscher und Forscherinnen steht eine Masse oberflächlicher Antragsprosa und zeitgeistiger Wissensproduktionzugleich ist das Werk einer ganzen Generation interdisziplinärer Pioniere noch wenig erschlossen. ln dieser Situation soll die Zeitschrift für Kulturwissenschaften eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über Kultur und die Kulturwissenschaften bieten. Die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur, historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus kann so mit klugen interdisziplinären Forschungsansätzen fruchtbar über die Rolle von Geschichte und Gedächtnis, von Erneuerung und Verstetigung, von Selbststeuerung und ökonomischer Umwälzung im Bereich der Kulturproduktion und der naturwissenschaftlichen Produktion von Wissen diskutiert werden. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften lässt gerade auch jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen, die aktuelle fächerübergreifende Ansätze entwickeln.
Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimaljährlich in Themen heften. Bisher liegen die Ausgaben Fremde Dinge ( 1/ 2007), Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft (2/2007) und Kreativität. Eine Rückrufaktion ( 1/2008) vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellungper E-Mail unter: [email protected]
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Geert Lovink Zero Comments Elem ente einer kritischen Internetkultur
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P eter Seibert (Hg.) Samuel Beckett und die Medien Neue P erspektiven auf einen Medienkünstler des 20. Jahrhunderts
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Ronald Kurt, Klaus Näumann (Hg. ) Menschliches Handeln als Improvisation Sozial- und musikwissenschaftliehe Perspektiven März 2008, 238 Seiten, kart., 25.80 €, ISBN: 978-3-89942-754-7
Mai 2008, 224 Seiten, kart., 24,80 € , ISBN: 978-3-89942-843-8
Michael Dürfeld Das Ornamentale und die architektonische Form Systemtheoretische Irritationen Mai 2008, 160 Seiten, kart., 19,80 € , ISBN: 978-3-89942-898-8
Derrick de Kerckhove, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hg.) McLuhan neu lesen Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert April 2008, 514 Se iten, kart., zahlr. Abb., inkl. DVD, 39.80 € , ISBN: 978- 3-89942-762-2
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