Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes [Reprint 2019 ed.] 9783111665504, 9783111280790


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German Pages 174 [192] Year 1916

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Knabenschaften
II. Volksglaube
Ergänzungen
Literaturverzeichnis
Sachregister
Verbesserungen
Tafeln I - VII
Uebersichtskarte des Untersuchungsgebietes
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Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes [Reprint 2019 ed.]
 9783111665504, 9783111280790

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Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde Publications de la Société suisse des Traditions populaires 12

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Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes von

Werner Manz

Mit sieben Tafeln und einer Karte

Schweiz. Gesellschaft für Volkskunde Karl J. Trübner, Verlagsbuchhandlung Augustinergasse 8 am Münsterplatz Basel Strassburg i. E. 1916

Herrn Prof. Dr. O T T O S T O L L , meinem hochverehrten Lehrer, weiland Dozent für Geographie und Ethnographie an der U n i v e r s i t ä t

Zürich,

in tiefgefühlter Dankbarkeit gewidmet.

V

Vorwort. Vorliegende Arbeit bildet den zweiten, wenn auch in sich vollständigen Teil meiner „Beiträge zur Ethnographie des Sarganserlandes", deren erster Teil 1913 als Zürcher Dissertation erschienen ist (Sonder-Abdruck aus dem Jahresbericht derGeograph.-Ethnographischen Gesellschaft in Zürich 1912/13, Zürich 1913). Des Zusammenhanges wegen mag hier eine kurze Übersicht des ersten Teiles Platz finden. Derselbe macht uns im einleitenden Kapitel (I), S i e d l u n g s g e s c h i c h t e , mit der Entwicklungsgeschichte der Bewohner vertraut (vorrömische und römische Epoche, erste germanische Siedlungsperiode, sekundäre germanische Kolonisationsphase der Walser). Im zweiten (II) Abschnitte werden die aufs engste mit der Eigenart der Natur zusammenhängenden S i e d l u n g s v e r h ä l t n i s s e (Lage und Form der Siedlungen) behandelt. Zur Sprache gelangen neben den gegenwärtigen Verhältnissen auch die Veränderungen im Laufe der Zeiten, als deren Endergebnis die ersteren sich darstellen. Ein folgender Teil gibt weitgehende Aufschlüsse über den H a u s b a u (III). Neben dem Wohnhaus werden auch die übrigen zugehörigen Bauten, wie Stall, Scheune, Gebäulichkeiten der „Maiensässe", Sennhütte usw. hinsichtlich ihres Grundrisses und der Einrichtung in den Rahmen der Betrachtung gezogen. Die Erläuterungen über das Wohnhaus bringen u. a. den Nachweis, dass neben vorwiegend deutscher Tradition ein starker räto-romanischer Einschlag vorhanden ist, wie dies bei der Lage unseres Gebietes an der Scheide germanischer und romanischer Kultur auch nicht anders zu erwarten ist.

VI

Die Kapitel IV, V und VI behandeln die wirtschaftliche Seite der Ethnographie. Die sarganserländische A l l m e n d e (IV), als genossenschaftliche Form der Landwirtschaft, hat nach entwicklungs- und verfassungsgeschichtlichen Gesichtspunkten Bearbeitung erfahren. Im anschliessenden Abschnitt über den A c k e r b a u (V) habe ich versucht, die grossen Veränderungen klarzulegen, die im Laufe der Zeit innerhalb der Kulturpflanzen Platz griffen und somit die Verschiebung von der Selbstversorgung des Bauern mit Brotfrucht und Leinwand (Hanf, Flachs) zur dominierenden Stellung des Wiesbaues und der damit zusammenhängenden, einseitig betriebenen, intensiven V i e h z u c h t zur Folge hatten. Mit Betrachtungen über letztere (VI) findet die Monographie ihren Abschluss. Während im I. Teil mehr die m a t e r i e l l e Seite der Lebensäusserungen der Bewohner Gegenstand der Betrachtung war, beschäftigt sich vorhegende Arbeit mit der g e i s t i g e n Richtung des Volkslebens, mit dem V o l k s b r a u c h und Volksglauben. Das S a r g a n s e r l a n d oder St. G a l l e r - O b e r l a n d , mit dem sich die folgenden Ausführungen befassen, beschlägt den südlichsten Bezirk des Kantons St. Gallen, im grossen und ganzen das Gebiet zwischen Tamina und Walensee. *) Dasselbe wird im Süden vollkommen, im Osten, Westen und Norden bis auf verhältnismässig geringe Strecken durch gewaltige Gebirgwälle flankiert. Dem von SW nach NO verlaufenden Seeztal wird im SW durch den Walensee eine natürliche Grenze gesetzt. Im 0 und SO bietet sich eine gute und berechtigte Abgrenzungsmöglichkeit der Rhein-SeezEbene gegen Graubünden und das Fürstentum Liechtenstein durch den Rhein. Im Norden erhält unser Gebiet durch den hart an den Rheindurchbruch herantretenden Schollberg einen Abschluss gegen das Rheintal unterhalb Sargans. Eine scharf ausgeprägte landschaftliche Selbständigkeit des Untersuchungsgebietes musste natürlich auch zur Herausbildung eines spezifischen Volkstums führen. ') s. Topograph. Atlas der Schweiz, Blatt 253. 256. 257. 265. 266. 267. 268. 269. 270 (1 : 25'000). 264. 270. 401. 402 (1 : 50'000).

VII

Wir haben im Folgenden die Sitten und Bräuche unter der Überschrift: K n a b e n s c h a f t e n zusammengefasst. Die Darstellung sämtlicher Yolksbräuche eines Gebietes nach rein k a l e n d a r e n Gesichtspunkten bringt es mit sich, dass Dinge nebeneinander zur Sprache kommen, die gar keinen oder nur geringen inneren Zusammenhang haben, während verwandte Erscheinungen auseinandergerissen werden. Dieser Behandlungsweise, bei der sich äussere und innere Leitlinien kreuzen, suchte ich dadurch auszuweichen, dass ich die Knabenschaft in den Mittelpunkt meiner Betrachtungen stellte. Alle mir bekannten Bräuche konnten in diesem Zusammenhange Berücksichtigung finden, da sie hauptsächlich, zum Teil sogar ausschliesslich, durch die Knabenschaft Pflege fanden und noch finden. Im weitern wird verschiedenen Vorkommnissen auf dem Gebiete der Volkskunde erst in diesem Zusammenhange eine volle Würdigung zuteil. Endlich öffnet diese Art der Betrachtungsweise sehr interessante Ausblicke auf Parallelen in anderen europäischen und aussereuropäischen Gebieten. 1 ) Was über die Art der Darstellung des I. Kapitels gesagt worden ist, gilt auch für den zweiten Abschnitt, das weite Gebiet der V o l k s m e i n u n g e n (Aberglaube, Sage und Volksmedizin). Von geschichtlich-vergleichenden Betrachtungen, dies gilt wenigstens für das I. Kapitel, ist Umgang genommen worden; dagegen wurde in Anmerkungen auf Weitere Parallelliteratur ausgiebig verwiesen. Herrn Prof. Dr. E. H o f f m a n n - K r a y e r und Herrn Dr. H a n n s B ä c h t o l d , die die Güte hatten, meine Literaturangaben durch weitere vergleichende Literatur zu ergänzen und sonst meiner Arbeit das wärmste Interesse entgegenzubringen, spreche ich an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank aus. Zu grossem Danke verpflichtet bin ich auch der S c h w e i z e r i s c h en G e s e l l s c h a f t f ü r V o l k s k u n d e , die durch Aufnahme meiner Monographie in ihre „Schriften" deren Drucklegung auch während der kriegerischen Wirren ermöglicht hat. ') e. H. SCHURTZ, Altersklassen und Männerbünde. Eine Darstellung der Grundformen der Gesellschaft. 1902.

Vili Besten Dank sage ich ferner meinen Vettern Kaufmann F. L i n d e r in Seon und Posthalter 0. F r e i t a g in Walenstadt, welche die Kosten der photographischen Aufnahmen bestritten haben, ferner den HH. Direktor K n e c h t und Prokurist P f e n n i n g e r in Flums für die Überlassung von Originalphotographien; Dank endlich allen denen, die mir bei meiner Materialsammlung ihre Unterstützung geliehen haben. Zürich, im Herbst 1915. Dr. Werner Manz.

IX

Inhaltsverzeichnis. Seite

Vorwort Inhaltsverzeichnis

IV IX

I. Knabenschaften. A. B. C. D. E. F. G.

Allgemeines Definition Organisation Aufnahmebedingungen Der Austritt aus der Knabenschaft und das „Ehrentagwen" Die Knabenschaft als Elite der waffenfähigen Mannschaft . . Sittenrichterliche Tätigkeit der Knabenschaft 1. Überwachung der Religiosität und Moral S. 10. 2. Überwachung des Kiltganges der Mitglieder S. 12. 3. Überwachung des Kiltganges der „Fremden" S. 14. 4. Aufsicht über die Lebensführung der Mädchen S. 16. 5. Die „Mainacht" als Freinacht f ü r allerlei Unfug und Schabernack S. 23. 6. Justizverfahren gegenüber scharfzüngigen Weibspersonen S. 23. 7. Überwachung des Liebes- und Ehelebens, Schlichtung von Ehestreit S. 24. 8. Geisselung während des Jahres vorgefallener Torheiten S. 25. H. Die Knabenschaft im Hochzeitsbrauch I. Die Knabenschaft an Kirchweih und Fastnacht . . . . K. Aschermittwochsbräuche L. Beziehung der Knabenschaft zur Kirche M. Beziehung der Knabenschaft zum Naturkult (Fruchtbarkeitsriten) 1. Das „Maiäihälütä" (Maihereinläuten) S. 34. 2. Der „Jakoubimaiä" S. 35. 3. Silvester und Neujahr S. 35. 4. Alte Fastnacht S. 36. 5. Fastnachtmontag S. 36. 6. Fastnachtsfeuer S. 36. 7. Ostern S. 38. 8. Der Maibär S. 39. N. Die heutige Form der Knabenschaft . . . . . .

II. Volksglaube. Einteilung des Stoffes A. Defensive Verfahren I. Schutz- und Heilmittel gegen Krankheiten a) Kirchliche Mittel a) Palmen S. 47. b) Geweihte Blumen S. 47. c) Weihwasser S. 48. d) Karsamstagskohlen S. 49. e) Geweihtes Salz S. 49. f) Geweihte Kerze S. 49. g) Geweihter Wein S. 50. h) Agathabrot S. 50. i) Malefizwachs S. 51. k) Skapulier S. 51. 1) Heilige Zeichen S. 51. m) Kreuz S. 52.

1 3 4 4 6 9 9 10

25 27 33 34 34

39

41 43 44 44 47

Seite

ß) Profane Mittel a) Allgemeines 1 Sevibaum etc. S 52 2 Ailermannsharnisch S 53. 3. Vierblättriges Kleeblatt S 53 4. Lorenzkohle S 53 5 Karfreitagsei S 53 b) Spezielles 1 Zahnen und Zahnkrankheiten aa| Zahnförmige Wurzeln S 54 bb| Schneekenzähne S 54. cc) Elefantenläuse S 55 dd) Maulwurfspfote S 55 ee) Blindschleiche S 55 ff) Das „gehörnte Beinlein" S. 55 gg) Kellerassel S 55. hh) Silberkette S. 55 ii) Allermannsharnisch S 56. kk) Immergrün S 56. 11) Mittel chemisch - mechanischer Natur S 56 mm) Magische Mittel S. 56 2 Hautkrankheiten aa) Warzen S 58 bb) Hühneraugen S 62 cc) Sommersprossen S 62 dd) Muttermäler S. 63. ee) Wundliegen S 63. ff) Brandwunden S 63 gg) Gesichtsrose S 63 hh) „Pmlauf" S 63. ii) Fusschweiss S 64 kk) Kopfausschlag S 64. 11) Haarkrankheiten und Haaraberglaube S 65. mm) Flechten S 67 nn) Frostbeulen S. 68, oo) Furunculose S. 68. pp) Brand und Geschwüre S 69 qq) Schönheitsmittel S 69 3 Augenkrankheiten aa) Schwache Augen S. 69. bb) Rote Augen S. 69 cc) Brandige Augen S. 69 dd) Star S. 69 ee) Fremdkörper S. 70 4 Ohrenkrankheiten

52 52

5 Offene Wunden 6 Bienenstiche 7 Blutungen aa) Nasenbluten S. 70. bb) Schnittwunden S. 71 cc) Blutbesprechung S. 71 8 Kropf 9. Muskelschwund 10. Verrenkung 11 Bruch 12 Krankheiten der Atmungsorgane aa) Halsentzündung S 76. bb) Schwindsucht S. 76 13. Wassersucht 14 Krankheiten des Verdauungstraktes aa) Mundfäule S 77 bb) Schlucksen S. 78 cc) Appetitlosigkeit S 78 dd) Bauchweh S. 78 ee) Magenweh S 78 ff) Kolik S 78 gg) Brechen und Durchfall S 78 hh) Eingeweidewürmer S. 79 ii) Gelbsucht S 79 15 Bettnässen 16. Gehirn- und Nervenkrankheiten aa) Kopfweh S 80. bb) Krämpfe S 80 cc) Fieber S . 8 0 dd) Gehirnkrankheiten S 81 ee) Besessenheit S. 81.

70 70 70

54 54

58

69

70

72 73 74 75 76 77 77

79 80

XI Seite 17. B l u t - u n d K o n s t i t u t i o n s k r a n k h e i t e n aa) Bleichsucht S. 81. m a t i s m u s S. 82.

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bb) S e i t e n s t e c h e n S. 82.

.

81

cc) R h e u -

dd) H ü f t g e l e n k e n t z ü n d u n g S. 82.

18. P e s t

82

19. S c h m e r z e n a l l g e m e i n e r N a t u r

.

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84

20. J ä h e r T o d

84

21. W e i b l i c h e Sexual-Physiologie

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aa) E r k e n n e n d e r J u n g f r a u s c h a f t S. 85. S. 85.

cc) K i n d e r s e g e n S. 85.

zeption

S. 85.

.

.

85

dd) V e r h ü t u n g d e r Kon-

ee) A b t r e i b u n g d e r L e i b e s f r u c h t S. 85.

ff) Schwangerschaftsgelüste Schwangeren

.

bb) Menstruation

S. 86.

S. 86.

gg)

Versehen

hh) Geschlechtsbestimmung

ii) E n t b i n d u n g S. 86.

der

S. 86.

k k ) A u s s e g n u n g S. 87.

II. S c h u t z v o r s c h ä d i g e n d e n K r ä f t e n

.

.

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.

87

a) Blitzschlag

87

ß) H a g e l u n d Misswachs

87

a) D a s M a i h e r e i u l ä u t e n c) F l u r u m g ä n g e y) A l p s e g e n

.

S. 87.

b) Das W e t t e r l ä u t e n

S. 88.

S. 89.

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(J) S c h u t z des Viehes i m Stall u n d a u f d e r T a l w e i d e . e) B a n n e n von U n g e z i e f e r

.

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89

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93

B. Offensive u n d defensive V e r f a h r e n in W e c h s e l w i r k u n g

95

I. D e r H e x e n g l a u b e als G r u n d l a g e des „ L e i d w ä r c h ä "

.

.

.

II. D a s „ L e i d w ä r c h ä " ( Ü b e l a n t u n ) «) S c h ä d i g u n g Viehes S. 103.

des

92

95 101

Mitmenschen

S. 101.

ß)

Schädigung

des

y) S c h ä d i g u n g d e r K u l t u r e n S. 104.

III. Die M i t t e l des B o s h e i t s z a u b e r s

104

a) A n w ü n s c h e n des Übels S. 104. ß) D e r böse Blick S. 104. y) Das „ V e r s c h r e i e n " S. 104. o) D a s A l p d r ü c k e n S. 104. e) D e r W e c h s e l b a l g S. 106.

C) V e r s c h i e d e n e s S. 106. y) D a s V i e h r ü c k e n S. 107.

tf) D a s P r ü g e l n auf E n t f e r n u n g S. 108. i) D a s V e r n a g e l n S. 109. I V . A b w e h r des B o s h e i t s z a u b e r s a) D i e E n t d e c k u n g

110

der Hexe

oder

des

„Schrättligs"

S. 110.

ß) K i r c h l i c h e M i t t e l S. 111. y) W e l t l i c h e Mittel S. 112. ,)) Segensf o r m e l S. 113. V. W e i t e r e A b w e h r m i t t e l a) D i e b s b a n n S. 114.

114 ß) V e r f a h r e n , die den D i e b zwingen, Ge-

stohlenes dem E i g e n t ü m e r w i e d e r z u b r i n g e n S. 115. 7) Schutz vor R ä u b e r n u n d M ö r d e r n G. E x p e t i t i v e V e r f a h r e n I. D a s H e r b e i z a u b e r n

S. 116.

. . . . . . günstiger Naturereignisse

. .

. .

. .

116 116

.

II. Vorzeichen a) E r g r ü n d u n g

117 der Zukunft

d u r c h A u s l e g u n g von

selbst

sich

d a r b i e t e n d e r E r s c h e i n u n g e n etc

117

a) N a t u r e r s c h e i n u n g e n

117

1. G e s t i r n e S. 117. 2. W o l k e n S. 117. 3. G e w i t t e r S. 118. b) P f l a n z e n w e l t

118

XU Seite c) Tierwelt

118

1. Haustiere S. 118. 2. Vögel S. 118. 3. Andere Tiere S. 120. d) An die Marksteine deB Lebens sich knüpfende Vorzeichen

120

1. Geburt u. Taufe S. 120. 2. Hochzeit S. 122. 3. Tod S. 122. e) An gewisse Tage des J a h r e s sich knüpfende Vorzeichen . 1.

Kirchliche Festtage S. 123.

123

2. „Lostage" im weitern

Sinne S. 123. f) An Ereignisse des Alltags sich knüpfende Vorzeichen 1. Indifferente und günstige Vorzeichen

S. 124.

.

124

2. Un-

günstige Vorzeichen S. 126. g) Träume

127

h) Die Seele nach dem Tode

127

Das „Künden"

128

k) Das „Nachtvolch"

131

1)

132

i)

Der ewige J u d e

132

ß) Ergründung der Zukunft durch zielbewusste Verfahren a) Mondphasen und -Stellungen

.

.

.

.

132

.

b) Die „Wedel" (Tierkreise) c)

1. Ungünstige T a g e S. 134. d) Zahlen e)

133

Tagwahl 2. Günstige Tage S. 136.



136

„Lostage" im engern Sinne (Zwölften)

.

.

.

.

137

1. Das W e t t e r und die Fruchtbarkeit

.

.

.

.

138

2. Eheorakel

.

139

aa) in der Weihnachtsnacht S. 139. bb) in der Andreasnacht S. 140. 3.

cc) in der Neujahrsnacht S. 143.

Schicksalsorakel

143

I I I . Besondere Verfahren, um in den Besitz übernatürlicher Kräfte zu kommen etc

143

a) Liebeszauber S. 143.

b) Sich unsichtbar machen S. 144.

c) Einen Mann „zwingen" S. 144. d) Sich „fest" machen S. 144. e) Wissen, was andere denken vergessen S. 144. sterben S. 144.

S. 144.

f ) Gehörtes

h) Schutz vor Verfolgung im Traume S. 145.

i) Damit die Sense immer schneidet S. 145 Spiel S. 145. S. 145.

nicht

g) Alle sehen, welche während des Jahres k) Gewinn beim

1) Um eine Katze an das Haus zu

fesseln

m) Um ein Stück Vieh sicher zu verkaufen S. 145.

n) Wünschen, was man will S. 145.

o) Damit das Geld in

der Tasche nicht schwinde S. 146.

p) Um in den Besitz

materieller Schätze zu gelangen S. 146. Ergänzungen

147

Literaturverzeichnis Sachregister

.

Verbesserungen

149 .

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151 161

I.

Knabenschaften.

Manz, Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes.

1

A. Allgemeines.

Innerhalb der menschlichen Gesellschaft spielt neben dem Geschlechtsunterschied der Unterschied des Alters eine sehr wichtige Rolle. Wenn auch diesem Momente nicht die Bedeutung zugesprochen werden kann, wie jenem, so ist es doch am gesellschaftlichen Aufbau in weitgehendem Masse beteiligt. Ersterer stellt gleichsam den Rohbau des Gesellschaftsgebäudes dar, letzterer dessen innerer Ausbau. Der Mensch hat das durch seinen Geselligkeitstrieb geforderte Bedürfnis, mit seinesgleichen Kameradschaft zu pflegen, woraus im wesentlichen drei grosse, natürliche, ziemlich scharf gegen einander abgegrenzte Gesellschaftsgruppen sich ergeben: Kinder, mannbare Jugend, Verheiratete. Mit der Erlangung der P u b e r t ä t tritt der Knabe in die zweite Lebensphase ein. Dies ist ein sehr bedeutungsvolles Ereignis, um das sich überall auf der Erde, bald scharf hervortretende, bald versteckte, unter dem Einfluss der Kultur zu blossen Förmlichkeiten herabgesunkene Sitten ranken. In dieser Epoche verlangen die rein gesellschaftlichen Neigungen des Mannes gebieterisch ihr Recht. Die zweite Entwicklungsphase ist die Zeit des Geniessens, des Austobens, aber, wenn auch weniger merkbar, die Vorbereitungszeit auf die Pflichten des Ehemannes. Obwohl der M a n n der Träger des Geselligkeitstriebes ist, tritt doch oft eine feindselige Haltung der einzelnen männlichen Individuen zueinander hervor, welche eher eine Zersplitterung, als die Bildung von Verbänden begünstigen würde, wenn nicht die Gemeinsamkeit der Interessen als starkes Bindemittel die divergierenden Tendenzen wieder aufheben könnte. Da sich die Altersklasse der mannbaren Jugend nach unten und oben scharf abgrenzt und sich namentlich in strengen Gegensatz stellt zur Gruppe der Verheirateten mit ihren dominierenden Familieninteressen, kommt ihr für den Weiterbau der Gesellschaft grosse Bedeutung zu.

4

Als solche, primär auf der Eigenart der Geschlechter, sekundär auf den gesellschaftlichen Neigungen des Mannes basierende sympathische Gruppen müssen n u n auch die den Namen K n a b e n s c h a f t " o d e r K n a b e n g e s e l l s c h a f t 1 ) tragenden Jungburschenverbände des Sarganserlandes angesprochen werden. B. Definition. Unter der K n a b e n s c h a f t haben wir eine aus freiem Entschluss vereinigte, streng geschlossene, organisierte Gesellschaft der mannbaren, unverheirateten Burschen, der „ L e d i g e n " , eines Dorfes zu verstehen. 2 ) Die Knabenschaften, deren Stellung einst innerhalb der Gemeinden als offiziell anerkannte Korporationen eine sehr wichtige war, sind in einzelnen Gemeinden verschwunden. Sie treten dagegen in andern äusserlich als geschlossene Institution noch auf, h a b e n aber durch Änderung ihrer Zwecke viel von ihrer ursprünglichen Bedeutung eingebüsst. W ä h r e n d sich mancherorts im Haupttal (Rhein-Seezebene) die früheren Verhältnisse nur noch in verkümmerter oder entarteter Form zeigen, h a b e n sie sich im Taminatal noch verhältnismässig gut erhalten. Um die Darstellung der Knabenschaften übersichtlich zu gestalten, denken wir uns entschwundene Sitten mit noch vorhandenen verschmolzen, in die Gegenwart gerückt. Es k a n n sich ja vorerst nicht darum handeln, auszuscheiden, was noch gegenwärtig und was schon vergangen ist, sondern einfach u m eine sachliche Schilderung der Knabenschaften als komplexes soziales Gebilde. C. Organisation. Wie jede menschliche Gruppe in ihrem T u n u n d Lassen durch Gebote u n d Verbote eingeengt ist, so umschlingt auch die Knabenschaften ein Netz von Vorschriften. Jede Knabenschaft besitzt ihre eigenen Statuten, in Flums „Gesetzestafeln" genannt, die am einen Ort auf mündlicher Uberlieferung beruhen, am andern schriftlich fixiert sind. Sie sind erfüllt von Verordnungen über Pflichten und Rechte der Mitglieder so') vgl. HOFFMANN-KRAYER, Knabenschaften u. Volksjustiz i. d. Schweiz, im ARCHIV 8, 81 ff. u. 161 ff.; HOFFMANN-KRAYER, F e s t e u. Bräuche d. SchweizerVolkes S. 57 ff.; BÄCHTOLD, Verlobung u. Hochzeit 1, 279 § 26Y ff. — 2 ) vgl. SPRECHER, V o l k e k u n d l . a u s d . T a m i n a t a l , i m ARCHIV 7, 1 4 7 ;

8, 84.

5

wohl gegenüber der Gesellschaft selbst, als auch gegenüber der Gemeinde. Wie ans manchen Sitten hervorzugehen scheint, hatte sich die Knabenschaft mancherorts nicht nur des Wohlwollens der Gemeindebehörden zu erfreuen, sondern sie wurde, durch Anerkennung der Statuten, in der Verfolgung ihrer Ziele geradezu mit Vollmachten ausgestattet. An der Spitze der Gesellschaft steht ein aus ihrer Mitte gewählter P r ä s i d e n t , 1 ) im Taminatal „Schulthiß", 2 ) in Flums „Landammann", in Ragaz „Obmann" gelieissen. Er führt das „ K n a b e n b u c h " , welches die Statuten und Protokolle enthält, leitet die Versammlungen, welche im „ K n a b e n h a u s " , dem Sammelpunkt der Mitglieder zu Beratung, Spiel und Unterhaltung, stattfinden. Als solches wird bald ein eigens hiezu gemietetes oder zu freier Verfügung gestelltes altes, leeres Haus bestimmt; bald ist es der Raum eines Privatgebäudes. Die Versammlungen finden aber auch, falls ein „Knabenhaus" fehlt, im Gemeinde-, Schul- oder Wirtshaus statt. Ein W e i b e l , der als Abzeichen seiner Würde, beispielsweise in Flums, den mit Silber beschlagenen, mit farbigen Seidenbändern reich geschmückten Weibelstock trägt, besorgt die Botengänge. Dem „ S p i e l m e i s t e r " , wie er im Haupt- und Weisstannental, „Platzmeister", wie er im Taminatal genannt wird, liegt die Anordnung des sog. „Spieles" (Tanzes) und die Handhabung der Ordnung auf dem Tanzplatze ob. In Sargans hat er auch darüber zu wachen, dass den Satzungen von Seite der Mitglieder nachgelebt wird. 3 ) Der „Gärtner" im Taminatal, der „ M ä d c h e n v o g t " in Flums ist mit der Überwachung des Lebenswandels der im Dorfe wohnenden M ä d c h e n , sowie des Kiltganges, d. h. nächtlicher Besuche der Burschen bei Mädchen, betraut. Dem „ K n a b e n g e r i c h t " in Flums liegt die Aburteilung und Bestrafung von Vergehen gegenüber den Satzungen ob. In Ragaz finden wir neben dem Obmann drei „Geschworene", welche die Pflichten des „Spielmeisters" und „Gärtners" auf sich vereinigen. Wo der Präsident nicht selbst die G e s e l l s c h a f t s k a s s e führt, wird diese dem Kassier übergeben. Das E i g e n t u m 4 ) ') vgl. ARCHIV 8, 96. — 2) vgl. FL. KAISER, Ragaz-Pfäfers. Ragaz 1880, S. 98. — 3) ZINDBL-KRESSIG, Die Knabenschaft v. Sargans, im ARCHIV 9, 52 b i s 5 5 . — *) vgl. ARCHIV 8 . 9 7 . 9 9 .

6

der Gesellschaft besteht aus statutarisch genau festgesetzten Eintrittsgebühren in Form von Wein oder Geld, aus dem von jedem Mitglied zu entrichtenden sog. „ Spiellohn" bei Tanzvergnügen und aus Hochzeitsabgaben der sich verheiratenden und somit aus der Knabenschaft ausscheidenden Mitglieder. Die Gesellschaft wird mancherorts indirekt auch durch die Behörden finanziell unterstützt, indem beispielsweise die Ortsgemeinden Ragaz und Vasön, hier bis in die 1840er Jahre, den dortigen Knabenschaften alle Jahre im Laufe des Winters in der Gemeindewaldung eine Anzahl stehender Buchen oder Tannen zuweisen. Diese werden dann gemeinsam umgehauen, aufgearbeitet und verkauft. Der erzielte Erlös wird natürlich an der Fastnacht wieder verjubelt. Auch empfangene Spenden in Form von Wein oder Nahrungsmitteln geben zu einem, bei erster bester Gelegenheit stattfindenden allgemeinen Gelage Anlass. Auch bringen gewisse Ehrerweisungen, wie Schiessen, Aufpflanzen eines „Maibaumes", d. h. einer grossen Tanne auf den 1. Mai, in Vilters, Ragaz und Pfävers auch anlässlich von Wahlen, Trunk- oder Geldspenden ein. D. A u f n a h m e b e d i n g u n g e n .

Ist der Knabe mannbar geworden, so kann er sich gegen Entrichtung der statutarisch festgesetzten Einkaufsgebühr in Form von Wein („Gassenwein")1) oder Geld in die Knabenschaft seiner Gemeinde aufnehmen lassen. Dadurch erlangt er die Berechtigung zum nächtlichen Herumschwärmen und Kiltgang. 2 ) Dieses Einkaufes tut beispielsweise der Landvogt in einem Schreiben vom Jahre 1750 an die regierenden Orte Erwähnung. Es müsse, berichtet er, in der Stadt Sargans von den unter den Jahren befindlichen Buben, um sich bei den Knaben einzukaufen, ein sogenannter Gassen- oder Kaufwein erlegt werden, bei welcher Gelegenheit Unfugen und Schlaghändel entstünden. 3 ) Die Statuten der Knabengesellschaft Sargans vom Jahre 1 8 3 3 e r w ä h n e n als Einkaufsgebühr 2 Maß Wein und 1 Brot, die der Knabenschaft Mels vom Jahre 1850 : 2fl.; 1867 : 5 Fr.; 1891: 3 Fr.; 1892: 6 Fr.; 1906: 2 Fr. In den Statuten der Knabenschaft Wangs vom ') Tgl. BACHTOJ.D, Verlobung u. Hochzeit 1 , im ARCHIV 7, 147 u. 148; 8 , 8 5 . 9 9 . — 3 ) E I D G E N . Art. 103,

S. 7 6 1 . —

*) ARCHIV 9 ,

52.

280

§ 270.

ABSCHIEDE

— 2 ) vgl. S P E E C H E S , Bd. 7, Abtheilg. I I ,

7

Jahre 1898 und von Pfävers vom Jahre 1870 ist die Einkaufstaxe 3 Fr. In Valens hatte die Aufnahme Erlegung eines Einkaufsgeldes von einem „Thaler" zur Voraussetzung.1) Während in den Statuten der Knabenschaft Sargans vom Jahre 1833 kein bestimmtes E i n t r i t t s a l t e r vorgesehen, sondern nur von „erwachsenen unter sich eine eigene Gesellschaft bildenden Knaben" die Rede ist, schwankt in andern Reglementen die zum Eintritt berechtigende Altersgrenze zwischen 18 und 20 Jahren. 8 ) Damit sind aber die Aufnahmebedingungen keineswegs erschöpft. Wer nicht O r t s b ü r g e r ist, kann, wenigstens gilt dies bis in die neueste Zeit, nicht darauf rechnen, vor der Gesellschaft Gnade zu finden. So lautet die betreffende Stelle der Statuten von Mels (1891): „Niedergelassene, Aufenthalter, sowie Ausländer dürfen in den Verein grundsätzlich u. ausnahmlos nicht aufgenommen werden, dieser Artikel ist Grundlage des Vereins u. unabänderlich u. unaufhebbar." Die Statuten von Mels vom Jahre 1892 beruhen auf freieren Anschauungen. Sie verwehren auch einem Schweizerbürger die Aufnahme nicht. Die Statuten von Pfävers (1870) gestatten auch Nichtgemeindebürgern den Beitritt, aber nur gegen eine Einkaufstaxe von 4 Fr. statt 3 Fr., wie sie die Bürger entrichten. Im weitern hat der Beitritt moralische M a k e l l o s i g k e i t zur Voraussetzung. 3 ) Diese Bedingung findet sich in den Statuten von Mels vom Jahre 1867, 1891 und 1892, sowie in denjenigen von Wangs vom Jahre 1898: ausgeschlossen sind solche, „die nicht in allen bürgerlichen Rechten und Ehren stehen, welchen in Civil und Moral etwas abgeht." Die A u f n a h m e 4 ) neuer Mitglieder findet im Taminatal am Silvesterabend, 5 ) im Haupttal um Kirchweih oder Fastnacht herum statt. Jeder Kandidat wird einer scharfen Kritik unterworfen und sein Eintritt in die Gesellschaft vom Stiinmenmehr abhängig gemacht. In Berschis amteten bei der Aufnahme neuer Mitglieder zwei „Advokaten", wovon der eine die Gesellschaft, der andere den Kandidaten vertrat. 6 ) ') FL. KAISER, Ragaz-PfäferB S. 99. — 2 ) Statuten Mels 1850 u. 1867: erfülltes 18. Altersjahr, 1891: angetretenes 20. Altersjahr, 1906: angetretenes 18. Jahr, Vorderberg-Mels 1892: angetretenes 18. Jahr, Pfävers 1897: nach d. Rekrutenaushebung, Vättis, der Sitte gemäss: 16 oder 17 Jahre (s. SPRECHER, im ARCHIV 7, 147), Valens: wenigstens 18 Jahre (FL. KAISER, Ragaz-Pfäfers S. 9 9 . —

3

) v g l . ARCHIV 8 , 8 5 . —

v g l . FL. KAISER S. 9 8 . —

4

) ARCHIV 8 , 1 7 5 . —

5

) s. e b e n d a

•) v g l . SPRECHER, i m ARCHIV 7, 1 4 8 .

S. 1 4 8 ;

8

„Niemand soll in die Gesellschaft eingekauft werden dürfen, wenn nicht die Hälfte von den sogenannten alten Gesellschaftern besammelt sind oder solches schriftlich erlaubt haben. Dawiderhandelnde sollen noch über die Einkaufstaxe mit 1 Franc bestraft werden," lautet der 25. Art. der Statuten von Sargans (1833). Der Vereinspräsident macht die Neueintretenden, die sieh durch eigenhändige Unterschrift im Mitgliederverzeichnis zur strikten Haltung der Vorschriften verpflichten, in einer Ansprache mit dem Zweck und den Statuten der Gesellschaft vertraut. 1 ) Nachfolgend der Anfang der am Silvesterabend 1907 durch den „Sehulthiß" von Valens gehaltenen Rede. „Betrachtet man eine solche Versammlung im richtigen Sinne und Geiste, ist etwas Erhabenes und Ergreifendes, an der Schwelle des alten Jahres die Jünglinge einer Gemeinde in der schönsten Blüte ihrer jugendfrohen Jahre versammelt zu sehen. Möge der Allgütige die in der Zukunft allfällig verborgenen rauhen Stürme des Lebens von euch gütig abwenden. Wir wollen deshalb mit unsern Jünglingsjahren haushälterisch umgehen, die Freude genießen in Maß und Ziel, am Schlüsse des alten Jahres den Vorsatz aufs neue Jahr fassen, uns in geistiger, körperlicher Beziehung vorwärts zu entwickeln, damit wenn die Jahre des Lenzes vorüber sind und der Sommer des Lebens mit seinen ernsten Pflichten gegenüber Familie und Staat bei uns anklopft, er uns als gereifte selbständige unerschrockene Männer antreffe. 1 ' „Ein frischer, freier, fröhlicher, uneigennütziger fortschrittlicher Sinn möge in die Herzen der Jünglinge von Valens Einkehr halten. Ferne sei uns allen Zwitracht, Neid, Lüge, und Verleumdung, und wenn wir uns beim Neujahrswunsch die Hand reichen, so soll es nicht nur ein Akt der Höflichkeit, sondern ein acht biederer Bergler Händedruck sein, frei von allem Falsch, begraben soll sein am heutigen Abend alles Unliebsame, was zwischen dem einen oder andern bestanden." usw.

Des Neueintretenden wartet nicht immer ein freundlicher Empfang. Quälereien und Demütigungen muss er sich gefallen lassen, in Valens z. B. das Schwärzen mit Holzkohle, oder das „Brennen", das darin besteht, dass der „Schulthiß" die Neueingekauften mit einer Kelle voll „Glut" (glühende Holzkohle) verfolgt, um sie zu brennen. -) Mit der Aufnahme in die Knabenschaft tritt der „Knabe" in ganz neue Verhältnisse ein. Er wird seiner Unmündigkeit entrückt, ist jetzt vollwertiges Mitglied einer von starkem Korpsgeist durchdrungenen, sich physisch und psychisch über die erste Altersklasse der Knaben erhaben fühlenden Genossenschaft. Er nennt sich jetzt in seinem gesteigerten Selbst') vgl. BÄCHTOLD,

SPRECHER, a. a. 0 .

1,

im 282

ARCHIV §

270

7, S. 148. — Anm.

12.

2

) vgl. dazu die Literatur bei

9

bewusstsein „ C h n a b " (Junggeselle), im Gegensatz zu den „Buben" (unreife J u n g m a n n s c h a f t ' ) oder der Knabenschaft fernstehende Altersgenossen). In Wangs heisst das jüngste Mitglied „Gagel" 2) (Knirps), in Pfävers wird der älteste „Chnab" mit dem Namen „Senior" beehrt. E. Der Austritt aus der Knabenschaft und das „Ehrentagwen". Durch die Verheiratung tritt der „Chnab" aus der Gesellschaft aus. Er muss sich aber in der Regel durch einen Geldbetrag oder Trunk, auch durch ein beliebiges Geschenk loskaufen. 3 ) Aber auch einem Mitgliede, das eine bestimmte Altersgrenze erreicht hat, das bald in das Stadium des „alten Ledigen" eintritt, bleibt es unbenommen, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen. Im Taminatal findet das Gefühl der Zusammengehörigkeit einen schönen Ausdruck in dem „ E h r e n t a g w e n " (Ei'rätagwa). Baut ein durch Heirat bald aus der K n a b e n s c h a f t ausscheidendes, oder auch ein ehemaliges Mitglied ein eigenes Haus, so legt die K n a b e n s c h a f t Ehre darein, in mondhellen Winternächten in gemeinsamem „Tagwen" (eigentlich was in einem Tage gewonnen wird) Bausteine u n d Holz herbeizuschlitten, wofür sie dann vom Bauherrn mit einem Trunk Schnaps nebst Käse und Brot regaliert wird.*) Stillschweigend erwirbt sich natürlich jeder Mitarbeiter ein Anrecht darauf, dass gegebenenfalls auch f ü r ihn die Gesellschaft H a n d anlegt. F. Die Knabenschaft als Elite der waffenfähigen Mannschaft. Da die K n a b e n s c h a f t die Elite der waffenfälligen Mannschaft eines Dorfes bildete, spielte sie in Zeiten kriegerischer Wirren eine bedeutende Rolle. 5 ) Sie stellte, da die Wehrpflicht vor 1798 mit 16 J a h r e n einsetzte, ein stattliches Kontingent zu dem vor 1676 am Matthiastag, nachher an Johannis stattfindenden „ A u f r i t t e " d e s n e u e n L a n d v o g t e s , sowie bei dessen Huldigung. 6 ) Die Knabenschaft war natürlich auch ') In Sargans wurde ein Minderjähriger „Sürlig" genannt. — 2) vgl. In. 2, 139. — 3 ) Nach den Meiser Statuten von 1850 beliebiges Geschenk, 1892: 5 F r . ; vgl. auch BÄCHTOLD, Verlobung u. Hochzeit 1, 279 ff. § 269 ff. — 4

) vgl. BAUMBERGER, St. Galler Land, St. Galler Volk S. 656, wo diese Sitte auch für Ragaz aufgeführt wird. — 5) vgl. ARCHIV 8, 176. — WACHTE», handschriftl. Nachlass, Archiv Mels.

10

der Träger des schon frühe zu grosser Entfaltung gelangten S c h ü t z e n w e s e n s , das zu heben, die regierenden Orte immer bemüht waren, indem sie die in der Jungmannschaft glimmende Lust am Schiessen durch Verabfolgung von Gaben (Hosentücher) bei Ausschiessen entfachten. J ) G. Sittenrichterliche Tätigkeit der Knabenschaft. 2 )

Bei aller Freiheit und Ungebundenheit herrscht in der Knabenschaft doch wieder eine gewisse Selbstzucht. Sie übt eine Art willkürlicher Sittenpolizei aus. Nicht nur die Vorgesetzten haben das sittliche Verhalten der Mitglieder zu überwachen, sondern es ist auch Pflicht jedes Einzelnen, seine Kameraden von allem, was gegen die Satzungen verstösst, abzuhalten, ja sogar über allfällige Vergehen den Vorstand in Kenntnis zu setzen. Das hat zur Folge, dass die Fehlbaren je nach der Art des Vergehens eine grössere oder kleinere Geldbusse in die Gesellschaftskasse zu entrichten haben, unter Umständen sogar aus der Gesellschaft ausgestossen werden. Indessen berühren sich die sittenpolizeilichen Bestrebungen der Knabenschaft nur an wenigen Punkten mit denjenigen der öffentlichen Polizei. Die Knabenschaft masst sich das Recht an, Fehlbare zu massregeln, gegen welche vorzugehen der „Hüter des Gesetzes" keine Kompetenz hat. 1. Ü b e r w a c h u n g der R e l i g i o s i t ä t u n d Moral. 3 ) Zwei Momente rein ethischer Natur sind es, um welche sich fast die ganze sittenpolizeiliche Tätigkeit der Knabenschaft schlingt: Religiosität und Moral, letztere in sexueller und allgemein gesellschaftlicher Hinsicht. Der Religiosität wird in den mir zur Verfügung stehenden Statuten zwar nicht gedacht, hingegen in der mündlichen Uberlieferung. Fluchen und Schwören, Missachtung kirchlicher Gebote sind verpönt. Regelmässiger Kirchgang an Sonn- und Festtagen ist stillschweigendes Gebot. Anständiges Betragen in und ausserhalb der Knabenschaft, namentlich aber in Gegenwart E I D G E N . ABSCHIEDE Y. J . 1 6 2 4 ,

Bd. 4,

A b t h e i l g . 1 a, S. 4 3 7 ;

v. J .

1719,

Bd. 7, Abtheilg. 1, Herrschaftsangelegenheiten, S. 926; v. J. 1720, ebenda S. 925; v. J. 1764, Bd. 7, Abtheilg. II, S. 785; v. J. 1767, ebenda S. 785. — 2

) ARCHIV 8 ,

176.



3

) ARCHIV 8 ,

161.

163.

11

des weiblichen Geschlechtes, wird den Mitgliedern zur Pflicht gemacht. J ) Wie der Vorbericht der Statuten der Knabengesellschaft von Mels vom Jahre 1850 erwähnt, wurden die Satzungen vom Jahre 1838 durch Gemeinderatsbeschluss ausser Kraft erklärt, weil nach Art. 2 die „ Ledigen" die Befugnis an sich gerissen hatten, nächtliche „Unfugen" von sich aus zu unterdrücken. Nach Statuten vom Jahre 1850 machen „die Vereinsxnitglieder sich verbindlich ihr Mögliches beizutragen," dass: 1. „zur Nachtzeit auf den Straßen u. öffentlichen Plätzen Ruhe und Ordnung herrsche," 2. „daß Unruhestifter u. überhaupt lermende u. sittengefährdende Individuen wo solche entdeckt werden können, der zuständigen Polizeibehörde angezeigt werden." Die „Vereinskommißion" hat nach Art. 4 eben erwähnter Statuten „das Recht und die Pflicht, bekannten Unruhestiftern und Raufbolden den Zutritt in die Gesellschaft zu versagen." 2 ) Die Knabenschaft von Berschis erachtet es als Pflicht jedes Mitgliedes zu „frieden", d. h. dafür besorgt zu sein, dass ausgebrochene Zwietracht zum Schwinden gebracht werden kann. Vergehen werden entweder der ganzen Gesellschaft zur Aburteilung vorgelegt, oder aber es verhängt ein eigens hiezu ernanntes G e r i c h t Strafen über Fehlbare. In Sargans haben nach Art. 15 der Statuten vom Jahre 1833 die Urheber von Zwistigkeiten auf dem Tanzplatz eine durch das „anerkannte Compromiss-Gericht" diktierte Busse von 1 bis 4 Fr. zu gewärtigen. In Ragaz fungieren als oberste Instanz drei „Geschworene", während in Flums Verstösse gegen die Satzungen dem sog. K n a b e n g e r i c h t 3 ) unterbreitet werden. Dem Präsidenten desselben stehen 4 Beamte zur Seite. Sind diese verhindert zu erscheinen, so springen die Stellvertreter in die Lücken. Im weitern amten in diesem Gericht der Vermittler oder dessen Stellvertreter, der Gerichtsschreiber und Gerichtsweibel. ') 8. Art. 5 — 8 d. Sarganser Stat. im ARCHIV 9, 52 ff. — 2) Inhaltlich gleich lauten die Stat. von Pfävers vom J. 1870, die Stat. von Mels vom J. 1891 u. 1892, diejenigen von Vorderberg - Mels vom J. 1892. — 3 ) ID. 6, 361; 3, 709 f.; 713.

12

2. Ü b e r w a c h u n g des K i l t g a n g e s der M i t g l i e d e r . Namentlich ist es der Kiltgang (im Taminatal „z'Hingert r) oder z'Henget", im Haupttal „z'Stubeti gu"), eine nach landläufigen Begriffen unumgängliche Vorstufe der Brautwerbung, deD die Knabenschaft überwacht. 2 ) Der Bursche stattet dem Mädchen nächtlicherweile — teils, weil am Tage die Zeit dazu fehlt, teils, um weniger beobachtet zu werden — im väterlichen Hause Besuche ab, wo, nachdem die Familienglieder der Reihe nach sich ins Schlafgemach zurückgezogen, auch die Mutter mit dem warnenden Zuruf, bald „Firoübet z'machä", im „Stüpli" (Nebenzimmer) verschwindet, bei scherzender Neckerei und gemütlichem Geplauder die vormitternächtlichen Stunden schnell vorbeifliegen. Oft schliesst sich erst beim Morgengrauen die Haustüre hinter dem Burschen. Steuern mehrere Knaben gemeinsam dem gleichen „Stubetihus" zu oder treffen dort zusammen, so kann die Stimmung nur noch eine gehobenere werden. 3 ) Ein Mädchen gewährt jedem rechtschaffenen Burschen, auch ohne die geringste Zuneigung, Einlass, weil es einigen gemütlichen Stunden nicht abhold ist, und weil es namentlich nicht zu denen gehören will, die nicht begehrt sind. Wiederholen sich die Besuche, so wird dies von Seite des Mädchens nicht verübelt, da jene den beiden, falls sie Zuneigung zu einander spüren, Gelegenheit verschaffen, sich in oft jahrelangem Verkehr zu prüfen. Die einzelnen W o c h e n t a g e , an welchen der Bursche das Mädchen aufzusuchen pflegt, sind durch die Überlieferung einigermassen festgelegt. Im allgemeinen sind Dienstag, Donnerstag und Sonntag, die sog. Fleischtage, bevorzugt, Montag, namentlich aber Mittwoch und Freitag, als Unglückstage, in Verruf. „Am Mintig [Montag] gund [gehen] d'Huttli [Lumpen] (Pfävers), die Schlechta (Vättis), di Schelbigä [mit krankhaftem Ausschlag Behafteten, hier psychisch nicht Vollwertigen] (Mels), am Zischtig di Rächtä [den Mädchen Genehmen], d'Witlig [Wittwer], am Mittwucha d'Buaba [unreife Burschen] (Vättis), am Dunnschtig di Rächtä, di Lediga, am Fritig di Schebiga (Vättis), am Samstig d'Hochziter [Bräutigame] (Vättis), am Sunntig d'r grouß Hufä [Haufen] (Pfävers), di Rächtä." 4 ) "^SPRECHER,

i m ARCHIV 7 , 1 4 9 . —

3

) v g l . ZINDEL-KRESSIO, V o l k a t l i m l . a u s

4

)

s . SPRECHER, A R C H I V 7 ,

149.

2

) ARCHIV 4 , 2 9 7 .

Sargans,

300;

8,

i m ARCHIV 1 0 ,

163.

164.



215—217. —

13

Während mancherorts der Samstag die ehrwürdigste Zeit zu Liebesbesuchen ist, der Tag, an welchem in Mels und Yättis „d'Hochziter* sich bei ihren Mädchen einzufinden pflegen, ist der gleiche Tag beispielsweise in Wangs und Flums verpönt. Nur die „Schäbigen" huldigen am Samstag dem Kiltgang. Diese Ansicht rührt daher, weil man noch vor einigen Jahrzehnten an diesem Tage die Arbeit bei Zeiten niederlegte, den Feierabend zum Teil in Andacht verbrachte, selbst das an andern Abenden immer schnurrende Spinnrad um Betzeitläuten bei Seite stellte, da jede Beschäftigung nach diesem Zeitpunkt nach der Yolksmeinung nur Unglück bringen sollte. Natürlich musste auch der Kiltgang als eine Entheiligung des Sonntag-Vorabends aufgefasst werden. Die Knabenschaft sorgt dafür, dass Strassen und Gassen zur Nachtzeit von den „Buben", d. h. noch nicht Eingekauften, gesäubert werden, dass diese sich nicht erfrechen, auch am Kiltgang teilzunehmen. So lautet ein Artikel der Knabenschaft Sargans vom Jahre 1833: „Alle in die Gesellschaft noch nicht aufgenommenen Jünglinge sind sorgfältig von ihren Versammlungen auszuschliessen und zur Nachtzeit auf der Gasse oder bei der Stubeten zu vermeiden".1) Mit der Rekognoszierung auf diesem Gebiete sind der „Gärtner" (Taminatal), der „Mädchenvogt" (Flums), die „Geschworenen" (Ragaz) betraut. Minderjährige, die sich nach einem gewissen Zeitpunkt noch auf der Strasse blicken lassen, laufen Gefahr, mit einer tüchtigen Tracht Prügel nach Hause geschickt oder in einen Brunnen getaucht zu werden. 2 ) Ertappt man Uneingekaufte bei einem Mädchen, so werden sie, um ihnen in Erinnerung zu bringen, dass sie den „Bubenschuhen" noch nicht entwachsen sind, mit einem Stück Brot nach Hause geschickt. Vorerst aber werden sie gezwungen, die „Muspfanne" in der Hand, auf einen Schemel zu sitzen. Findet sich ein Knabe bei einem Mädchen ein, so darf das Licht nicht gelöscht, die Haustüre nicht geschlossen werden; sonst wird diese mit Gewalt eingebrochen und der Zuwiderhandelnde gemassregelt. Stattet ein „Knabe" einem Mädchen einen Besuch ab, obwohl er weiss, dass dieses schon einen Liebsten hat, so dringt eine Schar der Knabenschaft ins Haus und wirft eine „Plahä", d. h. ein grosses, beim ' ) s. Z I N D E L - K R E S S I S ,

im

ARCHIV

9,

52

ff. —

2

) vgl.

FL.

KAISER

S. 99.

14

Einsammeln des Grases oder Heues zur Verwendung gelangendes Tuch über den Missetäter. Dieser wird auf diese Weise völlig wehrlos gemacht, ins Freie spediert, tüchtig durchgebläut oder muss mit dem Brunnen oder D o r f b a c h e B e kanntschaft machen (Mels). Weitgehend ist die Beaufsichtigung des Kiltganges in Flums organisiert. Hier walten der „Mädchenvogt", der „Sackträger" und der „Balkenschnaper" ihres Amtes. Letzterem wird die Kontrolle der Fensterläden überbunden. Er hat Nachschau zu halten, ob diese überall, wo Kiltgänger sich einfinden, geöffnet bleiben. Ist das nicht der Fall, so hat er sie „aufzuschnappen", d. h. aufzuwerfen. Der „Sackträger" muss sich vergewissern, ob der „Knabe", wie statutarisch gefordert, mit weissen Handschuhen bekleidet, sich beim Mädchen einfindet. Damit wird wohl symbolisch angedeutet, dass er sich in gebührender Distanz von diesem zu halten hat. Wird diese Vorschrift verletzt, so dringt jener mit Verstärkimg ins Haus ein, wirft seinen Sack über den Fehlbaren, der mit vereinten Kräften auf die Strasse befördert wird, wo man ihm eine Tracht Prügel appliziert, falls er nicht im nächsten Brunnen sein Vergehen sühnen muss. In Ragaz haben nächtliche Besuche bei einem nicht ganz „sauberen" Mädchen Ausschluss aus der Knabenschaft zur Folge. 3. Ü b e r w a c h u n g des K i l t g a n g e s der

„Fremden".

Die Knabenschaft bildet nicht nur sozusagen eine Gemeinde in der Gemeinde, sondern ihr Korpsgeist lässt sie auch in schärfsten Gegensatz zu Knabenschaften benachbarter Orte treten. Dies äussert sich in erster Linie darin, dass man eifersüchtig den Kiltgang „Fremder" überwacht. Man sucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass ein solcher, — auch ein Bursche einer Nachbargemeinde wird als „fremd" betrachtet, — bei einem Mädchen des eigenen Dorfes Vergnügen suchen oder gar ernsthaftere Beziehungen anknüpfen kann. Trotz allen von Seite des fremden Burschen getroffenen Vorsichtsmassregeln sind „Gärtner" und „Mädchenvogt" über einen solchen Einfall genau orientiert. Sie schlagen Alarm, und sofort ist das ganze Haus, worin der Eindringling weilt, umstellt. Entweder wird dieser, der als gelinde Strafe die Brunnentauche ' ) v g l . ARCHIV 8 , 1 7 1 .

172.

15

zu gewärtigen hat, im Sturm von der Seite des Mädchens weggeholt, oder man lauert ihm in einem Hinterhalt auf, um dann jählings über den Heimkehrenden herzufallen. Der Eindringling muss sich alle erdenklichen Demütigungen gefallen lassen, bis er dann zu guter Letzt im Brunnen oder Dorfbach „geschwemmt" wird, welchem Verhängnis er unter Umständen nur durch Erlegung einer gewissen Loskaufssumme entrinnen kann. Da nun aber ein Kilter wohlweislich meist nur in Begleitung einiger handfester Kameraden nächtlicherweile in das Gebiet einer andern Knabenschaft einfällt, sucht diese die „Fremden" durch „Hauen" 2 ) (Walenstadt: „Mausen"), d.h. durch Zuruf von Beleidigungen mit verstellter Stimme oder durch „Klatschen" aus dem Hause herauszulocken, um sich mit ihnen in mehr oder weniger offenem Kampfe zu messen. Dies kann dann arge Schlägereien mit oft schweren Verletzungen im Gefolge haben. 3 ) In welch rücksichtsloser Weise hiebei vorgegangen wird, mag folgendes Beispiel illustrieren: Als sich einmal ein Bursche vom Flumser-Grossberg erfrechte, über das Schiistobel auf den Kleinberg hinüber zu gehen, um dort einem Mädchen einen Besuch abzustatten, wurden von den Knaben dieses Weilers die Sprossen der Leiter, die über die Schlucht führte und die Verbindung der beiden Bergsiedlungen herstellte, durchsägt, so dass der betreffende Bursche auf seinem Heimwege lebensgefährlich gestürzt wäre, wenn er nicht zufälligerweise einen andern Heimweg gewählt hätte. Den oft einen rohen Charakter annehmenden Justizverfahren, die sich gegen solche Burschen richten, die es gewagt, in den „Blumengarten" einer andern Knabenschaft einzudringen, liegt nicht immer, wie man anzunehmen geneigt ist, das rein ethische Moment zu Grunde. Jene haben vielfach einen ganz realen Hintergrund. Die Knabenschaft will in ihrem ureigensten Interesse, sowohl als Korporation zukünftiger Brautwerber, als auch als Steuern zahlende Bürgerschaft verhindern, dass die Aussichten auf eine gute „Partie" geschmälert werden, dass das Vermögen der Gemeinde durch Wegzug wohlhabender Mädchen eine Reduktion erleide. ') Über die ursprüngliche Bedeutung der Brunnentauehe vgl. ARCHIV 8, 172; 11,

265.



2

) ID. 6 ,

1872

f. —

3

) AROHIV

10,

215

ff.

16

4. A u f s i c h t ü b e r d i e L e b e n s f ü h r u n g d e r M ä d c h e n . Aber auch die allgemeine Lebensführung eines Mädchens k a n n dem wachsamen Auge des „Gärtners" u n d „Mädchenvogtes" nicht verborgen bleiben. Eine Übertretung der von einem Mädchen geforderten Sitten zieht entsprechende Strafen n a c h sich. Im allgemeinen spielt sich die B r a n d m a r k u n g von Mädchen, die es an Zurückhaltung und Sittsamkeit im Laufe des J a h r e s haben fehlen lassen, in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai, der sog. M a i n a c h t , ab. Die Justiz der Knabenschaft äussert sich unter anderem in Form einer schriftlichen Persiflage, 1 ) des sog. „ M a i s b r i e f e s " . 2 ) Derselbe, von anonymer Hand geschrieben oder von einer engern Gruppe aus der Mitte der Knabenschaft entworfen, ist ein in höchst schwerfälligen, bald in Dialekt, bald in Schriftsprache oder einem Gemisch von beiden abgefasstes Sündenregister. Er stellt bald nur e i n Mädchen, bald alle, die sich gegen die Forderungen von Anstand und Sitte Verstössen, an den Pranger. Manchmal h a t er aber auch alle Mädchen eines Dorfes zum Gegenstand, indem er diese entweder einer abschätzigen Kritik unterzieht oder sich, um selben gleichsam eine Belohnung für ihre Lebensführung zuteil werden zu lassen oder sie als Vorbilder für andere hinzustellen, in wohlwollendem Sinne äussert. Der Maisbrief wird häufig vor die T ü r e eines beanstandeten Mädchens oder auf einen in der Nähe befindlichen Platz, wo er sofort die Aufmerksamkeit Vorbeigehender auf sich lenken muss, gelegt. Auch klebt m a n ihn an eine gut sichtbare Fläche. W e n n Verfehlungen einer Anzahl Mädchen der wissbegierigen Bevölkerung preisgegeben werden sollen, wird er nicht selten an einer Säule, die sich auf einem öffentlichen Platze befindet, an den Stock des D o r f b r u n n e n s oder an die Dorflinde befestigt. Da es sich hier nur darum handeln kann, diese langatmigen, oft '20 u n d mehr Strophen umfassenden poetischen Ergüsse zu charakterisieren, muss ich mich auch darauf beschränken, aus den zum Teil noch in meinem Besitz befindlichen Originalen einige Stichproben anzuführen. Verschiedenes ist f ü r den mit den lokalen Verhältnissen nicht ganz vertrauten völlig unverständlich und d a r u m ohne Interesse. ») v g l . ARCHIV 1, 2 7 5 u. 2 7 6 ; 8 , 1 6 9 . — ARCHIV 8 , 1 7 1 , 1, 2 7 6 ff.; ID. 5 , 4 8 9 f.

2

) v g l . BAÜMBERGER S. 6 5 0 .

651;

17

Maisbrief vom J a h r e 1869. (Derselbe befand sich in der Hand eines auf dem Brunnenstock des „Platzbrunnens" in Mels aufgesteckten „Maienmannes".) 1. Zuerst kehrt ich bei Metzg und Laden ein. Da wohnt ein Mädchen, das war feiu. Als ich trat in ihr Zimmer, So betete sie, wie ich glaube immer: „Ach Herr des Himmels und der Macht! Um was ich längst gebetet, Kommt jetzt diese Nacht 1" Sie betet nämlich um ein Männchen groß oder klein, Der ein groß' Vermögen hat und nicht ist zu groß und zu klein. 2. Von da kam ich zu der schönen vis-à-vis. Da hab ich trotz Strohkopf bald gerochen, Daß hier noch nie war aufgebrochen. Kind, nimm dich wohl in acht, Der Pflug hiezu ist bald gemacht. 4. Auch in Galilea war ich abgesessen Und habe Fröschen mit ihnen gegessen. Auf einmal hat es geschlittert, es war ein Graus; Ich nahm die Flucht zum Fenster hinaus. 6. Zur Metzge bin ich auch gegangen. Da haben sie mich gar unhöflich empfangen. Die jüngere von den älteren ist gar höllisch stolz, Hausiert bald mit Schwefelholz. Die and're hingegen ist das. Gegenteil Und hält immer den Halden-Alois feil. Ihr lausigen Mädchen von höher'm Schrot und Korn, Ihr seid nichts von hinten und auch nichts von vorn. Das Lügen und Klatschen, das ist bei euch Brauch, Und schimpfen und tadeln, das könnt ihr auch. Nimm dich in acht, du Führer der Nadel, Mit eingeschlagnem Hut und ganz dünner Wadel! Die Liese hat ein Mäulchen, das hauet und sticht. Dir dieses zu melden, eracht ich als Pflicht. 7. Marienchen, du schönes, sei wohl auf der Hut! Die Burschen von Plöns sind dir j a gut. Die Schmecker des Bächleins laß laufen geschwind, Geh' lieber in Torkel, du liebliches Kind. 11. Ihr Töchter der Verwaltung in der Rietgaß, Ihr macht mir wahrlich absonderlich viel Spaß. Das Bäbi wird denken, das ist meine Freud, Manz, Volksbraueh und Volksglaube des Sarganserlandes.

2

18 Ich bin doch die erste, die Trauben wegschneid'. Karoline, mach dich anter die Hauben, Sonst werd' ich mir nächstes J a h r gar vieles erlauben. Du wirst dann freilich ein wenig geneckt; Es wird dir ein großer Strohmann gesteckt. 12. Ihr Melsermädchen allzumal, Soviel auch seien an der Zahl, Wem's nächste J a h r kein Schätzchen lacht, Dem wird ein Strohmann aufgemacht.

M a i s b r i e f von Mels 1904. M e l s , d e r e r s t im W o n n e m o n a t 1 9 0 4 . An die Tit. Einwohnerschaft von Mels! 1. Un-da fumer a un-tuen z'Heiri Hannässä Freni oubädra Freni hat hüroutä wellä, Grüänäfälders di Alt hat gaeit, Es söll zerst ä Bett gä bstellä. 2. D'Studämeitli sind wäder zart no fy, Ihr Le'idigä, lun-diä nu na sy. 3. z'Härti Berti will d'r Chalberer-Güsti nümmä, Sit-er im Schöüfli nit hat zahlä chünnä. 9. D'r Willi Tiini uf Ragnatsch hät z'Huldi für na Schatz. z'Huldi, das hät chrummi Bei, Chummd me'rä dra, so lout si Schrei. 10. z'Amali, karissierä tuets guet, Winn d'Mueter nit zuäluegä tuet. Galt d'r Bleiser chunnt-em nümmä, E r tuet jetz in z'Hannisepps a'i springä. 15. Houbi There'isi, mä meint, es chünnt nit sy, Ä so ä brandschwarzä Platmöüler laß doch sy. Amali, du bisch-mer au schiär z'jung, Daß zu dir d'r Rousäloch-Tüni chunnt. 17. D'r Rousäloch-Melchi, er cha na lang ahäpfurrä, Bis-er z'Bisis Karli überchunnt mit-erä wytä Schnurrä. 20. Bärtschi Anni, überchunnt ä rarä Ma, Schad, daß mä d'Mädriser all z'Pfävärs .joubä mueß ha. 24. Un-z'Oülers Christi, där mit dä schwarzä Hour, Daß-nä z'Junä Sophie will, sab isch nit wour.

19

M a i s b r i e f v o n Mels.

1907.

1. E s isch TU alters här d'r Bruch gsi, D'Melsermeitli um d'Maiäzit umä ä bitz in Kur z'ni. Mär wind lougä d'r Bruch guet z'rhaltä Und Loub und Tadel ussprächä über di Jungä wiä über di Altä. 2. I will gad afu uf d'r Sunnäsytä; Mä mueß doch gwühnli döt umenä gneidigs Urteil bittä. 3. z'Rolläwisä-Märtis Sophie cha schinz guet tanzä; E s well si aber gli in-Gärbi ufi verpflanzä. 4. z'Keschu Ännili het au gärä-n-ä Ma; D'r Zuäkünftig ist halt in Amerika. . 5. Vum Studä Emili ha-ni köürt sägä, Es sejm am hüroutä nit rous dra glägä. 8. D'm Hügi Emili mag-i synä gunnä; Dar luäget im Tag nit mingmoul in d'Sunnä. 11. Mit-em Thereisi weirs Zyt under d'Hubä; D'r Jöggi ist doch schu lang dra am schrubä. 12. D'm Junä Karli isch intli ämoul groutä; Es will schinz in nächster Zyt hüroutä. 28.

z'Hansheiris Anna het au schu lang gärä zougä am Wiägäseil; Aber d'Mueter röüft gschwind: „M'r hind d'Anna nit feil."

Diese „Maisbriefe" scheinen schon lange im Sarganserland üblich zu sein. 1784 beklagen sich Gesandte von Sargans und Mels bei den regierenden Orten, „daß hin und wieder im Sarganserlandt gar schimpfliche und respektslose Zedel oder Paßquil gelegt und ausgestreuwet werden",') was folgenden Erlass zeitigte: „In Rücksicht deren im Vorschein kommenden Schmachschriften oder Paßquillen den" Auftrag an den Herrn Landvogten erforderlich zu sein, daß derselbe deßwegen unter der Hochlöblich regierenden Ständen Namen in allen Kirchen ein scharfes Mandat verlesen lasse, darin dergleichen Pasquillen zu errichten und auszestreuwen bei 100 Chronenthaler Straf verbotten wird." usw.1) Der „Maisbrief" wird aber auch als Begleitschrift dem „Maiä-Ma", 2 ) einer hässlichen, in Lumpen gehüllten StrohHandschriftl. Nachlass von C. Wächter, Archiv Mels. — 2 ) vgl. ZINDELKRBSSIG, i m

ABOHIV 1 ,

153;

8,

171;

BAMBERGER

S.

650.

2*

20

figur auf die Brust geheftet oder in die Hand gegeben. Ein Mädchen, das den Anstand mit Füssen getreten, das allzu frühe Heiratsgelüste zeigt, aber auch eine alte Jungfer, bei der sich noch ein verspäteter Liebesfrühling einstellt, kann unter Umständen am Maimorgen einen vor dem Kammerfenster, an einem in der Nähe stehenden Baum baumelnden oder am Kamin eines gegenüberliegenden Hauses befestigten „Maiä-Ma" erblicken. Manchmal wird der Popanz von dem spät erwachenden Mädchen zu ihrem grössten Schrecken erst entdeckt, wenn sich schon das halbe Dorf daran ergötzt hat, oder sie ist nicht imstande, ihn rechtzeitig zu entfernen, weil die Beseitigung allzu grosse Schwierigkeiten verursacht. Durch das Stroh wird dem „altä Meitli" (alte Jungfer) deutlich genug zu verstehen gegeben, dass es in den Herbst des Lebens eingetreten. Ich hatte in meiner Jugendzeit des öftern Gelegenheit, am Maimorgen eine ganze Anzahl solcher Strohmänner an einer Dachrinne oder an einem hoch über der Strasse von einer Häuserreihe zur andern gespannten Drahte baumeln zu sehen. Auch a l t e J u n g f e r n , die in keiner Weise die Aufmerksamkeit der Knabenschaft auf sich lenken, die im Gegenteil sich immer eines gottesfürchtigen, tadellosen Lebenswandels befleissen, sowie „alte Ledige" (Junggesellen) werden nicht selten öffentlich gebrandmarkt, indem jene mit einem „MaiäMa", diese mit einem „Maiä-Wib" bedacht werden. Die Ehelosigkeit ') ist es, welche gegeisselt wird. Welcher Kontrast zwischen dem ringsum erwachenden Leben der Natur, dem Spriessen und Grünen, der sich voll entfaltenden Vegetation und dem toten, unfruchtbaren Winterstroh! Der traditionelle Volksglaube des Sarganserlandes, welcher die Sorge für legitime Nachkommenschaft als Pflicht des erwachsenen Bürgers hinstellt, Kindersegen mit Glück und Ehre identifiziert, gibt dem Missfallen über die Ehelosigkeit in der Weise Ausdruck, dass er Junggesellen und alte Jungfern, die sich freiwillig der Ehe entzogen, auf dem jenseits des Rheines gelegenen „Schaner-Riet" (Fürstentum Liechtenstein) nach dem Tode zusammenführt, um denselben höchst unfruchtbare, zum Teil anzügliche Beschäftigung (Erlesen von „Grüsch", Flicken und Kauen von „verbrünzlet Housälätzä", ') ABOHIV

1,

139;

8,

166;

11,

265.

268.

269.

21

bezw. Unterröcken) zuzuweisen. Eine Symbolik, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. An den 1. Mai ist auch ein anderer Akt der Volksjustiz gegenüber etwas lockeren Mädchen oder solchen, die durch sonstiges Betragen Hass auf sich gelenkt, gebunden: das Aufpflanzen des sog. „ N a r r e n a s t e s " mit oder ohne Begleitbrief an die Haustür, vors Fenster, aufs Kamin usw. 2 ) Dies ist ein nicht häufig an den untersten Hauptästen eines Kirschbaumes sich vorfindender Nebenast, der an einer Stelle plötzlich eine grosse warzenförmige Anschwellung, im übrigen aber nur schwach entwickelte Äste aufweist. Die durch die Verdickimg hervorgerufene Saftstauung hat nicht nur eine Verkümmerung der Blätter zur Folge, sondern verhindert auch die Reife der Früchte, falls solche überhaupt noch zur Bildung gelangen. Der Name „Narrenast" hat seinen Ursprung in der Vorstellung, dass der Narr ein psychisch und oft auch physisch (man denke an die Hofnarren!) verkrüppeltes Gebilde sei, wie auch in der Mundart des Sarganserlandes Rübe und Kohlrabi, die nur ins Kraut geschossen, der Kohl, wenn er statt eines voll entwickelten Kopfes nur einige, nach allen Seiten auswärts strebende Blätter hervorbringt, also zum Genüsse völlig unbrauchbar ist, „Narr" genannt werden. Ein Narrenast wäre also nichts anderes als ein nicht vollwertiger Ast, womit die psychische Minderwertigkeit eines damit bedachten Mädchens symbolisch zum Ausdruck gebracht wird. Ich lasse hier eine im Namen der Knabenschaft Flums durch den „Landammann" unterzeichnete Begleitschrift eines Narrenastes, deren Original in meinen Händen ist, folgen. „Heut an dem lustigen Meiestag, Da haut man den Bäumen die vernarreten Äste ab, Und bringt es baar und blank, Denjenigen Mädchen zum höfflichsten Dank, Welche sich im Art. 13 verfehlt, Und sich die gesetzliche Strafe gewählt, Ein mit thriumpfierender Pracht, Schön aufgerüsteter Narrenast, Dort oben auf ihr HäuscheD hin, Wo es uns am schönsten schien". >) vgl. KUONI, Sagen, S. 87 Nr. 186; L. TOBLEB, Die alten Jungfern im Glauben u. Brauch d. deutschen Volkes, in „Kleine Schriften", Frauenfeld 1897, S . 1 4 7 ; SCHWEIZER VOLKSKUNDE 3, 7 3 . —

2

) v g l . ABCHIV 1, 1 5 3 ; ID. 1 ( 5 7 4 .

22

Der Artikel 13 der Gesetzestafeln, dessen Verletzung von Seiten eines Mädchens die gesetzliche Strafe in Form des Narrenastes nach sich zog, ist mir leider nicht bekannt. Die sittenrichterliche Tätigkeit der Knabenschaft gegen sittlich laxe Mädchen äussert sich auch in der Weise, dass denselben „Hundshoudä", d. h. Blätter und Kapseln der im Frühling sich findenden H e r b s t z e i t l o s e (Berschis, Flums, Mels, Sargans, Wangs, Yilters), „Schwyblueme", d.h. L ö w e n z a h n (Mels, Sargans, Wangs, Vilters) oder S t r o h , H a b e r s p r e u , M a i s z a p f e n (Valens) vors Haus gestreut werden.') Falls man ein anrüchiges Verhältnis zwischen „zweien" wittert, wird der Weg von „seinem" zu „ihrem" Hause mit „Hundshoudä" belegt (Vilters). Die Herbstzeitlose findet wahrscheinlich nicht nur, um auf ein Mädchen als „Unkraut" im „Blumengarten" der Knabenschaft symbolisch hinzuweisen, sondern auch der „Kapseln" wegen Verwendung, was noch tiefer blicken lässt. Warum neben der Herbstzeitlose der Löwenzahn (Schwyblueme) auftritt, erhellt aus der ersten Silbe der mundartlichen Benennung der Pflanze deutlich genug. Die in Vilters heimische Sitte, einem Mädchen, das nicht „glasluter" ist, in Ermanglung eines Ziegenbockes einen „Sägebock'' vors Fenster zu stellen, lässt an Anzüglichkeit nichts zu wünschen übrig. Während in Flums Mädchen, deren Fleiss oder Ordnung im Hause nichts weniger als vorbildlich ist, M i s t vor die Türe gestreut wird, was sagen will: „Ful wiä Mist," aber auch ein unzweideutiger Hinweis ist, dass Stube und Stall nicht so ganz identisch sein sollten, wird dann anderseits in Vilters, Valens und andern Orten einem in jeder Beziehung rechtschaffenen und tüchtigen Mädchen von einem Burschen als grösste Ehrerweisung oder als Ausdruck der Liebe ein mit Bändern geschmücktes T ä n n c h e n vor das Fenster oder an die Türe gesteckt,2) wofür von Seite der Eltern eine Einladung zu einem Trünke erfolgt. In Berschis wurde dem schönsten und brävsten Mädchen als Zeichen der Achtung von sämtlichen Burschen die schönste und grösste Tanne, die aufzutreiben war, vor das Haus aufgepflanzt. Auch werden in Ragaz und Pfävers bis in die 1850er Jahre die Häuser der höchsten Autorität der Gemeinde durch eine Tanne ausgezeichnet. ") v g l . BAUMBEBGER S . 6 4 9 u . 6 5 0 ; ARCHIV 8 , 1 7 3 . —

2

) v g l . ARCHIV 1 1 , 2 5 4 -

23

5. Die „ M a i n a c h t " als F r e i n a c h t f ü r a l l e r l e i U n f u g und Schabernack.1) So wohltätigen Einfluss die geheime Sittenpolizei der Knabenschaft in vielen Fällen ausüben mag, so missbraucht sie doch auch oft ihre Macht, stempelt die Nacht auf den 1. Mai zu einer Freinacht für allerlei Schabernack und Unfug, bringt übelangebrachte „Nachtbubenstücklein" zur Ausführung. Rachedurstig zieht man gegen missliebige Personen zu Felde. Bald wird eine Haustüre derart verrammelt, dass sie von innen nicht mehr geöffnet werden kann, bald eine „Beige" Holz vor dieselbe aufgeschichtet, so dass sie, wenn die Türe geöffnet wird, in den Hausgang fällt. Hier wird eine Gartentüre abgehängt, dort, alles, was nicht niet- und nagelfest ist, an entlegene Orte verschleppt. Da sucht ein Bauer am Morgen vergebens seinen Wagen, denn dieser findet sich, mit Mist gefüllt, auf dem „Brüggli" oder First seines Hauses, wo er, Stück für Stück, zusammengesetzt worden ist. Nicht selten sieht der Eigentümer seine „Mistbährä", mit Mist gefüllt, im Wipfel eines Baumes hangen und mag zusehen, wie er sie herunter bringt. 6. J u s t i z v e r f a h r e n g e g e n ü b e r s c h a r f z ü n g i g e n Weibspersonen. Eine von Seite des weiblichen Geschlechtes sehr gefürchtete, ah keine bestimmte Zeit gebundene Justiz ist das in Vilters und anderwärts gebräuchliche „Güllnen". Dasselbe besteht darin, dass scharfzüngige Weibspersonen (Tätschä", „Hächlä" oder „Chlepfä") nachts aus dem Hinterhalt mit einem Schöpfer voll „Hüsligüllä" fAbtrittjauche) begossen werden.2) Um die Neugier der Weiber für jede auf der Strasse sich abspielende Kleinigkeit zu dämpfen, versteckt sich in Vilters ein Bursche mit einer langen Holzschindel unter das Fenster und versetzt dem durch Rufe an das Fenster gelockten Weib unversehens einen Schlag. Auch folgendes Verfahren, das im gleichen Dorfe üblich ist, kann seine Wirkung nicht verfehlen. Während zwei Burschen, der eine mit einem ovalgedrückten Fassreif, der andere mit einer Kanne „Hüslimist" (Abtrittmist) bewaffnet, sich, ohne gesehen zu werden, unter das Stubenfenster stellen, wird die Neugier der zu Massregeinden von Drittpersonen gereizt. Streckt die Weibs*) v g l . BAUMBERGER S . 6 5 2 ; BAUHBERGKR S . 6 5 2 ;

ARCHIV 8 ,

ZINDEL-KRESSIG, 172.

i m AROHIV 1 ,

153. —

2

) vgl.

24

person den Kopf zum Fenster heraus, so wird ihr der Reifen über den Kopf geworfen und die Kanne unter die Nase gehalten, ja ins Gesicht geschoben. 7. Ü b e r w a c h u n g des L i e b e s - u n d E h e l e b e n s , S c h l i c h t u n g von E h e s t r e i t . 1 ) Im weitern sind es allerlei grössere und kleinere Vergehen im Liebes- und Eheleben, gegen welche sich die sittenrichterliche Tätigkeit der Knabenschaft richtet. Führt in Vättis der Bräutigam seine schon schwangere Braut zum Traualtar, so wird, falls das Paar eine Brücke passieren muss, diese mit Balken unterstützt. Die einzige Hochzeitszierde der Braut, der Rosmarin- oder Myrtenkranz wird dieser, falls sie schon sexuellen Verkehr gepflogen, zu tragen verweigert. Gefallene Mädchen werden in Mels gestraft, indem sie an den Prozessionen nicht mit dem Kränzchen auf dem Kopfe in die Reihen ihrer Genossinnen treten dürfen, sondern ohne Kopfschmuck hinter den Frauen gehen müssen.2) So kam es in erwähnter Gemeinde schon vor, dass die Burschen, wenn ein nicht mehr keusches Mädchen sich mit dem Kränzchen zur Fronleichnamsprozession einfand, ihm den Kranz vom Kopfe rissen. Wenn aber in Vättis, Ragaz und Vilters gefallene Mädchen während des sonntäglichen Gottesdienstes neben dem Haupteingang der' Kirche, mit einem Strohwisch auf dem Kopfe, am Pranger stehen, oder zur Klosterzeit, d. h. während des Bestandes des Klosters Pfävers, Verführer und Verführte auf dem Klostergut in Ragaz, einen Strohwisch um den Hals, arbeiten mussten, ohne dass ihnen dabei eine Erleichterung, z.B. Ablegen eines Kleidungsstückes erlaubt wurde, so sind dies schon eher Strafverfahren der öffentlichen Polizei, als der Volksjustiz. Die Knabenschaft fühlt sich auch zur Schlichtung von Ehezerwürfnissen durch eine nächtliche Katzenmusik berufen.3) Unverantwortliches Verlassen des Hauses von Seite der Frau wird in Ragaz und Vilters durch das sog. „Zimmäschällä" (Zusammenschellen)4) gebrandmarkt. Die Knabenschaft sucht sich nach der Rückkehr der Frau zu ihrem Manne durch Darbringung eines nicht misszuverstehenden Charivaris mit Lärminstrumenten verschiedenster Art zu rächen. ' ) v g l . AROHIV 8 , 1 6 4 . —

S. 653. — 4) vgl.

BAUMBEROER

2

) v g l . BAUMBEROER S . 6 5 3 . —

S. 653;

AROHIV

3

) v g l . BAUMBEROER

8, 164. 172. — 4) ebd. 165.171.

25

8. G e i s s e l u n g w ä h r e n d des J a h r e s v o r g e f a l l e n e r Torheiten. Die Strafen für manche Vergehen, die Geisselung mancher durch Mann oder Frau, Behörden und Bürgerschaft begangener Torheiten werden bis zur Fastnacht aufgespart, wo dann zur Verspottung und Travestierung von Personen und Begebenheiten Umzüge veranstaltet werden.1) Spott und Hohn in Wort und Bild sind so unzweideutig und verständlich, ohne dass Namen genannt werden, dass die „Sünder" am besten gute Miene zum bösen Spiel machen, da eine gerichtliche Belangung der Spötter ausgeschlossen ist. H. Die Knabenschaft im Hochzeitsbrauch.

Die Knabenschaft tritt auch anlässlich einer Hochzeit geschlossen auf den Plan und greift in die wenigen Hochzeitsbräuche, die nur in i h r e m Schosse Pflege erfahren, ein.2) Im Taminatal und in Ragaz begibt sich der Brautzug unter Böllerschüssen 3 ) zur Kirche. Während der Trauung, wenn das Paar zum Altare tritt, bei der Handreichung, bei der Rückkehr in den Kirchenstuhl, sowie beim Verlassen der Kirche werden durch die Knabenschaft Salven abgegeben, welche Ehrerweisung der „Hochzeiter" durch Einladung seiner Kameraden zu einem gemeinsamen Trünke oder Nachtessen quittiert. Im Haupttal wird die früher erwähnte, von dem durch Hochzeit aus der Knabenschaft scheidenden „Knaben" zu entrichtende Loskaufsumme auch etwa in Form des sog. „Kettenspannens" gefordert. Dieses besteht bekanntlich darin, dass dem Brautpaar beim Gange zur oder von der Kirche mittelst einer quer über die Strasse gespannten Kette der Weg versperrt und erst nach Erlegung eines Tributes in Geld oder Wein wieder freigegeben wird. 4 ) Auch wurde in früheren Zeiten dem jungvermählten Paare ein Ständchen dargebracht, worauf der aus dem Jahre 1750 datierte landvögtliche Bericht an die regierenden Stände hinweist, dass in der Stadt Sargans die Sitte aufgekommen sei, dass den verheirateten und ledigen Burschen von einem „Hochzeiter" ein sog. „ Sing- oder Hofierwein" ausgeteilt werde.6) ') v g l .

ABOHIV

1, 7,

153. —

F L . KAISER, R a g a z - P f ä f e r s S . 9 9 . —

2) v g l . ARCHIV 8 , 4

176. —

) v g l . ARCHIV 8 , 9 7 . —

5

3

) ARCHIV 1 1 ,

267;

) E I D G E N . ABSCHIEDE

Bd. 7, Abtlg. II, Art. 103, S. 761; BÄCHTOLD, Verlobung und Hochzeit 1, 282 § 270.

26

Wenn beim Hochzeitsmahl die Stimmung durch Musik und Tanz eine gehobene geworden ist, hat der Präsident der Knabenschaften Ragaz und Valens die schwierige Aufgabe, unter den Tisch zu schleichen und der Braut heimlich den Schuh des linken Fusses zu entwenden.1) Dieser wird in die Küche gebracht, dort fein gewichst und im Hinweis auf die Jungfräulichkeit der Braut mit Blumen und Bändern geschmückt, auf einem Teller dem Brautführer oder Bräutigam dargebracht, der den Schuh mit einer Wein- oder Geldspende auslösen muss. Am Abend des Hochzeitstages, gegen Einbruch der Dunkelheit, umstellt die Knabenschaft von Valens das Haus der Neuvermählten, wobei der „Schulthiß", unter Zustimmung der Gesellschaft, dem jungen Ehemann etwas auf den Leib rückt, seine Handlungsweise, den Raub eines „Röschens" oder einer „Tulpe" aus dem „Blumengarten der Knabenschaft" 2) einer durch Witz und Humor gewürzten Kritik unterzieht.3) Er ergeht sich in allerlei Lobeserhebungen auf die Braut und auf das Glück, das mit ihr in das Haus Einzug halten wird. Diese wird als Quelle köstlichster Freuden, als Inhaberin aller weiblichen Tugenden gepriesen, mit deren Walten im Hause des jungen Ehemannes alle wohltätigen Geister, alle Glückseligkeit ihren dauernden Sitz aufschlagen werden. Der Redner beklagt den Verlust eines der wohlriechendsten und farbenprächtigsten „ Blüm el ein", tut dem Bräutigam weiter kund, dass die nächtliche Umstellung des Hauses bezwecke, die geraubte Braut herauszufordern, sie mit Gewalt dem Entführer zu entreissen. Er unterbreitet diesem aber im gleichen Atemzuge in launiger Weise einen Vergleich, nach welchem man vom geplanten Vorhaben abstehe, falls der junge Ehemann sich zu einer freundlichen Bewirtung der beleidigten Knabenschaft verstehen könne. Ich lasse hier die an den jungen Ehemann gerichtete Anklage des „Schulthiß" folgen, die im Jahre 1800 aufgezeichnet und bis in die 1850er Jahre gesprochen wurde. „Im Namen der ganzen Ersammen Knabengeselachaft trete ich hieher zur Anwendung der neu angetretenen Eleute fiel Glück und Segen zu ihrem neu angetretenen

Ehestand zu wünschen.

Wolte Gott daß sie ein recht aufer-

') ARCHIV 8, 176. — 2 ) vgl. dazu auch die Bezeichnung „Gärtner" für den „Meitlivogt" der Knabenschaft (s. S. 5. 18), Bowie BACHTOLD, Verlobung und Hochzeit 1, 288 § 273. —

3

) vgl. FL. KAISKR, Ragaz-Pfäfers S. 99. 100.

27 bauliches Leben füren möchten bis Gott der Almächtige sie zu Seinem ewigen Leben beruft. Was will und wünscht der Mensch zu sein. Gut und nicht Böß dieß sagt ihm sein Herz seine Vernunft und sein Gewißen. W a s will und wünscht der Mensch zu werden. Glückselig dazu treibt ihn ein wieder sehnliches Verlangen. Worin besteht alles dasjenige was man will und verlangt wornach man streben soll und kann darin daß man glückselig werden soll dan hat man Ruhe einzuernten yon innen und von außen Zufriedenheit wen man mit dem sämtlichen Ehestand zufrieden ist und mit dem was man ist und mit dem was man hat. Hochgeachteter Hochgeehrter Herr Hochzeiter ist es erlaubt ein paar Worte weiter zu reden Ihr möchtet euch vieleicht verwundern warum wier bei Nacht und Nebel euer ganzes Haus und Hof umspäht oder umringet haben, dieß sind unsre uhr alten Rechte und Brauch und Herkommen das vermögen uns die neu angetretenen Eheleute an ihren Eken zu befinden an hab und Gut zu vernehmen so best als in unsrem Vermögen steht. Und so hat den unsere ganze Ersame Knabengesellschaft einen schönen Rosengarten aufgebaut und aufgeziert und ist uns in demselben leider ein groß mächtiger Schaden zugefügt worden nähmlich eine Rüfe oder eine Leue darüber gefaren und hat uns das allerschönste Schoß der allerschönste Zweig die köstlichste Roße die auserlesenste Tulibahne fort gestoßen und hinweggerißen, daran glaubten wier der herr Hochzeiter möchte selbst die größte Ursache daran gewesen sein j a nicht nur die Ursache sondern er hat sogar die Frechheit begangen und uns einen so großen Schaden zugefügt denn einer oder der andere könte vieleicht auch nach dieser Tulibahne getrachtet haben und wie der herr Hochzeiter treten wollen wier haben nun diesen großmächtigen Schaden erlitten der uns weder durch Perlen noch durch Edelsteine kan ersetzet werden. So wollen wir jczt Gott den allmächtigen bitten daß aus dieser Rose aus dieser Tulibahne recht gute und schöne Früchte hervor wachsen mögen, ja nicht Kinder des Fleisches, sondern Kinder des heiligen Geistes, damit Ihr euere Eltern und Verwante eine große Liebe, eine große Ehre erleben und erlangen möget. So hat sich unsere ganze ehrsame Knabengesellschaft entschloßen den Herr Hochzeiter um eine große Summe Geld zu bringen, nähmlich ein hundert tausend spanische Dublonen daran nehmen wier weder heller noch Pfenig weder Kreutzer noch Batzen sondern das köstlichste Gold, das vor unsern Augen geläutert und gebrobet worden ist. Möchte aber diese Summe dem Herr Hochzeiter zu schwer fallen oder zu hoch vorkommen so wollen wir uns befleißen im Frieden zu leben und uns mit naßer Wahre abstatten laßen, nähmlich mit Wein das eine Mühle treibt, Käß und Brot, daß ein Tisch vereibt, und eine Bratwurst die siebenmahl um das ganze Haus und Dorf herumlangt und ein Kohlkratten voll Miken 1 ) die seind auch gut büken. Hier übernehme der Herr Hochzeiter seine vielgeliebte Jungfer Hochzeiterin, nehme sie bei der rechten Hand gebe uns brav zu essen und zu trinken damit Ihr, und wir der Kumer und der Verdruß und das Knöpfle ob dem Herzen spülen können."

J. Die Knabenschaft an Kirchweih und Fastnacht.

Die Knabenschaft ist auch Träger der öffentlichen, an Kirchweih und Fastnacht sich abspielenden Belustigungen.2) ') Neujahrsgebäck im Taminatal. — 2) vgl.

ARCHIV

8, 176.

28

Die „Chilbi" die jetzt als „Kantons-Chilbi" auf den dritten Sonntag im Oktober fällt und in allen Ortschaften ausser Vättis') zu gleicher Zeit gefeiert wird, ist im Laufe der Zeit mit der zu Ehren des Kantonspatrons Gallus stattfindenden kirchlichen Feier in Fühlung getreten. Bald ist sie mit dieser zu einem Fest religiös-weltlichen Charakters verquickt, bald liegen beide eine Woche auseinander. Früher fiel aber die „Chilbi" als Krönung aller Erntearbeit zwischen August und Oktober. Sie gewährte dem Bauer nach getaner Sommerarbeit den Vollgenuss aller Erntegaben und vereinigte Familienglieder und Freunde um den vollgedeckten Tisch zu harmloser Lust und Freude. In die gleiche Zeit fielen auch die Zehnten und Abgaben an die Landeshoheit, welche aber die unverwüstliche Lebensfreude der Bewohner so wenig einzudämmen vermochte, dass sie auch an den für die Abgaben von Korn und Käse angesetzten Tagen, in Form der sog. K o r n - und K ä s k i l b i , 2 ) zum Ausdruck kam. 1780 wurden durch Verfügung der regierenden Orte die „KirchweihungsTäg aller Kirchen und Kapellen Sarganserlandts" für das laufende und die folgenden Jahre auf den ersten Sonntag nach „St. Martini, des heiligen Bischofen Tag" festgelegt. Völlig losgelöst von der Kirche, nur an den Kreislauf des Jahres und die damit im Zusammenhang stehenden wirtschaftlichen Verhältnisse gebunden, hat die „ V ä t t n e r - C h i l b i " s ) bis aut den heutigen Tag den Charakter eines Gemeinde- und Erntefestes zu wahren vermocht. Am letzten Sonntag und Montag im September, wenn das Heuen und Emden in Tal und „Birg" zu Ende, die Viehherde von den Alpen ins Dorf zurückgekehrt ist, finden sich auswärts weilende Bekannte und Verwandte zum „Heuermohl", wie das Erntefest früher genannt wurde, ein. Die Kirchweihbelustigungen erreichen ihren Gipfel im Tanz, 4 ) der auch an der Fastnacht eine bedeutende Rolle spielt und von Seiten der Knabenschaft bis ins einzelnste geregelt ist. Die „Spielmeister" haben das „Gesellschaftsspiel" (Tanz) zu arrangieren, für Tanzplatz, Musik, sowie für „Meitli", einen eisernen Bestand an Tänzerinnen zu sorgen. Ihnen liegt die Pflicht ob, auf dem Tanzplatz Ruhe und Ordnung ') vgl. A R C H I V 7, 155 ff. — 2) Staatsarchiv Zürich, Akten Sargans v. J. 1625. 1697; ELDGEN. A B S C H I E D E v . J . 1687, Bd. 6, Abtig. I I . Hcrrschaftsangelegenheiten. — 3 ) A R C H I V 7, 155 ff. — 4 ) A R C H I V 8, 176; 11, 260.

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auffecht zu erhalten und die Gäste zum Tanze zu animieren. Als Zeichen ihrer Würde prangt auf dem breitkrämpigen, schwarzen Filzhut der „ S p i e l m e i s t e r m a i e n d e s s e n rote und weisse Bänder über die linke Schulter niederfallen. 2 ) Die Aufgabe der Spielmeister ist es nach den Statuten von Mels vom Jahre 1850: „Tanzgäste zum Gesellschaftsspiel einzuladen, beim Tanzen selbst bestmöglichste Ordnung zu handhaben. Zu diesem Behufe sollen sie, sowohl die an dem Spiel theilnehmenden Mitglieder der Gesellschaft, als auch die Tanzgäste in Abtheilungen bringen, und diese dann abwechselnd eine von den Spielmeistern zu bestimmende Dauer tanzen zu laßen, Tanzgäste werden sie auf eine freundschaftliche den Umständen angemeßene Art behandeln, und von ihnen einen beliebigen Spiellohn annehmen." Jedes Mitglied der Gesellschaft bis zu einer gewissen Altersgrenze (30—35 Jahre) ist bei einer statutarisch festgelegten Busse verpflichtet, bei einem Gesellschaftsspiel ein Mädchen „aufzuführen", wovon er nur durch Trauerfall enthoben wird.3) Der Besuch eines andern Tanzplatzes mit der Tänzerin ohne Erlaubnis des Spielmeisters zieht ebenfalls Busse nach sich.4) Jedem Mitglied wird ferner die Verpflichtung auferlegt, dem Spielmeister seine Tänzerin auf Verlangen zur Verfügung zu stellen.5) Im weitern steht es nach Art. 14 der Statuten der Knabengesellschaft Mels vom Jahre 1850 jedem Spielmeister frei, „sich ein Mädchen als Vortänzerin auszuwählen. Falls ein Mädchen eine Wahl als Vortänzerin ausschlägt, soll daßelbe für dieselbe Tanzzeit auf keine Art, und unter keinem Vorwande bei dem Gesellschaftsspiele geduldet werden. Hievon machen aber diejenigen Mädchen eine Ausnahme, welche schon zwei mal als Vor-Tänzerin beim allgemeinen Knabenspiel getanzt haben. Nachdem die Spielmeister ihre Tänzerinnen gewählt haben, was innert 8 Tagen geschehen soll; vom Tage an gerechnet wo sie als Spielmeister gewählt werden, können auch die übrigen Mitglieder der Gesellschaft ') vgl. die Tracht der „Tanzschenker" von Küssnacht, abgebildet ARCHIV 16, 177. — 2) siehe die auf den Gesellschaftstanz Bezug nehmenden Artikel 9, 10, 11 und 13 der Statuten der Knabengesellschaft Sargans. AKCHIV 9, 52 if. — 3) Statuten Mels vom Jahre 1867 und 1891; Wangs v. J. 1898. — 4 ) Statuten . Mels v. J. 1891. 1892; Mels-Vorderberg v. J. 1892. — 5 ) Statuten Mels v. J. 1891; Vorderberg-Mels v. J. 1892.

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sich um solche umsehen. Die beim Spiel anwesenden Mädchen sollen abwechselnd von den Spielmeistern den Tanzgästen als Tänzerinnen an die Hand gegeben werden." 1 ) Als Yortänzerin, d.h. als erstes der „Spielmeistermeitli, auserkoren zu werden, ist keine geringe Ehre, welche durch ein Geschenk in Form einer schwarzseidenen, gestickten Weste, die der Spielmeister an Laetare in Empfang nimmt, quittiert wird. Dass unter den Mädchen sich oft Rivalität zeigt, besonders wenn, wie in Vilters, eine bestimmte Rangordnung herrscht, oder wenn in Flums die Mädchen, die nicht als „Spielmeistermeitli" auserwählt werden, in „d'Schottä [Käsemilchrückstand bei der Käsebereitung] gund", ist erklärlich. Die Mädchen werden von den Spielmeistern am Tage des „Spiels" mit Blumen bekränztem Wagen der Reihe nach abgeholt, wobei zuerst bei der Vortänzerin vorgefahren wird, die dem Spielmeister den „Maien" 2 ) an den Hut steckt. Das „Spiel" wird durch den Spielmeister, der mit seiner Vortänzerin allein drei Tänze ausführt, eröffnet und geschlossen. Auf enger Bühne findet sich die hauptsächlich aus kleiner Geige, Klarinette und Bassgeige zusammengesetzte Musik,3) unter deren mit dröhnenden Stampfschritten und gellenden Jauchzern vermischten Klängen die Paare, dicht gedrängt und schweissgebadet, in staubiger Luft wirbeln. Die Spielmeister eilen hemdärmlig geschäftig hin und her, um ihre Meitli an den Mann zu bringen. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung werden dupch jene sog. „Touren" wie „Männertour", „Knabentour", „Spielmeistertour" angeordnet, d. h. es werden die männlichen Tänzer in verschiedene Abteilungen, z.B. „Knaben", verheiratete Männer usw. geschieden, die nach einer durch die Spielmeister bestimmten Anzahl von Tänzen wieder abtreten müssen. Die Fastnachtfreuden 4 ) konzentrieren sich im wesentlichen auf Fastnachtsonntag, -Montag und -Dienstag, klingen aber erst am folgenden Sonntag, an der „alten Fastnacht", aus. Sie haben ihr Vorspiel am „schmutzigen", dem Fast' ) Ebenso die Statuten von Mels T. Jahre 1891. 1892. - 2 ) Früher fand hiezu ein „Chid" (Bosmarinzweig) Verwendung, der in Teig getaucht und mit Goldschaum umwunden wurde. — 3) In früheren Jahren setzte sich die Musik aus Hackbrett und Violine, oder Hackbrett und Klarinette, oft durch Bassgeige unterstützt, zusammen. — 4 ) vgl. namentlich E. HOFFMANN-KRAYER, Die Fastnachtsgebräuche in der Schweiz, ARCHIV 1, 47 ff. 126 ff. 177 ff. 257 ff.

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naehtsonntag vorangehenden Donnerstag. 1 ) Schmutziger, fetter Donnerstag wird er genannt, weil an diesem Tage besonders fette Speisen, vorab Schweinefleisch und dgl. am Kopfe des Küchenzettels stehen. Die „Knaben" versuchen heimlich die Fleischtöpfe aus der Küche zu entwenden, 2 ) die, falls dies geglückt, unter lautem Halloh ins Freie gebracht und dort oder in einem Wirtshause ihres Inhaltes entledigt werden. 3 ) Manchmal sind aber auch die Fleischdiebe die Geprellten, wenn die Hausfrau, nachdem sie dem Topfe das Fleisch entnommen, denselben, mit alten Schuhen gefüllt, wieder über das Feuer bringt. Da die Burschen in ihrem Eifer oft vergessen, den Topf zu untersuchen, machen sie erst, nachdem sie sich irgendwo zum Schmause niedergelassen, die höchst fatale Entdeckung, dass sie sich haben hintergehen lassen. Zur Illustration dieses Brauches möge nachfolgendes, in Nr. 21 des „Sarganserländer" vom 22. Februar 1906 erschienene scherzhafte „Aufgebot an die Frauen, Jungfrauen und andern Köchinnen!" dienen. 4 ) „Altem Brauche gemäß wird dies Jahr am schmutzigen Donnerstag Generalinspektion gemacht über die Fleischhäfen. Es wird dabei erwartet, daß nur die besteD, saftigsten und größten Schinkenstücke und andere Schweinsbröckli eingelegt werden. Jene Köchinnen, in deren Fleischhafen das beste Schweinefleisch vorgefunden wird, werden diplomiert und erhalten als Anerkennung ihrer Kochkunst eine schweinslederne Medaille, zugleich werden sie als Ehrendamen in unsern Katalog aufgenommen. Die andern Köchinnen, deren Suppenhafen leer oder mangelhaft befunden wird, werden in der Fastnachts-Zeitung mit Namen publiziert, zugleich wird jede zur Sühne zur Spendung eines Doppelliters alten, guten Weines verdonnert. Es muß noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Flöchtnen der Fleischhäfen schwere Folgen nach sich ziehen und diesfalls eine genaue Hausdurchsuchung vorgenommen wird. Das Küchenpersonal darf ohne Sorge sein, wir tun ihm nichts zu leide, unser Sehnen und Streben geht nur nach den vollen Fleischtöpfen und die Fleischhäfen bringen wir nach gemütlichem Schmause ausgeschleckt wieder retour, es ist also nichts zu riskieren. Also, traget Sorge, dass das Fleisch rechtzeitig „lind" ist. Mit heißhungerndem Gruße Die Fleischhafenstipitzer." 5)

Der jetzt im Schosse der schulpflichtigen Knaben gepflegte Brauch des „Russens" oder „ S c h w ä r z e n s " , 6 ) der darin be') vgl. ZINDEL-KRESSIG, V o l k s t ü m l i c h e s a u s S a r g a n s , im ARCHIV 10, 219. — *) ARCHIV 1 , 1 8 3 .



3

) v g l . BAÜMBERGER

S. 6 2 8 .



4

)

vgl.

ZINDEL-KRESSIG,

ARCHIV 10, 219. 220. — 5) Eine ähnliche Einsendung findet sich auch im SARGANSERLÄNDER vom 16. Februar 1909. — 6 ) Ersatz, wohl Vorläufer der Maske;

vgl. ARCHIV 1, 2 7 3 ;

10, 2 2 0 .

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steht, dass die mit Fett eingeriebenen Hände an der Pfanne russig gemacht und dem nächsten ahnungslosen Bekannten ins Gesicht gestrichen werden, darf wohl als ehemaliges Privilegium der Knabenschaft angesprochen werden. Die eigentliche Fastnachtlustbarkeit, die am Sonntag nachmittag einsetzt und am Dienstag ihren Höhepunkt erreicht, kommt durch lärmenden, tollen M u m m e n s c h a n z zum Ausdruck. In den meisten Gemeinden liegt das „Butzilaufen" in den Händen minderjähriger Knaben, die als „Butzi" oder „Huttli" in äusserst bunt zusammengewürfelten Kleidungsstücken stecken und Schellen oder rasselnde „Plümpen" (Treicheln) um die Lenden gebunden haben. Mit der an einer Rute befestigten Schweinsblase bewaffnet, brechen sie, dem Lockrufe folgend, in die mit Entsetzen auseinanderstiebende Kinderschar ein.1) In Flums hingegen tritt der ledige Bursche als „Butz" auf den Plan.2) Der mit einem „Geröll" (mit vielen kleinen Rollen gespickter Ledergurt) umgürtete „Röllibutz" steckt in einem aus lauter Tannenreisern oder kleinen, vielfarbigen, dachziegelartig angeordneten Lappen bestehenden Kleide oder sucht durch ein Konglomerat unbeschreiblicher hässlicher, ja geradezu abstossender Kleidungsstücke, alles in den Schatten zu stellen. Je hässlicher, desto schöner, ist hier der Wahlspruch. Das Gesicht ist hinter einer fratzenhaften, in ihrer Art oft vorzüglich geschnitzten Holzlarve verborgen. Den Kopf decken bis auf die Schultern hinunterhängende Ziegen- oder Schaffelle. In Flums finden sich mehr als 800 solcher aus gutgebeiztem, astlosem Linden- oder Eschenholz geschnitzter Holzlarven vor, unter denen eine Anzahl ein ziemlich hohes Alter aufweisen. Auch das benachbarte Berschis hat einige Exemplare aufzuweisen. Walenstadt hingegen ist nur im Besitze e i n e r Holzlarve, der sog. Gemeindelai've.8) Diese sehr alte Larve, eine Nachbildung der auf dem früheren Rathausbrunnen befindlichen Fratze, ist aussergewohnlich gross und so schwer, dass das Tragen auf die Länge fast unmöglich wird. Aus dem schwarzen Grunde der Larve treten grellrot die hässlichen Gesichtszüge hervor, mit weissen, rollenden Augen und bleckenden Zähnen. Die Larve, die mit dazugehörigem Rollgurt und dem aus rohem Tuch ver*) vgl. Z I N D E L - K R E S S I G , Volkstümliches aus Sargans, im A R C H I V 1 0 , 2 1 9 . — ) vgl. BAUMBERGER S. 2 6 4 ; A R C H I V 1 , 1 8 4 ; H O F F M A N N - K R A Y K R , Einige S c h w e i z ^ Masken und Maskenbräuche in D I E S C H W E I Z , 5 0 3 ff. — 3 ) B A U M B E R S E R S. 624. 2

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fertigten Kleide, dem zahllose bunte Lappen aufgenäht sind, während des Jahres gut aufgehoben ist, wird zur Fastnachtszeit von den halbwüchsigen Burschen der Gemeinde getragen. Dem „Gemeindebutzi", gellt von Seiten der Schuljugend der Lockruf entgegen: „Rölli, Bölli, Suppächnölli, Usä mit-em Butzi, Hojä, hojä, ho'il Hau d'r mit-em Turätee, Hau d'r mit-em Tora! Einä, einä Butzibuäb, Einä, einä H ö s i ! 1 " )

Er säubert die Tanzplätze von Minderjährigen, die Strassen und Gassen nach Betglockenläuten von der schulpflichtigen Jugend. Er soll ferner noch zu Anfang des letzten Jahrhunderts als sog. „Chiläbutz" s ) die Kinder zum Besuch des Abend-Rosenkranzes angehalten haben. K. Aschermittwochsbräuche.8) Auf die tolle Fastnachtszeit folgt wie ein Kaltwassersturz der Aschermittwoch, der Tag der Busse und der Reue. Alle Fastnachtsherrlichkeit wird zu Grabe getragen. Die am Brunnen gewaschenen und nachher getrockneten leeren Geldsäckel werden von ledigen Burschen, gefolgt von einer klagenden, heulenden, oft in Trauermäntel gehüllten Schar, durch die Strassen getragen und irgendwo begraben. In Berschis, Vilters und Ragaz wird eine Strohpuppe durch die Knabenschaft unter Zetergeschrei, Geseufze und Trauermiene auf einer Bahre durch die Strassen getragen oder auf einem Wagen geführt und unter fingierter Trauerrede beim Dorfbrunnen (Ragaz) oder in einem Miststock (Vilters) vergraben. 4 ) In Mels, Vilters, Valens usw. tragen die ledigen Burschen als Zeichen der Trauer über die so jäh abgebrochenen Fastnachtsfreuden einen mit Asche gefüllten Strumpf herum, der dem ersten besten der Vorübergehenden auf den Rücken niedersaust. 5 ) In Vilters verfolgt man damit besonders die Mädchen, die sich dies nicht ungern gefallen lassen, trotzdem die Sitte, falls sie von ihrem Verfolger erwischt werden, ihnen die Pflicht auferlegt, diesen in ihr Haus zu führen *) v g l . G I C H T E R , i m ARCHIV 4 , 3 3 8 .

S. 634. —

4

) ARCHIV 1, 283. —

5



2

) BAUMBERGER

) ARCHIV 1, 275.

S. 6 2 4 . —

3

)

EBD.

Vorübergehende wurden

in der Umgebung von Sargans sogar mit Kot und Harz beworfen, (s. ARCHIV 1, 275.) Manz, Volksbrauch uud Volksglaube des Sarganserlandes.

3

34

und mit Speise und Trank tüchtig zu regalieren. Wie ein, als „Moderation" betiteltes, aus dem Jahre 1780 datiertes Aktenstück,1) das unter anderem im ersten Paragraphen erwähnt : „Der Hirs am Aschermitwochen soll gut, genug, ohne allen uberfluß gesotten werden, mit möglichster sparsamkeith." „Die Urthen für die zum Hirschsieden nöthigen 5 Mann bleibet abgeschafft usw.", durchblicken lässt, wurde in Sargans eine grosse Zahl von Personen, wozu sehr wahrscheinlich die Knabenschaft das grösste Kontingent stellte, falls sie nicht ausschliesslich daran beteiligt war, auf Gemeindekosten mit einem „Hirsmus" regaliert. L. Beziehung der Knabenschaft zur Kirche. 2 )

Die enge Beziehung der Knabenschaft zur Kirche äussert sich ausser der Bedingung, dass nur Makellose in die Gesellschaft aufgenommen und gottesfürchtiger Lebenswandel, fleissiger Kirchenbesuch als Ehrensache vorausgesetzt werden, auch darin, dass bei Prozessionen, namentlich beim Fronleichnamsfest, jene geschlossen und mit militärischem Pomp auftritt, dass im weitern es als Pflicht jedes Mitgliedes erachtet wird, einem aus dem Leben geschiedenen „Knaben" das Ehrengeleite zu geben. 3 ) Die Knabenschaft beansprucht in der Kirche einen für sie reservierten Platz, die „Porkilche" (Empore). *) In Ragäz geht die ganze Knabenschaft jeden Monatssonntag, d. h. den ersten Sonntag jeden Monats zum „Opfer" (Einwurf eines kleinen Scherfleins in den im Chor der Kirche aufgestellten Opferstock), wobei der Obmann als erster den Gang dorthin antritt, gefolgt von den drei „Geschworenen", denen sich dann die übrigen Mitglieder anschliessen. M. Beziehung der Knabenschaft zum Naturkult (Fruchtbarkeitsriten). 5 )

1. Der Zusammenhang der Knabenschaft mit dem Kultus schimmert deutlich bei einem, früher nur in Mels und Sargans, jetzt allgemein üblichen Brauche, beim „ M a i ä i h ä l ü t ä " (Maihereinläuten) 6 ) durch. Am letzten April-Abend findet sich die Knabenschaft im Glockenhause ein, um den Maien ') Archiv Sargans. — ' ) ARCHIV 8, 174. — 3 ) Statuten Mels vom J. 1891. 1 9 0 6 ; Stat. V o r d e r b e r g - M e l s v o m J. 1 8 9 2 . — KRAYER, F r u c h t b a r k e i t s r i t e n 8

) ARCHIV 1 , 1 5 2 ;

im

4

) ARCHIV 7 , 1 4 7 . —

5

) v g l . HOFFMANN-

S c h w e i z . V o l k s b r a u c h , i m ARCHIV 1 1 , 2 3 8

BAUMBERGER S . 6 4 9 ;

ALBRECHT, E r i n n e r u n g e n ,

S. 3 2 ff.

ff.



35

hereinzuläuten, was sie als ihr allein zukommendes Privilegium betrachtet. Die Luft trägt die bald einzeln, bald zu zweien oder im Chore erschallenden Stimmen der Glocken hin über die im ersten Blütenschmucke prangenden Fluren und Matten. Die geweihten Glocken sollen den göttlichen Segen herabflehen auf die Kulturen. Die Knabenschaft Mels sucht sich für ihre, der ganzen Gemeinde geleisteten Dienste von solch' grosser Tragweite zu entschädigen, indem bei Bauer und Wirt, Metzger und Bäcker vorgesprochen wird. Nachher tut man sich in einem Hause, wo einige Mädchen für die nötige Unterhaltung sorgen, an den Vorräten gütlich. 2. Am „ J ä k o b i s o n n t a g " (Ende Sommer) wird durch die Knabenschaft der sog. „ Jakoubimaiä", in Berschis aus Nelken, Astern, überhaupt aus den zur Zeit erhältlichen Blumen gewunden, in Flums in Form eines mit bunten Blumen und Bändern geschmückten Tännchens, auf den Stock des Dorfbrunnens aufgepflanzt. 1 ) 3. S i l v e s t e r u n d N e u j a h r . Am „Altjahrabend*, nachdem die Glocke die zwölfte Stunde geschlagen, erdröhnen Böller- und Flintenschüsse, 2 ) und klingen von Seiten der Knabenschaft der Einwohnerschaft dargebrachte Neujahrswünsche und Lieder durch die Stille der Nacht. Der einfache, aber sehr melodiöse und heimelige Sang, den die „Ledigen" von Sargans, beim „Pfarrhof", dem Sitz des geistlichen Oberhauptes der Gemeinde, beginnend, fast vor jedem Hause erschallen lassen, hat folgenden Wortlaut: „Lousend, was will-i sägä, D'Gloggä hat ZWölfl gschlagä, Des alt Jour ist verstrichä Und-ä uöüs ihägachlichä, Dem Armä wiä dem Richä. Jetz wüschi dem N. N., siner Frau, sinä Sünä und Töchterä Ä guets glügghaftigs, freudrichs nöüe Jour! Und was-mer wüschen, wärdi wour, Gott gäb-is allä ä guets nöüa Jour!" 3)

Als Ehrerweisung von Seiten des Burschen krachen drei Schüsse vor dem Hause des Mädchens. Schon beim zweiten tritt dieses aus der Türe, um den Burschen für die erwiesene ') v g l . ARCHIV IX, 2 5 2 . — 2) v g l . AROHIV 1 1 , 2 6 7 . —

3

) vgl. ARCHIV l ,

154;

ALBRECHT, Erinnerungen S. 97. Der jetzt noch von den Burschen gesungene Neujahrswunsch läßt die Zeilen 3, 4 u. 5 wegfallen. 3*

36

Ehre zu einem Trünke einzuladen. Nur e i n Schuss, „Hundsfott" genannt, wird in Sargans als grösste Beleidigung aufgefasst. In Valens ist „z'Rosa h o l a " heimisch. Die „Rosen" sind blumenartige Teigaufsätze auf dem Birnbrot, dem spezifischen Neujahrsgebäck. Diese darf der Bursche, falls die besuchten Mädchen ihm gewogen, ausschneiden und am Morgen, wenn die ganze Knabenschaft in irgend einem „Stubatihaus" sich einfindet oder auch während des Vormittaggottesdienstes, werden sie auf der „Porkirche" mit Selbstbewusstsein aus der Tasche geholt, um die Kameraden zu necken. 4. An der „alten F a s t n a c h t " (Invocavit) zogen zu Landvogtszeiten in Sargans 16 — 18jährige Burschen ein ca. 18 Schuh langes S ä g e h o l z , d. h. eine aller Äste entblösste Tanne vom Kirchenplatz in den Schlosshof, wo ihnen für ihre Mühe auf Befehl des Vogtes ein Trunk verabfolgt, die um den Hals gehängten „Plümpen" (Treicheln) mit „Ohüechli" gefüllt wurden.1) 5. Während in Berschis am F a s t n a c h t m o n t a g die Jugend männlichen Geschlechtes unter Führung eines ältern Knaben mit Schellen und „Plümpen" (Treicheln) durch die Strassen ziehen, um von Haus zu Haus Graben einzusammeln, was man das „Ausschellen"2) nennt — ein Brauch, der in modifizierter Form früher wohl in den Händen der Knabenschaft lag — wird in Tscherlach von der Jungmannschaft in Form eines Lärmumzuges die sogen. Alpfahrt2) aufgeführt, wobei der Zug, der sich beim Dorfbrunnen sammelt, nach dreimaligem Umkreisen desselben unter fortwährendem Läuten der Kuhschellen durch das Dorf sich bewegt, um zum Ausgangspunkte zurückzukehren. In Mels und Wangs suchen die Ledigen an der alten Fastnacht, rasselnde Glockens) umgehängt, ihre Mädchen heim, die sie an „Chilbi" und Fastnacht auf den Tanzplatz geführt, um sich mit „Fassnachtchüechli" und „bleihitä Nidel" (geschwungener Rahm) 3 ) bewirten oder sich den „Chüechlimeiä", einen in Kuchenteig getauchten und mit diesem gebackenen „Chid" (Rosmarinzweig) auf den Hut stecken zu lassen. 6. Die alte Fastnacht findet ihren Abschluss durch die auf den Höhen hellaufleuchtenden Feuer, die Fastnachts-; ' ) vgl.

ZTNDEI.-KRESSIG,

im

ARCHIV 2 ,

' ) Vertreibung der winterlichen Dämonen; ARCHIV 1 , 1 8 3 ;

10, 2 2 3 .

224.

163;

ARCHIV

11,

253.

254.



vgl. ARCHIV 11, 242 ff. — 3 ) vgl.

37

feuer. ^ Schon geraume Zeit vorher hat die Knabenschaft auf aussichtsreichem Punkte im Wald gesammeltes dürres Holz oder von der Einwohnerschaft erbetene brennbare Stoffe mannigfaltigster Art zu einem hohen Stoss aufgeschichtet. Dieser wird beim Hereinbrechen der Nacht entzündet. Die in jauchzender Fröhlichkeit um das hochauflodernde Feuer versammelte Knabenschaft verfolgt mit eifersüchtigen Augen die in kurzen Intervallen aufflammenden Feuer der Knabenschaften benachbarter Gemeinden. Werg- oder Pechfackeln werden geschwungen und hoch in die Luft geschleudert, wenn ihre Leuchtkraft zur Neige geht. Am prasselnden Feuer entzündet der Bursche eine seiner in grossem Vorrat mitgebrachten dünnen, buchenen S c h e i b e n . Mittelst einer langen, durch das in der Mitte befindliche Loch gestossenen Haselrute werden diese nach dreimaligem Schwingen auf einem eigens hiezu angebrachten Brette abgeschlagen.8) Hell aufleuchtend fliegt die Scheibe in weitem Bogen in die dunkle Tiefe, von der unten zuschauenden Bewohnerschaft mit Freuden begrüsst. Während des Abzwickens der Scheibe ertönt halb singend, halb schreiend ein wenig poetischer Reim, bald witzig-humorvollen, bald äusserst indiskreten, anzüglichen Inhaltes. Er hat bis anhin der Menge unbekannte Vorkommnisse, Torheiten und Lächerlichkeiten zum Gegenstande. Dabei wird in plumper, oft allzu derber Weise erst an der äussersten Grenze der Schicklichkeit halt gemacht. Der in den einzelnen Gemeinden keine wesentliche Variationen erleidende Begleitspruch lautet: 8 ) „He Schybä-n-us und Schybä-n-y, W e m m soll diä Schybä sy? Diä Schybä soll demm Meitli sy, W o usw. (ihrnä Liebstä im Chastä versteggt hat.) 4 )

Je weiter die Scheibe fliegt, desto weniger kann an der Wahrheit des Gesagten gezweifelt werden, was aus den, manchmal eben erwähntem Spruche noch beigefügten Worten: „Grout' si nit, so gilt si nit" ersichtlich ist. Dass der Zweck des Scheibenschlagens, der Inhalt des Begleitspruches früher ein anderer, ein geradezu gegenteiliger war und eine Ehrung ') v g l . ARCHIV 1 , 1 7 7 f f . ; 1 0 , 2 2 3 . 2 2 4 ; 1 1 , 2 4 4 ff.; BAÜMBERGER S . 6 3 5 f f . —

2) vgl. HENNE, Burgen des Kt. St. Gallen S. 360. — 3 ) vgl. ARCHIV 1, 179 ff.; 11, 247; BAÜMBERGER S. 636. 637. — 4) Bezieht sich auf ein Vorkommnis in Viltera, wo ein Mädchen, das ohne Licht „Stubeti" hielt, beim Eindringen der „Ledigen" ihren Liebsten in den Kasten versteckte.

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der Person bezweckte, welcher unter Namensruf eine brennende Scheibe mit entsprechenden Worten gewidmet wurde, scheint fast selbstverständlich zu sein, wenn alte Leute dem Begleitspruch auch etwa die Worte beifügten: „He, dass diä Schybä guet geht Und dem Meitli guet ansteht!"

In dem nur ca. 3—4 Stunden entfernten Bündnerdörfchen Untervaz hat sich die mit dem Scheibenschlagen verbundene, sinnvolle Ehrung in der Weise erhalten, dass, nachdem dem geistlichen und weltlichen Oberhaupt der Gemeinde durch Schlagen einer Scheibe die gebührende Achtung erwiesen worden ist, ein „Knabe", falls er ein Mädchen auszeichnen oder ihm seine Liebe kundtun will, unter lautem Namensruf mit folgendem Begleitspruch eine Scheibe widmet: „Juchhe! Wem soll die Schyba sy? Juchhei Die Schyba soll der Jungfer N. sy! Juchhe! Der soll si sy!"

wofür er dann nachher von dem betreffenden Mädchen ins väterliche Haus zum „Nidel" geladen wird. Das Höhenfeuer ist ein Rest heidnischen Sonnenkultes, die im Feuer entzündete und in die Luft geschleuderte Holzscheibe die Versinnbildlichung der den Frühling bringenden Sonnenscheibe.1) Der in Yilters und andernorts noch lebendige Volksglaube, dass das Fastnachtsfeuer als „Heidenfeuer" keine Entzündungsgefahr in sich berge, dass eine an der alten Fastnacht geschlagene Scheibe nicht imstande sei, etwas in Brand zu stecken, scheint Gesagtes zu stützen. 7. An O s t e r n geht in Flums der „Knabe" zu seiner „Herzallerliebsten" oder zum Mädchen, mit dem er sich an Fastnacht beim Tanze gedreht, um einige Ostereier in Empfang zu nehmen als Zeichen der Liebe, der Freundschaft, des Wohlwollens oder der Dankbarkeit, welche Sitte sich als „ O ü s t e r l ä " bezeichnet. In eben erwähnter Gemeinde sowie in Pfävers, Vättis usw. findet sich die erwachsene Jugend beiderlei Geschlechts auf freiem Wiesenplan zu Spiel und Scherz ein, um sich am „Eiertütscheh" zu ergötzen, wobei zwei Eier, Spitze auf Spitze und „Gupf" auf „Gupf" (stumpfes Ende) geschlagen werden. Wessen Ei dabei beide Male zerbricht, der hat vollständige Niederlage erlitten und muss sein Ei dem Sieger ausliefern.8) i) ARCHIV

11,

247.



.») A R O H I V 1 1 ,

261.

39

Wie diese Sitte die äussere Form bis auf unsere Tage erhalten hat, deren Inhalt aber modifiziert worden ist, indem an Stelle der „ledigen" Welt die schulpflichtige Jugend getreten, liegt das im Haupttal noch ziemlich allgemein übliche Fastnachtsfeuer und das nur noch in Wangs heimische Scheibenschlagen in den Händen minderjähriger Knaben. Die im Tal fliegende glühende Scheibe, die in der Hand des Burschen eine höchst bedeutungsvolle Rolle spielte, ist in neuerer Zeit fast zum Spielzeug, zu dekorativer Umrahmung des Fastnachtsfeuers herabgesunken. 8. D e r M a i b ä r . In Ragaz und Valens hat sich die Jugend eines Maibrauches bemächtigt und diesen vor dem Aussterben gerettet, der früher sehr wahrscheinlich in den Händen der Knabenschaft lag. Am e r s t e n S o n n t a g im Mai findet nämlich in diesen Gemeinden eine eigentümliche Mummerei in Form des sog. „Maibären" statt. Ein aus dem ersten Baumgrün, namentlich aus Buchenlaub hergestelltes, mit Blumen und farbigen Bändern geschmücktes, bis 2 m hohes, bienenkorbartiges Geflecht wird durch einen Knaben, der sich in dessen Innern befindet, durch die Strassen getragen. Die Begleitung des „Maibären" ist eine kleine, zum Schutze mit Stöcken bewaffnete Eskorte, der dann die ganze, mit Schellen und Trinkein 1 ) versehene Knabenschar folgt, wobei Gaben eingesammelt werden.®) Dieser Brauch findet in Ragaz dadurch seinen Abschluss, dass der „Maibär" auf der obern Taminabrücke in die Tamina geworfen wird. In diesem Brauche mag man einen Fruchtbarkeitsritus erblicken, wobei der Yegetationsdämon durch das Reisergestell zur Darstellung gebracht wird.8) N. Die heutige Form der Knabenschaft.

Die einst so festgefügte Institution der Knabenschaft ist mit der Zeit viel lockerer geworden. Sie hat sich aber noch, wie eingangs erwähnt worden ist, in ihren Grundzügen im Taminatal zu halten vermocht. Im Haupttal haben die 1850er Jahre, die den Schienenweg und damit viel regeren Verkehr ins Sarganserland gebracht, diese Korporationen auf den Aussterbeetat gesetzt. Ihre Lebenskraft äussert sich noch, wenn ') Vertreibung der winterlichen Dämomen, vgl. ARCHIV 11, 242 ff. — ) ebd. 2 5 7 . — 3) vgl. ARCHIV 11, 252 ff.; MANNHARDT, Der Baumkultus der Germanen, S. 311 ff. 422. 2

40

auch in krankhafter, degenerierter Weise durch die oft zügellosen, an keine bestimmten Altersgrenzen und Vorschriften gebundenen „ Nach tb üben" und in den besonders auf die „Mainacht" konzentrierten „ Nachtbubenstreichen \ Während die Knabenschaften in Wangs und andernorts mit zeitweiliger Unterbrechung bis in die 1890er Jahre bestanden haben, finden wir zur Zeit nur noch in der Gemeinde Mels die ledigen Burschen zu einer Gesellschaft, dem „ Jungburschen verein", zusammengeschart. Als Hauptzweck der Vereinigung stellen die Statuten vom Jahre 1892, die Anklänge an das moderne Vereinsleben aufweisen, folgendes hin: „Die Jünglinge von Mels bilden zum Zwecke gegenseitiger Annäherung und Gründung freundschaftlicher Verhältnisse, sowie gegenseitiger Belehrung und anständiger gemeinsamer Unterhaltung ohne irgendwelche Politik einen Verein, welcher den althergebrachten Titel Knabengesellschaft führt." Ausserlich treten die „Ledigen" überall durch Tanz und Mummerei hervor. Sie beschäftigen sich auch mit dem Kiltgang. Fremde Kilter werden womöglich mit einer Tracht Prügel heimgeschickt. Dieser Exekution können sie im Taminatal nur durch vorherigen Einkauf in die Gesellschaft vorbeugen. Die sittenrichterliche Tätigkeit, wie ich sie, als hauptsächlich auf den 1. Mai beschränkt, erwähnt habe, ist noch ziemlich allgemein im Schwange.1) Auch die Sitte des „Kettenspannens" anlässlich einer Hochzeit hat sich noch erhalten.2) Die „Ledigen" sind die Träger der öffentlichen Belustigung an Kirchweih und Fastnacht und beteiligen sich in weitgehendem Masse beim Mummenschanz (Flums). Auch das „Maihereinläuten" liegt jetzt noch in ihren Händen. Wie schon erwähnt, werden das nur noch in Wangs übliche Scheibenschlagen und der „Maibär" in Ragaz und Valens, nachdem diese Bräuche von der erwachsenen Jugend fallen gelassen worden, noch durch die schulpflichtige Jungmannschaft aufrecht erhalten und vor dem Aussterben bewahrt. ') Vorkommen eines „Maienmannes" im Jahre 1910 in Sargana. — a) Dasselbe kam 1911 in Sargans noch zur Ausübung.

II.

Volksglaube.

43

Einteilung des Stoffes.

Die logische Einteilung aller Äusserungen des Volks- und Aberglaubens begegnet grossen Schwierigkeiten. Wohl könnte man, wie das beispielsweise Wuttke') getan, versuchen, das weitschichtige Material in „Stoffgruppen'' unterzubringen (z.B. Aberglauben, der sich knüpft an: bestimmte Orte, Zahlen, Zeiten; gewisse Gerätschaften des Hauses und Feldes, besondere Verrichtungen in Haus und Hof, in Feld und Flur, gewisse Tätigkeiten des Alltags, die Marksteine des Lebens usw.). Damit würden aber Dinge zusammengeworfen, die gar keine innerliche Verwandtschaft aufzuweisen haben. Ich habe daher, indem ich mich in den Grundzügen der Disposition einer, den gleichen Gegenstand beschlagenden Arbeit von 0. Stoll 2 ) anschloss, zeitliche und örtliche Zusammenhänge gelöst, um sie ursächlichen Zusammenhängen einzureihen. Die drei Hauptkategorien, in deren Rahmen ich das gesamte Material einzureihen versuche, sind: A. D e f e n s i v e V e r f a h r e n , welche bezwecken: I. Schutz vor Krankheiten. II. Schutz vor andern schädigenden Kräften. B. O f f e n s i v e u n d d e f e n s i v e V e r f a h r e n in W e c h s e l w i r k u n g , welche einerseits mit Hilfe übernatürlicher Kräfte eine Schädigung des Mitmenschen und seiner Viehhabe in Form von Krankheit und Tod, oder eine Vernichtung seiner Kulturen durch Herbeizauberung schädlicher Naturereignisse, anderseits einen Schutz gegen solchen Bosheitszauber bezwecken: I. Der Hexenglaube als Grundlage des „Leidwärchä". II. Das „Leidwärchä" (Übelantun). III. Die Mittel des Bosheitszaubers. IV. Abwehr des Bosheitszaubers. V. Weitere Abwehrmittel. ') A. WUTTKE, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart. 3. Bearb. Berlin 1900. •— 2) 0. STOLL, Zur Kenntnis des Zauberglaubens, der Volksmagie und Volksmedizin in der Schweiz. Zürich 1909.

44

C. E x p e t i t i v e 1 ) V e r f a h r e n . I. Das Herbeizaubern günstiger Naturereignisse. II. Vorzeichen, deren Deutung als Grundlage des menschlichen Streb ens, sich günstige zukünftige Ereignisse möglichst zunutze zu ziehen, ungünstige hingegen abzulenken, oder, falls dies nicht möglich, sich bestmöglichst dagegen zu wappnen. III. Besondere Verfahren, um sich den Besitz übernatürlicher Kräfte zu sichern, sowie Gewalt über seine Mitmenschen zu erlangen. A. Defensive Verfahren.

I. S c h u t z - u n d H e i l m i t t e l g e g e n K r a n k h e i t e n . Allgemeines. Der ärztlichen Kunst wurde bis vor Kurzem und wird zum Teil heute noch von Seiten des Volkes nicht immer das nötige Vertrauen entgegengebracht. Auch halten übertriebene Sparsamkeit oder eine gewisse Scheu vor der Konsultation des Arztes ab. Häufig nimmt man erst, wenn die Krankheit sich in die Länge zieht oder eine Wendung zum Schlimmen zu nehmen scheint, zum Arzte seine Zuflucht. Bevor man sich aber zu diesem Schritte entschliessen kann, greift man lieber zu allerlei bewährten Hausmitteln. Muss jemand sich niederlegen, ist jemand „malader", 2 ) wie man sich auszudrücken pflegt, so ist die ganze Nachbarschaft, die hievon Kenntnis hat, sofort bereit, ein ganzes Heer unfehlbarer Heilmittel anzupreisen. An der Spitze aller Medizinalweisheit steht das Schwitzen. Sofort werden, namentlich zur Winterszeit, alle Fenster des Krankenzimmers sorgfältig geschlossen, denn es könnte ja ein frischer Luftzug in dasselbe dringen und dem Kranken geradezu den Tod bringen. Eingehüllt in warme Decken, muss der Patient die dumpfe Luft einatmen. Wermut-, Camillen- und Lindenblütentee bringen den wohltätigen Schweiss.3) Alle aus Heilkräutern hergestellten Salben und Tränklein sind höchst unschuldiger Natur, ohne indes immer die Wirkung zu verfehlen. Sind die Mittelchen auch oft von einem gewissen Nimbus umgeben, wodurch sie viel wirkungsvoller erscheinen, so tragen sie nicht selten den Keim gesunden Instinktes in sich. ') Von expetere,

etwas angelegentlichst erstreben, wünschen, fordern.

( 0 . STOLL, a. a. 0 . S. 13.) — 2 ) ID. 4, 1 6 6 . — 3 ) HOVORKA U. KRONFELD 1, 2 8 0 f.

45

Indem das Inventar der Heilmittel gerade aus der P f l a n z e n w e l t immer mehr bereichert wurde, hat sich mit der Zeit eine Volksmedizin herausgebildet, die oft auf vernünftigen Ideen basiert ist. Aber ebenso gross, wenn nicht grösser, ist die Zahl der aus der Vegetationsdecke bezogenen Mittelchen, denen irgendwelche Wirkung ohne weiteres abzusprechen ist. Ä u s s e r e M e r k m a l e sind es oft, die gerade zu dieser oder jener Pflanze greifen lassen. So glaubt man am Rhizom der Weisswurz (Polygonatum multiflorum L.), bezw. in den sich vorfindenden alten Stengelnarben Abbilder der „Agerstän-Augä" ]) (Hühneraugen) sehen zu müssen. Das Schöllk r a u t (Chelidonium majus L.) 2) weist durch seine gelbe Farbe unzweideutig auf die Gelbsucht hin. Manche, namentlich der Alpenflora angehörende Pflanze erfreut sich besonders hohen Ansehens, da die Wurzel eine merkwürdige, oft fingerförmige Gestalt aufweist, manchmal Auswüchse oder Narben eigentümlichster Natur zeigt, für welche das Volk keine Erklärung finden kann, weshalb man sie, als Sitz höchst geheimnisvoller Kräfte, sich zu sichern sucht. Sind alle den Angehörigen des Kranken bekannten Hausmittel zur Anwendung gelangt, ohne irgendwelche Besserung zu bringen, so gelangt man nicht selten, im Glauben, dass die Krankheit durch „böse" Leute „ angewünscht" worden, an eine Person, die im Gerüche steht, mehr zu wissen und zu können als gewöhnliche Leute, die Hexen und Geister zu bannen versteht und in allen „geheimen Wissenschaften" gar wohl erfahren ist. Grosser Beliebtheit erfreuen sich da in erster Linie die K a p u z i n e r , 3 ) die als Hexenbanner und Teufelsbeschwörer immer in grossem Ansehen standen und noch stehen. Namentlich war die stille Klause (am Mastrilserberg bei Landquart) des im Jahre 1911 im Alter von 74 Jahren verstorbenen Pater Eberhard W a l s e r ein Wallfahrtsort für viele Leute aus unserer Gegend. Aber nicht bloss bei den Katholiken, auch bei Reformierten genoss derselbe hohes Ansehen. Manch einer sprach bei einem gewissen I m p e r t in Ö^D.

1,135;

HOVOEKA

HOVORKA u . KRONFELD 1 , 3 8 5

U. KROOTELD 1 , 1 2 2 f. —

3

f. 2 8 3

ff.



2

ID. 3 ,

909;

) LAMMERT, V o l k s m e d i z i n 1 f f . ; I D . 3 ,

)

402;

vgl. auch die zahlreichen Hexen- und Gespenstergeschichten, in denen immer Kapuziner als Beschwörer auftreten, z . B . ARCHIV 6, 254. 256; 7, 19; 8, 277; 10, 9 7 ;

12, 4 8 ;

15, 13. 73. 7 4 . 7 9 ;

16, 1 5 8 u s w . ,

s o w i e F . J . AMMANN,

Die

Teufelsbeschwörungen, Geistbannereien, Weihungen und Zaubereien der Kapuziner. Aus einem lat. Benedictionale gezogen und übersetzt. (Bern) 1841.

46

Uznach vor und erbat sich dessen Rat, wenn er es nicht vorzog, sich an Jakob S c h w e n d e n e r in Buchs zu wenden. W. H. von Plöns, den man auch häufig aufzusuchen pflegte, schöpfte seine Weisheit aus Horst's Zauberbibliothek. G. in Mels trug seine, auf Papierstreifen geschriebenen Zaubersprüche gegen „Schwinig" (Muskelschwund) und Blutung auf seinen Geschäftsreisen bis ins Tirol. Daneben werden Albert u s M a g n u s ' „Ägyptische Geheimnisse", das „6. u n d 7. B u c h Moses", namentlich aber „Der wahre G e i s t l i c h e S c h i l d " zu Rate gezogen. Letzteren fand ich beispielsweise auch im Besitze des 86 jährigen H. in Mels, bemühte mich aber vergebens, Einsicht in das Buch zu bekommen. Der Eigentümer fürchtete, sein überaus „wertvolles" und wie ein Kleinod gehütetes Büchlein, das er, wie er sagte, trotz aller Armut um 500 Franken nicht losschlüge, — beiläufig gesagt, kann dasselbe für 80 Rappen erstanden werden, — sondern mit sich ins Grab nehme, zu verlieren.'J Nach dem „Boten am Rhein" vom Jahre 18482) wirkte in Weisstannen der „Wunderdoktor" S c h n e i d e r , der durch seine „Wasserkuren" weit und breit bekannt war, Einst wollte er einen Kranken dadurch kurieren, dass er dessen „Wasser" in verschiedenen „ Gütterli" (Fläschchen) in den Kamin hängte. Allein der Zustand des Patienten verschlimmerte sich so sehr, dass ein Arzt von Mels konsultiert werden musste, wodurch das Schneider entgegengebrachte Vertrauen etwas ins Wanken geriet. Die Mittel, deren sich die „ Heilkünstler" bedienen, sind magischer Natur, Sympathiemittel, d. h. für den nicht Eingeweihten unverständliche, auf einen geheimnisvollen Zusammenhang zwischen Mensch und Natur oder überirdischen Wesen beruhende Beschwörungen. Durch diese soll die auf übernatürliche Weise den Körper beschlagende Krankheit auch wieder auf nicht alltägliche Art ausgetrieben werden. Versagt dann die Kunst, so ist entweder der Zauber zu schwach oder der Krankheitserreger ist so böser Natur, dass ihm selbst mit potenzierten Mitteln nicht beizukommen ist. Versuchen wir nun nach diesen einleitenden Bemerkungen, so weit dies auf Grund des gesammelten Materials3) möglich ') Uber diese abergläubischen Schriften s. AROHIV 17, 186; WUTTKE § 258 ff.; SCHEIBLE'S „Kloster" Bd. 5 (1847). — 2) Stadtbibliothek Zürich. — 3 ) vgl. auch A. ZINDEL-KRESSIG, Sagen u. Volksglauben aus dem Sarganserland, i m „ ARCHIV" 1 2 ,

278—280.

47

ist, einen systematischen Streifzug durch das Gebiet der volksmedizinischen Heilverfahren, auf dem Felde des' Aber-, des Volksglaubens im weitesten Sinne des Wortes, zu unternehmen. a) K i r c h l i c h e M i t t e l . a) „Der P a l m e n " . Damit bezeichnet man die Zweige der Stechpalme (Ilex aquifolium L.), die am Palmsonntag in Form eines, mit vielen Palmbüscheln bestandenen, mit Äpfeln und bunten Bändern geschmückten Busches zur Kirche getragen und während des Vormittag-Gottesdienstes durch den Priester gesegnet werden.') Diese geweihten Stechpalmzweige werden in Stube und Schlafzimmer hinter dem Kruzifix oder dem Spiegel, im Stalle unter dem Tragbalken der Decke aufgesteckt, um alles Übel von diesen Räumlichkeiten fernzuhalten, böse Geister und jegliche Krankheit zu bannen.2) An Stelle der Stechpalme kbmmen auch Zweige des Buchsbaumes3) und des Lebensbaumes (Thuja) vor, die durch den Sigristen zur Kirche gebracht und nach vollzogener Weihe in engerem Kreise verteilt werden. Die den „Palmen" schmückenden Apfel bieten, namentlich am Karfreitag nüchtern gegessen, Schutz gegen Krankheit. 4 ) Die Stechpalmzweige, welche in keinem katholischen Hause fehlen, finden alljährlich, nachdem die alten dem Feuer überliefert worden, Erneuerung. b) G e w e i h t e B l u m e n . Blumen und grünes Laubwerk, welche die vier im Freien errichteten Altäre, an denen sich die Prozession am Fronleichnamstag („Üser Herrgotts-Tag") vorbeibewegt, liefern, schützen das Vieh, wenn sie verfüttert werden, vor Schaden. 8 ) An Mariä Himmelfahrt („ Augstheiligtag", 15. August) zur Segnung durch den Priester während des Gottesdienstes in die Kirche gebrachte Blumensträusse 6 ) vermögen, im Hause irgendwo aufgesteckt, böse Geister zur Umkehr zu zwingen, besonders aber den Einfluss böser Leute, „Schrättlig" ge') 8. FRANZ, Benediktionen 1, 470 ff.; MEYER, Badisches Volksleben 94 ff.— 2)

vgl. W . MANZ, B e i t r ä g e 7 0 ;

1 2 1 7 f. — 1, 5 0 5 . —

3) 5)

ID. 4 , 9 9 9 ;

AROHIV 3 , 8 9 . 2 1 3 . 3 0 1 ; 6 , 1 4 3 ;

v g l . HOVORKA U. KRONFELD 1 , 9 2 . —

v g l . ARCHIV 1, 2 1 0 ;

7, 1 5 8 ;

10, 2 2 7 ;

4)

1 7 , 2 2 1 ; ID. 4 , FRANZ, a . a . 0 .

HOPFMANN-KRAYER,

Feste

u. Bräuche 162 f.; MEYER, Badisches Volksleben 506. — ") s. FRANZ, Benediktionen 1, 398 ff. Gewöhnlich werden Kräuter geweiht; ein Gebet ans .dem 15. Jahrh. erwähnt zuerst „herbas et flores" ebd. 402); HOFFSLANN-KRAYER, a. a. 0 .

1 6 5 ; ARCHIV 1 0 ,

90.

48

nannt, zu paralysieren. Werden die geweihten Blumen dem Vieh unter das Futter gemischt, so wird dasselbe vor den gleichen Gefahren, sowie Krankheit jeglicher Art, verschont. c) W e i h w a s s e r . Nachdem am Karsamstagmorgen durch den Priester Wasser in grosser Menge geweiht worden, 1 ) ist jedermann bestrebt, eine Flasche oder Kanne desselben, „Ostertauf" genannt, mit nach Hause zu nehmen. Daraus wird das neben der aus der Stube in das „Stüpli" führenden Türe angebrachte Weihwasser-Kesselchen gespeist.8) In keiner gut katholischen Familie wird man das Schlafzimmer aufsuchen, am Morgen die Stube betreten oder gar eine Reise unternehmen, ohne sich vorher damit besprengt zu haben, um gegen körperliche oder seelische Gefahren gefeit zu sein. Die W ö c h n e r i n sucht so schnell als möglich die Kirche auf, um sich „ aussegnen" zu lassen, wodurch allfällig durch die Geburt hervorgerufene Leibesschäden, „Letzi" genannt, geheilt, etwaige im Körper zurückgebliebene Krankheitsstoffe unwirksam gemacht werden sollen. Das kleine K i n d wird bei der Taufe durch Besprengen mit Weihwasser von den Fesseln, in welche es die bösen Mächte geschlagen, befreit. Das B r a u t p a a r wird eingesegnet, damit Zank und Zwietracht ferngehalten werden, und es dem Fluche und der Einwirkung böser Geister entgehe. Am Schlüsse des Gottesdienstes erteilt der Priester den Gläubigen den „Segen", indem er sie zum Schutze gegen feindliche Gewalten mit Weihwasser besprengt. Niemand wird an ein Totenbett treten, um dort ein Gebet zu verrichten, ohne vorher von dem bereitstehenden Weihwasser Gebrauch gemacht und mit einem Buchsbaumzweige den Toten dreimal besprengt zu haben. Dadurch wird seine Seele, falls sie nicht sofort in die Seligkeit eingehen kann, dem Bereiche böser Mächte entrückt. Mit Weihwasser wird der ins Grab gesenkte Sarg vom Priester und .(Jen nächsten Leidtragenden besprengt. Hat im V i e h s t a l l e Krankheit Eingang gefunden, wird ein neu erstellter Stall, wird ein neu errichtetes H a u s , eine neue ^ Wohnung oder eine solche bezogen, in welcher sich vorher Leute aufgehalten, die durch ihren Lebenswandel in Verruf gekommen sind, so werden die Räumlichkeiten durch den Kapuziner — alles, was er tut, ist viel wirksamer, als wenn der Ortsgeistliche die gleichen Prozeduren vornähme — benediziert. ARCHIV

7, 1 5 7 ; 9, 1 4 8 ; 10, 2 2 6 . —

«) W . MANZ, B e i t r ä g e , S. 7 4 .

49

Durch Gebet und Besprengung mit Weihwasser werden die dort hausenden bösen Mächte zum Auszuge gezwungen. r ) d) D i e K a r s a m s t a g s k o h l e n , Dies sind die Kohlenüberreste des Karsamstagsfeuers, das jeweilen vor der Kirche, oder sonst irgendwo auf dem Friedhof vor Beginn der Wasserweihe durch den Priester mit Hülfe von Feuerstein und Stahl entzündet wird, um nachher mit dem frisch gesegneten Wasser besprengt zu werden. Jede Bauernfrau sucht sich, nachdem das Feuer gelöscht worden, eine gewisse Menge dieser Kohlen zu sichern, da sie, in pulverisierter Form dem Yieh eingegeben, dieses vor Krankheit schützen.8) e) D a s g e w e i h t e Salz. 3 ) Von dem an „Drei Königen" (6. Januar) 4 ) durch die Salzverkäufer in die Kirche gebrachten und während des Gottesdienstes dort geweihten Salze sucht man ein gewisses Quantum an sich zu .bringen, um dann dasselbe, da man sich von ihm die gleiche Wirkung verspricht, wie vom Karfreitagsei und der Karsamstagskohle, dem Vieh vor dem ersten Austrieb auf die Weide und vor der Alpiährt einzugeben. Wird dem Yieh vor dem Alpauftrieb eine Mischung von „Dreikönigs- und Dreifaltigkeitssalzd.h. an diesen Festtagen geweihtes Salz, eingegeben, so glaubt man dasselbe gegen das „Chöt" (Rauschbrand) gefeit. 5 ) f) G e w e i h t e Kerze. 6 ) Die an Maria Lichtmess (2. Febr.) während des Gottesdienstes geweihte, dünne, gelbe Kerze von beträchtlicher Länge verjagt in viel wirksamerer Weise, als profanes Feuer, alles Böse. Sie wird daher am Totenbette, sowie nach dem Begräbnis einen Monat lang jeden Abend nach dem „Rosenkranz" (allabendlich zirka 15 bis 20 Minuten andauernde Andacht) vor dem Grabhügel, wo die nächsten ') ARCHIV 4, 325 f.; über das "Weihwasser s. H. PFANNENSCLTMID, Das Weihwasser im heidu. u. christl. Cultus. Hannover 1869, S . 123 ff.; F R A N Z , Benediktionen I, 43 ff.; ARCHIV F. RELIGIONSWISS. 17, 353 ff. bes. 406 ff.; Weihwassergebete ARCHIV 2, 157; 3, 284 ff. — 2) ARCHIV 7, 158; 8, 318; 9, 147. 149; 10, 2 2 7 ; 11, 246; I D . 7, 457; STEBLER, Am Lötschberg. Zürich 190,7, S. 60; FRANZ, Benediktionen I, 516 fg.; METER, Badisches Volksleben 97 f . — 3 ) F R A N Z , Benediktionen I , 140 ff. 2 2 8 . — ) W U T T K E §

527.

8

Nr.

84

) v g l . ARCHIV

(gegen 15,

241

57

Schlag einer dieser Befehle fällt, eingetrieben werden. Dadurch wird die Krankheit auf den Balken (Baum, Pflanze) übertragen und dort festgehalten.') Man versucht den Zahnschmerz auch auf einen H o l u n d e r b a u m 2 ) zu übertragen. Aus einem geschälten Ast desselben wird ein feiner Span herausgeschnitten, mit dem das Zahnfleisch blutig geritzt wird. Nachdem dieser unter den „drei höchsten Namen" wieder an seine ursprüngliche Stelle eingelegt und die Rinde darüber gezogen worden ist, wird die Baumwunde verbunden. Der Strauch soll unter dieser Prozedur zu Grunde gehen, der Zahnschmerz aber verschwinden. 3 ) Durch nachfolgende B e s p r e c h u n g soll ein Zimmermeister in Flums, wie er mir mitteilte, selbst vom stärksten Zahnschmerz sofort befreit worden sein: St. Petrus stand unter einem Eichenbusch. Da sprach unser lieber Herr Jesus Christus zu Peter: „Warum bist du so traurig?" Petrus sprach: „Warum sollte ich nicht traurig sein? Die Zähne wollen mir im Munde verfaulen." Da sprach unser lieber Herr Jesus Christus zu Petrus: Petrus, gehe hin in den Grund, Nimm Wasser in den Mund Und spei es wieder in den Grund! f . f . f . Amen. 4 )

Es sollen die ausfallenden M i l c h z ä h n e mit den Worten: Müsli, Müsli, i gib d'r ä Za, Gib m'r ä nöüä beinernä dra, 5 )

ins Feuer geworfen werden, um sich den Nachwuchs kräftiger Zähne zu sichern. Der Wunsch, an Stelle der schwachen, kariös gewordenen Zähne starke, widerstandsfähige treten zu sehen, die selbst mit denjenigen der ohne Schaden alles benagenden Maus zu rivalisieren imstande sind, erklärt uns ohne weiteres die Beziehung zwischen gesundem Zahn und Maus.6) Das Verbrennen, wie das der Haar- und Nägelabfälle, dürfte sich auf die Vorstellung gründen, dass fortgeworfene Teile des menschlichen Körpers an dem früheren Träger derselben in zauberischer Weise zu seiner Schädigung missbraucht werden könnten. ')

v g l . STOLL a . a . 0 .

Volksglauben

s. WUTTKE

ID. 2 , 1 1 8 8 ; 1 1 8 5 ;

47; § 141;

)

114;

über 3

13 f.;

ROTHENBACH N r . 1 0 9 ;

den

) gleich

Holunder bei

LAMMERT 2 3 5 . —

1 8 , 1 f . ; WUTTKE § 5 2 7 ;

1, 2 5 5 N r . 1 1 u. N r .

Kinderlied 338;

2

ID. 2 , 1 1 8 4 f g . —

v g l . ARCHIV 2 , 2 5 9 N r .

4, 3 2 3 . 3 2 4 ; 12, 1 0 2 Nr. 3 0 ; Mythologie

LAMMERT 2 3 6 . —

LAMMERT 2 3 7 . —

im

STOLL 4 8 ; 4

) ARCHIV

W O L F , B e i t r ä g e z . d. 5

) ROCHHOLZ,

ARCHIV 7 , 1 3 7 N r . 7 2 u . 7 3 ;

Alem. MEYER,

Badisches Volksleben 50. — ' ) zu Maus und Zahn s. HÖFLER, Organotherapie 1 1 0 ; JÜIILLNG a. a O, 1 2 4 ; WÜTTKE, V o l k s a b e r g l a u b e

§ 6 0 1 ; ARCHIV 1 5 , 1 5 0 .

58

Um gegen Zahnweh gefeit zu sein, schneide man die F i n g e r n ä g e l Freitags, am besten am Karfreitag.') Das Tragen eines T o t e n z a h n e s oder S a r g n a g e l s schützt gegen Z a h n a u s f a l l . 2 ) Wer ein solches Mittel auf sich trägt, bekommt aber Totenfarbe im Gesicht. E i s e n , überhaupt M e t a l l , „zieht" das Zahnweh, d. h. bringt dasselbe zum Ausbruch, bei Personen, die ihm unterworfen sind. Für solche ist es darum nicht ratsam, an Maschinen zu arbeiten oder auf Federmatratzen zu liegen. Bei Zahnweh schläft man am besten auf Kleie- („Krüsch"-) oder Sägemehlkissen, wobei das Sägemehl von Buchenholz am harmlosesten sein soll. Das Z a h n z i e h e n soll im zunehmenden Monde schmerzloser sein, und die „Zahnlücke eher durch zehn Zähne wieder gefüllt werden (!), als im abnehmenden Monde durch einen." Nach dem Zahnziehen soll kein Wein getrunken werden, denn er „vergüet" (vergiftet). 2. H a u t k r a n k h e i t e n , aa) Warzen. 3 ) Die Bekämpfung der als sehr lästig empfundenen Warzen stellt in der Volksmedizin ein sehr grosses Kontingent von Heilmitteln. Damit betrete ich nun das Gebiet der m a g i s c h e n , t h e u r g i s c h e n , m y s t i s c h e n oder s y m p a t h e t i s c h e n H e i l v e r f a h r e n , 4 ) der „ Z i m p e r d i e u , wie das Volk sagt. Die der Flora und Fauna entnommenen Heilmittel treten fast ganz in den Hintergrund. Das rein magische Verfahren besteht in der „Besprechung". 5 ) Durch einen (oft dreimal wiederholten) kurzen Befehl oder Zuruf sollen die Warzen zum Schwinden gebracht werden. Dabei ist der Spruch oft scharf gehütetes Geheimnis, das nach der Ansicht der Einen keinem Mitmenschen mitgeteilt werden darf, wenn man nicht Gefahr laufen will, dass er seine Wirkung einbüsse; nach der Meinung Anderer darf der Spruch nur einem „Jüngeren" mitgeteilt werden. Soll die Besprechung Wirkung haben, so muss der Behaftete an die Wirksamkeit bedingungslos „glauben". ') ANHORN, M a g i o l o g i a S. 1 3 4 ; ABOHIV 1 2 , 1 5 2 N r . 4 6 8 ; 8 , 1 5 0 ; 2 7 2 N r . 7 1 f.; ROTHENBACH

Nr. 135;

GEMPELER,

Heimatkunde

d. S i m m e n t h a l s ( 1 9 0 4 ) ,

357;

v g l . ARCHIV 1 5 , 4 . —

2

) WUTTKE

§ 1 8 5 . 1 8 6 . 5 2 7 ; ARCHIV 7 , 1 3 7 N r . 7 6 ; 8 , 1 5 0 ; LAMMERT 2 3 5 . —

3

) HOVORKA

ID. 4 , 6 8 3 ; WUTTKE § 5 2 6 ;

LAMMERT 2 3 8 ;

u. KRONFELD 2, 770 ff. — ') s. auch S. 56 u. 57. — ) A R C H I V 2 , 2 2 1 ; 8,

268

7,

136

S

)

Nr.

10.



63

f.

Nr.

ARCHIV

7,

135;

3

)

8, 2 6 9 ;

WUTTKE

— 12,

4

)

12, 278; §

308;

Anderes

279;

s.

STOLL, Z a u b e r g l a u b e n STOI.L,

ARCHIV

umgekehrt:

etc. aus Mecklenburg 2, 57 Nr. 1 7 4 ;

Zauberglaulien 2,

219

WUTTKE

§

Nr. 311;

137. — 141;

56;

7,

vgl.

SEBII.LOT, Coutumes

2) ARCHIV

vgl. 133.

ARCHIV 134.

BARTSCH,



Sagen

pop. de la Haute-

Bretagne (1886), 1 0 3 ; A.IIAROU, Folklore de Godarville (1893), 8 0 f. — 9 ) ARCHIV 2,

219

Nr. 59;

8,

142;

WUTTKE

§

309. —

')

ARCHIV

4,

177;

8,

142;

12,

279.

126

Als L e b e n s f a d e n wird die von der Mittelfalte der Handfläche schief nach unten gegen den Kleinfingerrand hin abzweigende Linie bezeichnet. Die grössere oder kleinere Entfernung ihres Endpunktes vom Rande der Handfläche auf der Kleinfingerseite wird mit der noch zu erwartenden Lebensdauer in engste Beziehung gebracht. Ein Kind mit zwei „ W i r b e l n " auf dem Kopfe wird geschickt.1) Tritt man in ein Haus ein, wo sich drei L i c h t e r beisammen finden, so gibt es eine B r a u t in demselben.2) Stülpt sich einem Mädchen der R o c k hinten aufwärts, so läuft ihm ein „Wittlig" nach. 3 ) Fällt einem beim Kaifeetrinken ein Brocken Brot in die T a s s e , so erhält man einen Brief.4) 2. U n g ü n s t i g e V o r z e i c h e n . N i e s t man am Morgen früh, so bekommt man S c h e l t e von der Frau vor Sonnenuntergang; ist man ledig, so bekommt man ein keifendes Weib. „ N ü c h t e r n e r Ernuss bringt Kummer und Verdruss," lautet eine Redensart. 5 ) N a s s e , gelbe F l e c k e n an der rechten Hand oder in der Handfläche bedeuten Unglück, an der linken Hand Verdruss. S p r i n g e n e i n e s Glases oder einer F l a s c h e lässt auf Unglück schliessen.6) Hat jemand das Missgeschick, beim Ausgang an der T ü r s c h w e l l e zu s t o l p e r n , so tut er gut, falls er im Begriffe ist, eine Reise oder einen Geschäftsgang anzutreten, davon abzustehen, da dieser Tag nichts Gutes bringen kann. 7 ) Wenn die, häufig auf etwas vernachlässigten Ziegeldächern sich ansiedelnde H a u s w u r z (Sempervivum tectorum, L.) blüht, so gibt es bald eine Leiche.8) Begegnet der Jäger am Morgen zuerst einem a l t e n W e i b e , so kann er auf keine Beute hoffen.9) >) ARCHIV 1 2 , 2 7 9 ;

WÜTTKE § 3 0 5 . —

2

) ARCHIV 7 , 1 3 5 N r . 5 3 ;

12, 2 1 3 ;

SCHWKIZ. V0LK8K. 3, 74 Nr. 2. — 3) vgl. dazu die symbolischen Bräuche bei der Werbung:

ARCHIV

18,

25

(Anm.

2);

DÜRINGSFELD

U. REINSBERG,

Hoch-

zeitsbuch (1871), 258; s. a. S. 124. Im Kt. Waadt nennt man einen sich dem Kleidsaum anheftenden Ast „un v e u f \ — 4) ARCHIV 7, 133 Nr. 17; 12,214.— 5

) EBB. 2 , 2 1 9 ; 8 , 1 4 3 ; SCHWEIZ. VOIJCSK. 3 , 4 3 . —

s ) ARCHIV 2 , 2 1 9 N r . 4 9 ;

STOLL, Z a u b e r g l a u b e n 1 3 9 f. — ' ) WUTTKK § 3 1 7 ; STULL, Z a u b e r g l a u b e n 1 4 1 . — 8

) ARCHIV 2 , 2 1 7 . 2 1 9 ;

7 , 6 1 . — ») EBD. 7 , 1 3 5 N r . 4 5 ;

ROTHENBACH N r . 3 7 0 ff.

127

Die Begegnung eines H o c h z e i t s z u g e s mit einem L e i c h e n z u g ist von sehr übler Vorbedeutung. 1 ) Machen die Kinder b e i m S p i e l e n K r e u z e und G r ä b e r , so steht ein Todesfall in Aussicht. g) I n T r ä u m e n

gegebene

Vorzeichen.2)

1. Träumt man von s c h w a r z e n K i r s c h e n , 3 ) so steht ein Todesfall bevor (s. o. S. 122, 3); an einem Freitag, so deutet dies, namentlich wenn es dreimal hintereinander geschieht, auf Krankheit. 2. Fallen einem im Traume die Z ä h n e aus, wobei Blut fliesst, so stirbt bald jemand aus der Verwandtschaft oder Bekanntschaft. 4 ) 3. F e u e r im Traume ist von guter Vorbedeutung. 5 ) 4. Träumt man von L ä u s e n , so erhält man Geld.1"') 5. Das Erscheinen von jungen F ü c h s e n im Traume deutet auf nichts Gutes. 6. Was in der J o h a n n i s n a c h t geträumt wird, geht immer in Erfüllung. h) D i e S e e l e n a c h d e m T o d e . Nach dem Tode einer Person soll ein F e n s t e r g e ö f f n e t werden, 7 ) damit, deren Seele in irgend einer, meist in Gestalt einer weissen T a u b e , ihren Weg gen Himmel nehmen könne. Stirbt jemand auf einem S t r o h s a c k , so muss sich dessen Seele mehr „anstrengen", in den Himmel zu kommen, als wenn das Ableben auf einem Laubsack erfolgt wäre. Der verstorbenen K i n d b e t t e r i n sollen die S c h u h e angezogen werden, 8 ) damit sie beim Passieren dos Fegfeuers ihre Füsse nicht verbrennt. Die Verstorbene hat durch die Schmerzen, welche die Niederkunft mit sich gebracht, ihre Sünden schon auf Erden abgebüsst, so dass die Seele ohne Aufenthalt im läuternden Fegfeuer in den Himmel eingehen kann. Stirbt ein K i n d v o r d e r T a u f e , so muss dessen Seele als „ I r r l i c h t " herumwandeln. 2

') ARCHIV 1 4 , 2 9 2 . —

) Tgl. STOLL, Z a u b e r g l a u b e n 1 4 2 f . —

3

) EBD. 7 ,

135 Nr. 50; vgl. 8, 271 Nr. 65 (rote Kirschen bedeuten Glück). — *) ARCHIV 2,

217.

219;

7,

135.



ARCHIV 7 , 1 3 5 ; 8 , 2 7 2

S. 43. —

'-)

EBD. 8 ,

Nr. 6 9 . —

271 7

Nr.

67;

ROTHENBACH

Nr. 429.

) HOI.'J.'M ANN-KRAYER, F e s t e u n d

E



Bräuche

) EBD. S. 42; ID. 4, 1821; ROCHHOI.Z, Aletn. Kinderlied 351 ff.;

ARCHIV 8 , 2 6 7 N r .

1;

10, 2 7 9 ;

12, 154 Nr.

501.

128

Des Volkes Glaube an eine vergeltende Gerechtigkeit hat auch in der Sage der Anschauung gerufen, dass die Seelen Verstorbener bald in M e n s c h e n - oder T i e r g e s t a l t , bald in irgend einer andern wunderbaren Form erscheinen müssen. 1 ) Treue und Redlichkeit werden belohnt, Gotteslästerung, Ubermut, Untreue im Amt, Meineid, Aneignung fremden Eigentums, ungerechte Rechtsprechung ziehen furchtbare Strafen nach sich. Die Fehlbaren finden nach dem Tode im Grabe keine Ruhe. Sie sind verdammt, immer und ewig, häufig in schwarzer Tiergestalt, umzugehen. Ihre schwarze Gestalt weist darauf hin, dass sie auf keine Erlösung zu hoffen haben. i) D a s „ K ü n d e n " . 2 ) Als besondere Art Geisterglaube ist der noch weitverbreitete Glaube an das sog. „Künden" anzusprechen. Er besteht darin, dass ein Todkranker im Augenblicke des Ablebens oder kurze Zeit vorher, selbst auf grosse Entfernung hin, seine nächsten Verwandten oder Bekannten durch persönliches Erscheinen, Pochen, Herumgehen oder durch irgend ein anderes Geräusch Kunde zu bringen sucht, dass er nicht mehr unter den Lebenden weile oder bald mit dem Tode ausgerungen habe. Das „Künden" gründet sich auf die durch die Volksmeinung der Seele zugeschriebene Fähigkeit, bei häufig vor dem Tode eintretender Bewusstlosigkeit des Kranken dessen Körper zu verlassen, um in eine gewisse mystische Beziehung zu den am nächsten Stehenden zu treten. 3 ) Im folgenden einige Beispiele: Wie mir Bäckermeister V. in Viltera mitteilte, hörte er, es war in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, an einem Sommermorgen, ungefähr '/s5 Uhr, als er wach im Bette lag, „schlerpende", von Holzschuhen herrührende Schritte auf der Treppe, die ihn lebhaft an den „Gang" seines in Amerika weilenden Bruders erinnerten. Auf das plötzliche Öffnen der Türe wendete er, in der Meinung, seine Mutter rufe ihm, wie gewöhnlich um diese Zeit, seinen Kopf nicht. Als er aber nicht angesprochen wurde, drehte er sicli doch um und ' ) v g l . KDONI, S a g e n S . 8 1 — ' 2 0 5 ;

JEGERLEHNER, S a g e n u n d M ä r c h e n

aus

d. Oberwallis, Register S. 334 ff. — 2) vgl. ALBRECHT, Erinnerungen S. 67/68; ARCHIV 4 , 2 3 5 ;

8, 3 0 6 ;

14, 1 9 9

A n m . a, b ( m i t L i t . ) ; 16. 1 3 8 . 1 4 7 ;

STOIX,

Zauberglauben 145 ff.; ID. 3, 355 f.; L. LAVATER, Von Gespänsten usw. (Zürich 1569), 40. — 3) An das „Künden" glauben viele intelligente und gesellschaftlich nicht in den hintersten Reihen stehende Personen, die sonst f ü r alles, was man so grobliin Aberglauben nennt, nur ein überlegenes Lächeln haben. Was Bie aber mit eigenen Augen „gesehen" oder mit eigenen Ohren „gehört" haben, wie sie sich auszudrücken pflegen, das lassen sie sich nicht nehmen.

129 sah seinen Bruder auf sich zukommeil.

Dessen Glatze und grünes Kleid, das

er gewöhnlich trug, habe er so deutlich gesehen, wie er jetzt mich (als Zuhörer) vor sich sehe.

Bald habe sich der Besucher, ohne etwas gesagt zu haben, um-

gewendet und sei gegen die Tür gegangen, schlossen habe.

welche er wieder hinter sich ge-

Noch habe er, der Erzähler, einige Zeit die Tritte des Davon-

gehenden auf der Treppe gehört.

Da seine in der Kammer nebenan schlafende

Mutter die Tritte auch hörte und hierüber sehr beunruhigt war, schrieb er Bofort nach Dafaport in N.-Amerika, wo der Bruder sich aufhielt, und machte diesem von dem Geschehenen Mitteilung.

Von zitternder Hand

geschrieben,

traf einige Zeit nachher ein Brief von dort ein, worin der Bruder ihn benachrichtigte, dass er, im Spital liegend, auf dem W e g e der Genesung sich befinde. Im überatandenen Fieberdelirium sei er, wie bei dem Pflegepersonal eingezogenen Erkundigungen ergeben hätten, um die im Briefe angegebene Zeit immer zu Hause gewesen. 1 ) Nach einer Mitteilung der W i t w e H. in Flums klopfte es Ende Mai 1894 nachts 11 Uhr, als sich schon alles zur Ruhe begeben hatte, an die Haustür. Auf

das nochmalige Pochen

stand sie auf und schaute

zum Fenster hinaus.

A u f den Anruf, wer sich unten befände, erfolgte keine Antwort.

Im gleichen

Augenblicke schaute auch der Knecht zum andern Kammerfenster hinaus. W ä h rend die beiden hinunterblickten, klopfte es zum dritten Male. hörte das Klopfen.

Auch ihr Mann

In der dritten Nacht darauf starb ungefähr zur gleichen

Zeit das bald nachher an Diphterie erkrankte Kind. A m Markustag des Jahres 1885 war es, als K. B. in Sargans mit seiner Frau und einer Tante in der Stube „Wache" hielt, da in der Nebenstube seine Grossmutter krank lag.

Plötzlich hörte man „schlerpende" Tritte zur hintern

Haustüre hereinkommen.

Nicht lange ging es, so vernahm man, wie jemand

mit dem „HalmbeBen" die während des Kochens sich auf der Herdplatte ansammelnden Aschenreste iw die „Äschätollä" 2 )

wischte,

Grossmutter im Beisein des Erzählers hundertemale getan.

genau so, wie es die Andern Tages starb

die Kranke. Nach der Mitteilung R. G. an der Auszehrung, Bieres

in D a v o s geholt,

der S. G. in Sargans

lag der in Vild wohnhafte

die er sich durch den Genuss eines Glas kalten darnieder.

Zu ihrem gröesten Erstaunen

bemerkte

sie eines Tages, dass dieser zur hintern Haustür hinausging, sich einen Mantel umwarf

und sich in der Richtung gegen das Städtchen entfernte, was auch

ihre Begleiterin K. Kurz und andere wahrzunehmen schienen.

Uber das Ge-

sehene mächtig erstaunt, ging sie mit ihren Kameradinnen hinauf in die Stube des Kranken und fand diesen, von einem starken Husten befallen, vor.

Am

andern Morgen starb er. W i e A. B. in Sargau« von seiner Base Th. schon des öftern hörte,

lag deren Bruder F. A. im Jahre 1894 oder 1S95 auf

krank.

der

erzählen „Spiee"

Als sie eines Tages vom Brunnen kommend ins Haus trat, kam

der Bruder mit verbundenem Kopfe

die Treppe herunter entgegen.

ihr

A l s sie

die Kammer betrat, lag er im Bette, und bald darauf starb er. Im Jahre 1882 hörte meine Mutter in einer Nacht vom Sonntag auf den Montag zwischen 3 und 4 Uhr die Hausglocke läuten. Beim Austönen erwachend, ') ein ähnlicher F a l l vom Künden Lebender s. ABCHIV 8, 306. — ! ) vgl. W . MANZ, Beiträge zur Ethnographie d. Sarganserlandes S. 67. Manz, Volksbrauch und Volksglaube des Sarg-anaerlandes.

9

130 vernahm sie das Läuten noch einmal. In der Meinung, es sei vielleicht irgendwo Feuer ausgebrochen, lauschte sie, ob im obern Stockwerk sich jemand rege, was aber nicht geschah. Als sie am Morgen bei den Hausgenossen Nachfrage hielt, wollte niemand etwas gehört haben. Andern Tages erhielt meine Mutter Bericht, dass ihre, am vorhergehenden Mittwoch nach Walenstadt verreiste Schwester Paula an einer Lungenentzündung, welche diese innert 7 Tagen dahinraffte, erkrankt sei.

Gleichsam als „ Selbstkünden" mag folgendes, mit eben erwähntem Falle in engstem Zusammenhang stehende Geschehnis betrachtet werden. Fragliche Paula erzählte 8 Tage vor ihrer Abreise ihren Angehörigen, dass sie im Traume das Glöcklein der Kapelle in Yild (Wohnort meiner Tante sei.) läuten gehört und gesehen habe, wie man sie im Sarge gegen Sargans auf den Friedhof trug. Die Tatsache, dass meine Tante den Familienangehörigen hart vor ihrer Abreise durch ein äusserst seltsames Benehmen auffiel, dass jene, obwohl reisefertig, immer nicht Abschied nehmen wollte, mag als „Todesahnung" gedeutet werden, steht aber unbedingt in innigster Beziehung zum vorausgegangenen Traume. Eines Abends, so erzählte Frau L. in L., Bassen die Herren J. Sch. von Sargans und R. von Ragaz in der Wirtsstube des „Gonzen" in Sargans, wo sie als Wirtstochter ihnen Gesellschaft leistete. Sch. saes schweigsam da. Die Erzählerin und R. hingegen waren in bester Stimmung. Man sang Lieder, welche die Wirtschaftstochter auf der Gitarre begleitete. Sch. wurde hierüber ärgerlich und murrte über das dumme „Gekrächze". Die Tochter gab die Begleitung auf, R. aber sang alle Strophen des Volksliedes: „Im Aargäu sind zwei Liebi," wobei er, da ihm die Spieltechnik abging, beständig mit dem Daumen über alle Saiten des Instrumentes hinfuhr. Der Geschichte müde, begab sich dann Sch. auf den Heimweg. R. gab ihm das Geleite. Längere Zeit nach diesem Vorfall wurde R., Lehrer am Rorschacherberg, schwer krank, so dass an seinem Aufkommen, wie Sch. der Tochter im „Gonzen" mitteilte, gezweifelt wurde. Eines Abends, als diese im Bette lag, ertönte plötzlich die Gitarre, die an der Holzwand des Schlafzimmers hing, und zwar genau so, wie wenn jemand mit dem Daumen fest über alle Saiten striche. Den Kopf in die Hand gestützt, starrte die Erzählerin zum Instrument hinüber, das an der Wand hin und her pendelte, wobei alle Saiten klangen, erst voll, dann immer schwächer und schwächer werdend. Dabei glänzten die Silbersaiten im Mondlicht. Am andern Morgen, als Sch. an seine Arbeit ging, rief dieser ihr zu, dass ein Telegramm ihn vom Hinschiede des R. in der letzten Nacht benachrichtigt habe, worauf sie ihm entgegnete, dass sie es wohl wisse, da sie ja auch „eines" erhalten habe. „Ich sass am Abend des 4. August 1893," so schreibt mir die gleiche Frau L., „mit meinem Mann nach dem Nachtessen am Tische in der Küche. Wir waren schweigsam, und meine, Gedanken waren daheim im „Gonzen", wo ich meinen Vater schwer krank wusste. Dem Tisch gegenüber, mir zur Linken, stand der Kochherd, während ihm mein Mann den Rücken zukehrte. Da fing

131 plötzlich eine Casserole auf dem Herde an, auf und ab zu wippen, al6 ob sie jemand, am Stiel festhaltend, auf und nieder bewegte, zwei-, dreimal, mit dem entsprechenden harten Klang. Mein Mann, obwohl schwerhörig, sah auf, wandte sich um und fragte gauz verstört, was das sei. ,Der Vater 1', sagte ich; ,nun gehts ans Sterben'. Am zweitfolgenden Tag kam folgende Antwort von Frau L., die ich am Morgen brieflich um weitern Bericht bat: „ . . . . nun beauftragt sie mich (die Mutter der Schreiberin), Ihnen mitzuteilen, dass Ihr armer Vater gestern (den 4ten) Abends während dem Betläuten verschieden ist."

k) D a s „ N a c h t v o l c h " . 1 ) Mit dem Künden in engstem Zusammenhange steht das sog. „Nachtvolch". Dies ist ein langer, schwarzer, gespenstiger Zug, der sich beim Hause der Person, die innert Jahresfrist zuerst stirbt, versammelt, um dann, Gebete murmelnd, in mitternächtlicher Stunde dem Friedhofe zuzustreben. Dem Zuge voran wird die schwarze Totenfahne und hinter derselben ein Sarg getragen. Jenen schliesst die noch lebende Person, welcher dieser nächtliche Spuk als Todesvorbote gilt. Weicht man dem „Nachtvolch" ehrerbietig aus und zwar nach rechts, so hat man nichts zu fürchten. In der Regel sind nur „Fronfastenkinder" mit der Gabe ausgestattet, zu gewissen Zeiten jenes zu sehen. Ein älterer Sarganser, K. L., behauptete mir gegenüber, schon des öftern das „Nachtvolch" gesehen zu haben, das in schwarzen Scharen von der „Hohlgasse" her sich bewegte: Der vor ca. 90 Jahren in Oberprod (Gmd. Sargans) lebende, durch seine gewaltige Stärke weit herum bekannte Bartholomäus Lutz hörte eines Abend», als er, sich zur Ruhe begebend, bis auf das Hemd und einen Strumpf entkleidet war, ein Gemurmel, das seinem Hause immer näher kam. Ans Fenster eilend, sah er das „Nachtvolch" betend vorbeiziehen. Als letzten im gespenstigen Zuge, auch nur im Hemd und Strumpf steckend, sah Barthli Lutz sich selbst. Nach einigen Tagen wurde er wirklich auf den Friedhof getragen. 2 )

„Es ist halt bedenklich," schreibt Prof. Albrecht in seinen im Sarganser Dialekt abgefassten „Erinnerungen" (S. 66),3) „wenn man sich selbst ohne Spiegel sieht." Wie die Frau des eben erwähnten Barthli Lutz Prof. Henne erzählte, hätte jener einmal, als er krank lag, zu ihr gesagt: „Schau, dort gucken zwei zum Fenster herein; der eine bin ich, und der andere ') s. o. S. 121. 122; vgl. ALBRECHT, Erinnerungen S. 65—67; KUONI, Sagen Nr. 188. 216. 340. 341; JEBERLEHNER, Sagen aus dem Unterwallis 65 Nr. 9; DERS., Sagen u. Märchen aus dem Oberwallis 200 Nr. 97; 202 Nr. 100 u. 102 u . A n m . S. 3 2 3 ; t r ä g e 6 ff. —

2

251 Nr. 16;

271 Nr. 29;

) ARCHIV 15, 8 3 . —

3

ID. 2, 3 4 5 ; 1, 8 0 4 ;

VONBOT, B e i -

) KUONI, S a g e n N r . 1 8 8 .



132

ist der Joggli Willi." Bald darauf, im Sommer 1823, starb der Barthli und hernach der baumstarke Willi auch. 1) D e r e w i g e J u d e . Eine sagenhafte Erscheinung, die mit dem Glauben an Omina in keinem Zusammenhange steht, ist die Gestalt des ewigen Juden. 1 ) Ein älterer Vilterser beteuerte mir gegenüber, dass er in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als er auf einem in der Nähe der „Wyssliwand" beim Steinbruch oberhalb Ragaz liegenden Maisacker arbeitete, den „ewigen Juden" gesehen habe, den er folgendermassen schilderte. Kleidung, Kopf- und Barthaar waren ganz weiss. Über den Rücken hinunter hing der lange, ebenfalls weisse Zopf. Eben „schlug der Jude das Wasser ab", stand aber nicht einen Augenblick dabei still. Eine „Herrschaft" aus dem „Hof Ragaz", die des Weges spazierte, liess sich, auf das seltsame Gebahren des Fremden aufmerksam geworden, in ein längeres Gespräch mit ihm ein, dessen Wortlaut der Erzähler deutlich vernommen haben will. Auf die an den Juden gerichtete Frage, ob ihm etwas fehle, antwortete er kurz: „Nein, ich muss so tun." Das Anerbieten eines Geldstückes schlug er ab mit den Worten: „Ich habe genug Geld. Entnehme ich ein Frankenstück meiner Tasche, ist dies im gleichen Augenblick schon wieder durch ein anderes im gleichen Werte ersetzt." E r sei der „ewige Jude", finde nirgends Ruhe, müsse selbst bei Verrichtung der Notdurft „herumstampfen", beim Eintritt in eine Wirtschaft immer um den Tisch herumgehen. E r sei verdammt, immer und ewig auf Erden zu wandeln, weil er Jesus, als dieser gekommen sei, um vor seinem Hause Rast zu halten, mit dem Schuhmacherhammer fortgetrieben, worauf jener nur die Worte an ihn gerichtet: „Du sollst ewig wandeln!" E r sterbe so wenig, als der Herrgott sterbe, komme in 50jähriger Wanderung um die Erde herum, in einem halben Jahrhundert also auch wieder da vorbei.

ß) E r g r ü n d u n g d e r Z u k u n f t d u r c h z i e l b e w u s s t e Verfahren, a) M o n d p h a s e n u n d - S t e l l u n g e n . Die den verschiedenen Mondphasen (ab- und z u n e h m e n d e r , Neu- und V o l l m o n d ) und den verschiedenen Stellungen des Mondes zur Erdbahn („Obsigint", „Nidsig i n t " ) zugeschriebenen Wirkungen, welche den Menschen zu bewegen vermögen, die das Abnehmen und Schwinden ') Der ewige Jude ist noch heute im schweizerischen Landvolke sehr lebendig. Nach dem Thurgauer Volksglauben „hat er 1 0 , 0 0 0 Blätz am Rock und ganz verrieschtereti Schueh und en chüderne Stacke." Vgl. ferner B A U M BERGER, St. Galler Land S . 1 8 5 ; F . G. STEBLER, Das Goms (Zürich 1 9 0 3 ) S. 2 1 ; D Ü B I in „Blätter f. bern. Gesch." 2 , 3 0 5 ; 7 , 2 9 9 ff.; DERS. in „Zeitschr. d. Ver. f. Volkskunde" 1 7 , 1 4 3 ff.; S C H W E I Z E R V O L K S K Ü N D E 1 , 3 8 ; J E R . G O T T H E L F , Jakobs Wanderungen (Zwickau 1 8 4 6 ) S. 3 4 ; J E G E R L E H X E R , Sagen aus d. Oberwallis S. 165 (mit Lit. in der Anm.). Allgemeines über die Geschichte der Sage vom ewigen Juden s. Z E I T S C H R . D. V E R . F. V O L K S K D E . 2 2 , 3 3 ff.

13:-)

eines Gebrechens (Warzen S. 58 ff., „Muschälä" S. 67 f., Kropf S. 72 f.) bezweckenden sympathetischen Verfahren im „schwinätä Mu" und „Nidsigint", Prozeduren, die darauf ausgehen, geschwundene Glieder (Schwinig) wieder auf das normale Mass zurückzuführen, im „wachsendä Mu" und „Obsigint" vorzunehmen, sind im volksmedizinischen Teile zur Sprache gekommen. Nach der Volksmeinung erstreckt sich aber der Einfluss des Mondes nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf die P f l a n z e n w e l t . Schreibt doch der Landmann jenem einen wesentlichen, bald nützlichen, bald schädlichen- Einfluss sowohl auf die Aussaat, als auch auf die Ernte zu. Kulturen, welche in die Höhe streben, müssen bei z u n e h m e n d e m , Gewächse hingegen, welche in die Erde dringen, Knollen und dergleichen bilden sollen, bei a b n e h m e n d e m Monde gesät oder gepflanzt werden. So sollen beispielsweise bei Vollmond, dem eine besondere Anziehungskraft zugeschrieben wird, Weinreben und Bäume geschnitten, letztere gepfropft, Erbsen, Bohnen, Mais „gesteckt", Schnittlauch gesetzt, im abnehmenden Monde Kartoffeln, Rüben usw. gepflanzt werden.1) Auch bei andern landwirtschaftlichen Arbeiten wird der Kalender zu Rate gezogen. Der Wein soll, helles Wetter vorausgesetzt, im abnehmenden Monde abgezogen werden, damit sich der „Häpf" setzt. Asche und Kunstdünger sollen, um wirksam zu sein, im „Obsigint" gestreut, Stalldünger muss im „Nidsigint" „angelegt", d. h. auf der Wiese verzettelt werden. Selbst bei den allergewöhnlichsten Verrichtungen des täglichen Lebens wird Rücksicht auf die Mondphasen und -Stellungen genommen. Einen „Galtbrunnen" (Ziehbrunnen) grub man früher im „Obsigint", um dem „Verschlüfen" des Wassers vorzubeugen. Wird eine Quelle im „Nidsigent" zu einem „Heimet" in offenem Graben geleitet, so „verschlüft" das Wasser, was Zimmermann W. in Flums schon mehrmals mitangesehen haben will. b) D i e „ W e d e l " ( T i e r k r e i s e ) . a ) Ebenso weitgehende Wirkung wie der Mond vermag der „Wedel" auf Mensch, Pflanzen- und Tierwelt auszuüben. So sollen die H a a r e im „ L e u " geschnitten werden. Wird der >) v g l .

ARCHIV

7,

142;

8,

2 7 9 f. —

2) v g l .

8, 279. 2 8 0 ; 10, 170. 172. 230. 267. 270. 2 7 3 ; e. o. S. 66. 1 2 0 f. .

ABCHIV

7, 4 8 .

12, 1 2 0 ;

49.

62

ff.

142;

13, 53. 1 8 2 ; 15, 7'

134

Haarschnitt in der „ J u n g f r a u " vorgenommen, so bekommt man Läuse. Fallen die Haare im „ S t e i n b o c k " unter der Schere, so wird man leicht grau. Dem „ S k o r p i o n " wird nicht viel Gutes nachgerühmt. Der „ K r e b s " soll beim Anp f l a n z e n der Früchte umgangen werden, weil sonst das Wachstum „hinderschi" geht. Im „ W a s s e r m a n n " gesteckte Kartoffeln werden wässerig. In Berschis beispielsweise würden die Frauen dieselben um viel Geld nicht in diesem „Zeichen" stecken. Gute „Wedel" zur Kartoffelaussaat sind „Wage" und „ J u n g f r a u " , werden doch dann die Knollen so gross wie Kindsköpfe. Doch soll man anderseits sich wohl hüten, in diesen „Zeichen" zu d ü n g e n oder zu h e u e n , da sonst das Vieh das Heu nicht frisst. Auch im „ W a s s e r m a n n " und „Fisch" soll aus gleichem Grunde vom Düngen abgesehen werden. Im „Widder" g e m ä h t e s H e u wird kurz und kraus. Hat der Most einen sauren „Zigg" (Geschmack), so ist gewiss ein „Wedel" im Spiele. c) T a g w a h l . Der Glaube, dass man zur Vornahme wichtiger Dinge bestimmte Tage wählen müsse, ist sehr alt. Die Griechen hatten ihre mütterlichen und stiefmütterlichen, die Römer ihre glücklichen (dies fasti) und unglücklichen Tage (dies nefasti). Dass diese auch den Juden nicht unbekannt waren, geht aus folgenden Worten hervor, die Moses an sein Volk richtet: „Ihr sollt nicht auf Vogelgeschrei achten, noch Tage wählen" (3. Mos. 19, 26), oder: „Dass nicht unter dir gefunden werde, der seinen Sohn oder seine Tochter durch's Feuer gehen lasse, oder ein Weissager oder ein Tagewähler" (5. Mos. 18, 10). Die mittelalterliche Gepflogenheit, zur Vornahme gewisser Verrichtungen bestimmte Tage der Woche und des Jahres anzusetzen, besteht, wenn auch in abgeschwächter Weise, heute noch. 1. U n g ü n s t i g e T a g e . Wie ich aus der handschriftlichen Aufzeichnung des Zimmermanns W. in Flums entnommen, werden folgende Tage des Jahres als Unglücks- oder „verworfene" Tage betrachtet: Januar: Februar: März: April: Mai:

1. 8. 1. 1. 8.

2. 6. 11. 17. 18. 16. 17. 12. 13. 25. 15. 17. 18. 10. 17. 30.

Juli: August: September: Oktober: November:

1. 1. 1. 15, 1.

5. 6. 3. 18. 20. 18. 30. 17. 7. 11.

Juni:

1.

17.

Dezember:

1.

7.

20.

11.

135

Unter diesen 42 verworfenen Tagen werden als besonders „böse" der 1. März, 18. August, 1., 18., 30. September betrachtet. Die „verworfensten" Tage aber sind: 1. der 1. April, an dem Judas, der Verräter, geboren wurde; 2. der 1. August, an dem der Teufel vom Himmel geworfen wurde, und 3. der 1. September, an dem Sodom und Gomorrha versanken. Wer an einem dieser 3 Tage geboren wird, stirbt eines bösen Todes, wird vor der Welt zu „Schanden" gestellt oder wird nicht alt. Bleibt ein Kind, das an einem der übrigen „verworfenen" Tage geboren ist, am Leben, so wird es armselig und elend. Heirat an einem dieser Tage führt gerne zur Trennung, hat ferner Streit und Armut, eine unternommene Reise Rückkehr in krankem Zustande, Schaden an Leib und Gut zur Folge. An diesen Tagen, auf die noch manche Leute schwören, soll kein Bau begonnen, nichts gesät und gepflanzt, auch kein Vieh gekauft oder in Pacht genommen werden, da solches nicht gedeiht.1) Zimmermann W. in Flums verfolgte, wie er mir mitteilte, bei der bevorstehenden Geburt seines jüngsten Kindes im Herbst 1908 furchtsam den Kalender und atmete befreit auf, als die Niederkunft nicht auf einen „Verworfenen" fiel. Als seine Frau krank darnieder lag, zog er ebenfalls, durch einen „Bösen" eine Verschlimmerung der Krankheit befürchtend, häufig seine „Liste" zu Rate. Einmal richtete W. am Flumserberg einen Stall auf. Als es ihm, wie er mir erzählte, eines Tages trotz aller Mühe nicht gelang, mit Hülfe seines Arbeiters die Balken ins „Lot" zu bringen, stellte er für diesen Tag die Arbeit ein, in der Vermutung, dass ein „Verworfener" die Hand im Spiele habe. Eine Orientierung im Kalender habe wirklich seine Vermutung bestätigt. Bei Zeitungsnachrichten über Eisenbahnunglücksfälle pflegt W. immer die Liste der „Verworfenen" zu konsultieren, da nach seiner bisherigen Erfahrung jene immer auf einen Unglückstag gefallen wären.

Unter den W o c h e n t a g e n steht der Freitag, 2 ) noch mehr aber der Mittwoch, 3 ) weil an diesem Tage Judas sich erhängt haben soll, in bösem Rufe. Deshalb hütet man sich, an diesen Tagen zu heiraten, eine grössere Reise anzutreten oder Geschäfte vorzunehmen. Mit dem Vieh soll kein neuer Stall bezogen, mit demselben nicht auf eine andere Wiese ') über solche dies mgyptiae

s. ARCHIV 1, 163. 246; 2, 167. 220; 14,

2 5 8 ; 1 5 , 6 ; REVOE HIST. VAUD. 1 8 9 7 , 1 5 6 . — 14, 2 9 1 ;

s. o. S,

s. o. S. 1 2 2 . — 122.

3

2

) ARCHIV 1, 1 2 1 ;

) ARCHIV 1, 1 2 1 ; 3 , 1 7 7 ; 1 2 , 2 7 9 : 2, 2 2 0 ; 3 , 1 7 7 ;

12, 2 7 9 ;

15,

1;

136

gefahren, überhaupt kein Stallwechsel vorgenommen werden. Bis in die allerneueste Zeit wurden, wenn es irgendwie anging, an einem Mittwoch oder Freitag keine Alpen bezogen. Herr Sch., früher Besitzer des Spinnerei- und Webereietablissements in Mels, soll, wie mir mitgeteilt wurde, an einem Mittwoch keine Arbeiter eingestellt haben. 2. G ü n s t i g e T a g e . D i e n s t a g und D o n n e r s t a g werden als „günstige" Tage speziell für Rechtssachen, feierliche Familienangelegenheiten, Dienstantritte und dergl. betrachtet. Dass Sonntagskinder als Glückskinder betrachtet werden, mit der Fähigkeit ausgestattet sein sollen, Geister zu sehen und Blicke in die Zukunft zu tun, ist schon andernorts erwähnt worden (S. 121). Zur Vornahme gewisser Verrichtungen sind ferner, wie wir im Abschnitt „Volksmedizin" gehört, sehr günstig: der P a l m s o n n t a g (Palmenweihe), St. A g a t h a t a g (Brotweihe), Dreik ö n i g e n (Salzweihe), der A u g u s t h e i l i g t a g = Mariä Himmelfahrt (Kräuterweihe), der K a r s a m s t a g (Kohlenweihe), namentlich aber, in Gegensatz zum gewöhnlichen Freitage, der K a r f r e i t a g . Alles, was an diesem Tage gepflanzt wird, gedeiht sehr gut.1) Um eine gute Kartoffelernte zu erzielen, kann die Aussat an keinem günstigeren Tage vorgenommen werden. Schabt man an diesem Tage die Fingernägel, so bleiben diese vor Schädigungen verschont. Lässt man sich den Bart schneiden, so ist man gegen Zahnweh gefeit. Man schnitt am Karfreitag den Lämmern die Schwänze ab, in der Meinung, dass sie besser gedeihen würden. Man beraubte die Hühner der Schwanzfedern und warf sie „hinderschi" zum Fenster hinaus, um die Hühner gegen den „Geier" (Hühnerhabicht) zu schützen.2) d) Z a h l e n . Wie wir bei einer ganzen Reihe bis anhin besprochener magischer Prozeduren gesehen, spielt die mit einem mystischen Nimbus umhüllte Zahl eine ganz wesentliche Rolle. Die stark dominierende D r e i , die bedeutungsvollste aller auftretenden Zahlen, lehnt sich als „heilige Zahl" unmittelbar an die römisch-katholische Trinität an. Diese wieder dürfte wohl auf die babylonische Kultur zurückgehen, in der dieser Zahl eine weitgehende magische Bedeutung zukam. Die hin und wieder in den angeführten sympathetischen Verfahren in L

) ABOHIV

2, 264; 6, 143; 13, 182. 184; 14,173. —

2)

vgl.

BAUMBEBQER

S. 129.

137

mystischem Gewände auftretende N e u n ist natürlich durch Potenzierung aus der „heiligen Drei" hervorgegangen. Häufiger aber als diese Zahl erscheint die wohl dem semitischen Orient entstammende S i e b e n . Ihre Heiligkeit hat sich erst recht eigentlich unter dem Einfluss des alten Testamentes der Bibel entwickelt. 7 Tage kennt die Schöpfungsgeschichte, 7 fette Jahre wechselten mit 7 mageren im Nillande ab, 7 Arme zählte der Leuchter im Allerheiligsten, 7 Jahre stand Jakob im Dienste Labans usw. Die heilige Zahl 77, die, wenn auch seltener, in den magischen Formeln auftaucht, geht wohl auf einige Bibelstellen zurück (z.B. 1.Mos. 4,24), wenn sie nicht einfach durch Verdoppelung der heiligen „Sieben" entstanden ist. Während die bisher erwähnten Zahlen in besonders gutem Rufe stehen, wird die Zahl D r e i z e h n allgemein als Unglückszahl gefürchtet. Warum dieselbe zu einer solchen degradiert worden ist, kann nicht so leicht entschieden werden. Man ist zwar vielfach geneigt, den Grund hiefür in der neutestamentlichen Erzählung vom hl. Abendmahl Christi mit den 12 Jüngern, von denen einer den Herrn verriet, zu suchen. Aber auch die hin und wieder im Mittelalter auftretende Erwähnung des Judas Ischariot als des 13., des verworfenen, ausgeschiedenen Jüngers,1) könnte den Anstoss zur Degradation der Zahl 13 gegeben haben, wenn man nicht vorzieht, deren Stellung in der Zählenreihe zwischen der vollkommenen Zahl 12 (12 Jünger Jesu), dem vierfachen der heiligen „Drei", und der Zahl 14, dem zweifachen der heiligen „Sieben", dafür verantwortlich zu machen. Finden sich 13 Personen an einem Tische, an irgend einem Orte zum Geplauder, oder um sich photographieren zu lassen, beisammen, so ist eine derselben im Laufe des Jahres dem Tode verfallen. Manchmal wird dieser Glaube noch dahin präzisiert, dass die zuletzt sich einfindende Person es ist, die vom Schicksal ereilt wird.2) e) Die „ L o s t a g e " im e n g e r n S i n n e (Zwölften). Während bei manchem besprochenen, an einzelne Tage des Jahres sich knüpfenden Volksglauben Nachklänge des germanischen Heidentums mit christlichen Elementen ver') an seine Stelle sollte ein anderer Jünger als 12. getreten sein. — 2) ARCHIV 1 4 , 2 9 1 N r . X ;

SCHWEIZEH VOLKSK. 3 , 1 7 ; v g l . w e i t e r n

Aberglaube

über dreizehn: ARCHIV 8, 275 Nr. 106; 15, 6; ,T. H. GRAF, Über Zahlenaberglauben, insbesondere die Zahl 13. Bern 1904.

138

quiekt auftreten, sind die an die sog. 12 „Lostage" oder „Zwölften" (25. Dez. bis 6. Jan.) sich klammernden abergläubischen Anschauungen und Meinungen rein heidnischen Charakters. Alle Zaubennächte sind losgebunden. Die gebannten Geister werden frei und streben nach Erlösung.1) Die in der Sagenwelt unseres Gebietes häufig erwähnte „weisse Frau" 2 ) mit ihrem sonnengoldnen Haar erscheint, um nach einem Jünglinge, der sie durch Mut und Unerschrockenheit erlösen könnte, Ausschau zu halten. Versunkene Schätze 3 ) treten aus dem Innern der Erde ans Tageslicht, um sich zu „sonnen". Drei Momente sind es, die das Volk dazu drängen, die „heilige Zeit" nicht nutzlos verstreichen zu lassen, durch Einleitung gewisser Verfahren den Schleier der Zukunft zu lüften: 1. W e t t e r u n d F r u c h t b a r k e i t , 2. das L i e b e s l e b e n und 3. das S c h i c k s a l a l l g e m e i n e r N a t u r . 1. W e t t e r u n d F r u c h t b a r k e i t . 4 ] Der Witterungs-Charakter eines jeden Tages wird einer sorgfältigen Prüfung unterzogen, da jener in gleicher Reihenfolge den 12 Monaten des folgenden Jahres entspricht. Dieser Glaube fusst auf der altgermanischen Anschauung von einer Neuschaffung der Natur innerhalb dieser 12 Nächte. Nicht nur die Sonne, sondern auch die 12 Monde werden aufs neue aus der Geburt gehoben, und zwar in jeder der Nächte einer, und mit ihm auch das Wetter, das er „machen" will. Das „ B ö l l ä g l ö ü s " ( Z w i e b e l o r a k e l ) 6 ) gestaltet sich folgendermassen: Man schneidet am hl. Weihnachtsabend eine Zwiebel in zwei gleiche Teile, löst 12 Schalen davon ab, legt in jede, nachdem jeder derselben ein Monat des Jahres zugedacht worden, eine Prise Salz, worauf ein „gemeinschaftlicher Rosenkranz" gebetet wird. Nach Beendigung desselben wird Nachschau gehalten. Die relative Feuchtigkeit der Schale lässt Schlüsse ziehen auf die Witterung der betreffenden Monate des folgenden Jahres. Ist das Salz einer Schale zu Wasser geworden, so wird der betreifende Monat regnerisch. Ist es ') s. SCHWEIZER VOLKSKUNDE 1, 8 9 ff. —

3

) v g l . KUONI, S a g e n d e s K t s .

St. Gallen Nr. 271. 332. 333. 338. — 3 ) vgl. EBD., Nr. 181. 191. 197. 198. 222. 255. 257. 293. 308. 310. 347. 360. 361; JEGKRLEHNER, Sagen aus dem Unterwallis 16 Nr. 9; 178 Nr. 16; DERS., Sagen u. Märehen aus dem Oberwallis 237 N r . 4 ; 2 6 7 N r . 1 6 u. A n m . S. 2 9 4 ; vgl. ARCHIV 17, 1 7 9 N r . 12. — VOLKSE. 3, 8 5 ff. —

Ö

4

) SCHWEIZ.

) LÜTOLF, S a g e n 3 8 2 ; SARTORI 3, 4 0 A n m . 8 3 ; 7 2 A n m . 7 9 ;

ARCHIV 2 , 2 2 9 Nr. 8 7 . 2 7 9 ; STOLL, Z a u b e r g l a u b e n 1 7 6 ; ID. 4 , 6 6 0 ; 5, 3 0 4 .

139

aber trocken geblieben, so wird der entsprechende Monat trocken. Das Zwiebelorakel wird aber auch zu Rate gezogen, wenn man einen Einblick in die Fruchtbarkeit des folgenden Jahres tun will. Das Orakel erfährt nur insoweit eine Abweichung, dass eine Schale nicht mehr dem Witterungs-Charakter eines Monats, sondern einer Feldfrucht zugedacht wird. Weist eine Schale eine Verflüssigung des Salzes auf, so verspricht man sich für die zugedachte Frucht ein „Groutjour" (Geratjahr), bei Trockenheit derselben hingegen ein „Feiljour" (Fehljahr). Auch die während des Jahres sorgfältig aufbewahrte „ J e r i c h o - R o s e " wird in den Dienst des Orakels gestellt,'j indem die stärkere oder schwächere Entfaltung der in ein Glas Wasser gebrachten „Rose" in Beziehung zur grösseren oder geringeren Fruchtbarkeit des folgenden Jahres gebracht wird. Die einst in der Umgebung von Jericho sich vorfindende Cruzifere, welche dieser Stadt zur Zierde gereichte, jetzt noch in Palästina an den Ufern des toten Meeres, dann aber auch in Syrien und Ägypten wild wächst, hat als Anpassungserscheinung an das dortige Klima bekanntlich die Fähigkeit, die bei Anbruch der Trockenperiode nach ihrer Blütezeit kugelig einwärts gebogenen lederartigen Zweige und Fruchtklappen bei Feuchtigkeitsaufnahme wieder zu strecken und die Form einer geöffneten Rose anzunehmen. 2. E h e o r a k e l . aa) E h e o r a k e l in der W e i h n a c h t s n a c h t . 2 ) Den „Zukünftigen" kann man erblicken, wenn man während des Zusammenläutens in der Weihnachtsnacht „hinderschi" die Stube w i s c h t , an allen, oder auch nur an n e u n B r u n n e n je drei Schlücke Wasser trinkt und sich hierauf zur Kirchentüre begibt.8) Windet das Mädchen während des Gottesdienstes in der hl. Nacht einen F a d e n um den kleinen Finger, so wird es an der Seite des „Zukünftigen" die Kirche verlassen. Schneidet das Mädchen in der Weihnachtsnacht eine weisse Z w i e b e l entzwei und streut Salz darauf, so werden ')

SCHWEIZER VOI.KSKÜNDE 3 , 8 7 ;

1395 f.; 5, 84;

entwürfe 2 (1853), 12; 3, 8 7 . —

3

STOLL,

Zauberglaubeil

175 f.;

ID. 6 ,

LCTOLF, Sagen 382 Nr. 361; ROCHHOLZ, Deutsche ArbeitsSARTORI 3 , 4 0 A n m . 8 3 .

) SCHWEIZ. VOLKSK. 3 , 8 8 ;



2

) SCHWEIZER VOLKSKUNDE

ARCHIV 1 5 , 3 ; ID. 7 , 5 2 ; 2 ,

1149.

140

sich bis am Morgen die Züge des zukünftigen Ehegatten darin abbilden. Stellt das Mädchen in der hl. Nacht zwischen 11 und 12 Uhr ein mit Wasser gefülltes Geschirr vor die Türe und betet dazu einen Spruch, so hat es am Morgen Gelegenheit, die im E i s e „eingefrorenen" Züge des vom Schicksal Bestimmten wahrzunehmen. 1 ) Ein Wangser „Meitli", das, wie man mir mitteilte, in Flums diese Prozedur ausführte, sei angesichts des furchtbar hässlichen Gesichts „närrsch" geworden. bb) E h e o r a k e l in der A n d r e a s n a c h t (30. Nov.).2) In noch höherem Masse als die Weihnachtsnacht wird die Andreasnacht als glückbringend betrachtet und darum dazu auserkoren, durch magische Verfahren eine Realisierung des Wunsches, den zukünftigen Geliebten zu sehen, herbeizuführen. In der Andreasnacht soll um 12 Uhr der G a r t e n z a u n durch das Mädchen g e s c h ü t t e l t werden. Der Erste, der während dieser Prozedur an ihm vorbeigeht, ist der „Zukünftige". Schält ein Mädchen einen A p f e l derart, dass die ganze „Schelferä" (Haut) an einem Stücke bleibt, wirft diese mit der rechten Hand über die linke Schulter, so ist aus der sich bildenden Figur der Anfangsbuchstabe des Namens des zukünftigen Liebhabers zu ersehen.3) Das einfachste Verfahren, um den zukünftigen Freier zu einem „Stelldichein" zu zwingen, besteht darin, dass das Mädchen einen „ G s c h i r r b l ä t z " siedet und immer darin „stört" (herumstochert) oder den Schuh über die linke Achsel wirft. Stellt das Mädchen eine F l a s c h e W a s s e r mit einem Glas auf den Tisch und w i s c h t nachts zwischen 11 und 12 Uhr „hinderschi" die Stube, und zwar von der Tür- gegen die Fensterwand, so wird sich der „Zukünftige" hinter den Tisch setzen und trinken. Das eigentliche „And'reislä" aber wird dadurch eingeleitet, dass das Mädchen nach Mitteilung der Einen nachts 12 Uhr „hinderschi" die vier Ecken der S t u b e w i s c h t , nach der Meinung der Andern um dieselbe Zeit, falls es schon im Bette liegt, „hinderschi" zu diesem hinaus und ebenso die Treppe ') Bräuche

SCHWEIZER S. 9 6 ;

VOLKSKUNDE 3 ,

SARTORI 3 ,

1 0 f. -

87. 3



2

)

E . HOFFMANN-KRAYER,

) AROHIV 7,

132

Nr.

6.

Feate

und

141

hinunter geht. Falls es aber das Schlafzimmer noch nicht aufgesucht hat, entkleidet es sich vorn am Fenster, wischt „hinderschi" die Stube, um nach dieser Arbeit rückwärts die Treppe hinauf zur Kammer und „verkehrt", mit dem linken Beine vorab, ins Bett zu steigen.1) Das G e b e t , das während des Stubenwischens, oder beim Zu-Bette-gehen gesprochen wird, hat folgende Varianten: „Heiliger Andreas, ich bitte dich in dieser Nacht, Zeig mir meinen herzgeliebten Schatz. Hat er Ochsen, so treib er's; Hat er Pferd', 80 reit er's; Hat er sonst eine andere Profession, Lasse ihn in Gottes Namen zum Vorschein kommen."

(Flums.)

*

„Heiliger Andreas, ich bitte dich, zeige mir den Mann, Mit dem ich leben soll mein Leben lang. Hat er Vieh, so fahre er; Hat er Pferd' so reite er; Hat er nichts, so komme er in Gottes Namen sonst daher." (3 Vaterunser sprechen.) (Flums.) *

„Heiliger Andreas, zeige mir meinen Mann. Hat er Kühe, soll er's treiben; Hat er Pferde, soll er's reiten; Hat er nichts, soll er in Gottes Namen sonst kommen, Wenn er am Ende nur noch kommt." (Mels.) * „Dur d'Stägä-n-uffi schritt-i, D'r Sannt Andreis bitt-i, Lass-m'r dar erschynä, Wo soll wärdä mynä. Ischt'r rych, chunnt'r g'fahrä; Ischt'r arm, chunnt'r mit-emä Charrä; Ischt'r fründ und ubekannt, • Chunnt'r mit-emä Stäggä in d'r Hand."

(Berschis.)

*

„Bettschgetbritt, (Brett der Bettlade), i tritt-i, Heiliger Andreis, i bitt-i, Lass-m'r erschynä D'r Härzliäbschtä mynä. Hät'-r Chüä, so Söll ers trybä; 2 ) usw. (Techerlach.)

In Sargans ist auch folgender Spruch in Gebrauch, dessen Verfasser J. W. von Beust (1772) ist: 3 ) ') SCHWEIZ. VOLKSK. 3 , 8 8 f . ; STOLL, Z a u b e r g l a u b e n Nr. 3;

15, 2. —

!

) ARCHIV 2 , 6 3 ; 4 , 2 4 9 ; 1 5 , 3 . —

3

1 5 2 ; ARCHIV

) v g l . JOHN MEIER,

2,216 Kunst-

lieder im Volksmunde 4 Nr. 23, wo auch die Verbreitung verzeichnet ist.

142

Gebet zum hl. Andreas.

Krieg' ich einen oder keinen? Einen!

5. Enge, enge! Da schau ich noch nach, Dass er mir ein and'res schafft. Und wie steht es mit dem Schlafgemach ? Sind die Betten auch von Taft, Wo ich drinnen ruhen werde? Erde!

2. Einen, einen! Ei, daß ist ja schön! Wird er auch beständig sein, Oder wird er viel nach andern seh'n? Wird er immer nur allein Sich bemüh'n, mir zu gefallen? Alien!

6. Erde, Erde! Das klingt schauerlich Und ist ein bedenklich Wort. Ach, Andreas, sag', ich bitte dich, Nenne endlich mir den Ort, Wo du ihn hast aufgehoben! Oben!

3. Allen, allen! Pfui, das ist nicht gut! Ach, Andreas, sage mir geschwind, Ist's ein Mann, der viel vertut? Und wer sind denn sein Gesind, Sind sie denn von seinesgleichen?

7. Oben, oben hat er seinen Platz? Ach, nun merk' ich meine Not! Der von dir mir auserkor'ne Schatz Ist wohl endlich gar der Tod? Ist denn mir nichts überblieben? Lieben!

1. Ach, Andreas, heiliger Schutzpatron, Schenke mir doch einen Mann! Sieh' herab auf meinen Spott und Hohn, Sieh' mein hohes Alter an!

Leichen! 4. Leichen, Leichen! Ja, da erbt man Hat er denn ein eigen Haus, [viel. Wenn er mich nun einmal haben will, Und wie sieht es drinnen aus? Ist es auch von rechter Länge? Enge!

8. Lieben, lieben soll ich bis zum Tod? Ach, welch' bitteres Herzeleid! Ist denn keiner, der mich haben mag Hier in dieser Einsamkeit, Einen Krummen oder Lahmen? Amen!

Hier mag noch erwähnt werden, dass das heiratslustige Mädchen auch den'Vollmond anflehte, den Zukünftigen erscheinen zu lassen, und zwar mit folgenden Worten: „0, du mi liebä Vollmü, Lass-m'r im Traum my Schatz vourchü. (vorkommen) Se'i-r wyt oder nouch, se'i-r rych oder arm, Se'i-r ä Handwärcher oder keinä. Winn-r ä Handwärcher ischt, söll-r sy Wärchziig mit-m Iii, Winn-r ä keinä-n-ischt, söll-r sus chü."

Das N u s s c h a l e n o r a k e l . Am Andreasabend, wenn Burschen und Mädchen sich zusammenfanden, war es Brauch, das Orakel in folgender Weise zu befragen: Von jedem der Teilnehmenden wurde eine Nusschale, mit einem kleinen W a c h s l i c h t l e i n beschwert, auf das in einem Gefäss sich vorfindende Wasser gesetzt, wodurch symbolisch das Lebensschiff auf dem Strome des Lebens dargestellt wurde. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte jedes sein Schiffchen. Wenn die Nusschalen eines Burschen und Mädchens, gleichsam magnetisch angezogen, sich näherten, wurden die beiden als zukünftige Brautleute betrachtet.

14Ü

cc) E h e o r a k e l in der N e u j a h r s n a c h t . Das Bleigiessen 1 ) ist auch in der Sarganser Gegend bekannt. Um sich Auskunft über den „Zukünftigen" zu verschaffen, wird in der Silvesternacht um 12 Uhr geschmolzenes Blei mittelst eines alten Löffels tropfenweise in ein Gefäss mit Wasser fallen gelassen. In den Formen, die sich bilden, ist dann das Werkzeug des zukünftigen Ehegatten zu sehen. Statt zu Blei wird auch zur b r e n n e n d e n K e r z e gegriffen, wobei dann die Form der ins Wasser fallenden Wachstropfen gedeutet wird. 3. S c h i c k s a l s o r a k e l . An einem F r e i t a g wird das W e i s s e eines Eies 2 ) in ein Glas Wasser gegossen, um aus den sich bildenden Formen und Figuren Blicke in die Zukunft zu tun. Bildet sich beispielsweise ein „Schiff", so führt einen das Schicksal über das Meer usw. III. B e s o n d e r e V e r f a h r e n , u m i n d e n B e s i t z ü b e r n a t ü r l i c h e r K r ä f t e zu k o m m e n , s o w i e G e w a l t ü b e r a n d e r e M e n s c h e n zu e r l a n g e n , a) L i e b e s z a u b e r . Der L i e b e s t r a n k . Um den Gegenstand der Zuneigung an sich zu fesseln, soll „Nei'gelschabeti" (vom F i n g e r n a g e l A b g e s c h a b t e s ) 3 ) oder B l u t 4 ) vom eigenen Körper heimlich in den Wein der andern Person gebracht werden. Auch schabe man von einer W u r z e l , die fingerförmige Gestalt aufweist, etwas ins Getränk. Ein Mädchen in Flums soll, den gleichen Zweck verfolgend, heimlich in den Wein des von ihm geliebten Burschen u r i n i e r t haben. Um sich gegen Liebeszauber zu schützen, b l a s e n die Mädchen, bevor sie trinken, ein K r e u z über das Glas. Nimmt ein Bursche drei H a h n e n f e d e r n 6 ) und drückt sie dem geliebten Mädchen dreimal in die Hand, so kann dieses nicht mehr von ihm lassen. Er kommt auch zum Ziele, wenn er, eine T u r t e l t a u b e n z u n g e 6 ) im Munde, dem Mädchen einen Kuss raubt. ') 2

)

s.

SCHWEIZ.

B, 87; A R C H I V 1 5 , 2 f.; vgl. S A R T O R I 3 , 2 2 1 . 2 2 4 . — Feste u. Bräuche S_'. 96. — 3) Nägel im Liebeszauber

VOLKSK.

HOFFMANN-KRAYER, ARCHIV

9,

154.



4

) ARCHIV

3,

Zauberglaubeu 1 8 4 ; zunge u. Turteltaubenherz: A R C H I V 16,

69;

STOLL,

22,

23;

7,

ALBERTUS 7,

51;

10,

132;

10,

MAGNUS 57;

2,

53. 12.

ALBERTUS

57.



ARCHIV

— a) SchwalbenM A G N U S 2, 1 2 .

144

Trägt der Bursche E b e r w u r z und B a l d r i a n , in rotem Wachs eingeschlossen, auf sich, so kann ihm kein Mädchen einen Wunsch abschlagen. Um jedermann zu gefallen, muss man E i s e n k r a u t , das am P e t e r - u n d P a u l s t a g mit einem silbernen oder goldenen Löffel gegraben worden ist, auf sich tragen. b) S i c h u n s i c h t b a r m a c h e n . Zur Erlangung dieser Fähigkeit setze man sich in den Besitz von Farnsamen, 1 ) der am Abend des St. Johanntages zwischen 11 und 12 Uhr reif ist. Dieser kann überhaupt nur in dieser Stunde gewonnen werden. Zur Erreichung des gleichen Zieles trage man das rechte Auge einer F l e d e r m a u s 2 ) auf sich. Auch siede man das Ohr einer s c h w a r z e n Katze 3 ) in der Milch von einer schwarzen Kuh, verfertige einen Däumling daraus und stecke denselben an den Daumen, c) E i n e n M a n n „ z w i n g e n " ( i m p o t e n t m a c h e n ) . 4 ) Die hiebei zur Anwendung kommende Z a u b e r f o r m e l hat folgenden Wortlaut: „Ich tue dich anhauchen, drei Blutstropfen tue ich dir entziehen, den ersten aus deinem Herzen, den andern aus deiner Leber, den dritten aus deiner Lebenskraft. Damit nehme ich dir deine Stärke und Kraft, f . f . f . Amen."

d) S i c h „ f e s t " m a c h e n . Dies kann erreicht werden, wenn ein „ M a u s ö h r l e i n " , das an einem Freitag im Voll- oder Neumond gegraben worden ist, in ein weisses Tüchlein eingebunden, mitgeführt wird. e) W i s s e n , w a s a n d e r e d e n k e n . Um dieser Gabe teilhaftig zu werden, muss man den angeblich auf dem Grunde des Nestes eines „Zuschlüfers" ( Z a u n k ö n i g ) 6 ) befindlichen kleinen S t e i n auf sich tragen, f) G e h ö r t e s n i c h t v e r g e s s e n . Man trägt ein in der Milch gesottenes S c h w a l b e n h e r z auf sich. g) A l l e s e h e n , w e l c h e w ä h r e n d des J a h r e s s t e r b e n . Trägt man während des Gottesdienstes in der Heiligen Nacht neun Sorten S a l z bei sich, so sieht man alle, welche >) W U T T K E ID.

7, 5 2 ;

§ 123.

4, 4 7 7 . —

3



2

) EBD. § 1 6 6 ;

) ABCHIV 6 , 5 6 ;

Steinchen

7, 51. —

4

von

FL.

ARCHIV 7 ,

) v g l . T h . ZVINAERI, S i c h e r e r

51; u.

G e s c h w i n d e r A r t z t 7 5 0 f . — 5 ) v g l . ZEITSCHR. F. RHEIN. U. WESTF. VOLKSKDF. 9 , 2 5 9 ff.

145

im Laufe des nächsten Jahres durch den Tod dahingerafft werden, um die Bänke herumgehen. im T r a u m e .

h) S c h u t z v o r V e r f o l g u n g

Stellt man die S c h u h e derart unter das Bett, dass ihre Spitzen von diesem abgewendet sind, so kann man im Traume laufen, wenn man verfolgt wird.') i) D a m i t d i e S e n s e i m m e r

schneidet,

soll eine S c h l a n g e n z u n g e auf den Boden des Wetzsteinfasses genagelt werden. Hat man aber dann das Unglück, sich an derselben zu schneiden, so heilt die Wunde nicht mehr. 2 ) k) G e w i n n b e i m

Spiel.

Man bindet ein F l e d e r m a u s h e r z 3 ) an einem seidenen Faden unter denjenigen Arm, dessen Hand ausspielt. 1) U m e i n e K a t z e an d a s H a u s zu f e s s e l n , lasse man sie in den S p i e g e l schauen, oder schabe von allen vier T i s c h e c k e n etwas ab und mische dies der Milch bei. m) U m e i n S t ü c k V i e h s i c h e r zu v e r k a u f e n , führe man das Tier zu einem f l i e s s e n d e n W a s s e r , giesse drei Hände voll über dasselbe und spreche: „Es muss mir jedermann nachlaufen und muss mir mein Vieh abkaufen. So wahr, als Christus taufete am Jordan, so wahr taufe ich dich, f- t- t-" n) W ü n s c h e n , w a s m a n w i l l . Man finde sich in der Heiligen Nacht zwischen 11 und 12 Uhr auf dem berüchtigten „ K r e u z w e g " ein, ziehe mit einem Stock einen Kreis um sich, verhalte sich während der ganzen Stunde ruhig in diesem Ringe, w e i n e und l a c h e n i c h t , komme, was da wolle. Angeblich erscheinen Familienangehörige und Verwandte aus der Ewigkeit. Von Zeit zu Zeit lässt sich ein gehängtes Schwein blicken, das zum Lachen reizt. Auch pendelt, nur an einem Faden hangend, über dem Kopfe des Betreffenden ein Mühlstein, und in den Lüften ruft es: „Flüend, flüend, oder i hau-nä-n-ab!" (Fliehet, fliehet, oder ich schneide den Faden ab).4) Ist man imstande, trotz *) ZAHLER 4 8 ; ROTHENBACH 5 4 ; vgl. AROHIV 2, 2 6 1 ; 7, 1 4 2 . —

2)

weitere

Anwendungen von Schlangenzungen im Z a u b e r s. ARCHIV 6, 57 ( 2 X ) > 7, .R>L; STOLL, 4)

Zauberglauben

S. 4 2 . —

3)

vgl. ARCHIV 2 , 2 8 1 ;

12, 1 4 9 ;

13, 6 4 .



über diesen Mühlstein a m F a d e n vgl. JEGERLEHNÜR, Sagen aus dem TJnter-

wallis 1 6 Nr. 9

u. L i t . in der Anm. dazu.

Manz, Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes.

10

146

alledem, ohne zu weinen oder zu lachen, auszuharren, so kann man befehlen, was man will. o) D a m i t d a s G e l d i n d e r T a s c h e n i c h t s c h w i n d e , lege man die einem S c h w a l b e n n e s t entnommenen Eier, nachdem sie gesotten worden sind, wieder in dasselbe zurück. Dann legt die Schwalbe ein S t e i n c h e n hinein. Trägt man dieses in der Geldtasche nach, so kommt das ausgegebene Geld wieder zurück.1) p) V e r f a h r e n , um in d e n B e s i t z m a t e r i e l l e r S c h ä t z e zu g e l a n g e n . Der Glaube, dass tief verborgen in unseren Bergen Schätze liegen, die, falls man über die nötigen magischen Verfahren verfügt, gehoben werden können, ist noch nicht verschwunden. Zahlreich sind die jetzt noch im Volke lebenden Sagen von verborgenen Schätzen, Geldkisten, derer man sich in gewissen Stunden und unter Zuhülfenahme bestimmter Zauberformeln soll bemächtigen können. In der Sagenwelt des Sarganserlandes tritt namentlich der sog. „Venediger" a ) von Zeit zu Zeit als Goldsucher in ganz fremdartiger Kleidung auf. Mit der Bevölkerung verkehrt er nur soweit, als er muss, um sich Orientierung zu verschaffen. Seine Arbeit treibt er unter Zuhülfenahme des „ B e r g s p i e g e l s " schnell und geheim. Hier stellt er seine Kanne an einen nur tropfenweise, dort unter einen reichlich fliessenden Goldbrunnen. Rätselhaft, wie er gekommen, verschwindet er wieder mit geisterhafter Schnelligkeit. Wo er Aufnahme gefunden, belohnt er mit kostbaren Geschenken und wertvollen Geheimnissen. Wird ein Bewohner aus der vom „Venediger" aufgesuchten Gegend später einmal in Geschäften oder durch Zufall nach Venedig geführt, so trifft er diesen dort als Goldschmied wieder, wird reichlich belohnt und zuletzt wie durch einen Zauberstreich nach Hause versetzt. ') ganz ähnlich im Vogtlande s. WUTTKE § 159. — s ) vgl. KUONI, Sagen N r . 1 9 1 . 2 2 2 . 2 5 5 . 2 5 7 . 2 9 3 . 3 4 7 . 3 6 1 ; ALBRECHT, E r i n n e r u n g e n S . 6 2 ;

JEOER-

LEHNER, Sagen und Märchen aus dem Oberwallis 74 Nr. 99; 146 Nr. 3 u. Anm. S. 3 1 3 ; ID. 1 , 8 3 3 ; s. o. S. 1 1 5 . 1 1 6 .

147

Ergänzungen. Wie aussergewöhnliche Ereignisse (Kriegsjahr 1914/15) ausgestorbene Bräuche wieder wecken und verblassten, schlummernden Volksglauben wieder neu beleben können, mögen nachfolgende Beispiele(Knabenschaften: 1 u.2,Volksglauben: 4) zeigen. 1. Mit einem „ M a i ä - M a " (S. 19 f.) in Gestalt eines Guiden') wurden 1915 einige Meiser Mädchen bedacht, weil sie im Verkehr mit den dort einquartierten Guiden die Grenze des Schicklichen etwas überschritten haben sollen. Die Puppe wurde aber nicht, wie gewöhnlich, in der „Mainacht", sondern erst in der Nacht auf den 2. Mai aufgepflanzt, offenbar um die Beseitigung durch die Mädchen zu verhindern. 2. Der auf eben erwähntes Vorkommnis Bezug nehmende „ M a i s b r i e f " (S. 16 ff.), in Maschinenschrift geschrieben und in drei Kopien hergestellt, wurde hingegen in der Mainacht „gelegt". 3. D a s „ G ü l l n e n " (S. 23). In Valens soll sogar der Pfarrer „gegüllnet" worden sein, als er sich durch nächtliche Rundgänge im Dorfe zu vergewissern suchte, ob seinem, von der Kanzel aus geäusserten Wunsche, vom „Stubatigu" (Kiltgang) abzustehen, auch nachgelebt werde. 4. A l l e r m a n n s h a r n i s c h (S. 53. 56. 70. 86. 113). Im Jahre 1915 war, nach einer Mitteilung von Hrn. Verwalter Stoop, in Flums unter den Kräutern, welche an Mariä Himmelfahrt durch den Priester geweiht werden sollten (S. 47 f.), die Allermannsharnischwurzel besonders zahlreich vertreten. Man brachte sie in Körbchen zur Kirche und legte sie beim Altare nieder. Ein gewisser E. A. von Ragnatsch soll besonders viele Wurzeln auf der Tscherlacher Alp zu diesem Zwecke gesammelt haben. Die noch im Volke schlummernde Meinung, dass die Allermannsharnischwurzel, wenn sie an Mariä Himmelfahrt vor Sonnenaufgang gegraben und heimlich unter das Altartuch (Mitte) an die Stelle, wo die heiligen Sinnbilder Brot und Wein ihren Platz finden, gelegt worden ist, mit der wunderbaren Kraft ausgestattet wird, den Träger gegen >) In der Sammlung für Völkerkunde (Abt. Europa) in Basel. 10*

148

Schuss, Stich und Hieb unverwundbar zu machen, hat durch die kriegerischen Ereignisse wieder Lebenskraft erhalten. 5. Wird die „ O s t r i n z ä " (S. 56. 70) in den Kleidern getragen, in Getränke geschabt oder in Branntwein „gebrannt", so bietet sie Schutz gegen alle ansteckenden Krankheiten (S. 83 f.). Wird sie gekaut oder auch „geraucht", so verhindert oder vertreibt sie das Zahnweh. Auch als Wundheilmittel bei Kastration des Viehes soll sie gute Dienste leisten. 6. Die Aloö (S. 70. 78) blüht nach der Volksmeinung alle 100 Jahre nur einmal.

149

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151

Sachregister. Die Zahlen mit * bezeichnen die Hauptstellen. Abtreibung 85 f. Abwehr böser Mächte 45. 47—53, lies gethon 22 „ gesprungen 24 ., ihi'en 29 .. besseren verderben .'>'/ .. J o h r

162 «V. 97 7J. 32 hinter einem füge s. v. [salva venia] ein 36 lies etlichen 37 „ Sturen 40 „ kochen verzieh 42 „ driten 43 setze

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3 hinter gesehen füge ein: Nechtigs Alientg ist sy aber von der verschlossenen Kettin ledig worden, namme ein theil von einer fetschen oder Stücken, wints vmb den liall.>, erwüst ein Knebeli oder steekli von der ihro zue pin gemachten Kluppen, steckhts in die Stucken, trybts Rings wys herumb, also das sy gantz hlauw worden, vnd wen man nit glich darzu kommen, sie sich selbsten erwürgt hette. S. . lies Punkten Artikul ehrlichen 19 „ Grebelius 21 streiche

: und



23 lies pflegte 24 „ Blitzg 2ä „ sunder 2fi ,, wil Menstruum 2(i—28 lies und wenn sy Jemand glich darnach anreget, ist er des Todts eigen, er trage dann dieselbige wurtzel an der Hand hangend hinweg. Oder man inuss sie also bekommen. Erstlich etc. 30 lies einen •'13 streiche

die und, lies böl.le

den

HR lies Alraunen, schryben ich, sich bedienen •W „ bewahr Mftnlis 41 „ erscheinen Anmerkung ') lies A 342. 2 (Akten Sargans). iV. 10!) '/,. 17 lies i.) Pas Vernageln.

Tafel I

Holzlarven aus Flums Text S. 32

Manz, V o l k s b r a u c h unil V o l k s g l a u b e des S a r g a n s e r l a n d e s .

Manz, Voiksbraueii und Volksglaube des SarganserlandeS.

Tafel III

Holzlarven aus Flums Text S. 32

Manz, Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes.

Tafel IV

Holzlarven aus Berschis Text S. 32

"Röllibutzi" von Walenstadt (rechts Gemeindelarve, links Nachbildung) Text S. 82 f.

Manz, Volksbraueh und Volksglaube des Sarganserlandes,

Tafel V

Gemoindelarvo von Walenstadt T e x t S. 3 2 f.

Gcnioindebutzi" von Walenstadt, T e x t S. 3 8 Manz, Volksbrauch und Volksglaube des Sargansei'lamk's,

03 H

Manz, Vol ksb ra uch und Volksglaube dus Siirgiinscrhiudcs,

Tafel VII

Inneres der Wallfahrtskapelle „Erzbild" im (lonzenwalde oberhalb Sargans Text S. 86

Marz, Volksbrauch und Volksglaube des SarganserlandeS.

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