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German Pages 68 Year 1958
B E R I C H T E Ü B E R DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER W I S S E N S C H A F T E N ZU LEIPZIG Philologisch-historische Band 103 • Heft 2
HERBERT
Klasse
GRUNDMANN
VOM URSPRUNG DER UNIVERSITÄT IM MITTELALTER
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A K A D E M I E - V E R L A G
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BERLIN
Vorgelegt durch Herrn Frings in der Sitzung vom 21. Januar 1957 Manuskript eingeliefert am 18. Januar 1957 Druckfertig erklärt am 16. Juni 1957
Alle R e c h t e v o r b e h a l t e n , insbesondere das der Ü b e r s e t z u n g in f r e m d e S p r a c h e n Copyright 1957 b y Akademie-Verlag G m b H , Berlin Erschienen im A k a d e m i e - V e r l a g G m b H , Berlin W 8, M o h r e n s t r a ß e 39 Lizenz-Nr. 202 • 100/65/57 Satz, Druck u n d E i n b a n d : V E B W e r k d r u c k G r ä f e n h a i n i c h e n • 758 B e s t e l l - u n d V e r l a g s n u m m e r : 2026/103/2 Preis: D M 2 . 7 0 P r i n t e d in G e r m a n y
Universitätsgeschichte wird seit langem zumeist aus Anlaß von Universitäts-Jubiläen getrieben und geschrieben. 1 Kaum eine Universität begeht eine Säkularfeier — und schon die halben oder gar viertel Jahrhunderte müssen dazu herhalten —, ohne daß sie von einem oder mehreren ihrer Angehörigen, vornehmlich ihrer Historiker, erneut ihre Geschichte erforschen und darstellen läßt. Dadurch ist geradezu eine eigene, eigentümliche Gattung von Geschichtswerken entstanden. Stets im Auftrag geschrieben und zugleich doch in eigener Sache, gewissermaßen pro domo, wenn auch keineswegs nur für den Hausgebrauch, wollen sie zwar der historischen Erkenntnis, aber immer auch dem ehrenden Gedächtnis, dem Ruhm und Lob der eigenen Universität dienen, das Verdienst ihrer Gründer und die Leistungen ihrer Professoren würdigen. Gewiß wird dabei oft ein gutes Stück allgemeiner Geschichte, vor allem der Geistesgeschichte, Bildungsgeschichte, Wissenschaftsgeschichte sichtbar im Spiegel einer Universitätsgeschichte, die daran ihren mehr oder weniger aktiven Anteil hat. Immer aber bleibt der Blick bestimmt, oft auch beengt durch das Schicksal der eigenen Universität, auch in ihren mageren Zeiten, wie sie kaum einer erspart blieben. Und nur in den seltenen Fällen, Der Vortrag, der am 19. April 1956 auf Einladung des Instituts für Deutsohe Geschichte in Leipzig gehalten wurde und tags zuvor auf Einladung der Philosophischen Fakultät in Jena, erscheint hier in den Grundzügen unverändert, nur mit vermehrten Belegen und mit Hinweisen auf die neuere Literatur zur Universitätsgeschichte. Für die Aufnahme in die Schriften der Sächsischen Akademie der Wissenschaften danke ich ihrem Präsidenten Prof. Dr. Th. Frings. 1 Die ältere Literatur (bis 1899) über die Universitäten Deutschlands, Österreichs und der deutschen Schweiz bei Wilhelm ERMAN und Ewald HORN, Bibliographie der deutschen Universitäten (3 Bde. Leipzig-Berlin 1904/05). Für die Universitäten anderer Länder fehlt eine so vollständige Bibliographie.
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wo eine einzelne Universität führend und maßgebend wurde auch für die anderen, weitet sich ihre Geschichte wenigstens zeitweise zur allgemeinen Universitätsgeschichte, die als Ganzes jedoch dabei selten noch erfaßt wird. Um sich das zu verdeutlichen, braucht man sich nur die stattliche Reihe von Darstellungen der Geschichte einzelner deutscher Universitäten aus den letzten fünfzig Jahren zu vergegenwärtigen. Sie sind alle durch solche chronologische Feiern veranlaßt und oft allzu bald danach kaum noch gebührend beachtet worden, obgleich sie keineswegs nur lokalpatriotisch für den Tag geschrieben wurden. Es sind bedeutende Werke der Geschichtsschreibung unter diesen Gedächtnis- und Festschriften, wenn sie auch diesen Jubiläums-Charakter nie ganz verleugnen. Als 1910 die Universität zu B e r l i n ihre Hundertjahrfeier beging, schrieb Max Lenz, der Ranke-Jünger, Bismarck- und Napoleon-Biograph, ihre Geschichte in drei starken Bänden, die doch nur die ersten fünf Jahrzehnte ausführlich behandeln 1 . Da die Berliner Universität 1810 inmitten der Wirren und Nöte der napoleonischen Kriege und des Zusammenbruchs Preußens als ein Werk der geistigen und damit auch politischen Erneuerung begründet wurde nach den Intentionen Wilhelm von Humboldts, dessen Namen sie heute trägt, als ein neuer Universitätstypus von weithin vorbildlicher Wirkung, so sind ihre an bedeutenden Gestalten überreichen Anfänge gleichsam ein Brennspiegel der geistigen Kräfte und Bestrebungen nicht nur Berlins oder Preußens, sondern Deutschlands und überhaupt der wissenschaftlichen Entwicklung des frühen 19. Jahrhunderts. 1911 folgte die zweibändige Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der aus gleichem Geist gegründeten oder erneuerten Universität B r e s l a u . 2 ) Verspätet 1 Max LENZ, Geschichte der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität (1910; der 2. Teil des 2. Bandes erschien erst 1918; Bd. 3 enthält Einzeldarstellungen der Fakultäten und Institute, zumeist von deren Leitern v e r f a ß t ; Bd. 4 enthält Urkunden, Briefe und Akten). 2 Festgabe zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Universität Breslau, hrsg. im Auftrag von Rektor und Senat von Georg K A U F M A N N ( 2 Bde. 1 9 1 1 ) .
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erschien 1920 die Geschichte der Universität B o n n von Friedrich v. Bezold 1 , deren rechtzeitiges Erscheinen zur Säkularfeier von 1918 der Krieg verzögert hatte; sie verzichtete deshalb auch auf den geplanten zweiten Band mit Einzeldarstellungen der Fakultäts- und Institutsgeschichte. Die Universität T ü b i n g e n konnte 1927 zu ihrer 450-Jahrfeier das Werk ihres Historikers Johannes Haller über ihre Anfänge vorlegen 2 , und im gleichen Jahr schrieben Heinrich Hermelink und Siegfried A. Kaehler die Geschichte der damals 400jährigen Universität M a r b u r g 3 , der ersten protestantischen Universitätsgründung durch Landgraf Philipp von Hessen, bedeutsam vor allem für die Reformationsgeschichte. 1936 veröffentlichte Gerhard Ritter den ersten, einstweilen einzigen Band seiner Geschichte der Universität H e i d e l b e r g , 4 die 550 Jahre zuvor von Pfalzgraf Ruprecht gegründet wurde als älteste unserer heutigen deutschen Universitäten, der im alten Reichsgebiet nur die Universitätsgründungen in Prag (1348) und in Wien (1365) vorangegangen waren. Gerhard Ritters erster Band reicht mit nahezu 500 Seiten nur bis 1508, behandelt also nur die ersten 120 Jahre dieser Universitätsgeschichte, nur ihre mittelalterlichen Anfänge, die aber im ZuIn der Breslauer Universität vereinigte sieh 1811 das 1659 gestiftete Jesuitenkolleg, das Kaiser Leopold I. schon 1702 zur Universität („Leopoldina") erhoben hatte, mit der 1498 gegründeten Universität Frankfurt a. d. Oder. 1 Friedrich von BEZOLD, Geschichte der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn (1920). Vgl. u. S. 8, Anm. 4. 2 Johannes HALLER, Die Anfänge der Universität Tübingen 1477—1537. Zur Feier des 450jährigen Bestehens der Universität im Auftrag ihres Großen Senats dargestellt (Stuttgart 1927; der 2. Band: Nachweise und Erläuterungen, erschien 1929); dazu ergänzend Paul JOACHIMSEN, Zwei Universitätsgeschichten I, Z. f. Kirchengesch. 48, N. F. 11 (1929), S. 390—415; der 2. Teil dieses Aufsatzes (über Marburg) ist nicht erschienen. 3 Die Philipps-Universität zu Marburg 1527—1927. Fünf Kapitel aus ihrer Geschichte (1527—1866) von Heinrich HERMELINK und Siegfried A. KAEHLER. Die Universität seit 1866 in Einzeldarstellungen (Marburg 1927). 4 Gerhard RITTER, Die Heidelberger Universität. Ein Stück deutscher Geschichte. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 1: Das Mittelalter, 1386—1508 (1936).
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sammenhang mit den kirchenpolitischen Konflikten des Großen Schismas, mit den gelehrten Auseinandersetzungen der Spätscholastik und des Frühhumanismus, auf dem Hintergrund der frühen Universitätsgeschichte überhaupt wahrhaft „ein Stück deutscher Geschichte" darstellt, wie der Verfasser sein Werk mit Recht im Untertitel nennt. 1937 wurde die Universität G ö t t i n g e n zweihundert Jahre alt, die erste nicht mehr konfessionell durch die Reformation und Gegenreformation bestimmte deutsche Universitätsgründung der Neuzeit, die ihren Ruhm weniger in der Theologie als im Staatsrecht, in der Geschichtsforschung und in den Naturwissenschaften suchte und fand. Sie ließ ihre Geschichte durch Götz v. Seile darstellen 1 , der 1944 auch die Geschichte der damals 400jährigen Universität K ö n i g s b e r g schrieb, der Stiftung des ersten hohenzollernschen Herzogs Albrecht von Preußen, der den Deutsch-Ordens-Staat als sein letzter Hochmeister zu einem Erbherzogtum säkularisiert hatte. Daß K a n t zeitlebens in Königsberg wirkte und lehrte, sagt schon zur Genüge, wie weit auch diese Universität wenigstens zeitweise über die provinzielle Enge hinauswirkte. Erst recht gab Luther seiner Universität W i t t e n b e r g , die 1694 nach H a l l e verlegt wurde, ihre frühe weltweite Wirkung, ihren größten Ruhm und nun auch seinen Namen; ihre 450jährige Geschichte wurde 1952 in einem dreibändigen Gemeinschaftswerk vieler Mitarbeiter unter neuen Aspekten gewürdigt 2 . Eine ähnliche, zweibändige Festschrift bekam die Universität G r e i f s w a l d 1956 zu ihrer 500-Jahrfeier 3 ; den gleichen Anlaß im folgenden J a h r wird F r e i b u r g im Breisgau schwerlich versäumen. J e n a rüstet schon zur 400-Jahrfeier 19584 und hat wahrhaftig großer Gestalten in seiner 1 Götz von SELLE, Geschichte der G e o r g - A u g u s t - U n i v e r s i t ä t zu G ö t t i n g e n (1937); Ders., Geschichte der A l b e r t u s - U n i v e r s i t ä t zu K ö n i g s b e r g in P r e u ß e n (1944). 2 450 J a h r e M a r t i n - L u t h e r - U n i v e r s i t ä t H a l l e - W i t t e n b e r g (3 Bde. 1952). 3 F e s t s c h r i f t zur 5 0 0 - J a h r f e i e r der U n i v e r s i t ä t Greifswald (2 Bde. 1956); d a r i n 1 S. 9—52 R o d e r i c h SCHMIDT, Die A n f ä n g e der U n i v e r s i t ä t Greifswald. 4 F r i e d r i c h SCHNEIDER, Beiträge zur v o r b e r e i t e t e n G e s c h i c h t e der Uni-
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Geschichte zu gedenken, da Goethe einst ihr Kanzler, Schiller ihr Geschichtsprofessor, Fichte, Hegel, Schelling ihre Philosophen waren, von anderen zu schweigen. L e i p z i g wird ein J a h r später mit seiner 550-Jahrfeier folgen, da seine ersten Professoren und Studenten 1409 aus Prag kamen. Zehn Jahre später erreicht R o s t o c k das gleiche Alter. Die Universität K i e l hatte schon 1940 ihres 275jährigen Bestehens mit einer Festschrift gedacht 1 , 1965 wird sie ihr drittes Jahrhundert vollenden. 1972 kann M ü n c h e n auf eine halbtausendjährige Tradition seiner Universität zurückblicken, die 1472 in Ingolstadt gegründet, 1802 nach Landshut und 1826 in die Hauptstadt des neuen Königreiches Bayern verlegt wurde. Dessen jüngere Universität E r l a n g e n konnte 1943 während des Krieges ihre Zweihundertjahrfeier nur in der Stille begehen, hatte aber schon 1910 ihrer hundertjährigen Zugehörigkeit zu Bayern festlich gedacht 2 . Man wird wohl nicht mehr bei jedem dieser Jubiläen eine neue historische Darstellung von allgemeinerer Bedeutung erwarten dürfen. Die jüngsten deutschen Universitäten in F r a n k f u r t am Main (1914) und in H a m b u r g (1919) werden sich damit ohnehin noch gedulden müssen, von S a a r b r ü c k e n (1947) ganz zu schweigen. Bei manchen anderen ist die Darstellung ihrer Geschichte erschwert, weil sie nach einer früheren Gründung nicht ununterbrochen bestanden haben, sondern erst nach langer Pause erneuert wurden: so die Universität W ü r z b u r g nach ihrer kurzen Vorgeschichte von 1402—1411 versität Jena, Wissenschaftl. Z. der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschafts- u. sprachwissensch. Reihe, Jahrg. 1952/53, S. 63—83; Jahrg. 1953/54, S. 153—171.S. 355—390; Jahrg. 1954/55, S. 201—235. 1
Festschrift zum 275jährigen Bestehen der Christian-Albrechts-Universität Kiel (1940) mit einem geschichtlichen Rückblick von Otto SCHEEL; vgl. Karl JORDAN, Die Christian-Albrechts-Universität Kiel im Wandel der Jahrhunderte, Veröffentl. der Schleswig-Holst. Universitätsgesellschaft N. F. 1 (1953). 2 Festschrift zur Jahrhundertfeier der Verbindung der Friderico-Alexandrina mit der Krone Bayern, im Auftrag des akademischen Senats verfaßt von Theodor KOLDE: Die Universität Erlangen unter dem Hause Wittelsbach 1810—1910 (1910).
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erst 1582, K ö l n nach der rühmlichen Vergangenheit dieser ersten städtischen Universitätsgründung in Deutschland (1388—1798)1 erst seit der Umwandlung seiner Handelshochschule zur Universität im Jahre 1919, und auch M a i n z bekam seine alte Universität (1476—1797)2 erst 1946 zurück. Da sind die zeitweise abgerissenen Fäden der Tradition nicht leicht wieder zu verknüpfen und in die allgemeine Geschichte zu verflechten. Die Universität M ü n s t e r hat sich sogar das Kuriosum erlaubt, 1952 ihren fünfzigsten Geburtstag zu feiern, obgleich sie 1930 bereits eine 150Jahr-Feier begangen h a t t e 3 ; denn sie war schon einmal 1780 begründet, aber 1818 zugunsten. Bonns, das auch schon 1786—1797 eine Universität gehabt hatte 4 , auf eine theologisch-philosophische Akademie reduziert worden, die sich erst 1902 wieder zur vollen Universität auswuchs. Noch ungünstiger sind die historiographischen Chancen jener Universitäten, die nach mehr oder weniger langem Bestand eingingen und nicht wieder auflebten,— es sind in Deutschland nicht viel weniger (mindestens 18) als die noch bestehenden, die hier alle genannt wurden; ihrer Jubiläen und ihrer Geschichte wird seltener gedacht 5 . 1
Hermann KEUSSEN, Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte. Festschrift zum Einzüge in die neue Universität Köln, hrsg. von Rektor und Senat (1934). — Festschrift zur Erinnerung an die Gründung der alten Universität Köln i. J. 1388 (1938). 2
Die alte Mainzer Universität. Gedenkschrift anläßlich der Wiedereröffnung der Universität in Mainz als Johannes-Gutenberg-Universität (1946). 3 Vgl. den launigen Festvortrag von Anton EITEL, Von der Alten zur Neuen Universität in Münster, Schriften der Gesellschaft der Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 31 (1952) und den Abriß von Johannes HERRMANN, Die Universität Münster in Geschichte und Gegenwart, ebd. 19 ( 2 1950). 4 Max BRAUBACH, Die erste Bonner Universität und ihre Professoren. Ein Beitrag zur Rheinischen Geistesgeschichte im Zeitalter der Aufklärung (Bonn 1947). 5 Es ist bezeichnend, daß Emil ZENZ, Die Trierer Universität 1473—1798, Ein Beitrag zur abendländischen Universitätsgeschichte (Trier 1949) auch „im Auftrag" schrieb, ohne den Auftraggeber zu nennen, — wohl in der mit Mainz rivalisierenden Hoffnung auf Wiedererrichtung einer Universität in T r i e r . —
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So wertvolle Beiträge zur Universitätsgeschichte nun manche dieser Jubiläums-Schriften bieten, zu einem einigermaßen gleichmäßigen Gesamtbild auch nur der deutschen Universitäten ergänzen sie sich nicht. Man wird sich nachgerade fragen dürfen, ob sich unsere Universitäten und ihre Historiker dabei nicht allzu einseitig — um nicht zu sagen egoistisch-selbstgefällig — darauf beschränkt haben, bei solchen Anlässen und Aufträgen jeweils die Geschichte ihrer eigenen „Alma Mater" zu beleuchten, ohne sich gleicherweise um das Gemeinsame der Universitätsgeschichte zu bemühen, um die Geschichte und Bedeutung d e r U n i v e r s i t ä t überhaupt als einer höchst eigenartigen Erscheinung der europäischen Geistes- und Sozialgeschichte. Es ist doch recht auffällig und fast beschämend, daß eine wissenschaftlich brauchbare Geschichte der deutschen Universitäten insgesamt zuletzt 1888 von Georg Kaufmann geschrieben und nicht einmal vollendet wurde; der geplante dritte Band ist nie erschienen. Die populär gehaltene „Geschichte der deutschen Universitäten" von Richard Graf Du Moulin Eckart (1929), mit Bildern, aber ohne alle Quellen- und Literaturangaben, ist wissenschaftlich unzulänglich und erzählt vieles ungenau. Das zuverlässigere Sammelwerk über „Das akademische Deutschland" (1930) stellt nur knappe Monographien über die einzelnen Universitäten von verschiedenen Verfassern nebeneinander 1 ; das geistige Band fehlt leider auch hier. Das groß angelegte, grundlegende Werk des gelehrten deutschen Dominikanerpaters Heinrich Denifle über „Die UniversiDie in E r f u r t 1954 gegründete Medizinische Akademie bereitet eine Darstellung der Geschichte der alten Erfurter Universität vor durch „Beiträge zur Geschichte der Universität E r f u r t 1392—1816"; H e f t 1 erschien 1956 mit Untersuchungen von Horst Rudolf ABE über die Frequenz der Universität Erf u r t im Mittelalter (1392—1521). — Auch die Justus-Liebig-Hochschule in G i e ß e n , die seit 1950 die Tradition der damals aufgelösten Gießener LudwigsUniversität fortsetzt und sie erneuern will, plant eine Jubiläumsschrift zu deren 350-Jahrfeier 1957. 1
Das akademische Deutschland, hrsg. von Max DOEBERL, Bd. 1: Die deutschen Hochschulen in ihrer Geschichte (1930/31).
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täten des Mittelalters", das fünf Bände umfassen sollte, ist schon beim ersten, 1885 erschienenen Band stecken geblieben, der nur „Die Entstehung der Universitäten im Mittelalter bis 1400" behandelt, also nur gerade bis zu den ersten Anfängen deutscher Universitäten reicht. Was Denifle plante, hat in etwas bescheidenerem Maßstab der englische Historiker Hastings Rashdall 1895 ausgeführt in seinem nützlichen Werk über „The Universities of Europe in the Middle Ages", das 1936 von F. M. Powicke und A. B. Emden in drei Bänden neu bearbeitet und auf den damaligen Forschungsstand gebracht wurde. Es ist die brauchbarste Übersicht über die Geschichte aller europäischen Universitäten bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, ein unentbehrliches Nachschlagewerk, aber gewiß noch keine abschließende Behandlung des Themas, wie sie auch der französisch schreibende Ungar Stephen d'Irsay in seiner zweibändigen „Histoire des Universités françaises et étrangères des origines à nos jours" (Paris 1933/35) nicht bieten will und kann, der auch die außereuropäischen Universitäten bis zur Gegenwart einbezieht, lehrreich und geistvoll, aber skizzenhaft. Auf deutsch gibt es nichts Vergleichbares. Daß die deutsche Forschung und Geschichtsschreibung auf diesem Gebiet im Rückstand ist und über ihren oft vorzüglich gelösten Einzelaufgaben das Ganze fast aus dem Auge verloren hat, mag zum Teil freilich in der Universitätsgeschichte selbst begründet liegen, die in Deutschland beträchtlich später einsetzte als in West- und Südeuropa. Als Karl IV. in Prag die erste Universität im Reichsgebiet gründete, gab es bereits 15 ältere Universitäten in Italien und 8 in Frankreich, 6 sogar auch auf der iberischen Halbinsel und 2 in England ; erst nach der Prager Gründung entstanden wie in Deutschland auch im europäischen Osten und Norden Universitäten: 1364 — noch ein Jahr vor Wien — in Krakau für Polen, 1367 in Fünfkirchen und 1389 in Buda für Ungarn, erst 1477 in Uppsala für Schweden und 1478 in Kopenhagen für Dänemark. Bis 1500 wurden dann innerhalb des römisch-deutschen Reiches 15 (oder 16) Universitäten gegründet, vom 16. bis ins 18. Jahrhundert noch über 30, von denen viele
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wieder eingingen, und seit 1800 weitere 7. Heute bestehen in den beiden deutschen Republiken zusammen 23 Universitäten, — fast so viele (20) hatte Italien schon vor 1500. — Es ist ein erstaunlicher, nicht ganz leicht zu erklärender Befund, daß Deutschland und seine östlichen und nördlichen Nachbarn sich so spät erst an den Universitätsgründungen beteiligten, nachdem schon mindestens anderthalb Jahrhunderte lang zahllose Studenten auch aus diesen Ländern die italienischen und französischen Universitäten besucht hatten, deren Vorbild also doch längst bekannt war. Das besagt zugleich, daß sich die Universitätsgeschichte von ihren Ursprüngen her und in ihrer allgemeinen Bedeutung nicht verstehen läßt, wenn man sich dabei auf die deutschen Universitäten beschränkt, geschweige denn nur auf die eigene. Denn sie alle waren kein wirklicher Neubeginn, sondern standen bewußt in der Nachfolge älterer ausländischer Vorbilder, nach denen sie sich richteten und deren Organisation sie weitgehend übernahmen. Schon der Prager Stiftungsbrief Karls IV. weist ausdrücklich auf Paris und Bologna als Muster hin, deren Magister- und Scholaren-Rechte auch für Prag gelten sollen 1 . Seitdem beruft man sich bei neuen Universitätsgründungen meistens auf jene ausländischen Vorbilder, vor allem Paris, seltener und zusätzlich auch auf ältere deutsche Universitäten als Norm für die eigene Einrichtung. Man muß diese Vorgänger kennen, um dem Ursprung und Wesen auch der deutschen Universitäten und der Universität überhaupt auf den Grund zu kommen. Allerdings unterscheiden sich alle deutschen wie auch die ostund nordeuropäischen Universitäten in einer Beziehung gerade 1
Mon. Germ. Hist., Constitutiones 8, 580f. Nr. 568: privilegia, immunitates et libertates omnes, quibus tarn in Parisiensi quam, Bononiensi studiis doctores et scolares auctoritate regia uti et gaudere sunt soliti, omnibus et singulis illuc accedere volentibus liberaliter impertimur. — Der Prager Stiftungsbrief Karls I V . ist verdeutscht und sprachlich analysiert von Anton B L A S C H K A in: Studien zur Geschichte der Karlsuniversität zu Prag, hrsg. von Rudolf S C H R E I B E B (Forschungen zur Gesch. u. Landeskunde der Sudetenländer 2, 1954) S . 39 ff.
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von den älteren Vorbildern, die sie am häufigsten nennen: sie sind sämtlich fürstliche oder allenfalls städtische, jedenfalls o b r i g k e i t l i c h e G r ü n d u n g e n , von einem Stifter nach seinem Willen und mit seinen Mitteln ins Leben gerufen. Wie schon die Prager Universität 1348 von Karl IV. als deutschem und böhmischem König begründet wurde, so die Wiener 1365 von seinem habsburgischen Schwiegersohn, der es ihm gleichtun wollte, von Herzog Rudolf IV. von Österreich, „dem Stifter", der auch den Stefansdom neu erbauen ließ wie Karl den Prager Veitsdom. Mit dem Luxemburger und dem Habsburger wetteiferte dann auch der Wittelsbacher, Kurfürst Ruprecht I. von der Pfalz, mit seiner Heidelberger Gründung von 1386. Mit dem Herzog von Mecklenburg, der 1419 die Universität Rostock errichtete, rivalisierte der Herzog von Pommern, indem er schon 1428 eine eigene Universität in Greifswald plante, die erst 1456 entstand. Neben den Wetteifer fürstlicher Landesherren, die sich alle auch päpstliche Stiftungs- oder Bestätigungsbriefe für ihre Gründungen beschafften, tritt die Initiative mancher Städte, wie Köln (1388), Erfurt (1392), Basel (1459), auch Trier (1473), die sich mit Hilfe solcher päpstlicher Stiftungsbriefe ihre eigenen Universitäten schufen. Eine zweite Welle deutscher Universitätsgründungen nunmehr auch mit kaiserlichen Stiftungsbriefen autorisiert 1 , folgte seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, da nun jeder größere Landesherr möglichst seine eigene Universität haben wollte, um seine Landeskinder, vor allem seine Beamten und Juristen, Pfarrer und Lehrer im eigenen Land und seit der Kirchenspaltung im eigenen Bekenntnis ausbilden zu lassen: der vorderösterreichische Habsburger Albrecht VI., Bruder Kaiser Friedrichs III., in Freiburg im Breisgau (1456/60), der bayrische Wittelsbacher Ludwig der Reiche in Ingolstadt (1472), der württembergische 1 G. KAUFMANN, Die Universitätsprivilegien der Kaiser, Deutsche Z. f. Geschichtswiss. 1 (1889) 118—165; über ältere kaiserliche Stiftungsbriefe vornehmlich für Universitäten Reichsitaliens und Burgunds s. A. v. WRETSCHKO, Universitäts-Privilegien der Kaiser aus der Zeit von 1412—1456, Festschrift
O t t o GIERKE ( 1 9 1 1 ) S. 7 9 3 — 8 1 1 .
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Graf Eberhard im Barte, der 1495 Herzog wurde, in Tübingen (1477), der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise in Wittenberg (1502), der hessische Landgraf Philipp der Großmütige in Marburg (1527), der neue preußische Herzog Albrecht in Königsberg (1544), die ernestinischen Wettiner in Jena (1558), weil sie Wittenberg seit der Mühlberger Schlacht an die albertinischen Wettiner verloren hatten, die ihnen überdies mit ihrer Universität Leipzig nicht lutherisch genug schienen. Insofern sind alle deutschen Universitäten, von denen viele sich noch immer dankbar und traditionsstolz nach ihrem fürstlichen Stifter nennen, von Anfang an in gewissem Sinne Staats- oder Landes-, allenfalls Stadt-Universitäten, deren Gründer und Landesherren (und sei es ein Stadtrat) immer auch an ihrer Leitung und Aufsicht interessiert blieben 1 . Trotzdem wäre es durchaus irrig, wenn man demnach die Universität überhaupt für eine fürstlich-staatliche, obrigkeitliche Schöpfung und Institution halten wollte. In ihren außerdeutschen Anfängen war sie das nicht; wo sich ihr ursprünglicher Charakter am wenigsten verändert hat wie in Oxford und Cambridge, ist sie es bis heute nicht; und weil auch auf die von Fürsten und Städten in Deutschland gegründeten Universitäten das Vorbild jener älteren nicht-staatlichen Universitäten nachhaltig einwirkte, sind auch sie niemals ganz und nur zu Staatsanstalten geworden. Es gab freilich auch für die staatliche Gründung und Leitung einer Universität schon ein älteres ausländisches Vorbild, das nicht unwirksam blieb: die von Kaiser Friedrich II. als König von Sizilien im Jahre 1224 gegründete Universität N e a p e l , die man mit Recht die e r s t e S t a a t s u n i v e r s i t ä t genannt hat 2 . Sie 1
Vgl. Friedrich von BEZOLD, Die ältesten deutschen Universitäten in ihrem Verhältnis zum Staat, Hist. Z. 80 (1898) 436—467, auch in seiner Aufsatzsammlung: Aus Mittelalter und Renaissance (1918) S. 220—245. 2 Stiftungsurkunde bei A. HOTLLARD-BREHOLLES, Hist. diplom.Friderici II. (1852ff.) 11,1 S. 450ff. aus der Briefsammlung des Petrus von Vinea (Ep. I I I , 1 1 ) , deren kritische Ausgabe von Rud. M. K L O O S für die Mon. Germ. Hist. vorbereitet wird. Vgl. Ed. WINKELMANN, ü b e r die ersten Staatsuniversitäten
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wurde vom königlichen Kanzler geleitet, nicht von gewählten Rektoren. Sie stand unter königlicher Gerichtsbarkeit. Ihre Lehrer wurden vom König berufen und besoldet. Ihre Studenten wurden von staatlichen Behörden geprüft. Alle Untertanen Friedrichs I I . in seinem Erbreich Sizilien durften nur an dieser Universität Neapel studieren, bei deren Gründung den bereits auswärts Studierenden eine Frist gesetzt wurde, bis zu der sie ihren Studienort wechseln mußten. Auswärtige Studenten waren zwar in Neapel erwünscht, doch nur, wenn sie sich nicht stauferfeindlich, staatsfeindlich betätigten, sonst wurden sie ausgewiesen, wie es 1239 allen Studenten aus den Städten des kaiserfeindlichen Lombardenbundes geschah. Es liegt wohl nicht nur an dieser strengen staatlichen Aufsicht und Leitung, sondern nicht zum wenigsten an dem bald ausbrechenden Konflikt Friedrichs I I . mit dem Papsttum und den Lombardenstädten, daß diese Staatsuniversität Neapel nicht recht zur Entfaltung kam, sogar bald wieder einzugehen drohte; schon 1234 mußte sie von Friedrich I I . noch einmalbegründet und reorganisiert werden wie später (1266) wiederum von den Anjous als seinen Nachfolgern im Königreich NeapelSizilien, unter denen sie zeitweise größere Bedeutung gewann 1 , ohne es doch je mit Bologna oder mit Paris aufnehmen zu können. Aber wirkungslos blieb ihr Vorbild nicht. Nicht nur manche spanische Universitäten sind ihm gefolgt 2 . Die Gründungsurkunde ( P r o g r a m m Heidelberg 1880) und — gegen Denifles Einwände — K a r l HAMPE, Zur Gründungsgeschichte der Universität Neapel, Sitz.-Ber. Heidelberg, phil.hist. Kl. 1923, 10 ( 1 9 2 4 ) ; E r n s t KANTOROWICZ, Kaiser Friedrich
11.(1927),
S. 124ff. und 273ff., dazu Ergänzungsband (1931) bes. S. 266ff. Weitere Literatur bei Romualdo TRIFONE, L ' U n i v e r s i t à degli Studi di Napoli dalla fondazione ai giorni nostri (Neapel 1954), der über die mittelalterlichen Anfänge nur einen kurzen Überblick gibt. Vgl. August NITSCHKE, Die Reden des Logotheten Bartholomäus von
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Capua, Quellen u. Forsch, aus ital. Arch. u. Bibl. 35 (1955), S. 231 ff. 2
So die ,Magna Charta' von 1254 für die vor 1230 von Alfons I X . von León
gegründete Universität Salamanca und die Statuten der 1300 von J a y m e I I . von Aragon gegründeten
Universität
Lérida,
s. Vincente de la
FUENTE,
Historia de las universidades, colegios y demás establecimientos de enseñanza.
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Friedrichs I I . für Neapel, die in die als Stilmuster weit verbreitete Briefsammlung des Petrus von Vinea einging, war auch in der Kanzlei Karls IV. bekannt und wurde neben einigen Urkunden Manfreds für die zeitweise ähnlich von Staats wegen organisierte Universität Salerno, die aus einer älteren Mediziner-Schule hervorging, teilweise wörtlich im Stiftungsbrief für Prag benutzt 1 , der dann wieder anderen deutschen Universitätsgründern vorbildlich wurde. Aber genannt wird Neapel darin nicht; die Organisation und Verfassung seiner Universität wurde nicht nachgeahmt, sie war aus der Gründungsurkunde nicht zu ersehen und schwerlich genauer bekannt. Sie hätte schon deshalb nicht einfach übernommen werden können, weil deutsche Fürsten und Städte gar nicht allein zur Finanzierung einer eigenen Universität imstande gewesen wären wie Friedrich II., sondern dafür weitgehend auf kirchliche Pfründen und Stiftungen angewiesen waren, deren Inhaber und Nutznießer Kleriker sein mußten. Insofern wurden diese Universitäten weniger „staatlich" als „kirchlichklerikal" fundiert 2 . Wenn Karl IV. den Prager Magistern und Studenten dieselben Privilegien, Immunitäten und Freiheiten zusicherte, wie sie die Doktoren und Scholaren in Paris und Bologna auctoritate regia genossen 3 , so unterstellt er zwar, daß auch diesen ihre Rechte vom König, von Staats wegen gegeben oder gewährt wurden. Tatsächlich aber wurde dadurch auch in seiner Stiftung und in anderen en E s p a n a 1 (Madrid
1884). — Daß König Alfons V I I I . von Kastilien
die
Domschule von Palencia um 1 2 0 8 / 0 9 mit Beihilfe des Bischofs zur Universität erhob, die 1220 ein päpstliches Privileg bekam, ist mit der Gründung der . . S t a a t s u n i v e r s i t ä t " Neapel nicht zu vergleichen. 1
Die Ausgabe in den MG. Const. 8 Nr. 5 6 8 m a c h t diese Entlehnungen
sichtbar. 2
Vgl. Friedrich STEIN, Die akademische Gerichtsbarkeit in Deutschland
(1891) S. 45 ff.; über die Finanzierung
mittelalterlicher Universitäten
vgl.
auch den Vortrag von Hermann HEIMPEL, Hochschule, Wissenschaft, Wirtschaft, in seiner Aufsatzsammlung: Kapitulation v o r d e r Geschichte? ( 1 9 5 6 ) S. 6 5 — 8 6 . 3
S. o. S. 11, Anm.
16
HERBERT
GRUNDMANN
nach deren Vorbild von deutschen Fürsten und Städten begründeten Universitäten ein Element wirksam, das in der Staatsuniversität Neapel fehlte, für die älteren Universitäten aber geradezu grundlegend konstitutiv war: das Element der selbsterrungenen k o r p o r a t i v e n A u t o n o m i e der Magister und Scholaren. „Diese Autonomie ist den deutschen Universitäten mühelos zugefallen als die Frucht langer und schwerer Kämpfe, die in Bologna und Paris darum geführt wurden" 1 . Nur weil sich dort Magister und Studenten in gemeinsamer Abwehr staatlicher und kirchlicher Ansprüche und Eingriffe zu einer autonomen Gemeinschaft, einer universitas zusammenschlössen, kam es überhaupt zu dem Begriff der „Universität", der sich im Stiftungsbrief für das Neapler wie noch für das Prager „Studium" nicht findet, sich aber von Paris und Bologna aus schon im 13. Jahrhundert einbürgerte. So oft in neuerer Zeit dieser Begriff mißverstanden oder umgedeutet wurde im Sinne einer universitas litterarum, Gesamtheit der Wissenschaften, er meint doch ursprünglich — zuerst 1213 in Paris so bezeugt 2 — eindeutig die universitas magistrorum et scoliarum oder studentium, die Gesamtheit, Gemeinschaft, Genossenschaft der Lehrer und Schüler, Professoren und Studenten, die sich zur Wahrung gemeinsamer Interessen am Studium zusammenschlössen und organisierten. Diese Gemeinschaften selbst, nicht staatliche oder kirchliche Instanzen, haben alle jene Formen und Institutionen korporativer Selbstverwaltung geschaffen, die dann auch von fürstlichen Universitätsgründern übernommen wurden und bis zur Gegenwart — mit manchen Variationen im einzelnen — für Universitäten im Unterschied zu anderen Schulen und Lehranstalten charakteristisch geblieben sind: die Leitung durch eigene, aus ihrer Mitte gewählte Rektoren mit Gerichtsbarkeit über die Universitätsangehörigen, die Gliederung der Studienfächer in Fakultäten mit gleichfalls gewählten, wechselnden Dekanen an der Spitze, ihr Prüfungs- und Promotionsrecht 1
2
S o F r . STEIN a . a . 0 . S. 11.
Vgl. Gaines POST, Parisian masters as a corporation (1200—1246), Speculum 9 (1934), S. 421—445.
Vom Ursprung der Universität im Mittelalter
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zur Verleihung des Doktorgrades und der Lehrberechtigung und manches andere bis zu den Amtsbezeichnungen der Ordinarien, Lektoren, Pedelle, der Amtstracht der Talare und Barette, der Matrikel und Immatrikulation der Studenten, der Benennung des Kollegs, des Auditoriums, der Aula usw. Statt aber nur diese langlebigen Traditionen und Institutionen bis auf ihre mittelalterlichen Anfänge zurückzuverfolgen, wie es oft geschah, gilt es endlich zu der Frage vorzustoßen, wie es überhaupt zur Entstehung der Universität kam, die sich solche Formen schuf. Sie ist uns so gewohnt geworden, daß man allzuselten bedenkt, wie ungewöhnlich, erstaunlich und erklärungsbedürftig ihr Ursprung inmitten des abendländischen Mittelalters ist ; ihre Existenz erscheint fast zu selbstverständlich, als daß man sich um das Verständnis ihres Existenzgrundes und ihrer Entstehung zur Genüge bemüht hätte, wie es hier wenigstens skizzenhaft versucht werden soll. Höchst ungewöhnlich und doch meist zu wenig beachtet ist schon die Tatsache, daß die Universitäten von Anfang an und gerade in ihren mittelalterlichen Anfängen Gemeinschaften sind, an denen alle sozialen Schichten, Stände, Klassen aus allen europäischen Ländern und Völkern gleicherweise und gleichberechtigt beteiligt sind ohne Rücksicht auf ihre Herkunft, sogar weniger noch auf die soziale als auf die nationale Herkunft der Magister und Studenten 1 . Ihre n a t i o n a l e H e r k u n f t spielt immerhin insofern eine Rolle, als sich die „Universitas" von früh an in „Nationen" gliederte 2 , wenn auch dieser Begriff noch nicht im heu1
Schon Graf Wilhelm VIII. von Montpellier bestimmte 1181 im ältesten Privileg für die Medizinschule, aus der die Universität Montpellier erwuchs, daß omnes homines, quicumque sint vel ubicumque sint, dort lehren dürfen, s. M. F o u r n i e r , Les statutes et privilèges des universités françaises 2(1890/94) Nr. 879; Gregor IX. weist 1231 den Pariser Kanzler an, als Theologen und Kanonisten nur würdige, geeignete Magister zuzulassen personarum et nationum acceptione summota — ,,ohn' Ansehn der Person und Nation", Chartularium Univers. Paris, ed. H. D e n i f l e u. E. C h a t e l a i n 1 (1889), 1, S. 137 Nr. 7 9 . 2 Pearl Kibre, The Nations in the mediaeval Universities (Mediaeval Academy of America, Publication 49, 1948) mit reichlichen Literaturangaben, 2
G r u n d m a n n , U r s p r u n g der
Universität
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GRUNDMANN
tigen Sinn einzelne Völker oder gar „Staatsnationen" meint, sondern landsmannschaftliche Gruppen zusammenfaßt, von einer Universität zur anderen wechselnd, meistens je vier ungefähr nach den Himmelsrichtungen abgegrenzt. In Paris z. B. gehörten die Deutschen und ihre östlichen und nördlichen Nachbarn mit den Engländern und den Schotten zur natio Anglicorum, neben der es je eine natio Normannorum (aus der Normandie), Picardorum (aus der Picardie) und Gallicorum (also keineswegs aus ganz Frankreich) gab. In eine dieser vier „Nationen" mußte sich jeder Student (und jeder Magister der Artisten-Fakultät) einreihen, auch wenn er aus anderen Ländern stammte, etwa aus Italien oder Spanien. In Prag bestand neben der „Nation" der einheimischen Böhmen (gleichviel ob Tschechen oder Deutsche), zu der aber auch die Ungarn und Südslaven gehörten, eine „Nation" der Polen (mit einem anfangs überwiegenden Anteil von Deutschen aus den Ostländern), eine der Bayern (samt Schwaben und Franken, Hessen, Rheinländern und Westfalen) und eine der Sachsen (zu der mit den Norddeutschen auch Dänen, Schweden, Finnen gehörten). In Leipzig blieb das ähnlich, nur daß an die Stelle der böhmischen Nation nun die meißnische trat. Nur in Bologna und seinen italienischen Abzweigungen war diese Nationengliederung von früh an vielfältiger differenziert und in Citra- und Ultramontane, also Italiener und Ausländer gruppiert. Welche Völker, Völkergruppen oder -teile jeweils eine eigene Nation bildeten oder ihr den Namen gaben, hing immer von örtlichen Verhältnissen ab, von der Lage und dem „Einzugsgebiet" jeder Universität. Es kam zwar oft zu Spannungen, Reibungen und Konflikten zwischen den Universitätsnationen, und manchmal werden dabei schon „nationale" Geltungsansprüche und Rivalitäten im späteren Sinne spürbar. Aber für die Zugehörigkeit zur Universität und die Stellung in ihr war es grundsätzlich gleichgültig, aus welchem Land oder Volk ein Student oder Magister kam und welcher „Nation" er sich dazu noch A. SOBBELLI, La ,Nazione' nelle antiche Università italiane e straniere (1943); P. SILVANI, La .Nazione Germanica' nello Studio Bolognese (1942); F. WEIGLE, Die Deutsche Nation in Perugia (1942).
Vom U r s p r u n g der U n i v e r s i t ä t im M i t t e l a l t e r
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eingliederte. Selbst für die Wahl zum Rektor oder zu anderen Ämtern spielte die nationale Herkunft keine Rolle, höchstens daß die Universitätsnationen dabei in einem bestimmten Turnus wechselten. Ein Italiener wie Marsilius von Padua konnte zum Rektor der Pariser Universität gewählt werden; in Bologna m u ß t e sogar (spätestens seit 1265) aller fünf Jahre ein Mitglied der „deutschen Nation" Rektor werden. Und wie Studenten aus aller Herren Länder an den großen Universitäten zusammenströmten, so waren auch ihre Magister verschiedenster Herkunft. Besonders in Paris lehrten gleicherweise Italiener, Engländer, Deutsche wie Franzosen. Ein Zwang zum Studium an der Universität des eigenen Landes, wie ihn Friedrich II. für Neapel verfügte, bestand sonst nirgends. Erstaunlicher ist, daß die s o z i a l e H e r k u n f t der Magister und Studenten für ihre Zugehörigkeit zur Universität erst recht gleichgültig war. Das ist in den hochmittelalterlichen Jahrhunderten, in denen die Universitäten entstanden, ganz außergewöhnlich, fast einzigartig, daß sich Männer des Adels mit Bürger- und Bauernsöhnen, Reiche und Arme, Vornehme und Namenlose unterschiedslos zu einer Gemeinschaft, einer Korporation, einer „Universitär" verbanden, in der es keine Vorrechte der Geburt gab, auch nicht bei der Wahl der gemeinsamen Rektoren, Dekane, Prokuratoren usw. — jeder konnte dazu gewählt werden. Es bedarf kaum der Erinnerung, wie anders das in allen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens im mittelalterlichen Feudalstaat und auch in der mittelalterlichen Kirche war, wie unbestritten da der Adel dominierte und alle höheren Ämter beanspruchte, mit vereinzelten Ausnahmen auch die höheren Kirchenämter, die Stifte und Kapitel. Selbst im Mönchtum waren die alten Benediktinerklöster fast ausschließlich und auch noch die neuen Orden des 12. Jahrhunderts wie Zisterzienser und Prämonstratenser vornehmlich dem Adel vorbehalten; noch Hildegard von Bingen entrüstete sich über die Zumutung, daß Mönche oder Nonnen verschiedener Stände in einem Kloster zusammenleben sollten, da man auch Esel, Schafe und Böcke nicht in einem Stall zusammen2*
20
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GRUNDMANN
pfercht 1 . In den jungen Städten andererseits sonderte sich das Bürgertum vom Adel und Bauerntum ab in ganz neuartigen Lebensformen; auch da wird vielfach von der universitas der Stadtgemeinde gesprochen 2 , aber Adelige oder Bauern gehören ihr nicht zu ohne Bürger zu werden, und von früh an schließt sich auch wieder das kaufmännische Patriziat der ratsfähigen Geschlechter standesmäßig gegen die handwerklichen Zünfte zusammen. Überall bestehen da Standesschranken, die nur Leute gleicher sozialer Herkunft und Stellung sich zu Gemeinschaften mit gleichen Rechten verbinden lassen 3 . Vergleichbar mit den Universitäten sind in dieser Beziehung nur die neuen religiösen Orden seit dem 13. Jahrhundert, die sogenannten Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner vor allem, in die auch von Anfang an Adlige und Kaufmanns-, Handwerker-, Bauernsöhne unterschiedlos eintraten 4 und zu allen Ordensämtern bis zum Ordensgeneral gewählt werden konnten. Sie aber sind durch gemeinsame religiöse Ideale, Lebensformen und Aufgaben verbunden, die sie aus ihrer Standeszugehörigkeit für immer herauslösen und zu einem neuen Stand, einem religiösen „Ordo" zusammenschließen, der vornehmlich in den neuen sozialen Gebilden der Städte durch Predigt und Seelsorge wirkt, aber auch an den Universitäten besonders aktiv beteiligt ist. Es fragt sich, ob gleicherweise oder ähnlich auch die Universität ihre Angehörigen verschiedenster sozialer Herkunft durch ein gemeinsames Ziel zu einer neuartigen Gemeinschaft vereinigte. 1 H i l d e g a r d , E p . 116, Migne P a t r o l . lat. 197 Sp. 3 3 7 f . ; vgl. g r u n d l e g e n d Aloys SCHULTE, D e r Adel u n d die d e u t s c h e K i r c h e im M i t t e l a l t e r (2. Aufl. 1922), d a z u viele v o n i h m u n d L. SANTIFALLER a n g e r e g t e U n t e r s u c h u n g e n ü b e r die sozialen V e r h ä l t n i s s e in K i r c h e u n d K l o s t e r , Z u s a m m e n s e t z u n g der D o m k a p i t e l usw. 2
Vgl. O t t o GIERKE, D a s d e u t s c h e G e n o s s e n s c h a f t s r e c h t 2 ( 1 8 7 3 ) , S. 5 9 3 f f . ;
H a n s PLANITZ, Die d e u t s c h e S t a d t im M i t t e l a l t e r (1954), S. 110, 118. 3 Vgl. W i l h e l m SCHWER, S t a n d u n d S t ä n d e o r d n u n g im W e l t b i l d des Mittela l t e r s (1934, u n v e r ä n d e r t m i t Vor- u n d N a c h w o r t v o n N. MONZEL 2 1952), S. 2 8 f f . 4 Vgl. H e r b e r t GRUNDMANN. Religiöse B e w e g u n g e n im M i t t e l a l t e r (1935), S. 164 ff.
Vom U r s p r u n g der Universität im Mittelalter
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Nun ist freilich die soziale Herkunft der Studenten mittelalterlicher Universitäten zumal in ihren Anfängen nicht immer leicht und genau feststellbar. Auch wo die Matrikeln erhalten sind 1 , geben sie darüber selten Aufschluß oder nur gerade bei Studenten aus bekannten Familien, das heißt zumeist: aus dem Adel. Auch aus anderen Quellen erfahren wir oft von Fürsten- und Grafensöhnen, später auch von Bürgermeistern oder anderen Patriziersöhnen, ob und wo sie studiert haben, selten aber, fast nie von der anonym bleibenden Masse von Studenten aus anderen Ständen. Es kann aber kein Zweifel sein, daß unter den Tausenden, die in Paris, in Oxford oder Bologna und anderwärts studierten, die weitaus größte Zahl nicht-adeliger, bürgerlicher oder bäuerlicher Herkunft war. Soweit sich das überhaupt einigermaßen statistisch erfassen läßt, hat es Franz Eulenburg 1904 in einer umfangreichen Leipziger Akademie-Abhandlung über „Die Frequenz der deutschen Universitäten" an Hand ihrer Matrikeln zusammengestellt 2 . Das Ergebnis würde in anderen Ländern und in früheren Zeiten, in die die Matrikeln nicht zurückreichen, kaum wesentlich anders sein. Demnach ist der Anteil des Adels an der Studenten1 Über Matrikel-Veröffentlichungen s. F. GALL, Die Archive der deutschen Universitäten in Deutschland, Österreich u n d der Schweiz, Archivai. Z. 50/51 (1955), S. 141—151; vgl. G. CRAMER, Die H e r a u s g a b e der deutschen Universitätsmatrikeln, Archiv f. Kulturgesch. 31 (1943), S. 163—173. 2 F r a n z EULENBURG, Die F r e q u e n z der deutschen U n i v e r s i t ä t e n von ihrer G r ü n d u n g bis zur Gegenwart, Abhandl. d. phil.-hist. Kl. d. Sächs. Gesellsch.
d . W i s s e n s c h . 2 4 , 2 ( 1 9 0 4 ) ; E U L E N B U R G S. 7 3 , A n n : . 3 s t i m m t m i t F r . P A U L -
SEN, Hist. Z. 45 (1881), S. 437 darin überein, „ d a ß es keine Gesellschaftsklasse gab, die die gelehrten Berufe als ein wenigstens tatsächliches Vorrecht besessen hätte, wie es heute doch der Fall ist". — Vgl. auch S. STELLING-MICHAUH, L'université de Bologne . . . (s. u. S. 39 Anm. 2), S. 116 ff. : Origine sociale des é t u d i a n t s , der zwar meint (S. 117), die u n t e r e n S t ä n d e der H a n d w e r k e r und Bauern h ä t t e n keinen Zugang zum U n i v e r s i t ä t s s t u d i u m g e h a b t , aber selbst Zeugnisse f ü r das Gegenteil a n f ü h r t . D i e Bologneser R e c h t s - S t u d e n t e n waren allerdings zumeist v e r h ä l t n i s m ä ß i g v o r n e h m u n d reich, o f t auch nicht mehr j u n g ; u n t e r 220 Schweizern, die im 13./14. J h . in Bologna studierten, sind nach STELLING-MICHAUP 51 adlig-ritterlicher, 45 nichtadlig-ininisterialischer, 60 bürgerlicher, die übrigen Ungewisser H e r k u n f t .
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HERBEET
GRÜNDMANN
Schaft verhältnismäßig gering; in Deutschland wächst er mancherorts erst nach der Reformation vor allem in den juristischen Fakultäten zeitweise stärker an. Der Hauptanteil wurde aber überall von Bürgersöhnen gestellt, und zwar nicht nur aus dem wohlhabenden Patriziat, sondern gerade auch aus dem Handwerk und kleinen Gewerbe. Immer aber gab es an allen Universitäten auch viele arme, mittellose Studenten, die Gebührenfreiheit genossen und deshalb in den Matrikeln oft ausdrücklich als pauper gekennzeichnet werden. In Köln waren das in den ersten 70 Jahren des 15. Jahrhunderts immerhin 16 bis 20°/0, fast jeder Fünfte 1 . In Wittenberg heißt es noch 1564 einmal, daß „fast nur armer Leut Kinder zum studio sich begeben, welche, ob sie gleich von natürlichen Gaben ingenii oder anderen wohl geschickt seien und etwas Löbliches in studio ausrichten könnten, doch Armut halben vorzeitig das Studieren aufgeben und sich zu Dienste begeben müssen" 2 . Für solche arme Studenten gab es von jeher an allen Universitäten zahlreiche Stiftungen für Unterkunft und Verpflegung, Freitische und Stipendien aller Art und sogenannte „Bursen", oft geradezu „Armenbursen" genannt, wo sie billig oder kostenlos gemeinsam leben und lernen konnten. Aus der Studenten- und Vagantendichtung schon des 12. und 13. Jahrhunderts kennen wir überdies viele sprechende Zeugnisse für die finanziellen und wirtschaftlichen Nöte und Sorgen dieser Scharen armer Studenten, denen gleichwohl das Studium nicht verschlossen und offenbar doch verlockend war. Man mag einwenden, daß trotzdem ihre Berufs- und Erwerbschancen und damit auch ihre soziale Stellung sehr ungleich blieben; wissen wir doch gerade auch aus solchen Dichtungen, wie vielen dieser Vaganten und „Bettelstudenten" nach dem Studium der Broterwerb und eine angemessene Versorgung fehlte, während ein studierter Adliger oder Patrizier schwerlich 1 2
EULENBURG, S. 7 0 f f . ; in Leipzig a n f a n g s sogar 28° 0 , ebd. S. 73.
F r i e d r i c h PAULSEN, Gesch. des g e l e h r t e n U n t e r r i c h t s in D e u t s c h l a n d 1 3 1919), S. 226.
Vom Ursprung der Universität im Mittelalter
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je zu hungern brauchte. Aber vielen anderen wurde doch zweifellos das Studium besonders der Rechte und der Medizin, der scientiae lucrativae1, aber auch das Theologiestudium ein Mittel des Erwerbs, der Bereicherung, des wirtschaftlichen und sozialen Aufstiegs. Der aus verarmtem sieneser Stadtadel stammende Enea Silvio Piccolomini, der als studierter Humanist über die kaiserliche Kanzlei bis zum päpstlichen Stuhl gelangte, konnte als Pius I I . im Stiftungsbrief für die Basler Universität 1459 nicht nur formelhaft, sondern aus eigener Erfahrung versichern, daß „das Studium der Wissenschaften den niedrig Geborenen emporzubringen und zu adeln vermöge". Sein Zeitgenosse Nikolaus von Kues, der arme Fischersohn von der Mosel, der in Heidelberg und Padua die Rechte, in Köln Theologie studierte und als Sekretär eines Kardinals am Basler Konzil teilnahm, brachte es selbst bis zum Kardinal und zum Bischof von Brixen, also zum Reichsfürsten. Ähnliche Beispiele, wenn auch nicht immer ganz so drastisch, ließen sich häufen. Studierte Räte und Sekretäre verdrängten an den spätmittelalterlichen Fürstenhöfen vielfach die adlig-ritterlichen Ratgeber, — da gab es erstaunliche Aufstiegsund Wirkungsmöglichkeiten, auch im kirchlichen Dienst an der Kurie und in anderen Kanzleien. Die Bereicherung der Advokaten und studierten Ärzte wurde sprichwörtlich, und der Doktorgrad, den die Universitäten verliehen, galt sogar einem Adelsdiplom als gleichwertig: der Studierte, gleichgültig welcher Herkunft, konnte in den Adelsstand aufrücken oder ihm doch gleichgeachtet werden 2 . Vor allem aber waren für die Studenten, die bei der Wissenschaft blieben und selbst Magister und Professoren wurden, 1 So Honorius I I I . 1219, Chartul. Univ. Paris. 1, S. 91 Nr. 32; vgl. Pierre DUBOIS, De reouperatione terre sánete (1305/07) c. 29, ed. Ch.-V. Langlois (Collection de Textes 1891) S. 2 3 : scholares juvenes . . . confluunt quasi omnes ad studia legum civilium, in eis et per eas querentes non solum pinguia beneficia, sed etiam prelationes majores, ut multos imitentur, qui per huiusmodi leges civiles et earum exercitia majores prelationes sunt adepti. 2
Vgl. G. KAUFMANN, Gesch. d. deutschen Universitäten 1, 197 ff.
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k e i n e r l e i S t a n d e s s c h r a n k e n hinderlich. Nach der sozialen Herkunft und Zugehörigkeit wurde bei mittelalterlichen Universitätslehrern so wenig gefragt, daß sie uns oft unbekannt bleibt, wiederum mit Ausnahmen von Angehörigen bekannter Adelsfamilien: Thomas von Aquino stammt aus einer mit Kaiser Friedrich II. verwandten Familie normannischer Barone in Süditalien, Meister Eckehart, der auch in Paris studierte und lehrte, aus thüringischem Adel; aber Roger Bacon z. B. oder Wilhelm Ockham sind unbekannter, jedenfalls nicht-adliger Herkunft; bei vielen weniger berühmten Magistern wäre die Frage erst noch zu untersuchen, wahrscheinlich nicht immer sicher zu beantworten. Sie spielte innerhalb der Universität keine Rolle. Aber nicht nur die soziale, auch die herkömmliche k i r c h l i c h e S t ä n d e - S c h e i d u n g wurde von den Universitäten durchbrochen, denen Kleriker, Mönche und Laien gleicherweise angehörten, so oft man auch einseitig von ihrem „klerikalen Charakter" gesprochen hat 1 . Strittig war sogar anfangs nur, ob auch Mönche an der Universität lehren und studieren durften. Als die neuen Bettelorden seit 1229 Lehrstühle an der Pariser Universität zu gewinnen suchten, verwahrten sich die nicht-mönchischen Magister und Scholaren zunächst entschieden dagegen, daß jemand zugleich zur Universität und zu einem religiösen Orden gehören könne, weil beides nicht miteinander vereinbar sei. Sie mußten schließlich nach langen, heftigen Auseinandersetzungen 2 nachgeben, aber die Frage blieb schwierig, wie sich die strenge Unterordnung unter die Ordensoberen mit der Zugehörigkeit zu einer autonomen Universitas der Magister und Scholaren in Einklang bringen ließe. Kein Geringerer als Thomas von Aquino hat — 1 Die übliche, noch von F r . W. OEDIGER, Ü b e r die Bildung der Geistlichen im s p ä t e n M i t t e l a l t e r (1953), S. 65 wiederholte B e h a u p t u n g , die U n i v e r s i t ä t sei ,,ursprünglich ausschließlich, s p ä t e r w e i t g e h e n d eine G e m e i n d e von Kler i k e r n " , wird schon d u r c h die von i h m selbst (ebd. A n m . 7) a n g e f ü h r t e n Zeugnisse widerlegt, in denen nirgends die s t u d i e r e n d e n K l e r i k e r die Laien überwiegen; s. bes. G. RITTER, Die Heidelberger U n i v e r s i t ä t 1, 79ff. 2 Vgl. Max BIERBAUM, B e t t e l o r d e n u n d Weltgeistlichkeit a n der Universit ä t P a r i s ( F r a n z i s k a n . S t u d i e n , B e i h e f t 2, 1920).
V o m Ursprung der Universität im Mittelalter
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neben anderen — über diese Streitfrage 1255 ein aufschlußreiches Gutachten geschrieben, um als Dominikaner das Recht der Ordensleute, der religiosi, auf Zugehörigkeit zum Kollegium der Universität zu verfechten 1 . Sie ist kein collegium ecclesiasticum, schreibt er, sondern ein collegium scholasticum. Lehren und Lernen komme aber Ordensleuten und Weltleuten gleichermaßen zu. Deshalb dürfe das collegium studii, die societas studii — das Wort universitas wird dabei nicht verwendet, aber die Universität ist gemeint, — weder als mönchisches collegium religiosum noch als collegium saecularium betrachtet werden, sondern es müsse beide Stände umfassen; beide können ihm angehören als Lehrende und Lernende, — und das heißt auch: als gleichberechtigte Mitglieder dieser Körperschaft. Es mag uns überraschend klingen, daß von Thomas und anderen noch eigens betont und begründet werden mußte, daß a u c h Mönche und Ordensleute an der Universität lehren und lernen durften, — so wenig ist sie von H a u s eine mönchische Institution, wie es die eigenen „Generalstudien" der Bettelorden waren, etwa der Dominikaner in Köln, wo Albert d. Gr. und später Meister Eckhart lehrten, oder der Franziskaner zeitweise in Magdeburg und anderwärts. Erst nachdem die Bettelorden sich u m die Mitte des 13. Jahrhunderts an der Pariser Universität durchgesetzt hatten, bekamen dann auch ältere Orden wie Benediktiner und Zisterzienser dort eigene Lehrstühle. Groß war die Zahl ihrer Magister und Studenten im Verhältnis zu den anderen nie. Wenn Thomas von den saeculares spricht, neben und mit denen die religiosi, die Ordensleute, an der Universität lehr- und lernberechtigt und ihr zugehörig sein wollen, so meint er damit frei1 Contra impugnantes Dei cultum et religionem, S. Thomae Opera 29 (Paris 1876), bes. Pars II c. 9, S. 17; vgl. A. KOPERSKA, Die Stellung der relig. Orden zu den Profanwissenschaften im 12. und 13. Jh. (Diss. Freiburg/Schweiz 1914) S. 1 5 2 f f . — Daß gleichwohl im späteren Mittelalter manche Universität als collegium, ecclesiasticum, bezeichnet wird (z. B. Freiburg i. Br. 1475 u. ö., s. H. MAYER, Freiburger Diözesan-Archiv 63, 156), besagt also zum mindesten nicht generell, „wie das Mittelalter selbst die Frage beurteilt", sondern m u ß aus der jeweiligen Situation und Intention verstanden werden.
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HERBERT
GRUNDMANN
lieh nicht — oder jedenfalls nicht nur — „Laien", sondern vornehmlich den nicht-mönchischen Weltklerus, der zunächst an der Universität zumal in Paris dominierte. Aber wenn oft auch die Universitätsangehörigen insgesamt als clerici bezeichnet werden 1 , wenn sie eine ähnliche Tracht wie die Geistlichen trugen und auch sonst manches mit ihnen gemeinsam hatten, sind doch die mittelalterlichen Universitäten deshalb keine kirchlich-klerikalen Gemeinschaften. Auf die früher viel erörterte Frage, ob sie geistliche oder weltliche, klerikale oder laikale, kirchliche oder staatliche Institutionen seien, hat man längst die einzig richtige Antwort gefunden, daß sie ursprünglich keins von beiden waren, sondern etwas anderes und neues, „weder kirchliche noch staatliche Anstalten im vollen Sinn des Wortes, sondern Korporationen, die in ihrer Entstehung und in ihrem Dasein durch Staat und Kirche bedingt, bei beiden Mächten Schutz und Förderung suchten, aber zugleich kraft ihrer Natur (!) das Streben nach Unabhängigkeit in sich trugen" 2 . Der Anteil der Geistlichen — Kleriker oder Mönche, — und der „Laien" im kirchenrechtlichen Sinn war auch nicht überall gleichmäßig. Paris galt lange Zeit als die maßgebende Theologen-Universität des Abendlandes und hatte daher überwiegend, wennauch nicht ausschließlich Kleriker und Mönche als Magister und Studenten 3 . Bologna dagegen und die von dort abgezweigten italienischen Universitäten waren in erster Linie juristische, Salerno und Montpellier medizinische Hochschulen, vorwiegend von Laien besucht, die nicht Kleriker wurden, sondern Juristen, Notare, Beamte in fürstlichen oder städtischen 1
V g l . R A S H D A L L - P o W I C K E - E M D E N , U n i v e r s i t i e s of E u r o p a
2
3, 3 9 3 ff.
2
F r . v. BEZOLD, Hist. Z. 80, 459 = Aus M i t t e l a l t e r u n d R e n a i s s a n c e S. 239; i h m a u s d r ü c k l i c h z u s t i m m e n d a u c h H e r m a n n MAYER, Die F r a g e n a c h dem klerikalen C h a r a k t e r der m i t t e l a l t e r l i c h e n U n i v e r s i t ä t e n , F r e i b u r g e r DiözesanA r c h i v 64, N . F . 3 6 ( 1 9 3 5 ) , S. 1 5 2 — 1 8 3 , b e s . S. 1 7 9 F . , d e r t r o t z d e m
einseitig
die klerikalen Züge h e r v o r h e b t . 3
Schon 1213 wird bei der R e g e l u n g der G e r i c h t s b a r k e i t des F a r i s e r K a n z lers über die Scholaren a u s d r ü c k l i c h m i t K l e r i k e r n u n d Laien u n t e r i h n e n g e r e c h n e t : . . pro injuria facta uni Scolari ab alio, vel clerico vel laico; C h a r t u l . U n i v . Paris. 1, S. 75 Nr. 16.
Vom U r s p r u n g der Universität im Mittelalter
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Diensten — oder Ärzte. Die meisten italienischen Universitäten hatten überhaupt keine theologischen Fakultäten (auch Bologna erst seit 1360/4), Wien, Krakau, Rostock anfangs auch nicht, während man umgekehrt in Paris nicht weltliches, römisches Recht studieren konnte 1 , nur Kirchenrecht im Zusammenhang mit der Theologie. Auch das gehört zu den nicht immer genügend beachteten Eigentümlichkeiten mittelalterlicher Universitäten, daß an ihnen keineswegs überall gleichmäßig alle Fakultäten vertreten waren und alle Wissenschaften gelehrt wurden. Aber selbst in Köln, wo die städtische Universität an das altberühmte Ordensstudium der Dominikaner anknüpfen konnte und stets auch eine theologische Fakultät hatte, sind in den ersten 75 Jahren ihres Bestehens (1389—1465) nur knapp 35% der immatrikulierten Studenten Welt- oder Ordensgeistliche 2 , gut ein Drittel, und das gilt noch als vergleichsweise viel; in den folgenden hundert Jahren sind nicht einmal 10°/0 der Kölner Studenten als Kleriker bezeichnet. In Freiburg im Breisgau stieg die Zahl der Kleriker unter den Studenten erst seit der Reformation auf 20 bis zeitweise 40%; anderwärts ist sie seitdem eher gesunken. Schon deshalb ist es zum mindesten mißverständlich, wenn man oft allzu summarisch vom klerikal-kirchlichen oder wenigstens „halbgeistlichen" Charakter der mittelalterlichen Universität spricht. Vielmehr ist es bezeichnend, daß sich gar nicht immer leicht eindeutig unterscheiden läßt, wer nun als Kleriker oder als Laie zu gelten hatte. Gerade die D u r c h b r e c h u n g und Verwischung 1 2
S. u. S. 44f. H . K E U S S E N , D i e M a t r i k e l d e r U n i v e r s i t ä t K ö l n 1 3 8 9 — 1 4 6 6 ( 2 1 9 2 8 ) S. 1 9 0
Tabelle I I I ; vgl. A r t u r SCHNEIDER, Die Ordenssehulen in Köln als Vorläufer der Universität (in der Festschrift von 1938, s. o. S. 8 Anm. 1), S. 5—12; M. LÖHE, Die Kölner Dominikanerschule vom 14. bis zum 16. J h . mit einer Übersicht über ihre Gesamtentwicklung (1948). — In Heidelberg sind in den ersten anderthalb J a h r z e h n t e n (1386—1401) nur reichlich 2 0 % der I m m a t r i k u l i e r t e n als clerici gekennzeichnet, 1409 1419 allerdings über 48%, d a n n stetig sinkend 1471—1485 nur k n a p p 15%, 1505—1522 sogar nur 7,6%, s. G. RITTEE, Die Heidelberger Universität 1, 79. Im Verhältnis zum Weltklerus wächst im S p ä t m i t t e l a l t e r die Zahl der studierenden Mönche.
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dieser k i r c h l i c h e n S t a n d e s b e g r i f f e ist eine der merkwürdigsten Wirkungen der Universität. Sie war zwar, wo der Staat sie nicht finanzierte wie in Neapel, vielfach auf kirchliche Stiftungen angewiesen, auf Pfründen für die Universitätslehrer, die anders nicht zu besolden waren und deshalb oft wenigstens die Tonsur oder die niederen Weihen empfingen, um solche Stellen und Einkünfte einnehmen zu können; insofern wurden sie „Kleriker", um Universitätslehrer sein zu können. Für die Theologen war das kein Problem. Aber auch z. B. die berühmtesten „Averroisten" des 13. Jahrhunderts, d. h. die Philosophie-Professoren der Pariser Artisten-Fakultät, die durch ihre mit der Kirchenlehre unvereinbare Aristoteles- u n d Averroes-Interpretation in scharfe Konflikte mit den Theologen kamen, der Magister Siger von Brabant und sein Kollege Boethius von Dacien, hatten Kanonikerstellen einer Lütticher Kirche (in Sigers Heimat) inne, von deren Einkünften sie lebten — und doch sagt ein ihnen mißgünstiger franziskanischer Zeitgenosse: sie seien keine personae religiosae, weder Weltpriester noch Mönche 1 , sondern nur simplices clerici, ohne höhere Weihen, ohne kirchliches Amt, ohne Verpflichtung zum Zölibat 2 . Der Begriff des Klerikers h a t sich da erweitert und verschoben; er bezeichnet nicht mehr nur den Geistlichen, sondern auch den Studierten, den Gelehrten, den wissenschaftlich Gebildeten (wie sich seitdem im Französischen und im Englischen das Wort clerc im Sinne des Gebildeten, des Literaten, ja des Schreib- und Lesekundigen einbürgerte). Andrerseits ge1 P . Mandonnet, Siger de Brabant et L'Averroisme latin au X I I I siecle 1 (1911) 256ff. — Schon Abälard war clericus und canonicus, ohne auch nur die niederen Weihen empfangen zu haben und dadurch an einer Ehe mit Heloise kirchenrechtlich gehindert zu sein, die er nur propter dztrimentwm famae geheim halten wollte; darüber eingehend und lehrreich Etienne G i l s o n , Heloise und Abälard (deutsch 1955), S. 18ff.
2
W e n n in Bologna und vielfach auch anderwärts der Rektor ein unverheirateter Kleriker sein mußte, damit er Gerichtsbarkeit auch über die Kleriker der,,Universitas" ausüben konnte, so zeigt geradediese Sonderbestimmung, daß keineswegs alle Universitätsangehörigen in diesem kirchenrechtlichen Sinne Kleriker waren.
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winnt dadurch auch das Wort „Laie" eine andere Bedeutung, nicht mehr nur zur Unterscheidung vom Geistlichen und vom Mönch, sondern auch vom Studierten, Gelehrten: nicht alle ,Laien' im kirchenrechtlichen Sinn sind noch wissenschaftliche ,Laien'. Am frühesten hat man wohl seit Beginn des 13. Jahrhunderts in Italien die studierten Juristen nicht mehr zu den Laien gerechnet, sondern als clerici bezeichnet 1 , auch wenn sie keine Weihen hatten. Dante konnte sogar den literarisch gebildeten Kaiser Friedrich II. einen cherico (= clerico) grande nennen (Convivio IV, 10,6). Im 14./15. Jahrhundert gewöhnt man sich auch anderwärts daran, nicht mehr nur Kleriker und Laien, sondern Studenten und Laien, Scholaren oder Magister und Laien zu unterscheiden. Der Wiener Universitätsprofessor und -rektor Heinrich von Langenstein weist in einem Gutachten für seinen habsburgischen Landesherrn um 1388 auf den immer latenten Gegensatz zwischen studentes et layci schon in den ältesten Universitäten hin 2 . Und wenn in Heidelberg 1421 allen Universitätsangehörigen verboten wird, sich nachts in veste laicali herumzutreiben 3 , so heißt das nicht, daß sie Klerikerhabit tragen sollen, wozu die meisten gar nicht berechtigt gewesen wären, sondern ihre Universitätstracht, — unsre Talare sind ein Überbleibsel davon. Man wird auf solche Unterscheidungen und auf den Begrifiswandel von ,Kleriker' und ,Laie' achten müssen: bewußt oder unbewußt spiegelt sich darin eine Umschichtung und Umwertung innerhalb der mittelalterlichen 1
Vgl. Julius FICKER, Forschungen zur Reichs- u. Rechtsgesch. Italiens 3 (1872), S. 27; Ernst KANTOROWICZ, Kaiser Friedrich II. (1927), S. 217, Ergänzungsband (1931), S. 92f. 2 H. DENIFLE, Entstehung d. Universitäten S . 6 2 1 , A n m . ; Fr. v. BEZOLD, Hist. Z. 80, S. 462f. = Aus Mittelalter u. Renaiss. S. 241 f. mit Anm. 4 8 7 / 8 8 3 E. WINKELMANN, Urkundenbuch der Univ. Heidelberg 1 (1800), S. 121; ähnlich in Freiburg i. Br. 1475: Magister und Scholaren sollen sich nicht more laicorum kleiden, s. H. MAYER, Freib. Diöz.-Arch. 63, 156; allerdings wird dort 1460 den Scholaren vorgeschrieben, vestes clericales et honesti zu tragen (ebd. 167), aber damit ist wohl im Sinne des erweiterten Kleriker-Begriffs die Gelehrtentracht gemeint.
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Gesellschaft, die keineswegs so gleichbleibend und starr und unveränderlich war, wie es die kirchliche Ständelehre wahrhaben wollte und wie es eine romantische Mittelalterauffassung noch oft annimmt. Es sei hier nur daran erinnert, wie aus der zumeist unfreien bäuerlichen Bevölkerung unter adliger und kirchlicher Grundherrschaft der neue Stand der Ministerialen, der Dienstmannen im Königs- oder Fürsten- und Kirchendienst aufstieg zum Ritteradel, der die höfische Kultur und Dichtung um 1200 vornehmlich trug, und wie in denselben Jahrhunderten aus den gleichen Schichten sich die rasch wachsende Stadtbevölkerung absonderte zu ganz neuartigen, „bürgerlichen" Lebensformen, Wirtschafts-, Rechts- und Denkformen. So nahe es eigentlich liegen müßte, an Zusammenhänge und Vergleiche zwischen den neuen Gemeinschafts- und Korporations-Bildungen in den Städten und Zünften, auch in der Ministerialität und in den neuartigen religiösen Orden und andererseits in den Universitäten zu denken, so wenig ist doch in diesen Fragen die eifrige Ministerialen- und Städteforschung, die Ordens- und Universitätsgeschichte bisher über ihre monographische Vereinzelung hinausgekommen zu einer umfassenden, wirklich sachkundigen und unvoreingenommenen Analyse dieses sozial bewegten Zeitalters. Die Universität unterscheidet sich freilich von anderen ständischen Neubildungen schon dadurch, daß sie für die meisten ihrer Angehörigen nur ein Durchgangsstadium war, in dem sie nur zeitweise lebten. Man bleibt ja nicht Student, wie man Bürger oder Ritter wird und bleibt oder Kleriker und Mönch. Nur wer selbst Magister und Professor wird, bleibt lebenslang in der Universität; sonst kehrt man nach dem Studium normalerweise in den Stand zurück, aus dem man kam, in dem man geboren ist, wenn auch mit besseren Chancen für das Fortkommen in diesem Stand oder für den Aufstieg vom Bauern- und Handwerkersohn zum Kleriker oder Arzt, Advokaten oder Notar, allenfalls zum fast adelsgleichen fürstlichen Rat. Während der Studienzeit aber, die im Mittelalter meist früher zu beginnen und länger zu dauern pflegte als heutzutage, gehörte man mit den Magistern zusammen einem an-
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d e r e n S t a n d a n , d e m status studentium
o d e r ordo scholasticus,
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das heißt ganz konkret: einem a n d e r e n R e c h t s s t a n d als vor oder nach dem Studium, als der Adel oder die Bürger und Bauern. Man steht währenddessen unter anderer, eigener Gerichtsbarkeit der Universität, die sich ihr eigenes Statuten-Recht schuf, nicht unter geistlich-kirchlichem oder weltlich-staatlichem oder städtischem Recht, — wieder mit Ausnahme der Staatsuniversität Neapel. Die anderen Universitäten haben ihre Rechtsautonomie zwar nicht überall gleichmäßig erreicht, aber doch meist erfolgreich erstrebt und verfochten 1 . Schon als Friedrich Barbarossa im November 1158 auf dem Ronkalischen Reichstag das erste kaiserliche Privileg für Scholaren insbesondere des geistlichen und weltlichen Rechts gab 2 , stellte er die „aus Liebe zur Wissenschaft Heimatlosen" nicht nur unter seinen Schutz und verbot ihre Schädigung, sondern bestimmte zugleich, daß sie bei Rechtshändeln, wenn sie verklagt würden, selbst die Wahl haben sollten, ob ihr eigener Magister oder der Bischof der Stadt, in der sie studierten, über sie zu Gericht sitzen sollte — auch der Bischof jedoch nicht kraft seiner kirchlichen Rechts- und Amtsgewalt; sondern diese Jurisdiktion über Studenten — wobei vornehmlich an die Kanonisten und Kleriker unter ihnen gedacht sein mag — wird auch ihm eigens vom Kaiser übertragen, der noch ausdrücklich verbietet, die Scholaren vor einen anderen Richter zu ziehen. Nur ihr Magister oder der Bischof der Universitätsstadt soll — nach eigener Wahl — für sie zuständig sein. Dieses Privileg ließ Barbarossa in das Rechtsbuch Justinians eintragen (inter impe1
Darüber lehrreich Friedrich STEIN, Die akademische Gerichtsbarkeit in Deutschland (1891), der auch auf Bologna und Paris zurückgeht. 2 MG. Const. 1, S. 249 Nr. 178; Corpus Juris ed. MOMMSEN-KRÜGER 2 S. 511; auch bei K. ZETJMEE, Quellensammlung zur Gesch. d. D e u t s c h e n Reichsverfassung ( 2 1913), S. 17f. Nr. 1 4 d ; dazu H. DENIFLE, E n t s t e h u n g d. Univ. S. 4 8 f f . und bes. H. KOEPPLER, Frederick Barbarossa and the Schools of Bologna, Engl. Hist. Rev. 54 (1939), S. 577—607 mit verbessertem T e x t ; H. ULLMANIT, The medieval interpretation of Frederick I's A u t e n t i c a 'Habita' in: Studi in memoria di P a o l o K o s c h a k e r 1 (Milano 1953), S. 1 0 1 — 1 3 6 ; G. DE VERGOTTINI, LO Studio di Bologna, L'Impero, il P a p a t o (1954), S. 27ff.
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constituí
iones,
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als „ A u t h e n t i c a " bezeichnet — u n d m i t d e m
Anfangswort „Habita" — wie Justinians eigene „Novellen"); er ergänzte damit das römische Kaiserrecht, das man gerade in Bologna wieder zu studieren begann und das er auch zur Begründung seiner kaiserlichen Herrschaftsrechte in Italien als geltendes Recht in Anspruch nahm. Obgleich daher dieses erste Kaiserprivileg für Scholaren den Juristen immer bekannt blieb und später oft als „Palladium der akademischen Freiheit" gerühmt wurde, ist es doch nicht zur dauernden Grundlage und Norm des Universitätsrechts in Bologna und anderwärts geworden. Es spricht noch gar nicht von einer Korporation oder „Universitas" der Scholaren, und das Bologneser Studium wurde dadurch nicht — wie nachher Neapel — vom Kaiser als Staatsuniversität begründet, so wenig es durch spätere päpstliche Privilegien zu einer kirchlich-päpstlichen Anstalt wurde (wie die 1244/5 von Innozenz IV. an der römischen Kurie gestiftete Universität, die mit ihr später auch nach Avignon ging). Von Kaisern und Päpsten oft begünstigt, zumal gegenüber der städtischen Obrigkeit und Bürgerschaft, manchmal aber auch gehemmt und bedrängt, schloß sich vielmehr die Bologneser Studentenschaft selbst um 1200 zur „Universitas" zusammen, wählte eigene Rektoren aus ihrer Mitte, unterstellte sich ihrer Gerichtsbarkeit, berief und besoldete anfangs sogar ihre eigenen Lehrer und beschloß eigene Statuten: so konstituierte und behauptete sie sich zwischen staatlichen, kirchlichen, städtischen Gewalten als autonome Gemeinschaft, die für andere Universitäten zum anspornenden Vorbild wurde. — Auch in Paris wurde 1215 von einem päpstlichen Legaten anerkannt, daß jeder Magister die Gerichtsbarkeit über seine Schüler h a t t e l . Dort beanspruchte allerdings der bischöfliche Kanzler des Domkapitels von Notre-Dame die Aufsicht und Gerichtshoheit über die Pariser Schulen, und andrerseits griff bei Streitigkeiten auch der königliche Prevost ein. Dagegen verwahrten sich die Scholaren und ihre Magister und erwirkten i. J . 1200 von König Phi1 Quilibet magister forum sui scolaris habeat, C h a r t u l . U n i v . Paris. 1, S. 79 Nr. 20; ähnlich schon um 1170 in Reims, ebd. S. 6 Nr. 5.
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lipp II. August ein Privileg, das sie gegen Verhaftung und Verurteilung durch staatliche Instanzen sicherte 1 . Um aber die Ansprüche des bischöflichen Kanzlers gemeinsam abzuwehren und ihm auch die Erteilung der Lehrberechtigung nicht allein zu überlassen, schlössen sich die Pariser Magister nach 1200 zu einer „Uni versi tas" zusammen. Sie suchten und fanden dabei Rückhalt an der päpstlichen Kurie, die schon unter Innocenz III., einem dankbaren Schüler von Paris und Bologna, wie auch unter späteren Päpsten durch mancherlei Privilegien das Autonomiestreben der Universitäten förderte, auch gerade gegenüber den lokalen kirchlichen Gewalten, dem Bischof und seinem Kanzler, wie späterhin gegenüber fürstlichen und städtischen Obrigkeiten, die sich als Universitätsgründer möglichst viele Rechte vorbehalten oder anmaßen wollten. Mit kaiserlicher oder päpstlicher, königlicher oder fürstlicher Hilfe und Autorität — je nachdem — suchten die Universitäten ihre eigenen Rechte, ihre Selbständigkeit und Selbstverwaltung Zugewinnen, zu sichern und zu mehren. Sie waren dabei aber auch selbst nicht ganz ohnmächtig, nicht nur auf solche Hilfe angewiesen. Mehr als einmal hat eine Universität als Ganzes, als „Universitas von Dozenten und Studenten" gegenüber staatlichem oder kirchlichem Druck und Zwang damit gedroht — und nicht immer nur gedroht, — daß sie sich auflösen, die V o r l e s u n g e n e i n s t e l l e n und a n d e r s w o h i n z i e h e n könne. Schon das königliche Schutzprivileg von 1200 erwirkten die Pariser Studenten durch diese Drohung; 1229 haben sie wirklich mit allen ihren Magistern in einem schweren, in der Taverne beginnenden Konflikt mit der Stadt, dem Bischof und dem Königshof Paris verlassen. Manche gingen nach Orléans, viele nach Angers, wo seitdem neue Universitäten entstanden; 1
Chartul. Univ. Paris. 1 S. 59ff. Nr. 1; daß der König die Scholaren der iusticia ecclesiastica überläßt, wird 1229 bei der Erneuerung des Privilegs durch Ludwig I X . auf die scolares clerici eingeschränkt, ebd. S. 120ff. Nr. 66 — wieder ein Beweis, daß es auch in Paris Laien-Scholaren gab, die aber auch nicht der königlichen Gerichtsbarkeit unterstanden. — Vgl. A. L. GABRIEL, La protection des étudiants à l'Université de Paris au X I I I e siècle, R e v u e de l'Université d'Ottawa 1950 S. 1—24. 3
Grundmann,
Ursprung der
Universitär
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auch die junge Universität Toulouse versuchte die aus Paris emigrierten Magister und Scholaren für sich zu gewinnen 1 , ebenso der englische König, und wirklich bekam dadurch die Universität Cambridge stärkeren Zuzug, die wahrscheinlich 1209 auch durch eine Auswanderung von Oxforder Studenten im Streit mit ihrer Stadt entstanden war. Nach Paris kehrten die meisten Magister mit ihren Schülern erst nach zwei Jahren zurück, als ihre Forderungen dort weitgehend bewilligt wurden, vornehmlich dank päpstlicher Fürsprache und Vermittlung; sie ließen sich dabei aber ausdrücklich von Gregor IX. ermächtigen, die Vorlesungen wieder einzustellen, wenn ihre Privilegien verletzt würden 2 . Auch die ganze Universität Orléans wanderte 1316 im Streit mit der Bürgerschaft und dem König nach Nevers in Burgund ab und kam erst nach vier Jahren unter günstigeren Bedingungen zurück. In Italien entstand eine ganze Reihe neuer Universitäten durch die Abwanderung von Bologneser Professoren und Studenten, neben kleineren wie Vicenza (1204), Arezzo (1215), Siena (1246) auch Padua (1222), von dem sich dann schon sechs Jahre später wieder eine Universität in Vercelli abzweigte. Papst Honorius I I I . selbst mahnte 1217 die Bologneser Studenten, lieber die Stadt zu verlassen, ohne ihre societas aufzulösen, statt ihre libertas scholarium beeinträchtigen zu lassen durch den vom Bologneser Podestà ihnen zugemuteten Eid, nie anderswo zu lehren 3 . Die Gründung der Leipziger Universität infolge des Auszugs der deutschen Magister und Studenten aus Prag, wo sie sich von den allmählich zahlreicher studierenden, von König Wenzel begünstig1
Chartular. Univ. Paris. 1, S. 129 ff. Nr. 72, s. u. S. 5 3 f . ; das Werbeschreiben Heinrichs III. von England ebd. S. 119 Nr. 64. 2 Bulle .Parens scientiarum' v o m 13. IV. 1231, ebd. S. 137f. Nr. 79; Gregor I X . bestätigte dabei den Pariser Magistern und Scholaren, daß sie bei ihrem Auszug aus Paris visi sunt causam, agere non tarn propriam quam communem, ebd. S. 139. — Über den Pariser Universitätsstreit 1229/31 s. A. MASNOVO ( s . u . S . 5 3 , A n m . 4 ) c . 6 . 3 M. SARTI — M. FATTORINI, De claris Archigymnasii Bononiensis professoribus I, 2 (1772, 2 1896), S. 58, auch bei G. KAUFMANN, Gesch. d. dt. Univ.
1,
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ten Tschechen nicht majorisieren lassen wollten, steht also keineswegs vereinzelt und ohne Vorbild da, wenn dabei auch nationale Gegensätze mehr als sonst akut wurden 1 . Auch Greifswald nahm, fast zwanzig Jahre ehe es eine eigene Universität bekam, die Rostocker Magister und Studenten auf, die 1437 aus ihrer vom Kaiser geächteten, vom Papst mit Bann und Interdikt belegten Stadt weichen mußten und nach sechs Jahren nicht vollzählig zurückkehrten 2 . Und noch 1468 drohte die Kölner Universität der Stadt, an einen anderen Ort zu übersiedeln, nur weil der Kölner Rat, der sie gegründet hatte, eigenmächtig eine Professur besetzen wollte; schon die Drohung war hier wirksam genug, um ihren Willen durchzusetzen, zumal wiederum der Papst dabei die Universität unterstützte. 3 Alle solche Fälle zeigen drastisch genug, wie selbständig und unabhängig sich Universitäten gegenüber kirchlichen und staatlichen Obrigkeiten verhalten konnten, nicht einmal an ihren Ort, an ihren „ S t a a t " , selbst an ihren Stifter nicht unbedingt gebunden. So sehr waren sie zu Gemeinschaften für sich geworden und fühlten sich auf eigene Füße gestellt, daß sie unter Umständen sogar weggehen und selbst bestimmen konnten, wo und unter welchen Bedingungen sie leben und wirken wollten. Meist genügte freilich schon die Drohung mit dem Wegzug oder eine zeitweise Emigration, um ihren Willen durchzusetzen. Denn niemand wollte sie gern gehen lassen, während sie anderwärts stets freudig aufgenommen wurden. War eine eigene Universität mit zahlreicher Studentenschaft für eine Stadt gewiß auch wirtschaftlich vorteilhaft, so kann das allein doch das begehrenswerte Ansehen nicht erklären, das die Universitäten seit dem 13. Jahrhundert gewannen. Mochte es noch so oft 1
Vgl. d e m n ä c h s t Ferdinand SEIBT, Johannes H u s und der A b z u g der deutschen S t u d e n t e n aus Prag 1409, Archiv f. Kulturgesch. 39 (1957) mit älterer Lit. 2
O . K R A B B E , D i e U n i v e r s i t ä t R o s t o c k i m 1 5 . u . 1 6 . J h . 1 ( 1 8 5 4 ) S . LLOFF.;
J. G. L. KOSEGARTEN, Gesch. d. Univ. Greifswald 1 (1857), S. 27ff. 3 H. KETJSSEN, Die S t a d t K ö l n als Patronin ihrer Hochschule, W e s t d e u t sche Z. 9 (1890), S. 3 7 9 f f .
3»
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Reibereien und Konflikte mit den Bürgern der Universitätsstädte, mit staatlichen und kirchlichen Instanzen geben, die ihnen doch zumeist ein beträchtliches Maß an Autonomie gewähren mußten: trotzdem erschien es offenbar höchst wünschenswert, eine eigene Universität im eigenen Land, in der eigenen Stadt zu haben. Angesichts dieses hier nur in einigen Hauptzügen skizzierten Befundes drängt sich die Frage auf, wodurch denn diese eigentümliche Sonderstellung und Wertschätzung der Universitäten in der mittelalterlichen Gesellschaft begründet war, ihre Aussonderung aus der sozialen und kirchlichen Ständeordnung, ihre Sonderrechte, ihre weitgehende Verselbständigung gegenüber staatlichen und kirchlichen Gewalten. Es ist noch keine befriedigende Antwort auf diese Frage, wenn man die Entstehung der Universitäten in Zusammenhang bringt mit dem durch die Kreuzzüge geförderten Aufblühen von Handel und Verkehr, mit den Anfängen der Geldwirtschaft oder des Frühkapitalismus, mit dem dadurch bedingten Emporkommen der Städte namentlich in Italien und Frankreich, mit der Verbesserung der Landwirtschaft und der Stellung der in ihr beschäftigten Personen usw. 1 Das alles mag die Anfänge der Universitäten begünstigt, kann sie aber nicht verursacht haben; es sind Symptome einer vielfältigen Bewegung, über deren Gründe damit noch nichts gesagt ist. 2 Wirtschaftlich-soziale Motive und Interessen sind gewiß beim Aufstieg des Bürgertums, des Städtewesens, auch schon der Ministerialität unverkennbar die treibende K r a f t ; beider Entstehung der Universitäten versagt diese Erklärung. Sie entspringen und entsprechen zunächst weder dem Bedürfnis neu aufstrebender sozialer Schichten, so sehr diese später daran beteiligt sein mochten, 1
Louis HALPHEN, L ' E s s o r de l ' E u r o p e l i e — 1 3 e siècles ( 3 1 9 4 8 ) , S. lOOff.,
3 2 9 f i . ; vgl. S. STELLING-MICHAUD, L ' U n i v e r s i t é de Bologne . . ( 1 9 5 5 , s. u. S. 39, A n m . 2), S. 13. 2
So P a u l KOSCHAKER,, E u r o p a und das römische R e c h t (1947,
unver-
ä n d e r t 2 1 9 5 3 ) , S. 61 f., der m e i n t : ,,Die letzten Ursachen dieses geistigen Aufschwungs bleiben uns v e r b o r g e n " .
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noch dem Interesse der in Staat und Kirche herrschenden Stände und Mächte, wenn diese sich ihrer dann auch vielfach annahmen, sich ihrer zu bedienen und sie von sich abhängig zu machen suchten. Daß es aber überhaupt zur Entstehung von Universitäten kam, erklärt sich nicht aus staatlicher oder kirchlicher Initiative, nicht aus adligem oder bürgerlichem oder klerikalem Standesinteresse. Es muß andere Gründe haben. Man kann auch nicht sagen, daß dabei bestimmte Berufsinteressen maßgebend waren oder die Notwendigkeit der B e r u f s a u s b i l d u n g . Zweifellos besuchte man schon im Mittelalter wie heute die Universität, um sich zum Juristen, Theologen, Mediziner ausbilden zu lassen und mit diesen Kenntnissen und Fähigkeiten einen einträglichen, angesehenen Beruf zu ergreifen. Insofern sind unbestreitbar schon die mittelalterlichen Universitäten a u c h Stätten der Berufsausbildung. Manche alte Universitäten spezialisierten und beschränkten sich ja sogar auf bestimmte Berufsstudien, auf die Jurisprudenz wie viele italienische Universitäten oder auf die Medizin wie außer Salerno anfangs auch die südfranzösische Universität Montpellier, die erst nachträglich auch eine juristische, noch später eine theologische Fakultät bekam. In Bologna haben die Nicht-Juristen — Mediziner, Theologen und Artisten — um die Wende zum 14. Jahrhundert sogar eine zweite ,Universitas' für sich begründet neben der alten RechtsUniversität in der gleichen Stadt, die erst 1360/4 eine theologische Fakultät bekam. Jedenfalls gehörte es nicht ursprünglich und unerläßlich zum Wesen einer Universität, daß sie alle Wissenschaften, Fächer und Fakultäten umfaßt. Erst bei den späteren Universitäts-Gründungen besonders auch in Deutschland legte man darauf Wert —• ohne es immer gleich zu erreichen —, um möglichst alle akademischen Berufe an der eigenen Landesuniversität ausbilden zu können; da tritt offenkundig dieses Ziel in den Vordergrund. Selbst diese späteren Universitäten — die älteren erst recht — wurden aber immer auch von vielen Studenten besucht, die nicht Theologen, Juristen oder Mediziner wurden. Nicht nur, daß ziemlich viele dieses Ziel nicht erreichten und ohne
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akademische Würden und Grade die Universität verließen 1 ; viele drangen überhaupt nicht bis in diese ,höheren' Fakultäten vor, sondern begnügten sich mit dem Studium der ,Artes', der sieben freien Künste, — mit dem, was man heute Gymnasial- oder Allg e m e i n b i l d u n g nennen würde. Da lernte man in den drei ersten Fächern — im sogenannten Trivium — Grammatik, das heißt Latein, Dialektik, das heißt Logik, und Rhetorik einschließlich der vielverwendbaren Briefschreibekunst. Auf diesen Trivialkenntnissen bauten die Fächer des Quadriviums auf: Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musiktheorie. Das alles war in den Artistenfakultäten mittelalterlicher Universitäten zu lernen, die damit zugleich die Aufgabe unserer „höheren Schulen" und Gymnasien übernahmen. Denn es gab keinerlei Vorbedingungen einer abgeschlossenen Schulbildung vor dem Eintritt in die Universität, auch keine Aufnahmeprüfungen; was man an unerläßlichen Voraussetzungen für alle höheren Fachstudien nicht mitbrachte, mußte an der Universität erst nachgeholt werden, deren Studenten oft in jungen Jahren kamen und viele Jahre blieben. Daher waren die Artisten-Fakultäten mittelalterlicher Universitäten, aus denen unsere Philosophischen Fakultäten hervorgingen, in ihrem Lehrkörper und in ihrer Studentenschaft fast überall am zahlreichsten, oft auch — wie von Anfang an in Paris — am einflußreichsten. Noch 1536 heißt es in einem kurfürstlichen Fundationsbrief für die Universität Wittenberg, daß „die fakultet der artisten der ursprunck und stam ist und den anfang gibt zu allen anderen fakulteten und kunsten, denen (= Artisten) auch der gröser häuf der Studenten anhangt und volgt". 2 In Köln, wo es 1 S. die statistische Tabelle bei H. K E T J S S E N , Die alte Universität Köln (1934) S. 380; Fr. E U L E N B U B G , a. a. 0 . S. 308ff.; Fr. P A U L S E N , Hist. Z. 45 (1881), S. 293ff.: „ E t w a 1 / i — 1 / 3 aller Insoribirten verließen die Universität als baccalarii, kaum 1 / 2 0 — 1 j l e als magistri. Die übrigen gingen also als simple Scholaren ab, wie sie gekommen waren", ohne einen Studienabschluß; dafür gibt Paulsen statistische Belege aus mehreren deutschen Universitäten des 15. und 16. Jh. 2
Fr.
ISRAEL,
Das Wittenberger Universitätsarchiv (1913), S. 108f.
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sich statistisch am genauesten erfassen läßt, gehörten in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts über sieben Zehntel aller Studenten zur Artistenfakultät, zwei Zehntel waren Juristen, der Rest, nur ein Zehntel, verteilte sich auf Theologen und Mediziner 1 . Das zeigt schon zur Genüge, wie viele Studenten nicht eigentlich zur speziellen Berufsausbildung an die Universität kamen, sondern nur eine Allgemeinbildung in den Grundfächern erwarben. Auch das kann jedoch nichtder entscheidende Grund für die Entstehung der Universitäten gewesen sein. Diese Allgemeinbildung der sieben Artes konnte man ja auch vorher schon in Klosterschulen und Domschulen erwerben, und die Laien konnten das Nötigste davon auch bald in Stadtschulen lernen. Dazu bedurfte es keiner Universitäten, und nicht aus diesem Bedürfnis wurden sie geboren, wenn sie ihm dann auch neben der Berufsausbildung dienten. Primär aber und konstitutiv, wahrhaft grundlegend und richtungweisend für Ursprung und Wesen der Universitäten als ganz neuartiger Gemeinschaftsbildungen, Lehr- und Lernstätten sind weder die Bedürfnisse der Berufsausbildung oder der Allgemeinbildung noch staatliche, kirchliche oder sozialökonomische Impulse und Motive, sondern — kurz gesagt — das g e l e h r t e , w i s s e n s c h a f t l i c h e I n t e r e s s e , das Wissen- und ErkennenWollen. Was das besagt, sei zunächst an der Entstehung der ältesten Universitäten Bologna und Paris erläutert ; es wird sich dann auch durch manche Aussagen und Einsichten des Mittelalters selbst über diesen Tatbestand bestätigt finden. So viel schon über die A n f ä n g e d e r U n i v e r s i t ä t B o l o g n a geschrieben wurde 2 , so wenig genaues ist doch darüber bekannt; 1
EULENBURG S. 195; Tabelle bei KEUSSEN, Matrikel Köln 1 ( 2 1928) 195*;
v g l . P A U L S E N , H i s t . Z . 4 5 , 3 0 3 ff. 2 Zusammenfassend Albano SORBELLI, Storia della Università di Bologna 1 : Il Medioevo (Bologna 1944), der die ältere Literatur nennt; seitdem besonders beachtenswert Carlo CALCATERRA, Alma mater studiorum. L'Università di Bologna nella storia della cultura e della civiltà (Bologna 1948); Giovanni DE VERGOTTINI, Lo Studio di Bologna, l'Impero, il P a p a t o (Studi e Memorie per la Storia dell'Università di Bologna, N. S. 1, 1954); S. STELLING-MICHAUD,
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immerhin genug, u m ihren wahren Entstehungsgrund zu erkennen. Sie h a t kein Geburtsdatum, obgleich man 1888 ihren 800. Geburtstag glaubte feiern zu dürfen. Sie h a t keinen Stifter, aber als ihr eigentlicher Urheber galt von jeher der Magister Irnerius (oder Wernerius, Warnerius, Guarnerius, — derselbe Name wie Werner, ohne d a ß man ihn deshalb für einen Deutschen halten d a r f 1 ; er ist wohl u m 1055/60 in Bologna geboren, nach 1125 gestorben). „ E r war der erste, der in dieser Stadt die Rechte lehrte", schrieb um die Mitte des 13. J a h r h u n d e r t s der Bologneser Jurist Odofredus, et fuit primus illuminator scientie nostre, unde ipsum lucernam iuris nuncupamus. Er war Laie und magister artium; neben einem Formularbuch für den Kanzleigebrauch (Formularium tabellionum) schrieb er auch ein theologisches Sentenzenwerk 2 , eine systematisch geordnete Zusammenstellung patristischer Autoritäten. Nicht nur e i n e r Wissenschaft galt also sein Interesse ; auch an der frühscholastischen Sichtung der theologischen Überlieferung war er beteiligt, die um die gleiche Zeit wie die neue Rechtswissenschaft und mit ähnlichen Methoden einsetzte. Vielleicht u m 1088, jedenfalls noch vor dem Ende des 11. J a h r h u n d e r t s begann Irnerius in Bologna Vorlesungen über das römische Rechtsbuch Justinians zu halten. „Er wagte als erster sein Herz an dieses Rechtsbuch zu wenden" (primus, qui fuit ausus dirigere cor suum ad legem istam), sagt wiederum Odofredus emphatisch, obgleich er weiß, daß mit solchen Vorlesungen ein Magister Peppo voranging,der 1072 als advocatus, 1076 als legis doctor bezeugt ist: cepit auctoritate sua legere in legibus, ohne sich damit einen L'université de Bologne et la pénétration des droits romain et canonique en Suisse a u x X I I I e et X I V e siècles (Travaux d ' H u m a n i s m e et Renaissance 17, Genf 1955). 1
So z. B. Alois DEMPF, D i e H a u p t f o r m mittelalterlicher W e l t a n s c h a u u n g (1925), S. 82; dagegen schon Karl SCHULZ in der Übersetzung v o n W. MODDERMANN, Die R e c e p t i o n des römischen R e c h t s (1875), S. 2 2 f . mit A n m . 6. 2
Martin GRABMANN, Die Geschichte der scholastischen Methode 2 (1911), 131 ff. ; vgl. A. DEMPF a. a. 0 . S. 82£f. ; von den Rechtshistorikern wurde dieser liber sententiarum, quas Quarnerius iuris peritissimus ex libris Augustini aliorumque doctorum excerpsit, noch k a u m beachtet.
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großen Namen zu machen, meint Odofredus ziemlich geringschätzig, während Irnerius dann cepit per se studere in libris nostris et studendo cepit velle docere in legibus, et ipse fuit maximi nominis. Mindestens ein halbes J a h r h u n d e r t vor Odofredus beh a u p t e t allerdings ein Engländer Radulphus Niger, der in Paris studierte und mit J o h a n n von Salisbury befreundet war, d a ß schon von jenem Magister Peppo „wie im Aufgang der Morgenröte" das ius civile wiedergeboren wurde, das Magister Irnerius dann verbreitete und zu Ansehen brachte 1 . Wahrscheinlich war das die ältere Tradition, die später vom größeren R u h m des Irnerius und seiner Schüler überstrahlt wurde. Jedenfalls begannen diese Männer demnach „aus eigener Autorität" u n d „von sich aus", ohne Auftrag und Amt das römische Rechtsbuch Kaiser Justinians zu studieren und darüber zu lehren, nachdem diese Sammlung römischer Rechtsüberlieferung und Jurisprudenz seit einem halben Jahrtausend k a u m noch beachtet geschweige denn wissenschaftlich studiert und auch nirgends mehr als geltendes Recht praktiziert worden war. Ohnehin war dieses Corpus iuris „wegen seines Umfangs, seiner Schwierigkeit, der Komplexität seines Inhalts für die unmittelbare Anwendung in der Praxis ungeeignet" und wurde tatsächlich „niemals und nirgends wie ein modernes Gesetzbuch gebraucht" 2 . Weshalb also studierte, interH e r m a n n KANTOROWICZ u n d Beryl SMALLEY, A n english t h e o l o g i a n ' s view of r o m a n law : P e p o , I r n e r i u s , R a l p h Niger, in : Mediaeval a n d R e n a i s s a n c e Studies I, 2 ( W a r b u r g I n s t i t u t e L o n d o n 1943), S. 237—252 m i t d e m T e x t der u n g e d r u c k t e n .Moralia r e g u m ' von R a d u l p h u s Niger (geschrieben zwischen 1179 u n d 1189), S. 2 4 9 — 2 5 2 ; s. bes. S. 250: Cum igitur a magistro Peppone velut aurora surgente iuris civilis renasceretur initium et postmodum propagante magistro Warnerio iuris disciplina (ed. : disciplinam) religioso (s)cemate traheretur ad curiam Romanam et in aliquibus partibus terrarum expanderetur in multa veneratione et munàitia, ceperunt leges esse in honore simul et desiderio. . . Sed et quamquam ab initio displicerent iura principibus, quia vetustas consuetudines erasissent, tandem tarnen ecclesia procurante et propagante eorum scientiam, usque ad principes produxerunt eorum notitiam et apud eos invenit eis gratiam. Vgl. d a z u G. DE VERGOTTINI a. a. O. S. 6ff. 1
2
P . KOSCHAKER, E u r o p a u n d das r ö m . R e c h t S. 85, vgl. S. 66.
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H E R B E R T GRUNDMANN
pretierte und lehrte man es? Weshalb strömten diesen neuen Lehrern des römischen Rechts und ihren Nachfolgern bald zahlreiche Schüler aus aller Welt zu ? Sie konnten doch mit dem römischen Recht, das sie da studierten, zunächst gar nichts praktisch anfangen, denn es war wie gesagt nirgends geltendes Recht. Viel später erst, seit dem 15./16. Jahrhundert, dringt es eben durch die gelehrten, studierten Juristen in die Rechtsprechung vieler deutscher Territorien und anderer Länder ein; aber diese sogenannte Rezeption des römischen Rechts ist eine Folge, nicht die Ursache des gelehrten Rechtsstudiums an den Universitäten. Wohl berief sich schon Kaiser Friedrich I. auf manche Sätze dieses römischen Kaiserrechts, um seine Herrschaftsansprüche in Italien damit zu begründen; er ließ sich bei seiner Ronkalischen Gesetzgebung 1158 von vier berühmten Bologneser Doktoren beraten, den Schülern und Nachfolgern des Irnerius, und er hat eben damals auch deren Schüler privilegiert und unter seinen Schutz gestellt. Vierzig Jahre früher schon hatte Kaiser Heinrich V. auf seinem letzten Italienzug 1116/18 den Magister Irnerius zu Rate gezogen, der um seinetwillen sogar in den Kirchenbann kam 1 , weil er an der Erhebung des Gegenpapstes Gregor VIII. (Burdinus) als Rechtsberater beteiligt war. Und noch früher soll die alte Gräfin Mathilde von Canossa ( f l l l 5 ) , einst mit Gregor VII. befreundet, seit 1111 aber vom Kaiser zur Reichsvikarin für Italien bestellt, den Magister Irnerius gebeten haben, das Studium des römischen Rechtes zu erneuern, — wenigstens erzählt das über hundert Jahre später der schwäbische Chronist Burchard von Ursberg 2 . Dadurch wurde jedoch das Studium in Bologna allenfalls legalisiert und gefördert, nachdem Irnerius dort längst aus 1
Walter HOLTZMANN, Neues Archiv 50 (1935), S. 317 u. 319; DE VER-
GOTTINI S. 18 S . 2
Die Chronik des Propstes Burchard von Ursberg, hg. v. O. HOLDER-
EGGER u n d B. v. SIMSON (Scr. r e r . G e r m . 2 1916), S. 1 5 : dominus
Wernerius
libros legum, qui dudurn neglecti fuerunt, nec quisquam in eis studuerat, ad petitionem Mathilde comitisse renovavit. Geschrieben um 1229, nicht „zwischen 1 1 2 5 u n d 1 1 3 8 " , w i e SORBELLI S. 3 7 u n d CALCATERRA S. 18 m e i n e n .
Vom Ursprung der Universität im Mittelalter
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eigener Initiative zu lehren begonnen hatte 1 . Wenn das römische Recht seitdem wieder als Kaiserrecht 2 galt und imperialen Ansprüchen dienen konnte, wenn sein Ansehen dadurch gesteigert und aktualisiert wurde, so wurde es doch gewiß nicht zuerst um dessentwillen von den Magistern Peppo und Irnerius und ihren Schülern studiert und gelehrt. Außerhalb des kaiserlichen Machtbereiches mußte ihm dieses Ansehen als Kaiserrecht sogar eher hinderlich sein. Der Engländer Radulphus Niger meint gegen Ende des 12. Jahrhunderts, das römische Recht mißfiel anfangs den Fürsten, weil es das alte heimische Gewohnheitsrecht gefährdete, und erst die — nach seiner Ansicht von der Kirche geförderte — Rechtswissenschaft habe es schließlich auch den Fürsten bekannt und annehmbar gemacht 3 . Tatsächlich verbot der englische König Stephan um 1150 die neue Lehre des römischen 1
Die Mitwirkung Heinrichs V. und der Gräfin Mathilde als seiner „Reichsvikarin" bei der Begründung der Rechtssehule von Bologna entdeckte und überschätzte L. SIMEONI, Bologna e la politica di Enrico V, Atti e Memorie della Deputazione di Storia patria per 1' Emilia e la Romagna 2 (1936/37) 141—163; Un nuovo documento su Irnerio, ebd. 4 (1938/39), S. 55—64; La lotta dell'investiture a Bologna e la sua azione sulla città e sullo studio, Memorie della R. Accad. delle scienze dell'Istituto di Bologna, classe mor., ser. IV, 3 (1941). Unter dem Eindruck von Simeonis These spricht auch CALCATERRA S. 18 von einer „costituzione regia dello Studio bolognese", richtiger S. 16 von „riconoscimento ufficiale" der „scuola del maestro p r i v a t o " ; ähnlich S . S T E L L I N G - M I C H A U D S . 20, A n n . 3: „origines impériales du Studium de Bologne", aber S. 14: „origine laïque et privée"; vgl. auch P. K O S C H A K E R a . a . O . S. 73: „Bologna war eine private Gründung, und die Glossatoren waren unabhängig von den Kaisern zu R u h m und Ansehen gelangt". Vollends überzeugend begründet D E V E R G O T T I N I seinen Widerspruch gegen Simeoni: „Lo studio sorse spontaneamente e assurse a f a m a europea senza una azione qualsiasi dell'Impero e del P a p a t o " ; erst nach der Mitte des 12. J h . „l'influenza dell'Impero e, più continuamente, quella del P a p a t o fu decisiva per la sua ulteriore ascesa a centro fondamentale della vita culturale dell'Europa medievale" (S. 5). 2
Hermann KRAUSE, Kaiserrecht und Rezeption, Abhandl. d. Heidelberger Akademie, phil.-hist. Kl. 1952, 1. 3
S. o. S. 41 Anm. 1.
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HERBERT
GRUNDMANN
Rechts in seinem Staat 1 , und noch 1234 wiederholte König Heinrich III. von England dieses Verbot für die Londoner Schulen 2 . In England wurde wohl auch eine angebliche Bulle Papst Innocenz' IV. erdichtet und lanciert mit dem Verbot von Vorlesungen über römisches Recht in Frankreich, England, Schottland, Wales, Spanien und Ungarn, sofern deren Herrscher es wünschten 3 . Das Vorbild dieser Fälschung ist eine echte Bulle Honorius' III. von 1219, die bei Strafe der Exkommunikation die Lehre und das Studium des jus civile an der jungen Pariser Universität untersagt, da in Frankreich die Laien die Gesetze römischer Kaiser nicht brauchen und der Klerus mit dem kanonischen Recht auskomme 4 . Falls der französische König Philipp II. August dieses Verbot nicht selbst erwirkte, wie sein Urenkel Philipp der Schöne behauptete, so war es ihm doch jedenfalls nicht unerwünscht. Diese Abwehr des römischen Rechts und seines Studiums ließ sich freilich weder in England noch in Frankreich, auch an der Pariser Universität nicht dauernd aufrecht erhalten. Philipp der Schöne empfahl es sogar 1312 in einer Ordonnanz für die Universität Orléans, weil es den Verstand schärfe, moralisch wirksam 1 -Johann von SALISBURY, Policraticus VIII, 22 ed. C. C. J. Webb 2 (1909) S. 399 : Tempore regis Stephani a regno iussae sunt leges Romanae . . Ne quis etiam libros retineret, edicto regio prohibitum, est; s. F. LIEBERMANN, Engl.
H i s t . R e v . 11 ( 1 8 9 6 ) 3 0 7 Î Ï . 2
Close Rolls of Henry III, 1234—1237 (London 1908), S. 26; vgl. Fr. POL-
LOCK —
F . W . M A I T L A N D , H i s t o r y of E n g l i s h L a w
1 (21923),
S . 1 1 8 f.
Noch
Wyclyf polemisiert gegen das Studium des römischen Rechts, der leges imperiales, in England, s. F. W. MAITLAND, English Law and the Renaissance (1901) 3
S. 11, 5 2 .
Chart. Univ. Paris. 1, S. 261 f. Nr. 235, überliefert nur in der Chronica major des Matthäus Paris (ed. Luard 6, 283); daß diese Bulle .Dolentes' unecht ist, wie schon Denifle annahm, bewies Georges DIGARD, La papauté et l'étude du droit romain au X I I I e siècle, Bibl. de l'école des chartes 51 (1890), S. 324—332. 4 Chart. Univ. Paris. 1, S. 90S. Nr. 32. Vgl. Walther KIENAST, Deutschland und Frankreich in der Kaiserzeit (1943), S. HOf. mit Lit.; dazu Stephan KUTTNER, Papst Honorius III. und das Studium des Zivilrechts, Festschrift für Martin Wolff (1952), S. 79ff,. bes. 99ff.
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V o m Ursprung der U n i v e r s i t ä t i m Mittelalter
sei und auch das Verständnis und die Anwendung des in seinem Lande geltenden ungeschriebenen Rechtsbrauchs fördere. Aber diese Einsicht kam ziemlich spät, nachdem längst zahlreiche Studenten auch aus Frankreich und England, aus Spanien und andern nicht-kaiserlichen Ländern in Bologna das römische Recht studiert hatten 1 . Daß es als Kaiserrecht galt, konnte sie nicht dazu veranlassen; daß sich ihre eigenen Herrscher dagegen sträubten, konnte sie nicht daran hindern. Die Kirche und die päpstliche Kurie hat sie erst recht nicht dazu angespornt. Zwar beteuerte Honorius III., daß die Kirche legum secularium
non respuat
famulatum2,
u m im gleichen A t e m
aber das Studium des Zivilrechts in Paris zu unterbinden, weil es allzu viele Kleriker vom Studium der Theologie abzulenken drohte; und wie es den Mönchen und Regularkanonikern schon durch Konzilsbeschlüsse des 12. Jahrhunderts untersagt war, erweiterte Honorius dieses Verbot des Zivilrechts-Studiums auf alle Priester und einen großen Teil des Pfarr- und Kapitelsklerus. Mag das alles aus Fürsorge für das theologische Studium, aus disziplinaren und pastoralen Gründen erklärlich sein und nicht aus einer grundsätzlichen Feindschaft der Kurie gegen das römische Recht 3 , so ging doch von ihr jedenfalls nicht die Initiative zu 1
A. ALLARIA, English Scholars a t Bologna during the Middle Ages, D u b l i n R e v i e w 112 (1893), S, 6 6 — 8 3 ; R. J. MITCHELL, English law s t u d e n t s a t Bologna in the 1 5 t h C e n t u r y , Engl. Hist. R e v . 51 (1936), S. 2 7 0 — 2 8 7 . — B e n e t o PÉREZ, La tradición e s p a ñ o l a en Bolonia, R e v i s t a de archivos 1 (1929), S. 174 bis 184; J. MIRET Y SANS, Escolars catalans al e s t u d e de Bolonia en la X I I I centuria, Boletín de la A c a d e m i a de B u e n a s Letras de Barcelona 8 (1915), S. 137—155. — Eine entsprechende Arbeit über französische S t u d e n t e n in Bologna fehlt, doch sind 1265 v o n 14 „ N a t i o n e n " in B o l o g n a 7 f r a n z ö s i s c h : Francia ( = Ile-de-France), Provence, Picardie, Burgund, Poitou, Touraine, Gascogne. 2 Chart. U n i v . Paris. I, 92 Nr. 3 2 ; doch ist die Geringschätzung n i c h t zu überhören, mit der Honorius unmittelbar vorher v o n den traditiones secularium. principum spricht; vgl. W. ULLMANN, Honorius I I I a n d the prohibition of Legal Studies, Juridical R e v i e w 60 (1948), S. 1 7 7 — 1 8 6 ; St. KUTTNER a. a. 0 . 3
S o G. DIGARD a. a. O. u n d S t . KUTTNER S. 82FI.,
der
wohl
den
früher
bisweilen polemisch überspitzten A n t a g o n i s m u s zwischen k a n o n i s c h e m und
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Hebbert Grundmann
dessen Studium aus. Erst nachdem es schon über ein Jahrhundert lang in Bologna studiert wurde, schaltete die Kurie sich ein, indem Honorius I I I . die Erteilung der Lehrberechtigung dem Bologneser Archidiakon vorbehielt. Seitdem erst wurde die Universität — nicht zum wenigsten aus politischen Gründen — von den Päpsten begünstigt, gefördert, privilegiert, aber auch kontrolliert 1 . Schon längst vorher hatten aber auch viele Kleriker in Bologna nicht nur kanonisches, sondern auch römisches Recht studiert. Nach alledem ist für die Entstehung dieses Rechtsstudiums und damit der Universität Bologna keine andere Ursache zu entdecken als das gelehrte, wissenschaftliche Interesse, das sich dem seit Jahrhunderten kaum noch beachteten römischen Rechtsbuch zuwandte, als Männer wie Peppo und Irnerius darüber zu lehren begannen, — nicht um eigener Rechtspraxis willen, nicht aus staatlichem oder kirchlichem, wirtschaftlichem oder sozialem Interesse an seiner Verwendung, sondern zunächst aus spontanem juristischem Wissensdrang. Wenn es bald von kaiserlicher Seite gefördert und genutzt wurde, von vielen gewiß auch als förderlich erkannt für ihr Fortkommen und Einkommen, da man diese Rechtskenntnisse schätzen lernte, so stand doch am Anfang ein Erkenntnisdrang, dem es zunächst nicht um Verwertung des Erkannten für praktischen Nutzen und Gewinn ging 2 , sondern um Verständnis und Einsicht. Darin liegt der wahre Ursprung der Universität Bologna. Es ist dafür bezeichnend, daß ihr Rechtsrömischem Recht seinerseits zu apologetisch in Abrede stellt. Vgl. auch S. S t e l l i n g - M i c h a u d S. 125 ff. c. 10: Les ecclésiastiques et l'étude du droit. 1 R a s h d a l l - P o w i c k e - E m d e n , Univ. of Europe 2 1 , S. 2 2 1 F I . und 2 3 1 t ; G . D e V e e g o t t i n i S . 70FF. 2 Vgl. auch Fr. S t e i n , Die akadem. Gerichtsbarkeit in Deutschland (1891 ), S. 22: „Das Studium war Selbstzweck; denn wenn auch der studierte Jurist in seiner Heimat bessere Aussichten auf hohe Stellungen in Staat und Kirche hatte, so gab es doch auf diesem wie auf anderen Gebieten außer der Lehrtätigkeit selbst kein Amt und keine Stellung, für welche ein bestimmtes Studium oder ein formeller Abschluß desselben die Vorbedingung gebildet hätte. Dem ganzen Mittelalter war der Begriff des Brotstudiums fremd".
V o m Ursprung der Universität im Mittelalter
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Studium immer in erster Linie nicht dem Codex Justinians galt, der Sammlung kaiserlicher Edikte, denen man allenfalls noch Geltung zusprechen konnte, sondern den Institutionen und den Digesten, d. h. der Einführung ins Rechtsstudium und der Überlieferung römischer Jurisprudenz 1 . Damit war für die Rechtspraxis wenig anzufangen, um so mehr für die Rechtswissenschaft, deren Lehre den Keim und Kern der Universität Bologna und der von ihr abgezweigten italienischen Universitäten bildete. Wie aus diesem Keim der korporative Zusammenschluß erst der Schülerschaft einzelner Lehrer zu einer societas, dann der Landsmannschaften von Studenten gleicher Herkunft zu den „Nationen", schließlich der Gesamtheit auswärtiger Studenten in Bologna zu einer ,,Universitas Ultramontanorum" und einer „Universitas Citramontanorum" unter selbstgewählten Rektoren erwuchs, denen aber die einheimischen, zur Bologneser Bürgerschaft gehörenden Studenten nicht angehörten, das ist weniger deutlich bezeugt und im einzelnen hier nicht zu verfolgen. Im Barbarossa-Privileg von 1158 sind solche Korporationen noch nicht erwähnt, gegen Ende des 12. Jahrhunderts sind sie bereits organisiert. Gewiß waren dabei sehr konkrete Interessen wirksam zur Sicherung gemeinsamer Rechte gegenüber der Bologneser Bürgerschaft (zumal in Wohnungs- und Preisfragen), dem Podestà und dem Bischof, auch gegenüber den eigenen Lehrern und 1 P. KOSCHAKER, Europa und das röm. Recht S. 69; die These v o n Franz WIEACKER, V o m römischen R e c h t (1944), S. 148ff-, daß das Corpus juris schon von Justinian mehr für den Unterricht an Rechtsschulen als für die Rechtspraxis b e s t i m m t war, hält KOSCHAKER S. 355 für eine „ansprechende H y p o these"; sie „erleichtert das Verständnis der E n t w i c k l u n g im Abendlande, w o die Wiederbelebung des römischen R e c h t s durch die Glossatoren im R e c h t s unterricht in dem Momente beginnt, da diese in den Besitz der vollständigen Digesten gelangen". N o c h richtiger wäre zu sagen, daß die (immer vorhandenen, aber k a u m noch beachteten) Digesten „ w i e d e r e n t d e c k t " wurden, als das wissenschaftliche Interesse a m R e c h t s s t u d i u m erwachte und sich vornehmlich ihnen z u w a n d t e . U n d w e n n KOSCHAKER fortfährt: „ S e i t dieser Zeit datiert auch die enge Verbindung der Pflege des röm. R e c h t s m i t den U n i v e r s i t ä t e n " , so m u ß es zutreffender heißen: Hierin liegt der Ursprung der U n i v e r s i t ä t Bologna.
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HERBERT
GRÜNDMANN
bei manchen Rivalitäten untereinander. Was aber diese Interessengemeinschaft allererst stiftete, war nach wie vor das Studieni n t e r e s s e d e r e r , d i e — amore scientie
facti exules (wie es i m B a r b a -
rossa-Privileg hieß) — sich gegen die Gefahren der Fremde gemeinsam schützen wollten und deshalb zur „Universitas" zusammenschlössen. Das die P a r i s e r U n i v e r s i t ä t gleichfalls aus spontanen Impulsen des gelehrten Studiums entstand, ist nur deshalb weniger klar und eindeutig sichtbar, weil ihr dort eine angesehene Domschule von Notre-Dame voranging und in ihr aufging. Als deren Leiter beanspruchte der bischöfliche Kanzler, Mitglied des Domkapitels, die Aufsicht auch über andre Pariser Schulen, wollte sich die Erteilung der Lehrberechtigung auch an ihnen vorbehalten und dadurch maßgebenden Einfluß auf die aus dem korporativen Zusammenschluß der Magister erwachsende Universität gewinnen und behaupten. Kathedralschulen für den Klerus einzurichten, war allen Bischöfen durch Konzilbeschlüsse des 9. und 11. Jahrhunderts geboten. Alexander III. hatte insbesondere den französischen Bischöfen und auf dem 3. Laterankonzil 1179 allgemein eingeschärft, dafür geeigneten Magistern die Lehrberechtigung ohne Entgelt zu erteilen 1 . Aber keine dieser Domschulen ist eigen wüchsig zu einer Universität geworden, und keine der ins 12. Jahrhundert zurückreichenden Universitäten ist aus einer Kathedralschule entstanden 2 . Auch in Paris hätte sich 1 Vgl. Gaines POST, Alexander III, the .licentia docendi' and the rise of the Universities, Anniversary Essays in mediaeval history by students of Ch. H. HASKINS (1929), S. 255—277; Emile LESNE, Histoire de la propriété ecclésiastique en France 5 : Les écoles de la fin du V I I I e siècle à la fin du X I I e . (Mémoires et travaux pubi, par les professeurs des Facultés catholiques de Lille 50, 1940), S. 197—267. 2 G. POST S. 265: ,,No University arose from the mere expansion of a cathedral school proper into a .Studium generale', but rather from the concentration of a large number of masters and students where conditions favored them"; ebd. über die Universitäten Bologna, Paris, Oxford, Salerno, Montpellier: „All of them developed spontaneously, without being founded by any authority, civil or ecclesiastical"; überall schaltet sich erst nachträglich das
Vom U r s p r u n g der U n i v e r s i t ä t im M i t t e l a l t e r
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keine „Universitas" gebildet, wenn nicht neben der Domschule und außerhalb der Kompetenz ihres Kanzlers, vornehmlich auf dem linken Seine-Ufer im Bereich der Abtei Sainte-Geneviève, neue Schulen gleichsam aus wilder Wurzel gewachsen wären, weil dort Gelehrte auf eigene Faust, ohne Amt und Auftrag, nur durch ihre geistige Wirkung zahlreiche Schüler um sich scharten 1 . Bei ihnen war nicht in erster Linie das Rüstzeug für eine normale theologische Berufsausbildung zu finden. Oft genug kamen sie und ihre Schüler durch ihren Wissensdrang in Konflikt mit den kirchlichen Instanzen, wie es am drastischsten die Lebens- und Leidensgeschichte Abälards erzählt 2 , der ohne kirchliche Erlaubnis eigenmächtig zu lehren begann. Wie ihm, wurde auch Gilbert de la Porrée, dem Bischof von Poitiers, und manchen anderen der Prozeß gemacht und das Urteil gesprochen, weil sie sich nicht mit der Lehre der kirchlichen Tradition und ihrer sanktionierten Autoritäten begnügen, sondern sie selbständig durchdenken, klären, weiterführen wollten und sich dabei der Anklage auf Häresie aussetzten. Als im zweiten Prozeß gegen Abälard, „der alles was Gott ist, mit menschlicher Vernunft meint begreifen zu P a p s t t u m ein, u m die E r t e i l u n g der licentia docendi kirchliehen I n s t a n z e n vorz u b e h a l t e n . Vgl. a u c h im gleichen Sinn Louis HALPHEN, Les u n i v e r s i t é s a u X I I I e siècle, in seiner A u f s a t z s a m m l u n g : A t r a v e r s l ' h i s t o i r e d u m o y e n - â g e (1950), S. 298—334. A u c h die D o m s c h u l e in Orléans, im 12. J h . d u r c h die Pflege der G r a m m a t i k u n d R h e t o r i k b e r ü h m t , w u r d e erst zur U n i v e r s i t ä t , seitdem 1229 P a r i s e r Magister u n d S t u d e n t e n d o r t h i n e m i g r i e r t e n u n d d a s in P a r i s v e r b o t e n e römische R e c h t d o r t gelehrt w u r d e . Die Meinung von G. MANACORDA, Storia della scuola in I t a l i a (1913/14) I, 1 S. 187FL., d a ß die U n i v e r s i t ä t Bologna — a n der a n f a n g s Theologie gar n i c h t gelehrt w u r d e ! — aus einer bischöflichen Schule h e r v o r g e g a n g e n sei, ist l ä n g s t widerlegt, s. G. CBNCETTI, Sulle origini dello S t u d i o di Bologna, Riv. Stor. Ital. VI, 5 (1940) S. 2 4 9 . 1 Vgl. L. HALPHEN, Les origines de l ' U n i v e r s i t é de Paris, i n : A t r a v e r s l'hist. d u m o y e n - â g e (1950), S. 286—298, der a u s der lokalen S i t u a t i o n der Pariser Schulen die A n f ä n g e der U n i v e r s i t ä t s - O r g a n i s a t i o n a n s c h a u l i c h einleuchtend erklärt. 2
N e u e A u s g a b e der H i s t o r i a c a l a m i t a t u m von J . T. MÜCKLE i n : M e d i a e v a l
S t u d i e s 12 ( T o r o n t o 1950), S. 4
Grundmann,
Ursprung
der
163—213
Universität
50
H E B B E R T GRTJNDMANN
können", auf Betreiben Bernhards von Clairvaux die Synode von Sens 1141 eine päpstliche Entscheidung und Verurteilung erbat, glaubte Innocenz II. sich noch auf ein Edikt römischer Kaiser des 5. Jahrhunderts berufen zu dürfen, das Klerikern wie Laien die öffentliche Erörterung des christlichen Glaubens als Sakrileg verbot, weil über das bereits Entschiedene und richtig Geregelte (rede disposito) nicht mehr disputiert werden dürfe ; ein Kleriker, qui -publice tractare de religione ausus fuerit, soll aus dem Klerus ausgeschlossen werden 1 . So einfach ließ sich aber auch die theologische Diskussion — ebenso wie das Studium des römischen Rechts — nicht mehr unterbinden, seitdem sich zumal in der Polemik des Investiturstreites gezeigt hatte, wie strittig und widerspruchsvoll die kirchlichen Traditionen und Autoritäten verstanden u n d benutzt, wie verwirrend sie gegeneinander ausgespielt werden konnten, wie dringend sie deshalb der Interpretation, der scharfsinnigen Prüfung u n d Begrenzung ihrer Bedeutung u n d Tragweite bedurften, um miteinander vereinbar und in ihrem Wahrheitsanspruch unerschüttert zu bleiben. Abälard h a t in seiner Schrift Sic et non ( „ J a und Nein") solche scheinbaren Widersprüche der Bibel, der Kirchenväter und des Kirchenrechtes schroff nebeneinandergestellt, gerade um die Leser ad maximum inquirendae veritatis exercitium zu „provozieren" u n d sie dadurch scharfsinniger zu machen; denn der erste Schlüssel zur Weisheit sei häufiges, ständiges Fragen 2 . Dieses boh1 Otto von FREISING, Gesta Friderici 1,50 (Scr. rer. Germ, in us.schol. 3 1912), S. 73: die Bulle Innocenz' II. vom 16. Juli 1141 (Jaffé-Lowenfeld, Reg. Pont. Rom. 2 I 8148) zitiert ein Edikt Valentinians I I I . und Marcians von 452, das im Codex Justinians I, 4 (ed. KRÜGER S. 6) steht. 2 Migne, P a t r . lat. 178, 1349 A (Prolog zu ,Sic et non'): Placet, . . diversa sanctorum patrum dicta colligere, quando nostrae occurrerint memoriae, aliquam ex dissonantia, quam habere videntur, quaestionem contrahentia, quae teneros lectores ad maximum inquirendae veritatis exercitium provocent et acutiores ex inquisitione reddant. Haec quippe prima sapientiae clavis definitur, assidua scilicet seu frequens interrogatio. Vgl. ebd. 1344f.: solvere controversias in scriptis sanctis und Abälards Dialéctica 2, Analytica priora 1 (ed. V. Cousin, Ouvrages inédits d'Abélard, Paris 1836, S. 228): Post omnes tarnen (d. h. nach den vor-
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rende Fragen und Forschen, so eigensinnig, vermessen und bedenklich es vielen Zeitgenossen erscheinen mochte, hat im 12. Jahrhundert die Schulen entstehen lassen, deren Magister sich dann mit denen der Pariser Domschule zur Universität verbanden. Dieses In-Frage-stellen auch der Traditionen und Autoritäten, gerade um ihre wahre Bedeutung zu ergründen und ihre Geltung gegen den Einwand anderer, scheinbar damit unvereinbarer Autoritäten zu sichern, führte zur Ausbildung der dialektischen, scholastischen Methode, die neben der glossierenden Exegese recht eigentlich zur Denk- und Lehrform mittelalterlicher Universitäten, Vorlesungen und Lehrbücher wurde, in der Theologie wie in der Jurisprudenz. Freilich trat die Theologie nicht als neue Wissenschaft auf den Plan wie die Jurisprudenz; sie hatte eine reiche alte Tradition und wurde längst an Kloster- und Domschulen gelehrt. Aber ähnlich wie von dem um 1100 „wiederentdeckten" Rechtsbuch Justinians das juristische Studium in Bologna und anderwärts ausging, wirkte die neue Kenntnis der erst seit dem 12. Jahrhundert ins Latein übersetzten A r i s t o t e l e s - S c h r i f t e n über Naturphilosophie und Metaphysik auf das Theologie- und Philosophie-Studium, das sich an der Pariser Universität konzentrierte und organisierte. Niemand wird es nur für ein zufälliges Zusammentreffen äußerer Anstöße halten wollen, daß diese antiken Überlieferungen der griechischen Philosophie und des römischen Rechts um die gleiche Zeit dem Abendland bekannt wurden und daß ihr Studium zur Entstehung der Universitäten führte. So vielerlei äußere Umstände, Zufälle und Anlässe der historischen Situation dabei mitwirken mochten und mußten, entscheidend war doch zweifellos das gelehrte, wissenschaftliche Interesse, das sich diesen so lange unbeachteten Werken jetzt erst zuwandte, her g e n a n n t e n a n t i k e n Logikern von Aristoteles bis Boethius) ad perfectionem doctrinae locum studio nostro . . reservatum non ignoro. Item quae ab eis summatim designata sunt vel penitus omissa, labor noster in lucem provehat . . et schismaticas expositiones contemporaneorum nostrorum uniat et dissensiones modernorum . . dissolvat. 4»
52
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sie aufspürte und sich zu eigen machte. An der Aristoteles-Rezeption können dabei noch weniger als an der Wiederentdeckung des Corpus juris andere Interessen, berufliche, politische oder „praktische" ursächlich beteiligt gewesen sein. Von kirchlicher Seite standen ihr sogar noch stärkere Hemmungen und Widerstände entgegen. Die Aristoteles-Schriften zur Logik, die bereits Boethius übersetzte, waren zwar längst im Schulgebrauch; schon ihre seit Abälard zunehmende Verwendung in der theologischen Dialektik weckte aber Mißtrauen und Widerspruch gegen das „Philosophengeschwätz", die facunda, sed infecunda phyloso•phorurn loquacitas, da Christi Geist nicht herrsche, wo der Geist des Aristoteles dominiere 1 , — wie Bernhard von Clairvaux auch der lex Justiniani die lex Domini entgegenhielt 2 . Wie sollte vollends die um 1200 im Abendland bekannt werdende Naturphilosophie, Psychologie und Metaphysik des heidnischen Philosophen, der die Ewigkeit der Welt ohne Schöpfung und Weltende lehrte, nicht aber die Unsterblichkeit der Einzelseele, mit der christlichen Glaubenslehre vereinbar sein? Kein Wunder, daß sie konservativen Theologen als Quelle häretischer Irrlehren zum mindesten verdächtig und bedenklich, wenn nicht überhaupt unannehmbar erschien. Gerade in den Jahren, als die Pariser universitas magistrorum sich bildete, k a m es in dieser Frage zu einer akuten Krise. Pariser Magister wie der frühere päpstliche Kaplan David von Dinant und der bereits 1206 verklagte und nach vergeblicher Appellation an den P a p s t verstorbene Amalrich von Bena, der dem französischen Thronfolger nahegestanden hatte, auch eine ganze Reihe seiner Schüler, die zum Teil schon Magister der Theologie waren, wurden 1210 vor einer Pariser Synode als Ketzer verurteilt; und da die neuerdings bekannt gewordenen Aristoteles-Schriften als Quelle ihrer Irrlehren galten, wurde zugleich von der Synode bei Strafe der Exkommunikation ver1
Vgl. Martin GRABMANN, Aristoteles im Werturteile des Mittelalters, in: Mittelalterl. Geistesleben 2 (1936), S. 63—102, bes. S. 75; vgl. ebd. 3 (1956), S. 64ff. 2 Bernhard von CLAIRVAUX, De consideratione 1, 4, Migne P. L. 182, 732.
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boten, daß weiterhin über diese libri naturales und die Kommentare dazu in Paris öffentlich oder geheim Vorlesungen gehalten würden 1 . Dieses Verbot wiederholte fünf J a h r e später der Kardinallegat Robert von C o u p o n , der früher selbst Pariser Theologie-Professor gewesen war und 1215 im Auftrag P a p s t Innocenz' I I I . die Studienordnung der Universität regelte 2 . Wahrscheinlich hat wenigstens ein Teil der Pariser Theologen diese kirchlichen Eingriffe und Verbote selbst gewünscht und schon auf der Synode von 1210 den Erzbischof von Sens, der sie leitete und der früher ihr Kollege war, wie nachher den Kardinallegaten dabei beraten 3 . Trotzdem h a t sich die Pariser Universität dadurch das Aristoteles-Studium nicht auf die Dauer verwehren lassen. Den studierenden Dominikanern verbot zwar noch im Mai 1228 ein Pariser Generalkapitel ihres Ordens: In libris gentilium et philosophorum non studeant, etsi ad horam inspiciant und kurz danach glaubte Papst Gregor I X . auch die Pariser Magister der Theologie wieder eindringlich warnen zu müssen, sie sollten den theologicus intellectus nicht von der doctrina philosophica naturalium beirren lassen und sich nicht mit einer Wissenschaft brüsten, die ihren Hörern nicht f r o m m t 5 . Aber bald mußte auch der Papst nachgeben. Der Pariser Universitäts-Streik von 1229 brach auch darin Bahn 6 . An die Magister und Scholaren, 1 Chart. Univ. Paris. 1, 70 Nr. 11: nec libri Aristotelis de naturali philosophia nec commenta legantur Parisius publice vel secreto, et hoc svb pena excommunicationis inhibemus. 2 Ebd. S. 78 Nr. 20: non legantur libri Aristotelis de methafisica et de naturali philosophia nec summe de eisdem. 3 Vgl. Martin GEABMAHN, I divieti ecclesiastici di Aristotele sotto Innocenzo I I I e Gregorio I X (Miscellanea Historiae Pontificiae vol. V Coli. n. 7, Rom 1941), bes. S. 57ff. 4 Chart. Univ. Paris. 1, S. 112 Nr. 58. 5 Ebd. S. 114ff. Nr. 59. 6 Anrato MASNOVO, Da Guiglielmo d'Auvergne a San Tomaso d'Aquino 1 (Milano 1930), S. 22 meint geradezu, die Prügel, die 1229 die Pariser Studenten zur Emigration veranlaßten, galten eigentlich dem alten Aristoteles; ,,il loro esilio era un po' l'esilio del filosofo greco"; M. GRABMANN, Divieti S. 90 s t i m m t dem zu.
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die damals im Streit mit dem König und dem Bischof Paris verließen, richtete die Universität Toulouse ein Werbeschreiben, in dem ausdrücklich betont wurde: in Toulouse könne man über die libri naturales, die in Paris verboten wurden, Vorlesungen halten und hören, dort werde ihnen die libertas scolastica nicht fehlen, sondern uneingeschränkt könnten sie sich eigener Freiheit erfreuen 1 . Dabei war die Universität Toulouse eine päpstliche Gründung, von Honorius III. 1219 während des Ketzerkreuzzuges gegen die katharischen Albigenser in deren Brennpunkt Toulouse gestiftet, um auch mit geistigen Waffen, vor allem durch Theologie-Professoren aus dem neuen Dominikaner-Orden, die Häresie zu bekämpfen. Sie war freilich nicht recht gediehen, bis am Ende der Albigenserkriege der verketzerte Graf Raimund VII. von Toulouse sich unterwerfen und im Friedensvertrag von 1229 verpflichten mußte, zehn Jahre lang 14 theologische Professuren in Toulouse zu finanzieren. Gleichzeitig hoffte man nun die aus Paris emigrierten Magister und Scholaren nach Toulouse zu locken. Vielleicht hat sogar ein päpstlicher Legat an dem Werbeschreiben mitgewirkt, das ihnen volle libertas scolastica in Aussicht stellte 2 . Daß man dabei betonte, in Toulouse seien Vorlesungen über die aristotelische Naturphilosophie erlaubt wie in Paris nicht, zeigt drastisch genug, wovon man sich Erfolg versprach. In Paris hatte man das Aristoteles-Studium aus begreiflichen Sorgen vor seinen häretischen Folgen untersagt; in Toulouse, dieser bisher nicht recht lebensfähigen päpstlichen Gründung zur Bekämpfung der Ketzerei, erlaubte man es, um die Pariser Magister und Studenten dorthin zu locken. Aus Rücksicht auf deren wissenschaftliche Interessen mußten dabei die kirchlichen Bedenken zurücktreten. Das blieb nicht ohne Rückwirkung auch auf Paris. Als 1
E b d . S. 131 N r . 7 2 : Libros naturales, pui fuerant Parisius prohibiti, poterunt illic audire, qui volunt nalure sinum medullitus perscrutari. Quid deerit vobis igitur? Libertas scolastica? Nequaquam, quia nullius habenis sediti propria gaudebitis libertate. Vgl. H . GRUNDMANN, F r e i h e i t a l s religiöses, p o l i t i s c h e s u n d p e r s ö n l i c h e s P o s t u l a t i m M i t t e l a l t e r . H i s t . Z e i t s c h r . 183 (1957) S. 47f. 2
A . MASNOVO, a . a . 0 . S. 2 2 f . u n d 2 9 f f . ; M . GRABMANN, D i v i e t i S. 9 2 f f .
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es im Frühjahr 1231 den Bemühungen Gregors IX. am französischen Hof und beim Pariser Bischof gelang, die Ursachen für den Auszug der Magister und Scholaren zu beheben und ihnen die Rückkehr zu ermöglichen, wurde zwar in einer neuen Studienordnung den Theologen nochmals geboten, sich nicht als Philosophen zu gebärden, sondern als Gottesgelehrte, und den Magistern der Artisten-Fakultät blieb es zunächst noch untersagt, über die früher verbotenen libri naturales Vorlesungen zu halten, jedoch mit der Befristung: „bis sie geprüft und von jedem Verdacht des Irrtums gereinigt wären." 1 Zugleich beauftragte der Papst drei Pariser Professoren mit dieser Prüfung der AristotelesSchriften, „die angeblich manches Nützliche und manches Unnütze enthalten." 2 Ohne dieses Zugeständnis einer künftigen Lockerung oder Aufhebung des Verbots glaubte man offenbar nicht mit einer Rückkehr der emigrierten Professoren und Studenten rechnen zu können. Ob die vom Papst ernannte Kommission je zusammentrat, ist unbekannt; von einem Ergebnis ihrer Prüfung verlautet nichts; ein „revidierter" und „gereinigter" Aristoteles kam jedenfalls nie in Gebrauch. Das Vorlesungsverbot von 1210/15 wurde seitdem als hinfällig betrachtet und nicht mehr beachtet, obgleich es nie ausdrücklich aufgehoben, von Urban IV. sogar 1263 noch einmal mit anderen Bestimmungen der Bulle Gregors IX. von 1231 formelhaft wiederholt wurde 3 . Bald nach der Jahrhundertmitte, wenn nicht schon eher, standen Vorlesungen über die früher verbotenen AristotelesSchriften offiziell im Lehrplan der Pariser Artistenfakultät 4 , und bald galten sie auch für jeden Theologen als unerläßlich. Das wissenschaftliche Interesse am ganzen Aristoteles (wie auch an anderer antiker, arabischer und jüdischer Philosophie) hatte sich gegen alle kirchlichen Bedenken und Verbote durchge1
C h a r t , U n i v . Paris. 1, 138 Kr. 79. E b d . S. 143 f. Nr. 87. 3 E b d . S. 428 Nr. 384. 4 S. die Statuta artistarum von 1252, ebd. S. 228 Nr. 201, von 1255 e b d . S. 278 Nr. 246. 2
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setzt. Die Universität hatte es sich nicht nehmen lassen, diese fragwürdige vor- und unchristliche Überlieferung zu studieren. Sie betrachtete und behauptete es als ihre eigenste Aufgabe, sich damit geistig auseinanderzusetzen. Dabei sind ihr innere und äußere Konflikte auch weiterhin nicht erspart geblieben. Für die großen Dominikaner-Theologen Albertus Magnus und Thomas von Aquino, die beide auch in Paris lehrten, war es noch immer ein kühnes Wagnis, die vor kurzem noch verfemte aristotelischheidnische Philosophie mit der christlichen Glaubenslehre zusammenzudenken und diese mit aristotelischen Denkformen philosophisch neu zu begründen. Selbst Thomas blieb nicht davor bewahrt, daß manche seiner Lehren 1277 vom Pariser Bischof mit anderen auf „heidnischen Schriften" beruhenden Irrtümern verboten wurden 1 . Erst recht trafen solche Verbote die Philosophie-Professoren der Pariser Artisten-Fakultät, die ohne theologische Intentionen aus den Schriften des Aristoteles und seines arabischen Kommentators Averroes 2 eine profane Philosophie und Denkweise entwickelten und damit auch den entschiedenen Widerspruch ihrer theologischen Kollegen wie Albert und Thomas herausforderten. Der Führer dieser sogenannten „lateinischen Averroisten", der Pariser Magister Siger von Brabant, dessen Lehren mehrmals zwischen 1266 und 1277 verurteilt wurden, appellierte zwar gegen seine Verketzerung an die Kurie, wurde aber vor einer Entscheidung seines Prozesses angeblich von seinem eigenen Kleriker im päpstlichen Gefängnis zu Orvieto umgebracht. Gleichwohl läßt ihn Dante im Sonnenhimmel des Paradieses, im Lichterkranz der großen christlichen Denker zur Seite des Aquinaten in „ewigem Lichte" leuchten und von T h o m a s selbst rühmen : Leggendo
nel vico degli strami
sillogizzò
1 E b d . S. 544ff. Nr. 473, auch 6 2 4 f f . Nr. 5 1 7 / 1 8 ; dazu Pierre MANDONNET, Siger de B r a b a n t et L'Averroisme latin au X I I I E siécle 2 I (1911), S. 214FF. 2 Die Aristoteles-Kommentare des Averroes ( I b n Roschd, geb. 1128 in Cordoba, gest. 1198 in Marokko) wurden in lateinischer Übersetzung erst seit c. 1230 in Paris bekannt und studiert, s. R . DE VAUX O. P . L a première entrée d'Averroes chez les latins, Revue de sciences philos. et théol. 22 (1933) 1 9 3 — 3 4 5 .
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invidiosi veri (Par. X, 137f.) — „in seinen Vorlesungen in der Streugasse, der Pariser Rue de Fouarre, wo die Hörsäle der Philosophen lagen, dachte er, folgerte er mißliebige Wahrheiten". Daß es andere Wahrheiten waren als die des Thomas, gerade von ihm und Albert heftig angefochten, mußte Dante wissen 1 ; trotzdem 1
W ä h r e n d P. MANDONNET, Siger (s.o. S. 56 A n m . 1) 1, S. 287ff. eher entschuldigend als erklärend a n n a h m , D a n t e habe Sigers Lehren nicht g e k a n n t , t r a u e n ihm F e r n a n d VAN STEENBERGHEN, Les oeuvres et la doctrine de Siger de B r a b a n t (Brüssel 1938), S. 182t. u n d Martin GRABMANN, Siger von B r a b a n t u n d Dante, Deutsches D a n t e - J a h r b u c h 21 (1939), S. 109—130 sogar die genaue, erst von ihnen vermeintlich wiederentdeckte K e n n t n i s zu, d a ß sich Siger nach 1277 von seinen f r ü h e r e n averroistischen Irrlehren e n t f e r n t u n d der thomistischen Aristoteles-Auffassung genähert habe, so d a ß er im P a r a d i e s neben T h o m a s stehen d u r f t e . Diese A n n a h m e b e r u h t jedoch auf der sehr strittigen Zuschreibung neu a u f g e f u n d e n e r , a n o n y m e r .Quaestionen' an Siger, gegen die inzwischen triftige E i n w ä n d e erhoben w u r d e n ; s. A r m a n d A. MAURER, The State of historical research in Siger of B r a b a n t , Spéculum 31 (1956), S. 49—56. Weder Etienne GILSON, D a n t e et la Philosophie (Études de Philos. Médiévale 28, 1939), S. 256ff. noch B r u n o NARDI, Nel m o n d o di D a n t e (Storia e L e t t e r a t u r a 5, 1944), S. 242ff. glauben an eine E n t w i c k l u n g Sigers z u m T h o m i s m u s . Auch sie geben aber keine einleuchtendere, befriedigende Erk l ä r u n g für Sigers Stellung im P a r a d i s o an T h o m a s ' Seite. Beide betonen mit R e c h t , daß diese Frage unlöslich mit der anderen z u s a m m e n h ä n g t , w a r u m D a n t e im zweiten Lichterkreis des Sonnenhimmels den A b t J o a c h i m von Fiore an die Seite B o n a v e n t u r a s stellt, der gegen J o a c h i m s häresieverdächtige Lehre gewirkt h a t t e wie T h o m a s gegen Sigers Averroismus u n d ihn t r o t z d e m im P a r a d i s o X I I , 139ff. r ü h m t : e lucemi da lato / II Calabrese abate Gioacchino / Di spirito profetico dotato. Leider blieb auch von GILSON u n d NARDI mein früherer E r k l ä r u n g s v e r s u c h u n b e a c h t e t : D a n t e u n d J o a c h i m von Fiore, Deutsches D a n t e - J a h r b u c h 14 (1932), S. 210—256, der auch das Siger-Problem aus D a n t e s Idee einer universalen W a h r h e i t g l a u b t verstehen zu k ö n n e n . N i c h t ü b e r z e u g t h a t mich der neueste E r k l ä r u n g s v e r s u c h von Elisabeth v. ROON-BASSERMANN, D a n t e u n d Aristoteles. Das Convivio u n d der m e h r f a c h e Schriftsinn (1956), S. 63ff,. die in den 12 Gelehrten jedes Lichterkreises ein Abbild der Apostel, im jeweils Zwölften — Siger u n d J o a c h i m — ein Abbild des „ g e r e t t e t e n " J u d a s sehen will. D a n t e habe beide in den S o n n e n h i m m e l versetzt „ t r o t z ihrer Irrlehren, wegen derselben aber auf den letzten P l a t z " . Der Kreis h a t jedoch keinen „letzten P l a t z " ; Siger u n d J o a c h i m h a b e n eher einen E h r e n p l a t z neben T h o m a s u n d B o n a v e n t u r a , — darin m u ß der Sinn dieser Vision D a n t e s liegen.
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stellt er in diesem himmlischen Lichterkreis den Aquinaten zwischen Albertus Magnus und Siger von Brabant und macht ihn zu dessen Lobredner, weil er trotz ihres irdischen Widerstreits ihre gleichsam kollegiale Zusammengehörigkeit aus gemeinsamem Wahrheitswillen sieht und dichterisch verklärt im Lichte seiner Idee einer universalen Wahrheit, die nichts Wahres ausschließt, — il ver, di fuor dal qual nessun vero si spazia (Par. IV. 125f.) — ähnlich wie seine Idee der universalen Monarchie über allem politischen Widerstreit das gemeinsame Ziel aller Herrschaft um des Frieden, der Gerechtigkeit, der Humana Civilitas willen umfaßt u n d erstrebt. Und gerade auch die invidiosi veri, die mißliebigen, unbeliebten Wahrheiten Sigers von Brabant gelten ihm als würdig, an der Seite u n d im Munde des anders denkenden, aber nicht weniger k ü h n und manchen Zeitgenossen anstößig denkenden Thomas gerühmt und verklärt zu werden. Damit h a t Dante, der selbst wohl nie an einer Universität studierte, deren ursprünglichen, wesentlichen Sinn und Existenzgrund in den Gestalten seiner Dichtung am wahrsten gespiegelt: ohne Rücksicht auf das Beliebte u n d Gewünschte, ja Gebotene zu denken, zu forschen, zu lehren nur um der Wahrheit willen. Und Siger von Brabant selbst hat die innerste Triebkraft dieses wissenschaftlichen Studiums einmal mahnend ausgesprochen: Vigiles et studeas atque legas, ut ex hoc dubio tibi remanente, exciteris ad studendum et legendum, cum vivere sine litteris mors sit et vilis hominis sepultura — „Wache und studiere und lies, damit du, wenn dir dabei ein Zweifel bleibt, dadurch (erst recht) angespornt wirst zum Studieren und Lesen, da ohne Wissenschaft zu leben der Tod ist u n d ein elendes Grab für den Menschen." 1 Liegt nach alledem der Ursprung und Existenzgrund der Universitäten nicht nur in einem allgemeinen Bildungsdrang oder im Bedürfnis der Berufsausbildung, nicht in staatlichen oder kirchlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Interessen, so sehr sie sich 1 AM Schluß der .Quaestiones de aniraa intelleetiva', ed. P. MANDONNET, Siger de Brabant (s. o. S. 56 Anm. 1) 2, S. 171.
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späterhin der Universität zu bedienen oder geradezu zu bemächtigen versuchen mochten, sondern im s p o n t a n e n W i s s e n - u n d E r k e n n e n w o l l e n um der Wahrheit willen auch auf die Gefahr hin, daß sie unbeliebt ist und zu Konflikten führt, so fehlt es nun schließlich schon im Mittelalter auch nicht an Z e u g n i s s e n f ü r d i e s e E i n s i c h t . Am deutlichsten kommt sie in den Denkschriften des Kölner Kanonikers Alexander von Roes zu Worte, die er 1281 und 1288 in Italien im Umkreis der päpstlichen Kurie für den Kardinal J a k o b Colonna schrieb, in dessen Dienst er damals stand 1 . Auch ihm ist natürlich die dem ganzen Mittelalter geläufige Lehre von den zwei Gewalten bekannt, von denen die Welt gelenkt wird: Sacerdotium und Regnum (oder Imperium), Priestertum und Königtum, P a p s t t u m und Kaisertum, geistliches und weltliches Schwert oder wie sonst m a n sie nannte und symbolisierte. Trotz dieser herkömmlichen, auch ihm vertrauten Zwei-Gewalten-Lehre spricht aber Alexander erstaunlicherweise von drei Gewalten oder Potenzen, von drei principatus: neben das Sacerdotium und das Regnum stellt er als Drittes das Studium, die Wissenschaft, wie er sie in der Pariser Universität verkörpert sieht, an der er vielleicht selbst studiert hatte. Neben Staat und Kirche, Kaisertum und P a p s t t u m also die Universität als eine Potenz gleichen Ranges, gleicher Bedeutung und Unentbehrlichkeit für alle. Frankreich gilt ihm durch seine Universität Paris als gleicherweise beteiligt an der gemein1 Eine kritische Ausgabe der Schriften Alexanders von Roes wird 1957 im 1. Band der „Staatsschriften des späteren Mittelalters" (Mon. Germ. Hist.) erscheinen, die Prosaschriften: ,Memoriale de prerogativa Romani imperii' (1281) und ,Noticia seculi' (1288) von mir herausgegeben, die Parabel-Dichtung ,Pavo' von Hermann HEIMPEL; eine vorläufige Ausgabe mit Übersetzung veröffentlichten wir in der Sammlung Deutsches Mittelalter Bd. 4 (1949). Dazu vgl. H. HEIMPEL, Alexander von Roes und das deutsche Selbstbewußtsein des 13. Jh., Archiv f. Kulturgesch. 26 (1935) 19—60 und (mit weniger Anmerkungen) in Heimpels Aufsatzsammlung: Deutsches Mittelalter (1941); H. GRUNDMANN, Über die Schriften des Alexander von Roes, Deutsches Archiv f. Erforschung des Mittelalters 8 (1950) 154—237; dort die ältere Lite-
ratur;
H . HEIMPEL, Ü b e r
den
Pavo
d e s A . v . R . , D . A . 13 ( 1 9 5 7 )
171—227.
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samen Aufgabe, Leistung und Leitung der Christenheit wie Deutschland durch sein Kaisertum, Italien durch das Papsttum. Diese Verteilung der Aufgaben auf die drei Hauptvölker Europas erscheint ihm nach Gottes Willen durch den Gang der Geschichte seit Karl dem Großen und auch durch die Eigenart und unterschiedliche Begabung dieser Völker begründet, die er aus guter Kenntnis nicht ohne Witz charakterisiert; sie entspricht nach seiner Überzeugung auch dem jeweils in diesen Völkern vorherrschenden Stand: dem Adel in Deutschland das Imperium, dem Klerus in Frankreich das Studium, dem Bürgertum in Italien — nicht ganz so einleuchtend — das Papsttum. Letztlich aber erklärt er sich diese Dreiteilung der Aufgaben aus drei menschlichen Grundtrieben: dem Herrschen-wollen, Haben-wollen und Wissenwollen — amor dominandi, amor habendi, amor sciendi. Er wird dabei schwerlich gewußt haben, daß in der Tat der amor sciendi geradezu aktenkundig am Anfang der Universitätsgeschichte steht: daß schon Friedrich Barbarossa 1158 die Rechtsstudenten in Bologna privilegiert und unter seinen Schutz genommen hatte, weil sie amore scientie, aus Liebe zur Wissenschaft heimatlos wurden, auf Reichtümer verzichteten und sich allen Gefahren aussetzten 1 . Selbst in der Zeit der Hochscholastik, kurz nachdem Thomas, Bonaventura, Albertus Magnus gestorben waren, ist es ein überraschender Gedanke, das Studium, die Universität gleichwertig neben Sacerdotium und Regnum, neben Kaisertum und Papsttum gleichsam als dritte Universalmacht gelten zu lassen, nicht von jenen abhängig, keinem von beiden untergeordnet, zwar gegenseitig aufeinander angewiesen, aber selbständig-ebenbürtig neben und mit ihnen wirkend aus einer ursprünglichen „Liebe zum Wissen". Aber dieser Gedanke ist im 13. Jahrhundert nicht 1
I n der A u t h e n t i c a . H a b i t a ' (s. o. S. 31 A n m . 2): Quis reatur, cum amore scientie facti exules, de divitibus exinaniunt, vitam suarn omnibus periculis exponunt et a nibus, quod graviter ferendum est, corporales iniurias sine
enim eorurn non misepauperes semetipsos vilissimis sepe homicausa perferunt !
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nur so ganz vereinzelt von Alexander von Roes geäußert worden 1 . Sein italienischer Zeitgenosse Tolomeus von Lucca, der Ordensgenosse, Schüler und Freund des Thomas von Aquino, schrieb in seiner Fortsetzung von dessen Fürstenspiegel 2 , daß in jeder Monarchie, in jeder guten Herrschaft dreierlei vereint und miteinander verbunden sein müsse: weltliche Gewalt (secularis potestas), Gottesverehrung (divinus cultus) und „Schulweisheit" (sapientia scholastica), gleicherweise unentbehrlich wie Staatsgewalt und Gottesdienst. Wieder anders wendet diesen Dreiheitsgedanken ein französischer Zeitgenosse Wilhelm von Nangis, der Archivar des Königsklosters Saint-Denis: In seiner Biographie des französischen Königs Ludwig IX. des Heiligen und in seiner Chronik sagt er 3 , daß Frankreich und sein König vor allen anderen Ländern und Menschen dreifach begnadet, begabt und erleuchtet sei mit Ritterschaft (militia), mit Glaube (fides) und mit Weisheit (sapientia). Diese Dreiheit findet er in der dreiblättrigen Lilienblüte des französischen Königswappens symbolisiert, die nicht durch den Verlust einer dieser drei Kräfte verstümmelt werden dürfe. Dabei denkt er an jenen UniversitätsStreit von 1229, als Paris von seinen Magistern und Scholaren verlassen wurde. Schon damals hatte Papst Gregor IX. den französischen König eindringlich gemahnt 4 , er möge verhüten, daß sein Königreich die Universität verliert, das Studium litterarum, das als Quelle der Weisheit mit der königlichen Macht (potentia) und Güte (benignitas, bonitas) zusammengehöre wie die Trinität; Frankreich sowohl wie der Garten der allgemeinen Kirche werde durch das Pariser Studium gespeist und befruchtet. 1 Zum Folgenden vgl. H. GRUNDMANN, Sacerdotium — R e g n u m — Studium. Zur W e r t u n g der Wissenschaft im 13. Jh., Archiv f. Kulturgesch. 34 (1951), S. 5 — 2 1 . 2 S. T h o m a e Opera 1 6 ( P a r m a 1865), S . 2 5 0 ; S. T h o m a e Aquinatis Opuscula omnia ed. P. MANDONNET 1 (1927), S. 378; über Verfasserfrage und E n t s t e h u n g s zeit s. W. BERGES, Die Fürstenspiegel des hohen u. s p ä t e n MA. (1938) S. 213£F. 3
Bouquet, Recueil des hist. 20, S. 320 und 546, verbesserter T e x t im Arch. f. Kulturgesch. 34, S. 15. 4 Chart. Univ. Paris. 1, S. 128f. Nr. 71.
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Überall taucht da der Gedanke einer Dreiheit auf, in der neben Staatsmacht und Kirchenglauben als drittes das Studium, die Universität als Stätte der Weisheit und Wissenschaft steht. Es ist durchaus kein traditioneller Gedanke, kein „Topos", nicht nur nachgeredet und einförmig wiederholt wie sonst vieles im Mittelalter, sondern jedesmal — wahrscheinlich ganz unabhängig voneinander — in eigener Sicht neu geprägt und anders gewendet: der deutsche Kanoniker läßt an dieser Dreiheit großzügig-weitherzig auch die anderen Völker beteiligt sein, der italienische Dominikaner postuliert sie theoretisch für jeden guten Staat, der französische Benediktiner-Chronist beansprucht sie nationalstolz allein für seinen König. Immer aber steht das im engsten Zusammenhang mit dem Aufkommen der Universität und ihrer Wissenschaft. Man spürt da offenbar etwas von der Besonderheit und Selbständigkeit dieser geistigen Potenz, die sich nicht einfach einer der beiden herkömmlichen Gewalten Staat und Kirche einfügen und unterordnen läßt, sondern als etwas Drittes aus eigener Wurzel und eigenem Recht neben ihnen wirkt. Nicht lange nach der Entstehung der Pariser Universität, schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts war man dort überzeugt, daß dieses Studium nicht neu und jung, sondern schon von Karl dem Großen geschaffen oder vielmehr übertragen worden sei von Rom nach Paris. Dieser Gedanke einer Translatio studii1 analog der Translatio imperii, der um 1250 in die gelehrte Enzyklopädie des Dominikaners Vincenz von Beauvais einging, kehrt auch bei Alexander von Roes, bei Tolomeus von Lucca und anderen Zeitgenossen wieder. Sie halten die Universität für nichts Neues — ähnlich wie auch das im 13. Jahrhundert entstehende Kurfürstenkolleg alsbald weit in die Vergangenheit zurückdatiert wurde; nach Alexander von Roes ist es gleichfalls schon von Karl dem Großen eingesetzt. Da wird die abendländische Uni1
Vgl. E. GILSON, Les idées et les lettres (1932), S. 183fi.; Ders., La Philosophie au Moyen-âge ( 2 1944), S. 193f. ; H. GRUNDMANN, Arch. f. Kulturgesch. 34, S. 8ff.
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versität mit antiken Philosophenschulen in einen fiktiven Traditionszusammenhang gebracht, der in der geschichtlichen Wirklichkeit nicht bestand. Keinerlei lebendige Erinnerung oder gar eine kontinuierliche Anknüpfung an griechische oder römische Schulen der Antike, auch kein byzantinisches Vorbild 1 hat beim Ursprung der Universitäten mitgewirkt, wie später bei der Gründung gelehrter Akademien der Renaissancezeit. Die Universitäten sind ohne bewußtes Vorbild spontan aus Wissensdrang entstanden und haben sich in den zeitgemäßen Formen mittelalterlicher Korporationen organisiert; erst nachträglich sucht man sie durch eine erdichtete Traditions- und Translationskette als echte Erben antiker Schulen darzustellen und zu legitimieren. Allerdings lag dieser Gedanke bereit und begleitet schon die Vorgeschichte der Universität. Der Chronist und Reichsbischof Otto von Freising, Enkel Kaiser Heinrichs IV. und Oheim Kaiser Friedrichs I., hat in seiner Jugend in Paris studiert, noch ehe sich dort die Universität organisierte. Nach seiner Heimkehr schrieb er kurz vor der Mitte des 12. Jahrhunderts eine Weltchronik, die er mit Augustins Begriffen „Historia de duabus civitatibus" nannte, weil er wie Augustinus in aller Geschichte das Ringen zwischen Gottesbürgern und Weltkindern sah. Um so bemerkenswerter, daß auch er dabei nicht nur die Wandlungen der Macht in den großen Weltreichen von Babylon über Persien, GriechenlandMakedonien nach Rom und zu den Franken und Deutschen verfolgt und parallel dazu den Weg des Glaubens, der Religion, auch des Mönchtums vom Orient ins Abendland; sondern auch er will zugleich zeigen, wie mit und neben der Macht und dem Glauben auch die Weisheit in diesem welthistorischen Prozeß vom Osten zum Westen gewandert sei, von Ägypten und Griechenland über Rom ins Abendland. Es ist fast rührend, wie er aus seiner jugendlichen Studienerfahrung in Frankreich nach .Namen von Gelehrten sucht, die er in seiner Zeit den griechischen 1 Vgl. Friedrich FUCHS, Die höheren Schulen von Konstantinopel im Mittelalter (Byzantin. Archiv 8, 1926); nichts weist auf byzantinische Einwirkungen auf die Entstehung der Universitäten im Westen hin.
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Weisen Sokrates, Piaton, Aristoteles an die Seite stellen kann 1 . Er nennt die „illustren Doktoren" Berengarius, Manegaldus und Anshelmus: den frühen Dialektiker Berengar von Tours (f 1088), der wegen seiner Abendmahlslehre (trotz der Protektion Gregors VII.) verurteilt worden war, den deutschen, in Frankreich als Wanderlehrer berühmten Magister Manegold von Lautenbach, von dem nur eine kirchenreformerische Streit- und Schmähschrift gegen Heinrich IV. erhalten ist; ob als Dritter der gelehrte Erzbischof Anselm von Canterbury ( f l l 0 9 ) gemeint ist, den man später als Vater der Scholastik verehrte, oder der Magister Anselm vonLaon (f 1117), der als einflußreiches Schulhaupt die scholastische Bibelexegese begründete, bleibt ungewiß. So undeutlich diese Figuren noch erscheinen, es ist doch wie ein tastender Vorgriff auf die großen Gelehrten der Scholastik, die Otto von Freising nicht mehr erlebte. Ein Jahrhundert später hätte er an dieser Stelle Albert, Thomas und Bonaventura nennen können. Aber er spürte bereits, daß in den ihm bekannten Schulen Frankreichs, den Vorstufen der Universität, etwas im Werden und im Gange war, was wie im alten Griechenland auch der Weisheit, dem Wissen- und Erkennen-wollen wieder sein eigenes Daseinsund Wirkungsrecht gab — neben Staat und Kirche, Macht und Glaube — in der Wissenschaft, der Universität. Solche Zeugnisse sind nicht nur historisch aufschlußreich für die Ursprungsgeschichte der Universität. Man darf sich fragen, ob sich darin nicht schon eine grundsätzliche Einsicht anbahnte und den Zeitgenossen gleichsam aufdrängte, wie sie viel später Jacob Burckhardt formulierte. In seinen Vorlesungen „Über das Studium der Geschichte", die erst nach seinem Tod als „Weltgeschichtliche Betrachtungen" gedruckt wurden, spricht er von 1
Ottonis ep. Frising. Chronica sive Historia de d u a b u s civitatibus ed. A. HOFMEISTER (Scr. rer. Germ, in us. schol. 2 1912) 227 im Prolog zu Buch V. Der G e d a n k e der W a n d e r u n g bzw. Translation der sapientia (wie der potentia u n d der religio) von Osten nach Westen auch im Prolog zu Buch I (S. 8) u n d a m Schluß von Buch V I I (c. 35 S. 372): in hoc haut m.ireris potentiae seu sapientiae ab Oriente ad occidentem translationem, cum de religione itidem factum eniteat.
Vom Ursprung der Universität im Mittelalter
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drei Potenzen, in deren Beziehung zueinander und gegenseitigen Bedingtheiten er die Struktur des geschichtlichen Lebens überhaupt zu ergründen sucht. Er nennt diese drei Potenzen Staat, Religion und Kultur, wobei er als „Kultur" die Wissenschaften, die Künste, auch die Technik und die Geselligkeit und alles das zusammenfaßt, „was zur Förderung des materiellen und als Ausdruck des geistig-sittlichen Lebens s p o n t a n zustande gekommen ist" und „keine Zwangsgeltung in Anspruch nimmt" wie der Staat und die Religion, die Kirche 1 . Dabei hat Burckhardt wohl nichts von mittelalterlichen Gedanken über eine solche Dreiheit gewußt. Inzwischen dürften wir aus neuerer Erfahrung und Einsicht manches hinzugelernt haben über diese geschichtlichen Potenzen, ihre Beziehungen und Bedingtheiten untereinander; und wir mögen auch noch andere Kräfte im geschichtlichen Leben wirksam sehen, soziale und wirtschaftliche Faktoren vor allem, die weder Burckhardt noch gar das Mittelalter zur Genüge erkannte. Darüber sollte jedoc'h nicht ganz verloren gehen und verkannt werden, was man schon seit der Entstehung und in der Frühzeit der Universität spürte und begriff: daß da in der Tat s p o n t a n , nicht aus staatlicher oder kirchlicher Initiative, nicht aus sozialen oder wirtschaftlichen Beweggründen, sondern aus ursprünglichem Wissensdrang, aus Erkenntniswillen und Wahrheitsstreben, aus dem amor sciendi etwas Neues entstand und die daran beteiligten Menschen zu einer Gemeinschaft verband, die ihre eigenen Wege ging — zur Universität. Sie ist gewiß nicht immer in der Folgezeit in unbehelligter und mutiger Unabhängigkeit ihren Weg gegangen, allzu oft durch die Jahrhunderte nicht. Aber in ihrem Ursprung und Wesen ist sie auf unabhängiges Denken, Forschen und Lehren gerichtet. Sonst bestünde sie nicht. Dieser historische Befund ist des Nachdenkens wert auch in unserer Gegenwart, auch für das wahre Verständnis unserer geschichtlichen Wirklichkeit überhaupt, auch für unser rechtes Verhalten in ihr. 1 Jacob B t j b c k h a r d t , Weltgeschichtliche Betrachtungen I I : Von den drei Potenzen (in der Gesamtausgabe 1929), S. 20.
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G r u n d m a n n , Ursprung der Universität.
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HERBERT
GRUNDMANN
Als am 26. April 1460 zur Eröffnung der Universität Freiburg im Breisgau ihr erster Rektor Matthäus Hummel wie üblich eine Predigt hielt, legte er ihr ein Bibelwort aus den Sprüchen Salomos (9, 1) zugrunde: Sapientia aedifieavit sibi domum — ,,Die Weisheit hat sich ein Haus erbaut." 1 Kein Wort könnte treffender über der ganzen Universitätsgeschichte stehen. So vieles andere auch mitgebaut hat an diesem Haus der Universität und es mitbewohnt, es besteht doch nur, weil und solange es Menschen gibt, die unbeirrt, unabhängig von anderen Interessen und Mächten wissen und erkennen wollen. Sofern unsere Universitäten in Deutschland wie in aller Welt über alles Trennende hinweg und gerade auch im Widerstreit der Geister verbunden bleiben durch das gemeinsame Streben nach Erkenntnis und Weisheit, dürfen wir uns noch immer im Hause der Universität heimisch und untrennbar zusammengehörig fühlen. 1 Heinrich SCHREIBER, Geschichte der Albert Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Br. 1 (Gesch. d. Stadt u. Univ. Freiburg i. Br. 2, 1868), S. 20ff.
BERICHTE ÜBEE DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG PHILOLOGISCH-HISTORISCHE
KLASSE
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Dr. JACOB J A T Z W A Ü K , Sorbische Bibliographie, 2. Auflage X X und 500 Seiten - 8» - 1952 - DM 16,-
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Nachdruck - 135 Seiten — 8« — 1952 — DM 5,50
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Prof. Dr. A L B R E C H T ALT, Die Herkunft der Hyksos in neuer Sicht 40 Seiten - 8° - 1954 - DM 2,—
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Prof. Dr. MARTIN L I N T Z E L , Heinrich I. u n d die fränkische Königssalbung 56 Seiten - 8° - 1955 - DM 2 , -
H e f t 4 Rückläufiges Wörterbuch der griechischen Eigennamen. Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften unter Leitung ihres ordentlichen Mitgliedes Prof. Dr. F R A N Z D O l t N S E 1 F F ausgearbeitet von Dr. BERiNHARD H A N S E N (In Vorbereitung) H e f t 5 Prof. Dr. W A L T E R B A E T K E , Über die Entstehung der Isländersagas 110 Seiten - 8" - 1956 - DM 5,50 H e f t fl Prof. Dr. K A R L BISCHOFF, Zur Geschichte des Niederdeutschen südlich der ik-ich-Llnle zwischen Harz u n d Saale 47 Seiten - 9 Abbildungen - 1 Ausschlagtafel - 8° - 1957 - DM 3,70
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