Vom Vulgärlatein zum Altfranzösischen: Einführung in das Studium der altfranzösischen Sprache 9783111633541, 9783111252889


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German Pages 255 [256] Year 1963

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN
PHONETISCHE TRANSKRIPTION
DIE AUSBREITUNG DER LATEINISCHEN SPRACHE
VULGÄRLATEIN
DIE ITALIENISCHE SPRACHE
DIE PROVENZALISCHE SPRACHE
DIE ALTFRANZÖSISCHE SPRACHE
ANHANG: AUS DER SPRACHWISSENSCHAFTLICHEN TERMINOLOGIE
Bibliographische Hinweise
INDICES
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Vom Vulgärlatein zum Altfranzösischen: Einführung in das Studium der altfranzösischen Sprache
 9783111633541, 9783111252889

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R O H L F S / VOM VULGÄRLATEIN ZUM ALTFRANZÖSISCHEN

SAMMLUNG KURZER LEHRBÜCHER DER ROMANISCHEN SPRACHEN UND LITERATUREN B E G R Ü N D E T VON KARL VORETZSCH

HERAUSGEGEBEN VON GERHARD

ROHLFS

15 GERHARD ROHLFS VOM V U L G Ä R L A T E I N ZUM A L T F R A N Z Ö S I S C H E N

MAX N I E M E Y E R V E R L A G T Ü B I N G E N

1963

VOM VULGÄRLATEIN ZUM ALTFRANZÖSISCHEN

E I N F Ü H R U N G I N DAS S T U D I U M DER ALTFRANZÖSISCHEN SPRACHE VON

GERHARD ROHLFS

Z W E I T E , V E R B E S S E R T E AUFLAGE

MAX N I E M E Y E R V E R L A G T Ü B I N G E N

1963

Alle Rechte, auch das der Übersetzung in fremde Sprachen vorbehalten Copyright by Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1963 Printed in Germany Satz und Druck: Allgäuer Heimatverlag GmbH, Kempten/Allgäu Einband: Großbuchbinderei H. Koch, Tübingen

A CELS Q U I A I M E N T D E FRANCE D U L C E L' A N C I E N LENGAGE

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort Verzeichnis der Abkürzungen Phonetische Transkription Die Ausbreitung der lateinischen Sprache Vulgärlatein Die Appendix Probi Die Glossen von Reichenau Das vulgärlateinische Vokalsystem Die italienische Sprache Cantico di San Francesco d'Assisi Die provenzalische Sprache Die Lautstruktur des Provenzalischen Provenzalische Vidas 1. Jaufre Rudel 2. Peire d'Alvernhe 3. Giraut de Bornelh Die altfranzösische Sprache Schriftsprache und Mundarten Die Lautstruktur des Französischen Marie de France Die Sprache der Marie de France Bisclavret Anhang: Aus der sprachwissenschaftlichen Terminologie Bibliographische Hinweise Indices Sachregister

9 13 16 17 23 27 33 41 45 47 52 54 56 57 70 79 85 85 88 91 93 96 214 230 231 231

Wortregister: Lateinisch S. 239; Französisch S. 242; Provenzalisch S. 249; Italienisch S. 250; Spanisch S. 252; Rumänisch S. 253; Sardisch S. 253; Rätoromanisch S. 263; Katalanisch S. 253; Portugiesisch S. 253; Keltisch S. 253; Germanisch S. 253; Englisch S. 254; Deutsch S. 254; Verschiedene Sprachen S. 254 Register der Eigennamen: Geographische Namen S. 254; Personennamen S. 256. 7

VORWORT On ne dit pas de choses solides, lorsqu'on cherche h en dire d'extraordinaires . . . L'obscurité est le royaume de l'erreur. Vauvenargues, Réflexions et Maximes. Spezialismus ohne Universalismus ist blind, Universalismus ohne Spezialismus ist eine Seifenblase. E. R. Curtius.

Als nach dem Tode von Karl Voretzsch der Verleger Niemeyer mit dem Wunsche an mich herantrat, das berühmte Handbuch 'Einführung in das Studium der altfranzösischen Sprache* so zu bearbeiten, daß es dem neuen Stande der Wissenschaft entsprechen könne, habe ich mich dazu nur mit großer Zurückhaltung entschließen können. Seit dem ersten Erscheinen dieses Lehrbuchs im Jahre 1901 war fast ein halbes Jahrhundert verstrichen. In den späteren Auflagen des Buches hatte Voretzsch zwar mancherlei neue Erkenntnisse in das Buch hineingearbeitet, die 'bibliographischen Anmerkungen* ergänzt und gewisse grundsätzliche Neuerungen (Ersatz der 'ältesten Denkmäler' durch Proben mundartlicher Texte) eingeführt, doch blieb das Buch in seiner Gesamtheit auf jene wissenschaftlichen Interessen (Laut- und Formenlehre) ausgerichtet, die bis zum ersten Weltkrieg die französische Sprachwissenschaft sehr weit beherrscht haben. 1 *) Als ein klassisches Handbuch, das ganzen Generationen von Studierenden sichere Wege zum Altfranzösischen gewiesen hat, kommt dem Werke von Karl Voretzsch das Recht zu, in seiner besonderen Art und Anlage nicht verändert zu werden. So habe ich mich denn in den letzten Ausgaben des Buches (1950 und 1955) darauf beschränkt, im Rahmen der in einem Manuldruclc gegebenen Möglichkeiten, das zu beseitigen und zu verbessern, was wirklich überholt ist, einige wichtige bibliographische Ergänzungen zu geben und die mundartlichen Texte auszuscheiden, da sie für den Anfänger entbehrlich sind. So sehr das Buch von Voretzsch in seiner methodisch-pädagogischen Substanz noch immer geeignet ist, als Einführung in das Studium der altfranzösischen Sprache nützliche Dienste zu leisten, so haben sich doch im Laufe der letzten Jahrzehnte die wissenschaftlichen Interessen 1 * ) Siehe das Urteil eines englischen Kritikers (F. Whitehead): 'Voretzsch's book contains much valuable material, but it is now fifty years old and while the factual content h as been kept up to date, the direction of its emphasis and its pedagogical method have remained unchanged throughout successive éditions' (Mod. Lang. Review, vol. 47, 1952).

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so verschoben, daß eine moderne Einführung auf ganz neue Grundlagen gestellt werden muß.2*) Die vielfach neuen Erkenntnisse, die auf dem Gebiet der Syntax und der Wortforschung, der Sprachgeographie und der Mundartenforschung zusammen mit neuen Anregungen aus der vertieften Beschäftigung mit den anderen romanischen Sprachen erwachsen sind, verlangen eine Orientierung, die der heutigen wissenschaftlichen Ausrichtung Rechnung trägt.3*) Insbesondere hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Vulgärlatein bzw. der späteren Latinität viele neue Aufschlüsse geliefert, die für den inneren Zusammenhang in der Entwicklung der romanischen Sprachen und für die Chronologie der romanischen Spracherscheinungen von großer Bedeutung sind. Das vorliegende Buch, das aus einer Vorlesung an der Universität Tübingen (1958-59) entstanden ist (so wie auch die 'Einführung' von Voretzsch aus praktischen Übungen an der gleichen Universität hervorgegangen war), geht von dem Gedanken aus, daß eine methodische Einführung in die Entwicklung einer Sprache nicht von ihr nach rückwärts (d. h. vom Französischen zum Lateinischen) führen sollte, sondern daß, wenn die Möglichkeit dafür gegeben ist, der Weg in seinem natürlichen historischen Ablauf gegangen werden sollte. Dazu bieten die romanischen Sprachen mit ihrer fast ununterbrochen vor unseren Augen liegenden Sprachtradition von über zweitausend Jahren eine vorzügliche Gelegenheit. Diese neue 'Einführung' gliedert sich in vier Abschnitte, die vier Etappen in der Entwicklung der lateinischen Sprache zum Romanischen veranschaulichen sollen. Im ersten Abschnitt wird das Vulgärlatein cha2 *) Vgl. die Meinung des zitierten englischen Kritikers: 'Many o f u s would therefore welcome a really rejuvenated Voretzsch, with the topics rearranged in a scientific pedagogical order according to their intrinsic difficulty and importance'. 3 *) Zur Aufnahme gewisser phonologischer Deutungen, wie sie in den Büchern von André Martinet (Economie des changements phonétiques: Traité de phonologie diachronique, Bern 1955), H. Lüdtke (Die strukturelle Entwicklung des romanischen Vokalismus, Bonn 1956) und Harald Weinrich (s. S. 15) vertreten werden, habe ich mich nicht entschließen können. Bei aller Anerkennung der gedanklichen Überlegungen und scharfsinnigen Rekonstruktionen dieser Forschungsrichtung kann ich eine gewisse Skepsis gegenüber dem Werte der phonologischen Betrachtungsweise nicht überwinden, solange die vorgetragenen z. T. einseitigen, z. T. sehr überspitzten Theorien nicht einleuchtender und endgültiger fundiert sind. Noch ist die Diskussion über den Wert der Phonologie und der phonologischen Methode in vollem Gange; s. dazu unter dem Thema 'Phonologie und traditionelle Sprachwissenschaft' die Stellungnahme von M. Sandmann und Kurt Baldinger in der ZRPH, Bd. 74, 1958, S. 431-480. Man vergleiche dazu auch die sehr reservierte Beurteilung der bisherigen Ergebnisse bei B. E. Vidos, Manuale di linguistica romanza, S. 153ff.

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räkterisiert mit besonderer Berücksichtigung der Phänomene, die für die Entstehung der französischen Sprache von Wichtigkeit geworden sind. Im zweiten Abschnitt wird eine ehrwürdige und berühmte altitalienische Dichtung interpretiert, deren sprachliche Form als eine erste Stufe in der Weiterentwicklung des vulgären Lateins betrachtet werden kann. Der dritte Abschnitt ist, auf der Grundlage einiger Prosatexte, dem Altprovenzalischen gewidmet, wobei der Verfasser von der Auffassung ausgeht, daß die Sprache der provenzalischen Troubadours eine Art Mittelstellung zwischen dem Italienischen und dem Altfranzösischen einnimmt: in dieser Form können wir uns (cum grano salis) etwa das älteste Französisch vorstellen, das im 8. Jahrhundert in Nordfrankreich gesprochen wurde. Diese drei Abschnitte, die keine Vollständigkeit anstreben, sind nur als pädagogische Vorstufen gedacht, die vieles leichter verständlich machen sollen, was im vierten Abschnitt, der das Altfranzösische behandelt, eingehender erklärt wird. Man muß sich dessen bewußt bleiben, daß unter den romanischen Sprachen keine eine so tiefgreifende Veränderung erfahren hat wie das Französische.4*) Es ist nicht nur diejenige romanische Sprache, die sich vom Lateinischen am weitesten entfernt hat, sondern zugleich auch die Sprache, die den schnellsten Entwicklungsprozeß durchlaufen hat, im Gegensatz etwa zum Provenzalischen und dem Spanischen, die in gewissen Dingen viel langsamer der gleichen Entwicklung (aber ihrerseits schneller als das Italienische) gefolgt sind. In der Darstellung und Erklärung der sprachlichen Erscheinungen habe ich versucht, so bündig und zielstrebig zu sein, wie es sich in einem solchen für Anfänger bestimmten Lehrbuch rechtfertigen läßt. Heute kann vieles als endgültig und selbstverständlich betrachtet werden (und verlangt daher keine breitere Erörterung), was zu Anfang unseres Jahrhunderts einer näheren Begründung bedurfte. Die gegebenen Erklärungen wollen in keiner Weise die bewährten Handbücher und Einzelmonographien ersetzen. Im Gegenteil sind sie so angelegt, daß sie den Studierenden zur Benutzung der Nachschlagewerke und der Spezialliteratur hinführen sollen. Im übrigen sind die erklärenden Partien so gegliedert, daß alles Wichtige und Wesentliche im Haupttext zusammengefaßt ist, während die reichlichen Anmerkungen zu weiterer Vertiefung und näherer Beschäftigung anregen sollen. Der beigegebene Anhang ('Aus der sprachwissenschaftlichen Terminologie') geht von dem Grundsatz aus, daß auch elementare Bedürfnisse erfüllt werden sollen. 4

*) Es hat sich daher nicht selten herausgestellt, daß für die Beurteilung altromanischer Spracherscheinungen das Nordfranzösische 'völlig ungeeignet' ist; s. dazu H. Lausberg in RF, Bd. 60, S. 595. 11

Der Verfasser dieser neuen 'Einführung' hofft mit seinem Buch den Studierenden der romanischen Philologie einen brauchbaren und klaren Weg zum Eindringen in die Sprache des mittelalterlichen Frankreich zu weisen. Er ist sich jedoch in dem hier unternommenen Versuch des altiranzösischen Sprichwortes bewußt : Au premier coup ne chiet pas Ii chaianea. Juli 1969

Gerhard Rohlfs

Vorwort zur zweiten Auflage Die neue Auflage ist vom Verfasser sorgfaltig durchgesehen worden. Manches konnte besser formuliert oder klarer dargestellt werden. Zusätze wurden gemacht, wo sie der Vertiefung eines Problemes dienen konnten. Neuere Ergebnisse der letzten Forschung wurden berücksichtigt. Für die Beseitigung vieler kleiner Unebenheiten und Unklarheiten und für mancherlei ergänzende Hinweise ist der Verfasser H e i n r i c h K u e n verpflichtet, der sich die Mühe gemacht hat, die erste Auflage dieses Buches gewissenhaft durchzusehen. Für die Mitteilung seiner Verbesserungsvorschläge sage ich ihm meinen wärmsten Dank. Tübingen-Hirschau, Juli 1963

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Gerhard Rohlfs

VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN (HÄUFIGER ZITIERTE WERKE) ALL = Archiv für lateinische Lexikographie und Grammatik (1883 ff.). ALF == Atlas linguistique de la France (Paris 1903-1910). AR = Archivum Romanicum (Genf 1917 ff.). AStNSp = Archiv für das Studium der neueren Sprachen (1846 ff.). Bourciez = E. Bourciez, Précis historique de phonétique française. Paris 1937. Brunot-Bruneau = Ferdinand Brunot et Charles Bruneau, Précis de grammaire historique de la langue française. Paris 1933. CGIL = Corpus glossariorum Latinorum. Leipzig 1889-1923. Corominas = J. Corominas, Diccionario critico etimològico de la lengua castellana. Bern 1954ff. CIL = Corpus inscriptionum Latinarum, Berlin 1863ff. DVJ = Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Halle 1923 ff. EAS = Einführung in das Studium der altfranzösischen Sprache, von Karl Voretzsch, 8. Aufl. bearbeitet von G. Rohlfs. Tübingen 1955. EWFS = E. Gamillscheg, Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache. Heidelberg 1928. FEW = Walther von Wartburg, Französisches etymologisches Wörterbuch (1922ff.). Fouché = Pierre Fouché, Phonétique historique du français. Paris 1953, 1958. Fouché, Verbe = Pierre Fouché, Le verbe français. Paris 1931. Foulet = Lucien Foulet, Petite syntaxe de l'ancien français. Paris 1923. FrM = Zeitschrift Le Français Moderne. Paris 1933 ff. Gamillscheg = Ernst Gamillscheg, Historische französische Syntax. Tübingen 1957. Gamillscheg, Tempuslehre = Ernst Gamillscheg, Studien zur Vorgeschichte einer romanischen Tempuslehre. Wien 1913. Grevisse = Maurice Grevisse, Le bon usage. Grammaire française. Paris 1959 [Umfassendste und zuverlässigste französische Grammatik]. Godefroy = F. Godefroy, Dictionnaire de l'ancienne langue française et de tous ses dialectes. Paris 1881-1902. GRM = Germanisch-romanische Monatsschrift (1909ff.). IF == Indogermanische Forschungen (1892 ff.). Jordan — Jorgu Jordan, Einführung in die Geschichte und Methoden der romanischen Sprachwissenschaft. Ins Deutsche übertragen von Werner Bader. Berlin 1962 (s. Seite 230). 13

Lausberg = Heinrich Lausberg, Romanische Sprachwissenschaft (Lautlehre, Formenlehre). In Sammlung Göschen, Bd. 128, 250, 1199, 1200. Berlin 1956, 1962 (Neuauflage 1963). Lerch - Eugen Lerch, Historische Syntax der französischen Sprache. Leipzig 1925-1934. Löfstedt, Komm. = E. Löfstedt, Philologischer Kommentar zur Peregrinatio Aetheriae. Uppsala 1911. Löfstedt, Synt. = E. Löfstedt, Syntactica. 2 Bände. Lund 1928, 1933. Meyer-Lübke = W. Meyer-Lübke, Grammatik der romanischen Sprachen. Leipzig 1890ff. Meyer-Lübke, Einf. = W. Meyer-Lübke, Einführung in das Studium der romanischen Sprachwissenschaft. Heidelberg 1920. Meyer-Lübke, Franz. Gramm. = W. Meyer Lübke, Historische Grammatik der französischen Sprache. Erster Teil: Laut- und Flexionslehre. Heidelberg 1913. — Zweiter Teil: Wortbildungslehre. Heidelberg 1921. Niedermann = Max Niedermann, Historische Lautlehre des Lateinischen. Heidelberg 1911. Norberg = Dag Norberg, Beiträge zur spätlateinischen Syntax. Uppsala 1944. NSA = Notizie degli scavi di antichità. Rom 1910 ff. Pope = M. K. Pope, From Latin to Modem French with especial consideration of Anglo-Norman. Manchester 1952. REW = W. Meyer-Lübke, Romanisches etymologisches Wörterbuch. Heidelberg 1935. R F = Zeitschrift Romanische Forschungen (Erlangen 1883ff.). RFE = Zeitschrift Revista de filología española (1914ff.). Rheinfelder = H. Rheinfelder, Altfranzösische Grammatik. Teil I : Lautlehre. München, 2. Aufl. 1953ff. Richter = Elise Richter, Beiträge zur Geschichte der Romanismen: Chronologische Phonetik des Französischen bis zum Ende des 8. Jahrhunderts. Halle 1934. RJb = Romanistisches Jahrbuch (Hamburg 1949ff.). RLaR = Revue des langues romanes (Montpellier 1870 ff.). RLiR = Revue de linguistique romane (Paris 1926ff.). Rohlfs = G. Rohlfs, Historische Grammatik der italienischen Sprache und ihrer Mundarten. Drei Bände. Bern 1949-1954. Rom. = Zeitschrift 'Romania* Paris 1872ff.). RPh = Zeitschrift Romance Philology (Berkeley 1947ff.). Schwan-Behrens = E. Schwan und D. Behrens, Grammatik des Altfranzösischen. Leipzig 1925. StM = Zeitschrift Studi medievali (Torino 1904ff.). 14

Tagliavini = C. Tagliavini, Le origini délie lingue neolatine. Bologna 1959 (s. Seite 230). TLL = Thesaurus Linguae Latinae Tobler = A. Tobler, Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. Leipzig 1886ff. Tobler-Lommatzsch = A. Tobler und E. Lommatzsch, Altfranzösisches Wörterbuch. Berlin 1925ff. Väänänen = V. Väänänen, Le latin vulgaire des inscriptions pompéiennes. Helsinki 1937. Vidos = B. E. Vidos, Manuale di linguistica romanza. Firenze 1959 (s. Seite 230). Voretzsch s. EAS. VR - Vox Romanica (Zürich 1936ff.). Wartburg s. FEW. Wartburg, Ausglied. = W. von Wartburg, Die Ausgliederung der romanischen Sprachräume. Bern 1950 Wartburg, Evol. = W. von Wartburg, Evolution et structure de la langue française. Bern 1946. Weinrith = H. Weinrich, Phonologische Studien zur romanischen Sprachgeschichte. Münster 1958. ZFSL = Zeitschrift für französische Sprache und Literatur (Jena 1879 ff.). ZRPh = Zeitschrift für romanische Philologie (Halle 1877 ff.). * (z.B. *antius) : erschlossene, d. h. nicht belegte Sprachform. < : entstanden aus. > : geworden zu.

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PHONETISCHE TRANSKRIPTION 6 *) 5/ß] 6 d[8j

= bilabialer Reibelaut (Engelaut): span. saber. = siehe ti. = stimmhafter interdentaler Reibelaut (Engelaut): span. coda, sav. gränfo 'grange'. d = kakuminales d: sard. badde = it. volle. dz[{j] = stimmhafter präpalataler Verschlußreibelaut : ital. geloso, gente. d&[z] = stimmhaftes ts : ital. zona, ç - geschlossenes e : franz. côté. Ç [e] = offenes c: franz. fer. 9 = schwach artikuliertes schlaffes e : franz. brebis. & = stimmloser interdentaler Reibelaut: span. cena, sav. frivra 'chèvre'. g . [ y ] = stimmhafter velarer Reibelaut (Engelaut): span. lago. ifj] — konsonantisches i : franz. bien. k'[1cj] = stimmloser mediopalataler Verschlußreibelaut: ital. chiave. i — palatales l: ital. fîglia, span. caille, sav. Ida 'clef. Ä = palatales n: franz. agneau, ital. bisogno, span. aüo. 7) = velares n : deutsch lang, ital. vengo. o = geschlossenes o: franz. château, ç = offenes o: franz. ordre. ôu(àu) = diphthongischer Laut, der sich aus einem 6 (à) und einem u ( = franz. ou) zusammensetzt: altfranz. lern, 'loup', flour 'fleur', altprov. mout 'beaucoup'. ê[z] = stimmhaftes s: franz. raison. S = stimmloser präpalataler Reibelaut; franz. chanter, ts = stimmloser postdentaler Verschlußreibelaut: altfranz. cire, ital. zojypo. të[6] = stimmloser präpalataler Verschlußreibelaut : altfranz. chanter, ital. cento, deutsch Kutsche. y,[w] = konsonantisches u: franz. il loua, moi, ital. guardare. ü[yj = u in franz. vendu. X — stimmloser velarer Reibelaut : deutsch machen, span. oreja. ï[3] = stimmhafter präpalataler Reibelaut: franz. journal, tosk. la gente ä, c, 5 - nasalierte Vokale. •*) In [ ] geben wir einige Varianten anderer Transkriptionssysteme.

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DIE A U S B R E I T U N G D E R LATEINISCHEN S P R A C H E Lors qu'on aura étudié l'histoire linguistique du latin provincial à la lumière de ces manifestations qui affirment la revanche de la province romaine sur la capitale, on réussira à mieux comprendre la genèse des langues romanes. Jakob Jud, 1925.

Der sprachliche Prozeß, der zur Entstehung der romanischen Sprachen geführt hat, gehört zu den erstaunlichsten Phänomenen, die in der Entstehung und Verbreitung menschlicher Rede in der Welt zu beobachten sind. Verglichen mit der Ausbreitung der germanischen und slawischen Völker, im Hinblick auf die auch bei ihnen eingetretene Sprachspaltung, hat die Entstehung der romanischen Sprachen das Einmalige, daß dieser Prozeß von einer einzigen Stadt seinen Ausgang genommen hat.1) Dank ihrer geographischen Lage in Mittelitalien war die Stadt Rom zur Beherrschung der Tibermündung prädestiniert. Das gab ihr im Rahmen der umwohnenden latinischen Stämme eine früh fühlbar werdende Vormachtstellung. Entscheidender war es, daß diese Stadt die Kraft besaß, den großen Mächten, die bis dahin Hauptteile der appenninischen Halbinsel beherrschten, entgegenzutreten. Im 4. Jahrhundert v. Chr. ist die Macht der Etrusker gebrochen. Im 3. Jahrhundert wird der Kampf gegen die samnitischen Stämme und die griechischen Kolonialstädte in Unteritalien siegreich beendet. Sehr bald werden in der Auseinandersetzung mit dem phönizischen Karthago Sizilien, Sardinien und Korsika dem römischen Machtbereich eingegliedert (im ersten punischen Krieg). Im zweiten punischen Krieg gelingt es den Römern, in einem nun schon weltpolitischen Ringen an der Ost- und Südküste der hispanischen Halbinsel Fuß zu fassen. Am Ende des siegreichen Ringens mit der Weltmacht Karthago steht die römische Besitzergreifung der nordafrikanischen Küstengebiete im heutigen Tunis und Algerien (a. 146 v. Chr.). Fast gleichzeitig mit der Zerschlagung von Karthago erfolgt die Eroberung von Griechenland. Um das Jahr 140 v. Chr. kann sich die römische Macht als Beherrscherin des ganzen westlichen und mittleren Mittelmeerbeckens betrachten. - Damit ist eine erste Phase der Machtentfaltung abgeschlossen. Die nächste Etappe ist der Ausgriff über den Appennin und die Alpen nach Norden. Es ist die Einleitung des Kampfs mit den gallischen Völkern, Zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts (a. 191) waren 1 ) Siehe dazu: Alex. Budinszky, Die Ausbreitung der lateinischen Sprache. Berlin 1881. - Walther von Wartburg, Die Entstehung der romanischen Völker. Halle, 1939. - Harri Meier, Die Entstehung der romanischen Sprachen und Nationen. Frankfurt am Main, 1941.

2 Rohlfs, Einführung

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bereits große Teile der Poebene in römischer Hand. Bis zum Jahre 118 gelingt es den Römern durch die Eroberung des südlichen transalpinischen Galliens (Provincia Narbonensis) die Landverbindung mit ihren hispanischen Besitzungen herzustellen.2) Um das Jahr 50 ist die Besitzergreifung von ganz Gallien bis zum Rhein vollendet. Von nun an wächst die römische Machtausdehnung in unaufhaltsamer Folge. Im Zeitalter des ersten römischen Kaisers wird die Eroberung der Pyrenäenhalbinsel vollendet. ülyrien und Ägypten kommen unter römische Herrschaft. Römischer Besitz wird in dieser Zeit auch das nordwestafrikanische Küstengebiet. Dazu kommen Teile des nördlichen Balkans (Pannonien = Ungarn), das östliche Alpengebiet und das südliche Germanien bis zur Donau. Im Laufe des ersten nachchristlichen Jahrhunderts erweitert sich das römische Imperium um weitere Gebiete auf dem Balkan (zwischen Donau und Griechenland), in Britannien, Südwestdeutschland bis zum Limes. Als am Anfang des 2. Jahrhunderts unter Kaiser Trajan auch Dazien erobert wurde, hat das römische Reich seine größte Ausdehnung in Europa erreicht.3) Der politischen Machtausdehnung folgte eine zielbewußte kulturelle Durchdringung. In den neugewonnenen römischen Provinzen bildeten sich bald Zentren römischer Zivilisation. Schnell und willig nehmen die meisten unterworfenen Völker die lateinische Sprache an, als die Sprache einer weltumfassenden Kultur. Schon zu Anfang der Kaiserzeit macht die einst gallische Poebene den Eindruck eines völlig lateinischen Landes. Am Ende des 1. nachchristlichen Jahrhunderts ist der größte Teil der iberischen Halbinsel latinisiert. Im transalpinen Gallien war die alte keltische Sprache schon seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. im Aussterben.4) Um die gleiche Zeit ist in den besetzten Ländern an der Donau *) Als eine der wichtigsten und blühendsten römischen Provinzen wurde die Provincia Narbonensis zur provincia xa-r' èÇox^»*. so wurde die alte Gattungsbezeichnung zum wirklichen Namen einer Landschaft mit dem Unterschied, daß der Name Provence in neuerer Zeit auf die Gebiete östlich der Rhône (die heutigen Départements Bouches-du Rhône, Basses-Alpes, Drôme, Var, Vaucluse) beschränkt geblieben ist. ' ) In Kleinasien hatte sich die römische Macht um das Jahr 250 bis nach Armenien und an den Euphrat vorgeschoben. 4 ) In einigen Gebirgsgegenden (Massif Central, Savoyen) dürfte sich die alte gallische Sprache noch bis ins 3. und 4. Jahrhundert als Sprache der Bauern und Hirten erhalten haben; s. F. Brunot, Histoire de la langue française, Bd. I, S. 17ff. - Auch in der Schweiz ist das Gallische beim Einbruch der Alemannen im 5. Jahrhundert wohl noch nicht erloschen gewesen. Man vergleiche dazu: J. U. Hubschmied, Sprachliche Zeugen für das späte Aussterben des Gallischen ( V R . 3, 1938, S. 48-155). Zwischen der alten Sprache und der völligen Romanisierung darf man auf alle Fälle eine Periode gallisch-lateinischer Bilinguität annehmen, die mehrere Jahrhunderte gedauert hat; s. J. Vendryes, Celtique et roman (RLiR. 1, 1925, S. 262-277). -

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Lateinisch die vorherrschende Kulturspräche. Selbst in den Städten Nordafrikas (Numidien und Mauretanien) hat im 3. Jahrhundert die lateinische Sprache ganz und gar die Oberhand. Nur dort, wo die Römer der griechischen Welt begegneten, erwies sich die griechische Sprache als das stärkere kulturelle Element.6) Im übrigen sind es nur spärliche Reste einstiger freier Völkerschaften, die ihre alte Sprache über das wogende Meer der Romanisierung hinübergerettet haben, z. B. die Basken (ein hispanisch-aquitanischer Volksstamm), die Kelten in Britannien und die Albanesen, die eine Sprache sprechen, die in ihrer alten Substanz (vermischt mit vielen lateinischen Lehnwörtern) vom einstigen Illyrischen abstammt. Aber auch die ausgestorbenen vorrömischen Sprachen sind auf das Lateinische, das in den römischen Provinzen gesprochen wurde, nicht ohne Einfluß geblieben. Beträchtlich ist die Zahl der lexikalischen Elemente ('Reliktwörter'), die sich aus dem Keltischen, dem Griechischen, den alten hispanischen Sprachen, aus den Sprachen der oskisch-umbrischen Stämme, aus den Sprachen der Ligurer, Illyrer, Räten, der Etrusker, der Dazier dem Lateinischen jeweils in meist regionaler Begrenzung mitgeteilt haben.6) Aber auch lautliche Eigentümlichkeiten der alten vorrömischen Völker haben sich einzelnen romanischen Sprachen verDie keltische Mundart ('le breton'), die in der französischen Bretagne gesprochen wird, beruht auf massiver Einwanderung von 'Britaimi', die um die Mitte des 5. Jahrhunderts, im Ausweichen vor den eindringenden Angelsachsen ihre alte britannische H e i m a t verlassen haben. Siehe dazu Leo Weiagerber, Das Bretonentum nach R a u m , Zahl u n d Lebenskraft (Halle 1940). - Zur gallischen Sprache im allgemeinen siehe G. Dottin, La langue gauloise (Paris 1920) u n d die Besprechimg dieses Buches durch J a k o b J u d (AR. VI, S. 188-211). 6 ) E s ist bemerkenswert, daß überall dort, wo die lateinische Sprache dem Griechentum begegnete, die griechische Sprache siegreich geblieben ist. Das gilt nicht n u r f ü r das eigentliche Griechenland, sondern auch f ü r Kleinasien, Ägypten u n d Kyrene. J a sogar in der einstigen Magna Graecia h a t nach der Unterwerfung der griechischen Kolonialstädte die griechische Sprache in einigen Landschaften (Ostsizilien, südliches Bruttium, südliches Apulien) • em Lateinischen bis ins Mittelalter (mit letzten Resten noch in der heutigen Zeit) Widerstand geleistet. - Siehe dazu G. Rohlfs, Griechen u n d Romanen in Unteritalien (Genf 1924), in erweiterter Bearbeitung: Scavi linguistici nella Magna Grecia (Rom 1933). Neueste Erkenntnisse vom gleichen Verfasser: Neue Beiträge zur Kenntnis der unteritalienischen Gräzität (München 1962). •) Über das Fortleben gallischer Wörter und die gallischen Einflüsse auf das Französische, siehe Walther von Wartburg, Evolution et structure de la langue française (Bern 1946), S. 14ff. ; id., Die Entstehimg der romanischen Völker (Halle 1939), S. 37ff. - Zum gesamten Fragenkomplex, siehe den Abschnitt 'Substrate in der Romania' bei Alwin K u h n , Romanische Philologie (Bern 1951), S. 40-57, mit vielen bibliographischen Hinweisen.

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erbt, wenn auch manche dieser Einflüsse schwer faßbar und z.T. noch umstritten sind. Noch weniger sind die Bedingungen aufgedeckt, die aus alten vorrömischen Zeiten her die Ausprägung syntaktischer Ausdrucks weisen bestimmt haben.6®) Wie wir gesehen haben, hatte das römische Reich im Zeitalter Kaiser Trajans seine maximale Ausdehnung erreicht. Seit der Mitte des 3. Jahrhunderts beginnt die rückläufige Bewegung. Es kommt zu Einbrüchen dynamischer Grenzvölker. Alemannische Stämme in Südwestgermanien und der Vorstoß der Goten an der unteren Donau verursachen eine erste Zurückverlegung der Reichsgrenze. Am Ende des 4. Jahrhunderts bricht durch Erbteilung die Einheit des römischen Kaiserreiches auseinander (a. 395). Die Stadt, die nach Kaiser Konstantin ihren Namen erhalten hat, wurde das Zentrum des neuen oströmischen Reiches. Hier war es der griechischen Sprache leicht, über die alte einheitliche Reichssprache zu triumphieren: sie übernimmt im östlichen Europa die kulturelle Rolle, die in Westeuropa das Lateinische behielt, wenn auch die Angehörigen dieses Reiches weiterhin sich in politischer Hinsicht als Römer betrachteten.7) Im 5. Jahrhundert kommt es zur politischen Katastrophe. Germanische Völker (Franken, Goten, Alemannen, Bajuvaren, Burgunder, Vandalen) fluten über die Reichsgrenzen, die nicht mehr zu halten sind. In Gallien, Hispanien und in Nordafrika bilden sich neue germanische Reiche. Mit dem Jahre 476 findet durch den Vorstoß der Ostgoten das weströmische Kaisertum seinen endgültigen Untergang. An seine Stelle tritt auch in Italien ein neues Reich unter germanischer Führung: Ravenna wird seine Hauptstadt. Der politische Zusammenbruch des römischen Imperiums hatte für die Fortdauer der lateinischen Sprache nur begrenzte Folgen. Nur an der äußersten Peripherie des alten Reiches (in Britannien, Belgien, Ger®a) Siehe dazu das Kapitel 'Differenzierung durch Wirkung des Substrates' bei W . v. Wartburg, Die Ausgliederung der romanischen Sprachräume (Bern 1950), S. 5ff.; die Kapitel 'Oskisch-umbrisches und etruskisches Substrat' bei Harri Meier, Die Entstehung der romanischen Sprachen und Nationen (Frankfurt am Main 1941), S. 39ff. und 49ff. - Zur iberischen Halbinsel siehe die bibliographischen Hinweise bei A. Kuhn, Romanische Philologie (Die romanischen Sprachen), Bern 1951, S. 354ff. - Skeptisch gegenüber gewissen AuaWirkungen des oskischen und etruskischen Substrates (wenigstens in der Lautentwicklung) bleibt G. Rohlfs in den Aufsätzen: Vorlateinische Einflüsse in den Mundarten des heutigen Italiens ? (GRM, 18, 1930, S. 37-56), Oskische Latinität in Spanien? (RLiR, 19, 1955, S. 221 ff.), Vorrömische Lautsubstrate auf der Pyrenäenhalbinsel ? (ZRPh, 71, S. 408ff.), Etruskisch-toskanische Gorgia T (Indogerm. Forschungen, Jahrg. 1963). ' ) Man vergleiche die Bezeichnungen £tü|xato? und die bis in die heutige Zeit für den modernen Griechen und die neugriechische Sprache üblich geblieben sind.

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manien, Helvetien, nördlicher Balkan) wurde die lateinische Sprache zurückgedrängt oder aufgesogen.8) Doch im Innern des alten römischen Reiches, wo die germanischen Eroberer sich nicht auf ein kraftspendendes germanisches Hinterland stützen konnten, verfielen die Germanen selbst der fremden Assimilierung: sie übernahmen rasch die lateinische Sprache der romanischen Volksmassen.®) Diese Sprache war nicht die Schriftsprache der römischen Oberschicht, sondern es war die Umgangssprache des täglichen Verkehrs, wie sie seit Jahrhunderten in vielfachen sozialen Abstufungen zwischen Bürgern und Bauern, Beamten und Kaufleuten, Soldaten und Sklaven sich entwickelt hatte. Wie diese Sprache in den verschiedenen Gesellschaftsschichten nicht einheitlich sein konnte, so hat sich auch in den verschiedenen Provinzen durch mannigfache Umstände (Alter der Romanisierung, ethnisches Substrat, besondere Gesellschaftsform und Kulturprägung) manche regionale Eigenart früh ausgeprägt (in Aussprache, Wortschatz, Phraseologie). Es liegt in der Natur der Sache, daß diese Vulgärsprache, weil sie in der Hauptsache nur eine gesprochene Sprache war, nur selten in der schriftlichen Überlieferung uns entgegentritt. Nur da, wo ein Dichter (z. B. Plautus, Petronius) vulgäres Milieu sinnfällig schildern will, tritt sie uns in der Literatur entgegen. Sie erscheint häufiger in den Grabaufschriften ungebildeter Steinmetzen, in den Wandkritzeleien boshaften oder anrüchigen Inhaltes, auf den mit einer Verfluchung versehenen Bleitafeln (tabeUae defixionum). Viele Charakterzüge dieser Vulgärsprache sind uns auch durch die Grammatiker bezeugt, die falschen Sprachausdruck, schlechte Aussprache oder vulgäre Wörter brandmarken. Erst als sich seit dem 3. Jahrhundert die zentrale Reichsgewalt in zunehmender Weise lockerte und durch das Eindringen der 'provinciales' in die Staatsverwaltung, in das Heer und in die geistigen Schichten das provinzielle Selbstgefühl sich festigte, sinkt der bisher unbedingte Glaube an die Autorität der römischen Bildungsschicht. Und nun entzieht sich auch die Sprache der bisher ertragenen strengen Disziplin. Der 'sermo urbanus' der Hauptstadt wird nicht mehr als vorbildlich und verbindlich angesehen. Die Suprematie der lateinischen Sprache, wie sie in Rom gepflegt wurde, wird in Spanien, Afrika und Gallien auch von Schriftstellern nicht mehr unbedingt anerkannt.*») Nun erst dringen Vulgaris8) In dem von den Vaiidalen besetzten nordafrikanischen Küstenstreifen scheint die lateinische Sprache sich bis zum Zeitalter der arabischen Expansion (7. Jahrhundert) erhalten zu haben. - Siehe dazu Chr. Courtois, Les Vandales et l'Afrique (Paris 1955). 9) Über die Auswirkung der germanischen Kolonisation in den romanischen Ländern (Frankreich, iberische Halbinsel, Italien) und die germanischen Einflüsse auf die romanischen Sprachen, siehe das grundlegende dreibändige Werk von Ernst Gamillscheg, Romania Germanica (Berlin 1934-1936). 9«) Man lese dazu den instruktiven Aufsatz von Jakob Jud, Problèmes de

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men auch in die Sprache der geistigen Oberschicht (Commodian, Marcellus Empiricus, Palladius, Anthimus).10) Inzwischen aber hatte die lateinische Volkssprache sich bereits weit von ihrem klassischen Urbilde entfernt.

géographie linguistique romane (RLiR, I, 1925, 5. 181ff.), wo an der H a n d höchst auffälliger hispanoromanischer Divergenzen die wachsende Autonomie der römischen Provinzen in ihrer Wirkung auf die Zergliederung der lateinischen Spracheinheit beleuchtet wird. - Siehe dazu auch unsere Abh a n d l u n g 'Die lexikalische Differenzierung der romanischen Sprachen' (Versuch einer romanischen Wortgeographie, mit 50 Sprachkarten). München, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil. Histor. Klasse, J a h r g . 1954, H e f t 4; spanische Übersetzung, besorgt von M. Alvar (Madrid 1958). 10

) Von Vulgarismen durchsetzt ist a u c h die Sprache der lateinischen Bibelübersetzungen, u n d zwar mehr die älteren Übersetzungen, die, kein einheitliches Werk bildend, in der Regel unter dem N a m e n der ' I t a l a ' zusammengefaßt werden. Diese vor dem J a h r e 400 entstandenen Übersetzungen, die uns aus mannigfachen Quellen, o f t nur in Bruchstücken u n d i n einzelnen Zitaten der Kirchenschriftsteller, überliefert sind, bezeichnet m a n besser als 'Praevulgatatexte'. Die mit dem N a m e n des heiligen Hieronymus verbundene 'Vulgata' ist ein einheitliches Werk, das eine zwar volkstümliche, aber gepflegtere Sprachform erkennen läßt. - Zur Sprache der Bibelübersetzungen, siehe H . Rönsch, Itala u n d Vulgata (Marburg-Leipzig, 1875). Weitere bibliographische Hinweise bei G. Rohlfs, Sermo vulgaris Latinus (Tübingen 1956), S. 13.

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VULGÄRLATEIN") Melius est reprehendant nos grammatici quam non intelligant populi. Sanctus Augustinus, Psalm. 138, 20.

Der Ausdruck 'Vulgärlatein' ist ein seit Jahrzehnten eingebürgerter bequemer Generalausdruck, der in Wirklichkeit eine Vielheit von sprachlichen Verhältnissen und Entwicklungen in sich schließt. Er umfaßt eine ganze Skala von Sprachformen, die von der ungezwungenen Alltagssprache der Gebildeten über die Umgangssprache der niederen Kreise bis zu dem Regionallatein ging, das in gewissen Provinzen (Hispanien, Afrika, Dazien) zweifellos schon früh in Aussprache und Wortschatz mancherlei selbständige, z.T. ethnisch bedingte Merkmale angenommen hatte. Diese Sprache konnte landschaftlich oder in gewissen sozialen Milieus ebenso verschieden sein wie in den schriftlichen Denkmälern literarischer oder inschriftlicher Natur, wo der Grad der 'vulgaritas* durch vielerlei Umstände beding war. lla ) Dennoch gab es gewisse Erscheinungen, die der gesprochenen jltagssprache (sermo quotidianus) schon früh und allgemein angehört haben dürften.llb) Sehr früh ist der Hauchlaut h im Anlaut und im Inlaut eines Wortes verloren gegangen. Die lateinischen Grammatiker nennen das Zeichen k nicht einen Buchstaben, sondern eine 'nota aspirationis'. Schon in der 11 ) Bibliographische Hinweise zum Vulgärlatein mit Aufzeigung der wissenschaftlichen Probleme findet man in den Studienführern des Verfassers: Romanische Philologie, Bd. I, 1949, S. 17ff., Bd. I I , 1952, S. 22ff.; Manual de filología hispánica (Bogotá 1957), in dem Kapitel 'Latinidad hispánica' S. 33 ff. — Siehe auch die allgemeine Bibliographie und die bibliographischen Abschnitte in dem vulgärlateinischen Lesebuch des Verfassers 'Sermo vulgaris Latinus' (Tübingen 1956). lu ) Siehe dazu Karl Sittl, Die lokalen Verschiedenheiten der lateinischen Sprache mit besonderer Berücksichtigung des afrikanischen Lateins (Erlangen 1882). llb ) Als Einführung in die historischen Kulturverhältnisee, aus denen das Vulgärlatein entstanden ist, kann die Einführung ins Vulgärlatein von Karl Voßler, aus seinem Nachlaß herausgegeben und bearbeitet von H . Schmeck (München 1955) nützliche Dienste leisten. - Zuverlässiger und reicher in der Präsentierung und Deutung der linguistischen Materialien sind die Bücher von C. H. Grandgent (besonders zu empfehlen in der spanischen Übersetzung von Fr. de B. Moll) Introducción al latín vulgar (Madrid 1952), Carlo Battisti, Avviamento alio studio del latino volgare (Bari 1949) und Serafim da Silva Neto, Historia do latim vulgar (Rio de Janeiro 1957).

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guten klassischen Zeit war das h für die Kegeln der Metrik ohne Bedeutung. Während aber die Gebildeten Wert darauf legten, gegen die traditionelle Rechtschreibung nicht zu verstoßen, lassen vulgäre Schreiber oft die wirkliche Aussprache erkennen. In den Inschriften von Pompeji liest man abet, ac = hac, ic = hic, oc = hoc, Sporus omo mortus (NSA. 1933, 291), bonus Deus hic a b i t a t in domo (ib. 321). Umgekehrte oder hyperkorrekte Schreibungen, z. B. homnes = omnes, hinsidias = insidias, illustrieren die rein orthographische Bedeutung des Schriftzeichens (s. Väänänen, S. 99). Zu den frühesten Lautveränderungen, die für die Aussprache in den romanischen Sprachen von Bedeutung geworden sind, gehört auch der veränderte Wert, der dem auslautenden m zukam. Mindestens in der Stellung vor einem vokalischen Anlaut muß das auslautende m sehr undeutlich artikuliert worden sein ('obscuratur' nach Quintilian). In solcher Stellung bleibt m auch für die offiziellen Regeln der Metrik ohne lautlichen Wert. Das heißt: es erfolgt vokalische Verschleifung durch Elision, z.B. multu^argentu, magnu w amicu, laudandu^est. 12 ) Von dieser geschwächten Stellung aus hat sich das Verstummen des auslautenden m in der vulgären Sprache auch auf andere Fälle verallgemeinert: Nycherate, vana succula, que amas Felicione et at porta deduces, illuc tantu in mente abeto (Pompeji, Wandinschrift, CIL. 4, no. 2013) 'Nykerate, du nichtsnutziges Ferkel, die du den Felicio liebst und ihn mit vor's Tor nimmst, das sollst du nur gut bedenken!' Die Inschrift gibt uns zugleich ein weiteres Beispiel für das Verstummen des h (abeto). Sie zeigt auch eine interessante Assimilation, indem auslautendes dm. ad sich dem stimmlosen p des folgenden Wortes angepaßt hat.13) Aus der Schreibung des Relativpronomens erkennt man den lautlichen Zusammenfall des alten Diphthongen ae mit e. Sehr früh ist es auch zum Verstummen des n in der Stellung vor s gekommen. Die ältesten Belege gehen bis auf das 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zurück, z. B. cosol und cesor auf einem Grabdenkmal der Scipionen (CIL. I, 31). Inschriften aus Pompeji bieten uns mesa = mensa, cosuma = consumât, masimus = mansimus, 12) Dagegen blieb auslautendes m vor Konsonant zunächst erhalten, siehe H . Lausberg, Romanische Sprachwissenschaft (Berlin, Sammlung Göschen, 1956), Bd. 2, S. 78. Auch in einsilbigen Wörtern ist das auslautende m in der Form eines n erhalten geblieben, vgl. Vulgärlatein, c u n f i l i a m e a , q u e n o m n e s (siehe E . Richter, Beiträge zur Geschichte der Romanismen, Halle 1934, S. 67), ital. con < cum, span. quien < quem, franz. rien < rem, mien < me um. l s ) Vergleiche o b t i n e o , o b t e m p e r o , die auch in der Aussprache der Gebildeten o p t i n e o , o p t e m p e r o gesprochen wurden. Es ist der gleiche Lautvorgang, der sich in franz. metst = médecin, o tsü = au dessus, optenir = obtenir wiederfindet.

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castresis = castrensis, presus = prehensus. 14 ) Dementsprechend zeigen auch die romanischen Sprachen keine Spur des einst vorhandenen Lautes (vgl. span. mesa, ital. pesa, franz. peser), der jedoch in der Aussprache der römischen Oberschicht und in der traditionellen Orthographie beibehalten wurde.16) Andere Lautveränderungen, die sich schon früh im gesprochenen Latein bemerkbar machen, sind aus Schnellsprechformen hervorgegangen. Wörter mit dem Ton auf der drittletzten Silbe ( 'Proparoxytona ' ) wie z.B. domina, validus, masculus, konnten, wenn auf ihnen kein besonderer Nachdruck lag, im rascheren Sprechtempo den Vokal der mittleren Silbe verlieren. Schon die klassische Latinität duldete solche reduzierten Formen, z. B. das Adverbium valde neben dem stärker betonten Adjektivum validus. In der lateinischen Umgangssprache wurde caldus gebraucht, während calidus der feierlichen Rede oder der pedantischen Sprechweise vorbehalten blieb.16) Genaue und strenge Regeln lassen sich für diese Erscheinung nicht aufstellen. Häufigkeit des Wortes, Stellung im Satzganzen und die Natur der umgebenden Konsonanten waren von bestimmendem Einfluß. Stimmhafte Konsonanten (besonders l, n, r) begünstigten diese Entwicklung.16") Die pompejanischen Wandinschriften liefern uns u. a. folgende Beispiele: domnus, domna, subla = subula 'Schusterahle', mentla = mentula, suspendre; dazu die Personennamen Felicia = Felicula, Proclus = Proculus. 17 ) Erst seit der Kaiserzeit beobachtet man die Neigung, im Anlaut eines Wortes den mit s beginnenden Konsonantengruppen einen Stützvokal vorzuschlagen. Dieser entsteht aus dem silbischen Wert eines solchen s, wobei das entstehende vokalische Element den Charakter eines i annimmt.18) Das älteste Beispiel für diesen Vorgang ist der Frauenname Ismurna, d. h. 'Myrrhe' = Smyrna einer pompejanischen Wand14

) Siehe E. Seelmann, Die Aussprache des Lateinischen (Heilbroim 1885), S. 283; Richter, a. a. O. § 14; Väänänen, a. a. O. S. 118. - Eine lautphysiologische Erklärung des Verstummens von n vor s geben Richter, a. a. O. S. 41 und H. Rheinfelder, Altfranzösische Grammatik (München 1953) § 355. 15 ) Wo in den romanischen Sprachen n weiterbesteht (franz. 'penser considérer, défense, ital. senso, span. manso) handelt es sich um später aufgenommene Latinismen der Oberschicht. ") Siehe Niedermann, a. a. O., § 16. 16a ) Synkopierungen, die zwei stimmlose Konsonanten zusammentreten lassen (z. B. n a t i c a > * n a t c a , c a p i t a l i s > * c a p t a l i s ) sind kaum vor dem 5.-6. nachristlichen Jahrh. eingetreten. — Sie sind zum Teil erst erfolgt, als die intervokalischen Laute bereits stimmhaft geworden waren, vgl. altspan. nadga, span. caudal < *cavdal. - Siehe dazu Richter, §111; Straka, Revue des langues romanes, 1953, 247ff. ") Väänänen, a. a. O., S. 73 ff. 18 ) Eine genauere phonetische Analyse dieses Vorgangs geben Richter a. a. O. § 52 und Lausberg § 94.

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inschrift (NSA. 1911, 458), der als Izmurna und Izmyrna auch auf Inschriften der Stadt Rom begegnet.19) Auf späteren Inschriften seit dem 2. Jahrhundert sind uns bezeugt iscolasticus, iscripta, istatuam, ispirito, Istefanus, Ispartacus, Ispenica = Spenica (Frauenname).20) Auf einer Grabinschrift aus Lambaesis im heutigen Algerien, die dem 3. Jahrhundert angehören dürfte, lesen wir Valerius Antoninus ispose rarissime fecit (CIL. VIII, 3486). Hier häufen sich in dem einen Wort ispose = sponsae drei vulgäre Lautveränderungen: Vorschlag eines i, Ausfall des n vor s und die Reduzierung des alten Diphthongen ae (ältere Form ai) zum einfachen e. Diese letztere Erscheinung ist uns durch den römischen Schriftsteller Varro (1. Jahrhundert v. Chr.) für die bäuerliche Aussprache in Latium bezeugt.21) Erst in der Kaiserzeit hat sich diese Aussprache auch auf die städtische Bevölkerung ausgebreitet. Viele Beispiele dafür bieten die pompejanischen Inschriften: queris, querite, sepius, etati, que = quae, quedam, domine = dominae, Anneus, Cecilio, Poppea = Poppaea, Felicule = Feliculae. 22 ) Dies neu entstandene c hatte den gleichen Wert wie das kurze é (decem, pede). In der Folgezeit wurde es in der romanischen Entwicklung wie dieses behandelt. Was die Sonorisierung der stimmlosen Verschlußlaute in intervokalischer Stellung betrifft, deren Anfänge Elise Richter (Geschichte der Romanismen, S. 155) nicht über das 4. Jahrhundert, Wartburg (Ausgliederung, S. 31) nicht über das 3. Jahrhundert hinaufrücken will, so hat Tovar den Versuch gemacht, dieses Phänomen in noch ältere Zeit zurückzuführen, indem er u. a. auf eine nordspanische Inschrift (Astorga, a. 152) hinweist, wo die 'gentes' der Avolgigorum,

Visaligorum,

Cabrua-

genigorum (= Avolgici, usw.) erscheinen.22"). Doch sind diese und ähnliche Beispiele, aus denen Tovar Einfluß keltischer oder keltiberischer Aussprache erschließen möchte, nicht in gleicher Weise überzeugend; s. dazu jetzt H. Weinrich, Sonorisierung in der Kaiserzeit ? in ZRPh, Bd. 76, 1960, S. 205-218. " ) Väänänen S. 81. so ) Im Italienischen hat der Vorschlagsvokal in den wenigen Fällen, wo er üblich ist (s.Rohlfs,Histor. Grammatik der ital. Sprache, Bern 1949, § 187), noch heute die Gestalt eines i, z. B. in iscuola 'in der Schule', per istrada 'auf der Straße'. Desgleichen im Sardischen: ispunda ( s p o n d a ) , isteüa ( S t e l l a ) , iscala ( s c a l a ) , iskire ( s c i r e ) . I m Französischen und im Spanischen ist das unbetonte kurze i zu e abgeschwächt: altfranz. escole, expuse, estoüe, span. escuela, esposa, estrella. 21 ) Varro nennt M e s i u s = M a e s i u s und e d u s = h a e d u s . » ) Väänänen, a. a. O. S. 37. aSa ) Siehe A. Tovar, Estudios sobre las primitivas lenguas hispánicas (Buenos Aires 1949), S. 135; derselbe in Homenaje a Fritz Krüger, Bd. I (Mendoza 1952), S. 9ff. - Zum keltischen Anstoß der Lauterscheinimg, siehe auch A. Martinet, Celtic Lenition and Western Romance consonants (Lan-

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DIE APPENDIX PROBI Nachdem wir im Vorhergehenden einige der ältesten vulgärlateinischen Lauterscheinungen kennengelernt haben, indem wir unsere Beispiele hauptsächlich aus der Zeit vor der Zerstörung von Pompeji (a. 79 p. Chr.) genommen haben, machen wir nun einen Sprung über 2-3 Jahrhunderte hinweg, um einige Phänomene kennenzulernen, die aus einer späteren Zeit bezeugt sind. In einer Handschrift des 7. oder 8. Jahrhunderts ist uns im Anschluß an die grammatische Abhandlung ('Instituta artium') eines sonst unbekannten Grammatikers namens Probus ein höchst interessantes Traktat überliefert, das unter der Bezeichnung 'Appendix Probi' bekannt geworden ist. Der uns unbekannte Verfasser war ein Pädagoge bzw. ein Schulmeister, dem es darauf ankam, gewisse sprachliche Verstöße und Nachlässigkeiten zu bekämpfen und den guten oder richtigen Sprachausdruck zu lehren. Ob der Grammatiker, der diese Sprachregeln verfaßt hat, in Rom oder in Nordafrika (Carthago) gewirkt hat, hat sich bisher nicht mit Sicherheit erweisen lassen.23) Die Zeit, in der diese Sprachregeln abgefaßt wurden, läßt sich annähernd um den Anfang des 4. Jahrhunderts bestimmen.24) Wir greifen aus dem Traktat einiges heraus, was unsere bisherigen Erkenntnisse bekräftigen und zugleich weitere Erscheinungen des Vulgärlateins beleuchten soll: speculum non speclum masculus non masclus articulus non articlus calida non calda

frigida non oculus non tabula non viridis non

fricda oclus tabla virdis

guage, vol. 28, S. 192ff.). Gegen die keltische Substratthese wendet sich Weinrich, der das Phänomen rein phonologisch erklären möchte (S. 61 ff.). Zum Gesamtkomplex des Problems, vgl. Kurt Baldinger, Die Herausbildung der Sprachräume auf der Pyrenäenhalbinsel (Berlin 1958), S. 98ff.; siehe auch in ZRPh, Bd. 74, S. 451 (zur phonologischen Deutung von Weinrich). **) Gegenüber einigen äußeren Anhaltspunkten, die für Afrika zu sprechen scheinen, dürfen sprachliche Indizien eher eine Entstehung unseres Traktats in Italien (Rom) nahelegen; siehe dazu J. Jud, VR. 11, 1950, S. 236ff. Nach der Meinung des polnischen Latinisten Casimir Jarecki wäre der Verfasser ein in Afrika (Carthago) aufgewachsener 'Pädagoge', der später an einer pädagogischen Ausbildungsanstalt gewirkt hätte, die in Rom im 'vicus Capitis Africae' gelegen war (Eos, 1927, S. llff.); vgl. dazu Silva Neto, Fontes do Latim Vulgär (Rio de Janeiro, 1956), S. 34ff. und 133ff. '*) Leicht zugänglich gemacht ist der Text im Altfranzösischen Übungsbuch von W. Foerster und E. Koschwitz (Leipzig 1911), S. 226ff. - Einen Kommentar dazu lieferten W. A. Baehrens, Sprachlicher Kommentar zur vulgärlateinischen Appendix Probi (Halle 1922) und S. Silva Neto in Fontes do Latim Vulgär: O Appendix Probi (Rio de Janeiro 1956). - Über andere Ausgaben und weitere Literatur zu der 'Appendix', s. Rohlfs, Sermo vulgaris Latinus (Tübingen 1956), S. 16.

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Zur Zeit unseres Grammatikers scheinen die getadelten Synkopierungen sehr verbreitet gewesen.24®) Es sind tatsächlich die Formen, die sich in den romanischen Sprachen behauptet haben, vgl. ital. specchio (prov. espelh), maschio (altfranz. masle), altfranz. arteil, ital. calda, ital. fredda (altfranz. freide), ital. occhio (franz. ail), prov. tavla (frz. tSle), ital. verde (franz. vert). Alle genannten Beispiele betreffen Konsonantengruppen mit wenigstens einem stimmhaften Laut (s. S. 25). Einige der von unserem Grammatiker erwähnten Synkopierungen zeigen eine besondere Eigenheit: v e t u l u s non veclus

vitulus non viclus

Infolge des Vokalausfalls mußte es in diesen Fällen zu einer Konsonantengruppe (tl) kommen, die der lateinischen Aussprache ungewohnt war. Der neu entstandene Nexus wird dadurch sprechbarer gemacht, daß der dentale Verschluß durch einen palatalen Verschluß ersetzt wurde: veclus, viclus. Wieder sind dies die Grundformen, die für die romanischen Sprachen anzusetzen sind: ital. vecchio (franz. vieil), sard. vricu (aus älterem *vicru< *viclu) marinu 'Meerkalb'; vgl. noch ital. secchia (franz. seiUe) 'Eimer' aus *sicla < situla, ital. fischiare aus * f i s c l a r e < fistulare. 2 5 ) Eine andere Aussprachegewohnheit des vulgären Lateins erhellt aus: vinea non vinia balteus non b a l t i u s cavea non cavia cochleare non cocliarium lancea non lancia palearium non paliarium Wir erkennen daraus, daß ein unbetontes e vor einem anderen Vokal ('im Hiat stehend') in diesem Zeitalter in der Aussprache der Ungebildeten zum Halbvokal i (mit dem Wert eines j) geworden ist. In solchen Fällen verlieren die Wörter eine Silbe und der neue halbkonsonantische Laut ist meist die Ursache für weitere Lautveränderungen, die sich auf die vorhergehende Konsonanz auswirken.26) Man erkennt diese Umgestaltungen, die durch Palatalisierung des vorhergehenden Konsonanten bewirkt sind, in den romanischen Formen, die den genannten vulgärlateinischen Beispielen entsprechen: ital. vigna (franz. vigne), gdbbia (franz. cage), lancia, balzo, cucchiaio (franz. cuiUer), pagliaio.21) Auch im Flexionssystem vollziehen sich schon früh in der lateinischen Volkssprache bemerkenswerte Umwälzungen. Die allgemeine Tendenz ) Über Alter und Chronologie der Synkopierungen, s. Anm. 16a. ) Weitere vulgärlateinische Beispiele gibt Silva Neto, a. a. O., S. 77. 2 e ) Beispiele aus älteren Jahrhunderten gibt Richter, a. a. O., § 38. " ) Die vulgäre Aussprachegewohnheit führte zu Unsicherheiten, aus denen oft hyperkorrekte Rückbildungen resultierten. Beispiele für solche E n t gleisungen gibt unser Grammatiker, indem er lehrt l i l i u m n o n l i l e u m , alium non aleum. 24a 25

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geht dahin, die Mannigfaltigkeit der Flexionsformen durch eine größere Einheitlichkeit zu ersetzen. Ausgleichsbestrebungen beseitigen das Seltenere zu Gunsten des Häufigeren, das Schwierige zu Gunsten des Einfachen, das Undeutliche zu Gunsten des Klareren. Die 'Appendix Probi' gibt uns dafür folgende Anhaltspunkte: nurus non nura t r i s t i s non t r i s t u s socrus non socra teter non t e t r u s acer non acrum aper non a p r u s pauper mulier non p a u p e r a mulier Wir erkennen aus diesen Beispielen das Bestreben der Volkssprache, den äußeren Habitus der Wörter mit dem natürlichen Geschlecht der durch sie bezeichneten Personen in Einklang zu bringen. Die genannten Beispiele nurus 'Schwiegertochter' und socrus 'Schwiegermutter' gehörten in der klassischen Latinität der vierten weiblichen Deklination an: sie werden in der Volkssprache in Analogie zu filia, avia, a m i t a in die erste Deklination eingereiht.28) Die übrigen genannten Beispiele haben das gemeinsam, daß Wörter, die der dritten lateinischen Deklination angehörten, an die zweite lateinische Deklination Anschluß gefunden haben. Auch in diesen Fällen ist das Bestreben maßgebend gewesen, im Geschlecht nicht erkennbare Flexionsendungen durch klarere Endungen deutlicher zu machen: t r i s t u s est und t r i s t a est waren schärfer bestimmt als das zweigeschlechtige t r i s t i s est. Das von unserem Grammatiker getadelte p a u p e r a mulier zeigt noch deutlicher den Grund der volkssprachlichen Neuerung.29) In diesen Zusammenhang gehören auch die von unserem Sprachreiniger genannten Beispiele: vico c a p i t i s Afrioae non vico c a p u t A f r i c a e vico t a b u l a e proconsolis non vico t a b u l u proconsulis 3 0 ). 2 8 ) Nennenswerte Reste der alten vierten Deklination haben sich nur im südlichen Italien erhalten, z. B. la manu mit dem Plural le manu ( i l l a e m a n u s ) , la ficu mit dem Plural le ficu ( i l l a e f i c u s ) ; s. Rohlfs, Histor. Gramm, der ital. Sprache, § 354. - Die von unserem Grammatiker getadelte Form n u r a hat sich in Sardinien und in Süditalien erhalten; s. Rohlfs, Die lexikalische Differenzierung der romanischen Sprachen (München 1954) S. 12. - Verbreiteter ist die durch Analogie zu s ö r o r und s ö o r a hervorgerufene Nebenform n ö r a , die dem ital. nuora, span. nuera, port. nora zu Grunde liegt. Die getadelte Form s o c r a lebt fort in südital. socra, sard. sogra, prov. sogra, port. sogra, span. suegra, rum.soacrä, altfranz. stiere. 2 i ) Die Fortsetzimg der getadelten Flexionsformen finden wir in ital. una donna trista,un arancio agro, aaxd. porcabru'Eber' ( p o r c u s a p r u s ) , während die französischen Nachfolgeformen aigre, triste, pauvre die genauere Grundlage weniger klar erkennen lassen. 3 0 ) Die meisten Ausgaben lesen v i c o t a b u l i p r o c o n s o l i s . Nach der Handschrift darf man aber als die empfohlene Sprachform v i c o t a b u l a e p r o c o n s o l i s einsetzen (s. Heraeus, A L L . 11, S. 66). Die vulgäre Form

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Die beiden Zitate beziehen sich auf zwei Straßennamen, von denen der eine (Caput Africae) auch durch andere Quellen für die Stadt Rom auf dem Möns Caelius bezeugt ist.31) Der Tadel unseres Grammatikers gilt in den beiden Straßennamen der in der vulgären Sprache eingetretenen Flexionslosigkeit: vico caput, v i c o tabulu. Wir befinden uns in einer Zeit, wo die komplizierten Flexionsformen der lateinischen Deklinationsklassen nicht mehr dem lebendigen Sprachgebrauch entsprechen. Insbesondere ist früh der Genitiv und der Dativ unpopulär geworden. Ihr Ersatz erfolgte teils durch Präpositionen (ad, de), z. B. schon bei Plautus hunc ad carneficem d a b o (Capt. 1019), nunc quod ad vos, s p e c t a t o r e s , relicuum r e l i n q u i t u r (Cist. 876). Das Auftreten von de im Sinne eines Genitivs läßt sich erst seit dem 4.-5. Jahrhundert beobachten, z. B. auf einer Inschrift aus Rom F i l u m i n u s tonsor de circum 'Barbier des Zirkus' (CIL. VI, 31900), auf einer südgallischen Inschrift Maria v i r g o minester de t e m p u l o (CIL. XII, 649).32) Eine andere Ersatzmöglichkeit schuf sich die Volkssprache durch die Verwendung des Akkusativs, indem sie dessen Funktion im Sinne eines allgemeinen Obliquus auf die Funktionen eines Genitivs, Dativs und Ablativs ausdehnte.38) Statt zu sagen d o m u s f r a t r i s heißt es in der vulgären Sprache nun domus fratre, vgl. franz. rue Voltaire, la FêteDieu 'Fronleichnam1, La Chaise-Dieu ('maison de Dieu') Benediktinerabtei in Südfrankreich, altfranz. Ii Deo inimi (Eulalia 3), fe com Rollant, ital. in casa il canonico. Die von unserem Sprachreiniger getadelten Ausdrucksweisen sind die ältesten Belege, die uns für diese neue Deklinationsform bisher bekannt geworden sind. Erst seit dem 5.-6. Jahrhundert mehren sich solche Zeugen, z. B. auf einer Inschrift aus dem transalpinischen Gallien (nördlich von Lugudunum): Hic r e q u i i s c u n t membra ad duus f r a t r e s Gallo et F i d e n c i o qui f u e r u n t f i l i Magno (CIL. X m , 2483) .34) Diese Inschrift ist deswegen interessant, weil sie t a b u l u = t a b u l u m im Sinne von 'tabula' ist nur selten bezeugt (bei Kcfinus und in Glossen). 31 ) Die Straße C a p u t A f r i c a e ist zwischen dem Kolosseum und der Kirche S. Stefano Rotondo zu lokalisieren. 32 ) Vgl. noch in einem patristischen Text des 5. Jahrhunderts p l e n u s d e (ganz im Sinne des franz.plein de): p l e n a e s u n t p a g i n a e v e t e r i s t e s t a m e n t i de I s r a e l i t i c a e d e f e c t i o n i s r e l a t u (Ps. Prosp. vocat. gent. 1, 6). — Zum langsamen Vordringen der Präposition de in flexivischer Funktion, siehe Väänänen in RLiR. 20, 1956, S. lff. s> ) Vgl. den falschen Kasusgebrauch (Akkusativ statt Ablativ) in der Sprache der Inschriften: t o n s o r d e c i r c u m (CIL. VI, 31900), de o r t u m = de h o r t o (ib. XV, 7199a), de i n v i c t o s (ib. XI, 6289), d e n o s (ib. V, 6199, 4), de v i t a e d o c u m e n t a (ib. X, 3980, 3). 34 ) Vgl. den falschen Kasusgebrauch (Akkusativ statt Ablativ) nach der Präposition c u m auf einer sehr alten römischen Inschrift: Z o s i m e c o i u g . b e n e m e r e n t i c o n quem v i x i t (CIL. VI, 13122); vgl. auch Anm. 300. 30

die beiden erwähnten Ersatzmöglichkeiten in dem gleichen Text zeigt: membra ad duus f r a t r e s 'die Gebeine zweier Brüder' und fili Magno 'die Söhne des Magnus', wobei die Form Magno vermutlich als Magnu = Magnum zu verstehen ist (vgl. ital. Carlo, Orlando). Eine andere Ausgleichstendenz betrifft das Verhältnis von Nominativ und Akkusativ. Es gab schon in der klassischen Latinität Deklinationsklassen, in denen Nominativ und Akkusativ in ihrer Form keinen Unterschied aufwiesen. Das gilt nicht nur für die Neutra des Typus oppidum in Singular und Plural, sondern auch für die meisten Wörter der dritten Deklination im Plural: homines, virgines, mulieres. In der Vulgärsprache kam dazu, daß nach dem Verstummen des auslautenden -m auch in der ersten Deklination Nominativ und Akkusativ keinen lautlichen Unterschied mehr aufwiesen: man sagte femina dormit und video femina. Nach solchen Vorbildern, die das Flexionssystem gewaltig erleichterten, wurde die Gleichheit zwischen Nominativ und Akkusativ im Femininum auch auf den Plural übertragen, wobei, es meist die -«-Formen waren, dieden Ausschlag gaben. Nach veniebant omnes mulieres konnte leicht v e n i e b a n t omnes feminas gebildet werden. Nach omnes boves ergab sich omnes vaccas. Ein breves noctes konnte leicht einen Nominativ longas noctes nach sich ziehen. Solche pluralischen Nominative begegnen früh auf Inschriften verschiedener Landschaften. Auf einer Grabinschrift aus Südtirol (Nonsberg) lesen wir bene quiescant reliquias Maximini (CIL. V, 5078) 'es mögen seine Überreste eine gute Ruhe finden'. Auf einer Grabinschrift aus Pannonien: Prisca et P r o b i l l a filias et eredes posuerunt (CIL. III, 13374) 'die Töchter und Erben Prisca et Probilla haben (diesen Stein) gesetzt'. Ähnliche Inschriften finden sich aus Rom: filias f e c e r u n t (ib. VI, 17959), aus Lusitanien: filias m a t r i posuerunt (ib. II, 38).35) So ist es in der weiblichen Deklination zu dem eigenartigen s-Plural gekommen, der für einige romanische Sprachen charakteristisch ist: span. las amigas, port. as amigas, franz. les amies,36) Damit war in der weiblichen DeklinaS5 ) Zum Vorkommen dieser Plurale, s. G. Rohlfs, Histor. Grammatik der italienischen Sprache, Bd. II, S. 45, Anra. 1. — Sehr häufig ist dieser Plural in den lateinischen Übersetzungen (5.-6. Jahrhundert) des Oribasius: a r t e r i a s d i v i d u n t u r , a m i g d a l a s m i s c e a n t u r , t r e s s u n t v e n a s ; s. H. Morland, Die lateinischen Oribasiusübersetzungen (Oslo 1932), S. 105. Spätlateinische Beispiele (8. Jahrhundert) für das rätoromanische Alpengebiet gibt Norberg, S. 27, z. B. feminas cartas facere possunt, ipsas puellas 8uo iure vindicabunt (Lex Curiensis). 3 e ) Daß dieser Plural sich im Italienischen nicht durchgesetzt hat, obwohl er auch auf Inschriften in Rom bezeugt ist (z. B. auch CIL. VI, 8398 c o l l e g a s posuerunt.), erklärt sich aus dem frühen Verstummen des -«, was ein c a p r a ( s ) als Plural unbrauchbar machte, so daß man den Nominativ beibehielt (le amirJie = illae a m i c a e ) und diesen im späteren Ausgleich auch für den Akkusativ eintreten ließ. In Oberitalien, wo zahlreiche Spuren

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tion ein völliger Ausgleich, zwischen Nominativ und Akkusativ in Singular und Plural eingetreten. 37 ) Es war klar, daß eine solche Vereinfachung auch für die männliche Deklination früher oder später zu neuen Folgen führen mußte. 378 ) Daß in diesem Zeitalter auch der Wortschatz der vulgären Umgangssprache beträchtliche Abweichungen aufweist, ersieht man aus folgenden Bemerkungen der 'Appendix Probi': a u r i s n o n oricla 3 7 b ) fax non facla catulus non catellus

anus non anucla neptis non nepticla iuvencus non iuvenclus

Gerügt wird in diesen Fällen die Neigung zur Diminutivbildung, ohne daß dadurch eine wirkliche Verkleinerung ausgedrückt wird: o r i c l a , f a c l a , c a t e l l u s , a n u c l a , n e p t i c l a , i u v e n c l u s waren>die Ausdrücke der Volkssprache für 'Ohr', 'Fackel', 'junger Hund', 'altes Weib', 'Enkelin', 'Jungstier'. Es ist ein bekanntes Merkmal der Volkssprache, daß sie in gemütlicher und affektbetonter Anteilnahme die Dinge zu verniedlichen trachtet. Es ist die gleiche Erscheinung, die wir in süddeutschen Mundarten beobachten: Sträßle, Schäfle, Gäßle, Wägele, Häusle im Sinne von 'Straße', 'Schaf', 'Gasse', 'Wagen', 'Haus'. Einige der beanstandeten Bildungen haben in den romanischen Sprachen das alte klassische Wort völlig verdrängt, vgl. franz. oreille (span. oreja), altfranz. faille (prov. falha), altital. catello (prov. cadel), in rätoromanischen Mundarten nocla 'alte Mutter'. 38 ) Die zuletzt genannten beiden Diminutiva n e p t i c l a und i u v e n c l u s haben sich in den romanischen Sprachen nicht fortgesetzt. Aber sehr viele andere ähnliche Bildungen haben sich in den romanischen Sprachen behauptet: v i t e l l u s statt v i t u l u s , m a r t e l l u s statt m a r t u l u s , v a s c e l l u m statt v a s und v a s c u l u m , a g n e l l u s statt a g n u s , a v i c e l l u s statt a v i s , g e n u c u l u m statt g e n u . Alle diese Bildungen müssen sich sehr früh in der lateinischen Vulgärsprache verallgemeinert haben, da sie mehr oder weniger der ganzen romanischen Sprachfamilie gemeinsam sind. Andere ähnliche Bildungen, die erst in und Reste des Plurals auf -s bis in die moderne Zeit bezeugt sind, ist dieser Plural erst im Laufe des Mittelalters durch das Verstummen des -s verloren gegangen; s. Wartburg, Die Ausgliederang der romanischen Sprachräume (Bern 1950), S. 20ff.; Rohlfs, § 363. S7

) Mit Ausnahme der weiblichen Substantiva, die im Nominativ des Singulars aus -s endigten ( n a v i s , Akk. n a v e ) . — Siehe dazu Bisclavret, Vers 313: veritez. 37a ) Schon auf einer alten Inschrift aus Nordafrika liest man: f i l i o s e t nepotes salvos memoria patri posuerunt. 37b ) Zu oricla mit o = au, s. Anm. 71. 38 ) Das Wort hat sich nur in einigen ladino-lombardischen Mundarten westlich vom Stilfser Joch (Bormio-Livigno) erhalten.

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späterer Zeit aufgekommen sind, blieben auf engere Grenzen beschränkt, z. B. franz. soleil (auch rätoromanisch suiegl), franz. aiguille (span. aguja), franz. taureau, franz. grenouille, franz. bouleau, gegenüber ital. sole, ago, toro, rana, betulla.3sa) DIE GLOSSEN VON REICHENAU Wir machen nun wieder einen Sprung über 3-4 Jahrhunderte in die neuere Zeit, indem wir uns auf ein Denkmal stützen, das uns vor allem lexikalische Aufschlüsse geben soll. In einer Handschrift des 9. Jahrhunderts, die einst der Abtei Reichenau gehörte, fand sich ein Glossar, das den Wert eines kleinen Wörterbuchs hat. Dieses Glossar, das teils in alphabetischer Ordnung angelegt ist, teils sich fortlaufend aus der Lektüre eines Bibeltextes ergeben hat, ist deswegen bemerkenswert, weil es nicht mehr verstandene Wörter durch andere lateinische Wörter erklärt, die der lebendigen Volkssprache angehörten.39) Wir erhalten damit einen aufschlußreichen Einblick in die Umgangssprache der Zeit, in der diese Glossen angelegt wurden. Das Glossar läßt sich mit einiger Sicherheit in Nordfrankreich (Kloster Corbie in der Pikardie ?) lokalisieren. Datierung wohl noch im 8. Jahrhundert.40) 'Ces gloses . . . sont pour les études romanes . . . d'une valeur qu'on ne peut guère exagérer' (W. D. Elcock). Einige Proben sollen die Bedeutung der Reichenauer Glossen illustrieren.41) Die folgenden Glossen knüpfen sich an die Lektüre verschiedener Bücher des Alten Testamentes in der Fassung der Vulgata.42) 38a ) Zur Entstehung der reichen Skala der romanischen Diminutivsuffixe, siehe die grundlegende Studie von Bengt Hasselrot, Etude sur la formation diminutive dans les langues romanes (Uppsala 1957). *•) Das Glossar ('Reichenauer Glossen') ist vollständig abgedruckt von Stalzer in don Sitzungsberichten der Wiener Akademie, Phil, histor. Klasse, Bd. 152. Die für die Entwicklung der romanischen Sprachen interessanten Glossen findet man in dem Altfranzösischen Übungsbuch von W. Foerster und E. Koschwitz (1911), S. 1-28. Zu Heimat, Charakter und Wert der Glossen, siehe die bibliographischen Hinweise bei G. Rohlfs, Sermo vulgaris Latinus (Tübingen 1956), S. 57. 40) Die Reichenauer Handschrift ist eine Kopie zweiten Grades. Auch ist zu beachten, daß alle Glossensammlungen mehr oder weniger Kompilationswerk sind. Sie sind (wie unsere modernen Wörterbücher) oft das Sammelprodukt mehrerer Jahrhunderte. 41) Über den Wert der spätantiken und frühmittelalterlichen Glossen für Sprachgeschichte und Textkritik, siehe den Artikel 'Glossographie' bei PaulyWissowa, Realencyclopaedie der klassischen Altertumswissenschaft, Bd. VII, S. 1433-1466. 42 ) Wir geben die Glossen in der Zählung von Foerster und Koschwitz (Altfranzösisches Übungsbuch, Leipzig, 1907). In Klammern wird die vermutliche Bibelstelle vermerkt, auf der die Glosse beruht.

3 Rohlfs, Einführung

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25 55 60 68

pulcra: bella (Genesis 12,11) optimum: valde bonum (18,7) semel: una vice (18, 27) favillam: scintillam (19, 20)

84 ager: campus (23, 9) 89 femur: coxa (24, 2) 121 olim : antea (26,18) 131 minatur: manatiat (27,42) 133 isset: ambulasset (28, 7) 149 liberos: infantes (30,1) 173 emit: comparavit (39,1) 247 flare : suflare (Exodus 10,19) 261 cecinit: cantavit (15,1) 285 pignus: wadius (22, 26) 288 scabrones: wapees (23,28)

336 342 366 460

sartago: patella (Leviticus 2,5) crura : tibia (11, 21) Italia : Longobardia (24, 24) caementariis: macionibus (Reges II, 4, 7) 461 concidit: taliavit (Reges IV, 22, 6) 463 onager: asinus salvaticus (Job 6, 5) 474 torax: brunia (41,17) 476 iecore: ficato (Tobias 6, 5) 544 uvas: racemos (Matth. 7,16) 551 si vis : si voles (8, 2) 567 ita: sie (12, 22) 574 id : hoc (?) 576 optimos: meliores (?) 602 in foro: in mercato (20, 3) 801 coturnix: quaccola (Psahn. 105,40).

Vergleicht man die dem Leser des Bibeltextes nicht mehr verständlichen Wörter mit dem heutigen Romanischen, so stellt man fest, daß tatsächlich keines dieser Wörter im heutigen Französischen (d. h. im Nordfranzösischen) fortlebt. Ja, sie lassen sich nicht einmal mehr im Altfranzösischen nachweisen.43) Anders ist das Ergebnis einer Betrachtung, wenn man die unverstandenen Wörter mit dem Italienischen, dem Spanischen oder dem Provenzalischen vergleicht. In Italien (z. T. nur in italienischen Mundarten) leben noch heute fort semel, favilla, scabro, sartago, uva, optimus. In Spanien sind fortlebend pignus, sartago, uva, coturnix. Im Provenzalischen haben wir noch heute pignus und sartago. Die dem Bibelleser unbekannten Wörter sprechen also mit Entschiedenheit für einen Romanen aus Nordfrankreich. Aber auch die Glossenwörter selbst, die zur Erklärung der nicht mehr verständlichen Wörter dienen, weisen ganz deutlich auf das Romanische Nordfrankreichs, z. B. infantes, tibia, racemus, und noch viel mehr die Wörter fränkischer Herkunft: wadius, wapees, brunia, macio. Wir geben im folgenden kurze Erläuterungen: 25. Pulcra : bella. - Das Wort bellus gehörte bereits der klassischen Latinität an. Es hatte jedoch den Bedeutungswert von 'hübsch', 'nett', 'allerliebst'. Sein Eintreten für das klassische pulcher, das viel objektiver den Begriff 'schön' ausdrückte, läßt sich vergleichen dem französi43) Man beachte die Einschränkung, die im folgenden zu Nummer 602 gemacht wird.

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sehen Verhältnis von joli zu beau, dem englischen Verhältnis von pretty zu beautiful, dem spanischen Verhältnis von bonito zu hermoso. P u l c h e r lebt in keiner romanischen Sprache fort. 55. O p t i m u m : v a l d e bonum. - Bemerkenswert der Ersatz des organischen Superlativs (der als Elativ im Italienischen und im Spanischen unter dem Einfluß der lateinischen Schriftsprache fortlebt: it. bellissimo, span. antiquisimo) durch den analytischen Ausdruck. Also ein Vorgänger des franz. très bon, ital. molto buono, span. muy bue.no. - Vgl. Glosse 576. 60. Semel : u n a vice. - Der romanischen Glosse entspricht am genauesten span. una vez (auch altprov. una vetz). - Im Französischen sollte man *vois (altfranz. *voiz) erwarten: der merkwürdige Anlaut von fois (altfranz. feiz, foiz) ist noch nicht befriedigend erklärt. Es könnte eine Kreuzung mit einem anderen (fränkischen ?) Wort vorliegen.44) 68. F a v i l l a m : s c i n t i l l a m . - Auf scintilla beruht mittelst einer Metathese (*stincilla) das franz. étincelle. Die in Sardinien übliche Form istinkidda läßt deutlicher diese Grundlage erkennen. 84. Ager : campus. - Lateinisch c a m p u s bezeichnete eine beliebige ebene Fläche (vgl. C a m p u s M a r t i u s 'Marsfeld' in Rom). Es liegt also eine Bedeutungsverengerung vor zu 'bebautes Feld'. Gemeinromanisch. Reste der alten Bedeutung sind die campi 'öffentlichen Plätze' in Venedig (Campo San Polo) und Siena (Piazza del Campo). 89. F é m u r : coxa. - Das alte Wort für Oberschenkel ist durch das Wort ersetzt, das eigentlich die Hüfte bezeichnete (man vergleiche dazu die Verschiebung von b u c c a 'Backe' zu 'Mund'). Das neue Wort bezog sich ursprünglich auf den Oberschenkel der Tiere, wo die Unterscheidung der beiden Begriffe weniger wichtig war: coxa leporis, coxa bovis. 45 ) 121. 0 1 i m : a n t e a . - Dem a n t e a entspricht am nächsten altfranz. ainz (ital. anzi, prov. anz, span. anzes, sard. anzis), dem vermutlich ein • a n t e u s (*antius) zu Grunde liegt.46) " ) Siehe die bisher gegebenen Erklärungen in Anm. 323. - An den Einfluß eines altgerm. * f a r t (althochd. vart, altsächs. fard), vgl. mittelhochdeutsch tûsend vart 'tausendmal', hat Settegast gedacht (ZRPh, Bd. 37, S. 199). - Eher könnte der Einfluß von altfranz. fais (lat. f a s c e ) 'faix', 'charge', 'coup' eine Rolle gespielt haben, das sehr häufig in der Redensart a un fais, a un fès 'tout d'un coup', tot a un fais 'tout d'une fois' (Tobler-Lommatzsch, III, 1592) begegnet, gelegentlich auch völlig synonym mit feis (fois) verwendet wird, z. B. a cet premier fais 'à cette première fois' (ib. 1593), wobei zu beachten ist, daß 'coup' auf weiten Gebieten in Südfrankreich zur Bedeutung v o n 'fois' {un cop 'une fois') gelangt ist; s. FEW, Bd. II, 867. " ) Siehe Thesaurus Linguae Latinae, IV, 1095. - Nur im Rumänischen schwankt coapsä noch zwischen den Bedeutungen 'Hüfte' und 'Oberschenkel'. " ) Man vergleiche franz. puis (prov. pois), das ein * p o s t i u s (statt p o s t e a ) als Grundlage hat. - Die Umbildung der beiden alten Zeitadverbien ist unter dem Einfluß von m e l i u s , p r i u s erfolgt.

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131. M i n a t u r : manatiat. - Das lateinische minari (das als franz. mener, südital. minare, 'schlagen' usw. fortlebt), ist durch eine Ableitung von dem Substantivum minacia 'Drohung' ersetzt worden: minaciare. Das tj, ist ein orthographischer Versuch, die anzusetzende Aussprache tsj (vgl. ratio, natione) genauer wiederzugeben. Das auffällige a der Anlautsilbe ist durch das a der betonten folgenden Silbe hervorgerufen ('Fernassimilation'). In dieser Aussprache spiegelt sich das altfranz. il manace, das neben il menace belegt ist. 133. Isset : ambulasset. - Das Verbum ire ist früh (mindestens seit dem 2.-3. Jahrhundert) defektiv geworden.47) Wo es im Romanischen fortlebt, sind es nur einzelne Restformen, die sich erhalten haben, z. B. franz. j'irai, ital. ito, altspan. irnos, ides usw. - Das Verbum ambulare hat sich im Französischen über *amlare > *anlare zu aMer entwikkelt; vgl. schon no 1124 unseres Glossars transgredere: alare.4*) - Zu der Assimilation ni > II, s. Anm. 192. 149. L i b e r o s : infantes. - Typisches Ersatzwort der galloromanischen Latinität. In Spanien und Italien haben sich andere Ersatzwörter (niño, bambino) eingestellt. 173. E m i t : comparavit. - Das lateinische Verbum comparare 'beschaffen' ist früh zum Ersatzwort für emere geworden. Es ist der herrschende Ausdruck von Rumänien (cumpära) bis Portugal (comprar). Nur in Nordfrankreich ist in jüngerer Zeit (nach dem 7.-8. Jahrhundert) ein neues Verbum in Aufnahme gekommen (*accaptare), das durch normannische Einflüsse sich auch über Süditalien verbreitet hat.49) 247. F i a r e : su fiare. - Der Ersatz durch das schon im klassischen Latein vorhandene Kompositum ist bedingt durch das geringe Wortvolumen der einsilbigen Verbalformen (flo, f l a t ) , ganz ähnlich wie der nämliche Umstand zum Verlust der Verben f l e r e (fies, f l e t ) und ire (is, i t ) geführt hat; vgl. dazu no. 133. 261. Cecinit : cantavit. - Die Ablösung von canere durch cantare, die in der klassischen Sprache ziemlich gleichbedeutend waren, hat ihren Grund in der leichteren Flexion des nach der ersten Konjugation gehenden Verbums. Der gleiche Vorgang hat sich vollzogen in dem Ersatz von audere durch ausare, oblivisci durch oblitare, 47 ) Über die Gründe, s. E. Löfstedt, Syntactica Bd. II, S. 38; J. B . Hofmann, I F 43, S. 96ff. ; Verf., Die lexikalische Differenzierung der romanischen Sprachen (München 1954), S. 28. - Vgl. die Glosse 247. 48 ) Die Formen der anderen romanischen Sprachen (prov. anar, ital. andaré, span. andar) setzen eine andere Assimilation voraus: * a m l a r e > * a m n a r e > * a n n a r e . Zu a m n a r e , das auf einer lateinischen Inschrift be-

legt iat, und zu der Weiterentwicklung von anare zu andaré, s. S. 83.

Über die Vorstufe annare für andaré, s. Ahrens, ZHPh 43, S. 600lf. 49) Siehe Wartburg, F E W , Bd. II, 969. - In Piémont und Ligurien ist catá ( c a p t a r e ) gebräuchlich.

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u t i durch usare, t u e r i durch t u t a r e ('das Feuer schützen' > 'auslöschen' > 'töten' : franz. tuer). 285. P i g n u s : wadius. - Dem neuen Wort liegt fränk. *waddi zu Grunde, das im Neuhochdeutschen als Wette, eigentlich 'Pfand', 'Einsatz bei einer Wette' erscheint. 288. S cabrones : wapces. 6 0 ) - Auch hier ist es ein fränkisches Wort, das den lateinischen Ausdruck ersetzt: fränk. wabisa. Aus dem Zusammentreffen von lat. v e s p a mit fränk. w a b i s a ist es im fränkischen Reich in Nordfrankreich zu einer Zwitterbildung *wespa 5 1 ) gekommen: auf ihr beruht das französische guêpe, während das prov. vespa das lateinische Wort fortsetzt. 336. S a r t a g o : p a t e l l a . - Das Glossenwort bezeichnete in der klassischen Latinität einen Napf aus Ton, der auch als Pfanne zum Backen von Fischen verwendet wurde. Die südliche Romania hat sich mehr für das erste Wort (span. sartén, südital. sartaina), die nördliche Romania mehr für p a t e l l a entschieden (franz. poêle, ital. padella). 342. Crura : tibia. — Das lateinische Neutrum crus (Genitiv cruris) 'Schienbein' lebt in keiner romanischen Sprache fort. Auch das Glossenwort hat sich in seiner alten (schon klassischlateinischen) Bedeutung 'Schienbeinknochen' nicht erhalten. Es findet sich nur im Französischen als tige in der sekundären Bedeutung 'Stengel'. 366. I t a l i a : Longobardia. - Kulturgeschichtlich eine interessante Glosse. Wir erkennen daraus, daß im 8. Jahrhundert I t a l i a ein offenbar nicht bekannter geographischer Begriff war. Italien war damals von den Langobarden beherrscht. In der Tat hat der Name I t a l i a in den romanischen Sprachen keine volkstümliche Entwicklung genommen: die französische Form Italie ist ein reiner Latinismus mit unlateinischer Betonung, vgl. Serbie, Hongrie, Russie, Roumanie, im Gegensatz zu Espagne, France, Allemagne,52) — Vgl. dazu den Namen der heutigen Lombardla. 460. C a e m e n t a r i i s : m a c i o n i b u s . - Das Glossenwort ist fränkisch * m a k j o : dieses entspricht in seinem Stamm dem deutschen metz in Steinmetz.53) Es hat sich nur in Frankreich eingebürgert (maçon).54) 60 ) Die Übersetzung ist ungenau, da s c a b r o (klassisch c a b r o ) die Hornisse (franz. frelon, ebenfalls fränkischer Herkunft) bezeichnete. 61 ) Siehe Gamillscheg, Romania Germanica, Bd. I (1934), S. 215. 52 ) Die Endung von Italie im Gegensatz zu Espagne zeigt das gleiche Verhältnis wie philosophla (çiXoaoçia) zu philosóphia, èjotXvjoia zu ecclésia. Im ersteren Fall folgt die Endung der griechischen Betonung (griech. 'IxaXta). ss ) Über die Beziehung des deutschen Wortes zu fränk. * m a k i o , s. Gamillscheg, EWFS., S. 578. - Das fränkische Wort ist als m a c i o bereits in den 'Etymologiae' des spanischen Bischofs Isidor von Sevilla bezeugt, vgl. J. Sofer, Lateinisches und Romanisches aus den Etymologiae des Isidor von Sevilla (Göttingen 1930), S. 142ff. 64 ) In den anderen romanischen Sprachen haben wir teils m u r a t o r (Italien), teils p e t r a r i u s (Südfrankreich, Katalonien). Auf der iberischen

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461. Concidit : taliavit. - Das romanische Verbum, das bei spätlateinischen Schriftstellern in der Form taleare begegnet, ist eine Ableitung von talea 'abgeschnittenes Setzreis' (franz. tailler). 463. Onager: asinus silvaticus. - Bemerkenswert die Umgestaltung von s i l v a t i c u s zu s a l v a t i c u s (franz. sauvage, prov. salvaige, lomb. salvddek, rum. säUxUec)-, interessantes und frühes Beispiel einer Fernassimilation.85) Vergleichbare Beispiele sind franz. balance (*bilancia), altfranz. il manace (s. no. 131), marchié ( c m e r c a t u ) , franz. marchand ( < m e r c a t a n t e ) , ital. danaro neben denaro (denarius). 474. Torax : brunia. - Das aus dem Griechischen stammende Wort (thorax) ist in der Bedeutung 'Brustpanzer' in Frankreich durch das fränkische brunnja ersetzt, das altfranz. broigne, altprov. bronha ergeben hat. 476. Iecore : ficato. - Das Glossenwort, mit dem das latein. jecur übersetzt wird, ist seit dem 4. Jahrhundert belegt (Apicius, Marcellus Empiricus, Anthimus). Es ist ein Lehnwort aus dem Griechischen ( s y k o t ö n > sy'cotum). Es bezeichnete ursprünglich die Leber, die durch Mästung der Tiere mit Feigen einen besonders feinen Geschmack erhielt. Sehr bald wurde im Vulgärlateinischen das Modefremdwort dem lateinischen f i c u s 'Feige' angepaßt, wodurch f i c a t u m entstand, das teils auf der ersten Silbe, teils in stärkerer Anpassung an das Lateinische auf der zweiten Silbe betont wurde. Die romanischen Fortsetzer in Frankreich, im Italienischen (fégato) und im Spanischen (hlgado) setzen f i c a t u m voraus.58) - Die Entwicklung zu franz. foie (altfranz. fege und feie) ist durch eine Metathese der vulgärlateinischen Grundform bedingt: f i c a t u m > *fiticum. 5 7 644. U v a s : racemos. - Der Ersatz des alten lateinischen Wortes hat nur Frankreich betroffen; doch ist vom Provenzalischen aus das neue Wort auch ins Katalanische (rahim) gelangt. - Im Lateinischen Halbinsel ist ein arabisches Wort (albartil), im Rumänischen ein slavisches Wort (zidar, Ableitung von zid 'Mauer') zur Herrschaft gelangt. " ) Die Form s a l v a t i c u s ist bereits bei dem am ostgotischen Hofe (Anfang des 6. Jahrhunderts) lebenden Arzt Anthimus bezeugt ( m o r a s a l v a t i c a 'wilde Maulbeeren'). Im Latein der Merowingerzeit findet sich auch bereits m a r c a t u s 'marché' (Fouché, Bd. II, S. 446). »•) Siehe Wartburg, FEW, Bd. 3, 491 ff.; M . L . W a g n e r (RF. 64, 405); G. Rohlfs, Lexikalische Differenzierung (München 1954), S. 18. Der Akzontwechsel v o m griechischen Oxytonon zum lateinischen Proparoxytonon entspricht der normalen Behandlung solcher griechischer Wörter im Lateinischen: m o n a c h ö s > m ö n a c h u s , o r p h a n ö s > 6 r p h a n u s , o m p h a l ö s > ö m p h a l u s . D a s griechische Fremdwort s y c o t u m ist in der Form s i c u t u m bei Apicius (Ende des 4. Jahrhunderts) bezeugt (ed. Giarratano-Vollmer 8, 7, 12). " ) Zur lautlichen Entwicklung des französischen Wortes, s. Rheinfelder, Altfranzösische Grammatik (München 1953, § 751).

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bezeichnete rae emù s ursprünglich nur den Traubenkamm, nicht die gesamte Traube. Die erweiterte Bedeutung ist zum ersten Mal in der Sprache der Bibelübersetzung bezeugt: non colliges r e m a n e n t e s racemos (5. Buch Moses, 21) 'wenn du einen Weinberg gelesen hast, sollst du die restlichen Trauben nicht pflücken'.88) 551. Si vis : si voles. - Ein Beispiel dafür, wie die Flexion der unregelmäßigen Verben durch analogischen Ausgleich vereinfacht worden ist. - Wie der Infinitiv velie durch das analogische volere ersetzt wurde, so ist auch der Infinitiv posse zu potere umgeformt worden.69) 567. I t a : sic. - Von den beiden gleichbedeutenden Adverbien hat sich in der Vulgärsprache nur das zweite behauptet. 574. I d : hoc. - Von den beiden Pronominalformen hatte das zweite durch seine größere Volltonigkeit mehr Aussicht in der Vulgärsprache beibehalten zu werden. Die Form hoc hat sich erhalten in altfranz. o, und in den Bejahungsformeln oc (prov.) und oïl, d. h. o il (fait) 'ja' < 'das (tut) er'; dazu in der Zusammensetzung mit ecce altfranz. ço ( > neufranz. ce), ita!, ciò 'cela'.80) 576. Optimos : meliores. - Die Bedeutung dieser Glosse liegt darin, daß der alte Unterschied zwischen Superlativ und Komparativ in der Vulgärsprache sich verwischt hat (vgl. Glosse 55). Der Komparativ ist dazu gelangt, auch in einer mehr als zweigliedrigen Reihe verwendet zu werden. In den romanischen Sprachen ist daher der Komparativ praktisch auch zum Ausdruck des Superlativs geworden: les meilleurs amis, ital. i migliori amici, span. los mejores amigos.61) 602. I n f o r o : i n mercato. - Das klassische Wort für 'Marktplatz' hat in der späten Latinität andere Bedeutungen entwickelt, die sich erkennen lassen aus span. fuero 'Gesetz', 'Gesetzbuch' und aus altfranz. fuer 'Marktpreis'. Letzteres Wort findet sich im heutigen Französischen 68 ) Über sonstige Ersatzwörter von u v a in den romanischen Sprachen, a. Rohlfs, Lexikalische Differenzierung (München 1954), S. 40. 69 ) Neuiranz. pouvoir statt altfranz. poeir zeigt eine neue Umformung, indem die alte Hiatform poons Anschluß an mouvons, prouvons, trouvons gefunden hat. 6 0 ) Über das Verhältnis von hic zu is und das Fortleben von hoc, s. Wartburg, F E W . , Bd. IV, 8. 441. 61 ) Der Zusammenbruch des antiken Steigerungssystems scheint durch die Doppeldeutigkeit der lateinischen Formen ausgelöst zu sein, vgl. lat. melior, das 'assez bon' und 'meilleur' bedeuten konnte, wie auch o p t i m u s teils 'le meilleur', teils 'très bon' sein konnte (s. Glosse 56 und 561). - Daß der im Französischen gebräuchliche bestimmte Artikel (la tour la plus haute) nur ein sehr sekundäres und unbedeutendes Merkmal des neuen Superlativs ausmacht, zeigt sich im älteren Französisch, wo man noch sagen konnte les forces plus pressantes (Corneille). Und so noch heute allgemein in Italien und Spanien, vgl. ital. la torre più alta, span. la torre más alta.

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noch in der Redensart au fur et à mesure 'in dem Maße wie'.®2) Umgekehrt hat sich lat. m e r c a t u s 'Handel' von der abstrakten Bedeutung zu konkretem Sinne verschoben (bereits in klassischer Zeit). 801. C o t u r n i x : quaccola. - Das lateinische Wort, das auf der Pyrenäenhalbinsel noch fortlebt (span. codorniz), ist in den anderen romanischen Sprachen durch neue Wörter ersetzt, die lautnachahmend sich an den Schrei der Wachtel anknüpfen. Das verbreitetste Ersatzwort ist q u a c c o l a , vgl. ital. quaglia, franz. caille, rätoroman. quakra; mit ihm verwandt ist auch deutsch Wachtel, althochd. quahtela.M) Der wissenschaftliche Wert der Reichenauer Glossen besteht darin, daß sie uns eine Vorstellung geben von dem Zustand der in Nordfrankreich gesprochenen romanischen Volkssprache, wie wir uns diese im 8. Jahrhundert, d. h. noch vor dem Auftreten der ersten in der Volkssprache geschriebenen Texte denken müssen. 44 ) Im Gegensatz zu den puristischen Tendenzen und der pädagogischen Belehrung, die den Verfasser der 'Appendix Probi' auszeichnet, dienen die Glossensammlungen des Typs der Reichenauer Glossen rein praktischen Bedürfnissen. Wörter, die in den Reichenauer Glossen erklärt werden, dürfen wir für das Heimatland ihres Verfassers als totes Latein betrachten. Die Aussprache der volkstümlichen Wörter, mit denen der Verfasser die nicht • 2 ) Vgl. F E W , Bd. I I I , S. 737. - Die ältere Bedeutung h a t sich in Ortsn a m e n versteinert, z. B. in Italien Forll ( F o r u m L i v i i ) , Fornovo ( F o r u m n o v u m ) , Forlimpöpoli ( F o r u m P o p i l i i ) , in Sardinien Fordongianus ( F o r u m T r a j a n i ) , in Frankreich Fourvière bei Lyon ( F o r u m v e t e r u m ) , Früjus ( F o r u m J u l i i ) . ,3 ) Über andere Neubildungen als Bezeichnung der Wachtel, s. J . Piel, Miscelánea de etimologia portuguesa (Coimbra 1953), S. 315ff. u n d G.R'ohlfs, Lexikalische Differenzierung (München 1954), S. 64. 41 ) Das älteste französische Sprachdenkmal sind die 'Straßburger Eide', verfaßt in altromanischer und althochdeutscher Sprache, aus dem J a h r e 842. Sie sind ein rein politisches Dokument. Der besondere U m s t a n d , d a ß die Eidesformeln von den Heervölkern der verbündeten Brüder (Karl der Kahle u n d Ludwig der Deutsche) in ihrer jeweiligen Sprache abgeleistet wurden, h a t ihre Überlieferung durch den Chronisten Nithard gewissermaßen als linguistisches Kuriosum zu einer Zeit, wo Lateinisch noch ganz u n d gar die offizielle Schriftsprache war, verursacht. - Man sehe den Text i m 'Altfranzösischen Lesebuch' von Karl Voretzsch (Halle 1932), S. 4—6. - Nähere Hinweise zu Handschrift, Textkritik, K o m m e n t a r u n d Sprache bei Foerster und Koschwitz, Altfranzösisches Übungsbuch (Leipzig 1907), S. 46. - Neuere Arbeiten zu den Eiden : A. Wallensköld, in Festschrift f ü r Voretzsch (Halle 1927), S. 87ff. ; A. Tabachovitz, E t u d e sur la langue de la version française des Serments de Strasbourg (Uppsala 1932); A. Ewert, The Strasbourg Oaths, in Philological Society's Transactions 1935, S. 16ff; A. Castellani, Le problème des serments de Strasbourg (Atti V I I I Congr. di studi romanzi, 1956, S. 103ff.); s. a u c h A n m . 1 9 7 . — D i e erste Dichtung in altfranzösischer Sprache, die Sequenz auf die heilige Eulalia, s t a m m t aus der Zeit um 880.

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mehr verständlichen Wörter interpretiert, ist für ihn ohne Bedeutung. Als gebildeter Kleriker weiß er seine 'interpretamenta' in die klassische Sprachform zu kleiden, soweit es ihm seine Deutungsabsicht und Deutungsmittel erlauben. Er schreibt v a l d e bonum statt v a l d e bonu an anderen Stellen masculi statt mascli, oculos statt oclos, spisse statt ispisse, spina statt ispina. Doch fehlt es in seinen Erklärungen nicht an Lautformen, die den lautlichen Sprachzustand seiner Zeit wiederspiegeln, z. B. salvaticus (463), manatiat (131), teula (436) = tegula, colpus (373) = colaphus, soma (348) = sagma. Insbesondere zeigen die vielen Germanismen, die er zu seinen Erklärungen verwendet, die starke fränkische Durchdringung des merowingischen Lateins.45) DAS VULGÄRLATEINISCHE VOKALSYSTEM Abgesehen von den einschneidenden konsonantischen Veränderungen, die sich früh in der lateinischen Vulgärsprache nachweisen lassen, ist es auch im vokalischen Lautsystem verhältnismäßig früh zu großen Vereinfachungen gekommen. Schon früh beobachtet man auf den Inschriften ein zunächst regellos erscheinendes Schwanken zwischen verschiedenen orthographischen Zeichen für die Wiedergabe gewisser Vokale. Dieses Schwanken ist ausgeprägter in den Silben, die nicht betont sind. Schon auf den Inschriften von Pompeji liest man scribet = scribit, faces = facis, canont = canunt, mascolus = masculus, servom = servum. Seltener ist diese vokalische Labilität in den betonten Silben, z. B. veces = vices, com = cum, a m m e t t i t = ammittet, Augosta = Augusta. 66 ) Daß die Anfänge dieser labilen Aussprache sehr früh liegen und bis in das gute Bürgertum hinaufgingen, zeigt eine Äußerung des Cicero, der seinen Freund Cotta wegen der Aussprache quadragenta und homene tadelt (De oratore I I I , 42, 46); siehe dazu Richter, S. 52. Rückschlüsse aus einem vergleichenden Studium der romanischen Sprachen erlauben uns mit größerer Sicherheit die Änderungen in der Aussprache zu erkennen, die in der lateinischen Volkssprache seit dem Beginn unserer Zeitrechnung zu beobachten sind. Etwa seit dem 3. Jahrhundert nehmen diese Wandlungen in der Aussprache eine konkretere Form an. Sie sind die Folge eines Ausgleichs in der ursprünglich im Lateinischen bestehenden Unterscheidung der vokalischen Quantitäten. Aus Gründen, die wir nicht klar erkennen können, schwindet in den 65 ) Vgl. 161 f u l c o s , 203 g a r b a s , 285 w a d i u e 288 w a p c e s , 302 hauos, 322 t r a v i s 'Zelt', 424 husas, 460 macio, 474 b r u n i a , 581 b a n a s t a , 701 f a n o , 801 q u a c c o l a , 830 r o s a 'Rohr', 838 b a u c u s , 851 d a n e a , 874 h e r i b e r g o , 930 helmus, 1008 s p a r n i a v i t , 1021 h a d i s t i , 1044 scantio. ••) Siehe Vääixänen a. a. O., S. 32ff. und 43ff.

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ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit das Gefühl für sichere Unterscheidung der bisher streng gewahrten Quantitäten. Die bis dahin gültigen Verhältnisse lassen sich (wenn man von den Diphthongen absieht) in folgendem System darstellen, das aus drei Vokalstufen besteht:

ä ä Dieses dreistufige Vokalsystem ist dadurch gekennzeichnet, daß orthographisch gleichlautende Wörter oft nur durch den Unterschied in der Vokalquantität geschieden waren, z. B. mälum 'Übel' und mälum 'Apfel', p älus 'Sumpf und pälus 'Pfuhl', pöpulus 'Volk' und pöpulus 'Pappel', veru 'Spieß' und veru(m) 'wahr', cum pilo 'mit einem Wurfspieß', cum pilo 'mit einem Haar'. 87 ) Für das neue Vokalsystem, das sich zu Beginn der Kaiserzeit mehr und mehr entwickelt, ist nicht mehr die Quantität des Vokals entscheidend. Das neue System hängt mit den alten Verhältnissen nur noch insofern zusammen, als die alten kurzen Vokale offene Aussprache annehmen, während für die alten langen Vokale geschlossene Aussprache gültig wird. Das Vokalsystem des Vulgärlateinischen setzt sich nun aus

•') Einen scharfsinnigen Versuch, die Gründe für den Abbau der alten Quantitäten ('Quantitätenkollaps') aus phonologischer Betrachtung aufzuzeigen, macht Weinrich, S. 12ff.; s. dazu Baldinger, ZRPh, 74, 1958, S. 440ff. 42

Dieses Vokalsystem bestellt jedoch nur in der Theorie. In Wirklichkeit ist es seit der Auflösung der alten Quantitätsunterschiede im Vulgärlatein zu einem Zusammenfall verschiedener lautlich benachbarter Vokale gekommen. In der Vulgärsprache Roms, die für große Teile des römischen Reiches vorbildlich war, erfolgte die Vereinfachung dadurch, daß altes i und e in der Form e, sowie altes ü und ö in der Form o zusammenfielen. So entsteht im Vulgärlatein in Wirklichkeit ein neues vierstufiges Vokalsystem. Dieses gilt nicht nur für den größten Teil Italiens, sondern auch für das Galloromanische, die romanischen Sprachen der iberischen Halbinsel und das Rätoromanische. Der Zusammenfall soll kurz durch folgenden Beispiele bestätigt werden: ital. span, franz.

tela < tela, pera < pïra tela c t ë l a , pera < pïra toile < tela, poire < pira

ital. span, franz.

sola < sóla, gola < güla sola < sola, gola < güla seule < sola, gueule < güla

Wir können dieses Vokalsystem daher als das vulgärlateinische bezeichnen."®) Doch nicht für alle Teile des römischen Imperium gilt dieses Lautsystem. In Sardinien, in gewissen Teilen von Süditalien und im südlichen Corsica hat sich ein anderes Vokalsystem entwickelt, das sich durch folgende Figur veranschaulichen läßt:

/

1

l

U

a • 7 a ) In einem Teil des hier umrissenen Gebietes (Nordfrankreich, Oberitalien, Mittelitalien, rätoromanische Alpenzonen) ist es zu einer Neuregelung der Quantitäten nach der Stellung in der Silbe gekommen. Es erfolgte eine Vokaldifferenzierung nach freier und gedeckter Stellung. Im ersten Fall entstanden neue Längen, die eine Neigung zur Vokalverschiebimg bzw. Diphthongierung begünstigt haben. Eine neuere Theorie hat diesen Prozeß dem Einfluß des Germanischen (Franken, Burgunder, Langobarden, Bajuvaren, Alemannen) zugeschrieben. Siehe dazu Wartburg, Ausgliederung, S. 74ff.

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Auf diese Weise ist ein dreistufiges System entstanden, das nur noch aus fünf verschiedenen Vokalen besteht.68) Es ist klar, daß dieses Vokalsystem in viel engerer verwandtschaftlicher Beziehung zu dem ehemaligen alten lateinischen Vokalsystem steht, das ebenfalls dreistufig gewesen ist. Zur Entwicklung der bisher genannten Vokale ist noch einiges nachzutragen, was die lateinischen Diphthonge betrifft. Betreifs des Diphthongen ae (älter ai) haben wir bereits gesehen (S. 26), daß dieser schon im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung nach Ausweis der pompejanischen Inschriften zu kurzem e geworden war, mit dem es in der Folgezeit dessen weitere Schicksale teilt. 69 ) Etwas später als ae zu e geworden war, erfolgte auch die Monophthongierung von oe. Die Inschriften von Pompeji bieten uns P h e b u s = P h o e b u s . Erst seit dem 2. Jahrhundert werden solche Schreibungen häufiger.70) Das aus oe entstandene e wurde in gelängter Form gesprochen (poena > pena): es teilt in der Folgezeit seine Schicksale mit dem langen e. Was den dritten lateinischen Diphthongen (au) betrifft, so hat dieser sich in der späteren Latinität verhältnismäßig gut und noch lange gehalten. Die Entwicklung zu o, die wir aus dem Italienischen (poco), dem Spanischen (toro) und dem Französischen (chose) ablesen können, datiert erst seit dem 6.-7. Jahrhundert.71) (schon vorher in Z R P h , Bd. 56, S. 27 ff.); H . K u e n in ZFSL, Bd. 58, S. 502; Baldinger, in Z R P h , Bd. 74, S. 462ff. Andere Forscher haben sich gegen diese Theorie ausgesprochen: Schürr (RF, Bd. 50, S. 275ff., Bd. 52, S.311 ff., B d . 54, S. 60ff.); Lausberg, § 494; H . Lüdtke, Die strukturelle Entwicklung des romanischen Vokalismus (Bonn 1956), S. 140; Weinrich, S. 179£f. • 8 ) Siehe dazu H . Lausberg, Romanische Sprachwissenschaft, Bd. I (1956), § 158-160; G. Rohlfs, Historische Grammatik der italienischen Sprache, B d . I (1949), § 2 ; Wartburg, Ausgliederung, S. 14ff. - Ein Kompromißsystem h a t sich i m Rumänischen ausgeprägt (Lausberg, § 161). — Über andere Vokalsysteme, s. Lausberg, § 162, Rohlfs, § 4. ••) Der Zusammenfall von ae mit l ist nicht immer erfolgt. I n einigen Fällen h a t sich ae d e m e angeschlossen, z. B. p r a e d a (franz. proie), s a e p e s (altfranz. soif, span. sebe), b l a e s u s (altfranz. blois). Diese Unreinheit der Entwicklung d ü r f t e aus der Zeit stammen, als das Gefühl f ü r strenge Quantitätsunterschiede verloren gegangen w a r ; vgl. Lausberg a. a. O., B d . I, § 242. — Über eine andere Deutung, s. Anm. 381. 70 ) Siehe Richter a. a. 0., S. 57. 71 ) Neben der guten Aussprache au gab es allerdings schon f r ü h in Italien eine plebejische Aussprache o ( C l o d i u s , p l o s t r u m ) , vgl. Niedermann a. a. O., § 24. - Reflexe dieser vulgären Aussprache, die sich den romanischen Sprachen mitgeteilt h a t , sind c o d a = c a u d a und das von der Appendix P r o b i (s. S. 32) getadelte o r i c l a (Dirrjin. von a u r i s ) . - Das alte au ist erhalten geblieben im Provenzalischen (aur, pauc. paubre), in Süditalien (tauru, auruj, im Rätoromanischen (taur, pauc) u n d in Rumänien (taur, aur); im Portugiesischen erscheint es noch als ou (touro, ouro). Aber auch in diesen Sprachen h a t sich überall das vulgärlateinische o r i c l a durchgesetzt.

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D I E I T A L I E N I S C H E SPRACHE Del bei paese lä dove il sl suona. (Dante, Inf. 33, 80).

Von den romanischen Sprachen, die aus dem Vulgärlatein entstanden sind, ist das Italienische in seiner lautlichen Form dem Lateinischen am nächsten geblieben. Gemeint ist damit jene Sprache, die sich jenseits des Gebirges, das nach Süden die Po-Ebene abschließt, entwickelt hat. Denn das Italienisch, das in der einstigen Gallia Cisalpina gesprochen wird, trägt zum großen Teil andere sprachliche Züge, die es vielmehr zur Galloromania gravitieren lassen.71®) Insbesondere verstehen wir unter Italienisch die Sprache der Toskana. In dieser Landschaft hat die italienische Schriftsprache ihre Heimat. Verschiedene entscheidende Umstände waren es, die gerade den toskanischen Typ des Italienischen zur früh schon anerkannten Schriftsprache haben werden lassen. Zu dieser Rolle war die Sprache der Toskana, mehr als jede andere italienische Mundart, durch ihre geographische Situation prädestiniert. Zwischen den beiden großen Extremen der italienischen Sprachentwicklung, d.h. zwischen dem galloitalienischen Norden und den Mundarten meridionalen Gepräges befindet sich die Toskana in einer mittleren Zentralstellung. Ihre Sprache wird ohne besondere Schwierigkeit in den Landschaften des Südens verstanden. Und auch in den führenden Städten Norditaliens fand das Toskanische willige Aufnahmebereitschaft wegen seiner klaren Verständlichkeit, da es sich vom Lateinischen nur wenig entfernt hatte. 72 ) Doch die Bereitschaft, mit der das Toskanische von den übrigen Landschaften als Schriftsprache (wenn auch nicht ganz ohne Widerspruch) akzeptiert wurde: dieser endgültige Sieg des Toskanischen über die anderen Mundarten ist geknüpft an die große literarische Blüte, die sich früh gerade in der Toskana entfaltete. Ohne das Werk der drei großen italienischen Dichter des 'Trecento' wäre diese Vorherrschaft nicht so schnell errungen worden. Dennoch war diese Entwicklung von vornherein nicht ganz selbstverständlich. Die verhältnismäßig geringen Veränderungen, die sich in der 71 a ) Siehe dazu W. von Wartburg (Die Ausgliederung der romanischen Sprachräume, Bern 1950), der die Grenze zwischen der Westromania und der Ostromania geradezu in der Linie Rimini - La Spezia verlaufen läßt. 72 ) Zur sprachlichen Gliederung Italiens, s. Verf., La struttura linguistica dell'Italia (Leipzig 1937), neu abgedruckt in dem Sammelband 'An den Quellen der romanischen Sprachen' (Halle 1952), S. 89-107. W. von Wartburg, La posizione della lingua italiana (Firenze 1940), insbesondere S. 47 ff.

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italienischen Volkssprache gegenüber dem Latein vollzogen hatten, mußten mehr als in den anderen Ländern romanischer Sprache die Fortdauer des Lateinischen als Schriftsprache in Italien begünstigen. Tatsächlich hat das Lateinische viel länger als in den anderen romanischen Sprachen seine Stellung als Schriftsprache behauptet.72®) Noch im 14. Jahrhundert, zu einer Zeit, als in Frankreich und in Spanien in geschichtlichen Werken und in anderen gelehrten Abhandlungen bereits längst die Volkssprachen dieser beiden Länder die Herrschaft errungen hatten,73) schreiben Dante, Petrarca und Boccaccio ihre historischen, philologischen und politischen Werke noch in lateinischer Sprache. Aber auch in der schönen Literatur hatte die italienische Sprache es nicht leicht, gegenüber der machtvollen Stellung des Lateinischen sich durchzusetzen.74) Viel später als in Frankreich und in Spanien erscheinen hier die ersten bedeutenderen Beispiele einer Kunstdichtung, die sich der Volkssprache bedient. Erst etwa ein Jahrhundert nach der Abfassung des Rolandsliedes und nach dem Aufblühen der provenzalischen Troubadourdichtung, etwa 60 Jahre nach der Entstehung der spanischen Ependichtung, entfaltet sich im mittleren Italien, noch bevor die Toskana die literarische und sprachliche Führung übernimmt, eine geistliche Dichtung von kraftvoller religiöser Inspiration. Es sind zwei umbrische Dichter, beide der Franziskanerbewegung angehörig, die in Italien die italienische Sprache in die lyrische Kunstdichtung einführen: Franz von Assisi (1183-1226) und der um etwa 50 Jahre jüngere Jacopone da Todi (1236-1306). Die bekannteste Dichtung dieser religiösen Lyrik soll uns als Beispiel dienen für den Zustand der italienischen Sprache am Anfang des 13. Jahrhunderts in einer literarischen Anwendung. Es ist der berühmte „Sonnengesang" von Francesco d'Assisi, von den Italienern 'Cantico di frate Sole' oder 'Cantico delle Creature' genannt. Das hymnenartige Lied übernimmt aus der alttestamentlichen Psalmendichtung den feierlichen Stil. In seinen Motiven ist es sichtlich mit dem biblischen 'Gesang der drei Männer im Feuerofen' und mit dem Lobgesang verbunden, der in Psalm 148 zum Preise des himmlischen Herrn angestimmt wird. Aber während der Psalm ganz und gar auf den ) Siehe dazu Anm. 196b. ) Vgl. die Schilderung des vierten Kreuzzuges durch den Franzosen Villehardouin in seiner 'Conqueste de Constantinople' (um 1210), in Spanien die Geschichtswerke und das Rechtsbuch der 'Siete Partidas* von Alfonso el Sabio (t 1284), die philosophischen Schriften des Katalanen ßamön Lull (um 1300) in katalanischer Sprache. 7 i ) Siehe dazu Karl Vossler, Wie erklärt sich der späte Beginn der Vulgärliteratur in Italien ? (Zeitschr. für vergl. Literaturgeschichte, Bd. 15, 1904, S. 21ff.). 722 7a

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festlichen Ton des Hallelujah! gestimmt ist, entspringt das italienische Lied einer religiösen Inbrunst und zugleich einer mystischen Identifizierung des Schöpfers mit seinen Schöpfungen in dem Gefühl einer universalen Brüderlichkeit. Es ist in gleicher Weise der Ausdruck franziskanischer Demut und jubelnden Herzensglaubens aus dem Gefühl des Dankes und der Bewunderung für das harmonische Werk der Schöpfung. Es ist ein Preis der göttlichen Liebe und der göttlichen Gnade, die allen seinen Schöpfungswerken sich mitgeteilt hat. CANTICO DI SAN FRANCESCO D'ASSISI Di questa costa, là dov'ella frange più sua rattezza, nacque al mondo un sole. (Dante, Par. 11, 49).

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Altissimu, onnipotente, bon Signore, tue so le laude, la gloria e l'onore et onne benedictione. Ad te solo Altissimo, se konfano et nullu homo ène dignu te mentovare. Laudato sie, mi Signore, cum tucte le tue creature spetialmente messor lo irate sole, lo qual' è iorno, et allumini per lui; et ellu è bellu e radiante cum grande splendore; de te, Altissimo, porta significatione. Laudato si', mi Signore, per sora luna e le stelle. In celu l'ài formate clarite et pretiose et belle. Laudato si', mi Signore, per frate vento et per aere et nubilo et sereno et onne tempo, per lo quale a le tue creature dai sustentamento. Laudato si', mi Signore, per sor acqua, la quale è multo utile et humele et pretiosa et casta. Laudato si', mi Signore, per frate focu, per Io quale ennallumini la nocte; ed elio è bello et iocundo et robustoso et forte. Laudato si', mi Signore, per sora nostra matre terra, la quale ne sustenta et governa et produce diversi fructi con coloriti fiori et herba. Laudate et benedicete mi Signore et rengratiate et serviteli cum grande humilitate.

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Höchster, allmächtiger, guter Herr, Dir sind (kommen zu) Preis, Ruhm und Ehre und aller78) Segen. Dir allein, Höchster, geziemen sie sich,78) und kein Mensch ist'7) würdig, Deinen Namen auszusprechen.78) Gelobet seist Du, mein Herr, mit allen Deinen Kreaturen, insbesondere Frau79) Schwester Sonne,80) die das Tageslicht81) bedeutet, (und) durch sie gibst Du Licht; und sie ist schön und strahlend mit großem Glanz ; von Dir, Höchster, trägt sie ihre Bedeutung. Gelobet seist Du, mein Herr, durch82) Bruder Mond83) und durch die Sterne.836) Am Himmel hast Du sie gebildet: leuchtend, lichtreich und schön. Gelobet seist Du, mein Herr, durch Bruder Wind,

" ) An die Stelle des altitalienischen onne (< o m n e ) ist in der neueren Sprache ogni (in Mundarten ogne) getreten, dessen fl aus Verbindungen wie o m n e h o m o , o m n e h o r a hervorgegangen ist (Palatalisierung), ganz wie i l l e a m a t zu egli ama geworden ist (vgl. p a l e a > paglia, v i n e a > vignä). ,e ) Reflexives confarsi hat den W e r t von convenire, franz. convenir. ") ène ist verlängerte Form anstelle des normalen è, zur Vermeidung des betonten vokalischen Ausgangs. Ü b e r dieses 'paragogische' -ne, siehe Verf., Histor. Grammatik der italienischen Sprache, § 336. 78 ) D a s h e i ß t : Gott ist so erhaben, d a ß alle menschliche Vorstellung von Gottes Größe vergeblich bleibt. messor(e) ist Schnellsprechform a n Stelle v o n mio »ignore, ganz entsprechend dem franz. monsieur — mon seigneur. 80 ) I m italienischen Text heißt es wörtlich, d a sole männlich ist, 'Herr Bruder Sonne' : alle Schöpfungswerke werden dem Dichter zu Gliedern einer großen Familie, die durch göttliche Liebe untereinander verknüpft sind. 81 ) Vgl. Dante, Purg. 2, 65 da tutte parti aaettava il giorno lo soi. - Die in unserem Text zu Grunde gelegte Lesart (gegenüber Varianten anderer H a n d schriften) s t ü t z t sich auf die älteste u n d beste Handschrift A ( = Assisi cod. 338). 82 ) Der Sinn der Präposition per, wie er von dem Dichter gemeint war, ist umstritten. Man k a n n dies per kausal auffassen ('wegen') oder als Einleitung eines Agens z u m passiven V e r b u m beziehen. Die neuere Analyse des Textes hat der zweiten Auffassung den Vorzug gegeben (vgl. R . R . Bezzola in Z R P h . 62, 1942, S. 391). Der Sinn wäre also nicht die Lobpreisung Gottes wegen der Kreaturen der Schöpfung, sondern er läßt sie mit einstimmen in sein Lob des Allerhöchsten. Ganz ähnlich, wie es in dem Gesänge der 'drei Männer im Feuerofen' heißt: Benedicite sol et luna Domino, laudate et superexaltate eum in saecula, benedicite Stella« caeli Domino, benedicite ignis . . benedicite lux et tenebrae Domino . . . (Daniel, cap. 3). 83 ) I m italienischen Text sora luna 'Schwester Mond'. 83a ) W ä h r e n d in den romanischen Sprachen des südlichen u n d westlichen E u r o p a s der aus dem alten Demonstrativ i l l e gewonnene Artikel proklitisch dem Substantivum vorausgeht (ital. il lupo, franz. le loup, span. el lobo, port. o lobo, ital. le stelle, franz. les étoiles, span. las estrellas, port, as estréllas), h a t sich in R u m ä n i e n der Typ l u p u i l l u , s t e l l a e i l l a e mit enklitischer Stellung des alten Pronomens durchgesetzt: lupul 'le loup', stelele 'les étoiles'.

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und durch Luft und Wolke, heiteren Himmel und jedes Wetter, wodurch Du Deinen Schöpfungen die Fortdauer gibst.84) Gelobet seist Du, mein Herr, durch Schwester Wasser, so nützlich und einfach, so herrlich und rein. Gelobet seist Du, mein Herr, durch Bruder Feuer, durch den Du die Nacht erhellst; es ist schön und lustig, stark und kräftig. Gelobet seist Du, mein Herr, durch unsere schwesterliche Mutter Erde, die uns86) erhält und uns die Nahrung gibt, und mannigfache Früchte, sowie bunte Blumen und allerlei Kraut hervorbringt.

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Lobet und preiset meinen Herrn und dankt ihm und dient ihm in großer Demut!86)

Nach der Überlieferung hätte der heilige Franziskus das Lied in den letzten zwei Jahren vor seinem Tode abgefaßt, nach einer besonders schrecklichen Leidensnacht, als nur die ganze Hingabe an Gott ihn trösten konnte. Die Entstehung des 'Cantico' würde also in die Zeit zwischen 1224 und 1226 zu verlegen sein. Es ist somit das älteste und zugleich ehrwürdigste Denkmal religiöser Dichtung in italienischer Sprache, das wir mit einer bestimmten Dichterpersönlichkeit verbinden können. Die Einfachheit der Form, der ungekünstelte Ausdruck und die spontane Frische des Gefühls erweisen das Lied als ein Produkt volkstümlicher Dichtung. In metrischer Hinsicht ist das Lied ein Beispiel jenes irregulären Versbaues, 84 ) Das heißt: die Kraft der Erneuerung durch die Abfolge der Jahreszeiten. 86 ) In ne ist nicht eine abgeschwächte Form von nos zu Sehen; sondern es ist aus dem Adverbium in de entstanden, indem dieses die Funktion eines Pronomens der 1. Person Pluralis an unbetonter Stelle (vgl. franz. on en parlait 'man sprach von ihm') übernommen hat. Gewisse italienische Mundarten haben bis heute eine Form nde oder ndi bewahrt die besser den Zusammenhang mit i n d e erkennen läßt, z. B. südapul. nde apusamu 'wir heiraten uns', kalabr. ndi truvdu 'il nous trouva'. - Dagegen ist rum. ne, z.B. ne-a dat 'il nous a donné', aus nos hervorgegangen.

••) Einen eingehenden Kommentar der Dichtung gab L . F. Benedetto, II cantico di ftate Sole (Firenze 1941). Eine stilkritische Untersuchung haben wir von M. Reiners in den Studi Francescani, Bd. 27, 1930, S. 217-226. Textkritisch und quellengeschichtlich orientiert ist das Buch von V . Branca, H cantico di frate Sole (Firenze 1950) und der Aufsatz von Mario Casella in StM, Bd. 16, 1950, S. 102-131. - Siehe auch Seite 51.

4 Rohlfs, Einführung

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wie er uns auch in der ältesten spanischen Epik entgegentritt.87) Die einzelnen Verse, soweit man von Versen sprechen kann, schwanken zwischen 9 und 17 Silben. Zwanglose und nicht regelmäßig durchgeführte Assonanzen kennzeichnen das Ende einer rhythmischen Reihe.88) Die Sprache zeigt die Abhängigkeit von der lateinischen Hymnendichtung in der Verwendung abstrakter Begriffe (benedictione, significatione, sustentammlo,

humilitate)

und anderer latinisierender Ausdrücke

(aUissimu, onnipotente, dignu). Auch die Orthographie des überlieferten Textes ist sehr latinisierend (benedictione,

nocte, fructi, laudato,

pretiosa),

z. T. in falscher und hyperkorrekter Anwendung fspetialmente, tucte - tutte). Als latinisierende Schreibung ist auch flori (Vers 22) aufzufassen, statt des volkstümlichen fori.88a) Im übrigen ist die Orthographie noch sehr unsicher. Der männliche Ausgang bei Substantiven und Adjektiven schwankt zwischen o und u : solo, altissimo,

laudato, mvlto neben aUissi-

mu, nullu, ellu, beUu89). Die der ältesten toskanischen Sprache bereits vertrauten Diphthonge sucht man in unserem Text vergebens: homo, sora, focu, celu. Es scheint sich auch hier um latinisierende Schreibungen zu handeln.90) Die Schreiber in Klöstern und Kanzleien sind in diesem Zeitalter noch nicht dazu gelangt, der wirklichen volkstümlichen Aussprache voll Rechnung zu tragen. Wichtiger sind andere sprachliche Merkmale, die den strukturellen Charakter des Italienischen ausmachen. Die unbetonten auslautenden 87 ) Man kann zweifeln, ob der Dichtung überhaupt Verse zugrunde liegen. Man hat eher den Eindruck einer rhythmisierten Prosa, die aus der Leidenschaft einer mystischen Inbrunst entstanden ist. Demnach hätten wir hier das älteste Beispiel eines 'poème en prose'. si ) Vgl. eignore: benedictione; konfano: mentovare; stelle: belle; vento: tempo: sustentamento; acqua: casta; foco: nocte: forte; terra: governa: herba; rengratiate: humilitate. 88 ") Die für das Italienische charakteristische Vokalisierung des nachkonsonantischen l (bianco, piano, chiaro) setzt die ältere Existenz eines palatalen l voraus ( * f l o r e , p l a n u ) . Diese Aussprache gilt noch heute für gewisse Mundarten in Savoyen (z. B. kia 'clef', giâ 'gland') und in der aragonesischen Ribagorza (z. B. fiama, klamâr, piano). 89 ) Das auslautende u könnte latinisierende Schreibung sein, doch ist zu beachten, daß das süditalienische -u (lupu, annu) in den heutigen Mundarten bis in das südliche Umbrien und in die südlichen Marken reicht (Verf., Hist. Gramm, der italien. Sprache, § 145). 90 ) Diese Graphien entsprechen der Schreibweise, die in den Handschriften der Divina Commedia und des 'Canzoniere' von Petrarca noch ziemlich verbreitet ist : foco, loco, rota, core, vole, vene, tene, ceco, feie. Es ist nicht sicher, daß man in allen diesen Schreibungen n u r latinisierende Orthographie zu sehen hat (s. Verf., Hist. Gramm. § 85 u. 107). - Aus den ältesten bodenständigen Texten erschließt T. Reinhard für die Gegend von Assisi eine Sprache, in der sich toskanische Diphthongierung (in freier Silbe) mit den Gesetzen der süditalienischen Diphthongierung (durch Umlaut nur vor -u und -i) begegnete; s. Z R P H . 72, 1956, S. 5 u. 27.

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Vokale sind alle erhalten, meist in einer Form, die genau dem vulgärlateinischen Stande entspricht: porta, terra, acqua, le laude, frate, sole, frudi, coloriti, fori, homo, focu, bellu. Besondere Beachtung verdient die Erhaltung der stimmlosen Verschlußlaute in intervokalischer Stellung (oder vor Muta cum liquida): laudato, frate, focu, matre, servite, clarite, rengratiate. Das stimmt ganz zu den Verhältnissen, wie sie für die italienische Sprache toskanischer Prägung noch heute Gültigkeit haben: cantato, catena, vita, amico, lumaca, fuoco, pietra, capra.91) Bemerkenswert ist auch die Erhaltung der alten lateinischen Doppelkonsonanten, deren Portexistenz im heutigen Italienischen (wenn man vom galloitalienischen Norden absieht) dieser Sprache im Gegensatz zu den anderen romanischen Sprachen92) einen besonderen Klangcharakter verleiht: altissimu, nullu, bellu, stelle, terra, dazu durch Assimilation bewirkt in onne, onnipotente, fructi (= frutti).93) Auf andere sprachliche Erscheinungen unseres Textes muß hier nicht eingegangen werden, da sie für den Weg, der uns zum F r a n z ö s i s c h e n führen soll, unwichtig sind.94) Wer sich mit dem 'Cantico' des heiligen Franziskus ausführlicher und vollständiger vertraut machen will, der findet alle wünschenswerte Belehrung über Form und geistigen Gehalt der Dichtung mit zuverlässigem sprachlichem Kommentar und dem Versuch einer rhythmischen deutschen Ubersetzung in dem feinen Buch von Erhard - W. Platzeck, Das Sonnenlied des heiligen Franziskus von Assisi (München 1957). Über weitere Hilfsmittel dazu siehe Anm. 86.

81 ) Die Reinheit dieser Situation ist allerdings dadurch gestört, daß durch starke Einflüsse, die seit dem 12. Jahrhundert von dem einst gallischen Oberitalien (Bologna, Mailand, Venedig) auf die Toskana wirken, viele Wörter norditalienische Aussprache auch in der Schriftsprache angenommen

haben: ago, lago, luogo, strada, contraria, padeUa, lido, arrware, povero, padre,

madre. Siehe dazu Verf., Hist. Gramm. § 194, 199, 205, 212. 92 ) Außer dem Italienischen hat nur Sardinien die alten Doppelkonsonanten bewahrt. Die Sprachen der iberischen Halbinsel haber). nur rr bewahrt. Auch das Rumänische, das sonst oft mit dem Italienischen zusammengeht, hat die alten Doppelkonsonanten beseitigt, vgl. batä < v i t t a , tuse < tusse, panä < penna, piele < pelle, (arä < t e r r a . 93 ) Das in Vera 16 begegnende acqua hat seine Doppelkonsonanz durch die Wirkung des Hiatus-« erhalten, vgl. ital. nocqui < nocui, tacqui < t a c u i (Verf., Hist. Gramm. § 293 u. 294). - Vulgäres a c q u a wird schon in der 'Appendix Probi' getadelt ( a q u a non a c q u a ) . - Über ennalumini (Vers 18), s. Verf., Hist. Gramm. § 228. 84 ) Für eine weitere Beschäftigung mit dem Italienischen verweisen wir auf unseren italienischen 'Studienführer' Romanische Philologie, Bd. 2 (Heidelberg 1952), wo neben dem Italienischen (Sprachgeschichte, Literatur) auch die sardische und die rätoromanische Sprache behandelt sind.

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D I E PROVENZALISCHE SPRACHE

Lingua oc : vulgares eloquentes in ea primitus poetati sunt tamquam in perfectiori dulciorique loquela, u t puta Petrus de A l v e r n i a . . . (Dante, De vulg. eloqu. 1,10, 3).

Wenn man das Italienische gewissermaßen als eine zweite Sprachphase, die in Italien an das Vulgärlatein sich anschließt, betrachten kann, so darf das weiter fortgeschrittene Provenzalische als eine dritte Phase der romanischen Entwicklung bezeichnet werden.98) Unter Provenzalisch verstehen wir diejenige romanische Sprache,96) die das südliche Frankreich als ihr Heimatland hat.97) Wir nennen diese Sprache provenzalisch, weil eine ihrer Kernlandschaften die Provence ist, die selbst ihren Namen auf die alte römische provincia Narbonensis zurückführt.88) Ein anderer Name dieser Sprache, der im Mittelalter gebraucht wurde, bezeichnete diese Sprache einfach als 'romanische Sprache' (lenga ramana).99) Von ihren Nachbarn (besonders in Italien) wurde

die Sprache der Provenzalen gern als lenga d'oc bezeichnet: nach der Bejahungspartikel oc (lat. hoc), die dem französisch oui (altfranz. oil) entspricht. Daran knüpft sich ein neuerer Name occüanisch, der von einigen modernen Sprachforschern (z. B. Walther von Wartburg) an Stelle von 'provenzalisch' gebraucht wird.100) ,6 ) Die gleiche Phase der Entwicklung gilt, cum grano salis, f ü r das Katalanische, das Spanische und Portugiesische (s. unten S. 53). »«) Daß das Provenzalische schon im Mittelalter als selbständige Sprache betrachtet wurde, geht aus vielen Zeugnissen hervor; s. dazu Carl Appel, Provenzalische Lautlehre (Leipzig 1918), S. lff. 87 ) Mit Ausnahme des einstigen Aquitanien südlich und südwestlich der Garonne, wo sich in der Form des Gaskognischen ein eigener Sprachtyp entwickelt hat, der vom Provenzalischen in vielen Dingen deutlich geschieden ist, viele Übereinstimmungen mit den Sprachen der iberischen Halbinsel zeigt und im Mittelalter als eine besondere Sprache betrachtet wurde. — Siehe dazu Verf., Le Gascon, Etudes de philologie pyrönöenne (Halle 1935). 88 ) Siehe oben Anm. 2. **) Vgl. die mittelalterliche Bezeichnung romance, d. h. 'romanisch' ( r o m a n i c e ) , die auf der Pyrenäenhalbinsel für die spanische Sprache üblich war. Dies ist auch die Grundlage für rumänisch, die Sprache der Rätoromanen in Graubünden. Auch die Rumänen bezeichnen ihre Sprache als 'romanische Sprache' (lirriba ruminä). ioo) Vgl. ital. letteratura occitanica 'provenzalische Literatur'.

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Die kulturgeschichtliche Bedeutung dieser Sprache liegt darin, daß in Südfrankreich um das Jahr 1100 die älteste höfische Dichtung Europas entstand, die sehr bald für Italien und Nordfrankreich, für Deutschland und Portugal das große Vorbild wurde. Die Sprache, die die provenzalischen Troubadours in ihren Dichtungen verwendeten, ist eine Art Schriftsprache, doch mit mancherlei Lizenzen, die gewisse provinzielle Eigenarten nicht ausschloß. Im Rahmen der romanischen Sprachen befindet sich das Provenzalische in einer Art Schlüsselstellung. Es bildet geographisch die Brücke zwischen dem Italienischen und dem Französischen, aber auch zwischen dem Spanischen und dem Französischen, wie auch schließlich zwischen dem Italienischen und dem Spanischen.100®) Das Provenzalische, wie es uns aus den Dichtungen der Troubadourzeit bekannt ist, repräsentiert eine Stufe in der Entwicklung des Vulgärlateins, die in vielfacher Hinsicht dem Spanischen und dem Portugiesischen vergleichbar ist.101) Aber auch mit den italienischen Mundarten, die in Oberitalien gesprochen werden, bestehen viele sehr enge Beziehungen, besonders in der lautlichen Entwicklung. Was das Verhältnis des Provenzalischen zum Nordfranzösischen betrifft, so darf man annehmen, daß eine uns nicht erhaltene Urform des Nordfranzösischen weitgehend dem Provenzalischen entsprochen hat. Anders ausgedrückt: die romanische Volkssprache, die im 7.-8. Jahrhundert in Nordfrankreich gesprochen wurde, dürfte dem Provenzalischen sehr ähnlich gewesen sein, das uns aus dem 11.-12. Jahrhundert bekannt ist. Alle diese Umstände machen es verständlich, daß zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein südfranzösischer Philologe geradezu die Theorie vertreten konnte, daß das Provenzalische die aus dem Lateinischen hervorgegangene romanische Vulgärsprache sei, aus der sich erst in zweiter Linie die übrigen romanischen Sprachen abgezweigt hätten. Diese im Jahre 1821 von dem Provenzalen François R a y n o u a r d in seiner 'Grammaire comparée des langues de l'Europe latine' vertretene Theorie konnte sehr bald von dem deutschen Romanisten Friedrich Diez (in seiner 'Grammatik der romanischen Sprachen' (1836-43) widerlegt weriooa) 'g 0 ¡ s t jag Provenzalische gleichsam ein Zentrum der Romania . . . Es ist der sprachliche und kulturelle-Knotenpunkt der Verbindung zwischen den beiden Halbinseln und andererseits zwischen ihnen und Nordfrankreich' (A. Kuhn, Romanische Philologie, Bd. I, Bern 1951, S. 377). loi) Waa das Katalanische betrifft, so ist es in seiner ältesten Zeit (vor 1300) nichts anderes als eine regionale Abart des provenzalischen, doch nicht ganz ohne eigene sprachliche Merkmale. Siehe dazu W. Meyer-Lübke, Das Katalanische (Heidelberg 1025); Verf., Manual de filología hispánica (Bogotá 1957), S. 240ff. ; H. Kuen, Die sprachlichen Verhältnisse auf der Pyrenäenhalbinsel (ZRPh, 66, 1950, S. 108ff.; Kurt Baldinger, Die Herausbildung der Sprachräume auf der Pyrenäenhalbinsel (Berlin 1958), S. 51 ff. 53

den. Doch dies ändert nichts daran, daß das Provenzalische tatsächlich durch seine geographische Situation und durch seinen besonderen Sprachstand einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis dreier wichtiger romanischer Sprachen darstellt. Dies ist der Grund, weswegen wir auf dem Entwicklungswege, der uns zum Französischen führen soll, zunächst das Provenzalische betrachten wollen. DIE LAUTSTRUKTUR DES PROVENZALISCHEN Von der Sprache, die sich im Norden Frankreichs entwickelt hat, unterscheidet sich das Provenzalische durch eine viel bessere Bewahrung des vulgärlateinischen Vokalsystems. Im Gegensatz zu Nordfrankreich ist das freie a erhalten geblieben: mar, nas, prat, amar. Auch das lateinische au hat seinen alten Wert behalten: pauc, paubre, aur (s. Anm. 71). Mit Nordfrankreich geht das Provenzalische in der Verschiebung von u> ü, doch gibt es Anzeichen dafür, daß dieser Wandel sich im Provenzalischen nicht vor dem 10.-11. Jahrhundert vollzogen hat.102) Im Gegensatz zum Nordfranzösischen ist das Provenzalische arm an den neu entstandenen romanischen Diphthongen. Es nimmt nicht an den io2) w i r folgen in dieser Auffassung den Darlegungen von Meyer-Lübke, E i n f ü h r u n g § 233-236; E. Gamillscheg in ZFSL, B d . 45, S. 341 ff.; E. Richter in Z R P h , Bd. 41, S. 88ff. und Bd. 45, S. 385ff.; Id., Beiträge zur Geschichte der Romanismen, S. 254ff.; Fr. Schürr, R F , Bd. 50, S. 321. - F ü r eine Bewahr u n g von w in seinem alten Wert in einer ältesten Sprachperiode spricht das Katalanische (mit erhaltenem u), d a s sich erst seit dem 8. J a h r h u n d e r t stärker vom Provenzalischen gelöst h a t . F ü r die Gascogne läßt sich erweisen, d a ß ü auch hier erst verhältnismäßig spät durchgedrungen ist (s.Verf., L e Gascon, § 354). - Auch in Nordfrankreich kann der Wandel von u > ü n i c h t sehr alt sein, da vor einem als il gesprochenen 'palatalen' u ein vorausgehendes k nicht erhalten geblieben wäre ( c u l u s > cul, c u r a > eure), sondern sich der Entwicklung von c e r a > cire (tsire) angeschlossen h ä t t e . Andere sehr entscheidende chronologische Anhaltspunkte f ü r den Übergang v o n u > ü behandelt Fouchö (Bd. I I , S. 203ff.), der die Entstehung des ü i n der He-de-France nicht vor der Mitte des 8. J a h r h u n d e r t s datieren möchte, während in anderen Landschaften des Nordens (Normandie, östl. Lothringen, Burgund) die Palatalisierung zu ü noch später (10.-13. J a h r h u n d e r t ) erfolgt wäre. - Die von manchen Romanisten vertretene Auffassung, d a ß ü durch das gallische Substrat bedingt sei u n d auf die älteste Zeit der Romanisierung zurückgehe (s. zuletzt W a r t b u r g , Ausgliederung S. 36ff.), ist nicht überzeugend. Auch die Verhältnisse in Oberitalien, wo ü (< u) ebenfalls erst in jüngerer Zeit sich verbreitet h a t , sprechen gegen eine Fortwirkung des gallischen Substrates; vgl. Verf., H i s t . Gramm, der ital. Sprache, § 35. Weitere bibliographische Hinweise, insbesondere zur Keltentheorie in E A S (1955), S. 330 u n d bei E . Jacoby, Zur Geschichte des Wandels von ü zu y (Diss., Berlin 1916). - Zur Aussprache des u im Anglonormannischen, s. A n m . 212a. 54

Diphthongierungen teil, die in Nordfrankreich in freier Silbe erfolgt sind, z. B . : bene > bien, növe > nuef, t e l a > teile > toile, sola > soule > seule. Es kennt nur eine ältere Diphthongierung, die durch eine Art Umlaut ausgelöst ist und geknüpft ist an die Wirkung eines folgenden Palatals oder eines auslautendes -u, das in Hiatusstellung steht oder tritt. Wir geben dafür einige vorläufige Beispiele: pectus > pieitz (neben peüz), n o c t e > nuoit (neben noit), Deu > dieu (neben deu), novu > nueu (neben nou). Diese Form der Diphthongierung ist unabhängig von freier und gedeckter Silbe. In dieser Diphthongierung geht das Provenzalische zusammen mit dem Nordfranzösischen (altfranz. piz < *pieits, wuit < *nueit).103) Auch in der Behandlung der Vokale der Auslautsilben geht das Provenzalische mit dem Nordfranzösischen. Diese Vokale gehen im allgemeinen verloren, mit Ausnahme von a, das im Provenzalischen als a erhalten bleibt (porta 'Tür'), im Französischen zu e abgeschwächt wird (parte). Aus dem Konsonantismus verdienen besondere Beachtung einige Phänomene, die die große Verwandtschaft mit dem Nordfranzösischen deutlich machen. Doch gelten sie mehr oder weniger für die ganze westliche Romania (Oberitalien eingeschlossen): 1. Der Verlust der Doppelkonsonanten in Übereinstimmung mit dem Französischen: capa, gata, bela, anada, pasar,

roca.104)

2. Die Behandlung der stimmlosen Konsonanten in intervokalischer Stellung, die zu stimmhaften Lauten entwickelt werden: t> d (vida), k>g

(amiga),

p>

b (riba),

f>v

(Esteve < S t e p h a n u s J , s > 6

(caia). - Siehe S. 89. 3. Der Verlust des Stimmtons in der Konsonanz, die in den Auslaut tritt (calt, serf, lonc, orp < o r b u s ) . - Siehe S. 89.

10a ) Diese Diphthongierung gilt auch für Oberitalien (Verf., Hist. Gramm, der ital. Sprache, § 96. u. 117), für das Katalanische und die Mundarten des spanischen Nordens; s. Lausberg, Roman. Sprachwissenschaft, Bd. I, § 200 u. 204. - Zum Phänomen der Diphthongierung und seinen verschiedenen Ursachen, siehe die sehr eingehenden und grundlegenden Aufsätze von Fr. Schürr, besonders in der letzten Zusammenfassung 'La diphtongaison romane' in RLiR, Bd. 20, S. 107ff. und 161 ff. 104 ) Länger gehalten hat sich nur rr, das in der Gaskogne noch heute als gedehnter Laut gesprochen wird. Aus den Schreibungen passar, fosaat, messatge darf man nicht auf ein gemildertes s schließen, da -as- nur orthographischer Avisdruck für stimmloses s ist, wie in franz. passer, dresser, osselet. - Vgl. auch Anm. 240a.

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PROVENZALISCHE VIDAS

Zur ersten Einführung in das Provenzalische legen wir einige kleinere Biographien von provenzalischen Troubadours zugrunde.106) Gegenüber den kunstvollen Schöpfungen der höfischen Minnedichtung mit ihrer preziösen Rhetorik und ihren komplizierten metrischen Formen sind die Prosatexte leicht verständlich. Sie sind meist in den Handschriften des 13. Jahrhunderts enthalten, die uns die Lieder der Troubadours überliefert haben. Sie umfassen kurze Angaben über Herkunft und Leben der einzelnen Dichter, ihre Beziehungen zu hochgestellten Persönlichkeiten und Damen der Gesellschaft. Sie erzählen oft amouröse Anekdoten, bringen jedoch auch sachliche und ernste Urteile über den Wert der Dichtungen und den literarischen Ruf eines Dichters. Die historische Zuverlässigkeit dieser 'Vidas' wird von manchen Forschern bestritten, doch ist nieht daran zu zweifeln, daß die Verfasser der 'Vidas' noch eng mit dem literarischen Milieu und den zeitgenössischen Verhältnissen verbunden waren.106) Das schließt nicht aus, daß sie gelegentlich das Opfer falscher Informationen und einer gewissen Legendenbildung geworden sind. Jedenfalls sind die mittelalterlichen Troubadourbiographien köstliche Proben provenzalischer Prosa, zugleich aber auch interessante Dokumente, die uns mit dem Geist und den Verhältnissen der provenzalischen Gesellschaft vertraut machen, aus der die Troubadourdichtung erwachsen ist.107) 105 ) Die vollständige Sammlung der 'vidas' findet man in dem Buch von Camille Chabaneau, Les biographies des troubadours (in: Histoire générale du Languedoc, tome X), Toulouse 1885. 1M ) Sehr negativ ist das Urteil von A. Jeanroy, La poésie lyrique des troubadours, vol. I, S. 132 und in dem Aufsatz Lies biographies des troubadours, in AB, Bd. I, 1917, S. 289ff. Ähnlich urteilt N. Zingarelli (über die vidas von Bernart de Ventadorn) in StM, Bd. I, 309ff. - Mit größerer Gerechtigkeit wird der Wert der 'vidas' von dem polnischen Provenzalisten St. Stroiiski, Le troubadour Folquet de Marseille (Krakau 1910) beurteilt; vgl. auch die sachliche Abwägung des Positiven und Negativen durch Alfred Pillet, in ZRPh, 47, 1927, S. 333ff. 107 ) Eine sachkundige und zuverlässige Einführung in alle Fragen, die sich auf die Troubadourdichtung beziehen, gibt Alfred Pillet in dem Forschungsbericht 'Grundlagen, Aufgaben und Leistungen der TroubadoursForschung' (ZRPh 47, 1927, S. 316-348). Zur allgemeinen Orientierung verweisen wir auf unseren Studienführer Romanische Philologie, Bd. I, 1949, S. 189ff.

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1. J A U F R E R U D E L (vor 1147) Jaufres Rudels de Blaia si fo moût gentils om, princes de Blaia; et enamoret se de la comtessa de Tripol, ses vezer, per lo ben qu'el n'auzi dire als pelegrins que venguen d'Antiocha ; e fetz de lleis mains vers ab bons sons, ab paubres motz. E per voluntat de lleis vezer el se crozet e mes se en mar; e près lo malautia en la nau, e fo condug a Tripol en un albero per mort. E fo fait a saber a la comtessa, et ella vene ad el, al sieu leit, e près lo entre sos bratz ; et el saup qu'ella era la comtessa, si recobret l'auzir e - l flairar; e lauzet Dieu e l grazi que l'avia la vida sostenguda tro qu'el l'agues vista. Et enaissi el mori entre sos braz, et ella lo fez a gran honor sepellir en la maion del Tempie. E pois en aquel dia ella se rendet morga per la dolor qu'ella ac de la mort de lui. JATJFKES RUDELS DE BLAIA 'Jaufre Rudel aus Blaye' Der Vorname des Dichters entspricht dem altfranzösischen Geoffroi (Jofroi), der sich bis in die moderne Zeit als Familienname (Geoffroy (in Südfrankreich Gaufré) erhalten hat. Im zweiten Teil des Namens erkennt man den germanischen Stamm - f r e d , der auch in Manfroy = it. Manfredo, Offroy = it. Odofredo enthalten ist. Heimatsort des Dichters ist die Stadt Blaye am Nordufer der Gironde. Der Name erscheint im Nominativ mit Erhaltung des flexivischen s entsprechend der Deklination Carolus : Carolu (Akk.). Die sogenannte Zweikasusflexion ist im mittelalterlichen Provenzalischen in der männlichen Deklinationsklasse soweit gewahrt, als das Vorhandensein eines auslautenden s im Vulgärlatein Gelegenheit gab, den Kasusunterschied zu markieren. Daher haben wir im Nominativ des Singulars Jaufres (* G a u t f r e d u s ) , amics, filhs, bons, mais, aber andererseits om (homo), paire (pater), fraire ( f r a t e r ) . Anlautendes j wie auch g vor hellen Vokalen (gentils) hatte den Wert des italienischen g in Genova, già, gente (stimmhafter präpalataler Verschlußreibelaut). Im modernen Französischen begegnet dieser Laut nur in Fremdwörtern, z. B. : djinn, djebel. Si fo mout gentils om, princes de Blaia 'war ein sehr adliger Mann, Fürst von Blaye'. Das Adverbium si 'so' hat hier konjunktionale Funktion im Sinne einer Verknüpfung des Verbums mit dem vorausgehenden Subjekt. Dieser Gebrauch ist ausgestrahlt von Satzverbindungen, in denen einem vorausgehenden Nebensatz der Hauptsatz nachfolgt, ganz wie im Deutschen 'wenn er dies tut, so beweist das*. Die gleiche Verwendung von si kannte das Altitalienische, das Altprovenzalische und das Altfranzösische, z. B. : quant ore fu, si l'an menerent 'als es an der Stunde war, da führten sie ihn fort' (Chrétien, Yvain 4016). Schließ57

lieh wurde diese Einleitung eines Verbalsatzes zu einem bequemen Mittel, um eine festere Verbindung auch nur mit einem vorausgehenden Subjekt herzustellen. Man könnte übersetzen: 'Was Jaufre Rudel betrifft, so war er ein Mann von vornehmer Herkunft'. 108 ) mout: Beispiel für die Vokalisierung des vor Konsonanten stehend e n l (ähnlich aut, caut, autre, beutat, outra). M a n lese mö-ut ; ou ist i m

Altprovenzalischen ein Doppellaut. Der Lautwandel setzt ein hinteres l voraus, das mit Hebung der Hinterzunge zum Gaumensegel gesprochen wurde ('velares 1'). Der Wandel ist im Altprovenzalischen nicht so allgemein durchgedrungen wie im Altfranzösischen: schon das in unserem Text folgende Wort gentils zeigt Bewahrung des Z.109) Lateinisch g e n t i l i s bedeutete eigentlich 'zu einer bestimmten gens : Familie gehörig', dann 'von guter oder vornehmer Abstammung'. Die mittelalterliche Bedeutung schimmert noch durch in engl. gentleman. Im übrigen hat das französische Wort eine Wertminderung erfahren, indem es heute nur noch bedeutet 'nett', 'liebenswürdig'. Om ist erhaltener Nominativ < homo gegenüber dem Akkusativ ome oder omen < homine; ähnlich heißt der Graf coms (Nom.) < comes und comte (Akk.) < comite. Princes, nicht direkte Fortsetzung des alten Nominativs p r i n ceps, sondern auf der Akkusativform p r i n c i p e beruhend. Wir haben hier ein Beispiel für eine der verschiedenen Möglichkeiten, um den proparoxytonen Wortakzent zu beseitigen. In gewissen Fällen ist es nicht zu der häufigeren Synkopierung ( d o m i n a > domna, oculus > oclus) gekommen, sondern es wurde die letzte Silbe abgeworfen: p r i n c i p e > prince. Ähnliche Beispiele aus dem Französischen sind ange (angelus), Christophe ( C h r i s t o p h o r u s ) , vierge (virgine) image ( i m a g i n e ) , R a t ö m a g u s >

Roem > Rotten, C a t ü m a g u s

> Caen. In solchen Fällen bleibt der einstige Mittelvokal meist als e erhalten.110) Das flexivische s von princes ist analogisch bedingt nach anderen männlichen Wörtern (amics, filhs). 108 ) Zu diesem Gebrauch von si in den verschiedenen romanischen Sprachen, siehe Meyer-Lübke, Grammatik der romanischen Sprachen, Bd. III, § 651 u. 653; zum Italienischen, s. Verf., Hist.Gramm. der italien. Sprache § 760. Zur Übereinstimmung mit dem Germanischen, 8. Wartburg, Ausgliederung, S. 113. 109 ) 'Zum Provenzalischen, vgl. C. Appel, Provenzalische Lautlehre (Leipzig 1918), § 56a; zum Altfranzösischen, Rheinfelder § 602. — Die ersten Spuren dieses Wandels sind in Gallien seit dem 5. Jh. erkennbar, s. Richter § 86. HO) Weitere Beispiele aus dem Provenzalischen (z. B. f r a x i n u > fraisse, a s i n u > ose) bei Appel, Prov. Lautlehre § 41 d; zum Altfranzösischen, s. Rheinfelder § 467. Zum ganzen Problem der Proparoxytona: E. Seifert, Die Proparoxytona im Galloromanischen (Halle 1932).

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Et enamordt se de la comtessa de Tripol ses vezer 'und er verliebte sich in die Gräfin von Tripolis, ohne sie zu sehen'. Die hier vorliegende Perfektform ist ein besonderes Merkmal des Provenzalischen. Sie beruht auf der Verallgemeinerung des Perfekttypes d é d i t , p e r d ë d i t , s t ë t i t , wobei - ë d i t im Provenzalischen zu -et werden ifrußte. Merkwürdig ist nur, daß diese Endung von gewissen starken Perfekta der dritten Konjugation sich auf die erste Konjugation ausgedehnt hat und hier zur Bildung sogenannter schwacher Perfekta verwendet wurde : cantèt 'il chanta' (gewissermaßen * c a n t ë d i t ) , amèt 'il aima'. 111 ) - Beachtenswert ist die Stellung des unbetonten Personalpronomens. I m Gegensatz zu den modernen Stellungsregeln (il se lava) durfte in der altromanischen Periode ein solches unbetontes Pronomen nicht vor dem Verbum erscheinen, wenn es den Satz oder einen selbständigen Satzteil eingeleitet hätte. Man sagte daher altprovenzalisch fatz lo 'ich tue es', vei la 'ich sehe sie'. Die gleiche enklitische Stellung war obligatorisch, wenn dem Verbum die Konjunktion et vorausging. Man sagte also: et enamorèt se 'und er verliebte sich', e près lo malautia 'und es ergriff ihn Krankheit'. 112 ) La comtessa de Tripol: Die Abschwächung des alten Demonstrativpronomens ille zum Artikel beobachtet man seit der Bibelübersetzung, in häufigeren und deutlicheren Beispielen erst seit dem 6. Jahrhundert. Einen Vorläufer dafür bildete die Verwendung von ille mit Beziehung auf etwas, was kurz vorher genannt war, schon in der klassischen Latinität, z. B. bei Apuleius i l l i l a t r o n e s 'die eben genannten Räuber'. Übersetzungen aus dem Griechischen haben dem Aufkommen des Artikels im Spätlatein und in der Volkssprache neuen Antrieb gegeben. Die mechanische Verallgemeinerung des bestimmten Artikels hat sich in Frankreich erst zwischen dem 9. und 14. Jahrhundert in langsamen Etappen vollzogen.1124) - Das zur Bildung weibul

) Die gleiche Perfektbildung läßt sich im Italienischen beobachten, z. B. in der Toskana andiede 'il alla', in den Mundarten Corsicas si maritède 'il se maria', purtèdi 'je portai' (Rohlfs, § 579). — Hierher auch altfr. -iet im Perfektum einiger Verba der ë-Konjugation: vendiet, perdiet, respundiet. lls ) Siehe dazu Meyer-Lübke, Grammatik der romanischen Sprachen, Bd. III, § 715-719; zum Französischen Lerch, Bd. III, S. 285ff., Gamillscheg S. 118ff.; zum Italienischen, Rohlfs § 469. — Im Portugiesischen hat sich diese alte Stellung des unbetonten Pronomens bis heute erhalten, z. B.

parece-me 'il me paraît', explico-te tndo 'je t'explique tout', gegenüber como

se chama 'comment s'appelle'. - Über die Inversion nach et im Französischen, die im 13.-17. Jahrhundert ziemlich häufig ist, siehe Lerch, Bd. III, S. 422ff. U2a ) Zur Entstehung des bestimmten Artikels in den romanischen Sprachen, siehe die Arbeiten von Wolterstorff (Glotta 8, 197ff. und 10, 62ff.); E. Löfstedt, Syntactica, Bd. I a , 358ff. - Zum lateinischen Typus porcus ille silvaticus, Lerch, ZRPh, 60, 1940, S. 113ff. - Zur allmählichen Ausbreitung

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licher Personen dienende Suffix stammt aus dem Griechischen. Es erscheint als -issa früh im Vulgärlatein, z.B.: in der Sprache der Bibel (prophetissa), auf einer Inschrift aus Gallien Germanissa. Mit Tripol ist die damals pu den Kreuzfahrerbesitzungen gehörige Grafschaft Tripolis in Syrien gemeint. Die Präposition sine mußte im Provenzalischen zunächst sen ergeben. Dieses nun sekundär auslautende -n-, soweit es ursprünglich zwischen Vokalen stand, ist im Provenzalischen unfest, d. h. es konnte (regional bedingt) gesprochen werden (sen, can, vin mit nasaliertem Vokal) und es konnte verstummen (ca, vi). Das auslautende s ist ein sogenanntes adverbiales s, das in Analogie nach bestimmten Vorbildern (foris, magis, melius, intus) sich verallgemeinert hat (prov. sempres 'sogleich'). 113) Fezer (sprich: veiir): während im Altfranzösischen das intervokalische d früh verlorengegangen ist (altfranz. veoir, loer c l a u d a r e , suour < sudore), hat es sich im Provenzalischen über den interdentalen Reibelaut (d) zum stimmhaften s entwickelt, das meist mit dem Schriftzeichen z wiedergegeben wird; andere Beispiele: lauzar, suzor, auzir. Doch findet sich auch die Schreibung mit s, z. B. veser, lausar. Per lo ben qu'el n'auzf dire als pelegrins 'um des Guten willen, das er über sie die Pilger sagen hörte'. Die vulgärlateinische Vorstufe dieses Satzes würde so gelautet haben: Per illu bene quod ille inde a u d i ( v ) i t dicere ad illos peregrinos. Lo ist der männliche provenzalische Artikel, Vorstufe zu franz. le, auf lat. (il)lu beruhend; vgl. lum = illum auf einer antiken Inschrift aus Nordafrika (s. unten S. 101). Ben: Über die Wirkung eines Nasalkonsonanten auf einen vorhergehenden Vokal, indem es diesen nasalierte, fehlt es an klaren Unterlagen. Jedenfalls war in Südfrankreich im Mittelalter die Nasalierung im ganzen wohl weniger ausgeprägt als in Nordfrankreich. Auch scheinen die einzelnen Landschaften nicht ganz konform gegangen zu sein, insofern als ein in den Auslaut tretendes n, wenn es keinen Konsonanten vor sich hatte, z.T. ganz schwinden konnte (be neben ben, ca neben can, ma neben man). Im heutigen Südfrankreich im Französischen H. Yvon, Romania, Bd. 69, S. 289ff.; Gamillscheg, S. 57ff. - Zum Aufkommen des Artikels in vielen Sprachen, vgl. Wackernagel, Vorlesungen über Syntax, Bd. II, 1924, S. 152. l l s ) Die hier gegebene Erklärung von prov. ses (neben senes) aus s i n e kann nicht als absolut sicher gelten, zumal auch altfranz. senz und ital. senza besondere Probleme aufwerfen; s. dazu zuletzt Corominaa, Dicc. crit. etim. de la lengua castellana, s . v . sin. - Vgl. auch unten zu Bisclavret, Vers 208. 60

sind in solchen Fällen drei ganz verschiedene Aussprachen zu beobachten: mä, ma und mar\ (pä, pa, pari).11*) Di® Wirkung eines nasalen Konsonanten bestand nicht nur in der Nasalierung des vorhergehenden Vokals, sondern im Provenzalischen erhielt dieser auch eine geschlossene Aussprache: bene > b$ne > be(n), pönte > pgnt > pqn\ s. dazu Straka, RLiR, Bd. 19, S. 249ff. Inde, das in seiner Schwachtonigkeit zu en oder ne reduziert worden ist, hat im Provenzalischen die gleiche pronominale Funktion entwickelt ('von ihr') wie en im Französischen (on en parlait). Auzl setzt ein *audlt voraus: die Perfekta auf -avi und -ivi sind schon im Vulgärlatein seit dem 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung durch verkürzte Formen ersetzt worden. Man sprach cantai, cantasti, audii, audirunt. AU pdegrins: die gleiche Erscheinung beim Zusammentreffen zweier Akkusativobjekte wie sie bekannt ist aus franz.: la chanson que j'ai entendu chanter ä la vieiUe.116) Pdegrin: das erste r des lateinischen peregrinus ist zu l dissimiliert worden; vgl. paraveredu > franz. palefroi, Bononia > Bologna, Bovlogne. Que vönguen d'Antiocha 'die von Antiochien kamen*. Die Perfektform vingutn erklärt sich aus dem lateinischen Perfektum auf -ui, für das habui, p o t u i usw. das Vorbild geliefert haben. Aus einem *venui mußte *vengui > vengw > venc hervorgehen.116) Antiocha: franz. Antioche. 114 ) Die von K. Kutscha in seiner Arbeit 'Das sogenannte n mobile im Alt- und Neuprovenzalischen' (Halle 1934) vorgenommene Deutung krankt an schweren Schwächen. Auch die Notierungen des französischen Sprachatlas (ALF) sind sehr unzuverlässig; s. Verf., AStNSp. 168, 1935, S. 155. Eine lautphysiologische Erklärung für das Entstehen der Nasalvokale gibt Straka, RLiR, Bd. 19, S. 265ff. - Zum ganzen Fragenkomplex, der den Einfluß der Nasale betrifft, s. Lausberg § 230ff. 115 ) Zur Erklärung, siehe A. Tobler, Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik, Bd. I, 1886 no 30; Meyer-Lübke, Grammatik der romanischen Sprachen, Bd. m , § 391; Nyrop, Grammaire historique de la langue franfaise, Bd. VI, § 181ff.; Gamillscheg S. 369. 11 ') Aus einem anzunehmenden vulgärlateinischen " v ä n u e r u n t mit Verallgemeinerung der Stammbetonung (vgl. ital. vhme.ro) ist normal im Provenzalischen vengron entstanden; dazu die analogisch gebildeten Nebenformen vengon, venguen, s. Schultz-Gora, Altprovenzalisches Elementarbuch, § 141.

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E fetz de lleis malus vers 'und er verfaßte über sie manche Lieder'. Dem lateinischen f e c i t steht das provenz. fetz näher als das altfranz. fist (modern, fit). Lleis (meist leis geschrieben): eigentümliche Form des Provenzalischen, die ihren nächsten Verwandten in ital. lei 'sie' (betonte Form) hat. Die beiden Formen setzen vulgärlateinisch i l l e i u s und illei fort, die nach den klassisch-lateinischen Formen e i u s und ei gebildet sind.117) Im Provenzalischen hat der alte Genitiv genau so sich zu einem allgemeinen Obliquus entwickelt, wie der alte Dativ i l l u i im Französischen, z. B.: avec lui. — Die Schreibung lleis = leis ist willkürlich und hervorgerufen durch Schwankungen: vila neben villa, bela neben bella, ela neben ella. Der französischen Form maint entsprechen im Provenzalischen maint und mainh. Die letztere Form zeigt klarer die alte Grundlage magnus. 1 1 8 ) Aus der Idee der Größe hat sich die Idee einer Vielheit entwickelt; vgl. t a n t u s 'so groß' > franz. tant 'so viel', altfranz. tant Chevalier 'maint Chevalier'. Die Nebenform mit -i zeigt den Einfluß von t a n t u s . 1 1 9 ) Vers bezeichnet im Provenzalischen nicht nur den einzelnen Vers, sondern eine bestimmte Liedform, die nur männliche Reime erlaubte. Unser Dichter hat in der Tat vorwiegend solche Lieder hinterlassen. Ab bons sons, ab panbres motz 'mit wohlklingenden Lauten und schlichten Worten'. 120 ) Die Präposition ab setzt lateinisch a p u d fort, das in Frankreich früh die Funktion von c u m übernommen hat; aus der örtlichen Nähe hat sich der Gedanke des Zusammenseins entwickelt.121) 117

) Beide Formen begegnen auf römischen Inschriften, z. B. a m a t o r i l l e i u s (CIL, 6, 14484), ilei (E. Diehl, Inscr. Lat. christ. vet., no 4554). Unter Anlehnung an i l l a e haben sie feminine Geltung erhalten; s. Rohlfs, § 441, Anm. 1. Ebenso sind vulgärlat. i p s e i u s und i p s e i bezeugt (s. TLL). 118 ) Die hier gegebene ältere Erklärung ( m a g n u s gekreuzt mit t a n t u s ) scheint mir noch immer den Vorzug zu verdienen (s. REW, no 5231) vor einer Deutung aus einem gallischen » m a n t i oder einem germ. *mangij>u; s. dazu EWFS, s. v. maint, und J. U. Hubachmied, RPh, Bd. 12, 1958, S. 171ff. - Nach Tilander (Filol. Arkiv, Bd. I, Stockholm 1955) wäre in franz. maint ein altfränk. m a n i c h t e 'eine Menge' zu sehen. 11 •) Eine ähnliche Vermischung von m a g n u s und t a n t u s liegt vor in röm. und kors. tamanto 'tanto' gegenüber span. tamaño 'so groß'. 120) Vgl. ¿Je Charakterisierung von Martin de Riquer: 'Es Rudel uno de los más excelsos representantes del trobar leu, o versificación sencilla' (La lirica de los trovadores, tomo I, Barcelona 1948, S. 94). Die 'paubres motz' stehen im Gegensatz zu der gekünstelten Manier anderer zeitgenössischer Dichter. 121 ) Beispiele für die Verwendung von a p u d = c u m finden sich in der

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Paubre: zeigt die provenzalische Erhaltung des lateinischen Diphthongen (s. Anm. 71) und die Sonorisierung von p vor r (Muta cum Liquida) wie in freier Silbe (vgl. c a p r a > cabra). - Das auslautende e ist sekundär entstandener Stützvokal, vgl. segre (sequere), paubre (paupere), paire (padre < p a t e r ) , maëstre ( m a g i s t e r ) , der sich im Auslaut einstellt nach einem Nexus Konsonant + r. E per voluntat de lleis vezer 'Und um (der Absicht willen) sie zu sehen*. Das Auftreten des betonten Pronomens leis an Stelle eines zu erwartenden unbetonten Pronomens (pour la voir) erklärt sich aus dem Einfluß der vorhergehenden Präposition, obwohl das Pronomen keineswegs von der Präposition abhängig ist. Genau so sagte man altfranzösisch por moi laver, por toi garir,122) El se crozèt e mes se en mar 'nahm er das Kreuz' < 'versah sich mit dem Kreuz, und machte sich auf die Seefahrt'. Das Pronomen el setzt den lateinischen Nominativ ïlle fort, während der Akkusativ illu den provenzalischen Artikel lo (vgl. lo ben) und den Akkusativ des Personalpronomens geliefert hat. Das reflexiv gebrauchte Verbum crozar hat die gleiche Bedeutung wie reflexives croiser in der alten Sprache Nordfrankreichs: il se croisa. Daher noch heute franz. les croisés 'die Kreuzfahrer'. Mes setzt statt lat. misit ein *misit voraus (unter dem Einfluß von mïssus) gegenüber dem afrz. mist. Der auslautende Dental ist dem Provenzalischen verlorengegangen (canta, es < est, au < a u d i t , cre < credit, nais < nascit), während er in Nordfrankreich länger erhalten geblieben ist (est, ot < a u d i t , naist < nascit). 123 ) E mes se 'et il se mit': s. oben zu et enamorèt se (S. 59). E près lo malautia en la nau 'und es ergriff ihn eine Krankheit auf dem Schiff'. Malautia, abgeleitet von malaute 'krank'. Grundlage des Adjektivums ist m a l e h a b i t u s 'sich in einem schlechtem Zustand befrnLatinität Galliens seit dem 4. Jahrhundert, z. B. bei dem Aquitanier Sulpicius Severus a n g e l o s a p u d s e ( = s e c u m ) l o q u i s o l e r e d i c e b a t (Vita Mart. 23), in der anonymen Komödie 'Querolus' (4. Jahrhundert) i s t e q u i a p u d m e e s t l o c u t u s (TLL, II, 344). - Zur Geschichte von a p u d siehe Wartburg, FEW, I, 114; aus a p u d ist über * a v u d in Nordfrankreich od entstanden: altfranz. od son frere. m ) Siehe L. Foulet, Petite syntaxe de l'ancien français (Paris 1923), § 137. - Vgl. Bisciavret, Vers 164 und Anm. 475. 123 ) Siehe die genauere Darstellung bei Lausberg § S47-553 und Rheinfelder § 754.

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dend*. Die Entwicklung des alten Partizipiums geht über *avedus > *avdus mit anschließender Vokalisierung des v in der Stellung vor dem Konsonanten. Ähnlich c i v i t a t e > civtat (span. ciudad), vivere > mure, Davide > Daude, d e b i t u m > deute (span. deuda). Nau: das in den Auslaut tretende v wurde im Provenzalischen zu u vokalisiert; ähnlich clave > cHau, m o v e t > mbu. E fo condug a Tripol en un albere per mort 'und er wurde als Sterbender in eine Herberge nach Tripolis geführt'. Condug beruht auf conductu: der Nexus et hat im Provenzalischen teils it ergeben wie im Französischen (fait, lait, nuit), teils jenen Laut, der die spanische Entwicklung kennzeichnet (hecho, lecke, noche). Im ersten Fall ist das k vor Konsonant einfach zu i palatalisiert worden. Im zweiten Fall hat die Palatalisation sich auf das folgende t ausgewirkt, so daß über tj schließlich tS entstanden ist (=tsch in deutsch Kutsche). Die orthographische Wiedergabe des dem Lateinischen nicht vertrauten Lautes war im Mittelalter sehr mannigfaltig und schwankend, vgl. die provenzalische Entsprechung von franz. 'fait': fach, fag, fah. Über die Gründe dieses Lautwandels, s. Anm. 223. Albere entspricht dem italienischen aXbergo: es liegt zugrunde ein altgermanisches (gotisches) *haribairgs, während das nordfranzösische Verbum héberger fränkisch heribergon voraussetzt.124) E fo fait a saber a la comtessa 'und es wurde der Gräfin zu wissen getan'. In fait haben wir die andere provenzalische Entwicklung des Nexus et, in der der Süden mit dem Norden übereinstimmt. Saber: In klassischer Zeit lautete das Verbum sapëre. Es schloß sich wie manches andere Verbum der 3. Konjugation später der 2. Konjugation an: *sapëre, vgl. cadëre > *cadêre, posse > *potëre, velle > *volëre, pluere > '•'plovëre, fallere > *fallëre. 126 ) Es bedeutete in klassischer Zeit 'schmecken', 'riechen', 'geistig erkennen'; von der letzten Verwendung ist es im Vulgärlateinischen zu einem Ersatzverbum für scire geworden. In seiner Lautentwicklung steht saber genau zwischen dem ital. sapere und dem franz. savoir. lï4

) Siehe Gamillscheg, Romania Germanica, Bd. I, S. 266 und 367. Franz. auberge ist erst im 16. Jahrhundert aus prov. alberga entlehnt. l " ) Häufiger ist der umgekehrte Übergang von der zweiten Konjugation zur dritten Konjugation, vgl. franz. rire, mordre, répondre, tondre, taire, plaire, nuire. I m Spanischen ist der Ersatz der Verben - e r e durch - e r e (oder - i r e ) ein absoluter: romper, haeer, poner, deeir, vivir, reir.

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Et ella venc ad el, al siea leit, e prcs lo entre sos bratz 'und sie kam zu ihm, an sein Bett, und nahm ihn in ihre Arme'. Venc setzt ein * v e n u i t voraus, mit Weiterentwicklung zu Dengue > *veng > venc.12i) Ad el und al: beide beruhen auf a d illu. Das eine ist die starktonige Entwicklung, das andere ist schwachtonig entwickelt. Sieu ist betonte Form des Possessivpronomens. Der Diphthong ie setzt einen e-Yokalismus voraus: es ist also suu nach mfeu zu *seu umgebildet worden (ebenso t u u > *t£u > tieu). 127 ) Hier haben wir einen Fall der Diphthongierung eines offenen e unter dem Einfluß eines Hiatus -u (ähnlich Deu > dieu). Neben leit wäre auch lieit denkbar, mit Diphthongierung des offenen e unter dem Einfluß eines folgenden Palatals. Die Form lieit muß auch einmal im Französischen bestanden haben; sie wurde unter dem Übergewicht der beiden i zu lit vereinfacht (vgl. m e d i u > * m e j u > *miei > mi, p e c t u s > *pieiz > piz > neufr. pis). Pres, aus vulgärlateinisch * p r e s i t (< p r e h e n s i t ) . Bratz (altfranz. braz geschrieben) < b r a c h i u m , vulgärlat. b r a k k j u , beruht auf einer Vorstufe, die sich im Italienischen (braccio) erhalten hat, indem der ältere palatale Verschlußreibelaut sich zu postdentaler Aussprache verschoben hat. 128 ) Et el saup qu'ella era la comtessa 'und er begriff, daß sie die Gräfin war'. Saup < s a p u i t zeigt Übertritt des Hiatus -u in die Stammsilbe, wobei aus a + u sich ein au ergibt.129) Si recobröt l'auzir e-1 flairar 'und er erlangte wieder das Hören und das Riechen'. Si (lat. sie) hat im Vulgärlatein die Funktion einer Konjunktion übernommen: v e n i sie v i d i 'ich kam,und (die Folge davon war:) ich sah'. Diese Konjunktion ist in Frankreich auf die Verknüpfung verbaler Gedanken beschränkt geblieben: altfranz. il vient si voit. Nur im Rumänischen ist die Entwicklung über diese Grenze hinausge"•) Siehe Anm. 116. - Auf * v e n u i beruht auch ital. venni 'ich bin gekommen', wobei die Doppelkonsonanz durch das Hiatus-w bewirkt ist; vgl. vulgärlat. a c q u a = klass. aqua (s. o. Anm. 93). 127 ) Vgl. franz. tien und sien, die nach mien gebildet worden sind; altröm. meo, teo, seo (s. Rohlfs, § 427). "•) Genauere Hinweise geben Lausberg § 468 und Rheinfelder § 627. 128 ) Ähnlich ist * e a p u i zu caup geworden. - Man vergleiche das Verhalten des Hiatus-i in v a r i u s > franz. vair, area > *aria > franz. aire. 5 Rohlfs, Einführung

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gangen, indem das alte Adverbium (sie > §i) völlig an die Stelle von et getreten ist: casii §i curte 'Haus und Hof'. 180 ) E'l: ein sehr schwachtoniges Wort, wie der bestimmte Artikel, wird gern gewissen vorausgehenden Wörtern enklitisch verbunden: e lo > el. Flairar aus lat. f r a g r a r e 'duften', mit Dissimilation des ersten r zu l; in der Gruppe gr wird g über j zu i vokalisiert, ähnlich wie kr (über gr) zu ir geworden ist: s a c r a m e n t u > sairemevt, l a c r i m a > lairme. E lauzftt Dieu e-1 grazi que I'avia la vida sostenguda 'und er lobte Gott und dankte ihm, daß er ihm das Leben erhalten hatte*. Dieu: Diphthongierung von offenem e vor Hiatus -u wie in meu > mieu, *8eu > sieu. Orazl setzt ein älteres * g r a d i v i t (statt *grativit) voraus, dessen auffälliges d auch in ital. gradire 'dankbar annehmen' wiederkehrt.181) L'avia: das apostrophierte l ist zu Ii (lat. illi) zu ergänzen. — Avia: die Endung -la paßt nicht zu -e(b)am, sondern zeigt Verallgemeinerung eines alten - i b a m (klassisch -iebam), das sich von der alten vierten Konjugation auf andere Konjugationen ausgedehnt hat: devla, vivla, partla, vendla. Es ist eine Erscheinung, die das Provenzalische mit den Sprachen der Pyrenäenhalbinsel verbindet: span. habia, podla, movia.uu) Sostenguda: In der Bildung des Partizipiums Perfekti hat die Endung - u t u s , die im Lateinischen nur bei den Verben auf - u e r e üblich war, im Vulgärlatein eine große Ausdehnung erfahren.182) Im 130

) Siehe Meyer-Lübke, Grammatik der romanischen Sprachen, Bd. III, § 546 u. 547. 1S1 ) Es ist also hier ein etymologisches t, das im Provenzalischen normalerweise nur bis zu d geht (catena > cadenä), um eine Stufe weiterentwickelt worden. Ähnliche Fälle sind prov. espaza (neben espada), guizar (neben

guidar), pozestat (neben podestat), mezeis neben medeis (metipse). Vermut-

lich handelt es sich um lehnwörtliche Formen ('Kulturlehnwörter'), die zu einer Zeit aus Nordfrankreich mit der Lautimg d entlehnt wurden, als in Südfrankreich der Wandel von intervokalischem d > z (d. h. stimmhaftes s) noch nicht abgeschlossen war. - Siehe dazu Verf., Festgabe Gamillscheg (1952), S. 118ff. 131a ) Für das Provenzalische und das Spanische ist auch eine phonetische Entwicklung denkbar, da hier -¿a > -la werden konnte (vgl. v la = vea > via), während anderswo z. B. sard. podiat = ital. poteva klar -ibam vorliegt; s. Lausberg, § 934. 132 ) Die Ausdehnung von - u t u s wurde begünstigt durch die Ausbreitung der Perfekta auf -ui (habui, debui, tacui, * v e n u i , *tenui), indem der charakteristische Themavokal u auf das Partizip (nach dem Vorbild c a n t a i : c a n t a t u ) übertragen wurde. - Siehe dazu Meyer-Lübke, Historische Grammatik der französischen Sprache, Bd. I, § 346.

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Stammausgang des Verbums zeigt sich der Einfluß der Perfektformen (*tenui > *tengui > *tengw > tenc).133) Tro qu'el l'agues vista 'bis daß er sie gesehen hätte'. Die Konjunktion tro que ist eine abgeschwächte Nebenform zu dem gleichbedeutenden entro que (auch entros que). Sie ist aus drei Elementen zusammengesetzt: i n t e r hoc q u o d 'zwischen dem daß', 'solange als'.134) Agnès: normal aus a b u i s s e t > *awest entwickelt (w > gy). Vist (m.): statt des lateinischen v i s u s liegt ein * v i s i t u s zu Grunde (wie in ital. span. visto), das in Analogie nach positus, vulgärlat. * q u a e s i t u s gebildet worden ist. An Stelle dieser Bildung hat sich in Nordfrankreich die Endung - u t u durchgesetzt: altfranz. veu > vu. Et enaissi el mori entre sos braz 'und so starb er in ihren Armen'. Enaissi: Zu Grunde liegt prov. aissi, das vulgärlateinisch ac sie fortsetzt. 135 ) Dieses ist durch die Präposition en verstärkt, ähnlich wie man altfranzösisch aus en und si ein ensi (neufranz. ainsi) gebildet hat. Das Perfektum mori setzt ein * m o r i t für * m o r i v i t fort. 136 ) Entre beruht auf lat. i n t e r : Das kurze i wurde romanisch zu e. Das e der unbetonten Auslautsilbe mußte fallen. Doch bleibt im Auslaut als Stützvokal ein e erhalten, wenn die Silbe auf Muta cum Liquida oder eine andere schwere konsonantische Gruppe ausging: perdre, oncle, doble, aitre, segre (sequere), asne (asinu), comte, omne (homine). Diese Regel gilt, wie die Beispiele zeigen, auch für Nordfrankreich. 133) Siehe dazu Anm. 116 und 126. ) Der provenzalischen Form entspricht die altfranzösische Konjunktion entruea que (auch entros que) neben dem Adverb entruea 'pendant ce temps' (FEW, IV, S. 748). In dem auslautenden -s ist das adverbiale s zu sehen. Zur gleichen Wortfamilie gehört wohl auch altfranz. treaque 'bis daß* (z. B. im Rolandslied, Vers 162) neben der Präposition entresque 'bis'. Zur historischen Analyse der einzelnen Formen, s. Paul Falk, Jusque et autres termes en ancien français et en ancien provençal marquant le point d'arrivée (Uppsala 1934). - Überholte Deutungen bei Lerch, Bd. II, S. 36ff. 185) Vgl. in der Peregrinatio Egeriae 52, 8 ac sie ergo . . . c o e p i m u s f e s t i n a r e . Der Vorgänger dieses ac sie war das bei klassischen Schriftstellern (Cicero, Plinius, Tacitus) häufig erscheinende a t q u e ita, z. B. bei Cicero t e rogo a t q u e ita. i8«) Vgl. daa in unserem Text begegnende auzl < *audït < a u d i v i t (s. oben S. 61), grazi < »gradit < * g r a d i v i t (S. 66). 134

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Et ella Io fetz a gran honor sepellir en la maion del Temple 'und sie ließ ihn beerdigen mit großer Ehre im Haus der Templer'. Gran: das in den Auslaut tretende d nach n ist im Provenzalischen verlorengegangen, z. B.: quan ( q u a n d o ) , ven (vendit), im Gegensatz zum Französischen.137) SepeUir muß Lehnwort (Latinismus) sein, wegen der Erhaltung des p.188) Maion ist mundartliche provenzalische Form neben dem üblicheren maison.139) Gemeint ist das Haus, das dem Templerorden, den 'chevaliers du Temple' gehörte. E pois en aquel dia ella se rendöt morga 'und dann noch an jenem Tage machte sie sich zur Nonne'. Pois entspricht dem französischen puis: zu Grunde liegt ein vulgäres *postius, das unter dem Einfluß von prius, melius, p e i u s an Stelle von p o s t e a gebildet worden ist. Die Entstehung von *pos t i u s entspricht genau dem vulgären *antius, das an die Stelle von a n t e a getreten ist.140) Aquel: als Demonstrativpronomen ist lat. ille in den roman. Sprachen durch hinweisende Elemente verstärkt worden. Während dem italien. quello ein eccu-illu zu Grunde liegt, darf das verstärkende Element, das zu prov. aquel (auch span. aquel) geführt hat, als ein • a c c u gedeutet werden. Dieses scheint aus einer Verschmelzung von ac (oder a t q u e ) und eccu entstanden zu sein.141) Dia: die einstige fünfte lateinische Deklination wurde in der vulgären Sprache als ein entbehrlicher Luxus betrachtet. Wörter, die ihr einst angehörten, haben sich der ersten Deklination angeschlossen: so wurde dies zu *dia, f a c i e s zu *facia. 142 ) l37

) Vgl. franz. grand, quand, ü vend, altfranz. grant, quant. - Nur aus-

nahmsweise ist der auslautende Dental nach n auch im Französischen verlorengegangen, z. B. in dem satzunbetonten en ( i n d e ) , das in älterer Zeit noch als ent erscheint. 1SS ) Als Latinismus sind auch ital. seppellire und altspan. sepelir aufzufassen. - Volkstümlich gilt dafür ital. sotterrare, span. enterrar, prov. enterrar. 1M ) Siehe Appel, Provenzalische Lautlehre, § 59 a. - Die Form maion ist vermutlich als maiö aufzufassen. Dem entspricht zum Verbum baisar die provenzalische Nebenform baiar (lies baZar). Als Vorstufe kann eine ältere Aussprache maiion, baiiar angenommen werden; vgl. das altital. magione, das ein altfranz. maiion voraussetzt, s. Rohlfs, § 286. Vgl. Anm. 46. Siehe FEW, Bd. IV, S. 555. - Vgl. bei Plautus a t q u e e c c u m v i d e o (Cure. 455), a t q u e e c c u m t i b i l u p u m (Stich. 577). 142 ) Das doppelte Geschlecht von d i e s wirkt fort in den romanischen Sprachen, vgl. prov. el dia und la dia, span. el dia, ital. il di und mundartlich

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Morga 'Nonne' aus monaca. Das auffällige r dürfte durch Dissimilation (m: n) hervorgerufen sein, wie in marga (manica), margue (manicu), domergue 'Sonntag' (dominicus). 148 ) Per la dolor qu'ella ac de la mort de lui 'um des Schmerzes willen, der sie über seinen Tod befiel' (wörtlich 'den sie erhielt'). Die Verbalform ac beruht auf * a g u ( i t ) < a(b)uit, mit Verlust des Stimmtons in dem auslautenden Konsonanten; vgl. weiter oben venc < * v e n g u ( i t ) < *venuit (s. Anm. 116 u. 126). Lui: beruht auf vulgärem illui, das auf Inschriften bezeugt ist.144) Es ist analogisch gebildet nach cui. Es ist ursprünglich nur Obliquus des betonten Pronomen; es ist die männliche Form zum weiblichen provenzalischen leis aus illeius, das nach eius gebildet ist.146) Zum Französischen siehe Bisclavret, Vers 23 (unten S. 120). In der empfindsamen Liebesgeschichte, die in unserer 'Vida' von dem hochgestellten Troubadour erzählt wird, haben wir ein typisches Beispiel für eine Legendenbildung, die keinen historischen Hintergrund hat. Sehr vage Gedanken, die in einigen seiner Lieder enthalten sind, wo der Dichter in mystischer Weise von einer fernen Liebe (amors de terra lonhdana, un amor de lonh) spricht, haben diese Sage entstehen lassen.146) Von dieser mittelalterlichen Sage haben im Zeitalter der Romantik moderne Dichter sich neu inspirieren lassen, indem sie den Troubadour Jaufré Rudel zum Helden sentimentaler Dichtungen gemacht haben: Uhland, Heine, der Italiener Carducci und der Franzose Rostand.147) la dia, sard. sa die ; weiblich ist auch rum. zi. - Schon die klaasische Sprache kannte m a t e r i a neben materies, s e g n i t i a neben segnities, siehe F. Sommer, Handbuch der lateinischen Laut- und Formenlehre (1914), § 249. 14s ) Doch haben wir n > r, ohne dissimilatorischen Anlaß, auch in der Ortsnamenendung - a n i c u m , z. B. Aubussargues < A l b u c i a n i c u m 'Besitz des Albucius', MasaiUargues ( M a r c i l i a n i c u m ) , Maaaargues ( M a r c i a n i c u m ) , Bouillargue8 ( B u l l i a n i c u m ) , alle im Dép. Gard. 144 ) Vgl. das inschriftliche (Neapel) i l l u m illui s p i r i t u m (CIL, X , 2564). 145 ) Siehe Anm. 117. " ' ) Siehe dazu G. Paris, Mélanges de littérature française du moyen âge (Paris 1912), S. 498; Leo Spitzer, L'amour lointain de Jaufre Rudel et le sens de la poésie des troubadours (In: Univ. of North Carolina, Studies in the Romance Languages, 1944, number 5), neu abgedruckt in dem Sammelband 'Romanische Literaturstudien' (Tübingen 1959) S. 363ff.; A. Jeanroy, Les chansons de Jaufre Rudel (Paris 1924). - Weitere bibliographische Hinweise gibt E. Lommatzsch, Leben und Lieder der provenzalischen Troubadours, Bd. I (Berlin 1967), S. 72. - Nach Heisig würde der Legende ein Märchenmotiv der internationalen Folklore zu Grunde liegen (Neuere Sprachen, Jahrg. 1959, S. 368). ii7) g i e h e ( j a z u e . Lommatzsch, Provenzalisches Liederbuch (Berlin 1917), S. 257ff.

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2. P E I R E D ' A L V E R N H E (um

1150-1180).148)

Peire d'Alvernhe si fo de l'evesquat de Clarmon. Savis om fo e ben letratz, e fo filhs d'un borg6s. Bels e avinens fo de la persona, e trobet ben e cantet ben. E fo lo primiers bons trobaire que fo outra mon, et aquel que fetz los melhors sona de vers que anc fosson faich, e l vers que ditz: Dejosta •Is breus jorns e'ls loncs sers. Canson no fetz neguna, que non era adoncs negus chantars appellatz cansos, mas vers; mas puois en Guirautz de Bornelh fetz la primieira canson que ano fos faita. Mout fo onratz e grasitz per totz los valens barons que adoncs eran e per totas las valens dompnas. Et era tengutz per lo melhor trobador del mon tro que venc Guirautz de Bornelh. Mout se lauzava en sos chantars e blasmava los autres trobadors, Longamen estet e visquet ad honor, segon que-m dis lo DalfLns d'Alvernhe que nasquet en son temps, e puois el fetz penedensa e mori. Peire d'Alvernhe si fo de l'evesquat de Clarmon 'Peter von Auvergne stammte aus dem Bistum Clermont'. Peire ist die provenzalische Entwicklung von Petru. Der Dental vor r wird (über die Stufen d > i ) im Provenzalischen zu i aufgelöst: peira < petra, paire < patre, maire < matre. Alvernhe: Das palatale n wird in der provenzalischen Orthographie meist mit Hilfe des h ausgedrückt: vinha, banh, doch findet man auch andere Schreibungen, z. B. baignar, gazaingnar (s. Seite 83), vergoinar. Grundlage des Landschaftsnamens ist Arvernia 'Land der Arverner'. Der Mißklang der zwei r ist durch Dissimilation gemildert. Der Landschaftsname müßte provenzalisch Alvemha lauten: wir haben hier eine Übergangsform zwischen prov. Alvemha und franz. Auvergne, was bedingt ist dadurch, daß in der Auvergne (eine der nördlichsten Landschaften des provenzalischen Sprachgebietes) sich in stärkerem Maße, auch schon im Mittelalter, nordfranzösische Einflüsse geltend machten. Evesquat mit Hilfe des Suffixes -atus (vgl. consulatus) von prov. evesque 'Bischof (episcopus). 1 4 8 ) Die letzte Silbe des lateini1 4 S ) Über diesen Troubadour, den Dante (De vulg. eloqu., I, 10, 3) sehr lobend erwähnt, siehe die Ausgaben von R . Zenker, Die Lieder Peires von Alvernhe, in R F . , Bd. 12, S. 915ff. und Alberto Del Monte, Peire d'Alvemha, Liriche, Testo, traduzione e note (Torino 1955). Weitere bibliographische Hinweise gibt Lommatzsch, Leben und Lieder der provenzalischen Troubadours, Bd. I, Berlin 1957, S. 74. 1 4 9 ) Die Form evesque statt zu erwartendem *ebeaque (vgl. s a p o n e > prov. sabon) könnte aus Nordfrankreich (altfranz. evesque) stammen, zumal

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sehen Proparoxytonons ist abgeworfen wie in p r i n c i p e > prince (S. 58). Glarmon ist das heutige Clermont-Ferrand, in rein provenzalischer Lautform. 180 ) Sayis om fo e ben letratz e fo fllhs d'un borgés 'er war ein kluger und hochgebildeter Mann und war der Sohn eines Bürgers*. Savi (Nom. savis) weist mit seinem auslautenden i auf eine lehnwörtliche Entwicklung.151) Das provenzalische Wort verlangt als Grundlage ein *sabius, das zugleich auch als Vorstufe für franz. sage angenommen werden muß. Es scheint als nicht ganz volkstümliches Wort aus einem älteren * s a p i u s entstanden zu sein, indem es an der normalen Entwicklung des primären pi nicht teilnahm.182) Was * s a p i u s betrifft, so war es wohl eine Art Kompromiß zwischen s a p i e n s und sapidus, das neben 'schmackhaft' auch 'klug' bedeutete.163) Letratz = franz. lettré, lat. l i t t e r a t u s 'wissenschaftlich gebildet'. Filhs: das palatale l, das aus der Verbindung von l mit einem Hiatus -i entstanden ist, behielt diesen Charakter auch vor einem Konsonanten. Die Orthographie für diesen Laut schwankt zwischen Ih, ilh, ill, gl, z. B. melkor, meillor, megloranza, oilh. Borgés (lies bordzés) zu einem b u r g u s gehörig, worunter man eine 'befestigte Ortschaft' verstand. Das Wort, das in franz. bourg und ital. borgo fortlebt, stammt aus dem Germanischen.164) Das Suffix repräsentiert -ensis, vulgärlateinisch -esis; es diente zum Ausdruck einer Zugehörigkeit: c a s t r e n s i s , A t h e n i e n s i s . das Provenzalische in der Nebenform bisbe < e p i s c o p u eine zweifellos einheimische Entwicklung hat. Doch läßt ital. vescovo mit seinem ebenfalls sehr auffälligen v darauf schließen, daß hier vielleicht jenes ¿ßtoxoiro; zugrunde hegt, das auf einer Inschrift aus Lydien bezeugt ist, s. Kretschmer, in Glotta 31, 1948, S. 103ff. 1M ) Zum Verlust des Dentals in monte, vgl. prov. pon < p o n t e , ven < v e n t u , tan < t a n t u ; vgl. Anm. 137: grande > gran. 151 ) Das auslautende i ist im Provenzalischen ein Merkmal lehnwörtlicher Entwicklung, vgl. oli (oleum), Uli (lilium), fluvi, estvdi, svmi 'singe',

remedi, somi 'songe', Antoni, emperi; s. Appel, Provenzalische Lautlehre,

§ 69d. - Aus * s a b i u s wäre in volkstümlicher Entwicklung *8ag(e) zu erwarten, vgl. prov. rog(e) < rubeu, deg(e) < debeo. 162 ) Auf dieses * s a p i u s geht direkt die neben sdbi belegte provenzalische Variante sapi zurück, die ebenfalls nicht volkstümliche Entwicklung zeigt. Auch das neben altfranz. sage begegnende sawe gehört in diesen Zusammenhang. 16S ) Franz. sage entspricht genau der Entwicklung von r u b e u zu rouge, entstammt also der volkstümlichen Tradition. - Span, sabio kann direkt auf lat. s a p i d u s zurückgehen; s. Corominas, Dicc. critico etimol., Bd. 4, S. 106. 1M ) Das Wort ist seit dem 4. Jahrhundert in der latinisierten Form burg u s bezeugt. - Siehe dazu FEW, I, 634 und Corominas, s. v. burgo. 71

Bels e avinens fo de la persona 'schön und anmutig war er, was seine Person betrifft'. Avinens ist Partizipium Praesentis zum Verbum a d v e n i r e gehörig. Seine besondere Bedeutung 'anmutig' erklärt sich aus 'zukommend', 'passend', 'convenable'. I n der gleichen Bedeutung noch neufranz. manières avenantes 'angenehme Umgangsformen'. - Die Präposition de hat die Funktion einer lockeren Anreihung, vgl. altfranz. bei Marie de France bele de cors e de visage (Equitan v. 56), hardie de curage (Guigemar 274), mvlt est saive de mescines 'sie ist sehr kundig in bezug auf Heilmittel' (Dous amanz 107), de belté resemble fee (Guigemar 704). Dem entspricht der Gebrauch von de in neufranz. je me souviens de l'affaire, il se repentit de la faute, changer de maison, il me pria de venir usw. (siehe dazu Gamillscheg S. 265). Zum Altfranzösischen, siehe Bisclavret Vers 24 (unten S. 122). E trobèt ben e cantèt ben 'und er dichtete gut und sang gut*. Das Verbum trobar, das dem franz. trouver entspricht, war der spezielle Ausdruck für das Dichten in einer Art, die auf kunstvolle Form und schwierige Verskunst besonderen Wert legte. Man leitet das Verbum heute im allgemeinen (obwohl ein schlüssiger letzter Beweis dafür noch nicht erbracht ist) von dem griechischen Wort t r o p o s (lat. t r o p u s ) ab, worunter man den bildlichen Gebrauch eines Wortes, aber auch eine Gesangsweise verstand: *tropare 1 5 8 ) hätte demnach das kunstvolle Dichten bezeichnet, in dem die von der mittelalterlichen Grammatik empfohlenen Redefiguren (Metapher, Metonymie, Allegorie, Hyperbel usw.) eine Rolle spielen.166) E fo lo primiers bons trobaire que fo outra mon 'und er war der erste gute Dichter, der jenseits der Berge war'. Primiers, wie franz. premier auf lateinisch p r i m a r i u s beruhend.157) 165 ) Siehe darüber Leo Spitzer, Romania, Bd. 66, 1940, S. lff., Karl Heisig, RJb, Bd. I, 78 ff. - Merkwürdig ist, daß aus diesem literarischen Gebrauch des Verbums sich die alltägliche Bedeutung 'finden' verallgemeinert haben soll. - Ältere Bezeichnungen für 'finden' in den romanischen Sprachen waren i n v e n i r e , a f f l a r e und c a p t a r e ; s. Rohlfs, Die lexikalische Differenzierung der romanischen Sprachen (München 1954), S. 44ff. " • ) Siehe dazu E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (Bern 1948), S. 60ff. — Zu den rhetorischen Figuren und der Bedeutung der lateinischen Rhetorik für die romanische Dichtkunst, s. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik (München 1959). Über die Beziehungen der provenzalischen Troubadours zur lateinischen Rhetorik, siehe Scheludko, AR, Bd. 15, 1931, S. 137ff. " ' ) Vgl. den Ersatz von t e r t i u s durch t e r t i a r i u s in span. el tercero 'der dritte'. - Die lautlich auffällige Form des Suffix mit ie aus einem alten a

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Trobaire, gebildet mit dem Suffix - a t o r (> -air > •aire), dessen Akkusativform zu prov. trobador geführt hat. Ähnlich heißt der Sänger cantaire und cantador, der Jäger cassaire und cassador. Que als Nominativform steht im Gegensatz zu franz. qui, stimmt aber zu ital. che und span. que, die für Nominativ und Akkusativ gebraucht werden, z. B. ital. l'uomo che viene, span. el hombre que viene. Das bedeutet, daß vermutlich früh das Neutrum quod (oder quid) an die Stelle der maskulinen und femininen Form (qui, quae) getreten ist. 188 ) Outra (ultra), mit u aus l, also als Diphthong zu lesen: 6-utra. Mon kann im Prov. aus monte 'Berg' und mundu 'Welt' entstehen: in den Auslaut tretender Dental ist im Provenz, geschwunden.159) Mit ovtra mon ist eine Spanienreise gemeint, die unseren Dichter im Jahre 1158 an die Höfe von Kastilien und Katalonien geführt hat. Et aquel que íetz los melhors sons de vers 'und jener, der die besten Versmelodien gemacht hat". Sons de vers: In der Troubadourdichtung wurde der Pflege der metrischen Form eine besondere Bedeutung beigemessen. Keine romanische Dichtung hat den Strophenbau so originell und kunstvoll entwickelt, wie es die mittelalterlichen Provenzalen getan haben. Ihre Schöpfungen haben anderen Literaturen zum Vorbild und zur Versuchung gedient. Diese metrischen Kunstformen waren eng mit der Musik verbunden, doch sind uns nur von etwa einem Zehntel der überlieferten Lieder auch die Melodien erhalten.180) c - a r i u s (vgl. prov. sendier 'sentier', escudier 'écuyer', cavalier 'chevalier') findet ihr Analogon in iera 'aire', daa als Nebenform zu aira 'aire' ('Tenne') bezeugt ist; vgl. F E W , Bd. I, S. 133. Siehe dazu auch Anm. 283. isa) Vgl. altfranz. io spuse qued il out espusethe 'die Gattin, die er geheiratet hatte' (Alexius, Handschrift L, Vers 102), altspan. bertutes kede aduscomos 'des vertus que nous portâmes' (Menéndez Pidal, Orígenes del español, 1950, S. 349), altital. queste parole ched io parlo 'ces paroles que je parle' (Dante, Vita Nuova, cap. 8), ciò ched io dissi 'ce qûe j'ai dit' (ib. 16). - Über das Eintreten des Neutrums an Stelle der maskulinen und femininen Form des Relativpronomens, s. Reichenkron, in Festschrift Wechssler (Jena 1929), S. 375ff. — Zu altspan. qued — que, s. auch Corominas, s. v. que. "•) Siehe Anm. 137 und 150. l , ° ) Siehe A. Restori, Per la storia musicale dei trovatori provenzali, in Riv. mus. ital., Bd. II, lff., n i , 231ff. und 407ff.; J.-B. Beck, Die Melodien der Troubadours (Straßburg 1908) ; Carl Appel, Die Singweisen Bernarts von Ventadorn (Halle 1934) ; Fr. Gennrich, Daa Formproblem des Minnesangs (DVJ, Bd. 9, 285ff.); Id., Musikwissenschaft und romanische Philologie (Halle 1918).

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Que anc îosson faich, e-1 vers que ditz 'die je geschaffen wurden, und das Lied das lautet'. Anc hat den Sinn von lat. u n quam, ist aber etymologisch direkt nicht mit ihm identisch, sondern höchstens in der Bedeutung beeinflußt. Es hat seine nächsten Verwandten in afrz. ainc 'jemais', und ital. anche 'auch*. Vermutlich ist es aus dem Adverbium encore (prov. ancar, ital. ancora) abstrahiert.181) Fosson entspricht lat. f u i s s e n t , mit analogischer Ausdehnung der Endung -on, die auf lat. - u n t beruht (sunt, v e n d u n t , m i t t u n t ) . Der Konjunktiv ist durch den vorausgehenden Superlativ bedingt: es ist der Konjunktiv der subjektiven Annahme. Faich: ein orthographischer Kompromiß zwischen fait und fach.1™) Vers 'Liebeslied mit nur männlichen Reimworten' (s. S. 62). Dejosta -ls breus jorns e'ls loncs sers 'in der Jahreszeit, wenn die Tage kurz und die Abende lang sind*. So beginnt eines seiner Liebeslieder, zu dem uns auch die Melodie erhalten ist.163) Der zitierte Vers ist ein Achtsilber, einer der häufigsten Verse, die in der mittelalterlichen Dichtung verwendet wurden. Dejosta, Präposition, die zunächst nur die örtliche Nähe ausdrückt ( d e - j u x t a ) , hier in temporaler Punktion im Sinne von 'während' (altfranz. dejoste 'a côté de'). 144 ) An die Präposition ist der pluralische Artikel los enklitisch angelehnt. Jörn < lat. d i u r n u m . An die Stelle des alten Substantivums (dies) ist in den romanischen Sprachen ¿. T. das Adjektivum getreten ( t e m p u s d i u r n u m ) , so wie h i e m s 'Winter' ersetzt worden ist durch t e m p u s h i b e r n u m (frz. hiver, ital. inverno). Lonc: das in den Auslaut getretene g ist stimmlos (k) geworden (s. S. 55). ln

) Siehe Rohlfs, AStNSp, Bd. 172, S. 203ff.; Id., An den Quellen der romanischen Sprachen (1952), S. 245ff.; Histor. Grammatik der ital. Sprache, § 963. i«i) Vgl. prov. lait und lach 'lait', noit und noch 'nuit', je nach den einzelnen Mundarten. Hier zeigt sich die Mittelstellung des Provenzalischen zwi-

schen dem Nordfranzösischen (fait, lait, nuit) und dem Spanischen (hecho, leche, noche). ln

) Siehe R. Zenker, Die Lieder Peires von Auvergne, in RF, Bd. 12, 1900, S. 915ff. Das zitierte Lied auch im Provenzalischen Liederbuch von Lommatzsch (1917), S. 55 und bei Lommatzsch, Leben und Lieder der provenzalischen Troubadours (Berlin 1957), S. 21.

" 4 ) Vgl. im Rolandslied, Vers 831 dejuste lui chevalchet Ii dux Neimes 'zu

seiner Seite reitet der Herzog Naimes'. 74

8er 'Abend': aus dem lateinischen Adverbium sero 'zu später Stunde" ist im Romanischen das neue Wort für 'Abend' hervorgegangen, ganz ähnlich wie das lateinische Adjektiv t a r d e 'langsam', 'säumig' die Quelle für das spanische Wort für 'Abend' geworden ist: la tarde.185) Canson no fetz neguna 'er schuf kein Lied vom Typus der Kanzone'. Canson: lat. cantio 'Gesang'. Anlautendes c vor a ist in der eigentlichen alten Provincia Narbonensis erhalten geblieben: can, cambra, camiza, cargar. In den nördlichen Provinzen des provenzalischen Sprachgebietes ist aus dem alten k jedoch ch hervorgegangen, wie im Altfranzösischen (ch = tsch in Kutsche) : chambra, chamiza. In der provenzalischen Schriftsprache waren beide Ergebnisse gleichberechtigt (daher in der gleichen Zeile chantars). - Die Form canson beruht auf dem Akkusativ cantione(m). Neguna: lat. nec unus 'auch nicht einer'166) - Der Liedertypus der provenzalischen Kanzone war die häufigste Form des konventionellen Minneliedes. Gegenüber dem Liedtypus, der als vers bekannt war, verwendete die Kanzone männliche und weibliche Reime. Der Strophenbau der Kanzone war zugleich kunstvoller, die Melodie musikalisch reicher abgetönt.167) Que non era adoncs negus chantars appellatz cansos, mas vers 'denn es gab damals noch kein Lied, das Kanzone genannt wurde, sondern nur den vers'. Que: Konjunktion der lockeren Verknüpfung im Sinne von 'denn'. Wohl mit dem que identisch, das abhängige Sätze einleitet.187®) Den romanischen Formen der Konjunktion ist nicht mehr anzusehen, ob sie auf quod (Konjunktion und Pronomen) oder dem Pronomen quid beruhen. Die ältesten Formen in den romanischen Texten zeigen jedenfalls im Auslaut einen Dental (afrz. qued, altital. ched).168) 1 S 6 ) Dagegen ist ital. sero, rum. searä, rätorom. saira an s e r a h o r a 'späte Stunde' geknüpft. !••) Aus der gleichen Grundlage span. ninguno (altspan. niguno und nen-

guno) und ital. niuno.

!•') Zu Bau \ind Eigenart der Kanzone, siehe W. Suchier, Französische Verslehre auf historischer Grundlage (Halle 1952), S. 202. 1 , 7 a ) Gamillscheg möchte in que 'denn' eine direkte Fortsetzung von vulgärlateinisch q u a = q u i a sehen (Histor. franz. Syntax, S. 589). Dagegen spricht, daß auch die italienische Konjunktion che, altlomb. ked, die nicht auf q u a beruhen, können im gleichen Sinne ('denn') verwendet werden (s. Rohlfs, § 773). Klarer ist q u a erkennbar in dem erklärenden co des Altspanischen und italienischer Mundarten. l

« ) Vg^ ¡ m Alexiuslied, Vers 279 or set il bien qued il s'en deit aler 'nun

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Adoncs entspricht dem franz. donc, das in ältester Zeit ebenfalls ursprünglich temporalen Sinn ('damals') hatte. Es beruht auf einem inschriftlich belegten Vulgärlatein, dune, das aus einer Verwechslung von tunc ('damals') und dum 'so lange als' entstanden ist. 1 '* Au oh das Altfranzösische kannte die mit der Präposition ad zusammengesetzte Form adonc und adonques. Das auslautende s ist das sogenannte adverbiale s. Chantar: Substantivierter Infinitiv mit konkreter Bedeutung; vgl. span. cantar de gesla 'episches Lied', 'Epos'. Mas: die Entwicklung von der komparativen Mengebedeutung (magis) zur adversativen Konjunktion geht über die Zwischenstufe 'vielmehr' (non ille, magis illa). Die Lautform mos ist, gegenüber mais 'mehr', 'jemals', eine abgeschwächte Stufe der Entwicklung.170) Mas pnois en Gnirautz de Bornelh fetz la primieira canson que anc los laita 'doch hernach schuf Guiraut de Bornelh die erste Kanzone, die jemals gedichtet wurde'. Puois: diphthongische Nebenform zu pois (s. oben S. 68), dem franz. puis entsprechend. En, oft nur als einfaches n geschrieben, z. B. a'n Bernart 'dem Herrn Bernard', n'Adam 'Herr Adam', ist die Schnellsprechform, die aus dominus hervorgegangen ist. Als vielgebrauchte Titelform lag auf dem Wort nur ein geringer Nachdruck. Man begnügte sich schließlich mit der Andeutung der nasalen Resonanz. Einer älteren Stufe des provenzalischen Wortes entspricht das spanische Don. Das provenzalische Ergebnis von dominus gehört zu den stärksten Reduzierungen, die ein dreisilbiges lateinisches Wort im Romanischen erfahren hat. 171 ) Die weibliche Entsprechung im Provenzalischen war na, z. B. na Maria 'Madame Marie'. - Die Formen en und na (En Joan, Na Maria) haben sich bis heute im Katalanischen erhalten. Fos ( f u i s s e t ) : Konjunktiv der subjektiven Vermutung (siehe oben S. 74). weiß er gut, daß er von hinnen gehen muß', altital. in der Vita Nuova s'accor-

sero ched io piangea 'sie bemerkten, daß ich weinte' (cap. 23); zum Altspani-

schen, siehe Corominas, Dicc. III, S. 931. — Vgl. Anm. 168, zum Relativpro-

nomen qued.

l e 9 ) Das öfter bezeugte dune hat meist die Bedeutung von dum 'so lange als' (ALL, Bd. 9, S. 591), seltener die Bedeutung von t u n c , z. B. CIL, Bd. V, suppl. ital. 181, 24. - Siehe dazu F E W , Bd. III, S. 179, wo auch die Formen der anderen romanischen Sprachen behandelt sind. 170) ygi_ it a i m a 'aber' gegenüber mai 'je', 'nie', z. B. ma tu non vieni mai 'aber du kommst nie'. " * ) Vgl. im Toskanischen die Reduktion von signore zu sor, z. B. Sor

Pasquale; franz. msjö aus monsieur < monseigneur.

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Mout fo onratz e grasitz per totz los yalens barons que adoncs eran 'Er war mit Ehren und Gunst ausgezeichnet durch alle trefflichen Edelleute, die damals waren*. Onratz e grasitz < h o n o r a t u s et * g r a t i t u s 'mit Ehre und Gunst versehen'.172) Baron: germanisches Wort (baro), das aus dem Fränkischen eingedrungen ist. Seine älteste Bedeutung scheint 'freier Mann' gewesen zu sein.173) E per totas las Valens dompnas 'und durch alle trefflichen Damen'. Tota entspricht nicht dem lat. t ö t a (> span. toda), sondern beruht auf einem spätlateinischen * t ö t t u s , das aus einer affektischen Dehnung (H. Kuen) oder aus einer Verstärkung von t o t u s mittelst des indeklinablen t o t hervorgegangen ist, also t o t totus. 1 7 4 ) Valens < v a l e n t e s , noch ohne besonderes Feminin-Merkmal (vgl. afr. une dame vaiUant). Dompna: willkürliche (sehr häufige) Schreibung mit einem etymologisch unberechtigtem p, das auch in franz. dompter ( d o m i t a r e ) erscheint. Diese Schreibung hat sich erhalten in einigen Ortsnamen, die mit d o m i n u s zusammengesetzt sind, z. B. Dampmart (Seine-etMarne) < d o m i n u s M e d a r d u s , Dampleux (Aisne) < d o m i n u s Lup u s ; das heutige Dammarie (Eure-et-Loir) begegnet in Urkunden des 13. Jahrhunderts als Dampna Maria. E era tengutz per lo melhor trobador del mon tro que vene Guirantz de Bornelh 'und er wurde für den besten Troubadour der Welt gehalten, bis Guiraut de Bornelh kam'. Tengvt: vgl. sostenguda (S. 66). Mon < lat. m u n d u , mit Verlust des Dentals, der im Provenzalischen in den Auslaut trat. 178 ) 172 ) Zu grasitz, das in anderer Orthographie grazitz (z = stimmhaftes s) geschrieben wird, s. oben S. 66 und Anm. 131. 17S ) Siehe FEW, Bd. I, S. 254; Gamillscheg, Germania Romanica, Bd. I (1934), S. 155; Corominas, Dicc., Bd. I, 405. 174 ) Vgl. t o t o m n e s schon lateinisch in t o t o m n i b u s s a e c u l i s bei Minucius Felix (3. Jahrhundert). - Nach anderer Meinung wäre das von dem Grammatiker Consentiua (5. Jahrhundert) als vulgär getadelte t o t t u s aus einer Verdoppelung (vgl. ital. ne.ro nero 'ganz schwarz') * t o t t o t u s entstanden, s. EWFS, S. 854. Eine phonologische Erklärung (im Hinblick auf c ü p a : c ü p p a ) gibt Lausberg, § 401; s. auch Weinrich, S. 37. m ) Siehe oben S. 73. - Avis m u n d u ist im Altfranzösischen normal mont hervorgegangen, zu dem schon im 12. Jahrhundert das latinisierende

monde getreten ist.

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Tro que 'bis' (s. S. 67), hier mit dem Indikativ konstruiert, da es sich um eine historische Tatsache handelt.179) Mout se lauzaTa en sos chantars e blasmava los autres trobadors 'er pries sich selbst sehr in seinen Liedern und tadelte die anderen Troubadours'. Lauzava: c l a u d a b a t mit normaler Entwicklung des intervokalischen d zum stimmhaften s (vgl. vezer, S. 60) und des intervokalischen b zum Reibelaut v, wie im Französischen (devoir, avoir, cheval, fève). Blasmar, synkopiert aus b l a s p h e m a r e (vulgär b l a s t e m a r e , durch Einfluß des gegenteiligen aestimare). 1 7 7 ) Longamen estèt e visquèt ad honor 'lange Zeit wirkte und lebte er in ehrenvoller Weise'. Longamen aus vulgärlateinisch longa m e n t e 'in langer Weise', eine populäre Form der Adverbialbildung, die an die Stelle der vielen lateinischen Möglichkeiten einer Adverbialbildung getreten ist; vgl. valde, sero, f o r t i t e r , s t a t i m , p r i m u m usw. Estèt < s t e t i t . Visquèt, Perfekt analogisch gebildet nach nasquèt 'er wurde geboren' (zur Endung, s. oben Seite 59). Segon que *m dis lo Dalflns d'Alvernhe que nasquèt en son temps 'nach dem, was mir der Delphin von Auvergne gesagt hat, der zu seiner Zeit geboren wurde'. Segon < l a t . s e c u n d u m 'gemäß'. Dalfins < spätlatein. *dalphinus statt delphinus. Der Tiername ist seit dem Anfang des 12. Jahrhunderts als Vorname südfranzösischer Grafen bezeugt. Er vererbte sich in gewissen Geschlechtern und wurde dadurch zu einem adligen Titel. Bekannt sind die Delphine der Auvergne und des Delphinats (Daupbiné). Als im 14. Jahrhundert die genannte Landschaft Dauphiné mit der französischen Krone vereinigt wurde, geschah dies unter der Bedingung, daß der Titel 'dau17e ) Vgl. altfranz. très que mit dem Indikativ, z. B. Roland 162 la noit demurent tresque vint al jur der 'die Nacht verweilen sie, bis es zum klaren Tag kam'. Zum Indikativ nach jusqu' à ce que im modernen Französisch, siehe Grevisse, § 1018c und Gamillscheg, S. 674. 177 ) Vgl.span. lastimar 'beleidigen', 'Schaden zufügen'. Auch gewisse neugriechische Mundarten (z. B. Kreta) haben das Verbum in der umgestalteten Form ßXaanj(a.fi>; vgl. auch bei den Griechen in Kalabrien flastimdo 'io bestemmio', 'ich fluche'.

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phin* von Seiten des französischen Erbprinzen weitergetragen wurde, wodurch dauphin im Französischen zur Bedeutung 'Kronprinz' gelangte. 1 ' 8 ) E puois el fetz penedensa e morí 'und dann tat er Buße und starb'. morí setzt ein * m o r i ( v ) i t voraus.179) - S. oben S. 67. G I R A U T D E B O R N E L H (um 1165-1200). 1 8 0 ) Girautz de Borneill si fo de Lemozi, de l'encontrada d'Esidueill, d'un ric castel del vescomte de Lemoges. E fo hom de bas afar, mas savis hom de letras e de sen natural. E fo meiller trobaire que negus d'aquels qu'eron estât denan ni foron après lui; per que fo appellatz maëstre deis trobadors, et es anear per totz aquels que ben entendon subtils ditz ni ben pauzatz d'amor e de sen. Fort fo honratz per los Valens homes e per los entendens, e per las dompnas qu'entendian los sieus maëstrals ditz de las soas cansos. E la soa vida si era aitals que tot l'ivern estava a'scola et aprendía, e tota la estât anava per cortz e menava ab se dos cantadora que canta van las soas cansos. Non vole mais moiller; e tot so qu'el gazaingnava dava a sos paubres parens et a la gleisa de la vila on el nasquet; la quai gleisa avia nom et a encaras Saint Gervasi. Girautz de Borneill si fo de Lemozi, de l'encontrada d'Esidueill 'Giraut de Borneil stammte aus dem Limousin, aus der Gegend von Excideuil*. Qiravtz: schon in den mittelalterlichen Handschriften schwankt sein Name zwischen Chiiraut und Girant. Es steht heute jedoch fest, daß der Dichter Girant geheißen hat, was einem germanischen Gerwald entspricht.181) Lemozi: der französische Landschaftsname wie auch die Hauptstadt dieses Gebietes (Limoges) beruhen auf dem Namen des gallischen Volksstammes der L e m ó v i c e s (Caesar). Der erstere Name ist eine adjektivische Bildung: p a g u s L e m o v i c i n u s . Encontrada: hier liegt vielleicht eine ältere Form vor, aus der franz. contrée (span. ital. contracta) erst durch Verkürzung entstanden ist (regio i n c o n t r a t a 'gegenüberliegendes Gebiet'). - Siehe Seite 157. 178

) Siehe FEW, Bd. 3, S. 35. ') Vgl. ital. morí, span. murió, südital. murlu, letztere aus * m o r i u t < • m o r i v t . - Vgl. oben S. 61. 180 ) Zu diesem Troubadour, siehe die kritische Ausgabe seiner Lieder mit Übersetzung, Kommentar und Glossar durch A.Kolsen (Halle 1910-1935). Weitere bibliographische Hinweise gibt Lommatzsch, Leben und Lieder der provenzalischen Troubadours, Bd. I, 1957, S. 75. 181 ) Siehe A. Thomas, in Romania, Bd. 35, 1906, S. 106. 17

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Esidueiü entspricht dem heutigen Excideuü in der Dordogne. Der Name enthält ein Suffix gallischer Herkunft, das in französischen Ortsnamen sehr häufig ist: Argenteuil, Verneuil, Nanteuil, Vendeuil, Auteuil.1*2) D'an ric castel del vescomte de Lemoges 'aus einem mächtigen Schloß des Vizegrafen von Limoges'. P T O Y . ric und franz. riche hatten im Mittelalter eine Bedeutung, die noch genauer dem altgermanischen r i k i 'mächtig' entsprach.

E fo hom de bas afar, mas savis hom de letras e de sen natural 'und er war ein Mann von niederem Stand, aber ein kluger und gebildeter Mann und von natürlichem Verstand'. Afar (altfranz. afaire) bedeutete unter anderem auch 'Vermögen', 'ländlicher Besitz', 'gesellschaftlicher Stand'. Seine älteste Bedeutung war 'ce qu'on a à faire'.183) Sen ist nicht lat. sensus (> prov. sens), sondern ist dem fränk. • s i n 'Sinn' entlehnt.184) E fo meiller trobaire que negus d'aquels 'und er war ein besserer Troubadour als irgendeiner von jenen . . . ' . MeiUer (lies mêler) setzt den lateinischen Nominativ m e l i o r fort. I n diesem Komparativ sind der Nominativ méiUer und der Akkusativ meiUôr (melhôr) noch scharf geschieden.188) Das c der Auslautsilbe ist durch die sonst entstandene schwere Konsonanz (ir) bedingt; vgl. oben zu paubre (S. 63). Qu'eron estât denan ni toron après lui 'die vorher gewesen waren oder nach ihm lebten'. Eron estai: die Endung -on ist eine Variante von -an (eron = eran, canton — cantan), die auf Verallgemeinerung von - u n t in vulgärles ) Es beruht auf gall. i a l o 'freier Platz', das in Verbindung mit (»-Ausgängen als - ö j a l o zu einer Art Suffix wurde; s. A. Dauzat, La toponymie de France (Paris 1939), S. 203ff. 18S ) Siehe F E W , Bd. 3, S. 349. l84 ) I n Frankreich ist das alte sen in dem lateinischen s e n s u s (> sens) aufgegangen, während in Italien senno 'Verstand' (uomo di senno naturale) von eenso 'Sinn' geschieden geblieben ist. las) Vgl. den altfranzöaischen Nominativ mieldre (< *mielre) neben dem Akkusativ meülor, bzw. den Nominativ maire 'größer' (heute 'Bürgermeister', deutsch Meier) neben dem Akkusativ maieur.

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latein. c r e d u n t , * v i d u n t (vgl. ital. credono, vedono) beruht. Als Hilfsverbum zum Partizipium estât haben wir im Provenzalischen das Verbum 'sein', wie im Italienischen (sono stato). Als Partizip zum Verbum 'sein' ist das Partizip des Verbums s t a r e eingetreten (franz. été, ital. stato). Denan hat die Bedeutung von franz. 'avant' und 'devant'; es ist zusammengesetzt aus d e - i n - a n t e (vgl. altital. innanti). Ni (nëc): wie in franz. ni (altfr. ne) mit auffälliger Entwicklung von ë zu i, die wohl durch die Schwachtonigkeit des Wörtchens bedingt ist.186) Per que fo appellatz maestre dels trobadors et es ancar per totz aquels 'weshalb er Meister der Troubadours genannt wurde und er ist es noch für alle diejenigen Per que < lat. per quid, entspricht genau dem ital. perchè, während franz. pourquoi mit lat. p r o gebildet ist.187) Ancar (neben ancara) unterscheidet sich von dem franz. encore (encor) durch den abweichenden Tonvokal. Im ersten Teil des Wortes ist in beiden Fällen das lateinische Adverb h i n c 'von hier', 'von nun an' enthalten. 188 ) Im zweiten Teil des Wortes steckt das alte französische Adverbium or (ore). Dieses wird im Provenzalischen durch ar (ara) vertreten. Beide Formen, d . h . sowohl altfranz. ore, wie prov. ara, beruhen auf h ä c (oder h ä ) hora. 189 ) Que ben entendon subtils ditz ni ben panzatz d'amor e de sen 'die sich gut verstehen auf feine und betreffs Liebe und Klugheit wohlgesetzte Worte'. Ni (nec), eigentlich einen negativen Gedanken fortführend, wird oft auch zur positiven Anknüpfung verwendet. Pauzat entspricht dem franz. posé in Verbindungen wie une personne bien posée, d'une manière posée. 188

) Erster Anlaß zu ni war vielleicht seine Stellung im Hiat, z. B. ne

amie ne amiga > ni amie ni amigä, vgl. postea > Vulgärlatein. *postia, gask. miar aus mear < menar; s. dazu FEW, Bd. VII, S. 73 18

') Zu der Entwicklung von qu- im Romanischen, s. S. 96. ) Zur Etymologie, s. Verf., AStNSp, Bd. 172, S. 203ff. - Neben ancar (ancara) findet sich im Provenzalischen auch encar (encara). Das anlautende o dürfte durch nordfranzösische Einflüsse bedingt sein; s. Verf., An den Quellen der romanischen Sprachen (Halle 1952), S. 248. 18 ») Die altfranzöaische Form hat ein älteres *aora > ' a u r a als Grundlage, während die provenzalische Form ein reduziertes * & ( o ) r a voraussetzt ; s. dazu FEW, Bd. IV, S. 477. 188

6 Rohlfs, Einführung

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Fort fo honratz per los valens homes e per los entendens 'sehr wurde er geehrt durch die gute Gesellschaft und durch die Kenner'. Fort, Adverbium der Steigerung, wie noch im neufranz. c'est fort bien, il a été fort surjuris. Das Adverbium der Steigerung tritt im Mittelalter gern zum Verbum anstatt zum Adjektivum, vgl. altfranz. mult est granit doel 'es ist ein großer Schmerz' (Rol. 2608). Homes beruht auf homines, mit Assimilierung der beiden Nasale auf der Grundlage von m, wie i n n o m i n a r e > nomar (franz. nommer). E per las dompnas qu'entendian los siens maëstrals ditz de las soas cansos 'und durch die Damen, die sich auf seine meisterlichen Worte in seinen Kanzonen verstanden'. Sieu und soa sind Formen des betonten Possessivpronomens; im Gebrauch vergleichbar einem franz. un sien ami, une sienne maison älterer Zeit. Die männliche provenzalische Form beruht auf *seus, wie auch das franz. sien einen ¿'-Vokalismus voraussetzt (s. S. 65,126). Maëstral entspricht dem franz. magistral mit latinisierendem Lautstand. E la soa vida si era aitals que tot l'ivern estava a 'scola et aprendia 'und was sein Leben betrifft, so war es so beschaffen, daß er den ganzen Winter über studierte und lernte'. Aitals: lat. t a l i s ist im Provenzalischen mit demselben ai- verstärkt, das wir bereits in aissi (enaissi) angetroffen haben; es liegt lat. ac bzw. a t q u e zugrunde.190) Ivern < lat. h i b e r n u : lat. h i e m s wurde durch eine adjektivische Bildung ersetzt ( t e m p u s h i b e r n u ) , s. oben S. 74. E tota la estât anava per cortz e menava ab se dos cantadors que cantavan las soas cansos 'und den ganzen Sommer zog er von Hof zu Hof und führte zwei Sänger mit sich, die seine Lieder sangen'. Estât: das provenzalische Wort (wie auch ital. estate) hat das alte Genus von lat. a e s t a s besser bewahrt als franz. été, das männlich geworden ist unter dem Einfluß der anderen Jahreszeiten, die männliches Geschlecht hatten. 191 ) 1B0 ) Das gleiche ai- begegnet in anderen Wörtern mit demonstrativem Wert, z. B. aici 'hier', aicest 'dieser', aicel 'jener', aitant 'so viel' ; s. Weerenbeck, RLiR, Bd. 13, S. 47ff. — Schon in der Sprache von Plautus findet man häufig ein a t q u e i l l e als emphatischen Ausdruck im Sinne von i l l e , um das Unmittelbare oder Sofortige wiederzugeben. - Zu aissi, s. oben Anm. 135. 1S1 ) Man vergleiche den ähnlichen analogischen Einfluß in deutsch des Nachts nach des Morgens, des Abends, altfranz. tote jor nach tote nuit.

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Anar ist die provenzalische (und katalanische) Entsprechung von franz. aller und ital.-span. andar(e). Es darf heute als gesichert gelten, daß alle diese Formen auf lateinisch a m b u l a r e beruhen. Am klarsten ist dieser Zusammenhang bei franz. aller, dem eine Vorstufe * a n l a r e (mit Assimilation von r d > U) vorausgegangen sein dürfte. 192 ) Das provenzalische (und katalanische) amar weist mit Sicherheit auf ein älteres a m n a r e , das tatsächlich auf einer spätantiken Inschrift aus Karthago bezeugt ist.193) Dies führt zu der weiteren Erkenntnis, daß ital. andare und spanisch andar ihr d vermutlich sekundär aus einem älteren anar entwickelt haben.194) Menar 'führen' beruht auf lat. m i n a r e 'drohen*. Die Bedeutungsentwicklung geht über 'mit Drohungen antreiben' und entstammt der Sprache der Viehhirten; vgl. die Glosse p e c u s agere id est m i n a r e (CGIL, V, 504, 23). Nou volc mais moiller 'er wollte nie eine Ehefrau'. Volc setzt ein *volgy, < v o l u i t voraus (vgl. Anm. 116 und 126). Mais ist aus der Verbindung mit der Negation (non v e n i t magis) zur Bedeutung 'nimmermehr', 'niemals' gelangt. Moiüer < aus lat. m u l i e r e . Dieses nahm im Vulgärlatein die Betonung m u l i é r e an. Eine solche Akzentverlegung erfolgte generell im Vulgärlatein bei den Vokalverbindung le, lo, éo, die ursprünglich den Ton auf dem ersten vokalischen Element hatten. Es wird also auch p a r i e t e (Akk. von p á r i e s 'Wand') zu parióte, f i l í o l u s > filiólus, P u t é o l i > P u t e ó l i (modern Pozzvólì), b a l n é o l u m > b a l n e ó l u > Bagnolo (Ort in Italien). Die Ursache der Tonverlagerung liegt darin, daß der schallkräftigere Vokal den Ton an sich zieht, vgl. vulgärlat. d o r m i v ( i ) t > * d o r m í u t > span. durmió, vulgärlat. éo ( < ego) > altfranz. jo. E tot so qn'el gazaingnava dava a sos panbres parens 'und alles das, was er verdiente, gab er seinen armen Eltern'. So entspricht dem altfranz. fo ( = tso), dem Vorgänger des modernen ce (ital. ciò). Die vulgärlateinische Grundlage ist e c c e - h o c , das über tao (geschrieben zo, czo) in Südfrankreich früh zu so geworden 1M

) Siehe oben Anm. 48. - Die Assimilation von nl > U ist durch altfranz. ei < enlo bezeugt; vgl. auch ital. culla 'Wiege' < c u n u l a , ella < i n u l a . 1M ) Ora p r o qui f e c i t q u i a a d m a g i s t r u n o n a m n a v i t (Karthago), bei Diehl, Lateinische altchristliche Inschriften, no. 270. - Zur Assimilation von trm > n, vgl. d o m i n a > d o m n a > prov. dona, ital. donna, s o m n a r e > proV. sonar. Aus der Assimilation tnn > m (vgl. franz. dame, f e m i n a > fenvme) ist rätoroman. mar 'gehen' entstanden. »«) Siehe dazu K. Ahfens, ZRPh, Bd. 43, 1923, S. 602ff.

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ist.195) Auslautendes lateinisches c ist gefallen wie in hie 'hier' > vulgärlat. hi (Inschrift Pompeji), sic > si, illac 'dort' > franz. là. Gazainqnar, das im Französischen als gagner erscheint, beruht auf einem fränkischen Verbum * w a i d a n j a n 'durch Weidewirtschaft seinen Lebensunterhalt bestreiten'. Das aus dem germanischen w entstandene romanische gy. (siehe zu Bisclavret, Vers 42) hat im Provenzalischen wie auch in Nordfrankreich schon im 12. Jahrhundert sein velares Element eingebüßt: prov. gan 'Handschuh', garAar 'bewachen'.19Sa). Pavbre < p a u p e r e : man beachte die Erhaltung des alten aw.196) Et a la gleisa de la vila on el nasquèt 'und der Kirche der Stadt, wo er geboren wurde'. Gleisa < ecclësia, mit Verlust des vokalischen Anlautes, wie in ital. chiesa. Der Diphthong ei ist nicht durch echte Diphthongierung des alten e entstanden, sondern dadurch, daß das Hiatus i in die Stammsilbe trat und sich mit dem Tonvokal verbunden hat (vgl. v a r i u s > vair). Der Anlaut des provenzalischen Wortes (gl-) weist auf eine in Inschriften belegte Nebenform ecZesia.196®) On beruht auf unde, das im Vulgärlatein mit u b i verwechselt wurde, so daß der Begriff 'von wo' nun durch d e - u n d e ausgedrückt werden mußte (franz. dont, span. donde). La quäl gleisa avia nom et a encaras Saint Gervasi 'welche Kirche hieß und noch heißt Saint-Gervais*. La quäl mit Substantivum dient zur relativischen Anknüpfung, wie im bürokratischen Amtsstil Nordfrankreichs, z. B. une belle église, laquelle église avait été bâtie . . . Aver nom 'heißen'; so auch altfranz., z. B. ne set cornant il a non (Cligès 2900). 186 ) Vgl. die provenzalischen Orthographien sert neben cert ( c e r t u ) , sercar neben cercar, doch behauptet sich meist, in Anlehnung an das Lateinische, die Schreibung mit c. In Nordfrankreich hat sich die Aussprache ts länger (etwa bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts) gehalten : ciel = tsiel, cire = taire. usa) Erhalten geblieben ist gu- in Italien, z. B. guardare, guanto, guarire, guarnire. In Frankreich hat die Gascogne den älteren Lautstand bis heute bewahrt, vgl. goan 'gant', goardâ 'garder', goarnl 'garnir'. - Vgl. auch Anm. 351 a. 1S6 ) Franz. pauvre zeigt latinisierende Schreibung; die ältere Schreibung i m 12. Jahrhundert povre. 198a ) Der Wandel von (e)cl- > gl-, der in unserem Wort auch für Nordfrankreich gilt, ist mit * c l a r e a > franz. glaire 'Eiweiß', * c l a s s u 'Lärm' > franz. glas, c r a s s u > gras, c r a t i c u l a > franz. grille zusammenzustellen. Es ist eine sporadische Erscheinung, die wohl durch das stimmhafte l und r bedingt ist.

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DIE ALTFRANZÖSISCHE SPRACHE Tere de France, mult estea dulz pais. (Chanson de Boland) SCHRIFTSPRACHE UND MUNDARTEN Die Geschichte der französischen Schriftsprache beginnt mit dem ältesten Dokument (a. 842), in dem zum erstenmal (soweit wir es heute wissen) die romanische Volkssprache Frankreichs verwendet wurde. Nachdem bis in die Zeit Karls des Großen in allen schriftlichen Aufzeichnungen (Urkunden, Protokolle, Predigten, Übersetzungen, Briefe, lehrhafte Traktate, Chroniken, Prosa- und Versdichtung) die lateinische Sprache ganz ausschließlich ihren Platz behauptet hatte, scheint sich um das Jahr 800 immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, daß das in den Schulen gelehrte und gelernte Latein zu einer toten Sprache geworden war. Sicher ist, daß im Zeitalter der karolingischen Renaissance, als nach dem Sprachverfall in den Jahrhunderten der Merowinger man wieder gelernt hatte, den Regeln der klassischen Grammatik streng zu folgen, die Kluft zwischen der lateinischen Schriftsprache und der Vulgärsprache so weit fortgeschritten war, daß selbst die sehr konservative Kirche sich gezwungen sah, auf die traditionelle Kirchensprache wenigstens teilweise zu verzichten. Die Geistlichen selbst waren es, die erkannt hatten, daß mit einer Sprache, die für die große Masse des Volkes unverständlich geworden war, eine erfolgreiche seelsorgerische Betreuung nicht mehr gewährleistet war. Im Jahre 813, ein Jahr vor dem Tode Karls des Großen, wird auf der zu Tours versammelten Synode der Beschluß verkündet, daß künftighin die Auslegung der Heiligen Schrift von den Geistlichen auch in romanischer oder deutscher Volkssprache erfolgen dürfte: Ut easdem homilias quisque aperte iransferre studeat in rusticam romanam linguam aut theotiscam, qua facilius cuncti possint inteUigere quae dicuntur.1Mh) Diese Entscheidung einer hohen Kirchenversammlung ist gleichbedeutend mit der offiziellen Anerkennung der französischen Volkssprache. Es ist der Triumph der lingua romana rustica über die nach rückwärts orientierte lateinische Schriftsprache in der Domäne des strengsten geistigen Traditionalismus dieser Zeit. In tastenden Versuchen erscheint die französische Volkssprache von nun an in verschiedener Anwendung. Das älteste uns überkommene Denkmal, das uns den Gebrauch der i»6b) j n Italien läßt sich die Anerkennung der italienischen Volkasprache für den Gebrauch im Beichtstuhl seit dem 10. Jahrhundert beobachten. 85

französischen Volkssprache bezeugt, sind die im Jahr 842 in Straßburg zwischen Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen ausgetauschten Eidesformeln, die uns durch den Historiographen Nithard als eine Art sprachlicher Kuriosität überliefert sind. Ihre historische Entstehung verdanken sie dem Umstände, daß die ausgetauschten Eide zugleich auch von dem beiderseitigen Heervolk verstanden werden sollten.197) Die weiter fortschreitende Emanzipierung der französischen Volkssprache erkennen wir an dichterischen Versuchen, die Heilsgeschichte und fromme Legenden dem Volke in poetischer Form nahe zu bringen: das Lied ('Sequenz' ?) von dem Feuertod der heiligen Eulalia (um 880), die Erzählung von dem Leidensweg Christi ('La passion du Christ': 10. Jahrhundert), die Legende vom heiligen Leodegar ('La vie de saint Léger': 10. Jahrhundert), bis um die Mitte des 11. Jahrhunderts mit dem 'Alexiuslied' ('Vie de saint Alexis') die erste größere Dichtung der französischen Nationalliteratur selbständigen Gepräges als 'Werk eines schöpferischen Dichters von hoher Begabung und gelehrter Bildung' (E. R. Curtius) in Erscheinung tritt. Mit dem hier zum erstenmal verwendeten Zehnsilber und dem neuen Typus der assortierenden Strophe ist nun der metrische Weg zur großen Tradition des Heldenepos ('chanson de geste') eröffnet.197®) Die Sprache dieser Dichtungen wie auch der gesamten Literatur des 12. Jahrhunderts steht noch nicht unter dem Gesetz einer vorbildlichen und einheitlichen Schriftsprache. Jeder Dichter folgt der Sprache seiner engeren Heimat. Jeder Abschreiber einer Dichtung läßt in seine Handschrift sprachliche Formen seiner eigenen Mundart einfließen.198) Manche schöne Dichtung wird zum besseren Verständnis in eine andere Sprachform umgegossen, wie es der zunächst in einer nordfranzösischen Mundart abgefaßten 'Passion' gegangen ist, die von einem südfranzösischen Abschreiber provenzalisiert wurde. Die große politische Zerrissenheit des in viele Grafschaften und Herzogtümer aufgespaltenen Landes hatte eine ganze Reihe von Kulturzentren geschaffen, in denen sich ein eigenes geistiges Leben entfaltete : die Champagne mit Troyes und Reims, die Nor1 , T ) Man findet die Eide in Nithards 'Historiarum libri quattuor' (Mon. Germ. Hist.), Buch III, Kap. 5. Neuere grundlegende Ausgabe von Ernst Müller in den 'Scriptores vertun Germanicorum in usum scolarum' (1907). — Zur kritischen Beurteilung des von Nithard überlieferten Textes, siehe zuletzt M. Roques, Medium Aevum, Bd. 5, 1936, S. 157ff.; G. de Poerck, VR, 15, 1956, S. 188£F. ; A. Tabachovitz, VR, 17, 1958, 36ff. 197a Siehe die ältesten Texte bei Foerster-Koschwitz, Altfranz. Übungsbuch (1907) und im altfraaz. Lesebuch von Voretzsch (1932). 1 9 8 ) Über die Bedeutung der Mundarten in den Anfängen des französischen Schrifttums, sehe man die Darstellung bei Karl Vossler, Frankreichs Kultur und Sprache (Heidelberg 1929), Seite 6 ff. - Eine einführende Charakteristik der altfranzösischen Mundarten gibt W. von Wartburg in Evolution et structure de la langue française (Bern 1946, S. 80ff.).

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mandie mit Rouen, Burgund mit Dijon, der Artois mit Arras, Flandern mit Lille. Dazu kam, daß im 12. Jahrhundert beträchtliche Teile des Landes (Maine, Anjou, Poitou, Touraine, Aquitanien) sich in englischem Besitz befanden. Bescheiden war dem gegenüber das 'Kronland', das direkt dem französischen König unterstand. Bescheiden war zunächst auch die geistige Rolle von Paris, das zwar schon von Philipp I. (f 1108) zur ständigen Residenz erhoben war, aber erst im Zeitalter von Philipp August (1165-1223) zu wirklicher kultureller Blüte emporstieg. So ist die Literatur des 12. Jahrhunderts in den Fesseln des Feudalismus weithin von regionalen Sprachzentren beherrscht. In diesem Chor ist die Mundart der He-de-France ('Franzisch') noch kaum vernehmbar. 1984 ) Und auch, als es seit dem Ende des 12. Jahrhunderts unter der nunmehrigen Führung von Paris langsam zur Ausbildung einer wirklichen nationalen Schriftsprache kommt, vollzieht sich dieser Prozeß in der Form eines Ausgleichs verschiedener landschaftlicher Eigenheiten, so daß manche lautlichen und lexikalischen Merkmale provinzieller Natur sich der werdenden Schriftsprache mitteilen.198 b ) Wenn wir für unsere 'Einführung' eine Erzählung der in England lebenden Marie de France zugrunde legen, tun wir dies mit Rücksicht darauf, daß im England der Plantagenets die nordfranzösische Dichtung zum erstenmal zu europäischer Bedeutung gelangt ist. Hier sind nicht nur die berühmten Handschriften der Alexiusdichtung und des Rolandslieds geschrieben und der Nachwelt überliefert worden, sondern hier hat auch die Sage von Tristan und Isolde ihre älteste dichterische Gestaltung gefunden. Hier haben die ältesten französischen Hofdichter (Wace, Benoît de Sainte-Maure) ihre Werke verfaßt, darunter den berühmten 30000 Verse umfassenden Troja-Roman. Hier im englisch-romanischen Doppelreich Heinrichs II. und seiner literaturfreundlichen Gattin (Eleonore von Aquitanien) hat um 1160 die französische Literatur ihre älteste und geschlossenste Blütezeit erlebt. Diese Literatur bedient sich einer auf normannischer Grundlage ausgebildeten Schriftsprache, die bis zum Zeitalter von Philippe Auguste 'der mächtigste Konkurrent des Franzischen ' (Vossler) gewesen ist. 199 ) l ' 8 * ) Siehe dazu die Dissertation von Gertrud Wacker, Über das Verhältnis von Dialekt und Schriftsprache im Altfranzösischen (Berlin 1916). m b ) Zum Eindringen mundartlicher Wörter in die französische Schriftsprache siehe den für alle künftige Forschung wegweisenden Aufsatz von Kurt Baldinger, Contribution à une histoire des provincialismes dans la langue française (mit sehr reichen bibliographischen Hinweisen für alle Provinzen) in RLiR, Bd. 21, 1957, S. 62-86. Zur Vermischung mundartlicher Lautformen, siehe die Arbeit von Wacker (Anm. 198 a) und die zusammenfassende Darstellung der mundartlichen Züge in der altfranzösischen Periode bei Pope, S. 486-505. "•) Eine sorgfältige Geschichte des einstigen Anglonormannischen, seiner literarischen Bedeutimg und eine übersichtliche Darstellung seiner sprach-

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DIE LAUTSTRUKTUR DES FRANZÖSISCHEN Gegenüber dem Provenzalischen befindet sich das Französische in seiner mittelalterlichen Form auf einer weiter fortgeschrittenen Stufe der lautlichen Entwicklung. In betonter freier Silbe haben alle aus dem Lateinischen ererbten Vokale außer % eine Verschiebung erfahren, die entweder in einer Vorwärtsverlegung der Artikulation oder in einer Diphthongierung zum Ausdruck kommt. Das normale Ergebnis im Altfranzösischen ältester Zeit ist: I> i

ü> ü

e, i > e > 6i

ö, ü > o > öu

e > ie

ö > ue a> e

Folgende Beispiele mögen diese Entwicklung kurz beleuchten: filu >

fil

muru > mür

tela > teile, pllu > p6il

f l ö r e > flöur, güla > göule

mel > miel

cör

> euer

tale > tel200) In der Auslautsilbe sind alle Vokale geschwunden, außer a, das zu e abgeschwächt ist: nave > rief, muru > mur, quando > quant, t a n t i > tant, terra > terre, manet > maint, v o l e t > vuelt, amat > aime.

Aus dem Konsonantismus mögen folgende Phänomene vorweg zusammengefaßt werden: 1. Die Doppelkonsonanten werden beseitigt wie im Provenzalischen (außer rr, das erst im Laufe des 16. Jahrhunderts verlorengeht): liehen Eigenheit gibt Johan Vising, Anglo-Norman language and literature (London 1923). — Ein wichtiger Wegweiser für alle Fragen, die mit der anglonormannischen Sprache verknüpft sind, ist das Kapitel V in dem Buch von M. K . Pope, From Latin to modern French with especial consideration of Anglo-Normar (Manchester 1952). 200 ) Das hie: Gesagte soll nur zu einer ersten Orientierung dienen. Ausführlichere Hinweise werden später von Fall zu Fall gegeben. - Zum Phänomen der Diphthongierung, s. Anm. 103; zum Wandel von u > ü, s. Anm. 102; zur 'Germanenthese', die die Veränderung der Vokale in Nordfrankreich (gegenüber ihrem Verharren in Südfrankreich) einer germanischen Vokaldehnung zuschreiben möchte, s. Anm. 67 a.

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illa > ele, cappa > chape, fossa > fosse.201)

addentes > adenz, * t o t t a > tote,

2. Die stimmlosen Verschlußlaute in intervokalischer Stellung sind noch über das entsprechende provenzalische Ergebnis hinausgelangt: t > d > d > völliger Verlust: n a t a > née k 202 ) > g > g > j : baca > baie p > b > b > v: ripa > rive. 3. Anlautendes k vor dunklen Vokalen ist erhalten wie im Provenzalischen: prov. cort, franz. cort. Vor a ist es zum Verschlußreibelaut ch (phonet. tS oder 6) geworden, wie im Norden des provenzalischen Sprachgebietes: prov. chanlar, franz. chanter; vor hellen Vokalen ist es über ch bis zum postdentalen Verschlußreibelaut ts vorgerückt wie im Provenzalischen: prov. cerf, franz. cerf. 4. Anlautendes g hat sich parallel zu dem anlautenden lc entwickelt. Vor dunklen Vokalen ist es, wie im Provenzalischen, erhalten geblieben: prov. gota, franz. gote. Vor a ist es zum stimmhaften Verschlußreibelaut dz (in konventioneller Orthographie j oder g) geworden, wie im Norden des provenzalischen Sprachgebietes: prov. jal, franz. jal 'Hahn'. Vor hellen Vokalen ist es ebenfalls zum präpalatalen Verschlußreibelaut dz geworden, wie im Provenzalischen: prov. genre, franz. gendre. 5. In den Auslaut tretende stimmhafte Konsonanten sind stimmlos geworden (wie im Provenzalischen): vivu > vif, orbu > orp 'blind', lardu > lart, largu > larc. Alles in allem kann man sagen, daß das Lautsystem, das sich in Nordfrankreich entwickelt hat, durch eine stärkere, nach vorwärts gerückte, Artikulation bestimmt ist. Das gilt ganz sichtlich nicht nur für die vokalischen Veränderungen (siehe oben), sondern auch für die Veränderungen, die die alten palatalen Konsonanten betroffen haben.2028) 101

) Die Schreibung fosse, masse, passer ist nur ein der französischen Sprache

eigener behelfsmäßiger orthographischer Ausdruck für das stimmlose s, im Gegensatz zu rose, raisin, voisin, wo einfaches s den stimmhaften Laut s (S) ausdrückt. 2 0 2 ) Gemeint ist k vor a. — Vor hellen und dunklen Vokalen (z. B. v i c i nus, f o c u s ) ist das Ergebnis ein anderes; s. S. 118, 158, 167.. 202 a) w i r gehen von der Annahme aus, daß die Aussprache von c (k) und g schon im Lateinischen eine verschiedene gewesen ist, je nach den Vokalen (u, o, a, e, i), die ihnen folgten; vgl. Lausberg § 310ff.

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Das soll durch folgende Tabelle deutlicher veranschaulicht werden, die für Frankreich die Entwicklung der palatalen Konsonanten im Anlaut beleuchtet: Velum postko-, ku- —>

Palatum medio-

Alveol.

kka-

>

tfi-

ke-, kigo-, gu-

—»

Postdent.

prae-

gga-

> ge-,gi—>

*

ts-

di-

d2-202b)

Über die Zeit, in der sich die verschiedenen Lauterscheinungen des Nordfranzösischen ausgeprägt haben, sind manche scharfsinnigen Untersuchungen angestellt worden. Wir verweisen besonders auf das Buch von Elise Richter, Beiträge zur Geschichte der Romanismen: Chronologische Phonetik des Französischen bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (Halle 1934), sowie auf die Abhandlungen von Georges Straka, Observations sur la chronologie et les dates de quelques modifications phonétiques en roman et en français prélittéraire (RLaR, 1953, S. 247-307) und La dislocation linguistique de la Romania et la formation des langues romanes à la lumière de la chronologie relative des changements phonétiques (RLiR, Bd. 20, 1956, S. 249ff.). Hier werden u. a. folgende Datierungen versucht : Anfang der Palatalisierung des k vor hellen Vokalen (3. Jahrhundert), ë > ie (3. Jahrhundert, s. aber unsere Anm. 325 a), k vor a> tS (Anfang 7. Jahrhundert), ë > ei, ö > ou (6. Jahrhundert).

202b) Folgerichtigerweise sollte man hier in Parallelität zu ke > ts eher die fortgeschrittenere postdentale Stufe di erwarten. Dieses Ergebnis gilt tatsächlich f ü r das Provenzalische, vgl. altprov. gelar, das teils dzelar, teils dSelar gesprochen wurde (Appel, Provenzalische Lautlehre, § 44c), neuprov. (z. B . in Arles) girulre = diendre, gela 'geler' = däelä.

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MARIE DE FRANCE

Über das Leben der ältesten französischen Dichterin herrscht noch immer große Unklarheit. Als sicher kann nur das wenig© gelten, was sie uns in einem ihrer Werke (Epilog zu den 'Fabeln') selbst berichtet: Marie ai num, si sui de France 'ich heiße Marie und stamme aus Frankreich'. Um ein klareres Bild von ihrer Persönlichkeit zu erhalten, muß man auf ihr Werk zurückgreifen. Ihre Verserzählungen (Lais) widmet sie einem König, aber sie nennt ihn nicht mit Namen.203) Eine poetische Bearbeitung von Tierfabeln aus einer englischen Vorlage will sie im Auftrage eines Grafen Wilhelm vorgenommen haben, den sie als 'Blüte der Ritterwelt' bezeichnet. Aber wieder gibt sie über diesen Grafen keine genaueren Anhaltspunkte.204) In ihren Werken begegnen englische Wörter (mibet 'Hornisse', witecoc 'Wiedehopf, nightegale 'Nachtigall', gotelef

'Geißblatt'). Von den lateinischen Dichtern muß ihr Ovid gut bekannt gewesen sein. Sie beherrschte aber auch die lateinische Sprache so vorzüglich, daß sie eine längere lateinische Abhandlung, die von dem Fegefeuer des heiligen Patricius erzählt, sehr getreu in eine französische Versform bringen konnte (Espurgatoire seint Patriz). Sie beteuert, daß die Abfassung dieser Dichtung ihr ein religiöses Anliegen gewesen sei.205) Hier wie auch in ihren anderen Werken zeigt sie eine gute Kenntnis des Klosterlebens. Manche Versuche sind unternommen worden, die Dichterin mit einer historischen Persönlichkeit zu identifizieren. Kein Zweifel besteht darüber, daß sie in England gelebt hat und daß sie Beziehungen zur höchsten englischen Gesellschaft hatte. Kein Zweifel auch darüber, daß sie im Herrschaftsbereich des Königs von Frankreich geboren ist. Die größte Wahrscheinlichkeit hat der Gedanke des englischen Historikers John aos) Siehe im Prolog zu den Lais (Vers 43ff.): En l'onur de vua, nobles reis, ki tant estes pruz e curteis, . . . m'entremia des lais assethbler, par rime faire e recunter (ed. Warnke, S. 4). J04 ) Siehe im Epilog zu den 'Fabeln', Vers 9ff. Par amur le cunte Willalme, le plus vaillant de cest reialme, m'entremis de cest livre faire. - Auf die gleiche Persönlichkeit beziehen sich die rühmenden Worte im Prolog der 'Fabeln', Vers 30ff. eil m'en sumunt, ki flurs est de chevalerie, d'enseignement, de ourteisie . . . t o i ) Vgl. im ersten Vers dieser Dichtung El nun de Deu . . . vueil en rornanz metre.

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Ch. Fox, der die Dichterin als identisch mit einer Äbtissin des Klosters Shaftesbury erklären möchte.206) Diese geistliche Dame war eine natürliche Tochter von Herzog Gottfried IV. von Anjou, d. h. des Vaters des englischen Königs Heinrich n. Auch sie war also eine 'dame de France'. Aus dem Hause der Plantagenet stammend, wäre ßie also eine Halbschwester des englischen Königs gewesen. Der König, dem sie ihre Verserzählungen gewidmet hat, war also mit großer Wahrscheinlichkeit Heinrich II. Ein natürlicher Sohn dieses Königs war Wilhelm mit dem Beinamen 'Langschwert' (William Longuespee), Lieblingssohn seines Vaters und von ihm mit einer Grafschaft ausgestattet, überall wegen seiner ritterlichen Art in höchstem Ansehen stehend. Seine lateinische Grabinschrift im Dom zu Salisbury bezeichnet ihn als flos comitum, was der Kennzeichnung durch Marie (fleurs de chevalerie) sehr nahesteht.207) Damit kommen wir also für unsere Marie auf die Zeit Heinrichs II. von England (1154^1189). Eine genauere Chronologie ihrer drei Werke hat sich bisher nicht mit Sicherheit bestimmen lassen. Marie de France gehört also jener Zeit an, als in Südfrankreich mit Giraut de Bornelh, Bernart de Ventadorn und Peire d'Alvernhe die Troubadourdichtung in ihrer höchsten Blüte stand. Sie lebt und wirkt zu einer Zeit, wo auch in Nordfrankreich mit Crestien de Troyes, dem Meister des höfischen Romans, ein Höhepunkt der altfranzösischen Dichtung erreicht war. Mit diesen großen Meistern der höfischen Dichtung ist Marie de France verbunden durch die Themen der Minne, die in ihren Verserzählungen (Lais) zum vorherrschenden Motiv gemacht ist. Doch diese Verserzählungen sind geschrieben in einem einfacheren Stil. Bemerkenswert ist die Prägnanz, mit der sie die Begebenheiten zu erzählen weiß. 'Im Vergleich mit den zeitgenössischen und wesensverwandten höfischen Romanen wirken ihre kurzen Liebesgeschichten wie literarische Miniaturen'.208) Einer gewissen psychologischen Vertiefung der Liebesthemen, die auf dem Festland zur großen gesellschaftlichen Mode geworden war, begegnet man in ihren Erzählungen nur selten. Statt dessen bevorzugt sie märchenhafte Stoffe, in denen das Wunderbare eine Rolle spielt (Bisclavret, Ghiigemar, Guingamor, Lanval, Yonec). Das gibt ihren Erzählungen ein naiveres Gepräge. Aber die Anschaulichkeit, mit der sie zu schildern Siehe John Ch. Fox, in The English Hist. Review 25, 1910, S. 303ff. und 26, 1911, S. 317ff. - Mit neuen Gesichtspunkten wurde die These von F o x verteidigt durch Erich Nagel, Marie de France als dichterische Persönlichkeit, in R F , Bd. 44, 1930, S. lff. 2 0 ' ) Siehe Warnkes Ausgabe der Fabeln der Marie de France (Halle 1898), S. C X V I I I . 2 0 S ) Leonardo Olschki, Die romanischen Literaturen des Mittelalters (Potsdam 1928), S. 136.

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versteht, und die mannigfachen und seltsamen Verwicklungen, die sie in einen idyllisch-romantischen Rahmen kleidet, verleihen ihren Erzählungen einen unvergleichlichen Reiz. Die Quellen, aus denen die Dichterin geschöpft hat, sind nicht sehr klar. Sie selbst bezieht sich des öfteren darauf, daß sie das, was sie erzählt, aus dem Munde der Bretonen aufgezeichnet hat. Aber die Berufung auf angebliche Quellen von Seiten eines mittelalterlichen Dichters darf nicht zu genau genommen werden. Neuere Forschung hat nachgewiesen, daß viele Motive ihrer Erzählungen der höfischen epischen Dichtung, insbesondere dem Tristanroman, entnommen sind. 209 ) Diese Motive verwendet sie in neuer Einkleidung, indem sie ihren Erzählungen den Anschein volkstümlicher Herkunft verleiht, sicher nicht ohne einem besonderen Geschmack der damaligen anglonormannischen Gesellschaft Rechnung zu tragen. Die Unklarheit ihrer Quellen spiegelt sich auch in dem Wort lai, mit dem Marie den Typus ihrer kurzen Erzählungen benennt. Das Wort ist keltischer Herkunft. Es bezeichnete ursprünglich ein von Spielleuten mit Harfenbegleitung gesungenes Lied.210) Der Name solcher Lieder scheint sich dann auf gewisse idyllisch-sentimentale Erzählungsstoffe übertragen zu haben, die in dem Programm der jongleurs ('Spielleute' < j o c u l a t o r e s ) figurierten. Jedenfalls sind die lais der anglonormannischen Dichterin nicht als Schöpfungen keltischer oder bretonischer Barden aufzufassen, sondern sie sind selbständige poetische Behandlungen von Motiven und Geschichten, die in ihrer Grundsubstanz aus volkstümlichen mündlichen Quellen stammen dürften. 211 ) So ist das Wort lai zu einem konventionellen Terminus für eine bestimmte Erzählungsgattung geworden.

D I E SPRACHE D E R MARIE D E FRANCE Die in England lebende Dichterin schreibt ihre Werke in jener altnormannischen Schriftsprache, die, auf dem Festlande entstanden, zu ihrer Zeit als 'lengage de France* (Pope § 59) von der höheren Gesell208 ) Siehe dazu Stefan Hofer, Zur Beurteilung der Lais der Marie de France (ZRPh, 66, 1950, S. 409ff.). Über ältere Literatur zu der Frage, s. Erich von Richthofen, Vier altfranzösische Lais der Marie de France (Tübingen 1954), S. VII ff. 2l0 ) Das Wort ist identisch mit irisch laid 'Lied'; s. Gamillscheg, EWFS, S. 547. lu ) Siehe die motivgeschichtlichen Hinweise, die Reinhold Köhler und Johannes Bolte aus der europäischen Märchenliteratur zu den 'Lais' in der Ausgabe von Warnke (Halle 1925) gegeben haben.

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schaft in England gesprochen wurde.212) Diese Sprache unterscheidet sich von dem Sprachverhältnissen, die um 1170 auf weiten Gebieten in Nordfrankreich (z. B. in der Champagne) herrschten, dadurch, daß sie in mancherlei Hinsicht auf einer älteren Stufe der Entwicklung stehen geblieben war. Hauptmerkmale dieser Sprache sind: 1. Vulgärlat. e (klassisch ë, I) erscheint in freier Stellung als ei (statt oi in der Champagne), z. B. mei, teile, fei, veie. 2. Der in der älteren Periode des Altfranzösischen aus Vulgärlatein, o entstandene Diphthong 6u (s. S. 88) wird durch einen Laut vertreten, der etwa dem deutschen u (franz. ou) entsprochen haben dürfte. Er wird orthographisch meist durch u (seltener o) ausgedrückt. Man vergleiche ure 'heure', nevu 'neveu', dolur, flur, lor neben lur 'leur*. Dieser Laut erscheint auch für altfranz. o in der Stellung vor einem Nasal, z. B. raimn, cunte 'Graf', pume, unde, lune, num, pundre, ume 'homme', cuntre. Erhalten geblieben ist der aus anderen Grundlagen entstandene Diphthong ou (lies 6-u), z. B. dous 'deux', lou 'loup', Anjou, alout 'allait', août 'il sut', pout 'il put'. Wo in Mariens Werken ou erscheint, ist dieser Laut also als ein wirklicher Diphthong zu lesen. - Mit u wird in den anglonormannischen Handschriften häufig auch das vortonige o ausgedrückt: burgeis = borgeis, cungié = congié, cunseil, cuntenir, duner, mustrer, russignol. Die nasalen Vokale & und c sind noch nicht zusammengefallen. Sie werden in den Reimen noch streng auseinandergehalten (vent reimt nicht mit grant). - Der Wandel von e zu ä hat zweifellos in den unbetonten Silben seinen Anfang genommen. Der Schreiber der Handschrift L (um 1150) des Alexiusliedes bietet an = en nur in Fällen wie ancuntret 'il rencontre', ansemble, anfermetet, anduredes 'endurées', amfant 'enfant', an avant, an la chambre, tant an retint 'il en retint tant'. 4. Die Diphthonge ai und ei sind in der Stellung vor Nasal nicht mehr 21î ) Diese Sprache ist nicht völlig identisch mit der anglonormanniachen Mundart, die von der normannischen Bevölkerung in England gesprochen wurde. In dieser Mundart war altes lateinisches ü wohl noch nicht bis zu û vorgerückt (s. Anm. 212a). Auch sind in dieser Mundart altes k und g vor a noch als solche erhalten, vgl. die altfranzösischen Lehnwörter im Englischen catch, cattle, carpenter, garter, neben chain, chair, Chamber, chance, change, charge, joy, die aus einer jüngeren romanischen Sprachschicht oder aus der altnormannischen Schriftsprache stammen. Ebenso ist das anglonormannische au, das seit etwa 1200 an Stelle von a vor gedecktem Nasal auftritt und in den aus dem 13. Jahrhundert stammenden Handschriften der Werke unserer Dichterin häufig begegnet (chaumbre, graunt, Flaundr es, eaperaunce, blaunche, vgl. die Lais-Ausgabe von Warnke, S. LXXXII), wozu engl, aunt — altfranz. ante zu vergleichen ist, kein Merkmal für die Sprache von Marie de France.

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geschieden. Sie werden im Reime gebunden, z. B. vilaine (vileine) und peine. 5. In der Imperfektendung hat sich das lateinische - e b a m noch nicht auf die erste Konjugation ausgedehnt. In dieser Konjugation haben sich die Endungen erhalten, die auf - a b a m ( > -aue > -oue > -oe) beruhen. Über eine Ausnahme, s. Bisciavret, Vers 17. 6. Eine gewisse Schwierigkeit und Unklarheit in den in England geschriebenen Handschriften ist dadurch gegeben, daß hier das orthographische Schriftzeichen u für zwei vermutlich ganz verschiedene Laute verwendet wird. Einmal in Fortsetzung der lateinischen Tradition als Ausdruck eines ehemaligen langen ü, das sich aber in der Sprache der höheren Gesellschaft in dieser Zeit bereits zu ü gewandelt hatte. Andererseits wird mit dem gleichen Schriftzeichen das aus verschiedenen Quellen resultierende u ( = franz. ou) ausgedrückt. Diese Unklarheit wurde erst seit dem 13. Jahrhundert beseitigt durch Verwendung der Kombination ou, die in älterer Zeit einen wirklichen Diphthongen ausgedrückt hatte (amour = amöur, trou = tröu). Es kann also in anglonormannischen Handschriften ein Wort, das pur geschrieben wird, sowohl pur (= pour) wie auch pür (= pur) meinen; tue kann als toue (lat. t u a ) und als tue ('il tue') zu lesen sein. In einem Wort wie plusur hat das erste u den Wert eines ü, das zweite u den Wert eines u (franz. ow).212a)

212

») Die Aussprache des aus lat. ü entstandenen Lautes im Anglonormannischen ist nicht ganz klar. Es ist möglich, daß in der Sprache des Volkes (s. Aiun. 212) der in mur erscheinende Vokal sich noch wenig von u = ou entfernt hatte. Dafür sprechen gewisse Reime, z. B. im Brut aventure : hure ( h o r a ) , trestue ( t r a n s - t o t t o s ) : eisauz 'issus', im Adamsspiel criatur : dur, bei Marie cuccu 'coucou': fu (Fab. 46, 10). Nach anderer Meinving wäre das von den Normannen eingeführte ü unter dem Einfluß der angelsächsischen Mundarten sekundär wieder zu u velarisiert worden; vgl. Pope, § 1142 und Fouchö, Bd. II, S. 205. - Über die Erhaltung des alten u (= ou) im Wallonischen, s. zu Vers 28. - Zum Alter von ü aus u, s. Anm. 102.

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B I S C L A V R E T 213 )

1 Quant des lais faire m'entremet, 2 ne yueil ubller Bisclavret.

Wenn ich mich anschicke die Lais zu verfassen, will ich nicht den Bisclavret vergessen. Der Vers. - Die Werke unserer Dichterin sind alle in achtsilbigen Reimpaaren verfaßt. Das heißt: sie verwenden das gleiche metrische Prinzip, das seit dem Aufkommen der höfischen Dichtung im mittelalterlichen Frankreich (in Ersetzung des älteren epischen Zehnsilbers) in den erzählenden Gattungen vorbildlich und vorherrschend geworden war. Dieser Vers hat seine Ursprünge im klassisch-lateinischen jambischen Dimeter, der in stark rhythmisiertem jambischen Gefälle zu einem der beliebtesten Verse der mittelalterlichen Hymnendichtung (seit Ambrosius, 4. Jahrhundert) geworden ist: Aetirne rirum cönditör / / nocUrn didmque

qul regia?13*) Während dieser Vers in der spätlateinischen Hymnendichtung in vierzeiligen, oft durch Assonanz gebundenen Strophen aufzutreten pflegte, scheint die neue Gewohnheit, zwei aufeinanderfolgende Verse durch Reim zu vereinen, in Frankreich erst seit dem Anfang des 12. Jahrhundert sich verbreitet zu haben.214) Quant: lat. quando. - Die lateinische Affrikata (kw) neigte schon in der römischen Kaiserzeit zum gelegentlichen Verlust des labialen Elementes.215) Am frühesten ist dieser Verlust in der Stellung vor o sla

) Unser Text nach der Ausgabe der 'Lais' von Warnke (Halle 1925). Der 'Bisclavret' ist enthalten auch in der kleinen Ausgabe von Erich von Richthofen, Vier altiranzösische Lais der Marie de France (Tübingen 1954). Ausführliche bibliographische Hinweise zu den 'Lais' der Dichterin findet man in den Ausgaben von Warnke, S. Illff. und Richthofen, S. VII. I1Sa ) Eine genetische Deutung des französischen Achtsilbners im Verhältnis zum quantitierenden ambrosiamachen Vers gibt H. Lausberg, AStNSp. 193, 5. 292. - Eine andere Auffassung vertritt W. Suchier, RF, 65, 1953, S. 345ff. "*) Siehe dazu Ph. A. Becker, Die Anfänge der romanischen Verskunst, in ZFSL, Bd. 56, 257-323; vom gleichen Verfasser, Der gepaarte Achtsilber in der französischen Dichtung (Abhandl. der Phil.-Histor. Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 43, 1), Leipzig 1934. 2 ") Vgl. die Schreibung auf Inschriften cot = quod, reliciae = reliquiae, ce = quae (Richter, § 81). In den Schreibungen qot, q a t t o r (s. ebendort) kann q ungenaue Schreibung für qu sein: diese sind daher nicht absolut beweisend. Ein sicheres Beispiel für qu = k bietet eine Inschrift mit griechischen Lettern aus Sizilien (etwa 5. Jahrhundert) xoßooXSiou; =

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generell geworden: q u o d > c o t , quoxnodo > c o m o d o , was sicher schon für das Vulgärlatein gelten darf. Aber erst in viel späterer Zeit hat sich diese Tendenz in weiterem Umfang durchgesetzt. 216 ) I n Frankreich dürfte das u in der Stellung vor a, e und i nicht vor dem 8.-10. Jahrhundert verlorengegangen sein. I n der Stellung vor a hat es sich auf alle Fälle länger bewahrt als vor e und i. 217 ) I n unserer literarischen Periode sprach man also reines k in Wörtern, die das lat. q u a n d o , q u a n t u s , q u a t t u o r , q u a e r e r e (altfranz. querre), q u i n d e c i m fortsetzten. Die Orthographie ist meist bei dem alten traditionellen Schriftzeichen gebheben. - Nach dem Verlust des auslautenden o verliert das in den Auslaut tretende d seinen Stimmton, vgl. p r e h e n d o > prent, t a r d u > tart, s u r d u > sort.21*) - Im Französischen wurde ursprünglich jeder Vokal durch einen folgenden Nasal (m oder n) nasaliert: maïn, laine, aime, cöme, veine, Une, fontaine, vendre. Seit dem 12. Jahrhundert ist der alte Nasalkonsonant verstummt : känt > kät, demande > demäde, ömbre > obre, bien > bië; er blieb nur in intervokalischer Stellung erhalten (laine, aime, persöne). I n dieser Stellung ist seit dem 16. Jahrhundert die Nasalierung wieder verlorengegangen. Zum Phänomen der Nasalierung siehe auch Vers 3, sowie die Anmerkungen 114, 235, 236. des: Kurzform (Schnellsprechform) statt *dels ( < de illos), so wie auch aus a d i l l o s altfranzösisch as entstanden ist. 219 ) Die Zusammenziehung der beiden Elemente zu des erfolgte in altfranzösischer Zeit auch dann, wenn kein wirklicher Genitiv vorlag, sondern die Präposition zum Verbum gehörte: 'de les lais faire'. 220 ) Des lais ist also nicht als Teilungsartikel aufzufassen, der in diesem Zeitalter in dieser Form noch nicht allgemein ausgeprägt ist, vgl. in Vers 11 humes devure 'il dévore des hommes'. 221 ) q u o d v u l t D e u s (S. L. Agnelli, Silloge di iscrizioni paleocristiane della Sicilia, Rom 1953, S. 38). 21 •) Die Entwicklung ist sehr schrittweise und in den einzelnen Landschaften unterschiedlich erfolgt. Sie ist ebensosehr durch die Natur des folgenden Vokals wie durch analogische Übertragung bedingt; siehe Lausberg, § 344-348. 21 ') Archaische Randgebiete Frankreichs haben das kw vor a bis heute bewahrt, vgl. gask. kwate 'quatre', kwan 'quand', wallon, kwat 'quatre', voges. kwèt 'quatre'. 218 ) Die moderne Schreibung quand, prends, tard, sourd folgt den latinisierenden Tendenzen, die im Zeitalter des Humanismus sich verbreitet haben. 21 •) Das neufranz. aux (= aus) ist unter dem Einfluß des Singulars au erst seit dem 13. Jahrhundert entstanden. 220 ) Ähnlich heißt es im Prolog zu den Lais, Vers 47 m'entremis des lais assembler 'j'entrepris d'assembler les lais'. — Eine solche Verschmelzung ist noch in französischen Mundarten zu beobachten, z. B. in den Ardennen 'je viens du voir' im Sinne von 'je viens de le voir' (Brunot-Bruneau, § 589). 221 ) Über die Entwicklung des Teilungsartikels aus vulgärlateinischen Ansätzen ( d e v i n o 'du vin'), s. zu Vers 309 und Anm. 570. Ein sehr altes Bei-

97 7 Rohlfs, E i n f ü h r u n g

lais: das Wort hat seinen nächsten Verwandten in irisch laid 'Lied* (s. Anm. 210); zu deutsch Lied besteht etymologisch keine Verwandtschaft. faire < f a e ë r e : in Frankreich früh synkopiert zu * f a c r e (oder *fagre). 222 ) - In der Stellung vor einem Konsonant ist lat. k und g zu i vokalisiert worden: f a c t u > fait, l a c t é > lait, l a x o > lais, f r a x i n u > fraisne, n i g r u > neir, f l a g r a t (klass. f r a g r a t ) > flaire.223) Das so entstandene ai wird im 12. Jahrhundert teils noch als ai gesprochen, teils ist es bereits zu einem offenen è geworden. Die letztere Aussprache gilt besonders in gedeckter Stellung und vor silbenschließender Konsonanz. Man sprach also im Zeitalter unserer Dichterin noch ai 'ich habe', plaie 'Wunde', aber bereits fèt 'fait', mes 'mais', nèstre 'naître'. 224 ) m'entremet < me i n t r o m i t t o 'ich lasse mich ein'. — Das auslautende o ist gefallen. Das alte Adverbium i n t r o ist im Französischen mit der Präposition i n t e r in der Form entre zusammengefallen. Das betonte i ist ein kurzes i und ist schon im Vulgärlatein zu e geworden (s. S. 43).226) ne < non. Die lateinische Negation hat eine doppelte Entwicklung genommen. Starkbetont ist der alte Vokal und der auslautende Nasal erhalten geblieben (non!, altfranz. non ferez!), wie in anderen Fällen, z. B. rem > rien, m eu m > mien. Als Negation beim Verbum hat es sich zu nen abgeschwächt (v. 47 nen ai); ferner hat es vor Konsonant den auslautenden Nasal eingebüßt. vueil < *völeo. - Klassisch-lat. velle wurde durch v o l ë r e ersetzt, so wie an Stelle von posse das einfacher flektierbare p o t ë r e getreten ist (siehe zu Vers 5). Die sehr unregelmäßige Flexion des lateinischen Präsens konnte nun durch regelmäßige Formen abgelöst werden: voleo, spiel findet sich im Rolandslied : sï'n deit hom perdre del sanc e delà char 'et pour cela on doit perdre du sang et de la chair' (Vers 1119). 222) Vgl. franz. plaire, taire, nuire, luire, die statt der klassischen Formen ein * p l a c ë r e , • t a c ë r e , * n o c ë r e , * l u c ë r e voraussetzen. 22S ) Als Vorstufe des Wandels von et > ü nimmt man Lockerung des palatalen Verschlusses an, d . h . frikative Aussprache des k ( f a x t u ) . Den Anstoß zu dieser veränderten Aussprache pflegt man im allgemeinen dem Einfluß des Gallischen zuzuschreiben. Vgl. dazu Meyer-Lübke, ZRPh, 45, 1925, S. 641 ff.; Wartburg, Evolution et structure de la langue française (1946), S. 23; Wartburg, Ausgliederung, S. 34ff. - Bemerkenswert ist jedoch, daß eine Aussprache yt (statt des lateinischen et) auch für rum. fapt < f a c t u , lapte < l a c t e , noapte < n o c t e anzusetzen ist ; s. Lausberg, § 430 und MeyerLübke a. a. O. 642. 22*) Auf dem Festlande scheint diese Entwicklung sich früher vollzogen zu haben. Schon in der Sprache des Rolanddichters assonieren mais, sait, fait mit est, enfer, cerf, ja sogar faire, repairet, faites mit tere, pesme, teste. — Siehe noch die Ausführungen zu les 'je laisse' i n Vers 13. 225) Zum Auftreten des Personalpronomens als Ausdruck des Subjektes, s. zu Vers 23 und Anm. 297.

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voles, volet. 2 2 6 ) Das im Hiatus stehende e wird wie ein Hiatus-1 behandelt. Es geht mit dem vorhergehenden l eine engere palatalische Verbindung ein ( * v o l l j o ) mit dem Ergebnis eines palatalen ('mouillierten') j 227) Dessen orthographischer Ausdruck ist im Französischen -il- bzw. -ill-, z. B. ail (allium), paille (palea), fille (filia), conseil (consiliu). 2 2 8 ) - Die Diphthongierung des kurzen o (rom. g), die einer älteren Diphthongierungswelle angehört (s. S. 55), ist bedingt durch die folgende palatale Verbindung. Sie erfolgt in diesem Falle auch in gedeckter Stellung, vgl. fueille (fölia), sue.il 'ich pflege' (söleo), vueille ( v ö l e a t ) , brueil 'Gebüsch' (kelt. »brogilu). 2 2 9 ) vblier: das klassische Deponens o b l i v i s c i wurde im Vulgärlatein durch die einfachere Neubildung o b l i t a r e ersetzt.230) Diese Grundlage erkennt man noch besser in span. olvidar 'vergessen' (mit Metathese des l). Unbetontes vortoniges vulgärlateinisches o (6, 5) erscheint im Altfranzösischen seit dem 12. Jahrhundert in der Form u (später ou geschrieben), worin man eine Schwächung der alten Vokalqualität zu sehen hat: vvleir, murir, nuvel, •pruver, curone, turner, furmage, turment, suvent.231) Die Schreibung in den mittelalterlichen Handschriften ist nicht einheitlich: man findet trover neben truver, oblier neben vblier, soleir neben 22 ') Vgl. die Glosse s i v i s = s i v o l e s in den Glossen von Reichenau (s. S. 39). 2a7 ) I n den meisten Palatalverbindungen h a t das Hiatus-i schon in lateinischer Zeit Dehnung ('Verdoppelung') des vorhergehenden Konsonanten bewirkt. Man sprach f i l l i a , s a p p i a t , v i n d e m m i a . Auf Inschriften findet m a n tatsächlich e t t i a m , L u c c i u s , a p p i u m (Richter, § 77). S28 ) Dieses palatale l war ein wirkliches l (1), wie noch heute im Italienischen: aglio, paglia, figlia. Die Reduktion zu einem j datiert seit der Mitte des 17. Jahrhunderts. Die neue Aussprache (la fije), die bis zur großen französischen Revolution als sehr vulgär galt, wurde erst im 19. J a h r h u n d e r t allgemeiner übernommen. Die ältere Aussprache h a t sich in einigen Mundarten des Südens, sowie in der Schweiz erhalten. 22 9 ) Vor anderer palataler Konsonanz ist der entstandene Triphthong uei zu ui (nuit, puis) reduziert worden; siehe Vers 48 u n d Anm. 359. Diese unterschiedliche Entwicklung ist dadurch bedingt, daß auf der Stufe uoi

(oder uei) das i in dem palatalen l (fttoiie > fuole > fuete) aufgegangen ist,

während u n t e r normalen Umständen uoi (> uei) erhalten blieb, später jedoch zu ui reduziert wurde. — Das gleiche Verhältnis besteht in der Entwicklung von offenem e vor Palatal in dem Gegensatz zwischen l e c t u > *lieit > lit u n d m e l i u s > *mieiz > mielz > mieux. - Siehe dazu die eingehende Behandlung bei Fouch a u s a r e (oser), u s u s > u s a r e (user), r e f u s u s > r e f u s a r e (refuaer), a d j u t u s > a d j u t a r e (aider), t u t u s > t u t a r e (tuer). m ) Über Ausnahmen u n d besondere Fälle, siehe Bourciez, § 99; Rheinfelder, § 113ff. - Zur romanischen Gesamtsituation, s. Lausberg, § 254f.

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svleir. Ältere und jüngere Aussprache konkurriert noch längere Zeit in den orthographischen Gepflogenheiten. Bisclavret: keltische Bezeichnung für den Werwolf. Dem Namen scheint ein keltisches bisc 'kurz' und lavret 'Kniehose* zu Grunde zu liegen. Man bezeichnete den Menschen, der die Eigenschaft hatte, sich in einen Wolf zu verwandeln, offenbar nach einer ihm zugeschriebenen eigentümlichen und altertümlichen Kleidung ('le court-vêtu'), so wie man in Westfalen den Werwolf büksenwolf ('Hosenwolf') nennt.232) 3 Bisclavret a nun en Bretan, 4 Garulî l'apelent Ii Norman.

Bisclavret heißt er auf britannisch, Garulf nennen ihn die Normannen.233) Bisclavret: so wie im Altfranzösischen das prädikative Adjektivum, wenn es betont war, den Satz einleiten konnte (buens fut Ii siecles, halt sunt Ii pui), so konnte auch das Prädikatsnomen an die Spitze eines Satzes treten, im Gegensatz zum Neufranzösischen: il s'appelle Charles, la nuit était noire. Erst das neueste Französisch neigt wieder zu freierer Wortstellung, indem das affektisch betonte Prädikat auch den Satz eröffnen kann, z. B. vaste est le boudoir (Balzac), libre die était, et libre elle resterait (Marguérite), je. suis veuf, et veuf je resterai (Augier). a nun entspricht einem lat. habet nomen 'er heißt'.234) - Die Verbalform setzt nicht klassisches habet fest, sondern beruht auf einer vulgären Flexion aio, as, at, die als proklitische Kurzformen aufzufassen sind. Aus der proklitischen Unbetontheit erklärt sich auch das Ausbleiben des normalen Wandels von a > e in as und at. - In der Stellung vor einem Nasal hat latein. langes ou) nicht mitgemacht. Das altfranzösische Ergebnis ist ein nasaliertes geschlossenes ö: (anglonorm. ü): persone (persune), pome (pume), non, don, pulmon, maison, wobei im Wortauslaut der nasale Konsonant seit dem 12. Jahrhundert in der nasalen Kesonanz des Vokals aufgegangen sein dürfte (s. Vers 1). Gewisse moS32 ) Siehe dazu J . Loth, in Revue celtique, Bd. 44, 1927, S. 300ff., der darauf hinweist, daß die keltischen Pikten sehr kurze Hosen getragen hätten, die nur ungenügend die 'pudenda' bedeckten. - Zum Motiv des Bisclavret in der Literatur, siehe die Hinweise in der Ausgabe der Lais von Warnke (1925), S. CXXIff. ; Salv. Battaglia, Filologia Romanza Jahrg. 3, 1956, 229ff. 233 ) Die Präsentierung des Titels unserer Erzählung in mehreren Sprachen zeigt die Rücksicht auf ein mehrsprachiges Publikum. In dem Lai 'Aüstic' gibt Marie den Titel sogar in dreisprachiger Form: keltisch aüstic, franz. rossignol, eng. nihtegale. 234 ) Vgl. in unseren provenzalischen Vidas la quai gleisa avia nom (oben S. 84).

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derne Schreibungen, z. B . personne, il sonne, pomme, couronne,

femme,

vienne (im 16. Jahrhundert auch Romme) sind eine Reminiscenz an

eine ältere Orthographie, in der das erste n die Nasalität des Vokales ausdrückte.236) - Die Schreibung nun = nom (non) ist eine Eigenheit des Normannischen und Anglonormannischen (s. S. 94). 236 ) en bretan: nasaliertes e und nasaliertes a ist in der Sprache unserer Dichterin noch scharf geschieden (S. 94). Der Zusammenfall der beiden Laute, so daß vent und grant reimen kann, ist jedoch auf dem Festland

(Champagne) schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts eingeleitet. Im Gegensatz zu dem modernen breton, das eine Grundlage b r i t t o n e voraussetzt, beruht bretan auf b r i t t a n n u . 2 3 ' ) garulf: beruht auf einem altfränk. w e r w u l f (schwed. varulf), das

germ. *wera 'Mann' enthält. Der Name entspricht also genau dem gleichbedeutenden griech. Xoxav&pwTOi;, ital. dial. lupörnang, port. lobis home,Mi)

l'apelent, mit Elision aus le apelent. Das Personalpronomen le beruht

auf älterem lo, das im Provenzalischen, Italienischem und Spanischen sich in dieser Form bewahrt hat. Die Erhaltung der unbetonten Silbe von lat. illu(m) ist durch satzphonetische Bedingungen gegeben, indem in einer Verbindung illu video, die zweite Silbe des Pronomens zu stärkerer Bedeutung gelangte. Schon auf einer alten Verfluchungsinschrift aus Numidien ist lum im Sinne von illum bezeugt: ut f a c i a lum m o r t u 'er möge ihn tot machen' (CIL. 8, 19525 b ). 239 ) — Die Abschwächung von älterem o zu c läßt sich mit altfranz. semondre und sejurner vergleichen, wo ebenfalls ein zu erwartendes vortoniges o (aus submonere, subdiurnare) zu e verblaßt ist. 2 4 0 ) - Apelent: gutes Beispiel für die Beseitigung

der alten Doppelkonsonanten (appellant). Die heutige Schreibung appeUent ist latinisierend.240®) - Das a der Auslautsilbe hat sich in Nord-

frankreich zu e abgeschwächt: terre, la porte, il porte, chantent.

286 ) Eine genauere phonetische Beschreibung des ganzen Prozesses gibt Rheinfelder» § 182ff. - Siehe auch Vers 1. 288 ) Die Schreibung des nasalen Vokals schwankt im Auslaut zwischen n und m, letzteres in Anlehnung an die lateinische Grundform, vgl. altfranz. nom neben non, rien, faim, on, levain, essaim. 237 ) Beide Formen ( B r i t t o und B r i t t a n n u s ) sind in der klassischen Latinität als Name des Briten oder Britanniers bezeugt. 28S ) Eine andere Erklärung gibt Gamillscheg, EWFS, S. 460: aus fränk. * w a r i - w u l f 'Kleiderwolf'. 239 ) Die abweichende Entwicklung von *illl (statt ille) > ü, illa > de erklärt sich aus der stärkeren Betonung des Pronomens, da diese Formen ursprünglich das betonte Personalpronomen ausdrückten. 2 4 0 ) Eine andere Abschwächung des Artikels hat sich im Portugiesischen vollzogen, wo älteres lo > o, la > a reduziert wurden: o porto, a terra. 24o»j Di e latinisierenden Schreibungen der Doppelkonsonanten finden sich schon oft in den mittelalterlichen Handschriften, vgl. altprov. appeUaiz in der 'vida' des Peire d' Alvernhe (oben S. 75).

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li Norman < illi Normanni. - Wie das aus ille entstandene Personalpronomen seine zweite Silbe bewahrt hat (s. o.), so hat auch der aus ille gewonnene Artikel wegen seiner Schwachtonigkeit die gleiche Entwicklung genommen. In gewissen Flexionsklassen hat sich im Altfranzösischen neben dem Akkusativ eine besondere Form für den Nominativ erhalten: Ii mur (illi muri) neben dem Akkusativ les murs, li ami neben les amis.2*1) Aber schon im 12. Jahrhundert werden die verschiedenen Kasusformen nicht immer säuberlich auseinandergehalten, bis schließlich im 13. Jahrhundert die Zweikasusflexion völlig zusammengebrochen ist. In der Regel ist es der alte Akkusativ, der als einzige alte Kasusform sich erhalten hat: le neveu (nepote), les neveus (nepotes), les amis (amicos), le comte (comité). - Siehe dazu das frühe Auftreten von f i l i a s im Sinne von f i l i a e (oben S. 31).

6 Jadis le poeit hum oïr 6 e sovent snleit avenir, Einst konnte man ihn hören, und oft pflegte es sich zu ereignen, jadis ist aus drei Elementen zusammengewachsen: ja a dis 'schon ist es einige Tage her', 'déjà il y a des jours'; man vergleiche die ähnliche Bildung in den begrifflich verwandten Zeitadverbien naguère 'neulich' < n'a guère 'es hat nicht viel' (fränk. w a i g a r o ) und piéça 'vor langer Zeit' ( < 'il j a une pièce').-Lateinisch dies, das in Frankreich durch diurnu (altfranz. jor) ersetzt worden ist, hat sich nur in versteinerten Verbindungen erhalten; midi, lundi, mardi usw. Schon im Altfranzösischen ist es auf formelhafte Ausdrücke beschränkt, z. B. im Rolandslied anz e dis 'viele viele Jahre', tuz dis 'toujours', bei Marie maint di e maint jur. poeit: zu Grande liegt vulgärlat. potebat. Der klassische Infinitiv posse, der mit den üblichen Infinitivendungen im Widersprach stand, wurde im Vulgärlatein durch potere ersetzt (vgl. ital. potere, span. poder). Schon im Vulgärlatein wurde die normale Endung - ë b a ( m ) zu - ë a ( m ) verkürzt. Der Verlust des b entspricht keinem Lautgesetz, sondern dürfte durch Dissimilation bedingt sein, in der Weise daß zunächst in abeba(m) und d e b e b a ( m ) das zweite b getilgt wurde und die neue Endung -ea auf alle Verben dieser Konjugationsklasse übertragen wurde. In der 3. Person sollte man regelrecht altfranzösisch -eiet 241 ) Es sind die Flexionsklassen, die im Lateinischen im Nominativ des Singulars ein -s hatten: murus, b o n u s , canis, n a v i s , m o r t a l i s . Daher altfranzösisch im Nominativ murs, buens, chiens, nefs > nés, mortels, gegenüber dem Akk. mur, buen, chien, nef, mortel. Im Nominativ des Plurals bleiben die Maskulina, nach dem Vorbild i l l i m u r i ( > i l l i c a n i ) ohne besonderes Pluralzeichen: li mur, li chien; vgl. unten zu Vers 7.

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erwarten.242) Die unregelmäßige Endung -eit (statt -eiet) dürfte durch irgendeinen analogischen Einfluß, dessen Quelle nicht sehr klar ist, bedingt sein.243) Die Unregelmäßigkeit wiederholt sich in dem Imperfektum erat, das altfranz. ere(t) ergeben müßte, in Wirklichkeit aber in der Sprache unserer Dichterin als ert erscheint. hum < homo. - Der lateinische Nominativ homo hat sich in einer betonten Form uem und in einer unbetonten Form um (om) erhalten. Diese letztere Form hat die Funktion eines unbestimmten Pronomens, als Vorstufe des modernen on. Die Inversion des Subjektes ist durch ein ältfranzösisches Gesetz bedingt, nach dem Nachstellung des Subjektes erfolgt, wenn ein Adverbium oder ein anderer Satzteil den Satz einleitet. Ähnlich findet man in Vers 125 unseres Textes issi fu Bisclavret traïz 'so wurde Bisclavret verraten'. Die altfranzösische 'Karlsreise' beginnt mit dem Vers Un jorn fut Ii reis Charles al saint Denis mostier 'eines Tages war der König Karl im Münster des heiligen Dionysius'. Im ßolandslied liest man: ço sent BoUant, mvlt grant eschec en unt si chevaler, halt sunt Ii pui. Reste dieses alten Stellungsgesetzes haben sich bis in das Neufranzösische erhalten: ainsi soit-il, peut-être arriverons-nous, aussi ne viendrons-nous pas, toujours est-il que 'immerhin besteht die Tatsache', grande fut sa surprise,244) oïr: normal aus audire entstanden. Lateinisch au ist in jeder Stellung zu o geworden: chose < causa, or < auru, loer < laudare, parole < *paraula. 2 4 5 ) e: lat. et. - Der auslautende Dental (t, d) ist verlorengegangen, wenn der vorhergehende Vokal erhalten blieb. 246 ) Daher ad > a, quid > que, a m a t > aime; im Gegensatz zu a m e t > aint, v a l e t > valt, v o l e t > vuelt. 24S ) Die normal zu erwartende Endung findet sich noch in dem sehr altertümlichen aus dem 10. Jahrhundert stammenden Fragment einer Jonaspredigt: saveiet, penieiet; die gleiche Endung im Konditionalis soatendreiet (Eulalia, Vers 16). 2 4 3 ) Man denkt meist an Einfluß von seit (Jordan, Altfranzösisches Elementerbuch, S. 265 und Rheinfelder, § 172), was (in dieser 'analogischen' Begründung) nicht sehr überzeugt. - Eine andere (phonetische) Erklärung gibt P. Fouché, Le verbe français Paris 1931, S. 238; vgl. auch Phon, histor., Bd. II, S. 512. - Das unregelmäßige Ergebnis ist auf alle Fälle nicht zu trennen von * a i a t > a i t (neben aie), * s i a t > seit, dazu die Konjunk-

tive puiat (neben puisse), doint (< * d o n e a t ), truiat neben truiase. Allen diesen

Formen ist gemeinsam die Bewahrung des auslautenden t (im Gegensatz zu c a n t a t > il chante), was eine konsonantische Assimilation (aiet > aijt > ait usw.) voraussetzen könnte (s. dazu vait in Vers 12). I 4 4 ) Siehe dazu Gamillscheg, Syntax, S. 554ff. 2 " ) Über den Zeitpunkt dieses Wandels (etwa 8. Jahrhundert), s. zu Vera 33. 2 " ) Eine ältere Zwischenstufe war d, wenn das folgende Wort mit Vokal anlautete. Man sagte bis ins 11. Jahrhundert justise ed amur (Alexius 2), ad 103

sovent < s u b i n d e 'von Zeit zu Zeit', 'des öfteren': hat das klassische saepe ersetzt. Intervokalisches b ist über 8 zu v gelangt: f a b a > fève, debere > deveir, t a b e r n a > taverne, a b a n t e > avant. sideit < s o l e b a t . - Das Nebeneinander von aovent und svleit zeigt die willkürliche Orthographie in der Wiedergabe des vortonigen geschlossenen o. avenir < advenire. - Das d wurde an das folgende v assimiliert zu einer Form, die noch in ital. awenire erhalten ist. Im Französischen ist auch die sekundär entstandene Doppelkonsonanz vereinfacht worden. Ahnliche Beispiele: avertir (ital. avvertire) < * a d v e r t i r e , avérer (ital. awerare) < *adverare, amasser (ital. ammassare) < *admassare. 7 Hume plusnr garulf devindrent 8 e es boscages maisan tindrent. Menschen in mehrfacher Zahl wurden zu Werwölfen und schlugen in den Waldungen ihre Wohnstatt auf. hume < homines. - Durch Synkopierung ergab sich eine Konsonantenverbindung mn, die im Französischen im allgemeinen zu m assimiliert wurde, vgl. femina > ferne, domina > dame, n o m i n a r e > nomer.247) - Das Fehlen des pluralischen s zeigt, daß eine analogische Nominativform omini zu Grunde liegt (vgl. ital. uomini), die unter dem Einfluß der 2. Deklination entstanden ist (vgl. Anm. 241). Man darf also für das Vulgärlatein Frankreichs voraussetzen: p a t r i sunt boni, veniunt m u l t i omini, t a n t i fratri. 2 4 7 a ) So heißt es also im altfranzösischen Nominativ in der Deklination der Maskulina : Ii frere 'die Brüder', Ii chien 'die Hunde', Ii asne 'die Esel', Ii seignor im Gegensatz zum Akkusativ, der sein altes s bewahrt hat : les freres, les humes, les chiens, les asnes, les seignors. - Die Schreibung von hume mit h, das nicht gesprochen wurde, folgt der lateinischen Orthographie. - In ehemaligen Proparoxytonis, soweit sie nicht schon im Vulgärlatein zu Paroxytonis geworden waren (calidu > caldu > altfranz. ehalt, viride > virde > vert), bleibt der Vokal der Auslautsilbe als e erhalten, z. B. t e p i d u > tiède, eubitu > coude, pulice > puce, s a l v a t i c u > salvage, monicu > moine, medicu > altfranz. miege (s. Lausberg, 248ff.). plvsur setzt ein *plusiores > *plusiori voraus, das als Vorstufe ein spätlateinisch bezeugtes pluriores (klassisch plures) gehabt hat. une spede 'avec une épée' (Eulalia 22), al pedre ed a la medre (Alexius 101), so wie noch heute im Italienischen tu ed io, ad ogni ora. " ' ) In einigen Mundarten erfolgte Assimilation zu nn > n, vgl. altpik.

fenne, bourbonn. fenne, die zahlreichen Ortsnamen Donnemarie und Danne-

marie, die d o m i n a im Sinne von 'saneta' enthalten. - Über prov. homes, s. oben S. 82.

S47aj Vgl. ital. { padri son buoni, vengono molti uomini, tanti frati.

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Die verschiedenen Umbildungen sind teils unter der Analogie zu m i n u s : minores, teils unter dem Einfluß von plus erfolgt. devindrent: das lateinische Verbum de v e n i r e bedeutete 'an einen Ort gelangen' (z. B. in victoris manus). Von hier führt ein leichter Weg zur Bedeutung 'werden', die bereits in den ältesten lateinischen Bibeltexten bezeugt ist. - In der 3. Person des Plurals hat sich im vulgärlateinischen Perfektum der Akzent nach der 3. Person des Singulars ausgerichtet: v e n ë r u n t wurde zu v é n e r u n t , v i d ë r u n t zu v i d e r u n t , m i s ë r u n t zu miserunt. 2 4 8 ) Durch die nachfolgende Synkopierung kam es zu einer unromanischen Konsonantenverbindung nr. Diese wurde durch den Übergangslaut d sprechbarer gemacht, vgl. gendre < generu, pondre < ponere, vendredi < V e n e r i s dies, Port Vendres < p o r t u s Veneris, Vendres: Ort im Languedoc mit Besten eines Venustempels. Das betonte i ist aus der ersten Person des Singulars verallgemeinert: hier konnte aus v ë n i unter der Wirkung des auslautenden langen t das betonte c durch Umlaut zu i werden. Ebenso erklären sich pris aus prësi, sis aus sësî, tin aus *têni. - Die nasalierten Vokale behalten in altfranzösischer Zeit ihren ursprünglichen Vokalcharakter. Wörter wie vin, fin, vindrent, cinq wurden also mit einem nasalierten i (*) gesprochen. Die Entwicklung zur modernen Aussprache i ist erst seit dem 16. Jahrhundert eingetreten. Sie beruht auf einer Senkung der Zungenhebung und entspricht dem Wandel von altem ü> ö (lüdi > lödi). es: zusammengezogen (als Schnellsprechform) aus in illos. - Noch heute in einigen veralteten Bezeichnungen bachelier ès lettres, licencié ès sciences, wo die unberechtigte Aussprache des s zeigt, daß es sich um unlebendige historisch gefestigte Ausdrücke handelt. boscages: Ableitung von dem gleichen germanischen Grundwort * b u s k 'Busch', aus dem franz. bois hervorgegangen ist. Die Grundlage des Suffixes ist latein. - a t i c u s , mit dem man Adjektiva der Zugehörigkeit bildete (silva: silvaticus). Ursprüngliche Bedeutung des neuen Wortes war 'bewaldeter Ort', 'Waldung'. In der neueren Sprache hat das Wort (bocage) die Bedeutung 'kleiner Wald'249) angenommen, was sich dem >**) Es ist möglich, daß auch altlat. d i x ë r u n t , f é c ë r u n t fortgewirkt hat (Kuen). - Zum Provenzalischen, vgl. Anm. 116. 248 ) Zum Provenzalischen, vgl. Anm. 116. 24t ) Das Wort zeigt mit der Erhaltung des k vor a ein dialektales Merkmal: es entstammt den nördlichen Mundarten (Normandie, Picardie), wo k in dieser Stellung geblieben ist (vgl. die Ortsnamen Calais, Gambrai, Le Gateau). Aus den nördlichen Mundarten stammen auch franz. câble, caillou, câlin, canevas, cauchemar, während andere Wörter dem Provenzalischen (cabane, cap, caler, cadeau, cadenas, caisse) oder dem Gaskognischen (cadet, cagot) entlehnt sind. Zur verwickelten Geschichte der Provinzialismen, siehe K. Baldinger, Contribution à une histoire des provincialismes dans la langue française in RLiR, Bd. 21, S. 62-85.

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Verhältnis von ville zu village vergleichen läßt. 250 ) - Über die Lautentwicklung des Suffixes, s. salvage (Vers 9). maisun: lateinisch mansio bedeutete ursprünglich das Bleiben, den Aufenthalt, aber auch schon den Aufenthaltsort und die Wohnung. Die vulgärlateinische Grundlage des französischen Wortes ist masione. Das ai ist bedingt durch den Übertritt des Hiatus-i in die Tonsilbe, vgl. die ähnliche Entwicklung in b a s i a t > baise, fasianu > faisan, variu vair, area > aire, feria > feire (> foire), coriu > cuir, ministeriu > * m e s t e r i u > mestier, nausea > noise. Unirent < * t e n e r u n t , analogisch gebildet unter dem Einfluß des Verbums venire; über das i, s. oben devindrent (Vers 7). 9 Garait, ceo est beste salvage 10 tant com il est en cele rage, Werwolf, das ist ein wildes Tier; solange er in dieser Wut sich befindet, ceo aus ecce-hoc. - Das auslautende lat. c ist verstummt, wie in sic > si, illac > là, nec > ne, ecce hic > ci. Die Zusammensetzung enthält das gleiche o, das auch in der Bejahungspartikel oïl (oui) enthalten ist. 251 ) Später wurde ceo zu ce abgeschwächt, während die italienische Entsprechung (ciò) den alten betonten Vokal bis heute bewahrt. est (lat. e s t ) : das Verstummen des vorkonsonantischen s ist ein Prozeß, der sich über mehrere Jahrhunderte hingezogen hat. Das s geht zuerst vor stimmhaften Lauten verloren (isle > ile), vermutlich schon im 11. Jahrhundert; vor stimmlosen Konsonanten vollendet sich diese Entwicklung im Laufe des 13. Jahrhunderts.252) beste: kann nicht lat. b e s t i a sein, sondern setzt ein vulgäres best a voraus, das auf Grund des latein. Diminutivums b e s t u l a angenommen werden darf.253) - Neufranzösisch würde man sagen : c' est une bête sauvage. î 5 0 ) Die alte adjektivische Funktion hat sich erhalten in sauvage und volage. - I m übrigen bezeichnet das Suffix Kollektiva (feuillage, plumage), Verbalabstrakta (gaspillage, triage) und andere Abstrakta (courage, langage). 2 6 1 ) Aus der Glosse id = h o c (Glossar von Reichenau 574) erhellt, daß hoc in der Vulgäreprache an die Stelle von id getreten ist (s. oben S. 30). 2 5 2 ) Ganz ähnlich wie im modernen Spanischen, wo « vor l, m und n in der allgemeinen Vulgärsprache nicht mehr gesprochen wird (mismo > mi&mo > mihmo > mimo) im Gegensatz zu anderen Stellungen, wo s noch ganz fest ist: estamos, espalda, mesetar. Auch im modernen Provenzalischen besteht der gleiche Gegensatz, vgl. ilo (altprov. isla) neben festo (altprov. festa). 2 6 3 ) E s ist bezeugt als Name einer großen Schlangenart durch die Glosse b o a = b e a t a (CGIL, V, 443). - Auch das Portugiesische hat besta. - B e s t i a lebt fort in der durch ¿-Umlaut hervorgerufenen Variante b i s t i a (bezeugt bei Gregor von Tours), das im Französischen zu biche 'Hirschkuh', in Italien

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Die Verallgemeinerung von unus in der Funktion eines mechanisierten unbestimmten Artikels folgt in weitem zeitlichen Abstand der Ausbreitung von i l l e als bestimmter Artikel (s. S. 59). I m ältesten Französisch ist unus in der Funktion eines Artikels noch ziemlich selten153*). Dennoch zeigt bereits das plebejische Latein deutliche Vorstufen zu seiner Ausbildung, z. B. bei Plautus una a d e r i t m u l i e r l e p i d a (Pseudulus 4, 1, 38), est hic unus s e r v u s v i o l e n t i s s i m u s (Truculentus 2, 1, 39). salvage: hat jenes s a l v a t i c u s zur Grundlage, das wir bereits in den Glossen von Reichenau angetroffen haben (s. S. 38). Die Lautentwicklung geht über die Stufen * s a l v a d e g u > * s a l v a d g u > salvadje (vgl. prov. salvatge).254) I n der Stellung des attributiven Adjektivums kreuzen sich im Französischen verschiedene Tendenzen, die durch die lateinische Tradition ( d i e s clarus, d a r u m c a e l u m ) , stärkere oder schwächere Betonung, rhythmische Umstände, Länge des Adjektivums oder Substantivums bedingt sind (s. Gamillscheg, S. 25ff.). 254a ) I m Mittelalter war die Voranstellung des Adjektivums viel verbreiteter als heute (vgl. im Rolandslied v. 1917 la neire gent, v. 2943 sa blanche barbe). Man hat berechnet, daß die germanische Stellung seit dem 11. Jahrhundert bis zum 19. Jahrh. sich in einem von 80 % zu 29 % fallenden Verhältnis immer mehr zu Gunsten der Nachstellung des Adjektivums verschoben hat (Damourette et Pichon, Essai de grammaire, Bd. I I , § 528). Für germanische Einflüsse in dem Vorherrschen des Typs 'une ronde table' spricht der Umstand, daß diese Stellung noch heute im wallonischen Belgien, in Teilen von Lothringen und der französischen Schweiz absolut vorherrschend ist: du nouveau vin, du blanc fil, mon sale linge, un propre zu biacia 'Ringelnatter' (vgl. auch altspan. vistiä) geführt hat. - Der i-Umlaut in bestia > bistia hat seine analoge Entsprechung in östium> ustium (franz. huia, ital. uacio). " » » ) Siehe Foulet, § 70ff.; Brunot-Bruneau, § 504ff. - In unserem Text erscheint un als unbestimmter Artikel z. B. Vers 15 uns ber, Vers 33 une chose, Vers 91 une viez chapeie usw. !S1 ) Ahnlich ist medicu über • m e d e ( g ) u > *medje> alt franz. miege (vgl. Mi&ge als Familiennamen in Frankreich), judico über * j ude(g) o > judje > juge, manicu > mange (so noch heute in französischen Mundarten) gelangt. Siehe dazu Rheinfelder, § 719; Pope, § 352; Straka RLaR 1953, 261. Ist die Synkopierung zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt, so konnte das Ergebnis bei entsprechender lautlicher Nachbarschaft stimmlose Form behalten, z. B. manica > *manca > la manche, natica > nache, pertica > perche, masticat > masche. Über dimanche, das ursprünglich weiblich gewesen sein dürfte (dies dominica), s. Meyer-Lübke, Histor. Gramm, der franz. Sprache, Bd. I, § 123 und Rheinfelder, S. 270. ss«») Di e Relativität der Stellung des Adjektivums und die komplexen Umstände, die seine Verbindung mit dem Substantivum bestimmen, werden durch die neue Untersuchung von Carl Wydler, Zur Stellung des attributiven Adjektivums vom Lateinischen bis zum Neufranzösischen (Bern 1956) beleuchtet. 107

col. Diese Stellung zeigt sich hier auch in den geographischen Namen, z. B. Rougemord (Beifort), AUemand-Rombach

( H a u t - R h i n ) , AnglesqueviUe

(Nor-

mandie), La Rouge-Eau (Fluß in den Vogesen), Noiraigue d. h. 'Schwarzwasser' (Kant. Fribourg); s. Verf., in Syntactica et Stilistica, Festschrift für Gamillscheg (Tübingen 1957), S. 508. Tant cum 'soviel wie' hat sich von der quantitativen Geltung zu temporaler Funktion entwickelt. Die Vergleichspartikel beruht auf einer spätlateinischen Kurzform quomo, die wohl como gesprochen wurde.266) il: Grundlage ist nicht lateinisch xlle, das *el ergeben müßte, sondern ein vulgäres illi, das sein auslautendes i vom Relativpronomen q u i analogisch bezogen hat. Dieses f hatte umlautende Wirkung, ganz entsprechend dem Wandel von v e n i > vin, * t e n i > tin (s. o. zu Vers 7). cele: das auf eine gewisse Ferne hinweisende demonstrative Pronomen ille wurde, nachdem es zum bestimmten Artikel herabgesunken war, in seiner eigentlichen alten Funktion durch ecce verstärkt: ecceillu > cel (im Nom. eil), ecce-Illa > cele.256) Dieses Pronomen wurde im Mittelalter sowohl in adjektivischer wie in substantivischer Verwendung gebraucht: cele femme, cele parla. Die Beschränkung auf die letztere Funktion datiert erst seit dem 16. Jahrhundert. 267 ) Die Lautentwicklung des anlautenden Konsonanten entspricht dem, was aus anlautendem k vor hellen Vokalen im Französischen geworden ist. Das c vor c und i war im Lateinischen ein mediopalatales k (vgl. S. 90). Man sprach k e l u , k e r v u s , k e r a , kivitas. 2 6 8 ) Im 3.-4. Jahrhundert etwa war dieser Laut in einigen Teilen des lateinischen Sprachgebietes zu einer s " ) Siehe F E W , Bd. II, S. 1544. - Zur Aussprache des qu vor o, s. oben zu Vers 1. - Die Form c o m o d o ist bereits auf einer afrikanischen Verwünschungstafel aus dem I. Jahrhundert n. Chr. bezeugt (Audollent no 221). s5 ' ) Schon in der Sprache von Plautus ist e c c i l l a m und e c c i l l u m des. öfteren in substantivischer Funktion bezeugt. - In Italien wurde später e c c u statt e c c e zur Verstärkung verwendet, vgl. queClo < e c c u - J l l u ; in Spanien und im Provenzalischen kam es zu einer Bildung mittelst * a c c u ( a t q u e - e c c u ) , s. Anm. 141. " ' ) Die Geschichte der lateinischen Demonstrativpronomina und ihre Ablösung im Romanischen ist anschaulich durchgestellt von Wartburg, im F E W , Bd. IV, S. 553ff.; g. auch Lausberg § 738ff. 268 ) Als Beweise dafür haben wir die lateinischen Lehnwörter im Deutschen: Keller ( c e l l a r i u m ) , Kiste ( c i s t a ) , Keim ( c y m a ) , Kerbel ( c a e r e f o l i u m ) , Kirsche ( c e r a s u s ) . Auch lateinische Lehnwörter, die in das Griechische, Baskische, Keltische und Albanesische gedrungen sind, beweisen die gleiche Aussprache, z. B. griech. Kaioap = C a e s a r , bask. kima 'Zweig' ( c y m a ) , alb. k'epe 'Zwiebel' ( c e p a ) , breton. kirizen 'cerise'. Der alte lateinische Laut hat sich in den romanischen Sprachen nur in Innersardinien erhalten, z. B.kelu ( c a e l u m ) , kentu, kerbu ( c e r v u s ) , kira ( c e r a ) ; vgl. auch in der ausgestorbenen Sprache Dalmatiens (Veglia) kaina < c e n a , kaira < cera.

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mediopalatalen Affrikata vorgerückt: k j e n a , k j e r a , k j i v i t a s . Daraus ist zunächst präpalatales 6 entstanden (ital. cerva, cervo, città), schließlich in Frankreich postdentales ts: cerf, cire, ciel.2it) 11 Humes devore, grant mal fait, 12 es graiLz forez converse e vait. Menschen verschlingt er, großes Unheil richtet er an; in den weiten Wäldern haust er und treibt sich um. humes : die Stellung des Objektes ist im Altfranzösischen noch sehr frei. Anfangsstellung des Objektes im Satz ist sehr verbreitet, besonders dann, wenn der Akkusativ als solcher durch seine besondere Form klar erkenntlich war, was hier der Fall ist (vgl. den Nomin. hume in Vers 7).240) Reste dieser freieren Stellung des Objektes finden sich im Neufranz, nur noch in versteinerten Redensarten, z. B. sans coup férir, sans mot dire, il gèle à pierre fendre, im Sprichwort Qui terre a guerre a, Qui dort bien puces ne sent, Oh. femme y a, silence n'y a. devure < d e v ö r a t . - Das geschlossene romanische o (lat. ö, ü) ist im Altfranzösischen zunächst zu 6u diphthongiert worden: flóur, óure, gáide, nevóu. In diesem Resultat sind zwei sehr lautähnliche Vokale zusammengetreten. Diese strebten entweder durch Dissimilation auseinander. So ist es zu der diphthongischen Variation eu gekommen: fleur, eure, neveu (mit späterem Wandel zu ö, seit dem 13. Jahrhundert). Im Normannischen und in anderen Teilen Westfrankreichs dagegen sind beide Elemente des Diphthongen zu einem u ( = franz. ou) zusammengeflossen. Daher in der Sprache unserer Dichterin pur, ure, nevu, devure, Srwfe.2«1)

Girant mal fait : Chant zeigt normale Entwicklung des in den Auslaut getretenen Dentals (vgl. deutsch Kind > leint, Hund > hunt). - Mal 258

) Das für Italien charakteristische Ergebnis galt im Mittelalter auch für das Pikardische (chiel, cherf, chire). - Im Französischen hat das ältere ts seit dem 13. Jahrhundert seinen dentalen Verschluß eingebüßt: teer/ > «er/, taité > sité, wie auch pik. chire (tSire) seinen Verschluß verloren hat: mod. pik. Sir. — Eine genauere Darstellung der Entwicklung findet man bei Rheinfelder, § 390ff. ; zur allgemeinen romanischen Entwicklung, siehe Lausberg, § 31 Off. 2 *°) Über die Wortstellung im Altfranzösischen und die Weiterentwicklung in der neueren Sprache, s. Gamillscheg, S. 550ff. 2>l ) Vgl. in der heutigen Normandie goule, nevou, in der Landschaft Maine houre. - Was franz. amour betrifft, so beruht es auf prov. amor (> neuprov. amour), das zusammen mit prov. espoa (> neufranz. époux) und jatos (> neufranz. jaloux) unter dem Einfluß der Troubadourdichtung in der modischen provenzalischen Avissprache auch von der nordfranzösischen Gesellschaft übernommen wurde, während die normale nordfranzösische Weiterentwicklung zu ameur als bäuerlicher Ausdruck in den Mundarten dem 'rut des animaux' vorbehalten blieb (s. FEW, Bd. I, 90).

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sollte, da a in betonter freier Silbe steht, als mel erscheinen. In seiner ältesten Periode kennt das Altfranzösische aus lat. m a l u s eine doppelte Entwicklung: mel (wenn stärker betont), mal (wenn schwächer betont).282) Da die Schwachtonform als ziemlich entwertetes Allerweltsadjektivum (la male femme) häufiger im Gebrauch war, hat sie sich schließlich allein durchgesetzt.283) - Fait: im Hinblick auf piaist < plaket, luist < l u k e t , taist < t a k e t (vgl. veisin in Vers 20) sollte man aus f a k i t ein *faist erwarten. Es dürfte eine analogische Neubildung (nach dem Infinitiv ?) sein.29Sa) Nicht zufällig ist wohl das Zusammengehen mit estait 'er steht* und vait 'er geht'. Eine von Rheinfelder (§ 743) angenommene frühe Synkopierung f a k i t > * f a k t (> fait) ist wenig wahrscheinlich, da dadurch die ebenso auffällige provenzalische Form fai 'il fait', die wieder genau zu estai 'er steht* und vai 'er geht* paßt, nicht erklärt wird. Es gram forez: Das auslautende z hat den phonetischen Wert einer wirklichen Affrikata ( = te). Es ist entstanden aus der Verbindung eines wortschließenden Dentals und des pluralischen s. Es mußte im Auslaut stimmlose Form annehmen, vgl. Vers 19 privez, 20 amez, 30 liez (laetu s), 309 enfanz.2mb) Der Singular zu forez ist forest. Durch das Antreten des pluralischen s kam es zu einer Konsonantenhäufung sts : diese wird durch dissimilatorischen Ausfall des ersten s gemildert, so daß nun ts ( = z) gesprochen wurde. Ähnlich resultiert aus ecce-istos ein altfranz. cez, aus h o s t i s 'Feind' ein altfranz. oz 'Heer*. Das altfranz. forest 'Wald', das als Lehnwort ins Deutsche übernommen wurde (Forst, mittelhochd. forest), beruht auf einer adjektivischen Ableitung von foris. Grundlage ist ein silva forestis, womit ein Wald bezeichnet wurde, der nicht 2 2 ® ) Vgl. im Alexiuslied Vers 475 pur félonie ne m' laissas ne por mel 'weder axis Gemeinheit noch aus böser Absicht hast du mich verlassen', im Rolandalied Vers 2006 jo n'ai nient de mel 'ich habe kein Leid erfahren'. a6a ) Die gleiche Entwicklung zeigt das gegenteilige Adjektivum b o n u s , das im Altfranzösischen ebenfalls mit einem doppelten Ergebnis buen (starktonig) und bon (schwachtonig) erscheint, während später nur bon beibehalten wurde (siehe Vers 17). - Eine solche Doppelentwicklung unter dem Einfluß des Satztones, von der sich im Altfranzösischen nur noch vereinzelte Spuren nachweisen lassen, ist noch heute in italienischen Mundarten sehr verbreitet und geradezu eine phonetische Regel; s. Verf. 'Der Einfluß des Satzakzentes auf den Lautwandel', in dem Sammelband 'An den Quellen der romanischen Sprachen' (Halle 1952), S. 224ff. und in Festschrift für Dietrich Behrens (1929), S. 37ff. 2eSa ) Die gleiche Unregelmäßigkeit zeigen altfranz. dit, duit und cuit (neben cuist). Zu den Schwierigkeiten der Flexion von faire, siehe G. Rydberg, Le développement de fasere dans les langues romanes (Upsala 1894) und Fouché, Le verbe français (Paris 1931), S. 163ff. - Siehe auch Anm. 505. 2«abj i n anderen Fällen erscheint altes auslautendes s im Altfranzösischen als ts (-z) durch das Auftreten eines Gleitlautes t nach nn, palatalem l und n, z. B. anz < a n n o s , mielz < m e l i u s , poinz < p u g n o s .

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leicht zugänglich war, teils durch seine natürliche Beschaffenheit, teils durch Banngesetze, die einen solchen Wald dem König oder einem Feudalherrn vorbehielten.264) Converse e vait: lat. c o n v e r s a i (klassisch als Deponens conversatur) 'er verkehrt*. Der auslautende Dental ist im Französischen gefallen, wenn der vorhergehende Vokal der Endsilbe erhalten blieb. Daher einerseits converse, devure, parle, porte, aime, andererseits il maini (manet), prent, vuelt, deit, aint (amet). Die Form vait ist nicht lautgerecht, sondern steht in einer analogischen Reihe mit fait (s. oben) und estait.2*6) Die neufranzösische Form il va ist ihrerseits analogisch unter dem Einfluß des Formensystems von avoir gebildet worden.248) 13 Cest afaire les ore ester; 14 del Bisclavret vus vueil cunter. Diese Angelegenheit lasse ich nun sein; vom Bisclavret will ich euch erzählen. Cest: lat. ecce-istu, gebildet wie e c c e - i l l u (Vers 10), dient zur Bildung des Demonstrativpronomens, das auf eine gewisse Nähe hinweist.267) afaire: entspricht dem prov. afar (s. S. 80). Es ist 'das, womit man zu tun hat'. Wie im Provenzalischen ist das Wort im Altfranzösischen männlichen Geschlechtes (vgl. auch ital. un bell'affare). Erst seit dem 15. Jahrhundert kommt es unter analogischen Einflüssen bzw. unter dem Einfluß des auslautenden e (vgl. la paire, la manière) zu einem 284 ) I n der Beziehung auf einen Wald ist f o r e s t i s seit dem 7. J a h r h u n d e r t in Frankreich bezeugt ( F E W , Bd. 3, 709). Eine ursprünglichere Bedeutung erkennt m a n noch in ital. luogo foresto 'abgelegener Ort', in d e m Bergnamen Monte Foresto im toskanischen Appennin, venez. foresto 'der Fremde', senes. foresto 'Landmann'. Besonders aufschlußreich ist kors. furestu, das von F r ü c h t e n gebraucht wird, deren Sammeln durch einen 'pubblico bando' untersagt ist (Falcucci-Guarnerio, Vocab. 183). Die Bildung f o r e s t i s ist in Anlehnung an a g r e s t i s erfolgt. — Nach anderer Meinung wäre forest 'Wald' a u s einem altfränkischen * f o r h i s t 'Föhrenwald' (Gamillscheg, Romania Germanica, Bd. I, 212) entstanden, eine Deutung, der Corominas (Diccion. etim. I I , 543) und das etymol. Wörterbuch von Kluge sich angeschlossen h a t . SS6 ) Noch deutlicher manifestiert sich die Abhängigkeit des Verbums 'gehen' von f a c e r e in den italienischen Dialektformen, z. B. kalabr. vari 'er geht' (nach faci 'er macht'), altröm. vaco 'sie gehen' (nach faco 'sie machen'), venez. vago 'ich gehe' (nach fogo 'ich mache'); s.Verf., Histor. Gramm, der ital. Sprache, § 544. a « ) Vgl. den Ausgleich in den drei italienischen Verben andare, avere u n d fare: vo, vai, va, ho, hai, ha, fo, fai, fa. Die lateinische Grundlage von cest findet sich bereits bei P l a u t u s : c e r t e e c c i s t a m v i d e o (Curculio 615). — Vgl. die ähnlichen Bildungen: ital. questo < e c c u - i s t u , prov. aquest < a t q u e - i s t u .

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Schwanken im Geschlecht des Wortes, bis seit dem 17. Jahrhundert das weibliche Geschlecht zur Regel wird.268) les aus älterem lais < lat. laxo zeigt in seiner Orthographie klar den vollzogenen Wandel in der Aussprache des älteren ai wenigstens für die Zeit, der die Handschrift angehört, d. h. für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts. Daß aber bereits die Dichterin selbst in gewissen Fällen nicht mehr ai, sondern e sprach, zeigen gewisse Heime, z. B. in unserem Bisciavret, Vers 195-196: près : palais; in anderen Erzählungen mes (= mais) : après (Guigemar 291), forest : plest = piaist (ib. 79), in den Fabeln nestre : fenestre.2**) - Zur modernen Endung je laisse = altfranz. lais, s. Vers 80. ore beruht auf älterem *aora (< ha hora) mit Wandel von ao (= au) > o.270) - Das Substantivum hora allein ergab in der Sprache unserer Dichterin ure. ester < lat. stare. - Die ursprüngliche Bedeutung ist 'stehen'. Doch ist das Verbum in seiner Verwendung dem Verbum 'sein' sehr nahe gerückt, so daß es schließlich dazu gelangt ist, im Französischen gewisse Formen des Verbums 'être' zu ersetzen. Dazu gehört das Imperfektum (altfranz. estoie < *stebam) und die beiden Partizipien estant und esté.271) Der Infinitiv 'être' (altfranz. estre) beruht auf essere > *esre > estre, mit dem gleichen Übergangslaut zwischen s und r, der in antecessor > ancestre, nascere > *naisre > naistre erscheint2714.) - Erinnert sei hier noch einmal daran, daß a in betonter Silbe und freier Stellung in Nordfrankreich zu e geworden ist, dessen Qualität nicht genau bekannt ist: faba > feve, nasu > nés, mare > mer, fata > fée, l a v a t u > lavé, pater > pere.272) Der vollzogene Übergang von a > e läßt sich S,B

) Die Unsicherheit im Geschlecht der Wörter ist u. a. dadurch verursacht, daß vor vokalischem Anlaut der apostrophierte Artikel (l'art) kein klares Geschlechtsverhältnis ausdrückte; vgl. noch das schwankende Geschlecht in neuerer Zeit in aigle, amour, orge, orgue, automne, incendie. *••) Siehe Warnke in der Ausgabe der Fabeln (1898), S. L X X X I I I . î70 ) Über prov. ara 'jetzt', s. S. 81. í71 ) Vgl. dazu den weitgehenden Ersatz von ser (< e s s e r e ) durch estar ( s t a r e ) im Spanischen, z. B. estamos contentos 'nous sommes contents', está probado 'c'est prouvé', estar sentado 'être assis'. í7ia) War das s stimmhafter Natur (in intervokalischer Stellving), so nimmt der Übergangslaut die Form des stimmhaften d an, z. B. m i s e r u n t > altfranz. misdrent, s i c e r a > * c i s e r a > cisdre (> cidre), c ó ( n ) s ( u ) e r e > altfranz. cosdre (> coudre). ,72 ) Man hat früher den Wandel aus gallischem Substrat zu erklären versucht (Ascoli, Arch. glott. ital. 8, 105), wozu die große Verbreitung dieser Erscheinung in Oberitalien (emil. nés, lèna, sèl, spusé 'épouser') gut passen würde, doch ist a > e auch in Süditalien sehr verbreitet und eignete einst auch dem ausgestorbenen Dalmatinischen, z. B. in Ragusa : panem vocant pen, patrem dicuntteta ( = tata), domus dicitur chesa (s. Cultura Neol., Bd. I, S. 213). - Zum Lautwert im Altfranzösischen, s. Meyer-Lübke, Franz. Gramm., Bd. I, § 62.

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seit dem 1. Viertel des 9. Jahrhunderts nachweisen (Fouchö, Bd. I I , S. 261). Daß a über die Zwischenstufe ae zu e gelangt ist (Fouchö, ib. 226), ist nicht wahrscheinlich. del < de illu. - Aus del wäre in späterer Zeit in der Stellung vor Konsonant (del pere) deu zu erwarten, das im Neufranzösischen in der Aussprache dö erscheinen müßte. Statt dessen haben wir du, das wohl aus der Schwachtonigkeit des Artikels in proklitischer Stellung zu erklären ist. 273 ) vus: zugrunde liegt TOB, das auch die Funktion des klassischen vobis übernommen hat (vgl. ital. con voi 'mit euch'). Das u erklärt sich aus der proklitischen Schwachtonigkeit: daher auch neufranz. vom, und nicht *veus. cunter < c o m p u t a r e , das im Lateinischen 'zusammenrechnen' bedeutete. Die Bedeutungsentwicklung entspricht sehr genau dem deutschen 'erzählen', was nichts anderes ist als 'auszählen', 'aufzählen'. 15 En Bretaigne maneit uns ber, 16 merveille l'ai ol loSr. I n Britannien wohnte ein Mann, über die Maßen habe ich ihn rühmen hören. En Bretaigne: lat. in B r i t t a n n i a . - Das Hiatus-i hat sich mit dem vorhergehenden Nasal zu einem palatalen ('mouillierten') Laut verbunden, dessen häufigster orthographischer Ausdruck im Französischen die Buchstabenkombination -ign- geworden ist, vgl. chastaigne < c a s t a n e a , baigner < *baneare < b a l n e a r e , oignon < unione, seigneur < seniore. In anderen Fällen ist das i, das nur orthographische Bedeutung hatte, unausgedrückt geblieben, z. B. vigne < vinea, Champagne < c a m p a n i a , Oascogne < W a s c o n i a . Im Auslaut ist die Orthographie meist zu der Schreibung -in vereinfacht worden: bain, Umoin < t e s t i moniu, juin < juniu, engin < ingeniu. 2 7 4 ) maneit < m a n e b a t . Der Begriff des 'Wohnens' kommt auch in dem versteinerten Infinitiv manoir 'Gutshaus', 'Herrensitz' zum Ausdruck; vgl. dazu das oben behandelte maison (Vers 8). 276 ) - Das Imper2 ' 3 ) Ein vergleichbares Beispiel ist das aus filicaria hervorgegangene altfranz. feugiire, dessen unbetontes tu in westfranzösischen Mundarten zu

ü geworden ist: fugiäre (FEW, Bd. III, S. 514).

2 7 4 ) Unter dem Einfluß teils des palatalen Elementes, teils der orthographischen Schreibung ist ai gelegentlich zur Aussprache e gelangt, z. B.

ch&taigne, ü baigne, Montaigne, im Ortsnamen Marmaigne im Poitou (Mar-

c o m a n n i a ) . - Siehe zu der Erscheinung, die sich auch auf die Aussprache -oign- ausgewirkt hat, Rheinfelder, § 284-288. 275 ) Zum einstigen Verbum manoir gehört auch als altes Partizip neufranz. manant 'grober Mensch', ursprünglich 'Dorfbewohner'. 8 Rohlis, Einführung

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fektum schildert einen Zustand, der der Vergangenheit angehört, im Gegensatz zu den Tempusformen (Passé défini, Passé indéfini, Praesens hist.), die das Fortschreiten der Handlung erzählen. - Vgl. jedoch die Einschränkung zu den Verben 'avoir' und 'être' (S. 119 und 176). uns ber ist Nominativ zu un barun. - Das zugrunde liegende Wort baro, das aus dem Germanischen stammt, bezeichnete im Mittelalter den 'freien Mann'. Die Flexionsart scheint der lateinischen Deklination latro : l a t r o n e zu entsprechen. Sie beruht aber in Wirklichkeit auf einer altfränkischen Deklinationsklasse mit dem Nominativausgang -o (z.B. hano 'Hahn'), dem im Akkusativ ein Ausgang -un (hánun) entsprach. Solche germanischen Wörter, zu denen auch gara : garçon gehört (dazu die altfranzösische Flexion der Personennamen Charles: Charlon, Naimes : Naimon, Ctuenes : Gandon), wurden im Akzent der genannten lateinischen Deklination angepaßt: daher die französische Betonung barón?1*) Die beiden Entwicklungsformen sind ein Beispiel für die altfranzösische Zweikasusflexion mit ungleichsilbigem Resultat ; vgl. dazu altfranz. lere : larron, suer : seror, emjterére : empereór, tronere : troveor.276a) - Die mittelalterliche Aussprache des nasalierten ü war ü, also ün, lÜne, lündi. Über die spätere Weiterentwicklung (seit dem 16. Jahrhundert) zu 8, s. Vers 7 zu devindrent. - Die Stellung des Subjektes nach dem Verbum auf Grund der bereits zu Vers 5 besprochenen Hegel. merveille < mirabilia. - Das Wort hat im Altfranzösischen oft adverbiale Funktion, wobei an Verkürzung aus à merveille (oft bei Chrétien) zu denken ist. ai aus einem vulgären *aio (s. Vers 3), Schnellsprechform für abeo. 2 ") oï: auditu, mit Verlust der beiden Dentale in intervokalischer Stellung ; vgl. otr in Vers 5. S76) Siehe dazu Gamillscheg, Romania Germanica, Bd. I, S. 277. - In Spanien ist das Wort in der Form varón (altspan. barón) zur Bedeutung 'Mensch männlichen Geschlechtes* gelangt. i7«a) Der frankoromanischan Flexion der Personennamen (Charlea: Chartern) entsprach eine ebenfalls auf persönliche Begriffe beschränkte weibliche Zweikasusdeklination mit den ehemaligen Flexionsmerkmalen -a, -ane > altfranz. -e, -ain, z. B. Berthe: Berthain, Eve: Evain. Restformen dieser ehemaligen Flexion sind die neufranzösischen Doppelformen norme und nonnain, sowie putain (zu altfranz. pute 'femme de mauvaise vie'). - Viele Reminiscenzen an diese frankoromanische Flexion des Mittelalters haben sich in den Ortsnamen erhalten, z. B. Aboncourt 'Hof des Abbo', Betoncourt 'Hof des Betto', Ottonvüle 'Gut des Otto', DouclelainviUe 'Gut der Dodila'. Dazu auch das -ain vieler Flußnamen, z. B. Agenain, Durtain, Lunain, Omain, Othain, Thérain; in Südfrankreich als -an erscheinend, z. B. Ainan, Bourbon, Oudan, Perrum, Seran. - Siehe dazu A. Thomas, Les noms de rivière en -ain (in: Essais de philologie française, 1897, S. 30ff.). 2")

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Vgl. altital. aio, altoberital. ai, sizil. aju 'ich habe'.

loër c l a u d a r e . - Das Verbum ist durch seine lautliche Entwicklung mit dem Ergebnis von locare 'vermieten* zusammengefallen (neufranz. louer). 17 Beals chevaliers e bong esteit 18 e noblement se cunteneit.

Ein schöner und guter Ritter war er, und in vornehmer Weise führte er sein Leben. Beals < bellus. - Für das l in der Stellung vor einem Konsonanten darf velare Aussprache angenommen werden. Etwa seit der Mitte des 12. Jahrhunderts wird dies l zu u vokalisiert: alba > aube, alteru > autre, follis > fous. In den älteren Handschriften, die uns die Werke unserer Dichterin überliefern, wird in der Regel noch l geschrieben, was aber traditionelle Schreibung sein kann. - Der gleiche Wandel zu u hat in einigen nordfranzösischen Mundarten auch das palatale i erfaßt, wenn es vor einem Konsonanten zu stehen kam. Dieses verlor zunächst seinen palatalen Charakter: fiiz > filz. In der Weiterentwicklung wurde dieses l entweder dem folgenden Konsonanten assimiliert (filz > fiz = fits, vgl. die englischen Familiennamen Fitzgerald, FitzwiUiams), zum Teil wurde es ebenfalls zu u vokalisiert (pik. fius). Das zu erwartende bels hat zwischen dem hellen e und dem velaren l einen Übergangslaut a aufgenommen; ähnlich pellis > pels > peals > peaus, germ. heim > heaume.278) chevaliers, Ableitung von cheval. Das lateinische Wort equus ist im Vulgärlatein früh durch caballus ersetzt worden, ein Fremdwort, das in der Soldatensprache aus einer osteuropäischen oder kleinasiatischen Sprache entlehnt sein dürfte.279) Das lateinische k ist vor a bis zur präpalatalen Stellung mit dem Ergebnis ch (tS) verschoben worden, vgl. cheval, cheoir (cadëre), chemin, chemise (camisia). 280 ) Das vortonige a ist in die Vorwärtsverlegung der Artikulation mit hineingezogen worden, indem es sich zu c wandelte. Doch ist dieser vokalische Wandel nur 278) V gi. ¿ e n Übergangslaut e zwischen i und u im modernen ProvenzaJi-

schen, z. B. avril > avrieu, tardiu > tardieu 'tardif' (vgl. den Familiennamen Tardieu). "•) Siehe FEW, Bd. II, S. 11; Walde-Hofinann, Latein, etym. Wörterb., 3. Auflage, S. 125. 280 ) Zum Alter dieses Wandels, s. Vers 33. - Der dentale Verschluß wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts ebenso aufgegeben wie er im älteren ta (cire) verloren gegangen ist (s. Anm. 259). Daher heute mit i: cheval, chemise, während die ältere Aussprache in den französischen Lehnwörtern des Englischen (chatnber, change, chapd, Channel) sich erhalten hat. In Frankreich ist das ältere ti noch im heutigen Wallonischen und in den lothringischen Mundarten anzutreffen, vgl. wallon. tSâté 'chanter', tSapé 'chapeau', tiodir 'chaudière', lothring. tiadil 'charger', tiodûrô 'chauderon'. 115

dann erfolgt, wenn das a in freier Stellung stand. In anderen Fällen ist das a erhalten geblieben: chastd, chapel, charbon, charrette 'Karren'.2804) Das verwendete Suffix ist lat. -arius, das in lateinischer Zeit gern zur Bildung von Berufsbezeichnungen verwendet wurde: f e r r a r i u s 'Schmied', f u r n a r i u s 'Bäcker*. Im Französischen erscheint das Suffix in zwei Ergebnissen: in dem latinisierenden bzw. halbgelehrten -aire (adversaire, solitaire, bestiaire) und in dem volkstümlichen -ier.281) Die Herleitung dieses -ier aus - a r i u s macht ziemliche Schwierigkeiten. Berechtigt ist diese Entwicklung in Nordfrankreich nur in solchen Wörtern, die vor dem betonten a einen palatalen Laut hatten. In diesem Fall mußte so, wie c a n i s > chien, capra > altfranz. chievre geworden ist, aus dem a unseres Suffixes ganz regelrecht der Diphthong ie hervorgehen.282) Somit wäre die Entwicklung von - a r i u s > -ier ganz regelrecht in Wörtern wie bergier (berbecarius), vachier (vaccarius), porchier (porcarius), bochier 'Bocksmetzger' ( b u c c a r i u s ) , conseillier, laitier, bruyère < *brucaria, prière < *precaria, usw. Von solchen Fällen könnte dieses Ergebnis auf andere Ableitungen (chevalier, asnier, premier) übertragen worden sein.283) bons: Aus b ö n u s wäre normal buens (auch boens geschrieben) zu erwarten, so wie betontes o in cor > euer, b o v e > buef geworden ist. Doch 28 °») Über die Verbreitung der Palatalisierung des k in der Stellung vor a in Frankreich, im Rätoromanischen u n d in den italienischen Alpenmunda r t e n sowie über das mutmaßliche Alter der Erscheinung (5. J a h r h u n d e r t ) , siehe Wartburg, Ausgliederung, S. 51 ff. - Die gleiche Palatalisierung können wir heute in ihrer ersten Entwicklungsphase in den katalanischen Mundarten der Insel Mallorca beobachten. Hier ist k, in offenbar ganz junger Zeit, b i s zur mediopalatalen Affrikata gelangt, z. B. kjabra 'chèvre', kja 'chien', kjapei 'chapeau', kjadira 'chaise' < c a t h e d r a . Parallel ist hier ga zu gja gelangt, z. B. gjal < g a l l u s , gjat < g a t t u s . 2 81 ) I n normaler volkstümlicher Entwicklung sollte m a n -air erwarten, vgl. v a r i u s > vair, a r e a > aire. 282 ) Zur Entwicklung von betontem a nach Palatal, s. Vers 29 (repairiez). 283 ) Nach anderer Meinung wäre Vermischung von - a r i u m i t - e r i u ( m i n i s t e r i u , m o n a s t e r i u ) eingetreten, oder es läge ein germanisches - a r i (> frank. * - e r i ) zu Grande. W a r t b u r g nimmt eine 'Germanisierung' des Suffixes - a r i u s an (Ausgliederung 105). Alle diese Erklärungen sind wenig wahrscheinlich, auf alle Fälle nicht endgültig bewiesen. — F ü r die Entwicklung von - a r i u darf das Provenzalische nicht übersehen werden, wo das Substantiv a r e a nicht nur als aira u n d eira, sondern auch als iera ( F E W , B d . I, 133) erscheint (vgl. Anm. 157), so daß auch f ü r das Französische eine spontane Entwicklung von - a r i u > -ier keineswegs ganz ausgeschlossen ist. Das ital. -iere (cavaliere, barbiere, giardiniere) bzw. -iero (penaiero, altiero) s t a m m t aus Frankreich (s. Italien. Gramm. Bd. 3, § 1113). - Über das Suffix handelt eine ältere Arbeit von E . Staaff, Le suffixe -arius dans les langues romanes (Uppsala 1896). Die phonetische Entwicklung von -ier aus - a r i u über eine Zwischenstufe -ajrjw (> -ejrio > -ieiro) wird neuerdings von Fouché, Bd. I I , S. 413 (schon vorher in Romania, Bd. 67, S. 457) verteidigt.

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finden wir diese Form in den Werken unserer Dichterin nur ganz vereinzelt, z. B. Fraisne 435 ne li sembla mie boens im Keim mit soens 'le sien'. In der Regel zeigt ihre Sprache bereits jene satzschwache undiphthongierte Form bons, die der schwachen Entwicklung von malus > mais (s. Vers 11) entspricht. - Zur Aussprache des Diphthongen ue, s. Vers 45 und Anm. 355a. esteti: Das Imperfekt des Verbums stare (altfranz. ester) erscheint in der Sprache unserer Dichterin teils in der Form esteti, teils in der Form estot (z. B. in den Fabeln 66, 1). Ersterem liegt lat. - e b a t zugrunde, das sich in Nordfrankreich schließlich allgemein in der «-Konjugation durchgesetzt hat (il chantait < chanteit), während -ot (-òut) die direkte Fortsetzung von -abat ist (über die Zwischenstufe -aut).2Si) noblement : Zur Bildung des Adverbiums, vgl. oben prov. longamen (s. S. 78).285) se cunteneit: Reflexives contenir hat die Bedeutung 'se conduire'. Es knüpft darin an die Bedeutung 'sich beherrschen' an, die reflexives continere im Lateinischen hatte. Eine Reminiszenz an diese Geltung von contenir zeigt sich noch im neufranz. contenance 'Haltung': il garda une contenance respectueuse. 19 De sun seignur esteit privez 20 e de tuz ses veisins amez. Von seinem Herrn war er der vertraute Freund und von allen seinen Nachbarn geliebt. sun: Dem allgemeinen Verstummen des auslautenden -m im frühen Vulgärlatein (s. S. 24) haben sich einige einsilbige Wörter entzogen, z. B. rem > rien, cum > ital. con, quem > span. quien (vgl. Anm. 12). Dazu gehören auch die Possessivpronomina meum, tuum, suum, die in schwachtoniger Stellung zu *mum, *tum, *sum reduziert wurden. Der erhalten gebliebene Nasal erscheint im Romanischen in der Form w.288) seignur < seniorem. - Die Schreibung -ign- ist wieder nur als orthographisches Zeichen für den neu entstandenen palatalen Laut zu werten. - Lateinisch senior war zunächst der 'Ältere' im Gegensatz zum 'Jüngeren'. Aber schon im Lateinischen wurde seniores bereits zu einer 284 286

) Siehe dazu alòut 'il allait' in Vers 27. ) In Frankreich konnte der alte Ablativ m e n t e sich einst auf mehrere

Adjektiva beziehen, z. B. Roland 1162 reguardet. .. hurrde et dulcement, was

im Spanischen bis in die neueste Zeit möglich ist, z. B. clara, concisa y

elegantemente.

29a ) Ein einsilbiges Wort, das sich dieser Neigung entzogen hat, ist j a m (altfranz. ja, ital. già, span. ya). Auch c u m hat z. T. cu ergeben (rum. cu, südital. cu).

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Respektsbezeichnung für die ältere Generation im Gegensatz zur jüngeren, weniger erfahrenen Altersklasse. - Als Nominativ steht neben seignur die Form sire (in Vers 32), die auf eine Schnellsprechform *sejor zurückgeht, mit der gleichen lautlichen Entwicklung, die p e j o r zu pire geführt hat. 887 ) privez < p r i v a t u s . - Das im Auslaut stehende z ist wieder das Ergebnis der Verbindung t + s (vgl. Vers 12). tuz: beruht auf vulgärlat. * t ö t t o s (statt klassisch t ö t o s ) , das wir bereits in unserem provenzalischen Kapitel als t o t - t o t o s erklärt haben (S. 77). ses aus älterem *sos, Kurzform für lat. suos, mit Reduzierung des alten o zu e wie im Personalpronomen lo> le. Veisin < *vecinu. 288 ) - Das in intervokalischer Stellung stehende k befindet sich vor einem hellen Vokal. Dieses k folgt im Prinzip der Entwicklung des anlautenden k vor hellen Vokalen (kera > t s i r e ) . Die intervokalische Stellung hat aber gleichzeitig Sonorisierung bewirkt. Man darf daher folgende Entwicklung annehmen: * vek j inu > *vegj inu 289 > *vedzinu > veidSin, ) Auf dieser letzten Stufe kam es zum Verlust des dentalen Verschlusses, wobei ein palatales Element, das sich wohl bereits auf der präpalatalen Stufe entwickelt haben dürfte, stärkere BeWeitere Beispiele für diese Entwicklung: deutung erhielt: veisin. * ) p l a c e r e > p l a i s i r , licere > l e i s i r , a u c e l l u > oisel, d i c e b a t > d i s e i t , cocina > cuisine, p l a c e t > p i a i s t , l u c e t > l u i s t . amez < a m a t u s . - Das a der Vortonsilbe ist normal bewahrt, vgl. a b e r e > a v e i r , f a r i n a > f a r i n e , v a l e r e > v a l e i r . Das moderne ai ( a i m e , aimer) ist eine analogische Übertragung aus den Formen^ wo betontes a (in der Stellung vor Nasal) zu ai geworden war: il aime, p a i n , 2 0

m a i n , v a i n ,g r a i n , 287

levain. 291)

) Die besondere lautliche Entwicklung des & ist durch den folgenden Palatal bedingt, in der Weise, daß der aus S entstandene Diphthong ie in Verbindung mit dem folgenden Palatal zunächst einen Triphthongen iei bewirkte, der jedoch zu i reduziert wurde, vgl. m e d i u > * m e j u > *miei > mt, l e c t u > * l i e i t > lit (vgl. auch Vers 23). - Eine ähnliche Reduktion, unter Verkümmerung des mittleren Elementes, hat den aus 6 vor Palatal entstandenen Triphthongen uoi > ui betroffen: n o c t e > *nuoit > *nueit > nuit (s. zu Vers 48). 288 ) Die vulgäre Form * v e c i n u ist aus v i c i n u durch Vokaldissimilation entstanden; vgl. auch span. vecino. Ähnliche Fälle sind d i v i n u > * d e v i n u > franz. devin 'Wahrsager', m i s i s t i > afranz. mesis. 28> ) Die Zwischenstufe *vediinu hat in Oberitalien zu dem Ergebnis i geführt, z. B. lig. v e i i t ) , li&e < luce, a£iu < a c e t u , Jcöie < * c o c e r e < c o q u e r e (Rohlfs, § 214). 2, °) Siehe Bourciez, § 117. - Etwas anders und verwickelter werden die einzelnen Stufen der Lautabfolge von Rheinfelder (§ 742) dargestellt. aM ) Eine ähnliche analogische Übertragung der Lautform aus der betonten auf die imbetonte Silbe haben wir in altfranz. plurer (unter dem

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21 Femme ot espnse mult Taillant 22 e qui mult faiseit bel semblant. Er hatte eine Frau zur Gattin, die sehr tüchtig war und die von sehr schöner Erscheinung war. femme: zeigt die gleiche Assimilation in der Gruppe mn, die wir bereits anläßlich hume (Vers 7) kennengelernt haben. Das doppelte m ist nicht Beweis für eine wirkliche Doppelkonsonanz, sondern der erste Nasal will die einstige Nasalität des Vokals andeuten. Ähnlich in der modernen Orthographie personne, Etienne < Stephanu, bonne, il tonne, noch im 16. Jahrhundert Romme. ot < habuit. - Die genauere Grundlage ist ein vulgärlat. *auit, dessen au zu o werden mußte.292) Ähnlich ist die erste Person abui über a y i zu oi geworden. Anders war das Ergebnis in den endungsbetonten Formen abuisti, abuimus, abuistis. Hier konnte es nicht zu einem o kommen, da sich ein au nicht entwickeln konnte. In diesem Fall entstand im Altfranzösisch eüs, eûmes, eüstes. Unter dem Einfluß dieser Formen haben sich älteres oi, ot und orent zu j'eu(s), il eut, ils eurent umgewandelt. - Das Passe défini hat hier, wie auch sonst oft im Altfranzösischen, die Funktion des Imperfektums (s. Vers 15), da in dem Verbum 'avoir' (wie auch in 'être') das Zuständliche offenbar schon in dem Verbalbegriff enthalten ist; s. dazu Kuen, ZFSL, Bd. 58, S. 495. espuse < vulgärlat. sposa (s. S. 24). Über den Vorschlagvokal, s. S. 26. mult: das lateinische multu, das im Italienischen (molto) und Spanischen (mucho, muy), sich bis heute erhalten hat, ist in Frankreich in seiner adverbialen Funktion seit dem 16. Jahrhundert durch das schon seit dem 11. Jahrhundert bezeugte très (trans) ersetzt worden: très bon 'über die Maßen gut'. vaillant: aus lat. valente würde man valent, bzw. mit Angleichung der Partizipialendung an die Form der a-Konjugation valant erwarten. Diese Form gilt noch heute als Partizip des Verbums valoir: une chèvre valant mille francs. In der Form vaillant zeigt sich analogische Anpassung an gewisse Präsensformen, wo dieses -ail- berechtigt war: vail < valeo, vaille < valeat. Ähnlich ist das Verbum salire (prov. salir, ital. salire) zu saillir umgebildet worden. - Adjektiva und Partizipia, die im Lateinischen nach der dritten Deklination flektiert wurden (also im Lateinischen keine besondere Femininform kannten), haben auch im Einfluß von il pleure) > pleurer. — Der umgekehrte Ausgleich hat sich in den Verben laver (il leve, nos lavons), lever (il lieve, nos levons), trouver (il trueve, nos trovons), souffrir (il suefre, nos sofrons) vollzogen. - Zu den Gründen des wechselnden Stammausgleiches, s. E. Richter, A B , Bd. 25, S. 384-400. asa ) Vgl. die Entwicklung von sekundärem au > o in p a r a u l a ( p a r a b u l a ) > parole, * a o r a ( h a h o r a ) > ore, t a u l a ( t a b u l a ) > tôle.

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Französischen zunächst keine Form mit Ausgang auf -e. Man sagte altfranz. une grant fontaine, une femme molt fort, une teile vert, une histoire plaisant. Die Angleichung an die Adjektivklasse mit besonderer Femininendung ist ein Phänomen, das schon im Vulgärlatein sich bemerkbar macht (tristus, -a statt t r i s t i s , paupera mulier in der App. Probi), aber erst im 16. Jahrhundert vollkommen abgeschlossen ist. Doch finden sich noch heute gewisse Reste des älteren Sprachgebrauches, z.B. grand'mere, grand'rue, grand'messe, vgl. auch die Ortsnamen Rochefort, ViUefort, Qranville, Grandmaison. Ici < qui, mit Verlust des velaren Elementes wie in q u a e r e r e > quérir = kérir (altfranz. querre), quetu > coi. Doch ist das u so spät verstummt (8.-9. Jahrhundert), daß das k, das nunmehr vor einem hellen Vokal stand, die normale Entwicklung von k>ts nicht mehr mitmachen konnte ( c e r a > tsire). muU: Ist das adverbial verstärkte Adjektivum mit einem Verbum verbunden, so pflegte im Altfranzösischen das Adverbium sich zum Verbum (ad verbum!) zu stellen, vgl. Vers 163 mvlt se tint près 'er hielt sich ganz in der Nähe', Vers 166 mvlt en fu liez 'er wurde darüber sehr froh'. faisoit< vulgärlat. f a c e b a t , mit der Entwicklung von k, die bereits anläßlich veisin (Vers 20) besprochen wurde. faire semblant 'ein Aussehen haben', etwa franz. 'avoir apparence', 'avoir l'air', vgl. altital. far bel sembiante 'aver bell' aspetto'. Zum Verbum sembler < spätlat. similare (s. dazu Vers 83). bel unterscheidet sich von beats (Vers 17) dadurch, daß in bellu das auslautende l erhalten blieb, während es vor einem Konsonant velar gesprochen wurde und daher später sich zu u wandelte. Nur in diesem zweiten Fall kam es daher auch zum Einschub des Übergangslautes a. So erklärt sich das Nebeneinander von Neufranz, bei und beau. Letztere Form entspricht also dem alten beaus. Ähnlich besteht nebeneinander nouvel und nouveau, in älterer Zeit auch chapel und chapeau, chastel und chasteau.293) 23 II amot Ii e ele lui; 24 mès d'une chose ot grant ennui. Er liebte sie und sie ihn; doch in einer Hinsicht bekam sie großen Verdruß. II amot Ii: Ii ist die betonte Form des weiblichen Personalpronomens im Obliquus. Es entspricht genau dem männlichen lui. Etymologisch hat es seinen nächsten Verwandten in ital. lei, das die gleiche Bedeutung *"') Vgl. im heutigen Frankreich die Ortsnamen Le Coteau (Flandern) und Le Châtel (Seine-et-Marne).

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hat. 294 ) Die etymologische Grundlage ist ein vulgärlat. illaei (illei), das aus einem älteren Dativ illae in Anlehnung an den Dativ ei gebildet wurde.295) Es ist eine Art Parallelbildung zu illui > franz. lui. Die besondere lautliche Entwicklung im Französischen ist dadurch bedingt, daß offenes e (lat. ë) vor einem Palatal, wahrscheinlich über die Zwischenstufe iei, zu i wird; vgl. l e c t u > *lieit>lit, p e c t u s > *pieiz>piz, m e d i u > *miei > mi, equa > altfranz. ive (vgl. Anm. 287). e ele lui: Grundlage von lui ist der vulgärlateinische Dativ illui (s. Anm. 144), der in Anlehnimg an cui gebildet wurde. Der ursprüngliche Dativ hat also in beiden Fällen (illaei, illui) als alter Obliquus die Form für das betonte Pronomen als Akkusativ geliefert.296) Während lui in dieser Funktion erhalten geblieben ist, wurde weibliches Ii in der Schriftsprache durch den Nominativ eUe (pour elle, il aimait elle) ersetzt. Die Betonung, die auf den beiden Personen liegt, hat bewirkt, daß das Subjekt des Verbums durch das Personalpronomen verdeutlicht -wird: il amot Ii. Im allgemeinen jedoch erübrigt sich in unserer Periode des Altfranzösischen der Ausdruck des Personalpronomens als Subjekt, wenn die Verbalform die Person klar erkennen läßt, vgl. Vers 1 m'entremet 'ich schicke mich an', Vers 2 ne vueil 'ich will nicht', Vers 13 les 'je laisse', Vers 16 l'ai oi loër 'je l'ai entendu louer', Vers 12 ot espuse 'il eut épouse'.297) Doch konnte aus rhythmischen Gründen, aus dem Streben nach größerer Deutlichkeit, sowie (in Versdichtungen) zwecks metrischer Er2M

) Vgl. ital. egli amava lei. Auch das Wallonische hat lèy als betontes weibliches Pronomen im Sinne von 'elle' (FEW, Bd. IV, 550). Eine ältere altfranzösische Form war lei, z. B. Eulaliasequenz Vers 13 dont lei nonque ehielt 'was ihr in keiner Weise von Wichtigkeit ist'. m ) Bezeugt ist ilei als Dativ auf einer römischen Inschrift christlicher Zeit (Diehl, Inscript. Latinae, no 4554). Über das gleichbedeutende prov. leis, das auf i l l a e i u s beruht, s. Anm. 117. - Im Rumänischen dienen die Fortsetzer von i l l u i und illei als Flexionsmerkmale des Dativs und Genitivs in der artikulierten Deklination, vgl. omidui 'à l'homme', 'de l'homme', casa lui Torna 'das Haus des Thomas', capreï (aus älterem capre-eï < *caprelei) 'à la chèvre', 'de la chèvre', Calea Victoriei 'rue de la victoire'. Es sind die flektierten Formen zu den alten Grundlagen h o m o - i l l e (omul), c a p r a illa (> *capra-la > capra). Zum Genitiv-Dativ des Plurals lupilor aus einem < l u p i - i l l o r u m , s. Anm. 511a. 2M ) Zunächst als wirklicher Obliquus (a Ii, de lui) oder als betontes Objekt, wie es unser Text zeigt. Die weitere Entwicklung von lui zum betonten Subjektpronomen (c'est lui), die mit dem Eintreten von moi für je, toi für tu zusammengeht, datiert seit dem 14. Jahrhundert. - Vergleichbar ist die Entwicklung des alten Dativs cui zum Obliquus des Fragepronomens, z. B. altfranz. pur cui 'pour qui', sizil. a cui 'à qui'; sodann als Subjekt sizil. cui èsti 'wer ist es ?' s " ) Erst als die Verbalendungen stärker verblaßten und einzelne Personen durch sie nicht mehr scharf gekennzeichnet wurden, kam es zu einer mechanischen Verwendung des Personalpronomens, das damit die bisherige Funktion der Verbalendung übernahm, z. B. je veux, tu veux, il veut =

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füllung einer bestimmten Silbenzahl die Verbalform schon früh auch mit dem Subjektspronomen verbunden werden; vgl. schon in der alten Eulaliasequenz (9. Jahrhundert) ele colpes non auret 'elle n'eut pas de péchés*. In den ersten 100 Versen unserer Dichtung erscheinen die Verbalformen 33mal von einem Subjektpronomen begleitet, 48mal ohne ein solches.297®) mès: beruht auf älterem mais, dessen ai durch den folgenden Palatal hervorgerufen ist (magis > *majis). 2 9 8 ) d'une chose: die Präposition de wird im Altfranz. gern verwendet, um eine lockere Beziehung oder eine nähere Bestimmung zum Ausdruck zu bringen. Sie entspricht dann dem deutschen 'in bezug auf, 'im Hinblick auf", 'was betrifft', z. B .de esteit bele de cors, hardi de curage 'kühn in bezug auf den Mut', ele me pria d'une chose, une dame qui de belté ressemble fee (Marie de France). 299 ) - Der Wandel von u > ü ist in Frankreich an keine besondere Stellung und Bedingung gebunden. Er erfolgt allgemein in betonter und unbetonter Silbe, in freier und gedeckter Stellung: une, lune, mur, mule, just, nvle, ruche (rusca), fumer, lundi. Es ist der einzige lateinische Vokal, der sich generell und bedingungslos zu neuer Aussprache gewandelt hat. Dies hat den Gedanken nahegelegt, daß der Wandel durch gallisches Substrat, d. h. durch Lautsubstitution im Munde der Kelten bedingt sein könnte. Dafür scheint die Tatsache zu sprechen, daß der Wandel sich über ganz Frankreich und große Teile der einstigen Gallia Cisalpina (lomb. lüna, füm, mül, brüt 'brutto') erstreckt. Doch ist es keineswegs sicher, daß der Wandel bis in die gallorömische Zeit zurückgeht; s. dazu S. 54 und 126. ennui 'Verdruß', 'Ärger': deverbal abgeleitet vom Verbum ennuiier 'verdrießen'. Dieses beruht auf einem lat. inodiare, das aus der Redensart mihi in odio est geschaffen wurde.800) Die Konsonantengruppe di altfranz. vueil, vuels, vuelt. — Die Gewohnheit, das Subjekt eines Verbalausdruckes neben der Verbalendung regelmäßig durch ein Subjektpronomen zu bezeichnen, dürfte im Französischen und in Norditalien nach neuesten Forschungen durch Einflüsse der germanischen Sprachen verstärkt worden sein. Siehe dazu die eingehenden, aus einem Vergleich mit den anderen romanischen Sprachen gewonnenen Nachweise von Heinrich Kuen in Syntactica et Stilistica, Festschrift für Gamillscheg (Tübingen 1957), S. 293ff. a»7») Nach Wartburg würde der schon in altfranzösischer Zeit häufige Gebrauch des Subjektpronomens beim Verbum sehr stark von rhythmischen Umständen bedingt gewesen sein (RFE, Bd. 25, 1941, S. 465ff.). 2 , a ) Zu den provenzalischen Formen mais und mas, ital. mai und ma, s. S. 76 und Anm. 170. s 8 ' ) Diese Funktion von de (vgl. oben S. 72) wirkt fort in vielen neufranzösischen Redensarten, z. B . se souvenir d'une chose, elle me 'pria de venir, se repentir d'une faute, changer de maison, que pensez-vous de cela? - Siehe dazu Gamillscheg, S. 265ff. s o °) Das Verbum ist auf einer Inschrift aus Karthago bezeugt: neq a p u t c a r o m a r i t o inodiari p o t u i (CIL, VIII, 13134, 14).

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wurde schon früh (mindestens seit dem 3. nachchristlichen Jahrhundert) zum Reibelaut j reduziert. Man sprach also oje = hodie, mejus = medius, aujo = audio, g a u j a = gaudia, jurnu = diurnum. 801 ) Die weitere Entwicklung deckt sich mit den Schicksalen des lateinischen j (majus, major). 25 Qu' en la semeine le perdeit 26 treis jurs entiers qu'el ne saveit. . . Daß in der Woche sie ihn verlor drei ganze Tage, ohne daß sie wußte . . . que 'daß': setzt latein. quod fort, das schon im klassischen Latein in gewissen Fällen zur Verknüpfung von zwei Sätzen dienen konnte, z. B. scio quod (Plautus), credo quod (Apuleius), recordor quod (Sueton), mihi videtur quod (Palladius). en la semeine: Die Erhaltung des a von illa erklärt sich wie in den Possessivis ma, ta, sa durch die enge proklitische Verbindung mit dem folgenden Substantivum. In Verbindungen wie (il)la femina > la femme, m(e)a m a t e r > ma mkre war das a ebenso unveränderlich wie in latrone > larron, mamilla > mamelle.302) - Semeine beruht auf dem kirchenlateinischen septimana 'Zeitspanne von sieben Tagen'. Durch Synkopierung wurde es zu *se(p)tmana > *semmana. Das in freier Silbe stehende betonte a hat vor einem Nasal die Verschiebung zu e nicht ganz mitgemacht. Durch den Nasal gehemmt, ist die Entwicklung auf halbem Wege stehen geblieben, indem die Palatalisierung des o sich erst mit einer gewissen ßetardierung in der Lautbildung ausgewirkt hat: a > ai, vgl. pane > pain, manu > main, lana > laine, a m a t > aime.303) In der Sprache unserer Dichterin ist ai vor Nasalen mit ei zusammengefallen (in der Aussprache ¿i), so daß in der handschriftlichen Überlieferung das eine orthographische Zeichen für das andere eintreten kann: semeine = semaine, piain = plein. Die Aussprache des Lautes dürfte

in dieser Zeit ein nasaliertes ei gewesen sein. treis: Beispiel für den Wandel von e (lat. e, i) zum fallenden Diphthongen ei, vgl. in unserem Text die Imperfektendung -eit (-ebat), in späteren Versen mei (me), veie (via), plein (plenu), curteis (cohortensis > cortesis), aveir (habere). Die weitere Entwicklung dieses S01)

Siehe die vulgärlateinischen. Belege bei Richter, § 62. Die normale Entwicklung von illa > le hat sich im Pikardischen vollzogen, vgl. altpik. le femme, le ftile; daraus neupik. ei femme (¿1 film). 30S) Die gleiche hemmende Wirkung eines Nasals zeigt sich auch in der Entwicklung von p in dem Gegensatz zwischen altfranz. flöur und 'persona (siehe zu Vers 3), oder in der Weiterentwicklung von ei > oi zwischen toüe und veine. SM)

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Lautes ist nicht einheitlich. In den westlichen Landschaften wurde der alte Diphthong, ganz konform mit der Entwicklung von óu> u (ou), zu è monophthongiert.304) Mit dieser Entwicklung sind nicht wenige Wörter in die Schriftsprache gelangt: craie, falaise, verre (altfranz. veirre), monnaie (altfranz. monete), dazu das Suffix -aie (chênaie, aunaie) und die Imperfektendung, die auf altem -ebam (altfranz. -eie) beruht.305) In anderen Landschaften (Champagne, Ile-de-France) wurde dagegen das alte ei seit der Mitte des 12. Jahrhunderts zu oi dissimiliert: moi, voie, avoir, toile. Die weitere Entwicklung dieses Lautes ist über die Stufe uè schließlich zu ua gelangt. Die Stufe uè ist seit dem 13. Jahrhundert bezeugt.309) Die letzte Stufe oà (uà) ist für die vulgäre Aussprache in Paris seit dem 14. Jahrhundert nachweisbar. Sie gilt noch im Zeitalter von Racine und Molière als sehr wenig fein. Erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wird diese Aussprache von den Grammatikern mehr und mehr anerkannt. - Das auslautende s des Altfranzösischen tendiert seit dem 13. Jahrhundert zum Verstummen. Dieser Prozeß hat in der Stellung begonnen, wo s vor einem stimmhaften Laut stand, d. h. man sprach bereits le(s) veïles 'les voiles' zu einer Zeit, als man noch les teiles sprach (vgl. S. 106). jurs: Das Adjektivum diurnu, das seit dem 11. Jh. an die Stelle von dies getreten ist (vgl. S. 74), wurde schon im frühen Vulgärlatein •jurnu (vgl. Vers 24) gesprochen, so wie auch der Name der Göttin Diana als * Jana lautete.307) Dieses j hat in allen romanischen Sprachen die Weiterentwicklung des primären j mitgemacht. Sein Ergebnis deckt sich in den meisten romanischen Sprachen mit dem Resultat des alten gvor hellen Vokalen. Dies war im Altfranzösischen der Verschlußreibelaut dz (entsprechend ital. già, giorno, gente, Genova), also z. B. altfranz. jorn, ja, jeter, geler, gent 'gentil', juge, genoil 'genou', geneste 'Ginster'. Der alte Lautstand hat sich in den französischen Lehnwörtern des Englischen bis heute bewahrt (gentleman, gern, germe). In Frankreich wurde seit dem 13. Jahrhundert der dentale Verschluß aufgegeben, zur gleichen Zeit als älteres chambre (tSämbre) sich zu Sämbre wandelte (s.Vers 17).308) 304 ) Vgl. norm, avé 'avoir', fé 'foi', baire 'boire', craire 'croire', im Maine dèr 'devoir'. ï o s ) Es ist möglich, daß einige der genannten Beispiele ihr e aus der Reduktion eines älteren wè gewonnen haben; s. Bourciez p. 76, Rheinfelder, § 422. 3 0 ') Diese Aussprache ist in einigen Landschaften des Nordens noch heute vorherrschend, z. B. pik. touèle, avouèr, troué, pouèvre. 30T ) Vgl. altfranz. gene 'sorcière', altprov. jana 'cauchemar', alttosk. jana 'Hexe', sard. giano, 'Fee'; s. F E W , Bd. I I I , S. 66. 808 ) Die ältere Lautstufe hat sich in den Mundarten des Nordens und des Ostens bis heute gehalten, vgl. wallon, diali, 'geler', diünesse 'gepêt', diiiré 'jurer', lothr. dialé, diu 'joug', dieti 'jeter'.

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I n jorn ist der auslautende Nasal seit dem 12. Jahrhundert verstummt, ähnlich wie in forn 'four', com 'cor', wem 'hiver', verm 'ver'. 3 0 9 ) entiers: zugrunde liegt lat. i n t e g r u ( i n t e g e r ) 'unversehrt', 'vollständig' ( e x c e r c i t u s i n t e g e r bei Plautus). Die alte lateinische Betonung i n t e g r u wandelte sich in der Aussprache des Volkes zu i n t e g r u nach einem Gesetz, das proparoxytone Akzentuierung beseitigte, wenn die letzte Silbe des Wortes mit einer Muta cum Liquida eröffnet wurde. 310 ) Daher auch: c ö l u b r a > c o l ü b r a , t ö n i t r u s > t o n i t r u s , c & t h e d r a > c a t h e d r a . - Der Ausgang des französischen Wortes (entier) zeigt Anpassung an das Suffix -ier ( - a r i u s ) . 3 1 1 ) qu'el ne saveit: Neben dem normalen Ergebnis ele ( i l l a ) findet sich im Altfranzösischen ziemlich häufig die Nebenform el, die wohl durch Anlehnung an männliches il zu erklären ist. - Die Konjunktion que ... ne hat ungefähr die Bedeutung eines modernen sans que. Sie leitet einen Modalsatz ein im Sinne einer temporalen Beziehung, wobei in unserem Fall das zeitliche Verhältnis durch die 'drei Tage' zum Ausdruck gebracht ist. Diese Art der Satzverknüpfung ist noch neufranzösisch, wenn der vorausgehende Hauptsatz verneint ist, z. B . ilnese passait pas un jour qu'onneles vit ensemble 'es verging kaum ein Tag, ohne daß man sie zusammen sah'. 312 ) 27 Que deveneit ne u alöut, 28 Ne nuls des soens nient n'en söut. Was aus ihm wurde, noch wohin er ging, und keiner der Seinen brachte darüber etwas in Erfahrung. que deveneit: Das Fragepronomen setzt lateinisch q u o d fort; etymologisch ist es identisch mit der Konjunktion que (Vers 25). ne, < lat. n e c , mit Verlust des auslautenden c wie in si < sie, la > i l l a c , ceo > e c c e - h o c (s. Vers 9). Die neufranzösische Form ni, deren Entstehung aus satzphonetischen Umständen zu erklären ist, erscheint erst seit dem 13. Jahrhundert, doch erst im 16. Jahrhundert gewinnt ni über ne die Oberhand. 313 ) s o ' ) Der Prozeß begann in den Casusformen jorns, jorns, verms, wo der Nasal zwischen zwei Konsonanten verstummte. Zur Zeit unserer Dichterin, die jur mit amur (Guigemar 647), aujur mit seignur (Equitan 249) reimt, ist dies9 Entwicklung bereits abgeschlossen. 31 °) Eine nähere Begründung dieser Erscheinung, die z. T. in den Gesetzen der klassischen Metrik sich widerspiegelt, gibt Richter, § 22. 311 ) Die normale Entwicklung ergab altfranz. entir (vgl. löctu > lit), das neben entier bezeugt ist. - Nach Fouchö (Bd. II, S. 290 u. 326) wäre entier über die Zwischenstufe *entieiro normal aus intggru hervorgegangen, während im Femininum das Resultat enlire gewesen ist (ähnlich premier: premire). 312 ) Siehe Lerch, Bd. II, 367ff.; Gamillscheg, S. 737ff.; Grevisse, § 882d. 313 ) Siehe die genaueren Hinweise im FEW, Bd. VII, S. 73. - Vgl. auch altfranz. nient neben neent 'rien' (Vers 28) und Anm. 320.

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u < lat. ubi. - Das Verschwinden des b entspricht nicht der normalen Entwicklung, so wenig wie in dem. aus ibi entstandenen i (y).*1*) Die stärkere Abschleifung erklärt sich aus ihrer Schwachtonigkeit im Satze, d. h. aus fakultativen Kurzformen.315) ahmt: Im Imperfektum der ersten lateinischen Konjugation schwankt die Endung in den Handschriften von Mariens Werken zwischen -öut und -ot (-bue und -oe). Als Ausgangspunkt muß man sich statt des latein. - a b a t (-abam usw.) eine Form - a u t denken ( * c a n t a u t ) , wobei das sekundär entstandene au sich entwickelt hat, wie in f a g u > *fau > fdu, clavu > *clau > cldu, P i c t a v u > Peitou.31*) Ahnlich ist a b u i t über ay.it zu out (> ot) gelangt.317) Über den Ursprung des Verbums aller, s. S. 36. nvla: der Wandel (zu Ursprung und Datierung, s. Anm. 102 und 212a) von ü>ü erfolgt, wie im Provenzalischen und in Oberitalien bedingungslos in freier und gedeckter Stellung, in betonter und unbetonter Silbe: m u l a > miile, nulla > nüle, f u s t e > füst, u s a r e > üser. - Vieles spricht für langsame Ausbreitung der neuen Aussprache über die einzelnen Landschaften im Laufe von 3-5 Jahrhunderten. - In einem Teil des wallonischen Sprachgebietes erscheint ü noch heute in seinem alten Wert (ou), vgl. in Lüttich nou 'nu', Malm&ly grou 'grue', ostwallonisch foumd 'fumer'. soens: Dem modernen betonten Pronomen sien und tien sind im Mittelalter die Formen soen (älter suon) und toen vorausgegangen. Da der Diphthong oe(ue) auf kurzem ö (roman. offenem o) beruht, muß man für diese Formen vulgärlat. *söm und * t ö m voraussetzen, deren kurzes ö wohl durch Parallele zu meus, *mem < m e u m entstanden sein dürfte. 318 ) Die neufranzösischen Formen sien und tien sind ebenfalls wieder durch neuen analogischen Ausgleich zum Pronomen der ersten Person (mien) entstanden. nient: modernfranz. zu ndant umgestaltet, während das Italienische die ältere Form bis heute bewahrt hat: non vedo niente. Zu Grunde liegt *14) Gienauer müßte man sagen, daß in altfiranz. i die beiden lateinischen Adverbia ibi und hic lautlich zusammengeflossen sind. ®15) Vgl. altital. o neben ove (ubi), altital. i neben ivi (ibi). 81 *) Dieses au ist also zu einer Zeit entstanden, als der Wandel von primärem lateinischen a u (causa, l a u d a t ) bereits abgeschlossen war. ,17 ) Der Verlust des a in der Nachtonsilbe von - a b a t deckt sich mit der Entwicklung von - e b a t und erat (s. poeit in Vers 5). ,18 ) Vulgärlat. *töus und *söus wird auch durch den italienischen Plural tuoi 'les tiens' und suoi 'les siens' vorausgesetzt; der italienische Singular tuo und suo ist reduziert aus tuoo und suoo. - Zur Entwicklung von ö > uo > ue, s. Vers 45. - Zu den weiblichen Formen (altfranz. meie, tone, soue) und über eine andere Erklärung der differenzierten Vokalqualität, s. Anm. 514.

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lat. n e - g e n t e 'nicht ein Geschlecht'> 'nichts in der Welt'. 318 ) Das t des altfranzösischen Wortes, das auch als neent und neient begegnet, ist durch die Stellung im Hiat bedingt.320) n'en sbut < non inde sapuit. - Neben en findet sich in den ältesten französischen Texten gelegentlich vor Vokal die normal zu erwartende Form ent, z. B. Eulalia Vers 15 eU' ent adunet.920*) Das jüngere en hat in seiner Schwachtonigkeit früh den ursprünglich auslautenden Dental eingebüßt.821) Sbut aus * s a y i t ( < s a p u i t ) mit dem gleichen Wandel von a vor Velar zu du, der in föu (fagu), clöu (clavu) vorliegt; s. Vers 27. Ähnlich wurde h a b u i t > out, t a c u i t > töut\ das Ergebnis in der ersten Person ist soi, oi, toi. Die modernen Formen il sut, il tut erklären sich durch Anlehnung an die Flexion von il dut, il valut, il parut; wegen il eut, s. Vers 21. Die Erhaltung des auslautenden Dentals ist bedingt durch die Stellung nach einem Halbkonsonanten: *sauit > *say,t. Zum endungsbetonten -ui (il curut — kurüt), s. Vers 198. 29 Une feiz esteit repairiez 30 a sa maisun joius e liez; Einmal war er nach Hause zurückgekehrt, froh und heiter; une feiz: Etymologische Grundlage muß una vice sein, das im Spanischen ganz normal zu una vez geworden ist. Lateinisch k vor hellen Vokalen erscheint im Auslaut in altfranzösischer Zeit als ts (graphisches Zeichen meist z), wobei sich dem vorhergehenden Tonvokal ein ¿-Element mitteilte: voce > voiz, nuce > noiz, pice > peiz, cruce > croiz, perdice > perdiz.322) Als Vorstufe kann ein älteres voidSe, noidSe angenom31 •) Die verstärkende Funktion von gens scheint an das ähnlich verwendete lat. g e n t i u m anzuknüpfen, z. B. ubi g e n t i u m 'wo in aller Welt', n u s q u a m g e n t i u m 'nirgends in der Welt'. — Frühere Erklärungen aus n e c - e n t e , n e - i n d e können heute als überholt gelten; siehe dazu die Diskussion im F E W , Bd. VII, S. 87. S20 ) Damit scheint auch der Wandel von alt franz. ne ( n e c ) zu ni zusammenzuhängen: ne eis ne des > ni eis ni des. 820») Die Münchener Handschrift des 'Brut' hat vor Vokal oft die alte Form end, z. B . od s'espeie end ocist eis cenz (L. Jordan, Altfranz. Elementarbuch, S. 2). — In den Straßburger Eiden erscheint inde als ent. M1 ) Noch stärker ist die Reduktion im Italienischen, wo inde ( > ne) sogar vor dem erhaltenen Auslautvokal den Dental eingebüßt hat: non ne

so niente.

, 2 2 ) Dieses Ergebnis entspricht ziemlich genau dem Wandel von k vor hellen Vokalen in intervokalischer Stellung, wo natürlich ein stimmhaftes Ergebnis zu erwarten ist: p l a c e r e > plaisir (s. veisina in Vers 20). - Eine Ausnahme macht altfranz. pais, das den Nominativ p a x fortsetzt unter dem Einfluß des kirchlichen p a x v o b i s c u m . Ahnlich ist der Nominativ l a u s in altfranz. los erhalten geblieben, bedingt durch die kirchliche Formel laus Deo 1

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men werden, wodurch der Zusammenhang mit vecinu > veidéin > veisin (s. Vers 20) hergestellt ist. Noch nicht befriedigend ist das anlautende / des französischen Wortes erklärt.823) repairiez < r e p a t r i a t u s : das ai hat seinen Ursprung in der Wirkung des Hiatus -i auf die vorhergehende Silbe, mit dessen Vokal es sich verband: r e p a t r i a t > repaire; vgl. varius > vair (s. Vers 8). Das betonte a von r e p a t r i a t u s folgt auf eine palatale Lautgruppe. Nach einer solchen wie überhaupt nach jedem Palatal wird betontes a in freier Silbe im Altfranzösischen nicht zu e, sondern der Palatalisierungsprozeß erfolgt noch radikaler zu dem Ergebnis ie, z. B. capra > chievre, capu > chief, scala > eschiele, basiare > baisier, l a x a r e > laissier.824) In der späteren Entwicklung ist das erste Element des Diphthongen ie meist von dem vorausgehenden Palatal wieder absorbiert worden, so daß seitdem die neueren Formen Geltung haben: chèvre, chef, échelle, laisser, baiser. Doch gibt es noch heute einige Reminiscenzen an den älteren Lautstand, z. B. chien (bedingt durch den folgenden Nasal), moitié, pitié, amitié. sa maisun: die Erhaltung des a in sa erklärt sich wie in dem Falle des weiblichen Artikels la (s. Vers 25). joins e liez: gaudiosus et laetus. Vor a wird anlautendes g im Altfranzösischen bis zum praepalatalen Verschlußreibelaut dz verschoben: gallina > geline, gallu > jal, gamba > jambe, gaudia > joie.326) Das zur Bildung des Adjektivs verwendete Suffix ist -osus, mit dem das Vorhandensein einer Sache in großer Fülle ausgedrückt wurde: la eus piscosus, puella formosa. In liez liegt l a e t u s zu Grunde, dessen ae 823 ) Das rätselhafte / wiederholt sich in neuprov. fès (ALF, Karte 590) und in ital. fiata (z. B. molte fiate 'beaucoup de fois'), das aus einer Vorstufe des altfranz. fiée (altprov. vegada < * v i c a t a ) entlehnt sein dürfte. — Die Erklärung aus satzphonetischen Umständen (Assimilation an das stimmlose

s eines vorausgehenden Zahlwortes, z. B. treis veiz > treis feiz), so z. B. bei

Gamillscheg (EWFS, s. v. fois), bei Rheinfelder, § 382 und Wartburg (FEW, XIV, 412), stößt sich an der Tatsache, daß die Lautverbindung s + stimmhafter Konsonant im Französischen die umgekehrte Assimilation zu bewirken

pflegt: Strasbourg, Israël, Iélande, disjoindre, un atlaé du monde. - An eine

'prononciation germanique' mit Verweis auf die Kasseler Glossen fidéUi = vitétti, fomeras — vomeres denkt Bourciez, Phonétique française, Paris 1937, § 162, 2. Sehr unwahrscheinlich ist eine neuere, aus kühnen phonologischen Rückschlüssen gewonnene Erklärung bei Lausberg, § 581. - Über andere Erklärungen, s. Anm. 44. 8 2 4 ) Diese Diphthongierung scheint noch vor der normalen Entwicklung von a > e erfolgt zu sein, da die frankoprovenzalischen Mundarten (Schweiz, Lyon, Savoyen) diese Entwicklung mitgemacht haben (vgl. Wallis, chievra, lyon. chivra < chievra, sav. &ivra 'chèvre'), die den Wandel von a > e nicht kennen. Siehe dazu Bourciez, § 41, Rheinfelder, § 225. 8 2 5 ) Man vergleiche die Parallelität auf der stimmlosen Ebene c a m e r a >

chambre, d. h. tiâmbre (s. zu Vers 17). 128

vulgärlateinisch zu einem offenen e geworden war. In freier Silbe ist dieser Laut in betonter Stellung zu ie diphthongiert, vgl. pie < pede, mid < mel, fiel < fei, brief < breve, ciel < caelu, fievre < febre, piere < petra. 325 ") Das auslautende z erklärt sich (wie in dem Reimwort repairiez) aus dem Zusammentreffen eines Dentals mit dem flexi vischen s (s. Vers 12). 31 Demandé Ii a e enquis. 32 Sire, fait el, beals, dnlz amis, Befragt hat sie ihn und ausgeforscht. Herr, spricht sie, lieber guter Freund, demandé Ii a: das unbetonte Personalpronomen durfte einen Satz nicht eröffnen. Es steht hier nach dem Partizipitun in proklitischer Stellung zum Hilfsverbum. Ähnlich heißt es Vers 68 enquis Ii a 'befragt hat sie ihn', Vers 86 dites le mei, Vers 215 alez s'en est 'weggegangen ist er'. Letzte Reste dieses Stellungsgesetzes zeigen sich beim neufranzösischen Imperativ, wenn er nicht verneint ist: fais-le, dites-la, im Gegensatz zu ne le fais pas, ne la dites pas.32Sh) Der Dativ Ii ist nicht zu verwechseln mit dem aus illaei hervorgegangenen weiblichen Ii (Vers 23); ihm hegt lateinisch illi zu Grunde. Die Form Ii galt für beide Genera. In späterer Zeit (aber mit Anlangen schon seit dem 12. Jahrhundert) wurde Ii durch die betonte Form lui ersetzt.324) enquis.: Partizip des Perfekts zum Verbum enquerre (*inquaerere). Das Partizipium ist analogischer Bildung : es steht in einer Bildungsreihe mit sis 'gesessen', mis und pris. Die Formen sind unter dem Einfluß des Perfekts (je pris, je sis) neu gebildet. sire: statt des normalen senior muß eine Kurzform (Schnellsprechform) *sejor angenommen werden, woraus lautlich ganz normal sire zu erwarten ist, wie pejor > pire geworden ist. Das auslautende e muß ein Stützvokal sein, der sich auf der Stufe *pejr eingestellt haben dürfte, vgl. major > maire, pater > *padr > père.327) beals, dulz amis. Zur Lautentwicklung b e l l u s > beals s. Vers 17. Die Anrede mit bei im Sinne unseres 'lieb' entsprach den konventionellen 325») Daa Alter der romanischen Diphthonge, die aus altem £ (>ie) und 6 (> uo > ue) entstanden sind, wird von Straka (RLaR, Jahrg. 1953, S. 256) in das 3.-4. Jahrhundert verlegt. Wie problematisch und zweifelhaft diese Bestimmung ist, hat Baldinger (ZRPh, Bd. 74, S. 450) gezeigt. 325b) Dag gleiche gilt für das unbetonte ('verbundene') Adverb, z. B. or i aluns (Guigemar 287) gegenüber venez i (Roland 953), siehe dazu Lerch, Bd. III, S. 309£f.; vgl. zum Provenzalischen, oben S. 59. 32S) Vgl. schon im Rolandslied liverrai lui une mortel bataille (Vers 658), bei Marie de France se lui plaisoit (Eliduc 650). Der Grund dafür liegt in rhythmischen Bedingungen, siehe Gamillseheg, S. 120. 327 ) Über den Akkusativ seignur, s. Vers 19. 9 Rohlfs, E i n f ü h r u n g

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Sitten der höfischen Gesellschaft. Innerhalb der Familie redete man sich an mit bele mere, bele pie, beala pere, woraus sich die modernen Bezeichnungen der angeheirateten Verwandten erklären: mon beau-père, la bellemère, mon beau-frère.828) Im Auslaut von dtdz liegt das gleiche Resultat vor, wie in feiz, voiz, noiz. Das zu erwartende flexivische s ist im auslautenden z aufgegangen. 33 Une chose vus demandasse 34 Mnlt volentìers, se jeo osasse. Nach etwas würde ich euch sehr gerne fragen, wenn ich es wagen dürfte. une chose: die Entwicklung von causa > chose gibt gewisse chronologische Anhaltspunkte. Das anlautende k muß sich zu ch entwickelt haben zu einer Zeit, als das au noch nicht zu o geworden war. Der Wandel von au > o ist also in Nordfrankreich verhältnismäßig spät eingetreten, vermutlich nicht vor dem 8. Jahrhundert. Der Wandel von k vor a zu ch könnte in seinen Anfängen (causa > kjausa] bis auf das 6. Jahrhundert zurückgehen.829) demandasse: Der zu Grunde liegende Konjunktiv des Plusquamperfekts hat die gleiche Reduktion erfahren, die sich in cantavi > cantai, c a n t a v i s t i > cantasti, cantavérunt > cantàrunt ausgewirkt hat. Solche Formen sind bereits für die lateinische Volkssprache des 4. Jahrhunderts bezeugt.830) Es darf also demandasse (m) angesetzt werden.831) demandasse se jeo osasse: Der Ausdruck der konditionalen Periode setzt genau den Typus des lateinischen irrealen Bedingungssatzes fort, nur mit dem Unterschied, daß für den im Romanischen untergegangenen Konjunktiv des Imperfekts832) der Konjunktiv des Plusquamperfekts 32s

) Siehe FEW, Bd. I, S. 320. - Aus der vorbildlichen französischen Gesellschaft stammt altital. bell'amico, bel dolce amico, be' signori, bel Sire Iddio = altfranz. beals »ire Dieus. Dieser Gebrauch von b e l l u s hat sich in einigen Teilen Italiens bis heute erhalten, vgl. abruzz. bell'ò = bell'uomo 'lieber Mann', bella fé = bella femmina 'liebe Frau', als Anrede an Personen, deren Namen man nicht kennt. 829 ) Vgl. joiu8 (Vers 30) < g a u d i o s u s , joie < g a u d i a . iso ) Vgl. in den Lehren ('Instituta artium') des Grammatikers Probus (4. Jahrhundert) p r o b a v i n o n p r o b a i , p r o b a v i s t i s e t p r o b a s t i s , probaverunt et probarunt. ssl ) Dem auslautenden e der französischen Formen (chantasse, partisse, eüsse) entspricht im Provenzalischen ein -a, z. B. cantassa (häufiger contèssa), partissa, aguessa. Es dürfte also auch für Nordfrankreich ein a-Auslaut anzusetzen sein, der durch den Einfluß des präsentischen Konjunktivs (lat. v e n d a , a j a , m i t t a t ) bedingt ist. 332 ) Der Konjunktiv des lateinischen Imperfektums hat sich nur in den Mundarten des inneren Sardiniens erhalten, z. B. in Bitti «' islcire — ai s c i r e m , si non proèreti = s i n o n p l u e r e t .

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eingetreten ist. Si habuissem - dedissem, bedeutet also im Spätlatein (etwa seit dem 7. Jahrhundert) nicht 'wenn ich gehabt hätte, würde ich gegeben haben', sondern 'wenn ich hätte, würde ich geben*. Diese Form des irrealen Gedankens ist im Altfranzösischen noch ganz geläufig, wird aber seit dem 12. Jahrhundert langsam durch jene Ausdrucksweise ersetzt, die dem neufranzösischen Sprachgebrauch entspricht: je demanderais si j'osais.333) Eine letzte Erinnerung an die alte Konstruktion ist dem literarischen Französischen verblieben, auf der Stufe der Vergangenheit; in den mit 'avoir' und 'être' umschriebenen Zeitformen, z. B. s'il fût venu, il n'eût pas hésité,334) Die lateinische Konjunktion si wird im Altfranzösischen durch die Form se fortgesetzt. Ausgangspunkt ist ein vulgärlateinisches s ï, das in gewissen Stellungen statt des normalen si schon für die klassische Sprache (z. B. st quidem) bezeugt ist. Während die neuere Sprache dieses se wieder zu si hat werden lassen (vgl. ne > ni), hat sich die ältere romanische Form im Italienischen erhalten (se non vieni).33*) - Das Pronomen jeo, dessen mittleres e rein graphisch zu beurteilen ist (vgl. Vers 9 ceo — tso), hat als Grundlage ein vulgärlateinisches eo, das seit dem 6. Jahrhundert bezeugt ist.336) Die Entstehung des anlautenden j (dz) erklärt sich aus der Stellung des e im Hiatus. Die Entwicklungskette muß man sich folgendermaßen vorstellen ëo > eö > g6 > jo; letzteres wurde später zu je abgeschwächt (vgl. ceo > ce). osasse: Neubildung des Verbums auf der Grundlage des alten Partizipiums ausus > ausare (vgl. c a n e r e : cantus > cantare, s. S. 36). 338) Über die Ursprünge dieser neuen Ausdrucksweise, siehe Gamillscheg, S. 721 ff. — Eine sehr gründliche Untersuchung der Typen der Konditionalperiode haben wie von R.-L. Wagner, Les phrases hypothétiques commençant par 'si' dans la langue française des origines à la fin du X V I e siècle (Paris 1939). Vgl. dazu die kritische Stellungnahme von Eugen Lerch mit manchen neuen Deutungen in ZRPh, Bd. 61, 1941, S. 375-387.

**«) Siehe Grevisse, § 1037, 3; Gamillscheg, S. 722. - Ein 'Mischtypus' si je fusse ... je sereie erscheint in unserem Text in Vers 73 ffm ) Die Tatsache, daß in altitalienischen Texten neben se die Nebenform sed (s. Rohlfs, § 779) begegnet und italien, se in Teilen des Südens Verdoppelung des folgenden Konsonanten bewirkt, z. B. kalabr. si ppdzzu 'si je peux', wirft die Frage auf, ob nicht ein vulgärlat. * s i d in Anlehnung an die Konjunktion q u i d ( > que, che) gebildet worden ist (vgl. R E W , no 7889). Das neuere französische ei scheint teils durch lateinische Einflüsse, teils durch satzphonetische Umstände (z. B. in den häufigen Verbindungen s'il, s'ils) hervorgerufen zu sein. Es erscheint neben dem häufigeren altfranz. se vereinzelt schon sehr früh, z. B. im Rolandslied, Vers 475 si ceste acorde ne volez otriër, Vers 928 Franceis mummt, si a nus s'abandunent. m ) Das g der alten lateinischen Form hat sich als ègo nur in den Mundarten des inneren Sardinien erhalten (M. L. Wagner, Historische Lautlehre des Sardischen, § 121).

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Muli volentiers < m u l t u v o l u n t a r i e - Das lateinische Adjektivum v o l u n t a r i u s bedeutete 'freiwillig'. Das auslautende s der französischen Form ist jenes adverbiale 8, das wir schon im Provenzalischen angetroffen haben (S. 60) und von Fällen wie foris, magis, melius, i n t u s sich auf andere Adverbia verallgemeinert hat; vgl. Vers 175.

35 Mds jeo criem tant vostre curat 36 Que nule rien tant ne redut. Aber ich fürchte so sehr euren Unwillen, daß ich nichts so sehr fürchte. criem 'ich fürchte*. — Letzter Ausgangspunkt ist zweifellos das lateinische t r e m o 'ich zittere'. Aber sehr ungewöhnlich ist die Wiedergabe der anlautenden lateinischen Konsonantengruppe mit kr.837) Man hat vermutet, daß das lateinische Verbum in Gallien unter dem Einfluß eines keltischen Wortes infolge einer Art Wortkreuzung zu * c r e m e r e geworden sei.338) vostre curut 'euern Unwillen'. - Als Grundlage des Substantivums, das im Neufranzösischen zu courroux geworden ist, darf wohl cor r u p t u m 'gebrochenes Herz' angenommen werden.339) - An Stelle des klassischen v e s t e r ist sehr früh das nach n o s t e r analogisch gebildete v o s t e r gebräuchlich geworden, das schon im ältesten Latein bezeugt ist.340) Das auslautende e ist typischer Stützvokal, der im Wortauslaut nach schwerer Konsonanz sich eingestellt hat. Ahnlich haben wir entre < i n t e r , trernble < tremulo, vendre. < vendere, paistre < pascere. Auch zweifache Konsonanz hat den gleichen Stützvokal entstehen lassen, 337 ) Auch prov. cremer zeigt die gleiche Unregelmäßigkeit; vgl. auch gask. cragne. - Der altfranz. Infinitiv lautet in Mariens Sprache oremeir ( * t r e m e r e ) , in anderen Texten cremir ( * t r e m i r e ) oder criembre ( t r e m ö r e ) . Das neufranz. craindre (wie auch gask. cragne) zeigt Anlehnung an plaindre

(gaak. plagne).

3SS ) Man denkt im allgemeinen an ein gallisches * c r i t o , das sich aus irl. crith 'tremblement' erschließen lassen könnte (Gamillscheg, EWFS, S. 271). Näher liegt es, einen gallischen Stamm "crem anzunehmen (REW, 8877), für den man auf breton. krdnein 'trembler', kren 'tremblement' verweisen könnte. - Daß ohne keltische Einflüsse auch ein spontaner okkasioneller Lautwandel denkbar ist, zeigt span. crerna 'Trema' aus giiech. Tpfj^oc; man vergleiche auch den sehr verwandten Ersatz von vulgärlateiniseh -tl- durch hl- in v e t l u s > v e c l u s , s i t l a > s i c l a (s. oben S. 28). 83> ) Vgl. auch altital. corroüo 'Trauer', 'Kummer'. - Nach anderer Meinung wäre von a n i m u s c o r r u p t u s 'gebrochenes Gemüt' (FEW, Bd. II, 1236) auszugehen, eine Grundlage, von der die Bildimg des Verbums altfranz. coroder, neufranz. courroucer ( * c o r r u p t i a r e ) besser überzeugt. 310 ) Das vulgärlateinische v o s t e r , das auf einer mauretanischen Inschrift (CIL, VIII, 9081, 6) bezeugt ist, scheint nicht die Fortsetzimg des altlatein. v o s t e r zu sein, sondern eine jüngere Neubildung nach n o s t e r .

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wenn das zweite Element eine Liquida oder ein Nasal war, z.B. fièvre < febre, père < p a t r e bzw. pater, aune< alnu. Endlich pflegen auch ehemalige Proparoxytona in der Form des e einen vokalischen Ausgang zu behalten, wenn sie auf späterer Synkopierung beruhen, vgl. puce, pouce, fraisne, tiède, raide; andererseits ohne e in den alten Synkopierungen ehalt, colp, vert (vgl. it. caldo, colpo, verde)-, siehe dazu Vers 7 und 80. ne redvt < non redubito. - Die Verneinung wird im Altfranzösischen im allgemeinen durch die einfache Negationspartikel ne zum Ausdruck gebracht, wie noch heute allgemein im Italienischen (non vengo) und im Spanischen (no vengo). Doch sind die verstärkenden Elemente, die wir 'Füllwörter' zu nennen pflegen, seit dem 11. Jahrhundert hie und da bereits in Gebrauch. Im Rolandsliede finden wir in diesem Sinne mie 'Krume', z. B. pur mei n'iras tu mie 'meinetwegen sollst du keineswegs gehen' (Vers 296). Chrétien kennt in gleicher Verwendung point-, Marie de France hat pas (Bisciavret Vers 72). Es ist klar, daß diese verstärkenden Mengenbezeichnungen ursprünglich an ganz bestimmte Verba geknüpft waren: mie an Verba des Essens, point an Verben der sinnlichen Wahrnehmung, pas an Verben des Gehens. - Die Verbalform redut setzt ein *redubito voraus, das in lateinischer Zeit noch nicht belegt ist. Das Präfix re- drückte im Lateinischen eine Wiederholung oder eine Wendung nach rückwärts aus (revestire, reponere). Im Romanischen hat es oft den Sinn einer Intensivierung oder Verstärkung. So erklären sich auch regarder, réunir, ramasser, renforcer, remplir. 37 Quant il l'ol, si l'acola, 38 Vers loi la traist, si la baisa. Als er das hörte, da umarmte er sie, zog er sie an sich und küßte sie. oî < audi(v)it. - Die altfranzösischen Formen schwanken in der 3. Person dieser Konjugationsklasse zwischen der Endung -i und der Endung it, wobei analogische und syntaktische Umstände mitspielen. Zunächst haben die Formen ohne -/ sich durchgesetzt (in Parallelität zu il parla), bis im Laufe des 15. Jahrhunderts unter neuen analogischen Einflüssen die Formen wieder ein auslautendes t annehmen.841) si l'acola: Zur Einführung des Hauptsatzes bei vorausgehendem Nebensatz durch verknüpfendes si, vgl. S. 57. Im Deutschen kann das Wörtchen 'so' ähnlich verwendet werden (s. ib.). acola 'zog sie an den Hals' (ital. accoUare). Die Endung der 3. Person des Perfektums steht im Widerspruch zu dem Ergebnis im Italienischen S41 ) Unter dem Einfluß der starken Perfekta il vit, dit, mit; s. P. Fouché, Le verbe français (Paris 1931), S. 246.

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und im Spanischen (cantò). Dieses -ò weist auf ein vulgärlateinisches -aut < -av(i)t. 342 ) Dementsprechend sollte man altfiranz. ein chantot erwarten, eine Form die wirklich existiert, aber auf c a n t a b a t beruht. Es waren also wohl in der 3. Person c a n t a v i t und c a n t a b a t in einer nicht mehr differenzierten Form zusammengefallen. Das ist wohl der Grund, weshalb es zu einer analogischen Neubildung gekommen ist, in Anlehnung an die Flexion ai, as, a (chanter-ai, -as, -a). vers lui: das Personalpronomen hat sehr früh auch die Funktion des Reflexivpronomens se (> soi) übernommen, wenn dieses betont war, was damit zusammenhängt, daß in einigen unbetonten Formen das Reflexivpronomen (me, te usw.) mit dem Personalpronomen völlig identisch ist. traist < t r a x i t ; vgl. d i a O d i x i t , duist < duxit, luist< l u x i t ; zur Behandlung von x (ks), s. Vers 1. 39 Dame, tait il, or demandez ! 40 Ja cele chose ne qnerrez, 41 Se jo la sai, ne la YUS die.

Herrin, spricht er, fraget nur! Ihr werdet gewiß nichts begehren wollen, was ich, wenn ich es weiß, euch nicht sage. Dame: Gegenseitige Anrede zwischen Ehegatten in der höfischen Gesellschaft ist also sire 'Herr' (Vers 32) und dame 'Herrin'. In diesem gesellschaftlichen Milieu gibt es auch zwischen Ehegatten kein 'tu', sondern nur das konventionelle 'vous'. Dame entspricht dem prov. dotnpna (s. S. 77). Die ungewöhnliche Lautentwicklung von domina beruht auf einer stark reduzierten Schnellsprechform in Verbindung mit einem folgenden Namen: *dorne Marie > *d'me Marie > dame Marie.343) or demandez: neben ore < ha(c) hora (s. S. 112) ist or eine verkürzte Schnellsprechform. Sie zeigt sich auch in der Nebenform encor neben dem normalen encore. - Im Imperativ des Plurals sind die alten Formen des Imperativs im Galloromanischen durch den Indikativ ersetzt worden: ambulate > a m b u l a t i s > allez!, eine Erscheinung, die sich bereits im Lateinischen angebahnt hat.344) 3*2) Die Endung - a u t im Sinne von - a v i t begegnet schon auf Inschriften aus Pompeji, z. B. e x m u c c a u t und p e d i c a u d (CIL, IV, 1391 und 2048). ö f t e r als - a u t ist im Vulgärlateinischen - a i t belegt, das der Reduktion von - a v i > -ai entspricht; vgl. beim Grammatiker Probus p r o b a v i t non probait. 343 ) Die entsprechende männliche Form dam < d o m i n u s , z. B. alt franz. dam Alexia hat sich in französischen Ortsnamen erhalten (Dammartin, Danremy), die nach Heiligen ( d o m i n u s = s a n c t u s ) benannt sind. * 44 ) Siehe in der Zeitschrift Glotta 5, 79. - Auch in prov. cantate! anatz! liegt der Indikativ zu Grunde. Die italienischen Formen cantate 1 venite ! lassen die alte Grundlage nicht klar erkennen. - Daß die Neigung, den Imperativ

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querrez < querr -ez < q u a e r e r e a b ê t i s . - Das romanische Futurum ist neugebildet aus dem Infinitiv und dem Präsens des Hilfszeitverbums h a b e r e . Die Endungen des Futurums entsprechen daher genau der Flexion dieses Verbums, mit dem Unterschied, daß in der 1. und 2. Person des Plurals verkürzte Formen (-ons = avons, -ez = avez) erscheinen. ***) Über die Gründe, warum es in Frankreich früh zur synthetischen Form gekommen ist, s. H. Kuen in Festschrift E. Gamillscheg (1952), S. 159ff. sai beruht nicht auf klass. sapio bzw. *sapeo (vom romanischen Infinitiv sapëre), sondern setzt ein * s a j o voraus, das an *ajo 'ich habe', *sujo, *dejo, * v i j o angeglichen worden ist.344) ne la vus die 'die ich euch nicht sage'. - Nach einem vorausgehenden demonstrativen Begriff (cde chose) konnte im Alt&anzösischen das Relativpronomen in einem negativen Satz unterdrückt werden.847) Die Form die beruht auf d i c a ( m ) . Das intervokalische k ist in der Stellung vor a zum Reibelaut j geworden: b a c a > baie, b r a c a > braie, p a c a t > paie. Dieser neue Laut ging jedoch in dem vorhergehenden Vokal auf, wenn dieser ein * war: mica > mie, arnica > amie, p i c a > pie.348) Der Konjunktiv ist in unserem Nebensatz dadurch bedingt, daß der vorausgehende Hauptsatz negiert ist. Wir haben hier also den Konjunktiv der Unsicherheit, wie noch heute im Neufranzösischen je n'ai trouvé"personnequi puisse le faire?19) 42 Par fei, fet ele, or soi guarie I 43 Sire, jeo soi en tel esfrei 44 Les jure quant vus partez de mei. Fürwahr, spricht sie, nun bin ich beruhigt! Herr, ich befinde mich in solcher Angst an den Tagen, wenn ihr von mir scheidet. durch den Indikativ zu ersetzen, gelegentlich auf den Singular übergegriffen hat, zeigt altfranz. oz 'hörel' < audis. Dagegen dürfte in neufranz. vas-yl das auslautende s analogisch nach áUons -y / aüez-y/ entstanden sein. *") Vgl. span. cantaremos: hemos 'wir haben', cantarás: has 'du hast', ital.

canteremo : altital. avemo 'wir haben', canterai : hai 'du hast' usw. — Im

Spanischen und im Frovenzalischen konnte in der älteren Sprache zwischen dem alten Infinitiv und dem Hilfsverbum ein Personalpronomen treten, vgl. altspan. cantar-lo-has 'du wirst es singen', altprov. cantar-lo-ai 'ich werde es singen', eine Möglichkeit, die dem Portugiesischen bis heute geblieben ist, z. B. cantá-lo-ei 'ich werde es singen'. **') Vgl. die ähnliche Übereinstimmung von ital. so 'ich weiß' mit ho 'ich habe', span. sé 'ich weiß' mit hé 'ich habe'. "') Siehe die Beispiele aus der älteren Sprache bei Lerch (Bd. I, S. 160) und Gamillscheg, S. 623. 848 ) Das « in der modernen Form dise entstammt dem Einfluß von disais,

disons. "") Vgl. lat. nemo est qui possit.

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Par fei, entspricht einem ital. per jede, lat. per fide. Der Wandel von e > a in der Präposition per ist durch den proklitischen Gebrauch derselben bedingt. Er entspricht dem Präfix par in parvenir, pardonner, parsemer und findet sich wieder in der vortonigen Silbe von marché (me'rcatu), paresse (pigritia), marchand (*mercatante), parpaing 'durchlaufender Mauerstein* (*perpetaneus). 350 ) sui guarie: Die Form sui setzt statt des klassischen süm > *su ein vulgärlateinisches *süjo voraus, das nach *ajo = habeo umgeformt worden ist.881) Das Verbum guarir ist die Latinisierung eines fränk. *warjan 'abwehren'. Das germanische w wurde von den Romanen mit einem Lautersatz übernommen, indem sie das ihnen geläufige gy, (sanguis, anguilla) dafür eintreten ließen: wahta > altfranz. guaite.S61a) Dieser Laut hat sich im Italienischen bis heute erhalten (guarire, guardare, guamire, guanto, guerra, guidare), während er in Frankreich seit dem 12. Jahrhundert sein volares Element eingebüßt hat: guérir, garder, garnir, gant, guerre, guider?62) Germanische Wörter mit der Verbalendung -jan werden im Romanischen im allgemeinen in die ¿-Konjugation eingereiht: garnir (warnjan), choisir (kausjan), honnir (*haunjan), rôtir (*hraustjan). 858 ) a60 ) Der Wandel zu a ist durch das folgende r begünstigt. Es ist eine Erscheinung, die auch in Italien ziemlich verbreitet ist (Rohlfs, Bd. I, S. 218). Komplizierter und unnötig ist die Annahme, daß in der Präp. par ein *para < *pera < p e r a d vorliegen könnte (Gamillscheg, ZRPh, Bd. 68, 212). *") Das altfranz. sui (sprich süi) weist auf eine Vorstufe * s ü j o > * s ü j o, dessen ü unter dem Einfluß des folgenden Palatals durch Umlaut entstanden ist (Fouché, Le verbe français, S. 408). Vergleichbare Fälle sind p ü t e u > altfranz. püiz (neufranz. puits), ö s t i u m > ü s t i u m > hüis, c ö g i t o > altfranz. cüit. An einen analogischen Einfluß des Perfektums f û ï (Nyrop, Hist. de la langue fr., II, § 119, 6) ist sicher nicht zu denken. Das auslautende -8 in neufranz. suis ist rein orthographisch bedingt in Anlehnung an puis, nais, fais, crois, plains, indem -s immer mehr zum Kennzeichen der ersten Person aller Verben geworden ist, die nicht die Endung -e (je parle, chante) hatten. Zur Ausbreitung dieses analogisch bedingten -«, siehe Fouché, Le verbe français, S. 182. ssi») Das germanische w blieb erhalten in den nördlichen und östlichen Grenzmundarten Frankreichs, z. B. pikard. wardé 'garder', wallon, wagni 'labourer' ('gagner'), lothr. wà 'gué'. S62 ) Die moderne Form guérir, die seit dem 13. Jahrhundert erscheint, aber erst im 17. Jahrhundert völlig an die Stelle von garir tritt, erklärt sich aus dem Schwanken des vortonigen Vokals vor r, vgl. altfranz. esparvier neben espervier, altfranz. sarcou, sarqeu > cercueil, im heutigen Frankreich provinziell serment neben sarment 'Weinrebe'; siehe dazu Rheinfelder, § 135, Pope, § 498, Fouché II, S. 446. - Zur romanischen Behandlung des germ. w, siehe Anm. 195 a. ,BS ) Es gibt einige Ausnahmen, z. B. gagner ( * w a i d a n j a n ) , épargner (*sparanjan).

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esfrei: deverbal vom Verbum esfreer 'erschrecken', eigentlich 'aus dem Frieden bringen' < * e x f r e d a r e (germ. f r ï t h u ) . Neufranzösische F o r t s e t z u n g ist efjroi u n d

effrayer.

partez: die Endung des Präsens in der 2. Person des Plurals entspricht nicht der lateinischen Grundlage. Vielmehr hat sich das - a t i s der a-Konjugation auf alle anderen Konjugationen übertragen: vous chantez, vous devez, vous fartez.SM) 46 46 47 48

El cner en ai malt grant dolor E de vus perdre tel pottr, Se jeo nen ai hastii cunîort, Bien tost en puis aveir la mort.

Im Herzen habe ich darüber sehr großen Schmerz und euch zu verlieren solche Furcht: wenn ich nicht raschen Trost erhalte, kann ich daran bald den Tod haben. el euer 'au cœur', 'dans le cœur': el ist durch Kontraktion entstandene Schnellsprechform für en le, entsprechend dem pluralischen es = en les (Vers 8).385) - Offenes o (aus lat. ö) in freier Silbe diphthongiert in einer älteren Stufe zu uo (vgl. in der Eulaliasequenz buona, suon, ruovet < r ö g a t ) , das seit dem 11. Jahrhundert durch Dissimilation zu MC wird, vgl. n ö v u > nuef, n ö v e > nue], s ö r o r > suer, möla > müde, v ö l e t > vuelt. Die Weiterentwicklung des Diphthongen zu ö (seit dem 13. Jahrhundert) scheint, wie italienische Parallelen (s. Rohlfs, Bd. I, S. 203) vermuten lassen, über die Stufe üe gegangen zu sein.855®) poür < p a v o r e : Das intervokalische v (wie auch b) geht verloren, wenn einer seiner benachbarten Vokale ein o oder ein u war: p a v o r e > paür, p a v o n e > paon, * t a b o n e (klass. t a b ä n u s ) > taon, * u v i t t a > (l)uette.35*) Wenn wir in unserem Text poür haben, so hat sich das a dem dunklen Vokal angepaßt. - Man lese poür als po-our \ ,64

) Die aus - ë t i s und - i t i s zu erwartenden Resultate (deveiz > devoiz, sentiz) sind im Mittelalter noch im östlichen Frankreich nachweisbar, vgl. A.Behrens, Die Endung der 2. Pluralis des altfranzösischen Verbums (1890); Fouché, Le verbe français (Paris 1931), S. 190. S55 ) Die Form el hat sich in der späteren Aussprache eu (eu nom) und ou (vgl. del > dou, du) bis ins 16. Jahrhundert erhalten, vgl. bei Villon ou temps de ma jeunesse folle, bei Deschamps ou printemps. Dieses ou ist später in dem aus à le entstandenem au aufgegangen, z.B. au printemps, croire au diable; s. Gamillscheg, S. 256, Grevisse, § 933. ,S6m ) Vgl. mhd. prüevet = altfrz. prueve (Kuen). Eine Begründung für die Aussprache üe, die entstanden wäre zur Zeit als ü zu ti palatalisiert wurde, gibt Fouché (Bd. II, S. 293ff.), der üe auch in der Stellung vor einem Nasal ( c ö m e s > kûëns, b ö n a > büZne) annimmt (ib. S. 367). 35e ) Vgl. schon in der Appendix Probi p a v o r n o n paor. — Italienisch paura zeigt Ersatz von -or durch -ura. 137

nen: vollere Form der Negation, die sich vor Vokal erhalten hat (nen ai ami, ne vei ami). Siehe zu Vers 2. hastif: mit dem Suffix - i v u s ( a e s t i v u s , c a p t i v u s ) gebildetes Ádjektivum zu altfranz. haste 'Eile'. Dieses beruht auf einem fränk. • h a i f s t 'Heftigkeit'; deutsch Hast ist ein Lehnwort aus dem Altfranzösischen.357) Das h in den germanischen Lehnwörtern (hache, haie, hêtre) war im Mittelalter ein wirlicher Hauchlaut. In der französischen Schriftsprache ist der Laut seit dem 17. Jahrhundert verstummt, während die nördlichen und östlichen Randgebiete (Bretagne, Wallonie, Lothringen, dazu auch die Gascogne) den Hauchlaut bis heute bewahrt haben.®68) tost: ital. tosto 'bald', 'rasch'. Grundlage ist lat. t o s t u m , eigentlich 'geröstet', 'gebrannt', dann wohl 'hart', 'fest', und nun mit ähnlicher Verschiebung zu temporaler Funktion, wie in englisch fast, das von 'fest' zu 'schnell' gelangt ist. puis: kann natürlich nicht p o s s u m sein, sondern setzt als Präsens von vulgärlat. *potëre (ital. potere, span. poder) ein Präsens • p ö t e o voraus. Die Lautverbindung t + f hat im Altfranzösischen zu dem gleichen Ergebnis geführt, das aus k vor hellem Vokal in intervokalischer Stellung hervorgegangen ist: * v e c i n u > veisin. Man darf also folgende Entwicklungsstufen annehmen: r a t i o n e > r a t s i o n e > raidson > raison. Ähnlich p r e t i a t > *prieidáa > prise, s a t i o n e > saison, p o t i o n e > poison, p a l a t i u > palais. Der Diphthong ui beruht auf kurzem o vor Palatal, wobei man als ältere Stufe ein *uei voraussetzen darf, vgl. n o c t e > nuit, octo > uit, * p o s t i u s > puis, p o d i u > piti.889) 49 50 61 52

Kar me dites u vus alez, U vus estes e conversez ! Mon escient que vus amez, E se si est, vus meserrez.

Auf, sagt mir, wohin ihr geht, wo ihr seid und euch aufhaltet! Meiner Meinung nach habt ihr eine Liebschaft, und wenn es so ist, so seid ihr auf schlechtem Lebenswandel. »67) Wegen der Wiedergabe von fränkisch ai durch o (vgl. gagner < w a i d a n j a n ) , s. Gamillscheg, Romanía Germanica, Bd. I, S. 237. 86i ) Die einstige Natur des Hauchlautes wirkt in dem modernen 'h aspiré' nur noch darin fort, daß die betreffenden Wörter weder Elision noch Liaison des vorhergehenden Wortes zulassen: le héros, les hêtres; s. dazu Fouché, Traité de prononciation française (Paris 1956), S. 251 ff. " • ) Diese ältere Stufe ist im Altprovenzalischen deutlich erkennbar:

n o c t e > nuoit, *postius > jmois (pueis); s. S. 55; vgl. auch Anm. 229. Zum Lautwert des alten Triphthongen uei (— ilei?), s. S. 137

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Kar me Utes: car hatte in der mittelalterlichen Sprache zwei Funktionen. Es diente, wie noch in der modernen Sprache, zur Begründung eines Gedankens. Als Einleitung eines Imperativs jedoch betonte es die Dringlichkeit einer Aufforderung. Die lateinische Grundlage ist quare 'weshalb ? d a s durch seine Verwendung im indirekten Fragesatz bzw. in relativer Anknüpfung schon in klassischer Zeit Funktionen übernommen hatte, die sowohl die Entwicklung zur kausalen Konjunktion wie die Einleitung einer Aufforderung möglich machten.860) Jedenfalls konnte es schon im klassischen Latein mit einem Imperativ im Sinne von 'drum', 'daher' verbunden werden, z. B. quare pro certo habetote 'drum sollt ihr als sicher nehmen' (Sallust).861) Das Ausbleiben des Wandels a> e erklärt sich wieder (vgl. mal, Vers 11) durch die Schwachtonigkeit des Wortes.862) Das Personalpronomen geht dem Verbum voraus, da es den Satz nicht eröffnet; vgl. aber Dites mei veir! (in dem Lai Guigemar, Vers 817): siehe dazu Vers 31. mun escient: ist die Umformung eines alten Ablativus Absolutus me s c i e n t e 'soweit ich weiß',883) der in seiner Konstruktionsart nicht mehr verstanden wurde, so daß das Personalpronomen durch das Possessivum ('nach meinem Wissen') ersetzt wurde.884) Die Dreisilbigkeit des Wortes, d. h. die Bewahrung des Hiatus-» läßt erkennen, daß das Wort aus der Sprache der gebildeten Oberschicht stammt. Eine altfranzösische Nebenform war escientre (in der Karlsreise Vers 139 par le mien escientre): sie zeigt Anlehnung an das lateinische Adverb sciente r. - Die Konjunktion que erklärt sich aus dem Vorliegen eines Ausdrucks des Wissens. 8 , °) Siehe dazu Lerch, Bd. I, 8. 134ff. ; Wartburg, F E W , Bd. II, S. 1421. Die in car enthaltene Begründung möchten Lerch (Bd. I, 135), Löfstedt (Kommentar zur Peregrinatio, S. 324) und Gamillscheg (Syntax, S. 588) aus einer ursprünglichen Frage erklären: sum, q u a r e í c o g i t o . - Man beachte, daß auch im Italienischen und im Spanischen die Konjunktion der Begründung mit der Fragepartikel 'warum' identisch ist, vgl. ital. perché non vieni? : non vengo perchè ho paura, span. ; porqué no vienes? : no vengo porque tengo miedo* M ) Ein frühes Beispiel für explikativ-kausale Funktion scheint in einer Inschrift aus Pompeji vorzuliegen: R u f a , i t a vale, q u a r e bene felas (Vaananen, S. 243). S 6 i ) Die zu erwartende Normalform quer (her) ist noch in Texten des 11. Jahrhunderts anzutreffen, z. B. im Alexiuslied quer üoec est 'car il est là' (Vers 315). '•») Das lateinische s c i r e wurde im Vulgärlatein früh durch s a p e r e ersetzt (s. zu Vers 41). Abgesehen von Sardinien (iskire) und Rumänien (sti 'wissen') hat es sich nur in der hier begegnenden Redensart (vgl. prov. man escien, a escien) erhalten. " * ) Ähnlich ist aufzufassen altfranz. maugré suen 'obwohl es ihm nicht recht war' > 'gegen seinen Willen'. - Siehe darüber und betr. anderer Ausdrucksweisen, die einem alten Ablativ entsprechen, Gamillscheg, Syntax, S. 20.

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meserrez: das hier erscheinende altfranzösische Verbum errer ist nicht e r r a r e 'irren*, sondern es beruht auf i t e r a r e 'reisen', 'fahren', 'wandeln', (> 'handeln').365) Das Verbum ist später durch die entstandene Homonymie von errer 'irren' absorbiert worden. Eine Erinnerung an seine einstige Existenz haben "wir in dem Juif errant 'der ewige Jude', eigentlich der 'wandernde Jude'. Das Präfix mes ist identisch mit fränk. miss- (mißraten, Mißernte). Es findet sich nicht nur in franz. Verben (mesfaire, mesdire, mesprendre), sondern auch in Substantiven: neufranz. mésaventure, mésentente, mévente 'schlechte Verkaufsmöglichkeit'.3««) 53 54 55 56

Dame, fet il, pur Deu merci! Mals m'en vendra, se jol vus di; Kar de m'amar vus partirai E mei melsmes en perdrai.

Herrin, spricht er, bei Gottes Gnade, ein Unglück wird mir werden, wenn ich es euch sage ; denn von meiner Liebe würde ich euch trennen und sogar mich würde ich damit zugrunde richten. pur Deu merci3*1) 'bei Gottes Gnade': der einfache Obliquus kann im Altfranzösischen auch die Funktion eines Genitivs übernehmen. Beispiele dafür sind schon früher gegeben worden, z. B. altfranz.: le corn, RóUant, neufranz.: la Fête-Dieu 'Fronleichnam' (s. S. 30). Ein ähnlicher von unserer Dichterin verwendeter, formelhafter Ausdruck ist pur amur Deu (Lanval 524) 'pour l'amour de Dieu'.368) vendra < v e n i r e a b e t : d ist Übergangslaut zwischen n und r (s. S. 105). Der Diphthong in der neufranzösischen Form (il viendra) ist analogisch übertragen aus dem Präsens. jol vus di 'je vous le dis'. - Beim Zusammentreffen eines Personalpronomens der dritten Person mit einer ersten oder zweiten Person pflegte im Altfranzösischen der Akkusativ dem Dativ vorauszugehen >e5

) Eine ältere Form war edrer (im Alexiuslied, Vers 190). *••) Der französischen Form entspricht ital. mis-, z. B. misfatto 'Vergehen', miscredente, misawentura. — Das Präfix ist in den romanischen Sprachen z. T. durch m i n u s ersetzt worden, vgl. altprov. mensprendre, menscreire, span. menospreciar, menoscabar, altital. menescredente (Rohlfs, § 1020). a " ) Die Herausgeber (Warnke, Richthofen) setzen nach Deu ein Komma. Es handelt sich jedoch um eine einheitliche formelhafte Redensart pur Deu merci, in der Deu als abhängig von merci aufzufassen ist. Vergleiche im Rolandslied 2183 la mercit Deu 'Gott sei Dank', im Altprovenzalischen per la mercé, de Dieu (Appel, Prov. Chrestom. no. 8, Vers 132), mercé Dieu 'Gott sei Dank' (ib., no. 64, 12). 36 8 ) Mit der Formel por Deo amor beginnen auch die aus dem Jahre 842 stammenden Straßburger Eide.

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(ne le m'osa dire). Die neuere Sprache hat beim Dativ der 1. und 2. Person seit dem 16. Jahrhundert die umgekehrte Stellung zur Regel gemacht.8«9) har 'denn': s. Vers 49 und Anm. 361. m'amur: Das Wort amour hatte im Altfranzösischen weibliches Geschlecht, in Übereinstimmung mit den anderen Wörtern abstrakter Bedeutung, die auf lat -or zurückgehen: douleur, chaleur, grandeur.310) So wie der weibliche Artikel vor einem mit Vokal anlautenden Wort elidiert wurde, so sagte man einst auch m'escole (vgl. l'escole), m'amie, m'espavle. Dadurch daß die mit Vokal anlautenden Wörter durch den apostrophierten Artikel in ihrem Geschlecht nicht klar bestimmt waren (l'enfant, l'orme), kam es bei diesen Wörtern oft zu einem Schwanken des Geschlechtes (affaire, amour, aire, art, enfant, ombre, ordre usw.). Solche Wörter konnten also mit dem maskulinen wie mit dem femininen Possessivpronomen verbunden werden: mon affaire, m'affaire. Von hier scheint sich die vollere Form bei vokal isch anlautendem Wort generalisiert zu haben: mon école, mon amie?11) vus partirai 'ich werde euch trennen': das altfranz. Verbum kennt noch die transitive Verwendung des lateinischen partire 'teilen', die in der modernen Sprache nur noch in einigen veralteten Redensarten erkenntlich ist: avoir maiUe à partir avec qqn. 'mit jemandem ein Hähnchen zu rupfen haben'. Die intransitive Verwendung im Sinne von 'weggehen', 'abreisen' ist aber bereits in altfranzösischen Texten bezeugt neben der gleichbedeutenden Reflexivkonstruktion: Erec se part de la reïne (Erec 275). e mei meismes: die Form meîsmes ist nicht als männlicher Nominativ aufzufassen, sondern sie hat die Funktion eines Adverbiums ('adverbiales s', s. S. 132) : 'und sogarmich werde ich damit zugrunde richten'.372) Zur Etymologie von meïsme 'même', s. Vers 293. 3 ' 9 ) Über die Gründe dieser veränderten Stellung, die durch rhythmische Bedingungen veranlaßt ist, s. Lerch, Bd. I I I , § 353ff.; Gamillscheg, Syntax, S. 125ff. — Die gleiche Verschiebung in der Stellung hat sich in Italien vollzogen: lo me dai > me lo dai (Rohlfs, § 472). 870 ) Der Geschlechtswechsel zum Maskulinum ist durch verschiedene U m stände bedingt. Schon in altfranzösischer Zeit wurde amur männlich gebraucht, wenn es sich auf den Liebesgott Amor bezog. Im 16. und 17. Jahrhundert wird das Wort unter humanistischen Einflüssen als Maskulinum verwendet. Das weibliche Geschlecht hat sich in der pluralischen Verwendving des Wortes erhalten: de folles amours, leurs premières amours (siehe Grevisse, S. 192). 371) Siehe Voretzsch, Z R P h , Bd. 36, S. 600; vgl. auch Voretzsch, E A S (1955), S. 219. 372 ) Die adverbiale Geltung des auslautenden -s erhellt aus Beispielen, wo keine männliche Person beteiligt ist, z. B . bei Marie elle meîsmes V a levee. Siehe dazu Gamillscheg, S. 167.

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67 Qnant la dame l'a entendu, 5 8 Ne la nient en gab tenu. 5 9 Suventes feiz Ii demanda.

Als die Dame das vernommen hat, hat sie es nicht für einen Spaß gehalten, öftere Male befragte sie ihn. tenir en gab 'für einen Spaß halten': Die Präposition hat hier eine Funktion, die dem Sinne von comme sehr nahekommt. Es ist die gleiche Funktion, die en noch neufranzösisch hat in agir en ami, 'parier en mattre, ils le prirent en trattres (Rousseau).378) Das Wort gab 'Spaß', 'Spott' ist mit den Normannen aus dem Altnordischen gekommen: g a b b 'Verspottung'. Es lebt im neueren Französischen fort in dem Verbum gaber 'railler' (ital. gabbare). suventes feiz: das auf latein. s u b i n d e beruhende suvent ist ein Adverbium. Die Verwendung in adjektivischer Funktion, abgesehen von dem sehr häufigen suventes feiz (souvente fois, souvente fie), ist nur selten zu belegen, vgl. souvante reffeccion und das neugebildete Adverbium souventement (Godefroy, VII, 567).874) 6 0 Tant le blandi e losenja 6 1 Que s'ayenture Ii cnnta; 6 2 Nule chose ne Ii eela.

Solange schmeichelte sie ihm und redete ihm freundlich zu, daß er sein Abenteuer ihr erzählte; nichts verheimlichte er ihr. blandi e losenja: Beide Verba haben ziemlich die gleiche Bedeutung. Das eine ist schon lateinisch ( b l a n d i r i 'zu Gefallen reden'). Das andere ist wahrscheinlich gewonnen aus dem spätlateinischen Substantivum l a u d e m i a 'Lobrede', das als Konträrbildung zu latein. b l a s p h e m i a entstanden ist. Im Provenzalischen mußte interdentales -d- normal ein stimmhaftes -s- (vgl. l a u d a r e > lausar) ergeben. Es dürfte also das altfranz. losenge 'Schmeichelei' ein Lehnwort aus dem Provenzalischen (lausenja) sein, wo der Begriff der lausenja und die Bolle des lausengier in der Ideologie der Troubadours eine große Rolle gespielt hat. 378 ) Die echte französische Fortsetzung von l a u d e m i a ist franz. Umange.378) S7S ) Vorläufer dieses Gebrauches findet man schon in lateinischer Zeit, z. B. s e d e t i n a m i c u m 'wie ein Freund' (Augustinus), m u g i r e i n b o v e m 'wie ein Ochse brüllen' (Lex Salica), i n v e t u l a ire 'mit der Hexenmaske gehen' (7. Jahrhundert), und schon im klassischen Latein i n b a r b a r u m m o d u m 'nach fremdländischer Art'. - Siehe dazu Gamillscheg, S. 606. a74 ) Vgl. die unberechtigte Adverbialendung in altfranz. ensement = ensi 'ainsi' (Roland, Marie). 876 ) Siehe E. Wechssler, Das Kulturproblem des Minnesangs (Halle 1909), S. 203. i7 ' ) Zur Lautentwicklung des Suffixes vgl. franz. vendange < v i n d e m i a . Die altprov. Nebenform lauaenga (> ital. lusinga) zeigt Einfluß des germa-

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aventure: spätlateinische Neubildung ( * a d v e n t u r a ) zum Verlram advenire: 'ce qui doit arriver'.377) 63 64 65 66

Dame, jeo devienc bisclavret. En cele grant forest me met al plus espés de la gualdine, s'i vil de preie e de ravine.

Herrin, ich werde ein Werwolf. In jenen großen Forst begebe ich mich, in das Dichteste des Waldgeländes, und dort lebe ich von Beute und Raub. devienc 'je deviens': das auslautende c ist nicht willkürliche Orthographie. Da ein k im französischen Auslaut auf einem älteren g beruhen kann, kommen wir auf jene Form des Stammausganges, die noch heute für das Italienische und das Spanische charakteristisch ist: vengo 'ich komme'. Es handelt sich, wie in ähnlichen Fällen (ital., span. tengo, ital., span. pongo, ital. valgo), um die Übertragung eines Ausganges von Verben wie plango, jungo, pingo, pungo. 378 ) Der in gedeckter Silbe unberechtigte Diphthong ist übertragen aus den normalen Formen vien < venio, vient < venit. espés: normales Ergebnis aus lat. spissus 'dicht*. Die moderne Schreibung épais ist historisch unberechtigt; vgl. ähnlich aile = altfranz. de, clair = altfranz. cler. gualdine. - Unter den Wörtern, die in altfranzösischer Zeit für den Wald gebraucht wurden, haben wir eine Entsprechung des deutschen Wald. Sie erscheint im Altfranzösischen in den Formen gualt > guaut > gaut.37t) Von diesem fränkischen Stammwort hat man mit Hilfe des Suffixes -ina eine Ableitung geschaffen, die wohl den Sinn hatte, den konkreten Begriff in eine abstrakte Weite zu verschieben : 'Wald' > 'Waldung', 'Waldgebiet'.380) nischen Suffixes -inga. - Zur Begründung der etymologischen Deutung, siehe Corominas, Dicc. III, S. 108 ff. * " ) Die Bildung erfolgt auf der Grundlage des alten Part. Perfekti, vgl. lat. s c r i p t u r a , t e x t u r a , c u r s u r a 'das Laufen', a r m a t u r a . S78 ) Der gleiche Stammausgang erscheint in der Sprache unserer Dichterin im Konjunktiv des Präsens vienge und tienge, die genau dem ital. und span. venga und tenga entsprechen. Andere altfranzösische Texte bieten die

Konjunktivefierge(feriat), muerge (moriat), alge ('il aille'), ponge, querge,

curge, parolge (Schwan-Behrens, § 348, 3b, Anm.). - t)"ber die gleiche Erscheinung im Italienischen, auch hier hauptsächlich bei Verbalstämmen auf n, l und r, s. Rohlfs, § 535. - Im Rolandslied findet sich moerc 'je meurs'.

" * ) Vgl. im Rolandslied devers un guaU um gram leons Ii vient 'von einem

Wald her kommt ein großer Löwe auf ihn zu* (Vers 2549). Das untergegangene Wort hat sich in Frankreich in Ortsnamen erhalten, z. B. Le Gault (Loir-

et-Cher), Le Gault - La Forêt (Marne). 38

°) Es ist das gleiche Suffix, mit dem man aus altfranz. guaat 'wüst' das

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s'i vif: dieser Vers würde, in das Lateinische zurückgeführt, etwa so lauten: sic ibi (Aie?) v i v o de p r e d a et de r a p i n a . Für 'Beute' war das klassischlateinische Wort p r a e d a , woraus normal ein vulgärlateinisches p r ë d a hätte hervorgehen müssen (> altfranz. *priee). Doch kann die französische Form (preie > proie) nur auf *prëda beruhen. 381 ) In ravine aus lat. r a p i n a haben wir das Suffix, das zur Bildung von gvaldine Verwendung gefunden hat. 67 68 69 70

Quant il Ii aveit tut cunté, Enquis Ii a e demandé S'il se despueille u vet vestuz. Dame, fet il, jeo vois tuz nuz.

Als er ihr alles erzählt hatte, hat sie ihn ausgeforscht und befragt, ob er sich auskleidet oder bekleidet geht. Herrin, sagt er, ich gehe ganz nackt. despueille [phonetisch transkribiert despueie] < lat. d e s p ö l i a t , zum Verbum d e s p o l i a r e 'berauben', 'die Kleider wegnehmen'. Vor dem Lautnexus Ii unterbleibt jene besondere Vokalentwicklung, wie sie sonst vor palataler Konsonanz im Altfranzösischen zu beobachten ist (lectu > *lieit > lit, n o c t e > *nueit > nuit). Es kommt in solchen Fällen nur zu dem normalen Ergebnis ue. Das heißt : der palatale HiatusVokal hat in seiner Wirkung Folgen nur für den vorhergehenden Konsonanten gehabt, nicht für den Tonvokal der vorausgehenden Silbe. So erklärt sich auch: folia > fueille. Das gleiche Ergebnis haben wir, wenn das palatale l aus anderer Grundlage entstanden ist, z. B. oclu > ue.il, c o l l i g o > *collio > cueil. - Diese Sonderentwicklung vor palatalem l erklärt auch, daß in Wörtern mit ë die Entwicklung nur bis zum Diphthongen ie (d.h. nicht bis zu i) gelangt ist: m e l i u s > mielz (sprich mieiz), v e t u l u > veclu > vieil (d. h. viel). Substantivum guastine 'Wüste', 'unwirtliches Gebiet' gebildet hat, ein Wort, das in Frankreich als Ortsname in den Namen verschiedener Wälder sich erhalten hat, z. B. Forét de Gàtine (Touraine). - In rein abstrakter Funktion erscheint das Suffix in altfranz. baine 'Haß', guerpine 'Verzicht', geine 'Geständnis', neufranz. saisine 'Besitzrecht eines Erben'. Zur Herkunft des Suffixes, vgl. in unserem Text das Reimwort rovine < lat. r a p i n a . a81 ) Auch für prov. preza und altspan. prea ist p r e d a ( * p r o e d a ? ) anzunehmen, während ital. prèda und rum. pradä auf p r a e d a beruhen. Die schwankende vulgärlateinische Aussprache scheint durch die provinzielle Eigenart gewisser altitalischer Mundarten ('volskisch-faliskische Aussprache') bestimmt zu sein, da auch neben s a e t a (d. h. s é t a ) ein s é t a (d. h. s e t a ) , neben s a e p e s 'Zaun' ein s e p e s = s e p e s angenommen werden muß, vgl. insbesondere altfranz. soif (< * s e p e s ) neben ital. siepe (< s ö p e s < s a e p e s ) . — Über eine andere Erklärung, s. Arm. 69.

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vet 'er geht': die vorliegende Form beruht auf älterem mit.382 So lautet die Form der 3. Person im älteren Rolandslied, und auch unser Text bietet in der Reimstellung vait : fait (Vers 12). Die dazu gehörige 1. Person erscheint im folgenden Vers unseres Textes: jeo voia. Da die 2. Person tu vas lautet, haben wir also im Präsens des Verbum aller folgende sehr unregelmäßige Flexion jeo vois, tu vas, il vait (vet). Die gleiche merkwürdige Flexion begegnet im Altfranzösischen nur noch bei einem einzigen anderen Verbum fester): jeo estois, tu estas, il estait (estet).383) Nicht ganz selbstverständlich ist auch die 3. Person des Plurals, die von 'aller' schon in altfranzösischer Zeit vont lautet: ihr entspricht wieder ein estont vom Verbum ester. Es ist klar, daß die beiden Verba sich gegenseitig beeinflußt haben oder aber einem gleichen Flexionsschema folgen. Bei solchen häufigen Verben muß mit vielseitigen Analogien gerechnet werden. Die 3. Person des Singulars vait scheint durch fait bestimmt zu sein.384) In der 2. Person des Singulars ist wohl tu as vorbildlich gewesen.385) Die 3. Person des Plurals ist ebenfalls durch das Verbum 'avoir' bestimmt: nach ont, das ein * a b u n t m ) voraussetzt, sind vont und estont gebildet worden. Noch ziemlich ungeklärt ist die Herkunft der 1. Person des Singulars vois 'ich gehe' und estois 'ich stehe'. Beide Formen erinnern an die entsprechenden spanischen Formen voy 'ich gehe', estoy 'ich stehe', die ebenfalls noch keine zuverlässige Erklärung gefunden haben.387) Die neufranzösische Form je vais dürfte direkt altes vois fortsetzen, das noch im 16. Jahrhundert als je voes bezeugt ist (vgl. avoit > avait), siehe Pope § 959. vestuz: beruht auf *vestutus. Die von wenigen lateinischen Verben ausgestrahlte Part.-Endung -utus ist in den romanischen Sprachen zu großer Beliebtheit gelangt: venu, vendu, voulu, ital. venuto, vendvto, völuto. »«) Die seit dem 12. Jahrhundert auftretende jüngere Form ü va hat sich offenbar an ü a (vgl. auch das seltene il esta 'er steht') angelehnt. 38S ) Ein weiterer Rest dieser Flexionsweise ist in altfranz. doins 'ich gebe' zu erkennen, das ein älteres *dois voraussetzt (Fouché, Le verbe français, Paris 1931, § 70). 38«) Vgl. südital. vad, das nach faei 'er macht' gebildet ist (Rohlfs, § 544) ; siehe auch Anm. 265. 9ai)

38 *aunt) muß auch für umbrisch

onno (neben vonno und stonno) und südapul. dune (neben vdune und atdune)

angenommen werden. »»') Für prov. vau, estau, sowie für ital. vo und sto sind * v a o und s t a o zu Grunde zu legen. Die bisher gegebenen Erklärungen für altfranz. vois und estois findet man bei Heinrich Schmid, Zur Formenbildung von dare und stare (Bern 1940), S. 40. Nach Bodo Müller (Diss. Erlangen, S. 105) wäre in voy, estoy altes i (ibi, hic) enthalten. 10 Köhlis, Einführung

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tuz nuz (phon. tuts nüts) : c t o t t u s n u d u s : Das auslautende z ist wieder aus dem Zusammentreffen eines Dentals mit dem flexivischen -8 entstanden. Das Auftreten einer adjektivischen Form tuz zur Verstärkung des folgenden Adjektivums, also im Sinne eines Adverbiums, erklärt sich aus Vorwegnahme des flexivischen Merkmals an unberechtigter Stelle. Aus lateinischer Zeit kann n o v u s n u p t u s 'der neu Verheiratete', n o v a n u p t a 'die Neuvermählte* zum Vergleich herangezogen werden. In einem Diät-Kochbuch der Merowingerzeit liest man im Sinne von 'ein Löffel gut voll' c o c l i a r bonum plénum (Anthimus). Ähnlich findet man in der deutschen Volkssprache : schöne warme Hände, ein schöner dummer Kerl. Im Französischen hat sich diese Flektierbarkeit von tout, die im altfranzösischen ganz allgemein war388), nur vor weiblichem mit Konsonant anlautenden Adjektiven erhalten: elle était toute surprise (vgl. in unserem Text Vers 98 fu tute vermeille). Der gleiche Ersatz des Adverbiums durch das Adjektivum ist aber in anderen Fällen noch heute sehr verbreitet : une vache fraîche vêlée, de la bière fraîche percée, un nouveau venu, la nouvelle mariée, les grands blessés, les petits brûlés. Aus der französischen Volkssprache elle était fine bonne 'sie war fein gut', la soupe était bonne chaude 'die Suppe war schön warm'. Ganz dementsprechend liest man bei dem Schweizer Romanschriftsteller R a m u z : la terre était si belle noire 'die Erde war so schön schwarz'. 71 Dites pur Den, & sunt vos dras ? 72 Dame, ceo ne dirai jeo pas; 73 Kar se jes eüsse perduz 74 E de ceo fusse aparcëuz, 75 Bisclavret sereie a tuz jurs. Sagt bei Gott, wo sind eure Kleider ? Herrin, das möchte ich nicht sagen; denn wenn ich sie verloren hätte und dessen gewahr würde, würde ich für immer ein Werwolf sein. pur Deu: die Anrufung eines höheren Wesens geschah im Lateinischen mit Hilfe von per, z. B. per deos, per J o v e m . Die sehr lautähnlichen Präpositionen per und pro haben sich im Vulgärlatein des öfteren vermischt. Im Italienischen ist pro überhaupt durch per abgelöst worden. Im Spanischen hat die Präposition por in manchen Fällen die Funktion übernommen, die im Französischen der Präposition par zukommt. Dem franz. par ici entspricht im Spanischen por aqul. Zur Angabe des Urhebers beim Passivum hat das Spanische por (franz. par) : fueron vencidos por los romanos. - Die Lautform Deu, die bei Marie 388) Vgl. bei Marie s'en revunt tuit lié 'ils reviennent tout joyeux' (Eliduc 225), wo tuit der flektierte Nominativ des maskulinen Plurals ist.

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wie auch in älteren Texten (Alexius, Rolandslied) stets ohne Diphthong begegnet, scheint latinisierend zu sein. voz dras < vulgärlat. v o s t r o s drappos. - Die Konsonantenhäufung in v o s t r o s wurde durch Dissimilation gemildert: *vosts > vo(s)ts, (geschrieben voz) > neufranz. vos. - Ähnlich beruht neufranz. nos (nos amis) auf altfranz. noz. - In dem zu erwartenden draps ist Assimilation des p an das s erfolgt; cfr. altfranz. les sas 'les sacs', les ues 'les oeufs'. Später hat man nach dem Singular drap das p auch im Plural wieder hergestellt. Das Wort d r a p p u s ist seit dem 5. Jahrhundert bezeugt. Es ist vermutlich keltischer Herkunft.389) dirai : wir haben hier die Verwendung des Futurums im Sinne eines griechischen Optativs bzw. eines lateinischen Konjunktivs als Ausdruck einer höflichen oder bescheidenen Aussage, ganz entsprechend dem neufranzösischen Gebrauch: Je vous prierai 'ich möchte Sie bitten', je vous demanderai une faveur, je vous avouerai 'ich möchte Ihnen zugeben'.390) jes ist zusammengezogen aus je und les (vgl. des < de les, altfranz. nes = ne les, z. B. bei Marie im Prolog zu den Lais nes vueil laissier 'je ne veux pas les laisser' (Vers 40). eusse : hier wie in dem im nächsten Vers folgenden fusse, und ähnlich in der allgemeinen Verbalflexion (je chantasse, partisse), ist der Auslautvokal dieser Formen sehr auffällig (man sollte eüs, fus, chantai erwarten). Es scheint als Kennzeichen des Konjunktivs das aus -a entstandene -e der präsentischen Konjunktive (Typ venda > vende) sich auf den Konjunktiv des Imperfekts verallgemeinert zu haben (Fouché, Le verbe français, S. 331). fusse: aus lat. f u i s s e m sollte man im Hinblick auf ital. fossi eher ein fos oder fosse (s. Vers 73) erwarten. Das u scheint aus dem Indikativ des alten Perfektums ( f u i 1, fu 3) sich auf den Konjunktiv dieses Tempus verallgemeinert zu haben ; vgl. fust in Vers 129, furent in Vers 188. Siehe dazu Vers 98. aparceüz: Part. Perf. zum Verbum aparceveir, Nebenform zu aperceveir, zu lat. pereipere, das durch das Präfix ad- verstärkt wurde. Zu ar- < er-, s. par < per (Vers 42). sereie 'je serais': hier erscheint im Hauptsatz der Bedingungsperiode bereits die neue Form des irrealen konditionalen Gedankens. Das romanische Konditionalis ist eine im Vulgärlatein neu entstandene Modus38») Vgl. ital. drappo 'Tuch', span, trapo 'Lumpen'. Zur Begründung der keltischen Etymologie, s. FEW, Bd. III, S. 156 und Corominas, Bd. IV, S. 548. Diese Geltung hat schon der Vorläufer des romanischen Futurums h a b e o d i c e r e , a f f i r m a r e , s c r i b e r e in den Schriften Ciceros.

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form. Seine Bildung ist mit der Entstehung des romanischen Futurums aufs engste verbunden, mit dem Unterschied, daß für das Konditionalis die Imperfektformen des Verbums h a b e r e zugrunde gelegt wurden: c a n t a r e a b e b a ( m ) 3 M ) > * c a n t a r ' e b a ( m ) > *ccmtarea > altfranz. chantereie 'ich würde singen' < 'ich hätte vor zu singen'.392) 76 Ja nen avreie mès sueurs, 77 Desi qu'il me fussent rendu. 78 Pur ceo ne vueil qu'il seit seü. Nimmermehr wäre mir geholfen, bis sie mir zurückgegeben wären. Deswegen will ich nicht, daß man es weiß. ja .. . mès < j a m . . . m a g i s : Die beiden Zeitadverbien, die schließlich zu einer festen Einheit verwachsen sind, konnten in altfranzösischer Zeit jedes allein temporale Bedeutung haben, z. B. im Rolandslied ja ne verrai le riche empereur 'niemals werde ich den mächtigen Kaiser wieder sehen', in unserem Lai Vers 160 ne chacerai hui mes 'ich werde heute nicht mehr jagen'. sueurs: gehört zum Verbum sueurre 'helfen' < lat. s u b e u r r e r e , eigentlich 'helfend darunter eilen'. Die neufranz. Form secourir zeigt Übergang aus der ¿'-Konjugation in die ¿-Konjugation. 393 ) desi que: andere altfranzösische Texte haben statt dessen de ci que (Chrétien), was als temporale Konjunktion im Sinne von 'bis daß' klarer einleuchtet. Daneben aber erscheint de si que, was nicht etwa nur eine phonetische Variante von de ci que ist. 394 ) Vielmehr beruht es auf einer Bedeutung, die auch alleinstehendes si gehabt hat, z. B. bei Marie n'en 391

) Die ältesten Zeugnisse dafür findet man im Latein der Kirchenväter seit dem 4. Jahrhundert, z. B. s a n a r e t e h a b e b a t d e u s , si f a t e r e r i s (Migne, Patrol. Lat. 39, col. 2214); s. dazu Gamillscheg, Studien zur Vorgeschichte einer romanischen Tempuslehre (Wien 1913), S. 43. 392 ) Der Indikativ dea Verbums h a b e r e in einer modalen Funktion, die irreale Geltung hat, erklärt sich daraus, daß die Modalität bereits durch das Modalverbum ausgedrückt ist, vgl. in den Schriften von Cicero v i d e r e deb e b a n t 'ils devraient voir', q u i d e n i m f a c e r e p o t e r a m u s 'qu'est-co que nous aurions pu faire', d e f e n d e r e d e b u i t 'il aurait dû défendre'. Zur Entstehimg des Konditionalis und zu den verschiedenen Typen des romanischen Konditionalis, siehe Thielmann, ALL, 2, 188ff. ; Gamillscheg, Tempuslehre, § 24£f.; Rohlfs, AR, 6, 136ff. - I m Italienischen geschieht die Bildung des Konditionalis mit dem Perfektum von h a b e r e (ebbi, ei): daher canterei neben älterem canterea, cantería ( - e b a m , - i b a m ) ; s. Rohlfs, Histor. Gramm., § 593ff. s 3

" ) Vgl. die ähnlichen Fälle offrir, souffrir, faillir, quérir. ) Andere Varianten der Konjunktion, alle mit der gleichen Bedeutung, sind altfranz. si que, desi que = des i que und desci que = des ci que ; s. dazu FEW, Bd. IV, S. 423; Lerch, Bd. II, S. 34. SB4

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turnera, si sera prise (Guigemar 875) 'er wird von dort nicht zurückkehren, bis sie (die belagerte Stadt) eingenommen sein wird'. 898 ) Es ist eine Verwendung von si 'so', die nur bei vorausgehendem negierten Satz denkbar war, z. B. n'istront mais de prison, si vinrent a Orliens (Aiol 4858) 'sie werden aus der Gefangenschaft nicht mehr herauskommen, bis sie nach Orléans kamen', was ursprünglich nur besagte 'so gelangten sie nach Orléans'. seü < * s a p u t u : der Ausfall des intervokalischen p entspricht nicht der normalen Entwicklung (vgl. saveir, savori). Es ist eine Analogiebildung nach eü < * a b u t u , deü 'dù', veü 'vu\ Tritt vortoniges a in eine Hiatstellung, so wird es in der Regel zu e abgeschwächt, vgl. a b u t u > eü, p l a c u t u > pleü, m a t u r u > meür, s a b u c u > seü. 79 Sire, la dame li respnnt, 80 Jeo vus eim plus que tut le mund. 81 Nel me devez nient celer 82 Ne mei de noie rien dater; Herr, antwortet ihm die Dame, ich liebe euch mehr als irgend etwas. Ihr dürft es mir keineswegs verheimlichen, noch mich in irgendeiner Weise beargwöhnen. eim < lat. amo. - In der ersten Person des Präsens mußte der lateinische Auslautvokal normalerweise verstummen. Daher lauten die altfranzösischen Formen aim, entremet (Vers 1 ), les 'ich lasse' (Vers 13), redut 'ich fürchte' (Vers 36). Aber in anderen Fällen pflegte nach starker Konsonanz (s. Vers 35) als Stützvokal ein e zu erscheinen, z. B. eidre ( i n t r o ) , enfle (inflo), sußle (sufflo). Auch in ehemaligen Proparoxytonis war ein e als Auslautvokal berechtigt (s. Vers 7), z. B. comp u t o > conte, d u b i t o > dcmte, v i n d i c o > venge. Von solchen Fällen hat sich das auslautende e in der ersten Person generalisiert, zumal damit eine Endungslücke (vgl. tu aim-es, il aim-e) im Flexionssystem beseitigt werden konnte (s. Kuen, ZFSL, Bd. 58, S. 505). plus que: franz. que nach Komparativen läßt nicht erkennen, ob altes latein. quam vorliegt, oder quod, das aus Satzvergleichen (plus g r a n d i s e s t quod c r e d i s ) sich verallgemeinert hat. Italienisch che (era più bella che mai) und span. que (es mds rico que yo) lassen eher an quod denken. 395a ) " ' ) Siehe dazu Lerch, Bd. I, 63 und Gamillscheg, S. 673. - Der gleiche Gebrauch von ai ist auch altitalienisch, z. B. bei Boccaccio mai ristette si fu in Firenze (Dee. 3, 9) 'er hielt nicht an, bis er nach Florenz gelangte' ; s. Rohlfs, § 772. *"*) Dies ist auch die Auffassung von Lerch, Bd. I, S. 235, Bd. II, S. 412; und schon vorher Meyer-Lübke, Bd. m , § 282. 149

ne - niënt: im negativen Satz verstärkt nient die Negation. ne mei . . . duter : die betonte Form des Personalpronomens (ne mei statt ne me) pflegte im Altfranzösischen verwendet zu werden bei vorausgehender schwachtoniger Konjunktion. Die Gründe sind rhythmischer Natur, vgl. e lui plus bei faire servir (Vers 190), ähnlich nach der Konjunktion se im Alexiuslied se tei ploüst Venn es dir gefiele' (Vers 202), bei Marie se lui plaisoit (Eliduc, Vers 650). 396 ) de nule rien: zur Bedeutung der Präposition de 'betreffend', s. S. 74. 83 Ne semblereit pas amistié. 84 Qu'ai jeo forfait, pur quel pechié 85 Me dutez TUS de nulerien1 Das würde nicht einer Freundschaft gleichen. Was habe ich Böses getan, und welcher Sünde beargwöhnt ihr mich irgendwie ? semblereit: das Verbum sembler beruht auf similare. Wo im Französischen der Nexus ml sich bildete, wurde er durch den Übergangslaut b sprechbarer gemacht, vgl. franz. ensemble (Bisclavret, Vers 183), combler < cumulare, humble < humilis. - Vgl. den Wandel von mr > mbr (s. S. 205). amistié: ist nicht lat. a m i c i t i a , sondern beruht auf einem vulgärlat. * a m i c i t a s , a m i c i t a t e . Der Diphthong ie muß entstanden sein zu einer Zeit, als die Vorstufe des Nexus -st noch einen palatalen Gehalt hatte (*amikjitat > *amijstat), vgl. oben Vers 20 zu veisin,398®) Die provenzalische Form amistat und span. amistad läßt die vulgärlateinische Grundlage noch besser erkennen. forfait: das den tadelnswerten Begriff ausdrückende Präfix stammt letzten Endes aus dem Germanischen. Es entspricht dem fränkischen fir-, das fortlebt in deutsch verdrehen, verwünschen. Dieses germanische Kompositionselement wurde von den doppelsprachigen Romanen Nordfrankreichs dem lateinischen f o r i s angeglichen, das schon im Lateinischen auf der Vorstufe zu einem verbalen Präfix sich befunden hat (foris ponere, f o r i s ferre). Jedenfalls läßt der sehr negative Bedeutungswert des französ. Präfixes eher an germanische als an lateinische Herkunft denken. Weitere altfranzösische Beispiele sind : forbannir 'verbannen', forsener 'von Sinnen geraten', forbatre 'verschlagen' ('einen falschen Schlag tun'), forlignier 'aus der Art schlagen', forclore 'ausschließen', dazu neufranz. forcené 'wütend' = altfranz. forsené 'hors de sens', a8 *) Siehe dazu Gamillscheg, S. 121, wo weitere bibliographische Hinweise gegeben sind.

39«a) Die gleiche Entwicklung wie amistié zeigen altfranz. mendistié (men-

d i c i t a t e ) und soistié ( s o c i e t a t e ) ; s. dazu Meyer-Lübke, Histor. Gramm, des Franz., § 177 und Straka, RLiR, Bd. 20, S. 257.

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fourvoyer 'vom Wege abbringen', im belgischen Französisch se ¡ordonner 'sich vergeben* (im Kartenspiel).397) pur (vgl. Vers 71 pur Deu): die Umformung des lat. pro zu por muß bereits im Vulgärlateinischen sich vollzogen haben, da por auch dem Spanischen und Portugiesischen eignet. In der Tat liest man bereits auf einer christlichen Inschrift aus Nordafrika si d(eus) por nobis (Diehl, Inscript, lat. no. 2490A). pechié < peccatum. - Gedehntes kk vor a wird genau so entwickelt wie k nach Konsonant, vgl. v a c c a > vache, bucca > boche, porcarius > porchier, m a s t ( i ) c a r e > maschier, furca > forche, musca > mosche. Das heißt: es folgt der Entwicklung des k in anlautender Stellung (s. zu Vers 17); vgl. merci < mercede in Vers 154. de nule rien: zweifellos hat das negative nullus hier keinen negativen Sinn. Es erscheint in dieser Funktion jedoch nur in Sätzen, die nicht positiv aussagend sind: Fragesätze, Konditionalsätze usw. (Kuen).398) 86 Dites le mei ! Si ferez bien. 87 Tant l'anguissa, tant le suzprist, 88 Ne pôut el faire, si li dist. Sagt es mir! Und ihr werdet recht damit tun. So sehr bedrängte sie ihn, so sehr verstand sie es, ihn geschickt zu nehmen, daß er nicht anders konnte ; und so sagte er es ihr. Dites le mei: zur Verwendung des betonten Pronomens, siehe Vers 155. anguissa: das Verbum a n g u s t i a r e ist in der Bedeutung 'in die Enge treiben' bereits in der lateinischen Bibelsprache bezeugt. Es ist abgeleitet von a n g u s t i a 'enger Raum', das schon in klassischer Zeit eine rein abstrakte Bedeutung annehmen konnte im Sinne von 'Verlegenheit', 'bedrängter Gemütszustand'. Auf dem lateinischen Substantivum beruht franz. angoisse und deutsch Angst. In der Lautgruppe st -f i geht im Französischen der Dental verloren. Daher ist auch *postius > puis, * u s t i u (statt östiu) zu uis geworden; vgl. auch bistia > altfranz. bisse 'Hirschkuh'.399) snzprist: als Grundlage muß angenommen werden ein * s u b t u s 3 8 ') Ein f o r i s f a c i o im Sinne von 'offendo' ist schon in einer antiken Glosse (CGIL V, 600, 28) bezeugt; vgl. dazu ital. forfare 'ein Unrecht begehen', jorchiudere 'ausschließen', forsennare 'den Verstand verlieren', fuorviare 'vom Wege abkommen'.

) Vgl. ital. avete nulla da opporre 'habt ihr irgend etwas zu erwidern ?' " ) Die heutige F o r m der Schriftsprache ist biche, das aus einer nordfranzösischen Mundart stammen dürfte, wo stj zu i geworden ist; vgl. altpik. huich (lies huiS) = altfranz. huis 'Tür' ( * u s t i u ) . Über das Verhältnis zu bête, s. Anm, 253. 398 a

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prëBit. Das i der Tonsilbe hat sich von der ersten Person verallgemeinert, wo ë unter der Wirkung eines auslautenden i normal zu i -wird: prësi > pris, *sësi > sis, *têni > tin (s. S. 105). Die genaue Bedeutung des Verbums suzprendre war also ursprünglich 'von unten nehmen', d. h. 'überraschend nehmen'.400) Das moderne surprendre zeigt den Einfluß der Präposition sur. ne pàut d faire: Im Neufranzösischen würde man hier einen Konjunktionalsatz erwarten, z.B. elle le pressa tellement qu'il ne pouvait pas faire autrement. Im Altfranzösischen konnte nach einem Ausdruck der Quantität der Folgesatz als Hauptsatz erscheinen (ähnlich Vers 180). Im Deutschen ist ähnliches denkbar, wenn die Reihenfolge der Gedanken umgekehrt ist: 'wir mußten den Spaziergang aufgeben: so stark regnete es'. - Das Wörtchen el 'anderes' kann nicht aliud sein, sondern es beruht auf einem vulgären *ale. 401 ) si Ii dist 'und so sagte er es ihr' : Im Altfranzösischen pflegte beim Zusammentreffen zweier Personalpronomina der dritten Person das Akkusativpronomen meist unausgedrückt zu bleiben: je Ii di = je le Ii dis 'ich sage es ihm'.402) 89 90 91 92

Dame, let 0 , delez cel bois, lez le chemin par ont jeo vois, une riez chapele i estait, ki meinte feiz grant bien me fait.

Herrin, sagt er, nicht weit von jenem Wald, in der Nähe des Weges, auf dem ich gehe, dort steht eine alte Kapelle, die manches Mal guten Dienst mir tut. delez cel bois. - Aus lateinisch latus 'Seite' hat sich im Altfranzösischen die Präposition lez (Vers 90) 'zur Seite', 'bei' entwickelt, die in versteinerter Form in gewissen Ortsnamen noch gut erkennbar ist: Witry-lès-Reims (Champagne), Dommartin-les-Toul (Lothringen), St. Pavl-lez-Durance (Provence). Diese Präposition konnte mit de verbunden werden (vgl. dehors neben hors, depuis neben puis). - Die provenzalische Form war latz und delatz, z. B. latz un foc, esta de latz 'il se trouve à côté'. * 00 ) Das gleiche Präfix erscheint in altfranz. suztenir 'soutenir', auztraire 'soustraire', suzmetre 'soumettre'. 401 ) Die Form *ale gehört zu einem alis = a 1 ius, das bei lateinischen Autoren (Lucrez, Lucilius) bezeugt ist (Thesaurus Ling. Lat., I, 1623). Die Umgestaltung ist unter dem Einfluß von talis, t a l e erfolgt. — Auf *ale beruht auch altprov. al und altspan. al, das noch von Cervantes gebraucht wird. 402 ) Das Phänomen dürfte durch eine Haplologie (s. S. 220) bedingt sein. 152

bois 'Wald' ist fränkischer Herkunft. Es ist identisch mit deutsch busch, das in altfränkischer Zeit büsk gelautet hat.403) Die Entwicklung zu altfranz. bois beruht auf der Nominativform, die mit flexivischem s versehen wurde. Das so entstandene büsk s wurde dissimiliert zu *büks, woraus normal bois werden mußte. Es ist der gleiche Dissimilationsvorgang, der aus dem Akkusativ des Plurals *vosts < v o s t r o s ein altfranz. vots = voz, aus h o s t i s das altfranz. ots = oz 'Heer* hat entstehen lassen.404) Genau so ist friscus über *frescs zu *frecs > altfranz. freis, franciscu zu altfranz. franceis, angliscu zu altfranz. angleis geworden.408) lez le chemin < latus illu caminu. - Im Vulgärlateinischen sind zwei lautlich sehr ähnlich klingende Wörter aus zwei ganz verschiedenen Quellen zusammengetroffen. Das eine ist lateinisch caminu s 'Kamin', ein Lehnwort aus dem Griechischen (xá[xivo cheminée ersetzt wurde. Letzteres bezeichnete eigentlich den mit einem Kamin versehenen Baum. In dieser Bedeutung wurde es aus Frankreich, etwa im 8. Jahrhundert, als es dort noch caminata oder kjeminada gesprochen wurde, ins Althochdeutsche entlehnt (Kemenate) ;iot) englisch chimney stammt aus einer jüngeren altfranzösischen Periode. Das deutsche Wort Kamin ist, wie schon die ungermanische Betonung erkennen läßt, kein alteinheimisches Wort. Es ist erst seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar, vielleicht aus Italien eingewandert. Eine ältere Entlehnung des lateini403

) Italienisch bosco und spanisch bosque sind im Zeitalter des karolingischen Kultureinflusses aus Frankreich entlehnt; s. Rohlfs, Germanisches Spracherbe in der Romanía (München 1947), S. 15. 404 ) Vgl. bei Marie par voz baruns 'par vos barons' (Lanval 642), im Rolandslied gram sunt les oz de cele gent averse (Vers 2630). 406 ) Man beachte, daß vor auslautendem -a, z. B. in germ. b ü s k a 'Brennholz' > altfranz. busche 'bûche', f r i s c a > altfranz. fresche 'fraîche' kein Anlaß zu einer solchen Dissimilation bestand. - Zu altfranz. franceis lautete im Altfranzösischen die Femininform ursprünglich ganz normal francesehe (s. Tobler-Lommatzsch, Bd. 3, S. 2207). Aber schon sehr früh (vgl. im Rolandslied, Vers 3089 espees franceises) ist -esche in Analogie zu burgeis, -eise, ( - e n s i s ) durch -eise ersetzt worden. Das Adjektivum angleis hatte ursprünglich als Femininum die Form anglesche, das in normannischer Aussprache im Ortsnamen Anglesqueville bzw. Englesqueville (fünfmal in der Normandie) sich erhalten hat. 406) Vgl. i n don Glossen von Kassel (8. Jahrhundert) die romanisch-althochdoutsche Glosse keminada — cheminata.

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sehen Wortes hat sich nur in Süddeutschland erhalten: bayer. kdmich, schwäb. Mmmet 'Kamin'. par unt jeo vois: unt ist das lateinische unde. Es findet sich in der Sprache unserer Dichterin nur noch in der Verbindung mit par. Aus der Zusammensetzung mit de ist dunt (neufranz. dont) hervorgegangen, das in Mariens Werken noch lokale Funktion hat, z. B. dunt vient ele 'd'oü vient-elle ?' (Guigemar Vers 776), la dunt il primes fu meüz 'dorthin, von wo er anfangs aufgebrochen war' (Milun 262). une viez chapelle < una v e t u s cappella. - Das dem lateinischen v e t u l u s > veclus (franz. vieux, ital. vecchio) vorausgegangene ältere v e t u s erscheint noch im Altfranzösischen in der unveränderlichen Form viez. Es ist dies die einzige Stelle ihrer Werke, wo Marie dies zweifellos schon damals altertümliche Wort gebraucht.407) In versteinerter Form erkennt man das Wort noch in einigen französischen Ortsnamen, z. B. Vidville in der Picardie (a. 1156 Vetus Villa), Viövy in Burgund (a. 840 Vetus Vicum).*08) - Das Wort chapelle hat eine ungewöhnliche Bedeutungsentwicklung genommen. Das aus spätlatein. cappa 'Mantelumhang' gewonnene Diminutiv cappella bezeichnete eigentlich einen kleinen oder feineren Mantel. Dadurch daß in dem Kult, der sich in der Stadt Tours um den heiligen Martin entfaltete, dessen Mantel reliquienhafte Bedeutung erhielt, ging der Name dieser Reliquie auf den Betraum über, in dem die cappella s a n e t i Martini aufbewahrt wurde. So wurde cappella zur Bezeichnung dieses Betraums, und schließlich nannte man cappellae auch andere Beträume, denen eine besondere Bedeutung zukam. Auf diesem Wege wurde cappella zu einem Ersatzwort des älteren oratorium. 4 0 8 a ) i estait: in altfranz. i kann sowohl lat. ibi wie hic enthalten sein; vgl. dazu altital. i neben dem heutigen (literarischen) ivi. Estait ist in seiner Bildung nicht unabhängig von il vait (Vers 12) und il fait (Vers 11); siehe zu Vers 69. meinte feiz: 'mainte fois': s. S. 62 und 127.

') Das Wort findet sich weder im Alexiusleben noch im Rolandslied. ) Über das Fortleben von v e t u s in den anderen romanischen Sprachen, s. R E W , no. 9292. - Eine Form v e t e r e oder v e t e r u hat sich ebenfalls in Ortsnamen erhalten, z. B. Pontevedra in Galizien, Murviedro (heute Sagunto) in Ostspanien; Fourviére (Notre Dame de -), berühmte Kathedrale in Lyon, aus forum v e t e r e . Aus Italien ist Orvieto (älter Orvivieto) < urbs v e t u s zu vergleichen. 408a) Dag alte Wort hat. sich in verschiedenen Ortsnamen erhalten, z. B. Oradour (Auvergne), Ourouer (Berry), Auroir (Picardie). 40

40S

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93 94 95 96

Là est la piere cruese e Iee suz un buissun, dedenz cayee. Mes dras i met suz le buissun, tant que jeo revienc a maisun.

Dort ist ein hohler und breiter Stein, unter einem Gebüsch, innen ausgehöhlt. Meine Kleider lege ich dort unter den Busch, bis ich wieder nach Hause zurückkehre. cruese e lee: *crosa et lata. - Das erste der beiden Adjektiva kann nicht auf lat. c o r r ö s u s 'ausgenagt' beruhen, da dieses in Mariens Sprache nur *c(o)rus hätte ergeben können, sondern es setzt ein * k r ö s u fort, das vermutlich keltischen Ursprungs ist. 409 ) Es ist wohl das gleiche Wort, das auch in den Flußnamen Creuse (Touraine) und Crosa (Piémont) enthalten ist. suz un buissun: suz ( < lat. subtus) ist das gleiche Wort, das in dem Verbum suzprendre 'überlisten* > 'überraschen' enthalten ist (Vers 87). - Das in neufranz. buisson 'Gebüsch' fortlebende altfranz. buissun (prov. boisson) ist ein Diminutivum zu bois 'Wald*. dedenz cavee: in dedenz (neufranz. dedans haben wir eine zweimalige Zusammensetzung der Präposition de mit altfranz. enz, das auf lat. i n t u s beruht.410) — Aus lat. c a v a t a wäre im Altfranzösischen normal ein chevee zu erwarten. Die Form cavée, die in Mariens Dichtungen noch ein andermal in ganz ähnlicher Verbindung begegnet (une piere cavee, Fab. 72, 13), ist eine Dialektform aus den Mundarten des nördlichsten Frankreich (Normandie, Pikardie), wo k vor a erhalten bleibt, vgl. altpik. castel, capel, Mens, kievre, cat, canter. Solche Dialektformen sind des öfteren in die französische Schriftsprache gedrungen, z. B. cabaret, caillou, cambrer 'krümmen', canevas, cauchemar.4,11) So erklären sich auch die Ortsnamen im äußersten Norden Frankreichs Galais, Le Cateau, Caen, Quesnay = franz. chênaie ( c a s s a n e t u m ) , Campagne — altfranz. Champagne 'Ebene'. revienc zeigt wieder jenes analogische Präsens vengo, das noch heute dem Italienischen und Spanischen eignet (vgl. Vers 63 devienc). maisun < * m a s i o n e < m a n s i o n e (siehe zu Vers 8). 40

*) Die Erklärung aus c o r r o s u s gab Diez (Etymol. Wörterbuch der romanischen Sprachen). Noch unmöglicher ist das von H. Meier vorgeschlagene lateinische * c a v u l o s u s (in Festgabe für E. Gamillscheg, 1952, S. 130). 410 ) Vgl. bei Marie enz est entrez (Yonec 318). Ähnlich gab es ein altfranz. dedesuz (< de-de-suz), z. B. bei Marie dedesuz la teste 'au-dessous de la tête' (Milun 101). 411 ) Andere Wörter mit ca- stammen aus Südfrankreich, z. B. cabane, se cabrer, cadeau, cadet, caisse.

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97 La dame ol cele meroille, 98 de poiir tu tute vermeille. Die Dame hörte jene merkwürdige Kunde, aus Furcht wurde sie ganz scharlachrot. fu (lies fü) < fuit: der auffällige Vokalismus (ü statt zu erwartendem o, vgl. prov. fo) beruht auf der Übertragung des ü der ersten Person (füi), wo ü durch den ¿-Umlaut berechtigt war; vgl. süi in Vers 42. vermeille: Das Adjektivum vermeil ist indentisch mit lat. vermiculus 'kleiner Wurm', womit man einen Wurm, bzw. ein kleines Insekt bezeichnete, aus dem in der Antike eine scharlachrote Farbe gewonnen wurde. Das Suffix ist das gleiche (-iculus), mit dem die einstigen Diminutiva corbeiüe, oreiUe, comeiUe, abeiUe, soleil, sommeil gebildet sind.412) Zur Adjektiv-Behandlung des steigernden tut, s. Vers 70. 99 De 1' aventare s' esfrea. 100 En maint endreit se purpensa, 101 cum ele s' en peüst partir; 102 ne voleit m$s lez lui gisir. Über das Geschehen erschrak sie. Auf manche Weise bedachte sie sich, wie sie sich seiner entledigen könnte; sie wollte hinfort nicht mehr neben ihm liegen. endreit ist von Hause aus eine präpositionelle Verbindung, die aus in + directo gebildet ist. Es diente ursprünglich zur Verstärkung eines Adverbiums, z. B. la endreit 'dort (genau) an jener Stelle', or endreit 'eben jetzt'. Substantiviert bezeichnete es seit dem 12. Jahrhundert die 'obere Seite', 'die Vorderseite' (Gegensatz zu envers), 'die rechte Seite', die 'richtige Art und Weise', den 'bestimmten Ort'.413) Über den Ausfall des Vortonvokals, s. dre.it in Vers 137. gisir < jacere. - Wenn langes e (e) nach einem Palatal stand, so wurde es weiter nach vorn gezogen als es in der Normalentwicklung (> ei) der Fall war. Es ist wahrscheinlich, daß ei > i über einen Triphthongen iei gegangen ist, wie auch jacet über *gieist zu gist (git) und löctu über Hieit > Iii geworden ist (s, Anm. 414). Andere Beispiele für e > ei > i sind cera > cire, placere > plaisir, licere > leisir, mercede > merci, *pagese > pais. In Bezug auf die Vortonsilbe findet man altfranzösisch gesir und gisir. Die erstere Form entspricht der nor412

) Neben - I c u l u s hat auch ein - I c u l u s bestanden. Dieses diente zur

Bildung von lentiUe, aiguüle, cheniUe, cheville, les Alpilles (Bergmassiv in der Provence). Ebenso hat das Italienische ein -ecchio fparecchio)

(crocicchio). 41S

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) Siehe Tobler-Lommatzsch, Bd. 3, S. 297.

neben -icchio

malen Entwicklung aus älterem *jaisir. Das vortonige i erscheint auch in der Nebenform jiter neben jeter 'werfen'. Es dürfte durch die doppelte palatale Umgebung bedingt sein.414) 103 104 105 106

Un chevalier de la cnntree, ki lungement l'aveit amee e malt preiée e mult requise e mult duné en san servise...

Einen Bitter aus der Gegend, der sie seit langem geliebt und sehr umworben und begehrt hatte und sehr in ihrem Dienst ergeben war . . . cuntree entspricht dem prov. und ital. contrada: eine Ableitung von contra mit Hilfe des Abstraktsuffixes - a t a (soirée, fumée, entrée), die sich der Bildung des deutschen Wortes Gegend vergleichen läßt. Dieses beruht auf dem von der Präposition gegen abgeleiteten althochdeutschen gegenida, das mit dem gleichen Abstraktsuffix gebildet ist, das in ahd. frewida 'Freude* vorliegt. Aus dem Altfranzösischen stammt engl. country. Zur provenzalischen Nebenform encontrada, s. S. 79. lungement, normal entwickelt aus longamente, wie auch das Femininum zunächst ganz regelmäßig zu lange (vgl. virga > verge) geworden ist. 415 ) Die modernen Formen longue und longuement erklären sich aus dem analogischen Einfluß des Maskulinums (altfranz. Ione). servise: wie der Beim zeigt mit stimmhaftem s. Dieses -ise zeigt die gleiche Lautentwicklung, die aus -itia das Suffix -ise (franchise, bêtise, maîtrise, altfranz. auch justise) hat entstehen lassen. Das neufranzösische -ice in service, justice, avarice, dürfte späteren lateinischen Einflüssen zuzuschreiben sein.414)

411 ) Man vergleiche den französischen Ortsnamen Oivry (Champagne) < G a b r i a c u m , der in anderen Teilen Frankreichs als Qabriac (Südfrankreich) und Oevrey (Burgund) erscheint. - In gisir kommt hinzu der Einfluß der stammbetonten Formen j a c e t und j a c e n t , aus denen normal über die

Zwischenstufe *gieist und *gieiserU die altfranzösischen Formen gist und

gisent hervorgegangen sind. Zu diesem Sonderfall der Entwicklung von a zwischen zwei Palatalen, vgl. c a c a t > chie, V i n n i a c u m > Vigrvy, Sabi-

niacum > Savigny.

41S ) Die Entwicklung des nachkonsonantischen g entspricht dem Schicksal des anlautenden g, das im Altfranzösischen zu di (orthographisches Zeichen g oder j) geworden ist, vgl. gelu > giel, g e l a r e > geler, g a m b a >

jambe, gallu > jal.

4 1 ') Das genaue Verhältnis von -ise, -esse (justesse), -ice und altfranz. -eise (richeise) ist noch nicht endgültig geklärt; 3. Rheinfelder, § 251 und Richter, § 119. Dem Nebeneinander von justesse und franchise entspricht

ital. grandezza und grandigia.

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107 108 109 110

(Ele ne l'aveit une amé ne de s'amur aseüré,) celui manda par sun message, si Ii descovri sun curage.

(Sie hatte ihn nie geliebt, noch ihrer Liebe versichert), jenen ließ sie kommen durch ihre Botschaft und enthüllte ihm ihr Gemüt. une begegnet in altfranzösischen Texten neben unque (onque), das normal aus unquam hervorgegangen ist. Das Verstummen des zu erwartenden -e im Auslaut ist vergleichbar dem Nebeneinander von ore und or (Schnellsprechform).417) aseüré entspricht einem prov. asegurat, ital. assicurato. In lat. securus stand das k vor einem dunklen Laut. In diesen Fällen ist der Palatal (k, g) im Französischen verstummt, vgl. placutu > pleü, Sauconna > Saône, acutus > eü in dem Ortsnamen Montheu in Lothringen (a. 857 Möns Acutus), agustu > aust, aguriu > eür (vgl. neufranz. bonheur). Im Provenzalischen ist der Palatal als g erhalten gebheben, z. B. plagát, agut, agur, agost.ils) celui: ist die Form des Obliquus zum Nominativ eil (siehe Vers 117), so wie in gleicher Weise lui einem Nominativ il entspricht. Die Entwicklung von celui zum betonten Nominativ hat sich im 17. Jahrhundert vollendet mit dem Untergang des damals schon archaisch klingenden eil.*1*) Sie geht ziemlich parallel der Entwicklung von lui zum betonten Subjektpronomen (lui n'est pas venu). mander 'kommen lassen', 'zu sich bestellen': eine Bedeutung, die das Verbum noch im Neufranzösischen hat, z. B. bei Corneille im 'Polyeucte' (II, 5) Félix vous mande au temple 'Felix bestellt euch in den Tempel'. curage hatte im Mittelalter eine weitere Bedeutung als das heutige courage. Es bezog sich auf alle Eigenschaften, die durch das Herz bestimmt sind: Gefühl, Gemüt, Gesinnung, Gedanke, Vorhaben, Lust, Eifer, Zorn, Mut.420)

417 ) Denkbar ist auch Beeinflussung durch das synonyme altfranz. ainc (prov. anc) 'jemals', das im Italienischen als anche (anco) 'noch', 'auch' erscheint. 4 l a ) Unter dem Einfluß südlicher Entwicklung stehen franz. aigu, cigogne (altfranz. ceoigne), ciguë, aiguille, dragon, second (sprich segond). 41S )

Siehe Brunot-Bruneau, § 564.

420 )

Tobler-Lommatzsch, s. v. corage; F E W , B d . I I , S. 1174.

158

111 112 113 114

Amis, fet eie, seiez liez t Ceo dunt TUS estes travailliez vus otrei jeo senz nul respit; ja n'i avrez nul cuntredit.

Freund, spricht sie, seid froh! Das, warum ihr bemüht seid, gewähre ich euch ohne Aufschub; keinen Widerspruch sollt ihr dabei je haben. amis: für den alten Vokativ ist der Nominativ ( a m i c u s ) eingetreten. seiez liez < s i a t i s l a e t u s (vgl. ital siate lieto): an Stelle des klassischen Konjunktivs sim muß im Vulgärlatein eine Form sia(m) bestanden haben (span. sea, ital. sia), die vielleicht in Anlehnung an den Konjunktiv f i a m gebildet wurde. 421 ) travailliez hat als Grundlage ein vulgärlateinisches trepaliatus. Dieses selbst ist abgeleitet von einem spätlateinischen, seit dem 6. Jahrhundert bezeugten Substantivum t r e p a l i u m . 4 2 2 ) Darunter verstand man ein aus drei Pfählen bestehendes Marterinstrument. Der Name dieses Instrumentes ist später auf das Gestell übergegangen, in das man Pferde oder Ochsen einspannt, wenn sie vom Tierarzt behandelt oder vom Hufschmied beschlagen werden sollen. Diese letztere Bedeutung hat noch heute franz. travail und ital. travaglio. Das von dem Substantivum abgeleitete Verbum wurde im Mittelalter in der Regel reflexiv gebraucht: franz. sei travaiUier, ital. travagliarsi, span. trdbajarse 'sich quälen', 'sich abmühen'. Von hier erst ist es seit dem 12. Jahrhundert langsam zur Bedeutung 'arbeiten' gekommen, doch ist das dafür einst übliche ältere Verbum ( o p e r a r e > ovrer) erst im 17. Jahrhundert völlig verdrängt worden. 423 ) vus otrei jeo 'gewähre ich euch'. - Das hier vorliegende Verbum (neufranz. octroyer) ist eine Ableitung von lat. a u c t o r 'Urheber', 'Gewährsmann'. Das zur Bildung des Verbums verwendete Suffix stammt aus dem Griechischen, indem das in der Bibelsprache viel verwendete -[Çg> (ßaTCTi^co, èXîciÇw) der lateinischen Aussprache in der Form - ï d j o > - i j o angepaßt wurde: b a p t i j o , * a u c t o r i j o . 4 2 4 ) Das Suffix wurde im 421 ) Denkbar ist auch eine Anpassung an vulgärlat. * a j a ( m ) = h a b e a m . Altlateinisch s i e m = s i m (bei Plautus und Terenz) kann dabei von Einfluß gewesen sein. 122 ) Siehe P. Meyer, Romania, Bd. 17, 1888, S. 421ff. 423 ) Eine letzte Reminiscenz an die ältere Bedeutung zeigt sich in franz. être en travail d'enfant 'in Kindeswehen sich befinden' ; vgl. auch den Roman von Cervantes 'Los trabajos de Persiles y Sigismunda' im Sinne von 'die mühseligen Wanderungen'. 421 ) Der gleiche Ersatz des griechischen z ( = dé) läßt sich erkennen in z e l o s u s (zu griech. z ë l o s ) > * j e l o s u s > ital. geloso, franz. jaloux, griech. z i z y p h o n > vulgärlat. * j u j u l u > ital. giùggiolo, franz. jujube. - I n spä-

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Romanischen sehr fruchtbar in der Bildung von Verben zu bestehenden Substantiven: franz. larmoyer, coudoyer, foudroyer, ital. amoreggiare, guerreggiare, lampeggiare. respit < lat. respectu, eigentlich 'Rückblick', dann 'Vorbehalt', 'Aufschub', mit der gleichen Lautentwicklung, die in lit < lectu (s. S. 121) vorliegt. Das Wort ist noch neufranzösisch: donnez-moi un peu de répit. 115 116 117 118 119

M'amur e mun cors vas otrei; vostre drue faites de mei! Cil l'en mercie bonement e la fiance de Ii prent, e el le met a sairement.

Meine Liebe und meinen Körper gewähre ich euch : macht mich zu eurer Geliebten! Jener dankt ihr dafür mit guten Worten und nimmt von ihr die Zusicherung, und sie stellt ihn unter Eid. dru und drue 'Geliebter' und 'Geliebte' entstammen nioht, wie man früher geglaubt hat, dem Germanischen. Unser Wort ist vielinehr identisch mit dem noch neufranzösischen Adjektivum dru, bekannt aus l'herbe drue 'Gras üppig im Safte stehend', des enfants bien drus 'des enfants vifs et gaillards'. Grundlage ist ein gallisches Wort: *druto 'stark', 'kräftig'.425) Die Bedeutung 'Geliebter' knüpft sich an den Begriff 'in starkem Triebe stehend'. Eine ganz ähnliche Verschiebung aus der Welt der Natur in das Begriffsgebiet der sexuellen Triebe haben wir in dem deutschen Adjektivum geil (ein geiler Trieb, ein geiler Mensch), dessen Grundbedeutung ebenfalls 'von üppiger Kraft' gewesen ist. Aus dem Altfranzösischen stammt mittelhochdeutsch trut 'der Geliebte', das in dem modernen Adjektivum traut fortlebt.426) cil (ecce-illi) ist die Nominativform zu dem in Vers 109 verwendeten celui.*27) teren Lehnwörtern aus dem Griechischen ist das alte z beibehalten worden,

z. B. franz. zèle, zizanie; s. Rheinfelder, § 403 und 404.

425 ) Es läßt sich erschließen aus altir. druth 'toll', kymr. drud 'kühn'. Siehe dazu die genaue etymologische und semantische Begründung bei J. Jud, in AR, Bd. 6, 313ff. und im FEW, Bd. 3, S. 166.

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") Aus dem Provenzalischen (drvt, druda) ist das Wort als drudo 'Ge-

liebter' auch in die altitalienische Dichtersprache gelangt. — Nach Gamillscheg (Romania German., Bd. I, S. 226) wäre der Ausgangspunkt der Wortsippe in altfränk. drûd (> traut) zu sehen. Germanischer Ursprung wird auch im Grimmschen Wörterbuch (XI, 1545) und im etymologischen Wörterbuch von Kluge vertreten. «") Einfaches *illï, das analogisch nach qui g e b i l d e t ist, ist die Grundlage zu franz. ü (s. Anm. 239) und ital. egli 'er'.

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wierae 'er dankt': eine französische Neubildung vom Substantivum merci. Das ältere Verbum mercier ist seit dem 17. Jahrh. von dem stärkeren remercier (s. S. 133) verdrängt. fiance, abgeleitet von dem lateinischen Adjektivum fidus 'treu', mittelst des Suffixes -antia (lat. ignorantia), vgl. espérance, répugnance, vengeance usw. Unser Wort hat sich nur in Ableitungen erhalten: confiance, fiancé, fiançailles usw. de Ii entspricht einem ital. di lei, altprov. de leis (s. S. 62) : Ii ist der Obliquus des betonten weiblichen Personalpronomens (s. S. 120).4?8) sairement normal aus sacramentum. Neu ergibt sich folgende Erkenntnis: unbetontes a zwischen Nebenton und Hauptton wird zu e abgeschwächt wie in der unbetonten Auslautsilbe z. B. allemand < alamannu, chanterai < cantar'ajo, orphelin < orphaninu, armeüre < armatura. Das Verstummen des e der Mittelsilbe in neufranz. serment ist seit dem 15. Jahrhundert bezeugt: es ist durch den besonderen Charakter des sehr vokalhaltigen r bedingt.428") 120 121 122 123 124

Puis Ii cunta cumfaitement sis sire ala e qu'il devint. Tute la veie que il tint vers la forest Ii enseigna; pur sa despueille l'enveia.

Dann hat sie ihm erzählt, auf welche Weise ihr Gatte sich entfernte und was aus ihm wurde. Den ganzen Weg, den er zum Walde einschlug, hat sie ihm kundgetan. Wegen seiner Kleidung hat sie ihn ausgeschickt. cumfaitement ist konträre Korrelativbildung zu sifaitement 'in solcher Weise'. Dieses gehört zu dem Adjektivum sifait < sic factu, das rein mechanisch mit der Adverbialendung versehen wurde.429) sis sire < suus se(n)ior. - Aus den lateinischen Formen des Possessivpronomens sollte man für den Nominativ des Maskulinums, 428

) Vgl. das gleichlautende Ii als Dativ des Personalpronomens aus lat. i l l i (s. S. 129) und Ii als Pluralform des maskulinen Artikels (s. S. 166), z. B. Ii mur < i l l i m u r i . 428a ) Ebenso erklärt sich merveille < mereveüle < m i r a b i l i a , denrée < denerée < • d e n a r i a t a . - Vgl. auch franz. vrai aus älterem verai (s. Vers 316). - Siehe dazu Vers 137 und Anm. 441 ; Meyer-Lübke, Histor. Gramm, der franz. Sprache, Bd. I, § 132. - In den Mundarten des Nordwestens ist sogar farine über ferine > frine, fraine geworden (FEW, Bd. 3, S. 419); s. dazu Stimm, RF, Bd. 64, S. 473. 42 8 ) Vgl. bei Marie ja Deu ne place qu'entre eis ait mes si faite guerre 'Gott möge es nicht gefallen, daß es zwischen ihnen solchen Krieg gebe' (Fab. 61, 17), qu'il unt sifaitement trovee 'die sie in solcher Weise gefunden haben' (Fraisne 527).

11 Rohlfs, Einführung

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wenn es unbetont ist, folgende Formen erwarten: mes, tes, ses (prov. mos, tos, sos). So lauten die Formen auch in vielen altfranzösischen Texten. Doch daneben (besonders in westlichen Texten) begegnen auch mis, tis, sis, die wohl unter dem Einfluß der pluralischen Nominativform mi, ti, si entstanden sind (s. Schwan-Behrens § 327, Pope § 835). Zu sire, s. Vers 32. veie < via, normal entwickelt; vgl. pira > peire, pilu > peil, bibunt > beivent (s. Vers 26). que il tint neben qu'il devint (Vers 121) zeigt, daß die Dichterin in der Konjunktion que das e elidieren, aber auch im Hiat beibehalten konnte. despueiUe 'Kleidung' deverbal vom Verbum despoillier (Vers 69). l'enveia 'eile le fit aller': zum Verbum enveier d a t . inviare, das seit dem 3. Jahrhundert belegt ist. 125 Issi f u Biselavret tralz 126 e par sa femme malbailliz. 127 Pur ceo qu'um le perdeit sovent,

128 quidouent tuit comunalment 129 qae dune s'en fast del tat alez.

So wurde der Bisclavret verraten und von seiner Frau übel behandelt. Aus dem Grunde, weil man ihn oft verlor, glaubten alle gemeinhin, daß er nun ganz davon gegangen wäre. issi: vermutlich der älteste französische Ausdruck für den Begriff 'so'. Die Verstärkung des lateinischen Adverbiums sie erfolgt mit dem gleichen i, das auch in anderen demonstrativen Ausdrücken erscheint: ici, altfranz. icil = eil, icele — cele, icest = cest, i$o — fo, itant = tant, idunc = dune 'damals'. Die Herkunft, dieses i, das funktionell dem provenzalischen ai entspricht (aissi, aicel, aisso, aitan, s. S. 190), ist noch nicht endgültig geklärt. Man hat es früher als einen direkten Reflex von ecce gedeutet, was wegen des i (man sollte ei erwarten) einige Schwierigkeiten macht. Nach einer neueren Deutung würde das i auf den Einfluß des Adverbiums i < hic 430 ) zurückgehen, was nicht sehr einleuchtet. Vermutlich handelt es sich in dem i um eine Abschwächung eines älteren ei, das durch Proklise bedingt ist.431) Das moderne ainsi, 43 °)

Siehe F E W , Bd. 4, S. 425. 43i) Vgi_ eisi = issi im Alexiuslied, Vers 271 und die ähnliche Auffassung von. Gamillscheg (EWFS, S. 524). Man vergleiche auch die schon früh bezeugten Verbalformen issid < e x i v i t (Passion 40), istrat 'il sortira' (Alexius 167), issut 'issu' (Roland 2647), die man meist aus dem Einfluß der stammbetonten Formen (ist < i x i t ) erklärt, z. B. Schwan-Behrens, § 86, Rheinfelder, § 249. Es kann sich aber auch hier durchaus um eine proklitisch bedingte Abschwächung eines älteren ei handeln (vgl. noch prison aus

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ältere Form einsi (Chrétien), beruht auf einem vorausgehenden ensi (vgl. ensement 'ainsi' im Rolandslied).432) traïz < t r a d i t u s . - Das h in der neufranzösischen Schreibung trahir hat nur orthographischen Sinn in der Funktion eines Tremas; vgl. ähnlich envahir < altfranz. envair < * i n v a d i r e . malbailliz gehört zum Verbum baiUir, das einst die Bedeutung von 'gouverner' hatte (Alexius 521). Dies ist abgeleitet von altfranz. bail 'Verwalter', 'Amtsträger', das aus lat. b a j u l u s 'Träger' stammt. Von dem franz. Verbum baiUir hat sich eine deverbale Bildung baittif > bailli als Substantivum erhalten mit der Bedeutung 'Amtmann', 'Landeshauptmann'. Dies ist auch der Sinn des französischen Familiennamens BaiUy. um le perdeit 'man verlor ihn': um (modern on) ist schwachtonig entwickelte Form zu dem starkbetonten altfranz. Nominativ uem < hömo. quidouent < c o g i t a b a n t (s. Vers 194). Zu der Endung, s. Vers 27. tuit < t ö t t i . Das Wort hat eine eigenartige Entwicklung, die durch keine genaue französische Parallele sich stützen läßt. Noch eigenartiger ist die altprovenzalische Form tu(i)ch, die neben tuit begegnet. Die Formen zeigen, daß das auslautende i eine ähnliche (in unserem Fall mit Umlaut von o > ü verbundene) Palatalisierung bewirkt hat, wie sie sonst in der Lautgruppe et einzutreten pflegte (factu > franz. fait, prov. fait und fach).*33) dune: das Wort hat in den ältesten französischen Texten eine eindeutig temporale Bedeutung im Sinne von 'alors'.434) Aber schon früh geht diese Verwendung in eine konsekutive Funktion über. Das Wort beruht auf einem inschriftlich bezeugten dune, in dem man eine Vermischung der Konjunktion dum mit dem Zeitadverb tu ne zu sehen pflegt.438) älterem *preison).

Man bedenke, daß auch im Altprov. vortoniges ei oft

zu i wird, z. B. issüh = eissüh, issam — eisaarn (examen), issemit

=

eiasernit, iasamptar = eissamplar, ohne daß diese durch stammbetonte Formen erklärt werden können. Ebenso im Rätoromanischen älteres airal

> irai 'Tenne', *aiii > iil (orth. ischi) 'Ahorn'.

132 ) Dieses ensi beruht auf in-sie, vgl. durch en- verstärktes prov. aissi in prov. enaissi (s. oben S. 67) und oberital. inai (Rohlfs, § 946). *3a) Siehe dazu Fouché (Bd. II, S. 398), der an satzphonetische Entwicklung denkt, z. B. t u t t i omines > t u t t j omines. — Die hier vorliegende Erscheinung ist ziemlich verbreitet in den Mundarten Oberitaliens, wo

fanti > fainti, tali > tail (Ligurien, Piémont), bzw. prati > praé, denti > dené, tutti > tü6 (Lombardei) geworden sind; s. Rohlfs, § 295. 4M

) Vgl. im alten Leodegarlied qui mieldre just donc a ciels tiemps 'qui

meilleur fût alors en ces temps' (Vers 32), im Alexiuslied des mietz qui dune i eret 'des meilleurs qui alors y étaient' (Vers 17). 4 3 6 ) Siehe Anm. 169.

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s'en fust: Im Gegensatz zum Neufranzösischen, aber in Übereinstimmung mit dem Italienischen, wird nach Verben des Glaubens (auch wenn sie nicht verneint sind) im Altfranzösischen der Konjunktiv gebraucht, vgl. ital. credeva.no che fosse andato. del tut: Die Präposition de hat hier modale Funktion wie in altfranz. de voir 'vraiment', de fi (fidus) 'sûrement'; vgl. schon lateinisch de piano = plane, de novo = denuo. 130 131 132 133 134

Âsez f a quis e demandez: Mès n'en porent mie trover, si lur estât laissier ester. La dame a cil donc espnsee, que lungement aveit amee.

Man hat viel nach ihm gesucht und geforscht: aber sie konnten ihn nicht finden. Und so mußten sie die Sache sein lassen. Jener hat nun die Dame geheiratet, die er lange Zeit geliebt hatte. asez < a d - s a t i s : hat in älterer Zeit mehr steigernde als einschränkende Bedeutung, wie noch heute im Italienischen, z. B. era assai giovane 'er war sehr jung', grazie assai 'vielen Dank!', m'importa assai 'es liegt mir sehr am Herzen'. quis: Partizip zum Verbum querre (quaerere), gebildet in Analogie nach pris und mis; siehe zu Vers 31. n'en porent mie trover: Die dritte Person des Plurals hat in alter Zeit oft die Bedeutung des unbestimmten Pronomens 'man', was einem bekannten lateinischen Gebrauch entspricht (dicunt, putant). 4 3 6 ) Porent < *potuerunt, cfr. ourent Vers 143. - Das aus inde entstandene Adverbium kann im Altfranzösischen bereits rein pronominale Punktion annehmen und, wie unser Beispiel zeigt, sich auch auf eine Person beziehen: 'de lui on n'a pu rien trouver'. - Das Verbum trover entspricht dem prov. trobar < *tropare (s. S. 72). si lur estut laissier ester 'und so mußten sie die Sache sein lassen': lur estut entspricht einem modernen il leur fallut. Die Verschiebung des einstigen Genitivs illorum in die Verwendung eines Dativs dürfte über den possessiven Dativ gegangen sein: leur mere = la mere a eis.43Sa) Es zeigt sich hier eine Vermischung von Genitiv und Dativ, die im Rumänischen (unter griechischen Einflüssen) zu einer völligen Verschmelzung von Genitiv und Dativ geführt hat: lupilor 'der Wölfe' und 'den "•) So noch heute sehr verbreitet im Spanischen, z. B. dicen 'on dit', lo venden 'on le vend'. ««a) Di e ältere aus dem lateinischen Dativ illis hervorgegangene Form les (vgl. span. les) findet sich bis in das 13. Jahrhundert in den nordöstlichen Mundarten; s. A. Tobler, Vermischte Beiträge, Bd. I, No 13 (Anm.). 164

Wölfen' (s. S. 188). 4S6b ) Das im allgemeinen nur unpersönlich gebrauchte Verbum lautet im Infinitiv estuveir, was ein * s t o p ë r e oder * e s t o p ë r e voraussetzt.437) Man ist sich heute darin einig, daß dieser Infinitiv in Analogie nach anderen Verben zu dem unpersönlichen Ausdruck est opus 'es ist nötig* geschaffen worden ist. 438 ) Die häufigst begegnende Form ist die des Präsens estuet 'il faut'. 489 ) La dame a cil dune espusee : Was hier Objekt und Subjekt ist, wird durch die altfranzösischen Formen unzweideutig ausgedrückt, da eil nur der maskuline Nominativ sein kann (s. Vers 117). 136 136 137 138

Issi remest un ail entier, tant que Ii reis ala chacier. A la forest ala tut dreit là ù Ii Bisclavret esteit.

Dabei ('so') blieb es ein ganzes Jahr, bis der König sich auf eine Jagd begab. Sein Weg führte ihn geradewegs in den Wald, dort wo der Bisclavret lebte. remest < * r e m a s i t < remansit, vgl. ital. rimase 'er ist geblieben'; der Infinitiv lautet remaneir < remanëre. un an entier: über entier, s. Vers 26 und Anm. 311; zur Stellung des Adjektivums, s. Vers 9. Ii reis < illi rex, vgl. il, das die gleiohe Grundlage hat (S. 108). Das doppelte Lautergebnis entspricht dem Verhältnis von la zu elle (S. 123 und Anm. 239) und hat satzphonetische Gründe (S. 101). - Der seit dem 11. Jahrh. beginnende Verfall der Zweikasusflexion ist durch die weibliche Deklination bedingt, wo schon im Vulgärlatein in gewissen Klassen keine Casusunterschiede mehr bekunden (s. S. 31). chacier < * c a p t i a r e . - Ein im Vulgärlateinischen viel verwendetes Mittel, ein neues Verbum zu schaffen, bestand darin, daß man einen Partizipiaistamm des Perfektums mit der Endung -iare versah: captus 4s« bj Spätlateinische Beispiele für die dativische Funktion des Genitivs ( m u l t o r u m = multis, q u o r u m = quibus, illorum = illis) gibt Norberg, S. 37 ff. " ' ) Der Infinitiv ist in Mariens Dichtungen in substantivischer Verwendung belegt: osez aveit sun estuveir 'er hatte sein reichliches Auskommen' (Milun 311). Das häufig bezeugte par estuveir (Marie, Wace), par estovoir (Chrétien) hat die Bedeutung 'par nécessité'. 4S8 ) Eine eingehende Begründimg dieser Etymologie gibt J . Jud, VR, Bd. 9, 29-56; siehe auch F E W , Bd. 7, 381. 4 8 9 ) Das Verbum ist im Mittelalter auch aus Oberitalien bezeugt, vgl. altlomb. m'astove 'il me faut'. Im Rätoromanischen ist es noch heute lebendig, vgl. engad. stuvair 'müssen', eu sto ir 'ich muß gehen' (s. Jud, VR, Bd. 9, 40ff.).

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> *captiare > altfranzösisch chacie,r > chasser, t r a c t u s > *tractiare > altfranz. trader > tracer, s u c t u s 'gesaugt' > *suctiare > swcer.440) dreit < d i r e c t u . - Das lateinische Adjektivum hatte ein langes ë: in diesem Falle entsteht mit dem aus k hervorgegangenen i der Diphthong ei (> oi). Die gleichen Bedingungen liegen vor in t ë c t u > teit > toit; im Gegensatz zu l e c t u und pectus, die ein kurzes e hatten (> lit, piz). Das Schwinden des vortonigen i ist bedingt durch das seiner Natur nach sehr vokalhaltige r. Ähnlich ist der Vortonvokal verlorengegangen in vrai ( < *veracu), crier ( < quiritare), il croule ( < *corrotulat), il dresse < drece ( < *directiat), altfranz. frir — férir (ferire). 441 ) 139 Qnant Ii chien furent descuplé, 140 le Biselavret unt encnntré. Als die Hunde entkoppelt wurden, haben sie den Biselavret gefunden. Ii chien < iIii *cani, entspricht also genau einem italienischen i cani. - Die Erhaltung des Diphthongen (im Gegensatz zu chievre > chèvre, chief > chef, s. Vers 29) bis in die moderne Zeit ist durch den folgenden Nasal bedingt; so erklären sich auch chrétien, ancien. Zur hemmenden Wirkling des Nasals, s. Vers 25 zu semeine. descupler : abgeleitet vom lat. copula 'Leine für Hunde', dem auch deutsch Koppel entstammt. Die jüngere Bedeutung von copula 'Paar', 'réunion de deux choses' (le couple) datiert erst seit dem Zeitalter Augustins.44!!) eneuntrer: Das Verbum ist abgeleitet von dem schon in lateinischer Zeit bezeugten incontra, das sowohl als Adverb wie als Präposition gebraucht wurde. 141 142 143 144

A lui cururent tutejur e Ii chien e Ii veneür, tant que pur poi ne l'ourent pris e tut deciré e malmis.

Auf ihn stürzten sich den ganzen Tag sowohl die Hunde wie die Jäger, solange bis sie ihn beinahe gefaßt, ganz zerrissen und übel zugerichtet hatten. 440

) In gleicher Weise konnten Adjektiva zu Verben umgeformt werden: a l t u s > * a l t i a r e > altfranz. haucier > hausser, a c u t u s > » a c u t i a r e > aiguiser, f o r t i s > * f o r t i a r e > forcer. 441 ) Siehe Vers 119 und Anm. 428. - Auch im Toskanischen ist das Verstummen eines Vortonvokals in der Regel an ein r gebunden, z. B. sprone, dritto, gridare, crollare, trivello (Rohlfs, § 137). «a) FEW, Bd. II, S. 1161.

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tutejur 'den ganzen Tag über': da jur ( d i u r n u ) stets männlich ist, muß das weibliche Geschlecht des Adjektivums sehr überraschen. Es handelt sich zweifellos um eine gedankenlose formelhaft gewordene analogische Falschbildung, unter dem Einfluß von tute nuit.ii3) Ganz ähnlich hat man im Deutschen zu des Morgens, des Abends in mechanischer Assoziation des Nachts geprägt. Ii veneür < i l l i * v e n a t o r i ( < v e n a t o r e s ) . Das Wort ist später durch chasseur (altfranz. chaceür) ersetzt worden, h a t sich aber in gewissen SpezialVerwendungen bis in die moderne Zeit erhalten, z. B. grand veneur 'Oberjägermeister eines fürstlichen Hauses'. pur poi 'um weniges', hat den Sinn des modernen à peu près. Das lateinische p a u c u hat im Französischen eine sehr mannigfache Entwicklung genommen, deren Ergebnisse noch nicht ganz aufgeklärt sind. Einmal konnte das aus k zunächst hervorgegangene g vor dem dunklen Vokal verstummen, wie in dem Flußnamen S a c o n a > Saône. Dies konnte sehr früh geschehen zu einer Zeit, als das auslautende u noch vorhanden war. So konnte, nachdem au zu o geworden war, der Diphthong ou entstehen, mit dem Ergebnis pou (Alexius). Später ist dieses ou durch Dissimilation zu eu (> ö) geworden wie in * b l a u > blou > bleu. So erklärt sich das neufranz. peu. Daneben war in gewissen Landschaften eine andere Entwicklung denkbar. Es konnte das aus 1c entstandene g noch die weitere Entwicklung zu j mitmachen, wie sie vorliegt in p a c o > p a g o > pai 'ich bezahle', la eu > altfranz. lai 'See', C a m a r a c u > Gambrai. So ist es zu der Nebenform poi gekommen. 444 ) decirer 'zerreißen'. — Das Verbum erscheint in altfranz. Texten in verschiedenen Lautformen: decirier, descirier, und deschirier, von denen die letzte als déchirer sich der Schriftsprache mitgeteilt hat. Das zu Grunde liegende Stammwort ist das fränk. s k î r a n 'gratter'. Die Entwicklung des germanischen k vor hellen Vokalen folgt in der Hegel dem Schicksal von lat. k vor a (vgl. riche, in Vers 192), doch haben einzelne 443) Ygj ¡ m Rolandslied pur un sul levre vait tute jur cornant 'pour un seul lièvre il va tout un jour sonnant du cor' (vers 1780) und so in vielen anderen altfranzösischen Texten. 4 " ) Siehe Schwan-Behrens, § 145, 2 ; Rheinfelder, § 787. - Nach anderer Meinung wäre nur die Femininform p a u c a zu poie geworden, wozu ein neues Maskulinum poi geschaffen worden wäre (Pope, S. 499 u. 504). Daß poi von einem alten poi < p a u c i (FEW, Bd. "VTII, 55 und Fouché, Bd. II, S. 310) sich verbreitet hätte, ist kaum anzunehmen. I m Mittelalter war poi hauptsächlich auf den Westen und Nordwesten beschränkt; als pwa findet es sieh noch heute im Poitou. - Der Gegensatz von peu zu trou (< t r a u e u ) könnte darin seine Erklärung finden, daß ou das franzische Ergebnis war, während in der Pikardie (wo man treu, eleu, caiUeu spricht) ou zu ö geworden ist (Rheinfelder, § 319; Jordan, Altfranz. Elementarbuch, S. 97; Pope, § 549). - Zu der sehr verwickelten Frage, siehe jetzt besonders Fouché (Bd. II, S. 309ff.), wo weitere Formen behandelt werden.

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Wörter die ältere Palatalisierung des k (vor e, i) > ta noch mitgemacht (s. Anm. 495). Der Wandel von a > ie im Infinitiv, der seine Parallelen in altfranz. brisier ( sür datiert erst aus dem 16. Jahrhundert; er ist bedingt durch den Einfluß des Adverbiums sus (< sursu). 480 ) mesfacent < miss-faciant. - Intervokalisches k und gedehntes Ich vor Hiatus-i ist im Altfranzösischen zum postdentalen Verschlußreibelaut ts geworden, vgl. *facia (< facies) > face, *glacia (< glacies) > glace, minacia > menace, *imbracchiare > embracier. 481 ) Seit dem 13. Jahrhundert assimiliert sich ts > s (il fasse, il embrasse). nul d'els < nullu de ilio s. - Während schwachtoniges ilio s zu les geworden ist, hat betontes illos sich zu eis (neufranz. eux) entwickelt. abemrez e peüz < abbiberatus et pascutus 'abreuvé et repu'. Das erste Verbum ist neu gebildet auf der Grundlage des lateinischen adbibere 'antrinken'. Das zweite Partizipium gehört zum Verbum pascere, neufranz. paître, das in der modernen Sprache defektiv geworden ist, so daß gewisse Verbalformen durch das Kompositum repaître ersetzt werden müssen. In den Partizipialbildungen mit -utus, verliert das Partizipium im Altfranzösischen oft den konsonantischen Stammausgang unter dem Einfluß der daneben stehenden Perfekta, in denen dies Stammelement verlorengegangen war (altfranz. soi, reçût, crüi, conüi), vgl. seil < saputu, receü < reciputu, creü < crescutu, coneü < conoscutu. 175 Cil le guarderent volontiers. 176 Tnz jars entre les chevaliers 177 e près del rei s'alòut culchier.

Jene behüteten ihn gern. Stets war er beflissen ('il allait'), sich zwischen den Rittern und dicht beim König niederzulegen. Cil: maskuline Form des Plurals (ecce-illi), vgl. Vers 117. volentiers < voluntarie, versehen mit dem adverbialen s. Das e der Mittelsilbe ist wohl eine normale Abschwächung des alten u an unbetonter Stelle. Die moderne Form volontiers ist erst zu Beginn der Neuzeit durch Anlehnung an volonté (im Anschluß an das lateinische voluntas) entstanden. Das italienische volentieri hat das ältere e bis heute bewahrt. 47 •) Neben sor (sur) findet sich im Altfranzösischen eine vollere Form sort, dessen auslautendes e genauer dem Auslaut von père < p a t e r , span. sobre, padre entspricht; vgl. entre < i n t e r in Vers 176. 48 °) Dieser Einfluß hat sich auch im Provenzalischen vollzogen, wo älteres sobre in den modernen Mundarten zu sübre geworden ist. 481 ) Eine Vorstufe dieses ts ist das tS des Italienischen, z. B. faccia, ghiaccio, minaccia.

12 Rohlfs, Einführung

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entre les Chevaliers. - Die Präposition entre beruht auf lateinisch inter. Das auslautende e ist als Stützvokal aufzufassen wie in quattuor > qvatre, major > maire, mittere > mettre. s'alöut cvlchier: Das verbundene Reflexivpronomen gehört genau genommen zum abhängigen Infinitiv (neufranz. il aUait se coucher). Die ältere Sprache pflegte bei einer Verbindung von Modalverben mit einem Infinitiv das eigentlich zum Infinitiv gehörende Pronominalobjekt zum Modalverbum zu ziehen. Man sagte je le sai trover, wo man heute sagen würde je sais le trouver. Dieses Stellungsgesetz hat sich bis ins Zeitalter des Klassizismus erhalten (z. B. bei Lafontaine on rums veut attraper). Die Volkssprache hat in vielen Teilen Frankreichs diese ältere Stellung bis heute bewahrt ( j e le peux faire). Und aus der Volkssprache ist in den letzten Jahrzehnten diese Stellung des Pronomens wieder in die Umgangssprache der bürgerlichen Kreise gedrungen: il le voulait vendre.482) Die Verknüpfung des Verbums aller mit einem Infinitiv betont stärker als das einfache Verbum das Vorsichgehen einer Handlung (Durativum) oder die Absicht zu einem Tun, vgl. noch neufranz. n'aUez pas vous imaginer 'bilden Sie sich ja nicht ein'. Es ist die gleiche Konstruktion, die in neuester Zeit zur Entstehung des modernen Futurums geführt hat: nous aUons voir = rums verrons. - Über die Form aldut, siehe Vers 27. - Zu cvlchier, s. S. 187.

178 N'i a celui ki ne l'ait chier; 179 tant estait frans e de bon' aire: 180 unkes ne volt a rien mesfaire.

Es gibt keinen, der ihn nicht lieb hätte. So gesittet und von feiner Art war er. Nie wollte er in irgendeiner Weise etwas Unrechtes tun. ki ne l'ait chier: die Redensart aveir chier im Sinne von 'aimer' ist in altfranzösischer Zeit sehr beliebt. Sie ist in der Schriftsprache verlorengegangen, doch hat sie sich mundartlich in der äußersten Nordzone Frankreichs bis heute lebendig erhalten und ersetzt hier geradezu das Verbum aimer. Ursprung und Erhaltung des Ausdrucks gerade in den nördlichsten Landschaften des französischen Sprachgebietes (Pikardie, Wallonie) läßt auf germanischen Einfluß schließen.483) frans e de bon'aire. - Das Adjektivum franc (Nom. frans) ist identisch mit dem Namen der Franken. Es bezeichnete eine bunte Vielheit von guten Eigenschaften, die mit dem Ideal des freien Mannes bzw. des höfischen Ritters verbunden waren: adlig, edel, freigebig, aufrichtig, gut, schön, vollkommen.484) 482)

Weitere Hinweise gibt Gamillscheg, S. 119. Vgl. in der Pikardie je t'ai kier 'je t'aime'; s. dazu (und zu anderen Ausdrücken für 'lieben') Rohlfs, Lexikal. Differenzierung (1954), S. 80. 4 " ) Siehe F E W , Bd. III, S. 757ff. 483)

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de bon'aire 'von guter Art', 'aus feiner Familie' enthält das altfranzösische aire 'Familie', 'Geschlecht', 'Rasse', das mit aire 'Horst eines Vogels''identisch ist und auf lateinisch area 'freier Platz' zurückgeht. Die Verbindung de bon' aire (und sein Gregenteil de put'aire) ist von Hause ein Ausdruck, der sich auf den zur Jagd dressierten Falken oder Habicht bezog. Zu einer festen Einheit zusammengewachsen (débonnaire) bedeutet das Adjektivum heute 'gutmütig' (un mari débonnaire) ; vgl. auch Louis le Débonnaire 'Ludwig der Fromme'. 181 182 183 184

U que Ii reis deüst errer, il n' ôut cure de desevrer. ensemble od lui tuz jurs alôut : bien s'aparceit que il l'amôut.

Wohin auch immer der König gehen mußte, er hatte keine Lust, sich von ihm zu trennen. Zusammen mit ihm ging er stets: er merkt wohl, daß er ihn liebte. u que. - An Stelle der lateinischen Verallgemeinerungsformen, die mit umque gebildet sind (ubicumque, quandocumque), ist in den romanischen Sprachen eine einfachere Bildung, die in lateinisch quidquid ihr Vorbild hat, sehr beliebt geworden: qui que, quel que, quan que 'was auch immer' (quantum quod). errer: s. Vers 52. desevrer < *deseparare. - Während neufranzösisch séparer ein reiner Latinismus ist, der erst seit dem 14. Jahrhundert auftaucht, ist die alte volkstümlich entwickelte Form, die aus separare hervorgegangen ist, in einer Spezialbedeutung bis heute erhalten geblieben: sevrer 'ein Kind oder ein Tier von der Muttermilch entwöhnen'. - Wir haben also in sevrer neben séparer ein charakterisches Beispiel für ein sogenanntes 'Doublet', wie es oft durch volkstümliche und lehnwörtliche Entwicklung entstanden ist: frêle und fragile, droit und direct, chose und cause, hôtel und Mpital, livrer und libérer, raide und rigide, verre und vitre, essaim und examen. ensemble od lui < insemul apud illui: Die Form einiger romanischer Sprachen (ital. insieme, altspan. ensiemo) legt nahe, daß dem französischen Adverbium nicht lateinisch insimul vorausgegangen ist, sondern ein nach semel umgestaltetes vulgäres insemel. 486 ) - In od ist die normale Entwicklung von lateinisch a p u d > * a ( v ) u d zu sehen, das in Frankreich die Funktion der verlorengegangenen Präposition iSB ) Die Nebenform insemel ist, nach Auskunft von Seiten der Redaktion des Thesaurus Linguae Latinae, des öfteren bezeugt, z. B. bei Statius (Silv. 1, 6, 36), Irenaeus und in Praevulgata-Handschriften des alten Testamentes.

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c u m übernommen hat. 484 ) Es ist später selbst durch seinen altfranzösischen Konkurrenten atraec, das eigentlich ein Adverbium war ( a b h o c 'dabei'), verdrängt worden. s'aparceit < se a d - p e r c ï p i t . — I n den lateinischen Verben, die im Präsens den Ton auf der drittletzten Silbe hatten, ist es oft zu einer Tonverschiebung auf die folgende Silbe gekommen: p e r c ï p i t > p e r c ê p i t (altfranz. perceit), r e t ï n e t > r e t ë n e t (> retient), r e c ï p i t > r e c ê p i t (altfranz. receit). Der Infinitiv des altfranzösischen Verbums erscheint teils als aparceivre, teils als aparceveir. Das a der zweiten Silbe beruht auf der gleichen lautlichen Ursache, die aus lateinisch per das französische par hat werden lassen (s. Vers 42). 185 186 187 188 189 190

Oëz après cument avint. Â une curt que Ii reis tint tuz les baruns aveit mandez, cels qui turent de lui chasez, pur aidier sa feste a tenir e lui plus bel faire servir.

Hört, wie es hernach geschah. Auf ein Hoffest, das der König abhielt, hatte er alle seine Barone kommen lassen, (nämlich) diejenigen, die von ihm mit einem Lehen ausgestattet waren, um bei der Abhaltung des Festes mitzuwirken und um ihm noch schöner zu dienen. oëz après cument avint. — Oez < a u d i t i s , doch mit analogischer Endung -ez < - a t i s (s. Vers 44). - Das Adverbium après beruht auf lateinisch ad pressum, das in lokaler Bedeutung ('nahe bei') seit dem 4. Jahrhundert bezeugt ist. In Frankreich fungiert es seit den ältesten literarischen Denkmälern als Ersatzwort für das in Frankreich nicht erhaltene post. 4 8 7 ) - Das Adverbium cument ist ein Beispiel dafür, wie ein altes Adverb (cum < q u o m o ) noch einmal rein mechanisch mit der Adverbialendung - m e n t e versehen werden konnte. Die mittelalterliche Sprache bietet dafür mehrere Beispiele : ensement = ensi, ensemblement, soventement. a une curt: Das zugrunde liegende c o h o r s (vulgärlat. cors, Akk. c o r t e ) ist von Hause aus ein Ausdruck der Bauernsprache. Es bezeichnet den 'Hofraum für das Vieh'. Daneben hatte das Wort noch andere Bedeutungen. In der militärischen Terminologie bezeichnete es eine größere Truppenabteilung ('Kohorte'), eine Untergliederung der Legion. Außerdem verstand man unter dem Wort das Gefolge einer hohen Persönlich1 8 S ) I m Altprovenzalischen und im Katalanischen ist a p u d über * a b u zu ab geworden, das im modernen Katalanischen sich zu amb entwickelt hat. 4 8 7 ) D i e ältere Bedeutung zeigt sich noch klarer im Italienischen, z. B . appresso lui 'près de lui' (Dante), emil. après al fök 'près du feu'.

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keit, die Schar der Höflinge am kaiserlichen Hofe ( c o h o r s a m i c o r u m ) . I n den romanischen Sprachen h a t sich die erste und die dritte Bedeutung fortgesetzt. 488 ) tuz les baruns: die ungewöhnliche Verwendung des bestimmten Artikels eignet auch den anderen romanischen Sprachen, vgl. ital. tviti i baroni, span. todos los barones. I m klassischen Latein darf man ein Vorbild für diese Ausdrucksweise nicht suchen, da es ja den bestimmten Artikel nicht besaß. Wohl aber kannte das Altgriechische den nämlichen Gebrauch des Artikels an der gleichen auffälligen Stelle: 7IÖCVT£? oi 7toi 'alle Menschen', und ganz entsprechend dem französischen tonte la nuit sagte man griechisch TZÖLGav TTJV vuxxa. Die auffällige Stellung von Und und die Setzung des Artikels erklären sich, wenn man das mit dem Artikel verbundene Substantivum als feste Einheit faßt, zu der tout prädikativ hinzutritt: 'die Menschen in ihrer Gesamtheit*. furent: s. fu in Vers 98. chasez < c a s a t o s . - Das lateinische c a s a hat in Nordfrankreich, wenn man von der Präposition cTiez (altfranzösisch chies) absieht, nur eine schwache Lebenskraft entwickelt. 489 ) Besser ist es einigen Ableitungen gegangen. 490 ) Zu ihnen gehört das Verbum chaser 'mit einem Lehen ausstatten', eigentlich 'mit einem Hause versehen' ( < *casare). 4 9 1 ) pur aidier sa feste a tenir. - Als Grundlage des französischen aider ist statt des klassischen a d i u t a r e ein vulgäres a j u t a r e (so noch italienisch) anzusetzen. Dessen Weiterentwicklung führt in Frankreich über die Stufen ajudar (provenz.) und ajdar, wobei der palatal gefärbte Konsonantennexus den Diphthongen in der Infinitivendung ausgelöst hat. Zur Erhaltung des d, s. Anm. 498; zur Reduzierung von ie > e, s. Vers 29. e lui plus bei faire servir. - Das betonte Pronomen lui statt des unbetonten le ist durch die vorausgehende Konjunktion bewirkt, die nach sich ein unbetontes Personalpronomen nicht duldete. Es ist der gleiche Fall, der in Vers 82 vorliegt: ne mei de nule rien duter,492) - Plus bei hat adverbiale Funktion, wie auch einfaches bei so verwendet werden konnte, z. B. bei Marie mult vindrent bei parmi la rue 'sehr schön kamen sie daher über die Straße' (Lanval 583). Es ist der gleiche adverbiale Gebrauch eines Adjektivums, der aus der modernen 'Sprache bekannt ist: sentir 48e

) Siehe FEW, Bd. II, 849ff. " ) Die Form chies statt eines zu erwartenden *chiese scheint auf einem in der Proklise reduzierten cas(a) zu beruhen, das auch für altspan. en cas de, oberital. o ca la madre, astur, vengo de ca mi padre anzusetzen ist. Ein dial. altfrz. chaise lebt fort in vielen Ortsnamen: Chaise-Dieu, La Chaise-Baudouin, 4

Lea Chaisea, usw.

«») Siehe FEW, Bd. II, 449ff. 4M ) In Italien bedeutet Casare 'verheiraten', in Spanien casar 'eine Ehe eingehen'. Italienisch casato ist der 'Familienname'. 492 ) Die Gründe sind rhythmischer Natur; siehe Vers 82.

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bon, vendre cher, sonner creux, parler juste. Dieser Gebrauch knüpft an lateinische Fälle an wie z.B. valet rrndtum, primum audio 'zum ersten Male höre ich', magnum damai (Plautus), aeternum latrans (Yergil).493) Das Verbum faire erscheint in der mittelalterlichen Sprache in Verbindung mit einem Infinitiv oft rein pleonastisch, ohne daß ihm ein besonderer Sinn zukommt. So bedeutet faites moi escouter nichts anderes als das moderne écoutez-moi!m) Es ist die gleiche Erscheinung, die in der deutschen Umgangssprache beim Verbum 'tun* zu beobachten ist: 'tue den Tisch decken!, 'ich tue den Garten umgraben'. 191 Li chevaliers i est alez, 192 richement e bien atarnez 193 ki la femme Bisclavret ot. Dorthin ist (auch) der Ritter gegangen, reich und fein hergerichtet, der die Frau des Bisclavret hatte. richement: das aus dem fränkischen r î k i gewonnene riche zeigt eine Entwicklung des Palatals, die nur bis zur Lautstufe ch (të) gegangen ist. Das heißt: der germanische Laut muß in der Aussprache rikji in Nordfrankreich zu einer Zeit übernommen worden sein, als aus k vor a die Stufe kj erreicht war, so daß das germanische Wort dessen Weiterentwicklung zu ch (campu > kjamp > champ) mitmachen konnte. Ebenso erklärt sich die Weiterentwicklung von germ. s k i n a > échine, s k e r p a > écharpe, altfranz. escherpe, s k e r n j a n > altfranz. eschernir 'verspotten', s k î r a n > altfranz. deschirier, neufranz. déchirer.495) aturnez. — Letzter Ausgangspunkt der umfangreichen romanischen Wortsippe tourner, tour, retourner ist das latein. Verbum t o r n a r e 'in runder Form drechseln', später 'glatt machen', 'schön herrichten'. la femme Bisclavret 'die Frau des Bisclavret': der präpositionslose Obliquus dient hier zum Ausdruck des Genitivs. Ähnlich altfranz. la suer Rolant 'die Schwester Rolands', les fils Aymon 'die Söhne des Haimon'. Die mittelalterliche Konstruktion hat sich versteinert in den von den " 3 ) Siehe Löfstedt, Syntactica, Bd. II, 41. Über die adverbiale Verwendung eines Adjektivums im modernen Französischen, s. Grevisse, § 396; im Volksfranzösischen, s. Olaf Deutschmann, Zum Adverb im Romanischen (Tübingen 1959), S. 19. ««) Siehe A. Tobler, Vermischte Beiträge, Bd. I, 20ff.; Gamillscheg 530. Im Italienischen hat noch die neuere Sprache fare a dire im Sinne von 'dire'. 495 ) Anglonormannische Texte haben häufiger die Form decirier (s. in unserem Text Vers 144 deciré), die durch Assimilation eines älteren sc aus descirier (bei Chrétien) hervorgegangen ist. Diese Lautform läßt eine ältere Schicht in der Aufnahme germanischer Wörter erkennen, da sk hier die normale romanische Entwicklung von sk vor hellem Vokal noch mitgemacht hat. Das Wort ist also zu verschiedenen Zeiten von den Romanen aufgenommen worden; s. Gamillscheg, Rom. Germ., Bd. I, S. 275, Bd. II, S. 288. 182

Normannen stammenden englischen Familiennamen Fitzjames 'Jakobsohn', Fitzgerald, 'Geraldsohn', in Ortsnamen Châteaubriavt, Châteaurenard, Montdidier, Villehardouin ( ' Hardwinsstadt ' ).496) 194 195 196 197 198

II ne sayeit ne ne qnidot qu'il le deüst trover si près. Si tost com il vint al palais e li Bisclavret l'apercent, de plein eslais vers lui curnt:

Er wußte nicht und meinte nicht, daß er ihn so nahe finden sollte. Sobald er in den Palast kam, und der Bisclavret ihn bemerkt hat, eilte er in vollem Sprung auf ihn zu. quidot < cogitabat. - Die Schreibung mit q ist eine Eigenart anglonormannischer Handschriften, die vor einem folgenden u etymologisches k oft durch q ausdrücken.497) Die Erhaltung des Dentals auf der stimmhaften Stufe ist dadurch bedingt, daß in dieser Entwicklungsphase (*cogidare) das vortonige i verlorenging und das d mit dem aus g entstandenen j zusammentrat: *cojdavat 4 9 8 ). Das Verbum ist in Frankreich seit dem 17. Jahrhundert veraltet. Im Spanischen hat es sich bis heute erhalten als cuidar in der Bedeutung 'sorgsam behüten'. palais steht im Reim mit près, was zeigt, daß auch in diesem Wort ai bereits zu è geworden ist (s. Vers 13). apercent (lies apertsüt): das e vor u hat nur orthographischen Sinn (vgl. altfranz. ceo = ço), indem es die Natur des vorausgehenden c im Sinne des neufranzösischen ç deutlich macht. eslais : Deverbalbildung vom Verbum eslaissier 'laufen lassen', in reflexiver Verwendung 'sich in vollem Lauf stürzen', dieses auf *exlaxare 'loslassen' beruhend. curut (lies kurüt) : Grundlage dieser Perfektbildung, die in der ersten Person die Form -üi hat, ist das lateinische Perfektum auf -ui (habui, debui, tribui). Diese alte Endung, die im Lateinischen den Ton teils auf dem Verbalstamm, teils auf der Endung hatte, hat in Anlehnung an die Perfekta auf -avi und -ivi sich mehr und mehr zu einer schwachen, d. h. endungsbetonten Verbalform entwickelt : curüi, curüs, curüt, curâmes, curüstes, curürent.4M) 4 ") Vgl. die aus dem einst normannischen Unteritalien stammenden italienischen Familiennamen Figiovanni ('Johannsohn'), Fvridolfi ('Rudolfsohn'), s. Verf., An den Quellen der romanischen Sprachen (1952), S. 204. 4 ") Vgl. in der Oxforder Handschrift des Rolandsliedes quisse, quisine,

quid, = cuid 'je crois'.

4 8 ' ) Ähnlich beruht aider (altfranz. vidier) auf *aj (u)dare, soudain auf sob(e)danu < subitanus. 4 ") Vgl. den allmählichen Ersatz des stammbetonten altfranzösischen

Perfektums volt (voluit) durch vulût (il voulut).

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199 200 201 202

Âs denz le prist, vers loi le trait. Ja Ii eiist malt graut laid lait, ne fast Ii reis ki l'apela; d'une verge le manaça.

Mit den Zähnen packte er ihn, zu sich zieht er ihn. Gewiß hätte er ihm ein sehr großes Leid zugefügt, wäre nicht der König gewesen, der ihn herbeirief ; mit einer Rute hat er ihn bedroht. as denz < ad illos dentes. — Wie de illos in seiner proklitischen Verwendung die verkürzte Form des ergeben hat (s. Vers 1), so ist ad illos ganz normal altfranzösisch zu as geworden. Die neufranz. Form aux ist durch spätere Anlehnung an den Singular au entstanden (s. Anm. 219). - Die Präposition ad hat hier instrumentale Funktion. So schon im Spätlatein ad colum colare 'mit einem Sieb durchseihen', und noch neufranzösisch fermer une porte à clef, pêcher à la ligne, travailler à l'aiguïUe, aller à pied. le trait: Die romanischen Fortsetzer des lateinischen Verbums t r a here beruhen nicht auf dieser klassischen Form, sondern auf einem vulgärlateinischen *tragere, das auf der Grundlage des Partizips t r a c t u s nach dem Muster actus : agere analogisch gebildet worden ist. 500 ) Das Verbum traire ist seit dem 16. Jahrhundert in seiner alten Bedeutung ungebräuchlich geworden (ersetzt durch tirer). Es hat sich dagegen erhalten in der speziellen Bedeutung 'melken', die es seit dem 14. Jahrhundert im bäuerlichen Milieu angenommen hatte. ja Ii eüst fait: das zunächst rein temporale ja (lat. j a m ) hat im Altfranzösischen oft den Wert einer verstärkenden Aussage im Sinne von 'gewiß', 'sicherlich', 'zweifellos'.501) grant laid: das aus dem fränk. laid (deutsch leid) gewonnene Wort, hatte im Altfranzösischen eine weitere Bedeutung als in der modernen Sprache: 'böse', 'schlimm', 'unangenehm', 'häßlich'. Als Substantivum hatte es den Sinn von 'Schimpf, 'Schande', 'Schaden'. ne fust Ii reis : Konjunktionsloser Ausdruck eines Bedingungssatzes wie noch im Neufranzösischen, z. B. n'eût été le médecin, l'enfant était perdu. verge 'Rute' < virga: mit der gleichen Entwicklung von g vor a wie in anlautender Stellung, z. B. gallus > jal (s. Vers 30); vgl. noch bulga > bolge, heriberga > herberge.

5 0 0 ) Vgl. rum. trage, ital. trarre < *trajre. - Ähnlich ist für franz. détruìre, ital. distruggere ein vulgärlat. * d e s t r u g e r e anzusetzen. 501 ) Siehe Tobler-Lommatzsch, Bd. IV, S. 1523. - Auch ital. già kann diese Bedeutung haben, vgl. tosk, non è già così 'es ist wirklich nicht so' (Rohlfs, § 942). Ähnlich span. ya lo sé 'ich weiß es (gewiß)'.

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203 204 205 206

Dons fciz le yolt mordre le jur. Malt s'esmerveillent li plusur; kar nnkes tel semblant ne fist vers nul hume que il veïst.

Zweimal hat er ihn an jenem Tage beißen wollen. Sehr erstaunt sind die meisten; denn nie zeigte er ein solches Gebahren zu irgendeinem Menschen, den er je sah. dcms 'zwei' mit einem ou, das den Wert eines wirklichen Diphthongen (6u) hatte. 602 ) Dieser ist bedingt durch das frühe Zusammentreten des Tonvokals mit dem Vokal des Auslauts: d u o s > d o o s . Ähnlich ist l u p u > * l o ( v ) u zu lou geworden. 503 ) le jur: der aus i l l e entstandene Artikel hat im Französischen oft noch eine stärkere Bedeutung, die an die demonstrative Funktion des lateinischen Pronomens erinnert, vgl. neufranz. de la sorte 'auf diese Weise', elle pleurait et riait à la fois.804) fist < fêcit. - Das i ist verallgemeinert aus der ersten Person fis, wo es durch Umlaut normal aus f ë c ï entstanden ist (s. Vers 7). Die Behandlung des k ist die gleiche, die v i c i n u zu veisin geführt hat. Nach Ausfall des nachtonigen Vokals verbindet sich das so entstandene is mit dem auslautenden Dental., Ahnliche Beispiele sind p l a k e t > piaist, n ö k e t > nuist, l u k e t > luist, j a k e t > gist.i0b) 602

) Vgl. im Alexiuslied Vers 45 lur doua amfanz, im Rolandslied Vers 1384 lur doua espiez. - Siehe albut Vers 27, but Vers 182. 503) Vgl. ^ Mariens Fabeln li Ions im Reim mit a dons (4, 12). - Dieser Laut ist im Französischen seit dem 12. Jahrhundert mit dem auf dem Festland durch spontane Diphthongierimg aus ö (ü) hervorgegangen 6u über eu > öu zu ö fortgeschritten : dôus > deus, gôule > geule, flôur > fleur. In den westlichen Mundarten wurde jedoch 6u zum Monophthong u ( = franz. ou) assimiliert, vgl. in Nantes flow, auf den normannischen Inseln gotde, norm, und anj. coue 'queue'. Mit dieser Lautung ist loup statt leu (vgl. die Redensart à la queue leu [< ie] leu) in die Schriftsprache gelangt; vgl. Saint-L6 < s a n c t u s L u p u s in der Normandie gegenüber Saint-Leu (nw. von Paris). 604

) Vgl. im Rolandslied por la Garlun dunt il dit parler 'pour celle ( = l'épée) de Charles dont il entendit parler' (Vers 3145), im Alexiuslied al tens Noé . . . edal David 'au temps de Noé et en celui de David' (Vers 6). Weitere Hinweise gibt Gamillscheg, S. 57ff. - Determinierend wie in den altfranzösischen Beispielen ist der Artikel auch in den Ortsnamen Vitry-le-François (Champagne) 'Vitry, celui de François 1er', Nogent-le-Rotrou (Eure-et-Loir) 'Nogent, celui de Rotrou', Nogent-V Artaud (Aisne) 'Nogent, celui d'Artaud', Fontaine-la-Quyon (Eure-et-Loire) 'Fontaine, celle de Guyon'. Viele Beispiele dafür gibt A. Vincent, Toponymie de la France (Bruxelles 1937), § 855-855a. 505 ) Eine andere Entwicklung zeigt altfranz. fait an Stelle eines aus f a c i t normal zu erwartenden *faist, ebenso dit < d i c i t , duit < d u c i t , cuit < * k o k i t < c o q u i t . Uneinheitlich ist die Behandlung der genannten Verben auch im Provenzalischen, vgl. fetz < f e c i t , platz (neben plai) < p l a c e t , 185

gue il veist: der Konjunktiv (vidisset) ist bedingt durch die Negation des übergeordneten Satzes. Für den in den romanischen Sprachen untergegangenen Konjunktiv des Imperfekts ist früh der Konjunktiv des Plusquamperfekts eingetreten.506) Durch seine enge Verwandtschaft mit dem Perfektum war er besonders geeignet, zur einzigen Konjunktivform des Präteritums zu werden.607) Das betonte i ist durch Konjugationsausgleich aus der ¿-Konjugation übernommen: dormist < dormlsset. 207 208 209 210

Ceo dient tuit par la maisnn qu'il nel iet mie senz raisun: Mesfait Ii a, coment que seit, kar volontiere se vengereit.

Das sagen alle im Hause, daß er es nicht tut ohne Grund: etwas Böses hat der ihm zugefügt, wie es auch sein mag, denn er möchte sich (offenbar) gern rächen. dient < d i c u n t : Normale Entwicklung nach Ausfall des k in der Stellung vor u, vgl. facunt > *faunt > font; ähnlich d i c a t > *dije > die (noch im 17. Jahrhundert quoi gue Von die). - Die modernen Formen ils disent, qu'on dise sind analogischer Herkunft (nach dem Imperfekt disais). par la maisun. - Die Präposition par hat hier jene lokale Funktion, die eine Ausbreitung über einen gewissen Raum zum Ausdruck bringt. Sie ist bereits lateinisch, z. B. per agros 'über die Felder', per vias 'auf den Wegen', per totam domum (Horaz, Apuleius), wie sie auch dem Neufranzösischen vertraut ist, z. B. par toute la France, par les champs. nel fet < nele fait. senz raisun. - Die aus lat. sine hervorgegangene Präposition hat im Altfranzösischen in vielen alten Texten im Auslaut ein z ( = ts), wo man im Hinblick auf andere vergleichbare Fälle (chiens, mains, pains, fins) ein einfaches s erwarten sollte. Tatsächlich sollte lat. sine, vermehrt um ein adverbiales s, im Altfranzösischen sens ergeben, eine Form, jatz (neben jai) < j a c e t , ditz (neben di) < d i c i t , fai < f a c i t . Den französischen Formen fait, dit, entsprechen also im Provenzalischen, wo der auslautende Dental fällt, jai, di, plai, jai. Die doppelte Entwicklung dürfte durch das frühere oder spätere Verstummen des Vokals der Auslautsilbe bedingt sein, etwa in dem Sinne, daß f a c i t und d i c i t als häufigere Verba bereits bei * f a j i t und d i j i t angelangt waren, als p l a c e t und l u c e t die Aussprache pla'däet und lu'diet annahmen. - Eine ähnliche Erklärimg gibt Rheinfelder, § 743. 6 0 e ) Nur in den Mundarten des inneren Sardiniens ist die alte Tempusform erhalten geblieben; s. Anm. 332. 5 0 7 ) Siehe Gamillscheg, Tempuslehre § 11.

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die auch bezeugt ist. 508 ) Die Geschichte der romanischen Formen, die auf die lateinische Präposition zurückgehen, zeigt auch in den anderen romanischen Sprachen merkwürdige Ergebnisse. Das Provenzalische bietet ein senes mit auffälligem Vokal in der Nachtonsilbe. Das Katalanische zeigt diesen Vokal im Auslaut nach dem s: sense. Das Spanische hat sin mit auffälligem i. Noch befremdender ist das italienische senza (auch altprov. sensa), für dessen Erklärung man soweit gegangen ist, es von s i n e überhaupt zu trennen und als a b s e n t i a zu deuten: senza padre < i n a b s e n t i a patre. 6 0 9 ) Die Genese der einzelnen Ergebnisse bedarf noch näherer Klärung.510) - Für die Lautentwicklung von rat i o n e darf geschlossen werden, daß der Nexus ti früh sibilantische Aussprache angenommen hat, so daß man für das Vulgärlatein * r a t s j o n e zugrunde zu legen hätte. Auf der nächsten Stufe wäre der sibilierte Laut stimmhaft geworden: *radäjone. 510a ) Schließlich wäre der dentale Verschluß verlorengegangen und zugleich das palatale Element in die Stammsilbe getreten: raison. Vergleichbare Beispiele sind p o t i o n e > poison, p r e t i a t > prise, s a t i o n e > saison, - i t i a > -ise (franchise, maitrise). vengereit: zum Verbum vengier < v i n d i c a r e . Die lautliche Entwicklung des Verbums setzt späte Synkopierung voraus, so daß die Entwicklung des Palatals auf der fortgeschrittenen Stufe *vendegare erfolgen konnte. Ähnlich ist die Entwicklung in folgenden Fällen zu beurteilen: carricare > chargier, * n i v i c a r e > negier > neufranz. neiger, f a b r i c a r e > forgier. Ist dagegen die Synkopierung früher erfolgt, so nimmt der Palatal stimmlose Form an, z. B. c o l l o c a r e > culchier, c a b a l l i c a r e > chevauchier.&n)

* 08 ) Ygi j n (j er Pasgion Vers 268 sens costure, im Leodegarlied Vers 84 sens comgiet 'sans congé'. — Eine Diphthongierung zu ei wäre in einer schwachtonigen Präposition kaum berechtigt (vgl. p r o > p o r > altfranz. por, pur); siehe jedoch seinz, das im Rolandslied (Vers 511, 3578) neben senz (Vers 2039) und sanz (Vers 1775) bezeugt ist. 509

) Auch franz. sans wird von Gamillscheg (Syntax 311) auf a b s e n t i a zurückgeführt, während Bloch-Wartburg (Dict. étym.) nur ein 'croisement avec absentia' annehmen. 61

°) Vgl. zuletzt die kritische Beleuchtung des Problems durch Corominas im Dicc., Bd. IV, S. 231. sioa) Unter ts und dé hat man sich einen einheitlichen Laut (keinen Lautnexus) vorzustellen, entsprechend ital. zappa (tsappa) und iona (déona). Dieser Laut konnte in intervokalischer Stellung stimmhaft werden. 611 ) Den letzteren Beispielen entspricht im Provenzalischen colgar und cavalgar (vgl. span. colgar, cabalgar), was zeigt, daß in Siidfrankreich (wie auch in Spanien) die Synkopierung dieser Verben später erfolgt ist.

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211 A cele feiz remest issi, 212 tant que la feste departí, 213 e li barun mit pris cnngié;

214 a lur maisun sunt repairié. So blieb es jenes Mal, bis die Festgesellschaft auseinanderging und die Herren Abschied genommen haben ; nach Hause sind sie zurückgekehrt. cungié 'congé' < lat. c o m m e a t u s 'freier Ausgang', 'Urlaub' (ein militärischer Ausdruck). - Aus dem Hiatus-e entwickelt sich ein /-ähnlicher Laut, der später zu dz weiterschreitet. Es ist das gleiche Ergebnis, das in franz singe 'Affe' < s i m i u vorliegt ; vgl. auch v i n d e m i a > altfranz. vendenge 'vendange'. a lur maisun < ad illoru( m) m a ( n ) s i o n e . — Einer der wenigen Fälle, in denen sich ein alter Genitiv des Plurals in versteinerter Form erhalten hat. Deutlichere Beziehung zum lateinischen illorum zeigt die italienische Form loro, z. B .la loro casa 'ihr Haus'. 511 a ) Ein versteinerter Genitiv des Plurals ist auch im Namen eines kirchlichen Festes enthalten: la Chandeleur 'Mariä Lichtmeß' < f e s t a c a n d e l a r u m , das in Italien la candelara genannt wird.612) Andere Spuren dieses untergegangenen lateinischen Casus findet man in Ortsnamen, z. B . Francourville bei Chartres ( F r a n c o r u m villa), ViUefrancou(r) bei Carcassonne, Goudourville in der Gascogne ( G o t h o r u m v i l l a ) , Ville Goudou(r) im Languedoc, Morgoudou(r) im Languedoc < mors G o t h o r u m , Castelmaurou(r) in der Gascogne < c a s t e l l u m Maurorum, Gandalou (sc. ville) im Languedoc < v i l l a Vandalorum. 5 1 2 a ) - Aus dem Altfranzösischen vgl. noch al tens ancienur 'au temps des anciens' (Alexius, Vers 1).

5 1 l a ) In der gleichen Funktion lebt i p s o r u m fort in sard. issoro, z. B. su tiu issoro = ital. il loro zio 'leur onde'. - In Rumänien ist i l l o r u m > lor zum flexivischen Merkmal des Genitiva (und Dativs) im Plural geworden, z. B. htpilor 'des loups' und 'aux loups' ; vgl. Anm. 295. 612 Das aus c a n d e l a r u m zu erwartende ckandder ist in altfranzösischen Mundarten (Pikardie, Flandern) bezeugt; s. F E W , Bd. II, 179. In der schriftsprachigen Form hat sich schon im Mittelalter (vgl. altprov. candelor) durch irgend eine Analogie (s. F E W ) männliches - o r u m eingemischt; dazu bedenke man, daß im Vulgärlatein i l l o r u m auch die Funktion von i l l a r u m übernommen hat, z. B. altfranz. lur mere 'la mère d'elles'. 512a ) Vgl. in der Toskana die Ortsnamen Galloro, Paganoro, Monicoro, Osmannoro, in der Emilia Romanore, im Piemont Lombardore, d. h. Besitz (Gut) der Gallier (oder der Familie Galli ?), der Heiden, der Mönche, der Familie Osmanni, der Römer, der Lombarden; s. Rohlfs, § 347.

188

215 216 217 218

Âlez s'en est li chevaliers, mien eselent tut as premiers, que li Bisclavret assailli; n'est merveille s'il le haï.

Fortgegangen ist meines Wissens mit den allerersten der Ritter, den der Bisclavret angefallen hat. Es ist nicht zu verwundern, wenn er ihn gehaßt hat. Alez s'en est: die bemerkenswerte Wortstellung ist dadurch bedingt, daß das unbetonte Personalpronomen nicht den Satz eröffnen durfte (s. Vers 31). So rückt denn das Partizip an den Kopf des Satzes; vgl. ähnlich Vers 68 enquis Ii a e demandé 'befragt hat sie ihn und ausgeforscht'. mien escient, eine Variante der in Vers 51 angetroffenen Formel mun escient. Das betonte Pronomen mien setzt ein älteres *mieon < •meom 513 ) voraus; zur Bewahrung des auslautenden Nasals, siehe Anm. 12 und S. 117. Als dessen weibliche Form galt im Altfranzösischen meie > moie, das auf ein *mëa rückschließen läßt.514) tut as premiers 'mit den allerersten' : üblicher ist im Altfranzösischen die Stellung a tut les premiers. Der Begriff 'mit' kann durch a tut (seltener umgestellt tut a) ausgedrückt werden, was eigentlich bedeutete 'avec l'ensemble de'. Der Ausdruck war im Altfranzösischen ziemlich häufig, vgl. z. B. bei Villehardouin (13. Jahrhundert) atot cinquante chevaliers; er hat sich bis ins 16. Jahrhundert erhalten z. B. bei Montaigne les plus jeunes vont à la chasse des bestes atout des arcs (I, 30).514a) assailli < * a d s a l i v i t . - I n der Zusammensetzung hat sich der alte Sinn des lateinischen Verbums salire 'springen* erhalten, während die direkten Fortsetzer des lateinischen Verbums salire in den romanischen Sprachen teils das Herausgehen (franz. saillir, span. salir), teils das Hinaufsteigen (ital. salire) ausdrücken. - Die auffällige Mouillierung des l ist analogisch übertragen worden von Formen, wo das palatale l berechtigt war, z. B. salio > sail, saliunt > saillent.515) 513) Vgl. in den Straßburger Eiden cest meon fradre Karlo. - Nach Fouché (Bd. II, S. 318 und 367) würde keine Diphthongierung in dem Sinne von rem > rien vorliegen, sondern es wäre ie das direkte Ergebnis des älteren

eo, so wie altfranz. liepart aus l e o p a r d u , Thierry aus T h e o d o r i c u her-

vorgegangen ist. 511 ) Zur Differenzierung der Vokalqualität, die sich auch in dem Verhältnis tuen:toue, suen:80ue (s. S. 126) wiederfindet und dissimilatorische Ursachen hat, siehe Pope, § 854; Meyer-Lübke, Einführung § 128; Fouché, Bd. II, S. 342. 614a ) Siehe dazu G. Löfgren, Etude sur les prépositions od, atout, avec depuis les origines jusqu'au XVI e siècle (Uppsala 1944). 615 ) Vgl. die Entwicklung von *fallire > f a i l l i r , wo das palatale l ebenfalls von fallio > fail sich ausgebreitet hat. 189

s'il le haï < si illi illu h a t i v i t . - D a s Verbum beruht auf dem fränkischen * h a t j an, das zu hatire latinisiert worden ist. - Als Präsens haben wir in Vers 257 die Form het 'er haßt' < *hatit. 8 1 8 ) 219 220 221 222 223 224

Ne fu pais guaires lungement, (eeo m'est a vis, si cum j'entent,) qu'a la forest ala Ii reis, ki tant fu sages e curteis, u Ii Bisclavret fu trovez, e il i est od lui alez.

Es geschah nicht sehr lange danach, so meine ich, soweit ich mich erinnere, daß der König, der so verständig und höfisch war, in den Wald ging, wo der Bisclavret gefunden wurde; und er ist mit ihm gegangen. guaires lungement: 'sehr lange'. Das Adverbium lungement wird verstärkt durch das Adverbium guaires, das in der modernen Sprache als guère fortlebt. Am Anlaut erkennt man die Herkunft aus dem Germanischen. Zu Grunde liegt ein altfränkisches *waigaro, das auch aus althochdeutscher Zeit bezeugt ist als ne weigaro 'non multum'. Das Wort ist identisch mit althochdeutsch weigar 'tollkühn', mittelhochdeutsch weiger 'stolz'. Es ist stammverwandt mit dem deutschen Verbum weigern. - Im konsonantischen Auslaut des altfranzösischen Wortes erkennt man wieder das sogenannte adverbiale s. ceo m'est a vis: 'das scheint mir', daneben in älteren Texten ço m'est vis (Alexius Vers 343), aus m i h i est visum im Sinne von 'mihi videtur'. sages e curteis. - Das nordfranzösische sage erscheint, wie wir gesehen haben (s. S. 71), im Provenzalischen in der Form savi. Als Grundlage für beide Formen muß ein *sapius angesetzt werden, das als nicht sehr volkstümliches Wort sich zu *sabius wandelte, bevor der normale Palatalisierungsprozeß das Wort ergreifen konnte (s. S. 71). - purteis < * c o r t e s i s < *cohortensis 'zum Hof gehörig', vgl. ital. córtese, span. cortés 'höflich'. 226 226 227 228

La nuit quant il s'en repaira, en la cuntree herberja. La femme Bisclavret le sot. Avenantment s'apareillot.

In der Nacht, als er von dort zurückkam, blieb er in der Gegend in Quartier. Die Frau des Bisclavret erfuhr es. In anmutiger Weise richtete sie sich her. "*) Zum Verstummen und zur Bewahrung des flexivischen -t in * h a t i (vi)t und » h á t i t , s. Vers 12.

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herberja, neufranz. hébergea: vom altfränk. heribergön. Als Substantiva besitzt die französische Sprache die Doppelformen fdoublets') héberge und auberge,617) Das erste beruht auf fränkischer Grundlage (heriberga), während das zweite (avberge) erst seit dem 15. Jahrhundert in Nordfrankreich in Aufnahme gekommen ist. Es ist eine Entlehnung aus provenzalisch alberga. Dieses wie auch ital. albergo entsprechen der gotischen Variante des germanischen Wortes (haribairgs), indem der auf das Westgermanische beschränkte ¿-Umlaut das a unberührt gelassen hat. 618 ) avenantment s'apareiUot. - Das Adjektivum avenant gehört zum Verbum avenir 'zukommen'. Seine ursprüngliche Bedeutung, die mit 'convenable' umschrieben werden kann, hat schon im 12. Jahrhundert sich auf den angenehmen äußeren Eindruck verschoben, im Sinne von 'anmutig', 'angenehm', 'schön'.519) Das Verbum ist eine Weiterbildung von lat. apparare 'bereit machen', 'herrichten', mit Hilfe des verkleinernden (oder verfeinernden) Suffixes -iculare.520) 229 230 231 232

El demain vait al rei parier, riche present Ii fait porter. Qnant Bisclavret la veit venir, nuls huem nel poeit reteñir:

Am nächsten Morgen macht sie sich auf, um mit dem König zu sprechen. Ein prächtiges Geschenk bringt sie ihm. Als der Bisclavret sie kommen sieht, kann kein Mensch ihn zurückhalten. el demain. - Neben dem lateinischen Adverbium mane 'morgens' ist schon in der Sprache der lateinischen Bibel (Vulgata) das zusammengesetzte d e m a n e bezeugt. Wie mane bezeichnete es zunächst nur die 'morgendliche Stunde'. Die weitere begriffliche Entwicklung ist dadurch gegeben, daß man das Adverbium auf die morgendliche Frühzeit des folgenden Tages bezog, bis es schließlich den ganzen nächsten Tag bezeichnete.521) In unserem Text erscheint es in substantivierter Form 'au demain' im Sinne des modernen 'au lendemain'. Letzteres ist durch 617

) I m modernen Französisch hat héberge. deine ältere Bedeutung 'logement' verloren und wird nur noch in einem bautechnischen Sinne verwendet. *") Siehe Gamillscheg, Romanía German., Bd. I, S. 256 u. 367. 619 ) Vgl. ital. una ragazza awenente 'une jeune filie gracieuse*. 520) v g l . dasselbe Suffix in ital. morsecchiare 'leicht beißen', sonnecchiare 'einen leichten Schlaf tun' = franz. sommeüler. - Eine französische Variante

ist -üler (-iculare), vgl. sautiller, pointiller, nasüler. - Vgl. ital. -ecchio

( - I c u l u s ) neben -icchio ( - i c u l u s ) , s. Anm. 412. 621 ) Siehe FEW, Bd. III, S. 36; Rohlfs, Lex. Differenzierung S. 31. Ähnlich wurde lat. s e r a gelegentlich auf den Abend des vergangenen Tages bezogen, vgl. südital. sera 'gestern abend', ligur. séira 'gestern'.

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Zusammensetzung mit der Präposition en und durch Agglutination des Artikels entstanden.622) Ii fait porter = Ii porte, (s. Vers 190); retenir. — Das lateinische Verbum t e n ê r e ist im Italienischen, im Spanischen und im Rumänischen der alten Konjugation treu geblieben. In Frankreich und in Katalonien ist es in die ¿-Konjugation übergetreten. Es ist der gleiche Vorgang, der die Verba fleurir, jouir, remplir betroffen hat.

233 234 235 236

Yers Ii curat cum enragiez. Oëz cum il s'est bien vengiez! Le nés li esracha del vis. Que li petist il faire pis 1

Auf sie stürzte er wie wütend. Hört, wie sehr er sich gerächt hat! Die Nase hat er ihr aus dem Gesicht gerissen. Was könnte er ihr Schlimmeres zufügen ? vers li 'vers elle'; vgl. ital. verso lei (s. Vers 23). enragiez < *inrabiatus; mit anderem Präfix ital. arrabbiato. oez 8. zu Vers 44. esracha < * e x r a d i c a v i t : eigentlich 'mit den Wurzeln ausreißen'. Die neufranzösische Form arracher zeigt Einfluß des Präfixes ad-, vis < lat. visus 'Anblick', 'Aussehen'. - Mit der Bedeutung 'Gesicht' auch in ital. viso. In der neueren Sprache ist in Frankreich vis seit dem 16. Jahrhundert durch visage ersetzt worden; vgl. noch vis-à-vis. pis < pejus. - Kurzes lateinisches e ist im Franz. vor Palatal zu i geworden, vgl. Zi -esse (altfranz. -ece) begegnet, z. B . justesse, richesse. 266 266 267 268 269 270

Tant par destresce e par poär tat Ii canta de sun seignnr, coment ele l'aveit tral e la despueille Ii toli, l'aventure qu'il Ii cunta, e que devint e u ala.

Teils aus Bedrängung, teils aus Furcht hat sie ihm alles von ihrem Gatten erzählt, wie sie ihn verraten hatte und ihm die Kleidung wegnahm, das Abenteuer, das er ihr erzählt hat, und was aus ihm wurde und wohin er ging. tant in Verbindung mit der folgenden Konjunktion e hat die Bedeutung 'sowohl, als auch', 'teils - teils'. Es ist eine Kreuzung zwischen den beiden Ausdrucksmöglichkeiten tant.. . tant und et... et. par poür (lies po-our) < p e r p a v o r e : vor dunklem Vokal ist das v verstummt, wie i n p a v o n e > naon\ vortoniges a hat sich dem folgenden dunklen Vokal angepaßt, indem a zu o geworden ist.837) Ii toli < illi t o l l i v i t . - Das lateinische Verbum t o l l e r e erscheint im Altfranzösischen teils in der normal zu erwartenden Form toldre (mit d als Übergangslaut zwischen l und r, vgl. faudra < falra < f a l l e r e at), teils mit Konjugationswechsel als tolir.M8) 271 272 273 274

Puis que ses dras Ii ot toluz, ne tu en sun pals veüz; tresbien quidot e bien creeit que la beste Bisclavret seit.

Nachdem sie ihm seine Kleider weggenommen hatte, wurde er nicht mehr in seinem Lande gesehen. Ganz bestimmt meinte und glaubte sie, daß das Tier der Bisclavret sei. puis que: temporale Konjunktion, gebildet aus dem Adverbium puis 'hernach' (s. Anm. 46) und dem konjunktionalen que, ähnlich wie aus dem Adverbium ainz 'vorher' die altfranz. Konjunktion ainz que 'avant que' entstanden ist. 58 ') Nach dem Beispiel saputu > *savudu > altfranz. seil (Vers 78) konnte in anderer Entwicklung a im Hiat vor dunklem Vokal auch zu e werden: daher altfranz. peaur > neufranz. peur. - Ital. paura zeigt Ersatz von -ore durch -ura. 538 ) Vgl. juir < fugire < fügere,altfranz.auivirnebenauivre (sequere), querir neben querre (quaerere).

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païa: zu Grande liegt eine adjektivische Ableitung von pagus 'Landstrich': p a g e n s i s 'ländlich', in vulgärer Aussprache pagëaig (vgl. katal. pagès 'Bauer'). Aus dem betonten langen e mußte nach Palatal i werden, vgl. cëra > cire, mercede > merci, p l a c e r e > plaisir (s. zu Vers 102). Die moderne Aussprache von pays (pei) zeigt, daß das vortonige a durch eine Art Assimilation dem folgenden i harmonisiert worden ist, ein Fall, der der Aussprache des französischen Wortes für 'Abtei' vergleichbar ist: altfrz. abaie > neufranz. abel (orthographisch sehr mißverständlich abbaye geschrieben). très bien < t r a n s bene. - Die verstärkende Funktion der lateinischen Präposition hat sich vom Verbum aus verbreitet, z. B. t r a n s pungit 'er sticht durch', t r a n s l u c e t 'es ist durchsichtig'. Lateinisch t r a n s l u c i d u s war stärker als lucidus. Im Altfranzösischen hat très verstärkende Bedeutung noch in den Verben tresoblier 'oublier tout à fait', tresmuer 'changer complètement', trespartir 'partager entièrement', vgl. auch altit. trasamare 'aimer beaucoup'. Im Italienischen erscheint tras in verstärkender Funktion in Verbindung mit Adjektiven nur in älterer Zeit: trabuono 'très bon', trabeUo 'très beau', traspovero 'très pauvre'. 638 ") quidot e creeit < c o g i t a b a t et c r e d e b a t : die beiden Verbalformen zeigen sehr schön den Unterschied in den alten Imperfektendungen, wie er im 12. Jahrhundert in Mariens Sprache noch bestanden hat (s. dazu Vers 17). Der Infinitiv quidier setzt eine Vorstufe * c o j d a r voraus, dessen palataler Nexus -jd- Diphthongierung des folgenden a bewirkte (s. Vers 194), ähnlich dem Fall a j u t a r e > *ajdar> altfranz. aidier (s. Vers 189). - Zum Weiterleben des Verbums (das in Spanien als cuidar 'sorgen' erscheint) in Frankreich, s. F E W , Bd. II, S. 838 ff. 276 276 277 278

Li reis demande la despueille. U bei Ii seit u pas nel vneille, ariere la fet aporter, al Bisclavret la flst doner.

Der König forscht nach der Kleidung. Mag es ihm angenehm sein oder mag er es nicht wollen, er läßt sie wieder herbeischaffen. Dem Bisclavret ließ er sie geben. u bei Ii seit u pas nel vueille. - Die korrespondierende Konjunktion u - u (lat. a u t - aut) hat die alternative Funktion des klassischlateinischen s i v e — s i v e übernommen.539) Die moderne Sprache hat diesen 6 3 8 a ) Zur Entwicklung von t r a n s zum Adverbium, s. P . Falk in den Mélanges Melander (Uppsala 1943), S. 11 ff. 53») Vgl. im Spätlatein (6. Jahrhundert) aut invenerit aut non invenerit, noluit nobis dicere (Itin. Anton. Piacent.). — Siehe zu diesem Gebrauch Norberg, S. 98ff.

200

Gebrauch durch verbales soit ersetzt, z. B. soit qu'il fût malade, ou qu'il ne voulût pas venir. - Die Entwicklung v o n dem aus lateinischen a u t entstandenen o zu u (neufranz. ou) entspricht dem ou in luer (neufranz. louer) aus l a u d a r e . E s ist also das Lautergebnis durch die akzentschwache Silbe ('Proklise') bedingt. vueille setzt lat. * v ö l e a t voraus, das auch der italienischen Form voglia zu Grunde liegt. Der entstandene Diphthong entspricht der Entwicklung von f o l i a > fueille, c o l l i g a t > cueille (s. S. 99). 279 280 281 282

Quant il l'orent devant lui mise, ne s'en prist guarde en nule guise. Li prozdum le rei apela, cil bi primes le cunseilla.

Als man sie vor ihn gelegt hatte, gab er dessen in keiner Weise Acht. Der brave Mann, nämlich der, der anfänglich den König beraten hat, wandte sich (darauf) a n den König. devant < d e - a b - a n t e , eine Bildung, die auch dem italienischen davanti zu Grunde liegt. guarde: deverbal gebildet von guarder (neufranz. garder) < fränk. wardôn. guise < fränk. w î s a 'Weise'. - Es sei bei dieser Gelegenheit angemerkt, d a ß der Laut gy, nicht absolut auf Wörter mit einstigem germanischem w beschränkt ist (s. zu Vers 42). Es haben sich auch einige Wörter m i t lateinischem v dieser Entwicklung angeschlossen. Dazu gehören altfranz. guespe, heute guêpe, wo zweifellos das latein. v e s p a sich mit dem germanischen W e s p e (althochd. wefsa) vermischt h a t (s. S. 37). Ähnlich ist in der Entwicklung von v a s t a r e > altfranz. guaster, modern gâter, der germanische S t a m m wüst, fränkisch wôsti von Einfluß gewesen. Klar ist auch der Fall des franz. gué ' F u r t ' , wo lateinisch v a d u m mit dem germanischen Stamm waten (ahd. wat 'Furt') zusammengetroffen ist. 540 ) Aber in anderen Fällen ist es schwer, ein anklingendes germanisches Wort festzustellen, das die abweichende Entwicklung des lateinischen v bedingt. Dazu gehört franz. gui 'Mistel' < lat. v i s c u m , guivre 'Schlange' (als Wappentier) < v i p e r a , gaine (altfranz. guaïne) 'Scheide', 'Etui' < v a g i n a . Aber auch gewisse geographische Namen haben sich dieser Entwicklung angeschlossen. So ist aus einem alten V a s c o n i a 'Land der Vaskonen' der Name Gascogne entstanden. Ebenso ist der Name des Flusses Gard (Languedoc) aus einem älteren V a r d o hervorgegangen. 641 ) Man kann also wohl annehmen, daß der germanische Laut MO) Weitere Beispiele für solche romanisch-germanischen Wortvermischungen gibt Rheinfelder, § 429. 541

) Vgl. auch den Namen der Stadt Qaj> (Hautes-Alpes), der ein älteres 201

in gewissen Fällen einfach deswegen an die Stelle eines lateinischen v getreten ist, weil die Germanen (Franken, Westgoten), wenn sie lateinisch sprachen, gewisse lateinische Wörter mit ihrem germanischen w aussprachen und die Romanen in einigen Fällen diese Aussprache übernommen haben.642) Ii prozdum. - Das Wort hat eine eigenartige morphologische Geschichte: es ist aus drei Elementen zusammengesetzt *prodis de homo 'ein wackeres Beispiel von Mann'; die Akkusativform lautet le ;-produrne < *prode de homine 643 ). Es liegt also in der ersten Form in der Zusammensetzung ein zweifacher Nominativ vor. Das lateinisch nicht bezeugte Adjektivum *prodis ist abstrahiert oder rückgebildet aus der Verbalform prodest, indem in der Vulgärsprache dieses aufgefaßt wurde als prode est 'es ist nützlich' ( > prodis est 'er ist gut'). 644 ) Die mittelst der Präposition de hergestellte Verknüpfung entspricht ganz genau den bekannten neufranzösischen Ausdrucksweisen ce fripon de valet, ce fripon de Thomas, un diable d'homme, un drôle de gamin, une drôle de figure, un chien de temps, un brave homme d'ouvrier, une bonne femme de mire, cette diablesse de femme, cette garce de Oermaine, un amour de petite chèvre, un songe de dentelle (Valéry), ta chienne de face (Molière), la chienne de vie (Huysmans), cette canaille de Briand, cette saleté de taxi.™6) Allen diesen Ausdrücken ist gemeinsam, daß das übergeordnete Wort eine Wertschätzung oder eine Charakteristik zum Ausdruck bringt. Es ist gewissermaßen die Einordnung eines Einzelbegriffes unter einen Gattungsbegriff: der 'valet' oder der 'Thomas' wird in die Klasse der 'fripons' eingereiht. Die 'Germaine' wird zum Typus einer 'garce' gerechnet.646) Damit stellen sich diese Ausdrucksweisen eng an die Seite ähnlicher V a p i n c u m fortsetzt; Oordes in der Provence, älter V o r d a , Oandalou ( v i l l a V a n d a l o r u m ) in der Gascogne. 6 4 2 ) Dem altfranz. guaster, guaine, gué entspricht genau ital. guastare, guaina, guado (s. Anm. 195a). Dazu kommen andere Beispiele in den italienischen Mundarten, z . B . venez, guida 'Schraube' < v i t e ; s. dazu Rohlfs, § 167. - Eine Erklärung des w (< v) aus älteren phonologisehen Bedingungen (Weinrich, S. 101) ist nicht überzeugend, s. Baldinger, ZRPh, Bd. 74, S. 456. - Zur Behandlung des w in Italien und in französischen Mundarten, s. Anm. 195a und 351a. 5 4 5 ) In altfranz. prozdoem (Rolandslied) ist auch im zweiten Element der Zusammensetzung der Nominativ noch besser erkenntlich. 6 4 4 ) Vgl. in der Peregrinatio Egeriae p r o d e i l l i s e s t (8, 3), in der'Itala' q u i d e n i m p r o d e e s t h o m i n i (Matth. 16, 26); s. dazu E . Löfstedt, Philolog. Kommentar zur Peregrinatio (1911), S. 184. 5 4 6 ) Viele ähnliche Beispiele gibt Grevasse, L e bon usage, § 303. - Vgl. auch Gamillscheg, S. 107, und Tobler, Vermischte Beiträge I, no. 20. 6 4 6 ) Der gleiche Gebrauch auch im Italienischen, z. B . questo traditor d'Ambrogiolo, il fastidioso di suo cognato, il diavolo d'una donna, quel testardo d'un montanaro ; vgl. auch spanisch eZ bueno de Don Miguel, la buena de mi tla. - Vgl. auch it. la città di Roma, span. la ciudad de Toledo.

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Gattungszuteilungen : la viUe de Marseille, le titre de roi, le nom de François, le mot de mourir 'das Wort »sterben«', la tragédie de Phèdre. Dieser Gebrauch der Präposition erinnert an die Verwendung des lateinischen Genitivs in den ganz ähnlichen Fällen f l u m e n R h e n i , u r b s R o m a e , t i t u l u s i m p e r a t o r i s , v o x v o l u p t a t i s 'das Wort voluptas', v i r t u s a b s t i n e n t i a e 'die Tugend abstinentia'. 547 ) - Das altfranzösische prozdum lebt fort in neufranz. prud' homme.548) primes: entspricht dem ital. prima 'zuerst', 'vorher' aus lateinisch p r i m a , das bereits in lateinischer Zeit als Adverbium bezeugt ist. Das adverbiale s eignet auch der provenzalischen Form primas. 2S3 284 285 286 287

Sire, ne faites mie bien. Cist nel ferait pur noie rien, que devant vus ses dras reveste ne mut la semblance de beste. Ne savez mie que ceo munte.

Herr, ihr macht es keineswegs richtig. Dieser würde um keinen Preis das tun, daß er vor euch seine Kleider wieder anlegt und die Tiergestalt wechselt. Ihr wißt nicht, daß dies sehr wichtig ist. cist 'dieser': entspricht als Nominativ dem hinweisenden Pronomen der weiteren Ferne cil: e c c e - i s t i (s. Vers 117). Der Akkusativ lautet cest (s. Vers 13). rien < lat. r e m : hat in altfranzösischer Zeit noch den vollen Wert als Substantivum auch in positivem Sinne, vgl. bei Marie d'une rien s'est purpensée 'über eine Sache ist sie nachdenklich geworden' (Guigemar Vers 682). reveste ne mut < r e v e s t a t nec m u t e t . - Anreihung an einen vorausgehenden negativen Gedanken erfolgt durch ne (nec). Ähnlich noch neufranzösisch nach der negativen Präposition sans, z. B. sans force ni vertu, sans chemise ni chapeau. In der Verbalform mut ist die Erhaltung des Dentals im Auslaut (gegenüber dem Indikativ mue < m u t â t ) durch das Zusammentreten der beiden Dentale ( m u t e t ) bedingt (vgl. Vers 257 het < h a t i t ) . Ähnlich stehen nebeneinander altfranzösisch lot < l a u d e t und loe < l a u d a t , sut < s u d e t und sue < s u d a t , aint < a m e t und aime < a m a t. - Die Form reveste beruht auf einem r e v e s t a t statt r e v e s t i a t : die Verben der i-Konjugation haben in vielen 647 ) Auch der Typus un fripon de. valet, cette saleté de taxi ist im Lateinischen bereits vorgebildet in s c e l u s v i r i 'ein Laster von einem Menschen', f l a g i t i u m h o m i n i s 'Schandfleck von einem Menschen', m o n s t r u m m u l i e r i s 'ein Ungeheuer von einer Frau' (alle Beispiele bei Plautus). 548 ) Aus der weiblichen Bildung preude-femme (13. Jahrhundert) hat man das Adjektivum prude abstrahiert, z. B. une femme prude, un air prude, cette prude d?Allemagne.

203

Fällen die Endungen -io, -ia(m), -iunt infolge Anlehnung an die e-Konjugation durch -o, -a(m), -unt ersetzt; vgl. ital. io park), che io paria, essi partono (s. auch Anm. 460). semhlance < s i m u l a n t i a . — Das Suffix -antia war ursprünglich an Verben der a-Konjugation geknüpft (daher abondance, espérance), während -entia ursprünglich zu Partizipien und Adjektiven auf -ens gehörte (dolentia, eloquentia). Dieser Unterschied hat sich im Französischen dadurch verwischt, daß die Partizipalendung -ans sich auf alle Konjugationen ausdehnte.848) Daher neufranz. naissance, tendance, souffrance, usw. ceo munte: eine idiomatische Redensart der mittelalterlichen Sprache im Sinne von 'es hat Wichtigkeit', 'es hat eine tiefere Bedeutung', eigentlich 'es geht hinauf', 'es zielt auf Höheres'.550) 288 289 290 291 292

Mult durement en a grant hunte. En tes chambres le fai mener e la despueille od lui porter; une grant piece l'i laissuns. S'il devient huem, bien le verruns.

Gar sehr hat er deswegen große Scham. Laß ihn in deine Zimmer führen und die Kleidung mit sich nehmen! Eine ganze Weile lassen wir ihn dort allein! Ob er Mensch wird, werden wir wohl sehen. Mult durement : durement hat die Bedeutung eines steigernden Adverbiums im Sinne von 'heftig', 'beaucoup'; es kann selbst durch mult verstärkt werden. Ähnlich im Rolandslied Vers 2418 il nen i ad chevaler ne barun qui de pitet mult durement ne plurt 'es gibt da keinen Ritter und keinen Baron, der aus Mitgefühl nicht sehr heftig weint'. hunte < fränkisch haunijja (althochd. h&nida). - Das aus dem Germanischen stammende aspirierte h hat in Nordfrankreich den Charakter eines wirklichen Hauchlautes bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts bewahrt. Seitdem ist es verstummt. Nur in den äußersten Randgebieten Nordfrankreichs (Bretagne, Normandie, französisch Belgien und Lothringen) wird das h noch heute als Hauchlaut gesprochen.861) 54») Vgl. gohon im Rolandslied tenant, vivant; bei Marie tenant, servant. D e r gleiche analogische Ausgleich hat sich im alten Gerundium vollzogen, vgl. im Rolandslied rumpant, veant, seant; bei Marie oant, gisant, riant. S 5 0 ) Vgl. im Rolandslied, Vers 242, cest grant guerre ne deit munter a plus 'dieser große K r i e g darf nicht weiter verschärft werden'. - D e r Vers 287 kehrt identisch wieder in Mariens Fabeln: ne savez mie que ceo munte (21, 13), wo von einer schamhaften Sau die R e d e ist, die in Gegenwart eines W o l fes ihre Ferkel nicht werfen will. 651 ) Das Provenzalische hat schon im Mittelalter den germanischen L a u t nicht übernommen. D e m nordfranz. honte, halle, hardi, heaume entspricht prov. onta, ala, ardit, elm, in Ubereinstimmung mit dem Italienischen (ardito,

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chambre < c a m e r a : mit Übergangslaut b zwischen m und r wie in r e m e m o r a r e > altfranz. remembrer, n u m e r u > nombre, S a m a r a > Sambre; vgl. sembler < s i m i l a r e (Vers 83). le fai mener = neufranz. jais le mener. - Da das Personalpronomen den Satz nicht einleitet, proklitische Stellung des le (s. Vers 31). - Das Verbum mener ist die moderne Entsprechung des lateinischen mi nari 'drohen', das im Spätlatein als m i n a r e vom Antreiben des Viehs bezeugt ist: m i n a t a s i n u m (Apuleius), woraus sich die Bedeutung 'führen' entwickelt hat.482) Die ältere Bedeutung noch in rum. mina 'Vieh treiben'. une grant -piece: in temporalem Sinne 'eine längere Weile', eine Bedeutung, die zur Bildung des heute veralteten pié$a 'seit langem' ('il y a une pièce de temps') geführt hat. — Die Diphthongierung von * p e t t i a (s. Vers 238) > piece ist bedingt durch den palatalen Charakter des Hiatusvokals, der auch in gedeckter Stellung Diphthongierung bewirkt, vgl. tierz < t e r t i u , niece < * n e p t i a , cierge 'Hirschkuh' < *cervia. Es handelt sich hier um einen älteren Diphthongierungsprozeß, der unabhängig von der Natur der betonten Silbe (frei oder gedeckt) zur Auslösung kam. Dieser Prozeß verbindet das Französische mit dem Provenzalischen (s. S. 55), dem Katalanischen, nordspanischen Mundarten und Oberitalien.583) Hierher gehört auch die Entwicklung m e l i u s (sprich m e l l i u s ) > mielz, l e c t u > Hieit > lit (s. Vers 23). 684 ) l'i laissuns 'lassen wir ihn dort!' - Der Konjunktiv im Sinne eines adhortativen Imperativs (lat. l a x e m u s ) ist im Französischen nicht übernommen worden. Die Aufforderung wird durch den Indikativ ausgedrückt: buvons!, rentrons!, voyons/ss8)

elmo) und dem Spanischen (ardiclo, yelmo). Dagegen hat das Gaskognische, das ein eigenes h aus / besitzt (hilha < f i l i a , hada < f a t a ) , auch das germanische h der altfranzösischen Wörter fränkischen Ursprungs übernommen und sogar bis heute als Hauchlaut bewahrt: hounta 'honte', hala 'halle',

hardit.

B62 ) In Süditalien hat das Verbum teils die Bedeutung 'prügeln', 'hauen', teils die Bedeutung 'werfen' angenommen, z. B. kal. mi mina 'il me donne des coups', neap. m&nala 'jette-la!' 663 ) Siehe Lausberg, § 201 und 204. 664 ) Vgl. auch altfranz. fueüle < * f ö l l i a < f ö l i a , cuit < *cneit < c ö c t u ,

cuisse < *cueisse < cöxa (s. Vers 48), prov. cue.it, cueiasa (s. S. 55), eine

Entwicklung, die ebenfalls das Katalanische, nordspanische und oberitalienische Mundarten umfaßt. 665 ) Die gleiche Erscheinung im Italienischen, vgl. vulgärtosk. cantamo!

vedemo! in der Schriftsprache cantiamo! vediamo! sentiamo!, die auch die

Formen des Indikativs sind. Dagegen unterscheidet das Spanische cantemoa 'chantons!' (< c a n t e m u s ) von cantamoa 'nous chantons'.

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Li reis melsmes l'en mena e tuz les bus sur lui ferma. Al chief de piece i est alez; dous barons a od lui menez.

Der König selbst hat ihn dorthin gebracht ('mitgenommen') und alle Türen hat er hinter ihm geschlossen. Am Ende der Zeitspanne ist er dorthin gegangen; zwei Barone hat er mit sich genommen. Ii reis melsmes < illi rex m e t i p s i m u s . - Neben ipse kannte die spätere Latinität ein verstärktes m e t i p s e . Dieses war entstanden dadurch, daß die in egomet = ego, t u r n e t = t u verwendete Verstärkungspartikel m e t sich später mit ipse verbunden hat.688®) Es konnte, wie einfaches ipse, in burlesker Absicht, zu einem Superlativ gemacht werden.®64) Ein spaßhaftes i p s i m u s ' der Hausherr in höchsteigener Person' ist in dem Gesellschaftsroman des Petronius (Cena Trimalchionis) bezeugt; ein i p s i s s i m u s findet sich in den Komödien des Plautus. 657 ) hus 'Tür': in anderen altfranzösischen Texten huis < vulgärlat. * ü s t i u m , klassisch östium. Die vulgärlateinische Form, die auch durch ital. uscio verlangt wird, ist aufzufassen wie vulgärlat. b i s t i a neben klassisch b ë s t i a (franz. biche, ital. biscia) ; s. Anm. 253. Es sind Beispiele für einen schon früh im Vulgärlateinischen eingetretenen Umlaut, bewirkt durch das Hiatus -i.668) - Zur Entwicklung von sti > is, s. Vers 87. - Die Schreibung des Wortes mit einem unetymologischen h findet sich auch in franz. huit, huile., huître. Sie hatte den Sinn, im Mittelalter, als vokalisches u und konsonantisches v in der Schrift nicht unterschieden wurden, den vokalischen Charakter des Schriftzeichens zum Ausdruck zu bringen, vgl. uile = viUe und huile 'öl'. sur lui ferma: Das lateinische Verbum f i r m a r e 'fest machen' hat in den romanischen Sprachen verschiedene Sonderbedeutungen in der Form von Bedeutungsverengerungen angenommen. In Frankreich wurde es auf das Schließen einer Tür bezogen, während es in Italien das Stoppen einer Vorwärtsbewegung zum Ausdruck brachte: ital. mi fermo 'je m'arrête'. al chief de piece 'am Ende der Zeitspanne': Das altfranz. chief hat hier noch eine Bedeutung, die der neueren Sprache verloren gegangen "•>») Beispiele für m e t i p s e gibt Löfetedt, Syntactica, Bd. II, S. 197. 55«) Vgl. ähnliche affektische Bildungen im Italienischen, z. B. è luissimo 'es ist er in eigener Person', padronissimo / 'ganz wie es Ihnen gefällt' (Bohlfs, Bd. II, S. 404).

567) Vgl. bei Petronius, Cena Trim. 76, 1 ecce cepi ipsimi cerebelluin ; ipsis-

simus bei Plautus als Antwort auf die Frage ergo ipsusne 's? (Trinummus 988). 558) Man beachte (im Vergleich mit piece, Vera 291) die Wirkung des Umlautes auf den Vokal der gedeckten Silbe 1

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ist. 559 ) Dagegen hat das Italienische und das Spanische diese Bedeutung bewahrt, vgl. ital. in capo all' anno 'am Ende des Jahres', span. al cabo de un ano 'nach Verlauf eines Jahres'. In Frankreich zeigt sich der ältere Sinn noch in dem Verbum achever ( < » a d c a p a r e ) 'zu Ende bringen'. 297 298 299 300

En la chambre entreront tuit trei. Sur le demeine lit al rei truevent dormant le chevalier. Li reis le corut enbracier.

In das Zimmer traten alle drei. Auf dem eigenen Bett des Königs ('auf dem König seinem eigenen Bett') findet man den Ritter schlafend. Der König eilte, ihn in seine Arme zu schließen. entrerent < vulgärlateinisch i n t r a r u n t , vgl. span. entraron, ital. entrarono.560) le demeine lit 'das eigene Bett', 'das persönliche Bett', 'das private Bett', 'son propre lit'. 561 ) - Zu Grunde liegt lat. d o m i n i c u s 'dem Herrn gehörig', 'dem Besitzer gehörig'. Das lateinische Adjektivum d o m i n i c u s hat sich in seiner Lautentwicklung im Französischen in zwei Ergebnisse gespalten. In dem einen Fall ist aus d i e s d o m i n i c u s altfranz. diemenche, neufranz. dimanche (span. domingo) hervorgegangen. 562 ) Das ist die gleiche Entwicklung, die m a n i c a 'Ärmel' zu manche, p o r t i c u s 'Vorhalle' zu porche geführt hat. Der hier vorliegende Prozeß ist vergleichbar der Entwicklung des Suffixes - a t i c u s , das über -adjfi zu -age geworden ist (s. Vers 9). Das zweite Ergebnis von d o m i n i c u s , das in unserem Text als demeine erscheint, hat seine Parallelen in moine < monie < m o n i c u s , chanoine < chanonie < c a n o n i c u s . 5 6 3 ) In diesen Fällen ist das Ergebnis dadurch bedingt, daß auf der Stufe d o m i n i u < d o m i n i ( g ) u das palatale Element nicht konsonantischen Charakter angenommen hat, sondern als i in die Stammsilbe übergetreten ist und sich mit dem Tonvokal des Wortes verbunden hat. - Das vortonige e & ") Über die Bedeutungsentwicklung von c a p u t im Latein (Quelle eines Flusses, Ende eines Seiles, Gipfel eines Berges), s. FEW, Bd. II, 345. 5, °) Der Grammatiker Probus (4. Jahrhundert) bezeugt als dritte Person des Plurals neben p r o b a v e r u n t auch provavere und probarunt. 5il ) Die Herausgeber Warnke und Richthofen übersetzen in den Glossaren ihrer Ausgaben demeine mit 'fürstlich'. Es ist aber ganz klar, daß demeine, wie sehr oft in altfranzösischen Texten, die Bedeutung 'eigen', 'propre', 'dem Besitzer (dominus) gehörig' hat. Auch in den bei Tobler-Lommatzsch (Bd. Et, S. 1351) für demeine 'fürstlich' gegebenen Beispielen dürften viele (besonders in dem häufigen chambre demeine) die Bedeutung 'eigen' haben. 5 2 ' ) Ital. domenica setzt weibliches dies d o m i n i c a voraus. 5 3 ' ) Die Vorstufe demente zu altfranz. demeine erscheint im Rolandslied Vers 727 sun cors demente 'son propre corps', 'son corps même'. Hierher gehört auch der Landschaftsname Le Maine < cel Maine < 7. Jahrh. Cilimanico.

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von demeine scheint durch Anlehnung an die Präposition de hervorgerufen zu zein, während dimanche (altfranz. diemenche und diemaine) sein i dem Einfluß von d i e s verdankt. le lit al rei 'dem König sein Bett', vgl. Vers 251 la femme al chevalier, truevent dormant: In der französischen Partizipialendung -ant ist die Endung des lateinischen Partizips - a n t e mit der Endung -ando des alten Gerundiums zusammengeflossen.864) Das französische Partizipium des Präsens hat also zwei verschiedene lateinische Quellen. So klar es ist, daß in un chemin glissant ein altes Partizipium zu Grunde liegt, so sicher ist es, daß man in unserem Vers dormant nur als ein altes Gerundium betrachten kann. Dies wird einwandfrei erwiesen durch die weniger reduzierten Formen im Italienischen und im Spanischen: l'ho trovato dormendo, span. me ha encontrado durmiendo.66B) le curut enbracier — neufranz. courut pour l'embrasser. - Die Stellung des Personalpronomens beim regierenden Verbum statt beim Infinitiv, zu dem es gehört, entspricht dem mittelalterlichen Sprachgebrauch, der sich noch bis in die moderne Sprache auswirkt, vgl. on "le voulut sauver (Chateaubriand, Mém.), on les peut vaincre (Maupassant), je vous veux contenter (G. Sand).669) - Zur Lautentwicklung von enbracier, s. Vers 172. 301 302 303 304

Plus de cent feiz l'acole e baise. Si tost cnm il pot aveir aise, täte sa terre Ii rendi; plas Ii duna que jeo ne di.

Über hundertmal umhalst und küßt er ihn. Sobald er Gelegenheit dazu haben konnte, hat er ihm sein ganzes Land zurückgegeben. Ja, er hat ihm noch mehr gegeben als ich (hier) erzähle. 5®4) Zur analogischen Verallgemeinerung der Endung -ans, - a n t e bzw. • a n d o in allen Konjugationen, vgl. Anm. 549. 6 " ) Schon im Vulgärlatein war das Gerundium weithin mit der Funktion des Partizips ausgestattet, vgl. in der Vulgata q u i p e r t r a n s i v i t b e n e f a c i e n d o e t s a n a n d o (s. Rönsch, Itala und Vulgata, S. 432). - Zum französischen 'gérondif' en passant ( < in p a s s a n d o ) , vgl. im Bibellatein der 'Itala' in s e m i n a n d o (Matth. 13, 4), altital. in andando 'en allant' (Dante), vulgärtosk. in mangiando 'en mangeant' (Rohlfs, § 721), span. en viniendo 'en venant' (Haussen, Span. Grammatik, § 39, 8). - Nähere Hinweise zum Französischen gibt Gamillscheg, S. 439ff. 8 " ) Siehe Grevisse, § 483, Gamillscheg, S. 119. - Die in der klassischen Zeit übliche Stellung gewinnt seit dem ersten Weltkrieg wieder neu an Boden : ü le voulait vendre statt il voulait le vendre gilt als eleganter und snobistisch gegenüber der allgemeinen 'langue du peuple' (Dauzat, FrM, I X , 1941, S. lff.).

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Plus de cent feiz 'mehr als hundertmal'. - Die Verknüpfung des Komparativs mittelst der Präposition de erklärt sich aus einem lateinischen Beispiel wie melior est homo ab ove (Matth. 12, 12) 'der Mensch ist besser als das Schaf, d. h. 'vom Schaf aus betrachtet', wie auch der klassisch-lateinische Ablativ major patre 'größer, vom Vater aus' so aufzufassen ist. Im späteren Latein (seit dem 3. Jahrhundert) ist de an die Stelle von ab getreten, z. B. melior erat de sancto Johanne bei Caesarius von Arles (6. Jahrhundert). Im modernen Französischen ist der Gebrauch von de beschränkt auf Zahlbegrifife, während die mittelalterliche Sprache de auch vor einem Pronomen oder einem Substantiv verwendete, z. B. im Rolandslied Vers 750 mielz de lui 'besser als er', bei Marie mielz d'aitre 'mieux qu'un autre' (Chaitivel 48). - Wie noch heute das Italienische: meglio di lui, più grande di Carlo. ;pot aveir aise. - Die Verbalform pot entspricht einem pötyit. Sie ist deutlich geschieden von der Praesensform puet < pötet, mit Diphthongierung des ö in freier Silbe. Man vergleiche das Verhältnis voit < v o l y i t und vuelt < v ö l e t (s. Vers 163). — Das Substantivum aise beruht auf vulgärlat. *ajaces < adjacens 'in der Nähe liegend', dann 'zur Hand seiend', als Substantivum 'bequeme Gelegenheit'. Wie die lautliche Entwicklung zu dem altfranzösischen Ergebnis sich vollzogen hat, ist noch recht wenig geklärt : als Zwischenstufe zwischen der lateinischen Grundlage *âjace und der französischen Form darf man wohl ein • â j e d z e ansetzen.587) Das auslautende e ist jedenfalls bedingt durch den einstigen Akzent des Wortes (Proparoxytonon), vgl. asne, tiède, puce, pouce (s. Vers 7).5®8) Ii rendi < iIii *rendi(v)it. - Die Umformimg des klassischen r e d d e r e > *rendere ist bedingt durch die Anlehnung an pre(h)endere und vendere. Es muß sich um einen schon vulgärlateinischen Prozeß handeln, da *rendere auch dem Italienischen (rendere) und dem Spanischen (render, modern rendir) zugrunde liegt. que jeo ne di: die Negation ist bedingt aus der Tatsache, daß die genaue Menge vom Dichter nicht angegeben wird. Es ist die gleiche Verwendung der Negation in Vergleichsätzen mit positivem Vordersatz, die noch dem Neufranzösischen eignet, vgl. il est plus pauvre qu'il ne le croit, le temps est meilleur qu'il n'était Mer. " ' ) Zur Lautentwicklung, vgl. r a c ë m u > raisin, * v e c i n u > veisin (s. Vers 20); siehe Richter, S. 164, wo eine Vorstufe *ajajdzje angenommen wird. — Eine eingehende Darstellung der semantischen Entwicklung und der vielfachen Bedeutung des Wortes in Frankreich gibt Wartburg im FEW, Bd. I, S. 30ff. 6 8 * ) Prov. aise und ital. agio sind aus dem Französischen entlehnt, vgl. franz. maison > ital. magione. Vom altfranzösischen Verbum aaisier 'mettre à l'aise' stammt engl, to ease 'erleichtern'. 14 Rohlis, Einführung

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La femme a del pals ostee e chaciee de la cuntree. Cil s'en ala ensemble od Ii, pur qui sim seignur ot tral.

Die Frau hat er aus dem Lande verbannt und aus der Gegend verwiesen. Der, um den sie ihren Gatten betrogen hatte, zog mit ihr zusammen fort. a ostee < ab et obstata. — Die Grundlage des altfranzösischen Verbums oster, modern 6ter ist obstare. Das lateinische Verbum hatte intransitive Funktion. Man sagte hiems obstat 'der Winter steht im Wege* und obsto consilio 'ich widerstehe dem Rate'. Von diesem Gebrauch führt kein direkter Weg zum französischen Verbum. Immerhin haben das lateinische und das französische Verbum eines gemeinsam: sie haben beide einen negativen Sinn. Erst in dem Augenblick, wo latein. obsto auch in transitiver Konstruktion gebraucht wurde, war der Weg zum romanischen Verbum vorbereitet. Diese Entwicklung ist seit dem 3. Jahrhundert bezeugt, z. B. bei dem Dichter Commodianus. Bei ihm heißt es induite vestes quas oportet, frigus ut ostent (Instructiones II, 18) 'zieht die Kleider an, die nötig sind, damit sie die Kälte abwehren'. Hier haben wir den Ausgangspunkt für die Bedeutungen des französischen Verbums 'wegnehmen', 'entfernen', 'verbannen'. Dem Italienischen und Spanischen ist das Verbum unbekannt. Es eignet dagegen dem Rätoromanischen, in einer Zusammensetzung mit de in der heutigen Form dustar ( 'Schlucht', ital. bocca d'un fiume-, dazu gewisse Tiernamen, z . B . des Wiesels: ital. dònnola 'junge Dame', port. norinha 'kleine Schwiegertochter', span. comadreja 'Gevatterin' ; oder der Libelle (Wasserjungfer) :fitz.demoiseUe, port. donzda, in Italien bèla dimoia.

A n t i c i p a t i o n : Vorwegnahme eines Lautelementes, z. B. des Stimmtons (Strasbourg) oder eines folgenden Lautes, z. B. lilium > jilium (ital. giglio). Aphärese: Verkürzung eines Wortes am Wortanfang: prov. gleisa < eclesia, migraine < hemicrania 'Schmerz in einer Schädelhälfte'. Apikale L a u t e : Laute, die mit Hebung der Zungenspitze (apex linguae) gebildet werden, z. B. s in span. casa. Apokoinu (a7iò xoivoö) : Konstruktion eines Satzes, in dem ein Satzglied eine doppelte syntaktische Beziehung hat (z. B. Subjekt und Objekt), vgl. altprov. anc non vi dona tan mi plagues 'nie sah ich eine Dame, die mir so gefallen hätte'. - Altfranzösische Beispiele gibt Tobler, Vermischte Beiträge, Bd. I, no. 21. Apokopierung: Verkürzung eines Wortes durch Abwurf einer Silbe am Wortende: vierge < virgine, évique < episcopus, afrz. sarcou (cercueil) < sarcophagus. A p p e l l a t i v u m : man versteht darunter ein Wort, das eine Gattung oder einen Gegenstand benennt (Baum, Tisch, Katze, Mädchen), im Gegensatz zu Eigennamen (Caesar, Karl). Ein Eigenname kann zum Appellativum werden, z. B . ein Krösus, der Zeppelin, un tartuffe.

A r g o t = Spezialsprache mit Geheimtendenzen einer sozialen Gruppe; vgl. Wartburg, Vom Ursprung und Wesen des Argot (GRM, 18,376—391) ; M. Kuttner, Von der Geltung des Argot (Festschrift E. Wechssler, S. 346-356). - Vgl. 'Jargon'. A s p i r a t i o n : aspirierte Laute kennt das Toskanische. Sie werden mit einem Hauch gebildet, z. B. dit ho ratsione, c i v i t a t e > altfranz. tsité. A s s i m i l a t i o n : ist Anpassung eines Lautes an einen anderen: ads a t i s > a s s a t i s (assez) = Kontaktassimilation; b i l a n c i a > balance = Fernassimilation ; Alsace mit stimmhaftem s = progressive Assimilation ; Strasbourg mit stimmhaftem s = regressive Assimilation. Die beiden letzten Beispiele sind partielle Assimilationen. Das erste Beispiel (assez) ist eine totale Assimilation. A u g m e n t a t i v : Vergrößerungsform, in den romanischen Sprachen meist durch ein besonderes Suffix ausgedrückt, vgl. franz. coutelas 'grand couteau de cuisine', prov. nasas 'grand nez', ital. gattone 'grand chat'. 216

B i l a b i a l : Lautbildung mittels beider Lippen, z . B . span. cueva (kueba). Ein bilabiales / war die Vorstufe von h (aus /) in span. hada 'Fee' ( < f a t a ) , kalabr. hilu < filum. Buchwor t : Gegensatz zu 'Erbwort'. Ein Wort, das die normale volkstümliche Entwicklung nicht mitgemacht hat. Im Französischen oft gleichbedeutend mit 'Latinismus'. Der französische Ausdruck ist 'mot savant*. Beispiele : oculaire, audition, captif neben dem volkstümlichen chétif. Calque s. 'Lehnübersetzung'. Coup de g l o t t e : deutsch 'Kehlkopfverschluß'. Laryngaler Verschlußlaut, der im Deutschen den Unterschied ausmacht zwischen der 'adler und der radler, der 'eiter und der reiter. D e f e k t i v : sind Verben, die nur einen Teil ihrer Formen bewahrt haben, z. B. franz. gésir, span. ir 'gehen'. D e g l u t i n a t i o n : Gegenteil von 'Agglutination'. Der Anlaut eines Wortes wird fälschlich als Artikel aufgefaßt oder zum Artikel bezogen: L'Alamagna > altital. La Lamagna, ja sogar mit Wiederholung des gleichen Prozesses : La Magna. D e i k t i s c h e r Ausdruck: hinweisender, oft mit einer Gebärde oder Geste verbundener Ausdruck, z. B . altfranz. ne tant ne cant. - Siehe dazu E. Lommatzsch, Deiktische Elemente im Altfranzösischen (In: Kleine Schriften zur romanischen Philologie, Berlin 1954, S. 3 ff.). D e t e r m i n a t i v : von der demonstrativen Funktion (cette femme) unterscheidet sich das Determinativ durch die nähere Bestimmung, die durch ein Attribut oder einen Relativsatz erfolgt: ceux de la ville, celui que tu connais. D é t r e s s e : Notlage, die beim lautlichen Zusammenfall verschiedener Wörter entstehen kann, z. B. mout 'viel' neben moût 'Most', dé 'Würfel' neben dé 'Fingerhut'; s. 'Homonymie'. D e v e r b a l : s. 'Rückbildung'. D i a c h r o n i s c h : ist eine Betrachtungsweise, die eine Entwicklung 'à travers le temps' verfolgt, im Gegensatz zur synchronischen Betrachtung in einem gegebenen Zeitpunkt. Siehe dazu W. von Wartburg, Das Ineinandergreifen von deskriptiver und historischer Sprachwissenschaft (Leipzig, Sachs. Akad. der Wiss. 1931); derselbe in Einführung in Problematik und Methodik der Sprachwissenschaft (Halle 1943), S. 7ff. Zum ganzen Fragenkreis in betonterer Ausrichtung auf die strukturelle Sprachwissenschaft, siehe jetzt besonders auch E. Coseriu, Sincronia, diacronia e historia (Montevideo 1958). D i a k r i t i s c h e s Zeichen: ein Zeichen, das einer normalen Letter eine besondere Aussprache verleiht : ç, rum. Î, span. n. Diärese = Trennung zweier aufeinanderfolgender Vokale auf zwei Silben, z. B. altfranz. reine, meür gegenüber neufranz. reine, mûr. Gegenteil 'Synärese'. 217

D i m i n u t i v : Verkleinerungsform, in den romanischen Sprachen meist durch ein Suffix ausgedrückt, vgl. franz. chaton, ital. libretto, piccolino, span. cadenita. D i p h t h o n g : im engeren Sinne ein vokalischer Doppellaut, der aus einem einheitlichen Vokal meist durch Dehnung oder Brechung entstanden ist und eine Silbe bildet: altfranz. peire, euer. Dann auch jede Kombination zweier Vokale, die durch zufällige Umstände zusammengetreten sind: altfranz. lait 'Milch', truite 'Forelle', sauter. Man unterscheidet steigende Diphthonge (franz. pied, ital. cuore) und fallende Diphthonge (altfranz. teile, aile). D i p l o m a t i s c h e r T e x t : im Gegensatz zur kritischen Ausgabe genauer Abdruck eines Textes mit allen formalen Merkmalen der Handschrift (Diploma ). D i s s i m i l a t i o n : Gegenteil der 'Assimilation'. Sie entsteht durch das Bestreben, gleiche Laute in zu naher Nachbarschaft unähnlich zu machen : p e r e g r i n u s > pèlerin, B o n o n i a > Bologna, c o l u c u l a 'Spinnrocken' > c o n u c l a > quenouille, m o n i c a > prov. morga. Es gibt auch vokalische Dissimilationen, z. B. altfranz. flour > fleur, uovre > uevre. D o p p e l f o r m (deutsch auch 'Scheidewort', ital. allotropo, franz. doublet) : Entstehung einer zweifachen Sprachform aus der gleichen etymologischen Grundlage, z. B. chaise neben chaire, pavillon neben papillon, chose neben cause, frêle neben fragile. - Siehe S. 179. D o p p e l k o n s o n a n t e n (vgl. 'Gemination') sind gedehnte oder lange Konsonanten: ital. gatto, ital. passare (aber nicht franz. passer), span. carro (aber nicht franz. arrêt). D o u b l e t s. 'Doppelform'. E l a t i v : die Funktion von lat. a l t i s s i m u s , die nicht den höchsten Grad (le plus haut), sondern eine sehr hohe Stufe (très haut) ausdrückte. E l i s i o n : bedeutet Ausstoßung (elisio), z. B. eines Lautes oder einer Gruppe von Lauten, z. B. m'sieur = monsieur, ptit; aber auch eines unbetonten Wortes: (je) sais pas. Verbaler Ausdruck: 'elidieren'. E l l i p s e (Elleipsis) bedeutet Verkürzung oder Beschränkung im Sinne eines knapperen oder sparsameren Ausdrucks: hiver aus t e m p u s hib e r n u , un complet aus un habit complet, une poule d' Inde > dinde, pluie à verse > une averse, o r b u s a b o e u l i s > aveugle. E n g e l a u t s. 'Reibelaut'. E n k l i s e (enklitisch) ist Anlehnung eines tonschwachen Wortes an ein vorausgehendes Wort,mit dem es in eine Toneinheit tritt, z.B. sais-je, rumän. lupul 'der Wolf ( l u p u illu). E p e n t h e s e : Einschub eines unorganischen Lautes im Wortkörper, z. B. trésor < t h é s a u r u s , encre < altfranz. enque ( e n c a u s t u m ) . E p i t h e s e : Anhängung eines unorganischen Lautes an das Ende eines Wortes ('paragogisches Element'), z. B. in ital. Mundarten arrivone = 218

arrivò, sine = si, vulgärflorent. cosle = cosi, piûe = più, südapul. trède = tre (s. Rohlfs, § 335-337). E r b w o r t : Wort, das den Regeln der normalen volkstümlichen Entwicklung gefolgt ist (Gegenteil von 'Buchwort'): frêle 'gebrechlich' gegenüber fragile, nager gegenüber naviguer. E t h i s c h e r D a t i v : drückt die gefühlsmäßige Anteilnahme einer Person an einer Handlung aus, z. B. ne me courez pas trop vite, lat. atque eceum tibi lupum (Plautus). E t y m o l o g i s i e r e n d e S c h r e i b u n g : z. B. faict und scet im 16. Jahrhundert in Anlehnung an lat. f a c t u und seit, aile (< altfranz. eie) in Anlehnung an lat. ala. E u p h e m i s m u s : Mildernde oder verhüllende Ausdrucksweise, z.B. das vulgärlateinische Diminutiv v e t u l u s (in Ersatz des älteren vetus), vulgärlat. orbus'beraubt'statt lat. caecus (daher altfranz. orb, oberit. orbo). F o r m e n a u s g l e i c h : die Übertragung eines bestimmten Lautergebnisses oder eines Formenmerkmals auf eine ganze Flexions- oder Formengruppe : nous plourons > nous pleurons (nach je pleure), prov. cantan > canton 'sie singen' (nach vendon). F r e i e S t e l l u n g (oder freie Silbe): gilt für einen Vokal, der am Ende einer Silbe steht vor einfachem Konsonant oder 'Muta cum Liquida': n a t u s , tela, p a t r e , c a p r a . F r i k a t i v e A u s s p r a c h e : Aussprache in der Art eines Reibelautes, z. B. in dem Wandel von lat. n a t a > altfranz. nede, o c t o > o ^ t o (> franz. huit). G e d e c k t e S t e l l u n g (oder geschlossene Silbe): gilt für einen Vokal, dem eine mehrfache Konsonanz folgt (ausgenommen Muta cum Liquida) : sella (im Gegensatz zu tela), carrus, s e p t e m , octo; auch filia = fil ja, f o l i a = folja. 6 7 6 ) G e m i n a t i o n : Verdoppelung (Dehnung) eines Konsonanten, z. B. c ü p p a (franz. coupe) neben cüpa (franz. cuve). Es wird entweder die Sprengung eines Verschlußlautes hinausgezögert (ital. gatto) oder der Geräuschton eines Dauerlautes (ital. anno, carro, osso) verlängert. Das Gegenteil (Degemination) liegt vor in s t e l l a > *stëla (étoile). Génie d' u n e l a n g u e : 'Geist einer Sprache', d. h. das, was die besondere Natur oder den Individualcharakter einer Sprache ausmacht. Siehe dazu Mario Wandruszka, Der Geist der französischen Sprache (Hamburg 1959) ; A. Dauzat, Le génie de la langue française (Paris 1953). Geschlossene V o k a l e : sind Vokale mit geschlossenerem Mundraum (als Vibrationsraum), d. h. mit höherer Zungenstellung, d. h. mit geringerem Abstand vom Munddach, z. B .ledè gegenüber le père. 574 ) Die wirkliche Aussprache im vulgären Lateinischen war sogar f i l i ja, f o l l j a , ebenso p l a t t j a (platea), v i n d e m m j a ; s. Richter, § 77.

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G h o s t - w o r d s : 'Wörter die nicht existieren' (Irrtümer in Wörterbüchern): s. dazu M. L. Wagner, ZRPh, Bd. 73, S. 509. G l e i t l a u t : ein Laut, der sich einstellt als Übergangslaut zwischen zwei anderen Lauten: c a m é r a > chambre, v e n e r i s d i e s > vendredi, essere > altfranz. estre, b e l l u s > beus > beaus. Im letzten Fall spricht man auch von einem Sproßvokal. G r a p h i e = Schreibung, Schreibweise, z. B. altprov. fag im Sinne des häufigeren fach. G r a s s e y é : die typisch nordfranzösische Aussprache des r (volares r = velarer stimmhafter Reibelaut). G u t t u r a l : wird in der Regel fälschlich verwendet im Sinne von 'velar'. - Wirkliche Gutturallaute (Kehlkopflaute) kennen die semitischen Sprachen; vgl. jedoch auch den Kehlkopfverschluß in gewissen Mundarten in Sardinien, z. B. 'le = ital. chi, is'öpa — ital. scopa. - Siehe dazu M. L. Wagner, Historische Lautlehre des Sardischen (1941), § 108. H a p l o l o g i e : Reduzierung zweier lautähnlicher benachbarter Silben in eine Silbe: contrôle aus älterem contrerole 'Gegenregister', altfranz. je Ii di < je le Ii di 'je le lui dis', in Frankreich Neuville (Champagne) < Neuve Ville, in Italien Orvieto < Orvivieto ( u r b s vetus). H i a t : Ein Vokal steht im Biat vor einem anderen Vokal, z. B. lat. v i n e a , franz. Noël, altfranz. saovl 'soûl', franz. qui a eu le courage. H i l f s v e r b a ('auxiliaires'): Verba, die in Verbindung mit einem Hauptverbum die Aufgabe haben, gewisse Zeiten, Modi oder Aspekte auszudrücken: j'ai fini, il est parti, il va venir, il vient d'arriver, il a dû mourir. H o m o n y m i e ist der lautliche Zusammenfall zweier etymologisch verschiedener Wörter in das gleiche lautliche Ergebnis, z. B. louer aus l a u d a r e und locare, errer 'irren' < e r r a r e und altfranz. errer < i t e rare. 5 7 7 ). - Siehe 'Détresse'. H y b r i d e s E l e m e n t : z. B. ein unorganischer Laut, wie er erscheint in franz. soif (altfranz. sei, soi), in südfranzösischen Mundarten madurt = madur 'mûr', franz. trésor (ital. tesoro). H y p e r k o r r e k t : vulgärlat. lileum = lilium (s. Anm. 27), altital. tucti = tutti (Cantico, Vers 5). Vergleiche die Aussprache ungebildeter Nordfranzosen der Picardie (wo cambre dem franz. chambre entspricht), indem sie korrektes cave zu chave werden lassen. Das Phänomen wird, da es häufiger in der Schreibung zum Ausdruck kommt, oft als 'umgekehrte Schreibung' bezeichnet.578) H y p o t a x e s. 'Parataxe'. "') Siehe E. Richter, Homonymie, in Festschrift für Paul Kretechmer (Wien 1926), S. 167-201. 6 8 ' ) Siehe dazu Fritz Häusler, Hyperkorrekte Sprachformen (Bern 1939).

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I d i o t i s m u s : charakteristischer Ausdruck einer Person oder einer Gruppe von Sprechern, z. B. hétraie 'bois de hêtres' bei Flaubert, ire 'colère' bei Lamartine; tandis que im Sinne von tant que,, quant et lui 'avec lui' bei Chateaubriand. I n d i f f e r e n z l a u t : als einen solchen bezeichnet man gelegentlich das aus verschiedenen lateinischen Grundlagen entstandene unbetonte e (d) im Französischen, z. B. il porte ( p o r t â t ) , vaste ( v a s t u s ) , renard < R a g i n h a r d , le < illu, je < jo (ego). Phonetisch handelt es sich, soweit der Laut wirklich gesprochen wird, um einen leicht gerundeten Laut, der zu den Mittelzungenlauten gehört. I n f i n i t e F o r m e n : Verbalformen, die die Person nicht ausdrücken. I n f i x : ein wortbildendes Element (meist aus einem älteren Suffix entstanden), das vor einem Suffix verwendet wird, z. B. franz. -eret im Sinne des Diminutivsuffixes -et in franz. dameret 'Geck', Les Didblerets (Bergmassiv in der Westschweiz), hugotique oder hugolique 'de Hugo', ital. ossereUo, pomticeUo, campiteUo. I n t o n a t i o n : melodischeTonfuhrung bzw. Akzentlage in einer Rede. Siehe dazu P. Fouché, La prononciation actuelle du français, in dem Buch von A. Dauzat, Où en sont les études de français (Paris 1935), S. 24ff. ; T. Navarro Tomás, Manual de entonación española (New York 1948). I n v e r s i o n : Umstellung eines Redeteils z. B. des Subjektes, vgl. altfranz. halt sunt Ii jmi 'les collines sont hautes', altfranz. vient votre père?, neufranz. tel est le cas, encore faut-il savoir. Isoglosse: verkürzt aus 'ligne d'isoglosse'. Man versteht darunter eine Linie, die eine bestimmte Spracherscheinung umfaßt oder abgrenzt. - Mit 'Isophonen' und 'Isolexen' bezeichnet man Linien, die ein lautliches Phänomen oder ein bestimmtes Wort geographisch umreißen. J a r g o n : in der Regel Sondersprache einer Berufsgruppe, z.B. der Maurer, Kesselflicker, Seeleute. - Vgl. 'Argot'. J u n g g r a m m a t i k e r : sprachwissenschaftliche Schule (letztes Viertel des 19. Jahrh.), die von dem starren, mechanischen und ausnahmslosen Walten der Lautgesetze überzeugt war. K a k o p h o n i e : unschön klingende Lautfolge, z. B .si ceci se sait. K a k u m i n a l l a u t : Laut mit rückwärts gebogener Zunge am obersten Teil ('cacumen') des harten Gaumens: sard. badde = i t a l . valle. K e h l k o p f v e r s c h l u ß l a u t s. Coup de glotte. K o l l e k t i v : 'Ansammlung'. Kollektivsuffixe sind im Französischen: -aie, -age, -aine u. a. K o n t a m i n a t i o n : 'Wortkreuzung': franz. haut < a l t u X hoch, guêpe < wespa < v e s p a x fränk. wabsa, ouvrir < * o p r i r e < aper i r e x cooperire. K o n t r a k t i o n : ist Zusammenziehung in eine Silbe oder in eine kürzere Form, z. B. franz. en le> altfranz. el, en les > altfranz. es, preh e n d e r e > vulgärlat. p r e n d e r e . 221

K o p u l a : Bindewort, z. B. et, ou, altfranz. si 'und'. K o r r e l a t i v b i l d u n g : altfr. cumfaitement zu sifaitement (S. 161). K u r z f o r m : meist identisch mit 'Schnellsprechform' (AUegroform), z. B. vulgärlat. a j o = abeo, eo = ego, q u o m o = q u o m o d o , prov. na < d o m i n a , franz. sieur = se.igne.ur, span. Usted < vuestra merced. L a t e r a l l a u t s. 'Liquidae'. L a u t s u b s t i t u t i o n : Die Basken hatten in ihrer alten Sprache kein /. Dieses haben sie bei der Übernahme lateinischer Lehnwörter durch b ersetzt, z . B . biku 'Feige* ( f i c u s ) , besta ( f e s t a ) . Damit steht in Zusammenhang, daß im Spanischen ( f i l i u s > hijo) und in der Gascogne ( f i l i u s > hilh) f als h erscheint; v. 'bilabial'. Wenn franz. ü auf keltische Substratwirkung zurückgeht, hätte man es ebenfalls mit einer Lautsubstitution zu tun. L a u t s y m b o l i k : Das auffällige gr in franz. grenouille statt renouille ( r a n u c u l a ) ist lautnachahmend durch das Quaken (Kraken) der Frösche hervorgerufen. Viele Wörter, die 'klein' bedeuten (petit, ital. piccolo, span. chico) beruhen auf der Verwendung des hellen i, das auch in vielen Diminutivsuffixen erscheint (ital. -ino, span. -ico, -ito). L e h n ü b e r s e t z u n g (franz. calque): Übertragung einer Ausdrucksweise in eine andere Sprache, z. B. in den französischen Grenzgebieten (Norden und Osten) qu'est-ce (que c' est) pour une femme 'was ist das f ü r eine Frau', span. ojo 'Auge' im Sinne von 'Quelle' (nach arabischem oder baskischem Vorbild); ital. (dial.) mezzèdima 'Mittwoch' = mezza edima 'mittlere Woche' (nach gotischem Vorbild). L e m m a : Wort, das als 'Stichwort' in einem Wörterbuch figuriert oder durch eine 'Glosse' erklärt wird. Im letzteren Fall enthalten die 'Lemmata' einer Glossensammlung auffällige oder dem Glossator unverständliche Wörter, die durch ein geläufigeres, d. h. vulgäres Wort erklärt werden, z. B. nurus: bruta (CGIL, Bd. V, S. 314). L e n i s i e r u n g (franz. lénition): Neigung zu stimmhafter Aussprache (vgl. 'Sonorisierung') stimmloser Laute. L e n t o f o r m : Gegenteil von AUegroform (s. 'Kurzform'). L i q u i d a e : gemeinsame Bezeichnung der Laute l und r. Die angebliche Flüssigkeit dieser Laute bezieht sich auf ihre besondere Natur als vokalhaltige Dauerlaute. Wissenschaftlich richtiger spricht man von 'Laterallauten' und 'Vibrationslauten'. M e d i o p a l a t a l : mediopalatale Laute werden am mittleren Gaumen hervorgebracht. Für die romanische Lautgeschichte ist ein Laut wichtig, der als Zwischenstufe anzusetzen ist zwischen dem lateinischen k in C a e s a r , c i v i t a s und dem italienischen c in Cesare und Civitavecchia. Der Laut, der als mediopalataler Verschlußreibelaut zu bezeichnen ist, entspricht grosso modo einem kj in ital. chiave und in neugriech. kje 'und' (x«i). Er bildet auch die Zwischenstufe zwischen k in c a n t a r e 222

und altfranz. chanter: urfranz. *kjanter — eine Aussprachestufe, die noch heute im Rätoromanischen besteht: chantar (= kjantar), vacha (= valcja), chavra ( = kjavra).579) Im Vulgärfranzösischen ist der Laut neu entstanden aus k vor hellen Vokalen, z. B. qui > kji, curé > kjüré; in stimmhafter Form diable > gjabí. M e t a p h e r : bildliche Verwendung eines Wortes in übertragenem Sinn auf Grund einer Ähnlichkeit: Sattel oder Nase eines Berges, Talkessel, Kran = Kranich, franz. grue id., punaise 'Reißnagel', hérisson 'stachlige Kastanienschale' ('Igel'). - Siehe 'Animalisierung'. M e t a t h e s e : Umstellung von Lauten, z . B . tremper ( t e m p e r a r e ) , fromage aus älterem formage, ital. fiaba < *flaha < f a b ( u ) l a . Es können auch zwei Laute den Platz miteinander vertauschen (reziproke Metathese): étincelle < * s t i n c i l l a < ""scintilla, ital. padule neben pallide. M e t o n y m i e : Bedeutungswandel, der durch eine räumliche, zeitliche oder kausale Assoziation bedingt ist, z. B. franz. toison 'Schur' > 'Tierfeil', araignée 'Spinngewebe' > 'Spinne', l u n a > Laune. M i t t e l z u n g e n v o k a l : Vokal bei dessen Bildung der mittlere Teil der Zunge eine Rolle spielt, z. B. im Rumänischen die Laute Í und ä, im Katalanischen das unbetonte a (dona), im Französischen das unbetonte gerundete e (brebis), auch die Nasalvokale von vin und un (Kuen). M o d a l v e r b a : Verba, die eine Modalität (Art und Weise) ausdrücken : devoir, pouvoir, vouloir. M o n o p h t h o n g : ein Laut, der im Gegensatz steht zum Diphthongen oder aus einem solchen hervorgegangen ist, z. B. chèvre aus älterem chievre. M o r p h o l o g i e : Formenlehre bzw. Flexionslehxe. M o t i o n : Kennzeichnung einer grammatischen Kategorie (z. B. das Femininum) durch eine abgewandelte Endung : lat. filius u. filia, deutsch Hase u. Häsin gegenüber Sohn u. Tochter, franz. lièvre u. hase. M o u i l l i e r u n g : älterer Ausdruck für 'Palatalisierung', bedingt durch den akustischen Eindruck ('benetzte Laute'), der bei der Bildung eines palatalen ('mouillierten') Lautes entsteht. M u t a c u m l i q u i d a : Verbindung eines Verschlußlautes (Muta) mit einem Vibrationslaut (Liquida), z. B. pr, tr, cl. Vokale vor Muta cum Liquida befinden sich in freier Stellung: c a p r a > chèvre, p â t r e > père. N a c h t o n s i l b e : die zweite Silbe in lat. c a n t a n t , m a g i s , ital. bello. N e b e n t o n s i l b e : In manchen Lehrbüchern wird als 'nebentonig' eine Silbe bezeichnet, die einer betonten Silbe vorausgeht, z. B. c o r ó n a , c a n t á v i t . Diese Bezeichnung ist mißverständlich und nicht zu empfehlen. Man nenne eine solche Silbe 'vortonig'. Einen wirklichen Nebenton haben nur Silben, die um mehr als eine Silbe von der Hauptsilbe (Tonsilbe) entfernt sind, z. B. c ó r o n á t u s , c i v i t á t e s , b è l l a m é n t e , m à n 5 " ) Der ursprüngliche A;-Verschluß nähert sich oft einem dentalen Verschluß, so daß der Laut dem deutschen tch in Hütchen sehr ähnlich klingt.

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ducàre, tépidùs, pérsicà (s. Meyer-Lübke, Gramm, der roman. Sprachen, Bd. I, § 341 u. 610). - Siehe Zwischentonvokal. Nexus: man spricht von einem Konsonantennexus, z.B. pr, st, fl, str. - Dagegen sind franz. ch, ital. gl (in paglia 'paille'), port. Ih (palha), deutsch ch (mich, machen) nur orthographische Hilfsmittel für einen einheitlichen Laut. Obliquus: zusammenfassende Bezeichnung der verschiedenen Casus, die nicht ein Subjektsverhältnis ausdrücken. Offene Vokale: sind Vokale mit offenerem Mundraum (als Vibrationsraum), d. h. mit niedriger Zungenstellung, d. h. mit größerem Abstand vom Munddach, z. B. la fleur gegenüber neveu. Onomasiologie = Bezeichnungslehre. - Im Gegensatz zur Semasiologie (s. 'Semantik), die dem Bedeutungswandel der Wörter ihre Aufmerksamkeit schenkt, fragt die Onomasiologie nach den verschiedenen Wörtern, durch die ein bestimmter Begriff ausgedrückt wird und betrachtet die Ursachen, die zur Benennung der Dinge (Kopf, Wiesel, Hose, Löwenzahn) geführt haben. - Man konsultiere dazu das gute Buch von Bruno Quadri, Aufgaben und Methoden der onomasiologischen Forschung (Bern 1952). Onomastik: Namenkunde (Pc/sonennamen, Ortsnamen, Flußnamen). Onomatopeisch: ist z. B. die Neuschöpfung eines Wortes, die auf Schallnachahmung beruht, z. B. in Verben wie knarren, klirren, btirren, knurren, knattern, knittern, quaken, quieken, franz. meugler, beugter, cocorico (coq), cricri 'Grille', tic-tac, glou-glou, cochon, ital. mucca 'Kuh*. Oxytonon: Wort mit dem Ton auf der letzten Silbe, z. B. griech. monachós, ital. cantò, città. Palatalisierung: Umformung eines Lautes unter dem Einfluß eines palatalen Lautes, z. B. capra > altfranz. chievre, vinia (vinea) > vigne (viüe), filia > fiie. Paragogisch: s. Epithese. P a r a t a x e : Beiordnimg, meist im Gegensatz zu 'Hypotaxe' (Unterordnung), z. B. je suis sür: tu vienäras = je suis sur que tu viendras. Paroxytonon: Wort mit dem Ton auf der vorletzten Silbe, z. B. pater, ital. casa. Patronymikon: Benennung des Sohnes nach dem Vater, z. B. Robertson, Fitzgerald, ital. Figiovanni, span. Lòpez, Fernàndez, Velàsquez. Phonem: 'der Laut als Element der Bedeutungsträger in einer Sprache'. Über die Abgrenzung von Laut und Phonem, s. Lausberg I, § 123. Siehe dazu Daniel Jones, The Phoneme : its nature and use (Cambridge 1950). Phonologie: Im Gegensatz zur 'Phonetik', die die Laute im Hinblick auf ihre Artikulation und ihre eigenständige lautliche Entwicklung behandelt, ist die Phonologie die Wissenschaft von den Funktionswerten der Laute, die die Bedeutungsfunktion der Laute in einer Sprache 224

zum Gegenstand hat. Die Phonologie steht im Dienste einer strukturellen Interpretation sprachlicher Vorgänge. - Als allgemeine Einführung in die phonologische Forschung sei genannt G. Gougenheim, Eléments de phonologie française (1935). Eine Erörterung der Grundbegriffe findet man bei Lausberg, Romanische Sprachwissenschaft § 122 ff. und bei J. Jordan, Einführung, S. 451 ff. Tiefer in die Strukturgeschichte des französischen Lautsystems führt das mit kühnen und z. T. sehr problematischen Deutungen arbeitende Buch von A. G. Haudricourt und A. G. Juilland, Essai pour une histoire structurale du phonétisme français (Paris 1949). Pleonasmus: Überflüssiger Ausdruck, z.B. altfranz. pleurer des yeux, dire de bouche. Auch Häufung von gleichen Ausdruckswerten, vgl. lat. asellulus 'kleiner Esel', span. chiquitito : Diminutiv von chico 'klein' mit zweimaliger Verwendung des Suffixes -ito, franz. roitelet 'Zaunkönig' < *regittellittus, franz. mon mari il m'a dit, frz. la tour la plus havte gegenüber ital. la torre più alta. - Vgl. auch den Ortsnamen Linguaglossa, Name einer Stadt am Aetna, benannt nach einer Lavazunge im Zeitalter einer romanisch-griechischen Mischbevölkerung ; Le Gault - La Forêt (Ort im Dép. Marne) mit Übersetzung des altfranzösischen gaut 'Wald' durch ein modernes Wort. - Vgl. auch altfranz. Ii fait porter 'elle lui porte' (Bisclavret, Vers 230); s. oben S. 182 und 192. P o s t v e r b a l : s. 'Rückbildung'. Prädikatsnomen: nominales Prädikat, d.h. prädikative Ergänzung (zu einem Subjekt), die aus einer nominalen Vorstellung (Substantivum, Adjektivum) besteht: il était garçon, la nuit était noire, grande fut sa surprise. Proklise (proklitisch) : Gegenteil von 'Enklise', d. h. Anlehnung eines tonschwachen Wortes an ein folgendes Wort, mit dem es in eine Toneinheit tritt: je pense (> ch'pense), le mur (illu muru), la vigne mit Erhaltung des auslautenden a wie in laver, il me voit gegenüber donne-moi. Vgl. auch die auffällige Entwicklung von domina zu dame (statt *dome) aus älterem d'me in Verbindung mit einem folgenden Personennamen (s. Bisclavret, Vers 39). Proklitische Wörter entziehen sich der normalen Lautentwicklung. P r o p a r o x y t o n o n : Betonung eines Wortes auf der drittletzten Silbe: lat. tepidus, persicus, virgines. Im Französischen sind die Proparoxytona beseitigt worden; im Italienischen und Spanischen haben sie sich besser gehalten: ital. Môdena, Stèfano, sàbbato, span. Málaga, Córdoba, huérfano. Im Provenzalischen zeigen die weiblichen Wörter eine doppelte Entwicklung. Teils ist Synkopierung erfolgt (manica > manga, marga, s. S. 69), teils wurde der Accent verschoben: manéga, monéga, persiga-, vgl. die südfranz. Ortsnamen Oppède (öppida), Fabrègues (fabricas). Prothese (prothetisch) : Vorschlag eines Vokals, z. B. vulgärlat. 15 Rohlfs, Einführung

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Ismyrna, altfranz. espine, baskisch. Erroma = Roma, gaak. arrat 'rat'. R ä t o r o m a n i s c h : die romanische Sprache, die sich in den östlichen Alpen im Gebiet der römischen Provinz Raetia entwickelt hat ; sie wird in Graubünden, in den Dolomiten und in Friaul gesprochen. Auch 'ladinisch' genannt. Reduktion, z. B. ts > s in altfranz. tsire > sire (la ciré), uei > iti in *nueit > nuit, katal. nit. R e d u p l i k a t i o n : ist in den romanischen Sprachen teils in der Kindersprache, teils als Lautmalerei zu beobachten, vgl. in der französischen Kindersprache bonbon, joujou, fifiUe = fiUe, pepère — pere, toutou 'junger Hund', franz. tante (aus älterem ante), cri-cri 'Grille', nordit. lala 'Tante'; franz. dic-clac, cric-crac, tic-tac. - Vgl. auch im Refrain miton-mitaine, dondon-dondaine. R e i b e l a u t : s. 'Verschlußlaut'. R e l i k t w o r t : Wort, das aus einer älteren Substratsprache sich erhalten hat, z. B. franz. pièce aus gallisch * p e t t i a , span. izquierdo (vgl. bask. ezker). R ü c k b i l d u n g : Auch deverbale oder postverbale Bildung genannt, wenn sie von einem Verbum erfolgt, z. B. die Substantiva accord (accorder), soupir (soupirer), choix (choisir), chasse (chasser), attaque (attaquer), nage (nager). Seltener sind andere Rückbildungen z. B. ital. anche (anco) 'auch' aus ancora, tosk. trovo = trovato. S a t z o r t s n a m e n : Ortsnamen, die aus einem satzähnlichen Gebilde bestehen: s. Anm. 527a. S a t z p h o n e t i s c h : man versteht darunter die Wirkung einer phonetischen Erscheinung im Satzzusammenhang, d. h. bedingt durch die besondere Stellung im Satze, z. B. avec toi (avèk) neben avec nous (avèg), le roi de France (t' Fräs). Im Altfranzösischen erscheint bonus und malus in zwei Lautergebnissen ( buens und bons, mels und mais), je nachdem das Adjektivum ein wichtiges Merkmal ausdrückt oder nur ausschmückend ist: Ii conseiUiers est buens, Ii bons conseiUiers.bS0) Scheidewörter s. 'Doppelform'. Schnellsprechform s. 'Kurzform'. Schwache F l e x i o n : gilt für Verben, die das Perfektum mit endungsbetonten flexi vischen Elementen bilden, z. B. lat. cantavi, franz. il 6 8 °) Solche satzphonetischen Divergenzen sind in anderen romanischen Sprachen besser bezeugt, wenn es sich um jüngere Lauterscheinungen handelt, vgl. Verf., Lautwandel und Satzakzent, in Festschrift für Dietr. Behrens (1929), S. 37-47 und Der Einfluß des Satzakzentes auf den Lautwandel (AStNSp, Bd. 174, 1938, S. 54ff.). - In Sardinien und Corsica werden intervokalische Laute auch im Wortanlaut stimmhaft, wenn sie im Satzzusammenhang in intervokalischer Stellung stehen, z. B . una dèrra 'una terra', una gadena 'ima catena', su vilu 'il filo', kors. a gabra 'la capra'. .In der Toskana erfaßt der Wandel von k > h inlautendes und anlautendes k, wenn es zwischen zwei Vokalen steht : una havalla 'una cavalla', un poho 'un poco'. — Nach einer neueren aus phonologischen Überlegungen gewonnenen Theorie

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chanta, il partit, il courut. Die starke Flexion ist durch stammbetonte Perfekta gekennzeichnet: lat. m i s i t , franz. il mit, il fut, ital. diede < d e d i t . S e m a n t i k , S e m a s i o l o g i e : die Wissenschaft, die die Elemente einer Sprache vom Standpunkt der Bedeutung betrachtet. - Eine vorzügliche Orientierung über dieses Gebiet der modernen Wortforschung gibt Stephen Ullmann, The principles of semantics (Glasgow 1957). Ein guter Überblick: K u r t Baldinger, Die Semasiologie (Berlin 1957). - Vgl. 'Onomasiologie'. S i b i l a n t : entspricht dem deutschen Begriff 'Zischlaut'. Ein Zischlaut ist das Ergebnis fortgeschrittener Aussprache, z. B. in natsjone, tertsja, nuntsjare. - Siehe 'Assibilierung'. S o n o r i s i e r u n g : Prozeß, der einen Laut stimmhaft werden läßt: prov. vida ( v i t a ) , trobar ( t r o p a r e ) , franz. abeiüe ( a p i c u l a ) , franz. roée, ital. lago, franz. Strasbourg. Gegenteil ist 'Desonorisierung': deutsch Hunt, Kalp, altfranz. grant, mod. franz. le metss (médecin), optenir. S p ä t l a t e i n i s c h : im Gegensatz zu 'vulgärlateinisch', womit man die Zeit bis etwa 600 umfaßt, ist spätlateinisch in romanistischer Anwendung ziemlich identisch mit der frühmittelalterlichen Zeit bis zum Auftreten der ältesten romanischen Texte als Fortsetzimg des geschriebenen Lateins (auch Mittellatein = mittelalterliches Latein) genannt. S p o n t a n e L a u t e n t w i c k l u n g : erfaßt jeden Laut (z. B. ü> ü im Französischen) ohne Rücksicht auf Nachbarlaute und die besondere Stellung in der Silbe. S p r o ß v o k a l : s. 'Gleitlaut'. S t a m m a b s t u f u n g : Wechsel (Alternanz) verschiedener Lautergebnisse z. B. in der Verbalflexion, z. B. je puis, il peut, nous pouvons-, altfranz. truis 'je trouve', trueves 'tu trouves', trovons 'nous trouvons'. S t a m m a u s g l e i c h : s. Anm. 291. S t a r k e F l e x i o n : s. 'schwache Flexion'. S t r u k t u r e l l e S p r a c h w i s s e n s c h a f t : ist ausgerichtet auf die systemhafte Struktur einer Sprache, wobei dem Gesichtspunkt der sprachlichen Ausdrucksmittel eine besondere Bedeutung beigemessen wird. Strukturell orientiert ist z. B. die moderne Phonologie (s. oben). Eine anschauliche Einführung in die verschiedenen Strömungen und 'Schulen' dieser modernen Wissenschaft gibt H . H. Christmann, Strukturelle Sprachwissenschaft, in Roman. Jahrb., Band 9, 1958, S. 17—40 und Bd. 12, 1961, S. 23-50. würde auch für das Urfranzösische ein la *dèrre 'la terre', la *gort 'la cour' neben s e t a > seide, s e c u r u > segür anzunehmen sein; ebenso urspanisch la *dierra neben p r a t u > prado; s. Lausberg, § 578ff.; A. Martinet, Economie des changements phonétiques (Bern 1955), S. 273; H. Weinrich, Phonologische Studien zur romanischen Sprachgeschichte (Münster 1958), S. 62. Dioso kühne These ist bisher mit großer Skepsis aufgenommen worden; s. H. Kucn, in VR 15, 1956, S. 171.

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S t ü t z v o k a l : z. B. im Auslaut nach gewissen Konsonantengruppen: père (pâtre), -pauvre ( p a u p e r u ) , suivre, Pierre; s. S. 132. S u b s t r a t : sprachliche Unterschicht im historisch ethnischen Sinne ('ethnisches Substrat'). Durch gallisches Substrat hat man gewisse Lautveränderungen (ü > ü, ct> it) erklärt, die den Sprachen gemeinsam sind, die in der ehemaligen Gallia Transalpina und Gallia Cisalpina gesprochen wurden. Hispanisch-baskisches Substrat hat sich auf die Sprachen der Pyrenäenhalbinsel ausgewirkt, z. B. in dem Ersatz von anlautend r durch rr: bask. errege, span. rrey 'König', port, rroda. Siehe auch Anm. 6 a . S u p e r s t r a t : Sprachliche Überlagerung, z. B. in den fränkischen Einflüssen, die sich auf das Romanische in Nordfrankreich geltend gemacht haben, etwa in der Übernahme der germanischen Laute h und w oder in der germanischen Stellung des Adjektivums, z. B. altfranz. un noir lion, un blanc baston und so noch neufranzösisch in den nördlichen und östlichen Provinzen Frankreichs und in Belgien: pik. la gauche main, eis. froide eau (frod'ova), droite main (drôt mï), noir sapin (nar sèp), in Belgien un propre col, wallon, du noir pain (de neur pan), de la verte soupe (del vête sopeJ.681) S v a r a b h a k t i - V o k a l : EinAusdruck, der aus der indischen Grammatik stammt. Einschub eines vokalischen Elementes innerhalb einer Konsonantengruppe, z. B. vulgärlat. Daphine = Daphne, Zmyrina = Smyrna. I m Norden und Osten Frankreichs : cinq ernards 'renards', l'est ed' la France. Die Erscheinung wird auch als 'Anaptyxe' bezeichnet. S y n ä r e s e : Gegenteil der Diärese, d. h. Zusammenziehung von Vokalen, die ursprünglich zwei verschiedenen Silben angehörten, in eine Silbe, z. B. franz. taon, août. S y n c h r o n i s c h s. 'Diachronisch'. , S y n k o p i e r u n g : Zusammenziehung unter Beseitigung einer Silbe (oder mehrerer Silben): vulgärlat. d o m n a , o c l u s , v i r d i s , franz. blâmer ( b l a s p h e m a r e ) , il vendra ( v e n d e r e a b e t ) . T o p o n o m a s t i k (franz. toponymie): Ortsnamenfoschung. T r i p h t h o n g : Lautverbindung, die aus drei vokalischen Elementen innerhalb einer Silbe besteht. - Solche Laute werden sekundär oft zu Diphthongen oder Monophthongen reduziert: altfranz. *lieit > lit, altfranz. *nuoit > nuit (vgl. katal. nit), ital *mieo > mio, *tuoo > tuo. U m g e k e h r t e S c h r e i b u n g : siehe 'hyperkorrekt'. U m l a u t : im Französischen bedingt z. B. durch die Wirkung eines Hiatus -i oder eines auslautenden langen i: b e s t i a > vulgärlat. b i s t i a > biche (ital. biscia), v e n i > altfranz. vin, p r e s î > pris. 581

) Siehe dazu A. Dauzat, Le génie de la langue française (Paris 1943), S. 239; Damourette et Pichon, Essai de grammaire, Bd. II, § 528; Rohlfs, Syntactica und Stilistica, Festschrift für Gamillscheg (1957), S. 508; Grevisse, Lo bon usage (1959). S. 327.

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U r s c h ö p f u n g : Jedes menschliche Wort ist letztlich aus einer spontanen Urschöpfung entstanden. Aber auch in neueren Zeiten können Wörter schöpferisch gebildet werden. Solche Wörter haben keine historische Etymologie, z. B. coq, caille 'Wachtel', canard, hibou, deutsch Uhu, franz. cochon, die Verben tomber, toucher, ital. mucca 'Kuh'. Siehe 'onomatopeisch'. V e l a r e r L a u t : Laut, dessen Aussprache durch Mitwirkung der hinteren Zunge, die sich zum Gaumensegel (velum, frz. voile du palais) hebt, bedingt ist. Franz. chaud aus c a l d u s setzt velares l voraus, ebenso spanisch otro < *autru < a l t r u . V e l a r i s i e r u n g : Lautveränderung unter dem Einfluß eines velaren Elementes, z. B. f a g u > *fau > altfranz. fdu. V e r b l ü m t e r A u s d r u c k : beruht auf einer taktvollen Verhüllung; vgl. dazu A. Tobler, Verblümter Ausdruck und Wortspiel in altfranzösischer Rede (in: Vermischte Beiträge zur Französischen Grammatik, Bd. II, 1894, S. 192 ff.). V e r s c h l u ß l a u t : Laut, der durch Sprengung eines Mundverschlusses hervorgebracht wird : p, t, k. Gegensatz 'Reibelaut* oder 'Dauerlaut' : s, é, f , v. - Gewisse Reibelaute, z. B. intervokalisches b, d, g im Spanischen bezeichnet man besser als 'Engelaute', da der akustische Eindruck einer Reibung sehr gering ist. V e r s c h l u ß r e i b e l a u t s. Affrikata. V i b r a t i o n s l a u t s. 'Iiquidae'. V o l k s e t y m o l o g i e : volkstümliche Umdeutung eines Wortes, dessen ursprünglicher Sinn nicht mehr verstanden wird: mandragore 'Alraunwurzel' > dial, franz. main de gloire, das elsässische sûrkrût > franz. choucroute, das englische country-dance > franz. contre-danse. Das aus dem Persischen bezogene Fremdwort für die Apfelsine (span. naranja) wurde im Französischen unter dem Einfluß von or umgedeutet zu orange.***) - Siehe dazu J . Orr, L'étymologie populaire, in RLiR, Bd. 18, 129ÉF. V o r t o n s i l b e : z. B. die erste Silbe in porter, lumière, vertige. W o r t k r e u z u n g siehe 'Kontamination'. Z w i s c h e n t o n v o k a l : der Vokal zwischen Nebenton und Hauptton, z. B. b l à s p h e m â r e > blâmer, f é r m i t á t e > altfranz. ferté, G r à t i a n ó p o l i s > Grenoble.

682 ) Auch Ortsnamen können volksetymologisch umgedeutet werden, z.B. Küßnacht in der Schweiz, das auf einem alten C u s s i n i a c u m beruht, in Italien San Gineto, aus älterem Sangineto 'Kornelkirschengebüsch' (< s a n guinetum).

Bibliographische Hinweise

An Stelle einer besonderen und detaillierten Bibliographie verweisen wir auf unseren Studienführer Romanische Philologie, Bd. I (Heidelberg 1949), der, die allgemeine Romanistik sowie die französische und provenzalische Philologie (mit Einschluß der Literaturen) umfassend, eine methodische Einführung mit kritischer Bibliographie verbindet. Dazu die Fortsetzungen: Romanische Philologie, Bd. I I (Heidelberg 1952), die italienische Sprache und Literatur, sowie die sardische und rätoromanische Sprache umfassend; Manual de Filología hispánica (Bogotá 1957), die spanische, portugiesische, katalanische und baskische Philologie behandelnd. 1 ) Umfassende und systematische Einführungswerke aus den letzten 10 Jahren, die zu tieferem Eindringen in die verschiedenen Sprachen der romanischen Gesamtwissenschaft anleiten, sind: A n g e l o M o n t e v e r d i , Manuale di awiamento agli studi romanzi. Milano 1952. (Ist vor allem eine Einführung in das vergleichende Studium der romanischen Sprachen auf der Grundlage der ältesten literarischen Texte mit einem philol.-linguistischen Kommentar, der auch Anfängern zugänglich ist.) W. D. E l c o c k , The Romance languages. London 1960. (In der Hauptsache nach Frankreich und Spanien ausgerichtet. Behandelt die Vor- und Frühgeschichte der romanischen Sprachen, im Zusammenhang mit der lateinischen Kultur des Mittelalters. Eine vorsichtig abwägende Darstellung, die sich von kühnen Theorien freihält und ein weiteres Publikum ansprechen will.) B. E. Vi dos, Manuale di lingüistica romanza. Firenze 1959. (Legt den Nachdruck auf die Geschichte der Wissenschaft und die in den letzten Jahrzehnten angewandten wissenschaftlichen Methoden.) J o r g u J o r d a n , Einführung in die Geschichte und Methoden der romanischen Sprachwissenschaft. Ins Deutsche übertragen von Werner Bader. Berlin 1962. (Ist im wesentlichen eine Geschichte der Gelehrten, sowie eine Beleuchtung der einzelnen Schulen, Forschungsmethoden und Theorien). C a r l o T a g l i a v i n i , Le origini delle lingue neolatine. Bologna 1959. In dem letztgenannten Werk ist der derzeitige Stand der Forschung am eindrucksvollsten dargestellt. Dieses Buch, das alle romanischen Sprachen (mit Einschluß der ältesten literarischen Texte) in der Vielheit und Sonderheit ihrer wichtigsten wissenschaftlichen Probleme in einer bewundernswerten Vollständigkeit berücksichtigt, verbindet systematische Darstellung mit vorzüglicher bibliographischer Orientierung. In der Zuverlässigkeit der sorgfältig abgewogenen kritischen Urteile und in der hervorragenden methodischen und illustrativen Präsentierung des behandelten Stoffes darf dieses Buch heute als die reichste und anregendste Einführung in die romanische Sprachwissenschaft bezeichnet werden. 2 ) ') Auslieferung in Europa durch Verlag Max Niemeyer in Tübingen. *) Über die Fortschritte auf dem Gebiet der romanischen Sprachwissenschaft in den Jahren 1939-1949 in allen Sprachen und Teilgebieten mit Aufzeigung der wesentlichen Forschungsprobleme gibt eine eingehende Orientierung das Buch von Alwin K u h n , Romanische Philologie. Erster Teil: Die romanischen Sprachen (Bern 1951). 230

INDICES

SACHREGISTER d possessiv A 533, instrumental 184. o > e 112, erhalten im Prov. 54; a + Hiatus-i 106, 128, A 281; o > ie 128, A 324 ;a> ie nach vortonigem i 168; a > i A 414; a vor Nasal 123, A 2 1 2 ; vortonig nach k 115; vortonig > o 199; auslautend 55; 101, zwischen Nebenton und Hauptton > e 160. Abstraktu m > Konkretum 40. Accentwechsel in griechischen Wörtern A 52, A 56; im Vulgärlatein 83, 125; im Perfektum 105. Achtsilber 74, 96, A 213a, A 214. Adhortativ 205, A 555. Adjektiv als Adverbium 146, 181, 182, A 493; einer Endung 120. Adverbium: Stellung 82, 120, 175; Bildung mit -mente 78, 180, A 285; flektiert 142, 146; adverbiales s 60, 76, 132, 141, 177, 190, A 134, A 372. Adversativ 214. ae (lat.) > e (e, e) 26, 44, A 69. Affekt 214. Agens 214. Agglutination des Artikels 191, 215. ai > e 98, 112, A 224, A 274; ai = ei 94; ai > ei 123; ai fränk. > a A 357. -ain Kasusmerkmal A 276a. Akkusativ für Nominativ 31, 212, A 37a; = Genitiv 29. Aktionsart 175, 178, 215. Albanesen 19. Alexiuslied 86. Allegroform 215. Alliteration 215. Allotropo 215. aüer + Part. Präs. (Gerundium) 175. Ambrosius 96. amour lointain 69.

an = en 94. -an Kasusmerkmal A 276a Anakoluth 215. Analogie 215. analogischer Ausgleich 39. Analytische Sprachform 215. Anaptyxe 215. Anglonormannisch A 199, A 212. Animalisierung 215. Anrede in der höfischen Gesellschaft 134. Anthropomorphismus 216. Anticipation 216. Aphärese 216. Apikale Laute 216. Apokoinu 216. Apokopierung 216. Appellativum 216. Appendix Probi 27 ff. Aquitanien A 97. Argot 216. Artikel (best.): Entstehimg 59, A 83a, A 112a; hat demonstrative K r a f t 185, A 504; beim Komparativ A61. Artikel (unbest.) 107, A 253a. Aspiration 216. Assibilierung 216. Assimilation 36, 216, A 13. Assonanz 50. assonierende Strophe 86. au (lat.) > o 44, 103, 112, 130, A 71, A 292; bleibt erhalten 54, 84, A 71. Augmentativ 216. Ausgliederung der romanischen Sprachen A 6a. Auslautende Vokale im Italienischen 51. avoir s. Hilfsverba. b > v 78, 104. Basken 19.

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Bedingungssatz ohne Konjunktion 184. bei in der Anrede 129. Benoît de Sainte Maure 87. Bibelübersetzungen A 10. bilabial 217. Bilinguität 18, A 4. Bindung s. Liaison. Bisclavret 92, 96ff., 100, A 213. Boccaccio 46. Bretonen, bretonisch 19, 93, A 4. Buchwort 217. c (lat.) siehe k. Calque 217. Cantico di frate Sole 46. Carducci 69. Chanson de geste 86. Crestien de Troyes 92. ch (té) > i A 280; als A 280; Aussprache im nischen 222. Chronologische Phonetik cl> gl A 196a. Coup de glotte 217. et > it (ch) 64, A 162, A

té erhalten Rätoroma90. 223.

d intervokalisch > z (i) im Provenz. 78, 142, A 131. Dante 46. Dativ: possessiv 196, 208, A 533; statt Akkusativ (Obliquus) 61, A 296; als zweites Objekt neben Akkusativ 198, A 536. de Präposition der lockeren Verknüpfung (in bezug auf) 72, 122, A 299; verknüpft Gattungsbegriff mit Einzelbegriff (la ville de Rome) 202; nach Komparativ 209. defektiv 217. Deglutination 217. deiktischer Ausdruck 217. Deklination A 241. Demonstrativpronomina A 257. Denasalierung 97. Dental vor r > i (prov.) 70; i m Auslaut 63, 68, 103, 203, A 150. Determinativ 217. Détresse 217. Deverbalbildung 201, 217. di (lat.) > j 123, 124. diachronisch 217.

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diakritisches Zeichen 217. Dialekte s. Mundarten. Diärese 217. Diez 53. Diminutive 32, 33, 218, A 38 a. Diphthong 218. Diphthongierung A 67 a, A 103; Alter 90; von H und ö A 325a; vor Hiatus-u 65, 66; in geschlossener Silbe 205; im Provenzalischen 55; in Italien 50. Diplomatischer Text 218. Dissimilation 61, 66, 69, 70, 102, 218; von Vokalen A 288. Doppelform (Doublet) 179, 218. Doppelkonsonanten 104, 218, A 92, A 104, A 240a; im Französischen 88; im Provenzalischen 55; in Italien 51. Doppeltes Geschlecht A 142. Doublet s. Doppelform. Durativum 178. e = oe (lat.) 26; & in Italien A 90; e > a vor r A 350; im Hiat > i 28; e > i (Umlaut) 105, 152; e (nach Palatal) > i 156; i > ie 88, 129; 1 vor Palatal 121, 192, 205, A 287; e > ei 88, 94, 166; e statt i 41; e > 3 94. ei = ai 94; ei prov. 84; ei > e 124, A 304; ei > oi 124; bleibt vor Nasal A 303; vortonig > i A 431. Eide von Straßburg s. Straßburg. einsilbige Verbalformen gehen unter 36. Elativ 218. Eleonore von Aquitanien 87. Elision 24, 218. Ellipse 218. Engelaut 218. Englisch: französische Lehnwörter A 212, A 574: s. auch S. 153. Enklise 66, 129, 218. en finde) + Verbum 175. en > an 101. ¿o (lat.) > eö 83. Epenthese 218. Epithese 218. Erbwort 219. Erzählungstechnik A 444a. Espurgatoire saint Patriz 91. et (Konjunktion) bewirkt enklitischo

Stellung des Personalpronomens 59. ethischer Dativ 173, 219. ethnisches Substrat 19, 21, 227, A 6, A 6a. être s. Hilfsverba. etruskisches Substrat A 6 a. etymologisierende Schreibung 219. eu (franz.) > ö 109. Eulaliasequenz 86, A 64. Euphemismus 219. f^f h 194, 217, 222, A 529, A 551; f> v 195. Fabeln 91. faire pleonastisch 182, A 494. Fernassimilation 36, 38. Fluchtafeln 21. Flußnamen auf -an, -airi A 276 a. Folgesatz ohne Konjunktion 152. Formenausgleich 219, A 291. Francesco d'Assisi 46 ff. Franzisch 87. Französ. Wörter in Italien A 574; im Englischen A 574. Freie Stellung 219. Frikative Aussprache 219, A 223. Füllwort 133. Fünfte lat. Deklination 68. F u t u r u m : Bildung 135, A 345; im «¿-Satz 197; als Optativ 147; abhängiges Futurum A 534; gebildet mit aUer 178. g vor a 89, 90, 184, A 212, A 280a; vor e oder i 57, 89, 90, 124, 168, A 308, A 446; vor o oder u 89, 90, 158. Gallisch s. Keltisch. Galloitalienisch 51. Gaskognisch A 97. Gedeckte Stellung 219. geistliche Dichtung 46, 86. Gemination 219. Gènio d'une langue 219. Gonitiv wird zum Dativ 164, A 436b ; wird Obliquus 62; acelus viri A 547; -orum lebt fort A 512. Germanische Einbrüche 20. Gormanischo Einflüsse A 9; lautlich A 67", A 323, A 551; in der Syntax A 297.

Giermanische Kolonisation A 9. Germanisch-romanische Wortvermischung A 540. Germanismen im Latein 41. Gerundium 174, A 549; statt Part. Präs. A 565; mit Part. Präs. vermischt 208. Geschlecht : doppeltes Geschlecht A 142; Geschlechtswechsel 112, A 268, A 370. geschlossene Vokale: 219. Ghost-words 220. Giraut de Bornelh 79, A 180. Gleitlaut 205, 220, A 263b, A 271a; s. auch 'Übergangslaut'. Glossen 33, A 39, A 41. Graphie 220. grasseyé 220. Griechische Sprache 19, im oströmischen Reich. 20 in Süditalien A 5. Griechische Betonimg A 52. gy,> g 84; erhalten A 195a. Guigemar 92. guttural 220. h verstummt 23; aspiriert 138, 204, A 358; germanisches h A 551; aus / A 551; orthographisch bedingt 206. habere + Part. Perf. 198. Haplologie 220, A 402. Heine 69 Heinrich II. 87, 92. Heldenepos 86. Hiat 162, 220. Hiatus-i: Wirkung auf Aussprache A 576. Hilfsverben (avoir, être): 81, 193, 220, A 525, A 526. Homonymie 220, A 577. hybrides Element 220. Hymnendichtung 96. hyperkorrekt (Sprachform, Schreibung): 50, 220, A 578. Hypotaxe 220. i: Vorsilbe 162; nasaliert 105; ¿-Vorschlag 25; l > e 43; im provenz. Auslaut A 151 ; -i dringt in Stammsilbe A 433; franz. i aus ë 121 ; aus ë 156; aus a A 414; aus ei A 431. Idiotismus 221. iei > i 65, 156. 233

ie (Int.) > id = 83; ie aus eo A 513; ie> e 128; ie aus a bleibt erhalten 166. Illyrisch 221. Imperativ aus Indikativ A 655; + Substantivum 194. Imperfekt 114, 213 (s. auch Tempusgebung); Imperfektendungen 66, 95, 196, 200, A 131«, A 242, A 243. Indifferenzlaut 221. Indikativ statt Konjunktiv A 176; als Imperativ 134, A 344, A 555; als Adhortativ A 555. Infinite Formen 221. Infinitiv substantiviert 76, A 437. Infix 221. Inschriften 24ff. Intonation 221. Inversion 103, 221, A 112. io (lat.) > io 83. -io (lat.) als Verbalendung durch -o ersetzt 204. irregulärer Versbau 49. Isoglosse 221. Itala A 10. Italien: sprachliche Gliederung A 72. Italienisch 45 ff. iu > ui 174; iu > ieu A 278. j (lat.) > gj A 446; > dl 124, A 308; Aussprache im Provenzalischen57. ja verstärkend 192. Jacopone da Todi 46. Jargon 221. J a u f r e Rudel 57ff., A 120, A 146. Jongleurs 93. Junggrammatiker 221. k (c) hat im Latein verschiedene Aussprachen A 202 A; spätere Entwicklung vor a 75, 89, 90, 115, 130, A 212, A 280a; vor e und i 89, 90, 108, 109, 118, 127, A 259, A 289; germ. k vor e und i 167, 182; vor o und u 89, 90, 158; k + i 177; -kk- 151; k vor Kons. > i 98; k nach Kons, vor e und i 169; k im Auslaut 84, 106; k und g vor a auf den Balearen A 280 a. Kakophonie 221. Kakuminallaut 221. Kanzone 75, A 167. Karolingische Renaissance 85.

234

Katalanisch A 101. Kehlkopfverschlußlaut 221. Keltische Aussprache (Lenisierung) 26, A 22 a. Keltische Sprache 18, A 4, A 6. Keltisches Substrat A 22a, A 102, A 273. Kirchensprache (lat.) 85. Kollektiv 221. Komparativ = Superlativ 39. Konditionalis 147, A 242, A 534; im si-Satz 197; Konditionalperiode 130, 147, A 333, A 334; als abhängiges Futurum 197; in Italien A 392. Konjugationswechsel 64, 192, A 125, A 393. Konjunktiv des Imperfekts (lat.) erhalten A 332, A 506; Konjunktiv des lat. Plusquamperfekts ersetzt den Konj. Imperf. 130, 186; des Imperfekts im Franz. 147, A 331. Konjunktiv im Relativsatz 135, 186; nach Verben des Glaubens 164. Konsonantendehnung A 227. Kontamination 221. Kontraktion 221. Kopula 222. Korrelativbildung 161, 222. Kulturlehnwörter A 131. Kulturzentren in Frankreich 86. Kurzform 222. I velar > u 115, A 478; vor Konsonant im Provenz. 58; nach Konsonant A 88 a ; Ij, > llj, A 227; palatales i im Franz. A 228; t + s A 263 b. Lais 91, 93, A 209. Langobarden 37. Lanval 92. Latein: Ausbreitung 17ff., A 1; tote Sprache 85; Aussprache A 14; Schriftsprache 46. Laterallaut 222. Latinisierende Orthographie A 90, A 240a. Latinismen 50, 217. Lautstruktur des Provenzalischen 54; dos Französischen 88. Lautsubstitution 222.

Lautsymbolik 222. Lehnübersetzung 222. Lehnwörtliche Entwicklung A 151. Lemma 222. Lenga d' oc 52. Lenga romana 52. Lenisierung 222, A 22 a. Lentoform 222. Leodegarlied 86. Liaison (falsche) 215. Lingua romana rustica 85. Linguistische Terminologie 214, A 575. Liquidae 222. Literarische Rhetorik A 575.

palatales n 70; -n- > r A 143; nn + s A 263b; fi + s A 263b; nl > U 83, A 192. Nachtonsilbe 223. Nasale Vokale 94, 105, A 114; Schreibung im Auslaut A 236. Nasalierung 60, 97. Nebentonsilbe 223. Negation unlogisch im Vergleichssatz 209. Nexus 224. -ngo (lat.) als Präsensendung 143, 155. Nominativ als Vokativ 159. Nominativ Pluralis der männlichen Deklination 104, A 241. m im latein. Auslaut 24, 117, A 12; Norditalienische Einflüsse in der mj( 188; mn > m 104, 119, A 193; Toskana A 91. mn > nn A 193, A 247; rtrvp > mb Normannische Schriftsprache 93. A 451; mr > mbr 205. Normannische Einflüsse in Süditalien A 574. man: ausgedrückt durch 3. Pers. nul positiv 151. Pluralis 164, A 436. Märchenliteratur 92, A 211. Marie de France 87, 91ff., A 206. Ö > uo, ue 88, 137, A 90; o lat. statt u 41; p > ou (u) 88, 94, 109; Mediopalatal 222. p vor Nasal 100; o vortonig > u Mehrsprachiges Publikum A 233. 99; vortonig > e 101. Melodien der Troubadours A 160. Obliquus 224; als Genitiv 29, 140, Merowingisches Latein 41. 182. Metapher 223. occitanisch 52. Metathese 35, 99, 223. oe (lat.) > e 44. Metonymie 223. Offene Vokale 224. Metrische Terminologie 214. oi (franz.) > y,a 124; > A 306. Minnesang 56, A 375. -on Kasusmerkmal 114, A 276 a. Mittelzungenvokal 223. Onomasiologie 224. Modalverba 223;Modalverbum drückt Onomastik 224. Irrealis aus A 302. onomatopeisch 224. Monophthong 223. Orthographie: sc = c A 523; sg = i Morphologie 223. A 523. Motion 223 oskisches Substrat A 6 a. Mouillierung 223. Mundarten im alten Frankreich Ostromania A 71 a. •ot (-out) Verbalendung 117. A 198. Mundartliche Einflüsse 155, A 198 b , 0« (Diphthong) 94, A 502; ou > eu 109, 167; ou> u 94, 109; ou statt A 249. eu A 503. Musikwissenschaft A 160. Ovid 91. Muta cum Liquida 125, 223. ro vor s im Lateinischen 24, 25, A 14; Oxytonon 224. n bewirkt geschlossene Aussprache des vorausgehenden Vokals palatales l 71, 99. 61; hat hemmende Wirkung auf palatales n 113. vorausgehenden Vokal A 303; im Palatalisierung 28, 90, 224, A 433. provenz. Auslaut 60, A 114; paragogischor Laut 224, A 77. 235

Parataxe 224. Paroxytonon 224. Paris 87. Partizipium des Praesens A 549; = Gerundium 208. Partizipium des Perfekts: auf -u (-utus) 146, 177, A 132; veränderlich 198. passato remoto 213. passé défini 114, 119, 213; s. auch Tempuswechsel. passé indéfini 213; s. auch Tempuswechsel. Passion Christi 86. Patricius (heil.) 91. Patronymikon 224. paubrea motz A 120. Peire d'Alvernhe 70ff., A 163, A 148. Perfektendungen: -ui 61, 183; -edi, -iedi A 111; -èt 59; -iet 59; -aut A 342; -ai A 342. Personalpronomen wird Subjektsbezeichnung beim Verbum 121, A 225, A 297 ; betonte Form statt unbetontes Pronomen 63, 150, 172, 175, 181, A 326; als Reflexivpronomen 134; Stellung des unbetonten Personalpronomens 59, 129, 141, 172, 178, 189, 205, 208, A 112, A 369, A 566. Petrarca 46. Philipp August 87. Phonem 224. Phonetische Transkription 16. Phonologie 10, 224, A 3. Phonologische Erklärung 10, A 67, A 174, A 580. Pikardismen 155. Plantagenet 92. Pleonasmus 82, 225, A 494. Plural auf -s (-as) 31, A 35, A 36. poème en prose A 87. Pompejanische Inschriften 24 fF. Possessivpronomen 117, 126, 162, m' = ma 141, mon statt ma 141. postverbal 225. Prädikatsnomen 225; Stellung 100. Praevulgatatexte A 10. Proklise (proklitische Entwicklung) 113, 123, 136, 201, 225. Proparoxytona 58, 104, 132, 225, A 110. 236

Prothese 225. Provenzalisch 52ff. Provenzalische Einflüsse auf Nordfrankreich A 261. Provincia Narbonensis, 18. Provinzialismen A 249. Pyrenäenhalbinsel: Sprachräume A 22 a. q = k 183, A 218, A 497; qu > q (k) 96f., 120; qu als kw erhalten A 217. Quantitätenkollaps A 67. r : vokalische Natur A 467; rr statt r im Anlaut 227; rn > r 125; rns> rs A 329; rr 88, A 104. Ramon Lull A 73. Rätoromanisch 226. Raynouard 53. Reduktion 225. Reduplikation 226. Reflexive Verben (statt intransitive) 173, A 462 Regionales Latein 21, 23. Reibelaut 226. Reime: anglonormannische A 212a. Reimpaare 96. Rhetorik A 156. Rhetorische Terminologie 214. Relativpronomen que, ital. che A 158 ; wird vinterdrückt 135; relative Anknüpfimg 84. Reliktwörter 19, 226. romance = romanisch A 99. romanisch A 99. Romanische Philologie (Bibliographie) 230. Romanische Völker : Entstehung A1. romeos = Grieche A 7. Rostand 69. Rückbildung 226. s vor Konsonant 106; vor l im Neuprovenzalischen A 252 ; vor stimmhaften Lauten im Spanischen A 252; im französischen Auslaut 124; falsche Graphie für c 195; sk (germ.) A 495; sk vor e und i 169;sfcs > ks 153;sr > «£rA271a, sr > str 112; ss = s A 104, A 201; slj, > is 151; sts > ts f z ) 110, 147, 153; spanisches s 216; -s Kenn-

zeichen des Nominativs 57, 114f., Stützvokal vor s + Kons. 26; im Auslaut 63, 67, 132, 149, 178, 212; -s Konnzeichen der 1. Per228. son des Fräsens A 361; -s auslautend in der 1. Person des Plurals Substantivierter Infinitiv 76, A 437. A 466. - Siehe 'adverbiales «'. Substrateinfluß 19, 21, 228, A 6, Satzaccent A 263. A 6a. Satzortsnamen 226. Superlativ 35, A 656. Satzphonetische Entwicklung 226, Superstrat 228. A 433, A 580. Svarabhakti 228. sc siehe s. Synärese 228. Schallwörter 194. Synchronisch 228. Scheidewörter 226. Synkopierung 25, 228, A 16a. Schnellsprechform 65, 158, 226. Synode von Tours 85. Schriftsprache (altfranz.) 86, A 198a; t i m Auslaut 111, A 150; intervokaaltnormannisch 87, 93. lisch > z (ä) im Provenzalischen Schwachtonige Entwicklung 65, A 131; t vor r > i 70; tj statt cj A 263. 36; kl 28, A .338; tr > kr 132; Semantik (Semasiologie) 227. ts (Natur des Lautes) A 6 1 0 a ; Sequenz 86. ts > 8 A 269. Shaftesbury (Kloster) 92. Tabellae defixionum 21. si leitet Hauptsatz ein 57, 133, A Teilungsartikel 97, 211, A 221, A 570. 108. Tempusgebung (Tempuswechseiii68, Sibilant 227. 213, A 444a, A 574a. Siete Partidas A 73. Triphthong iei wird monophthonSonnengesang 46. giert > i 192, 228, A 229; ttoi > ui Sonorisierung 26, 227; im Wort228, A 229; ieo > io 228; uoo > uo anlaut A 580. 229. Spätlateinisch 227. Toponomastik 228. Spontane Lautentwicklung 227. Toskanisch 45. Sprachräume auf der Pyrenäentout + Artikel 181; flektiert 146. halbinsel A 22 a. Traditionelle Sprachwissenschaft A 3 * Sproßvokal 227. Transkriptionssysteme 16. Stammabstufung (Stammausgleich) Tristanroman 87, 93. 227, A 291. Trojaroman 87. Starke Flexion 227. Troubadourbiographien 56, A 106. Starktonige (schwachtonige) EntTroubadourdichtimg 73, 92, A 107, wicklung 65, A 263. A 261. Steigerung A 61. Stellung s. Wortstellung. u (Schriftzeichen) 96; ü (lat.) als Stilarten 213. u (franz. ou) erhalten 126, A 2 1 2 a ; u = ou 96; ü > ü 54, 95, 122, Stilistische Terminologie 214. 126, A 102; -u im italien. Auslaut Stimmlose Verschlußlaute im ItalieA 89; ü nasaliert 105, 114; ü > ß nischen 51; werden stimmhaft im 43; ü>u A 2 1 2 a ; ue > ö 137; Provenzalischen 65; im Französiue = üe A 3 5 5 a ; uoi (wi) > ui schen 89. 138, A 229, A 287. Stimmhafte Konsonanten im Auslaut 55. Übergangslaut a 115; b 150, 205; d 106, 199, 205, A 271a; t 112, Straßburger Eide 86, 197, A 64. A 263b; e A 278. - Siehe auch Strophenbau 73. 'Gleitlaut'. Strukturelle Sprachwissenschaft 227. Studienfiihrer A 94. Uhland 69.

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Umgekehrte Schreibung 228. Umlaut 105, 108, 163, 228; eines gedeckten Vokals A 658; im Germanischen 191, A 283. Urschöpfung 229. v verstummt vor dunklen Vokalen 199; im provenzalischen Auslaut > « 64; vor Konsonant > u 64; v > w A 542; > gy, 201. Vandalen A 8. Velarer Laut 229. Velarisierung 229. Verallgemeinerndes Pronomen 179. Verben neugebildet von Adjektiven und Partizipien A 440. Verbalendung -unt 80; -erunt 105; -abam und -ebam 95. Verblümter Ausdruck 229. Verdoppelung anlautender Konsonanten im Italienischen A 456. Vers (provenzal. Dichtungsform) 62, 74, 75. Verschlußlaut 229. Verschlußreibelaut 229. Vibrationslaut 229. Vidas (provenz.) A 105, A 106. Villehardouin A 73. Vokaldifferenzierung A 67 a. Vokalsysteme 41 ff., A 68. Vokativ 158. Volksetymologie 229, A 582. Vorschlagvokal A 20.

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Vortonsilbe 229. Vortonvokal geht verloren 166, A 441. Vulgarismen 21. Vulgärlatein 21ff., 23ff., A 11. A lib. Vulgärliteratur: später Beginn A 74. Vulgata A 10. w (germ.) A 351a; wird > gy, 67, 84, 136, 201, A 195», A 642. Wace 87. Wandkritzeleien 21. Werwolf A 211, A 232. Westromania A 71a. William Longuespöe 92. Wortkreuzung 132, 229. Wortstellung: Subjekt 103; Objekt 109, 211, A 260; Adjektivum 107, A 254a; Adverb 120, A 325b; Prädikatsnomen 100; Partizipium Perfekti am Satzanfang 189; Personalpronomen 50, 129, 141, 172, 178, 189, 205, 208, A 112, A 369, A 566. Wortvolumen 36. Wortzusammensetzung: Imp. + Substantivum 194. z (altfranz.) im Auslaut 110. Zehnsilber 96. Zweikasusflexion 57, 102, 114, 165. Zwischentonvokal 229, A 467.

WORTREGISTER

Lateinisch1 -abam 95 abante 170 -abat 117 abbiberatus 177 abet 24 abeto 24 abitat 24 absential87,A509 ae 68, 82 accaptare 36 accu A 256 acqua A 93, A126 acrum 29 ac sie 67, A 135 acutiare A 440 ad (Dativ) 30 adjacens 209 ad pressum 180 afilare A 155 agnellus 32 -ai = -avi A 330 -ait = -avit A 342 aja (habea) A 421 ajo (habeo) 100, 114, 136, 195 ajutare 181.A498 alare 36 aleum A 27 alis A 401 altiare A 440 ambulare 36, 83 amicitas 150 amlare A 48 ammettit 41 amnare 83, A 48, A 193 -amus 173 angustiare 151

-anicum A 143 antea 35 anteus 35 -antia 161, 204 antius 68 anucla 32 aora A 292 appium A 227 aprus 29 apud 62, 179, A 121, A 486 area 179, A 129, A 157, A 281 A 283 , -arius 116, A 157, A 283 articulus 28 -arunt A 560 -as = -ae 31 at = ad 24 -ata 157 -aticus 105, 107, 207 atque 68, 82 atque-eccu A 141, A 256 atque-ille A 190 atque-istu A 267 atque-ita A 135 auctor 159 audire 103 auditu 114 Augosta 41 ausare 36 aut 201 aut - aut A 539 -aut 134, A 342 -avi > -ai 61 avicellus 32

Avolgigorum 26 avunt A 386 bajulus 162 balneare 113 balneolum 83 baltius 28 bellus 34 besta 106, A 253 bestula 106 bilancia 38 bistia 151, 206, A 253 blaesus A 69 blasphemia 142 blastemare 78 bonus A 263 brachium 65 Brittannus A 237 Britto A 237 brunia 38 bruta 222 bucca 35 burgus 71, A 154 caballus 115 cabro A 50 Cabruagenigorum 26 caerefolium A 258 caldus 25, 28, 104 camba 169, A 451 caminata 153 caminus 153 camminus 153 campus 35 candelarum A 512 canont 41 cantare 36

cantio 75 cappa 154 cappella 154 captare A 49, A 155 captiare 166 capui A 129 caput A 559 Capu Africae29f. casa tl81 cassanetum 155 catellus 32 cathedra 125 causa 130 cavia 28 cavulosus A 409 ce = quae A 215 cellarium A 258 cerasus A 258 cervia 205 cista A 258 civitate 64 co = quod A 215 cocliarium 28 coda A 71 cogitare 183, 200 cohors 180 colpus 41 colubra 125 com 41 commeatus 188 comodo = quo97, A 255 companiones 170 comparare 36 con = cum A 34 conductu 64 conversai 111 copula 166

1 ) Die in diesem Register verzeichneten Wörter dienen nur der Auffindung im Text des Buches. Daher ist hier davon abgesehen worden, Wärter, die nur erschlossen oder rekonstruiert sind, mit einem Sternchen (*) zu versehen.

239

corrosus 154, A 409 corruptiare A 339 cosol = consul 24 cosuma 24 cot = quod 97, A 215 coxa 55 cubitu 104 cui 210 cum A 286 cun A 12 cyma A 258

ecce-hic 106 ecce-hoc 83 ecce-illu 108, A 256 eccista A 267 ecclesia A 52, A 84 eccu A 256 eccu-illu A 256 -edit 59 edus A 21 ego 83, A 336 encaustum 218 •ensis 71 -entia 204 dalphinus 78 eo = ego 83, 131 de (Genitiv) 30, episcopus 70, A 32, A 33 A 149 de (partitiv) A 221 equa 121 de (modal) 164 -eriu A 283 debeo 195 estopere 165 de-ex 168, A 445 etati 26 deforis 170, 195 ex- 170, A 453 de-in-ante 81 exfredare 137 dejo = debeo exire A 431 A 532 exlaxare 183 delphinus 78 esplicitare 173 demane 191 denarius 38 facebat 120 depost 170 facere 98, A 263a destrugere A 500 facia — facies 68, detrans 170 177 de-unde 84 facla 32 devenire 105 fascis A 44 dia = dies 68 Felicla 25 fello 194 dies 102, A 142 ferat A 460 districtia 198 districtus 197,198 ficatum 38 diurnu 74, 102, ffliolus 83 firmare 206 167 domina 134, A 247 lisciare 28 dominicus 69, 207 foras A 529, A 531 dominus 76, A 343 forestis A 264 foris 150 domna 25 foris facio A 397 domnus 25 fortiare A 440 doneat A 243 forum A 408 drappus 147 fragrare 66 dum 76 frieda 28 dune 76, 163, fugire A 538 A 169 fuissent 74 fuisset 76 -ebam 95, 102 fuit 156 ecce 162

240

gamba 169, A 451 gens A 319 gentilis 58 genuculum 32 glacia 177 gratitus 77 habeo 195 habere + Inf. A 390, A 391 habuit 119 ha(c)-hora 81, 112, 134 hatire 190, A 516 hibernu 74, 82 hie 84, 154, A 60, A 314 hinc 81 hinsidias 24 hoc 39, 66, A 251 homene 41 homnes = omnes 24 honoratus 77 -iare 165, A 440 -ibam statt -ebam 66 ibi 154, A 314 -iculare 191 -iculus 156, A 412 id A 251 -idjo 159 ilia 123 iliac 84, 106 ille 59, 63 illaei (illei) 62, 121, 295, A 117 illaeius (illeius) 62, 69, A 117, A 295 illi = ille A 427 illi (Dat.) 66, A 428 illi (Plur.) A 428 illorum 188, A 511a illu 63, 101 illui 62, 69, 121, A 144, A 295 in (modal) A 373

in

+ Gerund. A 565 incontra 166 inde 61 infantes 36 inodiare 122, A 300 insemel 179, A 485 in-sic A 432 integra 125, A 311 inter 66, 67, 98 intro 98 intus 155, A 531 invadire 162 inviare 162 ipsei A 117 ipseius A 117 ipsimus 206, A 557 ipsissimus 206, A 557 ipsorum A S i l a ire 36 is A 60 iscolasfcieus 26 -iscu 153 Ismurna 26 Ispartacus 26 Ispenica 26 ispiritus 26 ispose 26 •issa 60 istatua 26 Istefanus 26 iterare 220 iuvenclus 32 -izo 159 jacet A 414 jam A 286 jelosus A 424 joculatores 93 lacrima 66 lacus 167, A 572 laetus 128 lancia 28 latus 152 laudare 115 laudemia 142 lectus 121, A 287 -li- (Aussprache) A 576

pittacium A 524 plenus de A 32 pluriores 104 plusiores 104 podium 138 por = pro 151 post 180 postia A 186 postius 68, 138, A 46, A 359 oblitare 36, 89 potebat 102 obstare 210 potere 39, 98,102 oc 24 potione 138 oclus 28 praeda 144, A 69, octo 138 A 381 omo 24 presit 65 omphalus A 56 optempero A 13 presus 25 pretiat 138 optineo A 13 primarius 72 oratorium 154 principe 71 orbus 89 oricla 32, A 37 b, pro 146 probai A 330 A 71 Proclus 25 orphanus A 56 prode est A 544 ostare 210 ostium 206, A 253 prodis 202 proeda A 381 -osus 128 prophetissa 60 pulice 104 paco 167, A 572 pagensis 200 qua — quia 167 a palatiu 138 quaccola 40 paliarium 28 quadragenta 41 paor A 356 quaerere 120 paraula A 292 quaesitus 67 paraveredus 61 quareA360,A361 pariete 83 que -- quae 24,26 partire 141 quedam 26 patella 37 quen A 12, A 34 paucus 167, A444 queris 26 paupera 29, 120 quetu 120 pavore 199 quid 75 pax 174 quirit(t)are 171, pectus 121, 192 A 459 pejor 118 quod 75, 123 per 146, 186 quomo 108, 171 percipere 147 quomo et A 456 peregrinus 61 perpetaneus 136 racemus 38, A 567 petrarius A 54 rapina A 380 Petrus 70 ratione 138, 187 Phebus 44 rem A 12, 117 pigritia 136 repatriatus 128

I ileum A 27 nec 81, 106 linea 212 nec unus 75 lineu A 571 ne gente 126 litteratus 71 neptia 205 locare 115 nepticla 32 lum = ilium 60, noete 138, A 359 101 n5ra A 28 nura 29, A 28 macio 37 magia 76, 83 magnus 62, A 119 malehabitus 63 malus 110, A 262 manatiat 36 manica 69 manicu 69 mansio 106 marcatus A 55 martellus 32 masclus 28 mascolus 41 masimus 24 materia A 142 medicus 104, A 254 medius 121, A 287 melior 39, 80, A 185 -mente 78, A 285 mentla 25 mercatante 38 mercatum 38, 39, 136 mesa 24 metipse 24, 206, A 131, A 555a metipsimus 206 minacia 36, 177 minaciare 36 minare 36,83,205 minus (Pràfix) A 366 misit 63 monachus A 56 monicus 104 monte 73 moriut A 179 morivit 67 mulier 83 mundus 73, A 175 murator A 54

1« Rohlfs, Einfillirung

sabius A 151 sacramentum 66 saepesA 69, A 381 saeta A 381 salire 189 salvaticus38,104, A 55 sapere 64, A 363 sapidus 71, A 153 sapiens 71 sapius 71, 100, A 152 sapuit 65, 126 sartago 37 satione 138 scabro A 50 sciente 139 scienter 139 scintilla 35 scire 64, A 363 scribet 41 secundum 78 securus 158 segnitia A 142 sejor 129 senior 117 separare 179 sepes A 381 sepius 26 septimana 123 sequere A 538 sera A 521 aero 75 seta A 381 seus 65, 82 si 130 siam 159 sic 39, 65, 84, 106 sicla 28 sicutum A 56 sid = si A 336 siem A 421 signum 194 similare 150 sine 60,187, A 113 socra 29 solere 196 soma 41 sous A 318 spedimi 28 spissus 143 241

tropare 72 sposa 119 tropus 72 stao A 387 tunc 76 stare 112 tutare 37 stincilla 35 subcurrere 147 subinde 142 -ui 183 subitaneus A 498 •I1TT111H 1 7 3 subla 25 unquam 73 subtus 155 -unt 74, 80 suctiare 166 -ura A 377, A 537 suflare 36 usare 37 sujo = sum 136, ustium 206, A 253 A 351 -utus 66, 67, 145, super 177 177, A 132 suspendre 25 uva A 58 sycotum 38, A 56

Visaligorum 26 viscum 201 vìsitus 67 vitellus 32 vitulus 28 volere 39, 98, A 226 voluit 83 voster 132, A 339 wadius 37 wapces 37 wespa 37

aire 106, 179, A 129, A 281 -aire 116 aise 209 -ait 117 ait A 243 alcun 195 alge = aille A 378 allemand 161 aller 36, 83 aller (s'en - ) 176 alout 94, A 284 alsi 196 altresì 196 zelosus A 424 amasser 104 amerray A 467 ameur A 261 1 vadum201 Franzosisch amez 118 vagina 201 tabla 28 amie 135 vao A 387 tabulum A 30 a = il a 100 amistié 150 varius A 129, taliare 38 aaisier A 568 amitié 128 talis 82 abbaye 200 A 281 amur 141, A 261, tarde 75 abevrez 177 vascellum 32 A 268, A 370 tenui 66 achever 206 veces 41 -ance 161, 204 tepidus 104 vecinus 118, 138 acoler 133 ancestre 112 tertiarius A 157 ad = à A 246 veclus 154 ancien 166 tertius 205 adenz 89 venatores 167 ancienour 188 tetrus 29 adonc 76 Veneris 105 ange 58 teula 41 venuerunt A 116 afaire 80, 111 •ange A 376 -âge 107, 207 venui 61, 65, teus - tuus 65 angleis 153 ai 114 A 126 tibia 37 aider 181, A 230, anglesche A 405 veracus A 572 tollere 199 angoisse 151 vermiculus 156 A 498 tonitrus 125 anguissa 151 vespa 37 -aie 124 tornare 182 -ant = -ent A 549, vetulus 154 aigle A 268 tostum 138 A 564 aigu A 418 tot omnes A 174 vetus 28, 154, aiguille 33, A 412, ante A 212 tottus 77, 118, A 408 anz A 263b A 418 A 174 via 162 aparceivre 180 aiguiser A 440 vice 127 töus A 318 aparceü 147 ail 99 tractiare 166 vicata A 323 aparceveir 180 aile 143, 219 trägere 184 viclus 28 apareillier 191 aime 88, 123 trans 119, 200, video 195 après 175 aimer 118 vindemia A 376 A 538a araignée 223 aine 74, A 417 vinia 28 traxit 134 ariere 172 ainsi 67, 162 tremo 132 vipera 201 arracher 192 aint 103, 111 virdis 28 trepaliatus 159 arteil 28 ainz 35 virga 184 trepalium 159 as = aux 97, 184 ainz que 199 tristus 29, 120 viridis 104 1 ) Hier, wie auch in den folgenden Sprachen, wird zwischen Wörtern der mittelalterlichen und der modernen Zeit kein Unterschied gemacht. Das Nähere ergibt sich aus dem Text.

242

cest 111, A 267 cez 110 chacier 165 chaire 218 chaise 218 chaise (casa) 181 chambre 205 Champagne 155 chandeler A 512 Chandeleur 188 chanoine 207 chanterai 161 chape 89 chapel 116 chapelle 154 charbon 116 chargier 187 charrette 116 chaser 181 chasseur 167 chastaigne 113 chastel 116, 176 A 411 château 176 cabaret 155 chaud 104 câble A 249 chaumbre A 212 cabrer A 411 chemin 115 cadeau A 249, cheminée 153 A 411 chemise 115 baie 89, 135 cadenas A 249 chênaie 155 baile A 574 cadet A249.A411 chenille A 412 baigner 113 cage 28 chevir 115 bail 163 cagot A 249 cher (avoir - ) bailli 163 caille 40, 229 A 483 baillir 163 caillou 155, A 249 cheval 115 bain 113 caisse A 249, chevalier 115 baise 106 A 411 chevauchier 187 baisier 128, 169 caler A 249 cheville A 412 balance 38 câlin A 249 chez 181 barun 113 cambrer 155 chie A 414 beals 115 canard 229 chief 128, 206 beau (bel) 35,120, canevas 155, chiel A 259 176, A 478 A 249 chien 128, 166 bel (Adv.) 181 car 139, A 360 chier (aveir - ) 178 ber 113 cauchemar 155, chierté 176 bergier 116 A 249 chies 181 beste 106 cause 179 chiese A 489 bête à bon Dieu cavé 155 chievre 128 196 ce 83 chire = cire A 259 beugler 224 cele 108 choisir 136, 169 biche A 253, A 399 celui 158 chose 44,103,130, bisse 151 ceo 106 179 blandir 142 cercueil A 352,21( aseuré 158 asez 164 assaillir 189 -asse 130, A 331 atout 189, A 5 1 4 a aturner 182 au < ou (en le) A 355 aube 115 auberge 191, A 124 aussi 196 autre 115 aux 184, A 219 avant 104, 170 avec A 514a aveir 118, 123 aveir nom 84 avenant 72, 191 avenir 104 aventure 143 avérer 104 averse 218 avertir 104 aveugle 218 avis 190 avuec 180

bleu 167 blois A 69 blou 167 bocage 105 bois 153, 155 bolge 184 bon 117, A 263 boscage 105 bouleau 33 braie 135 bren A 574 bretan 101 breton 101 brief 129 brisier 168 broigne 38 brueil 99 bûche A 405 buef116 buen 116, A 263 buissun 155 cabane A 249,

choucroute 221 chrétien 166 ci 106 ciel A 195 cierge 205 îigogne A 418 ciguë A 418 cil 160, 177 cire 156, A 195 cisdre A 271a cist 203 clair 143 clou 126, 127 ço 39, 83 cochon 229 coi 120 combler 150 com(e) 171, A 455 compain 170 coneu 177 conseil 99 contenance 117 contenir 117 contrée 79, 157 contrôle 220 converse 111 copain 170 coq 224, 229 cor 125 corocier A 339 cosdre A 271a coude 104 coudre A 271a coue (queue) A 503 coupe 219 courage A 250 courrai 174 courroucer A 339 courroux 132 craie 124 craindre A 337 cremeir A 337 cremir A 337 creù 177 criem 132 criembre A 337 crier 166 croisé 63 croiz 127 crouler 166 crues 155

243

depescier 193 des (de les) 97, A 220 deschirier 167,182 desci que A 394 descirier 167, A 495 descupler 166 deeevrer 179 desi que 148, A 394, A 445 désormais 174 despueille 144,162 dès que 168, A 445 destreit 197 destresce 198 détresse 198 détroit 197 détruire A 500 Deu 146 A 378 Deu merci A 367 curt 180 devant 201 curteis 100, 123 deveir 104 curut s. courroux devienc 143 cuve 219 devin A 288 dame 104, 134, devure 109 A 193 di 102, 213 danz A 343 diabolique A 457 dauphin 79 die (dise) 135, 186 de bon' aire 179 dient 186 de ci que 148 dimanche 207, déchirer 167, 182 A 254, A 457 decir(i)er 167, dinde 218 A 495 direct 179 dedenz 155 dise A 348 dedesuz A 410 disent 118 défense A 15 dist 134 defors 195 dit (Präs.) A263a, déguerpir 175 A 505 deit 111 doi(n)s A 383 dejoste 74 doint A 243 dejuste A 164 dompter 77 del (du) 113 dont 84 delez 152 doublet A 574 demain 191 doua 94, 185 demeine 207, dragon A 418 A 561 drap 147 demenie A 563 dreit 166 demoiselle 216 dresser 166 denrée A 428a Doo amor A 368 droit 179 deors 195, A 530 dru 160 cueille 144 cuer 88, 116 oui (qui) A 296 cuiller 28 cuir 106 cuit (cuire)A 263a, A 504, A 554 cuit (cogito) A 351 cuisine 118 cuisse A 554 culchier 187 cum 171 cument 180 cumfaitement 161 cumpaignun 170 cungié 188 cunter 113 cuntrée 79, 157 curage 158 curge (courir)

244

du (de le) 113, A 220 duist 134 duit A 263 a, A 505 dune 163 dunt 154 durement 204 durrai (donner) 173 durrai (durer) A 467 e (et) 103 -eau A 478 -ece 199 écharpe 182 échine 182 ed (et) A 246 edrer A 365 -ée 157 effrayer 137 effroi 137 -eie, -eit 123, 124 -eille 156 -eiller 191 eim 149 einsi 163 -eise A 416 eisi A 431 el (elle) 125 el (en le) 137, A 192, A 355 el (lat. aie) 152 -el = -eau 120 ele (elle) A 239 els 177 embracier 177 empereor 114 emperere 114 en (lat. inde) 164, A 137 en ( + Ger.) A 565 encor(e) 74, 81, 134 encre 218 encuntrer 166 end (ent) 126, A 320a endreit 156 engin 113 ennui 122

enquerre 129 enquis 129 enragiez 192 ensemble 150 ensement 163, A 374 ensi 67,163.A432 entier 125, A 310 entir A 310 entre 178, A 479 entremet 98 entresque A 134 entrues que A 134 envahir 163 enveier 162 enz 155 épais 143 épargner A 353 époux A 261 ere (erat) 103 -eret 221 errer (iterare) 140, 220 ert 103 es (ès) 105 -esce A 523 eschernir 182 eschiele 128 escïent 139, 189 escole A 20 esfrei 136 esguarder 170 eslais 183 esparvier A 352 esperrai A 467 espie(t) 169 espleitier 172 espés 143 espuse 119 esrachier 192 essaim 179 -esse 199, A 416, A 523 est 106 esta A 382 estait 110, 111, 154 esté (Part.) 112, 193 esteit 117 ester 112

estoie 112 estois 145 estont 146 estot 117 estre 112 estrié, estreu 169 estrif 169, A 450 estuet 165 estuveir 165, A 437 été (m.) 82 étincelle 223 étoile 219 étrier 169 eü 149 eus (P. déf.) 119 eüsse 147 eux 177 évêque 216 examen 179 exploiter 173 -ez 137 face 177 faille 32 faillir A 393, A515 faire 98, A 263 a fais 'coup' A 44 faisan 106, 196 faisoit 120 fait (Präs.) 110, A 504 fait (Part.) 98 falaise 124 farine 118, A428a fasse 177, 199 fée 112 fege 38 feiz 127 felunie 194 fe(m)me 104, 119, A 193 fenne A 246 férir 172 fermer 206 ferté 229 Fête-Dieu 29 feugière A 273 feuillage A 250 feve 104, 112 fiance 161 fiée A 323

fierge A 378 fievre 129 fil 88 fille 99 fire A 460 fis 185 fist 62, 185 flaire 98 flour, flur 88, 94, 109 foie 38 foire 106 fois 35, A 323 font 186 for- 150 forbannir 150 forcené 150, 171 forcer A 440 forche 151 forest 110, A 264 forfait 150 forger 187 fors 194 forsener 150 fort 82 fosse 89 fou (fagus) 126, 127 fougère A 273 four 125, A 309 fourvoyer 151 fous 115 fragile 179 fraîche A 405 fraile 168 fraisne 98 franc 178 franceis 153, A405 francesche A 405 freid 28 freis 153 frêle 179, 218, 219 frelon A 50 froid A 457 fromage 223 fu 156 fueille 99, 144, A 229, A 554 fuer 39 fur 40 fusse 147

gab 142 gaber 142 gagner A 353, A 357 gaine 201 garçon 114 garir A 352 garnir 136 garou A 238 gars 114 garulf 101 gaspillage A 250 gâter 201 gaut 143 geïne A 380 geler A 415 geline 128 gendre 89, 105 gene A 307 gésir 156 gisir 156, A 414 gist 156, 185 glace 177 glaire A 196 a glas A 196 a goule 88, 109, A 261 grand' mère 120 grand' rue 120 grant 109 gras A 196a gratte-ciel A 527 a graunt A 212 grenouille 33, 222 grief 214 grille A 196a guaires 190 guaite 136 gualdine 143 gualt A 379 guarder 170 guarir 136 guast A 380 guaster 201 guastine A 380 gué 201 guêpe 37, 201 guère 190 guérir 136, A 352 guerpine A 380 guerpir 175

guerre 136 gui 201 guider 136 guise 201 guivre 201 haine A 380 haïr 190 haste 138 hastif 138 hausser A 440 haut 221 heaume 115 héberge 191, A517 héberger 64 herberge 184 herbergier 191 het 190, 197 hibou 229 hiver 74, 125 honnir 136 hôpital 179 hors 194 hôtel 179 houre A 261 huimès 174 huich — huis A 399 huis 206, A 253, A 351 hum 103 hume 104 humble 150 hunte 204 i 126, 154, 162 -ice 157, A 416 icest 162 ici 162 icil 162 iço 162 idunc 162 -ier 116, 125, A 157, A 283 il 108, A 239, A 427 -ille A 412 -iller A 520 image 58 -ine A 380 irai 36 ire 221

245

lare 89 larron 114, 123 lart 89 lavé 112 laver A 291 le 101; 'celui' A 504 le = la A 301 lee 155 j a 124; 'gewiss' lei 168, A 294 leisir 118, 156 184, 192 lentille A 412 jadis 102 jal 89, 128, A 415 lequel 84 lere 114 jaloux A 261, les = lais 112 A 424 les (lat. illis) jamais 148 A 436a jambe 128, 169, leur 164, 188 A 415, A 451 lever A 291 je 131 lez 152, 153 jeo 131 jes = je les 147 li (Dativ) 129, A 428 jiter 156 li 'le' (Art.) 165 jo = je 83 joie 128, A 329 li 'elle' 120, 161 joiufi 128, A 329 li 'les' 102, 166, joli 35 A 428 jour A 191, A 309 li = le li 152 juge A 254 libérer 179 juignet A 574 liepart A 513 juin 113 lierre 215 jujube A 424 liez 128 jur 124 lign 211 jurrai A 467 lignage 211 jusque A 134 limpide A 457 justise 157 lit 65, 121, 156, 205,228, A 229, A 287 kar s. car livrer 179 ki = qui 120 loer 60, 103, 115 lonc 157 la 123; 'celle' longue 157 A 504 longuement 157 là 106 lor s. lur lai 'Lai' 93, 98 los A 322, A 469 lai 'See' 167 losenja 142 laid 184 lou(p) 94, 185, lairme 66 A 503 lais = laisse 98 louange 142 laissier 128 luette 137 lait 98 lui 62, A 296 lame 123 luire A 222 langage A 250 irier 168 -ise 157, 187, A 416 issi 162, A 431 issu A 431 ist A 431 itant 162 ive 121

246

luist 110, 118, 134, 185 lungement 157 lur 94, 188 maçon 37 magistral 82 main 123 maint 62, A 116 maint (manet) 88, 111 maire 129, 178, A 185 mais 76, 122, 213 maison 106, A139 mal 110 malbailliz 163 mamelle 123 manace 36, 38 manant A 275 manche 207, A 254 mander 158 mandragore 229 maneit 113 mange = manche A 254 manoir 113 marchand 38, 136 marché 38, 136 masche A 254 masle 28 maugré A 364 mei 123 meie 189, A 318 meine 176 meïsme 141, 206, A 372 mel 110, A 262 mendistié A 395 mener 36, 205 meon = mien A 513 mer 112 merci 156, 169 mercier 161 merrai A 467 merveille 114, A 428a mès s. mais mes- 140 meserrer 140 mesfaire 140

mesis (mettre) A 288 mestier 106 meugler 224 meiir 149 mi 121,192, A287 mie 133, 135 miege 104, A 254 miel 88, 129 mieldre 88, A 185, A 434 mielz 144, 205, A 229, A 263b mien 98, 189, A 12, A 127 mieux s. mielz migraine 216 mis (Part.) 198 misdrent A 271a moerc 143 moi A 296 moine 104, 207 moitié 128 monde A 175 monnaie 124 monsieur A 79, A 171 mont 'monde' A 175 monter à A 550 montrer 194 mosche 151 mourrai 174 muele 137 muerge A 378 mult 119 munte (ceo - ) 204 mur 88 mustrer 194 mut 203 nache A 254 nager 219 naguère 102 naissance 169 naistre 112 ne (non) 98, 133 ne - nient 150 ne = ni 106, 125, 203 néant 126 née 89

oser 131, A 230 oster 210 ot = eut 119, 126 otrei 159 ou (aut) 201 ou = en le A 355 oui 52 oure 109 out 126, 127 -out (-abat) 126 ouvrir 221 -oyer 159 oz 'Heer' 110, 153 oz 'höre' A 344 pai 167 paie 135 paille 99 pain 123 pais — paix 174, A 322 pais 156, 200 paître 177 palais 138 palefroi 61 paon 137 par 136, 146, 186, A 350 0 (hoc) 39, 106 paresse 136 octroyer 159 parole 103, A 202 od 179, A 121, parolge A 378 parpaing 136 A 514a partir 141 oeil 28 pas 133 oez 180 pauvre A 196 offrir A 393 01 = j'eus 119, pavillon 218 peaus 115 127 oï (ouir) 114, 133 pechié 151 peil 88 oïl 39, 106 peiz 127 oignon 113 penser A 15 oisel 118 peour A 537 -ornes A 465 perce-neige on 103 -ons 173, 215 A 527a or (aura) 103 perche A 254 orange 229 perdiz 127 ore, or (Adv.) 81, pere 112, 129 112,134, A 189, peser 25 petit 222 A 292 peu 167, A 444 oreille 32 peiiz 177 orp 89 pie 135 orphelin 161 ors A 530 piéça 102, 205

neënt A 313 nef 88 neiger 187 neir 98 nen = ne 98, 138 nés — nefs A 241 nés = ne les 147 nés = nez 112 nevou (neveu) 94, 102, 109, A 261 ni 81, 125, 203, A 186, A 320 niece 205 nient 126, 150, A 313 noise 106 nommer 82, 104 non 98 nonnain A 276a nonne A 276 a nouvel, -eau 120 nuef137 nuire A 222 nuist 185 nuit 55, A 287 nun = nom 100

piece 193, 205 piere 129 pire 118, 129 pis 192 pitié 128 piz 55, 65, 121 plaire A 222 plaisir 118, 156, A 322 plaist 110, 118, 185 plein 123 pieu 149 pleurer A 291 plumage A 250 plusur 95, 104 poeir A 69 poêle 37 poi = peu 167, A 444 point 133 poinz A 263b poison 138, 187 pondre 105 ponge A 378 por A 508 porche 207 porchier 116 posé 81 pot - put 175, 209 pou = peu 167 pour 146, 151, A 508 pour = peur 137, 199 pourquoi 8 pout 94 poutre 215 pouvoir A 59 povre A 196 premier 72 près 175 prière 116 primes 203 prince 71 pris (P. déf.) 105 pris (Part.) 198 prise 138, 187, A 460 prison A 431

privez 118 proie 69, 144 prozdoem A 54S prozdum 202 prude A 548 prud' homme 203 puce 104, 169 puet 175 puis 151, A 46 puis que 199 puis = peux 138 puits A 351 pume 94 pur 95 putain A 276a pute A 276a quant — quand 88, 96 quant et 221 que (Pron.) 103, 125 que (nach Kompar.) 149 que (Konj.) 123, A 167a que . . . ne 125 qued 75, A 158, A 168 quenouille 218 quer A 362 querge A 378 quérir 120, A 393, A 538 querre 97, 120, 169, A 538 querrez 135 qui = cui 210, A 296 quidier 200 quidot 183 quis (Part.) 164 raide 170 raisin A 567 raison 138, 187 rapide A 457 ravine 144, A 380 re- 133 receû 177 redut 133 refuser A 230 rei 168 247

reïne 168 remaneir 165 remembrer 212 remercier 161 remest 165 renard 221 rendre 209 repairiez 128 respit 160 revieno 155 riche 80, 182 rien 98, 117, A 12 rien f. 203 rigide 179 rive 89 roitelet 225 ronce 169 rôtir 136 rouge A 153 rue Voltaire 29 sa 128 sage 190, A 152, A 153 sai 135 saillir 119 sairement 66, 161 saisine A 380 saisir 169 saison 138, 187 saive A 152 salvage 38, 104, 107, A 250 sans, sanz A 508, A 509 sarqeu A 352 sauvage s. salvage savoir 64 se = si 131, A 335 second A 418 seiez 159 seigneur 113, 117 sein 194 seinz - sans A 508 seit A 243 sejurner 101 semblance 204 semblant 120,150 semondre 101 sen = sens 171, A 184

248

senz, sens = sans 186, A 113, A 508 séparer 179 serment 161 seror 114 servise 157 ses 118 seu 149, 177, A 537 sevrer 179 si 'so' 57, 106 si 'wenn' A 335 si 'und' 65 si 'bis' 149 si que A 394 sien 82, 126 sieur 222 sifait A 429 sifaitement 161, A 429 singe 188 sire 118, 129 sis (P. déf.) 105 sis (Pr. poss.) 161 siu A 472 siure 174 sivre (siwre) 174 soen 126 soi 127 soif 220 soif (saepes) A 69 soistié A 395 soleil 33 sor'sur'177,A479 sore A 479 sort 97 soudain A 498 soue A 318, A 514 souffrir A 393 sout 'sut' 94, 126 sovent 104 sucer 166 sucurre 148 sueurs 148 sueil 99 suen A 364, A 514 suer 114, 137 suere A 28 sui = suis 136, A 351

suif A 472 suivir A 538 suivre A 538 suleir 196 suleit 104 sun 117 suour 60 sur 176, 177 sus 177 sut 127 auvent 142 suz 155 suz- A 400 suzprendre 155 suzprist 151 tailler 38 taire A 222 taist 110 tant cum 108 t a n t . . . e 199 tante 225 taon 137 tart 97 taureau 33 taverne 104 teile 88 tel 88 témoin 113 tenir 192 tenir à 176 tenir en 142 terre 88 tiède 104, A 457 tien 126, A 127 tienge A 378 tierz 205 tige 37 tin 105 tindrent 106 tirier 168 tiule A 472 tocsin 194 toerr = tien 126 toi (taire) 127 toison 223 toldre 199 tôle 28, A 292 tolir 199 tomber 229 tost 138 tote 89

tote jor A 191 toucher 229 toue 'tienne* A 318, A 514 tout (taire) 127 toutou 225 tracer 166 trahir 163 traire 184 traist 134 travail 159, A 423 travailÙer 159 treis 123 tremper 223 très 35, 119, 200, A 538a trésor 218 tresque A 134, A 176 triage A 250 trou 95, A 444 trouver 164, A291 troveor 114 trovere 114 tuchier 194 tue 95 tuen — tien A 514 tuer A 230 tuile A 472 tuit 163, A 388 tut 127 t u t e j u r l 6 7 , A 443 tuz 118 u = où 126 u ( = o u ) . . . u 200 -u 145 ublier 99 ueil 144 uem 163 -ui 127, 183 uis 151 um 'on' 103, 163 •um = -ons 173 urne 94 umilie 171 une 158 unque(s) 158, 176 unt 154 ure 94, 112 user A 230 -ut 127

v a 145, A 382 vache 151 vachier 116 vail 119 vaillant 119 vair 106, A 129, A 281 vais 145 vaissel 169 vait 110, 111, 145 valant 119 valeir 118 valt 103 vas-y A 344 vei 195 veie 123, 162 veisin 118, A 567 vendange 188, A 376 vendra 140 vendredi 105, 220 veneur 167 vengier 187 veoir 60 ver s. verni verai 212 verge 184 verûi 'ver' 125, A 309 vermeil 156 verre 124, 179 verrou 215 vers 169 vert 28, 104 vestu 145 vet s. v a i t vieil 28, 144, 154 vienge A 378 vierge 58, 216 vieux s. vieil viez 154 vif 89 vigne 28, 113 vin = vins 105,108 vindrent 105 vis(age) 192, 211 vit 170 vitre 179 voici 195 vois (voir) 195 vois = je vais 145

voiz 127 volage A 250 volontiers 132,177 volt 'voulut' 175 vont 145 voz 'vos' 146, 153 vrai 166, 212, A 428a vueil 98 vueille 201 vuelt 88,103,111, 137, 175 vus 113

ancar(a) 81, A188 anz 35 aquel 68 aquest A 267 ar(a) 81, A 189, A 270 ardit A 551 arrat ( = rat) 226 ase A 110 asne 67 auzi A 136 auzir 60 avia 66 avinens 72 avrieu A 278

dejosta 74 denan 81 deute 'dette' 64 di A 505 dia 68 Dieu 55, 66 ditz A 505 domergue 69 domna 58 dompna 77 dona A 193 drut A 425

el 63 elm A 551 baiar 'baiser' en (dominus) 76 zèle A 424 A 139 enaissi 67, A 432 zizanie A 424 baizar A 139 enamorèt 59 baron 77 encar A 188 bisbe A 149 encontrada 79 blasmar 78 endeman A 522 Provenzalisch borgés 71 entre 67 bratz 65 entro que 67 ab 62, A 486 bronha 38 eron 80 ac 69 escien A 363 adoncs 76 cabalgar A 511 espaza A 131 -ador 73 cadel 32 espelh 28 afar 80, 111 camba A 451 espos A 261 agués 67 candelor A 512 estai 110 agur 158 cansón 75 estât f. 'été' 82 agut 158 cassador 73 estau A 387 aicel A 190 cassaire 73 estèt 78 aicest A 190 caup A 129 estriu A 450 aici A 190 causir 169, A 448 aira A 157, A 283 chausir s. causir estudi A 151 -èt 59 •aire 73 ciutat 64 evesquat 70 aise A 568 clau 64 evesque 70, A 149 aissi 67, A 135, colgar A 511 A 432 coms 58 fai 110, A 504 aital 82 comte 58 faich 74 aitant A 190 condug 64 faire 66 ajudar 181 cragne A 337 fait 64 al 65, A 401 cremer A 337 falha 32 ala A 551 crozar 63 fes 'fois' A 323 alberc 64 cueissa A 554 fetz 62, A 505 alberga 191 cueit A 554 flairar 66 altre 67 fort 82 -am A 466 dalfin 78 fos 76 amistat 150 dege 'je dois' fosson 74 amor A 261 A 151 fraire 57 anar 83, A 48 dehens A 531 fraisse A 110 anc 74, A 417 dehoro A 529 y 126

249

gan 'gant' 84 gardar 84 gazaignar 84 genre 89 gleisa 84 gran 68 grasir 66 grasit 77, A 172 guizar A 131

maison 68 malautia 63 manéga 225 marga 69, 225 margue 69 mas 76 meiller 80 meillor 80 menar 83 menscreire A 366 mensprendre hens A 531 home 82 A 366 mercé Dieu A 367 -ia 66 mes (misit) 63 iera 'aire' A 157, mezeis A 131 miar A 186 A 283 moiller 83 issam A 431 mon 'mont' 73 issilh A 431 mon 'monde' 73, ivern 82 77 jai A 505 morga 69, 218 jal 89 morí 67, 79 jalos A 261 mòu 64 jana A 307 na (domina) 76 jatz A 505 nasquèt 78 jorn 74 negun 75 ni 81 lach A 162 nooh 55, A 162 lahens A 531 noit 55, A 162 lait A 162 nomar 82 latz 152 nueit A 359 laus A 469 nueu 55 lausenga A 376 nuoit 55 lausengier 142 lausenja 142 oc 39, 52 lauzar 60, 78 oli A 151 leis 62, 63, A 295 om 57, 58 leit 65 ome 58 letrat 71 omne 67 li 66 on 'on' 84 lieit 65 -on (-unt) 74 lleis s. leis onratz 77 lo 60, 63 onta A 551 lonc 74 outra 73 longamen 78 lui 69 paire 57, 63 pais A 469 maëstral 82 patz A 469 mainh 62 paubre 63, 84 maint 62 pauzat 81 maion 68, A 139 Peire 70 mais 66, 76, 83 pelegrin 61

250

per que 81 possa 193 pieitz 55 plai A 505 platz A 505 pois 68 pozestat A 131 près 65 preza A 381 primas 203 primiers 72 princes 58 pueis A 359 puois 76 quan 68 que 73 rie 80 roge A 151 saber 64 sabi A 152 sabon A 149 salir 119 salvatge 38, 107 sapi A 152 saup 65 savi 71 segon 78 segre 63, 67 sempres 60 sen 80 senes, ses 60, 187, A 113 senh 194 sepellir 68 ser 75 ses 'sans' s. senes si 57, 65 sieu 65, 82 simi A 151 so 83 soa 82 sobre A 479 sogra A 28 son de vers 73 sonar A 193 sostenguda 60 subre A 479 suzor 60

tardieu A 278 taula 28 tene 66 tengut 77 tocar 194 tota 77 trobaire 73 trobar 72, A 155 tro que 67, 78 tuich 163 vai 110 vair 84 valen 77 vau A 387 ven (vendit) 68 vene 65 vengon 65 vengron A 116 venguen 61 verai 212 vespa 37 vetz 35 vezer 60 visquèt 78 vist 67 viure 64 volo 83 zo 83

Italienisch acqua A 93 ad A 246 affare 111 agio A 568 ago 33 agro A 29 aio A 277 albergo 64, 191 alcuno 196 ammassare 108 anche 74, 226, A 417 ancora 74 andare 83, A 48; Präsens A 266 andiede A 111 armare A 48

anzi 35 appresso A 487 ardito A 551 assai 164 assicurato 158 avere (Prasens) A 266 avvenire 104 avverare 104 avvertire 104 balzo 28 bambino 36 bello 'lieb' A 328 betulla 33 biscia A 253 bosco A 403 braccio 65 ca (Konj.) A 167a ca = casa A 489 caldo 28 camino 153 cammino 153 candelara 188 capo 207 casaro A 491 casato A 491 catà A 49 catello 32 cena 108 cervo 108 che (Pr. rei.) 73 che (nach Komp.) 149 ched = che 75, A 158, A 167, A 168 chesa A 272 chiamare 171 chiesa 84 ciausire A 448 ciò 39, 83, 106 città 108 come 171, A 456 con 117, A 12 confarsi A 76 contrada 79, 157, A 91 corrotto A 339 cortese 190 crollare A 441

gamba A 451 ghiaccio A 479 già A 286, A 501 giorno A 80 dacché A 445 giugnettu A 674 danaro 38 gradire 66 davanti 201 gridare A 441 deggio A 532 guado A 542 devo A 532 guaina A 542 di(a) 'Tag* A 142 guanto 136 di A 546 guardare 136, 170 distruggere A 500 guarire 136 domenica A 562 guastare A 542 donna A 193 guerra 136 donnola 216 guida = vite drappo A 389 A 542 dritto A 441 guidare 136 drudo A 425 dubrettu A 574 i = ivi 154, A 315 -icchio A 412, -occhiare A 520 A 520 -ecchio A 412 -icello 221 ed A 246, A 456 -iere A 283 -eggiare 160 -igia A 416 egli A 75, A 427 in + Gerund. elmo A 551 A 565 ène = è A 77 indomani A 522 ennaluminare innanti 81 A 93 -ino 222 -erello 221 insi A 432 estate 82 inverno 74 -ezza A 416 -itello 221 ito 36 faccia A 479 ivi 154, A 315 fare (Pras.) A 266 jana A 307 fégato 38 fermare 206 lago A 91 lancia 28 fiaba 223 ficu (Plur.) A 28 lei 62, 120, A 294 fiera (ferat) A 460 l'indomani A 522 fischiare 28 loro 188 forchiudere A 395 luogo A 91 lupòmono 101 foresto A 264 forfare A 395 lusinga A 376 forsennare A 395 ma A 170 forsennato 171 madre A 91 freddo 28 fuorviare A 395 mai A 170 maggio 195 furestu A 264 magione A 139 manu — mani gabbare 142 A 28 gabbia 28 cucchiaio 28 cui 211 culla A 192

maschio 28 masgione A 523 menare A 552 menescredente A 366 messore = mio signore A 79 mezzèdima 222 minaccia A 479 minare 36 mio 228 miscredente A 366 misfatto A 366 molto 35, 119 mostrare 194 mucca 229 nde 'uns' A 85 ne A 320a ne 'uns' A 85 niente 126 niuno A 166 nocqui A 93 non 133 nuora A 28 o -- ove A 315 -ò 134 occhio 28 ogni A 75 onne A 75 onno A 386 ove A 315 padella 37, A 91 padre A 91 padule 223 pagliaio 28 palasgio A 523 paura A 356, A 537 pen = pane A 272 per A 82 perchè 81, A 360 pesa 25 pezza 193 poco 44 pongo 143 potere 102, 138 povero A 91 quaglia 40 quello 68, A 256 questo A 267 251

raeina A 574 rana 33 rendere 209 salire 119, 189 sapere 61 sartaina 37 sbattere A 453 scorrere A 453 se 'wenn' 131 secchia 28 sed — se A 335 sembiante 120 senno 171, A 184 senso A 15 senza 187, A 113 seo = suo A 127 seppellire A 138 sera A 165, A 521 si 'bis* A 394 sia 159 so A 346 socra A 28 sole 33 sor = signore A 171 specchio 28 sprone A 441 staffa A 449 sto (stare) A 387 strada A 91 suo A 318 tacqui A 93 tamanto A 118 tenga A 378 tengo 143 teo = tuo A 127 terrò A 468 teta = tata A 272 toccare 194 tocco A 527 toro 33 tosto 138 trarre A 500 trasamare 200 travagliarsi 159 travaglio 159 tristo A 29 trivello A 441 tuo 228, A 318 uscio 206, A 253 -uto 145 252

vaci A 384 vaco A 265 vago A 265 vai A 385 valgo 143 vecchio 28 veggio 195 venga A 378 vengo 143 vennero A 116 venni A 121 veragio A 572 verde 28 verrò A 468 vigna 28 viso 192 visto 67 vo A 387 voglia 201 voi 113 volentieri 177 vrenna A 574

como 171 comprar 36 contrada 79 cortés 190 crema A 338 cuidar 183, 200

nadga A 16a naranja 229 ninguno A 166 niño 36 no 133 nuera A 28

chico 222

-ó 134 ojo 'Quelle* 222 olvidar 99 oreja 32

zappa 215

fuero 39

debo A 532 dia A 142 domingo 207 Don 76 donde 84

pedazo 193 pieza 193 poder 138 en + Gerund. pongo 143 A 565 por 146 escuela A 20 porque A 360 estar A 271 prea A 381 estoy 145, A 387 estrella A 20 que 73, 149 estribo A 450 qued A 158 quien 117, A 12 fuera 194

gritar A 458

Spanisch aguja 33 al A 401 albañil A 54 algún 196 amistad 150 andar 83, A 48 anzes 35 ardido A 551

haber A 526 hermoso 35 hígado 38 -ía 66 -ico 222 irnos 36 -ió 83 -ito 222, 225 izquierdo 226

sabio A 153 salir 189 sartén 37 sé A 346 sea 159 sepelir A 138 ser A 271 sin 187 sobre A 479 suegra A 28

tamaño A 119 tarde 75 tengo 143 ca A 167a manso A 15 tercero A 157 menoscabar A 366 trabajarse 159 cabo 206 cantar de gesta menospreciar trabajo A 423 76 trapo A 389 A 366 cas (en cas de) -mente A 285 usted 222 A 489 mesa 25 casar A 491 mismo A 252 caudal A 16a varón 276 mostrar 194 ciudad 64 mucho 119 vecino A 288 codorniz 40 murió A 179 vengo 143 comadreja 216 muy 35, 119 vez 35 bonito 35 bosque A 403

lastimar A 177 les A 436 a

rendir 209 romance A 99

vistia A 253 visto 67 voy 145, A 387 ya A 286, A 501 yelmo A 551

Rumünisch

kelu A 258 kentu A 258 kera A 258 kerbu A 258 porcabru A 29 vricu 28

Rätoromanisch

chantar 222 chavra 223 aur A 71 comba A 451 bat& A 92 dustar 209 cu A 286 iral A 431 cui A 569 ischi A 431 coape& A 45 mar 'gehen' A 193 cump&ra 36 nocla 32 fapt A 223 ora A 531 lapte A 223 our A 531 -lor A 511a lupilor 164, A 295 pauc A 71 quakra 40 lupul A 83 a rumänisch A 99 mina 205 saira A 165 noapte A 223 stuvair A 439 ne 'una' A 85 sulegl 33 onrol A 295 taur A 71 pan& A 92 vacha 222 piele A 92 s&lbatec 38 searS A 165 Katalanisch soacrá A 28 stelele A 83 a amb A 486 66 anar 83 cama A 451 ¿ti A 363 en 'Herr' 76 taur A 71 gjal A 280a trage A 500 gjat A 280a tuse A 92 kjabra A 280a Jará A 92 kjadira A 280a zi A 142 na 'Frau' 76 zidar A 54 nit 225, 228 pagés 200 rahim 38 Sardisch sense 187 anzis 35 ego A 336 giana A 307 iscala A 20 a A 240 iskire A 20, A 363 besta A 253 ispunda A 20 donzela 216 issoro A 511a lobis home 101 istella A 20 ñora A 28 istinkidda norinha 216 « • 35

o A 240 ouro A 71 touro A 71

Keltisch bise 100 brogilu 99 cambo A 451 crito A 338 druth A 425 druto 160 ialo A 182 kirizen A 258 kren A 338 krosu 155 laid 98, A 210 lavret 100 manti A 118 -ójalo A 182 pettia 193

Germanisch -ari A 283

gabb 142 gahlaiba 170 garba A 65 gegenida 157 hadire 41, A 65 haifst 138 hano 114 haribairgs 64, 191 hatjan 190, 197 hauni])a 204 haunjan 136 hauuos A 65 helm 115, A 65 heriberga 191, A 65 heribergón64,191 hraustjan 136 husa A 65 -inga A 376 -jan 136 kausjan 136, 169 laid 184 makjo 37, A 53, A 65 mangi]3u A 118 manichte A 118 miss- 140

banasta A 65 baucus A 65 baro 77, 114 blau 167 quaccola 39, A 65 brunia 38, A 65 burg A 154 riki 80. 182 buska A 405 rosa A 65 busk 105, 153 sakjan 169 cheminata A 406 scantio A 65 sin 80, 171 danea A 65 sparanjan A 353 drúd A 426 sparniare A 65 speut 169 fano A 65 stapfa A 449 fart A 44 strebu 169 filio 194 streup 169 fir- 150 forhist A 264 travis A 65 fred- 137 trut 160 frisk 153 frithu 137 wab(i)sa 37, 221 fulcos A 65 w»ddi 37 253

wadius A 05 wahta 136 waidanjan 84 waigaro 190 wald 143 wapces 37, A 65 wardôn 170, 201 warjan 136 warnjan 136 wat 201 wefsa 201 weorpan 175 wera 101 werpjan 175 werwulf 101 wisa 201 wôsti 201

Englisch aunt A 212 beautiful 35 carpenter A 212 to catch A 212 cattle A 212

chain A 212 chair A 212 chamber A 212, A 280 chance A 212 change A 212, A 280 channel A 280 chapel A 280 charge A 212 chimney 153 country 157 country-dance 229 to ease A 568 fast 138 garter A 212 gem 124 gentleman 58,124 germe 124 gotelef 91 joy A 212 lineage 212 nightegale 91 pretty 35 wibet 91 witecoc 91

Deutsch angst 151 blau 167 büksenwolf 100 busch 105, 153 forst A 264 gegend 157 geil 160 hast 139 keim A 258 keller A 258 kemenate 153 kämich 154 kämmet 154 kerbel A 258 kiesen 169 kirsche A 258 kiste A 258 laune 223 nachts (des - ) A 191 prüevet A 355» Steinmetz 37 traut A 426 wachtel 39 wespe 201 wette 37

Verschiedene Sprachen besta (bask.) 222 biku (bask.) 222 blastemö (gr iech.) A 177 ebiskopos(griech-) A 149 errege (bask.) 228 ezker (bask.) 226 kaina (dalm.) A 258 kaira (dalm.) A 258 Kaisar (griech.) A 258 kampö (griech.) 169 lt'eps (alb.) A 258 kima (bask.) A 258 leinu (bask.) A 571 lyk&nthropos (griech.) 101

R E G I S T E R DER E I G E N N A M E N Geographische. Namen AboncourtA276a Agenain A 276 a Ainan A 276 a Allemagne 37 Allemand-Rombach 108 Anglesqueville 108, A 405 Anjou 94 Alpilles A 412 Argenteuil 80 Aubussargues A 143 Auroir A 408 Auteuil 80 Auvergne 70 254

Campagne 155 Campo San Polo 35 Cantalupo 527 a Caput Africae 30, A 23, A 31 Castelmaurou 188 Le Cateau 155, A 249, A 293 Chaise-Baudouin A 489 Chaise-Dieu 30, A 489 Les Chaises A 489 Champagne 113 Caen 58, 155 Chanteloup Calais 155, A 249 A 527a Cambrai A 249, Châteaubriant A 572 183 Bagnolo 83 Bagnacavallo A 527a Bapaume A 527 a Battipaglia A 527a Batoncourt A 276a Bologna 61, 218 Bouillargues A 143 Boulogne 61 Bourban A 276 a Bretaigne 113

Châteaurenard 183 Le Châtel A 293 Clarmon 71 Crepacuore A 527a Creuse 155 Crèvecoeur A 527 a Crosa 155 Dammarie 77 Dammartin A 343 Dampleux 77 Dampmart 77 Dannemarie A 247 Danremy A 343

Diablerets 221 Dommartin-lesToul 152 Doudelainville A 276a Durtain A 276a

Limousin 79 Linguaglossa 225 Lombardia 37 Loznbardore A 512a Longobardia 37 Lunain A 276a

Magna 217 Le Maine A 563 Marcomannia A 274 Marmaigne A 274 Massargues A 143 Massillargues Fabrègues 224 A 143 Fontaine-laMiraval A 527 a Guyon A 604 Miremont A 527a Fordongianus A 512a Monicoro A 62 Montdidier 183 Foresto A 264 Mungivacca Forll A 62 A 527 a Forlimpopoli A 62 Murviedro A 408 Fomovo A 62 Fourvière A 62, Nanteml 81 A 408 Neuville 220 France 37 Nogent-l'Artaud Francourville 188 A 504 Fréjus A 62 Nogent-le Rotrou A 504 Gabriac A 414 Noiraigue 108 Galloro A 512a Norman 102 Gandalou 188, A 541 Oppède 225 Gap A 541 Oradour A 408a Gard 201 Ornain A 276a Gascogne 113,201 Orvieto 220, Gâtine A 380 A 408 Le Gault 225, Osmanli oro A 379 A 512a Gevrey A 414 Othain A 276a Givry A 414 Ottonville A 276a Gordes A 541 Oudan A 276 a Goudourville 188 Ourouer A 408a Grandmaison 120 Granville 120 Grenoble 229 Paganoro A 512 a Peitou 126 Hongrie 37 Pernan A 276a Pontevedra A 408 Italie 37, A 52 Port Vendres 105 Pozzuoli 83 Limoges 79 Englesqueville A 405 Espagne A 52, A 276a Excidueil 80

Provence 18, 52, Bevilacqua A 527a A 2 Boileau A 527 a Quesnay 155 Boivin A 527 a Buttafuoco A 527a Rochefort 120 Romanore A 512 a Caesar A 258 Chassepot A 527a Romme 101 Châteaubriant Rouen 58 183 Rouge-Eau 108 Rougemont 108 Christophe 58 Roumanie 37 Daude 64 Russie 37 Diana 124 Esteve 55 Saint-Leu A 503 Etienne 119 Saint-Lô A 503 Evain A 276a Saint-Paul-lezFernández 224 Durance 152 Figiovanni 224, Sambre 205 A 496 Saône 158, 167 Firidolfi A 496 Savignac 212 Fitzgerald 183, 224 Savigny A 414 Seran A 276a Fitzjames 183 Serbie 37 Frangipane A 527a Thérain A 276 a Ganelon 114 Vendeuil 80 Gaufré 57 Vendres 105 GeoÉfroi 57 Verneuil 80 Germanissa 60 Viéville 154 Gerwald 79 Viévy 154 Giraut 79 Guene-s 114 Vigny A 414 Jaufre 57 Villefort 120 Villefrancou 188 López 224 Ville Goudou 188 Manfroy 57 Villehardouin 183 Mangiapan A 527a Vitry-le-François Meier A 185 A 504 Miège A 254 Witry-les-Reims Montaigne A 274 Naimes 114 152 Offroy 57 Perceboie A 527a Perceval A 527 a Tardieu A 278 Thierry A 513 P e r s o n e n n a m e n Velásquez 224 Vigny A 414 Villehardouin Bailly 163 183 Berthain A 276a

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