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German Pages 306 [307] Year 1969
DIRK BA YENDAMM
Von der Revolution zur Reform
Schriften zur Verfassungsgeschichte
Band 10
Von der Revolution zur Reform Die Verfassungspolitik des hamburgischen Senats 1849/50
Von Dr. Dirk Bavendamm
DUNCKER & HUMBLOT/BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
@ 1969 Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1969 bei F. Zimmermann & Co., Berlin 30
Printed in Germany
Vorwort Die vorliegende Dissertation behandelt einen Abschnitt des 19. Jahrhunderts, der für die Geschichte der Demokratie in Deutschland zugleich Triumph und Trauma bedeutet: die Märzrevolution 1848 und ihre Folgen- Reform, Restauration und Reaktion. Diese Entwicklung hat sich exemplarisch gewiß in Preußen vollzogen, aber nicht weniger prägnant auch in anderen Teilen Deutschlands. Das freilich ist von der Forschung bisher nicht ausreichend erkannt und in seinem komplexen Prozeßcharakter wohl auch nur selten dargestellt worden. Wo sich damals revolutionäre Gewalten und Errungenschaften zu verfestigen drohten, hat ihrem Untergang nicht selten die preußische Interventionspolitik nachgeholfen, so in Südwestdeutschland und wie nun erstmals detailliert nachgewiesen - auch in Hamburg. Das Rumoren revolutionärer Kräfte im Innern und der Druck der preußischen Unionspolitik von außen - das war das Spannungsfeld, in dem sich der hamburgische Senat behaupten mußte, was nicht ohne Schmälerung der vielgerühmten hanseatischen Unabhängigkeit abging. Die Geschichte der Hansestadt in den Jahren 1849/50 kann sogar als paradigmatisch für das Schicksal so mancher deutscher Kleinstaaten gelten, die im Dunstkreis der preußischen Vormacht lagen. Im Interesse einer modernen sozialgeschichtlichen Fragestellung, deren sich die verfassungsgeschichtliche Forschung seit den Tagen Otto Hintzes bedient, durfte sich UnsereArbeit jedoch nicht mit einer "rein" politischen oder ideengeschichtlichen Darstellung begnügen. Es mußte vielmehr nach den sozio-ökonomischen Ausgangslagen und Motivationen gefragt werden, um das Handeln der historischen Personen - in unserem Falle das des Senats - zu rationalisieren und aus dem verklärenden Licht scheinbar heroischer Entscheidungsfreiheit auf die von der Geschichtsschreibung lange genug verdrängte Realität menschlicher Bedingtheiten zurückzuführen. Entgegen einer weitverbreiteten patriotischen Legende stellte sich dabei heraus, daß sich die Senatsmitglieder wenigstens in der politischen Umwälzung der Jahre 1849/50 nicht nur von den Geboten des Gemeinwohls, sondern auch von handfesten Privatinteressen leiten ließen. Mag dies auch letztlich die Einführung der neuen Verfassung im Mai 1850 verhindert haben - für die Hansestadt ist die Reformarbeit des Senats gleichwohl von säkularer Bedeutung geblieben. Sie bildete Fundament und Maßstab für die Verfassung von 1860 und hat durch
Vorwort
6
diese bis 1918 überlebt. Als kunstvolle Brücke zwischen organischem Korporativdenken älterer Tradition und rationalem Individualismus neuerer Prägung kann sie durchaus einen signifikanten Platz in der Typologie der Verfassungen beanspruchen, wie sie das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Die verschiedenen Facetten des Geschehens machten differenzierte Untersuchungsmethoden erforderlich. Wir hatten uns in komplementärer Betrachtungsweise sowohl auf die politisch-juristischen wie auf die sozio-ökonomischen Aspekte unseres Gegenstandes zu konzentrieren - mit dem Erkenntnisziel einer historisch-kritischen Zusammenschau. Wir hoffen, mit diesem für die hamburgische Historiographie relativ neuen Ansatz der Forderung nach einer modernen Strukturgeschichte auch von der Methode her gerecht geworden zu sein. Die Arbeit entstand im Harnburgischen Staatsarchiv. Dessen Leiter, Herrn Senatsdirektor Dr. Jürgen Bolland, gilt es an dieser Stelle für seine freundlich-kritische Resonanz ebenso Dank zu sagen wie dem zuständigen Sachbearbeiter, Herrn Regierungsamtmann Siegmund Wülfken, für seine unermüdliche Hilfe beim Bergen bislang ungehobener Aktenschätze. Ganz besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Gerhard Oestreich, für seinen tatkräftigen Beistand in wissenschaftlicher und materieller Hinsicht. Die Arbeit ist meinen Eltern und meiner Frau Mechthild gewidmet, ohne deren Solidarität und Zuspruch sie wohl kaum so bald zu einem Ende gediehen wäre. Hamburg, im August 1969 Dirk Bavendamm
Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Die Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Wahl des Themas, Aufbau der Arbeit und Quellenlage . . . . . . . .
13
Erstes Kapitel
Harnburg im Vormärz und in der deutschen Revolution I. Die Brandkatastrophe und ihre Folgen - Die Entwicklung bis 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Die legalisierte und verspätete Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Hamburger Konstituante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Zusammenwirken widriger Umstände - "Zähmung" und Verspätung der Hamburger Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Werk der Konstituante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Die Interessenlage des Senats als sozio-ökonomische Bedingung der Verfassungsentwicklung 1849/50 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 24 24 29 33 36
Zweites Kapitel
Der Senat und das Erbe der Revolution A. Der Kampf gegen die Einführung der Konstituantenverfassung vom
11. Juli 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
I. Der Juni-Entwurf der konstituierenden Versammlung und die Mitteilungen des Senats vom 23. Juni und 2. Juli 1849 . . . . . . . . . . 49 II. Die "Verfassung des Freistaates Hamburg" vom 11. Juli 1849 und die Mitteilungen des Senats vom 13. und 25. Juli 1849 . . . . . . . . . . 57 B. Der Kampf um die Modifikation der Konstituantenverfassung vom
11. Juli 1849 . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Vorbereitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Senat und die öffentliche Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die "Zusammenfassung der Bedenken des Senats" vom 3. August 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Macht oder Ohnmacht des Senats - Das Hudtwalcker-Memorandum vom 8. August 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Tumulte vom 13./14. August 1849 und der Preußen-Einmarsch - Umsturzversuch oder Konterrevolution? . . . . . . . . . . a) Die Pläne des Senats für eine Einschaltung der Reichsgewalt in den Hamburger Verfassungskonflikt gemäß Reichsverfassung vom 28. März 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 62 62 64 68 68 70 73
8
Inhaltsverzeichnis b) Bundespolitik und Verfassungskampf - Hamburgs Beitritt zum Dreikönigsbündnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . et) Reichsverfassung oder preußischer Verfassungsentwurf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ~) Mit dem Willen zur Distanz Die "Wartepolitik" des Senats in den Vorverhandlungen über einen Beitritt zum Dreikönigsbündnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. .. . .. . . y) Unter dem Druck der innenpolitischen Verhältnisse Die übereilte Beitrittserklärung des Senats vorn 13. August 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Haltung des Senats zur Frage der preußischen Besetzung - Widerstand oder Anpassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Folgen des preußischen Eingriffs - Militärische Präsenz und Zurücknahme der "revolutionären Errungenschaften" des Jahres 48 ......................... . ...................... .. a) Das Verbleiben einer preußischen Garnison in Harnburg .. b) Die Verabschiedung des Pressegesetzes und der Verordnung zur Verhütung des Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts durch Rat- und Bürgerschluß vom 20. September 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Aufhebung des Gesetzes über die Wahl der Bürgermilitäroffiziere vom 6. Dezember 1848 durch Rat- und Bürgerschluß vom 13. Dezember 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Überlegungen und ein untauglicher Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Senator Binders Referat namens der Unterkommission der Senats-Verfassungskommission von Anfang September 1849 .. 2. Die Hamburger Verfassungsfrage und der Verwaltungsrat des Dreikönigsbündnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Rat- und Bürgerschluß vom 27. September 1849 und die Einsetzung der Neuner-Kommission ..... . . . . . . ....... . ........... V. Abschließende Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76 76 79 89 95 100 111 111
112 115 119 119 123 127 133
Drittes Kapitel
Der Senat und der Versuch einer liberal-konservativen Verfassungsreform A. Die Modifi kation der Konstituantenverfassun g vom 11. Juli 1849 und der Versuch einer " mittleren Lösung" .. .. ...... .. ....... . ... ... . . .. 141
I. Die Neuner-Kommission als Verhandlungskommission und als Trägerin der Reformversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rang und Stellung der Neuner-Kommission in der Reihe der großen Hamburger Reformdeputationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Mitglieder der Neuner-Kommission . . . ..... . .... . ....... 3. Der Auftrag der Neuner-Kommission .... . ......... . ...... . ..
141 141 143 145
Inhaltsverzeichnis
9
II. Die Verhandlungen zwischen Neuner-Kommission und Konstituante im Oktober 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 III. Die materiellen Grundlagen für die Reformtätigkeit der NeunerKommission 1. Die "Zusammenfassung der Bedenken des Senats" vom 3. August 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vorarbeiten der Amsinckschen Unterkommission im August 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wahlrechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bürgerschaft ...... . ..... . . ....... . . ... ... . . . .. . .... . .... c) Verhältnis von Senat und Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Senat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162 164 168 168 173
3. Die Beschlüsse des Senats vom 11., 12. und 14. September und sein Sieben-Punkte- Programm vom 27. September 1849 . . . . . . a) Wahlrecht .. .. . ...... . ... . ............ .. .............. . . b) Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Senat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verhältnis von Senat und Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . .
176 177 178 178 179
IV. Der Bericht der Neuner-Kommission und ihre Entwürfe für eine "Hamburgische Staatsverfassung" sowie für ein "Transitorisches Wahlgesetz" vom 3. November 1849 - Versuch einer "mittleren Lösung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................... ................. ....... b) Wahlsystem c) Bürgerschaft d) Verhältnis von Senat und Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Senat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Das Zweckbündnis zwischen den Extremen "rechts" und "links" und das Scheitern der "mittleren Lösung" am 17. Januar 1850 . . 1. Die Stellung des Senats zu den Entwürfen der Neuner-Kommission vom 3. November 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verhandlungen zwischen Senat und bürgerlichen Kollegien um Annahme der Neuner-Entwürfe .. . .... . . . .. . ... ... .....
160 160
180 180 182 187 189 190 190 192 192 195
3. Der Rat- und Bürgerkonvent vom 17. Januar 1850 und die Ablehnung der Neuner-Entwürfe . ... ... .......... .. .... . .... 205 B . Die konservative Abwandlung der Neuner-Entwürfe vom 3. November 1849 . ................. ... ................. . ............... . .... 210
I. Von den Neuner-Entwürfen vom 3. November 1849 zum "Ferneren Bericht" der Neuner-Kommission vom 6. Februar 1850 . ..... 210 1. Die Rückverweisung der Verfassungssache an die NeunerKommission durch Senatsbeschluß vom 21. Januar 1850 . ... . . 210
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Inhaltsverzeichnis
2. Störversuche von .,rechts" - Die Verhandlungen des Senats mit dem Kollegium der Oberalten .. .. ............... . ...... 3. Störversuche von "links" - Die Eingabe der 16 444 und der Versuch einer Wiederbelebung der Konstituante ............ 4. Der "Fernere Bericht" der Neuner-Kommission vom 6. Februar 1850 ....... ... ................ . .............. . . . ...... II. Vom "Ferneren Bericht" der Neuner-Kommission zur "Hamburgischen Staatsverfassung" und zum "Transitorischen Wahlgesetz" vom 23. Mai 1850 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Behandlung der Reformfrage durch die Verfassungskommission des Senats ................ . ........................ 2. Die vertrauliche Demarche der bürgerschaftliehen Mitglieder der Neuner-Kommission vom 7. März 1850 - Letzter Rettungsversuch für eine "modifiziert mittlere Lösung" ........ 3. Die Senatsbeschlüsse vom 12., 14., 15., 19., 20., 23., 25. und 27. März 1850 - Konservative Kräfte setzen sich durch .. ... ... 4. Die Initiative Baumeisters auf Einschaltung der Konstituante in den Werdegang der Maiverfassung . ............ . ....... .. 5. Die Verhandlungen zwischen Neuner-Kommission und Senat und die Auseinandersetzung um die Einführung eines Zensuswahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Verhandlungen zwischen Senat und bürgerlichen Kollegien und der Rat- und Bürgerkonvent vom 23. Mai 1850 ... .. III. Die Verteidigung der liberal-konservativen Verfassungsreform gegen die reaktionären Widerstände der Hamburger Altkonservativen ................... . . . ........... ... ..... . ....... . . .. .. IV. Von der Maiverfassung des Jahres 1850 bis zur "Hamburgischen Staatsverfassung" vom 28. September 1860 - Würdigung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212 217 218 227 227 232 234 239 244 249 255 262 283 287 297
Einleitung I. Die Forschungslage Die großen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, nationalstaatliche Einigung und imperialistische Expansion, konstitutionelle Entwicklung und industrielle Revolution, haben den Blick auf die Stadtgeschichte dieser Epoche weithin verstellt. Zu Unrecht, wie Werner Conze feststellt: "Denn das ,historische Gebilde' einer Stadt stellt sich uns dar als eine relativ überschaubare Einheit, die in sich geschlossen betrachtet werden kann, und die doch, da sie seit ihrer Öffnung durch die liberale Emanzipation des 19. Jahrhunderts nach allen Seiten hin in größere Kreise und Strömungen aufgenommen worden ist, die ganze Vielfalt der Probleme moderner Strukturwandlung in sich enthält ... Der Reiz liegt in der geschichtlichen Konkretisierung des allgemein Typischen in stets neuer und andersgearteter Einmaligkei tl."
Diese Aussicht mußte auch den Verfassungshistoriker verlocken, einen Freund Hamburgs allzumal. Auf der Suche nach einem geeigneten Forschungsgegenstand konnte eine erste Orientierung über die Forschungslage an Hand der ausgedehnten und unentbehrlichen "Bücherkunde zur Harnburgischen Geschichte" von K. D. Möller und Annelise Tecke2 erfolgen. N. A. Westphalens treffliches Werk über "Hamburgs Verfassung und Verwaltung"', E. Baaschs zweibändige "Geschichte Hamburgs" 4, die Übersichten J. Bollands5 und G. Seeligs6 , sowie die beiden Aufsätze H. Nirrnheims und H. Reinckes über "Die hamburgische Verfassungsfrage im 19. Jahrhundert" 7 ließen eine provisorische Einteilung des 19. Jahrhunderts in drei Phasen zu: 1. Anfänge einer Reformdiskussion und erste Erfolge auf dem Gebiet der hamburgischen Verwaltung und Justiz (1814 bis 1842); 2. Harnburg im Vormärz und in der Revolution (1842 bis 1849); 3. die nachrevolutionäre Reformphase bis zur Einführung der Hamburger Verfassung vom 28. September 1860 (1850 bis 1860). Vgl. W. Köllmann, Sozialgeschichte der Stadt Barmen, S. V. Möller und Tecke, Bücherkunde. 3 N. A. Westphalen, Verfassung und Verwaltung, Band I und II. 4 E. Baasch, Geschichte Hamburgs, Band I. 5 J. Bolland, Senat und Bürgerschaft- ders., 100 Jahre Bürgerschaft. e G. Seelig, Notabeln. 7 H. Nirrnheim, Verfassungsfrage und H. Reincke, Kämpfe. 1
2
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Einleitung
Fehlt es auch für den Zeitraum von 1814 bis 1842 an einer eigenständigen wissenschaftlichen Darstellung, so konnte doch schon das magere verfassungspolitische Ergebnis jener reformerischen Frühphase kaum Anreiz zum Forschen bieten. Hinzu kam die Tatsache, daß größere Quellenbestände, die über jenen Zeitraum näheren Aufschluß hätten geben können, nach Auskunft des Harnburgischen Staatsarchivs durch den Großen Brand von 1842 vernichtet worden sind. Die inneren Kämpfe Hamburgs unmittelbar nach dem Brand behandelt Clara Levy sehr gründlich in ihrer Dissertation unter Zuhilfenahme der zeitgenössischen Flugschriften und der Tagespresse8 • Die in der Gliederung wesentlich weiter angelegte Arbeit sollte sich augenscheinlich auch auf die Untersuchung der letzten vormärzliehen Zeit erstrecken. Doch sind die betreffenden Abschnitte nicht veröffentlicht worden. Die entstandene Lücke füllen wenigstens annähernd die Arbeiten von W. Klindworth9 und W. Gabe 1o. Ihren Schwerpunkt findet die aktenmäßig ausgezeichnet fundierte Studie Klindworths in der Darstellung jenes gemäßigten Reformversuchs, mit dem Rat und Bürgerschaft Anfang 1848 die sich bereits anbahnende Revolution durch Einsetzung einer gemischten Reformdeputation abzufangen versuchten. Gabe führt seine Arbeit über die Verfassung der hamburgischen Konstituante vom 11. Juli 1849 hinaus und schildert auch die Zeit der schweren Konflikte zwischen Senat und konstituierender Versammlung, den Preußeneinmarsch und den sog. "Staatsstreich" des Senats im Sommer und Frühherbst des Jahres 1849. Besonders in dieser Phase muß seine Darstellung lückenhaft, müssen seine Schlußfolgerungen unzureichend motiviert bleiben, war dem Verfasser doch noch der Zugang zu den Aktenbeständen des Harnburgischen Staatsarchivs versperrt11• Für das folgende Dezennium bis 1859/60 fehlt eine eigenständige verfassungsgeschichtliche Untersuchung ganz. Besonders hier konnte noch wissenschaftliches Neuland betreten werden. Obwohl die äußeren Daten der Verfassungskämpfe in den fünfziger Jahren weithin bekannt sind, muß auch H. Reincke, ein hervorragender Kenner der Materie, zugebent2, "daß wir über diese ganzen Dinge eigentlich noch recht wenig wissen ... Uns fehlen eben noch die Hauptquellen .. . Es bleibt noch so unendlich viel zu tun ... und nicht dringlich genug kann man die Berufenen einladen, derartigen, ergebnisverheißenden Arbeiten sich zuzuwenden." s C. Levy, Innere Kämpfe. 9 W. Klindworth, R eformdeputation. 10 W. Gabe, Harnburg in der B ew egung von 1848/ 49. 11 Ebd., Vorwort, S. V. 12 H. Reincke, Kämpfe, S. 149.
II. Wahl des Themas, Aufbau der Arbeit und Quellenlage
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II. Wahl des Themas, Aufbau der Arbeit und Quellenlage G. Seelig teilt den Zeitraum von 1849 bis 1859/60 in drei Entwicklungsstadien ein13 : "Das erste: die Vorgänge, die sich um den angenommenen Verfassungs-Entwurf vom 23. Mai 1850 gruppieren und die mit dem Scheitern der Einführung der Verfassung an dem Machtwort des Deutschen Bundes endigen. Das zweite: die erneuten vergeblichen Gesetzgebungsversuche des Senats in den Jahren 1855 bis 1856. Das dritte endlich: die Wiederaufnahme und Durchführung der alten Ideen im Jahre 1859 durch die Bürger."
Wird diese Dreiteilung auch noch der näheren Begründung bedürfen und im einzelnen der Korrektur unterliegen müssen, hat sie sich doch als Arbeitshypothese bewährt. Die ungeheure Materialfülle, die wir bei Durchsicht der Archivbestände im Hamburger Rathaus vorfanden, machte es indessen unerläßlich, sich für eine der drei Phasen zu entscheiden, wobei wir - schon um eine gewisse historiographische Kontinuität zu den Darstellungen Klindworths und Gabes zu wahren - das erste der drei Stadien wählten. Sollte unsere Arbeit jedoch nicht maßlos ausufern, mußte dieser Zeitraum noch einmal unterteilt werden. Das konnte - ohne dem Stoff Gewalt anzutun- sehr sinnvoll geschehen, ergaben sich doch im Verlauf unserer Untersuchungen drei engere Entwicklungsphasen, von denen sich zwar die ersten beiden stark überschneiden (was eine zusammenhängende Darstellung erforderlich machte}, von denen die dritte aber separiert betrachtet werden kann. Die erste dieser drei Phasen, d. h. die Zeit von Juni bis September 1849, ist gekennzeichnet von der Bewältigung der revolutionären Bewegung in Harnburg durch die alten Gewalten, sowie durch die Intervention Preußens. Aus der bewegten Auseinandersetzung mit dem Erbe der Revolution ergeben sich positive Reformversuche, von denen die zweite Phase der verfassungspolitischen Entwicklung bis zum Mai 1850 bestimmt ist. Hier endet unsere Darstellung, mit der wir eine auch von E. R. Huber gesehene Lücke in der Forschung zu schließen hoffen14• Eine dritte Phase schließlich - von uns bereits so gut wie erforscht umfaßt die reaktionären Tendenzen im Senat, die bald nach Verabschiedung der Verfassung vom 23. Mai 1850 einsetzen und deren Einführung verhindern, noch ehe der Deutsche Bund im April 1852 seinen Eingriff 1s G. Seelig, Notabeln, S. 143/44.
Vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Band II, S. 546, wo es heißt: "Diese hamburgischen Verfassungskämpfe von 1849/50 werden einer gesonderten Darstellung bedürfen." Die von Huber für den dritten Band seines Werkes in Aussicht gestellten Ausführungen über die Hamburger Entwicklung mußten augenscheinlich aus Mangel an Vorarbeiten ausfallen. 14
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Einleitung
in die hamburgische Verfassungssache ankündigen kann15• Diese, von einer komplizierten Interdependenz juristischer und soziologischer, innen- und außenpolitischer Tatsachen geprägte Entwicklung soll einer späteren Darstellung vorbehalten bleiben. Selbst die eben begründete Begrenzung auf die Zeit vom Juni 1849 bis zum Mai 1850 vorausgesetzt: Unsere Dissertation wäre zu einem dickleibigen Wälzer geraten, wenn wir die Verfassungsbewegung dieses bedeutungsvollen Jahres in ihrer ganzen Breite hätten untersuchen wollen. Eine Beschränkung auf die Politik des Senats erwies sich jedoch im ganzen als vertretbar, hat sich doch das Schicksal der Konstituantenverfassung, sowie das der folgenden Reformversuche - wie wir sehen werden- vor allem an der Haltung, die der Senat einnahm, entschieden. Andererseits aber bedurfte die Zeit des Vormärz und der Revolution auch einer breiteren Darstellung, die sich nicht nur auf den engeren städtischen Bereich beschränken ließ. Denn hier mußte das ganze Panorama innen- und außenpolitischer Bedingtheiten erfaßt werden, ohne das die Verfassungspolitik des Senats nicht nur nicht plastisch, sondern auch nicht verständlich werden kann. Unsere Arbeit teilt sich in drei Hauptabschnitte: Erstes Kapitel: Harnburg im Vormärz und in der deutschen Revolution; Zweites Kapitel: Der Senat und das Erbe der Revolution; Drittes Kapitel: Der Senat und der Versuch einer liberal-konservativen Verfassungsreform. Für die Untersuchung der politischen Vorgänge während der Jahre 1849 und 1850 verfügten wir über äußerst reichhaltige und geschlossene Aktenbestände des Harnburgischen Staatsarchivs, die vor uns entweder gar nicht oder noch nicht systematisch und umfassend ausgewertet worden sind. Neben den Beständen des Senats wurden die Akten der konstituierenden Versammlung, der bürgerlichen Kollegien und der Erbgesessenen Bürgerschaft herangezogen. Zur Aufhellung der intimeren Hintergründe des Geschehens studierten wir Handakten und persönliche wie halbamtliche Briefwechsel verschiedener Persönlichkeiten. Näheren Einblick gaben auch die unveröffentlichten Memoiren des Senators Dr. Hudtwalcker, sowie die zeitgenössische Tagespresse. Was die Preußenbesetzung und Hamburgs Verhältnis zur gemeindeutschen Verfassungsentwicklung angeht, griffen wir - soweit dieses Verhältnis für den innerhamburgischen Verfassungskonflikt relevant 15 Insofern wird G . Seeligs Einteilungsschema Einleitung oben S. 13 - korrigiert werden müssen.
vgl. Text dieser Arbeit,
I. Die Forschungslage
15
wurde - auf die Aktenbestände des Senats, die den auswärtigen Angelegenheiten gewidmet sind, und auf das "Archiv der Gesandtschaften der vier Freien Städte am Bundestag in Frankfurt/M.", sowie einige andere Bestände zurück. Die "Copiebücher, enthaltend die Correspondenz des Herrn Syndikus Dr. Merck mit den Harnburgischen Gesandten in Frankfurt/M., Wien und Berlin" waren von besonders hohem Informationswert, leisteten doch die Briefe Banks' und Mercks auch für das Verständnis von Vorgängen innerhalb des Senats und innerhalb Hamburgs stets ergiebige Dienste.
Erstes Kapitel
Harnburg im Vormärz und in der deutschen Revolution I. Die Brandkatastrophe und ihre Folgen die Entwicklung bis 1848
Eine Darstellung der Verfassungspolitik des hamburgischen Senats müßte im luftleeren Raum schweben, würden wir nicht zuvor einen Blick auf die stürmische Bewegung des Vormärz und der Revolution wHfen, die widrigen Umstände schildern, unter denen die revolutionären Ereignisse in Harnburg abliefen, und die eigentümliche Interessenlage streifen, in der der Senat von der Revolution angetroffen wurde. Die ungeheure Brandkatastrophe des Jahres 1842, die Harnburg in eine allgemeine Notlage von bisher unbekanntem Ausmaß stürzte, insbesondere die vielfach unzureichenden und ungeschickten Abwehrmaßnahmen der städtischen Behörden erschütterten das Vertrauen weiter Bevölkerungskreise in die angeblich unwandelbare Zweckmäßigkeit und Zuverlässigkeit der 130 Jahre alten hamburgischen Verfassung1. Der "Hauptrezeß der Stadt Hamburg", das "Reglement der Harnburgischen Rath-und Bürgerconvente", der "Unions-Rezeß der bürgerlichen Collegien" und der "Neue Harnburgische Unionsrezeß", sämtlich in den Jahren 1710 und 1712 unter Mitwirkung einer kaiserlichen Kommission entstanden, waren 1814 nach Ende der Franzosenzeit wieder eingeführt worden und hatten sich bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts im wesentlichen unverändert erhalten. Harnburg bestand demnach aus der Stadt, den Vorstädten St. Georg und St. Pauli, sowie aus dem Landgebiet (Marschlande, Geestlande und Amt Ritzebüttel; das Städtchen und Amt Bergedorf gehörten Lübeck und Harnburg gemeinschaftlich). Hatte man die Vorstädte in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts der Stadt praktisch gleichgestellt, stand das Landgebiet zur Stadt als deren "Privateigentum" noch immer in einem "Untertanenverhältnis". 1 Wir stützen uns bei der Wiedergabe der althamburgischen Verfassungseinrichtungen wesentlich auf N. A. Westphalen, Verfassung und Verwaltung, Band I.
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Harnburg im Vormärz und in der deutschen Revolution
Rat und Erbgesessene Bürgerschaft besaßen mit dem Kyrion in unzertrennlicher Gemeinschaft die oberste Herrschaftsgewalt und waren gemeinschaftlich Teilhaber der Legislative. Als vermittelnde Gremien fungierten die sog. bürgerlichen Kollegien. Der Rat als "oberste Regierungsbehörde" bestand regulär aus 36 Kaufleuten und Juristen, ergänzte sich selbst und amtierte lebenslänglich. Die Erbgesessene Bürgerschaft begriff alle diejenigen Bürger ein, die gemäß "Reglement der "Rath- und Bürgerconvente" konventsberechtigt waren; und zwar 1. "Erbgesessene", die ein Grundstück in der Stadt mit wenigstens 1000 Reichstaler freien Geldes (d. h. die hypothekarische Belastung übersteigendes Kapital) oder ein Grundstück im Gebiet mit mindestens 2000 Reichstaler freien Geldes besaßen; 2. "Personalisten", d. h. Mitglieder der bürgerliehen Kollegien, die Älterleute der Handwerkerämter, die Verordneten zur Kämmerei, die höheren Chargen des Bürgermilitärs, die Börsenalten, die Mitglieder der Commerz-Deputation und diejenigen, die als bürgerliche Deputierte bei einer der bedeutenderen Verwaltungen tätig waren oder gewesen waren. Dabei teilte sich die Bürgerschaft in fünf Kurien entsprechend der Kirchspielseinteilung der Stadt: St. Petri, St. Nicolai, St. Catharinen, St. Jacobi (mit St. Georg) und St. Michaelis (mit St. Pauli). Alleinige Domäne der Bürger war die Kämmerei, also die Finanzverwaltung; die übrigen Verwaltungszweige wurden zumeist gemeinschaftlich von Rat und Bürgerschaft durch gemischte Deputationen betreut. Neben seiner Vormachtstellung auf dem Gebiet der Rechtsprechung (in Form des in Personalunion mit dem Senat verbundenen Obergerichts als generelles Gericht zweiter Instanz) und der allgemeinen Regierungstätigkeit (vor allem: Leitung der auswärtigen Angelegenheiten) im Rahmen der bürgerschaftliehen Beschlüsse stand dem Senat gegenüber der Bürgerschaft das Konvokations- und Initiativrecht zu. Freilich war die gesetzgeberische Tätigkeit von Rat und Bürgerschaft an die Mitwirkung der bürgerlichen Kollegien gebunden, und zwar 1. der Oberalten (je drei Verwalter des Kirchenvermögens der einzelnen fünf Kirchspiele, gleich 15 Bürger), 2. der Sechziger (15 Oberalte und je neun Diakone aus den fünf Kirchspielen, gleich 60 Bürger) und 3. der Hundertachtziger (Sechziger und je 24 Subdiakone aus den fünf Kirchspielen, gleich 180 Bürger). Die bürgerlichen Kollegien, vor allem die Oberalten, fungierten a) als von der Bürgerschaft bestellte Kontrollinstanzen, welche die Einhaltung der bestehenden Gesetze zu überwachen hatten; b) als vorberatende
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Behörden, mit denen der Senat seine Anträge zu verhandeln hatte, bevor er sie an Erbgesessene Bürgerschaft brachte, und c) als selbständige Repräsentanten der Bürgerschaft, die nicht in Permanenz tagte. Ratsanträge (sog. "Propositiones") wurden nach Vorberatung durch die Kollegien von der Bürgerschaft ursprünglich - ohne vorherige Aussprache und getrennt nach Kurien - durch einfache Zustimmung oder Ablehnung angenommen bzw. verworfen (sog. "Resolutio civium"), wobei nicht nach Köpfen ("Virilstimmen"), sondern nach Kirchspielen gezählt und mit einfacher Mehrheit beschlossen wurde (sog. "Rath- und Bürgerschluß"). Konnten sich Rat und Bürgerschaft in einer Sache nicht einigen, trat eine paritätisch aus Rats- und Bürgerschaftsmitgliedern bestehende "Entscheidungsdeputation" zusammen, deren Beschluß den an sich fälligen Rat- und Bürgerschluß vollgültig substituierte. Zu Recht stellt K. Laufenberg fest2 : "Seitdem die Verfassung von 1712 das Übergewicht des Großhandels an eine Ratsverwaltung gebunden hatte, die, feudalen Ursprungs, dem Grundeigentum eng verschwistert blieb, bewegte sich die innere Politik Hamburgs auf dem Kompromiß zwischen Grundrente und kommerziellem Profit."
Hatte sich die prästabilisierte Harmonie zwischen Rat und Bürgerschaft im Verlauf des 18. Jahrhunderts zugunsten des Rats verschoben3 , geriet jene sozio-ökonomische Basis für den Verfassungskompromiß zwischen Rat und Bürgerschaft jetzt durch den Großen Brand ins Wanken, und zwar auf Seiten des Grundeigentums. Durch das Feuer wurden nach G. Seelig4 über 1200 Erben vernichtet. Lappenberg konstatiert die "Expropriation" vieler Erbgesessener durch das Abbrennen ihrer Häuser5• Die Folge davon war, daß ein großer Teil der betroffenen Grundeigentümer vor die Tore der Stadt und ins Gebiet abwanderte8• "Den Besitzern der abgebrannten ,Erben' wurde zwar durch Erlaß der Grundsteuer geholfen, der dadurch entstandene Ausfall mitte1st Steigerung der Grundsteuer für alle übrigen Grundeigentümer, Erhöhung des Beitrags für alle in der Generalfeuerkasse Versicherten und Schaffung einer Brandsteuer ... gedeckt7."
Diese Maßnahmen aber konnten die sozialen Spannungen nicht abwenden, die der Brand verursacht hatte: Nicht betroffene Grundeigentümer fühlten sidl von den neuen steuerlichen Belastungen empfindlich beschwert, den Betroffenen konnte wenigstens auf diese Weise der entstandene Schaden nicht annähernd vergütet werden8• Infolge der schlag2
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H. Laufenberg, Arbeiterbewegung, Band I, S. 50. H. Nirrnheim, Verfassungsfrage, S. 6. G. Seelig, Notabeln, S. 108. J. Lappenberg, Verfassung und Handel, S. 313. Diese Wanderungsbewegung bestätigt Lappenberg, ebd. C. Levy, Innere Kämpfe, S. 27. Vgl. dies und das folgende H. Lüdemann, Verfassungskämpfe, S. 413.
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artig einsetzenden Bodenspekulation stiegen die Preise für Bauland und Baumaterial rapide an. Auf dem Kapitalmarkt entstand eine unerhörte Verknappung, welche die Hypothekenzinsen in die Höhe trieb. Dagegen brachten Mieten nicht die erhoffte Entschädigung: in den alten Stadtteilen waren sie gesunken, in den neuen erreichten sie nicht die gewünschte Höhe. Wer nicht den nötigen finanziellen Rückhalt hatte, sah sich über kurz oder lang gezwungen, zu verkaufen. In dieser Notlage gründeten mehrere Grundeigentümer den ersten der später so zahlreichen Vereine, der- wie die meisten anderen Gründungen - am Anfang soziale oder ökonomische Interessen verfolgte, sich aber später politisierte. Es kann nicht wunder nehmen, daß die sozialen Veränderungen in der städtischen Grundeigentümerschicht nicht ohne Rückwirkung auf die Kräftekonstellation in der Erbgesessenen Bürgerschaft selbst blieben. Über hundert Jahre lang hatten dort die älteren und wohlhabenderen Kurien St. Petri, St. Nicolai und St. Catharinen eine senatsfreundliche Majorität eingenommen. Durch den Brand wurden vor allem die beiden ersten Kirchspiele in Mitleidenschaft gezogen, danach neuer und schöner wieder aufgebaut9 • Das hatte zur Folge, daß gerade die wohlhabenden Bürger von St. Catharinen nach St. Petri und St. Nicolai umsiedelten. Auf diese Weise war das Catharinen-Kirchspiel seiner politisch gemäßigten (groß-)bürgerlichen Führungsschicht entkleidet. Andererseits wanderten die durch den Brand und seine Folgen sozial und wirtschaftlich unmittelbar vom Abstieg bedrohten oder bereits in ihrer Existenz vernichteten Grundeigentümer in die Vorstädte ab und verstärkten auf diese Weise die Kurien von St. Jacobi (das St. Georg umfaßte) und St. Michaelis (zu dem St. Pauli gehörte)l0. Damit gerieten die vom sozial gehobenen, wirtschaftlich gesunden und daher politisch zumeist rechtsliberalen oder konservativen Bürgertum beherrschten Kirchspiele St. Petri und St. Nicolai in die Minderheit. Dieser Wandel war deshalb so folgenreich, weil sich die Bürgerschaft - über Jahrzehnte hinweg nur unzureichend besucht - jetzt auf Initiative der Grundeigentümer politisch belebte. Konvente von 500 bis 1000 Personen waren nach 1842 keine Seltenheit mehr. Der Rat, bislang an eine eher passive Bürgerschaft gewöhnt, mußte sich seit dieser Zeit einer bürgerschaftliehen Opposition erwehren, die vorwiegend aus dem Kleinbürgertum bestand und in der sich altkonservative und frührevolutionäre Elemente miteinander verbanden11 • 8 C. Levy, Innere Kämpfe, S. 47 Die Wanderungsbewegung weist Dr. C. Petersen in einer Aufzeichnung o. D. nach, Senat/Handakten 1. 10 A. Kraus, Unterschichten, S. 32 ff. 11 Vgl. Aufzeichnung Petersens, Anm. 9.
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Auch außerhalb des engeren Kreises der Bürgerschaft hatten sich bedeutungsvolle Veränderungen ergeben. Zwischen 1838 und 1852 wuchs die Bevölkerung der Stadt von 112 740 auf 123 299 Einwohner, d. h. um 9,3 Ofo an. Die Bevölkerung der Vorstadt St. Georg vermehrte sich aber im gleichen Zeitraum um 54,45 Ofo, die der Vorstadt St. Pauli sogar um 63,35 Ofo von 11 650 auf 17 527 bzw. von 10 988 auf 17 949 Einwohner12. Antje Kraus sieht in dieser Zunahme eine Folge des Wanderungsgewinns, den der Hafen- und Handelsplatz Harnburg gegenüber der ländlichen Umgebung zu verzeichnen hatte. Tatsächlich wurden die Verkehrswege in und um Harnburg ja gerade Anfang der vierziger Jahre wesentlich ausgebaut1'. In einem auffallenden Gegensatz zur verkehrsmäßigen Erschließung und zum Bevölkerungszuwachs Hamburgs aber standen die aus dem 18. Jahrhundert tradierten Nexusverhältnisse der Stadt. Die Institute des Bürgerrechts, der Schutzverwandtschaft und des Fremdenkontrakts erfaßten trotz gewisser Reformen, die in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts erfolgt waren, nur einen Teil der hinzuziehenden Fremden14. Das führte, wie Antje Kraus zutreffend feststellt1 5, "zu einer erheblichen Zunahme der Einwohner, jener Bewohner also, die in keinem rechtlichen Verhältnis zur Stadt standen. . .. Die zunehmende ,Classe der mittellosen Fremden' ergänzte sich sowohl aus den Schutz- und Landbürgern der Vorstädte und des Gebiets ... als auch aus dem aller Aufsicht des Staates bisher ganz entzogenen Gesinde und den hierzu zu rechnenden fremden Knechten, Lehrlingen und Gesellen." Diese Entwicklung können wir mit W. Conze als "Disproportionierung" und "Dekorporierung" bezeichnen. Sie war begleitet von einer wachsenden Auflösung der städtischen Zunftverfassung, die als integrierender Bestandteil der politischen Stadtverfassung anzusehen ist10. So schreibt H. Laufenberg17: "Die Zunft selbst bildete keine geschlossene Berufsorganisation mehr ... Manche Gesellschaften . . . zerklüftete ein schroffer Gegensatz zwischen Einheimischen und Fremden, je mehr mit der zunehmenden Fluktuation der Arbeiterbevölkerung die letzteren an Bedeutung gewannen." Neben die neuentstehende Schicht unzünftiger Gesellen und Handarbeiter trat die wenn auch noch kleine Gruppe kapitalistischer Unternehmer und Fabrikanten18• Denn nach der Umwandlung Hamburgs zum A. Kraus, Unterschichten, S. 32 ff. H. Laufenberg, Arbeiterbewegung, Band I, S. 40. u Vgl. die immer noch grundlegende Arbeit von H. W. Lehr, Bürgerrecht. 1s A. Kraus, Unterschichten, S. 41 f. 16 H. Laufenberg, Arbeiterbewegung, Band I, S. 85 und H. Kwiet, Gewerbefreiheit, S. 24 ff. 17 Ebd., S. 44 f. 18 Ebd., S. 3. 12
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Überseehafen18 setzte Anfang der vierziger Jahre zunächst zögernd auch die Industrialisierung ein20• Diese wenigen Bemerkungen über die sozio-ökonomische Entwicklung im vormärzliehen Harnburg zeigen u. E. schon zur Genüge, daß auch Harnburg von der für das 19. Jahrhundert charakteristischen "Emanzipationskrise" (W. Conze) erfaßt war, die jedenfalls der romantisierenden Korporativ-Vorstellung von Hamburgs Gesellschaft als "einer einzigen großen Familie" keinen Raum mehr geben kann21 • Jene Krise wurde mit Sicherheit wenigstens teilweise angestoßen und beschleunigt von der lokalen Brandkatastrophe und deren Folgen, von Arbeitslosigkeit und Teuerung, später von der Choleraepidemie und der dänischen Elbblockade. Sie hatte anfangs offenbar sozio-ökonomische Ursachen, verquickte sich aber schon bald mit politischen Forderungen. Bereits Professor Christian Friedrich Wurms kritisches "Wort an meine Mitbürger" hatte vierzehn Tage nach dem Brand außer der Frage nach dem zweckmäßigen Wiederaufbau der Stadt auch die Frage nach einer Reform der Verfassung aufgeworfen22• Tatsächlich mußten ja die nach 1842 anstehenden lokalen Probleme um das Hammerbrook-Projekt, die Stadtwasserkunst, die Sielanlagen, die Brandshöfer Schleuse usw. sich ganz von selbst vermischen mit dem Ruf nach einer "Reform des Systems", das man bei der Bewältigung jener wichtigen und kostspieligen Aufgaben vielfach als hinderlich, weil unzweckmäßig und unzureichend empfand21• An der damit einsetzenden Reformdiskussion beteiligten sich zunächst naturgemäß in erster Linie diejenigen Kreise, die im Rahmen der bürgerlichen Honoratiorenverwaltung entweder mit den anstehenden Problemen unmittelbar befaßt waren oder doch am meisten davon verstanden, nämlich Grundeigentümer, Juristen und Kaufleute. Ihre Plattform waren die "Patriotische Gesellschaft" 24 , der "Verein Hamburger Juristen" (seit 1846)25 und der Grundeigentümerverein. Sie erhielten Schramm, Kaufleute, S. 293 ff. G. Ollenschlaeger, Industrialisierung, S. 452 ff. und H. Kwiet, Gewerbefreiheit, S. 51. 21 W. Gabe, Harnburg in der Bewegung v. 1848/49, S.17 So auch P. E. Schramm, Neun Generationen, S. 145: "Denn trotz aller sozialen Gegensätze hatte die Bewohnerschaft der Stadt ja bisher [bis 1848!] eine Einheit gebildet .. . ein corpus, dem die einen als Haupt, die anderen als Glieder gedient hatten." 22 H. Nirrnheim, Verfassungsfrage, S. 17. !3 E. Baasch, Geschichte Hamburgs, Band I, S. 80 J. Bolland, Juristen, S. 6 - H. Laufenberg, Arbeiterbewegung, Band I, S. 71. u G. Kowalewski, Patriotische Gesellschaft, Band I, S. 105 ff. - Die Patriotische Gesellschaft ist nicht zu verwechseln mit dem späteren Patriotischen Verein. u Die speziellen bürgerrechtlichen Verhältnisse der Juden im vormärzliehen Harnburg müssen wir außer Betracht lassen. 19
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alsbald Unterstützung von den Juden ("Gesellschaft für die politischen und sozialen Interessen der Juden" seit 1845)26, die um ihre Emanzipation rangen, und von den Gesellen und Meistern des Freigewerbes, die sich um eine Hebung ihres "Standes" sorgten ("Vereinigung zur Hebung des Gewerbestandes" seit 1845)27• Ohne daß wir uns hier auf eine detaillierte Chronologie der Ereignisse einlassen können, läßt sich soviel sagen, daß sich die gemäßigten reformerischen Frühforderungen zunächst auf sechs Punkte konzentrierten: 1. Trennung der Justiz von der Verwaltung; 2. Verminderung der Mitgliederzahl des Senats; 3. Verjüngung von Senat und Oberalten; 4. Trennung der bürgerlichen Kollegien von der kirchlichen Verwaltung; 5. Anerkennung des Initiativrechts der Kollegien und 6. Beibehaltung der Kirchspielseinteilung in der Bürgerschaft, aber Abstimmung nach Kopfzahl, nicht nach Kurien28•
Die Fundamente der alten Verfassun~ - Erbgesessenheit, persönliches Stimmrecht und Selbstergänzung des Senats - wurden entsprechend dem politisch eher konservativen Zuschnitt der Reform-Protagonisten zunächst nicht angetastet. Gegen einen hartnäcki~ widerstrebenden Senat konnten bis zur Jahreswende 1847/48 aber lediglich zwei spezielle Forderungen verwirklicht werden20, nämlich 1. die Bekannt~abe der Ratsanträge vor Zusammentritt der Rat- und
Bürgerkonvente und 2. eine vorgängige Besprechung der Senatsanträge in der Presse und eine förmliche Diskussion in der Bürgerschaft.
Dieses magere politische Ergebnis ließ den retardierenden Effekt. den der vorsichtig lavierende Senat bezweckte, in sein Gepenteil umschlagen: Die Forderungen verschärften sich. Dazu bemerkt H. Reincke30 : "Die Verfassung von 1710/12 trug eben - entgegen einem berühmten Senatswort von 1842 - keineswegs verjüngende Keime in sich, sie konnte sich veränderten Verhältnissen nicht anpassen. Ihr gegenüber war der Standpunkt des Alles oder Nichts v!irkiich einmal der allein angebrachte."
Und der Zeitgenosse H. Lüdemann bemerkt kurz aber treffend31 :
J. Bolland, Juristen, S. 6 ff. H. Laufenberg, Arbeiterbewegung, Band I, S. 70 und W. Gabe, Harnburg in der Bewegung v. 1848/49, S. 32. 18 Vgl. diesen Katalog bei W. Klindworth, Reformdeputation, S. 11. 29 Ebd., S. 12 f. und E. Baasch, Geschichte Hamburgs, Band I, S. 87. 80 H. Reincke, Kämpfe, S. 150. 2& 27
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Harnburg im Vormärz und in der deutschen Revolution
"Seit Ende 1847 ward die Forderung nach einer Repräsentativ-Verfassung gewissermaßen Parole." Einen Monat vor dem Ausbruch der Pariser Februarrevolution versuchte der Senat erstmals, gegenüber der ungeduldig aufschäumenden Reformbewegung Tritt zu fassen: Am 24. Januar 1848 rief er eine internP. Verfassungskommission ins Leben. um sich über die weiteren Schritte klar zu werden32 • II. Die legalisierte und verspätete Revolution 1. Die Hamburger Konstituante
In diese Beratungen platzten am 28. Februar die Nachrichten von der Revolution in Paris hinein, die sich sofort in Kursstürzen und Konkurserklärungen auswirkten33• Augenblicklich verstärkten sich auch die Forderungen nach einer zeitgemäßen Verfassungsreform, die bezeichnenderweise von Nichterbgesessenen in einer Petition am 3. März erhoben wurden. Noch einmal versuchte der Senat die Flucht nach vorn anzutreten: Am 9. März hob er nach dringenden Vorstellungen der Grundeigentümer die Zensur auf. Doch war die stürmische Bewegung nicht mehr aufzuhalten. Noch am gleichen Abend forderte ein Gremium von 24 sog. Vertrauensmännern: 1. allgemeines aktives und passives Wahlrecht; 2. Trennung von Kirche und Staat; 3. Vereinigungsfreiheit; 4. Repräsentantenversammlung und Öffentlichkeit der Verhandlungen; 5. Aufhebung von Lebenslänglichkeit und Selbstergänzung des Senats; 6. Verantwortlichkeit aller in öffentlichen Geschäften Tätiger; 7. Reform der Gerichtsverfassung und des -verfahrens; 8. staatsbürgerliche Bildung der Jugend; 9. ein deutsches Nationalparlament und 10. gemeindeutsche Gesetzgebung auf allen Gebieten. Dieses Programm - in dem bemerkenswerterweise noch ein geschlossener Grundrechtskatalog fehlte - machte sich am 10. März das Kollegium der Hundertachtziger zu eigen, nicht ohne es um zwei Punkte zu erweitern". H. Lüdemann, Verfassungskämpfe, S. 419. u W. Klindworth, Reformdeputation, S. 22 ff.; aber auch davor bereits Senator Dr. Hudtwalckers aufrüttelndes Referat v. 21. Januar vor dem Senatsplenum, ebd., S. 17 ff. aa Vgl. das folgende W. Gabe, Harnburg in der Bewegune' v. 1848/ 49, S. 33 ff. ac W. Klindworth, Reformdeputation, S. 55 f. - Die Punkte bPtrafen 11. Trennung der Schule von der Kirche, 12. Freie Wahl der Offiziere des Bürgermilitärs durch die Kompanien und Bataillone. Der 12. Punkt wurde erst a1
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Zwar verhinderte die Entschließung der Hundertachtziger im ganzen Gewalttätigkeiten, die für den 13. März befürchtet worden waren, doch konnte der Senat nun nicht mehr zurück: Am 13. März beantragte er in der Bürgerschaft die schon seit längerem geforderte Einsetzung einer Rat- und Bürgerdeputation, die Hamburgs Verfassung auf der Grundlage des Zwölf-Punkte-Programms vom 10. März einer gründlichen Prüfung unterzog und außerdem den Entwurf eines Pressegesetzes ausarbeitete35. Weder aber vermochten die Zusammensetzung jener Reformdeputation, noch deren schleppende Beratungen die Erwartungen der Öffentlichkeit zu erfüllen. Während sich die gemäßigt liberalen Vertreter des Großbürgertums nach den ersten entscheidenden Zugeständnissen des Senats aus dem politischen Tageskampf zurückzogen36 "sie blieben die Besitzenden, hatten bei einer wirklichen Revolution zu verlieren", schreibt W. Gabeversuchten auf der extrem linken Seite des politischen Kräftefeldes kleinere Advokaten, Gewerbetreibende und Literaten die Revolution weiter voranzutreiben. Sie fanden ihre Plattform im "Bürgerverein", im "Bürgerverein von St. Pauli", in der "Vereinigung zur Hebung des Gewerbestandes", in der "Gesellschaft für soziale und politische Interessen der Juden" und im "Bildungsverein für Arbeiter", die sich mit ihnen und durch sie zunehmend politisierten und radikalisierten. Die agitatorische Oberleitung übernahm der erst jüngst gebildete, allerdings gemäßigt demokratische "Deutsche Klub" unter Führung des rührigen Dr. Baumeister. Seit Ende März war der Lauf der Dinge in Harnburg nicht mehr zu trennen von der Entwicklung in Deutschland37 • Die Hamburger Vertretung im Vorparlament entstammte einem noch sehr ungeregelten Ausleseverfahren. In dieser Delegation überwog freilich das kaufmännischgroßbürgerliche Element eindeutig38• Die Wahlen zur Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung am 18., 19. und 20. April 1848 bescherten der Stadt indessen erstmalig das Erlebnis allgemeiner, direkter, gleicher und geheimer Wahlen aller volljährigen männlichen Staatsam 11. März hinzugefügt. Das Gesuch des Gewerbevereins auf "Aufhebung des Zunftzwangs" wurde nicht mehr in das offizielle Programm der Hundertachtziger aufgenommen. as Vgl. das folgende ebd., S. 59 ff. und S. 67. 38 Vgl. das folgende W. Gabe, Harnburg i. d. Bewegung v. 1848/ 49, S. 42 und
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Vgl. das folgende ebd., S. 61 ff. Die im Vorparlament vertretenen Hamburger Rießer und Wurm waren vom Heidelberger Ausschuß berufen worden, Wille vertrat das Alte Land, Soetbeer fungierte als Abgesandter der Kommerzdeputation, Heckscher, Roß und Vorwerck waren vom Ehrbaren Kaufmann gewählt worden. - Vgl. ebd., 37 38
s.
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Harnburg im Vormärz und in der deutschen Revolution
angehörigen. Schon im Wahlkampf dominierte die Zollanschlußfrage, die damals jedes gemeindeutsche Verfassungsprojekt zwangsläufig aufwerfen mußte. Entsprechend beteiligten sich Kaufmannskreise an der Wahlentscheidung sehr intensiv. Die Börse und der Ehrbare Kaufmann gingen gegen den Deutschen Klub eine Listenverbindung ein, die ihre Kandidaten zum Sieg führte 39 • Die Auseinandersetzungen um die Modalitäten der Wahl hatten allerdings wiederum einen unsicher zurückweichenden Senat gezeigt. Indessen zündete das hinreißende Beispiel eines allgemeinen Volksparlamentes, wie es die Nationalversammlung gab, auch in Hamburg. Ein übriges tat der langsame Fortgang der Beratungen in der Reformdeputation, welche die weitgespannten Erwartungen der Öffentlichkeit keineswegs zu befriedigen vermochte40 • Die politischen Vereine hatten sich unterdessen von der Enttäuschung erholt, die ihnen die Wahl zur Reformdeputation bereitet hatte. Ende Juli 1848 fusionierten der Deutsche Klub, der Bürgerverein, der Verein zur Hebung des Gewerbestandes, der Bildungsverein für Arbeiter, die Gesellschaft für soziale und politische Interessen der Juden, der Bürgerverein von St. Pauli und eine "Politische Assoziation". Die derart organisatorisch zusammengefaßte gemäßigte und radikale Linke vereinigte sich dann auch programmatisch: In einer Massenveranstaltung am 7. August forderte sie die Einberufung einer konstituierenden Versammlung. Noch wiegte sich das gehobene Bürgertum, eingeschläfert durch seinen klaren Sieg bei den Wahlen zur Nationalversammlung, in - wie man zu spät einsah - falscher Sicherheit41 • Die Reformdeputation war Anfang August noch immer nicht in der Lage, mit positiven Verfassungsvorschlägen an die Öffentlichkeit zu treten. Das allein hätte deren täglich spürbarer werdende Radikalisierung vielleicht noch aufhalten oder doch abbremsen können. Trotz Verhaftung der radikalen Wortführer gelang es dem Senat auch jetzt nicht mehr, sich zu einer dauerhaften Gegenwehr aufzuschwingen; vornehmlich deshalb nicht, weil an der politischen Zuverlässigkeit des Hamburger Bürgermilitärs füglieh zu zweifeln war. In einer großen Versammlung am 17. August richtete das Kartell der sieben politischen Vereine schließlich das förmliche Ersuchen an einen "Hohen Senat", die Einberufung einer konstituierenden Versammlung zu verfügen42 • Dieser Schritt signalisierte freilich einen vorläufigen Sieg der gemäßigt demokratischen Kräfte unter Führung des Deutschen Gewählt wurden die Kaufleute Heckscher, Roß und E. Merck, ebd., S. 67. Ebd., S. 101 ff. und W. Klindworth, Reformdeputation, S. 122 ff. u Vgl. dies und das folgende W. Klindworth, Reformdeputation, S. 123 ff. 4 2 W. Gabe, Harnburg in der Bewegung v. 1848/49, S. 106 f.
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II. Die legalisierte und verspätete Revolution
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Klubs, hatten doch die radikalen Elemente die Einberufung der Konstituante ohne Einschaltung von - und das heißt: in Auflehnung gegen- Rat und Bürgerschaft verlangt. Jene bei aller Bedeutung doch gemäßigte Forderung, die den alten Gewalten wenigstens noch die Möglichkeit ließ, an den Modalitäten für die Einsetzung einer konstituierenden Versammlung mitzuwirken, dazu die Unzuverlässigkeit der Bürgerwehr und die Tatsache schließlich, daß jetzt auch gemäßigt liberale oder gar konservative Kreise um den neugegründeten "Patriotischen Verein" sich für eine Konstituante stark machten, haben wahrscheinlich zusammen bewirkt, daß der S enat noch am 17. August nachgab. W. Gabe schreibt über die Haltung des Senats: "Allein Bedenken gegen diesen unerhörten Schritt an sich, vielleicht auch die geheime Hoffnung, durch Zeitaufschub zu gewinnen, ließen ihn sich hinter die verfassungsmäßigen Schranken seiner Macht zurückziehen und die Zustimmung der Erbgesessenen Bürgerschaft einholen43." In der Tat setzte drei Wochen später der Rat- und Bürgerkonvent vom 7. September 1848 auf Antrag des Senats fest44 : "Es wird nach Maaßgabe der in dem Subadjuncto enthaltenen Anordnungen eine constituirende Versammlung zu dem Zwecke, um die künftige Harnburgische Verfassung unabhängig von Rath und Bürgerschaft festzustellen, zusammenberufen. Bis das von der constituierenden Versammlung abzufassende neue Staatsgrundgesetz vollständig und definitiv festgestellt und ins Leben getreten sein wird, bleiben die jetzt bestehenden gesetzgebenden Gewalten und alle sonstigen Behörden in ihrer verfassungsmäßigen Wirksamkeit." Das erwähnte "Subadjunctum" enthielt in den §§ 1 bis 17 ein "Reglement betr. die Zusammenberufung der constituirenden Versammlung", also ein Wahlgesetz, und statuierte in § 16: "Sämmtliche Mitglieder der constituirenden Versammlung haben folgenden Eid zu leisten: Ich schwöre zu Gott dem Allmächtigen, daß ich als erwähltes Mitglied der constituirenden Versammlung den Zweck, wozu dieselbe berufen worden, die Feststellung der künftigen Harnburgischen Verfassung, zum Wohle des Staates nach bestem Wissen und Gewissen fördern und bis das von der constituirenden Versammlung abzufassende neue Staatsgrundgesetz vollständig und definitiv festgestellt und ins Leben getreten seyn wird, die bestehenden gesetzgebenden Gewalten und alle sonstigen Behörden und Einrichtungen in ihrer verfassungsmäßigen Wirksamkeit anerkennen will. So wahr mir Gott helfe." Zwar hatten Ehrbare Oberalten den Senatsantrag nur unter zwei Vorbehalten genehmigt, nämlich "daß zuvor durch eine Abstimmung sämmtlicher Staatsangehöriger der Wille der Mehrheit darüber außer Zweifel gestellt werde, ob überall eine • 3 Ebd., S. 108 Das entsprach auch dem Vorbild, das der Senat von Bremen gegeben hatte. 44 Das folgende ist zitiert nach: Rat- und Bürgerschlüsse 1848.
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Harnburg im Vormärz und in der deutschen Revolution constituirende Versammlung zusammen zu berufen sei, und, im Bejahungsfalle, ob dieselbe die künftige Verfassung selbständig und ohne Vorbehalt fernerer Revision festzustellen haben solle".
Daß der Senat diese beiden Vorbehalte wenn auch in die seinen Antrag erläuternden "Motive", nicht aber in seinen formellen Antrag selbst aufgenommen hat, läßt mit Sicherheit den Schluß zu, daß die Vorbehalte der Oberalten durch den Rat- und Bürgerschluß nicht sanktioniert worden sind. Tatsächlich bekräftigte der Senat seinen Willen ja auch dahin - und das betrifft den zweiten Vorbehalt, den die Oberalten gemacht hatten;
"daß es in mehrfacher Beziehung richtig und der Sachlage angemessen sei, der zu berufenden Versammlung die Feststellung des Verfassungswerks unabhängig von Rath und Bürgerschaft zu übertragen, und ihr namentlich auch nicht den Weg einer Vereinbarung mit dem Senate vorzuschreiben". Der Wahlkampf setzte Ende September unter Führung des Patriotischen Vereins, des Deutschen Klubs und des Bürgervereins ein. Die beiden letzteren Gruppierungen fanden sich mit den anderen demokratischen Vereinen im "Liberalen Wahlkommittee" zusammen45 • Wie bei den Wahlen zur Nationalversammlung schlug die Rechte auch jetzt wieder eine Listenverbindung mit dem Deutschen Klub aus - diesmal freilich zu ihrem Nachteil. Bei den zweiten allgemeinen gleichen direkten und geheimen Wahlen, die Harnburg von September bis Dezember 1848 erlebte, setzten sich die Kompromiß-Kandidaten, die der "Klub" aufgestellt hatte, mit absoluter Mehrheit durch. Unter ihnen befanden sich wohl der Majorität nach Vertreter eines gemäßigt demokratischen Forschritts, aber auch eine stattliche Anzahl von Radikalen, die zusammen mit den Abgeordneten der extrem linken Vereine einen recht erheblichen Teil der Sitze einnehmen konnten. Über die soziologische Zusammensetzung der Konstituante schreibt W. Gabe: "Es war eine Versammlung, wie Harnburg sie ... zum erstenmal sah. Neben bisher unbekannten Größen aus dem Stande der Handwerker und des kleinen Kaufmanns, saßen ein paar Lehrer und Ärzte, weiterhin viele Juristen, darunter die schon bekannten Vereinspolitiker, endlich Fabrikanten, fünf Prediger und gar drei Senatsmitglieder48 ." Die hamburgische Konstituante trat zu ihrer ersten Plenarsitzung am 14. Dezember 1848 zusammen. Sogleich ergaben sich heftige Ausein45 Vgl. von hier an wieder W. Gabe, Harnburg i. d. Bewegung v. 1848/49, S. 111 ff. - Eine vergleichende Analyse der Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung und zur hamburgischen Konstituante wäre eine eigene Darstellung wert, für die genügend lohnendes Material bislang noch ungenutzt im hamburgischen Staatsarchiv ruht. 48 W. Gabe, Harnburg i. d. Bewegung v. 1848/ 49, S. 120 vgl. besonders die systematische, methodenkritische Untersuchung Karl-Heinz Vitzthums, Die soziale Herkunft der Abgeordneten der Hamburger Konstituante 1848. Als Senatoren wurden in die Konstituante gewählt: Lutteroth-Legat, Dr. Gossler und Geffcken. - Vgl. auch 3. Kap. dieser Arbeit, S. 143 f.
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andersetzungen um die Frage, ob sich das Mandat der Versammlung über die autonome Feststellung einer Verfassung hinaus auch auf deren Einführung erstrecke. Bevor diese Frage nicht geklärt war, wollte eine große Anzahl von Abgeordneten den geforderten Eid nicht leisten47 • Auf eine entsprechende Anfrage hin erklärte der Senat am 20. Dezember 184848, "daß sobald dieselbe [Verfassung] von der constituirenden Versammlung vollständig und definitiv festgestellt sein wird, dieselbe auch ohne Verzug ins Leben gerufen werden muß. Seinerseits wird der Senat seine desfallsige Obliegenheit ungesäumt erfüllen". Damit war zwar keine Garantie, wohl aber eine gewisse Aussicht gegeben, daß die einmal beschlossene Verfassung dann auch in die Tat umgesetzt werden würde. Der Eid wurde fast ausnahmslos geleistet, die Konstituante machte sich ans Werk49 • 2. Das Zusammenwirken widriger Umstände .,Zähmung" und Verspätung der Hamburger Revolution
Auch wenn die Versammlung bis Mitte Juni 1849 ihre Arbeiten unbehelligt fortführen konnte, darf doch schon hier nicht übergangen werden, daß ihr politischer Erfolg durch zwei Umstände von Anfang an latent bedroht und schließlich - durch das spezifische Zusammenwirken jener beiden Umstände- in der Tat vernichtet wurde. In Deutschland hatten sich zwar überall die Dynastien halten können. Aber die königlichen und fürstlichen Kabinette waren doch wenigstens anfangs weithin gegen liberale Ministerien ausgetauscht worden. Die alten Ständeversammlungen hatten sich teils auf der Basis monarchischer Patente, teils auf Grund autonomer Rechtssetzung zu "moderneren Volksvertretungen" gewandelt. Dagegen aber hatte die Erbgesessene Bürgerschaft in ihrer Doppelnatur als Mitträgerin der städtischen Souveränität und als Partnerin des Senats bei der Gesetzgebung die Einberufung der Konstituante überdauert. In der Tatsache, daß mithin in Harnburg praktisch zwei Legislativen nebeneinander bestanden, lag eine "Concurrenz", die nach einer späteren Einsicht des Verfassungsausschusses der konstituierenden Versammlung "noch nirgends versucht" worden war5o. Vgl. dazu W. Gabe, Harnburg in der Bewegung v. 1848/49, S. 128 ff. Prot. d. konst. Vers., S. 17 ff., 4. Sitzg. v. 21. Dez. 49. 48 Es kann nicht unsere Aufgabe sein, hier den Werdegang der Konstituantenverfassung aufzuzeichnen. W. Gabes Darstellung ist unzureichend. Auch hier wäre noch manches zu tun. 50 Vgl. Bericht des Verfassungsausschusses der konst. Vers. v. 4. Juli 49; vgl. 2. Kap. dieser Arbeit, Anm. 34 auf S. 54 f. 47 48
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Harnburg im Vormärz und in der deutschen Revolution
Beinahe noch bedeutsamer für das Schicksal der Konstituante aber war die Tatsache, daß sich auch der Senat gegenüber der Revolution hatte behaupten können - das sowohl in seiner Eigenschaft als Teilhaber der hamburgischen Souveränität als auch in seiner Eigenschaft als oberste Regierungsbehörde - mit der vollen innen- und außenpolitischen Bewegungsfreiheit, die ihm die althamburgischen Hauptgrundgesetze einräumten. Politisch-konkret gesehen war die Konstituante daher von Anfang an entmachtet: Sie mußte sich über kurz oder lang nicht nur mit einer konkurrierenden Legislative auseinandersetzen, sondern verfügte nicht einmal über eine eigene Exekutive, die ihrem Willen hätte Gestalt verleihen können. So war in Harnburg von Anbeginn an jener Dualismus zwischen der revolutionären Gewalt einer aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretung 51 und den alten Gewalten in aller Form legalisiert, ein Dualismus, dessen Bestand ein Rat- und Bürgerschluß absicherte, dem sich die Konstituante durch Ableistung des geforderten Eides scheinbar unterworfen hatte52 • Schon darin müssen wir einen der beiden Umstände erblicken, die den schließliehen Mißerfolg der Hamburger Revolution bedingten. Stellt doch Golo Mann für das "gesamtdeutsche Vaterland" des Jahres 1848 fest: "Die Entwicklung war hier die gleiche wie in den Hauptstädten der deutschen Einzelstaaten: ein zunächst spontanes ... Unternehmen wurde von den alten Behörden ... alsbald eingefangen, gutgeheißen, legal gemacht . .. " Und er folgert daraus: Die deutsche Revolution war überall "auf die Schwäche von innen her und das freiwillige Kleinbeigeben der alten Mächte" angewiesen. "Dies, in wenigen Worten, ist das Geheimnis von 184853.''
Was aber geschah, wenn sich die alten Mächte unter günstigeren Zeitumständen wieder stark machten, nachdem sie die Revolutionäre nun schon zum Legalitätseid gezwungen und damit ihres politischen Ungestüms beraubt hatten? Gewiß ist nicht zu übersehen, daß die alten Gewalten in Harnburg - voran der Senat - ihre innere Schwäche gegenüber der lokalen Revolution zunächst nur allzu deutlich offenbarten. Auch wenn wir das Raffinement nicht verkennen wollen, mit dem Rat und Bürgerschaft durch ihren Beschluß vom 7. September die Konstituante einzufangen suchten, müssen wir doch ernstlich zweifeln, ob sie auf sich allein gestellt der Revolution auf die Dauer erfolgreich 51 Vgl. "Reglement betr. die Zusammenberufung der constituirenden Versammlung" - i. e. Unteranlage zu den Anträgen des Senats an Erbg. Bürgerschaft v. 7. Sept. 48, I I - vgl. Rat- und Bürgerschlüsse, 1848. 52 Vgl. 3. Kap. A. dieser Arbeit, Anm. 40. 53 Golo Mann, Politische Entwicklung Europas und Amerikas 1815-1871,
s.
491 f.
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hätten widerstehen können. Das unstete Lavieren und Taktieren, das der Senat vom Juni 1849 an gegenüber der Konstituante praktizierte, wird diesen Zweifel an anderer Stelle noch erhärten54 • Bis dahin gilt es den anderen Umstand festzuhalten, der die Gegenwehr des Senats so ungemein begünstigte. Wir meinen die eigentümliche Phasenverschiebung, die im Verhältnis zwischen der Revolution in Harnburg und der Entwicklung in Deutschland bis zum Juni des Jahres 1849 immer dramatischer zutage trat: Zunächst durch die Ereignisse in Paris und Deutschland angestoßen und beflügelt, begann die Hamburger Revolution im Laufe der Zeit den Anschluß an die deutsche Entwicklung zu verlieren, um schließlich zu einem politischen Anachronismus zu werden. Allein sieben Monate verstrichen seit jenem 18. Mai, an dem die Frankfurter Nationalversammlung eröffnet wurde, bis zu jenem 14. Dezember 1848, an dem die Hamburger Konstituante erstmals tagte. Und gut dreieinhalb Monate lagen zwischen der Vollendung der Reichsverfassung (28. März 1849) und dem Abschluß der Hamburger Konstituantenverfassung (11. Juli 1849). Vor allem aber erfolgten in der Zwischenzeit in Österreich und in Preußen die entscheidenden Gegenschläge der Reaktion. Die Österreichische Verfassung vom 4. März 1849 konnte auch hinter ihrer "konstitutionellen Fassade" (E. R. Huber) nicht mehr die Rückkehr zum "habsburgischen Absolutismus" und Unitarismus verbergen. Wenig später zeigte das Beispiel Ungarns, wohin das Streben nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung im Zeitalter der Gegenrevolution führte. Auch in Preußen wurde die Basis des konstitutionellen Liberalismus, auf dem sich die oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 1848 noch dem Inhalt nach bewegt hatte, durch die staatsstreichähnliche Notverordnung vom 30. Mai 1849 endgültig verlassen. So vollendete die Einführung des Dreiklassenwahlrechts die preußische Gegenrevolution. Die reaktionären inner-österreichischen und inner-preußischen Bewegungen mußten das Verfassungswerk der Faulskirehe schon von sich aus auf das höchste gefährden. Hinzu kam nun noch die Ablehnung, welche die Großmächte der Franh..::urter Konzeption im Hinblick auf die Reichseinheit entgegenbrachten. Am 28. April schlug der preußische König die ihm angetragene Kaiserkrone aus. Im Rheinland und in Westfalen, in Sachsen und Kurhessen, in der Pfalz, in Württemberg und in Baden brachen Volksaufstände zum Schutz der allseits bedrohten Reichsverfassung aus. Sie wurden zumeist mit preußischer Militärhilfe niedergeschlagen. Zutreffend faßt Veit Valentin die Intentionen Preußens zusammen: 54
Vgl. in dieser Arbeit 2. Kap., S. 49 ff.
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Harnburg im Vormärz und in der deutschen Revolution "Der nationale Kampf für die deutsche Reichsverfassung wird hingestellt als Kampf gegen ,Gesetz und Ordnung' ... Loyalität, organische Entwicklung, militärische Disziplin, die bürgerliche Ordnung des Dreiklassenstaates marschieren gegen den parlamentarisch beschlossenen Idealstaat freier Bürgerlichkeit und gesamtdeutscher Nationalität ... Preußen marschiert also ... gegen die Revolution überhaupt; ein Exempel soll statuiert werden55."
Wo kleinere Staaten preußische Hilfe in Anspruch genommen hatten, mußten sie nun auch auf preußischen Kurs gehen. Innenpolitisch mochte das den inzwischen an die Macht zurückgekehrten Monarchen ganz Recht sein. Außenpolitisch aber war es mit einem Verlust an Bewegungsfreiheit verbunden, der besonders die zwischen Österreich und Preußen stehenden süd- und westdeutschen Staaten empfindlich traf. Angesichts der abschreckenden südwestdeutschen Beispiele kann es nicht Wunder nehmen, daß sich erst recht die norddeutschen Kleinstaaten vor dem Gespenst einer unkontrollierbaren preußischen Machtausweitung fürchteten. Nicht nur im Hinblick auf seine Handelsinteressen mußte das besonders für Harnburg gelten. Denn im Gegensatz zu Lübeck, das seine Revolution schon am 20. Dezember 1848 mit Einführung des allgemeinen Wahlrechts abgeschlossen hatte, oder zu Bremen, das seit dem 8. März 1849 über eine neue Verfassung verfügte, war ja in Harnburg der Verfassungskampf im Frühsommer des Jahres 1849 noch keineswegs abgeschlossen. Auf Grund des sanktionierten Dualismus zwischen der alten und der revolutionären Gewalt stand sein Höhepunkt noch geradezu bevor. Unruhen wegen der schleswig-holsteinischen Frage, Aktivitäten zugunsten der Frankfurter Reichsverfassung, ja, sogar eine "übertrieben freisinnige" Hamburger Verfassung lagen durchaus im Bereich des Möglichen und konnten jederzeit den preußischen Eingriff provozieren. Hieraus nun ergibt sich besonders deutlich der vernichtende Effekt, den die Verspätung der Hamburger Revolution auf den politischen Erfolg der Konstituante haben mußte: Im Zeichen der reaktionären preußischen Politik und Machtausweitung war die Hamburger Verfassungsfrage keineswegs nur mehr ein innerhamburgisches Problem, das ohne weiteres isoliert betrachtet und gelöst werden konnte, wie das ganz offenbar der konstituierenden Versammlung vorschwebte. Mochte sich der Senat bei seiner Gegenwehr gegen die Pläne und Vorstellungen der konstituierenden Versammlung auch noch so oft auf den unklaren Wortlaut des Rat- und Bürgerschlusses vom 7. September 1848 berufen - sein stärkstes Argument und seine größte Rechtfertigung konnte er aus jener gewandelten verfassungspolitischen Situation in den anderen deutschen Staaten beziehen. Nichts macht das ss V. Valentin, Deutsche Revolution, Band !I, S. 475 und 524.
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deutlicher als eine Gegenüberstellung der einschlägigen Senats-Verlautbarungen vom September 1848 und August 1849. Damals hatte er die Einberufung der Versammlung mit "dem Umschwung der Ideen" begründet, "welcher. ganz Deutschland ergriffen hat" 56. Ein knappes Jahr später, im Zeichen der Gegenrevolution, konnte er sich auf die gegenläufige Entwicklung berufen, wenn er der Konstituante bedeutete57: Es müsse die Tatsache "eine unabweisliche Berücksichtigung fordern, daß Harnburg eine deutsche Stadt ist, ja, daß es nur im Zusammenhang mit Deutschland gedacht werden kann. Deshalb dürfen wir nicht unbeobachtet lassen, was um uns her in Deutschland vorgeht: Wir können uns nicht isoliren, und je aufrichtiger wir wünschen, daß unsere Verhältnisse sich ... selbständig entwickeln mögen, desto mehr müssen wir uns hüten, Institutionen zu schaffen, die in zu großem Widerspruche mit den im übrigen Deutschland sich gegenwärtig gestaltenden Verhältnissen stehend, leicht zu bedenklichen Conflicten führen könnten." Es war also nicht nur ein willkürlicher Wandel der eigenen Überzeugung, sondern auch der Druck der allgemeinen Verhältnisse, der das kleinstaatlich-norddeutsche Senatsregiment jetzt zum Handeln zwang: Mit Hilfe des Rat- und Bürgerschlusses vom 7. September 1848 hatte es sich einst seine Daseinsberechtigung erkauft und seine politische Wirkungskraft bewahrt. Ihn benutzte der Senat jetzt folgerichtig als rettenden rocher de bronze nicht nur gegen die innenpolitische Gefahr der Konstituante, sondern auch gegen die latente Bedrohung von außen. Denn so hatten sich die Dinge ja inzwischen gestellt: die Konstituante umsichtig bekämpfen und sich damit zugleich vor dem Zugriff Preußens bewahren, machten unter dem idealen Blickwinkel des "Staatswohls" zwei Seiten ein und derselben Bestrebung aus. Ob der Senat diesen "Zweifrontenkrieg" allerdings auch realiter durchhalten konnte, ohne am Ende vor der Konstituante oder vor Preußen zu kapitulieren, ob nicht gerade der angestrebte Sieg auf der einen die Niederlage auf der anderen Seite bedingte - das mußte die Geschichte erweisen. 3. Das Werk der Konstituante
Jedenfalls offenbarten nicht zuletzt Verfassung und Wahlgesetz der konstituierenden Versammlung58 den befürchteten anachronistischen Widerspruch zur gemeindeutschen Verfassungswirklichkeit des Som56 Vgl. "Motive" zu den Anträgen des Rats v. 7. Sept. 48; in: Rat- und Bürgerschlüsse 1848. 57 Vgl. "Zusammenfassung der Bedenken des Senats" v. 3. August 1849, Senatfinnen 1 (37). 58 Vgl. die Texte "Die Verfassung des Freistaats Harnburg nebst den dazugehörenden organischen Gesetzen. Hrsg. unter Aufsicht des Bureaus der constituirenden Versammlung. Harnburg 1849."
3 Bavendamm
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mers 1849: Am 11. Juli nach zwei Lesungen verabschiedet, standen sie noch ganz in der liberal-demokratischen "März-Tradition" des Jahres 1848. Ohne unseren eigenen Untersuchungen vorzugreifen, wollen wir hier schon einen kurzen Blick auf das Verfassungswerk werfen, der das Verständnis unserer späteren Ausführungen erleichtern wird. Dabei beschänken wir uns auf diejenigen Abschnitte, um die der politische Konflikt zwischen der Versammlung und dem Senat entbrennen sollte. Gegründet auf das rationale Legitimitätsprinzip der Volkssouveränität sah die Konstituantenverfassung allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlen aller volljährigen hamburgischen Staatsbürger vor. Stadt, Vorstädte und Landgebiete wurden zum "Gebiet des hamburgischen Staats" zusammengefaßt. Der Erwerb des Staatsbürgerrechts war nicht mehr an erschwerende Bedingungen geknüpft. Die Verfassung enthielt einen Katalog von Menschen- und Bürgerrechten, der in Umfang und Programmatik deutlich den Grundrechten der Deutschen Nationalversammlung nachgestaltet war. Die klassische Dreiteilung der Gewalten wurde erstmals strikt durchgeführt. Die gesetzgebende Gewalt oblag einer Bürgerschaft von 300 Mitgliedern. Sie sollte jeweils auf zwei Jahre gewählt werden, in der Regel öffentlich tagen und über ein praktisch unumschränktes Initiativ-, Auskunfts-, Beschluß- und Kontrollrecht verfügen. Bei Verfassungs- und Gesetzesverletzungen durch den Rat konnte die Bürgerschaft öffentliche Anklage erheben. Der einzelne Abgeordnete genoß unbedingte Indemnität und war an Weisungen nicht gebunden. Für das Mandat bestand Annahmezwang, sofern die Wahl nicht auf Mitglieder des Rats oder auf dessen Syndici fiel. Dem Rat war die vollziehende Gewalt übertragen, die richterliche aber jetzt ganz allein den Gerichten. Der Rat bestand daher nur noch aus neun Mitgliedern. Jeder für die Bürgerschaft wählbare Staatsbürger sollte nach vollendetem 30. Lebensjahr auch in den Rat wählbar sein, mußte aber in der Stadt oder deren nächster Umgebung wohnen oder dort unmittelbar nach der Wahl seine Wohnung nehmen. Ausgeschlossen von der Wahl in den Rat waren diejenigen, die mit einem der amtierenden Ratsmitglieder in näher bestimmtem Grade verwandt oder verschwägert waren. Gewählt wurde jedes einzelne Ratsmitglied unmittelbar durch die Bürgerschaft in gesonderten Wahlhandlungen mit absoluter Mehrheit durch Stimmzettelabgabe auf sechs Jahre. Alle zwei Jahre traten drei der neun Mitglieder aus. Ein Ruhegeld war vorerst nicht vorgesehen. Die Ausübung des zu honorierenden Ratsamtes schloß die Mitgliedschaft in der Bürgerschaft und die Wahrnahme eines anderen öffentlichen Amtes aus, doch durfte der Privatberuf fortgeführt werden, soweit dieser den Ratspflichten nicht entgegenstand. Der Rat
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wählte aus seiner Mitte einen ersten und zweiten Bürgermeister auf die Dauer eines Jahres zu Vorsitzenden. Dem Rat waren sechs besoldete Syndici mit beratender Stimme beigegeben, die vom Rat mit absoluter Stimmenmehrheit gewählt oder entlassen wurden, vorbehaltlich der Bestätigung durch die Bürgerschaft. Die Geschäftsordnung des Rats bedurfte ebenfalls einer solchen Bestätigung. Als Inhaber der vollziehenden Gewalt oblag dem Rat unbeschadet der Kontrolle durch die Bürgerschaft die Aufsicht über sämtliche Verwaltungszweige. Er hatte Ordnung und Sicherheit nach innen und außen zu wahren, verfügte über die bewaffnete Macht, vertrat den Staat der deutschen Reichsgewalt gegenüber, leitete - unter Vorbehalt der Ratifikation auswärtiger Verträge durch die Bürgerschaft - die auswärtigen Angelegenheiten, ernannte die Bevollmächtigten und sofern Verfassung und Gesetze nichts anderes vorsahen - alle Beamten. Im Rahmen seiner Amtsführung war der Rat für die Einhaltung der Verfassung und der bestehenden Gesetze strafrechtlich verantwortlich. Zwischen Rat und Bürgerschaft stand ein dreißigköpfiger Bürgerausschuß, der von der Bürgerschaft aus ihrer Mitte auf ein Jahr gewählt wurde. Als eine Art "ständiger Ausschuß" konnte er die nicht in Permanenz tagende Bürgerschaft in gewissen Befugnissen wenigstens vorläufig vertreten und ihre Konvokation verlangen. Seine Sitzungen sollten in der Regel ebenfalls öffentlich sein. Der Rat durfte durch nach eigenem Ermessen ernannte, nicht stimmberechtigte Bevollmächtigte jederzeit an den Sitzungen der Bürgerschaft teilnehmen, durfte die Konvokation von Bürgerschaft und Bürgerausschuß verlangen und in beide Gremien freiwillig oder auf Verlangen Anträge und Gesetzesvorschläge einbringen. Die Bürgerschaft beschloß Gesetze in zwei Lesungen mit einfacher Mehrheit, falls sich nicht schon bei der ersten Abstimmung mindestens zwei Drittel aller anwesenden oder mehr als die Hälfte aller Bürgerschaftsmitglieder für den Gesetzesvorschlag erklärten. Dem Rat oblagen Publikation und Exekution der von der Bürgerschaft beschlossenen Gesetze. Kam der Senat seiner Publikationspflicht nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist nach, durfte die Bürgerschaft das Gesetz durch ihren Vorsitzenden selbst verkünden. Innerhalb von vierzehn Tagen konnte der Rat unter Angabe von Gründen "Bedenken" gegen ein von der Bürgerschaft beschlossenes Gesetz erheben, was aber nur aufschiebende Wirkung hatte: In einem genau geregelten Verfahren entschied die Bürgerschaft, ob sie den Bedenken stattgeben wollte oder nicht, woraufhin sie den angefochtenen Gesetzesbeschluß entweder revidierte oder bestätigte. Diese Skizze der Konstituantenverfassung vom 11. Juli 1849 muß genügen. Wie oben angedeutet, umgreift sie nicht die zahlreichen, teils
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umwälzenden Neuerungen auf dem Gebiet der Verwaltung, der Rechtspflege, des Unterrichts- und Militärwesens, sowie der Gemeindeordnung. Trotzdem mag unsere Skizze im Vergleich mit dem Bild, das wir an anderer Stelle von den althamburgischen Verfassungsverhältnissen gaben, einen hinreichenden Eindruck von der tiefen Kluft vermitteln, die das Verfassungswerk der Konstituante von den alten Hauptgrundgesetzen trennte. So schreibt W. Gabe zusammenfassend59 : "Beseitigt hatte sie vor allem das im alten Staate geltende Bürgerrecht, das, nur Christen zugänglich, an bestimmte Zahlungen geknüpft, infolge dieser Beschränkungen bloß von einem Bruchteile der Einwohner erworben werden konnte. . .. Wichtiger war noch die Abschaffung der Erbgesessenen Bürgerschaft und der bürgerlichen Kollegien, für welche die neue Verfassung kein Äquivalent bot. .. . Einen Rat ließ die Konstituantenverfassung bestehen, doch in so veränderter Gestalt ... Der neue Rat dagegen wurde geradezu in die Stellung eines Beamten der neuen Bürgerschaft herabgedrückt und konnte als ihr Majoritätsministerium gelten ... Eine völlige Neuschöpfung der Konstituante war die ... Volksvertretung mit ihrem Bürgerausschuß .. . Gerade ein wesentliches Dogma der alten Verfassung, die Gleichstellung von Rat und Bürgerschaft, die formell doch noch fortbestand, hatte die Konstituante völlig preisgegeben.... Die ,Alpenpflanze' in den Sand der norddeutschen Ebene versetzen, die schweizerische ... Kantonverfassung auf den norddeutschen Kleinstaat .. übertragen, das war das Experiment, das die Konstituante wagte, ermutigt durch das verwandte Vorgehen von Frankfurt und Bremen ..." III. Die Interessenlage des Senats als sozio-ökonomische Bedingung der Verfassungsentwicklung 1849/50 Die Konstituantenverfassung war dazu angetan, die politische Potenz des Rats ganz ungemein zu schwächen. Die beabsichtigte numerische Verkleinerung auf neun stimmberechtigte Senatoren und Bürgermeister beraubte zudem - wenn man hier einmal von den Syndici und Sekretären absehen will - mehr als zwei Drittel der gegenwärtig amtierenden Mitglieder der Möglichkeit, in den künftigen Senat aufgenommen zu werden. Ob nun aber abgetreten oder wiedergewählt - von der sich an jene Aussicht knüpfenden fundamentalen Bedrohung ihrer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Stellung wurden in der gegebenen Situation des Jahres 1849 mehr oder weniger alle Ratsmitglieder betroffen. Der Senat60 bestand 1849 aus 37 "membra in vel de senatu" 61 • Es amtierten drei juristische und ein kaufmännischer Bürgermeister W. Gabe, Harnburg i. d. Bewegung v. 1848/49, S. 139 ff. Wir verwenden die Bezeichnung "Rat" und "Senat" synonym, wobei wir letzerer Bezeichnung fortan den Vorrang geben wollen. Dafür plädierte auch Syndikus Dr. Amsinck im August 1849, was zur Folge hatte, daß alle Entwürfe der Neuner und die Verfassung v. 23. Mai 1850 die modernere Bezeichnung "Senat" übernahmen.- Vgl. dazu Aufzeichnung Amsincks, Senat/innen 2 (15). 59
so
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(Dr. J. H. Bartels, Ch. D. Benecke, Dr. H. Kellinghusen, Dr. J. L. Dammert), vier rechtsgelehrte Syndici (Dr. W. Amsinck, Dr. Ch. Kauffmann, Dr. E. Banks, Dr. C. H. Merck) und 24 Senatoren. Von diesen waren elf Juristen (Dr. M. H. Hudtwalcker, Dr. N. Binder, Dr. C. Hartung, Dr. A. Ch. Meier, Dr. F. Sieveking, Dr. E. Sthamer, Dr. J. C. Arning, Dr. H. Gossler, Dr. J. E. Blumenthal, Dr. G. H. Kirchenpauer, Dr. N. F. Haller) und 13 Kaufleute (J. H. Merck, A. F. Spalding, C. M. Schröder, G. Ch. Lorenz-Meyer, H. Schmidt, M. J. Jenisch, W. Eybe, P. Siemsen, A. W. Lutteroth-Legat, Ch. H. Alardus, G. H. Büsch, F. Rücker, H. Geffcken). Hinzu kamen fünf rechtsgelehrte Sekretäre, von denen der älteste als Protonotar, ein weiterer als Archivar fungierte (Dr. G. v. Graffen/Protonotar, Dr. H. J. Heise, Dr. J. M. Lappenberg/Archivar, Dr. E. Schlüter, Dr. E. W. Schwartze). Insgesamt also amtierten 23 Juristen und 14 Kaufleute, von denen 14 Rechtsgelehrte (drei Bürgermeister und elf Senatoren), sowie 14 Kaufleute (ein Bürgermeister und 13 Senatoren) in den Ratsversammlungen über ein "votum decisivum" verfügten. Die vier Syndici hatten ein "votum consultativum", die Sekretäre keine Stimme. Außer den Syndici und Sekretären, denen es theoretisch offenstand, ihre Wahl auszuschlagen oder die bereits angetretene Stellung wieder aufzukündigen, hatten alle Senatoren (einschließlich der Bürgermeister, die ja einst als Senatoren in den Rat eingetreten waren) ihre Wahl annehmen müssen62• Gleichsam als Entschädigung für diesen - im Falle der Weigerung mit Verlust des Bürgerrechts bedrohten - Zwang zur Annahme der Ratswahl genossen die einzelnen Senatsmitglieder 1. 2. 3. 4.
besondere Ehrenrechte, ein hohes Honorar, die Lebenslänglichkeit ihrer Amtswürde und das Recht auf Selbstergänzung.
Diese Vorzüge und Rechte hatten nicht ohne Einfluß auf die innere Struktur des Senats bleiben können, ihr jahrzehntelanger Genuß von der Konstituante 1849 abrupt bedroht - mußte die Senatsmitglieder in der ablehnenden Haltung, die sie gegenüber der Konstituantenverfassung schon aus politischen Gründen einnahmen, nur bestärken. Ohne Zweifel wird man den einmütigen Kampf des Senats gegen Einführung, bzw. um die Modifikation der Konstituantenverfassung nur dann ganz verstehen, wenn man ihn nicht nur als Kampf um politische 81 F. G. Buek, Verfassung, S. 24 f . - Wir führen die Senatsmitglieder in der Reihenfolge ihres protokollarischen Ranges (Bürgermeister, Syndici, Senatoren, Sekretäre), innerhalb ihres Ranges ihrer Anciennität entsprechend auf. &2 F. G. Buek, Verfassung, S. 31.
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Überzeugungen und Zweckmäßigkeiten, sondern auch als energische Gegenwehr gegen die profunde Bedrohung der eigenen sozialen und wirtschaftlichen Stellung begreift. Als Gründe für die relative Einmütigkeit, in der diese "Abwehrschlacht" geschlagen wurde, lassen sich drei Tatsachen ausmachen, welche die Haltung des Senats in der Verfassungsfrage während der Jahre 1849/50 mit disponierten: 1. Die relative Geschlossenheit des Senats als ratsbürgerliche "Familienregierung" infolge des Rechts auf Selbstergänzung, 2. die Überalterung des Senats infolge der lebenslangen Amtswürde und 3. die relative Abhängigkeit der juristischen Senatsmitglieder von ihrem Amtshonorar83• In der Tat fällt beim Studium der Hamburger Geschlechterbücher und der Stammtafelakten auf, wie dicht und verzweigt die verwandtschaftlichen Beziehungen unter den 1849 amtierenden Senatsmitgliedern waren, wieviele von ihnen doch wenigstens auf eine ausgeprägte ratsbürgerliche Familientradition zurückblicken konnten. Zu Lebzeiten des als Senatsmitglied amtierenden Vaters waren sechs (die Syndici Dr. Amsinck und Dr. Merck, der Senator Dr. Gossler als Sekretär, die Sekretäre Dr. v. Graffen, Dr. Heise und Dr. Schlüter), des Bruders war ein (der Senator Dr. Sieveking), des Onkels waren zwei (Syndikus Dr. Amsinck und Sekretär Dr. v. Graffen), des Vetters waren zwei (Syndikus Dr. Amsinck und Senator Dr. Hudtwalcker), des Schwagers bzw. des Schwiegervaters waren fünf der 1849 amtierenden Senatsmitglieder eingetreten (Bürgermeister Dr. Kellinghusen als Senator, Syndikus Dr. Banks, Senator Lorenz-Meyer, Senator Dr. Haller und Sekretär Dr. Schwartze). Daraus ergibt sich, daß 13 der 37 im Jahre 1849 amtierenden Senatsmitglieder bei ihrem Eintritt in den hamburgischen Senat unmittelbar verwandte oder verschwägerte Senatsmitglieder vorgefunden hatten (Amsinck, v. Graffen und Schwartze fanden je zwei Verwandte bzw. Schwager vor, wurden aber nur einmal gezählt). Von diesen Familienbeziehungen innerhalb des Senats bestanden im Jahre 1849 noch sieben, von denen 13 Senatsmitglieder erfaßt wurden, 63 Vgl. die Tabellen 1-3 am Ende dieser Arbeit. Dieser Zusammenstellung liegt eine Unmasse personen- und familiengeschichtlicher Einzeldaten zu Grunde, die wir dem einschlägigen Schrifttum entnahmen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichten wir auf einzelne Nachweisungen. Am Ende des Literaturverzeichnisses dieser Arbeit geben wir, jeweils unter dem Namen des betreffenden Senatsmitgliedes gruppiert, die benutzte Literatur wieder.
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(und zwar Senator Merck und Syndikus Dr. Merck als Vater und Sohn, Syndikus Dr. Amsinck und Sekretär Dr. Schwartze als Onkel und Neffe, Senator Dr. Hudtwalcker und Sekretär Dr. Heise als Vettern, Bürgermeister Dr. Barteis und Syndikus Dr. Banks als Schwiegervater und Schwiegersohn, Bürgermeister Dr. Kellinghusen und Senator Eybe, Senator Arning und Senator Dr. Haller, die Sekretäre Dr. Schwartze und Dr. Schlüter jeweils als Schwager). Von den bisher noch nicht einmal im Zusammenhang mit einem unmittelbaren ratsbürgerlichen Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnis genannten 20 der im Jahre 1849 amtierenden Senatsmitglieder hatten bei ihrer Wahl sieben weitere auf unmittelbare, inzwischen aber verstorbene Vorfahren, nämlich drei auf einen Vater und drei auf einen Großvater bzw. Onkel, (und zwar die Senatoren Schröder, Schmidt, Jenisch, Alardus, Rücker und Dr. Kirchenpauer, sowie der Sekretär Dr. Lappenberg) zurückblicken können. Von den verbleibenden 13 Senatsmitgliedern entstammten weitere drei unmittelbar auswärtigen ratsbürgerlichen Familien. Und zwar konnten bei ihrer Wahl in den hamburgischen Senat Senator Spalding auf seinen Urgroßvater als Senator in Güstrow, auf einen Großonkel als Syndikus in Rostock, auf zwei Schwage:r als Senator in Güstrow bzw. als Ratsherr in Stralsund; Senator Dr. Binder auf seinen Großvater als Bürgermeister von Bergedorf, auf seinen Vater als Bürgermeister von Lübeck und Senator Lutteroth-Legat auf seinen Vater und Onkel als Ratsherren von Mühlhausen, auf einen weiteren Onkel als letzten Bürgermeister der freien Reichsstadt Mühlhausen verweisen. Ohne nachweisbar nähere verwandtschaftliche oder schwägerliche Beziehungen zu ratsbürgerlichen Familien waren seinerzeit lediglich zehn Senatsmitglieder, (nämlich die Bürgermeister Benecke und Dr. Dammert, der Syndikus Dr. Kauffmann, die Senatoren Dr. Hartung, Dr. Meier, Siemsen, Dr. Sthamer, Büsch, Dr. Blumenthai und Geffcken) in den hamburgischen Senat eingetreten84• Auch wenn wir uns hüten, die Bedeutung jener Familienbeziehungen zu überschätzen, kann ihre bewußtseinsbildende Kraft nach unserem Dafürhalten nicht genügend betont werden: Über alle Unterschiede des Alters, der Bildung, des Vermögens, des Rangs und der Stellung hinweg " Gleichwohl konnte auch die Mehrheit dieser Senatsmitglieder auf eine im Dienste des Gemeinwohls stehende Familientradition hinweisen. So waren Beneckes Vater Oberamtmann in Mönchsroth, Dammerts Vater Oberdeichgraf in Hoya, Kauffmanns Vater Mitglied der Kommerzdeputation und Kämmereibürger, Hartungs Großvater Oberalter, Meiers Großvater Generalsuperintendent in Schöningen, Siemsens Vater Ältester im Konsistorium der Reformierten Kirche, Sthamers Vater Oberalter, Büschs Urgroßonkel Senator (Büsch war mit den ratsbürgerlichen Familien Luis und Rücker verwandt) gewesen.
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schufen sie unter den Senatsmitgliedern des Jahres 1849 eine intimfamiliäre Kohärenz, ein Gruppenbewußtsein langer und ehrenvoller Tradition im Dienste des Gemeinwohls, eine einigende Auffassung von Amt und Würde6 5 • Dafür spricht auch, daß die weit überwiegende Mehrzahl der Senatsmitglieder noch ganz in einer gemeinsamen, nämlich der althamburgischen Tradition aufgewachsen war: Vor der fr anzösischen Revolution geboren waren 19, vor 1800 geboren waren zwölf, nach 1800 nur sechs Mitglieder des Senats. 1849 betrug das durchschnittliche Lebensalter der Bürgermeister 68,3, das der Syndici 52,0 Jahre, das der rechtsgelehrten Senatoren 53,3, das der kaufmännischen 63,6 und das der Sekretäre 58,5 Jahre. Sämtliche juristische Senatsmitglieder waren mithin im Durchschnitt 55,6, die Kaufleute 64,9 Jahre alt. Das ergibt ein Gesamtdurchschnittsalter von 59,1 Jahren. Dem für die Mitte des 19. Jahrhunderts relativ hohen Lebensalter entsprach ein verhältnismäßig hohes Amtsalter. Die Spitzen lassen sich am besten erfassen, wenn wir folgende Auffächerung vornehmen: 1849 amtierten seit 30 Jahren und mehr fünf Senatsmitglieder (vier Juristen und ein Kaufmann), seit 20 bis 29 Jahren 13 Senatsmitglieder (sechs Juristen und sieben Kaufleute), seit zehn bis 19 Jahren zehn Senatsmitglieder (sieben Juristen und drei Kaufleute), seit neun Jahren und weniger neun Senatsmitglieder (sechs Juristen und drei Kaufleute). Die 1849 amtierenden Bürgermeister waren im Durchschnitt vor 33,8, die Syndici vor 18,3, die rechtsgelehrten Senatoren vor 15,6, die Kaufleute vor 17,9, die Sekretäre vor 23,8 Jahren in den Senat eingetreten. Mithin gehörten 1849 dem Senat die Juristen durchschnittlich seit 20,0, die Kaufleute seit 19,1 Jahren an. Das ergibt ein durchschnittliches Amtsalter von rund 19,7 Jahren. Dieser nach Lebens- und Amtsjahren buchstäblich "alte" Senat, in exklusiver Selbstergänzung auf Lebenszeit gewählt, sollte nun 1849 einer Behörde weichen, in der - wenn überhaupt - nur ein reichliches Drittel der momentan amtierenden "membra in senatu" würde Platz finden können. Der drohende Verlust von Sitz und Stimme im Senat nach alter Ordnung mußte die Juristen besonders hart treffen: Verfassungsgemäß hatten sie bei Amtsantritt alle auf ihre teils sehr einträg65 Ein ursprünglich vom Verfasser beabsichtigtes und bedeutend breiter angelegtes sozio-ökonomisches Profil des Senats mußte wegen seines ausufernden Umfangs, vor allem aber wegen empfindlicher Lücken in der Quellenlage aufgegeben werden. Absolute Angaben über das Vermögen der einzelnen Senatsmitglieder erwiesen sich als unmöglich, viele Daten über Ausbildung und Bildung, Berufsweg und Berufserfolg besonders der kaufmännischen Senatsmitglieder konnten nicht erbracht werden, eine Rekonstruierung ihrer Geschäftslage ließ sich im Rahmen dieser Arbeit nicht bewerkstelligen.
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liehen Advokaturen verzichtet. Im Alter von durchschnittlich 55 Jahren und nach etwa 20 relativ hochdotierten Amtsjahren66 war es kaum einem von ihnen ohne weiteres zuzumuten, aus dem Senat auszuscheiden und sich erneut eine Praxis aufzubauen. Denn unter dem neuen Straf-, Zivil- und Prozeßrecht, das die Konstituante in Aussicht stellte, hätten sich die zurückgetretenen, noch an die althamburgischen Rechtsverhältnisse gewöhnten Senatoren in einer völlig neuen und wahrscheinlich sehr unbequemen Lage wiedergefunden: Sie hätten auf der "freien Wildbahn" des Anwaltberufs mit einer jüngeren Juristengeneration konkurrieren müssen. Wer von den juristischen Senatoren sich nicht auf ein einträgliches Familienvermögen zurückziehen konnte - und das waren, wie wir noch sehen werden, nur wenige - der mußte daher mit Einkommenseinbußen rechnen, mindestens aber eine unsichere Einkommenserwartung in Kauf nehmen nach 20 oder 30 mit einem "garantierten" Amtshonorar ansehnlich dotierten Dienstjahren gewiß keine angenehme Perspektive. Ob nun aber vermögend oder nicht - noch schwerer mußte für alle Senatoren des Jahres 1849, auch für die Kaufleute, der drohende Verlust an Sozialprestige wiegen, der mit einem Rücktritt vom Amt verbunden gewesen wäre. Denn von der Amtstracht bis zur lebenslangen Amtswürde genossen die althamburgischen Ratsherren eine traditionell hervorragende Macht- und Ehrenstellung, die mit einer "bürgerlichen" Existenz als Anwalt oder Kaufmann überhaupt nicht zu vergleichen war. Nach dem Protokoll des 19. Jahrhunderts nämlich stand der Harnburgische Senator den deutschen Fürsten gleich. Unter diesen Umständen konnte nicht einmal eine Tätigkeit in dem neuen Senat, dem die Konstituante nur eine vergleichsweise sehr bescheidene Stellung einräumen wollte, sehr verlockend sein. Daß der künftige Senat in Bezug auf seine politische Stellung und numerische Größe wesentlich herabgemindert und daher auch nur einer entsprechend kleinen Anzahl der gegenwärtig amtierenden Senatsmitglieder - wenn überhaupt - Platz bieten würde, das war nach den Beratungen der konstituierenden Versammlung bereits Ende April 1849 klar. Es nimmt daher nicht wunder, daß Senator Dr. Hudtwalcker am 30. April 1849 ein "Circular" bei allen rechtsgelehrten Mitgliedern des Senats in Umlauf setzte67, in dem er die Frage stellte, "was aus dem dermaligen Senate werden soll?"
In diesem Papier eruierte Hudtwalcker verschiedene Lösungsmöglichkeiten und stellte gleich zu Anfang fest: "Das würdigste und einfachste Verfahren wäre ... unstreitig das, daß, sowie 68
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Vgl. die Tabelle 2 am Ende unserer Arbeit. Hudtwalcker-Memoiren 1849, Anlage Nr. 1.
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Harnburg im Vormärz und in der deutschen Revolution die neue Verfassung ins Leben treten muß, der ganze Senat in corpore
abdankte."
Dieser Lösung aber hielt er entgegen, daß zu einer entschädigungslosen Abdankung nur die Kaufleute (die ihre Handelsgeschäfte während ihrer Amtszeit hatten weiter betreiben dürfen) und einige wenige Juristen (soweit sie sich auf ein Familienvermögen zurückziehen konnten) imstande seien - wenngleich auch die Kaufleute "durch ihr Rathsamt in ;i hrem Geschäftsbetrieb vielfach gestört ... , ein gleiches Anrecht auf Beibehaltung ihrer Honorare ... besitzen." Das ganze Dilemma der rechtsgelehrten Senatsmitglieder aber machte er deutlich mit den Worten: "Die große Mehrzahl der graduirten Senatoren aber kann sich einer solchen Maaßregel [der Abdankung ohne Entschädigung] unmöglich anschließen, weil sie nicht soviel Vermögen besitzen, um mit .ihrer Familie leben zu können; würde ihnen auch gestattet, ihren früheren Geschäftsbereich wieder anzufangen, so wäre das doch für Männer, die zum Theil das 60. Jahr schon überschritten haben und die diesen Geschäftsbereich vor 25, 30 und mehreren Jahren haben aufgeben müssen, ein leidiger Trost, da es ·i hnen sehr schwer fallen dürfte, mit der jüngeren kräftigeren Generation bei einem noch dazu durch die Beschlüsse der Konstituante wesentlichen veränderten Justizverfahren als Advocaten zu concurriren. Drei von ihnen sind überdies zunächst nicht dem Advocatenstande entnommen, als sie zu Rath gewählt wurden, sondern sie bekleideten feste Ämter." Hudtwalcker verwarf die Eventualität, daß die vermögenden Ratsmitglieder allein resignierten und es den übrigen überließen, in den künftigen Senat oder in die Justizverwaltung aufgenommen zu werden, entschieden, indem er feststellte: "Jedenfalls aber scheint es schon des bisherigen collegialischen Verhältnisses [im Senat] halber durchaus nothwendig, daß der gesammte Senat in dieser Beziehung nach einem gemeinsamen Beschlusse verfährt und fest zusammenhält." Denn weder dürfe man es darauf ankommen lassen, daß einige Senatsmitglieder bei der Neuordnung der Hamburger Verfassungs- und Verwaltungsverhältnisse ganz übergangen würden, noch hielt er die "traurige Aussicht" für erträglich, daß "Collegen ... Mitglied eines Rathscollegiums ... werden, welches ... nichts weiter seyn wird als ein Büreau von Commis einer stets wechselnden ... Bürgerschaft." Jene düsteren Zukunftsperspektiven (Hudtwalcker: "traurige Aussicht"), die wir an Hand von soziologischen und ökonomischen Daten nachzuvollziehen suchten, mochten in erster Linie die juristischen Senatsmitglieder betreffen. Diese aber besaßen im Gesamtsenat nicht nur das numerische Übergewicht, sondern waren auch an seiner Verfas-
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sungspolitik in den Jahren 1849/50 federführend und meinungsbildend beteiligt68 • Wenn sie, was Hudtwalckers Ausführungen belegen, das Problem ihrer persönlichen Existenzsicherung und die Frage nach einer Verfassungsreform für derart eng verflochten hielten - was sie ja auch objektiv war - lag dann der Gedanke so fern, zunächst einmal die Hamburger Revolution zu stoppen, um auch die eigenen Interessen zu wahren? Der Senat konnte Ende April 1849 freilich noch hoffen, daß die Konstituante von selber Vernunft annehmen und versuchen würde, sich mit ihm gütlich über dessen Zukunftssicherung zu einigen. Doch diese Hoffnung trog: Weder trat die Konstituante während des Monats Mai mit dem Senat über dessen künftiges Schicksal in Verhandlungen ein, noch plante sie eine "Zwischenbehörde" (Hudtwalcker), die den Übergang von der alten zur neuen Ordnung hätte vermitteln können, noch legte sie es in der Sache selbst auf einen vermittelnden Übergang an. Vielmehr setzten sich die Verfechter eines radikalen Bruchs mit den althamburgischen Verhältnissen gerade im Verlauf des Monats Mai durch69 • Am 8. Mai fiel in der Konstituante endgültig das Prinzip der Lebenslänglichkeit70. Zwei Tage später hielt Senator Lutteroth, Vizepräsident der Versammlung, eine vielbeachtete Rede, in der er mit den Worten: "Ich bedauere, mich getäuscht zu haben!", die Fundamente der neuen Verfassung strikt ablehnte. Schon damals wurden in der Tagespresse Vermutungen laut, die eine Verbindung zwischen der Rede Lutteroths und der Beseitigung der Lebenslänglichkeit durch die Konstituante sehen wollten. A. Heskel ist dagegen der Ansicht, die Rede Lutteroths sei keine "Kriegserklärung" des Senats an die Versammlung gewesen71 • Nach unserer Kenntnis der Quellen aber müssen wir den entgegengesetzten Standpunkt vertreten. In seinem "Circular" vom 30. April hatte Hudtwalcker bereits- und wie man jetzt sah: zu Recht- vermutet, daß sich die Konstituante mit dem Senat über dessen künftiges Schicksal nicht würde vereinbaren wollen. Daran hatte er eine Betrachtung geknüpft, die jetzt im Mai unmittelbare Aktualität gewann und die uns rückschauend als eine unmittelbare Anleitung zum Handeln erscheint- eine Anleitung, die, wie die Ereignisse von Juni bis Sep68 So präsidierten allen Rat- und Bürgerkommissionen, aber auch sämtlichen Senatsausschüssen, die 1849/50 in der Verfassungsfrage eingesetzt wurden, juristische Senatsmitglieder. Auch die Berichterstatter in den Kommissionen und im Senat waren in der Mehrzahl rechtsgelehrte Senatoren. 69 W. Gabe, Harnburg i. d. Bewegung v. 1848/49, S. 139. 70 Vgl. das folgende A. Heskel, Lutteroth, S. 54. 71 Ebd., S. 55.
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tember 1849 beweisen, der Senat - ob nun mit oder ohne formellen Beschluß72 - mit allen Mitteln zu befolgen suchte: "Da, wenn die beabsichtigte Verfassung ins Leben tritt, das eigentliche KYRION in Harnburg lediglich in der neuen Bürgerschaft liegen wird, so steht zu vermuthen, daß dieser Körper zuerst wird constituirt werden müssen. Wenn die Wahlen dann, wie wahrscheinlich, in ähnlicher Weise ausfallen, wie diejenigen zur constituirenden Versammlung - welche Aussichten zu einer Verhandlung [über sein Schicksal] für den dann ohnmächtigen alten Senat! ... Soweit ich die Sache bis jetzt übersehen kann, wird nichts übrig bleiben, als sie quovis modo auf verfassungsmäßigem Wege zu erledigen [und das heißt doch wohl: durch Rat- und Bürgerschluß], solange wir das Heft noch in Händen haben; und Anlaß wird sein, sobald die constit. Versammlg. definitive Beschlüsse über den künftigen Senat gefaßt haben wird73." Definitive Richtlinien aber hat die Konstituante in dieser Beziehung überhaupt nicht erlassen. Der Verfassungentwurf von Ende Juni 1849 enthielt lediglich eine transitorische Bestimmung, die dem Senat wenn sie auch nicht bindend war - vielleicht doch einige Hoffnung machen konnte. In den Übergangsbestimmungen, Artikel 192 des Entwurfs, hieß es: "Bei den demnächst desfalls zu treffenden Veränderungen soll gerechte Entschädigung für wohlerworbene Rechte gewährt werden." Senator Hudtwalcker kommentiert diesen Passus in seinen Memoiren mit den Worten: "Obgleich der Senat die Competenz der Versammlung hinsichtlich der Übergangsbestimmungen bestritt, so war doch vorauszusehen, daß man dem Prinzip nach über eine solche Verfügung mit der Constituante einverstanden seyn werde, und so habe ich ohne Zweifel den Gegenstand [die Frage nach der Zukunftssicherung für den Senat] selbst nicht weiter angeregt." Kann aus dieser Äußerung der Schluß gezogen werden, daß für den Senat die Sorge um seine Zukunftssicherung gerade in der Zeit an Bedeutung verlor, in der wir sie als eine der Triebkräfte hinter seiner Verfassungspolitik verstehen? Ganz sicher nicht! Daß der Senat mit einer "gerechten Entschädigung wohlerworbener Rechte" "dem Prinzip nach ... einverstanden" war, versteht sich ganz von selbst, wobei der Hinweis auf das angebliche Einverständnis "mit 72 Hudtwalcker, der sich in seinen Memoiren sonst sehr gut an den kritischen Zeitraum des Jahres 1849 erinnert, kann sich auf diesen Punkt leider nicht mehr besinnen. Er schreibt: "Ich theilte es [das Zirkular] vor der Hand nur den [rechts-]gelehrten Collegen mit. Ohne Zweifel hat eine Besprechung darüber stattgefunden, doch kann ,ich mich des Erfolges jetzt [1862] nicht mehr erinnern. Wahrscheinlich wird man zu einem festen Beschlusse nicht haben gelangen können." 73 Hudtwalcker-Memoiren 1849, Anlage Nr. 1.
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der Constituante" den falschen Schein einer Harmonie erweckt, wo zwischen Senat und Konstituante nie eine Harmonie bestand. In der Tat war jener Art. 192 nicht geeignet, den Senat zu beruhigen, und zwar aus folgenden Gründen nicht: a) Es handelte sich um eine Bestimmung aus dem Verfassungsentwurf der Konstituante, der einer späteren Lesung wieder zum Opfer fallen konnte. b) Der Passus war seiner rechtlichen Natur nach ein unbestimmtes Verfassungsversprechen, das offenließ, wann und in welchem Umfang es eingelöst werden würde. c) Auf jeden Fall würde der alte Senat gemäß Konstituantenverfassungsentwurf an der Lösung der Entschädigungsfrage überhaupt nicht beteiligt sein. Sie blieb der künftigen Wahlbürgerschaft überlassen, von der man nichts Gutes erwartete. Denn die im Zwölften Abschnitt des Juni-Entwurfs zusammengestellten Übergangsbestimmungen (Art.185 bis 192) setzten den erstmaligen Zusammentritt der Bürgerschaft auf den 1. September fest. Ihr war gemäß Art. 147 die Bestimmung des Zeitpunktes überlassen, zu dem der neue Rat gewählt werden sollte. Bis dahin sollte der alte Senat für Verwaltung und Rechtspflege, nicht aber mehr für Senatswahl und Gesetzgebung zuständig bleiben (Art. 188). Das mußte zu einer doppelten Konsequenz führen: 1. Da der amtierende Senat gemäß Art. 188 schon für inzwischen eintretende Vakanzen sein Recht auf Selbstergänzung verlieren und für die erste Senatswahl nach neuer Ordnung nicht einmal an der Aufstellung des Wahlaufsatzes beteiligt sein sollte, war er hinsichtlich der eigenen Organisation völlig entmachtet. 2. Die Entscheidung über Entschädigung oder Weiterverwendung der gegenwärtig amtierenden Senatsmitglieder blieb außerdem ganz und allein der neuen Wahlbürgerschaft überlassen. Von deren Beschlüssen aber mochte man um so weniger erwarten, als der künftige Senat - gemäß Junientwurf der Konstituante - auf die Gesetzgebung so gut wie gar keinen Einfluß hatte.
Vor allem aber wäre es für den Senat höchst widersinnig gewesen, aus einem Artikel Beruhigung zu schöpfen, dessen Tilgung er gerade von der Konstituante verlangte. Denn er bestritt ja der Versammlung vom Juni an hartnäckig das Recht, Übergangsbestimmungen zu erlassen - zu denen auch der ominöse Art. 192 gehörte. Hudtwalcker selbst weist in seinen Memoiren auf diesen Widerspruch hin, den er durch das bereits bekannte Scheinargument aufzuheben versucht, der Senat sei "dem Prinzip nach" über eine solche Verfügung mit der Konstitu-
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ante einverstanden gewesen. Er unterläßt es aber hinzuzufügen, daß die Konstituante schließlich sogar dem Drängen des Senats nachgab, die Übergangsbestimmungen- und damit auch Art. 192- aus ihrer definitiven Verfassung vom 11. Juli strich und stattdessen am 30. August "organische Gesetze" erließ, die der Einführung ihres Staatsgrundgesetzes dienen sollten. Unter jenen Gesetzen befinden sich auch "Gesetzliche Bestimmungen in Betreff des Raths", die nun allerdings überhaupt kein wenn auch noch so unbestimmtes Versprechen auf Entschädigung, geschweige denn auf Weiterverwendung der "alten" Senatsmitglieder enthielt. Nein, der Senat konnte nicht auf den Artikel 192 bauen- schon im Juni nicht. Sollte Hudtwalcker in seinen Memoiren den gegenteiligen Eindruck erweckt haben wollen, würde man apologetische Absichten vermuten müssen. Seine Bemerkung- "und habe ich den Gegenstand selbst nicht weiter angeregt" - besagt auch nicht, daß nicht andere Juristen im Senat die Verfassungspläne der Konstituante selbst nach Bekanntwerden des Art. 192 als Bedrohung ihrer persönlichen Zukunft auffaßten, darüber nachdachten und diskutierten. Hudtwalcker schreibt ja sogar selber nur wenige Zeilen vorher in seinen Memoiren, "daß die Lage der Dinge bis zur Catastrophe im August oder doch bis zum Dreikönigsbündnisse für den Senat nicht nur als Behörde, sondern auch für die meisten Mitglieder persönlich höchst peinlich war". (Hervorhebg. d. Verf.)14 Die am 13. Juni für die Behandlung der Verfassungsfrage eingesetzte Senatskommission wurde denn auch beauftragt75, "bei den Berathungen über die Übergangsbestimmungen auch den Gegenstand: daß den gegenwärtigen Mitgliedern des Senats ihre Amts-Ehren und Titel, sowie ihr Honorar ungeschmälert verbleiben, in Erwägung zu ziehen ..." Es wäre aber gewiß übertrieben, wenn man die Verfassungspolitik des hamburgischen Senats in den Jahren 1849/50 allein und ausschließlich als Abwehrkampf einer sozio-ökonomischen Interessengemeinschaft gegen die Bedrohung ihrer Privilegien verstehen würde. Daß hierbei auch verschiedene politische Überzeugungen - wenn man so will: Ideologien - im Widerstreit lagen, die sich nicht zuletzt auch auf Seiten des Senats am Gemeinwohl des Stadtstaats orientierten, dürfte der weitere Verlauf unserer Darlegungen zeigen. Gleichwohl ist die "rein" politische Auseinandersetzung nicht von dem Bemühen des Senats zu trennen, seine" wohlerworbenen Rechte" zu wahren. Denn 1. ob er - vorwiegend im Interesse einer allgemeinen politischen Aussöhnung - von der Voraussetzung ausging, nach Vollendung der 74 75
Hudtwalcker-Memoiren 1849, S. 63. Brief Schlüters an Binder v. 5. Juli 49, Senatfinnen 2 (8).
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Verfassungsreform (unter welchen persönlichen Bedingungen auch immer) abzutreten, 2. oder ob er - im überwiegenden Eigeninteresse - davon ausging, auch nach Vollendung des Reformwerks in Amt und Würden zu verbleibenRichtung und Ausmaß der von ihm intendierten Reform mußten jeweils verschieden ausfallen. Denn ganz sicher machte es einen Unterschied aus, ob der Senat ein Reformwerk in dem Bewußtsein ausarbeitete, nie unter seiner Voraussetzung amtieren zu müssen, oder ob er eine Verfassung in der Absicht schuf, sie dereinst selbst als politisches Instrumentarium benutzen zu wollen. Freilich will es uns scheinen, als sei der Senat von der zweiten Alternative ausgegangen - als habe sie für den Senat wenigstens im entscheidenden Endstadium der Reformversuche während der Monate Februar bis April 1850 immer mehr an Verbindlichkeit gewonnen. Die Lebenslänglichkeit der Senatswürde hatte man längst wieder als feste Größe eingesetzt, auf die Selbstergänzung war man im Begriff zurückzukommen, als denn auch Haller am 4. Februar 1850 vor dem Senatsplenum bekannte76 : "Die radicale Umgestaltung unserer Verfasssung, soviel sie namentlich das Rathspersonal betrifft, ist jetzt in eben dem Maaße in größere Ferne und größere Ungewißheit gerückt, als sich im Laufe der Zeit die revolutionairen Bewegungen ... überall besänftigt und den Weg der Reaction eingeschlagen haben. Der Glaube an die Möglichkeit der Erhaltung mancher noch vor sechs Monaten [also im August 1849] - als aufgegeben betrachteten Einrichtungen, hat vieler Orten Wurzeln geschlagen, und namentlich ist der Glaube an den Schutz wohlerworbener Privatrechte und Interessen ... jetzt ziemlich allgemein hergestellt." Die Sicherung wohlerworbener Privatrechte schloß den politischen Fortschritt nicht gerade aus 77 • Und doch will es uns scheinen, als sei dieser Fortschritt spätestens vom Februar des Jahres 1850 an vorwiegend dem Eigeninteresse des Senats angepaßt gewesen, der sich mehr und mehr auch als künftig amtierende Regierungsbehörde begreifen, diese Möglichkeit aber wenigstens nicht mehr ausschließen mochte78 • Den fundiertesten und wohl auch einzigen Vorstoß, die Lösung der Verfassungsfrage durch eine totale Resignation des Senats unter gleichzeitiger Sicherung der Privatrechte zu erleichtern, hatte Syndikus Merck schon lange vorher, nämlich am 20. November 1849 unternommen freilich ohne Erfolg. Wenige Tage, nachdem mit den Entwürfen der Vortrag Hallers vor dem Senat am 4. Febr. 50, Senatfinnen 14 (ß)b. So auch Haller ebd.: "Der Senat will, wie er durchweg gezeigt hat, den Fortschritt". - Vgl. über die Lage der Verfassungssache vom Februar 1850 an das 3. Kap. unserer Arbeit, S. 227 ff. 78 Vgl. in diesem Zusammenhang auch das 3. Kap. unserer Arbeit, S. 269 ff. 76
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Neuner-Kommission vom 3. November 1849 erstmals Aussicht auf eine positive Beilegung des Verfassungskonflikts gegeben war79 , plädierte der Syndikus mit einem Votum, das er vor dem Senatsplenum abgab80 , für einen Rücktritt des Kollegiums, "da dadurch die Annahme des Vorschlages der Neuner-Commission durch Erbg. Bürgerschaft wesentlich gefördert und gesichert werden würde und ich dieses [die Annahme des Neuner-Entwurfs durch die Bürgerschaft] bei dem Stande der deutschen Verfassungsverhältnisse im Allgemeinen für außerordentlich wichtig ... erachten muß." Mercks "Plan zur Reconstruirung des Senats mit und nach Einführung der neuen Verfassung" - nicht einmal als formeller Antrag unterbreitet- verfiel schon dadurch der Ablehnung, daß der Senat mit seinen Beschlüssen vom 21. und 23. November verfügte81 , seine eigene künftige Stellung aus den Verfassungsanträgen überhaupt auszuklammern. Am 21. November wurde nur ganz allgemein beschlossen, "daß die Regulirung und gesetzliche Feststellung der transitorischen Bestimmungen und der zur Einführung der neuen Verfassung erforderlichen Gesetze der Verkündigung dieser Verfassung und den zur wirklichen Einführung nöthigen Schritten vorausgehen muß." Damit war die tatsächliche Einführung des projektierten Verfassungswerks u. a. auch an eine vorherige gesetzliche Regelung der Verhältnisse des Senats gebunden - ein Junktim, das auch die Senatsanträge vom 23. Mai 185082 aufrechterhielten und das für das fernere Schicksal der Maiverfassung von außerordentlicher Bedeutung werden sollte. Wir hielten es für erforderlich, die enge Wechselbeziehung im voraus zu schildern, die zwischen der höchstpersönlichen Interessenlage wenn nicht des Senats, so doch der juristischen Senatsmitglieder und ihrer Verfassungspolitik bestand. Unserer Meinung nach muß jene Interdependenz als eine der grundlegenden Voraussetzungen gelten, unter denen die Hamburger Verfassungsgeschichte der Jahre 1849/50 zu betrachten ist.
1e Vgl. 3. Kap. dieser Arbeit, S. 192 ff.
80 Niederschrift des Syndikus Merck v. 21. November 49, betr. "mein gestern über die Stellung des Senats zu der neuen Verfassung in Bezug auf seine persönlichen Verhältnisse abgegebenes, nicht ganz gleichmäßig aufgefaßtes Votum". - Senatfinnen 3 (32) und Anlage: "Plan zur Reconstruirung des Senats mit und nach Einführung der neuen Verfassung." 8 1 Senat/innen 3 (23). 82 Rat- und Bürgerschlüsse 1850, Propositio in forma, II, 2 und die folgenden Zeilen.
Zweites Kapitel
Der Senat und das Erbe der Revolution A. Der Kampf gegen die Einführung der Konstituantenverfassung vom 11. Juli 1849 I. Der Juni-Entwurf der konstituierenden Versammlung und die Mitteilungen des Senats vom 23. Juni und 2. Juli 1849 Mitte Juni 1849 legte der Verfassungsausschuß der konstituierenden Versammlung dem Plenum einen Entwurf für eine "Verfassung des Freistaats Hamburg" vor1. Noch bevor die Konstituante in die zweite Lesung der Vorlage eintrat2 , beschloß der Senat am 13. Juni, dem Syndikus Amsinck "ein Exemplar des Entwurfs der künftigen Harnburgischen Verfassung ... zu übergeben, sowie eine Kopie dieses Beschlusses an die Herren Dr. Binder, Dr. Sieveking, Dr. Arning und Dr. Haller, mit dem Auftrag, diesen Entwurf in Erwägung zu ziehen und darüber dem Senat zu resumiren" 3 • Diese Verfassungskommission des Senats wurde bald darauf verstärkt durch Bürgermeister Dr. Kellinghusen, durch die Senatoren Dr. Hartung, Lutteroth-Legat, Geffcken, Dr. Kirchenpauer, sowie durch den Ratssekretär Dr. Schwartze4 • Als Praeses fungierte Syndikus Dr. Amsinck, zeitweilig auch Senator Dr. Binder5• Referenten waren Dr. Binder, Dr. Amsinck und Dr. Kirchenpauer8 • So war der Senat wenigstens einigermaßen gerüstet, als am 16. Juni eine Mitteilung der Oberalten eintraf, die ihn zum Handeln aufforderte7. Das Kollegium erhob Einspruch gegen die Übergangsbestimmungen, die der Verfassungsentwurf der Konstituante enthielt8 und die den Text des Entwurfs vgl. Senat/innen 1 (2). Prot. d. konst. Vers., S. 299 ff., 47. Sitzg. v. 16. Juni 49. 3 Senatfinnen 1 (1). 4 Senat/innen 1 (6) Senat/innen 1 (49). 5 Senat/innen 1 (11) - Senat/innen 2 (49). e Senat/innen 2 (51) - Kirchenpauer vertrat Harnburg seit April 1848 als interimistischer Bevollmächtigter bei der Provisorischen Zentralgewalt in Frankfurt/M. und kehrte erst nach der Demission des Reichsminister.iums im Juni 1849 nach Harnburg zurück; - vgl. Anm. 147 unten. - Haller hatte sich geweigert, ein Referat zu übernehmen; - vgl. seine Briefe an Amsinck v. 15. und 18. Juni 49: Senat/innen 2 (1) und (2). 7 Beschluß der Oberalten v. 15. Juni 49 - Senatfinnen 1 (3). 8 Und zwar hauptsächlich in Abschnitt XII. 1
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4 Bavendamm
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Übergang von der alten zur neuen Ordnung gewährleisten sollten. Ehrbare Oberalten stellten fest, die konstituierende Versammlung sei "lediglich zur Feststellung der künftigen Harnburgischen Verfassung zusammenberufen. Sie hat somit durch die beschlossenen transitorischen Verfügungen ihre Kompetenz offenbar überschritten. E. Oberalten finden sich daher veranlasst, bei E. E. Rath anzufragen, ob bereits Schritte geschehen, um die Macht der bestehenden gesetzlichen Gewalten zu wahren." Daß der Beschluß der Oberalten - der den Senat zu "geeigneten Maßregeln gegen diese Kompetenz-Überschreitung" aufforderte - über den Teil XII "Übergangsbestimmungen" hinaus auch auf andere Teile des Verfassungswerkes abzielte, ergibt sich aus einer beiliegenden Bemerkung des Oberaltensekretärs Dr. N. A. Westphalen vom 16. Juni, die wahrscheinlich an Binder adressiert war. Sie legte dar, "daß nicht etwa nur der letzte Abschnitt des Verfassungs-Entwurfs, sondern auch mehrere einzelne §§ ... transitorische Verfügungen enthalten. Tunlichste Beschleunigung der zu treffenden Maßregeln", so schloß Westphalen, "dürfte sehr dringend erforderlich sein". Dafür aber hielt der Senat die Zeit noch nicht gekommen. In seiner Antwort an das Kollegium vom 16. Juni9 sicherte er den Oberalten zwar zu, dem angesprochenen Problem seine Aufmerksamkeit zu widmen, stellte aber fest, daß "dennoch von etwaigen Schritten für jetzt nicht die Rede sein" könne. Eine Rechtfertigung für seine hinhaltende Taktik fand der Senat vorerst in einem doppelten Grund: 1. "liegt gegenwärtig in Betr. der transit[orischen] Verfügungen lediglich
der Entwurf eines Ausschusses vor"; 2. "ist namentlich zu beachten, daß der Gegenstand der Obergangsbestimmungen bisher überhaupt in der const[ituierenden] Versammlung noch gar nicht zur Sprache gebracht ist"10•
Die Meinungen in der Verfassungskommission waren geteilt11 • Zwar wollte eine Mehrheit der Mitglieder "die Bedenken hins[ichtlich] vieler einz[elner] Puncte" nicht verkennen. Doch hielt die Majorität den Senat nicht für verpflichtet, damit jetzt schon hervorzutreten12• Zwar war die Kommission einstimmig der Ansicht, "daß in den Obergangsbestimmungen eine Competenz-'Oberschreitung abs[eiten] d[er] constituierenden Vers[amm]l[un]g" Senat/innen 1 (5). Tatsächlich hatte die Konstituante in der 1. Lesung ihres Verfassungswerks den Abschnitt XII "Übergangsbestimmungen" ausgespart. 11 Vgl. das folgende Senatfinnen 1 (7); i. e. eines der wenigen Protokolle über die Sitzungen der Senatsverfassungskommission (Sitzung v. 20. Juni 49). 12 Eine Minorität freilich hielt gerade das für "eine moralische Verpflichtg. d. Senats auch wegen der öffentl. Meinung ohne Rücksicht auf Erfolg ..." u
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zu sehen sei. Doch erschien der Mehrheit der Mitglieder ein Einspruch des Senats zum gegebenen Zeitpunkt "als ein voreiliger Schritt" 13• Schon jetzt aber stimmte man in der Kommission überein, "daß man sowohl zur Vermeidung möglichen größeren Unheils, als auch nach der Zusage, welche der Senat am 20. December [1848] gethan hat14, nicht umhin könne, die Hand zur Mitwirkung und Vermittlung hinsichtlich der Übergangsbestimmungen zu bieten und dazu auch die Bürgerschaft zu veranlassen zu suchen". Es ist interessant, daß die Senatskommission schon jetzt vorübergehend die Einsetzung einer Rat- und Bürgerkommission durch Rat- und Bürgerschluß erwog, die in Verhandlungen mit der Konstituante eine Einigung über die strittigen Übergangsbestimmungen herbeizuführen hätte15• Diese Überlegungen sollten sich erst in drei Monaten unter wesentlich gewandelten Umständen konkretisieren. Jetzt, am 20. Juni, reassumierte Syndikus Amsinck den Verfassungsentwurf der Konstituante und referierte die Vorschläge der Senatskommission über den ferner einzuschlagenden Weg16• Es zeigte sich jedoch, daß der Senat nicht gewillt war, den Empfehlungen der Kornmissionsmehrheit in allen Punkten Folge zu leisten. Zwar versagte er sich "wenigstens für jetzt" ein näheres Eingehen auf den Verfassungsentwurf selbst, beschloß aber "in Betreff der transitorischen Bestimmungen ... schon jetzt eine Mittheilung an die constituierende Versammlung zu machen", obwohl sich die Mehrheit der Kommission gegen ein Vorgehen zum gegebenen Zeitpunkt ausgesprochen hatte. Die Art des Übergangs von der alten zur neuen Ordnung, sowie die "desfalls etwa einzuleitenden Verhandlungen mit E. Bürgerschaft" sollten weiterhin Gegenstand der Kommissionsberatungen bleiben. Diese Mitteilung leitete den Kampf des Senats mit der Konstituante um eine neue Verfassungsordnung unmittelbar ein. Ihr Wortlaut wurde am 23. Juni 1849 zum Beschluß erhoben17• Die Mitteilung ging den Oberalten sogleich mit der Bitte um Mitgenehmigung zu, die auch 13 Eine Minderheit redete allerdings auch in Bezug auf die Übergangsbestimmungen einer sofortigen Erklärung des Senats das Wort. 14 Gemeint ist der Senatsbeschluß v. 20. Dez. 48. Vgl. unten S. 55. 15 An eine Vereinbarung zwischen Senat und Bürgerschaft einerseits, der Konstituante andererseits über deren Verfassungswerk als Ganzes wurde also jetzt ganz offenbar noch nicht gedacht. - Vgl. auch den Senatsbeschluß v. 20. Juni 49, der rein dilatorischen Charakter hatte. 16 Vgl. das folgende Senat/innen 1 (6). 17 Senat/innen 1 (9). Daß diese Mitteilung der erste Schritt war, den der Senat positiv gegen die Konstituante unternahm, bestätigt auch Hudtwalcker, wenn er schreibt: "Der Senat ließ sie bis zum 23. Juni vollständig gewähren". - Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 28.
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prompt erfolgte18• Und schon am 23. Juni 1849 konnte die Konstituante die mahnenden Worte des Senats vernehmen, daß sie "die Grenzen ihrer verfassungsmäßigen Competenz überschreiten würde" 10, wollte sie die Übergangsbestimmungen ohne Mitwirkung von Rat und Bürgerschaft zum integrierenden Bestandteil ihres Verfassungswerkes machen. Wie reagierte die Konstituante? Die Mitteilung des Senats wurde auf ihrer 51. Sitzung20 an den Verfassungsausschuß "zur Berücksichtigung und eventuellen Berichterstattung" verwiesen21 • Die Abgabe einer Stellungnahme erwies sich jedoch so lange als unmöglich, wie der Senat seine Bedenken gegen die Übergangsbestimmungen nicht näher präzisiert hatte. Mit der Bitte um Erläuterungen wandte sich der Präsident der Versammlung, Dr. Baumeister, daher am 28. Juni an den Senat22 • Am gleichen Tage trat die Konstituante in die zweite Lesung des lediglich acht Artikel umfassenden 11. und vorletzten Abschnitts ihres Verfassungsentwurfs ein23 • In wenigen Tagen - darüber konnte kein Zweifel bestehen- mußte der umstrittene 12. Abschnitt "Übergangsbestimmungen" auf ihrer Tagesordnung stehen. Die Ereignisse trieben den Senat zur Eile. In einem Beschluß vom 28. Juni beauftragte er deshalb seine Verfassungskommission, sie solle "alle Vorbereitungen treffen, damit sofort nach Eingang der Rückäußerung der Konstituante referiert und eine Antwort sobald als irgend möglich" erteilt werden könne24. Leider wissen wir über den Verlauf dieser senatsinternen Beratungen, die zwischen dem 28. Juni und dem 2. Juli stattfanden, nichts. Als deren Ergebnis müssen wir indessen festhalten 25, daß der Senat das Ruder auf Gegenkurs hielt: Am 2. Juli, also zwei Tage, bevor sie in die zweite Lesung der Übergangsbestimmungen eintrat, erklärte der Senat auf Anfrage der Konstituante vom 28. Juni, "daß sein Concl[usum] vom 23. Juni keiner näheren Erläuterung bedürfe". 18 Senatfinnen 1 (9). Die Zustimmung der Oberalten wurde noch während der Senatssitzung eingeholt. 19 Senat/innen 1 (9). 20 Prot. d. konst. Vers., S. 334 ff., 51. Sitzg. v. 23. Juni 49. 21 Der Verfassungsausschuß der Konstituante bestand aus den Abgeordneten Dr. Wolffson, Dr. Glitza, Albrecht, Ed. Johns und Dr. Baumeister. !! Senatfinnen 1 (12). Und zwar geschah dies auf Antrag des Verfassungsausschusses. - Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 351, 52. Sitzg. v. 25. Juni 49, Antrag Nr. 465, der in der 53. Sitzg. v. 27. Juni zum Beschluß erhoben wurde. - Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 358 ff. 23 Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 375 ff., 54. Sitzg. v. 28. Juni 49. Die 2. Lesung wurde am 30. Juni abgeschlossen, indem sich die Versammlung auf den 4. Juli vertagte. - Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 385, 55. Sitzg. v. 30. Juni 49. !c Senat/innen 1 (11). 25 Vgl. das Schreiben des Senats v. 2. Juli 49 an die Konstituante und den Senatsbeschluß vom gleichen Tage: Senat/innen 1 (13).
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Seine Einwände bezögen sich nicht auf einzelne Bestimmungen des Abschnitts XII des Verfassungsentwurfs, sondern auf die Übergangsregelung an sich, wie sie von der Konstituante vorgeschlagen werde. Gemäß Rat- und Bürgerschluß vom 7. September 1848 sei sie zwar ermächtigt28 "die künftige Harnburgische Verfassung unabhängig von Rath und Bürgerschaft festzustellen". Solange aber nicht das "neue Staatsgrundgesetz (a) vollständig und definitiv festgestellt und (b) ins Leben getreten sein wird, bleiben die jetzt bestehenden Gewalten und alle sonstigen Behörden und Einrichtungen in ihrer verfassungsmäßigen Wirksamkeit". Daher "könne es nicht zweifelhaft sein, daß eine Beschlußnahme über die zur Vermittlung des Übergangs der Wirksamkeit der bestehenden Verfassung in diejenige der künftigen neuen Verfasssung erforderlichen Anordnungen nicht zur Competenz der konstituierenden Versammlung gehören" 27• Der Senat fügte abschließend hinzu: er "werde übrigens nach Vollendung des neuen Verfassungswerkes nicht ermangeln, die erforderlichen Anträge an E. Bürgerschaft gelangen zu lassen" 28• Mit dieser Argumentation - das mußte sogleich deutlich werden baute sich der Senat eine machtvolle Doppelstellung auf, die die Auseinandersetzungen um die neue Verfassung bis Ende Juli 1849 beherrschen sollte 29 • Einerseits hielt er der Konstituante entgegen, die neue Verfassung sei solange nicht "vollständig und definitiv festgestellt", wie sie noch transitorische Verfügungen aufwies, die ja gewisse Teile der Verfassung ihrer Natur nach schwebend unwirksam machten. Andererseits bestritt er der Versammlung überhaupt das Recht, ein Transitorium zu beschließen. Damit schnitt er der Konstituanten-Verfassung welche ohne das Bestehen einer Übergangsregelung praktisch nicht eingeführt werden konnte- den Weg in die Realität ab. Auf der Grundlage dieser Argumentation vermochte der Senat die rechtmäßige Fortexistenz von Rat und Bürgerschaft weiter zu behaupten. !t Der Senatsbeschluß zitiert hier und im folgenden den Wortlaut des Ratund Bürgerschlusses v. 7. Sept. 48 - vgl. Harnburgische Rat- und Bürgerschlüsse 1848, Anträge eines Ehrbaren Rats an Erbg. Bürgerschaft am 7. Sept. 1848, II, S. 3 (Propositio in forma). 27 Vgl. Wortlaut des § 16 "Reglement betr. die Zusammenberufung der constituirenden Versammlung" - S. 12 - i. e. Subadjunctum zu den Anträgen des Senats an Erbg. Bürgerschaft v. 7. Sept. 48 - vgl. die vorige Anmerkung. 28 Diese Formulierung .im Senatsbeschluß v. 2. Juli 49 ging auf eine Anregung der Oberalten zurück, die sich im übrigen mit der Erwiderung des Senats an die Konstituante einverstanden erklärten. - Vgl. Beschluß der Oberalten v. 2. Juli 49: Senat/innen 1 (14). n Vgl. diese Arbeit unter, S. 59 ff.
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Denn beide sollten ja gemäß Konventsbeschluß vom 7. September 1848 so lange bestehen bleiben, bis die neue Verfassung nicht nur (a) "vollständig definitiv festgestellt", sondern auch (b) "ins Leben getreten sein würde". War das aber nicht der Fall - und wie sollte die neue Ordnung die alte je ohne Hilfe einer Übergangsregelung ablösen blieben Rat und Bürgerschaft "in ihrer verfassungsmäßigen Wirksamkeit". Daß der Senat mit dieser ausgeklügelten formaljuristischen Überlegung bereits damals- Anfang Juli 1849- nicht nur die Gestaltung der Übergangsregelung in die Hand zu bekommen suchte, sondern darüberhinaus auch das Verfassungswerk der Konstituante als Ganzes treffen wollte, kann an Hand des vorliegenden Quellenmaterials zwar nicht mit Sicherheit behauptet, muß aber aller Wahrscheinlichkeit nach angenommen werden30• Möglicherweise aber hat er zum gegebenen Zeitpunkt nicht damit gerechnet, die Einführung der Konstituantenverfassung auf jeden Fall und für alle Zukunft verhindern zu können. Dafür spricht, daß Senator Haller in den ersten Julitagen vorsorglich mit der Ausarbeitung von "Grundzügen eines Gesetzes betreffend die Einführung der neuen Verfassung und die des Endes notwendigen transitorischen Bestimmungen" betraut wurde, das den Akten unter dem Datum des 9. Juli anliegtSt. Auf jeden Fall wäre es dem Senat auf dem einmal eingeschlagenen Wege möglich gewesen, die Einführung der neuen Verfassung auch mit Hilfe des Übergangsgesetzes zu vereiteln, wenigstens aber hinauszuzögern32. Gewiß, der Verfassungsausschuß der Konstituante hatte nicht gerade unrecht, als er in seinem Bericht, mit dem er über die Senatsconclusa vom 23. Juni und vom 2. Juli referierte33, am 4. Juli vor dem Plenum behauptete: Das Recht, Übergangsbestimmungen zu erlassen, sei der konstituierenden Versammlung bis zum 23. Juni 1849 noch von 30 Wenn der Senat schon meinte, die Einführung des Verfassungswerks nicht verhindern zu können, glaubte er um so mehr, ihre Revision herbeiführen zu müssen - was auf dasselbe hinauslaufen konnte. Vgl. unten,
s. 62 ff.
u Senat/innen 2 (6). Um das eine oder andere zu erreichen, brauchte der Senat das Übergangsgesetz im einzelnen nämlich nur so abzufassen, daß es der Ablehnung von Seiten der bürgerlichen Kollegien und/oder der Bürgerschaft verfiel oder aber seine Vorlage solange zu verschleppen, bis ihm auf andere Weise Hilfe wurde. Daß der Senat damals schon auf Zeitgewinn spielte und auf eine Gelegenheit wartete, den Verfassungskonflikt der Provisorischen Zentralgewalt zu unterbreiten, wird weiter unten ausgeführt; vgl. S. 73 ff. 38 Vgl. "Bericht des Verfassungsausschusses" über den Senatsbeschluß v. 23. Juni. Dieser Bericht nahm gleichzeitig Bezug auf den Senatsbeschluß v. 2. Juli; vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 391 ff., 56. Sitzg. v. 4. Juli 49 und Senat/ innen 2 (7). 32
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niemand bestritten worden34• Er erwähnte zwar, daß es schon 1848 zu Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Rat- und Bürgerschlusses vom 7. September gekommen sei, wies aber nicht darauf hin, daß diese Meinungsverschiedenheiten eigentlich niemals beigelegt worden waren. Schon damals im Herbst und Winter 1848 - hatten zahlreiche Abgeordnete die Ansicht vertreten, daß der konstituierenden Versammlung nicht nur die Ausarbeitung einer Verfassung, sondern auch die Sorge dafür obliegen müsse, daß das einmal von ihr beschlossene Grundgesetz auch in Kraft trete35• Weil aber der Rat- und Bürgerschluß vom 7. September die Konstituante gerade für die Erledigung dieser letzten Aufgabe nicht mit hinreichender Klarheit zu legitimieren schien, hatten viele Abgeordnete damals die Ableistung des Eides verweigert, den Senat und Bürgerschaft der Versammlung abgefordert hatten. Auf Grund ihres Beschlusses vom 15./16. Dezember 184836 war die Versammlung dann mit der Bitte an den Senat herangetreten, er möge durch einen Zusatz zum Konventsbeschluß vom 7. September und durch eine entsprechende Modifikation der Eidesformel die bestehende Unklarheit beseitigen. Auf dieses Ansinnen hatte der Senat durch Conclusum vom 20. Dezember 184837 lediglich ausweichend geantwortet: "Das Gesetz [gemeint ist der Rat- und Bürgerschluß vom 7. IX. 481 will, daß eine Verfassung durch die konstituierende Versammlung festgestellt werde; es versteht sich demnach von selbst, daß, sobald dieselbe von der constituirenden Versammlung vollständig und definitiv festgestellt sein wird, dieselbe auch ohne Verzug ins Leben gerufen werden muß. Seinerseits wird der Senat seine desfallsige Obliegenheit ungesäumt erfüllen." Zwar spricht der vorletzte der hier zitierten Sätze die beruhigende Zusicherung aus: die Verfassung müsse - sei sie erst einmal definitiv und vollständig beschlossen - auch eingeführt werden. Niemals aber war von der Konstituante eindeutig geklärt worden, was der Senat eigentlich als "seine desfallsige Obliegenheit" betrachtete38• Dies hatte unter den Umständen des Revolutionsjahres natürlich nur so verstanden werden können, daß der Senat als das Haupt der in Harnburg bisher bestehenden Exekutive mit seiner letzten Amtshandlung unbesehen für die Einführung der neuen Verfassung würde sorgen müssen. Unter dieser Voraussetzung hatte die Konstituante einst den Eid abgelegt und Diese Behauptung konnte nicht nachgeprüft werden. as Vgl. Beschluß der Konstituante v. 15./16. Dez 48: Prot. d. konst. Vers., S. 5-15, 2. Sitzg. v. 15. Dez., 15 bis 20 h, und 16. Dez. bis 3.30 h morgens. H Ebd. 37 Vgl. Prot. d. konst. Vers., insbes. S. XXVIII. 38 Vgl. Laufenberg, Arbeiterbewegung, Band I, S. 135. 14
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jetzt ihr Werk vollendet39 • Daß der Senat aber im Sommer 1849 eine ganz andere, ja, fast entgegengesetzte Auffassung vertreten konnte40, ohne sich wenigstens dem Wortlaut nach zu widersprechen, zeigt doch nur, daß die Unklarheiten durch das Senatsconclusum vom 20. Dezember 1848 in Wirklichkeit eben nicht ausgeräumt, sondern höchstens nur verschleiert waren: Noch immer klaffte zwischen der "Feststellung" der neuen Verfassung und ihrer "Einführung" eine "Lücke, durch welche das ganze Verfassungswerk bequem hindurchfallen" 41 konnte. An dieser Tatsache konnte die Konstituante jetzt nicht mehr vorbeigehen - mochte ihr Verfassungsausschuß in seinem Bericht42 auch noch so nachdrücklich auf dem Rechtsbegriff einer konstituierenden Versammlung bestehen, der sich mit irgendeiner Beschränkung ihrer verfassunggebenden Kompetenz nicht vertrage, mochte er auch noch so viele auswärtige Verfassungen als Beispiel anführen, die in den Revolutionsjahren 1830/31 und 1848/49 entstanden seien und die sämtlich Übergangsbestimmungen enthielten, mochte er schließlich auch mit einer noch so zwingenden Logik auf die innere Notwendigkeit von transitorischen Verfügungen verweisen. Das Ganze aber war ja nicht nur ein formaljuristisches Problem, sondern vor allem auch eine politische Frage - eine Frage der bestehenden Machtverteilung, wie sie die Konstituante sah. So urteilte ihr Verfassungsausschuß: Die Auseinandersetzung um die Frage, wem die Einführung der neuen Verfassung und daher auch der Erlaß von Übergangsbestimmungen zustehe, sei 30 Vgl. Bericht des Verfassungsausschusses der Konstituante, Anm. 33 oben. -Offenbar will W. Gabe dem Eid eine über den Rat- und Bürgerschluß v. 7. Sept. 48 weit hinausgreifende Rechtsverbindlichkeit zuerkennen, indem der Eid die Konstituante gegenüber den alten Gewalten schlechthin "zum Gehorsam verpflichtet" habe. - Vgl. W. Gabe, Harnburg i. d. Bewegung v. 1848/49, S. 132. - Im Gegensatz zu Gabe können wir dem Eid als integrierendem Bestandteil des Rat- und Bürgerschlusses v. 7. Sept. 48 aber nur eine rein subsidiäre Bedeutung beimessen: Er verpflichtete die Konstituante also lediglich dazu, den Rat- und Bürgerschluß einzuhalten, nämlich die "verfassungsmäßige Wirksamkeit der bestehenden Gewalten" solange nicht anzutasten, als bis nicht das neue Verfassungswerk a) vollständig und definitiv festgestellt und b) eingeführt sei. Andere Verpflichtungen- etwa in Bezug auf Richtung und Ausmaß ihrer Reformtätigkeit-begründete der Eid für die Konstituante nicht. Im Gegenteil: Diese war ja durch den in Rede stehenden Rat- und Bürgerschluß ermächtigt, "die künftige ... Verfassung unabhängig von Rath und Bürgerschaft festzustellen", der Senat auf Grund seines Beschlusses v. 20. Dez. 48 verpflichtet, "seine desfallsigen Obliegenheiten" zur Einführung der neuen Verfassung zu erfüllen. Ein Verstoß des Senats gegen jene Ermächtigung oder/und gegen diese seine Verpflichtung mußte die Konstituante von ihrem Eid entbinden. ' 0 Vgl. seine Beschlüsse v. 23. Juni und 2. Juli 49, diese Arbeit oben S. 49 ff. 41 Vgl. Lüdemann, Verfassungskämpfe, S. 428. 41 Vgl. oben, Anm. 33.
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"ein Conflict, welchem vorzubeugen eben deshalb die heiligste Pflicht der constituirenden Versammlung ist, weil sie nicht die Gewalt besitzt, in einem solchen Conflicte den Sieg erringen zu können, oder sich auch nur auf einen Kampf einlassen zu dürfen" 43. Nur so ist es auch zu verstehen, daß die Konstituante in ihrer 58. Sitzung vom 10. Juli 1849 die Vorschläge ihres Verfassungsausschusses billigte und auf die Beibehaltung transitorischer Bestimmungen als integrierender Bestandteil ihres Verfassungswerks verzichtete, "um dieses auch gegen die entfernteste Möglichkeit eines Bedenkens vollständig sichergestellt zu wissen"44 • Einem ergänzenden Antrag ihres Präsidenten Dr. Baumeister gemäß entschied die Versammlung, ihren Verfassungsentwurf mit dem 11. Abschnitt abzuschließen. Damit war die zweite Lesung der "Verfassung des Freistaats Hamburg", sowie des "Hamburgischen Wahlgesetzes" beendet. Beide Kodifikationen wurden von der Versammlung am 11. Juli "definitiv festgestellt" 45 • Das Transitorium sollte durch ein besonderes Übergangsgesetz geregelt werden, dessen Verabschiedung sich freilich die Konstituante selbst vorbehielt46 • II. Die "Verfassung des Freistaats Hamburg" vom 11. Juli 1849 und die Mitteilungen des Senats vom 13. und 25. Juli 1849 Es leuchtet ein, daß der Konflikt zwischen Senat und konstituierender Versammlung damit noch keineswegs beigelegt war. Zwar mag man es schon als einen gewissen Erfolg des Senats betrachten, daß es ihm gelungen war, der Konstituante die Grenzen verdeutlicht zu haben, die ihrer Autonomie als Verfassunggeber durch die alten Gewalten gesetzt waren. Trotzdem aber beharrte ja die konstituierende Versammlung vorerst auf dem Erlaß von Übergangsbestimmungen aus eigenem Recht, wenn sie auch mit Rücksicht auf die vermeintlich bestehenden MachtEbd. Ebd. 45 Prot. d. konst. Vers., S. 417 ff. (Verfassung: insbes. S. 449; Wahlgesetz: insbes. S. 457), 59. Sitzg. v. 11. Juli 49 und Brief Baumeisters v. 11. Juli 49 Senat/innen 1 (16). 48 Dieses Übergangsgesetz hatte der Verfassungsausschuß entsprechend seinen Vorschlägen dem Plenum der Konstituante bereits am 4. Juli zusammen mit seinem Bericht über die Senatsconclusa v. 23. Juni und 2. Juli 49 vorgelegt. - Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 391 ff., 56. Sitzg. v. 4. Juli 49 - vgl. Text "Übergangsgesetz für die von der constituirenden Versammlung des Freistaates Harnburg beschlossene Verfassung. Entwurf des Verfassungsausschusses", Senat/innen 2 (7).- Die Beratung des Entwurfs wurde auf Antrag Baumeisters bis auf weiteres ausgesetzt. Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 402 f., 58. Sitzg. v. 10. Juli 49, Antrag Nr. 490. - Offenbar hat man aber von einer Beratung des Entwurfs überhaupt abgesehen, befand sich doch unter den organischen und transitorischen Gesetzen der Konstituante v. 31. Aug. 49 kein spezielles überleitungsgesetz. - Vgl. unten Anm. 281 auf S. 127. 43 44
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Verhältnisse einen anderen Weg wählte, um zum Ziele zu gelangen. Dieser Weg barg jedoch neue unabsehbare Schwierigkeiten. Ursprünglich nämlich hatte sich die Konstituante für die Aufnahme von Übergangsbestimmungen in ihr Verfassungswerk gerade deshalb entschieden, weil sie die langwierige Ausarbeitung und Verabschiedung der zahllosen Neben- und Folgegesetze, die ihre Verfassungsreform auf allen Gebieten der öffentlichen Ordnung erfordert hätte, umgehen wollte. Die Aufstellung dieser Neben-, Folge- oder "organischen" Gesetze sollte aus praktischen Gründen der nach neuer Ordnung gewählten und konstituierten Bürgerschaft überlassen bleiben47• Beabsichtigte die Konstituante aber jetzt, die Übergangsbestimmungen aus dem eigentlichen Staatsgrundgesetz auszugliedern, um es so "definitiv" festgestellt zu haben, bedurfte es zur Herstellung seiner Lebensfähigkeit eben auch jener organischen Gesetze. So gesehen war es dem Senat zum ersten Mal seit den stürmischen Herbsttagen des Revolutionsjahres 1848 gelungen, der Konstituante durch seine konsequente Politik der Einreden den Gang der Ereignisse vorzuschreiben. Dem Anschein nach hat sich die Versammlung von dieser Tatsache jedoch nicht weiter entmutigen lassen. Als Teil seines Antrags vom 10. Juli48 , der die Ausgliederung der Übergangsbestimmungen vorgesehen hatte, war auch Baumeisters Anregung einstimmig angenommen worden, dem Senat Verfassung49 und Wahlgesetz50 zu übergeben. Daran knüpfte sich die Aufforderung, die Wahlen nach Maßgabe des Wahlgesetzes auszuschreiben, so daß die neue Bürgerschaft am 1. September 1849 erstmalig zusammentreten könne51 • Bis zu diesem Termin wolle die Konstituante auch 41 Vgl. Bericht des Verfassungsausschusses oben S. 54 dieser Arbeit und Anm. 33 ebd. - Daß diese von der Konstituante geplante Vergehensweise auch auf Seiten des Senats ihre Freunde hatte, ergibt sich aus einer Aufzeichnung des Senatssekretärs Dr. Schwartze, Mitglied der Senatsverfassungskommission, aus der Zeit zwischen dem 13. und 31. August 49: Durch seine Zustimmung zu einer solchen übergangslösung hätte der Senat "alle Conflicte vermieden ..., indem die alten Behörden, bis die organischen Gesetze fertig, in ihrer Function verblieben und dann mit einem Mal abgetreten wä.rP.n. AnderersP.its, glaube ich, daß man sich damit von Seiten der Constituante begnügt haben würde, indem man in der Wahl der neuen Bürgerschaft die Garantie für das wirklich ins Leben treten der Verfassung gesehen hätte ..." - vgl. Senat/innen 2 (7]). 41 Vgl. Anm. 46 oben. 4' "Verfassung des Freistaats Hamburg. Beschlossen von der Constituirenden Versammlung am 11. Juli 1849." - Vgl. Text: Senatfinnen 1, Einlage von (16). 5' Der Entwurf eines "Hamburgischen Wahlgesetzes" war vom Plenum als einziges organisches Gesetz bereits am 11. Juli in 2. Lesung zusammen mit der Verfassung angenommen worden; vgl. Anm. 45 oben- vgl. Text: Senat/ innen 1, Einlage von (16). 51 Die Übergabe von Verfassung und Wahlgesetz- meint Hudtwalcker-
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"diejenigen organischen Gesetze beschlossen haben ... die zur Einführung der Verfassung zweckmäßig erscheinen" 52 •
Von dem Beschluß der konstituierenden Versammlung wurde der Senat durch Schreiben ihres Präsidenten am 12. Juli 1849 unterrichtet53• Gleichzeitig gingen ihm Verfassung und Wahlgesetz zu, die der Senat am 12. Juli an seine Verfassungskommission überwies54• Bereits am nächsten Tag erging die Antwort des Senats55• Er betätigte die bereits erwähnte "Zwickmühle", die ihm der Rat- und Bürgerschluß vom 7. September 1848 bot, und versuchte wieder, die Ansprüche der Konstituante mit Hilfe von juristischen Argumenten abzuweisen, wie sie bereits in seinem Conclusum vom 2. Juli enthalten warenw. Hatte er der Konstituante damals vorgehalten, sie sei weder zum Erlaß einer Übergangsregelung ermächtigt, noch könne die Verfassung - solange sie transitorische Bestimmungen enthalte - als definitiv festgestellt gelten, verlegte er sich jetzt auf den Einwand der mangelnden Vollständigkeit, an der das Verfassungswerk der Konstituante noch kranke. So erklärte der Senat: Aus dem Beschluß der konstituierenden Versammlung vom 10. Juli sei zu ersehen, "daß das dem Senate von derselben vorgelegte Verfassungswerk noch nicht vollendet ·i st, indem angenommen werden muß, daß die von der const. Vers. vorbehaltenen organischen Gesetze Theile der neuen Verfassung sein werden.
Eine Vereinbarung des Übergangs von der alten zur neuen Ordnung würden zwischen Rat und Bürgerschaft daher erst dann möglich sein, wenn das Verfassungswerk durch Vorlage der organischen Gesetze komplettiert sei. Auch dann erst seien Senat und Erbgesessene Bürgerschaft in der Lage, "den Termin für die Wahl und den Zusammentritt der neuen Bürgerschaft zu bestimmen"s7. sei von der Konstituante "sehr wohl berechnet" worden, "um den Senat zu entschiedenen Schritten zu nötigen". Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 31. 51 Vgl. Baumeisters Brief an den Senat v. 11. Juli 49: Senatfinnen 1 (16). 51 Der Brief Baumeisters v. 11. Juli erreichte den Senat erst am 12. d. M. u Vgl. Senat/innen 1 (15) - Schon am 12. Juli hatte der Senat beschlossen, bei passender Gelegenheit, "wiewohl getrennt von der Erwiderung an die constituirende Versammlung ... , ein Urteil ... über die Verfassung und deren am meisten bedenkliche und gefährliche Bestimmungen abzugeben". Die Kommission wurde beauftragt, "dies in Erwägung zu ziehen". - Vgl. Senat/ innen 1 (18). 55 Senatsbeschluß v. 13. Juli 49 vgl. Senat/innen 1 (20)& und (20)b. H Vgl. diese Arbeit oben S. 52. 57 Mit dieser letzten Bemerkung schlug der Senat der Konstituante übrigens auch das Recht ab, entsprechend ihrem Wahlgesetz diesen Termin auf den 1. September zu fixieren. - Allerdings setzte sich der Senat durch seinen Beschluß v. 13. Juli insofern in einen gewissen Widerspruch zu seiner bisherigen Argumentation, als er die Konstituante für den Erlaß von organischen
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Es zeigte sich indessen, daß die Konstituante nicht gewillt war, ein weiteres Mal auf die Argumentation des Senats einzugehen. Denn weder wurden von ihr die organischen Gesetze als integrierender Bestandteil des von ihr ausgearbeiteten Staatsgrundgesetzes gewollts8 , noch waren sie es als "nicht verfassungsfeste" Gebilde ihrer rechtlichen Qualität nach. Einem Beschluß der Versammlung vom 14. Juli gemäß 59 bezeichnete Baumeister in einem Schreiben an den Senat60 denn auch das Ratsconclusum "als unmotivirte Verzögerung der Einführung der neuen Verfassung" und wies "in Erwägung, daß die constituirende Versammlung ihre Pflicht theils bereits erfüllt hat, theils zu erfüllen bereit ist" die Verantwortung für diese Verzögerung allein dem Senat zu. Die Versammlung, so heißt es am Ende des Briefes, beharre auf ihrer Aufforderung vom 10. Juli. Gestützt auf die bereits bekannte Auslegung des Rat- und Bürgerschlusses vom 7. September 1848 erwies sich die innere Logik der Argumente, die der Senat der Konstituante entgegenhielt, freilich auch diesrnals als überlegen. So führte er in seinem Antwortschreiben vom 25. Juli 184961 aus: "Nach jenem Rath- und Bürgerschlusse ist die constituirende Versammlung nur berufen, die Verfassung festzustellen. Wenn sie nun bei der von ihr ausgearbeiteten ... Verfassung die Nachlieferung organischer Gesetze verheißt, so muß nothwendig vorausgesetzt werden, daß diese Gesetze wesentlich zur Verfassung gehören, indem ja sonst dieselben außerhalb der Competenz der constituirenden Versammlung Iiegen würden. Bevor aber das Verfassungswerk vollständig vorliegt, kann der Senat selbstverständlich keine Maaßregeln zur Einführung desselben verfügen, als namentlich auch nicht die . .. Bestimmung des Termins zur Wahl und zum Zusammentritt der neuen Bürgerschaft treffen. Dies ist umso einleuchtender, als sich vor Kenntniß der verheißenen organischen Gesetze der Umfang und die Art der zur Vermittlung des Übergangs . .. erforderlichen, von der bestehenden Legislativ-Gewalt [also Rat und Bürgerschaft] zu beliebenden Bestimmungen nicht ermessen läßt." Gesetzen - die von der Versammlung als Ersatz für die umstrittenen Übergangsbestimmungen gewollt wurden - als kompetent erachtete. " Vgl. oben S. 57 f. ae An diesem Tage war der Konstituante das Senatsconclusum v. 13. Juli ofiizieli mitgeteiit worden. - Der Beschluß der Versammlun!! ging zt:.rück auf den Antrag ihres Vizepräsidenten Versmann, der in namenU.icher Abstimmung mit der überwältigenden Mehrheit von 107 Ja- gegen 28 NeinStimmen (52 Abg. waren abwesend) angenommen wurde. - Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 467 f., 61. Sitzg. v. 18. Juli 49, Antrag Nr. 500. 60 Schreiben Baumeisters an den Senat v. 14. Juli 49 vgl. Senatfinnen 1 (24).
u Senat/innen 1 (30) - Das Schreiben geht auf einen Beschluß des Senats v. 23. Juli 49 zurück. - Oberalten erklärten ,ihre Zustimmung: Senat/innen 1 (31) und (27).
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Praktisch wiederholte der Senat damit die Einwände, die er schon in seiner Mitteilung vom 13. Juli gegen die Einführung der Konstituantenverfassung geltend gemacht hatte. Nicht anders sah es auf der Gegenseite aus: Der Beschluß der konstituierenden Versammlung vom 14. Juli war seinerseits bereits eine Wiederholung ihrer Entschließung vom 10. Juli gewesen. Die Auseinandersetzung um die Einführung der neuen Verfassung, die sich bislang in der Erörterung formeller Gesichtspunkte erschöpft hatte, war mithin auf einem toten Punkt angelangt.
B. Der Kampf um die Modifikation der Konstituanten-Verfassung vom 11. Juli 1848
I. Vorbereitungen 1. Der Senat und die öffentliche Meinung Es ist daher kein Zufall, daß Binder dem Senat in diesen letzten Julitagen einen Bericht der Verfassungskommission abstattete1, der eine entscheidende Wendung im Kampf gegen das Verfassungswerk der Konstituante signalisiert. Bislang hatte der Senat wie erwähnt - nur formelle Gesichtspunkte ins Feld geführt, um als Nahziel die Einführung der neuen Verfassung zu verzögern oder möglichst unauffällig zu verhindern. "Bedenken hins[ichtlich] vieler einz[elner] Puncte" in dem Verfassungswerk der Konstituante waren zwar schon sehr früh in der Senatskommission laut geworden2 • Trotzdem hatte man eine weitergehende materielle Diskussion über den Inhalt von Verfassung und Wahlgesetz im Plenum des Senats bisher zurückgeste1Jt3. Stattdessen hatte sich in der Öffentlichkeit eine solche Diskussion ergeben, vermutlich nicht ohne daß der Senat sie insgeheim angeregt oder gefördert hätte. Am 15. Juni- einen Tag also vor Beginn der zweiten Lesung- war der Konstituante eine "Erklärung hiesiger Bürger" zugegangen\ mit der sich etwa 2 200 Bürger gegen wesentliche Grundzüge des Verfassungsentwurfs der konstituierenden Versammlung verwahrten5• Am 16. Juli erhob die Commerzdeputation als das Organ der Hamburger Kaufmannschaft beim 1 Senat/innen 2 (10) Ein Datum weist der Bericht nicht auf, es läßt sich aber rekonstruieren: Binder nimmt auf ein Schreiben Banks' aus Berlin v. 25. Juli Bezug, das er als vom "25. d. M." zitiert. Binder muß sein Referat also zwischen dem 27. Juli - an diesem Tage konnte Banks' Schreiben frühestens in Harnburg eingetroffen sein - und dem 31. Juli verfaßt und gehalten haben. 1 Vgl. oben Anm. 11 auf Seite 50 dieser Arbeit (Sitzungsprotokoll der Verfassungskommission des Senats v. 20. Juni 49). 1 Vgl. etwa die Beschlüsse des Senats v. 20. Juni und 12. Juli 49: Senat/ innen 1 (6) und (19). ' Unteranlage Lit. A. zum Antrag des Senats an Erbg. Bürgerschaft, die Verfassungsangelegenheit betreffend, v. 27. Sept. 49: Senat/innen 3 (2). 3 Diese Eingabe wa;: freilich nur von den Angehörigen sozial gehobener Schichten unterschrieben worden, "meist Mitglieder des Patriotischen Vereins, Collegiumsmitglieder und deren Verwandte und Freunde, sowie Freunde von Senatoren und Mitglieder der Verwaltungsbehörden, ferner Börsenmänner, Erbgesessene, Geistliche, Lehrer, Älterleute usw." - vgl. Lüdemann, Verfassungskämpfe, S. 432.
B. Senatsmisere, Preußeneinmarsch und Verfall der Konstituante
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Senat ihre Bedenken gegen das Verfassungswerk'. Und fünf Tage später, am 21. Juli, bekundete schließlich das Ministerium, also die Hamburger Geistlichkeit, ihren Protest gegen gewisse Bestimmungen der Konstituantenverfassung7 • Allein der Senat selbst war mit seinen materiellen Einwänden bisher noch nicht an die Öffentlichkeit getreten8 . Er hatte ursprünglich geplant, eine entsprechende Erklärung bis zu jenem Rat- und Bürgerkonvent hinauszuschieben, auf dem Beschlüsse über die Einführung der neuen Verfassung und über die Gestaltung des Übergangs von der alten zur neuen Ordnung gefaßt werden sollten9 • Wenn Binder jetzt im Namen der Senatskommission von diesem Vorhaben abriet, waren vor allem folgende Gründe maßgebend: Der Senat müsse sich schon jetzt öffentlich erklären, um a) den Verdacht der "Billigung des neuen Verfassungswerks durch Stillschweigen zu beseitigen und [um] die eigene Ehre zu wahren", sowie um sich gegen den "Vorwurf einer bloßen Verschleppung der Sache" zur Wehr zu setzen; b) um seine Verpflichtung gegenüber der Bevölkerung einzulösen, "welche ein entschiedenes Recht darauf hat, die Ansicht der höchsten Behörde ... zu vernehmen"; c) um "pflichtgemäß" den Eingaben der Commerzdeputation und des Ministerii, "womit die Eingabe der 2 200 Bürger zu verbinden, ... Genüge zu leisten", indem er diese Eingaben "unverzüglich" an die Konstituante gelangen ließ, "wohin sie gehören". Binder bezeichnete die Abgabe einer solchen Erklärung als "den einzig offenstehenden Schritt", um der konstituierenden Versammlung Änderungen ihrer Juli-Verfassung durch "moralische Nöthigung" abzuringen, "mag die Erreichung dieser Zwecke auch noch so unwahrscheinlich seyn." Die Erklärung sei "möglichst zu beschleunigen, um die durch die Eingaben der Commerz-Deputation und des Ministerii bei einem großen Theile der Bevölkerung entstandene gute Stimmung zu nutzen1o. So gelegen der Stimmungsumschwung in begrenzten, aber maßgebenden Bereichen der öffentlichen Meinung dem Senat kommen mußte, so ' Vgl. Senatfinnen 1 (22). "Ergebenste Vorstellung abseiten der hiesigen Ministerii" v. 21. Juli 49 vgl. Senat/innen 1 (28). 8 Das "Sendschreiben an meine vielgeliebten Mitbürger von J . H. Bartels, Dr. als Privatmann und mit Stolz setzt er hinzu: als Bürger Hamburgs" (Harnburg im Juni 1849) unterzog das Treiben der Konstituante zwar einer gestrengen Kritik, muß aber - wie schon der Titel verrät - als ein privater Schritt des greisen Bürgermeisters angesehen werden.- Text vgl. Senatfinnen 2 (58). • Vgl. das Referat Binders. 10 Wollte man mit der Erklärung bis zu besagtem Rat- und Bürgerkonvent warten- so führte Binder weiter aus- "würde sie offenbar verspätet kommen. Dann bleibt nur noch ein Protest unter Beziehung auf das fruchtlos Geschehene [nämlich auf die dann lange zurückliegenden Eingaben] übrig." 1
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sicher ist auch anzunehmen, daß er selbst nicht unbeteiligt an der Herbeiführung jenes Umschwungs gewesen ist. Diese Vermutung ergibt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus folgenden Tatsachen: Zur Unterzeichnung jener Eingabe, der nachher etwa 2 200 Bürger beitraten, hatte ursprünglich eine Broschüre über die Hamburger Verfassungsfrage aufgerufen, die aus den Reihen des Patriotischen Vereins hervorgegangen war. Als Verfasser dieser Broschüre bezeichnet Syndikus Dr. Merck11 den Advokaten Dr. Carl Petersen, später Mitglied der Neuner-Kommission, der durch seine Freundschaft mit einigen Mitgliedern des Rats dem Senat auch persönlich sehr nahe stand 12. Die Eingabe selbst wurde von Dr. H. A. Heise verfaßt13 , ein Verwandter des Senatssekretärs Dr. Heise 14, Vizepräsident des Handelsgerichts, später ebenfalls Mitglied der Neuner-Kommission. Darüberhinaus lag eine enge personelle Verflechtung zwischen Senat und Commerzdeputation vor. Zum Kreis der Deputierten und Altadjungierten des Commerziums gehörten acht, also mehr als die Hälfte der 13 kaufmännischen Senatsmitglieder15, so daß auch hier eine gewisse Mitwirkung des Rats an der Erklärung der Commerzdeputation mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann16. 2. Die "Zusammenfassung der Bedenken des Senats" vom 3. August 1849
Wie innig die Übereinstimmung zwischen dem Senat und den petitionierenden Bevölkerungsgruppen war, ergibt sich aus Form und Inhalt seiner öffentlichen Erklärung, mit der er am 3. August 1849 zum ersten Mal auch materiell gegen die Konstituantenverfassung Stellung bezog. Binder hatte noch empfohlen, die Weitergabe der an den Rat adressier11
In einem Schreiben an Synd. Banks v. 9. Juni 49 -
12 U. a. war Petersen mit Kirchenpauer befreundet.
vgl. Senat/außen 17 c
Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 29. Dr. H. A. Heise war ein Vetter 1. Grades des Senatssekretärs Dr. Heise vgl. HGeschlB, Band 3, S. 280 bzw. 286. ts Mitglieder waren (1) Bürgermeister Benecke (ab 1813 Mitgl.), vgl. Baasch, Handelskammer, Band II, 2, S. 921 und (7) Senatoren: Spalding (ab 1828 Mitgl., 1832 Praeses, 1844-55 Altadjungierter), vgl. HGeschlB, Bd. 5, S. 63 f . - Sehröder (ab 1815 Mitgl.), vgl. Baasch, Handelskammer, Band II, 2, S. 921 - Eybe (ab 1802 Mitgl., 1808 Praeses), vgl. Goverts, Mitgliederliste, S. 69 Lutteroth-Legat (ab 1830 Mitgl., 1833-34 Praeses), vgl. Baasch, Handelskammer, Band II, 2, S. 923 - Büsch (ab 1838 Mitgl., 1841 Praeses), vgl. ebd., S. 924 - Rücker (ab 1842 Mitgl.), vgl. ebd., S. 925 und Geffcken (ab 1839 Mitgl., 1844 Praeses), vgl. ebd. 1e Diese Annahme wird noch gestützt von der Tatsache, daß sich das Kommerzium bisher prinzipiell aus den Verfassungskämpfen der Jahre 18421848 herausgehalten hatte und ausgerechnet jetzt - wie auf Bestellung zum ersten Male aus seiner Reserve heraustrat. Baasch konstatiert denn auch: Die Erklärung der Kommerz-Deputation sei dem Senat "natürlich sehr zur rechten Zeit" gekommen. - Vgl. Baasch, Handelskammer, Band II, 2, S. 640 ff. - insbes. S. 643. 1a 14
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ten Eingaben17 an die konstituierende Versammlung sollte nicht durch ein formelles Ratsconclusum, sondern nur unter Begleitung eines kurzen Schreibens, im übrigen aber separat erfolgen1s, denn "die Erklärung des Senats müsse als eine von allen anderen Einflüssen unabhängige erscheinen"le. Der Senat hingegen wollte jene Zusammenhänge offenbar nicht leugnen, um seiner Erklärung mehr Durchschlagskraft zu verleihen. In seiner "Zusammenfassung der Bedenken" vom 3. August 184920 finden sich denn auch sämtliche Einwände wieder, die Commerzium, Ministerium und die 2 200 Bürger gegen die Verfassung vom 11. Juli erhoben hatten, ein Umstand, der den Senat gleichsam als Sprecher weiter Bevölkerungskreise auswies und ihn auf einer quasi plebiszitären Basis zum Auftreten gegen die Konstituante zu ermächtigen schien21 • Gleichwohl stand der Senat nicht an, auch seine originäre Berechtigung für die materielle Prüfung des neuen Verfassungswerks zu behaupten, die er nicht nur in der "ihm anvertrauten Obhut und Sorge für das Wohl der Vaterstadt", sondern auch in seiner besonderen staatsmännischen Erfahrung zu finden glaubte. Generell wandte er sich gegen den vollständigen Bruch, den die neue Verfassung im Vergleich zur überkommenen Ordnung bedeute. Eine derart durchgreifende Umwälzung aber sei nicht nur angesichts der schwierigen Finanzlage, in der sich Harnburg seit dem Großen Brande befinde, kaum tragbar, - sie werde auch von "einer entschieden überwiegenden Zahl urtheilsfähiger Bürger" abgelehnt, die in der Konstituante übrigens nicht hinreichend vertreten seien22 • Dagegen aber bedürfe ein Handelsstaat von der Bedeutung Hamburgs "der Ruhe und der umsichtigen Fürsorge, die Kräfte müssen nicht durch innere Bewegungen verzehrt, sie müssen nach außen gewendet werden, 17 Des Kommerziums und des Ministerii; die Erklärung der 2 200 Bürger war dagegen an die Konstituante gerichtet, von dieser aber weder beantwortet, noch berücksichtigt worden. - Vgl. Patriot v. 1., 4. und 8. Juli 49. 18 Vgl. Binders Referat: Anm. 11 oben aufS. 64. 19 Ebd. Allerdings hatte Binder auch die Auffassung vertreten, der Gegengrund, "die Konstituante könne einen solchen Schritt ... als Wortbruch bezeichnen . . . müsse sehr unwesentlich erscheinen". 20 Vgl. Text: Senat/innen 1 (37) Mitgenehmigung durch Oberalten erfolgte nachträglich am 6. Aug. 49 - vgl. Senat/innen 1 (43). 21 Daß der Senat diese Wirkung beabsichtigt hatte, geht besonders aus den letzten Sätzen der "Bedenken" hervor: "Es sind hiernach, neben einer großen Anzahl hiesiger Bürger die Vertreter der Administration in allen ihren Zweigen, es sind die Vertreter der Kirche in ihrer Sorge für das geistige Wohl der Jugend, es sind die Vertreter des Handels als der Grundlage aller materiellen Wohlfahrt unseres Staates, welche ihre Stimmen gegen das Verfassungswerk erheben." 22 Diese Behauptung trifft keineswegs zu. Vgl. 1. Kap., Anm. 46, die Untersuchung von Vitzthum.
5 Bavendamm
ber Senat und das Erbe der Revolution um das Gedeihen des Handels zu fördern, . . . mit dem wir steigen oder fallen".
Der Senat vertraue darauf, daß die konstituierende Versammlung im Interesse einer "allseitigen Aussöhnung der Ansichten" die vorgebrachten Bedenken berücksichtigen und ihr Verfassungswerk einer Revision unterwerfen werden. Speziell formulierte der Senat seine Kritik in fünf Punkten: Die Konstituante möge 1. das von ihr entworfene allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht modifizieren; 2. die vorgesehene kurze Legislaturperiode der neuen Bürgerschaft verlängern und diese sich sukzessive erneuern lassen; 3. den künftigen Senat anders konzipieren und ihm mehr Macht beimessen; 4. die Bestimmungen hinsichtlich einer Revision ihrer Verfassung, sowie 5. hinsichtlich des Religionsunterrichts in den Schulen ändern23 • Seine Berufung auf eine in den maßgebenden Kreisen Hamburgs vorhandene Abneigung gegen die Konstituantenverfassung, sowie die Bemühung gleichsam übergesetzlicher Normen (Wohl und Wehe der Vaterstadt, allgemeines Handelsinteresse, höhere staatsmännische Weisheit des Senats usw.) können freilich nur als schwacher Versuch des Senats gewertet werden, seinem Vorgehen wenigstens den Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben. Hatte er sich anfangs in Bezug auf die Übergangsbestimmungen wenigstens noch auf den sehr zweideutigen Wortlaut, wenn schon nicht auf den Geist des Rat- und Bürgerschlusses vom 7. September 1848 berufen können24, war sein Standpunkt jetzt kaum noch haltbar. Deutlich gesprochen: Mit der Herausgabe seiner "Bedenken" stand der Senat im Begriff, den von ihm selbst im Herbst und Winter 1848 abgesteckten Bereich der Legalität zu verlassen und das der Konstituante einst gegebene Wort offenkundig zu brechen. Denn seine öffentliche Kritik an der neuen Verfassung, sowie die massive Aufforderung zu ihrer Revision im Sinne der "Bedenken des Senats" bedeuten ja in der Tat eine Beeinträchtigung der einzig eindeutigen Zusage, die man der konstituierenden Versammlung 1848 gegeben hatte"die künftige Harnburgische Verfassung unabhängig von Rath und Bürgerschaft festzustellen", [Hervorhebung vom Verf.] 11
Vgl. auch die Weisungen des Senats aufS. 162.
z4 Man erinnere sich: Die Konstituante hatte ja auch gerade deshalb auf die
Aufnahme von transitorischen Bestimmungen in ihr Verfassungswerk verzichtet, "um dieses auch gegen die entfernteste Möglichkeit eines Bedenken vollständig sicher gestellt zu w issen". Vgl. oben S. 57.
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worauf der Senat- in Erfüllung welcher "Obliegenheiten" auch immer -auf die Einführung der Konstituantenverfassung hinwirken wollte25• Es nimmt denn auch nicht Wunder, daß die Konstituante in ihrer 62. Sitzung vom 4. August beschloß26, die vom Senat gewünschte Revision ihrer Verfassung abzulehnen27• Die Verfassung sei in zwei Lesungen ordnungsgemäß und definitiv festgestellt, in Zukunft etwa notwendig werdende Abänderungen könnten ,.lediglich auf dem in dieser selbst vorgeschriebenen Wege ins Werk gerichtet werden".
Der Präsident der Versammlung, Baumeister, sowie die Abgeordneten Wiebel und Wolffson wurden beauftragt, eine verteidigende "Denkschrift über die Verfassung des Freistaates Harnburg vom 11. Juli 1849" zu entwerfen28 , auf die der Patriotische Verein mit seinen "Beiträgen zur Kritik der Denkschrift" alsbald antwortete29 • 25 Vgl. Rat- und Bürgerschluß v. 7. Sept. 48, Propositio in forma, S. 3 In der Literatur herrscht Streit sowohl darüber, welchen Teil des Rat- und Bürgerschlusses und des Senatsconclusi v. 20. Dez. 48 man denn als Versprechen des Senats betrachten könne, als auch darüber, wann und wodurch der Senat in der Zeit vom Juni bis zum August 1849 dieses Versprechen gegenüber der Konstituante gebrochen habe. - Vgl. Baasch, Geschichte Hamburgs, Band I. S. 97; Laufenberg, Arbeiterbewegung, Band I, S. 133; Reincke, Kämpfe, S. 162 und Gabe, Harnburg i. d. Bewegung v. 1848/49, S. 169 - Wie vom Verfasser ausgeführt - vgl. oben S. 52 f., insbes. S. 55 und Anm. 57 auf S. 59 - waren die Zusagen des Senats über seine Mitwirkung an der Einführung der Konstituantenverfassung bzw. die Voraussetzungen dafür seinerzeit so zweideutig gefaßt worden, daß die Beantwortung der Frage jeweils vom Standpunkt des Betrachters abhängen muß. Eindeutig nachweisen läßt sich ein ,.Wortbruch" des Senats u. E. allein an Hand seiner "Bedenken". Vgl. auch Binders Referat, in dieser Arbeit unten auf S. 62 ff., von Ende Juli, der im Zusammenhang mit der von der Senatskommission angeregten öffentlichen Kritik des Senats an der Konstituantenverfassung ebenfalls die Gefahr eines "Wortbruchs" entstehen sah. te Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 498. 27 Brief des Vizepräsidenten Versmann v. 8. Aug. (in Abwesenheit des Präsidenten) an den Senat in Beantwortung von dessen Mitteilung v. 3. Aug.: Senat/innen 1 (40).- In der 62. Sitzg. d. konst. Vers. v. 4. Aug. (vgl. die vorige Anmerkung) wurde der Antrag des Abg. Dr. Gallois (Antrag Nr. 507) auf Einsetzung eines Ausschusses von drei Personen angenommen. Dieser Ausschuß sollte unverzüglich über die "Bedenken" des Senats referieren. Gewählt wurden die Abg. Wiebel, Eden und Dr. Wolffson, die der Versammlung nach halbstündiger Beratung einen Antrag unterbreiteten, der - mit geringfügigen Änderungen versehen - zum Beschluß erhoben wurde und dem Brief Versmanns zugrunde liegt. (Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 499 f.) Ferner beschloß die Versammlung auf Antrag des Dreierausschusses, einen weiteren aus drei Personen bestehenden Ausschuß zu wählen, der eine Denkschrift zu entwerfen habe, "in der die von verschiedenen Behörden und Privatpersonen gegen die endgültig festgestellte Verfassung erhobenen Bedenken ihrem materiellen Inhalte nach gewürdigt werden". Auf Vorschlag des Abg. Eden wurden die Abg. Wiebel, Dr. Wolffson und Dr. Baumeister zu Mitgliedern dieses Ausschusses gewählt (Prot. d. konst. Vers., S. 500 f.). 28 Vgl. Kapsel: Verfassungsgeschichte 1849, Stück 8. 29 Ebd. Der vollständige Titel lautet "Beiträge zur Kritik der Denk-
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Der Senat und das Erbe der Revolution II. Bedingungen 1. Macht und Ohnmacht des Senats das Hudtwalcker-Memorandum vom 8. August 1849
Wie aber stand es um die Macht des Senats? Während die konstituierende Versammlung bereits Vorbereitungen traf, "die erforderlichen Maaßregeln zur Vornahme der Wahlen zu ergreifen"30, und der Verfassungskonflikt damit einer Machtprobe entgegentrieb, herrschte im Senat weitgehend Unschlüssigkeit darüber, wie man eine weitere Zuspitzung der Lage verhindern könne. Federführend für die Überlegungen, die man anstellte, war Senator Dr. Hudtwalcker, damals Präsident des Obergerichts und ehemaliger Polizeiherr der Stadt. Er legte der Großen Senatskommission am 8. August ein Memorandum "zur Erwägung" vor3 t, das alle irgend beachtenswerten Gesichtspunkte zusammenfaßte. Nach der Lektüre dieses Memorandums wird man nicht behaupten können, der Senat habe seine Lage verkannt. Hudtwalcker bezeichnete diese Lage kurz und bündig als "eine desparate". Der Senat sei nun einmal an den Rat- und Bürgerschluß vom 7. September, sowie an sein Conclusum vom 20. Dezember 1848 gebunden. Nachdem aber der von ihm vorgeschlagene "Weg der Verständigung" vonseiten der Konstituante abgelehnt worden sei, bleibe nur noch eine Alternative offen: Entweder steuere der Senat einen Kollisionskurs und lasse es auf einen u U. gewaltsamen Zusammenstoß mit der Versammlung ankommen, oder er versuche "die Sache (gemeint ist die Konstituantenverfassung], ohne wortbrüchig zu werden, in der Ausführung zu mildern". In ersterem Falle müsse der Senat unter Berufung auf sein Gewissen erklären, daß er das neue Verfassungswerk nicht einzuführen gedenke, und zwecks Revision desselben in Verhandlungen mit Erbgesessener Bürgerschaft eintreten. Der zweite mögliche Weg sei nicht zu verwechseln mit der Anwendung einer Verzögerungstaktik32• Vielmehr müsse sich der Senat in diesem Falle alsbald schrift über die Verfassung des Freistaats Harnburg vom 11. Juli 1849. Veröffentlicht vom Vorstande des Patriotischen Vereins, Harnburg 1849." - Die Verfasser waren Dr. Knauth, Dr. H. A. Heise und Ami de Chapeaurouge. Vgl. Lüdemann, Verfassungskämpfe, S. 439 ff. - Am 11. August erhielten die Bedenken des Senats Beifall durch eine Adresse von 2 600 Bürgern. - Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 35. 30 Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 496, 62. Sitzg. v. 4. Aug., Antrag des Abg. Löwe und Genossen (Antrag Nr. 503) - Am 3. August war bereits ein Anschlag erschienen, "durch den eine erste allgemeine öffentliche Wahlversammlung auf ... den 5. August in der Tonhalle zusammenberufen ward". - Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 34. 31 Senat/innen 1 (45). 32 "Dies würde ich für unpolitisch und unreell halten", bemerkt Hudtwalcker.- Vgl. ebd.
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"mit Anträgen auf transitorische Verfügungen an die Bürgerschaft" wenden unter der stillschweigenden Voraussetzung, "daß die Verfassung eingeführt werden müßte ... , nachdem er das Seinige gethan hat". Hudtwalcker ließ keinen Zweifel daran, daß er für diese flexible Prozedur optierte, die er "für den den Pflichten und der Ehre des Senat angemessensten" hielt, "wobei man denn die Chance hätte, günstige Ereignisse abzuwarten und benutzen zu können" und an dessen Ende wohlmöglich "die Wahlen zur neuen Bürgerschaft besser ausfielen, als es augenblicklich zu erwarten steht". Der Senat werde dann mit einer entsprechend zusammengesetzten Bürgerschaft "selbst Modificationen der [Konstituanten-]Verfassung herbeiführen, ohne daß eine so heftige Opposition zu fürchten wäre". Gegen einen Kollisionskurs spreche vor allem die Befürchtung, daß die der Konstituante nahestehenden Kreise, sowie die politischen Klubs "jede Art der Agitation anwenden, um Gewaltschritte herbeizuführen", wobei es evident sei, "daß der Senat den Kürzeren ziehen würde ... Staatsstreiche dieser Art können nur dann von Regierungen ausgeführt werden, wenn ihnen entweder eine zuverlässige und ausreichende bewaffnete Macht oder eine starke Parthei zu Gebote steht". Beides sei aber nicht der Fall. Zwar stünde das angesehene und gebildete Bürgertum hinter dem Senat, aber erfahrungsgemäß sei nicht mit ihm zu rechnen, "wenn wirklich gehandelt werden soll" 33• Schlimmer noch - weder stelle die Polizei eine Macht dar, noch könne man sich auf das Bürgermilitär verlassen, wenn der Senat im Falle seiner Weigerung, die Konstituanten-Verfassung überhaupt einzuführen, "formell offenbar unrecht hat, und wenn das unausbleibliche Vorgeben der radicalen Parthei, daß der Senat nur darum so handele, weil sein eigenes persönliches Interesse und das der angesehenen Classen ... durch die neue Verfassung verletzt werde, den Agitationen einen erheblichen moralischen Druck geben würde.. . . Man wird dabei den Trost haben, der bisher noch allen Revolutionairs abging, daß man das Recht auf seiner Seite habe". Das Memorandum Hudtwalckers enthüllt eine Tatsache, die bisher weithin übersehen worden ist. Zwar führt schon Lappenberg34 als einen der Gründe für die Einwilligung des Senats in die Einberufung einer konstituierenden Versammlung 1848 den Umstand an, daß "die polizeiliche Ordnung der Stadt [1848] ... bei der unerwarteten Unzuverlässigkeit eines Theils des Bürgermilitairs und bei der Abwesenheit des ... harnburgischen Contingents nicht aufrecht erhalten werden konnte". 33 So hatte schon Syndikus Merck geklagt, als es darum ging, daß sich das gehobene Bürgerturn recht zahlreich an der Unterzeichnung der "Erklärung hiesiger Bürger" beteiligen sollte - vgl. 2. Kap., S. 62 - indem er an Banks schrieb: "Es bewährt sich auch hier wieder die Indolenz der Conservativen, die gewaltig klagen, sich aber nicht einmal zu einem so kleinen Opfer entschließen können." Brief Mercks an Banks v. 9. Juni 49, vgl. Senat/außen 17 c. ac Vgl. Lappenberg, Verfassung und Handel, S. 316.
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Bislang aber war man geneigt, anzunehmen35, die allgemeine Revolutionswelle sei im August 1849 nicht nur in Deutschland, sondern auch in Harnburg so weit abgeebbt, der positive Stimmungsumschwung in der Hansestadt sei so weitgreifend gewesen, daß der Senat unmittelbar nichts mehr habe befürchten müssen. Nicht nur aus dem angeführten Memorandum Hudtwalckers, sondern auch aus zahllosen Äußerungen anderer Senatsmitglieder ergibt sich jedoch: Der Rat rechnete jederzeit bis weit in den Sommer des Jahres 49 hinein mit dem Ausbruch von revolutionären Gewalttätigkeiten, denen er sich nicht gewachsen fühlte 36• Allerdings hatte Syndikus Merck schon früher gegenüber Syndikus Banks erklärt: "Ich würde selbst einen ernsthaften Zusammenstoß für kein so großes Unglück halten ... Ich setze immer voraus, daß Preußen und Hannover uns nicht im Stiche lassen werden. Mir scheint, alle größeren Regierungen in unserer Nähe hätten ein Interesse dabei, daß hier nicht ein Sammelplatz aller verderbten democratischen Elemente legal geschaffen werde37." Als es dann am 13. August wirklich zu den bekannten Tumultszenen kam, mochte der Senat alle seine schlimmen Ahnungen bestätigt sehen. Es zeigte sich überdies aber auch, daß Merck mit seiner Vermutung Recht behalten sollte: Preußen zeigte sich in der Tat nicht länger uninteressiert an den Vorgängen in der Hansestadt. 2. Die Tumulte vom 13./14. August 1849 und der Preußen-Einmarsch Umsturzversuch oder Konterrevolution?
Am 10. Juli hatten Dänemark und Preußen in Berlin erneut einen Waffenstillstand in der schleswig-holsteinischen Frage geschlossen. Das
s.
35
Vgl. Reincke, Kämpfe, S. 161 und Baasch, Geschichte Hamburgs, Band I,
97.
38 So Syndikus Merck an Banks am 11. Mai 49: "Der Himmel gebe nur, daß es nicht zu bösen Conflicten komme, denn es fehlen uns alle Mittel der Abwehr."- Senat/außen 17 c - Am 22. Juni 49 schrieb Merck an Banks: "Fast alle Disziplin im Bürger Militair ist untergraben, man hat in allen Bataillonen die höheren Offiziere verhöhnt und ... die Constituante hochleben lassen." - Vgl. ebd. - Am 24. Juni 49 klagte Marck gegenüber Banks: "Wir leben jetzt wieder ganz unter dem Terrorismus der Massen, denen wir, wenn selbst das Bürger Militair nicht standhält, erliegen müßten ..." - vgl. ebd. Und Merck schrieb am 26. Juni 49 an Banks: "Unserer Polizey fehlt es leider an aller Energie, sie nimmt jeden Vorwand wahr, um sich nur von activen Schritten freizumachen ... es ist also auch nichts mehr mit den Unterbeamten anzufangen, die sich natürlich der aufgehenden Sonne zuwenden." - vgl. ebd. - Am 14. Juli huldigte eine Versammlung der Bürgerwehr-Männer Hamburgs der neuen Verfassung und versprach für diese "mit Gut und Blut" einzustehen. - Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 461 f., 61. Sitzg. v. 18. Juli 49 vgl. auch Hudtwalckers Bemerkung in seinen Memoiren, 1849, über die aufhetzenden Reden, die noch Ende Juli/Anfang August in der Konstituante geführt worden seien. Vgl. oben Anm. 26 aufS. 67. 37 Senat/außen 17 c, Merck an Banks am 20. Jun1 49. (Banks weilte zu die-
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Ereignis erregte in Harnburg "allgemeines Mißfallen" 38• Einige Abteilungen der Reichstruppen wählten beim Rückzug aus den Herzogtümern eine Marschroute, die sie über Harnburg führte. Am 5. August passierten ein Bataillon Anhalt-Köthen-Bernburger und ein Bataillon AnhaltDessauer die Stadt. Sie blieben dort jeweils nur einen Tag. Am 6. August folgte ein Bataillon Waldecker, das sich drei Tage in der Stadt aufhielt38• Truppeneinquartierungen- so kann man folgern- waren für die Hamburger in den ersten Augusttagen des Jahres 1849 also ein bekanntes Alltagsereignis, das sie ohne Widerstand über sich ergehen ließen40 • Und doch kam es zu Tumulten, als am 13. August das zweite Bataillon des königlich-preußischen 15. Infanterie-Regiments von Altona her über St. Pauli in die Stadt einzog41 • Die Soldaten sollten in Harnburg übernachten und am nächsten oder darauffolgenden Tag weitermarschieren. Auf dem Weg zu ihrem Quartier wurden die Preußen jedoch von der zusammengelaufenen Menge belästigt und bedroht. Die besonnene Haltung des preußischen Majors Poser, der das Kommando führte, und die Disziplin seiner Leute verhinderten indessen ernste Exzesse42 • Irrtümlicherweise wurde auf Grund der Krawalle dann in der Nacht zum 14. August der sogenannte "Generalmarsch" geschlagen, worauf sich die einzelnen Abteilungen des Bürgermilitärs versammelten, nicht aber wieder auseinandergingen, als ihre Führer sie dazu aufforderten. Erst jetzt kam es zu wirklich bedenklichen Zwischenfällen, als mehrere Bürgergardisten dazu übergingen, Waffengeschäfte zu plündern, Munition an sich zu bringen und sich verschiedentlich wilde Schießereien sem Zeitpunkt noch in Frankfurt.) Danach bereitete der Senat sein Conclusum v. 23. Juni vor, mit dem er zum ersten Mal seit ihrer Einsetzung der Konstituante entgegentrat und das die Möglichkeit eines ernsthaften Konflikts mit den demokratischen Kreisen der Stadt heraufbeschwor. - Vgl. diese Arbeit oben S. 51. 38 Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 36. at Vgl. Senatfinnen 12. co Schon im März/April des gleichen Jahres war Harnburg von Truppenbewegungen erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden, als Bundestruppen zum Schutz der Herzogtümer gegen Dänemark aufmarschierten. - Vgl. die vorige Anmerkung. - Auf die schleswig-holsteinische Angelegenheit können wir im Rahmen dieser Arbeit naturgemäß nicht eingehen, hat sie doch auf die Entwicklung der hamburgischen Verfassungsfrage keinen unmittelbaren Einfluß genommen. u Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 35 f. - Wir beziehen uns - soweit angebracht - im folgenden wesentlich auf Hudtwalckers Aufzeichnungen. Hudtwalcker gehörte nämlich als Referent jener Kommission an, die der Senat am 14. August zur Untersuchung der Vorfälle einsetzte und die dem Senat am 29. Oktober 49 ihren Bericht abstattete. cz Das preußische Militär habe sich "nach den Aussagen vieler Zeugen ... überaus maßvoll" verhalten, stellt Hudtwalcker fest. Selbst die Volkspresse habe "die große Mäßigung des Major Poser und das gesittete und artige Benehmen auch der späteren Besatzung" gelobt. - Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, s. 37.
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ereigneten. Darauf wurde die Stadt am 17. August mit 10 000 preußischen Soldaten belegt. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die häufig beschriebenen Ereignisse vom 13./14. August hier noch einmal nachzuzeichnen und die Maßnahmen zu schildern, die der Senat ergriff, um die Schuldigen ihrer Bestrafung zuzuführen43 • Im Zusammenhang unserer Arbeit interessieren uns lediglich zwei Fragen: Bestehen Anhaltspunkte dafür oder läßt sich gar der Beweis führen, daß die Tumulte oder der preußische Einmarsch von irgendeiner Seite absichtlich herbeigeführt wurden, 1. sei es, daß der Senat die Preußen herbeigerufen hatte, um der Konstituante - gestützt auf fremde Bajonette - Paroli bieten zu können, 2. sei es, daß demokratische Kreise Hamburgs den Einmarsch des preußischen Bataillons als Vorwand für Unruhen mit dem Ziel einer allgemeinen Volkserhebung nutzen wollten. Die zweite Frage beantwortet Senator Hudtwalcker bündig in seinen Memoiren44, indem er sie auf Grund der amtlichen Untersuchungen, an denen er selbst beteiligt war, "entschieden verneint". Er nimmt zwar an, "daß in einzelnen Vereinen ... schon längst Vorbereitungen getroffen waren, um falls nöthig der democrathischen Partbei mit bewaffneter Hand zu Hülfe zu kommen, wie denn auch die böswillige Presse fortwährend schürte; aber auf den Einmarsch der Preußen scheint man nicht gerüstet gewesen und als derselbe erfolgte, zu einem Entschlusse nicht gelangt zu seyn". Die Sinnfälligkeit der ersten Frage ergibt sich ohne weiteres aus der Tatsache - die u. a. auch Hudtwalcker verzeichnet45 - , daß schon vor dem 13. August 1849 in Harnburg Gerüchte umgelaufen waren, preußische Truppen würden "nach einer geheimen Übereinkunft mit dem Senat" Harnburg besetzen "und demselben bei der Lösung des Conflicts über die von der constituirenden Versammlung entworfene Verfassung hülfreiche Hand leisten". Genährt wurde der aufgekommene Verdacht noch durch einige Ungeschicklichkeiten, die sich der Senat bei Einmarsch des preußischen Bataillons hatte zu Schulden kommen lassen48 • Vor allem aber sprach wenigstens in den Augen der Konstituante und ihrer Anhänger das seit 43 Vgl. Baasch, Geschichte Hamburgs, Band I, S. 109 ff.; vgl. Laufenberg, Arbeiterbewegung, Band I, S. 146; Reincke, Kämpfe, S. 162 f.; HudtwalckerMemoiren, 1849, S. 35 ff.- Vor allem aber Senatjaußen 16. " Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 43. u Vgl. ebd., S. 38. 48 Obwohl der Senat um jene Gerüchte ganz offenbar wußte und obwohl er sich über die Sympathien nicht täuschen konnte, die breite Schichten der hamburgischen Bevölkerung den Schleswig-Holsteinern entgegenbrachten und
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dem 26. Mai 1849 bestehende Dreikönigsbündnis, dem der Senat just am 14. August beigetreten war, für eine möglicherweise geheim getroffene Absprache mit der preußischen Regierung. Es liegt auf der Hand, daß angesichts der reaktionären Tendenz, die dem Bündnis innewohnte, gerade die konservativen Kreise für einen Beitritt Hamburgs eintraten. Das war schon am 8. Juni deutlich geworden, als der Vorstand des Patriotischen Vereins den Senat durch eine Supplik aufforderte, "den Anschluß an die von Preußen, Hannover und Sachsen entworfene Verfassung in nächster Bürgerschaft in Vorschlag zu bringen" 47•
Daß ein solcher Anschluß aber nicht nur einen außenpolitischen Gleichklang mit Preußen implizierte, sondern auch unmittelbare Rückwirkungen auf die Gestaltung der Hamburger Verfassungsverhältnisse haben mußte, das war aus dem proklamierten Zweck des Bündnisses vom 26. Mai unschwer abzulesen48 • Bevor daher die Beantwortung der oben gestellten Frage49 möglich sein wird, bedarf es zunächst der Klärung von zwei übergreifenden Fragen: a) Welche Rolle hat die Stellung Hamburgs als Mitglied des Deutschen Reiches50 in den Überlegungen gespielt, die der Senat zur Lösung des städtischen Verfassungskonflikts anstellte? Darauf folgt schließlich die zweite Vorfrage: b) Hat es Zusammenhänge zwischen dem Hamburger Beitritt zum Dreikönigsbündnis, dem preußischen Truppeneinmarsch und der Hamburger Verfassungsfrage gegeben? a) Die Pläne des Senats für eine Einschaltung der Reichsgewalt in den Hamburger Verfassungskonflikt gemäß Reichsverfassung vom 28. März 1849
Außenpolitischen Konflikten und inneren Unruhen hatte der Senat von Anfang an vorbeugen wollen - wahrscheinlich, wie die Akten zeidie den Preußen ein entsprechendes Quantum an Antipathien einbringen mußten, hatte er es beispielsweise nicht für nötig gehalten, die Ankunft des preußischen Militärs vorher öffentlich bekannt zu machen. - Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 46 - Allerdings entsprach die Bekanntgabe bloßer Durchmärsche fremder Truppen auch nicht der damals üblichen Praxis, wenn auch die besonderen Zeitumstände ein Abgehen von der bisherigen Praxis füglieh nahegelegt hätten. 47 Vgl. ebd., S. 25. 48 Die Zwecke waren: I. Schutz gegen jede "unrechtliche Gewalt" (Art. 2), II. Gewährung einer Verfassung (Art. 4), III. Bildung eines Schiedsgerichts (Art. 5). Schließlich verpflichtete sich Preußen, seinen Schutz jedem Verbündeten stets und vollständig zu leisten. Eben deshalb hatten die politischen Vereine nach dem Erscheinen der Supplik des Patriotischen Vereins eine scharfe Opposition gegen einen eventuellen Beitr.itt Hamburgs zum Drei-
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gen, sowohl aus einem besonders ausgeprägten Treuebewußtsein gegenüber der bestehenden Reichsverfassung51 , als auch aus der in Harnburg üblichen Sorge um die außenpolitische Selbständigkeit der Hansestadt, die allein schon aus kommerziellen Gründen geboten schien. Gleichwohl hatte die große Senatskommission zu einem sehr frühen Zeitpunkt des städtischen Verfassungskonflikts, nämlich in ihrer Sitzung52 vom 20. Juni erwogen, mit Hilfe der "Verfassung des Deutschen Reiches", wie sie die Nationalversammlung verabschiedet hatte, gegen das Werk der Konstituante vorzugehen. Für diese Idee trat besonders Binder ein. Eine Handhabe konnten hier die §§ 193 und 195 bieten53• Der § 193 hielt die Einzelstaaten an, die Verpflichtung ihrer Bürger auf die Landesverfassung mit ihrer Verpflichtung auf die Reichsverfassung zu verbinden, womit diese auch für den einzelnen unmittelbar geltendes Recht werden sollte. Unter dieser Voraussetzung statuierte § 195, daß die Änderung der Regierungsform in einem Einzelstaate nur mit Zustimmung der Reichsgewalt erfolgen dürfe. Eine Abänderung der Regierungsform aber "von einer Art ... Wahlaristocratie ... in eine reine Democratie", sowie die "Veränderung der Lebenslänglichkelt der Senatsmitglieder in eine kurze Zeitda uer" 54 wurde mit dem Verfassungsentwurf der Konstituante geradezu bezweckt. Binder schlug denn auch am 20. Juni vor "die neue Verfassung [die bislang ja nur im Entwurf vorlag] vor Annahme derselben durch die konstituierende Versammlung nach Maßgabe § 195 der Reichsverfassung an den Reichsverweser gelangen zu lassen und bei Erbg. Bürgerschaft auf Mitgenehmigung dieses Schrittes anzutragen". königsbündnis entfaltet. - Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 25. •• Vgl. diese Arbeit oben S. 72, Frage 1). 50 Nach Maßgabe der "Verfassung des Deutschen Reiches" v. 28. März 1849, wie sie vom Senat am 28. April in Harnburg publiziert worden war. - Vgl. Lappenberg, Verordnungen, Band 21, S. 392-453. st Vgl. die vorige Anmerkung. 52 Vgl. Sitzungsprotokoll der Senatsverfassungskommission v. 20. Juni. Diese Sitzung diente der Vorbereitung des Beschlusses v. 23. Juni, mit dem der Senat der Konstituante erstmals entgegengetreten war. - Vgl. oben Anm. 11 und Text auf S. 50 ff. 18 RV v. 28. März 49, Abschnitt VII "Die Gewähr der Verfassung", Art. I, § 193 und Art. Il, § 195. - § 193 besagte: "Die Verpflichtung auf die Reichsverfassung wird in den Einzelstaaten mit der Verpflichtung auf die Landesverfassung verbunden und dieser vorausgesetzt." - § 195 lautete: "Eine Änderung der Regierungsform in einem Einzelstaate kann nur mit Zustimmung der Reichsgewalt erfolgen. Diese Zustimmung muß in den für Änderungen der Reichsverfassung vorgeschriebenen Formen gegeben werden." st Sitzungsprotokoll der Verfassungskommission des Senats v. 20. Juni 49 vgl. Anm. 11 auf S. 50. - Tatsächlich ersetzte bereits der Juni-Entwurf des Verfassungsausschusses der Konstituante das Prinzip der Erbgesessenheft durch den Grundsatz allgemeiner, gleicher, direkter und geheimer Wahlen und änder te die Lebenslänglichkelt des Senats in eine auf sechs Jahre befristete Amtsperiode um.
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Doch beschloß die Kommission55, "in dieser Hinsicht für jetzt nichts zu thun" und sich entsprechend€! Schritte "ev[entuell] vorzubehalten nach den späteren Umständen". Die Gründe, die die Kommissionsmehrheit bestimmten, von Binders Anregung Abstand zu nehmen, lassen sich aus dessen Aufzeichnungen unschwer ablesen56• Offenbar wollte die Majorität dem § 195 RV nur eine engere Auslegung geben, nach der allein "die Reichsgewalt ... ex officio einschreiten dürfe", nach der aber das eigenmächtige Beistandsersuchen einer selbst betroffenen Regierung nicht zulässig sei. Eine solche Vergehensweise könnte zudem, so wurde von der Mehrheit befürchtet, "als eine Art Verletzung des vom Senat der Constituante gegebenen Wortes angesehen werden". Schließlich sei auch zu bezweifeln, ob es in Harnburg überhaupt noch eine Staatsgewalt gebe, die zu so einem Schritt in der Lage sei. Von allen Einwänden war der letzte fraglos der interessanteste, wenn auch mit Gewißheit nicht der ausschlaggebende. Zwar tat ihn Binder mit der Bemerkung ab, eine Staatsgewalt existiere in Harnburg noch in dem Maße, wie sie in der letzten Zeit Lebenszeichen von sich gegeben habe. Im Grunde aber gingen offenbar beide Lager in der Verfassungskommission - mochten sie nun für oder gegen einen Appell an die Reichsgewalt sein- von ein und derselben Voraussetzung aus: Sie alle schätzten die Fronten zwischen Senat und Konstituante als mittlererweile so verhärtet, dagegen aber Position und Energiereserven des Senats als so verbraucht ein, daß sie ihm eine Lösung des städtischen Verfassungskonflikts aus eigener Kraft nicht mehr zutrauen wollten. Verschieden waren nur die Schlußfolgerungen, die man aus dieser Ansicht zog: Eine Gruppe um Binder wollte den Appell an die Reichsgewalt unter Mitgenehmigung durch Erbg. Bürgerschaft gerade deshalb auf jeden Fall wagen. Eine andere Gruppe - nämlich die Mehrheit der Verfassungskommission- befand den Senat als zu schwach, selbst diesen Schritt mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen durchzustehen. Entscheidend für die ablehnende Meinung der Kommissionsmehrheit aber wird die außenpolitische Erwägung gewesen sein, daß die rapide verfallenden Frankfurter Zentralinstanzen kaum noch in der Lage waren- wenn überhaupt- wirksam im Hamburger Verfassungskonflikt 55 Am 12. Juli also sehr V:iel später und unter wesentlich gewandelten Umständen - trug Binder sein Anliegen sogar dem Senatsplenum vor, welches höflich beschloß, von diesem Vorschlag "wenigstens für jetzt zu abstrahiren." - Vgl. Senatfinnen 1 (18) - vgl. die veränderten Umstände: diese Arbeit unten S. 89 ff. " Senatfinnen 1 (17).
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zu intervenieren. Zudem war der Senat bereits in Vorverhandlungen über einen Beitritt zum Dreikönigsbündnis eingetreten57, wovon er sich mehr versprechen mochte. b) Bundespolitik und VerfassungskampfHamburgs Beitritt zum Dreikönigsbündnis
a) Reichsverfassung oder preußischer Verfassungsentwurf?
Um allerdings die Rolle ganz ermessen zu können, die die Frage nach Hamburgs Beitritt zum Dreikönigsbündnis in den Überlegungen des Senats spielte, müssen wir etwas weiter ausholen. Jene Frage schwebte nämlich im Grunde schon seit dem 1. Mai 1849. An diesem Tage überreichte der preußische Generalkonsul in Hamburg, O'swald, dem Senat eine Zirkularnote der preußischen Regierung. Sie richtete sich an alle deutschen Regierungen58 und forderte sie auf, "sich zur Berathung der in der deutschen Verfassungs-Angelegenheit erforderlicher Schritte durch Absendung von Bevollmächtigten nach Berlin zu wenden". Die Note war die Konsequenz einer Erklärung, die das Kabinett Brandenburg am 21. April vor der Zweiten Preußischen Kammer abgegeben hatte58 • Mit dieser Erklärung bekundete Preußen, daß "die von der Nationalversammlung in Frankfurt/M beschlossene Verfassung preußischerseits nicht einfach angenommen wird, sondern solche nur nach Vereinbarungen mit den Regierungen ... anzunehmen sein wird". Vor Preußen hatten sich freilich 28 deutsche Staaten, zu denen auch Hamburg, Lübeck und Bremen gehörten, gerade entgegengesetzt entschieden: Ihre Bevollmächtigten waren am 14. April in Frankfurt einer gemeinsamen Note beigetreten, mit der sie die Reichsverfassung der Nationalversammlung vom 28. März ohne weitere Vorbehalte annahmen. Mit Recht wollte daher jetzt, Anfang Mai, "eine bedeutende Minorität des Hamburger Senats ... unter Berufung auf die Erklärung der 28 Regierungen, mit welcher ein Eingehen auf den preußischen Vorschlag durchaus unvereinbar sey, gleich ganz ablehnend antworten". Unter der umsichtigen Anleitung von Syndikus Dr. Merck, im Senat für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig, urteilte eine knappe Mehrheit jedoch realistisch genug, von einer derartigen Antwort Abstand zu nehmen, Vgl. unten S. 79 ff. dieser Arbeit. Die Note war datiert vom 28. April - vgl. Senat/außen 3 (3) u. (4). 50 Vgl. ebd., (2) Dem Senat wurde die Erklärung bekanntgemacht durch eine Note, die O'swald dem Senat am 27. April übergeben hatte.- Vgl. ebd., 17 58
(1).
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"um Zeit zu einer weiteren Beantwortung zu finden und nach Umständen -gar nicht zu antworten"eo. Wenn der Senat zunächst den Anregungen Mercks folgte und vorerst hinhaltend taktierte, leiteten ihn vor allem zwei Motive: Erstens hielt Merck den von Preußen gewünschten Kongreß aller deutschen Regierungen, auf dem über die weitere Behandlung der deutschen Verfassungsangelegenheit beraten werden sollte, "in diesem Augenblick für ein verfehlte ... Maaßregel ..." Und skeptisch fügte Merck hinzu: "Hoffentlich hat man in Preußen seine Kräfte nicht überschätzt ..." Zweitens wollte man - bevor man sich in Harnburg positiv oder negativ festlegte- erfahren, wie sich die 27 Mitunterzeichner der Note vom 14. April zu verhalten gedachten. Deshalb setzte sich Merck gleich in den ersten Maitagen mit seinen "Kollegen" in Lübeck und Bremen in Verbindung, wo Syndikus Curtius bzw. Bürgermeister Smidt für die außenpolitischen Belange ihrer Städte verantwortlich zeichneten. Auch hier war man zum gleichen Ergebnis gekommen. So schrieb Bürgermeister Smidt am 5. Mai61 : "Müßten wir uns sofort gegen Preußen erklären, so stimme ich mit Ihnen überein, daß dieses, unter Beifügung: rebus sie stantibus, nur ablehnend geschehen könnte ... Unter diesen Umständen bleibt uns Städten ... für den Augenblick kaum etwas anderes, als die Befolgung der bekannten Wartepolitik." Indessen wurden die Absichten Mercks durchkreuzt, als der Senat sich am 4. Mai nun doch überraschend dafür entschied, der preußischen Regierung ausführlicher und - unter den gegebenen Umständen ablehnend zu antworten. Einerseits - so führte die Hamburger Erklärung aus 62 - könne der Senat so lange nicht an einer einseitigen Änderung der von der Nationalversammlung beschlossenen Verfassung durch die deutschen Regierungen mitwirken, "als sich nicht die völlige Unmöglichkeit der Durchführung der ... Verfassung herausgestellt haben wird". Andererseits könne er sich dem preußischen Ersuchen nicht ohne weiteres anschließen, weil der Senat 60 Dem-entsprechend begnügte sich Syndikus Merck am 2. Mai mit einer bloßen Empfangsanzeige als Antwort auf die preußische Note v. 28. April, Senat/außen 3 (6) - indem er versprach, "baldthunlichst eine Beschlußnahme ... zu veranlassen". 81 Brief Smidts an Merck v. 5. Mai 49, Senat/außen 3 (7) Curtius berichtete zur gleichen Zeit, die lübische Senatskommission habe sich aus ähnlichen Gründen, wie in Harnburg angeführt, zum Abwarten entschlossen, was der Senat wahrscheinlich akzeptieren werde. - Ebd. (8). 82 Text vgl. Senat/außen 3 (14) Lübeck erklärte sich am 9., Bremen am 10. Mai - dem Hamburger Beispiel folgend - gegen die preußischen Vorschläge. - Vgl. ebd., (10) u. (12).
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"nach den bisherigen Mitteilungen der königl[ichen] Regierung nicht zu beurtheilen vermag, wieweit bei den [von Preußen] beabsichtigten Maaßregeln die Grenzen eingehalten bleiben würden, innerhalb welcher er sich nach der Verfassung des eigenen Staates zu selbständigen Beschlüssen befugt erachten darf". In der etwas geschraubten Kanzleisprache des 19. Jahrhunderts bedeutete diese Erklärung: Der Senat hielt sich noch immer an die Paulskirchenverfassung gebunden63 und fürchtete darüberhinaus, bei einem Eingehen auf die preußischen Vorschläge am Ende eine Beeinträchtigung der städtischen Eigenständigkeit zu erleiden64 • Zudem konnte er sich bei seinem Eintreten für die Reichsverfassung der Faulskirehe auf Zustimmung "ziemlich in allen Schichten" der Hamburger Bevölkerung berufen, der sich auch Merck durchaus bewußt war65 • Wenn der eigenwillige Syndikus dennoch weiterhin Bedenken gegen die Hamburger Erklärung vom 4. Mai hegte, so in erster Linie aus außenpolitischen Erwägungen, die nur indirekt im Zusammenhang mit der Situation in Harnburg selbst zu sehen sind. Am meisten beschäftigte ihn wohl die Sorge, daß am Ende längst nicht alle anderen 27 Regierungen, die zu den Unterzeichnern der Note vom 14. April gehörten, Preußen in der gleichen Weise - nämlich ablehnend - antworten könnten, wodurch, wie er folgerte, "unsere Stellung eine feindlichere gegen Preußen, als es beabsichtigt und politisch für uns sein kann", werden würde. Selbst der Senat schien vorübergehend von heftigen Zweifeln an der Klugheit seiner raschen und eindeutigen Absage geplagt zu sein, wurde doch zeitweilig erwogen, Banks nach Berlin zu entsenden, um den Syndikus dort den Hamburger Standpunkt näher erläutern zu lassen66 • 63 Diese Tatsache kommentierte Merck am 9. Mai gegenüber Banks mit den Worten: In Harnburg habe man sich "ziemlich .in allen Schichten ... für die Aufrechterhaltung der Reichsverfassung, aber freilich aus sehr verschiedenen Gründen, ausgesprochen ... Die Gutgesinnten wünschten das zu vermeiden, was wirklich eingetreten ist, Bürgerkrieg und schwärmen theilweise für deutsche Einheit a tout prix, die Democraten benutzen die Aufregung zur Durchsetzung ihrer Pläne und wollen die Verfassung nur des Wahlgesetzes ... wegen .. ., die Sodalisten versuchen unter allerlei Vorwänden, Waffen in die Hände zu bekommen ... , um das ,geliebte' Harnburg verteidigen zu können." - Vgl. Brief Mercks an Banks v. 9. Mai 49, Senatjaußen 15, Bd. I, Bll. 55 ff. ~' In diesem Zusammenhang schrieb Merck, der die Erklärung des Senats gegenüber Preußen bekämpft hatte, am 9. Mai an Banks nach Frankfurt: "Wie sehr die Stimmung sich immer mehr nach links wendet, zeigen vielleicht am besten die Verhandlungen der Konstituante, in welcher leider! gerade jetzt die wichtigsten Fragen zur Entscheidung kommen." - Vgl. Senat/ außen 15, Bd. I, Bll. 55 ff. es Vgl. oben Anm. 63. 66 Merck bemerkt zu diesem Vorhaben: "Ich habe dieser Sendung aber
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Den Hintergrund für diese Erwägungen, die alle das Ziel hatten, einer etwaigen Verstimmung der preußischen Regierung vorzubeugen, bildete freilich ein wachsendes Gefühl der Unsicherheit, das den Senat wegen der zunehmenden Anarchie in Deutschland und der wachsenden Bedrohung durch die Konstituante ergriff. Dies um so mehr, als sich die Zentralgewalt unter Heinrich v. Gagern sichtlich nicht im Stande zeigte, den überall auftretenden Auflösungserscheinungen, die vor allem Sicherheit und Ordnung in den kleineren Einzelstaaten bedrohten, wirksam Einhalt zu gebieten. Schließlich konnte man ja in Harnburg kaum annehmen, daß die Stadt von der Unruhe, die spürbar in Deutschland um sich griff, für alle Zukunft verschont bleiben würde37 • Unter dieser Voraussetzung stellte Merck bereits am 9. Mai gegenüber Banks fest: "Auf die Dauer wird diese Oppositionsstellung gegen die größeren Mächte [wie der Senat sie durch seine Erklärung vom 4. Mai gegenüber Preußen bezogen hatte] schwerlich aufrechtzuerhalten seyn und scheint es nicht in unserem Interesse, uns Preußen geradezu durch Vermehrung der sich ihm darbietenden Schwierigkeiten zum offenen Feind zu machen88. " Und zwei Tage später, am 11. Mai, kam Syndikus Merck im Zusammenhang mit seinem Bericht über jene Senatssitzung, in der die Entsendung Banks' nach Berlin erwogen worden war, zu dem Schluß, "daß, wenn auch hier die Anarchie überhand nimmt, Preußen unser einziger Retter seyn könnte""·
ß) Mit dem Willen zur Distanz -Die "Wartepolitik" des Senats in den Vorverhandlungen über einen Beitritt zum Dreikönigsbündnis Politisch-psychologisch war man also schon durchaus darauf vorbereitet, eine engere Anlehnung an Preußen ins Auge zu fassen 70, als dem Senat am 28. Mai der Abschluß des Dreikönigsbündnisses notifiziert wurde 71 • Das Bündnis war das Ergebnis der Beratungen, die infolge durchaus widersprochen, die Sie und uns nur compromittirt haben würde, ohne irgend Nutzen zu schaffen." - Vgl. Brief Mercks an Banks/Frkft., Senat/ außen 17 c. 67 Vgl. Brief Mercks an Banks v. 9. Mai, Senat/außen 15, Bd. I, Bll. 55 ff. vgl. auch Brief Mercks an Banks v. 18. Mai: "Der Sturm zieht auch bei uns immer stärker heran ..." - vgl. ebd., Bl. 66. es Vgl. die vorige Anm. - Deshalb erhielt Banks auch vom Senat Anweisung, in Frankfurt gegen alle Versuche einzutreten, die von anderer Seite angestellt wurden, um die 28 Unterzeichner der Note v. 14. April zu einer gemeinsamen Erklärung gegen den preußischen Vorschlag zu bewegen: "Man wünscht im Senat keine neuen, noch mehr verpflichtenden Schritte zu thun ...", schrieb Merck an gleicher Stelle. - Vgl. auch Senat/außen 3 (15)-(22). 80 Vgl. diese Arbeit oben Anm. 66. 78 Das gilt besonders für Synd. Merck, der nach Eintreffen der preußischen Note v. 28. Mai Banks gegenüber am 2. Juni 49 bekannte, daß "ich persönlich kaum zweifelhaft bin, daß wir doch uns Preußen anschließen müssen". Vgl. Senat/außen 17 c. 11 Abgang der Note aus Berlin samt Erläuterungen zun. Vertragstext am 28. Mai 49. - Vgl. Senat/außen 3 (24) mit Anlagen.
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der preußischen Zirkularnote vom 28. April in Berlin vor allem zwischen Preußen, Hannover, Sachsen und Bayern72 stattgefunden hatten. Die Erläuterungen zum Vertragstext enthielten eine Aufforderung an alle Mitglieder des Deutschen Bundes, dem Bündnis beizutreten, das auf der Grundlage des Art. 11 der Bundesakte abgeschlossen sei und das "den gegenseitigen Schutz seiner Glieder gegen den inneren und äußeren Feind zum Zwecke hat". Die drei verbündeten Königreiche erklärten: Die Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs auf der Grundlage der Reichsverfassung, wie sie die Deutsche Nationalversammlung verabschiedet habe, sei als vordringliches Ziel erkannt und verwirklicht worden. Die Einberufung eines Reichstags, der über die Annahme der beiliegenden Entwürfe für Reichsverfassung und Wahlgesetz befinden sollte, wurde in Aussicht gestellt. Am 30. Mai reichte Preußen als geschäftsführendes Mitglied des Bündnisses eine Mitteilung über ein "provisorisches Bundesschiedsgericht" nach, auf dessen Einrichtung sich die drei Königreiche vorläufig geeinigt hatten73, Danach verlangten die Verbündeten, "daß jeder, der ihre Hülfe verlangt, sich dem provisorischen Bundesschiedsgerichte unterwerfe". Obgleich Syndikus Merck nach einer ersten Prüfung die Modifikationen, die mit dem neuen Verfassungsentwurf an der Reichsverfassung der Nationalversammlung vorgenommen waren, "fast alle durchaus zweckmäßig" fand 74, beschränkte sich der Senat vorsichtshalber darauf, den Empfang der preußischen Zirkularnote vom 28. Mai, sowie den Eingang der Mitteilung vom 30. Mai am 6. Juni in Berlin durch eine unverbindliche Empfangsanzeige zu bestätigen75 • Alte Fehler wollte man offenbar nicht wiederholen. Zudem wartete der Senat noch immer auf eine den Verfassungsentwurf erläuternde Denkschrift, die in der Note vom 28. Mai angekündigt worden war und die erst am 10. Juni 1849 von Berlin abging7e. Trotz seiner prinzipiellen Bereitschaft, dem neuen Entwurf für die Reichsverfassung beizutreten, erhoben sich auch jetzt wieder einige nicht unerhebliche Bedenken im Senat. Syndikus Merck machte Einwände 1. "gegen den förmlichen Ausschluß Osterreichs ..., welches nie friedlich hierein willigen wird", sowie 2. gegen "das octroyirte Wahlgesetz", unter dem er sich "den gegenwärtigen Umständen nach etwas weniger Vollkommenes" vorgestellt hatte77• n Bayern hatte sich den Beitritt vorbehalten. Vgl. Senat(außen 3 (27) u. (24) - vgl. Abschnitt V, Art. I, §§ 123-127 des preußischen Verfassungsentwurfs. 74 Vgl. Brief Mercks an Banks v. 2. Juni 49, Senat/außen 17 c. 75 Vgl. Senat/außen 3 (28). 71 ebd., (34). 73
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Schwierigkeiten sah Merck zudem immer noch darin begründet, daß sich Harnburg einst auf die Paulskirchenverfassung verpflichtet, sowie die früheren preußischen Vorschläge abgelehnt hatte - eine Tatsache, die dem Senat ein Eingehen auf das Bündnisangebot um so mehr erschweren mußte, als wenigstens in Mercks Augen schon jetzt feststand, "daß wieder nicht alle Regierungen beitreten werden", womit er Recht behalten sollte. Vor allem aber sorgte sich der Syndikus um Rückwirkungen auf die politische Szene in Harnburg selbst. So fragte er Banks in seinem Brief vom 2. Juni bedrückt: "Wird nicht, und eigentlich nicht ohne Grund, von der democratischen Parthei ... behauptet werden, man trete dem neuen Entwurf nur bei, weil er weniger freisinnig und weil er von der Fürsten-, nicht von der Volkssouveränität seinen Ursprung herleite? ... Wird das ohne Kampf ausführbar seyn, w ird sich die Constituante mit ihrem Anhange, welcher es nicht entgehen kann, wie sehr ihr eigenes Werk dadurch gefährdet wird, dies gefallen lassen? Haben wir zum Kampfe die Mittel in der über politischen Fragen so leicht irrezuleitenden Bürgerwehr78 ?" Und bedeutungsschwer schloß er diesen Katalog von Fragen mit den Worten: "Die gewichtigen Rücksichten ... machen die zu treffende Entscheidung vielleicht zu der ernstesten, die wir in der ganzen Zeit seit dem 24. Februar vor[igen] Jahres zu fassen hatten79." Es kann nicht wundernehmen, daß dem Senat im Bewußtsein jener Bedeutungsschwere eine Entscheidung für oder gegen den Beitritt zum Dreikönigsbündnis k eineswegs leichtfieL Dabei mußte er sich durch die Supplik des Patriotischen Vereins vom 8. Juni, mit der dieser den Beitritt Hamburgs dringend forderte, eher beschwert als bestärkt fühlen 80 • Denn der Senat gedachte ja bei seinem Zögern zunächst die Reaktion Vgl. diese und Mercks folgende Äußerungen: Brief Mercks an Banks v. Als Begründung für seine abfällige Meinung über den vorliegenden Wahlgesetzentwurf führte er an, daß durch eine weniger perfekte Beschränkung der Wahlberechtigung "eine große Zahl ehrlicher Enthusiasten, welche das allgemeine Stimmrecht unbegreiflicherweise noch immer für mehr als eine großartige Lüge halten, entwaffnet worden wären, welche sich zum Kampfe gegen eine so große Beschränkung mit den Massen, denen jetzt ein bereits zu verschiedenen Malen ausgeübtes Recht entzogen werden soll, vereinigen werden". 78 Über die ergrimmte Reaktion der Linken berichtet anschaulich Hudtwalcker, die sich mit Maueranschlägen und Aufrufen der neun verbundenen oppositionellen politischen Vereinen heftig gegen einen Beitritt zur Wehr setzte. - Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 25 ff. 78 Am 24. Februar brach in Paris die Revolution aus, von der man in Harnburg am 28. Februar 1848 erfuhr. - Vgl. v. Meile, Kirchenpauer, S. 207 f. 80 Vgl. Brief Mercks an Banks v. 9. Juni 49, Senat/außen 17 c Merck schrieb am 12. Juni an Banks : "Wie ich vorausgesehen hatte, hat der jedenfalls verfrühte Schritt des Patriotischen Vereins zu Gunsten der preußischen Vorschläge eine gewaltige Opposition . . . hervorgerufen und es dadurch noch viel schwieriger gemacht, auf die Sache einzugehen." - Vgl. ebd. - Vgl. auch Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 25. 77
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Mecldenburg-Schwerins, Oldenburgs, Lübecks und Bremens abzuwartens1; denn - so hatte Merck bereits am 2. Juni gegenüber Banks geurteilt: "Für uns hängt soviel von den Beschlüssen der norddeutschen Nachbarstaaten ... ab82." Am 6. Juni setzte denn auch Mecklenburg-Schwerin den Senat davon in Kenntnis, daß es sich am 7. Juni gegenüber Berlin mit dem Verfassungsentwurf des Dreikönigsbündnisses - vorbehaltlich der Zustimmung durch die mecklenburgische Abgeordnetenkammer - einverstanden erklären wolle83• Am 10. Juni berichtete Syndikus Curtius nach Hamburg84 über gewisse Bedenken, die der lübische Senat gegenüber dem Wahlgesetzentwurf hege. Unter Bezug auf das Beispiel Mecklenburg-Schwerins und mit Rücksicht auf die in Frankfurt zwischen den Bevollmächtigten getroffenen Absprachen85 werde sich Lübeck jedoch alsbald zustimmend gegenüber der preußischen Regierung aussprechen. Tatsächlich erfolgte die einstweilige positive Antwort Lübecks auf die preußische Note vom 28. Mai am 16. Juni - unter Vorbehalt der Zustimmung der Bürgerschaft86• Während die Regierung Oldenburgs und der Senat in Bremen noch mit der provisorischen Erklärung ihrer Zustimmung zögerten87, berichtete SyndikusBanksam 12. Juni aus Frankfurt: Er habe - angeregt durch entsprechende Pläne anderer Regierungen - Senator Kirchenpauer aufgefordert, auf seiner Rückreise nach Hamburg88 in Hannover abzusteigen, "um in vertraulicher Besprechung sowohl über das Verhältnis der 3 verbündeten Königreiche untereinander, als über die beabsichtigte Entwicklung des deutschen Verfassungswerks nähere Kunde einzuziehen"89. 81 Vgl. Briefe Mercks an Banks v. 2. und 12. Juni 49, Senat/außen 17 c Außerdem, so setzte Mercks am 9. Juni hinzu, müsse man "sehen, wie die Sache mit dem Reichsverweser sich ordnet, da die Antwort ... ganz verschieden wird ausfallen müssen, je nachdem er bleibt oder geht". - Vgl. Brief Mercks an Banks v. 9. Juni, ebd. - In seiner abwartenden Haltung wurde der Senat auch von Banks unterstützt, der über eine gemeinsame Vorgehensweise mit den Bevollmächtigten verschiedener anderer Staaten in Frankfurt offenbar Einigkeit erzielt hatte. Danach sollten sich die Regierungen alsbald zustimmend gegenüber Berlin erklären, die Genehmigung dieser Erklärung durch ihre Parlamente jedoch solange vorbehalten, bis der Reichsverweser zurückgetreten sei. Gleichzeitig wurde vereinbart, daß diejenigen Staaten, "welche sich den inneren Schwierigkeiten bereits gewachsen fühlten", dem Bündnis schon jetzt beitreten sollten, wozu Banks Harnburg freilich nicht raten konnte. - Vgl. Brief Banks' an Merck v. 12. Juni 49, Senatjaußen 17 c. 82 Vgl. Brief Mercks an Banks v. 2. Juni 49, Senat/außen 17 c. 83 Was auch in der Tat erfolgte.- Vgl. Senat/außen 3 (33) u. (36). 84 Brief Curtius' an Merck v. 10. Juni 49, ebd. (35). 85 Vgl. oben, Anm. 81. s& Vgl. Senat/außen 3 (37). 87 Vgl. Schreiben Bürgermeister Schmidts an Merck v. 11. Juni 49, Senat/ außen 3 (36) bis (38). &8 Vgl. Anm. 6 auf Seite 49. 89 Kirchenpauer eignete sich nach Aussage Banks' besonders gut für diese
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Man mag über dieses Vorhaben erstaunen. Der Grund dafür aber, daß man nähere Erkundigungen vorerst glaubte in Hannover, statt in Berlin einziehen zu müssen, lag einfach darin, daß der Senat nach dem Zeugnis Mercks niemanden in der preußischen Hauptstadt hatte, "um dort genau die Absichten der [drei verbündeten kgl.] Regierungen, sowie die vertraulichen Schritte anderer Staaten erfahren zu können und um zugleich vertraulich auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, welche bei uns eine baldige Entscheidung fast unmöglich machen" 90• Die Mission Kirchenpauers nach Hannover war nur als eine halboffizielle gedacht. Man wollte förmliche Konferenzen vermeiden, "damit wir nicht noch in ein ferneres Sonderbündnis mit Hannover kommen"91. Weisungsgemäß92 konzentrierte Kirchenpauer seine Gespräche, die er entgegen andersgerichteten Erwartungen nur mit dem hannoverschen Ministerpräsidenten Stüve führen konnte, offenbar vor allem auf drei Punkte93 : Erstens bemühte er sich, dem Standpunkt des Senats Geltung zu verschaffen, ein Beitritt zum Dreikönigsbündnis müsse u. U. auch unabhängig von der nachherigen Beschickung des projektierten Reichstags, sowie unabhängig von der späteren Teilnahme am Schiedsgericht und am Verwaltungsrat möglich sein. Zweitens vertrat Kirchenpauer die Forderung des Senats, das Wahlgesetz, das den Wahlen zum Reichstag zu Grunde liegen sollte, müsse entsprechend den "besonderen Staatseinrichtungen der einzelnen Länder"94 modifiziert werden. Drittens trug er den Wunsch des Senats nach näheren Informationen über die künftige Gestaltung der Zoll- und Handelsverhältnisse vor. Doch war das Ergebnis, das Kirchenpauer von seinen Gesprächen in Hannover dem Senat hinterbrachte, denkbar ungünstig95 : Stüve hatte sich gegenüber den Wünschen des Senats98 unnachgiebig gezeigt und im Mission, weil er "sämmtliche Hannoverschen Minister u. manche höhere Beamte kennt". - Vgl. Brief Banks' an Merck v. 12. Juni 49, Senat/außen 17 c. - Der Senat zeigte sich mit dem Abstecher Kirchenpauers einverstanden. Vgl. Brief Mercks an Banks v. 16. Juni, ebd. 90 Vgl. Brief Mercks an Banks v. 16. Juni, Senat/außen 17 c Zugleich traf am 16. Juni beim Senat eine "freundlich abgefaßte Aufforderung Hannovers" ein, mit der der Senat ersucht wurde, sich dem Bündnis v. 26. Mai anzuschließen. - Vgl. ebd. 91 Vgl. oben Anm. 89. 92 Vgl. Brief Banks' an Merck v. 12. Juni 49, Senat/außen 17 c. 93 Vgl. Brief Mercks an Banks v. 18. Juni 49, ebd. (i. e. ein Bericht über die Verhandlungsergebnisse, die Kirchenpauer aus Hannover mitgebracht hatte.) 94 Vgl. die vorige Anm. 95 Vgl. Briefe Mercks an Banks v. 18. u. 20. Juni 49, Senat/außen 17 c. 96 Vgl. oben "Erstens" und "Zweitens".
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übrigen erklärt: Wer nicht alles akzeptiere, was die Abmachungen zwischen den drei Königreichen beinhalteten oder sich durch innenpolitische Widerstände daran gehindert sehe, der müsse dem Bündnis eben fernbleiben. Dementsprechend düster fiel denn auch die Schlußfolgerung aus, die Merck aus dem Bericht Kirchenpauers gegenüber zwischen den drei Königreichen beinhalten, oder sich durch innenBanks zog: "Sie sehen aus diesen Andeutungen, man will den kleinen Staaten, die sich selbst nicht helfen können, die Pistole auf die Brust setzen und die Mediatisirung factisch eintreten lassen ...87" Ebensowenig beruhigen konnten die immer noch ungewissen Nachrichten, die der Senat über die künftige Ausgestaltung der Zoll- und Handelsverhältnisse besaß~8 • Zwar bestimmte § 34 des Reichsverfassungsentwurfs eindeutig: "Die Reichsgewalt ausschließlich hat die Gesetzgebung über das gesamte Zollwesen ..."" und § 33 besagte nicht weniger eindeutig: "Das Deutsche Reich soll Ein Zoll- und Handelsgebiet bilden ..." Fraglich aber blieb immerhin, wie sich die Verhältnisse bis zur Konstituierung der Reichsgewalt gest:llten sollten und ob der Beitritt zum Bündnis den Eintritt in den Zollverein unmittelbar und unbedingt zur Folge haben mußte100• Banks hielt es nach einem Gespräch mit v. Camphausen in Frankfurt für "ganz willkürlich anzunehmen, daß . . . die bisher nicht im Zollverein befindlichen Staaten sich diesem Vereine anzuschließen genöthigt wären" 101• Trotzdem aber sei es erforderlich, "daß die Hansestädte und andere nicht im Zollverein begriffene Staaten bei der Verhandlung über ihren Beitritt zum provisorischen Bündnis geradezu erklären, dem alten Zollverein träten sie nicht bei und daß sie überhaupt sich nähere Erläuterungen ausbitten". Inzwischen war auf Betreiben Kirchenpauers der Gedanke im Senat immer mehr hervorgetreten, die noch offenen Fragen durch einen Sonderbevollmächtigten in direkten Verhandlungen mit der preußischen Vgl. oben Anm. 95. Über die Information, die Kirchenpauer hierüber evtl. aus Hannover mitgebracht hatte, wissen wir nichts. Wohl aber berichtete Banks ausführlich von einem Gespräch, das er in Frankfurt/M. mit v. Camphausen über diese Frage geführt hatte. Vgl. Brief Banks' an Merck v. 18. Juni 49, Senatjaußen 17 c. 89 Der Zollvereinsvertrag lief erst Ende 1853 aus, so daß die Kompetenz der Reichsgewalt erst dann zur Geltung kommen konnte. 100 Das befürchtete vor allem der Verein für Handelsfreiheit, der daher gegen alle Pläne des Senats, sich dem Bündnis anzuschließen, energisch Front machte. - Vgl. Brief Banks' an Merck v. 18. Juni 49, Senatjaußen 17 c. 101 Vgl. Fundstelle auch für das folgende Zitat: die vorige Anm. 87 98
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Regierung klären zu lassen 102• Am 26. Juni schloß sich auch die Senatskommission für auswärtige Angelegenheiten dem Gedanken an. Dabei wurde Einigkeit darüber erzielt, diesen Schritt alsbald zu unternehmen, "und zwar den Bremer Weg zu wählen, nämlich erst zu verhandeln und dann die Sache an die Bürgerschaft zu bringen" 103 • Nachrichten, die dieser Tage aus Lübeck und Frankfurt in Harnburg eintrafen, mochten zur Aufnahme von Verhandlungen ermutigen. Syndikus Curtius berichtete10\ die preußische Antwort auf die vorläufige Beitrittserklärung Lübecks vom 16. Juni lasse eine gewisse Bereitschaft erkennen, den Einzelstaaten das Recht auf bestimmte Modifikationen bei der Organisation der Reichstagswahlen zuzugestehen - freilich auf der Grundlage des Wahlgesetzentwurfs vom 26. Mai 1849. Die Berücksichtigung anderer lokaler Interessen (etwa auf dem Gebiet des Handels und des Zollwesens) werde zugesichert. Daneben hatte Banks in Frankfurt durch Bevollmächtigte, deren Regierungen mit Berlin bereits in Verhandlungen standen, erfahren1o5, "daß man preußischerseits so ganz fest nicht an dem Verfassungsentwurfe halte und jedenfalls derselbe von Seiten Hannovers und Sachsens nicht besonders eifrig unterstützt werde". Zudem schien sich die Reichsverweser-Frage, von deren Lösung Harnburg seinen Beitritt zum Dreikönigsbündnis hatte abhängig machen wollen, von selbst zu regeln. Die Abreise des Erzherzogs Johann nach toz Vgl. Briefe Mercks an Banks v. 22. u. 25. Juni 49, Senat/außen 17 c Offenbar hatte Kirchenpauer die Absicht, in diesem für Hamburgs ferneres Schicksal so unerhört wichtigen Auftrag nach Berlin zu reisen. Doch versprach Merck dem Syndikus Banks, sich für dessen Entsendung einzusetzen, - vorausgesetzt, Banks habe Interesse. Sei dies nicht der Fall, wolle er, Merck, es sich "nicht so ganz ruhig gefallen lassen, auf die Seite geschoben zu werden ...". 103 Brief Mercks an Banks v. 26. Juni 49: Senat/außen 17 c. Wenn es in Harnburg auch üblich war, Staatsverträge zunächst auf Regierungsebene auszuhandeln und dann durch die Bürgerschaft ratifizieren zu lassen, muß es doch auffallen, welche Aufmerksamkeit der Senat der Frage widmete, wie und wann die Bürgerschaft einzuschalten sei. - Vgl. die Briefe Mercks an Banks v. 2., 9. und 22. Juni, sowie die Briefe Banks' an Merck v. 12. u. 18. Juni 49, Senat/außen 17 c. - Offenbar wollte man vom Senat aus vermeiden, die Beitrittsfrage allzufrüh publik werden zu lassen, damit sich die oppositionellen Kräfte in der Bürgerschaft nicht erst wirksam organisierten. - Vgl. dazu Brief Mercks an Banks v. 24. Juni 49, Senat/außen 17 c. - In diesem Zusammenhang ist interessant, daß die Oberalten den Senat am 27. Juni "um vorgängige Mittheilung Seiner Ansichten über die ... Aufforderung zum Beitritt" [Hervorhebg. v. Verf.) ersuchten, - vgl. Senat/außen 3 (42) - worauf Merck in seinem Referat v. 29. Juni 49 eine baldige Zuziehung der Oberalten als "vielleicht politisch" bezeichnete. - Vgl. Senatjaußen 3 (45) und weiter den Text dieser Arbeit aufS. 86 und Anm.llO ebd. 10' Vgl. Brief Curtius' an Merck v. 27. Juni 49, Senat/außen 3 (44) und Anlage (i. e. Abschrift der preußischen Note v. 21. Juni 49). 105 Banks bezieht sich auf das Beispiel Meiningens. Vgl. Brief Banks' an Merck v. 28. Juni 49, Senat/außen 17 c.
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Badgastein stand unmittelbar bevor, woraufhin die Bevollmächtigten bis auf wenige Ausnahmen Frankfurt zu verlassen gedachten. Da sich die Umstände so weit geklärt hatten, konnte Syndikus Merck im Auftrage der Kommission für auswärtige Angelegenheiten dem Senat am 29. Juni Bericht erstatten106 und ihm eine vorläufige Erklärung des Beitritts nahelegen. Dies um so mehr, als der Kommission angesichts des bevorstehenden Fortfalls der provisorischen Zentralgewalt in Frankfurt ein Beitritt immer notwendiger schien107• Im einzelnen schlug sie vor108 , der Senat solle 1. nach dem Vorgang fast aller 28 Signatarstaaten seinerseits "Schritte bei der preußischen Regierung ... thun", 2. einen Bevollmächtigten nach Berlin entsenden "zur genauen Erkundigung und eventuell zur Verhandlung eines Anschlusses an das provisorische Bündniß", 3. in einem diesbezüglichen Schreiben an die preußische Regierung Vorbehalte wegen des Wahlgesetzentwurfes anmelden. Ebenso sei "die Erwartung auszusprechen, daß bei der aus der politischen Einigung folgenden Ordnung der commerziellen Verhältnisse Deutschlands der Hamburger Stellung jede Berücksichtigung geschenkt werde". In dem Schreiben sollte der eventuelle Anschluß Hamburgs an das Dreikönigsbündnis von der Genehmigung durch Erbgesessene Bürgerschaft abhängig gemacht werden109• Vor Abgang des Schreibens wurde ein Entwurf dem Kollegium der Oberalten vorgelegt110• Der Senat billigte sämtliche Vorschläge der Kommission am 29. Juni. Am 2. Juli schon wurde Banks davon in Kenntnis gesetzt, daß er die Mission nach Berlin übernehmen und sich deshalb sofort nach Harnburg 1oe Senat/außen 3 (45).
107 War der offenbar bevorstehende Rücktritt des Reichsverwesers jetzt einer der politischen Gründe, aus denen heraus die Kommission eine vorläufige Beitrittserklärung empfahl, hatte sein Rücktritt ursprünglich eine mehr staatsrechtlich-formelle Bedeutung für den Senat gehabt: Sein Rücktritt sollte den Zeitpunkt markieren, von dem an der Senat sich nicht mehr würde an die Reichsverfassung der Faulskirehe gebunden fühlen müssen, weil deren Ausführung dann weithin sichtbar als nicht mehr möglich gelten mußte. Dieser formelle Gesichtspunkt war freilich schon dadurch hinfällig geworden, daß das Reichsministerium im Auftrage des Erzherzogs die Übereinstimmung zwischen Bundesakte und Dreikönigsbündnis und damit dessen Zulässigkelt festgestellt hatte - eine Tatsache, die der Senat beruhigt registriert hatte. Vgl. Briefe Banks' an Merck v. 12. Juni 49, Senat/außen 17 c - vgl. auch oben Anm. 106. 108 Wir zitieren hier das Beschlußprotokoll des Senats (i. e. Extractus Protocolli Senatus Hamburgensis v. 29. Juni 49), Senat/außen 3 (46). 100 Man hatte sich also endgültig für den Weg entschieden, den auch der Bremer Senat gewählt hatte: Erst Abschluß auf Regierungsebene, dann Ratifikation durch die Bürgerschaft - weil der Lübecker Weg, wie Merck schrieb, "bei der Opposition, die die Angelegenheit in Hbg. gefunden hat, nicht wünschenswerth" sei. - Vgl. die vorige und Anm. 113 unten. uo Das geschah am 2. Juli. - E. Oberalten nahmen den von Merck angefertigten Entwurf ohne weiteren Kommentar zur Kenntnis, was wohl als Billigung durch Stillschweigen zu betrachten ist. Vgl. Senat/außen 3 (46).
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begeben solle 111 • Am gleichen Tage eröffnete der Senat - wie beschlossen - der preußischen Regierung in einem Schreiben, daß er seine Erklärung vom 14. April des Jahres 112 als von den Ereignissen in Deutschland überholt betrachte und daß er "im allgemeinen" bereit sei, dem Dreikönigsbündnis beizutreten113• Bevor wir auf den weiteren Gang der Verhandlungen in Berlin eingehen, wollen wir zusammenfassen: Bis jetzt jedenfalls hatte der Hamburger Verfassungskonflikt höchstens psychologisch die Bereitschaft des Senats gefördert, dem Bündnis beizutreten. Noch Anfang Mai sah der Senat eine Bedrohung von Sicherheit und Ordnung in der Stadt eher von außen kommen114• Der Anblick der Schwäche, den die provisorische Zentralgewalt in Frankfurt bot, veranlaßte ihn, sich auf eine engere Anlehnung an Preußen vorzubereiten. Und doch wurde sich der Senat schon Anfang Juni bewußt, daß die Konstituante einen Beitritt Hamburgs zum Dreikönigsbündnis als Gefährdung ihres Verfassungswerks auffassen würde115• Man richtete sich auf ihren Widerstand ein, der ja auch tatsächlich - wenigstens verbal - geleistet wurde116• Eher aber hatte der Senat diesen Widerstand durch eine Politik des Abwartens gegenüber den Vorschlägen der drei Königreiche zunichte machen wollen117, als daß er schon damals daran dachte, den Beitritt zum Bündnis positiv als Waffe gegen die Konstituante zu verwenden118• Konstruktive Maßnahmen gegen deren verfassungsgebende Tätigkeit leitete der Senat ja überhaupt erst sehr spät, 111 Vgl. Brief Mercks an Banks v. 2. Juli 49, Senat/außen 17 c. Merck hatte sich persönlich bei Bürgermeister Kellinghusen für Banks verwandt. Vgl. Brief Mercks an Banks v. 26. Juni 49, Senat/außen 17 c. 111 Vgl. diese Arbeit oben S. 76. 111 Vgl. Text der offiziellen Mitteilung an die preußische Regierung, Senat/ außen 3 (47). - Das Schreiben bezieht sich auf die preußischen Noten v. 28. und 30. Mai, die damit beantwortet werden. - Vgl. Text dieser Arbeit oben, S. 80 f. - "Die Modalität des Beitritts" - und nur darum ging es jetzt noch - werde sich aus den Verhandlungen ergeben, die der Senat in Berlin durch einen Bevollmächtigten werde führen lassen. Die bekannten Vorbehalte gegenüber dem Wahlgesetz und der kommerziellen Stellung Hamburgs werden erhoben. Die Zustimmung der Bürgerschaft wird ebenfalls vorbehalten. m Vgl. diese Arbeit oben, S. 79. 115 Vgl. Brief Mercks an Banks v. 2. Juni 49, Senat/außen 17 c. 115 Vgl. Brief Mercks an B.::nks v. 12. Juni, ebd. Eine Opposition "auf Grund der Handelsinteressen, wie sie der Verein für Handelsfreiheit geleistet hatte, war von Banks als "die gefährlichste von allen" bezeichnet worden. Vgl. Brief Banks' an Merck v. 18. Juni 49, Senat/außen 17 c. 117 Vgl. Briefe Mercks an Banks v. 12. u. 16. Juni 49, Senat/außen 17 c. 118 Daß der Senat durch ein zu forsches Vorgehen in der Bündnisfrage nicht nur die Gefahr von Unruhen heraufbeschworen hätte, sondern daß er für den Fall, daß es zu Unruhen kam, auch befürchten mußte, daß Erbg. Bürgerschaft die Ratifikation des Beitritts verweigerte, ergibt sich aus Hudtwalckers Memoiren, 1849, S. 3(;, ·
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nämlich am 13. Juni mit Einsetzung seiner Verfassungskommission, ein111• Bis dahin hatten die Senatoren Richtung und Ausmaß der Reformen, wie sie die konstituierende Versammlung anstrebte, ganz offenbar nicht einheitlich einzuschätzen vermochtl 20 • Erst als sich der Konflikt zwischen Stadtregiment und Konstituante infolge des Senatsbeschlusses vom 23. Juni unvermittelt abzeichnete, konnte Merck an Banks schreiben, daß "durch unsere inneren Verhältnisse sich ein Anschluß an Preußen für eventuelle Fälle als immer wünschenswerter herausstellt" 121 • Banks hatte seinerseits bereits am 16. Juni bemerkt122 : "Wenn der Senat glaubt, daß jene Verfassung [der Konstituante] bald ins Leben treten wird ..., so liegt darin gerade ein Grund, die Entscheidung vor dem Eintreten dieser neuen Behörden herbeizuführen, selbst auf die Gefahr hin, daß dem Glücke, die neue Hamburger Verfassung zu erlangen, dadurch einiges Hinderniß bereitet werden könnte." Trotzdem aber entbehrte die Mission des Syndikus Banks zunächst jedes spektakulären Moments. Sie war als ein normaler diplomatischer Schritt nach dem Vorbild anderer Staaten gedacht. Selbst in den abschließenden Beratungen der Kommission für auswärtige Angelegenheiten, an deren Ende die Empfehlung vom 29. Juni stand, der Senat möge über einen Anschluß direkt mit der preußischen Regierung verhandeln, befürworteten lediglich zwei Mitglieder eine "mögliche Beschleunigung etwelcher Schritte namentlich auch unserer inneren Verhältnisse wegen". Die Mehrheit der Kommission zweifelte hingegen an der Zweckmäßigkeit einer beschleunigten Gangart. Es erschien ihr unter außenpolitischem Blickwinkel angemessen, "den Ausgang des Congresses in Gotha, die Beendigung des Aufstandes in Südwestdeutschland näher heranreifen zu lassen und den nahe bevorstehenden Rücktritt des Reichsverwesers wenn auch nicht gerade abzuwarten, doch näher kommen zu sehen" 123• Wenn die Kommission dem Senat dennoch die sofortige Entsendung eines Sonderbevollmächtigten nach Berlin nahelegte, so hat dabei sicher ein gewisses Gefühl der Nervosität, der Unruhe auch über den Stand der Hamburger Verfassungsangelegenheit mitgespielt, das letztlich unwägbar bleiben muß. Vielleicht war es ebenso stark wie die Überzeu111
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12a
Vgl. Text dieser Arbeit oben, S. 49. Vgl. etwa Brief Mercks an Banks v. 12. Juni, Senat/außen 17 c. Vgl. Brief Mercks an Banks v. 25. Juni 49, ebd. BriefBanksan Merck v. 16. Juni 49, Senat/außen 17 c. Vgl. Referat Mercks v. 29. Juni 49, Senat/außen 3 (45).
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gungskraft der taktischen Gründe, die die Kommission für auswärtige Angelegenheiten geltend machte1 24 • y) Unter dem Druck der innenpolitischen VerhältnisseDie übereilte Beitrittserklärung des Senats vom 13. August 1849
Am 9. Juli 1849 traf Banks in Berlin ein. Seine Mission war nicht geheim, wenn der Senat deren Ergebnisse auch mit größter Vertraulichkeit behandelte125. Angesichts der zu erwartenden Opposition konnte ihm nichts daran gelegen sein, daß die Öffentlichkeit in Harnburg übermäßig viel von den laufenden Verhandlungen erfuhr. Offenbar rechnete man auf die bahnbrechende Wirkung vollendeter Tatsachen, die auch die Zustimmung der Bürgerschaft erleichtern würde128• Trotzdem - Banks beurteilte die Verhandlungsposition, die der Senat in Berlin einnahm, eher als schwach. Gegenüber Merck hatte er sich bereits am 3. Juli über diesen Punkt ausgelassen: "Ich begreife sehr wohl, daß die bevorstehende Abänderung der Hamburger Verfassung, . . . sowie endlich die unbesonnene Opposition eines Theils des Freihandelsvereins ... die Stellung der Hamburger Regierung den preußischen Vorschlägen gegenüber schwieriger machen, als sie für die Senate von Lübeck und Bremen ist127." Es dauerte indessen noch bis Anfang August, ehe die Verhandlungen zwischen dem Senat und dem Verwaltungsrat bzw. der preußischen Regierung auch formell eröffnet wurden 128• Die Zwischenzeit nutzte Banks, um das Vorfeld zu sondieren, Kontakte herzustellen und gewisse 124 Schließlich ersetzte man mit der Mission die Politik des Abwartens durch einen positiven Schritt gegenüber Preußen, sowie gegenüber den Regierungen, die bereits beigetreten waren oder über einen Anschluß verhandelten; man gewann unterdessen Zeit, für eine Änderung der öffentlichen Meinung zu sorgen, währenddessen der Rücktritt des Reichsverwesers, der Hamburgs Beitritt immer nötiger machte, näherrückte. 125 Vgl. den Senatsbeschluß v. 14. Juli, "daß Banks' Mission durch halboffizielle Artikel auch weiter bekannt gemacht werde". - Vgl. Senat/außen 3 (56). - Dagegen muß bemerkt werden, daß Banks aus Berlin nur "vertraulich" berichtete. Ferner findet sich in seinen Briefen und Berichten die an Merck gerichtete Aufforderung, gewisse Briefe zu vernichten. - Vgl. z. B. Brief Banks' v. 22. Juli 49, Senat/außen 10 (./ .). - Auch gab er Kirchenpauer zu bedenken, "daß einmal eine neue Behörde über unsere Akten und Protokolle kommen kann". - Vgl. Brief Banks' v. 10. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.). - Die Möglichkeit einer Aktenmanipulation, die über die Vorgänge in der Zeit vom 13. bis 17. August absichtlich den Schleier der Unklarheit legte, halten wir daher nicht für ausgeschlossen. - Vgl. in diesem Zusammenhang unten Anm. 157 und 188. 1H Vgl. oben Anm. 103 auf S. 85. 1!1 Vgl. Brief Banks' an Merck v. 3. Juli 49, Senat/außen 17 c. 19 Vgl. unten Anm. 134. Der Hanseatische Ministerresident in Berlin, Konsul Theremin, unterrichtete Merck am 1. Aug.: "Syndikus Banks wird seine Verhandlungen in dieser Woche beginnen". - Vgl. Brief Theremins an Merck v. 1. Aug. 49, Senat/außen 18 a, Band XXII (1849), Nr. 212. 1!9 Vgl. Senat/außen 3 (52) ff. und Senat/außen 10 (./.).
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Einzelfragen vorzuklären, auf die wir hier nicht weiter eingehen können12g. Es war zu erwarten gewesen, daß der Hamburger Syndikus in der preußischen Hauptstadt auch auf den Verfassungskonflikt der Hansestadt angesprochen werden würde, der ja gerade in Preußen als Anachronismus empfunden werden mußte. Bei den Akten liegt ein vertraulicher, vom 22. Juli datierter Bericht, in dem Banks auseinandersetzt, wie er auf solche Fragen zu reagieren pflegte: "Übrigens suche ich mich hier über unsere Verfassungsverhältnisse in keine anderen Details einzulassen, als daß ich die wahre Sachlage darstelle, ohne auch nur die entfernteste Andeutung auf eine Hülfsleistung einfließen zu lassen." Ministerpräsident Brandenburg beispielsweise erklärte Banks gegenüber, "daß er den aufrichtigen Antheil an unseren Zuständen nehme". v. Canitz, der preußische Vorsitzende des Verwaltungsrats, der vorläufigen Zentralinstanz des Dreikönigsbündnisses, "war gar nicht zu halten, er wollte mir die aus Schleswig-Holstein zurückkehrende Posener Landwehr zur Disposition stellen, mußte sich indeß bei meiner Erklärung beruhigen, daß wir nicht in der Lage wären, solche Hilfe zu bedürfen"t3o. Es ist bemerkenswert, daß somit von preußischer Seite schon lange vor den Ereignissen vom 13./14. August die Frage einer militärischen Hilfeleistung in die Gespräche mit dem Bevollmächtigten des Senats einfloß. Diese Tatsache scheint die Meldung zu bestätigen, die eine Berliner lithographierte Korrespondenz im Juli in Harnburg verbreitet hatte, nach der sich die preußische Regierung mit der Absicht trage, "in dem hamburgischen Verfassungskonflikt zu intervenieren" und nach der "ein Theil der aus Holstein zurückkehrenden preußischen Truppen ... in Harnburg einquartiert werden solle" 131 . Gleichwohl ist es sehr verständlich, daß es Banks sorgfältig vermied, im Frühstadium der Verhandlungen, aber auch später auf die Erörterung jener Frage einzugehen. Offenbar wollte er von vornherein ausschließen, daß Preußen als Gegenleistung für ein militärisches Beistandsangebat vom Senat Nachgiebigkeit in den Beitrittsverhandlungen erwarten konnte. Dies mußte er um so mehr vermeiden, als sich die Verhandlungen in Berlin schwieriger gestalteten, als zuvor in Harnburg vielleicht angenommen. Denn schon am 11. Juli hatte Banks berichtet, die Gegenseite finde sich nicht bereit, über irgendwelche Bedingungen, die Harnburg einen Beitritt erleichtern könnten, vor Abschluß des Anschlußvertrages zu diskutieren. Man stelle vielmehr immer 130 Vgl. Brief Banks' an Merck v. 22. Juli 49, Senatjaußen 10 (./.). 131 Lüdemann, Verfassungskämpfe, S. 439,
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wieder fest, daß es den Regierungen der deutschen Einzelstaaten völlig freistehe, dem Dreikönigsbündnis beizutreten oder ihm fernzubleiben. Erst nach erfolgtem Anschluß werde allenfalls über "Modificationen in der Ausführung" des Vertrags vom 26. Mai gesprochen werden können132. Infolgedessen antwortete der Verwaltungsrat in seiner Note vom 3. August 133 auch nur hinhaltend auf die Vorstellungen und Vorbehalte, die Banks in seiner Note vom 31. Juli 1849 entsprechend den Beschlüssen des Senats vom 29. Juni erhoben hatte 134 • Der hamburgische Bevollmächtigte - so hieß es in der Note des Verwaltungsrats - möge sich mit der Erwartung beruhigen, daß der Hamburger Handelsstellung "eine besondere Erwägung ... nicht versagt werden wird", wenn über die Ordnung der Zoll- und Handelsverhältnisse im Bündnis dereinst gesprochen werde. Bei Ausführung des Abschnitts II, Art. VII des Verfassungsentwurfs135 werde Harnburg denn auch Gelegenheit finden, seinen Standpunkt zur Geltung zu bringen. Diese Zusicherung war so unverbindlich, die Haltung der Gegenseite zeigte so wenig konkretes Entgegenkommen, daß Banks es vorzog, nach Harnburg zu reisen, um neue Weisungen einzuholen. Die Besprechungen, die er hier mit den Senatoren Geffcken und Kirchenpauer führte (Kirchenpauer vertrat den auf Kur weilenden Syndikus Merck in den auswärtigen Angelegenheiten)1 3~, fanden am 4. und 5. August statt. Am 6. August referierte Kirchenpauer dem Senat das Ergebnis 137 , wobei er die übereinstimmende Ansicht der Gesprächspartner betonte, "daß es dringend zu wünschen sey, daß Syndikus Banks eine günstigere Antwort als die vom 3. August und namentlich eine Vereinbarung (statt eines bloßen Vernehmens) über die Zollgrundgesetze in Aussicht gestellt erhalte"138.
In diesem Sinne sei Banks angeraten worden, "seine Beitrittserklärung noch nicht abzugeben, sondern vorerst . . . weiter zu verhandeln". 132 Brief Banks' an Merck v. 11. Juli 49, Senat/außen 3 (52). 133 Ebd., (61). 134 Ebd., (59). - Mit Übergabe dieser Note hatte Banks die Verhandlungen mit dem Verwaltungsrat offiziell eröffnet. •35 Abschnitt II, Art. VII des preußischen Verfassungsentwurfs v. 26. Mai 49 b ehandelte unter dem Titel "Die Reichsgewalt" in den §§ 33 bis 40 deren zoll- und handelspolitische Kompetenzen. - Vgl. diese Arbeit oben, S. 84. 138 Vgl. Senat/außen 3 (58) und Senat/außen 15, Band Il, BI. 42 (Brief Mercks an Banks v. 21. Aug. 49). - Merck war vom 2. bis zum 20. August verreist. 1sr Vgl. Senat/außen 3 (58). 138 Gewiß war dieser Wunsch auch unter dem permanenten Druck des Vereins für Handelsfreiheit zustandegekommen, der sich Anfang August mit der "Vorstellung und Bitte" an den Senat gewandt hatte, man möge "nur unter wichtigen und nachhaltigen Vorbehalten ... in Bezug auf die kommerziellen Punkte dem Bündnis beitreten". - Vgl. Baasch, Verein f. Handelsfreiheit, s. 38f.
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Immerhin hatte es Kirchenpauer für erforderlich gehalten, den Senat über dieses Ergebnis zu informieren, da "andere Mitglieder des Senats einen sofortigen Beitritt, ohne weitere Verhandlung über die Zollfrage für dringend nothwendig hielten". Der Gesamtsenat aber trat der Ansicht Ge:ffckens und Kirchenpauers bei, allerdings "unter der Voraussetzung, daß dadurch der Abschluß der Verhandlungen nicht gar zu lange - jedenfalls nicht viel über 8 Tage verzögert werde". Dementsprechend wurde Syndikus Banks in Berlin instruiert. Die Weisung des Senats vom 6. August versetzte den Syndikus "etwas in Schrecken" 139, denn sie autorisierte ihn, "nach eigenem Ermessen die Verhandlung zu leiten und abzuschließen" 140• Darüberhinaus zeigte sich Banks kaum einverstanden mit der schnelleren Gangart, die der Senat angeschlagen hatte. So klagte und warnte er am 12. August zugleich14t: "Die Ungeduld des Senates bei dem Abschlusse macht mich ängstlich. Man erwartet von dem Bündnisse mehr, als es schließlich leisten wird und übersieht die Folgen, die es nachhaltig haben wird, nicht besonnen genug ..." Unterdessen aber hatte er selbst weisungsgemäß den Beitritt Hamburgs eingeleitet. Am 8. August wurde er vom Senat instruiert, die Beitrittserklärung in der Form abzugeben, wie sie - mit Ausnahme Braunschweigs - bisher von allen beigetretenen Staaten beobachtet worden war142• Vor allem sollte er sich nach dem Beispiel Bremens richten, das dem Verwaltungsrat zu Protokoll gegeben hatte, "daß er (der Bevollmächtigte) Namens und für die (freie Hansestadt Bremen ...) dem am 26. Mai abgeschlossenen Vertrage, nach dem ganzen Inhalte dieses Vertrages, der Ratification seiner Regierung vorbehalten, unbedingt beitrete". Ein erster Entwurf eines erläuternden Vortrages, den Banks seiner Beitrittserklärung voranschicken wollte und den er am 8. August v. Canitz mitteilte, enthielt freilich auch die Bedenken und Vorbehalte, die zuletzt in den Besprechungen am 4./5. August in Harnburg zur Sprache gekommen waren und die die zukünftige handels- und zollpolitische Stellung Hamburgs betrafen143. Noch am 9. August aber versuchte der 1aD Brief Banks an Kirchenpauer v. 10. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.). Banks setzte hinzu: "Das ist ... doch etwas zu gewichtig für meine schwachen Schultern". uo Vgl. Senat/außen 3 (58). - Hudtwalcker irrt also, wenn er behauptet, Banks sei bereits am 3. August Vollmacht zum Abschluß der Verhandlungen erteilt worden. Ein Schreibfehler scheint nicht ausgeschlossen zu sein. - Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 28. 141 Vgl. Brief Banks' an Kirchenpauer v. 12. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.). uz Vgl. Referat Kirchenpauers vor dem Senat und die Beschlüsse desselben v. 8. Aug. 49, Senat/außen 3 (63). ua Brief Banks' an Kirchenpauer v. 9. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.).
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sächsische Bevollmächtigte, v. Zeschau, den Syndikus zu beruhigen, indem er ihm versicherte: "Sie machen sich, glaube ich, unnöthige Sorge. Wenn man die practischen Schwierigkeiten sich vergegenwärtigt, die es nach sich ziehen muß, Harnburg in ein System wie das des Zollvereins ... einzureihen, so muß man zu der Ansicht gelangen, daß es besser sey, die Stadt als Freihafen draußenzulassen. Man darf das nur nicht sagen, weil gleich die anderen Städte schreien ...1u." Ebenso durchgesprochen wurden in Berlin Entwürfe für eine Gegenerklärung des Verwaltungsrats, sowie für die eigentliche Beitrittserklärung, die Banks daraufhin zu Protokoll geben wollte145• Wenn Banks sich dabei schließlich doch den Einwänden beugte, die die preußischen Vertreter im Verwaltungsrat gegen die Bemühungen des Syndikus erhoben, verbindliche Garantien für eine künftige Vereinbarung über die kommerzielle Stellung Hamburgs zu erhalten, dann geschah das mit der "Befriedigung" darüber, "daß sie [die Mitglieder des Verwaltungsrates] im Stillen alle überzeugt sind, Harnburg müsse ... eine exzeptionelle Stellung einnehmen" 146• Einigkeit über die gegenseitig abzugebenden Erklärungen wird Banks mit dem preußischen Vorsitzenden des Verwaltungsrats um den 11. August erzielt haben147 • Am 13. August- allem Anschein nach nur wenige Stunden vor Ausbruch der Tumulte in Harnburg und dem Einmarsch eines preußischen Bataillons14B - wurde der Syndikus von Kirchenpauer ermächtigt, "auf der Grundlage der eingesandten Entwürfe ... das Beitrittsprotocoll zu unterzeichnen"149. Am 14. August telegraphierte Banks zurück, er habe heute den Beitritt Hamburgs erklärt und werde morgen das Protokoll unterschreiben150• Offenbar waren der Senat und die preußischen Offiziere gleichermaßen überrascht worden von den Ausschreitungen, zu denen sich Teile des Bürgermilitärs und der Bevölkerung hinreißen ließen. In der Nacht vom 13. auf den 14. August biwakierte das 2. Bataillon des 15. preußischen Infantrie-Regiments noch provisorisch in der Kräutersehen Reitbahn. In der gleichen Nacht erging eine Meldung der Unruhen nach Vgl. ebd. Vgl. Briefe Banks' an Kirchenpauer v. 9. u. 11. Aug., ebd. 148 Brief Banks' an Kirchenpauer v. 11. Aug. 49, ebd. 147 Ebd. 148 So schreibt Hudtwalcker: "Hamburg war .. . vor den Ereignissen vom 13. August beigetreten".- Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 8. 149 Brief Kirchenpauers an Banks v. 13. Aug. 49, Senat/außen 3 (69). 15° Brief Banks' an Kirchenpauer v. 14. Aug. 49, Senat/außen 3 (71). -Wortlaut der Provisorischen Beitrittserklärung vgl. ebd. (66). - Vgl. weiter Prot. d. 31. Sitzg. d. Verwaltungsrats v. 14. Aug. 49: Unteranlage Nr. 7 des Senatsantrags an Erbg. Bürgerschaft betr. Ratifikation des Beitritts zum Dreikönigsbündnis v. 27. Aug. 49, Senat/außen 3 (79)a. 1"
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Berlin. Als bis zum Mittag des folgenden Tages noch immer keine Befehle von dort aus eingetroffen waren, beschloß der Chef des 15. preußischen Infantrie-Regiments, Oberstleutnant Freydank, mit seinen Truppen nach Eppendorf und Winterhude auszuweichen. Während der Vorbereitungen zum Abmarsch aber überbrachte der preußische Generalkonsul in Hamburg, O'swald, ein Telegramm aus Berlin, das verfügte, "die Truppen sollten in Harnburg verbleiben und Verstärkung heranziehen"151. Daraufhin rückte von Altona aus das Füsilier-Bataillon des 15. Infantrie-Regiments in Harnburg ein. Am 16. August gab der preußische Generalmajor v. Hahn dem hamburgischen Hauptmann Reuter (i. V. des Stadtkommandanten) bekannt, daß Harnburg am 17. August mit 10 000 preußischen Soldaten belegt werde, was denn auch pünktlich geschah152• Lakonisch stellte Reuter - seit dem 9. April 1849 offiziell zuständig für die Einquartierung von Reichstruppen153 - in seinem Bericht über die preußische Truppenbelegung festl 54 : "Die Einquartierung wurde nun eine gezwungene ..." Bereits am 14. August war Banks angewiesen worden, er möge der preußischen Regierung das tiefste Bedauern des Senats über die Vorfälle, sowie dessen Anerkennung für die besonnene Haltung der preußischen Truppen notifizieren und eine sofortige Untersuchung der Zwischenfälle ankündigen155• Offenbar versuchte der Senat durch seine rasche Reaktion Berlin zu beschwichtigen und dadurch den Lauf der Dinge wieder in die Hand zu bekommen. Als Harnburg jedoch am 17. August von 10 000 Preußen besetzt wurde, schrieb Kirchenpauer besorgt an den Syndikus156, der Senat drohe angesichts der Truppenmassen auch bei den "besseren" Bürgern in ein Zwielicht zu geraten. Banks wurde am 18. August beauftragt, die preußische Regierung an Hand einer Note um Erklärung ihrer Absichten zu 151 Wir folgen mit dieser Darstellung der Akte Senatfinnen 12, S. 26 ff. 152 Fundstelle vgl. die vorige Anmerkung, S. 34 ff. - Es handelte sich hierbei um sechs Bataillone Landwehr, die allerdings teilweise ins Landgebiet verlegt wurden, um das 1. Bat. des 15. Inf. Reg., um die Generalstäbe der Generalleutnants v. Prittwitz und Hirschfeldt mit den dazugehörigen Abteilungen, eine Raketen-Bat., eine reitende und zwei Batterien zu Fuß, das 7. J ägerBat. und das 8. Husaren-Reg. us Vgl. Fundstelle oben Anm. 151, S. 17. 1" Ebd., s. 34. m Senat/außen 16 (3). 156 Brief Kirchenpauers an Banks v. 18. Aug. 49, ebd. (8). Kirchenpauer vertrat noch immer den auf Kur weilenden Merck .in der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten. - Vgl. oben, Anm. 136.
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bitten, insbesondere aber anzufragen, "ob die Besetzung eine Occupation" sei157• c) Zusammenfassung
An dieser Stelle wollen wir kurz einhalten und die oben gestellte Frage zu beantworten suchen: Bestanden Zusammenhänge zwischen der Hamburger Anschlußerklärung vom 13./14. August, dem preußischen Einmarsch und dem städtischen Verfassungskonflikt? Banks' Mission nach Berlin sollte gewiß nicht nur dem Abbau bestimmter handelspolitisc..~er Vorbehalte dienen, sondern war auch als positive Geste gegenüber Preußen gedacht. Die Bereitschaft des Senats, es mit Preußen nicht zu verderben und am Berliner Verwaltungsrat präsent zu sein, stieg augenscheinlich in dem Maße, wie sich der städtische Verfassungskonflikt zuspitzte und die Reichsgewalt verfiel. Die Erkenntnis von Ausmaß und Richtung der drohenden Reform veranlaßte den Senat, sich gegen die Einführung der Konstituantenverfassung zur Wehr zu setzen. Damit zeichnete sich eine Konfrontation zwischen den alten Gewalten und den revolutionären Kräften der Stadt ab, die jederzeit in eine physische Gewaltprobe umschlagen konnte. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung baute von Ende Juni an zumindest ein Teil des Senats fest auf die Schutzfunktion des Dreikönigsbündnisses auch gegen den "inneren Feind". Diese Fraktion des Kollegiums wollte dafür sogar die kommerziellen Interessen der Hansestadt hintanstellen, wenn sie Ende Juni forderte, man dürfte in den Beitrittsverhandlungen die Handelsinteressen der Stadt gegenüber Preußen "so wenig als möglich hervorheben, damit nicht gewisse Zugeständnisse als Bedingung des zu leistenden Schutzes gestellt werden" 158• Wahrscheinlich waren es auch dieselben Senatsmitglieder, die dann am 6. August mit Rücksicht auf die Verhältnisse in Harnburg für einen sofortigen Anschluß an das Bündnis eintraten. Den vorwärtsdrängenden Kräften standen retardierende Elemente gegenüber. Diese wollten vor einem Beitritt die Vorbehalte beseitigt sehen, die der Senat gegen den preußischen Wahlgesetzentwurf, aber auch im Hinblick auf die künftige Zoll- und Handelsordnung hatte. Der erfahrene und bewährte Diplomat Banks dachte auch gar nicht daran, darüberhinaus die Frage einer wie auch immer gearteten Hilfeleistung 157 Brief Banks' an Kirchenpauer v. 18. Aug. 49, Senat/außen 16 (9). Banks zitiert den Wortlaut eines Telegramms, das Kirchenpauer am 18. Aug. an Banks nach Berlin gesandt haben muß, das aber nicht erhalten ist.- Vgl. dazu oben, Anm. 125. 158 Senatjaußen 3 (45).
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durch das Bündnis oder Preußen etwa von sich aus aufzuwerfen, ehe die Hamburger Bedenken ausgeräumt waren; und darum wurde ja bis zuletzt gerungen. Ein anderes Vorgehen hätte die Verhandlungsposition des Syndikus unfehlbar geschwächt, ganz abgesehen davon, daß er vom Senat zu Verhandlungen über einen eventuellen Beistand- soweit wir sehen - auch gar nicht ermächtigt war. Die Voraussetzungen, von denen Banks in Berlin auszugehen hatte, änderten sich jedoch augenscheinlich mit dem Senatsbeschluß vom 6. August. Jetzt hatte es der Senat plötzlich sehr eilig mit der Erklärung seines Beitritts, auch wenn Syndikus Banks schrieb: "Die Ungeduld des Senats bei dem Abschlusse macht mich ängstlich. Man erwartet von dem Bündnisse mehr, als es schließlich leisten wird ...159." Um zu ermessen, was sich der Senat von einem raschen Beitritt zum Dreikönigsbündnis versprach, müssen wir uns die verfahrene Lage vergegenwärtigen, die Anfang August in Harnburg herrschte. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Chancen für eine Vermittlung zwischen den alten Gewalten und der Konstituante gefährlich verschlechtert. Die "Zusammenfassung der Bedenken des Senats" vom 3. August gegen die neue Verfassung prallte in Verbindung mit seinem Revisionsersuchen am entschlossenen Widerstand der Versammlung ab, die mit ihren Beschlüssen vom 4. August unbeweglich auf ihrer Rechtsposition beharrte. Welche Folgerungen der Senat aus dieser Situation zu ziehen gedachte, erhellt aus dem Beschluß seiner Verfassungskommission vom gleichen Tage, über den ihr Praeses Amsinck berichtet: "Durch die Erörterungen und Beschlüsse in der letzten Commissions-Versammlung vom 4. August ist die Art der Behandlung in Betreff etwa wünschenswerther Abänderungen der ... Verfassung der const[ituierenden] Vers[ammlung] wesentlich verschieden von der früher von mir beabsichtigten Modalität geworden. Ich beabsichtige, daß der Senat sich über einige wenige ihm als dringend nothwendig erscheinende Grundzüge von Abänderungen ... aussprechen sollte; während nach der Ansicht der Commission ein Verfassungs-Entwurf ... ausgearbeitet werden soll, wie der Senat ihn, insofern es die Umstände herbeiführen sollten, daß man einen solchen vorzulegen veranlaßt würde, benutzen könnte. Es soll also jetzt ein systematisches zusammenhängendes Ganzes ... ausgearbeitet werden100." In einem anderen Zusammenhang werden wir näher erläutern, was diese Beschlüsse bedeuteten- nämlich einen grundlegenden Wandel in der verfassungspolitischen Strategie des Senats, der die schließliehe Oktroyierung einer selbständig ausgearbeiteten Verfassung letztlich für unvermeidlich hielt. Diese Auffassung steigerte gewiß seine Bereitschaft, 15D
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Brief Banks' an Kirchenpauer v. 12. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.). Senat/innen 2 (15)b. - Vgl. dazu weiter: 3. Kap. dieser Arbeit, S. 162.
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sich einer Stütze außerhalb Hamburgs zu versichern und an eine Vermittlungsaktion der Bündnisorgane zu denken. Denn an dem erbitterten Widerstand der Konstituante konnte für den Fall, daß der Senat eine Oktroyierung versuchte, nicht länger gezweifelt werden. Die Situation war also explosiv, als Hudtwalcker am 8. August zwei Tage, nachdem man Banks angewiesen hatte, in Berlin zum Abschluß zu kommen - sein Memorandum "über die evtl. zu unternehmenden Schritte des Senats" vorlegte. Wie erwähnt, bezeichnete Hudtwalcker die Lage des Senats als eine "desparate", hielt er Ordnung und Sicherheit der Stadt im Falle von Unruhen nicht für gewährleistet. Gerade deshalb müsse jede übermäßige Provokation der Konstituante vermieden werden. Folgerichtig warnte Hudtwalcker davor, die Verfassungsangelegenheit an Erbgesessene Bürgerschaft zu bringen und damit eine Oktroyierung einzuleiten. Wollte der Senat aber gleichwohl so verfahren, bliebe nichts weiter übrig. "als daß der Senat ... sich unmittelbar nach dem Anschluß an Preußen, Sachsen und Hannover geradezu an den Dreikönigs-Bund wendet und seine Vermittlung in der Sache erbittet"161 •
Daß der Senat sein Conclusum vom 6. August eben unter dieser Voraussetzung gefaßt hatte, das indizieren die Beschlüsse, die im Senat kurz nach dem Preußeneinmarsch zustandekamen162, das macht letztlich die Aktion unzweifelhaft deutlich, die Banks Anfang September in Berlin tatsächlich einleitete163• Freilich, zu erklären bliebe die spezifische Frage, ob der Senat bestrebt war, seine Anschlußerklärung mit dem Einmarsch des preußischen Bataillons am 13. August zu synchronisieren. Denn lag es nicht in seinem Interesse, den Beitritt einerseits unter militärischer Bedeckung zu vollziehen, andererseits aber auch den eventuell schon vorher angekündigten oder sogar angeforderten Einmarsch des Bataillons auf eine einwandfreie Rechtsgrundlage zu stellen, für den Fall, daß es zu Zwischenfällen kamt&4? Diese Fragen ergeben sich aus der Tatsache, daß die Verhandlungsfrist, innerhalb der Banks den Beitritt Hamburgs zum Dreikönigsm Senat/innen 1 (45). Vgl. diese Arbeit, unten S. 105 f. tn Vgl. unten S. 12·3 ff. 164 Denn Preußen war auf Grund des Vertrages v. 26. Mai dazu verpflichtet, seinen Verbündeten stets und vollständig Schutz zu gewähren - eine Leistung, in deren Genuß man eben legaliter und ohne allzu große Sorge um die eigene Selbständigkeit nur durch Beitritt zum Dreikönigsbündnis kommen konnte. - In Harnburg hielten sich denn auch hartnäckig Gerüchte, "daß der Senat die Preußen gerufen habe", ja merkwürdig war, "daß selbst die Truppen durchgängig der Ansicht sind, sie seien gerufen". Brief Mercks an Banks v. 21. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, Bl. 42. 101
7Bavendamm
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bündnis erklären sollte, durch Senatsconclusum vom 6. August auf etwa acht Tage bemessen wurde. Vom 6. August an gerechnet, fiel der achte Tag jener ominösen Frist - und damit die tatsächliche Abgabe der unpopulären Beitrittserklärung - ausgerechnet auf den 13. oder 14. August, auf den Tag also, an dem ein preußisches Bataillon die Stadt betrat. Diese Koinzidenz ist äußerst frappierend. Sie legt den Schluß nahe, daß der Senat am 6. August bereits vom Anmarsch der Preußen wußte. Diese Annahme wird anscheinend gestützt von einem Schreiben des preußischen Gesandten v. Kamptz an Kirchenpauer vom 12. August 1849, das am nächsten Tag im Senat behandelt wurde186. Aus diesem Schreiben geht hervor, daß der Hamburger Einquartierungskommissar Reuter dem für den Rückmarsch der preußischen Truppen verantwortlichen Major Leo schon am 10. August auf Weisung des Senats die Zusage gegeben hat, die Truppen dürften am 13. August in Harnburg Quartier nehmen. Die Weisung des Senats muß also bereits am 10. August oder in den Tagen davor ergangen sein. Läßt diese Tatsache den Schluß zu, daß dem Senat der Ankunftstermin der preußischen Truppen schon am 6. August bekannt gewesen ist? Gegen diese Annahme spricht die damals übliche Praxis der Truppeneinquartierungen166. Demnach muß Reuter das preußische Ersuchen um Einquartierung erst am 8. oder 9. August erhalten haben und vom Senat erst an einem dieser beiden Tage angewiesen worden sein, die Bitte positiv zu beantworten. All' das beweist freilich nicht, daß der Senat nicht doch schon am
6. August vom Ankunftstermin der preußischen Truppen wußte und dies
in sein politisches Kalkül einbezog. Immerhin macht es stutzig, daß sich ein - sonst übliches - förmliches Ersuchen der Preußen um Einquartierung ihrer Truppen nicht bei den Akten befindet. Auch fehlt bei
165 Vgl. Schreiben v. Kamptz' an Kirchenpauer vom 13. Aug. 49, Senat/innen 13 (1), betr. Anzeige vom Durchmarsch preußischer Truppen und Genehmi-
gung desselben. In diesem Dokument heißt es: "Der mit der Leitung des Rückmarsches der kgl. Truppen aus Schleswig-Holstein beauftragte Major ... Leo ... hat dem Unterzeichneten ein Schreiben des hiesigen ... Hauptmanns Reuter v. 10. d. M. mitgetheilt, in welchem derselbe davon Nachricht gibt, daß er von dem Hohen Senate . .. die Weisung erhalten habe, die am 13. d. M. . . . hier eintreffenden Königlichen Truppen einzuquartieren". - Diese Weisung muß also aus der Zeit vor dem 10. Aug. stammen, woraus sich ergeben mag, daß der Senat schon am 6. Aug. nicht nur über den Anmarsch des Bataillons, sondern auch über den Termin seines Eintreffens in Harnburg unterrichtet war. Wir verweisen auch auf den Bericht Banks' v. 22. Juli, vgl. S. 90 f. 168 Preußische Kontingente, die am 6. August durch Harnburg zogen, waren vier Tage, Truppen, die am 2. August in Bergedorf Quartier nahmen, fünf Tage vorher, sächsische Streitkräfte, die am 15. August in Harnburg eintrafen, sogar sechs Tage vorher angemeldet worden.
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den Akten ein möglicherweise sehr wichtiges Schreiben Kirchenpauers an Banks, in dem sich der Senator über die näheren Umstände des preußischen Truppeneinmarschs am 13. August ausläßt167• Auffallend bleibt weiterhin, daß die Beitrittsanweisung des Senats vom 6. August die mehr als zweimonatige "Wartepolitik" Hamburgs zu einem Zeitpunkt ablöste, als Banks in Berlin noch keineswegs Einigung über den künftigen handelspolitischen Status der Hansestadt erzielt hatte. Banks selber zeigte sich ja äußerst beunruhigt über die plötzliche Eile des Senats, die ihn "ängstlich" machte. Und er warnte vor "übertriebenen Erwartungen", die sich im Senat an den Bündnisbeitritt knüpften168• Was erwartete der Senat - am Ende preußische Militärhilfe gegen den "inneren Feind", wie sie der Bündnisvertrag seinen Mitgliedern verhieß? Der Hamburger Verfassungskonflikt trieb ja gerade Anfang August einem neuen dramatischen Höhepunkt entgegen, Ruhe und Ordnung waren gefährdet - eine Gefahr, die der Senat, wie das Memorandum des Polizeisenators Hudtwalcker zeigt, sehr hoch veranschlagte. Schließlich hielten sich ja auch nach dem 13. August hartnäckig Gerüchte, "daß der Senat die Preußen gerufen habe", und Merck schrieb an Banks, "daß selbst die Truppen durchgängig der Ansicht sind, sie seien
gerufen"lOD.
Das freilich sind bestenfalls Indizien, nicht aber Beweise dafür, daß der Senat bei seiner Entscheidung über die Terminierung des Bündnisbeitritts vom Eintreffen preußischer Truppen wußte oder sich diese sogar paßgerecht bestellte. Weil die Hamburger Akten unvollständig sind, muß mithin die wichtige Frage einer beabsichtigten oder rein zufälligen "Synchronisation" von Bündnisbeitritt und Truppendurchmarsch offen bleiben - sofern nicht preußische Akten den Schluß erbringen, daß wie in Südwestdeutschland auch hier Berlin der drängende Teil gewesen ist. Eindeutig verhält es sich dagegen mit der Besetzung Hamburgs durch 10 000 Preußen am 17. August: Sie kam überraschend und traf zunächst auf den erbitterten Widerstand des Senats. In diesem Zusammenhang verdient Hervorhebung, daß Hudtwalcker - auch wenn er persönlich dagegen war - gerade deshalb zu einem raschen Hilfeersuchen an die Bündnisorgane riet, weil eine militärische Besetzung "jetzt noch" vermieden werden könne. Er war nämlich der Ansicht, daß eine "Einmischung von außen" dann nicht mehr zu vermeiden sei, wenn es in Harnburg erst zu einer physischen Gewaltprobe 1~ 7 168 169
7*
Vgl. 1. Kap., Anm. 245. Anm. 141 auf S. 77. Vgl. Brief Mercks an Banks v. 21. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. li, BI. 42.
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zwischen dem Senat und den radikalen Kräften im Lager der Konstituante gekommen wäre. Die Ereignisse gaben ihm recht. Von den Tumulten überrascht, war der Senat von deren Folgen geradezu entsetzt, trat doch genau das ein, was vermieden werden sollte: Die Besetzung Hamburgs durch 10 000 Preußen am 17. August und zugleich damit eine massive "Einmischung von außen" in die inneren Angelegenheiten der Stadt. Unter diesem Aspekt scheint es uns völlig ausgeschlossen, daß es der Senat am 13. August auf die Zwischenfälle hat ankommen lassen, um die Preußen - mit allen Konsequenzen zum Bleiben zu zwingen. Daß jene Besetzung vom 17. August zudem keinesfalls verabredet war 170, ergibt sich schon aus Kirchenpauers fassungsloser Frage vom 18. August, "ob die Besetzung eine Occupation" sei.
Das beweisen die Versuche des Senats in den nächsten Tagen, die ungebetenen Truppenmassen111 wieder loszuwerden. d) Die Haltung des Senats zur Frage der preußischen Besetzung - Widerstand oder Anpassung? Banks riet noch am 18. August sowohl telegraphisch als auch brieflich dringend davon ab, die Intentionen der preußischen Regierung zum gegebenen Zeitpunkt näher zu erkunden172• Inzwischen hatte nämlich der preußische Ministerpräsident Graf Brandenburg dem Syndikus eine Antwort auf jene Note angekündigt, die Banks am 14. August in Berlin übergeben hatte. Banks machte sich zwar auf "eine ernst gehaltene Erwiderung" 173 gefaßt, hoffte aber, daß damit die Vorfälle vom 13./14. August abgetan sein würden. Er wünschte nicht, daß der Senat die preußische Regierung durch seine Nachfrage verstimmte und dadurch deren Antwortnote unnötig verschärfte. Insbesondere wollte Banks, daß der Senat in seinen Äußerungen gegenüber dem preußischen Kabinett vorläufig jeden auch nur entfernten Anschein eines Zweifels an der Rechtmäßigkeit der Besetzung vermied174• Denn nur dann 170 Wenn Banks dem von der Constitutionellen Zeitung aufgebrachten Verdacht, der Syndikus habe die "Truppensammlung" v. 17. Aug. in Berlin veranlaßt - vgl. Banks' Brief an Kirchenpauer v. 18. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.) -, entgegentrat, so war damit noch lange nicht der Verdacht entkräftet, der Senat habe das eine preußische Bataillon am 13. Aug. wissentlich und willentlich in die Stadt einmarschieren lassen. 111 Vgl. auch die bezeichnende Feststellung des Hauptmanns Reuter zur Besetzung Hamburgs durch 10 000 Preußen am 17. Aug.: "Die Einquartierung wurde nun eine gezwungene" [Hervorhebg. v. Verf.J. -Mithin war die Einquartierung des einen preußischen Bataillons am 13. Aug. keine erzwungene, sondern eine vereinbarte. 171 Fundstelle: Vgl. oben Anm. 157. 173 Ebd. 174 Ebd. Die Frage, ob die preußische Besetzung v. 17. Aug. zu Recht
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"kann das preußische Ministerium noch die Truppen in 2 bis 3 Tagen fortspediren". Stattdessen äußerte sich Banks in gleichem Brief selber über die Gründe, die Preußen mutmaßlich dazu veranlaßt hatten, Harnburg mit Militär zu belegen: "Man weiß, daß die Democraten aus Berlin und anderen Orten nach Harnburg strömen, weil sie dort noch freies Feld zu ihren Operationen zu gewinnen hoffen; man sieht ein, daß es dort früher oder später zu einem Kampf kommen wird, bei welchem nicht bloß Hamburg, sondern ganz Deutschland interessirt ist, man will Deutschland das Juwel erhalten ... und meint, die vom Senat nicht veranlaßte Gegenwart einer hinreichenden Truppenmacht werde ihm die Gewalt geben, die er sonst nicht besitze, die Klubs und die Presse ... in die gehörigen Schranken zurückzuweisen." Gleichzeitig formulierte er den Standpunkt, den er gegenüber dieser Auffassung einzunehmen gedachte: "Alle diese Ansichten muß ich berichtigen, ich muß sagen, ihr verkennt den Standpunkt einer republikanischen Regierung, und wenn die Clubs und die Presse uns an den Abgrund des Verderbens bringen sollten, wir müssen uns dahin treiben lassen, bis der äußerste Moment der Nothwehr eintritt, der Senat ... kann nur einschreiten, wenn die Überzeugung der Gefahr auch die Bürgerschaft durchdringt - so weit ist es mit uns nicht gekommen." Es fiel uns indessen auf, daß Banks in einer "vertraulichen" Fortsetzung seines Briefes seine doch nur wenig vorher so prononziert geäußerte Meinung schon am Abend des 18. August plötzlich in Frage stellte. Jetzt hieß es: "Wenn man aber die tiefe und entschiedene Überzeugung hat, wie ich sie hege, daß die neue Verfassung nicht eingeführt werden darf, ... daß der Krebs der Vereine und zügellosen Presse doch einmal ausgeschnitten werden muß, ... dann ist es auch Pflicht, sich die Frage vorzulegen, ob nicht der jetzige traurige Vorfall in seinen unmittelbaren Folgen die Mittel der Rettung bietet175." In seinem Schreiben gibt Banks auch Aufschluß darüber, woher ihm die Zweifel an der Richtigkeit seiner Überzeugung gekommen waren, für die er noch kurz zuvor so emphatisch eingetreten war. Offensichtlich war nicht nur im preußischen Ministerium, sondern "auch im diplomatischen Corps und im Publikum die Meinung verbreitet, daß die nicht vom Senat veranlaßte Zusammenziehung preußischer Truppen ihm .. . nur willkommen seyn könne". erfolgt sei oder nicht, blieb übrigens noch weit über den 14. Aug. hinaus auch im Senat kontrovers. Merck bezeichnete die preußische Maßnahme noch am 8. Sept. als "ein himmelschreiendes Unrecht, welches durch die Exzesse ... noch immer nicht gerechtfertigt war". -Brief Mercks an Banks v. 8. Sept. 49, Senat/außen 15, Band II, Bl. 89 ff. - Banks dagegen konnte "nicht finden, daß die preußische Regierung uns Unrecht zugefügt hat. Es war ganz natürlich, daß der Durchmarsch vorläufig sistiert ward." - Brief Banks' an Merck v. 9. Sept., Senat/außen 16 (40). 175 Fundstelle: Vgl. oben Anm. 157.
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Gleichwohl versicherte der stets loyale Banks: "Als diplomatischer Agent habe ich keine anderen Ansichten und Zwecke, als diejenigen, welche der Senat geltend zu machen wünscht ... Auch ist es meine eigene Ansicht, daß die Anwesenheit der preußischen Truppen die Ratifikation des Vertrages [vom 26. Mai 49] durch Erbgesessene Bürgerschaft erschweren wird und zur Abwendung des Unheils ... in Harnburg ... jetzt doch nichts beitragen kann ..." Daher habe er den preußischen Ministern "in der Sprache der Überzeugung" erklärt, "die Mittel, die ihr zu Gebote stellt, sind keine ... der Senat kann das Alles nicht thun, was ihr angebt, solange nicht die Bürgerschaft ihm in gleicher Gesinnung entgegenkommt". Trotzdem aber glaubte Banks, sich bei Kirchenpauer dringend dafür verwenden zu müssen, "diese Überzeugung auch bestätigt zu hören und ferner zu erfahren, was denn an den Zeitungsartikeln ... , auch an den Privatbriefen Wahres ist, welche melden, daß man an der Börse nichts weniger als unzufrieden mit solchen Maaßregeln [d. h. mit einer Verlängerung der Besetzung und deren Ausnutzung für gewisse konterrevolutionäre Zwecke] seyn würde" 175• Tatsächlich scheint der Senat zunächst noch weiter auf seiner Absicht bestanden zu haben, sich der preußischen Truppenmassen sobald wie möglich zu entledigen. Aus diesem Grunde hielt171 er auch vorerst noch an seiner Note vom 18. August fest, deren Übergabe Banks storniert hatte. Nun aber riß Berlin erneut die Initiative an sich. In einer vertraulichen Unterredung, die im Laufe des 19. August zwischen dem preußischen Minister für die auswärtigen Angelegenheiten und Syndikus Banks stattfand178, erklärte v. Schleinitz "unumwunden: benutzen Sie doch die Mittel, da Sie dieselben nun einmal haben ... ; es muß ja doch dazu kommen und dann sind Sie in einer viel unvorteilhafteren Lage ..." Nach dieser Aufforderung, mit der die preußische Regierung ihre wahre Absicht, wenn auch vertraulich, so doch zum ersten Mal offiziell enthüllt hatte, fand Banks, daß die Note vom 18. August hinfällig geworden sei. Dies um so mehr, als v. Schleinitz für den 20. August eine Instruktion an den preußischen Bevollmächtigten, v . Kamptz, angekündigt habe. In ihr werde jene Aufforderung wiederholt, ohne daß man viel Hoffnung haben könne, etwas an der preußischen Politik zu ändern. An Ebd. Ebd. - Die Note selbst liegt nicht vor. Vgl. Brief Banks' an Kirchenpauer v. 19. Aug. 49 (vertraulich), Senat/ außen 10 (./.). t7e Senat/außen 16 (13). 11•
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die Eröffnungen des Herrn v. Kamptz aber - so schrieb Banks weiter -werde sich "die Erwiderung des Senats knüpfen, sowie daraus ergeben, was ich im Auftrage des Senats anzubringen haben möchte. Da die Intentionen, die jetzt die preußische Regierung aufgefaßt hat, jedenfalls für den Moment zur Ausführung kommen werden, so ist der Senat in der vorteilhafteren Position, ... wenn er sich gefallen lassen muß, daß eine Anzahl preußischer Truppen vorläufig in Harnburg bleibe". Zwar schreckte den Syndikus noch immer die Vorstellung, wie sich der Senat denn rechtfertigen könne, "wenn es jemals veröffentlicht würde, daß wir unter den nun einmal obwaltenden Umständen die Anwesenheit einiger Betaillone nicht für unzweckmäßig erklärt hätten". Und doch rang sich Banks erneut zu der quälenden Frage durch, "ob man die Anwesenheit preußischer Truppen ... nicht benutzen muß, um darzuthun, was doch einmal geschehen muß". Die preußische Verbalnote, die v. Kamptz am 20. August übermitteltem, sprach denn auch unverhohlen aus, zu welchem Nutz und Frommen der mächtige Nachbar seine Soldaten in der Hansestadt verwendet sehen wollte. Freilich war davon nur im vertraulichen Teil der Eröffnungen180 die Rede. Der ostensible Teil der Note begründete das Verbleiben der preußischen Truppen mit allerlei Vorwänden und Scheingründen und setzte das Einverständnis des Senats schlicht als gegeben voraus. Vor allem- so erklärte Preußen- müsse im Interesse der aus den Herzogtümern Schleswig und Holstein zurückkehrenden Soldaten dafür gesorgt werden, daß sich Vorfälle wie die vom 13./14. August nicht wiederholten. Dieser Aufgabe werde sich der Senat aber allein aller Voraussicht nach nicht gewachsen zeigen, habe doch das Hamburger Bürgermilitär seine Unzuverlässigkeit bewiesen. Beruhigend wurde versichert, daß die Souveränität der Stadt nicht angetastet werden solle und daß der weitere Aufenthalt der Truppen nur als vorübergehend anzusehen sei. Abschließend aber machte die preußische Regierung klar, wie sie sich die Unantastbarkeit der hamburgischen Souveränität vorstellte, indem sie erklärte: "Jedenfalls sind wir ebenso berechtigt als verpflichtet, für die Aufrechterhaltung der Ruhe Garantien zu fordern, welche in der jetzigen Organisation der Bürgerwehr ur.d der den Vereinen und der Presse gewährten Licenz nicht mehr zu finden ist." Unumwunden also meldete· Preußen seinen Anspruch an, tief in das politische Gefüge der Hansestadt einzugreifen. Es wurde noch deut180 Senat/außen 16 (28). - I. e. eine gedächtnismäßige Niederschrift Kirchenpauers betr. das vertrauliche Schreiben des Ministers v. Schleinitz vom 17. Aug. 49 an v. Kamptz, das dieser Kirchenpauer (i. V. Mercks) am 20. Aug. ebenso vertraulich mitteilte.
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licher im vertraulichen Teil der Note: Dem Senat wurde dringend empfohlen, "die Anwesenheit der preußischen Truppenmacht zu benutzen, um seine Regierungsgewalt wieder zu befestigen, welche er durch Nachgiebigkeit und Schwäche in der letzten Zeit eingebüßt habe". Zwar wurden die Konstituante und deren Verfassungswerk nicht direkt erwähnt, dagegen aber "die Nothwendigkeit und Zweckmäßigkeit eines Anschlusses an das Bündnis vom 26. Maid. J." dem Senat angeratentst. Ein erstes Zeichen für die Bereitschaft zum Einlenken gab Kirchenpauer, der nach Entgegennahme der Verbalnote v. Kamptz gegenüber anregte, "daß die Sache in die Hände des Verwaltungsrathes übergehe und die preußischen Truppen durch diejenigen einer der anderen verbündeten Staaten ersetzt werden". Auf eine telegraphische Rückfrage des preußischen Bevollmächtigten erklärte Berlin zwar, daß man gegen den Austausch der eigenen Truppen gegen ein aus Hannoveranern. und Preußen gemischtes Kontingent nichts einzuwenden habe, verwies aber darauf, "daß die Sache deswegen nicht an den Verwaltungsrath gelangen könne, weil Harnburg noch nicht dem Bündniß beigetreten sey". Dieser Einwand mochte formaljuristisch zutreffen, mutet aber dennnoch widersinnig'. an. Denn Preußen konnte sich selber doch nur dann wenigstens mit einem Anschein von Recht für "berechtigt und verpflichtet" halten, Garantien für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in der Hansestadt zu fordern, wenn es in Harnburg als Führungs- und Schutzmacht des Dreikönigsbündnisses auftrat, dem sich der Senat ja erst salva ratificatione durch Erbgesessene Bürgerschaft angeschlossen hatte. Allerdings- und das war die paradoxe Konsequenz - mußte es dem Senat um so leichter fallen, die Hinnahme der fremden Besatzung als unvermeidlich und damit auch als unverschuldet vor der Bevölkerung zu rechtfertigen, je massiver Preußen in Erscheinung trat182 • Unter diesen Umständen war es freilich erforderlich, die Bürger, besonders die Handelskreise, durch eine beruhigende Erklärung der Sorge zu entheben, es werde die Unabhängigkeit der Stadt angetastet, wobei man sich ja auf den ostensiblen Teil der preußischen Note vom 20. August berufen konnte. In diesem Sinne erschien denn tat Erneut fand sich auch ein Hinweis auf das Vereins- und Pressewesen. Dieser Meinung war schließlich auch schon Banks gewesen, vgl. Brief Banks an Kirchenpauer v. 19. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.). 18 2
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auch am 21. August eine "Bekanntmachung" des Senats183, die freilich die verdeckten Absichten der Okkupationsmacht verschwieg. Tags zuvor war das Ratskollegium zusammengetreten, um aus jener preußischen Note Schlüsse zu ziehen184• Hier zeigte man sich denn auch endlich bereit, 1. die Anfrage vom 18. August nach den Absichten der preußischen Regierung185 fallen zu lassen. Weiter beschloß der Senat, 2. seine Antwort auf die Verbalnote v. Kamptz' 186 mit einer "Auseinandersetzung über die hiesigen Verhältnisse, ... namentlich soweit dabei der Zustand der Presse, des Vereinswesens und der Bürgergarde in Betracht kommt, zu verbinden und dabei die Absicht des Senats zu erkennen zu geben, den damit verbundenen Übelständen nach Kräften zu steuern ... "; 3. der preußischen Besetzung zuzustimmen, dabei aber 4. die nach Harnburg verlegte Truppenzahl als zu hoch zu bezeichnen und ein Interesse an einer näheren Regelung der Einquartierungsfrage anzumelden; 5. die Arbeiten an einer Reorganisation des Bürgermilitärs zu beschleunigen (Einsetzung einer Kommission); 6. den Polizeiherrn über den Zustand des Vereins- und Pressewesens berichten zu lassen, sowie 7. den ganzen Fragenkomplex so zu bearbeiten, daß die Angelegenheit "sobald als möglich aus den Händen der Königlich Preußischen Regierung in die des Verwaltungsrathes übergehe", weswegen eine Beschleunigung der Ratifikation der Beitrittserklärung vom 14. August durch Erbgesessene Bürgerschaft angestrebt werden sollte. Punkt 7) verdeutlicht, daß der Senat die preußische Intervention grundsätzlich noch immer als unrechtmäßig betrachtete und daß er bestrebt war, die nun einmal bestehenden Verhältnisse möglichst rasch auf eine ungefährlichere Basis zu gründen. Im übrigen aber zeigen seine Beschlüsse, daß er vorerst keine andere Möglichkeit sah, als sich den preußischen Forderungen zu unterwerfen, nämlich "dasjenige auszuführen, was nothwendig ist, wenn das ganze Unglück nicht ohne jeden Vortheil für uns vorübergehen soll"187• 183 Senat/innen 11 (11). Diese Bekanntmachung ging ebenfalls auf die Senatsbeschlüsse v. 20. Aug. zurück, vgl. die nächste Anm., aber auch Brief Mercks an Banks v. 21. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, Bl. 42 ff. 184 Extractus Protocolli Senatus Hamburgensis v. 20. Aug. 49, Senat/außen
16 (14).
185 Gemeint ist die Note, mit deren Übergabe Banks am 18. Aug. betraut worden war. - Vgl. diese Arbeit oben, S. 94 f. 181 Gemeint ist die preußische Verbalnote v. 20. Aug. 49, vgl. oben S. 103 f. 187 Brief Mercks an Banks v. 21. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. Il, Bl. 42.
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Noch am Abend des gleichen Tages wurde Banks von Kirchenpauer angewiesen: "Lenken Sie allmählig [sie] ein, der Senat will einige Truppen behaltentss." Wir müssen also davon ausgehen, daß die preußischen Soldaten fortan mit Billigung des Senats in der Hansestadt blieben, wenn wir auch nicht verkennen können, daß er bei dieser Entscheidung empfindlich eingeengt war. Insbesondere legte ihm der Umstand Fesseln an, daß Preußen - wenn auch in den Augen des Senats mit einem gewissen Recht Genugtuung forderte für die seinen Truppen beigefügte Schmach. Mit Rücksicht darauf hatte sich Banks gleich nach den Zwischenfällen vom 13./14. August gegen die Absicht des Senats gewehrt, in Berlin die an sich gerechtfertigten Bedenken gegen die Zulässigkeit der preußischen Besetzung geltend zu machen1su. Schon am Abend des 18. August konnte er nach einem Gespräch mit v. Brandenburg melden, daß Preußen "Genugtuung für das vergangene und Sicherheit für die Zukunft" fordern werde. Die preußische Note vom 20. August190 hatte diese Forderung, die auf eine Reorganisation des Bürgermilitärs, sowie auf eine Neuordnung des Presse- und Vereinswesens hinauslief, andeutungsweise präzisiert191 • Zwar erwies sich später, daß der preußische Druck auf das 188 Brief Banks' an Merck v. 31. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.).- Merkwürdigerweise ließ sich dieser Brief Kirchenpauers, den Banks gegenüber Merck erwähnt, trotz emsiger Suche in allen einschläg-igen Aktenkonvoluten nicht auffinden. Banks antwortete mit seinem Brief v. 31. Aug. auf ein Schreiben v. 29. d. M. In diesem Schreiben erkundigte sich Merck, der erst am 21. Aug. seine Amtsgeschäfte wieder aufgenommen hatte, allem Anschein nach bei Banks über den genauen Hergang der Ereignisse in der Zeit v. 14. bis zum 20. Aug. Aus der Tatsache, daß dieser Brief Mercks - der in der Art seiner Fragestellung gewiß weiteren Aufschluß über die Umstände der Preußenbesetzung hätte bringen können - ausnahmsweise nur dem Sinn nach in ein paar Zeilen wiedergegeben, statt - wie sonst üblich - im Wortlaut kopiert worden ist, läßt in Verbindung mit dem verschwundenen KirchenpauerSchreiben auf eine Manipulation der Akten schließen. - Vgl. in diesem Zusammenhang auch oben Anm. 125 auf S. 89. - Daß sich Merck mit der Entscheidung des Senats, Truppen zu behalten, einverstanden erklärte, auch wenn er am Entstehen dieser Entscheidung keinen Anteil gehabt hatte, ergibt sich aus seinem Schreiben v. 21. Aug. an Banks. Dort heißt es: ". .. daß nunmehr eine gesetzliche definitive Regulirung unserer Verhältnisse angebahnt werde. Diese Ansicht erscheint mir die richtige und allein ersprießliche ... Es läßt sich behaupten, ... daß dem Zustande der Anarch.i e nur durch eine Garnison fremder Truppen Schranken gesetzt werden könne." - Vgl. Brief Mercks an Banks v. 21. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, Bl. 42. 188 Brief Banks' an Kirchenpauer v. 18. Aug. 49, Brief Banks' an Kirchenpauer v. 19. d. M., Senat/außen 10 (./.). 110 Vgl. diese Arbeit oben, S. 103 f. 191 Vgl. auch das Gespräch zwischen Bürgermeister Barteis und dem General v. Prittwitz, von dem Barteis seinem Kollegen Kellinghusen in einem Brief v. 22. Aug. 49 berichtet. - Vgl. diese Arbeit unten S. 137 und Senat/ außen 16 (17).
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Bürgermilitär weiterging, als es dem Senat Recht sein konnte 192• Doch hatte dieser schon mit seinen Beschlüssen vom 20. Augustl 93 zu erkennen gegeben, daß er den preußischen Wünschen prinzipiell entgegenkommen wollte. Im Austausch dagegen versuchte der Senat in Berlin durchzusetzen, daß die Fortdauer der militärischen Besetzung vor der Öffentlichkeit allein mit militärisch-strategischen Argumenten begründet und daß die Zahl der in Harnburg stehenden Truppen verringert werde. Es ginge zu weit, diese Verhandlungen hier im Detail nachzuzeichnen194• Es verdient jedoch Hervorhebung, daß der Senat die Ratifikation des Beitritts zum Dreikönigsbündnis jetzt gerade deshalb mit soviel Eifer betrieb, weil er seinen Forderungen gegenüber Preußen mehr Rückhalt zu verleihen und das gegenseitige Verhältnis zu verbessern trachtete195 • Banks hatte bereits am 22. August bemerkt: "Gebe Gott, daß wir mit dem Anschlußvertrage [bei Erbgesessener Bürgerschaftl durchkommen, dann brechen wir die Bresche für ganz Norddeutschland108." Und am 26. August betonte er aus seiner Berliner Sicht "das ganze Gewicht, das uns gerade in diesem kritischen Moment197 unser Beitritt, als beispielgebend, verschaffen kann"19B. Offenbar rechnete sich der Senat eine Chance aus, daß Preußen den Anschluß Hamburgs an das Bündnis vom 26. Mai honorieren würde, indem es die Forderung nach Auflösung des Bürgermilitärs fallen ließ und das Gros seiner Truppen aus der Hansestadt abzog. m Vor allem forderte Preußen zunächst noch die Auflösung des Bürgermilitärs, was der Senat jedoch abwehren konnte. - Vgl. oben S. 115 ff. tn Vgl. oben S. 105 ff. 104 Briefe Banks an Kirchenpauer v. 21. u. 22. Aug. Senat/außen 10 (./.). - Brief Mercks an Banks v. 24. Aug., Senat/außen 15, Bd. II, BI. 56 ff. Harnburgische Note v. 25. Aug., Senat/außen 16 (20). - Preußische Note v. 27. Aug., ebd. (21). 195 Am 17. August hatten bereits Ehrb. Oberalten ihre Mitgenehmigung erteilt; vgl. Senat/außen 3 (74). - Am 20. Aug. stimmte das Kollegium der Sechziger mit nur acht Gegenstimmen für einen Anschluß an das Bündn;is; vgl. Senat/außen 3 (77). - Am 25. Aug. erklärte sich auch das Kollegium der Hundertachtziger mit 60 : 8 Stimmen (99 Mitglieder waren anwesend) dafür. 31 Mitglieder wollten einen Beitritt nur unter Vorbehalt; vgl. Brief Mercks an Banks v. 25. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 60 ff., vgl. auch Senat/ außen 3 (78). 198 Brief Banks an Merck v. 22. Aug., Senat/außen 10 (./.). Tatsächlich erklärten die Bürgerschaften von Bremen und Lübeck ;in Anlehnung an das Hamburger Beispiel bald nach dem 27. Aug. ebenfalls ihre Zustimmung zum Beitritt. - Vgl. Brief Banks' an Merck v. 31. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.). 197 Hannover und Sachsen zeigten zum ersten Mal deutlich Neigung, sich vom Dreikönigsbündnis abzuwenden. 198 Brief Banks' an Merck v. 26. Aug. 49, Senatfaußen 10 (./.).
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Während Syndikus Banks in Berlin mit v. Schleinitz und v. Manteuffel um einen Ausgleich in der Frage der Bürgermilitär-Auflösung rang198, versuchte Merck in Harnburg den preußischen Bevollmächtigten v. Kamptz vergeblich zu bewegen, den größeren Teil der preußischen Truppen aus eigener Machtvollkommenheit abmarschieren zu lassen, bevor die Bürgerschaft am 27. August zusammentrat, um über die Beitrittsfrage zu beschließen200 • Denn dem Senat schien es bis zur letzten Minute nicht sicher, ob sich die Bürgerschaft angesichts der preußischen Präsenz für den Senatsantrag erklären würde201 • Neben der drückenden Last der Einquartierung waren es vorwiegend kommerzielle Bedenken, die vor allem die kleinen Kaufleute gegen den Anschluß einnahmen202• Am Ende aber bewährte sich das Zusammenspiel zwischen Senat und Commerz-Deputation aufs Neue: Zu Beginn des Rat- und Bürgerkonvents am 27. August wurde eine Denkschrift des Commerziums verbreitet, die geeignet war, alle Bedenken zu zerstreuen, indem sie einen rechtzeitigen Anschluß als das immer noch kleinste Übel hinstellte203 • Auf jeden Fall erteilten alle fünf Kirchspiele dem Senatsantrag ihre Mitgenehmigung und ratifizierten damit den Beitritt Hamburgs zum Dreikönigsbündnis204 • Danach konnte einem Ausgleich der Differenzen Briefe Banks' an Merck v. 26., 27., 28. u . 30. Aug. 49, ebd. Brief Mercks an Banks v. 26. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, Bl. 63 u. 65 ff. - Der Abzug preußischer Truppen wurde von v. Kamptz zu diesem Zeitpunkt aber noch verweigert, weil die preußische Regierung an der Auflösung des Bürgermilitärs noch als Voraussetzung festhielt. 201 Vgl. ebd. Und zwar drückte die Bevölkerung einmal die Einquartierungslast, zum anderen entfaltete der Freihandelsverein in der Bürgerschaft - unterstützt von den Anhängern der Konstituante - eine lebhafte Agitation gegen den Anschluß. Schließlich war es demütigend, den Beitritt unter dem Eindruck einer derart massiven preußischen Präsenz zu vollziehen. Vgl. Baasch, Verein f. Handelsfreiheit, S. 37 ff.; vgl. Brief Mercks an Banks v. 23. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, Bl. 54 ff. 202 Brief Mercks an Banks v. 23. Aug. 49, ebd. 203 Vgl. das "Promemoria" der Kommerz-Deputation v. 24. Aug. 49, Senat/ außen 3 (84) und Anlage. - Vgl. auch Baasch, Handelskammer, Bd. II, 1, s. 141 ff. !04 Vgl. Rat- und Bürgerschlüsse, 1849. Nach einer Aufzeichnung Kirchenpauers fiel das Abstimmungsergebnis im einzelnen wie folgt aus: dafür dagegen St. Petri 71 68 St. Nicolai 82 50 66 36 St. Cathal'inen 116 66 St. Jacobi St. Michaelis 110 55 zusammen 445 275 Vgl. Senat/außen 3 (84). - Hudtwalcker gibt in seinen Memoiren, 1849, S. 59, an, daß insgesamt 723 Mitglieder der Erbg. Bürgerschaft anwesend gewesen seien. Setzt man diese Zahl mit der Anzahl der Virilstimmen, die sich aus Kirchenpauers Angaben ergeben, in ein Verhältnis, müssen sich 151 Erbgesessene und Personalisten der Stimme enthalten haben. 199
200
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zwischen Harnburg und Preußen über die Reform des Bürgermilitärs und den Abzug der Truppen nicht mehr viel im Wege stehen205• Am 27. August abends wurde den preußischen Landwehrregimentern in Harnburg telegraphisch der Befehl zum Abmarsch gegeben206 , mit dem man am 1. September begann207 • Nach einem Gespräch, das auf Wunsch des Ministers v. Schleinitz zustandegekommen war, meldete Banks am 3. September aus Berlin: "Unsere Differenz mit Preußen ist nun endlich auf dem Punkt angelangt, auf welchem eine möglichst baldige und vollständige Erledigung sich in Aussicht stellt ... Das Ministerium verzichtet auf die Auflösung der Bürgergarde ... Dagegen wünscht man ein officielles vom präsidierenden Bürgermeister unterzeichnetes Schreiben des Senats an den Präsidenten des Ministerii, v. Brandenburg2os," das folgende Punkte enthalten sollte:
1. eine Erklärung des Bedauerns über die Vorfälle vom 13./14. August, sowie eine Anerkennung der Haltung der preußischen Truppen; ferner Mitteilungen über 2. den Stand der Untersuchungen, betreffend die Vorfälle vom 13./14. August; 3. den Stand der Vorarbeiten, betreffend die Reorganisation des Bürgermilitärs und betreffend die Relegation der an den Vorfällen vom 13./14. August beteiligten Bürgergardisten; sowie 4. den Stand der Vorarbeiten, betreffend Maßnahmen gegen das Vereins- und Pressewesen. In Erwiderung dieses Schreibens würde dann von der preußischen Regierung "die vollste Befriedigung ausgesprochen, das vorgängige Verbleiben der jetzt noch vorhandenen Truppen aus militärischen Gründen ... als notwendig dargestellt und gerechtfertigt und um bundesmäßige Zustimmung des Senates dazu ersucht werden"209 • Einwände erhob der Senat lediglich gegen die Form des Schreibens, die er als ungewöhnlich und unangemessen empfinden mußte210• Wir können uns im Rahmen unserer Arbeit nicht näher mit den Verband205 Schon am 26. Aug. hatte Banks prophezeit : "Ratificiren wir, wird alles unschwer zu erledigen seyn". - Brief Banks' an Merck v. 26. Aug., Senat/ außen 10 (./.). - Vgl. die weiteren Verhandlungen: Senat/außen 16 (23) und
(24).
Brief Banks' an Merck v. 27. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.). Senat/innen 12, S. 39 ff. 108 Brief Banks' an Merck v. 3. Sept. 49, Senat/außen 16 (35). 109 Ein Entwurf für ein Schreiben diesen Inhalts aus der Feder von Banks lag dem Senat am 4. oder 5. Sept. 49 zur Beratung vor. - Vgl. Senat/außen 16 (37). 110 So Merck an Banks: "Der Senat schreibt in dieser Weise nur an Fürstliche Personen, aber niemals an Regierungen ... Dann wird ,der unterzeichnete Senat' geschrieben, aber nur vom Sekretär unterzeichnet". Brief Mercks an Banks v. 5. Sept. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 80 ff. 106
zo1
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Iungen befassen211 , die schließlich am 11. September in ein offizielles Schreiben des Senats an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. 212 ausmündeten. Bereits am 15. September meldete Banks aus Berlin, daß "die Angelegenheit mit Preußen geordnet ist" 213. Die infolge der Ereignisse vom 13./14. August zwischen Harnburg und Preußen aufgetretenen Spannungen und Differenzen fanden dann auch preußischerseits ihren formellen Abschluß durch ein eigenhändig signiertes Schreiben, das v. Brandenburg am 22. September dem Syndikus Banks in Berlin überreichte214 • Nur scheinbar haben wir auf den letzten Seiten die Hamburger Verfassungsangelegenheit etwas aus den Augen verloren. Es ging uns aber gerade darum, die reale Basis zu ergründen, auf der sich fortan die Verfassungspolitik des Senats und die Gegenzüge der Konstituante bewegten. Wird doch in der Literatur seit jeher die Meinung vertreten, der preußische Eingriff in die inneren Verhältnisse der Hansestadt habe für den lokalen Verfassungskonflikt die alles entscheidende Wende bedeutet215. Diese Meinung galt es vor allem an Hand der einschlägigen Senatsakten, die vor uns weder systematisch noch umfassend ausgewertet wurden, neu zu begründen und zu erhärten. Das Bild von den Voraussetzungen, unter denen der Senat jetzt verstärkt die Auseinandersetzung mit dem Verfassungswerk der Konstituante betrieb, wäre indessen unvollständig, würden wir nicht wenigstens kurz auch die weiteren Folgen der preußischen Intervention und des Hamburger Beitritts zum Dreikönigsbündnis aufzeigen. In der Tat sehr bedeutsame Rückwirkungen auf die Bewegungsfreiheit und Erfolgsaussichten der Konstituante und ihrer Anhänger einerseits, wie andererseits auf das Stehvermögen und den Widerstandswillen des Senats mußten in der Zukunft von drei Faktoren ausgehen. Wir meinen: 1. Die Tatsache, daß sich der Senat fortan militärisch auf eine preußische Garnison stützen konnte; 2. die Verabschiedung eines Pressegesetzes sowie der Verordnung zur m Vgl. dazu die einschlägigen Akten im Hamburger Staatsarchiv. Senat/außen 16 (43) nebst Begleitschreiben an den preußischen Ministerpräsidenten Graf v. Brandenburg. us Brief Mercks an Banks v. 15. Sept. 49, Senat/außen 15, Bd. III, BI. 11. m Senat/außen 16. 215 So z. B. Gabe, Harnburg i. d. Bewegung v. 1848/ 49, S. 164 ff. Hudtwalkker schreibt: Durch Hamburgs Beitritt zum Bündnis "ward die Zurückweisung der von der constituirenden Versammlung beschlossenen Verfassung glücklicherweise wo nicht allein möglich, doch sehr erleichtert". - Und weiter heißt es auf S. 56 f.: Durch die "bloße Anwesenheit der preußischen Besatzung" habe die Verfassungsfrage "ihre Dringlichkeit verloren", weil "der von der constituirenden Versammlung zur Berufung der neuen Bürgerschaft als Termin geforderte 1. September nicht berücksichtigt zu werden brauchte". 111
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Verhütung des Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts am 20. September 1849 und schließlich 3. die Aufhebung des Gesetzes über die Wahl der Bürgermilitäroffiziere vom 6. Dezember 1848 durch Rat- und Bürgerschluß vom 13. Dezember 1849. 3. Die Folgen des preußischen Eingriffs - Militärische Präsenz und Zurücknahme der "revolutionären Errungenschaften" des Jahres 1848
a) Das Verbleiben einer preußischen Garnison in Hamburg Auch nach dem Abmarsch der meisten Abteilungen blieb noch bis zum November 1850 ein preußisches Kontingent in der Stadt zurück, das 101 Offiziere, 3 817 Mannschaften und 946 Pferde umfaßte216 • Dieses Kontingent bot mit seiner relativen Stärke eine wirksame Garantie gegen gewaltsame Umsturzversuche "von links" und verschaffte dem Senat zugleich die äußere Machtvoraussetzung für eine erfolgreiche Durchsetzung seiner Verfassungspolitik. Zwar hatte der Senat in Berlin schon sehr früh auf eine Reduzierung der Truppenstärke hingewirkt217 , um die Reibungsfläche gegenüber der Bevölkerung abzubauen, die unter der enormen Einquartierungslast stöhnte218 • Gleichzeitig aber war man sich im Senat offenbar völlig klar darüber, daß innenpolitisch "viel mehr erreicht wird durch eine kleinere Anzahl von preußischen Soldaten"219. Als sich nach der Ratifizierung des Hamburger Beitritts zum Dreikönigsbündnis durch die Bürgerschaft die Bereitschaft Preußens abzeichnete, seine Soldaten aus der Hansestadt abzuziehen, wurde denn auch Banks am 29. August in Berlin instruiert, "daß eine völlige Rückziehung der Truppen noch nicht wünschenswerth erscheine"220. Denn augenscheinlich verlor der Senat auch nach dem 27. August nicht das Gefühl, auf einem Pulverfaß zu sitzen, von dem er nicht wußte, wann es explodierte221 . Jedenfalls schrieb Merck im Auftrage des Ratskollegiums: Senatfinnen 12, S. 39 ff., sowie Anlage Nr. 8 auf S. 75. Vgl. den Senatsbeschluß v. 20. Aug. 49, in dieser Arbeit oben auf S. 1{)5 f., Punkt 4 u. Anm. 172 auf S. 100. us Vgl. den Wortlaut der hamburgischen Note v. 25. Aug. 49, Senat/außen 16 (20). - Dort heißt es: Eine Verminderung der Truppenzahl sei "ebenso sehr in der Billigkeit begründet als zur Verhütung einer gereizten Stimmung gerathen". 119 Brief Mercks an Banks v. 22. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 50 ff. 220 Brief Mercks an Banks v. 29. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 71 ff. 221 Einen guten Eindruck von der im Senat offenbar verbreiteten Stimmung ängstlicher Unsicherheit gibt z. B. Binders Referat v. 14. November 49. - Vgl. 3. Kap. dieser Arbeit, S. 192 ff. 216
117
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"Einige Tausend Mann müssen hierbleiben .. . damit wir nicht später in die schlimmere Lage kommen, Truppen bei Exzessen rufen zu müssen, die dann ganz anders auftreten dürften, als das bis jetzt geschehen ...m ." Freilich mußte der Senat aus optischen Gründen bei der Bevölkerung den Eindruck erwecken, ein Rest preußischen Militärs verbleibe in Harnburg allein aus strategischer Rücksicht auf die in Schleswig und Holstein stehenden anderen preußischen Verbände, "da man doch sich nicht entschließen wird, laut anzuerkennen, daß man sie auch noch aus anderen Gründen gerne ... behalten möchte und, ich muß leider! bekennen, behalten muß"m. In diesem Sinne setzte sich Banks in Berlin ein224 , in diesem Sinne honorierte Preußen auch durchaus den Beitritt Hamburgs zum Dreikönigsbündnis, das Hamburger Wohlverhalten bei der Neuregelung des Presseund Vereinswesen, sowie bei der Reorganisation des Bürgermilitärs225 • Es ist indessen auffällig, daß das Schutzbedürfnis des Senats und seine dadurch bedingte Abhängigkeit von der Präsenz eines fremden Expeditionskorps innerhalb der Stadt bis weit in das Jahr 1850 anhielt. Das legt den Gedanken nahe, daß sein Interesse am Verbleiben eines preußischen Kontingents eben nicht nur mit der besonders explosiven Lage zu motivieren ist, wie sie im Juli/August 1849 nun einmal in Harnburg bestand. Vielmehr scheint dieses Interesse Symptom für ein im Senat weit verbreitetes Bewußtsein zu sein, das die eigene Stellung im Gesamtgefüge der politischen und sozialen Kräftekonstellation der Hansestadt als relativ isoliert und daher schutzbedürftig begriff. Doch wird davon noch an anderer Stelle die Rede sein226 •
b) Die Verabschiedung des Pressegesetzes und der Verordnung zur Verhütung des Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts durch Rat- und Bürgerschluß vom 20. September 1849 In den Augen seines innenpolitischen Gegners vermochte der Senat die Chance, die ihm die Ereignisse boten, in jeder Hinsicht optimal zu Brief Mercks an Banks v. 30. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, Bl. 72 ff. Ebd. 224 Brief Banks' an Merck v. 31. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.), in dem es bezeichnenderweise heißt: "Es freut mich ungemein, daß der Senat mit meinem Bestreben zufrieden ist, das odium des Verbleibens einer preußischen Besatzung von ihm abzuwenden". 225 Denn König Friedrich Wilhelm IV. ließ seinen Ministerpräsidenten v. Brandenburg dem Senat gegenüber, aber auch für die Öffentlichkeit unüberhörbar am 22. Sept. verkünden: die restlichen preußischen Truppen blieben "rein" aus militärischen Gründen auch weiterhin in Hamburg. - Vgl. auch oben Anm. 214. tu Vgl. 3. Kap. dieser Arbeit, S. 192 ff. - Dazu hier nur eine Äußerung Mercks v. 22. Aug. 49 : "Die Stimmung kehrt sich täglich mehr gegen den Senat ,in allen Ständen . . . Soviel ist gewiß, gingen jetzt alle Truppen, so wäre man seines Lebens nicht sicher". Brief Mercks an Banks v. 22. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, Bl. 50 ff. 222
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nutzen. Zwar meinte Syndikus Merck, die Maßnahmen gegen die Presse und die politischen Vereine würden nicht deshalb ergriffen, "weil Preußen sie verlangt hat, sie wären auch sponte geschehen". Immerhin aber war er realistisch genug, hinzuzufügen, daß "man jetzt freilich durch preußische Hilfe die Macht hat, solche Dinge durchzusetzen "227. In der Tat ist es höchst zweifelhaft, ob sich der Senat gerade in der brisanten Atmosphäre, die in der Stadt schon vor dem Preußeneinmarsch herrschte, je dazu aufgerafft hätte, Agitation und Willensbildungsprozeß der revolutionären Kräfte Hamburgs derart einzuschränken, wie es das Pressegesetz und die "Verordnung zur Verhütung des Versammlungs- und Vereinigungsrechts" vom 20. September 1849 zuließen. Es schien anfangs sogar nicht einmal sicher, ob der Senat willens war, die preußische Besetzung von sich aus zu einem raschen und massiven Schlag gegen das Vereins- und Pressewesen zu nutzen228• Eher war man geneigt gewesen, diese Fragen nach Ratifikation des Beitritts zum Dreikönigsbündnis vor den Verwaltungsrat zu bringen228 • Zunächst nämlich hatte sich der Senat nur dazu entschließen können, das Tumultmandat vom 8. Juli 1796 zu erneuern230, das über die Stadt eine nächtliche Ausgangssperre verhängte. Für weiterreichende Maßregeln fehlten ihm überdies vorerst die gesetzlichen Grundlagen231 • Erst der fortgesetzte Druck, den Berlin auf verschiedenen Ebenen ausübte232 , veranlaßte den Senat, am 25. August gegenüber Preußen zu erklären, "daß vorzüglich dem Unfuge einer schrankenlosen Presse, sowie dem die Möglichkeit jeder kräftigen und gedeihlichen Regierung ausschließenden Einfluß falsch geleiteter politischer Vereine durch gesetzliche und polizeiliche Maßregeln entgegengetreten werde" 233. Brief Mercks an Banks v. 11. Sept. 49, Senat/außen 15, Bd. 111, BI. 1 ff. Briefe Merck:s an Banks v. 21. u. 22. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 47 ff. bzw. 50 ff. - Brief Banks' an Merck v. 22. Aug. 49, Senat/außen 227
22s
10 (./.).
Vgl. den Senatsbeschluß v. 20. Aug. 49, Senat/außen 16 (14). Und zwar geschah das durch Senatsbeschluß v. 14. Aug. 49. - Vgl. den Text des Mandats: Lappenberg, Verordnungen, Band 21 (1849/ 50), S. 125 ff. 23 1 Die Zensur war in Harnburg am 9. März 1848 aufgehoben, ein Pressegesetz war verheißen und bereits von der Reformdeputation beraten worden. Meinungs- und Pressefreiheit, sowie Versammlungs- und Vereinigungsrecht wurden durch Publikation der Frankfurter Grundrechte am 19. Januar 1849 auch in Harnburg eingeführt, allerdings mit dem gewichtigen Vorbehalt, daß "zur Verwirklichung derselben in Harnburg und dessen Gebiete .. . annoch mehrfache ... gesetzliche Verfügungen nöthig" seien. - Vgl. Oberalten/Übersicht, 1849, S. 36 und Lappenberg, Verordnungen, Bd. 21 (1849/50), S. 13 f. und Bd. 20 (1847/48), S. 548-564. m Preußische Note v. 20. Aug. 49, Senat/außen 16 (13) und Brief Bürgermeister Bartels' an Bürgermeister Kellinghusen v. 22. Aug. 49 über sein Gespräch mit General v. Prittwitz, Senat/außen 16 (17). 133 I. e. ein Dokument (Entwurf Merck), das dem Gesandten v. Kamptz als Verbalnote übergeben werden sollte - vgl. Senat/außen 16 (19) und (20) und das eine Antwort auf die preußische Note v. 20. Aug. darstellte. ~29
230
SBavendamm
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Zwar kann man mit Sicherheit annehmen, daß der Senat im Grunde mit einer spürbaren Beschränkung der Presse-, sowie der Vereins- und Versammlungsfreiheit sehr einverstanden war. Immerhin aber scheint seine Entschlußkraft durch die Beharrlichkeit, mit der Preußen seine Maßnahmen als Teil der Genugtuung für die an seinen Truppen verübte Schmach forderte 234, stimuliert worden zu sein. Im Ratskollegium war man sich allerdings bis zum 14. September nicht im klaren darüber, ob es zweckmäßig sei, im Konvent Maßnahmen gegen die Presse und die Vereine zu beantragen, ehe der Senat nicht in der Verfassungsfrage selbst mit präzisen Vorschlägen an die Bürgerschaft herangetreten war. Denn solange er die Öffentlichkeit nicht darüber aufgeklärt hatte, in welcher Richtung sich seine Vorstellungen bewegten, mußte er befürchten, daß vor allem die Mitglieder und Anhänger der Konstituante, die teils ebenfalls in der Bürgerschaft saßen, gegen das Presse- und Vereinsgesetz stimmen würden, das sie leicht als Vorboten einer reaktionären Verfassungspolitik des Senats mißdeuten konnten. Dieser Gefahr begegnete der Senat durch seine Beschlüsse vom 14. und 18. September235 : Es wurde vereinbart, vor dem entscheidenden Rat- und Bürgerkonvent über die Verfassungsfrage236 noch eine Bürgerschaft am 20. September abzuhalten, in der die Gesetzentwürfe über das Presse- und Vereinswesen vorgelegt werden sollten, dagegen aber die Propositionen in der Verfassungsangelegenheit schon am Abend des 19. September zu veröffentlichen, - was in der Tat die Gemüter beruhigte237. Diese Taktik erwies sich als höchst erfolgreich: Trotz des sehr restriktiven Charakters der Vorlagen, wurden die Entwürfe für das "Pressegesetz" und für die "Verordnung zur Verhütung des Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts" 238 am 20. September von der Bürgerschaft mit großer Mehrheit angenommen231• 28' Vgl. oben Anm. 232. m Vgl. Senat/allgemein, Senatsprotokoll, 1849, S. 418 u. 422 b. Am 18. Sept. wurde beschlossen, "daß der Verf.-Antrag vor dem nächsten Convente zu publ. sei". Der Beschluß, Erbgesessene Bürgerschaft schon am 20. Sept. zu konvozieren, wurde am 14. Sept. gefaßt. 236 Gemeint ist der Rat- und Bürgerkonvent v. 27. Sept. 49, vgl. diese Arbeit unten S. 127 ff. 237 Brief Mercks an Banks v. 21. Sept. 49, Senat/außen 15, Bd. III, BI. 19 ff. - Die Proposition v. 19. Sept. war identisch mit der v. 27. Sept. 1849. - Vgl. deren Inhalt unten S. 128 ff. 238 Beide Entwürfe wurden von Hudtwalcker ausgearbeitet. Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 57. - Das Pressegesetz folgte weitgehend dem Entwurf der Rat- und Bürgerdeputation v. 13. März 1848, enthielt aber dn den §§ 12-18, sowie §§ 21 u. 25 wesentlich verschärfende Abänderungen und Zusätze. - Die VO zur Verhütung des Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts war eine Neuschöpfung. - Vgl. Rat- und Bürgerschlüsse, 1849 (Texte).
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Zwar führte das Pressegesetz eine Zensur im Sinne vorbeugender Maßnahmen nicht wieder ein und verzichtete auch auf ein System von Betriebskonzessionen und Sicherheitsbestellungen. Trotzdem enthielten aber besonders die §§ 12 bis 18, sowie die §§ 21 und 25 eine Reihe von derart ungenau umschriebenen, gleichzeitig aber mit so schweren Strafen bedrohten Tatbeständen, die sich in erster Linie auf Veröffentlichungen politischen Inhalts bezogen, daß das Gesetz- wurde es nur entsprechend gehandhabt - in seiner Wirkung der Wiedereinführung der Zensur wenigstens gleichkam. Nach der "Verordnung zur Verhütung des Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts" waren Versammlungen unter freiem Himmel in der Stadt, sowie spontane Versammlungen des Bürgermilitärs-sei es zu dienstlichen, sei es zu politischen Zwecken-überhaupt verboten. Vereinssitzungen und Versammlungen, die der Erörterung "öffentlicher Angelegenheiten" dienten, durften fortan von der Polizei beobachtet werden, die jederzeit befugt war, die Protokolle und Beschlüsse einzusehen. Die Kompetenz des Polizeiherren zur Ahndung von Verstößen gegen die Verordnung war weit gefaßt. Beschwerden gegen Polizeiverfügungen (wie Vereinsauflösung und Versammlungsverbot) hatten "keine Suspensivwirkung". Im Ganzen bedeuteten sowohl die Verordnung über das Vereins- und Versammlungswesen, als auch das Pressegesetz- politisch geseheneinen empfindlichen Schlag gegen die innerstädtische Opposition. Und das konnte für den weiteren Verlauf des Verfassungskonflikts nicht ohne Belang bleiben. c) Die Aufhebung des Gesetzes über die Wahl der Bürgermilitäroffiziere vom 6. Dezember 1848 durch Rat- und Bürgerschluß vom 13. Dezember 1849
Waren durch den Rat- und Bürgerschluß vom 20. September somit schon wichtige Ergebnisse der revolutionären Bewegung in Harnburg m Vgl. Rat- und Bürgerschlüsse 1849 und Brief Mercks an Banks v. 21. Sept. 49, Senat/außen 15, Bd. III, Bl. 19 ff. - Nach einer von Merck dem Brief eingefügten Aufstellung stimmten alle fünf Kirchspiele für die beiden Senatsanträge. Anwesend waren 623 Personen. Auf Grund von Mercks Angaben gewinnt man im einzelnen folgendes Bild: Pressegesetz Verordnung dafür dagegen dafür dagegen 92 30 St. Petri 92 30 31 74 St. Nicolai 68 37 67 25 St. Catharinen 67 25 118 47 St. Jacobi 125 40 99 39 St. Michaelis 95 43 447 175'_ _ _ 450 172 zusammen 8*
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wesentlich zurückgenommen oder wenigstens theoretisch in ihren Auswirkungen neutralisiert worden, zögerte der Senat in der Folgezeit nicht, auch die letzte "revolutionäre Errungenschaft", die bislang konkret erreicht worden war, zu beseitigen: das "Wahlgesetz für Offiziere und Unteroffiziere des Bürgermilitärs" vom 6. Dezember 1848. Auch diese Maßnahme wäre wohl ohne den preußischen Eingriff kaum aus freien Stücken erfolgt. Ursprünglich waren die Forderungen Preußens allerdings noch weiter gegangen: Als Genugtuung für die Schmach, die den preußischen Truppen bei ihrem Einmarsch in die Stadt widerfahren war, hatte Berlin die Auflösung des Bürgermilitärs verlangt240 • Eher könne - so hieß es wiederholt - an einen Abzug preußischer Truppen nicht gedacht werden241 • Wenn dem Senat aus verschiedenen Gründen242 auch dringend an einem baldigen Abmarsch wenigstens eines Teils der Soldaten gelegen war, leistete er doch in der Frage der Auflösung des Bürgermilitärs hartnäckigen Widerstand. Harnburg ohne seine Bürgerwehr, Statussymbol des republikanischen Gemeinwesens - das wäre in der Stadt je nach Blickwinkel denn doch als eine zu starke, zu sichtbare Einbuße an "hanseatischer Unabhängigkeit" ode:r an "demokratischer Substanz" verstanden und mißbilligt worden. Am 18. August hatte Banks bereits einige preußische Minister darauf hingewiesen, daß der Senat "unsere Bürgergarde, die sich selbst uniformiert und bewaffnet hat, nicht so behandeln" 243 könne, wie es die preußische Regierung offenbar erwarte. Am 24. August wies Merck den Gesandten v. Kamptz darauf hin, daß eine Auflösung schon deshalb nicht in Frage kon:.men könne, da an den Vorfällen vom 13./14. August "ganze Corps oder Abtheilungen, solange sie im Dienste waren, gar keinen Antheil genommen" hättenm. Gewiß verteidigte der Senat das hamburgische Bürgermilitär nicht deshalb so beherzt, weil er von dessen Trefflichkeit überzeugt war. Im Gegenteil - wie wir bereits sahen, war mancher Senator von dessen 240 Schon am 18. Aug. hatte Banks nach einem Gespräch mit v. Brandenburg von dieser Feststellung berichtet, zugleich aber die Hoffnung ausgedrückt, "sie beseitigt zu haben", wenngleich er andererseits sicher war, "sie wiederkehren zu sehen, wenn man aus Ungeduld jetzt schon der preußischen Regierung ein Unrecht nachzuweisen eilt". Brief Banks' an Kirchenpauer v. 18. Aug. 49, Senat/außen 10 (./ .). - Vgl. auch Brief Banks' an Kirchenpauer v. 21. Aug., ebd. ut So berichtete Merck über ein Gespräch mit v. Kamptz am 24. Aug. 49 in seinem Brief an Banks v. gleichen Tage, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 56 ff. 142 Vgl. diese Arbeit oben S. 108. 243 Brief Banks' an Kirchenpauer v. 18. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.). 244 Brief Mercks an Banks v. 24. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 56.
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Unzuverlässigkeit tief überzeugt245 • Gleichwohl schien es dem Senat fraglich, "ob wir ohne alle Bürgerwehr .. . ausreichen können"246 • Denn eine Aufhebung der Bürgergarde könne nur dann erfolgen, wenn man sich einig sei, was an ihre Stelle zu treten habe. Darüber aber hatte man noch nicht einmal im Dezember 1849 Übereinstimmung erzielt247 • Stattdessen - und davon setzte Banks den Minister v. Schleinitz, Merck den Gesandten v. Kamptz in Kenntnis248 - hatte der Senat bereits am 20. August beschlossen249, wenigstens die akuten Übelstände im Bürgermilitär zu beseitigen, und zu diesem Zweck eine Kommission unter dem Vorsitz von Bürgermeister Barteis eingesetzt, wovon die preußische Regierung am 25. August unterrichtet wurde250 • Unterdessen argumentiert Merck in Harnburg gegenüber v. Kamptz, Banks in Berlin gegenüber v. Schleinitz, eine Reorganisation des Bürgermilitärs sei faktisch gleichbedeutend mit seiner Auflösung "nur geht sie nicht vorauf, und wenn sie sich auf das ganze bezieht, so wird mehr gewährt als gefordert wird" 251 • Eine geschickte Argumentation- und v. Kamptz und v. Schleinitz zeigten sich überzeugt252 • Jedoch drang der preußische Außenminister mit seiner mäßigenden Meinung gegen den Kriegsminister im Kabinett nicht durch. Dort hatte man einmal lauthals von einer "eclatanten Satisfaction" für die in Harnburg erlittene Schmach gesprochen und wollte nun, um das Gesicht zu wahren, nicht mehr zurückstecken253 • Genau deshalb auch insistierte die preußische Note vom 27. August in Verbindung mit dem Begleitschreiben, das von Kamptz dem Senat am gleichen Tage überreichte, auf Auflösung des Bürgermilitärs254 • tu Vgl. diese Arbeit oben S. 69 f. ue Rat- und Bürgerschlüsse, 1849, Rat- und Bürgerschluß v. 13. Dez. 49,
Motive zu Antrag Nr. IX. 247 Vgl. dazu Hudtwalcker, der schreibt: "Die Ansichten in der Bürgermilitärkommission gingen sehr auseinander ... Auch im Senate konnte man zu einem durchgreifenden Beschluß nicht gelangen . . . Man begnügte sich zunächst mit der am 13. Dez. 1849 . .. erlangten Abänderung". - Vgl. Hudtwalcker-Memoiren, 1849, S. 55. 148 Brief Mercks an Banks v. 24. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 56 ff. und Briefe Banks' an Kirchenpauer v. 21. und an Merck v. 27. Aug. 49, Senat/ außen 10 (./.). 249 Senatsbeschluß v. 20. Aug. 49, Senat/außen 16 (14). 250 Verbalnote des Senats an v. Kamptz v. 25. Aug. 49, Senat/außen 16 (20). 251 Brief Banks' an Merck v. 27. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.) und Brief Mercks an Banks v. 24. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 56 ff. m Vgl. ebd. 253 Briefe Banks' an Merck v. 27. u. 28. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.). Dieser Grund war offenbar noch bis zum 31. Aug. maßgebend für die preußische Haltung. - Vgl. unten Anm. 256. m Preußische Note v. 27. Aug. 49 und ergänzendes Schreiben v. Kamptz' gleichen Datums, Senat/außen 16 (21).
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Je länger man aber über diese Frage verhandelte, desto mehr legte sich in der preußischen Öffentlichkeit die Empörung über die Hamburger Vorfälle255 • Die Tatsache, daß die Erbgesessene Bürgerschaft am 27. August den Beitritt Hamburgs zum Dreikönigsbündnis ratifizierte, hinterließ in Berlin zusätzlich einen begütigenden Eindruck. Am nächsten Tage, dem 28. August, gelang es Banks, die Minister von Manteuffel und von Schleinitz dazu zu bewegen, die Frage einer Auflösung des Bürgermilitärs noch einmal im Minister-Conseil aufzurollen, und zwar in einem für Harnburg günstigen Sinne. Am 31. August erhielt v. Schleinitz durch Banks ein vertrauliches Memoire, das Syndikus Merck als Unterlage für den Vortrag, den der preußische Außenminister im Kabinett halten wollte, ausgearbeitet hatte und das alle Gründe, die gegen eine Auflösung des Bürgermilitärs sprachen, zusammentrug258• Tatsächlich drang v. Schleinitz in den nächsten Tagen in diesem Sinne durch. Wie berichtet, wurde Banks am 3. September zum preußischen Außenminister berufen und konnte noch am gleichen Tage nach Harnburg melden: "Unsere Differenz mit Preußen ist nun endlich auf dem Punkt angelangt, auf welchem eine möglichst baldige und vollständige Erledigung sich in Aussicht stellt ... Das Ministerium verzichtet auf die Auflösung der Bürgergarde ...157."
Nun also konnte die am 20. August eingesetzte Senatskommission ihre Arbeiten für eine Reorganisation des Bürgermilitärs ungestört vorantreiben. Das Ergebnis ihrer Bemühungen schlug sich in jenem Antrag, betreffend "Abänderung des Wahlgesetzes für Officiere und Unterofficiere des Bürger-Militärs" nieder, den der Senat der Erbgesessenen Bürgerschaft am 13. Dezember 1849 unterbreitete258. Die Aufhebung des revolutionären Wahlgesetzes259 und die damit erforderlich werdende Rückkehr zu Art. 17 des Bürgermilitärreglements vom 10. September 1814 begründete der Senat ausdrücklich mit den Vorfällen vom 13./14. August 1849, indem er feststellte, "daß mehrere Officiere, die den stärksten Antheil an den beklagenswerten Vorfällen ... genommen haben, gerade aus diesem Wahlmodus [gemäß Wahlgesetz vom 6. Dezember 48] hervorgegangen sind". Es werde "doch bestimmt durch diese Art der Wahlen eine immerwährende Aufregung im Bürger-Militär erhalten und ... nur zu leicht von Böswilligen zur Erreichung anderer nicht zu billigender Absichten benutzt werden". !55 Vgl. das folgende: Brief Banks' an Merck v. 28. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.). ue Brief Banks' an Merck v. 31. Aug. 49, ebd. Z57 Brief Banks' an Merck v. 3. Sept. 49, Senat/außen 16 (35). zss Rat- und Bürgerschlüsse, 1849. 258 Vgl. Anlage (Motive) zum Antrag des Senats an Erbg. Bürgerschaft vom 27. Nov. 1848 auf "Abänderung über einige Bestimmungen des Bürger-Militärs vom 10. September 1814", in: Rat- und Bürgerschlüsse, 1848.
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ßl. tJberlegungen und ein untauglicher Versuch 1. Senator Binders Referat namens der Unterkommission der Senats-Verfassungskommission von Anfang September 1849
Im Ganzen - so möchte man folgern - ging der Senat schon Ende August gestärkt aus der preußischen Intervention hervor. Wenigstens von der innenpolitischen Machtseite her gesehen war sein Bewegungsspielraum durch die Anwesenheit einer fremden Garnison grundsätzlich erweitert. Gleichwohl hatten sich die Fronten in der eigentlichen Verfassungsfrage seit Beginn des Monats nicht verändert. Die "Zusammenfassung der Bedenken" vom 3. August, mit der der Senat die Konstituante zu einer Revision ihres Verfassungswerks aufgefordert hatte, war von der Versammlung am 4. August schroff zurückgewiesen worden. Eine politische Bereinigung der Konfliktsituation stand noch aus. Sie mußte vom Senat ausgehen, wollte dieser die Initiative behalten. Allerdings zeigte die Aktivität, die er jetzt entfaltete, daß sich der Senat in einem Dilemma sah260: Mit der Zusammenfassung seiner Bedenken hatte er sich praktisch bereits über die Grenze der gesetzlichen Grundlage hinweggewagt, die der Rat- und Bürgerschluß vom 7. September und sein Conclusum vom 20. Dezember 1848 im Hinblick auf die Tätigkeit der Konstituante abgaben. Ließ sich die Versammlung aber auch dadurch nicht zu einer Revision ihres Verfassungswerks bewegen- und ganz so sah es aus- blieb nur ein letzter Schritt übrig: Der Senat mußte offen erklären, er weigere sich, die Konstituantenverfassung so wie sie vorliege einzuführen, und dann die ihm notwendig erscheinenden Abänderungen aus eigener Machtvollkommenheit, wenn auch möglichst in Übereinstimmung mit Erbgesessener Bürgerschaft, selbst vornehmen. Dieser Schritt aber mußte ernste Bedenken erregen, "da er mit dem formellen Recht nicht übereinstimmt"tn. Die Überlegungen der Senatskommission für Verfassungsfragen konzentrierten sich daher gegen Ende August darauf, wie jene Klippe nach Möglichkeit zu umschiffen sei. In wenigen Tagen war mit dem nächsten Schritt der Konstituante zu rechnen, die für den 31. August die Übergabe der von ihr ausgearbeiteten organischen Gesetze angekündigt hatte. Es war sicher, daß die Versammlung damit erneut die dringliche Aufforderung verbinden würde, der Senat möge für die Einführung der Verfassung vom 11. Juli sorgen. Eile und Entschlußkraft schienen geboten, "da der Augenblick der Entscheidung nahe bevorsteht."181• Vgl. das Referat Binders v. Anfang Sept. 49. Brief Mercks an Banks v. 30. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 72 ff. m Ebd. 111
ut
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In den ersten Septembertagen trat denn auch eine Unterkommission der Verfassungskommission mit einer Reihe von Vorschlägen hervor, die sich über den ferner einzuschlagenden Weg ausließen und die Senator Binder vor der Verfassungskommission referierte263 • Danach kam weder eine weitere dilatorische Behandlung der Verfassungssache, noch eine glatte Annahme oder Ablehnung der Konstituantenverfassung in Betracht. Die Leute verabscheuten zwar - so führte Binder aus- den "ultrademokratischen Unsinn", würden aber doch "eine neue lebenskräftige, zeitgemäße ... liberale, republicanische Verfas.,. sung" begrüßen. Vor allem aber erwarte das gesamte Publikum, "daß der Senat ohne Aufschub und Rückhalt sich positiv und offen über seine Absichten und seinen Willen ausspreche und überhaupt eine kräftige Initiative in dieser [Verfassungs-]Angelegenheit ergreife". Dafür habe man verschiedene Alternativpläne entwickelt: 1. Eingriff des Verwaltungsrats auf Grundlage des Art. 2 des Dreikönigsbündnissesvom 26. Mai 1849 sowie des § 193 des Frankfurter Reichsverfassungsentwurfs; 2. Oktroyierung der modifizierten Konstituantenverfassung durch Ratund Bürgerschluß, Ausschreibung von Wahlen für die neue Bürgerschaft, der die Ausarbeitung der organischen Gesetze überlassen bliebe, Auflösung der Konstituante. Anmerkung des Unterausschusses: "Für jede Eventualität muß der Recurs an die Reichsgewalt ausdrücklich reserviert werden." 3. Ablehnung der Konstituantenverfassung unter gleichzeitigem Anerbieten des Senats, geschlossen abzutreten; 4. Einbringung der Verfassungssache an Erbgesessene Bürgerschaft mit dem Antrag auf Einsetzung einer Rat- und Bürgerdeputation, die dann über die weitere Behandlung der Angelegenheit beraten solle; 5. Aufforderung an die Adresse der konstituierenden Versammlung, ihr Wahlgesetz zu revidieren, danach Wahl der neuen Bürgerschaft, die gleichsam als zweite Konstituante die Verfassung vom 11. Juli abzuändern hätte. Besonders die Vorschlä~e 3, 4 und 5 seien von der Unterkommission verworfen worden. Auch die beiden anderen Pläne habe man für durchweg unzweckmäßig oder für unausführbar gehalten. Man habe sich daher in der Subkommission "für eine ErnPuerunl! des Versuchs friedlicher Rel!ulierun~ der Verfassun~tssache mitte1st einer Vereinbarung [zwischen Rat, Bürl!'erschaft und Konstituantel entschieden284 und über folgende Art der Behandlung der Sache vereinigt: 263
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Senatfinnen 2 (26). Es ist bemerkenswert, daß Banks die im folgenden angeregte Vorge.,.
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Se1bige Verfassungssache unverzüglich der Erbgesessenen Bürgerschaft vorzulegen, dieser unter Beziehung auf seine [des Senats] früheren Bedenken gegen die neue Verfassung und unter behufiger Motivirung seiner Weigerung der früher in Beziehung darauf ertheilten Zusicherung zu entsprechen, bestimmt zu erklären, daß er die neue Verfassung, so wie sie vorliege, nicht einführen könne noch werde, daß er es jedoch für jetzt und alle Zukunft höchst wünschenswerth erachte, die ganze Angelegenheit durch eine Vereinbarung mit der c[onstituierenden] V[ersammlung] definitiv zu erledigen und zu reguliren und er zu einer solchen den Weg anzubahnen und zu betreten beabsichtige; daß übrigens es seine entschiedene Absicht und sein ernster Wille sey. aus dieser Verhandlung eine den Bedürfnissen entsprechende zeitgemäße neue Verfassung hervorgehen zu lassen und daher, um diesen seinen Willen gleich zu bethätigen, das Programm zu einer solchen Verfassung, womit er sich im Voraus einverstanden erkläre, als Basis der weiteren Verhandlung, der Erbgfesessenen] Brürgerschaft] hierbei vorzulegen; für jetzt jedoch nur darauf anzutragen, daß Erbgesessene Bürgerschaft sich über die Nichtannahme der neuen Verfassung rvom 11. Juli 49], wie sie vorliegt, sowie über den Versuch zu einer, die behufigen Abänderungen derselben, in sonderheit nach Maaßgabe des anHiegenden] Programms bezweckenden Vereinbarung mit der c[onstituirenden] Vfersammlung] einverstanden erklären und ihm zur Ergreifung der dazu dienlichen und von ihm für zweckmäßig erachteten Mittel und endlich zur Vereinbarung einer abgeänderten neuen Verfassung salva ratificatione Erbgesessener Bürgerschaft potestivieren wolle". Am Ende dieser Ausführungen stellte Binder die Frage, "ob es nicht zweckmäßiger seyn dürfte, auf eine gemischte VereinbarungsKarnmission anzutragen", und erklärte sich gleich persönlich dafür. Die Einsetzung einer solchen Rat- und Bürgerkommission werde der Konstituante imponieren und der Bürgerschaft angenehm sein. Die Besorgnis, daß in dieser Kommission viele "Wühler" Aufnahme fänden, halte er für unbegründet. Im Gegenteil, so meinte Binder, nehme Erbgesessene Bürgerschaft die vorgeschlagenen Anträge des Senats an, beweise das gerade, daß die konservative Partei die Majorität für sich habe, So deutlich auch in dem ausführlichen Vorschlag jener Unterkommission bereits der wesentliche Inhalt der Anträge hervortritt, die der hensweise schon Ende Juli vorgeschlagen hatte, indem er berichtete, "daß die Frankfurter Konstituante sich gemüßigt gesehen hatte, eine Commission niederzusetzen, um mit Deputirten der Gegenpartei diejenigen Abänderungen zu erwägen, welche im conservativen Sinne erforderlich seyn möchten. Wenn man nun weiß, daß die Frankfurter und Hamburger [Verfassungs-]Entwürfe sich auf ein Haar gleichen, daß die Führer dort und hier nach einem persönlich verabredeten Plan gearbeitet haben ..., so darf man wohl die Hoffnung schöpfen, da es in Harnburg ebenso kommen werde und eine Commission der Constituante mit einer von Rath und Bürgerschaft ernannten zusammentritt." - Brief Banks' an Binder v. 25. JuH 49, Senat/innen 1 (32). - Angesichts der brisanten Lage, die Anfang August in Harnburg herrschte, hatte sich der Senat augenscheinlich nicht imstande gesehen, diesen Plan schon damals auszuführen. Unter den wesentlich gewandelten Umständen von Anfang September aber konnte der Senat auf Banks' Anregung zurückkommen.
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Senat am 27. September 1849 der Bürgerschaft in der Tat unterbreitete, schien man sich doch zum gegebenen Zeitpunkt noch keineswegs klar darüber zu sein, ob eine Einschaltung des Verwaltungsrats in Berlin nicht für alle Fälle ratsam sei. Schließlich konnte man ja nicht verkennen, daß eigentlich auch der zitierte Hauptvorschlag der Subkommission nicht ganz aus dem Dilemma herausführte, in das sich der Senat gebracht hatte: Zwar würde der Eingriff in die Rechte der Konstituante durch die ihr gebotene Möglichkeit, an der Modifikation ihrer Verfassung mitzuwirken, schonungsvoll abgemildert werden. Ein verbotener Eingriff aber - nämlich ein Bruch des Versprechens, das der Senat am 20. Dezember 1848 gegeben hatte, sowie ein Verstoß gegen das Gesetz vom 7. September 1848 - mußte ein Antrag auf Vereinbarung, wie ihn die Subkommission vorschlug, doch bleiben. Zudem zeigte sich die Unterkommission äußerst skeptisch hinsichtlich der Bereitwilligkeit der Konstituante, auf irgend eine Vereinbarung einzugehen. Drum hielt sie es "für das wünschenswertheste, e[ine] äußere Veranlasssung, z. B. e[ine] Warnung abseiten des Verwalt[ungs-]Rathes, eine Aufforderung zur Berichterstattung od[er] dgl. oder selbst eine Erklärung oder Aufforderung unserer Bürgerschaft in dieser Beziehung zu Schritten gegen das Werk der C[onstituante] zu erhalten"Ze5. Mit anderen Worten: Man suchte einen überzeugenden Vorwand, einen gleichsam zwingenden Anlaß für Schritte, die man gegen die Konstituantenverfassung ohnehin zu unternehmen gedachte. Als einen solchen Anlaß, so hoffte man offenbar, würde letztlich auch die Konstituante einen Einspruch des Verwaltungsrats anerkennen, sei es, daß dieser Einspruch von selbst erfolgte, sei es, daß die Bürgerschaft den Senat dazu anforderte, an den Verwaltungsrat heranzutreten. Mit diesem Vorhaben, das den Senat wenigstens dem Anschein nach von dem Vorwurf des mutwilligen Rechtsbruchs befreien sollte, knüpfte man an ältere Vorstellungen an, die Senator Hudtwalcker bereits in seinem Memorandum vom 8. August zur Sprache gebracht hatte288• Allerdings mußte Binder zugeben, daß sich die Subkommission wenig Hoffnung "auf ein Einschreiten des V[erwaltungs-]R[ats] ex officio, sowie über eine proprio motu Erklärung der Bürgerschaft" gemacht habe, daß sie "auch bei der dringenden Eile der ganzen Sache nicht im Stande gewesen sei, hierbei zu einer festen Ansicht zu gelangen"267 • Senat/innen 2 (26). Ebd. m Vgl. diese Arbeit oben S. 97 f.
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Es ist daher fraglich, ob in der Verfassungskommission gleich im Anschluß an Binders Referat ein Konsens über die weitere Behandlung der Verfassungssache zustandekam. 2. Die Hamburger Verfassungsfrage und der Verwaltungsrat des Dreikönigsbündnisses
Jedenfalls entschloß sich Syndikus Merck - sei es auf Betreiben der Verfassungs- oder deren Subkommission, sei es auf eigene Faust einen Vorstoß beim Verwaltungsrat zu wagen, um die bestehenden Unklarheiten zu beseitigen und - wenn möglich - das Bündnis gegen die konstituierende Versammlung zu mobilisieren. Am 30. August richtete Merck die dringende Bitte an den noch immer in Berlin weilenden Banks, dieser möge sich gutachtlich darüber äußern, "ob der Verwaltungsrath überhaupt, sey es gerufen oder ungerufen, sich in unsere Verfassungsangelegenheit einmischen kann und welchen Weg Sie für den angemessensten halten . . . Es wäre sehr zu begrüßen, wenn sich der Verwaltungsrath für kompetent halten würde ..."268 • In seiner Antwort vom 31. August äußerte sich Banks, noch ehe er Kontakt mit den führenden Mitgliedern des Verwaltungsrates aufgenommen hatte, bereits skeptisch über die Aussichten des Unternehmens2il9. Er glaube nicht an ein selbsttätiges Eingreifen der Bündniszentrale. Trotzdem unternahm Banks am 1. September einen Vorstoß beim Vorsitzenden v. Canitz, dem er anheimstellte, vor dem Verwaltungsrat über den Stand der Hamburger Verfassungsangelegenheit Bericht zu erstatten. Doch erwartungsgemäß zeigte sich v. Canitz reserviert. Auf Wunsch des sächsischen Bevollmächtigten v. Zeschau mußte sich Banks sogar bereitfinden, auf einen offiziellen Vortrag zugunsten vertraulicher Vorberatungen vorerst zu versichten270 • Zu diesem Zweck setzte er über v. Zeschau eine "historisch fundierte Skizze der Verhandlungen zwischen Senat und Constituante" in Umlauf271 , die die wichtigsten Mitglieder des Verwaltungsrats über Gründe und Verlauf des Hamburger Verfassungskonflikts sachlich informierte. Am 3. September meinte Banks272 , er wolle nunmehr im Sinne eines "unpräjudicirlichen Schritts" doch weitergehen, freilich ohne an den Verwaltungsrat einen formellen Antrag zu richten. Denn- so konsta268 Brief Mercks an Banks v. 30. Aug. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 72 ff. Daß Banks bis dahin nichts in der Verfassungssache unternommen hatte, geht indirekt aus seinem Schreiben an Merck v. 31. Aug. 49, Senat/außen 10 (./.), hervor, in dem es heißt: "Sie können leicht denken, daß ich selber sehnlich wünsche . .. sobald ich in den Verwaltungsrath eingetreten bin, mich ganz unserer Verfassungsangelegenheit widmen zu können". "' Brief Banks' an Merck v. 31. Aug. 49, Senatfinnen 1 (49). 270 Brief Banks' an Merck v. 1. Sept. 49, Senat/außen 10 (./). tn Senat/innen 1 (51). 172 Ebd., (50).
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tierte er am Ende einer längeren gutachtlichen Äußerung - er habe den Gesprächen mit einzelnen Mitgliedern entnommen, daß mit einem Einschreiten des Verwaltungsrats nur für den Fall zu rechnen sei, daß es in Harnburg zu Unruhen komme und der Senat ein ausdrückliches Hilfeersuchen ausspreche. Die Neigung der Bündnispartner für ein selbsttätiges, gleichsam präventives Einschreiten etwa auf der Grundlage der §§ 192 und 193 des Reichsverfassungsentwurfs273 sei deshalb so gering, weil man sich in Berlin davon nur eine abschreckende Wirkung auf die bereits beigetretenen, aber auch auf potentielle Mitglieder des Dreikönigsbündnisses versprechen könne, die dann um ihre Souveränität zu fürchten begännen. Überdies konnten die §§ 192, 193 schon deshalb nicht zur Anwendung kommen, "da die Reichsverfassung noch in status nascendi und an ihr Veränderungen noch möglich" seien. Unter diesen Umständen könne der Verwaltungsrat vor einer Veränderung der Hamburger Verfassungsverhältnisse höchstens "warnen". Wie Banks weiter ausführte, hätten allenfalls zwei andere Argumente u. U. Aussicht auf Erfolg, Argumente, die zeigen, daß der Senat sich im Kampf gegen die Konstituante auch nicht scheute, auf den berüchtigten Art. 58 der Wiener Schlußakte zurückzugreifen. Denn erstens könne man den Mitgliedern des Verwaltungsrats die Frage stellen, "ob jene veränderte hamburgische Verfassung die Garantien biete, welche die durch das Bündnis vom 26. Mai d. J . vereinigten Regierungen gegenseitig voneinander verlangen können und müssen". Wenn nun die neue Hamburger Verfassung aber "eine fortwährende Quelle inneren Unfriedens" werden würde, die Harnburg daran hinderte, seinen Bündnisverpflichtungen nachzukommen, würde sich der Verwaltungsrat nicht auf eine bloße Warnung beschränken dürfen. Das zweite Argument gründe sich auf die Tatsache, daß "der rechtliche Bestand des Bundes von 1815 ... allerdings anerkannt" werde. "Dieser Bund vereinigte monarchische Staaten, die 4 freien Städte bildeten Anomalien, die nur dadurch in den Verein paßten, daß ihre Verfassungen aristocratisch-republikanisch waren". Einen "rein democratisch-republicanischen Genossen" aber würde we173 § 192: "Keine Bestimmung in der Verfassung oder in den Gesetzen eines Einzelstaates darf mit der Reichsverfassung in Widerspruch stehen."-§ 193: "Eine Änderung der Regierungsform in einem Einzelstaate kann nur mit Zustimmung der Reichsgewalt erfolgen ..." m Wir sehen eine nicht unerhebliche Delikatesse in der Tatsache, daß diese Argumente- die Banks im September 1849 gegen die Verfassung der Konstituante vorbrachte - 1851/52 der Deutsche Bund unter Führung Österreichs und Preußens der Verfassung v. 23. Mai 1850 entgegenhielt, wogegen der Senat dann freilich energisch Front machte, mußte er doch seine Souveränität - wie 1849 von innen - dann von außen bedroht fühlen. - Vgl. dazu 3. Kap. dieser Arbeit, S. 279 f .
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der ein deutscher Bundesstaat, noch ein deutscher Staatenbund ertragen können, "viel weniger noch kann die innigere Vereinigung monarchischer Staaten zu einem Bundesstaate [wie sie das Dreikönigsbündnis bezweckte] eine solche Genossenschaft ertragen, eine Vereinigung, die gerade darauf abzielt, die republikanisch-democratischen Elemente, welche der Frankfurter [Reichsverfassungs-]Entwurf enthielt, zu beseitigen". Eine erzwungene Hinnahme der Konstituantenverfassung durch den Senat- so ließ sich aus Banks Worten schließen- käme einem Verstoß gegen den Bündniszweck gleich, würde dem Grundprinzip des deutschen Bundes zuwiderlaufen274 und wäre mithin vom Verwaltungsrat abzulehnen. Wenngleich der Syndikus den Senat auch warnte, sich nicht zu sehr auf ein "Einschreiten des Verwaltungsrats ex officio" zu verlassen und ihn aufforderte, den Verfassungskonflikt lieber aus eigener Kraft durch Vereinbarung mit der Konstituante abzubauen, legte Banks doch am 4 September in einem vertraulichen Schreiben an die ältesten Mitglieder des Verwaltungsrats-dieHerren v. Canitz, v. Zeschau und v. Wangenheim - die Argumente darm, die er am 3. September in seinem Brief an Merck ausführlich entwickelt hatte. Am Schluß seiner Darlegungen formulierte er vorsichtig dann auch die entscheidende Frage, ob "der Verwaltungsrath erklären könnte, ,er habe Kenntniß von dem neuen Verfassungsentwurfe [gemeint ist die Konstituantenverfassung] gewonnen und müsse davon abrathen, denselben, so wie er vorliege, einzuführen"'. Wieweit der Senat hinter diesem letzten Schritt des Syndikus stand, ist allerdings fraglich. Banks erklärte in dem eben zitierten vertraulichen Schreiben, er könne um so mehr so verfahren, "als ich keinerlei Auftrag vom Senat habe". Sicher aber ist andererseits, daß mindestens die Verfassungskommission des Senats von Banks' Aktivitäten informiert war und daß sich auch im Senat selbst mancherlei Hoffnungen auf ein Einschreiten des Verwaltungsrats gründeten278 • Schließlich aber müssen die Bedenken wenigstens gegen einen vom Senat selbst herbeigeführten Eingriff des Verwaltungsrats doch überwogen haben, denn Banks schrieb am 5. September reichlich überrascht an Merck, es "warnt mich K[irchenpauer], im Auftrag des Senats vor jedem Schritte, welcher meinerseits eine solche Einmischung herbeiführen möchte. Die Protokolle des Verwaltungsraths könnten veröffentlicht und daraus erns Brief Banks' an Merck v. 4. Sept. 49, Senat/außen 10 (./.). Brief Mercks an Banks v. 4. Sept. 49, Senat/außen 15, Bd. li, BI. 80 f.
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sichtlich werden, daß der Bevollmächtigte des Senats eine Einmischung von Fremden provocirt hat ..."117. Freilich zeigte sich schon wenige Tage später, daß die Sorgen des Senats, aber auch seine Hoffnungen unbegründet gewesen waren278• In einem persönlichen Gespräch, das Banks mit v. Canitz am 8. September führte, wurde deutlich, daß die Hamburger Verfassungssache gar keine Aussicht hatte, über das Stadium vertraulicher Vorberatungen hinaus auch offiziell vor den Verwaltungsrat zu gelangen. Am 12. September mußte Banks schließlich melden, seine Aktion sei gescheitert270 • Trotz mancher Sympathien, die Banks' Vorhaben bei anderen Mitgliedern des Verwaltungsrats gefunden hatte, erklärten sich doch die tonangebenden Vertreter Preußens, Sachsens und Hannovers gegen ein präventives Einschreiten der Bündnisorgane. Maßgeblich für diese Haltung war erwartungsgemäß die Sorge, die in manchen deutschen Einzelstaaten bereits spürbaren Widerstände gegen das preußische Einigungswerk könnten durch einen unzeitigen Eingriff in die Hamburger Verfassungsangelegenheit verstärkt werden. Im übrigen riet man dem Senat dazu, seine Bedenken gegen das Verfassungswerk der Konstituante vor die Erbgesessene Bürgerschaft zu bringen. Nur so könne man erfahren, ob die Bürgerschaft die Bedenken des Senats überhaupt teile. Erst wenn es dann statt zu einer Einigung zum Ausbruch von Unruhen käme, könne der Verwaltungsrat Maßnahmen ergreifen. Banks stand allerdings nicht an, den Herren v. Canitz, v. Zeschau und v. Wangenheim "die bestimmte Frage" zu stellen: "Was werden Sie thun, wenn nun der Senat die Modificationen [an der Konstituantenverfassung) nicht durchführen könne, die er für unerläßlich hält ... Wenn nichtsdestoweniger aber keine inneren Unruhen entstehen und wenn nun der Senat sich mit der Frage an den Verwaltungsrath wendet, ob er diese neue Verfassung im Einklang mit den Pflichten' des Bündnisses und der beabsichtigten Reichsverfassung erachte, in welChem Falle der Senat seine Einwendungen aufgeben werde? - Herr v. Canitz erwiderte sofort: dann allerdings müssen wir uns erklären280." Dies war natürlich eine beruhigende, wenn auch nicht übermäßig verbindliche Zusicherung für die Zukunft. Was jedoch die augenblickliche Lage des Hamburger Verfassungskonflikts anbetraf, mußte der Senat zusehen, wie er allein fertig wurde. Brief Banks' an Merck v. 5. Sept. 49, Senat/außen 10 (./.). Brief Banks' an Merck und Kirchenpauer v. 8. Sept. 49, Senat/außen 10 (./.). 278 Bericht Banks' an den Senat v. 12. Sept. 49, Senat/außen 10 (./.). 180 Schon am 18. Sept. hatte v. Canitz gegenüber Banks erklärt: "Bringen Sie die [Verfassungs-]Sache nur erst an die Bürgerschaft; wenn die die Verfassung nicht einführen will, so werden wir Ihnen schon helfen; auf Preußen können Sie sich verlassen". Brief Banks' an Merck u. Kirchenpauer v. 8. Sept. 49, Senat/außen 10 (./.). 277 278
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IV. Der Rat- und Bürgerschluß vom 27. September 1849 und die Einsetzung der Neuner-Kommission Am 31. August hatte die Konstituante dem Senat, wie angekündigt, elf von ihr ausgearbeitete organische Gesetze281 überreicht. Das Begleitschreiben ihres Präsidenten Dr. Baumeister hob hervor, die Versammlung überlasse dem Senat die Feststellung der Übergangsbestimmungen, müsse von ihm aber zugleich erwarten, daß er "als die verfassungsmäßig bestehende Exekutivgewalt sodann ohne weitere Zögerung die Bestimmung des Termins zur Wahl und zum Zusammentritt der neuen Bürgerschaft treffen werde" 282•
Am gleichen Tage faßte die konstituierende Versammlung folgenreiche Beschlüsse283 : In ihrer 72. Sitzung wurde der Antrag ihres Vizepräsidenten Versmann "fast einstimmig" angenommen, die Konstituante wolle sich "auf unbestimmte Zeit" vertagen. Noch blieb ihr Büro erhalten. Es wurde verstärkt von einem vierzehnköpfigen geschäftsführenden Ausschuß, der befugt war, Anträge einzelner Abgeordneter oder Mitteilungen an die Konstituante entgegenzunehmen, Plenarsitzungen vorzubereiten und über deren Einberufung zu entscheiden284 • Aber schon aus der Tatsache, daß die Zahl der Abgeordneten, die künftig von sich aus eine Einberufung der Versammlung veranlassen konnten, von zuerst 30 auf 40 erhöht, im Verlauf der Sitzung sogar auf 50 festgesetzt wurde285 , ließ sich schließen, daß eine Mehrheit der Konstituante deren Aufgabe im Grunde für erfüllt ansah. Ja, es wurden bereits Stimmen laut, die aus nämlichem Grunde die Auflösung der Versammlung forderten286 • Über die Wirkung, welche diese Auflösungserscheinungen auf die Entscheidung des Senats über die weitere Behandlung der Verfassungs281 Und zwar: 1. Gesetz über die Erwerbung und den Verlust des hamburgischen Staatsbürgerrechts. - 2. Gesetzliche Bestimmungen in Betreff des Rathes. - 3. Gesetz über die Gerichtsverfassung. - 4. Criminalgesetzbuch. 5. Gesetz über das Strafverfahren. - 6. Gesetz über das Civilverfahren. 7. Gesetz über die Organisation der Verwaltung. - 8. Gemeinde-Ordnung.9. Gesetz über die Hinzuziehung der bisherigen Vorstadt St. Georg. - 10. Gesetz über die Regulirung der Verhältnisse der Vorstadt St. Georg. - 11. Gesetz über die Organisation der Verwaltungs- und Justizeinrichtungen in der Landschaft RitzebütteL 281 Senatfinnen 1 (48). 283 Prot. d. konst. Vers., S. 884 ff., 72. Sitzg. v. 31. Aug. 49. Antrag Nr. 552 von Versmann. 284 Ebd., S. 885. Antrag Nr. 554 (Dr. Ree), Antrag Nr. 555 (Bachmann und Genossen). 285 In den Ausschuß gewählt wurden die Abg. Ed. Johns, E. D. Ross, K. Wiebel, A. Ree, F. H. Jacobsen, I. Wolffson, Glitza, Buchheister, Riege, E. H. Eden, Mettlerkamp, Söhle, van der Linden und Nehsmann. - Vgl. Prot. d. konst. Vers., Registratur, v. 1. Sept. 49. 286 Prot. d. konst. Vers., S. 886. Erklärung des Abg. Glüer.
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sache ausübten, können wir nichts Genaues aussagen. Jedenfalls ließ sich der Senat - gewiß auch mit Rücksicht auf das unsichere Ergebnis der Verhandlungen in Berlin287 - mit dieser Entscheidung Zeit. Noch am 8. September klagte der stets aktive Merck, "daß noch gar kein fester Plan über den einzuschlagenden Weg gefaßt sey ... jeder weiß es jetzt besser und keiner Parthei ist es recht zu machen. Satis superque ..."288. In diesen Tagen aber erbrachte eine Subkommission die wichtigste Voraussetzung für die weitergehenden Schritte des Senats: Sie vollendete die Vorarbeiten für einen eigenständigen Verfassungentwurf, den der Senat künftig der Kunstituantenverfassung entgegenstellen mochte289 • In diesen Tagen auch muß sich die große Senatskommission einig geworden sein über die verschiedenen Pläne zur Lösung des Verfassungskonflikts, die Senator Binder schon Anfang, September referiert hatte290 • Denn nur so konnte Kirchenpauer- übrigens auch in Anlehnung an die Empfehlungen des Berliner Verwaltungsrats - dem Senat am 10. September endlich einen konkreten Vorschlag präsentieren291 : Die Verfassungskommission war dem Hauptvorschlag ihrer Unterkommission gefolgt292 und schlug vor, der Senat möge 1. die gesamte Verfassungsangelegenheit unverzüglich an Erbgesessene Bürgerschaft bringen; 2. bei dieser die Einsetzung einer Kommission beantragen, bestehend aus neun Mitgliedern (und zwar vier Senatsmitgliedern und einem aus und von jedem Kirchspiel zu erwählenden Bürger). Diese sollte a) eine Verständigung mit der konstituierenden Versammlung anbahnen, b) innerhalb vier Wochen Bericht über ihre Bemühungen abstatten, und dann c) Anträge über die dann weiter zu unternehmenden Schritte unterbreiten. 3. Mit dem Antrag an Erbgesessene Bürgerschaft seien "die jedoch erst demnächst zu erwägenden Grundzüge einer neuen Verfassung, namentlich die Hauptpunkte, in denen dieselbe von der bisherigen Verfassung einerseits und von dem Entwurfe der Constituantenverfassung andererseits abweichen müsse, anzugeben". Der Senat sprach sich für die angeregte Vorgehensweise aus. Am 11., 12. und 14. September konnte Amsinck dann grundsätzliche Vorschläge Vgl. diese Arbeit unten, S. 123. Brief Mercks an Banks v. 8. Sept. 49, Senat/außen 15, Bd. II, BI. 92. Dieser Subkommission gehörten Syndikus Amsinck, sowie die Senatoren Lutteroth-Legat und Geffcken an. - Vgl. 3. Kap., S. 162. zlo Vgl. oben S. 120 ff. z11 Senatfinnen 1 (52). 111 Vgl. diese Arbeit oben, S. 120 f . 187
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für eine positive Umgestaltung der Konstituantenverfassung referieren2D3. Noch aber zögerte der Senat, mit seinen Anträgen offiziell an die Erbgesessene Bürgerschaft heranzutreten. Verantwortlich dafür mag vor allem die Tatsache gewesen sein, daß sich das Kollegium der Oberalten erst am 22. September nach einigem Widerstand und unter Vorbehalten29~ zur Mitgenehmigung der Senatsanträge bereitfand295 • Aber auch im Senat selbst traten von Anfang an Verzögerungen ein, da sich das Kollegium zunächst nicht über die Reihenfolge der ihm zur Beschlußfassung vorliegenden Gegenstände einigen konnte298 • Dem Antrag einer Mehrheit folgend, sprach sich der Senat außerdem dafür aus, vor dem entscheidenden Rat- und Bürgerkonvent am 20. September einen Rat- und Bürgerschluß über das "Pressegesetz" und die "Verordnung zur Verhütung des Mißbrauchs des Versammlungsund Vereinigungsrechts" herbeizuführen 297. Wahrscheinlich wollte er auf diese Weise die Mehrheitsverhältnisse in der Bürgerschaft und damit die Aussichten für seine Anträge in der Verfassungssache prüfen. Denn gleichzeitig entschloß sich der Senat dazu, diese Anträge schon am 19. September bekanntzugeben. Tatsächlich war die Reaktion der Öffentlichkeit im Ganzen sehr positiv, was sich auch in dem klaren Abstimmungsergebnis der Bürgerschaft zugunsten der Anträge über das Vereins- und Pressewesen niederschlug29s. Wahrscheinlich glaubte nicht nur Syndikus Merck299, "es werde die Constituante, welche sich heute versammelt, beschließen, sich aufzulösen, theils um jeder Vereinbarung aus dem Wege zu gehen, theils um des Eides entbunden zu werden und desto freier wirken zu können"300. Doch raffte sich die Versammlung angesichts der für ihre Fortexistenz bedrohlichen Entwicklung zu einer, wenn auch nur verbalen Gegenwehr Vgl. unten, S. 176 ff. Vgl. unten, S. 195 ff., insbes. S. 198. m Der Mitteilung seiner Anträge an E. Oberalten entledigte sich der Senat bereits am 14. Sept., Senatfinnen 1 (58). Deren Zustimmung erfolgte unter Vorbehalt am 22. Sept., Senat/innen 1 (63). - Das Kollegium der Sechziger erklärte sich bereits am 19. Sept. einverstanden, Senat/innen 1 (67). 296 Brief Amsincks an Kirchenpauer v. 14. Sept. 49, Senatfinnen 2 (39). ID7 Vgl. diese Arbeit oben, S. 114 f. 198 Vgl. oben Anm. 239 auf S. 115 und Brief Banks' an Merck v. 22. Sept. 49, Senat/außen 10 (./.). 299 Brief Mercks an Banks v. 24. Sept. 49, Senat/außen 15, Bd. III, BI. 24. 300 Tatsächlich stellte der Abg. Marr in der 73. Sitzung der Konstituante v. 24. Sept. den Antrag (Nr. 557): "Die constituirende Versammlung erklärt das ihr durch Gesetz v. 7. Sept. 1848 übertragene Mandat für erfüllt und beschließt, sich aufzulösen". - Doch wurde dieser Antrag abgelehnt. - Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 890, bzw. 892. 1os 1"
9Bavendamm
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auf. Gemäß Antrag ihres Geschäftsführenden Ausschusses beschloß die Konstituante am 24. September "beinahe einstimmig"301 , daß ihre Verfassung gesetzmäßig und definitiv festgestellt sei, daß diese Verfassung damit keiner weiteren Bestätigung bedürfe, noch einer Revision unterzogen werden könne und daß der am 19. September publizierte Senatsantrag "im entschiedensten Widerspruch steht mit der ausdrücklichen Zusicherung des Senats ... , daß die neue Verfasssung nach ihrer Feststellung ... auch ohne Verzug ins Leben gerufen werden müsse und daß der Senat seine desfallsige Obliegenheit ungesäumt erfüllen werde, welche Obliegenheit ... ausschließlich durch unverzögerte Übergangsbestimmungen von Seiten des Senats zu erfüllen sein wird". Senat und Oberalten wurden noch am 25. September durch Schreiben Dr. Baumeisters von den Beschlüssen der Versammlung in Kenntnis gesetzt302 • Doch was konnten papierene Rechtsverwahrungen und Proteste jetzt noch bewirken?! Der Senat beschränkte sich denn auch zunächst darauf, das Baumeistersehe Schreiben seinem Antrag an Erbgesessene Bürgerschaft als "Nachtrag" anzufügen - freilich mit dem bezeichnenden Zusatz, er sehe sich durch die Beschlüsse der Konstituante nicht veranlaßt, "in Seinem bereits veröffentlichten Antrag eine Änderung vorzunehmen" 808 • Tatsächlich lief der Rat- und Bürgerkonvent am 27. September 1849 trotz des späten Einspruchs der konstituierenden Versammlung in dem vom Senat erhofften, ja, erwarteten Sinne ab. Die Bürgerschaft, zu der 645 Erbgesessene und Personalisten erschienen waren, nahm den Antrag des Senats ohne Monita an 304 • Dem von uns wiederholt geschilderten Dilemma, praktisch zwischen einem Rechtsbruch und dem Wohl der Stadt, wie er es verstand, zu wählen, hatte sich der Senat dadurch zu entziehen versucht, daß er seinem Antrag an Erbgesessene Bürgerschaft eine Bemerkung zur "Sachlage" vorwegschickte. Hierin hieß es305 : "Die Verfassung der Konstituante ist gültig beschlossen [sie!], bei der Ausführung aber [sie!] zeigen sich außerordentliche Schwierigkeiten; deswegen will der Senat keinen weiteren Schritt thun ohne die Bürgerschaft ..." Diese Formulierung war zwar raffiniert gewählt, führte aber bewußt in die Irre. Sie sollte den Eindruck erwecken, als stellte sich der Senat auch jetzt noch bedingungslos auf das Fundament des Rat- und Bürgerschlusses vom 7. September, sowie seines Conclusi vom 20. Dezember Ebd., Antrag Nr. 556, S. 891. Senat/innen 1 (72). 303 Senat/innen 2 (47). Die Antwort des Senats erfolgte erst nach dem Rat- und Bürgerkonvent am 27. Sept. 49. - Vgl. unten S. 133 und Anm. 309 ebd. 304 Rat- und Bürgerschlüsse, 1849, Rat- und Bürgerkonvent v. 27. Sept. 1849. 3os Senat/innen 2 (27). 801
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1848: Denn scheinbar erkannte er das Recht der Konstituante an, die neue Verfassung unabhängig von Rat und Bürgerschaft festzustellen. Nur "bei der Ausführung", behauptete er, hätten sich "außerordentliche Schwierigkeiten" gezeigt, - so, als hätte der Senat stets unbeirrbar an seiner Verpflichtung zur Einführung der Konstituantenverfassung festgehalten, so, als hätte er alles getan, sie in Wirksamkeit zu setzen, so, als sei er eben lediglich an den "außerordentlichen Schwierigkeiten" gescheitert, die sich dabei angeblich eingestellt hatten. Der Senat unterließ es freilich zu erwähnen, daß er selbst in der Hauptsache jene Schwierigkeiten verursacht hatte.
Tatsächlich aber zeigte der Antrag des Senats nur, daß er den Kompetenzbereich der Versammlung eigenmächtig beschnitt, daß er ihr demzufolge einerseits das Recht zum Erlaß gewisser Regelungen, wie sie ihr Verfassungswerk enthielt, überhaupt absprach, andererseits darauf sein Recht und das der Bürgerschaft auf Mitwirkung an der Ausgestaltung der neuen Verfassung gründete. Dieses Recht auf Mitwirkung mochte der Senat um so leichter behaupten, als er dem Rat- und Bürgerschluß vom 7. September und seinem Concluso vom 20. Dezember 1848 nachträglich den normativen Willen unterstellte, die Konstituante wohl zu einer durchgreifenden Verfassungsreform, nicht aber zum Umsturz aller bestehenden Verhältnisse ermächtigt zu haben. Das traf subjektiv gewiß zu, hatte aber die Konstituante schon deshalb nicht binden können, weil diese intensive Auslegung weder Eingang in den besagten Rat- und Bürgerschluß, noch in das erwähnte Ratsconclusum, noch in die Eidesformel gefunden hatte, die der Versammlung auferlegt worden war308• Immerhin konnte sich der Senat auf die inzwischen allenthalben gegen das Werk der Konstituante verfaßten Eingaben, Denkschriften und Proteste berufen und der Versammlung- mit einem gewissen Rechtvorwerfen, ihr radikales Werk berücksichtige eben nicht in genügendem Maße den emanenten Willen des in Staatsdingen erfahrenen und verdienten Bürgertums nach gemäßigten Reformen. Unverhohlen gab der Senat denn auch seiner Abscheu gegenüber dem Umbruch Ausdruck, den die Konstituante mit ihrer Verfassung zu verwirklichen suche. Dabei behauptete er, die von der Versammlung ausgearbeiteten organischen Gesetze seien in einer Art zustandegekommen, die im Ergebnis unmöglich einen reibungslosen Übergang in die neue Ordnung gewähr308 So klingt das Argument, das der Senat in seinen "Motiven" als Begründung für seinen Eingriff in die Rechte der Konstituante anführte, denn auch nicht überzeugend: Der Senat habe nur im "Vertrauen in den gesunden Sinn der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung" der Einberufung einer konstituierenden Versammlung zugestimmt. Jetzt aber verhehle er nicht, "daß Er in seinen Erwartungen sich getäuscht sieht".
9•
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leisten könne, was Senat und Neuner-Kommission freilich nicht hindern sollte, bei der später unter eigener Regie erfolgenden Ausarbeitung der gleichen Gesetze wiederholt und ausgiebig auf das Werk der Konstituante zurückzugreifen. Schließlich wurden die zerrütteten Finanzverhältnisse Hamburgs gegen eine so umfassende Reform, wie sie die Versammlung beabsichtigt hatte, ins Feld geführt - so als würde die Finanzkrise der Stadt, die den Senat 1848 nicht gehindert hatte, erst einer Reform, dann der Revolution den Weg freizugeben, einen durchschlagenden Einwand gegen das Werk von Männern abgeben, die jene Krise einerseits nicht verschuldet hatten, andererseits aber bereit waren, ihr in Zukunft auf neuer Basis entgegenzutreten307 • Der Hinweis auf die hamburgische Finanzmisere konnte um so weniger überzeugen als der Senat fast im gleichen Atemzuge die - gewiß äußerst kostspielige - Ablösung der schier zahllosen persönlichen Rechte und Interessen forderte, die sich mit den bestehenden Verhältnissen verbanden. Im Ganzen aber erwies sich der Senatsantrag wohl doch als geschickte und erfolgreiche Mischung verschiedener, sowohl tatsächlich durchgreifender, als auch nur scheinbarer Argumente, die ihren Eindruck auf die Erbgesessene Bürgerschaft nicht verfehlten. Die auf die nur verdeckt angeführte Definition des Konstituanten-Begriffs gegründeten Einwände gegen das Werk der Versammlung, die zitierten einflußreichen Stimmen gegen die Radikalität des von ihr geplanten Umbruchs, der in einer Handelsstadt immer überzeugende Hinweis auf finanzielle und kommerzielle Interessen, die es zu wahren gelte-das alles ließ den Antrag des Senats in der Tat als Stimme der Vernunft, als wohlmeinenden Versuch einer friedensstiftenden Vermittlung sich entgegenstehender Ansichten, als uneigennützigen Aufruf zu einer notwendig gewordenen Anpassung an die politischen Realitäten der Gegenwart erscheinen. Dies um so mehr, als der Senat nicht versäumte, auf den inzwischen eingetretenen Wandel der Verhältnisse in Deutschland, vor allem aber auf Hamburgs Mitgliedschaft im Dreikönigsbündnis hinzuweisen. 307 Ganz aus der Luft gegriffen war der Hinweis auf die Finanzkrise der Stadt freilich nicht: Der öffentliche Haushalt war chronisch defizitär, und mit einem gewissen Recht konnte im Patrioten v. 4. Juli "Ein Bürger" die "Frage an die Constituante" stellen, wie sie a) die Mindereinnahmen ausgleichen wolle, die durch den in Aussicht gestellten Fortfall der indirekten Steuern entstehen würden, wie sie b) die Mindereinnahmen ausgleichen wolle, die in Bezug auf die direkten Steuern dadurch entstehen würden, "daß reiche Leute wegen der drohenden großen direkten Besteuerung (möglicherweise auch aus Ärger über den Regierungswechsel)" die Stadt verlassen würden, woher sie c) unter diesen Umständen das Geld - "mindestens mehrere Millionen Mark Banco"- für die beabsichtigten Reformen auf den Gebieten des Gerichts-, Schul- und Militärwesens nehmen wolle, und wie sie d) außerdem die "Pensionen an abzusetzende Staatsbeamte" auftreiben wolle.
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Letzte Zweifler, vor allem aber die konstituierende Versammlung selbst, sollten die positiven Vermittlungsvorschläge des Senats überzeugen, die in wohlkalkuliertem Kontrast zu der umfassenden Kritik an der Konstituante und ihrem Werk standen. Allein schon die Tatsache, daß er mit Hilfe der Bürgerschaft nicht einfach oktroyierte, sondern ihr lediglich seine Gravamina mitteilte, mehr aber noch die von ihm beantragte Einsetzung einer Rat- und Bürgerkommission, die eine Mitwirkung der konstituierenden Versammlung an den künftigen Reformen herbeiführen sollte, schien in der Tat eine sinnfällige Demonstration für den guten Willen des Senats zu sein, es weniger auf eine bedingungslose Durchsetzung seiner verfassungspolitischen Ziele als auf eine politische Befriedung der Stadt ankommen zu lassen. Noch günstiger aber wirkten gewiß seine durchaus gemäßigten Reformvorschläge selbst, die er der Bürgerschaft unterbreitete und auf die wir an anderer Stelle eingehen werden308• Diese Vorschläge waren ihrer Natur nach geeignet, die bestimmt nicht nur in Kreisen der Konstituante vorhandene Furcht vor einem Umschlagen des bereits angebahnten politischen Fortschritts in reaktionäre Stagnation wenn nicht ganz zu beseitigen, so doch entschieden zu mildern. Unter diesen Voraussetzungen mußte das Schreiben vom 27. September 1849309, mit dem der Senat die Konstituante von dem Ergebnis des Rat- und Bürgerkonvents in Kenntnis setzte, mit dem er aber zugleich auch die "dringende Aufforderung" verband, "daß die Versamml[ung] sich entschließen möge, die Hand zu den Verhandlungen zu bieten, welche die Rath- und Bürger-Commission anzuknüpfen den Auftrag erhalten hat", glaubhaft, es mußte das vom Senat proklamierte Ziel, "im wahren und wohlverstandenen Interesse der gesamten Bevölkerung Hamburgs eine Ausgleichung der sich entgegenstehenden Ansichten herbeizuführen", grundsätzlich erreichbar erscheinen, zumal wenn man feststellen muß, daß ein spürbarer Widerstand der Konstituante auch jetzt ausblieb.
V. Abschließende Beurteilung Es wäre u. E. denn auch verfehlt, den Rat- und Bürgerschluß vom 27. September 1849 noch aus historischer Sicht als "Staatsstreich" hinzustellen, wie Walther Gabe das versucht hat310,-selbst wenn der Senat mit seinen Anträgen endgültig den Rechtsboden verließ, den er selbst zusammen mit der Bürgerschaft Ende 1848 abgesteckt hatte. Bei dem aos aoD 310
Vgl. 3. Kap. dieser Arbeit, S. 176 ff. Senat/innen 1 (75). W. Gabe, Harnburg in der Bewegung v. 1848/ 49, S. 169 ff.
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Mangel an Präzision, die dem Rat- und Bürgerschluß vom 7. September und dem Senatsbeschluß vom 20. Dezember anhaftet, fällt es freilich nicht leicht, den Zeitpunkt auszumitteln, an dem der Senat gegenüber der Konstituante wort- bzw. rechtsbrüchig wurde. Dieser Zeitpunkt ist jedoch mit Sicherheit schon vor dem 27. September 1849 anzusetzen. Die Einwände, die der Senat gegen den Erlaß von Übergangsbestimmungen durch die Versammlung erhob, konnten wenigstens noch mit dem Wortlaut der zitierten Dokumente gerechtfertigt werden und entbehrten nicht einer gewissen inneren Logik. Hier nutzte das Stadtregiment den Spielraum geschickt, den ihm ein ungenau formuliertes und daher auslegungsbedürftiges Gesetz nun einmal ließ. Gewiß aber bedeutete die "Zusammenfassung der Bedenken des Senats" vom 3. August 1849 dem Prinzip nach - und nur darum ging es in den Augen der Konstituante - eine fundamentale Beeinträchtigung ihrer Rechtsposition. Schon zu diesem Zeitpunkt war der Senat entschlossen, das Verfassungswerk vom 11. Juli nicht unverändert durchgehen zu lassen -eine Absicht, die hinter seinen "Bedenken" klar zum Vorschein kam. Ein coup d'etat im Sinne eines Regimewechsels aber hatte auch praktisch gar nicht stattfinden können, denn die alten Gewalten waren ja 1848 bei Einsetzung der konstituierenden Versammlung nicht abgelöst worden - was auch die Konstituante noch Ende August anerkannte311 - und hatten sich besonders während des Sommers 1849 zunehmender Lebendigkeit und Wirksamkeit erfreut. Schließlich wäre der Sieg, den der Senat mit Annahme seines Antrags durch die Erbgesessene Bürgerschaft am 27. September in der Tat errang, nicht ohne die Niederlagen denkbar gewesen, die sich die Konstituante immer wieder selber bereitet hatte, - wenn sie dabei im allgemeinen auch Opfer der politischen Verhältnisse gewesen ist, die in Deutschland gerade 1848/49 einem überaus raschen Wandel unterlagen. Schon die Verspätung, mit der es in Harnburg 1848 zur Berufung eines revolutionären Parlaments gekommen war, hatte für die Versammlung eine Hypothek bedeutet, deren lastende Schwere um so spürbarer werden mußte, je vollkommener die Kräfte der Reaktion die deutsche Revolution überwanden. Gleichwohl hat die Konstituante schon vor Beginn ihrer eigentlichen Tätigkeit nicht den Spielraum zu nutzen gewußt, den ihr sowohl die Lage in Deutschland, als auch die spezifischen Hamburger Verhältnisse anfangs noch ließen. Muß auch die Frage nach der mutmaßlichen Rem Noch in seinem Schreiben v. 31. Aug. titulierte der Präsident der konstituierenden Versammlung, Baumeister, den Senat als "die verfassungsmäßig bestehende Exekutivgewalt". - Vgl. diese Arbeit oben S. 126 und Anm. 280 ebd.
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aktion der Nachbarstaaten - vor allem Hannovers und Preußens auf eine völlige Kapitulation des Senats offenbleiben, erwies es sich wohl doch als der folgenschwerste Fehler, daß die Versammlung im Spätherbst und Winter 1848 einen Eid auf die Einhaltung eines Kompetenzbereichs ablegte, der niemals zweifelsfrei definiert worden war, ja, daß sie diesen Eid überhaupt leistete. Denn dieser Eid mußte zweifellos ihr Selbstverständnis als autonomer Verfassunggeber trüben und hat gewiß zu einer Schwächung ihres revolutionären Elans geführt, mochten doch manche Mitglieder den Senat auch weiterhin als "ordentliche Obrigkeit" betrachten. Trotzdem hätte es wenigstens die innenpolitische Kräftekonstellation bis zum Einmarsch der Preußen zugelassen, wenn die Konstituante nachdrücklich auf Einführung ihres Verfassungswerks bestanden und die dafür notwendigen Schritte entschlossen und in eigener Regie vorbereitet, vor allem aber auch unternommen hätte. Wenn man sich dazu nicht verstand, obwohl die Versammlung den zweifelhaften Rechtsdeduktionen des Senats prinzipiell nicht folgte, müssen es überwiegend taktische Gründe gewesen sein, die die Konstituante zum Abwarten veranlaßten. Es ist nicht unsere Aufgabe, diesen Gründen im einzelnen nachzuspüren. Immerhin aber scheint es ohne weiteres denkbar, daß Teile der Konstituante eine preußische Intervention gerade für den Fall befürchteten, daß die Versammlung den Versuch unternehmen würde, ihr Verfassungswerk auf eigene Faust einzuführen. Gerüchte, die von einem bevorstehenden Eingriff Preußens sprachen, liefen jedenfalls schon im Juli in Harnburg um. Andere Ab!:!eordnete mögen die Befähigung der Konstituante für die Erledigung dieser Aufgabe unterschätzt oder deren machtmäßige Voraussetzun~en verkannt haben. wie sie auf Grund der Sympathien, die Teile des Bürgermilitärs der Versammlung offen zum Ausdruck brachten, nun einmal bestanden. Wieder andere waren möglicherweise bestrebt, der Versammlung den Weg einer Vereinbarung mit den alten Gewalten offenzuhalten; und der wäre nicht mehr gan!:!bar gewesen, hätte der Senat einen Versuch der Konstituante. ihre Verfassung eigenmächtig einzuführen, eventuell mit preußischer Hilfe niedergeschlagen. Auf jeden Fall - so kann man zusammenfassen waren die retardierenden Kräfte in der konstituierenden Versammlunl! stark genug, die vorwärtc;dränl!enden radikalen Elemente zu neutralisieren und damit die Versammlung an der Entfaltun!:! einer realen Initiative zu hindern. Gerade dieses trotz aller wohlklin11ender Beischlüsse effektlose Stillhalten aber, mehr noch die bei allem Wortreichtum schließlich doch kampflose AnnassunP' an die Fesselungstaktik des Senats, dessen Ängstlichkeit der Öffentlichkeit doch nicht verbon:ren bleiben konnte, mußte die Konstituante das Ansehen kosten, das ihr
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bis dahin weite Kreise der Bevölkerung entgegengebracht hatten und das sie benötigte, wollte sie den Verfassungskonflikt anders als mit Gewalt zu ihren Gunsten entscheiden. In dem Maße aber, in dem das Ansehen der Konstituante verfiel, konnte der Senat ein Anwachsen des Respekts beim politisch interessierten Bürgertum verzeichnen, der offenbar auch durch die dubiosen Umstände des preußischen Eingriffs nicht nachhaltig geschwächt wurde. Das im ganzen initiativlose Abwarten der Konstituante wirkte als ein Zeichen politischer Impotenz, das den Senat schon lange vor dem Preußen-Einmarsch zu einer Verstärkung seines Widerstands geradezu einladen mußte. Bei aller Ablehnung des revolutionären Prinzips aus Überzeugung aber hätte sich der Senat wohl schwerlich in der Lage gesehen, seinen Widerstand durchzuhalten, wäre ihm nicht der allgemeine Wandel der Zeitverhältnisse hilfreich entgegengekommen. Wir haben der Darstellung dieser Entwicklung deshalb soviel Platz eingeräumt, weil wir im Verlauf unserer Untersuchungen zu dem Ergebnis kamen: Bis zu dem Zeitpunkt, da sich Anfang 1851 der Eingriff Österreichs und Preußens in die hamburgische Verfassungsangelegenheit abzeichnete, haben die außenpolitischen Bezüge nicht wieder einen derart unmittelbaren und bestimmenden Einfluß auf die Verfassungspolitik des Senats ausgeübt, wie im Sommer und Frühherbst des Jahres 1849. Sie prägten das politisch-psychologische Klima im Senat und bedingten seine Entscheidungen - nicht nur in außen-, sondern besonders auch in innenpolitischer Hinsicht. Es will uns scheinen, als spiegelten die zwingenden Rückwirkungen, welche die politischen Wandlungen in Deutschland - vor allem aber in Preußen - auf Harnburg hatten, geradezu paradigmatisch das Schicksal der meisten deutschen Kleinstaaten von 1849 wider. Der dominierende Einfluß der Großmächte - Syndikus Merck nannte es treffend "faktische Mediatisierung" - war die Bedingung, ohne die kleinstaatliche Politik in der kritischen Übergangsphase zwischen Revolution und Reaktion gar nicht gedacht werden konnte. Harnburg teilte sicher auch insofern das Los anderer deutscher Kleinstaaten, als es - ohne eigentliche militärische Macht (die sich zudem noch als unzuverlässig erwies) - schon aus Gründen der inneren Sicherheit auf eine Anlehnung an eine der beiden Großmächte und (in diesem Fall) schon aus geopolitischen Gründen auf Preußen hingewiesen war. Auch wenn Banks nicht direkt um preußische Hilfe nachgesucht hat, zeigte doch allein schon die Tatsache, daß Harnburg auch ohne vertragliche Absicherung seiner zoll- und handelspolitischen Unabhängigkeit dem Dreikönigsbündnis beitrat, wie dringend erwünscht
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fremder Beistand war. Diese Erwartung konnte Preußen nicht verborgen bleiben und mußte die Position des Senats gegenüber Berlin über das natürliche Machtgefälle hinaus zwangsläufig noch weiter schwächen. Gewiß aber wäre die hamburgische Verfassungsgeschichte anders verlaufen, hätte Preußen im August 1849 nicht so massiv interveniert. Diese Okkupation - vom Senat sicherlich nicht beabsichtigt, aber schließlich unter preußischem Druck doch geschickt genutzt - markiert den eigentlichen Wendepunkt in der Auseinandersetzung zwischen Konstituante und Senat. Wenn der Begriff des "Staatsstreichs" überhaupt zulässig ist, wäre er auch nur hier einzusetzen, freilich im Sinne eines "Staatsstreichs von außen". Berlin nahm die Unruhen vom 13./14. August zum Anlaß, den Senat unter starkem militärischem Druck einerseits zu einer Reduktion des Presse- und Vereinswesens, sowie zu einer Reorganisation des Bürgermilitärs zu nötigen. Damit wurden die "revolutionären Errungenschaften" der Jahre 1848/49 beseitigt, Agitations- und Organisationsvermögen der hamburgischen Revolution unterbunden312, die stolze Hansestadt aber auch zeitweilig in ihrer Souveränität beschränkt. Mochte der Senat auch das eine begrüßen, das andere beklagen - er konnte das eine nicht ohne das andere bekommen, beides mußte er im Interesse des "Staatswohls" schließlich hinnehmen. Daß die preußische Regierung in Verfolg älterer Pläne darüber hinaus von sich aus auf den Verlauf des hamburgischen Verfassungskonflikts einwirken wollte, läßt sich auch ohne nähere Kenntnis der preußischen Akten füglieh behaupten313: Das geht aus Banks' Bericht vom 22. Juli andeutungsweise, aus den freimütigen Bemerkungen des preußischen Generalleutnants v. Prittwitz ganz klar hervor. Dieser erklärte am 21. August gegenüber Bürgermeister Bartels314, 312 Vgl. auch Lappenberg, Verfassung und Handel, S. 316 und J. Bolland, Juristen, S. 22. 3!3 Baasch, Geschichte Hamburgs, Bd. I, S. 109 ff., dessen Darstellung augenscheinlich vor allem auf preußischen Akten beruht, trägt zur Erhärtung dieser These leider nichts bei. Seine Behauptung (S. 110 f.) , die sich auf einen Bericht von Kamptz' stützt, "Kellinghusen, die Senatoren Merck und Kirchenpauer erblickten [1849] in dem Vorgehen Preußens ein Symptom seiner Vergrößerungssucht und sahen die einzige Rettung in dem Anschluß an Österreich" [Hervorhebg. v. Verf.] halten wir für schlichtweg abwegig. Die Notwendigkeit, dem Dreikönigsbündnis beizutreten, war im August zu keinem Zeitpunkt, auch nicht nach der preußischen Besetzung am 17. Aug., umstritten und empfahl sich gerade danach als Mittel zur Einwirkung auf Preußen. 314 Brief Bürgermeister Bartels' an Bürgermeister Kellinghusen v. 22. Aug. 49, Senat/außen 16 (17). - Zusammen mit dem Generalleutnant v . Hirschfeldt war v. Prittwitz ranghöchster preußischer Offizier der in Harnburg stehenden Truppen.
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"daß es zweckmäßig sein würde, nicht allein die Untersuchung wegen der Frevel vom 13./14. August ... möglichst zu beschleunigen, sondern auch die Clubbs zu schließen, die Frechheit der Presse abzustellen und die Bedenken wegen der Constituante und ihrer vorgelegten Verfassung bei Anwesenheit der Preußen zu beendigen".
Diese Intention hatte sich als Grundzug preußischer Macht- und Interventionspolitik während der nachrevolutionären Phase ja schon in Südwestdeutschland manifestiert. Als einziger Staat Norddeutschlands bekam sie jetzt ausgerechnet auch das stolze Harnburg zu spüren. Der Senat durfte sich jedoch mit Rücksicht auf die Absichten, die er damals selbst verfolgte, vor allem aber mit Rücksicht auf seine eigene politische Unabhängigkeit nicht darauf einlassen, entscheidende Schritte in der Verfassungssache unter militärischem Druck der preußischen Besatzungsmacht zu tun. Seine Pläne, sich bei Lösung des städtischen Verfassungskonflikts um die Vermittlung der Reichsbehörden oder der Organe des Dreikönigsbündnisses zu bemühen, datierten ja schon aus der Zeit vor dem 13. August. Offenbar hatte der Senat ursprünglich daran gedacht - nach dem Fehlschlag seiner Versuche, die Konstituante zu einer Revision ihrer Verfassung zu bewegen -, mit Hilfe der Bürgerschaft ein eigenhändig ausgearbeitetes Verfassungswerk zu oktroyieren, was man von der Sache her als "Staatsstreich" hätte interpretieren können315• Dabei wollte er die Auswirkungen dieser Maßnahme auf Sicherheit und Ordnung der Stadt durch das vermittelnde Hinzutreten der Zentralinstanzen oder der Bündnisorgane auffangen. Mochte er auch aus eben denselben Sicherheitsgründen nach dem 13. August das Verbleiben einer preußischen Garnison begrüßen, so mußte er sich um so mehr vor dem alleinigen Einfluß Preußens auf die Verfassungssache bewahren. Möglicherweise liegt gerade hierin eine tiefere, bislang unerkannte Wurzel sowohl für die Versuche des Senats von Anfang September, den Verwaltungsrat in die Lösung des Verfassungskonflikts einzubeziehen, als auch für den vorhergehenden Vorschlag Binders, "eine Erneuerung des Versuchs friedlicher Regulierung mitteist Vereinbarung" mit der Konstituante zu wagen. Das eine - der Appell an das Kollektiv des Dreikönigsbündnisses - brachte die Verfassungssache aus der Gefahrenzone bilateraler Verhandlungen zwischen dem Kleinstaat Harnburg und der Großmacht Preußen. Das andere- der Versuch einer friedlichen Vereinbarung mit dem innenpolitischen Gegner- verringerte die Gefahr einer physischen Gewaltprobe und damit zugleich die Gefahr einer erneuten militärischen Einmischung von außen. Eine Mehrheit des Senats empfand aber auch die diplomatische Aktivität, die Syndikus Banks vor dem Verwaltungsrat entwickelte, als 115
s. 68.
Hudtwalcker-Memorandum v. 8. Aug. 49. -
Vgl. diese Arbeit oben
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unliebsamen Versuch, "eine Einmischung von Fremden" herbeizuführen. Drum wurde Banks am 5. September zurückgepfiffen. Augenscheinlich vertraute man auf die integrierende Überzeugungskraft der Anträge, die man dem Rat- und Bürgerkonvent vom 27. September 1849 vorzulegen gedachte, so daß man glaubte, die Schiedsrichterdienste des Verwaltungsrats nicht mehr in Anspruch nehmen zu brauchen. Denn das sehr gemäßigte Sieben-Punkte-Programm des Senats, sowie dessen Angebot auf "Vereinbarung" schlossen eine faire Beteiligung der Konstituante am weiteren Fortgang der Verfassungsreform jedenfalls von vornherein nicht aus. Daß sich die konstituierende Versammlung schon vorher, am 31. August- wenn auch vorerst nur auf Zeit-, selbst aufgelöst hatte, ist zwar unter dem Blickwinkel der absoluten Rechtsposition, die sie vertrat, verständlich, muß aber doch als weiterer schwerwiegender Fehler gewertet werden: Mit ihren Beschlüssen vom 31. August nämlich, hatte sie sich praktisch selbst außer Gefecht gesetzt. Die zentrifugalen Kräfte, die in der Versammlung jetzt stärker denn je zutage traten, mußten den Senat - wie wir sehen werden zur Unnachgiebigkeit ermutigen und ihn darin bestärken, den schillernden Begriff der "Vereinbarung" wesentlich restriktiv auszulegen, ja, in sein Gegenteil zu verkehren.
Drittes Kapitel
Der Senat und der Versuch einer liberal-konservativen Verfassungsreform A. Die Modifikation der Konstituantenverfassung vom 11. Juli 1849 und der Versuch einer "mittleren Lösung" I. Die Nenner-Kommission als Verhandlungskommission und als Trägerin der Reformversuche 1. Rang und Stellung der Neuner-Kommission in der Reihe der großen Hamburger Reformdeputationen Das unmittelbare Ergebnis des Rat- und Bürgerkonvents vom 27. September 1849 war - wie erwähnt - die Einsetzung einer Rat- und Bürgerkommission, bestehend aus vier Mitgliedern des Senats und aus fünf bürgerschaftliehen Mitgliedern. Diese sog. "Neuner"-Kommission kann einerseits als ein Glied in der Reihe jener bekannten Deputationen gesehen werden, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Geheiß von Rat- und Bürgerschaft mit der Frage einer großangelegten Reform von Hamburgs Verfassung, Verwaltung und Justiz beschäftigt haben. Im Gegensatz aber zu der verfassungspolitisch kaum ergiebigen Tätigkeit der Reorganisationsdeputation vom 27. Mai 18141, im Gegensatz auch zu der erfolglosen Reformdeputation vom 13. März 18482 muß das überaus weitgespannte Reformwerk der Neuner nicht nur an sich als das bedeutendste erscheinen. Vielmehr wird auch dessen politische Wirkung als die nachhaltigste und fruchtbarste einzuschätzen sein, hat es doch ganz wesentlich das Verfassungswerk von 1859/60 beeinflußt, das in den Grundzügen bis 1918 erhalten blieb3• Allein schon die Bedingungen, unter denen es im Herbst 1849 zur Bildung der Neuner-Kommission kam, waren wesentlich günstigere als bei Einsetzung der Reformdeputation im Frühjahr 1848. Diese war vor dem Hintergrund der französischen Februarrevolution, und angesichts der sehr weitgehenden politischen Forderungen, die wie überall so auch in Harnburg seit längerem erhoben wurden, von einer aufgeregten 1 2
3
Vgl. Bartels, Abhandlungen, S. 356 ff. Vgl. Klindworth, Reformdeputation. Vgl. Reincke, Kämpfe, S. 167 und Seelig, Notabeln, S. 143.
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Öffentlichkeit als ein verspätetes und nur widerstrebend gewährtes Zugeständnis mit Unwillen und Enttäuschung quittiert und im ganzen als Zeichen der Schwäche verstanden worden4 • Jene begrüßte man jetzt in einem wesentlich gewandelten politisch-psychologischen Gesamtklima als entschlossene Befreiungstat, die geeignet erschien, den stagnierenden Verfassungskonflikt zu entkrampfen und einer positiven Lösung zuzuführen. Dabei wirkte die maßvolle Zurückhaltung, die sich der Senat in seinen Anträgen vom 27. September 1849 gegenüber der Konstituante auferlegte, eher als kluge Begrenzung seiner potentiellen Stärke. Die schwerwiegenden Einwände, die 1848 gegen Wahl und Zusammensetzung der Reformdeputation, sowie gegen die Form, in der sie ihre Protokolle veröffentlichte, erhoben worden waren5, wurden jetzt nicht wieder laut. An die Stelle einer ungestalt auseinanderstrebenden Arbeitsgrundlage, wie sie die Reformdeputation in dem Zwölf-PunkteProgramm der Hundertachtziger vom 10. März 1848 vorgefunden hatte6, trat jetzt ein klar umgrenzter, vom Senat auch materiell sorgfältig vorbereiteter Reformauftrag, der den Erfolg der Neuner-Kommission begünstigen mußte. Der wesentlich geringere Umfang dieses Gremiums, mehr aber noch die Tatsache, daß unter seinen Mitgliedern im Gegensatz zur Reformdeputation erfahrene Juristen in der Überzahl waren, kamen der Arbeitsleistung, sowie der Bündigkeit, mit der die Neuner ihre Verhandlungen führten, stets zugute7 • Zwar konnten nur zwei Mitglieder (Amsinck und Geffcken) ihre administrativen und politischen Erfahrungen, die sie in der Reformdeputation hatten sammeln können, nun auch in der Neuner-Kommission verwerten; in beiden Gremien fungierte Syndikus Amsinck als Praeses8 • Trotzdem aber kam es nicht wieder zu jenen auffallenden Ungeschicklichkeiten in der Geschäftsführung und damit zu empfindlichen Verzögerungen, wie sie Wilhelm Klindworth für die Tätigkeit der Reformdeputation nachweist9 • Die Arbeitsleistung, die die Neuner-Kommission in den ersten zweidreiviertel Jahren oder 331/2 Monaten ihres Bestehens von ihrer Einsetzung Ende September 1849 bis zu jenem 12. Juni 1852 vollbrachte, an dem sie durch Senatsbeschluß zur Revision der Verfassung vom 23. Vgl. Klindworth, S. 44 ff. und S. 139. Ebd., S. 63 und S. 66 f. 8 Ebd., S. 55, S. 67 f. Das Protokoll in der Neuner-Kommission, mit wenigen Ausnahmen leider nur ein Antrags- und Beschlußprotokoll, führte D. Loehr. Die Protokolle wurden überhaupt nicht veröffentlicht. 7 In der 15köpfigen Reformdeputation betrug das Verhältnis von Juristen und Nichtjuristen 6: 15, in der Neuner-Kommission 5 :4. 8 Prot. der 2. ordtl. Sitzg. v. 3. Okt. 49, Senatfinnen 4 c. Vgl. Klindworth, Reformdeputation, S. 61 f. 8 Ebd., S. 123 und S. 126. 4
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Mai 1850 aufgefordert wurde, ist denn auch beachtlich: In 164 ordentlichen und 72 außerordentlichen, zusammen also in 236 Sitzungen erstellte sie acht Tätigkeitsberichte, einen Verfassungsentwurf und zwei Wahlgesetzentwürfe samt Motiven- Entwürfe, die sie in der Zeit von Januar bis April 1850 wiederholt zu revidieren hatte- sowie die Entwürfe für elf organische Gesetze. Die für diese Zwecke erforderlichen umfangreichen und teils sehr komplizierten Verhandlungen, die die Kommission mit dem Senat und mit der Konstituante führte, sind naturgemäß auch nicht annähernd genau in Zahlenangaben zu erfassen, nahmen in Wirklichkeit aber einen erheblichen Teil ihrer Arbeitskraft in Anspruch. 2. Die Mitglieder der Nenner-Kommission
An dieser Stelle stellt sich die Frage: Was für Männer waren es, die jene gewaltige Leistung für ihre Stadt vollbrachten? Die Erbgesessene Bürgerschaft hatte die Herren G. H. Kaemmerer (St. Petri - Ersatzmann: W. Mauke), Dr. H. R. Loehr (St. Nicolai - Ersatzmann: J. F. C. Refardt), H. A. Hübener (St. Catharinen - Ersatzmann: 0. R. Schroeder), Dr. H . A. Reise (St. Jacobi - Ersatzmann: I. C. A. Mertern) und Dr. C. Petersen (St. Michaelis - Ersatzmann: E. H. Suse sen.) zu Mitgliedern der Neuner-Kommission gewählt, ausnahmslos bedeutende Kaufleute und bekannte Juristen aus angesehenen, teils alten Hamburger Familien10• Ihre aus der Masse der Erbgesessenen herausgehobene Stellung in der städtischen Bürgerschaft erhellt bereits aus der Tatsache, daß sie als Prototypen der städtischen Honoratiorenschaft - eine Reihe besonders wichtiger und einflußreicher Ehrenämter bekleideten: So war Kaemmerer u. a. Altadjungierter, Hübener Mitglied der Commerz-Deputation und Kämmereibürger 11 • Die Juristen unter den bürgerschaftliehen Mitgliedern der Neuner-Kommission waren nicht minder prominent: Dr. H. A. Reise fungierte zum Zeitpunkt seiner Wahl als Vizepraeses des Handelsgerichts12• Dr. Loehr und Dr. Petersen praktizierten als Advokaten, die trotz ihres relativ jungen Lebensalters bereits beträchtliche Erfolge nicht nur auf dem engeren beruflichen Sektor vorzuweisen hatten13 • 10 Diese Angaben beziehen sich nicht auf die Ersatzmänner, die wir nicht überprüft haben.- Vgl. im übrigen: Kaemmerer (HGeschlB, Bd. 5, S. 61-79), Loehr (Buek, Oberalten, S. 370 und 487, sowie Goverts, Mitgliederverzeichnis, S. 55), Heise (HGeschlB, Bd. 3, S. 257-289) und Petersen (HGeschlB, Bd. 3, S. 387-396, 474). Über Hübener können keine Angaben gemacht werden. u Baasch, Handelskammer, Band II, 2, S. 645 und 926. tz Buek, Oberalten, S. 487. 13 Dr. Carl Petersen war beispielsweise seit 1845 Syndikus der neuen Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft. - Vgl. Schramm, Biedermeier, S. 44.
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Während Kaemmerer, bisweilen Loehr politisch weiter "rechts" standen, können Hübener, Petersen und Reise mit Sicherheit als "gemäßigt Liberale" gelten, gehörten die beiden letztgenannten doch zu den Unterzeichnern jener Eingabe, die vom Senat im August 1848 die Einsetzung einer Konstituierenden Versammlung gefordert hatten14• Zu ihren "Parteigängern" in der Neuner-Kommission zählten gewiß auch sämtliche Mitglieder des Senats, wobei man Kirchenpauer und Geffcken eher als "gemäßigt Liberale aus Überzeugung", Amsinck und Lutteroth-Legat mehr als "gemäßigt liberale Pragmatiker" kennzeichnen mag15• Deutlicher noch als aus diesen Umschreibungen geht die politische Unvoreingenommenheit jener vier Senatsmitglieder aus der Rolle hervor, die sie im Revolutionsjahr 1848 gespielt hatten: Amsinck und Kirchenpauer hatten sich um einen Sitz in der Konstituante beworben, waren allerdings bei den Wahlen durchgefallen16• Dagegen waren Geffcken und Lutteroth-Legat als Abgeordnete in die Versammlung eingezogen, die letzteren noch im Mai 1849 in seinem Amt als Vizepräsident "mit fast allen abgegebenen Stimmen bestätigt" hatte11• Das sozio-politische Profil der Neuner-Kommission können wir mithin kurz so umreißen: In ihr überwogen die großbürgerlichen, gemäßigt liberal eingestellten Elemente, ausgesprochene Vertreter der Hamburger Oberschicht, die die Verfassung eines aus allgemeinen Volkswahlen hervorgegangenen und daher soziologisch "offenen" Parlaments revidieren sollten. Dabei kam der Tatsache, daß der Senat ausschließlich solche Mitglieder in die Kommission entsandt hatte, die über Verbindungen zur Konstituante verfügten, vornehmlich sicher taktische Bedeutung zu, mußte doch die Aufnahme von Verhandlungen mit der Versammlung unter dieser Voraussetzung wesentlich leichter fallen. Schramm, Neun Generationen, Band 2, S. 161 f. Zusammenfassend bemerkt Reincke, Kämpfe, S. 163: "Die meisten Mitglieder [der Neuner-Kommission] standen auf dem Boden des Patriotischen Vereins, einzelne noch weiter rechts".- Unsere politisch-psychologischen Einzelcharakteristiken stützen sich auf: Schramm, Hamburg, Deutschland und die Welt, S. 285 (betr. Kirchenpauer und Geffcken), H. Reincke, Kämpfe, S. 152 und v. Meile, Kirchenpauer, S. 35 (betr. Kirchenpauer), H. Reincke, Kämpfe, S. 152 (betr. Geffcken), Heskel, Lutteroth, S. 51 und Anm. 5 ebd. (betr. Lutteroth) und Beneke, Erinnerungen an Synd. W. Amsinck, S. 596 f. Wir halten uns hier an W. Conzes Bestimmung, welche die Liberalen "als Vertreter des bestehenden oder angestrebten konstitutionellen Staatsrechts ausweist, das sowohl naturrechtlich, wie durch historischen Rückgriff ... begründet wurde". - Vgl. W. Conze, Staat und Gesellschaft, S. 233. - Dabei tendierten die von uns bezeichneten "Liberalen aus Überzeugung" zu einer mehr naturrechtlich fundierten, wenn auch gemäßigten Reformauffassung, die "liberalen Pragmatiker" zu einer stärker historisch-traditional orientierten Verfassungsreform. - Vgl. auch unten S. 264, insbes. Anm. 199. - Zutreffend bemerkt E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 391, der "liberale Konstitutionalismus", wie ihn u. E. die Neuner vertraten, sei "historisch-evolutionär, nicht revolutionär" gesinnt gewesen. 14
15
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3. Der Auftrag der Nenner-Kommission
Der Senatsantrag vom 27. September 1849 hatte bezweckt, Erbgesessene Bürgerschaft für den "Versuch einer Vereinbarung" mit der Konstituante zu gewinnen. Mittel zu diesem Zweck war die vom Senat vorgeschlagene Neuner-Kommission. Deren Auftrag hatte der Konventsbeschluß dahin präzisiert18 : Die Kommission möge 1. die Konstituantenverfassung vom 11. Juli 1849 überprüfen und 2. eine Feststellung darüber treffen, ob a) die Bedenken des Senats gegen das Verfassungswerk begründet oder ob b) diese Bedenken nicht begründet seien; 3. im ersteren wahrscheinlichen Fall Verhandlungen mit der konstituierenden Versammlung einleiten. Dabei seien drei Resultate denkbar: a) Die Konstituante verweigert die Aufnahme von Verhandlungen -dann habe die Neuner-Kommission Vorschläge für das weitere Vorgehen an Erbgesessene Bürgerschaft einzubringen; b) die Konstituante geht auf Verhandlungen ein und die Verhandlungen führen zu einer Einigung zwischen den Beauftragten der alten und der neuen Gewalt - dann sei die Genehmigung des so entstandenen Verfassungswerks von Rat und Bürgerschaft, sowie von der konstituierenden Versammlung einzuholen; c) die Konstituante geht auf Verhandlungen ein, diese führen aber nicht zur Einigung - dann habe die Neuner-Kommission Vorschläge für die weitere Verfahrensweise an einen Rat- und Bürgerkonvent gelangen zu lassen. 4. Die Neuner-Kommission habe in jedem der genannten Fälle (3 a, b, c) innerhalb von 4 Wochen Bericht über den Erfolg ihrer Bemühungen zu erstatten. In erster Linie also waren die Neuner von Rat und Bürgerschaft als 18 Vgl. Familiengeschichte Amsinck, Band III, S. 77 und Wohlwill, Die Wahlen zur Konstituante, S. 465. 17 Heskel, Lutteroth, S. 54 f. Lutteroth hatte sich bereits seit Anfang Juni mehr und mehr von den Sitzungen der Konstituante zurückgezogen, bis er ihnen zuletzt ganz fern blieb. Geffcken hatte bereits am 18. März 1849 um seine Entlassung als Abgeordneter der Konstituante gebeten, Senat/Handakten 2. - Bezeichnenderweise fehlten denn auch die Unterschriften Lutteroths und Geffckens noch am 17. September 1849 unter der Konstituantenverfassung, Konst. Vers./3. - Diese Unterschriften - so läßt sich wohl mit Gewißheit annehmen - wurden nie nachgetragen. 18 Rat- und Bürgerschlüsse, 1849, bzw. "Tendenz des Antrags an Erbgesessene Bürgerschaft", Senatfinnen 2 (27) (i. e. eine Bemerkung, die der handschriftlichen Fassung des Senatsantrags v. 27. Sept. 1849 vorausgeht und im Konvent offenbar nur mündlich vorgetragen wurde).
10 Bavendamm
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Verhandlungspartner der Konstituante ausersehen, der sich - wenn möglich- mit der Versammlung kommissarisch19 über Änderungen an deren Verfassungswerk vereinbaren sollte. Wie auch immer diese Verhandlungen ausgingen - stets sollte das Resultat seiner Bemühungen einem Rat- und Bürgerschluß unterliegen und, im Falle der Einigung, die Mitgenehmigung der Konstituante eingeholt werden. Freilich, die Bestimmung über Abhaltung eines Rat- und Bürgerschlusses, der über das Verhandlungsergebnis befinden sollte, war geeignet, die Rolle, die die Konstituante bei den bevorstehenden Verhandlungen überhaupt spielen konnte, von Anfang an entscheidend zu verkleinern, ja, sie erleichterte es dem Senat, den Begriff der "Vereinbarung" geradezu in sein Gegenteil zu verkehren: Kam es nämlich auf Grund des Widerstands der Konstituante nicht zu einer positiven Einigung zwischen der Versammlung und den Neunern, hatten die alten Gewalten den weiteren Gang der Dinge ohnehin völlig in der Hand. Am Ende konnte dann nur die Oktroyierung eines nach ihren 'Vorstellungen gestalteten Verfassungswerks durch Rat- und Bürgerschluß stehen. Doch auch für den Fall, daß es Neunern und Konstituante tatsächlich gelang, sich auf eine neue Verfassung zu einigen, konnte sich die Sachlage leicht ebenso darstellen. Denn zunächst würde ja der Senat darüber befinden müssen, ob er das Verhandlungsergebnis billigen und in eine Propositio gekleidet an die Erbgesessene Bürgerschaft weiterleiten wollte. Fand er sich dazu nicht bereit, lag es allein an ihm und an seiner subjektiven Einschätzung der politischen Lage, die Verhandlungen entweder für gescheitert zu erklären oder aber die Wiederaufnahme von Verhandlungen zu veranlassen. Kam man am Ende doch zu einem Resultat, das dem Senat annehmbar erschien, lag es bei Erbgesessener Bürgerschaft und bei der Konstituante selbst, ob sie das Verhandlungsergebnis akzeptierten. Aber auch in diesem günstigsten Fall war für die Versammlung die Gefahr einer zumindest formalen Oktroyierung einer - wenn auch von ihr selbst gebilligten - Verfassung keineswegs ausgeschlossen: Erfolgte nämlich der entscheidende Rat- und Bürgerschluß über eine Annahme des neuen Verfassungswerks zeitlich nach der Genehmigung durch die Konstituante, konnte man von "Vereinbarung" nicht mehr sprechen: Das vorher "vereinbarte" wäre dann schließlich doch "oktroyiert" worden. 19 Daher auch die Bezeichnung "Neuner-Kommission" im Gegensatz zu den für die Lösung von Reformfragen sonst üblicherweise eingesetzten Rat- und
Bürger-Deputationen.
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Aus diesen Feststellungen ergeben sich zwei Folgerungen, die für den Gang der Verhandlungen zwischen Neuner-Kommission und konstituierender Versammlung Bedeutung haben sollten: 1. Da dem Senat auf Grund seines verfassungsmäßigen Übergewichts (alleiniges Recht auf Initiative), sowie angesichts der Tatsache, daß die Erbgesessene Bürgerschaft nicht in Permanenz tagte, praktisch die vorläufige Oberaufsicht über die Verhandlungsführung der Neuner-Kommission zufiel, kam es zunächst einmal in hohem Maße darauf an, welchen Wert er tatsächlich selbst auf das Zustandekommen einer echten, d. h. kooperativen Vereinbarung mit der Konstituante legte. 2. War sein Wille weniger auf eine "Vereinbarung" mit der Versammlung als auf die Oktroyierung einer wesentlich nach seinen Vorstellungen gemodelten Verfassung gerichtet, mußte sich das schon an seiner Unnachgiebigkeit gegenüber den Wünschen der Konstituante zeigen, spätestens aber daran, daß er für den Fall einer Einigung auf der für die Versammlung demütigende Bedingung bestand, das Verhandlungsergebnis müsse erst von der Konstituante genehmigt sein, ehe es schließlich durch Rat- und Bürgerschluß verabschiedet werde. Es gilt festzuhalten, daß Amsinck bereits Mitte August von einem prinzipiellen Wandel in der verfassungspolitischen Strategie des Senats berichtet hatte, die von da an in der Tat eher auf "Oktroyierung" als auf "Vereinbarung" abzuzielen schien20 : "Durch die Erörterungen und Beschlüsse in der letzten [Verfassungs-] Commissions-Versammlung vom 4. August [1849] ist die Art der Behandlung in Betreff etwa wünschenswerther Abänderungen der dem Senat vorgelegten neuen Hamburger Verfassung der Constituierenden Versammlung wesentlich verschieden von der früher von mir beabsichtigten Modalität geworden. Ich beabsichtigte, daß der Senat sich über einige wenige, ihm als dringend nothwendig erscheinende Grundzüge von Abänderungen ... aussprechen sollte21 ; während nach Ansicht der C[ommission] ein Verfassungs-Entwurf . .. ausgearbeitet werden soll, wie der Senat ihn, insofern es die Umstände herbeiführen sollten, daß man einen solchen vorzulegen veranlaßt würde, benutzen könnte. Es soll also jetzt ein systematisches, zusammenhängendes Ganzes ... ausgearbeitet werden." In diesem Sinne hatte ein Unterausschuß der Verfassungskommission des Senats - bestehend aus Amsinck, Lutteroth und Geffcken umfangreiche Vorarbeiten aufgenommen, die in den ersten Septembertagen wesentlich zum Abschluß kamen22 • Aufzeichnung Amsincks o. D., Senat/innen 2 (15)b. In diesem Sinne war noch die "Zusammenfassung der Bedenken des Senats" v. 3. Aug. abgefaßt. - Vgl. 2. Kap., S. 64 f. 22 Vgl. diese Arbeit oben S. 128. 20 21
10.
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Andererseits steht fest, daß sich ein weiterer Unterausschuß der Verfassungskommission etwa zur gleichen Zeit für den Versuch einer "Vereinbarung" mit der konstituierenden Versammlung entschied23 • Dieser Entscheidung folgte der Senat auf Empfehlung seiner Verfassungskommission mit den Beschlüssen vom 10. September und auf sie gründete er seinen Antrag an Erbgesessene Bürgerschaft vom 27. September über die weitere Behandlung der Verfassungssache. Immerhin aber darf nicht übersehen werden, daß die Vorschläge über die weitere Vorgehensweise in derVerfassungsfrage, die von jener zweiten Unterkommission entwickelt worden waren, als Punkt 2 einen Plan enthielten, den sich der Senat zwar ausdrücklich nicht zu eigen machte, der aber- wie wir oben darlegten- durch den Antrag des Senats vom 27. September nicht für alle Zukunft ausgeschlossen war. Jener Plan besagte24 : Oktroyierung der modifizierten Konstituantenverfassung durch Rat- und Bürgerschluß; danach Ausschreibung von Wahlen für die neue Bürgerschaft, der die Ausarbeitung organischer Gesetze überlassen bliebe; Auflösung der Konstituante. Dieses Projekt wurde von dem damaligen Referenten Binder sehr propagiert, was Syndikus Merck mit den Worten kommentierte: .,Jetzt, höre ich, trägt er [Binder] sich mit Octroyierungsgedanken herum, die ich für um so falscher halten muß, als man kein Opus fertig hat, dessen Annahme man der Bürgerschaft vorschlagen könnte25. " Darauf antwortete SyndikusBanksam 5. September26 : .,Sie sagen, man habe noch gar nicht daran gedacht, welche Verfassung man denn etwa selber [der Erbgesessenen Bürgerschaft] zur Annahme empfehlen könne. Es ist, wie mir Geffcken schreibt, allerdings eine solche Überarbeitung der Konstituantenverfassung durch Amsinck, Lutteroth und ihn vorgenommen, um eine feste Grundlage zu gewinnen, von welcher man bei den monitis ausgehen könne." Natürlich kam es auch darauf an, ob der Senat einen eigenständigen Verfassungsentwurf in der Schublade hatte, "dessen Annahme man der Bürgerschaft vorschlagen", oder ob lediglich eine "Überarbeitung" der Konstituantenverfassung vorgenommen worden war, "um eine feste Grundlage zu gewinnen, von welcher man ... ausgehen" konnte. In ersterem Falle nämlich hätte der Senat bereits im Rat- und Bürgerkonvent vom 27. September eine Oktroyierung beantragen können. Wenn er davon für's erste Abstand nahm, ist dafür gewiß nicht nur der Umstand verantwortlich zu machen, daß ihm am 10. September, als er seine entscheidenden Entschlüsse über die Weiterbehandlung der zs Vgl. ebd., S. 120 f. Vgl. ebd. Brief Mercks an Banks v. 4. Sept. 49, Senat/außen 15, Bd. II, Bl. 80 f. Brief Banks' an Merck v. 5. Sept. 49, Senatjaußen 10 (./.).
14 15 18
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Verfassungssache faßte, noch kein fertiger Entwurf vorlag27 • Wichtiger noch war gewiß eine taktische Überlegung: Wenn es gelang, die Konstituante an den Verhandlungstisch zu bringen, wenn es gelang, sich mit ihr über die erforderlichen Modifikationen ihrer Verfassung zu "vereinbaren", schien eine friedliche Beilegung des Konflikts zwischen der alten und der neuen Gewalt erreichbar zu sein. Entscheidend für den Erfolg dieses Unternehmens, das eine Oktroyierung als ultima ratio keinesfalls ausschloß, aber war, zu welchen Konzessionen sich beide Seiten bereitfinden würden. II. Die Verhandlungen zwischen NeunerKommission und Konstituante im Oktober 1849 Auftragsgemäß stellte Praeses Amsinck in der ersten Sitzung der Neuner fest 28 , die Kommission stimme darin überein, daß die Verfassung vom 11. Juli 1849 "nicht unverändert einzuführen sein werde". Hauptaufgabe sei es daher, "eine Verständigung mit der Constituante anzubahnen und dabev derselben eine Basis vorzulegen, auf welcher man eine Verständigung für möglich halte". Mithin ergaben sich für Amsinck und die Neuner zunächst drei Fragen: 1. "Welche Grundlage man [für die Verhandlungen mit der konsti-
tuierenden Versammlung] legen wolle?" 2. "Welche Veränderungen man im allgemeinen [an deren Verfassungswerk] für nothwendig halte?" 3. "Wie die Einleitung zu einer Verständigung zu treffen sey?" Die Mehrheit der Mitglieder sprach sich dafür aus, bei der Verhandlungsaufnahme zunächst einmal von der Konstituantenverfassung auszugehen - sei es, daß man, wie Amsinck, die Aufgabe der NeunerKommission überhaupt in einer allgemeinen Überprüfung jener Verfassung sah, sei es, daß man, wie Lutteroth, eine Verständigung mit der Versammlung für unerreichbar hielt, wenn man nicht deren Werk zu Grunde legte. Die Frage war allerdings, ob man bereits bei den ersten Kontaktgesprächen mit Abgeordneten der Gegenseite auf bestimmte Abänderungen der Konstituantenverfassung dringen, welche Änderungen man dabei als essentiell hinstellen wollte, vor allem aber, ob die Annahme der Konstituantenverfassung als Verhandlungsbasis zugleich auch die Billigung des Repräsentativprinzips bedingte. Geffcken hielt das für die logische Folge. Er fand Unterstützung bei Reise und Loehr, die ihre 27 28
Über diese: vgl. diese Arbeit unten S. 163 und Anm. 72 ebd. Prot. d. 1. ordtl. Sitzg. v. 29. Sept. 49, Senat/innen 4 c.
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Opposition gegen das Repräsentativsystem zugunsten einer Verständigung mit der Konstituante aufzugeben bereit waren. Schließlich einigte man sich jedoch auf den Vorschlag Lutteroths, Loehrs und Petersens: Man wolle bei den kommenden Sondierungsgesprächen wohl auf das Sieben-Punkte-Programm des Senats vom 27. September als Leitlinie für die Gespräche hinweisen, sich aber nicht darauf versteifen. Die Herstellung einer konkreten Verhandlungsbasis müsse jenen Gesprächen selbst überlassen bleiben. Mit diesem pragmatischen Beschluß schlugen dieNeunereine Marschroute ein, die ihnen taktische Beweglichkeit sicherte. Gleichwohl bestand das Bedürfnis bei den bürgerschaftliehen Mitgliedern der Kommission, das Verfassungswerk der Konstituante eingehend durchzuarbeiten. Dieses Bedürfnis war berechtigt. Denn jenes Sieben-Punkte-Senats-Programm war ja selbst aus einer kritischen Durchsicht der Konstituantenverfassung entstanden, die der Senat intern vorgenommen hatte und an der die Bürgerschaft naturgemäß nicht hatte Anteil nehmen können. So beschloß man denn auch auf Reises Vorschlag hin29 , zwei Subkommissionen zu bilden, bestehend aus je einem Senator und zwei bürgerschaftliehen Mitgliedern. Die erste (Lutteroth, Petersen, Heise) sollte sich der bereits im Senat erarbeiteten Fragen, die zweite Unterkommission (Amsinck, Kaemmerer, Loehr) sollte sich den übrigen Problemen annehmen. Am 5. Oktober30 wurde schließlich auf Antrag Amsincks noch eine dritte Subkommission ein~Jesetzt (Kirchenpauer, Geffcken und Hübener), die sich u. a. damit beschäftigen sollte, ,.welcher Weg einzuschlaj:ten sey, wenn die fNeuner-]Commission keine Verständigung mit der Constituante erreichen würde". Waren damit auch schon wesentliche Voraussetzungen für eine fundierte Verhandlungsaufnahme geschaffen, bedurfte die Frage, wie der Kontakt zur Versammlung im einzelnen herzustellen sei, doch noch der näheren Beratung. Dabei trat eine Mehrheit unter Führung von Geffcken und Heise für vertraulich geführte vorbereitende Besprechungen "mit einzelnen bedeutenderen Mitpliedern der Constituante" ein. Amsinck erklärte sich bereit, sich mit Präsident Baumeister, Petersen, sich mit Vizepräsident Versmann in Verbindung zu setzen. Für erstere Unterredun!!, die am 1. Oktober stattfand, liegt ein Dokument, nämlich eine gedächtnismäßige Nachschrift Amsincks, vor'1, nicht aber für das Gespräch Petersen - Versmann. Dafür findet sich bei den Akten eine Aufzeichnung Lutteroths über zwei Unterredun~en, die der Senator mit den Abgeordneten Dr. Ree und Dr. Wille am 2. Oktober hatte32 • 21 30 31
Prot. d. 4. ordtl. Sitzg. v. 5. Okt. 49, ebd. Ebd. Senatfinnen 4 b (1).
az Ebd., (2).
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Nach den Notizen Amsincks und Lutteroths ergab sich zu Beginn der Gespräche zwischen Neuner-Kommission und Konstituante folgendes Bild: Im Gegensatz zu Ree, der jede Vereinbarung aus Prinzip ablehnte, zeigten sich Baumeister und Wille zu einer Verständigung bereit, ja, sie hielten nicht einmal die formellen und materiellen Hindernisse für unüberwindlich. Voraussetzung für jede Vereinbarung- und da stimmten Baumeister, Wille und Ree überein - sei allerdings, daß Rat und Bürgerschaft "Garantien" dafür böten, daß die im Ergebnis ausgehandelte Verfassung dann auch wirklich eingeführt werde33 • Im ganzen gesehen waren diese ersten Sondierungsgespräche nicht gerade ermutigend verlaufen, auch wenn ihr Resultat nicht in Anspruch nehmen konnte, die Haltung der gesamten Konstituante zu repräsentieren. Die Neuner-Kommissionbeschloß daher am 8. Oktober34, "private Besprechungen" mit allen Mitgliedern des 21. Ausschusses35 aufzunehmen. Am 11. Oktober lagen ihr die Ergebnisse dieser Gespräche vor36, womit der informelle und vertrauliche Teil der Kontakte zur Konstituante beendet schien. Vier Hauptprobleme waren indessen noch immer ungelöst: 1. Wie konnten die zu erwartenden Bedenken der Konstituante gegen eine Abänderung ihrer Verfassung ausgeräumt werden, von der die Versammlung bisher stets behauptet hatte, sie sei in zwei Lesungen definitiv festgestellt und beschlossen? - Auch für den Fall, daß man hierauf eine gesetzliche Antwort fand, blieben noch immer drei weitere Fragen offen: 2. Wie konnte der gesetzliche Anspruch der Versammlung, eine neue hamburgische Verfassungs unabhängig von Rat und Bürgerschaft festzustellen, befriedigt werden, ohne daß man auf eine Vereinbarung über die nach Meinung von Rat und Bürgerschaft notwendigen Modifikationen der Verfassung von 11. Juli 1849 verzichten mußte? 3. Wie konnte man die verständliche Furcht der Konstituante vor einer schließliehen Oktroyierung ihrer zuvor auf dem Wege der Vereinbarung modifizierten Verfassung beseitigen? 4. Welche Garantien konnte man dafür bieten, daß die vereinbarte Verfassung schließlich - auf welchem Wege immer - auch wirklich eingeführt werden würde? 31 Auf ein wie großes Mißtrauen selbst eine solche Garantie bei manchen Mitgliedern der Konstituante gestoßen wäre, beweist die Ansicht Rees: Selbst ein Rat- und Bürgerschluß sei "nach den gemachten Erfahrungen [gemeint ist der Bruch des Rat- und Bürgerschlusses v. 7. Sept. 48 durch den Senat] nicht im Stande, solche [Garantie] zu bieten". 34 Prot. d. 6. ordtl. Sitzg. v. 11. Okt. 49, Senat/innen 4 c. 15 Gemeint Ist der am 31. Aug. 49 von der Konstituante eingesetzte "Geschäftsführende Ausschuß". 36 Prot. d. 9. ordtl. Sitzg. v. 11. Okt. 49, Senat/innen 4 c.
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Waren so verständigungsbereite Männer der Konstituante wie Baumeister und Wille auch der Meinung gewesen, die in Punkt 1 angesprochenen Bedenken seien nicht unüberwindlich, hatten sie doch die Beantwortung der übrigen drei Fragen als Voraussetzung für die Aufnahme offizieller Verhandlungen hingestellt37 • Die Neuner-Kommission ging denn auch bei ihrem Versuch, die anstehenden Probleme einer befriedigenden Lösung zuzuführen, von der Voraussetzung aus, man müsse der Konstituante ein Eingehen auf die Wünsche der Neuner "so viel wie möglich erleichtern" 38• Kirchenpauer schlug daher vor, man werde die Bedenken der konstituierenden Versammlung gegen eine Änderung ihrer Verfassung am besten beseitigen können, wenn man die Versammlung davon überzeuge, "daß die zweymali~e Lesung kein Grund [seil, weshalb nicht noch eine dritte Lesung rder Konstituantenverfassung] Statt finden könne; daß es aber sehr zweckmäßig seyn möchte, eine solche dritte Lesung nicht eher vorzunehmen, als daß mit der Constituante über die zu wünschenden Abänderungen gesprochen sey". Mit diesem ebenso einfachen wie klugen Vorschlag deutete sich bereits ein Weg an, auf dem auch die Lösung der übrigen oben genannten Fragen erreichbar schien. Am 11. Oktober diskutierten die Neuner zusätzlich die Frage39, ob sie nicht erst dann offiziell an die Konstituante herantreten sollten, wenn die Kommission ihren Verfassungsentwurf "vollendet und von Senat und Bürgerschaft Vollmacht erhalten habe, sich auf Basis dieses Verfassungsentwurfs mit der Constituante zu verständigen". Hält man Kirchenpauers oben genannten Vorschlag mit diesem Diskussionsextrakt zusammen, eröffneten sich für eine Verständigung mit der Konstituante in der Tat hoffnungsvolle Perspektiven: Konnte man einerseits die Versammlung über die "goldene Brücke" einer dritten Lesung überhaupt zu einer Mitwirkung an der Abänderung ihrer Verfassung bewegen (vgl. Problem 1 aufS. 151) und ließ sich andererseits erreichen, daß Rat- und Bürgerschaft die Neuner vorgängig dazu ermächtigten, sich mit der Konstituante auf der Basis eines bestimmten Verfassungsentwurfs definitiv zu einigen, und kam diese Einigung dann auch planmäßig zustande, so würde die Notwendigkeit für einen Konventsbeschluß entfallen können, mit dem Rat und Bürgerschaft sonst nachträglich das vereinbarte Verfassungswerk verabschiedet - und mithin oktroviert hätten (Problem 3). Auf diese Weise Senat/innen 4 b (1) u. (2). as Vgl. Referat Kirchenpauers namens der 3. Subkommission, Prot. d. 7. ordtl. Sitzg. v. 9. Okt. 49, Senat/innen 4 c. 31 Prot. d. 9. ordtl. Sitzg. v. 11. Okt. 49, ebd. 37
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konnte die dritte Lesung des zwischen Konstituante und Neuner vereinbarten, von Rat und Bürgerschaft im Vorwege gebilligten Verfassungswerks der letzte Akt der Reform sein, womit der Anspruch der Versammlung, die neue Verfassung unabhängig von Rat und Bürgerschaft festzustellen, wenigstens dem Anschein nach gewahrt blieb (Problem 2). In der Tatsache, daß sich nicht nur die Konstituante, sondern vorher schon Rat und Bürgerschaft auf das neue Verfassungswerk verpflichtet hatten, würde man schließlich auch die beste Garantie für eine Einführung der neuen Verfassung erblicken können (Problem 4). Ein Beschluß der Neuner über das am 11. Oktober erörterte Verfahren wurde mit Rücksicht auf eine vertrauliche Mitteilung ausgesetzt, die man von Seiten Baumeisters erwartete. Dieses Schreiben erweist vollends, wieweit sich die gegenseitigen Standpunkte in der so eminent wichtigen Prozedurfrage bereits angenähert hatten. Die Aufnahme offizieller Verhandlungen zwischen Neuner-Kommission und Konstituante, so führte Baumeister aus40 , dürfe nur "der letzte Act" der beabsichtigten Vereinbarung sein. "Niemals" dürfe die Versammlung bei ihren etwaigen Verfassungsänderungen abhängig sein von einem nachträglichen Rat- und Bürgerschluß. "Daraus folgt, daß die [Neuner-) Kommission von Rath und Bürgerschaft dahin bevollmächtigt seyn müßte, daß die Versammlung, wenn sie die Vorschläge der Commission annimmt, eo ipso sich auch am sichern Ziele findet." Denn nur die Konstituante "müßte es sein und bleiben, welche die Verfassung schließlich und definitiv festzustellen hat". Unabhängig davon sei zweitens ihr Verlangen nach einer Garantie dafür, daß die abgeänderte Verfassung dann auch wirklich eingeführt werde. "Denn diese zweifellose Gewissheit ist eben das einzige Motiv, wodurch die Versammlung es gegen sich selbst rechtfertigen kann, wenn sie sich zu Abänderungen entschließt." Im übrigen sei es angesichts der zu erwartenden Widerstände, die Teile der Konstituante einer Revision ihres Verfassungswerks entgegenbrächten, "unbedingt zu wünschen", wenn sich die Neuner bei ihren Änderungsvorschlägen nur auf die dringendsten Punkte beschränkten, alle anderen aber der künftigen Gesetzgebung überließen. Denn "je geringer die Zahl derjenigen Abänderungen ist, welche man der Versammlung zumutet, um so eher wird sie natürlich sich dazu entschließen, darauf einzugehen, um den gesamten übrigen Theil ihres Werkes um diesen Preis zu retten". Fasse man hierbei die sieben Programmpunkte des Senats vom 27. September 1849 ins Auge, so böten - abgesehen von dem ersten und
'o Senat/innen 4 b (3).
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viertenu - die übrigen fünf Punkte wahrscheinlich "keine unüberwindlichen Schwierigkeiten" für eine Verständigung. Vergleicht man diese Ausführungen Baumeisters mit den Vorschlägen, die in der Neuner-Kommission am 9. und 11. Oktober entwickelt worden waren, konnte einer Einigung mit der Konstituante eigentlich nicht mehr viel im Wege stehen - eine Lösung des Verfassungskonflikts schien in Sicht. Um so überraschender muß es erscheinen, daß die Kommission in ihrer zehnten Sitzung vom 12. Oktober42 plötzlich trotzdem darauf beharrte, "sich jetzt sofort offiziell an die Constituante zu wenden und sie aufzufordern ... mit der Commission in Verbindung zu treten ... ", ohne daß sie von Rat und Bürgerschaft vorher dazu bevollmächtigt worden war, eine Abänderung der Konstituantenverfassung definitiv und für alle Seiten verbindlich im Verein mit der Versammlung herbeizuführen, ohne daß Rat und Bürgerschaft Garantien dafür gegeben hatten, daß die veränderte und vereinbarte Verfassung nachher auch wirklich eingeführt werden würde. Diese Brüskierung der Versammlung mußte freilich das eben erst so mühsam und geschickt ausgetüftelte Arrangement unmittelbar gefährden. Zwar beschränkte sich die Neuner-Kommission in ihrer "Zuschrift" vom 12. Oktober43 , mit der sie die Konstituante offiziell um Aufnahme von Verhandlungen ersuchte, im wesentlichen auf die sieben Abänderungswünsche, wie sie das Senatsprogramm enthielt. Zwar deutete sie die Bereitschaft an, gewisse weniger dringliche Punkte der künftigen Gesetzgebung zu überlassen. Zwar versuchte sie, die prinzipiellen Bedenken der Versammlung gegen eine Revision ihrer Verfassung auszuräumen, indem sie ihr nahelegte, in eine dritte Lesung ihres Verfassungswerks einzutreten, "welche zugleich die sicherste Bürgschaft für das schleunige Inslebentreten einer wirklich freisinnigen Verfassung gewähren" würde. Gleichwohl aber vermochte sie der Konstituante nicht die Vollmachten und Garantien zu unterbreiten, die Baumeister als essentielle Voraussetzungen für den Versuch einer Vereinbarung hingestellt hatte. Was war geschehen? Wie wir oben darlegten44, wird der Grund für die mutwillige Unnachgiebigkeit, die man an diesem entscheidenden Punkt der Verhandlungen bewies, in den rapiden Verfallserscheinungen bestanden haben, die die Konstituante unübersehbar zeigte. Das poli41 Punkt 1) des Senatsprogramms betraf die Modalitäten des allgemeinen Wahlrechts, Punkt 4) betraf die Revision der künftigen Verfassung. - Vgl. auch unten S. 161. n Prot. d. 10. Sitzg. v. 12. Okt. 49, Senat/innen 4 c. 43 Senat/innen 3 (6)b. 44 Vgl. diese Arbeit oben S. 139.
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tische Gewicht der Versammlung hatte sich derart rasch und so sehr verringert, daß der Senat schlechterdings keine Veranlassung mehr haben konnte, nun noch auf deren Empfindlichkeiten einzugehen. Auch mochte man einer echten Vereinbarung mit der politisch zerklüfteten Konstituante kaum noch wirkliche Chancen einräumen. Wie und wann aber war der Wind bei Senat und Neunern umgeschlagen? Spätestens nach Erhalt des Baumeister-Briefs vom 12. Oktober müssen sich Senat und Neuner-Kommission darüber klar gewesen sein, daß eine Vereinbarung mit der Konstituante nur unter drei Bedingungen erreichbar war: 1. Vollmacht von Rat und Bürgerschaft für die Neuner, sich mit der Konstituante definitiv über die Abänderung von deren Verfassungswerk zu einigen; 2. Garantie von Rat und Bürgerschaft dafür, daß die einmal abgeänderte Konstituantenverfassung dann auch wirklich eingeführt werde; 3. Beschränkung der Abänderungswünsche auf die wichtigsten Punkte - etwa auf das Senatsprogramm. Ob sich die Mitglieder der Neuner-Kommission bei Rat und Bürgerschaft für die Erfüllung dieser Bedingungen eingesetzt haben, läßt sich leider nicht mehr sagen. Jedenfalls enthielt die "Zuschrift" der Neuner vom 12. Oktober an die Adresse der Konstituantenversammlung weder einen Ausweis jener Vollmacht, noch die Zusicherung jener Garantie. Gleichzeitig arbeitete man in der Kommission mit Hochdruck an der Revision der Konstituantenverfassung weiter, ja, man begann, sich bereits mit dem Entwurf organischer Gesetze zu beschäftigen, obwohl man schrieb, man wolle "die nicht nothwendig in die Verfassung gehörigen" Problemkreise der künftigen Gesetzgebung überlassen. Bezeichnenderweise wurde die Konstituante denn auch am 12. Oktober von der Neuner-Kommission nicht dazu aufgefordert, sich mit ihr (definitiv) zu vereinbaren, sondern lediglich dazu, "einen Austausch der Ansichten mit den Commissarien des Senats und der Bürgerschaft herbeizuführen" 45. [Hervorhebung vom Verf.] Der Kurswechsel der Neuner-Kommission von "Vereinbarung" in Richtung auf "Oktroyierung" muß also am 11. oder 12. Oktober gefallen sein: Denn am 11. Oktober tauchte unter den Neuner ja die Frage auf, ob sie nicht erst dann offiziell an die Konstituante herantreten sollten, wenn die Kommission ihren Verfassungsentwurf "vollendet und von Senat und Bürgerschaft Vollmacht erhalten habe, sich auf der Basis dieses Verfassungs-Entwurfs mit der Constituante zu verständigen". [Hervorhebung vom Verf.] n Vgl. oben Anm. 43.
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Ein Beschluß darüber wurde ausgesetzt mit Rücksicht auf das erwartete Schreiben Baumeisters, das am 12. Oktober eintraf und in y:ler Kommission verlesen wurde. Danach beschlossen die Neuner, "sich jetzt sofort officiell an die Constituante zu wenden und sie aufzufordern, ... mit der Commission in Verbindung zu treten". [Hervorhebungen vom Verf.] Petersen wurde beauftragt, den Schluß der "Zuschrift", die er bereits am 9. Oktober im Entwurf vorgelegt hatte46, "dem obigen Beschluß gemäß abzufassen" 47 . Das bedeutete: Aus dem positiven "verständigen" wurde ein nichtssagendes "in Verbindung treten". Allerdings hat die Konstituante erheblich dazu beigetragen, die Tatsache jener folgenreichen Wendung zu verschleiern. "Beinahe einstimmig" nämlich akzeptierte die Versammlung in ihrer 74. Sitzung vom 20. Oktober48 den Majoritätsantrag ihres Geschäftsführenden Ausschusses49 und versagte sich jeder Revision ihres Verfassungswerks überhaupt, indem sie sich wiederum auf ihre absolute Rechtsposition als unabhängige verfassunggebende Gewalt versteifte. Damit verwarf sie zugleich einen "Minoritäts-Vorschlag" ihres Ausschusses50, der- unterzeichnet von Dr. Baumeister und Ed. Johns - für Verhandlungen mit der Neuner-Kommission eintrat. Vielleicht wäre der Beschluß der Versammlung, eine Revision nicht zuzulassen, anders ausgefallen, wenn die Offerte der Neuner vom 12. Oktober die von den verständigungsbereiten Kräften gewünschten Vollmachten und Garantien enthalten hätte. Wäre es dann wirklich zur Aufnahme ernsthafter Verhandlungen gekommen, hätte der Senat über kurz oder lang eingestehen müssen, was er wirklich wollte: Vereinbarung auf kooperativer Basis oder Oktroyierung. So aber blieb der Makel, eine Verständigung vereitelt zu haben, im Bewußtsein der Öffentlichkeit an der Konstituante haften, blieb die Wandlung der NeunerKommission untergründig, ja, den Beteiligten selbst weithin verborgenst. Daß sich diese Wandlung möglicherweise ganz unabhängig vom Ausgang der 74. Konstituantensetzung vollzogen hat, belegt ein Referat, Vgl. Prot. d. 7. ordtl. Sitzg. v. 9. Okt. 49, Senatfinnen 4 c. Prot. d. 10. ordtl. Sitzg. v. 12. Okt. 49, ebd. Prot. d. konst. Vers., S. 897 ff., 74. Sitzg. v. 20. Okt. 49. 4° Senat/innen 3 (6)o. Vgl. auch die Mitteilung der Konstituante an die Neuner, Senat/innen 3 (9). 50 Senat/innen 3 (6)d. Dieser Vorschlag erhielt acht bis zehn Stimmen. Freilich empfahlen Baumeister und Johns die Aufnahme von Verhandlungen nur für den Fall, daß die bereits mehrfach erwähnten Voraussetzungen gegeben seien. 51 So hält Baumeister allein "die Leidenschaft und Selbstsucht" der Konstituante verantwortlich für "das traurige Resultat der gestrigen Sitzung". Vgl. Brief Baumeisters an Amsinck v. 21. Okt. 49, Senatfinnen 4 b (6). 41
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das Kirchenpauer bereits am 19. Oktober vor dem Plenum der Neuner hielt52 und in dem er sich mit der Frage auseinandersetzte, was der Kommission nach Empfang der Antwort der Konstituante auf die "Zuschrift" vom 12. Oktober zu tun übrig bleibe. Im wesentlichen werde man sich mit dem Problem zu befassen haben, "wie die Verfassungs-Angelegenheit demnach zu ordnen sey, namentlich ob durch Berufung an die Reichsbehörden". Und bezeichnenderweise setzte er hinzu: "Präsumtive Beantwortung dieser Frage dahin, daß man eine Verfassung oktroyieren müsse". Noch einmal spielte man also mit dem Gedanken, den Verwaltungsrat des Dreikönigsbündnisses in die Hamburger Verfassungsangelegenheit einzuschalten. Erkundigungen über die Aussichten dieses Unternehmens muß Kirchenpauer bereits einige Tage vorher eingezogen haben, hatte ihm Banks doch schon unter dem 18. Oktober aus Berlin berichtet, eine Vermittlungsaktion der Bündnisorgane komme vor allem "in Berücksichtigung meines früheren vergeblichen Versuchs" nicht in Frage53• Man solle in Harnburg versuchen, den Verfassungskonflikt aus eigener Kraft zu lösen. Komme eine Verständigung mit der Konstituante nicht zustande, "so muß man durch Rath- und Bürgerschluß die Verfassung einführen und die Wahlen dann so schnell wie möglich anordnen. In diesem Falle aber wird unerläßlich, was ohnehin von sehr vielen im Publicum erwartet wird, daß der Senat erklärt, zurücktreten zu wollen. Mit einer solchen Erklärung kann man ganz ruhig oktroyieren". Vorerst schienen sich allerdings die mit der Oktroyierung einer neuen Verfassung verbundenen Probleme ganz von selbst zu verflüchtigen, erwartete die Neuner-Kommission doch schon für die nächsten Tage den Beschluß der Konstituante, sich selbst aufzulösen54• In der Tat berichtete der Geschäftsführende Ausschuß der Versammlung in ihrer 75. Sitzung vom 25. Oktober55 über einen entsprechenden Antrag der Abgeordneten Hertz und Moltrecht, kam dabei aber zu einem negativen Ergebnis. Nach Feststellung ihres Verfassungswerks habe die Konstituante die Aufgabe, die Einführung desselben abzuwarten und zu überwachen. Solange der Senat nicht erklärt habe, daß er "Publication und Einführung der neuen Verfassung definitiv weigere", könne und dürfe die Versammlung nicht auseinandergehen. Ein entsprechender Antrag wurde von der Konstituante "mit großer Majorität" Prot. d. 16. ordtl. Sitzg. v. 19. Okt. 49, Senat/innen 4 c. Brief Banks' an Kirchenpauer v. 18. Okt. 49, Senat/innen 3 (15) bis (19). Im wesentlichen führte Banks als Gründe gegen eine Einschaltung des Verwaltungsrats die gleichen Gesichtspunkte an, die den Verwaltungsrat schon Anfang September gehindert hatten, in Harnburg einzugreifen. 5' Prot. d. 18. ordtl. Sitzg. v. 22. Okt. 49, Senatfinnen 4 c. 11 51
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angenommen. Gleichfalls angenommen wurde ein Antrag Baumeisters: Danach vertagte sich die konstituierende Versammlung auf unbestimmte Zeit, indem sie den Auftrag des Geschäftsführenden Ausschusses erneuerte. Das war der schlichte Abgesang der Hamburger Konstituante. Zwar versuchte ihr rühriger Präsident Dr. Baumeister sie später noch einmal am Werden der Mai-Verfassung von 1850 zu beteiligen, zwar spielten Senat und Neuner in der Zwischenzeit immer wieder mit dem Gedanken, die Versammlung aufzulösen. In Wirklichkeit aber hatte die Konstituante schon längst vor jenem 25. Oktober allen politischen Einfluß verloren. Eine Vertagung auf unbestimmte Zeit mußte ihren Kräfteverfall beschleunigen und ihre schließliehe Auflösung von selbst bewirken. Der Weg für eine Reform der Verfassung lag damit für die alten Gewalten frei, ohne daß noch länger die Gefahr eines revolutionären Umsturzes gegeben war. Für einen Moment freilich schien die NeunerKommission noch einmal unschlüssig zu werden, wie sich die Verfassungsfrage nun am besten lösen ließe. Vorübergehend dachte man daran, eine Verständigung mit der Konstituante mit Hilfe einflußreicher "Privatpersonen" doch noch einmal zu versuchen, erwog man, die ganze Sache dem Bundesschiedsgericht zu überlassen56 • Schließlich aber schlug die für Prozedurfragen zuständige Dritte Subkommission den Neunern vor (Referent: Kirchenpauer) 57, man möge dem Senat zusammen mit dem in wenigen Tagen fälligen Tätigkeitsbericht folgenden Vorschlag unterbreiten: Die Kommission "ersucht den Senat zu genehmigen und bey Erbgesessener Bürgerschaft auf Mitgenehmigung dazu anzutragenss: 1. daß die von der constituierenden Versammlung beliebte Verfassung in derjenigen Gestalt, wie sie in dem ... anliegenden Verfassungs-Entwurf [der Neuner] modificirt worden, als Grundgesetz des Harnburgischen Staates anerkannt werde und nicht anders abgeändert werden dürfe, als auf dem in diesem Grundgesetze selbst festgesetzen Wege; 55 Prot. d. konst. Vers., S. 903 ff., 75. Sitzg. v. 25. Okt. 49. Vgl. den Bericht des Ausschusses: Konst. Vers. 6. 58 Prot. d. 19. ordtl. Sitzg. v. 23. Okt. 49, Senat/innen 4 c. 57 Ebd. und Prot. d. 20. ordtl. Sitzg. v. 24. Okt. 49. 58 Ursprünglich enthielt der Vorschlag der 3. Subkommission einen anderen Punkt 1), der besagte, "daß das durch Rath- und Bürgerschluß v. 7. September 1848 der constituirenden Versammlung ertheilte Mandat dahin wiederum beschränkt werde, daß die von dieser Versammlung beschlossene Verfassung nicht unbedingt, sondern nur in denjenigen Änderungen Gültigkeit habe, welche mit Rath- und Bürgerschluß beliebt worden". - Zwar wurde dieser Vorschlag fallengelassen, weil sich die ihm innewohnende Willenserklärung durch die Tendenz der übrigen Punkte von selbst ergab. Doch macht er deutlich, daß man den Bruch des Rat- und Bürgerschlusses durch den Senat noch immer als Unrecht empfand und daß man dieses Unrecht nachträglich in aller Form legalisieren wollte.
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2. daß das ... beiliegende Wahlgesetz als Norm für die Wahl der ersten auf Grund der ... gedachten Verfassung zusammentretenden Bürgerschaft ... zu dienen habe ... ; 3. daß eine durch Rath- und Bürgerschaft zu ernennende gemischte Commission beauftragt werde, innerhalb 4 Wochen Vorschläge zu den ... erforderlichen transitorischen Gesetzen zu machen, welche zugleich die nötigen Bestimmungen darüber zu enthalten hätten, mit welchem Zeitpuncte die neue Verfassung oder eventuell die einzelnen Abschnitte derselben in Wirksamkeit zu treten haben59 ; 4. daß diejenigen von der constituirenden Versammlung beschlossenen organischen Gesetze, welche weder von der gegenwärtigen, noch von der unter 3. gedachten Commission bearbeitet und Erbgesessener Bürgerschaft zur Mitgenehmigung vorgelegt werden, den künftigen, der neuen Verfassung gemäß organisirten legislativen Gewalten zur definitiven Beliebung überlassen werden". Dieser Vorschlag der Dritten Subkommission wurde am 24. Oktober vom Plenum der Neuner akzeptiert6°. Am 26. Oktober - also fast auf den Tag genau vier Wochen nach ihrer Einsetzung durch Rat- und Bürgerschluß - unterbreitete sie dem Senat einen ersten vorläufigen Tätigkeitsbericht81. Dabei wurde beschlossen, hinsichtlich der Auflösung der Konstituante "für jetzt und bis die Frage entschieden sey, ob die neue Verfassung angenommen werden würde, ... in dem Berichte keinen besonderen Antrag zu stellen". In den nächsten beiden Sitzungen unterzogen die Neuner ihren endgültigen Bericht einer zweiten Lesung62 • Am 3. November wurde der Bericht von allen Mitgliedern der Kommission unterzeichnet, dem präsidierenden Bürgermeister zugestellt und mit Einwilligung des Senats für die Veröffentlichung freigegeben63. Dem Bericht waren der Entwurf für eine "Hamburgische Staatsverfassung", sowie zwei alternierende Entwürfe für ein "Transitorisches Wahlgesetz" beigefügt64 • Die verfassungspolitische Richtung lag von nun an fest. Sie hieß: Reform durch Oktroyierung. 59 Die erwähnte gemischte Kommission sollte nach den ursprünglichen Vorstellungen der 3. Subkommission aus 4 Senatoren, 2 Oberalten, 2 Kämmereibürgern und 5 sonstigen bürgerschaftliehen Mitgliedern bestehen, doch wurde die Beteiligung von Oberalten und Kämmereibürgern auf Beschluß der Neuner verworfen. Im übrigen sollte es Rat und Bürgerschaft überlassen bleiben, "ob die Ausarbeitung organischer Gesetze dieser [d. h. der Neuner-] oder einer zu erwählenden Commission übertragen werde". - Prot. d. 19. Sitzg. v. 23. Okt. 49, Senat/innen 4 c. eo Vgl. oben Anm. 57. 81 Prot. d. 22. ordtl. Sitzg. v. 26. Okt. 49, Anlage 17, Senatfinnen 4 c. n Prot. d. 23./24. ordtl. Sitzg. v. 27./29. Okt. 49, ebd. es Prot. d. 32. ordtl. Sitzg. v. 3. Nov. 49, ebd. 64 Vgl. den Bericht Senatfinnen 3 (14), Verfassungsentwurf (Anlage Nr. 3), Wahlgesetzentwürfe (Anlagen Nr. 5 und 6).
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111. Die materiellen Grundlagen für die Reformtätigkeit der Neuner-Kommission 1. Die "Zusammenfassung der Bedenken des Senats" vom 3. August 1849 Bevor wir uns einer näheren Betrachtung der Neuner-Entwürfe zuwenden, müssen wir uns vergegenwärtigen, unter welchen Voraussetzungen sie zustande gekommen sind, welche Gesetzeswerke ihr etwa als Vorbild gedient, in welcher Beziehung die Neuner den vom Senat aufgestellten Grundsätzen Folge geleistet haben, in welcher Beziehung sie davon abgewichen sind. Prinzipiell stellte die Kommission in ihrem Bericht fest85, sie habe es "für das Richtigste gehalten, auch den Anträgen des Senats vom 27. September entsprechend, bei ihren speciellen Berathungen das von der constituirenden Versammlung beschlossene Verfassungswerk zu Grunde zu legen. In diesem hat die constituirende Versammlung ... Grundsätze zusammen gestellt - wenngleich sie in der Anwendung und Ausführung derselben eben jene Richtung eingeschlagen hat, welche die Commission in übereinstimmung mit dem Senat und mit einer großen Anzahl ihrer urteilsfähigen Mitbürger als verderblich und unheilbringend für den Staat bezeichnen zu müssen glaubt". Schon hieraus ergibt sich, daß die Neuner bei der Beratung ihrer Entwürfe zugrundegelegt hatten 1. das Verfassungswerk der Konstituante vom 11. Juli 1849, 2. die "Zusammenfassung der Bedenken des Senats" vom 3. August 1849, in die ja die Bedenken des Patriotischen Vereins, der CommerzDeputation und des Ministerii - also "einer großen Anzahl ihrer urteilsfähigen Mitbürger" - Eingang gefunden hatten, sowie 3. das Sieben-Punkte-Programm des Senats vom 27. September 1849. Die "Bedenken" des Senats vom 3. August68 hatten- dem damaligen Stand des Verfassungskonflikts entsprechend - nur eine Negativ-Liste dargestellt, d. h. die Punkte genannt, in denen das Verfassungswerk der Konstituante unbedingt abgeändert werden müsse, wolle man eine Minderung der Handelsstellung, eine unerträgliche finanzielle Belastung der Stadt und einen unheilvollen Widerspruch zur allgemeinen politischen Entwicklung in Deutschland vermeiden. Folgende fünf Punkte hatte der Senat dabei konkret hervorgehoben: 1. Zwar erklärte er sich nicht grundsätzlich gegen das Repräsentativprinzip, forderte aber eine Modifikation des Wahlrechts (wie es die Konstituante ausgearbeitet hatte) und sprach sich dafür aus, "daß die entscheidenden Interessen in der gesetzgebenden Versammlung genügend vertreten seyen und daß nicht die der Zahl nach überwiegende Volksclasse überall allein die Wahl entscheide". 65
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Bericht v. 3. Nov. 49, S. 13, ebd. Vgl. diese Arbeit oben, S. 64 ff., insbes. S. 66.
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2. Der Senat mißbilligte die von der Konstituante vorgesehene Kürze der Wahlperioden, sowie die Integral-Erneuerung der Bürgerschaft. 3. Die von der Versammlung entwickelte Konstruktion des Senats als oberster Regierungsgewalt ohne wirksames suspensives Veto wurde verworfen, da ein solcher Senat gegenüber einer aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Bürgerschaft keine ausreichende und ausgleichende Machtposition habe, sondern "nur als der Vollstrecker ihrer Beschlüsse erscheint und von ihr, ohne alles Zuthun des Rathes selbst zu kurzer Amtsdauer erwählt, aller Unabhängigkeit entbehrt". Für einen solchen Senat ließen sich wohl kaum die geeigneten Männer finden. 4. Der Senat bemängelte die Bestimmungen, die die Konstituante hinsichtlich der Revision ihrer Verfassung getroffen hatte, da dadurch "die Möglichkeit einer Revision auf gesetzlichem Wege durch erschwerende Bedingungen ... fast abgeschnitten erscheint". 5. Schließlich betonte der Senat, der Staat dürfe "nicht dem Indifferentismus huldigen: er darf sich nicht der Ober-Aufsicht über den Religionsunterricht in den Schulen entziehen, er darf ihn nicht der Willkür der Einzelnen überlassen", wie es die Konstituante vorgesehen hatte67• Aus dieser Aufstellung wird bereits ersichtlich, daß die Gravamina des Senats vor allem die Wahlrechtsfrage, sowie Zusammensetzung, Stellung und Kompetenzen von Rat und Bürgerschaft betrafen. Diese drei für Harnburg allerdings vitalen Problemkreise beherrschten bis zum Mai 1850 die verfassungspolitischen Auseinandersetzungen überhaupt, so daß es von der Sache her als gerechtfertigt gelten kann, wenn wir uns ihnen in erster Linie widmen. Wie wir verschiedentlich berichtet haben, hatte der Senat bis zum 3. August - wesentlich wohl nach den Vorstellungen Syndikus Amsincks, des Praeses seiner Verfassungskommission- noch beabsichtigt, dem Werk der Konstituante nur "einige wenige, ihm als dringend nothwendig erscheinende Grundzüge von Abänderungen" entgegenzusetzen. In diesem defensiven oder restriktiven Sinne müssen noch die "Bedenken" des Senats vom 3. August 1849 verstanden werden. 67 Vgl. aber zum Problem der Revision der künftigen Verfassung unten Anm.156.
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2. Die Vorarbeiten der Amsinckscben Unterkommission im August 1849
Auf Grund der Beschlüsse, die dann am 4. August von der Verfassungskommission des Senats gefaßt wurden, wich er von dieser engeren Zielsetzung ab, bereitete er die verfassungspolitische Offensive vor, bei der ihm die Preußen wenig später die nötige Rückendeckung gaben. Ein Unterausschuß der Verfassungskommission - bestehend aus Amsinck, Lutteroth und Geffcken - wurde beauftragt, einen umfassenden systematischen eigenständigen Verfassungsentwurf auszuarbeiten, der sich gegebenenfalls zur Oktroyierung eignete. Es wurden der Unterkommission vom Senat Weisungen erteilt, nach denen sich ihre Arbeiten zu richten hatten88• Im Grunde handelte es sich dabei um die Punkte, welche bereits die "Zusammenfassung der Bedenken des Senats" vom 3. August enthalten hatte, nur daß diese Punkte jetzt ins Positive gewendet waren: 1. "Änderung des Wahlgesetzes [der konstituierenden Versammlung] in der
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Weise, daß zwar alle Volkselassen irgendwie bei den Wahlen zur Bürgerschaft concurriren, daß aber auch eine Garantie für die angemessene Vertretung aller Volkselassen in der Bürgerschaft geboten werde, eine Garantie, welche die Entscheidung nach Kopfzahl der Stimmenden nicht gibt." "Längere Wahlperioden der Bürgerschaft mit allmähliger Erneuerung derselben." "Ein starkes suspensives Veto des Rathes." "Lebenslänglichkeit des Rathes unter Beschränkung durch Pensionierung und unter freiem Rücktritt ohne Pension nach zehnjähriger Amtsdauer." "Theilnahme des Raths bei der Wahl der Rathsmitglieder, namentlich bei dem Vorschlage zur Wahl60."
Müssen wir auch in Bezug auf die Beratungen der Senats-Verfassungskommission im allgemeinen protokollarischer Unterlagen entraten, können wir uns- was die Arbeiten ihres Unterausschusses angehtwenigstens auf die schriftlichen Zeugnisse stützen, die den Meinungsaustausch zwischen Amsinck, Lutteroth und Geffcken über die Neugestaltung der hamburgischen Verfassungsverhältnisse enthalten70• Aufzeichnungen über die von Amsinck empfohlene mündliche Abschlußberatung der Gutachten, wie sie von ihm selbst am 14., von Lutterothund Geffcken am 22. August abgegeben wurden71 , liegen nicht vor. Dieser Mangel wiegt indessen nicht sehr schwer, hat doch eine schließliehe Senat/innen 2 (23) (i. e. Aufzeichnung Geffckens o. D.). Ein 6. Punkt besagte: "Zurückführung der die Schulen betreffenden Sätze auf die Bestimmungen der deutschen Grundrechte". 10 Senat/innen 2. 71 Ebd., (15), (17) u. (19). Auf diese Aktenstücke beziehen sich die folgenden Ausführungen über die Arbeiten der Unterkommission ausschließlich, so daß wir auf immer neue Verweisungen verzichten. 68 69
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Amalgamierung der von Amsinck, Lutteroth und Geffcl~en entwickelten Vorschläge zu einem systematisch gegliederten zusammenhängenden Verfassungswerk offenbar nicht stattgefunden72 • Gleichwohl ist der Wert der Vorarbeit, die die Unterkommission geleistet hat, gar nicht zu unterschätzen. Denn auf ihre Vorschläge stützte sich später das Sieben-Punkte-Programm des Senats vom 27. September 1849, welches durch Rat- und Bürgerschluß zur Richtschnur und Basis für die Verfassungsberatungen der Neuner-Kommission erhoben wurde. Einigkeit über die Arbeitsgrundlage war zwischen Amsinck, Lutteroth und Geffcken schnell erzielt: Man ging von der Konstituantenverfassung aus. Bezeichnend ist, daß Amsinck selbst auf den vorrevolutionären Verfassungsentwurfs Hallers vom 17. Juni 184873, der der Reformdeputation vorgelegen hatte und der damals als sehr fortschrittlich gefeiert worden war, nicht mehr zurückgreifen wollte: "Wenn man ihn jetzt wieder durchgeht," bemerkte der Syndikus, "so fühlt man sehr, wie viel weiter wir seitdem gekommen sind". Um so weniger komme eine Fortbildung der alten hamburgischen Hauptgrundgesetze von 1710/12 in Frage, "denn die wesentlichen Grundprincipien der alten Verfassung sind jetzt gar nicht mehr zu halten". Insbesondere nannte der Syndikus in diesem Zusammenhang das Kyrion, die bisherige Zusammensetzung der Bürgerschaft vornehmlich aus erbgesessenen Grundeigentümern, sowie die bürgerlichen Kollegien. Und er fuhr fort: "Das alles sind ganz unhaltbare Dinge; vor allen Dingen untergräbt die unerläßliche Trennung der Justiz von der Administration den ganzen bisherigen Bau in entschiedener Weise." Im übrigen sei gewiß auch die Mehrheit der Bevölkerung eher an einem verfassungspolitischen Neubeginn als an einer bloßen Weiterentwicklung der alten Verfassung interessiert. Bei der Darstellung der Überlegungen, die die Unterkommission unter Leitung Amsincks hinsichtlich positiver Abänderungen der Konstituantenverfassung anstellte, halten wir uns zweckmäßigerweise an die Aus72 Das lag wahrscheinlich daran, daß Amsinck Ende Aug. 49 erkrankte. Vgl. Brief Amsincks an Lutteroth v. 30. Aug. 49, Senat/innen 2 (20). - Vgl. auch Brief Mercks an Banks v. 4. Sept. 49, Senat/außen 15, Bd. II, Bl. 80 f. und Brief Banks' an Merck v. 5. Sept. 49, Senat/außen 10 (./.). - Gleichwohl können wir in der Aufzeichnung Amsincks - Senatfinnen 2 (15) - den Ber,icht der Subkommission erblicken, hat Amsinck dort doch im wesentlichen die abweichenden Ansichten Lutteroths und Geffckens eingearbeitet und die Ergebnisse der Beratungen zusammengestellt. 73 Klindworth, Reformdeputation, S. 107 ff.
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führungen des Syndikus, indem wir ihnen - wenn wichtig - von Fall zu Fall die abweichenden Ansichten Lutteroths und Geffckens beifügen. a) Wahlrechtsfrage
Wie liberal man bei der Ausgestaltung der künftigen Verfassungsverhältnisse vorzugehen gedachte, ließen schon die Weisungen des Senats von Anfang August vermuten74 , erhellt aber noch besser aus den Darlegungen Amsincks zum Thema "Wahlberechtigung und Wählbarkeit bey der Volksvertretung", die wert sind, daß wir sie wörtlich wiedergeben: "Sollen überall einmal Vertreter des Volks durch mehr oder minder allgemeine Wahlen bestellt werden, so liegt es für mich schon an und für sich in der Natur der Sache, daß aLle Staats-Angehörigen dabey zu concurriren haben; denn eine gewissermaßen vorauszusetzende Bevormundung der Bemittelteren für die Unvermögenden kann ich dabey ebensowenig statuiren, als wenig ich zugeben kann, daß die Unbemittelten nicht ebensowohl ein Interesse an dem Bestehen des Staates . . . haben, als die Bemittelten. Überträgt man doch den Unbemittelten, welche der Zahl nach die überwiegende Mehrzahl der Militairpflichtigen bilden, die Vertheidigung gegen den äußeren und inneren Feind! Auch die Unbemittelten haben also das Recht, Vertreter zu wählen und sie haben auch Interessen, welche sie in der Vertreter-Versammlung gewahrt und vertheidigt zu sehen verlangen können ... Dazu kommt bey uns noch der Umstand hinzu, daß die unbemittelte Bevölkerung auch insoweit sie keine direkten Steuern zahlt, durch die Accise ... sehr bedeutend und umso bedeutender mit zu den Staatslasten beyträgt, als unsere Accise allein auf den nothwendigen Lebensbedürfnissen ruht ...75• Allein ebensowenig erscheint es der Gerechtigkeit entsprechend zu seyn, deshalb die Wahlen lediglich durch die Kopfzahl bestimmen zu lassen. Niemand wird vernünftigerweise behaupten wollen, daß der Unbemittelte ein vöHig gLeiches Interesse an dem Bestehen und Wohlergehen des Staats habe, als der mehr oder bedeutend Bemittelte; überdies liegt es zumal in unseren Verhältnissen entschieden vor, daß ein großer Theil der Interessen der geringeren Volksclasse mit denjenigen der ... Bemittelten innig verbunden ist. Endlich läßt es sich gar nicht in Abrede stellen, daß das Urtheil der Unbemittelten über das, was dem Staate frommt, und über die Personen, welche fähig sind, darüber mit Grund zu urtheilen, viel zu unsicher ist, als daß man die Wahlen der Volksvertreter wesentlich . .. in die Hände der unbemittelten Volksclasse legen könnte ... Wenn man also gegen das unbedingt aLlgemeine Wahlrecht, aber auch gegen einen Census seyn muß, Vgl. diese Arbeit oben S. 162. Die Accise, in Form der Bier-Accise knapp 200 Jahre alt, war eine indirekte Verbrauchssteuer und wurde infolge Rat- und Bürgerschluß v. 9. März 1815 gemäß "Consumptions-Accise-Verordnung nebst angehängtem AcciseTarif" erhoben. Ihr unterlagen alle im "Accise-Tarif" genannten, zur Konsumption innerhalb der Accise-Linie bestimmten Getränke, Eßwaren und sonstigen Verbrauchsgüter. - Vgl. Westphalen, Verfassung und Verwaltung, Band II, S. 79 ff. 74
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auch eine Wahl nach Ständen große Bedenken hat, weil die Vertretung der Special-Interessen der einzelnen Stände keineswegs so entscheidend ist, um darnach das Wahlrecht zu bestimmen; vielmehr dadurch eine Reibung der Spec. Interessen viel zu sehr hervorgehoben und befördert wird; so dürfte vielmehr nach unseren besonderen Verhältnissen die zweckmäßige Mischung und Berücksichtigung der verschiedenen Verhältnisse . . . am besten erreicht werden, wenn man die Wahlen nach Abtheilungen der Vermögens-Steuern76 vornehmen läßt ..." Amsinck schlug daher die Einrichtung von drei Abteilungen vor, von der jede die gleiche Anzahl von Repräsentanten zu wählen habe. Das aktive Wahlrecht sollte jedem 25jährigen, das passive jedem 30jährigen hamburgischen Staatsangehörigen77 zustehen, gleich ob er in der Stadt, in den Vorstädten oder im Landgebiet wohnte78 • Um dabei die Relation zwischen Wahlberechtigten und Abgeordneten annehmbar zu gestalten, sah sich der Syndikus gezwungen, die Einkommens- und Vermögenssteuergrenze der 1. Abteilung möglichst weit herabzusetzen. Nach seinen Vorstellungen umfaßte die 1. Abteilung mithin alle nach Kapital bis 50 000 Mark Banco, nach Einkommen bis 4 500 Mark Courant Besteuerten (Minimumsätze). Das waren nach Amsincks Berechnungen rund 1 900 Wähler, die zusammen 66 Repräsentanten zu wählen hatten. Der 1. Abteilung gehörten überwiegend der gehobene Kaufmannsstand, einzelne größere Fabrikanten, die höhere Intelligenz wie Advokaten, Ärzte, Geistliche, Professoren und angesehene Schullehrer an. Die 2. Abteilung umfaßte alle Besteuerten mit jährlichen Einkünften zwischen 4 500 und 1 000 Mark Courant (exklusive). Das waren nach Aussage Amsincks etwa 14 000 Wähler - meist mittlere Kaufleute, Detaillisten und größere Handwerker - die ebenfalls 66 Repräsentanten wählen sollten. Die 3. Abteilung schließlich - mit 27 000 bis 28 000 Wählern fast doppelt so stark wie die zweite, rund fünfzehnmal so stark wie die erste Abtei78 Das hieß: nach der Brandsteuer. - Vgl. Westphalen, ebd., S. 57 f. Die Brandsteuer, ursprünglich zur Deckung der durch den Großen Brand entstandenen staatlichen Mehrausgaben gemäß Rat- und Bürgerschluß v. 16. Juni und 1. Dez. 1842 eingeführt, war eine allgemeine und direkte Vermögens- und Einkommensteuer. Zur Brandsteuer veranlagt wurden alle Vermögen über 50 000 M Bco. und alle Einkommen von unbeschränkter Höhe bis hinab zu 500 M Crt. jährlich. 77 Fremde sollten - so Am::lnck - sofort nach Zuzug und Erwerb der Staatsangehörigkeit wahlberechtigt sein. Lutteroth trat dagegen für eine einjährige Wartefrist ein.- Das aktive Wahlalter von 25 Jahren entsprach etwa dem damaligen deutschen Standard, wenn auch einige norddeutsche Staaten, sowie die Konstituantenverfassung davon nach unten abgewichen waren. Im übrigen ging auch der Wahlgesetzentwurf des Dreikönigsbündnisses von einem 25jährigen Wahlalter aus. 78 Eine Regelung der Verhältnisses im Amt Ritzebüttel und im Städtchen Bergedorf wurde von Amsinck vorbehalten, bzw. nicht in Erwägung gezogen. Auch wir ziehen sie künftig nicht gesondert in Betracht.
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lung79 - wählte ebenfalls nur 66 Abgeordnete. In ihr würden - so Amsinck - vornehmlich kleine Handwerker, Arbeiter und Tagelöhner, d. h. Staatsangehörige unter 1 000 Mark Courant versteuertem Einkommen bis hin zu überhaupt nicht besteuerten Staatsangehörigen vertreten seinso. Für das Verhältnis von Wahlberechtigten und Abgeordneten ergaben sich somit folgende Relationen: Ein Repräsentant wurde in der 1. Abteilung von 30 Höchstbesteuerten, in der 2. Abteilung von 210 mittleren Besteuerten, in der 3. Abteilung von 480 niedrigst oder gar nicht Besteuerten gewählt. Bei einer Gesamtbevölkerung Hamburgs (Stadt, Vorstädte und Gebiet) von etwa 180 000 Menschen und 198 Repräsentanten kam also auf je 900 Einwohner je 1 Abgeordneter, eine um 331/3 Ofo schlechtere Relation als sie sich infolge der Konstituantenverfassung ergeben hätte, nach der sich 300 Abgeordnete auf 180 000 Einwohner im Verhältr1is von 1:600 verteilen sollten. Die Wahlrechtsvorschläge Amsincks trafen bei seinen Mitkommissarien - vor allem bei Geffcken - im ganzen auf Zustimmung. Lutteroth wollte zwar am liebsten die Nicht-Besteuerten von der Wahlberechtigung ausschließen, "so wenig Klang das Wort Census jetzt auch hat", mußte aber zugeben, daß man damit heute wohl nicht mehr durchkommen könne. Schon jetzt aber wiederholte er einen Vorschlag, der für die spätere Ausgestaltung des Wahlrechts und der Bürgerschaft, wie sie bereits die Entwürfe der Neuner-Kommission vom 3. November 1849, sowie Verfassung und Wahlgesetz vom 23. Mai 1850 vorsahen, von ausschlaggebender Bedeutung werden sollte. Er griff auf Gedanken zurück, die bereits in der Reformdeputation von 1848 und in der Konstituante geäußert worden waren und schlug auch jetzt wieder die Einführung von "theilweisen Ständewahlen" vor, um den politischen Einfluß der 3. Abteilung in der künftigen Bürgerschaft zu neutralisieren81 : 70 Wenn auch in Analogie zum preußischen Dreiklassenwahlrecht entwikkelt, war das von Amsinck ermittelte Verhältnis zwischen den drei Abteilungen doch günstiger als es sich nach der preußischen "Verordnung über die Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer" v . 30. Mai 49 ergab: Dort umfaßte die 1. Klasse 2000, die 2. Klasse 7000, die 3. Klasse aber 70 000 Wähler. Die dritte Klasse war mithin 35mal so stark wie die erste und zehnmal so stark wie die zweite Klasse, wählte aber ebenfalls nur ein Drittel der Wahlmänner. 80 Da die Zahl der Besteuerten mit einem Einkommen zwischen 500 und 1000 M Crt in der Stadt und in den Vorstädten zusammen rund 14 000 betrug -vgl. Beiträge zur Statistik, S. 21, aber auch Kraus, Unterschichten, S. 74, Tabelle 15 - muß Amsinck die Zahl der Nicht-Besteuerten männlichen Staatsangehörigen mit einem Einkommen bis 500 M Crt. ebenfalls auf 14 000 veranschlagt haben. 81 Vgl. diese Arbeit unten S. 184. Geffcken erwog diese Möglichkeit zwar auch, erklärte sich aber für Amsincks System.
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"Wenn man die Hälfte der Vertreter aus allgemeinen Wahlen hervorgehen ließ", so schrieb er, "die andere Hälfte aber durch Standesgenossen der für unseren Staat wichtigsten Stände und wo möglich auch zum Theil von und aus den Verwaltungsbehörden, so wäre das vielleicht das sicherste Mittel ... " Im übrigen regte er die Anwendung des Prinzips der "Wahlfreiheit" an, nach dem "jede Klasse ... aus sämtlichen Wählbaren zu wählen habe". Das passive Wahlrecht sollte dabei nur Kandidaten zustehen, die direkte Steuern entrichteten und sich bereits längere Zeit (etwa drei Jahre) in Harnburg aufgehalten hatten. Fassen wir zusammen: Im Gegensatz zum Verfassungswerk der Konstituante, das ein System unumschränkter allgemeiner, gleicher, direkter und geheimer Wahlen vorgesehen hatte, zielten die Wahlrechtsvorschläge der Amsinckschen Unterkommission also auf ein System direkter, allgemeiner, offener82 Wahlen ab, die eventuell durch "theilweise Ständewahlen" zu modifizieren waren. Die allgemeinen Wahlen sollten - eventuell unter Beobachtung der Wahlfreiheit - nach drei Abteilungen (entsprechend dem Brandsteueraufkommen) ohne Einführung eines Zensus' erfolgen. Denn durch das System der drei Abteilungen schien eine angemessene Vertretung der "entscheidenden Interessen", wie sie der Senat in seinen Bedenken vom 3. August gefordert hatte83, auch ohne Zensus gewährleistet zu sein. Wahlberechtigt war grundsätzlich jeder 25jährige, wählbar jeder 30jährige hamburgische Staatsangehörige84, gleich, ob er in der Stadt, in den Vorstädten oder im Landgebiet wohnte. Damit waren die Landbürger- nach der alten Verfassung Untertanen der "Stadt" - mit den Stadtbürgern in einen einheitlichen Nexus zum hamburgischen "Staat" einbezogen. 32 Für die offene Stimmabgabe hatten sich Amsinck und Geffcken ausgesprochen. 83 Vgl. diese Arbeit oben, S. 160, Punkt 1). 8' Der Begriff des "Staatsangehörigen" wurde von Amsinck nicht näher erläutert. Zweifellos lag schon in den Vorschriften über den bürgerrechtlichen Status eine Möglichkeit, den Kreis der Wahlberechtigten einzuschränken. Die Konstituante hatte die Wahlberechtigung allen "Staatsbürgern" zugesprochen. Wenn Amsinck den an sich weiteren Begriff des "Staatsangehörigen" verwandte, wird er doch vermut:lch nicht weitergegangen sein wollen als die Konstituante. Da nach der Konstituantenverfassung Staatsangehörige für den Erwerb der Staatsbürgerschaft (und damit der Wahlberechtigung) nichts weiter zu tun hatten, als sich auf die Verfassung eidlich zu verpflichten - eine reine Formsache - bedeutete Amsincks Forderung, alle Staatsangehörigen sollten bei den Wahlen irgendwie konkurrieren, wahrscheinlich nichts weiter, als daß er den Erwerb der Wahlberechtigung nicht von erschwerenden bürgerrechtlichen Voraussetzungen abhängig machen wollte. Mit anderen Worten: praktisch voraussetzungsloser Erwerb der Wahlberechtigung, wie ihn die Konstituante vorgesehen hatte. - Vgl. weiter Anm. 142 auf S. 185.
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Der Versuch einer liberal-konservativen Verfassungsreform b) Bürgerschaft
Schon auf Grund von Amsincks System der drei Abteilungen, von denen jede 66 Repräsentanten wählen sollte, ergab sich für die künftige Bürgerschaft eine Stärke von 198 Abgeordneten. Die Zahl 198 bot sich aber auch noch aus einem weiteren Grunde an: Im Gegensatz zur Konstituantenverfassung, die eine Integralerneuerung der Bürgerschaft nach Ablauf von je zwei Jahren vorsah, propagierte der Syndikus- in Einklang mit den Weisungen des Senats von Anfang August85 ......__ eine Wahlperiode von sechs Jahren, während der alle zwei Jahre ein Drittel der Abgeordneten ausscheiden bzw. neu gewählt werden sollte (sukzessive Erneuerung). Mithin ergab sich für die Gesamtanzahl der Repräsentanten die Notwendigkeit, durch neun teilbar zu sein, eine Voraussetzung, die die Zahl198 erfüllte. Abgesehen von dieser rein rechnerischen Frage waren Dauer der Wahlperiode und Erneuerungsmodus der Bürgerschaft natürlich ein politisches Problem. Amsinck stellte dazu fest: "Es darf wohl kaum etwas darüber gesagt werden, daß dieses Prinzip [der zweijährigen Integralerneuerung der Bürgerschaft] als ein übermäßig democratisches und jede nur mäßige Stabilität unthunlich machendes, auch jede Consequenz in der Gesetzgebung und Verwaltung gefährdendes, jedenfalls in der Verfassung nicht beyzubehalten seyn kann .. . [Er] hält die Erneuerung eines Drittheils der Vertreter in einem zweyjähri gen Wechsel für das Richtige, so daß jeder Vertreter 6 Jahre im Amte bliebe; durch die Erwählung eines Drittheils nach je zwey Jahren würden neue Elemente rasch genug in die Bürgerschaft kommen, um das Stagniren zu verhindern86." Lutteroth und Geffcken erklärten sich im ganzen sowohl mit der Zahl der Abgeordneten, als auch mit Wahlperiode und Erneuerungsmodus der künftigen Bürgerschaft einverstanden. Das Prinzip der sukzessiven Erneuerung wurde bis zur Verfassung vom 23. Mai 1850 beibehalten. c) Verhältnis von Senat und Bürgerschaft
Umstrittener war schon die allerdings zentrale Frage, in welchem Verhältnis künftig die Bürgerschaft zum Senat stehen sollte. Denn hier ging es ja um parlamentarische Kontrolle und Verantwortlichkeit des Stadtregiments. Geffcken meinte, man müsse nach Aufgabe des Kyrions, demzufolge die Staatsgewalt ungeteilt bei Rat und Bürgerschaft liege, dahin kommen, "entweder . . . der Bürgerschaft eines Präsidenten mit verantwortlichen Ministern, die abtreten können, gegenüber zu stellen, oder auch zu einem 85
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Vgl. diese Arbeit oben, S. 162, "Weisungen", Punkt 2). Vgl. ebd.
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Zwei-Kammer-System. Ein Senat, der nicht mehr die Hälfte der Staatsgewalt darstellt, kann sich den übereinstimmenden Beschlüssen zweier Kammern fügen, ohne daß sein Ansehen darunter leidet, und er wird, wenn nur eine Kammer ihm beitritt, darin die Stütze finden, der anderen Kammer widerstehen zu können".
Im Grunde also optierte Geffcken für den keineswegs neuen Gedanken87, neben den eigentlichen Repräsentantenkörper als zweite Kammer eine notable Bürgerschaft zu stellen, in der er einen potentiellen Verbündeten des Senats erblicken konnte. Immerhin aber war er aufgeschlossen genug, einer Prärogerative der Bürgerschaft analog der Konstituantenverfassung den Vorzug zu geben. Gemäß den Weisungen des Senats aber88 mußten Wege gefunden werden, auf denen man zu einer angemessenen Begrenzung der bürgerschaftliehen Befugnisse gelangen konnte. Wie man in dieser Beziehung vorzugehen gedachte, zeigen die Darlegungen Amsincks, denen Lutteroth und Geffcken im ganzen zustimmten. Amsinck bekannte, er neige zu der Auffassung, "die Sachen soviel thunlich an die Bürgerschaft zu bringen und bin durchaus nicht geneigt, dem Senat mit Ausnahme des Veto wesentlich mehr Rechte zu vindiciren, als eine gehörig ausgerüstete Executiv-Gewalt bedarf".
In diesem Sinne empfahl er - vorbehaltlich einzelner Modifikationen eine Anlehnung an die Art. 110 bis 120 der Konstituantenverfassung, die den Senat bereits auf der Grundlage der Gewaltentrennung als "Inhaber der vollziehenden Gewalt", sowie als "oberste Verwaltungsbehörde" definiert und ihm die klassischen Kompetenzbereiche einer liberal-konstitutionellen Regierungsbehörde zuerkannt hatten 89• Eingeschlossen waren damit zunächst automatisch auch Rechte und Pflichten von Bürgerschaft und Senat, wie sie die Konstituantenverfassung in den nämlichen Artikeln postuliert hatte9 o. Umstrittener war in der Unterkommission allerdings die Frage der Verantwortlichkeit des Senats, die die Konstituante im Artikel 121 in Verbindung mit den Artikeln 81, 82, 146, 147, 148, 149 im Sinne der 87 Geffcken zweifelte allerdings daran, ob der Senat mit einer Verringerung der Bürgerschaft auf weniger als 300 Abgeordnete in der Offentliehkelt würde durchdringen können und bemerkte: "Es ist ein eigenthümlich republicanischer Zug, daß man sich williger der Entscheidung einer Bürgerschaft von 300 als von 100 Mitgliedern unterwerfen wird". - Angesichts dieser Argumentation bildete Amsincks Vorschlag von 198 Repräsentanten gewiß einen ganz annehmbaren Kompromiß. 88 Vgl. diese Arbeit oben "Weisungen", S. 162, Punkte 3) und 5). 88 Als da waren: Leitung der Verwaltung, Wahrung von Sicherheit und Ordnung, Verfügungsgewalt über die bewaffnete Macht, Ernennung diplomatischer Bevollmächtigter und Leitung der auswärtigen Angelegenheiten, Oberaufsicht über die Gemeinden, Begnadigungsrecht, Ernennung der Beamten, Konvokationsrecht gegenüber der Bürgerschaft und Gesetzesinitiative. 110 Die Geschäftsordnung des Senats bedurfte der Bestätigung, Staatsver-
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"Ministeranklage" geregelt hatte91 und die sich demgemäß auch auf alle Handlungen der dem Senat unterstehenden Verwaltungszweige erstrekken sollte92 • Allgemein stimmten Amsinck, Lutterothund Geffcken darin überein, daß eine ähnliche Verantwortlichkeitsregelung beibehalten werden müsse93 - wie sie denn auch in der Tat durch die Neuner-Entwürfe vom 3. November 1849 und die Maiverfassung von 1850 verwirklicht wurde. Besondere Beachtung schenkte die Unterkommission - was das künftige Verhältnis von Senat und Bürgerschaft anging - vor allem zwei Kernproblemen, nämlich dem suspensiven Veto des Senats gegenüber bürgerschaftliehen Beschlüssen (d. h. also der Regelung von Dissensfällen zwischen Bürgerschaft und Senat) und der Wahl des Senats. Der Senat hatte schon in seiner "Zusammenfassung der Bedenken" vom 3. August94 bemängelt, daß in der Verfassung vom 11. Juli kein ausreichendes suspensives Veto vorgesehen sei, das ihn allein ermächtigen könne, sich gegen die künftige Bürgerschaft wirksam zur Wehr zu setzen. In der Tat war die "Veto"-Regelung, die die Konstituantenverfassung aufwies, denkbar schwach - eine logische Folge der Tatsache, daß die Versammlung beim Entwurf ihrer Verfassungskonzeption von dem Gedanken der Volkssouveränität ausgegangen war. Den Begriff des "Vetos" hatte man überhaupt vermieden und dem künftigen Senat lediglich zugestanden, unter Angabe von Gründen innerhalb 14 Tagen "Bedenken" gegen Gesetzesbeschlüsse der Bürgerschaft geltend zu machen95 • als zwei Drittel aller Bürgerschaftsmitglieder für den beanstandeten träge der Ratifikation durch die Bürgerschaft; der Senat hatte ihr alljährlich ein Budget vorzulegen, sowie über den Zustand des Staates und über seine Ausgabenwirtschaft Rechenschaft abzulegen. über eine eigene Gesetzesinitiative der Bürgerschaft war nichts gesagt, doch ·i st mit Sicherheit anzunehmen, daß die Unterkommission auch damit einverstanden war, enthielten doch alle späteren Verfassungsentwürfe dieses Institut. 91 Art. 121 der Verfassung v. 11. Juli 49 besagte u. a.: "Die Mitglieder des Rathes und die Syndici sind dafür verantwortlich, daß durch ·ihre Amtsführung die Verfassung und die Gesetze nicht verletzt werden ...". - Art. 81, Abs. 1: "Die Bürgerschaft hat die Aufsicht über die Handlungen der vollziehenden Gewalt und der einzelnen Verwaltungsbehörden." - Art. 82: "Die Bürgerschaft hat das Recht, gegen Mitglieder des Raths ... öffentliche Anklage zu erheben". 92 Art. 146 d. Verf. v. 11. Juli 49 besagte: "In jeder Verwaltungsdeputation führt ... ein Rathsmitglied oder Syndicus den Vorsitz". - Art. 148: "Nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ist jedes Mitglied einer Deputation für die ihm als einzelnen obliegende Amtsführung verantwortlich; der Vorsitzende außerdem dafür, daß durch die Beschlüsse der Deputation die Verfassung und die Gesetze nicht verletzt werden". 93 Die Bedenken richteten sich hauptsächlich gegen die unbestimmte Fassung des Art. 81 der Verf. v. 11. Juli 49. 94 Vgl. diese Arbeit oben, S. 161, Punkt 3). 95 Vgl. Art. 75 ff. d. Verf. v. 11. Juli 49.
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Beschluß, blieb dieser bis zur Erneuerung der Bürgerschaft suspendiert, trat aber sofort in Kraft, wurde er von der neuen Bürgerschaft mit einfacher Mehrheit angenommen. Dieses Verfahren konnte dadurch abgekürzt werden, daß sich die Bürgerschaft für sofortige Selbstauflösung entschied. Bestätigten zwei Drittel aller ihrer Mitglieder den vom Senat beanstandeten Beschluß, oder erklärte sich die Bürgerschaft mit den Bedenken des Senats einverstanden, galt der Dissens als erledigt. Erklärten sich - wenn auch mehr als die Hälfte der Anwesenden - so doch weniger In Wirklichkeit also hatte der Senat überhaupt kein suspensives Veto. Ein Dissens mit der Bürgerschaft entfaltete nur dann eine gewisse aufschiebende Wirkung, wenn mehr als ein Drittel aller ihrer Mitglieder für eine Berücksichtigung der Senatsbedenken eintrat. Damit lag die Entscheidung in Dissensfällen eindeutig bei der Bürgerschaft, der Senat konnte wirklich nur "Bedenken" äußern. Nun mußte allerdings auch Amsinck zugeben, daß eine völlige Gleichberechtigung von Rat und Bürgerschaft bei der Lösung von Dissensen - wie sie prinzipiell noch der Hauptrezeß von 1712 vorgesehen hatte nicht mehr zu halten sei. Im äußersten Fall müsse eben - zumal in einem republikanischen Staatswesen - die Regierung nachgeben, "umsomehr, als selbst in monarchischen Staaten im praktischen Resultat die Regierung nachgeben muß, wenn sie einmal, vielleicht höchstens ein paarmal ohne Erfolg an das Volk appelliert hat". In diesem Sinne behielt Amsincks Dissensregelung durchaus eine schließliehe Prävalenz der bürgerschaftliehen Entscheidung bei, sah aber auf dem Wege dahin eine suspensive Bremseinrichtung vor: Wurde der Dissens nicht durch "wiederholte Vorstellung" der Senatsbedenken bzw. dadurch beigelegt, daß entweder die Bürgerschaft diesen Bedenken beitrat oder ein Vergleich zustande kam, sollte zunächst eine gemischte98 Vermittlungskommission eine Schlichtung versuchen97 • Wurde der Vermittlungsvorschlag der Kommission von der einen oder anderen Seite abgelehnt, war eine Erledigung des Dissens' auf zweifache Weise geplant: 1. Handelte es sich um einen Dissens, der die Auslegung von Verfassung oder Gesetzen betraf, entschied endgültig das Oberappellationsgericht der vier freien Städte in Lübeck unter Hinzuziehung von zwei höheren Hamburger Richtern, von denen einer durch den Senat, der andere durch die Bürgerschaft gewählt werden sollte.
2. In allen anderen Fällen konnte sich die Bürgerschaft selbst aufHierbei dienten Amsinck als Vorbilder die Bremer und Lübecker Lösung. über die Besetzung der Vermittlungskommission schweigt sich Amsinck aus. Lutteroth trat für eine Mehrheit von bürgerschaftliehen Mitgliedern ein. 86 87
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Der Versuch einer liberal-konservativen Verfassungsreform lösen. Beim Beschluß der dann innerhalb vier Wochen neuzuwählenden Bürgerschaft lag dann die endgültige Entscheidung über den Dissens.
So ausgewogen Amsincks komplizierter Vorschlag auch anmutet, muß es sich doch fragen, ob er in jeder Beziehung zweckmäßig war. So bemängelte Lutteroth die Einschaltung "eines auswärtigen Gerichts", und in der Tat konnten gegen die Einfügung eines jurisdiktioneilen Elements in den politischen Entscheidungsprozeß noch am ehesten Bedenken erhoben werden98 • Immerhin bleibt festzuhalten, daß sowohl Amsinck als auch Lutteroth und Geffcken grundsätzlich für ein schließliches Überwiegen des bürgerschaftliehen Votums eintraten, wenn auch beide im Fall 2 alternierend dem Senat das Recht zusprechen wollten, die Bürgerschaft aufzulösen, wobei der Senat verpflichtet sein sollte, innerhalb vier Wochen Neuwahlen auszuschreiben99 • Als weiteres zentrales Problem im künftigen Verhältnis von Senat und Bürgerschaft blieb noch die Frage der Senatswahl zu lösen. Übereinstimmend erklärten sich Amsinck, Lutteroth und Geffcken dafür, daß die Wahl des Senats künftig durch die Bürgerschaft erfolgen solle, "und hätte sie (nach meiner Ansicht)", fügte Amsinck hinzu, "längst eingeführt werden sollen, wiewohl man früher die Entwerfung des Wahlaufsatzes wohl mehr in die Hände des Senats gelegt haben würde". Nun aber war man bereit, der Bürgerschaft auch hier ein Übergewicht einzuräumen. Nach den Vorstellungen Amsincks sollte zunächst eine aus Senats- und Bürgerschaftsmitgliedern zusammengesetzte Kommission einen sog. "Wahlaufsatz" entwerfen, d. h. fünf Kandidaten zur Wahl vorschlagen. War man einerseits bereit, der Bürgerschaft in der gemischten Kommission eine Majorität von 6 gegen 3 Stimmen zuzugestehen100, sollte das Senatsplenum andererseits das Recht erhalten, aus dem Fünfer-Aufsatz zwei Kandidaten als "personae non gratae" auszuscheiden. Die verbleibenden drei Anwärter sollten alsdann der Bürgerschaft präsentiert werden, die davon zwei als Senatoren zu wählen hätte. Das gesamte Wahlverfahren war als ein vertraulicher Vorgang - also ohne Einlage längerer Bedenkzeiten - gedacht. us Denn schließlich stand ja zu erwarten, daß eine Mehrzahl von denkbaren Dissensfällen mindestens immer auch partiell die Auslegung von Verfassung oder Gesetzen betraf; daher war zu befürchten, daß sich die Beilegung von Dissensen aus dem politischen Raum überwiegend in den Bereich der Rechtsprechung verlagerte, wenn nicht schon darüber Streit entstand, ob Fall 1) oder Fall 2) in Anwendung kommen sollte. uo Der Senat hielt die von Amsinck entwickelte Dissensregelung für so vollkommen, daß er sie - nachdem sie schon in allen Neuner-Entwürfen enthalten war - auch in seine Verfassungsanträge v. 23. Mai 1850 aufnahm. too Geffcken wollte nur ein Verhältnis von 7 : 3 zulassen.
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Gegenüber der von der Konstituante ausgearbeiteten Modalität1°1 enthielt das Verfahren, das die Subkommission entwickelte, zwei wichtige Sicherungen gegen ein exzessives Übergewicht der Bürgerschaft: Der Senat durfte an der Aufstellung eines Wahlaufsatzes mitwirken (Vorschlagsrecht) und konnte zwei Kandidaten, die ihm nicht genehm waren, aus dem Wahlaufsatz entfernen102 • Gleichwohl hatte die Bürgerschaft immer sehr gute Aussichten, ihre Kandidaten durchzubringen. Dazu war sie schon durch ihre klare Mehrheit in der Vorschlagskommission befähigttoa. Eine zusätzliche Rückversicherung gegen die Wahl ungeeigneter oder unliebsamer Kandidaten durch die Bürgerschaft kann außerdem noch in dem von Amsinck entwickelten allgemeinen Wahlsystem erblickt werden: Denn die von ihm vorgeschlagene Einteilung der Wähler in drei Abteilungen mit einer je gleichen Anzahl von Repräsentanten gewährleistete sicher eine leichte Mehrheit, gewiß aber wenigstens eine kräftige Sperrminorität von Abgeordneten, die ihrer sozialen Herkunft nach politisch eine rechtsliberale oder gar konservative Einstellung erwarten ließen. Zwar wird der Hinweis darauf nirgends direkt als Motiv angeführt, doch will es uns als sicher erscheinen, daß Amsinck, Lutteroth und Geffcken nur unter der Voraussetzung des von ihnen vorgeschlagenen Wahlsystems eine gewisse Prärogerative der Bürgerschaft sowohl bei der Ausgestaltung der Senatswahl als auch bei der Regelung der Dissensfrage verantwortet haben. d) Senat
Der letzte zentrale Fragenkomplex, dem sich die Unterkommission widmete, betraf die zukünftige Organisation des Senats 104• Hier blieb die Grundlage, die die Konstituantenverfassung gelegt hatte, unbestritten. Diese Grundlage hieß: Trennung von Justiz und Verwaltung, deren Einheit sich ja bislang in der Identität von Senat und Obergericht am augenfälligsten manifestiert hatte. Vgl. Art. 96 der Verf. v. 11. Juli 49 und 1. Kapitel dieser Arbeit, S. 34. Beides entsprach den Weisungen des Senats von Anfang August, vgl. oben, S. 162, Punkt 5). 103 Auch diese von Amsinck entwickelte Modalität der Senatswahl fand schließlich dem Prinzip nach Eingang in die Verfassung v. 23. Mai 1850. Auf die allerdings bezeichnenden Abweichungen werden wir an gegebener Stelle eingehen. 104 Wir beschränken uns hier auf eine knappe Wiedergabe der wesentlichen Punkte. Das Problem einer Reorganisation des Senats wurde erst nach dem 23. Mai 1850 akut. Über die Voraussetzungen, unter denen es gelöst werden sollte, vgl. das 1. Kapitel dieser Arbeit, S. 46 ff. 101
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Schied man beide Bereiche, konnte der Senat bedeutend verkleinert werden105, auch wenn man sich vor dem Extrem der Konstituante hüten wollte, die die Zahl der Senatsmitglieder auf neun festgesetzt hatte. Amsinck und Lutteroth optierten für 16 Senatoren, einen Sekretär und einen Archivar106• Von den Senatoren sollten sieben Juristen oder Kameralisten sein, wenigstens sechs der neun übrigen Senatoren sollten dem Kaufmannsstand angchören107• Die Unterkommission sprach sich im Widerspruch zur Konstituantenverfassung für eine Aufhebung des Syndikats aus, das sie als unzeitgemäß empfand1os. Dafür war eine strikte Aufteilung der Senatsgeschäfte in etwa fünf "Departements" vorgesehen, deren Chefs im Fall von Krankheit oder ernsten Meinungsverschiedenheiten mit dem Plenum des Senats von diesem ausgewechselt werden konnten. Das bedeutete Einführung des "Ministerialprinzips", allerdings mit dem bezeichnenden Unterschied, daß ,.der durch die Mitwirkung der Bürgerschaft gewählte Senat ... seine Minister immer aus seiner Mitte nehmen" würde, wie Amsinck erläuterte109• Auch hierdurch erfuhr der Senat gegenüber der Bürgerschaft eine gewisse zusätzliche Stärkung. Denn ein unüberwindlicher Dissens zwischen beiden Körperschaften konnte nur im äußersten Fall und dann auch nur auf indirektem Wege dazu führen, daß die Bürgerschaft einen Wechsel in der Leitung des betreffenden Geschäftsbereichs erwirkte. Ebenso sollten- übrigens in Übereinstimmung mit der Verfassung vom 11. Juli 1849 - die beiden Bürgermeister nicht von der Bürgerschaft, sondern aus der Mitte des Senatskollegiums erwählt werden, und zwar in der Form, daß alljährlich einer gewählt wurde und einer abtrat, so daß jeder zwei Jahre im Amt blieb bzw. aufrückte. Entsprechend den Weisungen des Senats 110 und entgegen dem Willen der Konstituante sollten jedoch alle Senatoren ihr Amt auch in Zukunft lebenslänglich innehaben. In der Unterkommission war man der Mei105 Der Senat umfaßte 1849 im Ganzen 37 "membra in vel de senatu"; vgl. 1. Kapitel dieser Arbeit, S. 35 f. 108 Geffcken hielt 16 Senatsmitglieder, 2 Sekretäre und 1 Archivar für erforderlich. 107 Geffcken optierte entsprechend für 9 Juristen/Kameralisten, für 9 NichtGelehrte, wovon fünf oder sechs Kaufleute sein sollten. 108 Bezeichnend ist Amsincks Meinung über die "grundverkehrte Stellung der jetzigen Syndici", "welche wohl mit Municipal-Verhältnissen . .. einer Land-Stadt ... , keineswegs aber mit den Verhältnissen eines selbständigen Staates ... vereinbar ist", den Harnburg seit 1815 darstelle. - Vgl. dazu grundsätzlich Ewald, Senatssyndikus. 108 Wie ernst es die Unterkommission mit der Einführung des Ministerialprinzips meinte, geht auch daraus hervor, daß Geffcken die Einführung von "Unterstaatssekretären" vorschlug, ihre Ernennung aber von den Erfordernissen der Prax·is abhängig machen wollte. uo Vgl. diese Arbeit oben, S. 162, Punkt 4).
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nung, die Lebenslänglichkeit des Senats werde als stabilisierendes Element neben eine ständig wechselnde Wahlbürgerschaft treten und Hamburgs Stellung dem restlichen Deutschland und dem Ausland gegenüber stärken. Innenpolitisch gesehen aber mußte das Prinzip der Lebenslänglichkeit das Recht der Bürgerschaft stark entwerten, an den Senatswahlen teilzuhaben. War schon das vorgesehene DepartementsSystem geeignet, das "Abschießen" (und damit die Neuwahl) einzelner "Minister" zu verhindern, konnte die Bürgerschaft so schon gar nicht den ganzen Senat zum Rücktritt zwingen. Im Gegenteil hatte sie jetzt Aussicht, nur ganz sporadisch von ihrem Wahlgerecht Gebrauch machen zu können. Nach dem Verfahren nämlich, das auf Vorschlag der Unterkommission bei den Senatswahlen Anwendung finden sollte, war ja immer nur die gleichzeitige Wahl von zwei Senatsmitgliedern möglich. Es genügte also nicht, daß nur ein Mitglied des Senats - etwa aus Altersgründen - ausschied. Die Bürgerschaft mußte u. U. sehr lange warten, bis es dem einen Senator ein zweiter nachtat. Im Grunde lag in dieser Bestimmung der "Lebenslänglichkeit" ein starker konservativer Zug, der- weil systemfremd - das sonst recht konsequent durchgeführte und in Maßen als liberal und parlamentarisch zu bezeichnende System der Amsinckschen Verfassungsvorschläge empfindlich beeinträchtigte. Die Verantwortung hierfür trifft aber gewiß eher das Plenum des Senats als Syndikus Amsinck persönlich, war doch die Einführung der "Lebenslänglichkeit" in den Weisungen d es Senats von Anfang August enthalten111 • Gleichwohl versprachen sich Amsinck, Lutteroth und Geffcken außer dem Vorzug einer erhöhten politischen Stabilität des Regierungssystems noch einen weiteren Vorteil von der Lebenslänglichkeit der Senatswürde: Man erwartete, daß sich nur unter dieser Voraussetzung hochqualifizierte Männer, vor allem auch Kaufleute, für ein Senatsamt zur Verfügung stellen würden112• Das Prinzip der Lebenslänglichkeit empfahl sich um so mehr, als die Unterkommission den Kandidaten für den Fall ihrer Wahl die Annahme 111 Vgl. ebd., Punkt 4}. Daß Amsinck persönlich diese Tatsache sehr bedauert hat, erhellt aus seinen Worten: "Es wird schwerlich zu verkennen sein, daß die Bestimmungen des Repräsentativ-Systems, wie es in den größeren Staaten besteht - (wobey verantwortliche Minister mit einer ,ihnen gegenüberstehenden Volksvertretung die Hauptsache ... sind) - das ei nzig richtige und auch in der Praxis zweckmäßigste System u. daß alle Nachbildungen, die wir in einem kleinen, republ. Staat versuchen, in welchem solche Einrichtgn. nicht durchführbar sd., theils den einmal bestehenden Ansichten nicht zusagen, immer nur mehr oder weniger etwas unvollkommenes Stückwerk bleiben werden". 112 Das betonte vor allem Lutteroth, selbst kaufmännischer Senator, wenn er für die Lebenslänglichkeit eintrat, um Kaufleuten, "die in den besten Jahren sind, die also i. d. R. eine großen Nutzen versprechende Laufbahn ... aufgeben", einen Anreiz zu bieten.
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der Senatswürde zur Pflicht machen wollte. Auch auf diese Weise hoffte man, sich guter Kräfte für ein Regierungsamt zu versichern. Senatsmitglieder, die sich mit ihrer Aufgabe nicht befreunden konnten, durften nach 6 Jahren - allerdings ohne Versorgungsanspruch - zurücktreten. Mit 60 Jahren war ein Rücktritt bei einer Pension in Höhe von etwa 50 OJo des Senatshonorars möglich. Mit 70 Jahren waren Senatsmitglieder zum Rücktritt verpflichtet, wobei sie ein Ruhegeld etwa in Höhe von 66,6 °/o ihres Honorars beanspruchen konnten113• Die Verkleinerung des Senats sollte nach dem Willen der Unterkommission auch eine Senkung der Staatsausgaben für die Senatshonorare bewirken, auch wenn man berücksichtigte, daß sowohl die gelehrten (für die weiterhin Berufsverbot bestehen sollte 114), als auch für die kaufmännischen Mitglieder (die sich nach der angestrebten Reorganisation des Senats ihren Privatgeschäften nicht mehr im gewohnten Ausmaß würden widmen können115) für die erhöhte Inanspruchnahme durch ihr Amt angemessen entschädigt werden mußten. Im Ganzen hoffte man aber mit etwa 100 000 Mark Crt. im Jahr auszukommen. Gemäß einer privaten Aufstellung Amsincks116 war dabei folgende Verteilung vorgesehen: 9 Kaufleute 3 Gelehrte 4 Gelehrte 2 Bürgermeisterzulagen 1 Archivar 1 Sekretär
a 4000 Mark Crt. a 8000 Mark Crt. a 7000 Mark Crt. a 2000 Mark Crt. a 5000 Mark Crt. a 4000 Mark Crt.
Mark Crt. Mark Crt. Mark Crt. Mark Crt. Mark Crt. Mark Crt. Mark Crt.
36 000 24 000 28 000 4 000 5 000 4 000 101 000
Mit ihren Plänen für die Konstitution des künftigen Senats hoffte die Unterkommission auch das wohl wesentlichste Bedenken des Rats117 gegen die Verfassung vom 11. Juli 1849 ausgeräumt zu haben. 3. Die Beschlüsse des Senats vom 11., 12. und 14. September und sein Sieben-Punkte-Programm vom 27. September 1849
Ende August/Anfang September 1849 wurden die Verfassungsvorschläge des Unterausschusses von einem "übrigens als discret bekannua Die Einführung von Rücktritts- und Pensionsregelungen hatten bereits die Weisungen des Senats vorgesehen. - Vgl. diese Arbeit oben, S. 162, Punkt 4). - Sie wurden auch grundsätzlich in den Neuner-Entwürfen und in der Maiverfassung beibehalten. 114 So vor allem Lutteroth. m Lutteroth meinte, eine Berufstätigkeit im Kontor oder an der Börse komme für die kaufmännischen Mitglieder nach Neuordnung der Senatsgeschäfte kaum noch in Frage. 110 Geffcken veranschlagte für die gelehrten Mitglieder des Senats ebenfalls künftig 7000, für die Kaufleute 3-4000 M Crt. - Im Vergleich: Siehe Tabelle 2. 117 Vgl. diese Arbeit oben, S. 161, Punkt 3) und S. 162, Punkt 4). 118 Brief Amsincks an Lutteroth v. 30. Aug. 49, Senat/innen 2 (20).
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ten Canzellisten" 118 kopiert und anschließend der Verfassungskommission des Senats unterbreitet, die sie mit Modifikationen annahm. Am 10. September reassumierte Kirchenpauer vor dem Senat "die von der constituirenden Versammlung dem Senat übergebene 1) Verfassung nebst Wahlgesetz, 2) 11 sog. organische Gesetze; referens in Betreff der formellen Lage der ganzen Angelegenheit, sowie im allgemeinen über die materiellen Bedenken bei dem Elaborat der const. Versammlung; proponit die Sache unverweilt an Erbg. Bürger[schaft] zu bringen ..."119• Am nächsten Tag trat der Senat in die Detailberatung der einzelnen Vorschläge ein, die Amsinck namens der Verfassungskommission am 11., 12. und 14. September referierte120• Aus seinem Referat gehen die Modifikationen hervor, die an den Vorschlägen des Unterausschusses vorzunehmen die Verfassungskommission für ratsam erachtet hatte.
a) Wahlrecht Dabei zeigte sich, daß die Verfassungskommission von dem Amsinckschen Wahlsystem121 abgerückt war und nun prinzipiell die "Zugrundelegung der Grundsätze des unter den Mitgliedern des Bündnisses vom 26. May vereinbarten Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten zum Volkshause des deutschen Reiches jedoch mit den durch die hiesigen Verhältnisse etwa gebotenen Modifikationen" bei der weiteren Ausgestaltung des Wahlrechts empfahP 22 • Der Senat, der dieser Empfehlung beitrat, entschied sich damit vorläufig für ein System indirekter Wahlen, bei denen die Urwähler Wahlmänner und diese die Repräsentanten wählen sollten123• Fraglich blieb vorerst, ob sich der Senat mit jener Grundsatzentscheidung zugunsten des preußischen Wahlgesetzentwurfes vom 26. Mai 1849 auch für dessen nähere Bestimmungen aussprechen wollte, insbesondere dafür, daß 1. als Wähler nur jeder unbescholtene selbständige Deutsche 124 zu betrachten sei - was eine Option für den Zensus bedeuten konnte und daß 2. als Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts eine dreijährige Anwesenheitspflicht im Wahlbezirk (fester Wohnsitz), sowie der Besitz der Heimatsberechtigung zu gelten hätten. Senat/innen 1 (52). - Vgl. auch das 2. Kap. dieser Arbeit, S. 128. Senat/innen 1 (55), (57), (58). 121 Vgl. diese Arbeit oben, S. 164 ff. 122 Der Grund für diesen Wandel liegt auf der Hand: Harnburg war- wie berichtet - am 27. August, also nachdem Amsinck sein Wahlsystem konzipiert hatte, dem Dreikönigsbündnis beigetreten. 123 Vgl. § 11 des Wahlgesetzes betr. die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause. 110
120
12 Bavendamm
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Zwar schlug die Verfassungskommission vor, man möge auch in Zukunft 1. "die Zulassung der nicht direkt besteuerten Staatsbürger zur Ausübung des Wahlrechts", 2. "ferner die direkten Wahlen" wenigstens in Erwägung ziehen, doch behielt sich der Senat mit seinem Beschluß, in den Anträgen an Erbgesessene Bürgerschaft "weder der Zulassung der nicht direct besteuerten zum Wahlrecht, noch directer Wahlen zu erwähnen" hier jede Entscheidung vor. Immerhin schien es von jetzt an denkbar, daß aus den Reformplänen nicht nur das direkte Wahlrecht verschwinden, sondern auch die von Amsinck noch sehr weit gefaßte Wahlberechtigung durch Ausschluß aller Nicht-Besteuerten spürbar eingeschränkt werden konnte. Daß sein Beschluß vom 11. September wahrscheinlich in diese Richtung zielte, erhellt schon daraus, daß sich der Senat damit einverstanden erklärte, "hinsichtlich der Classeneintheilung die Berücksichtigung der Grundsteuer" - die Berücksichtigung einer Spezial-Steuer also im Gegensatz zu der allgemeinen Brandsteuer - in Betracht zu ziehen.
b) Bürgerschaft Was die künftige Bürgerschaft anbetraf, entschied sich der Senat am 11. September ohne Einschränkung für die Empfehlungen der Verfassungskommission, zugleich damit auch für die näheren Vorschläge, welche die Unterkommission erarbeitet hatte125•
c) Senat Am 12. September stand die Organisation des künftigen Senats zur Debatte, wobei man den Anträgen der Verfassungskommission (und damit wiederum auch den Vorstellungen der Unterkommission128) im Ganzen folgte. Vor allem sprach man sich für die Beibehaltung der Lebenslänglichkeit und damit zugleich auch für die Einführung der vorgeschlagenen Rücktritts- bzw. Pensionierungsregelungen aus. Über die etwaige Aufhebung des Syndikats konnte man sich noch nicht einigen. Man wählte daher- was die angestrebte Verkleinerung des Ratskollegiums anbetraf - zunächst die unverfängliche Formel, m Als "selbständig" definierte der preußische Wahlgesetzentwurf denjenigen, "welcher an den Gemeindewahlen seines Wohnorts Theil zu nehmen berechtigt ist und irgendeine directe Staatssteuer bezahlt". - Das bedeutete: Zensus. 125 Vgl. diese Arbeit oben, S. 168. 128 Ebd., S. 173 ff.
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"daß die Zahl der [gegenwärtigen] Senatsmitglieder incl. der Syndici auf etwa die Hälfte herabzusetzen" seim und statuierte erst am 14. September eine Verkleinerung des Senats
auf 16 bis 18 Mitglieder, was etwa dasselbe bedeutete.
d) Verhältnis von Senat und Bürgerschaft
Gleichen Tags akzeptierte der Senat die Vorschläge der Verfassungskommission für die künftige Senatswahl und die Regelung von Dissensen zwischen Rat und Bürgerschaft. Einerseits wurde damit dem künftigen Senat die "wesentliche Mitwirkung" bei der Aufstellung des Wahlaufsatzes, andererseits der künftigen Bürgerschaft der "überwiegende Einfluß" bei der Ausgleichung von Dissensen zugestanden. Dabei folgte man den ursprünglich von der Unterkommission erarbeiteten Lösungen128 auch insoweit, als man die Möglichkeit gerichtlicher Entscheidung in bestimmten Dissensfällen beibehielt. Im Ganzen umfaßten die Beschlüsse des Senats vom 11., 12. und 14. September sieben Punkte, in denen er eine Abänderung der Konstituantenverfassung für unabdingbar hielt. Diese Punkte betrafen- wie oben ausgeführt1. das Wahlsystem, 2. Zusammensetzung, Erneuerung und Wahlperiode der Bürgerschaft, 3. die Organisation des Bürgerausschusses12V, 4. Lebenslänglichkeit und Wahl des Senats, 5. Verkleinerung des Senatskollegiums, 6. das Verhältnis von Senat und Bürgerschaft unter besonderer Berücksichtigung der Regelung von Dissensfällen und 7. Vorschriften über die Revision der künftigen Verfassung130. Dieses Sieben-Punkte-Programm fand gemäß Beschluß vom 14. September131 Eingang in den Antrag des Senats an Erbgesessene Bürgerschaft vom 27. September 1849 und wurde durch Rat- und Bürgerschluß zur Richtschnur für die Beratungen der Neuner-Kommission erhoben132. 127 Umfaßte der 1849 amtierende Senat 37 membra in vel de senatu, entsprach das einer Verkleinerung des Kollegiums auf etwa 18 Mitglieder und damit den ursprünglichen Vorschlägen der Unterkommission. - Vgl. oben, s. 174. 118 Vgl. ebd., S. 171. 129 Vgl. dazu die nächste Anm. 180 Mit Rücksicht auf Übersichtlichkeit und Umfang unserer Arbeit verzichten wir auch im folgenden auf die Erörterung der Punkte 3) und 7), zumal diese für den Fortgang der Beratungen nur periphere Bedeutung behielten. Vgl. diese Arbeit unten, S. 253. 131 Senat/innen 1 (58). uz Nachdem eine Verständigung mit der Konstituante nicht zustandegekommen war, bildete das Senatsprogramm selbstredend die einzige Richtschnur für die Beratungen der Neuner über eine Abänderung der Verfassung v. 11. Juli 49.
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IV. Der Bericht der Neuner-Kommission und ihre Entwürfe für eine "Hamburgische Staatsverfassung", sowie für ein "Transitorisches Wahlgesetz" vom 3. November 1849- Versuch einer "mittleren Lösung" Wie weit hat sich nun diese Kommission an das gemäßigte Reformprogramm des Senats gehalten, wie weit hat sie auf die fortschrittlicheren Vorschläge des Senatsunterausschusses oder gar auf die revolutionäre Konstituantenverfassung zurückgegriffen? Die Protokolle der Neuner reichen leider nicht aus, ihre Beratungen im Detail zu verfolgen. Dies um so weniger, als über die entscheidenden Vor- und Zwischenverhandlungen ihrer drei Unterkommissionen überhaupt keine Zeugnisse existieren. Dieser Mangel wird jedoch wettgemacht durch den Bericht der Neuner-Kommissionvom 3. November 1849 133, dem wir das grundsätzliche, sowie durch die ausführlichen "Motive" 134 zum Verfassungsentwurf und zu den beiden Wahlgesetzentwürfen, denen wir das spezielle Ergebnis der Kommissionsberatungen entnehmen können. a) Grundsätze Zu Beginn ihres Berichts konstatierten die Neuner den ergebnislosen Ausgang der Verständigungsversuche mit der konstituierenden Versammlung. Gleichwohl, so wurde weiter festgestellt, dürfe "eine Ausgleichung mit dem ... von dieser Versammlung vorzugsweise vertretenen Theile der Bevölkerung nicht aufgegeben, ... muß diesem Theile sein bisher entbehrter Antheil an der Leitung des Staatswesens gewährt, dadurch billigen Anforderungen genügt und in dieser Weise eine Aussöhnung herbeigeführt werden". Sei die Kommission auch davon überzeugt, daß die Verfassung vom 11. Juli 1849 aus Gründen des Staatswohls nicht unverändert eingeführt werden dürfe, halte sie sich "aber ebenso fest überzeugt, daß so schleunig als möglich eine neue Verfassung eingeführt werden muß, durch welche die politische Berechtigung auf einen weit größeren Kreis von Staatsangehörigen auszudehnen und durch andere wesentliche Reformen billigen Forderungen der Zeit ein Genüge zu leisten ist". Zwar könne die Kommission eine "juristische Verpflichtung" der bestehenden Gewalten, die Konstituantenverfassung einzuführen, keineswegs anerkennen. Gleichwohl habe die Neuner-Kommission die Verfassung vom 11. Juli 1849 ihren Beratungen zu Grunde gelegt. Aus dem dabei verfolgten Grundsatz einer Ausdehnung der politischen Berechtigung sei "unabweisbar" die Notwendigkeit gefolgt, Senat/innen 2 (14). m Motive ebd. tss
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"daß derjenige Theil der Staatsgewalt, welcher mit dem Namen der gesetzgebenden bezeichnet zu werden pflegt, nicht mehr wie bisher durch die persönlich in der Versammlung erscheinenden und abstimmenden Bürger, sondern nur durch (wenn auch in verschiedener Weise) gewählte Vertreter geübt werden kann". An die Stelle der Erbgesessenen Bürgerschaft müsse mithin künftig eine Versammlung von Repräsentanten treten, "die, in den ihnen verfassungsmäßig zugewiesenen Functionen, als die Vertreter der Gesammtheit der Staatsbürger anzusehen sind". Mit dem Repräsentativprinzip unvereinbar sei der Fortbestand der sich selbst ergänzenden bürgerlichen Kollegien, soweit sie bisher in ihrer Eigenschaft als Kirchenkollegien der lutherischen Gemeinden der Stadt an Verwaltung und Gesetzgebung teilnahmen. Ebenso müsse folgerichtig die politische Berechtigung über die Bürger der Stadt und der Vorstädte hinaus auf die Bewohner der "mit der Stadt zu Einem Staat verbundenen Landgebiete" ausgedehnt werden. Schon aus diesen Veränderungen gehe der Wille der Neuner hervor, von einer "für die Neuzeit ... nicht mehr passenden städtischen Communal-Verfassung zu mehr staatlichen Formen" überzugehen - was ja bereits die Unterkommission des Senats beabsichtigt hatte. Damit zugleich werde die alte Einrichtung hinfällig, "welche in den Reichsstädten die Gerichtsbarkeit über Stadt und Gebiet den Stadtmagistraten beilegte. Die im Laufe dieses Jahrhunderts schon in vielfachen Beziehungen begonnene Trennung der Justiz von der Verwaltung in Harnburg wird jetzt vollständig durchgeführt werden müssen". Hieraus ergebe sich die Notwendigkeit, gewisse Veränderungen in der Organisation des Senats, vor allem eine Verminderung seiner Mitgliederzahl eintreten zu lassen, denn der künftige Senat werde "mehr als bisher die Gestalt eines wirklichen Regierungs-Collegii annehmen, und es werden mehr als bisher die Fäden der gesammten Staatsverwaltung in seinen Händen zusammenfließen müssen". Unter diesen Umständen könnten gewisse Reformen auf dem Gebiet der Verwaltung nicht unterbleiben. Aus allem aber folge unausweichlich, daß man "nicht wird umhin können, die älteren Verfassungsgesetze gänzlich zu verlassen und ein neues an die Stelle zu setzen, wie die constituirende Versammlung gethan hat". Hält man diese wenigen generalisierenden Bemerkungen des NeunerBerichts mit den Vorschlägen zusammen, wie sie die Amsincksche Unterkommission erarbeitet hatte, läßt sich wenigstens prinzipiell eine sehr weitgehende Übereinstimmung nicht verkennen. Noch immer lauteten die Grundsätze: Beseitigung der alten Hauptgrundgesetze, soweit möglich Beibehaltung der Konstituantenverfassung. Daher: Ausdehnung
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der politischen Berechtigung, Einführung des Repräsentativprinzips, Aufhebung der bürgerlichen Kollegien, Teilung der Gewalten, vor allem Trennung von Justiz und Administration, Reorganisation des Senats, Gleichstellung der Stadt, der Vorstädte und des Landgebiets. Wie weit jene Übereinstimmung wirklich reichte, müssen die Neuner-Entwürfe und deren Motive im einzelnen zeigen. b) Wahlsystem
In Bezug auf das künftige Wahlsystem war der Senat - wie erwähnt135 - am weitesten von den Vorschlägen der Unterkommission abgewichen. Er hatte den Neunern stattdessen die Berücksichtigung des preußischen Wahlgesetzentwurfes vom 26. Mai 1849 empfohlen. Offenbar waren die Neuner denn auch bemüht gewesen, dieser Empfehlung nachzukommen und hatten ein "Transitorisches Wahlgesetz für den Harnburgischen Staat nach dem Classensystem mit indirecten Wahlen" entworfen138. Aber schon aus der Tatsache, daß sie ihrem Bericht vom 3. November noch einen zweiten Entwurf beigefügt hatten, der den Vermerk "zur Annahme ... empfohlen" trug, kann man ersehen, daß die Neuner nicht hinter einem System indirekter Klassenwahlen standen. Aus den "Motiven" zu den beiden Wahlgesetzentwürfen ergibt sich weiter, daß sich bereits der Wunsch des Senats, die Neuner mögen sich bei der Einteilung der Klassen an den Grundsteuerertrag halten, als unerfüllbar erwiesen hatte. Weder gab die Grundsteuer- angesichts der in Harnburg durchgehend relativ hohen hypothekarischen Belastung der Grundstücke137 - einen auch nur annähernd genauen Indikator für die wahren Besitzverhältnisse ab, noch ergab sich auf diese Weise eine annehmbare Wahlbezirks- und Klasseneinteilungtss. Die Neuner-Kommission hatte sich daher zunächst insofern wieder den Amsinckschen Vorschlägen genähert, als sie die Einteilung der Wählerklassen nach dem besteuerten Vermögen oder Erwerb des einzelnen empfahl, wobei nur die Brandsteuer berücksichtigt werden sollte. us Vgl. diese Arbeit oben, S. 177. Dieser Entwurf diente später dem Harnburgischen Wahlgesetz für die Abe-eordneten zum Volkshause des Deutschen Parlaments v. 27. Dez. 49 als Vorbild.- Vgl. Heyden, Wahlrecht, S. 17 und diese Arbeit unten, S. 275. 117 Die hypothekarische Belastung betrug in Harnburg durchschnittlich 2/3 des Grundstückwertes. - Vgl. Motive, Wahlgesetz, S. 64. 118 Da man schon aus technischen Gründen nicht auf eine Wahlkreiseinteilung nach Bürgermilitär-Bataillonen verzichten konnte, ergaben sich bei einer Klasseneinteilung nach dem Grundsteueraufkommen etwa folgende Inkonvenlenzen: Die 1. Klasse des 1. Bataillons hätte dann z. B. nur 37 Wähler umfaßt. Da für dieses Bataillon 16 Abgeordnete vorgesehen waren, hätten etwa ebenso viele Wahlmänner gewählt werden müssen, wie Wähler vorhanden waren. - Im 4. und 5. Bataillon ergaben sich ähnliche Mißverhältnisse. Motive, Wahlgesetz, S. 65. t3e
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.,Demnach ließ sich", so führten die Neuner aus, "vermittelst der Brandsteuer eine zweckmäßige Abstufung allein in der Art machen, daß man in Gemäßheit der berichtigten Taxen des Vermögens, des Einkommens und des Erwerbs die Classen-Abtheilung nach einem festen Ansatze derselben im allgemeinen abstufte". Die Einführung eines Zensus' war nicht vorgesehen. Zwar sprachen sich auch die Neuner - wie seinerzeit Amsinck dafür aus, in der 1. Klasse die "kaufmännischen Interessen" zusammenzufassen, doch gingen sie mit der Mindestgrenze bis auf ein Einkommen von 3 000 Mark Crt. herunter. Begründung: .,Dadurch wird jeder Anschein einer Geld-Aristocratie vermiedenm." Im übrigen aber - so berichtete die Kommission - habe sich das vom Senat gewünschte System indirekter Klassenwahlen als unausführbar erwiesen. Dieses System sei zwar dem Wahlgesetz der drei Königreiche zu Grunde gelegt, doch dürfe man die Voraussetzung nicht verkennen, von der es ausgehe: Dort sei nämlich angenommen, daß je 20 000 bis 100 000 Wähler je einen Abgeordneten wählten. In Harnburg aber lägen die Verhältnisse völlig anders: Hier hätten etwa 40 000 Wähler alle Abgeordneten zu wählen - womit der Hauptgrund für eine Einführung indirekter Wahlen wegfalle, nämlich .,daß die Wählerzahl zu groß sei, um sich über einen oder einige wenige passende Abgeordnete zu verständigen". Ebenso habe sich die gleichzeitige Anwendung von Klassenwahlen als ungerecht und unzweckmäßig erwiesen. Und zwar liege das an der höchst ungleichmäßigen Verteilung der verschiedenen Einkommens- und Vermögensklassen über die Stadt: Die wohlhabenderen Schichten, d. h. also die Anwärter auf die 1. Abteilung des Klassensystems, drängten sich vornehmlich auf das 2. und 6. Bataillon des Bürgermilitärs zusammen, wo mehr als die Hälfte des städtischen Brandsteueraufkommens erhoben werde. Dagegen seien die zukünftigen Wähler der 1. Klasse in den übrigen vier Kirchspielen nur unzureichend vertreten: Im 1. Bataillon gebe es z. B. nur 200 Kandidaten für die 1. Wählerklasse, in zwei anderen Bataillonen seien es nicht viel mehr. Um diese Mißverhältnisse in etwa auszugleichen, hätten die Wahlbezirke bei Anwendung einer Klassenwahl mit indirekten Wahlen verhältnismäßig groß ausfallen und sich etwa mit den Grenzen der Bürgermilitär-Bataillone decken müssen140• Aber auch dann - so konstatierten die Neuner - stellten sich die Verhältnisse nicht besser dar. Setzte Motive, Wahlgesetz, S. 66. Hätte man die Wahlbezirke kleiner gestaltet, wäre das Verhältnis zwischen Wählern und Wahlmännern der 1. Klasse noch ungünstiger gewesen, weil die Wähler der 1. Klasse von Kompanie zu Kompanie noch ungleicher verteilt waren. 131
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man voraus, daß 160 Abgeordnete zu wählen seien, entfielen auf jeden Stadt-Wahldistrikt 14 bis 20 Abgeordnete. Diese wären bei einem System indirekter Wahlen durch Wahlmänner zu erwählen gewesen, wobei sich folgende Relationen ergeben hätten: Ging man davon aus, daß pro Wahlbezirk etwa fünfmal soviel Wahlmänner aufgestellt wie Abgeordnete gewählt werden sollten, mußte die Anzahl der Wahlmänner pro Distrikt etwa 70 bis 100 Personen umfassen, "ein Verhältniß, welches nicht nur mit dem Zweck, weshalb Wahlmänner ernannt werden, gänzlich im Widerspruch steht, sondern welches auch in Bezug auf die Art der Vornahme der Wahl [der Abgeordneten durch die Wahlmänner] ... zu den mannigfachsten Bedenken und Schwierigkeiten oder zu demselben großen Übelstande führt, welcher bei directen Wahlen in größeren Bezirken sehr wohl fühlbar wird, nämlich der Notwendigkeit einer vorherigen Entwerfung großer Wahllisten, welche dann ohne Weiteres von der einen oder anderen Seite befolgt werden, wodurch der Zweck der Ernennung von Wahlmännern gänzlich vereitelt wird". Hielt man hinzu, daß die 1. Klasse im 1. Bürgermilitär-Bataillon nur 200, in zwei weiteren Bataillonen nicht viel mehr Wähler umfassen würde, mußte man überdies zu dem Schluß gelangen, "daß die Zahl der Wähler Erster Classe ... viel zu gering im Verhältniß zu den zu ernennenden Wahlmännern sein würde". Nach alledem kamen die Neuner zu dem Ergebnis, "daß bei den Verhältnissen, wie sie bei uns gegeben sind, directe Wahlen in kleinen Wahlbezirken bei einer nicht zu großen Anzahl von Abgeordneten dem Zweck am besten entsprechen", [Hervorhebung vom Verf.] wobei das allgemeine Stimmrecht zu Grunde gelegt werden sollte. Nach dieser Grundentscheidung, die den Wünschen des Senats widersprach, hatte die Kommission wie einst auch Amsinck und seine Unterkommission ihr Hauptaugenmerk darauf gerichtet, "den Weg auszumitteln, auf welchem dem . .. bloß numerischen Übergewichte der großen Massen ein genügendes Gegengewicht gegeben werden könne". Dabei war sie im Gegensatz zu Amsinck und in Anlehnung an den Vorschlag, den Lutteroth schon im August eingebracht hatte 141 , auf ein kombiniertes Wahlsystem verfallen, nach dem 96 Abgeordnete ohne Klasseneinteilung und Zensus durch allgemeine direkte, 64 Abgeordnete aber auf dem Wege von Notabeln-Wahlen kommittiert werden sollten. Im Gegensatz zur Konstituante machte die Kommission die allgemeine Wahlberechtigung von der Vollendung des 25. Lebensjahres abhängig, statuierte aber auch den Erwerb eines künftig einheitlichen hamburgischen Staatsbürgerrechts als Voraussetzung für die Ausübung der ut Vgl. oben, S. 166.
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Wahlberechtigung142, das wesentlich vom Erwerb des Gemeindebürgerrechts gemäß einer noch zu schaffenden Gemeindeordnung bedingt sein sollte. Wieweit hierin eine Beschränkung der Wahlberechtigung zu erblicken ist, steht dahin, hat die Neune'r-Kommission doch wenigstens in der Zeit von 1849 bis 1852 den Entwurf für eine Gemeindeordnung nicht vorgelegt. So konnte nicht festgestellt werden, welche - eventuell erschwerende - Bedingungen an den Erwerb des Gemeindebürgerrechts geknüpft werden sollten143• Die Stimmabgabe bei den allgemeinen Wahlen sollte - wie schon von der Unterkommission vorgeschlagen - persönlich und offen vorgenommen werden. Ein Vergleich der von den Neunern vorgesehenen Wahlbezirkseinteilung mit dem Schema, wie es die konstituierende Versammlung entwickelt hatte, ist schlecht möglich, da die Neuner nur 96 Abgeordnete, die Konstituante aber 300 Abgeordnete aus allgemeinen direkten Wahlen hervorgehen lassen wollten. Dadurch ergibt sich nach dem NeunerEntwurf für jeden Wahlbezirk eine unvergleichlich viel geringere Anzahl von Abgeordneten. Gleichwohl hatte sich die Neuner-Kommission nach eigenem Bekenntnis bemüht, das Verhältnis von Abgeordnetenzahl und Bevölkerungsdichte jeweils ausgewogen zu gestalten. Aus Mangel an zuverlässigen statistischen Unterlagen können wir hier keine näheren Relationen wiedergeben. Festzuhalten bleibt, daß fortan 96 Abgeordnete rund 180 000 Einwohner repräsentieren sollten, was ein Verhältnis von 1:1875 ausmachte, eine doppelt so ungünstige Relation, wie sie sich nach den Vorschlägen der Unterkommission, ein dreimal so schlechtes Verhältnis, wie es sich infolge der Konstituantenverfassung ergeben hätte144• Freilich, diese Lösung war immer noch fünfzigmal besser als die derzeit in Preußen gültige. 142 Dieses Staatsbürgerrecht umfaßte Land-, Schutz- und Stadtbürger. Im Gegensatz zu den bürgerrechtlichen Bestimmungen der Konstituantenverfassung (Art. 48 in Verbindg. mit Art. 63) und des "Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust des hamburgischen Staatsbürgerrechts", das die Konstituante am 30. Aug. 49 verabschiedet hatte, bedeuteten die bürgerrechtlichen Bestimmungen der Neuner-Kommission eine Beschränkung der Wahlberechtigung: Danach war auch der Staatsangehörige (Konstituante: nur der Nicht-Staatsangehörige) darauf angewiesen, vor Ausübung des Wahlrechts Gemeindebürger zu werden. - Vgl. zu den bürgerr echtlichen Vorstellungen der Ams!nckschen Unterkommission Anm. 84 auf S. 167 oben. 143 Danach haben die Neuner eine sehr restriktive Abfassung der Bedingungen für den Erwerb des Gemeindebürgerrechts anscheinend nicht vorgesehen. Zur Gewinnung des Gemeindebürgerrechts - so heißt es im NeunerBericht, S.18 - müsse ein jeder verpflichtet sein, "welcher in der Gemeinde selbständig ein Geschäft betreiben, sich durch Lohnarbeit ernähren, Haus, Hof oder Land erwerben oder sich verheirathen will". 144 Gemäß Konstituantenverfassung (300 Abg. auf 180 000 Einwohner) hatte sich ein Verhältnis von 1:600, nach dem Entwurf der Unterkommission (198 Abg. auf 180 000 Einwohner) ein Verhältnis von 1 : 900 ergeben.
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Trotz aller Unterschiede wird man feststellen können, daß sich der Wahlgesetzentwurf der Neuner, soweit er überhaupt allgemeine, gleiche und direkte Wahlen vorsah, ziemlich eng an das Wahlgesetz der Konstituante anlehnte und mithin in dieser Hinsicht sehr liberal, fast möchte man sagen "demokratisch" ausgestaltet war145• Diese positive Feststellung muß aber sogleich wieder eingeschränkt werden: Neben der Wahl von 96 Volksrepräsentanten sah nämlich der Verfassungsentwurf der Neuner die Wahl von 64 Abgeordneten vor, von denen 24 aus den Reihen der Grundeigentümer "als solchen" 146, 40 aus den Gerichten und denjenigen Deputationen hervorgehen sollten, "welche verfassungsgemäß den Handel, die Gewerbe, das Unterrichtswesen und die wichtigeren Zweige der Verwaltung, namentlich die Finanzen vertreten". Auf diese Weise wurden die allgemeinen, gleichen und direkten Wahlen aller Staatsbürger verbunden mit bzw. entwertet von einem System direkter und indirekter Wahlen durch qualifiziert Berechtigte147• Die Folge davon war unausweichlich, daß sich die Wahlberechtigung in der Hand einer durch Grundbesitz oder Ämter qualifizierten Minderheit praktisch potenzierte 148• Während die "einfachen Staatsbürger" nur einmal von ihrer Wahlberechtigung Gebrauch machen konnten (nämlich bei den allgemeinen direkten Wahlen), sich im übrigen aber bei den Wahlen der Behörden und Gerichte, die in der Bürgerschaft vertreten sein sollten, von ihren Abgeordneten repräsentieren lassen mußten (indirekte Wahl), hatten die Grundeigentümer zweimal Gelegenheit, ihr direktes Wahlrecht zu nutzen: und zwar 1. in ihrer Eigenschaft als "einfache Staatsbürger" (bei den allgemeinen und direkten Wahlen) und us Die damals üblichen Beschränkungen des Wahlrechts waren in den Art. 49 und 50 der Konstituantenverfassung und .in den Art. 32 u. 33 des Neuner-Entwurfs analog geregelt und wurden auch in die Verfassung v. 23. Mai 1850, Art. 32 u. 33 übernommen. 141 Das ländliche Grundeigentum war dabei nicht berücksichtigt worden. Es sollte ausschließlich durch die allgemeinen Volksrepräsentanten des Landgebiets vertreten werden, deren Zahl daraufhin etwas höher bemessen wurde als es den Bevölkerungsverhältnissen entsprochen hätte. m Vgl. Art. 31 des Verfassungsentwurfs der Neuner: Die 24 Grundeigentümer "als solche" sollten a) aus den bürgerlichen Mitgliedern der Generalfeuerkassendeputation hervorgehen, die sich zwar selbst ergänzen sollte, einmal aber doch (bei ihrer Neukonstituierung nämlich nach Abschluß der Verfassungsreform) von den Grundeigentümern gewählt werden mußte; b) aus anderen Grundeigentümern, die von den bürgerlichen Mitgliedern der Generalfeuerkassendeputation (d. h. von Grundeigentümern) ernannt werden sollten. - Die 40 Gerichts- und Behördenvertreter sollten von den betreffenden Gerichten und Behörden bestellt werden, zu denen i. d. R. ebenfalls würde gewählt werden müssen, und zwar durch die neue Bürgerschaft. 148 Halten wir uns an die Berechnungen Gabes, Harnburg in der Bewegung von 1848/49, S. 8, kommen wir auf eine Zahl von 3-4000 erbgesessenen Grundeigentümern - bei 180 000 Einwohnern ca. 2 Ofo der Gesamtbevölkerung.
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2. in ihrer Eigenschaft als Grundeigentümer (bei der Wahl der Generalfeuerkassendeputation, deren bürgerliche Mitglieder ja direkt in der neuen Bürgerschaft vertreten sein sollten). Die bürgerlichen Mitglieder der Generalfeuerkassendeputation (i. e. Grundeigentümer) und die Mitglieder anderer Behörden und Gerichte kamen sogar ein drittes Mal in den Genuß einer Wahlberechtigung, nämlich wenn sie (im Falle der Generalfeuerkassendeputation) "andere Grundeigentümer" und wenn sie (im Falle der übrigen Behörden und Gerichte) ihre Vertreter für die neue Bürgerschaft "ernannten" (i. e. wählten). Wählbar war (außer in den genannten Fällen) 149 jeder hamburgische Staatsbürger, der am Tage der Wahl das 30. Lebensjahr vollendet und wenigstens drei Jahre im hamburgischen Staate gewohnt hatte. Das stellte eine Beschränkung des passiven Wahlrechts dar, wie sie schon die Unterkommission vorgesehen hatte150• Der frühe Zeitpunkt, zu dem die Neuner ihr Wahlsystem entwickelt hatten und die im einzelnen noch ausstehende, voraussichtlich aber tiefgreifende Umgestaltung der hamburgischen Justiz- und Verwaltungsverhältnisse machten es unumgänglich, in Bezug auf die Notabeln-Wahlen transitorische Verfügungen zu treffen. Denn ein großer Teil der daran beteiligten Gerichts- und Verwaltungsbehörden mußte doch erst noch geschaffen werden, ja, konnte sich überhaupt erst nach Zusammentritt der neuen Bürgerschaft konstituieren. Von daher wird es verständlich, daß die Neuner-Kommission ihren Entwurf als "Transitorisches Wahlgesetz" bezeichnete: Die erste Notabeln-Wahl für die neue Bürgerschaft sollte provisorisch die Erbgesessene Bürgerschaft vornehmen. Noch erheblicher erschien den Neunern dabei ein politischtaktisches Argument, "daß durch eine solche Zuziehung und Mitwirkung der Erbges. Bürgerschaft, bei dem wichtigen Übergangs-Verhältnisse zu einem neuen Zustande, sowohl der Übergang ... wesentlich erleichtert, ... als auch zugleich demjenigen Theile der Staatsgewalt, welcher seine politischen Rechte in der bisher gesetzmäßig gehabten Art aufgeben soll, ein billiger und zweckmäßiger Einfluß bei der näheren Art der Neugestaltung eingeräumt und dadurch das schroffe und verletzende Abbrechen aller bisherigen Verhältnisse thunlich vermieden wird". c) Bürgerschaft
In der Tat hatten dieNeuner-wie einst die Unterkommission- die Umwandlung der Erbgesessenen Bürgerschaft in eine bloß deliberierenuo Vgl. oben, Anm. 147.
Nach der Konstituantenverfassung hätte jeder 21jährige männliche Staatsbürger - Zugezogene nach einem Jahr Anwesenheit - das passive Wahlrecht gehabt. 150
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de Versammlung, sowie das Zwei-Kammer-System verworfen. Stattdessen war die künftige Bürgerschaft als Repräsentantenkörper konstruiert, der anstelle des überkommenen Zustimmungsrechts die parlamentarischen Befugnisse eines unbeschränkten Rechts auf Initiative und Beschlußfassung genießen sollte. Bei allem Bemühen der Neuner, das Verhältnis zwischen den Gewalten ausgewogen zu gestalten, ließ sich "ein gewisses Übergewicht" der Bürgerschaft nicht vermeiden - eine Feststellung, die schon Amsinck getroffen hatte151 • Gerade deshalb war es den Neunern wie früher der Unterkommission darauf angekommen, der künftigen Bürgerschaft gewisse unauffällige Fesseln anzulegen, um den als radikal und gefährlich verpönten Einfluß allgemeiner und direkter Volkswahlen zu neutralisieren. Amsincks Unterausschuß hatte diese Aufgabe mehr indirekt durch das von ihm entwickelte Wahlsystem selbst zu lösen versucht. Die Neuner versuchten es auf eine mehr direkte Weise, indem sie der eigentlichen Volksvertretung einen notablen Zusatz von 24 Grundeigentümern, sowie von 40 Vertretern der künftigen Verwaltungs- und Justizbehörden beigaben152• Durch eine derartige Organisation des Repräsentantenkörpers wurde erreicht, wie es im Kommissions-Bericht hieß, "daß mit der ... allgemeinen Vertretung noch die besondere Vertretung einzelner überwiegender Interessen des Staats und der Verwaltung verbunden und dadurch zugleich für spezielle Fachkenntnis in der Versammlung und für ein Gegengewicht gegen den ... Einfluß der unteren Classen der Bevölkerung gesorgt" war. Künftig sollten damit also in der Bürgerschaft 94 "reine" Volksvertreter 64 Stände- und Behördenvertretern im Verhältnis von 3:2 gegenüberstehen. Der politische Effekt dieser Regelung liegt auf der Hand: Bei 160 Mitgliedern bildeten die 64 Notabeln eine starke konservative Sperrminorität, die wichtige Entscheidungen der Bürgerschaft, für die in der Regel eine Zweidrittelmehrheit vorgeschrieben war, verhindern, wenigstens aber hinauszögern konnte. Die Gesamtzahl von 160 Abgeordneten ergab sich auch für die Neuner vornehmlich aus Gründen der Wahlarithmetik153, andererseits aber auch mit Rücksicht auf die Erleichterung des Wahlvorgangs und des bürgerschaftlichen Geschäftsablaufs. Im Gegensatz zum Vorschlag der Unterkommission wurde die Legislaturperiode auf vier Jahre festgesetzt, wenn auch die sukzessive Erneuerung (alle zwei Jahre) für alle 160 Abgeordneten grundsätzlich beibehalten wurde. Vgl. diese Arbeit oben, S. 169 ff. Dieser Notabeln-Zusatz sollte der Bürgerschaft zudem zu einer Verstärkung ihres Sachverstandes verhelfen. 153 Vgl. oben, Anm. 146. 151
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d) Verhältnis von Senat und Bürgerschaft Im Gegensatz zu der strikten Dreiteilung der Gewalten- wie sie die konstituierende Versammlung hatte einführen wollen und bei der die Legislative allein der Bürgerschaft zufallen sollte - übertrug die Neuner-Kommission Senat und Bürgerschaft "gemeinschaftlich" die gesetzgebende Gewalt, was bereits die Unterkommission in groben Zügen projektiert hatte154• Überdies hielten es auch die Neuner für erforderlich, die Position des Senats weiter zu stärken. Geleitet wurde die Kommission dabei von der Vorstellung, "daß Freiheit und Wohlfahrt eines Volkes am meisten gesichert sind, wenn die vollziehende und die gesetzgebende Gewalt in gleicher Berechtigung nebeneinander stehen, so daß eine die andere an Übergriffen hindert und beide im Volke ... ihren Stützpunkt suchen müssen". Es lag jedoch auf der Hand, daß das damit angestrebte verfassungsmäßige Gleichgewicht zugunsten der einen oder anderen Seite aufgegeben werden mußte, sollte die Staatsmaschinerie für den Fall eines Dissenses zwischen Senat und Bürgerschaft nicht zum Stillstand kommen. Wie wir uns erinnern, hatte die Unterkommission unter Amsincks Leitung seinerzeit eine Dissensregelung ausgearbeitet, die einerseits zwar den Senat davor schützte, von der Bürgerschaft überrollt zu werden, die andererseits aber der Bürgerschaft ein schließliebes Übergewicht einräumte 155• Offenbar hielt die Neuner-Kommission diese Regelung für angemessen und ausreichend. Sie wurde in den Neuner-Entwurffast unverändert übernommen156• Die andere zentrale Frage im Verhältnis von Senat und Bürgerschaft betraf die SenatswahL Auch hier behielten die Neuner - von geringfügigen Änderungen abgesehen - den von der Unterkommission entwickelten Modus bei157• Hervorzuheben ist allerdings, daß die Neuner jetzt ausdrücklich postulierten: "eine erledigte Stelle im Senate ist regelmäßig binnen 14 Tagen wiederzubesetzen" 158• Vgl. oben, S. 168 ff. Vgl. ebd., S. 171 f., Punkt 1) u. 2). 156 Die Dissensregelung der Neuner wies lediglich einige Präzisierungen und Verfeinerungen auf, welche Amsincks Rohentwurf noch nicht enthalten konnte. So sollte die Vermittlungskommission - vgl. oben S. 171 - zu 2/a aus bürgerschaftliehen und zu 1/ 3 aus Mitgliedern des Senats bestehen. 157 Vgl. oben S. 172. Der Wahlaufsatz der im Verhältnis 6 (bürgerschaftliehe) zu 3 (Mitglieder des Senats) gemischten Vorschlagskommission sollte nunmehr sechs Kandidaten umfassen, von denen der Senat drei ausscheiden und drei der Bürgerschaft präsentieren sollte, die wiederum einen mit absoluter Mehrheit wählen konnte. 158 Vgl. Art. 12 ihres Verfassungsentwurfs. 154
1ss
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Die Vorschläge der Unterkommission dienten den Neunern auch bei der Reorganisation des Senats als Vorbild169. Das Prinzip der Lebenslänglichkeit, die einzelnen organisatorischen Bestimmungen hinsichtlich der Abschaffung des Syndikats, der Wahl der Bürgermeister usw., die bekannten Pensions- und Rücktrittsregelungen - all' das finden wir im Entwurf der Neuner-Kommission prinzipiell wieder. Die Verantwortlichkeit des Senats für seine Amtsführung stellte die Kommission zwar fest160, behielt die nähere Regelung dieser Frage aber der Spezialgesetzgebung vor. f) Zusammenfassung
Dieser knappe Querschnitt durch den Bericht der Neunerkommission, sowie durch deren Verfassungs- und Wahlgesetzentwürfe konnte natürlich nur einen matten Abglanz ihres für die Hamburger Verhältnisse noch immer modernen, ja sogar fortschrittlichen Werks vermitteln. Für unsere Zwecke aber mag das genügen, gelangen wir doch zu den folgenden Erkenntnissen: Was die Ausgestaltung des allgemeinen Wahlrechts anbetrifft, waren die Neuner über die Vorschläge der Amsinckschen Unterkommission hinaus praktisch wieder zum Wahlsystem der Konstituante zurückgekehrt161. Das Prinzip der Gewaltenteilung behielt die Kommission mit Einschränkungen bei. Damit wurde der Senat seiner Natur als mittelalterlicher Magistrat entkleidet. Die Bürgerschaft sollte auch nach dem Willen der Neuner nicht nur beraten und kontrollieren, sondern auch initiieren und sanktionieren. Zugleich damit erhielt sie - von gewissen Begrenzungen abgesehen - den Kompetenzenkatalog eines "ordentlichen Parlaments" zugesprochen. Ihr Einfluß auf die Administration wurde durch die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Senats indirekt und dadurch direkt gesichert, daß die Bürgerschaft - wie schon in der Verfassung vom 11. Juli 1849 vorgesehen- die Verwaltungsdeputationen wählen sollte. Bei allen Anklängen an das Verfassungswerk der Konstituante ergeben sich aber auch schwerwiegende Unterschiede. Zunächst einmal hatten es die Neuner vermieden, ihren Verfassungsentwurf programVgl. oben, S. 173 ff. Diese erstreckte sich - analog zur Konstituantenverfassung - auch im Neuner-Entwurfs und Anm. 91 auf S. 170 dieser Arbeit. 161 Diese Aussage läßt sich zunächst einmal halten, auch wenn man berücksichtigt, daß die Neuner statt der geheimen die offene Stimmabgabe einführten, das Wahlalter auf 25 Jahre heraufsetzten und die bürgerrechtlichen Bedingungen für den Erwerb der Wahlberechtigung etwas restriktiver faßten. ut
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matisch zu fundieren und damit auf die eindeutige Legitimationsbasis der "Volkssouveränität" zu stellen, wie sie die Konstituante postuliert hatte182 • Unter dieser Voraussetzung brauchte die Bürgerschaft nicht mehr als unbedingt gleichmäßige Repräsentanz des allgemeinen Volkswillens realisiert zu werden. Sie konnte jetzt auch die "entscheidenden Interessen des Staats" gesondert umfassen, was die Neuner mit Hilfe des Notabelnzusatzes zu verwirklichen suchten und was faktisch auf eine Bedeutungsminderung der allgemeinen Wahlberechtigung hinauslief. Unter der erwähnten Voraussetzung konnte außerdem der Grundsatz der Unterordnung des Senats unter die Bürgerschaft -in der Konstituantenverfassung eine klare Folge der volkssouveränen Anschauungsweise - gegen das Prinzip der Gleichberechtigung eingetauscht werden, was zu einer entschiedenen Aufwertung der Rolle führte, die der Senat fortan spielen sollte. Kehrte die Neuner-Kommission daher auch zu Lebenslänglichkeit und Unabsetzbarkeit des Senats zurück und räumte sie ihm bei der Senatswahl ein nicht unerhebliches Mitwirkungs-, bei der Regelung von Dissensen ein starkes suspensives Vetorecht ein, hatte sie sich doch gehütet, ins andere Extrem zu verfallen und die von der Konstituante vorgesehene starke Stellung der Wahlbürgerschaft wieder gänzlich aufzuheben: Eine Prärogerative der Bürgerschaft wurde sowohl in Bezug auf die Senatswahl, als auch im Dissensfall beibehalten. Nach allem- besonders aber im Vorgriff auf die Modifikationen, die sich die Neuner-Entwürfe späterhin gefallen lassen mußten 163 - wird man das Werk der Neuner-Kommission, wie es am 3. November 1849 vorlag, als "mittleren" Reformversuch kennzeichnen dürfen: Es stand einerseits in einer gewissen Kontinuität zu der Verfassung der konstituierenden Versammlung, ohne andererseits die althamburgischen Traditionen ganz zu verleugnen. Es sorgte einerseits für die Ausdehnung der politischen Berechtigung auf einen weit größeren Teil der Bevölkerung, ohne andererseits die vom Senat immer wieder betonten Erfordernisse der Stabilität und inneren Ordnung zu vernachlässigen. Zwar enthielten die Neuner-Entwürfe bereits den Ansatz, von dem aus später eine weitergehende konservative Moderierung ihres Werkes ausgehen konnte. Immerhin aber konstatierte die Kommission noch am 3. November 1849 wenigstens eine "moralische Verpflichtung" der bestehenden Gewalten, "das Werk der constituirenden Versammlung so weit unverändert anzunehmen, wie es nach der Überzeugung der Träger der Staatsgewalt mit den unabweislichen Rücksichten des Staatswohls vereinbar ist". 111 Vgl. dazu grundsätzlich: die Zusammenfassung am Schluß unserer Arbeit, S. 267 ff. 1es Vgl. unten, S. 212 ff.
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Noch aber - und das mußte für den Fortgang der hamburgischen Verfassungsfrage von entscheidender Bedeutung werden - waren die alten Gewalten in Kraft. Senat, Bürgerschaft und bürgerliche Kollegien sollten über ein Kompromißwerk befinden, dem sie, wenn nicht gar ihre Beseitigung, so doch tiefgreifende Wandlungen ihrer verfassungsmäßigen Stellung verdanken würden. Unter diesen Umständen wird die fast prophetische Mahnung der Neuner verständlich, "nur durch beiderseitiges Nachgeben ist die Aussöhnung zu erreichen. Es werden von der einen wie von der anderen der bisher sich schroff gegenüber stehenden Parteien Ansichten aufgegeben und Concessionen gemacht werden müssen, um eine Einigung herbeizuführen". Die Kommission stand denn auch nicht an, den Senat zu ersuchen, er möge eine "verfassungsmäßige Beschlußfassung" darüber veranlassen, 1. daß der von den Neuner ausgearbeitete Entwurf einer Harnburgischen Staatsverfassung zum Grundgesetz des Harnburgischen Staates erhoben werde, "und zwar dergestalt, daß dieselbe nicht anders abgeändert werden dürfe, als auf dem in diesem Grundgesetze selbst bestimmten Wege". Für den Fall einer Annahme dieses Antrags empfahl sie weiter, 2. das von ihr ausgearbeitete "Transitorische Wahlgesetz" als Grundlage für die Wahl der neuen Bürgerschaft anzunehmen und selbst mit der Ausarbeitung der erforderlichen transitorischen Gesetze und Bestimmungen beauftragt zu werden, mit der Auflage, innerhalb 4 Wochen zu berichten. -Hingegen sollten die organischen Gesetze der künftigen Gesetzgebung überlassen bleiben. V. Das Zweckbündnis zwischen den Extremen "rechts" und "links" und das Scheitern der "mittleren" Lösung am 17. Januar 1850 1. Die Stellung des Senats zu den Entwürfen der Nenner-Kommission vom 3. November 1849
Nach Maßgabe dieses Antrags war zunächst der Senat an der Reihe, gegenüber dem Bericht und den Entwürfen der Neuner-Kommission Stellung zu beziehen. Seine Verfassungskommission unterwarf deshalb das Werk der Neuner einer vorbereitenden Beratung. Am 14. November konnte Senator Binder dem Plenum Bericht abstatten164• Nach Ansicht der Verfassungskommission hatten die Neuner ihren Auftrag glänzend erfüllt, "aber auch nicht überschritten". Zwar seien die Neuner nicht ausdrücklich beauftragt worden, einen eigenständigen Verfassungsentwurf auszuarbeiten, doch habe das Publikum und der Senat dergleichen für den Fall erwartet, daß die Verhandlungen mit der Konstituante scheiterten. t64
Senat/innen 3 (15) bis (19).
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Und eben das sei eingetreten. Praktisch empfehle die Neuner-Kernmission nun eine Oktroyierung ihres Verfassungsentwurfs- wenn sich auch Binder gegen die Verwendung dieses Ausdrucks verwahrte: "Denn strenge genommen ist er hier nicht anwendbar ... Der Erbges. Bürgerschaft gegenüber könnte der Senat octroyiren. Der Constituante gegenüber macht er ... nur Gebrauch von der ihm zustehenden obrigkeitlichen Macht. Für dieses Verfahren gibt es keinen besonderen Ausdruck. Durch den des Octroyirens will man nur bezeichnen, daß der Senat nach dem im September und December 1848 von Ihm gegebenen Worte, kein Recht dazu habe." Noch immer weigerten sich also gewisse Mitglieder des Senats anzuerkennen, daß der Senat mit seinem Antrag an Erbgesessene Bürgerschaft vom 27. September 1849 den Boden des Rechts verlassen hatte, der durch den Rat- und Bürgerschluß vom 7. September, sowie durch sein eigenes Versprechen vom 20. Dezember 1848 hinreichend deutlich abgesteckt war. Daß große Teile der Bevölkerung anders dachten, daß diese Tatsache dem Senat bekannt war, das machen die umständlichen, fast ängstlichen Überlegungen deutlich, die Binder im Hinblick auf die fernere Behandlung der Verfassungssache anstellte. Alte Projekte, wie ein Appell an den Verwaltungsrat oder die Einschaltung des Bundesschiedsgerichts, kamen wieder zum Vorschein, wurden aber aus den bekannten Gründen verworfen. Wie man sich auch drehte und wendete - es blieb nur die Oktroyierung. Unter dem Motto "Salus rei publicae suprema Iex" konstruierte Binder- wie übrigens vor ihm schon die Neuner-Kommission185 -die offenbar beliebte, weil scheinbar exkulpierende Unterscheidung "zwischen dem Versprechen eines Privatmannes ... und dem einer Regierung oder eines Staatsmannes". Der erste müsse sich unbedingt an das von ihm einmal gegebene Wort halten, der andere dürfe es brechen, wenn es das Staatswohl erfordere. Zudem müsse bedacht werden, daß "unser Regiment ... bis zum Einrücken der Königlich Preußischen Truppen ein durchaus unfreies" gewesen sei. Entscheidend sei daher "das factum, daß die Staatsbehörden sich durch solche Umstände zu staatsverderblichen Conzessionen verleiten ließen". Noch heute sei der politische Zustand der Stadt "ein unnatürlich gespannter. Man würde dies noch deutlicher gewahr werden ... , wenn die fremde Hilfe sich auch nur auf 24 Std. entfernte. Ein so liberaler Vorschlag wie der von der Commission ausgegangene wird aber der gegen die Regierung herrschenden Erbitterung die Spitze abbrechen." 165
Vgl. Neuner-Bericht v. 3. Nov. 49.
13 Bavendamm
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Zwar trage er, Binder, selbst Bedenken gegen einzelne Bestimmungen, besonders gegen den vorgeschlagenen Wahlmodus von Senat und Bürgerschaft, doch seien diese Regelungen nicht eigentlich staatsgefährdend. Vielleicht, so stellte Binder fest, sei die Neuner-Kommission "etwas zu partheiisch für die democratische Parthei verfahren. Allein, wir haben darüber kein ganz unbefangenes Urtheil ..." Dieses müsse schließlich der Öffentlichkeit vorbehalten bleiben. Im übrigen sei die grundlegende Ansicht der Neuner-Kommission, nach der die künftige Verfassung ein Werk der Versöhnung sein müsse, "in politischer und sittlicher und in jeder denkbaren Beziehung vollkommen richtig". Es sei daher am zweckmäßigsten, die Annahme der Neuner-Entwürfe so sehr wie möglich zu beschleunigen und nicht erst durch langwierige Detaildiskussionen zu verzögern. Binder: "Selbst die ehrlich gesinnten Demokraten werden sich hoffentlich dabei beruhigen. An Reaction kann niemand dabei denken. Das ganze wird calmirend auf die große Masse einwirken." Eine Beschleunigung der Verfassungsangelegenheit sei außerdem noch aus zwei speziellen Gründen geboten: "Jetzt haben wir noch einen Schutz in der fremden Hülfe ..." Außerdem scheine es, "daß am politischen Horizont ... wieder Gewitter aufziehen." Sowohl für den Fall, daß die preußischen Truppen abzögen, als auch für den Fall, daß sich diese Gewitter entlüden, wäre es gut, wenn in Harnburg bereits "eine definitive Ordnung eingeführt oder mindestens in der Ausführung begriffen ist". Daß die Beurteilung der Lage, die Binder abgab, durchaus mit den Empfehlungen übereinstimmte, die Banks unter außenpolitischem Blickwinkel abgegeben hatte, erhellt aus einem Brief des Syndikus vom 9. November, in dem es hieß: "Die Zustände in Holstein, die Zustände in Deutschland mahnen uns, unsere Hamburger Angelegenheiten so schnell und so befriedigend als möglich zu erledigen. Ich rathe dringend, den Vorschlag der Commission anzunehmen wie er ist und mit aller Energie durchzuführen1oe." FürBanksund Binder stand offenbar fest, daß sich mit dem NeunerEntwurf die wichtigsten Ziele der Verfassungsreform erreichen ließen: Versöhnung der innenpolitischen Gegensätze auf relativ liberaler Basis, Vermeidung einerneuen Intervention von außen. Und sie waren überzeugt, daß die unsichere Großwetterlage, aber auch die für das Hamburger Kleinklima wichtige preußische Präsenz schnelle Entschlüsse erforderten. Der Senat vermochte sich der Überzeugungskraft dieser 160
Brief Banks' an Merck v. 9. Nov. 49, Senat/außen 17 d.
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Argumente nicht zu entziehen und beschloß noch am gleichen Tag187, "den Verfassungs-Entwurf [der Neuner] nebst dem von der Commission empfohlenen Wahlgesetze, ohne in die Prüfung im Einzelnen einzugehen ... an Collegia und E[rbg.] B[gsch.] zur Mitgenehmigung zu bringen und eventuell demnächst einzuführen; übrigens die Rat- und Bürger-Commission unter dankbar~r Annahme des Anerbietens derselben zur Abfassung der transitorische·n. Bestimmungen" zu ermächtigen. Diese Ermächtigung schloß den Entwurf organischer Gesetze durch die Neuner ein168• Am 24. Dezember reichten die Neuner noch einige Zusätze nach, die gewisse Lücken ausfüllen, sowie einige geringfügige Mißverständnisse, zu denen ihre Entwürfe Anlaß gegeben hatten, beseitigen sollten 16v. Auch dieser Nachtrag wurde vom Senat anstandslos gebilligt17o, 2. Die Verbandlungen zwisthen Senat und bürgerlieben Kollegien um Annahme der Neuner-Entwürfe
Als nächstes mußten die Entwürfe der Neuner-Kommissionauf ihrem Wege an Erbgesessene Bürgerschaft die bürgerlichen Kollegien passieren, deren vorgängige Mitgenehmigung nach dem noch immer gültigen Reglement der Rat- und Bürgerkonvente von 1712 bindend vorgeschrieben war 171 • Die prinzipiell ablehnende Haltung, die das Kollegium der Oberalten gegenüber den Entwürfen der Neuner-Kommission einnahm und die in den folgenden Monaten zu langwierigen Verhandlungen mit dem Senat führen sollte, hatte sich bereits im September angekündigt. Am 14. September hatte der Senat Ehrbare Oberalten davon informiert, daß er bei Erbgesessener Bürgerschaft die Einsetzung einer Ratund Bürgerkommission beantragen wolle. Dieser Mitteilung fügte er sein Sieben-Punkte-Programm an, das die Richtung bezeichnete, in der der Senat eine Abänderung der Konstituantenverfassung wünschte172• Die Oberalten akzeptierten zwar durch Beschluß vom 17. September 1849173 die Absicht des Senats, die Verfassungsfrage an Erbgesessene Bürgerschaft zu bringen und dort die Einsetzung einer Rat- und Bürgerkommission zu beantragen, setzten aber hinzu: 167 Senat/innen 3 (20). 168 Senatsbeschluß v. 21. November 49, Senat/innen 3 (23). 169 "Nachtrag zu dem am 3. November 1849 übergebenen Bericht der durch den Rath- und Bürgerschluß vom 27. September 1849 in Betreff der Verfassungsangelegenheit eingesetzten Commission", Senatfinnen 4 d (1). - Die Nachträge waren politisch bedeutungslos. 170 Senatsbeschluß v. 27. Dez. 49, Senat/innen 3 (37). 171 Westphalen, Verfassung und Verwaltung, Band II, S. 228 ff. m Senat/innen 1 (58). - Vgl. auch das 2. Kap. dieser Arbeit, S. 129 und Anm. 294/95 ebd. 11a Senatfinnen 1 (60). 13.
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"Die vorgelegten Grundzüge betreffend können E. Oberalten sich nur für Reformen unter Beibehaltung der bisherigen Grundprinzipien unserer Verfassung [von 1710/12] aussprechen." Diese Sätze bedeuteten eine klare Kampfansage an das Senatsprogramm, zielte dieses doch nur darauf ab, das Verfassungswerk der Konstituante zu modifizieren, nicht aber darauf, die Hauptgrundgesetze der Jahre 1710/12 zu reformieren. Es war wirklich unschwer zu erkennen, daß der Sieben-Punkte-Katalog des Senats dabei von den wesentlichen Grundprinzipien der alten Verfassung abstrahierte. Dem sich abzeichnenden Dissens mit dem Kollegium der Oberalten versuchte der Senat zunächst dadurch auszuweichen, daß er am 18. September behauptete174, die von ihm aufgestellten sieben VerfassungsGrundsätze seien "nicht Gegenstand der Proposition" an Erbgesessene Bürgerschaft, denn er dürfe den Arbeiten der projektierten NeunerKommission ja gar nicht vorgreifen. Gleichwohl beweisen Ausführlichkeit und Offenheit, mit denen er in seiner Mitteilung an Ehrbare Oberalten auf deren Mahnung einging, daß der Senat den sich abzeichnenden Konflikt zumindest ahnte, mochte er jetzt auch noch annehmen, ihn durch die Überzeugungskraft seiner Argumente verhindern zu können. Er erkenne, so hieß es in der Mitteilung an Ehrbare Oberalten, "völlig das viele Gute" der alten Verfassung an, doch würde diese "den Ansichten der Jetztzeit" nicht mehr entsprechen, vergleiche man sie mit der Frankfurter Reichsverfassung oder auch nur mit dem Verfassungsentwurf des Dreikönigsbündnisses. Die völlige Trennung der Justiz von der Verwaltung müsse eingeführt, die völlige Gleichberechtigung von Rat und Bürgerschaft bei der Gesetzgebung müsse zugunsten der Bürgerschaft aufgegeben werden das sei selbst in konstitutionell-monarchischen Staaten der Fall. Lebenslänglichkeit und Selbstergänzung der bürgerlichen Kollegien seien ebensowenig haltbar wie das persönliche Stimmrecht der Grundeigentümer. Die Fronten drohten sich also zu verkehren: Nach der Opposition, die die Konstituante gegen die Verfassungspolitik des Senats geleistet hatte, galt es jetzt, den Widerstand der Oberalten niederzuringen. Und wieder berief sich der Senat auf das unabweisbare Faktum der gemeindeutschen Verfassungsentwicklung, indem er feststellte: "Eine gewählte Repräsentation ist unvermeidlich, schon weil es das in fast allen anderen deutschen Staaten auch schon gibt." Bekenne man sich zu der Notwendigkeit, diese Reformen vorzunehmen, fielen die Fundamente der alten Verfassung von selbst zusammen. Wolle man sich auch bemühen, das Alte nach Möglichkeit zu retten, müsse man sich doch stets das politische Ziel vor Augen halten, Einig174
Ebd., (61) u. (62).
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keit zwischen den verschiedenen Lagern der Stadt herbeizuführen. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, "wenn man die Verfassung der constituierenden Versammlung wesentlich berücksichtigt". In diesem Sinne erwartete der Senat, daß Ehrbare Oberalten ihren Beschluß vom 17. September zurücknehmen würden. Die Antwort der Oberalten erfolgte prompt noch am 18. September175• Das Kollegium erklärte, es bestehe auf seinem Schlußantrag vom 17. September, und wies noch einmal darauf hin, "daß Ihnen neben einer bedeutend erweiterten Bürgerschaft dem lebenslänglichen Senat gegenüber schon aus dem vom E. E. Rath selbst angeführten Gründen ein permanentes bürgerliches Kollegium unumgänglich erforderlich erscheine". Damit war deutlich, daß die Mitteilung des Senats vom 18. September vorerst ihre Wirkung verfehlt hatte. Ja, die Fronten versteiften sich, als der Senat seine Anträge an Erbgesessene Bürgerschaft am 19. September veröffentlichte, ohne auch nur mit einem Wort auf die Meinungsverschiedenheit mit Ehrbaren Oberalten hinzuweisen. In seinem Conclusum vom 21. September 1849178 versäumte das Kollegium denn auch nicht, "auf eine derfallsige Rectiftcirung [der Anträge] zu dringen". Wenn man sich erinnert, wie schwer dem Senat die Formulierung seiner Anträge in der Verfassungssache gefallen war, wie sehr er an der positiven Wirkung dieser Anträge bis zuletzt gezweifelt hatte, kann man ermessen, wie ungelegen ihm der Disput mit den Oberalten gekommen sein muß. Neben dem Widerstand von links - vonseiten der Konstituante also - war fortan auch von rechts - vonseiten altkonservativer Kreise - Opposition gegen die mittlere Reformlinie des Senats zu erwarten. Schon bereiteten Kirchenpauer und Amsinck eine Formel vor177, die auf den Dissens zwischen Senat und Oberalten Bezug nehmen und dem Antrag an Erbgesessene Bürgerschaft beigefügt werden sollte. Au~ten scheinlich beabsichtigte man, die abweichenden Ansichten der Oberalten zu veröffentlichen, um der Gefahr zu entgehen, einmal mit ihnen identifiziert zu werden17B. Da zeichnete sich hinter den Kulissen eine vorläufige Wende ab. Bevor sicll das Kollegium am 22. September um Ebd., (63). Ebd., (69). 177 Brief Amslncks an Kirchenpauer v. 22. Sept. 49, Brief Kirchenpauers an Amsinck v. 22. Sept. 49, Senat/Innen 2 (42) u. (43). m
178
ns Da?:u riet z. B.
Am~inN.
inc'!Pm pr hPmprktP: .. Sn.,st C'nmpromittirt sich
der Senat ganz ersichtlich wegen der Thorheiten der Oberalten". - Fundort: vgl. die vorige Anm.
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14.00 Uhr versammelte, suchte der Oberalte Gläser den Senator Kirchenpauer auf, "um sich nach dem Stand der Sache zu erkundigen". Kirchenpauer bändigte ihm eine vorläufige Fassung des fraglichen Nachtrags aus, mit dem Bemerken, es handele sich um einen unmaßgeblichen, nicht autorisierten Entwurf. Gläser erklärte - wie Kirchenpauer schreibt "er wollte [auf der Oberaltensitzung] übrigens noch einmal zur Sprache bringen, ob nicht Oberalte besser thun, ganz von ihrem Wunsch zu abstrahiren, wozu ich sehr gerathen habe". Die Bemühungen des Oberalten Gläser hatten Erfolg. Noch am Abend des 22. September konnte er Kirchenpauer berichten179 : "Aus anliegendem Conclusum Efhrbarer] O[beralten] werden Sie ersehen, daß der [die!] Differenz in Betreff der Verfassungsfrage völlig erledigt ist." Diese Meinung Gläsers war freilich übertrieben optimistisch. Schon aus dem Wortlaut des Conclusum Ehrbarer Oberalten vom 22. Septembertso geht hen·or, daß die Auseinandersetzung mit dem Senat - trotz der scheinbar hochherzigen Erklärung, mit der das Kollegium seinen Beschluß eideitete - keineswegs beseitigt, sondern nur aufgeschoben war: "Nach nochmaliger Erwägung zeigen E. Oberalte E. E. Rath an, daß sie sich bereit erklären, dem allgemeinen Wohl das Opfer zu bringen, ihrem gestrigen Concluso, die Veröffentlichung Ihrer abweichenden Ansicht über die von E. E. Rath mitgeteilten Grundzüge der künftigen Verfassung betreffend, nicht ferner zu inhäriren; wogegen Sie sich eine nähere Auseinandersetzung Ihrer [gegenüber] E. E. Rath geäußerten Bedenken vorbehalten." Immerhin konnten so die Anträge des Senats, wenigstens vor den Augen der Öffentlichkeit von einer Kontroverse mit den Oberalten unbelastet und im Einklang mit dem Kollegium der Sechziger181 , an Erbgesessene Bürgerschaft gelangen. Wie kaum anders zu erwarten, lebte die Auseinandersetzung zwischen Oberalten und Senat in voller Schärfe wieder auf, als der Senat seinem Beschluß vom 14. November zufolge182 das Kollegium um Mitgenehmigung der Neuner-Entwürfe, sowie um Mitgenehmigung der von der Kommission vorgeschlagenen Vorgehensweise in der Verfassungsfrage ersuchte183• In seiner Mitteilung an Ehrbare Oberalte vom 23. Novem179 Persönliches Billet des Oberalten Gläser o. D., Senatfinnen 2 (45). Vgl. auch Brief Kirchenpauers an Amsinck v. 24. Sept. 49, ebd. 110 Senat/Innen 1 (70). 181 Der Senat hatte dem Kollegium der Sechziger bereits am 18. September von der Kontroverse mit den Oberalten berichtet, trotzdem aber um Mitgenehmigung seiner Anträge gebeten. - Senat/innen 1 (64). - Dieser Bitte entsprach das Kollegium der Sechziger am 19. September, Senatfinnen 1 (67). 1n Senat/innen 3 (20). tea Vgl. diese Arbeit oben, S. 192.
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ber184 stellte sich der Senat voll und ganz hinter die Vorschläge der Neuner-Kommission. Deren Position sei ein Standpunkt "der VermitteJung und, soweit erreichbar. der Ausstleichunl!" der verschiedenen Ansichten, und der Senat kann Seinerseits nicht umhin. diesen Standpunkt als den ... [gegenwärtig] allein richti11:en anzuerkennen". Zwar sei er nicht ganz von dem Modus befriedigt, den die Kommission hinsichtlich der Bürgerschafts- und Senatswahlen entwickelt hätte, doch sei dem Senatsprogramm vom 27. September im allgemeinen Genüge getan. Der Senat glaube daher, von der Erhebung einzelner Bedenken absehen zu können. Vielmehr wolle er bei Erb~tesessener Bürgerschaft die unveränderte Annahme der Neuner-Entwürfe beantra~ten. Zugleich werde er sich bei der Bürgerschaft dafür verwenden. daß die Rat- und Bürgerkommission mit dem Entwurf von Übergangsbestimmungen und organischen Gesetzen betraut werde, "deren Regulirun~t und verfassunJ'smäßilte Feststellunl! ... der Verkündigunl!! der neuen Verfassung als den zur wirklichen Einführung derselben nöthigen Schritten vorangehen muß ..." Der Senat bat Ehrbare Oberalte um vorgängige Mitgenehmigung dieser Anträge. Die Antwort des Kollegiums vom 30. November 1849 machte das volle Ausmaß der Kontroverse zwischen Oberalten und Senat deutlich. Das Kollegium bestritt der Neuner-Kommission nicht nur die BefuP.:nis, einen eigenen Verfassun~tsentwurf auszuarbeiten, sondern sprach sich darüberhinaus auch gegen das von den Neunern zunächst verfolgte Prinzip einer Vereinbarung mit der konstituierenden Versammlung aus. Der Verfassungsentwurf der Neuner - so hieß es weiter - sei ein "Rückschritt", denn er schmälere die "bürgerliche Freiheit", ja, er bringe die Erbgesessenen um "das ihnen nach uralter germanischer Rechtsnorm zustehende persönliche Stimmrecht". Folglich fand auch das "Grundprinzip" keine Gnade, von dem Senat und Neuner bei der von ihnen intendierten Verfassungsreform ausgegangen waren. Denn Harnburg verdanke seine Blüte "seiner rein organischen Entwicklung [Hervorhebung v. Verf.] von Innen heraus", so daß das Kollel!"ium "schon an und für sich eine von Grund aus neue, wenn auch theoretisch noch so trefflich construirte Verfassung keineswegs als wünschenswerth" betrachten könne. Diesern organischen Entwicklungsbegriff zufolge forderten die Oberalten denn auch erneut "Reformen unter Beibehaltung der bisherigen Grundprinzipien"tec Senat/innen 3 (32). - Entwurf: Binder - Soweit keine anderen Quellen angegeben, stützen wir uns im folgenden auf dieses Dokument.
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als da waren: Kyrion, Erbgesessene Bürgerschaft, bürgerliche Kollegien, lebenslänglicher Senat. Unter dieser Voraussetzung entwickelte das Kollegium eigene Vorschläge185, die die Reformfrage freilich von der entgegengesetzten Seite her in Angriff nahmen: Nicht "entschärfende Modifikation der Konstituantenverfassung", sondern "zeitgemäße Weiterentwicklung der Hauptgrundgesetze von 1710/12", hieß die Devise. Unter Beibehaltung des persönlichen Stimmrechts sollte die Erbgesessene Bürgerschaft fortan bedeutend mehr Personalisten und alle Bürger der Stadt, der Vorstädte und des Landgebiets umfassen, die zu einer direkten Steuer veranschlagt wurden. Die Einführung eines Zensus' war mithin vorgesehen. Was den Senat anbetraf, muteten die Anregungen der Oberalten etwas fortschrittlicher an: Zwar sollte der künftige Senat den Wahlaufsatz allein aufmachen dürfen, doch sollte er von der Bürgerschaft gewählt werden. Bei völliger Trennung der Justiz von der Verwaltung schlugen die Oberalten eine Verringerung der Mitgliederzahl, eine Aufhebung des Syndikats, sowie eine lebenslange Bürgermeisterwürde vor. Die Amtszeit der übrigen Senatoren sollte mit der Vollendung des 70. Lebensjahres enden, worauf eine Pensionierung erfolgen könne. Als Kontrollinstanzen sollten zwischen Senat und Bürgerschaft nach Vorstellung der Oberalten "lebenslängliche Mandatarien Erbgesessener Bürgerschaft" stehen, deren Amtsdauer und Pensionierung analog den Bestimmungen über den Senat zu regeln seien1s8 • Es liegt auf der Hand, daß sich das konservative Reformprogramm der Oberalten hart im Raume stoßen mußte mit den immer noch fortschrittlichen Neuerungsbestrebungen des Senats. Trotzdem ist dessen Bemühen nicht zu verkennen, über das Trennende hinweg das Gemeinsame festzustellen und auf diese Weise eine Verständigung anzustreben. Sein Conclusum vom 3. Dezember187 brachte denn auch zum Ausdruck, daß sich die Vorstellungen der Oberalten über den künftigen Senat gar nicht so sehr von seinen eigenen Ansichten unterschieden - wenn er auch davon abgesehen habe, gegen die betreffenden Bestimmungen des Neuner-EntwurfsBedenken anzumelden. t8s Konkretisiert und detailliert wurden die Vorschläge der Oberalten durch deren Besrhlüsse v. 23. und 25. Jan. 50, vgl. diese Arbeit unten, S. 213 und Anm. 14 ebd. tee Dieses Gremium sollte in etwa die Befugnisse erhalten, wie sie die Konstituantenverfassung und der Neuner-Entwurf dem "Bürgerausschuß" zusprachen. Die übrigen Monita betrafen die geplante Abschaffung des Rekursverfahrens, das Konstituante und Neuner durch die persönliche Verantwortlichkeit des Senats ersetzen wollten, sowie die beabsichtigte "Beseitigung der bisherigen rein bürgerlichen Finanzverwaltung". t87 Entwurf: Kirchenpauer.
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Deutlich wandte sich der Senat indessen gegen die von den Oberalten angeregte Erweiterung der Bürgerschaft unter Beibehaltung des persönlichen Stimmrechts. Dieser Vorschlag sei schon deshalb unausführbar, weil auf diese Weise eine schwerfällige Massenversammlung entstehen würde, die jede Gesetzgebungsarbeit unmöglich machen müßte. Man werde schon an dem auch sonst in Europa üblichen Repräsentativsystem festhalten "und sich damit begnügen müssen, die unleugbaren Mängel durch anderweitige Einrichtungen und Modificationen auszugleichen". Natürlich seien auch die Vorschläge der Neuner nicht vollkommen, doch würde auch jedes andere System Bedenken erregen, weshalb der Senat darauf verzichtet habe, ein eigenes zu entwickeln. Überhaupt hänge wohl die Beurteilung des Vorwurfs, das Repräsentativsystem beschneide die "bürgerliche Freiheit", davon ab, was man unter dieser Freiheit verstehe. Gewiß müßten die Erbgesessenen folge man den Entwürfen der Neuner - eine Minderung ihrer Rechte gewärtigen, doch könne man nicht verkennen, "daß die Zahl dieser nach der gegenwärtigen Verfassung politisch Berechtigten gegenüber der großen Masse der übrigen Staatsangehörigen, welche bisher aller politischen Berechtigung entbehrten, so unverhältnismäßig klein ist, daß man in dieser Beziehung dem Verfassungs-Entwurf der Commission schwerlich den Vorwurf wird machen können, weniger liberal zu sein als die gegenwärtige Verfassung". Zudem werde ja die Bürgerschaft dem Senat gegenüber künftig bedeutend an Gewicht gewinnen. Die Kontrolle, die durch das persönliche Antragsrecht eines jeden Abgeordneten, durch die Einrichtung von Ausschüssen und durch die Macht einer freien Presse ausgeübt werden könne, machten "die Controle [sie] entbehrlich ... , welche Ehrb[are] Oberalte als das wichtigste Attribut der lebenslänglichen Collegien bezeichnen". Nach alledem könne der Senat die Befürchtungen der Oberalten nicht teilen, durch Annahme der Neuner-Entwürfe würden "Recht und Freiheit" in Gefahr geraten. Es liege wohl in der Natur der Sache, daß ein Konsensus über die einzelnen Verfassungsbestimmungen schwerlich anders möglich sei, als durch "das Aufgeben einzelner Ansichten ..., wenn überhaupt eine Verfassungsänderung auf eine im Allgemeinen befriedigende Weise erfüllt werden soll". Der Senat habe sich jedenfalls von der Richtigkeit der Ansichten Ehrbarer Oberalten nicht überzeugen können und werde "deswegen keinen Abstand nehmen, von dem in seinem Antrage vom 23. November bezeichneten Standpunkte aus diese Annahme [der Neuner-Entwürfe] auch bei weiteren Collegien und Erbges. Bürgerschaft zu beantragen".
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Der Versuch einer liberal-konservativen Verfassungsreform
In der Tat erfolgte ein entsprechender Antrag des Senats an die Sechziger bereits zwei Tage später, nämlich am 5. Dezember188• Doch setzte das Kollegium seine Beschlüsse aus, indem es den Senat ersuchte, die Verhandlungen mit Ehrbaren Oberalten alsbald allen Mitgliedern des Sechziger Kollegiums gedruckt mitzuteilen189 - ein Ersuchen, dem der Senat stattgab190• Aber noch bevor sich auch die Oberalten dafür erklären konnten19t, erschien im "Patrioten" vom 12. Dezember ein Artikel, der sich nicht nur darauf beschränkte, die Entwicklung der Meinungsverschiedenheit zwischen Senat und Oberalten wiederzugeben, sondern der deren Reformvorschläge einer strengen Kritik unterzog192• Zweifellos wandten sich Ehrbare Oberalten an die richtige Adresse, als sie dem Senat ihr "Befremden" über den Zeitungsartikel aussprachen193• Denn sicher handelte es sich hierbei um eine gezielte Indiskretion des Senats, der allein von den Plänen der Oberalten Kenntnis hatte. Allerdings erhebt sich die Frage, worin der Senat ein Motiv für diese Indiskretion erblickt haben mag. Daß der Artikel im "Patrioten" kein Versehen darstellte, daß er vielmehr - nun auch für die Öffentlichkeit sichtbar - Ausdruck einer härteren, wenn man so will, feindlicheren Position war, die der Senat fortan gegenüber der starren Haltung der Oberalten einzunehmen gedachte, erhellt wenigstens indirekt aus einem Brief, den Binder eine Woche vorher an Kirchenpauer geschrieben hatte194• Dieser Brief ist vom 4. Dezember 1849 datiert. Tags zuvor hatte der Senat dem Kollegium der Oberalten angekündigt, daß er die Anträge und Entwürfe der NeunerKommission bei den anderen bürgerlichen Kollegien und bei der Erbgesessenen Bürgerschaft einbringen wolle, ohne weiter Rücksicht auf den Widerstand der Oberalten zu nehmen. In seinem Brief zweifelte Binder noch, "ob die Sache morgen auch schon an 60er gelangen kann, wofür ich den
Antrag bereit habe".
Und er setzte hinzu:
Das "muß der Senat entscheiden. Ich fürchte, daß er dies nicht zugeben wird, weilE. 0 . A. [Oberalten] sich dadurch verletzt fühlen könnten."
Senat/innen 3 (34). Ebd., (35). 110 Und zwar durch Senatsbeschluß v. 7. Dez. 49, vgl. Senat/allgemein, Protokolle 1849, II, S. 535. 181 Das geschah am 11. Dezember. - Vgl. Senat/innen 3 (35). ttl Patriot v. 12. Dez. 49. Der Verfasser konnte nicht ermittelt werden. Nicht nur aus der politischen Diktion, vielmehr aus der detaillierten Kenntnis der Verhandlungen zwischen Senat und Oberalten, die der Artikel verrät, muß geschlossen werden, daß der Autor vom Senat genau informiert worden oder sogar selbst Senatsmitglied war. 183 Senat/innen 3 (36). tec Senat/innen 4 a (11). 188
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Wie wir sahen, entschied sich der Senat dann doch dafür, die Anträge cum dissensu an das Kollegium der Sechziger weiterzuleiten, mochten sich die Oberalten auch düpiert fühlen. Dadurch hatten sich zwar die Aussichten, daß die Anträge von Sechzigern angenommen würden, nicht gerade erhöht, denn schließlich gehörten die Oberalten auch dem Kollegium der Sechziger an195. Trotzdem aber scheint der Senat in jenen Tagen zu dem Entschluß gelangt zu sein, in der Verfassungsfrage eine schnellere Gangart anschlagen und sich von den Reformplänen der Oberalten eindeutig distanzieren zu müssen, wobei ihm der Antrag an die Sechziger, wie auch der Artikel im "Patrioten" als Mittel zum Zweck dienen konnten1". Denn seit der Veröffentlichung des Neuner-Berichts Anfang November war inzwischen mehr als ein Monat verstrichen, ohne daß die Verfassungsangelegenheit auch nur einen Schritt vorangekommen war. Eine länger anhaltende Verzögerung der von den Neunern entwickelten Reformpläne, ja, der bloße Anschein ihrer Gefährdung durch eine reaktionäre Opposition von rechts mußte fast zwangsläufig die Gefahr heraufbeschwören, daß sich auch die demokratische Linksopposition zum Angriff sammelte. Und das wiederum hätte zu einer neuen innenpolitischen Kraftprobe führen können mit der Gefahr außenpolitischer Weiterungen. Daß dem Senat das Risiko einer derartigen Zangenbewegung, die seine mittlere Reformlinie bedrohte, bekannt war, mögen zwei Zeugnisse belegen. Die Möglichkeit, daß "die Reaction" die Oberhand gewinnen könne, hatte Binder bereits in seinem Referat vom 14. November197 bekundet, indem er sagte, "die Zahl derjenigen, welche von Volkswahlen überhaupt gar nichts mehr wissen wollen . .. soll . .. immer mehr wachsen". Folgerichtig hatte er denn auch vor langwierigen Detailberatungen, erst recht aber vor einer Abänderung der Neuner-Entwürfe gewarnt. Es sei "nämlich fast nicht zu bezweifeln, daß eine nicht ganz unbedeutende Anzahl der Mitglieder der Constituante durch den Commissions-Entwurf befriedigt seyn ... und daß diese .. . also in sich selbst zerfallen wird. Ändern wir aber im reactionairen Sinne an dem Entwurfe auch nur das Geringste, so treiben wir jene Bessergesinnten dadurch nur in das Lager der Demokraten ...". m Vgl. 1. Kap. dieser Arbeit, S. 17. Der stets vorsichtige Amsinck hatte - wie erwähnt - bereits im September dafür plädiert, die abweichenden Ansichten der Oberalten zu veröffentlichen, "sonst compromittirt sich der Senat ganz ersichtlich wegen der Thorheiten der Oberalten".- Vgl. oben Anm. 177/ 78. tn Vgl. oben, S. 194. 188
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Der Senat war diesen Warnungen gefolgt. Er hatte die Neuner-Anträge en bloc akzeptiert und sogleich an die Oberalten weitergeleitet. Erst durch deren Opposition waren schwerwiegende Verzögerungen eingetreten. Vor den Folgen dieser Politik warnte Kirchenpauer: "Schwerlich wird etwas anderes dabei herauskommen, als daß es beim Alten bleibt, bis ... ein neuer Sturm losbricht ... Die Ultrademokraten ... sehen schon seit einigen Wochen dem seltsamen Treiben [der bürgerlichen Kollegien] ruhig wartend zu, reiben sich die Hände - und danken den lebenslänglichen Mandatarien für ihre unfreiwillige Mitwirkung198." Obwohl der Senat also- wie der Artikel im "Patrioten" beweisen mag - auch nicht davor zurückschreckte, die bürgerlichen Kollegien bloßzustellen, änderte sich auf deren Seite nichts. Einen Schritt weiter ging der Senat sogar, als er das Kollegium der Oberalten am 27. Dezember davon in Kenntnis setzte199, daß der Nachtrag der Neuner200 beim Senat eingegangen, genehmigt und "dem Coll[egio] der Sechziger und demnächst der Erbges. Bürgerschaft zur Mitgenehmigung vorzulegen" sei. In dieser Aufzählung der Instanzen, die die Anträge des Senats verfassungsgemäß durchlaufen mußten, fehlte überraschenderweise das Kollegium der Oberalten. Zur Begründung dafür hieß es in der Mitteilung des Senats: "Da nun die Berathung über die von der Rath- und Bürgercommission entworfene Verfassung jetzt bei dem Collegia der Sechziger unmittelbar bevorsteht und E. 0. A. [Oberalten] den ganzen Verfassungsentwurf [der Neuner] und somit auch eine Verhandlung über das Detail desselben abgelehnt haben, so hält E. E. Rath es der Sachlage am angemessensten, diese Vorschläge ohne Verzug [und das hieß: unter Auslassung der Oberalten] an das Collegium der Sechziger zu bringen ..." Zwar unterbreitete der Senat auch den "Nachtrag" der Neuner den Oberalten zur Kenntnisnahme, doch hatte dieser Akt lediglich eine rein formale Bedeutung. Daß der Verhandlungsfaden zwischen Senat und Oberalten-Kollegium in der Tat abgerissen war, verdeutlichte schließlich das Conclusum der Oberalten vom 28. Dezember 1849201 , in dem das Kollegium kundtat, "daß das Mandat der durch Rath- und Bürgerschluß vom 27. Sept. des Jahres eingesetzten Commission mit Abstattung ihres Berichtes erloschen sey und können sich [Oberalten] daher nicht veranlaßt finden, auf fernere Anträge derselben einzugehen". Der Versuch des Senats, die Oberalten zu überspielen, erwies sich jedoch vorerst als ein Fehlschlag: Am 28. Dezember überwies er den Aufzeichnung Kirchenpauers o. D., Senatfinnen 8 (32). Entwurf: Binder.- Senat/innen 3 (37). Gemeint ist der Nachtrag der Neuner v. 24. Dez. zu ihrem Bericht v. 3. Nov. 49, vgl. diese Arbeit oben, S. 195. 201 Senat/innen 3 (38). 198
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Nachtrag der Neuner zur Mitgenehmigung an das Sechziger-Kollegium202. Dieses antwortete am 2. Januar 1850 kurz und bündig: "In Erwiderung auf die Conclusa E. E. Raths vom 5. und 28. December v. Js. lehnt Collegium, den Motiven E. Oberalten beitretend, die Anträge E. E. Rats ... ab2oa." Dieses für die Reformbestrebungen des Senats höchst gefährliche Ergebnis hatte Kirchenpauer bereits vorausgesehen, als er Mitte Dezember schrieb204 : Das Kollegium der Sechziger beabsichtige, seine Entscheidung über "eine möglichst baldige Erledigung der Verfassungswirren, worauf [es] jetzt am meisten ankommt" bis ins neue Jahr hinauszuzögern, "um am Ende, wie wir aus guter Quelle hören, in einer einzigen kurzen Sitzung das ebenso kurze Conclusum abzugeben, daß sie ... ablehnen". 3. Der Rat- und Bürgerkonvent vom 17. Januar 1850 und die Ablehnung der Neuner-Entwürfe
War das alles ein böses Omen für den bevorstehenden Rat- und Bürgerkonvent? Kirchenpauer hatte sich nicht gescheut, an seine düstere Prophezeiung die entscheidenden Fragen zu knüpfen: "Wir wissen nicht, ob man das Collegium [der Sechziger] ... als eine Vertretung der Erbg. Bürgerschaft ansehen kann? ob dasselbe wirklich die Ansichten der Letzteren in der Art repräsentirt, daß man ihren Beschluß als den Ausdruck der Wünsche und des Willens der Bürgerschaft ansehen darf?" Gleichwohl blieb der Senat fest entschlossen, die Verfassungsangelegenheit mit höchster Dringlichkeit voranzutreiben. Denn auf den abschlägigen Bescheid der Sechziger vom 2. Januar entgegnete er schon nach kurzer Bedenkzeit am 4. Januar205, er sehe sich nunmehr "ungern genöthigt, diese [d. h. die Verfassungs-] Angelegenheit ... auch cum dissensu an Erbg. Bürgerschaft zu bringen". Daß der Senat seine Chancen nicht eben hoch veranschlagte, ja, daß er vergleichsweise ratlos war, was geschehen sollte, wenn Erbgesessene Bürgerschaft seine Anträge ablehnte, geht aus den Überlegungen hervor, die er am Tage vor dem Rat- und Bürgerkonvent vom 17. Januar 1850 anstellte. Nach Darstellung Kirchenpauers2os warf Bürgermeister Kellinghusen die Frage auf, was man unternehmen solle, "wenn die Erbg. Bürgerschaft morgen pure ablehnt. Es war kein bestimmter Antrag und kein bestimmter Beschluß, und die Ansichten gingen ziemlich bunt durcheinander. Die meisten schienen wenigstens den morgenden Tag abwarten zu wollen- warum? ist mir nicht klar geworden." Ebd., (39). Ebd., (40). zo4 Senat/innen 8 (32). zos Senatfinnen 3 (41' 206 Brief Ktrchenpauers an Amsinck v. 16. Jan. 5u, ebd., (./.).
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lOS
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Im Widerstreit lagen wesentlich zwei Meinungen: Ein Teil der Senatsmitglieder, zu denen u. a. Kirchenpauer und Amsinck zählten, sprach sich dafür aus, die Verfassungssache nach Ablehnung an die NeunerKommission zurückverweisen, was im Anschluß an den Konvent durch die übliche "Replica Senatus" verfügt werden konnte. Andere meinten, der Senat solle sich in jenem Fall auf die Erklärung beschränken, er behalte sich weitere Schritte vor. Die Verfolgung dieser Alternative erschien Kirchenpauer, aber auch Kellinghusen bedenklich, denn dadurch würde "Alles wieder zweifelhaft werden, nirgends eine Festsetzung der Sache vorhanden seyn, das Mandat der Neuner-Commission als erloschen und somit die Commission selbst als aufgelöst angesehen werden und wahrscheinlich die Constituante sich berufen fühlen, die Sache wieder in die Hand zu nehmen207." Wahrscheinlich fand sich für diese negative Lagebeurteilung, wie Kirchenpauer sie abgab, keine Mehrheit. Jedenfalls konnte sich der Senat zu einer entsprechend dezisiv formulierten Antwort an Erbgesessene Bürgerschaft nicht entschließen. Der mit Spannung erwartete und daher ungewöhnlich gut besuchte Rat- und Bürgerkonvent vom 17. Januar 1850 brachte das befürchtete Ergebnis. Der Senat hatte die ursprünglich von der Neuner-Kommission am 3. November 1849 gestellten Anträge208 im Wortlaut kaum verändert vorgelegt. Seine "Motive" entsprachen der gegenüber den Oberalten am 23. November abgegebenen Begründung209 • Der Dissens mit den bürgerlichen Kollegien wurde erwähnt. Die Bürgerschaft indessen lehnte die Anträge des Senats mit einer Mehrheit von 3:2 Kirchspielen ab210 • In der "Replica Senatus" vom 17. Januar hieß es dann211 : "E. E. Rath bedauert, daß Erbg. Bürgerschaft Seinem heutigen Antrage nicht beigetreten ist und wird in dieser wichtigen und dringlichen Sache zor Ebd. zos Vgl. diese Arbeit oben, S. 191 f. 208 210
aus:
Senat/innen 3 (42). - Vgl. auch Rat- und Bürgerschlüsse 1850. Laut Börsenhalle v. 17. Jan. 50 fiel das Ergebnis im einzelnen wie folgt
dafür dagegen ungült./enthalt. anwesend St. Petri 78 71 1 150 St. Nicolai 83 54 1 138 St. Catharinen 53 62 1 116 St. Jacobi 88 113 1 202 St. Michaelis 56 125 1 182 zusammen 358 425 5 788 211 Mit seiner "Replica" v. 17. Jan. schuf sich der Senat die Möglichkeit, die Verfassungsanträge einst erneut "mit Temperamenten" an Erbg. Bürgerschaft zu bringen, wodurch er die Oberalten, deren heftige Opposition er schon in Vorbereitung der Anträge für den Rat- und Bürgerkonvent v. 17. Jan. kennengelernt hatte - vgl. diese Arbeit oben S. 198 ff. - verfassungsmäßig übergehen konnte.- Vgl. dazu unten S. 250.
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weitere Anträge sobald als möglich an Erbges. Bürgerschaft gelangen lassen."
Diese dehnbare Formulierung entsprach den Verhältnissen insofern, als daß das lediglich nach Kirchspielen berechnete Abstimmungsergebnis der Bürgerschaft weder genaue Rückschlüsse auf die Mehrheitsverhältnisse in den einzelnen Kurien, noch auf die Gründe für die Niederlage des Senats zuließ212. So mußte dem Senat eine sofortige und detaillierte Erklärung über "weitere Anträge" in der Verfassungssache ungemein schwerfallen. Es war daher nur folgerichtig, daß der Senat Syndikus Amsinck am 18. Januar beauftragte213, Erkundigungen über die Gründe für den Dissens zwischen Bürgerschaft und Senat einzuziehen. Als Praeses der Neuner-Kommission konnte sich Amsinck der Unterstützung der bürgerschaftliehen Kommissionsmitglieder versichern, die selbst an dem fraglichen Konvent teilgenommen hatten und nun bereitwillig "Mittheilungen über die in den einzelnen Kirchspielen ... vorgekommenen Dissensgründe"214 machten. Auf Grund dieser Informationen konnte Amsinck folgende Feststellungen treffen: Den Konvent vom 17. Januar 1850 hatten 788 Personen besucht. Das St. Catharinen-Kirchspiel war relativ am schwächsten, das St. Nicolai- und St. Petri-Kirchspiel relativ am stärksten vertreten gewesen. Letztere beiden hatten den Senatsantrag mit kleinen Mehrheiten angenommen, St. Catharinen und Jacobi hatten ihn mit ähnlichen Majoritäten abgelehnt. Insgesamt resultierten aus den genannten vier Kirchspielen 302 Ja-Stimmen bzw. 300 Nein-Stimmen. Im fünften, im Michaelis-Kirchspiel, war die Mehrheit gegen die Senatsanträge indessen relativ deutlich ausgefallen: 65 Konventsberechtigte mehr hatten für "Nein" als für "Ja" gestimmt. Daraus folgte, daß das MichaelisKirchspiel - zählte man nach Virilstimmen - für das Gesamt-Abstimmungsergebnis aller fünf Kirchspiele den Ausschlag gegeben hatte. Die Senatsanträge waren nämlich mit 425 zu 359 Stimmen verworfen worden21s. Nach den Recherchen Amsincks, der sich gewiß auf die Auskünfte seiner Informanten verlassen konnte, m Vgl. 1. Kap., S. 18. Senat/innen (45)a. 214 Ebd., (45)b Dabei berichtete Kaemmerer von St. Petri, Petersen von St. Michaelis, Hübener von St. Catharinen und Heise von St. Jacobi. Informationen über das St. Nicolai-Kirchspiel (Loehr) lagen nicht vor. 215 Amsinck gibt irrtümlicherweise 395 Ja-Stimmen an. Ein Schreibfehler! Da die Virilstimmen in den Kirchspielen offiziell nicht gezählt wurden, ist die Differenz zwischen den 358 Ja-Stimmen, die nach der zitierten Aufstellung der Börsenhalle abgegeben wurden, und den 359 Ja-Stimmen, die wir in Übereinstimmung mit Amsincks Berechnungen in unsere Darstellung einsetzen, erklärlich. Die Differenz von 1 Stimme ist auch nicht erheblich. 213
208
Der Versuch einer liberal-konservativen Verfassungsreform
"weil diese Männer mit den politischen Ansichten ihrer Mitbürger in dem sie betreffenden Kirchspiele bekannt genug sind", teilte sich die Opposition gegen die Senatsanträge in zwei sich diametral entgegengesetzte Lager, nämlich in das "der llitra-Conservativen und [das] der Ultra-Liberalen", die sich etwa in einer Stärke von 200 zu 225 (zugunsten der "Ultra-Liberalen") gegenübergestanden hatten. Dabei zerfiel das Lager der "Ultra-Conservativen" wiederum in zwei Parteien: Die eine bestand aus den Oberalten und ihren Anhängern - insgesamt etwa 100 Personen. Sie insistierte auf Beibehaltung des persönlichen Stimmrechts und Fortexistenz lebenslanger bürgerlicher Kollegien. Die andere mehr gemäßigt-konservative Partei monierte die Art, in der nach den Plänen der Neuner das Grundeigentum in der neuen Bürgerschaft vertreten sein sollte. Außerdem wurde von dieser Seite die geplante offene Stimmabgabe bei den allgemeinen Wahlen beanstandet. Die offene Stimmabgabe wurde auch von den "Ultra-Liberalen" (sprich: Demokraten) als Hauptgrund für die Ablehnung der Senatsanträge angeführt. Insgesamt ließen die Gruppierungen der Opposition vier Schlüsse zu: wie befürchtet - durch ein Zweckbündnis zwischen der extremen Rechts- und der extremen LinksOpposition zu Fall gebracht worden. Zwar hatten im allgemeinen nur der künftige Vertretungsmodus für das Grundeigentum, sowie die geplante offene Stimmabgabe Anstoß erregt - zwei an sich nicht sehr bedeutende Punkte. Doch war besonders im entscheidenden Michaelis-Kirchspiel die extreme Forderung nach Beibehaltung des persönlichen Stimmrechts mit Nachdruck erhoben worden. So stellte Petersen zusammenfassend fest: "Das persönliche Stimmrecht und die Opposition der Democraten haben uns in Michaelis allein getödtet." 2. Schon angesichts jener Koalition konnte schlechterdings nicht behauptet werden, die Abstimmungsniederlage des Senats sei allein ein Sieg der bürgerlichen Kollegien gewesen. Zudem hatte- außer den Oberalten selbst - die Mehrheit des Sechziger-Kollegiums, wie man feststellte, überraschend für die Senatsanträge gestimmt. 3. Die Auflösung der Koalition zwischen der extremen Rechten und der extremen Linken konnte leicht dadurch befördert werden, daß man den Vertretungsmodus für das Grundeigentum anders regelte und von der Einführung der offenen Stimmabgabe absah. Dadurch konnte die llitra-Rechts-Opposition möglicherweise total isoliert und auf eine Minorität von rund 100 Stimmen herabgedrückt werden. 4. Denn hatten sich schon jetzt überwiegend die angeseheneren Kaufleute, die Kämmereibürger, Commerzdeputierten und die Mitglieder der anderen wichtigen Deputationen mit zusammen rund 360 Stirn-
1. Die Senatsanträge waren -
A. Das Ringen um eine "mittlere Lösung"
209
men für die Senatsanträge ausgesprochen, war nach einer entsprechenden Modifikation der Vorlagen in den beiden genannten an sich unbedeutenden Punkten auch mit einem Zulauf der Linken (225 Stimmen) und der gemäßigt konservativen Partei (100 Stimmen) zu rechnen. War damit vielleicht auch noch immer nicht das MichaelisKirchspiel erobert - eine Hochburg der überwiegend kleinbürgerlichen extremen Rechten wie Linken- konnte man wenigstens den Gewinn der St. Catharinen- und St. Jacobi-Kirchspiele erwarten die diesmal noch gegen den Senat opponiert hatten - womit das Ergebnis 4:1 zu dessen Gunsten ausfallen würde. So stellte Amsinck denn auch am Ende seiner Analyse fest: "daß ... eine weitere Ausgleichung in den Meinungen mit vollem Grunde zu erwarten steht. Diese Auffassung der Sachlage ist der Mehrheit gemäß und läßt das Resultat der letzten Bürgerschaft keineswegs in einem ungünstigen Lichte erscheinen."
14 Bavendamm
B. Die konservative Abwandlung der Neuner-Entwürfe vom 3. November 1849 I. Von den Neuner-Entwürfen vom 3. November 1849 zum "Ferneren Bericht" der Neuner-Kommissionvom 6. Februar 1850 1. Die Rückverweisung der Verfassungssache an die Neuner-Kommission durch Senatsbeschluß vom 21. Januar 1850
Wie aber sollte es praktisch weitergehen? Grundsätzlich hatte der Senat zwei alternierende Möglichkeiten: Entweder übernahm er die Verfassungssache jetzt in eigene Regie, oder er verwies sie zurück an die Neuner-Kommission. Dabei konnte sich die Frage erheben, ob die Kommission nach Ablehnung ihrer Entwürfe und ohne ausdrückliche Verlängerung ihres Mandats durch Erbgesessene Bürgerschaft befugt war, weitere Vorschläge zur Lösung des immer noch schwelenden Verfassungskonflikts zu machen. Durch ihren Referenten Binder sprach sich die Verfassungskommission des Senats am 18. Januar für die zweite Möglichkeit aus1• Bei der "Art seiner Zusammensetzung und der Art seiner Verhandlungen", sei der Senat ohnehin nicht in der Lage, etwas "Gedeihliches" mit der Verfassungsangelegenheit anzufangen. Diese eigenmächtige Vorgehensweise würde nur zu Verzögerungen führen 2 • Die Frage, ob die Neuner-Kommission überhaupt noch rechtens fortbestehe, hielt Binder "nicht für präjudiciell". In der Verfassungskommission hätten sich zwei Meinungen herausgeschält: Ein Teil der Mitglieder glaube, die Neuner hätten mit Abgabe ihrer letzten Vorschläge (am 24. Dezember) das Ende ihrer Tätigkeit erreicht. Andere betrachteten die Kommission als "gesetzlich fortbestehend", so lange sie nicht durch Rat- und Bürgerschluß widerrufen sei. Solange brauchten sich die Neuner auch nicht auf die einmange Abgabe von Vorschlägen zu beschränken. Da Erbgesessene Bürgerschaft keine gegenteilige Meinung geäußert habe, sei anzunehmen, daß Senat/innen 3 (47) u. (48). Dieser Ansicht war auch Merck, der am 22. Jan. 50 an Banks schrieb: "Ich halte die rechtliche Existenz der Neuner-Commission für mehr als zweifelhaft, diesen Ausweg [die Verfassungssache an die Neuner zurückzuverweisen] aber doch noch für glücklicher, als wenn der Senat die Sache selbst in die Hand genommen hätte .. . im Senate wäre sie sicher nie zu Ende gekommen. Dazu sind die Ansichten über das, was zu geschehen habe, überaus verschieden und in einem so großen Collegium sehr schwer zu vereinigen." - Brief Mercks an Banks v. 22. Jan. 50, Senat/außen 15, Bd. IV, Bll. 1 ff. 1
1
B. Konservative Kräfte setzen sich durch
211
sie diese Ansicht teile3• Dadurch, daß der Senat die Verfassungssache sofort an die Neuner zurückgehen lasse, ergebe sich die Antwort auf diese Rechtsfrage sowieso von selbst, indem die Rückverweisung den Fortbestand der Kommission faktisch voraussetze. Entschied man sich für Rückverweisung der Verfassungssache an die Neuner, mußte weiter überlegt werden, wie das zu geschehen hatte und in welcher Form die Kommission dem Senat weitere Vorschläge unterbreiten sollte. Binder empfahl, die Sache ohne Kommentar und Instruktionen zurückzuverweisen, denn auf bestimmte Anweisungen werde sich der Senat jetzt in der gebotenen Eile nur schwerlich einigen können. Im übrigen sei es ihm ja freigestellt, ob er sich spätere "Vorschläge" der Neuner zu eigen mache. Auf jeden Fall aber müsse vorausgesetzt werden, daß die Neuner ihre Entwürfe vom 3. November nicht noch einmal unverändert vorlegten. Einige Konzessionen an die rechte wie linke Opposition seien gewiß unumgänglich. Die gleichzeitige Vorlage eines modifizierten Verfassungsentwurfs und der organischen Gesetze könne nicht empfohlen werden. Dadurch würde man der Bürgerschaft nur Munition liefern, mit der die Hauptsache, nämlich die neue Verfassung, zu Fall gebracht werden könnte. Im übrigen müsse erwartet werden, daß s~ch die Neuner vor Veröffentlichung ihrer ferneren Vorschläge mit dem Senat ins Vernehmen setzten. Der Senat trat den Vorschlägen seiner Verfassungskommission durch Concluso vom 21. Januar bei4, indem er der Neuner-Kommission mitteilte5, er halte es "der ganzen Sachlage angemessen, diese [Verfassungs-] Angelegenheit vorgängig wieder an die Rath- und Bürger-Kommission zurückgelangen zu lassen". Der Senat ersuchte die Neuner, "Vorschläge zur weiteren Behandlung derselben Verfassungssache zu machen" und die Angelegenheit zu beschleunigen. Unausgesprochen blieben freilich in diesem offiziellen Text die oben genannten Bedingungen des Senats, die gleichwohl als politische Geschäftsgrundlage für die Weiterarbeit der Kommission gelten können. Vor allem sein Verlangen nach Abstimmung aller weiteren Vorschläge vor deren Publizierung versetzte den Senat- und nur ihn -in die Lage, die Neuner in Zukunft zu kontrollieren und zu dirigieren. 3 Daß Binder selbst in dieser Beziehung nicht ganz sicher war, verrät ein anderer Passus seines Referats, in dem es heißt: Die Frage, warum man die Rückverweisung der Verfassungssache nicht replicando bei Erbg. Bürgerschaft durchgesetzt habe, könne er nur damit beantworten, daß er es für unverantwortlich gehalten habe, wenn sich der Senat in diesem Punkte der Gefahr einer weiteren Abstimmungsniederlage ausgesetzt hätte. 4 Senatfinnen 7 (31). 5 Senatfinnen 3 (49).
14*
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Der Versuch einer liberal-konservativen Verfassungsreform 2. Störversuche von ,.rechts"- die Verhandlungen des Senats mit dem Kollegium der Oberalten
Eine andere Frage war, wie sich der Senat künftig gegenüber der Opposition der Oberalten zu verhalten gedachte, die nach der Niederlage des Senats natürlich Oberwasser zu haben glaubten. Vor allem aber war zweifelhaft, ob sich das Kollegium bereitfand, auf die vom Senat beschlossene Prozedur einzugehen. Schon am 18. Januar hatte Binder vorgeschlagen, der Senat möge das Kollegium nach den näheren Gründen für den Dissens der Bürgerschaft fragen 6• Drei Tage später kam die Antwort der Oberalten7 • Das Kollegium sah die Gründe in dem Verlangen der Bürgerschaftsmehrheit nach "Reform- nicht Umsturz", sowie nach "Beibehaltung der wesentlichen Grundprincipien unserer Verfassung". Hingegen- so hieß es ironisch am Schluß- sei "für den beantragten Verfassungsentwurf, unter Einräumung der Mängel desselben8, größtentheils nur die Liebe zum Frieden aufgeführt" worden. Am 18. Januar war beim Senat bereits ein Beschluß des Kollegiums eingetroffen9, in dem die Oberalten erklärten, sie sähen sich angesichts der Abstimmungsniederlage des Senats im Rat- und Bürgerkonvent vom 17. Januar "veranlaßt, auf Ihre Conclusa vom 30. November v. J. E. E. Rath vorgelegte Reformpläne zurück zu kommen und ersuchen E. E. Rathin thunlichst kurzer Frist zunächst die völlige Trennung der Justiz von der Verwaltung in nähere Erwägung zu ziehen und Ihnen desfalls Anträge vorzulegen, wogegen Sie sich vorbehalten, E. E. Rath fürdersamst näher motivirte Vorschläge, zunächst die Erwählung der Mandatarien Erbges. Bürgerschaft durch diese und die Erweiterung Erbgesessener Bürgerschaft betreffend, mitzutheilen". Augenscheinlich war den Oberalten daran gelegen, die Reformfrage in direkten Verhandlungen mit dem Senat abzuklären, konnten sie doch von der fortschrittlichen Neuner-Kommission, auf die sie überhaupt keinen Einfluß hatten, eine Berücksichtigung ihrer Pläne nicht erwarten. Zudem war der rechtmäßige Fortbestand der Kommission vorn Oberaltenkollegium schon am 28. Dezember 1849 ausdrücklich bestritten worden10, so daß sich eine Hinnahme der vom Senat gewählten Prozedur, erst recht aber eine Kontaktaufnahme mit den Neunern von selbst verbot. Im Hinblick auf das Oberaltenconclusum vom 18. Januar stellte Binder gleichen Tags empört fest1 1, Oberalten hätten ,.kein Recht" bei der • Diesen Vorschlag machte sich der Senat durch Beschluß v. 18. Jan. zu eigen. - Senat/innen 3 (45)•. 1 Beschluß der Oberalten v. 21. Jan., Senat/innen 3 (46)b. 8 Speziell wurden angeführt: Wahlgesetz, offene Stimmabgabe, die dadurch herbeigeführte Schmälerung der Rechte der Bürgerschaft und Vergrößerung der Macht des Senats.
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gegenwärtigen Lage der Dinge dergleichen Anträge zu machen. Denn: "Nur dem Senat kommt es zu, die Sache event. mit Modificationen ... im gesetzlichen Wege, nämlich sofort bei Collegio der Sechziger wieder aufzunehmen." Gleichwohl sah sich der Senat genötigt, auf das Conclusum Ehrbarer Oberalten einzugehen. Das geschah durch Mitteilung seines Beschlusses vom 23. Januar 185012, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Der Senat - so hieß es da - sehe sich beim gegenwärtigen Stande der Verfassungsangelegenheit nicht in der Lage, mit dem Kollegium der Oberalten einzelne Reformvorschläge zu erörtern. "E. E. Rath hat Erbges. Bürgerschaft einen Verfassungs-Entwurf zur Mitgenehmigung vorgelegt, welcher das Ganze der Verfassung enthält; diesen hat Erbges. Bürgerschaft abgelehnt und E. E. Rath hat sich weitere Anträge vorbehalten." Daher könne er sich mit dem von Ehrbaren Oberalten angeregten Verfahren nicht einverstanden erklären. Vielmehr habe er es vorgezogen, den mit dem Rat- und Bürgerschluß vom 27. September 1849 eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Er habe die Neuner-Kommission beauftragt, ihm weitere Vorschläge zu unterbreiten. Hatte der Senat gehofft, damit weitere Quertreibereien ein für allemal abgeschnitten zu haben, sah er sich eines anderen belehrt, als die Oberalten bei ihm noch am gleichen Tage mit einer detaillierten Darstellung ihrer Reformpläne einkamen13, die am 25. Januar ergänzt wurde14. Ungerührt ließ das Kollegium verlauten, man betrachte sich "um so mehr v.erpflichtet ... , E. E. Rath positive Vorschläge ... vorzulegen, da solche in letzter Versammlung Erbges. Bürgerschaft mehrseitig gewünscht worden. Verfassungsgemäß finden Sie sich zugleich veranlaßt, E. E. Rath aufzufordern, in specielle Verhandlungen darüber ... einzugehen." Trotzdem beharrte der Senat auch jetzt auf dem von ihm gewählten Verfahren, indem er am 30. Januar gegenüber dem Kollegium erklärte15, er erkenne zwar "vollkommen" die Sorgfalt an, die Ehrbare Oberalten bei der Entwicklung ihrer Reformpläne aufgewandt hätten. Er habe sich aber nun einmal gegenüber der Bürgerschaft weitere Anträge in der Verfassungssache vorbehalten, über die seine internen Beratungen • Oberaltenbeschluß v. 18. Jan. 50, Senat/innen 3 (46). 1o Vgl. diese Arbeit oben S. 204. u Senat/innen 3 (48). 11 Ebd., (50) -Entwurf: Binder. 13 Oberaltenbeschluß v. 23. Jan. 50, Senat/innen 3 (55). u Ebd., Oberaltenbeschluß v. 25. Jan. - Unter der Voraussetzung der von uns gewählten Thematik betrachten wir es nicht als unsere Aufgabe, die Reformpläne der Oberalten detaillierter darzulegen. Wir haben sie oben auf S. 200 kurz skizziert und charakterisiert. Eine Kritik der Oberaltenvorschläge findet sich unten auf S. 219 ff.
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noch nicht abgeschlossen seien. Er bedauere daher, auf Verhandlungen mit dem Kollegium nicht eingehen zu können. Damit hatten sich die Fronten endgültig versteift. Die Oberalten konnten nicht mehr hoffen, mit ihren Plänen auf dem Weg über den Senat durchzudringen. In dieser Lage griff das Kollegium zu einem äußersten Hilfsmittel, das ihm die alte Verfassung bot: In ihrem Conclusum vom 1. Februar 185018 gaben Ehrbare Oberalten ihrem Bedauern Ausdruck, "daß E. E. Rath Verhandlungen über ihre Anträge wiederholt ablehnt" und kündigten die Vorbereitung einer sog. "Nebenproposition" an, um "jene Anträ~e auf verfassungsmäßigem Wege Ihrerseits fördersamst an das Collegium der Sechziger [und später an Erbg. Bürgerschaft] zu bringen". Das sog. "Nebenpropositionsrecht" war in Art. 2, Lit. II des Reglements der Rat- und Bürgerkonvente von 1712 umschrieben, der besagte: "Es sollen aber diejenigen Sachen, worüber vorhero mit denen Collegiis deliberiret worden und die, ihrer Natur und Eiltenschafft nach an die Bürgerschaft erwachsen, als dann [der Bürgerschaft] vorgetragen werden, wann Senatus und die Collegia sich darüber nicht vereinigen können oder Collegia ... die Sache zu schwer und wichtig halten11." Jenes Recht konnte nur vom Präsidierenden Oberalten geltend gemacht werden, wenn auch ,,dieienigen Sachen", auf die es sich erstrecken durfte, nicht einwandfrei definiert waren18. Der Senat zog denn auch sofort ein Rechts~utachten über die Zulässigkeit des von den Oberalten geplanten Schrittes ein10• Und Senatssekretär Schwartze, der Verfasser des Gutachtens, kam zu dem Schluß: "daß das, was Efhrbarel OTberaltel jetzt zur Nebenproposition machen wollen, an und für sich zulässig ... ist". Ein allerdings entscheidendes Bedenken machte jedoch auch Schwartze geltend: Es schien ihm unerlaubt, ,.daß Oberalte eine zwischen Senat und E[rbg.] Bfürgerschaft] pendente Sache, worüber der Senat fernere Anträge bringen wird, durch ihrseitige Anträge vulneriren dürfen ... Meine Ansicht geht daher dahin: daß E. O[beralteJ die Verfassun~s-Angele~tenheit bis zur Erledigung der desfallsigen Anträl!e des Senats [durch Erbg. Bürgerschaft] nicht zu einer Nebenproposition machen dürfen." u Senat/Innen 3 (55). Ebd. Zitiert nach Westphalen, Verfassung u. Verwaltung, Bd. I, S. 147. 11 Bartels, Neuabdruck, S. 24 f. und Westphalen, Verfassung u. Verwaltung, Bd. I, Anm. aufS. 148. 11 Senat/innen 3 (56) Das Rechtsgutachten datiert v. 4. Feb. 50 und ist namentlich nicht gezeichnet. Aus Schriftvergleichen ergibt sich aber mit größter Wahrscheinlichkeit Dr. Schwartze als Verfasser. 11 11
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Diese Ansicht entsprach der vom Senat bisher befolgten Linie. Gleichwohl schien es Schwartze nicht ratsam, die Oberalten ausdrücklich damit zu konfrontieren, daß die eigenmächtige Vorlage einer Nebenproposition zum gegebenen Zeitpunkt unzulässig sei. Dadurch würde man das Kollegium nur dazu drängen, auf weitere Verhandlungen mit dem Senat zu insistieren - was "gerade in dem jetzigen Augenblick" inopportun sei. Auf Empfehlung Schwartzes bediente sich der Senat in seinem Conclusum vom 6. Februar 185020 daher einer verschleierten Ausdrucksweise. Er beschränkte sich darauf, dem Kollegium gegenüber das Vertrauen auszusprechen, "daß E. O[beralte] sich bei allen ihren Schritten strenge Innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen halten ... Auch E. O[beralte] werden erst dann, wenn die ferneren Anträge des Senats vorliegen, im Stande sein, diese Angelegenheit ihrem ganzen Umfange nach zu beurtheilen und dürften daher alle außerordentlichen Schritte vor diesem Zeitpunkte jedenfalls verfrüht erscheinen." In ihrem Conclusum vom 8. Februar21 verwiesen Ehrbare Oberalten auf die in Tit. IV des Reglements der Rat- und Bürgerkonvente enthaltenen Art. 3 und 822 - womit sie auf der Ausübung ihres Nebenpropositionsrechts bestanden - wenn sie auch beruhigend hinzusetzten, daß "E. Oberalten die Ihnen zustehende Initiativ~ wahrend, keineswegs beabsichtigten, in das Propositionsrecht E. E. Raths einzugreifen." Am 11. Februar folgte ein Beschluß der Sechziger28• Das Kollegium fand sich, "bevor es die Anträge E. Oberalten einer speciellen Prüfung unterzieht, ... veranlaßt, E. E. Rath dringend aufzufordern, jene Anträge fördersamst Seinerseits einer näheren Prüfung zu unterwerfen und die Resultate solcher Prüfung E. Oberalten mitzutheilen". Auf den ersten Blick mag es überraschen, daß die Sechziger damit anscheinend die Partei Ehrbarer Oberalten ergriffen, obwohl eine Mehrheit des Sechzigerkollegiums am 17. Januar - wie berichtet - gegen die Reformpläne der Oberalten gestimmt hatte. In Wirklichkeit aber das enthüllt ein Brief Kaemmerers, Mitglied der Neuner, an Syndikus Amsinck vom 11. Februar2 ' - handelte es sich bei dem Beschluß der Sechziger (in Verbindung mit dem Beschluß der Oberalten vom 8. FeSenat/innen 3 (57). Ebd., (58). !! In Bezug auf den bereits erwähnten Tit. IV, Art. 2 statuierte der Art. 3, es solle "gedachter Praeses aber die Sachen, so durch die Collegia vorgeschriebenermaßen passirt und vor die Bürgerschaft gehören, bey Strafe anzusprechen gehalten seyn". Art. 8 war seinem Inhalt nach eine Ausführungsbestimmung zu Art. 2 u. 3 - zitiert nach Westphalen, Geschichte der Hauptgrundgesetze, Bd. II, S. 41. 13 Senat/innen 3 (59) Dieses Conclusum wurde vom Senat erst am 26. April beantwortet.- Vgl. diese Arbeit unten S. 251 ff. !t Senat/innen 3 (./.). !o
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bruar) um ein geschicktes Rückzugsmanöver des Oberaltenkollegiums, das man als vorläufige "Kapitulation" bezeichnen muß. Die Erklärung der Oberalten vom 8. Februar, keineswegs in das Propositionsrecht des Senats eingreifen zu wollen, bedeutete nämlich einerseits, daß die Oberalten darauf verzichteten, zum gegebenen Zeitpunkt mit einer eigenen (Neben-) Proposition an Erbgesessene Bürgerschaft heranzutreten und damit illegal deren Versammlung zu veranlassen. Andererseits aber behielten sich die Oberalten mit ihrer Versicherung, die ihnen zustehende Initiative wahren zu wollen, vor, die künftigen Verfassungsanträge des Senats auf einem von ihm konvozierten Rat- und Bürgerkonvent mit eigenen Anträgen zu ergänzen, was zulässig war. Freilich erklärt sich schon aus der verklausulierten Formulierung, die Ehrbare Oberalte am 8. Februar wählten, daß es dem Kollegium darum zu tun war, seinen Rückzug zu vernebeln. Diese Bemühungen krönte der Beschluß der Sechziger vom 11. Februar. Kaemmerer berichtet: "Angesetzt war die heutige Versammlung [der Sechziger], um sich über die [Reform-] Vorschläge der Oberalten zu erklären. Die letzteren fürchteten, und zwar mit vollem Recht, daß ihre Vorschläge alsdann von den Sechzigern verworfen werden würden. Um sich nun dieser Gefahr zu entziehen, ward jede Verhandlung über die Vorschläge selbst vermieden und unerwartet darauf angetragen, dem Senat die Prüfung jener Vorschläge dringend anzuempfehlen. Mehrere der Sechziger ließen sich auf freundliches Zureden von unserer Seite abziehen, indem man denselben vorstellte, daß in diesem Schritte durchaus nichts Präjudicirliches in der Sache selbst liege. Es haben 13 Oberalte und 16 andere Sechziger dafür, sowie ein Oberalter und 19 andere Sechziger dagegen gestimmt. Trotz des Abfalles von 4 oder 5 unserer Freunde war dennoch die Majorität der Sechziger, die Oberalten nicht mitgezählt, auf unserer Seite." In der Tat besagte die "dringende" Empfehlung der Sechziger, der Senat möge die Vorschläge der Oberalten einer Prüfung unterziehen, nichts. Denn "Prüfung" hieß nicht "Berücksichtigung". Der Senat konnte jener Empfehlung folgen, er konnte es aber auch lassen. Die Oberalten waren von ihrem - allerdings illegalen - Druckmittel, schon jetzt mit einer eigenen (Neben-) Proposition an Erbgesessene Bürgerschaft herantreten zu wollen, durch ihr Conclusum vom 8. Februar abgerückt. Den Senat konnte daher vorerst niemand mehr dazu zwingen, über eine bloße "Prüfung" der Oberalten-Vorschläge hinaus diese auch in seinen ferneren Verfassungsanträgen zu "berücksichtigen". Nach den Senatsbeschlüssen vom 23. und 30. Januar, sowie vom 8. Februar war ohnehin klar geworden, daß er dazu freiwillig jedenfalls nicht bereit war. So gesehen also hatte der Senat über die Oberalten einen wenigstens vorläufigen Sieg davongetragen. Nacheinander waren die Versuche des Kollegiums, seine Reformpläne in direkten Verhandlungen mit dem Senat oder auf dem Wege einer eigenmächtigen Nebenproposition durchzusetzen, abgeschlagen worden, wenn auch letzteres ohne die Mithilfe
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der Sechziger wohl kaum möglich gewesen wäre. Zwar hatte der Senat die Reformpläne der Oberalten der Neuner-Kommission durch Conclusum vom 30. Januar mitgeteilt25 • Doch wurden diese Vorschläge von der Kommission, wenn auch "umständlich erörtert", so doch nur "widerlegt", worauf an derer Stelle zurückzukommen sein wird26 • So blieb das Reformprogramm der Oberalten ohne direkten Einfluß auf Verfassung und Wahlgesetz vom 23. Mai 1850, was das Kollegium später freilich zu eigensinniger Obstruktion und zur Anrufung des Deutschen Bundes verleiten sollte. 3. Störversuche von "links" - die Eingabe der 16 444 und der Versuch einer Wiederbelebung der Konstituante
War mit dem Rückzug der Oberalten bereits Anfang Februar die Rechtsopposition außerhalb des Senats eingedämmt worden, hatte sich auf der linken Seite des "Parteienfeldes" inzwischen eine neue Lage ergeben. Eine Gruppe von Anhängern der Konstituante, sämtlich konventsberechtigt, aber auch wahlberechtigt gemäß Rat- und Bürgerschluß vom 7. September 1848, überreichte dem Büro der Versammlung am 25. Januar eine Eingabe27 • In ihr forderten sie die Konstituante auf, in eine Revision ihres Verfassungswerks vom 11. Juli 1849 einzutreten. Zwar wurden die Abgeordneten wiederholt des Vertrauens ihrer Wähler versichert, doch trugen die Unterzeichner in der Hoffnung, daß man "diejenige Selbstverleugnung beweisen werde, welche als die schwerste Pflicht des Volksvertreters betrachtet werden muß", darauf an, die Konstituante möge ihr Werk u. a. in folgenden Punkten ändern: 1. Berücksichtigung der Bedenken, die gegen die Wahlart der künftigen
Bürgerschaft vorgebracht worden seien, insbesondere Beschränkung des Wahlrechts und der Wählbarkeit auf die Gemeindebürger (d. h. auf Stadt-, Land- und Schutzbürger), die das 25. Lebensjahr vollendet hätten; 2. Verlängerung der Wahlperiode auf 4 Jahre mit sukzessiver Erneuerung der Bürgerschaft alle zwei Jahre;
15 Senatfinnen 3 (55) Vgl. auch Prot. d. 53. ordtl. Sitzg. v. 30. Jan; 50, Senat/innen 4 c. 18 Prot. d. 57. ordtl. Sitzg. v. 3. Feb. 50, ebd. Vgl. auch "Fernerer Bericht der durch Rath- und Bürgerschluß v. 27. Sept. 1849 in Betreff der Verfassungs-Angelegenheit eingesetzten Commission am 6. Feb. 1850", Senatfinnen 4 d (2) u. diese Arbeit unten S. 219 ff. 27 Vgl. Konst. Vers./7 und Prot. d. konst. Vers., S. 912, 76. Sitzg. v. 23. März 50- Dem Senat wurde die Eingabe bereits am 21. Jan. 50 zur Kenntnisnahme übergeben, wurde hier aber vorerst nicht weiter behandelt. - Vgl. ebd.
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3. Beteiligung des Senats an der Entwerfung des Wahlaufsatzes für die Senatswahl; 4. Überweisung gewisser Materien (wie z. B. Schul- und Militärwesen) an die künftige Gesetzgebung2s.
Ziel der Eingabe war zweifellos, die Konstituante zu einer dritten Lesung ihres Verfassungswerks zu veranlassen und sie dadurch erneut ins Spiel zu bringen. Die frappante Ähnlichkeit der erhobenen Forderungen mit den Punkten, in denen die Neuner-Entwürfe die Konstituantenverfassung bereits modifiziert hatten, sowie die auffallende Ähnlichkeit des Vorschlags Nr. 4 mit dem respektiven Vorschlag der Neuner vom 3. November 18492G, mag widerspiegeln, wie sehr die Petenten hofften, mit einer entsprechend revidierten Konstituantenverfassung ihrerseits den Beifall des liberalen oder gemäßigt konservativen Bürgertums zu finden und dadurch den Senat gleichsam von links her zu überholen. Der Senat reagierte auf das "Konkurrenzunternehmen" äußerlich gelassen. Ein Gesuch des Aktionskommittees, das hinter der Eingabe stand, forderte ihn am 21. Januar auf3°, keine weiteren Schritte in der Verfassungssache zu unternehmen, "bis über den Erfolg oder Nichterfolg unseres Schrittes die Entscheidung vorliegen wird". Ein Senatsdekret vom 25. Januar'1 verwies auf die Replik des Senats im Rat- und Bürgerkonvent vom 17. Januar 1850 und lehnte das Gesuch rundweg ab. Schließlich konnte er der Konstituante gegenüber nicht mehr Nachsicht walten lassen als gegenüber den Oberalten. Zudem stand für Anfang Februar ein erneuter Bericht der Neuner-Kommission zu erwarten, auf dessen Basis der Senat eine baldige Lösung der Verfassungsfrage in seinem Sinne erhoffen mochte. 4. Der "Fernere Bericht" der Neuner-Kommissionvom 6. Februar 1850
Am 23. Januar berichtete Syndikus Amsinck den Neunern über die Rückverweisung der Verfassungsangelegenheit durch den Senat32• In 18 Die Eingabe enthielt im Ganzen sechs Punkte, von denen uns die letzten beiden nicht weiter interessieren. So wurde vorgeschlagen: Nichtöffentlichkeit der Sitzungen des Bürgerausschusses, Einführung von Erleichterungen bei Verfassungsänderungen, Revision der Verfassung nach sechs Jahren. 19 Vgl. diese Arbeit oben, S. 159, Punkt 4. 30 Die Oberleitung hatte der Advokat Dr. v. Bönninghausen, einer der maßgebenden Führer des Grundeigentümervereins. - Vgl. Prot. d. konst. Vers., S. 910, a) (keine weiteren Angaben). u Prot. d. konst. Vers., S. 911, b) (keine weiteren Angaben) - Trotz der scheinbar gelassenen Haltung, die der Senat zur Schau trug, sah Synd. Merck schon wieder jene Schere sich öffnen, die bereits die Senatsanträge am 17. Jan. zu Fall gebracht hatte, und er bemerkt: "Hätten wir augenblicklich nicht die Preußen hier, es ginge alles drunter und drüber." - Brief Mercks an Banks v. 26. Jan., Senat/außen 17 d.
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diesem Zusammenhang erhob sich die Frage, ob die Kommission Änderungen an ihren Entwürfen vom 3. November 1849 vornehmen wolle und wenn ja, welche. Angesprochen wurden "die offene Abst'mmung; die Vertretung des Grundelgentbums in der Bürgerschaft; die Wahlart des Senats; das numerische Verhältnis der verschiedenen Elemente der Bürgerschaft zueinander; die Wahl zu den Deputationen und eine Erleichterung der Revision der Verfassung". Kirchenpauer, Heise und Kaemmerer übernahmen das Referat für die wichtigen ersten vier Punkte. Dem Wunsch des Senats, mit der Kommission über die von ihr ausgearbeiteten Änderungsvorschläge vor deren Veröffentlichung zu verhandeln, entsprachen die Neuner vorläufig durch ihren Beschluß vom 24. Januar''· Damit fiel eine Bastion ihrer Unabhängigkeit. In ihrem "Ferneren Bericht" vom 6. Februar 185034 nahm die Kommission zu der Frage Stellung, ob sie überhaupt noch rechtmäßig weiterbestehe. Dabei adoptierte sie den Standpunkt des Senats, indem sie ihren Fortbestand solange als rechtens betrachtete, "bis entweder durch Annahme ihres Entwurfes die [Verfassungs-] Sache wirklich erledigt oder bis ihrer rechtlichen Existenz selbst durch Rath- und Bürgerschluß ein Ende gemacht ist". Die Schwierigkeit ihrer Aufgabe habe darin bestanden - so hieß es weiter - daß aus den kursarischen Ja-Nein-Beschlüssen Erbgesessener Bürgerschaft vom 17. Januar nicht eindeutig zu entnehmen gewesen sei, welche Punkte des Neuner-Entwurfs vom 3. November konkret beanstandet würden. Die Frage nach Umfang und Richtung fernerer Vorschläge ließe sich außerdem leichter beantworten, wenn Erbgesessene Bürgerschaft bei ihrer Kritik nicht von völlig verschiedenartigen Motiven ausgegangen wäre, die zwar zusammen ausgereicht hätten, die Neuner-Entwürfe zu Fall zu brin~ten, die sich aber kaum zu einem positiven Neunentwurf vereinigen ließen. Im Allgemeinen habe die Alternative bestanden, entweder den Befürwortern des Repräsentativssystems Folge zu leisten oder aber den Anhängern der alten Verfassung beizutreten. Allerdings habe sich die Kommission veranlaßt gesehen, für das Repräsentativprinzip zu optieren, "und sie zweifelt nicht daran, daß auch im Rath- und Bürger-Convente vom 17. .Januar die Mehrheit der Stimmen für dieses System war". Diese Ansicht stützten die Neuner auf folgende Berechnung: Für die Einführung des Repräsentativsystems seien alle die Stimmen zu zählen, 32 33 34
Prot. d. 49. ordtl. Sitzg. v. 23 . .Jan. 50, Senatfinnen 4 c. Prot. d. 50. ordtl. Sitzg. v. 24. .Jan. 50, ebd. Fundstelle: vgl. oben Anm. 26; Entwurf: Kirchenpauer, Senat/innen 6.
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die sich entweder für den Verfassungsentwurf der Kommission oder für die Konstituantenverfassung ausgesprochen hätten, wodurch die 225 bürgerschaftliehen Anhänger der Linksopposition als potentielle Befürworter der Neuner-Entwürfe erscheinen mußten35• Im Zusammenhang mit der Entscheidung für das Repräsentativprinzip verwiesen die Neuner auf ihren Bericht vom 3. November, in dem die Befürwortung jenes Prinzips ausführlich begründet worden sei38 • Im übrigen habe man sich ja auch in der Verfassungspraxis der letzten Jahre "bei der Behandlung der öffentlichen Angelegenheiten zu Formen gewendet, welche dem Repräsentativsystem entnommen" seien. Seit 1842 sei die vorgängige Beratung der Senatsanträge mehr und mehr auf die Presse und auf die Konvente selbst übergegangen37 • Angesichts der Verzögerung und Erschwerung der Deliberationen zwischen Senat und Bürgerschaft durch Einschaltung der bürgerlichen Kollegien beweise die Beibehaltung dieser Institution freilich kaum noch einen Nutzen, "und die Convente bieten nun nicht mehr das einfache, aber würdige Bild einer altreichsstädtischen Bürgerversammlung, sondern die vielfach entstellte Nachbildung eines kleinen Parlaments, in welchem die fünf verschiedenen Kammern [gemeint sind die Kirchspiele oder Kurien], deren eine nichts von den Argumentationen der anderen weiß, geredet, berathen und über die Vorlagen der Regierungsbehörden beschlossen wird, ohne daß diese irgendwie dabei vertreten und ihre Vorlagen zu vertheidigen im Stande wäre". Die Entwicklung "in dem größten Theil der civilisirten Welt" führe zum parlamentarischen System, welches "der Geist der Zeit" nun auch in Harnburg verlange. Das persönliche Stimmrecht müsse daher aufgegeben werden. Denn auf der Grundlage des persönlichen Stimmrechts - was die Oberalten vorgeschlagen hatten38 - könne weder der Neubau des Staates durchgeführt, noch bestehende Mißstände abgeschafft werden. Schon jetzt sei wegen der großen Zahl von Konventsberechtigten eine gute Gesetzgebungsarbeit kaum möglich - wenn nicht die Überzahl der Berechtigten auf den Besuch der Konvente verzichteten39• Solle deren u Vgl. oben, S. 208 f., Punkte 3 u. 4. u Vgl. oben, S. 180 ff. 37 Allerdings bemerkt Bertheau, Zeitungswesen, Anm. 1 auf S. 29, die nachträgliche Besprechung der Verhandlungen in den Rat- u. Bürgerkonventen habe ,;noch im fünften Jahrzehnt als etwas Unerhörtes" gegolten. ss Die Neuner nahmen im folgenden Bezug auf die Oberaltenbeschlüsse v. 23. u. 25. Jan. 50, vgl. diese Arbeit oben S. 213, aber auch S. 200. 39 Anstelle der etwa 3- 4 000 Konventsberechtigten hatten den Konvent v. 27. Aug. 49 nur 723, den Konvent v. 20. Sep. 49 nur 623, den
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Zahl aber - wie nach den Vorschlägen der Oberalten- gar auf etwa 6 000 Personen gesteigert werden, würden die bestehenden Übelstände nur vermehrt werden. Eine solche Verfassung könnte nur dann funktionieren, wenn die Mehrzahl der Berechtigten auch fortan auf die Ausübung ihrer politischen Rechte verzichteten - eine paradoxe, wenn auch vollauf zutreffende Folgerung aus den Vorschlägen der Oberalten, die durch eine Ausdehnung des persönlichen Stimmrechts eine Beteiligung bisher nicht berechtigter Bürger gerade erreichen wollten. Bei einer Zahl von 6 000 Bürgerschaftsberechtigten müßte sich aber auch der Mißstand potenzieren, der bislang darin lag, daß sich bisweilen nur 200, bisweilen aber 1 000 Berechtigte auf den Konventen eingefunden hätten. Mithin würden in Zukunft die Besucherzahlen vermutlich noch größeren Schwankungen unterliegen, was unerträglich sei. Denn dann wären die Ergebnisse der Abstimmungen noch mehr dem Zufall überlassen als bisher. Desgleichen würden die bisher nach den fünf Kirchspielen getrennten Verhandlungen der Bürgerschaft nur noch weiter kompliziert werden, wenn man auf den Vorschlag der Oberalten hin gar acht Kurien und gleichzeitig die Abstimmung nach Virilstimmen einführen würde. Weder könne man es dem künftigen Senat zumuten, für jeden Konvent gleichzeitig acht Vertreter abzustellen (für jede Kurie einen), noch werde man die Zersplitterung der Bürgerschaft dadurch aufhalten, daß man- wie die Oberalten vorschlugen- die parlamentarische Aussprache abschaffte und die pauschale Ja-Nein-Abstimmung beibehielt. Die Gesetzesarbeit einer derart konstruierten Bürgerschaft müsse im Ergebnis notwendig ungenau und widersprüchlich ausfallen. Vor allem aber würde durch die von den Oberalten beabsichtigte Ausdehnung des persönlichen Stimmrechts nicht das eklatante Mißverhältnis "zwischen einer kleinen Zahl politisch Berechtigter und einer großen Zahl politisch Unberechtigter" ausgeglichen werden. Da die Vorschläge der Oberalten die Einführung eines Zensus voraussetzten, würde dem bestehenden Privileg der Erbgesessenheit nur das des Geldes hinzugefügt werden. Was das Verhältnis von Bürgerschaft und Senat anbetraf, gedachten die Neuner-ihrer Meinung nach in Einklang mit Erbgesessener Bürgerschaft - auch weiterhin das Prinzip der Gleichberechtigung zu verfolgen, weil im Konvent vom 17. Januar Konvent v. 27. Sep. 49 nur 645, den Konvent v. 17. Jan. 50 nur 788 Personen besucht:
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"außer denjenigen, welche für die Senatsanträge stimmten, auch diejenigen hierher zu rechnen sind, welche entweder das Bestehende ganz beibehalten oder den Reform-Vorschlägen der Oberalten beitreten wollten" 40• Nur finde bei der Verwirklichung dieses Prinzips die Einrichtung von zwei bürgerlichen Kollegien a 15 bzw. 15 plus 50 gleich 65 Personen keinen Platz, wie das Ehrbare Oberalten vorgeschlagen hatten. Zwar könne das Gesamtkollegium von 65 Mitgliedern einen gewissen Ersatz bei der Erörterung von Gesetzesvorlagen bieten. Nur komme auch dabei das Prinzip der Repräsentation zu kurz, da sich die Bürgerschaft nach den Plänen der Oberalten - an einen Wahlaufsatz halten sollte, der von jenem Kollegium selbst aufgestellt werden würde. Für die Einführung eines 15-Männer-Kollegiums - von den Oberalten zweifellos als Nachfolgerin der eigenen Behörde gedacht - sei überhaupt kein Grund ersichtlich. Die Verwirklichung dieses Vorschlags (nach dem die Kollegiaten auf Lebenszeit gewählt, mit 70 Jahren aber pensioniert werden sollten) wäre allein eine unnötige Belastung für den Staatshaushalt. Nach allem konnte die Neuner-Kommissionnur folgern, daß die Vorschläge der Oberalten "in die gegenwärtige Verfassung kaum irgendeine Verbesserung einführen, die bestehenden Übelstände aber nur noch vermehren und daß sie jedenfalls weniger eine ,organische Fortbildung' als vielmehr einen völligen Umsturz des Bestehenden herbeiführen würden". Jedem neuen Verfassungsentwurf seien mithin die beiden Prinzipien zu Grunde zu legen: 1. Repräsentation der Bevölkerung durch periodisch neugewählte Vertreter; 2. Gleichberechtigung des Senats mit der Repräsentantenversammlung auf dem Gebiet der Gesetzgebung.
Fazit: Weder die Beibehaltung des persönlichen Stimmrechts, was die Oberalten gefordert hatten, noch die Unterordnung des Senats unter die Bürgerschaft bei der Gesetzgebung, wie von der Konstituante verlangt, könnten fortan berücksichtigt werden. Zwischen beiden Extremen hatte die Neuner-Kommission zu wählen gehabt, wobei sie sich nicht verhehlte, daß "mit jeder Concession nach einer Seite hin ... vielleicht neuer Widerstand auf der anderen hervorgerufen" werden könne. Mit Rücksicht auf die Mehrheitsverhältnisse in der Bürgerschaft, mit Rücksicht aber auch auf den dort bisher nicht vertretenen Teil der 40 Daß in der Gleichberechtigung von Bürgerschaft und Senat eine verschleierte Übernahme des althamburgischen Kyrions erblickt werden muß, weisen wir unten auf S. 267 ff. nach.
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Hamburger Bevölkerung, mit Rücksicht schließlich auf die eigene Überzeugung sei die Kommission "bei dem in ihren Anträgen vom 3. November 1849 aufgestellten System geblieben", wobei sie nur die Punkte abgeändert habe, "welche bei den Verhandlungen des letzten Rath- und Bürger-Convents besonders hervorgehoben und gerügt worden sind, welche auch abgeändert werden können, ohne daß darum das Ganze eine andere Gestalt gewönne". Im Ganzen umfaßten die Abänderungen, welche die N euner vorgenommen hatten, drei wesentliche Punkte, sowie einige weniger wesentliche redaktionelle Verbesserungen. Was die Art der Stimmabgabe bei den allgemeinen Wahlen anbetraf, war die Kommission früher von der Erwägung ausgegangen, "daß, wer eine politische Überzeugung habe, auch den Muth haben müsse, sie offen auszusprechen". Es war ihr entgegengehalten worden, daß es an diesem "Mut" noch weithin fehle, und die Kommission hatte sich erneut davon überzeugt "daß den Wählern in keiner Weise ein Zwang angethan" werden dürfe. Daher war sie jetzt bereit, die offene zugunsten der geheimen Stimmabgabe fallen zu lassen. Die Neuner betrachteten es als Selbstfolge dieses Zugeständnisses, "auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Bürgerschaft eine Modification eintreten" zu lassen, [Hervorhebg. v. Verf.] um dem aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen gestärkt hervorgehenden Volksvertretern ein entsprechend vergrößertes Gegengewicht zu assignieren: Jenen 96 Abgeordneten wollte sie anstatt 64 jetzt 80 andere gegenüberstellen, nämlich 40 Behördenvertreter (wie bisher) und 40 (statt früher 24) Grundeigentümer. Begründung: "Die Voraussetzung, daß in dieser Vertretung [der Grundeigentümer] selbst nach den besonderen Verhältnissen und Interessen des Grundbesitzes vorzugsweise die conservativen Elemente der Stetigkeit und Ordnung zur Geltung kommen werden, ließ es zweckmäßig erscheinen, daß gerade dieser Theil der Repräsentation vermehrt würde." Dadurch vermehrte sich die ganze Bürgerschaft von 160 auf 176 Mitglieder. Zugleich verschlechterte sich die Gesamtrelation zwischen "reinen" Volksvertretern und Ständevertretern bzw. Notabeln von 60:40 Ofo auf 55:45 Gfo. Die spezifischen Repräsentanten hatten nach den NeunerEntwürfen vom 3. November 49 nur eine- wenn auch starke- Sperrminorität gebildet, die eine Abstimmung, welche Zweidrittel-Mehrheit verlangte, blockieren konnte. Indessen fehlten den Ständevertretern und Notabeln nach dem neuesten Kommissionsvorschlag nur noch neun Stimmen an der einfachen Mehrheit - eine bedeutende Verstärkung des spezifischen Elements in der Bürgerschaft zuungunsten der allgemeinen Volksvertretung.
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Eine weitere Abänderung betraf den Modus der Grundeigentümerwahlen. Zwar beließ es auch der "Fernere Bericht" der Neuner vom 6. Februar bei der Bestimmung ihres Entwurfs für ein "Transitorisches Wahlgesetz" vom 3. November 49: Für die erste Bürgerschaft nach neuer Ordnung sollten die Grundeigentümer durch die Erbgesessene Bürgerschaft gewählt werden. Für alle weiteren Wahlen aber verfügte die Kommission eine geheime Abstimmung, bei der nur Eigentümer von Grundstücken wahlberechtigt wie wählbar sein sollten, "deren Werth nach der Grundsteuertaxe die Summe der Beschwerung [d. h. der hypothekarisChen Belastung] wenigstens um drei Tausend Mark Species Banco übersteigt". Die Höhe dieses Zensus' wurde in Analogie zur alten Verfassung vorgeschlagen, dabei aber aus politischen Gründen erhöht41 • Als Legitimationsnorm für den Wert der Grundstücke galt die Grundsteuertaxe. Die Kandidaten für die bürgerschaftliehe Grundeigentümervertretung sollten zudem aus Wahlaufsätzen hervorgehen, an deren Erstellung neben der künftigen General-Feuer-Kassen-Deputation auch die Schätzungsbürger42 paritätisch beteiligt sein sollten. Die näheren Bestimmungen wurden dem künftigen definitiven Wahlgesetz überlassen. Oblag damit auch die Wahl der Grundeigentümer entsprechend der Kritik im Rat- und Bürgerkonvent vom 17. Januar nicht mehr allein der numerisch kleinen General-Feuer-Kassen-Deputation, waren doch in den neuesten Vorschlag der Neuner auch genügend Sicherungen eingebaut, die das angestrebte Ergebnis gewährleisteten: Trotz der geplanten geheimen Abstimmung unter einem bedeutend erweiterten Kreis von Grundeigentümern mußte einerseits der erhöhte Zensus, andererseits die Aufstellung von Wahlaufsätzen durch besonders vertrauenswürdige Männer mit Gewißheit für eine wirtschaftlich starke, sozial gehobene und daher wahrscheinlich konservativ gesinnte Repräsentanz des Grundeigentums in der neuen Bürgerschaft sorgen. Der prinzipielle Nachteil einer Stimmrechtspotenzierung bei einer Minderheit qualifiziert Berechtigter, den wir bereits aus Anlaß des ersten Neuner-Berichts vom 3. November hervorhoben, wurde durch die neuesten Vorschläge der Kommission nur noch spürbarer gemacht43 • 41 Angesichts der vergleichsweise hohen hypothekarischen Belastung der Hamburger Grundstücke in jener Zeit - vgl. oben Anm. 137 auf S. 182 muß in dieser Erhöhung des Freigeldbetrags als Voraussetzung für den Erwerb der Wahlberechtigung (Zensus) der Versuch erblickt werden, das kleinere und stärker belastete Grundeigentum am Erwerb der Wahlberechtigung zu hindern, um dadurch radikale Elemente vom Eintritt in die bürgerschaftliehe Grundeigentümerrepräsentanz abzuhalten. 42 Gegenwärtig waren in den acht Steuerdistrikten der Stadt und der Vorstädte je drei Bürger mit der Schätzung der Grundstückswerte betraut. " Vgl. oben, S. 186.
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Schließlich hatte sich die Neuner-Kommission in Abänderung ihres November-Entwurfs noch mit dem Modus der Senatswahl befaßt. Hierbei konnte sie weniger auf kritische Stimmen aus den Reihen Erbgesessener Bürgerschaft Bezug nehmen, denn auf dem Rat- und Bürgerkonvent vom 17. Januar hatte jener Punkt kaum Anstoß erregt. Stattdessen waren von Seiten des Senats, aber auch von Seiten der Oberalten immer wieder Bedenken gegen die Bestimmungen über die künftige Senatswahl erhoben worden. Zwar gingen die Neuner nicht so weit, wie vom Kollegium der Oberalten empfohlen: Sie legten die Aufmachung des Wahlaufsatzes nicht ganz in die Hände des Senats zurück, weil das zu sehr der Selbstergänzung geglichen hätte. Immerhin aber schwächten sie das bürgerschaftliehe Element in der Vorschlagskommission. Statt in einem Verhältnis von drei Senatsvertretern zu sechs bürgerschaftliehen Abgeordneten sollte die Kommission fortan nur noch im Verhältnis von drei zu vier zusammengesetzt sein. Gelang es dem Senat, auch nur ein bürgerliches Kommissionsmitglied zu sich herüberzuziehen - gewiß keine Unmöglichkeit mehr angesichts des hohen Grundeigentümer- und Notabelnzusatzes in der Bürgerschaft, von dem gewiß ein Vertreter auch in der Vorschlagskommission sitzen würde - dann war jede, dem Senat unliebsame Kandidatenaufstellung blockiert. Im übrigen wurde der weitere Aufsatz, den die Vorschlagskommission erstellen sollte, von sechs auf vier Personen, der engere Aufsatz, den der Senat aus dem ,weiteren bilden und dann der Bürgerschaft vorschlagen sollte, von drei auf zwei verkleinert. Das Verhältnis von 2:1 zwischen dem weiteren und dem engeren Wahlaufsatz blieb mithin gewahrt, auch wenn die Bürgerschaft nur noch zwischen zwei, statt zwischen drei vom Senat präsentierten Kandidaten würde wählen können - was eine zusätzliche Einschränkung ihrer Wahlfreiheit bedeutete. Die weiteren Zusätze und Abänderungen, die die Neuner in Bezug auf die Senatswahl verfügten, fielen nicht ins Gewicht44 •
44 Es waren dies zwei Abänderungen in Bezug auf die Vorschlagskommission, eine in Bezug auf den Modus der eigentlichen SenatswahL Mindestens theoretische Bedeutung hatte einer dieser drei Änderungsvorschläge: Danach sollte es untersagt sein, daß sich die bürgerschaftliehen Mitglieder der Vorschlagskommission selbst oder sich gegenseitig auf den weiteren Wahlaufsatz bringen konnten. Mißliebige Kandidaten für ein Senatsamt konnten mithin dadurch unschädlich gemacht werden, daß sie in die Vorschlagskommission gewählt wurden, was ein - allerdings angestrebtes, Zusammenspiel zwischen dem amtierenden Senat und der voraussichtlich senatsfreundlichen Notabelnrepräsentanz voraussetzte; vgl. weiter unten Anm. 72.
15 Bavendamm
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Es verhielt sich also wirklich so, wie es die Neuner in ihrem "Ferneren Bericht" vom 6. Februar behaupteten: Ihr bereits mit den Entwürfen vom 3. November entwickeltes Verfassungssystem hatten sie in seiner essentiellen Substanz nicht eigentlich angetastet. Sowohl die entscheidenden parlamentarischen Mechanismen - wie die Senatswahl und die Regelung der Dissensfälle-waren (wenigstens im Prinzip) unangetastet geblieben, die liberal-konservative Basis ihres gemischen Wahlsystems war grundsätzlich gewahrt worden. Und doch hatten sich durch die Revisionsarbeit der Neuner Verschiebungen in deren System ergeben, die nicht ohne Bedeutung waren und die sich im Verhältnis zueinander nicht im Gleichgewicht befanden. Denn so groß war - objektiv betrachtet - das Zugeständnis an die Linke, das die Neuner mit der Einführung der geheimen Stimmabgabe gewährten, nicht, als daß es die auffallende Verstärkung des Ständeund Notabeln-Elements in der künftigen Bürgerschaft gerechtfertigt hätte. Es mag zwar sein, daß die Neuner diese Gewichtsverschiebung aus Gründen der Stimmenarithmetik in Erbgesessener Bürgerschaft für unerläßlich hielten, wollten sie anders nicht die Annahme ihrer Entwürfe auf einem späteren Konvent gefährden. Der politische Effekt aber läßt sich nicht verkennen: Das politische Gewicht der aus allgemeinen Volkswahlen erwartungsgemäß hervorgehenden liberalen oder gar demokratischen Mehrheit war noch deutlicher gemindert zugunsten des konservativen Elements, wie es mit Sicherheit aus den Grundeigentümer- und Notabeln-Wahlen resultieren mußte. Zudem hatte erstmals ein Zensus - wenn auch nur bei den Grundeigentümerwahlen - Eingang in die Entwürfe der Neuner-Kommission gefunden. Dieser "Zug nach rechts" setzte sich fort in den Bestimmungen über die Senatswahl: Die in ihren Kräfteverhältnissen gewandelte Wahlbürgerschaft hatte Boden an den Senat verloren, der- wie es der konservativen Anschauung jener Zeit entsprach - eine stabilisierende, d. h. den in der Bürgerschaft wechselnden Mehrheitsverhältnissen weithin enthobene Institution darstellen sollte. Zudem fragt es sich, ob die Neuner gut daran getan hatten, außer den im Rat- und Bürgerkonvent vom 17. Januar erhobenen Bedenken auch die Kritik zu berücksichtigen, die der Senat immer wieder am Wahlmodus für die künftige Regierungsbehörde geübt hatte. Denn leicht konnte sich der Senat ermutigt fühlen, auch noch andere Monita in die Verhandlungen mit den Neuner einzubringen, die er früher mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Kommission, sowie mit Rücksicht auf die Geschlossenheit ihrer Entwürfe unterdrückt hatte.
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ß. Vom "Ferneren Bericht" der Nenner-Kommission
zur "Hamburgischen Staatsverfassung" und zum "Transitorischen Wahlgesetz" vom 23. Mai 1850 1. Die Behandlung der Reformfrage durch die Verfassungskommission des Senats
Zunächst schien jene Gefahr gering. Denn am 8. Februar schlug Binder als Referent für die Verfassungssache vor45 , der Senat möge die früher gehegte Absicht, sich vor Veröffentlichung des Neuner-Berichts vom 6. Februar mit der Kommission über die von ihr vorgeschlagenen Änderungen zu vereinbaren, fallen lassen. Denn bei der Neuner-Kommission handele es sich um "eine von R[at] u[nd] B[ürgerschaft] eingesetzte Staatsbehörde", die, "ohne diese Stellung zu alteriren", nicht mit einer der alten Gewalten allein verhandeln dürfe. Zur Erörterung dieses Problems möge "die ganze Sache" an die Verfassungskommission des Senats verwiesen werden. Unterdessen solle der Neuner-Bericht gedruckt, aber nur an die Senatsmitglieder verteilt werden. Der Senat trat diesen Anträgen gleichentags bei48 • Wir waren in der glücklichen Lage, ausnahmsweise Protokolle der Senats-Verfassungskommission vorzufinden, die sich in acht Sitzungen vom 12. Februar bis zum 4. März 1850 mit den anstehenden Problemen befaßte47• Diese Protokolle sind aus einem dreifachen Grunde besonders wertvoll: 1. Es handelt sich hierbei nicht- wie bei den Protokollen der NeunerKommission - um reine Antrags- und Beschlußprotokolle ohne Angabe der einzelnen Abstimmungsergebnisse. Gerade weil die Diskussionsbeiträge der Kommissionsmitglieder großenteils ausführlich und die Abstimmungsergebnisse ihrem jeweiligen Zahlenverhältnis entsprechend (also nicht nur mit der Bemerkung "angenommen" "abgelehnt") genau aufgezeichnet wurden, Senat/innen 6 (4). Ebd., (5). 47 Ebd., (6) "Protocoll der in der Verfassungsangelegenheit niedergesetzten Senats-Cornrnission im Concept und in Copia. Sitzung 1-8. Vorn 12. Februar bis 4. März 1850." 48 Es mag angebracht sein, hier noch einmal die Mitglieder der Kornmission zu nennen: Bgrn. Dr. Kellinghusen, Syndikus Dr. Arnsinck, die Senatoren Dr. Binder, Dr. Hartung, Dr. Sieveking, Lutteroth-Legat, Dr. Arning, Dr. Kirchenpauer, Dr. Haller, Geffcken und der Senatssekretär Dr. Schwartze. Das Verhältnis von Rechtsgelehrten und Nicht-Juristen betrug mithin 9:2, was nach dem im 1. Kapitel über die Interessenlage des Senats gesagtem (vgl. dort vor allem S. 41 ff.) nicht ohne Bedeutung bleiben konnte. Alle Senatsrnitglieder der Neuner-Kornrnission waren in der Senatskornmission vertreten. ts co
15*
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2. ergeben sich einerseits unschwer Rückschlüsse auf die politische Einstellung der 11 Kommissionsmitglieder - ein vielleicht wertvoller Beitrag zur Durchleuchtung des politischen Profils, das der Senat am Vorabend des Rat- und Bürgerkonvents vom 23. Mai aufwies-, 3. läßt sich andererseits aber darüberhinaus auch die charakteristische Wendung ziemlich genau rekonstruieren, welche die Verfassungssache während der Monate Februar bis April im Schoße des Senats nahm. Zwar einigte sich die Verfassungskommission48 in ihrer ersten Sitzung vom 12. Februar49 darauf "bei einer Prüfung des Verfassungs-Entwurfs [der Neuner vom 3. November 1849] zunächst bei den von der ... Commission [am 6. Februar 1850] gemachten Abänderungsvorschlägen ... stehen zu bleiben".
Doch zeigte der weitere Verlauf der Sitzungen, daß sich die Beratungen nicht auf die drei Problemkreise (a) Wahlart und (b) Zusammensetzung der künftigen Bürgerschaft, sowie (c) Wahl des Senats beschränken ließen, vielmehr wurde schließlich das Ganze der Neuner-Entwürfe vom 3. November 1849 in Frage gestellt. Es zeigte sich überdies, daß in der Senatskommission starke konservative Tendenzen in Erscheinung traten, die bisher zwar mit Rücksicht auf den raschen Fortgang der Verfassungsreform- wohl auch mit Rücksicht auf die ultra-linke Opposition - unterdrückt, in Wirklichkeit aber nie beseitigt worden waren50 • Ihren Ausgang nahmen die Beratungen bei dem Problem der künftigen Senatswahl, das den Kommissionsmitgliedern natürlich besonders am Herzen liegen mußte. Schon dabei zeigte sich, daß nicht einmal die modifizierten Vorschläge der Neuner vom 6. Februar ungeteilten Beifall fanden. Im Gegenteil empfahl Senator Binder, "im Interesse des Staates" die Aufmachung des Wahlaufsatzes dem Senat ganz und allein vorzubehalten. Die Motive für diese Empfehlung erhellen aus der Äußerung des Senators Dr. Sieveking, nach der die Neuner-Vorschläge "das entschiedene Mittel" seien, "Parteimänner in den Senat zu bringen". Es könne nicht im "Staatsinteresse" liegen, "daß Wahlmänner der entschiedensten Farbe, über welche man sich vorher in den Clubbs verständigt habe, in die Wahlcommission geschickt werden".
Unter diesem Blickwinkel hatte Senatssekretär Dr. Schwartze Recht, wenn er betonte, die Zusammensetzung der künftigen Bürgerschaft sei die Kardinalfrage, worin ihm Amsinck und Senator Dr. Haller beistimm49 Da wir uns im folgenden ausschließlich auf die oben in Anm. 47 genannte Quelle stützen, verzichten wir auf wiederholte Verweisungen. 50 So konnte Synd. Merck am 16. Feb. Banks berichten: "Die Reaction gewinnt immer mehr an Terrain u. selbst in der Verfassungs-Commission, die jetzt den Neuner Entwurf beräth, sollen die traurigsten Extravaganzen vorkommen." -Brief Mercks an Banks v. 16. Feb. 50, Senat/außen 17 d.
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ten. Jedenfalls könne der Senat bei der gegenwärtig geplanten Komposition der Bürgerschaft auf sein Alleinrecht nicht verzichten. Der Versuch, auf dem Wege über die Wahlaufsatz-Frage zu Einrichtungen zurückzukehren, die deutlich an das Selbstergänzungsrecht des Senats gemahnten, traten vor allem die Senats-Mitglieder der Neuner-Kommission entgegen. Zwar hielt es auch Amsinck für die Hauptsache, "daß die Bürgerschaft so zusammengesetzt sei, daß sie gute Aufsätze macht". Doch könne er keine Art der Senatswahl gutheißen, bei der "die Bürgerschaft nicht schon bei der Anfertigung des Wahlaufsatzes concurrire". Im übrigen sei es gar kein Schade, wenn auf diese Weise "Männer von anderer Meinung" in den Senat kommen würden. Kirchenpauer hielt die Gefahr für gering, "daß Unbrauchbare gewählt würden", auch wenn er anerkannte, daß die Ratswahlen künftig wohl ein "Parteitreiben" sein würden. Geffcken und Lutteroth aber wiesen darauf hin, daß bei einem auf 15 Mitglieder51 verkleinerten Kollegium, das allein den Aufsatz anfertigen dürfe, die Gefahr einer "Familienregierung" zu groß werde. Einen Einwand gegen Binders Vorschlag (P_ufstellung des Wahlaufsatzes allein durch den Senat) machte auch Senator Dr. Hartung. Er verwies auf die Anträge des Senats an Erbgesessene Bürgerschaft vom 27. September 1849, in deren Motivierung er, der Senat, "die Aufhebung der bisherigen Art der Selbstergänzung als eine nothwendige Abänderung der bisherigen Verfassung bezeichnet". Eine Aufhebung der Selbstergänzung aber könne man wohl kaum darin erblicken, daß der Senat - wenn er bislang aus einem von ihm formierten Aufsatz gelost habe52 - fortan aus einem von ihm aufgestellten Aufsatz wählen lassen wolle. Freilich konnte ihm Haller entgegenhalten, daß der Senat in den gleichen Anträgen unter Punkt 4 die Bildung des Wahlaufsatzes "unter seiner wesentlichen Mitwirkung" gefordert habe. Mehr als die Tatsache, daß der Senat den Wahlaufsatz selbst formiere, habe man übrigens bisher die Tatsache gerügt, daß dieser 11 Nicht mitgezählt waren hierbei die drei geplanten Sekretäre, deren Wahl durch den Senat immer unbestritten war. 51 Einen anschaulichen und ge:1auen Einblick in den Ablauf der Senatswahl nach alter Ordnung gibt Buek, Verfassung und Verwaltung, S. 27 ff. - Danach wurden durch Los vier Bürgermeister oder Senatoren zu sog. "Vorschlagsherren" bestimmt. Die vier Vorschlagsherren nominierten nacheinander je einen Kandidaten, worauf alle anwesenden "membra in senatu" (mit Ausnahme des betreffenden Vorschlagsherren und der mit dem vorgeschlagenen verwandten Senatsmitglieder, die sich vorher zurückgezogen haben) den Kandidaten verdeckt "zum Lose erwählen" (bzw. durchfallen lassen, worauf die Prozedur so lange wiederholt wird, bis vier Kandidaten feststehen). Von den vier Kandidaten (sog. "Aufsatz") wird dann einer durch Los erwählt.
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Wahlaufsatz geheim bleibe, so daß niemand wisse, ob der Senat nicht die besten Leute eieminiert habe. Würde man den Wahlaufsatz des Senats daher fortan veröffentlichen, ließe sich die Sache "auch psychologisch" besser an. Schließlich aber stimmte die Mehrheit der Kommission, nämlich Bürgermeister Dr. Kellinghusen, die Senatoren Dr. Binder, Dr. Sieveking, Dr. Arning, Dr. Haller und der Senatssekretär Dr. Schwartze für den ursprünglichen Antrag Binders, "daß der Aufsatz mitte1st freier Abstimmung [im Senat] durch Majorität zu machen sei". Dieser Passus wurde in der achten und letzten Sitzung der Verfassungskommission zum Beschluß erhoben. Der Wahlaufsatz sollte aus vier Personen bestehen. Als nächstes - die Reihenfolge der Traktanden halten wir für charakteristisch - wandte sich die Verfassungskommission in ihrer zweiten Sitzung vom 15. Februar dem Thema "Wahl und Zusammensetzung der Bürgerschaft" zu. Auch hier erweist sich, daß die Diskussion nicht auf die Erörterung der letzten Neuner-Vorschläge vom 6. Februar beschränkt blieb. Praktisch wurde noch einmal die gesamte Wahlrechtsfrage aufgerollt. Dafür sorgten schon fünf Amendements, die der Senatskommission von Kellinghusen, Sieveking, Haller, Arning und Schwartze eingereicht worden waren53• Dabei empfahlen die drei von den Neuner-Entwürfen am weitesten abweichenden Vorschläge Kellinghusens, Sievekings und Hallers mit etwas unterschiedlicher Akzentuierung die Einführung eines Klassensystems mit indirekten Wahlen unter Auslassung des Zusatzes von 40 Grundeigentümern. Entsprechend sollte die Bürgerschaft von 176 auf 136 Abgeordnete verkleinert werden. Dieses Projekt entsprach in etwa Punkt 1 des Senatsprogramms vom 27. September 184954 - ein klarer Beweis dafür, wie weit man in der Auseinandersetzung um die Verfassungsfrage wieder zurückgefallen war. Hingegen schloß sich Senator Arning mit seinem Amendement weitgehend den Neuner-Entwürfen an. Doch wollte er die Entrichtung einer "Personalsteuer" (d. h. einer direkten Steuer) von einem bestimmten Betrag an aufwärts zur Vorbedingung für die Wahlberechtigung machen; das bedeutete Einführung eines Zensus'. Der letzte Vorschlag, den Schwartze unterbreitete, macht überhaupt erst deutlich, wie locker der Konsensus über die Grundlagen der Versa Senat/innen 6 (7). 54 Vgl. den entsprechenden Punkt 1 der Weisungen des Senats an die Amslncksche Unterkommission von Anfang August 49, oben auf S. 162, insbes. aber S. 177 dieser Arbeit.
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fassungsreform innerhalb des Senats geworden war, seitdem der Reformdruck "von links" scheinbar nachgelassen, der Druck der Reaktion "von rechts" aber zugenommen hatte. Denn der Senatssekretär empfahl - offenbar in Voraussicht der endlosen Diskussionen, in die sich zu begeben man erneut im Begriffe stand - nichts weniger als "die definitive Feststellung des Wahlprincips der zukünftigen Gesetzgebung zu überlassen". Schließlich müsse man sich stets vergegenwärtigen - so führte er aus -was bei der Erbgesessenen Bürgerschaft überhaupt durchzusetzen sei. Wollte man die spezielle Repräsentanz der Grundeigentümer, wie sie die Neuner-Entwürfe vorsahen, einem Klassensystem mit indirekten Wahlen opfern, würde man sich die Grundeigentümer entfremden. Würde man einen Zensus einführen, müßte man mit dem Widerstand der Linken rechnen. "Im Vertrauen darauf, daß die Besonnenheit mit der Zeit mehr und mehr zurückkehre", solle man daher die Lösung der Wahlrechtsfrage der Zukunft 'überlassen. Aber auch der Hinweis Schwartzes, der Senat habe schon die Ablehnung eines Klassensystems mit indirekten Wahlen präjudiziert, indem er mit seinen Anträgen vom 17. Januar den Neunern beigetreten sei, die ja ausdrücklich jenes System verworfen hatten, vermochte die Verfassungskommission nicht davon abzuhalten, erneut in eine umständliche Beratung jenes Projekts einzutreten. Die Debatte wurde mit den bereits bekannten Argumenten und Gegenargumenten geführt, so daß wir es uns ersparen können, hier weiter auf sie einzugehen. Für die politischen Beweggründe aber, die Kellinghusen, Sieveking und Haller veranlaßt haben mögen, die Einführung eines Klassensystems mit indirekten Wahlen anzuregen, sind die Ausführungen Hallers interessant, der sagte: "Der jetzige Vorschlag der Neuner-Commission beruhe auf zu breiter Basis. Es sei mit größester Sicherheit abzusehen, daß man [bei seiner Verwirklichung] die schlechtesten Wahlen haben werde. . .. Die Erfahrung lehre überdies, daß die Umsturzparthei mehr Talent, Consequenz und Energie besitze ... und daher [nach] oben komme." Die Diskussion endete schließlich damit, daß sich außer den Senatsmitgliedern der Neuner-Kommission - Amsinck, Lutteroth, Kirchenpauer und Geffcken - auch Hartung und Schwartze für die jüngsten Neuner-Vorschläge aussprachen, wobei Schwartze noch die Erhöhung des Grundeigentümer- und Notabeln-Zusatzes auf 96 Abgeordnete vorschlug, so daß die Bürgerschaft zusammen mit den 96 allgemeinen Volksvertretern 192 Personen umfassen sollte. Es wurde abgesprochen, "daß zum Versuche einer Vereinigung der abweichenden Ansichten die Herren Sieveking, Arning, Haller und Schwartze vorgängig unter sich zusammentreten sollten".
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Für diese Unterkommission stattete Haller am 4. März Bericht ab. Zu einer Ausgleichung der Ansichten war man indessen nicht durchgedrungen. Es wurde beschlossen, die Vorschläge Sievekings, Hallers und Schwartzes drucken zu lassen und als Minderheitsvotum zusammen mit allen anderen Änderungsvorschlägen, die die Neuner-Entwürfe betrafen und die in der Senatskommission vier Stimmen und mehr auf sich vereinigt hatten55, dem Senat zur endgültigen Beschlußnahme vorzulegen. 2. Die vertrauliche Demarche der bürgerschaftliehen Mitglieder der Nenner-Kommission vom 7. März 1850letzter Rettungsversuch für eine "modifiziert mittlere" Lösung
Inzwischen waren die Anhänger der konstituierenden Versammlung nicht untätig gewesen. In zahlreichen Versammlungen hatte jene Adresse58, die ein Aktionskommittee unter der Leitung des Abgeordneten Dr. v. Bönninghausen Mitte Januar der Öffentlichkeit vorgelegt hatte, bis zum 9. März rund 16 400 Unterschriften gefunden- ein wahrhaft imponierendes Resultat. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß zu den Unterzeichnern der Eingabe überwie~tend konventsberechtigte Bürger, sowie Wähler und Abgeordnete der Konstituante gehörten57, wenn man sich weiter die Punkte vor Augen hält, in denen nach Ansicht der Unterzeichner eine Revision der Konstituanten-Verfassung durch die Versammlung erfolgen sollte, wenn man schließlich bedenkt, daß dieses Revisionsnrogramm insofern realistisch war, als es materiell den Wünschen Erb~esessener Bürgerschaft entgerrenkam, - dann ergibt sich die politische Relevanz jener Adresse von selbst: Sie war geeignet, die Verfassun~Ysreform. die im Schoße des Senats nur zögernd gedieh, sozusagen von links her zu beschleunilren. Ging die Konstituante tatsächlich auf die Vorschläge ein. die die Eingabe enthielt, mußte befürchtet werden, daß Senat und Erbgesessene Bürgerschaft die Initiative verloren. Dieser bedrohlichen Perspektive tru~ten die fünf bürgerschaftliehen MitP"lieder der Neuner-Kommission Rechnung, als sie in einer vertraulichen Demarche den Senat am 7. März dringend dazu aufforderten, die revidierten Neuner-Entwürfe in der Fassung vom 6. Februar 1850 unverändert anzunehmen und unverzü,:rlich Erbgesessener Bürgerschaft zur MitP"enehmhmng zu unterbreiten58• Mit Recht wiesen Kaemmerer, Loehr, Hübener, Petersen und Reise darauf hin, daß seit Übergabe des 55 Rchnn das war eine erhebliche Konzession an die konservative Minderheit. der Senatskommission. "' "171!'1. diese Arbeit oben S. 217. 57 Bolland, 100 Jahre, S. 29 ist sogar der Ansicht, die 16 400 Unterzeichner dPr 'PPtitinn h