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German Pages 417 Year 1991
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 598
Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit und Gesetzesvorbehalt Von
Andreas Roth
Duncker & Humblot · Berlin
ANDREAS ROTH
Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit und Gesetzesvorbehalt
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 598
Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit und Gesetzesvorbehalt
Von
Andreas Roth
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme
Roth, Andreas: Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit und Gesetzesvorbehalt / von Andreas Roth. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 598) Zugl.: Konstanz, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07165-4 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-07165-4
Meinen Eltern in Liebe und Dankbarkeit
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1990/1991 von der Juristischen Fakultät der Universität Konstanz als Dissertation angenommen. Für die Betreuung der Arbeit möchte ich an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Brohm herzlich danken. Er hat mein Interesse auf das Thema gelenkt, seine Bearbeitung mit kritischem Rat begleitet und auf vielfache Weise gefördert. Mein Dank gilt auch dem Zweitgutachter der Arbeit, Herrn Prof. Dr. Dieter Lorenz, meinen Kollegen und Kolleginnen an der Fakultät und Frau Annemarie Träger. Nicht zuletzt danke ich dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme der Arbeit in die "Schriften zum Öffentlichen RechtH.
Konstanz, im Februar 1991
Andreas Roth
Inhaltsverzeichnis
Einleitung Kennzeichnung und Aktualität des Phänomens der DriUbetiuflenlieit
23
Teil 1 Probleme und Stand der Diskussion zur Relevanz der mittelbaren Beeinträchtigung subjektiver Rechte
29
Abschnitt 1 Die Bedeutung der Beeinträchtigung subjektiver Rechte in Fällen der Drittbetrofffenheit - Überblick
29
Abschnitt 2 Der gerichtliche Rechtsschutz Drittbetroffener
31
A. Die Problematik - Notwendigkeit von Abgrenzungskriterien
31
B. Kriterien einfachgesetzlichen Drittschutzes - Die herrschende Schutznormtheorie
37
I. Abgrenzbarkeit des berechtigten Personenkreises II. Der gesetzgeberische Wille
38 41
III. Normzweck
42
IV. "Vermutungsregel" für Drittschutz?
43
V. "Durchbrechung" durch das Gebot der Rücksichtnahme C. Bewertung der Kriterien
43 44
10
Inhaltsverzeichnis Abschnitt 3
Unterlassungs- und Folgenbeseitigungsansprüche Drittbetroffener
48
Abschnitt 4 Erweiterte Voraussetzungen für die Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrechte Drittbetroffener A. Bedeutung von Verfahrensrechten - Problematik in Fällen der Drittbetroffenheit B. Verwaltungsverfahren I. Verfassungsunmittelbare Begründung von Verfahrensrechten Drittbetroffener
53 53 55
55
1. Allgemeine Voraussetzungen verfassungsrechtlicher Ansprüche auf Verfahrensteilhabe
57
2. Zusätzliche Voraussetzungen wegen der Besonderheiten faktischen Verwaltungshandelns
60
II. Kriterien einer einfachgesetzlichen Begründung von Verfahrensrechten Drittbetroffener
63
1. Allgemeine Verwaltungsverfahren
63
2. Spezialgesetzliche Verwaltungsverfahren
68
C. Verwaltungsgerichtliches Verfahren
69
D. Bewertung der Kriterien
71
Abschnitt 5 Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche Drittbetroffener
73
A. Die Problematik
73
B. Entschädigung aufgrund Enteignungsgesetzes
73
I. Der neuere, formalisierte Enteignungsbegriff des BVerfG II. Konsequenzen für die Entschädigungsansprüche Drittbetroffener III. Gründe für die Formatierung des Enteignungsbegriffs - Die Relevanz der Junktim-Klausel gem. Art. 14 III S. 2 GG
74 75 78
Inhaltsverzeichnis C. Entschädigungsansprüche wegen enteignungsgleichen und enteignenden Eingriffs I. Bedeutung in Fällen der Drittbetroffenheit II. Entwicklung der Eingriffskriterien
83 83 85
1. Finalität
86
2. Unmittelbarkeit
86
D. Entschädigungsansprüche Drittbetroffener wegen Aufopferung i.e.S I. Die Parallele zum Eingriffsbegriff bei den Vermögenswerten Aufopferungsansprüchen II. Besonderheit: Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch die Entscheidung eines Bürgers als Zwischenursache III. Bewertung
89
90 91 92
E. Schadensersatzansprüche Drittbetroffener nach Amtshaftungsgrundsätzen
94
I. Grundsätzliche Zulassung von Schadensersatzansprüchen Drittbetroffener durch die Rechtsprechung des BGH
94
II. Die maßgeblichen Abgrenzungskriterien
95
1. Grundsatz: Die Parallele zum einfachgesetzlichen Drittschutz
96
2. Konkretisierung
96
Abschnitt 6 Rechtsstaatliche Gebote im übrigen A. Das Zitiergebot I. Meinungsstand zur Relevanz für Drittbeeinträchtigungen II. Bewertung
99 99 100 102
B. Die Reichweite der Wesensgehaltsgarantie
102
C. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
104
I. Die Rechtsprechung des BVerfG
105
II. Die Literatur III. Bewertung D. Das Gebot inhaltlicher Bestimmtheit von Gesetzen
106 109 109
12
Inhaltsverzeichnis
E. Schwerpunkt: Das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes
113
I. Die exemplarische Vertiefung der Untersuchung
113
Π. Die funktionale Relativierung der Rechtserheblichkeit von Drittbeeinträchtigungen als Fazit von Teil 1 und Vorgabe für die Behandlung des Gesetzesvorbehalts
Teil 2 Vciwaltimgphandeln mit Driübclruffcnheit und GeselucsvOTbehalt
Abschnitt 1 Die Reichweite des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes - allgemein
115
118
118
A. Der "klassische" Vorbehalt des Gesetzes
118
B. Erweiterungen
121
C. Verhältnis des Eingriffsvorbehalts zum Gesetzesvorbehalt im Sinne der Wesentlichkeitstheorie
127
Abschnitt 2 Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
130
A. Grundrechte als Abwehrrechte und als Elemente objektiver Ordnung - Die Bedeutung für die Frage des Gesetzesvorbehalts 130 B. Drittbeeinträchtigungen als Eingriffe I. Der klassische Eingriffsbegriff
134 134
II. Die Ausweitung der Eingriffsvorstellung - Der grundrechtsbeeinträchtigende Effekt
138
1. Schrifttum
139
2. Analyse der Rechtsprechung
143
a) BVerfG
143
b) Verwaltungsgerichte
145
3. Folgerungen für Drittbeeinträchtigungen
148
Inhaltsverzeichnis C. Der objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte - Begründungen des Grundrechtsschutzes gegen faktische Beeinträchtigungen in neuerer Zeit I. Drittbeeinträchtigungen als Schutzpflichtverletzungen
150 150
1. Behördliche Erlaubnisse und Genehmigungen mit drittbelastender Wirkung.... 150 2. Die staatliche Duldung als Schutzpflichtverletzung... II. Allgemeine objektivrechtliche Begründung der Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen D. Stellungnahme und Folgerungen für den Gang der Untersuchung I. Die vorrangige Prüfung des Eingriffsvorbehalts II. Ausgangspunkt: Der grundrechtsbeeinträchtigende Effekt
Abschnitt 3 Die Notwendigkeit von Abgrenzungskriterien A. Argumente gegen die Grundrechtsrelevanz jeder faktischen Betroffenheit I. Rechtssystematische Argumente
155 157 158 158 160
161 162 162
II. Gefährdung der Handlungsfähigkeit der staatlichen Organe und Störung der Balance zwischen den Staatsgewalten
163
III. Gefährdung der Rechtssicherheit
165
IV. Abgrenzung zu "sozialadäquaten" Beeinträchtigungen
166
V. Konkurrierende Grundrechtspositionen B. Zwischenergebnis
167 167
Abschnitt 4 Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts bei faktischen Beeinträchtigungen
169
A. Das Problem
169
B. Meinungsstand im Schrifttum
170
I. Unterschiedliche Eingriffsbegriffe
171
1. Eingriffsvorbehalt nur für klassische Grundrechtseingriffe
171
2. Eingriffsvorbehalt nur für vorhersehbare Beeinträchtigungen
172
14
Inhaltsverzeichnis II. Modifikation der gesetzlichen Grundlage
172
1. Gesetzesvorbehalt als Vorbehalt der Zwecksetzung
172
2. Die Ermächtigung zum Erlaß der Verwaltungsmaßnahme als Ermächtigung zu den mit ihr verbundenen Wirkungen
173
C. Verfassungsrechtliche Vorgaben für eine einschränkende oder modifizierende Auslegung des Eingriffsvorbehalts bei faktischen Beeinträchtigungen I. Die Funktionen des Eingriffsvorbehalts und ihre Erfüllbarkeit II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
174 175 178
1. Das überkommene Verständnis der Gewaltenteilung
178
2. Das funktionelle Verständnis der Gewaltenteilung
179
3. Die Beeinflussung des Eingriffsvorbehalts
180
a) Rechtsstaatliche Funktion
181
b) Demokratische Funktion
182
c) Grundrechtsschützende Funktion
182
D. Folgerung
185
Abschnitt 5 Die Notwendigkeit differenzierender Analyse
186
A. Strukturierung nach der Rechtsform des Verwaltungshandelns
186
B. Differenzierung zwischen finalen und nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
187
Teil 3 Pinate Drittbeemträchtigiingen
188
Abschnitt 1 Fallanalysen A. Staatliche Warnungen und Empfehlungen
188 189
Inhaltsverzeichnis I. Produktbezogene Warnungen und Empfehlungen 1. Die Arzneimittel-Transparenzlisten
189 189
2. Warnungen und Empfehlungen des Umweltbundesamts
191
3. Kunststoffempfehlungen des Bundesgesundheitsamts
192
4. Veröffentlichung einer Weinliste durch den Bundesminister fur Jugend, Familie und Gesundheit II. Warnungen vor "Jugendsekten"
193 193
B. Konkurrenzausschließende Subventionsrichtlinien
195
Abschnitt 2 Finale Drittbeeinträchtigungen als "mittelbare Grundrechtseingriffe"
A. Thematische Berührung grundrechtlicher Schutzbereiche I. Warnungen und Empfehlungen
196
196 196
1. Produktinformationen
196
2. Warnung vor Jugendsekten
200
II. Konkurrentenausschluß durch Subventionsrichtlinien
B. Der Eingriffscharakter finaler Drittbeeinträchtigungen I. Meinungsstand
201
202 202
1. Die Rechtsprechung
202
2. Das Schrifttum
205
II. Die verfassungsrechtlich begründete Sonderstellung finaler Drittbeeinträchtigungen - Der Umgehungsgedanke III. Die Finalität als funktionsadäquates Abgrenzungskriterium 1. Handlungsfähigkeit der staatlichen Organe - Rechtssicherheit
208 213 213
a) Der Begriff der Finalität
214
b) Finalität trotz globalen Betroffenenkreises ?
215
c) Folgerungen
216
2. Rechtssystematische Bedenken
218
3. Abgrenzung zu "sozialadäquaten" Beeinträchtigungen
218
IV. Zwischenergebnis
220
Inhaltsverzeichnis
16 V. Verbleibende Probleme
221
1. Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch die autonome Entscheidung Privater ?
221
a) Die Fragestellung
221
b) Der Grad der Motivationsbeeinflussung als Maßstab
224
aa) Rechtlicher Zwang
224
bb) Psychologischer, faktischer Zwang
225
(1) Meinungsstand
225
(2) Stellungnahme
226
2. Verwaltungsinterne Maßnahmen oder Regelungen als Grundlage finaler Drittbeeinträchtigungen
228
3. Zusätzliches Erfordernis einer gewissen Schwere der Drittbeeinträchtigung
230
G Resümee des zweiten Abschnitts: Die Sonderstellung finaler Drittbeeinträchtigungen
232
Abschnitt 3 Das Erfordernis einer formell-gesetzlichen Grundlage für finale Drittbeeinträchtigungen
A. Der Eingriffsvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
I. Entbehrlichkeit formell-gesetzlicher Grundlagen aufgrund verfassungsrechtlicher Bestimmungen
233
235
235
1. "Überspielen" des Eingriffsvorbehalts durch die unmittelbare Anwendung von Verfassungsrecht ? 2. Mögliche verfassungsrechtliche "Ermächtigungsgrundlagen" a) Grundrechte
235 237 237
aa) Art. 51GG zugunsten der informierenden Behörde ?
237
bb) Grundrechtliche Schutzpflichten als Ermächtigungsgrundlagen
238
b) Umweltschutz als Gemeinschaftsinteresse mit Verfassungsrang
239
c) Verfassungsunmittelbare Befugnis zur Information der Öffentlichkeit
240
aa) Die demokratische Pflicht der Verwaltung zur Transparenz
240
bb) Kompetenz der Bundesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit unter Einschluß grundrechtseingreifender Warnungen ?
242
Inhaltsverzeichnis (1) Die jüngste Rechtsprechung
242
(2) Stellungnahme
244
cc) Zwischenergebnis
249
II. Finale Drittbeeinträchtigungen als Ausnahme vom Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts ?
250
1. Die tatsächliche Erfüllbarkeit der Funktionen des Eingriffevorbehalts
250
2. Beschränkung des Eingriffsvorbehalts auf klassische Eingriffe ? 3. Zwischenergebnis
253 255
ΙΠ. Anforderungen an die gesetzliche Grundlage 1. Die Unterscheidung zwischen Aufgabenzuweisungs- und Befugnisnormen
256 257
2. Rechtfertigung finaler Drittbeeinträchtigungen durch polizeirechtliche Befugnisnormen
259
3. Aufgabennormen als Eingriffsermächtigungen
262
a) Legitimation faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Aufgabennormen
262
b) Stellungnahme: Unzulänglichkeit von Aufgabennormen - Modifizierung der Befugnisnormen
264
aa) Unzulänglichkeit von Aufgabennormen
264
bb) Modifizierung der Befugnisnormen
267
4. Zwischenergebnis
271
B. Normierungserfordernisse im Bereich finaler Drittbeeinträchtigungen aufgrund der Wesentlichkeitstheorie
Teil 4 Nicht-finale Drittbeeinträchtigiingen
271
276
Abschnitt 1 Typische Fallgruppen nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen
276
A. Nachbarbeeinträchtigungen
277
B. Konkurrentenbeeintrachtigungen infolge staatlicher Subventionierung
280
2 Roth
18
Inhaltsverzeichnis
Abschnitt 2 Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als "mittelbare Grundrechtseingriffe"
A. Thematische Berührung grundrechtlicher Schutzbereiche I. Nachbarbeeinträchtigungen
283
283 283
1. Art. 141 GG
283
2. A r t . 2 I I S . l G G
284
II. Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen
B. Der Eingriffscharakter nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen I. Die "Filter-" Funktion der Kausalität
286
287 288
II. Die bisherigen Versuche einer Bestimmung des Eingriffscharakters nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen 290 1. Entschärfung der Abgrenzungsproblematik durch Extrempositionen? a) Ablehnung jeglicher grundrechtlichen Relevanz nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen b) Grundrechtliche Relevanz jeder kausal verursachten Betroffenheit 2. Blankettformeln
290 290 294 295
3. Die Vorhersehbarkeit der Beeinträchtigung - Der Grundsatz "ultra posse nemo obligatur" als Einschränkung grundrechtlicher Verantwortlichkeit 4. Die heute vorherrschenden Auffassungen a) Die Intensität der Beeinträchtigung aa) Die "gewisse" Beeinträchtigungsintensität als Eingriffsvoraussetzung bb) Das Erfordernis der "schweren und unerträglichen" Beeinträchtigung
296 298 298 299 300
(1) Die Rechtsprechung
300
(2) Das Schrifttum
305
b) Die Zurechenbarkeit der Beeinträchtigung
310
c) Der Ansatz Ramsauers: Die Übertragung der zivilrechtlichen Normzwecklehre auf das öffentliche Recht
312
5. Resümee III. Einschränkung der abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion im Wege der Grundrechtsinterpretation 1. Die Priorität der Suche nach allgemeingültigen Kriterien
315 317 317
Inhaltsverzeichnis 2. Das Verhältnis der Abwehrfunktion zu den objektiven Funktionen der Grundrechte
318
3. Einschränkende Auslegung grundrechtlicher Schutzbereiche im Falle nichtfinaler Drittbeeinträchtigungen ;
319
a) Grundrechtsinterpretation und Prinzip der Einheit der Verfassung
319
b) Die verfassungsrechtliche Bedeutung des Sozialstaats- und des Gewaltenteilungsprinzips
320
c) Konkrete Grenzziehung: Grundsätzliche Beschränkung der abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion auf den Schutz vor faktischer Aushöhlung
324
IV. Korrektur durch spezifische Schutzbereichsermittlung in Ausnahmefällen
326
1. Grundrechte mit erhöhter "Sensibilität"
328
2. Fehlende "Nähe" zur staatlichen Maßnahme
330
3. Abhilfemöglichkeit durch Eigenhandlungen des Dritten
331
4. Autonome Entscheidung als Zwischenursache
332
V. Die Funktionsadäquanz des Regel- Ausnahme-Prinzips 1. Die Funktion der allgemeinen Grundrechtsbindung und ihre Erfüllbarkeit 2. Die restlichen Bedenken
332 333 333
VI. Kurzresümee des eigenen Lösungsansatzes
334
Abschnitt 3 Das Erfordernis einer formellgesetzlichen Grundlage für nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
A. Der Eingriffsvorbehalt hinsichtlich nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen
I. Vorfrage: Entbehrlichkeit des Eingriffsvorbehalts wegen Funktionslosigkeit? II. Entbehrlichkeit formellgesetzlicher Grundlagen aufgrund verfassungsrechtlicher Bestimmungen III. Die Kongruenz des Schutzbereichs der Grundrechte und des Geltungsbereichs des Eingriffsvorbehalts bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
336
338
338 341 344
Inhaltsverzeichnis
20 1. Meinungsstand
345
a) Generelle Ablehnung bzw. pauschale Bejahung des Eingriffsvorbehalts
345
b) Beschränkung des Eingriffsvorbehalts auf Fälle der "Interdependenz" von Begünstigung und Belastung
346
c) Geltung des Eingriffsvorbehalts für Subventionen, die spezifische grundrechtliche Gewährleistungsbereiche berühren
348
d) Beschränkung des Eingriffsvorbehalts auf vorhersehbare Beeinträchtigungen
348
2. Die Beschränkung des Eingriffsvorbehalts auf typischerweise ausgelöste, nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
349
a) Der Aspekt gesetzgeberischer Erkenntnismöglichkeiten
349
b) Der Aspekt gesetzgeberischer Handlungpmöglichkeiten
351
c) Konsequenzen des Befunds
352
aa) Das Kriterium der Vorhersehbarkeit
352
bb) Vorschlag: Der Ausschluß atypischer Nebenwirkungen
353
(1) Zwischenergebnis und praktische Folgerungen (2) Einwände gegen den Vorschlag der einschränkenden Auslegung IV. Lockerung der Regelungsdichte im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen 1. Der Haushaltsplan i. V.m. dem Haushaltsgesetz als Grundlage konkurrentenbeeinträchtigender Subventionen - Die Normierung des Zwecks der Verwaltungsmaßnahme und die Funktionen des Eingriffsvorbehalts
356 357 359
359
a) Die demokratische Funktion
360
b) Die rechtsstaatliche Funktion
361
2. Die Normierung der ursächlichen Verwaltungsmaßnahme und die Funktionen des Eingriffsvorbehalts
364
a) Die rechtsstaatliche Funktion
365
b) Die demokratische Funktion
366
3. Praktische Folgerungen und Ergebnis
B. Normierungserfordernisse im Bereich nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen aufgrund der Wesentlichkeitstheorie I. Nachbarbeeinträchtigungen II. Konkurrentenbeeinträchtigungen III. Resümee
366
368 369 376 378
Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung und Eigebnisse
Litciatui Verzeichnis
Einleitung Kennzeichnung und Aktualität des Phänomens der Drittbetroffenheit Unter der Überschrift "Staatliche Verbraucherberatung in Gefahr?" wurde in einer Anfang 1989 von Abgeordneten sowie der Fraktion der GRÜNEN initiierten Kleinen Anfrage an die Bundesregierung der Sachverhalt aufgegriffen, daß staatliche Behörden, die aus umweltpolitischen Motiven vor bestimmten Produkten warnen oder diese der Bevölkerung empfehlen und auf diesem Wege beim Produzenten oder Konkurrenten Umsatzeinbußen verursachen, sich zunehmend rechtlichen Angriffen von Vertretern der Industrie ausgesetzt sehen1. Vergleichbare Mechanismen staatlicher Beeinträchtigungen waren in den letzten Jahren immer häufiger auch Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Auseinandersetzung. So wehrte sich in dem der Transparenzlisten-Entscheidung des BVerwG zugrundeliegenden Rechtsstreit ein Unternehmen der pharmazeutischen Industrie dagegen, daß seine Produkte vom Bundesgesundheitsamt in eine Vergleichsliste aufgenommen werden, die Angaben zu Preis und Qualität enthält, dem jeweiligen Arzt einen Überblick über das Arzneimittelangebot verschafft und als Grundlage für dessen Verschreibungen dient2. In einem anderen Verfahren vor dem BVerwG klagte jüngst eine Gesellschaft, die sich mit der Verbreitung der Transzendentalen Meditation" befaßt, gegen öffentliche Verlautbarungen des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, die Praktiken dieser Bewegung seien mit Gesundheitsgefahren für die Mitglieder verbunden3. Daß sich hinter diesen aktuellen Sachverhalten grundlegende, aber noch weitgehend ungeklärte verfassungsrechtliche Fragen verbergen, erschließt sich dem Betrachter erst bei genauerem Hinsehen. Die freiheitliche Betätigung des Bürgers kann nicht nur durch staatliche Ge- oder Verbote, sondern auch durch die staatlich veranlaßte Veränderung des sozialen, wirtschaftlichen, örtlichen oder sonstigen Umfelds eingeschränkt werden . Diese sog. faktischen Beeinträchtigungen unterscheiden
1
Vgl. BT-Drucks. 11/3984 vom 13.2.1989.
2
BVerwGE 71,183 ff.
3
BVerwG JZ1989,997 ff.; BVerfGNJW 1989,3269 ff.
4
Vgl. Erichsen, HdbStR, VI, § 152 Rn. 75 mit Beispielen.
Einleitung
24
sich auf zweifache Weise vom klassischen Schema staatlicher Einwirkung 5. Erstens schränkt der Staat den Freiheitsraum nicht imperativ, also durch Ge- oder Verbot ein, sondern durch Beeinflussung seiner tatsächlichen Voraussetzungen. Und zweitens weisen die faktischen Beeinträchtigungen auch strukturell nicht die fur eine hoheitliche Regelung konstitutiven Elemente auf 6. Die Regelung, wie z.B. das Ge- oder Verbot, der feststellende oder gestaltende Bescheid, zeichnet sich durch ein Handlungs- und ein Wirkungselement aus. Ihr Wirkungselement besteht darin, daß sie unmittelbar ein Rechtsverhältnis zwischen dem Bürger und dem Staat gestaltet. Die Gestaltung liegt in der Regelung selbst begründet, z.B. in der Auferlegung einer Pflicht; das Hinzutreten weiterer Faktoren ist entbehrlich. Demgegenüber kennzeichnet das Handlungselement, daß die Regelung final darauf gerichtet ist, ein Rechtsverhältnis zu gestalten. Den faktischen Beeinträchtigungen ist nun gemeinsam, daß ihnen entweder das Wirkungselement der Unmittelbarkeit, das Handlungselement der Finalität oder beides fehlt 7. Das Wirkungselement der Unmittelbarkeit fehlt z.B. in Fällen der Folgewirkung, bei der ein Bürger Adressat einer Regelung ist, seine Rechte aber über die Regelungswirkung hinaus noch weitere Beeinträchtigungen erfahren 8. Einen Unterfall der faktischen Beeinträchtigungen bilden die sog. Drittbeeinträchtigungen, die Gegenstand der nachstehenden Untersuchung sein sollen. Im Gegensatz zur klassischen Form staatlich veranlaßter Beeinträchtigung, die immer verknüpft ist mit der Eigenschaft des Bürgers als Adressat des belastenden Verwaltungshandelns, beschränkt sich hier die Wirkung der Verwaltungsmaßnahme nicht auf den jeweiligen Adressaten, sondern tangiert auch einen Nichtadressaten, den "mittelbar" oder "Dritt"Betroffenen . Die Mittelbarkeit ergibt sich daraus, daß der staatliche Akt nur Zwischenglied in einer Kausalkette ist, die Beeinträchtigung des Dritten letztlich auf dem Verhalten des privaten Adressaten des Verwaltungshandelns beruht. So treffen beispielsweise die durch behördliche Produktinformationen ausgelösten (Umsatz-) Nachteile die Produkthersteller nicht als 5
Vgl. dazu auch Erichsen, HdbStR, VI, § 152 Rn. 75.
6
Gallwas, der den Begriff der faktischen Beeinträchtigungen geprägt hat, grenzt ihn von den übrigen Beeinträchtigungen durch das Fehlen der "Regelungsidentität" ab, Faktische Beeinträchtigungen, S. 12 ff. Dazu sogleich. 7 ο Zum Ganzen Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 30. S. insoweit das Beispiel bei Brohm, JZ1989, 324 ff. (326), wonach die öffentlichrechtliche Verpflichtung der Veranstalter einer Demonstration, für die Reinigung von durch die Demonstration veranlaßten Abfallen einstehen zu müssen, mittelbar als Folgewirkung das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berühren kann, weil die Veranstalter etwa wegen der auf 9sie zukommenden Kosten gezwungen sein könnten, von der Veranstaltung abzusehen. Gallwas kennzeichnet sie als Fälle der "Nebenwirkung*,
Beeinträchtigungen, S. 14 f.
Einleitung
Adressaten einer hoheitlichen Maßnahme, sondern treten erst mittelbar über das Nachfrageverhalten der angesprochenen Verbraucher ein und stellen sich somit als rein faktische Folgeerscheinungen eines an einen anderen gerichteten Verwaltungshandelns dar. Drittbeeinträchtigungen beschränken sich nicht auf derartige Fallgestaltungen, sondern umfassen auch bereits seit langem bekannte Phänomene wie z.B. die der Nachbar- und Konkurrentenbeeinträchtigungen 10. Vermittelt werden kann die Drittbeeinträchtigung vor allem auf zwei Wegen. Zum einen bei den sog. Nachbarbeeinträchtigungen dadurch, daß sich ein an den Adressaten gerichtetes Verwaltungshandeln deshalb nachteilig auf einen Nichtadressaten auswirkt, weil dessen Rechtsgüter in einer bestimmten räumlichen Beziehung zum Vorhaben des Adressaten stehen11. Zum anderen kann die Beziehung zwischen dem Regelungsadressaten und dem belasteten Dritten auch durch Konkurrenz- und Marktzwänge hergestellt werden 12. Systematisch betrachtet kommt es innerhalb dieser Gruppe zu Drittbeeinträchtigungen dadurch, daß die Verwaltung neue Konkurrenten zum Markt zuläßt, daß sie einzelnen Mitbewerbern Marktvorteile verschafft 13 oder Marktnachteile und Nachfragebeschränkungen 14 begründet 15 . Strukturell besteht zwischen der zweiten und der ersten Gruppe kein wesentlicher Unterschied: hier ist der Markt der "enge Raum", welcher durch vielfältige Verflechtungen und Interdependenzen gekennzeichnet ist und deshalb die Beeinträchtigung vermittelt 16. Die Gründe dafür, daß durch Verwaltungshandeln ausgelöste Drittbetroffenheit heute bereits einen nicht unbedeutenden Anwendungsbereich hat und immer mehr an Bedeutung gewinnt, sind vielfältig:
10 Diese Fallgruppen zeigen, daß neben der Unmittelbarkeit auch die Finalität fehlen kann. Dazu im einzelnen Teil 4. 11
12 13 14 15
Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 39. Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 41 f. Z.B. durch Subventionen. Z.B. durch an die Öffentlichkeit gerichtete Produktwarnungen. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 41 f. mit weiteren Beispielen.
16 Die beiden genannten Mechanismen einer Verursachung von Drittbetroffenheit sind natürlich nicht abschließend zu verstehen. So kann eine Drittbeeinträchtigung z.B. auch in Fällen entstehen, in denen der Dritte in einer schuldrechtlichen Beziehung zum Adressaten einer Regelung steht. Ein Beispiel bildet etwa die Ablehnung einer Gaststättenerlaubnis gegenüber dem Pächter, die nachteilige Auswirkungen auf die Pachtzinserwartungen des Verpächters hat (BVerwG NVwZ 1984, 514 ff.). Eine vollständige Erfassung aller Mechanismen erscheint angesichts der Vielfalt möglicher Ursachen und Wirkungszusammenhänge unmöglich, aber auch entbehrlich, da die auftretenden Probleme anhand der aufgezeigten typischen Fallgruppen deutlich gemacht werden können.
Einleitung
26
Zunächst ist ein grundlegender Wandel der staatlichen Aufgaben für diese Entwicklung verantwortlich: der Staat unter der Herrschaft des Grundgesetzes kann sich nicht mehr auf die Gefahrenabwehr im Sinne des staatspolitischen Liberalismus beschränken; insbesondere das Sozialstaatsprinzip verpflichtet ihn zu vielfältigen Leistungen sowie planenden und lenkenden Eingriffen in das Wirtschaftsleben 17. Oft besitzt der moderne Staat das Monopol für die Verteilung knapper Ressourcen, wie ζ. B. bei Subventionen. Auch hat das staatliche Handeln bzw. Unterlassen im Zeitalter der Großtechnik und der Entwicklung völlig neuartiger technischer Methoden, wie z.B. der Gewinnung von Kernenergie, der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Gentechnologie, ganz andere Dimensionen angenommen18. Das betrifft sowohl die Qualität wie auch die "Breitenwirkung" der zu bekämpfenden Gefahren. Es sei insoweit nur auf die Genehmigung von Kernkraftwerken, großen Chemiebetrieben oder gentechnischen Anlagen und die dadurch möglicherweise verbundenen Folgen für Umwelt und Bevölkerung verwiesen . Daneben läßt sich die Zunahme mittelbarer Beeinträchtigungen auch auf eine bessere Kenntnis ökonomischer und ökologischer Zusammenhänge sowie eine stärkere Umweltsensibilisierung zurückführen 20. Die in der Bundesrepublik hohe Bevölkerungsdichte wie das stetige Anwachsen der bebauten Fläche führen ebenfalls dazu, daß die Verflechtungen und Interdependenzen größer und vielfältiger werden, staatliches Handeln deshalb leichter mittelbare Betroffenheit auslöst. Eine weitere Ursache für die Aktualität des Problems mittelbarer Betroffenheit ist ein gewisser Wandel der Formen staatlicher Herrschaftsausübung. Neben dem Aspekt einer weiten Auffächerung administrativer Handlungsformen, vor allem im Bereich der raumgestaltenden Planung21, ist das Phänomen zu beobachten, daß der demokratische Staat der Gegenwart immer weniger auf Befehl und Zwang und immer mehr auf Kooperation, Partizipation und Akzeptanz setzt. Will die Verwaltung beispielsweise ein gesundheitsschädliches Produkt aus dem Verkehr ziehen, kann sie diesen Effekt durch ein unmittelbar an den Produkthersteller gerichtetes Verkaufsverbot erreichen. Einen vergleichbaren Erfolg erzielt sie dadurch, daß sie die Bevölkerung vor diesem Produkt warnt, die Bevölkerung infolge dieser Warnung den Kauf des Produkts unterläßt und der Produkthersteller so mittelbar einen Nachteil erleidet. Diese Ersetzung imperativer durch willens- und motivationsbestimmende Maßnahmen führt dazu, 17
Vgl. Brohm, W D S t R L 30 (1972), S. 245 ff. (256 ff.); ders., DÖV 1987, 265. Allgemein zu den Staatsaufgaben unter dem Grundgesetz Herzog, HdbStR, ΙΠ, § 58 Rn. 28 ff. 18
19 20
21
Dazu Nicklisch, NJW1986,2287 ff. (2288). Zum grundrechtlichen Bezug insoweit Hermes, Bereich, S. 105 ff. Schmidt-Aßmann, in: Festschrift Heidelberg, S. 107 ff. (130). Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Festschrift Heidelberg, S. 108.
Einleitung
daß Fälle, in denen sich herkömmlicherweise die Wirkung des Verwaltungshandelns auf den Adressaten beschränkte, zu Fällen der Drittbetroffenheit 22
werden . Das besondere Interesse an einer rechtlichen Auseinandersetzung mit Drittbeeinträchtigungen rührt daher, daß sie Probleme aufwerfen, die sich grundlegend von denen herkömmlicher Regelungsbeeinträchtigungen mit ausschließlicher Adressatenwirkung unterscheiden und die in weiten Bereichen ungelöst sind. Das gilt vor allem für die Fragen, ob und inwieweit die Grundrechte Schutz vor derartigen Beeinträchtigungen bieten, und damit zusammenhängend, ob zu ihrer Legitimation gesetzliche Grundlagen erforderlich und in ausreichendem Umfang vorhanden sind. Die Grundrechtsdogmatik orientiert sich herkömmlich am klassischen "Eingriff'. Der Adressat einer imperativen hoheitlichen Maßnahme kann nach ganz herrschender Ansicht in der Regel problemlos die Möglichkeit einer Verletzung seiner Grundrechte geltend machen23. Demgegenüber handelt es sich bei der grundrechtlichen Relevanz von Drittbeeinträchtigungen um eine der am wenigsten geklärten Fragen des geltenden Verfassungsrechts. Zwar kann der - u.U. grundrechtlich geschützte - Spielraum menschlichen Handelns nicht nur durch den Erlaß von Verboten und Geboten, sondern ebenso durch die staatlich veranlaßte Veränderung faktischer Daten verloren gehen24. Es stellt sich jedoch das Problem der Grenzziehung. Schon die verfassungsrechtliche Unterscheidung zwischen den subjektiven Rechten im Sinne des Art. 19 IV GG unter Einschluß der Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Funktion und den bloßen Individualinteressen nötigt aus der Sicht des Bürgers zu der Untersuchung, wann die grundrechtlichen Gewährleistungsbereiche auch Schutz gegen die rein faktische Berührung von Individualinteressen bieten, aus der Sicht des Staates erfordert sie die Grenzziehung zwischen staatlicher Verantwortlichkeit und allgemeinem Lebensrisiko. Dazu kommt das nur vordergründig rein praktische Bedürfnis, die Anforderungen an Gesetzgeber und Verwaltung durch eine "uferlose" Ausdehnung der Grundrechte nicht zu überspannen. Beim klassischen Eingriff wird die Grenzziehung formalisiert: Hier ist die grundrechtliche Betroffenheit immer verknüpft mit dem formalen und da22 23
Vgl. hierzu insbesondere Ossenbühl, Umweltpflege, S. 8 ff.
Soweit nicht spezielle Grundrechtsbestimmungen einschlägig sind, soll er sich jedenfalls auf Art. 2 I GG berufen können, BVerfGE 6, 32 (37) - Elfes. Vgl. auch Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 140 ff.; Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff.; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 III Rn. 96. 24 Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 9; Erichsen, HdbStR, VI, § 152 Rn. 75. 25 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Rn. 120; Jarass/Pieroth, Art. 19 Rn. 22.
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mit eindeutigen Element der adressierten Regelung. Sie erfährt dadurch eine Fixierung zumindest in zeitlicher und personeller Hinsicht und gewinnt auf diese Weise sowohl für die staatlichen Organe als auch fur den Bürger "greifbare" Gestalt26. Drittbeeinträchtigungen entbehren eines derartigen formalen Kriteriums als Abgrenzungsgrundlage. Geeignete materielle Abgrenzungskriterien werden bislang nur ansatzweise vorgeschlagen, aber auch dann bleibt ihre verfassungsrechtliche Begründung im Dunkeln. Da der insoweit völlig ungesicherte Begriff des Grundrechtseingriffs noch immer maßgeblich Inhalt und Umfang des verfassungsrechtlichen Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes bestimmt, soll die Geltung dieses Prinzips für Drittbeeinträchtigungen zentraler Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein (Teil 2,3 und 4). Bevor jedoch speziell und vertieft auf die grundrechtliche Relevanz von Drittbeeinträchtigungen eingegangen wird, soll zunächst die allgemeine rechtliche Relevanz solcher Beeinträchtigungen herausgearbeitet werden (Teil 1). Das führt etwa zu den Fragen, von welchen Kriterien einfachgesetzlicher Rechtsschutz, verfahrensrechtliche Stellung, Unterlassungs-, Folgenbeseitigungs-, Entschädigungs- und Amtshaftungsansprüche sowie bestimmte rechtsstaatliche Gebote in Fällen der Drittbetroffenheit abhängig gemacht werden. Ihre Rechtfertigung erfährt diese Vorgehensweise zum einen dadurch, daß diese Fragen bislang nur punktuell diskutiert werden und deshalb das Bedürfnis nach einer gewissen Systematisierung besteht27. Zum anderen kann diese (Vor-) Untersuchung dazu beitragen, verallgemeinerbare Grundsätze, "Gesetzmäßigkeiten" für die rechtliche Relevanz von Drittbeeinträchtigungen aufzuspüren, die dann eine Basis für die sich anschließenden Ausführungen zum Gesetzesvorbehalt bilden können.
9 f\
27
Vgl. Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 145.
Vgl. zum Problem der Grundrechtsbeeinträchtigungen allgemein: Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte. Speziell zu faktischen Beeinträchtigungen von Art. 14 GG: Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums. Neuerdings zum "mittelbaren Grundrechtseingriff": Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff.
Teil 1
Probleme und Stand der Diskussion zur Relevanz der mittelbaren Beeinträchtigung subjektiver Rechte
Abschnitt 1 Die Bedeutung der Beeinträchtigung subjektiver Rechte in Fällen der Drittbetroffenheit - Überblick Einen zentralen Punkt in den Fällen der Drittbetroffenheit bildet das subjektive öffentliche Recht. Es wird gemeinhin definiert als die dem einzelnen kraft öffentlichen Rechts verliehene Rechtsmacht, vom Staat zur Verfolgung eigener Interessen ein bestimmtes Verhalten zu verlangen1. Seine rechtliche Bedeutung stellt sich als äußerst vielfältig dar. Zunächst verschafft das subjektive Recht "dem einzelnen eine Stellung, auf die er sich positiv in seiner Lebensjgestaltung stützen und - auch ohne hierin bedroht zu sein - 'berufen' kann" . Eng verbunden mit diesem materiellen (Abwehr-) Anspruch ist die Möglichkeit seiner gerichtlichen Durchsetzbarkeit gegenüber Verletzungen seitens der staatlichen Gewalt. Den Dreh- und Angelpunkt bildet insoweit Art. 19 IV GG, der das Erfordernis der "Rechtsverletzung", d.h. der Verletzung eines subjektiv öffentlichen Rechts als entscheidende Voraussetzung für das Eingreifen der Rechtsschutzgarantie gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt nennt. Wegen seiner enormen praktischen Bedeutung steht der Aspekt des gerichtlichen Rechtsschutzes im Zentrum der Diskussion um das subjektive Recht. Daß es sich hierbei um eine verengte Sichtweise handelt und die Überbetonung der negativen, auf den Konfliktsfall abhebenden Rechtsschutzfunktion gegenüber dem positiven Bestehen der materiellen Rechtsstellung nicht angemessen erscheint, wurde bereits vielfach dargelegt3. Die besondere praktische Relevanz des Rechtsschutzes läßt es jedoch als gerechtfertigt er-
2 3
Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 2. Lorenz, Rechtsschutz, S. 53. Ossenbühl, Verwaltungpvorschriften, S. 176; Lorenz, Rechtsschutz, S. 53 f.
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
scheinen, gerade die gerichtlichen Rechtsschutzvoraussetzungen in Fällen der Drittbetroffenheit an den Anfang der Untersuchung zu stellen (Abschnitt 2). Neben dem materiellen Abwehranspruch gegenüber eingetretenen Beeinträchtigungen verschafft das subjektive Recht dem einzelnen auch Schutz gegenüber noch nicht eingetretenen, aber zu besorgenden Beeinträchtigungen. So folgt unmittelbar aus der subjektiven Rechtsstellung auch ein materieller Anspruch auf Unterlassung rechtswidriger Beeinträchtigungen. Darüberhinaus ist das subjektive Recht Wurzel eines weiteren materiellen Anspruchs: der durch hoheitliches Handeln in seinen Rechten Beeinträchtigte kann vom handelnden Hoheitsträger grundsätzlich die Beseitigung der tatsächlichen Folgen der rechtswidrigen Maßnahme verlangen. Wie sich die Voraussetzungen dieses Folgenbeseitigungsanspruchs in Fällen der Drittbetroffenheit darstellen, soll - neben den Unterlasslingsansprüchen Drittbetroffener - in Abschnitt 3 behandelt werden. In neuerer Zeit ist außerdem anerkannt, daß dem subjektiven Recht verfahrensrechtliche Bedeutung zukommen kann, wenn man beispielsweise die Grundrechte als Grundlage von Beteiligungs- bzw. Anhörungsrechten Drittbetroffener heranzieht. Eine Untersuchung der Kriterien für die Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrechte Drittbetroffener schließt sich deshalb an (Abschnitt 4). Neben Abwehr-, Unterlassung^-. Folgenbeseitigungs- und verfahrensrechtlichen Ansprüchen kann die Beeinträchtigung subjektiver Rechte auch Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche hervorrufen. Diese Rechtsfolgen sind allerdings beschränkt auf bestimmte Arten subjektiver Rechte (z.B. das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG) bzw. hängen von besonderen Voraussetzungen ab (Abschnitt 5). Schließlich setzt auch die Geltung rechtsstaatlicher Gebote (wie z.B. Zitiergebot, Wesensgehaltsgarantie, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsgrundsatz, Gesetzesvorbehalt) eine Beeinträchtigung bestimmter subjektiver Rechte, nämlich der Grundrechte voraus. Auch hier äußert sich somit die Bedeutung des subjektiven Rechts und führt im Zusammenhang mit unserer Problemstellung zu der Frage, ob bzw. in welchem Umfang diese Grundsätze auch auf Drittbeeinträchtigungen Anwendung finden (Abschnitt 6).
Abschnitt : e h s c h t Drittbetroffener
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Abschnitt 2 Der gerichtliche Rechtsschutz Drittbetroffener A. Die Problematik - Notwendigkeit von Abgrenzungskriterien Das Erfordernis der Rechtsverletzung kommt im Zusammenhang mit dem Rechtsschutz gegen Drittbeeinträchtigungen an verschiedenen Punkten zum Tragen. Zunächst im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. So ist die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage, etwa die Klage des Nachbarn gegen eine Baugenehmigung, gemäß § 42 Π VwGO nur zulässig, wenn der Kläger eine Verletzung eigener Rechte geltend machen kann . Außerdem ist die erwiesene Verletzung eigener Rechte des Klägers gem. §1131 S.l VwGO Voraussetzung der Begründetheit der Anfechtungsklage. Bei der Verpflichtungsklage, etwa auf polizeiliches Einschreiten gegen einen Störer, spielt das Erfordernis der Rechtsverletzung ebenfalls im Rahmen der Zulässigkeit ( §42 Π VwGO) und der Begründetheit (§ 113 IV VwGO) eine Rolle. Für die allgemeine Leistungsklage, etwa die Klage eines Anwohners gegen staatliche Bauarbeiten, gilt das Erfordernis der Klagebefugnis gem. §42 I I VwGO analog2. Auch wenn der Dritte durch einen öffentlichrechtlichen Vertrag nachteilig betroffen wird, kommt es für seinen Rechtsschutz maßgeblich auf die Verletzung in subjektiven Rechten an. Er kann dann die Unwirksamkeit des Vertrags infolge fehlender Zustimmung gem. § 581 VwVfG im Wege der Feststellungsklage geltend machen3. Im Zusammenhang mit dem verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz spielt die Verletzung spezieller subjektiver Rechte, nämlich der Grundrechte, insoweit eine Rolle, als sie Voraussetzung für die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde ist. Im Rahmen der Zulässigkeit reicht auch hier grundsätzlich die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung aus4. Der Unterschied zwischen einem Verwaltungshandeln mit bloßer Adressatenwirkung und drittbeeinträchtigendem Verwaltungshandeln wirkt sich im Hinblick auf die gerichtlichen Rechtsschutzvoraussetzungen in erheblicher Weise aus. Der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts kann * Nach allgemeiner Meinung liegt diese Voraussetzung vor, wenn eine Verletzung von Rechten des Klägers "nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder denkbaren Betrachtungsweise unmöglich erscheint", BVerwGE 18,154 (157); 36,192 (199); 44,1 (3); Kopp, VwGO, §42 Rn. 39. 2 Vgl. nur Bosch/Schmidt, Einführung, S. 157 m.w.N. 3 OVG Münster NVwZ 1984,522 ff. 4
Vgl. § 90 I BVerfGG und Jarass/Pieroth, Art. 93 Rn. 26 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung.
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
32
grundsätzlich jede, auch die nur objektive Rechtswidrigkeit mit Erfolg geltend machen5. Er kann beispielsweise den Verwaltungsakt mit der Begründung anfechten, dieser sei ermessensfehlerhaft oder von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen oder man habe zwingende Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen6. Denn entweder aus den speziellen Grundrechten oder jedenfalls aus Art. 2 I GG, der überwiegend als Gewährleistung allgemeiner Handlungsfreiheit verstanden wird , ist ein subjektives Recht des einzelnen auf Freiheit von irgendwelchen Belastungen zu entnehmen, die den Gesetzen oder dem GG widersprechen 8. Die den Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts unmittelbar und seitens der Verwaltung gezielt treffende Verpflichtung stellt nach ganz herrschender Ansicht eine derartige Belastung dar 9. Im Falle der Drittbetroffenheit ist das anders. Nach allgemeiner Auffassung muß der Drittbetroffene, dessen Individualsphäre etwa nur mittelbar oder unbeabsichtigt berührt wird, objektiv rechtswidrige Belastungen hinnehmen, sofern nicht zusätzlich besondere Kriterien erfüllt sind, die ihm eine subjektive Rechtsposition gewähren und eine Ausgrenzung rechtlich nicht Betroffener bewirken. Eine Anwendung des Art. 2 1 GG auf Drittbeeinträchtigungen wird überwiegend mit der Begründung abgelehnt, Art. 2 I GG gewähre weder einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch, noch ein Grundrecht auf "allgemeine Nachteilsfreiheit" 10. Diese Grundsätze wurzeln darin, daß Art. 19 IV GG lediglich den Individualrechtsschutz verfassungsrechtlich absichert 11. So kann nicht jeder "quivis ex populo" Interessen Dritter, Allgemeininteressen oder bloße ideelle, wirtschaftliche, kulturelle oder politische Interessen gerichtlich geltend machen, sondern erforderlich 5 Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 I Rn. 26; Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 19; Redekerv.Oertzen, VwGO, § 42, Rn. 15; Jarass, DVB1.1976,732; Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 148. 6
45.
Vgl. Papier, Der verfahrensfehlerhafte Staatsakt, S. 10 f.; ders., HdbStR, VI, § 154 Rn.
7
So das BVerfG in ständiger Rechtsprechung seit E 6,32 (36). Vgl. BVerfGE 9, 83 (88); 29, 402 (408); 30,191 (198); Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 I Rn. 26; v. Münch, in: ders., GG, Art. 2 Rn. 23; Jarass, DVB1.1976,732 ff. (734). 8
ο
Deutlich Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 21 Rn. 26, der Art. 21 GG das Recht entnimmt, "mit keiner nicht obliegenden Verbindlichkeit belastet zu werden"; Papier, HdbStR, VI, § 154 Rn. 45; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 122, bejaht die Einschlägigkeit von Art.21 GG jedenfalls für die "klassischen Eingriffsbereiche"; vgl. auch Kopp, VwGO, § 42 Rn. 42 a; BVerwG NVwZ 1984,514. 10
Vgl. BVerwGE 54, 211 (221 ff.); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 122; Faber, Venvaltungsrecht, S. 204; ähnlich Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 146 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 437. 11
Rn. 8.
Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 44 a; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19
Abschnitt : e h s c h t Drittbetroffener
33
ist, daß er in von der Rechtsordnung anerkannten Individualinteressen verletzt ist 12 . Zum einen ist also ein Popularrechtsschutz grundsätzlich ausgeschlossen, zum anderen macht die rein faktisch ermittelte Betroffenheit 13
noch kein subjektives Recht . Die Abgrenzung des Individualrechtsschutzes vom Popularrechtsschutz oder dem Schutz faktischer Betroffenheiten wirft keine Probleme auf bei der Klage des Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts. Hier kann sich die Entscheidung an dem klar erkennbaren Abgrenzungsmerkmal des adressierten, eine Verpflichtung begründenden Bescheids orientieren. Problematisch wird die Abgrenzungsentscheidung aber, wenn die Individualsphäre des Bürgers staatlicherseits nur mittelbar oder unbeabsichtigt berührt wird, wie etwa in den Fällen des Verwaltungsakts mit Drittbetroffenheit. Hier fehlen eindeutig erkennbare Abgrenzungskriterien. Somit bringt die Tatsache, daß die Rechtsprechung mittlerweile nicht nur in Bereichen des Baurechts und Wirtschaftsrechts, sondern allgemein anerkannt hat, daß subjektive Rechte nicht nur beim Adressaten einer Regelung, sondern auch bei Dritten durch die faktischen Auswirkungen der Regelung verletzt werden können14, weitreichende Probleme mit sich. 12
Vgl. nur Tschira/Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, S. 87; Bosch/Schmidt, Einführung, S. 107 f. Dazu, daß mit dem Individualrechtsschutz notwendigerweise auch objektivrechtliche Kontrollfunktionen verbunden sind, Lorenz, Rechtsschutz, S. 132 f. 13 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 120. Er verweist auf die Konturenlosigkeit des Begriffs der Betroffenheit, wenn es um größer dimensionierte Entscheidungsvorgänge der Wirtschafts- und Umweltpolitik geht. Dabei vermittele die Wissenschaft (Wirtschafts- und Raumplanungswissenschaft, Umweltmedizin, finanzielle und naturwissenschaftliche Wirkungsforschung) den Eindruck schier endlos konstruierbarer Haupt-, Neben-, Nahund 14Fernwirkungen, die sich fast beliebig in "Betroffenheiten" umsetzen ließen. Zunächst machte man in Rechtsprechung und Literatur den Rechtsschutz davon abhängig, daß es sich bei der beeinträchtigenden Maßnahme um einen Verwaltungsakt handelte. So verneinte das preußische OVG während seines Bestehens die Zulässigkeit der öffentlichrechtlichen Nachbarklage, die allgemein als Archetypus der Drittbetroffenenklage gilt (PrOVGE 2, 351 [354 f.]; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 159 Fn. 18). Insoweit brachte das Bonner Grundgesetz einen grundlegenden Wandel insbesondere durch die Einführung der Rechtsschutzgarantie in Art. 19 IV GG. In seinem Grundsatzurteil zur Zulassung der öffentlichrechtlichen Nachbarklage führt das BVerwG aus, der Schutz des Art. 19 IV GG bliebe entgegen dem Willen des Grundgesetzgebers lückenhaft, wenn er sich nicht auf die Fälle erstrecken würde, in denen die einem Rechtsgenossen gewahrte Begünstigung zugleich Rechte eines anderen beeinträchtigen könne (BVerwGE 22,129 [130 f.]). Auch in der Literatur wurde die umfassende Rechtsschutzgarantie so verstanden, daß Rechtsschutz nicht mehr nur gegen bestimmte Beeinträchtigungsmodalitäten zu gewähren sei (Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 139 ff.; Lorenz, Festschrift Menger, S. 143 ff. (150); Brohm, W D S t R L 30 (1972), S. 245 ff. (271 f.); ders., NJW 1984, 8 ff. (12 f.); Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 76 ff.). Das Vorliegen einer Rechtsverletzung wurde somit nicht mehr vom Erfordernis eines zielgerichteten Eingriffs oder 3 Roth
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
Das sind zunächst jedenfalls der Tendenz nach tatsächliche Probleme, die man ursprünglich mit der Popularklage, dem kollektiven Rechtsschutz verband. Die Erweiterung des Kreises der Rechtsschutzberechtigten, noch verstärkt durch die Entnahme subjektivrechtlicher Positionen aus den Grundrechten, hat zu Massenklagen und massenhaften Gerichtsverfahren geführt. Vor allem die Genehmigung von Großprojekten, wie z.B. von Kernkraftwerken, Wiederaufarbeitungsanlagen für abgebrannte Kernbrennstäbe, Großflughäfen, Schnellbahntrassen, immissionsträchtigen industriellen Anlagen, erzeugt eine Breitenwirkimg, die bei einer Unzahl von Bürgern zu faktischen Betroffenheiten führen kann, aus der sich rechtlich - etwa im Hinblick auf das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit eine Beeinträchtigung subjektiver Rechte herleiten läßt 15 . Derartige Massenverfahren führen dazu, daß die Gerichte an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen. Symptomatisch sind hier überlange Gerichtsverfahren durch alle Instanzen mit Tausenden von Klägern und einer Vielzahl von Sachverständigen16 sowie aufwendige und - wegen der Einbeziehimg technisch-naturwissenschaftücher Fragen - in Einzelfällen Buchumfang erreichende Urteilsbegründungen 17. Z.T. behelfen sich die Gerichte insoweit mit dem prozessualen Mittel des Musterprozesses 18. Dieses wird zwar vom jeweiligen Prozeßrecht zugelassen, bringt aber durchaus Nachteile für die Beteiligten mit sich 19 . Schließlich ist der verfahrensökonomische Gewinn ungewiß, weil eine rechtliche Präjudizwirkung nicht besteht und jedem Kläger unbenommen bleibt, sein eigenes Verfahren noch durchzuführen 20. von einer Kenntnis der Behörde vom Dritten abhängig gemacht (vgl. Kopp, VwGO, § 42 Rn. 80). 15 Als spektakuläres Beispiel mag der Streit um den Großflughafen im Erdinger Moos bei München dienen. So sind gegen den Planfeststellungsbeschluß, mit dem die Regierung von Oberbayern der Flughafen München GmbH den Bau des Flughafens genehmigte, 5724 Klagen beim Verwaltungsgericht München erhoben worden (s. Schmitt Glaeser, DRiZ 1980, 289 ff. (291 f.). 16 Vgl. den Rechtsstreit um das Kernkraftwerk Wyhl vor dem VG Freiburg mit 53 Sachverständigen. 17 Anschaulich zur Problematik der Massenverfahren Klopfer, Umweltrecht, S. 253 ff.; vgl. auch Brohm, Festschrift Menger, S. 238; W. Schmidt, NJW1978,1769 ff. 18 Zum Begriff Siebert, Die verfahrensrechtliche Problematik des Musterprozesses, S. 14. Vgl. auch Art. 1 Nr. 21 des Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17.12.1990 (4. VwGOÄndG, BGBl. I, S. 2809), der die Führung von Musterverfahren vorsieht. Dort nimmt man einen Teil der Regelungen in die VwGO auf, die bereits der nunmehr gescheiterte Entwurf einer einheitlichen Verwaltungsprozeßordnung vorgesehen hatte. 19 Kopp, DVB1. 1980, 320 ff., hebt beispielsweise hervor, daß sich der Rechtsschutz für diejenigen, deren Verfahren zurückgestellt wird, verzögern kann; außerdem haben sie keine Einflußmöglichkeiten auf die Weichenstellungen im Musterprozeß. 20 Vgl. dazu auch Brohm, NJW 1984,8 ff. (13).
Abschnitt : e h s c h t Drittbetroffener
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Eine Alternative, den Problemen verwaltungsgerichtliclier Massenverfahren Herr zu werden, sieht die nunmehr in Kraft getretene Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vor 21 . Ahnlich den im Verwaltungsverfahrensgesetz bereits verwirklichten Vorschriften über die Bestellung gemeinsamer Vertreter 22 kann das Gericht, wenn an einem Rechtsstreit mehr als 50 Personen im gleichen Interesse beteiligt sind, notfalls einen "gemeinsamen Vertreter" benennen; nach dem neu eingeführten § 67 a I S. 3 VwGO soll nur noch dieser allein Prozeßhandlungen vornehmen können. Angesichts der Möglichkeit des Klägers, durch Erklärung die Vertretungsmacht des gemeinsamen Vertreters zum Erlöschen zu bringen 24, ist auch hier der prozeßökonomische Gewinn nicht gesichert 25. Die auf der Ausweitung der Rechtsschutzberechtigten beruhenden gerichtlichen Massenverfahren sind schließlich nicht nur mit nachteiligen Effekten im Bereich der Justiz verbunden; insbesondere auch auf die Verwaltung üben sie eine lähmende Wirkung aus26. Darüberhinaus sind mit der Anerkennung der rechtlichen Relevanz von staatlichen Maßnahmen mit Breitenwirkung für Drittbetroffene Gefahren für die Rechtssicherheit verbunden 27. Insbesondere in Fällen der Genehmigung großtechnischer Anlagen beginnen die Grenzen zwischen dem die Allgemeinheit treffenden Risiko und der darüberhinausgehenden, individuellen rechtlichen Betroffenheit zu verschwimmen. Dies wird beispielsweise an der uneinheitlichen Rechtsprechung zur Klagebefugnis der Anlieger von Kernkraftwerken deutlich. Während z.B. das BVerwG 28 die Betroffenheit der Anlieger in einem Umkreis von 4 Kilometern, der Bayrische Verwaltungsgerichtshor in einem Umkreis von 7,5 Kilometern und das VG Freiburg in einem Umkreis von 8 Kilometern grundsätzlich bejaht, nimmt 21 2 2
S. Fn. 18. §§ 18,19 VwVfG.
23 D.h. nach der erfolglosen Aufforderung, einen "gemeinsamen Bevollmächtigten" zu benennen, § 67 a I S. 2 VwGO. 2 4 § 67 a II VwGO. Dazu bereits Schmitt Glaeser, DRiZ 1980,289 ff. (295). 25 Vgl. dazu Brohm, NJW 1984, 8 ff. (13), der sowohl die Musterprozesse wie die vorgeschlagenen gesetzlichen Neuerungen als Belege für den Übergang vom Individual- auf den kollektiven Rechtsschutz ansieht. 26 27
Dazu nur Brohm, Festschrift Menger, S. 238.
Zum ambivalenten Verhältnis zwischen dem gerichtlichem Rechtsschutzauftrag in Art. 19IV GG und der Rechtssicherheit vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 27. 2 8 DÖV 1972, 757. 2 9 3 0
DVB1.1975,199 (203).
DVB1. 1975, 343 (345). Es führt aus, im Hinblick auf die "Übersehbarkeit und Bestimmtheit des geschützten Personenkreises" seien im Atomrecht wegen der "besonderen
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
das Ο VG Lüneburg Betroffenheit auch noch bei einer Entfernung von mehr als 100 Kilometern an 31 . Unsicherheiten bestehen beispielsweise auch bei der Zuerkennung von subjektiven Rechten an lediglich obligatorisch Berechtigte 32. So ist der Mieter im Atom-, Immissionschutz-, Gewerberecht und gegenüber Planfeststellungsbeschlüssen nach dem BFStrG grundsätzlich klagebefugt, im Bereich des Baurechts werden Klagerechte jedoch in der Regel nur den Eigentümern und den eigentumsähnlich Berechtigten zuerkannt 3 Da ein unbestimmter oder zu weiter Kreis von Klagebefugten auch das Rechtssicherheit gewährende Institut der Bestandskraft von Verwaltungsakten in Frage stellt und mit großen, insbesondere wirtschaftlichen Risiken für den Genehmigungsadressaten verbunden sein kann, mußte die Rechtsprechung nach Lösungen suchen, um der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen 34. Eine weitere Konsequenz der unklaren Maßstäbe bei der Zulassung von Drittbetroffenenklagen liegt schließlich in der Gewichtsverschiebung zugunsten der Rechtsprechung. Pointiert ausgedrückt hängt die Zuerkennung subjektiver Rechte an Drittbetroffene eher von einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung und weniger vom Willen des Gesetzgebers ab . Notwendigerweise ist damit eine Stärkung der Position der dritten Gewalt gegenüber den beiden anderen Gewalten verbunden. Die aufgezeigten Probleme haben deutlich gemacht, daß Kriterien, die eine durch Verwaltungshandeln ausgelöste faktische Betroffenheit zur BeEigenart radioaktiver Gefährdung und ... Umweltbeeinflussung etwa aus meteorologischen und ökologischen Gründen... die Grenzen weit zu ziehen". 31 DVB1. 1975, 190 (192). Die Begründung macht die Nähe zur Zulassung der Popularklage deutlich: Der Kläger bringe vor, daß die von Kernkraftwerken ausgehenden strahlenden Stoffe bei Abgabe an die Atmosphäre infolge der Luftbewegungen auch in weit entfernten Gegenden Leben zerstören könne. Er wende sich also gegen eine weltweite Bedrohung und es sei nicht Aufgabe der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung, ein solches Vorbringen zu widerlegen. Dazu auch Kopp, Festgabe BVerwG, S. 388. Hinzuzufügen ist, daß die Gerichte in diesem Bereich stark von wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig sind und unterschiedliche Ergebnisse oft darauf zurückzuführen sind, daß man sich hier in den Grenzbereichen menschlicher Erkenntnisfähigkeiten und -möglichkeiten bewegt, vgl. Berger, Grundfragen, S. 145. 3 2
Dazu neuerdings Ziekoh, NVwZ 1989,231 ff.
3 3
Vgl. Bosch/Schmidt, Einführung, S. 109 f.; Kopp, VwGO, § 42 Rn. 64 m.w.N.
34 Eine unmittelbare, aber auch eine analoge Anwendung des § 70 I S. 1 VwGO scheidet aus, weil die oft schwer feststellbare, anderweitig erlangte Kenntnis des Drittbetroffenen nicht der amtlichen Bekanntgabe gleichgesetzt werden kann. Die Rechtsprechung hilft sich aus diesem 35Dilemma mit der Anwendung der Grundsätze der Verwirkung, BVerwGE 44,294 (298 f.). Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 143, spricht davon, die große Zahl gerichtlicher Entscheidungen zugunsten oder zu Lasten Dritter wirke als "prozessualer Enumerationskatalog*.
Abschnitt : e h s c h t Drittbetroffener
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einträchtigung eines subjektiven Rechts i.S.d. Art. 19 IV GG machen, eine Vielzahl von Anforderungen erfüllen müssen. Im folgenden sollen die von der Rechtspraxis angewandten Kriterien am Beispiel des einfachgesetzlichen Drittschutzes aufgezeigt werden. B. Kriterien einfachgesetzlichen Drittschutzes - Die herrschende Schutznormtheorie Die Rechtsprechung des BVerwG stellt bei der Frage nach der Rechtsverletzung Drittbetroffener aufgrund einfachen Gesetzesrechts auf den Schutzzweck der verletzten Norm ab und vollzieht auf diese Weise die Unterscheidung zwischen geschützten Rechtspositionen und bloßen Reflexwirkungen objektiven Rechts. Dem Dritten müsse eine "drittschützende Norm" zur Seite stehen; dies sei der Fall, wenn der in Frage stehende Rechtssatz nach dem (objektivierten) Willen des Gesetzgebers nicht nur den Interessen der Allgemeinheit, sondern - zumindest auch - den Individualinteressen des Klägers zu dienen bestimmt sei 36 . Die heute ganz überwiegende Meinung in der Lehre bewegt sich auf der Linie der Rechtsprechung und vertritt ebenfalls die Schutznormtheorie 37. Allerdings hat es insbesondere seit Inkrafttreten des Grundgesetzes, vor allem in den 60er und 70er Jahren, zahlreiche Versuche gegeben, die Schutznormtheorie zu überwinden 38. Das Gemeinsame dieser Versuche bestand darin, daß hier dem Verfassungsrecht, insbesondere den Grundrechten und der Rechtsschutzgarantie, das Gebot entnommen wurde, die Begründung subjektiver Rechte vom Gesetzeswortlaut und vom Willen des Gesetzgebers zu lösen39. BVerwG E 1, 83; 27, 29 (31) und dann in ständiger Rechtsprechung im Anschluß an BVerfGE 27, 297 (307) (sog. "Schutznormtheorie"). Zur Schutznormlehre vgl. insbesondere Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV, Rn. 127 ff. 37 Vgl. nur Wolff/Bachof, I, § 43 I b; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 127 ff.; Kopp, VwGO, § 42 Rn. 43; Breuer, DVB1.1983,431 ff. (437); Erichsen/Martens, S. 158 ff. Zur Entwicklung dieser Lehre Bauer, AöR 113 (1988), 582 ff. (583 ff., 587 ff.), der auch gewisse Modifizierungen der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze durch die Literatur aufzeigt. 3 8 Vgl. dazu die umfassenden Nachweise bei Bauer, AöR 113 (1988), 582 ff. (587 Fn.ll) und bei Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 33 f. 39 Als vom Schutzzweck des Gesetzes gelöste, alternative Abgrenzungskriterien, die in der Sache wenig Unterschiede aufweisen, wurden z.B. vertreten: die "individuelle und nicht unerhebliche Betroffenheit in schutzwürdigen Belangen" (Bernhardt, JZ 1963, 302 ff. [307]); die Betroffenheit "in den eigenen Angelegenheiten des Bürgers" (Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 57 ff., 68 ff.); das "konkrete Betroffensein eines Gewaltunterworfenen von einer staatsrechtlichen Norm" (Bartlsperger, VerwArch. 60 [1969], 35 ff. [47 ff.]); die Betroffenheit des Bürgers "in seinem rechtlich geschützten Lebenskreis bzw. seinen Individualinteressen" (Lorenz, Rechtsschutz, S. 52); "jede Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorschriften und Rechts-
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Diese Strömung konnte sich jedoch nicht durchsetzen, es wird heute sogar von einer "Renaissance" der Schutznormtheorie in den 80er Jahren gesprochen 40. Da selten der Norm unmittelbar zu entnehmen ist, ob sie Drittschutz gewährt 41 , muß ihr Schutzzweck durch Auslegung anhand der herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden ermittelt werden 42. Insoweit sind der Wortlaut, die systematische Stellung, die Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Norm heranzuziehen. Das BVerwG orientiert sich in Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze bei der Bestimmung des mit subjektiven Rechten ausgestatteten Personenkreises an folgenden Abgrenzungskriterien: L Abgrenzbarkeit des berechtigten Personenkreises Eine erhebliche Einschränkung des Kreises klageberechtigter Drittbetroffener wird dadurch bewirkt, daß das BVerwG dem Wortlaut der einschlägigen Rechtsvorschrift besondere Bedeutung zumißt und den Schutznormcharakter in ständiger Rechtsprechung davon abhängig macht, ob durch die Norm das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und abgegrenzt sind 43 . Die ersten Anforderungen zur Abgrenzbarkeit des Personenkreises wurden im Baurecht aufgestellt. In seiner Grundsatzentscheidung nennt das grundsätze", sobald Dritte "nur selbst durch die Maßnahme der Verwaltung betroffen sind" (Brohm, WDStRL 30 [1972], S. 245 ff. [273]). Als wesentlicher Kritikpunkt an der Schutznormtheorie wird immer wieder die wenig überschaubare Kasuistik infolge fast spekulativer Schutzzweckermittlung genannt, zu der ihre Anwendung geführt hat; zu dieser Problematik Bauer, AöR 113 (1988), 582 ff. (604 ff.) und Breuer, DVB1. 1983, 431 ff. (432) auf der einen, Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 130 auf der anderen Seite. 40 So Bauer, AöR 113 (1988), 582 ff. (586). Auf dem 56. Deutschen Juristentag stimmte eine deutliche Mehrheit der dort in erster Linie für das Umweltrecht aufgestellten These zu, wonach sich die Schutznormtheorie "grundsätzlich bewährt" habe (56. Deutscher Juristentag, Bd. II, Sitzungsberichte, 1986, S. L263). 4 1 Vgl. aber z.B. § 2 III BauGB. 4 2 4 3
Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 127 ff.; 136 ff.
Zur "Personenkreis-Abgrenzung" vgl. nur BVerwGE 27, 29 (32); 32,173 (176 f.); 41, 58 (63); 52,122 (129); 62, 243 (247); 65, 313 (320); 66, 307 (308). Die Modifikation dieser Voraussetzung in der neueren Rechtsprechung, wonach es darauf ankommen soll, "daß sich aus individualisierbaren Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen läßt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet" (vgl. BVerwG NVwZ 1987,409 f.[409]; DVB1.1987,1265 ff. [1266]), bedeutet sachlich keine Änderung. Vgl. auch Jarass, DVB1. 1976, 732 ff. (733); Schenke, N + R1983,81 ff. (84).
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BVerwG als wichtigen Anhaltspunkt für eine drittschützende Wirkung jedenfalls im Baurecht das Vorhandensein von Tatbestandsmerkmalen, die eine hinreichend praktikable Abgrenzung eines berechtigten Personenkreises ermöglichen 44. Wo es an der Bestimmtheit eines Kreises in ihrer Individualität geschützter Personen fehle, diene der Rechtssatz nur der Allgemeinheit. Als Beispiele für drittschützenden Charakter nennt das BVerwG in seiner Grundsatzentscheidung die Vorschriften über den seitlichen Grenzabstand (Bauwich), bei denen der Kreis der Berechtigten bereits von der Sache her auf die benachbarten Grundstückseigentümer beschränkt sei, und die Ausweisung reiner Wohngebiete in Bebauungsplänen. In letztem Fall werde wegen der beschränkten Ausnutzbarkeit des Grundstücks in einem solchen klar abgegrenzten Gebiet möglicherweise den diesem Gebiet rechtlich Verbundenen erkennbar von der Norm als Ausgleich eine Rechtsstellung gewährt, die zur Abwehr erheblicher Verletzungen des Charakters eines geschützten Gebiets berechtigt 45. Zusätzlich zur Individualisierbarkeit des begünstigten Personenkreises fordert das BVerwG, daß der Kreis der normativ Begünstigten zahlenmäßig nicht zu groß sein dürfe 46 . Die im Baurecht entwickelten Grundsätze zum "abgrenzbaren Personenkreis" wurden im Laufe der Zeit auf andere Rechtsgebiete übertragen. Im Wasserrecht Schloß das BVerwG aus der Formulierung des § 8 ΙΠ W H G 4 7 auf den nachbarschützenden Charakter der Vorschrift über das wasserrechtliche Bewilligungsverfahren 48. Eine Anwendung der "Schutznormtheorie" durch eine insbesondere auch am Wortlaut ausgerichtete Auslegung der jeweils zugrundeliegenden Rechtsnorm erfolgte in gleicher Weise etwa im
44 BVerwGE 27, 29 (32). Dort lehnte das Gericht den nachbarschützenden Charakter des § 11 I RGaO (danach müssen Garagen u.a. "so angeordnet werden, daß ihre Benutzung die Verkehrs- und Feuersicherheit nicht gefährdet, die Gesundheit nicht schädigt sowie das Arbeiten und Wohnen, die Ruhe und die Erholung in der Umgebung durch Lärm oder Gerüche nicht erheblich stört") mit der Begründung ab, wesentliches Indiz für das Fehlen eines subjektiven öffentlichen Rechts sei die "dehnbare und unpersönliche Formulierung, die eine praktikable Abgrenzung eines berechtigten Personenkreises nicht ermögliche''. 4 5 BVerwGE 27,29 (33). 4 6
Vgl. nur BVerwGE 27, 29 (33); 52,122 (129). Ebenso OVG Münster NVwZ 1983, 415, wonach der Kreis der nach § 42 II VwGO Klagebefugten nicht "übermäßig weit" sein dürfe. 47 "Ist zu erwarten, daß die Benutzung auf das Recht eines anderen nachteilig einwirkt und erhebt der Betroffene Einwendungen, so darf die Bewilligung nur erteilt werden, wenn die nachteiligen Wirkungen durch Auflagen verhindert oder ausgeglichen werden". 4 8 Vgl. BVerwGE 27,176 (180); 41,58 (63).
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Gaststättenrecht49, im Immissionsschutzrecht50, im Atomrecht 51 und im Abfallbeseitigungsrecht 52. Eine Konkretisierung dieser Grundsätze wird allgemein in der Drittschutz begründenden, ausdrücklichen Erwähnung des betreffenden Dritten in der jeweiligen Vorschrift gesehen. Konsequent hat die Rechtsprechung die drittschützende Funktion einer Norm vor allem deshalb bejaht, weil die "Nachbarschaft" in der Vorschrift ausdrücklich erwähnt war, wie z.B. in § 51 M
Nr. 1 BImSchG . Auch mit der Feststellung des drittschützenden Charakters einer Rechtsvorschrift ist aber noch nichts darüber gesagt, ob der Kläger tatsächlich zu dem geschützten Personenkreis gehört, ob er etwa als Nachbar im Sinne der verletzten Vorschrift betroffen ist 5 4 . Auch dies hängt vom Zweck der drittschützenden Vorschrift ab 55 . Während der "Nachbar" beispielsweise bei einem Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschrift des § 6 LBO noch ohne größere Schwierigkeiten bestimmt werden kann 56 , hat die Rechtsprechung bei der Genehmigung technischer Großprojekte mit - zumindest potentiell - über viele Kilometer reichenden Immissionen etwa nach dem Immissionschutz- oder Atomrecht große Probleme. Hier kann kein grundstücksbezogener Nachbarbegriff gelten, sondern die Intention der Bestimmungen geht dahin, Drittschutz soweit zu vermitteln, wie die Immissionen reichen . So hat die Rechtsprechung dem Nachbarbegriff eine bereichsspezifische Ausprägung gegeben und ihn je nach Art der genehmigten Anlage (Bauvorhaben, Anlage nach BImSchG oder AtomG) weiter oder enger gefaßt 58. Die Bemühungen um eine solche bereichsspezifische Ausle4 9
Vgl. BVerwGE 11, 331 (333).
5 0
Vgl. BVerwGE 28,131 (133); 55,250 ff.; 65,313 (320).
5 1
Vgl. BVerwGE 61,256 (262); 75,285 (286 f.).
52
Vgl. BVerwGE 66,307 (308) Dünnsäureverklappung nach dem Einbringungsgesetz. BVerwGE 55, 250 ff.; DÖV 1984, 254. Dazu auch Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 180. Zu der Inkonsequenz, daß das BVerwG (BVerwGE 65, 313 [320]) der immissionschutzrechtlichen Vorsorgepflicht gem. § 5 I Nr.2 BImSchG die nachbarschützende Wirkung abspricht, obwohl die "Nachbarschaft" über die Legaldefinition der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 3 I BImSchG ebenfalls ausdrücklich in der Norm erwähnt wird, vgl. Bauer, AöR 113 (1988), 582 ff. (602). 5 3
5 4
Vgl. Papier, HdbStR, VI, § 154 Rn. 43.
5 5
Bosch/Schmidt, Einführung, S. 109.
5 6
Es ist lediglich der unmittelbar angrenzende Nachbareigentümer, vgl. Bosch/Schmidt, Einführung, S.109. 5 7
So etwa Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 141; Brohm, Festschrift Menger, S. 247; Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 26 f. 58 Dazu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 141 m.w.N. aus der Rechtsprechung. Siehe auch Frers, Die Klagebefugnis, S. 218.
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gung werden beispielsweise deutlich an einer Entscheidung des BVerwG zum Nachbarbegriff i.S.d. § § 3 - 5 BImSchG59. Danach kennzeichnet Nachbarschaft ein "qualifiziertes Betroffensein, das sich deutlich abhebt von den Auswirkungen, die den einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen können; sie setzt im Interesse klarer und überschaubarer Konturen und damit letztlich im Interesse der Rechtssicherheit ein besonderes Verhältnis zur Anlage i.S. einer engeren räumlichen und zeitlichen Beziehung des Bürgers zum Genehmigungsgegenstand voraus". Es wird eine räumliche und eine sachlich-zeitliche Komponente unterschieden: Nachbar ist, wer im potentiellen Einwirkungsbereich der Anlage (räumlich) wohnt, arbeitet oder unbewegliches Vermögen hat (sachlich-zeitlich)60. Diese Grundsätze dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Rechtsprechung - wie oben bereits aufgezeigt - sehr häufig durch divergierende Auffasungen davon gekennzeichnet ist, wann ein Kläger tatsächlich als Nachbar betroffen ist. Diese Rechtsunsicherheit wird in vielen Fällen erst mit einer bestimmten letztinstanzlichen Entscheidung beseitigt. IL Der gesetzgeberische Wille Da die Schutznormtheorie als drittschützend nur jene Normen ansieht, die - zumindest auch - den Individualinteressen des Klägers zu dienen bestimmt sind, stellt sie auf den gesetzgeberischen Willen ab 61 . Die naheliegende conclusio, daß dem Gesetzgeber eine unbegrenzte Dispositionsbefugnis zukomme, die durch Rechtssatz herbeigeführten tatsächlichen Begünstigungen als subjektive Rechte oder Rechtsreflexe auszugestalten62, wird seitens der heutigen Schutznormlehre nicht gezogen: Schranken des Gesetzgebers ergeben sich aus der Verfassung, insbesondere aus Art. 19 IV GG und dem Grundrechtskatalog. Art. 19 IV GG begründet nach allgemeiner Auffassung selbst zwar keine subjektiven Rechte, um aber überhaupt Schutz vor der gesetzgeberischen Aushöhlung der Garantie effektiven Rechtsschutzes bieten zu können, setzt diese Norm einen Grundbestand aus 59 BVerwG DVB1. 1983,183 ff. Dort ging es um die Klage gegen die Genehmigung einer Azo-Farbstoff-Anlage durch einen in 45 Kilometern Entfernung vom Standort der Anlage wohnenden Kläger. 6 0 So die Interpretation der Rechtsprechung durch Breuer, DVB1. 1986, 849 ff. (857) m.w.N.; vgl. auch BVerwG DVB1.1983,183 f. 6
* Nach der heute ganz herrschenden "objektiven Theorie" ist dabei nicht auf den historischen, sondern den objektivierten Willen abzustellen, wie er sich aus Wortlaut und Sinnzusammenhang ergibt, vgl. Bachof, Gedächtnisschrift W. Jellinek; S. 287 ff. (297); Wolff/Bachof, I, § 431 b 2. Zur Verfassungsinterpretation v. Münch, in: ders., Vorb. Art. 1-19 Rn. 50. 6 2
So etwa Rüfner, DVB1.1963,609 ff. (611).
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den Grundrechten zu bestimmender subjektiver Rechte voraus 63. So wird den Grundrechten bei der Ermittlung des Schutzzwecks einer Norm eine wertverdeutlichende, systematisierende Funktion zugewiesen64. III Normzweck Von entscheidender Bedeutung fur das Auslegungsergebnis und damit die Klageberechtigung Drittbetroffener ist nach der Rechtsprechung des BVerwG neben dem Wortlaut der Zweck der jeweiligen Vorschrift. Mit ihrer Orientierung am Schutzzweck der Norm beruht die Schutznormtheorie auf der Trennung von öffentlichen und privaten Interessen, die wiederum auf der in der liberalen Staatsidee des 19. Jahrhunderts wurzelnden Trennung von Staat und Gesellschaft basiert 65. Deutlich wird dies z.B. an der Rechtsprechung des BVerwG zum drittschützenden Charakter von Normen des öffentlichen Wirtschaftsrechts. Während in den "Nachbarfällen" eine drittbegünstigende Zweckbestimmung einfachgesetzlicher Vorschriften in vielen Fällen angenommen wurde, wurde den Normen des öffentlichen Wirtschaftsrechts ein solcher Drittschutz im allgemeinen unter Hinweis auf die allgemeine öffentliche Zweckbestimmung abgesprochen66. So diene das Ladenschlußgesetz vorrangig dem Arbeitsschutz, und nicht dem Schutz der Konkurrenz vor Erteilung eines verwaltungsrechtlichen Ausnahmegesuchs67. Die Genehmigung der Änderung eines Unternehmertarifs in der Kfz.-Haftpflichtversicherung könne den Versicherungspflichtigen nicht in eigenen Rechten verletzen, da § 8 I I S. 3 PflVG allein dem öffentlichen Interesse daran diene, daß die bestimmungsgemäße Funktion der Kfe.-Haftpflichtversicherung durch eine funktionsgerechte Ausgestaltung der Unternehmertarife gewährleistet wird 68 .
6 3
So Bartlsperger, DVB1.1971, 723 ff. (730); Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 104,117,122; Rupp, Festschrift Bachof, S. 151 Fn. 58; Lorenz, Rechtsschutz, S. 57. 6 4
Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 128.
65
W. Schmidt, Einführung, S. 122, der jedenfalls für planungsrechtliche Streitigkeiten eine Trennung von Individual- und öffentlichen Interessen nicht mehr für möglich hält; ähnlich Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 30 ff.; Ladeur, UPR 1984,1 ff. (4 f.). Für die Beibehaltung dieser Trennung mit guten Gründen Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 117. 66 6 7 6 8
Vgl. Brohm, Festschrift Menger, S. 242. Vgl. BVerwGE 65,107 (171). BVerwGE 75,147 (152).
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IV. "Vermutungsregel"
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ßr Drittschutz ?
Als weiteres Kriterium für die Bestimmung des subjektivrechtlichen Charakters einer Rechtsnorm bietet sich eine auf Art. 19 IV GG gestützte Vermutungsregel an, die im Zweifel derjenigen Interpretation eines Gesetzes den Vorrang gibt, die dem Bürger einen Rechtsanspruch einräumt 69. Die Rechtsprechung des BVerwG wendet jedoch eine derartige Vermutungsregel jedenfalls in Fällen von Drittbetroffenheit nicht an und nimmt grundsätzlich eine materielle Wertung aller beteiligten Privatinteressen vor 70 . Auch die Literatur lehnt die Anwendung dieser Regel "in dubio pro cive", die für das grundsätzlich durch die Verfassung, insbesondere die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG, geprägte Verhältnis des Bürgers zum Staat Geltung beanspruchen vermag, im Falle der hier interessierenden Drittbeeinträchtigungen ab. Der Gerichtsschutz könne sich hier nicht auf das primäre, zweipolige Rechtsverhältnis zwischen Behörde und Antragsteller beschränken, sondern müsse auch die Rechte des "Dritten" mit umfassen 71. Da sich bei diesen mehrpoligen Verhältnissen auch die Interessen und Rechte verschiedener Privater konträr gegenüberstehen, würde eine Anwendung der Vermutungsregel den einseitig begünstigen, der als erster um Rechtsschutz nachsucht . V "Durchbrechung" durch das Gebot der Rücksichtnahme Eine gewisse Durchbrechung des normativen Ansatzes der Schutznormtheorie und damit verbunden eine Ausdehnung der Klagemöglichkeiten Drittbetroffener erfolgten seitens des BVerwG durch die Anerkennung der nachbarschützenden Wirkung des Gebots der Rücksichtnahme im Baurecht 73 . Das objektivrechtliche Gebot der Rücksichtnahme beinhaltet, daß in der Bauleitplanung und bei der Zulassung von Einzelvorhaben schutzwürdige Individualinteressen zu beachten sind, was sich insbesondere beim
So BVerfGE 15, 275 (281) im Anschluß an Bachof, Verwaltungsgerichtliche Klage, S. 72, 84; Wolff/Bachof, I, § 43 I b 1; Kopp, VwGO, § 42 Rn. 68; Lorenz, Rechtsschutz, S. 55; Schenke, in: BK, Art. 19IV Rn. 288 f. 70 Belegt wird das beispielsweise durch die Grundsatzentscheidung BVerwGE 27,29 (33), wo sich das Gericht ausführlich mit den Interessen des Bauherrn auseinandersetzt, insbesondere auch mit seinem wirtschaftlichen Risiko, falls der Kreis der Klagebefugten unübersehbar wäre. In BVerwGE 52,122 (129) spricht es ausdrücklich vom "Schutzbedürfnis" des Bauherrn. 7 1 So Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 3. 7 2 7 3
Schmidt-Aßmann, Art. 19IV Rn. 144.
Dazu aus jüngerer Zeit etwa Dürr, NVwZ 1985, 719 ff.; Schulte, UPR 1984, 212 ff.; Schlichter, DVB1.1984,875 ff.; Alexy, DÖV1984,963 ff.
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HA.
Aufeinandertreffen unverträglicher Nutzungen auswirkt . Dieses objektivrechtliche Gebot wird nun unter bestimmten, rein tatsächlichen Voraussetzungen mit drittschützender Wirkung ausgestattet. Dabei soll es bereits im Vorfeld des grundrechtlichen Eigentumsschutzes subjektive Nachbarrechte vermitteln und nur gelten, soweit es in einfachgesetzlichen Vorschriften verankert ist 75 . In einer Grundsatzentscheidimg konkretisiert das BVerwG die bisherige Rechtsprechung dahingehend, daß im Baurecht eine Vorschrift nur drittschützend sei, wenn sie einen bestimmten, abgrenzbaren, d.h. individualisierbaren und nicht übermäßig weiten Kreis der Berechtigten erkennen lasse76. Diese Voraussetzung läge bei gegebenen objektivrechtlichen Verletzungen des Rücksichtnahmegebots vor, soweit 1. in dadurch qualifizierter und individualisierter Weise auf besondere Rechtspositionen Rücksicht zu nehmen sei oder 2. unabhängig von besonderer rechtlicher Schutzwürdigkeit das Betroffensein wegen den gegebenen Umständen so handgreiflich sei, daß dies die notwendige Qualifizierung, Individualisierung und Eingrenzung bewirke 77. Die Art dieser Kriterien macht deutlich, daß der Kreis der Begünstigten hier nicht mehr durch die Norm, sondern durch die tatsächliche, konkrete Situation, etwa die Schutzwürdigkeit des Nachbarn oder die Intensität der Beeinträchtigung, bestimmt wird. C. Bewertung der Kriterien Verallgemeinerbare Schlüsse lassen sich aus der vorstehenden Darstellung nur ziehen, wenn man sich die charakteristischen Eigenschaften der von der herrschenden Praxis angewandten Kriterien verdeutlicht. Dabei können je nach dem Standpunkt der am "Dreiecksverhältnis" Beteiligten im wesentlichen drei für den gerichtlichen Rechtsschutz Drittbetroffener maßgebliche Aspekte hervorgehoben werden. Daß sich diese Gesichtspunkte in ihrer Bedeutung nicht auf den Rechtsschutz gegen Drittbeeinträchtigungen beschränken, sondern auch in anderem Zusammenhang eine Rolle spielen, wird die weitere Darstellung zeigen. Erstens ist aus der Sicht des Rechtsschutz begehrenden Dritten von Bedeutung, daß der einfachgesetzliche Drittschutz weder von subjektiven noch 74 75 7 6
Dieser Grundsatz wurde von Weyreuther entwickelt, vgl. BauR 1975,1 ff. BVerwGE 52,122 ff.; 67,334 ff.; BVerwG DVB1.1981,928 (929). BVerwGE 52,122 (129).
77 So bejahte das BVerwG ein "handgreifliches Betroffensein" in seiner Entscheidung BVerwGE 52,172 (130), weil sich aus der Sachlage vollkommen klar ergab, daß der Kläger der einzige Betroffene vor der Tür des Schweinemästers war.
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von formalen Kriterien abhängt. Die Verletzung in subjektiven Rechten setzt weder voraus, daß die handelnde Behörde überhaupt Kenntnis von der Existenz des Dritten hat, noch, daß die beeinträchtigende Maßnahme - wie früher gefordert - Verwaltungsaktsqualität besitzt oder der Betroffene Regelungsadressat ist. Die praktizierte Auslegung anhand des Schutzzwecks der einschlägigen Norm gibt weiten Raum für eine Wertung im Einzelfall. Das hegt an der recht geringen maßstabsetzenden Wirkung der Schutznormtheorie. Nur selten lassen sich den einfachgesetzlichen Normen eindeutige Auslegungsdirektiven entnehmen78, was zu der weit verbreiteten Einschätzung der Rechtsprechungspraxis als kasuistisch geführt hat 79 . Noch deutlicher auf die Rechtsanwendungsebene verweist die Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot, wo mit dem Kriterium des "handgreiflichen Betroffenseins" im Ergebnis für den Drittschutz allein auf Art und Ausmaß der faktisch beeinträchtigenden Wirkung des Verwaltungshandelns abgestellt wird 80 . Diese Offenheit der Kriterien für eine Wertung im Einzelfall und die Aufnahmefähigkeit für die unterschiedlichsten Gesichtspunkte rechtfertigen sich aus der Funktion des subjektiven Rechts als Bedingung der Rechtsschutzeröffnung. Speziell in Fällen der Drittbetroffenheit lassen die Vielgestaltigkeit der Interessenverflechtungen 81 sowie der Umstand, daß die Lebensverhältnisse ständig in Bewegung und Veränderung sind, eine abstrakt-generelle Abgrenzung als unmöglich erscheinen82. Angesichts der überragenden Bedeutung des materiellen gerichtlichen Rechtsschutzes für den Bürger gebührt deshalb in der Abgrenzungsfrage der Einzelfallgerechtigkeit der Vorrang 83 , deren Realisierung den Gerichten durch die Offenheit der Kriterien ermöglicht wird. Die angewandten Kriterien zeichnen sich zweitens dadurch aus, daß sie auch eine Berücksichtigung des mit dem Dritten konkurrierenden Grundrechtsträgers, etwa des Bauherrn im Falle der Nachbarklage gegen eine Baugenehmigimg, ermöglichen. Denn zum einen vermeidet man in diesen mehrpoligen Rechtsverhältnissen eine Benachteiligung des am Dreicksverhältnis beteiligten Adressaten durch die Nichtanwendung der Vermutungs-
7 8
79
Vgl. Weyreuther, DÖV1983,575 ff. (587).
Vgl. insbesondere Bauer mit zahlreichen Nachweisen aus der Literatur, AöR 113 (1988), 582 ff. (604 f.). 80 Die Literatur sieht dies z.T. als Annäherung an Autoren, die bei der Begründung subjektiver Rechte entscheidend auf die konkrete Betroffenheit in eigenen Angelegenheiten abstellen, Berger, Grundfragen, S. 118 f.; Bauer, AöR 113 (1988), 582 ff. (609 f.). 81
8 2 8 3
Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 130. Vgl. Henke, DÖV 1980,621 ff. (622).
Henke, DÖV 1980, 621 ff. (622). Vgl. auch Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 83.
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regel "in dubio pro cive". Zum anderen wird dessen Interessen und damit verbunden dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit gerade auch durch das Kriterium des "abgrenzbaren" Personenkreises" Rechnung getragen 84 . Wäre der klagebefugte Personenkreis nicht überschaubar, so ergäben sich Unsicherheiten im Hinblick auf die Bestandskraft der Verwaltungsentscheidung. Z.B. im Baurecht würde der Bauherr "oft über Jahre hinweg im Ungewissen gelassen" und müßte ein nicht mehr übersehbares Risiko mit entsprechenden wirtschaftlichen und sonstigen Folgen, etwa infolge einer längeren Bauverzögerung, tragen 85. Bedeutsam ist drittens die deutlich zu Tage tretende Funktion der Kriterien, die Anforderungen an die staatlichen Organe, vor allem an die Rechtsprechung nicht zu überspannen. Insbesondere mit dem Merkmal des "abgrenzbaren Personenkreises" 86 sowie der Forderung, daß die Zahl der Klagebefugten nicht übermäßig groß sein dürfe, will die Rechtsprechung letztlich den Ausschluß der Popularklage und der mit ihr verbundenen Folgen verwirklichen 87. Das Gebot der Rechtsschutzgewährung gem. Art. 19 IV GG gerät in Fällen von Drittbeeinträchtigungen leicht in die Nähe der Popularklage. Umso mehr steht es dann in einem Spannungsverhältnis zur Funktionsfähigkeit der Judikative und zur Verwaltungseffizienz 88. Angesichts der beschränkten Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten dieser staatlichen Organe sowie deren knappen Kapazitäten können massenhafte Klagen, überhaupt nicht, nicht klar oder erst sehr spät erkennbare Betroffenheiten zu Überlastungserscheinungen führen. Das BVerfG hat in verschiedenen Entscheidungen anerkannt, daß der Grundsatz der Funktionsfähigkeit von Verwaltung und Gerichten in der Lage sei, der Rechtsschutz8 4
Vgl. BVerwGE 27,29 (33). Weitere Nachweise bei Sening, N + R1979,9 ff. (14).
85
BVerwGE 27, 29 (33); 28, 268 (275 f.); 52,122 (129); DVB1.1983,183, wonach der Begriff der Nachbarschaft "im Interesse klarer Konturen und damit letztlich im Interesse der Rechtssicherheit ein besonderes Verhältnis zur Anlage" voraussetze. Zustimmend Berger, Grundfragen, S. 100. S. auch Wahl, JuS 1984, 577 ff. (580 f.); Friauf, JurA 1969, 3 ff. (13). Kritisch: Sening, N + R1980,102 ff. (104); Schenke, N + R1983,81 ff. (84 f.). 86 Dieses Kriterium wird vom BVerwG der Sache nach auch in den Fällen der "Durchbrechung" der Schutznormtheorie, also bei auf das Rücksichtnahmegebot oder unmittelbar auf Art. 14 GG gestützten Klagen angewandt. So begründe das Rücksichtnahmegebot nur unter der Voraussetzung ein subjektiv öffentliches Recht, daß entweder eine besondere, qualifizierte und individualisierte Schutzwürdigkeit vorliegt, oder daß das Betroffensein so handgreiflich ist, daß dies u.a. auch die notwendige Individualisierung und Eingrenzung der Klageberechtigten bewirke (BVerwGE 52,172 [130]). Bei der auf Art. 14 GG gestützten Nachbarklage geht das BVerwG davon aus, daß die außergewöhnliche Schwere des Betroffenseins hinreichend individualisierend wirke und deshalb zusätzliche Anforderungen an die Erkennbarkeit des Kreises der Berechtigten nicht zu stellen sind (BVerwGE 52,122 [130]). 8 7 So auch Bleckmann, VB1 BW 1985,361 ff. (362). 88
Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 27.
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OQ
garantie gewisse Grenzen zu setzen . So kann auch das Kriterium des "abgrenzbaren Personenkreises" als Ausdruck dessen gewertet werden, daß im Bereich der Drittbeeinträchtigungen den beschränkten Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten der staatlichen Organe Berücksichtigung geschenkt wird. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß eine derartige "funktionale" Sichtweise - konsequent durchgehalten - zu einer völligen Relativierung des materiellen Rechtsschutzes führen kann. Anders als bloße Modifikationen des Rechtsschutzanspruchs, wie etwa die Aufstellung einer Klagefrist 90, entscheiden die Kriterien des subjektiven Rechts über den Rechtsschutz überhaupt in Form eines "Alles oder Nichts". Dieser gewichtigen Bedeutung des subjektiv öffentlichen Rechts muß auch bei einer Abwägung mit der Funktionsfähigkeit von Verwaltung und Gerichten Rechnung getragen werden 91.
89 BVerfGE 60, 253 (270 f.). Dort ging es um die Zulässigkeit prozessualer Fristen. In E 61, 82 (116) rechtfertigt das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 3 I AtAnlVO in der Auslegung des BVerwG, wonach nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht nur das Verfahrensrecht auf Geltendmachung von Einwendungen, sondern auch der materielle subjektive Störungsabwehranspruch entfällt, auch mit dem Grundsatz der Funktionsfähigkeit von Verwaltung und Gerichten. Zur rechtlichen Relevanz speziell der administrativen Leistungsfähigkeit mit vielfältigen Beispielen aus der Rechtsprechung Schwarze, DÖV 1980, 58190ff. Derartige Modifikationen oder Erschwerungen des Rechtsschutzes lassen sich eher mit dem Aspekt der Funktionsfähigkeit der staatlichen Organe stützen, da sie den weniger gewichtigen Eingriff in die Rechtsstellung des Betroffenen darstellen. Um solche Erschwerungen in Form von Fristen handelte es sich auch in den vom BVerfG entschiedenen Fällen (Fn. 89). 91 Deshalb kann beispielsweise das Kriterium der "nicht zu großen Anzahl der Betroffenen", insbesondere bei Klagen gegen die Genehmigung von Großprojekten mit kilometerweiten Immissionen, vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie nicht gehalten werden. Denn es kann nicht angehen, daß der Rechtsschutz des einzelnen umso geringer wird, je größer die Auswirkungen eines Vorhabens und je mehr Bürger betroffen sind (ebenso Klopfer, VerwArch 76 (1985), 371 ff. (381); Wahl, JuS 1984, 577 ff. (585); Bartlsperger, VerwArch 60 (1969,35 ff. (42); Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 26 f. A. A. Ossenbühl, DÖV 1981,1 ff. [η).
48
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
Abschnitt 3 Unterlassungs- und Folgenbeseitigungsanspruche Drittbetroffener Ist die Drittbeeinträchtigung noch nicht eingetreten, befürchtet der Dritte jedoch die (mittelbare) Beeinträchtigung seiner Rechte, kann ihm u.U. ein Unterlassungsanspruch zustehen. Aus der Abwehrfunktion einer subjektiven Rechtsstellung folgt primär und direkt ein Anspruch auf Unterlassung von Beeinträchtigungen dieser Rechtsstellung1. Der Umfang dieses im öffentlichen Recht allgemein anerkannten Anspruchs ist systematisch untrennbar mit der geschützten Rechtsposition verbunden2. Tatbestandlich setzt der primäre Unterlassungsanspruch somit lediglich die drohende Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts voraus3. In Fällen der Drittbetroffenheit ist deshalb mit der Feststellung der zu besorgenden Verletzung eines Grundrechts oder einer einfachgesetzlichen Norm grundsätzlich auch über den Unterlassungsanspruch entschieden. Stellen sich beispielsweise Produktwarnungen oder Empfehlungen des Umweltbundesamtes als ungerechtfertigte Grundrechtseingriffe dar, so können die betroffenen Produkthersteller verlangen, daß diese rechtswidrigen amtlichen Äußerungen in Zukunft nicht wiederholt werden4. Etwas anders ist die Lage beim öffentlichrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch Drittbetroffener. Er zielt auf die Beseitigung der tatsächlichen Folgen eines rechtswidrigen Eingriffs 5. Wird jemand durch hoheitliches Handeln in seinen Rechten beeinträchtigt und dadurch ein rechtswidriger Zustand geschaffen, so hat der Betroffene gegen den handelnden Hoheitsträger einen Anspruch auf Wiederherstellung des früheren oder eines gleichwertigen Zustands6. Grundvoraussetzung ist also auch hier die Verlet1 Vgl. Schwabe, Probleme, S. 19,23 ff.; Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 130; Stern, Staatsrecht III/l, S. 680 f.; BayVGH NVwZ 1982,554 f. 2 Gallwas begründet dies damit, daß der Hoheitsträger, der eine grundrechtswidrige Maßnahme vorbereite, die materiell-rechtliche Rüge eines potentiell Beeinträchtigten nicht mit dem Einwand abwehren könne, es dürfe erst gerügt werden, wenn "etwas passiert sei", Beeinträchtigungen, S. 130. Vgl. auch Hofmann, Abwehranspruch, S. 68 f. 3 4
Stern, Staatsrecht III/l, S. 681; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 29 Rn. 9. Vgl. Pinger, JuS 1988,53 ff. (57); Ossenbühl, Umweltpflege, S. 80 ff.
5 Im Unterschied zum Unterlassungsanspruch wird mit ihm also ein positives Tätigwerden verlangt, vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 29 Rn. 9.
Dieser Anspruch wird als allgemeines öffentlichrechtliches Institut in Rechtsprechung und Literatur einhellig anerkannt (vgl. Wolff-Bachof, I, § 54 II; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 29 Rn. 1 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 192 ff. m.w.N.). Seine Ableitung ist jedoch nach wie vor umstritten. Wohl überwiegend wird vertreten, er sei sowohl aus dem Rechtsstaatsprinzip einschließlich des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als
Abschnitt 3: Unterlassungs- und Folgenbeseitigungsansprüche
49
zung in einem subjektiven Recht. Nach allgemeiner Auffassung richtet sich dieser Anspruch allerdings nicht auf die Beseitigung aller Folgen rechtswidrigen hoheitlichen Handelns, sondern im Unterschied zum primären Unterlassungsanspruch sollen gewisse Zurechnungsbeschränkungen bestehen. Diese können in Fällen der Drittbetroffenheit relevant werden. Fälle von Drittbeeinträchtigungen, in denen Zurechnungsbeschränkungen eine Rolle gespielt hätten, sind - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden. Denkbar sind solche Fälle jedoch, so zJB., wenn im Rahmen der Einweisung von Obdachlosen Sachen eines Dritten beschädigt werden oder wenn eine Behörde Produktinformationen veröffentlicht und diese zu einem Nachfragerückgang und Absatzeinbußen beim Produzenten fuhren. Eine formale Zurechnungsbeschränkung, etwa auf Folgen, die durch Verwaltungsakt hervorgerufen werden, wird abgelehnt7. So steht etwa die Tatsache, daß es sich in Fällen des Umsatzrückgangs infolge behördlicher Produktinformationen um Folgen schlichten Verwaltungshandelns handelt, der Annahme eines Folgenbeseitungsanspruchs nicht entgegen. Allerdings begrenzt man den Folgenbeseitigungsanspruch in Rechtsprechung und Lehre überwiegend auf die unmittelbaren Folgen der Rechtsbeeinträchtigung8. Um hieraus Schlüsse für die Relevanz von Drittbeeinträchtigungen zu ziehen, bedarf das Merkmal der Unmittelbarkeit der Präzisie-
auch aus den Freiheitsgrundrechten herzuleiten (vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 194 ff.). Das BVerwG beschränkt die Herleitung neuerdings auf Art 20 ΙΠ GG: aus der Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht lasse sich die Verpflichtung der Exekutive herleiten, die rechtswidrigen Folgen ihrer Amtshandlungen wieder zu beseitigen (BVerwGE 69,366 [370]). 7 BVerwG DVB1.1971, 858 (860); BVerwGE 38, 336 (346); 44, 235 (244); 59, 319 (326); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 29 Rn. 3; Pinger, JuS 1988,53 ff. (57). 8 Vgl. BVerwGE NJW1973,1854; 69, 366 (372); Wolff/Bachof, I, § 54 Π f 2.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 199 f.; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 120; Bettermann, DÖV 1955,528 ff. Auch die amtl. Begründung zu dem vom BVerfG für nichtig erklärten Staatshaftungsgesetz vom 26.6.1981, das in § 3 I eine positivrechtliche Normierung des Folgenbeseitigungsanspruchs vorsah, nannte das Merkmal der Unmittelbarkeit als Anspruchsvoraussetzung (Begründung, Allg. Teil unter A 12 d., Ausgabe des Bundesministers der Justiz und des Bundesministers des Innern vom September 1976, S. 56 f.). Vgl. dazu auch Broß, VerwArch 78 (1983), 217 ff. Kritisch zum Kriterium der Unmittelbarkeit Fiedler, NVwZ 1986, 969 ff. (970,973,975). Anhand des Kriteriums der Unmittelbarkeit wird beispielsweise begründet, daß der Eigentümer im Falle der Einweisung von Obdachlosen in Privaträume nach Aufhebung der Einweisungsverfügung als Beseitigung der "unmittelbaren" Vollzugsfolgen nur die Räumung, nicht daneben noch die Beseitigung von Beschädigungen der Wohnung verlangen kann (WolffBachof, I, § 54 II f.; Rösslein, Der Folgenbeseitigungsanspruch, S. 87; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 199).
4 Roth
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
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rung. In einer neueren Entscheidung9 stellt das BVerwG klar, daß die Unmittelbarkeit und damit eine Zurechnung nicht zweifelhaft ist, soweit die rechtswidrige^ Folgen von der Behörde bezweckt sind 10 . Die Unmittelbarkeit wird somit nicht in einem engen naturwissenschaftlichen Sinne als bloßes Fehlen von Zwischenursachen verstanden. Soweit etwa mit amtlichen Produktinformationen "mittelbar" über das Verbraucherverhalten Umsatzverluste bezweckt sind, steht jedenfalls das Kriterium der Unmittelbarkeit einem Folgenbeseitigungsanspruch nicht entgegen11. Das BVerwG beschränkt die Zurechnung aber nicht auf die finalen Folgen. Über diesen sicheren Bereich hinaus dürfte ein haftungsrechtlich relevanter Zusammenhang "auch bei allen weiteren Folgen gegeben sein, die aufgrund der Amtshandlung unmittelbar eingetreten sind, sofern sie im Hinblick auf die Amtshandlung adäquat sind . Zur Rechtfertigung des auch im Falle nichtfinaler Folgen verbleibenden Kriteriums der Unmittelbarkeit, das in einer haftungsbegrenzenden Funktion auch im Staatshaftungsrecht Verwendung findet, werden im wesentlichen drei Aspekte hervorgehoben. Erstens will man damit eine sonst nicht mehr eindämmbare Ausuferung des Folgenbeseitigungsanspruchs vermeiden, bei dem im Gegensatz zu anderen Haftungstatbeständen weitere zivilrechtliche Elemente der Haftungsbegrenzung fehlen 13. Zweitens wirke man damit der Gefahr einer Verwischimg der Abgrenzung zwischen dem Folgenbeseitigungsanspruch und dem verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG
9 BVerwGE 69, 366 ff.: Im Rahmen einer Verwaltungsstreitsache zum Außenwirtschaftsgesetz wurde die Klägerin zu einem Bardepot in Höhe von ca. 20 Mio. D M herangezogen. In diesem Zusammenhang hatte das BVerwG zuvor rechtskräftig festgestellt, daß die Heranziehung zum Bardepot mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage teilweise rechtswidrig war. Daraufhin forderte die Klägerin insoweit die Erstattung ihrer Aufwendungen an Zinsen, die ihr durch eine als Folge des rechtswidrigen Vollzugs der Bardepotbescheide notwendig gewordene Kreditaufnahme entstanden seien. Die Klage blieb ohne Erfolg. 10 BVerwGE 69,366 (372): "Nicht zweifelhaft ist, daß er diejenigen Folgen erfaßt, auf welche die verursachende Amtshandlung unmittelbar gerichtet war". Dazu Fiedler, NVwZ 1986, 969 ff. (975). 11
Vgl. Pinger, JuS 1988, 53 ff. (57). Allerdings kann der Anspruch u.U. wegen tatsächlicher Unmöglichkeit entfallen, wenn mit ihm ein Widerruf erreicht werden soll, die Information jedoch nichts inhaltlich Falsches enthält. Denn Gegenstand eines Widerrufs kann nur eine falsche Tatsachenbehauptung sein, vgl. Pinger, JuS 1988,53 ff. (57). 12 BVerwGE 69, 366 (372). Von der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre wird somit die Auffassung Bachofs (Verwaltungsgerichtliche Klage,S. 129 f., 132 f.) abgelehnt, es seien nur die Folgen zu beseitigen, die die betreffende Behörde ursprünglich "gewollt" habe (vgl. nur Fiedler, NVwZ 1986,969 ff. [975]). 13 BVerwGE 69, 366 (373). Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 199; Schoch, VerwArch 79 (1988), 48 ff. (49).
Abschnitt 3: Unterlassungs- und Folgenbeseitigungsansprüche
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entgegen14. Schließlich könne man drittens aus dem Schutzzweck der haftungsbegründenden Norm, welcher beim Folgenbeseitigungsanspruch dem Art. 20 III GG zu entnehmen sei, schwerlich eine Zurechnung aller verursachten Folgen herleiten 15. Die Begründung verdeutlicht, daß es beim Begriff der Unmittelbarkeit nicht um technisch-logisch faßbare Ketten naturwissenschaftlicher Kausalität geht. Parallel zur Problematik der Schadensfolgenzurechnung im Zivilrecht 16 geht es um eine Abgrenzung von Verantwortungs- und Risikobereichen des (staatlichen) Schädigers und des (privaten) Geschädigten, die ohne eine juristische Wertung nicht geleistet werden kann 17 . Um diesen Akt der Wertung, ob die vielfältigen Folgen staatlichen Handelns dem Risikobereich des Staates oder dem vom Bürger selbst zu tragenden Lebensrisiko zuzurechen sind, kommt man nicht herum. Daß die Feststellung der Unmittelbarkeit einen Wertungsakt beinhaltet, veranschaulicht auch das bereits zitierte Urteil des BVerwG zum Bardepot. Hier hat das Gericht die Unmittelbarkeit verneint, da "von den aufgrund der Amtshandlung eingetretenen weiteren Folgen solche Folgen der Behörde nicht zugerechnet werden" können, "die auf ein Verhalten zurückzuführen sind, das auf der eigenen Entschließung des Betroffenen beruht" 18. Die als Folge des rechtswidrigen Vollzugs der Bardepotbescheide notwendig gewordene Kreditaufnahme wurde somit im Ergebnis der Risikosphäre der Klägerin zugerechnet. Als Resümee kann festgehalten werden, daß dem Drittbetroffenen grundsätzlich ein Folgenbeseitigungsanspruch zugestanden wird, wenn die beeinträchtigende Folge von der Behörde bezweckt ist. Doch auch im Falle nichtfinaler Folgen sind Folgenbeseitigungsansprüche Drittbetroffener nicht aus14
BVerwGE 69, 366 (373). Insbesondere diese Intention verdeutlicht, daß das Unmittelbarkeitskriterium nicht als eine dem Anspruch vorgegebene Begrenzung des Schutzbereichs des Rechts, sondern als spezielle Einschränkung des Instituts des Folgenbeseitigungsanspruchs anzusehen ist; dazu eingehend Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 121. 15
BVerwGE 69,366 (373).
16
Zu den dort entwickelten Zurechnungsverfahren im Rahmen der haftungsbegründenden bzw. haftungsausfüllenden Kausalität vgl. nur Grunsky, in: Münchener Kommentar, Bd. 2, Vor § 249 Rn. 36 ff. Ein Teil der neueren Literatur will in Anknüpfung an die zivilrechtliche Dogmatik den haftungsrechtlich relevanten Zusammenhang anhand des Schutzzwecks der haftungsbegründenden Norm ermitteln (vgl. Olivet, NVwZ 1986, 431 ff. für den enteignungsgleichen Eingriff; Schoch VerwArch 79 (1988), 48 ff. (50) für den Folgenbeseitigungsanspruch). Auch die neuere Rechtsprechung lehnt sich an die zivilrechtlichen Grundsätze zur Zurechenbarkeit von Schadensfolgen an, ohne das Unmittelbarkeitskriterium jedoch aufzugeben (vgl. BVerwGE 69,366 (372). 17 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 156 f.; Schoch, VerwArch 79 (1988), 49 f.; Larenz, Schuldrecht, Bd. 1, § 27 III.
1Ä
BVerwGE 69,366 (373). Kritisch insoweit Fiedler, NVwZ 1986,969 ff. (975).
52
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
geschlossen. Hier fungiert das Unmittelbarkeitskriterium als wertausfüllungsbedürftiger Blankettbegriff, der eine wertende Abgrenzung der dem Verantwortungsbereich des Bürgers bzw. des Staates zuzurechnenden Folgen, eine angemessene und flexible Haftungsbegrenzung sowie eine Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalls ermöglicht.
Abschnitt 4: Verfahrensrechte Drittbetroffener
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Abschnitt 4 Erweiterte Voraussetzungen fur die Verfahrensbeteiligung und Verfahrensrechte DrittbetrofFener A. Bedeutung von Verfahrensrechten Problematik in Fällen der Drittbetroffenheit Will man heute die rechtliche Relevanz von Drittbeeinträchtigungen umfassend behandeln, so darf eine Untersuchung der Kriterien, von denen Verfahrensrechte Drittbetroffener abhängig gemacht werden, nicht fehlen. Während in der Vergangenheit Verfahrensvorschriften im allgemeinen und Beteiligungs- und Verfahrensrechten im besonderen nur untergeordnete Bedeutung beigemessen und ihr Schutzzweck auf allgemeine öffentliche Interessen beschränkt wurde 1, ist in neuerer Zeit ein grundlegender Auffassungswandel eingetreten. So geht die ganz überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur davon aus, daß die Verwirklichung und Sicherung von Grundrechten in weitem Umfang auch die Gewährung von Verfahrensgarantien erfordert 2. Der Gedanke des Grundrechtsbezugs von Verfahrensrechten wurde vom BVerfG zunächst für das gerichtliche Verfahren entwickelt3, dann auf das Verwaltungsverfahren erstreckt 4 und erreichte schließlich im Mülheim-Kärlich-Beschluß seinen Kulminationspunkt5. Unter verfahrensrechtlichem Aspekt kommt den Grundrechten eine 1
So war für die Rechtsprechung die Beteiligung Dritter am Verwaltungsverfahren lange Zeit nichts weiter als ein Mittel, das der Ordnung des Verfahrens diente und das es der Verwaltungsbehörde ermöglichte, sich zum Zwecke einer sachgerechten Interessenberücksichtigung umfassend über den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu informieren, vgl. BVerwGE 28,131 (132 f.); 26, 302 (303); 44,235 (239 ff.); BauR 1975,253 (254). Dazu auch Goosters, Rechtsschutz, S. 30 f. 2
Grundlegend Häberle, W D S t R L 30 (1972), S. 43 ff. (insb. S. 86 ff.; 121 ff.); Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien; Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren; Bleckmann, Staatsrecht, S. 251 f. Zur Rechtsprechung siehe die folgenden Fußnoten. 3
BVerfGE 24,367 (401); 46,325 (334); 49,220 (225); 52,391 (407).
4
BVerfGE 52,380 (389 f.).
5 BVerfGE 53, 30 ff. Die Kernaussage dieser Entscheidung liegt darin, "daß Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und daß die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dies für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist". Weiterhin führt das Gericht aus, bei einem Verstoß der Behörde gegen Verfahrensvorschriften komme immer dann eine Grundrechtsverletzung in Betracht, wenn es sich um eine solche handele, die der Staat zum Schutz der in Art. 2 II GG genannten Rechtsgüter erlassen habe. Den Vorschriften über die Beteiligung klagebefugter Dritter am atomrechtlichen Genehmigungsverfahren (vgl. § 7 I V AtG i.V.m. §§ 4 ff. AtVfV) käme grundrechtliche Relevanz in diesem Sinne
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
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zweifache Bedeutung zu: zum einen können sie verfassungsunmittelbar die Gewährung von Verfahrensrechten erforderlich machen, zum anderen vermögen sie die Auslegung bestehender einfachgesetzlicher Verfahrensregelungen im Sinne einer drittschützenden Wirkung zu beeinflussen 6. In erster Linie wirft diese Aufwertung von Verfahrensrechten zu Elementen des Rechts- bzw. Grundrechtsschutzes die Frage nach dem Verhältnis von Verfahrensrechten und gerichtlichem Rechtsschutz Drittbetroffener auf. Bereits insoweit bedarf es einer näheren Untersuchimg, ob die Gewährung von Verfahrensrechten von den gleichen Kriterien abhängt wie die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes oder ob insoweit - über die Voraussetzung der "möglichen Verletzung materieller subjektiver Rechte" hinaus - weitergehende Einschränkungen gelten. Das Erkenntnisinteresse erwächst auch hier aus dem Ziel, verallgemeinerbare Grundsätze für die Rechtserheblichkeit von Drittbeeinträchtigungen zu entwickeln. Die Frage nach den Kriterien für Verfahrensrechte Drittbetroffener stellt sich allerdings auch aufgrund der vielfältigen tatsächlichen Probleme, die eine Einbeziehung Drittbetroffener in das Verwaltungs- bzw. verwaltungsgerichtliche Verfahren mit sich bringt. Der Umstand, daß die Genehmigung von Großprojekten zu massenhaften Drittbeeinträchtigungen fuhren kann, hat in den letzten 20 Jahren auch die Verwaltung vor neue Probleme gestellt. In der Literatur wird beispielsweise von Verfahren zu einer luftrechtlichen Planfeststellung für einen Flughafen mit 14.000 Einwendungen, zur Genehmigung einer Ölraffinerie in Karlsruhe mit 35.000 Einwendungen, zur Genehmigung des Kernkraftwerks Breisach mit 64.000 Einwendungen und zur Genehmigung des Kenkraftwerks Wyhl mit 90.000 Einwendungen berichtet 7. Daß eine derartige Inanspruchnahme von Beteiligungsmöglichkeiten zu schweren Belastungen der Verwaltung führen, insbesondere einen enormen Aufwand an Personal, Kosten und Zeit und damit auch erhebliche ο
Verzögerungen bedingen, ist offensichtlich . Diese Entwicklung hat deshalb zu (65 f.). Zur Fortentwicklung dieser Rechtsprechung vgl. BVerfGE 56, 216 (236 f.) Asylanerkennungsverfahren; 60, 253 (295, 298); 61, 82 (112 f.) Sasbach; 63,131 (143) Gegendarstellungsrecht. Umfassend zur Entwicklung der Rechtsprechung Cloosters, Rechtsschutz, 1986, S. 30 ff. 6 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 358 ff.; v. Münch, in: ders., Vorb. Art. 1 -19 Rn. 25. Deutlich neuerdings BVerfGE 69, 315 (355), wonach Grundrechte Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung sowie für eine grundrechtsfreundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften" setzen. 7
Blümel, Festschrift W. Weber, S. 539 ff. (544 f.); v. Mutius, DVB1.1978,665 ff. (667).
ο Vgl. Blümel, Festschrift W. Weber, S. 547; v. Mutius zeigt die Probleme auf, daß beispielsweise eine Massenbeteiligung maßgeblichen Einfluß auf die Einholung zusätzlicher Gutachten durch die Genehmigungsbehörden haben kann und insbesondere die massenhafte
Abschnitt 4: Verfahrensrechte Drittbetroffener
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auch zahlreiche gesetzliche Änderungen nach sich gezogen9. Darüberhinaus ist die Gewährung von Verfahrensrechten nach wie vor mit Anwendungsunsicherheiten verbunden, da sie vom Gesetzgeber weitgehend von wenig bestimmten Kriterien wie z.B. "Betroffenheit oder "rechtsgestaltende Wirkung eines Verwaltungsakts"11 u.ä. abhängig gemacht wurde 12 . Außerdem kann die Geltendmachung von Verfahrensrechten, etwa des Akteneinsichtsrechts durch Drittbetroffene u.U. mit den Interessen des Antragstellers im Verfahren am Schutz seiner persönlichen oder geschäftlichen Daten kollidieren 13. Da diese Probleme in vergleichbarer Weise auch bei der Einbeziehung Drittbetroffener und der Zuerkennimg von Verfahrensrechten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auftauchen, wird auf die dort maßgeblichen Kriterien im Anschluß an die im Verwaltungsverfahren geltenden Voraussetzungen kurz eingegangen. B. Verwaltungsverfahren I. Verfassungsunmittelbare Begründung von Verfahrensrechten Drittbetroffener Die Frage nach der verfassungsunmittelbaren Begründung von Verfahrensrechten, etwa von Anhörungs- oder Akteneinsichtsrechten, stellt sich z.B. bei potentiell durch faktisches Verwaltungshandeln Drittbetroffenen, insoweit einfachgesetzliche Regelungen fehlen 14. In jüngster Zeit diskutiert
Geltendmachung des Akteneinsichtsrechts die rechtsstaatlich einwandfreie Durchführung des Genehmigungsverfahrens in angemessener Frist gefährden kann, DVB1.1978,665 ff. (667). 9 Vgl. die Ubersicht zu den Sonderregelungen über Massenverfahren bei Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, S. 212. Vgl. auch Kopp, DVB1.1980,320. 10 Vgl. z.B. §73IV und V I VwVfG. 11
Vgl. § 13 II VwVfG.
12
Dazu Kopp, Festgabe BVerwG, S. 387 ff. (388). Er weist auf die verwirrende Rechtsprechung zur Beteiligtenstellung von Mietern eines Hauses oder einer Wohnung im Bau- und im Gewerberecht hin. Während die Gerichte im baurechtlichen Verfahren nur Grundeigentümern und sonstigen dinglich Berechtigten die Beteiligtenstellung zubilligen (BVerwG NJW 1986, 2393), werden Mieter etwa in gewerberechtlichen Verfahren und in Verfallen nach dem BImSchG als beteiligt angesehen (BVerwGE 11,331 [333]; 28,131 [133]). Zu dieser Problematik auch Erichsen, DVB1.1967,269 ff. (272) und neuerdings Ziekow, NVwZ 1989,231 ff. 13 14
Vgl. §30 VwVfG.
Die Verfahrensvorschriften § 13 VwVfG (Beteiligtenstellung), § 28 VwVfG (Anhörungsrecht) und § 29 VwVfG (Akteneinsichtsrecht) sind gemäß § 9 VwVfG auf das
da
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
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wird beispielsweise ein Anhörungsrecht von Produktherstellern im Falle öffentlicher Warnungen vor umweit- bzw. gesundheitsschädlichen Produkten 15 . Akut wird das Problem der Drittbeteiligung auch bei den sog. informalen Absprachen oder "Arrangements' 1 zwischen Behörden und Privaten, die gerade in den letzten Jahren vermehrt die Verwaltungsrechtswissenschaft beschäftigen. So weisen Absprachen, die den Normvollzug, den Erlaß konkreter Anordnungen durch die Verwaltungsbehörde abwenden oder modifizieren sollen16, zwar keine rechtliche Bindungswirkung auf, jedoch minimiert die faktische Bindung der Absprachebeteiligten an den Abspracheinhalt die Chancen potentiell Drittbetroffener auf Einflußnahme im weiteren Verwaltungsverfahren; ihre Beteiligungs- bzw. Anhörungsrechte im weiteren Verfahren werden auf diese Weise z.T. ihres Sinns beraubt 17. Verschiedene Stimmen in der Literatur befürworten eine analoge HeranZiehung spezieller Verfahrensvorschriften oder der Verfahrensregelungen VwVfG, insbesondere der Beteiligungs- und Anhörungsrechte, sowohl in Fällen behördlicher Warnungen 18 wie informaler Absprachen 19. Begründet Verwaltungsverfahren im engeren Sinne des VwVfG, also mit dem Ziel des Verwaltungsakts bzw. öffentlichrechtlichen Vertrags, beschränkt 15
Vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 68 ff. Da die Warnungen nicht auf die Herbeiführung bestimmter Rechtsfolgen, sondern unmittelbar auf die Bewirtung eines tatsächlichen Erfolgs gerichtet sind, handelt es sich um faktisches Verwaltungshandeln (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 15 Rn.l; Erichsen/Martens, S. 363). 16 Vgl. z.B. die sog. "Sanierungsabsprachen", bei denen die Behörde auf nachträgliche Anordnungen gem. § 17 BImSchG verzichtet, wenn der Anlagenbetreiber von sich aus freiwillig ausreichende Maßnahmen trifft, Jarass, DVB1.1985, 197; Bohne, VerwArch 75 (1984), 343 ff. (354 ff.); oder Absprachen über Strategien für das anschließende offizielle Verwaltungsverfahren, etwa darüber, inwieweit und ab wann bestehende Normen einzuhalten sind (Hucke/Ullmann, Konfliktregelung, S. 105 ff.), oder über anzuwendende Meßmethoden. Zum ganzen Eberle, Die Verw. 1984,439 f. 1 7
Vgl. Eberle, Die Verw. 1984,439 ff. (449,456); Jarass, DVB1.1985,197.
18
Vgl. Robbers, DÖV 1987, 272 ff. (278), der die Beteüigungsgebote des § 13 VwVfG auch auf behördliche Warnungen anwendet und die praktischen Schwierigkeiten mit der analogen Heranziehung der für Allgemeinverfügungen geltenden Grundsätze (vgl. § 28 Π Nr.4 VwVfG) bewältigen will. 19 Hoffmann-Riem, W D S t R L 40 (1982), 187 ff., 224 befürwortet sehr weitgehend eine analoge Anwendung der Normen über Verfahrensbeteiligung im VwVfG; ähnlich v. Mutius, W D S t R L 41 (1983), 287; Bohne, VerwArch 75 (1984), 343 ff. (352 ff.) lehnt eine schematische Vorverlagerung sämtlicher drittbezogener Beteiligungs- und Anhörungsrechte der Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren in die Vorverhandlungen ab; er sieht jedoch bestimmte Verhaltenspflichten der Behörde nicht nur gegenüber dem Vorhabensträger, sondern auch gegenüber drittbetroffenen Bürgern; danach stehen Zeitpunkt, Inhalt und Form der Beteiligung Drittbetroffener an den Vorverhandlungen im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde gem. §§ 10,40 VwVfG, wobei es von erheblicher Bedeutung ist, ob es sich um Rechtsbetroffene (i.d.R. Hinzuziehung) oder nur Einwendungsbefugte handelt; Robbers, DÖV 1987, 272 ff. (279) be-
Abschnitt 4: Verfahrensrechte Drittbetroffener
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wird diese Auffassung damit, daß die Behörde sonst durch Wahl der Handlungsform die Geltung von Beteiligungsrechten umgehen könne 20 und daß nur so ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 I GG vermieden werde 21. Im Gesetzgebungsverfahren zum VwVfG wurde das Problem des Ausschlusses faktischen Verwaltungshandelns vom Geltungsbereich des VwVfG gesehen22; da dennoch auf eine ausdrückliche Normierung verzichtet wurde, liegt eine "bewußte Lücke" vor, die einer analogen Anwendung grundsätzlich entgegensteht23. Es bestehen auch erhebliche Zweifel daran, ob der allgemeine Gleichheitssatz eine derartige Analogie fordert. Ein ausreichender Differenzierungsgrund, der letztlich auch zur Nichtaufnahme in das VwVfG geführt hat, dürfte darin liegen, daß das faktische Verwaltungshandeln äußerst vielfältig ist und sich durch einen Mangel an Formen und Strukturen auszeichnet . Dies macht eine Anknüpfung verfahrensrechtlicher Regelungen auch unter verwaltungspraktischem Aspekt schwierig und liefert insbesondere vor dem Hintergrund des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Rahmen des Art. 3 I GG 2 5 eine ausreichende Rechtfertigung für die unterschiedlichen verfahrensgesetzlichen Anforderungen. Fraglich bleibt jedoch, ob sich verfahrensrechtliche Anforderungen unmittelbar aus der Verfassung ergeben. 1. Allgemeine Voraussetzungen verfassungsrechtlicher Ansprüche auf Verfahrensteilhabe Untersucht man unabhängig von den Besonderheiten faktischen Verwaltungshandelns die allgemeinen Voraussetzungen verfassungsrechtlich begründeter Verfahrensrechte, so stößt man zunächst auf das Rechtsstaatsprinzip. So folgt beispielsweise der Grundsatz des rechtlichen Gehörs aus der rechtsstaatlichen Gebundenheit der Verwaltung, welche die Einfürwortet grundsätzlich eine analoge Anwendung von Regelungen des VwVfG, will aber die Gewährung des Akteneinsichtsrechts gem. § 29 VwVfG davon ausnehmen, weil ohne förmliche Einleitung eines Verwaltungsverfahrens der Verfahrensgegenstand und damit die Reichweite und die Träger des Akteneinsichtsrechts kaum hinreichend bestimmbar wären; Beyer, Der öffentlichrechtliche Vertrag, S. 245 ff. befürwortet schließlich eine "wertende" Heranziehung der Regelungen des VwVfG.
20
Vgl. Beyer, Der öffentlichrechtliche Vertrag, S. 243. Vgl. Beyer, S. 243; Hoffmann-Riem, WDStRL 40 (1982), 187 ff. (224); Hufen, NJW 1982,2160 ff. (2163). 2 1
2 2
Begründung zu § 9 EVwVfG 1973, BT-Drucks. 7/910; Laubinger, JA 1975,733 ff. (735).
2 3
Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 358 ff., 366 ff.
2 4 Vgl. Begründung zu § 9 EVwVfG 1973, BT-Drucks. 7/910; Laubinger, JA 1975, 735; Hill, Verfahren, S. 150. 25 Vgl. nur Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 11.
58
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
haltung eines fairen und die Rechte des Bürgers (frühzeitig) wahrenden Verwaltungsverfahrens verlangt 26. Das rechtliche Gehör im Verwaltungsverfahren setzt einen (drohenden) Eingriff in die Rechtsstellung des Bürgers voraus 27. Allerdings sind von diesem Gebot in weitem Umfang Ausnahmen zuzulassen, die abstrakt nicht eindeutig festgelegt werden können28. Bei der Bestimmung der Ausnahmen ist zu berücksichtigen, daß die Verwaltung zur Erfüllung ihrer Funktion die Möglichkeit zu effektivem Handeln haben muß, daß bei manchen Eingriffen die beteiligten Personen anfangs noch nicht genau bestimmbar sind und daß im Regelfall ein lückenloser, effektiver Rechtsschutz durch die Gerichte eingreift . Ein aus rechtsstaatlichen Gründen zwingendes verfassungsrechtliches Erfordernis einer Verfahrensbeteiligung des potentiell Drittbetroffenen kann danach nicht angenommen werden. Es stellt sich daher auf der Grundlage einer modernen, auch verfahrensbezogenen Sicht der Grundrechte die Frage, ob die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung, die materielle Grundrechtsbetroffenheit des Dritten ihm neben dem Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz auch zwingend subjektive Verfahrensrechte (Anhörungsrechte, Beteiligungsgebote) im Verwaltungsverfahren verleiht . Angesichts ihrer Weite und Konkretisierungsbedürftigkeit sind den Grundrechten grundsätzlich keine eindeutigen verfahrensrechtlichen Gebote im Einzelfall zu entnehmen, insoweit steht dem Gesetzgeber ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu. Z.T. wird deshalb eine Entscheidung des Gesetzgebers für unabdingbar gehalten31. Andere sehen demgegenüber einen gewissen verfahrensrechtlichen Mindeststandard, der durch die Berührung des Schutzbereichs eines Grundrechts ausgelöst wird, als grundrechtsgeboten an. Dazu soll insbesondere die Beteiligung des möglicherweise Grundrechtsbetroffenen am Verfahren und seine Anhörung im Verfahren gehören 32. Der richtige Ansatz stellt auf die Funktion des 2 6 Stern, Staatsrecht I, S. 824 f.; Dürig, in: Maunz/Dürig, 1960, Art. 103 I Rn. 93; Kopp, DVB1.1980,320 ff. (327 f.). 2 7
28
29 30
Dürig, in: Maunz/Dürig, 1960, Art. 1031 Rn.93. Dürig, in: Maunz/Dürig, 1960, Art. 1031 Rn.94. Vgl. insoweit auch Dürig, in: Maunz/Dürig, 1960, Art. 1031 Rn.94.
Im Falle von Umsatzeinbußen der Produkthersteller infolge behördlicher Produktwarnungen kommen mittelbare Eingriffe in deren Grundrechte aus Art. 12 GG (Fortexistenz gefährdet) und Art 14 GG (Kundenstamm, nutzlos gewordene Produkte) in Betracht; vgl. dazu i.e. unten Teil 3. Bei informalen Absprachen im Hinblick auf Anlagen nach dem BImSchG kommen als möglicherweise verletzte Grundrechte Art. 2 II und 14 GG der in der Umgebung der Anlage Lebenden in Betracht. 3 1 Vgl. Hill, Verfahren, S. 240. 3 2
Vgl. insoweit Hufen, NJW 1982, 2160 ff. (2163); Häberle, Festschrift Boorberg, S. 70; Laubinger, VerwArch 73 (1982), 60 ff. (74 ff.); Grimm, NVwZ 1985, 865 ff. (869). Es wird als
Abschnitt 4: Verfahrensrechte Drittbetroffener
59
Grundrechtsschutzes durch Verfahren ab. Die grundrechtlichen Schutzbereiche werden durch die Hereinnahme des Verfahrensaspekts nicht ausgeweitet, sondern das Verfahren hat lediglich dienende, den gerichtlichen Grundrechtsschutz ergänzende Funktion 3 . In diesem Sinne ist auch das BVerfG zu verstehen, wenn es dem Verfahrensrecht nur Grundrechtsrelevanz zuspricht, "soweit es für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist" 34 bzw. um die "Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition" abzuwenden35. Deshalb können verfahrensrechtliche Anforderungen nur grundrechtsgeboten sein, soweit der Grundrechtsschutz auf das Verfahren angewiesen ist, d.h. soweit das betreffende materielle Grundrecht sinnvoll nicht ohne bestimmte Verfahrenserfordernisse, z.B. rechtliches Gehör, verteidigt oder verwirklicht werden kann . Ein solches Angewiesensein kann vorliegen, wenn der effektive gerichtliche Rechtsschutz Defizite aufweist, wenn also z.B. das Verwaltungshandeln irreparable Tatsachen schafft und der repressive gerichtliche Rechtsschutz zu spät käme oder etwa bei nicht voll justitiablen Entscheidungen im Falle von Beurteilungsspielräumen oder Planungen37. In diesen Fällen reduziert sich der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum. Im Ergebnis ist deshalb ein verfassungsunmittelbares Recht des Dritten auf Verfahrensbeteiligung gegenüber dem Rechtsschutzanspruch von erweiterten Voraussetzungen abhängig. Es setzt die Möglichkeit einer Verletzung seiner Grundrechte durch die anstehende Entscheidung sowie zusätzlich das Angewiesensein auf die Verfahrensteilhabe voraus. Im Falle behördlicher Produktwarnungen bestehen Anhaltspunkte dafür, daß die Anrufung der Gerichte nach Ausspruch behördlicher Warnungen für den Grundrechtsschutz nicht ausreicht. Ein solcher repressiver RechtsKern eines verfahrensbezogenen Grundrechtsschutzes angesehen, den eigenen Standpunkt und die subjektive Sichtweise der durch die Entscheidung berührten Grundrechtsinteressen darlegen und vertreten zu können, vgl. Redeker, NJW 1980,1590 f.; Schuppert, Einflußnahme, S. 279 ff. (282); Hufen, NJW 1982,2160 ff. (2163). 3 3 Stern, Staatsrecht I, S. 824 f.; v.Mutius, NJW 1982,2150 ff. (2156). Allgemein zum funktionalen Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahren und Rechtsschutz Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 26. 3 4
BVerfGE 53,30 (65).
35
BVerfGE 63,131 (141).
3 6
Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Lerche u.a., Verfahren, S. 31; Hill, Verfahren, S. 241, 388; Wahl, W D S t R L 41 (1983), S. 151 ff. (170); Kopp, Festgabe BVerwG, S. 389. Weitergehend Schwarze, Zusammenhang, S. 44 f., der - einen Gedanken Häberles aufgreifend - gerichtlichen Rechtsschutz und Verwaltungsverfahren wohl weitgehend gleichberechtigt in ein differenziertes Gesamtrechtsschutzsystem einordnen will. 3 7
Vgl. Hill, Verfahren, S. 242; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 70; Wahl, W D S t R L 41 (1983), S. 151 ff. (170).
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
60 qo
schütz ist möglicherweise nicht effektiv: eine einmal an die Öffentlichkeit gelangte Warnung vor einem Produkt ist u.U. irreversibel; sie wirkt in der Zukunft fort, ohne daß dies durch Gegenerklärungen, eventuell auf gerichtliche Anordnung hin, wirksam verhindert werden könnte 39 . Somit würde dem Recht auf vorherige Anhörung (bzw auch Akteneinsicht) im Verwaltungsverfahren bis zu einem gewissen Grade die Funktion eines vorbeugenden Rechtsschutzes zukommen, der die Defizite des nachträglichen Rechtsschutzes kompensiert. Grundsätzlich steht deshalb den Produktherstellern unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes durch Verfahren ein Anhörimgsrecht/Akteneinsichtsrecht vor behördlichen Produktwarnungen zu. Demgegenüber erscheint es nicht als erforderlich, den Drittbetroffenen zwingend im Verfahrensstadium von informellen Absprachen und Vorverhandlungen zu beteiligen. Angesichts der Möglichkeit, daß seine entscheidungserheblichen Einwendungen unabhängig vom Zeitpunkt der Drittbeteiligung in einem gegen die abschließende Genehmigung gerichteten verwaltungsgerichtlichen Verfahren vollständig berücksichtigt werden, ist er auf Verfahrensrechte in diesem Stadium wohl nicht angewiesen40. Es handelt sich hier zwar um komplexe Entscheidungen, die mehrpolige Interessenlagen zu bewältigen haben. Anders als bei Planungsentscheidungen ist die gerichtliche Kontrolldichte aber noch unbeschränkt, sodaß jedenfalls im rechtlichen Sinne nicht von einem Rechtsschutzdefizit gesprochen werden kann. 2. Zusätzliche Voraussetzungen wegen der Besonderheiten faktischen Verwaltungshandelns Allerdings stellt sich hier das weitere Problem, ob Verfahrensrechte der potentiell Drittbetroffenen wegen Besonderheiten des faktischen Verwaltungshandelns, insbesondere der erwähnten Vielfalt sowie den fehlenden Formen und Strukturen, nicht noch von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen sind. Zum einen stellt sich die Frage, ob und inwieweit Verfahrensrechte im Vorfeld faktischen Verwaltungshandelns überhaupt ihre Funktion erfüllen können. Plastisch wird das z.B. an dem von Lange genannten Beispiel eines Akteneinsichtsrechts in einem Verfahren, in dem 38 Vorbeugender gerichtlicher Rechtsschutz wird aus tatsächlichen Gründen, insbesondere aufgrund fehlender Information der Produkthersteller zumeist ausscheiden. 3 9 Vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 70. 40 Vgl. Eberle, Die Verw. 1984, 439 ff. (459 f.), der ausführt, auf den Zeitpunkt der Drittbeteiligung komme es nicht entscheidend an, die drohende Gerichtskontrolle zwinge die Behörde wie auch den an einem gerichtsfesten Bescheid interessierten Betreiber dazu, die Drittinteressen schon beim Arrangement zu berücksichtigen.
Abschnitt 4: Verfahrensrechte Drittbetroffener
61
keine Akten geführt werden 41. Zum anderen stehen verfassungsrechtlich begründeten Verfahrensrechten gerade in diesem Zusammenhang Gesichtspunkte der Verwaltungseffizienz bzw. des Funktionierens des Verwaltungsapparates gegenüber. In der Literatur werden Verfahrensrechte z.T. mit Rücksicht auf diesen Umstand abgelehnt, da eine Anknüpfung von Verfahrensrechten und -regeln an die bloße potentielle Rechtsbetroffenheit zwar unter dem Gesichtspunkt der Rechtsverwirklichimg befriedigen würde, aber u.U. für die Verwaltung nicht handhabbar wäre 42 . Fraglich ist insoweit, ob der Gesichtspunkt der Verwaltungsefßzienz überhaupt in der Lage ist, verfassungsrechtlich begründete Verfahrensrechte einzuschränken. Setzt man beim Begriff der Verwaltungsefßzienz an, so ist darunter wohl die Funktions- oder Leistungsfähigkeit der Verwaltung zu verstehen 43. Ausdrücklich genannt ist dieses Prinzip im Grundgesetz nicht. Dennoch kommt ihm verfassungsrechtliche Relevanz zu. Dabei kann offen bleiben, ob sich diese Relevanz darauf gründet, daß die Effizienz Voraussetzung einer eigenständigen, funktionsfähigen, rechts- und sozialstaatlichen Verwaltung i.S.d. Art. 20 GG ist 44 , oder ob die Relevanz sich nur mittelbar verfassungsrechtlich ableiten läßt aus einer optimalen Verwirklichung der von der Rechtsordnung der Verwaltung vorgegebenen Ziele und Aufgaben, insbesondere der verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen . Jedenfalls ist Effizienz ein sehr abstraktes Prinzip, sodaß nicht schon jeder Aspekt der Wirtschaftlichkeit oder Schnelligkeit des Verfahrens als zwingende Ausprägung des Verfassungsrechts anzusehen ist. Verfassungsrechtliche Relevanz erhält das Prinzip erst dann, wenn sein unverzichtbarer Kernbereich bedroht wird, also etwa die Funktionsfähigkeit der Verwaltung gefährdet ist 46 . Eine solche Gefährdung der Funktionsfähigkeit kann z.B. angenommen werden, wenn die Verwaltung zu einer bestimmten Verfahrensgestaltung, insbesondere zur Gewährung von Verfahrensrechten, ver4 1
Lange, W D S t R L 40 (1982), S. 306.
4 2
Vgl. Mußgnug, W D S t R L 41 (1983), 260; Pietzcker, W D S t R L 41 (1983), 214 f. Speziell zu informalen Absprachen auch Lange, WDStRL 40 (1982), 306; Eberle, Die Verw. 1984,439 ff. (457 f.). 4 3
Vgl. nur Steinberg, DÖV1982,619 ff. (621).
44 So sieht Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 201 f., den Grundsatz der Verwaltungseffizienz als ein Vorgegebenes Strukturprinzip der Verfassung" an, das in Art. 20 GG im Begriff der vollziehenden Gewalt als selbstverständlich vorausgesetzt wird; ähnlich Häberle, Festschrift Boorberg, S. 80. 4 5 Vgl. v. Mutius, NJW 1982,2150 ff. (2158); Steinberg, DÖV 1982,619 ff. (621). Effizienzgesichtspunkte sind auch nach der Rechtsprechung legitime Aspekte bei der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens, vgl. Steinberg, DÖV 1982,621. Z.T. sieht man allerdings in der Effizienz nur ein rechtlich anerkanntes Gut ohne den Charakter eines (Verfassungs-)Rechtsprinzips (Wahl, W D S t R L 41 (1983), 163; Püttner, WDStRL 41 (1983), 282. 4 6
Vgl. Schmidt-Aßmann, Jura 1979,505 ff. (509).
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
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pflichtet wird, ohne daß der Verfahrensgegenstand hinreichend abgegrenzt bzw. der Betroffenenkreis bestimmbar ist. Denn ohne eine gewisse Konkretisierung der Betroffenheit lassen sich Verfahrenserfordernisse verwaltungspraktisch nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand umsetzen 7 Nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz können Verfahrensrechte in Verwaltungsverfahren, die auf faktisches Verwaltungshandeln gerichtet sind, verfassungsrechtlich nur begründet werden, wenn und soweit dadurch das (verfassungsrechtlich relevante) Erfordernis einer funktionsfähigen Verwaltung nicht verletzt wird 48 . Diese Voraussetzung ist dann nicht erfüllt, wenn die auf faktisches Verwaltunghandeln gerichteten Verfahren nicht nach ihrem Gegenstand abgrenzbar sind oder der Betroffenenkreis nicht bestimmbar ist 49 . Ohne das Problem abschließend klären zu wollen, kann doch gesagt werden, daß es sich beispielsweise bei behördlichen Produktwarnungen um abgrenzbare Verwaltungsverfahren handelt, die ähnlich wie die Verwaltungsaktverfahren i.S.d. § 9 VwVfG auf eine Einzelfallentscheidung (Entscheidung über Warnung oder Veröffentlichung einer Liste) zulaufen und bei denen die (potentiell) betroffenen Beteiligten auf der Produzentenseite bestimmbar sind. Deshalb ist in diesen Fällen ein verfassungsrechtliches Anhörungsrecht der Produkthersteller gegeben50. Im Gegensatz dazu ist im frühen Verfahrensstadium der Vorverhandlungen bzw. informellen Absprachen meist noch ungewiß, ob und mit welchem Inhalt ein Antrag gestellt wird 51 . In der Regel fehlt eine Zäsur, die objektive Anhaltspunkte für die Betroffenheit des Dritten liefert 52 . Eine klare Fixie4 7
Vgl. Schmidt-Aßmann, in : Lerche u.a., Verfahren, S. 31; Lange, W D S t R L 40 (1982), 306; Eberle, Die Verw. 1984,439 ff. (457 f.). 48 Zur Abwägung zwischen Verfahrensanforderungen und Verwaltungseffizienz vgl. v. Mutius, 49 NJW1982,2150 ff. (2158); Schmidt-Aßmann, Jura 1979,505 ff. (509). Ahnlich Pietzcker, W D S t R L 41 (1983), 215, der deshalb z.B. Verfahrensrechte im Zusammenhang mit Presseerklärungen des Bundeskartellamts oder informellen Vorverhandlungen ablehnt. 5 0 Vgl. auch Ossenbühl, Umweltpflege, S. 70; Dolde, Gutachten, S. 48 f. Wenn die Behörde wegen unmittelbarer Gesundheitsgefährdung der Verbraucher sofort handeln muß, kann eine Anhörung der potentiell betroffenen Hersteller unterbleiben. Der Spielraum zu einer funktionsgerechten Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens läßt die Abwägung zwischen Verwaltungseffizienz und den verfassungsrechtlich begründeten Verfahrensrechten Drittbetroffener jedenfalls dann zugunsten der Effizienz ausfallen, wenn schnelles Handeln den Vorrang haben muß. Dies ist bei der Abwehr unmittelbar drohender Gefahren, wie z.B. der Gesundheitsgefahren für die Verbraucher der Fall, wo verfahrensbedingte Verzögerungen gering zu halten oder auszuschalten sind. 5 1
Vgl. Eberle, Die Verw. 1984,439 ff. (458).
5 2
Eberle, Die Verw. 1984,439 ff. (459).
Abschnitt 4: Verfahrensrechte Drittbetroffener
63
rung und verfahrensmäßige Abgrenzung solcher Vorverhandlungsprozesse ist schwierig, sodaß ein hinreichend konkreter Anknüpfungspunkt für Verfahrensrechte fehlt 53 . Der Verfahrensgegenstand und damit auch Reichweite und Träger der Verfahrensrechte sind in dieser Phase kaum bestimmbar 54 . Die verfassungsrechtliche Begründung zwingender Verfahrensrechte Drittbetroffener muß demnach ausscheiden . IL Kriterien
einer einfachgesetzlichen Begründung von Verfahrensrechten Drittbetroffener 1. Allgemeine Verwaltungsverfahren
Soweit spezielle Beteiligungsvorschriften es nicht ausschließen, sind Verfahrensrechte des Drittbetroffenen wie das Anhörungsrecht 56 oder das Akteneinsichtsrecht 57 in Verfahren nach § 9 VwVfG, die zum Erlaß eines Verwaltungsakts oder zum Abschluß eines öffentlichrechtlichen Vertrags führen sollen, davon abhängig, daß er formal "Beteiligter" i. S. d. § 13 VwVfG ist 58 . Erst die Stellung als Beteiligter vermittelt die Verfahrens5 3
Vgl. Lange, W D S t R L 40 (1982), 306; Pietzcker, W D S t R L 41 (1983), 215; Eberle, Die Verw. 1984,439 ff. (457 f.) 5 4
Vgl. auch Robbers, DÖV 1987,272 ff. (279).
5 5
Insoweit erscheint es jedoch sachgerecht, die Gewährung von Verfahrensrechten in diesem Stadium in das pflichtgemäße Ermessen der Behörde zu stellen, die dann von Fall zu Fall eine Abwägung der Ansprüche an ein funktionsgerechtes Verfahren vornehmen und so Besonderheiten Rechnung tragen kann. 5 6
§28 VwVfG.
5 7
§29 VwVfG.
58
Dabei beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 13 VwVfG nicht auf die Fälle, in denen § 13 VwVfG mangels Spezialregelungen unproblematisch anwendbar ist (so z.B. in Fällen der Beteiligung des betroffenen Konkurrenten an Subventionsverfahren [vgl. BVerwGE 65, 167,174] oder der Beteiligung der betroffenen Nachbarn an Verfahren der Sperrzeitverkürzung nach § 181 S. 1 GastG [vgl. VGH BW GewArch 1984,69, 70]). Im Grundsatz stehen zwar den bloßen Einwendern nach AtG, BImSchG nur die ihnen spezialgesetzlich gewährten Verfahrensrechte zu. Denn grundsätzlich muß die Öffnung des Kreises der Verfahrensbeteiligten (jedermann, Belange berührt) mit einer Einschränkung ihrer Verfahrensrechte einhergehen, wenn gewährleistet werden soll, daß die Verfahren zügig und mit vertretbarem Verwaltungsaufwand abgewickelt werden können (vgl. Feldhaus, BImSchR, § 8 der 9.BImSchVO, Anm. 4; a.A. Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, S. 265, die den Einwendern das Recht zugestehen, sich durch die Erhebung der Einwendung selbst in das Verfahren einzubeziehen; Kopp, VwVfG, § 73 Rn. 36; Obermayer, VwVfG, § 73 Rn. 22; W. Schmidt, Einführung, Rn. 146). Bloß Einwendungsbefugte haben lediglich die ihnen in den speziellen Verfahrensvorschriften ausdrücklich zugewiesenen (schwächeren) Rechte und Obliegenheiten, was sich insbesondere aus § 13 III VwVfG ergibt, welcher die Funktion hat, eine rein formale "Beteiligung" von der durch
64
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
rechte. Die konkreten Voraussetzungen, unter denen ihm Verfahrensrechte zustehen, ergeben sich aus den Tatbestandsmerkmalen der notwendigen Hinzuziehung gem. § 131 i.V.m. § 13 Π S. 2 VwVfG 59 . Danach muß zunächst der Ausgang des Verfahrens, also der zu erlassende Verwaltungsakt, möglicherweise rechtsgestaltende Wirkung fur den Dritten haben60. Ob sich diese Voraussetzung mit dem fur die Klagebefugnis bestehenden Erfordernis der möglichen Betroffenheit in subjektiven Rechten deckt, ist unklar. Der von § 42 Π VwGO abweichende Wortlaut legt eine engere Auslegung nahe. Nach herkömmlicher Terminologie verändert der gestaltende Verwaltungsakt im Unterschied zum feststellenden Verwaltungsakt die Rechtslage. Die Beeinträchtigung von Rechten, wie sie in Fällen der Drittbetroffenheit als Folge einer Subvention oder einer Genehmigung stattfindet, verändert die Rechtslage nicht, der Dritte hat in diesen Fällen nicht mehr und nicht weniger Rechte als vor Erlaß des Verwaltungsakts62. das materielle Recht bestimmten und durch den konstitutiven Akt der Hinzuziehung konkretisierten Beteiligung i.S.d. § 13 II VwVfG zu trennen (vgl. Hill, Verfahren, S. 270; v. Mutius, DVB1. 1978, 665 ff. (674); Cloosters, Rechtsschutz, S. 67 f.; Graffe, Beteiligung, 63 ff.; Meyer/Borgs, VwVfG, § 73 Rn. 3, 29). Allerdings ist fraglich, ob die damit verbundene verfahrensrechtliche Schlechterstellung potentiell in eigenen Rechten betroffener Einwender, die mit dem einwendungsberechtigten "jedermann" in einen Topf geworfen werden, durch den Zweck der speziellen Verfahrensvorschriften gedeckt ist. Hauptzweck des durch diese Vorschriften abgeschwächten Verfahrensrechts ist die verfahrenstechnische Bewältigung von Massenverfahren. Da zur Erreichung dieses Zwecks auch das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht mittlerweile geeignete Instrumente zur Verfügung hat (vgl. §§ 17,18 VwVfG gemeinsame Bevollmächtigte oder Vertreter, § 28 I I Nr.4,39 II Nr.3 und 5,29 Π; vgl. dazu Kopp, DVB1.1980, 320 ff. [321 ff.]) sind keine überzeugenden Gründe ersichtlich, den durch ein KKW oder eine Anlage i.S.d. BImSchG in ihren Rechten bzw. rechtlichen Interessen Betroffenen die Möglichkeit vorzuenthalten, nach Hinzuziehung gem. § 13 II Nr. 4 VwVfG die weitergehenden Beteiligungsrechte wahrzunehmen (vgl. Hill, Verfahren, S. 270; a A Schmitt Glaeser, in: Lerche u.a., Verfahren, S. 71 ff., 74). 59 Eine Beteiligtenstellung als "Antragsgegner" i.S.d. § 131 Nr.l bzw. als "Adressat" i.S.d. § 13 I Nr.2 kommt nicht in Betracht, Kopp, VwVfG, § 13 Rn.ll und 13; Stelkens/Bonk/Leonhard, VwVfG, § 13 Rn.8; Horn, DÖV 1987, 20 ff. (22); Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, S. 126. Die einfache Hinzuziehung gem. § 13 II S. 1 VwVfG steht im Ermessen der Behörde, ihr Unterbleiben ist folgenlos, Kopp, VwVfG, § 13 Rn. 41. 6 0 Entgegen der gesetzlichen Formulierung genügt nach allgemeiner Auffassung bereits die Möglichkeit einer rechtsgestaltenden Wirkung, da der Ausgang des Verfahrens zunächst ungewiß ist, vgl. Kopp, VwVfG, § 13 Rn. 32 m.w.N. 6 1 Wolff/Bachof, I, § 47 I a. So wird man in den Fällen der Ausnahmeerteilung bzw. des Dispens von einer rechtsverändernden Wirkung sprechen können. 62 Eine in diesem Sinne enge Auslegung der rechtsgestaltenden Wirkung vertritt beispielsweise Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, Rn. 105 ff. Als Beispiel nennt er die Stellung des Bauherrn im Fall des Antrags eines Nachbarn auf Stillegung eines Bauvorhabens;
Abschnitt 4: Verfahrensrechte Drittbetroffener
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Während die höchstrichterliche Rechtsprechung bisher keine Gelegenheit hatte, sich zu diesem Problem zu äußern, läßt die Spruchpraxis einzelner Instanzgerichte eine Anlehnung an die Voraussetzungen der Klagebefugnis erkennen 63. Auch die überwiegende Auffassung in der Literatur zieht eine Parallele zu § 42 I I VwGO, meist ohne dies jedoch näher zu begründen oder zu problematisieren 64. Begründungsansätze finden sich lediglich bei Kopp, der eine zwingende Verfahrensbeteiligung des potentiell in eigenen subjektiven Rechten betroffenen Bürgers als Folgerung aus den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens betrachtet 65 und Raeschke-Kessler/Eilers, die eine zwingende Beteiligung des Nachbarn am Baugenehmigungsverfahren direkt auf Art. 14 GG zurückführen 66. Nach den Gesetzgebungsmaterialien soll der Dritte die Stellung eines Verfahrenssubjekts erhalten, um Einfluß auf Verwaltungsakte ausüben zu können, die sich negativ auf seine Rechte auswirken können67. Daß der Zweck der Hinzuziehung Dritter auf eine umfassende Verteidigung deren subjektiver Rechte gerichtet ist, belegt neben diesem genetischen Argument auch der Umstand, daß es hier grundsätzlich nicht allein um den Ausgleich von Rechtsschutzdefiziten geht. Der Gesetzgeber hat Fälle notwendiger Hinzuziehung normiert, obwohl er wußte, daß der Dritte nach Abschluß des Verfahrens in der Regel ausreichenden, effektiven Rechtsschutz vor den denn die stattgebende Behördenentscheidung entfalte insoweit rechtliche Wirkung in dem zwischen dem Bauherrn und der Bauordnungsbehörde bestehenden Verwaltungsrechtsverhältnis, als nunmehr das Nichtbestehen des durch die Baugenehmigung bestätigten materiellen Bauanspruchs festgestellt und die bereits erteilte Baugenehmigung insoweit aufgehoben wird. 63 Nach einem Beschluß des OVG Münster setzt eine notwendige Hinzuziehung von Nachbarn im Baugenehmigungsverfahren zumindest die Möglichkeit einer Rechtsbetroffenheit des Nachbarn voraus, NVwZ 1988, 74 f. Ähnlich sieht das VG Berlin "typischerweise" den Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, der den einen begünstigt, den anderen belastet, als "rechtsgestaltend" an, DVB1.1984,1186 ff. 64 Uberwiegend wird das Verfahren auf Erlaß eines Verwaltungsakts mit Doppelwirkung als typischer Fall des § 13 II S. 2 VwVfG angesehen (vgl. Kopp, VwVfG, § 13 Rn. 30; Knack, VwVfG, § 13 Rn. 4.2; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, S. 130; Meyer/Borgs, VwVfG, § 13 Rn.10; Bohne, VerwArch 75 (1984), 343 ff. (352). Dabei werden z.T. ausdrücklich drittbelastende Genehmigungen (Baugenehmigungen, Gaststättenkonzessionen) als Beispiele genannt (Knack, VwVfG, § 13 Rn. 4.4; Ule/Laubinger, S. 130). 65 Vgl. Kopp, Festschrift BVerwG, S. 23. 6 6
NVwZ 1988,37 ff. (39). § 13 U S.2 VwVfG wird insoweit zumindest für den Bereich des baurechtlichen Genehmigungsverfahrens als das Eigentumsrecht des möglicherweise betroffenen Nachbarn sichernde Verfahrensnorm angesehen. 6 7
Vgl. BT-Drucks. 7/910, S.52, Begründung des E-1973. Daneben sollen durch die Hinzuziehung Dritter im Interesse der Verfahrensökonomie die Bindüngiswirkung der Entscheidung auch auf diese erstreckt und somit weitere Verfahren und möglicherweise divergierende Entscheidungen verhindert werden, vgl. Kopp, VwVfG, § 13 Rn. 24; Knack, VwVfG, § 13 Rn.4. 5 Roth
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Gerichten erlangen kann. Es handelt sich also um einfachgesetzlich gewährten, zusätzlichen und frühzeitigen Rechtsschutz, der zwar verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten ist , aber doch in Erfüllung der in den Grundrechten wurzelnden objektiven Verpflichtung zur frühzeitigen Grundrechtssicherung durch Verfahrensgarantien erfolgt 69. Dieser grundrechtliche Bezug läßt somit ebenfalls die mögliche Rechtsbetroffenheit i.S.d. § 42 I I VwGO als richtigen Maßstab für die Befugnis zur Geltendmachung dieses vorgeschalteten Rechtsschutzes erscheinen. Auch wenn damit die Grundvoraussetzungen für den Rechtsschutz und die einfachgesetzlichen Verfahrensrechte Drittbetroffener übereinstimmen, so bestehen doch im übrigen ganz erhebliche Unterschiede. Erstens hängt die Innehabung von Verfahrensrechten zusätzlich von bestimmten formellen Erfordernissen ab, welche faktisch die Handhabbarkeit der Vorschrift für die Verwaltung, insbesondere im Hinblick auf Massenverfahren, sichern. Zunächst erspart das Antragserfordernis in § 13 I I S. 2 VwVfG der Behörde die erste Suche nach Betroffenen und hat als solche bereits eine gewisse selektive Wirkung 70 . Dazu trägt bei, daß die tatsächliche Antragstellung in vielen Fällen letztlich von der gem. § 13 I I S.2 2. HS VwVfG vorgeschriebenen Benachrichtigung abhängen wird. Da die Benachrichtigungspflicht auf die der Behörde bekannten Personen beschränkt ist, also offensichtlich keine Pflicht zur Ermittlung bzw. öffentlicher Bekanntmachung normiert ist, wird auch insoweit eine handhabbare Hinzuziehungspraxis gewährleistet 71. Weiterhin hängt die Begründung der Beteiligtenstellung immer von einer konstitutiven Entscheidimg der Behörde über die Hinzuziehung ab, wo68 Insoweit ist der Argumentation von Kopp und Raeschke-Kessler/Eilers (Fn. 65, 66) zu widersprechen. Das BVerfG leitete im Mülheim-Kärlich-Beschluß aus dem objektivrechtlichen Gehalt des Art. 2 II GG eine staatliche Schutzpflicht ab, die nicht nur durch den Erlaß materieller, sondern gerade auch verfahrensrechtlicher Vorschriften, wie die Regeln über die Beteiligung Dritter am atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, erfüllt werde (BVerfGE 53,30 (57). Vgl. dazu Cloosters, Rechtsschutz, S. 37 f. 70
/u
Vgl. Kopp, DVB1.1980,320 ff. (322). Seiner Ansicht nach wird im Regelfall die Zahl der antragstellenden Personen wesentlich geringer sein als die Zahl der möglicherweise vom Ausgang des Verfahrens Betroffenen. In der Literatur wird das Antragserfordernis z.T. unter Hinweis auf die umständliche Prozedur, die der Dritte z.B. bei der Geltendmachung seines Anhörungsrechts gem. § 28 VwVfG durchlaufen muß, für entbehrlich gehalten und gegen den Wortlaut allein auf die materielle Betroffenheit abgestellt, vgl. Horn, DÖV 1987,20 ff. (24 f.); Kopp, VwVfG, § 13 Rn. 33, DVB1. 1980, 322; Obermayer, VwVfG, § 13 Rn.40. Dagegen Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, S. 130; Stelkens/Bonk/Leonhard, VwVfG, § 13 Rn.20; Knack, VwVfG, § 13 Rn.4.2. 71 Selbst bei unterbliebener oder sonst fehlerhafter Benachrichtigung fällt das Antragserfordernis nicht weg, vgl. Horn, DÖV 1987, 24; Kopp, VwVfG, § 13 Rn.33; aM: Meyer/Borgs, VwVfG, §13 Rn.ll.
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Ύ) durch diese faktisch den Beteiligtenkreis bestimmen kann . Zweitens modifizieren die allgemeinen Regelungen über Massenverfahren in den 1976 geschaffenen allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder 73 z.T. auch die Ausübung von Verfahrensrechten. Mit dem Ziel, die Zahl der effektiv gegenüber der Behörde im Verfahren auftretenden Personen im Interesse einer Verfahrensvereinfachung und einer Entlastung der Behörden zu beschränken, wird beispielsweise in § 29 I S. 3 VwVfG das grundsätzlich jedem Beteiligten zustehende Akteneinsichtsrecht in den Fällen der gemeinsamen Vertretung gem. §§ 17, 18 VwVfG nur den Vertretern eingeräumt. Drittens sehen verschiedene Einzelvorschriften verfahrensrechtliche Erleichterungen in Form des Ausschlusses von Verfahrensrechten vor, um in Verfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten die Funktionsfähigkeit der Behörde zu gewährleisten74. Besondere Bedeutung kommt schließlich viertens der eingeschränkten Rechtserheblichkeit von Verfahrensrechten zu. Während jede Verletzung eines materiellen subjektiven Rechts gerichtlichen Schutz auslöst, ist das bei Verletzung von Verfahrensrechten anders 75. So ist während des laufenden Verwaltungsverfahrens die isolierte Geltendmachung von Verfahrensfehlern durch einen Beteiligten gem. § 44 a VwGO ausgeschlossen, der Beteiligte kann den Verfahrensmangel erst im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die Sachentscheidimg rügen 76. Eine bedeutsame Einschränkung erfährt der Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens insbesondere durch die Bestimmung des § 46 VwVfG. Danach ist die Aufhebung eines Verwaltungsakts allein wegen eines Verfahrensfehlers ausgeschlossen, wenn es sich um eine gebundene Entscheidung handelt77. 72 Vgl. Cloosters, Rechtsschutz, S. 53. Der zu Unrecht nicht hinzugezogene, klagebefugte Dritte kann allerdings trotz § 44 a VwGO seine Beiladung gerichtlich erzwingen, vgl. Kopp, VwGO, § 44 a Rn. 11; Cloosters, Rechtsschutz, S. 52 f. 7 3 Vgl. insbesondere §§ 17,18,19, 29 I S.3 VwVfG. Dazu Kopp, VwVfG, § 17 Rn. 3 (mit verfassungsrechtlichen Bedenken); Laubinger, Verwaltungsprozeßordnung, S. 71 ff., 72. 7 4
75
Vgl. §§ 28 II Nr.4,39 II Nr.3 und 5,29 II VwVfG.
Das bedeutet nicht, daß die Möglichkeit der Rechtsverletzung durch Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift generell ausscheidet, wie dies von der älteren Literatur und Rechtsprechung vertreten wurde (vgl. Cloosters, Rechtsschutz, S. 61). Heute besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß Rechtsschutz gegen die Verletzung von Verfahrensnormen möglich ist, soweit diese ihrerseits dem Schutz materieller Rechtspositionen dienen (vgl. Held, Grundrechtsbezug, S. 97 m.w.N.; Erichsen/Martens, S. 432; zum Atomrecht Blümel, in: ders., Frühzeitige Bürgerbeteiligung, S. 63 f.). 76 Gegen diese Verlagerung des Rechtsschutzes bestehen unter dem Aspekt des Art. 19 IV GG keine Bedenken, soweit der Rechtsschutz noch effektiv ist, vgl. Cloosters, Rechtsschutz, S. 77 76. So die herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, vgl. BVerwGE 61,45 (50); 65,287 (289); Bettermann, Festschrift Ipsen, S. 276 f.; Ossenbühl, NJW 1981,375 ff. (376);
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
2. Spezialgesetzliche Verwaltungsverfahren Während in spezialgesetzlichen Verwaltungsverfahren der Kreis der grundsätzlich Verfahrensbeteiligten sehr weit gezogen ist 78 , erfolgt eine Eingrenzung des Kreises derer, denen konkrete Verfahrensrechte zugebilligt werden, erst auf der Normanwendungsebene durch Einräumung eines pflichtgemäßen Verwaltungsermessens 79. Die Geltendmachung von Verfahrensrechten steht hier in weitem Umfang zur Disposition der Behörde. Maßgebliche und zulässige Kriterien für die Ermessensausübung sind im Fall des Akteneinsichtsrechts beispielsweise die Gesichtspunkte der Funktionsfähigkeit der Behörde 80, des Grads 81 und der Offensichtlichkeit der Betroffenheit 82 des Akteneinsicht begehrenden Dritten. Rechtsschutz wegen Verletzung spezialgesetzlicher Verfahrensrechte wird natürlich nur gewährt, soweit diese dem Schutz materieller Rechtspositionen dienen83.
vgl. auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 7/910, S. 66. Dies ist nicht unumstritten, da die Verwaltung im Falle unbestimmter Rechtsbegriffe etwa naturwissenschaftlichen oder technischen Inhalts (z.B. "schädliche Umwelteinwirkungen" gem. § 41 BImSchG) nicht schlicht subsumiert und eine gesetzlich eindeutig vorgegebene Entscheidung vollzieht, sondern ihr hier eine Konkretisierungsbefugnis zukommt, was einer einzig richtigen Entscheidung entgegensteht; zu dieser Kontroverse Cloosters, Rechtsschutz, S. 90 ff. 78 Im Atom- und Immissionsschutzrecht ist "jedermann" unabhängig von einer Betroffenheit (§§ 10 III S.2 2.HS BImSchG; 7 IV S.2 AtomG i.V.m. 7 I S.1 AtomVfV), im Planfeststellungsrecht "jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden" (§§ 18 IV FStrG; 21IV AbfG; 10ΙΠ LuftVG; 73IV VwVfG), einwendungsbefugt. Einen Überblick über die abgestuften spezialgesetzlichen Beteiligungsmöglichkeiten bieten z.B. Hill, Verfahren, S. 2677 9ff. sowie Schmitt Glaeser, in: Lerche u.a., Verfahren, S. 53 ff. Vgl. v. Mutius, DVB1.1978,665 ff. (673); Ule/Laubinger, Umweltschutz, S. Β 34 ff. Vgl. §§ 6 III AtVfV und 10 IV 9. BImSchVO, die das Akteneinsichtsrecht im atomrechtlichen und immissionschutzrechtlichen Verfahren ins Ermessen der Behörde stellen. 80 Zweck des Abgehens von dem in § 29 I S.1 VwVfG statuierten Anspruch in sondergesetzlichen Akteneinsichtsbestimmungen ist nach nach allgemeiner Meinung, eine Überforderung der Behörde durch die oft sehr große Zahl von Beteiligten zu vermeiden, vgl. Kopp, DVB1.1980,320 ff. (324); Meyer/Borgs, VwVfG, § 72 Rn.20. Nicht sachgerecht bzw. im Einzelfall unverhältnismäßig wird der Ausschluß sein, wenn es um ein Akteneinsichtsbegehren weniger gemeinsamer Vertreter bzw. überhaupt weniger Beteiligter geht, vgl. Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, S. 333; Meyer/Borgs, VwVfG, § 72 Rn.20. 81 Bohne, VerwArch 75 (1984), 343 ff. (325). Die Behörde kann z.B. einige wenige, besonders Betroffene herausgreifen und ihnen das Akteneinsichtsrecht gewähren. 8 2 Vgl. Meyer/Borgs, VwVfG, §72 Rn.20. 8 3
Siehe Fn. 75.
Abschnitt 4: Verfahrensrechte Drittbetroffener
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C. Verwaltungsgerichtliches Verfahren Die maßgeblichen Kriterien für die Einbeziehung Dritbetroffener und die Zuerkennung von Verfahrensrechten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergeben sich aus den Voraussetzungen, unter denen diese gem. § 65 Π VwGO notwendig beigeladen werden müssen84. Nach einer allgemein anerkannten, dem Wortlaut entnommenen Formel ist die Beiladung notwendig, wenn die Entscheidimg des Gerichts nicht getroffen werden kann, ohne damit gleichzeitig unmittelbar Rechte des Beizuladenden zu gestalten, zu bestätigen, zu verändern oder zum Erlöschen zu bringen 85. Im praktisch wichtigsten Streitfall, der Verpflichtungsklage auf Erlaß eines begünstigenden, möglicherweise drittbelastenden Verwaltungsakts86, gibt jedoch auch diese Formel keine eindeutige Antwort auf die Frage nach der notwendigen Beiladung potentiell Drittbetroffener 87. Die spezifischen, von der Formulierung des § 42 I I VwGO abweichenden Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere auch deren Abstellen auf die Wirkung der gerichtlichen Entscheidung, sprechen dagegen, bereits die Möglichkeit der Verletzung subjektiver Rechte durch die nachfolgende Verwaltungsentscheidung für die notwendige Beiladung ausreichen zu lassen. Dementsprechend halten Rechtsprechung und wohl überwiegende Meinung in der Literatur eine Beiladung des Drittbetroffenen in diesen Fällen für nicht erforderlich 88. Die Begründung läßt zwei Aspekte erkennen. Zum einen ergebe sich materiell aus der besonderen Rechtsstellung des Drittbetroffenen - er kann sich nur auf die Verletzung drittschützender Normen berufen -, daß der Dritte weder an dem Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagtem, aus dem der Kläger 84 Die einfache Beiladung gem. § 65 I VwGO steht im Ermessen des Gerichts, ihr Unterbleiben ist folgenlos (BVerwG NJW 1984, 1905; Kopp, VwGO, § 65 Rn. 28). Demgegenüber muß die notwendige Beiladung zwingend von Amts wegen erfolgen, ihr Unterlassen begründet einen wesentlichen Verfahrensfehler, der im Revisionsverfahren zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache führt (vgl. Kopp, VwGO, § 65 Rn. 6). 8 5 Vgl. BVerwGE 18,124 (125 f.); 55,8 (10 f.); DÖV 1975,99; Redeker-v.Oertzen, VwGO, § 65 Rn. 8; Kopp, VwGO, § 65 Rn. 14; Joeres, Rechtsstellung, S. 50. Nach ganz herrschender Ansicht genügt auch hier die Möglichkeit einer solchen Wirkung, vgl. nur BVerwGE 18, 124 (128). 86 Z.B. wenn die Erteilung einer Baugenehmigung oder die Zuteilung einer Subvention begehrt 87 wird.
Eine gute Übersicht über den Streitstand bietet Joeres, Rechtsstellung, S. 56 ff. Vgl. BVerwG DÖV 1975, 99; VGH BW NJW 1977,1308; Kopp, VwGO, § 65 Rn. 20; Redeker-v.Oertzen, VwGO, § 65 Rn. 9; Bosch/Schmidt, Einführung, S. 63. Allerdings wird in diesen Fällen, da jedenfalls rechtliche Interessen des Dritten berührt sind, eine einfache Beiladung nach Ermessen des Gerichts befürwortet, vgl. Kopp, VwGO, § 65 Rn. 11. Zur Gegenmeinung vgl. Stettner, JA 1982, 394 ff. (399); Joeres, Rechtsstellung, S. 57 ff.; Mußgnug, NVwZ 1988, 33 ff. (34). 8 8
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
70
seinen Anspruch auf Genehmigung herleitet, beteiligt sei, noch, daß die Entscheidung des Gerichts gegenüber Kläger und Dritten zwangläufig einheitlich aussehen müsse. Denn es könne sein, daß die Baugenehmigung wegen des Verstoßes gegen objektive, nicht nachbarschützende Vorschriften nicht erteilt werden dürfe, daß aber die Rechtswidrigkeit der gleichwohl erteilten Baugenehmigung vom Nachbarn nicht geltend gemacht werden könne 89 . Zum anderen enthalte ein stattgebendes Urteil, das die Behörde zur Erteilung der Genehmigung verpflichtet, nicht selbst die Genehmigung und greife deshalb nicht unmittelbar in die Rechtsposition des Nachbarn ein. Der Eingriff erfolge erst durch den zweiten Akt, die aufgrund des Urteils erteilte Genehmigung, gegen die der Dritte Rechtsschutz mit der Anfechtungsklage erhalten könne90. Die damit angesprochene rechtsschutzwahrende Funktion der notwendigen Beiladung 1 soll somit nur verhindern, daß Dritte durch sie in der Sache bindende, über ihren Kopf hinweg gefällte gerichtliche Entscheidungen in ihren Rechten verletzt werden . Sie greift daher ein, wenn der Rechtsschutz des Dritten gewisse Defizite aufweist, wie etwa in Fällen der Anfechtungsklage von Nachbarn gegen eine Baugenehmigung93. Hat hier die Klage Erfolg, geht der Bauherr infolge der Kassationswirkung des Urteils der ihm erteilten Genehmigung verlustig; die Entscheidung betrifft ihn ebenso unmittelbar wie den Kläger und den Beklagten; Rechtsschutz ist für ihn bereits im Stadium der laufenden Anfechtungsklage erforderlich, da die gerichtliche Entscheidung sonst über seinen Kopf hinweg in seine Rechte eingreifen könnte. Bestimmend für die "qualifizierten" Voraussetzungen von Verfahrensrechten Drittbetroffener ist somit auch im Prozeß deren Verhältnis zum materiellen Rechtsschutz des Drittbetroffenen 94. In Fällen der Verpflichtungsklage auf dritt8 9
Vgl. BVerwG DÖV 1977,99; Bosch/Schmidt, Einführung, S. 63.
9 0
Vgl. VGH BW GewArch. 1977,207.
91 Zweck der Beiladung ist zweierlei: zum einen soll dem Dritten die Möglichkeit zur Wahrung seiner rechtlichen Interessen im anhängigen Prozeß gewährt werden, zum anderen sollen durch Erstreckung der Rechtskraftbindung gem. § 121 VwGO im Interesse der Verfahrensökonomie und der Rechtssicherheit weitere Prozesse vermieden und einander widersprechende Entscheidungen über denselben Gegenstand verhindert werden, vgl. Kopp, VwGO, § 65 Rn.l m.w.N. 9 2 Konrad, BayVBl. 1982,481 ff. (483). 93 Hier ist der Bauherr nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur notwendig beizuladen, vgl. BVerwGE 18,124 (126); BayVGH NVwZ 1983, 414; Kopp, VwGO, § 65 94 Rn.17 m.w.N. Nur in derartigen Fällen zu besorgender Rechtsschutzdefizite stellt sich die notwendige Beiladung des Dritten auch als verfassungsrechtlich geboten dar (vgl. bereits oben Β, 1,1). Die verfassungsrechtliche Begründung einer Ausweitung des Kreises der notwendig Beizuladenden z.B. auf die durch die erstebte Genehmigung Drittbetroffenen ( vgl. Stettner, JA 1982, 394 ff. [399]) geht daher fehl.
Abschnitt 4: Verfahrensrechte Drittbetroffener
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belastende Verwaltungsakte fehlt ein "qualifiziertes" Betroffensein des Dritten durch die gerichtliche Entscheidung. Zum einen trifft sie ihn nur mittelbar, nach Erlaß des ihn möglicherweise belastenden Verwaltungsakts, gegen den er ausreichenden Rechtsschutz durch Erheben der Anfechtungsklage erlangen kann. Zum anderen stellt sich die Beeinträchtigung als faktische Folge des Verwaltungshandelns und nicht als rechtlich bindende Wirkung der Gerichtsentscheidung dar. Neben Wortlaut und Funktion des § 65 Π VwGO lassen sich der Literatur weitere Gründe für einen gegenüber dem Kreis der Klagebefugten i.S.d. § 42 I I VwGO engeren Begünstigtenkreis entnehmen. So würde die antragsunabhängige Beiladungspflicht des Gerichts in § 65 Π VwGO im Falle einer Erstreckung auf alle Verpflichtungsklagen auf drittbelastende Genehmigungen zu einer Überlastung der Verwaltungsgerichte führen 95. Außerdem hält man die radikalen Sanktionen, mit denen eine Mißachtung des § 65 I I VwGO ausgestattet ist 96 , nur in zahlenmäßig begrenzten Fällen qualifizierter Betroffenheit für angebracht97. D. Bewertung der Kriterien Will man die Kriterien, von denen Verfahrensrechte Drittbetroffener in Verwaltungsverfahren und -prozeß abhängen, einer Bewertung unterziehen, so geraten zwei Hauptaspekte ins Blickfeld, denen auch Bedeutung für die weitere Untersuchung zukommt. Zunächst kann man feststellen, daß die Kriterien für Verfahrensrechte und materielle subjektive Rechte Drittbetroffener nicht identisch sind. Das liegt vor allem an der Funktion subjektiver Verfahrensrechte, die sich maßgeblich aus ihrem Verhältnis zum materiellen gerichtlichen Rechtsschutz bestimmen läßt. Während das materielle subjektive Recht für den Dritten rechtsschutzeröffnende Funktion hat, kommt dem Verfahrensrecht in der Regel nur die Aufgabe eines zusätzlichen, 'formellen" Rechtsschutzes zu, da der Dritte gegen die Beeinträchtigung grundsätzlich in ausreichendem Umfang gerichtlichen Rechtsschutz erlangen kann. Angesichts dieses ohnehin gesicherten Rechtsschutzes begründet die Möglichkeit der Verletzung 95 Zum Problem der Überlastung der Gerichte durch eine weite Auslegung Kopp, DVB1. 1980, 320 ff. (324 ff.); Joeres, Rechtsstellung, S. 58 f.; Mußgnug, NVwZ 1988, 33 ff. (34), der deshalb gegen den Wortlaut ein Antragserfordernis aufstellen will. Im Rahmen einer Klage Drittbetroffener tritt eine gewisse selektierende Wirkung bereits durch das Erfordernis des Klagantrags ein. 9 6 Vgl.Fn.84. 9 7
Vgl. Konrad, BayVBl. 1982,481 ff. (482).
72
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
in subjektiven Rechten neben der Klagebefugnis nicht zwingend auch subjektive Verfahrensrechte des Drittbetroffenen. So werden diese von zusätzlichen formalen Voraussetzungen abhängig gemacht oder der Verwaltung wird in weitem Umfang die Befugnis zugestanden, die Ausübung von Verfahrensrechten zu modifizieren oder ganz zu versagen. Auch erkennt man bestehenden Verfahrensrechten nur eine sehr eingeschränkte Rechtserheblichkeit zu. Nur ausnahmsweise werden dem in subjektiven Rechten betroffenen Dritten zwingend Verfahrensrechte zuerkannt, wenn dem Verfahren die Funktion eines nicht nur "formellen", sondern "materiellen" Rechtsschutzes zukommt, weil der gerichtliche Rechtsschutz Defizite aufweist. Auch hier muß aber ein zusätzliches Erfordernis, das "Angewiesensein" des Dritten auf das Verfahrensrecht, erfüllt sein. Schließlich konnten wir - wie im vorangegangenen Abschnitt - feststellen, daß auch die Kriterien für die Begründimg von Verfahrensrechten Drittbetroffener von einer "funktionalen" Sichtweise beeinflußt sind. So wird in Rechtsprechung, Literatur und gesetzgeberischen Aktivitäten das Bemühen deutlich, einer Überforderung und Überlastung von Verwaltung und Justiz infolge einer "grenzenlosen" Gewährung von Verfahrensrechten an Drittbetroffene entgegenzuwirken.
Abschnitt 5: Entschädigung- und Schadensersatzansprüche
73
Abschnitt 5 Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche Drittbetroffener A· Die Problematik Neben Abwehr-, Unterlassungs- und Folgenbeseitigungsansprüchen kann Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit auch Entschädigungs- und Schadenersatzansprüche auslösen. Die Probleme, die mit der Anerkennung von derartigen Ansprüchen auch Drittbetroffener durch die Rechtsprechung verbunden sind, decken sich zunächst mit denen, die durch die Anerkennung der Klagebefugnis Drittbetroffener entstanden sind1. Eine haftungsrechtliche Verantwortung für Drittschäden kann zu einer massenhaften Geltendmachung solcher Schäden und den beschriebenen negativen Konsequenzen für das Funktionieren der Rechtsprechung, die Initiativbereitschaft der Verwaltung und den Grundsatz der Rechtssicherheit führen. Es entstehen aber auch ganz spezifische Probleme. Soweit klare Elemente der Haftungsbegrenzung fehlen, erscheint der Staat dem einzelnen angesichts theoretisch nie abreißender Kausalketten als "große Versicherungsanstalt"2. Es besteht die Gefahr, daß der Staat immer mehr Bereiche des allgemeinen Lebensrisikos abdeckt und dadurch Eigeninitiative und Eigenverantwortung in den Hintergrund gedrängt werden. Daneben belasten weitgehende Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche Drittbetroffener natürlich den Staatshaushalt. Auch hier ist der Gefahr zu begegnen, daß die öffentlichen Haushalte durch unübersehbare, unverhältnismäßige Verpflichtungen als "Ersatzkasse" für die Abdeckung von Schäden dienen, die letztlich nicht dem Verantwortungsbereich des Staates, sondern des Bürgers zuzurechnen sind3. Eine nähere Untersuchung der Kriterien, von denen die Zuerkennimg von Entschädigungs- und Schadensersatzansprüchen an durch Verwaltungshandeln Drittbetroffene abhängig gemacht wird, macht ein Eingehen auf die verschiedenen Rechtsgrundlagen derartiger Ansprüche erforderlich. B. Entschädigung aufgrund Enteignungsgesetzes Im Falle einer Enteignung i.S.d. Art. 14 I I I GG muß sich gemäß der Junktimklausel in Art. 14 ΙΠ S.2 GG der Entschädigungsanspruch aus ei1
Vgl. oben Abschnitt 2,1.
2
Werner, DVB1.1959,527 ff. (530); Gronefeld, Preisgabe, S. 34 f.
3
Dazu Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 459.
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
74
nem Gesetz ergeben4. Erste, wesentliche Tatbestandsvoraussetzung dieses Entschädigungsanspruchs, die auch in Fällen der Drittbetroffenheit erfüllt sein muß, ist das begriffliche Vorliegen einer Enteignung i.S.d. Art. 14 ΠΙ GG. /. Der neuere, formalisierte
Enteignungsbegriff
des BVerfG
Zentrale Bedeutung für unsere Fragestellung hat die enge, formalisierte Fassung des Enteignungsbegriffs durch die jüngere Eigentumsjudikatur des BVerfG, die die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie auf eine neue Basis gestellt hat5. Danach ist unter Enteignung i.S.d. Art. 14 ΠΙ GG "der staatliche Zugriff auf das Eigentum des einzelnen" zu verstehen, der seinem Zweck nach "auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Rechtspositionen gerichtet" ist, "die durch Art. 14 GG gewährleistet sind"6. Das BVerfG präzisiert seinen Enteignungsbegriff durch den Rückgriff auf jene beiden Rechtsformen, die Art. 14 ΠΙ GG selbst unterscheidet. So stellt es in der Kleingartenentscheidung der Inhaltsbestimmung i.S.d. Art. 14 I S.2 GG die Enteignung durch Verwaltungsakt (Administrativenteignung) sowie die Enteignung durch Gesetz (Legalenteignung) gegenüber. 4 Eine Begründung von Entschädigungsansprüchen durch unmittelbaren Rückgriff auf Art. 14 III GG ist nicht möglich. Zu dieser Kernaussage der neueren BVerfG-Rechtsprechung vgl. Biyde, in: v. Münch, GG, Art.14 Rn.87; Erichsen/Martens, S. 552 ff. 5 Vgl. BVerfGE 52,1 (27) Kleingartenpacht; 56, 249 (260) Dürkheimer Gondelbahn; 58, 300 (330 f.) Naßauskiesung. Aus der Literatur dazu nur Schwerdtfeger, Struktur; Ossenbühl, NJW 1983,1 ff.; Erichsen/Martens, S. 552 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 59 a ff. m.w.N. Bedenken gegen die Relevanz der Fragestellung können zerstreut werden: zwar ist es richtig, daß dem Drittbetroffenen im Falle des Fehlens einer gesetzlichen Enteignungs- und Entschädigungsregelung schon von vornherein insoweit kein Entschädigungsanspruch zusteht (vgl. insoweit BGH NJW 1987, 671 ff., wo der BGH die Anwendbarkeit der §§ 44 BBauG/42 BauGB auf mittelbar von planerischen Nutzungsänderungen in der Nachbarschaft betroffenen Eigentümern verneint und deshalb schließlich den enteignungsgleichen Eingriff prüft). Dennoch behält der Enteignungsbegriff i.S.d. Art. 14 III GG Bedeutung jedenfalls insoweit, als erstens der Gesetzgeber im Falle des Vorliegens einer Enteignung zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage verpflichtet ist (verfassungsrechtliches Gebot gesetzlicher Entschädigungsregelung) und zweitens in Fällen salvatorischer Entschädiguogsregelungen (vgl. §19 WassersicherstellungsG; §20 WirtschaftssicherstellungsG; §26 III VerkehrssicherstellungsG; §171 ErnährungssicherstellungsG; § 241 DenkmalschutzG BW), deren Zulässigkeit vorausgesetzt, anhand der Merkmale des Enteignungsbegriffs das Vorliegen einer Enteignung zu prüfen ist. Zu weitgehend erscheint es, wenn Ipsen, DVB1.1983,1029 ff. (1030), beim Fehlen einer gesetzlichen Enteignungs- und Entschädigungsregelung eine Enteignung bereits begrifflich verneint. Art. 14 GG unterscheidet jedenfalls zwischen dem Begriff und den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Enteignung. 6
BVerfGE 52,1(27).
Abschnitt 5: Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche
75
Letztere sei dadurch gekennzeichnet, daß das Gesetz selbst und unmittelbar ohne weiteren Vollzugsakt individuelle Rechte entzieht oder beschneidet, die einem bestimmbaren Kreis von Personen oder Personengruppen zustehen7. Allgemein wird die neuere Rechtsprechimg des BVerfG so verstanden, daß eine Enteignung zunächst einen Rechtsakt,, also ein Gesetz oder eine exekutivische Entscheidung (Verwaltungsakt, Satzung, Rechtsverordnung) aufgrund eines Gesetzes, voraussetzt8. Aus der Formulierung, die Enteignung müsse "ihrem Zweck nach auf die vollständige oder teilweise Entziehimg subjektiver Rechtspositionen gerichtet sein 9 , entnehmen sowohl der BGH wie auch die Lehre das weitere, den Enteignungsbegriff einengende Merkmal der Finalität bzw. Zielgerichtetheit des Eingriffs in das Eigentum des Betroffenen 10. In diametralem Gegensatz zu der sonst in der Judikatur des BVerfG zu beobachtenden Tendenz, grundrechtlich begründete Ansprüche nicht von der Form, sondern vom Effekt der Beeinträchtigung abhängig zu machen, stellt es demnach bei der Enteignung die Rechtsform sowie die Zweckrichtung der Beeinträchtigung in den Vordergrund und erreicht so, daß die Enteignung nur einen kleinen Ausschnitt der möglichen Beeinträchtigungen des Eigentumsgrundrechts bildet. IL Konsequenzen ßr die Entschädigungsansprüche Drittbetroffener Im Hinblick auf die Entschädigungsansprüche Drittbetroffener lassen sich folgende Konsequenzen des engen Enteignungsbegriffs aufzeigen. Eindeutig aus dem Anwendungsbereich des Art. 14 I I I GG heraus fallen von vornherein alle durch reine Realakte ausgelösten Drittbeeinträchtigungen. Typischerweise handelt es sich dabei um Realakte, die von hoheitlichen Infrastrukturanlagen, Einrichtungen und Unternehmen ausgehen und in benachbartes Grundeigentum oder Anlieger-Gewerbebetriebe nachteilig eingreifen 11. Des weiteren sind wohl diejenigen Drittbeeinträchtigungen 7
BVerfGE 52,1 (27) unter Bezugnahme auf E 45,297 (325 f.).
8
BGHZ 91, 24 (28); Papier, JuS 1989, 630 ff. (632); ders., in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 457; Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 833 ff. (837); Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 59 d; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 334; Biyde, in: v. Münch, GG, Art. 14 Rn. 71. 9
BVerfGE 52,1 (27).
10
BGHZ 91, 24 (28); Papier, JuS 1989,630 ff. (632); Bryde, in: v. Münch, Art.14 Rn. 71; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 334; Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 833 ff. (837); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 151. 11
Vgl. Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 59 g. Beispiele: schädigende Einwirkungen auf Anlieger durch U-Bahn-Bau (BGHZ 57, 359,366 ff.); schädliche Auswirkungen ei-
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
auszuscheiden, die sich als ungewollte, atypische Fern- oder Nebenfolgen hoheitlichen Handelns darstellen 2 . Offen bleibt allerdings mangels weitergehender Präzisierung des Enteignungsbegriffs, insbesondere des Finaütätskriteriums durch das BVerfG, die grundsätzliche Frage, ob Entschädigung immer nur der Adressat des Rechtsakts erhalten kann, Drittbeeinträchtigungen also generell keine Enteignungen i.S.d. Art. 14 ΠΙ GG darstellen. Hätte die Rechtsprechung des BVerfG eine Rückkehr zur "klassischen Enteignung" bedeutet, hätte man die Frage eindeutig beantworten können. Bei der klassischen Enteignung handelt es sich um einen hoheitlichen Güterbeschaffungsvorgang, bei dem das privatrechtliche Erwerbsgeschäft durch einen Zwangseingriff ersetzt wird und es immer zu einem Wechsel des Rechtsinhabers kommt 13 . "Enteigneter" kann nur der ursprüngliche Rechtsinhaber und Adressat des Zwangseingriffs sein14. Nach wohl überwiegender Meinung in der Literatur ist der neuere Enteignungsbegriff des BVerfG jedoch nicht in diesem Sinn zu verstehen. Unter Art. 14 BD GG soll in bestimmten Grenzen auch die sog. Aufopferungsenteignung fallen 15 . Diese zeichnet sich dadurch
ner Mülldeponie (BGHZ NJW 1980,770). Zur Frage, ob in diesen Fällen wie bisher eine Entschädigung nach den Grundsätzen des "enteignenden Eingriffs" zu gewähren ist, siehe unten G 12 Beispiele: Gehöft wird durch rechtmäßige Höherlegung der Straße von seiner Zufahrt abgeschnitten (BGHZ 57,359 ff.); im Rahmen einer straßenrechtlichen Planfeststellung gerät ein Wohngrundstück auf engstem Raum gewissermaßen in eine durch zwei Straßen gebildete Schere 13 und verliert faktisch seine Nutzbarkeit (BVerwGE 61,295 ff.). Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 4; Schwerdtfeger, Struktur, S. 25; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 331; Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 833 ff. (834); Hendler, DVB1.1983,873 ff. (878). 14 Vgl. Janssen, Entschädigung, S. 173 ff., 190 ff.; Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 154 f. 15 Dies wird überwiegend dem Gesamtzusammenhang der Rechtsprechung des BVerfG entnommen. So spricht es im "Hamburger Deichurteil", E 24,367 (394) davon, daß der Entzug und der dadurch bewirkte Rechts- und Vermögensverlust, nicht aber die Übertragung des entzogenen Objekts das entscheidende Merkmal der Enteignung sei. Für die Legalenteignung sieht es das BVerfG als begriffswesentlich an, daß individuelle Rechte entzogen oder beschnitten bzw subjektive Rechte entzogen oder gemindert werden, E 52,1 (28); 58,300 (338,348 ff.). Dabei handelt es sich um Voraussetzungen, die angesichts des einheitlichen Enteignungsbegriffs (vgl. BVerfGE 24, 367, 404; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 330) auch für die Administrativenteignung Geltung haben müssen. Für die grundsätzliche Einbeziehung der Aufopferungsenteignung Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 833 ff. (834ff.); Papier, in: Maunz/Dürig, Art 14 Rn. 313 ff.; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 333; Hendler, DVB1. 1983, 873 ff. (878); Biyde, in: v. Münch, Art. 14, Rn. 72; Schwerdtfeger, Struktur, S. 25 f. Für eine Rückkehr zum klassischen Enteign ungsbegriff. Rittstieg, NJW 1982,721 (723 f.); ders., in: AK-GG, Art. 14, Rn. 187,189. Battis, NVwZ 1982, 585ff. (589) hält eine Aufopferungsenteignung nur im Falle der Legalenteignung für möglich;
Abschnitt 5: Entschädigung- und Schadensersatzansprüche
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aus, daß Eigentümerpositionen aus Gründen des öffentlichen Wohls durch Hoheitsakt in besonderem Maße beeinträchtigt werden, ohne daß darin nur eine generelle gesetzliche Bestimmung des Eigentumsinhalts ausgedrückt wird. Darunter können insbesondere Einschränkungen der verfassungsrechtlich geschützten Nutzbarkeit des Eigentums wie die Aufhebung oder Änderung zulässiger Nutzungen durch Bebauungsplan i.S.v. § 42 BauGB 16 sowie natur- und denkmalschutzrechtliche Nutzungsbeschränkungen17 fallen, unter Umständen aber auch mittelbare, faktische Beeinträchtigungen Dritter als Folge von Planungsentscheidungen18. Für die grundsätzliche Relevanz von Drittbeeinträchtigungen kommt es demnach entscheidend auf die Reichweite der Einbeziehung der Aufopferungsenteignungs-Fälle in den verfassungsrechtlichen Enteignungsbegriff an 19 . Erichsen/Martens, S. 561, halten die Aufopferungsenteignung für nicht vom Enteignungsbegriff erfaßt. 16 Vgl. dazu Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Vorb, §§39 - 44 Rn. 4; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 332. 17
Vgl. BGHZ 99,24 (35); Kroner, Festschrift Geiger, S. 445 ff.
18 Z.B. wenn die Umplanung der Nachbarschaft mittels Bebauungsplan die Eigennutzung wegen Emmissionsträchtigkeit der selbst betriebenen Anlage gefährdet, da der Anlagenbetreiber mit Auflagen oder einer Stillegungsverfügung rechnen muß, oder wenn eine durch Planfeststellungsbeschluß zugelassene Straße infolge der damit verbundenen Emmissionen die Nutzung von Grundstücken in der Umgebung gefährdet; vgl. dazu Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 1914 Rn. 389,396 ff. Zu dieser Frage lassen bislang weder die Literatur noch die Rechtsprechung eine klare Linie erkennen. Ein Teil der Literatur will auch die Fälle einer sog. "drittwirkenden Administrativenteignung" in umfassender Weise einbeziehen (vgl. Schmidt-Aßmann, JuS 1986,833 ff. (836); Bender, DVB1.1984, 301 ff. (315 f.); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 389, 396 ff.). Eine Enteignung könne auch dann vorliegen, wenn durch administrative Entscheidung auf einem Grundstück eine Nutzung zugelassen werde, die etwa wegen ihrer Emmissionen einem Nachbargrundstück die Nutzbarkeit nimmt (Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 836). Eine Ausgrenzung dieser Beeinträchtigungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 14 ΠΙ GG als bloße beiläufige Folgen oder als schlichte Realakte wird entgegengehalten, daß es insoweit um die Auswirkungen eines Verwaltungsakts bzw. einer Satzung gehe, durch die die gekennzeichneten schweren Folgen erst ermöglicht würden (vgl. Bender, DVB1.1984, 315). Aufgrund ihrer umfassenden Raumverantwortung müsse sich die Verwaltung auch über die aufgrund ihrer raumgestaltenden Entscheidungen eintretenden Drittwirkungen ein klares Bild machen (SchmidtAßmann, JuS 1986, 836). Auch an der erforderlichen Finalität fehle es nicht: Finalität sei in dem Sinne zu verstehen, daß die Inanspruchnahme nicht ausdrücklich erfolgen, sondern lediglich objektiv erkennbar sein müsse und unmittelbar zum Zweck einer qualifizierten öffentlichen Aufgabe erfolge (Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 837; ähnlich Bender, DVB1. 1984, 315 f.; Papier, Rn. 456, der ebenfalls eine Zielgerichtetheit i.S. eines "Wissen und Wollen" ablehnt, aber auf den "objektiven Sinnbezug" des Hoheitsakts abstellt. Eine engere Auffassung lä&t die administrative Aufopferungsenteignung nur dann unter Art. 14 ΠΙ GG fallen, wenn sie zumindest mit einer teilweisen Rechtsentziehung verbunden ist (Schwerdtfeger, JuS 1983,104 ff. (108 f.); ähnlich Bryde aufgrund eines engeren Verständnisses der Zielgerichtetheit, Art. 14,
78
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
III. Gründe für die Formalisierung des Enteignungsbegrijfs Junktim-Klausel gem. Art. 14 IIIS. 2 GG
- Die Relevanz der
Wichtiger, als zu der aufgezeigten Kontroverse abschließend Stellung zu nehmen, erscheint es, die Funktionen herauszuarbeiten, die mit dem "reformalisierten" Enteignungsbegriff erfüllt werden sollen. Denn dies ermöglicht Rückschlüsse speziell auf die maßgeblichen Bestimmungsfaktoren für die entschädigungsrechtliche Relevanz von Drittbeeinträchtigungen. Ein wichtiges Ziel der Änderung der Rechtsprechung war zunächst die Sicherung eines Vorrangs eigentumsrechtlicher Abwehransprüche und damit verbunden eines Vorrangs der Fachgerichtsbarkeit 1Das BVerfG versteht die Eigentumsgarantie in erster Linie als Abwehrrecht, was insbesondere relevant ist für alle verfassungswidrigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die nach der bundesverfassungsgerichtlichen Konzeption nicht in eine entschädigungspflichtige Enteignung umschlagen, sondern zwingend mit Mitteln des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes abgewehrt werden müssen21. Mittels einer grundsätzlichen Beschränkung der staatlichen Entschädigungspflicht auf in speziellen Enteignungsgesetzen geregelte Fälle formaler Enteignung soll die Entschädigungsrechtsprechung des BGH Rn. 71). Die bloße Entwertung einzelner Eigentümerbefugnisse durch hoheitlich ermöglichte, also mittelbare faktische Einwirkungen (z.B. Immissionen) würde danach nicht unter den Enteignungsbegriff fallen (zu dieser Ansicht jetzt auch tendierend Bender, JZ 1986, 888 ff. (889); ähnlich Erichsen/Martens, S. 560). Ausdrücklich haben weder BVerfG noch BGH zu dieser Frage Stellung genommen. Der jüngeren Rechtsprechung des BGHläßt sich jedoch ein der engeren Auffassung entsprechendes Verständnis des Enteignungsbegriffs des BVerfG entnehmen. Der BGH bezeichnet den nunmehr maßgeblichen Enteignungsbegriff als "eng" und "stark formalisiert", hebt die Kriterien Rechtsakt und Zielgerichtetheit der Maßnahme hervor und definiert die Enteignung wie das BVerfG als auf vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Rechtspositionen gerichtete Maßnahme (vgl. BGHZ 91, 24 ff., 28). Folgerichtig sieht er den Entzug konkreter Eigentümerbefugnisse, etwa die Verpflichtung des Hauseigentümers durch Unterschutzstellungsbescheid auf der Grundlage des rheinland-pfälzischen Denkmalschutz- und pflegegesetzes, weiterhin die Nutzung eines Raums als städtisches Museum beizubehalten, als Enteignung i.S.d. Art. 14 ΠΙ GG an (BGHZ 99, 24 [35]). Und folgerichtig werden sonstige Nachteilszufügungen, auch wenn sie zu einer "Entwertung" von eigentumsgeschützten Rechtspositionen führen, wie z.B. im Falle der Wertminderung eines von Verkehrsemissionen betroffenen Grundstücks (BGH JZ 1986,544) oder der übermäßigen, von einer kommunalen Kläranlage ausgehenden unvermeidbaren Beeinträchtigung der Wohnnutzung von Nachbargrundstücken durch Geruchsbelästigungen (BGHZ 91, 20; JZ 1984, 741), nicht als Grundlage für einen Entschädigungsanspruch i.S.d. Art. 14 ΠΙ GG, sondern für einen aus dem allgemeinen Aufopferungsgedanken abzuleitenden Anspruch aus enteignendem Eingriff angesehen. 20
Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 833 ff. (835); ders., Festschrift Heidelberg, S. 117 ff; BVerfGE 52,1 (27f.); 58,300 (323 f.). 2 1 Vgl. BVerfGE 58,300 (324); Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 59 a.
Abschnitt 5: Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche
79
zurückgedrängt werden . Die Enteignung soll stärker als besonderes staatliches Handlungsinstrument gedeutet und deutlicher vom Bereich des Staatshaftungsrechts geschieden werden, dem insbesondere der Ausgleich von Fern- und Nebenwirkungen staatlichen Handelns zugewiesen wird 23 . Darüberhinaus sollte die Wiederbelebung formaler Kriterien eine klarere Abgrenzung zwischen dem Institut der eigentumsrechtlichen Inhaltsbestimmung und der Enteignung, insbesondere eine Abkehr von den im Rahmen der herkömmlichen Abgrenzungstheorien 24 schwierigen materiellen Wertungen ermöglichen 25. Größeres Gewicht als diesen eher rechtspolitischen Motiven muß im Rahmen einer Untersuchung der Rechtserheblichkeit von Drittbeeinträchtigungen der Frage zukommen, ob nicht bereits die in Art. 14 ΠΙ GG normierten besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen, insbesondere die Junktim-Klausel, eine Beschränkung des Enteignungsbegriffs auf bestimmte Eingriffsmodalitäten nahelegen. Zwar kann den Enteignungserfordernisen des Art. 14 III GG keine unmittelbare Begriffsbestimmung der Enteignung entnommen werden kann, da Art. 14 ΠΙ GG den Begriff der Enteignung voraussetzt. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen können allerdings auf den Enteignungsbegriff zurückwirken, wenn sie nur dann eine reelle Chance hätten, ihrer spezifischen verfassungssichernden Funktion gerecht zu werden, wenn dem Enteignungsbegriff ein notwendig formalisierter Eingriffsbegriff inhärent wäre . Bei der Junktim-Klausel handelt es sich um ein spezielles rechtsstaatliches Erfordernis, das unter den Gesetzesvorbehalt nicht nur die belastende Enteignung, sondern auch die ausgleichende, begünstigende Entschädigung stellt 27 . Die mit der Junktim-Klausel verbundenen
23
Schmidt-Aßmann, Festschrift Heidelberg, S. 117 f.
Schmidt-Aßmann, Festschrift Heidelberg, S. 120; ders., JuS 1986,837. Die pragmatische Lösung des BGH (BGHZ 90, 17 ff.), der in seiner Rechtsprechung nach dem Naßauskiesungsbeschluß den Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff von Art. 14 GG ablöst, auf den allgemeinen Aufopferungsgedanken des ALR stützt und den Vorrang der Abwehrklage über § 254 BGB sichern will (der Entschädigungsanspruch entfällt oder mindert sich, wenn der Betroffene den Schaden durch Einlegung eines Rechtsmittels hätte abwenden können, vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 591), ändert an dem Modell des BVerfG nichts, vgl. Schmidt-Aßmann, Festschrift Heidelberg, S. 119. 24 Vgl. die Darstellung der Sonderopfer-, Schwere- und Privatnützigkeitstheorie bei Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 117 ff. und Papier, JuS 1989,630 ff. (632 f.). 2 5 Bryde, in: v. Münch, GG, Art. 14 Rn. 55; Böhmer, AgrarR 1984, Beil. I, 2 ff. (15). Daß auf die materiellen Kriterien nicht völlig verzichtet werden kann, hebt Schmidt-Aßmann, Festschrift Heidelberg, S. 120 ff., zutreffend hervor. 26
27
So auch Gronefeld, Preisgabe, S. 42 f. Vgl. Janssen, Entschädigung. S. 173 ff. Vgl. Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 39; Gronefeld, Preisgabe, S. 62 m.w.N.
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
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Funktionen sind zweifacher Art 2 8 : Zum einen soll ihr eine formell grundrechtssichemde Funktion insoweit zukommen, als der Betroffene den Zugriff auf sein Eigentum nur im Falle eines rechtsstaatlich geordneten (Gesetzgebungs-) Verfahrens zu dulden hat 29 . Zum anderen soll sie eine Warnfunktion entfalten: Der Gesetzgeber soll sich Klarheit darüber verschaffen, ob der zu regelnde Sachverhalt einen Enteignungstatbestand mit der Folge der Entschädigunspflicht darstellt. Damit wird bezweckt, daß er sich von "leichtfertigen Enteignungsaktionen" zurückhält 30, nicht unter dem Deckmantel von Inhaltsbestimmungen Enteignungsvorschriften schafft 31 und sich auch der Belastungen des Staatshaushalts bewußt wird 32 . Soweit bekannte, klassische Enteignungstatbestände, wie z.B. im Bauplanungsrecht 33, in Frage stehen, macht die Erfüllung dieser Funktionen keine Probleme. Da sie jedoch voraussetzt, daß der Gesetzgeber den Enteignungscharakter einer Maßnahme erkennt und die entsprechende Grundlage schafft, tauchen Schwierigkeiten auf, wenn es um im voraus nicht oder nur schwer erkennbare enteignende Wirkungen staatlichen Handelns geht 34 . Angesichts der begrenzten Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers hat die überwiegende Auffassung in der Literatur die Anwendbarkeit der Junktim-Klausel und damit den Enteignungsbegriff deshalb immer auf bestimmte Eingriffsmodalitäten beschränkt. Neben der Beschränkung auf zielgerichtete Eingriffe 35 wird insbesondere vorgeschlagen, nur für den Gesetzgeber vorhersehbare Enteignungswirkungen unter den Enteignungsbegriff fallen zu lassen36. Denn die Junktim-Klausel könne nicht 28
29 3 0 3 1
32
Grundlegend zu dieser Doppelfunktion BVerfGE 46,268 (287); Bryde, Art. 14, Rn. 86. Leisner, DVB1.1981,76 ff. (79); Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 372. W. Weber, Grundrechte II, S. 331 ff. (384,387). BVerfGE 46,268 (287).
Dazu Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 373; Leisner, DVB1.1981,76 ff. (79); Bryde, in: v. Münch, Art. 14 Rn.86. 3 3 Vgl. §§ 85 ff., 93 ff. BauGB. 3 4 Vgl. Leisner, DVB1. 1981, 76 ff. (77); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 137. Ipsen, W D S t R L 10 (1952), 96 ff. hat bereits 1951 pragmatisch die zwei Wege aus dem Dilemma der Junkim-Klausel aufgezeigt: entweder enger Enteignungsbegriff, strikte Anwendung der Junktim-Klausel und Anerkennung der Aufopferungsentschädigung; oder weiter Enteignungsbegriff und Verzicht auf die strikte Anwendung der Junktim-Klausel. 35 Bachof, DÖV 1954, 592 ff. (594); Peter, JZ 1969, 549 ff. (557). Weitere Nachweise bei Gronefeld, Preisgabe, S. 45 Fn. 44. 3 6 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 137; Wolff-Bachof, Verwaltungsrecht I, § 62 V I b) 2; Forster, Klagebefugnis, S. 365 ff. Weitere Nachweise bei Gronefeld, Preisgabe, S. 45 Fn. 45. Dabei werden an die Vorhersehbarkeit sehr unterschiedliche Anforderungen gestellt. Die Auffassungen reichen vom Abstellen auf den konkreten, subjektiven Erkenntnishorizont des Gesetzgebers, über den Maßstab objektiver Vorhersehbarkeit im Sinne eines unbefangenen, neu-
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dazu führen, vom Gesetzgeber Unmögliches zu verlangen. Der Grundsatz "ultra posse nemo obligatur" gelte insoweit auch im Verfassungsrecht für die staatlichen Organe3 . Auch könnten Sinn und Zweck des Entschädigungsjunktims nur bei Einhaltung eines gewissen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrades erfüllt werden 38. Eine Begrenzung des Enteignungsbegriffs mit Rücksicht vorwiegend auf die Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers befürwortet Leisner. Er stellt darauf ab, ob bei einem objektiven Verständnis der Regelungsmaterie beim Gesetzeserlaß die Einzelfälle enteignender Eingriffe normativ zusammenfaßbar, als Enteignungstatbestand fixierbar, also "normativ typisierbar* waren 39. Bis zur Naßauskiesungsentscheidung des BVerfG hatten legislative Praxis und höchstrichterliche Rechtsprechung von derlei Einschränkungen keine Kenntnis genommen. Man ging von einer umfassenden Geltung der Junktim-Klausel aus 40 und behalf sich in diesem Dilemma mit Blankoformeln, ΑΛ
den sog. salvatorischen Entschädigungsregelungen . In einer frühen, tralen Dritten, zu einem Ausschluß aller Maßnahmen, die nur in atypischen Situationen oder nicht eindeutigen Fällen eine enteignende Wirkung im Gefolge haben (vgl. Forster, Klagebefugnis, S. 370 ff.; Gronefeld, Preisgabe, S. 64 m.w.N.). 3 7
Reißmüller, JZ 1959,360 ff. (361); Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 121 f.; Forster, Klagebefugnis, S. 366; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 137. Das OVG Münster, OVGE 14, 81 (82) führt aus, "es sei nicht Sinn des Art. 14 III GG, dem Gesetzgeber Pflichten aufzubürden, die er nicht erfüllen könne". Weitere Nachweise bei Gronefeld, Preisgabe, S. 47 Fn. 54, S. 64 Fn. 134. Kritisch zur Übernahme des Grundsatzes "ultra posse nemo obligatur" ins öffentliche Recht Schick, DVB1.1962,774 f.; Gronefeld, Preisgabe, S. 64 ff. 3 8 Weyreuther, Verfassungswidrigkeit, S. 29 f.; Olivet, DÖV 1986, 224 ff.; Leisner, DVB1. 1981,76 ff. (82 f.). 39 DVB1. 1981, 76 ff. (81). Auf etwa gleicher Linie liegen Außeningen Schwerdtfegers, Schulze-Osterlohs und neuerdings Ossenbühls: Der Gesetzgeber könne die Frage nach dem Vorliegen einer Enteignung naturgemäß nur generell-abstrakt, typisierend, schematisierend beantworten (Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 156). Weil seine Regelungspflicht deshalb grundsätzlich an der Grenze der Itypisierbarkeit ende, könne in atypischen Fällen auf die Funktion der Junktim-Klausel verzichtet werden; es liege hier keine "Enteignung" i.S.d. Art. 14 III GG vor, das Fehlen einer Entschädigungsregelung sei nicht als Verfassungsverstoß mit der Folge der Nichtigkeit des Gesetzes zu werten (Ossenbühl, Festschrift Geiger, S. 475 ff. (479); Schwerdtfeger, Struktur, S. 29). 40 Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 138. 41 Dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 137. Vgl. z.B. § 19 I WassersicherstellungsG: "Stellt eine Maßnahme auf Grund dieses Gesetzes ... eine Enteignung dar, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten". Das BVerfG hat bisher die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Klauseln ausdrücklich offengelassen, vgl. BVerfGE 58, 300 (346), der BGH hat sie stets für wirksam erachtet, BGHZ 72,211; 77,351. Im Schrifttum haben sie vorwiegend Kritik hervorgerufen, da ihr Normgehalt nicht über die in Art. 14 m S2 GG enthaltene Aussage "Entschädigung falls Enteignung" hinausgeht und die Funktionen des Art 14 ΠΙ S.2 GG leerlaufen (vgl.
6 Roth
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
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grundlegenden Entscheidung zur Junktim-Klausel stellte das BVerfG fest, der Wortlaut des Art. 14 I I I GG ergebe, daß die Junktim-Klausel unabhängig davon gelten müsse, ob der Enteignungscharakter der Maßnahme "ohne weiteres erkennbar ist oder nicht" 42 . Demnach würde der Gesetzgeber das Risiko tragen, enteignende Wirkungen staatlichen Handelns zu übersehen43. Nunmehr ist das BVerfG unter weitgehender Zustimmung der Literatur 44 zu einem engen, formalen Enteignungsbegriff zurückgekehrt, der sich durch die Elemente Rechtsakt und Zielgerichtetheit auszeichnet. Im Ergebnis bestätigt dies die These, die Kriterien des Enteignungsbegriffs würden beeinflußt auch von dem Maß, in dem die Junktim-Klausel ihre Funktionen effektiv erfüllen kann 45 . Wo hier die Grenze, insbesondere im Hinblick auf Drittbeeinträchtigungen, genau zu ziehen ist, ist noch weitgehend ungeklärt 46 . Immerhin besteht heute ein Minimalkonsens insoweit, als die Inanspruchnahme jedenfalls objektiv erkennbar sein müsse, nicht atypisch sein dürfe 47 . Schon dadurch wird ein nicht unerheblicher Teil mittelbarer Eigentunisbeeinträchtigungen außerhalb des Enteignungsbegriffs verwiesen. Dem Dargestellten lassen sich zwei wesentliche Charakteristika der enteignungsrechtlichen Relevanz von Drittbeeinträchtigungen entnehmen. Reißmüller, JZ 1959 359 ff. [361]; Weyreuther, Verfassungswidrigkeit; Leisner, DVB1.1980, 76
ff [80]). 4 2
BVerfGE 4,219 (229 f.).
43 Deutlich Selmer, Aufopferungsanspruch, S. 96, wonach die Junktim-Klausel den Gesetzgeber mit einem "natürlichen Risiko" belaste, das er hinzunehmen habe. Vgl. auch Gronefeld, Preisgabe, S. 64; Schick, DVB1.1962,774 ff. (775). 4 4 Vgl. nur Papier, JuS 1989, 630 ff. (632); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 59 e. 45 So wird heute einhellig vertreten, daß der enge, formalisierte Enteignungsbegriff dem Gesetzgeber in der Regel eine vorausschauende, hinreichend genaue Beurteilung erlaube, ob sich Eingriffe auf Grund des Gesetzes als entschädigungspflichtige Enteignungen i.S.v. Art. 14 III GG darstellten (so jetzt insbesondere das BVerwG, das damit - entgegen seiner früheren Rechtsprechung - die Verfassungswidrigkeit salvatorischer Entschädigungsregelungen begründet, DVB1. 1990,585 ff. [586 f.]; vgl. auch BGHZ 99, 24 [28]; Nüßgens/Dyong, Eigentum, Rn. 379; Bender, DVB1. 1984, 301 ff. [315]; Erichsen/Martens, S. 561). Z.T. sieht man in den Anforderungen der Junktim-Klausel sogar ein Indiz für die Richtigkeit der Rückkehr zu einem formalisierten Enteignungsbegriff (Biyde, in: v. Münch, Art. 14 Rn. 88; Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 833 ff. (837)). Konsequent hat sich die Problematik der Junktim-Klausel durch den Naßauskiesungs-Beschluß und die Folgerechtsprechung des BGH, wonach der enteignungsgleiche und der enteignende Eingriff dem allgemeinen Aufopferungsanspruch unterstellt wurden, für den die Junktim-Klausel des Art. 14 III S.2 GG nicht gilt, entschärft, vgl. Bender, JZ 1986,888 ff. (890); Nüßgens/Dyong, Eigentum, Rn. 379. 46 Ursächlich dafür sind, soweit ersichtlich, vor allem unterschiedliche Deutungen des Finalitätskriteriums, vgl. bereits oben Fn. 19. 4 7 Vgl. Schmidt-Aßmann, JuS 1986,833 ff. (837); Bender, DVB1.1984,301 ff. (315 f.).
Abschnitt 5: Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche
83
Zum einen ist die Erfüllung der Funktionen der Junktim-Klausel von einem besonderen Organ, dem Gesetzgeber, und einer spezifischen Handlungsform, dem Gesetz, abhängig. Deshalb wird den Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers auch ein maßgeblicher Einfluß auf die Kriterien zugeschrieben, die den Enteignungscharakter von Drittbeeinträchtigungen bestimmen, sodaß eine Vermutung für Eingriffskriterien abstrakt-genereller Natur, wie z.B. Finalität, Vorhersehbarkeit oder Typisierbarkeit, spricht 48. Zum anderen handelt es sich bei der Junktim-Klausel lediglich um ein Instrument formellen Grundrechtsschutzes 49. Auch der Drittbetroffene, der aufgrund eines formalen Enteignungsbegriffs an diesem Schutz nicht teilhat, ist nicht schutzlos. Gegen die Beeinträchtigimg seines Eigentums kann er im Einzelfall das Abwehrrecht aus Art. 14 GG geltend machen50. Außerdem entsteht grundsätzlich kein Entschädigungsdefizit: Soweit nicht gesetzliche Entschädigungsregelungen unterhalb der Enteignungsschwelle eingreifen 51, können in diesen Fällen - die Sperrwirkung des Art. 14 I I I GG greift nicht - die Institute des enteignungsgleichen und des enteignenden Eingriffs, nun auf der Basis des allgemeinen Aufopferungsanspruchs und als Institute des Staatshaftungsrechts herangezogen werden 52. Auch dieser Aspekt des ausreichenden materiellen Rechtsschutzes läßt es gerechtfertigt erscheinen, hier eher formale Kriterien und damit eine reduzierte rechtliche Relevanz von Drittbeeinträchtigungen zuzulassen. C. Entschädigungsansprüche wegen enteignungsgleichen und enteignenden Eingriffs /. Bedeutung in Fällen der Drittbetroffenheit Gegenüber den Entschädigungsansprüchen auf Grund eines Enteignungsgesetzes i.S.v. Art. 14 ΠΙ GG kommt den Ansprüchen Drittbetroffener aus enteignungsgleichem und enteignendem Eingriff erhöhte rechtliche und praktische Relevanz zu. Diese vom BGH entwickelten Entschädigungstatbestände haben sich nach dem Naßauskiesungsbeschluß des
4 8 Zur Unterscheidung abstrakt-genereller und einzelfallbezogener Abgrenzungskriterien Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 186 f. 49 5 0 5 1 5 2
Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 88 Fn. 144; Gronefeld, Preisgabe, S. 65. Vgl. BVerfGE 58,300 (324). Vgl. §17IV S.2 FStrG.
Vgl. nur Papier, JuS 1989, 630 ff. (632); Ossenbühl, Festschrift Geiger, S. 475 ff. (479); Ipsen, DVB1.1983,1029 ff. (1063).
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
BVerfG nicht erledigt 53. Das liegt vor allem daran, daß sich das dort abgesprochene Gebot gesetzlicher Entschädigungsregelungen und der damit verbundene Ausschluß richterrechtlich entwickelter Entschädigungsansprüche nur auf staatliche Maßnahmen beziehen, die dem engen, formalisierten Enteignungsbegriff des BVerfG unterfallen 54. Die Fallgruppen des enteignenden Eingriffs umfassen Beeinträchtigungen des Eigentums, die als atypische und ungewollte Nebenfolge rechtmäßigen tatsächlichen Verwaltungshandelns eintreten 55. Im Gegensatz zur Enteignung, die einen gezielt gegen das Eigentum gerichteten Rechtsakt voraussetzt, erfaßt der enteignende Eingriff also die den Bürger schädigenden Nebenfolgen hoheitlicher Tätigkeit im Bereich der Realakte; die Sperrwirkung des verfassungsrechtlichen Enteignungsbegriffs greift deshalb nicht 56 . In Übereinstimmung mit der vorherrschenden Meinung in der Literatur 57 hält der BGH auch am enteignungsgleichen Eingriff fest 58. Darunter werden allgemein Fälle rechtswidriger hoheitlicher Eingriffe in eigentumsrechtlich geschützte Rechtspositionen mit enteignender Wirkung verstanden59. Auch die vom BGH als enteignungsgleich eingestuften Eingriffe sind ganz überwiegend keine "Enteignungen" im engeren Sinne des Verfassungsrechts, sondern stellen entweder ungezielte Maßnahmen oder Realakte dar 60 oder erhalten ihre enteig53 Allerdings erblickt der BGH im Unterschied zu seiner früheren Rechtsprechung die Rechtsgrundlage für diese beiden Institute nunmehr im allgemeinen Aufopferungsgrundsatz der §§ 74, 75 Einleitung ALR in seiner richterrechtlichen Ausprägung, vgl. BGHZ 91, 20 (27 f.); 90,17 (29 f.). Dabei handelt es sich um eine Anspruchsgrundlage einfachen Rechts, Ossenbühl, 54 NJW 1983,1 ff. (5); Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 430. Dazu i.e. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 59 e; Papier, JuS 1989,630 ff. (635 ff.). 5 5 Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 148 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 56; Papier, JuS 1989, 630 ff. (636). Beispielsfälle: BGHZ 57, 359 ff. (Umsatzverluste infolge notwendiger Verkehrsbeschränkungen im Rahmen von U-Bahn-Bauarbeiten, die Anliegergewerbebetrieb die Verbindung zum öffentlichen Straßennetz nehmen); 91, 20 ff. (Geruchsimmissionen durch Betrieb einer gemeindlichen Kläranlage). 5 6
BGHZ 91, 20 (26 ff.); Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 452; Biyde, in: v. Münch, Art. 14 Rn. 99; Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 59 i. Der BGH begründet diese Auffassung zusätzlich damit, daß im allgemeinen auch nicht das vom BVerfG beanstandete Wahlrecht zwischen Entschädigung und Abwehr der staatlichen Maßnahme besteht, da der Betroffene die meist unvorhergesehenen nachteiligen Nebenfolgen des an sich rechtmäßigen hoheitlichen Handelns nicht mit den Mitteln des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes wirksam abwehren kann, BGHZ 91,20 (26 ff.). 57 Vgl. nur Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 428 m.w.N. 5 8 BGHZ 90,17 (29 ff.). 59 Vgl. nur Erichsen/Martens, S. 550. 60
Beispielsfälle: BGHZ 57, 370 ff. (Betrieb einer städtischen Kanalisationsanlage führt zur Senkung des Grundwasserspiegels, worauf am Wohnhaus der Klägerin Setzungsschäden
Abschnitt 5: Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche
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nende Wirkung allein aus der fehlerhaften, rechtswidrigen Anwendung von Gesetzen durch die Exekutive61. Daß beide Institute nicht nur als Grundlage für Entschädigungsansprüche der Adressaten einer Verwaltungsmaßnahme, sondern auch Drittbetroffener in Betracht kommen, zeigen in der Rechtsprechimg behandelte Sachverhaltsgestaltungen62. II. Entwicklung der Eingriffskriterien Das Tatbestandsmerkmal, von dem derartige Entschädigungsansprüche Drittbetroffener entscheidend abhängen, ist der "Eingriff" in durch Art. 14 GG geschützte Rechte63. Dabei herrscht Einigkeit, daß ein Eingriff nicht allein die naturwissenschaftliche Kausalität des Verwaltungshandelns i.S.d. Äquivalenztheorie 64 voraussetzt, sondern daß darüberhinausgehende "Eingriffs-" bzw. "Zurechnungskriterien" darüber entscheiden müssen, ob die den Dritten treffenden Folgen staatlichen Handelns dem Staat auch als entschädigungspflichtiges Handeln zuzurechnen sind.
[Risse] auftreten); 92, 34 ff. (Erlaß und Vollzug eines nichtigen Bebauungsplans, der eine immissionsempfindliche Wohnbebauung vorsieht, hat schwere Folgen für einen außerhalb des Plangebiets gelegenen, geruchsintensiven landwirtschaftlichen Betrieb, da nunmehr zu seiner Erhaltung notwendige Modernisierungsmaßnahmen unterbleiben müssen). Es handelt sich dabei um die fehlerhafte Anwendung von Gesetzen, die bei rechtmäßiger Ausführung durch die Exekutive gar keine Enteignung bewirken und deshalb auch keine Entschädigungsregelung enthalten, vgl. Papier, JuS 1989, 630 ff. (635). Beispielsfälle: BGHZ 32, 208 ff. (Umsatzverluste infolge rechtswidriger Untersagung einer Verkaufsveranstaltung); 90,17 ff. 6 2
Enteignender Eingriff. BGHZ 57, 359 ff. (Fn. 55); BGH NJW 1980, 770 (Betrieb einer städtischen Mülldeponie lockt Vögel an, die auf benachbarten Äckern Schäden an der Saat anrichten); BGHZ 91,20 ff. (Fn. 55). Enteignungsgleicher Eingriff. BGHZ 23,157 ff. (an A erteilte Genehmigung zur Aufstellung einer Verkaufsbaracke bewirkt, daß benachbarter Gewerbebetrieb des Β von Kundenstamm abgeschnitten wird); BGHZ 92,34 ff. (Fn. 60); BGH ZfW 1985,167, 170 (Erlaß und Vollzug eines rechtswidrigen wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses, wodurch erhebliche Überschwemmungsgefahren für an ein Gewässer angrenzendes Grundstück geschaffen werden). Da sich die "Eingriffskriterien" beim enteignenden und beim enteignungsgleichen Eingriff nicht unterscheiden (vgl. Olivet, NVwZ 1986, 431 ff. [434]), können beide Institute gemeinsam behandelt werden. 6 4
Zu deren Inhalt Wessels, Strafrecht, AT, S. 48 ff.
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1. Finalität Der BGH sah ursprünglich nur den finalen, gewollten und gezielten Eingriff als anspruchsauslösend an 65 . Er widersetzte sich insoweit bei ungezielten Eigentumseingriffen Entschädigungsforderungen aus Enteignungsrecht. Voraussetzung war immer ein hoheitlicher Eingriff gewisser Formalität . Diese ältere Rechtsprechimg war so zu verstehen, daß nur demjenigen Entschädigung zustehen sollte, welcher Adressat der staatlichen Maßnahme war. Derjenige, in dessen Rechtsposition etwa erst vermittels der Beeinträchtigung des Adressaten des betreffenden Verwaltungshandelns eingegriffen wurde, konnte keine Entschädigung verlangen 67. Dank der begrifflichen Schärfe des Finalitätskriteriums war es mit einer hohen Subsumtionssicherheit verbunden 68 und konnte damit die Funktion einer klaren Haftungsbegrenzung im Hinblick auf die ersatzberechtigten Personen und den ersatzfähigen Schaden gut erfüllen 69. 2. Unmittelbarkeit 70
Alsbald löste sich der BGH jedoch, zunächst stillschweigend , schließlich ausdrücklich 71, vom Finalitätsmerkmal und ersetzte es durch das Kriterium der "Unmittelbarkeit", ohne für diese Änderung eine dogmatische Begründung zu nennen. Nunmehr sollte für die Annahme eines Eingriffs genügen, daß eine hoheitliche Maßnahme "unmittelbare Auswirkungen auf das Eigentum" im Sinne des Enteignungsrechts habe72. Bestimmend dafür war offensichtlich, daß man die Finalität als begrifflich enges, formales Eingriffsmerkmal nicht mehr als geeignet ansah, umfassenden Schutz vor den vielfältigen staatlich veranlaßten Rechtsbeeinträchtigungen zu gewähren 73, 65
BGHZ 12,52 (57); 23,235 (240); 31,1(5).
6 6
Gronefeld, Preisgabe, S. 14 f.
6 7
Vgl. Nierwetberg, BauR 1984, 114 ff. (119); Gronefeld, Preisgabe, S. 15; Wagner, NJW 1966,569 ff. (573). 68 Gronefeld, Preisgabe, S. 32 f. 6 9 Vgl. BGHZ 12,52 (57); Olivet, NVwZ 1986,431 ff. (432). 70 /u BGHZ 23,157 ff.; 28,310 (313); 30,241 (242f.); in diesen Fällen wurde überhaupt kein Merkmal einer Haftungsbegrenzung genannt, dazu auch Olivet, NVwZ 1986,431 ff. (432 f.). 71 BGHZ 37, 44 (47): Artillerieschießübungen verursachen einen Waldbrand, der von der Klägerin gekauftes, lagerndes Holz zerstört. 7 2 BGHZ 37, 44 (47); ähnlich BGH NJW 1964,104. Das Unmittelbarkeitskriterium wird heute noch angewandt. 73 Vgl. Gronefeld, Preisgabe, S. 15. Die Literatur untermauerte die Abkehr vom Finalitätskriterium dogmatisch mit einem gewandelten, den vielfältigen, veränderten Formen
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und insbesondere erkannte, daß das Schutzbedürfois bei einem Bürger, der nicht Adressat des Verwaltungshandelns, aber doch dessen Wirkungen ausgesetzt ist, im Einzelfall durchaus größer sein konnte als bei einem Adressaten 7 4 . Dementsprechend wird die Unmittelbarkeit von Rechtsprechung und Literatur heute überwiegend nicht wörtlich und formal in dem Sinne verstanden, daß aus einer Kausalkette von vornherein alle diejenigen Beeinträchtigungen auszuscheiden seien, die sich erst über eine Zwischenursache realisieren, daß also Entschädigungsansprüche Drittbetroffener ausgeschlossen wären 75. Steht somit die "Unmittelbarkeit" grundsätzlich Entschädigungsansprüchen Drittbetroffener nicht entgegen, stellt sich die Frage, welche Bedeutung diesem Kriterium dann in Fällen der Drittbetroffenheit zukommt. Nach allgemeiner Ansicht sollte die Unmittelbarkeit nach der Aufgabe des Finalitätskriteriums die Funktion einer sinnvollen Haftungsbegrenzung übernehmen76. Da staatliche Maßnahmen zu endlosen Schadensketten führen 77 können , würde ein ausschließliches Abstellen auf den Effekt von Rechtsbeeinträchtigungen die Gefahr einer unverhältnismäßigen Ausuferung der Entschädigungsverpflichtungen hervorrufen und die richterrechtlichen Entschädigungsinstitute zu Fällen öffentlichrechtlicher Gefährdungshaftung machen mit der Übernahme weiter Bereiche des "allgemeinen Lebensrisikos"78. Neben der Vermeidung dieser Folgen soll das Unmittelbarkeitsund Methoden staatlicher Tätigkeit anzupassenden Grundrechtsverständnis: Man entnahm verschiedenen Grundgesetzvorschriften sowie dem Interpretationsprinzip größtmöglicher Grundrechtseffektivität, daß grundsätzlich kein staatliches Handeln - wie es auch beschaffen sein mochte - außerhalb grundrechtlicher Geltung stehen dürfe, vgl. Gronefeld, Preisgabe, S. 27 ff. Praktisch hatte die Ausweitung des Eingriffsbegriffs erhebliche Auswirkungen, da nun auch unvorhersehbare und sogar zufällige Folgen hoheitlicher Tätigkeit, etwa von Straßenarbeiten, U-Bahn-Bauten, Flußregulierungen, zu Entschädigungsansprüchen führen konnten, vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 155. 7 4
Vgl. Gronefeld, Preisgabe, S. 136 f.
75 Vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Gronefeld, Preisgabe, S. 137, Fn. 209. Aus der neueren Rechtsprechung vgl. die oben in Fn. 62 aufgeführten Beispiele. Aus der Lit. vgl. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 397; Nierwetberg, BauR 1984,114 ff. (119); Gronefeld, Preisgabe, S. 137; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 156. Die Mindermeinung mit einem engen Verständnis der Unmittelbarkeit wird vertreten z.B. von Kroner, Eigentumsgarantie, S. 20; Peter, JZ 1969,549 ff. (556 f.); Wagner, NJW1966,569 ff. (572). 7 6 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 156; Wagner, NJW 1966,569 ff. (570); Olivet, NVwZ 1986,431 ff. (434f.); Gronefeld, Preisgabe, S. 35. 77 So kann z.B. ein Exportverbot nicht nur den Exporteur, sondern auch dessen Vertragspartner und Zulieferanten sowie wieder deren Kontrahenten schädigen, vgl. Wagner, NJW 1966,569 ff. (570). 7 8 Vgl. Wagner, NJW 1966, 569 ff. (570); Nierwetberg, BauR 1984, 114 ff. (119); Gronefeld, Preisgabe, S. 34 f.; Erichsen/Martens, S. 582 f.
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kriterium auch die staatlichen Haushalte vor unübersehbaren und unverhältnismäßigen Belastungen schützen79 sowie die Bereitschaft zu staatlicher Aktivität sichern 80. Dies wird umso dringlicher erachtet, als die Tatbestände des enteignenden und des enteignungsgleichen Eingriffs keine sonstigen Haftungsbegrenzungselemente kennen, wie z.B. Verschulden. Die funktionale Betrachtung zeigt, daß man das Unmittelbarkeitserfordernis nicht als ein Problem naturwissenschaftlicher Kausalität, sondern als Frage der Grenzziehung zwischen den Verantwortungsbereichen des Staates und des Bürgers betrachtet, die nicht allgemeingültig, sondern nur durch einen Akt der Wertung im Einzelfall beantwortet werden kann 81 . Entsprechend lassen sich auch der Rechtsprechung zur Unmittelbarkeit kaum allgemeine, über den Einzelfall hinausweisende Grundsätze entnehmen82. Die Unmittelbarkeit erscheint als Blankettbegriff für eine innere Nähebeziehung zwischen dem Eingriff und der geschützten Rechtsposition. Im Rahmen einer einzelfallorientierten Wertung soll dieser Begriff durch bestimmte, jeweils zu entwickelnde Unterkriterien zur Abgrenzung des Verantwortungsbereichs des Staates und des allgemeinen Lebensrisikos des Bürgers ausgefüllt werden 83 . Ansätze solcher Unterkriterien finden sich z.B. in der jüngeren Rechtsprechung des BGH. In einem typischen Fall der Drittbetroffenheit 84 stellte der BGH im Rahmen der Prüfung der Unmittelbarkeit des Eingriffs darauf ab, daß die Nachteile durch das Heranrücken der Wohnbebauung85 sich aus "der Eigenart der hoheitlichen Bauleitplanung ergeben" und daß nicht "ganz außerhalb der hoheitlichen Maßnahme liegende, selbständige Ereignisse (nämlich die Erteilung der Baugenehmigung für die Wohnhäuser) den Schaden ausgelöst hätten"86. Die Nachteile seien somit typische Auswirkungen der mit dem Erlaß und Vollzug des Bebauungsplans geschaffenen Gefahrenlage 87. Soweit generelle Aussagen überhaupt möglich 7 9
Papier, in: M/D, Art. 14, Rn. 459.
8 0
Wolff/Bachof, I, § 61 II, b.
81 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 156 f.; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, 167 ff.; Nierwetberg, BauR 1984,114 ff. (119). Zur Parallele beim Folgenbeseitigungsanspruch siehe 82 oben Abschnitt 3. 83 8 4
Dazu insbesondere Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 156.
Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 156 f. BGHZ 92,34 ff., siehe oben Fn. 60.
85 Es handelte sich dabei insbesondere um den faktischen Zwang zur Unterlassung notwendiger Modernisierungsmaßnahmen. 8 6 BGHZ 92,34 (41). 87 BGHZ 92, 34 (42). Diese Kriterien wurden bereits früher vom BGH zur Konkretisierung der "Unmittelbarkeit" herangezogen, vgl. nur BGH NJW 1980,770; BGHZ 76,387 (392). Vgl. auch das Gegenbeispiel BGHZ 100, 335 (339), wo ein von der Polizei sichergestelltes und in eine verschlossene Halle verbrachtes Kfz. von unbekannten Tätern beschädigt wurde. Hier
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sind, dient das Unmittelbarkeitserfordernis in Fällen der Drittbetroffenheit also dazu, den Kreis der Entschädigungsberechtigten einzelfallorientiert auf Personen zu begrenzen, bei denen die sich manifestierenden Eingriffsfolgen Konsequenz einer typischen, "eigenartigen" durch das Verwaltungshandeln hervorgerufenen Gefahr sind, und nicht lediglich ein Zufallsprodukt der Verwaltungstätigkeit . Dem entspricht auch die in der jüngeren Literatur und Rechtsprechung auszumachende Tendenz, in Fällen einer Schadensverursachung über mehrere Kausalstufen die Unmittelbarkeit jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Behörde gezielt gegen bestimmte Betroffene vorgeht und dadurch den Schaden herbeiführt 8 . D. Entschädigungsansprüche Drittbetroffener wegen 90
Aufopferung i.e.S.
Daß Aufopferungsansprüche Drittbetroffener in Fällen einer Beeinträchtigung ihrer immateriellen Rechtsgüter, wie Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, in der Praxis in Betracht gezogen werden, zeigen typische, vom BGH entschiedene Fälle. So stellt die unbeabsichtigte Verletzung eines Passanten durch den "Querschläger" eines Polizisten bei der Verbrecher-
verneinte der BGH die Unmittelbarkeit, da eine "besondere", bereits in der hoheitlichen Maßnahme angelegte Gefahr nicht verwirklicht wurde. 8 8
Vgl. Nierwetberg, BauR 1984,114 ff. (119 f.). Dabei soll das Unmittelbarkeitserfordernis die Haftung allerdings nicht auf die "normalen", "typischen" Folgen und Beeinträchtigungen beschränken (das zeigen bereits die Fälle des enteignenden Eingriffs, vgl. oben Fn. 55). Diese Funktion käme eher einem Zurechnungskriterium adäquater Kausalität zu, das jedoch wegen seiner generellen Natur für eine einzelfallorientierte Haftungsbegrenzung ungeeignet ist, vgl. Olivet, NVwZ 1986, 431 ff. (436). Die besondere Nähe zwischen Eingriff und Schaden wird nicht dadurch hergestellt, daß der Schaden typische Folge des Verwaltungshandelns, sondern daß die die Beeinträchtigung auslösende Gefahrenlage typische Folge der hoheitlichen Maßnahme ist. Auch normalerweise nicht auftretende, atypische Beeinträchtigungen können somit durch eine vom Staat geschaffene Gefahrenlage, die typische Folge des Verwaltungshandelns ist, hervorgerufen sein. 89 Das gilt beispielsweise in den Fällen behördlicher Warnungen vor umweit- oder gesundheitsschädlichen Produkten. Die mittelbare Verursachung der Umsatzverluste soll hier eine Entschädigung der Produkthersteller nicht hindern, LG Stgt., NJW 1989, 2257 (2263), OLG Stgt., 90 WuR 1990,43 ff. "Birkel"; Pinger, JuS 1988,53 ff. (59); Ossenbühl, Umweltpflege, S. 90 f. Zur Rechtsgrundlage: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 1. Da die jüngere BGH-Judikatur die Entschädigung wegen enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffs nunmehr auf den allgemeinen Aufopferungsanspruch stützt, wird die Rechtsgrundlage des Ausgleichsanspruch wegen Eingriffen in nicht Vermögenswerte Rechte - um den es hier geht - als "Aufopferung im engeren Sinne" bezeichnet.
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jagd einen Fall der Drittbetroffenheit dar 91 . Dasselbe gilt für die Verletzung eines Untersuchungsgefangenen bzw. eines zwangsweise untergebrachten Patienten durch einen Mithäftling oder einen geisteskranken Mitinsassen92. I. Die Parallele zum Eingriffsbegriff bei den Vermögenswerten Aufopferungsansprüchen Bezogen auf mittelbare Beeinträchtigungen ist auch hier die Hauptfrage, unter welchen Voraussetzungen eine schädliche Folge dem Staat noch als entschädigungspflichtiger Eingriff zugerechnet werden kann. Angesichts der geringen "Filter"-Funktion der Tatbestandsmerkmale des Aufopferungsanspruchs 93 sowie der unübersehbaren Vielzahl möglicher Folgen staatlichen Handelns diskutiert man wie auch beim enteignenden bzw. enteignungsgleichen Eingriff haftungsbegrenzende Eingriffselemente. Dabei gelten im wesentlichen die gleichen Grundsätze 94: Wie bei den vermögensrechtlichen Aufopferungsansprüchen verzichten BGH und Literatur auf das Erfordernis eines gezielten Eingriffs, welches die Hauptfälle der Drittbetroffenheit von vornherein hätte irrelevant erscheinen lassen95. Ganz überwiegend wird auch bei Aufopferungsansprüchen i.e.S. das haftungsbegrenzende Merkmal der Unmittelbarkeit zwischen hoheitlichem Handeln und aufgenötigtem Sonderopfer gefordert 96. Der generalklauselartig weite Begriff der Unmittelbarkeit hat auch hier die Funktion einer einzelfallorientierten Haftungsbeschränkung und Risikoabgrenzung: im Rahmen eines Wer91 Vgl. BGHZ 20,81 ff.; dieser Fall ist nunmehr in einigen Ländern spezialgesetzlich - im jeweiligen PolG - geregelt, vgl. Art. 49 Π BayPAG, § 371 Nr.2 Beri. ASOG, § 189 SH LVwG. Dazu auch Drews/Wacke, S. 666 f. 9 2 BGH NJW 1971, 1881 ff.; BGH NJW 1973, 1322 ff. Z.T. haben sich diese Probleme erledigt durch das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen v. 8.3.1971. 93 Vgl. zu den Tatbestandsvoraussetzungen Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 8 ff. 94 Zur Parallelität im Hinblick auf die Haftungsbegrenzung Erichsen/Martens, S. 589; Bender, Staatshaftungsrecht, 2.Aufl., Rn. 120; Tiedemann, NJW 1962, 1760 ff. (1761); Bothe, JuS 951976,515 ff. (518). Im Fall BGHZ 45, 290 ff. ging es um die Ansteckung der Mutter nach einer Pockenschutzimpfung des impfpflichtigen Kindes. Für die Literatur vgl. nur Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 11; Erichsen /Martens, S. 589. 9 6 Der BGH spricht z.B. von "unmittelbarem Zusammenhang" (BGHZ 16, 366 (374); BGH DÖV 1962,543); von "natürlicher Einheit" (BGHZ 9,83, 87); von "notwendigen, sich aus der Eigenart der hoheitlichen Maßnahme ergebenden Folgen" (BGHZ 28, 310 (313). In der Literatur fordern die Unmittelbarkeit z.B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl., Rn. 120; Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 9; Erichsen/Martens, S. 589; Wolff/Bachof, I, § 61 II, a.
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tungsakts, unter Zuhilfenahme von Unter-Topoi wird mittels des Unmittelbarkeitskriteriums die Verantwortungs- und Risikosphäre des Staates und des Bürgers im Einzelfall voneinander abgegrenzt97. Insoweit kann im wesentlichen auf die oben dargestellten Grundsätze verwiesen werden 98. II. Besonderheit: Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch die Entscheidung eines Bürgers als Zwischenursache Eine für Fälle der Drittbetroffenheit relevante Besonderheit der Haftungszurechnung bei der Aufopferung wegen immaterieller Schäden ergibt sich daraus, daß dort häufig die Frage auftaucht, ob und inwieweit im Rahmen einer Kausalkette die "freiwillige", "selbständige" Entscheidung eines Bürgers oder ein ihm zurechenbares Verhalten als Zwischenursache geeignet ist, die bloße "Mittelbarkeit" des staatlichen Handelns zu begründen, also den Zurechnungszusammenhang zu unterbrechen und i.E. eine staatliche Verantwortlichkeit zu verdrängen. So soll es an einem unmittelbaren Eingriff fehlen, wenn sich der Betroffene freiwillig in eine Gefahrensituation begibt 99 oder wenn er zwar nicht freiwillig, aber selbstverschuldet in Gefahrensituationen gerät 100 . Auch hier fällt auf, daß man nicht schematisierend vorgeht und den Eingriff immer schon verneint, wenn das Verhalten des Bürgers eine selbständige Zwischenursache im kausalitätstheoretischen Sinne bildet, sondern berücksichtigt, daß es um die einzelfallorientierte, wertende Abgrenzung von Verantwortungsbereichen geht. Ansätze zu einer derartigen differenzierenden Betrachtimg des "dazwischentretenden" Verhaltens Privater finden sich in den Ausführungen des BGH zum sog. "Impfmerkblatt-Fall" 101. Dort ging es um Aufopferungsansprüche wegen der durch eine Tuberkuloseschutzimpfung verursachten Schäden. Der BGH hält die Entscheidung der Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen, 9 7
Vgl. BGH NJW 1973,1325. Auch hier bestreitet man, daß die erforderliche "Nähe zwischen hoheitlicher Maßnahme und Sonderopfer" durch den Begriff der Adäquanz hinreichend erfaßt wird, insbesondere wird betont, der Schutzzweck der Aufopferung könne u.U. auch die Zurechnung nicht adäquater Folgen fordern, vgl. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. Rn. 120. Oft ö
99
S. B, 11,2.
Wie z.B. beim freiwilligen Polizeihelfer, dazu Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 5,10. 100 Vgl. BGH NJW 1973,1325: danach soll die Begehung einer Straftat bedeuten, daß sich der Täter "in zurechenbarer Weise der Inhaftierung als Untersuchungsgfangener ausgesetzt hat". Vgl. auch BGHZ 60,302 ff. 101 BGHZ 24, 45 ff. In dem dort entschiedenen Fall empfiehlt ein von einem Ministerium herausgegebenes Impfmerkblatt eine Schutzimpfung so eindringlich, daß die Eltern in Gewissensnot geraten mußten. Dieser Sachverhalt ist nunmehr in § 51 BuSeuchG gesetzlich geregelt.
92
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für eine irrelevante, den staatlichen Eingriff nicht hindernde Zwischenursache, wenn der vom Staat ausgehende, zwar nicht rechtliche, aber psychologische Zwang so stark ist, daß er den Eltern "eine eigene Entschließung über die Impfung ihrer Kinder nur noch der Form nach zugesteht"102. Nicht allein die Existenz einer eigenen Entschließung des Bürgers unterbricht dabei den Unmittelbarkeitszusammenhang, sondern es kommt auf das faktische Gewicht des dazwischentretenden Umstands, insbesondere den Grad der staatlichen Beeinflussung der privaten Entscheidung an 1 0 3 . III. Bewertung Unter dem Aspekt des enteignungsgleichen und enteignenden Eingriffs sowie der Aufopferung i.e.S. lassen sich folgende Charakteristika der entschädigungsrechtlichen Relevanz von Drittbeeinträchtigungen feststellen. Zunächst zeigt sich, daß man auch hier mit Kriterien der Haftungsbegrenzung versucht, Initiative und Handlungsfähigkeit der staatlichen Organe zu sichern. Obwohl in Fällen der Drittbetroffenheit beispielsweise bereits die Beeinträchtigung des Eigentumserundrechts von qualifizierten Voraussetzungen abhängig gemacht wird 1 , verlangt man für die Entschädigungsansprüche zusätzlich das Kriterium der Unmittelbarkeit. Dies erfährt seine Rechtfertigung daraus, daß Entschädigungsansprüche als Rechte auf positive Leistungen den Staat in der Regel weitergehend belasten als bloße Abwehransprüche, insbesondere auch den Staatshaushalt in Anspruch nehmen 105 . Besonders signifikant ist weiterhin die Aufgabe des klaren, aber formalen Kriteriums der Finalität zugunsten des vagen, nicht formal verstandenen Merkmals der Unmittelbarkeit. Auf der einen Seite ist dessen begriffliche Weite notwendigerweise mit Anwendungsunsicherheiten und einer viel kri102
103
BGHZ 24,45 (47).
Dabei bleiben noch viele Fragen offen, z.B. wann noch von einer "freien" Entschließung des Bürgers gesprochen werden kann, wann die Erteilung eines sachlichen Rats in eine Einwirkung auf das Gewissen umschlägt, ob z.B. auch die Autorität oder fachliche Kompetenz des handelnden Staatsorgans eine Rolle spielt und ob z.B. eine empirische Untersuchung des Verhaltens der vom Staat Angesprochenen eine sachgerechte Beurteilungsgrundlage bildet. Genauer 104 dazu unten Teil 3, Abschnitt 2, Β, V, 1. So wird z.B. Eigentumsschutz des Nachbarn nur gegen Auswirkungen gewährt, die ihn "schwer und unerträglich" treffen, vgl. BGHZ 92,34 (43). 105 Die Rechtsordnung kann den primären Abwehr- oder Unterlassungsanspruch und die sekundären Folgeansprüche durchaus von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig machen, vgl. Martens, Festschrift Schack, S. 85 ff.; Erichsen, VerwArch 63 (1972), 217 ff.; Menger, Gedächtnisschrift W. Jeliinek, S. 350 f.
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93
1 06 tisierten Kasuistik verbunden . Auf der anderen Seite ermöglicht jedoch gerade diese Weite eine einzelfallorientierte Haftungsbeschränkimg und Risikoabgrenzung. Die Grenze zwischen der Verantwortungssphäre des Staates und dem allgemeinen Lebensrisiko kann man nicht abstrakt-generell, im voraus, sondern nur wertend im Einzelfall unter Einbeziehung einer Vielzahl von Gesichtspunkten ziehen. Dazu eignet sich das Blankett der Unmittelbarkeit, da es aufnahmefähig für eine Vielzahl von Unterkriterien, wie z.B. auch für den Aspekt einer flexiblen Haftungsbegrenzung, ist. Die Offenheit ßr eine Wertung im Einzelfall rechtfertigt sich vor allem aber aus der elementaren Bedeutung der Ansprüche wegen enteignungsgleichen und enteignenden Eingriffs sowie Aufopferung i.e.S. für den materiellen Rechtsschutz. Die Entschädigung ist für den Betroffenen häufig nicht nur eine zusätzliche, sondern die einzige Rechtsschutzmöglichkeit, etwa wenn Rechtsschutz in Form der Abwehrklage gegen die Beeinträchtigung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Erfolg hat oder nicht effektiv 1Π7
ist . Angesichts dieser "rechtsschutzeröffnenden" Funktion gebührt der Einzelfallgerechtigkeit der Vorrang vor klaren, formalen, "rechtssicheren" Maßstäben, die u.U. zum Ausscheiden schutzwürdiger, rechtsschutzbedürftiger Fälle führen. Außerdem stellt die Unmittelbarkeit ein funktionsadäquates Kriterium dar, das die über die Entschädigung entscheidenden Organe nicht überfordert. Während sich der Gesetzgeber aufgrund seiner beschränkten Erkenntnisund Handlungsmöglichkeiten am bezweckten, generell vorhersehbaren oder typischen Fall orientiert, ist das ex post konkret zur Entscheidung über die Entschädigung berufene Gericht eher in der Lage, einzelfallbezogene Inter106 Als markante Beispiele dafür können sich widersprechende Entscheidungen wie der Rohrbruch-Fall (BGHZ 55, 229 [231 f.]: aufgrund eines Rohrbruchs der Gemeindewasserleitung entstehen auf dem Grundstück des Klägers Schäden) und der Kanalisations-Fall (BGHZ 57, 370 ff., Fn. 55) sowie die beiden Ampelentscheidungen (BGHZ 54, 332 [338] und jetzt neuerdings NJW 1987,1945) gegenübergestellt werden. Dazu Papier, JuS 1989,630 ff. (634 f.). In der Literatur wird z.T. starke Kritik am Unmittelbarkeitskriterium wegen dessen Unbestimmtheit geübt; vgl. dazu Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 24 Fn. 38. Im Rahmen einer weiterführenden Kritik an der Rechtsprechung wird neuerdings versucht, die Haftungszurechnungskriterien durch eine Anwendung der zivilrechtlichen Schutzzwecklehre auf eine tragfähige dogmatische Basis zu stellen, Olivet, NVwZ 1986,431 ff. (437 ff.); Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 62 f.; Bender, JZ1986, 888 ff. (892 f.). Im Ergebnis werden dabei allerdings Unterkriterien genannt, die denen der Rechtsprechung sehr ähnlich sind. 107 So kann sich in Fällen von Geruchsimmissionen durch eine gemeindliche Kläranlage eine Duldungspflicht des Betroffenen aus dem Duldungsrahmen des § 906 Π S. 1 BGB oder aus dem Grundsatz ergeben, daß mit einer öffentlichrechtlichen Unterlassungs- und Beseitigungsklage eine nicht vertretbare Stillegung gemeinwichtiger Anlagen nicht erreicht werden kann (BGHZ 91,20 (22 f.)). Darüberhinaus sind Abwehrklagen sinnlos bei irreparablen Schäden, wie etwa in Fällen bereits eingetretener Umsatzverluste (vgl. BGHZ 57,359 ff.).
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
essenabwägungen vorzunehmen, auch den generell nicht vorhersehbaren, atypischen Fall zu berücksichtigen und so das Unmittelbarkeitskriterium umzusetzen. Schließlich läßt sich feststellen, daß dem ursprünglich aufgegebenen Finalitätsmerkmal neuerdings doch wieder eine gewisse Rolle zufällt, indem es als relativ "sicheres" Unterkriterium im Rahmen der Unmittelbarkeitsprüfung fungiert. Speziell die Untersuchung des Aufopferungsanspruchs i.e.S. hat schließlich einen neuen Aspekt offenbart, der für die rechtliche Relevanz von Drittbeeinträchtigungen bedeutsam ist. Der moderne Sozialstaat sucht heute seine Zwecke häufig nicht mehr mit Ge- oder Verboten, sondern subtileren, indirekten Mitteln der Beeinflussung des Verhaltens von Privaten zu erreichen. Dieser Wandel der Formen staatlicher Herrschaftsausübung kann dazu führen, daß Fälle, in denen sich herkömmlicherweise die Wirkung des Verwaltungshandelns auf den Adressaten beschränkte und die eindeutig "Eingriffsqualität" hatten, zu - unter dem Eingriffsaspekt - problematischen Fällen der Drittbetroffenheit werden 108 . Die Rechtsprechung des BGH im Impfmerkblatt-Fall ist eine der ersten Reaktionen auf diese Entwicklung. Sie stellt klar, daß die Tatsache des staatlichen Einsatzes nicht imperativer Mittel mit dem Ziel, Erfolge zu erreichen, die herkömmlicherweise mit staatlichem Zwang herbeigeführt werden, auch die rechtliche Relevanz von auf diese Weise hervorgerufenen Drittbeeinträchtigungen beeinflussen muß. E. Schadensersatzansprüche Drittbetroffener nach Amtshaftungsgrundsätzen Ebenso wie bei den Entschädigungsansprüchen stellt sich bei den Schadensersatzansprüchen wegen Amtspflichtverletzung gem. Art. 34 GG, §839 BGB die Frage, ob diese auch Nichtadressaten, außerhalb des konkreten Verwaltungsrechtsverhältnisses stehenden Dritten zustehen können. /. Grundsätzliche Zulassung von Schadensersatzansprüchen Drittbetroffener durch die Rechtsprechung des BGH Der BGH hat dies in seiner Judikatur immer bejaht. Bereits 1956 führte er aus, Dritter i.S.d. §839 BGB könne nicht nur der am Amtsgeschäft un108 S. hierzu insbesondere Ossenbühl, Umweltpflege, S. 8 ff. Vgl. auch Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 35 f.; Kirchhof, Verwalten, S. 30 ff.
Abschnitt 5: Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche
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mittelbar Beteiligte, sondern auch der nur mittelbar und unbeabsichtigt Betroffene sein 109 . Das bedeutet, daß auch der Amtshaftungsanspruch nicht von einer bestimmten Beeinträchtigungsmodalität, etwa der finalen Beeinträchtigung des Geschädigten abhängig ist 1 1 0 . Bestätigt wird dies durch Beispiele aus der jüngeren Rechtsprechimg des BGH zum Wirtschaftsverwaltungs- und zum Baurecht. So hat der BGH in seinem umstrittenen Urteil zur Bankenaufsicht einen Amtshaftungsanspruch von Einlagegläubigern einer Bank wegen Amtspflichtverletzungen der Aufsichtsbehörden grundsätzlich für möglich gehalten111. Zwar richten sich die Vorschriften für das Kreditwesen (KWG) im Rahmen der allgemeinen Bankenaufsicht an die Aufsichtsbehörden bzw. die Banken, jedoch ergeben sich nach BGH aus dem KWG Amtspflichten auch gegenüber den Bankkunden als "Dritten" i.S.d. § 839 BGB, da die allgemeine Bankaufsicht gem. § 61 KWG nicht nur die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Kreditgewerbes im Interesse der gesamten Volkswirtschaft, sondern auch den Schutz der Bankkunden vor Vermögensverlusten bezwecke112. Im Baurecht soll auch der nicht im Plangebiet liegende Drittbetroffene unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung im Falle von durch einen nichtigen Bebauungsplan hervorgerufenen Schäden geltend machen können 113 . IL Die maßgeblichen Abgrenzungskriterien Gem. Art. 34 GG, §839 BGB setzt die Schadensersatzpflicht voraus, daß der Amtswalter eine Amtspflicht verletzt, "die ihm einem Dritten gegenüber" obliegt. Das über die Einbeziehung Drittbetroffener entscheidende Tatbestandsmerkmal ist somit die "Drittbezogenheit" der Amtspflicht.
109
BGHZ 20,53 (56) unter Hinweis auf RGZ138,309 (313).
110
Dies ist auch in der Literatur allgemein anerkannt, vgl. Meyer, in: v. Münch, Art. 34 GG, Rn. 50; Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. Rn. 513; Nierwetberg, BauR 1984, 114 ff. (117). 111
BGHZ 74,144 (147 ff.); weiterentwickelt in BGHZ 75,120 (122 ff.).
112
BGHZ 74,147 ff. Diese Frage hat sich jetzt durch eine Neuregelung des KWG erledigt: nach dem neu eingefügten § 6 III KWG nimmt das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen seine Aufgabe nur im öffentlichen Interesse wahr, allerdings werden gegen diese Neuregelung verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht, vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 34, Rn. 175. Zur Gesamtproblematik einer Staatshaftung für eine mangelhafte staatliche Aufsicht, die den Staat zum "Garanten des privatwirtschaftlichen Bereichs" machen kann Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 25 Rn. 22. 113 BGHZ 92, 35 (51 ff.). Vgl. auch BGHZ 93, 87 (91 ff.).
96
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
1. Grundsatz: Die Parallele zum einfachgesetzlichen Drittschutz Ahnlich der "Schutznormtheorie" beantwortet der BGH und ihm folgend die überwiegende Lehre die Frage, ob der mittelbar Betroffene auch anspruchberechtigter "Dritter" i.S.d. §839 BGB, Art. 34 GG ist, nach dem Schutzzweck der Amtspflicht. Danach kommt es darauf an, ob die Amtspflicht - wenn auch nicht notwendig allein, so doch auch - den Zweck hat, gerade die Interessen des Dritten wahrzunehmen 114. Im Rahmen der Bestimmimg des Kreises der anspruchberechtigten Dritten nach dem Zweck der Amtspflicht prüft der BGH, ob sich "aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts ergibt, daß der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen" 115 . Der Drittbetroffene muß also in den persönlichen Schutzbereich der Amtspflicht einbezogen sein. Da somit die Voraussetzungen für den Drittbezug der Amtspflicht im wesentlichen mit den von der Rechtsprechung für das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts aufgestellten Kriterien zusammenfallen 1 1 6 , kann insoweit im Grundsatz auf die oben gemachten Ausführungen zum einfachgesetzlichen Drittschutz verwiesen werden 117 . 2. Konkretisierung Die Offenheit der Abgrenzungskriterien für eine Wertung im Einzelfall hat es der Rechtsprechung bislang ermöglicht, durch eine eher ausdehnende Judikatur dem Bürger die besonderen, rechtsschutzrelevanten Vorteile der Amtshaftung zu sichern 118 . Die in den Vordergrund gerückte Ein114 Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGHZ 63, 35 (38 f.); 74,144 (47 ff.); 93,87 (91). Aus der Literatur vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 36 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 34 Rn. 167 ff.; Meyer, in: v. Münch, Art. 34 Rn. 49; Erichsen/Martens, S. 534. 115
Vgl. BGHZ 93,87 (91 f.).
116
Zum Zusammenhang zwischen Drittbezogenheit der Amtspflicht und subjektivem öffentlichen Recht vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 34 Rn. 176; Erichsen/Martens, S. 534; Zuleeg, DVB1.1976,509 ff. (518 f.); Buschlinger, DÖV 1964,797 ff. 117 Abschnitt 2, Β und C. 118
Vgl. Erichsen/Martens, S. 534; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 39. Ein wesentlicher Vorzug des Amtshaftungsanspruchs besteht z.B. darin, daß er sich nicht - wie die Entschädigung - darauf beschränkt, grundsätzlich nur die im Zeitpunkt des Eingriffs entzogene Substanz auszugleichen, sondern echten Schadensersatz gewährt. Durch den Schadensersatz soll der Zustand hergestellt werden, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Er berücksichtigt also auch eine künftige Entwicklung der Vermögenslage (z.B. die Wertsteigerung eines Grundstücks infolge Erwerbs der Baulandqualität sowie entgangene
Abschnitt 5: Entschädigung- und Schadensersatzansprüche
97
zelfallgerechtigkeit erfährt somit auch hier ihre Rechtfertigung durch die besondere Bedeutung des Amtshaftungsanspruchs für einen umfassenden, effektiven Rechtsschutz119. Auf der anderen Seite lassen die angewandten Kriterien aber auch die angestrebte Funktion erkennen, die Anforderungen an die staatlichen Organe nicht zu überspannen und insbesondere Rücksicht auf die öffentlichen Haushalte zu nehmen. In der Literatur wird der Drittbezogenheit übereinstimmend eine haftungsbegrenzende Funktion zugewiesen120. Aus verschiedenen Äußerungen in der Rechtsprechung wird deutlich, daß diese ebenfalls den Zweck dieses Tatbestandsmerkmals darin sieht, den Kreis der 121 Ersatzberechtigten nicht in unüberschaubarem Maße ausufern zu lassen . Trotz einer verbleibenden Unbestimmtheit dessen, was die Drittbezogenheit der Amtspflicht ausmacht, läßt sich die haftungsbegrenzende Funktion in Fällen der Drittbetroffenheit auf zweifache Weise konkretisieren. Zum einen kann nach der Rechtsprechung durch privatrechtliche Vereinbarungen eine Ausdehnung der sich allein nach öffentlichem Recht richtenden Amtspflichten nicht herbeigeführt werden 122 . Für die von der Rechtsprechung geforderte besondere Beziehung zwischen Geschädigtem und Amtspflicht können nicht ausreichen Merkmale, die allein aufgrund
Nutzungen für zu erstellende Gebäude, an deren Errichtung der Eigentümer rechtswidrig gehindert worden ist) und bietet somit weitergehenden Rechtsschutz (vgl. Erichsen/Martens, S. 569, 583 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 61; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 42,161 f.). 119 Nicht übersehen werden darf dabei natürlich, daß die "Schutznormlehre" auch im Hinblick auf die Drittbezogenheit der Amtspflicht zu einer fast unübersehbaren Kasuistik geführt hat. Vgl. dazu nur Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 36, 39, der ausführt, daß eine Systematisierung der "Drittbeziehungen" von Amtspflichten unmöglich sei und klare Entscheidungskriterien für den Einzelfall fehlten. 120 Meyer, in: v. Münch, Art. 34 Rn. 49; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 36, 39; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 25 Rn. 19; Wolff/Bachof, I, § 641, b, 5. 121 Repräsentativ etwa BGHZ 58, 96 (99), wo als entscheidend angesehen wird, daß es um die "Belange eines individualisierbaren und abgrenzbaren Kreises normativ geschützter Dritter" geht. Dabei ist klarzustellen, daß der Drittbezogenheit nicht die Bedeutung, von haftungsbegrenzenden Kriterien im Rahmen anderer Institute (z.B. die Unmittelbarkeit beim enteignungsgleichen Eingriff) zukommt. Denn im Gegensatz zu diesen sind bei der Amtshaftung zusätzliche haftungsbegrenzende Kriterien vorhanden, wie das Erfordernis adäquater Kausalität (vgl. BGH NJW 1965,1524; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 34 Rn. 190; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 42), des Verschuldens des Amtsträgers (vgl. Ossenbühl, S. 43) sowie die Subsidiaritätsklausel gem. § 839 IS. 2 BGB (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 25 Rn. 12229 ff.). BGH NVwZ 1987,356. Wolff/Bachof, I, § 641, b, 5, ß nennen in diesem Zusammenhang den Versicherer oder den Bürgen, der ein Schadensrisiko abzudecken hat. 7 Roth
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
privatrechtlicher Beziehungen zwischen Privaten entstehen . Dies ist die Quintessenz verschiedener, vom BGH entschiedener Fälle von Drittbeeinträchtigungen, bei denen die Amtspflichtverletzung in der rechtswidrigen Versagung der Baugenehmigung lag und sich die Frage stellte, welcher Personenkreis in den Schutzbereich der Amtspflicht einzubeziehen ist 1 2 4 . Das Bestehen einer besonderen Beziehung, die "Nähe" zur Amtspflicht setzt bestimmte konkretisierende Momente gerade im Verhältnis Behörde - Bürger voraus. Als Indizien können insoweit die tatsächliche Beteiligung des Dritten am einschlägigen Verwaltungsverfahren, ihm u.U. eingeräumte Antragsrechte oder überhaupt eine konkrete, besondere Beziehung zwischen Behörde und Geschädigten genannt werden 125 . Zum anderen wird in der Literatur und der jüngsten Rechtsprechung die Drittbezogenheit der Amtspflicht gegenüber nachteilig betroffenen Produzenten bejaht, wenn eine Behörde durch Warnungen und Empfehlungen an die Bevölkerung zielgerichtet den Absatz bestimmter Produkte mindert. Da es nicht um einen entfernteren Drittschaden, sondern einen final angestrebten Effekt gehe, sei der tangierte Personenkreis klar überschaubar und abgrenzbar 126. In diesen Fällen der Drittbeeinträchtigungen fungiert die Finalität der Maßnahme, d.h. die Zielgerichtetheit auf ganz bestimmte Produkthersteller, als zwar nicht ausschließliches, aber doch klares haftungsbegrenzendes Element und tut so der von der Drittbezogenheit erwarteten Funktion Genüge.
123 Im Sinne der Rechtsprechung stellt dies eine nur "mittelbare und rein zufällige" Berührung der Interessen des Dritten dar, vgl. BGHZ 93,87 (93). 124 So lehnte der BGH eine Einbeziehung des nicht am Genehmigungsverfahren beteiligten Bauunternehmers, der mit dem Bauwilligen einen Vertrag über die Ausführung eines Bauvorhabens geschlossen hat, ab (vgl. BGH NJW 1980, 2587.); ebenso des Grundstückseigentümers in Fällen, in denen der Bauwerber nicht mit dem Grundstückseigentümer identisch, sondern lediglich ihm gegenüber dinglich oder schuldrechtlich gegen Zinszahlung zur Bebauung des fraglichen Grundstücks berechtigt ist (vgl. BGH NVwZ 1987, 356; aM: Nierwetberg, BauR 1984, 114 ff.). Umgekehrt entschied er in einem Fall, in dem dem Dritten im Rahmen eines notariellen Vorvertrags von der Eigentümerin ein Bebauungsrecht sowie ein Anspruch auf Erwerb des Grundstücks eingeräumt worden war und dieser weiterhin ermächtigt war, Bauanträge bei der zuständigen Behörde einzureichen (BGHZ 93,87 (92 ff.). 125 Dazu auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 39. Eine Aufstellung konkreterer Kriterien ist bislang weder der Rechtsprechung noch der Literatur gelungen. 1 2 6 Vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 84; Schenke, JuS 1989, 557 ff. (562); LG Stgt. NJW 1989,2257 (2258) "Birkel".
Abschnitt 6: Rechtsstaatliche Gebote im übrigen
99
Abschnitt 6 Rechtsstaatliche Gebote im übrigen Soweit eine Verwaltungsmaßnahme in Grundrechte des Bürgers eingreift, hängt ihre Verfassungsmäßigkeit von der Einhaltung bestimmter rechtsstaatlich begründeter Anforderungen, wie z.B. dem Zitiergebot oder dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, ab1. In der Grundrechtsdogmatik geht man grundsätzlich von einem notwendigen Zusammenhang zwischen dem Vorliegen eines klassischen Grundrechtseingriffs und der Geltung dieser rechtsstaatlichen Sicherungen aus2. Die im folgenden zu untersuchende Frage geht dahin, ob die rechtsstaatlichen Eingriffsvoraussetzungen unbesehen auch auf andere als klassische Grundrechtseingriffe übertragen werden können, oder ob sie z.B. in Fällen von Drittbeeinträchtigungen gar keine Geltung beanspruchen oder jedenfalls zu modifizieren sind. A. Das Zitiergebot Laut Art. 19 I S.2 GG muß das Gesetz, durch das oder aufgrund dessen ein Grundrecht eingeschränkt wird, dieses Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. Es handelt sich dabei um eine zusätzliche formelle Sicherung bei der Einschränkung von Grundrechten. Nach überwiegender Auffassung zeichnet sich das Zitiergebot durch eine doppelte Zweckrichtung aus: Zum einen soll es für den Gesetzgeber eine "Warn- und Besinnungsfunktion" erfüllen, ihn die Auswirkungen seiner Maßnahmen auf die betroffenen Grundrechte erkennen lassen und zu einer gründlichen Abwägung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte veranlassen3. Zum anderen soll es für die Gesetzesauslegung und -anwendung eine Klarstellungsfunktion haben, weil davon auszugehen ist, daß der Gesetzgeber nur die erwähnten Grundrechte einschränken wollte4.
1
Zu diesen sog. Schranken-Schranken vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 315 ff.
2
Vgl. Bleckmann, Staatsrecht, S. 336,325; dersVEckhoff, DVB1.1988,373 ff. (382).
3
Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 16; Menger, in: BK, Art. 19 I Rn. 141; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 331; Stein, Staatsrecht, §24 III 2; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 354; Bethge, DVB1.1972,365. 4
Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 16; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 354.
100
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
L Meinungsstand zur Relevanz fur Drittbeeinträchtigungen Zu der Frage, ob und inwieweit als Gnmdrechtseingriffe zu qualifizierende Drittbeeinträchtigungen vom Anwendungsbereich des Zitiergebots erfaßt sind, lassen sich in der Rechtsprechung des BVerfG und in der Literatur verschiedene Hinweise finden. Das BVerfG hat sich in mehreren Entscheidungen mit dem Anwendungsbereich des Art. 191 S.2 GG auseinandergesetzt. Es hat dabei durchgehend eine sehr restriktive Auslegung vertreten und bereits den allgemeinen Anwendungsbereich dieser Vorschrift in Fällen klassischer Grundrechtseingriffe erheblich verengt5. So soll das Zitiergebot nicht gelten bei Einschränkungen des Art. 2 I GG 6 , für Schrankenziehungen7, Inhaltsbestimmungen8 und bloße Regelungsvorbehalte9, für vorkonstitutionelle Gesetze sowie solche nachkonstitutionellen Gesetze, die bereits geltende Grundrechtsbeschränkungen unverändert oder nur mit geringen Abweichungen wiederholen 11. Soweit eine Drittbeeinträchtigung bereits einer dieser Fallgruppen zugeordnet werden kann, ruft sie eine Zitierpflicht nicht hervor 1 . Die allgemeine Begründung dafür lautet, daß sonst das Zitiergebot "zu einer leeren Förmlichkeit erstarrt und den die verfassungsmäßige Ordnung konkretisierenden Gesetzgeber in seiner Arbeit unnötig behindert", vgl. BVerfGE 35, 185 (188). Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift ist demgemäß nicht sehr groß, vgl. Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 20. Soweit ersichtlich hat das BVerfG bislang keine Gesetzesvorschrift wegen Verstosses gegen das Zitiergebot für verfassungswidrig erklärt, vgl. Gronefeld, Preisgabe, S. 81. 6
BVerfGE 10,89 (99); 28,36 (46).
7
BVerfGE 28,282 (289); 33,52 (77 f.).
8
BVerfGE 21,92 (93); DÖV 1983,852 (853); Beispiel: Art. 141 GG.
9
BVerfGE 64,72 (79 ff.); Beispiel: Art. 12 GG.
10 11
BVerfGE 2,121 (122 f.); 5,13 (16).
BVerfGE 35, 185 (189); 61, 82 (113). Begründet werden diese Einengungen mit zwei Argumenten: Von der Funktion her soll die Norm nur bei "neuen", dem bisherigen Recht fremden Eingriffen greifen, zum anderen sollen nur "echte" Grundrechtseinschränkungen erfaßt sein und nicht lediglich Konkretisierungen der im Grundrecht selbst angelegten Grenzen; vgl. dazu nur Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 118. 12 Als Beispiel kann die gesetzliche Absicherung der Tätigkeit der sog. Transparenzkommission im ArzneimittelG genannt werden, die durch ein Urteil des BVerwG erforderlich geworden war (BVerwGE 71, 183 ff.). Obwohl die Veröffentlichung der von der Transparenzkommission erstellten Transparenzliste nach Auffassung des BVerwG und der überwiegenden Meinung in der Literatur einen Eingriff in die Grundrechte Dritter bedeutet (siehe dazu i.e. Teil 3), hat der das Urteil befolgende Gesetzgeber das/die einschlägige(n) Grundrechte) nicht zitiert (vgl. die durch Art. 1 Nr. 21 des zweiten Gesetzes zur Änderung des ArzneimittelG vom 16.8.86 (BGBl. 11296) eingefügten Regelungen der §§ 39 a bis 39 e AMG). Auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG ist dies konsequent, da weder eine Beeinträchtigung der
Abschnitt 6: Rechtsstaatliche Gebote im übrigen
101
Neben diesen allgemeinen macht das BVerfG jedoch eine weitere Einschränkung, die speziell Relevanz für Drittbeeinträchtigungen wegen deren besonderer "Eingriffsstruktur" hat. So soll Art. 191S. 2 GG nur für Gesetze gelten, die darauf abzielen, ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken13. Das bundesverfassungsgerichtliche Kriterium des finalen gesetzgeberischen Eingriffs würde zwangsläufig zu einem Ausschluß des erheblichen Teils der Drittbeeinträchtigungen führen, der sich als ungewollte Nebenwirkung staatlichen Handelns ergibt. Grund für die Einschränkung ist auch hier der Gedanke, daß Art. 19 I S. 2 GG als Formvorschrift eng auszulegen sei, wenn sie nicht zu einer leeren Förmlichkeit erstarren und den die verfassungsmäßige Ordnung konkretisierenden Gesetzgeber in seiner Arbeit unnötig behindern solle 14 . Die Stellungnahmen in der Lehre zur Reichweite des Zitiergebots, die Relevanz insbesondere für Drittbeeinträchtigungen haben, lassen sich in vier Gruppen aufteilen. Von wenigen wird eine strenge Handhabung des Art. 19 I S.2 GG und Erstreckung auf alle Grundrechtseingriffe vertreten 15. Um dies praktikabel zu machen, wird dabei z.T. eine pauschale, prophylaktische Zitierung möglicherweise eingeschränkter Grundrechte zugelassen16. Andere lassen das Zitiergebot nur bei beabsichtigten Grundrechtseingriffen gelten und folgen insoweit der oben dargestellten Rechtsprechung1 . Wieder andere wollen Art. 191 S.2 GG nur dort anwenden, wo der Gesetzgeber den Eingriff erkennt oder bei genügender Sorgfalt erkennen muß1 . Interessant ist schließlich die unmittelbar auf den Ausschluß der hier diskutierten Drittbeeinträchtigungen abzielende Auffassung Gallwas', der die Anwendbarkeit des Zitiergebots auf faktische Beeinträchtigungen bestreitet 19 . Er begründet dies damit, daß nur "imperative" Beeinträchtigungen einwandfrei erkennbar seien. Wolle man den Gesetzgeber nicht in das Gebiet des Unmöglichen drängen, müßte man die Erkennbarkeit der BeBerufsfreiheit (eine solche hatte das BVeiwG angenommen, E 71,183 ff.) noch die in der Literatur zusätzlich erwogene Beeinträchtigung des Art. 14 I GG (vgl. Sodan, DÖV 1987, 858 ff. [861 f.]) die Zitierpflicht auslöst. 13
BVerfGE 28, 36 (46 f.): hier führt das BVerfG aus, die in § 10 V I SoldatG normierte Mäßigungspflicht ziele nicht darauf ab, das Grundrecht der Meinungsfreiheit einzuschränken, sondern konkretisiere lediglich den "sich aus dem Wesen einer Armee ergebenden Grundsatz der Disziplin"; vgl. auch BVerfGE 28,55 (62). 14
BVerfGE 28,36 (46).
15
Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 19 Anm. 6; Wernicke, in: BK, Erstbearbeitung, Art. 19 Anm. II, 1, e. 16 1 7
18
19
Vgl. Röhl, AöR 81 (1965), 195 ff. (214); Stree, Deliktsfolgen, S. 229. Kilian, Zitiergebot, S. 39 f. Peters, Geschichtliche Entwicklung, S. 273 f., 275; Forster, Klagebefugnis, S. 368 f. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 120. Ahnlich Jarass/Pieroth, Art. 19 Rn. 5.
102
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
einträchtigung zum Kriterium machen. Dies lehnt er jedoch wegen der damit verbundenen "höchst unpraktikablen Relativierung und Subjektivierung verfassungsrechtlicher Rechtsfolgen" ab 20 . IL Bewertung Die Untersuchung des Meinungsstands ergibt zwei hervorzuhebende Gesichtspunkte. Zum einen kommt in den verschiedenen Einschränkungsversuchen überwiegend das Bestreben zum Ausdruck, die Anforderungen an den Gesetzgeber auf ein erträgliches Maß zu beschränken21. Man hält die Erfüllung der grundrechtssichernden Funktion des Zitiergebots nur für möglich bei angemessener Berücksichtigung der Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers als des Organs, an den sich das Gebot richtet. Die rechtliche Relevanz des Zitiergebots wird deshalb überwiegend auf Beeinträchtigungen bestimmter Formalität begrenzt und damit im Falle faktischer Beeinträchtigungen erheblich reduziert. Zum anderen wird deutlich, daß man eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereichs deshalb umso eher akzeptiert, als sie den effektiven Rechtsschutz nicht in Frage stellt. Art. 19 I S. 2 GG ist lediglich formelles, zusätzliches Mittel der Grundrechtssicherunij 22, auch eine davon nicht erfaßte Drittbeeinträchtigung kann dennoch im Rahmen gerichtlichen Rechtsschutzes geltend gemacht werden. B. Die Reichweite der Wesensgehaltsgarantie Nach Art. 19 I I GG darf ein Grundrecht in keinem Fall in seinem Wesensgehalt angetastet werden. Es soll hier nicht darum gehen, die Diskussion um die nähere Bestimmung dieses "Wesensgehalts" aufzurollen und zu entscheiden, ob man ihn - absolut - als feststehenden Kernbereich, als Mindestinhalt des jeweiligen Grundrechts zu betrachten hat oder ihn - relativ - im Wege der Güterabwägung jeweils im Einzelfall ermitteln muß 23 . Vielmehr ist speziell der Frage nachzugehen, ob die Wesensgehaltsgarantie nur gegen bestimmte Eingriffsmodalitäten Schutz bietet oder auch bei faktischen, mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen, wie z.B. den Drittbeein-
20 21
22 23
Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 120. Vgl. Forster, Klagebefugnis, S. 369. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 88 mit Fn. 144; Hendrich, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 16.
Zu den verschiedenen absoluten und relativen Theorien im einzelnen Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 19 II Rn. 1 ff.
Abschnitt 6: Rechtsstaatliche Gebote im übrigen
103
trächtigungen. Die Äußerungen dazu im Schrifttum 24 sind spärlich, belegen jedoch übereinstimmend, daß man den Anwendungsbereich des Art. 19 I I GG auch auf faktische Beeinträchtigungen erstreckt. Aus dem Wortlaut mit seiner sehr weiten Formulierung 25 ergäbe sich keine Beschränkung des Anwendungsbereichs etwa nur auf imperative Beeinträchtigungen26. Vielmehr sei es, wie für die "Würde" des Menschen in Art. 1 I GG, auch für das "Wesen" eines grundrechtlich geschützten Rechtsguts unerheblich, auf welche Weise es beeinträchtigt werde 27. Dies werde durch Sinn und Zweck der Vorschrift bestätigt. Anlaß und Hintergrund für die Einführung der Bestimmung des Art. 19 I I GG sei die Gefahr gewesen, daß die Grundrechte durch das rechtstechnische Mittel des Grundrechtsvorbehalts ausgehöhlt, in der Praxis funktionslos würden 28. Dieser Mißbrauchsanfälligkeit sollte durch die "Tabuisierung" eines Kernbereichs entgegengewirkt werden 29. Da gerade auch faktische Beeinträchtigungen geeignet seien, Grundrechte unter formaler Aufrechterhaltung auszuhöhlen, müsse Art. 19 I I GG seiner Funktion nach auch hier eingreifen, um ein Leerlaufen zu verhindern 30. Die umfassende Geltung der Wesensgehaltsgarantie steht auch im Zusammenhang mit ihrer Bedeutung für den Rechtsschutz im Einzelfall. Soweit dieser Bestimmung subjektivrechtlicher Charakter zukommt31, stellt sie kein nur formelles, sondern ein materielles Element des Gmndrechtsschutzes
24 25 27 28 29 30 31
Die Rechtsprechung hat bislang zu dieser Frage nicht Stellung genommen. "in keinem Falle". Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 84. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 89. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 82. Vgl. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 82 ff. Jäckel, Grundrechtsgeltung, S. 113 f.; Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 84.
Erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen darüber, ob die Wesensgehaltssperre dem einzelnen Grundrechtsträger im Einzelfall ein subjektives Recht gewährt oder lediglich eine objektive, der Allgemeinheit gegebene Garantie enthält (vgl. nur Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 19 II Rn. 15 für die "subjektive", Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 23 ff. für die "objektive" Auffassung). Das BVerfG hat diese Frage bislang offengelassen (BVerfGE 2, 266 [285]; Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 19 Rn. 4). Die zutreffende Ansicht verweist darauf, daß die Frage nach dem subjektiven Charakter nur für jedes Grundrecht gesondert beantwortet werden könne, daß Art. 19 Π GG im Zweifel jedoch eine Gewährleistung für den einzelnen darstelle (Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 347 ff.; vgl. auch BVerfGE 22,180 [219]). Da ein Eingriff in das Leben gem. Art. 2 II S. 3 GG stets den Entzug des Lebens bedeutet, kann beispielsweise der Wesensgehalt des Art. 2 II S. 1 GG nicht in einer Garantie für den einzelnen, sondern nur für die Allgemeinheit bestehen. Andererseits lassen sich beim Recht auf körperliche Unversehrtheit vielfältig abgestufte Eingriffe vorstellen, sodaß der Wesensgehalt hier auch dem einzelnen garantiert werden kann (vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 348).
104
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen ·
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dar . Sie setzt Grundrechtsbeeinträchtigungen eine inhaltliche Grenze, indem sie einen bestimmten Mindestinhalt für unantastbar erklärt oder jedenfalls Eingriffe davon abhängig macht, daß sie durch höherrangige Rechtsgüter erfordert werden 33. Wären bestimmte Arten faktischer Beeinträchtigungen nicht von ihrem Schutz erfaßt, entstünde u.U. für den einzelnen ein Defizit an materiellem gerichtlichem Rechtsschutz. Auch dieser Aspekt spricht eher für eine grundsätzliche Erstreckung auf alle Arten faktischer Beeinträchtigungen und damit auch auf die Fälle der Drittbetroffenheit. C. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 34, insbesondere das Teilgebot der Verhältnismäßigkeit i.e.S. verlangt, daß der Eingriff "in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts" steht 35 . Das erfordert eine Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe 36 . Die Frage stellt sich, ob bei der Gewichtung der Schwere des Eingriffs auch alle durch die Maßnahme verursachten faktischen Folgen und damit alle Drittbeeinträchtigungen, die sich als Grundrechtseingriffe darstellen, zu berücksichtigen sind, oder ob dies nur für bestimmte, besonders qualifizierte oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums auftretende Drittbeeinträchtigungen gilt. Die besondere Brisanz der Fragestellung ergibt sich daraus, daß eine uneingeschränkte Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch für faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen eine Vermehrung der Fälle zur Folge hätte, in denen dieses Prinzip eingreift 37, und außerdem Nebenfolgen außerhalb des eigentlichen Zielgebiets staatlichen Handelns mittels des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Hebel werden könnten, um an sich zuläs-
Vgl. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 49 ff., 81 ff. 33 Nach überwiegender Auffassung kommt sie bei Maßnahmen aller drei Gewalten zur Anwendung, Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 19 II Rn. 25; Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 21. 3 4 Zu seiner positivrechtlichen Verankerung vgl. BVerfGE 19, 342 (348 f.); 23,127 (133); 61,126 (134); Stern, Staatsrecht I, S. 861; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 56. 35
BVerfGE 67,157 (173); Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 61.
3 6
BVerfGE 68,193 (219); Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 61.
3 7
Vgl. Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (381).
Abschnitt 6: Rechtsstaatliche Gebote im übrigen
105
sige Maßnahmen des Staates "aus den Angeln der Rechtmäßigkeit" zu heben 38 . I. Die Rechtsprechung des BVerfG Aus dem Bereich der Rechtsprechimg verdient die Judikatur des BVerfG besondere Beachtung. Denn danach sollen faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen, die Folgen gesetzlicher Regelungen sind, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Gesetzen nur eingeschränkt berücksichtigt, also nicht pauschal "klassischen Eingriffen" gleichgestellt werden. Zwei Begründungsansätze sind zu unterscheiden. Zum einen hat das BVerfG bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Regelungen vor allem in Steuergesetzen Beeinträchtigungen unberücksichtigt gelassen, "die sich als unbeabsichtigte Nebenfolgen in bestimmten Fällen" darstellten 39. In zwei Entscheidungen wurde dieser Ansatz konkretisiert und, was entscheidend ist, näher begründet 40. Um praktikabel zu sein, müßten Gesetze, insbesondere Steuergesetze, typisieren und generalisieren. Unbeabsichtigte, nur in besonderen Fällen auftretende Beeinträchtigungen, die das Gesetz nicht berücksichtigt, müßten in Kauf genommen werden und führten nicht zur UnVerhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regelung. Jede Regelung würde neue Grenzfälle entstehen lassen, für die mit gleichem Recht Berücksichtigung verlangt werden könne41. Der andere Ansatz des BVerfG beruht auf einer am Erkenntnishorizont des Gesetzgebers orientierten Interpretation der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Gesetzen. Mit der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind häufig, etwa im Hinblick auf die Frage der Erforderlichkeit oder der Verhältnismäßigkeit i.e.S., Prognosen über die Folgen der staatlichen Maßnahme bzw. Wertungen zukünftiger Sachverhalte verbunden. Je nach Beurteilungszeitpunkt und beurteilendem Organ kann somit die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme unterschiedlich ausfallen 42. Das BVerfG hat wohl aus pragmatischen Gründen in ständiger Rechtsprechung
38 Gallwas verdeutlicht dies an dem Beispiel des polizeilichen Schußwaffengebrauchs gegenüber einem fliehenden Dieb, der jedenfalls dann rechtswidrig wird, sobald der Schuß konkrete Gefahren für Dritte heraufbeschwört, Beeinträchtigungen, S. 80. 3 9 BVerfGE 6, 55 (77); 11,50 (60); 12, 151 (168 f.); 13, 331 (341 f); 18, 97 (106 f.); 21, 12 (27); 21,54 (69); 26,265 (275 f.); 31,119 (131). 4 0
BVerfGE 13,331 (341), angedeutet bereits in E13,21 (29); BVerfGE 17,232 ff.
4 1
BVerfGE 17,232 (245).
4 2
Vgl. Erichsen, Staatsrecht I, S. 15.
106
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
betont, für die Verhältnismäßigkeit eines Gesetzes könne es nicht - objektiv - auf die "tatsächliche spätere Entwicklung" ankommen43; hingegen müsse grundsätzlich von der - subjektiven - Beurteilung der Verhältnisse ausgegangen werden, die dem Gesetzgeber bei der Vorbereitung des Gesetzes möglich war 44 . Es wird demnach auf den "ex-ante"-Standpunkt des Gesetzgebers, also auf den Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes abgestellt und dem Gesetzgeber dadurch ein gewisser Beurteilungs- und Prognosespielraum zugebilligt, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist 45 . Auch wenn einschlägige Beispiele aus der Rechtsprechung fehlen, haben diese Grundsätze Relevanz gerade für durch ein Gesetz herbeigeführte Drittbeeinträchtigungen. Da diese überwiegend nicht zwangsläufig eintretende Nebenwirkungen staatlichen Handelns sind, kann über ihren Eintritt oder Nichteintritt meist nur im Rahmen einer Prognose entschieden werden. Bei Anwendung der Grundsätze der Rechtsprechung wird die Verhältnismäßigkeit eines Gesetzes nicht dadurch in Frage gestellt, daß - etwa bei der Suche nach dem mildesten Mittel oder bei der konkreten Güterabwägung - Drittbeeinträchtigungen nicht berücksichtigt wurden, die für den Gesetzgeber zum Zeitpunkt des Gesetzeserlasses nicht erkennbar waren 46 . IL Die Literatur Die einschlägigen Stellungnahmen in der Literatur weisen einen gemeinsamen Ausgangspunkt auf: aus der neueren Sichtweise, daß die Grundrechte ihre Schutzwirkimg nicht nur gegenüber bestimmten Modalitäten des Eingriffs, sondern auch gegenüber mittelbaren, faktischen Beeinträchtigun4 3
BVerfGE 30,250 (263).
4 4
BVerfGE 25,1(12).
45 So führt das Gericht in einer Entscheidung vom 9. 3.1971 pragmatisch aus, daß Irrtümer über den Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung in Kauf genommen werden müßten, da sich die Entwicklung nicht genau vorherberechnen lasse und der erwartete Geschehensablauf aus den verschiedensten Gründen eine unvorhergesehene Wendung nehmen könne (BVerfGE 30, 250 [263]). Vgl. insbesondere auch die Rechtsprechung zu anderen wirtschaftslenkenden Gesetzen, BVerfGE 25, 1 (12 f.); 39, 210 (225 f.); 54,143 (147). Zusammenfassend zur abgestuften, eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte, wonach gesetzgeberische Wertungen und Prognosen lediglich auf ihre "Evidenz", "Vertretbarkeit" oder "Willkür" überprüft werden können, BVerfGE 50, 290 (331 ff.). Zum Ganzen auch Brohm, W D S t R L 30 (1972), S. 275 ff.; Grabitz, AöR 98 (1973), 568 ff. (615 f.); Schneider, Festschrift BVerfG II, S. 390 ff. (396 ff.); Erichsen, Staatsrecht I, S. 17. Neuerdings Bernd, Legislative Prognosen und Nachbesserungspflichten, Diss. 1989, S. 88 ff. 46 Die Relevanz von Drittbeeinträchtigungen wird noch weitergehend dadurch geschmälert, daß das Gericht die Frage der "Erkennbarkeit" nicht selbständig beantworten, sondern die Entscheidung des Gesetzgebers insoweit lediglich auf "Evidenz", "Vertretbarkeit" oder "Willkür" überprüfen kann, vgl. Fn. 45.
Abschnitt 6: Rechtsstaatliche Gebote im übrigen
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gen entfalten können, zieht man, im Grundsatz übereinstimmend, die Konsequenz, daß das Gebot der Verhältnismäßigkeit auch bei sich als Grundrechtseingriffen darstellenden Drittbeeinträchtigungen zu beachten ist 47 . Bei genauerer Betrachtung werden allerdings Differenzierungen sichtbar. Während Gallwas den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - anders als Gesetzesvorbehalt und Zitiercebot - auf alle Arten von faktischen Beeinträchtigungen erstrecken witf^, zeigt Brohm die damit verbundene Problematik auf. Das im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz enthaltene Prinzip der Erforderlichkeit ermögliche bei überschaubarem Handlungszweck und Handlungswirkungen noch relativ eindeutige Entscheidungen; der Maßstab werde jedoch bei Maßnahmen mit Breitenwirkung immer unpräziser angesichts der begrenzten menschlichen Fähigkeiten, alle Folgewirkungen im Hinblick auf Adressaten und Drittbetroffene zu überschauen49. Schneider nimmt diesen Gedanken zum Anlaß, jedenfalls bei Gesetzen die Verhältnismäßigkeitsüberprüfung darauf zu beschränken, ob der Gesetzgeber ex ante aufgrund seiner subjektiven Beurteilung den Eingriff als geeignet, erforderlich und verhältnismäßig i.e.S. angesehen hat 50 . Einen etwas anderen Ansatz verfolgt Jakobs, der im Anschluß an die oben dargestellte Rechtsprechung des BVerfG zur Irrelevanz atypischer Beeinträchtigungen51 eine Differenzierung des Anwendungsbereichs des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach der rechtlichen Qualität der hoheitlichen Maßnahme befürwortet 52. In der Handlungsform des Gesetzes nehme der Gesetzgeber eine Abwägung der einschlägigen öffentlichen und privaten Interessen auf abstrakt-genereller Ebene vor. Deshalb könne auch die Prüfung der Verhältnismäßigkeit nur abstrakt-generell sein, d.h. es könne nur kontrolliert werden, ob in den typischen von der Rechtsnorm geregelten Fällen eine verhältnismäßige Rechtsgüterabwägung erfolgt sei 53 . Das Verhältnismäßig4 7 Vgl. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 23, 258 ff., 261 ff.; Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 80; Brohm, W D S t R L 30 (1972), S. 276 mit Fn. 88; Bleckmann, Staatsrecht, S. 340 f. 48 Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 80. Konsequent hält er auch die Rechtsprechung des BVerfG hinsichtlich der Irrelevanz "unbeabsichtigter Nebenfolgen in bestimmten Fällen" für nicht 49 überzeugend, S. 81.
Brohm, W D S t R L 30 (1972), S. 275 ff., unter Hinweis auf die oben dargestellte Rechtsprechung zur Kontrolle der Verhältnismäßigkeit wirtschaftslenkender Gesetze (Fn. 45). 5 0 Schneider, Festschrift BVerfG Π, S. 396 f. Er zieht dabei eine Parallele zum Polizeirecht, wo für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Verfügung zur Gefahrenabwehr auch auf den Horizont des handelnden Organs abgestellt wird. 5 1
52 5 3
Vgl. oben Fn. 39. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 139. Jakobs, S. 139 f.
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
keitsprinzip zwinge den Gesetzgeber demnach nicht, den atypischen Fall, also etwa die atypische Drittbeeinträchtigung zu berücksichtigen, weil der Handlungsform des Gesetzes eine Typisierungsfunktion zukomme54. Demgegenüber scheide bei der konkreten Verhältnismäßigkeitskontrolle der Rechtsanwendung im Einzelfall eine Beschränkung auf typische bzw. dem Gesetzgeber erkennbare Beeinträchtigungen au? 5 . Die Einzelfallentscheidung, etwa der Verwaltungsakt, erscheint nach Funktion und handelndem Organ als geeignet, nicht nur eine bestimmte Art von Beeinträchtigungen, sondern - im Sinne einer grundsätzlich umfassenden Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für alle Grundrechtsbeeinträchtigungen - alle möglichen, etwa auch atypischen Nebenfolgen zu berücksichtigen 56. Bleckmann schließlich sieht eine im Interesse der Rechtssicherheit gebotene tatsächliche Grenze für die Berücksichtigungsfähigkeit faktischer Beeinträchtigungen in den gesetzlichen Fristen für die Einlegung verfassungs- und verwaltungsgerichtlicher Rechtsmittel, in der Begrenzung des Kreises der Rechtsmittelberechtigten und in der Rechtskraft der Entscheidungen57. Darüberhinaus will er es aufgrund des der Erweiterung des Eingriffsbegriffs zugrundeliegenden Gedankens der Grundrechtseffektivität bei der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme grundsätzlich nicht auf die subjektiv vorhersehbaren, sondern auf die objektiv beeinträchtigenden Wirkungen ankommen lassen58. Dies solle jedoch kein starrer Grundsatz sein, sondern mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Ermessenspielräume des Gesetzgebers auf der einen und der Verwaltung auf der anderen Seite
5 4
Jakobs. S. 140; an dieser Überlegung kann seines Erachtens auch die Möglichkeit einer Erfassung derartiger atypischer Fälle durch eine generalisierende Ausnahmeregelung nichts ändern, da diese nur einen Scheinerfolg bedeuten würde. Zur Typisierungsfunktion des Gesetzes auch Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 165 ff.; Schwerdtfeger, Struktur, S. 28; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 62 f. 5 5
Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 147 f. Daß das Gericht im Falle eines staatlichen Tätigwerdens aufgrund eines Gesetzes eine "doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung, nämlich eine abstrakte Verhältnismäßigkeitskontrolle des Gesetzes und eine konkrete Überprüfung der auf das Gesetz gestützten Einzelmaßnahme vornimmt, ist inzwischen gefestigte Rechtspraxis, BVerfGE 20, 162 (213); Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 163 f.; Hesse, Verfassungsrecht, insb. Rn. 318 ff. und 422 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 318 ff. A.A. Schneider, Festschrift BVerfG II, S. 402 ff., der eine nochmalige Abwägung im Einzelfall aus systematischen Gründen für entbehrlich hält. Zur funktionalen Angemessenheit des Nebeneinanders von abstrakter und konkreter Verhältnismäßigkeitskontrolle unter Hinweis auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die bei Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eintreten, Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 163 ff. 57 Bleckmann, Staatsrecht, S. 340 f. Er hält diese Grenze im Hinblick auf die praktisch nie abreißende Kausalkette möglicher Neben- und Folgewirkungen staatlichen Handelns für erforderlich. 5 8 Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (381).
Abschnitt 6: Rechtsstaatliche Gebote im übrigen
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müsse eine flexible Handhabung gewährleistet sein. Dieser Ermessenspielraum und damit die Kontrolldichte der Verhältnismäßigkeitsprüfung werde beeinflußt von Kriterien, die auch die Eingriffsqualität mittelbarer Beeinträchtigungen ausmachten, wie z.B. von der Intensität des Eingriffs, von aus dem Normzweck gewonnenen Gesichtspunkten oder dem stärker sozialen als personalen Bezug der betroffenen Schutzbereiche59. ΠΙ. Bewertung Rechtsprechung und Literatur sehen die Relevanz von Drittbeeinträchtigungen für die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit einer staatlichen Maßnahme ganz überwiegend in Abhängigkeit von den jeweils zur Verhältnismäßigkeitsprüfung berufenen staatlichen Organen. Während man bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Gesetzen mit Rücksicht auf die eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten, aber auch die spezifischen Handlungsformen des Gesetzgebers eine abstrakte Verhältnismäßigkeitskontrolle ohne Berücksichtigung nicht vorhersehbarer bzw. atypischer faktischer Beeinträchtigungen ausreichen läßt, soll bei der Einzelfallentscheidung eine konkrete Verhältnismäßigkeitskontrolle unter Einschluß aller möglichen Folgen der Maßnahme, etwa auch unvorhergesehener bzw. atypischer Nebenwirkungen stattfinden. Diese eingeschränkte Relevanz faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen für die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Gesetzen erfährt ihre Bestätigung durch den Aspekt ausreichenden gerichtlichen Rechtsschutzes. Denn wegen der heute ganz überwiegend praktizierten "doppelten Verhältnismäßigkeitskontrolle" im Falle eines staatlichen Tätigwerdens aufgrund eines Gesetzes kann der atypisch bzw. unvorhersehbar Betroffene gerichtlich zwar nicht die UnVerhältnismäßigkeit des Gesetzes, aber doch des Einzelakts geltend machen. D. Das Gebot inhaltlicher Bestimmtheit von Gesetzen Ein weiteres, als verfassungsrechtliche Anforderung an Grundrechtseingriffe zu beachtendes Gebot, das u.U. auch in Fällen der Drittbetroffenheit Geltung beansprucht, ist der Bestimmtheitsgrundsatz. Er richtet sich an den Gesetzgeber, bezieht sich auf das Maß der Regelungsdichte einer Rechtsnorm und ist in seinem näheren Ausformungsgrad noch nicht abschließend geklärt 60. Seine verfassungsrechtliche Verankerung ergibt sich aus speziel5 9
Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988,373 ff. (381).
60
Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 829; Schneider, Gesetzgebung, S. 42 ff.; Geitmann, BVerfG und "offene" Normen; Braun, VerwArch 76 (1985), 24 ff., 158 ff.
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
len, vom Grundgesetz besonders hervorgehobenen Bestimmtheitsgeboten61, aber er gilt auch allgemein jedenfalls für Gesetze, die Grundrechtseingriffe zulassen 2 . Ausdrückliche Stellungnahmen dazu, ob und inwieweit die Bestimmtheitsanforderungen bei gesetzlichen Regelungen mittelbarer Grundrechtseingriffe, wie z.B. Drittbeeinträchtigungen, gegenüber der Normierung "klassischer Eingriffe" zu modifizieren sind, fehlen. Allerdings lassen sich aus Äußerungen insbesondere des BVerfG auch für diese Fragestellung verwertbare Schlüsse ziehen. Dies ist deshalb möglich, weil das BVerfG nicht an alle Gesetzesvorschriften die gleichen Bestimmtheitsanforderungen stellt, sondern diese insbesondere nach der Art der geregelten Materie differenziert 63. Im folgenden möchte ich die für unsere Fragestellung relevanten Differenzierungskriterien herausgreifen. Das BVerfG begründet geringere Bestimmtheitsanforderungen zunächst damit, daß bestimmte Lebenssachverhalte einer bestimmt gefaßten gesetzlichen Regelung
6 1 Art. 80 I S. 2GG; Art. 103 II GG; Art. 1041 S.1 GG; Art. 101 S.2, I I GG; Art. 97 GG; vgl. auch Geitmann, BVerfG und "offene" Normen, S. 65 ff. 62 Die in Rechtsprechung und Lehre vertretenen verfassungsrechtlichen Begründungen des allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes sind vielfältig. Das BVerfG stützt ihn beispielsweise auf das Rechtsstaatsprinzip, das Gebot der Rechtssicherheit, das Gewaltenteilungsprinzip, die Rechtsschutzgarantie sowie das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, vgl. die Nachweise bei Geitmann, BVerfG und "offene" Normen, S. 77 ff. Einen guten Überblick über die in der L/terarurvertretenen Begründungen bietet Braun, VerwArch 76 (1985), 52 ff. In der Literatur wird zutreffend darauf hingewiesen, daß die Bestimmtheit einer Norm ein Problem der Aufgabenverteilung zwischen Normgeber und Normvollzieher ist; die Unbestimmtheit einer Norm stellt sich als quantitativer Mangel an Gesetzesinhalt dar (vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 527 ff.; Geitmann, BVerfG und "offene" Normen, S. 163; Braun, VerwArch 76 (1985), 25 ff.). Versteht man das Bestimmtheitsgebot somit in Anlehnung an Ausführungen des BVerfG (BVerfGE 48,210 (222); 49, 89 (129); 56,1 (13); 58, 257 (278) als notwendige Ergänzung und Konkretisierung, also als Intensivierung des Vorbehalts des Gesetzes (so etwa Geitmann, S. 84), läßt sich die verfassungsrechtliche Basis kumulativ im Demokratie· und Rechtsstaatsprinzip verorten. Das Demokratieprinzip fordert, daß die grundlegenden Entscheidungen in einem Gemeinwesen von dem demokratisch unmittelbar legitimierten Parlament in den aufgrund besonderer Sicherungen einen optimalen Interessenausgleich gewährleistenden Gesetzgebungsverfahren getroffen werden (Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, S. 82). Rechtsstaatliche Grundsätze verlangen, Grundrechtseingriffe durch die Verwaltung von Gesetzen abhängig und so auch für den einzelnen Bürger vorhersehbar zu machen sowie eine Nachprüfbarkeit durch die Gerichte zu ermöglichen (Maurer, S. 83). Ähnlich zu den verfassungsrechtlichen Komponenten des Art. 80 I S. 2 GG Brohm , W D S t R L 30 (1972), S. 268 Fn. 64. 6 3 So ausdrücklich BVerfGE 49,89 (136 f.); vgl. die sorgfältige Zusammenstellung der Kriterien für die Differenzierung der Bestimmtheitsanforderungen in der Rechtsprechung des BVerfG bei Geitmann, BVerfG und "offene" Normen, S. 136 ff.
Abschnitt 6: Rechtsstaatliche Gebote im übrigen
111
weniger zugänglich sind 64 . So sollen insbesondere bei wirtschaftslenkenden Gesetzen die "Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse"65 sowie der rasche Anpassung erfordernde "Wandel der Verhältnisse" 66 geringere Bestimmtheitsanforderungen rechtfertigen. In der Entscheidung zu § 2 1 des Preisgesetzes vom 10.4.1948 bringt das BVerfG diese Gesetzgebungsschwierigkeiten auf den Punkt: die Normierbarkeit sei begrenzt, weil "die sich schnell wandelnden wirtschaftlichen Situationen" für den Gesetzgeber "kaum vorhersehbar" seien67. Mildere Bestimmtheitsanforderungen stellt das BVerfG auch an Ermächtigungen zu Ausnahmeregelungen68. Als Gründe werden hier neben der geringen Bedeutsamkeit der delegierten Fragen vor allem die Schwierigkeiten der tatbestandlichen Erfassung der Ausnahmefälle angeführt. Die Ausnahmeregelungen sollen gerade die Härten des besonders gelagerten Einzelfalls ausgleichen. Zur Berücksichtigung des atypischen Einzelfalls ist funktionell jedoch weniger das notwendigerweise typisierende, abstrakt-generelle Gesetz, als die den Einzelfall beurteilende exekutive Entscheidung geeignet69. Klar zum Ausdruck kommt diese funktionelle Relativierung der gesetzlichen Regelungsdichte mit Bück auf die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten von Gesetzgebung und Verwaltung in der Kalkar-Entscheidung des BVerfG 70 . Zur Bestimmtheit des § 7 Π Nr. 3 AtomG wird dort ausgeführt, bei der Konkretisierung des Bestimmtheitsgrundsatzes seien die Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes sowie die Regelungsintensität zu berücksichtigen71. Das Gericht stellt im Hinblick auf den Schutz vor atomrechtlich relevanten Gefahren ein instrumentales Defizit des Gesetzgebers, eine funktionelle Grenze des Gesetzes als Handlungsform fest und führt aus, daß die Exekutive demgegenüber über rechtliche Handlungsformen verfüge, die sie für die Verwirklichung des Grundsatzes bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge 6 4
Vgl. dazu auch Geitmann, S. 136 ff.; Braun, VerwArch 76 (1985), 165 ff.
65
Vgl. nur BVerfGE 8,274 (326); 9,137 (151); 13,153 (164)); 19,17 (30).
6 6
Vgl. nur BVerfGE 8, 274 (310 f.); 9, 63 (71); 14,105 (114); 19,17 (28 ff.); 20, 296 (307,
309). 6 7
BVerfGE 8, 274 (310 f.); Brohm, WDStRL 30 (1972), S. 267 f. führt die genannte Rechtsprechung als Bestätigung seiner These an, Ermächtigungen zu planender, gestaltender Verwaltung könnten nicht voll den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 801 S.2 GG genügen. 68
Vgl. BVerfGE 9, 338 (353 f.); 11,105 (122); 20,296 (308).
6 9
Vgl. Erichsen, Staatsrecht I, S. 150; Geitmann, BVerfG und -offene" Normen, S. 149.
70
BVerfGE 49, 89 ff. Aufgegriffen und konkretisiert wurden die dort aufgestellten Grundsätze im Wyhl-Urteil des BVerwG, E 72, 300 ff. Der Gedanke einer funktionellen Relativierung des in Art. 80 I S.2 GG zum Ausdruck kommenden Bestimmtheitsgrundsatzes findet sich bereits bei Brohm, WDStRL 30 (1972), S. 268, der ihn für den Bereich der gestaltenden Verwaltung ausspricht. 7 1 BVerfGE 49,89 (133).
112
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
sehr viel besser ausrüsten . Dieser Vorsprung der Exekutive ergebe sich daraus, daß diese besser und schneller auf einen raschen Wandel der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere auf neue Erkenntnisse von Wissenschaft und Technik reagieren könne, und deshalb auch für einen "dynamischen Grundrechtsschutz" besser geeignet sei 73 . Schließlich macht das BVerfG das Maß der Regelungsdichte immer wieder von einem gänzlich anderem, weil materiellem Kriterium abhängig. Die Bestimmtheitsanforderungen sollen differieren nach der Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen 74, also nach der Schwere des Eingriffs bzw. der Belastung. Auch wenn sich somit keine ausdrücklichen Stellungnahmen zur Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen zu mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen finden lassen, kann etwas zu den Maßstäben für deren Regelungsdichte gesagt werden. Wegen ihrer TEingriffsferne", ihrer im Gegensatz zum klassischen Eingriff größeren Distanz zu dem die Kausalkette auslösenden Verwaltungshandeln, können mittelbare oder Drittbeeinträchtigungen für den Gesetzgeber unvorhersehbar, atypisch oder von geringer Intensität sein75. Soweit Normen derartige mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen zulassen, wären an sie in entsprechender Anwendung der aufgezeigten Grundsätze des BVerfG deutlich geringere Bestimmtheitsanforderungen zu stellen als an den Regelfall der klassischen Eingriffsermächtigung .
7 2
BVerfGE 49,89 (139 f.). Vgl. auch BVerwGE 72,300 (317).
73 BVerfGE 49, 89 (140). Die Exekutive kann sich dazu insbesondere rasch und unkompliziert änderbarer Verwaltungsvorschriften bedienen (vgl. Brohm, NVwZ 1988,794 ff. (796). Als Beispiel kann die zu einer Bestimmung der StrahlenschutzVO erlassene Richtlinie unter dem Titel "Allgemeine Berechnungsgrundlage fur Strahlenexposition bei radioaktiven Ableitungen mit der Abluft oder in Oberflächengewässern" (Richtlinie zu § 45 StrlSchVO v. 15.8.1979, GMB1. S. 371) genannt werden, die im Wyhl-Urteil des BVerwG als "normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift" eingestuft wurde, BVerwGE 72,300 (320). 7 4 Vgl. BVerfGE 33,125 (155) Facharzt-Beschluß; 48,210 (222), wo es um einen Mischfall von begünstigender und zugleich belastender Regelung ging, was zu geringeren Bestimmtheitsanforderungen führte; E 49, 89 (133); 56, 1 (13); 59, 104 (114); aus der Literatur vgl. Erichsen, Staatsrecht I, S. 151; Geitmann, BVerfG und "offene" Normen, S. 145 ff. 75 Vgl. zu den verschiedenen Formen faktischer Beeinträchtigungen nur Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 18. 76 Wegen der hier aufgezeigten engen Verwobenheit der Anforderungen an die Bestimmtheit mit der Frage des Gesetzesvorbehalts sollte in diesem Abschnitt nur ein Überblick gewährt werden, um der Auseinandersetzung mit der Problematik des Geltungsbereichs des Gesetzesvorbehalts nicht zu sehr vorzugreifen.
Abschnitt 6: Rechtsstaatliche Gebote im übrigen
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E. Schwerpunkt: Das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes I. Die exemplarische Vertiefung
der Untersuchung
Nach dem verfassungsrechtlichen Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes sind bestimmte staatliche Maßnahmen dem Gesetz "vorbehalten", d.h. sie bedürfen einer formell-gesetzlichen Grundlage. Schon die allgemeine Problematik der präzisen Bestimmung des Geltungsbereichs dieses Prinzips bereitet erhebliche Schwierigkeiten und gehört(e) in Vergangenheit wie Gegenwart zu den am meisten umstrittenen Themen des Staats- und Verwaltungsrechts77. In gesteigertem Maße gilt dies heute für das Spezialproblem der Reichweite des Gesetzesvorbehalts im Hinblick auf Drittbeeinträchtigungen. Da nach wohl überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur der Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts zwangsläufig das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage nach sich zieht, ist dieses Problem eng verknüpft mit der Vor-Frage des Grundrechtsschutzes gegen Drittbeeinträchtigungen. Während sich die Grundlagen des einfachgesetzlichen Drittschutzes mittlerweile gefestigt haben und auch in der wissenschaftlichen Diskussion eine gewisse Ruhe eingekehrt ist 78 , weist kaum ein Bereich des Staats- und Verwaltungsrechts ein solches Defizit an einheitlicher Dogmatik auf wie das Problem der mittelbaren oder faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen. Überwiegend Einigkeit in Rechtsprechung und Lehre besteht lediglich in zwei Punkten: 1. Die Grundrechte sind in ihrer materiellen Gewährleistungsbasis auf den freiheitswidrigen Effekt bezogen und bieten grundsätzlich nicht nur Schutz vor bestimmten Eingriffsmodalitäten 79. 2. Nicht jede faktische Betroffenheit löst Grundrechtsschutz aus, sondern • · on es sind eingrenzende Kriterien zu fordern . Bis auf diesen Minimalkonsens herrscht Ungewißheit. Der Rechtsprechung ist es bislang nicht gelungen, konkretere einheitliche Grundsätze zu finden. Vor allem scheinen die von ihr vorgenommenen Begrenzungen grundrechtlichen Schutzes mehr von praktischen Folgenerwägungen als von 7 7
Vgl. nur Stern, Staatsrecht I, S. 809; Krebs, Jura 1979,304 ff.; Hermes, Bereich.
7 8
Brohm, DÖV 1982,1 ff. (4).
79 Für die Literatur grundlegend Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 166 ( T h e s e 8); für die Rechtsprechung BVerwGE 71,183 (192). 8 0 Vgl. für die Literatur Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (380); für die Rechtsprechung BVerwGE 71,183 (192). 8 Roth
114
Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen Ol
verfassungsrechtlichen Begründungen getragen zu sein . In der Literatur wird im Hinblick auf Art und Rechtfertigung der Kriterien, die aus mittelbaren oder Drittbeeinträchtigungen Grundrechtseingriffe machen, von "einem kaum noch überschaubaren dogmatischen Chaos"82, von "vollkommeΟΛ
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ner Unklarheit und von "erheblicher Verwirrung" gesprochen . Vereinzelt wird sogar die Auffassung vertreten, für einen grundrechtlichen Drittschutz sei neben dem einfachgesetzlichen kein Raum mehr 86 . Da sich viele Drittbeeinträchtigungen als mittelbare Folge staatlichen Unterlassens konstruieren lassen87, stellt sich die folgenreiche Frage, ob die Grundrechte in ihrer klassischen Abwehrfunktion oder in ihrer objektivrechtlichen Bedeutung als Basis staatlicher Schutzpflichten angesprochen werden. Neben diesen Problemen bei der Bestimmung der grundrechtlichen Schutzbereiche stellen sich Fragen, die speziell mit dem Institut des Gesetzesvorbehalts zusammenhängen. Lassen sich faktische Beeinträchtigungen z.T. nicht bereits unmittelbar verfassungsrechtlich rechtfertigen, sodaß es insoweit besonderer formellgesetzlicher Grundlagen gar nicht mehr bedarf? Führt die grundsätzliche Anerkennung der grundrechtlichen Relevanz faktischer Beeinträchtigungen nicht gerade angesichts der spezifischen Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers zu Widersprüchen und Problemen? Vor dem Hintergrund der für den Gesetzgeber unübersehbaren Vielfalt möglicher Folge- und Nebenwirkungen von Verwaltungshandeln müssen Kriterien gefunden werden, die den Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts in Bezug auf faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen in einer Weise bestimmen, die sowohl dem Interesse des Grundrechtsschutzes gegen faktische Beeinträchtigungen wie auch den verfassungsrechtlichen Funktionen und dem "Funktionieren" des Gesetzesvorbehalts gleichermaßen Rechnung trägt. Neben dem aufgezeigten dogmatischen Defizit spricht auch die besondere Aktualität des Themas für dessen vertiefte exemplarische Behandlung. In den letzten Jahren und gerade auch in jüngster Zeit sind zu diesem Fragenkreis wichtige höchstrichterliche bzw. obergerichtliche Entscheidungen er-
8 1
Vgl. Sendler, Festschrift Simon, S. 113 ff. (122).
8 2
Schulte, DVB1.1988,512 ff. (516).
8 3
Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff.
84 85
Vgl. Wilke, Zeugnisreform als Eiziehungsreform, S. 27.
Stern, Staatsrecht III/l, S. 1206, hält die Problematik für "dogmatisch noch wenig aufbereitet". 86 Berger, Grundfragen, S. 141. 87 Vgl. nur das Beispiel der Baugenehmigung bei Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 ff.
Abschnitt 6: Rechtsstaatliche Gebote im übrigen QQ
115
QQ
gangen , die nicht frei von Widersprüchen sind . Auch der Gesetzgeber ist tätig geworden 90. Während das TTiema zuvor nur ganz vereinzelt oder in Teilaspekten Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen war 91 , häufen sich gerade in jüngster Zeit Beiträge im Schrifttum, die sich z.T. auch grundsätzlich mit der Problematik auseinandersetzen92. Die vertiefte Behandlung der Gesamtproblematik der Drittbeeinträchtigungen am Beispiel des Gesetzesvorbehalts läßt sich schließlich auch deshalb rechtfertigen, weil hier notwendigerweise übergreifende Fragen zu erörtern sind, denen zugleich Relevanz für andere Problemfelder zukommt93.
IL Die funktionale Relativierung der Rechtserheblichkeit von Drittbeeinträchtigungen als Fazit von Teil 1 und Vorgabe für die Behandlung des Gesetzesvorbehalts Die bisherige Erörterung hat gezeigt, daß es keine einheitlichen Kriterien für die rechtüche Relevanz von Drittbeeinträchtigungen gibt. Es konnten allerdings bestimmte "Grundprinzipien" festgestellt werden, die hier zu-
8 8
Vgl. nur BVerwG v. 18.4.1985, E 71,183 ff. Transparenzlisten; BVeiwG v. 6.11.1986, E 75,109 ff. Subventionsrichtlinien; BVerwG v. 23.5.1989, JZ 1989, 997 ff. Jugendsekten; OVG NW v. 19.11.1985, NJW 1986, 2783 f. Weinliste; VGH BW v. 29.8.1988, DÖV 1989,169 ff. Faltblatt Jugendsekten; Hess. VGH v. 6.11.1989, DVB1.1990, 63 ff. Gesetzesvorbehalt für gentechnische Anlagen. 89 Während das BVerwG beispielsweise für die Aizneimittel-Transparenzlisten wegen deren grundrechtseinschränkenden Charakters eine formellgesetzliche Grundlage forderte (BVerwGE 71,183 ff.), hält es eine solche im Fall der strukturell vergleichbaren Warnungen vor90-Jugendsekten" für entbehrlich (JZ 1989,997 ff. [998]). So hat der Bundesgesetzgeber auf das Transparenzlisten-Urteil des BVerwG reagiert, indem er durch Nr. 21 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 18.8.86 (BGBl. I, S. 1296,1300) die §§ 39 a - e in das AMG einfügte, um auf diese Weise die vom BVerwG geforderte gesetzliche Grundlage für die Erstellung von Transparenzlisten durch die91 Transparenzkommission zu schaffen. Vgl. Gallwas, Beeinträchtigungen; Haug, Verfassungsbeschwerde; Ramsauer, Die faktischen 92 Beeinträchtigungen. Vgl. Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 715 ff.; Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 131 ff.; Ossenbühl, Umweltpflege; Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 ff.; dies., Eingriffsabwehrrechte; Sodan, Funktionsträger, ders., DÖV 1987, 858 ff.; Schulte, DVB1. 1988, 512 ff.; Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff.; Pinger, JuS 1988,53 ff.; Scheizberg, DVB1.1989,1128 ff.; Dolde, Gutachten, S. 1 ff.; Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (Hrsg.), BLL-Forum, S. 1 ff.; Philipp, Verbraucherinformationen. 93 So hat beispielsweise der Umfang des Schutzbereichs der Grundrechte weitreichende Bedeutung für die Rechtsschutzmöglichkeiten, die verfahrensrechtliche Stellung sowie die Entschädigungsansprüche Drittbetroffener.
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Teil 1: Relevanz mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen
sammenfassend hervorzuheben sind. Da sie u.U. auch die Reichweite des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes im Falle von Drittbeeinträchtigungen zu beeinflussen vermögen, wird auf sie im Rahmen der Untersuchung des Gesetzesvorbehalts zurückzukommen sein. Eine erste, wesentliche Determinante für die Kriterien bilden die Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten der staatlichen Organe, an die sich das jeweilige Gebot wendet und die zur Berücksichtigung der Drittbetroffenheit berufen sind. So wird Drittbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit an den Gesetzgeber gerichteten Geboten (Junktim-Klausel, Zitiergebot, Bestimmtheitsgrundsatz, Verhältnismäßigkeit von Gesetzen) lediglich eine reduzierte rechtliche Relevanz zuerkannt. Mit Rücksicht auf die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Gesetzgebers und die ihm an die Hand gegebene spezielle Handlungsform des Gesetzes gesteht man hier Drittbeeinträchtigungen Rechtserheblichkeit überwiegend nur zu, wenn sie eine gewisse Formalität aufweisen, also z.B. vom Gesetzgeber bezweckt werden, oder durch ihn vorhergesehen oder typisiert werden können. Soweit demgegenüber die zur Berücksichtigung von Drittbeeinträchtigungen im Einzelfall berufenen und aufgrund ihrer Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten auch geeigneten Organe der Exekutive und Justiz angesprochen werden, zeichnen sich die maßgeblichen Kriterien durch ein Defizit an Formalität und eine erhebliche Offenheit für die besonderen Umstände des Einzelfalls aus. Dennoch wird deutlich, daß auch sie überspannten Anforderungen an die staatlichen Organe entgegenwirken sollen. Die zweite auffallende Determinante beruht auf dem Gegenüber von Instrumenten "formellen" und "materiellen" Rechtsschutzes. Während beispielsweise der Gewährung von Verfahrensrechten wie auch dem Stiergebot und der Junktimklausel grundsätzlich nur die Funktion eines zusätzlichen, formellen, d.h. in bestimmten Formen zu realisierenden Rechtsschutzes zukommt, wirken materielle subjektive Rechte sowie Entschädigungsansprüche aus enteignungsgleichem bzw. enteignendem Eingriff rechtsschutzeröffnend, d.h. sie entscheiden darüber, ob der Drittbetroffene überhaupt Rechtsschutz erlangen kann. Da somit die Institute formellen Rechtsschutzes den ohnehin bestehenden materiellen Rechtsschutz lediglich ergänzen, gesteht man Drittbeeinträchtigungen hier nur eingeschränkte Rechtserheblichkeit zu. Soweit es um elementaren, materiellen Rechtsschutz geht, wie etwa bei der Bestimmung des einfachgesetzlichen subjektiven Rechts, räumt man der Einzelfallgerechtigkeit den Vorrang ein und realisiert dies durch eine weitgehende Offenheit der Kriterien für die Rechtserheblichkeit von Drittbeeinträchtigungen. Demgegenüber wird die Gewährung formellen Rechtsschutzes an Drittbetroffene überwiegend von zusätzlichen, formellen Voraussetzungen abhängig gemacht.
Abschnitt 6: Rechtsstaatliche Gebote im übrigen
117
Ein dritter Aspekt, der zumindest ansatzweise deutlich geworden ist, liegt in einer gewissen Sonderstellung finaler, d.h. von der Behörde bezweckter Drittbeeinträchtigungen. So haben wir im Zusammenhang mit dem Folgenbeseitigungs-, dem Aufopferungs-, dem Amtshaftungsanspruch sowie dem Anspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs gesehen, daß hier das Finalitätskriterium zwar nicht als abschließendes, aber doch als hinreichend sicheres Kriterium für die Rechtserheblichkeit einer Drittbeeinträchtigung verstanden wird. Diesen drei, die rechtliche Relevanz von Drittbeeinträchtigungen maßgeblich beeinflussenden Gesichtspunkten wird bei der nachfolgenden Erörterung der Problematik des Gesetzesvorbehalts besondere Beachtung zu schenken sein.
Teil 2
Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit und Gesetzesvorbehalt
Abschnitt 1 Die Reichweite des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes - allgemein Der Umfang dieses Verfassungsgrundsatzes 1 war in seiner langen Geschichte zu keinem Zeitpunkt unumstritten. Diese Aussage kann wohl trotz wechselnder Schwerpunkte der Diskussion auch heute noch aufrechterhalten werden2. Das erschwert Aussagen über seine Geltung fur mittelbare Beeinträchtigungen und macht es erforderlich, sich die Grundlagen des Prinzips zu vergegenwärtigen. A. Der "klassische" Vorbehalt des Gesetzes Nach einem überkommenen Grundsatz des deutschen Verfassungsrechts beschränkt sich der Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts auf die sog. "Eingriffe in Freiheit und Eigentum" des Bürgers 3. Das Gebot, bestimmte staatliche Maßnahmen von einer vorherigen gesetzlichen Normierung abhängig zu machen, bildete sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als verfassungspolitische Forderung des liberalen Bürgertums gegenüber den übermächtigen Monarchen heraus und fand Eingang in verschiedene Ver-
* Trotz fehlender ausdrücklicher Normierung ist sein Verfassungsrang unbestritten, vgl. BVerfGE 40,237 (248 f.); 48,210 (221); 49,89 (126) sowie Klopfer, JZ 1984,685 mit Fn. 1. 2 Zur Entwicklung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes im jeweiligen historischen Kontext umfassend Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 42 ff. Vgl. auch Ossenbühl, HdbStR, ΙΠ, § 62 Rn. 3 13 f.; Bleckmann, Subventionsrecht, S. 43 ff. Zum klassischen Gesetzesvorbehalt Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 117 -141 unter Zurückgehen auf die historischen Wurzeln des strafrechtlichen und steuerrechtlichen Vorbehalts; Rupp, Grundfragen, S. 113 ff.; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 12 ff.; Krebs, Vorbehalt, S. 16 - 31; Klopfer, JZ 1984, 685 f.; Ossenbühl, in: Götz u.a. (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung, S. 9,15 ff.
Abschnitt 1: Die allgemeine Reichweite des Prinzips
119
fassungen deutscher Teilstaaten4. Im Staat der konstitutionellen Monarchie, dessen Verfassung vom Antagonismus zwischen monarchischer Exekutive und Parlament geprägt war, hatte der Gesetzesvorbehalt die Funktion, den individuellen, gesellschaftlichen Bereich gegenüber der Machtfülle des Monarchen abzusichern5. Dies war umso bedeutender, als der Vorbehalt /r
das einzige Mittel zum Schutz der Individualsphäre darstellte . Deshalb sollten unumgängliche staatliche Eingriffe in diesen Bereich von der in Form eines Gesetzes gekleideten Zustimmung der Volksvertretung als Repräsentanten der Betroffenen 7 abhängig sein8. Der auf diese bestimmte historisch-politische Konstellation und Verfassungsstruktur hin zugeschnittene Begriff des Gesetzesvorbehalts war notwendigerweise nur ein Eingriffs-Vorbehalt für staatliche Einbrüche in die dem politischen Liberalismus schützenswert erscheinenden Eigentums- und Freiheitsrechte, nicht 4 Die auf den Freiherrn vom Stein zurückgehende Formel trat erstmalig im Zusammenhang mit der Gesetzgebungskompetenz in der Verfassung des Herzogtums Nassau auf. In § 2 des Patents vom 1./2. 9. 1814 heißt es, daß "Wir die Sicherheit des Eigenthums und der persönlichen Freiheit unter die mitwirkende Gewahrleistung Unserer Landstande stellen ... Überdies sollen wichtige, das Eigenthum, die persönliche Freiheit und die Verfassung betreffende, neue Landesgesetze nicht ohne den Rath und die Zustimmung der Landstände eingeführt werden". Vgl. auch die Badische Verfassungsurkunde v. 22.8.1818, § 65: "Zu allen anderen die Freyheit der Personen oder das Eigenthum der Staatsangehörigen betreffenden allgemeinen neuen Landesgesetzen oder zur Abänderung oder authentischen Erklärung der bestehenden, ist die Zustimmung der absoluten Mehrheit einer jeden der beyden Kammern erforderlich". Dazu auch Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 123 ff.; Erichsen, Staatsrecht I, S. 86 f. 5 Stern, Staatsrecht I, S. 802; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 130 f. ^ In ihrer Funktion als subjektive Rechte anerkannte Grundrechte fehlten noch, vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 105 f.; Erichsen, Staatsrecht I, S. 40. Bis in die Zeit der Weimarer Republik beschränkte sich die Funktion der Grundrechte auf die Begründung des Vorbehalts des Gesetzes. So verstand etwa Anschütz die Grundrechte als "kasuistisch gefaßte Darlegung jenes allgemeinen formalen Prinzips, wonach die Verwaltungsorgane, dem Leitgedanken des Rechtsstaats entsprechend, in Freiheit und Eigentum des Einzelnen nur auf Grund und innerhalb der Schranken des Gesetzes eingreifen dürfen (Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung)", Gerhard Anschütz, Die Verfassung, S. 511. Zu dieser Funktion der Grundrechte Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 271 ff. 7 Während z.B. Roellecke insoweit darauf hinweist, daß die ursprüngliche Funktion des Gesetzesvorbehalts in dem Grundsatz "volenti non fit iniuria" wurzelt (vgl. NJW 1978,1776 ff. [1778]), sollte der Vorbehalt nach Brohm nicht die Zustimmung einzelner, in ihren konkreten Rechten Betroffener sichern, sondern die Zustimmung des "Volkes als Einheit", das von der Gesetzgebung als Lebens- und Schicksalsgemeinschaft "betroffen" wird (DVB1. 1990, 321 ff. [32η). g Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 9, spricht von einer demokratischparlamentarischen und einer rechtsstaatlichen Funktion, da als Form der Zustimmung des Parlaments das Instrument des allgemeinen Gesetzes gewählt wurde, um das Verwaltungshandeln zu begrenzen und für den Bürger voraussehbar und berechenbar zu machen.
120
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
für andere Angelegenheiten9. Von vornherein ausgespart blieben der Innenbereich des Staates sowie staatliche Leistungen^0. Der Gesetzesvorbehalt im Sinne des Eingriffsvorbehalts galt dann unter der Weimarer Reichsverfassung praktisch unbestritten 11 und wird auch noch unter dem Grundgesetz zum "eisernen Bestand der Staatsrechtsdogmatikn gezählt12. Jeder Eingriff in die durch Grundrechte geschützte Freiheitssphäre des Bürgers darf nur durch Gesetz oder aufgrund einer formellgesetzlichen Ermächtigung erfolgen. Die verfassungsrechtliche Begründung bildet nach ganz überwiegender Meinung zunächst ein allgemeines Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes 3 . Zwar ist ein solcher Vorbehalt als allgemeiner Grundsatz im Grundgesetz nicht ausdrücklich genannt14, doch sieht man ihn als Element des Rechtsstaates an: Wegen seiner Funktion, Schutzzonen bürgerlicher Freiheiten zu sichern und Verwaltungshandeln durch das Gesetzeserfordernis für den Bürger voraussehbar, berechenbar und durch die Gerichte kontrollierbar zu machen, stellt er eine Grundkategorie des Rechtsstaates i.S.d. Art. 20 ΠΙ GG dar 15 . Zudem wird er in Art. 20 m GG vorausgesetzt, weil sonst offenbliebe, in welchem Umfang die vollziehende und rechtsprechende Gewalt gebunden sei, und somit auch der Vorrang des Gesetzes seinen Sinn verlöre 16. Daneben stützt man den Eingriffsvorbehalt heute
9 10 11
Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 9; Erichsen/Martens, S. 66 f. Krebs, Jura 1979,304 ff. (305). Thoma, in: Anschütz/Thoma, HdbDStR, Π, S. 221 f.
12
Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 288 Fn. 4. Auch das BVerfG vertrat lange Jahre ausschließlich die Lehre vom Eingriffsvorbehalt, vgl. nur BVerfGE 8,166 f.; dazu auch Eberle, DÖV 1984,485 ff. 13 Vgl. nur Ossenbühl, HdbStR, ΙΠ, § 62 Rn. 31; Hesse, Verfassungisrecht, Rn. 201. Die ganz überwiegende Auffassung hat sich somit der These Vogels, Gesetzgeber und Verwaltung, W D S t R L 24 (1966), S. 125 (151), der traditionelle allgemeine Vorbehalt sei neben den speziellen Vorbehalten der Grundrechte entbehrlich geworden, nicht angeschlossen. Zu den Gründen Ossenbühl, HdbStR, ΙΠ, § 62 Rn. 16; Klöpfer, JZ 1984,685 ff. (687). 14 Im Gegensatz dazu enthalten fünf der elf Landesverfassungen einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt - in vier Fällen in der Form des Eingriffevorbehalts, vgl. z.B. Art. 58 LV BW sowie Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 385 Fn. 26. Stern, Staatsrecht I, S. 805; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 6. Auch das BVerfG leitet den allgemeinen Eingriffsvorbehalt in ständiger Rechtsprechung aus dem Rechtsstaatsprinzip ab, repräsentativ E 8, 71 (76); 274 (325 f.). A A . Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 176ff., 316 ff., 330 ff. 16 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 201; Stern, Staatsrecht I, S. 805; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 287. Ebenso BVerfGE 40, 237 (249). Gegen eine Verortung in Art. 20 III GG Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20, VI, Rn. 77 ff., der einen Fall von Verfassungsgewohnheitsrecht annimmt.
Abschnitt 1: Die allgemeine Reichweite des Prinzips
121
17
auch auf die speziellen Gesetzesvorbehalte der Grundrechte . Denn aus dem Wortlaut der meisten Grundrechtsvorschriften ergibt sich, daß Grundrechtseinschränkungen ausschließlich dem Gesetzgeber vorbehalten sind 18 . Über Art. 2 I GG, der - als "Auffanggrundrecht 11 einer allgemeinen Handlungsfreiheit verstanden - den gesamten Freiheitsbereich abdeckt, besteht umfassender Schutz gegenüber Eingriffen, die nicht auf eine gültige Gesetzesgrundlage zurückgehen19. Die zentrale und in der Praxis bedeutsame Frage im Zusammenhang mit dem klassischen Gesetzesvorbehalts i.S.d. Eingriffsvorbehalts stellt sich notwendigerweise nach der näheren Bestimmung dessen, was den Grundrechtseingriff ausmacht. Nach der heute herrschenden Grundrechtsdogmatik, die das Vorliegen einer Grundrechtsverletzung von der zweistufigen Prüfung erstens des Eingriffs in den Schutzbereich eines Grundrechts und zweitens der mangelnden Rechtfertigung des Eingriffs durch Grundrechtsschranken abhängig macht 20 , setzt der Eingriffsvorbehalt das positive Ergebnis der ersten Prüfungsstufe voraus 21. B. Erweiterungen 22 Die völlig veränderten Rahmenbedingungen im modernen Staat unter Geltung des Grundgesetzes machten eine Neuorientierung des auf eine bestimmte historische Situation zugeschnittenen Gesetzesvorbehalts erforderlich 23 . Zum einen konnten sich die Staatsaufgaben im sozialen Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht mehr auf die Eingriffsverwaltung beschränken, sondern mußten die Bereiche Sozialgestaltung, Wirtschaftslenkung und
17
Vgl. Ossenbühl, HdbStR, III, § 62 Rn. 16; Stern, Staatsrecht I, S. 805; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 28; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 287. Auch in jüngeren Entscheidungen des BVerfG wird als Grundlage häufig ein Grundrecht genannt, BVerfGE 67, 157 (172); 71,108 (114). 18
Sodan, Funktionsträger, S. 425. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 287; Ossenbühl, HdbStR, III, § 62 Rn. 16. Vgl. auch BVerfGE 6,32 (37 ff.), ständ. Rspr. 20 Vgl. nur H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat; Böckenförde, NJW 1974,1529 ff. (1530 ff.). Ausführlich mit dem sog. "Eingriffs- und Schrankendenken" setzte sich zuletzt Schlink, EuGRZ 1984,457 ff. auseinander. 2 1 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 225 ff.; Bleckmann, Staatsrecht, S. 325; Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (476). 22 Einen umfassenden Uberblick über die Ausdehnungstendenzen unter Geltung des GG bietet 23 Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis, S. 157 ff. Zu den veränderten Rahmenbedingungen Ossenbühl, HdbStR, ΙΠ, § 62 Rn. 15 ff. 19
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
0Δ. zunehmend auch Umweltpflege erfassen . Zum anderen hatten sich auch andere, maßgebliche Verfassungsstrukturen grundlegend verändert: Der Wandel der Staatsform von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarisch-demokratischen Republik relativiert den im Konstitutionalismus bestehenden, der Trennung von Staat und Gesellschaft entsprechenden Antagonismus von Exekutive und Parlament 25. Der Vorbehalt des Gesetzes kann hier nicht den scharfen Kompetenzkonflikt zwischen dem Monarchen und dem Parlament, sondern lediglich die Abgrenzung des unmittelbar demokratisch legitimierten Parlaments und der mittelbar demokratisch legitimierten Exekutive betreffen 26. Während das Parlament zuvor nur als "beschränkendes Element" der Gewalt des Monarchen diente 27 , übernahm es in der parlamentarischen Demokratie aufgrund seiner unmittelbaren demokratischen Legitimation die Führungsrolle 28, was zwangsläufig den Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts beeinflußen mußte. Schließlich lag eine besonders bedeutsame, für den Gesetzesvorbehalt relevante Veränderung in der durch das GG angeordneten immittelbaren Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte . Im Zusammenhang mit den differenzierten Möglichkeiten der Einschränkung durch die speziellen grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte ergab sich daraus, daß kein Bereich staatlichen Handelns vom Grundrechtsschutz und damit auch von der Geltung des Gesetzesvorbehalts ausgespart bleiben konnte30. Den wohl radikalsten Versuch einer Anpassung des Gesetzesvorbehalts an die veränderten Rahmenbedingungen hat Jesch mit seiner Lehre vom "Totalvorbehalt" unternommen 31. Jesch folgert aus der Verfassungsstruktur der parlamentarischen Demokratie die oberste Entscheidungsgewalt des durch die Wahl demokratisch legitimierten Parlaments und die Reduzierung der Kompetenzen der Exekutive auf den bloßen Gesetzesvollzug. 2 4
25 (307). 2 6
27 2 8
67. 29 z
30 31
Klopfer, JZ 1984,685 ff. (686). Dazu vor allem Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 171 ff.; auch Krebs, Jura 1979, 304 ff. Klopfer, JZ 1984,685 ff. (686). Erichsen/Martens, S. 67. Klopfer, JZ 1984, 685 ff. (686); Brohm, DÖV 1987, 265 ff. (269); Erichsen/Martens, S. Vgl. Art. 1 III GG. Vgl. nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 10.
Jesch, Gesetz und Verwaltung. Einen anderen hervorzuhebenden Versuch zur Begründung eines Totalvorbehalts machte Rupp, Grundfragen, S. 113 ff., der jedoch nicht auf das Demokratie-, sondern das Rechtsstaatsprinzip und einen veränderten Freiheitsbegriff rekurriert. Einen Totalvorbehalt sieht z.B. auch Art. 18 des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes sowie die schweizerische Rechtsauffassung vor (vgl. zu letzterer Imboden, Das Gesetz als Garantie rechtsstaatlicher Verwaltung).
Abschnitt 1: Die allgemeine Reichweite des Prinzips
123
Mangels eigener demokratischer Legitimation erlange die Exekutive die Ermächtigung zum Handeln gegenüber dem Bürger erst vom parlamentarischen Gesetzgeber. Jegliches exekutive Handeln, insbesondere auch auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung, bedürfe danach einer gesetzlichen Grundlage 32. Jeschs Theorie läßt neben der Frage praktischer Notwendigkeiten und Möglichkeiten vor allem unberücksichtigt, daß die Exekutive nach wohl inzwischen überwiegender Meinung in unserem Verfassungssystem auf eine eigene, mittelbare demokratische Legitimation verweisen kann 33 . Demgemäß zog sie starke Kritik auf sich und konnte sich jedenfalls im Bereich der deutschen Staatsrechtslehre nicht durchsetzen34. Eine andere Entwicklungslinie im Bemühen um eine Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts betraf den staatlichen Binnenbereich. Während herkömmlich der Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts auf das allgemeine Staat-Bürger-Verhältnis beschränkt war 35 , verlangte man unter dem GG insbesondere im Blick auf Art. 1 ΙΠ GG zunehmend auch die gesetzliche Normierung von Maßnahmen, die gegenüber dem Bürger im Sonderstatus, also etwa als Strafgefangener, Schüler oder Beamter ergingen 36. Ebenfalls den staatlichen Binnenbereich betraf die Forderung nach einem "institutionellen Gesetzesvorbehalt": der Reichweite der Organisationsgewalt der Exekutive sollten dadurch Grenzen gesetzt werden, daß bestimmte Fragen der Verwaltungsorganisation, etwa die Behördenzuständigkeit oder die Übertragimg staatlicher Aufgaben auf Private durch Beleihung, unter das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung gestellt werden 37. Eine weitere Ausweitungstendenz schließlich wurzelt in einem gewandelten Verständnis von den Funktionen der Grundrechte. So entnahm man dem objektivrechtlichen Charakter der Grundrechte zunehmend auch die grundsätzliche Verpflichtung des Staates zur Grundrechtsrealisierung und -effek32
Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 34. Vgl. aus der Rechtsprechung BVerfGE 49, 89 (125) Kalkar. Aus der Literatur Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 79 f.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 198 ff.; Brohm, DÖV 1987,265 ff. (270); Umbach, Festschrift Faller, S. 115. 3 3
3 4
Vgl. nur Krebs, Jura 1979,304 ff. (308); Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes,
S. 282. 35
Vgl. nur Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 17 ff.. Vgl. nur Spanner, DÖV 1963,29 ff.; Heckel, in: Heckel-Seipp, Schulrechtskunde, S. 364 f.; Rupp, NJW 1970, 412 ff. (413); Scheuner, Recht-Staat-Wirtschaft, Bd. IV, S. 110. Vgl. auch die Nachweise bei Paetzold, Die Abgrenzung von allgemeinen und besonderen Gewaltverhältnissen, S. 26 f. 3 6
3 7 Grundlegend A. Röttgen, W D S t R L 16 (1958), S. 154,161 ff.; Schmidt-Aßmann, Festschrift Ipsen, S. 333, 334,337; Schnapp, WDStRL 43 (1985), S. 172,192 ff.; Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 21, § 21 Rn. 62 ff.
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
124 ΛΟ
tuierung . Eine Konsequenz dieser Sicht war es, u.U. auch das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes einzusetzen, um die notwendigen Voraussetzungen für die Verwirklichung der Grundrechte zu schaffen 39. So sollte das Vorbehaltsprinzip unter bestimmten Voraussetzungen auch grundrechtssichernde Organisations- und Verfahrensregelungen umfassen 40 oder in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten konkrete gesetzliche Grenzziehungen zwischen kollidierenden Grundrechtsausübungen fordern 41. Das BVerfG hat diese Entwicklungslinien bis zu einem gewissen Grade aufgenommem und in seiner Rechtsprechung auf die veränderten Rahmenbedingungen dadurch reagiert, daß es das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes durch die sog. "Wesentlichkeitstheorie" auf ein gänzlich neues dogmatisches Fundament stellte und in zwei Richtungen ausgestaltete42. Zum einen wurde der Vorbehalt des Gesetzes von der historischen Eingriffsformel gelöst und insbesondere mit Rücksicht auf die unmittelbare demokratische Legitimation des Parlaments erweitert 43. Die insoweit immer wieder auftauchende Formel lautet: "Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verpflichten den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen"44. Praktische Bedeutung hat diese Lehre vor allem durch die Erstreckung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes auf "Besondere 3 8
Scheuner, DÖV 1971, 505 ff.; Häberle, WDStRL 30 (1972), S. 114 ff., 119 f.; Rupp, AöR 92 (1967), 212, 227; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 298; Krebs, Vorbehalt, S. 47 ff., 72 ff., insb. 74. 3 9 Häberle, DVB1.1972,909 f.; Rupp, JuS 1975,609 ff. (616); Krebs, Jura 1979,304 ff. (309 f.). Ablehnend Schenke, GewArch 1977,313 ff. (315). 4 0
Häberle, W D S t R L 30 (1972), S. 43 ff.
4 1
Vgl. Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis, S. 161 ff.
42 Der Grundgedanke, daß für den Inhalt des Gesetzes die Wichtigkeit bzw. Wesentlichkeit der Materie maßgeblich ist, ist allerdings so alt wie das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes selbst, Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 106 ff.; Ossenbühl, HdbStR, III, § 62 Rn. 41.43 Erste Ansätze zur Wesentlichkeits-Doktrin finden sich bereits in der Entscheidung BVerfGE 33,1 ff. - Strafvollzug - und 33,125 (155 ff.) - Facharzt-Beschluß - . Als Leitentscheidung kann das "numerus-clausus-Urteil", BVerfGE 33, 303 (337, 346), bezeichnet werden. Weitere Entscheidungen zur Wesentlichkeitstheorie : BVerfGE 34,156 (192 f.) - hessische Förderstufe -; 40,237 (249) - Rechtsbehelfe im Strafvollzug -; 41,251 (259 f.) - Speyer-Kolleg -; 45,400 (417 f.) - Oberstufenreform in Hessen -; 47, 46 (78) - Sexualkundeunterricht -; 49, 89 (127) Kalkar -; 58,257 (268) - Schulentlassung -. Zur Entwicklung der Wesentlichkeitstheorie ausführlich Umbach, Festschrift Faller, S. 111 ff.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 106 ff., der Kritik daran übt, daß die bereits zuvor erfolgten Ansätze einer Wesentlichkeitsrechtsprechungbeim BVerwG und anderen Gerichten allgemein nicht gewürdigt werden. 4 4 BVerfGE 47,46 (78).
Abschnitt 1: Die allgemeine Reichweite des Prinzips
125
Gewaltverhältnisse", auf Verfahrens- und Organisationsfragen hinsichtlich der Teilhabe an staatlichen, für die Verwirklichung von Grundrechten notwendigen Leistungen45, auf die Entscheidung über die Zulässigkeit der zivilen Nutzung der Kernenergie 46 und über die strukturelle Ausgestaltung des Privatrundfunks 47 erhalten. 48 Zum anderen ist das Neue an der Wesentlichkeitstheorie, daß sie das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes zum sog. Parlamentsvorbehalt umgestaltet und damit auch Einfluß auf die Regelungsdichte nimmt 49 . Die für das Eingreifen dieses zum Delegationsverbot verdichteten Gesetzesvorbehalts50 entscheidenden Voraussetzungen gleichen denen für die Geltung des Gesetzesvorbehalts überhaupt und fuhren zu einem Stufensystem mit gleitenden Übergängen: dieses reicht von den ganz wesentlichen Angelegenheiten, die ausschließlich dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten sind, über die minder wesentlichen 4 5
BVerfGE 33,303 (337,346 ff.) numerus clausus.
4 6
BVerfGE 49,89 (126 f.) Kalkar.
4 7
BVerfGE 57,295 (320 ff.).
48 In Rechtsprechung und Schrifttum wird das so verstandene Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes überwiegend auf drei grundgesetzliche Begründungselemente gestützt: Vorrangig auf das Prinzip der parlamentarischen Demokratie, das grundsatzlich den vom Volk bestellten Gesetzgebungsorganen die Leit- und Lenkungskompetenz bei der Ausübung der öffentlichen Gewalt und somit die Regelung der grundlegenden Fragen zuweist (vgl. Umbach, Festschrift Faller, S. 114). Das in Art. 20 III GG und Art. 281 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip bedingt die Grenzen dieses Prinzips insoweit, als durch eine klare Kompetenzordnung und Funktionentrennung der Freiheitsbereich des einzelnen gesichert und fur den Bürger "wesentliches" Verwaltungshandeln durch die Gesetzesform vorausssehbar und berechenbar wird (Umbach, Festschrift Faller, S. 114). Als dritter Begründungsstrang wird zunehmend die bereits erwähnte objektivrechtliche Funktion der Grundrechte angeführt, die den Staat grundsätzlich zur Grundrechtsrealisierung und -effektuierung verpflichtet (vgl. die Nachweise oben Fn. 38). Diese Aussage der Grundrechte kann somit nicht nur zu einem Eingriffsvorbehalt, sondern auch zu einem Regelungs- und Konkretisierungsvorbehalt führen (Krebs, Jura 1979, 304 ff. [310]; Rupp, JuS 1975, 609 ff. (616); Häberle, DVB1.1972, 909 ff. (912); Umbach, Festschrift Faller, S. 115; BVerfGE 47, 46 ff. - Sexualkundeunterricht -). Zum Ganzen Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 382 ff.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 176 ff., 316 ff., 33049ff.) Vgl. insbesondere BVerfGE 40, 237 (249); 47,46 (79); 51, 268 (290); 57, 295 (321, 326); 58, 257 (268). Demgegenüber bestand nach der traditionellen Lehre vom Ansatz her eine prinzipiell unbeschränkte Delegationsbefugnis, es genügte grundsätzlich jedes materielle Gesetz den Erfordernissen des Gesetzesvorbehalts, also etwa auch Rechtsverordnung und Satzung, vgl. Klopfer, JZ 1984, 685 ff. (690); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 305; zur Entwicklung Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 42 ff. Zur begrifflichen Abgrenzung zwischen Gesetzesvorbehalt, Parlamentsvorbehalt und Rechtssatzvorbehalt vgl. Erichsen, Staatsrecht I, S. 92; Krebs, Jura 1979,304 ff. (311 f.); Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 27 ff. 5 0 Er gilt jenseits des Anwendungsbereichs des ausdrücklich normierten Delegationsverbots in Art. 801 S.2 GG, beeinflußt aber auch dessen Auslegung. Zum Verhältnis zu Art. 801 S.2 GG vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 11, Wilke, JZ 1982,758.
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Angelegenheiten, die auch durch den gesetzlich determinierten Verordnungsgeber geregelt werden können, zu den unwesentlichen, nicht unter den Gesetzesvorbehalt fallenden Angelegenheiten51. Obwohl die Wesentlichkeitstheorie vom BVerwG und den anderen Verwaltungsgerichten übernommen wurde , und auch in der Literatur überwiegend Billigung gefunden hat 53 , kann mit ihr ohne Maßstäbe für eine Präzisierung dessen, was als "wesentlich" anzusehen ist, die Abgrenzung der Kompetenzen des Gesetzgebers und der Verwaltung kaum praktisch durchgeführt werden 54. Dementsprechend lassen sich sowohl in der Lehre wie auch in der Rechtsprechung des BVerfG Ansätze zur näheren Konkretisierung des "Wesentlichen" ausmachen. So wird beispielsweise z.T. als wesentlich das "politisch Kontroverse" angesehen5 ; andere grenzen den Parlamentsvorbehalt negativ ein, indem sie seine Geltung verneinen, soweit es nicht auf die spezifischen Leistungen des parlamentarischen Verfahrens ankommt56. Wieder andere möchten im Sinne des "case-law-Gedankens" das Wesentliche durch Aufstellung eines Katalogs wesentlicher Materien anhand konkreter, exemplarischer Fälle bestimmen57. Der wohl entwicklungsfähigste und insbesondere auch in der Rechtsprechung des BVerfG zum Ausdruck kommende Ansatz besteht darin, sich bei der Ermittlung des Wesentlichen an den Aussagen des GG, insbesondere an den Grundrechten zu orientieren 58. Die Relevanz der Entscheidimg für die Realisierung der Grundrechte wird damit zu einem ersten Anker im Meer der Wesentlichkeit. Regelungen, die nicht notwendig einen Grundrechtseingriff darstellen, sich aber maßgeblich auf Grundrechtspositionen des einzelnen auswirken, müssen demnach dem Parlament vorbehalten
5 1
Vgl. nur Maurer, § 6 Rn. 11; Erichsen, Staatsrecht I, S. 92 f.
5 2
Vgl. BVerwGE 47,184 (189 f.) - Sexualerziehung -; 47, 201 (203) - Fünf-Tage-Woche -; 56,155 (157) - Nichtversetzung -;57, 360 (363) - Sexualerziehung -. Dazu auch Umbach, Festschrift Faller, S. 122. 5 3
Vgl. nur Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 509; Ossenbühl, HdbStR, III, § 62 Rn. 41 ff.; Erichsen/Martens, S. 71; Stein, Staatsrecht, S. 161. 54 Vgl. die Kritik von Umbach, Festschrift Faller, S. 122; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 110 ff. 5 5 Kisker, NJW 1977,1313 ff. (1318). 5 6 Eberle, DÖV 1984, 485 ff. (493), der auf dieser gedanklichen Grundlage verschiedene Fallgruppen bildet, in denen es eines parlamentarischen Vorbehaltsbereichs nicht bedarf. 5 7 Vgl. Oppermann, Öffentliches Schulwesen, S. C 52 - C 62; Clemens, NVwZ 1984,65 ff.; Heußner, Festschrift Erwin Stein, S. 124. 58 Vgl. dazu insbesondere auch Umbach, Festschrift Faller, S. 126 ff.; Degenhart, Staatsrecht, Rn. 297.
Abschnitt 1: Die allgemeine Reichweite des Prinzips
127
sein 59 . Das kann insbesondere eine Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts auf Maßnahmen im Vorfeld und Umfeld des subjektivrechtlich geschützten Eingriffsbereichs bedeuten, die die Grundrechte also lediglich in ihrem objektivrechtlichen Gehalt berühren 60. Das dergestalt erweiterte Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes kann so nicht nur grundrechtseinschränkende oder -beschränkende Normen, sondern u.U. auch grundrechtsrealisierende Regelungen zu Organisation und Verfahren bzw. zur Teilhabe an staatlichen Leistungen oder auch normative Grenzziehungen zwischen kollidierenden Grundrechtspositionen in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten erfordern 61. Da der Wesentlichkeitsvorbehalt im Unterschied zum Eingriffsvorbehalt allerdings vorrangig im Demokratieprinzip wurzelt, kommen als Grundlage nicht allein das formelle Gesetz, sondern u.U. auch andere Willensäußerungen des Parlaments in Betracht 2 . Parallel dazu gilt für den Parlamentsvorbehalt, daß die Regelungsdichte der Grundrechtsrelevanz entsprechen muß, d.h. daß die Intensität, mit der die Grundrechte des Regelungsadressaten betroffen werden, im Sinne eines abgestuften Systems über die Möglichkeit der Delegation durch formell-gesetzliche Ermächtigung entscheidet63. C. Verhältnis des Eingriffsvorbehalts zum Gesetzesvorbehalt im Sinne der Wesentlichkeitstheorie An dieser Stelle ist die Frage aufzuwerfen, welche Bedeutung dem klassischen Eingriffsvorbehalt heute noch - unter Geltung der Wesentlichkeitstheorie - zukommt. Man könnte der Auffassung sein, die Wesentlichkeit als Kriterium der Erforderlichkeit gesetzlicher Regelung trete nicht als ein zusätzliches neben das traditionelle Eingriffskriterium, sondern werde an dessen Stelle gesetzt64. Auch klassische Grundrechtseingriffe bedürften
Rupp, JuS 1975, 609 ff. (616); Krebs, Vorbehalt, S. 110 f., 119 f., 125; Erichsen, VerwArch 67 (1976), 93 ff. (100 f.). Aus der Rechtsprechung insbesondere BVerfGE 34, 165 (192) - Förderstufe -; 47, 46 (79) - Sexualkunde -; 58, 257 (272 ff.) - Schulentlassung -; 49, 89 (127) - Kalkar 60 6 1
Hermes, Bereich, S. 104 f. Hermes, S. 105 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 307.
62 Vom BVerfG wird dieser Aspekt z.B. im Urteil zum NATO-Nachrüstungsbeschluß betont, E 68,1 (109 f.). Zum Ganzen auch Degenhart, Staatsrecht, Rn. 298; Brohm, DÖV 1987, 265 ff. (269). 6 3 Umbach, Festschrift Faller, S. 128; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 308 f.; BVerfGE 41,251 (266); 58,257(274). 6 4
So Maurer, W D S t R L 43 (1985), S. 162; Böckenforde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 392; Battis/Gusy, Einführung in das Staatsrecht, § 6, S. 134; offenbar auch OVG
128
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvobehalt
dann nicht mehr in jedem Fall der gesetzlichen Regelung, sondern nur, wenn sie von den Gerichten für wesentlich gehalten werden. Dies würde die völlige Irrelevanz des traditionellen Eingriffsvorbehalts für den heutigen Rechtszustand bedeuten. Die ganz überwiegend vertretene Auffassung sieht m.E. zu Recht in der Wesentlichkeitstheorie lediglich eine Ausdehnung des Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts65. So hat das BVerfG auch nach Einführung der Wesentlichkeitstheorie bei der Frage nach der Geltung des Gesetzesvorbehalts immer wieder darauf abgestellt, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt 66. Auch die ganz überwiegende Literatur geht bei der Frage nach der Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage grundsätzlich in zwei Prüfungsschritten vor: Nach wie vor dürfen Eingriffe in den Schutzbereich der Grundrechte nur auf gesetzlicher Grundlage erfolgen; erst wenn sich ein solcher Eingriff nicht hat feststellen lassen, wird auf die "Wesentlichkeit" der Regelungsmaterie abgestellt67. Für diesen gewissen "Vorrang" der Prüfung des Eingriffsvorbehalts sprechen schon die als Eingriffsvorbehalte formulierten speziellen Grundrechtsvorbehalte 68. Außerdem war es Sinn und Zweck der Entwicklung der Wesentlichkeitslehre, den zur parlamentarischen Demokratie gewandelten Verfassungsstrukturen und der somit hervorgehobenen Stellung des Parlaments gerecht zu werden, nicht jedoch den Grundrechtsschutz zu verkürzen . Weiterhin bleibt das Münster NJW 1980, 1406 ff. (1407). Ähnlich wohl auch Rottmann, EuGRZ 1985, 277 ff.; Bäumlin/Ridder, in: AK-GG, Art. 20 Abs. 1 -3, III Rn. 62. 6 5 Vgl. Ossenbühl, HdbStR, III, § 62 Rn. 46; ders., in: Götz u.a. (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung, S. 23 f.; Drews/Wacke, S. 37; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 117; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 97 ff.; Faber, Verwaltungsrecht, S. 91; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 22. Als Beispiel wird in diesem Zusammenhang immer wieder die Auferlegung von geringfügigen Bußgeldern bei Verletzungen der StVO genannt, die im Verhältnis zu einer marktverzerrenden Subvention einen unwesentlichen Eingriff darstellt, aber nichtsdestoweniger vom Eingriffsvorbehalt erfaßt sein muß (vgl. Ossenbühl, HdbStR, ΙΠ, § 62 Rn. 46). 6 6
Vgl. BVerfGE 40, 237 (251); 47, 46 (81 f.); 49, 89 (127); 57, 275 (278). Dazu Eberle, DÖV 1984,485. 67 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 308; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 12; Stern, Staatsrecht I, S. 805, 808; Krebs, Jura 1979, 304 ff. (309); Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 509, kommt zum gleichen Ergebnis, indem er grundrechtsbeschränkende Entscheidungen immer als wesentlich bezeichnet. Ausdrücklich für eine "Spezialität" des Eingriffsvorbehalts Sodan, Funktionsträger, S. 456 mit Fn. 560. Diese "Spezialität geht allerdings nur so weit, wie die Frage nach der Notwendigkeit gesetzlicher Regelung abschließend beantwortet ist. Auch in den Fällen, in denen wegen Vorliegen eines Eingriffs eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist, kann deshalb die Wesentlichkeitstheorie zumindest noch zur Klärung der notwendigen Regelungsdichte i.S.d. Parlamentsvorbehalts fruchtbar gemacht werden (Sodan, Funktionsträger, S. 457). Darauf wird zurückzukommen sein. fA Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 116. 6 9 Nevermann, VerwArch 71 (1980), 241 ff., 248; vgl. auch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 307.
Abschnitt 1: Die allgemeine Reichweite des Prinzips
129
Wesentlichkeitskritenum trotz aller Konkretisierungsversuche ein denkbar vages Kriterium, auf das auch aus pragmatischen Erwägungen nur zurückgegriffen werden sollte, wenn sich nicht aussagekräftigere, klarere Kriterien finden lassen70. Und schließlich orientieren sich die rechtstaatlichen Bin•
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düngen nach wie vor am Grundrechtseingriff .
70 Vgl. Erichsen, Staatsrecht I, S. 103; Krebs, Jura 1979,304 ff. (309); Sodan, Funktionsträger, S. 71 457. Siehe oben Teil 1, Abschnitt 6. 9 Roth
130
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Abschnitt 2 Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts Die Klarstellung, daß der Eingriffsvorbehalt allgemein seine Bedeutung nicht verloren hat, macht eine Untersuchung der Frage nicht entbehrlich, ob er speziell im Falle von Drittbeeinträchtigungen überhaupt einschlägig ist. Für die Struktur der Drittbeeinträchtigungen ist kennzeichnend, daß es zu faktischen Beeinträchtigungen infolge einer Kausalkette kommt, bei der sich der staatliche Beitrag nur als ein Zwischenglied darstellt. Der Staat veranlaßt, genehmigt, fördert oder duldet das Verhalten privater Dritter (Adressaten), welches letztendlich zu einer Beeinträchtigung anderer (Nichtadressaten) führt. Es taucht deshalb die Frage auf, welche Qualität der staatliche Einfluß haben muß, um dem Staat Beeinträchtigungen auch 2ils Eingriff zuzurechnen1. A. Grundrechte als Abwehrrechte und als Elemente objektiver Ordnung Die Bedeutung fur die Frage des Gesetzesvorbehalts Die verfassungsrechtliche Dimension dieser Frage liegt in folgendem. Das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs spricht die Grundrechte in ihrer klassischen und dogmatisch weitgehend durchleuchteten Bedeutung als subjektive Abwehrrechte gegen staatliche Beeinträchtigungen an 2 und löst nach der überkommenen Auffassung grundsätzlich zwingend das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage in Form des "Eingriffsvorbehalts" aus3.
Der nachstehenden Untersuchung wird eine bestimmte "leitende" Grundrechtstheorie nicht zugrundegelegt. Damit soll die Kritik Böckenfördes nicht übergangen werden, der in seinem grundlegenden Beitrag zu "Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation" (NJW 1974,1529 ff., 1530) beklagte, die Frage des grundrechtstheoretischen Ansatzpunktes werde bei der Grundrechtsinterpretation kaum reflektiert und auch das BVerfG stütze sich wechselnd auf verschiedene Grundrechtstheorien als Ausgangspunkt seiner Interpretation. Doch gegen das Voranstellen einer bestimmten Grundrechtstheorie spricht vor allem, daß damit bei der hier anstehenden - Lösung eines konkreten Einzelproblems zwangsläufig die Gefahr der Vergröberung und mangelnden Differenzierung entstünde (vgl. auch Schwabe, Probleme, S. 5 ff., der weitere Argumente nennt). 2 Zur subjektiv-abwehrrechtlichen Funktion BVerfGE 7,198 (204 f.) Lüth; 50, 290 (336 f.); 68,193 (205). v. Münch, in: ders., Vorb. Art. 1 -19 Rn. 16; Jarass/Pieroth, Vorb vor Art. 1 Rn. 1 f.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 287. Dazu, daß die Reichweite der Abwehrfunktion entscheidend vom Verständnis des "Eingriffs" abhängt, vgl. Jarass/Pieroth, Vorb vor Art. 1 Rn. 1, 17. 3
S.o. Abschnitt 1, Fn. 65 f.
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
131
Allerdings beschränkt sich die Bedeutung der Grundrechte nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nicht auf die Funktion der Begründung subjektiver Abwehrrechte. Auch außerhalb des Eingriffsbereichs kann den Grundrechten Relevanz zukommen, was u.U. Konsequenzen für die Problematik der Drittbeeinträchtigungen haben kann. Es ist heute allgemein anerkannt, daß die Grundrechte neben ihrem subjektivrechtlichen auch einen objektivrechtlichen Gehalt aufweisen, wonach sie als verfassungsrechtliche "Wertentscheidungen" Grundlage für andere als nur abwehrrechtliche Funktionen sein können4. So entnimmt man den Grundrechten z.B. die grundsätzliche Verpflichtung des Staates zur Grundrechtsrealisierung und -effektuierunf?. Vor dem Hintergrund des Sozialstaatsprinzips, das auch die Herstellung und Gewährleistung der Voraussetzungen grundrechtlicher Freiheit fordert, verpflichten die Grundrechte den Staat - objektiv -, auch die faktischen Bedingungen für eine wirksame Grundrechtsausübung zu schaffen 6. Dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte wird weiterhin die Funktion der Begründung staatlicher Schutzpflichten entnommen. Darunter versteht man die Pflicht des Staates, die grundrechtlichen Güter vor Eingriffen privater Dritter zu schützen; sie kann von den staatlichen Organen durch Untätigkeit oder unzureichendes Tätigwerden gegenüber dem Verhalten Privater verletzt werden 7. 4 So vertritt das BVerfG in standiger Rechtsprechung, daß die grundrechtlichen Verbürgungen nicht lediglich subjektive Abwehrrechte des einzelnen gegen die öffentliche Gewalt enthalten, sondern zugleich objektivrechtliche Wertentscheidungen der Verfassung darstellen, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gelten und Richtlinien für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geben, vgl. BVerfGE 7,198 (204 f.); 12, 45 (51); 49,89 (141 f.); 56,54 (73); 73, 261 (269). Ausführlich zur Entwicklung dieses die subjektivrechtlichen Gehalte überschießenden Grundrechtsverständnisses unter Einbeziehung des Schrifttums Stern, Staatsrecht III/l, S. 894 ff. Aus der Literatur, die ganz überwiegend die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung billigt, vgl. außerdem Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (366 f.); Jarass/Pieroth, Vorb vor Art. 1 Rn. 3 ff.; Bleckmann, Staatsrecht, S. 253 ff., 259 ff.; Breuer, Umweltschutz, S. 615 ff.; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 239 m.w.N. Fn. 120,121. 5 Vgl. oben Abschnitt 1, Fn. 38. 6 Dazu Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 214, 298; v. Münch, in: ders., Vorb. Art. 1 -19 Rn. 22. Ähnlich BVerfGE 57, 295 (320), wo ausgeführt wird, mit der abwehrenden Bedeutung des Grundrechts ist das, was zu gewährleisten ist, noch nicht sichergestellt; es sind materielle, organisatorische und Verfahrensregelungen erforderlich, die den Zweck des Grundrechts gewährleisten. Vgl. auch Jarass/Pieroth, Vorb vor Art. 1 Rn. 8. 7 So hat das BVerfG aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte die Pflicht des Staates gefolgert, sich "schützend und fördernd" vor die grundrechtlichen Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen "Eingriffen" von Seiten anderer Privater zu bewahren, BVerfGE 39,1 (55ff.) Fristenlösung; 46,160 (164 f.) Schleyer; 49, 89 (142) Kalkar; 53, 30 (57) Mülheim-Kärlich; 56, 54 (80 ff.) Fluglärm; 57, 250 (284 f.) Spionage. Aus der Literatur ausführlich Stern, Staatsrecht m/1, S. 931 ff. Vgl. auch Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 350; Jarass/Pieroth, Vorb vor Art. 1 Rn. 5; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 103 ff., 465 ff.;
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
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Inhalt und Grenzen des objektivrechtlichen Gehalts der Grundrechte und die mit ihm verknüpften Grundrechtsfunktionen sind allerdings nicht in einer der Abwehrfunktion vergleichbaren Weise dogmatisch geklärt 8. Jedenfalls herrscht soweit Klarheit, daß sich auch die objektivrechtlichen Funktionen auf das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung auswirken können9. Im Sinne der Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG haben "wesentliche" Bedeutung für die Realisierung von Grundrechten insbesondere staatliche Maßnahmen, die den über den Eingriffsbereich hinausweisenden objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte berühren 10. Um solches staatliches Handeln im Vorfeld oder Umfeld des Eingriffs handelt es sich bei Entscheidungen in Erfüllung staatlicher Schutzpflichten 11, wie auch anderen grundrechtsfördernden, -sichernden oder -effektuierenden Maßnahmen12. So kann beispielsweise die im Strafgesetzbuch normierte Strafbarkeit von Totschlag, Mord und Abtreibung als Regelung grundrechtswesentlicher Fragen in Erfüllung der staatlichen Pflicht zum Schutz geborenen und ungeborenen Lebens nach Art. 2 Π S.l GG betrachtet werden 13 . Und die gesetzliche Normierung von Verfahrensrechten, z.B. im Rahmen eines staatlichen Planungsverfahrens, kann in gleicher Weise von der Wesentlichkeitstheorie gefordert sein, wenn das Verfahrensrecht dem Grundrecht - etwa dem Eigentümer eines beplanten Grundstücks - zu verstärkter Wirksamkeit verhelfen kann und der Grundrechtsträger auf das Verfahren angewiesen ist 14 . Allerdings ist die Frage nach der Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage in diesem "grundrechtsrelevanten Bereich" jenseits des Grundrechtseingriffs erheblich schwieriger zu beantworten als im Eingriffsbereich. Zum einen bestehen - wie erwähnt 15- gewichtige Unsicherheiten schon bei der näheren Bestimmung dessen, was "wesentlich für die Verwirklichung Bleckmann, Staatsrecht, S. 276 ff.; Alexy, Theorie, S. 410 ff. und neuerdings Klein, NJW 1989, 1633 ff. 8
9
Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 19 f.; Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 142.
So stellt das BVerfG ausdrücklich fest, daß die Grundrechte u.a. "mit den in ihnen enthaltenen objektiven Wertentscheidungen ... konkretisierende, weiterführende Anhaltspunkte" zur Bestimmung der Reichweite des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes geben, BVerfGE 40,237(249). 10 S. bereits oben Abschnitt 1 und Hermes, Bereich, S. 104. 11
Vgl. BVerfGE 56, 54 (80 ff.); DVB1.1988, 342 ff. So auch Hermes, Bereich, S. 105 ff.; ders., Grundrecht, S. 259 m.w.N. in Fn. 398. A.A. Murswiek, Verantwortung, S. 134 ff. 12
13 14 15
Hermes, Bereich, S. 108. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 470 m.w.N. Hill, Verfahren, S. 240 ff. sowie bereits oben Teil 1, Abschnitt 4, Β, I. S. oben Abschnitt 1.
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
133
von Grundrechten" ist. Zum anderen handelt es sich hier um Auswirkungen des objektivrechtlichen Gehalts der Grundrechte. Dieser ist zwangsläufig weniger präzise als die Abwehrfunktion und der objektivrechtlichen Pflicht korrespondiert nicht zwingend ein Anspruch des Bürgers auf eine bestimmte staatliche Maßnahme16. Während Abwehrrechte durch eine einzige denkbare Handlung des Staates, nämlich durch Unterlassen erfüllt werden, stehen bei objektivrechtlich begründeten Ansprüchen grundsätzlich mehrere Alternativen zur Verfügung, unter denen eine Auswahl getroffen werden muß 17 . Hier muß auch dem Gesetzgeber ein weitgehender Spielraum verbleiben. Das gilt für die Entscheidung über das Ob und Wie der Erfüllung einer staatlichen Schutzpflicht 18 wie auch für die Art und Weise der Erfüllung der Forderung nach grundrechtseffektuierenden Maßnahmen 19 . Es macht daher einen erheblichen Unterschied in den Rechtsfolgen, ob man eine Beeinträchtigimg als Eingriff oder z.B. als Verletzung einer grundrechtlichen Schutzpflicht konstruiert. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. So hat man die Verfassungsmäßigkeit der Festsetzung von Dosisgrenzwerten durch die StrahlenschutzVO mit dem Hinweis darauf bezweifelt, daß der in dieser Festsetzung bzw. den darauf beruhenden atomrechtlichen Genehmigungen liegende Eingriff in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 I I S. 3 GG einer gesetzlichen Grundlage bedürfe 20. Die Gegenmeinung hält Art. 2 I I S. 3 GG für unanwendbar, da es sich nicht um staatliche Eingriffe handele21; die einschlägige Schutzpflichtjunktion löse konkrete Ansprüche des Bürgers sowie ein Gesetzeserfordernis nur unter weitergehenden, engen Voraussetzungen aus22. 16
Deutlich Stern, Staatsrecht III/l, S. 921 ff., 978 ff.; Jarass, AöR Bd. 110 (1985), 363 ff. (366). Vgl. auch das Sondervotum zum Fristenlösungs-Urteil BVerfGE 39,68 (71 f.), wo darauf verwiesen wird, daß die Rechtsprechung in ihrer Auslegung und Anwendung der Grundrechte als Abwehrrechte praktikable, allgemein anerkannte Kriterien zur Kontrolle staatlicher Eingriffe - etwa den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - entwickelt hat, daß es jedoch eine höchst komplexe Frage sei, wie Wertentscheidungen durch aktive Maßnahmen des Gesetzgebers zu verwirklichen seien. 17 Vgl. Hermes, Bereich, S. 94. Außerdem muß bei grundrechtlichen "Leistungsansprüchen" die Knappheit staatlicher Ressourcen und Kapazitäten berücksichtigt werden. 18 Das ist sowohl in der Rechtsprechung wie im Schrifttum anerkannt, BVerfGE 39,1 (44) sowie das Sondervotum 68 (71 f.); 46,160 (164); 56, 54 (80) ; 66,116 (135). Stern, Staatsrecht III/l, S. 952, 993 f.; Alexy, Theorie, S. 421; Hermes, Grundrecht, S. 258 m.w.N. Fn. 395; Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (380); Jarass/Pieroth, Vorb Art.l Rn. 4. 19 Jarass/Pieroth, Voit Art. 1 Rn. 4; Hill, Verfahren, S. 240 ff.; Stern, Staatsrecht III/l, S. 986 f. 20 21 2 2
Hinz, Dosisgrenzwerte, S. 168. Vgl. dazu Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 179. Götz, Dosisgrenzwerte, S. 177 f.; Nolte, Anforderungen, S. 119 f. Vgl. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 180.
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Will man somit die Geltung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes für Drittbeeinträchtigungen untersuchen, ist wegen der unterschiedlichen Konsequenzen zunächst klarzustellen, ob und inwieweit ihre Einbeziehung in den Grundrechtsschutz Folge eines erweiterten Verständnisses der Grundrechte in ihrem subjektiv-abwehrrechtlichen Charakter ist (dazu B), oder lediglich auf ihren objektivrechtlichen Gehalt zurückgeführt wird (dazu C). Anschließend wird in einer Stellungnahme die der weiteren Untersuchimg zugrundegelegte eigene Ansicht dargestellt (D). B. Drittbeeinträchtigungen als Eingriffe L Der klassische Eingriffsbegriff Im folgenden soll in der gebotenen Kürze untersucht werden, welche Qualität Verwaltungshandeln im Laufe der deutschen Verfassungs- bzw. Verwaltungsgeschichte aufweisen mußte, um als "Eingriff in Freiheit und Eigentum" bzw. als Grundrechtseingriff qualifiziert zu werden 23. Entgegen dem in der Literatur z.T. vermittelten Eindruck 24 hat es einen, den Grundrechtsschutz bzw. das Vorbehaltsprinzip beschränkenden Eingriffsbegriff mit einheitlichen, ausdrücklich fixierten Tatbestandsmerkmalen zu keinem Zeitpunkt weder in der Rechtsprechung noch in der Lehre gegeben. Die Vereinfachung hat hier Grenzen. Deshalb kann es nur darum gehen, gewisse historische Entwicklungslinien und Grundtendenzen aufzuzeigen. Der Schutz vor "Eingriffen in Freiheit und Eigentum" als Folge nicht grundrechtlicher Gewährleistungen25, sondern des im deutschen Konstitutionalismus hervorgebrachten Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes, bedeutete ursprünglich nicht den Schutz vor Einzelakten. "Eingriff" im damaligen Sinne war zunächst allein die den Bürger belastende abstraktgenerelle Verordnung der Exekutive26. Allein das Vorrangprinzip gewähr23 Die Beschränkung auf Handeln der Verwaltung rechtfertigt sich durch die Themenstellung und soll keinesfalls den vor dem Hintergrund des Art. 1 III GG völlig falschen Eindruck erwecken, die Grundrechte des Grundgesetzes böten keinen Schutz gegenüber Akten der anderen beiden Staatsgewalten. Zu der diesbezüglich von Schwabe geäußerten Kritik an dem Aufsatz von Bleckmann/Eckhoff (DVB1.1988,373 ff.) vgl. DVB1.1988,1055 ff. 2 4 Vgl. nur Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 271; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 14 f. 25 S. bereits oben Abschnitt 1,1. 26 Vgl. R. Thoma, Festgabe Otto Mayer, S. 179 ff. So lautete beispielsweise § 2 des VII. Titels der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818: "Ohne den Beyrath und die Zustimmung der Stände des Königreichs kann kein allgemeines neues Gesetz, welches die Freyheit der Personen oder das Eigentum der Staatsangehörigen betrifft, erlassen ... werden". Zum Ganzen auch Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 141 ff., 156 f.
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
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leistete eine gewisse mittelbare Kontrolle über Individualakte der vollziehenden Gewalt, war also an die bereits erfolgte gesetzliche Normierung eines Sachgebiets gebunden27. Es war Richard Thoma, der dann mit Hilfe eines argumentum a maiore ad minus die Erstreckung des Eingriffsvorbehaltes auch auf konkrete Einzelakte einleitete: wenn es schon für "allgemeine" Eingriffe in Freiheit und Eigentum eines Gesetzes bedürfe, so müsse dies erst recht für den Einzeleingriff der Verwaltung in die Individualrechtssphäre gelten28. Der Durchbruch kam mit der Rechtsprechung des preußischen OVG, das bereits 1876 im 1. Band das Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage für belastende Individualakte der Verwaltung untersuchte 29 und diese Rechtsprechung in der Folge bekräftigte. Die von da an in Rechtsprechung und Literatur vorherrschende Vorstellung eines Einzeleingriffs war zwingend mit dem zur damaligen Zeit zentralen Instrument des Verwaltungsrechts, dem belastenden Verwaltungsakt und dessen typischen Tatbestandsmerkmalen verbunden. Bereits vor dem 1. Weltkrieg verstand man unter "obrigkeitlichem Eingriff' jedes "Gebot oder Verbot, das dem Untertan die Pflicht zu einem Dulden oder zu einer positiven Leistung zu Gunsten der öffentlichen Verwaltung auferlegt" 30 bzw. man setzte ihn ausdrücklich mit dem belastenden Verwaltungsakt gleich 31 . Trotz Wechsels der Staatsform galten diese Grundsätze auch in der Zeit der Weimarer Reichsverfassung, die bereits von einem gewandelten Grundrechtsverständnis geprägt war 32 . Verwaltungshandeln durch einen Individualakt. der nicht die für den Verwaltungsakt konstituierenden Voraussetzungen aufwies, wurde als unter dem Aspekt des Grundrechtsschutzes
27
Vgl. Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 156. R. Thoma, Der Polizeibefehl im Badischen Recht, S. 101 f. Kritisch dazu Erichsen, Fehlerhafter Verwaltungsakt, S. 148 und Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 159. 29 Preuß. OVG E1,173 (182) Umlage der Kosten für Besoldung einer Lehrerin; E 1, 347 (357 f.) Auflösung einer Versammlung durch die Polizeibehörde wegen Nichtgebrauchs der deutschen Sprache; vgl. auch Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 162. 30 Fleiner, Institutionen, 1. Aufl. 1911, S. 110, der polizeiliche Pflichten und Bauverbote als Beispiele nannte. 3 1 O. Mayer, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., 1. Aufl. 1895, S. 97. 32 Die Grundrechte wurden nunmehr zunehmend als Basis individueller Freiheit, des "status negativus libertatis" mit der Folge der Begründung subjektiver öffentlicher Rechte angesehen. Insoweit grundlegend G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 94 ff.; auch Bühler, Subjektive Rechte, S. 150. Allerdings wurden die im Katalog der Weimarer Reichsverfassung vom 11.8.1919 enthaltenen Grundrechte weitgehend als Programmsatze verstanden und standen als solche zur Disposition des Gesetzgebers, vgl. nur G. Jellinek, System, S. 102 33 f.; Erichsen, Staatsrecht I, S. 41. 2 8
Die Voraussetzungen sind im wesentlichen dieselben geblieben, vgl. § 35 VwVfG sowie Erichsen, Fehlerhafter Verwaltungsakt, S. 110 ff.
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
sowie des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes irrelevant angesehen . Der entscheidende Grund fur diese Vorstellung lag in folgendem: wegen der in diesen Zeiten noch weitgehend beschränkten staatlichen Aufgabenstellung waren im Grundsatz Einbrüche der Exekutive in Freiheitsbereiche zwangsläufig mit den Handlungsformen Rechtsverordnung und Verwaltungsakt verbunden. Befehl und Zwang waren die für die Verwaltung typischen Handlungsformen. Deshalb reichte diese formalisierte Eingriffsvorstellung grundsätzlich aus, um den Freiheitsbereich des Burgers gegen staatliche Einwirkungen effektiv abzuschirmen und deshalb orientierte sich auch die Grundrechtstheorie primär am imperativen Staatshandeln35. Schließlich wurde z.T. noch unter Geltung des Grundgesetzes die Auffassung vertreten, der Grundrechtsschutz - und damit zusammenhängend der Verwaltungsrechtsschutz - gegenüber der Exekutive sei davon abhängig, daß diese finden Bürger rechtlich verbindliche Regelungen getroffen habe, ihm insbesondere durch Gebote oder Verbote gegenübergetreten sei 36 . Will man nun aus dieser verfassungsrechtlichen Entwicklung die wesentlichen Kriterien herausfiltrieren, die den "klassischen Grundrechtseingriff durch die Exekutive ausmachten, so ergibt sich folgendes Bild: Ein Eingriff konnte grundsätzlich nur durch Rechtsakt erfolgen, entweder durch die abstrakt-generelle Verordnung oder den konkret-individuellen Verwaltungsakt; gegen rein tatsächliches Handeln sollten die Grundrechte grundsätzlich keinen Schutz bieten. Aber bereits dieser Grundsatz bedarf der Relativierung. Zum einen lassen sich Stimmen in der Literatur bereits vor dem 1. Weltkrieg finden, die zwischen dem für den gerichtlichen Rechtsschutz relevanten Grundrechtseingriff und dem für das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes maßgeblichen Eingriffsvorbehalt insoweit differenzieren, als sie jedenfalls das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage auch für rein tatsächliches, den Bürger belastendes Verwaltungshandeln fordern 37. Zum anderen waren tatsächliche Beeinträchtigungen auch finden gerichtlichen Rechtsschutz nicht völlig bedeutungslos. So hat zwar das 3 4
Vgl. nur W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1929, S. 83 sowie S. 21 ff.; Fleiner, Institutionen, 8. Aufl. 1928, S. 131; auch Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 167. 3 5
Brohm, Wirtschaftsverwaltung, S. 235; Grabitz, Freiheit, S. 27.
36 So stellten noch weitgehend auf die Rechtsform ab: Wagner, W D S t R L 27 (1969), 47 ff., 63 ff.; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 53; v. Mangoldt/Klein, 2j\ufl. 1966, Vorb. A II 4, Anm. V 3 b zu Art. 1; Siegmund-Schultze, DVB1.1964, 950 ff. (952); ähnlich Bettermann, Festschrift E.E. Hirsch, S. 1,11; ferner die unten Fn. 51, 52 aufgeführten Autoren. Aus der Rechtsprechung vgl. nur OVG Münster, DVB1. 1965,527 (530). Beispielsweiserichtetennoch die Verwaltungsgerichtsgesetze der süddeutschen Länder von 1946 und die VGVO von 1948 den Rechtsschutz schwerpunktmäßig am Verwaltungsakt aus, vgl. Wolff/Bachof, I, § 461 a) 1. 3 7 O. Mayer, Dt. Verwaltungsrecht, Bd. 1,1. Aufl. 1895, S. 75 Fn. 11; R. Thoma, Festgabe Otto Mayer, S. 217.
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
137
Preußische OVG bei formaler Betrachtungsweise die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes immer vom Vorliegen eines Verwaltungsakts abhängig gemacht, doch hat es in dem Bestreben, umfassenden Rechtsschutz zu gewähren, beeinträchtigendes Verwaltungshandeln häufig mit dem Etikett "Verwaltungsakt", insbesondere "rechtliche Regelung" versehen, obwohl es sich der Sache nach um rein faktische Beeinträchtigungen handelte38. Als weitere Eingriffs-Kriterien, die gleichermaßen den durch Verordnungen wie durch Verwaltungsakte ausgesprochenen Geboten oder Verboten innewohnen, galten Finalität und Unmittelbarkeit 39. Kennzeichen der klassischen Begrenzung des Grundrechtsschutzes war somit ein Handlungs- und ein Wirkungselement 40. Grundsätzlich mußte das staatliche Organ die Beeinträchtigung der Grundrechtssphäre des Bürgers bezwecken; den Bürger treffende, staatlicherseits ungewollte Folgen hoheitlichen Handelns konnten dem Staat nicht als Eingriff zugerechnet werden 41. Zudem reichte es nicht aus, daß sich das Verwaltungshandeln erst nach Dazwischentreten weiterer Ursachen, also mittelbar nachteilig auf das Grundrecht auswirkte, wie z.B. im Falle der Subventionierung eines Wirtschaftsunternehmens im Hinblick auf das Konkurrenzunternehmen. Der beeinträchtigende Effekt mußte im Verwaltungshandeln selbst Hegen, ohne Hinzutreten weiterer Ereignisse außerhalb der Verwaltungssphäre 42. Auch im Hinblick auf die 38 Vgl. Preuß. OVG E 1, 327 (330 f.) Beeinträchtigung der Rechte eines Trunkenboldes durch ihn betreffende polizeiliche Verfügung an Gastwirte; OVGE 3,217 (222 f., 225 f.) Regelung gegenüber Unterliegern, deren Grundstücke durch Vollzug der an Oberlieger gerichteten Anordnung der Erweiterung eines Wasserlaufs überflutet werden; OVGE 7, 310 (312 f.) Regelung auch gegenüber Versichertem durch Verfügung an Versicherer (dort wird das Klagerecht sogar ausdrücklich als von einer Adressierung unabhängig angesehen). In diesen Fällen handelte es sich der Sache nach um faktische Drittbeeinträchtigungen, die jedoch durch die Konstruktion einer stillschweigend erfolgten Duldungsverfügung den Dritten gegenüber Regelungscharakter erhielten. Wolff/Bachof, I, § 461 a zeigen insoweit eine Parallele auf: so war zur Zeit der Geltung der Verwaltungsgerichtsgesetze der süddeutschen Länder von 1946 und der VGVO von 1948 eine Ausweitung des Verwaltungsaktsbegriffs insbesondere auch auf Realakte zu verzeichnen, da die damaligen Regelungen den Rechtsschutz ganz am Verwaltungsakt orientierten. Als plastisches Beispiel kann die Endiviensalatentscheidung des VGH Stuttgart genannt werden (DÖV 1957, 217 ff.). Hier wurde einer Warnung an die Bevölkerung Verwaltungsaktqualität verliehen, indem man in sie einen an die Groß- und Einzelhändler gerichteten Duldungsbefehl hineininterpretierte (219). Ähnlich VGH BW DRZ1950,500 f. 39 Vgl. nur Lerche, Ubermaß und Verfassungsrecht, S. 262 mit Fn. 15 und Grabitz, Freiheit, S. 40 29. S.o. die Einleitung sowie Ramsauer, VerwArch 72 (1981), S. 89 ff. (92). 41 Ein treffliches Beispiel ist insoweit die Entscheidung des OVG Münster, DVB1. 1965, 52742(530), in der ein Eingriff in Art. 12 GG mangels Regelungsabsicht verneint wurde. Aus dem Umstand, daß sowohl Finalität als auch Unmittelbarkeit vorzuliegen haben, läßt sich m.E. schließen, daß der beeinträchtigte Grundrechtsträger Adressat der Verwal-
138
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Kriterien der Finalität und der Unmittelbarkeit erscheint jedoch eine gewisse Relativierung angebracht: so machen die oben 43 bereits angeführten Entscheidungen des Preuß. OVG deutlich, daß man bisweilen beispielsweise das Kriterium der Unmittelbarkeit umging und durch die Annahme einer stillschweigenden Duldungsverfügung gegenüber dem Dritten Etikettenschwindel betrieb. Als letztes, den "klassischen Eingriff' ausmachendes Merkmal ist schließlich der einseitig-hoheitliche Befehl zu nennen44. Praktisch bedeutete dies, daß ein Eingriff nicht vorlag, wenn der Bürger zuvor, etwa im Rahmen einer vertraglichen Regelung mit der Exekutive, auf sein Recht verzichtet oder in eine Beeinträchtigung seiner Rechte eingewilligt hatte. Es handelt sich dabei um eine Ausprägung des Grundsatzes "volenti non fit iniuria" 45 . In Anwendung dieses Grundsatzes kam Otto Mayer folgerichtig zu dem Schluß, daß ein belastender Verwaltungsakt auch ergehen kann "ohne gesetzliche Grundlage auf Grund der Einwilligung des Betroffenen" 46. Relativierend muß allerdings auch zu diesem Kriterium angemerkt werden, daß man bereits zu Zeiten Otto Mayers nicht von einer unbegrenzten Dispositionsbefugnis des einzelnen über seine Freiheitsrechte ausging, wenn auch die Grenzen noch im Unklaren blieben47. Für Drittbeeinträchtigungen läßt sich sagen, daß diese bei ungekünstelter Anwendung der Auslegungsgrundsätze grundsätzlich nicht vom "klassischen Eingriffsbegriff' erfaßt wären, weil ihnen je nach konkreter Konstellation der Rechtsaktcharakter, die Finalität bzw. die Unmittelbarkeit fehlt 48 . IL Die Ausweitung der Eingriffsvorstellung grundrechtsbeeinträchtigende Effekt
- Der
Betrachtet man die Entwicklung der Eingriffsvorstellung im Bereich des Grundrechtsschutzes bzw. des Gesetzesvorbehalts unter Geltung des
tungsmaßnahme sein mußte; es erscheint deshalb entbehrlich, wie Bleckmann, Staatsrecht, S. 336 f. es tut, als zusätzliches Kriterium des klassischen Eingriffs die Adressierung zu nennen. 4 3
Fn. 38.
44 Auch dieses Kriterium läßt sich sowohl der Verordnung wie auch dem Verwaltungsakt entnehmen. 45 Zu diesem Grundsatz und seiner Bedeutung im öffentlichen Recht vgl. Sachs, VerwArch 76 (1985), 398 ff. 4 6 O. Mayer, Dt. Verwaltungsrecht, Bd. 1,1 .Aufl. 1895, S. 98. 4 7
Vgl. nur O. Mayer, Dt. Verwaltungsrecht, Bd. 1,1. Aufl. 1895, S. 98 Fn. 5.
4 8
S. bereits oben die Einleitung und i.e. unten Teil 3 und 4.
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvobehalts
139
Grundgesetzes, so kann man bei grober Betrachtung eine allgemeine Tendenz weg von bestimmten Eingriffsmodalitäten wie Rechtsakt, Finalität, Unmittelbarkeit hin zum Abstellen auf die beeinträchtigende Wirkimg des Verwaltungshandelns diagnostizieren49. 1. Schrifttum In der Literatur unter dem Grundgesetz lassen sich z.T. noch Anhänger einer Grundrechtsinterpretation finden, die sich nicht an allen, aber doch an einzelnen klassischen Eingriffskriterien orientiert 50. So wird von manchen mit der fehlenden Unmittelbarkeit der Beeinträchtigung begründet, daß ein grundrechtsrelevanter Eingriff nicht vorliegt 51. Andere verzichten zwar auf das Kriterium der Unmittelbarkeit, sehen als für den Eingriff konstituierendes Element jedoch dessen Finalität an 52 . Dennoch kan man sagen, daß die Lehre - soweit sie sich mit dieser Problematik auseinandersetzt - nach Inkrafttreten des Grundgesetzes zunehmend53 und heute überwiegend54 in Grundsatz und Ausgangspunkt 49 5 0
Zu dieser Entwicklung auch Grabitz, Freiheit, S. 24 ff. Siehe auch bereits oben Fn. 36.
5 1
Vgl. nur Bachof, Freiheit des Berufs S. 155, 196 ff.; Wolff/Bachof, I, § 30 m , a, 1, bezeichnen als Eingriff nur die Begründung von Verpflichtungen sowie den Entzug oder die Beschränkung von Rechten; Klinkhardt, DVB1.1965,467 ff. (469); Wagner, NJW 1966,569 ff. (572). Dazu auch Georg Müller, Rechtsetzung, S. 66 ff. 5 2 Vgl. Friauf, DVB1.1971, 674 ff. (681); BB 1967,1345 ff. (1347); Forsthoff, Über Mittel und Methoden moderner Planung, S. 21 ff., 33; ders., Lehrbuch I, S. 347; Erichsen/Martens, 5. Aufl., S. 299. 5 3
Vgl. Lerche, DÖV 1961,486 ff. (490 ff.); Bernhardt, JZ 1963,302 ff. (306); Friauf, Grenzen, S. 41; Ipsen, AöR 90 (1966), 393 ff. (426 ff.); Rüfner, Formen, S. 220 ff.; Herzog, Festschrift E.E. Hirsch, S. 63 ff., 67; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 71 ff.,; W. Hoffmann, Rechtsfragen der Währungsparität, S. 70 ff., 76; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 141 ff.; Achterberg, Der Staat 8 (1969), 159 ff. (171); Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 46 ff., 75 ff.; Haug, Verfassungsbeschwerde, S. 42 ff., 47; Lorenz, Rechtsschutz, S. 59; Brohm, W D S t R L 30 (1972), 271 ff.; Papier, Der Staat 11 (1972), 482 ff. (494 f.); Zuleeg, DVB1.1976,509 ff. (515 f.); Grabitz, Freiheit, S. 28 ff.; Schwabe, Probleme, S. 176 ff.; Kirchhof, Verwalten, S. 51 f., 189 ff.; 54 Zu dieser Bewertung der Lehre kommt auch BVerwGE 71, 183 (192). Vgl. weiterhin Stern, in: BK, Art. 93 Rn. 516 ff.; ders., Staatsrecht ΙΠ/1, S. 1205 ff.; v. Mangoldt/Klein, Art. 1 III Rn. 139; Faber, in: AK-GG, Art. 20 Abs. 1 - 3, V, Rn. 32; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, S. 113, Fn. 160; Erichsen, Staatsrecht I, S. 59; Bleckmann, Staatsrecht, S. 337 ff.; Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 131 ff.; Papier, DVB1.1984, 801 ff. (805); Ossenbühl, Umweltpflege, 15 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 272 ff.; Sodan, Funktionsträger, S. 504 ff.; Badura, Eigentumsschutz, S. 17 f.
140
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
auf denfreiheitswidrigen Effekt und nicht auf formale Eingriffskriterien abstellt. Den maßgeblichen Anstoß fur ein dogmatisches Umdenken hat vor allem die Arbeit von Gallwas über die Taktischen Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte" gegeben55. Zutreffend sucht Gallwas die Antwort in der Verfassungsinterpretation. Folgende Begründungsschwerpunkte lassen sich ausmachen: Eine Untersuchung von Text und Textzusammenhang der Grundrechtsbestimmungen lasse keine Anhaltspunkte dafür erkennen, daß diese nur vor bestimmten Ringriffsmodalitäten wie Finalität, Unmittelbarkeit, Rechtsaktcharakter schützen sollen. Es könne deshalb nicht darauf ankommen, ob sich die staatliche Einwirkung in den Freiheitsbereich des Bürgers als normative Regelung oder als Realakt, als mittelbare oder unmittelbare, als finale oder nicht finale Beeinträchtigung darstelle. Im Gegenteil legten die Formulierungen eine am grundrechtswidrigen Effekt ausgerichtete Sichtweise nahe56. Gestützt sieht Gallwas diese Aussage durch die Grundrechtsvorbehalte; denn Beschränkungsvorbehalte seien nur sinnvoll, wo ohne die vorgesehenen Beschränkungsmöglichkeiten Freiheit herrsche 57. Die Grundrechte statuierten nicht nur einzelne konkrete Pflichten in konkreten Rechtsverhältnissen, sondern schützten Güter oder Freiheitsbereiche nach der Art absoluter Rechte58. Schließlich sprechen nach Gallwas auch im Grundgesetz angelegte teleologische Gesichtspunkte für die Vorstellung von den Grundrechten als grundsätzlich absolute Freiheitszonen. Entscheidende Leitidee für die Gewährung der einzelnen Grundrechte sei die in Art. 1 I S. 2 GG normierte Achtungs- und Schutzpflicht aller staatlichen Gewalten zugunsten der Menschenwürde; diese Achtungs- und Schutzpflicht sei umfassend und dürfe nicht prinzipiell durch Beschränkung auf bestimmte Beeinträchtigungsfälle relativiert werden 59. Auch Art. 19 IV GG im Sinne einer Garantie "effektiven Rechtsschutzes" spreche für einen umfassenden Schutz60. Ergänzt wird die Sicht Gallwas' durch die Ausführungen Ramsauers in der zweiten grundlegenden Monographie zur Problematik faktischer
Zur Terminologie des faktischen bzw. mittelbaren Grundrechtseingriffs vgl. Stern, Staatsrecht III/l, S. 1205 f.; Sodan, Funktionsträger, S. 496 f.; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 30. 5 6
Dies entnimmt Galllwas beispielsweise den Formulierungen "Freiheit", "Gewährleistungen", "Unverletzlichkeit" in einzelnen Grundrechtsartikeln, S. 52 ff. 5 7
Gallwas, S. 52
58 5 9 6 0
Gallwas, S. 144. Die grundrechtlichen Gewährleistungen sind somit "erfolgsbezogen". Gallwas, S. 56 ff. Gallwas, S. 139 ff.
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvobehalts
141
Grundrechtsbeeinträchtigungen 61. Bei historisch-genetischer Auslegung ließen sich Anhaltspunkte fur eine Beschränkung des funktionalen Schutzbereichs nicht leugnen, da die Materialien zum GG zu diesem Problem nichts aussagten und der Grundgesetzgeber deshalb wohl den damals herrschenden klassischen Eingriffsbegriff übernehmen wollte 62 . Unter systematischem Aspekt jedoch sieht Ranisauer neben Art. 1 I GG auch Art. 19 I I GG als Verfassungsnorm an, die für eine Orientierung am grundrechtswidrigen Effekt spricht 63 . Unter teleologischem Aspekt schließlich verlange der Grundsatz der Effektivität des Grundrechtsschutzes eine Ausrichtung am Schutzgut und dessen Gefährdung, nicht an der Eingriffsmodalität. Ein Ausschluß mittelbarer Beeinträchtigungen aus dem Schutzbereich sei nur berechtigt, wenn diese typischerweise nur geringere Intensität und Bedeutung hätten, was sich jedoch nicht feststellen lasse64. Mit dem Argument, daß der Grundrechtsschutz effektiv sein müsse, wurde vereinzelt bereits zuvor eine Neuorientierung des Eingriffsbegriffs im Zusammenhang mit den Grundrechten gefordert. Der Wandel vom liberalen zum sozialen Rechtstaat war mit einem Zuwachs an staatlichen Aufgaben und Betätigungsformen und damit auch an Berührungspunkten und Konfliktmöglichkeiten im Verhältnis Staat - Bürger verbunden 65. Dieser insbesondere am Beispiel der Leistungsverwaltung und des staatlichen Wirtschaftsinterventionismus deutlich werdende Zuwachs offenbarte Lükken im Grundrechtsschutz, die man mit einer Erweiterung des Eingriffsbegriffs schließen wollte 66 . 6 1 Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums; im Unterschied zu Gallwas untersucht Ramsauer die Problematik am Beispiel des Grundrechts aus Art. 14 GG. 62 S. 122 f., 125. Angesichts der oben aufgezeigten von Beginn an praktizierten Relativierungen des klassischen Eingriffsbegriffs erscheint ein solcher Schluß aus dem bloßen Schweigen63des Grundgesetzgebers problematisch.
Ramsauer, S. 87 ff. Ebenso wie die Würde des Menschen vertrage auch das "Wesen" eines 64 grundrechtlich geschützten Rechtsguts keine funktionale Beschränkung (89). Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89 ff. (95). Die nachteilige Wirkung einer faktischen Beeinträchtigung könne der eines Eingriffs im klassischen Sinne gleichkommen, ja sie sogar übertreffen, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 126 ff. 65 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 273. 6 6 Friauf, DVB1. 1971, 674 ff. (681), der auf die Unmittelbarkeit verzichtet, allerdings die Finalität als entscheidendes Merkmal ansieht; Lerche, DÖV 1961, 486 ff. (490); Selmer, Steuerinterventionismus, S. 234 ff.; Ipsen, AöR 90 (1966), 393 ff. (429); ansatzweise auch Herzog, Festschrift E.E. Hirsch, S. 63 ff., 67; Kirchhof, Verwalten, S. 190. Grabitz, Freiheit, S. 27, weist darauf hin, daß das "Anschwellen staatlicher Tätigkeit sich überwiegend auf Gebieten vollzog, in denen der Staat nicht befehlend auftritt". Im Bereich staatlicher Wirtschaftsintervention nennt Grabitz ein Bündel von Maßnahmen, mit denen der Staat die Motivation der Grundrechtsträger beeinflußt: direkte Subventionen, Einräumung steuerlicher Vor- und Nachteile, Bereitstellung von Infrastrukturen, Marktverhalten öffentlicher
142
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Heute wird diese Begründung verallgemeinert und in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt: ein Grundrechtsschutz sei letztlich wertlos und ineffektiv, wenn er nicht auf veränderte staatliche Einwirkungsmöglichkeiten reagieren könne. Dies gilt umso mehr, als der moderne Staat das Spektrum seiner Handlungsformen - über den normativen Zwang hinaus - erheblich vermehrt und verfeinert hat 67 . Eine bestimmte Eingriffs-Vorstellung würde z.B. der Exekutive die Möglichkeit der Disposition über den Grundrechtsschutz an die Hand geben . Dies widerspreche der in Art. 1 ΠΙ GG normierten Bindungsklausel, die einen umfassenden und wirksamen Schutz der Grundrechte gegen alle staatliche Gewalt leisten wolle 69 . Ergänzend nennt man eine Vielzahl anderer Verfassungsbestimmungen, die rein tatsächliche, staatlich veranlaßte Belastungen ohne Rücksicht auf deren Rechtsform Verboten oder Einschränkungen unterwirft 70. Die aufgezeigten Gründe, die für eine Erweiterung des Eingriffsbegriffs geltend gemacht wurden, lassen erkennen, daß man die Einbeziehung faktischer Beeinträchtigungen in den Grundrechtsschutz als Ausdehnung des subjektiv-abwehrrechtlichen Charakters der Grundrechte verstand. So spricht z.B. Grabitz ausdrücklich davon, daß der erweiterte Geltungsradius der Grundrechte über den Kreis der imperativen Beeinträchtigungen hinaus die "Abwehrfunktion der Grundrechte" betrifft 71 . Als Beleg mag auch dienen, daß etwa Gallwas im subjektivrechtlichen Charakter der Grundrechte deren
Unternehmen, Vergabe öffentlicher Aufträge, außenwirtschaftliche, währungs- und kreditpolitische Maßnahmen, psychologischer Druck, vgl. Freiheit, 33 f. 67 Siehe dazu nur die Beispiele Teil 3, Abschnitt 1.
68
Vgl. Friauf, DVB1. 1971, 674 ff. (681); Wilke, Zeugnisreform als Erziehungsreform, S. 30; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 16 f.; Sodan, Funktionsträger, S. 502 ff. Ergänzend kann man dazu sagen, daß die Möglichkeiten des Staates, seine Handlungsformen zu erweitern und zu verfeinern, wohl noch nicht erschöpft sind. 6 9 Stern, Staatsrecht III/l, S. 1207; Erichsen, Staatsrecht I, S. 59. 70 Kirchhof, HdbStR, IU, § 59 Rn. 183. Eine Ausnahme macht man lediglich für Art. 2 I GG, wo man am klassischen Eingriff festhält. Denn dieses Grundrecht ist im Unterschied zu den speziellen Freiheitsrechten nicht auf einen rechtlich definierten Freiheitsbereich bezogen und weist - als Freiheit vor irgendwelchen Belastungen verstanden - überhaupt keine faßbaren Konturen mehr auf (Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 145 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 122). Die überwiegende Meinung versteht deshalb Art. 2 I GG nicht als Schutznorm gegen jede rechtswidrige "Belastung" (so aber Bernhadt, JZ 1963, 302 (306 f.); Zuleeg, DVB1.1976,509; Sening, BayVBl. 1982,428 ff.), sondern hält ihn nur im FaUe des an einen bestimmten Adressaten gerichteten Verbots oder Gebots, nicht aber einer Drittbeeinträchtigung für anwendbar (vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 I Rn. 26; SchmidtAßmann, Art. 19 IV Rn. 122; Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 145 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 436 ff.; Brohm, Festschrift Menger, S. 239 f.). 71 Grabitz, Freiheit, S. 28 m.w.N. Fn. 25.
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
143
77 Primärfunktion sieht und folgerichtig entsprechende Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche des Grundrechtsträgers hinsichtlich faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen anerkennt 73. In gleicher Weise geht Ramsauer davon aus, daß faktische Beeinträchtigungen des Eigentumsgrundrechts zu subjektiven Abwehr- bzw. Folgenbeseitigungsansprüchen führen 74. Soweit ersichtlich, lag somit zumindest ursprünglich der Ausweitung des Grundrechtsschutzes auf faktische Beeinträchtigungen eine auf den objektivrechtlichen Gehalt rekurrierende Begründung nicht zugrunde 75. 2. Analyse der Rechtsprechung Zur Rechtsprechung können vorweg zwei Bemerkungen allgemeiner Art gemacht werden: So wenig es jemals ausdrücklich fixierte Kriterien des klassischen Eingriffs gab, so wenig kann von einer ausdrücklichen Aufgabe bestimmter Kriterien im Bereich des Grundrechtsschutzes seitens der Rechtsprechung gesprochen werden . Darüberhinaus ist trotz des Transparenzlisten-Urteils des BVerwG ein dogmatisches Begründungsdefizit zu konstatieren, was die Ausweitung der Eingriffsvorstellung anbelangt. a) BVerfG Das BVerfG hat die Problematik des Grundrechtsschutzes gegenüber faktischen Beeinträchtigungen bislang nur peripher berührt. Lediglich anfangs kann man noch ansatzweise ein Festhalten an einer formalisierten Eingriffsvorstellung feststellen 77. So werden in einigen frühen Entscheidungen durch Gesetz hervorgerufene Beeinträchtigungen, die sich als unbeabsichtigte Nebenfolgen darstellen, für unter dem Aspekt des Grund72 73 74 75
Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 129. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 127 ff. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 117 ff.
Stellvertretend für die auch noch in neuerer Zeit überwiegend vertretene subjektivrechtliche Begründung sei hier nur genannt Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 131 ff. (142 f.). 7 6 Vgl. Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89 ff. (92 f.). Eine ausdrückliche Diskussion um die Aufgabe bestimmter Eingriffskriterien erfolgte vorwiegend im Zusammenhang mit anderen Problemfeldern, etwa dem des enteignungsgleichen Eingriffs, des Folgenbeseitigungsanspruchs gegenüber schlicht hoheitlichem Handeln. 77 Aufrechterhalten wird das Kriterium der Unmittelbarkeit aber als Zulässigkeitsvoraussetzung der Verfassungsbeschwerde, insbesondere gegen Gesetze; hier hat es aber eine andere Funktion, nämlich die der Konkretisierung des Rechtsschutzbedürfnisses, vgl. Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (374); BVerfGE 40,141 (156) Ostverträge.
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt no
rechtsschutzes irrelevant erklärt . Allerdings hat das Gericht bereits frühzeitig auch konkreten Wirkungen staatlichen Handelns, das nicht die Merkmale des klassischen Eingriffs aufwies, grundrechtsschutzauslösende Bedeutung zuerkannt. So wurden schon in den 60er Jahren in mehreren Entscheidungen zur Lenkungswirkung von Steuergesetzen steuerliche Vorschriften aufgrund ihrer tatsächlichen Auswirkungen an Art. 12 GG gemessen, wenn sie infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs standen und - objektiv - eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen ließen79. Auf eine subjektiv berufsregelnde Tendenz, also die gesetzgeberische Absicht einer Regelung der Berufsausübung, wird verzichtet 80. In der Entscheidung zu den Arbeitnehmerkammern führt das BVerfG zu Art. 9 I GG aus, nicht nur die rechtliche, sondern auch die faktische Behinderung der Gründung eines privatrechtlichen Verbandes (Gewerkschaft) durch die Errichtung einer öffentlichrechtlichen Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft im gleichen Aufgabenbereich könne eine Verletzung dieses Grundrechts darstellen 81. Kennzeichnend für das BVerfG ist die Prägung von der fast "räumlichen" Vorstellung eines grundrechtlichen Schutzbereichs, der gegen jede Art der "Grenzüberschreitimg" Schutz bieten muß, um seine Funktion zu erfüllen. Besonders klar kommt dies im Urteil zur Direkt-Ruf-VO zum Ausdruck 82 . 7 8 7 9
BVerfGE 11,50 (60); 12,151 (176); 13,331 (341 f.); 18,97 ff.
BVerfGE 13,181 (185 f.): Dort mißt das Gericht die "Schankerlaubnissteuer" an Art. 12 I GG, obwohl sie nach seiner Auffassung die berufliche Betätigung nicht unmittelbar regele. Denn der besondere Freiheitsraum, den Art. 12 I GG sichern wolle, könne auch durch Vorschriften berührt werden, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet seien, die Freiheit der Berufswahl mittelbar zu beeinträchtigen. Die zusätzlich geforderte berufsregelnde Tendenz entnimmt das Gericht ihrem Charakter als Sondersteuer für einen bestimmten Beruf, insbesondere aber ihrer Ausgestaltung im einzelnen, die "das Ziel sichtbar (mache), die Errichtung neuer Gaststätten und damit die Steigerung des Alkoholkonsums zu hemmen" (186). Vgl. auch 18,1 (12); 21,73 (85); 22,380 (384); 52,42 (54); 70,191 (214). Vgl. dazu Grabitz, Freiheit, 29 ff. 80 So ausdrücklich BVerfGE 47,1 (21). Auch in der Literatur herrscht die Auffassung vor, daß es auf die Finalität der verhaltensbeeinflussenden Einwirkung nicht entscheidend ankomme, Wiegel, Verfassungsrechtliche Probleme einer staatlichen Investitionslenkung, S. 94; Weber-Crezelius, Gedächtnisschrift Klein, S. 549; Schenke, Festschrift Armbruster, S. 191. 8 1 BVerfGE 38,281 (303 f.). 82 BVerfGE 46, 120 (137). Dort ging es um die Verfassungsbeschwerden von Herstellern bzw. Verkäufern von Zusatzeinrichtungen für den Telefonverkehr gegen § 3 I V DirektrufVO, wonach Zusatzeinrichtungen für die Datenübertragung "posteigen" sein müssen, d.h. es dürfen nur die von der Bundespost zur Verfügung gestellten Geräte verwendet werden. Das BVerfG hält diese Regelung für eine faktische Beeinträchtigung der Berufsausübung, da auf dem inländischen Markt für Zusatzgeräte, die im öffentlichen Direktrufnetz Verwendung finden sollen, statt der Vielzahl der Teilnehmer ausschließlich die Bundespost als Nachfrager auftritt und es so zu einer Beschränkung der Verkaufsmöglichkeiten kommt.
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
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Dort führt es aus: "Art. 121 GG kommt als Maßstabsnorm nicht nur für solche Vorschriften in Betracht, die sich gerade auf die berufliche Betätigung beziehen und diese unmittelbar zum Gegenstand haben. Der besondere Freiheitsraum, den das Grundrecht sichern will, kann auch durch Vorschriften berührt werden, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen1183. Schließlich nimmt das Gericht ausdrücklich Stellung zur Problematik des mittelbaren, ungezielten Eingriffs. Dabei wird der EingrifEsbegriff im Hinblick auf die erweiterten Staatsaufgaben und Handlungsformen problematisiert: "Davon abgesehen ist es im "Leistungsstaat" der Gegenwart eine zunehmend zu beobachtende Erscheinung, daß staatliche Einwirkungen in den Bereich der wirtschaftlichen Betätigung nicht im Wege eines unmittelbaren "gezielten" Eingriffs erfolgen, sondern durch staatliche Planung, Subventionierung oder - wie im vorliegenden Fall - als Folge einer bestimmten Wahrnehmung von Aufgaben der Leistungsverwaltung" . Wichtige Maßstäbe für die Einbeziehung faktischer Beeinträchtigungen in grundrechtliche Schutzbereiche hat das BVerfG schließlich im Urteil zum NATO-Nachrüstungsbeschluß gesetzt. Die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung von Mittelstreckenwaffen und Marschflugkörpern durch die USA sei weder eine gezielte, noch eine unmittelbare Beeinträchtigung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit deutscher Bürger. Dies sieht das Gericht aber nicht als notwendige Voraussetzung eines Eingriffs an. Die Gefahr für die genannten Rechtsgüter 85 als mittelbare Folge der Zustimmung sei eine tatsächliche Beeinträchtigung, die unter bestimmten Voraussetzungen unter den Schutzbereich des Art. 2 I I S.l GG fallen könne86. b) Verwaltungsgerichte Das BVerwG bringt in einer Vielzahl von Entscheidungen zu den verschiedensten Fallkonstellationen und unterschiedlichen Grundrechten zum Ausdruck, daß die grundrechtlichen Schutzbereiche auch gegen mittelbare, nicht gezielte oder nicht durch Rechtsakt erfolgte staatliche Beeinträchtigungen des Bürgers Schutz bieten können. Dies wird insbesondere 8 3
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BVerfGE 46,120 (137).
BVerfGE 46,120 (137). Ohne nähere Begründung auf den Effekt, und nicht etwa auf die Adressierung der staatlichen Maßnahme stellt das BVerfG in Fällen von Nachbarbeeinträchtigungen ab, denen grundrechtliche Relevanz unter dem Gesichtspunkt des Art. 852 II bzw. Art. 14 GG zuerkannt wird (E 53,30 ff.; 56,54 ff.). Die in einem atomaren Präventivschlag oder einem irrtümlichen Gegenschlag seitens dero/rSowjetunion gesehen wird. BVerfGE 66,39 (60). Zu diesen Voraussetzungen i.e. Teil 4. 10 Roth
146
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
daran deutlich, daß es unterschiedlichen Arten von Drittbeeinträchtigungen potentielle grundrechtliche Relevanz zuerkennt. Das gilt zunächst für die sog. Nachbarbeeinträchtigungen, bei denen der Nachbar etwa als Folge der Ausnutzung einer Genehmigung durch den Eigentümer oder Genehmigungsinhaber faktische Beeinträchtigungen erleidet, wie z.B. den Entzug von Licht, Luft oder Wasser bzw. die Belastung durch Immissionen und Lärm oder die Gefährdung durch mögliche Explosionen o.ä. Unfälle beim Betrieb. Die Beeinträchtigung ist in diesen Fällen von der Behörde nicht beabsichtigt; sie tritt nicht als "unmittelbare" Folge des Verwaltungshandelns, sondern erst infolge des hinzutretenden Verhaltens eines Privaten ein; schließlich wird sie nicht durch eine rechtliche Regelung hervorgerufen, sondern durch die rein faktische Ausnutzung z.B. einer Genehmigung. Dennoch kommt diesen Beeinträchtigungen laut BVerwG u.U. grundrechtliche Relevanz zu, wie etwa die Rechtsprechung zum Nachbarschutz au&Art. 141 GG deutlich macht. Zwar habe der Nachbar mittelbare, d.h. erst durch eine Änderung der Grundstückssituation vermittelte Auswirkungen grundsätzlich als situationsbedingt hinzunehmen87, doch bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen88 könne die Erteilung einer Baugenehmigung89, einçr wasserrechtlichen 90 oder atomrechtlichen Genehmigung91 den Nachbarn in seinem Grundrecht aus .Art. 14 GG verletzen. In Fällen der auf eine mögliche Verletzung won Art. 2 II GG gestützten Nachbarklage begründet das BVerwG mittels eines argumentum a maiore ad minus, daß, wenn das Eigentum verfassungsrechtlich gegen bestimmte Vorgänge in der Umgebung geschützt ist, erst recht die als Rechtsgut höherwertige und in gewisser Weise auch stärker umgebungsabhängige körperliche Unversehrtheit einen vergleichbaren Schutz genießen muß 92 . In entsprechender Weise nimmt das BVerwG auch Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 28 II GG, auf den überwiegend die Grundrechtsdogmatik angewandt wird 93 , im Falle von Beeinträchtigungen der kommunalen PlaBVeiwGE 50,282 (287). 88
Zu diesen i.e. unten Teil 4. BVerwGE 32, 173 (179) Grundentscheidung; 44, 244 (246 f.); 50, 282 (287); 52, 122 (125); DVB1. 1974, 767 (776 f.). Zum Ganzen auch Friauf, Baurecht, S. 594 ff.; Nüßgens, Eigentum, Rn. 70. 9 0 BVerwGE 36,248 (252). QQ
9 1
92
BVerwGE 60,301 (305); 61,256 ff.
BVerwGE 54, 211 (221). Vgl. auch 60, 301 (305); 61, 256 ff. sowie BVerfGE 53, 30 (48); 56,54 (73 ff.). 93 So versteht die ganz überwiegende Meinung Art. 28 II S. 1 GG als Eingriffsvorbehalt, Brohm, DÖV 1989,429 ff. (431) mit Fn. 17, der allerdings für ein stärker kompetenzrechtliches Verständnis plädiert (vgl. ders., Staatliche Straßenplanung, S. 31 ff. sowie jetzt StWuStP 1990, 132 ff. [149]).
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
147
nungshoheit durch rein faktische Auswirkungen fremder Planungen an. Zwar müssen die Gemeinden eine Veränderung der Planungsdaten, d.h. des örtlichen Abwägungsmaterials als Folge der sich stets wandelnden Verwaltungsumwelt hinnehmen; faktische Auswirkungen der fremden Planung schlügen jedoch vom bloßen Reflex in eine Verletzung der Planungshoheit um, wenn die fremde Planung unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art habe und hinreichend konkretisierte örtliche Planungen rechtswidrig beeinträchtige 94. Ahnliche Grundsätze wendet das BVerwG bei den sog. Konkurrentenbeeinträchtigungen an. So stellt das Gericht bei der auf Grundrechte gestützten Anfechtungsklage gegen die staatliche Förderung eines Konkurrenten, etwa durch Subventionen, auf deren beeinträchtigende Wirkung ab. Ein Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit, die das BVerwG in Art. 2 I GG verortet, sei durch die Förderung zwar grundsätzlich nicht gegeben, der Konkurrent könne weiterhin am Wettbewerb um den Kunden teilnehmen, lediglich die Wettbewerbsbedingungen hätten sich u.U. für ihn durch die Förderung der Mitbewerber zum Nachteil verändert 95. Eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen erreiche aber dann die Schwelle des Grundrechtseingriffs, wenn "durch die hoheitliche Maßnahme die Fähigkeit zur Teilnahme am Rechtsverkehr so eingeschränkt wird, daß die Möglichkeit, sich als verantwortlicher Unternehmer wirtschaftlich zu betätigen, beeinträchtigt ist" 96 . Erfolgte die Einbeziehung faktischer Beeinträchtigungen in den Grundrechtsschutz bis dahin ohne nähere Begründung, nahm das BVerwG im Transparenzlisten-Urteil erstmals grundsätzlich Stellung97. Darin führt es aus, weder schützten die Grundrechte nur gegen regelnde Maßnahmen, noch erforderten sie generell, daß die Belastung des einzelnen unmittelbare Folge der staatlichen Maßnahmen ist; unter Berücksichtigung der Schutzfunktion des jeweiligen Grundrechts könne vielmehr - je nach Art und Ausmaß - auch eine tatsächliche Betroffenheit des Grundrechtsträgers einen Grundrechtseingriff bedeuten98. Zur Begründung heißt es: "mit der 9 4 BVerwGE 40, 323 (331); 51, 6 (13 ff.); DÖV 1978,811; auch BayVGH BayVBl. 1985, 83 ff.; Steinberg, DVB1.1982,13 ff.; Jarass, DVB1.1976,732 ff. (734 f.). 95 Vgl. BVerwGE 65,167 (174), wo es um Wettbewerbsnachteile von Ladengeschäften der Bekleidungsbranche aufgrund von Ausnahmegenehmigungen nach dem LadenschlG fur ein Bekleidungsgeschäft ging, das sich in einem mit dem Hauptbahnhof verbundenen Einkaufszentrum befindet; 60,154 (160) Krankenhauspflegesätze. 9 6 BVerwGE 65,167 (174); 60,154 (160); vgl. auch bereits BVerwGE 30,191 (197 ff.). 97 QO BVerwGE 71,183 ff. Zum Sachverhalt siehe unten Teil 3. BVerwGE 71, 183 (191). Bestätigt durch die Entscheidung zu den Subventionsrichtlinien, E 75, 109 (115).
148
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Funktion der Grundrechte, bestimmte Freiheitsbereiche wirksam zu schützen,... wäre es unvereinbar, den Grundrechtsschutz generell auf einen bestimmten Eingriffstyp - z.B. Regelungen mit unmittelbarer Rechtswirkung - zu beschränken"99. Auch hier wird eine "räumliche" Vorstellung von den grundrechtlichen Freiheitsbereichen ähnlich denen absoluter Rechte deutlich. Ein klassisches Eingriffiskriterium, nämlich das der einseitigen hoheitlichen Maßnahme, wird vom BVerwG jedoch aufrechterhalten. So macht es beispielsweise grundsätzlich die Zulässigkeit verwaltungsrechtlicher Verträge nicht vom Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage abhängig. Denn bei diesen komme es, auch soweit Grundrechtspositionen berührt werden, angesichts der einverständlichen Mitwirkung der am Vertrag Beteiligten nicht zu einem Eingriff im Sinne des Gesetzesvorbehalts100. Von Einzelfällen abgesehen101, folgen heute die Oberverwaltungsgerichte im Grundsatz der Rechtsprechung des BVerwG zur Relevanz grundrechtlicher Schutzbereiche bei faktischen Beeinträchtigungen und stellen überwiegend auf den freiheitswidrigen Effekt ab 1 0 2 . 3. Folgerungen für Drittbeeinträchtigungen Im Unterschied zum Schrifttum läßt sich der Rechtsprechung des BVerfG keine ausdrückliche Stellungnahme dazu entnehmen, ob die Einbeziehung faktischer Beeinträchtigungen in den Grundrechtsschutz auf einer Ausweitung der Abwehrfunktion der Grundrechte zurückzuführen ist. Die vom BVerfG benutzte Terminologie sowie der Umstand, daß das Gericht im Rahmen verfassungsgerichtlicher Verfahren, die dem subjektiven Rechtsschutz dienen (insbesondere Verfassungsbeschwerden), zur Ausdehnung 9 9
BVerwGE 71,183 (192).
100
BVerwGE 42,331 (335).
101
Beispielsweise hat das OVG Münster anfangs z.T. noch Finalität gefordert, DVB1.1965, 527 (530). Auch neuerdings will es unter Bezugnahme auf das Transparenzlisten-Urteil des BVerwG, welches von ihm wohl falsch verstanden wird, eine faktische Beeinträchtigung nur dann berücksichtigen, wenn sie final herbeigeführt wurde, NJW 1986,2783 f. Veröffentlichung einer Liste diethylenglykolhaltiger Weine. Der VGH BW DÖV 1979, 338 (339) - Röntgenuntersuchung - leugnet in dieser Entscheidung einen Grundrechtsschutz vor mittelbaren Beeinträchtigungen. 102
Vgl. zum Drittschutz aus Art. 14 GG und Art. 2 Π GG: VGH BW BauR 1975, 316; OVG Lüneburg, NJW 1980, 283; Hess. VGH, DVB1.1977, 728; OVG Hamburg, NVwZ 1984, 48 ff.; OVG Münster, NVwZ 1984,385; DVB1.1988,155. Zum Grundrechtsschutz gegen faktische Betroffenheit durch die Subventionierung eines Konkurrenten durch öffentlichrechtlichen Vertrag, OVG Münster NVwZ 1984,522 ff.
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
149
des Grundrechtsschutzes auf faktische Beeinträchtigungen Stellung nimmt, legen dies jedoch nahe. So fuhrt es im Urteil zu den Verfassungsbeschwerden gegen die Direkt-Ruf-Verordnung aus, die Tatsache, daß die fragliche Vorschrift nicht "gezielt" in die Berufsfreiheit der Beschwerdefuhrerinnen eingreife, schließe es nicht aus, "in der Regelung einen Eingriff in deren Berufsfreiheit" zu sehen103. In ähnlicher Weise wird zu den Verfassungsbeschwerden gegen die Zustimmung der Bundesregierung zur Aufstellung von Mittelstreckenraketen Stellung genommen, daß auch eine "tatsächliche Beeinträchtigung unter den Schutzbereich des Art. 2 Π GG fallen könne" 104 . Daß das BVerwG von einem abwehrrechtlichen Verständnis des Grundrechtsschutzes gegen faktische Beeinträchtigungen geprägt ist, wird insbesondere an der Rechtsprechung zum Nachbarschutz gegen baurechtliche, wasserrechtliche, gaststättenrechtliche Genehmigungen deutlich. Immer geht es dort um die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich Veränderungen der Verhältnisse auf einem anderen Grundstück als "Eingriff in das Eigentum" darstellen 105. Demgemäß wird auch in der Literatur ganz überwiegend angenommen, daß das BVerwG in den Fällen der Drittbeeinträchtigungen die Abwehrfunktion der Grundrechte für einschlägig hält 1 0 6 . Untermauert wird dieses Ergebnis auch durch die Stellungnahme im Transparenzlisten-Urteil, wo allgemein ausgeführt wird, die Grundrechte schützten nicht "nur gegen regelnde Maßnahmen", sondern auch eine tatsächliche Betroffenheit des Grundrechtsträgers könne "einen Grundrechtseingriff bedeuten" 107 . Dazu kommt, daß sowohl im Fall der Transparenzlisten wie der Subventionsrichtlinien im Ergebnis das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs bejaht wird und sodann - ohne Eingehen auf die Grundsätze der Wesentlichkeitstheorie - das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage angenommen wird 1 0 8 . Auch dies zeigt, daß das Gericht im Zusammenhang mit faktischen Beeinträchtigungen von einem Grundrechtseingriff ausgeht, an den es die Geltung des Gesetzesvorbehalts knüpft. Auf der Grundlage der Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, die die Aufgabe der klassischen Eingriffskriterien Rechtsakt, Finalität und Unmittelbarkeit und somit auch die Einbeziehung von Drittbeeinträchtigungen in den Grundrechtsschutz mit einem erweiterten Verständnis der 1 0 3
BVerfG 46,120 (137).
104
BVerfGE 66,39 (60).
105
Vgl. nur BVerwGE 32,173 (178 f.).
106
Vgl. nur Jarass, AöR 110 (1985) 363 ff. (381); Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 140 ff.
(142). 1 0 7
BVerwGE 71,183 (191).
108
BVerwGE 71,183 (189,198 f.); 75,109 (114,116 f.).
150
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Grundrechte in ihrem subjektiv-abwehrrechtlichen Charakter begründet, wäre die Problematik der Erforderlichkeit gesetzlicher Grundlagen für Drittbeeinträchtigungen unter dem Aspekt des Eingriffsvorbehalts zu prüfen. Vor dem Hintergrund dieser heute im Ausgangspunkt auf den nachteiligen Effekt abstellenden Auffassung, kann jedenfalls prima facie einem Verwaltungshandeln, das drittbeeinträchtigende Wirkungen nach sich zieht, subjektivrechtliche Grundrechtsrelevanz nicht abgesprochen werden. Unabhängig von der jeweiligen Struktur der Drittbeeinträchtigung wäre die beeinträchtigende Wirkung immer gegeben. C. Der objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte - Begründungen des Grundrechtsschutzes gegen faktische Beeinträchtigungen in neuerer Zeit Im Unterschied zu den dargelegten subjektivrechtlichen Ansätzen lassen sich vor allem seit den 80er Jahren Versuche ausmachen, die Einbeziehung faktischer Beeinträchtigungen in den Grundrechtsschutz in Teilbereichen (unten I, 1) und I, 2)) oder sogar grundsätzlich (unten II) auf die objektivrechtliche Funktion der Grundrechte zu stützen. I. Drittbeeinträchtigungen
als Schutzpflichtverletzungen
1. Behördliche Erlaubnisse und Genehmigungen mit drittbelastender Wirkung Im Hinblick auf einen in der Praxis besonders bedeutsamen Anwendungsfall der Drittbeeinträchtigungen, nämlich drittbelastende Wirkungen aufgrund behördlicher Erlaubnisse und Genehmigungen109, verneint man in neuerer Zeit z.T. den Eingriffscharakter und hält die Grundrechte in ihrer Schutzpflichtfunktion für einschlägig110. Ein staatlicher Eingriff lasse sich in diesen Fällen dogmatisch nicht konstruieren, die staatliche Erlaubnis allein bilde keinen hinreichenden Grund, um der öffentlichen Gewalt die Wirkungen des privaten Verhaltens eines Dritten zuzurechnen 111. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt sei das private, nicht das staatliche Handeln. Nicht der 109 Das Hauptbeispiel bildet das Instrument des präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, bei dem das Gesetz die Erlaubnis über einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung erteilen oder versagen läßt. 110 Ausführlich zum Streitstand Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 178 ff.; Hermes, Grundrecht, S. 85. Vgl. auch Murswiek, Verantwortung, S. 58 ff., 89 ff., 102 ff.; Frers, Die Klagebefugnis, S. 230 f.; Ramsauer, AöR 111 (1986), 501 ff. (523). 111
Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), S. 205 ff. (215).
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
151
Staat mit seiner Genehmigung, sondern der Private mit der Ausnutzung und Realisierung der Genehmigung greife in Grundrechte des Dritten ein 1 1 2 . Den Kern der Argumentation bildet die Annahme einer grundsätzlich unbeschränkten grundrechtlichen Freiheit des Genehmigungsempfängers, die prinzipiell auch die Freiheit der Durchführung drittbelastender Vorhaben umfasse 113. Jedenfalls im Bereich des präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt handele es sich bei Errichtung einer baulichen bzw. emittierenden Anlage oder eines Gewerbebetriebs tun grundsätzlich erlaubte, private Tätigkeiten, die einer staatlichen "Freigabe" durch positives Tun im eigentlichen Sinne nicht bedürften 114 . Die Ausübung einer grundrechtlichen Freiheit könne aber nur schwerüch als staatlicher Eingriff verstanden werden 115 . Daneben meint man einen Wertungswiderspruch aufzudecken. Angesichts der Austauschbarkeit der gefahrenabwehrrechtlichen Instrumente des präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalts und etwa einer einfachen Eingriffsbefugnis bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen wird die Frage gestellt, warum im einen Fall - wie es von der Rechtsprechung vertreten wird - eine staatliche Mitverantwortung begründet sei mit der Folge des potentiellen Eingriffs, im anderen Fall nicht1 6 . Da sich somit die Grundrechtsbeeinträchtigung dem Staat nicht als Eingriff zurechnen lasse, schlägt man zur Begründung einer staatlichen Verantwortlichkeit den Lösungsweg der auf dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte basierenden Schutzpflichten ein 11 . Die Situation etwa der auf Grundrechte gestützten baurechtlichen Nachbarklage wird im Grunde als Auseinandersetzung zwischen Privaten angesehen; grundrechtsdogmatisch entscheidend sei, ob und inwieweit Art. 14 I GG dem Dritten einen Anspruch gegen den Staat einräume, ihn durch entsprechende Vorkehrungen vor Eingriffen des Bauherrn zu schützen 11*. Damit glaubt man gleichzeitig 112
Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 (7); Berger, Grundfragen, S. 137 f. " Vgl. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 181. 114 Hermes, Grundrecht, S. 86. 115 Hermes, Grundrecht, S. 86. 116
Hermes, Grundrecht, S. 87 m.w.N. Ähnlich Rauschning, W D S t R L 38 (1980), 383 f.: Wenn der Staat lediglich eine Aufsicht führe und nur eingreife, wenn ihm das notwendig erscheine, so seien die Fälle, in denen er nicht eingegriffen hat, keinesfalls als Eingriffe des Staates zu werten. Nichts anderes könne gelten, wenn der Staat sich des Verbots mit Erlaubnisvorbehalts als Aufsichtsmittel bedient. 117 Vgl. dazu nur Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (215), der auf polizeirechtliche Vorbilder verweist. 118 Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 ff. (7). I.E. ebenso Rauschning, W D S t R L 38 (1980), 167 ff., 182 f.; Götz, Dosisgrenzwerte, S. 177 f.; Breuer, Festgabe BVerwG, S. 109; Alexy, Theorie, S. 417 f.
152
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
eine dogmatische Erklärung dafür gefunden zu haben, daß nicht jeder nachteilige Effekt in der Folge einer behördlichen Genehmigung oder Erlaubnis vom Grundrechtsschutz erfaßt ist. Denn die Grundrechte in ihrer Schutzpflichtfunktion hätten nicht die gleiche Schutzintensität wie die Grundrechte in ihrer traditionellen Funktion als Abwehrrechte. Das Bestehen einer staatlichen Schutzpflicht zwinge nicht schon bei jeder wie auch immer gearteten Verletzung der genannten Rechtsgüter durch Dritte zu einer staatlichen Reaktion11 . Die Rechtsprechung hat zu diesem Problem weder ausdrücklich Stellung genommen, noch läßt sie insoweit eine klare Dogmatik erkennen. Der Tendenz nach hat sie bisher weitgehend eine Gleichstellung staatlicher Kontrollerlaubnisse mit Eingriffen befürwortet 120. Grundgedanke der Zurechnung in der Rechtsprechung des BVerfG ist die über die bloße Kausalität hinausgehende, etwas verschwommene "Mitverantwortung* des Staates. Dadurch, daß der Staat durch Gesetz eine Grundrechtsausübung unter Verbot mit Erlaubnisvorbehalt stellt und die Erlaubnis von einer behördlichen Entscheidung abhängig macht, sowie zusätzlich auch durch die tatsächliche Erteilung der Einzelgenehmigung, übernehme er die verfahrensrechtliche Verantwortung für den angemessenen Ausgleich der grundrechtlichen Belange 121 . Eine unverhältnismäßige Nachgiebigkeit gegenüber der drittgefährdenden Grundrechtsausübung wirke sich faktisch als Grundrechtsbe199
einträchtigung gegenüber dem Dritten aus . Der Gedanke der staatlichen Mitverantwortung findet sich auch in der Rechtsprechung des BVerwG 123 . 1 1 9
120
121
Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (216). Diese Bewertung wird geteilt von Murswiek, Verantwortung, S. 89 f.
Vgl. etwa die Ausführungen in BVerfGE 53, 30 (58) Mülheim- Kärlich: "Demgemäß erscheint es geboten, bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Genehmigung von Kernkraftwerken nicht weniger strenge Maßstäbe anzuwenden als bei der Prüfung staatlicher Eingriffegesetze." Die Einstufung als Eingriff wird dort etwa auch an der Formulierung deutlich: "In das durch Art. 2 Π GG geschützte Recht..." dürfe "nur auf der Grundlage der zuvor genannten gesetzlichen Regelungen eingegriffen werden", E 53, 30 (51). Vgl. auch die abweichende Meinung (77 f.). Vgl. außerdem die Ausführungen in BVerfGE 56,54 (79) Fluglärm: "Eine solche Nachbesserungspflicht kann in grundrechtsrelevanten Bereichen vor allem dann in Betracht kommen, wenn der Staat durch die Schaffung von Genehmigungsvoraussetzungen und durch die Erteilung von Genehmigungen eine eigene Mitverantwortung für etwaige Grundrechtsbeeinträchtigungen übernommen hat". Zur Kritik an dieser Rechtsprechung insbesondere Schwabe, NVwZ 1983, 523 122ff. (524 f.), der den Begriff der Mitverantwortung für einen "Verlegenheitsbegriff" hält 123
Zu dieser Folgerung aus der Rechtsprechung des BVerfG Isensee, Sicherheit, S. 50.
BVerwGE 54, 211 (223). Dort wird ausgeführt, es werde "oft schwierig zu entscheiden sein, ob die zu beurteilenden Belastungen vor allem der Gesundheit als Folge eines (unmittelbaren) Eingriffs der öffentlichen Gewalt gewertet werden können". Vgl. auch E 64, 274 (279).
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
153
Darüberhinaus hegt auf dieser Linie die gesamte Rechtsprechung des BVerwG zum Nachbarschutz aus Art. 14 GG gegen baurechtliche, wasserrechtliche, gaststättenrechtliche u.ä. Genehmigungen, die als potentielle "Eingriffe" in das Grundrecht des Nachbarn untersucht werden 124 . In der Literatur wird der Eingriffscharakter der Kontrollerlaubnisse mit unterschiedlichen Begründungen gestützt. Z.T. wird in Anlehung an die Rechtsprechung auf die durch die Schaffung gesetzlicher Genehmigungsvoraussetzungen bzw. den behördlichen Genehmigungsakt selbst ausgelöste staatliche Mitverantwortung abgestellt126. Ahnlich wird die Gleichstellung mit dem "Eingriff' von anderen in Anlehnimg an dogmatische Vorbilder des Strafrechts mit dem Gedanken der Garantenstellung begründet, die sich entweder aus vorangegangenem Tun 1 2 7 oder aus dem ausdrücklichen Zulassungs- oder Genehmigungsakt ergeben soll 128 . Wieder andere stellen nicht auf die tatsächlichen, sondern die rechtlichen Wirkungen der Genehmigung ab. So gehörten z.B. im Atom- und Immissionsschutzrecht zu den Rechtsfolgen auch Beschränkungen der Rechte Dritter, nämlich ihrer sonst bestehenden privaten Abwehrrechte 129. Auch die (bestandskräftige) Baugenehmigung beschränke die zivilrechtlichen Abwehrmöglichkeiten in gewissem, im einzelnen umstrittenen Umfang, und deshalb wirke schon die behördliche Genehmigung, nicht erst der reale Bau bzw. dessen Nutzung auf die Rechte des Nachbarn ein 1 3 0 . Schließlich verweist man auf das wider124
Vgl. nur BVerwGE 32, 173 (179); 36, 248 (252); 44, 244 (246 f.); 50, 282 (287); 52, 122 (125); 66,307. Vgl. dazu auch Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (381); Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. 125 Insoweit gibt man den Diskussionsstand widerspruchlich wieder Während Schmidt-Aßmann (AöR 106 (1981), 215) und Ramsauer (AöR 111 (1986), 523) die Befürworter der Schutzpflichtfunktion als herrschende Meinung bezeichnen, stellt Frers (Die Klagebefugnis, S. 230) fest, die überwiegende Meinung bejahe den Eingriffscharakter von Kontrollerlaubnissen. M.E. stellt sich der Streitstand recht ausgeglichen dar. 1 2 6 Isensee, Sicherheit, S. 50; Murswiek, S. 69 f.; Schwabe, NVwZ 1983,523 ff. (524); Hinz, Dosisgrenzwerte, S. 168; Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (381); Suhr, Diskussionsbeitrag, W D S t R L 38 (1980), S. 351 f. 127 Seewald, Gesundheit als Grundrecht, S. 47 ff. 128
Baltes, Immissionsgrenzwerte, BB 1978, 130 ff. (131); Steiger, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 21 (42); ähnlich auch Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (207,215), der in der Einzelgenehmigung einen hinreichend konkreten Ansatzpunkt für die Zuordnung von Emissionsvorgängen zum Schutzbereich des Art. 2 II GG sieht und davon spricht, daß Art. 2 II GG auch individuell-abwehrrechtliche Ansprüche an die konkrete Einzelentscheidung stellt. Im Ergebnis ebenso Frers, Die Klagebefugnis, S. 231, Klöpfer, JZ 1984, 685 ff. (687), und Schlink, EuGRZ 1984,457 ff. (465). 129 Siehe §§ 14 BImSchG, 7 VI AtomG. Vgl. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 181 f. 1 3 0 Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 142 f.; Trzaskalik, DVB1. 1981, 71 ff. (72); Kleinlein, NVwZ 1982,668; Breuer, DVB1.1983,431 (438); Frers, Die Klagebefugnis, S. 230 f.
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sprüchliche Ergebnis der Schutzpflichtlehre, daß die staatliche Genehmigung drittbelastender privater Vorhaben anders zu behandeln sei als die zweifelsfrei einen Eingriff bildende - unmittelbar staatliche Realisierung desselben Vorhabens1 . M.E. können auch behördliche Erlaubnisse und Genehmigungen die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte ansprechen. Ergänzend zu den oben bereits dargestellten Argumenten für die Eingriffsqualität möchte ich insoweit der strafrechtlichen Lehre zur Abgrenzung zwischen positivem Tun und Unterlassen folgend 132 - auf den Schwerpunkt abstellen. Der Schwerpunkt der Drittbelastung liegt nicht im Unterlassen des Einschreitens gegen private Tätigkeit, sondern im positiven Tun, der Erteilung der Erlaubnis durch den Staat. Wie Schwabe zutreffend ausführt 133, ist der Staat hier kein Unbeteiligter, sondern ihm ist durch Normen des öffentlichen Rechts die Aufgabe zugewiesen, durch verbindliche Entscheidung eine Grenzziehung zwischen kollidierenden Grundrechten vorzunehmen. Eine Genehmigung, die im Einzelfall diese Grenze falsch zieht, fuhrt faktisch einen Zustand herbei, der einem rechtlichen Grundrechtseingriff durch staatliches Geoder Verbot gleichkommt. Die Genehmigungsbehörde erscheint als "Herr" über die Grundrechtsverletzung, von ihrem Handeln hängt es maßgeblich ab, ob es dazu kommt. Zwar ist dem Adressaten die Entscheidung über die Inanspruchnahme der Begünstigung i.d.R. freigestellt, doch erfolgt die Ausnutzung schon deshalb praktisch automatisch, weil er durch den von der Marktwirtschaft ausgehenden Zwang zu wirtschaftlichem Verhalten veranlaßt wird, ihm günstige Regelungen auch in Anspruch zu nehmen 134 . Daß es um die Abwehr positiven staatlichen Tuns und nicht um die Geltendmachung von Schutzansprüchen gegenüber staatlichem Unterlassen geht, belegt auch die prozessuale Seite des Problems. Nach einhelliger Auffassung erhält der Dritte Rechtsschutz gegen die Genehmigung drittbelastender Vorhaben nicht über die Leistungs- oder Verpflichtungs-, sondern die Anfechtungsklage 135 . Die Rechtsprechung des BVerfG, die im Rahmen der Überprüfung atomrechtlicher Genehmigungsvorschriften mehrfach den Schutzpflichtaspekt
131
132 133
134 135
Schwabe, NVwZ 1983,523 ff. (525). Vgl. Wessels, Strafrecht AT, S. 216 ff. m.w.N. NVwZ 1983,523 ff. (524). Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 45.
Schwabe, NVwZ 1983, 523 ff. (524), der auch zu den prozessualen Problemen der Gegenauffassung Stellung nimmt, die - wenig überzeugend - der Genehmigungsabwehrklage nur "äußerlich" negatorischen, der "Sache nach" jedoch leistungsrechtlichen Charakter zuschreibt (vgl. Breuer, Festgabe BVerwG, S. 109).
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
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1 "Vi des Art. 2 I I GG in den Vordergrund gerückt hat, steht nicht entgegen . Denn hier ging es jeweils um eine Überprüfung von Akten des Gesetzgebers auf etwaige Verstösse gegen die Schutzpflichtfunktion der Grundrechte, nicht jedoch um die Kontrolle konkreter Genehmigungen bestimmter Vorhaben im Einzelfall anhand der Grundrechte. Auf der abstrakt-generellen Ebene des Gesetzes wird tatsächlich die grundrechtliche Abwehrfunktion nicht relevant. Durch das Gesetz soll gerade die Gefahr von Be1T7 einträchtigungen grundrechtlicher Güter durch Dritte verhindert werden . Insoweit wird dem Gesetzgeber nur ein Unterlassungsvorwurf gemacht, es fehlt an einem konkreten staatlichen Akt, der auch aus praktischen Gründen unverzichtbarer Anknüpfungspunkt für den Grundrechtseingriff ist 1 3 8 . Die hier befürwortete Ablehnung der Schutzpflichtfunktion stellt allerdings lediglich ein Zwischenergebnis dar. Noch nicht geklärt ist damit, wie weit die Abwehrfunktion gegenüber Kontrollerlaubnissen i.e. reicht, ob sie Drittbeeinträchtigungen jeder Art und jeden Ausmaßes erfaßt. 2. Die staatliche Duldung als Schutzpflichtverletzung Auch die behördliche Duldung von Rechtsverletzungen, die Private gegenüber anderen Privaten begehen, läßt sich als Drittbeeinträchtigung konstruieren. Insoweit besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß im Falle bloßer staatlicher Duldung privater Eingriffe, etwa bei Zurückhaltung der Polizei hinsichtlich des Einschreitens gegen einen Störer, lediglich die Schutzpflichtfunktion der Grundrechte angesprochen ist 1 3 9 . Eine gegenteilige Auffassung vertreten lediglich Schwabe und Murswiek. Sie begründen eine extrem weitgehende staatliche Mitverantwortung für privates Tun und wollen für das Auslösen der grundrechtlichen Abwehrfunktion sogar die bloße staatliche Duldung oder das Unterlassen ausreichen lassen140. Zugrunde Hegt die Auffassung, es sei kein privater Verletzungsvorgang denkbar, an dem der Staat nicht "durch rechtliche Regelung, gerichtlichen Ausspruch und vollstreckenden Zugriff" beteiligt sei 141 . Jeder Konflikt zwischen Privaten, der zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung führe, könne vom Beeinträchtigten mit rechtlichen Mitteln 136
1T7 1
BVerfGE 49,89 ff. Kalkar; 53,30 ff. Mülheim-Kärlich. Frers, Die Klagebefugnis, S. 231.
Vgl. auch Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 215 ff.; dagegen Schwabe, NVwZ 1983, 523 ff. (526). 139 Vgl. nur Hermes, Grundrecht, S. 93 ff. 140 Schwabe, Probleme, S. 213; Murswiek, Verantwortung, S. 65. 141 Schwabe, Probleme, S. 213.
156
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
abgewehrt werden oder nicht. Soweit die Rechtsordnung dem Betroffenen keine Abwehrmöglichkeiten zur Verfugung stelle, liege darin eine Erlaubnis für den Störer und ein Duldungsgebot an das Opfer 142 . Das den Dritten betreffende Selbsthilfeverbot erscheint somit als der eigentliche Grundrechtseingriff 143. Diese Auffassung hat sich zurecht nicht durchgesetzt. Sie führt zur Aufhebung jeglicher Grenzen des Kingriffsbegriffs und damit des Antagonismus staatlichen und privaten Handelns. Dabei wird übersehen, daß es einen erheblichen Unterschied macht, ob der Staat in eigener Sache auftritt oder das Verhältnis der Bürger untereinander ordnet 144 . Das "materielle Rechtsverhältnis" Privater zueinander ist im Unterschied zum Verhältnis Staat - Bürger dadurch gekennzeichnet, daß alle Beteiligten in gleicher Weise am Grundrechtsschutz teilhaben1 5 . Darüberhinaus greift das Selbsthilfeverbot auch unerlaubten Einwirkungen gegenüber ein. Ist aber der Betroffene dem ungenehmigten Betrieb gegenüber grundsätzlich ebensowenig zur Selbsthilfe berechtigt wie gegenüber dem genehmigten, ändert die staatliche Genehmigung nichts an der staatlichen Beschränkung der Selbsthilfe, der somit auch kein grundrechtseingreifender Charakter zugeschrieben werden kann 146 . Und schließlich leugnet diese Ansicht mit der Aufgabe der rechtlich und tatsächlich relevanten Differenzierung zwischen staatlichem Tun und Unterlassen völlig das Bestehen grundrechtlicher Schutzpflichten 147. Zusammen mit der überwiegenden Auffassung 148 kann deshalb gesagt werden, daß eine staatliche Duldung allein, ohne Vorliegen besonderer Voraussetzungen149, nicht in der Lage ist, die grundrechtliche Abwehrfunktion auszulösen. Da allerdings die Bestimmung der Grenzen staatlicher Schutzpflichten im Sinne der grundrechtlichen Schutzfunktion von erheblicher Grundrechtsrelevanz sein kann, stellt sich auch hier, wenn auch unter den Vorzeichen der Wesentlichkeitsrechtsprechung, die Frage nach der Geltung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes.
142 143 144 145 146 147 148
Schwabe, Probleme, S. 213. Vgl. dazu Hermes, Grundrecht, S. 93. Murswiek, Verantwortung, S. 91 f. Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, S. 147; Alexy, Theorie, S. 416 ff. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 354. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 173,187. Zu diesen und weiteren dogmatischen Ungereimtheiten Hermes, Grundrecht, S. 95 ff.
Alexy, Theorie, S. 417; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 350; Bleckmann, Staatsrecht, S. 276 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 103 ff.; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 186 ff.149
Zu dem Sonderproblem, unter welchen "qualifizierten1* Voraussetzungen ein behördliches Unterlassen etwa als Enteignungseingriff zu werten ist, vgl. nur Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 460 ff; Steiger, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 42; Hermes, Grundrecht, S. 93.
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
157
IL Allgemeine objektivrechtliche Begründung der Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen Hervorzuheben ist eine weitere Auffassung in der neueren Literatur 150 , wonach die Tatsache, daß heute Grundrechtseingriffe auch bereits bei nur mittelbaren, faktischen Beeinträchtigungen angenommen werden, auf den objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte zurückgeführt wird 1 . Generell würden die objektivrechtlichen Gehalte der Grundrechte dann aktiviert, wenn nicht die Abwehr klassischer Grundrechteingriffe, sondern der Schutz vor "relativer Schlechterstellung, vor faktischen Grundrechtseinwirkungen des Staates sowie vor Unterlassungen des Staates" bezweckt wird 1 5 2 . Durch die objektivrechtlichen Funktionen würden die Schutzwirkungen der Grundrechte auf Grundrechtsbeeinträchtigungen durch mittelbare und faktische Einwirkungen erstreckt 153. Würde man diese Art der Beeinträchtigungen vom Grundrechtsschutz ausnehmen, könnte das einzelne Freiheitsrecht faktisch ausgehöhlt und "u.U. zum nudum ius" entwertet werden 154 . Die subjektivrechtliche Abwehrkomponente des grundrechtlichen Freiheitsschutzes sei am traditionellen, auf imperative Einwirkung beschränkten Eingriffsbegriff orientiert und im Grundsatz nur für diesen praktikabel 155 . Die Besonderheit dieses Ansatzes besteht darin, daß hier eine dogmatische Begründimg für die Grundrechtsrelevanz aller Arten faktischer Beeinträchtigungen - nicht etwa nur Drittbeeinträchtigungen durch staatliche Genehmigungen - geliefert werden soll. Außerdem wird nicht speziell die Figur der Schutzpflichtverletzung herangezogen, sondern allgemein wird der Schutz vor faktischen Beeinträchtigungen der *!Auftragskomponente" des je150 Der Vollständigkeit halber ist zu bemerken, daß bereits Selmer, Steuerinterventionismus, S. 237 ff., im Falle "ungezielter tatsächlicher Lenkungseffekte" staatlicher Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen die Grundrechte als objektive Wertordnung für einschlägig hielt. Selmer wollte aber über Art. 2 I GG jeden Verstoß gegen den objektivrechtlichen Gehalt eines Grundrechts "in den subjektiven Rechtsschutz transformieren" (S. 253 f.). 151 Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (394 f.); NJW 1983,2844 (2847); Brohm, JZ 1989,324 ff. (326 f.). Dort geht es um die Frage, ob die Auferlegung einer Reinigungspflicht durch eine versammlungsrechtliche Auflage mit Rücksicht auf allgemein wegerechtliche oder umweltschutzrechtliche Bestimmungen nicht u.U. wegen ihrer faktischen Auswirkungen in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit eingreift, etwa wenn die Möglichkeit besteht, daß der Veranstalter angesichts der drohenden Reinigungspflicht bzw. -kosten von der Durchführung der Versammlung Abstand nimmt; entsprechend für faktische Beeinträchtigungen der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie Brohm, DÖV 1989, 429 ff. (435). Ähnlich neuerdings Scherzberg, DVB1.1989,1128 ff. (1131 ff.). 152
Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (394 f.).
153
Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (395).
154
So Brohm, JZ 1989,324 ff. (326 f.); DÖV 1989,429 ff. (435).
155
Scherzberg, DVB1.1989,1128 ff. (1131).
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
158
weiligen Grundrechts zugerechnet 156. Damit ist wohl die oben bereits angesprochene, aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte fließende staatliche Verpflichtung zur Schaffung und Verbesserung der faktischen Bedingungen für eine effektive Grundrechtsausübung zu verstehen 157. Trotz ihres objektivrechtlichen Ausgangspunktes halten jedoch sowohl Jarass wie auch Brohm unter bestimmten Voraussetzungen auch die subjektivrechtliche Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegenüber faktischen Beeinträchtigungen für einschlägig158. Insoweit werden auch die speziell für Grundrechtseingriffe geltenden rechtsstaatlichen Anforderungen verlangt 159 . D. Stellungnahme und Folgerungen fur den Gang der Untersuchung L Die vorrangige Prüfung des Eingriffsvorbehalts Eine Entscheidung für oder gegen die zuletzt genannte Auffassung, die die Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen allgemein objektivrechtlich begründet, muß an dieser Stelle (noch) nicht erfolgen. Zwar würde die objektivrechtliche Begründung für Fälle faktischer Beeinträchtigungen und insbesondere Drittbeeinträchtigungen bedeuten, daß das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage anhand der Wesentlichkeitstheorie zu prüfen wäre. Aber, wie dargestellt, leugnet auch diese Auffassung in bestimmten Fällen oder bei bestimmten Arten von Drittbeeinträchtigungen die Auslösung der abwehrrechtlichen Funktion nicht und stellt insoweit die rechtsstaatlichen "Eingriffs"-Anforderungen. Erscheint somit bei Drittbeeinträchtigungen im Grundsatz ein Eingriff in die Grundrechte und somit die Auslösimg der abwehrrechtlichen Funktion als möglich, muß vorrangig eine Untersuchung des Gesetzesvorbehalts im Sinne des Eingriffsvorbehalts
156
Jarass, NJW 1983,2844 (2847).
1 5 7
Vgl. Scherzberg, DVB1.1989,1128 ff. (1131 f.).
158
So vermag nach Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (382) die Verletzung der objektivrechtlichen Pflicht zur Sicherung realer Freiheit bei schwerwiegender Beeinträchtigung in eine subjektive Grundrechtsverletzung umzuschlagen. Brohm will die Abwehrkraft der Grundrechte als subjektive Rechte bei final-mittelbaren Eingriffen nicht beschränken, die sich dadurch auszeichnen, daß sie gezielt eine bestimmte grundrechtliche Freiheit einschränken wollen, diese Einschränkung aber nicht direkt, sondern über mehrere Kausalstufen zu erreichen suchen. Ebenso will er bei "schweren und unerträglichen Beeeinträchtigungen" den abwehrrechtlichen Charakter beibehalten (JZ 1989, 324 ff. (326 f.). Auch Scherzberg hält am subjektivrechtlichen Charakter bei "Verdichtung der objektiven Grundrechtsnorm zu Schutzoder sonstigen Verhaltenspflichten des Staates" fest (DVB1.1989,1128 ff. (1136). 159 Brohm, JZ 1989, 324 ff. (326 f.).
Abschnitt 2: Die Relevanz des Eingriffsvorbehalts
159
erfolgen. Das erfordert eine eingehendere, präzisere Bestimmung der Voraussetzungen, von denen das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs bei Drittbeeinträchtigungen abhängig zu machen ist. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Geltungsbereiche des Eingriffsvorbehalts und der grundrechtliche Schutzbereiche deckungsgleich sind. Die vorrangige Prüfung des Eingriffsvorbehalts schließt jedoch nicht aus, daß sich in Bezug auf Drittbeeinträchtigungen auch (zusätzlich) Regelungserfordernisse auf der Grundlage der Wesentlichkeitstheorie und der insoweit relevanten objektiven Grundrechtsgehalte ergeben. Zwar wird in der Literatur z.T. angenommen, daß sich die subjektivrechtliche und die objektivrechtliche Grundrechtsfunktion gegenseitig ausschließen160. Doch zeigen verschiedene Entscheidungen des BVerfG, daß beide Funktionen nebeneinander bestehen können 6 1 . Treffen subjektivrechtliche und objektivrechtliche Komponenten eines Grundrechts aufeinander, wird vorrangig der Eingriffsvorbehalt als spezieller Vorbehalt des betreffenden Grundrechts ausgelöst162. Auch ist die Abwehrfunktion die Primärfunktion, der objektiven kommt lediglich ergänzender Charakter zu 1 6 3 . Dieser Vorrang kann jedoch nur soweit gehen, wie die Frage nach der Notwendigkeit gesetzlicher Regelung abschließend entschieden ist. Deshalb kann die objektivrechtliche Grundrechtsrelevanz staatlicher Maßnahmen oder Unterlassungen im Vorfeld oder Umfeld des Grundrechtseingriffs infolge ihrer "Wesentlichkeit" gesetzliche Regelungen erforderlich machen, wenn der Eingriffsvorbehalt überhaupt nicht einschlägig ist. Aber auch in Fällen, in denen der Eingriffsvorbehalt greift, kann die Wesentlichkeitstheorie zumindest noch zur Klärung der notwendigen Regelungsdichte fruchtbar gemacht werden 164 . Z.B. schließt es das Verständnis einer konkret-individuellen Genehmigung als abzuwehrender Grundrechtseingriff nicht aus, daß an die gesetzlichen, abstrakt-generellen Genehmigungsvoraussetzungen auch bestimmte Anforderungen aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflichtfunktion zu stellen sind, die bereits durch die Begründimg von Gefahren für ein grundrechtlich geschütztes Gut, etwa durch die Errichtung von 160 So zum Verhältnis Schutz- und Abwehrfunktion im Bereich der Uberwachungsverwaltung Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (381); Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 6 ff.; Schwabe, NVwZ 1983,523 ff. (524); Steinberg, NJW 1984,457 ff. (458 f.). 161 Vgl. E 53,30 (57 ff.); 56,54 (79 ff.). Dort wird trotz objektivrechtlicher Begründung der staatlichen Schutzpflicht im Hinblick auf Grundrechtsgefährdungen im Bereich des Art. 2 II GG das Auslösen subjektiver Klagerechte unter bestimmten Voraussetzungen für möglich gehalten. Ausdrücklich für eine Parallelität der objektivrechtlichen und der subjektivrechtlichen Funktion Hermes, Bereich, S. 106. Ähnlich Sodan, Funktionsträger, S. 548 ff.
162 163 14
Hermes, Bereich, S. 106; Sodan, Funktionsträger, S. 456 f. Sodan, Funktionsträger, S. 382. Sodan, Funktionsträger, S. 457.
160
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Kernkraftwerken, aktiviert werden kann 165 . Hier kann sich der objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte auswirken, indem er jenseits des Bereichs des Grundrechtseingriffs unter bestimmten Voraussetzungen und in vergleichsweise engerem Rahmen gesetzliche Regelungen fur grundrechtsschützende, grundrechtsfördernde, grundrechtseffektuierende, jedenfalls grundrechtsrelevante Maßnahmen fordert. Eine Prüfung, ob sich aus der Wesentlichkeitstheorie nicht weitergehende Regelungserfordernisse in Bezug auf Drittbeeinträchtigungen ergeben, muß somit die Behandlung des Eingriffsvorbehalts ergänzen. IL Ausgangspunkt: Der grundrechtsbeeinträchtigende
Effekt
Die vorrangig erfolgende Untersuchung des Geltungsbereichs des Eingnffsvorbehalts für Drittbeeinträchtigungen muß zum Ausgangspunkt das dargestellte, fast einheitliche Meinungsbild nehmen, wonach für den Eingriffscharakter staatlichen Handelns grundsätzlich auf den nachteiligen Effekt abzustellen ist und deshalb Drittbeeinträchtigungen eine grundrechtsrelevante Wirkung grundsätzlich nicht abgesprochen werden kann. Die Frage ist aber, ob dieser Grundsatz angesichts der unendlichen Vielfalt möglicher Auswirkungen staatlichen Handelns auf grundrechtliche Schutzbereiche so aufrechterhalten werden kann oder ob nicht zusätzlich gewisse Abgrenzungskriterien zu fordern sind. Die an dieser Stelle aufgeworfene Frage nach eingrenzenden Kriterien bedeutet keine Rückkehr zur Dogmatik des klassischen Eingriffs und somit keinen Rückschritt. Grundrechtsdogmatisch ist entscheidend, daß nunmehr der Ausgangspunkt ein anderer ist. Ausgangspunkt des Grundrechtsschutzes ist der Effekt, nicht die Form oder Struktur staatlichen Handelns166.
165
Vgl. Bleckmann, Staatsrecht, S. 280 f.; Hermes, Bereich, S. 106 f.
166
Zu dieser Bewertung kommt Grabitz, Freiheit, S. 33 und jetzt auch Erichsen, HdbStR, VI, §152 Rn. 80.
Abschnitt 3: Notwendigkeit von Abgrenzungskriterien
161
Abschnitt 3 Die Notwendigkeit von Abgrenzungskriterien So grundlegend und plausibel die Auflösung der vormals strukturierten Eingriffsvorstellung und die Maßgeblichkeit der Wirkung staatlichen Handelns als dogmatische Ausgangspunkte sein mögen, so wenig kann man dabei stehenbleiben. Denn unsere, mit Gallwas' Worten formulierte These, daß "im Prinzip jede Beeinträchtigung der gewährleisteten Freiheit den Grundrechtsschutz auslösen kann"1, fuhrt in ihrer Radikalität letztendlich zu einer nur auf den Effekt abstellenden Verursacherhaftung des Staates2. Die Grundrechte schützten dann vor allen denkbaren "Beeinträchtigungen" oder "Nachteilen", zu denen es - im Sinne einer "conditio sine qua non-Formel" 3 ohne eine Maßnahme der Exekutive nicht gekommen wäre. Keine Rolle spielten z.B. die rechtliche Qualität des ursächlichen Exekutivakts, dessen imperativer oder nur psychologisch wirkender Charakter, weiterhin die Fragen, ob die Folge bezweckt, zwangsläufig, vorhersehbar war oder nur zufällig eintrat, ob es sich um eine zeitlich, örtlich bzw. wegen der Anzahl der Zwischenursachen sehr entfernte, um eine intensive bzw. geringfügige Auswirkung staatlichen Handelns handelte4. Das Problem, das mit einem alleinigen Abstellen auf die Kausalität verbunden ist, rührt daher, daß jede staatliche Maßnahme angesichts der Vielzahl der staatlichen Betätigungen sowie der mannigfaltigen Interdependenzen nicht nur innerhalb unserer sozialen und wirtschaftlichen Ordnung, 1
2 3
Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 166 (These 8). Vgl. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 48.
Zu diesem durch die Aquivalenztheorie definierten Ursachenzusammenhang näher Wessels, Strafrecht AT, S. 48 ff. 4 Beispiele, die die Problematik einer solchen Sichtweise deutlich aufzeigen, gibt es viele. So kann ein Exportverbot nicht nur den Exporteur, sondern auch dessen Vertragspartner und Zulieferanten sowie wieder deren Kontrahenten schädigen. Entscheidungen der Bundespost über die Verlegung von Breitbandkabeln bzw. über deren Nutzung z.B. durch private Fernsehgesellschaften können Auswirkungen auf das familiäre Zusammenleben haben, tangieren sie aber auch Art. 6 GG? Wird durch die einen Stau verursachende Polizeikontrolle auf der Autobahn auch in die Grundrechte derjenigen eingegriffen, die nicht angehalten und kontrolliert werden sollen? (Beispiel bei Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 279). Bedeutet die Zustimmung der Bundesregierung zur Aufstellung von Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern auf deutschem Gebiet durch die Vereinigten Staaten von Amerika angesichts der Gefahr eines nuklearen Präventivschlags oder eines irrtümlichen Gegenschlags der Sowjetunion einen Eingriff in Leben und Gesundheit bundesdeutscher Bürger (dazu BVerfGE 66, 39 ff.). Kann schließlich sogar ein Regierungswechsel, der sich bei manchem zumindest psychologisch sehr nachteilig auswirken mag, diesen in seinem Grundrecht aus Art. 21 GG tangieren (Beispiel bei Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 147). 11 Roth
162
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
sondern auch im europäischen und internationalen Gefüge 5 unübersehbare Folge- und Nebenwirkungen ohne zeitliche Begrenzung erzeugen kann6. Eine derart "grenzenlose" staatliche Verantwortlichkeit im Bereich des Grundrechtsschutzes ist mit in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzenden Implikationen verbunden. So weist Friauf auf die Gefahr der Entmündigung des Bürgers dadurch hin, daß dem die tatsächliche Lebenswirklichkeit seiner Bürger gestaltend verändernden Staat weitgehend die Verantwortimg auch für die Grundrechtsausübung zugewiesen werde 7. Neben dieser abstrakten Gefahr nennt das Schrifttum verschiedene andere, rechtliche und faktische Gesichtspunkte, die die Aufstellung von - über die naturwissenschaftliche Kausalität hinausgehenden - Abgrenzungskriterien als erforderlich erscheinen lassen8. Diese Gesichtspunkte zu konkretisieren und systematisieren, soll im folgenden versucht werden. A Argumente gegen die Grundrechtsrelevanz jeder faktischen Betroffenheit I. Rechtssystematische Argumente Daß nicht jede faktische Interessenbeeinträchtigung Grundrechtsschutz auslöst, wird z.T. bereits mit Art. 19IV GG begründet, der als elementare Voraussetzung der Rechtsschutzgarantie gerade die Verletzung in eigenen "Rechten" nennt und die bloße faktische Betroffenheit nicht ausreichen läßt9. Daneben wendet man sich gegen den in der Literatur unternommenen Versuch, Art. 2 I GG einen Anspruch auf allgemeine Nachteilsfreiheit und damit insbesondere ein Recht auf Freiheit von ungesetzlichen Nachtei-
5
Vgl. Heintzen, DVBl. 1988,621 ff.
6
Vgl. Friauf, DVBl. 1971, 674 ff. (681); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 120, spricht vom Eindruck schier endlos konstruierbarer Haupt-, Neben-, Nah- und Fernwirkungen, den Wirtschafts- und Raumplanungswissenschaften, Umweltmedizin, finanzielle und naturwissenschaftliche Wirkungsforschung vermitteln. 7 Friauf, DVBl. 1971, 674 ff. (681). Vgl. auch Kirchhof, HdbStR, III, § 59 Rn. 41. Grabitz, Freiheit, S. 35, sieht z.B. mit der "unbegrenzt anerkannten Freiheit" des einzelnen, die er als Pendant der unbegrenzten staatlichen Verantwortung betrachtet, sogar die Gefahr der Staatszerstörung bzw. Anarchie verbunden und begründet damit die Notwendigkeit einer Beschränkung des Wirkungsradius der Grundrechte.
g
Eine im Ansatz vergleichbare Problematik besteht im Zivil- und Strafrecht, wo man mit unterschiedlichen Kausalitätstheorien ein Ausufern der Folgenzurechnung zu verhindern sucht; vgl. für das Strafrecht Wessels, Strafrecht AT, S. 46 ff.; für das Zivilrecht Grunsky, in: Münchener Kommentar, Bd. 2, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, Vor § 249 Rn. 36 ff. 9 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Rn. 120 ff.; Jarass/Pieroth, Art. 19 Rn. 22; Papier, HdbStR, VI, § 154 Rn. 41.
Abschnitt 3: Notwendigkeit von Abgrenzungskriterien
163
len zu entnehmen10. Da grundsätzlich jede Verwaltungsmaßnahme irgendeine grundrechtliche Freiheit tangiert 11, könnte so jeder Verstoß gegen eine einfachgesetzliche Bestimmung als Grundrechtsverletzung geltend gemacht werden. Ein derartiger grundrechtlich verankerter Gesetzesvollziehungsanspruch würde zum einen die Unterscheidung von einfachgesetzlicher Rechtswidrigkeit und Grundrechtsverletzung aufheben, die den Vorschriften über die Verfassungsbeschwerde (Art. 931 Nr. 4 a GG, § 90 I BVerfGG) zugrundeliegt 12 . Zum anderen würde die das einfache Gesetzesrecht prägende und für den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz wesentliche Unterscheidung zwischen drittschützenden und nicht drittschützenden Normen unterlaufen un der Vorrang der Gesetzgebung bei der Entscheidung über den subjektivrechtlichen Charakter einer einfachgesetzlichen Norm mißachtet13.
IL Gefährdung der Handlungsfähigkeit der staatlichen Organe und Störung de Balance zwischen den Staatsgewalten Da sich kaum eine staatliche Maßnahme vorstellen läßt, die keine faktische Wirkung zeitigt 14 , sieht man den entformalisierten Eingriffsbegriff weiterhin insoweit mit einer Gefahr für die Handlungsfähigkeit der staatlichen Organe verbunden, als ihm ein gewisser Lähmungseffekt zugeschrieben wird 15 . Denn zum einen würde die Geltung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes für jede nachteilige Fernwirkung einer staatlichen Maßnahme eine übermäßige Arbeitsbelastung des Parlaments verbunden mit Verzögerungen oder Defiziten bei der Behandlung wichtiger Themen hervorrufen 16. Die Exekutive wäre ohne gesetzgeberisches Tätigwerden in vielen Fällen zur Passivität verurteilt. Zum anderen müßte aber auch die nicht gesetzesab-
10
Zu dieser Auffassung vgl. Bernhardt, JZ 1963,302 ff. (306); Herzog, AöR Bd. 86 (1961), 194 ff. (202); Zuleeg, DVB1.1976,509 ff. (514); Hoffmann, Abwehranspruch, S. 50 ff., 61 f. 11
Vgl. nur Brohm, Festschrift Menger, S. 240.
12
Scherzberg, DVB1.1989,1128 ff. (1129).
13
Dazu Jarass, NJW 1983, 2844 ff. (2847); Schwerdtfeger, NVwZ 1982. 5 ff. (10); Brohm, Festschrift Menger, S. 240; Erichsen, HdbStR, VI, §152 Rn. 19. Zum Vorrang des Gesetzgebers bei der Einräumung einfachgesetzlicher subjektiver Rechte Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Rn. 121; Breuer, DVB1.1983, 431 ff. (436); Papier, HdbStR, VI, § 154 Rn. 42. 14
Vgl. Erichsen, HdbStR, VI, § 152 Rn. 19.
15
Zum Lähmungseffekt Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 94 mit Fn. 161; Friauf, DVB1. 1971,674 ff. (681 f.); Kirchhof, Verwalten, S. 191 f.; Erichsen, Staatsrecht I, S. 59; Sodan, Funktionsträger, 517 f. Vgl. auch Stern, Staatsrecht ΠΙ/1, S. 1207. 16
Stober spricht insoweit vom Problem des Vorsorglichen Gesetzesvorbehalts", AöR 113 (1988), 497 ff. (503).
164
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
hängige Verwaltung angesichts des Unsicherheitsmoments möglicher Folgeund Nebenwirkungen immer damit rechnen, daß ihre Maßnahmen nachträglich als grundrechtswidrig - etwa unverhältnismäßig - aufgehoben werden 17 . Auch dieser Aspekt würde die Exekutive zwangsläufig in ihrer Aktivität lähmen und "die sozialgestalterische Funktion des Staates in einem Maße beschneiden", daß dieser "vor den heutigen sozialen und ökonomischen Anforderungen letztlich" versagte18. Schließlich würde die Rechtsprechung gegenüber den anderen Gewalten eben erheblichen Machtzuwachs erlangen, da sich jeder Bürger trotz einer nur geringen Betroffenheit zum "Verwaltungskontrolleur" aufschwingen und nach Art. 19IV GG Rechtsschutz verlangen könnte19. Quasi als Vorstufe zum Problem der Handlungsfähigkeit - allerdings mit fließenden Übergängen - diskutiert man die Gefahr einer unzureichenden praktischen Handhabbarkeit für die staatlichen Organe. So hält man es angesichts des Fehlens formaler Kriterien, bei einer allein auf die Wirkungen für das grundrechtlich geschützte Rechtsgut abstellenden Betrachtungsweise, durchaus nicht für ausgeschlossen, daß Hunderttausende von Bürgern aufgrund der mit einer Genehmigung von Großprojekten (Kernkraftwerke, Wiederaufarbeitungsanlagen) verbundenen Gefahren (Störfälle) in ihrem Grundrecht aus Art. 2 I I GG betroffen sind und insoweit ihre Klagebefugnis anerkannt werden muß 20 . Allein die Anzahl der möglichen Kläger ruft hier, vor allem auch für die Gerichte, praktische Probleme hervor, che unter den Stichworten "Popularklage" bzw. "Prozeßflut" diskutiert werden 21. Vor diesem Hintergrund verständlich sind Versuche in Rechtsprechung und Literatur, parallel zur Ermittlung des Schutzzwecks eines Gesetzes 2 auch die mit Grundrechtsbetroffenheit begründete Klagebefugnis von dem zusätzlichen Kriterium der Abgrenzbarkeit oder der geringen Zahl der Betroffenen abhängig zu machen23.
17
Dazu Grabitz, Freiheit, S. 36 Fn. 72.
18
Grabitz, Freiheit, S. 36; Friauf, DVBl. 1971,674 ff. (681 f.).
19
Vgl. Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (96). Inwieweit diesem Gesichtspunkt verfassungsrechtliche Relevanz zukommt, wird unten, Teil 4, zu prüfen sein. 20 Vgl. Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 143. 2 1 Vgl. Menger, VerwArch 51 (1960), 373 ff. (385); Ossenbühl, DÖV 1981, 1 ff. (7); Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 143 Fn. 43; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 282. Zum Problem der Überlastung der Gerichte siehe auch bereits oben Teil 1, Abschnitt 2, A. 2 2 2 3
S. Teil 1, Abschnitt 2, B,I.
Vgl. BVerwGE 32,173 (179); 52,122,125. BVerfGE 47,1, 21. Zur Kritik insbesondere an der Rechtsprechung des BVerwG Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 143. Zum Ganzen i.e. unten Teil 4, Abschnitt 2, Β, II, 4.
Abschnitt 3: Notwendigkeit von Abgrenzungskriterien
165
III. Gefährdung der Rechtssicherheit Bei Anknüpfung des Grundrechtsschutzes etwa an die adressierte, imperative Maßnahme ist die rechtliche Betroffenheit personal, sachlich und zeitlich bereits hinreichend bestimmt. Für die staatlichen Organe, etwa den Gesetzgeber hinsichtlich der Frage des Gesetzesvorbehalts oder der Exekutive hinsichtlich der Frage der Verhältnismäßigkeit ihres Handelns, ist somit a priori feststellbar, ob und inwieweit eine bestimmte Maßnahme zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung führt. Anders bei Zugrundelegung unserer Ausgangsthese: ob tatsächlich eine Grundrechtsbeeinträchtigimg vorliegt, ließe sich nur anhand aller denkbaren kausalen Folgen der Maßnahme beurteilen. Diese können mannigfaltig sein, immer neue Personen treffen und insbesondere noch nach Jahren eintreten. Letztendlich wäre eine Beurteilung lediglich ex post möglich24. Da die Fernwirkungen staatlichen Handelns nicht übersehbar sind, wäre - zumindest theoretisch - nie eine abschließende Beurteilung des Vorliegens einer Grundrechtsbeeinträchtigung möglich, jeder solchen Bewertung würde ein Unsicherheitsmoment anhaften . Dadurch würden auch die Anforderungen an Gesetzgeber, Verwaltung und Justiz einer - der Rechtssicherheit abträglichen - Unberechenbarkeit ausgesetzt26.
24
Vgl. Grabitz, Freiheit, S. 36.
25 Dazu Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 94; Grabitz, Freiheit, S. 35 f.; Bleckmann, Staatsrecht, S. 340. 26 Vgl. auch Brohm, JZ 1989, 324 ff. (327). Z.B. kommt die der Rechtssicherheit dienende zeitliche Grenzziehung mittels prozessualer Fristen in Fällen faktischer Beeinträchtigungen nicht unmittelbar zum Zuge. Dies wird am Beispiel des Fristenlaufs vor Erhebung von Widerspruch und Anfechtungsklage deutlich: Gemäß § 701 S.1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts an den Beschwerten einzulegen. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit knüpft die Fristbestimmung an die einfach feststellbare amtliche Bekanntgabe, also an den Zeitpunkt der Eröffnung des Verwaltungsakts mit Wissen und Willen der Erlaßbehörde an (Kopp, VwVfG, § 41 Rn. 20). Richtet sich der Verwaltungsakt unmittelbar an eine bestimmte Person, den Adressaten, ist der Zeitpunkt des Fristbeginns in der Regel unproblematisch. Anders ist dies beim Nichtadressaten, dem Drittbetroffenen, also ζ. B. beim Nachbarn, dem die Behörde eine Baugenehmigung nicht bekanntgegeben hat. Hier versagt das Verwaltungsprozeßrecht. Eine unmittelbare, aber auch eine analoge Anwendung des § 70 I S.1 VwGO scheidet aus, weil die oft schwer feststellbare, anderweitig erlangte Kenntnis nicht der amtlichen Bekanntgabe gleichgesetzt werden kann (vgl. BVerwGE 44, 294 [298 f.]). Die Rechtsprechung hilft sich aus diesem Dilemma mit der Anwendung der Grundsätze der Veiwirkung (BVerwGE 44,294 [298 f.]).
166
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
IV. Abgrenzung zu "sozialadäquaten" Beeinträchtigungen Ein weiterer Aspekt, der einem alleinigen Abstellen auf den grundrechtswidrigen Effekt entgegenstellt, wird unter verschiedenen Stichworten diskutiert, die jedoch der Sache nach den gleichen Gedanken beinhalten. So ist nach verbreiteter Meinung in der Literatur der Grundrechtseingriff auf der einen Seite von grundrechtsneutralen "sozialadäquaten Beeinträchtigungen"27, nicht grundrechtsspezifischen Konkretisierungen des allgemeinen Lebensrisikos , bloßen Bagatellbelastungen bzw. Belästigungen29 sowie der Veränderung von Rahmenbedingungen auf der anderen Seite abzugrenzen. Zugrunde liegt der Gedanke einer gewissen Relativierung des Grundrechtsschutzes als Folge der stets vorhandenen sozialen Einbindung des Grundrechtsträgers in Staat und Gesellschaft 31, der "Situationsprägung" durch die rechtlichen und faktischen Gegebenheiten32. Einer derartigen systemimmanente Unerheblichkeitsschwelle kommt vor allem für den Grundrechtsschutz im Bereich wirtschaftlicher Betätigung große Bedeutimg zu. So hat beispielsweise der BGH in verschiedenen Fällen tatsächlicher Beeinträchtigungen von Wirtschaftsunternehmen durch hoheitlich geschaffene Konkurrenz- oder Marktzwänge keinen Eingriff in Art. 14 GG, insbesondere unter dem Aspekt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs, angenommen, wenn durch die staatliche Maßnahme lediglich generell Rahmenbedingungen verändert wurden, die sich auf das Marktgeschehen auswirkten 33. Das Fehlen eines Eigentumseingriffs wurde näher damit begründet, daß der Unternehmer nicht darauf vertrauen dürfe, der bei Aufnahme seiner Tätigkeit vorgefundene tatsächliche oder rechtliche Zustand werde immer fortbestehen . Das BVerwG greift diesen Gedanken im Transparenzlisten-Urteil auf. Es geht davon aus, daß in der freien Wettbewerbswirtschaft kein Recht auf Erhaltung des Geschäftsumfangs und auf Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten bestehe. Ein Unternehmer müsse 2 7 Schwabe, Probleme, S. 184 ff.; Wagner, NJW 1966, 567 ff. (571); Peter, JZ 1969, 549; Brohm, Jura 1986,617 ff. (620). 28 29 Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 176.
Vgl. Klopfer, Festschrift BVerfG II, S. 405 ff. (415 f.); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 278 ff. Als Beispiel nennen sie die Polizeikontrolle auf der Autobahn, die einen Eingriff gegenüber dem darstelle, dem sie gelte, aber für den, der ihretwegen im Stau stecken bleibe, zu den 30"alltäglichen Lästigkeiten" gehöre. 3 1 3 2
Vgl. nur Ossenbühl, Umweltpflege, S. 25 ff. m.w.N. Vgl. Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (102). Brohm, Jura 1986,617 ff. (620); vgl. auch BVerfGE 49,89 (143).
3 3
Vgl. BGHZ 45, 85 Knäckebrot; BGH NJW 1968, 293 Blinkleuchten; BGHZ 65, 241 Neuordnung der Landgerichtsbezirke. 34
Vgl. BGHZ 65,241 (245).
Abschnitt 3: Notwendigkeit von Abgrenzungskriterien
167
stets die Dynamik der seine Erwerbstätigkeit maßgeblich beeinflussenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Rechnung stellen35. Die bloße nachteilige Veränderung wirtschaftlicher Verhältnisse als Folge staatlicher Maßnahmen stelle allein keinen Grundrechtseingriff dar 36 . V. Konkurrierende
Grundrechtspositionen
Am Beispielsfall der auf Art. 14 GG gestützten baurechtlichen Nachbarklage läßt sich schließlich noch ein weiterer Aspekt belegen. Sollte jeder durch die Baugenehmigung und deren Ausnutzung auf dem Nachbargrundstück ausgelöste Nachteil für den Nachbarn den Schutzbereich dessen Eigentunisgrundrechts berühren, hätte dieser im Grundsatz einen Anspruch auf Nicht-Änderung der Grundstückssituation. Das würde bedeuten, daß eine Ausnutzung des Eigentumsgrundrechts des Bauherrn von vornherein im Keim erstickt würde. Drittschutz aus Grundrechten ist hier schon deshalb problematisch, weil es nicht um das klassisch-zweiseitige Verhältnis Bürger - Staat, sondern um dreipolige Beziehungen geht. Grundrechtsschutz des einen (Nachbar) ist hier nur durch einen Eingriff in Grundrechte eines anderen (Anlagenbetreiber, Art. 12, 14 GG) zu realisieren 37 und setzt deshalb einen Ausgleich der verschiedenen Rechtsgüter voraus. Auch dieses Abwägungserfodernis wird für einen gewissen Spielraum des Staates und eine dementsprechend "höhere Reaktionsschwelle" des Grundrechtsschutzes in diesen Fällen faktischer Beeinträchtigungen angeführt 38. B. Zwischenergebnis Wie wir gesehen haben, spricht eine Vielzahl von Gründen für eingrenzende Kriterien bei der Feststellung der grundrechtlichen Relevanz von Drittbeeinträchtigungen. Die Überlegungen zur Bestimmung der maßgeblichen Voraussetzungen, bei deren Vorliegen faktische Beeinträchtigungen klassischen Eingriffen gleichstehen, sind jedoch erst seit kurzem angelaufen 39 . Soweit dies der Fall ist, steht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht mehr die Frage, ob Drittbeeinträchtigungen 35
BVerwGE 71,183 (193).
36 BVerwGE 71, 183 (193). Genannt werden z.B. die staatliche Konzessionierung eines neuen Konkurrenten sowie das Hinzutreten des Staates als Konkurrent. 3 7 Isensee, Sicherheit, S. 44 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (216). Allgemein zu Grundrechtskollisionen Rüfner, Festschrift BVerfG II, S. 453 ff.
38 3 9
Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (216). Stern, Staatsrecht III/l, S. 1207 m.w.N.
168
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
überhaupt Grundrechtseingriffe bedeuten können, sondern letztlich die Frage nach Art und Inhalt der erforderlichen Abgrenzungskriterien. Bevor allerdings auf die Diskussion um die "tauglichen" Abgrenzungskriterien eingegangen werden kann, muß zunächst ein bislang wenig beachtetes Problem näher beleuchtet werden, das sich spezifisch im Zusammenhang mit dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes stellt. In Teil 1 wurde herausgearbeitet, daß die rechtliche Relevanz von Drittbeeinträchtigungen sehr unterschiedlich beurteilt wird, dabei jedoch immer wieder die gleichen Grundgedanken und Gesichtspunkte auftauchen. Es gilt nun, diese "Grundmaximen" auch für den Bereich der allgemeinen Grundrechtsbindung auf der einen und den Geltungsbereich des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes auf der anderen Seite fruchtbar zu machen. So stellt sich die Frage, ob die Kriterien für die Relevanz der Drittbetroffenheit ähnlich wie beim Verwaltungsverfahren, bei der Junktim-Klausel, beim Zitiergebot, beim Bestimmtheitsgrundsatz oder bei der Verhältnismäßigkeit von Gesetzen auch beim Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes enger zu fassen sind als beim Grundrechtsschutz überhaupt.
Abschnitt 4: Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvoibehalts
169
Abschnitt 4 Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts bei faktischen Beeinträchtigungen A. Das Problem In den letzten Abschnitten haben wir gesehen, daß fur die allgemeine Grundrechtsbindung nicht am klassischen Eingriffsbegriff festgehalten werden kann, sondern im Ausgangspunkt auf den grundrechtsbeeinträchtigenden Effekt abzustellen ist. Die Frage, die sich an dieser Stelle zwangsläufig stellt, geht dahin, ob die Ausdehnimg der Grundrechtsbindung auch auf faktische Beeinträchtigungen gleichsam parallel verläuft mit einer Ausdehnung des Eingriffsvorbehalts 1. Eine maßgebliche Rolle bei der Beantwortung dieser Frage spielt die unterschiedliche Struktur des klassischen Grundrechtseingriffs im Verhältnis zur faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung. Für den klassischen Grundrechtseingriff ist die Frage nach der Kongruenz des Schutzbereichs der Grundrechte und des Geltungsbereichs des Eingriffsvorbehalts eindeutig mit ja zu beantworten2. Will die Verwaltung in Verfolgung eines konkreten Zwecks gegenüber einem bestimmten Adressaten ein bestimmtes Gebot oder Verbot anordnen, etwa aus Gründen der öffentlichen Sicherheit an den Eigentümer eines baufälligen Hauses eine Abbruchsverfügung richten, ist der Eingriffscharakter dieser Maßnahme a priori erkennbar. Dies hegt an der Struktur dieser Art der Beeinträchtigung. Es handelt sich um eine "imperative, regelungsidentische Beeinträchtigung" im Sinne der Terminologie Gallwas', bei der schon allein das durch die staatliche Regelung abgeforderte Verhalten die Beeinträchtigung bildet. Die Beeinträchtigung ist gewissermaßen das Spiegelbild der Regelung im Bereich des Betroffenen 3. Um hier Art und Ausmaß der Beeinträchtigung festzustellen, genügt bereits der Blick auf den entsprechenden "Befehl", die entsprechende Regelung, es bedarf nicht der Kenntnis weiterer Umstände4. Insbesondere ist es auch dem Gesetzgeber unschwer möglich, auf seiner Ebene abstrakt-genereller Beurteilung den Eingriffscharakter von Abbruchsverfügungen zu erkennen und für diese eine gesetzliche Grundlage zu 1
Auf die allgemeine Problematik verweisen Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988,373 ff. (380 f.) Sie sehen es als notwendige Konsequenz einer Ausdehnung grundrechtlicher Schutzbereiche etwa auf nicht finale oder sogar nicht vorhersehbare Beeinträchtigungen an, daß "wesentlich weniger strenge Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs N zu stellen sind. 2 Vgl. nur Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 101. 3 Vgl. dazu Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 12. 4 Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 12.
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
170
schaffen 5. Infolge der Voraussehbarkeit der belastenden Wirkung einer solchen gezielten und adressierten Maßnahme können hier auch die besonderen Qualitäten des gesetzgeberischen Verfahrens zum Tragen kommen. Eine Differenzierung zwischen einem Grundrechtseingriff im Sinne der allgemeinen Grundrechtsbindung sowie einem Grundrechtseingriff im Sinne des Eingriffsvorbehalts erscheint deshalb insoweit nicht erforderlich. Dies kann u.U. anders sein bei faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen, die eine andere Struktur aufweisen 6. Hier erschöpft sich die Beeinträchtigung nicht in dem staatlicherseits geforderten Verhalten des Adressaten, sondern es werden zusätzliche Beeinträchtigungen ausgelöst. Die Beeinträchtigung setzt sich also aus einem mehraktigen Geschehen zusammen, ihre Erkenntnis setzt neben der Kenntnis der Verwaltungsmaßnahme immer auch eine zusätzliche Kenntnis der Wirklichkeit, nämlich der Wirkungen der Maßnahme, voraus. Das erschwert die Verwirklichung des Eingriffsvorbehalts, dessen Realisierung im Unterschied zu der alle drei Gewalten erfassenden Grundrechtsbindung 7 speziell in den Händen des parlamentarischen Gesetzgebers liegt, der nur über beschränkte Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten verfügt. B. Meinungsstand im Schrifttum Dieser Problematik wird in der Literatur nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Vielfach wird ohne besondere Problematisierung der Frage faktischer Beeinträchtigungen von einem einheitlichen Eingriffsbegriff im Hinblick auf allgemeine Grundrechtsbindung und Eingriffsvorbehalt ausgegangen8. Z.T. befürwortet man allgemein die grundsätzliche Einbeziehung faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen in den Vorbehaltsbereich, ohne jedoch näher auf die damit verbundenen Probleme einzugehen9. Ein anderer Teil, der hier von besonderem Interesse ist, hält die Erstrekkung des Vorbehaltsprinzips auf faktische Beeinträchtigungen für proble-
5
So auch Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 101.
6
Dazu Gallwas, Beeinträchtigungen, S.12.
7
Vgl. Art. 1 III GG.
8
Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 271 ff., 308 ff.; Dolde, Gutachten, S. 21; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, Rn. 548 f. Oft wird der Vorbehalt des Gesetzes auf "Eingriffe" bezogen, ohne daß man diesen Begriff näher erläutert, vgl. Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 117 ff.; Forsthoff, Lehrbuch, S. 232. 9 So allgemein für die grundsätzliche Einbeziehung mittelbarer Grundrechtsbeeinträchtigungen in den Gesetzesvorbehalt Vogel, WDStRL 24 (1966), S. 125, 151 ff.; Kirchhof, Verwalten, S. 251; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 38.
Abschnitt 4: Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts
171
matisch und plädiert deshalb für unterschiedliche Eingriffsbegriffe bzw. für Modifikationen der Anforderungen an die gesetzliche Grundlage 10. /. Unterschiedliche Eingriffsbegiffe 1. Eingriffsvorbehalt nur für klassische Grundrechtseingriffe Z.T. wird die Anwendbarkeit des Eingriffsvorbehalts für mittelbare oder faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen schlechthin verneint und auf imperative Beeinträchtigungen beschränkt 11. Begründet wird dies zum einen damit, daß das Grundgesetz das Vorbehaltsprinzip in seiner historisch-konventionellen Bedeutung - und nur in dieser - rezipiert hat 12 . Zum anderen sei eine solche Ausweitung des Gesetzesvorbehalts wegen der unberechenbaren Wirkung etwa mittelbarer staatlicher Lenkungsmaßnahmen unpraktikabel 13 und darüberhinaus auch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht notwendig, da das Rechtsstaatsprinzip eine Normierung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger nur soweit fordere, wie innerhalb dieses Verhältnisses unmittelbar Rechte und Pflichten zur Entstehimg gelangen sollen14. Außerdem hält man die gesetzliche Form unter Rechtsschutzgesichtspunkten für entbehrlich, weil tatsächliche Grundrechtsbeeinträchtigungen, wie z.B. "Maßregeln indirekter Lenkung" bzw. motivationsbestimmende, sich einem faktischen Zwang annähernde Einflußnahmen des Staa-
10
Die Begründung von Grenzen des Eingriffsvorbehalts mit dem Institut eines " Verwaltungsvorbehaltf ist nicht möglich. Der Verwaltungsvorbehalt soll greifen, wenn es um die Regelung von Materien geht, die von Verfassungs wegen ausschließlich der Zweiten Gewalt zugewiesen sind. Nach ganz überwiegender Meinung hat sich bislang jedoch ein derartiger Vorbehalt als eigener Kompetenzbereich nicht nachweisen lassen, vgl. insbesondere Maurer, W D S t R L 43 (1985), S. 135 ff. (165); Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 120 ff.; Ossenbühl, HdbStR, ΠΙ,§62 Rn.55ff. 11
Wolff/Bachof, I, § 30 III a, b beschränken den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ausdrücklich auf die Fälle, in denen zur Durchsetzung staatlicher Zwecke das Mittel des Gebots oder Verbots eingesetzt wird. Ähnlich Grabitz, Freiheit, S. 62 ff., der eine "formale Struktur" des hoheitlichen Handelns fordert; Scheuner, Wirtschaftslenkung, S. 73; Friauf, DVBl. 1966,729 ff. (735); Oldiges, WiR 1973,1 ff. (24); Kleiser, Vorbehalt, S. 82,88,94, 98 sowie neuerdings Scherzberg, Grundrechtsschutz, S. 152. Vgl. auch die Nachweise bei Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 97 Fn. 79,80. 12
Kleiser, Vorbehalt, S. 82,88,94,98. Vgl. auch Schenke, GewArch. 1977,313.
13
Oldiges, WiR 1973,1 ff. (24); Grabitz, Freiheit, S. 62.
14
Friauf, DVBl. 1966, 735; Oldiges, WiR 1973, 1 ff. (24). Ähnlich Scheuner, Wirtschaftslenkung, S. 73 und Wolff/Bachof, I, § 30 III a.
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
tes, jedenfalls vom Grundrechtsschutz erfaßt wären und deshalb unabhängig vom Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage vom einzelnen abgewehrt werden könnten15. 2. Eingriffsvorbehalt nur für vorhersehbare Beeinträchtigungen Eine weitere erwähnenswerte Stellungnahme in der Literatur, die von einer Inkongruenz von Grundrechtsbindung und Gesetzesvorbehalt ausgeht, will den Anwendungsbereich des Gesetzesvorbehalts auf die faktischen Beeinträchtigungen beschränken, die für den Gesetzgeber vorhersehbar sind 16 . Der Grundsatz "ultra posse nemo obligatur" gelte auch im öffentlichen Recht und verlange die Berücksichtigung der begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Gesetzgebers17. Sonst ließe sich nicht a priori bestimmen, ob ein Gesetz erforderlich sei und welche Grundrechte es als eingeschränkt zitieren müsse18. IL Modifikation
der gesetzlichen Grundlage
1. Gesetzesvorbehalt als Vorbehalt der Zwecksetzung Einen anderen Weg geht Gallwas. Er stellt fest, daß der Gesetzesvorbehalt bei der pauschalen Anwendimg auf faktische Beeinträchtigungen seine Funktion ändern würde. Die Funktion des Gesetzesvorbehalts bestehe darin, bei den imperativen Beeinträchtigungen eine Mittel-Zweck-Steuerung in der Weise zu vollziehen, daß der Gesetzgeber entscheide, welche Mittel der Verwaltung zur Verfügung stehen sollten, damit sie ihre Aufgabe erfüllen könne19. Da "faktische" Beeinträchtigungen ihrer Erscheinung nach nicht Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zwecks, sondern nur Folgen des eingesetzten Mittels oder des verwirklichten Zwecks seien, verwandle sich das Gesetz von einem Katalog der Mittel in eine Aufzählung der vom Gesetzgeber in Kauf genommenen Folgen20. Da man alle Folgen aber nicht 15 So deutlich Scheuner, Wirtschaftslenkung, S. 73 f.; ähnlich Oldiges, WiR 1973,1 ff. (25), der die Frage der Grundrechtsbindung im Zusammenhang mit staatlich veranlaßten Selbstbeschränkungsabkommen diskutiert. 16
17 18 19
Vgl. Bleckmann, Staatsrecht, S. 340; Forster, Klagebefugnis, S. 399,365 ff. Forster, Klagebefugnis, S. 368. Bleckmann, Staatsrecht, S. 340.
Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 94. Die ratio des Grundsatzes sei "Befehls"-orientiert", S. 96 f. 20 L
Gallwas, S. 94.
Abschnitt 4: Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts
173
vorhersehen könne, wäre diese Aufzählung immer unvollständig; sobald sich vom Gesetzgeber noch nicht gebilligte Beeinträchtigungseffekte abzeichnen, wäre die Verwaltung in ihrer Aktivität gelähmt; außerdem müßte sie Maßnahmen zurücknehmen, bei denen sich später unvorhergesehene Beeinträchtigungen herausstellen. Die Ausweitung des Gesetzesvorbehalts auf faktische Beeinträchtigungen sei deshalb unpraktikabel 21. Daher verneint Gallwas die Anwendbarkeit des Gesetzesvorbehalts auf Handlungsformen, die nur faktische Beeinträchtigungen auslösen. Eine gewisse verfassungsrechtliche Sicherung will er jedoch auf andere Weise einbauen. Der Gesetzesvorbehalt habe auch die Funktion, die Zwecksetzungskompetenz im Bereich der Grundrechte dem Gesetzgeber vorzubehalten. Die Verwaltung dürfe daher Handlungen, die sich faktisch auf die grundrechtlich geschützten Freiheiten des einzelnen auswirkten, grundsätzlich nur dann vornehmen, wenn sie Zwecke verfolge, die ihr die Verfassung selbst oder der Gesetzgeber aufgrund der Verfassung angewiesen habe22. 2. Die Ermächtigung zum Erlaß der Verwaltungsmaßnahme als Ermächtigung zu den mit ihr verbundenen Wirkungen Papié? 3 folgt im Ausgangspunkt Gallwas. Mangels Voraussehbarkeit aller Folgen hoheitlichen Handelns bis ins letzte Detail sei die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für jede einzelne faktische Grundrechtseinwirkung nicht realisierbar. Im Bereich faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen sei deshalb der Vorbehaltsgrundsatz zu modifizieren, auf ihn könne aber nicht gänzlich verzichtet werden. Denn Sinn und Zweck dieses Grundsatzes bestünden darin, daß die freiheitsverkürzende Wirkung eines Eingriffsaktes durch dessen demokratische Legitimation ausgeglichen werde; und für den Umfang des Freiheitsstatus des Bürgers sei es gleichgültig, ob die Einwirkung in den Grundrechtsbereich durch finalen Rechtsakt oder freiheitsbehindernden, ungezielten Realakt erfolge. Für den speziellen Bereich faktischer Beeinträchtigungen durch Immissionen hoheitlicher Betriebe und Veranstaltungen will Papier "den Konflikt zwischen dem legislatorisch Regelbaren und den verfassungsrechtlichen Erfordernissen" dadurch lösen, daß er nicht die einzelne grundrechtsbeeinträchtigende Folgewirkung, sondern lediglich das auslösende staatliche Handeln, also z.B. die Errichtung und Unterhaltung einer Verwaltungseinrichtung als Einwirkungsquelle, der Notwendigkeit gesetzlicher Regelung unterstellt. Störende 2 1
Gallwas, S. 94.
22 Gallwas, S. 97 ff. (100 f.). Zu praktischen Konsequenzen dieser Auffassung i.e. unten Teil 4, Abschnitt 3, A, IV, 1. 2 3 NJW 1974,1797 ff. (1799).
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Folgewirkungen seien von derartigen Normen gedeckt. Ähnlich vertritt Ramsauer allgemein zur normativen Absicherung faktischer Beeinträchtigungen die Auffassung, mit der Regelung einer Verwaltungsmaßnahme ermächtige das Gesetz grundsätzlich auch zur Verursachung der mit ihr verbundenen Wirkungen . Vergleichbar ist die Auffassung Brohms, Ermächtigungen zur planenden Gestaltung, die auch zu mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen führen kann, müßten nicht den strengen Anforderungen des Art. 80 I S. 2 GG genügen. Da die Rechtsbeeinträchtigungen, die im Gefolge von Gestaltungsmaßnahmen eintreten können, gar nicht in vollem Umfang vorhersehbar seien, reiche insoweit die Ermächtigung zur Vornahme der Gestaltungsmaßnahme aus. Eine strenge Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes würde einen mit dem Prinzip des Sozialstaats unvereinbaren Verzicht auf die planende Gestaltung überhaupt bedeuten25. C. Verfassungsrechtliche Vorgaben für eine einschränkende oder modifizierende Auslegung des Eingriffsvorbehalts bei faktischen Beeinträchtigungen Im folgenden soll im Wege der Auslegung26 untersucht werden, ob sich eine Beschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts verfassungsrechtlich rechtfertigen läßt. Allein das pauschale Argument mangelnder Praktikabilität reicht hierzu nicht aus. Ebenso wie der grundrechtliche Gewährleistungsbereich ist auch der Vorbehaltsbereich vom Wortlaut her indifferent. Weder die grundgesetzlichen Formulierungen "Schranke", "Beschränkung" oder "Regelung" , noch die ausdrückliche Ermächtigimg zu "Eingriffen" lassen den Schluß zu, es seien damit ausschließlich imperative Beeinträchtigungen gemeint29. Seiner historischen Entwicklung nach ist der Eingriffsvorbehalt zweifellos auf den klassischen Eingriff zugeschnitten30. Doch kommt dem historischen Argument angesichts gewandelter Staatsaufgaben sowie erweiterter und verfeinerter Handlungsformen nur sehr eingeschränkte Bedeutung zu. Ent24 25
Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 103. W D S t R L 30 (1972), 245 ff. (268). Vgl. auch Wilke, WDStRL 41 (1983), S. 253 f., 263.
26 Vgl. zur Verfassungsinterpretation Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 49 ff.; BVerfGE 11, 126 (129 f.). 2 7 Art. 5 II, 8 II, 10 S. 2,121S. 2,13 III, 141 S. 2,191 S.1 GG 2 8
29
Ή)
Art. 2 II S. 3,13 III GG. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 72.
Vgl. Kleiser, Vorbehalt, S. 82,88, 94 ff.; Forster, Klagebefugnis, S. 394 und bereits oben Abschnitt 1, A.
Abschnitt 4: Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts
175
scheidend muß demnach die teleologische Auslegung sein. Insoweit reicht es allerdings nicht aus, die Zwecke des Vorbehalts zu ermitteln und sodann zu prüfen, ob sie auch die Einbeziehimg faktischer Beeinträchtigungen verlangen. Man muß vielmehr auch danach fragen, welche Mittel der Gesetzgeber an Hand hat, um diese Zwecke zu erfüllen 31. /. Die Funktionen des Eingriffsvorbehalts
und ihre Erfüllbarkeit
Der Eingriffsvorbehalt weist zunächst eine rechtsstaatliche Funktion auf: den Bürger belastendes Handeln der Verwaltung soll durch vorherige, abstrakte und generelle Regelung seiner Voraussetzungen und Grenzen für ihn voraussehbar und berechenbar gemacht werden; es sollen Maßstäbe für eine Kontrolle des Verwaltungshandelns - vor allem durch die Gerichte geliefert werden 32. Weiterhin kommt ihm - jedenfalls heute unter dem Grundgesetz - eine demokratische Funktion zu: über die wichtige Frage der Abgrenzung der Freiheitssphäre des Bürgers und des staatlichen Machtbereichs soll der vorrangige Repräsentant des Volkes, der unmittelbar demokratisch legitimierte Entscheidungstrräger befinden . Schließlich dient der Eingriffsvorbehalt auch dem Grundrechtsschutz: indem er ein Eindringen der Verwaltung in den als besonders schützenswert anerkannten Grundrechtsbereich von besonderen Sicherungen abhängig macht, insbesondere der vorherigen Entscheidung des Parlaments im Rahmen eines aufwendigen Gesetzgebungsverfahrens, bildet er eine formelle Komponente des Grundrechtssschutzes34. Richtet man den Blick lediglich auf die genannten Zwecke des Eingriffsvorbehalts, kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese im Grundsatz die Einbeziehung aller, also auch faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen verlangen 35. Nicht übersehen werden darf freilich, daß die Erfüllung dieser Funktionen mit ganz bestimmten Faktoren verknüpft ist. Zunächst mit der Zuweisung an einen besonderen Entscheidungsträger, das unmittelbar demokratisch legitimierte Parlament. Weiterhin mit dem Gesetzgebungsver3 1
Vgl. den ähnlichen Ansatz bei Bleckmann, DVB1.1984,6 ff.
32 Diese beiden Aspekte der rechtsstaatlichen Funktion werden auch vom BVerfG immer wieder genannt, vgl. nur E 8, 274 (325 f.). Zur rechtstaatlichen Funktion vgl. Grabitz, Freiheit, S. 63 unter Berufung auf Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 175; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 6. 3 3 Zur demokratischen Funktion etwa Papier, NJW 1974,1797 ff. (1798); Krebs, Jura 1979, 304 ff. (307); Brohm, DÖV 1987,265 ff. (269). 3 4 Zur Grundrechtsschutzfunktion vgl. Schlink, EuGRZ 1984, 457 ff. m.w.N. Lübbe-Wolf, Eingriffsabwehrrechte, S. 21; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 28. 35
Vgl. Papier, NJW 1974,1797 ff. (1789).
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
fahren , das mit der Veröffentlichung des Entscheidungsergebnisses abschließt, sowie vor allem mit der Handlungsform des abstrakt-generellen Gesetzes. Die Funktionen des Eingriffsvorbehalts können eindeutig dort nicht erfüllt werden, wo es wegen der mangelnden Vorhersehbarkeit von faktischen Beeinträchtigungen für den Gesetzgeber weder zu einem parlamentarischen Verfahren noch zu einem Parlamentsgesetz kommen kann. Vergegenwärtigt man sich die Struktur faktischer Beeinträchtigungen als Folgeoder Nebenwirkungen staatlichen Handelns aufgrund vielfältigster Kausalverläufe, wird deutlich, daß diese auch noch nach längerer Zeit eintreten können . So wird häufig die grundrechtseingreifende Wirkung einer Maßnahme im Einzelfall erst ad hoc, im Zeitpunkt des Erlasses oder nach Erlaß der Maßnahme für die Behörden oder die Gerichte erkennbar sein, nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten bereits a priori für den Gesetzgeber 38 . Eine Aufnahme der Folgen einer staatlichen Maßnahme durch den Gesetzgeber muß angesichts dessen (auch zeitlich) beschränkten Erkenntnismöglichkeiten unvollständig bleiben bzw. vom Zufall abhängen39. Beschränkungen unterliegt die Gesetzgebung aber nicht nur aufgrund ihrer eigenen Erkenntnismöglichkeiten, sondern auch aufgrund ihrer spezifischen Handlungsmöglichkeiten. Zur Erfüllung der genannten Funktionen bedarf es in der Regel der Handlungsform des abstrakt-generellen Gesetzes. Es richtet sich an eine Vielzahl von Personen und dient der Regelung einer unbestimmten Zahl von Anwendungsfällen 40. Nur die generellabstrakte Programmierung erlaubt es, wiederholbare, in der Zukunft hegende ungewisse Ereignisse in größerem Ausmaß zu steuern 41. Mit der 36 Die Qualität des parlamentarischen Verfahrens liegt darin, daß es aufgrund seiner Transparenz, seines Öffentlichkeitsbezugs und seines rationalen Procedere in besonderer Weise eine öffentliche Diskussion, ein Einbringen aller divergierenden Interessen sowie letztendlich einen gerechten Interessenausgleich gewährleistet, vgl. Eberle, DÖV 1984, 485 ff. (489); Rottmann, EuGRZ 1985, 277 ff. (293 f.); Brohm, DÖV 1987,265 ff. (269); deis., NVwZ 1988, 37 794 ff. (797); Hermes, Beieich, S. 52 ff. 38
Vgl. dazu nur Bleckmann, Staatsrecht, S. 340.
Dabei kann etwa an die existenzgefährdende Wirkung einer Subvention für den Konkurrenten des Subventionierten gedacht werden. Zum Problem auch Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 101 ff. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 94; Papier, NJW 1974, 1797 ff. (1798). Salvatorische Klauseln, etwa eine antizipierte Rechtfertigung "unvorhergesehener Folgen", würden nicht helfen, da sie die Funktionen des Eingriffsvorbehalts nicht erfüllen könnten. Für den Bürger würde eine solche Klausel kein Plus an Berechenbarkeit bringen; auch wäre sie nicht geeignet, eine öffentliche Diskussion auszulösen. 40 Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 825; Schneider, Gesetzgebung, S. 19 ff. 41 Georg Müller, Rechtsetzung, S. 83.
Abschnitt 4: Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts177
gesetzgeberischen Technik der Generalisierung und Abstrahierung sind gerade die besonderen rechtsstaatlichen Vorzüge der Gesetzgebung gegenüber der Rechtsanwendung im Einzelfall verbunden, so die Überschaubarkeit, die Berechenbarkeit für den Bürger, die Rechtsgleichheit sowie die Kontrollierbarkeit der Gesetzesanwendung durch Verwaltungsbehörden und Gerichte 42. Umgekehrt ist die Technik der generell-abstrakten Programmierung aber auch mit spezifischen Defiziten verbunden. Notwendigerweise erfordert eine derartige abstrakt-generelle Vorausbestimmung eine gewisse "Typisierung". Um das Ziel der Allgemeinheit zu erreichen, muß das Gesetz vorwegnehmend eine Vielzahl gleich oder ähnlich gelagerter Fälle in Ordnungsmuster" aufnehmen, es muß Kategorien bilden und auf typische Grundmerkmale abstellen43. Diese Typisierung macht die Grenzen und Schwächen der Handlungsform des Gesetzes deutlich. Im Regelfall kann das "typisierende" Gesetz den besonderen Umständen des Einzelfalls, spontanen Änderungen der Sachlage, atypischen Fällen, insgesamt der Einzelfallgerechtigkeit nicht Rechnung tragen 44. Deshalb sind in der Staatsrechtslehre allgemein gewisse "sachstrukturelle Grenzen" des Gesetzesvorbehalts anerkannt. So lassen sich geradezu "regelungsfeindliche" Sachbereiche ausmachen, die etwa durch die Dynamik der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung45 oder durch Unvorhersehbarkeit, Plötzlichkeit von Situationen gekennzeichnet sind 46 und vom Staat ein zügiges, situationsgerechtes Reagieren erfordern. Dazu kommt, daß das nicht nur in zeitlicher Hinsicht besonders aufwendige Gesetzgebungsverfahren ebenfalls wenig geeignet ist für eine prompte und flexible Reaktion auf plötzlich sich ändernde Umstände47.
42 Dazu im einzelnen Georg Müller, Rechtsetzung, S. 82 ff.; vgl. auch Schneider, Gesetzgebung, S. 22. Zu den Vorzügen abstrakt-genereller Rechtsgüterabwägung auch Ossenbühl, Der 43Staat Bd. 10 (1971), 53 ff. (80); Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 274 f. Zur notwendigen Typisierung durch das Gesetz vgl. Georg Müller, Rechtsetzung, S. 85, 16; Hans Schneider, Gesetzgebung, S. 22; Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 165 ff.; Maurer, W D S t R L 43 (1985), 135 ff. (158). Vgl. auch bereits oben Teü 1, Abschnitt 6, C, Π. 44 Georg Müller, Rechtsetzung, S. 85. Deshalb verweist das Gesetz für solche Fälle häufig auf die Rechtsanwendungsebene, etwa durch bewußt offen gehaltene Ausnahme- oder Befreiungsregelungen, vgl. dazu Hans Schneider, Gesetzgebung, S. 26 ff.; Georg Müller, Rechtsetzung, S. 85. 45 Von Bedeutung sind hier insbesondere die technischen Risiken, vgl. dazu etwa Ossenbühl, DÖV 1982,833 ff. 4 6 Ossenbühl, in: Götz u.a. (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung, S. 28 ff. (34); ders., HdbStR, III, § 62 Rn. 65. Zu den Grenzen der Normierungsmöglichkeit auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20, V, Rn. 112. 4 7
12 Roth
Dazu Eberle, DÖV 1984,485 ff. (492).
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Übertragen auf die Fälle faktischer Beeinträchtigungen ergibt sich folgendes. Ihnen ist eigentümlich, daß sie nicht zwangsläufige Folge eines bestimmten Verwaltungshandelns sind 48 . Für weite Bereiche des Verwaltungshandelns gilt sogar, daß im Regelfall mit der Verwaltungsmaßnahme die Beeinträchtigung eines Dritten nicht verbunden ist 49 . Aufgrund seines "typisierenden" Standpunkts kann der Gesetzgeber nun notwendigerweise nicht alle möglichen, zufälligen, atypischen Wirkungen einer Verwaltungsmaßnahme berücksichtigen. Auch das schwer bewegliche, aufwendige Gesetzgebungsverfahren erscheint nicht als geeignet, seine Funktionen im Hinblick auf diese Arten faktischer Beeinträchtigungen zu erfüllen 50. Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß die Funktionen des Eingriffsvorbehaltes jedenfalls ßr bestimmte Arten faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht oder nur schwer erfüllbar wären. IL Verfassungsrechtliche
Rechtfertigung
Um eine einschränkende oder modifizierende Auslegung des Eingriffsvorbehalts zu rechtfertigen, muß dem Aspekt, daß seine Funktionen jedenfalls für bestimmte Arten faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht oder nur schwer erfüllbar wären, verfassungsrechtliche Relevanz zukommen. Eine solche erlangt er möglicherweise durch eine neuere Sicht des Gewaltenteüungsprinzips, wie sie sich in jüngster Zeit herausgebildet hat. 1. Das überkommene Verständnis der Gewaltenteilung Nach dem BVerfG will das grundgesetzlich verankerte Gewaltenteilungsprinzip 51 - als tragendes Organisations- und Funktionsprinzip unserer Rechtsordnung - die politische Machtverteilung, das Zusammenspiel der drei Staatsgewalten im Sinne der gegenseitigen Hemmung und Kontrolle
Im Unterschied zur imperativen Verwaltungsmaßnahme, bei der die Beeinträchtigung das Spiegelbild der Regelung, also notwendigerweise und immer mit ihr verbunden ist. S. bereits oben A. 49 So belastet die Baugenehmigung oder die wasserrechtliche Genehmigung den Nachbarn in der Regel gerade nicht schwer und unerträglich, stellt also im Regelfall keine faktische Grundrechtsbeeinträchtigung dar. Dazu i.e. unten Teil 4. Zumindest wären erhebliche Verzögerungen der parlamentarischen Arbeit die Folge, vgl. Sodan, Funktionsträger, S. 317. 5 1 Als ausdrückliche verfassungsrechtliche Grundlage wird ganz überwiegend Art. 20 II S.2 GG angesehen, vgl. z.B. Stern, Staatsrecht II, S. 520; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 476 f.
Abschnitt 4: Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts
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und die sich daraus ergebende Mäßigung der Staatsgewalt sicherstellen . Dem liegt die Vorstellung unterschiedlicher Staatsfunktionen und einer Aufteilung der so geschiedenen Staatsfunktionen auf jeweils eigene Staatsorgane der Gesetzgebung, Exekutive und Judikative zugrunde. Diese Vorstellung geht zurück auf Grundsätze, die auf Grund der Verfassungsbedingungen der konstitutionellen Monarchie entwickelt wurden 53. Danach sollten die drei Gewalten streng nach ihrer Funktion getrennt sein und jede von ihnen sollte sich bei ihren Aktivitäten absolut auf die ihr zugewiesenen Funktionen beschränken54. Da das Parlament das einzige durch Wahlen demokratisch legitimierte Organ darstellte, wurde dem Gesetzgeber das alleinige Recht der Rechtsetzung bzw. Rechtserzeugung zuerkannt; den beiden anderen Gewalten sollte nur eine "abgeleitete", vom Parlamentsgesetz abhängige demokratische Legitimation zukommen, sodaß sich z.B. die Verwaltung auf den reinen Gesetzesvollzug zu beschränken hatte. Auch heute noch geht die überkommene Lehre von dieser einheitsstaatlichen Demokratiekonzeption aus, die nur einheitliche Rechtserzeugungsformen und Legitimationsquellen kennt 55 . 2. Das funktionelle Verständnis der Gewaltenteilung Die gewandelten Verfassungsbedingungen in der repräsentativen Demokratie unter dem Grundgesetz sowie die geänderten Aufgaben und Funktionen des Staates in einer hochkomplexen Industriegesellschaft müssen auch das Verständnis der Gewaltenteilung beeinflussen 56. Im demokratischen Staat unter dem Grundgesetz kommt z.B. der Verwaltung nicht mehr eine nur gesetzes-abgeleitete Legitimation zu 57 . Auch das BVerfG hat in seiner Kalkar-Entscheidung ausgeführt, daß auch Verwaltung und Verwaltungsgerichte aufgrund von Art. 20 I I und I I I GG institutionell und funktionell demokratisch legitimiert sind und über eine eigenständige Kompetenz verfügen, weshalb sie nicht erst der Legitimation durch das Gesetz 5 2
BVerfGE 3,225 (247); 7,183 (188); 9,268 (279 f.); 34,52 (59).
53 Zur geschichtlichen Entwicklung des Prinzips der Gewaltenteilung vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 513 ff. 54 Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 67 ff. 55 Vgl. Brohm, DÖV 1987, 265 ff. (268 f.) m.w.N.; ders., NJW 1984, 8 ff. (12), NVwZ 1988, 794 ff. (797) sowie bereits W D S t R L 30 (1972), 293 ff. Brohm bezeichnet die herkömmliche Lehre deshalb als "zentralistische" bzw. "monistische" Staatstheorie. 5 6
Brohm, DÖV 1987,265 ff. (268 f.).
57 Zur demokratischen Legitimation der Exekutive vgl. Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 79 ff., 289 f.; ders., HdbStR, I, § 22 Rn. 24; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 208 ff.; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 36.
180
Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt CO
bedürfen . Deshalb versteht die Staatsrechtslehre die Gewaltenteilung im geltenden Verfassungsrecht zu Recht nicht mehr nur negativ als ein Mittel der Trennung und gegenseitigen Machtbegrenzung, sondern auch positiv als gegenseitige Zuordnung und funktionsspezifisches Zusammenwirken bei der Bewältigung der Staatsaufgaben. In der Konsequenz führt dies zur Vorstellung einer "funktionsspezifischen Aufgabenerledigung" durch die drei Staatsgewalten. Die Staatsaufgaben sollen von den Organen erledigt werden, die "nach ihrer inneren Struktur, Besetzung, Arbeitsweise, dem zu beobachtenden Entscheidungsprozeß usw. für die betreffenden Aufgaben legitimiert und gerüstet sind, effizient zu entscheiden"59. Brohm bringt diesen Gedanken insoweit zum Ausdruck, als er neben die institutionelle und funktionell-demokratische weitere, sich aus der besonderen Organisation der Staatsfunktionen und den besonderen Verfahren zur Entscheidungsfindung ergebende Legitimationsquellen stellt 60 . Hesse geht noch weiter. Er hält jedes Organ für verpflichtet, "ergänzend oder stützend tätig zu werde, wo ein anderes Organ zur vollen Erfüllung seiner Aufgaben nicht bereit oder in der Lage ist, während es selbst kraft seiner andersartigen Struktur tätig werden kann"61. 3. Die Beeinflussung des Eingriffsvorbehalts Die Frage stellt sich, ob der Gedanke einer funktionsspezifischen Aufgabenerledigung, dem über das Gewaltenteilungsprinzip Verfassungs58 BVerfGE 49, 89 (125). Zur näheren Begründung der verschiedenen "Legitimationsstränge" Böckenförde, HdbStR, I, § 22 Rn. 14 ff.; Brohm, DÖV 1987,265 ff. (270 f.). 5 9 Ossenbühl, DÖV 1980,545 ff. (549); ders., HdbStR, ΙΠ, § 62 Rn. 48 f. Vgl. auch bereits Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 80, wonach "eine optimale Wahrnehmung der Staatsaufgaben" eine "demokratische Kooperation zwischen Legislative und Exekutive" erfordert. Ähnlich versteht beispielsweise Zimmer die Gewaltenteilung. Er unterscheidet nach Funktion, Kompetenz und Legitimation von Verfassungsorganen und versucht nach diesen Kriterien die Wirkbereiche der Organe und die Wirkvorbehalte zu bestimmen (Funktion - Kompetenz Legitimation. Gewaltenteilung in der Ordnung des Grundgesetzes, S. 217 ff., 222 ff., 231 ff.). Zum funktionellen Verständnis der Gewaltenteilung in der Lehre auch Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 482,484 ff.; Stern, Staatsrecht II, S. 536. - Allgemein zur rechtlichen Relevanz der realen Funktionsbedingungen staatlicher Institutionen für die Staatsfunktionenlehre Brohm, DÖV 1987,265 ff. (268); Schmidt-Aßmann, in: Festschrift Menger, S. 107 ff. 6 0 Brohm, DÖV 1987, 265 ff. (269); ders., NVwZ 1988, 794 ff. (797). Er ordnet z.B. dem Parlament die Leitfunktion in der Steuerung des politischen Gemeinwesens zu, da es durch die Volkswahl seiner Mitglieder und die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens in besonderer Weise geeignet sei, die Artikulation der verschiedenen Interessen, den Ausgleich und die Konsensgewinnung zu fördern und vor den Wählern transparent zu machen. 6 1
Hesse, Festschrift H. Huber, S. 261 ff. (265 f.). Brohm hält diese Auffassung angesichts der strikt zu wahrenden Kompetenzordnung für problematisch, DÖV 1987,265 ff. (269).
Abschnitt 4: Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts
181
rang zukommt, speziell auch den Geltungsbereich bzw. Inhalt des Eingriffsvorbehalts im Falle faktischer Beeinträchtigungen zu beeinflussen vermag. Dies kann nur durch eine Untersuchung beantwortet werden, ob die einzelnen Zwecke des Eingriffsvorbehalts Abstriche zulassen. a) Rechtsstaatliche Funktion Bereits allgemein konnten wir in Teil 1 das Grundprinzip feststellen, daß man faktischen Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit einer Vielzahl von an den Gesetzgeber gerichteten, rechtstaatlichen Geboten 62 mit Rücksicht auf seine beschränkten Erkenntnis- und spezifischen Handlungsmöglichkeiten nur eingeschränkte Rechtserheblichkeit zugesteht63. Speziell im Hinblick auf die Erfordernisse des Gesetzesvorbehalts hält die Rechtsprechung eine gewisse funktionale Relativierung nicht für eine Verletzung des rechtsstaatlichen Elements. Schon in seiner Entscheidung zum Preisgesetz machte das BVerfG deutlich, daß die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage abhängig sind von der zu regelnden Materie und den Erkenntnismöglichkeiten des Gesetzgebers64. Der Gesetzesvorbehalt wird grundsätzlich beschränkt auf Bereiche, die "staatlicher Regelung zugänglich" sind 65 . Weiterhin haben das BVerfG im Kalkar-Beschluß sowie das BVerwG im fn Wyhl-Urteil ein rechtsstaatliches Defizit, die relativ geringe Regelungsdichte des Vorsorgegrundsatzes in § 7 Π Nr. 3 AtomG, im Hinblick auf Gesetzesvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz damit gerechtfertigt, daß die Exekutive nicht nur gegenüber der Legislative, sondern auch gegenüber den Verwaltungsgerichten über rechtliche Handlungsformen verfügt, die sie für die Verwirklichimg des Grundsatzes bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge besser ausrüsten68. Hier wird der Gedanke der "funktionsspezifischen Aufgabenerledigung" aufgenommen und für die Bestimmung der Grenzen des Gesetzesvorbehalts fruchtbar gemacht69. 62 6 3
Junktim-Klausel, Zitiergebot, Bestimmtheitsgrundsatz, Verhältnismäßigkeitsprinzip. S. Teil 1, Abschnitt 6, Ε, II.
6 4
BVerfGE 8,274 (310 f.).
6 5
Vgl. nur BVerfGE 49,89 (126). Dazu Hermes, Grundrecht, S.
6 6
BVerfGE 49,89 (140).
6 7
BVerwGE 72,300 (317).
68 Hier werden also von der Rechtsprechung Defizite der Gesetzgebung bezüglich eines effektiven Instrumentariums zur Erreichung eines "dynamisierten", immer an den neuesten Stand der wissenschafltichen und technischen Entwicklung angepaßten Grundrechtsschutzes festgestellt. 6 9 Vgl. Ossenbühl, HdbStR, III, § 62 Rn. 49; ders., in: Götz u.a. (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung, S. 27. Vgl. dazu bereits oben Teil 1, Abschnitt 6, D.
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
b) Demokratische Funktion Auch die demokratische Funktion des Gesetzesvorbehalts wird vom BVerfG relativiert und nicht zu einem "Super-Verfassungsprinzip" hochstilisiert. Abstriche mit Rücksicht auf die Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers lassen sich mit Ausführungen im Raketenstationierungs-Urteil rechtfertigen. Dort wird darauf verwiesen, daß es für staatliche Entscheidungen nicht nur auf ein Höchstmaß demokratischer Legitimation ankomme, sondern mit Rücksicht auf das Gewaltenteilungsprinzip vor allem darauf, daß sie "möglichst richtig, d.h. von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen" Es wird davor gewarnt, dem Demokratieprinzip einen "fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts" zu entnehmen, denn auch die beiden anderen Gewalten könnten für sich 71
demokratische Legitimation in Anspruch nehmen . c) Grundrechtsschützende
Funktion
Auch hier kann an eines der in Teil 1 ermittelten Grundprinzipien angeknüpft werden, das darin besteht, daß man zwischen Instrumenten materiellen und formellen Rechtsschutzes differenziert und faktischen Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit letzteren nur eine eingeschränkte Rechtserheblichkeit zuerkennt. Vor diesem Hintergrund sind die grundrechtsschützende Funktion des Eingriffsvorbehalts auf der einen und der allgemeinen Grundrechtsbindung auf der anderen Seite einander gegenüberzustellen. Die Grundrechte haben eine materiell grundrechtsschützende Funktion. Sie sind "erfolgsbezogen", d.h. die grundrechtlichen Gewährleistungsnormen umschreiben den "Individualraum", in den die staatliche Gewalt grundsätzlich nicht eindringen darf 72 . Die Erfüllung ihrer grundrechtsschützenden Funktion ist nicht zwingend mit einer bestimmten Handlungsform oder ei-
70 BVerfGE 68,1 (86). Dort wird die grundsätzliche exekutive Zuständigkeit für Akte der auswärtigen Gewalt damit begründet, daß "institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen" (87). 71 BVerfGE 68,1(87 f.). 72 Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 163 f.; vgl. auch Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 49 f.
Abschnitt 4: Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts
183
nem bestimmten Organ verbunden . Wie oben bereits aufgezeigt , sollen die Grundrechte jedenfalls im Ausgangspunkt Freiheitsbereiche im Sinne absoluter Rechte gewährleisten, unabhängig von der Art und Weise der Beeinträchtigung oder etwa von den Handlungs- und Erkenntnismöglichkeiten des handelnden staatlichen Organs. Insbesondere der Aspekt der Effektivität des Grundrechtsschutzes fordert, daß alle möglichen Arten, also grundsätzlich auch generell nicht vorhersehbare oder atypische Beeinträchtigungen im Einzelfall noch abgewehrt werden können75. Denn im Einzelfall können derartige Wirkungen für den Bürger besonders belastend, u.U. belastender sein als ein klassischer Eingriff. Im Gegensatz zum Gesetzgeber verfügen die zum Grundrechtsschutz berufenen Organe der Verwaltung und Justiz über Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten, die sie gerade als für die Einzelfallbeurteilung besonders geeignet erscheinen lassen. Da Verwaltung und Justiz nicht vorwegnehmend, a priori über künftige Sachverhalte entscheiden, sondern konkrete Maßnahmen zur Regelung von (gegenwärtigen) Einzelfällen treffen 76, können sie ad hoc eingreifen, etwa wenn die beeinträchtigende Nebenwirkung staatlichen Handelns sich abzeichnet, akut wird oder bereits eingetreten ist. Insoweit stellt sich dann auch das Problem der Vorhersehbarkeit der Beeinträchtigungen nicht. Auch von ihren Handlungsmöglichkeiten her sind Behörden und Gerichte geeignet, etwa generell nicht vorhersehbaren, zufälligen oder atypischen Beeinträchtigungen zu begegnen oder diese abzugleichen. So bietet etwa die Verwaltungsentscheidung oder das Urteil im konkreten Einzelfall die Möglichkeit, auf die besonderen Umstände des Einzelfalls Rücksicht zu nehmen. Zudem sind die jeweiligen Entscheidungsverfahren nicht in einer dem Gesetzgebungsverfahren vergleichbaren Weise schwerfällig, sodaß rasche, flexible Maßnahmen zur Realisierung des Grundrechtsschutzes gegen faktische Beeinträchtigungen im Einzelfall möglich erscheinen. Insoweit sind mit den Organen der Exekutive und der Judikative Funktionsträger vorhanden, denen kraft ihrer Erkenntnis-, Verfahrens- und Handlungsmöglichkeiten auch der Schutz vor sich erst im Einzelfall realisierenden faktischen 77
Grundrechtsbeeinträchtigungen möglich ist . Die Grundrechte sind also im 73 74 75
1f\ 77
Gallwas, ebenda. S. Teil 2, Abschnitt 2, B. So auch Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (381). Vgl. Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 12.
Interessant ist insoweit eine Stellungnahme des 7. Senats des BVerwG, die in dem Verfahren vor dem BVerfG, das zum Beschluß vom 8.8.1978 führte (Schneller Brüter Kalkar) eingeholt wurde. Dort wird ausgeführt, eine Verpflichtung des Gesetzgebers, je nach Erkenntnisstand die sich dauernd wandelnden technischen Entwicklungen einzufangen, sei fraglich angesichts der Möglichkeit, "daß die zuständigen Gerichte - notfalls im Wege verfas-
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Grundsatz sowohl von ihrem Zweck als auch seiner Realisierbarkeit her auf eine umfassende Abwehr aller Arten faktischer Beeinträchtigungen gerichtet 78. In dieser umfassenden Abwehrfunktion wirken sie als subjektive Rechte unmittelbar rechtsschutzeröffnend, d.h. sie entscheiden darüber, ob der Dritte überhaupt Rechtsschutz erlangen kann, und bilden somit Instrumente materiellen Rechtsschutzes79. Anders der Eingriffsvorbehalt. Betrachtet man seine Funktion, wird der Charakter eines Instruments lediglich formellen Grundrechtsschutzes offenbar. Seine grundrechtsschützende Funktion ist notwendigerweise mit einem bestimmten Organ (dem Gesetzgeber) und einem bestimmten Mittel (der Handlungsform des abstrakt-generellen Gesetzes) verbunden. Hier soll nicht ein bestimmter Erfolg, sondern die Beachtung bestimmter Handlungsformen gewährleistet werden 80. Gegenüber der umfassenden allgemeinen Grundrechtsbindung, die sich erfolgsbezogen an alle Gewalten richtet und im Einzelfall gerichtlich durchgesetzt werden kann, stellt er nur ein Element formellen, zusätzlichen Grundrechtsschutzes dar 81 . Der Bürger kann somit im Einzelfall umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz vor faktischen Beeinträchtigungen unmittelbar auf der Grundlage der Grundrechte erhalten, dieser Rechtsschutz muß nicht über das Gesetz vermittelt werden. Z.B. wird auch dem im Einzelfall durch eine generell nicht vorhersehbare, atypische Nebenwirkung Drittbetroffenen grundsätzlich Rechtsschutz vor den Gerichten gewährt. Angesichts dieses Aspekts eines ohnehin gewährleisteten Rechtsschutzes erlaubt es auch die (formell) grundrechtsschützende Funktion des Eingriffsvorbehalts, seinen Geltungsbereich und Inhalt mit Rücksicht auf die speziellen Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers eher gewissen Einschränkungen zu unterwerfen 82.
sungskonformer Auslegung - die Genehmigung von Anlagen verböten, die völlig unvorhersehbare und untragbare Gefahren mit sich brächten." BVerfGE 49,89 (123). 78 Daß auch hier zusätzliche Abgrenzungskriterien zu fordern sind, wurde bereits dargestellt (Abschnitt 3). Die allgemeine Grundrechtsbindung ist jedoch funktionell nicht von vornherein 79 auf bestimmte "Typen" von Beeinträchtigungen festgelegt. Zu den sich aus der Abwehrfunktion der Grundrechte ergebenden Ansprüchen Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 2. 80 Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 50. 8 1 Gallwas, S. 50; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 21; Kleiser, Vorbehalt, S. 104. 82 Ahnlich bereits Scheuner, Wirtschaftslenkung, S. 73 f.
Abschnitt 4: Einschränkung oder Modifizierung des Eingriffsvorbehalts
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D. Folgerung Die Tatsache, daß die gesetzgebende Gewalt im Hinblick auf Handlungsinstrumentarium und Erkenntnismöglichkeiten für die Bewältigung bestimmter Aufgaben im Verhältnis zu Verwaltung und Gerichten als weniger geeignet erscheint, führt somit zu folgendem Ergebnis: Eine Modifikation der vom Eingriffsvorbehalt gestellten Anforderungen ist nicht nur durch praktische, sondern vor dem Hintergrund eines gewandelten Gewaltenteilungsverständnisses auch verfassungsrechtlich begründete Gesichtspunkte legitimiert. Damit ist jedoch nur über die grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer einschränkenden oder modifizierenden Auslegung des Eingriffsvorbehalts entschieden. Wo genau die Grenze zu ziehen ist zwischen faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen, die in den Eingriffsvorbehalt einzubeziehen sind, und solchen, die nicht bzw. modifiziert von ihm erfaßt werden, wird noch zu klären sein. Jedenfalls läßt sich eine einschränkende oder modifizierende Auslegung des Eingriffsvorbehalts im Falle faktischer Beeinträchtigungen mit einem gewandelten Gewaltenteilungsverständnis verfassungsrechtlich rechtfertigen. Die maßgeblichen Abgrenzungskriterien sind auf der Grundlage einer funktionsspezifischen Betrachtungsweise zu ermitteln, bei der die Funktionen des Eingriffsvorbehalts sowie die spezifischen Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers Berücksichtigung zu finden haben. Auch den gewandelten Handlungsformen der Verwaltung ist Rechnung zu tragen.
Diese allgemein fur faktische Beeinträchtigungen entwickelten verfassungs rechtlichen Vorgaben werden zu beachten sein, wenn die verschiedenen Fallgruppen von Drittbeeinträchtigungen konkret darauf untersucht werden, ob ihrem spezifischen Charakter bereits durch eine Modifikation der Ermächtigungsgrundlage Rechnimg getragen werden kann oder ob und inwieweit sie vom Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts auszunehmen sind. Die in der Literatur vorgeschlagenen Lösungen werden sich an diesen Vorgaben messen lassen müssen. Zuvor ist allerdings noch der Frage nach einer Systematisierung der zu untersuchenden Fallgruppen nachzugehen.
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Teil 2: Drittbeeinträchtigungen und Gesetzesvorbehalt
Abschnitt 5 Die Notwendigkeit differenzierender Analyse Drittbeeinträchtigungen beruhen auf verschiedenartigsten Fallkonstellationen und Kausalverläufen 1. Insbesondere kann der Zusammenhang zwischen der Verwaltungsmaßnahme und der drittbeeinträchtigenden Wirkung eine sehr unterschiedliche "Dichte" aufweisen 2. Diese Heterogenität erschwert zwangsläufig die Suche nach einheitlichen Grundsätzen und Kriterien sowohl für ihre Grundrechtsrelevanz als auch ihre Einbeziehung in den Gesetzesvorbehalt. Sie läßt ahnen, daß die Problematik - wie Pieroth/Schlink zutreffend bemerken - nicht mit einer "schneidigen Formel" zu lösen ist3. Deshalb erscheint es erforderlich, bereits vom Aufbau her eine Strukturierimg vorzunehmen. A Strukturierung nach der Rechtsform des Verwaltungshandelns Dabei muß eine Einteilung, die sich an den unterschiedlichen Rechtsformen des die Drittbetroffenheit auslösenden Verwaltungshandelns orientiert, ausscheiden. Dies kann exemplarisch an Fällen von Subventionen durch Verwaltungsakt auf der einen und durch öffentlichrechtlichen Vertrag auf der anderen Seite aufgezeigt werden, in denen sich der Konkurrent des Begünstigten wegen erlittener Wettbewerbsnachteile wehrt. Die Rechtsprechung hat das Vorliegen eines Eingriffs in die Grundrechte des Konkurrenten in beiden Fällen von denselben Anforderungen abhängig gemacht4. Dies geschah zu Recht. Denn für den Grundrechtsschutz gegen mittelbare Beeinträchtigungen macht die Rechtsform keinen Unterschied. Zum einen muß im Ausgangspunkt auf die Wirkung des Verwaltungshandelns abgestellt werden . Zum anderen ergibt auch eine Betrachtung der Gründe, die für eingrenzende Kriterien sprechen, daß insoweit jedenfalls die Rechtsform keine Lösung bringen kann. Die Konsequenzen einer "grenzenlosen" staatlichen Verantwortlichkeit etwa für die Rechtssicherheit, die Handlungsfähigkeit bzw. die Effektivität der staatlichen Organe werden 1
2
Vgl. nur Stern, Staatsrecht ΠΙ/1, S. 1206.
Es kann sich z.B. um unvorhergesehene, unvorhersehbare, atypische, zufällige oder um von der Behörde bezweckte oder zwangsläufige Wirkungen der Verwaltungsmaßnahme handeln; 3 vgl. dazu Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 18.
Grundrechte, Rn. 283. Vgl. BVerwGE 30,191 (197 ff.) Subventionsbescheid; OVG Münster NVwZ 1984, 522 (524 f.) Öffentlichrechtlicher Subventionsvertrag. 4
5
S. oben Abschnitt 2, D.
Abschnitt 5: Differenzierende Analyse
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durch die Wahl der einen oder der anderen Rechtsform grundsätzlich nicht vermieden, da staatliches Handeln sowohl in Form des Verwaltungsakts wie des öffentlichrechtlichen Vertrags eine unübersehbare Vielzahl von Nebenund Folgewirkungen auslösen bzw. sich über zahlreiche Zwischenursachen auswirken kann. B. Differenzierung zwischen finalen und nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
Tatsächlich und auch rechtlich bedeutungsvoll ist hingegen die Aufteilung aller Drittbeeinträchtigungen anhand des Kriteriums der Finalität, d.h. danach, ob die den Nichtadressaten beeinträchtigende Wirkung von der Verwaltung bezweckt wurde. Dogmatisch wurde dies bislang nur unzureichend gewürdigt. Noch überwiegend werden die "finalen Drittbeeinträchtigungen" als Teil der allgemeinen Problematik faktischer Beeinträchtigungen behandelt und mit den nicht-finalen "in einen Topf geworfen". Insbesondere will man die grundrechtliche Relevanz finaler und nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen meist nach einheitlichen Grundsätzen bestimmen6. Ein Ziel der folgenden Untersuchung soll es sein, die Verfehltheit dieses Ansatzes aufzuzeigen und zu belegen, daß es sich um zwei strikt voneinander zu trennende, jeweils nach gesonderten Maßstäben zu beurteilende Grundkategorien faktischer Beeinträchtigungen handelt. Ein Ansatzpunkt für dieses Vorgehen ist vorhanden. So konnten wir in Teil 1 feststellen, daß von der Behörde bezweckten Drittbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit dem Folgenbeseitigungs-, dem Aufopferungs-, dem Amtshaftungsanspruch sowie dem Anspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs eine gewisse Sonderstellung zuerkannt wird 7 . Daß diese auch im Hinblick auf Grundrechtsrelevanz und Gesetzesvorbehalt dogmatisch zu begründen ist, wird die sich anschließende Untersuchung finaler Drittbeeinträchtigungen (Teil 3) zeigen.
6 Vgl. nur Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 ff. (2710); Schulte, DVB1.1988, 512 ff. (516 f.) und jüngsten s Scherzberg, Grundrechtsschutz, S. 152 f.; ders., DVB1.1989,1128 ff. (1136). 7 S. oben Teil 1, Abschnitt 6, Ε, II.
Teil 3
Finale Drittbeeinträchtigungen
Abschnitt 1 Fallanalysen Der moderne Interventions- und Leistungsstaat verzichtet in zunehmendem Umfang auf die direkte Anwendung von Befehl und Zwang und wählt zur Erreichung bestimmter Zwecke vermehrt "weichere" Steuerungsformen1, mittelbare Lenkungsmittel, die durch Beeinflussung der Motivation der Grundrechtsträger wirken sollen2. Während die "influenzierenden" Einwirkungen, bei denen der Staat etwa durch Subventionen und Abgaben das gewünschte Wirtschafts- oder Marktverhalten mit einer Begünstigung oder das unerwünschte mit einer Belastung verknüpft 3, bereits seit längerem problematisiert werden4, geraten finale Drittbeeinträchtigungen erst in jüngerer Zeit vermehrt ins Blickfeld. Der Unterschied der zweckgerichteten mittelbaren Beeinträchtigungen zu den "influenzierenden" Einwirkungen besteht darin, daß bei ersteren Adressaten und Betroffene der staatlichen Maßnahme nicht identisch sind. Der Zweck dieser Maßnahmen ist auf die Erreichung eines bestimmten Erfolgs und - damit notwendig verbunden auf die Einschränkung einer grundrechtlichen Freiheit gerichtet. Die Ver-
1
Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705.
2
Friauf, DVBl. 1971,674 ff. (679); Ossenbühl, Umweltpflege, S. 8 ff. Vgl. zu solchen Formen mittelbaren Zwangs, die in allen Rechtsgebieten vorkommen, Pestalozza, Formenmißbrauch, S. 146 (insbesondere Fn. 47); Grabitz, Freiheit, S. 27; Krause, Rechtsformen, S. 361 ff.; Schwabe, Probleme, S. 180 f.; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 35 f. Als Beispiele nennt Krause etwa Versprechungen, Überredungen, Verlockungen, Verführungen, Appelle, Prämien, Anreize, Drohungen, Warnungen, Empfehlungen, Boykottaufrufe, Werbung, Prädikatisierung, Manipulationen, psychologischer Zwang usw., aber auch die bloße staatliche Information, (Rechtsformen, S. 361 ff., 331 ff.). 3
4
Zum Begriff Scheuner, Planung, S. 83 f.
Vgl. nur Selmer, Steuerinterventionismus, S. 209 ff.; Kirchhof, Verwalten, S. 30 ff.; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rn. 26.
Abschnitt 1: Fallanalysen
189
waltung sucht diesen Zweck jedoch nicht "unmittelbar", sondern auf einem "Umweg", über die Beeinflussung (Zwischenursache) des Verhaltens Dritter zu erreichen. Gerade in jüngster Zeit mußten sich Rechtsprechung und Literatur häufiger mit derartigen Steuerungsformen befassen. Typische Beispielsfälle solcher finaler Drittbeeinträchtigungen sollen im folgenden analysiert werden. A. Staatliche Warnungen und Empfehlungen
L Produktbezogene Warnungen und Empfehlungen Eine wichtige und äußerst aktuelle Fallgruppe finaler Drittbeeinträchtigungen bilden produktbezogene Warnungen und Empfehlungen, die Behörden meist zum Zwecke des Gesundheits- oder Umweltschutzes oder der Kostendämpfung im Gesundheitswesen an Private richten5. 1. Die Arzneimittel-Transparenzlisten 6 Die sog. Transparenzkommission wurde vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit im Jahre 1977 aufgrund eines Kabinettsbeschlusses und einer Entschließung des Deutschen Bundestags berufen und beim Bundesgesundheitsamt institutionalisiert. Ihre Aufgabenstellung sowie das Verfahren waren in einer vom zuständigen Bundesminister erlassenen und im Bundesanzeiger amtlich bekanntgemachten Geschäftsordnung geregelt7. Nach § 1 I der Geschäftsordnung hatte die Kommission die Aufgabe, eine pharmakologisch-therapeutische und preisliche Transparenz für Fertigarz5
Daß es sich hierbei um eine höchst brisante, rechtlich und verwaltungspraktisch komplizierte und in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nicht zu unterschätzende Materie handelt, belegt z.B. das 1988 vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. veranstaltete Forum zu "Zulässigkeit und Grenzen der öffentlichen Warnung vor Lebensrnitteln", BLLForum, S. 1 ff. Neben den hier herausgegriffenen finden sich weitere Beispielsfälle bei Philipp, Verbraucherinformationen, S. 5 ff.; Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705; Sodan, DÖV 1987, 858 (859); Mohr, N + R 1989,104; Gröschner, DVB1.1990,619 ff. Daß die Problematik allerdings nicht völlig neu ist, beweist ein Urteil des Preuß. OVG aus dem Jahre 1913, wo es um die Klage gegen die Veröffentlichung amtlicher Milchuntersuchungsergebnisse unter Nennung der Namen der Milchhändler durch die Polizeiverwaltung ging (Preuß. OVG v. 8.12.1913, E 66,316 [317 ff.]). 6
Vgl. dazu insbesondere BVerwGE 71,183 ff. sowie die Entscheidungen der Vorinstanzen VG Berlin, Pharma Recht 1981, 169 ff. und OVG Berlin, Pharma Recht 1984, 214 ff. Aus der Literatur Sodan, Funktionsträger, S. 217 ff., 525 ff.; ders., DÖV 1987, 858 ff. (860 ff.); Borchert, NJW 1985,2741 ff.; Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 715 ff. 7
BAnz. Nr. 135 v. 23.7.1977.
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
neimittel herbeizuführen und "Übersichten über alle wesentlichen apothekenpflichtigen Arzneimittel" aufzustellen; die Fertigarzneimittel wurden in den Transparenzlisten mit Angaben zu Wirkungen, Preisen sowie sog. Qualitätssicherungskennzeichen8 aufgeführt. Durch die Aufstellung der Listen sollte eine "zweckmäßige und kostenbewußte Therapientscheidung erleichtert werden"9. Das ausdrücklich formulierte Ziel ist eine "preisdämpfende Beeinflussung des Arzneimittelpreisniveaus" dadurch, daß der Arzt sich einen besseren Überblick über das Angebot von Arzneimitteln verschaffen könne und damit seiner Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verordnungsweise besser entsprechen könne10. Da nach dem in § 368 e RVO verankerten Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Patientenversorgung in der öffentlichen Krankenversicherung der Versicherte für die Erzielung des Heilerfolgs nicht notwendige oder unwirtschaftliche Leistungen nicht beanspruchen kann und der an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt solche Leistungen grds. nicht verordnen darf, ist der Arzt grds. gehalten, bestehende Vergleichslisten zu berücksichtigen11. Dies führt vor allem dazu, daß Präparate, die billiger sind oder keine positiven Qualitätssicherungskennzeichen erhalten haben, von den Ärzten kaum noch verschrieben werden und es dadurch beim jeweiligen Hersteller zu beträchtlichen Ab-
g Diese sollten ebenfalls der preislichen Transparenz dienen, da nach Auffassung der Transparenzkommission (Tätigkeitsbericht 1977-81, S. 17) mit dem Preis auch die Qualität bezahlt wird und eine unterschiedliche pharmazeutische Qualität u.U. Unterschiede im Preis rechtfertigen kann. Die Qualitätssicherungskennzeichen dienen der ständigen Sicherung der Qualität in der laufenden Produktion, d.h. sie sollen gewährleisten, daß ein Arzneimittel von Packung zu Packung durchgehend die geforderte Qualität aufweist (vgl. dazu OVG Berlin, Pharma Recht 1984, 214 (215, 221)). Vergeben werden die Qualitätssicherungskennzeichen I, R, G, H, F und Β entsprechend den Qualitätsparametern Identität, Reinheit, Gehalt, Haltbarkeit,9Freisetzung und Bioverfügbarkeit (vgl. Sodan, Funktionsträger, S.234). Vgl. § 11 der Geschäftsordnung der Transparenzkommission. 10 Vgl. Nr. 4 der Allgemeinen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über Regelungen auf dem Arzneimittelmarkt, BR-Drucks. 632/75, S.1 der Begründung, und die Allgemeine Begründung zum Beschluß der Bundesregierung über "Eckwerte zur Neuordnung des Aizneimittelmarktes", Anlage 1 zur Niederschrift über die 358. Sitzung des Wirtschaftssausschusses des Bundesrates am 13.11.1975, S. 3 f. 11 Der Arzt muß mit Hilfe der Liste im Rahmen des Zumutbaren prüfen, wie sich der Heilerfolg am wirtschaftlichsten erreichen läßt. Im Ergebnis kann er jedoch auch ein teuereres Arzneimittel verordnen, wenn er es medizinisch für angebracht hält, vgl. Nr. 10 der Arzneimittel-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 719, sieht deshalb im Einzelfall eine Beschränkung der Therapiefreiheit durch die Transparenzlisten nicht für gegeben an, glaubt aber, daß das Verschreibungsverhalten der Kassenärzte auf die Masse der Einzelfälle gesehen tendenziell wirtschaftlicher wird.
Abschnitt 1: Fallanalysen
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19
satzeinbußen kommt . Eine formellgesetzliche Grundlage für die Veröffentlichung der Transparenzlisten bestand nicht 13 . Der Struktur nach handelt es sich um finale Drittbeeinträchtigungen: Die Schmälerung der Gewinnerzielungsmöglichkeiten der Hersteller ist die notwendige Kehrseite des mit den Transparenzlisten verfolgten Zwecks einer Senkung des Arzneimittelpreisniveaus. Die Veröffentlichung der Transparenzlisten führt die möglichen wirtschaftlichen Einbußen der Hersteller jedoch nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar über Zwischenursachen herbei; diese bestehen vor allem im autonomen Verhalten der Arzte, die man als "Adressaten" der Listen betrachten kann. Erst deren Verhalten führt letztlich zu einer Beeinträchtigung Dritter, der Arzneimittelproduzenten. Schließlich ist von Bedeutung, daß die veröffentlichten Listen finden jeweiligen Arzt keine rechtliche Verpflichtimg begründen, diese zu beachten. Sie sollen lediglich eine "Entscheidungshilfe" sein, sind somit als schlichtes Verwaltungshandeln ohne Regelungscharakter einzustufen 14. 2. Warnungen und Empfehlungen des Umweltbundesamts Davon möchte ich zwei Fälle herausgreifen: a) In einer Kurzinformation des Umweltbundesamts vom 12.9.1984 wurde an den Verbraucher appelliert, "die von einem Waschmittelhersteller neu auf den Markt gebrachten Waschverstärkertücher" nicht zu kaufen. Diese seien "unnötig" und bedeuteten eine zusätzliche Belastung der Gewässer15. b) In einer gemeinsamen Stellungnahme von Umweltbundesamt und Bundesgesundheitsamt16 wurde zum Verzicht auf Toilettensteine aufgerufen. Sie wirkten vorwiegend als Geruchsübertöner, seien aber aus Gründen der Hygiene nicht erforderlich. Allerdings führten sie zu einer Belastung der Gewässer, des Wasserkreislaufs und der Luft mit biologisch schwer abbaubaren Stoffen. Beide Informationen haben Verbreitung in der Tagespresse gefunden. Für die rechtliche Problematik ist entscheidend, daß die Produkte allen 1
Zu dieser Einschätzung kommt auch das BVerwG, vgl. E 71,183 ff. A.A. Sodan, DÖV 1987, 858 ff. (864), der bestreitet, daß die Transparenzlisten bisher nennenswerte Auswirkungen auf das Verschreibungsverhalten der Ärzte und damit verbunden auf Umsatzeinbußen der Hersteller gehabt haben. 13
Vgl. BVerwGE 71,183 (198 f.).
14
BVerwGE 71,183 (191).
15
Nachweis bei Ossenbühl, Umweltpflege, S. 1.
16
Abgedruckt in Bundesgesundheitsblatt 28 (1985), S. 86 f.
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
gesetzlichen Vorschriften, Grenzwerten und Standards entsprechen17. Die Maßnahmen konnten deshalb von vornherein nicht auf Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Gefahrenabwehr gestützt werden 18. Auch hier handelt es sich nicht um ein Einschreiten mit rechtlich verbindlichen Ge- oder Verboten, sondern um auf staatlicher Autorität und behördlichem Sachverstand aufbauendes, willensbeeinflussendes und motivationsbestimmendes schlichtes Verwaltungshandeln19. Der von der Verwaltung bezweckte Erfolg des Verschwindens bestimmter Produkte vom Markt und damit zusammenhängend der Absatzrückgang bei den Produktherstellern tritt erst mittelbar aufgrund einer Entscheidung der Verbraucher ein, die Adressaten der behördlichen Empfehlung sind. ΛΛ
3. Kunststoffempfehlungen des Bundesgesundheitsamts
Das Bundesgesundheitsamt veröffentlicht fortlaufend Kunststoffempfehlungen im Bundesgesundheitsblatt, die regelmäßig den Arbeitsergebnissen der im Jahre 1957 vom BGA-Präsidenten berufenen Kunststoffkommis.
91
.
.
sion entsprechen. Die Empfehlungen stellen nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik fest, unter welchen Bedingungen Bedarfsgegenstände, die Kunststoffe oder andere Polymere enthalten, den sich aus § 30 Nr. 1 bis 3 und § 31 I des Lebensmittel- und BedarfsgegenständeG (LMBG) ergebenden Anforderungen entsprechen22. Da der Verwendung von Kunststoffen bei der Herstellung, Aufbewahrung und Verpackung von Lebensmitteln eine große Bedeutung zukommt, kaufen die gewerblichen Abnehmer in der Regel nur solche Stoffe und Stoffmischungen, die mit den Kunststoffempfehlungen in Einklang stehen23. Die Nichtempfehlung eines Stoffs wirkt sich mittelbar über das freiwillige Kaufverhalten der ge17 Einschlägig wären insoweit das Wasch- und ReinigungsmittelG in der Neufassung v. 5.3.1987, die Tensid-VO, zuletzt geändert durch VO v. 4.6.1986, und die Phosphathöchstmengen VO v. 4.6.1980. 18 Vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 3. 19 Die Konstruktion einer behördlichen Warnung als Duldungsbefehl und damit als Verwaltungsakt in VGH Stuttgart, DÖV 1957, 217, ist zwar unter Rechtsschutzgesichtspunkten verständlich, wird jedoch dem tatsächlichen Charakter einer Warnung nicht gerecht und muß deshalb 20 als gekünstelt abgelehnt werden. Zur Geschichte und den Wesensmerkmalen der Kunststoffkommission i.e. Sodan, Funktionsträger, S. 178 ff. 2 1 Vgl. Bundesgesundheitsblatt 1 (1958), S. 235. 2 2 2 3
Vgl. Sodan, DÖV 1987,858 (865).
Vgl. Sodan, DÖV 1987, 858 (865). Er bezeichnet deshalb die Aufnahme in die Empfehlungen als "Quasi-Zulassung".
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werblichen Abnehmer negativ auf den Umsatz der Stoffhersteller aus. Hauptzweck der Empfehlungen ist der Gesundheitsschutz, notwendige Kehrseite ist die Nichtabnahme bzw. NichtVerwendung der einschlägigen Stoffe mit der Folge wirtschaftlicher Nachteile fur den Hersteller. Eine formell-gesetzliche Grundlage für diese Empfehlungen bzw. die Tätigkeit der Kunststoffkommission überhaupt besteht nicht 24 . 4. Veröffentlichung einer Weinliste durch den Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit25 Nachdem in einem der Weine des Betreibers einer Weinabfüllerei Diethylenglykol (DEG) in einer Konzentration festgestellt wurde, die auch bei täglichem Genuß in größeren Mengen keine Gesundheitsschäden herbeiführt, wurde dieser Wein vom BMJFG in eine durch ihn veröffentlichte Liste DEG-haltiger Weine aufgenommen. Die Veröffentlichung führte dazu, daß sowohl der Umsatz mit den in der Liste namentlich aufgeführten Weinen wie auch der Umsatz mit anderen Weinen des Abfüllers zurückging. Nach §§ 3 IV, 8 I WeinG i.V.m. Art. 46 der VO 337/79/EWG ist die Beigabe von DEG in Wein und das Inverkehrbringen eines solchen Weins verboten. Soweit es um den Umsatzrückgang im Hinblick auf den in der Liste aufgeführten, gegen das WeinG verstoßenden Wein geht, handelt es sich um eine finale Drittbeeinträchtigung. Der Umsatzrückgang hinsichtlich der nicht auf der Liste befindlichen Weine war jedoch lediglich eine nicht bezweckte Nebenfolge der Veröffentlichung, sodaß insoweit eine Einordnung als nicht-finale Drittbeeinträchtigung erfolgen muß. IL Warnungen vor "lugendsekten" Besondere Aktualität weisen zwei Beispielsfälle auf, die jüngst Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen waren. 2 4 2 5
Vgl. Sodan, Funktionsträger, S. 554.
Dieser Sachverhalt liegt den Entscheidungen des OVG Münster NJW 1986, 2783 f. (einstweiliger Rechtsschutz) und GewArch 1988,11 ff. (Hauptsacheverfahren) zugrunde. Als weitere, vergleichbare Fälle, die ebenfalls vor allem in den 80er Jahren für erhebliches Aufsehen in der Öffentlichkeit gesorgt haben und bereits die Rechtsprechung beschäftigten, lassen sich nennen: Warnungen vor östrogenwirksamen Hormonen in Kalbfleisch (vgl. VG Münster NVwZ 1983, 238 f.); der Fall Birkel, in dem das Regierungspräsidium Stuttgart in einer Presseerklärung vom 15.8.1985 vor verunreinigtem Flüssigei in Eiernudeln warnte (LG Stuttgart, NJW 1989, 2257 ff.; OLG Stuttgart, WuR 1990,43 ff.); Verlautbarungen des Presse- und Verkehrsamtes einer Stadt über die Ergebnisse einer vom Umweltdezernat veranlaßten Untersuchung eines Produkts auf Radioaktivität (LG Bielefeld, NW VB1.1988,279 f.). 13 Roth
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1. In einem vom baden-württembergischen Innenministerium im Rahmen eines kriminalpolizeilichen Vorbeugungsprogramms herausgegebenen Faltblatt wird über jugendtypische Gefahrensituationen aufgeklärt und über richtiges Verhalten belehrt. Unter dem Stichwort "Sackgasse Jugendsekten" wird auf eine möglicherweise mit Gefahren verbundene Beeeinflussung Jugendlicher durch sog. Jugendsekten - ohne namentliche Nennung einzelner - hingewiesen und geraten, sich nach einem Kontakt Eltern, Lehrern oder Geistlichen anzuvertrauen. Gegen die weitere Verbreitung des Faltblatts klagt ein e.V. für spirituelle Therapie und Meditation, der der Verbreitung der Lehre von Bhagwan Shree Rajneesh und der Veranstaltung von Meditationen u.ä. dient . 2. In verschiedenen Verlautbarungen und Broschüren des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit sowie in Stellungnahmen eines zuständigen Staatssekretärs zur Problematik der "Jugendreligionen" finden sich auch speziell Äußerungen zur Bewegung der "Transzendentalen Meditation" nach Maharishi Mahesh Yogi. U.a. heißt es dort: Die Bewegung sei eine "fanatische Sekte", deren Praktiken einer "Gehirnwäsche" glichen und Hörigkeit und Persönlichkeitszerfall bei neuen Mitgliedern bewirkten; nach Aussagen von Ärzten könne die Anwendung von "TM" eine entspannende und positive Wirkung haben, bei labilen oder in Krisen befindlichen Meditierenden könne sie aber zu schweren psychischen Störungen führen, denen die nicht hinreichend ausgebildeten "TM"-Lehrer nicht entgegenwirken könnten. Auf Unterlassung bzw. Widerruf dieser Äußerungen klagen eine Gesellschaft, die die "TM" in der BRD verbreitet, sowie Lehrer und andere Mitglieder der "TM"-Bewegung27. In beiden Fällen handelt es sich um finale Drittbeeinträchtigungen. Die Beeinträchtigungen hegen vorwiegend in den Folgen, die die Warnungen für die Ausbreitung der angesprochenen Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft haben, insbesondere in einem Rückgang der "Nachfrage" bzw. der Anhängerzahl und damit verbunden einer schwindenden Bedeutung. Diese Folgen werden von den Behörden bezweckt, um von diesen Gemeinschaften ausgehende Gefahren für die Menschenwürde sowie Leben und Gesundheit potentieller Anhänger abzuwehren28. Sie treten aber erst mittelbar ein, da sie davon abhängen, daß sich die angesprochene Öffentlichkeit bzw. Teile davon entsprechend der Warnung verhalten und sich nicht darüber hinwegsetzen29. 2 6
S. VGH BW DÖV 1989,169 ff.
2 7
BVerwG JZ 1989, 997 ff.; BVerfG NJW 1989, 3269 ff.
2 8
Vgl. BVerwG JZ 1989,997 ff. (998 f.).
29 Auch das BVerwG stellt diese Warnungen strukturell ausdrücklich den Warnungen im Rahmen der staatlichen Verbraucher- und Umweltberatung gleich, JZ 1989,997 ff. (998).
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Β. Konkurrenzausschließende Subventionsrichtlinien
Bund und Länder fördern gemeinsam nach einem Rahmenplan aufgrund des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" vom 3.9.196931 bestimmte Investitionen in der Landwirtschaft. Der für die Durchführimg zuständige niedersächsische Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat Richtlinien zur Förderung von einzelbetrieblichen Investitionen erlassen, die u.a. bestimmen, daß bei Verfahren, in denen öffentliche Darlehn eingesetzt werden, als Betreuer die Niedersächsische Landgesellschaft (NLG) oder die Deutsche Gesellschaft für Landentwicklung (DGL) eingeschaltet werden müssen. Die Klägerin, eine GmbH mit dem Zweck, landwirtschaftliche Betriebe zu fördern und zu betreuen, klagt nun gegen den Minister, es zu unterlassen, durch Richtlinien die Subventionsbegünstigten zu hindern, die Klägerin als Betreuerin zu beauftragen. Da es Sinn der Richtlinie ist, andere Unternehmen als die NLG und die DGL und damit auch die Klägerin von der Tätigkeit als Betreuer auszuschließen32, handelt es sich um eine finale Beeinträchtigung. Die Mittelbarkeit besteht darin, daß Dritte - die Subventionsbegünstigten - eine Beauftragung der Klägerin mit Rücksicht auf den Inhalt der Richtlinie unterlassen.
30 3 1 3 2
Der Sachverhalt liegt der Entscheidung des BVerwGE 75,109 ff. zugrunde. BGBl. I, S. 1573. BVerwGE 75,109 (115).
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Abschnitt 2 Finale Drittbeeinträchtigungen als "mittelbare Grundrechtseingriffe"
Wie wir in Teil 2 gesehen haben, ist der Eingriffscharakter von Drittbeeinträchtigungen grundsätzlich unabhängig von der Handlungsform, der Zielrichtung der staatlichen Maßnahme oder einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Verwaltungshandeln und der hervorgerufenen Beeinträchtigung. Im Ausgangspunkt kommt es entscheidend auf die beeinträchtigende Wirkung des Verwaltungshandelns an. Zugleich wurde deutlich, daß die Grundrechte nicht vor jeder staatlich verursachten nachteiligen Betroffenheit des einzelnen schützen, sondern daß aus verschiedenen Gründen zusätzliche Kriterien zu fordern sind, die bloße Betroffenheiten zu Grundrechtseingriffen machen. Auf der Basis der Fallbeispiele soll im folgenden untersucht werden, ob und inwieweit das Kriterium der Finalität der Beeinträchtigung tauglich ist, grundrechtlich relevante Drittbeeinträchtigungen von bloßen "Betroffenheiten" abzugrenzen. A. Thematische Berührung grundrechtlicher Schutzbereiche
Vor dem Eingehen auf die Kernproblematik des "Eingriffs", also auf die Frage nach den "Qualitäten" der Beeinträchtigungen, vor denen die Grundrechte schützen, muß geklärt werden, welche Grundrechte der betroffenen Dritten in den vorliegenden Fällen thematisch berührt sind1. I. Warnungen und Empfehlungen 1. Produktinformationen Die aufgezeigten behördlichen Produktinformationen beeinflussen das Verhalten von Nachfragern auf dem Markt und können so zu Umsatzeinbußen bei den Produktherstellern führen 2. 1 In der Grundrechtsdogmatik wird insoweit ein "thematischer Schutzbereich", der die vom Grundrecht sachlich geschützten Befugnisse umfaßt, und ein "funktionaler Schutzbereich" unterschieden, der beschreibt, gegen welche Arten der Beeinträchtigung das Grundrecht schützt. Grundlegend Schwabe, Probleme, S. 152 f., 195; ähnlich Alexy, Theorie, S. 272 ff. (insb. 276 ff.). Ausdrücklich die Termini "thematischer" bzw. "funktionaler Schutzbereich" benutzen: Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 52 f.; Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 ff. (7 f., 9 f.); ders., Verbrauchslenkung, S. 715 ff. (722 f.); Sodan, DÖV 1987,858ff. (860 ff.).
2
Vgl. BVerwGE 71, 183 (190). Zusätzlich zu den Umsatzeinbußen selbst kann die Grundrechtsbeeinträchtigung auch darin bestehen, daß der Produkthersteller, um umsatz-
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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Da hier auf die Bedingungen der Teilnahme eines Unternehmers am Wettbewerb Einfluß genommen wird, gerät die Wettbewerbsfreiheit ins Bückfeld 3. Die Frage, welches Grundrecht den Schutz der Wettbewerbsfreiheit gewährleistet, wird unterschiedlich beantwortet. Vor allem die Rechtsprechung des BVerwG verortet die wirtschaftliche Wettbewerbsfreiheit in Art. 2 I GG. Die freie Persönlichkeitsentfaltung umfasse auch den grundrechtlichen Anspruch, durch den Staat nicht mit einem Wettbewerbsnachteil belastet zu werden, welcher in der verfassungsmäßigen Ordnung keine Begründung finde 4. Zu Recht wird heute wohl überwiegend Art. 121 GG als speziellere Gewährleistung herangezogen5. Da Beruf i.S. des Art. 12 I GG die auf Dauer berechnete und der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Betätigung ist 6 . muß darunter auch die Erwerbszwecken dienende freie unternehmerische Betätigung gefaßt werden. Nach der bestehenden Wirtschaftsverfassung muß das Verhalten des Unternehmers im wirtschaftlichen Wettbewerb als Teil dieser unternehmerischen Betätigung gesehen werden. Erst der Kontakt mit Kunden zum Absatz der Güter und Dienstleistungen ermöglicht es dem Unternehmer, seine Tätigkeit zur Lebensgrundlage und damit zum Beruf zu machen . Deshalb berühren zu Marktnachteilen bzw. Beeinträchtigungen der Wettbewerbstellung führende Beeinflussungen des wettbewerblichen Geschehens wie etwa die vorliegenden, auf das Verhalten der Nachfrager einwirkenden Produktinformationen - die Berufsausübung und sind grundsätzlich an Art. 121 GG zu messen8. schädigende Produktinformationen zu vermeiden, sich gezwungen sieht, umfangreiches Material über sein Produkt in das Verwaltungsverfahren einzubringen, vgl. BVerwGE 71,183 (196 f.). Zu diesen "faktischen Mitwirkungspflichten" Sodan, DÖV 1987,858 ff. (861). 3 Unter Wettbewerbsfreiheit wird allgemein das Recht verstanden, sich durch freie Leistungskonkurrenz auf dem Markt gegenüber anderen Unternehmern durchzusetzen, vgl. Huber, DÖV 1956, 135 (137); Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 I Rn. 48; Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, Rn. 267. 4 BVerwGE 17, 306 (309); 30, 191 (198); 60, 154 (159); 65, 167 (174); ebenso Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, Rn. 267; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 I Rn. 48; Philipp, Verbraucherinformationen, S. 134. Neuerdings läßt das BVerwG i.E. offen, ob Schutz durch Art. 12 GG oder Art. 2 I GG zu gewähren sei (BVerwGE 71, 183 [189 f.]), was u.U. auf eine Neuorientierung zugunsten Art. 12 GG hindeutet (so Knuth, JuS 1986,523 [528]). 5 BVerfGE 32, 311 (317); 46,120 (137); 50, 290 (361 f.); OVG Münster NVwZ 1984,522; Papier, DVBl. 1984,801 ff. (809); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 136; Brohm, Festschrift Menger, S. 245; Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 715 (721); Sodan, DÖV 1987, 858 ff. (860); Knuth, JuS 1986,523 (528); Schulte, DVBl. 1988,512 (515). 6
Vgl. schon BVerfGE 7,377 (397).
7
Knuth, JuS 1986,523 (528).
8
Ähnlich Schulte, DVBl. 1988, 512 ff. (515); Dolde, Gutachten, S. 20 f.; deis., BLLForum, S. 13. - Art. 2 I GG muß als Auffangnorm aus Gründen der Spezialität zurücktreten,
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Z.T. verneint man nun aber die thematische Einschlägigkeit des Art. 12 I GG bei sachlich zutreffenden behördlichen Warnungen, die sich auf gesundheitsgefährdende oder gesetzlichen Vorschriften (WeinG, LMBG) widersprechende Produkte beziehen9. Denn grundsätzlich schütze Art. 12 I GG nur die erlaubte sowie die für andere grundrechtsgeschützte Güter ungefährliche gewerbliche Betätigung Eine derartige Auffassimg ist m.E. äußerst problematisch. Zwar wird das "Erlaubtsein" der beruflichen Betätigung überwiegend als Bestandteil der Definition des Berufs i.S.d. Art. 12 I GG angesehen11. Es stellt sich jedoch die Frage nach dem Maßstab. Richtete sich das "Erlaubtsein" bereits nach einfachem Gesetzesrecht, so hätte es der Gesetzgeber in der Hand, eine Betätigung vom Schutz des Art. 12 GG auszunehmen, ja den thematischen Schutzbereich dieses Grundrechts jeweils zu verengen oder zu erweitern. Unter systematischen Gesichtspunkten bedenklich würde eine Begrenzung der Berufsfreiheit nicht - wie grundgesetzlich vorgesehen - auf den Einschränkungsvorbehalt des Art. 121S. 2 GG gestützt, sondern bereits zuvor, auf der Ebene der Schutzbereichsbestimmmung erfolgen. Die systematische Trennung zwischen Schutzbereich und Schranken würde auch dadurch aufgehoben, daß man im Falle von Gesundheitsgefahren für den Verbraucher keine "immanente Schranke", sondern bereits eine Verengung des Schutzbereichs annimmt. Auch damit würden besondere Anforderungen an Grwidiochtseinschrdnkungen, wie z.B. das Verhältnismäßigkeitsprinzip, umgangen. Aus diesen Gründen wird deshalb überwiegend vertreten, die Eigenschaft eines Berufs i.S.d. Art. 12 GG ginge nicht dadurch verloren, daß "sie durch einfaches Gesetz verboten und/oder für strafbar erklärt" wird , sondern die Reichweite des Berufsbegriffs könne nur durch
vgl. nur Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 136; Sodan, DÖV 1987, 858 (862). Damit ist jedoch noch nicht gesagt, ob auch der funktionale Schutzbereich einschlägig ist. 9 So hielt z.B. das OVG Münster in der oben erwähnten Entscheidung zu Weinliste den Schutzbereich des Art. 12 GG nicht für einschlägig, da die in die Liste aufgenommenen Weine tatsächlich Diethylenglykol enthielten und damit ihre Herstellung oder Inverkehrbringen gegen das WeinG verstießen. 10 So OVG Münster NJW 1986, 2783 f.; GewArch 1988,11 ff.; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 27 f.; Loschelder, BLL-Forum, S. 33 f.; Eckert, BLL-Forum, S. 36. 11
Vgl. BVerfGE 7, 377 (397) Apothekenurteil; 32, 311 (317); 46, 120 (137 f.); BVerwGE 22, 286 (287); 71, 183 (189); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 24 ff.; Gubelt, in: v. Münch, Art. 12 Rn. 8; a.A. etwa Berg, GewArch 1977,249 (254). 12
So BVerwGE 22, 286 (288) - Grundsatzentscheidung zur Ausübung der gewerbsmäßigen Astrologie; siehe auch Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 24 ff.; Gubelt, in: v. Münch, Art. 12 Rn. 9; Bachof, Freiheit des Berufs, S. 155 (190); Berg, GewArch 1977,249 ff., der überhaupt auf das Merkmal des Erlaubtseins verzichten will; Erichsen, Staatsrecht I, S. 8; ders., Jura 1985,66 (71); Dolde, Gutachten, S. 15 f.; ders., BLL-Forum, S. 13.
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Auslegung von Verfassungsbestimmungen ermittelt werden . Uberwiegend werden deshalb vom Berufsbegriff nur "schlechthin gemeinschädliche Betätigungen" ausgenommen14. Diese Schwelle wird nicht erreicht, wenn Unternehmer Produkte (Weine, Nudeln, Polymere) herstellen bzw. in Verkehr bringen, die in Einzelfällen - u.U. erst nach einer schwierigen wissenschaftlichen Beurteilung - als gesundheitsgefährlich bzw. gesetzeswidrig angesehen werden. In solchen Fällen kann deshalb an der thematischen Einschlägigkeit des Grundrechts aus Art. 12 GG kein Zweifel bestehen15. Umstritten ist, ob in Fällen wettbewerbsbeeinflussender Produktinformationen auch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG einschlägig ist 16 . Das BVerfG grenzt die beiden Schutzbereiche mit der bekannten Formel ab, Art. 14 I GG schütze das Ergebnis der Betätigung, das Erworbene, Art. 12 GG den Erwerb, die Betätigung selbst17. Als Erworbenes kommt hier zum einen der als Bestandteil des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs 18 gewährleistete und nun gefährdete Kundenstamm in Betracht, zum anderen bereits hergestellte, infolge der Information wertlos gewordene Produkte 19. Der Fall behördlicher Produktinformationen zeigt, 13
BVerwGE 22, 286 (288); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 25 ff. Bestätigung erfährt diese Auffassung durch Entscheidungen des BVerfG, in denen Art. 12 GG auch auf gesetzlich verbotene Betätigungen angewandt wurde, BVerfGE 21, 261 (267 ff.); 52, 311 (317); 40, 371 (382 f.). 14 BVerwGE 22, 286 (289) unter Betonung der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person, die auch die Funktion der Grundrechte bestimmten. Gubelt, in: v. Münch, Artl2 Rn. 9; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 25. Als Beispiele werden etwa Berufsverbrecher und Prostituierte (BVerwGE 22, 286 (289) sowie Rauschgiftdealer genannt (Tettinger, AöR 108 (1983), 92 (98)). 15 So auch Erichsen, JK 1987, GG Art. 12,14/2; Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 (2712 Fn. 74); Sodan, DÖV 1987,858 ff. (861); Dolde, Gutachten, S. 15 f.; ders., BLL-Forum, S. 13. 16
Vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 43 ff.; Schwerdtfeger, Veibrauchslenkung, S. 721 f.; Pinger, JuS 1988, 53 ff. (56); Sodan, DÖV 1987, 858 ff. (861 f.); Schulte, DVBl. 1988, 512 ff. (515 f.). Das BVerwG geht im Transparenzlisten-Urteil (E 71,183 ff.) auf Art. 14 GG nicht ein. - Zur Abgrenzung von der nicht grundrechtsrelevanten bloßen Veränderung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen siehe unten B, III, 3. 1 7
BVerfGE 30, 292 (334) im Anschluß an Wittig, NJW 1967, 2185 (2188). Dazu auch Gubelt, in: v. Münch, Art. 12 Rn. 93. 18 Schutzgut der Eigentumsgarantie ist nach allgemeiner Auffassung auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, vgl. BGHZ 23,157 (162); 45,150 (155); 78,41 (44); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 96; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 106. Mit Einschränkungen Jarass/Pieroth, Art. 14 Rn. 7. Vom BVerfG wird dies neuerdings in Frage gestellt, vgl. BVerfGE 51, 193 (221 f.); 58, 300 (353). Dazu auch Bryde, in: v. Münch, Art. 14 Rn. 18. 19 So Ossenbühl, Umweltpflege, S. 45 f.; Schulte, DVBl. 1988, 512 ff. (515 f.); Schwerdtfeger, Veibrauchslenkung, S. 721, der etwa im Fall der Transparenzlisten als ge-
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daß Erwerb und Erworbenes nicht immer klar zu trennen sind und beide gleichzeitig beeinträchtigt sein können . Auf der einen Seite steht die beeinträchtigte Wettbewerbsfreiheit als Teil der unternehmerischen Berufsfreiheit, auf der anderen Seite die Beeinträchtigung der Substanz21 des Gewerbebetriebs durch Schmälerung des Kundenstamms und Wertloswerden bereits hergestellter Produkte. Die staatliche Einschränkung ist also sowohl tätigkeits- wie auch objektbezogen. Die Einstufung eines der beiden Grundrechte als lex specialis muß ausscheiden, da keines "nach seinem Sinngehalt die stärkere sachliche Beziehung zu dem zu prüfenden Sachverhalt" aufweist 22. Der in Fällen vorliegender Art enge funktionale Zusammenhang zwischen beruflicher Betätigung und Substanz des Gewerbebetriebs 23 führt im Ergebnis dazu, daß in den Fällen behördlicher Produktinformationen neben der Berufsfreiheit aus Art. 12 auch die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 GG einschlägig ist 24 . 2. Warnung vor Jugendsekten Thematisch können Warnungen vor Jugendsekten vor allem den Schutzbereich der Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 I GG berühren. Der Begriff der Religion oder Weltanschauung beschränkt sich nicht auf Glaubensüberzeugungen i.S.d. Christentums bzw. eines personalen Gotts, sondern umfaßt jedes Bekenntnis, das von einer den Menschen überschreitenden, transzenschütztes Objekt das (eventuell über hohe Forschungskosten) "entwickelte Arzneimittel" ansieht. 20 Zur Kritik an der Abgrenzungsformel des BVerfG vor allem Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 140 ff., der zutreffend feststellt, es gehe häufig nur um einen zeitlich-phasenmäßigen Unterschied in der jeweiligen Freiheitsbetätigung, also nicht um einen auch qualitativen Rechtsunterschied; zumeist sei deshalb ein Eingriff in die gewerbliche Betätigung auch als Eingriff 21in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs anzusehen. Art. 14 I GG schützt das wirtschaftliche Unternehmen mit seinen personellen und gegenständlichen Grundlagen, die Sach- und Rechtsgesamtheit des Betriebs in ihrer Substanz, vgl. BVerfGE 13,225 (229 f.); BVerfGE 30,292 (332); Ossenbühl, Umweltpflege, S. 45. 2 2 Vgl. zu dieser Formel BVerfGE 64, 229 (238 f.); 65, 104 (112 f.); 67, 186 (195); Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 15. 23 Dazu insbesondere Scholz, in: Maunz/Dürig, Art 12 Rn. 138 ff.; ders., Wirtschaftsaufsicht, S. 128 f., wo er aufgrund des funktionalen Zusammenhangs i.E. die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung den Grundrechten Art. 12 und 14 GG zuordnet. 2 4 So auch Ossenbühl, Umweltpflege, S. 43 ff.; Dolde, Gutachten, S. 20; ders., BLLForum, S. 13; Sodan, DÖV 1987, 858 ff. (862); Schulte, DVB1. 1988, 512 ff. (516); Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 721; aj\. Pinger, JuS 1988,53 ff. (56). Daß zwischen Art. 12 und Art. 14 GG Idealkonkurrenz bestehen kann, hat auch das BVerfG verschiedentlich anerkannt, vgl. BVerfGE 8, 71 (79 ff.); 21,150 (154 f.); 50, 290 (339 ff., 361 ff., 365). Idealkonkurrenz bejaht auch Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 208.
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
201
denten Wirklichkeit ausgeht und sich mit dem Sinn und der Bewältigung der menschlichen Existenz auseinandersetzt25. Diese Voraussetzungen sahen die Gerichte in den beiden dargestellten Fällen als gegeben an 26 . Da nach allgemeiner Auffassung zur geschützten Tätigkeit auch das Werben und die Verbreitung der Überzeugung sowie die Ausbreitung der Gemeinschaft gehören 27, wird der thematische Schutzbereich des Art. 41 GG durch eine an die Öffentlichkeit gerichtete behördliche Warnung vor der Gemeinschaft grundsätzlich tangiert. IL Konkurrentenausschluß
durch Subventionsrichtlinien
Hier erscheint die thematische Einschlägigkeit des Art. 12 GG relativ unproblematisch. Die Tätigkeit als Förderer und Betreuer landwirtschaftlicher Betriebe ist offensichtlich als Beruf i.S.d. Art. 12 I GG zu werten. Da die Richtlinien den Sinn und die Wirkung haben, die Firma von der Tätigkeit als Betreuer auszuschließen, Hegt eine thematische Berührung der Berufsfreiheit vor 28 .
25
BVerfGE 24, 236 (246); BVerwGE 61, 152 (154); vgl. auch v. Münch, in: deis., Art. 4
Rn. 19. 2 6
VGH BW DÖV 1989,169 (170); BVerwGE JZ 1989,997 (998).
2 7
BVerfGE 24,236 (245); 32,98 (106 f.); BVerwGE 30,29 (30 f.); JZ 1989,997 (998).
90 Ä
BVerwGE 75, 109 (114); Erichsen, JK 1987, GG Art. 12 1/16. Drei spezielle, in dem entschiedenen Fall auftauchende Bedenken gegen die Einschlägigkeit des Art. 12 GG räumte das BVerwG aus (114 f.): Zunächst spiele es keine Rolle, daß die erstrebte Tätigkeit nur eine Berufsergänzung und damit eine Frage der Berufsausübung sei, weil auch diese in den Schutzbereich falle und dem gesetzlichen Regelungsvorbehalt unterliege. Weiterhin schließe die Tatsache, daß die Tätigkeit als "Betreuerin" im Zusammenhang mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe (Förderung von Investitionen in der Landwirtschaft) stehe, die Anwendung des Art. 12 GG nicht aus, nach der Rechtsprechung des BVerfG erfasse Art. 12 GG grundsätzlich auch Tätigkeiten, die dem Staat vorbehalten seien, sowie "staatlich gebundene Berufe" (BVerfGE 7, 377 (397). Und da das Grundrecht der Berufsfreiheit "zukunftsgerichtet" sei (BVerfGE 30, 292 (334), verringere sich der Schutz auch nicht dadurch, daß die Firma bisher als Betreuerin noch nicht tätig geworden sei.
202
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
B. Der Eingriffscharakter finaler Drittbeeinträchtigungen
L Meinungsstand 1. Die Rechtsprechung Das BVerwG sieht die Tatsache, daß die Verwaltung eine durch ihr Handeln verursachte Drittbeeinträchtigung bezweckt hat, als eingriffsauslösend an und erklärt somit die Finalität der Drittbeeinträchtigung zu einem tauglichen Abgrenzungskriterium zwischen nicht grundrechtsrelevanten bloßen tatsächlichen Betroffenheiten und echten Grundrechtseingriffen 29. Im Fall der Transparenzlisten führt das Gericht aus, daß nicht jede staatliche Maßnahme, mit der für einen Unternehmer nachteilige Veränderungen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse verbunden seien, schon allein deshalb als Grundrechtseingriff zu verstehen sei. Denn ein Unternehmer müsse stets die "Dynamik der seine Erwerbstätigkeit maßgeblich beeinflussenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Rechnung stellen"30. Der grundrechtlichen Irrelevanz genereller Veränderungen von Rahmenbedingungen stellt das BVerwG nun aber Maßnahmen gegenüber, mit denen der Staat zielgerichtet gewisse Rahmenbedingungen verändert, um zu Lasten bestimmter Unternehmen einen im öffentlichen Interesse erwünschten Erfolg herbeizuführen. Die Schmälerung der Gewinnerzielungsmöglichkeiten der Arzneimittelhersteller als notwendige Kehrseite einer Kostendämpfung auf dem Arzneimittelmarkt werde nicht "lediglich als Begleiterscheinung in Kauf ge2 9 BVerwGE 71, 183 (193 f.); 75,109 (115) sowie JZ 1989, 997 ff. (998). Im Transparenzlisten-Urteil macht das BVerwG allerdings die Eingriffsqualität kumulativ davon abhängig, daß die Einwirkung auf die Erwerbsbedingungen der Marktteilnehmer "final und grundrechtsspezifisch" erfolgt. Dem Merkmal " gru ndrechtsspczifisch" kommt dabei aber wohl keine eigenständige Bedeutung zu: Ossenbühl, Umweltpflege, S. 31, versteht tautologisch als grundrechtsspezifisch die Einwirkungen, die in den Schutzbereich eines Grundrechts eingreifen. Das OVG Münster faßt als grundrechtsspezifisch eine Einwirkung auf, die mit "objektiv berufsregelnder Tendenz" erfolgt (NJW 1986, 2783); es greift damit ein Merkmal auf, das nach der Rechtsprechung des BVerfG die Grundrechtsrelevanz der Lenkungswirkung von Steuergesetzen begründet (vgl. zu dieser Rechtsprechung oben Teil 2, Abschnitt 2, B, II, 2, a. Da eine den Wettbewerber zielgerichtet und wirksam beeinflussende Informationstätigkeit eine objektive Beeinflussungstendenz immer als Minus enthalten wird, wird auch dadurch eine Relevanz dieses Kriteriums nicht begründet (vgl. auch Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. [2709]). Schließlich macht das BVerwG selbst zur Begründung der These, die Veröffentlichung der Transparenzlisten stelle eine "grundrechtsspezifische Einschränkung der unternehmerischen Betätigungsfreiheit" dar, nur Ausführungen zur Finalität und zur faktischen Betroffenheit ( BVerwGE 71, 183 [194]). Im Jugendsekten-Urteil taucht das Merkmal nicht mehr auf (JZ 1989, 997 ff.). Eine eigenständige Relevanz der "Grundrechtsspezifität" leugnen auch LübbeWolff, NJW 1987,2705 ff. (2709) sowie Schulte, DVB1.1988,512 ff. (517). 3 0
BVerwGE 71,183 (193).
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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nommen", sondern es handele sich um einen nachteiligen Effekt, auf den die staatliche Maßnahme eindeutig abziele und der deshalb in den Schutzbereich des Art. 121 GG einzubeziehen sei 31 . Im Schrifttum wird der Vorwurf erhoben, das auf Finalität abstellende BVerwG stünde im Widerspruch zur allgemeinen Tendenz im Schrifttum und der Rechtsprechung im übrigen, den Grundrechtsschutz nicht von formalen Kriterien wie Unmittelbarkeit, Finalität oder einer bestimmten Handlungsform der Verwaltungsmaßnahme, sondern grundsätzlich vom nachteiligen Effekt abhängig zu machen32. Ein solcher Widerspruch ist aber schon deshalb nicht gegeben, weil die Finalität der Drittbeeinträchtigung nach dieser Rechtsprechung zwar ein sicheres, aber nicht auschließliches Kriterium für die Grundrechtsrelevanz von Drittbeeinträchtigungen sein soll. Dies wird an verschieden Punkten deutlich. Sowohl im Transparenzlisten-Urteil wie in der Entscheidimg zu den Subventionsrichtlinien hat der Senat zunächst ansatzweise den Ausgangspunkt seiner dogmatischen Vorstellung vom Grundrechtseingriff verdeutlicht: Da die Funktion der Grundrechte darin bestehe, "bestimmte Freiheitsbereiche wirksam zu schützen", sei der Grundrechtsschutz nicht generell auf einen bestimmten Eingriffstyp beschränkt 33. Die grundsätzliche, wenn auch nicht sehr aussagekräftige Regel für die Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen lautet: Unter Berücksichtigung der Schutzfunktion des jeweiligen Grundrechts kann - je nach Art und Ausmaß - auch eine tatsächliche Betroffenheit des Grundrechtsträgers einen Grundrechtseingriff bedeuten34. Die Rechtsprechung, 3 1
BVerwGE 71,183 (194).
3 2
Sodan, Funktionsträger, S. 524 f.; ders., DÖV 1987, 858 ff. (864); Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 ff. (2710); Schulte, DVBl. 1988, 512 (516 f.). Beispielsweise hat der 7. Senat des BVerwG eine mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung im Wege wettbewerbsverzerrender staatlicher Subventionierung eines Konkurrenten von einer besonderen Intensität, nicht aber von der Finalität der Beeinträchtigung abhängig gemacht, BVerwGE 30, 191 (198 f.); 60, 154 (160); 65, 167 (174). Dazu i.e. unten Teil 4. Und das BVerfG hat zur Frage der grundrechtsbeeinträchtigenden Lenkungswirkung von Steuergesetzen eine Tangierung des Grundrechts der Berufsfreiheit lediglich von einer objektiv berufsregelnden Tendenz, nicht aber davon abhängig gemacht, daß die Absicht des Gesetzgebers auf eine Berufsregelung gerichtet sein müsse, vgl. bereits oben Teil 2, Abschnitt 2, Β, II, 2, a. 3 3 3 4
BVerwGE 71,183 (192).
BVerwGE 71, 183 (191); 75,109 (115). Konsequent vertritt das Gericht, daß es deshalb auf die Handlungsform bzw. den Umstand einer nur mittelbar bewirkten Beeinträchtigung nicht ankomme: In beiden Entscheidungen macht das Gericht klar, daß nicht nur obrigkeitliche Regelungen, Ge- und Verbote Eingriffscharakter haben. Auch die Transparenzlisten als bloße mit amtlicher Autorität augestatteten "Entscheidungshilfen" für den Aizt sowie die Subventionsrichtlinien als verwaltungsinterne, den Bürger nicht bindende Normen können deshalb Eingriffe sein. Weiter wird im Transparenzlisten-Urteil ausgeführt, einer Grundrechtsbeeinträchtigung stehe nicht entgegen, daß "die Veröffentlichung der Transparenzlisten nur mittel-
204
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
auf die das BVerwG zur Untermauerung seiner These an dieser Stelle Bezug nimmt, läßt eindeutig erkennen, daß es unter bestimmten Voraussetzungen auch Grundrechtseingriffe durch nicht-finale Drittbeeinträchtigungen für möglich hält 35 . Zugleich erkennt das Gericht aber auch die Notwendigkeit von den Schutzbereich eingrenzenden Kriterien, da die "Grundrechte nicht schon vor jeder nachteiligen Betroffenheit schützten"36. Während es nun im Transparenzlisten-Urteil den Grundrechtseingriff lediglich mit der Finalität der Beeinträchtigung begründet, ohne ausdrücklich zur Relevanz anderer Beeinträchtigungsarten Stellung zu nehmen, enthält die Entscheidung zu den Subventionsrichtlinien eine klarstellende Ergänzung. Dort heißt es im Anschluß an die grundsätzliche Aussage, Grundrechte schützten auch vor tatsächlichen Auswirkungen hoheitlicher Maßnahmen: "In jedem Falle aber wird in das Grundrecht der Berufsfreiheit dann eingegriffen, wenn eine an Dritte gerichtete staatliche Maßnahme gezielt die Berufsausübung eines Grundrechtsträgers einschränken soll" . Gegen die These vom "Widerspruch" spricht schließlich auch die Bestätigung, die die bisherige Judikatur des 3. Senats durch den 7. Senat im Urteil zu den Warnungen vor Jugendsekten jüngst erfahren hat. Dort werden die durch negative öffentliche Äußerungen hervorgerufenen Folgen für die Ausbreitung einer Religionsgemeinschaft dem Staat vor allem deshalb als Grundrechtseingriff zugerechnet, weil sie - soweit sie das Verhalten der gewarnten Öffentlichkeit betreffen - von der Behörde beabsichtigt sind 38 . Im Ergebnis bleibt deshalb festzuhalten, daß das BVerwG in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung die Finalität einer Drittbeeinträchtigung als ein Kriterium begreift, welches den Eingriffscharakter von Drittbeeinträchtigungen begründet, daß es aber die Eingriffsqualität nicht-finaler Drittbe-
bare Wirkung entfalten und die möglichen wirtschaftlichen Nachteile für den Arzneimittelhersteller allein auf dem autonomen Verhalten Dritter beruhen, nämlich der Ärzte und der Konkurrenten (BVerwGE 71, 183 [191]. Im Subventionsrichtlinien-Fall heißt es insoweit, die Grundrechtsbeeinträchtigung könne "auch nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß es Dritte - nämlich die Subventionsbegünstigten - sind, die eine Beauftragung der Klägerin unterlassen und damit ihre Tätigkeit als Betreuerin verhindern" (BVerwGE 75,108 [115 f.]. 35 So verweist es etwa auf die Rechtsprechung des BVerwG zur auf Art. 21 GG gestützen Konkurrentenklage gegen die Subventionierung eines Wettbewerbers, BVerwGE 30,191 (197 ff.);3660,154 (160). BVerwGE 71,183 (192): Wann eine relevante Beeinträchtigung des Grundrechts vorliege, solle materiell nach Maßgabe des Schutzzwecks des jeweiligen Grundrechts ermittelt werden. 3 7 BVerwGE 75,109 (115). 3 8
JZ 1989,997 (998).
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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einträchtigungen nicht ausschließt . Unabhängig von der Handlungsform der staatlichen Maßnahme und der Geschlossenheit der Ursachenkette sollen die Grundrechte jedenfalls vor zielgerichteten faktischen Beeinträchtigungen, insbesondere auch Drittbeeinträchtigungen schützen. Soweit ersichtlich waren finale Drittbeeinträchtigungen ansonsten bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung40. Ein Teil der verwaltungsgerichtlichen und oberverwaltungsgerichtlichen Judikatur hat den Eingriffscharakter finaler Drittbeeinträchtigungen, etwa im Fall der Transparenzlisten, mit der Begründung verneint, kein Unternehmer könne darauf vertrauen, daß bestehende rechtliche oder wirtschaftliche Vorteile für ein Produkt erhalten blieben. Da kein Arzneimittelhersteller ein subjektives verfassungskräftiges Recht auf Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten aus der Undurchsichtigkeit des Angebots auf dem Arzneimittelmarkt besitze, seien grundrechtliche Normbereiche im Falle sachlich zutreffender Informationen nicht berührt 41 . Demgegenüber folgt z.B. das OVG Münster in seiner Entscheidung zur Weinliste im Ausgangspunkt der These des BVerwG, finale Drittbeeinträchtigungen könnten einen Grundrechtseingriff bedeuten. Es miß-versteht jedoch die höchstrichterliche Rechtsprechimg und damit die Finalität als abschließende Eingriffsvoraussetzung und schließt deshalb eine Grundrechtsrelevanz von Umsatzrück^ängen bei nicht auf die Weinliste gesetzten Weinen von vornherein
2. Das Schrifttum Das Schrifttum bewertet die Bedeutung des Finalitätskriteriums unterschiedlich. Zunächst sind Stimmen aus der älteren Literatur zu erwähnen, die die grundrechtliche Relevanz faktischer Beeinträchtigungen nur unter der zusätzlichen Voraussetzung anerkennen, daß diese mit der staatlichen
39 Ahnlich auch die Bewertung der Rechtsprechung durch Erichsen, JK1987, GG Art. 12 1/16; 40 Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988,373 ff. (377); Dickersbach, JöR 1988,453 ff. (477). Das die Entscheidung zur Warnung vor Jugendsekten bestätigende Urteil des BVerfG äußert sich nicht zum Aspekt der Finalität, NJW 1989,3269 ff. 4 1 Vgl. VG Berlin, Pharma Recht 1981, 169 ff.; OVG Berlin, Pharma Recht 1984, 214 ff. Zu diesen Einwänden unten Β, ΠΙ, 3. 4 2 OVG Münster NJW 1986, 2783 f. Die Entscheidung des VGH BW zur öffentlichen Warnung vor Jugendsekten gibt zur Grundrechtsrelevanz des Finalitätskriteriums nichts her, DÖV 1989,169 ff. (170).
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
Maßnahme bezweckt sind 43 . Zur Begründung wird hervorgehoben, daß insbesondere die sozialgestalterische Aktivität des Staates im Falle einer Grundrechtsrelevanz aller, auch objektiv-zufälliger Folgen staatlichen Handelns gelähmt würde 44 . Nach dieser Auffassung können allein finale Drittbeeinträchtigungen grundrechtliche Schutzbereiche berühren. In neuerer Zeit folgt ein gewichtiger Teil der Literatur der Rechtsprechung des BVerwG und hält einen Grundrechtseingriff jedenfalls im Falle finaler Drittbeeinträchtigungen für gegeben, jedoch ohne dies näher zu begründen 45. Wenn Ziel des Verwaltungshandelns die Beeinträchtigung einer grundrechtlichen Freiheit sei, komme es auf die Handlungsform sowie auf die Länge der Kausalkette zwischen Verwaltungshandeln und beeinträchtigender Wirkung nicht an 46 . Ganz im Sinne des BVerwG wird die Abwehrfunktion der Grundrechte jedoch nicht auf finale Drittbeeinträchtigungen beschränkt, sondern offengehalten auch für Beeinträchtigungen, die von der Verwaltung nicht bezweckt werden 47. Allerdings wird in der Literatur gerade in jüngster Zeit auch heftige Kritik an der Anwendung des Finalitätskriteriums im Zusammenhang mit der Frage der Grundrechtsrelevanz behördlicher Produktinformationen geübt48. Mit dieser Kritik einher geht der Versuch, den Eingriffscharakter mittelbarer Beeinträchtigungen mit Hilfe anderer Kriterien oder Kriterienbündel zu begründen. Der auf Finalität abstellenden Rechtsprechung wird vorgeworfen, sie beruhe lediglich auf "pragmatischen" Erwägungen, die einen ausufernden, dem Gemeinwesen abträglichen Grundrechtsschutz vermeiden wollen 49 . Im Unterschied zu der sich immer mehr durchsetzenden Auffassung, den Grundrechtsschutz nicht von formalen Kriterien, wie Unmittelbarkeit, Finalität oder einer bestimmten Handlungsform der Verwaltungsmaßnahme, sondern grundsätzlich vom nachteiligen Effekt abhängig zu machen, ent-
4 3
So für den Bereich wirtschaftslenkender Maßnahmen Friauf, DVB1. 1971, 674 ff. (681 f.); Forsthoff, Über Mittel und Methoden moderner Planung,S. 21 ff. (33). 4 4
So Friauf, DVB1.1971,674 ff. (681 f.).
4 5
Ossenbühl, Umweltpflege, S. 29 ff. (30 f.); Erichsen, JK 1987, GG Art. 121/16; Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (377); Brohm, JZ 1989, 324 ff. (326 f.). Zuvor bereits Erichsen, Staatsrecht I, S. 59. 4 6
47
Vgl. nur Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (377).
Ossenbühl, Umweltpflege, S. 40; Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (377); Brohm, JZ 1989,324 ff. (326 f.). Ebenso bereits Erichsen, Staatsrecht I, S. 59. 4 8 Hervorzuheben sind insoweit Sodan, Funktionsträger, S. 521 ff.; ders., DÖV 1987, 858 ff. (864); Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. (2710); Schulte, DVB1.1988,512 ff. (517). 49 Sodan, Funktionsträger, S. 523 f.; Schulte, DVB1.1988,512 ff. (517).
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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behre sie einer grundgesetzlichen Absicherung 0. Dennoch ist sich auch diese Auffassung im klaren darüber, daß das alleinige Abstellen auf den nachteiligen Effekt nicht genügen kann. So werden z.T. als "alternative" Eingriffsvoraussetzungen gefordert, daß der nachteilige Effekt ein Mindestmaß an Beeinträchtigungsintensität aufweisen und daß der entscheidende Anstoß zu dem Ereignis, welches den Effekt unmittelbar verursacht, von einem Verhalten öffentlicher Gewalt ausgehen muß 51 . Andere wollen wegen des Fehlens einheitlicher formaler Eingriffskriterien an eine im Vordringen befindliche Lehre anknüpfen, die für die Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen maßgeblich auf den Schutzzweck der Grundrechte abstellt 52 . Dabei kommt man allerdings infolge eines sehr unterschiedlichen "Schutzzweck-Verständnisses" gerade im Hinblick auf die Frage, ob behördliche Produktinformationen in die Wettbewerbsfreiheit eingreifen, zu sich widersprechenden Ergebnissen: Auf der einen Seite sieht beispielsweise Lübbe-Wolff den Schutzzweck der Grundrechte als Abwehrrechte beeinflußt von den (objektivrechtlichen) Wert- und Ordnungsvorstellungen, die mit dem jeweiligen Grundrecht verbunden sind. Als Eingriff in den grundrechtlich geschützten Wettbewerb könne deshalb nur die staatliche Intervention angesehen werden, die dem grundrechtlichen Ordnungsziel, der intendierten Wettbewerbsordnung, zuwiderlaufe 53. Dem Grundgesetz könne allein das Modell eines funktionsfähigen und deshalb transparenten Wettbewerbs entnommen werden. Deshalb biete die Wettbewerbsfreiheit als subjektives Recht keinen Schutz gegen sachlich zutreffende Produktinformationen, die den freien Wettbewerb nicht störten, sondern seine Funktionsfähigkeit verbesserten 54. Auf der anderen Seite greift z.B. Schulte zur Bestimmung des Schutzzwecks der Wettbewerbsfreiheit auf die Normen des einfachen Rechts in ihrer grundrechtskonkretisierenden Funktion zurück 55. Den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des Gesetzes gegen den unlaute-
5 0 Sodan, Funktionsträger, S. 524 f.; ders., DÖV 1987, 858 ff. (864); Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. (2710). 5 1 Sodan, DÖV 1987, 858 ff. (863 f.). Die Anforderungen an den Grad der Beeinträchtigungensintensität werden mit einer andernfalls eintretenden "ernstlichen Gefährdung des Gewaltenteilungsprinzips" begründet: das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für jede noch so geringe Auswirkung staatlichen Handelns würde vor allem zu einer Arbeitsüberlastung der Legislative und einer damit verbundenen Schwächung und Passivität der Exekutive führen. 52 Grundlegend Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 161 ff., 171 ff., 173 ff.; ders., VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (101 ff.). Zu dieser Auffassung i.e. unten Teil 4. 5 3 Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. (2711), Ähnlich Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 715 ff. (722 f.). 5 4
Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. (2711). Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 13.
5 5
Schulte, DVBl. 1988,512 ff. (517).
208
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
ren Wettbewerb (UWG) und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) entnimmt er den Zweck, dem einzelnen das Recht zu gewährleisten, "seine unternehmerische Dispositionsfreiheit im Wettbewerb mit anderen ohne staatliche Behinderung und ohne staatlich bewirkte Wettbewerbsverzerrungen wahrzunehmen . Dieses Recht könne durch produktbezogene staatliche Umwelt- und Gesundheitsberatung mit der Folge eines erheblichen Nachfragerückgangs beeinträchtigt werden. Eine daraus resultierende Grundrechtsbeeinträchtigung müsse dem Staat auch als Grundrechtseingriff zugerechnet werden, weil es für den Staat vorhersehbar sei, daß die Produktinformationen zu einem geänderten Verbraucherverhalten führen 57. Einen anderen Ansatz verfolgt neuerdings Philipp, die für den Eingriffscharakter staatlicher Verbraucherinformationen weder auf die Finalität noch auf die Intensität der Beeinträchtigung ( = Umsatzrückgang) abstellt und auch eine Heranziehung der zivilrechtlichen Normzwecklehre ablehnt58. Bereits im Vorfeld einer wirtschaftlichen Beeinträchtigung umfasse die Wettbewerbsfreiheit das Recht, in der Kommunikation mit den anderen Marktteilnehmern nicht beeinträchtigt zu werden, insbesondere keine Nachteile für den Ruf oder das Image eines Produkts bzw. des ganzen Unternehmens hinnehmen zu müssen. Ein Eingriff in dieses Recht des einzelnen Herstellers auf "unternehmerische Selbstdarstellung" liege schon vor, wenn sich die staatliche Information in individueller Weise mit einem Produkt gerade seines Unternehmens beschäftige 59. IL Die verfassungsrechtlich begründete Sonderstellung finaler Drittbeeinträchtigungen - Der Umgehungsgedanke Wie wir gesehen haben, bezieht sich die Kritik am Kriterium der Finalität im wesentlichen auf zwei Punkte. Zum einen bemängelt man, dieses Kriterium werde nur aus pragmatischen Gründen aufgestellt, um die Haftung nicht ausufern zu lassen, zum anderen bezweifelt man die verfassungsrechtliche Begründbarkeit dieses Kriteriums. Meines Erachtens lassen sich beide Bedenken ausräumen. Der Vorwurf der bloßen Pragrnatik beruht auf einem Mißverständnis der Rechtsprechung. Wie oben bereits aufgezeigt, versteht die jüngere 5 6
Schulte, DVB1. 1988, 512 ff. (517) unter Verweisung auf Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 216. 5 7
58 59
Schulte, DVB1.1988,512 ff. (517 f.). Verbraucherinformationen, S. 102 ff., 139 ff. Philipp, Verbraucherinformationen, S. 153 ff.
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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Rechtsprechung des BVerwG die Finalität nicht als abschließendes, über die Grundrechtsrelevanz von Drittbeeinträchtigungen entscheidendes Kriterium. Sie steht deshalb auch nicht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung, die unter bestimmten Voraussetzungen auch Grundrechtseingriffe durch nicht-finale Drittbeeinträchtigungen für möglich hält. Diesem grundsätzlichen Offenhalten grundrechtlicher Schutzbereiche auch für nicht finale Drittbeeinträchtigungen ist zuzustimmen. Beschränkt man den Grundrechtsschutz von vornherein auf einen bestimmten Eingriffstyp und ein solcher ist auch die finale Drittbeeinträchtigung 61 - ruft man Gefahren für die Effektivität des Grundrechtsschutzes hervor. Denn es ist durchaus denkbar, daß im Einzelfall von der Verwaltung nicht beabsichtigte Beeinträchtigungen Dritter belastendere Wirkungen entfalten als etwa ein direkt an sie gerichtetes Gebot oder Verbot 62 . Doch auch wenn dem Finalitätskriterium nicht die Funktion einer absoluten Begrenzung der grundrechtlichen "Haftung" des Staates zukommt, ist dessen besondere Behandlung von Nutzen. Denn einmal erscheint es besonders wichtig, in einem Bereich der Grundrechtsdogmatik, der derart von Ungewißheiten und Unklarheiten geprägt ist, sichere Kriterien zu entwickeln, die in relativ eindeutiger Weise klarstellen, wann nachteilige Betroffenheiten Grundrechtseingriffe sind 63 . Darüberhinaus kann es für die staatlichen Organe, etwa für Verwaltung und Justiz auf der einen und für die Gesetzgebung auf der anderen Seite, eine unterschiedliche Bedeutung haben je nachdem, ob es sich um eine finale oder nicht-finale Drittbeeinträchtigung handelt. Schließlich erscheint die vehemente Ablehnung des Finalitätskriteriums durch verschiedene Anhänger der Schutzzwecklehre nicht ganz nachvollziehbar. Denn nach dieser Lehre wird der Schutzzweck eines Grundrechts letztlich anhand eines Kriterienbündels bestimmt, welches als ein wesentliches Unterkriterium auch die Finalität der Beeinträchtigung umfaßt 64. Was die verfassungsrechtliche Begründung anbelangt, so ist zuzugestehen, daß diese bislang Defizite aufweist. Die Rechtsprechung hat die besondere 6 1
Insoweit ist Sodan, DÖV 1987,858 ff. (864) ohne Einschränkung Recht zu geben.
62 So auch Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 126 ff. Stern, Staatsrecht III/l, S. 1206, der die "strikte und ausschließliche Orientierung an der Finalität des Eingriffs" für mittlerweile überholt hält. Aus diesem Grunde sind auch die dargestellten Meinungen in der Literatur, die den Grundrechtsschutz generell von der Finalität der Beeinträchtigung abhängig machen wollen, abzulehnen. Zur Problematik eingrenzender Kriterien bei nicht finalen 63 Drittbeeinträchtigungen i.e. Teil 4. Diese klarstellende Funktion der Finalität ist bereits in Teil 1 im Zusammenhang etwa mit dem Amtshaftungsanspruch oder dem Anspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs deutlich geworden, vgl. Abschnitt 3, C, II, 2 sowie Ε, II, 2. 64 Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 174. Zur Schutzzwecklehre im einzelnen unten Teil 4, Abschnitt 2, Β, II, 4, c. 14 Roth
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
Grundrechtsrelevanz des Finalitätskriteriums nicht näher gerechtfertigt. In der Literatur wird die Frage, ob etwa zu Umsatzeinbußen führende behördliche Produktinformationen Grundrechtseingriffe darstellen, überwiegend undifferenziert als Teil der allgemeinen Problematik der Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen abgehandelt. In der Begründung stellt man auch hier maßgeblich auf den nachteiligen Effekt für die Freiheitssphäre des Bürgers ab und will so einheitliche Grundsätze für alle Arten faktischer Beeinträchtigungen finden 65.Dies ist dogmatisch jedoch fragwürdig. Zwar sind auch finale Drittbeeinträchtigungen faktische Beeinträchtigungen, doch wird verkannt, daß für ihre Grundrechtsrelevanz spezifische verfassungsrechtliche Argumente sprechen. Der Staat bezweckt in diesen Fällen - ebenso wie im Fall des klassischen Eingriffs durch Verbot oder Gebot - die Erreichung eines bestimmten Ziels. Der Unterschied zum klassischen Eingriff liegt lediglich darin, daß die vom Staat zur Zielerreichung eingesetzten Mittel andere sind. So wählt etwa das Umweltbundesamt, das in Wahrnehmung seiner Aufgaben ein bestimmtes, umweltschädliches Produkt vom Markt haben will, nicht das an den Produkthersteller adressierte, rechtsverbindliche Verbot der Herstellung bzw. des Vertriebs dieses Produkts. Vielmehr wählt die Behörde zur Erreichung desselben Zwecks eine alternative Form des Verwaltungshandelns, den unverbindlichen, an die Bevölkerung gerichteten Appell, dieses Produkt nicht zu kaufen. Es veranlaßt so über das "autonome" Verhalten der Marktteilnehmer die angestrebte Beeinträchtigung des Nichtadressaten. An diesem Beispiel wird deutlich, daß die Grundrechtsrelevanz finaler Drittbeeinträchtigungen bereits wegen der Gefahr einer bewußten oder unbewußten Umgehung des Grundrechtsschutzes in Betracht zu ziehen ist. Könnte die Verwaltung in Verfolgung konkreter Zwecke durch den beliebigen Austausch von Mitteln den gleichen oder ähnlichen Erfolg und als Kehrseite die gleiche oder ähnliche Belastung des Bürgers herbeiführen, läge die Versuchung nahe, sich in vielen Fällen von der Grundrechtsbindung nach Art. 1 III GG bzw. vom Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage freizuzeichnen.
65 Dem besonderen Charakter finaler mittelbarer Beeinträchtigungen wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt, sie werden überwiegend mit den nicht-finalen "in einen Topf geworfen", vgl. etwa Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 ff. (2710); Schulte, DVB1.1988, 512 ff. (516 f.); Dolde, Gutachten, S. 11 ff., 21; ders., BLL-Forum, S. 11 ff. Ähnlich Philipp, Veibraucherinformationen, S. 102 f., 150 ff., die die folgenorientierte Betrachtungsweise lediglich vorverlagert und bereits der Einwirkung auf den Ruf des Unternehmens Grundrechtsrelevanz zubilligt. Auch Scherzberg (Grundrechtsschutz, S. 152 f.; DVB1.1989,1128 ff. [1131 ff.]) will neuerdings undifferenziert die Grundrechtsrelevanz aller faktischen Beeinträchtigungen objektivrechtlich begründen. Vgl aber auch die Ansätze bei Bleckmann/Eckhoff, DVB1. 1988, 373 ff. (377); Brohm, JZ 1989,324 ff. (326 f.).
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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Daß im öffentlichen Recht der Umgehimg rechtlicher, insbesondere auch verfassungsrechtlicher Bestimmungen Grenzen gesetzt sind, zeigt bereits die einhellige Auffassung zur Problematik des Verwaltungsprivatrechts. Danach kann sich der Staat, soweit er unmittelbar Verwaltungsaufgaben erfüllt, durch die Wahl privatrechtlicher Rechtsformen nicht den bestehenden öffentlichrechtlichen Bindungen, insbesondere der Bindung an die Grundrechte entziehen66. Dies folgert man aus der umfassenden Grundrechtsbindung gem. Art. 1 I I I GG und der Tatsache, daß der Staat nicht die "Flucht in das Privatrecht" antreten dürfe, um sich im Bereich der Daseinsvorsorge der Bindung an die Grundrechte zu entledigen67. Der Umgehungsgedanke wird jedoch nicht auf die Wahl privatrechtlicher Rechtsformen beschränkt, sondern dahingehend verallgemeinert, daß der Staat im Rahmen der Verfolgung bestimmter Zwecke durch den Austausch von Handlungsformen oder der eingesetzten Mittel keine Freizeichnung von rechtlichen Bindungen erreichen kann 68 . Speziell die Frage der Umgehung des Grundrechtsschutzes hat die Literatur vor allem in Bezug auf Maßnahmen wirtschaftslenkender Verwaltung diskutiert, die den Lenkungseffekt über Methoden mittelbarer Beeinflussung (sog. influenzierende Einwirkungen wie Steuern und Subventionen mit wirtschaftslenkendem Charakter) herbeizuführen suchen. Auch insoweit wird ganz überwiegend vertreten, der Staat dürfe den Grundrechtsschutz nicht durch den bloßen Wechsel seiner Handlungsform unterlaufen und dadurch ineffektiv machen69. 6 6 Vgl. aus der Rechtsprechung BGHZ 29, 76 (80); 52, 325 (329); 65, 284 (287); 79, 111 (115). Aus der Literatur eingehend zu dieser Frage Pestalozza, Formenmißbrauch, S. 166 ff. Siehe auch Forsthoff, Lehrbuch I, S. 382, 484; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 29 I b; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 9 ff.; v. Münch, in: ders., GG, Vorb. zu Art. 1 19 Rn. 35. 6 7
Vgl. nur v. Münch, in: ders., GG, Vorb. zu Art. 1 -19 Rn. 35.
68 So beispielsweise Krause, Rechtsformen, S. 361 f., der zur Handlungsform Verhaltensbestimmende Appelle der Verwaltung" ausführt, die Verwaltung könne "nicht lenkend tätig werden und sich von den Folgen gänzlich freizeichnen". Ähnlich Pestalozza, Formenmißbrauch, S. 146 f., der über die rechtliche Relevanz und die Rechtsfolgen von behördlichen Empfehlungen, Warnungen u.ä. nicht die "Einkleidung, sondern die tatsächliche Auswirkung des Vorgangs" entscheiden lassen will. Vgl. dazu auch Kirchhof, HdbStR, III, § 59 Rn. 44. 6 9 Vgl. schon Lerche, DÖV 1961, 486 ff. (490); Friauf, DVBl. 1971, 674 ff. (681); ders., Grenzen, S. 40 f.; W. Martens, W D S t R L 30 (1972), S. 7 ff. (13 f.); Kirchhof, Verwalten, S. 9 ff., 189 ff., 251; Brohm, NJW 1980,857 ff. (863); Erichsen, Staatsrecht I, S. 59. - Selmer, Steuerinterventionismus, S. 235, behandelt das Problem speziell für wirtschaftslenkende Abgaben. Er nennt Fälle aus dem Bereich der Steuergesetzgebung, die sich der Sache nach als finale Drittbeeinträchtigungen darstellen, wie z.B. die Frage der Vereinbarkeit einer gezielten steuerlichen Begünstigung bestimmter Presseerzeugnisse mit Art. 5 I GG sowie die Vereinbarkeit einer steuerlichen Begünstigung "wertvoller" oder "besonders wertvoller" Filme durch das Vergnügungssteuerrrecht mit Art. 5 III GG (vgl. S. 231 Fn. 87). Als entscheidend für den Grundrechtsschutz sieht auch Selmer nicht den "Weg", auf dem der Lenkungseffekt herbeige-
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
Der Umgehungsgedanke stellt m.E. eine überzeugende, speziell für finale Drittbeeinträchtigungen geltende Begründung deren Grundrechtsrelevanz dar 70 . Er ergibt sich aus einer teleologischen Auslegung der Grundrechte in ihrer Funktion als subjektive Abwehrrechte. Bezweckt die Verwaltung in Verfolgung eines bestimmten Ziels eine Beeinträchtigung, kann das Vorliegen eines dadurch hervorgerufenen Grundrechtseingriffs nicht von dem ihrerseits gewählten "Weg" abhängig sein. Ob die Verwaltung direkt einen "Befehl" an den Betroffenen richtet oder ob die lediglich einen rechtlich unverbindlichen Appell an Dritte benutzt und die Beeinträchtigung des Betroffenen von der Entscheidung dieser Dritten abhängt, darauf kann es aus der Sicht des zu schützenden Bürgers nicht entscheidend ankommen. Entscheidend muß sein, ob der von der Verwaltung bezweckte Erfolg und damit verbunden der Nachteil des Betroffenen - auf welchem (Um-) Weg auch immer - eintritt oder nicht. Das "weichere" Mittel des von der Akzeptanz durch die Marktteilnehmer lebenden behördlichen Appells steht u.U. in seinen Auswirkungen auf den Betroffenen dem normativen Zwang in nichts nach. Sinn und Zweck der Grundrechte, insbesondere der effektive Grundrechtsschutz, gebieten, auf die bezweckten Auswirkungen abzustellen. Eine andere Lösung würde sowohl die Grundrechte wie auch das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes in weiten Bereichen für die Verwaltung disponibel machen71. führt wurde, sondern die Finalität an: "Bedient sich der Gesetzgeber solcher Begünstigungen, um über das seinerseits interventionistisch determinierte Verhalten des Begünstigten auf die Rechtssphäre Dritter durchzugreifen, so wird er sich so behandeln lassen müssen, als ob er sich direkt an diesen Dritten wendet" (S. 235). 70 Nur bei finalen Drittbeeinträchtigungen kann eine Umgehungsgefahr im eigentlichen Sinn bestehen, da die Umgehung notwendigerweise zielgerichtet ist. Ruft ein Verwaltungshandeln zufällige oder unvorhersehbare Folgen hervor, so kann der Umgehungsgedanke nicht greifen. Selmer betont für den Bereich der Steuergesetzgebung die gegenüber anderen faktischen Beeinträchtigungen spezifische Natur finaler Drittbeeinträchtigungen: er wendet sich dagegen, daß die Verfassungsproblematik finaler Drittbeeinträchtigungen vorwiegend in gedanklicher Anlehnung an die Rechtsfigur des "Verwaltungsakts mit Dritt- oder Doppelwirkung" begriffen und so das zweiseitige Verhältnis zwischen Staat und Normadressaten rechtlich in den Vordergrund gestellt wird. Er plädiert für eine funktionelle Betrachtungsweise, die sich primär an den staatlicherseits angestrebten Zwecken orientiert. Für ihn sind beispielsweise Lenkungseffekte drittlastiger Steuervergünstigungen (siehe die Beispiele Fn. 69) "gezielte Durchgriffsinterventionen", bei denen der begünstigte Adressat "bloßes Teilelement eines interventionistischen Gesamtvorgangs", "nur verlängerter Arm zur Herbeiführung des endgültigen und (auch) in der Rechtssphäre des nicht begünstigten "Dritten" angesiedelten Gestaltungserfolges" ist (Steuerinterventionismus, S. 235 f.). 71 Daß der Umgehungsgedanke immer mehr an Bedeutung gewinnt, zeigt sich insbesondere an dem Wandel der Handlungsformen, der das öffentliche Recht in den letzten Jahrzehnten maßgeblich geprägt hat. Der moderne Interventions- und Sozialstaat bedient sich immer weniger klassischer und immer mehr alternativer Handlungsformen, die nicht auf Befehl und Zwang, sondern eher auf Kooperation, Partizipation und Akzeptanz setzen (vgl. nur Becker,
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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Der Gedanke der Umgehung des Grundrechtsschutzes zeigt weiterhin, daß jedenfalls für finale Drittbeeinträchtigungen der Umfang des funktionalen Schutzbereichs allgemeingültig, unabhängig von einem für jedes Grundrecht im konkreten Einzelfall gesondert zu ermittelnden Schutzzweck bestimmt werden kann 72 . Schließlich liefert der Umgehungsgedanke auch die Begründung dafür, daß bei gezielten Drittbeeinträchtigungen die Grundrechte nicht etwa nur in ihrer objektiven Funktion, sondern in ihrer Abwehrfunktion als subjektive Rechte angesprochen werden, was von besonderer Bedeutung auch für die Geltung rechtsstaatlicher Sicherungen ist 73 . III. Die Finalität als funktionsadäquates Abgrenzungskriterium Nach der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Absicherung stellt sich die Frage, ob der Umstand, daß in Fällen finaler Drittbeeinträchtigungen die faktisch, mittelbar herbeigeführte Beeinträchtigung von der Behörde bezweckt wurde, auch geeignet ist, den in Teil 2, Abschnitt 3 aufgezeigten Bedenken gegen eine Ausweitung des Grundrechtsschutzes auf Drittbeeinträchtigungen hinreichend Rechnung zu tragen. 1. Handlungsfähigkeit der staatlichen Organe - Rechtssicherheit74 Bei imperativen Beeinträchtigungen im Sinne klassischer Eingriffe hat es die Verwaltung in der Hand, die in Grundrechten Betroffenen durch einen Formalakt zu bestimmen. Aufgrund der formalen Struktur des Verwaltungshandelns, der Adressierung eines hoheitlichen Befehls an eine bestimmte Person, ist die Betroffenheit in einem grundrechtlichen Schutzbereich relativ problemlos und eindeutig feststellbar. Deshalb ergeben sich grundsätzlich keine Probleme für die Rechtssicherheit, die staatlichen Organe werden nicht in ihrer Aktivität gelähmt oder etwa durch eine DÖV 1985,1003 ff.; Bohne, Der informale Rechtsstaat; Bauer, VerwArch 78 (1987), 241 ff.). In der Rechtsprechung des BVerfG wird dem kooperativen Charakter des Verwaltungshandelns neuerdings sogar eine verfassungsrechtliche Dimension gegeben (vgl. nur BVerfGE 69, 315 [355] - Brokdorf; dazu Götz, DVBl. 1985,1347 ff. [1349]). 72 Das verkennt die erwähnte Schutzzwecklehre. 73 So ausdrücklich Selmer, Steuerinterventionismus, S. 236 mit Fn. 111, 237; vgl. auch Friauf, Grenzen, S. 39 ff. zu wirtschaftslenkenden Maßnahmen. Dagegen Herzog (Sozialgestaltende Steuer, S. 12 ff.), der etwa die Lenkungseffekte sozialgestaltender Steuern aufgrund einer "allgemeinen Sozialgestaltungsbefugnis" des Staates, die auch dem Verständnis der Grundrechte vorgegeben sei, für grundrechtlich irrelevant hält, S. 12 ff. 7 4 Oben Teil 2, Abschnitt 3, Α,Π, III.
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
ausufernde grundrechtliche "Haftung" überfordert. Bei finalen Drittbeeinträchtigungen fehlt es an dem formalen Element der Adressierung eines hoheitlichen Befehls. Die grundrechtliche Betroffenheit kann hier jedoch an dem materiellen Kriterium der Zweckrichtung des Verwaltungshandelns festgemacht werden. Durch die Ermittlung der Zweckrichtung einer Maßnahme - u.U. im Rahmen der Auslegung - kann zwar nicht formal und deshalb eindeutig, aber doch anhand eines justitiablen, nachvollziehbaren Kriteriums eine Eingrenzung der Beeinträchtigung und der Beeinträchtigten erreicht werden 7 . Eine derartige Bestimmung der grundrechtlichen Betroffenheit ist allerdings gegenüber der formalen Bestimmung mit einem Mehr an Unsicherheiten und Schwierigkeiten verbunden. a) Der Begriff der Finalität So fehlt es bereits an einem einheitlichen Verständnis vom Begriff der finalen Beeinträchtigimg 76. Eine sehr enge Vorstellung der Finalität kennzeichnet beispielsweise eine Entscheidung des VG Berlin zu behördlichen Informationen über die Umweltschädlichkeit von WC-Reinigern 77. Das Gericht hat die Finalität einer grundrechtsrelevanten Einwirkimg auf die Wettbewerbsfreiheit von Produktherstellern veraeint, da die Intention des Umweltbundesamtes "ausschließlich" dahin gegangen sei, den Verbraucher "auf die Umweltfolgen der Verwendung von WC-Reinigern aufmerksam zu machen und die interessierten Kreise auf eine umweltschonende TO
Alternative zu verweisen . Eine solche Sichtweise, die für die Finalität allein auf den motivierenden Hauptzweck 79 abstellt, erscheint gekünstelt. Die Verbraucheraufklärung erfolgte ja nicht um ihrer selbst Willen, sondern verfolgte konkrete umweltpolitische Ziele, deren Erreichung notwendigerweise mit Umsatzverlusten für die Hersteller verbunden ist . Ein auf die Hauptmotivation abstellender Finalitätsbegriff würde den Grundrechts75
So auch Grabitz, Freiheit, S. 35.
76 Zu unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten des Finalitätskriteriums vgl. auch Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89 ff. (98). Kritisch zum Fmalitätsmerkmal deshalb Philipp, Verbraucherinformationen, S. 102 f. 7 7 VG Berlin, Beschluß v. 5.12.86 - 1 A 244/86 (Nachweis bei Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2710). 7 8
VG Berlin, a.a.O., S. 6.
79 Diese enge Vorstellung entspricht in etwa dem strafrechtlichen Vorsatz in Form der "Absicht"; danach muß es dem Täter auf die Beeinträchtigung gerade ankommen (vgl. Wessels, Strafrecht, AT, S. 64). Einen solch engen Begriff speziell für den Bereich wirtschaftslenkender Steuergesetze vertritt Selmer, Steuerinterventionismus, S. 218. 80 Vgl. auch Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. (2710).
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schütz auch zu sehr von subjektiven Vorstellungen der Verwaltungsorgane abhängig machen81. Der Finalitätsbegriff des BVerwG im Zusammenhang mit finalen Drittbeeinträchtigungen ist ein anderer. So wurde beispielsweise im Transparenzlisten-Urteil die Finalität der Beeinträchtigung bejaht, obwohl die Einwirkung auf die Wettbewerbslage der Arzneimittelhersteller nicht motivierender Hauptzweck, sondern "notwendige Kehrseite einer Kostendämpfung" im Gesundheitswesen war 82 . In der strafrechtlichen Terminologie entspricht das in etwa der Vorsatzform "Wissentlichkeit": Auf die Beeinträchtigimg kommt es der Verwaltung nicht an, sie ist jedoch notwendige Voraussetzung der Verwirklichung des angestrebten Ziels 83. M.E. w diese Auffassung am ehesten dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes gerecht. Die Ermittlung der Zweckrichtung einer Maßnahme kann sich nicht vordergründig auf den - u.U. grundrechtlich neutralen - motivierenden Hauptzweck beschränken, sondern muß die staatliche Zweckverfolgung als komplexen Vorgang begreifen, der auch zwangsläufig mit der Erreichung des Hauptzwecks verbundene Folgen mitumfaßt . b) Finalität trotz globalen Betroffenenkreises
?
Weitere, mit dem Finalitätskriterium verbundene Unsicherheiten ergeben sich daraus, daß die staatliche Maßnahme u.U. nicht auf einen bestimmten, abgrenzbaren Kreis von Beeinträchtigten abzielt, sondern einen globalen, diffusen Betroffenenkreis haben kann. Ein prägnantes Beispiel bildet das vom baden-württembergischen Innenministerium herausgegebene Faltblatt 85 , das lediglich abstrakt über die Gefahren für Jugendliche aufklärt, die von sog. "Jugendsekten" ausgehen können, diese selbst aber nicht
81 Eine Objektivierung ließe sich etwa dadurch erreichen, daß man die Zweckrichtung zugrundelegt, die sich für einen vernünftigen Durchschnittsbetrachter ergibt. 8 2 BVerwGE 71,183 (194). 8 3
84
Vgl. Wessels, Strafrecht AT, S. 64 f.; Dreher/Tröndle, StGB, §15 Rn. 7.
So im Ergebnis wohl auch Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. (2710); Dolde, BLL-Forum, S. 12. Sicherlich nicht erfüllt ist das Finalitätskriterium in den Fällen, in denen die Beeeinträchtigung nur für möglich gehalten, für den Fall des Eintretens jedoch billigend in Kauf genommen wird (entsprechend dem strafrechtlichen "dolus eventualis", vgl. Wessels, Strafrecht AT, S. 65 ff.). Einen solchen Fall stellt z.B. die Veröffentlichung einer Liste diethylenglykolhaltiger Weine dar, soweit diese zu negativen Auswirkungen auf den Umsatz eines Abfüllers mit nicht diethylenglykolhaltigen Weinen führt. Hier weist die Beeinträchtigung keinen notwendigen, sondern lediglich zufälligen Zusammenhang mit der Verfolgung des Zwecks des Gesundheitsschutzes auf und ist deshalb als nicht finale Beeinträchtigung zu behandeln (so auch OVG Münster, NJW 1986,2783). oc S. oben Abschnitt 1, A, II, 1.
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
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oz-
namentlich bezeichnet . Zu Recht verneinte der VGH BW einen Grundrechtseingriff wegen des fehlenden Bezugs der staatlichen Meinungsäußerung gerade zu der Rajneesh-Bewegung, deren Ausbreitung der klagende Verein diente87. Der hier zum Ausdruck kommende Gedanke läßt sich verallgemeinern. Um ein Verschwimmen der Konturen des Finalitätsbegriffs, insbesondere im Zusammenhang mit staatlichen Meinungsäußerungen, zu verhindern, müssen gewisse "Sicherungen" eingebaut werden. Insoweit ist erforderlich, aber auch ausreichend, daß die Maßnahme auf Beeinträchtigung einzelner, individualisierbarer Personen, Unternehmen oder Institutionen abzielt88. c) Folgerungen Bei Beachtimg dieser Vorgaben stellt das "Bezwecktsein" der Beeinträchtigung ein Kriterium dar, welches die nachvollziehbare Bestimmung der grundrechtlichen Betroffenheit und der Betroffenen ermöglicht. Dies läßt sich anhand verschiedener Beispiele belegen. Im vom BVerwG entschiedenen Fall der Subventionsrichtlinien Heß sich dem Zweck der Richtlinien eindeutig entnehmen, daß alle anderen Unternehmen als die in den Richtlinien genannten von der Betreuung landwirtschaftlicher Betriebe bei der Vergabe öffentlicher Darlehen ausgeschlossen sein sollten89. Der Betroffenenkreis beschränkte sich somit auf Unternehmen, deren Gegenstand die Betreuung und Förderung landwirtschaftlicher Betriebe im Zusammenhang mit einzelbetrieblichen Investitionen war, und konnte somit konkret abgegrenzt werden. Im Fall der Transparenzlisten besteht der ver86 Weitere Beispiele bilden: Aufrufe einer Landesregierung, im Interesse des Umweltschutzes statt Einwegflaschen Pfandflaschen zu bevorzugen; hier ist kein einzelnes bestimmtes Unternehmen, sondern eine ganze Branche, möglicherweise auch eine Reihe von Branchen betroffen (vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 91). Die generelle Aufklärung über die sozialpolitischen Vor- und Nachteile der Aus- und Übersiedlerwelle (vgl. Gusy, JZ 1989,1003 ff. (1005)). 8 7 DÖV 1989,169 (170). 8 8
Vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 30; Gusy, JZ 1989,1003 ff. (1005). Der erforderliche Bezug zu einem individualisierbaren Rechtsträger lag vor im Sektenfall des BVerwG, wo sich die Äußerungen des Ministeriums speziell auch auf die Praktiken der "TM"-Bewegung bezogen. Bei Produktwarnungen erfordert das i.d.R. die Nennung von Produkt- und Herstellernamen (Kellermann, Forum-BLL, S. 24 f.); Aussagen, die sich auf einen nur nach allgemeinen Merkmalen umschriebenen Produkttyp beziehen, sind grundrechtsneutral (Philipp, Verbraucherinformationen, S. 157). Es muß allerdings auch ausreichen, wenn sich aus den Umständen klar ergibt, welche 1 oder 2 Hersteller in Betracht kommen^ etwa wenn vor einem Produkt gewarnt wird, für das ein Unternehmen eindeutiger Marktführer ist. 8 9
BVerwGE 75,183 (115).
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folgte Zweck in einer Senkung des Arzneimittelpreisniveaus, notwendig damit verbunden ist eine Schmälerung der Gewinnerzielungsmöglichkeiten der Arzneimittelhersteller 90. Anhand der Liste, die beispielsweise bestimmten Arzneimitteln Qualitätssicherungskennzeichen versagt, läßt sich auch konkret ermitteln, welche Arzneimittelhersteller betroffen sind. Daran wird deutlich, daß die Atisweitung des Eingriffsbegriffs auf finale Drittbeeinträchtigungen keine unvertretbaren Gefahren fur die Rechtssicherheit heraufbeschwört. Bezweckt die Verwaltung eine Beeinträchtigung, kann sie ex ante abschließend beurteilen, wer von dieser zielgerichteten Maßnahme betroffen ist und wer nicht 91 . Die Finalität begrenzt auch zeitlich die grundrechtliche Betroffenheit, sodaß sich das Problem einer unsicheren Rechtslage wegen potentieller Grundrechtsverletzungen durch nach langer Zeit eintretende Folgen der Maßnahme nicht stellt. Da die Verwaltung das Ausmaß und die Betroffenen der von ihr bezweckten Beeinträchtigung übersieht, kann sie auch beurteilen, ob eine ausreichende gesetzliche Grundlage für ihr Handeln vorhanden ist. Sie muß deshalb auch nicht immer mit der späteren verwaltungsgerichtlichen Aufhebung ihrer Maßnahme wegen UnVerhältnismäßigkeit rechnen, was sie in ihrer Aktivität lähmen würde 92 . Schließlich kann die grundrechtliche "Haftung" auch nicht ausufern. Bei finalen Drittbeeinträchtigungen ist zwar die Zahl und die Art der Zwischenursachen offen, aber die Zweckrichtung der Maßnahme grenzt die grundrechtliche Beeinträchtigung und die Beeinträchtigten ein 93 . Diese Eingrenzung, die ja darauf beruht, daß die Herbeiführung der Beeinträchtigung vom Willen der Verwaltung abhängt, bewirkt, daß Kapazitäten und Handlungsmöglichkeiten der staatlichen Organe nicht überfordert werden und die Finalität als für Verwaltung und Gerichte handhabbares Abgrenzungskriterium erscheint.
9 0
BVerwGE 71,183 (194).
9 1
Vgl. Grabitz, Freiheit, S. 36.
9 2 Vgl. Friauf, DVBl. 1971, 674 ff. (681 f.); Erichsen, Staatsrecht I, S. 59. Zu dem allgemeinen Gedanken, daß staatliche Flexibilität und Bestimmbarkeit der durch eine Norm Begünstigten korrelieren, Brohm, Jura 1986,617 ff. (621). - Auf die Frage, inwieweit die Finalität der Beeinträchtigung ein taugliches Abgrenzungskriterium auch für den Gesetzgeber hinsichtlich der Reichweite des Gesetzesvorbehalts darstellt, wird unten (Abschnitt 3, A, II) eingegangen. 93 Vgl. nur Selmer, Steuerinterventionismus, S. 233 f.; Grabitz, Freiheit, S. 36; Friauf, DVBl. 1971, 674 ff. (681 f.).
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
2. Rechtssystematische Bedenken94 Da die Grundrechte im vorliegenden Zusammenhang nicht jede faktische Beeinträchtigung mit subjektivrechtlicher Wirkkraft ausstatten, sondern nur den abgrenzbaren und überschaubaren Teil der von der Verwaltung bezweckten Drittbeeinträchtigungen, wird weder die Unterscheidung von einfachgesetzlicher Rechtswidrigkeit und Grundrechtsverletzung aufgehoben, noch die einfachgesetzliche Differenzierung zwischen drittschützenden und nicht drittschützenden Normen unterlaufen. Auch unter quantitativem Aspekt ist gewährleistet, daß die Befugnis des Gesetzgebers zur Gewährung einfachgesetzlicher subjektiver Rechte nicht obsolet wird. Ein alleiniges Recht des Gesetzgebers zur Schaffung subjektiver Rechte kennt die Verfassung nicht; so hat sie insbesondere die Grundrechte als subjektive Rechte des einzelnen geschaffen 95. 3. Abgrenzung zu "sozialadäquaten" Beeinträchtigungen96 Schließlich ist zu fragen, ob die Tatsache des Abzielens auf die Beeinträchtigung diese auch heraushebt aus den allgemein als grundrechtsneutral angesehenen "sozialadäquaten Beeinträchtigungen" bzw. "Veränderungen bloßer Rahmenbedingungen"97.
Speziell für den Bereich der wirtschaftlichen Betätigung wird die Auffassung vertreten, z.B. finale Drittbeeinträchtigungen infolge behördlicher Produktinformationen stellten lediglich eine grundrechtlich irrelevante staatliche Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Wett-
9 4
S. oben Teil 2, Abschnitt 3, Α,Ι.
95
Vgl. nur Lorenz, Rechtsschutz, S. 55 ff., 63 ff.
9 6
S. oben Teil 2, Abschnitt 3, A, IV.
97 Dies ist eine Frage des funktionalen, nicht des thematischen Schutzbereichs. Denn sie stellt sich unabhängig von der thematischen Einschlägigkeit grundsätzlich bei allen Grundrechten. So hält der BGH Art. 14 GG in Form des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs für nicht einschlägig bei der staatlich veranlaßten Veränderung genereller Rahmenbedingungen (s. oben Teil 2, Abschnitt 3, A, IV). Das BVerwG hält im Rahmen einer auf Art. 2 II GG gestützten Nachbarklage die Prüfung für erforderlich, ob die Annahme einer Gesundheitsbeeinträchtigung bereits unter dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz ausscheide (BVerwGE 54, 211 [221]). Und schließlich hält das BVerwG einen Eingriff in die Berufsfreiheit für ausgeschlossen, wenn lediglich die die "Erwerbstätigkeit maßgeblich beeinflussenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen" verändert werden (BVerwGE 71, 183 [193]). So auch Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 722.
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bewerbs dar . Es sei das allgemeine Risiko eines jeden Herstellers, daß sein Produkt von Außenstehenden auf Qualität und Leistungsfähigkeit überprüft und als Grundlage der Kaufentscheidung mit den Waren anderer Hersteller verglichen werde; so verwirkliche sich etwa in den Transparenzlisten lediglich das von jedem Hersteller zu tragende Marktrisiko 99 . Die neutrale, sachlich richtige Information könne nie ein Grundrechtseingriff sein ldo . M.E. wird aber auch hier dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, daß der Staat in diesen Fällen im Rahmen der Verfolgung eines bestimmten Zwecks auf eine Beeinträchtigung der Produkthersteller notwendig abzielt. Ein Vergleich mit Fällen, in denen der BGH einen Eingriff in das durch Art. 14 GG gewährleistete Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wegen der bloßen Veränderung von sich auf das Marktgeschehen auswirkenden Rahmenbedingungen verneinte 101, macht den Unterschied deutlich. Im Fall der Transparenzlisten bezweckt der Staat die Umsatzverluste bei bestimmten Arzneimittelherstellern, um das Ziel der Senkimg des Arzneimittelpreisniveaus zu errreichen. Die belastende Zielrichtung der Maßnahme wendet sich also konkret und individuell gegen bestimmte Unternehmen. Greift der Staat derart zielgerichtet und individuell in das Marktgeschehen ein, kann man nicht mehr vom normalen "Marktri9 8 Vgl. zu den Transparenzlisten OVG Berlin OVGE Bin 15, 120 ff (128): "kein Arzneimittelhersteller besitze ein subjektives Recht auf Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten aus der Undurchsichtigkeit des Angebots auf dem Arzneimittelmarkt". Durch Leistungskritik verursachte Absatzeinbußen gehörten vielmehr zu den systemimmanenten Risiken eines Unternehmers in einer marktwirtschaftlichen Ordnung; ebenso Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 722 f. Demgegenüber will das BVerwGE 71,183 (195) Beeinträchtigungen durch staatliche Maßnahmen, die der Gewährleistung eines funktionierenden Marktes dienen, nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 12 I GG ausklammern. Art. 12 I GG schütze jede erlaubte und nicht bloß die "marktwirtschaftskonforme" berufliche Betätigung. Allgemein zu behördlichen Produktinformationen. Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 ff. (2710): "den Grundrechten könne nur das Ordnungsziel eines funktionsfähigen, transparenten Wettbewerbs" entnommen werden, sachlich zutreffende Produktinformationen störten den freien Wettbewerb nicht und hätten somit keinen Eingriffscharakter. 99 Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 722 f.
100
Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 13. In BGHZ 45,83 hatte die Bundesrepublik den Außenzollsatz für Knäckebrot von 25 % auf 10 % ermäßigt; dadurch stieg der Umsatz schwedischer Knäckebrothersteller, der Umsatz der klagenden deutschen Knäckebrotfabrik ging drastisch zurück. In BGH NJW 1968, 293 ff. wurden Ausrüstungsbestimmungen in der StVZO geändert, sodaß die Verwendung bestimmter Blinkleuchten nicht mehr zulässig war. Dagegen wehrte sich ein Hersteller von Blinkleuchten, der diese nun nicht mehr absetzen konnte. Schließlich lag BGHZ 65, 241 ff. der Sachverhalt zugrunde, daß es im Zuge einer kommunalen Neuordnung in NRW zu einer Veränderung der Landgerichtsbezirke kam. Dagegen wehrten sich zugelassenen Rechtsanwälte, deren Betätigungsbereich verändert wurde. 1 0 1
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siko" sprechen . In den vom BGH entschiedenen Fällen hingegen wurden lediglich Rahmenbedingungen des Wettbewerbs verändert, ohne daß diese zielgerichtet zu Lasten bestimmter Unternehmen gehen sollten. Die Beeinträchtigungen waren hier lediglich "Begleiterscheinungen" der staatlichen Maßnahmen. So war etwa durch die Änderung der Landgerichtsbezirke eine Schmälerung der Gewinnerzielungsmöglichkeiten einzelner Anwälte nicht angestrebt, genausowenig wie durch die Senkung des Außenzollsatzes fur Knäckebrot ein Umsatzverlust deutscher Knäckebrothersteller herbeigeführt werden sollte. Bestätigung erfährt diese Sichtweise durch die Transparenzlisten-Entscheidung des BVerwG. Auch dort werden die die Erwerbstätigkeit des Unternehmers "maßgeblich beeinflussenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen" als grundrechtsneutral und die bloße nachteilige Veränderung wirtschaftlicher Verhältnisse als Folge staatlicher Maßnahmen grundsätzlich nicht als Eingriff angesehen103. Die Grenze zum Grundrechtseingriff überschritten sieht das Gericht jedoch bei "Maßnahmen, mit denen der Staat zielgerichtet gewisse Rahmenbedingungen verändert, um zu Lasten bestimmter Unternehmen einen im öffentlichen Interesse erwünschten Erfolg herbeizuführen" 104. Dieser Gedanke läßt sich auf alle Fälle behördlicher Produktinformationen und wohl auch alle finalen Drittbeeinträchtigungen übertragen: Zielt der Staat mit seiner Maßnahme im Rahmen der Verfolgung eines bestimmten Zwecks gerade auf die Beeinträchtigung eines individualisierbaren Dritten ab, hat die Beeinträchtigung Eingriffsqualität, auch wenn sie lediglich durch ein Marktverhalten auf der Basis sachlich zutreffender Information oder andere Zwischenursachen vermittelt wird. Auch insoweit muß die enge "Verwandtschaft" einer solchen Vorgehensweise mit einem an den Dritten adressierten Verbot Berücksichtigung finden. IV. Zwischenergebnis Es kann somit zweierlei festgehalten werden: Zum einen kann die Eingriffsqualität finaler Drittbeeinträchtigungen verfassungsrechtlich in spezifischer Weise begründet werden. Die verbreitete Auffassung, die finale Drittbeeinträchtigungen undifferenziert als Teilproblem faktischer Beeinträchtigungen behandelt, ist abzulehnen. Eine teleologische Auslegung der Grundrechte in ihrer Funktion als subjektive Abwehrrechte gegen den Staat verbietet staatliche Strategien zur Umge102 103 104
Im Ergebnis so auch Ossenbühl, Umweltpflege, S. 26 f.; Pinger, JuS 1988,53 ff. (55). BVerwGE 71,183 (193). BVerwGE 71,183 (192 f.).
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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hung des Grundrechtsschutzes. Finale Drittbeeinträchtigungen unterscheiden sich von klassischen Eingriffen lediglich in den staatlicherseits gewählten Mitteln, beide sind jedoch auf Herbeiführung eines den Bürger beeinträchtigenden Erfolgs gerichtet; letzteres ist für den Bürger und sein Interesse am Freibleiben seines Freiheitsbereichs von staatlichen Beeinträchtigungen entscheidend. Um Umgehungsmöglichkeiten zu verhindern, müssen die Grundrechte ihre subjektivrechtliche Wirkkraft auch gegenüber finalen Drittbeeinträchtigungen entfalten. Zum anderen hat sich gezeigt, daß die generell gegen die Grundrechtsrelevanz jeder faktischen Beeinträchtigung vorgebrachten Einwände im Falle finaler Drittbeeinträchtigungen nicht greifen. Insoweit hat sich die Finalität der Drittbeeinträchtigung als funktionsadäquates Kriterium erwiesen. Damit ist zwar grundsätzlich, aber nicht für jeden Einzelfall geklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen finale Drittbeeinträchtigungen den Tatbestand des Grundrechtseingriffs erfüllen. Verbleibende Einzelprobleme werden im Anschluß behandelt. V Verbleibende Probleme 1. Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch die autonome Entscheidung Privater? a) Die Fragestellung Die Beispielsfälle finaler Drittbeeinträchtigungen haben gezeigt, daß es vielfach zu dem tatsächlichen Nachteil des Dritten erst durch eine von der Verwaltung veranlaßte bzw. beeinflußte, mehr oder weniger "freie" Entscheidung Privater kommt. So hängt im Fall behördlicher Warnungen vor umweltschädlichen Produkten die bezweckte Absatzminderung von der Befolgungsbereitschaft der angesprochenen Konsumenten ab, im Fall von Warnungen vor - namentlich bezeichneten - "Jugendsekten" hängt die angestrebte Einschränkung des Zulaufs vom Verhalten potentieller Mitglieder ab. Es handelt sich um Maßnahmen der schlichten Hoheitsverwaltung, die nicht mit rechtlichem Zwang arbeiten, sondern ihr Ziel über die Beeinflussung der Motivation der Adressaten zu erreichen suchen. Bedeutet nun der Umstand, daß die Beeinträchtigung letztlich maßgeblich auf einer Entscheidung Privater beruht, daß sie dem Staat nicht mehr als Grundrechtsbeeinträchtigung zugerechnet werden kann? Zwar ist der Kausalzusammenhang zwischen Verwaltungshandeln und Grundrechtsbeeinträchti-
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
gung nicht unterbrochen 105. Denn trotz des "zwischengeschalteten" privaten Verhaltens bleibt die behördliche Information eine "conditio sine qua non" i.S.d. Äquivalenztheorie 106 für die Absatz- bzw. Zulaufminderung. Auch bei Zugrundelegung der Adäquanztheorie 107 wäre die behördliche Warnung noch kausal, weil die infolge der veränderten "Nachfrage" eingetretene Absatzminderung bzw. Zulaufeinschränkung nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Acht zu lassenden Umständen eintrat, sondern durchaus "adäquate Folge" des Verwaltungshandelns war. Aber es ist beispielsweise im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht allgemein anerkannt, daß der Zurechnungszusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten und dem Schaden in Fällen sog. mittelbarer Kausalität 0 8 trotz bestehender Adäquanz durch das auf freier Entscheidimg beruhende Dazwischentreten Dritter unterbrochen werden kann 109 . Der vergleichbaren Fragestellung im Verfassungsrecht wurde bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt und es erfolgte lediglich ansatzweise eine Problematisierung 110. Ein Ansatzpunkt findet sich möglicherweise in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht nimmt in seinem Urteil zur NATO-Nachrüstung Stellung zur grundrechtlichen Verantwortlichkeit der Bundesrepublik für Gefahren, die als Folge der Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung von Mittelstrecken-
1 5 Die Kausalität etwa einer behördlichen Warnung für den konkreten Umsatzverlust muß auf jeden Fall vorliegen. Der Nachweis kann im Einzelfall schwierig sein, wenn z.B. noch andere, "kausalverdächtige" Ursachen in Betracht kommen, vgl. Ossenbühl, S. 85. 106 Zum Kausalitätsbegriff i.S.d. im Strafrecht geltenden Äquivalenztheorie vgl. Wessels, Strafrecht AT, S. 48 ff. 107
Zur Adäquanztheorie, die sich im Zivilrecht durchgesetzt hat, vgl. RGZ 158, 38 sowie der BGH in ständiger Rechtsprechung, vgl. Jauernig, BGB, Vor §§ 249 - 253 Anm. V 3 b. 108 Grundsätzlich hängt die Zurechnung nicht davon ab, ob das schädigende Verhalten den Schaden unmittelbar oder erst wegen des Hinzutretens anderer Umstände herbeigeführt hat, vgl. 109Grunsky, in: Münchener Kommentar, Vor § 249 Rn. 52 m.w.N. Grunsky, in: Münchener Kommentar, Vor § 249 Rn. 62 ff. m.w.N.; Goergens, JuS 1977, 713 ff.; BGHZ 57, 30; 58, 162; 63, 192; 70, 374. Bekannter Beispielsfall ist insoweit, daß bei Blockierung der Straße durch einen von S verursachten Unfall nachfolgende Fahrer aus Ungeduld auf den Grünstreifen bzw. den Bürgersteig ausweichen und dadurch den Straßeneigentümer schädigen. Der BGH und mit ihm die h.M. lehnen in diesen sog. "Grünstreifenfällen" eine Haftung des Unfallverursachers für diese Schäden ab, da der Unfall das Verhalten der Autofahrer nicht herausgefordert habe, sondern nur äußerer Anlaß oder Motivation ihres eigenmächtigen Handelns gewesen sei, vgl. BGHZ 58, 162 (167 f.); Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 653. 110 Zu nennen sind lediglich Schwabe, Probleme, S. 180 ff.; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 29 f., 85 sowie Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988,373 ff. (377 f.).
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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waffen und Marschflugkörpern entstehen können 111 . Es ging insoweit um Gefährdungen des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit deutscher Bürger, die in einem atomaren Präventivschlag oder einem irrtümlichen Gegenschlag seitens der Sowjetunion gesehen werden 112 . Das Gericht führt aus, daß die einer Beeinträchtigung gleichzusetzende Gefährdung 113 hier unmittelbar auf der Entschließung bzw. dem Verhalten eines souveränen Staates beruhe. Dieses "Dazwischentreten" eines souveränen Staates als "wirkungsmächtigste Ursache" 114 unterbreche den Zurechnungszusammenhang, weil die Bundesrepublik aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen gehindert sei, auf den möglicherweise zum Grundrechtseingriff führenden Geschehensablauf Einfluß zu nehmen115. Der Gedanke Hegt nicht fern, diese Grundsätze entsprechend auch auf finale Drittbeeinträchtigungen anzuwenden. So könnte man etwa im Fall staatlicher Produktinformationen das Marktverhalten der Konsumenten als völlig eigenständige, privatautonome, durch Art. 11,2 I GG geschützte Entscheidung ansehen, welche verhindert, daß die hervorgerufenen Absatzminderungen der Behörde zugerechnet werden. Genau zu diesem Ergebnis kommt Lübbe-Wolff: Sachlich zutreffende behördliche Produktinformationen schränkten die Autonomie des Verbrauchers nicht ein, sondern setzten diese gerade voraus; deshalb bleibe der Wettbewerbsmechanismus von staatlichen Empfehlungen "völlig unberührt", ein Eingriff in Grundrechte des Produktherstellers scheide aus 116 . Das BVerwG ist insoweit gerade anderer Auffassung: Es stellt lapidar fest, der Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigimg durch die Veröffentlichung der Transparenzlisten stehe nicht entgegen, daß "die möglichen wirtschaftlichen Nachteile für den Arzneimittelhersteller allein auf dem autonomen Verhalten Dritter beruhen, nämlich dem der Arzte und der Konkurrenten"
111
117
BVerfGE 66,39 ff.
112 BVerfGE 66, 39 (63). Daß es sich insoweit um faktische Beeinträchtigungen handelt, wurde bereits oben (Teil 2, Abschnitt 2, Β, II, 2, a festgestellt. 113 Vgl. zu den Voraussetzungen, unter denen bloße Grundrechtsgefährdungen Grundrechtsbeeinträchtigungen darstellen BVerfGE 49, 89 (141); 51,324 (346 f.); 66,39 (57 ff.); Pieroth/Schlink, Grundrechte Rn. 108 f. 1 1 4 BVerfGE 66,39 (63). 115
BVerfGE 66,39 (60 ff.).
116
Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. (2711 f.).
1 1 7
BVerwGE 71,183 (191).
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
b) Der Grad der Motivationsbeeinflussung
als Maßstab
Wie wir gesehen haben, hängt die von der Verwaltung angestrebte Wirkung in den hier diskutierten Fällen davon ab, ob und inwieweit die Adressaten bereit und in der Lage sind, sich dem Inhalt der Verwaltungsmaßnahme gemäß zu verhalten 1 8 . Deshalb muß es fur die Beantwortung der Frage, ob das Dazwischentreten eines Privaten den Zurechnungszusammenhang unterbrechen kann oder ob der Private als bloßes "Werkzeug1' oder "Handlanger" der Verwaltung anzusehen ist, entscheidend auf den Grad der Motivationsbeeinflussung des Privaten bzw. den Grad seiner Entscheidungsfreiheit ankommen119. aa) Rechtlicher Zwang Wird dem Privaten in derartigen Dreieckskonstellationen ein rechtlicher Zwang auferlegt, er also insbesondere zu dem von der Verwaltung bezweckten Verhalten verpflichtet, so ist die infolge seines Verhaltens eintretende Beeinträchtigung eindeutig dem Staat zuzurechnen 120. Hier ist die Entscheidungsfreiheit des Privaten so eingeengt, daß er als bloßes "Werkzeug" der Verwaltung erscheint. Mit gewissen Einschränkungen besteht ein derartiger rechtlicher Zwang z.B. im Fall der Transparenzlisten. Durch das in § 368 e RVO normierte Wirtschaftlichkeitsgebot sind die Ärzte grundsätzlich verpflichtet, die Transparenzlisten zu benutzen und die kostengünstigeren Arzneimittel zu verschreiben. Diese rechtliche Verpflichtung steht allerdings unter einem Vorbehalt: Hält es der Arzt im konkreten Einzelfall für medizinisch angebracht, kann er auch von der Liste abweichen und ein teureres Mittel verschreiben 121. Das bedeutet im Ergebnis, daß dem Arzt ein fachlich begründeter Entscheidungsspielraum zusteht und sich die Transparenzlisten deshalb in der Praxis nur als faktische Einwirkung auf die Entscheidimgsfreiheit des Arztes darstellen.
1 1 8
Vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 29.
119 Dabei muß von vornherein auf die Relativität derartiger Abgrenzungen hingewiesen werden angesichts der fließenden Grenzen etwa zwischen Wissensvermittlung und echter Willensbeeinflussung; vgl. dazu auch Mohr, N+R1989,101 ff. (105). 120 So auch Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, 373 ff. (377). Vgl. insoweit bereits das Beispiel Otto Mayers, Dt. Verwaltungsrecht I, S. 226 f. Anm. 14, wo eine Handlung durch Polizeibefehl auferlegt wird, die einen Dritten beeinträchtigt. Wagner, W D S t R L 27 (1968), S. 47 ff. (63) sieht in der Tatsache, daß der Imperativ einen stärkeren Zwangsgehalt hat als die Instrumente der Begünstigung oder Belastung, eine ausreichende Rechtfertigung dafür, nur ihn als unmittelbar eingreifend zu qualifizieren. 121 Vgl. Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 715 ff. (719).
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bb) Psychologischer, faktischer Zwang (1) Meinungsstand Rechtsprechung und Literatur stellen unter bestimmten Voraussetzungen auch die bloße psychologische Beeinflussung Privater durch staatliche Appelle, Empfehlungen u.ä. dem rechtlichen Zwang gleich. Als grundlegend kann insoweit das Urteil des BGH im sog. "Impfmerkblatt-Fall" angesehen werden 122 , wo es um Aufopferungsansprüche wegen der durch eine Tuberkuloseschutzimpfung entstandenen Schäden ging. In dem entschiedenen Fall bestand zwar kein Impfzwang, vom zuständigen Ministerium war jedoch an Eltern ein Merkblatt verteilt worden, das "in besonders eindringlich gehaltener Weise die Schutzimpfung" empfahl und "den Eltern die zeitbedingte erhöhte Gefährdung ihrer Kinder durch eine heimtückische Krankheit vor Augen" stellte . Der BGH vertrat die Auffassung, die Entscheidung der Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen, könne den Zurechnungszusammenhang dann nicht unterbrechen, wenn der psychologische Zwang so intensiv sei, daß er die Eltern "in eine schwere Gewissensnot" bringt, daß er ihnen "eine eigene Entscheidimg über die Impfung ihrer Kinder nur noch der Form nach zugesteht"124. Letztendlich verwies der BGH die Sache zurück mit dem Auftrag an die Tatsacheninstanz, zur konkreten Begründung des Gewissenszwangs festzustellen, ob eine beträchtliche Mehrheit der angesprochenen Eltern sich von dem Merkblatt hatte beeindrucken lassen oder nicht 125 . Daß auch das BVerfG anerkennt, daß staatlich veranlaßter "psychischer Druck" zu Grimdrechtsbeeinträchtigungen führen kann, ist etwa dem Urteil zur Volkszählung zu entnehmen1 . In der Literatur hält man psychologische Einflußnahmen des Staates für Eingriffe, wenn sie für den angesprochenen Bürger unwiderstehlich sind oder aus Gründen der inneren Überzeugung tatsächlich befolgt werden 127 bzw. das Verhalten des Privaten "notwendige Folge" der Einflußnahme ist, 122 1 2 3
BGHZ 24,45 ff. Vgl. bereits oben Teil 1, Abschnitt 5, D, II. BGHZ 24,45 (46). Vgl. auch BGHZ 16,366 (374); 25,238 (242); 31,187 (191).
124
BGHZ 24, 45 (46 f.). In der Entscheidung BGHZ 31, 187 (191) wird von "psychologischem Abfordern" gesprochen. Zum Ganzen Lerche, DÖV 1961,486 ff. (490). 125
1
BGHZ 24,45 (47).
BVerfGE 65,1 ff. Auf Seite 43 führt es insoweit aus: "Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden." 127
15 Roth
Ossenbühl, Umweltpflege, S. 29.
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
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die staatliche Gewalt und nicht die Privatperson den maßgeblichen Einfluß auf die grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung hat 1 2 8 . (2) Stellungnahme Der herrschenden Meinung ist darin zu folgen, daß dem "dazwischentretenden" Verhalten des Privaten nicht allein durch staatlicherseits ausgeübten rechtlichen Zwang, sondern auch durch gewisse psychologische Einflußnahmen die Autonomie genommen werden kann. Auch insoweit kann der Umgehungsgedanke fruchtbar gemacht werden 129 : Benutzt die Verwaltung durch psychische Einwirkung auf Private diese als Werkzeug, um die Beeinträchtigung eines Dritten zu erreichen, muß sie sich so behandeln lassen, als ob sie die Beeinträchtigung unmittelbar regelnd herbeigeführt hätte. Entgegen der Rechtsprechung des BGH erlangt der Private die "Werkzeug-Qualität" jedoch nicht nur dann, wenn er aufgrund schwerer Gewissensnot nur noch formal die Entscheidungsfreiheit hat. Bei den finalen Dittbeeinträchtigungen plant die Verwaltung das vernunftgemäße, verantwortungsvolle Handeln seiner Bürger ein, der Eintritt des bezweckten Erfolgs ist nicht etwa von einer "schweren Gewissensnot" des Bürgers abhängig. Andererseits kann entgegen Ossenbühl die bloße Tatsache der Befolgung eines Rats oder einer Empfehlung eines staatlichen Organs nicht ausreichen. Der behördlichen Empfehlung muß eine objektivierte und allgemeine Wirksamkeit zukommen, sodaß etwa Reaktionen in einigen Einzelfällen nicht genügen, um eine staatliche Verantwortlichkeit zu begründen 1 3 0 .
In Anlehnung an die zivilrechtliche Rechtsprechung des BGH zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs in Fällen mittelbarer Kausalität ist deshalb darauf abzustellen, ob sich ein vernünftiger Durchschnittsbürger zu einem entsprechenden Verhalten als Reaktion auf das staatliche Handeln ver anlaßt fühlen durfte 131. Zunächst muß der Bürger sich vom Staat beeinflußt sehen. Das wäre wohl abzulehnen, wenn etwa der Bundeskanzler die vermehrte Benutzung von Pfandflaschen im Interesse des Umweltschutzes empfenlen würde; die Wirksamkeit dieser Äußerung wäre wohl eher seiner Stellung als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens denn seiner Position als Staatsorgan zuzurechnen, sodaß es sich nur um den äußeren Anlaß für eine 10Ä
AZÖ
129 130
Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988,373 ff. (378). Zu diesem ausführlich oben B, II.
Genau diese Überlegung hat auch den BGH in BGHZ 24, 45 (47) zur Zurückverweisung 131 veranlaßt. Vgl. etwa die entsprechende Formulierung in BGHZ 63,189 (192 f.).
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autonome Bürgerentscheidung handelte. Im übrigen kann die hoheitliche Veranlassung des Verhaltens des Privaten anhand verschiedener Indizien festgestellt werden. Als Indiz (nicht jedoch als alleiniger Maßstab) eine große Rolle spielt natürlich die tatsächliche Befolgung der behördlichen Maßnahme. Wird z.B. die behördliche Empfehlung, ein bestimmtes Produkt nicht zu verwenden, von einem erheblichen Teil der Nachfrager befolgt 132 , so spricht dies für einen bestehenden Zurechnungszusammenhang. Auch der Art des handelnden Organs kommt insoweit Bedeutung zu. Der "vernünftige Durchschnittsbürger" läßt sich eher beeinflussen von einer Warnung oder Empfehlung, die von einer Fachbehörde mit besonderem Sachverstand, wie z.B. dem Bundesgesundheitsamt oder dem Umweltbundesamt im Rahmen seiner Zuständigkeit herausgegeben wurde. Von Bedeutung in diesem Zusammenhang ist auch der "amtliche" Charakter der Maßnähme . Bei der genannten amtlichen Kurzinformation des Umweltbundesamts vom 12.9.1984 im Hinblick auf die Waschverstärkertücher sowie der Gemeinsamen Stellungnahme von Umweltbundesamt und Bundesgesundheitsamt zur Nichtanwendung von Toilettensteinen handelt es sich um - in der Terminologie des BVerwG gesprochen - "mit amtlicher Autorität ausgestattete Werturteile" 134 , die in ihrer Durchschlagskraft auf den Verbraucher anders einzuschätzen sind als etwa Äußerungen eines Behördenleiters in einem Fernseh- oder Zeitungsinterview. Weiterhin muß nicht zwingend eine verhaltensbestimmende Erklärung wie eine Warnung oder ein Appell vorliegen; auch die bloße Information kann in Fällen gesteigerter Befolgungsbereitschaft der Adressaten - etwa wenn es um Gesundheitsgefahren geht - ausreichen 135. Schließlich kann der psychologische Druck durch die Verknüpfung mit einem gewissen rechtlichen Zwang verstärkt sein und auf diese Weise eine Wirksamkeit erzeugen, die das "Dazwischentreten" eines Privaten irrelevant erscheinen läßt. Dies gilt für den Fall der Transparenzlisten: Der verordnende Arzt wird in seiner Entscheidung sowohl durch den amtlichen Charakter der Transparenzlisten als auch durch das ihn im Grundsatz bindende Wirtschaftlichkeitsgebot maßgeblich bestimmt 136 ; trotz der ärztlichen Entscheidung als Zwischenursache vertritt das BVerwG deshalb, die Wirkung der Transparenzlisten käme der "eines unmittelbaren staatlichen Zwangseingriffs in das Marktgeschehen" gleich 137 .
132 1 3 3 134
135
Vgl. das Beispiel bei Ossenbühl, Umweltpflege, S. 2. Vgl. auch Pinger, JuS 1988,53 ff. (55). BVerwGE 71,183 (194).
Ossenbühl, Umweltpflege, S. 59 f. nennt insoweit die reine Presseinformation eines chemischen Untersuchungsamtes, daß 5 genommene Lebensmittelproben verdorben sind. 136 Siehe dazu bereits oben c, aa. 1 7
BVerwGE 71,183 (19).
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
Als Ergebnis kann somit festgehalten werden, daß in unseren Beispielen (A, I, II; B.) dem Eingriffscharakter der Verwaltungsmaßnahmen der Umstand nicht entgegensteht, daß die grundrechtliche Beeinträchtigung erst als Folge eines (autonomen) Verhaltens Privater eingetreten ist 1 3 8 . 2. Verwaltungsinterne Maßnahmen oder Regelungen als Grundlage finaler Drittbeeinträchtigungen Ein zusätzliches Problem, das sich im Zusammenhang mit der Grundrechtsrelevanz finaler Drittbeeinträchtigungen stellen kann, wird an dem oben beschriebenen Subventionsrichtlinien-Fall deutlich 139 . Die Beeinträchtigung der Klägerin erhielt hier ihre Mittelbarkeit dadurch, daß der Ausschluß von der Betreuertätigkeit von einer entsprechenden Entscheidung des Subventionsbegünstigten abhing. Die Besonderheit des Falles lag nun darin, daß diese Entscheidung maßgeblich beeinflußt wurde durch die Subventionsrichtlinien, die als Betreuer nur zwei bestimmte Gesellschaften zuließen140. Bei diesen Subventionsrichtlinien handelt es sich um lediglich verwaltungsinterne Regelungen141. Diese Richtlinien entfalten weder gegenüber dem Subventionsbegünstigten noch gegenüber dem Dritten (der Klägerin) eine rechtliche Außenwirkung, sie binden lediglich die untergeordneten Dienststellen und Beamten, an die sie adressiert sind 142 . Allgemein geht man davon aus, daß ein Rechtsschutz des außenstehenden Bürgers gegen verwaltungsinterne, generelle Regelungen mangels konkreter (Grund-) Rechtsbeeinträchtigung im Regelfall ausscheidet, weil dieser normalerweise die - ausreichenden Rechtssschutz bietende - Möglichkeit 138
Deshalb kann auch Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 ff. (2711 f.), nicht gefolgt weiden. Sie sieht in den Fällen behördlicher Produktempfehlungen die Autonomie der Verbraucher und damit auch den Wettbewerbsmechanismus unberührt. Allerdings hat sie Begründungsprobleme, weil man einwenden kann, "Präferenzstrukturen der Verbraucher" seien keine Angelegenheiten des Staates, sondern nach dem Wettbewerbsmodell allein Sache der Verbraucher und der werbenden Industrie. Indem sie die Einmischung des Staates letztlich mit einem "legitimen Beeinflussungsinteresse ... aufgrund verfassungskonformer oder sogar unmittelbar verfassungsrechtlicher Aufgabenzuweisung" rechtfertigt, verkennt sie, daß Aufgabenzuweisungen noch nichts über die Legitimierung der Mittel aussagen, mit denen die Aufgaben erfüllt werden sollen (dazu i.e. unten Abschnitt 3, A, III). 1 3 9 BVerwGE 75,109 ff. 140 141
Vgl. zum Sachverhalt oben Abschnitt 1, B.
BVerwGE 75,109 (117). Allgemein zu Subventionsrichtlinien etwa Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 14 Rn. 14, 36. Allgemein zu Verwaltungsrichtlinien Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24. 142 Zur rechtlichen Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften vgl. nur Wolff/Bachof, I, S. § 24 II d 2; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rn. 15 ff.
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hat, gegen den konkreten Umsetzungsakt, also etwa den im Außenverhältnis erlassenen Verwaltungsakt gerichtlich vorzugehen 143. Ob aber im vorliegenden Fall die mangelnde "Außenrechtsqualität" der Subventionsrichtlinien der Annahme eines Eingriffs in Grundrechte der Klägerin entgegensteht, erscheint sehr zweifelhaft. Denn im Verhältnis zum Dritten (Klägerin) ergeht ja überhaupt kein Umsetzungsakt mehr, gegen den sich diese gerichtlich zur Wehr setzen könnte 144 . Die konkrete nachteilige Betroffenheit des Dritten ergibt sich bereits aus der tatsächlichen Wirkung, die die Richtlinien haben. Denn unabhängig davon, ob man die "bindende" Wirkung der Richtlinien für die Subventionsbegünstigten über die Figur des "Verwaltungsakts auf Unterwerfung" 145 oder über die allgemeinen Rechtsinstitute Bedingung oder Auflage der Subventionsgewährung konstruiert 146 , jedenfalls bleibt dem potentiellen Subventionsempfänger faktisch keine andere Wahl, als sich den Subventionsrichtlinien entsprechend zu verhalten, da er sonst Gefahr läuft, die Leistung nicht zu erhalten. Dieser faktische Zwang nimmt seiner Entscheidung zur Nichtbeauftragung der Klägerin als Betreuerin die "Autonomie" und zeigt, daß den Richtlinien nur scheinbar "verwaltungsinterne" Wirkung zukommt. Da die beeinträchtigende Wirkung von der Verwaltung bezweckt wurde, muß letztlich auch hier der Umgehungsgedanke zum Eingreifen des Grundrechtsschutzes zugunsten des Dritten führen 147 . Der Gedanke läßt sich verallgemeinern: Veranlaßt die Verwaltung mittels verwaltungsinterner Maßnahmen oder Regelungen gezielt Beeinträchtigungen Dritter, so erfüllen diese grundsätzlich die Voraussetzungen eines Grundrechtseingriffs 148. 143
(379).
Brohm, Verwaltungsvorschriften, S. 11 ff. (31); Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff.
144
Auch Bleckmann/Eckhoff, DVB1. 1988, 373 ff. (379), sehen diesen Gesichtspunkt als entscheidend für den Grundrechtsschutz gegen faktische Beeinträchtigungen durch Verwaltungsvorschriften an. Sie bejahen einen Grundrechtseingriff unter den Voraussetzungen, daß die spätere Anfechtung des Verwaltungsakts zum Schutz der Grundrechte aus Zeitgründen nicht ausreicht oder daß später gar kein entsprechender, anfechtbarer Verwaltungsakt meht ergeht. 145 So das BVerwG, das mit der Subventionsgewährung eine Unterwerfung des Subventionsempfängers unter die ihm in den Richtlinien genannten Bedingungen verknüpft sieht, BVerwGE 75,108 (117) unter Hinweis auf BVerwG DVB1.1969,665. 146 So Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17 Rn. 24 ff.; Wolff/Bachof, I, § 48 ΠΙ a, 1. 147 Auch das BVerwG sieht in der bloß verwaltungsinternen Rechtswirkung der Subventionsrichtlinien keinen ausreichenden Grund, der Klägerin den Grundrechtsschutz zu versagen. Es führt aus: "Auf die Art der Geltung der Richtlinien - wem gegenüber sie verbindlich sind kommt es nicht an; maßgeblich ist hier allein ihre faktische Wirkung1', BVerwGE 75,108 (115). Ähnlich bereits Brohm, Verwaltungsvorschriften, S. 11 ff. (31). 148 Weitere Beispiele für derartige finale Drittbeeinträchtigungen aufgrund von Verwaltungsvorschriften sind bei Brohm, Verwaltungsvorschriften, S. 30 genannt: so z.B. ein
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
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3. Zusätzliches Erfordernis einer gewissen Schwere der Drittbeeinträchtigung Ergebnis unserer bisherigen Ausführungen war, daß Drittbeeinträchtigungen unter der Voraussetzung, daß sie von der Verwaltung bezweckt werden, grundsätzlich als Eingriffe in den Schutzbereich von Grundrechten zu werten sind. In der Literatur wird nun teilweise zusätzlich eine gewisse Intensität der drittbeeinträchtigenden Wirkung mit der Begründung gefordert, nicht jeder geringfügige Nachteil könne bereits als Grundrechtseingriff angesehen werden 149 . Zweifel am Erfordernis einer gewissen Intensität der Drittbeeinträchtigung hegt Lübbe-Wolff. Ihr erscheint es widersprüchlich, daß nach der Rechtsprechung bei subventionsbedingten Wettbewerbsverzerrungen erst eine unerträgliche, existenzbedrohende Schwere der Einwirkung den Grundrechtsschutz auslöst, bei "wettbewerbsverzerrenden Informationen" die Einwirkung jedoch nur eine gewisse Schwere aufzuweisen braucht 150 . Einerseits wird deutlich, daß Lübbe-Wolff nicht hinreichend berücksichtigt, daß es sich bei den "wettbewerbsverzerrenden Informationen" um finale, bei den subventionsbedingten Wettbewerbsverzerrungen tun nicht finale Drittbeeinträchtigungen handelt. Die für die Grundrechtsrelevanz nicht-finaler Beeinträchtigungen von der Rechtsprechung und auch der Literatur geforderte besondere Intensität hat spezifische Gründe, die unten zu untersuchen sind 151 . Andererseits ist Lübbe-Wolff zuzugestehen, daß ein dogmatisches Hinterfragen des Kriteriums der "gewissen Schwere" als die Finalität ergänzendes Merkmal erfoderlich erscheint. Einen Ansatzpunkt dafür, daß auch bei finalen Drittbeeinträchtigungen erst eine gewisse Schwere den Grundrechtsschutz auslöst, kann man im Transparenzlisten-Urteil des BVerwG finden. Dort wird ausgeführt, die Transparenzlisten hätten eine "Durchschlagskraft, die der Wirkimg eines unmittelbaren staatlichen Zwangseingriffs in das Marktgeschehen zu Lasten Runderlaß mit dem Inhalt, Schreiben eines bestimmten Rechtsanwalts nicht mehr zu beantworten; weiterhin ein "Baustofferlaß", durch den die Baugenehmigungsbehörden in Nordwürttemberg vom württembergischen Innenministerium angewiesen wurden, den Einbau von stark schwefelhaltigen Wandplatten aus den Produkten verschiedener Firmen wegen ihrer leichten Brennbarkeit als im Widerspruch zu Art. 68 der württ. BauO v. 28.7.1910 stehend zu verbieten (dazu VGH BW DRZ 1950, 500 f.; Bachof, Festschrift Laforet, S. 308 f.). Auch hier wenden sich die Verwaltungsvorschriften lediglich an untergeordnete Dienststellen, mittelbar, faktisch wirken sie sich aber auf die Rechtspositionen außenstehender Dritter negativ aus. 149 So z.B. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 31; Pinger, JuS 1988,53 ff. (55); Sodan, DOV1987, 858 ff. (863). 1 5 0 NJW 1987, 2705 ff. (2710). Sie wähnt hier keine "dogmatischen Gründe", sondern nur noch "Ergebniswünsche" am Werk. 151
Siehe Teil 4.
Abschnitt 2: Finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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152
einzelner Unternehmer gleichkommt" . Bei der Beurteilung der erforderlichen Intensität faktischer Beeinträchtigungen stellt das BVerwG also auf einen Vergleich mit der Wirkung "klassischer", unmittelbar regelnder Eingriffe ab. M.E. folgt die Richtigkeit einer derartigen vergleichenden Betrachtungsweise bereits aus dem Umstand, daß die Grundrechtsrelevanz finaler Drittbeeinträchtigungen mit der möglichen Umgehung des Grundrechtsschutzes zu begründen ist. Die Möglichkeit einer Umgehung liegt jedoch nur dann vor, wenn auf dem "Umweg" tatsächlich eine gleiche oder zumindest ähnliche Wirkung erreicht wird wie auf dem "normalen" Weg des unmittelbaren Zwangseingriffs 153. Daß das Abstellen auf einen Vergleich der Wirkungen eines klassischen Eingriffs und einer faktischen Beeinträchtigung dazu führen muß, nur faktische Beeinträchtigungen einer gewissen Schwere als grundrechtsrelevant anzusehen, ist logische Folge deren unterschiedlicher Struktur* 5*. Beim klassischen Eingriff ergeben sich Art und Ausmaß der Beeinträchtigung bereits allein aus der Regelung, dem hoheitlich auferlegten Gebot oder Verbot. Die faktische Beeinträchtigung hingegen erschöpft sich nicht darin, daß dem Adressaten ein bestimmtes Verhalten hoheitlich abgefordert wird, sondern folgt erst kumulativ aus dem Verwaltungshandeln und dem zusätzlichen Moment einer tatsächlichen Folge- oder Nebenwirkung 155. Es muß also in der Wirklichkeit zu einer rein tatsächlichen Belastung des Betroffenen gekommen sein. Angesichts der Vielzahl von Nachteilen, denen der Bürger ausgesetzt ist, setzt die Vergleichbarkeit faktischer Beeinträchtigungen mit der belastenden Wirkung, die eine unmittelbar regelnde Maßnahme gegenüber dem Betroffenen hat, deshalb voraus, daß das zusätzliche Moment der Folge- oder Nebenwirkung eine gewisse Schwere aufweist. Z.B. im Fall der durch behördliche Produktinformationen ausgelösten Nachteile für die Produkthersteller liegt somit ein Eingriff in deren Grundrechte nur unter der zusätzlichen Voraussetzung vor, daß diese Informationen zu nicht unerheblichen Umsatzverlusten führen 156 .
1 5 2
BVerwGE 71,183 (195).
^ Vgl. Kirchhof, Verwalten, S. 191. 154 Dazu bereits oben die Einleitung sowie Teil 2, Abschnitt 4. 155 Vgl. auch Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 12. 156
I.E. ebenso Ossenbühl, Umweltpflege, S. 31; Pinger, JuS 1988, 53 ff. (55). Demgegenüber kann die bloße nachteilige Einwirkung auf den "Rur oder das "Image" eines Unternehmens bzw. Produkts nicht ausreichen (a.A. Philipp, Verbraucherinformationen, S. 151). Denn ohne ein Abstellen auf konkrete Umsatzverluste würde sich eine "Ruf-" oder "Imageschädigung" kaum objektiv nachweisen lassen.
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
C. Resümee des zweiten Abschnitts: Die Sonderstellung finaler Drittbeeinträchtigungen
Entgegen einer verbreiteten Auffassung im Schrifttum darf die Problematik finaler Drittbeeinträchtigungen nicht mit dem Gesamtproblem faktischer Beeinträchtigungen vermengt werden. Finalen Drittbeeinträchtigungen kommt innerhalb der faktischen Beeinträchtigungen eine Sonderstellung zu, da sich ihre Grundrechtsrelevanz in spezifischer Weise verfassungsrechtlich begründen läßt. I. Drittbeeinträchtigungen sind grundsätzlich als Eingriffe in Grundrechte der Dritten zu werten, wenn sie kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllen: 1. Sie müssen den jeweils speziell zu ermittelnden thematischen Schutzbereich eines Grundrechts berühren. Der thematischen Einschlägigkeit des Grundrechts aus Art. 12 I GG in Fällen behördlicher Produktwarnungen steht nicht entgegen, daß sich diese auf gesundheitsgefährdende oder den gesetzlichen Vorschriften widersprechende Produkte beziehen. 2. Die Verwaltung muß die Herbeiführung der Drittbeeinträchtigung bezwecken. Die Finalität stellt ein sicheres, verfassungsrechtlich begründetes und funktionsadäquates Kriterium zur Bestimmung des Eingriffscharakters dar. Für die Finalität reicht es aus, wenn die Drittbeeinträchtigung notwendige Voraussetzung oder Folge der Verwirklichung des angestrebten Ziels ist. Allerdings muß sich anhand der Zweckrichtung der Maßnahme die Beeinträchtigung einzelner, individualisierbarer Grundrechtsträger ermitteln lassen. 3. Schließlich dürfen die infolge des Verwaltungshandelns ausgelösten tatsächlichen Nachteile des Dritten nicht unerheblich sein. II. Beruht die Drittbeeinträchtigung maßgeblich auf einer Entscheidimg Privater, ist sie dem Staat als Grundrechteingriff zuzurechnen, wenn sich ein vernünftiger Duchschnittsbürger zu einem entsprechenden Verhalten als Reaktion auf das staatliche Handeln veranlaßt fühlen durfte. III. Veranlaßt die Verwaltung mittels verwaltungsinterner Maßnahmen oder Regelungen gezielt Beeinträchtigungen Dritter, so erfüllen diese grundsätzlich die Voraussetzungen eines Grundrechtseingriffs.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
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Abschnitt 3 Das Erfordernis einer formell-gesetzlichen Grundlage fur finale Drittbeeinträchtigungen
Finale Drittbeeinträchtigungen lösen als Grundrechtseingriffe grundsätzlich die allgemeine Grundrechtsbindung nach Art. 1 ΠΙ GG aus. Der Drittbetroffene kann sich gegen diese Beeinträchtigungen auf das jeweils einschlägige Grundrecht in seiner Funktion als subjektives Abwehrrecht berufen und, falls der Eingriff nicht durch die Schranken des Grundrechts gerechtfertigt ist, gegebenenfalls gerichtlich einen Unterlassungs- bzw. Folgenbeseitigungsanspruch geltend machen1. Noch nicht endgültig entschieden ist damit aber über die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage für finale Drittbeeinträchtigungen. Denn oben haben wir festgestellt, daß im Falle faktischer Beeinträchtigungen, zu denen auch die finalen Drittbeeinträchtigungen zu zählen sind, der Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts und der Schutzbereich der Grundrechte als Abwehrrechte nicht ι zwingend deckungsgleich sind . Rein tatsächlich war und ist im Hinblick auf finale Drittbeeinträchtigungen ein beträchtliches Defizit an formell-gesetzlichen Grundlagen festzustellen3. Ob dieses Defizit mit dem Verfassungsrecht in Einklang steht, soll 1
Zu den sich aus der Abwehrfunktion ergebenden Einzelansprüchen vgl. nur Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 2. 2 Siehe oben Teil 2, Abschnitt 4. 3 a) So konnte beispielsweise im Subventionsrìchtlinien-Fall (BVerwGE 75,109 ff.) eine Ermächtigung, die Klägerin von der Betreuertätigkeit auszuschließen, dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" vom 3. September 1969 (BGBl. I, S. 1573) nicht entnommen werden. Dieses Gesetz sieht einen Betreuer gar nicht vor. Als Ermächtigungsgrundlagen mußten auch der auf der Grundlage des Gesetzes vom Planungsausschuß nach § 6 GemAgrG erlassene Rahmenplan der Länder mangels Gesetzesqualität sowie die Subventionsrichtlinien als bloße Verwaltungsvorschriften ausscheiden, b) Regelungsdefizite sind vor allem aber auch im Hinblick auf zu Drittbeeinträchtigungen führende behördliche Informationen auszumachen: • Dies gilt in besonderem Maße für die staatliche Umweltberatung, also für behördliche Warnungen und Empfehlungen, die sich auf gesetzlich zulässige, ungefährliche Produkte beziehen und im Interesse einer staatlichen "Umweltpflege oder Umweltsorge" ergehen (vgl. zu diesen Begriffen Hoppe, W D S t R L 38 [1980], S. 215; Klopfer, Umweltrecht, S. 10 f.). Siehe dazu die oben (Abschnitt 1, A, I, 2) aufgeführten Beispielsfälle, in denen formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen fehlen (vgl. dazu auch Schulte, DVBl. 1988, 512 ff. [518]; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 56). • Im übrigen Bereich wurden in den letzten Jahren für einige Arten behördlicher Produktinformationen gesetzliche Grundlagen geschaffen. So fügte der Bundesgesetzgeber durch Nr. 21 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 18.8.86 (BGBl. I, S. 1296, 1300) die §§ 39 a - e in das AMG ein und schuf so die vom BVerwG geforderte gesetzliche
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
im folgenden untersucht werden. Dabei wird zunächst unter dem Aspekt des Einpiffsvorbehalts (A.) zu klären sein, ob sich eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung finaler Drittbeeinträchtigungen, insbesondere infolge behördlicher Warnungen, bereits aus verfassungsrechtlichen Bestimmungen ergibt, die formell-gesetzliche Grundlagen entbehrlich machen könnten (I.) 4 . Sodann muß eine Klärung der Hauptfrage erfolgen, ob sich der Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts überhaupt auf finale Drittbeeinträchtigungen erstreckt (Π.). Daran schließt sich die Untersuchimg an, welche Anforderungen an formellgesetzliche Grundlagen zu stellen sind, die finale Drittbeeinträchtigungen rechtfertigen sollen (ΙΠ.). Abschließend muß noch darauf eingegangen werden, ob und inwieweit die Wesentlichkeitstheorie zusätzlich gesetzliche Normierungen im Falle finaler Drittbeeinträchtigungen erfordert (B.).
Grundlage für die Erstellung von Transparenzlisten durch die Transparenzkommission. Durch Art. 1 Nr. 2 der Ersten Verordnung zur Änderung der Tabakverordnung vom 26.10.82 (BGBl. I, S. 1444) wurde § 30 I in die TabakVO eingefügt. Aus § 211 Nr. 1 d des LMBG i.V.m. § 3 a I der TabakVO ergibt sich, daß Zigarettenpackungen nur mit dem Warnhinweis "Rauchen gefährdet ihre Gesundheit" in den Verkehr gebracht werden dürfen. Schließlich wurde in § 91 StrahlenschutzvorsorgeG vom 19.12.86 (BGBl. I, S. 2610,2612) dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eine ausdrückliche Ermächtigung erteilt, zum Schutz der Bevölkerung vor radioaktiver Verseuchung bestimmte Verhaltensweisen zu empfehlen (vgl. Schulte, DVB1. 1988,512 [518]). - Doch auch im Hinblick auf finale Drittbeeinträchtigungen zum Zwecke staatlichen Gesundheitsschutzes bestehen noch Regelungslücken. So ergehen die bereits erwähnten Kunststoffempfehlungen des BGA, die den Arbeitsergebnissen der sog. Kunststoffkommission entsprechen und gravierende wirtschaftliche Auswirkungen auf die Hersteller haben, ohne formell-gesetzliche Grundlage (vgl. Sodan, Funktionsträger, S. 554). - Anders stellt sich die rechtliche Situation bei behördlichen Warnungen dar, die zum Zwecke der Gefahrenabwehr eingesetzt werden. Als Beispiele sind Warnungen vor Lebensmitteln, die den gesetzlichen (lebensmittelrechtlichen, weinrechtlichen) Vorschriften widersprechen, sowie vor (pseudo-) religiösen Vereinigungen, von denen Gefahren für potentielle Mitglieder ausgehen, zu nennen (s. oben Abschnitt 1, A, 1,4; II). Da im Recht der Gefahrenabwehr den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügende Rechtsgrundlagen im Grundsatz vorhanden sind (entweder sonderpolizeirechtliche Befugnisnormen oder die Standardermächtigungen bzw. die Generalklausel des allgemeinen Polizeirechts), stellt sich hier vor allem die Frage, ob über die grundsätzlich zu polizeirechtlichen Eingriffen ermächtigten Länder hinaus auch der Bund die Befugnis hat, bei Vorliegen einer polizeilichen Gefahr grundrechtseingreifende Warnungen auszusprechen. 4 Diese gegenüber II. logisch nachrangige, aber weniger komplexe Frage wird aus Darstellungsgründen vorgezogen.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
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A. Der Eingriffsvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
L Entbehrlichkeit formell-gesetzlicher Grundlagen aufgrund verfassungsrechtlicher Bestimmungen Ob Grundrechtseingriffe infolge behördlicher Warnungen auch ohne das nach dem Prinzip vom Eingriffsvorbehalt erforderliche formelle Gesetz unmittelbar aufgrund Verfassungsrechts gerechtfertigt sein können, wurde bislang vor allem in der Literatur im Hinblick auf behördliche Produktinformationen diskutiert 5. Besondere Relevanz und Aktualität erhält diese Frage nun durch das vom BVerfG bestätigte Urteil des BVerwG vom 23.5.1989, welches die Befugnis eines Bundesministeriums zu grundrechtseingreifenden Warnungen vor Jugendsekten direkt auf die Verfassimg stützt6. 1. "Überspielen" des Eingriffsvorbehalts durch die unmittelbare Anwendung von Verfassungsrecht? Nach der Rechtsprechung und der ganz überwiegenden Auffassung in der Lehre können Eingriffe in die vorbehaltslos gewährleisteten Grundrechte durch kollidierendes Verfasssungsrecht gerechtfertigt sein, wenn diese Eingriffe Kollisionen mit anderen Grundrechten oder anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Verfassungsgütern im Sinne praktischer Konkordanz ausgleichen7. Für Eingriffe in Grundrechte unter einem Gesetzesoder Regelungsvorbehalt, wie etwa die im Falle behördlicher Produktinformationen einschlägigen Art. 12 und 14 GG, wird diese Möglichkeit vereinzelt bestritten 8. Denn hier habe das Grundgesetz die Kollisionsgefahr gesehen und die Eingriffsmöglichkeit geschaffen, weil es auch die Eingriffsnotwendigkeit bejaht habe . Die Kollisionslösung sei in diesen Fällen dem Gesetzgeber übertragen, eine Nachzeichnung der Schranken kollidierenden Verfassungsrechts durch Rechtsprechung und Verwaltung sei nicht mög-
5 Vgl. Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 715 ff. (724 f.); Ossenbühl, Umweltpflege, S. 33 ff.; Sodan, Funktionsträger, S. 516 f.; Schulte, DVBl. 1988,512 ff. (518 f.). 6
JZ 1989,997 ff.
7
BVerfGE 28, 243 (261); 30, 173 (191); 32, 98 (107 f.); 53, 30 (56); 69, 1 (21). Aus der Literatur vgl. nurv. Münch, in: ders., Vorb. Art. 1-19 Rn. 56 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 372; Krebs, Vorbehalt, S. 114 f.; v. Pollern, JuS 1977, 644 ff. Zur praktischen Konkordanz vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 317 ff.; Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 27 ff. ο Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 378; Isensee, Sicherheit, S. 42 f. Q
Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 378.
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
lieh 10 . Nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, der insoweit zu folgen ist, können jedoch auch Eingriffe in Grundrechte unter Gesetzes- bzw. Regelungsvorbehalt unmittelbar verfassungsrechtlich, durch immanente Grundrechtsschranken gerechtfertigt sein 11 . Letztlich handelt es sich um ein Kompetenzproblem. Auch wenn man von einer prinzipiellen Legislativzuständigkeit für die Konkretisierung von Kollisionsentscheidungen ausgeht12, erscheint die Mindermeinung unter systematischem Aspekt als widersprüchlich, da eine richterliche Kollisionsentscheidung bei den - sicherlich nicht minder schützenswerten - vorbehaltlosen Grundrechten zugelassen wird und so die vorbehaltlosen Grundrechte stärker relativiert werden könnten als die nur mit Vorbehalt 11
gewährten Grundrechte . Außerdem würde der völlige Ausschluß einer derartigen Kompetenz (insbesondere der Judikative) das Gebot der Einzelfallgerechtigkeit verletzen 14. So wäre es ein wenig befriedigendes Ergebnis, wenn etwa die Bundesregierung einen Grundrechtseingriff, der offensichtlich einem im konkreten Fall höherwertigen Verfassungsgut dient, allein wegen der fehlenden formell-gesetzlichen Grundlage unterlassen, das BVerfG ihn für unzulässig erklären müßte15. Ein unmittelbarer Rückgriff 10
Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 374 ff. Noch weitergehend Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 42 f. Er spricht der Verfassung prinzipiell die Qualität ab, als taugliche Rechtsgrundlage für die Rechtfertigung von Eingriffen zu dienen. Die Verfassung nehme allein die Staatsorgane in die Pflicht, in der Verfassung angelegte Pflichten des Bürgers erhielten erst durch das Gesetz ihre Rechtsgeltung und ihre Sanktion. Das BVerfG und das BVerwG nehmen z.B. auch in diesem Bereich für sich die Kompetenz der Kollisionskonkretisierung in Anspruch, vgl. BVerfGE 66, 110 (136) zu einer Einschränkung der Pressefreiheit gem. Art. 5 I S. 2 GG; BVerwG 71,183 (195 f.) zu einer Einschränkung des Art. 12 I GG. Aus der Literatur Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 290; Rüfner, Festgabe BVerfG II, S. 453 ff. (472); Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 298; Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 29; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 33 ff.; Schulte, DVB1. 1988,512 ff. (518). 12
So Krebs, Vorbehalt, S. 119.
Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 29. Er plädiert dafür, ein Unterlaufen der gesetzlichen Vorbehalte dadurch zu verhindern, daß zunächst die grundrechtlichen Vorbehalte geprüft werden, bevor auf kollidierende Grundrechte oder Verfassungsgüter zurückgegriffen wird. 14 15
Vgl. Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 290.
So wäre z.B. im Schleyer-Fall eine Befugnis der Staatsorgane, zum Schutz des Lebens von H.M. Schleyer der Erpressung duch die Terroristen nachzugeben und die Häftlinge freizulassen, von vornherein ausgeschlossen gewesen. Denn, wie das BVerfG in anderem Zusammenhang anerkennt (E 46, 214 (222 f.)), besteht die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die Vollstreckung von Freiheitsstrafen sicherzustellen, soweit nicht gesetzlich normierte Ausnahmen eingreifen. Demgegenüber ging das BVerfG stillschweigend davon aus, daß die Staatsorgane diese Möglichkeit praeter legem gehabt hätten (E 46, 160 (164 f.)). Dazu auch
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
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auf die Verfassung steht allerdings immer unter dem Vorbehalt, daß es sich um weitgehend klare und eindeutige Fälle handelt16. Im folgenden soll nun auf die Möglichkeiten unmittelbarer verfassungsrechtlicher Rechtfertigung behördlicher Informationen eingegangen werden. 2. Mögliche verfassungsrechtliche "Ermächtigungsgrundlagen" a) Grundrechte aa) Art. 51 GG zugunsten der informierenden Behörde ? Eine unmittelbare Berufung z.B. der über die Vor- bzw. Nachteile eines bestimmten Produkts informierenden Behörden als Teil der staatlichen 17
Verwaltung auf das Grundrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit nach Art. 5 I GG scheitert bereits an deren Grundrechtsfähigkeit 18. Somit ließe sich eine verfassungsunmittelbare Begrenzung der Herstellergrundrechte nur noch begründen, wenn man Art. 51 GG auch eine objektivrechtlich-institutionelle Entscheidimg zugunsten einer Verbraucheraufklärung entnimmt, die zur Konstituierung einer marktwirtschaftlichen Ordnung aus
Isensee, Sicherheit, S. 43. Auch Stern (Staatsrecht ΙΠ/1, S. 942) hält den Gesetzgeber lediglich "in erster Linie" für zuständig, die verhältnismäßige Zuordnung kollidierender Rechtsgüter vorzunehmen. 1 6
17
Vgl. Brohm, DÖV 1987,265 ff. (269,271). Etwa das Umweltbundesamt oder das Bundesgesundheitsamt.
18 Insoweit ist entscheidend, daß die Grundrechte subjektive Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, nicht Handlungsermächtigungen des Staates gegenüber seinen Bürgern sind, vgl. BVerfGE 7,198 (204); 21,362 (369); 61,82 (101 ff.); 68,193 (205 f.); 70,1 (15); BVerwGE 71,183 (195 f.); NJW 1984, 2591; OVG Münster DÖV 1985,285. Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 38 ff.; Starck, JuS 1977,732 ff. (733 f.); Ossenbühl, Umweltpflege, S. 33 ff. Speziell zur staatlichen Öffentlichkeitsarbeit Leisner, Öffentlichkeitsarbeit. - Selbst wenn man einem über die herrschende Meinung hinausgehenden Verständnis der Grundrechtsfähigkeit folgte und die Berufung einer staatlichen Einrichtung auf Grundrechte zuließe, soweit diese als juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts dem Staat wie ein Bürger ausgeliefert ist (dies wird mit dem Terminus der "grundrechtstypischen Gefährdungslage" bezeichnet, vgl. v. Mutius, Jura 1983,30 [41]; ebenso Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 39), käme man zu keinem anderen Ergebnis, weil sich auch nach dieser Auffassung aus den Grundrechten jedenfalls nie eine Ermächtigung des Staates zu eingreifendem Handeln gegenüber dem Bürger ergeben kann (v. Mutius, Jura 1983,30 [41]). - Schließlich hat der BGH zwar der Stiftung "Warentest" für ihre Tätigkeit den Schutz des Art. 5.1 GG zugesprochen, diese allerdings zuvor als private Institution qualifiziert (BGHZ 65, 325 [331 f., 333]; Zweifel am "privaten" Charakter der Stiftung "Warentest" hegen Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 724; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 34 ff.).
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
volkswirtschaftlichen Gründen unerläßlich ist 19 . Das BVerwG lehnt diese Argumentation jedenfalls für den Fall der Transparenzlisten mit dem zutreffenden Hinweis ab, diese würden - anders als die Testberichte der Stiftung Warentest - mit dem Zweck der Wirtschaftslenkung eingesetzt und nicht ausschließlich der Verbraucheraufklärung und Beratung dienen20. Da sich auch in den anderen aufgezeigten Fällen behördlicher Produktinformationen die Zweckverfolgung nicht auf die Verbraucheraufklärung beschränkt 21, greift auch dort die Argumentation des BVerwG. bb) Grundrechtliche Schutzpflichten als Ermächtigungsgrundlagen Ein Grundrecht des Bürgers auf Umweltschutz, das etwa in seiner objektivrechtlichen Funktion der Schutzpflichtbegründung als immanente Schranke Grundrechtsbeeinträchtigungen infolge behördlicher Produktinformationen rechtfertigen könnte, ist nach allgemeiner Auffassung dem GG nicht zu entnehmen22 und scheidet daher als mögliche Legitimationsgrundlage aus23. Eine unmittelbare Berufung auf Art. 2 I I GG unter dem Aspekt der Pflicht des Staates zum Gesundheitsschutz scheitert in Fällen behördlicher Umweltberatung daran, daß die Schwelle der konkreten Gesundheitsgefährdung noch nicht erreicht ist. Aber auch wenn von den Produkten (mutmaßliche) Gefahren für die Gesundheit ausgehen24 oder wenn die Aktivitäten und Praktiken einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft bei Menschen mit einer bestimmten Disposition zu psychischen Störungen und damit Gesundheitsbeeinträchtigungen führen können25, reicht die den Staat insoweit treffende Schutzpflicht aus Art. 2 I I GG nicht als Ermächti19
So z.B. Schwerdtfeger, Verbrauchslenkung, S. 725 unter Hinweis auf BGHZ 68, 325 (331 f.). 20 2 1
BVerwGE 71,183 (196). Bestätigend Sodan, Funktionsträger, S. 516 f. Vgl. oben Abschnitt 2, B, III, l,a.
2 2 BVerwGE 54, 211 (219); NJW 1975, 2355 f. (23560- Aus der Literatur vgl. nur v. Münch, in: ders., Art. 2 Rn. 61 m.w.N.; Schmidt, Einführung in das Umweltrecht, 1987, S. 13 ff. m.w.N. Zur Gesamtproblematik vgl. auch Klöpfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 27; Jarass, NJW 1983, 2844 ff. Bisher ist der Gedanke eines Umweltgrundrechts nur eine rechtspolitische Forderung, deren Umsetzung im Wege der Verfassungsänderung wegen der notwendigen Unbestimmtheit dieses Grundrechts wohl überwiegend für nicht praktikabel oder leerlaufend betrachtet wird, vgl. Breuer, Umweltschutz, S. 659; v. Münch, in: ders., Art. 2 Rn. 61; Klöpfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 35. 2 3
24 25
Ossenbühl, Umweltpflege, S. 51 f.; Schulte, DVB1.1988,512 ff. (518 f.). S. den Fall der Kunststoffempfehlungen, Abschnitt 1, A, 1,3. Vgl. BVerwG JZ 1989,997 (1001 f.); BVerfG NJW 1989, 3269 (3270).
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
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gungsgrundlage für die im Einzelfall ausgesprochene Warnung aus. Schutzpflichten als Ausdruck der Grundrechte in ihrer objektivrechtlichen Funktion lassen den staatlichen Organen einen erheblichen Spielraum im Hinblick auf das Ob und Wie ihrer Erfüllung 26. Dafür, daß sich dieser Spielraum in den erwähnten Fällen allein auf eine Maßnahme reduziert, die notwendig mit einem Grundrechtseingriff verbunden ist, bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte27. In Betracht käme das höchstens in evidenten Ausnahmefällen einer akuten und schweren Gefahr für ein bedeutendes Grundrecht, wenn alle anderen Mittel als das der grundrechtseingreifenden Warnung ausscheiden. b) Umweltschutz als Gemeinschaftsinteresse
mit Verfassungsrang
Da das BVerfG als immanente Grundrechtsschranken nicht nur Grundrechte anderer, sondern auch sog. "Gemeinschaftsinteressen mit Verfassungsrang" heranzieht 28, wäre zu erwägen, ob nicht auch der Umweltschutz die Anforderungen eines solchen Instituts erfüllt. Dies erscheint schon deshalb nicht abwegig, weil der Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen seit längerem als notwendige Staatsaufgabe *)f\
27 Vgl. bereits oben Teil 2, Abschnitt 2, A. Ausdrücklich erklärt auch das BVerfG im Jugendsekten-Fall, daß die grundrechtliche Schutzpflicht "noch keine hinreichende Rechtsgrundlage für die im Einzelfall ergriffenen konkreten Maßnahmen des Staates" darstelle, "soweit diesen der Charakter eines Grundrechtseingriffs 28 zukommt", NJW 1989,3269 (3270). So entnahm das BVerfG den Art. 12 a, 73 Nr. 1, 87 a und 115 b GG, daß der "Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr" verfassungsrechtlicher Rang zukommt, BVerfGE 28, 243 (261); 69,1 (21). Im Mülheim-Kärlich-Beschluß (E 53,30 [56]) vertritt es die Auffassung, aus Kompetenzvorschriften der Verfassung über die friedliche Nutzung der Kernenergie folge eine grundsätzliche Anerkennung und Billigung des darin behandelten Gegenstandes durch die Verfassung selbst. Vgl. auch E 58, 300 (339); 67, 213 (228). Diese "großzügige" Rechtsprechung ist allerdings nicht ohne Kritik geblieben. Diese bezieht sich vor allem darauf, daß als immanente Grundrechtsschranken grundgesetzliche Normen herangezogen werden, die eine gänzlich andere Regelungsfunktion haben als die Grundrechte (z.B. Kompetenzvorschriften wie Art. 73 Nr. 1, 87 a GG; Organisationsregelungen wie Art. 115 b GG) und so gewissermaßen "umfunktioniert" werden; vgl. dazu das Sondervotum der Richter Böckenförde und Mahrenholz, BVerfGE 69,57 (59 ff.); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 375 ff., 381; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. Art. 1 Rn. 28, der nicht bereits bloße Kompetenz-, Ermächtigungs- und Organisationsvorschriften ausreichen läßt, sondern den Nachweis verlangt, daß die Verfassung eine Einrichtung etc. nicht nur zuläßt, sondern ihr einen verfassungsrechtlichen Rang verleiht, ähnlich wie ihn die Grundrechte besitzen (als Beispiel nennt er Art. 33 V GG). Allgemein mahnt Jarass im Hinblick auf die Anwendung von verfassungsimmanenten Schranken aus sonstigen Verfassungsgütern zu Vorsicht und Zurückhaltung (Rn. 28). Ähnlich auch Bleckmann, Staatsrecht, S. 358.
240
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen 29
angesehen wird . Im Ergebnis läß sich jedoch mit der Berufung auf den Umweltschutz als Staatsaufgabe eine immanente Beschränkung von Herstellergrundrechten nicht rechtfertigen. Auch die "Gemeinschaftsinteressen mit Verfassungsrang" müssen sich grundsätzlich auf eine ausdrückliche Vorschrift im Grundgesetz zurückführen lassen30. Dies ist beim Umweltschutz nicht der Fall. Wollte man auf eine derartige ausdrückliche Verankerung verzichten, hätte dies in der letzten Konsequenz ein Überspielen der Verfassung durch eine Rechtsprechung zur Folge, die in relativer Beliebigkeit verfassungsrechtlich nicht geschützte "höhere Gemeinschaftsgüter" behaupten könnte31. Aber auch eine Verankerung des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung im Grundgesetz würde nicht zur Begründung einer immanenten Grundrechtsschranke führen. Ahnlich wie ein "Grundrecht auf Umweltschutz" wäre sie notwendigerweise nur eine relativ unbestimmte und abstrakte Grundsatzklausel und als solche auf jeden Fall auf die Ausführung durch den einfachen Gesetzgeber angewieseir2. Das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes könnte auf diesem Weg nicht umgangen werden 33. c) Verfassungsunmittelbare
Befugnis zur Information der Öffentlichkeit
aa) Die demokratische Pflicht der Verwaltung zur Transparenz Ob sich aus einer verfassungsrechtlich begründeten Informations- bzw. Publizitätspflicht der Verwaltung auch deren Befugnis ergibt, ohne spezielle gesetzliche Ermächtigung die Öffentlichkeit zu informieren und damit u.U. Grundrechte Dritter zu beeinträchtigen, wurde bereits Anfang der 70er 29 Stern, Staatsrecht II, S. 908; Murswiek, ZRP 1988, 14 (17); Rauschning, W D S t R L 38 (1980), S. 167 ff.; Hoppe, WDStRL 38 (1980), S. 211 ff.; Schulte, DVB1. 1988, 512 ff. (519); Ossenbühl, Umweltpflege, S. 66 f. 30 Insbesondere Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 309 mit Fn. 6, betont, daß es gerade bei der Begrenzung der Grundrechte darauf ankäme, die geschriebene Verfassung mit ihren sorgfältig abgestuften, nicht generalklauselartigen Vorbehalten ernst zu nehmen. Er verweist insoweit kritisch auf die ältere, vom BVerfG (E 7, 377 [411]) zu Recht abgelehnte Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 19 II GG, wonach es "zum Inbegriff der Grundrechte" gehöre, "daß sie nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden" (BVerwGE 2,89 [93 f.]) 31 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72 mit Fn. 31. Schulte, DVB1.1988,512 ff. (519), der mit einer solchen Sichtweise insbesondere die Gefahr des weiteren Vorantreibens des Entwicklungsprozesses vom "Gesetzgebungs- zum Jurisdiktionsstaat" verbunden sieht. Zu dieser Entwicklung vor allem Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 402. 3 2 Ossenbühl, Umweltpflege, S. 55; Schulte DVB1.1988,512 ff. (519). 33 Vgl. dazu auch Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge, Bericht der Sachverständigenkommission, Rn. 162.
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Jahre diskutiert 34. Insbesondere Scholz vertrat die Auffassung, informierende Verwaltung sei "das grundsätzliche Recht jeder Verwaltungsbehörde (Ermessensbefugnis)" und bedürfe damit "keiner besonderen bzw. ausdrücklichen Ermächtigung" 35. Nach Scholz folgt diese Informationsbefugnis aus der insbesondere auf dem Demokratiegebot fußenden verfassungsrechtlichen Pflicht der Verwaltung zu Publizität, Publikation und Information 36 . Da der Ansatz Scholz' weitreichende Folgen auch für die hier in Frage stehenden behördlichen Informationen hätte, bedarf er der Überprüfung. Daß eine grundsätzliche Informationspflicht der Verwaltung gegenüber der Öffentlichkeit ihre Wurzeln im Demokratiegebot des Art. 20 Π GG findet und ihr deshalb Verfassungsrang zukommt, wurde in der Literatur bereits vielfach und mit überzeugender Begründung dargetan 37. Im demokratischen Staat bedarf der Bürger, der seine Wahlentscheidung treffen, an der politischen Meinungs- und Willensbildung mitwirken und eine gewisse politische Kontrolle ausüben will, der Information, insbesondere auch aus dem Bereich der staatlichen Tätigkeit38. Die Exekutive muß sich deshalb auch gegenüber dem Staatsvolk als dem Träger der Volkssouveränität öffnen, um die politische Kontrolle zu ermöglichen 39. Ob diese allgemeine verfassungsrechtliche Verpflichtung bzw. Befugnis der Exekutive nun aber geeignet ist, als Grundlage einer immanenten Beschränkung konkreter Grundrechte im Einzelfall zu dienen, erscheint zweifelhaft. Der im Demo34 Gegenstand war damals die Informationspolitik des Bundeskartellamts. Das Amt hatte eingehende Presseinformationen über verhängte BuBgeldbescheide herausgegeben, in denen nicht nur die inkriminierten Wettbewerbsbeschränkungen als solche, sondern auch die wegen bestimmter Wettbewerbsbeschränkungen mit Bußgeldern belegten Unternehmen beim Namen genannt wurden. Vgl. zur Diskussion Zuck, NJW 1971, 1105 ff.; ders., NJW 1972, 468 ff.; Erlinghagen/Zipfel, NJW 1973,10 ff.; Scholz, NJW 1973,481 ff. 35 Scholz, NJW 1973, 481 ff. (483). Als Grenzen des Informationsrechts nennt er jedoch die Grundsätze des Obermaßverbots, der Objektivität und Überparteilichkeit der Amtsführung (485). 3 6 NJW 1973,481 ff. (483). 37 Grundlegend Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 82 ff.; Jerschke, Offentlichkeitspflicht, S. 64 ff., 134 f. Vgl. auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, I I Rn. 137 f.; Starck, AfP 1978,171 ff. (174 f.); Jarass, AfP 1979,228 ff. (230); ders., DÖV 1986,721 ff. (722). 3 8 Vgl. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 64 ff., 117 ff., 134 f.; Starck, AfP 1978, 171 ff. (174); Jarass, AfP 1979,228 ff. (230). 39 Jerschke, Offentlichkeitspflicht, S. 134. Die informationelle Verantwortlichkeit der Exekutive nicht nur gegenüber dem Parlament, sondern auch gegenüber dem Staatsvolk wird von ihm unter Berufung auf Böckenförde (Organisationsgewalt, S. 79 ff., 289 f.) auch mit der unmittelbaren demokratischen Legitimation der Exekutive, die das GG in Art. 20 II S. 2 GG vorsehe, begründet (S. 74 f.). Als "reziprokes Gegenstück" zu dieser Legitimation müsse die politische Kontrolle durch den Öffentlichkeitsgrundsatz ergänzt werden (S. 134). 16 Roth
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kratiegebot enthaltene Öffentlichkeitsgrundsatz besitzt ein denkbar hohes Maß an Abstraktheit; insbesondere zu seinen Grenzen bzw. zu den seiner Umsetzung dienenden Mitteln macht das Demokratieprinzip keine Aussagen 40 . Dies mag auch der Grund dafür sein, daß der Öffentlichkeitsgrundsatz allgemein als bloße objektivrechtliche Gewährleistung41 bzw. als Verfassungsdirektive 42 verstanden und grundsätzlich allein dem Gesetzgeber die Befugnis der Konkretisierung dieses Grundsatzes eingeräumt wird 43 . Eine derartige verfassungsrechtliche Rechtfertigung behördlicher Informationen mag möglich sein, wenn sich diese lediglich als schlicht-hoheitliches Handeln ohne Eingriffscharakter darstellen 44 oder wenn zugunsten des Bürgers direkt aus dem Demokratiegebot ein subjektiv-rechtlicher Anspruch auf ein Minimum an behördlicher Information abgeleitet wird 45 . Diese Fälle sind vom Standpunkt des schutzwürdigen Bürgers aus als unproblematisch einzustufen. Behördliche Informationen der Öffentlichkeit, die mittelbar, aber gezielt zu Grundrechtsbeeinträchtigungen Dritter führen, bedürfen hingegen einer konkreteren Rechtfertigung als der äußerst vagen verfassungsrechtlichen Verankerung der behördlichen Informationspflicht im Demokratiegebot 46. bb) Kompetenz der Bundesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit unter Einschluß grundrechtseingreifender Warnungen ? (1) Die jüngste Rechtsprechung Mit den oben dargestellten, auch vom BVerwG als Grundrechtseingriffe qualifizierten Warnungen vor einer "Jugendsekte" war die Abwehr von Gefahren bezweckt47. Obwohl die Aufgabe der Gefahrenabwehr grundsätzlich den Ländern obliegt und diese auch mit entsprechenden Ein40 4 1 4 2
Vgl. Starck, AfP 1978,171 ff. (175 f.); Jarass, AfP 1979,228 ff. (230 f.). Starck, AfP 1978,171 ff. (175); ähnlich Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 51, II Rn. 137 f. Jarass, AfP 1979,228 ff. (230 f.).
43 Vgl. die in den beiden vorstehenden Fußnoten genannten Autoren. Diese Auffassung wird vor allem auch von dem Bestreben getragen, eine Konkretisierung des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht von einer - mangels Maßstäben - völlig offenen richterlichen Güterabwägung im Einzelfall, insbesondere durch das BVerfG abhängig zu machen (vgl. Jarass, AfP 1979,228 ff. (230)). 4 4 So Ossenbühl, Umweltpflege, S. 37. 4 5
46
So Jarass, AfP 1979,228 ff. (231); ders., DÖV 1986,721 ff. (722).
Im Ergebnis ebenso Ossenbühl, Umweltpflege, S. 37 f. Vgl. BVerwG JZ 1989, 997 (998 f.); BVerfG NJW 1989, 3269 ff. Zum Sachverhalt oben Abschnitt 1, A, II, 2. 4 7
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griffsgrundlagen ausgestattet sind, hat das BVerwG die warnenden Äußerungen des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit auch ohne formell-gesetzliche Ermächtigung des Bundes für zulässig erklärt, da sie unmittelbar auf die Verfassung gestützt werden konnten. Die materiellrechtliche Grundlage entnimmt es der vom Grundgesetz vorausgesetzten "unausgesprochenen, aber funktionsbedingten Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit". Die im Grundgesetz ebenfalls vorausgesetzte Aufgabenstellung der Bundesregierung als Organ der Staatsleitung bestehe darin, die gesellschaftliche Entwicklung zu beobachten, Fehlentwicklungen oder Probleme möglichst rasch zu erfassen, Möglichkeiten der Abhilfe zu bedenken und die erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Soweit es zur ordnungsgemäßen Erfüllung dieser Aufgabe erforderlich sei - etwa wenn bestimmte gesellschaftliche Phänomene wie die "Jugendsekten" oder "Jugendreligionen" in der Öffentlichkeit diskutiert und mit Sorge verfolgt würden -, könne die Bundesregierung ein öffentliches Informationsbedürfnis durch Öffentlichkeitsarbeit in Form von Warnungen und Empfehlungen erfüllen. Da damit "zwangsläufig und unvermeidbar" Grundrechtseingriffe verbunden seiem würden diese von der verfassungsrechtlichen Äußerungsbefugnis erfaßt . In ähnlicher Weise hat zuvor das OVG Münster die Veröffentlichung einer Liste diethylenglykolhaltiger Weine durch das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit unmittelbar verfassungsrechtlich abgesichert 49 . Es gehöre zu "ihrem Wesen nach ureigenen Rechten der Bundesregierung", die Bevölkerung über Gefahren für die körperliche Unversehrtheit aufzuklären. Dieses Informationsrecht wurzle in ihrem kompetenzrechtlich vermittelten organschaftlichen Status. Ob dieses verfassungsrechtliche Informationsrecht auch als materielle Grundlage für grundrechtseingreifende Informationen ausreicht, hat das OVG offengelassen, da es die Veröffentlichung der Liste irrig 50 nicht als Eingriff in die Grundrechte der Weinabfüllerin betrachtete. Einfachgesetzliche Befugnisnormen, die den Bund zu Warnungen mit Eingriffscharakter berechtigen, sind weder im Hinblick auf die Gefahren durch "Jugendsekten" noch auf dem Gebiet des Weinrechts vorhanden 51. 4 8
JZ 1989,997 (998 f.).
49 Vgl. den Beschluß vom 19.11.1985 im Verfahren auf einstweilige Anordnung gem. § 123 VwGO, NJW 1986, 2783 f. Diese Entscheidung wurde bestätigt und präzisiert durch das Urteil in der Hauptsache vom 5.6.1987, GewArch 1988,11 ff. Zum Sachverhalt s. oben Abschnitt 1, A, 1,4. 5 0 S. bereits oben Abschnitt 2, A, 1,1. 5 1
Zu Eingriffen auf der Grundlage des WeinG sind allein die Länder berechtigt: Gem. § 58 VII WeinG erfolgt die weinrechtliche Überwachung entsprechend den Vorschriften des
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(2) Stellungnahme M
Neben der formellen Frage der Zuständigkeit des Bundes ist für unser Thema von zentralem Interesse die materielle Frage der Eingriffsrechtfertigung. Dabei kann dem BVerwG lediglich im Ausgangspunkt zugestimmt werden. Der Bundesregierung kommt die ungeschriebene verfassungsrechtliche Aufgabe und Kompetenz zur Öffentlichkeitsarbeit und zur Information der Öffentlichkeit im Rahmen ihrer Aufgabenstellung zu. Zur konkreten Begründung ist in Annäherung an das OVG Münster auf den organschaftlichen Status der Bundesregierung gem. Art. 62 ff. GG zu verweisen. Als Organ der "politischen Staatsleitung"53 muß sie auch das Recht zu Verlautbarungen, Erklärungen, Stellungnahmen und Informationen haben. Hier läßt sich eine Parallele zum Rederecht des Abgeordneten ziehen, welches das BVerfG nicht etwa in den Grundrechten, sondern in dem verfassungsrechtlich normierten, kompetenzrechtlich begründeten Status des AbLMBG (§§ 401,411) durch die Länder. Vgl. Zipfel, Lebensmittelrecht, C100, § 40 Rn. 6 ff., 41 Rn. 10; C 403, § 58 Rn. 7. Bei den Regelungen der §§ 3 IV, 8 I WeinG, die i.V.m. Art. 46 der VO 337/79/EWG (insbesondere Anhang III zu dieser VO) die Beigabe von Diethylenglykol in Wein und das Inverkehrbringen eines solchen Weins verbieten, handelt es sich um Pflichten der Weinhersteller bzw. -abfüller, nicht aber um Ermächtigungen staatlicher Organe. 52 Bereits deren Begründung bereitet erhebliche Schwierigkeiten, die hier nur gestreift werden können. Die Annahme einer - von der Grundregel der Art. 30, 83 GG abweichenden Verwaltungskompetenz des Bundes bedarf besonderer verfassungsrechtlicher Begründung Das BVerwG bleibt diese schuldig. Zwar kann man akzeptieren, daß der Bund aufgrund der erheblichen Beunruhigung der Öffentlichkeit zur pflichtgemäßen Prüfung zuständig war, ob zur Gefahrenbekämpfung neue Bundesgesetze (auf der Grundlage der Art. 74 Nr. 7 bzw. 19 GG) zu erlassen waren (JZ 1989, 997 ff. [999]). Doch ist der Schluß von dieser "Prüfungskompetenz" im Vorfeld denkbarer Gesetzgebungsmaßnahmen auf die über eine Prüfung hinausgehenden exekutiven Maßnahmen warnender Äußerungen nicht nachzuvollziehen. Da es nicht um die Vollziehung eines Bundesgesetzes geht, hält Gusy (JZ 1989, 1003 ff. [1004]) lediglich die in Art. 87 III S. 1 GG vorausgesetzte, aber nicht näher umrissene Bundeszuständigkeit für die gesetzesfreie Exekutive für denkbar, JZ 1989,1003 ff. [1004]). Das OVG Münster will die Bundeskompetenz damit begründen, daß das Grundgesetz durch die Anerkennung des im organschaftlichen Status der Bundesregierung verwurzelten Äußerungsrechts eine andere Regelung i.S.d. Art. 30 GG zugelassen habe; hilfsweise zieht das Gericht eine Bundeskompetenz aus der Natur der Sache heran, da der überregionale Charakter der von den bundesweit vertriebenen Weinen ausgehenden Gefahren, das bundesweite öffentliche Interesse sowie das Erfordernis eines schnellen, abgestimmten Handelns ein Tätigwerden des Bundes erfordert hätten (GewArch 1988,11 ff. [12]). Auch diese Argumentation weckt Zweifel, da mit dem "organschaftlichen Status" wohl die Organkompetenz der Bundesregierung, schwerlich aber die Verbandskompetenz des Bundes begründet werden kann; darüberhinaus setzt das BVerfG einer Kompetenz kraft Natur der Sache unter Aufgreifen der "Anschütz'schen Formel" (zu dieser ders., HdbDStR I, S. 367) sehr enge Grenzen (BVerfGE 11, 6 [17 f.]; 22,180 [216 f.]; 41, 291 [312]. 53 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 426,443.
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geordneten (Art. 38 I S. 2 GG) verwurzelt ansieht54. Eine derartige Äußerungs- und Informationskompetenz der Bundesregierung war auch bislang im Schrifttum 55 sowie in der Rechtsprechung56 anerkannt. Dabei bestand Einigkeit darüber, daß diese Kompetenz Informationen durch den Bund abdecken kann, die sich lediglich als schlicht hoheitliches Handeln ohne Eingriffscharakter darstellen 57. Das Neue an der Entscheidung des BVerwG ist nun, daß von der grundsätzlichen Aufgabe und Kompetenz der Bundesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit auf ihre Befugnis auch zu grundrechtseingreifenden Äußerungen geschlossen wird 58 . Dagegen bestehen erhebliche Bedenken. - Bereits im Ausgangspunkt sind dogmatische Einwände zu erheben gegen eine immanente Beschränkung von Grundrechten durch verfassungsrechtliche Kompetenznormen59. Kompetenzvorschriften besagen, daß z.B. das Handeln des Bundes in den beschriebenen Bereichen von der Verfassungsordnung her nicht überhaupt ausgeschlossen ist, etwa weil der Handlungsbereich den Ländern vorbehalten ist; nicht erheben sie aber von ihrer Funktion her bestimmte Gegenstände zu materiell-rechtlichen Handlungsaufträgen oder -geboten60. Darüberhinaus bleiben die Zwecke des Eingriffsvorbehalts unberücksichtigt 61. Unter grundrechtlichem Aspekt besteht wegen der Weite und Unbestimmtheit der Kompetenzvorschriften die Gefahr, daß eine weitgehende "Relativierung der Grundrechtsgeltung" eintritt 6 2 , unter demokratischem Aspekt, daß das Parlament den maßgeblichen, ihm zukommenden Einfluß bei der Abgrenzung grundrechtlicher Schutzbereiche an die dritte Gewalt verliert 6 . Die rechtsstaatliche Funktion des Gesetzesvorbehalts schließlich verlangt im Interesse der Berechenbarkeit der Belastung für den Bürger, Voraussetzungen und Grenzen des Eingriffs 5 4
Vgl. BVerfGE 60,374 (380); Bethge, NJW 1985,721; Jarass/Pieroth, Art. 38 Rn. 32.
5 5
Mangoldt-Klein, GG, Art. 5 I, II Rn. 116; Bethge, NJW 1985,721; Häberle, JZ 1977,361 ff. (366). Vgl. auch Gusy, JZ 1989,1003 ff. (1004). 5 6
BVerfGE 20, 56 (99 f.); 44,125 (147 f.); 63, 230 (242 f.). Vgl. auch BVerwG NJW 1984, 2591. Entsprechendes soll fur Landesregierungen gelten, OVG Münster, DÖV 1985,285 (286). 57 So ging es in den Entscheidungen BVerfGE 44,125 ff. und 63,230 ff. nicht um "eingreifende" Informationen. Deutlich OVG Münster GewArch 1988,11 ff. (12) sowie Bethge, NJW 1985, 721; Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. (2707); Gusy JZ 1989,1003 ff. (1004). 5 8 Auch dieser Schluß wurde vom BVerfG bestätigt, NJW 1989,3269 (3270). 59 6 0 6 1
Vgl. bereits oben Fn. 27 insbesondere zur Auffassung des BVerfG. Vgl. das Sondervotum der Richter Böckenförde und Mahrenholz, BVerfGE 69,57 (60). Zu diesen bereits oben Teil 2, Abschnitt 4.
6 2
Sondervotum, BVerfGE 69,57 (62 ff., 64). Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 375; Bleckmann, Staatsrecht, S. 358. 6 3
Dazu insbesondere Schulte, DVB1.1988,512 ff. (519).
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im Gesetz festzulegen 64. Auch das können bloße Kompetenzvorschriften nicht leisten. - Die vorgebrachten Bedenken erhalten umso größeres Gewicht, als die einschlägige Informationskompetenz nicht einmal ausdrücklich verfassungsrechtlich normiert, geschweige denn bereichsspezifisch ausgestaltet ist 65 . Das organschaftliche Äußerungsrecht der Bundesregierung kann sich auf alle denkbaren Sachbereiche erstrecken. Weder fur den potentiell Betroffenen, noch etwa für ein Gericht ist somit ersichtlich, zu welchen Zwecken, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Grenzen in Grundrechte eingreifende Informationen gegeben werden können66. Als einzige Schranke derartiger Informationen fungiert das Verhältnismäßigkeitsgebot, das konsequent auch von BVerwG und BVerfG in den Vordergrund gerückt wird 67 . Dieses kann mangels konkreterer Maßstäbe nur zu einer weitgehend offenen richterlichen Güterabwägung im Einzelfall führen, nicht jedoch zu einer klaren Schrankenziehung. Die Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs mittels einer verfassungsrechtlichen Kompetenz, die - wie die Informationskompetenz der Bundesregierung - grundgesetzlich nicht oder zumindest kaum konkretisiert ist, muß danach schon angesichts der Erfordernisse des Eingriffsvorbehalts aus den aufgezeigten Gründen ausscheiden. - Darüberhinaus steht das jüngste Urteil des BVerwG in nicht verständlichem Widerspruch zu seiner Transparenzlisten-Entscheidung, mit der es sich nicht auseinandersetzt. Während es dort den heute allgemein anerkannten Gedanken der Grundrechtsrelevanz mittelbarer Beeinträchtigungen aufnahm und konsequent jedenfalls für finale Drittbeeinträchtigungen eine gesetzliche Grundlage forderte 68, will es nun einen Teil dieser finalen Beeinträchtigungen zu Grundrechtseingriffen "zweiter Klasse" degradieren, indem es zwar ihre Eingriffsqualität anerkennt, aber eine gesetzliche Grundlage für entbehrlich hält. - Im Hinblick auf behördliche Produktwarnungen erfährt unser Ergebnis Bestätigung durch historische sowie systematische Argumente: Aus historischer Sicht spricht einiges für die Notwendigkeit einer besonderen gesetzlichen Grundlage. Bereits unter der Weimarer Reichsverfassung hatte zu ge64
Vgl. auch Gusy,JZ 1989,1003 ff. (1004).
65
Anders als in den vom BVerfG entschiedenen Fällen einer Grundrechtseinschränkung durch Kompetenzvorschriften (oben Fn. 27). Zu den Gefahren einer Begrenzung der Grundrechte durch ungeschriebenes Verfassungsrecht, da dessen Aussagen im Gegensatz zu den einzelnen, sorgfältig abgestuften Vorbehalten des geschriebenen Verfassungsrechts eher generalklauselartiger Natur sind, insbesondere Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 309. 6 6
Ähnlich Gusy, JZ 1989,1003 ff. (1004).
6 7
BVerwG JZ 1989,997 ff. (999); BVerfG NJW 1989,3269 (3270 f.).
6 8
BVerwGE 71,183 ff.
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richtlichen Auseinandersetzungen die Frage geführt, inwieweit Bundesbehörden ohne polizeiliche Befugnisse, insbesondere das damalige Reichsgesundheitsamt, zum Erlaß von Warnungen auf dem Gebiet des Lebensmittelverkehrs berechtigt seien69. Zur Klärung dieser Streitfrage erging eine auf das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten (Art. 48 I I WRV) gestützte Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz der Volksgesundheit vom 22.4.193370, deren § 1 eine klassische Befugnisnorm für Warnungen der Bevölkerung durch die Reichsregierung zur Gefahrenabwehr auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, des Verkehrs mit Lebens71
mittein u.ä. enthielt . Darüberhinaus ist insbesondere auf § 9 des neu geschaffenen StrahlenschutzvorsorgeG 72 hinzuweisen, mit dem der Bundesgesetzgeber eine gesetzliche Ermächtigung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit begründet hat, der Bevölkerung zur Erreichung der Zwecke des StSchVG73 bestimmte Verhaltensweisen zu empfehlen. Konkret gedacht ist dabei etwa an Empfehlungen betreffend den Verzehr bestimmter, z.B. als Folge eines Reaktorunfalls radioaktiv verseuchter Lebensmittel74. Der Umstand, daß der Bundesgesetzgeber auf dem Gebiet des Strahlenschutzes bundesbehördliche Informationen der Bevölkerung über gesundheitsgefährdende Produkte von einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung abhängig macht, erhärtet die Bedenken gegen
6 9
Holthöfer-Nüse-Franck, Deutsches Lebensmittelrecht, Bd. I, §6 LMG Rn. 95.
7 0
RGBl. I, S. 215.
71 Wortlaut des § 1 der VO: "Die Reichsregierung kann die nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, des Veterinärwesens und des Pflanzenschutzes sowie des Verkehrs mit Lebensmitteln, Bedarfsgegenständen, Arzneimitteln, Geheimmitteln, Schädlingsbekämpfungsmitteln und Giften notwendige Warnungen erlassen, um die Allgemeinheit oder einzelne Personen vor Schäden zu bewahren". 7 2 Gesetz vom 19.12.1986, BGBl. I, S. 2610. 73 Zweck des Gesetzes ist nach § 1, zum Schutz der Bevölkerung 1. die Radioaktivität in der Umwelt zu überwachen, 2. die Strahlenexposition der Menschen und die radioaktive Kontamination der Umwelt im Fall von Ereignissen mit möglichen nicht unerheblichen radiologischen Auswirkungen unter Beachtung des Standes der Wissenschaft und unter Berücksichtigung aller Umstände durch angemessene Maßnahmen so gering wie möglich zu halten. 74 Vgl. die amtliche Entwurfsbegründung zu § 9, BT-Drs. 10/6082 vom 29.9.1986. 75 Im Falle eines erheblichen Absatzrückgangs wäre parallel zum Fall der Weinliste auch hier ein Grundrechtseingriff infolge finaler Drittbeeinträchtigung anzunehmen. Daß derartige Empfehlungen erhebliche Folgen für die Produkthersteller haben und u.U. zu Ansprüchen aus AtomG, Amtspflichtverletzung oder enteignungsgleichem Eingriff führen können, wurde bereits im Gesetzgebungsverfahren diskutiert, vgl. BT-Drs. 10/6639, S. 17 f.
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das Fehlen einer vergleichbaren Ermächtigung des Bundes auf dem Gebiet des Lebensmittehechts76.
Nach alledem stehen sich behördliche Informationen des Bundes mit Eingriffscharakter zu Zwecken der Gefahrenabwehr mangels gesetzlicher Ermächtigungsregelung grundsätzlich als verfassungswidrig dar. Für "eingreifende" Informationen kommen (mit Ausnahme von § 9 StrVG) allein die Polizeigesetze der Länder als Rechtsgrundlage in Betracht. Allerdings wird das erhebliche Bedürfnis für derartige zentrale und bundesweit gegebene Info mationen nicht verkannt, insbesondere bei Gefahren, die eindeutig überregional bzw. bundesweit auftreten. Hier spielen vor allem die Gesichtspunkte eine Rolle, daß ein isoliertes Vorgehen der Länder zu divergierenden, die Bevölkerung verunsichernden Informationen führen kann und daß ein koordiniertes Vorgehen der (über Eingriffsbefugnisse verfügenden) Länder im Einzelfall u.U. zu lange dauert und der Notwendigkeit rascher und effektiver Gefahrenabwehr nicht gerecht wird 78 . An der Zweckmäßigkeit einer bundesweiten Informationsbefugnis bestehen deshalb kaum Zweifel. Doch müssen angesichts der gewichtigen dogmatischen Bedenken gegen eine Eingriffsbefugnis des Bundes gewisse, im föderalen System begründete Unverträglichkeiten grundsätzlich hingenommen werden. Im Regelfall wird der auftretenden Gefahr auch durch ein Eingreifen der Länder wirksam begegnet werden können79. In Ausnahmefällen, insbesondere 76 Der neu geschaffenen Regelung kommt nicht etwa nur die Funktion der Konzentration einer ohnehin bestehenden Informationsbefugnis des Bundes zu, sondern es soll hier gerade die rechtliche Basis für ein vom herkömmlichen Instrumentarium des Umweltrechts abweichendes Mittel zur Vorsorge gegen Schäden geschaffen werden, Czajka, NVwZ 1987,556 ff. (559); Rengeling, DVBl. 1987,204 ff. (206). Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, daß § 9 StrSchVG Empfehlungen der Länder teilweise und der Gemeinden völlig verbietet, wurden von Länderseite bereits im Gesetzgebungsverfahren geäußert, vgl. Rengeling, DVBl. 1987,204 [207] mit Fn. 40. Zu solchen Bedenken aus der Literatur vgl. Fehn, VerwR 1987,153 f.; LübbeWolff, NJW 1987, 2705 ff. (2708); Peine, N + R 1988, 115 ff. (120 f.); Günther/Tretschok, KJ 1987,53 ff. (56 f.); Czajka, NVwZ 1987,556 ff. (559). 77 Als Beleg kann insoweit auf die divergierenden Strahlendosis- und Kontaminationswerte sowie die unterschiedlichen Empfehlungen an die Bevölkerung hingewiesen werden, die nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl die behördliche Praxis in der BRD kennzeichneten, vgl. Der Spiegel Nr. 19/1986, S. 17 ff.; 20/1986, S. 19 ff. Als Reaktion auf die aufgetretenen Mißstände wurde das StrahlenschutzvorsorgeG vom 19.12.1986 erlassen, das vor allem eine zentrale, verbindliche und einheitliche Festlegung von Dosis- und Kontaminationswerten und von Empfehlungen durch den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vorsieht. Vgl. zu den Zielen des Gesetzes BT-Drs. 10/6639, S. 1; vgl. auch Günther/Tretschok, KJ 1987,53 ff. (54 f.). 7 8 Vgl. Eckert, BLL-Forum, S. 38 f. 79 So war z.B. gerade im Falle der von "Jugendsekten" ausgehenden Gefahren der Aspekt möglichst rascher, und deshalb dem Bund vorbehaltener Gefahrenabwehr nicht einschlägig.
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bei gesundheits- bzw. lebensgefährlichen Produkten kann das anders sein. Hier erscheint es denkbar, auf die Rechtsprechung des BVerfG zurückzugreifen, welches in Fällen der Verletzung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes wiederholt die Notwendigkeit von Übergangsfristen anerkannt hat, "um einen Zustand zu vermeiden, welcher der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als der bisherige" 80. In Anlehnung an diese Rechtsprechung können grundrechtseinschränkende Produktinformationen des Bundes deshalb noch ßr eine gewisse Übergangszeit auch ohne formellgesetzliche Grundlage hingenommen werden, wenn überregional akute Lebens- oder Gesundheitsgefahren auftreten und diesen rasch und wirksam nur durch ein Handeln des Bundes begegnet werden kann. Im übrigen ist eine Warnung des Bundes etwa vor gefährlichen Produkten erst nach Schaffung einer bereichsspezifischen formell-gesetzlichen Grundlage im Bundesrecht zulässig, die sich inhaltlich z.B. an der erwähnten VO des Reichspräsidenten orientieren könnte, aber angesichts der grundsätzlichen Länderzuständigkeit zusätzlich voraussetzen müßte, daß die Gefahr überregional auftaucht und nur durch Warnungen des Bundes wirksam bekämpft werden kann 81 . cc) Zwischenergebnis Behördliche Warnungen, die mit Eingriffen in Grundrechte Dritter verbunden sind, können grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Verfassung gestützt werden, sie bedürfen einer formellgesetzlichen Grundlage. Das gilt sowohl für Empfehlungen im Rahmen bloßer Umweltberatung wie für Warnungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr. Letztere können allerdings
8 0 BVerfG NJW 1988, 191 (193). Vgl. auch BVerfGE 33,1 (12 f.); 41, 251 (264); 73, 280 (296 f.). Dafür müssen allerdings "zwingende Gründe" bestehen, E 51, 268 (288). Vgl. auch Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 37; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 18 ff. 81 Die Schaffung einer zusätzlichen Bundeskompetenz für Warnungen vor gefährlich Lebensmitteln erwägt beispielsweise Eckert, BLL-Forum, S. 40. - Eine Ermächtigung des Bundes durch die Länder im Einzelfall würde am Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage nichts ändern (im Verfahren vor dem OVG Münster berief sich der beklagte Bund auf eine entsprechende Ermächtigung und verwies insoweit auf den Ergebnisbericht über die Besprechung mit Vertretern der obersten Landesgesundheits- und Landesveterinärbehörden über Maßnahmen der Lebensmittelüberwachung in besonderen Fällen vom 19.12.1979 und die Ausführungen des Pressedienstes des BMJFG vom 18.7.85, vgl. OVG Münster, GewArch 1988, 12). Es besteht Einigkeit, daß eine Delegation jedenfalls dann einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf, wenn die zu übertragende Kompetenz durch Gesetz begründet worden ist, vgl. Wolff/Bachof, Π, § 72IV b 2; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 21, § 21 Rn. 65 f. Da einer derartigen konkreten Ermächtigung ohne formellgesetzliche Basis bereits keine zuständigkeitsbegründende Wirkung zukäme, muß dies erst recht für die Übertragung von Eingriffsbefugnissen gelten.
250
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
in eng begrenzten Fällen und nur für eine Übergangszeit bis zur Schaffung der entsprechenden Rechtsgrundlagen ausnahmsweise zugelassen werden. IL Finale Drittbeeinträchtigungen als Ausnahme vom Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts ? Bislang wurde die Frage nach der Kongruenz der grundrechtlichen Schutzbereiche und des Geltungsbereichs des Eingriffsvorbehalts speziell im Hinblick auf finale Drittbeeinträchtigungen nicht problematisiert. Sowohl in der Rechtsprechung82 wie auch überwiegend in der Literatur 83 ging man ohne nähere Begründung davon aus, daß bei finalen Drittbeeinträchtigungen mit der Qualifikation als Grundrechtseingriff auch die positive Entscheidung über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage gefallen ist. Dagegen rechtfertigt das BVerwG neuerdings im Falle drittbeeinträchtigender Warnungen des Bundes zur Gefahrenabwehr den Verzicht auf eine gesetzliche Grundlage zusätzlich mit dem knappen Hinweis darauf, daß "eine detailliertere gesetzliche Regelung wegen der Vielgestaltigkeit der möglichen Eingriffslagen und -Wirkungen praktisch nicht möglich" sei 84 . Richtig ist diese Auffassung zumindest in ihrem Ansatz: auch wenn finale Drittbeeinträchtigungen in Form von Warnungen Grundrechtseingriffe darstellen, läßt sich daraus noch nicht zwingend ein Gesetzeserfordernis folgern. Da auch finale Drittbeeinträchtigungen ihrer Struktur nach faktische Beeinträchtigungen sind, deren Eingriffscharakter nicht allein durch den Blick auf die staatliche Maßnahme, sondern nur unter der Voraussetzung einer zusätzlichen Beurteilung der potentiellen Wirkung dieser Maßnahme in der Realität festgestellt werden kann, bedarf deren Einbeziehung in den Eingriffsvorbehalt näherer Untersuchung. 1. Die tatsächliche Erfüllbarkeit der Funktionen des Eingriffsvorbehalts Of
Anknüpfend an das oben gefundene Zwischenergebnis ist zu untersuchen, ob die spezifischen Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des 8 2
83
Vgl. BVerwGE 71,183 (198 f.); 75,109 (116).
Vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 38; Dolde, Gutachten, S. 21; Pinger, JuS 1988, 53 ff. (56). Erichsen/Martens, 5. Aufl., S. 299, erstrecken den Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts auf "Verwaltungs-Realakte" nur unter der Voraussetzung, daß diese als gezielte Eingriffe in die Individualrechtssphäre auftreten. A.A. allerdings die bereits oben dargestellte Auffassung, die den Eingriffsvorbehalt pauschal auf klassische Grundrechtseingriffe beschränken und somit generell faktische Beeinträchtigungen davon aussparen will (Teil 2, Abschnitt 4, Β, 1,1). 8 4 JZ 1989,997 ff. (999). Auch insoweit folgend BVerfG NJW 1989,3269 (3270). 8 5
Teil 2, Abschnitt 4, D.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
251
Gesetzgebers, denen vor dem Hintergrund eines gewandelten, funktionellen Gewaltenteilungsverständnisses verfassungsrechtliche Relevanz zukommt, gerade auch einen Ausschluß finaler Drittbeeinträchtigungen vom Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts rechtfertigen. Die oben im Zusammenhang mit der allgemeinen Grundrechtsbindung bejahte Frage nach der Funktionsadäquanz des Finalitätskriteriums stellt sich hier im Zusammenhang mit dem Problem der Erfüllbarkeit der Funktionen des Eingriff svorbehalts. Unter dem Aspekt gesetzgeberischer Erkenntnismöglichkeiten sind finale Drittbeeinträchtigungen unproblematisch: Denn die Beeinträchtigung für den Dritten ist hier für den Gesetzgeber nicht nur vorhersehbar, sondern sie stellt sogar den Zweck der staatlichen Maßnahme bzw. die notwendige Kehrseite der Zweckverfolgung dar und erschließt sich damit der gesetzgeberischen Erkenntnis 86. Zwar kann es passieren, daß es wider Erwarten nicht zu der bezweckten Drittbeeinträchtigung kommt 87 . Doch muß für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage auf den Zeitpunkt der gesetzgeberischen Beurteilung vor Erlaß der staatlichen Maßnahme abgestellt werden, nicht darauf, ob die beeinträchtigende Wirkung tatsächlich eintritt. Vom Gesetzgeber kann nur eine gesetzliche Grundlage verlangt werden, wenn nach dessen Prognose die staatliche Maßnahme möglicherweise Grundrechtseingriffe mit sich bringt 88 . Umgekehrt ändert das tatsächliche Ausbleiben einer prognostizierten Drittbeeinträchtigung nichts an der Erforderlichkeit der gesetzlichen Grundlage 89. Finale Drittbeeinträchtigungen stellen den Gesetzgeber auch im Hinblick auf seine Handlungsmöglichkeiten nicht vor unüberwindliche Probleme. Die Drittbeeinträchtigung ist hier nicht nur eine im Einzelfall auftretende, atypische oder zufällige Folge des Verwaltungshandelns, die sich der abstraktgenerellen, typisierenden Betrachtungsweise des Gesetzgebers entzieht. Das staatliche Abzielen auf die Drittbeeinträchtigung ermöglicht es dem Gesetzgeber, anhand von Art und Zweckrichtung der behördlichen Maßnahme abstrakt und im voraus für eine Vielzahl von Fällen zu beurteilen, ob —
Vgl. auch Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 94 f. 87 Dies wird beispielsweise von Sodan für die Transparenzlisten angenommen, die seines Erachtens bisher keine nennenswerten Absatzeinbußen verursacht hätten und deshalb einer gesetzlichen Grundlage nicht bedürften, DÖV 1987,858 ff. (864). 88 Vgl. zu der Parallele einer ex-ante-Beurteilung der Folgen einer staatlichen Maßnahme im Hinblick auf die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch den Gesetzgeber89 bereits ausführlich oben Teil 1, Abschnitt 6, C. Dem entspricht es, wenn das BVerwG im Tansparenzlisten-Urteil auf die mit der Errichtung der Transparenzkommission angestrebten Zielvorstellungen und die "wahrscheinlichen" Folgen abstellt (E 71, 183 [190, 194]). Die Kritik Sodans (DÖV 1987, 858 ff. (864)) an diesem Vorgehen geht deshalb fehl.
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
252
es sich bei den bezweckten Folgen um Grundrechtsbeeinträchtigungen handelt und wer als betroffener Grundrechtsträger in Betracht kommt 90 . Das bedeutet weiterhin, daß er auch abstrakt-generelle Ermächtigungsgrundlagen für derartige Drittbeeinträchtigungen schaffen kann. Bestätigt wird die grundsätzliche Normierbarkeit von finalen Drittbeeinträchtigungen exemplarisch durch die jüngst erfolgte Aufnahme der Tätigkeit der Transparenzkommission in das ArzneimittelG 91. Hier hat der Bundesgesetzgeber Aufgabe und Zusammensetzung der Transparenzkommission, Zweck, Gestaltung und Adressaten (Heilberufe) der von ihr zu erstellenden Transparenzlisten, die Voraussetzungen der Aufnahme eines Arzneimittels in diese sowie ein Anhörungsrecht "betroffener pharmazeutischer Unternehmen" geregelt 92. Jedenfalls kann der Gesetzgeber also Art, Voraussetzungen und Zweck der staatlichen Maßnahme festlegen, die Auslöser der mittelbaren Beeinträchtigung sein soll. Ob darüberhinaus ausdrücklich auch die nachteiligen Wirkungen der Maßnahme, etwa unternehmerische Umsatzeinbußen, gesetzlich zu beschreiben sind, ist keine Frage der Möglichkeit der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage überhaupt, sondern deren Anforderungen i.e. 93 . Entgegen der Auffassung des BVerwG, das ohne nähere Untersuchung die Unmöglichkeit einer Normsetzung behauptet, gilt ähnliches für Warnungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr. Zum einen sind hier bereichsspezifische Regelungen, etwa auf dem Gebiet des Strahlenschutzes oder des Verkehrs mit Lebensmitteln, Bedarfsgegenständen, Arzneimitteln denkbar und für den Gesetzgeber normierbar . Zum anderen 90 Hier wird deutlich, daß es sich bei dem Finalitätskriterium um ein abstrakt-generelles Kriterium handelt. Kriterien sind abstrakt-genereller Natur, wenn anhand ihrer die Abgrenzung des maßgebliches Verantwortungskreises des Staates allgemein und im voraus für eine Vielzahl von Fällen vorgenommen werden kann, ohne daß beispielsweise auf die Besonderheiten des im jeweiligen Einzelfall betroffenen Grundrechts eingegangen werden muß (vgl. dazu Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 186 f.). Als solche Kriterien kommen etwa Finalität, Zwangsläufigkeit, Typizität oder Vorhersehbarkeit der Beeinträchtigung in Betracht (vgl. Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 186). - Den Gegensatz zu den abstrakt-generellen bilden einzelfallbezogene Kriterien, wie z.B. die oben im Rahmen der Entschädigungsansprüche dargestellte Unmittelbarkeit der Beeinträchtigung, oder wie die Intensität. Sie sind generalklauselartig offen, ermöglichen wegen ihrer Offenheit eine differenzierende, auf unterschiedliche Problemlagen eingehende und insbesondere die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigende Lösung, eignen sich aber nicht für eine Bewertung im voraus auf abstrakt-genereller Ebene. 9 1 Vgl. das Zweite Gesetz zur Änderung des AMG ν. 16.8.1986, BGBl. I, S. 1296 ff. Vgl. auch den Gesetzgebungsvorschlag von Sodan, Funktionsträger, S. 569 f., für die Aufnahme der Tätigkeit der Kunststoffkommission des BGA in das Lebensmittel- und BedarfsgegenständeG. 9 2
93 94
§§ 39 a - e AMG. Dazu unten III.
Das beweist z.B. § 9 StrahlenschutzvorsorgeG sowie der Wortlaut der oben genannten VO des Reichspräsidenten vom 22.4.1933. Wie die Tagung des Bundes für Lebensmittelrecht
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
253
kommt - soweit es an spezialgesetzlichen Regelungen fehlt - ein Zurückgreifen auf die allgemeinen polizeilichen Generalklauseln in Betracht, die ebenfalls die grundsätzliche Regelbarkeit dieser Art von Eingriffen belegen 95 . Aufgrund ihrer tatbestandlichen Weite werden sie der vom BVerwG betonten "Vielgestaltigkeit der möglichen Eingriffslagen" gerecht. Sicherlich weisen sie keinen hohen Bestimmtheitsgrad auf, doch dürfte die gesetzliche Nennung der Eingriffsvoraussetzungen, die in jahrzehntelanger Judikatur Konkretisierung erfahren haben, einem Verzicht auf jegliche gesetzliche Regelung vorzuziehen sein96. Die vom BVerwG weiter behauptete "Vielgestaltigkeit der möglichen Eingriffsfolgen" in Fällen solcher Warnungen muß die gesetzliche Grundlage nicht berücksichtigen. Als finale Drittbeeinträchtigungen werden die Eingriffsfolgen durch die Zweckrichtung der Warnung hinreichend eingegrenzt. 2. Beschränkung des Eingriffsvorbehalts auf klassische Eingriffe ? Erscheinen somit die Funktionen des Eingrififsvorbehalts aufgrund der Normierbarkeit von Ermächtigungsgrundlagen für finale Drittbeeinträchtigungen erfüllbar, läßt sich die in der Literatur z.T. vertretene Beschränkung des Eingriffsvorbehalts auf den klassischen Grundrechtseingriff sungsrechtlich nicht rechtfertigen 97. Die Ansicht, das GG habe das Vorbehaltsprinzip in seiner klassischen Form rezipiert, findet im Wortlaut keine
verfas-
und Lebensmittelkunde 1988 gezeigt hat, wird z.T. die Schaffung spezialgesetzlicher Grundlagen fur behördliche Warnungen vor Lebensrnitteln erwogen. Dabei verspricht man sich gegenüber der polizeilichen Generalklausel vor allem ein Mehr an Klarheit und Maßstäben für die recht verunsicherte und dehalb uneinheitliche Verwaltungspraxis. So könnte ein bereichsspezifischer Ermächtigungstatbestand klarstellen, ob Warnungen allein bei Gesundheitsgefahren, oder auch in Fällen der mit großen Auslegungssschwierigkeiten verbundenen Verzehrsuntauglichkeit gem. § 17 I Nr. 1 LMBG oder gar in Fällen bloßer Höchstmengenüberschreitungen (vgl. § 151, III Nr. 1 a LMBG) zulässig sind (zur Problematik Dolde, BLL-Forum, S. 46 f., 64 f.; ders., Gutachten, S. 26 ff.). Auch könnten mit ihm die Rechtsfolgen eines Gefahrenverdachts spezifisch ausgestaltet, eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erreicht sowie der Verwaltung eine bessere Rechtfertigungsbasis gegenüber Verbauchern und Produzenten verschafft werden (vgl. Kellermann, BLL-Forum, S. 29 ff.; Dolde, Gutachten, S. 31). 95
Diese Lösung läßt sich insbesondere der Entscheidung des VGH BW, DÖV 1989,169 (170), entnehmen. Vgl. Gusy, JZ 1989,1003 ff. (1005). 96 Interessanterweise stellt das BVerwG selbst fest, daß die von ihm allein im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung entwickelten Zulässigkeitsvoraussetzungen staatlicher Warnungen ("Gefahr für die zu schützenden Rechtsgüter") denen polizeilicher Eingriffstatbestände ähneln (JZ 1989, 997 ff. (999). Die naheliegende Begründung mit der polizeilichen Generalklausel hätte in dem vom BVerwG entschiedenen Fall allerdings ein Recht des beklagten Bundes 97nicht zu stützen vermocht! Zu dieser Auffassung vgl. oben Teil 2, Abschnitt 4, Β, 1,1.
254
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
Stütze, die Zwecke des Vorbehaltsprinzips sprechen dagegen. Die "Freiheit und Eigentum-Klausel" ist ein "traditionelles und typisches Inventarstück" des liberalen Systems der Ausgrenzungen, Sicherungen und Kontrollen zum Schutz der bürgerlichen Freiheit 98. Soweit Sinn dieses Prinzips demnach der Schutz der individuellen, grundrechtlichen Freiheit vor Beeinträchtigungen durch die Exekutive ist 99 , kann es auf die Form der Beeinträchtigung nicht ankommen. Wenn sich auch die Beschränkungen der persönlichen Freiheitssphäre im bürgerlich-liberalen Staat vorwiegend auf final-unmittelbare Eingriffe durch Gebote und Verbote beschränkten, hat sich die Verfassungswirklichkeit insoweit maßgeblich verändert 100. Die Verwaltung hat die Palette ihrer Handlungsformen gegenüber dem klassischen "Befehl" mittlerweile erheblich erweitert. Heute stellen sich häufig bestimmte, von der Verwaltung bezweckte Erfolge als finale Drittbeeinträchtigungen dar, die früher durch unmittelbar an den Adressaten gerichtetes Gebot oder Verbot herbeigeführt worden wären 101 . Diesem Umstand muß auch der Eingriffsvorbehalt Rechnung tragen, wenn er seinen Zweck weiterhin erfüllen will 1 0 2 . Die Begründung, das Rechtsstaatsprinzip fordere gesetzliche Normierungen nur in den Fällen, in denen zur Durchsetzung staatlicher Zwecke das Mittel des Gebots oder Verbots eingesetzt wird 1 0 3 , ist nicht plausibel. Denn auch wenn die mit einer Maßnahme bezweckte Beeinträchtigung nicht direkt, sondern auf einem "Umweg" herbeigeführt werden soll, besteht ein anerkennenswertes Interesse des potentiell betroffenen Bürgers daran, Zweck, Voraussetzungen und Grenzen dieser Maßnahme und die mit ihr verbundenen Wirkungen im voraus vorhersehen und abschätzen zu können. Auch rechtfertigt allein der Umweg bei der Zweckverfolgung nicht, auf die gesetzliche Maßstabssetzung etwa im Hinblick auf eine daran anknüpfende gerichtliche Kontrolle zu verzichten. Sicherlich führt die Einbeziehung von finalen Drittbeeinträchtigungen in den Eingriffsvorbehalt gegenüber der des klassischen Eingriffs mit seiner formalisierten Bestimmung der Betroffenheit zu größeren Abgrenzungsschwierigkeiten und gewissen praktischen
9 8
99 100
Vgl. Mallmann, WDStRL 19 (1961), S. 165 ff. (184 f.); Erichsen/Martens, S. 66. Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 108 ff.; Erichsen/Martens, S. 66.
Zur Relevanz der Verfassungswirklichkeit für die Verfassungsauslegung vgl. nur Brohm, DÖV 1987,265 ff. (268). 101 Vgl. Krause, Rechtsformen, S. 361 ff.; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 8 ff. 102 Vgl. Forster, Klagebefugnis, S. 396. 103 Scheuner, Wirtschaftslenkung, S. 73 f.; Friauf, DVBl. 1966, 729 ff. (735); Oldiges, WiR 1973,1 ff. (24); Wolff/Bachof, I, § 30 III a (Fn. 16).
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
255
Problemen 104. Diese gehen jedoch - anders als im Falle der Einbeziehung jeder zufälligen, unvorhergesehenen Nebenwirkung staatlichen Handelns in den Eingriffsvorbehalt - nicht so weit, daß von einer Gefahr für die Rechtssicherheit oder einer Lähmung der Gesetzgebungsorgane gesprochen werden kann. Die Zahl der Zwischenursachen ist zwar offen, doch kann anhand der Zweckrichtung der behördlichen Maßnahme die grundrechtliche Beeinträchtigung gegenständlich, zeitlich und personell eingegrenzt werden. Die dennoch verbleibenden Abgrenzungsschwierigkeiten sowie das verständliche dogmatische Interesse der Anknüpfung an klare, unmißverständliche und gewohnte Formen des Verwaltungshandelns vermag das Festschreiben des Geltungsbereichs des Eingriffsvorbehalts auf einen bestimmten traditionellen Eingriffstyp vor der Verfassung nicht zu rechtfertigen. Dafür spricht auch seine demokratische Funktion: Denn wenn man den Gesetzesvorbehalt auch als demokratischen Ausgleich der freiheitsverkürzenden Wirkung eines Eingriffsaktes bzw. als Gewährleistungsregel dafür, daß das unmittelbar demokratisch legitimierte Organ über Freiheitsverkürzungen entscheidet, versteht, darf es auf die Art oder die Form der Einwirkung in den Grundrechtsbereich nicht ankommen105. Letztlich kann daher die Relevanz finaler Drittbeeinträchtigungen auch im Hinblick auf den Eingriffsvorbehalt mit dem Argument der anderenfalls möglichen Umgehung gestützt werden. Eine Beschränkung des Eingriffsvorbehalts auf klassische Eingriffe würde es der Verwaltung ermöglichen, durch die Wahl eines indirekten Weges über eine oder mehrere Zwischenursachen die Kontrolle des Gesetzgebers auszuschalten. 3. Zwischenergebnis Aufgrund seiner abstrakt-generellen Natur erscheint das Finalitätsmerkmal auch für die Frage der Erstreckung des Eingriffsvorbehalts auf Drittbeeinträchtigungen als funktionsadäquates Kriterium. Die Einbeziehung finaler Drittbeeinträchtigungen in den Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts stellt den Gesetzgeber weder im Hinblick auf seine Erkenntnis- noch seine Handlungsmöglichkeiten vor unüberwindliche Schwierigkeiten. Die Funktionen des Eingriffsvorbehalts können so auch bei finalen Drittbeeinträchtigungen zum Tragen kommen.
104 Vgl. dazu die bereits oben (Abschnitt 2, Β, ΙΠ, 1, a, b.) angesprochenen Probleme des uneinheitlichen Begriffs der Finalität und der Bestimmung eines individualisierbaren Personenkreises. 105 Vgl. Papier, NJW 1974,1789.
256
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
Demgegenüber läßt sich ein Ausschluß finaler Drittbeeinträchtigungen vom Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Insbesondere würde damit die Möglichkeit einer Umgehimg geschaffen, angesichts der erweiterten Palette der Handlungsformen der Verwaltung ein nicht vertretbares Ergebnis. Dieses Resultat stellt eine Bestätigung der Rechtsprechung des BVerwG dar, welches in der Transparenzlisten- und der Subventionsrichtlinien-Entscheidung den Eingriffsvorbehalt auch auf finale Drittbeeinträchtigungen erstreckt hat 1 0 6 . Die damit im Widerspruch befindliche jüngste Rechtsprechung zu Warnungen vor Jugendsekten ist abzulehnen. Soweit sie einer formell-gesetzlichen Grundlage entbehren, sind danach zu finalen Drittbeeinträchtigungen führende Maßnahmen, insbesondere Empfehlungen im Rahmen der Umweltberatung oder Warnungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr, verfassungswidrig. Sind indessen gesetzliche Regelungen vorhanden, steht damit die Zulässigkeit noch nicht endgültig fest. Zuvor müssen die Anforderungen untersucht werden, die an eine gesetzliche Regelung finaler Drittbeeinträchtigungen zu stellen sind. Wegen der besonderen Struktur finaler Drittbeeinträchtigungen unterscheiden sich diese u.U. von denen klassischer Ermächtigungsgrundlagen. III. Anforderungen
an die gesetzliche Grundlage
107
Die Gesetzeslage würde verkannt, würde man davon ausgehen, formellgesetzliche Regelungen zur Rechtfertigung finaler Drittbeeinträchtigungen seien überhaupt nicht in Sicht. So haben wir unter II. bereits die Möglichkeit kennengelernt, Warnungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr auf polizeirechtliche Normen, insbesondere die polizeirechtlichen Generalklauseln zu stützen. Darüberhinaus ist der Gesetzgeber auch in dem für die finalen Drittbeeinträchtigungen wichtigen Bereich der behördlichen Umweltberatung nicht untätig gebheben. So hat er beispielsweise in § 2 I Nr. 2 des Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamts vom 22.7.1974 (UBA-G) 1 0 8 diesem speziell die Aufgabe zugewiesen, die Öffentlichkeit in 106
Vgl. BVerwGE 71,183 (198 f.); 75,109 (116 f.).
107 Ob man die an die gesetzliche Grundlage zu stellenden Anforderungen ausdrücklich als Problem des Bestimmtheitsgrundsatzes ansieht oder diese - wie hier praktiziert - noch als Teilproblem des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes begreift, kann dahinstehen, da das Bestimmtheitsgebot jedenfalls im hier relevanten Eingriffsbereich lediglich eine notwendige Ergänzung und Konkretisierung, eine Intensivierung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes darstellt; vgl. dazu nur BVerfGE 58,257 (278); Geitmann, BVerfG und "offene" Normen, S. 84; im1 0einzelnen dazu bereits oben Teil 1, Abschnitt 6, D. 8 BGBl. I, S. 1505.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
257
Umweltfragen aufzuklären. Im Bereich der Gesundheitsberatung kann § 2 lit. a des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesgesundheitsamtes (BGA-G) 1 0 9 die ausdrückliche Zuweisung einer behördlichen Informationszuständigkeit an das BGA entnommen werden 110 . Dabei werden im Zusammenhang mit den vom Eingriffsvorbehalt an ein ermächtigendes Gesetz gestellten Anforderungen zwei Fragen aufgeworfen: Zum einen, ob die klassischen Ermächtigungsgrundlagen des Polizeirechts nur durch klassischen Eingriff bewirkte Beeinträchtigungen abdecken oder auch moderne, zu faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen führende Formen des Verwaltungshandelns rechtfertigen können (2.). Zum anderen, ob formellgesetzliche Vorschriften, die der Verwaltung lediglich eine Aufgabe oder Zuständigkeit zuweisen, den Anforderungen einer Ermächtigungsgrundlage i.S.d. Eingriffsvorbehalts entsprechen (3.). Zuvor soll kurz auf die Unterscheidung von Aufgabenzuweisungs- und Befugnisnormen eingegangen werden (1.). 1. Die Unterscheidung zwischen Aufgabenzuweisungs- und Befugnisnormen Von maßgeblicher Bedeutung für das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes insbesondere im vorliegenden Zusammenhang ist die vor allem im Polizeirecht vollzogene Differenzierung zwischen Aufgabenzuweisungs- bzw. Zuständigkeitsnormen 111 auf der einen und Befugnisnormen 112 auf der 1 0 9
BGBl. I (1952), S. 121.
1 1 0
Vgl. Schulte, DVB1. 1988, 512 (515). Wo es an einer derartigen spezialgesetzlichen Zuständigkeitsregelung fehlt, kann sich eine Informationszuständigkeit zunächst aus der allgemeinen Pflicht der Verwaltung zur Transparenz ergeben (vgl. auch Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 ff. [2707]; Schulte, DVB1.1988,512 ff. [515]). Außerdem kann u.U. eine Informationszuständigkeit kraft Sachzusammenhangs aus der Erfüllung der zugewiesenen Sachaufgabe begründet werden (OVG NW NJW 1986,2783; Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. [2707]). 111
Die Verwendung des Begriffs der Aufgabenzuweisungsnorm wird im Polizeirecht bevorzugt, bedeutet aber gegenüber dem Terminus der Zuständigkeitsnorm in der Sache keinen Unterschied, vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 38. Zur Abgrenzung von Aufgabe, Kompetenz und Zuständigkeit vgl. Wolff/Bachof, II, § 721 c. 112 So unterscheiden beispielsweise der Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes vom 11.6.1976 sowie die auf ihm beruhenden Ländergesetze systematisch zwischen Aufgaben der Polizei (Erster Abschnitt des ME PolG, §§ 1 ff.) und den Befugnissen der Polizei (Zweiter Abschnitt des ME PolG, §§ 8 ff.). Auch in der polizeirechtlichen Literatur wird diese Unterscheidung hervorgehoben, vgl. nur Drews/Wacke, S. 129 ff.; Knemeyer, Polzeirecht, Rn. 101 ff.; Götz, Polizeirecht, Rn. 139 ff. - Die von Brohm (NVwZ 1988,797 f.) vorgenommene Kategorisierung gesetzlicher Grundtypen wie des "Gesetzesbefehls", des "Gesetzesauftrags", der "Kompetenz" oder "Handlungsermächtigung" hat einen anderen Ausgangspunkt als die Unterscheidung zwischen Aufgabenzuweisungs- und Befugnisnormen. Während diese anknüpft an die Frage, ob ein vor dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes zu rechtfertigender Grund17 Roth
258
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
anderen Seite. Adressat einer Aufgabenzuweisungsnorm ist nicht der Bürger, sondern eine bestimmte Behörde. Die Aufgabenzuweisungsnorm weist dieser Behörde eine bestimmte Aufgabe zu, begründet für diese damit eine Entscheidimgskompetenz, die mit einem Handlungsauftrag verbunden ist. Knemeyer formuliert dies folgendermaßen: "Mit der Schaffung einer Aufgabennorm hat der Gesetzgeber bindend festgelegt, daß die Erfüllung in ihr normierter Einzelzwecke im öffentlichen Interesse hegt und daß sie von den angewiesenen Stellen erfüllt werden müssen . Damit ist jedoch noch nichts gesagt über die der Behörde zur Verfügung stehenden Mittel der Aufgabenerfüllung. Anders als noch zu Zeiten des § 89 Einl. A L R 1 1 4 herrscht heute im Grundsatz Einigkeit darüber, daß die Behörde jedenfalls dann, wenn sie ihren Handlungsauftrag durch ein Mittel erfüllen will, welches einen Eingriff in die grundrechtliche Sphäre des Bürgers bedeutet, einer sog. Befugnisnorm bedarf 115 . Die Befugnisnorm regelt in Erfüllung der Zwecke des Eingriffsvorbehalts 116 die Art des "eingreifenden" Mittels sowie die Voraussetzungen, unter denen die Behörde ihre Aufgabe durch Anwendung dieses Mittels erfüllen kann 117 . Außerdem läßt sie den duldungspflichtigen Personenkreis erkennen 118. Mit Rücksicht auf das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes wird somit grundsätzlich der Schluß von der Aufgabe auf die Eingriffsbefugnis einer Behörde nicht zugelassen119. rechtseingriff vorliegt, geht es bei jener darum, eine Zuordnung der verschiedenen administrativen Entscheidungsspielräume zu bestimmten Gesetzestypen vorzunehmen. 113
Knemeyer, DOV 1978, 11 ff.(12 f.); vgl. auch Rupp, Grundfragen, S. 113; Knemeyer, Polizeirecht, Rn. 106 ff.; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 39; Schulte, DVBl. 1988, 512 ff. (518). Näher zur historischen Entwicklung der Aufgabenzuweisungsnorm im deutschen Verwaltungsrecht Knemeyer, DÖV 1978, 11 ff. (12). Als Beispiel für eine Aufgabenzuweisungsnorm kann §11 PolG BW genannt werden. 114 "Wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann." 115 Nur die Befugnisnorm wird nach h.M. dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes gerecht, Wolff/Bachof, I, § 30, a, 3; Kopp, JuS 1981,419 ff. (426); Götz, Polizeirecht, Rn. 139; Dittmann, Polizeirecht, S. 276; Knemeyer, W D S t R L 35 (1977), S. 221 ff. (244). Auch die Rechtsprechung vertritt diese Auffassung, BVerwGE 59, 195 (201), näher ausgeführt NJW 1980, 1970 ff. (1971 f.); VGH BW DÖV 1989, 169 ff.(170)); OVG Berlin, NJW 1978, 1644 (1645). 116
Zu diesen i.e. oben Teil 2, Abschnitt 4, C, I.
1 1 7
Vgl. Wolff/Bachof, I, § 30 III a, b; Götz, Polizeirecht, Rn. 139 ff.; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 39; Pinger, JuS 1988,53 ff.(54). 118
Drews/Wacke, S. 290.
119 Vgl. schon Franz Mayer, Das Opportunitätsprinzip in der Verwaltung, S. 21. Außerdem Wolff/Bachof, I, § 30 III a 3; Knemeyer, WDStRL 35 (1977), S. 221 ff. (229 Fn. 23 m.w.N.) und auf S. 244, wo er ausführt, daß ein Mittel, sobald es "eingreife", der "Eingriffsbefugnisnorm"
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
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2. Rechtfertigung finaler Drittbeeinträchtigungen durch polizeirechtliche Befugnisnormen Zur Rechtfertigung behördlicher Warnungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr wird in Ermangelung spezialgesetzlicher Befugnisnormen in der Regel lediglich die polizeiliche Generalklausel in Betracht kommen 120 . Sie wird allgemein als klassische Befugnisnorm verstanden 121. Grundsätzliche rechtsstaatliche Bedenken122 gegen die Generalklausel vor allem unter dem Aspekt des Gebots hinreichender Gesetzesbestimmtheit wegen der Vielzahl der in ihr enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe sind nicht begründet. Insoweit ist mit dem BVerfG darauf abzustellen, daß die polizeirechtliche Generalklausel "in jahrzehntelanger Entwicklung durch Rechtsprechung
bedürfe, zur Beseitigung der Schranke entgegenstehender Rechte und somit zur Erweiterung des allgemeinen Handlungsrahmens der Veiwaltung auch auf Eingriffe; ders., Polizerecht, Rn. 104 ff. Deutlich wird der Charakter der Befugnisnormen gekennzeichnet z.B. durch Art. 7 I BayLStVG: "...Maßnahmen, die in Rechte anderer eingreifen, dürfen nur getroffen werden, wenn die Sicherheitsbehörden durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes dazu besonders ermächtigt sind". - Folgerichtig sind Maßnahmen außerhalb des engeren "Eingriffs-Bereich? wie etwa das Eigenhandeln der Polizei (Streifendienst, Abtransport von Unfallopfern usw.) sowie deren schlicht-hoheitliche Tätigkeit im Rahmen der Gefahrenvorbeugung ohne grundrechtseingreifenden Charakter (Faltblatt über Jugendsekten; Informationen der Polizei über Verkehrsstörungen, Verkehrsunfälle, Fahndungserfolge; geeignete Vorkehrungen zum Schutz gegen Einbrecher, allgemeine Hinweise und Belehrungen im Rahmen polizeilicher "Vorfeldarbeit") von der in § 1 PolG BW umschriebenen Gefahrenabwehraufgabe umfaßt (VGH BW DÖV 1989, 169 ff. (170); Götz, Polizeirecht, Rn. 135, 142; Rasch, § 1 Rn. 25, 53; § 2 Rn. 1; Reiff/Wöhrle/Wolf, PolG BW, § 3 Rn. 13; Wolff/Bachof, III, § 125 III, b, 1). 120 Vgl. z.B. §§ 11,3 PolG BW. - Soweit es um den Bereich der Lebensmittelüberwachung geht, sind Eingriffsbefugnisse zwar z.T. spezialgesetzlich vorgesehen (vgl. § 41 III Nr. 1 und 2 LMBG Eintrittsrechte von Kontrollorganen; § 581 Nr. 4 WeinG Recht zur vorläufigen Sicherstellung von Erzeugnisse, Geräten u.ä.; § 2 IV AG LMBG Rheinland-Pfalz Befugnis zur Sicherstellung bei der Durchführung des LMBG. Zur Übersicht über die Eingriffsbefugnisse der Lebensmittelbehörden in den verschiedenen Bundesländern vgl. Hummel-Liljegren, in: Lebensmittelrechtshandbuch, IV A Rn. 1 ff.), doch kennen weder das Bundesrecht noch das Landesrecht eine spezialgesetzliche Befugnisnorm, die zu behördlichen Warnungen vor gesundheitsgefährdenden oder gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften verstoßenden Produkten ermächtigt. Als Grundlage kommt somit hier nur die polizeirechtliche Generalklausel i.V.m. der jeweiligen lebensmittelrechtlichen Vorschrift, gegen die verstoßen wurde, in Betracht (Dolde, Gutachten, S. 21 ff). Für Warnungen vor "Jugendsekten" ist von vornherein keine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage ersichtlich. 121 122
Knemeyer, Polzeirecht, Rn. 107; Drews/Wacke, S. 130; Dittmann, Polizeirecht, S. 276 f.
Vgl. insoweit insbesondere Franz Mayer, Die Eigenständigkeit des Bayr. Verwaltungsrechts; ders., Das Opportunitätsprinzip in der Verwaltung, S. 163 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 202 mit Fn. 328.
260
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und Lehre nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert, in ihrer Bedeutung geklärt und im juristischen Sprachgebrauch verfestigt ist" 123 . Bei der Untersuchung des Problems, ob behördliche Warnungen auf die polizeirechtliche Generalklausel gestützt und dadurch verursachte Grundrechtsbeeinträchtigungen gerechtfertigt werden können, soll es nicht tun Fragen tatsächlicher Art gehen, etwa unter welchen Voraussetzungen eine die Warnung rechtfertigende Gefahr oder ein Gefahrenverdacht anzunehmen ist oder wann der Tatbestand der Gesundheitsgefährdung vorhegt 124 . Vielmehr bedarf der Klärung, ob unter den "erforderlichen Maßnahmen", die z.B. im Sinne des § 3 PolG BW im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde stehen, auch behördliche Warnungen verstanden werden können. Unbestritten ist, daß sich die polizeilichen Eingriffsermächtigungen, insbesondere die Generalklausel, am Eingriff durch gezielten Rechtsakt, am klassischen polizeilichen Verwaltungsakt orientiert haben 125 . Das bedeutet jedoch nicht, daß sich auch heute die ermächtigende Wirkung nur auf polizeiliche Verwaltungsakte beziehen kann 126 . Der allgemein gefaßte Wortlaut ("Maßnahmen") läßt eine Erstreckung auch auf Verwaltungshandeln faktischer Art zu; auch systematische Gesichtspunkte hindern eine derartige Auslegung nicht. Maßgeblich für die Einbeziehung spricht schließlich der Zweck der generellen, Ermessen vorsehenden Handlungsermächtigung in § 3 I PolG, die den weitgefaßten Tatbestand des § 1 I PolG ergänzt. Es soll eine effektive, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrende Gefahrenabwehr gewährleistet werden 127 . Denn z.B. in Fällen gesundheitsgefährdender Lebensrnittel, in denen die Gesundheitsverletzung vom Verzehr durch den Verbraucher abhängt, kann ein direktes Ansprechen der Gefährdeten weitaus wirkungsvoller sein als der unmittelbar an den Störer gerichtete Verwaltungsakt, etwa das Verkaufsverbot oder die Betriebsschließung128. Andererseits bleibt die Eingriffsintensität einer Warnung im 12^ 124
BVerfGE 54,143 (144 f.); vgl. auch Drews/Wacke, S. 37 f.; Wolff/Bachof, III, § 1251, c.
In der Praxis können diese Fragen allerdings von entscheidender Bedeutung sein, wie z.B. die Urteile des LG Stuttgart im Fall Birkel (NJW 1989,2257 ff.) sowie des VG Münster zu mit Östrogen behandelten Kälbern (NVwZ 1983, 238) zeigen. Vgl. zu diesen Problemen auch Ossenbühl, NVwZ 1986,161 ff.(170 f.). 125 1
Vgl. nur Götz, Polizeirecht, Rn. 143.
So aber Götz, Polizeirecht, Rn. 143. Reichert/Röber, Polizeirecht, S. 103,114, beschränken die möglichen Maßnahmen auf polizeiliche Verfügungen in Form von Verwaltungsakten und auf offentlichrech diche Verträge. 127 Vgl. Götz, Polizeirecht, Rn. 267 f.; ReiftfWöhrle/Wolf, PolG BW, § 3 Rn. 1, wo darauf abgehoben wird, der Gesetzgeber könne wegen der vielfältigen Gefahren die zulässigen Maßnahmen nicht im einzelnen festlegen; Drews/Wacke, S. 130; Friauf, Polizeirecht, S. 225 f. 128 Auch die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur erkennt Warnungen der Bevölkerung vor polizeilichen Gefahren als Teil des polizeirechtlichen Instrumentariums
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
261
Regelfall deutlich hinter der herkömmlicher Eingriffe durch Ver- oder Gebote zurück und ist deshalb dem Störer eher zumutbar 129 . Eine andere rechtliche Beurteilung wird auch nicht durch den Aspekt gerechtfertigt, daß das verfassungsrechtliche Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes grundsätzlich die gesetzliche Regelung verlangt, gegen wen polizeiliche Maßnahmen gerichtet werden dürfen . Denn eine derartige Regelung findet sich in den Vorschriften der §§ 6 bzw. 7 PolG BW über den Verhaltens- oder Zustandsstörer. Zwar ist der jeweilige Produkthersteller oder -vertreiber, von dem die Gefahr ausgeht, formal nicht Adressat der Verwaltungsmaßnahme; Adressat der Warnung ist die unbeteiligte, nicht störende Bevölkerung. Dennoch handelt es sich nicht um den Fall der Inanspruchnahme unbeteiligter Dritter im Rahmen des polizeilichen Notstands13 . Denn hier muß sich die Maßnahme gegen den Dritten richten, er muß in Anspruch genommen, d.h. in irgendeiner - ihn belastenden - Weise herangezogen werden 132 . Demgegenüber läßt sich im vorliegenden Fall sagen, daß die Warnung ihrem Inhalt und Zweck nach auf einen Eingriff in die Grundrechte der Produkthersteller oder -vertreiber gerichtet ist und daß der "Umweg" über die Verbraucher an der "materiellen"Adressierung an den Störer nichts ändert 133 .
an, und zwar überwiegend auch dann, wenn sie zu Grundrechtsbeeinträchtigungen Dritter führen. Vgl. jüngstens VGH BW DÖV 1989, 169 (170); VGH BW DRZ 1950, 500 f.; OVG Münster DVB1. 1964,882 ff.; NJW 1986, 2783 f.; GewArch 1988,11 ff.; Drews/Wacke, S. 289, 341 f.; Reiff/Wöhrle/Wolf, PolG BW, § 3 Rn. 4; Rasch, § 2 Rn. 4; Dolde, Gutachten, S. 23; Gusy, JZ 1989,1003 ff. (1005); Schenke, JuS 1989,557 ff. (558); Holthöfer-Nüse-Franck, Deutsches Lebensmittelrecht, Bd. I, § 6 Rn. 88; Hummel-Liljegren, in: Lebensmittelrechtshandbuch, IV A Rn. 7. Vgl. auch den Gemeinsamen Erlaß des baden-württembergischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung, des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt und des Innenministeriums über die Lebensmittelüberwachung vom 14.1.1980 (GABI. 1980, S. 58, 71), der unter Punkt 11.6. Warnungen der Bevölkerung vor gefährlichen Lebensmitteln als Maßnahmen der Gefahrenabwehr einordnet und sie von entsprechenden Voraussetzungen (Gefahr, Verhältnismäßigkeit, insbesondere Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen des Unternehmers) abhängig macht. 129
Vgl. BVerwG JZ 1989,997 ff. (1002).
130
Drews/Wacke, S. 290.
131
Vgl. § 9 PolG BW.
132
Vgl. Drews/Wacke, S. 336.
133 Zur Frage, ob spezialgesetzliche, bereichsspezifische Ermächtigungen zu Warnungen im Verhältnis zur polizeilichen Generalklausel zweckmäßiger wären, s. bereits oben Abschnitt 3, A, II, 1, Fn. 93.
262
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
3. Aufgabennormen als Eingriffsermächtigungen Die eingangs erwähnten §§ 2 I UBA-G, 2 ht. a BGA-G 1 3 4 weisen den Behörden lediglich bestimmte Aufgaben zu, ohne ihnen zugleich Instrumente der Aufgabenerfüllung bereitzustellen, sie insbesondere zur Anwendung "eingreifender" Mittel zu ermächtigen . Es handelt sich dabei also lediglich um Aufgabenzuweisungs-, nicht um Befugnisnormen, weshalb man z.T. deren potentiell ermächtigende Wirkimg für sich als Grundrechtseingriffe darstellende finale Drittbeeinträchtigungen von vornherein ohne nähere Prüfung ablehnt 136 . a) Legitimation faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen Aufgabennormen
durch
Von Teilen der Literatur wird diese Schlußfolgerung allerdings nicht gezogen, sondern in der gesetzlichen Zuweisung einer Aufgabe an eine Behörde auch die hinreichende gesetzliche Grundlage für düe Auslösung faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen gesehen. So will beispielsweise Götz für das Polizeirecht faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht dem "Regime der Befugnisnormen" unterstellen, sondern insoweit Aufgabenzuweisungsnormen ausreichen lassen137. Er begründet dies damit, daß die Befugnisnormen des Polizei- und Ordnungsrechts auf den klassischen Eingriff zugeschnitten seien, der immer in einem gezielten Rechtsakt (Gebots-Verfügung, Verbots-Verfügung, Duldungsgebot) bestehe, und daß dieses "Modell" der polizeirechtlichen Befugnisnormen faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen unberücksichtigt lasse138. Entwickelt hat Götz 134 Die gleiche Problematik kann in anderen Sachbereichen auftreten, in denen der Behörde nicht speziell die Aufgabe der Unterrichtung bzw. Information der Öffentlichkeit zugewiesen ist. So kann sich z.B. aus der Zuweisung der Sachaufgabe Lebensmittelüberwachung (vgl. §§ 40 1,411 LMBG und 58 WeinG i.V.m. 52 I I PolG) als Anne* (auch ohne Spezialzuweisung) eine Zuständigkeit für Informationen zum Zwecke der Aufgabenerfüllung entnehmen lassen, vgl. OVG NW NJW 1986,2783; Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. (2707). 135 So auch Schulte, DVBl. 1988,512 ff. (518) sowie Ossenbühl, Umweltpflege, S. 40 f. für §2 I UBA-G. Mohr, N + R 1989, 101 ff. (105) versteht im Gegensatz dazu § 2 I UBA-G als Befugnisnorm: Ein Gesetz, welches die Aufgabe zuweise, dier Öffentlichkeit in Umweltfragen aufzuklären, wolle damit nicht lediglich eine Zuständigkeit, sondern auch die Befugnis begründen, die Öffentlichkeit auch über solche Tatsachen zu informieren, die auf den Absatz von Waren Einfluß haben können. 136 So beispielsweise Schulte, DVBl. 1988,512 ff. (518); Pinger, JuS 1988,53 ff. (54). 1 3 7
138
Götz, Polizeirecht, Rn. 143 ff., 145,148.
Götz, Polizeirecht, Rn. 143. Ahnlich Sodan, DOV 1987, 858 ff. (866), der ausführt, die im Polizei- und Ordnungsrecht geltende strenge Unterscheidung zwischen Ermächtigungs-
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
263
diese Grundsätze für den "ohne Rechtszwang bewirkten informationellen •
1
.
Eingriff' . Da die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Informationen durch die Polizei und die Ordnungsverwaltung - beispielsweise im Rahmen der polizeilichen Beobachtung zum Zwecke vorbeugender Bekämpfung von Straftaten - nach heutiger Auffassung Eingriffe in das durch Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen 140, stellt er die Frage nach der gesetzlichen Grundlage für derartige faktische (weder durch Rechtszwang im Rahmen von Eingriffsbefugnissen begründete noch durch Einwilligung des Betroffenen gerechtfertigte) Beeinträchtigungen 141. Entgegen einer in der Literatur verbreiteten Auffassung, wonach derartige informationelle Eingriffe derzeit einer gesetzlichen Grundlage entbehren und deshalb die Schaffung präziser Befugnisnormen zu fordern sei 142 , hält Götz insoweit die Aufgabenzuweisungsnormen zur Strafverfolgung (§163 StPO) 143 und zur Gefahrenabwehr (etwa §11 PolG BW) für ausreichend 144. Götz' Auffassung kommt für die den Gegenstand der Betrachtimg bildenden finalen Drittbeeinträchtigungen besondere Bedeutung zu, da die von ihm behandelten faktischen Beeinträchtigungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts mit den behandelten Fällen finaler Drittbeeinträchtigungen durchaus vergleichbar sind. Es handelt sich nicht um unvorhersehbare oder zufällige Folgen der Erhebung oder Weigrundlagen (Befugnisnormen) und Zuständigkeitsvorschriften (Aufgabenzuweisungsnormen) mit der damit verbundenen Konsequenz, daß Eingriffe in den Rechtskreis des Bürgers nur aufgrund einer Befugnisnorm zulässig sind, "passe" nicht für den Gesetzesvorbehalt bei mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen. 1 3 9
140 141 142
Vgl. Götz, Polizeirecht, Rn. 144 ff. BVerfGE 65,1 (43); Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 27. Götz, Polizeirecht, Rn. 143 ff.
Vgl. nur Bull, Datenschutz oder die Angst vor dem Computer, S. 222 f.; Riegel, RiA 1984,121 ff. (121 f.); Kopp, JuS 1981,419 ff. (426); Drews/Wacke, S. 195. 143 Daß § 163 StPO keine allgemeine Eingriffsermächtigung, sondern nur eine Aufgabennorm 144 darstellt, entspricht der hM, vgl. nur Drews/Wacke, S. 132 f. Götz, Polizeirecht, Rn. 145, 148. So auch Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 167 ff., 173; Kubica/Leineweber, NJW 1984,2068 ff. (2072) speziell für § 163 StPO (sie halten allerdings gesetzgeberische Klarstellungen für wünschenswert). Götz untermauert seine Auffassung zusätzlich mit dem praktischen Argument, daß sonst eine polizeiliche Informationserhebung und -Verarbeitung nur noch ganz begrenzt zulässig wäre. Denn im Rahmen der Gefahrenabwehr könnte sie mangels Spezialregelung nur auf der Grundlage der Generalklausel (§ 3 PolG BW) als Befugnisnorm ergehen und würde somit eine konkrete Gefahr sowie die polizeirechtliche Verantwortlichkeit dessen voraussetzen, über den Informationen erhoben oder weitergegeben werden; im Bereich der Strafverfolgung wären derartige Maßnahmen mangels einer Generalermächtigung für Eingriffsbefugnisse schlechthin unzulässig; vgl. Götz, Rn. 145.
264
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
tergabe persönlicher Daten, sondern die Beeinträchtigungen werden von den Behörden als Mittel eingesetzt, um die Aufgabe der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung zu erfüllen. In vergleichbarer Weise hält Gallwas aus den oben im einzelnen dargestellten Gründen 145 bei faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen die Anforderungen des Gesetzesvorbehalts für erfüllt, wenn diese Beeinträchtigungen im Rahmen der Verfolgung von Zwecken geschehen, die verfassungsrechtlich oder gesetzlich normiert seien 146 . Der Sache nach will es also auch Gallwas für die Rechtfertigung faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen vor dem Prinzip des Eingriffsvorbehalts ausreichen lassen, wenn der Gesetzgeber - etwa in Form einer Aufgabenzuweisungsnorm - eine Behörde mit der Erfüllung eines konkreten Zwecks beauftragt hat. b) Stellungnahme: Unzulänglichkeit von Aufgabennormen Modifizierung der Befug/xisnormen aa) Unzulänglichkeit von Aufgabennormen Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob im Falle finaler Drittbeeinträchtigungen auf die ausdrückliche Normierung des "eingreifenden" Mittels verzichtet werden kann, müssen die mit der Befugnisnorm angestrebten Zwecke sein. Zunächst dient die Forderung einer Befugnisnorm dazu, das Eindringen der Exekutive in den besonders schützenswerten Grundrechtsbereich von besonderen Sicherungen abhängig zu machen. Will die Verwaltung eine ihr obliegende Aufgabe durch ein Mittel erfüllen, das mit einem Eingriff in den Grundrechtsbereich verbunden ist, soll dies nicht dem "Ermessen" der Verwaltung überlassen sein, sondern zuvor soll der Gesetzgeber entscheiden, ob und inwieweit das "eingreifende" Mittel angewandt werden kann 147 . Die Grenzziehung zwischen Grundrechten und Eingriffsbefugnissen der Exekutive wird also dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber und dem eine besondere Respektierung der grundrechtlichen Sphäre gewährleistenden Gesetzgebungsverfahren anvertraut 148. Ein weiterer, zentraler, mit der Forderung nach einer vorherigen, abstrakt-generellen Normierung des 145
146
Teil 2, Abschnitt 4, Β , Π , Ι .
Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 97 ff. (100 f.). Dem Gesetzesvorbehalt werde so dadurch Genüge getan, daß dem Gesetzgeber im Bereich der Grundrechte die Zwecksetzungskompetenz vorbehalten werde. 147 ' Vgl. Knemeyer, W D S t R L 35 (1977), S. 221ff. (244); Ossenbühl, Umweltpflege, S. 39. 148 Siehe bereits oben Teil 2, Abschnitt 4.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
265
"eingreifenden" Mittels verbundener Zweck liegt darin, daß auf diese Weise auch für den Bürger vorhersehbar und berechenbar wird, durch welche Maßnahmen und unter welchen Voraussetzungen staatliche Aufgaben mittels Eingriffen in seine Grundrechte wahrgenommen werden können 149 . Insbesondere diese rechtsstaatlich begründete Funktion würde auch im Falle finaler Drittbeeinträchtigungen weitgehend leerlaufen, wollte man zu deren Legitimation Aufgabennormen ausreichen lassen. Denn auch bei finalen Drittbeeinträchtigungen ist ein Mittel-Zweck-Mechanismus festzustellen: zur Erreichung eines bestimmten Zwecks (Kostendämpfung im Gesundheitswesen, Umweltschutz) wird die durch behördliches Verhalten ausgelöste Drittbeeinträchtigung als Mittel eingesetzt (Verringerung des Absatzes bestimmter Produkte u.ä.). Jedenfalls soweit faktische Beeinträchtigungen nicht bloße nicht-finale, unvorhergesehene oder zufällige Folgen staatlichen Handelns sind, sondern von der Verwaltung als Instrument eingesetzt werden, um bestimmte Zwecke zu erfüllen, erfordert es die Voraussehbarkeit staatlichen Handelns und dadurch verursachter Eingriffe in den Grundrechtsbereich, daß auch Art und Ausmaß der zur Zweckverwirklichung eingesetzten Mittel vorher bestimmt sind 150 . Der bloßen Normierung des zu verfolgenden Zwecks oder der zugewiesenen Aufgabe (z.B. Aufklärung der Öffentlichkeit in Umweltfragen, §2 I UBA-G) kann der potentiell betroffene Bürger (z.B. der Produkthersteller) nicht entnehmen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Zweck oder die Aufgabe gerade durch Eingriffe in seine Grundrechte erfüllt werden können. Die dagegen in der Literatur vorgebrachten Argumente erweisen sich nicht als stichhaltig. Gallwas' Auffassung, der Gesetzesvorbehalt sei allgemein im Falle faktischer Beeinträchtigungen auf einen Vorbehalt der Zwecksetzung zu reduzieren, paßt jedenfalls nicht auf finale faktische Beeinträchtigungen. Er geht davon aus, daß der Gesetzesvorbehalt die Funktion habe, "bei den imperativen Beeinträchtigungen eine Mittel-ZweckSteuerung" durch den Gesetzgeber zu vollziehen; bei faktischen Beeinträchtigungen sei eine Normierung entbehrlich, da diese ihrer Erscheinung nach nicht Mittel zur Erreichimg eines bestimmten Zwecks, sondern nur Folgen des eingesetzten Mittels oder des verwirklichten Zwecks
149 Vgl. Grabitz, Freiheit, S. 63; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 39. Nach dem BVerfG muß die jeweilige Vorschrift "in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt so formuliert sein, daß die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten darauf einrichten können (E 21,73 [79]; 31, 255 [264]; 37,132 [142]). Zur Voraussetzung der Meßbarkeit und Berechenbarkeit staatlicher Eingriffe für den Bürger als Forderung des Bestimmtheitsgebots vgl. bereits oben Teil 1, Abschnitt 6, D. Ein zusätzlicher rechtsstaatlicher Aspekt liegt darin, daß durch die Normierung des Mittels auch Maßstäbe für die gerichtliche Kontrolle gesetzt werden. 1 5 0 Vgl. Grabitz, Freiheit, S. 63.
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
seien 151 . Letzteres mag auf nicht finale, unvorhersehbare oder zufällige Beeinträchtigungen zutreffen, nicht jedoch auf zur Erreichung eines bestimmten Zwecks herbeigeführte Drittbeeinträchtigungen 152. Götz 9 Hinweis, das traditionelle Modell der polizeirechtlichen Befugnisnormen sei nicht auf faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen zugeschnitten, mag der Sache nach zutreffen, erscheint jedoch nicht geeignet, verfassungsrechtliche Anforderungen an Ermächtigungsgrundlagen für Grundrechtseingriffe zu beseitigen oder zu modifizieren. Nun ist allerdings für das Planungsrecht anerkannt, daß dort den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts und des Bestimmtheitsgrundsatzes153 Normen genügen, die - ähnlich wie Aufgabenzuweisungsnormen - als wesentliche Vorgaben für die Entscheidung der Verwaltung nur Zwecke und Ziele enthalten154. Der klassische Verwaltungsrechtssatz programmiert die Verwaltung nach dem Muster eines Wenn-Dann-Satzes und nimmt die Einzelfallentscheidung abstrakt dadurch vorweg, daß er bei Vorliegen bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen das Eingreifen eines bestimmten, u.U. "eingreifenden" Mittels zuläßt . Demgegenüber gibt der Planungsrechtssatz im wesentlichen Zwecke und Ziele vor und überläßt es der Verwaltung, aus verschiedenen Handlungsalternativen den konkreten Weg zum Ziel und damit auch das konkrete "eingreifende" Mittel auszuwählen156. Diese reduzierten Anforderungen an die Struktur planungsrechtlicher Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 94. 152 Jedenfalls die Einbeziehung finaler Drittbeeinträchtigungen in den Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts hätte somit nicht die von Gallwas befürchtete "Funktionsänderung" des Prinzips 153 zur Folge, Beeinträchtigungen, S. 94. Auch staatliche Planungen können zu Grundrechtseingriffen führen und bedürfen deshalb grundsätzlich der für Eingriffe geltenden verfassungsrechtlichen Sicherungen, vgl. nur Brohm, NJW 1980,857 ff. (861). 154 Vgl. Brohm, WDStRL 30 (1972), 245 ff. (266 ff.); Hoppe, DVB1.1974,641 ff. (645 ff.); Brohm, DVB1.1980,653 ff. (658); NVwZ 1988,794 ff.(797). 155
Hoppe, DVB1. 1974, 641 ff. (643); Brohm, DVB1.1980, 653 ff. (658); Braun, VerwArch 76 (1985), 24 ff., 158 ff. (161); Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 1 Rn. 88. 156
Zum Entscheidungsablauf bei der Planung vgl. Brohm, W D S t R L 30 (1972), 246 ff. (258 ff.); Hoppe, DVB1.1974, 641 ff. (643 ff.); Braun, VerwArch 76 (1985), 24 ff., 158 ff. (161); Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 1 Rn. 305. Als Beispiel kann die Bauleitplanung genannt werden; ihr sind nach § 11, III und V BauGB die allgemeine Aufgabe der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung der Grundstücksnutzung sowie gewisse konkretere Planungszwecke (Planungsleitsätze) vorgegeben, nicht jedoch der konkrete Inhalt der Planungsentscheidung; vgl. dazu Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 1 Rn. 89: " Welche Nutzungen wo und wann durch Planung ermöglicht oder unterbunden werden und damit der eigentliche Gestaltungsakt der Planung ist jedoch gesetzlich nicht oder nur in allgemeinen Aufgaben- und Zielbeschreibungen vorgegeben". Keine Abstriche können allerdings bei der gesetzlichen Zielfixierung gemacht werden, vgl. Brohm, NJW 1980,857 ff. (861 f.).
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
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Normen insbesondere im Hinblick auf die Normierung des "eingreifenden" Mittels beruhen vor allem auf planungstypischen Besonderheiten, vor allem auf der Komplexität der Sachverhalte, die Planungsnormen zu steuern suchen. Gegenstand der Planung sind hochkomplexe Sachverhalte "mit einer großen Anzahl von Einflußgrößen und Faktoren unterschiedlicher Provenienz, die untereinander verschränkt, verflochten und vermascht sind" 157 . Die finalen Drittbeeinträchtigungen zugrundeliegenden Sachverhalte weisen eine vergleichbare, gelockerte verfassungsrechtliche Anforderungen rechtfertigende Komplexität nicht auf. Die maßgeblichen Einflußgrößen für die Verwaltungsentscheidung etwa bei von Umweltschutzmotiven getragenen behördlichen Produktinformationen sind durchaus vergleichbar mit den herkömmlichen polizeirechtlichen oder wirtschaftslenkenden Maßnahmen, sodaß eine abstrakte Vorwegnahme der Verwaltungsentscheidung nach dem Wenn-Dann-Schema als möglich erscheint 158. Als Zwischenergebnis bleibt somit festzuhalten, daß eine finale Drittbeeinträchtigungen rechtfertigende gesetzliche Grundlage sich aus demokratischen und grundrechtlichen, vor allem jedoch aus rechtstaatlichen Gründen nicht auf die Angabe der behördlichen Aufgabe, des zu verfolgenden Zwecks beschränken kann, sondern auch Aussagen über das von der Behörde einzusetzende Mittel machen muß. bb) Modifizierung der Befugnisnormen Damit reduziert sich die Problematik darauf, wie genau das "eingreifende Mittel" beschrieben werden muß. Den erwähnten Stimmen aus der Literatur ist zuzugeben, daß die vollständige und ausdrückliche Normierung des "eingreifenden" Mittels, wie sie die Befugnisnorm grundsätzlich verlangt 159 , im Falle finaler Drittbeeinträchtigungen nicht unproblematisch ist. Dies hegt an der gegenüber dem klassischen Eingriff unterschiedlichen Struktur des eingesetzten Mittels. Untersucht man standardisierte gezielte Eingriffe, etwa eine polizeiliche Standardmaßnahme, wie z.B. die Aufforderung, die Ausweispapiere zu zeigen gem. § 20 I I PolG BW, oder wie die Beschlagnahme nach § 27 PolG BW, zeigt sich, daß dort das eingesetzte Mittel in einem 157
Hoppe, DVBl. 1974, 641 ff. (644). Dazu kommen andere Strukturgesetzlichkeiten des Planungsprozesses wie etwa Ziel- und Mittelkonflikte sowie die Notwendigkeit prognostischer Überlegungen, Hoppe, DVBl. 1974,644. Vgl. auch Brohm, W D S t R L 30 (1972), S. 258 ff. 158 So könnte das Gesetz eine öffentliche Empfehlung der Nichtanwendung bestimmter Produkte vorsehen, wenn diese umweltschädlich sind; oder es könnte öffentliche Informationen über ein bestimmtes Medikament zulassen, wenn dieses die gleiche Wirksamkeit wie andere 159 Medikamente aufweist, jedoch nur zu einem höheren Preis erhältlich ist. Vgl. nur Knemeyer, W D S t R L 35 (1977), S. 221 ff. (244).
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Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
einaktigen, einheitlichen Geschehen besteht. Mit dem behördlichen Verlangen, sich auszuweisen, oder eine Sache zwecks Beschlagnahme herauszugeben, ist direkt verbunden die entsprechende Verhaltenspflicht des Betroffenen 160. Die nachteilige Wirkung für den Betroffenen ist somit die Kehrseite der behördlichen Maßnahme, behördliche Maßnahme und beeinträchtigende Wirkung bilden eine Einheit. Der Einsatz der staatlichen Maßnahme ist zwangsläufig und immer mit der Wirkung des Grundrechtseingriffs verbunden. In diesen Fällen wird mit der Normierung des staatlichen Verhaltens auch die Beeinträchtigung des Betroffenen klar bestimmt und so der mit der Befugnisnorm insbesondere verbundene rechtsstaatliche Zweck erfüllt, für den Bürger berechenbar zu machen, wann staatliche Aufgaben durch das Mittel des Eingriffs in seine Grundrechte wahrgenommen werden können 161 . Zur Normierung des "eingreifenden" Mittels i.S.d. Befugnisnorm reicht also hier die Normierung des staatlichen Handelns aus 162 . Demgegenüber setzt sich bei finalen Drittbeeinträchtigungen das eingesetzte Mittel aus einem mehraktigen Vorgang zusammen. Das behördliche Handeln ist nur Auslöser bzw. "erster Akt"; die Beeinträchtigung, der eigentliche Eingriff tritt nicht unmittelbar und zwangsläufig ein, sondern vollzieht sich erst über mehrere Kausalstufen 163. Da somit die Beeinträchtigung nicht allein vom behördlichen Verhalten, sondern von zusätzlichen Zwischenursachen abhängt, die die Verwaltung nicht "in der Hand hat" 164 , ist die Wirksamkeit des Mitteleinsatzes mit Unsicherheiten behaftet 165 . Diese besondere Struktur des staatlich eingesetzten Mittels, das sich aus mehreren Akten zusammensetzt, führt zu Problemen bei der abstrakten gesetzlichen Vorausbestimmung des Mittels. Die Frage geht konkret dahin, ob allein die Normierung des staatlichen Handelns als Auslöser der Beeinträchtigimg, den die Behörde nach ihrem Willen determinieren kann, ausreicht, oder ob über diesen staatlichen "Anteil" am Mitteleinsatz hinaus auch die Zwischenursachen (Verbraucherverhalten) sowie nachteilige Fol-
160
Vgl. Drews/Wacke, S. 215 f.; Reiff/Wöhrle/Wolf, PolG BW, § 20 Rn. 23,25; § 27 Rn. 24.
161
Vgl. Grabitz, Freiheit, S. 63; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 39 f.
162
Vgl. auch Ossenbühl, Umweltpflege, S. 39; Sodan, DÖV 1987,858 ff. (866).
Λ{Λ
Diese können etwa bei behördlichen Produktinformationen im Verhalten der Verbraucher bestehen. 164 Sodan nennt insoweit das freiwillige Verhalten gewerblicher Produktabnehmer oder Verbraucher, das einer alleinigen staatlichen Determinierung des Eintritts der Grundrechtsbeeinträchtigung entgegensteht, vgl. DÖV 1987,858 ff. (866). 165 Vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 39 f.; Sodan, DÖV 1987,858 ff. (866).
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
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gen (Absatzeinbußen) gesetzlich fixiert werden müssen166. Die spärlichen Stimmen in der Literatur zu dieser Frage sprechen sich für eine Modifikation der Anforderungen einer Befugnisnorm aus und wollen die gesetzliche Normierung des staatlichen "Anteils" am Mitteleinsatz ausreichen lassen. Wie bereits aufgezeigt 167 vertritt Ramsauer allgemein zu den faktischen Beinträchtigungen, daß das Gesetz mit der Regelung einer staatlichen Maßnahme grundsätzlich auch zur Verursachimg der mit ihr verbundenen Wirkungen ermächtige 168. Denn gesetzliche Ermächtigungen würden immer das Verhalten der ermächtigten (also staatlichen) Rechtssubjekte betreffen; außerdem sage die Erlaubnis für ein hoheitliches Tätigwerden grundsätzlich auch etwas über die Wirkungen hoheitlichen Handelns aus, da die Maßnahme i.d.R. wegen der durch sie zu verursachenden Wirkungen erlaubt werde 169 . Nach Sodan muß der Gesetzgeber nur dasjenige regeln, was die öffentliche Gewalt sicher "in der Hand hat". Für behördliche Produktinformationen reichten deshalb die Normierung der Befugnis zur Veröffentlichung sowie die Festlegung der diesbezüglichen Voraussetzungen aus 170 . Diesen Literaturmeinungen kann im Ergebnis gefolgt werden. In der Begründung kommt es jedoch maßgeblich darauf an, ob die mit der Befugnisnorm verbundenen Zwecke eine derartige Modifizierung zulassen. Unter grundrechtlichem sowie demokratischem Aspekt ist eine derartige Normgestaltung unproblematisch, da insoweit bereits ausreicht, daß die Eingriffsmaßnahme grundsätzlich der Entscheidung des Gesetzgebers zugewiesen und den spezifischen Verfahrensanforderungen der Gesetzgebung unter-
166 Die durch das Transparenzlisten-Urteil des BVerwG erforderlich gewordene gesetzliche Normierung der Tätigkeit der Transparenzkommission in Art. 1 Nr. 21 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des AMG vom 16.8.1986 (BGBl. I, S. 1296) beschränkt sich auf die Festlegung der Befugnis zur Veröffentlichung der Transparenzlisten, die insoweit bestehenden Tatbestandsvoraussetzungen sowie die Bestimmung der Adressaten der Liste (siehe § 39 b IS. 4 "die Heilberufe"); eine ausdrückliche Bestimmung, daß mit den Transparenzlisten über das Verschreibungsverhalten der Ärzte unternehmerische Umsatzeinbußen verursacht werden dürfen fehlt (vgl. etwa auch die Formulierung des § 9 StrSchVG). 1 6 7 Teil 2, Abschnitt 4, B, II, 2. 168 Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 103. Ähnlich Papier, NJW 1974,1797 ff. (1798 f.) zum Spezialfall nicht-finaler Grundrechtsbeeinträchtigungen von Betrieben der öffentlichen Hand, sowie Brohm, W D S t R L 30 (1972), 245 ff. (268). 169
Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 103. Er zieht jedoch eine Grenze zu den Auswirkungen hoheitlichen Handelns, die von den gesetzlichen Ermächtigungen nicht mehr "gedeckt" sind. Das sei der Fall, wenn es sich um "untypische Folgen" in Einzelfall handele, Ramsauer, S. 104. 170
Sodan, DÖV 1987,858 ff. (866).
270
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
worfen wird 171. Allein der rechtsstaatliche Zweck der Berechenbarkeit finden Bürger bedarf näherer Betrachtung. Dabei ist von Bedeutimg, daß schon nach allgemeiner Auffassung nicht jedes Detail der eingreifenden Maßnahme ausdrücklich geregelt werden muß 172 , insbesondere das Vorliegen der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigung auch im Wege der Auslegung ermittelt werden kann 173 . Mit Rücksicht auf diese "un-formale" Tendenz kann die rechtsstaatliche Funktion als gesichert angesehen werden, wenn das Gesetz Art, Zweck und Voraussetzungen des staatlichen Handelns regelt und der Bürger allein diesen Regelungen entnehmen kann, mit welchen Wirkungen für seine Grundrechtssphäre das staatliche Handeln verbunden sein kann. Insoweit kann es genügen, nur den staatlich voll determinierten Teil des eingesetzten Mittels zu normieren und die Zwischenursachen sowie die bezweckten nachteiligen Wirkungen ungeregelt zu lassen, wenn diese aus Systematik und Zweck erschlossen werden können . Verallgemeinernd läßt sich folgendes sagen: Soweit sich bei Verwaltungsmaßnahmen, die bestimmte Drittbeeinträchtigungen bezwecken, aus der Zusammenschau der gesetzlichen Regelung von Art und Voraussetzungen der zugelassenen staatlichen Maßnahme sowie der Normierung des zu verfolgenden Zwecks die Grundrechtsbetroffenen sowie das mögliche Ausmaß der Grundrechtsbeeinträchtigung feststellen lassen, stehen einer gewissen Lockerung der Bestimmtheitsanforderungen im Hinblick auf das von der Verwaltung eingesetzte Mittel mit Rücksicht auf die besondere Struktur finaler Drittbeeinträchtigungen verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegen.
1 7 1
Vgl. Papier, NJW 1974,1797 ff. (1798 f.).
172 So bezieht sich das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes nach überwiegender Auffassung nicht auf die Form des Tätigwerdens der Verwaltung, z.B. ist eine spezifische Ermächtigung zum Handeln gerade durch Verwaltungsakt nicht erforderlich, Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 5; Osterloh, JuS 1983,280 ff. 173 BVerfGE 21,209 (215); BVerwG NJW 1980,1971. 174 Als Beispiel, das diesen Anforderungen gerecht wird, kann kann die Neuregelung des AMG genannt werden. So können die Arzneimittelhersteller dem neu geschaffenen § 39 b AMG, der die Befugnis zur Erstellung von Transparenzlisten sowie deren Inhalt und Zweck (Herbeiführung einer pharmakologisch-therapeutischen und preislichen Transparenz) eindeutig festlegt, durchaus entnehmen, daß sie zum duldungspflichtigen Personenkreis gehören und u.U. mit Absatzeinbußen bei (im Hinblick auf therapeutische Wirksamkeit oder Preis) negativ beurteilten Medikamenten rechnen müssen.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
271
4. Zwischenergebnis Im Wege der Auslegung der polizeilichen Generalklausel konnte ermittelt werden, daß diese nicht allein klassische Eingriffsmaßnahmen abdeckt, sondern z.B. auch behördliche Warnungen, die zum Zwecke der Gefahrenabwehr eingesetzt werden. An der dogmatischen Unterscheidung zwischen Aufgabenzuweisungsund Befugnisnormen ist festzuhalten. Auch eine gesetzliche Grundlage zur Rechtfertigung finaler Drittbeeinträchtigungen darf sich aus demokratischen, grundrechtlichen, vor allem aber rechtsstaatlichen Gründen nicht auf die Angabe der von der Behörde zu erfüllenden Aufgabe beschränken, sondern muß Aussagen über das von der Behörde einzusetzende Mittel treffen. Die besondere Struktur finaler Drittbeeinträchtigungen macht zwar die Normierung rechtfertigender Befugnisnormen nicht unmöglich, erfordert aber deren Modifizierung. So reicht es grundsätzlich aus, wenn das staatlicherseits eingesetzte Mittel nicht vollständig, sondern nur zum Teil, nämlich lediglich im Hinblick auf den staatlichen '!'Auslöser" der Beeinträchtigung beschrieben wird, die Zwischenursachen (z.B. Verbraucherverhalten) sowie die nachteiligen Folgen (z.B. Absatzeinbußen) jedoch ungeregelt bleiben. Das setzt allerdings voraus, daß sich aus der Zusammenschau der gesetzlichen Regelung von Art und Voraussetzungen der zugelassenen staatlichen Maßnahme sowie der Normierung des zu verfolgenden Zwecks die Grundrechtsbetroffenen sowie das mögliche Ausmaß der Grundrechtsbeeinträchtigung feststellen lassen. B. Normierungserfordernisse im Bereich finaler Drittbeeinträchtigungen aufgrund der Wesentlichkeitstheorie Daß finale Drittbeeinträchtigungen grundsätzlich als Eingriffe die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte auslösen und deshalb eine gesetzliche Grundlage bereits unter dem Aspekt des Eingriffsvorbehalts erfordern, schließt es nicht aus, zu untersuchen, ob sich zusätzliche Regelungserfordernisse unter dem Gesichtspunkt der Wesentlichkeitstheorie ergeben 175. Dabei kann insbesondere die sich aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte ergebende Grundrechtsfunktion der Begründung staatlicher Schutzpflichten eine Rolle spielen. Dies soll im folgenden an der als Prototyp finaler Drittbeeinträchtigungen anzusehenden behördlichen Informationstätigkeit aufgezeigt werden.
175
Teil 2, Abschnitt 2, D, I.
272
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
Behördliche Informationen haben einen ambivalenten Charakter: sie können, wie wir gesehen haben, auf der einen Seite die Grundrechte der Produkthersteller beeinträchtigen, auf der anderen Seite kann durch sie aber auch ein Schutz der Grundrechte anderer Grundrechtsträger bewirkt werden. Dazu zwei Beispiele: In der Literatur wird im Zusammenhang mit den oben angesprochenen Kunststoffempfehlungen des Bundesgesundheitsamtes 176 eine sich aus Art. 2 I I S. 1 GG ergebende staatliche Pflicht angenommen, Vorkehrungen zu treffen, die einen wirksamen Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Verbraucher gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Kunststoffe gewährleisten . Da die Kunststoffempfehlungen des Bundesgesundheitsamtes der Erfüllung dieser staatlichen Schutzpflicht dienten und deshalb wesentlich für die Verwirklichung des Grundrechts der Verbraucher gem. Art. 2 Π S. 1 GG seien, müßte - auch aus diesem Grund 178 - sowohl für die Empfehlungen wie auch die sie aussprechende Sachverständigenkommission eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden 179 . In vergleichbarer Weise wird diskutiert, ob und inwieweit sich im Bereich des Strahlenschutzes aus der in Art. 2 Π S. 1 GG verankerten staatlichen Schutzpflicht auch die konkrete Verpflichtung staatlicher Behörden ergibt, die Bevölkerung im Falle einer radioaktiven Verseuchung zu informieren, vor Gefahren zu warnen, bestimmte Verhaltensweisen, etwa im Hinblick auf den Verzehr von Lebensmitteln, zu empfehlen 180 . Auch hier schließt sich die Frage nach Normierungserfordernissen im Hinblick auf eine solche - für den Gesundheitsschutz u.U. "we-ι οι
sentliche" - Informationspflicht an . Am Maßstab solcher Normierungserfordernisse aufgrund der Wesentlichkeitstheorie wäre dann z.B. § 9 StrSchVG zu messen, der lediglich die Befugnis des zuständigen Bundesmi176 Teil 3, Abschnitt 1, A, I, 3, wo deren Einordnung als finale Drittbeeinträchtigungen vorgenommen wurde. 177 Sodan, Funktionsträger, S. 552, der diese Pflicht näher damit begründet, daß in Zeiten vor Errichtung der Kunststoffkommission (1946 -1948) durch die Verwendung von Kunststoffen in Deutschland eine Reihe von Erkrankungen und sogar ein Todesfall eingetreten sei und außerdem die große Bedeutung von Kunststoffen als Material fur die Verpackung von Lebensmitteln 178 berücksichtigt werden müsse, vgl. S. 551 f., 181. Also neben dem ohnehin aufgrund des Eingriffsvorbehalts bestehenden Gesetzeserfordernis. 179 Sodan, Funktionsträger, S. 552. Zwar sei der Gesetzgeber dieser Schutzpflicht durch die Regelung in § 30 Nr. 1 - 3 und § 311 LMBG "in gewisser Weise nachgekommen", doch habe er sich dabei auf die Festlegung generalklauselartiger Verbotstatbestände beschränkt und deren für den Gesundheitsschutz wichtige Ausfüllung einfach den Kunststoffempfehlungen des BGA überlassen, ohne diesen eine gesetzliche Grundlage gegeben zu haben (S. 552). Vgl. auch den Gesetzgebungsvorschlag Sodans, S. 569 f. 1 8 0 Peine, N + R 1988,115 ff. (120). 181
Peine, N + R 1988,115 ff. (120).
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
273
nisters regelt, der Bevölkerung bestimmte Verhaltensweisen zu empfehlen 1 8 2 . Ohne Zweifel ist dem objektivrechtlichen Gehalt des Art. 2 I I S. 1 GG eine Pflicht des Staates zu entnehmen, Leben und Gesundheit seiner Bürger zu schützen - auch etwa vor Beeinträchtigungen seitens anderer Bürger 3 . Das Bestehen einer derartigen Schutzpflicht kann sich auch auf Reichweite und Inhalt des Gesetzesvorbehalts im Sinne der Wesentlichkeitstheorie auswirken 184. Aber im Gegensatz zu dem eine gesetzliche Grundlage zwingend fordernden Eingriffsvorbehalt muß dem Gesetzgeber bei der Erfüllung objektivrechtlicher Grundrechtsfunktionen ein erheblicher Spielraum zugestanden werden 185 . Dies gilt in besonderem Maße für die Erfüllung staatlicher Schutzpflichten: Die Entscheidung über das "Ob" und "Wie" des Schutzes hängt im Regelfall von einer Vielzahl von Faktoren ab 1 8 6 . In der Regel sind zur Realisierung der Schutzpflicht sehr verschiedene Lösungswege möglich 187 . Deshalb ist im Grundsatz von einer weitgehenden Entscheidungsautonomie des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers im Hinblick auf die Erfüllung der ihm obliegenden Schutzpflichten auszugehen188. Durch Schutzpflichten in Verbindung mit der Wesentlich182 Dabei könnte eine Unvollständigkeit der bestehenden Regelung zum einen unter dem Aspekt gerügt werden, daß § 9 StrSchVG keine Informationspflicht der Behörde vorsieht, zum anderen unter dem Gesichtspunkt, daß kein Recht der Bevölkerung auf umfassende Information, etwa auf Publikation sämtlicher gemessener Daten, normiert ist; vgl. dazu Peine, N + R 1988,115 ff. (120). IM Vgl. nur BVerfGE 46,160 (164); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 467; Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 50. 184 Das wurde oben (Teil 2, Abschnitt 2, A) bereits herausgearbeitet. Ob das Erfordernis gesetzgeberischer Regelungen dabei auf die Wesentlichkeitstheorie i.V.m. der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte oder unmittelbar auf die den Gesetzgeber treffende Schutzpflicht zu stützen ist, erscheint als akademische Frage, da laut BVerfG "der Vorbehalt des Gesetzes keine größere Regelungsdichte gebieten könne" als die Schutzpflicht des Gesetzgebers aus Art. 2 185 II S. 1 GG, DVBl. 1988,342 (342). 186
Vgl. nur Jarass/Pieroth, Vorb. Rn. 4 und bereits oben Teil 2, Abschnitt 2, A.
Etwa von Art, Nähe und Ausmaß der drohenden Gefahren, von der Art und dem Rang der beteiligten und u.U. kollidierenden staatlichen und privaten Interessen sowie von den zum Schutz schon vorhandenen Regelungen bzw. getroffenen Maßnahmen, vgl. nur BVerfGE 49,89 (142); 187 Pieroth/Schlink, Grundrechte Rn. 468 ff. Das ist der Kernunterschied zwischen der grundrechtlichen Abwehrfunktion und den aus den objektiven Funktionen abzuleitenden grundrechtlichen Leistungsansprüchen: Während das Abwehrrecht nur durch ein bestimmtes Verhalten des Staates, nämlich ein Unterlassen, zu erfüllen ist, stehen bei Leistungsansprüchen grundsätzlich verschiedene ErfüllungsAlternativen zur Verfügung; vgl. dazu etwa Hermes, Bereich, S. 94. 1QO Vgl. BVerfG DVBl. 1988, 342 (343), wo von einem weiten Einschätzung^-, Wertungsund Gestaltungsbereich des Gesetzgebers gesprochen wird, der vom BVerfG zu beachten sei, 18 Roth
274
Teil 3: Finale Drittbeeinträchtigungen
keitstheorie zwingend begründete Gesetzgebungspflichten können deshalb nur in Ausnahmefällen angenommen werden 189 . Das BVerfG hält derartige Ausnahmefälle für denkbar, wenn die staatlichen Organe gänzlich untätig gebheben sind oder wenn offensichtlich ist, daß die getroffenen Maßnahmen völlig ungeeignet oder unzulänglich sind 190 . In der Literatur nimmt man eine "Verdichtung" der gesetzgeberischen Entscheidungsfreiheit auf das Ergreifen einer bestimmten (Gesetzgebungs-) Maßnahme an, wenn die Gefahr einer schweren Grundrechtsbeeinträchtigung droht und es andere Mittel als das konkret ins Auge gefaßte zum Schutz des Grundrechts nicht gibt 191. Auf dieser Grundlage bestehen gegen den erwähnten § 9 StrSchVG keine verfassungsrechtlichen Bedenken; es handelt sich tun eine Regelung, die der Gesetzgeber in Erfüllung seiner Schutzpflicht aus Art. 2 I I S. 1 GG getroffen hat und die nicht "offensichtlich völlig ungeeignet oder unzulänglich" ist. Die Beschränkung auf die Empfehlung von Verhaltensweisen und die Ablehnung einer umfassenden Publikationspflicht sind von der gesetzgeberischen Entscheidungsfreiheit gedeckt192. Der Umstand, daß keine Empkìùungspflicht geregelt ist, führt ebenfalls nicht zur verfassungswidrigen Unvollständigkeit der Norm. Zwar kann eine Empfehlungspflicht der Exekutive im konkreten Einzelfall angenommen werden, etwa wenn die Strahlungswerte eine Grenze überschreiten, jenseits der eine Grundrechtsgefährdung sicher ist 1 9 3 . Dies führt jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit des § 9 StrSchVG, sondern lediglich zu einer Schrumpfung des in § 9 StrSchVG gewährten Empfehlungsermessens auf Null 1 9 4 . Im Hinblick auf die Problematik der Kunststoffempfehlungen kann gesagt werden, daß der Gesetzgesowie BVerfGE 39, 68 (72) - Sondervotum - , wo insbesondere die sonst bestehende Gefahr der Verlagerung spezifisch gesetzgeberischer Funktionen auf die Judikatur hervorgehoben wird. Aus der Literatur vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (216); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 468; Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 51; Hermes, Bereich, S. 105 ff.; Peine, N + R 1988,115 ff. (118). 189 Der Dissens zwischen der Senatsmehrheit und den abweichenden Richtern im Fristenlösungsfall lag gerade darin begründet, daß letztere den Spielraum des Gesetzgebers durch die Fristenlösung für nicht überschritten hielten, während die Mehrheit die staatliche Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Leben zu einer strafrechtlichen Sanktionsbewehrung verdichtete, vgl. BVerfGE 39,1 (70,73 ff.). 190 BVerfGE 56,54 (71,80 ff.); DVB1.1988,342 (343). 191 192 193
194
Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 51; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 470. Vgl. Peine, N + R 1988,115 ff. (120). Peine, N + R 1988,115 ff. (120).
Der Umstand, daß unter bestimmten Voraussetzungen ein konkreter Anspruch des Bürgers auf ein bestimmtes Einschreiten der Polizei gem. §§ 1, 3 PolG bestehen kann, führt auch nicht zur Verfassungswidrigkeit der ermessensgewährenden Norm des § 3 PolG, sondern zur Reduzierung des Ermessens auf Null im Einzelfall, vgl. nur Reiff/Wöhrle/Wolf, PolG BW, §3 Rn. 21. So auch Peine, N + R 1988,115 ff. (120).
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich finaler Drittbeeinträchtigungen
275
ber seiner Schutzpflicht durch die Regelung der Verbotstatbestände in § 30 Nr. 1 - 3 und § 311 LMBG nachgekommen ist. Die Regelung ist nicht deshalb bedenklich, weil das Verfahren der Feststellung, wann Kunststoffe den Anforderungen des LMBG entsprechen, nicht normiert wurde 195 . Eine Normierung dieses Verfahrens über die Aufstellung der materiellen Anforderungen an Bedarfsgegenstände hinaus kann zwar einen besseren Gesundheitsschutz bedeuten; der Umstand, daß der Gesetzgeber hier das Verfahren zur Überwachung der materiellen Verbotstatbestände im wesentlichen der Exekutive überlassen hat, bedeutet aber nicht, daß die gesetzliche Regelung zur Erfüllung der Schutzpflicht "offensichtlich völlig ungeeignet oder unzulänglich" ist 1 . Als Fazit der vorstehenden Ausführungen kann festgehalten werden: Im Hinblick auf finale Drittbeeinträchtigungen, insbesondere in Fällen behördlicher Informationstätigkeit, sind dem Gesetzesvorbehalt in der Ausgestaltung der Wesentlichkeitstheorie jedenfalls im Regelfall keine über das bereits vom Eingriffsvorbehalt verlangte Maß hinausgehenden Regelungserfordernisse zu entnehmen. Der Grund dafür besteht in der weitgehenden Autonomie des Gesetzgebers bei der Entscheidung über das "Ob" und das "Wie" der Erfüllung grundrechtlich begründeter Schutzpflichten.
195 Nicht geregelt wurde also die Alternative Erfordernis einer behördlichen Genehmigung zum Inverkehrbringen der Stoffe oder Errichtung einer Sachverständigenkommission, die mit ihren vom BGA veröffentlichten Feststellungen gesundheitlicher Unbedenklichkeit die Wirkung einer "Quasi-Zulassungsstelle" ausübt, vgl. Sodan, Funktionsträger, S. 552. Dafür fehlt es insbesondere auch an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten. Unter dem Gesichtspunkt der Wesentlichkeitstheorie i.V.m. der staatlichen Pflicht zum Gesundheitsschutz ist also entgegen Sodan die ausdrückliche Normierung der Kunststoffempfehlungen und der sie aussprechenden Kommission nicht zu fordern. Allerdings wurde oben festgestellt, daß eine derartige gesetzliche Grundlage bereits wegen des Eingriffscharakters der Kunststoffempfehlungen notwendig ist.
Teil 4
Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
Nachdem es nun gelungen ist, das "dogmatische Chaos"1 bezüglich der Kriterien für die Bestimmung der Grundrechtsrelevanz von Drittbeeinträchtigungen jedenfalls für den Bereich finaler Drittbeeinträchtigungen zu ordnen, schließt sich die Frage nach der grundrechtlichen Bedeutimg nichtfinaler Drittbeeinträchtigungen an. Die Beeinträchtigung des Dritten liegt hier in der von der Verwaltung nicht bezweckten, u.U. zufallig eintretenden Nebenwirkung einer dem Adressaten gegenüber ergangenen Verwaltungsmaßnahme2. Die Frage nach eingrenzenden Kriterien zur Bestimmung des Grundrecb seingriffs stellt sich aufgrund der Vielgestaltigkeit möglicher Fallkonsteuationen3 hier mit besonderer Brisanz, eine Beantwortung fällt aber deshalb auch ungleich schwerer. Obwohl es sich bei den problematischen Fallgruppen überwiegend um seit langem bekannte und diskutierte Sachverhalte handelt, herrscht gleichwohl weithin Unklarheit sowohl im Hinblick auf die Art der eingrenzenden Kriterien wie deren dogmatischer Begründung. Darüberhinaus ist festzustellen, daß dem Problem der Geltung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes für nicht-finale Drittbeeinträchtigungen bislang nur in Teilbereichen Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Im folgenden soll versucht werden, einen Beitrag zur Aufhellung dieses noch recht dunklen Bereichs der Grundrechtsdogmatik zu leisten.
Abschnitt 1 Typische Fallgruppen nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen Angesichts der unübersehbaren Vielzahl möglicher unbeabsichtigter Nebenwirkungen von Verwaltungshandeln bedarf es einer Orientierung an typischen Fallgruppen, um an ihnen exemplarisch Probleme aufzudecken 1
2
Schulte, DVBl. 1988,512 ff. (516).
Zur begrifflichen Abgrenzung der "Nebenwirkung" von der "Folgewirkung" vgl. oben die Einleitung. 3 Vgl. nur Stern, Staatsrecht III/l, S. 1206.
Abschnitt 1: 'typische Fallgruppen
277
und Lösungen zu entwickeln. Hervorzuheben und deshalb im Rahmen der Arbeit besonders zu behandeln sind insoweit die Nachbarbeeinträchtigungen sowie die Konkurrentenbeeinträchtigungen im Subventionsrecht 4. A Nachbarbeeinträchtigungen Nachbarbeeinträchtigungen sind dadurch gekennzeichnet, daß sich ein finden Adressaten begünstigendes Verwaltungshandeln deshalb nachteilig auf einen Nichtadressaten auswirkt, weil dessen Rechtsgüter in einer bestimmten räumlichen Beziehung zum Vorhaben des Adressaten stehen5. Wichtige Beispiele bilden zunächst die Sachverhalte, die den unmittelbar auf Art. 141 GG gestützten Nachbarklagen zugrundehegen. Allgemein gesehen führt hier das Gebrauchmachen von einer behördlichen Genehmigung6 zu faktischen Beeinträchtigungen der Nutzung eines benachbarten Grundstücks bzw. eines benachbarten Gewerbebetriebs durch den Eigentümer bzw. Inhaber 7. Wie die Belege aus der Rechtsprechung zeigen, treten im wesentlichen folgende Arten von Nutzungsbeeinträchtigungen auf: Die Ausnutzung einer Genehmigung kann zunächst zu aktiven Belästigungen benachbarter Grundstücke, etwa in Form von Gerüchen, Lärm, Abgasen oder ähnlichen Immissionen führen 8. Weiterhin ermöglicht die behördliche 4 Vgl. Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89 ff. (90), der ebenfalls diese beiden Gruppen als für Drittbeeinträchtigungen repräsentativ nennt. Daß damit die Fälle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen nicht abschließend benannt sind, ist offensichtlich und wird auch durch aktuelle Beispiele belegt, die hier nur angedeutet werden können. So führten die Veröffentlichung einer Liste diethylenglykolhaltiger Weine bzw. die Warnung vor hormonhaltigem Kalbfleisch auch zu einem Absatzrückgang bei nicht genannten, einwandfreien Weinen desselben Abfüllers bzw. bei nicht hormonhaltigem Kalbfleisch (vgl. OVG Münster, GewArch 1988, 11 ff.). Da es keineswegs Zweck der Warnungen war, auch den Absatz dieser Produkte zu verringern, müssen die Umsatzeinbußen insoweit als nicht-finale Drittbeeinträchtigungen angesehen werden. Um andere nicht-finale Drittbeeinträchtigungen, die bereits Gegenstand der Rechtsprechung waren, handelt es sich beispielsweise in Fällen von auf Art. 6 GG gestützten Klagen der Ehefrau eines Ausländers gegen dessen Ausweisung (vgl. BVerwGE 42, 141 (142 f.); 55,8 (11 f.)) sowie bei der Klage einer Kirchengemeinde aus Art. 4 II GG gegen die Erteilung einer Konzession für eine neben der Kirche liegende Gaststätte (BVerwGE 10, 91 ff.). Vgl. zur Rechtsprechung Geist-Schell, Verfahrensfehler, S. 39. 5 Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 39 und bereits die Einleitung. 6
In Betracht kommen etwa baurechtliche, wasserrechtliche, immissionsschutzrechtliche, atom- oder gewerberechtliche Genehmigungen u.a., vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 85. 7
ο
Vgl. Nüßgens/Boujong, Eigentum, Rn. 70; Friauf, Baurecht, S. 594 ff.
Gegenstand der Entscheidung BVerwGE 52,122 ff. war beispielsweise die Baugenehmigung für einen Schweinemaststall, von dem Geruchsbelästigungen für die Wohnbevölkerung in
278
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
Genehmigung u.U. Nutzungen, die sich als passive Einwirkungen darstellen, indem sie dem Nachbarn reale Vorteile und Möglichkeiten der Grundstücksnutzung nehmen. Als Beispiele können der Entzug von Wasser, Licht, Sonne und Ausblick genannt werden9. Schließlich kann etwa eine heranrückende Wohnbebauung insoweit faktische Nutzungsbeeinträchtigungen im Hinblick auf Gewerbebetriebe mit sich bringen, als diese u.U. zu Schutzvorkehrungen, Einschränkungen oder Verlegung des Betriebs gezwungen w den 10 . Schutzwirkung gegenüber Nachbarbeeinträchtigungen entfaltet jedoch nicht nur das Eigentumsgrundrecht. Mittlerweile ist zumindest im Grundsatz anerkannt, daß tatsächliche Auswirkungen von Genehmigungen auch das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II S. 1 GG) der in der Umgebung eines Vorhabens lebenden Personen berühren
der Nähe ausgingen. In BVerwG DVB1.1978,614 ff. ging es u.a. um Abgasbelästigungen durch den zusätzlichen Verkehr, der durch ein für 12 -14 Familien vorgesehenes Appartmenthaus von großer Baumasse verursacht wird. Der Entscheidung BVerwGE 61, 295 ff. lag die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluß einer Straße wegen der im Zuge ihrer Realisierung zu erwartenden Beeinträchtigungen benachbarter Grundstücke durch Verkehrslärm, Abgase und Erschütterungen zugrunde. Das OVG Lüneburg hatte die Baugenehmigung für einen achtgeschossigen Hotel- und Restaurationsbetrieb mit großer Baumasse und 136 PKW-Stellplätzen zu prüfen. Im Mittelpunkt stand dabei der Aspekt der Lärm- und Abgasimmissionen, die durch den notwendigerweise ausgelösten Kfz-Verkehr verursacht werden und eine auf einem benachbarten Grundstück liegende Terrasse weitgehend unbenutzbar machen (NJW 1980, 253 f.). Wichtige Beispiele bilden schließlich auch Immissionen, die von einer nach BImSchG bzw. AtomG genehmigten Anlage ausgehen (vgl. BVerwGE 60,301 ff.; 61,256 ff.). 9 Während die ganz herrschende Meinung im Zivilrecht einen Schutz des Eigentums gegen "entziehende", "negative" Beeinträchtigungen im Grundsatz verneint (vgl. nur PalandtBassenge, BGB, § 906 Anm. 2 c), wird im öffentlichen Recht ein derartiger Schutz grundsätzlich für möglich gehalten. So ging es beispielsweise in BVerwGE 36,248 ff. um die Gefährdung des Betriebs einer Mühle und eines Sägewerks durch eine wasserrechtliche Genehmigung, die dem Oberlieger ein Recht zur Quellwasserableitung gewährte. Ähnlich beeinträchtigte in BVerwGE 41, 58 ff. die Erlaubnis zur Bohrung und Entnahme von Thermalwasser aus einer unter artesischem Druck stehenden Quelle eine andere bereits genutzte Quelle. Verschiedene verwaltungsgerichtliche Entscheidungen befaßten sich auch mit der Frage, ob die Beschränkung der Aussicht vom Nachbargrundstück aus den Schutz des Eigentumsgrundrechts auslösen kann (BVerwG DVB1.1970,60 f.; VGH Hess. BRS 32, Nr. 166). 10 Es handelt sich dabei um die Konstellation der sog. Schweinemäster-Fälle (vgl. BVerwG Urt. v. 16.4.1971 Buchholz Nr. 90 zu § 35 BBauG; BGHZ 92, 34 ff.), wo ein immissionsempfindliche Wohnbebauung vorsehender Bebauungsplan zur Gefährdung eines außerhalb des Plangebiets gelegenen, geruchsintensiven landwirtschaftlichen Betriebs führt, da u.U. zu seiner Erhaltung notwendige Erweiterungs- oder Modernisierungsmaßnahmen unterbleiben müssen.
Abschnitt 1: Typische Fallgruppen
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können11. Somit bilden auch die Konstellationen der auf Art. 2 Π S. 1 GG gestützten Nachbarklage wichtige Beispiele für die Fallgruppe der Nachbarbeeinträchtigungen . Eine nähere Analyse der Struktur von Nachbarbeeinträchtigungen erweist deren Charakter als nicht-finale Drittbeeinträchtigungen. Ihnen fehlen sämliche für den klassischen Eingriff typischen Merkmale. Der Nachteil des Dritten hegt nicht darin, daß durch Rechtsakt eine rechtliche Verpflichtung auferlegt wird, er stellt sich als bloße faktische Beeinträchtigung seiner Belange dar. Auch die Finalität fehlt: die Behörde bezweckt z.B. mit der Erteilung der Baugenehmigung gegenüber dem Bauherrn i.d.R. lediglich dessen Begünstigung, die Belastung des Nachbarn gehört nicht zum Regelungsinhalt. Anders ist es nur dann, wenn die Behörde dem beeinträchtigten Dritten gegenüber eine Duldungsverfügung als Annex zur Hauptregelung erlassen hat 13 . Ob dies der Fall ist, muß durch Auslegung der dem Dritten gegenüber seitens der Behörde abgegebenen Erklärungen ermittelt werden. In der bloßen Beteiligung des Dritten am Genehmigungsverfahren 14 bzw. in der zufälligen Kenntniserlangung von der Baugenehmigung15 kann die Auf-
11
So zutreffend BVerwGE 54, 211 (221 ff.); OVG Hamburg, NVwZ 1984,48 (50 f.); OVG Münster, NVwZ 1984, 385. Aus der Literatur vgl. insbesondere Friauf, Baurecht, S. 595 f.; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. 12 In seiner grundlegenden Entscheidung zum Nachbarschutz aus Art. 2 II GG (E 54, 211 ff.) prüfte das BVerwG, ob gewerbliche Baugenehmigungen, die im Vorgriff auf einen Bebauungsplan erteilt wurden, der weite Teile eines Landschaftsschutzgebiets zum Gewerbegebiet macht, sowie die insoweit notwendige umfangreiche Abholzung eines Waldes Anwohner in ihrem Grundrecht aus Art. 2 II GG verletzen. Gegenstand des Urteils des OVG Hamburg (NVwZ 1984, 48 ff.) sind vor allem Lärmbelästigungen durch das von einer genehmigten Reithalle ausgelöste Anwachsen des motorisierten Fahrzeugverkehrs. Die Kläger in der Sache OVG Münster (NVwZ 1984, 385 ff.) begründeten Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit mit den erheblichen Lärm- und Abgasimmissionen, die durch den Planfeststellungsbeschluß über den Bau einer Sraßenbahn im Stadtbahnvorlaufbetrieb in der von ihnen bewohnten Straße zugelassen würden. 13
Oben (Teil 2, Abschnitt 2, Β, I) wurde bereits aufgezeigt, daß das Preuß. OVG in Zeiten, in denen die Rechtsschutzgewährung noch vom Vorliegen eines Verwaltungsakts abhängig gemacht wurde, faktische Drittbeeinträchtigungen durch die Konstruktion einer "stillschweigend" erfolgten Duldungsverfügung Regelungscharakter verlieh. Ein derartiger Zwang, aus Rechtsschutzgründen faktischen Beeinträchtigungen Regelungscharakter beizumessen, besteht in Anbetracht der umfassenden Rechtsschutzgarantie in Art. 19 IV GG, die nicht mehr nur durch eine bestimmte Rechtsform des Verwaltungshandelns ausgelöst wird (Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 66 ff.; Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 49), heute nicht mehr. 14 Vgl. etwa die Angrenzerbenachrichtigung nach § 56 LBO BW. 15 Etwa durch Mitteilung von Seiten des Adressaten.
280
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
erlegung einer Duldungspflicht jedenfalls nicht gesehen werden 16. Der Kausalzusammenhang zwischen dem Verwaltungshandeln und der Beeinträchtigung des Dritten kennzeichnet schließlich, daß letztere nicht unmittelbar, sondern erst über Zwischenursachen realisiert wird. Im Beispielsfall der Baugenehmigung ist es erst die Errichtung oder Nutzung des genehmigten Vorhabens durch den Bauherrn, welche den Nachteil des Dritten letztlich herbeiführen 17. B. Konkurrentenbeeinträchtigungen infolge staatlicher Subventionierung Ein Unternehmer kann dadurch wirtschaftliche Einbußen (z.B. Kundenverluste, Umsatzstagnation bzw. -rückgang) erleiden, daß sich sein Konkurrent infolge einer staatlichen Subvention Marktvorteile verschaffen kann, z.B. weil ihm ein Verkauf seiner Erzeugnisse zu günstigeren Konditionen möglich ist 18 . Derartige Drittbeeinträchtigungen waren bereits mehrfach Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung19. Ihrer Struktur Vgl. auch Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 43 f. 17 Das BVerwG spricht insoweit von der "nachhaltigen Veränderung der Grundstückssituation", welche die Beeinträchtigung des Eigentümers vermittelt, vgl. insbesondere BVerwGE 50,282 18 (287). Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 42; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 196 f., 203 f.; Forster, Klagebefugnis, S. 331. 19 Folgende markante Beispielsfälle aus der Rechtsprechung seien herausgegriffen: - BVerwGE 30,191 ff.: Dieser grundlegenden Entscheidung zur Konkurrentenklage gegen eine Subventionsgewährung lag folgender Sachverhalt zugrunde. Eine GmbH "Verbund freier Weinbauunternehmer", die eine Verbundzusammenarbeit zwischen Erzeugung, Verarbeitung und Absatz herstellen will, wehrt sich gegen Bundessubventionen für die Kelleranlagen verschiedener Winzergenossenschaften. Sie befürchtet eine Abwanderung von Winzern zu den Genossenschaften und damit verbunden Umsatzverluste. Die Mittel fur die Subventionsgewährung wurden aufgrund des LandwirtschaftsG in den Jahren 1962 bis 1965 im Bundeshaushalt unter Kapitel 1002 zur Förderung des Weinbaus (Kellerwirtschaft) bereitgestellt. - OVG Münster NVwZ 1984, 522 ff.: Eine Stadt bemüht sich um die Ansiedlung eines Luxushotels, das auf einem ihr gehörenden Grundstück nahe dem Stadtzentrum im Anschluß an den renovierten städtischen Saalbau errichtet werden und mit diesem zusammen als Kongreßzentrum eine Einheit bilden soll. Es kommt zu Verhandlungen mit einem amerikanischen Hotelkonzern, der die Beigeladene als Bauherrin und Betreiberin für das Projekt benennt. Die Klägerin, bereits Eigentümerin eines großen Hotels, bietet der Stadt ebenfalls die Errichtung eines Hotels der Spitzenklasse an. Der Rat der Stadt entscheidet sich für das Vorhaben der Beigeladenen. Daraufhin schließt die Stadt mit der Beigeladenen einen Erbbaurechtsvertrag auf 65 Jahre und verpflichtet sich in einer separaten, als Kreditvertrag bezeichneten Vereinbarung, der Beigeladenen einen zinslosen Betriebsmittelkredit bis zur Höhe von 2.500000 D M zu gewähren. Die Klägerin wehrt sich gerichtlich gegen diese vertraglich gewährte "Subvention" und beruft sich auf wirtschaftliche Einbußen, die sie mit ihrem Hotelbetrieb als Subventionsfolge erlitten habe.
Abschnitt 1: ypische Fallgruppen
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nach ähneln sie der Gruppe der Nachbarbeeinträchtigungen und sind wie diese als nicht-finale Drittbeeinträchtigungen einzustufen. Die wirtschaftlichen Nachteile des Dritten beruhen nicht auf einer imperativen staatlichen Einwirkung, sondern sind nur faktische Folge einer Einflußnahme des Staates auf die Wettbewerbsbedingungen20. Weiterhin sind die wirtschaftlichen Einbußen des Dritten als Folge der Subventionierung des Konkurrenten im Regelfall nicht bezweckt, sie stellen sich als unbeabsichtigte Nebenwirkung staatlichen Handelns dar 21 . Anders ist das lediglich bei Subventionen mit Lenkungswirkung t deren Leistung - rechtstechnisch etwa im Wege der Auflage oder Bedingung - von einem bestimmten Verhalten des Empfängers abhängig gemacht bzw. mit bestimmten Verhaltensanforderungen verbunden wird 2 . Insoweit sind auch "drittinfluenzierende", drittbeeinträchtigende Subventionen denkbar, etwa wenn ein Unternehmen, sofern es nicht bestimmte, ihm vom Staat angesonnene Umstrukturierungen vornimmt, wegen der ihm vorenthaltenen und seinen Konkurrenten erteilten Subventionen nicht mehr wettbewerbsfähig ist 23 . Da die Beeinträchtigung - VG Berlin DVBl. 1975,268 ff.; OVG Berlin DVBl. 1975,905 ff.; Die Klägerin gibt eine Berliner Morgenzeitung heraus. Sie wendet sich mit ihrer Klage gegen die Vergabe langfristig zurückzahlbarer und zinsloser Darlehen durch den Senat an 2 konkurrierende Tageszeitungen, die nach ihrer Auffassung die Wettbewerbssituation beeinträchtigt. Anlaß und Zweck der Darlehnsvergabe ergeben sich aus einem Beschluß des Beirates für Gesamtberliner Aufgaben, bestehend aus dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses, dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und den Fraktionsvorsitzenden der drei im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien. Die konkurrierenden Tageszeitungen erhielten in den Jahren 1971 und 1972 je 2,5 Mio. bzw. 2,0 Mio. DM. Haushaltstechnisch wurden die Mittel überplanmäßig als allgemeiner Bundeszuschuß vereinnahmt und überplanmäßig bei der Haushaltsstelle Gesamtberliner Aufgaben verausgabt. 20
Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (476); ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 36; Knuth, JuS 1986,523 ff. (528). 2 1 Vgl. Jarass, NVwZ 1984, 473 ff. (477). So diente z.B. die Subventionierung im Falle des OVG Münster (NVwZ 1984, 522 ff.) lediglich dazu, der Beigeladenen bei der Überwindung von Anlaufschwierigkeiten zu helfen, nicht jedoch, ihr Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und dadurch die Klägerin zu einem bestimmten Verhalten - etwa zur Änderung ihrer Preisgestaltung - zu veranlassen; vgl. Knuth, JuS 1986,523 ff. (529). 2 2
Vgl. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 260 ff.; Schenke, GewArch 1977, 313 ff. (316). Als konkretes Beispiel kann die einem rechtlichen Zwang vergleichbare Wirkung von Erhaltungssubventionen bei der Gründung der Ruhrkohle AG genannt werden. Die Gewährung der durch das Kohleanpassungsgesetz vorgesehenen Begünstigungen an die in die Krise geratenen Unternehmen des Ruhrkohlebergbaus wurde u.a. von einer durch den Bundesbeauftragten für den Steinkohlenbergbau festzustellenden "optimalen Unternehmensgröße" abhängig gemacht, die regelmäßig erst mit dem Anschluß an die Ruhrkohle AG als erreicht galt; faktisch wurde dadurch der Zusammenschluß dieser Unternehmen in der Ruhrkohle AG erzwungen (vgl. Seidler, Rechtsschutz bei staatlicher Wirtschaftsplanung, S. 24 ff.). 2 3
Beispiel bei Schenke, GewArch 1977,313 ff. (316). Vgl. auch Breuer, HdbStR, VI, § 148 Rn. 71; Knuth, JuS 1986,523 ff. (529)).
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
des Dritten hier gezielt als Druckmittel eingesetzt wird, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, muß sich ihre Grundrechtsrelevanz - abweichend vom Regelfall - nach den für finale Drittbeeinträchtigungen aufgestellten Grundsätzen richten 24 . Schließlich tritt auch die Konkurrentenbeeinträchtigung erst auf einem Umweg ein - über das die subventionsbedingten Marktvorteile ausnutzende Verhalten des Subventionsempfängers 25.
2 4
S. oben Teil 3. A.A. Lübbe-Wolff (Eingriffsabwehrrechte, S. 270 ff.), die auch hier die auf ihrem Umgehungscharakter beruhende Besonderheit finaler faktischer Beeinträchtigungen verkennt und allein auf die rechtsbefehlsähnliche Intensität sowie die Selbständigkeit der mit der Leistung verbundenen Belastung abstellt. Wie oben bereits aufgezeigt, handelt es sich bei dem Erfordernis einer gewissen Beeinträchtigungsintensität jedoch nur um ein zusätzliches Kriterium neben der Finalität, mit dem der unterschiedlichen Struktur imperativer und faktischer Beeinträchtigungen Rechnung getragen wird (oben Teil 3, Abschnitt 2, Β, V, 3). 2 5
Vgl. Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (476 f.).
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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Abschnitt 2 Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als "mittelbare Grundrechtseingriffe" A. Thematische Berührung grundrechtlicher Schutzbereiche1 I. Nachbarbeeinträchtigungen 1. Art. 141 GG Erste Voraussetzung dafür, daß Art. 14 GG Schutz auch gegen Nachbarbeeinträchtigungen bietet, ist das Betroffensein des Dritten in einer Rechtsposition, die gegenständlich zum Eigentum i.S.d. Art. 14 I GG gehört . Zu dieser gegenständlichen Abgrenzung des Schutzbereichs des Eigentumsgrundrechts hat die Rechtsprechung des BVerwG brauchbare Anhaltspunkte geliefert. In jedem Fall soll Art. 141 GG einschlägig sein bei einer "direkten Inanspruchnahme des Grundstücks", wenn in die "Substanz des von den §§ 903 und 905 S. 1 BGB umschriebenen ("Säulen-") Eigentums" eingegriffen wird 3 . Ausdrücklich stellt das BVerwG jedoch fest, daß der "Inhalt des Eigentums i.S.d. Art. 14 I S. 1GG nicht nur den Raum über der Oberfläche und den Erdkörper unter der Oberfläche (§ 905 BGB)" erfaßt, sondern daß das Eigentum auch geprägt ist durch die "Situation", in die es hineingestellt ist 4 . Das Eigentumsgrundrecht des Dritten gebietet
1 Zur grundrechtsdogmatischen Unterscheidung eines "thematischen" und eines "funktionalen" Schutzbereichs bereits oben Teil 3, Abschnitt 2, A. 2
3
Vgl. Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 ff. (6).
BVerwGE 50, 282 (287). Mit diesem Urteil wurde die Grundsatzentscheidung zu den auf Art. 14 GG gestützten Nachbarklagen (E 32, 173 ff.) weiterentwickelt. Als Beispiele für eine "direkte Inanspruchnahme" nennt das Gericht die ungerechtfertigte Errichtung einer gemeindlichen Kläranlage auf einem fremden Grundstück sowie die unerlaubte Zuführung von Wasser durch Veränderungen an einem Bachbett. In dem konkret zu entscheidenden Fall kommt das Gericht zu dem Schluß, auch die durch eine rechtswidrige Baugenehmigung bewirkte unmittelbare Rechtsverschlechterung dahingehend, daß der Nachbar die Inanspruchnahme eines Notwegrechts dulden muß, bedeute eine direkte Inanspruchnahme des Grundstücks. In den Fällen direkter Inanspruchnahme sollen öffentlichrechtliche Abwehransprüche des Nachbarn ohne Vorliegen besonderer Voraussetzungen (z.B. schwer und unerträglich) gegeben 4 sein, BVerwGE 50,282 (287). BVerwGE 32, 173 (178). Konkretisierend führt das Gericht aus, so wie diese "Situationsgebundenheit" einerseits das Eigentum mit einer immanenten Beschränkung belaste und in diesem Umfang den dadurch betroffenen Eigentümer daran hindere, mit seinem Grundstück nach Belieben zu verfahren (§ 903 BGB), so könne andererseits ein Grundstück auch umgekehrt in der Weise durch die vorgegebene Situation geprägt sein und durch seine ei-
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
deshalb u.U. auch Schutz gegen Veränderungen der Grundstücks situation, der Umgebung und kann so eine "Anreicherung" auch in den Bereich des Baugrundstücks hin erfahren 5. Sein thematischer Schutzbereich kann deshalb betroffen sein durch alle Arten der Nachbarbeeinträchtigungen, durch Immissionen, die durch das Vorhaben auf dem Nachbargrundstück ausgelöst werden , durch passive Einwirkungen wie den Entzug von Wasser, Licht, Luft und Aussicht sowie durch faktische Zwänge zur Betriebseinschränkung veranlaßt durch eine heranrückende Wohnbebauung7. 2. A r t . 2 n S . l G G Während sich demnach der thematische Schutzbereich des Art. 14 I GG ohne besondere Schwierigkeiten abgrenzen läßt, ist dies bei Art. 2 I I GG grundsätzlich anders. Das BVerwG macht das bereits in seiner Grundsatzentscheidung zur auf Art. 2 I I GG gestützten Nachbarklage deutlich: "Erstens bereitet es Schwierigkeiten, das Rechtsgut der "Gesundheit" in einer Weise greifbar abzugrenzen, die es gestattet, daraus in Fällen der sog. Nachbarklage Konsequenzen zu ziehen. Zweitens ist zu bedenken, aber ebenfalls begrifflich schwer abzugrenzen, daß in der heute gegebenen Lebenssituation zahlreiche Vorgänge, die sich zumindest bei einem weiten Begriff der "Gesundheit" als deren Beeinträchtigimg deuten lassen mögen, als eine solche Beeinträchtigung deshalb nicht verstanden werden können, weil sie in der Welt, in der wir leben, sozial adäquat sind"8. Die Unsicherheiten bei der Definition des Begriffs der "körperlichen Unversehrtheit" bzw. der "Gesundheit" sind weit verbreitet 9. Beschränkt sich Art. 2 Π GG auf den Schutz der biologisch-physischen Unversehrtheit oder muß er sich auch auf die psychische Sphäre erstrecken? Hat er sogar - ganz im Sinne der Weltgesundheitsorganisation - das soziale Wohlbefinden zu umfassen? 10 Angegene Gestalt die Situation derart prägen, daß damit nicht nur Beschränkungen des Eigentums, sondern auch Erweiterungen verbunden sind. 5
BVerwGE 32,173 (178); 50,282 (288).
^ So auch Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 179 f. Demgegenüber sieht Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 ff. (6), die Einwirkung durch Immissionen als direkte Inanspruchnahme des Grundstücks an. 7
Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beinträchtigungen, S. 179 f.; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 ff. (7). 8 BVerwGE 54,211 (221 f.). 9
Dazu Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (208 ff.), Schwerdtfeger, NVwZ1982,5 ff. (10). Vgl. auch BVerfGE 56,54 (73 ff.) - Fluglärm. 10
Die Satzung der Weltgesundheitsorganisation vom 22.7.1946 bezeichnet Gesundheit als den "Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen". Das BVerfG hat im Fluglärm-Beschluß, E 56,
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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sichts der unterschiedlichen subjektiven Empfindlichkeiten muß jedenfalls besonderes Augenmerk darauf gerichtet werden, daß als gesundheitsbestimmende nur objektivierbare Faktoren zugelassen werden. Insofern mag als Anhaltspunkt der Hinweis auf den Definitionsversuch Schmidt-Aßmanns genügen: Danach zielt Art. 2 I I GG auf die Abwehr von "Beeinträchtigungen, die nach den Erkenntnissen vor allem der experimentellen und statistischen Medizin geeignet sind, einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand herbeizuführen" 11. Für das weitere Problem der Abgrenzung des Grundrechtseingriffs von den irrelevanten, "sozialadäquaten" Belästigungen fehlt es weithin an gesicherten Erkenntnissen 12. Einigkeit besteht lediglich insoweit, daß ein Eingriff nicht eine tatsächlich eingetretene Beeinträchtigung, eine Verletzung der Gesundheit oder der körperlichen Unversehrtheit voraussetzt, sondern bereits im vorgelagerten Stadium der Gefährdung vorhegen kann 13 . Erste Anhaltspunkte zur näheren Bestimmung der grundrechtsrelevanten Gefährdung in ihrer Abgrenzung vom allgemeinen Lebensrisiko glaubt man mit der sog. "je-desto-Formel", wonach an die Nachweislichkeit der Schadensneigung desto geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer das Ausmaß eines möglichen Schadens wäre 1 , mit der Einführung von typisierenden Umweltstandards15 sowie mit dem Rückgriff auf die Situationsgebundenheit auch der Umweltansprüche aus Art. 2 I I GG gefunden zu haben16. Ungeachtet der verbleibenden Unklarheiten, deren Erhellung nicht Gegenstand dieser Arbeit sein soll, kann festgehalten werden, daß die 54 (73 ff.) deutlich gemacht, daß der Begriff der körperlichen Unversehrtheit zwar auf den geistig-seelischen Bereich, nicht jedoch auf das soziale Wohlbefinden zu erstrecken sei. Jedenfalls nimmt das Gericht bei Beinträchtigungen in Form von Schlafstörungen eine Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit an (76). 11
AöR 106 (1981), 205 ff. (210). Schmidt-Aßmann plädiert dabei für die Orientierung des Methodenstands zur Feststellung der Gesundheitsbeeinträchtigung an fortschrittlichen Verfahren unter Übernahme des im Immissionsschutzrecht bzw. Atomrecht auch sonst geforderten "Stands von Wissenschaft und Technik", vgl. etwa § 3 V I BImSchG, 2 II Nr. 3 AtomG. 12 Zum Gedanken der "sozialadäquaten Lasten" vgl. auch BVerfGE 49, 89 (143); Degenhart, Kernenergierecht, S. 190 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (212 ff.); Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 ff. (10); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 278 ff. Daß die Sozialadäquanz nicht nur im Bereich des thematischen, sondern auch des funktionalen Schutzbereichs eine Rolle spielt, wird unten noch näher aufzuzeigen sein. 13 BVerfGE 49, 89 (141); 51, 324 (346 f.); 66, 39 (58); Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 49; Degenhart, Kernenergierecht, S. 188; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (211). 14 Zur Entwicklung der "je-desto-Formel" Degenhart, Kernenergierecht, S. 29 ff. 15 Vgl. Baltes, BB1978,130 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (213 f.). 16 Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (214), der darauf hinweist, daß insoweit mit der Situationsgebundenheit des Grundeigentums eine enge strukturelle Verwandtschaft, aber keine vollständige Gleichheit der Wertungsschwellen besteht.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
Gefahr bzw. das tatsächliche Auftreten von Immissionen als Folge der Realisierung eines genehmigten Vorhabens unter bestimmten Umständen den thematischen Schutzbereich des Art. 2 I I GG (etwa eines Nachbarn) berühren können. IL Konkurrentenbeeinträchtigungen
durch Subventionen
Hier wird die Beeinträchtigung des Dritten dadurch verursacht, daß der Staat dem Dritten Marktvorteile verschafft, also auf die Bedingungen des Wettbewerbs Einfluß nimmt. Der grundrechtliche Schutz der Stellung des Unternehmers im Wettbewerb erfolgt - wie wir bereits oben aufgezeigt haben17 - über die thematisch in Art. 12 I GG zu verortende Wettbewerbsfreiheit 1*. Die sich anschließende Frage zielt auf die Anwendbarkeit des Art. 141 GG. Subventionen verändern grundsätzlich nur die Wettbewerbschancen, welche nicht zu den durch Art. 14 I GG geschützten Vermögenswerten Gütern gehören 19. Gewährleistet Art. 14 I GG auch keinen "Erwerbsschutz", so läßt er doch eine staatlich verursachte Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen nicht unbegrenzt zu: jedenfalls dann, wenn subventionsbedingt der Bestand gefährdet bzw. der Unternehmer ganz oder teilweise zur Aufgabe des Betriebs gezwungen ist, hat man sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und damit Art. 14 I GG als beeinträchtigt anzusehen20. Der enge funktionale Zusammenhang zwischen der beruflichen Betätigung des Unternehmers durch Teilnahme am Markt und der Substanz des Gewerbebetriebs 21 steht einer vorrangigen Anwend17 18
Siehe oben Teil 3, Abschnitt 2, A, 1,1 mit zahlreichen Nachweisen.
Art. 12 I GG unter dem Aspekt der Wettbewerbsfreiheit wird in Fällen konkurrentenbeeinträchtigender Subventionen ausdrücklich für thematisch einschlägig gehalten von OVG Münster, NVwZ 1984, 522 ff.; Papier, DVBl. 1984, 801 ff. (809); Brohm, Festschrift Menger, S. 244 f.; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, Rn. 635 a; Knuth, JuS 1986, 523 ff. (528); Schenke, Der Staat 15 (1976), 551 ff. (561 ff.); ders., WiVerw 1978, 226 ff. (234 ff.). A.A. Friehe, JuS 1981, 867 ff. (868); Miebach, JuS 1987, 956 ff. (958 f.). Das BVerwG hat bekanntlich die Konkurrentenklage gegen Subventionen auf Art. 21 GG gestützt, vgl. BVerwGE 30, 191 (198), und verneint allgemein die Anwendbarkeit des Art. 12 GG mangels berufs- bzw. gewerbespezifischen Eingriffs, BVerwG NVwZ 1984, 306 (307); 39, 329 (336 f.); 65,167 (173 f.). 19 Vgl. BVerfG EuGRZ 1988,79 (88); BGHZ 98,341 (351); Jarass/Pieroth, Art. 14 Rn. 17; Brohm, Festschrift Menger, S. 244. 20
So auch Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (477); Badura, Eigentumsschutz, S. 17 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 136 ff.; Schenke, WiVerw 1978, 226 ff. (234 ff.); Friehe, JuS 1981, 867 ff. (868 ff.). 21 Dazu i.e. bereits oben Teil 3, Abschnitt 2, A, 1,1.
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barkeit des einen oder des anderen Grundrechts entgegen. Im Ergebnis kann deshalb die Subventionierung eines Konkurrenten thematisch sowohl die Berufsfreiheit wie auch das Eigentumsgrundrecht des Wettbewerbers berühren 22. B. Der EingrifFscharakter nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen Die Frage nach dem Eingriffscharakter zielt auf eine nähere Bestimmung der "Qualitäten", die staatliche Beeinträchtigungen aufweisen müssen, um Grundrechtssschutz auszulösen. Vor allem zwei Gründe sind es, die eine Behandlung dieser Frage bezogen auf nicht-finale Drittbeeinträchtigungen in besonderer Weise als gerechtfertigt erscheinen lassen. Zum einen hat die Analyse ihrer Struktur erbracht, daß sie aller für den klassischen Eingriff typischen Merkmale ledig sind. Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen weisen keinerlei formale Struktur mehr auf, sodaß sich zwangsläufig die Frage stellt, welche Kriterien dann über ihre Grundrechtsrelevanz entscheiden . Zum anderen ist in diesem Bereich ein erhebliches dogmatisches Defizit festzustellen. So scheint beispielsweise die Rechtsprechung des BVerwG zum grundrechtlichen Drittschutz aus Art. 14 GG, will man sie nicht von vorn22 In der Literatur wird z.T. ausschließlich, z.T. zusätzlich Art 31 GG in der Funktion der Gewährleistung der wirtschaftlichen Chancengleichheit im Wettbewerb als Maßstab für die Beurteilung von Subventionen, insbesondere auch im Hinblick auf die Rechtsstellung des beeinträchtigten Konkurrenten herangezogen (Friauf, DVB1. 1969, 368 ff. [371 f.]; Selmer, NJW 1969,1266 f.; Brohm, Festschrift Menger, S. 245; Friehe, JuS 1981, 867 ff. [871]). Zutreffend ist sicherlich, daß die Verwaltung auch bei der Vergabe von Subventionen an das Willkürverbot gebunden ist. Insoweit besteht zum einen jedoch von vornherein ein sehr weiter Spielraum des Subventionsgebers, der aus sachlichen Gründen Differenzierungen vornehmen kann (vgl. nur Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 11,21 ff.; Knuth, JuS 1986,523 ff. [530]). Zum anderen kommt der Frage des Gleichheitsverstosses - unabhängig von dem Streit, ob Art. 31 GG selbst oder nur in Verbindung mit einem Freiheitsrecht ein subjektives Recht begründet (dazu etwa Scholz, NJW 1969, 1944 f.; Miebach, JuS 1987, 957 ff. [959] auf der einen und Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 1 auf der anderen Seite) - aus Gründen der Grundrechtsdogmatik jedenfalls für das hier zu behandelnde Problem des Gesetzesvorbehalts nur eingeschränkte Bedeutung zu: Während die Tatsache des Eingreifens in den Schutzbereich eines Freiheitsrechts noch nicht endgültig über die Grundrechtsverletzung und damit das Auslösen eines subjektiven Rechts entscheidet, sondern durch Gesetz gerechtfertigt werden kann, führt der Verstoß gegen das Willkürverbot zwingend zur Grundrechtsverletzung. Eine Rechtfertigung dieses Verstosses durch ein Gesetz i.S.d. Gesetzesvorbehalts kommt nicht in Betracht (zur unterschiedlichen Dogmatik bei der Prüfung der Freiheits- und der Gleichheitsverbürgungen vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 495 und neuerdings eingehend Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 258 f.). 23 Stern, Staatsrecht III/l, S. 1207, betont, daß eine zuverlässige Grenzziehung zwischen grundrechtsgemäßen und grundrechtswidrigen tatsächlichen Beeinträchtigungen schwieriger ist als bei finalen Eingriffen.
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herein als kasuistisch einstufen 24, maßgebUch von Folgenerwägungen getragen zu sein, nicht jedoch von klaren dogmatischen Grundlagen . Aber auch die Lehre steckt mit der dogmatischen Aufarbeitung insoweit noch in den Anfängen 26. An den Beginn der Suche nach den Kriterien, die eine sachgerechte und zuverlässige Grenzziehung zwischen nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen mit und ohne Grundrechtsrelevanz ermöglichen, ist die Frage zu stellen, ob und inwieweit nicht bereits das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem staatlichen Handeln und der Beeinträchtigung zu einer Relativierung der Abgrenzungsproblematik führt (I.). Es schließen sich die Beschreibung und Kritik der bisherigen Versuche zur Bestimmimg des Eingriffscharaktes nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen an (Π.). In einem eigenen Lösungsansatz wird sodann untersucht, ob sich generelle Aussagen zur verfassungsimmanenten Beschränkung des Grundrechtsschutzes gegen nicht-finale Drittbeeinträchtigungen treffen lassen (ΠΙ.). Eine im Hinblick auf die Differenziertheit der grundrechtlichen Schutzbereiche notwendige Abschwächung der herausgearbeiteten generellen Aussagen schließt den Abschnitt ab (IV.). /. Die "Filter-"
Funktion der Kausalität
Mindestvoraussetzung des Rechts- und Rechtsgüterschutzes sowohl im Zivilrecht wie auch im öffentlichen Recht ist, daß die Beeinträchtigung des Schutzguts kausal auf das Verhalten des Schädigers zurückgeführt werden kann2 . Dementsprechend herrscht auch in der Grundrechtsdogmatik Einigkeit darüber, daß der Eingriff in ein Grundrecht begrifflich zumindest die Kausalität des staatlichen Handelns für die grundrechtliche Beeinträchtigung voraussetzt. Während man dies für den "normalen" Grundrechtseingriff als selbstverständlich ansieht und deshalb meist nicht besonders erwähnt, fordern Rechtsprechung und Lehre bei der Beurteilung faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen die Ursächlichkeit ausdrücklich 28. Die 2 4
So aber Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 ff. (6).
25 Sendler, Festschrift Simon, S. 113 ff. (122). Er verweist insoweit auf das Bestreben des BVerwG, den Kreis der klagebefugten Nachbarn - auch im Interesse des Bauherrn - möglichst begrenzt und überschaubar zu halten. "Folgenfurcht" sieht Sendler auch als Motiv für die restriktive Rechtsprechung zur Zulassung von Konkurrentenklagen an (S. 122 f.). Ofi So auch die Bewertung von Stern, Staatsrecht III/l, S. 1206 f. 2 7 Vgl. Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (99). 28 Nach BVerfGE 66, 39 (57 ff., 60) kann die Zustimmung der Bundesregierung zum NATO-Nachrüstungsbeschluß einen Eingriff in die Grundrechte der Bevölkerung auf Leben und körperliche Unversehrtheit nur unter der Voraussetzung darstellen, daß die "Folgebeein-
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Betonung des Kausalitätserfordernisses bei faktischen Beeinträchtigungen erklärt sich wohl damit, daß die völlige Auflösung des Eingriffsbegriffs und die drohende Ausuferung des Grundrechtsschutzes zwangsläufig zu der Überlegung führen, ob nicht der Kausalität eine gewisse haftungsbegrenzende Funktion zukommen kann. Angesichts des weiten Kausalitätsverständnisses, das der Rechtsprechung des BVerfG zugrundeliegt, erscheint dies allerdings als zweifelhaft. Denn danach genügt jeder bestimmende oder mitbestimmende Umstand29, sodaß die Mitursächlichkeit des staatlichen Handelns für den beeinträchtigenden Effekt in den Fällen nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen grundsätzlich immer ausreicht 30. Daß der Kausalität doch eine gewisse, nicht zu unterschätzende Filterfunktion zukommen kann, wird an der Fallgruppe der Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen deutlich. Nicht jede Förderungsmaßnahme ist notwendig mit nachteiligen Wirkungen für den Konkurrrenten verbunden 31. Subventionen wirken über das Marktgeschehen auf den Konkurrenten ein, das ein hohes Maß an Komplexität aufweist und noch von einer Vielzahl anderer Faktoren beeinflußt ist, etwa von der allgemeinen Konjunkturlage, globalen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, Wechselkursänderungen usw. Der Nachweis eines Zusammenhangs gerade zwischen der Subvention und einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Konkurrenten wird daher häufig nur schwer oder überhaupt nicht zu führen • 32 sem . trächtigung" des erhöhten Risikos eines Atomkriegs unter anderem auf ein "ursächliches Verhalten" der deutschen öffentlichen Gewalt zurückgeführt werden kann. Ausdrücklich zum Kausalitätserfordernis bei faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen auch Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (99); Sodan, Funktionsträger, S. 518 f.; Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (380). 2 9
BVerfGE 66,39 (61).
30 In Fällen von Drittbeeinträchtigungen stellt das staatliche Handeln definitionsgemäß nur eine Ursache dar, die erst durch Hinzutreten eines weiteren Ereignisses (z.B. Handeln des Bauherrn oder des Konkurrenten) den beeinträchtigenden Effekt herbeiführt. 3 1 Forster, Klagebefugnis, S. 332. 3 2 Vgl. Haverkate, Rechtsfragen, S. 163; Brohm, Festschrift Menger, S. 246 f.; LübbeWolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 306; Knuth, JuS 1986, 523 ff. (529). Zur Verdeutlichung sei auf den vom OVG Münster entschiedenen Fall hingewiesen (NVwZ 1984, 522 ff., zum Sachverhalt oben Abschnitt 1, Fn. 19): Angesichts der von der Klägerin (Hotel) vorgelegten, wenig aussagekräftigen Zahlen über ihre Wirtschaftslage konnte das Gericht nicht feststellen, daß die Einbußen das Maß dessen überschritten, was in einer Rezessionsphase von einer Vielzahl von Unternehmen - gerade in der besonders konjunkturanfälligen Hotelbranche - hingenommen werden müsse. Es konnte also nicht festgestellt werden, daß Ursache des Umsatzrückgangs gerade die subventionsbedingt größere Leistungsfähigkeit des Konkurrenz-Hotels war. Einen Weg aus dem Dilemma dieser schwierigen Beweislage zeigt Brohm auf, indem er die Zulassung von Beweiserìeich terungen, insbesondere des Anscheinsbeweises erwägt (Fest-
19 Roth
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
Während somit das Kausalitätserfordernis in diesen Fällen nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen faktisch bereits zu erheblichen Einschränkungen der Grundrechtsrelevanz führt, gilt dies nicht in vergleichbarer Weise für die Fallgruppe der Nachbarbeeinträchtigungen. Infolge der räumlichen Nähe des Nachbarn zum Vorhaben des Adressaten läßt sich hier die Kausalität des Verwaltungshandelns für die Beeinträchtigung in der Regel feststellen. IL Die bisherigen Versuche einer Bestimmung des Eingriffscharakters nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen 1. Entschärfung der Abgrenzungsproblematik durch Extrempositionen? a) Ablehnung jeglicher grundrechtlichen Drittbeeinträchtigungen
Relevanz nicht-finaler
Auffassungen, die nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen insgesamt oder z.T. von vornherein den Eingriffscharakter absprechen, entziehen der Abgrenzungsproblematik zwangsläufig die Grundlage. Zwei Begründungsansätze lassen sich insoweit unterscheiden. Der eine versteht das Finalitätskriterium als abschließend und nimmt so alle staatlicherseits nicht bezweckten Beeinträchtigungen vom Grundrechtsschutz aus33. Zwar setze ein Eingriff einerseits weder eine rechtliche Regelung noch die Unmittelbarkeit voraus, doch reiche andererseits nicht, daß schrift Menger, S. 247). In dieselbe Richtung geht die Auffassung der Kommission der EG, die durch die Tatsache einer Beihilfegewährung als widerleglich vermutet ansieht, daß die Beihilfe die Wettbewerbsfähigkeit eines begünstigten Unternehmers gegenüber seinen Konkurrenten verbessert und damit den Wettbewerb i.S.v. Art. 92 I EWGV verfälscht (vgl. Grabitz/von Wattenberg, EWGV, Art. 92 Rn. 26). Zu weitgehend Lübbe-Wolff (Eingriffsabwehrrechte, S. 307), die wegen der Nachweisschwierigkeiten auf das Erfordernis eines kausal herbeigeführten Nachteils ganz verzichtet und bereits ein "unmittelbares Konkurrenzverhältnis" zum Empfänger der Subvention ausreichen läßt. Dabei muß sie allerdings zugestehen, daß auch die Frage, wer mit wem in einem Konkurrenzverhältnis steht, angesichts der begrenzten Nachvollziehbarkeit von Marktabläufen nur schwer beantwortet werden kann. 3 3
Friauf, DVBl. 1971,674 ff. (681); Forsthoff, Über Mittel und Methoden moderner Planung, S. 21 ff., 33. Häufig wird auch Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 218, 225 ff., als Vertreter dieser Auffassung genannt, dies jedoch zu Unrecht, da Selmer unter bestimmten engen Voraussetzungen auch nicht-finalen Beeinträchtigungen Grundrechtsrelevanz zuerkennt, vgl. Selmer, S. 237 ff. Die Auffassung des OVG Münster in der WeinlistenEntscheidung (NJW 1986, 2783 f.), versteht die Finalität ebenfalls als abschließende Eingriffsvoraussetzungt beruht jedoch - wie erwähnt - auf einem Mißverständnis der Rechtsprechung des BVerwG.
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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eine Maßnahme allein nach ihrer faktischen Wirkung mit der eines Zwangseingriffs vergleichbar sei 34 . Denn im Falle der Grundrechtsrelevanz aller, auch rein objektiv-zufälliger Fernwirkungen "würde die sozialgestalterische Aktivität des Staates in verhängnisvoller Weise beschränkt" . Es komme deshalb nicht auf die rein faktische Vergleichbarkeit der Zwangswirkung, sondern auf die funktionale Vergleichbarkeit des lenkenden, die Willensbetätigung des betroffenen Bürgers beeinflussenden Aktes an . Im Gegensatz zu dieser Auffassung ergibt jedoch eine Auslegung der Grundrechte anhand der herkömmlichen und auch vom BVerfG angewandten Interpretationsregeln 37 keine Anhaltspunkte für abschließende, formale Eingriffskriterien (wie etwa die Finalität). Insoweit kann der oben dargestellten Literatur gefolgt werden 38. Systematische Aspekte wie die absolute Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt (Art. 1 ΠΙ GG), die auf die Wirkung einer Grundrechtseinschränkung abstellende Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 I I GG) wie auch der im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu verstehende Art. 19 IV GG legen eine Orientierung am freiheitswidrigen Effekt nahe. Das belegt auch der oben herausgearbeitete funktionale Gesichtspunkt, daß sich formale Kriterien weniger rechtfertigen lassen, wenn es nicht um formalen, sondern - wie bei der Frage der Grundrechtsbindung - um elementaren materiellen Rechtsschutz geht 39 . Unter teleologischem Aspekt wird dieses Ergebnis bestätigt durch den Grundsatz der größtmöglichen Grundrechtseffektivität, wonach "in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen ist, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet" 40. Schließlich erfährt die grundsätzliche Relevanz nicht-finaler Beeinträchtigungen ihre Rechtfertigung auch durch ein argumentum ad maiorem: wenn schon ein geringfügiges Gebot oder Verbot Grundrechtsschutz auslöst, dann muß dies erst für eine nicht beabsichtigte, aber im Einzelfall intensive Beeinträchtigung Dritter
34
Friauf, DVBl. 1971,674 ff. (681).
35
Friauf, DVBl. 1971,674 ff. (682).
3 6
Friauf, DVBl. 1971,674 ff. (681).
3 7
Vgl. BVerfGE 11,126 (130); v. Münch, in: ders.: Vorb. Art. 1 -19 Rn. 50 ff.; Roellecke, Festgabe BVerfG, II, S. 22 ff. Zur Kritik an den herkömmlichen Inteipretationsregeln F. Müller, Juristische Methodik, S. 161 ff und passim; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 55 ff. 3 8
Siehe oben Teil 2, Abschnitt 2, Β, II, 1. Vgl. das Ergebnis von Teil 1 (Abschnitt 6, E, II).
4 0 BVerfGE 39, 1 (38); 57, 70 (99); 59, 231 (265); v. Münch, in: ders., Vorb. Art. 1 -19 Rn. 51. Der Sache nach ähnlich Alexy, Theorie, S. 277, der generell bei Zweifeln über den Eingriffscharakter (etwa bei faktischen Beeinträchtigungen) von einem "prima-facie-Verbot" ausgeht. Kritisch Schwabe, Probleme, S. 64.
292
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
durch die Verwaltung gelten41. Demgegenüber muß der Aspekt einer Gefährdung der sozialgestalterischen Aktivität des Staates als pragmatisch und insbesondere verfassungsrechtlich nicht abgesichert angesehen werden 42. Er rechtfertigt es vor allem nicht, sämtliche unbeabsichtigte Folgen des Verwaltungshandelns vom Grundrechtsschutz auszunehmen43. Der andere Ansatz geht dahin, zumindest einer bestimmten Art nichtfinaler Drittbeeinträchtigungen, nämlich den Nachbarbeeinträchtigungen die Fähigkeit abzusprechen, Grundrechtsschutz aus Art. 14 GG auszulösen 44 . Er verbindet damit eine umfassende Kritik der Rechtsprechung des BVerwG zur Nachbarklage aus Art. 14 GG 4 5 . Anders als z.B. Art. 2 I I GG im Hinblick auf das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit kenne Art. 14 GG keinen der Rechtsordnung vorgegebenen Eigentumsbegriff, die Reichweite des Eigentumsgrundrechts ergebe sich erst aus der - ausschließlich dem Gesetzgeber nach Art. 14 I S. 2 GG übertragenen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums46. Deshalb sei nur das durch die Gesetze ausgeformete Eigentum verfassungsrechtlich geschützt, für die Gewährung von Nachbarschutz sei es erforderlich, daß der Gesetzgeber dem einzelnen in Vorschriften des einfachen Rechts Rechtspositionen einräume 47. Diese Auffassung verkennt, daß auch der gesetzgeberischen Ausgestaltungsbefugnis gem. Art. 14 I S. 2 GG verfassungsrechtlich Grenzen gesetzt sind. Nach der Rechtsprechung des BVerfG hat der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums den Bereich des einzelnen und die Belange der Allgemeinheit in einen
41 Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 126 ff. Dies wird beispielsweise deutlich, wenn man an die Möglichkeit der existenzvernichtenden Wirkung einer Subvention oder weitgehender faktischer Nutzungsbeeinträchtigungen infolge einer Baugenehmigung denkt. 4 2 Grabitz, Freiheit, S. 37 f.; Sodan, Funktionsträger, S. 523 f.; Schulte, DVB1.1988,512 ff. (517). 43 Auch Stern, Staatsrecht III/l, S. 1206 hält die "strikte und ausschließliche Orientierung an der Finalität des Eingriffs" für mittlerweile überholt. 4 4 Evers, DVB1. 1970,12 ff. (14 f.); Broß, DÖV 1978, 283 ff. (284 f.); Thiele, DÖV 1979, 236 ff. (239 f.); Kleinlein, Das System, S. 160 f.; Ortloff, NVwZ 1987,374 ff. (381); Friauf, JurA 1969,3 ff. (9). 45 Zu dieser näher unten Abschnitt 2, Β, II, 4, a, bb), (1). 46 Kleinlein, Das System, S. 160 f. Soweit das Baurecht dem Nachbarn keine öffentlichrechtliche Rechtsposition einräume, könne dieser nach §§ 1004,906 BGB grundsätzlich nur solche Beeinträchtigungen abwehren, welche die Grenzen seines Grundstücks positiv überschreiten. Thiele, DÖV 1979,236 ff. (239 f.). 4 7 Thiele, DÖV 1979,236 ff. (239).
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293
gerechten Ausgleich zu bringen 48. Für diese Abwägung ist insbesondere die Intensität, die Schwere und Tragweite der Eigentumsbeeinträchtigung bedeutsam49. In der Regel sind die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten und das Abwägungsgebot verletzt, wenn in das Zuordnungsverhältnis oder in die Substanz des Eigentums eingegriffen wird 50 . Mit z.T. etwas anderen Formulierungen, die der Sache nach jedoch eine Anerkennung der aufgezeigten Grundsätze des BVerfG bedeuten, machen auch weite Teile in der Literatur deutlich, daß ein Kernbestand des Eigentums der Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers grundsätzlich entzogen ist 51 . Im Ergebnis verbleibt deshalb - auch nach Festigung der Rechtsprechung zu dem aus dem Gebot der Rücksichtnahme abzuleitenden Drittschutz 52 - dem Eigentümer im Anwendungsfeld des Art. 14 GG jedenfalls ein Kernbereich, dessen Beeinträchtigung unabhängig vom Vorhandensein einfachgesetzlicher drittschützender Vorschriften Nachbarschutz unter direktem Rückgriff auf Art. 14 GG auslösen kann. Der Auffassung, daß Nachbarbeeinträchtigungen wegen der gesetzgeberischen Dispositionsfreiheit im
4 8
BVerfGE 31, 229 (242); 50, 290 (340); 52, 1 (29); 58, 81 (114); 58, 137 (147); 58, 300 (339). Vgl. auch Bryde, in: v. Münch, Art. 14 Rn. 57; Jarass/Pieroth, Art. 14 Rn. 31 ff. 4 9
BVerfGE 31,229 (243).
5 0
BVerfGE 42, 263 (295); 50, 290 (341); 68, 361 (368). Gerade für den baurechtlichen Nachbarschutz hat der von Sendler, WiR 1972, 463 ff. (479 in Fn. 82) zitierte, offenbar unveröffentlichte Beschluß des BVerfG vom 26.7.1971 - 1 BvR 172/69 - Bedeutung. Dort erklärt das Gericht, ein Verstoß gegen Art. 14 GG liege vor, wenn "durch einen Hoheitsakt zugunsten eines Bauwerbers in den durch die Verfassung geschützten Kernbereich des dem Nachbarn zustehenden Eigentums eingegriffen" werde. 5 1
Der Ausdruck "Kernbestand" findet sich bei Zuleeg, DVB1.1976,509ff. (517), der dazu etwa die "übergreifende Wirkung auf das Nachbargrundstück" zählt. Maurer, DÖV 1975, 217 ff. (225) hält z.B. die Anliegernutzung, soweit der Eigentümer auf sie angewiesen ist, für der Verfügungsgewalt des Gesetzgebers entzogen. Breuer sieht angesichts der weiten gesetzgeberischen Freiheit zur Gestaltung der Eigentums- und Wirtschaftsordnung grundrechtliche Genehmigungsabwehransprüche nur im Umfang eines Mindeststandards garantiert, Festgabe BVerwG, S. 89 ff. (109). Nach Schwerdtfeger schützt Art. 14 I S.1 GG bestimmte Grundaspekte des Eigentums unmittelbar von Verfassung wegen. Zu diesen Grundaspekten zählt er neben der Privatnützigkeit und der grundsätzlichen Verfügungsfahigkeit über das Objekt insbesondere auch die Substanz des Eigentums, NVwZ 1982, 5 ff. (8). Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 126 hält grundrechtsunmittelbaren Drittschutz erst dort für gegeben, wo der "verfassungsfeste Garantiebereich" betroffen ist; vgl. auch Frers, Die Klagebefugnis, S. 227 f. - Einen anderen Ansatz verfolgen Ramsauer, AöR 111 (1986), 501 ff. (530 f.), Schwabe, NVwZ 1983,523 f. und Bryde, in: v. Münch, Art. 14 Rn. 38: sie befürworten eine verfassungskonforme Auslegung, wollen also den einschlägigen einfachgesetzlichen Normen jedenfalls insoweit nachbarschützenden Charakter zusprechen, als ihre Verletzung den Nachbarn "schwer und unerträglich" trifft. Ähnlich neuerdings auch Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 199. 5 2
Vgl. dazu nur Dürr, Baurecht, Rn. 265 ff.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
Bereich des Art. 14 GG a priori kein Eingriffscharakter zukommen könne, ist deshalb nicht zu folgen. b) Grundrechtliche Relevanz jeder kausal verursachten Betroffenheit Zwangsläufig wird der Abgrenzungsproblematik auch dann ihre volle Schärfe genommen, wenn man - wie ein Teil der Literatur - den Grundrechtsschutz schon bei jeder kausal verursachten tatsächlichen Betroffenheit beginnen läßt 53 . Daß für die Eröffnung grundrechtlicher Schutzbereiche die bloße tatsächliche Betroffenheit allein nicht ausschlaggebend sein kann, sondern zusätzliche Abgrenzungskriterien zu fordern sind, haben wir bereits oben umfassend begründet 54. Ergänzend kann hinzugefügt werden, daß es notwendigerweise auch auf dem Boden der genannten Auffassimg staatlicherseits verursachte, grundrechtlich irrelevante Nachteile tatsächlicher Art geben muß, die sich jedoch anhand des Maßstabs der "tatsächlichen Betroffenheit" angesichts dessen begrifflicher Weite und Konturenlosigkeit kaum in praktikabler Weise von den wirklichen Grundrechtsbeeinträchtigungen abgrenzen lassen55.
53 Vertreten wurde diese Auffassung insbesondere von dem Teil der Literatur, der vor allem in den 60er, Anfang der 70er Jahre eine Überwindung der Schutznormtheorie forderte und für das Vorliegen eines subjektiven Rechts darauf abstellte, ob der Bürger durch das Gesetz oder dessen Durchführung tatsächlich betroffen wird (vgl. Bernhardt, JZ 1963, 302 ff. [306]; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 57 ff.; Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), 35 ff. [49]; Lorenz, Rechtsschutz, S. 58 ff.; vgl. oben Teil 1, Abschnitt 2, B). Diese aUgemein für die Bestimmung subjektiver Rechte entwickelte Auffassung hat auch Folgen für die Abgrenzung der grundrechtlichen Schutzbereiche, sodaß es auch hier nur noch auf eine tatsächliche Betroffenheit und nicht auf bestimmte Eingriffsmodalitäten ankommen kann. Beispielsweise läßt Lorenz, S. 58 ff. (60), für den Grundrechtsschutz die "Berührung des individuellen LebenskreisesH ausreichen; Henke, DVBl. 1975,272 ff. (273) und Zuleeg, DÖV 1984,733 ff. (739) nehmen eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit durch Subventionen bereits bei jeder Verzerrung der Wettbewerbssituation bzw. jedem Wettbewerbsvorsprung des Konkurrenten an. Auch Gallwas, der von dem Grundsatz ausgeht, "daß im Prinzip jede Beeinträchtigung der gewährleisteten Freiheit den Grundrechtsschutz auslösen kann" (Beeinträchtigungen, S. 166, These 8), nennt - soweit ersichtlich - an keiner Stelle eingrenzende Kriterien. Aus der übrigen Literatur mit vergleichbarer Tendenz: Hoffmann, Rechtsfragen der Währungsparität, S. 76; Murswiek, Verantwortung, S. 133 f. 5 4 Teil 2, Abschnitt 3. 5 5
So auch Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (97).
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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2. Blankettformeln Nicht selten sind Versuche, das komplexe Problem der Grenzziehung zwischen grundrechtsrelevanten und -irrelevanten faktischen Beeinträchtigungen grundrechtsdogmatisch weitgehend offen zu lassen und auf die Ebene der Einzelfallbeurteilung zu verweisen. Auch wenn dabei unterschiedliche Abgrenzungstermini benutzt werden, stimmen die einschlägigen Auffassungen der Sache nach in dieser Tendenz überein. Ein Beispiel bildet die jüngere Rechtsprechung des BVerwG, die zur Frage der Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen mit der allgemein gehaltenen Formel Stellung nimmt, "je nach Art und Ausmaß" könne auch eine tatsächliche Betroffenheit des Grundrechtsträgers einen Grundrechtseingriff bedeuten56. Ein praktikabler, subsumtionsfähiger Abgrenzungsmaßstab wird dem Rechtsanwender mit dieser Formel nicht an die Hand gegeben57. In vergleichbarer Weise verwendet vor allem die Lehre häufig den Begriff den Begriff der Sodaladäquanz. So soll ein Grundrechtseingriff nicht vorliegen, wenn der Staat lediglich die Nachteilszufügung durch sozialadäquates Tun Dritter erlaubt, z.B. dem Mitbewerber auf dem Markt eine Genehmigung zur Gewerbeausübung erteilt 58 . Auf den ersten Blick erscheint das Abgrenzungskriterium der Sozialadäquanz geeignet, da es jedenfalls im Ansatz deutlich werden läßt, worin die Grundproblematik der Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen besteht: es geht um die Frage der Grenzziehung zwischen den Verantwortungssphären des Staates und des Bürgers, um das Problem, welche Risiken vom Staat zu verantworten sind und welche der einzelne als Ausdruck des "allgemeinen Lebensrisikos" zu tragen hat 59 . Doch auch der Begriff der Sozialadäquanz zeichnet sich durch ein hohes Maß an Unbestimmtheit und Offenheit für die verschiedensten Interpretationsansätze
5 6
BVerwGE 71,183 (191); 75,109 (115).
5 7
Zur Kritik Schulte, DVB1.1988,512 ff. (516 Fn. 56); Faber, Verwaltungsrecht, S. 277.
5 8
Schwabe, Probleme, S. 184 ff.; Peter, JZ 1969,549 ff. (537); Wagner, NJW 1966,569 ff. (571). In der Sache ähnlich auch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 278 ff., die die Grenzziehung anhand der Begriffe der Beeinträchtigung und der Belästigung durchführen wollen. Oben wurde aufgezeigt, daß der Gedanke der Sozialadäquanz von Rechtsprechung und Lehre auch zur Bestimmung des thematischen Schutzbereichs des Art. 2 II GG im Falle von Nachbarbeeinträchtigungen herangezogen wird (S. Abschnitt 2, A, I, 2), aber auch dort nur wenig Aussagekraft besitzt. Dem Kriterium der Sozialadäquanz wird somit Relevanz für den thematischen und den funktionalen Schutzberich zugeschrieben, was belegt, daß es sich dabei um dogmatische "Hilfsbegriffe" handelt: der eine (thematischer Schutzbereich) hat mehr das Schutzgut im Auge, der andere (funktionaler Schutzbereich) mehr die Art der staatlichen Beeinträchtigung. Dabei kann es im Einzelfall zu Überschneidungen kommen. 5 9
Vgl. Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (101).
296
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
aus60. Er vermag deshalb im konkreten Fall eine praktikable Abgrenzung grundrechtlicher Schutzbereiche nicht zu leisten, sodaß diese letztendlich der Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls überlassen bleiben muß 61 . Angesichts der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte, die faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen hervorbringen, sowie der Differenziertheit grundrechtlicher Schutzbereiche können Abgrenzungskriterien die Wertung im Einzelfall nicht entbehrlich machen. Doch rechtfertigt die Notwendigkeit einer Einzelfallbeurteilung nicht die Verwendung von Blankettformeln, insbesondere macht sie die Suche nach operationalisierbaren Kriterien nicht verzichtbar, um dem (Verfassungs-) Rechtsanwender einen aussagekräftigen Maßstab für die Beurteilung des Einzelfalls an die Hand zu geben. 3. Die Vorhersehbarkeit der Beeinträchtigung Der Grundsatz "ultra posse nemo obligatur" als Einschränkung grundrechtlicher Verantwortlichkeit Ein Teil der Literatur will den funktionalen Schutzbereich der Grundrechte in der Weise einschränken, daß Beeinträchtigungen ausgenommen werden, die die handelnde Behörde auch bei Beachtung an sie zu stellender Sorgfaltsanforderungen nicht vorhersehen bzw. nicht vermeiden konnte 62 . Diese Auffassung beruht auf einer Übertragung der im Zivilrecht entwickelten Lehre vom Handlungsunrecht auf das öffentliche Recht. Sie geht davon aus, daß die Rechtsordnung ein Unwerturteil nur über menschliches Verhalten fällen könne63. Sie könne deshalb nur menschliches Verhalten selbst Vgl. auch Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 173, der die Brauchbarkeit dieses Kriteriums insbesondere deshalb in Zweifel zieht, weil mit diesem Begriff "die Bestimmung des Schutzbereichs praktisch aus der Norm herausverlagert wird." 6 1
Kennzeichnend sind sind soweit die Ausführungen Schwabes, es lasse sich nicht allgemein sagen, wann die Grenze des Schutzbereichs jeweils erreicht sei, es bedürfe vielmehr im Einzelfall einer genauen Schutzbereichsanalyse, Probleme, S. 196. 62 Forster, Klagebefugnis, S. 372 ff., der deshalb wirtschaftsfördernden Maßnahmen mit drittbeeinträchtigender Wirkung nur dann Enteignungscharakter zuspricht, wenn diese "typischerweise, nach ihrer Normalsituation" zu Enteignungswirkungen führen. Denn auch von einer Behörde könne im Hinblick auf die Prüfung des enteignenden Charakters einer Maßnahme "nicht Unmögliches verlangt werden". In diese Richtung tendiert auch Jaenicke, W D StRL 20, S. 135 ff. (166). In der neueren Literatur sehen beispielsweise Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988,373 ff. (380) die Vorhersehbarkeit der beeinträchtigenden Folge als eines von verschiedenen Einzelkriterien an, welches aus einer durch staatliches Verhalten verursachten Grundrechtsbeeinträchtigung einen Grundrechtseingriff machen kann. Vgl. zum Ganzen Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 109 ff.; ders., VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (98 f.). 6 3 Münzberg,Verhalten,S.2,53.
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regeln, nicht aber ein bestimmtes Ergebnis oder einen bestimmten Erfolg unabhängig von den Möglichkeiten des einzelnen Subjekts fordern. Vom einzelnen könne nichts Unmögliches verlangt werden, eine von ihm nicht vorhersehbare bzw. nicht vermeidbare Beeinträchtigung könne ihm deshalb nicht zugerechnet werden und sei nicht rechtswidrig . Ohne zur Lehre vom Handlungsunrecht grundsätzlich Stellung nehmen zu wollen, müssen doch gegen ihre Einführung insbesondere in die Grundrechtsdogmatik65 erhebliche Bedenken geltend gemacht werden. Zunächst muß bezweifelt werden, daß jede den Staat in die Pflicht nehmende Norm um ein ungeschriebenes Merkmal des "Verschuldens" zu ergänzen sei. Die Strenge der Anforderungen, die eine Norm an das Verhalten ihres Adressaten stellt, kann sich nur aus der Norm selbst, nicht aus allgemeinen dogmatischen Überlegungen ergeben66. Dies muß erst recht für verfassungsrechtliche Bestimmungen wie die Grundrechte gelten. Eine Auslegung der Grundrechtsbestimmungen ergibt keine Anhaltspunkte für ein "Verschuldenserfordernis": Wie wir festgestellt haben, dienen die Grundrechte jedenfalls grundsätzlich der Gewährleistung von Freiheitsbereichen, in die einzudringen der staatlichen Gewalt - unabhängig von Art oder Verschulden des Eindringens - verwehrt ist 67 . Insoweit fordern sie, ganz im Widerspruch zum Gedanken des Handlungsunrechts, die Gewährleistung eines bestimmten Erfolgs 68. Weiter spricht gegen das Vorhersehbarkeitskriterium auch dessen mangelnde begriffliche Schärfe 69. Bestimmtheit gewönne es erst im Zusammenhang mit einem eindeutigen Sorgfaltsmaßstab, an dem es jedoch fehlt 70 . So ist völlig offen, ob man etwa auf die individuellen Fähigkeiten des jeweils Handelnden abzustellen oder die Anforderungen zu objektivieren hat durch Zugrundelegung der im Behördenverkehr erforderlichen Sorgfalt oder der typischen Normalsituation 71. Greift man z.B. die Fälle von
6 4
Münzberg, Verhalten, S. 2,191 ff.
6 5
Zur Anwendbarkeit dieser Lehre im Zusammenhang mit Junktim-Klausel, Zitiergebot sowie Gesetzesvorbehalt Teil 1, Abschnitt 5, B, III; Abschnitt 6, A, I; Teil 2, Abschnitt 4, Β, 1,2. 6 6
Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89 ff. (99).
6 7
Vgl. Teil 2, Abschnitt 2, Β, II; Abschnitt 4, D, I, II.
68 6 9
Siehe auch Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 49 f. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 96; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S.
116. 70 Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 116. Zu den unterschiedlichen Begriffen von Vorhersehbarkeit Gronefeld, Preisgabe, S. 68 ff. 71 Je nach Verständnis der Sorgfaltsanforderungen würde dies zu einer Bandbreite grundrechtsrelevanter Beeinträchtigungen führen, die in ihren Extremen entweder der Schutzwürdigkeit des Betroffenen oder dem Erfordernis eingrenzender Wirkung bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen nicht gerecht würde.
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Nachbarbeeinträchtigungen heraus, denen die Rechtsprechung Grundrechtsrelevanz zuerkannt hat 72 , läßt sich nicht eindeutig beantworten, ob die grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung für die Baurechtsbehörde vorhersehbar war oder nicht. Schließlich ist der in Teil 1 herausgearbeitete funktionale Aspekt zu bedenken, daß die Eröffnung grundrechtlicher Schutzbereiche materiell rechtsschutzeröffnend wirkt und deshalb von möglichst offenen Kriterien abhängen soll. Ein generelles Verschuldenserfordernis trägt dem in keiner Weise Rechnung, da nicht auszuschließen ist, daß gerade nicht vorhersehbare bzw. atypische Beeinträchtigungen eine Schwere aufweisen, die über die eines klassischen Eingriffs hinausgeht und an der Schutzwürdigkeit des Betroffenen keinen Zweifel läßt 73 . 4. Die heute vorherrschenden Auffassungen a) Die Intensität der Beeinträchtigung Soweit man in Rechtsprechung und Literatur die Grundrechtsrelevanz nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen anhand eines Einzelkriteriums bestimmt, wird ganz überwiegend die Intensität der Beeinträchtigung für maßgeblich gehalten. Allgemein formuliert, werden faktische Einwirkungen auf grundrechtlich geschützte Güter um so eher als Eingriff qualifiziert, je stärker sie in das betreffende Grundrecht eingreifen 4 . Bei genauerer Betrachtung lassen sich die Auffassungen in zwei Gruppen einteilen, welche die Grundrechtsrelevanz von jeweils unterschiedlichen Intensitätsgraden abhängig machen.
7 2 7 3
Vgl. Teil 4, Abschnitt 1, A mit Fn. 8-12.
Auch Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (381) befürworten eine Berücksichtigung nicht voraussehbarer Schäden zumindest bei schweren Grundrechtseingriffen. Im Hinblick auf die hier behandelte Gruppe der nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen würde eine Beschränkung des Grundrechtsschutzes auf von der Behörde vorhersehbare Beeinträchtigungen erhebliche Konsequenzen haben. Da insoweit überwiegend ein Grundrechtsschutz nur bei außerordentlicher Intensität der Beeinträchtigung angenommen wird (dazu unten 4, a, bb), eine Baugenehmigung bzw. eine Subvention im Regelfall jedoch nicht zu einer Nebenwirkung dieses Ausmaßes führt, könnte sich die Verwaltung (natürlich abhängig vom jeweiligen Sorgfaltsmaßstab) unter Berufung auf eine mangelnde Vorhersehbarkeit in einer Vielzahl von Fällen von der grundrechtlichen Verantwortlichkeit freizeichnen. 74 Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 17.
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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aa) Die "gewisse" Beeinträchtigungsintensität als Eingriffsvoraussetzung Sowohl in der Rechtsprechung wie in der Literatur wird die Auffassung vertreten, daß die Grundrechte nicht vor solchen nicht-finalen faktischen Beeinträchtigungen schützen, die als geringfügig oder nicht erheblich einzustufen sind. Vielmehr müsse die Einwirkung eine "gewisse" Beeinträchtigungsintensität aufweisen 75. Soweit dieses Erfordernis überhaupt begründet wird, nennt man die Gewährleistung der notwendigen staatlichen Planungsund Handlungsflexibilität 76 oder greift auf das Gewaltenteilungs- sowie das Sozialstaatsprinzip zurück 77. Z.T. verbindet man damit eine Kritik an der Rechtsprechimg des BVerwG, die die Schwelle des Grundrechtsschutzes in Fällen von Nachbar- und Konkurrentenbeeinträchtigungen sehr hoch ansetzt und eine besondere Schwere bzw. existenzgefährdende Wirkung der Beeinträchtigung fordert 78 . Die zutreffende Begründung dafür, daß als Grundvoraussetzung für den Eingriffscharakter nicht-finaler Beeinträchtigungen jedenfalls eine gewisse Intensität zu fordern ist, ergibt sich bereits aus den entsprechenden - insoweit übertragbaren - Ausführungen zu finalen Drittbeeinträchtigungen: Die Belastung des Bürgers durch eine nicht-finale Drittbeeinträchtigung ist von 75 BVerwG NVwZ 1984,514 f. Dort wird ein Eingriff in Grundrechte des Verpächters aus Art. 12 und 14 GG durch die Versagung einer Gaststättenerlaubnis gegenüber dem Pächter mit der Begründung verneint, die faktische Auswirkung der Enttäuschung der Erwartung einer Brauerei hinsichtlich der Höhe des zu erzielenden Pachtzinses weise nicht die für eine Grundrechtsbeeinträchtigung erforderliche Intensität auf (515). Wenn das BVerfG im Urteil zur Direkt-Ruf-VO (E 46, 120 [13η) den Schutz des Art. 12 I GG gegen Vorschriften befürwortet, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen, macht es damit deutlich, daß die Berufsfreiheit Maßstab nur für Maßnahmen ist, deren tatsächliche Auswirkungen einen gewissen Intensitätsgrad erreichen. Aus der Literatur. Stern, Staatsrecht III/l, S. 1207; Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 17; Jarass, NVwZ 1984, 473 ff. (476 f.); Papier, DVB1. 1984, 801 ff. (810); ders., Einwirkungen, S. 529 ff. (536); Zuleeg, DÖV 1984, 733 ff. (739); Miebach, JuS 1987, 956 ff. (959). 76 Diese würde nach Stern, Staatsrecht III/l, S. 1207, durch Erstreckung der Grundrechtsbindung auf jede vielfach nicht vorhersehbare Neben- oder Fernwirkung u.U. übermäßig eingedämmt. Ähnlich Dickersbach, Rechtsprechung des BVerwG zum GG, JöR n.F. Bd. 37, 453 ff. (479). 7 7 Sodan, Funktionsträger, S. 517 ff. 78 Für den Grundrechtsschutz des Konkurrenten gegenüber Subventionen läßt man mit unterschiedlichen Formulierungen eine gewisse Beeinträchtigungsintensität i.S. eines bloßen Wettbewerbsnachteils ausreichen, vgl. Bleckmann, Subventionsrecht, S. 151; Papier, DVB1. 1984, 801 ff. (810); Zuleeg, DÖV 1984, 733 ff. (739); Miebach, JuS 1987, 956 ff. (959). Eine Herabsetzung der durch die Rechtsprechung geschaffenen Schwelle bei Nachbarbeeinträchtigungen fordern z.B. Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988, 373 ff. (382) sowie das OVG Münster, NVwZ 1983, 414 (415), wonach ein nachbarrechtlicher Abwehranspruch sich bereits bei einer spüitaren Eigentumsbeeinträchtigung ergebe.
300
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vornherein nur dann mit der Zwangswirkung infolge eines rechtlich verbindlichen Verhaltensgebots oder -Verbots vergleichbar, wenn das zum Verwaltungshandeln hinzutretende Moment der Nebenwirkung eine gewisse Schwere aufweist, die die Belastimg aus der Vielzahl sonstiger Nachteile, denen der Bürger ausgesetzt ist, heraushebt79. bb) Das Erfordernis der "schweren und unerträglichen" Beeinträchtigung (1) Die Rechtsprechung Die ganz überwiegende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung geht über das Erfodernis einer "gewissen" Intensität hinaus und gewährt Grundrechtsschutz gegen nicht-finale Drittbeeinträchtigungen grundsätzlich nur unter sehr engen Voraussetzungen. So fordert sie der Sache nach jedenfalls für die "Prototypen" nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen, die Nachbar- und Konkurrentenbeeinträchtigungen, daß der Betroffene "schwer und unerträglich" betroffen ist 80 . Zunächst wurde dieses Erfordernis vom BVerwG für direkt auf Art. 14 GG gestützte Nachbarklagen aufgestellt. Dies geschah zuerst im Baurecht 81, wurde dann aber auch auf andere Rechtsgebiete ausgedehnt82. Nach der Rechtsprechung muß der Eigentümer erst durch eine Änderung der Grundstückssituation vermittelte Auswirkungen - etwa infolge der genehmigten Errichtung einer baulichen Anlage grundsätzlich hinnehmen . Das Grundstückseigentum schützt also grundsätzlich nicht vor Nachteilen, die durch die Änderung der Nutzung des Nachbargrundstücks entstehen. Jedoch kann z.B. eine baurechtliche oder wasserrechtliche Genehmigung den Nachbarn dann in seinem Grundrecht aus Art. 14 GG verletzen, wenn die Genehmigung die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändert und dadurch den Nachbarn schwer und unerträglich trifft 84 . Zur Konkreti7 9 Siehe oben Teil 3, Abschnitt 2, Β, V, 3; vgl. auch Knuth, JuS 1986,523 ff. (529); Forster, Klagebefugnis, S. 398.
on
Zu dieser Bewertung kommt auch Jarass, NVwZ 1984, 473 ff. (476); ders., AöR 110 (1985), 363 ff. (381 f.). 8 1 BVerwGE 32,173 (179). 82
Vgl. BVerwGE 36, 248 (252); 41, 58 ff., wo es um Klagen gegen wasserrechtliche Genehmigungen ging, sowie BVerwGE 66, 307 ff., wo ein Berufsfischer eine Genehmigung nach dem EinbringungsG zur Verklappung von Dünnsäure in der Nordsee angefochten hatte. Vgl. auch Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 85. BVerwGE 50,282 (287). Ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. BVerwGE 32,173 (179); 36, 248 (252); 44, 244 (246 f.); 50, 282 (287); 52, 122 (125); 66, 307 ff.; DVBl. 1974, 767 (776 f.). Die Rechtspre-
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
301
sierung dieser recht vagen Voraussetzung muß man sich zunächst die seltenen Fälle vor Augen halten, in denen die Gerichte Art. 14 GG fur verletzt ansahen. In dem bekannten Floatglas-Fall gab das BVerwG der Klage gegen die Genehmigung zur Errichtimg und zum Betrieb einer Floatglaserzeugungsanlage mit einer Tagesleistung von max. 6001 statt, weil es die vom Wohngrundstück des Klägers nur 85 -100 m entfernte Errichtung eines insgesamt etwa 800 m langen und bis zu 35 m hohen Gebäudetraktes - unabhängig von der Zumutbarkeit der Immissionen - als schweren und unerträglichen Eingriff in die Wohnnutzung des Klägers bewertete 85. Das OVG Lüneburg hob unter Berufung auf Art. 14 GG die Baugenehmigung für ein Kongreßzentrum auf, das in 40 m Abstand von 1-2 Familienhäusern in ruhiger Wohnlage mit dem Charakter eines reinen Wohngebiets errichtet werden sollte 86 . Der Hessische VGH schließlich erblickte einen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht in der Genehmigung eines großen Einfamilienhauses in Hanglage mit einem Satteldach, welches dem Kläger die bisher freie Aussicht auf ein überwiegend begrüntes Flußtal, den gegenüberhegenden Hügel und auf einen Teil der Stadt mit Dom, dem alten Schloß und der Altstadt 87
nahm . Konkretisierend kann außerdem erwähnt werden, daß die Wertminderung in Ansehung des Nachbargrundstücks allein nicht ausreicht, sie muß Folge einer schweren und unerträglichen Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit des betroffenen Grundstücks sein88. Darüberhinaus stellt das BVerwG klar, daß die Voraussetzungen der Schwere und Unerträglichkeit kumulativ erfüllt sein müssen und daß diesen jeweils eigenständige Bedeutung zukommt89.
chung der übrigen Verwaltungsgerichte ist dem BVerwG fast ausnahmslos gefolgt, vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 185. 85
BVerwG DVBl. 1974, 767 ff. (776). Sachverhalt abgedruckt bei VG Gelsenkirchen DVBl. 1971, 832. 86 NJW 1980, 253 ff. Es stellte dabei zum einen auf die Unverträglichkeit im Bauvolumen ab, die sich aus der Errichtung des achtgeschossigen Bauwerks von 28,50 m Höhe und 38 m Breite in 40 m Entfernung ergeben hätte. Zum anderen hob es auch die unverhältnismäßige Nutzungsform hervor ein Hotel-und Restaurationsbetrieb mit einer Belegungszahl von 200 Betten, einem Cafe für 100 Plätze, einem zweigeschossiogen Restaurant für ca. 130 Plätze, einem Saal für max. 400 Personen und einer Kegelbahn würde dem Charakter des reinen Wohngebiets in unmittelbarer Nähe widersprechen. Als entscheidend für die "Unerträglichkeit" sah das OVG die Lärm- und Abgasimmissionen durch den Kfz-Verkehr an, den das Vorhaben notwendigerweise auslösen mußte (136 PKW-Stellplätze). Diese Immissionen würden eine auf einem 8 7 benachbarten Grundstück liegende Terrasse weitgehend unbenutzbar machen. Hess. VGH BRS 32, Nr. 166. 88 Die Wertminderung hat danach nur Indizwirkung für die Schwere des Eingriffs, BVerwG NJW 1979,995 (996). Vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 85. 89 S. dazu unten Abschnitt 2, Β, IV, 3.
302
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
Auch wenn das BVerwG in seiner Grundsatzentscheidung zur auf Art. 2 II GG gestützten Nachbarklage eine direkte Übernahme der zu Art. 14 I GG gemachten Restriktionen vermeidet 90, wird deutlich, daß es der Sache nach den funktionalen Schutzbereich des Art. 2 Π GG auf besonders intensive Beeinträchtigungen beschränken will. Denn zum einen kommt das Gericht im Ergebnis zu einer praktischen Gleichstellung, wenn es ausführt, "die durch Art. 2 I I GG geschützten höchstpersönlichen Rechtsgüter" seien "im Prinzip nicht weniger als das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum geeignet" einem Nachbarrechtsschutz zu dienen91. Zum anderen hält es das Gericht für eine über die Grundrechtsrelevanz von Nachbarbeeinträchtigungen entscheidende Frage, wann Eingriffe das Grundrecht aus Art. 2 Π GG "in einer die Befugnisse selbst des Gesetzgebers übersteigenden Weise in seinem Wesensgehalt" antasten92. Das legt die Interpretation nahe, daß das BVerwG die Gewährung drittschützender Rechtspositionen bis zur Grenze des Wesensgehalts des Art. 2 I I GG dem Gesetzgeber überlassen will, bei Berührung des Wesensgehalts aber Nachbarschutz direkt auf der Grundlage des Art. 2 I I GG gewährt 93. Ein letztes Argument liefern die zum Nachbarschutz aus Art. 2 I I GG bislang ergangenen Entscheidungen. Soweit ersichtlich, erreichten die geltend gemachten Beeinträchtigungen der Gesundheit in keinem Fall die Intensität, die für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 2 II GG für erforderlich gehalten wurde 94 . Schließlich behandelt die Rechtsprechung auch staatlich veranlaßte Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfreiheit nach vergleichbaren Grundsätzen. Die Neuzulassung oder Förderung eines Mitbewerbers bedeute im Grundsatz keinen Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit, weil der Konkurrent 9 0
Vgl. E 54, 211 (222 f.).
91 BVerwGE 54, 211 (223). Auch die Literatur versteht die Rechtsprechung so, daß die für Art. 14 GG gemachten Einschränkungen des Grundrechtsschutzes auch für Art. 2 II GG gelten, vgl. Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (94 mit Fn. 33); Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (382); ders., NJW 1983, 2844 ff. (2847); Brohm, Festschrift Menger, S. 240; ders., JZ 1989, 324 ff. (326). - Schmidt-Aßmann (AöR 106 [1981], 205 ff. [213]) und Friauf (Baurecht, S. 595 f.) erwähnen dabei einen Aspekt, der diese Sichtweise untermauert. Da umweltvermittelte Beeinträchtigungen des Art. 2 II GG durch ein hohes Maß an zeitlicher, räumlicher und modaler Veränderlichkeit und Unstetigkeit gekennzeichnet sind, also die Beziehung zwischen der Grundrechtsposition des einzelnen und der jeweils angegriffenen Genehmigung bei Art. 2 II GG in der Regel nicht in dem gleichen Maße konkretisierbar sein wird, wie bei dem durch die räumliche Lage zum Baugrundstück geprägten Eigentum, erscheint es auf der Basis der Rechtsprechung zu Art. 14 GG nicht schlüssig, den funktionalen Schutzbereich des Art. 2 II GG von geringeren Anforderungen abhängig zu machen. 9 2 BVerwGE 54,211 (223). 9 3 9 4
So auch Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (382).
Vgl. BVerwGE 54, 211 (223 f.); OVG Münster, NVwZ 1984, 385 ff.; OVG Hamburg, NVwZ 1984,48 ff.; VGH BW NVwZ 1984,525 f.
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303
weiterhin am Wettbewerb um den Kunden teilnehmen könne und sich lediglich die Wettbewerbsbedingungen für ihn nachteilig verändert hätten95. Jedoch wird einer Beeinträchtigung i.E. dann grundrechtliche Relevanz zuerkannt, wenn diese das Ausmaß der "schweren und unerträglichen" Betroffenheit errreicht. Zwar verdeutlicht die Rechtsprechung die Einschränkung des funktionalen Schutzbereichs auch hier mit jeweils unterschiedlichen Formulierungen 96, in der Sache soll dies jedoch keine Abweichung von der Rechtsprechung zu den Nachbarbeeinträchtigungen bedeuten . In dieser restriktiven Fassung des Schutzbereichs ist wohl auch (neben dem bereits angesprochenen Kausaltitätserfordernis) der Grund dafür zu sehen, daß - jedenfalls soweit ersichtlich - Konkurrentenbeeinträchtigungen bislang noch nicht mit Erfolg gerichtlich geltend gemacht werden konnten. Die so beschriebene Rechtsprechung zur Grundrechtsrelevanz nichtfinaler Drittbeeinträchtigungen hat in der Lehre vielfach Zustimmung erfahren 98. Gleichwohl wirft sie mehrere Fragen auf. Der Eingriff in ein Grundrecht kann zulässig oder unzulässig sein. Die herkömmliche Grundrechtsdogmatik trennt insoweit die Prüfung, ob der Schutzbereich eines Grundrechts eröffnet ist, von der Frage, ob in rechtswidriger Weise eingegriffen, das Grundrecht also verletzt ist 99 . In vielen 95
BVerwGE 65,167 (174).
9 6
BVerwGE 30, 191 (197 ff.) fordert, daß die Wettbeweibsfreiheit in einem "unerträglichen Maße" eingeschränkt, daß die Klägerin "in ihren Wettbewerbsmöglichkeiten unzumutbar geschädigt" wird. Nach BVerwGE 60, 154 (160) ist die Wettbewerbsfreiheit beeinträchtigt, wenn die Behörde bei einer Wettbewerbslage die rechtlich geschützten Interessen der anderen Konkurrenten willkürlich vernachlässigt. Laut BVerwGE 65, 167 (174) und OVG Münster NVwZ 1984, 522 (524 f.) wird eine staatlich veranlaßte Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen erst dann zum Grundrechtseingriff, wenn durch die hoheitliche Maßnahme die Fähigkeit zur Teilnahme am Wettbewerb so eingeschränkt wird, daß die Möglichkeit des Konkurrenten, sich als verantwortlicher Unternehmer wirtschaftlich zu betätigen, beeinträchtigt gewesen wäre. Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (477) hält diese Voraussetzungen für gegeben, wenn der Konkurrent so schwer getroffen ist, daß er zu einer vollständigen oder teilweisen Betriebsaufgabe gezwungen wird. 9 7
So auch die Bewertung durch Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (476); Brohm, JZ 1989,324 ff.
(326). 9 8 Vgl. z.B. zu Art. 14 GG Schrödter, DVB1.1973,639 ff.; Schenke, N + R 1983, 81 ff. (87); Wolff/Bachof I, § 43 I b; Jarass, NJW 1983,2844 ff. (2847); Kopp, VwGO, § 42 Rn. 62; Friauf, Baurecht, S. 594 f.; Breuer, Festgabe BVerwG, S. 89 ff. (108 ff.). Zur Wettbewerbsfreiheit Brohm, Festschrift Menger, S. 244 f.; Breuer, Festgabe BVerwG, S. 89 ff. (111); Knuth, JuS 1986,523 ff. (529). 99 Vgl. nur Klöpfer, Festgabe BVerfG II, S. 405 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 256 f. Eine tiefer gehende dogmatische Auseinandersetzung mit diesem "Eingriffs-Schema" findet sich neuerdings bei Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 25 ff.
304
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
Fällen ermöglicht das dem Gesetzesvorbehalt entsprechende Gesetz staatliche Maßnahmen, die in den Schutzbereich eines Grundrechts eingreifen, es aber nicht verletzen. Entscheiden nun die Kriterien der "Schwere und Unerträglichkeit" bereits über die Schutzbereichseröffhung oder erst über die Grundrechtsverletzung ? Die Rechtsprechung nimmt dazu nicht ausdrücklich Stellung. Man könnte meinen, es handle sich bei diesen Kriterien um Prüfungselemente des Verhältnismäßigkeitsgebots, welches einen schon eröffneten Schutzbereich voraussetzt. Die Kriterien hätten dann ihren 1Π0
Standort erst bei der Grundrechtsverletzung . Dem ist jedoch folgendes entgegenzuhalten: Wäre - etwa im Falle von Nachbarbeeinträchtigungen der Schutzbereich des Art. 14 GG bereits bei Beeinträchtigungen geringeren Ausmaßes eröffnet, würde bereits jede nach einfachem Gesetzesrecht objektiv rechtswidrige Baugenehmigimg den unmittelbar verfassungsrechtlichen Abwehranspruch nach Art. 14 GG auslösen; denn der Eingriff in Art. 14 GG muß durch ein Gesetz im Sinne des Gesetzesvorbehalts abgedeckt sein, d.h. die Baugenehmigung muß mit dem einfachen Gesetzesrecht in Einklang stehen101. Die Rechtsprechimg zeigt jedoch, daß ihr die einfachgesetzliche Rechtswidrigkeit ohne die zusätzlichen Anforderungen der Schwere und Unerträglichkeit nicht genügt, um Drittschutz aus Art. 14 GG zu begründen 102. Somit legt die Rechtsprechung den Schluß nahe, daß die im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen geforderte besondere Intensität Voraussetzung der Eröffnung des funktionalen Schutzbereichs ist 1 0 3 . Darüberhinaus ruft das Kriterium der "Schwere und Unerträglichkeit" neben Bedenken wegen seiner mangelnden begrifflichen Schärfe 104 - vor allem das Problem einer angemessenen dogmatischen Begründung hervor. Obwohl sich die Heranziehung dieses Kriteriums in der Rechtsprechung mittlerweile gefestigt hat, hat sie bislang eine nähere Begründung sowohl bei Nachbar- wie auch bei Konkurrentenbeeinträchtigungen vermissen las100 Zu solchen Interpretationsversuchen bei Art. 14 GG Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 184. 101 Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 183; Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 ff. (7); Schenke, N + R1983, 81 ff. (87); Freis, Die Klagebefugnis, S. 229. Kritisch: Eveis, DVBl. 1970,12 ff.; Schwabe, NVwZ 1983,523. 102 So ausdrücklich BVerwGE 32, 173 (179): "Eine objektiv rechtswidrige Genehmigung nach § 34 BBauG ohne jene qualifizierenden Voraussetzungen stellt keinen Eingriff in das Eigentum des Nachbarn dar". 103 So auch Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 184 f.; Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 ff. (7); Frers, Die Klagebefugnis, S. 229. Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, ob in diesen Fällen Grundrechtseingriff und Grundrechtsverletzung immer zwingend zusammenfallen. 104 Vgl. insoweit die Kritik von Thiele, DÖV 1979, 236 ff. (240); Schenke, N + R 1983, 81 ff. (87); Schulte, DVBl. 1988,512 ff. (516 f.); Brohm, DÖV 1989,429 ff. (435).
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, 305
sen 105 . Argumentationsansätze finden sich lediglich in der Rechtsprechung zu Art. 14 GG. Durch das aufgestellte Kriterium sollen grobe Mißgriffe der Genehmigungsbehörden, die als solche regelmäßig auch vom Bauherrn erkennbar sein werden, für einen kleinen, übersehbaren Kreis von Klägern angreifbar sein 106 . Das Erfordernis der außergewöhnlichen Schwere soll dabei die allgemein bei einfachgesetzlichen subjektiven Rechten geforderte Individualisierbarkeit und Eingrenzbarkeit der Klagebefugten bewirken 107 . Damit soll zum einen verhindert werden, daß der Bauherr einem unüberino
sehbaren Risiko ausgesetzt wird , zum anderen, daß durch einen ausufernden Kreis von Klagebefugten die Gefahr einer Popularklage heraufbeschworen wird. Diese Aussagen machen zwar durchaus die Zweckmäßigkeit des Kriteriums deutlich, bleiben jedoch eine verfassungsrechtliche Begründung für die Restriktion grundrechtlicher Schutzbereiche schuldig. Im folgenden ist deshalb zu untersuchen, ob und inwieweit es der Rechtslehre gelungen ist, die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieses Kriteriums "nachzuliefern". (2) Das Schrifttum 10Q
Zwar folgt das Schrifttum in weiten Teilen dieser Rechtsprechung , beschränkt sich jedoch überwiegend auf ihre Darstellung und die Verfolgung der Kasuistik. Soweit eine dogmatische Grundlegung versucht wird, lassen sich im wesentlichen vier Hauptrichtungen erkennen. Speziell für Konkurrentenbeeinträchtigungen infolge staatlicher Subventionen wird die Auffassung vertreten, die durch Art. 2 I GG abgedeckte Wettbewerbsfreiheit schütze Dritte grundsätzlich nicht vor Beeinträchtigungen durch die Erbringung wirtschaftsfördernder Leistungen- da der Staat diese in Verwirklichung der Sozialstaatsprinzips erbringe . Die Sozialstaatsklausel des Art. 20 I, 28 I GG sei Teil der "verfassungsmäßigen Ordnimg" i.S.d. Art. 2 I GG und bilde eine "immanente" Schranke der Wettbe10
^ Vgl. zur Kritik an der mangelnden dogmatischen Bewältigung des grundrechtlichen Nachbarschutzes aus Art. 14 GG Friauf, Baurecht, S. 594 Fn. 682; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 ff. (6); Sendler, Festschrift Simon, S. 113 ff. (122). 106
BVerwGE 32,173 (179).
1 0 7
BVerwGE 52,122 (125).
108
BVerwGE 32, 173 (178 f.); 52, 122 (125). Gemeint ist insbesondere das Risiko einer langjährigen Ungewißheit, ob und von wem gegen das Vorhaben vorgegangen wird mit seinen wirtschaftlichen und sonstigen Folgen, vgl. BVerwGE 27,29 (33). 109 1 1 0
20 Roth
Vgl. bereits oben 98. Forster, Klagebefugnis, S. 335.
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
306
werbsfreiheit, sodaß die Wettbewerbsfreiheit schon gar nicht berührt 111
werde . Grenze für diese "immanente Beschränkung" sei die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 I I GG, deren Anwendung im Ergebnis zu einer Übereinstimmung mit der Rechtsprechung insofern führt, als dem Konkurrenten ein grundrechtliches Abwehrrecht in Fällen zuzugestehen ist, in denen seine Wettbewerbsmöglichkeiten "unerträglich" eingeschränkt werden, seine wirtschaftliche Existenz bedroht ist 1 1 2 . Diese Auffassung fordert Kritik heraus. Zunächst ist die Anwendbarkeit des Art. 19 Π GG sowohl im Falle einer Begrenzung des Art. 2 I GG wie auch des richtigerweise einschlägigen Art. 12 GG nicht selbstverständlich, gewichtige Stimmen verlangen eine Beschränkimg auf die Fälle, in denen auch Art. 19 I GG greift 113 . Vor allem aber wird nicht hinreichend berücksichtigt, daß Art. 19 Π GG für Grundrechtseinschränkungen gilt, einen Grundrechtseingriff und somit einen eröffneten Schutzbereich voraussetzt 114. Auf eine Einschränkung bereits des Schutzbereichs, wie sie im vorhegenden Zusammenhang in Frage steht, kann die Wesensgehaltssperre jedoch ohne besondere Rechtfertigung keine Anwendung finden. Ein anderer, insbesondere zum Eigentumsschutz gegen Nachbarbeeinträchtigungen vertretener Ansatz knüft an die weite gesetzgeberische Freiheit zur Gestaltung der Eigentums- und Wirtschaftsordnung an 1 1 5 . Folge der inhaltsbestimmenden Funktion der Legislative gegenüber dem Eigentumsbegriff sei es, daß sich der Betroffene primär auf die speziellen einfachgesetzlichen Normen zu berufen habe, die sein Eigentum inhaltlich ausformen 116 . Unmittelbare, grundrechtliche Genehmigungsabwehransprüche seien nur im Umfang eines "Minimalstandards" garantiert, soweit die einfachen Gesetze nachbarrechtliche Abwehransprüche nicht in dem verfas-
111
112
Forster, Klagebefugnis, S. 335.
Eine derartige entsprechende Anwendung des Art. 19 Π GG befürwortet Forster, Klagebefugnis, S. 336. 113 BVerfGE 13, 97 (122); 31, 58 (59); 64, 72 (80 f.); Wernicke, in: BK, Erstbearbeitung, Art. 19 Anm. II, 2, b. Nach ganz hM gilt Art. 19 I GG nicht für Schrankenziehungen, Regelungsaufträge und Inhaltsbestimmungen, also insbesondere auch nicht für Art. 12 I GG und Art. 2 I GG, vgl. Jarass/Pieroth, Art. 19 Rn. 3 f.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 329 ff.; Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 7. 114
Vgl. Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rn. 21. Breuer, Festgabe BVerwG, S. 89 ff. (109) unter Berufung auf BVerfGE 4,7 (15 ff.); 21, 73 (83); 25,1 (19 f.); 30,292 (319); 37,1 (21); 39,210 (231); Sendler, BauR 1970,4 ff. (7); Frers, Die Klagebefugnis, S. 232 f. Vgl. auch Jarass, DVBl. 1976,732 (734 f.). 115
116
Breuer, Festgabe BVerwG, S. 109 f.; Frers, Die Klagebefugnis, S. 232.
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307
117
sungsrechtlich gebotenen Mindestumfang regeln . Zum "Minimalstandard" wird nur ein Kernbereich des Eigentums gezählt, der erst durch Beeinträchtigungen berührt wird, die materiell enteignenden Charakter haben 118 . Ein in dieser Weise "enteignender Charakter" kommt nur Maßnahmen mit der Folge schwerer und unerträglicher Beeinträchtigungen zu 1 1 9 . Dieser Ansatz befriedigt deshalb nicht, weil er keine generelle Begründung für die Einschränkung des Schutzbereichs von Grundrechten bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen bringt. Die Argumentation ist nur schlüssig, soweit es um die faktische Beeinträchtigung eines Grundrechts geht, das kraft grundgesetzlicher Anordnung 120 seine Konturen vorwiegend durch die gesetzgeberische Ausgestaltung und nicht durch die Verfassung selbst erhält. Ein vergleichbarer, durch das Grundgesetz ausdrücklich normierter gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum besteht jedoch z.B. nicht im Falle von Nachbarbeeinträchtigungen des Art. 2 I I GG bzw. Konkurrentenbeeinträchtigungen des Art. 12 I GG; insoweit steht die dogmatische Begründung nur eingeschränkter Abwehransprüche aus. Eine dritte Auffassung, deren Grundlagen wir bereits oben aufgezeigt haben 121 , versucht, die restriktive Handhabung der Grundrechte bei Klagen gegen drittbeeinträchtigende behördliche Erlaubnisse und Genehmigungen mit der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte zu erklären 122 . Da sich diese Funktion aus der objektivrechtlichen Seite der Grundrechte ergebe, hätten die Grundrechte in ihrer Schutzpflichtfunktion nicht die gleiche Schutzintensität wie die Grundrechte in ihrer traditionellen Funktion als Abwehrrechte . Denn in erster Linie sei die Art und Weise der Schutzpflichterfüllung Sache der staatlichen Organe 124 . Ein subjektivrechtlicher Schutzanspruch des Nachbarn auf der Grundlage des Eigentumsgrund117 Breuer, Festgabe BVerwG, S. 109. Zusätzlich soll mit dieser Beschränkung auch dem Unterlaufen der einfachgesetzlichen Differenzierung drittschützender und nicht drittschützender 118Normen vorgebeugt werden, Breuer, DVB1.1983,431 ff. (436). Sendler, BauR 1970, 4 ff. (7); Frers, Die Klagebefugnis, S. 232. Insoweit wird auf eine Parallele zur Rechtsprechung hingewiesen, die sich in einigen Entscheidungen bei der Bestimmung der "Schwere und Unerträglichkeit" an einem "enteignenden Eingriff" (BVerwG DVB1. 1974, 777 [778]) bzw. einer "enteignungsrechtlichen Unzumutbarkeit" (BVerwG DVB1. 1978, 614 [617]) orientiert. 119 Frers, Die Klagebefugnis, S. 232. 120 Vgl. Art. 141S. 2 GG. 121
122
Teil 2, Abschnitt 2, C, 1,1, a.
So vor allem Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 ff. (8); Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (215 f.). 123 Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (216). 124 ^ Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff. (216). Vgl. z.B. BVerfGE 56,54 (81) und bereits oben Teil 2, Abschnitt 2, A.
308
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rechts könne deshalb erst bei ganz gravierenden Beeinträchtigungen entstehen, etwa wenn die "Grundaspekte" des Eigentums verletzt sincr 25 . Damit glaubt man auch die zutreffende Begründung dafür gefunden zu haben, warum das BVerwG dem Dritten unmittelbaren Schutz aus Art. 14 GG nur zugesteht, wenn die Ausnutzung der Baugenehmigung die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändert und dadurch den Nachbarn schwer und unerträglich trifft, den Grad einer enteignungsrechtlich beachtlichen Unzumutbarkeit erreicht 126 . Oben haben wir bereits dargelegt, warum wir die Schutzpflichtfunktion in diesen Fällen nicht für einschlägig halten: es handelt sich nicht lediglich um eine Auseinandersetzung zwischen Privaten, sondern die behördliche Erlaubnis bzw. Genehmigung stellt grundsätzlich einen hinreichend konkreten Ansatzpunkt dar, dem Staat etwaige Folgewirkungen als Grundrechtseingriffe zuzurechnen 127. Aber auch wenn man der "Schutzpflichtlehre" im Ausgangspunkt folgte, müßte sie sich den Einwand gefallen lassen, nur für einen Teilbereich der Problematik nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen eine Lösung aufzuzeigen. Denn die Schutzpflichtfunktion kann keinesfalls herangezogen werden, um die reduzierte Grundrechtsrelevanz von Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen zu rechtfertigen. Wenn staatliche Organe durch aktive Förderung (wirtschaftlicher Art) ein Verhalten Privater hervorrufen, welches Beeinträchtigungen anderer nach sich zieht, ist diese Förderung nach allgemeiner Meinung im Ausgangspunkt dem Staat als Eingriff zuzurechnen 128 . Die Auffassung, es sei nicht der Staat, sondern der private Subventionsempfänger, der mit der Ausnutzung der Subvention in das Grundrecht des Konkurrenten eingreife, wird nicht vertreten. Eine letzte Auffassung schließlich begründet die Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen allgemein mit dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte 129. Bei "gravierenden Belastungen" 3 0 bzw. bei "schweren und unerträglichen" Beeinträchtigungen 131 soll jedoch die rein objektive Funktion in eine subjektiv-abwehrrechtliche "umschlagen", d.h. in solchen 125 Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 ff. (8 f.). Unter den Grundaspekten des Eigentums versteht er neben der Privatnützigkeit und der grundsätzlichen Verfügungsfähigkeit über das Objekt insbesondere auch die Substanz des Eigentums. 126 Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 ff. (8 f.). 127 Teil 2, Abschnitt 2, C, 1,1, c. 12Ä Martens, W D S t R L 30 (1972), S. 7 (12 ff.); Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 122 ff.; Hermes, Das Grundrecht, S. 89. Siehe auch Grabitz, Freiheit, S. 27. 129 Die Grundlagen dieser Auffassung haben wir bereits oben (Teil 2, Abschnitt 2, C, II) dargestellt. 1 3 0 Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (382,395). 131
Brohm, JZ 1989,324 ff. (327).
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Fällen wird dem Betroffenen ein grundrechtlicher Abwehranspruch gegen die Beeinträchtigung zuerkannt 13 . Grund für diese eingeschränkte Abwehr kr aft sei, daß die aus dem objektivrechtlichen Grundrechtsgehalt abgeleiteten Grundrechtsfunktionen im Unterschied zur Abwehrkomponente weithin auf die Umsetzung durch den Gesetzgeber angewiesen seien . Da die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen - im Unterschied zu den Grundrechten als Abwehrrechten - nur in sehr geringem Maße Vorgaben für die komplexe Frage der Art und Weise der Umsetzung enthielten, sei dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber insoweit ein Spielraum eingeräumt 134. Subjektiv-abwehrrechtlich gewähre die Verfassung lediglich einen "Kern- oder Minimalschutz"135 bzw. Schutz vor faktischem Substanzverlust136, was seinen Ausdruck finde im Abwehranspruch des von "schweren und unerträglichen" Belastungen Betroffenen 137. Eine derartige Beschränkung des Abwehranspruchs ergebe sich darüberhinaus aus dem "eher praktischen Bedürfnis, eine uferlose Ausdehnung der Grundrechte und eine damit verbundene Unberechenbarkeit an Gesetzgeber und Ver•J OQ
waltung" zu vermeiden . Für diese Auffassung spricht, daß sie eine generelle dogmatische Begründung für die grundrechtliche Relevanz nicht-finaler faktischer Beeinträchtigungen liefert und auch das Kriterium besonderer Schwere schlüssig zu belegen vermag. Kritik fordert allerdings heraus, daß sie eine nähere Begründung ihres Ausgangspunktes schuldig bleibt: er beruht auf der Feststellung, ì die objektivrechtlichen Gehalte würden aktiviert, wenn es nicht um die Abwehr klassischer Grundrechtseingriffe gehe 139 . Abgesehen davon, daß diese Feststellung bereits für die finalen faktischen Beeinträchtigungen nicht zutrifft 140 , wird hier die abwehrrechtliche Funktion im Grundsatz auf die klassischen Grundrechtseingriffe beschränkt, ohne daß zuvor die verfassungsrechtlich vorrangige Frage beantwortet wird, warum die Primärfunktion der Grundrechte als Abwehrrechte 141 sich grundsätzlich nicht auf faktische Beeinträchtigungen erstrecken kann. Der Hinweis auf die traditionelle Konzeption der Eingriffsdogmatik bzw. die 132
Brohm, JZ 1989,324 ff. (327).
1 3 3
Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (395).
134
Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (395 f.) mit Hinweis auf das abweichende Votum zur Fristenlösungsentscheidung, BVerfGE 39,1 (71 f.); ders., NJW 1983,2844 ff. (2847). 135 Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (395). 136
Brohm, DÖV 1989,429 ff. (435).
1 3 7
Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (382); Brohm, JZ 1989,324 ff. (326 f.).
138
Brohm, JZ 1989,324 ff. (327). Vgl. auch Scherzberg, DVB1.1989,1128 ff. (1131).
139
Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (394 f.); Scherzberg, DVB1.1989,1128 ff. (1131).
1 4 0
S. Teil 3, Abschnitt 2, B, II. Dies sieht Brohm, JZ 1989,324 ff. (327).
141
Dazu vor allem BVerfGE 50,290 (337) - Mitbestimmung.
310
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
Praktikabilität kann dafür nicht genügen. Dem Verhältnis der Primärfunktion zu den objektivrechtlichen Funktionen wird deshalb bei der Entwicklung des eigenen Lösungsansatzes besondere Aufmerksamkeit zu schenken sein. b) Die Zurechenbarkeit der Beeinträchtigung Einen anderen Akzent in der Diskussion um die Grundrechtsrelevanz nicht-finaler mittelbarer Beeinträchtigungen hat neuerdings das BVerfG mit seinem Beschluß zur NATO-Nachrüstung gesetzt142. Danach würden Gefahren für Leben und körperliche Unversehrtheit der Bevölkerung als tatsächliche, nicht finale Folge einer Zustimmung der Bundesregierung zur NATO-Nachrüstung nur unter zumindest zwei Voraussetzungen unter den Schutzbereich des Art. 2 I I GG fallen: Das Verhalten der deutschen öffentlichen Gewalt müsse ursächlich für die Gefahr sein und die Herbeiführung der Gefahr müsse ihr zurechenbar sein 143 . Zur Konkretisierung der Zurechenbarkeit führt das Gericht aus, der Bundesrepublik könne nicht "schlechthin jedes Ergebnis eines an ihr eigenes Vorverhalten anknüpfenden Verhaltens eines fremden Staates zugerechnet werden". Die Grenze der Zurechenbarkeit sei erreicht bei Eingriffen in Leib und Leben, vor denen die BRD mangels rechtlicher und tatsächlicher Handlungsmacht nicht schützen könne, insbesondere "wo ein Vorgang in seinem wesentlichen Verlauf von einem fremden Staat nach seinem, von der BRD unabhängigen Willen gestaltet wird" 144 . Teile der Literatur nehmen das Kriterium der Zurechenbarkeit neuerdings auf 145 , legen ihm allerdings sehr unterschiedlichen Bedeutungsgehalt bei 4 6 . 142
BVerfGE 66,39 ff.
143
BVerfGE 66,39 ff. (60).
144 BVerfGE 66, 39 (62). Mit dieser Begründung verneint das Gericht sodann die Zurechenbarkeit der Gefahren eines atomaren Präventivschlags oder eines irrtümlichen Gegenschlags der Sowjetunion. 145 Ossenbühl, Umweltpflege, S. 24 f.; Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, 373 ff. (380); Schulte, DVBl. 1988,512 ff. (517); Stern, Staatsrecht III/l, S. 1207; Scholler/Birk, Verfassungsrecht, S. 29 f. 146 Bleckmann/Eckhoff verstehen die Zurechenbarkeit z.B. als Oberbegriff für die Einzelkriterien (z.B. Finalität, Vorhersehbarkeit, funktionaler Zusammenhang, Intensität), die aus einer durch staatliches Verhalten verursachten Grundrechtsbeeinträchtigung einen Grundrechtseingriff machen, DVBl. 1988,373 ff. (380). Anders Schulte, DVBl. 1988,512 ff. (517), der die Zurechenbarkeit gerade anstelle der herkömmlichen Kriterien wie Finalität, Intensität, Grundrechtsspezifität heranziehen will. Stern, III/l, S. 1207, schließlich macht die Eröffnung des Schutzbereichs bei faktischen Beeinträchtigungen kumulativ von einer gewissen Intensität und der Zurechenbarkeit der Beeinträchtigung abhängig; letztere liege vor, wenn die Beein-
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
311
Um Unklarheiten bei der Verwendung des Zurechenbarkeitskriteriums zu vermeiden, bedarf es einer Rückorientierung am Verständnis des BVerfG. Daß das BVerfG die Zurechenbarkeit (neben der Kausalität) nicht als allgemeingültiges Kriterium versteht, welches unabhängig vom Vorhegen weiterer Voraussetzungen über die Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen entscheidet, wird bereits daran deutlich, daß es von "zumindest zwei Voraussetzungen", eben der Kausalität und der Zurechenbarkeit spricht 147 . Mit diesem Kriterium zielt es lediglich auf eine bestimmte Teilproblematik mittelbarer Grundrechtsbeeinträchtigungen, nämlich auf die Frage, ob ein "Dazwischentreten souveräner Personen" zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs führt. Ebenso wie bei den finalen Drittbeeinträchtigungen 148 gilt es diese Frage auch im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen zu entscheiden. Hier ist beispielsweise problematisch, ob das Gebrauchmachen des Bauherrn von der Baugenehmigung bzw. die Verwendung der Subvention durch den Subventionsempfänger freiwillige und autonome Entscheidungen Privater darstellen, die dem Staat den maßgeblichen Einfluß auf den Eintritt der Beeinträchtigung nehmen und den Zurechnungszusammenhang unterbrechen. Zur Beantwortimg können wir auch in diesem Zusammenhang den oben gefundenen Maßstab anwenden. Danach unterbricht auch die freiwillige Entscheidung eines Privaten den Zurechnungszusammenhang nicht, wenn er sich als vernünftiger Durchschnittsbürger zu einem entsprechenden Verhalten als Reaktion auf das staatliche Handeln veranlaßt fühlen durfte 149 . Sowohl das Gebrauchmachen von einer Genehmigung wie die Verwendung der Subvention erfüllen diese Voraussetzung. Zwar ist dem Adressaten in beiden Fällen die Inanspruchnahme der Begünstigung freigestellt, doch erfolgt die Ausnutzung aufgrund des von der Marktwirtschaft ausgehenden "Zwangs" zu wirtschaftlichem Verhalten praktisch automatisch . Festzuhalten bleibt, daß auch mit der Bejahung der Zurechenbarkeit nur ein Teilproblem gelöst und nicht abschließend über die Grundrechtsrelevanz entschieden ist, sondern auf jeden Fall zusätzliche Kriterien zu fordern sind.
trächtigung noch in einem sozialadäquaten Kausalzusammenhang mit dem Handeln des Staates stehe. 1 4 7 148
149 ^ 381.
BVerfGE 66,39 (60). Siehe oben Teil 3, Abschnitt 2, Β, V, 1. Teil 3, Abschnitt 2, Β, V, 1, b, bb), (2). Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 45; Forster, Klagebefugnis, S.
312
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
c) Der Ansatz Ramsauers: Die Übertragung der zivilrechtlichen Normzwecklehre auf das öffentliche Recht Einen beachtenswerten Ansatz der neueren Literatur zur umfassenden dogmatischen Begründung der Eingriffskriterien bei faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen lieferte Ramsauer mit der Anknüpfung an die zivilrechtliche "Normzwecklehre" 151. Diese Lehre wurde im zivilen Deliktsrecht als Zurechnungslehre im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität, also für die Schadenszurechnung entwickelt 152 und ist heute allgemein anerkannt 153. Zugrunde Hegt die Überlegung, daß eine Schutznorm nach ihrem Normzweck den Berechtigten nicht gegen alle möglichen Risiken (das allgemeine Lebensrisiko) absichert, sondern immer nur gegen bestimmte Gefahrenbereiche 154. Die Ausrichtung der Haftung am Normzweck führt zu einer Differenzierung nach Verantwortungs- bzw. Gefahrenbereichen und zur Ausklammerung gewisser beeinträchtigender Wirkungen. Die Grundgedanken dieser Lehre will Ramsauer für die grundrechtliche Verantwortlichkeit fruchtbar machen, um die zwei gegensätzlichen Grundprinzipien des effektiven Freiheitsschutzes und der Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Recht miteinander in Einklang zu bringen 155 . Auch die Grundrechte böten keinen absoluten Schutz ihres Trägers vor Beeinträchtigungen. Die Abhängigkeit der individuellen Freiheits- und Eigentumssphäre von der jeweiligen Situation, den sozialen Bedingungen, Risiken und Chancen zeige, daß sich ihr Schutz nur gegen bestimmte Gefahren und Beeinträchtigungen richten könne 156 . Die Abgrenzung von 151
Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 161 ff. speziell für Art. 14 GG; ders., VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (99 ff.) für die Grundrechte allgemein. 152 Grundlegend v. Caemmerer, Kausalzusammenhang; Wolf, Der Normzweck im Deliktsrecht; Stoll, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht; Lange, JZ 1976, 198 ff. (201 ff.). 153 Vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, Vorb. 5 c vor § 249 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 154 Als Beispiel nennt v. Caemmerer, S. 8,15, den Grünstreifen-Fall des BGH (BGHZ 58, 162 ff.): Der LKW-Fahrer, der fahrlässig auf seinen Vordermann auffuhr, habe eine Sorgfaltspflicht gegenüber den übrigen Verkehrsteilnehmern verletzt, von der Verletzung einer ihm gegenüber der Bundesstraßenverwaltung obliegenden Pflicht könne man aber nicht sprechen. Ihm könne deshalb der Umstand, daß disziplinlose Autofahrer - veranlaßt durch den unfallbedingten Stau - zur Umgehung des Hindernisses über den Grünstreifen fahren, nicht zugerechnet werden. 155 Der einzelne solle sich nicht zum "privaten Verwaltungskontrolleur" aufschwingen können, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (96). 1 5 6
Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (102). Beispielsweise folge deshalb aus Art. 2 I G G für den einzelnen Bürger nicht das Recht, zum Zwecke der Aufrechterhaltung des ungestörten Naturgenusses gegen die Genehmigung zur Errichtung bestimmter Anlagen vorzuge-
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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Beeinträchtigungen, die im Rahmen des allgemeinen Lebensrisikos hegen, von denen, gegen die das jeweilige Grundrecht speziell Schutz bieten will, könne nicht von allgemeingültigen Kriterien wie Finalität, Unmittelbarkeit abhängen, sondern setze eine Ermittlung des "Schutzzwecks" des speziell betroffenen Grundrechts im Einzelfall voraus 157. Als für die Schutzzweckermittlung heranzuziehende "allgemeine Schutzzweckgesichtspunkte" entwickelt Ramsauer drei "Unterkriterien" 158, an denen deutlich wird, daß hier traditionelle Eingriffskriterien nicht aufgegben, sondern nur in einen neuen Kontext gestellt werden 159 : 1. Die Dichte der Erfolgsbeziehung zwischen ursächlichem Verhalten und Beeinträchtigung; für diese spiele die Kriterien der Unmittelbarkeit und Zielgerichtetheit eine maßgebliche Rolle 2. Die Beeinträchtigungsintensität 3. Die Grundrechtsbezogenheit der Beeinträchtigung als entscheidender Faktor; sie setzt eine rechtliche Bewertung der Frage voraus, ob es sich um einen Risikobereich handelt, für den das Grundrecht seinem Wertgehidt nach Schutz bieten soll 160 . In der Literatur kann die Anknüpfung an die Normzwecklehre als im Vordringen befindliche Auffassung bezeichnet werden 161 ; kritische Stimhen; oder der Aktionär werde in seinem Aktieneigentum nicht dadurch beeinträchtigt, daß infolge allgemeiner wirtschaftspolitischer Maßnahmen der Börsenkurs der Aktien zurückgeht. 157 Ramsauer geht davon aus, daß sich der Schutzzweck nicht für die Grundrechte allgemein ermitteln lasse, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (102 f.). 158 VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (103 ff.); ders., Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 173 ff. 159 Ramsauer will damit den Nachweis führen, daß alle in Rechtsprechung und Lehre diskutierten Abgrenzungskriterien letztlich Normzweckgesichtspunkte sind, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (103). 1 6 0 Laut Ramsauer soll die Grundrechtsbezogenheit durch Auslegung der Grundrechtsnorm im Hinblick auf ihren Schutzzweck in jedem Einzelfall untersucht werden, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (105). Als Beispiele für eine fehlende Grundrechtsbezogenheit nennt er die Beeinträchtigung des Eigentums an einem PKW durch den Entzug der Fahrerlaubnis oder den Substanzverlust von Gewerbebetrieben im Zusammenhang mit einer Verschlechterung der allgemeinen Konjunktur (105). 161
Vgl. Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 140 ff.; Jarass, NVwZ 1984, 473 ff. (477); Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, Rn. 548; ders., Verbrauchslenkung, S. 715 ff. (528 f.); Lübbe-Wolf, NJW 1987, 2705 ff. (2710 f.); Schulte, DVBl. 1988,512 ff. (517); Erichsen/Martens, S. 157 f. Nur mit Einschränkungen folgen Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, 373 ff. (378). - Auch das BVerwG scheint der Schutzzwecklehre im Ansatzpunkt zu folgen, wenn es im Transparenzlisten-Urteil ausführt, "in Ermangelung einheitlicher formaler Eingriffskriterien sei die Grundrechtsrelevanz materiell nach Maßgabe des Schutzzwecks des jeweiligen Grundrechts zu ermitteln", E 71,183 (192). Siehe auch BVerwG NVwZ 1984,515 ff. (515). Ob das BVerwG damit jedoch die Schutzzwecklehre inhaltlich übernehmen will, ist zum momentanen Zeitpunkt eine offene Frage.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
1 f%7 men sind selten . Soweit man die Schutzzwecklehre konkret auf Nachbarund Konkurrentenbeeinträchtigungen anwendet, kommt man im wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen wie die Rechtsprechung 163. Ramsauers Ansatz markiert auf einer breiten dogmatischen Grundlage den zutreffenden Ausgangspunkt der Abgrenzungsproblematik: bei der Frage nach dem Eingriffscharakter faktischer Beeinträchtigungen geht es um die richtige Grenzziehung zwischen der Verantwortungs- und Risikosphäre des Staates einerseits und des einzelnen andererseits^. Im übrigen sind jedoch Bedenken anzumelden. Einwände praktischer Natur beziehen sich darauf, daß die Eingriffsqualität einer Maßnahme im Ergebnis von der Prüfung eines Kriterienbündels abhängt. Die herkömmlicherweise diskutiertem Merkmale der Finalität, Unmittelbarkeit und Intensität werden um das Kriterium der Grundrechtsbezogenheit ergänzt und sodann in einer Gesamtschau zur Bewertung des Eingriffscharakters herangezogen. Bei der Vielzahl und grundsätzlichen Gleichrangigkeit der Kriterien muß eine solche Methode zu einem Verlust an Abgrenzungsklarheit führen. Verstärkt wird dieser Effekt durch die mit der Ablehnung allgemeingültiger Kriterien verbundene Forderung nach einer Ermittlung des Normzwecks in jedem Einzelfall spezifisch für jedes Grundrecht 1 . In dogmatischer Hinsicht erscheint angesichts der völlig verschiedenen Interessenkonstellationen im öffentlichen und privaten Recht die direkte Übertragung der zivilrechtlichen Normzwecklehre ins öffentliche Recht problematisch . Zunächst widerspricht Ramsauers Auffassung, die Kriterien der Finalität und der Unmittelbarkeit stünden als gleichberechtigt nebeneinander und je mittelbarer eine Beeinträchtigung auf ein hoheitliches Handeln zurückzuführen sei, desto eher sei sie Ausdruck eines allgemeinen Lebensrisikos 167, den in Teil 3 herausgearbeiteten Ergebnissen. Eine derartige Sichtweise beinhaltet eine verfassungsrechtlich unzulässige Relativierung des Finalitätskriteriums: im Grundsatz löst eine staatlicherseits bezweckte Beeinträchtigung unabhängig von der Anzahl der dazwischengeschalteten Kausalstufen
1 f\) 163
Vgl. etwa Sodan, Funktionsträger, S. 509 ff.
Vgl zu Nachbarbeeinträchtigungen und Art. 14 GG Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 177 ff., insb. S. 185. Zu Konkurrentenbeeinträchtigungen durch öffentlichrechtlichen Subventionsvertrag Knuth, JuS 1986,523 ff. (528 f.). 164 Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (103). 165
Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (103).
166
Vor einer vorbehaltlosen Übertragung warnt auch Schulte, DVB1. 1988, 512 ff. (517). Vgl. dazu, daß die Schutzzwecklehre selbst im Zivilrecht noch mit vielen Zweifelsfragen verbunden ist Larenz, Schuldrecht Bd. I, Allgemeiner Teil, S. 440 ff.; Grunsky, in: Münchener Kommentar, Bd. 2, Schuldrecht Allgemeiner Teil, vor § 249 Rn. 44 ff.; Schickedanz, NJW 1971, 916 ff. 167 VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (104).
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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-I Z"Q
Grundrechtsschutz aus . Die Übertragung zivilrechtlicher Grundsätze muß hier daran scheitern, daß die Verantwortlichkeit fur finale Drittbeeinträchtigungen aufgrund des verfassungsrechtlichen Umgehungsverbots zwingend dem Staat zugewiesen ist, eine derartige Beeinträchtigung deshalb nie Ausdruck eines allgemeinen Lebensrisikos sein kann. Darüberhinaus wird mit der für die Normzwecklehre entscheidenden Feststellung der Risikobereiche, "für die das Grundrecht seinem Wertgehalt nach Schutz bieten soll" 169 , die isolierte Ermittlung des Zwecks einer Verfassungsnorm versucht, ohne Rücksicht darauf, ob dieser Rückhalt in den herkömmlichen 170
Auslegungsmethoden findet . Eine derartige Vorgehensweise kann Einfallstor für subjektive, nicht verfassungsorientierte Wertungen sein und birgt die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit in sich 171 . Die Auslegung grundrechtlicher Schutzbereiche muß die Grenzen der Verfassungsinterpretation einhalten. Diese Grenze ist verletzt, wenn die Ermittlung des Schutzzwecks maßgeblich von außerverfassungsrechtlichen Anhaltspunkten beeinflußt wird. 5. Resümee Die Untersuchung der bisherigen Versuche zur Bestimmung des Eingriffscharakters nicht-finaler Drittbeinträchtigungen ergibt folgendes Bild:
168 Wie dargestellt (Teil 3, Abschnitt 2, C) kommt der Finalität somit im Rahmen der Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen eine herausgehobene Bedeutung als "sicheres" Zurechnungskriterium zu. 169 Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (105). 170 Im Verfassungsrecht wird eine eigenständige teleologische Auslegungsmethode, die Sinn und Zweck einer Norm ohne einen Beleg durch grammatische, historisch-genetische oder systematische Interpretation ermitteln will, abgelehnt: F. Müller, Juristische Methodik, S. 163; Hesse, 171 Verfassungsrecht, Rn. 68. Als Beleg mag die Kritik Sodans an vorinstanzlichen Entscheidungen zu den Transparenzlisten (VG Berlin Pharma-Recht 1981, 169 [174]; OVG Berlin Pharma-Recht 1984, 214 [224 f.]; OVGE Berlin 15, 120 [128]) dienen. Dort wird im Rahmen einer Normzweckinterpretation eine "eigentumsspezifische Gefährdung" der Arzneimittelhersteller durch die Veröffentlichung von Transparenzlisten verneint, da diese kein "subjektives verfassungskräftiges Recht auf Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten aus der Undurchsichtigkeit des Angebots auf dem Arzneimittelmarkt" hätten. Im Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft "sei es wettbewerbspolitische Aufgabe des Staates, u.a. durch Erhöhung der Markttransparenz eine funktionsfähige Konkurrenz zu schaffen" (OVGE Berlin 15,120 [128 f.]). Zutreffend deckt Sodan auf, daß sich aus der Verfassung keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß Art. 12 bzw. Art. 14 GG nur ein "marktwirtschaftkonformes" unternehmerisches Verhalten schützen und daß sich die Gerichte bei der isolierten Schutzzweckermittlung maßgeblich von politischen Wertungen leiten ließen (Funktionsträger, S. 510 ff.).
316
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
a) Vereinzelt vertretene Extrempositionen, die entweder jegliche grundrechtliche Relevanz nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen leugnen oder umgekehrt jeder kausal verursachten Betroffenheit Grundrechtsrelevanz verleihen wollen, lassen sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. b) Die Aufstellung blankettartiger Abgrenzungstermini verlagert die Problematik auf den jeweiligen Einzelfall, dem Bedürfnis nach aussagekräftigen Maßstäben für die Grundrechtsdogmatik wird damit nicht Rechnung getragen. c) Des weiteren muß der Vorschlag abgelehnt werden, die grundrechtliche Verantwortlichkeit von einem staatlichen "Verschulden N abhängig zu machen, insbesondere auf die Beeinträchtigungen zu beschränken, die die Verwaltung vorhersehen bzw. vermeiden konnte. d) Soweit die Grundrechtsrelevanz anhand eines Einzelkriteriums bestimmt wird, wird in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend die besondere Intensität bzw. die "Schwere und Unerträglichkeif der Beeinträchtigung für maßgeblich gehalten. aa) Zwar hat sich die Heranziehung dieses Kriteriums in der Rechtsprechung mittlerweile gefestigt, doch steht eine verfassungsrechtliche Begründung dort noch aus. bb) Mittlerweile Hegen verschiedene Begründungsansätze des Schrifttums vor, diese verfassungsrechtUche Rechtfertigung "nachzuliefern". Zum Teil sind diese verfassungsrechtUch nicht haltbar oder begründen die Einschränkung des Schutzbereichs bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen nicht generell, sondern nur für bestimmte Grundrechte oder bestimmte Arten nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen. Allein die in jüngster Zeit vertretene Auffassung, wonach die Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen allgemein auf den objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte zurückzuführen ist, liefert eine generelle Erklärung der Grundrechtsrelevanz nichtfinaler Drittbeeinträchtigungen und vermag auch das Kriterium besonderer Schwere schlüssig zu belegen. Allerdings läßt sie eine nähere Begründung ihres Ausgangspunktes vermissen: die verfassungsrechtlich vorrangige Frage, warum die Primärfunktion der Grundrechte als Abwehrrechte sich grundsätzlich nicht auf faktische Beeinträchtigungen bezieht, wird nicht oder nicht befriedigend beantwortet. e) Ramsauers Ansatz einer Übertragung der zivilrechtlichen Normzwecklehre auf das öffentliche Recht zeigt zutreffend, daß es bei dem diskutierten Abgrenzungsproblem um die richtige Grenzziehung zwischen der Verantwortungs- und Risikosphäre des Staates einerseits und des einzelnen andererseits geht. Einwänden ist er jedoch deshalb ausgesetzt, weil er von vornherein den Versuch aufgibt, allgemeingültige Eingriffskriterien zu fin-
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den; im Ergebnis wird die Eingriffsqualität von der Prüfung eines Kriterienbündels abhängig gemacht, was mit einem Verlust an Abgrenzungsklarheit und Rechtssicherheit verbunden ist. Darüberhinaus verkennt er die besondere verfassungsrechtliche Bedeutung des Finalitätskriteriums. Schließlich birgt die für die Normzwecklehre entscheidende Feststellung der vom Schutzzweck des jeweiligen Grundrechts umfaßten Risikobereiche die Gefahr subjektiver, außer-verfassungsrechthcher Wertungen in sich. III. Einschränkung der abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion Grundrechtsinterpretation
im Wege de
Angesichts der aufgezeigten dogmatischen Defizite soll die Problematik der Grundrechtsrelevanz nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen grundsätzlich angegangen werden. Dabei verstehen sich die folgenden Ausführungen lediglich als erste Schritte auf dem Wege zur Klärung der umstrittenen, noch wenig aufbereiteten Materie. 1. Die Priorität der Suche nach allgemeingültigen Kriterien
Wie wir gesehen haben, wollen verschiedene, im Vordringen befindliche Auffassungen die Grundrechtsrelevanz im Wege einer "Gesamtschau" unterschiedlichster Kriterien bzw. einer Schutzbereichsanalyse bezogen auf das konkret betroffene Grundrecht im Einzelfall bestimmen. Derartige Vorschläge befriedigen wenig, weil dem Rechtsanwender keine klaren, praktikablen Maßstäbe an die Hand gegeben werden und der Bürger erheblicher Rechtsunsicherheit ausgesetzt wird. Dieser Befund rechtfertigt eine Suche nach generell für alle Grundrechte geltenden, von der Eigenart der jeweiligen grundrechtlichen Schutzbereiche unabhängigen Kriterien . Ein solches Vorgehen ist nicht schon deshalb von vornherein als nutzlos anzusehen, weil es angesichts der Vielgestaltigkeit nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen und der Differenziertheit der Grundrechte ausgeschlossen erscheint, Kriterien zu finden, die für alle Fälle maßgeblich sind. Denn ein dogmatischer Gewinn kann bereits darin bestehen, wenn für bestimmte Fallgruppen bzw. den Regelfall klare Leitlinien entwickelt werden. Die einzige u.U. weiterführende Auffassung, welche den Eingriffscharakter nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen von einem allgemeingültigen Kriterium - der "Schwere und Unerträglichkeit" der Beeinträchtigung - abhängig 172 Die Kriterien sollen deshalb auch sowohl für Grundrechte unter einem weitgehenden Regelungs- und Ausgestaltungsvorbehalt (z.B. Art. 14 GG) wie für solche unter "normalem11 Gesetzesvorbehalt gelten.
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macht, begründet die Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen mit der objektivrechtlichen Grundrechtsfunktion 173. Eine Antwort auf die Frage, warum sich die Abwehrfunktion grundsätzlich nicht auf derartige Beeinträchtigungen erstreckt, bleibt sie schuldig. Auf der Suche nach einer verfassungsrechtlichen Begründung allgemeingültiger Kriterien zur Einschränkung des Grundrechtsschutzes bedarf es deshalb zunächst einer Klärung des Verhältnisses zwischen subjektiv- und objektivrechtlichen Grundrechtsfunktionen. 2. Das Verhältnis der Abwehrfunktion zu den objektiven Funktionen der Grundrechte Wesentliche Aussagen zur Bestimmung dieses Verhältnisses können der Rechtsprechung des BVerfG im Lüth- und im Mitbestimmungsurteil entnommen werden. Danach "sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat" 174 . Die Grundrechte sind "nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. Die Funktion der Grundrechte als objektive Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft ..., hat jedoch ihre Wurzel in dieser primären Bedeutung... Sie läßt sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt" 7 5 . Diese auch in der Literatur 176 überwiegend anerkannte Primärfunktion als Abwehrrechte muß zur vorrangigen Behandlung der Frage führen, ob die Grundrechte als Abwehrrechte Schutz gegen nicht-finale Drittbeeinträchtigungen bieten bzw. aus welchen verfassungsrechtlichen Gründen sie dies nicht tun. Erst dann ist der Weg frei für einen Rückgriff auf die objektivrechtlichen Funktionen. Ein anderes Procedere würde die Gefahr eines Überspielens der Primärfunktion heraufbeschwören
177
173 174 175
Oben Teil 2, Abschnitt 2, C, II und Teil 4, Abschnitt 2, Β, Π, 4, a, bb), (2). BVerfGE 7,198 (204 f.). (Hervorhebung vom Verfasser). BVerfGE 50,290 (337).
176 Ausführlich Stern, Staatsrecht III/l, S. 792 ff., unter Einbeziehung der Weimarer Lehre von den Einrichtungsgarantien. Vgl. auch Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 1 ff.; v. Münch, in:177 ders., Vorb. Art. 1 -19, Rn. 16 ff. Abzulehnen ist deshalb die Vorgehensweise, "Fortentwicklungen des Grundrechtsschutzes", wie z.B. die Abwehr von Beeinträchtigungen, bei denen es sich nicht um klassische
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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3. Einschränkende Auslegung grundrechtlicher Schutzbereiche im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen a) Grundrechtsinterpretation
und Prinzip der Einheit der Verfasung
Ob nicht-finale Drittbeeinträchtigungen vom abwehrrechtlichen Grundrechtsschutz erfaßt werden, ist eine Frage der Grundrechtsinterpretation. Oben haben wir im Wege der Auslegung im einzelnen dargelegt, daß die Grundrechte im Grundsatz vor jedem Eindringen in die gewährleistete Freiheitszone schützen178. Die Art der Begründung, etwa das Abstellen auf effektiven Rechtsschutz oder der dargestellte "erst-recht-Schluß" aus dem Verhältnis zu geringfügigen imperativen Beeinträchtigungen, verdeutlicht, daß diese Erfolgsbezogenheit des Grundrechtsschutzes prinzipiell schon für die Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion gelten muß. Es spricht somit auf den ersten Blick einiges dafür, daß nicht-finale Drittbeeinträchtigungen allein wegen der durch sie hervorgerufenen belastenden Wirkimg für die Betroffenen abwehrrechtlichen Grundrechtsschutz auslösen. Allerdings wurden in Teil 2 zahlreiche Bedenken herausgearbeitet, die einem alleinigen Abstellen auf den grundrechtswidrigen Effekt und damit auch der Grundrechtsrelevanz jeder irgendwie gearteten nicht-finalen Drittbeeinträchtigung entgegenstehen179. Neben rechtssystematischen Argumenten wurden die Aspekte einer Gefährdung der Handlungsfähigkeit der staatlichen Organe, einer Störung der Balance zwischen den Staatsgewalten sowie einer Gefährdung der Rechtssicherheit genannt; darüberhinaus wurde auf die Probleme einer Abgrenzung zu "sozialadäquaten" Beeinträchtigungen und einer angemessenen Berücksichtigung konkurrierender Grundrechtsträger hingewiesen. Bedeutung für die Grundrechtsinterpretation können diese Gesichtspunkte u.U. über das Auslegungsprinzip der "Einheit der Verfassung" erhalten. Dabei handelt es sich um ein im Eingriffe handelt, von vornherein unter die objektivrechtliche Komponente zu ziehen (so Jarass, AöR 110 [1985], 363 ff. [394 f., 39η; ähnlich Scherzberg, DVBl. 1989,1128 ff. [1131 ff.]). Zwar ist nicht zu verkennen, daß die objektivrechtlichen Gehalte in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben (vgl. etwa die Diskussion zum Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren, BVerfGE 35, 79 [116]; 53, 30 [65]; 63,131 [141]; Redeker, NJW 1980,1593 ff.; Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien; Alexy, Theorie, S. 428 ff.; Bethge, NJW 1982, 1 ff.; oder zu den grundrechtlichen Schutzpflichten, BVerfGE 46, 160 [164 f.]; 49, 89 [142]; 53,30 [5η; 56,54 [73]; 57,250 [284]; Alexy, Theorie, S. 410 ff.; Klein, NJW 1989,1633 ff.). Diese Entwicklung macht es jedoch nicht entbehrlich, Beeinträchtigungen des Bürgers zunächst daraufhin "abzuklopfen", ob gegen sie nicht bereits die klassische Grundrechtsfunktion schützt. Für eine Rückbesinnung auf die klassische Abwehrfunktion insbesondere Schlink, EuGRZ 1984,457 ff. (465). 17R 179
S. Abschnitt 2, Β, II, 1, a. Teil 2, Abschnitt 3.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
wesentlichen übereinstimmend anerkanntes Prinzip der systematischen Verfassungsinterpretation: Die einzelne Verfassungsbestimmung ist nicht isoliert, allein aus sich heraus auszulegen, sondern muß im Gesamtzusammenhang mit den anderen Verfassungsnormen gesehen werden; Verfassungsnormen sind so zu interpretieren, daß Widersprüche zu anderen Verfassungsbestimmungen, insbesondere zu verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen, sowie eine einseitige Beschränkung auf Teilaspekte vermieden werden 180 . Das Prinzip der "Einheit der Verfassung" kann somit auch die einschränkende Auslegung von Grundrechten rechtfertigen 181, allerdings unter der Voraussetzung, daß die die Einschränkung begründenden Aspekte verfassungsrechtlich verankert sind. b) Die verfassungsrechtliche Gewaltenteilungsprinzips
Bedeutung des Sozialstaats- und des
Von den oben systematisierten Gesichtspunkten, die gegen eine Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen sprechen, kann verfassungsrechtliche Bedeutung i.S. einer konkreten Beeinflussung der Auslegung der Grundrechte allein den Aspekten der Lähmung der Verwaltung bzw. der Störung der Balance zwischen den Staatsgewalten zukommen182. Denn mit den dort genannten rechtssystematischen Armenien läßt sich zwar begründen, daß nicht jeder "Nachteil" bereits ein Grundrechtseingriff sein darf, konkretere Maßstäbe für eine einschränkende Grundrechtsauslegung vermögen sie jedoch nicht zu liefern. Soweit dem Grundrechtsschutz lediglich Gründe der Praktikabilität entgegenstehen, können diese wegen ihrer Abstraktheit ohne gesetzgeberische Konkretisierung jedenfalls im Regelfall zu einer einschränkenden Auslegung nicht herangezogen werden 1 3 . Das Gebot der 180
In diesem Sinne BVerfGE 1,14 (32); 19,206 (220); 34,165 (183); Ehmke, W D S t R L 20 (1963); S. 53 ff. (77 ff.); Ossenbühl, DÖV 1965, 649 ff. (654 ff.); Roellecke, Festgabe BVerfG, II, S. 22 ff. (31 ff.); Stern, Staatsrecht I, S. 131 f.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 71; v. Münch, in: ders., Vorb. Art. 1 -19 Rn. 57. - Zu unterscheiden ist der Interpretationsansatz der "Einheit der Verfassung" von den sog. verfassungsimmanenten Grundrechtsschranken. Während es bei letzteren um die verfassungsrechtliche Rechtfertigung bereits festgestellter Eingriffe in die (vorbehaltslos gewährleisteten) Grundrechte geht, dient jener erst der Klärung der Frage, ob überhaupt der Schutzbereich des Grundrechts eröffnet ist (vgl. v. Münch, in: ders., Vorb. Art. 1 -19 Rn. 56 f.; Pollern, JuS 1977, 644 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 372 ff.; Ramsauer, VerwArch. 72 [1981], 89 ff. [102 f.]). A A . Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 310, der unter "grundrechtsimmanenten Grenzen" die Grenzen des Schutzbereichs versteht. 1R1 Vgl. nur BVerfGE 34,165 (183) zur Auslegung des Elternrechts (Art. 6 Π GG) im Verhältnis ι co zur staatlichen Schulhoheit (Art. 7 GG). S.Teil 2, Abschnitt 3, A. IM Vgl. oben Teil 1, Abschnitt 4, Β, 1,2.
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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Rechtssicherheit ist zwar Element des Rechtsstaatsprinzips, eine darauf gestützte, konkrete Begrenzung des Grundrechtsschutzes hängt jedoch von einer Entscheidung des Gesetzgebers ab 1 8 4 . Der Aspekt, daß bestimmte Beeinträchtigungen bzw. Risiken als '!sozialadäquat" hinzunehmen sind, läßt sich verfassungsrechtlich nur schwer einordnen und erscheint darüberhinaus als zu unbestimmt, um ihm konkrete grundrechtsbegrenzende Wirkung zu entnehmen185. Der Gesichtspunkt der Grundrechtskollision schließlich stellt kein generelles Problem nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen dar, da z.B. bei Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen der Grundrechtsschutz des Konkurrenten nicht notwendig durch einen Eingriff in die Grundrechte des Subventionierten erfolgt. aa) Als Ansatzpunkt für das Bedenken "Lähmung der Verwaltung" kommt zunächst das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 I GG in Betracht 186 . Es ließe sich argumentieren, eine Verwaltung, die angesichts der potentiellen Grundrechtsrelevanz jeder noch so entfernten Wirkung staatlicher Maßnahmen verbunden mit dem insoweit drohenden uferlosen Rechtsschutz in ihrer Aktivität gelähmt ist, könne u.U. die ihr durch das Sozialstaatsprinzip zugewiesenen Aufgaben nicht erfüllen 187 . Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß das Sozialstaatsprinzip als Staatszielbestimmung eine große inhaltliche Unbestimmtheit aufweist und grundsätzlich darauf angewiesen ist, von seinem primären Adressaten, dem Gesetzgeber, konkretisiert zu werden 188 . Zusätzlich hat es zwar für die beiden anderen Staatsgewalten die Bedeutung einer verbindlichen Auslegungsregel 189; nach der Rechtsprechung des BVerfG und der einschlägigen Literatur vermag das Sozialstaatsprinzip jedoch wegen seiner Offenheit nicht, den Grundrechten als kollidierendes Verfassungsrecht unmittelbar, d.h. ohne gesetzgeberische Entscheidimg, Grenzen zu setzen190. Gleiches ließe sich zum Rechtsstaatsprinzip anführen.
184 185
Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 46 m.w.N. Vgl. bereits oben Β, II, 2.
186 Aö ° Zu dessen Inhalt BVerfGE 8, 274 (329). Stern, Staatsrecht I, S. 891 ff.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 208 ff.; Schnapp, in: v. Münch, Art. 20 Rn. 17; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 74 ff. 187 So Grabitz, Freiheit, S. 36; Friauf, DVBl. 1971, 674 (682); Sodan, Funktionsträger, S. 518; 188vgl. auch Schenke, GewArch. 1977,313 ff. (317). Stern, Staatsrecht I, S. 915 f., der das Sozialstaatsprinzip in hohem Maße mit politischen, Staats- und gesellschaftsphilosophischen Wertentscheidungen belastet sieht; BVerfGE 51,115 (125); 53,164 (184); 59, 231 (262 f.); 65,182 (193); danach ist der Verwaltung und den Gerichten die Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips weniger zuganglich. Zur Unbestimmtheit vgl. auch Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 72. 189 Schnapp, in: v. Münch, Art. 20 Rn. 20. 1 9 0 BVerfGE 52, 283 (298); 59, 231 (262 f.); 65, 182 (193); Stern, Staatsrecht I, S. 924; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 81. 21 Roth
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
bb) Entscheidend ist jedoch, daß die vom Gewaltenteilungsprinzip gem. Art. 20 II GG angestrebte Balance zwischen den Staatsgewalten im Falle der Grundrechtsrelevanz nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen in verfassungsrechtlich erheblicher Weise gestört würde 191 . Der Lähmung der Verwaltung auf der einen Seite würde ein unverhältnismäßiger Kompetenz- und Machtzuwachs der Gerichte im Bereich des Grundrechtsschutzes gegenüberstehen. Das soll im folgenden näher begründet werden. Während die Grundrechte bereits an sich eine extrem geringe Regelungsdichte aufweisen 192, verlieren sie im Falle ihrer Einschlägigkeit bei nicht finalen Drittbeeinträchtigungen jegliche Konturen. Im Unterschied zum klassischen Eingriff, aber auch zu finalen Drittbeeinträchtigungen weist die Betroffenheit hier keinerlei formale Strukturen mehr auf, die ihr eine greifbare Gestalt geben und den grundrechtlich Betroffenen in individualisierender Weise aus der Masse hervorheben. Es fehlen alle drei für den klassischen Eingriff wesentlichen Merkmale: Finalität, Unmittelbarkeit und Rechtsakt. Die Grundrechtsbeeinträchtigung wäre hier reduziert auf den bloßen "Nachteil", die Interessenbeeinträchtigung. Da bereits der Begriff des Interesses einen subjektiven Charakter hat, könnte die Interessenbeeinträchtigung in unbegrenzter Vielfalt behauptet und mangels objektiven Maßstabs auch nur einzelfallbezogen konkretisiert werden 193 . Die Entscheidung über die Berührung eines grundrechtlichen Schutzbereichs hinge somit weitgehend von einer an Art Ausmaß der belastenden Wirkung orientierten (subjektiven) Wertung im Einzelfall ab, sodaß verschiedene Entscheidungsinstanzen zwangsläufig zu unterschiedlichen Ergebnissen kämen 194 . Charakteristisch für die Entscheidung über die Grundrechtsrelevanz nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen wäre somit das Defizit an Maßstäben. Dieses Defizit würde den Grundrechtsschutz einer weitgehend freien Disposition durch die Justiz aussetzen; die in Art. 19 IV GG vorgesehene Dif191 Zum Gewährleistungsinhalt des Gewaltenteilungsprinzips Stern Staatsrecht II, S. 531 ff.;192 Schmidt-Aßmann, HdbStR, I, § 24 Rn. 51 ff. Vgl. Alexy, Theorie, S. 16; O. Bachof, Diskussionsbeitrag, in: W D S t R L 39 (1981), S. 175. 193 Ebenso Scherzberg, DVB1.1989,1128 ff. (1130). Zur Struktur des Begriffs "Interesse", insbesondere seiner Abhängigkeit von einer subjektiven, nicht anhand objektiver Maßstäbe nachvollziehbaren Wertung Hellbach, Öffentliche Interessen, S. 6 ff. Vgl. zu der nur eingeschränkten rechtlichen Verwendbarkeit des "außernormativen" Begriffs des Nachteils bzw. der Interessenbeeinträchtigung auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 122; Pietzcker, Festschrift Bachof, S. 131 ff. (146 f.); Kirchhof, HdbStR, III, § 59 Rn. 185. 194 Mangels "Handlungskriterien" bleibt nur noch die Intensität der Beeinträchtigung als das unmittelbar aus dem Abstellen auf den freiheitsverringernden Effekt folgende Kriterium übrig, vgl. Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (380).
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ferenzierung zwischen subjektiven Rechten und objektivem Recht läge in den Händen der Gerichte, letztlich wäre es von einer Gerichtsentscheidung im Einzelfall abhängig, ob sich ein faktisch Betroffener zum "privaten Verwaltungskontrolleur" aufschwingen könnte 195 . Das hätte zum einen die Konsequenz, daß die Verwaltung in ihrer Aktivität gehemmt würde, weil es im Einzelfall völlig unklar wäre, ob eine Maßnahme angesichts der potentiellen Grundrechtsrelevanz jedes Verwaltungshandelns letztlich Bestand haben könnte. Zum anderen würde die Justiz in erheblichem Umfang in Kompetenzen des parlamentarischen Gesetzgebers eingreifen. Denn die Konkretisierung offener Verfassungsnormen hegt primär in der Zuständigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers, dem aufgrund seiner unmittelbaren demokratischen Legitimation und seines spezifischen Entscheidungsverfahrens die Leitfunktion bei der rechtlichen Steuerung und damit auch bei der Konkretisierung von Verfassungsrecht zukommt 196 . Ein unmittelbarer Rückgriff, etwa der Justiz, auf verfassungsrechtliche Normen erscheint nur in eindeutigen Fällen möglich 197 . Dies bedeutet, daß die extrem offene, für Staat und Bürger aber sehr bedeutsame Frage des Grundrechtsschutzes gegen nicht-finale Drittbeeinträchtigungen erst recht vorrangig vom Gesetzgeber und nicht von den Gerichten beantwortet werden muß1 . Fraglich ist, ob die festgestellten Störungen der Gewichtsverteilung zwischen den Gewalten durch die Einbeziehung nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen so empfindlich sind, daß ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip angenommen werden kann. Denn das Gewaltenteilungsprinzip verbietet nicht jedes Übergreifen der einen in den Bereich der anderen Gewalt 199 ; verletzt ist es erst dort, wo ein Einbruch in den "Kernbereich" 195 Vgl. auch Sodan, Funktionsträger, S. 518; Ramsauer, VerwArch. 72 (1981), 89 ff. (96). Die Justiz hätte es letztlich in der Hand, subjektive Rechte weitgehend beliebig zu vermehren. 196 Vgl. Brohm, DÖV 1987, 265 ff. (269, 271). Auch die Rechtsprechung des BVerfG weist in erster Linie dem Gesetzgeber die Konkretisierung offenen Verfassungsrechts zu, so etwa die Umsetzung von aus den objektiven Grundrechtsfunktionen zu entnehmenden Schutzpflichten (BVerfGE 39, 1 [71 f.] - Fristenlösung) oder die Realisierung des Sozialstaatsprinzips (BVerfGE 65,182 [193]). 197
Brohm, DOV 1987, 265 ff. (270 f.): Die Justiz weist eine dem Gesetzgeber gegenüber geringere demokratische Legitimation auf und ist in hohem Maße auf die Vorgaben des Rechts angewiesen. 198 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 121. Vgl. insoweit auch die Ausführungen Isensees, Sicherheit, S. 46, im Zusammenhang mit der Problematik von Grundrechtskollisionen: "Die Verfassung markiert nicht überall eindeutig die Grenze zwischen den Grundrechtsbereichen. ... Soweit die Verfassung die Freiheitssphären nicht hinreichend klar abgrenzt, fällt dem Gesetzgeber die Aufgabe zu, Grenzen zu ziehen." Vgl. auch Lerche, in: Lerche u.a., Verfahren, S. 101. 199 Stern, Staatsrecht II, S. 541; Schmidt-Aßmann, HdbStR, I, § 24 Rn. 55 f.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 476 ff.
324
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
einer anderen Gewalt erfolgt 200 . Jedem Funktionsträger muß das Schwergewicht, die Substanz der die jeweilige materielle Funktion prägenden Tätigkeiten und Befugnisse belassen werden 201 . Eine Gefährdung des Kernbereichs hegt vor, soweit der betreffende Funktionsträger in der Ausübung seiner Funktion gelähmt wird 2 0 2 oder eine Gewalt ein von der Verfassung nicht selbst vorgesehenes "Übergewicht" erhält 203 . Da die unbegrenzte Einbeziehung nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen in den Grundrechtsschutz zu einem lähmenden Einfluß auf die Wahrnehmung der Kompetenzen durch die Exekutive (Art. 20 I I GG) und zur Übernahme wesentlicher Funktionen des parlamentarischen Gesetzgebers durch die Justiz führt, kann hier eine Gefährdung des Kernbereichs von Exekutive bzw. Legislative angenommen werden. c) Konkrete Grenzziehung: Grundsätzliche Beschränkung der abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion auf den Schutz vor faktischer Aushöhlung Nach dem Prinzip der Einheit der Verfassung müssen die grundrechtlichen Schutzbereiche eine Auslegung erfahren, die Widersprüche zum Prinzip der Gewaltenteilung vermeidet. Dabei darf nicht das eine verfassungsrechtlich geschützte Gut auf Kosten des anderen realisiert werden, sondern die Grenzziehung hat nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz so zu erfolgen, daß "beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen können" 204 . Betrachtet man die subjektiv-abwehrrechtliche und die sie ergänzende objektivrechtliche Funktion als Einheit grundrechtlichen Schutze?05, wird deutlich, daß das Gewaltenteilungsprinzip im Falle nicht-finaler Beeinträchtigungen nicht jeglichem Grundrechtsschutz entgegensteht. Eine Kollision besteht nur, soweit es um die Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion geht, soweit jeder von einer tatsächlichen Beeinträchtigimg Betrofffene zwingend gerichtlichen Rechtsschutz verlangen kann 206 . Eine das Gewaltenteilungsprinzip berücksichtigende Auslegung führt somit im Falle nicht-fina200
BVerfGE 9, 268 (280); 30,1 (27 f.); 68,1 (87); Stern, Staatsrecht II, S. 541 f.; SchmidtAßmann, HdbStR, I, § 24 Rn. 56. 201
2 0 2
Stern, Staatsrecht U, S. 541 f. Schmidt-Aßmann, HdbStR, I, § 24 Rn. 56 f. BVerfGE 9,268 (279 f.); 22,106 (111); 34,52 (59); Stern, Staatsiecht II, S. 542.
204 205
Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 71 f.
Vgl. z.B. Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (397), der es für möglich hält, die aus objektivrechtlichen Wertentscheidungen abgeleiteten Grundrechtsfunktionen als Erweiterungen des grundrechtlichen Schutzbereichs zu verstehen. 206 Nur die potentielle gerichtliche Durchsetzbarkeit führt zur Lähmung der Exekutive und zum Übergewicht der Justiz gegenüber dem Gesetzgeber.
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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1er Drittbeeinträchtigungen zu einer Zurückdrängung der primären, abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte. Ganz im Sinne praktischer Konkordanz behalten diese aber eine gewisse Wirksamkeit dadurch, daß ihre objektivrechtlichen Funktionen weiterhin zum Tragen kommen . Das Fehlen der klassischen Eingriffsmerkmale schwächt zwar die subjektivrechtliche Position des Betroffenen, nicht aber die objektivrechtlichen Bindungen der Staatsgewalt208. Somit ist auch der von einer nicht-finalen Drittbeeinträchtigung Betroffene nicht völlig schutzlos. Der aus dem einschlägigen Grundrecht folgenden objektiven Pflicht der staatlichen Organe, auch die faktischen Bedingungen für eine wirksame Grundrechtsausübung zu schaffen 209, korrespondiert insoweit eine Verantwortung für staatlich veranlaßte, bloße Veränderungen der tatsächlichen Grundrechtssituation. Diese Verantwortung äußert sich im Vorfeld subjektiven Rechtsschutzes etwa darin, daß die Verwaltung bei der Wahl ihrer Mittel der Bedeutung des einschlägigen Grundrechts Rechnung tragen muß 210 . Darüberhinaus kann die objektivrechtliche Verpflichtung in ein subjektives Abwehrrecht "umschlagen", wenn die Gefahr der faktischen Aushöhlung des Grundrechts besteht21 . Subjektivrechtlich gewährt das Grundrecht dem Betroffenen einen Kern- oder Minimalschutz: besonders schwere Beeinträchtigungen, die das Grundrecht faktisch entwerten, können abgewehrt werden. Zwar erscheint die Rechtsprechimg, die nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen Eingriffscharakter nur bei "schweren" und "unerträglichen" Wirkungen beimißt, etwas zu restriktiv. Doch kann unser Ergebnis im wesentlichen als nunmehr dogmatisch untermauerte - Bestätigung dieser Rechtsprechung verstanden werden. Durch die hoch angesetzte Reaktionsschwelle der abwehrrechtlichen Funktion, die nur in besonders gravierenden Ausnah207 An dieser Stelle trifft sich unsere Auffassung mit der unter B, II, 4, a, bb), (2) dargestellten Literaturmeinung. 2 0 8 Kirchhof, HdbStR, III, § 59 Rn. 185. 209 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 214,298; v. Münch, in: ders., Vorb. Art. 1 -19 Rn. 22. 210
Brohm, JZ 1989, 324 ff. (327). Etwaige Begrenzungen in der Wahl der Mittel können u.U. über andere subjektivrechtliche Rechtspositionen gerichtlich durchsetzbar sein (327). 211 S. bereits oben Β, II, 4, a, bb), (2). Auch das BVerfG kennt ein derartiges Umschlagen bloß objektivrechtlicher Grundrechtsgehalte in subjektive Abwehrrechte. So soll die Auferlegung von Steuern zwar grundsätzlich den Schutzbereich des Art. 14 GG nicht berühren, im Falle einer "erdrosselnden" Wirkung soll sie jedoch einen Abwehranspruch auslösen, vgl. BVerfGE 14, 221 (224); 19,119 (128 f.); 50,57 (104); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 156 f., 164. Der Spielraum des Staates bei Erfüllung einer objektivrechtlichen Schutzpflicht kann sich zum subjektiven Recht des einzelnen auf eine bestimmte Schutzmaßnahme verdichten, wenn die Gefahr einer schweren Grundrechtsbeeinträchtigung droht und zudem lediglich eine bestimmte Abwehr sachgerecht ist, vgl. BVerGE 39, 1 (51, 65); Isensee, Sicherheit, S. 54 f.; Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 51. Eingehend zur subjektivrechtlichen Bedeutung objektiver Grundrechtsgehalte Stern, Staatsrecht, ΠΙ/1, S. 978 ff.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
mefällen greift, wird der Kembereich der Kompetenzwahrnehmung durch die Exekutive oder Legislative nicht gefährdet 21 . Eine derartige einschränkende Auslegung grundrechtlicher Schutzbereiche vermeidet deshalb Widersprüche zu anderen Verfassungsnormen und erscheint somit verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Allerdings ist dieses Ergebnis mit einem Vorbehalt zu versehen. Ziel der Untersuchung war es, allgemeingültige Kriterien für die Grundrechtsrelevanz nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen zu finden. Mehrere Aspekte sind es, die gegen eine generelle Geltung des gefundenen Kriteriums der "besonders intensiven Beeinträchtigung" für jeden Einzelfall sprechen. Grundrechte sind "erfolgsbezogen", sie dienen dem materiellen Schutz eines bestimmten Freiheitsraums, der durch ein allgemeingültiges Eingriffskriterium im Einzelfall möglicherweise unzulässig verkürzt werden könnte 213 . Schutzbereiche und Einschränkungsmöghchkeiten sind für jedes Grundrecht in spezifischer Weise ausgestalten14, sodaß schon deshalb Vorsicht geboten ist bei dem Versuch, alle Grundrechte "über einen Leisten zu schlagen". Hinzu kommt die außergewöhnliche Vielgestaltigkeit faktischer Beeinträchtigungen, welche Aussagen mit generellem Charakter erschwert. Auch soweit in der Literatur allgemeingültige Kriterien genannt werden, fällt auf, daß diese meist mit einer salvatorischen Formulierung verbunden werden 215 . Das Kriterium der "besonderen Intensität" ist deshalb mit dem Vorbehalt zu versehen, daß es nur für den Regelfall Geltung beanspruchen kann; in Ausnahmefällen kann die Auslegung des jeweiligen speziellen Schutzbereichs eine Abweichung erforderlich machen. Diese Überlegung soll im folgenden vertieft werden. IV. Korrektur
durch spezifische Schutzbereichsermittlung
in Ausnahmefällen
Oben haben wir gesehen, daß die Normzwecklehre zwar in ihrer konkreten Ausgestaltung abzulehnen ist, daß sie jedoch den theoretischen Kern 212 Eine wesentlich niedrigere Reaktionsschwelle kann jedenfalls i.d.R. nicht zugelassen werden. Deshalb sind Auffassungen abzulehnen, die aus dem Sozialstaats- und Gewaltenteilungsprinzip lediglich folgern, daß faktische Beeinträchtigungen grundrechtliche Schutzbereiche nur berühren, soweit deren Wirkungen "nicht als unerheblich" einzuschätzen sind (Sodan, Funktionsträger, S. 517 f., 520). ^ 21 ^ Vgl. Teil 2, Abschnitt 4, C, Π, 3, c. 214 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 309; Jarass/Pieroth, Vorb. Art. 1 Rn. 12 ff., 23 ff. 215 Vgl. Jarass/Pieroth, Art. 19 Rn. 22: Grundrechte schützen Drittbetroffene "meist nur bei qualifizierten Belastungen"; Brohm, JZ 1989, 324 ff. (326): Eine Grundrechtsverletzung kann "Âa." nur bei einer ungerechtfertigten Einschränkung geltend gemacht werden, die den Grundrechtsträger "schwer und unerträglich" trifft". (Hervorhebungen vom Verfasser).
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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der Problematik trifft: Zur Bestimmung der Grundrechtsrelevanz nichtfinaler Drittbeeinträchtigungen ist zu ermitteln, ob es sich bei der Drittbeeinträchtigung um ein Risiko handelt, für das das Grundrecht seinem Wertgehalt nach Schutz bieten soll, oder das als allgemeines Lebensrisiko von jedermann hinzunehmen ist 2 1 6 . Im Regelfall einer nicht-finalen Drittbeeinträchtigimg werden diese Risiken mit dem von uns herausgearbeiteten, grundsätzlich für alle Grundrechte geltenden Kriterium zutreffend zugeordnet und abgegrenzt: Grundrechtsschutz gegen nicht-finale Drittbeeinträchtigungen wird nur im Falle besonders intensiver Beeinträchtigungen gewährt. Das belegen Untersuchungen, die das Merkmal der "Schwere und Unerträglichkeit" sowohl bei Nachbarbeeinträchtigungen wie bei Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen als durch den jeweiligen grundrechtlichen Normzweck begründeten Maßstab der Risikoverteilung ansehen217. Die Heranziehung des Kriteriums besonderer Intensität ist daher im Regelfall auch unter dem Aspekt einer normzweckabhängigen Risikoverteilung gerechtfertigt. Die unter III. entwickelte, eindeutige und nicht einzelfallabhängige verfassungsrechtliche Begründung ist jedoch als Ausdruck einer allgemeinen Risikoabgrenzung grundsätzlich der ausschließlich einzelfallbezogenen Risikoabgrenzung i.S. der Normzwecklehre vorzuziehen 218. In Ausnahmefällen können jedoch die besondere Fallgestaltung wie die Art des betroffenen Grundrechts eine Risikoverlagerung bewirken. Hier kann eine Auslegung des Grundrechts im Einzelfall anhand seines spezifischen Schutzzwecks zu einer Modifizierung der grundsätzlichen Risikoverteilung führen und damit die Anforderungen an den Eingriffscharakter nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen in zwei Richtungen korrigieren: entweder ergibt die Auslegung, daß der Grundrechtsschutz von einer niedrigeren Reaktionsschwelle abhängt, oder, daß er trotz besonders intensiver Beeinträchtigung nicht gegeben ist. Mit Blick auf die Erscheinungsformen nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen können dabei vier Ausnahme-Fallgmppen entwickelt werden 219 .
2 1 6
Oben II, 5, e.
217 Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 185, zum Nachbarschutz aus Art. 14218 GG; Knuth, JuS 1986,523 ff. (529) zum Konkurrentenschutz gegen Subventionen. Vgl. die Kritik an der Normzwecklehre oben II, 4, c. 219 Angesichts der Vielfalt nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen und der Notwendigkeit der Ermittlung des Normzwecks im Einzelfall kann ein Anspruch auf Vollständigkeit nicht erhoben werden.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
1. Grundrechte mit erhöhter "Sensibilität" Zu hoch erscheint die Schwelle der besonders intensiven Beeinträchtigimg in Fällen, in denen eine Auslegung des jeweiligen Grundrechts ergibt, daß es mit einer besonderen "Sensibilität" ausgestattet ist. Eine derartige Sensibilität wird etwa für grundrechtliche Sonderbereiche angenommen, in denen ein spezifisches, grundrechtlich verankertes Neutralitätsgebot gilt. Ein solches Neutralitätsgebot soll sich nach überwiegender Meinung zunächst aus dem Grundrecht der Pressefreiheit gem. Art. 5 I S. 2 GG 77.Π ergeben . Ihm wird eine spezifische Empfindlichkeit gerade auch gegenüber nicht finalen faktischen Beeinträchtigungen zugeschrieben. So sollen Beeinträchtigungen des publizistischen Wettbewerbs durch staatliche Pressesubventionen die grundrechtliche 'Toleranzschwelle" ungleich früher überschreiten als Beeinträchtigungen des allgemeinen ökonomischen Wettbewerbs und somit einen weiterreichenden Konkurrentenschutz auslösen221. Dementsprechend hat auch die Verwaltungsrechtsprechung einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 5 I S. 2 GG bereits bejaht, wenn die Gefahr einer staatlichen Einflußnahme auf den publizistischen Wettbewerb besteht, und konsequent mit Rücksicht auf das Grundrecht des Konkurrenten für die einem Presseunternehmen gewährten Subventionen eine gesetzliche Grundlage gefordert, ohne sie von einer besonders intensiven, existenzgefährdenden Wirkung abhängig zu machen222. Diese unterschiedliche Behandlung normaler Wirtschafts- und Pressesubventionen läßt sich mit dem spezifischen Schutzbedürfnis und dem Schutzzweck des Art. 5 I S.2 GG rechtfertigen, die das Risiko faktischer Beeinträchtigungen der Pressefreiheit weitgehend dem Staat zuweisen. Zum einen besteht ein beträchtlicher Unterschied zwischen publizistischem und allgemeinem ökonomischen Wettbewerb: jener funktioniert als Kommunikationsprozeß z.T. nach anderen Regeln und ist ungleich anfälliger bzw. stärker gefährdet als dieser 223 . 220
Haverkate, Rechtsfragen, S. 166; Friauf, Ordnungsrahmen, S. M 8 ff. (M 15); ; LübbeWolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 299 ff. 221 Kaiser, Presseplanung, S. 62 ff.; Schneider, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Regelung des Pressewesens, S. 25 ff.; Scholz, DÖV 1975, 136 f.; Haverkate, Rechtsfragen, S. 166; Friauf, Ordnungsrahmen, S. M 8 ff. (M 15); ; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 302 f. Vgl. auch Schenke, Der Staat 15 (1976), S. 553 ff. (563 f.). 2 2 2 VG Berlin, DVB1. 1975, 268 (270 f.). Auch das OVG Berlin, DVB1. 1975, 905 (908) spricht ausdrücklich von dem besonders "grundrechtssensiblen" Pressebereich, begründet das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage jedoch relativ pauschal damit, daß wesentliche Grenzziehungen im Grundrechtsbereich dem Gesetzgeber vorbehalten sind. Zum Sachverhalt siehe oben Abschnitt 1, B. 223 Vgl. dazu Kaiser, Presseplanung, S. 62 ff.; Schneider, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Regelung des Pressewesens, S. 25 ff.; Scholz, DÖV 1975,136 f.
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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Zum anderen bestehen für den Staat hier besondere Bindungen: Die freie Presse ist Wesenselement einer freiheitlichen Demokratie; erst sie ermöglicht eine freie öffentliche politische Meinungs- und Willensbildung2 . Diese Aufgabe kann sie nur in völliger Unabhängigkeit von jedem staatlichen Einfluß erfüllen, sodaß es dem Staat grundsätzlich verwehrt ist, in die geistige und wirtschaftliche Konkurrenz der sich im gesellschaftlichen Raum frei bildenden Presseunternehmen einzugreifen . Während dem Staat mangels konkreter verfassungsrechtlicher Grundsätze eine gewisse Freiheit bei der Gestaltung des allgemeinen Wirtschaftslebens zukommt 226 , erfährt er bei Beeinflussungen des publizistischen Wettbewerbs eine erhebliche Einengung durch die "Neutralitätspflicht" aus Art. 51S. 2 GG, die sich auch auf staatlicherseits nicht bezweckte Wirkungen seines Handelns erstrecken muß 227 . Im Ergebnis berühren deshalb Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Pressesubventionen den Schutzbereich des Art. 5 I S. 2 GG bereits dann, wenn sie die Gefahr nicht unerheblicher Wettbewerbsnachteile her228
vorrufen Ahnliches muß für andere Neutralitätsgebote gelten, so etwa für die speziellen Bereiche der Religionsfreiheit gem. Art. 4 I GG sowie der Kunstund Wissenschaftsfreiheit gem. Art. 5 III GG 2 2 9 . Auch hier ist eine besondere Empfindlichkeit anzunehmen, sodaß bereits die Gefahr nicht unerheblicher, nicht-finaler faktischer Beeinträchtigungen des grundrechtlichen Freiheitsbereichs den Eingriff in das Grundrecht begründet. Von einer sol2 2 4
BVerfGE 20, 162 (174); 52,283 (296); 66,116 (133); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rn. 119 ff.; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 18; Schenke, Der Staat 15 (1976), 553 ff. (/565). 225 ^ BVerfGE 20,162 (174 f.); 36, 321 (340). 2 2 6 BVerfGE 50, 290 (336 ff.); Breuer, Festgabe BVerwG, S. 89 ff. (109). 227 Ausdruck besonderer Schutzwürdigkeit ist schließlich auch der ganz überwiegend sehr weit verstandene Gewährleistungsumfang des Pressefreiheit. Sie schützt alle wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten und Mittel von der Vorbereitung über die Herstellung bis zum Vertrieb des Presseerzeugnisses, vgl. BVerfGE 20, 162 (176); 52, 283 (296); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rn. 135 f. mit anschaulichen Beispielen; v. Mangoldt/Klein, Art. 51, II Rn. 41; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 22. 228 Gegen diesen "erweiterten" grundrechtlichen Konkurrentenschutz kann nicht eingewandt werden, die besondere Sensibilität beruhe allein auf der objektiven-institutionellen Funktion der Pressefreiheit, die im Demokratieprinzip wurzelt (so aber Schenke, Der Staat 15 [1976], 553 ff. [563 f.]). Richtig ist, daß die Pressefreiheit eine individualrechtliche und eine institutionelle Komponente aufweist (BVerfGE 20, 162 [175]). Beide Elemente sind jedoch untrennbar miteinander verknüpft, insbesondere dient auch die abwehrrechtliche Komponente der Ermöglichung demokratischer Willensbildung (vgl. BVerfGE 10,118 [121]; OVG Berlin, DVBl. 1975,905 [908]). Dies wird letztlich auch von Schenke zugestanden, Der Staat 15 (1976), 553 229ff. (565). Vgl. Haverkate, Rechtsfragen, S. 166; Friauf, Ordnungsrahmen, S. M 8 ff. (M 15); Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 300 ff.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
chen Gefahr für die einschlägigen grundrechtlichen Freiheiten kann beispielsweise in Fällen von Forschungs- 230 oder Kunstsubventionen231, oder nach Konfessionszugehörigkeit vergebenen Wirtschaftssubventionen ausgegangen werden. 2. Fehlende "Nähe" zur staatlichen Maßnahme Trotz einer besonderen Intensität der Drittbeeinträchtigung kann eine Auslegung des einschlägigen Grundrechts im Einzelfall ergeben, daß dessen Schutzbereich wegen fehlender Nähe zur staatlichen Maßnahme nicht berührt wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Drittbeeinträchtigung auf einer (staatlich veranlaßten) Beeinträchtigung der Liquidität des Schuldners des Dritten beruht. So hatte der BGH die Frage zu entscheiden, ob Arbeitnehmer der verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands, deren Lohnansprüche wegen Einziehung des Parteivermögens uneinbringlich geworden waren, durch die Einziehung in ihrem Forderungseigentum beeinträchtigt worden seien 233 . Vergleichbar ist der Fall, daß durch die subventionsbedingte Beeinträchtigung des Konkurrenten weitere, "hinter" diesem stehende Dritte in Mitleidenschaft gezogen werden; dabei kann es sich insbesondere um einen solchen Dritten handeln, der bereits eine Forderung gegen den Konkurrenten erworben hatte, nun aber dadurch in den Konkurs getrieben wird, daß die Forderung (subventionsbedingt) nicht mehr erfüllbar ist 2 3 4 . Eine Untersuchung des Schutzzwecks der jeweils einschlägigen Grundrechte aus Art. 12 I GG bzw. Art. 14 GG mittels Grenzziehung zwischen grundrechtlich geschütztem und vom Dritten zu tragenden Risiko führt zu dem Ergebnis, daß der Forderungsinhaber grundsätzlich die Gefahr der Illiquidität seines Schuldners trägt . Er hat die Möglichkeit, sich mit den entsprechenden (rechtlichen) Mitteln dagegen abzusichern. Dabei macht es keinen Unterschied, daß es hier der Staat und nicht ein Pri-
2 3 0
Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 300 ff.
231 Mihatsch, Öffentliche Kunstsubventionierung; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 301; Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 328, nennt die Filmförderung, bei der es sich der Sache 232 nach um eine Kultur- bzw. Kunstsubvention handelt. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 301. 233 Der BGH verneinte diese Frage unter Hinweis darauf, die Maßnahme träfe die Forderungen 234 nicht unmittelbar (BGH DVB1.1963,917) bzw. nicht gezielt (BGHZ 11,1 ff.). Beispiel bei Forster, Klagebefugnis, S. 382,400. 2 3 5 Vgl. Wagner, NJW 1966, 569 ff. (573); Forster, Klagebefugnis, S. 382; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 187.
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
331
vater ist, der die Zahlungsprobleme des Schuldners verursacht 236. Eine grundrechtsspezifische Risikoabgrenzung ergibt somit in diesen Fällen, daß die nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen trotz ihrer besonderen Schwere (Totalverlust der Forderungen, Konkurs) Grundrechtsschutz nicht auszulösen vermögen. 3. Abhilfemöglichkeit durch Eigenhandlungen des Dritten Das BVerwG macht den Nachbarschutz aus Art. 14 GG bekanntermaßen von dem Kriterium der "Schwere" und "Unerträglichkeit" abhängig. Eine schwere Beeinträchtigung muß dabei nicht notwendig unerträglich sein, etwa wenn sich die Schwere aus Besonderheiten (auch) des betroffenen Nachbargrundstücks ergibt und es dem Nachbarn sowohl möglich als auch zumutbar ist, auf seinem eigenen Grundstück für Abhilfe zu sorgen 237. In der Literatur wird dieser Gedanke der Sache nach auch in Fällen von Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen angewandt. Danach wird dem Konkurrenten selbst bei außerordentlich schweren, subventionsbedingten Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfreiheit Grundrechtsschutz nicht gewährt, wenn er die Förderung selbst hätte erlangen können, aber nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen dazu ergriffen hat 2 3 8 . Die aufgezeigten Einschränkungen des Grundrechtsschutzes lassen sich hier ebenfalls mit einer grundrechtsspezifischen Abgrenzung der Risikosphären des Staates und des Dritten im Einzelfall rechtfertigen. Soweit der Dritte von der Möglichkeit, die Beeinträchtigung durch zumutbare eigene Handlungen abzuwehren, keinen Gebrauch macht, trägt er das Risiko für die Folgen eines Verhaltens. Eine grundrechtliche Verantwortlichkeit des Staates scheidet in diesen Ausnahmefällen aus, obwohl die 236 Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 187. Ein Schutz des Forderungsinhabers ist nur in Fällen einer besonders engen Erfolgsbeziehung, etwa unter den Voraussetzungen des § 826 BGB gegeben. 237 BVerwG DOV 1974, 381 (383) = E 44, 244. Dort hätte die (grundsätzlich zulässige) Errichtung einer Garage auf der Grundstücksgrenze zum Entstehen eines sog. Schmutzwinkels geführt, weil auf dem Nachbargrundstück entsprechend den bisherigen Bauwichvorschriften ein Gebäude im Abstand von 25 cm zur Grenze errichtet worden war. Bei dem Schmutzwinkel hätte es sich um einen nicht mehr betretbaren, feuchten, nicht reinigungsfähigen Zwischenraum gehandelt, der die Unterhaltung der Hauswand im Bereich der Garage ausgeschlossen und oberhalb des Garagendachs erschwert hätte. Das BVerwG hielt diese Beeinträchtigung zwar für "schwer", nicht aber für "unerträglich": eine Abhilfe sei dem Nachbarn durch zumutbare Maßnahmen möglich, etwa durch die Gestattung des Anbaus der Garage unmittelbar an die Ostwand des Wohnhauses oder durch das Zumauern des Zwischenraums auf eigene Kosten. 2 3 8 Forster, Klagebefugnis, S. 352 f., 398; Friehe, JuS 1981, 867 ff. (871). So muß der Konkurrent insbesondere einen Förderungsantrag gestellt haben.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen die im Regelfall erforderliche und ausreichende besondere Schwere aufweisen. 4. Autonome Entscheidung als Zwischenursache Eine letzte Ausnahmefallgruppe wird schließlich von den Sachverhalten gebildet, in denen nicht der Staat den maßgeblichen Einfluß auf den Eintritt der Beeinträchtigung hat, sondern diese letztlich von der autonomen, freien Entscheidung einer Person abhängt239. Auch diese Einschränkung läßt sich mit Schutzzweckerwägungen rechtfertigen: das Grundrecht, das als Abwehrrecht in erster Linie "staatsgerichtet" wirkt 2 4 0 , dient nicht dem Schutz vor Risiken, die im wesentlichen nicht von den staatlichen Organen beeinflußt werden können. Dies kann somit auch hier zu einem Entfallen des Grundrechtsschutzes bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen besonderer Schwere fuhren 241 . Die Prototypen nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen, die Nachbar- bzw. Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen, weisen allerdings den erforderlichen "maßgeblichen Einfluß des Staates" auf 2 4 2 . V. Die Funktionsadäquanz des Regel· Ausnahme-Prinzips Nachdem wir nun Maßstäbe für die eingeschränkte Grundrechtsrelevanz nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen entwickelt und verfassungsrechtlich begründet haben, bedarf der Klärung, ob diese Maßstäbe im Hinblick auf die Funktion der allgemeinen Grundrechtsbindung angemessen erscheinen und auch den oben allgemein gegen die Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf faktische Beeträchtigungen geltend gemachten Bedenken Rechnung tragen. Von Bedeutung ist dabei, daß wir kein für jeden Einzelfall geltendes, allgemeingültiges Kriterium gefunden haben, sondern die Grundrechtsrelevanz differenzieren nach einem Regel-Ausnahme-Prinzip. Im Regelfalle werden grundrechtliche Schutzbereiche nur berührt, soweit 239 Diese Problematik wurde i.e. oben bereits unter dem Stichwort der Zurechenbarkeit behandelt, Abschnitt 2, Β, II, 4, b. 2 4 0 Vgl. Schulte, DVBl. 1988,512 ff. (517). 241 Die Gefahren für die Bevölkerung im Raketenstationierungs-Urteil des BVerfGE 66, 39 ff. können durchaus als nicht-finale Drittbeeinträchtigungen mit dem Charakter besonderer Schwere angesehen werden; dennoch scheidet eine grundrechtliche Verantwortlichkeit des Staates 242 aus. 2 4 3
I.e. dazu oben Abschnitt 2, Β, II, 4, b. Teil 2, Abschnitt 3.
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
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nicht-finale Drittbeeinträchtigungen eine besondere Schwere aufweisen. Die Beispielsfälle erfolgreicher, auf Art. 14 GG gestützter Nachbarklagen 244 sowie die bisherige Erfolglosigkeit von Konkurrentenklagen gegen Subventionen führen plastisch vor Augen, daß es sich um eine Beschränkung auf wenige, außergewöhnliche und besonders gravierende Fälle handelt. Die Masse staatlicher Maßnahmen (z.B. Baugenehmigungen, Subventionen) ist somit nur in seltenen Einzelfällen mit einer grundrechtsrelevanten, nichtfinalen Drittbeeinträchtigung verbunden. Das Schwerekriterium entscheidet jedoch nicht abschließend über die Grundrechtsrelevanz. In Ausnahmefällen kann eine Auslegung des jeweiligen Grundrechts im Einzelfall nach dem Schutzzweck ein Abweichen vom Maßstab der besonderen Intensität der Beeinträchtigung rechtfertigen. Zu einer Reduzierung der Eingriffsanforderungen wird es dabei aber nur in wenigen Einzelfällen kommen 5 . 1. Die Funktion der allgemeinen Grundrechtsbindung und ihre Erfüllbarkeit Bereits oben wurde festgestellt, daß die Grundrechte "erfolgsbezogen" Freiheitszonen sichern sollen und daß die Voraussetzungen des Grundrechtseingriffs nicht lediglich über formellen, sondern über materiellen Rechtsschutz entscheiden246. Beide Aspekte sprechen für eine gewisse Offenheit bei der Schutzbereichsermittlung. Es erscheint deshalb funktionsadäquat, kein allgemeingültiges Kriterium aufzustellen, sondern - wenn auch nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte - eine Wertung im Einzelfall zur Berücksichtigung außergewöhnlicher Fallkonstellationen zu ermöglichen 247 . Die im konkreten Fall zum Grundrechtsschutz berufenen Organe der Verwaltung und vor allem der Justiz verfugen über Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten, die sie funktional sowohl zur Berücksichtigung atypischer Fallgestaltungen wie generell zur Einzelfallbeurteilung befähi-
2. Die restlichen Bedenken Das im Regelfall geltende Erfordernis der besonderen Schwere bewirkt eine Individualisierung und Eingrenzung des Kreises der Grundrechtsbe-
244 245 246 247 248
S. oben II, 4, a, bb), (1). Vgl. die Ausnahmefallgruppe der Grundrechte mit erhöhter "Sensibilität", IV, 1. Teil 2, Abschnitt 4, C, II, 3, c. S. dazu auch das Fazit von Teil 1 (Abschnitt 6, Ε, Π). Teil 2, Abschnitt 4, Π, 3, c.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
troffenen 249 und hebt diese deutlich aus der Allgemeinheit faktisch Betroffener heraus. Trotz des Fehlens formaler Abgrenzungskriterien greifen deshalb mögliche Bedenken nicht durch. Die Voraussetzung der besonders intensiven Beeeinträchtigung verhindert sowohl ein Ausufern grundrechtlicher "Haftung" mit seinen vielfältigen praktischen Problemen als auch die verfassungsrechtlich relevanten Effekte der Lähmung der Verwaltung und des Übergewichts der Judikative250. Es handelt sich um ein relativ eindeutiges Kriterium, mit dem der Verwaltung und der Justiz ein praktikabler, berechenbarer Maßstab an die Hand gegeben und dem Gebot der Rechtssicherheit Genüge getan wird. Die Beschränkung des Grundrechtsschutzes auf "Extremfälle" bannt weiterhin die Gefahr eines Unterlaufens der einfachgesetzlichen Differenzierung zwischen rein objektivrechtlichen und subjektivrechtlichen Normen 251 und zeigt unmißverständlich, daß die Grenze lediglich sozialadäquater Nachteile überschritten ist. Die hohe Reaktionsschwelle des Grundrechtsschutzes bewirkt im Falle konkurrierender Grundrechtspositionen, daß auch dem Gegenspieler des Dritten, etwa dem Bauherrn, die Möglichkeit der Grundrechtsausübung verbleibt, und wahrt dessen Interessen insoweit, als z.B. sein Bauvorhaben nicht dem unübersehbaren Risiko quantitativ und zeitlich unbegrenzter Klagen ausgesetzt wird 2 5 2 . Da es zu einer - im vorhegenden Zusammenhang allein problematischen Reduzierung dieser Eingriffsanforderungen nur in wenigen, überschaubaren Einzelfällen bei Vorhegen besonderer grundrechtlicher Anhaltspunkte kommen wird 2 5 3 , greifen die allgemein vorgebrachten Bedenken trotz herabgesetzter Reaktionsschwelle nicht. VI. Kurzresümee des eigenen Lösungsansatzes 1. Der Entwicklung eines eigenen Lösungsvorschlags war eine Auslegung der Grundrechte nach dem Prinzip der Einheit der Verfassimg zugrundezulegen. Danach müssen die grundrechtlichen Schutzbereiche eine Interpretation erfahren, die Widersprüche zum Prinzip der Gewaltenteilung vermeidet. Da eine unbegrenzte Einbeziehung nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen in den Grundrechtsschutz einen lähmenden Einfluß auf die 2 4 9
Vgl. BVerwGE 52,122 (125).
250 Zu dem allgemeinen Gedanken, daß die Gefahr staatlicher Inflexibilität abnimmt, je bestimmbarer der Kreis der Begünstigten ist, Brohm, Jura 1986,617 ff. (621). 2 5 1 Vgl. Breuer, DVBl. 1983,431 ff. (436); Jarass, NJW 1983,2844 ff. (2847). 2 5 2
253
Vgl. BVerwGE 32,173 (178 f.); 52,122 (125). Insbesondere in den aufgezeigten Fällen grundrechtlicher Neutralitätsgebote.
Abschnitt 2: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe
335
Exekutive und die Übernahme wesentlicher Funktionen des parlamentarischen Gesetzgebers durch die Justiz zur Folge hätte, muß eine das Gewaltenteilungsprinzip berücksichtigende Auslegung zur Zurückdrängung der primären, abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion führen. Die objektivrechtlichen Grundrechtsbindungen kommen jedoch weiterhin zum Tragen und können in ein subjektives Abwehrrecht umschlagen, wenn die Gefahr der faktischen Aushöhlung des Grundrechts besteht, insbesondere wenn die nicht-finale Drittbeeinträchtigung eine besondere Intensität aufweist. Nichtfinale Drittbeeinträchtigungen stellen also grundsätzlich nur bei besonderer Schwere subjektiv-abwehrrechtlichen Grundrechtsschutz auslösende Grundrechtseingriffe dar. 2. Diese Grundsätze gelten nur für den Regelfall. In Ausnahmefällen kann eine Auslegung des jeweiligen Grundrechts im Einzelfall nach seinem Schutzzweck ein Abweichen vom Maßstab der besonderen Schwere rechtfertigen. Vier Ausnahmefallgruppen können dabei als Leitlinien dienen. 3. Der Umstand, daß kein allgemeingültiges Kriterium aufgestellt wird, sondern die Schutzbereichsfeststellung mittels des Regel-AusnahmeMechanismus offen für eine Wertung im Einzelfall gehalten wird, trägt der Funktion der Grundrechte y "erfolgsbezogen" Freiheitszonen zu sichern und unmittelbar rechtsschutzeröffnend zu wirken, Rechnung. Auch im Hinblick auf die übrigen rechtlichen und tatsächlichen Bedenken gegen die grundrechtliche Relevanz nicht-finaler Drittbeeintächtigungen erscheint das aufgezeigte Regel-Ausnahme-Verhältnis als funktionsadäquat.
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
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Abschnitt 3 Das Erfordernis einer formellgesetzlichen Grundlage fur nicht-finale Drittbeeinträchtigungen Bedeutet nun die Tatsache, daß nicht-finale Drittbeeinträchtigungen unter bestimmten Voraussetzungen die subjektivrechtliche Abwehrfunktion der Grundrechte auslösen können, zugleich, daß sich auch der Eingriffsvorbehalt auf derartige nicht-finalen Eingriffe erstrecken muß? Sind ungewollte Beeinträchtigungen nicht häufig für den Gesetzgeber gar nicht vorhersehbar und entziehen sich damit jeder Normierbarkeit? 1 Nach dem oben erarbeiteten Zwischenergebnis fordert der Eingriffsvorbehalt nicht zwingend die (volle) gesetzliche Normierung jeder Beeinträchtigung, die sich als Grundrechtseingriff darstellt 2. Auf der Grundlage einer funktionsspezifischen Betrachtung wird im folgenden zu klären sein, wo die Grenze zwischen vom Eingriffsvorbehalt erfaßten und nicht erfaßten nicht-finalen Grundrechtsbeeinträchtigungen zu ziehen ist bzw. inwieweit die Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlagen zu modifizieren sind. Die Fragestellung wäre müßig, würden die in den einschlägigen Bereichen tatsächlich existierenden gesetzlichen Grundlagen nicht-finale Grundrechtsbeeinträchtigungen problemlos abdecken. Dem ist jedoch nicht so. Das gilt zunächst für Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen. Spezielle Subventionsgesetze des Bundes und der Länder, die detaillierte materiell-gesetzliche Regelungen von Zweck, Empfängerkreis und Tatbestandsvoraussetzungen der Subventionsgewährung enthalten, existieren nur in beschränktem Umfang 3. In der Praxis werden die meisten Subventionen ohne eine solche Grundlage vergeben. Sie beruhen lediglich auf einer Bereitstellung der Förderungsmittel in dem durch das Haushaltsgesetz (Art. 110 GG) festgestellten Haushaltsplan4 sowie den dazu von der Exekutive
2 3
Vgl. Murswiek, Verantwortung, S. 134. S. oben Teil 2, Abschnitt 4, D.
Vgl. etwa BerlinförderungsG, FilmförderungsG, Gesetz zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, LandwirtschaftsG, ZonenrandförderungsG, BW MittelstandsförderungsG, Gesetz zur Förderung der bayrischen Landwirtschaft. Dazu näher Stober, Handbuch, S. 1219 f.; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 195 f.; Ipsen, Subventionierung, S. 42. Zur Frage, ob derartige spezialgesetzlichen Subventionsregelungen zu Drittbeeinträchtigungen ermächtigen, siehe unten IV, 2. An einem generellen rechtlichen Ordnungsrahmen fur die Grundzüge der Subventionsgewährung (allgemeines SubventionsG bzw. SubventionsrahmenG) fehlt es bislang; zu den Gründen Stober, Handbuch, S. 175 ff.; S. 1219. 4 Vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht III, § 154, V, a, b; Stober, Handbuch, S. 176 f., 1220; ders., AöR 113 (1988), 497 ff. (499 f.).
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
337
erlassenen Verwaltungsvorschriften (Subventionsrichtlinien)5. Unabhängig von der umfassend diskutierten Problematik der generellen Geltung des Gesetzesvorbehalts für die Leistungsverwaltung6, die nicht Gegenstand der Arbeit ist, stellt sich die Frage, ob eine derartige Rechtsgrundlage Gesetz im Sinne des Eingriffsvorbehalts sein kann, also auch in den Fällen ausreicht, in denen Subventionen möglicherweise zu Grundrechtsbeeinträchtigungen führen 7. Dies wird von einem beachtlichen Teil der Literatur verneint 8. Dabei handelt es sich nicht, wie gelegentlich behauptet wird 9 , um eine akademische Frage. Denn die Forderung nach einem über Haushaltsplan und Haushaltsgesetz hinausgehenden qualifizierten Gesetzesvorbehalt in diesen Fällen würde einen beachtlichen Teil der Subventionsgewährungen in der BRD rechtswidrig machen10. Auf keinerlei bundes- oder landesgesetzliche Grundlagen können sich i.d.R. gemeindliche Subventionen stützen. Diese ergehen grundsätzlich auf der Basis kommunaler Haushaltssatzungen11. Die Frage nach dem Eingriffsvorbehalt im Falle möglicher subventionsbedingter Grundrechtsbeeinträchtigungen ist hier völlig offen 12. Gewisse Defizite weisen - jedenfalls auf den ersten Blick - auch gesetzliche Bestimmungen auf, die als normative Grundlage von Nachbarbeeinträchtigungen in Betracht kommen. Als Beispiele lassen sich etwa §§ 59 I S. 1LBO BW, 16 I StrG BW, 16 I WasserG BW i.V.m. 7, 8 WHG, 2, 4 GastG, 6 i.V.m. 5 I BImSchG und 7 AtomG nennen. Diese Bestimmungen haben zwar formellgesetzlichen Charakter, sie erschöpfen sich jedoch darin, die Voraussetzungen des Erlasses der begünstigenden Verwaltungsmaßnahme zu regeln. Inhalt und Zweck bestehen allein in der Regelung der Begünstigung, nichts gesagt ist darüber, ob die begünstigende Verwaltungsmaßnahme auch belastende Wirkungen für Dritte verursachen darf. Weder ist 5
Stober, Handbuch, S. 1220. Näher zur Bedeutung der Subventionsrichtlinie als wichtigster Rechtsquelle zur Steuerung des Subventionsrechts Oldiges, NJW 1984, 1927 ff.; Joos, in: Klein (Hrsg.), Lehrbuch des öffentlichen Finanzrechts, S. 315 f. 6
Vgl. nur Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht III, § 138 III m.w.N.; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20, VI, Rn. 66; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 13 ff. Die Frage war auch Gegenstand der Staatsrechtslehrertagung 1989, vgl. W D S t R L 47 (1989). 7
Da der Gesetzgeber den Eingriffscharakter nur ex-ante beurteilen kann, muß insoweit bereits die Möglichkeit ausreichen. 8 Vgl. nur Jarass, NVwZ 1984, 473 ff. (477); Friauf, Ordnungsrahmen, S. M 14 ff.; Joos, in: Klein (Hrsg.), Lehrbuch des öffentlichen Finanzrechts, S. 313; v. Mutius, W D S t R L 42 (1984), 147 ff. (169); Sodan, Funktionsträger, S. 426 f. m.w.N. 9 10 11
Vgl. Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (475). Vgl. Stober, Handbuch, S. 176.
Dazu i.e. Möller, Gemeindliche Subventionsverwaltung, S. 162 ff., 183 ff.; Joos, in: Klein (Hrsg.), Lehrbuch des öffentlichen Finanzrechts, S. 339; Bleckmann, Subventionsrecht, S. 69. 12 Vgl. Bleckmann, Subventionsrecht, S. 69. 22 Roth
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
der Kreis duldungspflichtiger Dritter hinlänglich beschrieben, noch sind die Voraussetzungen eines Eindringens in deren grundrechtliche Schutzbereiche geregelt. Ob die Rechtsgrundlage der Begünstigung als Ermächtigungsgrundlage für nicht-finale Drittbeeinträchtigungen ausreicht, erscheint deshalb zweifelhaft 13. Die festgestellten tatsächlichen Defizite formellgesetzlicher Grundlagen werfen zwangsläufig die Frage nach ihrer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung auf. In Anlehnung an den bereits in Teil 3 gewählten Aufbau soll diese Frage zunächst unter dem Aspekt des Eingriffsvorbehalts untersucht werden (Α.). Dabei wird nach Klärung der Berechtigung der Untersuchung (I.) geprüft, ob nicht bereits bestimmte verfassungsrechtliche Bestimmungen formellgesetzliche Regelungen entbehrlich machen (Π.). Es schließt sich die Behandlung des Problems an, ob sich der Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts überhaupt auf alle nicht-finalen Grundrechtsbeeinträchtigungen Dritter erstreckt oder sich nur auf einen bestimmten Teil von diesen bezieht (III.). Weiterhin wird untersucht, ob im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen modifizierte Anforderungen an die gesetzliche Grundlage zu stellen sind (IV.). Abschließend ist darauf einzugehen, welche (zusätzlichen) Regelungserfordernisse sich im Vorfeld des Eingriffsbereichs auf der Grundlage der Wesentlichkeitstheorie ergeben können (B.). A Der Eingriffsvorbehalt hinsichtlich nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen /. Vorfrage:
Entbehrlichkeit
des Eingiiffsvorbehalts
wegen Funktionslosigkei
Zunächst könnte man die Berechtigung der Untersuchung jedenfalls im Hinblick auf bestimmte Arten nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen in Zweifel ziehen. Denn jedenfalls für den auf Art. 14 GG gestützten Grundrechtsschutz gegen Nachbarbeeinträchtigungen soll eine grundrechtsdogmatische Besonderheit gelten: Das Vorhegen der besonderen Eingriffsvoraussetzungen der Schwere und Unerträglichkeit eröffne erst den Schutzbereich des Art. 14 GG, bedeute zugleich aber immer auch, daß Art. 14 GG 13 Diesem Problem wird kaum Beachtung geschenkt. Eine Ausnahme bildet z.B. Faber, Verwaltungsrecht, S. 266. - Der gesetzliche Ausschluß von Abwehransprüchen gegenüber Genehmigungen bzw- Planfeststellungen nach dem Muster des § 14 BImSchG (vgl. §§11 WHG; 8, 11 LuftVG; 7 V AtomG) muß als Ermächtigungsgrundlage ebenfalls ausscheiden. Zunächst fehlen derartige Bestimmungen in manchen Rechtsgebieten, z.B. im Baurecht; entscheidend ist jedoch, daß sie lediglich eine Umgestaltung des privatrechtlichen Nachbarverhältnisses bewirken und öffentlichrechtliche, z.B. auch auf Grundrechte gestützte Abwehransprüche unberührt lassen, vgl. Feldhaus, BImSchG, § 14 Anm. 7; Breuer, Öffentliches und privates Nachbarrecht, Rn. 736; Knopp/Manner, WHG, § 11 Rn. 11 ff.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
339
verletzt sei 14 . Dies wird damit begründet, daß anderenfalls z.B. bereits jede nach einfachem Gesetzesrecht objektiv rechtswidrige Baugenehmigung unmittelbar Grundrechtsschutz aus Art. 14 GG auslösen würde 15 . Die Schutzwirkung der Grundrechte begönne in diesem Fall also erst dort, wo die Beeinträchtigung schwer und unerträglich und damit ohne Rechtfertigungsmöglichkeit grundrechtswidrig sei. Die "normale", zweistufige Eingriffsdogmatik, die zwischen dem Schutzbereich des Grundrechts und seinem effektiven Garantiebereich unterscheidet 16, würde sich nach dieser Sichtweise auf eine einstufige reduzieren: Eingriff und Verletzung würden zwingend zusammenfallen, ein Gesetz könnte den Eingriff nicht mehr rechtfertigen und wäre somit funktionslos 17. Gegen diese Sichtweise lassen sich im wesentlichen zwei Einwände geltend machen. Folgt man der dargestellten Auffassung im Ausgangspunkt, so könnte einer gesetzlichen Grundlage immerhin die Funktion eines Duldungsgebots zukommen. Denkbar wäre, daß das Gesetz die ursächliche Verwaltungsmaßnahme aufgrund überwiegender öffentlicher Interessen rechtfertigt und dem Betroffenen - wie es z.B. für den Anlieger der während des U-BahnBaus aufgerissenen Straße angenommen wird 1 8 - hinsichtlich der bei ihm eintretenden, schweren enteignenden Wirkung eine Duldungspflicht auferlegt 19 . Der Situation des enteignenden Eingriffs vergleichbar wäre Zweck 14 Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 183; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 ff. (7). Nach Lübbe-Wolff geht auch die Rechtsprechung zu subventionsbedingten Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfreiheit von einer Identität von Grundrechtseingriff und Grundrechtsverletzung aus (Eingriffsabwehrrechte, S. 309). Die Literatur i.ü. beschränkt sich insoweit meist auf die Wiedergabe der Rechtsprechungsgrundsätze, die sich aufdrängende Notwendigkeit einer Problematisierung des Verhältnisses von Schutzbereich und Schranken bei faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen wird nicht erkannt. 15
Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 183; Schwerdtfeger, NVwZ 1982,5 ff. (7). Die Rechtsprechung des BVerwG nimmt nicht ausdrücklich Stellung zu dieser Frage, legt jedoch eine derartige Sicht nahe, vgl. BVerwGE 32, 173 (179); Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 183. Vgl. i.e. auch bereits oben Abschnitt 2, Β, II, 4, a, bb), (2). 16
Dies gilt jedenfalls für die Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion, vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 256; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 25 f. 17 Lübbe-Wolff bezeichnet dieses Phänomen als "präformierten Grundrechtsschutz" (S. 27). Abgegangen würde damit von der im Normalfall des Eingriffs gemachten Unterscheidung zwischen der formellen Schutzfunktion eines Grundrechts, die in dem Gesetzeserfordernis besteht, und seiner materiellen Schutzfunktion, die vor allem im Verhältnismäßigkeitsprinzip begründet ist. Denn wo sich grundrechtlicher Schutzbereich und effektiver Garantiebereich decken, kann es keinen formellen Grundrechtsschutz mehr geben (Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 27 ff.). 18 Vgl. BGHZ 57,359 (362 ff.). 19 Vgl. Badura, Eigentumsschutz, S. 1 ff. (22 f.). Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, daß es bei der hier zu untersuchenden Fragestellung nur um die Erforderlichkeit einer gesetzli-
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
des Gesetzes der Ausschluß des Abwehrrechts aus Art. 14 GG und die Verweisung des Betroffenen auf den Entschädigungsanspruch . Vor allem aber erscheint die angenommene Identität von Grundrechtseingriff und Grundrechtsverletzung angreifbar. Ganz überwiegend wird zwischen Eingriff und Verletzung unterschieden im Fall der Pressesubventionen. Die Eröffnung des Schutzbereichs setzt hier nicht eine besondere Schwere der Beeinträchtigung voraus, eine Rechtfertigung der grundrechtsberührenden Gefahr von Konkurrentenbeeinträchtigungen kann durch ein Gesetz erfolgen, das ausreichende Vorkehrungen gegen eine Verletzung der staatlichen Neutralitätspflicht trifft und sich innerhalb der Grenzen der Verhältnismäßigkeit hält 21 . Das wird in der Literatur z.T. ähnlich auch für die allgemeinen Wirtschaftssubventionen vertreten. So soll eine Subvention, ihre schwere, grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung vorausgesetzt, den Schutzbereich der Art. 12 GG bzw. Art. 14 GG des Konkurrenten berühren und daher einer gesetzlichen Grundlage bedürfen . Ob die Subvention im übrigen zulässig sei, hänge von weiteren Voraussetzungen ab, insbesondere vom Übermaßverbot 23. Zur Veranschaulichung der recht abstrakten Ausführungen in der Literatur mag ein Beispiel dienen: Die strukturpolitisch indizierte Subvention einer Firma im Zonenrandgebiet kann zu schweren Wettbewerbsnachteilen bei einem Konkurrenten führen; erfolgt diese grundrechtsbeeintächtigende Subvention auf einer gesetzlichen Grundlage und stellt sie sich im übrigen als erforderliche und, auch in Anbetracht ihrer Auswirkungen und des verfolgten Zwecks verhältnismäßige Maßnahme der Strukturpolitik dar, hält sie sich im verfassungsrechtlichen Rahmen und bedeutet keine Grundrechtsverletzung 24. Auch nach Eröff-
chen Normierung des Grundrechtseingriffs geht. Regelungserfordernisse im Vorfeld des Eingriffs, etwa aufgrund einer Pflicht des Gesetzgebers zur Vermeidung von Grundrechtskollisionen, werden unter B. behandelt. 20 Zum enteignenden Eingriff insbesondere Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 148 f. m.w.N. Da die faktisch enteignende Wirkung keine "Enteignung" i.S.d. Art. 14 II GG darstellt (s. oben Teil 1, Abschnitt 5), greift hier die Junktim-Klausel nicht, es gilt grundsätzlich der allgemeine Eingriffsvorbehalt (vgl. Jarass/Pieroth, Art. 14 Rn. 37). 21 Vgl. VG Berlin, DVBl. 1975, 268 (270 f.); OVG Berlin, DVBl. 1975, 905 (907 f.); Schenke, Der Staat 15 (1976), 553 ff. (561); Scholz, DÖV 1975,136 f.; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 302 f., 310 f. 2 2
Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (477); Schenke, GewArch. 1977,313 ff. (316).
2 3
Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (477); jüngstens Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 305,
310. 24 Auch Breuer (HdBStR, Bd. VI, § 148 Rn. 76) gesteht dem Gesetz eine potentiell legitimierende Wirkung im Hinblick auf Subventionen zu, die eine "qualifizierte Grundrechtsbetroffenheit" bewirken. Eine solche nimmt er z.B. in Fällen der "institutionellen Unternehmensförderung" an, wo sich die qualifizierte Beeinträchtigung des nicht begünstigten Konkurrenten aus
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
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nung des Schutzbereichs ist hier somit noch Raum für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, sodaß dem Gesetz eine den Grundrechtseingriff rechtfertigende Wirkung zukommen kann 25 . Eine Übertragung dieser Grundsätze auf Nachbarbeeinträchtigungen erscheint möglich. Es ist kein Grund ersichtlich, warum im Falle von Nachbarbeeinträchtigungen jede Grundrechtsbeeinträchtigung sofort den Abwehranspruch des Nachbarn auslöst26. Vielmehr kann mit neueren Tendenzen in der Literatur 27 auch hier ein gewisser Grenzbereich zwischen Schutzbereich und Verletzung des Grundrechts angenommen werden, um i.S. einer größeren Flexibilität noch Raum für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sowie u.U. eine gesetzgeberische Wertung zu lassen. IL Entbehrlichkeit formellgesetzlicher Grundlagen aufgrund verfassungsrechtlicher Bestimmungen Die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen setzt nicht zwingend eine formellgesetzliche Grundlage voraus, unter bestimmten, allerdings sehr engen Voraussetzungen kann der Eingriff in den Schutzbereich auch durch eine immanente Grundrechtsschranke unmittelbar aufgrund Verfassungsrechts abgedeckt sein28. In der Literatur wird eine unmittelbare verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen für den Bereich der Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen diskutiert. So wird vereinzelt vertreten, das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 I GG bilde die erforderliche Rechtsgrundlage für die Gewährung von Subventionsleistungen durch die Verwaltung 29. Der Sozialstaatsgedanke stelle eine immanente Grundrechtsbeschränkung dar; da die Erbringung wirtschaftsfördem Umstand ergibt, daß mit Hilfe der gewährten öffentlichen Mittel Unternehmen gegründet oder aufrechterhalten werden, die aus eigener Kraft nicht mehr existenzfähig wären. 25 Neben den Grundrechten des Konkurrenzbetriebs können die Verhältnismäßigkeit der Subvention z.B. beeinflussen: die größere Zahl der verlorengehenden Arbeitsplätze, die größere Zahl der Arbeitnehmer, die nach ihrer Entlassung anderswo eine Arbeit nicht finden können, regionale Stützungsziele u.a., vgl. Bleckmann, Ordnungsrahmen, Bd. 1, S. D 78. 26 Eine geringfügige Herabsetzung der Intensitäts-Schwelle zum Grundrechtseingriff führt nicht dazu, daß jede einfachgesetzliche objektive Rechtswidrigkeit Grundrechtsschutz auslöst (vgl. 27insbesondere Schwabe, Probleme, S. 186 ff.; NJW 1983,523 f.). Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen , S. 183 f.; Bleckmann/Eckhoff, DVB1.1988,373 ff. (382). 2 8 Teil 3, Abschnitt 3, A, I. 29 Hamann/Lenz, Anm. Β 3 b zu Art. 20 GG; Forster, Klagebefugnis, S. 335 f.; vgl. auch VGH Kassel, ESVGH 6,234.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
dernder Leistungen in Verwirklichung der Sozialentscheidung der Art. 20 I, 28 I GG erfolge, könne sich ein Dritter, der durch Förderungsmaßnahmen in seinen Interessen beeinträchtigt werde, nicht auf seine Grundrechte auf freie wirtschaftliche Betätigung oder Wettbewerbsfreiheit berufen 30. Die pauschale Berufung auf das Sozialstaatsprinzip kann jedoch eine gesetzliche Grundlage im Sinne des Eingriffsvorbehalts nicht ersetzen; insbesondere wegen seiner Unbestimmtheit ist das Sozialstaatsprinzip ohne gesetzgeberische Konkretisierung nicht geeignet, den Grundrechten Grenzen zu setzen31. Weitaus schwierigere Probleme wirft eine andere Auffassung auf: so sollen gemeindliche Subventionen, auch soweit sie potentiell in Grundrechte eines Konkurrenten eingreifen, in Art. 28 II GG eine ausreichende Legitimationsgrundlage habeir 2 Dies muß auf den ersten Blick erstaunen. Zwar ist allgemein anerkannt, daß das nach Art. 28 I I GG gewährleistete Selbstverwaltungsrecht als kommunale Selbstverwaltungsaufgabe auch die örtliche Wirtschaftsförderung umfaßt 33. Dies berechtigt die Kommunen bei der Regelung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, also räumlich und sachlich begrenzt, auch zur eigenständigen Vergabe von Subventionen nach Maßgabe kommunaler Haushaltssatzungen34. Noch nichts ausgesagt ist damit allerdings über die Rechtfertigung von derartigen Maßnahmen, soweit sie in Grundrechte von Konkurrenten eingreifen. Den Gemeindeordnungen läßt sich insoweit eine Ermächtigung nicht entnehmen und kommunale Satzungen stellen keine Gesetze i.S.d. Gesetzesvorbehalts dar 35 . Das führt zu dem Dilemma, daß die Gemeinden Subventionen oft nur noch aufgrund 30 3 1
Forster, Klagebefugnis, S. 335 f. Siehe dazu Teil 4, Abschnitt 2, B, UI, 3, b.
3 2
Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht III, § 154 V, b; Möller, Gemeindliche Subventionsverwaltung, S. 157 ff. Ähnlich Bleckmann, Subventionsrecht, S. 69. Zur gemeindlichen Subventionspraxis und den wichtigsten Typen gemeindlicher Subventionsleistungen Möller, S. 35 ff., 74 ff. 3 3
Knemeyer/Rost-Haigis, DVBl. 1981,241 ff. (244); Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 325 f.; Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, Rn. 132; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 123; Köttgen, Der heutige Spielraum kommunaler Wirtschaftsförderung; W.H. Müller, Wirtschaftsförderung, in: HKWP, § 92; Joos, in: Klein (Hrsg.), Lehrbuch des öffentlichen Finanzrechts, S. 339. 34 Möller, Gemeindliche Subventionsverwaltung, S. 156 ff.; Joos, in: Klein (Hrsg.), Lehrbuch des öffentlichen Finanzrechts, S. 339; Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 315 ff. Vgl. insoweit auch den Fall einer kommunalen Subvention durch öffentlichrechtlichen Subventionsvertrag aus der Rechtsprechung, OVG Münster, NVwZ 1984, 522 ff; dazu Knirsch, NVwZ 1984, 495 ff.; Knuth, JuS 1986,523 ff. Zu den Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung vgl. Knemeyer/Rost-Haigis, DVBl. 1981,241 ff. (246). 35 Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 25; Art. 20 Rn. 33; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 288. Eingriffe bedürfen grundsätzlich immer eines formellen Bundes- oder Landesgesetzes.
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und im Rahmen von Gesetzen des Bundes und der Länder vergeben könnten. Eine derartige Beschneidung der wichtigen Selbstverwaltungsaufgabe kommunale Wirtschaftsförderung erscheint im Hinbück auf Art. 28 I I GG problematisch 36. Ob eine Lösung dieses Dilemmas darin liegen kann, Art. 28 I I GG als Rechtsgrundlage ausreichen zu lassen, erscheint zweifelhaft 37. Denn zwar ist seit dem Facharzt-Beschluß des BVerfG allgemein anerkannt, daß der Gesetzesvorbehalt bei belastenden Maßnahmen eines autonommen Selbstverwaltungsträgers geringere Anforderungen stellt als bei Maßnahmen der unmittelbaren Staatsverwaltung38. Wegen der besonderen demokratischen Legitimation des Selbstverwaltungsträgers 39 wird eine spezielle formellgesetzliche Grundlage nicht für jeden von der Körperschaft ausgehenden Grundrechtseingriff verlangt, sondern unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Beeinträchtigungstfw/e/t unterschieden. Für wenig intensive Grundrechtseingriffe soll die von der Körperschaft erlassene Satzung als Rechtsgrundlage ausreichen40. Die "eingriffskompensierende" Wirkung des demokratischen Gehalts der Selbstverwaltung ist jedoch aufgrund ihr selbst innewohnender sowie rechtsstaatlicher Schranken begrenzt: Eine nur satzungsmäßige Rechtfertigung scheidet aus bei Grundrechtsbeeinträchtigungen, die besonders intensiv sind oder die Nichtmitglieder betreffen 41.
36 GG. 37
Bleckmann, Subventionsrecht, S. 69, sieht darin sogar einen Verstoß gegen Art. 28 II
Das grundsätzliche Erfordernis einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage wird für die Fragestellung unterstellt. Ob ein solches Erfordernis tatsächlich anzuerkennen ist, wird i.e.38 unten (III, IV) geklärt werden. Laut BVerfGE 33,125 (157 f.) macht es einen erheblichen Unterschied, "ob der Gesetzgeber seine ... Normsetzungsbefugnis an eine Stelle der bürokratisch-hierarchisch organisierten staatlichen Exekutive abgibt oder ob er innerhalb eines von vornherein durch Wesen und Aufgabenstellung der Körperschaft begrenzten Bereichs einen bestimmten Kreis von Bürgern ermächtigt, durch demokratisch gebildete Organe ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln". Vgl. neuerdings BVerfG NJW 1988, 191 ff. zu von der Bundesrechtsanwaltskammer erlassenen Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts. 39 40
Dazu eingehend Böckenförde, HdbStR, I, §22 Rn. 31 ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 820 f.
Das gilt etwa für die Normierung von Berufspflichten, die lediglich in die Freiheit der Berufsausübung von Verbandsmitgliedern eingreifen, wie z.B. das Sachlichkeitsgebot bei Rechtsanwälten, vgl. BVerfG NJW 1988, 191 ff. (192). Vgl. auch Kleine-Cossack, NJW 1988, 16441ff. (168). So hat das BVerfG im Bereich des Facharztwesens die sog. statusbildenden Normen (Voraussetzungen für die Facharztanerkennung, zugelassene Fachrichtungen, Mindestdauer der Ausbildung, Anerkennungsverfahren etc.) dem Gesetzgeber vorbehalten, E 33, 125 (157 ff.); vgl. Erichsen/Martens, S. 109; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, S. 153; Meyn, DVB1.1977, 593 ff. (597 f.); Kleine-Cossack, NJW 1988, 164 ff. (167 f.). Vgl. auch Stern, Staatsrecht I, S. 820 f.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
Für kommunale Subventionen lassen sich daraus folgende Schlüsse ziehen: Die Tatsache, daß die Subventionierung durch demokratisch legitimierte Gemeindeorgane erfolgt, rechtfertigt jedenfalls in Fällen potentieller Grundrechtsbeeinträchtigungen der Wettbewerber keinen Verzicht auf formellgesetzliche Rechtsgrundlagen. Zum einen weisen derartige Grundrechtsbeeinträchtigungen zwangsläufig eine besondere Intensität auf 42 . auf die sich die Regelungskompetenz des Satzungsgebers nicht erstrecken kann. Zum anderen werden sich die subventionsbedingten Wettbewerbsnachteile häufig nicht auf Konkurrenten innerhalb des Gemeindegebiets beschränken. Im Ergebnis vermag es deshalb auch das verfassungsrechtlich verankerte Selbstverwaltungsrecht nicht, einen Verzicht auf vom staatlichen Gesetzgeber geschaffene Rechtsgrundlagen zu begründen 43 . III. Die Kongruenz des Schutzbereichs der Grundrechte und des Geltungsbereichs des Eingriffsvorbehalts bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen Auch nicht-finale Drittbeeinträchtigungen sind ihrer Struktur nach faktische Beeinträchtigungen, deren Eingriffscharakter nicht allein durch den Blick auf die staatliche Maßnahme, sondern nur unter der zusätzlichen Voraussetzung einer Beurteilung der (potentiellen) Wirkung dieser Maßnahme festgestellt werden kann. Ihre Einbeziehung in den Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts ist deshalb auch nicht zwingend. Den Ausgangspunkt zur Beantwortung der Frage, ob nicht-finale Drittbeeinträchtigungen insgesamt oder z.T. nicht vom Eingriffsvorbehalt erfaßt sind, bilden die oben entwickelten Vorgaben 44. Danach wird die Auslegung des Geltungsbereichs des Eingriffsvorbehalts maßgeblich bestimmt von dessen Funktionen sowie den spezifischen Erkenntnis- und Handhingsmöglichkeiten des Gesetzgebers. Diese "funktionelle" Betrachtungsweise hat bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen besondere Relevanz. Denn abgesehen von der Kausalität ist hier die Verbindung zwischen beeinträchtigender Wirkung und Verwaltungsmaßnahme besonders lose.
4 2
Vgl. oben Abschnitt 2, Π, 3, c,cc.
4 3
Die dargelegten Gründe behalten ihre Überzeugungskraft auch bei Berücksichtigung der von Möller zutreffend hervorgehobenen Tatsache, daß im Gegensatz zur ungenügenden Parlamentskontrolle der staatlichen Subnventionsverwaltung des Bundes und der Länder die kommunale Subventionsverwaltung eindeutig vom Gemeinderat beherrscht wird, Gemeindliche Subventionsverwaltung, S. 158,183 ff. 4 4
Teil 2, Abschnitt 4, C.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
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1. Meinungsstand Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung spiegelt nur zu einem ganz geringen Teil die Erkenntnis dieses "funktionellen" Ansatzes wieder. Dabei werden im folgenden neben den bereits dargestellten, allgemein zu faktischen Beeinträchtigungnen gemachten Stellungnahmen zusätzlich die speziell zu nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen vertretenen Auffassungen berücksichtigt 46. a) Generelle Ablehnung bzw. pauschale Bejahung des Eingriffsvorbehalts Daß sich ein Festschreiben des historischen Eingriffsvorbehalts mit seiner Orientierung am klassischen, gezielten, unmittelbaren und durch Rechtsakt erfolgten Grundrechtseingrifr verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen läßt, wurde bereits oben dargelegt 48. Das historische Verständnis des Eingriffsvorbehalts kann jedenfalls dann nicht mehr als Beleg ausreichen, wenn man - wie es im Einklang mit der ganz überwiegenden Meinung hier getan wird die Meinung vertritt, daß sich der Schutzbereich der Grundrechte auch auf nicht-finale Beeinträchtigungen beziehen kann 49 . Prima facie muß der Eingriffsvorbehalt alle möglichen Grundrechtseingriffe erfassen, eine Einschränkung bedarf der verfassungsrechtlichen Rechtfertigimg 5 . Diese liefert nicht eine zwar historisch begründete, aber grundgesetzlich nicht zu belegende "ratio", sondern eine verfassungsrechtlich abgesicherte, funktionelle Begrenzung des Eingriffsvorbehalts. Wenig überzeugend erscheint allerdings auch die insbesondere für konkurrentenbeeinträchtigende Subventionen vertretene Gegenmeinung, wonach von der Möglichkeit einer grundrechtsbeeinträchtigenden SubventioSiehe oben Teil 2, Abschnitt 4, B. 46
Es fällt auf, daß sich die Diskussion der zwei "Prototypenn nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen, der Nachbarbeeinträchtigungen und der Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen, sehr ungleich verteilt: Während etwa die Frage der Geltung des Eingriffsvorbehalts für Verwaltungsakte mit nachbarbeeinträchtigender Wirkung nur ganz vereinzelt problematisiert wird (vgl. Faber, Verwaltungsrecht, S. 266), lassen sich in der Literatur häufiger Stimmen zu dem Problem finden, ob Subventionen gerade wegen der potentiell konkurrentenbeeinträchtigenden Wirkung einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. 47 Vgl. die Nachweisungen oben Teil 2, Abschnitt 4, Β, I, Fn. 11. Ahnlich will Faber, Verwaltungsrecht, S. 266, drittbelastende Verwaltungsakte nicht unter den Gesetzesvorbehalt fallen lassen, weil sie keinen "Eingriff im strengen Sinne" darstellen. 4 8 Teil 3, Abschnitt 3, A,H, 2. 49 Vgl. Murswiek, Verantwortung, S. 134. Murswiek, Verantwortung, S. 134.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
nierung zwingend auf die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage geschlossen wird 51 . Dieser Auffassung kann zwar im Ausgangspunkt zugestimmt werden. Auch die Lehre vom Eingriffsvorbehalt hat sich der Realität des wirtschaftslenkenden und sozialgestaltenden Staates anzupassen. Es ist widerprüchlich, wenn das Gesetz als Garantie der Rechtsstaatlichkeit für Eingriffe von untergeordneter Bedeutung seit langem einhellig gefordert wird, ein durch die Wirtschaftssubventionierung bewirkter erheblicher Eingriff in die Wettbewerbs- und Ertragslage des nicht subventionierten Unternehmens jedoch nicht als "Eingriff' gewürdigt und unter den Gesetzesvorbehalt gestellt wird 52 . Nicht hinreichend Rechnimg trägt diese Auffassung allerdings den begrenzten Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers. Denn auch wenn ein Gericht im Einzelfall die Eingriffswirkung einer Subvention feststellen kann, bedeutet das noch nicht, daß der ex ante tätig werdende Gesetzgeber diese Wirkung vorhersehen und normieren konnte53. Deshalb muß dieser Meinung jedenfalls insoweit die Zustimmung versagt bleiben, als sie auf jede Problematisierung der Möglichkeit einer Einschränkung bzw. Modifizierung des Eingriffsvorbehalts verzichtet54. b) Beschränkung des Eingriffsvorbehalts Begünstigung und Belastung
auf Fälle der "Interdependent*
von
Weitgehend Einigkeit besteht in Rechtsprechung und Literatur darüber, daß eine besondere gesetzliche Grundlage für die Gewährung staatlicher Leistungen dann erforderlich ist, wenn die Förderung des Begünstigten in einem notwendigen bzw. untrennbaren Zusammenhang mit der Belastung eines Dritten steht55. Beispielsfälle bilden insbesondere Subventionen, die aus 5 1 Aus der älteren Literatur: Stern, JZ 1960,518 ff. (524 f.); Bellstedt, DÖV 1961,161 ff. (164 ff.); Maunz, in: Maunz/Dürig, 1960, Art. 20, VI, Rn. 135; Röttgen, Fondsverwaltung in der Bundesrepublik, S. 66 - 72; Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 290 ff. - Aus der neueren Literatur. Schenke, GewArch. 1977, 313 ff. (316); deis., WiVerw, 1978,226 ff. (236); Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (477); ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 121, 195; Papier, DVBl. 1984, 801 ff. (810 f.); ders., in: Götz u.a. (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung, S. 59 f. 52 Vgl. Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 290 f. Immer wieder zitiert wird in diesem Zusammenhang das drastische Beispiel Mallmanns, WDStRL 19 (1961), 165 ff. (185): Nach der herkömmlichen Lehre bedürfe die Verwaltung der gesetzlichen Grundlage, wenn sie dem Fabrikanten die Ausbesserung des baufälligen Fabriktors befehlen will. Sie sei jedoch aus eigener Kraft 53 befugt, durch Subventionierung seines Konkurrenten seine Existenz zu untergraben. 5 4 5 5
Vgl. etwa Stober, Handbuch, S. 180. Wie z.B. Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (475,477).
Sog. Intcrdcpendcnzlehre, vgl. BVerwGE 6, 282 (288); 17, 111 (115); 18, 352 (353); DÖV 1959, 706 (708); Hess. VGH DÖV 1963, 880 (881). Imboden, Das Gesetz als Garantie
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
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dem Aufkommen einer eigens zu diesem Zweck erhobenen Ausgleichsabgabe finanziert werden, mit denen also untrennbar eine Abgabepflicht der im "Ausgleichsverbund" Stehenden verbunden ist 56 . Die Beispielsfälle offenbaren die bedingte Aussagekraft dieser Auffassung für unser Problem. Denn bei diesen Arten der "Drittbeeinträchtigungen" handelt es sich nicht um nicht-finale Drittbeeinträchtigungen im hier behandelten Sinn. Die unmittelbare und gezielte Erhebung einer Ausgleichsabgabe löst als klassischer Eingriff bereits den herkömmlichen Eingriffsvorbehalt aus, an der Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für diesen Eingriff besteht kein Zweifel. Die Besonderheit dieser Auffassung besteht darin, daß in entsprechender Anwendung des § 139 BGB Begünstigung und Belastung einer "einheitlichen rechtlichen Beurteilung" unterzogen werden, deshalb aus der Unzulässigkeit der Belastung (etwa wegen Fehlens der gesetzlichen Grundlage) auch die der Begünstigung gefolgert und folglich der Gesetzesvorbehalt in diesen Fällen auch auf die Regelung der Begünstigung (z.B. der Ausgleichsleistung) erstreckt wird 57 . Aber auch wenn wir den Gedanken der Interdependenz zwischen staatlicher Leistung und Eingriffswirkung von den beschriebenen Beispielsfällen lösen, kommt ihm für das hier behandelte Problem keine nennenswerte Bedeutung zu. Denn in den Hauptfällen nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen besteht gerade keine unrechtsstaatlicher Verwaltung, S. 42; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20, VI., Rn. 66 (er spricht insoweit von "janusköpfigen Verwaltungsakten"); Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht III, § 138 Π, c, 2.; Köttgen, Fondsverwaltung in der Bundesrepublik, S. 66; Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 290; Schnapp, in: v. Münch, Art. 20 Rn. 44; Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 328; Friauf, Ordnungsrahmen, Bd. I, S. M 17. Zur höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu bemerken, daß sie einen wesentlich engeren Zusammenhang zwischen der Begünstigung und der korrespondierenden Belastung voraussetzt als Teile des Schrifttums (z.B. Imboden, S. 42; Zeidler, Staat 1 [1962], 321 ff. [335], die mit der Interdependenz eine gesetzliche Grundlage für alle staatlichen Leistungen begründen, weil der Staat die entsprechenden Beträge z.B. durch Steuern "vorher anderen weggenommen" habe; dazu kritisch Friauf, DVB1.1966,729 ff. [734 f.]). Bis auf die Fallgruppe der "janusköpfigen" staatlichen Leistungen übt die Rechtsprechung äußerste Zurückhaltung bei der Forderung nach gesetzlichen Grundlagen für den staatlichen Leistungsbereich, vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 808; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20, VI, Rn. 67. 5 6
So sollten durch den BVerwGE 6, 282 ff. zugrundeliegenden Ölmühlenpreisausgleich einheitliche und gleichbleibende Verkaufspreise der von den deutschen Ölmühlen hergestellten Öle und Fette sichergestellt werden. Zu diesem Zweck wurde ein Festpreis bestimmt, bei dessen Überschreitung der Mehrerlös an die Behörde abgeführt werden mußte (Ausgleichsabgabe), während ein Minderbetrag durch diese ausgeglichen wurde (Ausgleichsbetrag). Ähnliche Fälle: der Ertragsausgleich in der Milchwirtschaft nach Maßgabe des Milch- und FettG (vgl. dazu Köttgen, Fondsverwaltung, S. 66); die Getreidepreisregulierung (vgl. dazu Sendler, WiVerw 1978,156 ff. (171 f.)). 57 BVerwGE 6, 282 (288). Die Subventionierung kann deshalb nicht zulässig sein, wenn die Rechtsgrundlage für die Erhebung der Ausgleichsabgabe fehlt.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
trennbare Wechselwirkung zwischen der leistenden Verwaltungstätigkeit und dem Eingriff in das Grundrecht des Dritten. Keine Subvention ist notwendigerweise mit einem Eingriff in Grundrechte des Konkurrenten verbunden, keine staatliche Genehmigung bedeutet zwangsläufig eine Grundrechtsbeeinträchtigung des Nachbarn . c) Geltung des Eingriffsvorbehalts für Subventionen, die spezifische grundrechtliche Gewährleistungsbereiche berühren In Abweichung von der generellen Linie der Rechtsprechung, als normative Grundlage für Subventionen den jeweiligen Haushaltsplan in Verbindung mit dem Haushaltsgesetz ausreichen zu lassen59, wird von Teilen der verwaltungs- und oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie der Literatur der Gesetzesvorbehalt jedenfalls auf Subventionen in bestimmten Sachbereichen erstreckt. Das gilt beispielsweise für Pressesubventionen60, die Filmförderung 61 und vergleichbare Fälle 62 . Soweit eine Begründung erfolgt, deckt sich diese mit der Rechtfertigung des im Verhältnis zu allgemeinen Subventionen weiterreichenden Grundrechtsschutzes in diesen Fällen . Dies erklärt jedoch noch nicht den Widerspruch, daß hier vom Grundrechtseingriff direkt auf den Eingriffsvorbehalt geschlossen, in Fällen "normaler" Subventionen, denen u.U. auch Eingriffscharakter zukommt, eine besondere gesetzliche Grundlage jedoch für entbehrlich gehalten wird. An einer nachvollziehbaren Konzeption für diese unterschiedliche Behandlung fehlt es bislang. d) Beschränkung des Eingriffsvorbehalts
auf vorhersehbare Beeinträchtigunge
Z.T. lassen sich Stimmen in der Literatur finden, die mit Rücksicht auf die begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Gesetzgebers den Geltungsbe58 Vgl. dazu etwa Faber, Verwaltungsrecht, S. 266. Wir haben oben i.e. dargestellt, daß nicht-finale Drittbeeinträchtigungen regelmäßig nur unter ganz besonderen Voraussetzungen Grundrechtseingriffe darstellen, nämlich im Falle besonders schwerer Beeinträchtigungen, die das Grundrecht faktisch entwerten (Abschnitt 2, B, III, 3, c). 5 9 Vgl. BVerwGE 6,282 (287 f.); 58,45 (48 f.). 60
VG Berlin, DVBl. 1975, 268 (270 f.); OVG Berlin, DVBl. 1975,905 (908); Schenke, Der Staat 15 (1976), 553 ff. (565); Friauf, Ordnungsrahmen, Bd. 2, S. M 15; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 302 f., 310 f.; v. Münch, in: ders., Art. 5 Rn. 29 a. 6 1 Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 328. 6 2
Friauf, Ordnungsrahmen, Bd. 2, S. M15; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 300 ff. Dazu i.e. bereits oben Teil 4, Abschnitt 2, Β, IV, 1.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
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reich des Eingriffsvorbehalts auf (für den Gesetzgeber) vorhersehbare Grundrechtsbeeinträchtigungen reduzieren wollen 64 . In ihrem Ausgangspunkt entspricht diese Auffassung als einzige dem von uns entwickelten funktionellen Ansatz. Ob sich die Vorhersehbarkeit einer Grundrechtsbeeinträchtigung jedoch tatsächlich als geeignetes Merkmal zur Begrenzung des Eingriffsvorbehalts erweist, wird im folgenden zu untersuchen sein. 2. Die Beschränkung des Eingriffsvorbehalts auf typischerweise ausgelöste, nicht-finale Drittbeeinträchtigungen Nach den oben 65 entwickelten Vorgaben läßt sich eine einschränkende Auslegung des Eingriffsvorbehalts verfassungsrechtlich rechtfertigen, wenn und soweit sie sich an dessen Funktionen und deren Erfüllbarkeit orientiert. Das erfordert zunächst eine spezifische Untersuchung der Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers in Bezug auf nicht-finale Drittbeeinträchtigungen. a) Der Aspekt gesetzgeberischer Erkenntnismöglichkeiten Unter dem Gesichtspunkt gesetzgeberischer Erkenntnismöglichkeiten werfen nicht-finale Drittbeeinträchtigungen erhebliche Probleme auf. Der Gesetzgeber muß vor Erlaß der Verwaltungsmaßnahme darüber entscheiden, ob diese einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Er muß daher eine Prognose anstellen, ob eine bestimmte staatliche Maßnahme möglicherweise einen Grundrechtseingriff nach sich zieht 66 . Wie bei allen faktischen Beeinträchtigungen ist auch bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen der Grundrechtseingriff nicht notwendig mit der Verwaltungsmaßnahme verbunden. Die Erkenntnis des Eingriffscharakters setzt auch hier neben der Kenntnis der Maßnahme eine weitere Kenntnis der Wirklichkeit, nämlich die der Wirkung der Maßnahme voraus. Im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen gestaltet sich die gesetzgeberische Prognose über den Zusammenhang zwischen Verwaltungsmaßnahme und potentiell grundrechtsbeeinträchtigender Wirkung besonders schwierig, weü es aus der Sicht des 64 Vgl. generell für faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen die Nachweise oben Teil 2, Abschnitt 4, Β, I, 2. Speziell für Subventionen: Bleckmann, Subventionsrecht, S. 54 ff.; Scholz, DÖV 1975,137; Forster, Klagebefugnis, S. 370 ff.; Stober, AöR 113 (1988), 497 ff. (503); ders., Handbuch, S. 180. 65 Teil 2, Abschnitt 4, C. 66 Dazu bereits oben Teil 3. Gesetzgebung und Verwaltung sind insoweit zu unterschiedlichen Zeitpunkten zur Beurteilung des Eingriffscharakters berufen, woraus sich unterschiedliche Erkenntnismöglichkeiten ergeben.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
Gesetzgebers an Anhaltspunkten fehlt. Anders als bei finalen Drittbeeinträchtigungen, bei denen er in der Regel von der Zweckrichtung der Maßnahme auf die grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung schließen kann, besteht das verknüpfende Element hier allein in der Kausalität, was eine kaum vorhersehbare Vielgestaltigkeit möglicher Folgen bedingt. Die nichtfinale Folge kann zwangsläufig, aber auch zufällig oder auf Grund ganz besonderer Umstände im Einzelfall eintreten; sie kann eine selten oder eine häufig auftretende Wirkung der Maßnahme sein; darüberhinaus kann sie bereits nach kurzer oder erst sehr langer Zeit nach der Maßnahme in Erscheinung treten. Ob beispielsweise eine Subvention im Einzelfall die Wettbewerbsbeeinträchtigung eines Konkurrenten herbeiführt, ist eine komplexe Frage, die von einer Vielzahl von - sich im Laufe der Zeit ändernden - Faktoren abhängt67. Da zudem eine Grundrechtsbeeinträchtigimg nur im Falle der Existenzgefährdung des Konkurrenten gegeben ist, wird der Eingriffscharakter häufig nicht einmal von der subventionsgewährenden Verwaltung, geschweige denn vom Gesetzgeber vorhergesehen werden können 68 . Das Beispiel verdeutlicht, daß die grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung jedenfalls nicht in allen Fällen nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen ex ante für den Gesetzgeber erkennbar ist 69 . Der Gedanke eines "vorsorglichen Gesetzesvorbehalts" für die Fälle nicht vorhersehbarer Wirkung zeigt insoweit keinen Lösungsweg auf 70 . Denn danach müßte z.B. im Subventionsbereich auf Verdacht eine Vielzahl von spezialgesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, obwohl diese der Sache nach in ihrer ganz überwiegenden Zahl vom Eingriffsvorbehalt nicht gefordert wären. Eine solche pauschale Legitimierung nicht vorhersehbarer Grundrechtseingriffe hätte unannehmbare Konsequenzen: zum einen würde sie zu einer Überlastung des Gesetzgebers führen , zum anderen weder die rechtsstaatliche, noch die grundrechtssichernde Funktion des Eingriffsvorbehalts erfüllen, sondern ihn zu einer inhaltsleeren Förmlichkeit degradieren.
67 Etwa von der Konjunkturlage, den Wechselkursen, globalen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, der Marktstruktur in einer bestimmten Branche. Ohne eine eingehende Analyse der Wettbewerbssituation kann die Frage nach den Subventionswirkungen in der Regel nicht beantwortet /TO werden, vgl. Friauf, Ordnungsrahmen, Bd. 2, S. M 24 m.w.N. Vgl. Bleckmann, Subventionsrecht, S. 54 f.; Stober, Handbuch, S. 180: Scholz, DÖV 1975,136 f. 6 9 Daß der Grundrechtsschutz prinzipiell von einer Voraussehbarkeit durch den Staat nicht abhängt, wurde oben dargelegt. 70 Dazu Stober, Handbuch, S. 180. 7 1 Stober, Handbuch, S. 180; ders., AöR 113 (1988), 497 ff. (503).
Abschnitt 3: Der Gesetzesvobehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
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b) Der Aspekt gesetzgeberischer Handlungsmöglichkeiten Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen stellen den Gesetzgeber auch im Hinblick auf seine spezifischen Handlungsmöglichkeiten vor erhebliche Probleme. Insbesondere zur Erfüllung seiner rechtsstaatlichen Funktion muß das den Eingriffsvorbehalt ausfüllende Gesetz grundsätzlich abstraktgenerellen Charakter aufweisen. Die Handlungsform der generell-abstrakten Programmierung ist eng verknüpft mit der Notwendigkeit einer "typisierenden" Betrachtungsweise des Gesetzgebers. Nur eine Typisierung ermöglicht es ihm, abstrakt und im voraus für eine Vielzahl von Fällen Regelungen zu treffen . Für den überwiegenden Teil nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen kann gesagt werden, daß sie sich einer derartigen typisierenden Betrachtungsweise entziehen und eine generell-abstrakte Programmierung hier an Grenzen stößt. Wie wir festgestellt haben, erfüllen nicht-finale Drittbeeinträchtigungen grundsätzlich nur im Falle einer besonderen Intensität die Voraussetzungen eines Grundrechtseingriffs. Im Regelfall ruft eine Verwaltungsmaßnahme keine von der Behörde nicht bezweckten Wirkungen hervor, die diese besondere Schwere aufweisen. Wenn überhaupt, wird die grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung nur in seltenen Ausnahmefällen auftreten. Deutlich wird dies bereits an der Behandlung, die diese Fälle durch die Rechtsprechung erfahren haben. Unter Berufung auf Grundrechte erhobene Konkurrentenklagen gegen "normale" Wirtschaftssubventionen wurden - soweit ersichtlich - bislang noch nicht mit Erfolg durchgeführt. Auch die spärlichen Beispielsfälle erfolgreicher, auf Art. 14 GG gestützter Nachbarklagen73 führen plastisch vor Augen, daß es sich hierbei um außergewöhnliche Einzelfälle handelt74. Die überwiegende Literatur teilt diese Einschätzung 75 . Da der Eingriffscharakter nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen somit in den meisten Fällen nur eine atypische, im Einzelfall auftretende, besondere Folge der Verwaltungsmaßnahme ist, kann er bei Zugrundelegung einer typisierenden Betrachtungsweise nicht berücksichtigt werden. Denn hier sieht sich der Gesetzgeber außerstande, anhand der Verwaltungsmaßnahme ab72 7 3
S. dazu Teil 2, Abschnitt 4, C, I. Vgl. oben Teil 4, Abschnitt 2, Β, Π, 4, a, bb), (1).
74 Die Rechtsprechung selbst belegt den Ausnahmecharakter, so fuhrt z.B. das BVerwG in E 32,173 (178 f.) aus, "... Genehmigungen werden zwar in aller Regel das durch A r t 14 GG geschützte Eigentum eines Nachbarn nicht verletzen." Aber "grobe Mißgriffe der Genehmigungsbehörden" sollen grundrechtlichen Schutz auslösen. 75 Vgl. Friauf, Baurecht, S. 594 f.("Extremfälle"); Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 195 ("untypische Beeinträchtigung"); Schwerdtfeger, Struktur, S. 28 ("atypisch"); ders., NVwZ 1982,5 ff. (11) ("atypisch"); Miebach, JuS 1987, 956 ff. (959) ("krasse Ausnahmefälle"); Preis, Die Klagebefugnis, S. 252 ("ausnahmsweise").
352
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
strakt und im voraus für eine Vielzahl von Fällen zu beurteilen, ob die Maßnahme mit grundrechtsbeeinträchtigenden Folgewirkungen verbunden sein wird und wer als betroffener Grundrechtsträger in Betracht kommt. Die Schaffung abstrakt-genereller Ermächtigungsgrundlagen für derartige Grundrechtsbeeinträchtigungen wird deshalb überhaupt nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen möglich sein. Zwar ist der Gesetzgeber - wie verschiedene Befreiungs- oder Dispensvorschriften zeigen76 - rein gesetzestechnisch in der Lage, auch atypische Ausnahmefälle zu erfassen. Allerdings begibt sich das Gesetz hier weitgehend seiner rechtsstaatlichen Funktion, indem es in einer mehr oder weniger unbestimmten Regelung im wesentlichen auf die Rechtsanwendungsebene verweist 77. Mit Hilfe z.B. eines Dispenses sollen Härten für den Betroffenen beseitigt werden, die sich aus der abstrakt-generellen Reglung ergeben 78. Die pauschale Verweisung auf die Rechtsanwendungsebene mag zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit zugunsten des Bürgers geeignet sein, nicht jedoch zur Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs und zur Erfüllung der Funktionen des Eingriffsvorbehalts. c) Konsequenzen des Befunds Der Befund, daß die Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers begrenzt und deshalb die Funktionen des Eingriffsvorbehalts nicht bei allen grundrechtsbeeinträchtigenden, nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen erfüllbar sind, macht den Versuch einer konkreten GrenzZiehung zwischen in den Vorbehaltsbereich einzubeziehenden und nicht einzubeziehenden Drittbeeinträchtigungen erforderlich. aa) Das Kriterium der Vorhersehbarkeit 79 Eine Grenzziehung anhand des Maßstabs der Vorhersehbarkeit der grundrechtsbeeinträchtigenden Nebenwirkung für den Gesetzgeber, wie sie z.T. in der Literatur vertreten wird, stößt auf Bedenken. Der Begriff der Vorhersehbarkeit zeichnet sich durch ein hohes Maß an Unbestimmtheit aus. Insbesondere ruft er zwangsläufig die Frage hervor, ob ein subjektiver
7 6
77 78 79
Vgl. etwa §31 II BauGB, §57IV LBO BW. Vgl. Georg Müller, Rechtsetzung, S. 85. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 55.
Zur Ablehnung des Vorhersehbarkeitskriteriums als Voraussetzung des Grundrechtsschutzes bereits oben Abschnitt 2, Β, II, 3.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
353
QA
oder ein objektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist . Ein Abstellen auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des jeweiligen Gesetzgebers muß von vornherein ausscheiden. Diese Methode wäre angesichts der Vielzahl der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen bereits praktisch kaum durchführbar und außerdem mit Beweisschwierigkeiten bei der Ermittlung des Willens bzw. Bewußtseins des "Gesetzgebers" verbunden. Aber auch wenn man eine Objektivierung des Vorhersehbarkeitskriteriums vornimmt und etwa auf den Standpunkt eines unbefangenen, objektiven und mit den Verhältnissen vertrauten Dritten abstellt, ist ein griffiger Abgrenzungsmaßstab nicht gewonnen. Denn auch dann wird sich gerade im Hinblick auf die Folgenprognose des Gesetzgebers ein eindeutiger Sorgfaltsmaßstab nicht ermitteln lassen, sondern je nach "Strenge" der angelegten Sorgfaltsanforderungen werden die Antworten auf die Frage nach Einbeziehung oder Nichteinbeziehung drittbeeinträchtigender Wirkungen in den Vorbehaltsbereich sehr unterschiedlich ausfallen 81. Von solchen Unsicherheitsfaktoren darf die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit eines Verwaltungshandelns und insbesondere die Geltung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes nicht abhängen82. Darüberhinaus würde mit dem Voraussehbarkeitskriterium nur die Begrenztheit gesetzgeberischer Erkenntnismöglichkeiten berücksichtigt; noch nichts gesagt ist damit darüber, ob dem Gesetzgeber dann auch eine abstrakt-generelle Normierung der Drittbeeinträchtigung im voraus möglich ist. bb) Vorschlag: Der Ausschluß atypischer Nebenwirkungen Eine weitere Möglichkeit bildet die Grenzziehung anhand des Begriffspaars typische - atypische Nebenwirkungen. Der Gesetzgeber kann die Erkenntnis davon, ob eine Verwaltungsmaßnahme drittbeeinträchtigende Wirkimg hat, nur unter Berücksichtigung der Tatsachen, die beim Gesetzesbeschluß vorhegen, sowie der Erfahrungssätze, die ihm zusammen mit den Tatsachen ein Urteil über den künftigen Kausalverlauf ermöglichen, gewinnen. Geht der Erfahrungssatz dahin, daß eine bestimmte Verwal80
Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 96; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S.
116.
81
So wird es bei Anwendung strengster Sorgfaltsmaßstäbe kaum Fälle geben, in denen beispielsweise die Vorhersehbarkeit von Nachbarbeeinträchtigungen für den Gesetzgeber verneint werden müßte. Vgl. dazu auch Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 102 f., 116.
82
Vgl. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 96. Ganz in diesem Sinne will beispielsweise Bleckmann, Subventionsrecht, S. 54, das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für eine konkurrentenbeeinträchtigende Subvention nicht allein von der Voraussehbarkeit der Eingriffswirkung, sondern zusätzlich deren "Offensichtlichkeit" abhängig machen. 23 Roth
354
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
tungsmaßnahme typischerweise mit Grundrechtsbeeinträchtigungen Dritter verbunden ist, kann der Gesetzgeber diese Folge nicht nur erkennen, sondern allgemein und im voraus für eine Vielzahl von Fällen unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls auch eine gesetzliche Regelung schaffen 83 . Das Kriterium des "Typischen" ermöglicht eine ausreichende gegenständliche, zeitliche und personelle Eingrenzung der grundrechtlichen Beeinträchtigung, wodurch Gefahren für die Rechtssicherheit oder eines lähmenden Einflusses auf die Gesetzgebungsorgane gering gehalten werden. Soweit sich die Drittbeeinträchtigung jedoch als atypische Folge eines Verwaltungshandelns darstellt, erscheint deren angemessene Berücksichtigung durch den Gesetzgeber aufgrund dessen abstrakt-genereller, typisierender Betrachtimgsweise als ausgeschlossen. Eine derartige Beeinträchtigung kann in adäquater Weise nicht generell und im voraus, sondern nur aktuell im konkreten Fall durch die zur Einzelfallbeurteilung berufenen und besser geeigneten Organe der Verwaltung und der Rechtsprechung berücksichtigt werden 84. In diesem Bereich kann der Eingriffsvorbehalt daher weder seine rechtsstaatliche noch seine demokratische Funktion entfalten. Das Gesetz kann hier weder die mit der behördlichen Maßnahme verbundenen Wirkungen für den Bürger generell voraussehbar machen, noch kann es allgemeine Maßstäbe für die gerichtliche Kontrolle setzen. Auch die besonderen Qualitäten des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers, insbesondere das auf einen umfassenden Interessenausgleich gerichtete Gesetzgebungsverfahren, kommen in atypischen, nur im Einzelfall auftretenden Fällen nicht zum Tragen 85. Erweist sich das Kriterium der "typischen Folge" insofern als funktionsadäquat, als es die Berücksichtigung typischer Grundrechtsbeeinträchtigungen vorrangig dem Gesetzgeber, die Behandlung atypischer unmittelbar den Verwaltungsbehörden und der Gerichtsbarkeit zuweist, ermöglicht es zusätzlich auch eine praktikable und hinreichend scharfe Abgrenzung des Vorbehaltsbereichs. So läßt sich die Fragestellung, ob eine bestimmte Verwaltungsmaßnahme typischerweise zu Grundrechtsbeeinträchtigungen führt, meist anhand bestimmter Unter-Kriterien konkretisieren. Bei einer Subvention können z.B. die Art der Maßnahme überhaupt (Zuschuß, Darlehn, Bürgschaft), die Höhe der Förderung, der Wirtschaftszweig, dem der Geförderte angehört, die wirtschaftliche Lage auf diesem Wirtschaftssektor, die Inten-
83 84
Zur typisierenden Betrachtungsweise des Gesetzgebers Teil 2, Abschnitt 4, C, I.
Vgl. nur Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 275 ff. 85 Vgl. Bleckmann, Ordnungsrahmen, Bd. I, S. D 71 ff.; ders., DVB1. 1984, 6 ff. Im Hinblick auf das demokratische Defizit ist zu berücksichtigen, daß auch der Exekutive und der Justiz eine gewisse demokratische Legitimation zukommt, welcher u.U. eine kompensierende Wirkung zugestanden werden kann, oben Teil 2, Abschnitt 4, C, II, 3, b.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
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sität der Konkurrenzverhältnisse sowie die geographische Aufteilung der Marktbereiche herangezogen werden 86. Bleiben dennoch Zweifel an der Typizität, läßt sich eine Konkretisierung durch die Anknüpfung an den Maßstab erreichen, den das BVerfG an die Verhältnismäßigkeitskontrolle gesetzgeberischer Prognosen anlegt. Danach steht dem Gesetzgeber bei der Einschätzung der Auswirkungen einer neuen Regelung ein beträchtlicher Spielraum zu; eine verfassungsgerichtliche Kontrolle muß sich auf die Überprüfung der "Vertretbarkeit" der gesetzgeberischen Prognose beschränken 7 . Für misere Problematik würde das bedeuten, daß eine Verletzung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes nur vorläge, wenn der Gesetzgeber die Regelung einer evident typischen Folge unterläßt 88. Eine gewisse Bestätigung erfährt der hier vorgeschlagene Abgrenzungsmaßstab der Sache nach durch Teile der Literatur und der Rechtsprechung. So vertritt beispielsweise Badura ohne nähere Begründung, daß eine Subvention nicht bereits deshalb einer gesetzlichen Grundlage bedürfe, weil sie mit einer enteignenden Nebenwirkung verbunden sei. Allein das Fehlen der Ermächtigungsgrundlage würde bei einer im Einzelfall eintretenden enteignenden Nebenwirkung die Subvention nicht rechtswidrig machen, wenn sie sich ansonsten als rechtmäßig, insbesondere als verhältnismäßig darstelle 89. Indirekt läßt sich auch der Rechtsprechung des BGH zum enteignenden Eingriff entnehmen, daß die Duldungspflicht des Dritten im Falle enteignend wirkender Eigentumsbeeinträchtigungen, die als atypische und ungewollte Folge rechtmäßigen Verwaltungshandlens eintreten 90, eine gesetzliche Grundlage nicht voraussetzt, insoweit also eine Ausnahme vom Prinzip des Eingriffsvorbehalts gemacht wird 91 . 8 6
87 88
Forster, Die Klagebefugnis, S. 374; vgl. auch Hamann BB 1962,505 ff. (506). S. dazu Teil 1, Abschnitt 6, C, I, insbesondere mit Fn. 45.
Zu Inhalt und Grenzen des gesetzgeberischen Typisierungsspielraums Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 165 ff.; Schwerdtfeger, Struktur, S. 28. 89 Badura, Eigentumsschutz, 1 ff. (22 f.). Den Dritten treffe in diesen Fällen eine Duldungspflicht, er könne jedoch einen Entschädigungsanspruch wegen enteignenden Eingriffs geltend machen, a.a.O., S. 23. Ein ähnlicher Gedanke findet sich auch bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 15, der den Gesetzesvorbehalt im Leistungsbereich etwas pauschal auf90die "Normalfälle" beschränken will. Das klassische Beispiel bilden insoweit die Straßenbauarbeiten, die zu Umsatzverlusten eines an der Straße liegenden Warenhauses aufgrund von notwendigen Verkehrsbeschränkungen91führen, vgl. nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 56. Trotz Eigentumseingriffs führt hier das Fehlen der gesetzlichen Grundlage nicht zum Abwehranspruch, sondern lediglich zum Entschädigungsanspruch des Dritten. Vgl. nur BGHZ 92,20 (26 ff.); Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 37,42; Olivet, NVwZ 1986,431 ff. Vgl. auch bereits oben Teil 1, Abschnitt 5, C.
356
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
(1) Zwischenergebnis und praktische Folgerungen - Die Funktionen des Eingriffsvorbehalts sind auf Grund der begrenzten Erkenntnis- und Handlungsmögüchkeiten des Gesetzgebers nicht bei allen grundrechtsbeeinträchtigenden nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen erfüllbar. Konkret sind nicht die für den Gesetzgeber unvorhersehbaren, sondern die atypischen Drittbeeinträchtigungen vom Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts auszunehmen. Atypische Grundrechtsbeeinträchtigungen können in adäquater Weise nicht abstrakt-generell und im voraus vom Gesetzgeber, sondern grundsätzlich nur aktuell im jeweiligen Einzelfall durch die dazu besonders befähigten Organe der Verwaltung und Rechtsprechung berücksichtigt werden. Im Hinbück auf atypische Drittbeeinträchtigungen kann deshalb auch der Eingriffsvorbehalt weder seine demokratische noch seine rechtsstaatliche Funktion entfalten. Bei der für den Geltungsumfang des Eingriffsvorbehalts maßgeblichen Grenzziehung zwischen typischen und atypischen Drittbeeinträchtigungen ist dem Gesetzgeber eine gewisse Entscheidungsprärogative zuzugestehen. - Was bedeutet die vorgeschlagene Lösung nun praktisch für die Fälle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen? Wie oben herausgearbeitet wurde, überschreiten nicht-finale Drittbeeinträchtigungen die Schwelle zum Grundrechtseingriff in der Regel nur, wenn sie eine besondere Intensität aufweisen. Typischerweise führen behördliche Genehmigungen oder "normale" Wirtschaftsssubventionen nicht zu Nebenwirkungen einer derartigen Intensität, sodaß die Fälle, in denen nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen Eingriffsqualität zukommt, als atypische eingestuft werden müssen. Anschaulich belegt wurde dies oben bereits anhand der spärlichen Fälle erfolgreicher, auf Art. 14 GG gestützter Nachbarklagen und des Umstands, daß bislang noch keine grundrechtlich begründeten Konkurrentenklagen gegen Subventionen erfolgreich waren . Bei Zugrundelegung unseres Vorschlags besteht keine Notwendigkeit formellgesetzlicher Regelungen in Fällen von Nachbarbeeinträchtigungen oder Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen. Es erfolgt hier lediglich eine gesetzesunabhängige Eingriffskontrolle unmittelbar anhand des betroffenen Grundrechts, insbesondere durch die gerichtliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall 93. Die atypische Beeinträchtigimg bedarf somit keiner gesetzlichen Rechtfertigung, letztere kann u.U. durch eine Bewertung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall ersetzt werden. So kann beispielsweise der in einer subventionsbedingten, schweren Beeinträchtigung der Wettbewerbsstellung des Konkurrenten hegende Grundrechtseingriff ggf. dadurch legitimiert und eine Dul92 9 3
Vgl. oben Abschnitt 3, A, III, 2, b mit Fn. 9,10,11. Vgl. Scholz, DÖV 1975,136 f. (137).
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
357
dungspflicht begründet werden, daß die Behörde bzw. das Gericht den Eingriff im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle etwa aufgrund vorrangiger strukturpolitischer Zwecke für gerechtfertigt ansieht94. Ist dies nicht der Fall, kann der Drittbetroffene den Eingriff abwehren. Somit bestehen für nicht-finale Drittbeeinträchtigungen, soweit sie atypische Folgen exekutiven Handelns sind, aufgrund des Eingriffsvorbehalts keine gesetzlichen Regelungserfordernisse; das schließt es jedoch nicht aus, daß der Gesetzgeber unter dem Aspekt der Wesentlichkeitstheorie diesbezüglich zum Erlaß von Normen verpflichtet ist 95 . Anders präsentiert sich die rechtliche Lage in den oben entwickelten Ausnahmefällen, in denen der Eingriffscharakter nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen keine besondere Intensität voraussetzt. Da z.B. die Gewährung einer Presse- oder einer Kunstsubvention aufgrund der im Wege der Normzweckuntersuchung ermittelten besonderen Sensibilität der einschlägigen Grundrechte bereits im Falle der Gefahr einer nicht unerheblichen Wettbewerbsbenachteiligung des Konkurrenten die Schwelle zum Grundrechtseingriff überschreitet, muß der Eingriff in den Schutzbereich hier als regelmäßige, typische Folge der Subvention angesehen werden. Nach dem vorgeschlagenen Abgrenzungsmaßstab fordert hier der Eingriffsvorbehalt eine formell-gesetzliche Grundlage 96. Damit ist jedoch lediglich über das Ob", nicht über die inhaltliche Ausgestaltung der Ermächtigungsgnmdlage entschieden97. (2) Einwände gegen den Vorschlag der einschränkenden Auslegung Ein Einwand könte sich dagegen richten, daß der vorgeschlagene Ausschluß atypischer Beeinträchtigungen vom Anwendungsbereich des Eingriffsvorbehalts zwangsläufig dazu führt, daß dieser letztlich auch seiner grundrechtsschützenden Funktion verlustig geht. Wie wir jedoch bereits aufgezeigt haben, ist streng zwischen Elementen des formellen und des materiellen Grundrechtsschutzes zu unterscheiden. Der Anwendungsbereich formell grundrechtsschützender Institute, wie z.B. Verfahrensrechte, ZitiergeQ4 (137). 95
Vgl. insbesondere Badura, Eigentumsschutz, S. 1 ff. (22f.); Scholz, DOV 1975, 136 f.
Dazu i.e. unten C. Der Eingriffsvorbehalt kann in diesen Fällen nur unter dem Aspekt des96Eingriffs in Grundrechte des Adressaten zum Zuge kommen, dazu unten IV, 3. Deshalb kann den Berliner Pressesubventionsentscheidungen im Ergebnis zugestimmt werden (vgl. dazu bereits oben Abschnitt 2, Β, IV, 1. Wie hier Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 302 f. sowie i.E. auch Friauf, Ordnungsrahmen, Bd. 2, S. M 14 f.; Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 328; ähnlich v. Münch, in: ders., Art. 5 Rn. 29 a. 97 Dazu i.e. unten IV.
358
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
bot, Junktim-KlauseL wird im Hinblick auf Drittbeeinträchtigungen erheblich eingeschränkt . Dies erscheint unter dem Aspekt des Grundrechtsschutzes jedenfalls dann hinnehmbar, wenn die Möglichkeiten des Drittbetroffenen, den elementaren materiellen Grundrechtsschutz - etwa auf dem Klagewege - zu erlangen, derartigen Einschränkungen nicht unterworfen ist, sondern weitgehend von "offenen" Kriterien abhängt. Auch beim Eingriffsvorbehalt handelt es sich um ein Instrument formellen Grundrechtsschutzes99. Angesichts der Tatsache, daß der von einer atypischen Maßnahme betroffene Nachbar bzw. Konkurrent in jedem Fall auf der Grundlage des Art. 19 IV GG Rechtssschutz unter Berufung auf eine Beeinträchtigung seiner Grundrechte erhalten kann 100 , läßt sich in diesem Bereich auch der Verzicht auf die (formell) grundrechtssichernde Funktion des Gesetzes rechtfertigen 101. Ein weiterer möglicher Einwand könnte sich auf das Ausmaß der einschränkenden Auslegung beziehen. Das zur Rechtfertigung einer einschränkenden Auslegung herangezogenen Prinzip der "Einheit der Verfassung" läßt Grenzziehungen nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu 1 0 2 . Eine Einschränkimg des Geltungsbereichs des Eingriffsvorbehalts ist danach nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich erscheint, um dem kollidierenden Verfassungsprinzip (funktionell verstandener) Gewaltenteilung hinreichend Wirksamkeit zu verleihen. Dies führt konkret zu der Frage, ob der völlige Ausschluß atypischer Beeinträchtigungen vom Anwendungsbereich nicht zu weit geht, ob nicht vielmehr bereits durch eine Modifizierung der Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage dem Grundsatz funktionsspezifischer Aufgabenerledigung im Hinblick auf nicht-finale Drittbeeinträchtigungen und den Funktionen des Eingriffsvorbehalts Rechnung getragen werden kann. Auf diese Frage soll im folgenden Abschnitt eingegangen werden.
98 9 9
Vgl. das Ergebnis von Teil 1, Abschnitt 6, Ε, II. Teil 2, Abschnitt 4, C, II, 3, c.
100 Siehe Teil 4, Abschnitt 2, Β, V, VI. Daß praktisch eine umfassende Kontrolle durch die Rechtsprechung gewährleistet wird, belegt das Beispiel der Subventionen. Hier wird den verwaltungsinternen Vergaberichtlinien auf dem Wege über die Selbstbindung der Verwaltung und den Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch quasi Normqualität verliehen. Außerdem wird die Beeinträchtigungssituation des Konkurrenten am Grundrecht der Wettbewerbsfreiheit und am Gleichheitssatz gemessen (vgl. Schnapp, in: v. Münch, Art. 20 Rn. 45; Stober, Handbuch S. 182). 101 Vgl. Scheuner, Wirtschaftslenkung, S. 73 f.; Mihatsch, Öffentliche Kunstsubventionierung, S. 47. 102 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 71 f.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
359
IV. Lockerung der Regelungsdichte im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen Anlaß für die Untersuchung des "Wie" der gesetzlichen Grundlage im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen ist nicht allein die Fragestellung, ob eine Modifizierung der Ermächtigungsnorm gegenüber dem vorgeschlagenen Teil-Verzicht die "verhältnismäßigere" Lösung wäre. Darüberhinaus muß für den Bereich typischer Beeinträchtigungen, die u.E. vom Eingriffsvorbehalt erfaßt sind, ermittelt werden, wie dort die gesetzliche Grundlage auszusehen hat. Eine Durchsicht der einschlägigen Rechtsprechung und des Schrifttums fördert zutage, daß im wesentlichen zwei Formen modifizierter Bestimmtheitsanforderungen vorgeschlagen werden. 1. Der Haushaltsplan i.V.m. dem Haushaltsgesetz als Grundlage konkurrentenbeeinträchtigender Subventionen - Die Normierung des Zwecks der Verwaltungsmaßnahme und die Funktionen des Eingriffsvorbehalts Erheblich reduzierte Regelungsanforderungen werden zunächst für einen bedeutenden Teilbereich nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen, den der konkurrentenbeeinträchtigenden Subventionen aufgestellt. Hier bestätigt die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung die bestehende Subventionspraxis und hält neben dem förmlich erlassenen materiellen Gesetz auch jede andere parlamentarische Willensäußerung, insbesondere die etatmäßige Bereitstellung der zur Subventionierung erforderlichen Mittel im Haushaltsplan als Teil des Haushaltsgesetzes als legitimiernde Grundlage für ausreichend 103 . Ein Teil der Literatur folgt der Rechtsprechung 104. Im einzelnen 10λ So das BVerwGE in ständiger Rechtsprechung, vgl. BVerwGE 6, 282 (287 f.); 18, 352 (53); 58, 45 (48). Auch die Oberverwaltungs- und Verwaltungsgerichte weichen im wesentlichen nicht von dieser Linie ab, vgl. etwa OVG Münster, NVwZ 1982, 381. Eine Ausnahme bilden die bereits erwähnten Berliner Pressesubventionsentscheidungen. Die Rechtsprechung des BVerfG ist unergiebig, da dieses Gericht bislang noch nicht zur Frage des Gesetzesvorbehalts für Subventionen Stellung nehmen mußte; vgl. dazu Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (475). 104 Vgl. Rüfner, Formen, S. 225 ff.; Ipsen, W D S t R L 25 (1967), S. 291 ff.; Schenke, GewArch. 1977,313 ff. (315); Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, S. 384; Sendler, WuV 1978, 156 ff.; Friauf, Ordnungsrahmen, Bd. 2, S. M 14 ff.; Stober, Handbuch, S. 181 f. m.w.N. Diese Auffassung wird allerdings seit jeher von einem gewichtigen Teil der Lehre massiv bekämpft, vgl. z.B. aus der älteren Literatur Stern, JZ 1960, 518 ff. (521 ff. ); Bellstedt, DÖV 1961,161 ff. (170 f.); Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 300 ff.; Pöttgen, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 128 ff. Aus der neueren Literatur vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 14; Bauer, DÖV 1983,53 ff. (58 f.); Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (476); Papier, in: Götz u.a.(Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung, S. 59 f.; Zuleeg, Subventionskontrolle, S. 82 ff.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
wird lediglich verlangt, daß im Haushaltsplan als Bestandteil des förmlichen Haushaltsgesetzes entsprechende Mittel eingesetzt sind, daß innerhalb des Haushaltsplans die Zweckbestimmung dieser Mittel ausreichend umrissen ist und daß die Vergabe dieser Mittel zu den der betreffenden Verwaltungsinstanz zugewiesenen verfassungsmäßigen Aufgaben gehört 105 . Für unsere Fragestellung von Bedeutung ist dabei, daß diese Lockerung der Bestimmtheitsanforderungen nicht nur bei grundrechtsneutralen, sondern gerade auch bei den drittbelastenden Subventionen gelten soll . Nicht entscheidend für die Frage, ob diese Art der Legitimierung die Anforderungen des Eingriffsvorbehalts erfüllt, ist der eher rechtstheoretische Streit über die Rechtssatzqualität des Haushaltsgesetzes107. Auch hier gebührt einer funktionellen Betrachtungsweise der Vorrang, wonach es maßgeblich darauf ankommt, ob die einzelnen Funktionen des Eingriffsvorbehalts tatsächlich erfüllt werden 108 . a) Die demokratische Funktion Was die demokratische Funktion anbelangt, so wird im Schrifttum z.T. bezweifelt, ob das Verfahren der Haushaltsgesetzgebung dem Parlament eine ausreichende Beteiligung und Einflußnahme im Hinblick auf die Entscheidung über die Vergabe von Subventionen gewährt 109 . Dabei muß zunächst hervorgehoben werden, daß es zur Erfüllung des demokratischparlamentarischen Prinzips nicht speziell eines Rechtssatzes, sondern ledig-
105
1ΠΛ
Vgl. Erichsen/Martens, S. 69; Stober, Handbuch, S. 182.
Papier, in: Götz u.a. (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung, S. 60 mit Fn. 97; Stober, Handbuch, S. 177 ff. 107 Zu diesem klassischen Problem des deutschen Staatsrechts eingehend und mit zahlreichen Nachweisungen Stern, Staatsrecht I, S. 1200 ff. Die Wirkungen des Haushaltsgesetzes beschränken sich auf den sog. innerorganschaftlichen Rechtskreis, auf die Ermächtigung der Exekutive durch das Parlament, die in den Titeln des Haushaltsplans ausgebrachten Beträge ausgeben zu dürfen. Dem Haushaltsgesetz kommt keine Außenwirkung im Verhältnis Staat Bürger zu (vgl. § 3 HaushaltsgrundsätzeG, § 3 BHO; BVerfGE 20,56 [91]; Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 298 ff.; Stern, Staatsrecht Π, S. 1207; Erichsen/Martens, S. 69). Diese Eigenschaft als lediglich formelles Gesetz wird von der Literatur häufig als Argument herangezogen, um seine Eignung als Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe zu bestreiten (vgl. Bellstedt, DÖV 1961,161 ff. [170 f.]; Bauer, DÖV 1983,53 ff. [59]; Badura, Eigentumsschutz, S. 23). 1 0 8 Vgl. Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 300 ff.; Jarass, NVwZ 1984,473 ff. (476); Papier, in: Götz u.a. (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung, S. 60. 109 Jarass, NVwZ 1984, 473 ff. (476); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 14; vgl. auch Ipsen, Subventionierung, S. 16, 17 ff.; Möller, Gemeindliche Subventionsverwaltung, S. 183.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvobehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
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lieh einer parlamentarischen Willensäußerung bedarf 110 . Deshalb kann unter demokratischem Aspekt nicht allein auf die - zugegebenermaßen spärlichen - Angaben im Haushaltsgesetz abgestellt werden. Der Umfang parlamentarischer Mitwirkung im Rahmen des Haushaltsverfahrens wird maßgeblich davon bestimmt, daß der Haushaltsentwurf in allen Einzelheiten im Haushaltsausschuß des Bundestages diskutiert wird, daß der Bundestag in zweiter Lesung über jeden Einzelplan abstimmt und schließlich nach der dritten Lesimg über die Haushaltsvorlage als ganze beschlossen wird 1 1 1 . Das Parlament ist somit an der grundlegenden Entscheidung über das Ob, den Zweck und den Umfang der Subventionierung eines bestimmten Bereichs beteiligt 112 . Ob das parlamentarische Prinzip eine Konkretisierung dieser recht allgemeinen Angaben im Haushaltsplan verlangt, insbesondere die Regelung des Adressatenkreises, der Tatbestandsvoraussetzungen und der Höhe der Einzelsubvention, muß bezweifelt werden. Dafür, daß das demokratische Prinzip als solches einer gesetzlichen Ermächtigung der Exekutive zu detaillierten Festsetzungen einen ähnlich engen Rahmen setzt wie z.B. Art. 801 GG, bestehen keine Anhaltspunkte113. b) Die rechtsstaatliche Funktion Letztlich kann dies jedoch offen bleiben, da die haushaltsgesetzliche Mittelbewilligung wegen ihrer Unbestimmtheit jedenfalls der rechtsstaatlichen Funktion des Eingriffsvorbehalts nicht gerecht wird. Gemäß Art. 82 GG im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden nach der deutschen Staatspraxis lediglich das Haushaltsgesetz und der in Anlage beigefügte Gesamtplan, nicht jedoch die Einzelpläne114. Der Gesamtplan führt lediglich die Kapitel sowie die Schlußzahlen der Einzelpläne auf, so daß sich aus ihm vor allem das Gesamtvolumen des Haushalts sowie die Volumen der Einzel-
1 1 0
Vgl. Rupp, Grundfragen, S. 145 f.; anders wohl Zuleeg, Subventionskontrolle, S. 82.
111
Der Haushaltsplan besteht aus dem Gesamtplan und den Einzelplänen (vgl. § 13 I BHO). Im einzelnen zu Gliederung und Inhalt des Haushaltsplans Stern, Staatsrecht II, S. 1214 f.; Vogt, in: Klein (Hrsg.), Lehrbuch des öffentlichen Finanzrechts, S. 134 ff. Zum Haushaltsverfahren Vogt, ebd., S. 155 f. 112 Vgl. Stober, Handbuch, S. 181; Zuleeg, Subventionskontrolle, S. 82. So sieht etwa der Entwurf des Bundeshaushaltsplans 1988 zum Einzelplan 12 unter Kapitel 1202, Titel 89212 "Zuschüsse für Neu- und Umbauten von Handelsschiffen (See) sowie anderen gewerblich genutzten Schiffen ab 100 BRT" vor. Vgl. BT-Drs. 11/1062, S. 2. 113 Vgl. Rupp, Grundfragen, S. 146. 114
Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 300; Stern, Staatsrecht U, S. 1206. Dies wird damit begründet, daß das Gesetzblatt sonst zu umfangreich würde, vgl. Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 300.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
pläne entnehmen lassen115. Aus ihm ist aber nicht einmal ersichtlich, ob und inwieweit überhaupt Subventionen im Haushalt bewilligt sind 116 . Aber auch im Falle der von der herrschenden Meinung praktizierten Einbeziehung der (nicht veröffentlichten) Einzelpläne in die Geltungskraft des Haushaltsgesetzes117 werden die rechtsstaatlichen Mindestanforderungen nicht erfüllt. Die Einzelpläne umschreiben in den Haushaltstiteln lediglich den Zuwendungszweck schlagwortartig mit einem Stichwort 118 . Nicht ersichtlich sind die Tatbestandsvoraussetzungen, von denen die Einzelsubvention abhängt, die Höhe und der Empfängerkreis der Zuwendung119. Die Regelung dieser wesentlichen Punkte, die einem Wettbewerber die Einschätzung der nachteiligen Auswirkungen einer Subvention auf seinen Freiheitsbereich ermöglichen und auch Maßstäbe für eine gerichtliche Kontrolle liefern, bleibt somit der Subventionsverwaltung überlassen 120. Sie hat in Form der Verwaltungsvorschriften in rechtsstaatlicher Hinsicht ein nur unvollkommenes Ordnungssurrogat" zu bieten 121 . Rechtsstaatlichen Anforderungen können 115
Vgl. z.B. den Gesamtplan des Bundeshaushaltsplans 1990, BGBl. 1,1989, S. 2427 ff.
116
Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 300 f.
1 1 7
Vgl. BVerfGE 20,56 (92); Stern, Staatsrecht II, S. 1206; Jarass/Pieroth, Art. 110 Rn. 11; v. Münch, in: ders., Art. 110 Rn. 3. 118 Vgl. z.B. den Einzelplan 09, Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft zum Haushaltsgesetz 1990 v. 22.12.1989 (Bundeshaushaltsplan 1990): Kapitel 0902 Allgemeine Bewilligungen, Titel 68301-189 "Einzelmaßnahmen im Filmbereich" (8 Mio. DM); Titelgruppe 06 "Förderung der Leistung?- und Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft sowie freier Berufe": Titel 66261-252 "Zinszuschüsse und Erstattung von Darlehensausfällen im Rahmen des Eigenkapitalhilfeprogramms zur Gründung selbständiger Existenzen"(135 Mio. DM); Titel 68564-650 "Förderung der Leistungssteigerung im Fremdenverkehrsgewerbe" (2,2 Mio. DM); Titelgruppe 10 "Hilfen für die Werftindustrie", Titel 68374-634 "Wettbewerbshilfen für die deutschen Schiffswerften" (180 Mio. DM). Vgl. auch Götz, S. 301. 119 Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 301; Zuleeg, Subventionskontrolle, S. 82 f.; Pöttgen, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 129 f.; Papier, in: Götz u.a., Die öffentliche Verwaltung, S. 60; Bleckmann, Subventionsrecht, S. 53; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 14; Erichsen/Martens, S. 69; Jarass, NVwZ 1984, 473 ff. (476). - Als Grund für die Unbestimmtheit des Haushaltsplans wird häufig das Bepackungsverbot des Art. 110 IV GG angegeben , vgl. nur Erichsen/Martens, S. 69. - Lediglich den Erläuterungen zu den Haushaltstiteln lassen sich bisweilen annähernd genau die Subventionstatbestande und der Kreis der Subventionsempfänger entnehmen. So hat beispielsweise das BVerwG im Winzergenossenschafts-Fall den begünstigten Personenkreis erst aus Klammervermerken in den Erläuterungen der Haushaltspläne herausgelesen (vgl. BVerwGE 30,191 [193]). Die Erläuterungen unterliegen aber weder der Beschlußfassung des Parlaments noch werden sie veröffentlicht; es handelt sich um Vermerke der Exekutive (vgl. Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 301 f.; Kirchhof, Verwalten, S. 258 120f. mit Fn. 294). Vgl. Pöttgen, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 130. 121 Vgl. Zacher, WDStRL 25 (1967), S. 312.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
363
diese nicht genügen, weil vor allem keine Verpflichtung zur Veröffentlichung besteht 122 . Ob die Normierung allein des öffentlichen Zwecks der Subvention, auf dessen Angabe sich der gesetzliche Inhalt letztlich beschränkt, den rechtsstaatlichen Anforderungen des Eingriffsvorbehalts genügen kann, ist eine offene Frage. Gallwas bejaht sie, da er dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes mit Blick auf den besonderen Charakter faktischer Beeinträchtigungen nur eine eingeschränkte Funktion zuerkennt 123. Seine ratio sei "Befehlsorientiert", er wolle die Verwaltung dort, wo sie zur Durchsetzung staatlicher Zwecke das Mittel des Gebots oder Verbots einsetze, an entΛ OA
sprechende Vorentscheidungen des Gesetzgebers binden . Bei faktischen Beeinträchtigungen sei dem Gesetzesvorbehalt deshalb Genüge getan, wenn sie in Verfolgung von Zwecken eintreten, die der Gesetzgeber geregelt habe 125 . Folgt man Gallwas' Prämisse, so kann tatsächlich im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen die Funktion einer Mittel-Zweck-Steuerung nicht erfüllt werden. Im Unterschied zu den finalen Drittbeeinträchtigungen hegt hier keine Mittel-Zweck-Verknüpjung vor. sondern die Beeinträchtigung ist lediglich Folge des eingesetzten Mittels . Die mit der oben näher beschriebenen Befugnisnorm verfolgten Zwecke 127 sind im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen nicht ereichbar, da es nicht um "eingreifende" Mittel, sondern um "eingreifende" Folgen geht 128 . Entgegen Gallwas beschränkt sich die Funktion des Gesetzesvorbehalts aber nicht auf die Legitimierung der Zwecksetzung. Rechtsstaatlicher Sinn ist letztlich der Schutz individueller grundrechtlicher Freiheit dadurch, daß das freiheitsverkürzende Verwaltungshandeln meßbar, berechenbar und kontrollierbar gemacht
122 Vgl. Zuleeg, Subventionskontrolle, S. 82 f. Dazu, daß das rechtstaatliche Defizit durch die gerichtliche Kontrollmöglichkeit anhand des Art. 3 I GG i.V.m. der Lehre von der "Selbstbindung der Verwaltung" nur unzureichend kompensiert wird, vgl. Krebs, DVBl. 1977, 632 123ff. (634); Rupp, Grundfragen, S. 118 f. Vgl. dazu bereits oben Teil 2, Abschnitt 4, Β, II, 1. 124 Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 94 ff. 125 Bei faktisch grundrechtserheblichen Akten reiche es aus, wenn dem Gesetzgeber die Feststellung der Zwecke vorbehalten werde. Nach Gallwas bedeutet dies fur das Subventionsrecht, daß drittbelastende Subventionen nur auf der Grundlage eines speziellen Subventionsgesetzes, welches den konkreten Subventionszweck festschreibt, ergehen dürfe. Die Angaben in Haushaltsgesetz und Haushaltsplan hält er wegen der bloß binnenstaatlichen Rechtswirkung nicht für ausreichend, Beeinträchtigungen, S. 101 ff. 126 Vgl. Bleckmann, Subventionsrecht, S. 53 f. 127 Vgl. Teil 3, Abschnitt 3, Α, ΠΙ. 128 Deshalb verliert der Begriff der Befugnisnorm hier seine Bedeutung.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen 1 ?Q
wird . Der grundrechtliche Freiheitsraum kann nun aber nicht nur durch zur Erreichung eines bestimmten öffentlichen Zwecks eingesetzte Mittel, sondern auch durch bloße ungezielte Folgen staatlichen Handelns geschmälert werden. Vor diesem Hintergrund kann die Normierung der Zwecksetzung unter rechtsstaatlichem Aspekt zur Sicherung des Freiheitsraums des Bürgers nicht genügen. Allein dem öffentlichen Zweck kann der Bürger nicht entnehmen, inwieweit er als Dritter von einer Subvention oder einer anderen staatlichen Maßnahme in seinem grundrechtlichen Schutzbereich betroffen werden kann 130 . Auch für die gerichtliche Kontrolle stellt z.B. der bloße Subventionszweck keinen Maßstab dar, anhand dessen eine mögliche Drittbetroffenheit ermittelt werden könnte. Auf die Zweckangabe reduzierte Anforderungen an die gesetzliche Grundlage könnten allenfalls dann hingenommen werden, wenn eine rechtsstaatlichen Erfordernissen besser entsprechende Lösung überhaupt nicht in Sicht wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall, da mit der ursächlichen Verwaltungsmaßnahme ein Anknüpfungspunkt gegeben ist, der eine größere Aussagekraft für die Beurteilung der grundrechtsbeeinträchtigenden Nebenwirkung besitzt als allein der Zweck der Maßnahme131. 2. Die Normierung der ursächlichen Verwaltungsmaßnahme und die Funktionen des Eingriffsvorbehalts Wie oben bereits aufgezeigt, reduziert ein Teil der Literatur die Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage im Falle faktischer Beeinträchtigungen auf die Normierung der die Beeinträchtigung auslösenden Verwaltungsmaßnahme132. Dies wird gerade auch für nicht-finale Drittbeeinträchtigungen vertreten. So soll die gesetzliche Regelung der Errichtung und Unterhaltung einer bestimmten Verwaltungseinrichtung eine ausreichende Grundlage zur Rechtfertigung nachbarbeeinträchtigender hoheitlicher Immissionen bilden 133 . Die Normierung von Art, Umfang, Tatbestandsvoraussetzungen, Zweck und Adressaten einer Subvention soll hinreichende Legitimation für durch sie hervorgerufene konkurrentenbeeinträchtigende Wirkungen sein 134 . Die jeweils ausgelöste grundrechtsbeein129 Vgl. Erichsen/Martens, S. 66; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 6; Jesch, Gesetz 130 und Vewaltung, S. 108 ff.; Grabitz, Freiheit, S. 63; Murswiek, Verantwortung, S. 134 ff. Ahnlich Grabitz, Freiheit, S. 63. Vgl. auch Sodan, Funktionsträger, S. 426. 131 Dazu i.e. unter 2. 132 Siehe oben Teil 2, Abschnitt 4, Β, II, 2. 133 Papier, NJW 1974,1797 ff. (1799). 134 Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 292; Zuleeg, Subventionskontrolle, S. 84 mit Beispielen aus der Gesetzgebung in Fn. 238. Ähnlich Faber, Verwaltungsrecht, S. 266, der i.E. die
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1^
trächtigende Folge müsse nicht ausdrücklich geregelt sein . Aus der gesetzlichen "Handlungsermächtigung" könne anhand der allgemeinen Auslegungsregeln auch auf den Umfang der von der Norm zugelassenen "Erfolgsverursachung" geschlossen werden 136 . Die Richtigkeit dieser These hängt - wie bei den finalen - auch bei den nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen davon ab, ob die Funktionen des Eingriffsvorbehalts auch im Falle derart reduzierter Bestimmtheitsanforderungen erfüllt werden. a) Die rechtsstaatliche Funktion Im Vordergrund steht dabei die rechtsstaatliche Funktion. Insoweit kommt es darauf an, ob und inwieweit der Bürger der gesetzlichen Beschreibung der ursächlichen Verwaltungsmaßnahme nach Zweck, Art, Voraussetzungen und Adressaten entnehmen kann, mit welchen Wirkungen für seine grundrechtliche Sphäre diese Maßnahme verbunden sein kann. Entscheidende Bedeutung für die Berechenbarkeit der Drittbeeinträchtigung hat dabei die Wahrscheinlichkeit, mit der die geregelte Verwaltungsmaßnahme zur grundrechtsbeeinträchtigenden Nebenwirkung führt. Während wir bei finalen Drittbeeinträchtigungen aufgrund des staatlicherseits verfolgten Zwecks generell von der beschriebenen Verwaltungsmaßnahme auf die Folgen schließen konnten 137 , muß bei den auch zufällig und unvorhersehbar eintretenden, nicht-finalen Drittbeeinträchtigugen differenziert werden. Hier legt die Orientierung an der Wahrscheinlichkeit eine Unterscheidung nach typischen und atypischen Folgen nahe. Von der gesetzlichen Normierung von Art, Zweck, Voraussetzungen und Adressaten der behördlichen Maßnahme kann der Bürger im Regelfall auf die Herbeiführung damit typischerweise ausgelöster Folgen und damit auch auf das Ausmaß der von ihm abverlangten Grundrechtsschmälerung schließen. Die Zusammenschau von gesetzlicher Regelung und allgemeinen Erfahrungssätzen, wonach ein bestimmtes Verwaltungshandeln typischerweise mit bestimmten Folgen verbunden ist, ermöglicht ihm eine Einschätzung seiner grundrechtlichen Betroffenheit. Anders ist dies bei atypischen Folgen: Diese dem gesetzliche Regelung der Voraussetzungen begünstigender Verwaltungsakte (vgl. etwa § 59 I LBO BW, § 5 I Nr. 1 BImSchG) auch im Hinblick auf mögliche drittwirkende Belastungen für ausreichend hält. 135 Bei Wirtschaftsssubventionen hält es beispielsweise Götz für unmöglich, die wettbewerbliche Belastung des einzelnen Unternehmens durch die einem konkurrierenden Wirtschaftszweig gewährte Subventionen in einem Subventionsgesetz zu normieren (S. 292). 136 1 3 7
Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 103 f. Vgl. Teil 3, Abschnitt 3, A, III, 3, b, bb).
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Bürger vorhersehbar und berechenbar zu machen, kann allein durch eine gesetzliche Regelung der Verwaltungsmaßnahme nicht geleistet werden. Eine Modifizierung der Bestimmtheitsanforderungen kann so jedenfalls in Bezug auf atypische Drittbeeinträchtigungen die rechtsstaatliche Funktion des Eingriffsvorbehalts nicht erfüllen. b) Die demokratische Funktion Die Erfüllung der demokratischen Funktion hängt davon ab, ob die Drittbeeinträchtigung vom parlamentarischen Willen gedeckt ist. Unabhängig davon, ob man diese Funktion in der Ziel- und Prioritätensetzung des Parlaments 138 oder im demokratischen Ausgleich für den Eingriff sieht 139 , erstreckt sich der Ermächtigungsbereich einer lediglich die Verwaltungsmaßnahme beschreibenden Norm nicht auf atypische Wirkungen. Die Auslegung der Handlungsermächtigung anhand der allgemeinen Auslegungsgrundsätze ergibt eine Legitimierung nur der Folgen, die die geregelte Verwaltungsmaßnahme typischerweise nach sich zieht1 . Atypische Folgen im Einzelfall sollen nach dem Willen des Gesetzgebers von der ermächtigenden Wirkung nicht erfaßt sein 141 . 3. Praktische Folgerungen und Ergebnis Die vorstehende Untersuchung hat ergeben, daß es sich bei dem Vorschlag des Ausschlusses atypischer Drittbeeinträchtigungen vom Anwendungsbereich des Eingriffsvorbehalts nicht um eine "unverhältnismäßige" Verfassungsauslegung handelt. Denn durch die bloße Modifizierimg der Bestimmtheitsanforderungen kann den Funktionen des Eingriffsvorbehalts im Falle atypischer Drittbeeinträchtigungen nicht Rechnung getragen werden. Insbesondere wird dem Bürger weder durch die Normierung des Zwecks noch durch die Beschreibung der ursächlichen Verwaltungsmaßnahme die Berechenbarkeit atypischer Beeinträchtigungen ermöglicht. Es kann deshalb bei dem oben herausgearbeiteten Grundsatz bleiben, daß nicht-finale Drittbeeinträchtigungen, die atypische Folgen exekutiven Handelns sind, unter dem Aspekt des Eingriffs in Grundrechte des Dritten keine gesetzliche Regelung erfordern. 138
139
140 141
Vgl. Brohm, DÖV 1987,265 ff. (269). Papier, NJW 1974,1797 ff. (1799). Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 103 f.
Vgl. die Beispiele untypischer Folge- und Nebenwirkungen hoheitlichen Handelns bei Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 104.
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Praktisch bedeutet das, daß "normale" Wirtschaftssubventionen mit konkurrentenbeeinträchtigenden Wirkungen sowie Genehmigungen oder Erlaubnisse mit nachbarbeeinträchtigenden Folgen grundsätzlich nicht dem Prinzip des Eingriffsvorbehalts unterhegen, da ihren Nebenwirkungen nur ausnahmsweise grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung zukommt. Unter dem Aspekt des Drittschutzes können sich hier Regelungserfordernisse lediglich noch aus der über den Eingriffsbereich hinausreichenden Wesentlichkeitstheorie ergeben 142. Was bleibt, ist das Problem der inhaltlichen Ausgestaltung der gesetzlichen Bestimmungen in dem engen Bereich, für den der Eingriffsvorbehalt grundsätzlich gilt, also für typische nicht-finale Drittbeeinträchtigungen. oben festgestellt, betrifft dies beispielsweise die Fallgruppen der Presseoder Kunstsubventionen143. Aus den aufgezeigten Gründen kann hier allein die Normierung des Subventionszwecks in einem speziellen Gesetz bzw. die herkömmliche Verbindung von Haushaltsgesetz und Bereitstellung der Mittel im Haushaltsplan rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen. Als darüber hinaus gehender Inhalt muß z.B. ein spezielles Pressesubventionsgesetz eine nähere Konkretisierung der die Drittbeeinträchtigung auslösenden Verwaltungsmaßnahme enthalten; insoweit müssen insbesondere Angaben zu Art, Höhe, Tatbestandsvoraussetzungen und Adressaten etwa einer Pressesubvention gemacht werden, da dies dem Konkurrenten am ehesten eine Abschätzung gnmdrechtsbeeinträchtigender Folgen ermöglicht und dem Gericht Maßstäbe für die Kontrolle an die Hand gibt 1 4 4 . Ein derartiger Bestimmtheitsgrad ist verfassungsrechtlich geboten, aber
142 Dazu i.e. unten B. Eine gänzlich andere, von der Problematik des Drittschutzes zu trennende Frage ist es, ob der Eingriffsvorbehalt gesetzliche Regelungen nicht bereits unter dem Aspekt des Eingriffs in Grundrechte des Adressaten fordert. Soweit beispielsweise begünstigende Verwaltungsakte die Erlaubnis oder Genehmigung einer bestimmten Tätigkeit des Bürgers beinhalten, heben sie das generelle Verbot dieser Tätigkeit auf (vgl. zum präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 51 ff.). Durch den Genehmigungsvorbehalt wird das Grundrecht des potentiellen Genehmigungsadressaten eingeschränkt, was seine gesetzliche Normierung erforderlich macht (vgl. BVerfGE 20, 150 [154]). Aus praktischen Gründen müssen dann auch die Voraussetzungen der Erlaubnis bzw. Genehmigung zugleich im Gesetz geregelt werden (Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20, VI, Rn. 65). Aus der Sicht des Genehmigungsadressaten erfüllen deshalb z.B. die Vorschriften über die Erteilung der Baugenehmigung (§ 59 LBO BW), die Anlagengenehmigung (§ 4 BImSchG) oder die Gaststättenerlaubnis (§§ 2,4 GastG) die Anforderungen des Eingriffsvorbehalts. 143 S. oben A, III, 2, c, bb), (1). 144
Wie hier i.E. Friauf, Ordnungsrahmen, Bd. 2, S. M 14 f.; Haverkate, Rechtsfragen, 1983, S. 166; Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 328; Pöttgen, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 130 ff. Vgl. auch Zuleeg, Subventionskontrolle, S. 84.
Wie
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auch ausreichend 145. Daß sich solche Bestimmtheitsanforderungen realisieren lassen, belegen verschiedene Subventionsgesetze, die jedenfalls der Tendenz nach diesem Anspruch gerecht werden 146 . Außerdem zeigen die sonst üblichen Subventionsrichtlinien, daß rein technisch einer Normierbarkeit keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen147. An den praktischen Ergebnissen wird deutlich, daß die zunehmende Ausdehnung des Begriffs des Grundrechtseingriffs in der modernen Verfassungslehre nicht einhergeht mit einer "Überstrapazierung" des Eingriffsvorbehalts. Das gilt speziell auch für den Subventionsbereich. Die Notwendigkeit einer spezialgesezlichen Grundlage besteht nur in den (seltenen) Fällen, in denen Subventionen typischerweise zu Grundrechtsbeeinträchtigungen Dritter führen. Für den weit überwiegenden Teil der Subventionen kann es deshalb bei der bisherigen Subventionspraxis bleiben. Insoweit trägt die vorgeschlagene Lösung auch dem (praktisch bedeutsamen) Umstand Rechnung, daß weitgehende Gesetzgebungserfordernisse die notwendige Flexibilität der Verwaltung bei der Subventionsvergabe vor allem angesichts sich kurzfristig ändernder wirtschafts- und sozialpolitischer Anforderungen über Gebühr einengen und zu Lasten des Bürgers zu leistungsstaatlichen Defiziten führen würden 148 . B. Normierungserfordernisse im Bereich nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen aufgrund der Wesentlichkeitstheorie Soweit sich die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen im Falle nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen nicht aus dem Prinzip vom Eingriffsvorbehalt ergibt, muß geprüft werden, ob der Gesetzgeber nicht aufgrund der Wesentlichkeitstheorie im Vorfeld oder Umfeld des Grundrechtseingriffs zu bestimmten Festlegungen gezwungen ist 1 4 9 . Die die Wesentlichkeit einer Materie auslösende "Grundrechtsrelevanz" kann dabei staatlichem Handeln
145 Der Schutzbedürftige selbst muß nicht ausdrücklich als Adressat genannt sein, Hermes, Grundrecht, S. 358; Murswiek, Verantwortung, S. 137 f. 146 Vgl. das Filmförderungsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 18.11.86 (BGBl. I, S. 2046); ZonenrandförderungsG vom 5.8.71, BGBl. I, S. 1237; Gesetz zur Förderung der bayrischen 147 Landwirtschaft vom 27.10.1970, Bayrisches Gesetz- und Verordungsblatt 1970, S. 504 ff. 148
So auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 14.
Zu diesen vom Schrifttum vorwiegend benutzten Argumenten, mit denen weitergehende Regelungserfordernisse im Subventionsbereich abgelehnt werden, vgl. Stober, Handbuch, S. 180 f.; Sendler, WuV 1978, 160 f.; Schenke, GewArch. 1977, 313 ff. (315). Vgl. auch Erichsen/Martens, S. 68 f. 149 Siehe oben Teil 2, Abschnitt 2, D.
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oder Unterlassen insbesondere zukommen, wenn und soweit es den objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte berührt. I. Nachbarbeeinträchtigungen Daß die objektivrechtliche Funktion der Grundrechte im Falle der Nachbarbeeinträchtigungen zum Zuge kommen kann, wird durch den Umstand, daß das Nachbarbeeinträchtigungen auslösende Verwaltungshandeln unter bestimmten, engen Voraussetzungen als Grundrechtseingriff zu qualifizieren ist, nicht ausgeschlossen150. Konkret angesprochen wird in den Situationen der Nachbarbeeinträchtigungen die Schutzpflichtfunktion. Danach sind die staatlichen Organe verpflichtet, im Vorfeld des konkreten Eingriffs Schutz zu gewähren vor Grundrechtsgefahrdungen, die von seiten Privater ausgehen . So ist in der Rechtsprechung des BVerfG insbesondere zu den von Kernreaktoren ausgehenden Gefahren und dem durch einen Flugplatz verursachten Lärm zum Ausdruck gekommen, daß auch eine auf Grundrechtsgefährdungen bezogenen Risikovorsorge von der Schutzpflicht der staatlichen Organe umfaßt sein kann 152 . Die Errichtung sowie die Nutzung und der Betrieb z.B. einer atomrechtlichen, immissionsschutzrechtlichen oder baulichen Anlage sind für die Grundrechte des Nachbarn in der Regel mit Gefahren verbunden, vor deren Eintritt der Staat grundsätzlich schützen muß 3 . Auf der anderen Seite kann sich in diesen Fällen der AnDaß die subj ektiv-abwehrrechtliche und die objektive Grundrechtsfunktion nebeneinander bestehen können, wurde bereits oben aufgezeigt, vgl. Teil 2, Abschnitt 2, D, I. Vgl. auch Hermes, Bereich, S. 106. 1 5 1 1 5 2
Vgl. nur Bleckmann, Staatsrecht, S. 280 f.
Vgl. BVerfGE 49, 89 (140 ff. ) Kalkar; 53, 30 (54) Mülheim-Kärlich; 56, 54 (73) Fluglärm. 153 Die mit den Genehmigungen somit regelmäßig verbundene, objektivrechtlich relevante Grundiechts^e/a/iit/iiii^darf nicht mit dem Vorliegen eines Grandrechtseiiigrifls verwechselt werden. Wie oben dargestellt, kann ein solcher im Falle des Ausnutzens von Genehmigungen nur unter engen, besonders qualifizierten Voraussetzungen angenommen werden (Teil 4, Abschnitt 2, Β, VI). Einen anderen Ansatz verfolgt Murswiek. Er hält die Grundrechte in ihrer subjektiv-abwehrrechtlichen Funktion bereits dann für einschlägig, "wenn das Schutzgut einem Risiko ausgesetzt wird" (Verantwortung, S. 133). Weil auch jede nicht-finale Verursachung von Risiken für grundrechtliche Schutzgüter einem Grundrechtseingriff gleichstehe, bedürfe es eines Rückgriffs auf den "objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte" nicht (S. 134). Murswieks Auffassung ist abzulehnen. Bei ihm verliert der Begriff des Grundrechtseingriffs durch die Orientierung an der bloßen Risikoverursachung völlig an Konturen. Eingriff kann nur die qualifizierte, dem Staat zurechenbare und sich aus dem "allgemeinen Lebensrisiko" heraushebende Risikoverursachung sein. Darüberhinaus ist seine Auffassung praktisch nur haltbar durch eine nicht mehr nachvollziehbare Auflösung der rechtsstaatlichen Anforderungen an den Eingriff (vgl. insbesondere S. 135 f.). 24 Roth
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
lagenbetreiber, gegen dessen Handeln die Schutzpflicht gerichtet ist, ebenfalls auf ein Grundrecht berufen 154 . Die Situation der Nachbarbeeinträchtigungen ist somit durch eine grundrechtliche Kollisionslage gekennzeichnet: hier sind z.B. die Grundrechte der Anlagenbetreiber auf der einen (Art. 12, 14 GG) mit denen der Anwohner auf der anderen Seite (Art. 2 Π, u.U. 14 GG) zum Ausgleich zu bringen 155 . Die grundrechtliche Ambivalenz staatlichen Tätigwerdens zeigt sich darin, daß der Schutz des einen zu Lasten des anderen Grundrechts geht 156 . Als Instrument zur Vermeidung bzw. Auflösung der Kollision, insbesondere zur Erfüllung der Schutzpflicht im Hinblick auf potentielle Nachbarbeeinträchtigungen, kommt vor allem die gesetzliche Normierung einer Pflicht zur behördlichen Überwachung der gefäh lichen Tätigkeit, etwa in Form der Einführung eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalts in Betracht 157 . Daneben kann der Pflicht des Staates, Grundrechte gegen Beeinträchtigungen von Seiten Dritter zu schützen, u.U. auch durch ein die Belange der Betroffenen oder der Öffentlichkeit berücksichtigendes Verwaltungsverfahren, etwa mit umfassenden Beteiligungsrechten, Rechnung getragen werden Daß der Gesetzgeber derartige Regelungen treffen kann, zeigt die vielfältige Gesetzgebung. Fraglich ist jedoch, ob er sie auch treffen muß. Es läßt ι S4 ^ Vgl. Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff., 382 ff.; Hermes, Bereich, S. 107. 155 Grundlegend zur Grundrechtskollision Isensee, Sicherheit, S. 34 ff.; vgl. auch Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff., 382 ff.; Hermes, Bereich, S. 107 f.; Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 27 ff.; Bleckmann, Staatsrecht, S. 391 ff. m.w.N.; BVerfGE 53,30 (58), wonach die Verwaltung nicht nur öffentliche Belange regelt, sondern auch widerstreitende Grundrechtspositionen zum Ausgleich bringt. 1 5 6 Hermes, Bereich, S. 107. 157 So hat das BVerfG die Normierung eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt für die Errichtung und Inbetriebnahme kerntechnischer Anlagen (vgl. § 7 AtomG i.V.m. §§ 4 ff. AtVfV) als Mittel zur Erfüllung der gegenüber den Anwohnern und der Bevölkerung bestehenden Schutzpflicht verstanden, BVerfGE 53, 30 (57, 59, 65 f.). Der staatlichen Schutzpflicht werde dadurch Rechnung getragen, daß die Erteilung einer Genehmigung von einem förmlichen Genehmigungsverfahren abhängig ist, in dem die Genehmigungsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen und an dem u.a. alle zuständigen Behörden zu beteiligen sind (59). Vgl. auch BVerfG DVB1.1988, 342 (343). Aus der Literatur vgl. dazu Murswiek, Verantwortung, S. 117. Der VGH BW (DÖV 1987, 160 (162) sieht z.B. die behördliche Kontrolle von Straßennutzungen in Form der straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis als geeignetes Mittel an, um Grundrechtskollisionen zu verhindern. Im entschiedenen Fall ging es um die Straßennutzung durch Straßenmusik, bei der als beeinträchtigte Grundrechtspositionen der Gemeingebrauch Dritter (Art. 21 GG), die Eigentumsgrundrechte der Anlieger (Art. 14 GG) bzw. das Grundrecht 158 auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG) in Betracht kam. Vgl. BVerfGE 53, 30 (59 ff., 62 ff.), insbesondere das Sondervotum der Richter Simon und Heußner, S. 69 ff.; BVerfG DVB1.1988,342 ff. (343) zur Schutzfunktion der Beteiligungsrechte der von einer Atomanlage betroffenen Bürger bzw. der Öffentlichkeit. Dazu auch Murswiek, Verantwortung, S. 118 f.
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sich nur schwer beantworten, ob und inwieweit es die objektivrechtliche Pflicht zum Schutz der Grundrechte des Dritten vermag, tatsächlich derartige konkrete Gesetzgebungspflichten zu organisatorischen und verfahrensrechtlichen Regelungen zu begründen. Wie erwähnt, steht dem Gesetzgeber speziell bei der Entscheidung über das O b " und das "Wie" der Erfüllung der Schutzpflicht ein erheblicher Spielraum zu; damit ist auch der Kollisionsausgleich im wesentlichen dem Gesetzgeber überlassen. Es herrscht weiterhin Einigkeit darüber, daß sich die gesetzgeberische Entscheidungsfreiheit nur unter sehr engen Voraussetzungen auf das Ergreifen einer bestimmten "Gesetzgebungsmaßnahme" verdichtet, etwa wenn die zum Schutz bereits getroffenen Maßnahmen offensichtlich völlig unzulänglich sind oder wenn die Gefahr einer schweren Grundrechtsbeeinträchtigung droht und andere als das konkret ins Auge gefaßte Mittel nicht in Betracht kom159
men Dieser doch recht vage Abgrenzungsmaßstab macht konkrete Aussagen über den Umfang von Gesetzgebungspflichten äußerst schwierig. Es läßt sich jedoch wenigstens folgendes sagen: Praktisch führen die aufgezeigten Grundsätze im Zusammenhang mit den hier relevanten Gefahren von nichtfinalen Drittbeeinträchtigungen, insbesondere Nachbarbeeinträchtigungen, zu einer Orientierung am Gefahrenpotential, das die Tätigkeit mit sich bringt. Hier findet die allgemein zur Bestimmung der rechtlich relevanten Gefahrenschwelle dienende "je-desto-Formel" Anwendung 160 . Auch wenn der Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts als klein oder mittel anzusehen ist 1 6 1 , kann eine Tätigkeit die Gefahrenschwelle überschreiten, wenn der potentielle Schaden auch in Ansehung der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Rechtsguts sehr hoch ist. So kann für bestimmte Risikoquellen angesichts deren Gefahrenpotentials von vornherein ausgeschlossen sein, daß zur Schutzpflichterfüllung staatlicherseits etwa nur Stichproben ausreichen. Praktisch bedeutet das, daß im Hinblick auf Industrieanlagen mit großem Gefahrenpotential insbesondere für Leben und Gesundheit (Art. 2 I I GG) das Risiko auch bei geringer Wahrscheinlichkeit nur durch besondere Vorsorgemaßnahmen unterhalb der verfassungsrechtlich geforderten
159 Zum Spielraum des Gesetzgebers und den engen Vorausetzungen einer "Verdichtung" der gesetzgeberischen Entscheidungsfreiheit ausführlich oben Teil 3, Abschnitt 3, B. 160 Vgl. die Definition bei Murswiek, Verantwortung, S. 85 f.: "Je größer das potentielle Schadensausmaß, desto geringer die erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit". Der Sache nach ähnlich die Auffassung des BVerfG, wonach der Umfang der Schutzpflicht maßgeblich von Art, Nähe und Ausmaß der drohenden Gefahren sowie von der Art und dem Rang der beteiligten staatlichen und privaten Interessen beeinflußt wird, BVerfGE 49,89 (142). In Fällen nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen sind Grundrechts Verletzungen atypisch und selten.
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Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen 162
Schwelle zu halten ist . Somit erscheinen etwa bei Atomanlagen, Sondermülldeponien oder immissionsschutzrechtlichen Anlagen Überwachungsmaßnahmen, wie z.B. das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt sowie die Einräumimg von Verfahrensrechten an potentiell Betroffene, jedenfalls im Grundsatz als verfassungsrechtlich geboten163. Dasselbe muß für noch wenig erforschte und in ihrem Ausmaß kaum berechenbare Risiken gelten, wie sie z.B. durch gentechnische Anlagen verursacht werden. Die besonderen Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung, vor allem auch der in der Nähe des Vorhabens wohnenden "Nachbarn", ergeben sich hier aus dem Umgang mit pathogenen oder in ihrer Pathogenität nicht endgültig abschätzbaren Keimen in Genlabors und Produktionsstätten und aus dem beabsichtigten oder unbeabsichtigten Ausbringen gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt 164 . Betrachtet man die "Schutzsituation" des Grundrechts aus Art. 2 I I GG gegenüber den erwähnten Anlagen, zeigt sich, daß - soweit ersichtlich grundsätzlich alle Anlagen bzw. Tätigkeiten mit einem größeren Gefahrenpotential, das zu nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen führen kann, nach geltender Gesetzeslage ein Erlaubnis- bzw. Genehmigungsverfahren voraussetzen165. Wesentlicher Bestandteil dieser Verfahren sind in der Regel umfassende Beteiligungsrechte der Betroffenen bzw. der Öffentlichkeit Allein im Falle gentechnischer Anlagen wird z.T. bezweifelt, daß die bislang getroffenen Maßnahmen der staatlichen Schutzpflicht gerecht werden. So hat der VGH Kassel in einem aufsehenerregenden Beschluß entschieden, die Herstellung von Humaninsulin unter Verwendung gentechnisch veränderter Mikrooranismen bedürfe einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung über die Nutzung der Gentechnologie167. Angesichts des Ausmaßes der mit 162
Ähnlich Murswiek, Verantwortung, S. 201 ff. (204 f.).
163 Anders etwa bei Baugenehmigungen oder Gaststättengenehmigungen, wo das Gefahrenpotential insbesondere in Ansehung von Art und Intensität der möglichen Rechtsgutsverletzungen sowie der mangelnden Breitenwirkung als geringer einzuschätzen ist. 164 Vgl. dazu Nicklisch, in: Lukes/Schulz, Rechtsfragen der Gentechnologie - Dritte Arbeitssitzung: Rechtswissenschaftliche Problematik, S. 112, 126 f.; HessVGH DVBl. 1990, 63 ff.
(66).
Beispielhaft kann auf die in der Anlage zu § 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung genannten Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren verwiesen werden. Speziell das AtomG sieht für bestimmte Arten atomarer Anlagen eine Errichtungsgenehmigung oder eine Planfeststellung vor (§§ 7, 9 b). In den Fällen des § 7 I und V schreibt es darüberhinaus ein formelles Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung vor (§§ 4 ff. AtVfV). 166 Vgl. §§ 10 III S.2 2.HS BImSchG; 7 IV S.2 AtomG i.V.m.7 I S.1 AtomVfV; §§ 18 IV FStrG; 21IV AbfG; 10 III LuftVG; 73IV VwVfG sowie oben Teil 1, Abschnitt 4, Β, II, 2. 1 6 7
HessVGH DVBl. 1990, 63 ff.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
373
der Gentechnik verbundenen Gefahren würde der grundrechtlichen Pflicht zum Schutz Dritter vor Gesundheitsgefahren - auch unter Berücksichtigung des Standards, mit dem das Umweltrecht andere Technologien, wie z.B. die Nutzung der Kernenergie, behandelt - durch die bestehenden Rechtsvorschriften nicht hinreichend Rechnung getragen 168. Nun ist es nicht so, daß im Bereich der Gentechnik überhaupt keine Rechtsvorschriften ersichtlich sind 169 . Denn durch Änderung der 4. BImSchV wurden gentechnologisch arbeitende Produktionsanlagen mit Wirkung vom 1.9.1988 in den Katalog der genehmigungsbedürftigen Anlagen i.S.d. § 4 BImSchG aufgenommen1 Ist so grundsätzlich eine gesetzliche Grundlage vorhanden, reduziert sich die Fragestellung darauf, ob die konkrete Ausgestaltung, die Art und Weise des Schutzes offensichtlich unzulänglich sind. Das könnte man u.U. bejahen, wenn man mit dem VGH Kassel die Auffassung verträte, der Schutzzweck des BImSchG habe nur konventionelle Gefahren im Auge, nicht aber die durch gentechnische Anlagen hervorgerufene neue Dimension von Risiken 171 . Auf der anderen Seite könnte man, wie es Literatur und Verwaltungspraxis ganz überwiegend tun, das BImSchG als offen auch zur Aufnahme dieser neuartigen Gefahren betrachten 172. Ohne diese spezielle Frage entscheiden zu wollen, soll auf zwei grundsätzliche Aspekte hingewiesen werden, die gegen die Verdichtung der staatlichen Schutzpflicht auf eine konkrete Gesetzgebungsmaßnahme, den Erlaß eines speziellen Gentechnikgesetzes, sprechen. Zum einen birgt eine Koppelung von staatlicher Schutzpflicht und Wesentlichkeitstheorie immer die Gefahr in sich, die kollidierenden Interessen des anderen beteiligten Grundrechtsträgers, nämlich des Anlagenbetreibers, außer acht zu lassen. Zieht die Schutzpflicht notwendigerweise und zwingend das Erfordernis eines förmlichen Zulassungsgesetzes nach sich, bedeutet das zugleich ein Moratorium für die Grundrechtsausübung des Be168
HessVGH DVB1.1990,63 ff. (64 f.); Klöpfer, Umweltrecht, S. 810 f.
169
Von vornherein als Rechtsgrundlage ausscheiden müssen allerdings die von der Bundesregierung erlassenen "Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro neukombinierte Nukleinsäuren" in der nunmehr fünften Fassung vom 28.5. 1986 (Anhang 3 zu BT-Drucks. 10/6775, S. 381 ff.). Dabei handelt es sich um bloße Verwaltungsvorschriften, vgl. zur Rechtsnatur Winter, DVB1.1986,585 ff. (590); Lukes, DVB1.1986,1221 ff. (1222). 170
S. Nr. 4.11 Spalte 1 der 4. BImSchV.
171 Hess VGH DVB1.1990, 63 ff. (65). Zu der neuen Dimension, die sich aus dem hohen Gefahrenpotential für die menschliche Gesundheit, den noch sehr beschränkten Kenntnissen von den Wechselwirkungen zwischen genmanipulierten Organismen und Umwelt sowie der Möglichkeit irreversibler Schäden ergibt vgl. Nicklisch, NJW 1986, 2287 ff. (2288) sowie Klöpfer, Umweltrecht, S. 803 ff. m.z.w.N. 172 Schwab, NVwZ 1989, 1012 ff. (1013 f.); Sendler, NVwZ 1990, 231 ff. (233 f.); Rose, DVB1.1990, 279 ff. (281 f.); Vitzthum, VB1BW 1990,48 ff. (49).
374
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
treibers oder Forschers nach Art. 5 III, 12, 14 GG, das z.B. in Fällen ungefährlicher Vorhaben offensichtlich unverhältnismäßig erscheint 173. Das bedeutet für das Verhältnis zwischen objektivrechtlicher Schutzpflicht und Gesetzeserfordernis, daß der Gesichtspunkt der mehrpoligen Verantwortlichkeit des Staates bei der Überwachung gefährlicher Anlagen den Spielraum des Gesetzgebers bei der Entscheidung über das Wie des Schutzes weiter vergrößert und der gerichthchen Kontrolle entsprechende Beschränkungen auferlegt. Zum anderen muß berücksichtigt werden, daß sich die verfassungsrechtlichen Regelungserfordernisse aufgrund der Wesentlichkeitstheorie maßgeblich Von denen aufgrund des Eingriffsvorbehalts unterscheiden. Während dieser seine Wurzel vor allem in der grundrechts- und rechtsstaatssichernden Funktion findet und dehalb in besonderem Maße auf das formelle Gesetz angewiesen ist, hegt jener vorwiegend das demokratische Prinzip zugrunde, welches u.U. auch anderen Willensäußerungen des Parlaments, wie z.B. der Wahrnehmung seines Frage-, Debatten- und Entschließungsrechts sowie seiner Kontroll- und Haushaltsbefugnisse, legitimierende Wirkung beizumessen vermag 174. Insoweit kann jedenfalls nicht davon gesprochen werden, daß z.B. im Bereich der Gentechnologie bislang wesentliche Entscheidungen am Parlament vorbei getroffen wurden oder daß von ihm noch in keiner Weise Stellung bezogen wurde 175 . Denn einmal wurden jedes Jahr erhebliche Mittel im Haushalt des Bundesministers für Forschung für den Bereich der Gentechnik zur Verfügung gestellt 176 ; außerdem hat der Bundestag bereits 1984 die Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie" eingesetzt. Diese hat sich im Grundsatz positiv zur Gentechnik geäußert, zwar ein spezielles GentG gefordert, aber für die Zwischenzeit offensichtlich das BImSchG als ausreichend angesehen 177 . Der Bundestag hat die Empfehlungen der Enquete-Kommission mehrheitlich gebilligt1 . Diese Äußerungen einer begleitenden parlamenta-
173
174 175 (1099). 176
Vgl. Sendler, NVwZ 1990,231 ff. (235 f.); Vitzthum, VB1BW1990,48 ff. (49 f.). S. bereits oben Teil 2, Abschnitt 1, B. Das betont auch der vorinstanzliche Beschluß des VG Frankfurt, NVwZ 1989, 1097 ff.
So waren für "Forschung und Entwicklung in der BiotechnologieN gem. Einzelplan 30, Kapitel 3008, Titelgruppe 04, Titel 68327-169 im Bundeshaushaltsplan 1988 164 Mio. DM, im Bundeshaushaltsplan 1989 174 Mio. D M und im Bundeshaushaltsplan 1990 180 Mio. D N ausgewiesen. 177 Vgl. die Beschlußempfehlung und den Bericht des zuständigen Bundestagsausschusses zu den Vorschlägen der Enquete-Kommission, BT-Drucks. 11/5320, insb. S. 31 ff. sowie Vitzthum, VB1BW 1990,48 ff. (49). 178 Plenarprotokoll der Sitzung vom 26.10.1989,11/171, S. 12822.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
375
rischen Verantwortung 179 im Bereich der Gentechnik sprechen dagegen, daß die Gerichte ein förmliches Zulassungsgesetz abrupt und ohne Einräumung einer Übergangszeit einfordern 180. Nach alledem sind sowohl die kollidierenden Grundrechtsinteressen der Betreiber wie auch der Aspekt begleitender parlamentarischer Verantwortung in die Prüfung der "evidenten Unzulänglichkeit" von Schutzregelungen mit einzubeziehen. Sie lassen die vom VGH Kassel angenommene konkrete Gesetzgebungspflicht zum Erlaß eines speziellen Gentechnikgesetzes als jedenfalls nicht verfassungsgeboten erscheinen. Nunmehr hat der Bundestag die allenthalben für zweckmäßig erachtete spezielle formellgesetzliche Grundlage 181 nach erheblichen Anlaufschwierigkeiten im "Gesetz zur Regelung von Fragen der Gentechnologie" (GenTG) geschaffen 182. Es unterwirft gentechnische Vorhaben einer präventiven staatlichen Kontrolle, deren Intensität von dem jeweils zu vermutenden Gefährdungspotential abhängig gemacht wird. Gentechnische Arbeiten in einem geschlossenen System1 3 werden nach ihrem Risikopotential in vier Sicherheitsstufen eingeteüt und je nach Stufe entweder einer bloßen Anmelde- oder einer Genehmigungs- bzw. Erlaubnispflicht unterworfen 184 . Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt sowie das Inverkehrbringen bedürfen grundsätzlich einer Genehmigung durch das Bundesgesundheitsamt185. Unter Hinweis darauf, daß die Neuregelung einen gewichtigen Teü gentechnischer Arbeiten vom Genehmigungserfordernis freistelle, die Genehmigungstatbestände zu wenig Maßstäbe für den Schutz grundrechtlich geschützter Rechtsgüter enthielten und auch eine Einbeziehung der Öffentlichkeit nur in wenigen Fällen vorsehe, wird z.T. bezweifelt, daß das GenTG der staatlichen Schutzpflicht gegen179 Insbesondere im Kalkar-Beschluß hat das BVerfG verdeutlicht, daß auch die parlamentarisch-haushaltsrechtliche Billigung von Forschungs- und Entwicklungsprogrammen die von Schutzpflicht und Wesentlichkeitstheorie geforderte Übernahme parlamentarischer Verantwortlichkeit bedeuten kann, E 49,89 (132 f.). 1 8 0 Ähnlich Sendler, NVwZ 1990,231 ff. (236); Vitzthum, VB1BW1990,48 ff. (49 f.). 181 Vgl. nur den Bericht der Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drucks. 10/6775, S. 286 - 290 sowie Klöpfer, Umweltrecht, S. 810 f. 1 fO Der Bundestag hat das GenTG am 29.3.1990 verabschiedet. Vgl. den Entwurf BTDrucks. 11/5622, Anlage 1; dazu Hirsch/Schmidt-Didczuhn, ZRP 1989, 458 ff.und Lukes, DVB1.1990, 273 ff. 183 Also in "Einrichtungen, die durch die Verwendung physikalischer Schranken einen Kontakt des verwendeten lebenden Materials mit der Umwelt entsprechend der Gefährlichkeit der Organismen begrenzen oder ausschließen" (vgl. § 3 Nr. 5 GenTG). 184 Vgl. §§7-12 GenTG. 185
§13 GenTG.
376
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen 186
über potentiell Drittbetroffenen gerecht werde . Insoweit kann aber auf keinen Fall davon gesprochen werden, daß die dort getrofffenen Schutzmaßnahmen "offensichtlich völlig unzulänglich" sind 187 . Eine Verpflichtung zu weitergehenden, konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen kann den objektiven Grundrechtsgehalten nicht entnommen werden. Wie die Kernenergie birgt auch die Gentechnologie ein schwer einschätzbares Gefahrenpotential in sich; in Anlehnung an eine der Kernaussagen des KalkarBeschlusses1 8 8 kann deshalb gesagt werden, daß es auch hier zuvorderst in der politischen Verantwortung des Gesetzgebers hegt, die für zweckmäßig erachteten Schutzmaßnahmen zu treffen, und daß die konkrete Ausgestaltung des Schutzes weitgehend seiner Gestaltung überlassen bleiben muß. IL Konkurrentenbeeinträchtigungen Ob die andere typische Fallgruppe nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen, die Konkurrentenbeeinträchtigungen infolge staatlicher Subventionen unter dem Gesichtspunkt der Wesentlichkeitstheorie zusätzliche normative FestIRQ
legungen verlangen, wird nicht einheitlich beantwortet . Das BVerfG hat sich bislang noch nicht dazu geäußert, ob auch die Subventionierung der Wesentlichkeitstheorie unterfällt. Das BVerwG hat auch nach Übernahme der Wesenthchkeitsrechtsprechung des BVerfG zur Bestimmung der Reichweite des Gesetzesvorbehalts jedenfalls für den Subventionsbereich weiterhin daran festgehalten, daß die Praxis der haushaltsrechtlichen Legitimation verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt 191 . Demgegenüber versucht man im Schrifttum unter Berufung auf die Wesentlichkeit der Materie teilweise, eine über die haushaltsrechtliche Subventionsvergabe hinausgehende nähere spezialgesetzliche Normierung der Subventionierung einzufordern 192. 1 8 6
Lukes, DVBl. 1990,273 ff. (277).
187 Auch die bloße Anmeldepflicht ermöglicht eine wirksame präventive Einzelfallprüfung gentechnischer Vorhaben auf ihre konkrete Gefährlichkeit; soweit Risiken größeren Ausmaßes für Dritte zu befürchten sind, insbesondere im Falle der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, wird dem erhöhten Schutzbedürfnis durch die Aufstellung des Genehmigungserfordernisses sowie die Regelung eines öffentlichen Anhörungsverfahrens in Anlehnung an die Bürgerbeteiligung im Immissionsschutzrecht Rechnung getragen, §§ 13,16 GenTG. 188 BVerfGE 49,89 (131). 189 190 191 1 9 2
Zum Meinungsstand Stober, Handbuch, S. 177 ff. Vgl. etwa BVerwGE 47,194 ff.; 57,130 ff. BVerwGE 58,45 (48 ff.).
Vgl. insbesondere Bauer, DÖV 1983,53 ff.; Krebs, DVBl. 1977,632 ff. (636). Wohl auch Schnapp, in: v. Münch, Art. 20 Rn. 46.
Abschnitt 3: Der Gesetzesvorbehalt bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen
377
Der zutreffende dogmatische Ausgangspunkt läßt sich dabei mu* finden, wenn man nach dem - sich im Vorfeld des Eingriffs abspielenden - Einfluß der Subvention auf den objektiven Gehalt der einschlägigen Grundrechte fragt. Dieser Einfluß hat ambivalenten Charakter. Auf der einen Seite stört jede Subvention den Wettbewerb, indem sie die Wettbewerbssituation verändert und für die Konkurrenten und Mitbewerber erschwerte Marktbedingungen schafft 193. Insoweit werden die staatlichen Organe durch die Grundrechte der Konkurrenten auf Wettbewerbsfreiheit in ihrer objektiven Funktion verpflichtet, sich grundsätzlich schützend vor diese Wettbewerbsfreiheit zu stellen. Auf der anderen Seite schaffen und festigen Wirtschaftsbeihilfen die materielle Basis für die Berufsausübung und wirtschaftliche Betätigung von Unternehmen und setzen außerdem gewichtige Rahmendaten für die Berufsausübung der Arbeitnehmer 194. Insoweit handelt es sich bei Subventionen um staatliches Handeln, dem im modernen Leistungsstaat der Gegenwart besondere Bedeutung für die faktische Grundrechtsrealisierung zukommt; die Grundrechtsrelevanz der Subventionierung liegt hier in der objektivrechtlichen Verpflichung des Staates zu positiv-fördernden Einwirkungen auf die Grundrechte, um sie auszugestalten und effektiv zu machen19 . Eine andere Frage ist es jedoch, ob dieser objektivrechtlichen Grundrechtsrelevanz der Subventionierung eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung spezialgesetzlicher Subventionsgesetze bestimmten Inhalts korrespondiert. Da es sich um die auf mannigfache Art erfüllbare objektive Funktion handelt, ist auch hier die Frage zu stellen, ob die bisherige Praxis gesetzlichen Tätigwerdens noch im Rahmen der Entscheidimgsfreiheit des Gesetzgebers hegt oder völlig unzulänglich ist zur Erfüllung der staatlichen Pflicht zum Schutz der Wettbewebsfreiheit und zur positiven Förderung der Grundrechtsverwirklichung. Dies kann nur in offensichtlichen, extremen Sonderfällen angenommen werden 196 . Dabei ist zum einen in Rechnung zu stellen, daß der Konkurrent in der Praxis nicht völlig schutzlos ist; so kontrollieren die Gerichte die Subventionsvergabe anhand der Subventionsrichtlinien auf dem Wege über die Selbstbindung der Verwaltung und messen die Situation des Konkurrenten am Gleichheitssatz und dem Grund-
193 293. 194
195
Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 101 ff. (104); Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. Bauer, DÖV 1983,53 ff., 56.
Vgl Bauer, DOV 1983, 56; Hermes, Bereich, S. 108 ff. Zu anderen Begründungen der "Wesentlichkeit" der Subventionen, etwa unter dem Aspekt der "Gewichtigkeit der Subventionierung für das Gemeinwesen" Bauer, DÖV 1983,56 f. 1 9 6 Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff., 385.
378
Teil 4: Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen
recht der Wettbewerbsfreiheit 197. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß das Parlament über das Verfahren der Haushaltsgesetzgebung an der grundlegenden Entscheidimg über das Ob, den Zweck und den Umfang der Subventionierung eines bestimmten Bereichs beteiligt ist 1 9 8 . Dadurch werden zwar die rechtsstaatlichen Defizite der Legitimationspraxis nicht kompensiert 199 . Doch anders als der Vorbehalt des Gesetzes für den hier nicht betroffenen Eingriffsbereich wurzelt der Vorbehalt "wesentlicher Entscheidungen" jenseits dieses Eingriffsbereichs vorwiegend in der demokratischen Funktion 200 . Letzterer wird - wie oben angedeutet- auch die parlamentarische Beteiligung im Verfahren der Haushaltsgesetzgebung gerecht. Vor diesem Hintergrund erscheint die Praxis der haushaltsrechtlichen Subventionierung deshalb im Ergebnis nicht als evidente Verletzung der den Staat im Subventionsbereich treffenden objektivrechtlichen Schutz- und Förderungspflicht. III. Resümee Soweit die Wesentlichkeitstheorie gesetzgeberische Regelungen fordert, die über das vom Eingriffsvorbehalt verlangte Maß hinausgehen, wird diesen durch das aktuell bestehende Recht Genüge getan.
197 1 QQ
199
i y y
200 w
Vgl. Schnapp, in: v. Münch, Art. 20 Rn. 45. S. oben A, IV, 1, a. S. oben A, IV, 1, b. S. bereits oben Teil 2, Abschnitt 1, Β sowie Brohm, DOV1987,265 f. (269).
Zusammenfassung und Ergebnisse I. Eine Untersuchung der von Rechtsprechung und Schrifttum benutzten Kriterien, von denen einfachgesetzlicher Rechtsschutz, Verfahrensrechte, Unterlassungs-, Folgenbeseitigungs-, Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche Drittbetroffener sowie die Geltung rechtsstaatlicher Gebote wie Zitiergebot, Wesensgehaltsgarantie, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsgrundsatz in Fällen der Drittbetroffenheit abhängig gemacht werden, fördert im wesentlichen drei "Gesetzmäßigkeiten" der Rechtserheblichkeit von Drittbeeinträchtigungen zutage: Eine erste Determinante bilden die Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten der staatlichen Organe. Während Drittbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit an den Gesetzgeber gerichteten Geboten Rechtserheblichkeit überwiegend nur zugestanden wird, wenn sie eine gewisse Formalität aufweisen, zeichnen sich die Kriterien in Fällen, in denen die zur Einzelfallbeurteilung berufenen Organe der Exekutive und Justiz angesprochen sind, durch eine erhebliche Offenheit für die besonderen Umstände des Einzelfalls aus. Zweitens gesteht man Drittbeeinträchtigungen nur eingeschränkte rechtliche Relevanz zu, wenn es - wie z.B. bei Verfahrensrechten - um die Gewährung lediglich "formellen" Rechtsschutzes zusätzlich zum ohnehin bestehenden materiellen Rechtsschutz geht. Soweit letzterer in Frage steht, räumt man grundsätzlich der Einzelfallgerechtigkeit den Vorrang ein und realisiert dies durch eine weitgehende Offenheit der Kriterien. Ansatzweise läßt sich drittens eine gewisse Sonderstellung finaler, d.h. von der Behörde bezweckter Drittbeeinträchtigungen insoweit feststellen, als das Finalitätskriterium z.T. zwar nicht als abschließendes, aber doch hinreichend sicheres Kriterium für die Rechtserheblichkeit einer Drittbeeinträchtigung verstanden wird. II. 1. Für die Frage der Geltung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes im Falle von Drittbeeinträchtigungen kommt es entscheidend darauf an, ob diese die Grundrechte in ihrer subjektiv-abwehrrechtlichen oder ihrer objektivrechtlichen Funktion ansprechen. Während die subjektiv-abwehrrechtliche Funktion den Eingriffsvorbehalt und damit grundsätzlich zwingend das Gesetzeserfordernis auslöst, steht dem Gesetzgeber auf der Basis der Wesentlichkeitstheorie bei Berührung objektiver Grundrechtsgehalte ein gewisser Spielraum im Hinbück auf Ob und Wie gesetzlicher Regelungen zu. Eine Untersuchung des Meinungsstands zur Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen zeigt, daß Rechtsprechung und überwiegendes Schrifttum die subjektivrechtliche Funktion, neuere Auffassungen in der Lehre die objektive Funktion für einschlägig halten. Da jedoch auch die
380
Zusammenfassung und Ergebnisse
objektiven Auffassungen jedenfalls bestimmte Arten von Drittbeeinträchtigungen der grundrechtlichen Abwehrkomponente zuschreiben, muß die Prüfung zweistufig erfolgen: Vorrangig hat eine Untersuchung des Gesetzesvorbehalts i.S.(L Eingriffsvorbehalts daraufhin stattzufinden, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Drittbeeinträchtigungen Grundrechtseingriffe darstellen. Da sich subjektive und objektive Grundrechtsfunktion nicht gegenseitig ausschließen, können sich Drittbeeinträchtigungen jenseits des Bereichs des Grundrechtseingriffs auf den objektiven Gehalt der Grundrechte auswirken und insoweit (zusätzlich) Regelungserfordernisse unter den Vorzeichen der Wesentlichkeitstheorie auslösen. 2. Die vorrangig erfolgende Untersuchung des Geltungsbereichs des Eingriffsvorbehalts für Drittbeeinträchtigungen muß mit der überwiegenden Auffassung zum Ausgangspunkt nehmen, daß für den Eingriffscharakter staatlichen Handelns nicht (mehr) auf dessen formale Struktur, sondern grundsätzlich auf den nachteiligen Effekt abzustellen ist. Angesichts der Tatsache, daß staatliches Handeln unübersehbare Folge- und Nebenwirkungen ohne zeitliche Begrenzung erzeugen kann, spricht jedoch eine Vielzahl von Gründen gegen die Grundrechtsrelevanz jeder faktischen Beeinträchtigung und damit für eingrenzende Kriterien bei der Feststellung der Grundrechtserheblichkeit von Drittbeeinträchtigungen. 3. Eine praktisch und dogmatisch bedeutsame Frage ist es, ob die Ausdehnung der Grundrechtsbindung auch auf faktische Beeinträchtigungen gleichsam parallel verläuft mit einer Ausdehnung des Eingriffsvorbehalts. Dabei lassen sich folgende verfassungsrechtlichen Vorgaben entwickeln: Die einzelnen Funktionen des Eingriffsvorbehalts sind aufgrund der beschränkten Erkenntnis- und der spezifischen Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers jedenfalls für bestimmte Arten faktischer Beeinträchtigungen nicht oder nur schwer erfüllbar. Diesem Aspekt kommt vor dem Hintergrund eines gewandelten Gewaltenteilungsverständnisses i.S. einer "funktionsspezifischen Aufgabenerledigung" verfassungsrechtliche Relevanz zu. Er vermag deshalb eine einschränkende oder modifizierende Auslegung des Eingriffsvorbehalts im Falle faktischer Beeinträchtigungen auch verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. 4. Eine Konkretisierung und Anwendung dieser allgemein für faktische Beeinträchtigungen entwickelten Vorgaben auf Drittbeeinträchtigungen setzt deren Strukturierung voraus. Entgegen der überwiegenden Meinung ist sie durch eine Differenzierung zwischen finalen und nicht-finalen beeinträchtigungen vorzunehmen.
Dritt-
III. 1. Entgegen einer verbreiteten Auffassung im Schrifttum darf die Problematikfinaler Drittbeeinträchtigungen nicht mit dem Gesamtproblem faktischer Beeinträchtigungen vermengt werden. Innerhalb der faktischen Be-
Zusammenfassung und Ergebnisse
einträchtigungen kommt finalen Drittbeeinträchtigungen eine Sonderstellung zu, da sich ihre Grundrechtsrelevanz in spezifischer Weise verfassungsrechtlich begründen läßt. Vor allem eine teleologische Auslegung der Grundrechte in ihrer Funktion als subjektive Abwehrrechte gegen den Staat verbietet staatliche Strategien zur Umgehung des Grundrechtsschutzes. Finale Drittbeeinträchtigungen unterscheiden sich von klassischen Eingriffen lediglich in den staatlicherseits gewählten Mitteln, beide sind jedoch auf Herbeiführimg eines den Bürger beeinträchtigenden Erfolgs gerichtet. Um Umgehungsmöglichkeiten zu verhindern, müssen die Grundrechte ihre subjektivrechtliche Wirkkraft auch gegenüber finalen Drittbeeinträchtigungen entfalten. a) Drittbeeinträchtigungen sind danach grundsätzlich als Eingriffe in Grundrechte des Dritten zu werten, wenn sie kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllen: aa) Sie müssen den jeweils speziell zu ermittelnden thematischen Schutzbereich eines Grundrechts berühren. Der thematischen Einschlägigkeit des Grundrechts aus Art. 12 I GG in Fällen behördlicher Produktwarnungen steht nicht entgegen, daß sich diese auf gesetzlichen Vorschriften widersprechende oder gesundheitsgefährdende Produkte beziehen. bb) Die Verwaltung muß die Herbeiführung der Drittbeeinträchtigung bezwecken. Die Finalität stellt ein sicheres, verfassungsrechtlich begründetes und funktionsadäquates Kriterium zur Bestimmung des Eingriffscharakters dar. Für die Finalität reicht es aus, wenn die Drittbeeinträchtigung notwendige Voraussetzung oder Folge der Verwirklichung des angestrebten Ziels ist. Allerdings muß sich anhand der Zweckrichtung der Maßnahme die Beeinträchtigung einzelner, individualisierbarer Grundrechtsträger ermitteln lassen. cc) Schließlich dürfen die infolge des Verwaltungshandelns ausgelösten tatsächlichen Nachteüe des Dritten nicht unerheblich sein. b) Beruht die Drittbeeinträchtigung maßgeblich auf einer Entscheidung Privater, ist sie dem Staat als Grundrechteingriff zuzurechnen, wenn sich ein vernünftiger Duchschnittsbürger zu einem entsprechenden Verhalten als Reaktion auf das staatliche Handeln veranlaßt fühlen durfte. c) Veranlaßt die Verwaltung mittels verwaltungsinterner Maßnahmen oder Regelungen gezielt Beeinträchtigungen Dritter, so erfüllen diese grundsätzlich die Voraussetzungen eines Grundrechtseingriffs. 2. a) Finale Drittbeeinträchtigungen in Form behördlicher Warnungen, können, soweit mit ihnen Eingriffe in Grundrechte Dritter verbunden sind, grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Verfassung gestützt werden. Das gilt sowohl für Empfehlungen im Rahmen bloßer Umweltberatung wie für
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Zusammenfassung und Ergebnisse
Warnungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr. Das anderslautende Urteil des BVerwG zu den Warnungen vor Jugendsekten, das vor allem die Zwecke des Eingriffsvorbehalts unberücksichtigt läßt und im Widerspruch zur Transparenzlisten-Entscheidung steht, ist abzulehnen. Eine Einbeziehung finaler Drittbeeinträchtigungen in den Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts stellt den Gesetzgeber weder im Hinblick auf seine Erkenntnis- noch seine Handlungsmöglichkeiten vor unüberwindliche Schwierigkeiten. Die Funktionen des Eingriffsvorbehalts können so auch bei finalen Drittbeeinträchtigungen zum Tragen kommen. Aufgrund seiner abstrakt-generellen Natur erscheint das Finalitätsmerkmal für die Frage der Erstreckung des Eingriffsvorbehalts auf Drittbeeinträchtigungen als funktionsadäquates Kriterium. Demgegenüber läßt sich ein Ausschluß finaler Drittbeeinträchtigungen vom Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts, etwa durch dessen Beschränkung auf klassische Eingriffe, verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Insbesondere würde damit die Möglichkeit einer Umgehung geschaffen, angesichts der erweiterten Palette der Handlungsformen der Verwaltung ein nicht vertretbares Ergebnis. Soweit sie einer formell-gesetzlichen Grundlage entbehren, sind danach zu finalen Drittbeeinträchtigungen führende Maßnahmen, insbesondere Empfehlungen im Rahmen der Umweltberatung oder Warnungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr, verfassungswidrig. b) Was die erforderliche Regelungsdichte anbelangt, lassen sich folgende Aussagen treffen. aa) Im Wege der Auslegung der polizeilichen Generalklausel konnte ermittelt werden, daß diese nicht allein klassische Eingriffsmaßnahmen abdeckt, sondern z.B. auch behördliche Warnungen, die zum Zwecke der Gefahrenabwehr eingesetzt werden.
bb) An der dogmatischen Unterscheidung zwischen Aufgabenzuweisungsund Befugnisnormen ist festzuhalten. Auch eine gesetzliche Grundlage zur Rechtfertigung finaler Drittbeeinträchtigungen darf sich aus demokratischen, grundrechtlichen, vor allem aber rechtstaatlichen Gründen nicht auf die Angabe der von der Behörde zu erfüllenden Aufgabe beschränken, sondern muß Aussagen über das von der Behörde einzusetzende Mittel treffen. cc) Die besondere Struktur finaler Drittbeeinträchtigungen macht zwar die Normierung rechtfertigender Befugnisnormen nicht unmöglich, erfordert aber deren Modifizierung. So reicht es grundsätzlich aus, wenn das staatlicherseits eingesetzte Mittel nicht vollständig, sondern nur zum Teil, nämlich lediglich im Hinblick auf den staatlichen "Auslöser" der Beeinträchtigung beschrieben wird, die Zwischenursachen (z.B. Verbraucherverhalten) sowie die nachteiligen Folgen (z.B. Absatzeinbußen) jedoch ungere-
Zusammenfassung und Ergebnisse
gelt bleiben. Das setzt allerdings voraus, daß sich aus der Zusammenschau der gesetzlichen Regelung von Art und Voraussetzungen der zugelassenen staatlichen Maßnahme sowie der Normierung des zu verfolgenden Zwecks die Grundrechtsbetroffenen sowie das mögliche Ausmaß der Grundrechtsbeeinträchtigung feststellen lassen. c) Im Hinblick auf finale Drittbeeinträchtigungen, insbesondere in Fällen behördlicher Informationstätigkeit, sind dem Gesetzesvorbehalt in der Ausgestaltung der Wesentlichkeitstheorie jedenfalls im Regelfall keine über das bereits vom Eingriffsvorbehalt verlangte Maß hinausgehenden Regelungperfordemisse zu entnehmen. Der Grund dafür besteht in der weitgehenden Autonomie des Gesetzgebers bei der Entscheidung über das Ob" und das "Wie" der Erfüllung grundrechtlich begründeter Schutzpflichten. IV. 1. a) Die Untersuchung der bisherigen Versuche zur Bestimmung des Eingriffscharakters nicht-finaler Drittbeinträchtigungen ergibt folgendes Bild: aa) Vereinzelt vertretene Extrempositionen, die entweder jegliche grundrechtliche Relevanz nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen leugnen oder umgekehrt jeder kausal verursachten Betroffenheit Grundrechtsrelevanz verleihen wollen, lassen sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Die Aufstellung blankettartiger Abgrenzungstermini verlagert die Problematik auf den jeweiligen Einzelfall, dem Bedürfnis nach aussagekräftigen Maßstäben für die Grundrechtsdogmatik wird damit nicht Rechnung getragen. Des weiteren muß der Vorschlag abgelehnt werden, die grundrechtliche Verantwortlichkeit von einem staatlichen "Verschulden" abhängig zu machen, insbesondere auf die Beeinträchtigungen zu beschränken, die die Verwaltung vorhersehen bzw. vermeiden konnte. bb) Soweit die Grundrechtsrelevanz anhand eines Einzelkriteriums bestimmt wird, wird in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend die besondere Intensität bzw. die "Schwere und Unerträglichkeif der Beeinträchtigung für maßgeblich gehalten. (1) Zwar hat sich die Heranziehung dieses Kriteriums in der Rechtsprechung mittlerweüe gefestigt, doch steht eine verfassungsrechtliche Begründung dort noch aus. (2) Mittlerweile liegen verschiedene Begründungsansätze des Schrifttums vor, diese verfassungsrechtliche Rechtfertigung "nachzuliefern". Zinn Teil sind diese verfassungsrechtlich nicht haltbar oder begründen die Einschränkung des Schutzbereichs bei nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen nicht generell, sondern nur für bestimmte Grundrechte oder bestimmte Arten nichtfinaler Drittbeeinträchtigungen. Allein die in jüngster Zeit vertretene Auffassung, wonach die Grundrechtsrelevanz faktischer Beeinträchtigungen allgemein auf den objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte zurückzufüh-
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Zusammenfassung und Ergebnisse
ren ist, liefert eine generelle Erklärung der Grundrechtsrelevanz nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen und vermag auch das Kriterium besonderer Schwere schlüssig zu belegen. Allerdings läßt sie eine nähere Begründung ihres Ausgangspunktes vermissen: die verfassungsrechtlich vorrangige Frage, warum die Primärfunktion der Grundrechte als Abwehrrechte sich grundsätzlich nicht auf faktische Beeinträchtigungen bezieht, wird nicht oder nicht befriedigend beantwortet. cc) Ramsauers Ansatz einer Übertragung der zivilrechtlichen Normzwecklehre auf das öffentliche Recht zeigt zutreffend, daß es bei dem diskutierten Abgrenzungsproblem um die richtige Grenzziehung zwischen der Verantwortungs- und Risikosphäre des Staates einerseits und des einzelnen andererseits geht. Einwänden ist er jedoch deshalb ausgesetzt, weil er von vornherein den Versuch aufgibt, allgemeingültige Eingriffskriterien zu finden; im Ergebnis wird die Eingriffsqualität von der Prüfung eines Kriterienbündels abhängig gemacht, was mit einem Verlust an Abgrenzungsklarheit und Rechtssicherheit verbunden ist. Darüberhinaus verkennt er die besondere verfassungsrechtliche Bedeutung des Finalitätskriteriums. Schließlich birgt die für die Normzwecklehre entscheidende Feststellung der vom Schutzzweck des jeweiligen Grundrechts umfaßten Risikobereiche die Gefahr subjektiver, außer-verfassungsrechtlicher Wertungen in sich. b) aa) Der Entwicklung eines eigenen Lösungsvorschlag s war eine Auslegung der Grundrechte nach dem Prinzip der Einheit der Verfassung zugrundezulegen. Danach müssen die grundrechtlichen Schutzbereiche eine Interpretation erfahren, die Widersprüche zum Prinzip der Gewaltenteilung vermeidet. Da eine unbegrenzte Einbeziehung nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen in den Grundrechtsschutz einen lähmenden Einfluß auf die Exekutive und die Übernahme wesentlicher Funktionen des parlamentarischen Gesetzgebers durch die Justiz zur Folge hätte, muß eine das Gewaltenteilungsprinzip berücksichtigende Auslegung zur Zurûckdràngung der primären, abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion führen. Die objektivrechtlichen Grundrechtsbindungen kommen jedoch weiterhin zum Tragen und können in ein subjektives Abwehrrecht umschlagen, wenn die Gefahr der faktischen Aushöhlung des Grundrechts besteht, insbesondere wenn die nicht-finale Drittbeeinträchtigung eine besondere Intensität aufweist. Nicht-finale Drittbeeinträchtigungen stellen also grundsätzlich nur bei besonderer Schwere subjektiv-abwehrrechtlichen Grundrechtsschutz auslösende Grundrechtseingriffe dar. bb) Diese Grundsätze gelten nur für den Regelfall· In Ausnahmefällen kann eine Auslegung des jeweiligen Grundrechts im Einzelfall nach seinem Schutzzweck ein Abweichen vom Maßstab der besonderen Schwere rechtfertigen. Vier Ausnahmefallgruppen können dabei als Leitlinien dienen.
Zusammenfassung und Ergebnisse
cc) Der Umstand, daß kein allgemeingültiges Kriterium aufgestellt, sondern mit dem Regel-Ausnahme-Mechanismus die Schutzbereichsfeststellung offen für eine Wertung im Einzelfall gehalten wird, trägt der Funktion der Grundrechte y "erfolgsbezogen 11 Freiheitszonen zu sichern und unmittelbar rechtsschutzeröffnend zu wirken, Rechnung. Auch im Hinblick auf die übrigen rechtlichen und tatsächlichen Bedenken gegen die grundrechtliche Relevanz nicht-finaler Drittbeeintächtigungen erscheint das aufgezeigte Regel-Ausnahme-Verhältnis als funktionsadäquat. 2. a) Das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage in Fällen grundrechtseingreifender, nicht-finaler Drittbeeinträchtigungen ist weder wegen Funktionslosigkeit entbehrlich, noch machen es verfassungsrechtliche Bestimmungen von vornherein verzichtbar. b) aa) Die Funktionen des Eingriffsvorbehalts sind auf Grund der begrenzten Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers nicht bei allen grundrechtsbeeinträchtigenden nicht-finalen Drittbeeinträchtigungen erfüllbar. Konkret sind nicht die für den Gesetzgeber unvorhersehbaren, sondern die atypischen Drittbeeinträchtipingen vom Geltungsbereich des Eingriffsvorbehalts auszunehmen. Atypische Grundrechtsbeeinträchtigungen können in adäquater Weise nicht abstrakt-generell und im voraus vom Gesetzgeber, sondern grundsätzlich nur aktuell im jeweiligen Einzelfall durch die dazu besonders befähigten Organe der Verwaltung und Rechtsprechung berücksichtigt werden. Im Hinblick auf atypische Drittbeeinträchtigungen kann deshalb auch der Eingriffsvorbehalt weder seine demokratische noch seine rechtsstaatliche Funktion entfalten. Die grundrechtsschützende Funktion des Eingriffsvorbehalts steht dieser Geltungseinschränkung nicht entgegen, da der Verzicht auf ein Instrument formellen Rechtsschutzes die Möglichkeit des Dritten unberührt läßt, im Einzelfall materiellen Rechtsschutz auch im Hinblick auf atypische Beeinträchtigungen zu erhalten. Bei der für den Geltungsumfang des Eingriffsvorbehalts maßgeblichen Grenzziehung zwischen typischen und atypischen Drittbeeinträchtigungen ist dem Gesetzgeber eine gewisse Entscheidungsprärogative zuzugestehen. bb) Die praktische Bedeutung dieser Lösung liegt darin, daß behördliche Genehmigungen oder "normale" Wirtschaftsssubventionen typischerweise nicht zu Nebenwirkungen führen, die eine besondere Schwere und damit Eingriffsqualität aufweisen. Derartige grimdrechtsbeeinträchtigende Wirkungen im Einzelfall sind atypisch und lösen deshalb unter dem Aspekt des Eingriffsvorbehalts Regelungserfordernisse nicht aus. Es erfolgt hier lediglich eine gesetzesunabhängige Eingrijfskontrolle unmittelbar anhand des betroffenen Grundrechts, insbesondere durch die gerichtliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall. Der Ausschluß atypischer Beeinträchtigungen vom Eingriffsvorbehalt erscheint nicht als unverhältnismäßige 25 Roth
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Zusammenfassung und Ergebnisse
Auslegung, da den Funktionen des Eingriffsvorbehalts im Falle atypischer Grundrechtsbeeinträchtigungen durch eine bloße Modifikation der Bestimmtheitsanforderungen nicht Rechnung getragen werden kann. In den Ausnahmefällen, in denen der Eingriffscharakter nicht-finaler Drittbeinträchtigungen keine besondere Intensität voraussetzt (z.B. Pressesubventionen, Kunstsubventionen), stellen sich die Beeinträchtigungen als typische Folgen des Verwaltungshandelns dar und bedürfen deshalb nach dem vorgeschlagenen Abgrenzungsmaßstab einer formellgesetzlichen Grundlage. Was die Frage nach der hier geltenden Regelungsdichte anbelangt, läßt es insbesondere die rechtsstaatliche Funktion nicht als ausreichend erscheinen, lediglich den Zweck der Verwaltungsmaßnahme, auf den sich der Sache nach zJB. die subventionsbezogenen Aussagen im Haushaltsgesetz und den dazugehörigen Haushaltsplänen beschränken, anzugeben. Verfassungsrechtlich geboten, aber auch ausreichend ist in diesen Fällen die Normierung und nähere Konkretisierung der die Drittbeeinträchtigung auslösenden Verwaltungsmaßnahme, in Fällen der Pressesubventionen insbesondere Angaben zu Art, Höhe, Tatbestandsvoraussetzungen und Adressaten der Zuwendung. c) Regelungserfordernisse über das vom Eingriffsvorbehalt verlangte Maß hinaus können sich aus der Wesentlichkeitstheorie ergeben, soweit nichtfinale Drittbeeinträchtigungen den objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte berühren. Konkrete gesetzgeberische Maßnahmen, etwa die Normierung eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt zur Überwachung gefährlicher Anlagen als Folge grundrechtlicher Schutzpflichten zugunsten potentiell Drittbetroffener oder die Einräumung von Verfahrensrechten, sind jedoch wegen des weiten gesetzgeberischen Spielraums bei der Erfüllung der objektiven Grundrechtsbindungen nur verfassungsrechtlich geboten, soweit die bisher getroffenen Schutzmaßnahmen offensichtlich unzulänglich sind. Das kann momentan weder im Hinblick auf potentielle Nachbarbeeinträchtigungen durch gefährliche Anlagen, noch im Hinblick auf mögliche Konkurrentenbeeinträchtigungen durch Subventionen angenommen werden.
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